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Harvard College
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HARRIET J. G. DENNY
OF BOSTON
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Des Gardinals und Bischofs
Yicolaus von Cufa
widtigite Schriften
in deutfher Ueberfegung
von
Dr. F. A. Scharpff,
Domeapitular in Rottenburg.
Freiburg im Jreisgan.
Herderfhe Verlagshbandlung.
1862.
Drud von 3. Kreuger in Stuttgart,
Sorwort.
Seidem ich das vorher entweder ganz unbekannte oder vielfach entſtellte
veben und Wirken des deutſchen Cardinals und Biſchofs Nicolaus von Cuſa
nach ſorgfältigem Sammeln der mir zugänglichen Duellen !) in einer Mono»
grapbie (Der Earbinal und Bifchof Nicolaus von Eufa, Mainz 1843)
1) Schon die Rechenfchaft, welche ich hierüber in der Vorrede zu meiner Monos
arapbie (S. XI—XIV) ablegte, beweist, daß ich dieſem Gegenſtande alle einer fo
michtigen Aufgabe entfprechende Mühe und Sorgfalt gewidmet habe, was denn auch
in den über bad Buch erfchienenen NRecenfionen die gebührende Anerkennung gefunden
bat. Erſt dem Herrn Prof. Dr. Jäger im Mien, der über den Streit des Gars
dinalse mit dem Herzog Sigmund von Deftreich zwei Bände (Innsbrud 1861)
berausgegeben hat, war es vorbehalten, meine Arbeit der „gewohnten Oberflächlichfeit“
(IL &. 84) zu beichuldigen, weil ich einmal in einem Briefe bed Cardinals den Aus:
druck haeresiarcha auj Gregor von Heimburg ſtatt auf den herzogl. Rath Blumenan
bezogen, bie Lage ded Schloßed Auraß in Tirol nicht genau gewußt (kennt Herr
Dr. Zäger die Rage aller Schlöffer in Württemberg ?) oder ein paar Stellen in Ori—
ginalurfunden aus jener Zeit nicht richtig geleien uw. dgl., auch zu fehr ald Apologet
des Cardinals aufgetreten fei. Wer über einen ganz fpeciellen Gegenſtand durch Wege,
die mir damals nicht zugänglich waren, im Befige aller Quellen ift und fomit über
eine, durch die Leidenfchaft beider Theile ſchon in den Melationen aus jener Zeit ents
ſtellte und vielfah dunkle Parthie, überdieg mit allen Hülfsmitteln einer Univerſitaͤts⸗
bibliothek, die mir damals nicht zu Gebote ſtanden, eine bis ins Einzelnſte gehende
Unterſuchung anſtellt, muß natürlich in Vielem auf richtigere Ergebniſſe gelangen, bie
mich in jenem Werke, einzig weil fie die Wahrheit in einzelnen Parthien mehr
ans Licht fiellen, erfreuten. Nuffallend war es mir ferner, daß Herr Dr. Jäger mir
sorwirft, daß ich eine fchon von Chmel veröffentlichte Urfunde nicht gekannt (II, 108),
dagegen die nach meiner Arbeit erfchienene Monvgrapbie von Dr. Dür über Gufa ein
gedie genes Werf nennt, obwohl Dr. Dür die fragliche Streitfrage in nichts MWefentlichem
beſſer, ale es von mir gefchehen, aufgehellt, den wichtigen Codex cusanus durchaus
IV
zunächſt nach der Seite des kirchlichen Wirkens in einem Gefammtbilde zu zeich-
nen verfucht, hat fi die Aufmerffamfeit auch auf deſſen Iiterarifche Thätig-
keit, namentlih auf das philoſophiſch⸗theologiſche Syftem desſelben, wovon ich
die Grundzüge in der Tübinger tbeologifchen Quartalſchrift, Jahrg. 1837,
2. Heft niedergelegt hatte, in erhöhtem Grade hingewendet. Dr. Clemens,
damals Privatdocent in Bonn, zeigte im Jahre 1847 in einer beſondern
Schrift: Giordano Bruno und Nicolaus von Eufa das Verhältniß
beider Philoſophen zu einander, zu welchem Bebufe er das Syſtem Eufa’s in
vortreffliher Weiſe in den Grunbzügen bdarlegte. Dr. Dür, Regens des
bifhöfl. Seminars in Würzburg, nimmt in feiner Monographie über Nico—
laus von Cuſa (Regensburg 1847) auf diefe lehrreiche und geblegene Schrift,
obwohl ihr Inhalt fhon 1844 in der Zeitfchrift für Wiſſenſchaft und Kunft
von Dr. Dieringer niebergelegt war, Feine Rüdfiht und beſchränkt fi in
dem Abſchnitte über das literarifche Wirken auf mehr oder weniger ausführ-
lihe Auszüge aus den wichtigften Schriften des Cardinals, ohne über das
Syſtem felbft, feine innere Entwidlung, über die Stellung Eufa’s in ber
Geſchichte der Philoſophie und der dogmengeſchichtlichen Entwidlung, wovon
doch die Würdigung des literarifhen Wirkens in erfter Linie abhängt, in
irgend eine Unterfuhung einzugeben. Der VIIL Band der Sitzungsberichte
ber philoſophiſch-hiſtoriſchen Claſſe der Falferlihen Academie der Wiffen-
fhaften in Wien vom Jahre 1852 enthält eine fehr gute Abhandlung von
Prof. Zimmermann über die Philoſophie des Garbinald unter dem Titel:
„Der Gardinal Nicolaus Eufanus ala Vorläufer Leibnigens“.
Ritter bat in feiner Geſchichte der Philofophie des Mittelalterd dem philo—
ſophiſchen Syfteme Cuſa's eine ausführlichere, jedoch nicht in allen Theilen
genügende Darftellung gewidmet, und Staudenmater hat in feiner Dog»
matif (IT. Bd. 2. Abthlg. Freiburg, bei Herder, 1848) In der Lehre von
nicht felbft benützt und unterfucht, fondern fich in den thatfächlichen Specialitäten in ber
Regel auf meine Darftellung geftügt hat und die gleiche apologetiiche Tendenz wie ich
verfolgt. Micht Bine Stelle habe ich gefunden, in welcher Herr Dr. Jäger mid auf
eine richtigere Unterfuchung und Darftellung des vorhin genannten Biographen hätte
binweifen fünnen. Alfo reine Ungnade !
v
Bott und der Verwirklichung der Welt an vielen Stellen auf Nicolaus von
Cuſa hingewieſen.
Dieſe Beleuchtung einzelner Parthien des in den ältern Werken über
Geſchichte der Philoſophie von Bruder, Buhle und Tennemann gleich
der ganzen Scholaſtik gänzlich entſtellten Syſtems zeigen nicht nur den tiefen
md reichen Gehalt der Speculation unferd Denkers, fondern treiben von felbft
bin, diefe einzelnen Belenchtungen in Einen Breunpunft zu fammeln und
das Ergebniß der meueften Unterfuchungen über dieſe ober jene Seite der cuſa—
niſchen Speculation in ein Gefammtbild zufammen zu faſſen, welches die inmere
Entwiflung der cufanifhen Philofophte darlegt, ſodann die Stellung Eufa’s
im Entwidlungsgange der Philoſophie vor- und rückwärts beleuchtet, überbich
au den dogmatifhen Auffaffungen einiger wichtigen Lehrſtücke der fpertellen
Glaubenslehre — eine bisher ganz unbeachtet gebliebene Materie — die ger
bübrende Beachtung widmet und enblih eine Auswahl des Gediegenften aus
den Predigten und religiöfen Dialogen liefert.
In der Ausführung der Hauptaufgabe, der vollſtändigen Darlegung des
Iperulativen Syſtems, glaubte ich aus mehrern Gründen mich nicht auf den
gewöhnlichen Weg eined Referates, bet welchem der Philoſoph felbft nur
bie und da zum Worte kommt, beſchränken, fondern von den nambafteften
Schriften eine möglihft finngetreue Ueberfegung, mit nur wenigen Auslaffungen
von ſolchen Sägen, die bloße Wiederholungen des Gedankens find, dem
Publikum geben zu follen. Dies dürfte gerechtfertigt erfcheinen
1. vor Allem durch die bisherige mangelbafte Kenntniß des Gangen ber
Ipeeufativen Wirkfamkelt Cuſa's, der doch an Tiefe der Gedanken ſich an bie
beten Scholaftiker des Mittelalters anreiht, an Vielfeitigkeit und mannigfaden
Anklängen an die neuere Philoſophie fie alle übertrifft. Gine nähere Bes
kanntſchaft mit dem Syſteme Cuſa's aus feinen Schriften felbft ift wegen ber
großen Seltenheit ver Ausgabe berfelben (die gewöhnliche ift die Basler,
ex offieina Henricpetrina v. 3. 1565) für die Wenigften ermöglicht.
2. Je origineller Cuſa's Ideen gedacht und ausgeführt find, defto we—
niger werden fie im ihrer ganzen Eigenthümlichkeit durch ein bloßes Neferat,
wenn auch biefed mit einzelnen Stellen aus den Schriften felbit durd-
vl
flochten iſt, erkannt. Veranlaſſung, Eingang, Art der Ausführung, Schluß
einer Schrift geben uns erſt ein ganzes Bild und laſſen uns oft nur in ein—
zelnen hingeworfenen Bemerkungen, die man fonft nicht als eigentliche dieta
probantia zu betrachten pflegt, tiefere Blicke in die ganze Geiftesrichtung
werfen. Mag das Neferat über einen Philoſophen fih noch fo getreu an den
Gehalt feiner Schriften anfchmiegen, es erſetzt doch das Lefen derfelben und
die eigene Ausführung des Autors keineswegs. Deßhalb geben auch die Aus-
züge bei Dr. Dür ein nur mangelbaftes und fragmentarifches Bild des Ge—
danfengangs der einzelnen fpeculativen Schriften. Wenn Gufa wiederholt
von feinem Syſteme fagt, es unterfcheide fih von der zu feiner Zelt üblichen
Metbode des Philoſophirens wie das (felbfiftändige) Eeben vom Hören (de&
Ueberlicferten), fo wird auch in der Erfenntniß feines Syſtems das Sehen
vor dem Hören den Vorzug verdienen.
3. Cuſa bat aub der Form und Architeftonif feiner Gedanken eine
große Sorgfalt gewidmet. Seine Ausführungen bewegen ſich nicht durch volu—
mindfe Schriften bin, ſondern find in verhältnißmäßig Eleinen Abhandlungen
niedergelegt, von denen jede ein eigenthümliches Ganze bildet; in einigen ift
die dBialogifhe Korm Plato's nachgeahmt. Non diefer Form des Syſtems
erhalten wir nur durch Ueberfegung ein ebenſo anſchauliches als anziehendes,
nicht durch übermäßige Gedehntheit ermüdendes Bild.
4. Mit einem gewiffen nationalen Selbftgefüble bittet Cuſa feinen Lehrer,
Gardinal Julian Gäfarini, dem er die erfte größere pbilofopbiiche Arbeit
— de docta ignorantia — widmete, er möge diefes wie immer geartete
Syſtem eines Deutfhben über göttlibe Dinge mohlwollend aufnehmen.
Und in der That! wenn wir das lateinifche Gewand der Darftellung hinweg-
nehmen, fo wird jeder Kundige bier dad Werf eines deutſchen Geiftes
mit Freuden entdeden ; ja, er wird oft meinen, nicht einen Scholaftifer aus
dem 15. Jahrhunderte, fondern einen deutſchen Philofopben der neueren Zeit
zu leſen. Die Grundgedanfen der deutſchen Myſtik — man könnte Eufa’s
Spftem ven ind Philoſophiſche überſetzten Thomas von Kempis, aus deſſen
Kreifen auch jener hervorgegangen, nennen —, elne Kritit des menschlichen
Grfenntnifvermögens, die Naturpbilofophie von Echelling und Bader — alles
vu
Diefes tritt uns bier entgegen, aber zu einem ſolchen Ganzen verarbeitet, daß
der Bantbeidmus überwunden wird und durch die großartig, im Geiſte eines
Clemens von Alerandrien aufgefaßte Logoslehre die Grundideen bed Ehriften-
thums überall ihre Herrſchaft fiegreih behaupten — Gründe gemug, daß wir
das Tateinifche Gewand, aus welchem ohnehin die deutiche Korn des Gedan—
tend überall bervorfchaut, hinwegnehmen und dem deutfchen Denker in feiner
natürlihen Geſtalt ſchauen Laffen. Ich ſchmeichle mir mit der Hoffnung, daß
die biäber nur mangelhaft erjchloffene Lectüre eines riftlichen Philoſophen,
durch deffen Schriften fih eine fo tiefe und warme Religiofität hindurchzieht,
der in allem feinem Denken nichts Anders bezweckte, ald daß, wie in ihm,
jo au in feinen Lefern auf dem Wege der Speculation „Chriftus für
Geift und Herz immer größer werden möge“ (de doeta ignorantia
Il, e. 12, ©. 62) aufer den Männern vom Bade, die an der Quelle felbft
ſchöpfen, Allen willfommen fein werde, welche auf jenem Grade von Bildung
fteben, daß ein jeder Verſuch zur Löſung der höchften Probleme des menſch—
lichen Geiftes ihr lebhafteſtes Intereffe in Anfpruh nimmt. Werfen wir
vollends einen Blif auf den vermaligen Stand der Philoſophie, fo ift der-
jelbe von der Art, daß ein Geift wie Cuſa aufzutreten fih niht im Min«
beiten ſcheuen darf.
5. Es verftebt fih endlich von felbft, daß die Ueberfegung der namhaf«
teften philoſophiſchen Schriften die befte Grundlage bildet, auf welcher eine
lebendige Erörterung über Geift umd Richtung, Entwicklungsgang des Syſtems ır.
in der zweiten Abtbeilung aufgebaut werben fann. Iſt ja eine richtige Ueber-
gung auch ſchon eine Erklärung des Sinnes mander Stellen, vorausgeſetzt,
daß man nicht da, wo die Ueberfegung Schwierigkeiten bietet, den lateiniſchen
Ausdruck beibehält, fondern wirklich den möglichft adäquaten aus der deutfchen
rbilofophifchen Sprache auffuht. Im wieweit ih nun die oft nicht geringen
Schwierigkeiten überwunden und namentlich auch den vielfach fehlerhaften Tert
der Basler Ausgabe aus dem Sinn und Zufammenhang verbeffert habe, ftelle
Id dem Urtheile der Sachverftändigen anbeim.
Durh die Auswahl der überfegten philoſophiſchen Schriften ſoll nicht
gelagt fein, daß nicht noch einige andere der nicht überfegten zur allſeitigen
VIII
Erkenntniß des Syſtems erforderlich ſeien; doch find die Hauptgedanken in
dem hier Ueberſetzten niedergelegt. Zwei der überſetzten Schriften: de pace
fidei und eribratio Alchoran gehören zwar nicht zu den im engern Sinne
ſpeculativen, allein fie find doch von den Grundideen der phliloſophiſchen An—⸗
ſchauung Gufa’s getragen und verdienen auch ihrem übrigen Inhalte nach
wörtlih und vollftändig befannt zu werden. Unterlaffen habe ich die Ueber-
feßung der Schrift: de concordantia catholica, fo wie der Briefe an
die Böhmen, da ihr mefentlicher Inhalt bereits in meine oben erwähnte
Monographie (S. 32—91 und 9I—105) aufgenommen tft.
Die zweite Abtheilung wird die miffenfchaftliche Unterfuchung über Eufa’s
Syſtem und defjen Stellung im Entwidlungsgange der Philoſophie und ſpe—
eulativen Theologie enthalten,
Möge fich diefe meine Arbeit der gleichen günftigen Aufnahme, wie die
frübere über denfelben Gegenftand erfreuen! Glücklich würde ich mich ſchätzen,
wenn diefelbe Einiges ‚beitragen follte, daß, wenn in nicht ferner Zeit (am
10. Auguft 1864) vier Jahrhunderte ſeit dem Hinſchelden des Mannes, auf
den die katholiſche Kirche und befonders das deutſche Vaterland mit Stolz
binbliden darf, verfloffen find, fein geiftiges Bild in möglichft Tebensvollen
und fprechenden Zügen vor uns ſteht.
Inhaltsverzeichniß.
U
I. Speculative Schriften,
Don der Wiſſenſchaft des Ni a EG OR Er
en DHmaBeanen © 2 u 2 — — —
Don dem Gott Suchen
Seite
Ueber die Entſtehung der Welt
cher dad Sehen Gottes .
Ueber das Seinfönnen .
Ueber das Globusfpiel . . ’
Don der Jagd auf die Weisheit
Kritif des Alchoran
Ueber den Frieden oder die teßereinkimmuug — Religionen re ||
II. Speciell Dogmatiſch-Ethiſches.
Werth der Literatur 2 2 rennen. dl
Summe der heil. Shift - > > 2 2 a nn nr 442411
Altes und neues Teflament > 2 2 rennen. 42
Verftändniß der heil. Schrift . . . ee
Verherrlihung Gottes — das Ziel * fine 2 Werte” ee ME
Jeſus das Ziel der — A ——— .. 4 241h16
kehre von den Engeln . . . 6462417
Utſprung der Seele . . . De ee ee ee ee
Die Seele von Natur eine Ghriftin ee ee
Urſprüngliche Unſchuld, Verluſt derfelbeen . © > 2 nn nn 2421
Die Eine . . . nn. 422
Das Böfe, fein Willen — Bott, ſein —D 2) Ken Bott FE Rt > >.
Barum Gott die Sünde zuliß . - - - ... 424
Sündenfall im Verhältniß zu Gott. » >» 2 2 nn 42424
Gewiſſen, Sünde, Todſünde.. 242785
Der Teufel und ſeine ——— 4477
Fall des Teufel . . ee ee ee
Birfungen des Teufel....442428
Cinfluß der Dämonen.. 404290
EEE DER 90 EEE
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J.
Speculative Schriften.
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Don der Wiſſenſchaſt des Nichtwiſſens.
(De docta ignorantia.)
Nicolaus von Cuſa an den hochehrwürdigen Cardinal Julian,
feinen Lehrer,
Deinen großen und gepriefenen Geift wird es mit Recht befremden,
daß ih, indem ih aus dem Barbarenlande meine Albernheiten (meas
barbaras ineptias) allzu unüberlegt zu veröffentlihen wage, Did um ein
Gutachten erſuche (te arbitrum eligo), als hätteft Du bei Deiner Stel
lung am apoftoliihen Stuhle als Gardinal und bei der angeftrengteften
Thätigfeit im öffentlichen Dienfte noch einige Muße übrig, oder als fünnte
Did, den feinften Kenner der gefammten lateinifhen und nun auch der
griebiihen Literatur, das Ungewöhnliche des Titeld für diefe meine viel
leiht ganz ungereimte Schrift gewinnen. Meine Geiftesrichtung Ift Dir
längft Hinlänglic befannt. Ich gebe mid der Hoffnung hin, daß nicht
jo faft der Gedanke, bier bisher Unbekanntes zu finden, als vielmehr das
Befremden über die Kühnheit, mit der ih mich an eine Abhandlung über
die Wiſſenſchaft des Nichtwiſſens gewagt, Deine große Wißbegierde zum
Einfehen meiner Arbeit bewegen werde. Die Naturlehre jagt und, dem
Appetite gehe eine unangenehme Empfindung im Gaumen vorher, auf
daß die Natur bei ihrem Selbfterhaltungstriebe hiedurch angereizt neue
Kräfte ſammle. So geht wohl aub mit Recht das Staunen, das und
um Philofophiren anregt (admirari, propter quod philosophari), dem
Bifienstriebe vorher, damit unfere Vernunft, der das Begreifen ihr Sein
it, im Streben nah Wahrheit zur VBollfommenheit gelange. Das Sels
tene fefjelt und, wenn ed auch abenteuerlih (monstra) ift.
So glaube denn, mein einziger Lehrer! in Deiner Humanität, daß
bier etwas Deiner Würdiges verborgen fei und nimm biefed wie immer
geftaltete Philofophem eines Deutfchen über göttliche Dinge wohlwollend
auf! Die große Mühe, die ich darauf verwendet, hat ed mir zu einer
äuferft lieben Beſchäftigung gemacht.
1*
Erfies Bud,
Erites Kapitel.
Unfer Wifjen ift Nichtwiffen.
Als Gabe Gottes liegt in allen Dingen, wie wir fehen, ein natürs
liches Verlangen, auf eine befjere Weife zu eriftiren, wie es ihr
natürfiher Zuftand zuläßt. Kür dieſes Ziel find beſonders diejenigen
Weſen thätig und mit den geeigneten Hülfsmitteln verfehen, denen der
Berftand angeboren ift, entiprechend dem Zwecke des Erfennens, auf daß
jenes Berlangen nicht ein vergebliches fei, fondern in dem Gegenftande
des Verlangens dur den Zug (pondere) der eigenen Natur feine Rube
finde, Gebt es etwa anders, fo kann dies nur accidentiell fein, 3. B.
wenn Kränflichfeit den Gaumen oder die Meinung den Berftand in bie
Srre führt. Daher jagen wir, die gefunde und freie Bernunft erfenne
das Wahre, das fie in einem ihr angeborenen unerfättlihen Suchen,
Alles durchforſchend, zu erreichen ftrebt, wenn fie es in liebendem Umfaffen
ergreift (Quamobrem sanum liberum intelleetum verum [quod insatia-
biliter indito discursu, cuncta perlustrando attingere cupit], apprehen-
sum amoroso amplexu cognoscere dieimus), und wir zweifeln nicht,
vollfommen wahr fei das, dem fein gefunder Verftand widerfprechen fann.
Alle Forihung ermißt aber das Ungewiffe dur proportionale Berglei-
hung mit etwas vorausgefegten Gewiffen. Jede Forſchung ift mit-
bin eine vergleihende (comparativa est omnis inquisitio), mittelft
einer Proportion. Läßt fih das Geſuchte in nahe liegender Proportion
mit dem vorausgefcgten Gewiffen im Verbindung bringen, fo ergibt ſich
das (die Mahrheit) erfaffende Urtheil auf leichte Weile, bedarf es aber
einer vielfachen Vermittlung (multis mediis), dann entitehen Echwierig-
feiten und Mühe. Bekannt ift died von der Mathematif, wo die erften
Lehrfäge auf die erften und ganz befannten Principien leichter zurüdges
führt werden, die ſpätern Lehrſätze aber fchwieriger, weil es nur durch die
Vermittlung jener möglich iſt. Jedes Forſchen bewegt fi aljo in einer
leichten oder fhwierigen vergleichenden Proportion nad einem Unendlichen
bin, das als Unendliches, indem es fi jeder Proportion ent-
zieht, unbefannt if. Da die Proportion ein Zufammenftimmen in
5
einem gewiffen Einen und zugleich ein Andersfein ift, fo läßt fie fih ohne
Zahl nicht denken. Die Zahl fließt fomit alled Proportionale in fid.
Nicht alfo bloß in der Duantität ift die Zahl, fondern in Allem, was wie
immer fubftantiell oder accidentiell zufammenftimmen und differiren fann.
Deßhalb hat wohl Pythagoras gelehrt, Alles werde durch die Kraft
der Zahlen georbnet und erfannt. Indeſſen eine präcife Combination im
Körperliden und eine congruente Anreihung des Unbekannten an das
Bekannte geht über den menfchlihen Verſtand, weßhalb Sokrates
meinte, er wiſſe nichts, außer daß er nichts wiflee Der weile Salomo
fagte, alle Dinge feien ſchwierig und nicht durd Worte zu erflären. Und
ein anderer Mann voll des göttlihen Geifted fagt, verborgen ſei die
Weisheit und die Etütte der Erfenntniß vor den Augen aller Lebenden.
Wenn dem fo ift, wie auch der tiefbringende Ariftoteles in feiner
„erſten Philojophie” jagt, daß felbft in den von Natur ganz unbefannten
Dingen uns diefelben Schwierigkeiten begegnen, wie der Eule, wenn fie
die Sonne jehen will, fo geht offenbar, da der Erfenntnißtrieb nicht um—
fonft in uns iſt, unfer Verlangen dahin, zu wiflen, daß wir nichts willen.
Bringen wir dieſes Verlangen zur Vollendung, fo erlangen wir bie
Wiſſenſchaft des Nichtwiſſens (doctam ignorantiam). Aud der
Wißbegierigſte fann es in feiner Bildung zu feiner höhern Vollkommen—
beit bringen, ald wenn er über die Unwifjenheit, die dem Menfchen eigen
if, recht unterrichtet erfunden wird (in ipsa ignorantia doctissimum re-
periri). Zu dem Ende habe ih mir die Mühe genommen, über eben
diefe Wiffenfhaft des Nichtwiſſens Einiges zu ſchreiben.
Zweites Kapitel,
Ginleitender Ueberblick des Ganzen.
Die Erörterung über das größte Nichtwiffen erfordert allererft eine Er:
läuterung der Natur des Größten.
Das Größte ift das, über welches hinaus es nichts Größeres gibt.
Die höchſte Fülle (abundantia) fommt aber der Einheit zu. Es coins
cidirt alfo mit dem Größten die Einheit, die aud das Sein (entitas)
ft. Da diefe Einheit von allem Verhältniß und allem Goncreten (con-
tractione) ganz und gar frei if, fo hat fie offenbar feinen Gegen,
lat. Das abfolut Größte iſt daher eine Einheit, die Alles ift und in
der Alles ift, weil es das Größte if. Weil ed feinen Gegenfag
bat, fo coincidirt mit ihm das Kleinfte, es ift daher auch in
Allem. Weil es abfolut ift, fo ift es in Wirklichkeit (actu) alles mögliche
Sein, ohne durch die Dinge befchränft zu fein, da alle Dinge von ihm find,
6
Diefed Größte, das im einftimmigen Glauben aller Nationen Gott
genannt wird, werde ich im erften Buche im nicht begriffsmäßiger Weife,
über den menſchlichen Verſtand hinausgreifend (supra humanam rationem
incomprehensibiliter inquirere laborabo) zu erforfhen ſuchen, unter der
Leitung Defien, der allein in einem unzugänglichen Lichte wohnet.
Wie das abfolute Größte das abfolute Sein ift, durd welches Alles
ift, was ift, fo gibt ed auch eine univerfale Einheit des Seins aus jener,
die das abfolut Größte if. Sie eriftirt concret (contracte) als Uni—
verfum, deflen Einheit in conereter Vielheit befteht, ohne welche fie nicht
fein fünnte. Obwohl diefes Marimum in feiner univerfalen Einheit Alles
umfaßt, und Alles, was aus dem Abfoluten ftammt, in ihm ift und es
in Allem, fo bat es doch feinen Beftand nicht außer dem Bereiche der
Vielheit, da es nicht ohne concrete Beichränfung (contractione) befteht,
von der es fih nicht losmadhen fann. Bon diefem Marimum, dem Unis
verfum, werde ih im zweiten Buche Einiges fagen.
Conſequent wird fih dann das Marimum der dritten Betrachtung
herauöftellen. Denn da das Univerfum nur ein bejchränftes Sein in der
Vielheit hat, fo werden wir aus dem Bielen Ein Größtes heraus—
judhen, in dem das Univerfum auf die größte und vollfoms
menfte Weife actuell, als in feinem Ziele, Subfiftenz findet.
Diefes muß fi mit dem Abfoluten, das der Höhepunft des Univerfums
(terminus universalis) ift, vereinen, weil ed das vollfommmenfte Ziel fein
fol, über alle menſchliche Faſſungskraft. Bon diefem Größten, das zu—
gleih concret und abfolut ift, dae wir Jeſus, den ewig ge—
priefenen nennen, will ic im dritten Buche Einiges, ſoweit mic Jeſus
felbft hiezu erleuchtet, beifügen.
Wer aber meinen Sinn erforfhen will, muß über die Wortbedeutung
hinaus fih zum geiftigen Verſtändniß erheben und nit an der eigents
fihen Bedeutung der Worte hängen bleiben (oportet potius supra ver-
borum vim intellectum efferre, quam proprietatibus vocabulorum in-
sistere), die zur Bezeichnung ſolcher Myfterien ded Geiftes in ihrer ge=
wöhnlihen Bedeutung nicht ausreichen (quae tantis intellectualibus my-
steriis proprie adaptari non possunt), Auh Bergleihungen aus
der Sinnenwelt muß man zur Anleitung anwenden, indem man fie
auf das Geiftige überträgt, auf daß der Leſer leichter ſich zur einfachen
Bernunfterfenntniß (ad intellectualitatem simplicem) erhebt. Den Weg
biezu bemühte ich mich auch gewöhnlichen Talenten fo deutlich als möglich,
mit Vermeidung aller Härte der Darftellung zu zeigen. Zu dem Ende
werde ich fogleich zu dem Wurzelbegriff der Wiffenfchaft des Nichtwiſſens
— die Unmöglichkeit einer präcifen Erfafjung der Wahrheit, übergehen.
Drittes Kapitel,
Die präcife Wahrheit ift unerfafibar,
Da es an und für fih Mar ift, daß das Unendliche und Enbliche
in feiner Proportion zu einander ftehen, jo ift au das gang Har, daß
man dba, wo ſich Ausfhreitungen (excedens et excessum) finden,
auf ein einfab Größtes nicht kommt, weil die Ausichreitungen
endlich find, das Größte aber als foldhes nothwendig unendlich if. Nimmt
man aljo irgend einen Gegenftand, der nicht das fchlechthin Größte felbft
it, jo läßt fi immer ein größerer auffinden. Und da die Gleichheit
eine ftufenmäßige ift, fo daß etwas dem Einen gleicher ift, ald dem An
dern, nach ber generifchen, fpecifiihen, räumlichen, zeitlichen x. Ueberein-
fimmung und Verſchiedenheit, fo erhellt, vaß nicht Zwei oder Mehrere
jo äbnlih und gleih ſich finden laflen, daß fie niht unend-
ih ähnlicher fein könnten. Zwilhen dem Maaß und dem Ge
meflenen wird bei der größten Gleichheit immer noch eine Differenz übrig
bleiben. Der endlihe Berftand kann mithin die Wahrheit der
Dinge durch Auffuhung der Achnlichfeit (per similitudinem)
nit präcis erfennen. Denn die Wahrheit ift ein nicht Mehr
und nicht Weniger, ein gewifjes Lintheilbare, was von Allem, das
nicht die Wahrheit felbft ift, nicht präcis gemefien werben fann, fo wenig,
was nicht Kreis iſt, den Kreis, deſſen Sein in einem gewiſſen Untheils
baren befteht, meflen fann. Unſer Berftand, der nicht die Wahrheit ift,
erfaßt daher die Wahrheit nie fo präcis, daß nicht ein unendlich präck-
ſeres Erfaffen möglich wäre, er verhält fih zur Wahrheit wie das Poly
gon zum Kreiſe. Mögen auch der Winfel noch fo viele gemacht werben,
jo wird doch das Polygon nie dem Kreife gleich, bis es ſich in die Iden⸗
tität mit demfelben auflöst.. Wir wiffen fomit von der Wahrheit
nihts Anderes, als daß fie in präcifer Weife unerfaßbar ift.
Sie iſt die abfolutefte Nothwendigfeit, die nicht mehr und nicht weniger
iR, ald fie ift, unfer Berftand ift die Möglichkeit. Das Was (quidditas)
der Dinge, das die Wahrheit des Seienden ift, bleibt in feiner Reinheit
unerreihbar. Alle Philofophen haben ed gefucht, aber Keiner, wie es
an fi ift, gefunden. Je grünblicher aber unfere Meberzeugung von dieſem
Nichtwiſſen ift, defto mehr werden wir und der Wahrheit felbft nähern.
Viertes Kapitel.
Das abfolut Größte wird nur als unbegreiflich erfannt. Mit ihm coincldirt
das abfolut Kleinfte.
Das einfah und abfolut Größte erfaffen wir, da es zu
groß ift, ald daß es von und begriffen werben fönnte, weil ed die uns
endlihe Wahrheit ift, niht anders, denn als unbegreiflid (non
aliter quam incomprehensibiliter attingimus). Denn da ed nicht von
der Natur der Dinge ift, welhe Ausfchreitungen zulaffen, fo geht es über
alled8 das hinaus, was wir begreifen können. Was wir nämlich durch
Sinne, Berftand (ratione) oder Vernunft (intellectu) erfaflen, iſt unter
fi gegenfeitig fo verfchieden, daß Feine präcife Gleichheit ftattfindet. Die
größte Gleichheit, die von nichts verfchieden ift, geht fomit über allen Begriff.
Da das abfolut Größte alles Das tft, was fein fann, fo ift es
ganz und gar Wirklichkeit (in actu). Wie es nicht größer fein fann, fo
auch aus demjelben Grunde nicht Feiner, da ed alles Das ift, was fein
fann. Das Kleinfte ift, was nicht mehr fleiner fein kann. Da dus
Größte eben das ift, fo ift Elar, daß das Größte und Kleinfte cos
incidiren. Died wird dir deutlicher, wenn du beide Begriffe auf das
Gebiet der Quantität herüberträgft. Die größte Quantität ift die am
meiften (maxime) große, die Heinfte — die am meiften Fleine. Denke
nun die Duantität hinweg, fo bleibt das Größte, der Superlativ, in
beiden gleih ... Gegenfäge kommen daher nur im Gebiete ded Con—
creten vor (oppositiones igitur his tantum excedens admittunt atque
excessum, et his differenter conveniunt, maximo absoluto nequa-
quam), nicht im abfolut Größten, es fft über allem Gegenfage. Es
ift eben deßhalb über aller Bejahung und Berneinung, Alles, was
ed nad unferen Begriffen ift, ift e8 eben fo, als daß es dasſelbe auch
nicht ift (omne id, quod concipitur esse, non magis est, quam non
est) und umgekehrt, es iſt in der MWeife das Einzelne (hoc), daß es
zugleich Alles ift, und in der MWeife Alles, daß es nichts von Allem ift,
und in der Weiſe am meiften Dieſes, daß es diefed auch am wenigften
ift. Sage id: Gott, die abfolute Größe, iſt das Licht, fo heißt dies
nichts Anderes, als: Gott ift am meiften (maxime) Licht, er, der am
wenigften (minime) Licht if. Das abfolut Größte wäre nicht alles
Mögliche in Wirklichkeit, wenn es nicht unendlich wäre, der Begriff (ter-
minus) von Allem, aber durch nichts von Allem zu begreifen (termina-
bilis), wie ich im Folgenden mit Gottes Hülfe zeigen werde. Das geht
über unfern Berftand, der Gontradictorifhes auf logiſchem Wege (via
rationis) in feinem (dem contradictorifchen) Prinzipe nicht verbinden kann;
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denn wir ſtehen auf dem Boden Deffen, was uns die Betrachtung ber
Natur offenbart, die, weit von der unendlichen Kraft abftehend, ihre uns
endlihen contrabictorifhen Gegenfäge nicht vereinigen kann.
Fünftes Kapitel.
Das Größte tft Eines.
Ohne Zahl kann die Vielheit der Dinge nicht beftehen; denn ohne
Zahl gibt es Feine Unterfcheldung, Ordnung, Proportion, Harmonie. Wäre
die Zahl felbft unendlich, fo wäre daffelde der Fall. Denn daß die Zahl uns
endlih und daß fie gar nicht ift, fommt auf Eines hinaus. Man fommt
daher bei der Zahl in auffteigender Richtung auf fein abfolut Größtes.
Wäre bei der abfteigenden Richtung dasfelbe der Fall, fo wäre wieder alle
Ordnung, Proportion ıc. unmöglid. Man muß daher in der Zahl auf ein
Kleinftes fommen, das nicht Heiner fein fann, und dies ift die Einheit.
Eie iſt ald das ſchlechthin Kleinfte mit dem ſchlechthin Größten identiſch;
diefe Einheit kann nicht felbft Zahl fein, wohl aber ift fie das
Princip aller Zahl, weil das Kleinſte, und das Ende aller Zahl, weil das
Größte. Diefe abfolute Einheit, die feinen Gegenfag hat, ift das abjolut
Größte — Gott. Sie ift nicht der Vervielfältigung fähig, weil fie Alles
ift, was fein fann. Sie fann daher felbft nie Zahl werben. Die
Zahl hat uns alfo zu der Einſicht geführt, Gott fei die abfolute Einheit,
vernföge welcher er Alles wirklich ift, was fein fann. Wer daher fagte,
ed gebe mehrere Götter, der würde fo viel fagen, als, es gebe feinen
Gott und fein Univerfum...
Sechstes Kapitel.
Das Größte iſt die abfolute Notbwendigfeit. ")
Im Vorhergehenden ift gezeigt, daß außer dem Einen Größten Alles
endlih und begrenzt if. Das Endlihe und Begrenzte hat nothwendig
etwas, von dem es feinen Anfang und Begrenzung bat. Und da man
nicht fagen kann, jenes abfolute Größte fei größer, ald ein gegebencd Ends
liches, da man nicht fo ind Unendliche fortfteigen kann, da fonft das
Größte von der Natur des Endlichen wäre, fo tft das abfolut Größte
nothwendig, ald Anfang und Ende alles Endlichen. Ueberdies könnte
nichts fein, wenn jenes nicht wäre. Wäre das Endliche aus fi, fo eri-
1) Es ift der fogenannte metaphufifche Beweis fürd Dafein Gotte* gemeint.
10
firte e8, bevor es eriftirt, und in den Urſachen und Principien gibt es,
wie die Regel fagt, keinen Regressus in infinitum, Sodann müſſen wir
fagen: das Größte hat feinen Gegenfag, weder das concrete Sein, noch
das Nichtfein. Wie läßt es fich alfo denken, das Größte könne
nit fein, da gar nicht fein (minime esse) bei ihm heißt: am
meiften fein (maxime esse)? Es läßt fib alfo fein Sein denfen, ohne
das Sein. Ferner: die größte Wahrheit ift das abfolut Größte. Nun
aber die größte alle denkbaren Fälle erihöpfende Wahrheit ift die, daß
das abfolut Größte entweder fei oder nicht fei, oder fei und nicht ſei, oder
endlich weder jei noch nicht fei. Welches Glied diefer Didjunction du ale
das am meiften wahre (maxime verum) bezeichnen magft, fo ift ber Bes
weis damit geliefert, denn ich habe jedesmal die größte Wahrheit, die das
ſchlechthin Größte if. Wenn gleih auch das Wort Sein feine präcife
Bezeichnung für das Größte ift, dad alle Namen überfteigt, fo muß doc
biefer Name noch am eheften ihm zukommen.
Durch diefe und unendlich viele ähnliche Beweife vom Standpunfte
der MWiffenfhaft des Nichtwiffens erhellt, daß das fchlechthin Größte
nothbwendig eriftire, weßhalb es die abfolute Nothwendigkeit ift.
GSiebentes Kapitel.
Bon der dreifahen und Einen Emigfeit.
Es hat Feine Nation gegeben, die nicht Gott verehrte und aneihn
als das abjolut Größte glaubte. Wir finden von Minar in den Büchern
der Alterthümer aufgezeichnet, daß die Siffenier hauptſächlich die Einheit
angebetet. Pythagoras dagegen, zu feiner Zeit von unerfchüttertem
Anjehen, faßte jene Einheit ald eine dreifache auf. Um die Wahrheit
bievon zu erforfchen, müſſen wir den Blick des Geiſtes erhöhen und nach
unfern Prämiſſen jagen:
Was allem Anvdersfein vorhergeht, ift ohne Zweifel ewig; denn das
Andersfein ift fo viel ald das Veränderlichſein. Das Andersfein befteht
aber aus Einem und einem Andern, es ift daher, wie die Zahl, nach der
Einheit; diefe geht ihm naturgemäß (naturaliter) voran; fie ift fomit
ewig. Alle Ungleichheit ift aus einem Gleichen und etwas darüber (exce-
dente), fie geht alfo der Gleichheit nah; denn fie fann durch Wegneh-
men bed darüber Hinausgehenden in Gleichheit verwandelt werden. Die,
Gleichheit geht alfo naturgemäß der Ungleichheit, die das Andersſein
ift, vorher, fie ift alfo ewig.
Die Einheit endlich ift entweder Verbindung (connexio) oder Ur»
fahe der Verbindung. Verbunden ift, was zugleich geeint if. Die
11
Zweiheit dagegen (binarius) iſt Trennung oder Urſache der Trennung.
Wie nun die Einheit der Natur nach der Zweiheit vorhergeht, jo aud
die Verbindung der Trennung. Folglich ift die Verbindung, wie bie
Einheit, ewig.
Run kann es aber nicht mehrere Ewigfeiten geben, fonft wäre etwas
vor der Ewigkeit, wad unmöglich iſt. Auch würde fonft Eines dem Ans
vern fehlen, und es wäre daher Feine der drei Ewigfeiten vollfommen; es
wäre etwas ewig, was nicht ewig wäre, da es nicht vollfommen ift.
Folglich find Einheit, Gleichheit und Verbindung Eines (unum).
Das ift die Dreieinigkeit, welche Pythagoras, der erfte unter allen Philofo-
phen, die Zierde Staliend und Griechenlands, ald Gegenftand der Anbes
tung lehrte.
Wir wollen jedoch noch einiges Beftimmtere über die Zeugung (ge-
neratione) der Gleichheit aus der Einheit beifügen.
Achtes Kapitel,
Von der ewigen Zeugung.
Zeigen wir mun ganz furz, daß aus der Einheit die Gleichheit der
Einheit erzeugt werde, und die Verbindung aus der Einheit und der Gleich»
heit der Einheit hervorgehe.
Die Einheit ift dad Sein (unitas dieitur quasi onitas von dr
= ens, woher entitas). Gott ift dad Sein der Dinge, denn er ift das
Princip des Seins. Die Gleichheit der Einheit ift daher die Gleichheit
des Seins, d. i. daß in einem Dinge nicht mehr und nicht weniger ift,
nichts darüber, nichts unter feinem Sein. Iſt in einem Wefen mehr, fo
ft es ein Monftrum, ift weniger, fo findet feine Zeugung der Gleichheit
aus der Einheit flatt. Denn Zeugung (generatio) ift Wiederholung der
Einheit oder Vermehrung derfelben Natur, wie 5. B. der Sohn. Diele
Jeugung findet fih nur im Irdiſchen, aber die Zeugung der Einheit aus
der Einheit ift Eine Wiederholung der Einheit (una unitatis repetitio)
oder die Einheit einmal, wodurd die Einheit fein Anderes, wie bei
wei, drei x. erzeugt, fondern nur die Gleichheit der Einheit, was
nichts Anderes heißen will, ald: die Einheit erzeugt die Einheit, und diefe
Zeugung ift ewig.
12
Neuntes Kapitel.
Bon dem ewigen Hervorgehen der Verbindung.
Wie die Zeugung der Einheit aus der Einheit eine einmalige Wie—
derholung der Einheit ift, fo iſt das Hervorgehen aus Beiden die Einis
gung (unitio) der Wiederholung jener Einheit, oder befjer: die Einigung
der Einheit und der Gleichheit der Einheit. Sie heißt ein Hervor-
gehen (processio), weil fie gleihfam eine Ausdehnung vom Einen auf
das Andere if. Wenn zwei Dinge gleich find, fo breitet fih gleichſam
die Gleichheit von dem einen auf das andere aus, fie verbindet und vers
fnüpft fie. Mit Recht fagt man daher, die Verbindung gehe aus der
Einheit und Gleichheit der Einheit hervor, denn die Verbindung (con-
nexio) bezieht ſich nicht bloß auf eines, fondern die Einheit geht aus der
Einheit in die Gleichheit und von der Gleichheit der Einheit in die Eini-
gung (unitionem) hervor. Sie dehnt fi alfo von dem einen in das
andere aus. Nicht von einem Gezeugtwerden aus der Einheit oder
der Gleichheit der Einheit fprechen wir bei jener Verbindung, weil fie
nicht aus der Einheit durch Wiederholung oder Vermehrung entfteht. Wie—
wohl die Gleichheit der Einheit aus der Einheit gezeugt wird und aus
Beidem die Verbindung hervorgeht, fo ift doch Einheit, Gleichheit der Ein-
heit und aus beiden hervorgehende Verbindung Eines und Dasfelbe, wie
wenn man von demfelben Gegenftande fagt: hoc, id, idem.
Wenn unfere Kirchenlehrer die Einheit den Vater, die Gleichheit
den Sohn, die Verbindung den hl. Geift genannt haben, fo haben fie
hiebei auf die Achnlichfeit mit irdiſchen Verhältniffen Rüdfiht genommen.
Denn in dem Bater und Sohne ift eine gewiſſe Gemeinſamkeit der Natur,
welche Eine ift (quaedam communitas naturae, quae una est), fo daß
der Sohn dem Vater in der Natur gleih if. Denn es ift nicht mehr
oder weniger Menfchheit in dem Sohne, als in dem Bater (nihil enim
magis vel minus humanitatis est in filio, quam in patre), und ed bes
fteht unter ihnen eine gewifle Verbindung. Denn eine natürliche Liebe
verbindet den einen mit dem andern, wegen ber Aehnlichkeit (similitudi-
nem) derfelben Natur, die vom Vater auf den Sohn übergeht. Deßhalb
liebt er den Sohn mehr, als einen Andern, der mit ihm in der Menfch-
beit übereinfiimmt (secum in humanitate convenientem).
Dies ift meiner Anfiht nad, gemäß der pythagoreifhen Forſchung,
die klarſte Auffaffung der Dreiheit in der Einheit und der Einheit in
der Dreiheit.
13
Zehntes Kapitel.
Das Verſtändniß der Dreiheit in der Einheit geht über alle Begriffe.
Unterfuchen wir nun, was Martianus wollte, wenn er fagte, eine
Philoſophie, die fih zum Verſtändniſſe diefer Dreteinigfeit erheben wolle,
müfle zuvor Kreife und Sphären aufgegeben haben (evomuisse). Es
it oben gezeigt, daß ed nur Ein einfachfted Größtes gibt. Es ift nicht
die vollfommenfte förperlihe Figur — die Kugel, nicht Kreis, nicht Dreied,
nicht Linie, fondern über alles diefes hinaus. Man muß daher, was Sinn,
Eindildung oder Berftand darbietet, aufgeben, um zu der einfachften und
abftracteften Vernunfteinficht Cintelligentia) zu gelangen: Alles ift Eines;
bie Linie ift Dreieck, Kreis und Kugel, die Einheit Dreiheit u. ſ. f., das
Accidens Subftanz, der Körper Geift, die Bewegung Ruhe ı. Dann
erfennen wir, daß Jegliches in dem Einen Eines ift und das
Eine Alles und folgerichtig Jegliches in ihm Alles. Namentlich
bat man nicht vollftändig Kugel, Kreis ıc. aufgegeben, fo lange man nicht
zur Einficht gelangt, die größte Einheit fei nothwendig dreieinig.
Die Einheit des vernünftigen Erkennens (intellectus) befleht in dem
Erfennenden, dem Erfennbaren und dem Erkennen. Willſt du dich nun
von dem Erfennenden zum abfolut Größten erheben und fagen, es fei das
am meiften Erfennende, dabei aber nicht beifügen, ed ſei aud das am
meiften Erfennbare und das höchſte Erkennen, fo hätteft du feine rechte
Auffaffung der größten und volltommenften Einheit. Die Einheit fchließt
ferner die Untheilbarfeit, Unterfcheidung und Berbindung in fih, da alle
drei aus der Einheit ſtammen; die größte Einheit ift mithin alle drei zu—⸗
mal. Als Untheilbarfeit iſt fie die Ewigfeit ohne Anfang, wie denn das
Ewige von Nichts getrennt oder gefchieden iſt; als Unterfcheidung ift fie
aus der unveränderlichen Ewigfeit, ald Verbindung geht fie aus Beiden
bervor. Folglich, indem ich fage: die Einheit ift die größte, fpreche ich
damit die Trinität aus. Mit dem Worte: Einheit bezeichne ich den Ans
fang ohne Anfang (principium sine prineipio), mit dem Worte: „größte“
kn Anfang aus dem Anfange, mit der Copula „iſt“ — das Hervor-
gehen aus Beiden.
Ich fagte oben, im Größten ſei die Linie zugleih Dberfläde, Kreis
und Kugel. Um nun deinen Geiftesblid zu ſchärfen, will ich dich zu der
Einficht diefed Sapes erheben, die dir dann, wenn bu dich von den (mathes
matischen) Figuren zur geiftigen Wahrheit felbit erhebft, einen überaus
großen Genuß gewähren wird, und bu wirft auf diefem Wege in ber
Viſſenſchaft des Nichtwiſſens große Fortſchritte machen.
14
Elftes Kapitel,
Die Mathematik ift ein treffliches Hülfsmittel im Erfaffen göttlicher Wahrheiten.
Alle unjere weiſen und frommen Kirchenlehrer fagen einftimmig, vie
fihtbaren Dinge feien Abbilder der unfihtbaren Welt, der Schöpfer könne
auf diefem Wege wie in einem Spiegel und Räthjel erfannt werden. Daß
aber die geiftigen, an fih von uns unerfaßbaren Dinge auf dem Wege
des Symbold von und erkannt werben, bat feinen Grund in dem oben
Gefagten, weil alle Dinge in einem und freilich unbefannten Verhältnif
zu einander ftehen, fo daß aus allen das Eine Univerfum fich herausftellt,
und Alles in dem Einen Größten dad Eine felbft if. Und wiewohl
jedes Abbild dem Urbilde ähnlich ift, jo ift doch außer dem größten Abs
bilde, welches dafjelbe, was das Urbild iſt, in der Einheit der Natur Fein
Abbild fo Ähnlich oder auch gleih, daß es nit unendlich ähnlicher oder
gleicher fein könnte. Bedient fih num unfer Forſchen des Abbildes, fo
darf natürlich hinfichtlich des Abbildes Fein Zweifel obwalten, da der Weg
zum Ungewiſſen nur durch das vorausgelegte Gewiſſe geht. Nun bewegt
fih aber alles Sinnlihe wegen der in ihm überwiegenden materiellen
Möglichkeit in einem gewifien beftändigen Schwanfen. Dagegen hat das
Abftracte (abstractiora istis), nit als ob es der materiellen Zuthat,
ohne welche es ſich nicht vorftellen läßt, ganz und gar entbehrte, große
Beftigfeit und Gewißheit, wohin die Säge der Mathematif gehören. Da:
ber haben die Philofophen in ihnen eine Anleitung zur philofophiichen
Fotſchung (exempla indagandarum rerum) gefunden; Keiner von den
berühmten Alten bat jchwierige Unterfuhungen anders als mittelft der
Achnlichfeiten, welche die Mathematif darbietet, angeftellt. So lehrte
Bostius, der berühmte römifche Gelehrte, Niemand könne ed in den
göttlihen Dingen zu einer Wiſſenſchaft bringen, der feine Uebung in der
Mathematif habe. Septe nit Pythagoras, der erfte Philofoph dem
Namen und der That nah, alle Unterfuhung der Wahrheit in das
Verftändniß der Zahl? Ihm folgten die Platonifer und die erften
chriſtlichen Philofophen in dem Grade, daß unfer Auguftin und nach
ihm Bostius behaupteten, die Zahl fei im Geifte des Schöpfer dad Urs»
bild der zu erfchaffenden Dinge gewefen. Wie konnte und Ariftoteles,
der durch Widerlegung feiner Vorgänger ald einzig daftehen wollte, in ber
Mathematif anders die Differenz der Arten lehren, als, indem er fie mit
den Zahlen verglih? Indem er uns über die Geftalt der Naturwefen
und wie eine in der andern enthalten ift, belehren wollte, nahm er zu den
mathematifchen Formen feine Zuflucht, wenn er ſagte: wie das Dreied in
dem Biere, fo tft das Niedere in dem Höhern enthalten, um nichts von
15
unzähligen andern Bergleihungen zu fagen... Hat nicht die Lehre der
Epifuräer von den Atomen und vom leeren Raume, eine Anficht, die Gott
läugnet und alle Wahrheit aufhebt, nur durch den mathematifchen Beweis
der Pythagoräer und Beripatetifer ihre Widerlegung gefunden, indem fie
jeigten, man fönne nicht auf untheilbare und einfache Atome fommen, die
Epifur ald Princip annahm? Auf diefem Wege der Alten alfo, mit ihnen
vorgehend, fagen wir, daß wir und, da man einmal zum Göttlihen nur
mittelft der Symbole gelangen fann, der mathematiichen Zeichen wegen
ihrer ungerftörlichen Gewißheit am Paſſendſten bedienen können.
Zwölftes Kapitel.
Wie man fi der mathematifchen Zeichen für den vorliegenden Zwer zu
bedienen habe.
Da aus dem Früheren befannt ift, daß das ſchlechthin Größte nicht
zu dem gehört, was wir wiffen oder erfaflen, jo muß man, wenn man
ed auf dem Wege des Symbold erforjhen will, über die Achnlichkeit bins
ausgehen (transilire). Da alle mathematiſchen Zeichen endlid find, fo
muß man zuerft die mathematifchen Figuren mit den Veränderungen, die
fie zulafjen (cum suis passionibus), ald endliche betrachten, fodann bie
endlihen Verhältniſſe entiprechend auf derlei unendliche Figuren übertragen,
endlich dieſe Verhältniffe der unendlihen Figuren auf das ſchlechthin
Unendlihe, das von jeder Figur frei ift, übertragen. Dann wird unfer
Kihtwiffen auf eine unbegreifliche Weife belehrt werden, wie wir, die wir
in räthjelhaftem Erfennen und abmühen (nobis in aenigmate laboran-
tibus), über das Höcfte mit mehr Wahrheit urtheilen können. So ver:
glih der fromme Anſelm die höchſte Wahrheit mit der unendlichen Linie;
nad feinem Vorgange bringe ich die Linie der Geradheit ald gerade
Linie in Anwendung. Andere haben die bochheilige Trinität mit einem
Dreied von drei gleichen Seiten und rechten Winkeln verglichen. Und
weil ein foldye® Dreieck nothwendig unendlihe Seiten hat, fo iſt es ein
unendliches Dreieck. Wir folgen auch diefer Auffaflung. Wieder Andere
wollten die unendliche Einheit darftellen und nannten Gott den unendlichen
Kreis. Diejenigen endlich, welche die höchſte Wirkſamkeit (aetualitatem )
Gottes darftellen wollten, bezeichneten Gott als die unendlihe Kugel.
Ih werde zeigen, daß fie Alle zufammen eine richtige Auffaſſung Gottes
gehabt und Alle Ein und Daffelbe gedacht haben.
16
Dreizehntes Kapitel,
Don den möglichen Veränderungen (de passionibus) ber größten und unend»
lichen Linie.
Ih fage alfo: gäbe es eine unendliche Linie, fo wäre fie ein Dreied,
Kreid und Kugel; ebenfo, gäbe es eine unendliche Kugel, fo wäre fie
Dreied, Kreis und Linie; das Gleiche gilt vom unendlihen Dreied
und Kreife.
Fürs Erfte erhellt, daß
mn? bie unendliche Linie eine ges
f zade ift. Denn der Durch⸗
mefler eines Kreiſes iſt
eine gerade eine, bie Ste eine frumme, größer ald der Durch⸗
meſſer. Wenn nun diefe frumme Linie Heiner wird, je größer der Kreis
ift, fo ift die Peripherie des größtmöglichften Kreifed gar nicht frumm,
folglih ganz gerade; ed coincivirt alfo das Kleinfte mit dem Größten,
wie aus der bier ftehenden Figur erhellt. Fürs Zweite, um zu zeigen,
daß die unendliche Linie das größte Dreied, Kreis und Kugel fei, müfs
fen wir fehen, was aus der endlichen Linie werden fann (quid sit in
potentia lineae finitae); was fie werden fann, fft die unendliche Linie
wirflid (actu). Erftend wiſſen wir, daß die endliche Linie länger und
gerader fein fann, und es tft bereitd gezeigt, daß die größte Linie bie
längfte und geradefte if. Zweitens, wenn die Linie a b um den feften
Bunft a fo herumbewegt wird, bis b zu c fommt, fo
entfteht ein Dreied. Wird die Umdrehung vollendet,
bis b zu feinem Anfange zurüdfehrt, fo entfteht ein
Kreis. Wird endlich b zu feinem entgegengefeßten
Punkte, d, gebracht, jo entfteht ein Halbfreis; und
wird nun diefer Halbfreis um den unbeweglichen Durchs
mefjer b d herumbewegt, fo entfteht die Kugel. In
ihr gelangt die Potenz der Linie zur legten und vollften Entfaltung. Iſt
nun die unendliche Linie Alles actu, was die endliche in der Potenz iſt,
fo folgt, daß fie Dreieck, Kreis und Kugel zugleih ift, was zu bes
weifen war.
Ich werde jedoch noch deutlicher im Folgenden zeigen, daß, was in
der Potenz endlich, in Wirklichkeit unendlich ift.
17
Bierzehntes Kapitel,
Die unendliche Linte ift Dreieck.
Was die Vorftellung Cimaginativa), die über das Sinnliche nicht
binausfommt, nicht faffen kann, die Linie könne ein Dreied fein, ift der
Bernunft leicht verftändlich.
Nah einem geometrifhen Lehrfage können von einem Dreied, deſſen
eine Seite eine unendliche ift, die beiden andern zufammen nicht Feiner
fein. Weil num jeder Theil des Unendlichen unendlich ift, fo müffen auch
diefe beiden andern Eeiten unendlich fein. Da es nun aber nicht mehrere
Unendlihe geben kann, fo kann das unendliche Dreieck nicht aus mehreren
Einien zufammengefegt fein. Es ift daher Eine unendliche Linie, aber als
wahres Dreieck hat ed doch drei Linien; Cine Linie find Drei und Drei
Eine. Ebenfo verhält es fih mit den Winkeln: es ift nur Ein unends
liher Winfel und diefer ift drei Winkel und drei Winfel find Einer. Das
größte Dreieck ift nicht aus Seiten und Winfeln zufammengefegt, fondern
die unendliche Linie und Winkel ift Ein und Dasfelbe. Denft man fid
den einen der drei Winfel bis zu 2 R erweitert, fo jedoch, daß das Dreied
bleibt, fo fällt das Dreieck zu einer Linie zufammen und es. tft nur Ein
Winkel, der zugleich die drei Winkel darftellt. Im Conereten ift dies freis
ih unmöglich, aber übergetragen auf das höhere Grbiet, wo dad Duans
tum aufhört, fehen wir die Nothwendigfeit hievon ein.
Fünfzehntes Kapitel,
Das unendliche Dreieck ift Kreis (und Kugel).
Denft man ſich das Dreied abc, entftanden durch R
Herumführen der Linie ab von dem feften Punkte a bis
mc, fo müßte, wenn ab eine unendliche Linie ift
und b ganz bis zu feinem Anfange herumbewegt wird,
ein größerer Kreis entftehen, von welchem be ein Theil
iſt. Weil Theil eines unendlichen Bogens, fo wäre be
eine gerade Linie, und da jeder Theil des Unendlichen un- ud
endlich ift, fo wäre be nicht mehr bloß ein Theil, fondern der ganze
Umfreis. Da ferner bc eine gerade Linie iſt, fo iſt die unendliche Linie
ab nicht größer, da ed im Unendlichen fein Mehr oder Weniger gibt,
und aus demfelben Grunde find es Feine zwei Linien. Es iſt folglich die
unendlihe Linie, die Dreieck ift, aud Kreis.
Sharpff, Nic v. Cuſa. 2
18
Endlih: die Linie ab iſt die Peripherie des größten Kreijes, ja
felbft, wie bewiejen ift, ein Kreid. Sie il aus b nad c geführt, be
aber, wie ebenfalld bewiejen ift, eine unendliche Linie. Daher kehrt ab
in c zurüd, nachdem es fi um ſich felbft bewegt hat, aus welder Ber
wegung die Kugel entjteht. Es ift jomit die unendliche Linie auch Kugel.
Sechszehntes Kapitel,
Das Größte verhält fih zu Allem, wie die größte Linie zu den Linien.
Nachdem wir nun gezeigt haben, daß die unendliche Linie Alles in
unendlicher Wirklichkeit ift, was die emdliche der Potenz nach ift, fagen
wir mit Uebertragung auf das abfolut Größte, daß es in Wirklichkeit
(actu) im höchſten Grade Alles ift, was in der Potenz des abjoluten
einfachften Wefens liegt. Was möglich ift, ift das Größte in
Wirklichkeit auf die größte Weije, nicht fofern ed aus dem
Möglichen ift, fondern jofern ed dies im höchſten Grade ift (non ut ex
possibili est, sed ut maxime est), wie aus der Linie das Dreied ent-
fteht (edueitur). Die unendliche Linie ift aber nicht ein Dreied, wie es
aus einer endlichen Linie entfteht, jondern in Wirklichkeit dad unendliche
Dreieck, das mit der (unendlihen) Linie Eins it. Sodann ift die ab»
folute Möglichkeit im Größten nicht etwas Anderes (non aliud), als
das Größte in Wirklichkeit jelbft, wie die unendliche Linie die Kugel in
Mirflichkeit ift. Aus dem Dbigen folgt auch die wichtige philofophifche
Wahrheit, daß im Größten das Kleinfte das Größte ift und daß es über
allen Gegenfägen ſteht. Ja, die ganze Gotteslehre, jo weit fie von und
erkennbar ift, folgt aus unferm Principe, weßhalb der große Erforjcher
der göttlihen Dinge, Dionyfius der Areopagite in feiner myſti—
ihen Theologie fagt, der felige Barptolemäus habe die Theologie meifters
haft verftanden, indem er fage, diefelbe fei die größte und Eleinfte zu-
gleich; denn wer dies verfteht, verfteht Alles, er geht über den natürlichen
Verſtand hinaus. Denn Gott, das abfolut Größte, iſt nicht Dieſes
und ein Anderes nicht, er iftniht da und dort nidt, fon
dern gleihwie Alles, jo auch nichts von Allem. Eben deßhalb
ift er unbegreiflih, nur er begreift ſich ſelbſt. Dionyſius ſuchte von
feinem andern Principe aus, ald dem unfrigen, zu zeigen, daß Gott nur
dur die Wiſſenſchaft des Nichtwiffens gefunden werde. In Anwendung
diefes Principo müſſen wir fagen: Gott ift die einfachfte Wefenheit
(essentia) von allen Wefenheiten; alle find, was fie find, waren oder
fein werden, actuell und ewig nur in ihm. Die Weſenheit von Allem
ift in der Art eine jede, daß fie zugleich Alle ift (ita est quaelibet, quod
19
simul omnes), und feine befonderd. Die größte Weſenheit ift wie bie
unendliche Linie dad adäquatefte Maaß von allen.
Siebenzehntes Kapitel,
Folgerungen voll tiefer Weisheit.
Die endliche Linie ift theilbar, die unendliche nicht, allein die end»
liche ift nicht theilbar in eine Nichtlinie, daher ift die endliche Linie im
Weien der Linie (in ratione lineae) untheilbar, denn die Linie eines
Schuhes ift eben fo gut Linie, als die eines Kubikfußes. Hieraus folgt,
dab die unendliche Linie der rationelle Grund (ratio) der endlichen ift.
So ift denn auh das Größte der rationelle Grund (ratio) von
Allem und als folder das Maaß von Allem Mit Recht fagt daher
Ariftoteles in der Metaphufif, dad Erfte fei vas Maaf von Allem, weil
der Grund von Allem, Ferner: wie die unendliche Linie untheilbar, deßhalb
auh ewig und unveränderlich ift, jo au Gott ald der Grund von Allem.
Hier ‚zeigt fich wieder der Gelft des großen Dionyfius, wenn er jagt, das
Weſen der Dinge fei ungerftörlih. Der göttlihe Plato fagte mit den
Worten des Calcidius im Phädon, Eines fei das Urbild oder die Idee von
Allem, jo ferne es in fich ift, in Hinficht aber auf die Vielheit der Dinge ſcheint
es mehrere Urbilder zu geben. Allein wenn ich eine Linie von 2 und
eine andere von 3 Fuß habe, fo ift das Weſen der Linien in beiden
gleich, die Verſchiedenheit bezieht fi auf die Länge. In der unendlichen
Linie füllt diefe Verfchiedenheit weg und nur der rationelle Grund der
Linie bleibt in ihr für beide. Beide haben fomit Einen rationellen Grund;
nicht in diefem liegt der Grund ihrer Verfchiedenheit, fondern darin, Daß
nicht beide auf vollfommen gleiche Weiſe an jenem Einen Grunde parti-
tipiren fünnen, Eben hieraus erhellt auch, warum biefer rationelle Grund
aller Linien infofern ganz in jeder ift, ald er in feiner bejonders ift,
weil er im legten Falle nicht mehr das abjolute Maaß aller fein fönnte.
Es iſt daher die unendliche Linie in jeder Linie ganz, jo daß
jede in ihr ift, und diefe beiden Säge find in ihrer Verbindung (con-
junetim) aufzufaffen. Sagen wir daher: das Größte iſt in jedem und
in feinem Dinge, jo heißt dies nichts Anderes, ald: da das Größte in
demfelben Verhältniſſe (ratione) im jedem Dinge ift, in welchem jedes
Ding in ihm ift und es diefed Verhältniß felbft ift (et sit ipsamet ratio)
jo ift vas Größte in fih feldft. Kein Ding ift alfo in fid
jeldft, fondern nur das Größte, jedes Ding iſt nur in feinem rationellen
Örunde in fich felbft, weil diefer Grund das Größte ift.
Auf diefem Wege fann die Vernunft dur Bergleihung des Größten
2*
20
mit der unendlichen Linie ſich helfen und im Heiligthum des Nichtwiffens
(in sacra ignorantia) große Fortfchritte machen; denn dad fehen wir num
Har, daß wir Gott nur durd Entfernung der Participation aller Ding e
finden. Alles participirt an dem Sein. Nehmen wir diefes ‘Barticipiren
hinweg, fo bleibt das einfachfte Sein felbft, die Wefenheit der Dinge
übrig. Der große Dionyfins jagt, die Erfenntniß Gottes führe mehr zum
Nichts, als zu Etwas hin. Das heilige Nichtwiffen belehrt uns aber, daß,
was der Vernunft Nichts zu fein fcheint, eben das unbegreiflih Größte if.
Achtzehntes Kapitel,
Das Bisherige führt und auch zum Verjtändniffe des Participirend an dem Sein.
Lebhaft durch das Bisherige angeregt, forfcht unfer unerfättliber Er-
fenntnißtrieb mit größter Luft weiter, wie er fi das Participiren an dem
Einen Größten noch deutlicher denfen möge, und indem er wieder die Vers
gleihung mit der unendlichen, der geradeften Linie zu Hülfe zieht, fagt er:
Die frumme Linie, die ein Mehr oder Weniger zuläßt, kann nicht
die abfolut größte fein, fte ift ald frumme Linie an ſich nichts, weil Das
Krumme der Abfall vom Geraden if. Das Sein der frummen Linie
rührt alfo von der Theilnahme an der geraden Linie her, denn die abjo-
(ut größte oder Fleinfte Krümmung ift eben das Gerade. In ähnlicher
Weiſe participiren nun die Dinge an dem Sein, wie dad Krumme am
Geraden. Wie aber die gerade endliche Linie einfacher und unmittelbarer,
die frummen aber vermittelft der geraden an der unendlichen Linie pars
ticipiren, fo iſt es auch bei den wirflihen Dingen, woraus fid der Unter:
fhied von Subftanz und Accidens und der größere oder geringere
Werth der Subftangen und Accidenzen ergibt. Das adäquatefte
Maaß für beive ift das Größte, das eben deßhalb felbft weder Subftanz
noch Accidens ift, indeß doch eher den Namen von dem unmittelbar am
Sein PBarticipirenden, der Subftanz, entlehnt und daher mit dem großen
Dionyſius das mehr ald Subftanziale ) d. i. das Superfubftantiale
genannt wird.
1) Unde Dionysius maximus ipsius plus quam sabstantiam sive substantiälem
vocat, potius quam superaceidentialem. Das „sive* weist unftreitig auf ein Wort
bin, welches die Worte: plus quam substantiam, ebenfo in Eins zufammenfaßt, wie
gleich darauf „superaccidentialem“ und fo viel ift als: plus quam accidens. Es muf
daher flatt substantialem gelefen werben: supersubstantialem, wie auch aus dem Folgen—
den: dieitur autem supersubstantiale etc. hervorgeht.
21
Nennzehntes Kapitel.
Uebertragung des Drelecks auf bie Trinität des Größten.
Laffen wir uns nun über den Sag: „Die größte Linie ift das größte
Dreied* durch unfer Syftem des Nichtwiffens belehren!
Die größte Linie ift ein Dreieck, und weil die größte Linie die ein-
fachſte iſt, fo ift fie das einfachfte Dreifahe (trinum) und jeder Winfel
des Dreiecks eine Linie, da das ganze Dreieck Linie if. Die unendliche
Linie ift alfo dreifach, und da es nicht mehrere unendliche geben fann, ift
diefe Dreiheit Einheit. Werner: da der der größern Seite entgegenftehende
Winfel größer und bier von einem Dreied die Rede ift, das unend-
lie Seiten hat, fo find die Winfel die größten und unendlich. Einer
it daher nicht Feiner, als die andern, noch zwei zufammen größer als
der dritte. Einer ift daher im andern, und alle drei find das Eine
Größte. Sodann: wie die größte Linie nicht mehr Linie ift, als Dreicd,
Kreid oder Kugel, fondern in Wahrheit alles diefes ift, ohne Zufammen-
fegung, fo ift auch das Größte wie die größte Linie, und dies fünnen wir
die Weienheit nennen, wie das größte Dreied, — das ift die Drei-
einigfeit, wie der größte Kreis — die Einheit, wie die größte Kugel
— die höchſte Wirffamfeit. Die MWefenheit ift nichts Anderes, ale
die Dreieinigfeit, dieſe nichts Anderes, ald die Einheit x. Wir haben
bier nicht einen Winkel, dann noch einen und emblich einen dritten, wie
bei endlichen Dreieden, die etwas Zufammengefegted find, fondern das
Eine ift ohne Vervielfältigung dreifach (unum triniter est). Mit Recht
jagt daher der gelehrte Auguftin: fo wie du anfängft die Dreieinigfeit
m zählen, fo verlierft du die Wahrheit. In den göttlichen Dingen
nuß man in einem einfahen Begriffe, fo weit ed nur
immer möglich ift, die Gegenfäge in Eins zufammenfaf-
jen, indem man ihrem Auseinanderfallen in Gegenſätze
ſuvorkommt. (Oportet enim in divinis simplici conceptu, quantum
hoe possibile est, complecti contradictoria, ipsa antecedenter prae-
veniendo.) So darf man im dem göttlichen Dingen nicht Unterſcheiden
und Nichtunterfheiden als zwei Gegenfäße (contradicentia) auffaffen,
fonden muß fie a priori (antecedenter) in ihrem einfachſten Princip
faffen, wo Unterſcheiden und Nichtunterſcheiden noch nicht etwas Ber:
ibiedenes find; dann verfteht man, daß Dreiheit und Einheit Dasfelbe
find. Denn wo Unterfheiden zugleich Nichtunterfcheiden ift, da iſt bie
Dreiheit Einheit, und umgekehrt: wo Nichtunterfcheiden zugleih Unter⸗
Iheiden ift, da iſt die Einheit Dreiheit. So verhält es ſich aud mit
ver Mehrheit der Perfonen und der Einheit des Wefens; denn wo
22
Mehrheit Einheit ift, ift die Dreiheit ver Perfonen dasjelbe, wie die Ein-
heit des Weſens, und umgefehre: wo die Einheit Mehrheit ift, ift Die
Einheit des Weſens Dreiheit in den Perfonen. Klar fieht man died an
unferem Beifpiele, wo die einfachfte Linie Dreieck ift und das einfachfte
Dreieck eine Linie. Man fieht bier auch, daß man die Winfel dieſes
Dreieds nicht zählen kann, denn jeder ift in jedem, wie der Sobn
fagt: „ich im Vater und der Vater in mir.” ...
Zwanzigites Kapitel,
Fortfegung; Vierheit ıc. tft im Göttlichen nicht möglich.
Das Dreieck ift die einfachfte Figur, auf welche jedes Polygon redu-
eirt werden fann. Das abfolut größte, oder was dasfelbe ift, dad abſo—
lut Fleinfte Dreieck faßt alle möglihen Polygone in fih; die vier- und
mehrfeitige Figur ift alfo nicht die kleinſte, weil die dreifeitige Heiner als
fie ift, fie ift folglih au niht ohne Zufammenfegung. Es fann
mithin dem Größten ald dem Einfachften, das nur mit dem Kleinften
coincidirt, die vier⸗ und mehrfeitige Figur, die ftetS zuſammengeſetzt iſt,
nicht correfpondiren, fie fünnte auch unmöglich das adäquatefte Maaß der
Dreiede fein. So wie daher nur das Dreieck die nächſt höhere Potenz
der Linie ift für alle rechtwinflichten, der Kreis für alle Freisförmigen
Flächen, die Kugel für alle Breiten und Tiefen, diefe aber, unendlich ge—
dacht, Eines find, und weitere Potenzen der Linie unmöglich, fo ift auch
in dem Größten feine Vierheit oder Vielheit möglich, fondern die Drei—
heit, welche Einheit, ift das einzige und adäquatefte Maß aller Dinge.
Dahin gehören alle Thätigfeiten, die fih in Potenz, Gegenftand und
Wirkſamkeit verlaufen, alle Operationen des Erfennens, alle Thätigfeit
der Natur, die aus einem Wirkenden, Leivenden und dem Refultate aus
beiden beiteht.
Einundzwanzigftes Kapitel,
Uebertragung des unendlichen Kreifes auf die Einheit.
Der Kreis ift die vollfommene Figur der Einheit und Einfachheit.
Das Größte, unter dem Bilde des unendlichen Kreiſes betrachtet, iſt da—
ber die abfolute Einheit und Identität feines Wefens,
ohne Verfchiedenheit und Andersfein, fo daß feine Güte nicht etwas An—
deres ift, ald feine Weisheit, fondern dasfelbe. Alle Verſchiedenheit
(diversitas) ift in ihm Einheit. Da mithin feine Macht, wenn ich
23
io fagen darf, die geeinetfte Cunissima) ift, fo ift fie auch die ftärffte
und unendlichfte (infinitissima). In der geeinigten Dauer des Größten
ift die Vergangenheit nicht etwas Anderes, als die Zukunft und die Zur
funft nichts Anderes, ald die Gegenwart — Ewigfeit ohne Ans
fang und Ende Da im größten Kreife aud der Durchmefler der
größte ift, und es nicht mehrere Größte geben kann, fo ift der größte
Kreis jo ehr geeinet (in tantum unissimus), daß Durchmeſſer und Ums
freid Eines find. Ein unendlicher Durchmefjer hat aber auch eine uns
endlihe Mitte oder Centrum. Im größten Kreife find mithin Cen—
trum, Durdmefjer und Peripherie Eines. Daraus folgert unfer
Syſtem des Nichtwiflens (ignorantia nostra), daß das Größte auch auf
das Bollfommenfte in Allem ift, einfach und untheilbar, weil das unendliche
Gentrum, außer Allem, Alles umfaffend, weil unendliche Peripherie,
Alles durchdringend, weil unendliher Durchmeſſer; Anfang von
Allem, als Centrum, Ende von Allem als Peripherie, die Mitte
von Allem ald Durchmefler; die wirfende Urſache (eausa efficiens)
ald Centrum, die geftaltende (formalis) ald Durchmefjer, die ziel—
gebende oder Endzweck (finalis) ald Peripherie; Schöpfer (dans
esse) ald Gentrum, Regierer (gubernans) als Durchmeſſer, Erhalter
ald Peripherie.
Nun begreift du, daß das Größte mit feinem Wefen iden-
tifh no von ihm verſchieden ift (maximum cum nullo est idem
neque diversum) und daß Alles in ihm, aus ihm und burd es
ift, weil es Umfreis, Durchmeſſer und Centrum if. Es umfaßt aljo
Alles, was ift und nicht ft, fo daß nicht fein in ihm heißt am mei—
ften fein (non esse in ipso est maximum esse). Es ift dad Maaß
aller freisförmigen Bewegung, wie der des Uebergangs aus der
Möglichkeit in die Wirklichkeit und der Nüdfehr diefer in jene, der Ver—
bindung ded Principe mit dem Individualleben und der Auflöfung des
Letztern in fein Prinzip, das Maaß aller volllommenen Freisförmigen Ge:
falten und Freisförmigen Thätigfeiten, aller Bewegung über fich (super
se) und zu dem Anfange zurüd. Nur das Eine bemerfe ih noch:
die ganze Gotteslehre ift Freisförmig und bewegt ſich im
Kreife (omnis theologia circularis est et in circulo posita existit), jo
daß die (göttlihen) Attribute fich gegenfeitig bewahrheiten:
die höchſte Gerechtigkeit ift die höchſte Wahrheit und die höchfte Wahrheit
it die höchfte Gerechtigkeit. Dehnſt du diefen Gedanken weiter aus, fo
werden dir viele theologiſche Materien, die dir jegt noch verborgen find,
ganz Flar werben.
_
24
Zweinndzwanzigfted Kapitel,
Die göttlihe Vorfehung einigt das Entgegengefeßte.
Um die Probe zu machen, daß wir durch unfere Prämiffen zu tiefer
Erfenntniß geführt werden, wollen wir nun das Geſagte auf die gött-
lihe Borfehung anwenden.
Da gezeigt ift, daß Gott der Inbegriff (complicationem) von Allem ift,
auch von dem Entgegengefegten (etiam contradietoriorum), fo fann feiner
Borfehung nichts entgehen. Wir mögen etwas thun oder das Gegentheil
bievon, oder auch gar nichts, fo war Alles in dem Vorherſehen Gottes
enthalten (totum in Dei providentia implieitum fuit). Nichts wird fidh
alfo ereignen, außer gemäß der göttlihen Vorfehung. Wenn man daher
auch annehmen wollte, ') Gott habe Vieles vorherfehen fünnen, was er
nicht vorherſah und nicht vorherjehen wird, und wenn er auch Vieles vor-
hergeſehen hat, was er auch fonnte nicht vorherſehen, fo erleidet doch Die
göttlihe WBorfehung feinen Zuwachs oder Verminderung, wie folgende
Vergleihung zeigt. Die menſchliche Natur ift Eines und einfah. Würde
nun aud ein Menfch geboren, defjen Geburt man nie erwartete, jo würde
doch die menfchlide Natur dadurd eben fo wenig einen Zuwachs erhalten,
als dur fein Nichtgeborenwerden einen Abgang erleiden, wie fie aud
durh das Sterben der Geborenen feinen Abgang erleidet; denn die menfch-
liche Natur faßt eben fo wohl Die in fih, welche erifliren, als auch Die,
welche nicht eriftiren und auch nicht eriftiren werden, wiewohl fie hätten
eriftiren Fönnen. Würde fih daher auch ereignen, was ſich nie ereignen
wird, für die göttliche Vorfehung wäre dies fein Zuwachs (nihil adderetur
divinae providentiae), weil fie fowohl das umfaßt, was gefchieht, als
auch das, was nicht gefchieht, aber geſchehen kann. Denn gleihwie in
der Materie Vieles möglich ift, was nie geichehen wird, fo iſt im Gegens
theile Alles, was nicht geſchieht, obgleich ) es gefchehen fann, in ver
göttlihen Vorſehung nicht möglich, ſondern wirflih (non possibiliter,
sed actu), woraus nicht folgt, daß Jenes (dad Mögliche) auch wirklich
eintrete, Wie die unendliche Einheit alle Zahl, fo faßt die Vorfehung
Gottes Unendlihes in fih, fowohl was geſchieht, als aud was nicht ges
ihieht, aber gefchehen Fann, und das Gegentheil, wie die Gattung die ent-
4) Der Conjunctiv in den Worten: unde quamvis Deus multa potuisset pro-
vidisse, fcheint mir hier den nur gedachten Fall anzudeuten (nad Art des gries
chifchen e2 mit Optativ), da Gufa im andern Falle, wenn er von wirklichen Verhaͤlt—
niffen redet, quamvis mit dem Indicativ zu verbinden pflegt.
2) Statt: si evenire possunt bürfte wohl richtiger: etsi evenire possunt zu
lefen fein.
25
gegengefegten Differenzen in fih faßt. Und was bie göttliche Vorfehung
weiß, weiß fie nicht mit einem Zeitunterfchiede, denn fie weiß die Zufunft
nicht als Zukunft, die Vergangenheit nicht als Bergangenheit, fondern
ewig, dad Veränderliche in unveränderlicher Weiſe. Daber ift fie unver:
änderlich und nichts fann ihr entgehen (inevitabilis), nichts ihr entweichen.
Alles hat in Bezug auf fie Nothiwendigfeit (omnia ad ipsam providen-
tiam relata necessitatem habere dieuntur), und zwar mit Recht, weil
Alles in Gott Gott ift, der die abfolute Nothwendigkeit. Hieraus erhellt,
daß das, was fich nie ereignen wird, in der oben dargegebenen Weife in
Gottes Vorfehung enthalten ift, auch wenn es nicht als fünftig eintretend
vorbergefehen ift. Gott muß nothwendig vorausgefehen haben, was er
vorausgefehen hat, weil feine Borfehung nothwendig und unveränderlich
it, wiewohl er auch das Gegentheil von dem vorberfehen fonnte, was er
vorbergejehen hat; denn mit dem Inbegriffe ift noch nicht der inbegriffene
Gegenftand, wohl aber mit der Entwidlung der Inbegriff gefegt (posita
complicatione non ponitur res complicata, sed posita explicatione po-
nitar complicatio), Ich kann morgen lefen oder nicht leſen — was ich
immer thue, ich entgehe der Vorſehung nicht, die das Entgegengefepte
umfaßt, weßhalb, was ich immer thue, der göttlichen Vorſehung gemäß
geſchieht.
So ſehen wir, wie wir nach den Prämiſſen, die uns zeigen, daß
das Größte allen Gegenſätzen vorausgehe, weil es Alles in ſich faßt,
über die göttliche Vorſehung und verwandte Gegenſtände und einen rich—
tigen Begriff bilden Fönnen.
Dreinndzwanzigites Kapitel.
Uebertragung der unendlichen Kugel auf die Alles wirkende Exiſtenz Gottes.
Nun no einige Betrachtungen über die unendliche Kugel!
In der unendlichen Kugel jehen wir die drei größten Linien ber
Bänge, Breite und Tiefe im Centrum zufammenlaufen. Das Centrum
der größten Kugel ift aber gleich dem Durchmeſſer und der Peripherie;
es ift folglib das Gentrum jenen drei Linien gleich, ja, das Gen
trum ift fie alle: Länge, Breite und Tiefe. Im Größten find das
ber alle Länge, Breite und Tiefe das Eine einfachfte und untheilbare
Größte ſelbſt. Und wie das Centrum aller Breite, Länge und Tiefe
vorhergeht, dad Ende und die Mitte von ihmen ift (denn in der unend-
lichen Kugel find Centrum, Dichtigkeit und Peripherie Ein und Dasfelbe),
wie die unendliche Kugel ganz in actu und auf die einfachfte Weife ift,
Pit aub das Größte ganz in Wirklichkeit (in actu) auf die
26
einfahfte Weife. Wie die Kugel die volle Wirkfamfeit der Linie, des
Dreiedd und des Kreifes ift, fo ift das Größte die Wirkſamkeit
von Allem (omnium actus). Jedes wirkſame Sein hat alfo von ihm
alle feine Wirkſamkeit; jedes Sein eriftirt in Wirffamfeit infoweit, wie
weit es in dem Unendlichen wirffam if. Daher ift va8 Größte das
bildende Prinzip von Allem (forma formarum), das Prinzip des
Seins (forma essendi) oder das höchſte wirkffame Sein (maxima actualis
entitas). Sehr fcharffinnig fagt daher Barmenides, Gott ſei es,
für den jegliches Sein all das Sein ift, das es ift (Deum esse, cui esse
quodlibet, quod est, est esse omne id, quod est), Wie die Kugel die
höchſt mögliche Vollendung der Figuren iſt, fo iſt das Größte die
vollfommenfte Vollendung von Allem,fo daß alles Unvoll
fommene in ibm das Bollfommenfte ift, wie die unendliche Linte
Kugel und in ihr das Krumme gerade, das Zufammengefegte einfach,
das Verfchiedene identifch, das Andersfein Einheit if. Wie fönnte dort
eine Unvollfommenheit fein, wo die Unvollfommenheit die höchſte Boll
fommenheit, die Möglichkeit die unendliche Wirkſamkeit ift ı.? Iſt das
Größte wie die größte Kugel, fo ift ed das einfadhfte, adäquateſte
Maaf des ganzen Univerfums und aller Wefen im Univerfum,
denn in ihm ift das Ganze nicht größer, als der Theil, wie die Kugel
nicht größer iſt, als die unendliche Linie. Gott ift daher der einzige
einfachfte rationelle Grund (ratio) des ganzen Univerfums,
und wie aus unendlich vielen Umfreifen (eirculationes) die Kugel entfteht,
fo ift Gott als die größte Kugel das einfachfte Maaß aller Freiöförmigen
Bewegungen; denn alle Belebung (vivificatio), Bewegung und Intelligenz
ift aus ihm, in ihm und durd ihn, bei dem Eine Kreisbewegung der
achten Sphäre nicht Feiner ift, ald die der umendlichen, weil er das Ziel
aller Bewegung ift, in dem alle Bewegung als in ihrem Ziele zur Ruhe
fommt. Es ift nämlich Dasjenige die größte Ruhe, in dem alle Bewegung
Ruhe if. So ift denn die größte Ruhe das Maaß aller Bewegung, wie
das größte Gerade das Maaß aller Umfreife, die größte Gegenwart oder
die Ewigfeit das Maaß aller Zeiten ift. Und weil Gott das Sein alles
Seins ift und alle Bewegung fih auf das Sein bezieht, fo ift er, das
Ziel ver Bewegung, auch die Ruhe der Bewegung, d. i. das Princip (forma)
und die MWirkfamfeit des Seins. Alles Seiende hat daher einen
Zug zu ihm (ad ipsum tendunt). Weil es aber endlich ift und nicht
auf gleiche Weife an ihm participiren fann, jo participiren die einen
Weſen an dem Ziele aller Dinge mittelft der andern, wie bie
Linie mittelft des Dreiecks und Kreifes, das Dreieck mittelft des Kreijes,
der Kreis durch fich felbft zur Kugel wird.
27
Bierundzwanzigftes Kapitel,
Vom Namen Gottes und der affirmativen Theologie.
Nachdem wir num mit Gottes Hülfe dur ein mathematiſches Beis
ſpiel in unferem Nihtwiffen über das erfte Größte zu größerer Erkeuntniß
zu gelangen geftrebt, wollen wir zur Ergänzung unſeres Wiſſens nod
über den Namen des Größten eine Unterfuchung anftellen, die, wenn
wir dad Bisherige fefthalten, von Feiner Schwierigfeit fein wird.
Da das Größte das fchlehthin Größte ift, das feinen Gegenſatz
bat, fo ift Mar, daß ihm eigentlich fein Name zufommen könne. Denn
alle Namen entftehen aus einer gewiſſen fingulären Berftandesthätigfeit,
dur welche Eined vom Andern unterfhieden wird. Wo nun Alles Eins
it, fann es feine befondere Namen geben. Mit Recht fagt daher
Hermes Trismegiftus: da Gott das All der Dinge ift (universitas
rerum), fo bat er feinen bejondern Namen, denn man müßte entweder
Gott mit jedem Namen, oder Alles mit feinem Namen benennen, da er
in feiner Einfachheit das AU der Dinge in fich begreift, daher muß auch
der Gott eigentlich zufommende Namen (jener von uns unausfprechliche
Name, der zeromyoduueror iſt oder aus vier Buchftaben befteht, und
deßhalb der eigentliche Name Gottes heißt, weil er ihm nicht in Folge
eines Berhältniffes zu den Ereaturen, fondern nach feiner eigentlichen We:
ſenheit zukommt) überfegt werden: Einer und Alles (unus et omnia)
oder beffer! Alles in Einheit (omnia uniter). ; Und jo hat fib ung
ja oben die höchſte Einheit, die fo viel ift, als: „Alles in Einheit,“
ergeben, ja der Name „Einheit“ fcheint noch näher bezeichnend zu fein,
als: Alles in Einheit. Daher jagt auch der Prophet: „an jenem Tage
wird Gott fein und fein Name ift: Einer,” und ein andermal: „Höre
Jörael! Cd. i. du, der du Gott mit der Vernunft ſchauſt) dein Gott ift
Einer.” Die Einheit ift aber nicht in dem Sinne der Name Gottes, wie
wir die Einheit verftehen. Der Einheit fteht die Wielheit gegenüber.
Eine ſolche Einheit kommt Gott nicht zu, fondern jene, der fein Anders—
kin, feine Vielheit entgegenfteht. Dies iſt der größte Name, der Alles
in der Einfachheit der Einheit zufammenfaßt, dies der unausiprechliche
Name, der über allen Verftand geht. Denn wer könnte die unendliche
Einheit begreifen, die unendlih allem Gegenfage vorausgeht, wo Alles
ohne Zufammenfegung in der Einfachheit der Einheit begriffen ift, ohne
Anderes und Gegenfag, wo der Menſch nicht vom Löwen, der Himmel
nit von der Erde verfchleven und doch jedes auf die wahrfte Weife ift,
nicht nach feiner Endlichkeit, fondern als die größte Einheit felbft! Wer
diefe Einheit zu begreifen oder zu benennen vermöchte, die als Einheit —
28
Alles, und als das Kleinfte — das Größte ift, der hätte den Namen
Gottes gefunden. Allein da der Name Gottes Bott felbft if,
jo Fennt Niemand Gott, außer derjenige Geift, der Das
Größte ſelbſt ift und der größte Namen Durch die Wiffenfchaft
des Nichtwiſſens fehen wir alſo ein, daß die Einheit, wenn fie gleich
eine nähere Bezeichnung des Größten ift, doch hinter dem wahren Namen
des Größten, der das Größte felbft if, noch unendlich zurückbleibt.
Hieraus erhellt, daß die affirmativen Namen Gottes mur
im unendlich fleinften Grade (per infinitum diminute) ihm zufommen,
denn fie werden ihm nad irgend einer Eigenschaft der Ereaturen beigelegt.
Da nun aber Gott etwas Particulares, das einen Gegenfag hat, nur
im allerfleinften Grade zufommen kann, fo find alle affirmativen Namen,
wie Dionyfius fagt, nicht genug zufammenfaffend (incompactae).
Nennft du ihn die Wahrheit, fo ift der Gegenfag die Lüge, nennft bu
ihn die Tugend (virtutem), fo ift der Gegenjag die Sünde (vitium) —,
Subitanz, fo ift der Gegenfag das Accivens u. f. fe Da er aber nict
eine Subſtanz ift, die nicht Alles ift, ohne einen Gegenfag, nicht Wahrheit,
die nicht Alles ohne Gegenfag ') ift, fo können ihm jene Namen nur im
ganz verminderten Grade zufommen. Alle Affirmationen, die in fein Weſen
etwas aus dem von ihnen bezeichneten Gegenftande hineinlegen (quasi in
ipso aliquid sui significati ponentes), fünnen ihm nicht zufommen, ber
nicht irgend Etwas mehr ift, ald er Alles ift (qui non est plus aliquid
quam omnia). Daher werden ihm die affirmativen Namen, wenn
fie anders ihm zufommen, nur im Berhältniffe zu den Ereaturen
beigelegt, nit als ob die Creaturen die Urſache hievon wären, da
das Größte von den Ereaturen nichts haben kann, fondern fie fommen
ihm vermöge feiner unendlichen Macht im Berhältniffe zu den Greaturen
zu (sed ei ex infinita potentia ad creaturas conveniunt); denn von
Ewigkeit fonnte Gott fchaffen; hätte er dies nicht gefonnt, fo wäre er nicht
die höchfte Allmadt. Wenn ihm daher gleich der Name: Schöpfer im
Berhältniffe zu den Gefchöpfen zufommt, fo kommt er ihm doch auch zu,
bevor noch ein Geſchöpf war, weil er von Ewigkeit fhaffen fonnte. So
verhält e8 ſich auch mit der Gerechtigfeit und andern affirmativen Namen,
die wir auf Gott aus dem Leben der Gefchöpfe wegen einer gewiſſen
Vollkommenheit, die durch diefe Namen bezeichnet wird, übertragen. Alle
diefe Namen waren von Ewigfeit, ehe wir fie Gott beilegten, in Wahr
heit in feiner höchſten Volltommenheit und feinem unendlihen Namen
enthalten, fo wie auch alle Dinge, die durch diefe Namen bezeichnet, und
von denen fie dur und auf Gott übertragen werden. Das Gefagte hat
1) Im Terte ſteht: appositione, offenbar unrichtig, ftatt : oppositione.
29
fo fehr Giltigfeit, daß auch der Name der Trinität und der Perfonen:
Vater, Sohn und heiliger Geift im Verhältniffe zu den Gefchöpfen ihm
beigelegt werden. Denn da Gott ald Einheit erzeugend und Bater, als
Gleihheit der Einheit — gegeugt oder Sohn, als Verbindung beider —
der heilige Geiſt ift, fo ift Mar, daß ver Sohn Sohn heißt, weil er bie
Gleichheit der Einheit oder db Seins if. Weil Gott von Ewigfeit die
Dinge erfchaffen fonnte, wenn er fie auch nicht erfchaffen hätte, fo wird
er in Rüdficht auf die Dinge Sohn genannt; denn deßhalb ift
er Sohn, weil er die Gleichheit des Seins iſt, über oder unter welcer
die Dinge nicht beftehen fünnten, die Gott machen fonnte, wenn er fie
auch nicht gemacht haben würde. Könnte Gott fie nicht machen, fo wäre
er weder Gott Bater, noch Sohn, noch heiliger Geift, überhaupt nicht
Gott. Betrachteft du die Sache tiefer, fo heißt: „der Vater erzeugt den
Sohn,“ fo viel ald: er erfchafft Alles durh das Wort (quod si
subtilius consideras, patrem filium gignere, hoc fuit omnia in verbo
eteare). Deßhalb nennt auh Auguftin das Wort die Kunft und Idee
im Berhältniß zu den Geſchöpfen. Die Creatur beginnt dadurd, daß
Bott — Bater ift, ihr Sein; dadurd, daß er Sohn ift, erlangt fie ihre
Vollendung (perfieitur), dadurch, daß er heiliger Geift ift, ift fie mit der
ganzen Weltordnung im Einklang. Died find die Spuren der Trinität
in jeglihem Dinge. Dies ift der Sinn der Worte Auguftind, wenn
er die Stelle der Genefis: „Im Anfange erihuf Gott Himmel und Erde“
aljo erflärt: Gott hat als Vater die Principien der Dinge erichaffen.
Was aljo in der affirmativen Theologie von Gott ausgefagt wird,
gründet fih auf das Verhältniß zu den Gefchöpfen. Dies gilt auch in
Bezug auf jene heiligften Namen, die ſich bei den Hebräern
und Ehaldäern finden, und in denen die größten Geheimnifje ver
Erfenntniß Gottes enthalten find. Keiner diefer Namen bezeichnet Gott
anders, als nach einer befonderen Eigenthümlichfeit, außer jenem Namen
mit vier Buchftaben, welche find: 17°, das der eigentlihe und unaus—
ſptechliche Name ift und oben erflärt wurde. Hierüber handeln Hieros
nymus und der Rabbiner Salomon in dem Bude: dux neutrorum
ausführlih, wad man nachlefen mag.
Fünfundzwanzigſtes Kapitel,
Vie Heiden gaben Gott im Verhältniſſe zu den Gefhöpfen verfehledene Namen.
(Die Heiden benannten Gott nad den verfchiedenen Verhältniffen zu
den Gefchöpfen. Jupiter nannten fie ihn wegen feiner bewunderungsd«
würdigen Güte (propter mirabilem pietatem). Julius Firmicus fagt
30
nämlich, Jupiter fei ein fo günftiges Geftirn, daß, wenn er allein im
Himmel regierte, die Menſchen unfterblid wären. Saturn heißt Gott
wegen der Tiefe der Gedanfen und ber Erfindungen in dem, was zum
Leben nothwendig ift, Mars von den Siegen im Kriege, Merkur wegen
der Klugheit im Rathe, Benus wegen der die Natur erhaltenden Liebe,
Sonne wegen der Stärfe der Bewegungen in der Natur, Mond wegen
der Erhaltung der zum Leben notbwendigen Feuchtigkeit, Eupido wegen
der Einheit beider Gefchlechter, weßhalb man ihn auch die Natur nannte,
weil er durd das Gefchlechtlide die Gattungen der Dinge enthält... Her
mes fagt, Alles, ſowohl Lebendes als nicht Lebenves, ſei doppelten Ge—
ſchlechts, weßhalb die Urfache von Allem, Gott, männliches und weibliches
Geſchlecht in fih enthalte, wovon Eupido und Venus die äußere Er-
ſcheinung fei. In gleihem Sinne befang der Römer Balerius den
allmächtigen Jupiter als die zeugende und gebährende Gottheit (genitorem
genitricemque Deum). Daher nannte er aud Cupido, ſofern nämlid
ein Weſen nach dem andern begehrt (eupit), die Tochter der Benus, d. i.
der natürlichen Schönheit. Die Venus nannten fie die Tochter des all
mächtigen Jupiters, von dem die Natur und Alles, was mit ihr gegeben
ift, herſtammt. Auch die Tempel des Friedend, der Ewigkeit
und der. Eintracht, dad Pantheon, in dem ein Altar des Un—
endlichen (termini infiniti), der feine Grenze hat, in der Mitte umter
freiem Himmel errichtet war, und Ähnliche Erjcheinungen zeigen und, daß
die Heiden Gott nah dem Berhältniffe zu den Geſchöpfen verfchieden
benannt haben. Alle diefe Namen find nur die Entfaltung des
Einen unausſprechlichen Namens, und fofern der eigentlich Gott
zufommende Name unendlid ift, faßt er unzählige foldhe den befondern
Volltommenheiten entnommene Namen in fih. Daher ift auch die Ent
faltung dieſes Namens eine vielfache, die immer der Vermehrung fähig
ift, und jeder einzelne Name verhält fid zu dem eigentlichen und unaud-
Iprechlichen Namen wie das Endlihe zum Unendlichen.
Die Heiden verladten die Juden, melde den Einen unendlichen
Gott, den fie nicht Fannten, anbeteten, und doch verehrten fie felbft ihn
in der Entfaltung feines Weſens (quem tamen ipsi in explicationibus
venerabantur), da fie ihn verehrten, wo immer fie feine göttlichen Werfe
erblidten. Der Unterfchied im ganzen Menfchengefchlechte beſtand damals
darin, daß Alle an den Einen größten Gott, über dem es feinen größern
gibt, glaubten, den die Einen, wie die Juden und Siffennier, in feiner
einfachiten Einheit, als den Inbegriff Ccomplicatio) aller Dinge, die
Andern dagegen da verehrten, wo fte die Entfaltung feiner Gottheit wahr-
nahmen, wobei fie das für die Sinne Bekannte als einen Wegweiſer zu
der Urfadhe und dem Princip nahmen (recipiendo notum sensibiliter
31
pro manuductione ad causam et prineipium). Auf der legten Stufe
(in hae ultima via) dieſes Weges geriet) das ſchlichte Volk in Irrthum,
das die Entfaltung (der Gottheit) nicht als Bild, fondern als
Bahrheit nahm, wodurd der Gößendienft im Volke fih ausbildete,
während die Verftändigeren in der Negel über die Einheit Gottes richtig
dachten. Das ift Jedem befannt, der Tullius (Cicero) über die Natur
der Götter und die alten Philofophen mit Aufmerkjamfeit gelefen hat.
Bir ftellen indeß nicht in Abrede, daß einige Heiden nicht eingefehen
haben, daß Gott, das Sein der Dinge, in anderer Weife eriftire, denn
ald eine bloße Abftraction außerhalb der Dinge, wie 3. B. die erfte Mas
terie außerhalb der Dinge nur als eine Abftraction eriftirt (Non negamus
tamen, quosdam ex paganis non intellexisse, ‘) Deum, cum sit entitas
rerum, aliter, quam per abstractionem extra res esse, sicut prima
materia extra res nonnisi per abstrahentem intellectum existit). Diefe
haben Gott in den Geſchöpfen angebetet und den Gögendienft auch phi—
loſophiſch begründet (rationibus astruebant). inige glaubten aud, man
fnne Gott in etwas hineinzaubern (Deum devocabilem putarunt), wie
denn die Siffannier ihn in Engel hineinzauberten; die Helden zauberten
iin in Bäume hinein, nad dem, was man von dem Sonnen: und Mondes
baume liest. Andere zanberten ihm dur beftimmte Zauberformeln in
Luft, Waffer oder Tempel. In weld großer Täufhung fie alle waren
und wie weit von der Wahrheit entfernt, geht aus dem oben Gezeigten hervor.
Schsundzwanzigites Kapitel.
Mon der negativen Theologie.
Da die Gottesverehrung im Geifte und in der Wahrheit ſich noth—
wendig auf pofitive Ausfagen von Gott gründet, fo erhebt fih jede
Religion in ihrer Gotteöverehrung nothwendig mittelft der affirmativen
Gotteslehre zur Anbetung Gottes ald des Einen und Dreieinigen, weten,
gädigen, des Lebens, der Wahrheit x., indem fie dieſer Berehrung
duch den Glauben, den fie durch die Wiflenfchaft des Nichtwiſſens rich—
iger auffaßt (verius attingit), die Richtung gibt, durd den Glauben
nämlich, der, den fie als den Einen anbetet, fei Alles in Einheit, und
ven fie als das unzugängliche Licht verehrt, fei nicht ein phyſiſches Licht,
das die Finfterniß zum Gegenfage hat, fondern das einfachfte und unend»
liche Licht, in dem die Finfterniß unendliches Licht ift, das beftändig in der
Finfterniß unferes Nichtwiffens leuchtet, aber von diefer Finfterniß nicht
1) Das Berftäntnig der Stelle wirb wefentlich erleichtert, wenn man, was im
Texte fehlt, nach intellexisse ein Komma ſetzt.
32
erfaßt werben kann. Daher ift die negative Gotteslchre eine fo
nothwendige Ergängung der pofitiven, daß ohne fie Gott nicht ald unend-
liher Gott, jondern vielmehr ald Gefchöpf verehrt würde. Dies Leßtere
ift Gögendienft, der dem Abbilde erweist, was nur der Wahrheit gebührt.
Daher dürfte ed zwedmäßig fein, über die negative Gotteslehre noch einige
Worte beizufügen.
"Unfere heilige Wiffenihaft des Nichtwiſſens (sacra ignorantia) hat
uns belehrt, daß Gott unausſprechlich ift, weil er größer ift, ald Alles,
was genannt werden fann. Da died ausgemacht ift, jo werben wir von
ihm richtiger auf dem Wege des Ausichließend und Negirens, gleich dem
großen Dionyjius, der ihn weder Wahrheit, noch Vernunft, noch Licht, noch
irgend Etwas, was fi ausjprehen läßt, genannt wiſſen wollte, denfen.
Ihm folgte der Rabbiner Salomon und alle Philofophen. Nah diefer
negativen Gotteslehre ift daher Gott weder Vater, nob Sohn, noch heiliger
Geift, fondern nur unendlid. Die Unendlichkeit als ſolche ift weder
jeugend, noch gezeugt, noch hervorgehend. Daher hat Hilarius von
Poitiers ſehr fharffinnig in der Unterjheidung der göttlihen Perſonen
gefagt: Im Ewigen ift Unendlichkeit, Idee, Ausübung (in aeterno in-
finitas, species in imagine, usus in munere), Er will jagen: obwohl
wir in der Ewigfeit nur die Unendlichkeit fehen fönnen, fo kann doc die
Unendlichkeit, die die Ewigkeit ift, weil negativ, nicht ald zeugend aufge
faßt werden, wohl aber die Ewigfeit, weil fie die Affirmation der Einheit
oder größten Gegenwart ift. Sie ift daher der Anfang ohne Anfang,
die Idee (species in imagine) ift der Anfang vom Anfang (principium a
prineipio), die Ausübung (usus in munere) ift das Hervorgehen aus Bei—
dem. Died ift durch das früher Gezeigte ganz Kar; denn obwohl Die
Ewigfeit Unendlichkeit ift, jo daß die Ewigfeit eben fo wenig Urſache des
Baters ift, ald die Unendlichkeit, fo wird doc in der Betrachtungsweife
(secundum considerationis modum) die Ewigfeit dem Water, nicht dem
Sohne und heiligen Geifte zugefchrieben, die Unendlichkeit hingegen nicht
einer Perſon mehr, ald der andern, weil die Unendlichkeit als Einheit be-
tradhtet (secundum considerationem unitatis) der Vater, als Gleichheit
der Einheit der Sohn, ald Verbindung Beider der heilige Geiſt ift.
Dagegen die Unendlichkeit, ſchlechthin betrachtet, ift weder Vater, noch
Sohn, noch Heiliger Geiſt. Wenn aljo gleih die Unendlichkeit und
Ewigkeit jede der drei Perfonen ift und umgekehrt jede Perſon Unend—
lichkeit und Ewigfeit, fo gilt Died doch nicht nach der Betradhtungsweife
der Sache. Die Unendlichkeit, als ſolche betrachtet, ift Gott weder Einer
noch Mehreres, vom Standpunfte der negativen Gottedlchre finden wir
in Gott nichts Anderes, ald die Unendlichkeit. Er ift daher auch nad
derfelben weder in biefer, noch in der Fünftigen Welt erfennbar, weil jede
33
Greatur, da fie das unendliche Licht nicht faffen kann, im Berhältniß zu
diefem verbunfelt wird. Gott ift nur fich felbft befannt.
Aus dem Gefagten erhellt, daß in der Gotteserfenntniß ) die Nes
gationen wahr, die Affirmationen unzureichend find. Je mehr Unvolls
fommenheit eine Negation von dem vollflommenften Weſen entfernt, defto
wahrer ift fie. So ift ed wahrer, Gott fei fein Sein, als er fei nicht
das Reben oder die Intelligenz, wahrer, er ſei nicht die Trunfenheit, als
er ſei nicht die Tugend. Das Gegentheil gilt von den Affirmationen. Es
it eine wahrere Affirmation, Gott fei die Intelligenz oder das Leben,
ald er ſei Erde, Stein, Körper. Alles dies ift aus dem früher Gefagten
ganz klar.
Als Schlußwahrheit ergibt fih, daß die praͤciſe Wahrheit in der
Finfterniß unſeres Nichtwiffens in unerfaßbarer Weife leuchtet, und das
it die Miffenfchaft des Nichtwiſſens, die wir gefucht haben, durch die wir
allein dem größten, dreieinigen Gott von unendlicher Güte auf den Stufen
diefer Wiffenichaft des Nichtwiffend uns nahen fönnen, um ihn aus allen
unfern Kräften ewig dafür zu loben, daß er jelbft fih uns als unbegreifs
li zu erfennen gibt, der über Alles gepriefen fei in Ewigfeit. Amen.
1) In diefem engern Sinne muß nach dem Zufammenhange der weitere Ausdrud:
„in theologieis* gefaßt werben.
Scharpff, Nic, v. Gufa, 8
DBweites Bud.
Nachdem die Wiffenfchaft des Nichtwiffens über die Natur des abfolut
Größten mittelft einiger ſymboliſchen Figuren dargeftellt ift, jo wollen wir
nun mittelft dieſes Größten, das einigermaßen wie in Umrifjen in uns
wiederfcheint, in derfelben Methode das unterfuchen, welches Alles, was
es ift, durch das abfolut Größte if. Da aber das Berurfachte ganz
aus feiner Urfache und nichts aus fich ift, und da es fih an den Urfprung
und Grund, dur den es das ift, was es ift, fo nahe und fo ähnlich
als möglich anſchließt (originem et causam quanto propinquius et simi-
lius potest, concomitetur), fo ift far, daß die Natur des Eoncreten
(contractionis) ſchwer zu erfennen ift, wenn das abfolute Urbild nicht
erfannt if. Wir müffen alſo aud bier über unfer Begreifen hinaus ein
gewifjes Nichtwiſſen als Princip feithalten (in quadam ignorantia nos
doctos esse convenit), um, da wir die präcife Wahrheit an fich nicht
erfaflen, wenigftend dahin zu gelangen, daß wir diefelbe als ſeiend erfennen
(ut ipsam esse videamus), da wir fie für jegt nicht ganz begreifen Fönnen.
Dies ift mein Ziel in dieſem zweiten Theile, den deine Nachſicht bes
urtheilen und wohlwollend aufnehmen möge.
Erftes Kapitel.
Einleitende Bolgefäge aus dem Bisherigen, um den Begriff ded Einen unend-
lichen Univerſums feftzuftellen.
Es dürfte für unfere Wiffenfchaft fehr förderlich fein, vorerſt einige
Folgefäge aus unferm Princip vorauszufhiden. Sie werden eine gewifle Gr
wandtheit geben, unendlich vieles Aehnliche auf gleiche Weife aus dem Prineip
zu entwideln, und werden über das Folgende größere Klarheit verbreiten.
Als Wurzelbegriff ftellten wir auf, daß man da, wo fid) Ausſchiei—
tungen finden (in excessis et excedentibus), zum Größten, in Sein
und Können, nicht gelange. Daher zeigten wir, die präcife Gleichheit
fomme nur Gott zu, woraus folgt, daß Alles außer ihm ſich differenzire.
Es fann daher nicht eine Bewegung der andern gleih, nicht eine das
Maaß für die andere fein, da das Maaß und das Gemefjene nothwendig
35
verſchieden find. Dies laͤßt eine Anwendung auf unendlich Vieles zu.
Was die Aftronomie betrifft, fo erfiehft du daraus, daß der aftronos
miſche Galcul der Präcifion entbehre , weil er vorausfegt, durch die Be—
wegung der Sonne könne die Bewegung aller andern Planeten gemefjen
werden. Auch die ganze Eitmation des Himmeld (coeli dispositio), man
mag wad immer für eine Stelle annehmen, ſeien es bie öftlichen oder
weitliben Himmelszeihen oder die Elevation des Pold und was damit
wiammenhängt, läßt feine präcife Erfenntniß zu. Und da feine zwei
Orte in Zeit und Lage präcid übereinftimmen, fo ift Har, daß die Urtheile
über die Geftirne nach deren particularem Wefen weit von Präcifion ents
fernt find. Wendeſt du diefe mathematiſche Regel auf die Geometrie
an, fo findeft du auch bier, daß in der Wirklichkeit (actu) eine Gleich»
beit der geometrifhen Figuren unmöglich fei, und fein Ding mit dem
andern in Figur und Größe präcid übereinftimmen könne. Wenn gleich
die Regeln rationell (in sua ratione) richtig find, eine einer gegebenen
Figur gleiche zu befchreiben, fo ift doch in Mirklichfeit die Gleichheit uns
möglid. Hieraus erfennft du, daß die Wahrheit, lodgetrennt vom Mates
stellen, rationell die Gleichheit ficht, die man in den Dingen unmöglich
durdführen fann, weil bier immer ein Mangel bleibt. Auch in der
Muſik gibt es feine Präcifion. Kein Ding ftimmt mit dem andern in
Gewicht, Länge und Dichtigfeit überein, und zwijchen den verfcdiedenen
Tönen von Fifteln, Gloden, Menfhen und Inſtrumenten läßt fi feine
präcife harmonische Broportion herftellen, die nicht noch präcifer fein könnte.
Eine präciſe Proportion befteht daher nur rationell; in der Sinnenwelt
it auch die ſchönſte Harmonie nicht ohne Mangel, weil fie dort nicht zu
finden ift. Erhebe dich hier zu dem Gedanken, daß die präcifefte, größte
Harmonie Proportion in der Gleichheit ift, die der im Fleiſche lebende
Menſch zu hören nit im Stande tt, weil fie, da fie ganz rationell ift,
dad Kationelle unferer Seele volljtändig an fich ziehen Cabforbiren) würde,
wie das unendliche Licht alles Licht (abforbirt), fo daß die von der Sinn»
lihfeit ganz loögelöste Seele ohne eine Entzückung (sine raptu) eine auf
das Höcfte übereinftimmende Harmonie mit dem Ohre des Berftandes
nicht hören würde. ine ſchöne und wichtige Betrachtung ließe fi bier
anfnüpfen, ſowohl über die Unfterblichfeit unferer geiftigen Natur, die das
ungerftörlich Rationelle (rationem incorruptibilem) in fich trägt, vermöge
welchem fie deflen Abbild, den Einklang in der Muftf aus fich jelbft er-
jeugt, ald aud Über die ewige Freude, in welche die Seligen, losgelöst
von der Welt, erhoben werden. Doc hierüber ein audersmal. Wenden
wir unfer Princip auf die Arithmetif an, fo fehen wir, daß feine zwei
Dinge in der Zahl übereinftimmen, weil hinfichtlih der Wahrheit der Zahl
die Zufammenfegung, Proportion, Harmonie, Bewegung ıc. ſich verändern.
3*+
36
Wir fehen hieraus, daß wir nichts wiffen (ignorare); denn Keiner ift wie ber
Andere in Sinn, Einbildung, Vernunft, in allen Thätigfeiten, im Schreiben,
Malen und jeglider Kunft, wenn er auch taufend Jahre lang den Andern
nabahmen wollte. Die Kunft ift eine Nahahmung der Natur, aber zur
Präcifion bringt fie es nicht. Daher fehlt der Medicin, Alchymie, Magie
und andern verwandelnden Künften die Präcifion der Wahrheit, wenn
gleich die Medicin wahrer ift ald die verwandelnden Künfte. Aus unjerm
Princip folgern wir ferner den Sag: weil wir in den Gegenfägen immer
eine Ausfhreitung finden, wie im Einfachen und Zufammengefegten, Abs
ftracten und Gonereten, Formalen und Materialen, Zerftörlihen und Un,
zerftörlichen 2c., fo gelangt man nie zu dem reinen Gegenfage,
oder zu der präciſen und ganz gleihen Indifferenz der Ger
genfäße (ad alterum purum oppositorum non devenitur, aut in quo
concurrant praecise aequaliter). Alles ift daher in den Gegenjägen in
gradueller Verſchiedenheit; nach dem Uebergewicht des einen über den andern
nimmt der eine von der Natur ded andern mehr oder weniger in fi auf.
Daher wird die Kenntniß der Dinge rationell der Art erforfcht, daß wir
einjehen, wie die Zufammenjegung in dem einen Dinge eine gewille Ein
fachheit annimmt, während in einem andern die Einfachheit eine zufammen-
gefeßte iſt, Zerftörlichfeit in Ungerftörlichkeit in dem einen, umgefehrt in
einem andern Dinge ıc., wie wir im Buche von den Muthmaßun—
gen (in libro conjecturarum) zeigen werden, wo hierüber ausführlicher
gehandelt werden wird. Died Wenige möge genügen, um die hohe Bes
deutung der Wiſſenſchaft des Nichtwiſſens zu zeigen (pro mirabili potestate
doctae ignorantiae ostendenda),
Um meinem Zwede näher zu kommen, fage ih: da ein Hinauffteigen
zum ſchlechthin Größten oder Hinabfteigen zum Kleinften unmöglich if,
weil fonft ein unendliches Auf- oder Abfteigen entftünde, fo läßt fich bei
jedem gegebenen endlihen Dinge immer ein größeres oder kleineres geben.
Denn da jeder Theil des Unendlichen unendlich ift, fo involvirt es einen
Widerfprud, daß ein Mehr oder Weniger fih da finden follte, wo man
zum Unendlichen gelangt, da ein Mehr oder Weniger dem Unendlichen
nicht zufommen und auch Fein Verhältniß zum Unendlichen haben fann, indem
nothwendig auch dieſes unendlich if. Denn in der unendlichen Zahl wäre
Zwei nicht weniger als Hundert. Es gibt daher nichts, was die
göttlihe Macht begrenzte; bei jedem Gegebenen fann durch fie ein
Größeres oder Kleineres gegeben werden, ed wäre denn das Gegeben
zugleih das abfolut Größte, wie im dritten Buche gezeigt werden fol.
Es ift demnach nur das abfolut Größte negativ unendlich,
es ift allein das, was fein kann, in voller Allmadıt. (Solum illud
est id, quod esse potest, omni potentia.) Das Univerfum dagegen
37
fann, da es Alles umfaßt, was nicht Gott ift, nicht negativ unend—
ih fein, obwohl e8 ohne Grenze (sine termino) und fo privativ
unendlich iſt. Nach diefer Betrachtung ift e8 daher weder endlich
noh unendlich; denn ed kann nicht größer fein, ald es ift, und zwar
died in Folge eines Mangeld (hoc quidem ex defectu evenit), denn die
Möglichfeit oder Materie hat fein Streben über fih hinaus (possibilitas
enim sive materia ultra se non extendit.) Zu fagen, das Univerfum
kann actu immer größer werden , ift fo viel ald zu fagen: das Sein-Können
geht über in das wirflihe Cactu) unendlibe Sein, was unmöglich ift,
da die unendliche Wirklichkeit (actualitas), die die abſolute Ewigkeit ift,
aus dem Sein-Können nicht entftehen fann, fie, die in Wirklichkeit Die
ganze Möglichkeit des Seins iſt. (Nam non est aliud dicere, universum
posse semper actu esse majus, quam dicere, posse esse transire in
actu infinitum esse, quod est impossibile, cum infinita actualitas, quae
est absoluta aeternitas, ex posse oriri nequeat, quae est actu omnis
essendi possibilitas.) Wiewohl daher das Univerfum in NRüdficht auf
die unendliche Allmacht Gottes, die unbegrenzbar ift, größer fein könnte,
jo fann es doch nicht größer fein, da die Möglichfeit des Eeind oder
die Materie, welche nicht actu ind Unendliche ausdehnbar ift, widerftrebt.
Es ift daher unbegrenzt (interminatum), da es ein wirklich Größeres nicht
gibt, nach dem es begrenzt würde. In diefem Sinne ift e8 privativ uns
endlih. Im Wirklichkeit Cactu) ift e8 aber nur im concret bejchränfter
Reife (contracte), fo daß es in fo guter Weiſe eriftirt, als es feine
Natur zuläßt. Denn es ift Gefhöpf, das nothmendig aus dem
abjolut göttliben Sein ftammt (est enim creatura, quae necessario est
ab esse divino simpliciter absoluto), wie ich nun im Folgenden aus der
Wiſſenſchaft des Nichtwiffens fo Har und einfach ald möglich zeigen werde.
Zweites Kapitel.
Das Sein der Greatur ſtammt auf eine uns unbegreifliche Weife aus dem Sein
des erften Größten. (Quod esse creaturae sit inintelligibiliter ab esse primi.) ‘)
Unfer Syftem hat und gezeigt, daß nichts aus fich ift, als das fchlecht-
bin Größte, in dem aus fich, in fich, durch fih Sein identifch ft, nämlich das
abſolute Sein felbft, jo wie daß Alles, was ift, das was es ift und ſoweit es
-— —
1) &o ftelle ich den Tert der Auffchrift her, ftatt: quae esse creaturae sit intelli-
gibiliter ab esse primi. Statt quae ift offenbar quod zu lefen; flatt intelligibiliter muß
iniptelligibiliter gelefen werden, weil bie Unbegreiflichfeit des creatürlichen Seine im
ganzen Kapitel nachgewielen wird (non est igitur ejus esse intelligibile ıc. vgl. 1,4).
Daß zu „primi* — maximi zu fubintelligiren, vgl. I, 24.
38
ift, aus jenem feiz denn wie fönnte, was nicht aus fich iſt, anders fein,
ald aus dem ewigen Sein?’ Da nun aber das Größte fern von jeder
Mißgunſt Cinvidia) ift, fo ift es ihm unmöglich, ein vermindertes Sein
(ald ſolches) mitzutheilen. Es bat fomit die Greatur, die aus dem Sein
ift, Alles das, was fie fit: Zerftörbarfeit, Theilbarkeit, Unvollfommens
heit, Verſchiedenheit, Vielheit zc., nicht von dem ewigen, untheilbaren,
vollfommenften, ununterfchiedenen Einen Größten, überhaupt nicht von
einer pofitiven Urſache; denn wie die unendliche Linie das unendlich Gerade
ift und die Urfache alles Seins der Linien, die krumme Linie aber als
Linie ihr Sein von der unendlichen hat, als frumme Linie aber nicht von
diefer, da die Krümmung eine Folge der Eudlichkeit ift, indem fie deß—
halb krumm ift, weil fie nicht die größte Linie ift, (wäre fie die größte,
fo wäre fie, wie oben gezeigt wurde, nicht krumm), jo geht ed auch mit den
Dingen. Eoferne fie vermindert, getrennt 2c. find, Fönnen fie nicht aus dem
Größten fein '), weil dieſe Zuftände feine pofitive Urfache haben. Bon Gott
alfo hat es das Gefhöpflide, einig, unterfchieden und mit
dem Univerfum verbunden zu fein, und zwar je mehr geeint,“ defto
ähnlicher ift e8 Gott. Daß aber feine Einheit in PBielheit, fein
Unterſchiedenes in Verwirrung (discretio in confusione), feine
Verbindung in Disharmonie fi befindet, das hat ed nicht von
Gott, nod von irgend einer pofitiven Urfache, fondern zufällig Ccon-
tingenter)., Wer will nun, indem er in dem Gefchöpflichen die Begriffe
der abjoluten Nothwendigfeit, aus der es ift, und der Zufälligfeit, ohne
die es nicht iſt, zugleich denkt, ihr Sein begreifen? Scheint es nicht, ale
ob das Gefchöpflice, das weder Gott, nod auch Nichts ift, gleihfam nad
Gott und vor dem Nichts ift, zwiſchen Gott und dem Nichts, wie ein
Philofoph fagt: Gott ift der Gegenfag ded Nichts durd Vermittlung
des Eeind (Deus est oppositio nihil mediatione entis); und doch fann
das Gefchöpflice nidt aus dem Eein und Nichtfein zufammengefegt fein.
Es fcheint alfo weder zu fein, weil e8 aus dem Sein herabfteigt, nod
auch nicht zu fein, weil ed vor dem Nichts ift, und nicht aus jenen beiden
zufammengejegt. Unfer Verftand, der über Gegenjäge nicht hinausfommt,
er mag dieſe getrennt oder verbunden auffaffen (divisive aut compositive),
erfaßt das Sein des Geſchöpflichen nicht, obwohl er weiß, daß deſſen
Sein nur aus dem Sein des Größten ſtamme. Das Sein des Ge
ſchöpflichen ift demnach nicht zu begreifen, da das Sein, aus
dem es iſt, nicht zu begreifen ift, fowie au das Dafein des Accidend
1) Aus dieſer Ueberfegung, die allein den Sinn richtig gibt, erhellt, daß die Worte:
quoniam ab maximo esse non possunt nicht ald Parenthefe, wie es im Terte gefchieht,
zu betrachten find, vielmehr die Worte: ut sunt diminuta x. fih als nothwendig ers
gänzender Gedanfe an: quoniam x. anfchließen.
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nicht zu begreifen if, wenn die Subftanz, an der e6 ift nicht begriffen wird.
Weil aber das Gefchöpfliche durch das Eein des Größten erfchaffen ift und
in dem Größten Sein, Machen und Erſchaffen identiſch find, fo ſcheint
das Erſchaffen nichts Anderes zu fein, als daß Gott Alles
il. (Quoniam vero creatura per esse maximi creata est, in maximo
vero idem est esse, facere et creare, tunc non aliud videtur esse creare,
quam Deum omnia esse.) ! Iſt aber Gott Alles und heißt dieſes Er-
ibaffen, wie läßt fih denfen, daß das Gefhöpfliche nit ewig
ift, da das Sein Gottes ewig, ja die Ewigkeit felbft It? So weit
alſo das Gefchöpflihe das Sein Gottes ift, ift ed ohne Zweifel die Ewig-
feit, foweit es jedoch der Zeit anheimfällt Ccadit sub tempore), ift es
nicht von Gott, weil diefer ewig if. Wer begreift ed nun, daß das Ges
ihöpfliche aus dem Ewigen und dabei zeitlih it? Es mußte im Sein
jelbft in der Ewigfeit fein, und fonnte auch nicht vor der Zeit fein, weil
ed vor der Zeit fein Vorher gab; und fo war es denn immer, feit ee
fein fonnte (et ita semper fuit, quando esse potuit). Sodann wer fann
es begreifen, daß Gott das bildende Princip des Seind (essendi formam)
it, und Doch fich nicht mit dem gefhöpfliden Sein vermiſcht
(nee tamen immisceri creaturae)? Denn es kann nicht aus der unendlichen
kinie und der endlichen Frummen ein Zufammengefegtes entftehen, das
ohne Verhäftnißbeftimmung (absque proportione) nicht denkbar if. Daß
aber zwiſchen Unendlihem und Endlihem fein Verhältniß beftcht, beftreitet
Niemand. Wie kann alfo der Verftand es begreifen, daß das Sein der
frummen Linie aus der unendlich geraden ftamme, wenn doch dieſe jene
nicht bildet als ihr bildendes Princip, fondern als ihre Urſache und
Grund (quae tamen ipsam non informat ut forma, sed ut causa et
ratio)? An diefem ihrem Grunde fann fie nicht fo participiren, daß fie
einen Theil davon ausmacht (non potest participare partem capiendo),
da derfelbe unendlih und untheilbar tft, alfo nicht wie die Materie an
der Form participirt, oder Sofrated und Plato an der Menjchheit oder
die Theile am Ganzen, die Theile des Univerfums am Univerfum oder
mehrere Spiegel an derſelben Geftalt, die fie abfpiegeln, da das Sein der
Ereatur nicht vor dem Dafein derjelben 9) iftz denn fie ift wie ein Spie-
gel; num ift aber der Spiegel da, che er das Bild eines Begenftandes
in ih aufnimmt. Wer will es alfo begreifen, wie ein unendliches Bil
dungsprincip (forma) von verſchiedenen Gefhöpfen verfchieden participirt
wird, da doch das Sein ded Gefhöpflihen nur der Wiederfchein ift, der
nicht in einem andern pofitiv aufgefaßt wird, fondern zufälliger Weife ein
1) Im Texte fteht: cum non sit esse creaturae ante abesse. Statt des letzteren
Boris, das feinen Sinn gibt, vermuthe ich adesse, da gleich darauf folgt: ante est
(k e. adest) speculum, quam imaginem faciei recipiat.
gr
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verfchiedener ift (cum creaturae esse non possit aliud esse, quam ipsa
resplendentia, non in aliquo alio positive recepta, sed contingenter
diversa)? gleichwie ein vollendeted Kunftwerf, das ganz von der Idee
des Künftlers abhängig ift, Fein andered Sein bat, ald das der Abhän-
gigfeit von dem, aus dem ed das Sein hat, und durch defien Einfluß
ed erhalten wird, oder wie eine Geftalt, die in einem Spiegel fi ab»
fpiegelt, der vorher und nachher am fih und in fih nichts if. Ebenſo
wenig läßt es ſich begreifen, wie Gott durch ſichtbare Gefchöpfe uns
offenbar werben fann, denn es ift da nicht wie bei unferem Geifte. Wenn
diefer zu denfen anfängt, fo nimmt er, der zuerft formlo® (informis) ift,
aus gewiſſen Anfhauungen ein Bild einer Farbe, eines Tones u. dgl. in
das Gedächtniß auf, nachher nimmt er wieder ein anderes Bild von
andern Zeichen, Stimmen oder Buchftaben in fih auf und verfenft ſich in
fie (se aliis insinuat). Anders ift es bei Gott; denn obwohl Gott
zur Offenbarung feiner Güte (vom religiöfen Standpunkte betradtet —
ut pii volunt) oder weil er die größte abfolute Nothwendigfeit ift, die
Welt erfchaffen ‘hat, auf daß fie ihm gehorde oder damit Wefen da find,
die feine Befehle annehmen und ihn fürdten, die er einft richte u. dgl.,
fo ift doch Mar, daß er Feine andere Form annehmen kann, da er bie
Form aller Formen ift, noch aud in pofitiven Zeichen erſcheinen Fann,
da dieſe Zeichen als ſolche mothiwendig wieder andere Zeichen zu ihrer
Vermittlung und jo Ind Unendlihe fort erforderten. Wer wollte e8 bes
greifen, daß Alles ein Abbild des Einen unendlihen Bildungsprincips
fei, und die Verjchiedenheit nur zufällig Cex contingenti) habe, gleich—
fam ald wäre dad geihöpflihe Sein Gott aus Zufall, wie man das
Accivend Subftanz aus Zufall, das Weib Mann aus Zufall nennen
fönute (quasi creatura sit Deus occasionatus, sicut accidens substantia
oecasionata, et mulier vir occasionatus), weil das unendliche Princip
nur endlich recipirt ift, jo daß das ganze gefhöpflihe Sein gleich—
ſam eine endlihe Unendlichkeit oder ein gefhaffener Gott ift,
auf daß es fo auf die beitmögliche Weiſe eriftire (ut omnis creatura sit
quasi infivitas finita aut Deus creatus, ut sit eo modo, quo hoc melius
esse possit); ald wenn der Schöpfer gefagt hätte: Es werde! und weil
Gott, der die Ewigfeit ſelbſt ift, nicht werden fonnte, jo ift geworben,
was Gott am Ähnlichften werden fonnte. ine Folgerung aus dem Bid-
herigen ift, vaß jedes Geſchöpf als ſolches vollfommen ift, wenn
es auch im Berhältniffe zu einem andern weniger vollfommen zu fein
fcheint; denn der gütige Gott theilt dad Sein Allen in der Weife mit,
in der es aufgefaßt werden fann. Da Gott ohne Berfchiedenheit und
Mißgunſt das Sein mittheilt, und es in der Art aufgenommen wird, daß
es anderd nicht aufgenommen werden Fönnte, jo ruht jedes erfchaffene
41
Sein in der Vollkommenheit, die es auf das Neichlichite (liberaliter)
von dem göttlichen Sein erhalten hat, und begehrt fein anderes Gejchöpf zu
kein, ald wäre ed dann vollfommener, fordern hat eine Vorliebe (praedi-
ligens) zu dem Sein, das e8 von dem Größten hat, als zu einem göttlichen
Geſchenk, das es ungerftörlich zu erhalten und zu vervollkommnen fucht.
Drittes Kapitel,
Tas Größte ift auf eine und unbegreifliche Weife ") der Inbegriff und die Ent»
faltung des Alls.
Nichts läßt fih Über die unerforichliche Wahrheit, won der im erften
Buche die Rede war, ausſagen oder denken, was nicht in der erften Wahr—
beit enthalten if. Denn was mit dem, was dort von der erften Wahr-
beit gefagt wurde, übereinftimmt, ift wahr, was nicht übereinftimmt, falſch.
Run aber ift dort gezeigt, e8 gebe nur Ein Größtes von allen Größen.
Das Größte ift, das feinen Gegenfag hat, wo aud das Kleinfte das
Größte iſ. Die unendlidhe Einheit ift alfo der Inbegriff (com-
plicatio) von Allem. Das nennt man Einheit, was Alles einet, nicht
nme wie die Einheit der Zahl, fondern des Als. Wie man in der Zahl
old der Entfaltung der Einheit nichts als die Einheit findet, fo findet
ih in Allem, was ift, nur das Größte wieder. In der Dnantität ift
die Einheit der Punkt; daher finden wir in der Linie, Oberfläche und dem
Körper nichts als den Punkt. Und es ift nicht mehr ald Ein Punkt,
der der Inbegriff alles Duantums if. Eo ift die Ruhe der einbeit-
lihe Inbegriff der Bewegung, die, genau betrachtet, nichts Anderes
it, als die Reihenfolge der Ruhe (motus est quies seriatim ordinata).
Die Bewegung ift mithin die Entfaltung der Ruhe. Das Jetzt oder
die Öegenwartift der Inbegriff der Zeit. Die Vergangen-
heit war Gegenwart, die Zukunft wird Gegenwart fein. Die Zeit ift
daher die aneinandergereihte Gegenwart. Es gibt alfo nur Eine Gegen:
wart, ald der Inbegriff aller Zeiten, und diefe Gegenwart ift die Ein-
heit ſelbſt. So ift die Identität der Inbegriff der Verſchie—
denheit, die Gleichheit der der Ungleichheit. Gott ift demnach der
Inbegriff von Allem, in dem Sinne, daß Alles in ihm ift;
er it die Entfaltung von Allem, foferne er in Allem ift (Deus
ergo est omnia complicans, in hoc, quod omnia in eo, est omnia
explicans, in hoc, quia ipse in omnibus). Und wie aus unferm Geifte
1) Auch Hier muß im Terte ftatt intelligibiliter gelefen werben: inintelligibiliter,
wie wir dieſes Wort als das letzte des ganzen Kapitels im Terte leſen.
42
dadurch, daß wir vieles Einzelne ald Einem Gemeinfamen zugehörig er-
fennen, die Zahl entfteht, To entfteht die WVielheit der Dinge aus dem
göttlichen Geiſte, in dem das Viele ohne Vielheit ift, weil in der zufammen-
faffenden Einheit; deßhalb nämlich, weil die Dinge an der Gleichheit des
Seins nicht auf gleiche Weiſe participiren können, hat Gott in der
Ewigfeit das eine fo, das andere anders gedacht, woraus bie
Vielheit, die in Ihm Einheit, entftanden if. Die Art und Weije diefes
Inſichfaſſens und Entfaltend geht über unfern Verſtand. Wer follte es
begreifen, daß aus dem göttlichen Geifte die Vielheit der Dinge entfteht,
da das Denfen Gottes fein Sein und diefes die unendliche Einheit iſt?
Ziehft du die Vergleihung mit der Zahl, dem Bielfachen der Einheit her—
bei, fo jcheint Gott gleihfam in den Dingen vervielfältigt, da fein Denken
fein Sein ift, und doch fiehft du die Unmöglichfeit davon ein, daß ſich
die unendliche und höchſte Einheit vervielfältige. Wie läßt ſich aljo die
Vielheit begreifen, deren Sein aus dem Einen ohne Vervielfältigung
ftammt ? oder wie die Vervielfältigung der Einheit, ohne Vervielfältigung ?
Dffenbar nicht wie die Bielheit der Individuen in Einer Art
oder mehrerer Arten in Einer Gattung, außerhalb welder die Gat—
tung und Art nur eine leere Abftraction ift! Wie aljo Bott, deſſen Sein
und Einheit weder eine Abftraction des Verſtandes, nod
eine Bermengung mit den Dingen ift, durd die Zahl der Dinge
fi entfalte, das begreift Niemand. Betrachteft du die Dinge ohne ihn,
jo find fie nichts, wie die Zahl ohne die Einheit. Betrachteft du ihn
ohne die Dinge, fo ift er, und die Dinge find nichts. Betrachteft du ihn,
fofern er in den Dingen ift, fo ftellft du dir vor, die Dinge feien etwas,
in denen er iſt; allein das ift ein Irrthum, wie das vorige Kapitel gezeigt
hat, weil das Sein eines Dinges nicht etwas ift, wie ein abgefonderted Sein,
fondern fein Sein ift von dem Sein des Größten. Bettachteſt du enplich
das Ding, foferne es in Gott ift, fo erhältft vu Gott und die Einheit.
Es bleibt nichts Anderes übrig, als zu fagen: die Vielheit der
Dinge entftehbt dadurch, daß Gott im Nichts ift (quod
pluralitas rerum exoriatur eo, quod Deus est in nihilo). Denn nimm
Gott von dem Gefchöpfe hinweg, fo bleibt Nichts; nimm die Subftanz
von dem Zufammengefegten hinweg, und es bleibt fein Accidens übrig;
jo bleibt denn das Nichts übrig. Wie mag unfer Verftand dies bes
greifen? Denn hört auch nah Aufhebung der Subftanz das Accidens
auf, fo iſt deßhalb das Accidens nicht Nichts; es hört aber auf (perit),
weil fein Sein nur ein Dabeifein (adesse) if. Wenn gleich 3. B. die
Duantität nur durch das Sein der Subftanz ift, fo ift doch die Subftanz
nur, weil die Quantität dabei ift (adest), ein Quantum. Nicht fo ift es
hier; denn das Geſchöpfliche ift nicht fo bei Gott (Deo adest), denn es
43
bringt Gott nichts bei (nihil confert Deo), wie das Accidens der Eubs
fan. Ja das Accidens bringt der Subftanz fo viel bei, daß dieſe, ob»
wohl jenes von ihr das Sein hat, doch ohne alles Accidens nicht fein
fann. Das kann bei Gott nicht fo fein. Wie föünnen wir alfo das Ges
ſchöpfliche als ſolches begreifen, das von Gott ift, aber nichts ihm, ber
der Größte ift, beibringen (tribuere) fann? Und wenn es als Geſchöpf—
liches auch nicht einmal fo viel Sein als ein Accidens hat, fondern ganz
und gar Nichts ift, wie lüßt es fich denfen, daß die Bielheit der Dinge
dadurch fich entfalte, daß Gott im Nichts ift, da das Nichts Fein Sein
MH? Sagft du: fein allmädtiger Wille ift die Urfade,
Ville und Allmadt find fein Sein (denn die ganze Gotteslchre
bewegt fih im Kreife), jo geftehit du eben damit, daß du die Art des
Jnfihfaffens und Entfaltens nicht fenneft, obwohl du das weißt, daß
Alles in ihm er felbft, und er in Allen bas, was fie find, ift, wie das
Urbild in dem Abbilde; wie wenn ein Antlig fein eigenes Abbild hätte,
das von ihm bald nahe, bald fern vervielfältigt wird, die Entfernung nicht
räumlich gefaßt, fondern graduell, nach der Achnlichkeit mit dem Originale,
fo würde das Eine Antlig in verjchiedenen Abbildern verſchieden verviel-
fältigt erfcheinen, in einer dem Sinn und Verftande unbegreiflihen Weife.
Biertes Kapitel,
Das Untverfum, das coneret Größte, ift nur ein Abbild des abfolut Größten.
Wenn wir das durch die Wiſſenſchaft des Nichtwiflens bisher Ers
mittelte weiter verfolgen, fo werden fih uns aus dem Sage, daß Alles
das abjolut Größte oder von demjelben ift, über die Welt oder das Unis
verfum, das ich als das coneret (contractum) Größte betrachte, mande
Aufiblüffe ergeben. Denn da diefes coneret Größte Alles, mas es ift,
vom Abfoluten hat, fo ift ed eine größtmöglide Nachahmung
desfelben. Wir fagen daher, daß, was fih uns im erften Buche über
das abfolut Größte ergeben hat und diefem ald Abfoluten abſolut zufömmt,
dem concret Größten concret zufomme. Wir wollen Einiges zum Behufe
des Verftändnifies erläutern. Gott ift das abfolut Größte, die abfolute
Einheit, Die allen Unterfchieden und Gegenfägen vorausgeht und fie einigt
(wie 3. B. das Gontradictorifche, von dem es Feine Vermittlung gibt),
die abfolut das ift, was Alles ift, in Allem das abfolute Princip und
Ende der Dinge, das Sein, in dem Alles ohne Vielheit das abfolut
Größte ſelbſt ft, einfach ununterfchieden, wie die unendliche Linie alle
Biguren in fich begreift. Auf ähnliche Weife ift die Welt oder das Unis
verfum das concret Größte und Eine, den concreten Gegenfägen
44
vorausgehend; es ift in concreter Weife das, was Alles ift, das concrete
Princip und Ende in Allem, coneretes Sein, concrete Unendlichkeit; Alles
ift in ihm ohne Vielheit das concret Größte felbft, in concreter Einfachheit
und Ununterfchiedenheit, wie die concret größte Linie alle Figuren coneret in
fich begreift. Hält man den Begriff des Concreten richtig feit, jo ift Alles
flar. Es fteigt mämlih die concrete Unendlichkeit oder Einfachheit in
unendlicher Weile, ohne Proportion aus dem Abfoluten und Einen herab.
Daher ift die concrete Einheit nicht ohne Vielheit, dad Umendliche befchränft,
das Einfache zufammengefegt, das Ewige ein Nadeinander, die Noth—
wendigfeit dur die Möglichkeit befchränft ꝛc. Wieles läßt ſich hieraus
entwideln. Wie Gott in feiner Unermeßlichfeit weder in der Sonue,
noh im Monde ift, obwohl er in ihnen das, was fie find, abjolut ift,
jo ift au das Univerfum weder in der Sonne, noch im Monde, es iſt
aber in ihnen das, was fie find, in concreter Weife. Und da das abfolute
Sein der Sonne nichts Anderes ift, ald das abfolute Sein ded Mondes
(weil e8 Gott felbft ift, der das abfolute Sein und Wefen der Dinge
ift), dagegen das conerete Sein der Sonne ein anderes ift, ald das des
Mondes, fo ift zwar nicht das abfolute Sein einer Sade, wohl
aber das concrete die Sade felbft. Da demnach das concrete Sein
des Univerfumd anders in der Sonne, anders im Monde ift, fo befteht
die Identität des Univerfums in Verſchiedenheit, wie feine Einheit
in Bielheit. Obwohl daher das Univerfum weder Sonne noh Mond ifl,
fo ift ed doch in der Sonne Sonne, im Monde Mond, es ift aber das,
was Sonne und Mond ift, ohne Vielheit und Verfchiedenheit. Univerfum
bezeichnet die Umiverfalität, d. i. die Einheit von Vielem. Wie die
Menfchheit weder Sofrates, noch Plato, wohl aber im Sofrated Sofrates,
im Plato Plato ift, fo verhält ſich das Univerfum zu allen Dingen. Da
gefagt wurde, das Univerfum fei der conerete Anfang von Allem, und in
fofern das Größte, fo erhellt, daß das ganze Univerfum burd eine
einfabe Emanation des concret Größten aus dem abfolut
Größten in's Dafein getreten ifl. Alle MWefen, welche Beftandtheile
des Univerfums find, ohne die es nicht Eines, ganz und vollflommen fein
fönnte, find zugleich mit dem Univerfum in's Dafein getreten, nicht
zuerft die Intelligenz, dann die Seele, dann die Natur, wie Avicenna
und andere Philofophen Iehrten. Wie in der Intention des Künftlerd
vorher das Ganze, z. B. ein Haus ift, ehe er an die Theile, z. B. die
Wände denft, fo fagen wir, daß, da Alles nach der Intention Gottes
in's Dafeln getreten ift, zuerft das Univerfum und in Folge deflen (et in
ejus consequentiam) Alles, ohne was weder ein Univerfum, noch ein
vollfommenes Univerfum fein kann, entftanden ift. Wie aljo das Abftracte
im Conereten tft, fo betrachten wir das abfolut Größte im concret Größten
45
als das Erfte (prioriter consideramus), dad in Folge deffen in allem
particularen Sein ift, weil es auf abfolute Weile in dem ift, was Alles
in conereter Weile ift. Gott ift nämlich das abiolute Sein des Univerfumg,
diefes ift das conerete Sein, das Concrete bezieht ſich auf das Einzelne,
auf Dies oder Jenes. Es it alfo Gott das Eine, im Einen Univerfum,
das Univerfum aber in Allem coneret. So begreifen wir, wie
Gott mitteljt des Univerſums in Allem und die Vielheit
der Dinge mittelft des Einen Univerfums in Gott iſt.
Fünftes Kapitel.
Jegliches iſt in Jeglichem.
Wenn du das Bisherige wohl erwägft, fo wirft du unfchwer den
Sinn jenes" Satzes des Anaxagoras: „ZJegliches ift in Jeglichem“
erfennen, ja vielleicht noch tiefer erfaſſen, als Anaxagoras ſelbſt. Denn
da im erſten Buch gezeigt iſt, Gott ſei in dem Sinne in Allem, daß
Alles in ihm ift, und da jet erwielen ift, Gott fei mittelft des Univer—
jums in Allem, fo folgt, vaß Alles in Allem und Jegliches in
Jeglihem if. Das Univerfum geht nämlich als das Vollkommenſte
naturgemäß (ordine naturae) allen Dingen vorher, damit Jedes in Jedem
fein fann. Eo tft dus Univerfum in jedem Geſchöpfe diefes Gejchöpf,
und Jegliches nimmt Alles in fih auf, jo daß diefes in ihm concret eriftirt.
Da jedes Einzelne nicht in Wirklichkeit (actu) Alles fein fann, weil es
beichränft ift, fo fchränft ed Alles in fi ein, auf daß Alles dieſes Eins
jelne fei (cum quodlibet non possit esse actu omnia, cum sit contractum,
eontrahit omnia, ut sint ipsum). Iſt folglich Alles in Allem, fo ſcheint
Alles dem Einzelnen vorherzugehen. Alles ift ſomit nicht die Bielheit,
weil die Vielheit nicht dem Einzelnen vorhergeht. Alles ift daher ohne
Vielheit Jeglichem naturgemäß vorhergegangen. In Seglichem ift daher
nicht die Bielheit in Wirklichkeit (actu), fondern Alles ift ohne Vielheit
eben diefed Einzelne. Da nun das Univerfum coneret in den Dingen ift,
fo ift jedes wirklich (actu) eriftirende Wefen eine conerete Darftellung
des Univerfumd (contrabit universa), fo daß diefes in Wirklichkeit das
it, was jenes Weſen iſt. Jedes wirklich Eriftirende ift aber in Gott,
weil er die Wirklichkeit von Allem ift. Die Wirklichfeit (actu) ift Volls
endung und Ziel der Möglichkeit. Da nun das Univerfum in jedem
wirflih Griftirenden coneret erfcheint, fo folgt, daß Gott, der im Univerfum
ift, in Jeglichem fei und jedes wirklich Eriftirende unmittelbar in Gott
wie das Univerfum. Segliches ift in Jeglichem — heißt alfo jo viel als:
Gott iſt durch Alles in Allem, und Alles ift durch Alles
7)
46
in Gott. Einem tieferen Nachdenken find biefe fchwierigen Dinge ganz
Har, fowohl: daß Gott ohne Verfchiedenheit in Allem, weil Segliches in
Seglihem, ald auch, dag Alles in Gott ift, weil Alles in Allem if. Ein
Beilpiel. Bekanntlich ift die unendliche Linie — Linie, Dreied, Kreis
und Kugel. Jede endlihe Linie hat ihr Sein von der unendlichen, bie
alles das ift, was fie if. In der endlichen Linie ift daher Alles, was
fie ift, endliche Linie: Dreied, Kreis, Kugel. Jede Figur in der endlichen
Linie ift daher dieſe Linie; in ihr ift fein Dreieck, Kreid oder Kugel in
Wirklichkeit (actu), weil aus mehrerem Wirklichen (ex pluribus actu)
nicht Ein Wirkliches wird, da nicht jedes Ding auch actu in jedem ift,
“ fondern das Dreied in der Linie ift Linie, der Kreis in der Linie ift
Linie ꝛc. Alles am Stein ift Stein, an der Seele Seele, am Leben
Leben, am Gefichte Gefiht, an der Einbildung Einbildung, am Berftande
Verftand, an der Vernunft Vernunft, an Gott Gott. Und nun betrachte,
wie das Univerfum in Vielheit iſt und die Vielheit in Einheit. Erwäge
noch reifliher und du wirft einfehen, daß jeglihes wirklich eri-
ftirende Ding darin feine Ruhe findet, daß Alles in
ibm es felbftift, und es felbft in Gott — Bott. Wir be
merfen eine wunderbare Einheit, eine ftaunenswerthe Gleichheit und eine
unbegreiflibe Verbindung der Dinge, auf daß Alles in Allem fei. Die
Verſchiedenheit und Verbindung der Dinge entfteht auf folgende Weiſe:
da jeded Ding nicht in Wirklichkeit (actu) Alles fein konnte, weil es
fonft Gott wäre, und deßhalb Alles in Jedem auf die Art ift, wie es
nah Dem fein kann, was es ift, fo fonnte nicht jedes in Allem dem
andern Ähnlich fein. Deßhalb fhuf Gott Alles in verfhiedenen
Stufen, wie er denn auch jenes Sein, welches nicht zugleich unzerſtörlich
fein fonnte, durd das zeitliche Nacheinander ungerftörlih machte, auf daß
Alles das fei, was es ift, weil ed nun einmal nicht anders und befier
fein fonntee E8 bat daher Alles in Jedem feinen Rube
punft, weil feine Stufe ohne die andere fein fönnte, wie am Körper
jedes Glied dem andern dient und alle Glieder in allen ihr Genüge finden
(contentantur). Weil das Auge niht Hand und Fuß und alle anderen
Glieder in Wirklichkeit fein fann, fo begnügt es fih, Auge, der Fuß
begnügt fi, Fuß zu fein. Alle Glieder unterftügen fich gegenfeitig, auf
daß jedes auf die beftmöglichfte Weife das fei, was es iſt. Die Hand
ift nicht Hand, der Fuß nicht Fuß im Auge, fondern im Auge find fie
Auge, und jo ald Auge unmittelbar im Menſchen. Ebenfo find alle
Glieder im Fuße und als Fuß unmittelbar im Menſchen, fo daß jedes
Glied durd jedes unmittelbar im Menfchen und der Menſch oder dad
Ganze dur jedes Glied in jedem ift. Oder betrachteft du die Menſch⸗
heit als ein gewiſſes abjolutes, nicht zu vermengendes und einzufchränfended
47
Sein und dann den Menfchen, in welchem die abfolute Menichheit auf
abſolute Weiſe fich vorfindet, aus welcher die concrete Menfchheit — der
Menſch — herftammt, fo entipriht die abſolute Menfchheit Gott, die
oncrete dem Univerſum. Die abſolute Menſchheit ift im Menſchen nad
der Priorität, und in Folge deflen in jedem Gliede oder Theile. Die
conerete Menſchheit ift im Auge Auge, im Herzen Herz 2c., in jeglichen
jegliches concret. Auf dieſem Wege ergibt ſich die Aehnlichkeit zwoifchen
Gott und der Welt und die Veranſchaulichung alles deffen, was in den
zwei legten Kapiteln befprochen wurde, fammt mehreren Folgerungen daraus.
Schötes Kapitel.
Veber den Organismus (de complicatione) und die Stufen bed concreten
Univerfums.
Wir haben gefehen, daß das Univerfum oder die Welt Eines ſei,
aber eine Einheit in Vielheit. Iſt die abfolute Einheit die erfte, fo ift
die des Univerſums die zweite. Da mun die zweite Einheit (wie in dem
Bude über die Muthmaßungen gezeigt werben wird) die des
Zehners (denaria) ift und zehn Prävicamente in fich begreift, fo ents
faltet das Eine Univerfum die erfte abfolute Einheit
Inder concreten Form des Zehners (denaria contractione).
Im Zehner iſt Alles inbegriffen, weil es feine Zahl über ihn hinaus gibt.
Wie nun der Zehner die Wurzel ded Duadratd — Hundert — und des
Cubus — Taufend iſt, fo ift die Einheit des Univerjums die Wurzel,
aus der die quadratiſche Einheit ald die dritte und die cubijche als bie
vierte und Segte hervorgeht. So ergeben fih und drei univerfelle
Einheiten, die ftufenmäßig zum particularen Sein herabfteigen, in dem
fie concret werben, um actu dieſes felbft zu fein, Die erfte abfolute Ein-
heit umfaßt Alles in abjoluter, Die erfte concrete in concreter Weife; allein
die Ordnung bringt es mit ſich, daß die abfolute Einheit die erfte concrete
in ih zu faſſen feheint, um mittelft ihr alles Andere zu umfaffen. Die
erftie concrete Einheit fcheint die zweite conerete und mittelft ihr die dritte
zu umfaſſen, um mittelft ihr in das Gebiet des Particularen herab zu
fommen. So fehen wir, wie das Univerfum in jedem particularen Eein
in drei Stufen fich eoncentrirt (contrahitur). Das Univerfum ift demnach
die Gefammtheit von zehn höchſten Allgemeinheiten
(quasi decem generalissimorum universitas), auf welche die Gattungen,
dann die Arten folgen. Sie alle bilden, je nad ihren Stufen, die Unis
verfalien, welde gemäß der Ordnung der Natur (ordine quodam na-
tarae) flufenweife vor dem Dinge, das ihr concreier wir
48
licher Ausdruck iſt, eriffiren (ante rem, quae actu ipsa contrahit,
existunt). Da das Univerfum coneret ift und fomit nur in Gattungen,
diefe nur in den Arten beftehen, und da das Univerfum nur in den In—
dividuen zur Wirflichfeit gelangt, fo eriftiren nach dieſer Betrachtung
die Univerfalien nur in der concreten Wirklichkeit
(universalia non sunt nisi contracte actu). Im diefem Sinne fagen bie
PBeripatetifer mit Recht, die Univerfalien hätten außer den Dingen
feine Wirklichkeit, denn nur das Einzelnweſen, in welchem die Univerfalien
concret ed felbft find, hat Wirklichkeit. Indeſſen haben die Univerfalien
naturgemäß ein gewiſſes univerfelles Sein, das der fingulären Ausge—
ftaltung fähig ift (contrahibile per singulare), nicht als ob fie vor dieſem
Eoncretwerden in Wirflihfeit (actu) anders, als gemäß der natürlichen
Ordnung eriftirten, nämlich als ein der concreten Ausprägung fähiges
Univerfale, dad nicht in fich befteht, fondern nur in feiner Verwirklichung
(ut universale contrahibile, non in se subsistens, sed in eo, quod actu
est), wie Punkt, Linie, Oberfläche nad der Ordnung der Progreffton dem
Körper, in dem fie allein zur Wirklichkeit gelangen, vorhergehen. Wie
das Univerfum deßhalb, weil ed in Wirklichkeit nur coneret exiftirt, mod
feineöwegs ein bloßer Berftandesbegriff ift, fo find aud die Unis
verfalien nicht bloße Verftandesbegriffe, wenn fie gleid
außer dem Einzelnwefen in Wirklichkeit nicht exiftiren, gleichwie Linie und
Oberfläche, obfhon fie außer dem Körper nicht vorfommen, dennoch nicht
bloße Verftandesbegriffe (entia rationis) find, weil fie im Körper eben
jo find, wie die Univerfalien in den Einzelndingen. Der Verſtand gibt
ihnen jedoch durch Abftraction ein Sein außerhalb den Dingen, und dieſe
Abftraction iſt ein BVerftandesbegriff, da ihnen doc ein abfolutes Sein
nicht zufommen fann. Denn das völlig abfolute Univerfale
ift Gott. Wie aber das Univerfale in unferem Geifte ift, werden wir
im Bude von den Muthmaßungen ſehen, wiewohl es jchon aus
dem Gefagten erhellen kann, da fie im Geifte nur Geift und fomit auf
geiftige Weiſe coneret (intellectualiter contracte) eriftiren. Da das
Denken des Beiftes ein ) helleres und höheres Sein ift, fo erfaßt es bie
Univerfalien, wie fie coneret in ihm und im anderen Sein eriftiren (cujus
intelligere cum sit esse clarius et altius, apprehendit universalium
contractionem in se et in aliis), Der Hund und andere Thiere der
jelben Art find durch das in der Natur. liegende Gemeinfame der Art,
das im ihnen ſich findet, zu einer Art verbunden, und died wäre auch 0,
1) Daß dem intelligere Fein ebleres und höheres Sein zufommt, als dem
reinen Sein ober Leben, widerfireitet der ganz beflimmten Lehre Cuſa's. Daher ift in
ben Tertesworten : oujus (intellectus) intelligere cum non sit esse clarius et altius —
bad non unfeblbar zu ftreichen.
49
wenn auch nicht der Geift eines Plato dur Vergleihung des Achnlichen
ſich Artbegriffe bilden würde. Es folgt alfo das Erfennen bins
fihtlih feiner Thätigfeit dem Sein und Leben (sequi-
tur igitur intelligere, esse et vivere quoad operationem suam), weil
es durch feine Thätigfeit weder Eein, noch Leben, noch auch das Er—
kennen des Geiftes felbft jegen kann; hinfichtlid der erfannten Dinge da>
gegen folgt das Sein und Leben als Abbild dem Erkennen der Natur
(quo ad res intellectas sequitur esse et vivere intelligere naturae in
similitudine). Es find daher die Univerfalien, welde ſich der
Geiſt durch Bergleihung bildet, ein Abbild (similitudo)
der in den Dingen conceret eriftirenden Univerjalien.
Die Univerfalien eriftiren im Geifte bereit8 und zwar auf concrete Weife,
bevor diefer fich derfelben durch denfende Betrachtung der Außenwelt, was
feine Thätigkeit ift, bewußt wird. Denn er fann nichts erfennen, was
nit fon in ihm im concreter Weife — er felbft iſt. Erkennt er aljo
die Welt, jo bringt er mittelft finnbildliher Zeichen ein Bild der Welt,
das in ihm auf concrete Weiſe liegt, zum Bewußtjein und zur Entwids
lung Cintelligendo mundum quendam similitudinarium, qui est in ipso
contractus, notis et signis similitudinariis explicat).
Siebentes Kapitel.
Von der Dreieinigkeit des Univerfums.
Da die abfolute Einheit nothiwendig, zwar nicht conceret, wohl aber
abfolut dreieinig iſt (denn die abjolute Einheit ift nichts Anderes, als die
Dreieinigkeit, die im ihren inneren Beziehungen gleichſam intimer erfaßt
wird (quae quidem in quadam correlatione familiarius apprehenditur),
wie im erften Buche hinlänglich gezeigt ift, fo ift auch Die coneret
größte Einheit, als Einheit, gleichfalls dreieinig, nicht abjolut,
jo daß die Dreieinigfeit Einheit ift, fondern coneret, jo daß die Ein
beit nur in Dreiheit beftehbt, wie das Ganze in feinen
Theilen. In der Gottheit ift jede Perſon die Einheit jelbft, und weil
die Einheit Dreieinigfeit ift, jo ift eine Perjon nicht die andere. Im
Univerfum fann es nicht fo fein; deßhalb haben die drei @orrelationen,
die im Göttlihen Perſonen heißen, fein anderes wirflihes Sein, außer
in ihrer Einheit zumal (nisi in unitate simul), Man muß das
genau beachten, denn im Göttlichen ift die Vollfommenheit der Einheit,
die Dreieinigfeit ift, fo groß, daß der Vater wirflih (actu) Gott, der
Sohn wirflih Gott, der hl. Geift wirklich Gott ift, der N und hl.
Sharpff, Nie, v. Eufa.
50
Geift wirklich im Vater, der Sohn und Vater im hl. Geiſte, der Vater und
hl. Geift im Sohne ift. Im coneret Größten kann dies nicht fein, denn
die Beziehungen (correlationes) haben fein Beftehben aus
und durch fib, außer in ihrer Berbindung (correlationes non
sunt subsistentes per se, nisi copulate). Es fann daher nicht jede
das Univerfum fein, fondern nur alle zufammen. Es iſt nidyt eine in
Wirklichkeit in der andern, fondern fie find, fo gut es nur immer die
Natur des Eoncreten zuläßt, auf das Bollfoinmenfte gegenfeitig verbunden,
fo daß fih aus ihnen das Eine Univerfum geftaltet, das ohne diefe Dreis
fachheit nicht Eines fein könnte. Denn die Goncretheit kann nicht ohne
ein der Concretheit Fähiges (contrahibile), ein concret Machendes (con-
trahens) und eine Verbindung, die fih in der gemeinfamen Thätigfeit
der beiden Erftgenannten vollzieht, gedacht werden. Jene Fähigkeit be
zeichnet die Möglichkeit, die aus der zeugenden göttlichen Einheit
herabfteigt, die allem Sein vorhergeht. So geht im conereten Sein nichts
dem Sein» Können vorher. Denn wie follte etwas fein, wenn es nicht
fein könnte? Die Möglichkeit fteigt fomit von der ewigen Einheit herab.
Das concret Machende fteigt, da es die Möglichkeit begrängt, von
der Gleichheit der Einheit herab. Die Gleichheit der Einheit ift die Gleich»
heit des Seins. ein und Einheit find Wechſelbegriffe. Da nun das
conceret Macende die Möglichkeit gleichmacht, daß fie Diefes oder Jenes
jei, fo fagt man mit Recht, daß es aus der Gleichheit des Seins, welde
im Göttlihen das Wort ift, herabfteige. Und da dieſes Wort oder die
Vernunft und Idee oder auch die abjolute Nothwendigfeit der Dinge die
Möglichkeit durch das concret Machende nöthiget und bindet, jo haben
Einige das Concretmachende das bildende Princip der Welt oder die
Weltfeele genannt, die Möglichkeit — die Materie, Andere das Fatum
der Subſtanz (fatum in substantia), wieder Andere, wie die Platonifer,
das Alles umfcließende Band (necessitatem complexionis), weil e8 von
der abjoluten Nothwendigfeit herabfteigt, fo daß es eine Art conereter
Nothwendigkeit ift, ein concretes bildendes Princip, in dem alle andern
Bildungsprincipien als in ihrem Urbilde enthalten find, wovon fpäter die
Rede fein wird. Endlich gibt e8 eine Verbindung des coneret
Machenden und des der Concretheit Fähigen oder der
Materie und Form, oder der Möglichfeit und Nothwendigfeit, die ſich durch
einen gewiſſen Geift der Liebe, der durd feine Bewegung jene Bereinis
gung bewirkt, vollzieht. Es ift Har, daß diefe Verbindung von dem Hl.
Geiſte, der die unendlihe Verbindung ift, herabfteige.
Es ergeben fih fonah vier allgemeine Modalitäten des
Seins: jene Modalität des Seins, welde die abjolute Nothwendigfeit
— Gott iftz in diefer Weife des Seins ift Alles in Gott — die abs
51
polute Nothwenbigkeit. Die zweite Art des Seins ift jene, vermöge welcher
die Dinge in dem Alles umfhlingenden Bande find, wo die an fid
wahren Bilder der Dinge find, wie in unferm Geifte (ob das wirk-
ih jo fei, werden wir unten fehen). Die dritte Weife des Seins ift
die der determinirten Möglichkeit, in Wirklichkeit Dies oder Jenes zu fein.
Die legte Weife ift die der reinen Möglichkeit — wie die Dinge fein
Üinnen. Die legten drei Weifen des Seins bilden im Univerfum Eine
univerjelle Art des Seins, jedoch nicht fo, ald wäre ed aus jenen drei
Velfen wie aus Theilen zufammengefept, fondern aus befondern Weifen
des Seins, wie 3. B. eine Rofe, die an einem Rofenftode im Winter
der Potenz nah, im Sommer in der Wirklichkeit fich befindet, aus der
einen Ecinsweife der Möglichkeit in die andere der Determination durd)
die Wirflichkeit übergegangen iſt.
Achtes Kapitel,
Don der Möglichfeit oder der Materie des Univerfums,.
Um nun, wenn aud nur in Kürze das vorzuführen, was unferer
Unwiffenheit zur Belehrung dienen fann, wollen wir die genannten drei
Weiſen des Seins etwas weiter erörtern und dabei mit der Möglich—
feit beginnen.
Die Alten haben fi viel mit ihr befchäftigt; ihre übereinftimmende
Lchre war: aus Nichts wird Nichts, weßhalb fie eine gewiſſe abfolute
Möglichkeit, Alles. zu fein, ald ewig annehmen, in der fie fich Alles ver
Möglichkeit nah enthalten dachten. Den Begriff diefer Materie oder
Möglichkeit haben fie durch eine verkehrte Denkoperation, wie man fie fonft
nur bei der Ermittlung der abfoluten Nothwendigfeit anwendet, geſucht;
af dem Wege des Hinwegnehmend der Form der Körperlichfeit vom
Körper meinten fie den Körper fich nichtförperlich denken zu können. Bei
diefer Unmifjenheit konnten fie das Wefen der Materie nicht erfaflen;
denn wie läßt fih ein Körper ohne Form an einem Körper denfen? Sie
fagten dann weiter, die Möglichkeit gehe jedem Dinge der Natur nad)
vorher, fo daß man nie in Wahrheit fagen Fonnte: Gott ift, ohne daß
man nicht auch in Wahrheit fagen mußte: die abfolute Möglichkeit ift.
Doch nahmen fie diefelbe nicht gleihewig mit Gott, weil fie, die nicht
Etwas und nicht Nichts, nicht Eine und nicht Mehrere, nicht Diefes und
nicht Jenes ift, von Gott iſt; fie faßten fie, als die Möglichkeit zu Allem,
die nichts von Allem wirflich iſt. Da fie aller Geftalt entbehrt, nannten
die Platoniker fie den Mangel (carentiam). Weil fie Mangel hat,
will fie (quia caret, appetit); fie ift daher die Willfährige (aptitudo),
4°
52
die der ihr gebietenden, d. i. fie zum wirfliben Sein führenden Noth—
wendigfeit gehorct, wie dad Wachs dem Künftler, der etwas aus dems
jelben machen will. Die Formlofigfeit (informitas) geht aus dem Mangel
und der MWillfährigfeit hervor, und fft deren Verbindung, fo daß die ab»
folute Möglichkeit gleichſam eine dreifache, ohne Zufammenfegung, ift; denn
Mangel, Wilfährigfeit und Formloſigkeit können nicht ihre Theile fein,
fonft würde ver abfoluten Möglichfeit etwas vorhergehen, was unmöglic
if. Es find daher Modalitäten (modi), ohne welde die abjolute Mögr
lichkeit al8 foldhe nicht wäre. Der Mangel ift zufällig (contingenter) in
der Möglichkeit: weil fie die Form nicht hat, die fie haben fann, heißt
fie Mangel. Die Formlofigkeit ift gleichfam die Form der Möglichkeit,
die nah den Platonikern gleihjam die Materie der Formen iſt. Denn
indem fich die Weltſeele mit der Möglichkeit verbindet, wird jene forms
(oje Vegetation (vegetabilitas) in die wirflih vegetative Seele gebradt,
in Folge der Bewegung, die von der Weltjeele ausgeht und der Bewer
gungsfähigfeit der Möglichkeit oder Vegetation. Sie Ichrten daher aud,
die Formlofigfeit fei die Materie der Formen, die dann durd Sinn, Ber:
ftand und Vernunft zur Wirklichkeit geftaltet wird. Daher nannte Homer
die vAn den Stoff für Körper (nutricem corporum), die Formloſigkeit aber
den Stoff für die Seelen. iner der Unfrigen fagte, das Chaos fei der
Melt naturgemäß vorhergegangen, als Möglichfeit der Dinge, im Chaos
fei der formlofe Geift geweien, in dem alle Seelen der Möglichkeit nad
find. Die Stoifer jagten daher, alle Formen feien in der Möglichkeit
wirflih (actu), allein verborgen, es dürfe nur die fie verdedende Hülle
hinweggenommen werden, damit fie hervortreten (et per‘) sublationem
tegumenti apparere), wie wenn ein Löffel aus Holz nur durd Hinweg—
nehmen (von Holztheilen) entftünde. Nach den Beripatetifern aber find
die Formen nur der Möglichkeit nah in der Materie, und werden durd
eine bildende Kraft hervorgebradit (per eflicientem educi dicebant).
Dffenbar ift ed das Richtige, daß die Formen nicht aus der Möglidıs
feit entitehen, jondern aus einer bildenden Kraft. Denn wer vom Hole
Theile hinwegnimmt, um aus dem Hole eine Statue zu maden, der
gibt ihm Form (addit de forma); das iſt far. Denn wenn man aus
Stein feinen Kaften machen fann, fo liegt der Fehler in der Materie;
fann aber ein Anderer ald der Künftler nicht aus Holz einen Kaften her
ftellen, jo liegt der Fehler im Verfertiger. Es ift aljo Materie und
eine wirkende Kraft erforderlid. In einem gewiflen Sinne find daher
die Formen der Möglichkeit nach in der Materie, die, wie es dem Bilpner
convenirt, in Wirklichfeit gefegt werden. So ift num nach den Peripa—
1) Diefed per fehlt im Texte, gehört aber nothiwendig hierher, um den Sinn her
zuftellen. Gine Parallele ift gleich die folgende Zeile: fit per ablationem partium.
53
tetifern in der abfoluten Möglichkeit Die Gefammtheit der Dinge der Mög—
fihfeit nad, die abjolute Möglichkeit ift unbegrenzt und unendlich, wegen
des Mangeld an Form und der Gefügigfeit zu Allem. Diefe Unendlichfeit
ift das Gegentheil der Unendlichkeit Gottes; jene entfteht aus Mangel,
diefe aus Weberfluß, weil Alles in ibm er felbft in Mirflichkeit if. So
ift die Unendlichkeit der Materie privativ, die Gottes negativ.
Das find die Süße Derer, die über die abfolute Möglichfeit ſich
ausgefprocdhen haben.
Wir finden durch unfere Wiffenfhaft des Nihtwiffens, daß eine
abjolute Möglichkeit unmöglich ift. Denn da unter den möglichen
Dingen nichtd weniger fein fann, als die abfolute Möglichkeit, die auf das
Allernächſte an dad Nichtfein grenzt, auch nach der Anficht mehrerer Autoren,
jo füme man auf ein Kleinftes und fomit auch auf ein Größtes in dem,
was ein Mehr oder Weniger zuläßt, was unmöglich if. Daher ift die
abfolute Möglichkeit nur in Gott und Gott felbft; außer ihm
ift fie nicht möglich, denn es gibt nichts, das in abfoluter Potenz wäre,
da Alles außer Gott nothwendig befchränft (contracta) if. Wenn fi
auch in der Welt verfchiedene Dinge finden, von denen aus dem einen
mehr entftehen fann, als aus dem andern, fo fommt man doch zu feinem
abfolut Größten oder Kleinften, fondern gerade aus ihrem Vorhandenſein
folgt, daß es feine abfolute Möglichkeit gebe. Jede Möglichkeit ift alfo
beihränft, ihre Befchränfung ift die Wirklichkeit. Es gibt folglich Feine
reine Möglichkeit, die ganz unbefchränft wäre durd was immer für eine
Wirklichkeit. Auch die Gefügigkeit (aptitudo) der Möglichkeit kann nicht
unendlib und abfolut fein, frei von jeder Beichränfung. Denn ins
dem Gott die unendliche Wirklichkeit (actus) ift, ift er die Urſache dieſer
Wirklichkeit, die Möglichkeit des Seins ift zufällig (est contingenter).
It nun die Möglichkeit abfolut, zu was bildet fie dann das Zufällige
(eui contingit)?‘) Das Zufällige fommt aber der Möglichkeit ſchon
deßhalb zu, weil?) das Sein aus dem Erften nicht die vollftändig und
ſchlechthin abfolute Wirklichkeit fein fann. Die Wirflichfeitwirb daher
gleihfalls durch die Möglichkeit befhränft, fo daß fie nie abfolut,
iondern in Potenz, und die Potenz nie abfolut, fondern durd die Wirk:
lichleit befchränft if. Es gibt übrigens Unterſchiede und Stufen: Eines
if mehr im Wirklichkeit, ein Anderes mehr in Potenz, ohne daß man jedoch
je auf ein fchlechthin Größtes und Kleinftes fommt, weil die größte und
— —
1) Im Texte ſteht nach: cui contingit Doppelpunkt, als wäre cui contingit
ein Relativfag zu possibilitas est absoluta. Es muß aber diefer Sap als Bragefag ge:
nommen werben, worauf fchon der Umftand führt, daß fonft der Satz: si igitur possi-
bilitas est absoluta feinen Nachſatz hat.
2) Statt per hoc, quo bed Terted muß fliehen: per hoc, qu.od.
94
Eleinfte Wirklichkeit mit der größten und kleinſten Potenz coincidirt und
das abjolut Größte ift, wie im erften Buche gezeigt if. Berner: wäre
die Möglichfeit der Dinge niht befhränft, fo gäbe es
feinen vernünftigen Orund der Dinge (non posset ratio
rerum haberi), fondern Alles wäre durch Zufall, wie Epikur
fälſchlich lehrte. Denn daß diefe Welt nah vernünftigem Grunde (ra-
tionabiliter) aus der Möglichkeit hervorging, erfolgte nothwendig deßhalb,
weil die Möglichkeit nur die Gefügigfeit hatte, gerade nur diefe Welt zu
jein. Die Gefügigfeit der Möglichkeit war aljo bejchränft, nicht abfolut.
Died gilt von Erde, Somme und den übrigen Gejhöpfen. Wären fie
nicht in einer gewiſſen befchränften Möglichkeit in der Materie verborgen
geweſen, fo wäre fein größerer Grund für ihr Hervortreten in die Wirk
lichkeit, als für das Gegentheil vorhanden geweien. Wenn daher gleich
Gott unendlich ijt und demgemäß eine unendlihe Welt hätte erfchaffen
fönnen, fo konnte doch die Welt, weil die Möglicyfeit nothwendig beichränft
und nicht abjolut, auch die Gefügigfeit der Materie feine unendliche war,
hinfichtlich der Möglichkeit ihres Seins nicht in Wirklichkeit (actu) unendlic,
oder größer oder anders fein, ald fie ift. Die Beichränfung der Mög-
lichfeit ift die Wirklichkeit, Ddiefe aber ftammt aus der abfolut größten
Wirklichkeit. Da demnah die Beihränfung der Möglichkeit aus Gott
fommt und die Bejchränfung der Wirklichkeit aus dem Zufall, fo ift Die
mit Nothwendigfeit bejchränfte Welt durch Zufall endlic.
(Quare cum contractio possibilitatis sit ex Deo, et contractio actus ex
contingenti, hine mundus necessario contractus ex contingenti finitus est.)
Aus dem Begriffe der Möglichkeit jehen wir alfo, daß das concret
Größte aus der nothwendig befchränften Möglichkeit entitanden ift, eine
Beichränfung, die nicht zufällig ift,. weil fte durch die Wirklichkeit erfolgt.
So hat denn das Univerfum eine vernünftige und nothwendige Urfache
feiner Goncretheit, fo daß die Welt, die nur ein befchränftes Sein hat,
nicht zufällig aus Gott ift, dem abjolut Größten. Das ift ganz befonders
in's Auge zu fallen. Da alfo Gott die abfolute Möglichkeit ift, fo ift
die Welt, wenn wir fie ald in der abjoluten Möglichfeit feiend betrachten,
in Gott und die Ewigkeit felbftz betrachten wir fie ald bejchränfte Mög:
lichkeit, jo geht die Möglichkeit nur der Natur nad der Welt vorher, und
dieſe befchräntte Möglichkeit ift nicht die Ewigfeit, noch gleihewig mit
Gott, ſondern ein Abfall von ihr (cadens ab ipsa) und wie Endliches
und Abfolutes in unendlibem Abitande,
Auf diefe Weiſe müffen die Anfichten über die Möglichkeit oder Ma—
terie mach den Principien der Wiſſenſchaft des Nichtwiſſens ihre Berich-
tigung erhalten.
59
Wie die Möglichkeit ſtufenweiſe zur Wirklichkeit vorfchreite, wollen
wir und im Buche über die Muthmaßungen zu erörtern vorbehalten.
Nenntes Kapitel.
Leber die Seele oder das belebende Mrincip des Univerſums.
Alle Philofophen ftimmen darin überein, daß das Seinfönnen nur
durh das wirflice Sein zur Wirklichkeit gebracht werden kann, weil nichts
ch jelbft in Wirklichkeit fegen kann, weil es fonft die Urfache feiner ſelbſt
und jomit da wäre, bevor es ift. Man fagte daher, was die Möglichkeit
in Wirklichkeit ſetzt, handle nad Abficht (ex intentione), fo daß die Mög:
lichkeit aus vernünftiger Anordnung, nicht durch Zufall zur Wirklichkeit
gelangt. Diefe Wirfungsweije nannte man theil® Geift (mentem), theils
Bernunft (intelligentiam), theild Weltjeele, theild Fatum der Subftanz,
tbeild, wie die Platoniker, das umfcließende Band (necessitatem com-
plexionis). Diefe glaubten nämlih, die Möglichkeit werde mit Noths
wendigfeit durch fich felbft determinirt, fo daß fie jegt in Wirklichkeit ift,
was fie vorher jein fonnte. In jenem Geifte liegen nah den Plato—
nifern die Formen der Dinge. geiftig ebenjo, wie in der Materie der
Möglichkeit nad. Das Alles umſchließende Band, das in fih das
Urdild der Formen hat, bewegt der natürlichen Ordnung gemäß den
Himmel, jo daß mittelft der Bewegung ald des Werkzeugs die Mög—
lihfeit zu einer dem geiftigen Urbilde möglichſt entiprechenden Wirklichkeit
gelangt. Mittelft dieſer Operation des Geiftes werbe durch die Bewegung
die in die Materie gelegte Form ein, wenn auch nicht wahres, jo doch
der Wahrheit nahe fommendes Abbild der idealen Form des Geiftes.
Demnach find nah den Platonifern in der Weltjeele die Ideen (veras
formas) der Dinge, zwar nicht der Zeit, wohl aber der Natur nach vorher,
als fie in den Dingen find. Die Peripatetifer geben dies nicht zu,
indem fie behaupten, die Ideen (formas) hätten fein anderes Sein, außer
in der Materie und durd Abftraftion, die den Dingen folgt, im Geifte.
Die Blatonifer nehmen eine Mehrheit folder unter fih verſchiedenen
Feen, die aus der Einen unendlihen Vernunft ftammen, an, in welder
fie alle Eines fein. Doch ließen fie diefe Ideen nicht aus der Einen
Vernunft geſchaffen werden, ſondern jo herabfteigen, daß fie in der Welts
feele die Entfaltung des göttlichen Geiſtes erblidten, und was in Gott
Eine Uridee ift, in der MWeltieele mehrere und verſchiedene Ideen find.
Sie fügten bei, Gott gehe naturgemäß dem umſchließenden Bande der
Nothwendigfeit vorher, wie die Weltfeele der Bewegung und dieſe der
jeitlihen Entfaltung der Dinge. Diefe zeitliche Entwidlung folgt dem
56
Naturgefege, das in der Weltjeele Liegt, und heißt fubftantielles Fatum,
die zeitliche Entfaltung deöfelben tft das gewöhnlich fogenannte Fatum.
So ift, was wir die geiftige Welt nennen, die Art und Weile des
Seins in der Weltfeele. Das Sein in der Wirklichkeit, wo die Mög-
lichkeit, dur die Wirklichkeit determinirt, die Entwidlung bervorbringt, if
die Sinnenwelt. Die Ideen, wie fie im materiellen Sein liegen, find
nach ihnen von denen, die in der MWeltfeele find, nur in der Seinsweiſe
verſchieden; in diefer wahr und an fich, in der Materie dem Wahren
ſich nähernd (verisimiliter), nicht in ihrer Reinheit, ſondern verbunfelt.
Die Wahrheit der Ideen erweife nur die Vernunft (intellectum); Ber
ftand, Einbildung und Sinne erfaffen nur die Abbilder oder die Ver:
mifchung der Ideen mit der Möglichkeit, weßhalb fie auch nicht die Wahr—
heit, fjondern nur ein Meinen erzielen (non vere attingitur quidquam,
sed opinative). Bon der Weltfeele geht nah den Platonifern ale Br
wegung aus, denn fie ift ganz im Ganzen und in jedem Theile der Welt,
obwohl fie nicht diefelbe Thätigkeit in allen Theilen entfaltet, wie aus
die Seele im Menſchen in den Haaren und im Herzen nicht die gleice
Wirkſamkeit zeigt, obgleich fie ganz im ganzen Menſchen und in jedem
Theile ift. In der Weltjeele find alle Seelen, in und außer den Körpern,
enthalten, weil fie da8 ganze Univerfum durchdringt, nicht theilweife, da
fie untheilbar und einfach ift. Sie iſt ganz in der Erde, wo fie die Erbe
zufammenbält, gang im Stein, wo fie das Fefte der Theile bewirkt, ganz
im Waffer, in den Bäumen ıc. Sie ift die erfte Freisförmige Entfaltung
des göttlichen Geiftes, der das Centrum bildet, die natürliche Entfaltung
der zeitlihen Dronung der Dinge. Wegen der in Ihr liegenden Unter
fheidung und Ordnung nannten fie diefelbe auch die fih bewegende Zahl;
fie beftehe, wie Diele, aus Gleihem und Verſchiedenem, und unterfcheide
fi) auch nur durch die Zahl von der Seele des Menſchen. Mas bie
Seele für den Menfchen, ift fie für das Univerfum. Alle Seelen fommen
von ihr und löſen ſich fchließfich, wenn nicht Mißverdienfte ein Hindernif
bilden, in fie wieder auf.
Viele Ehriften haben ſich diefer Anficht der Platoniker angefchloffen,
und zwar hauptlächlih aus dem Grunde: da das MWefen des Steines ein
anderes, ald das des Menfchen tft, und in Gott Feine Verſchiedenheit
und fein Andersfein ftattfindet, fo bielten fie es für eine logifhe Noth—
wendigfeit, daß die verfhiedenen Ideen, nach welhen die Dinge verfchieben
find, nah Gott und vor den Dingen feien (denn das Rationelle einer
Sache geht ihr vorher). Diefe Sonderung fanden fie befriedigt in dem
Begriffe des die Welt regierenden Geiſtes (intelligentia rectrice orbium).
Diefe unterfchiedenen Ideen find die ungerftörlicen Begriffe der Dinge
in der Weltjecle, ja, diefe ſelbſt faßten fie ald den Gefammtbegriff aller
57
Begriffe; alle Begriffe haben in ihr ihr fubftantielled Sein, wiewohl das
ſchwer zu verftehen fei. Sie führen felbft die Autorität der heiligen
Schrift zur Begründung an. Wenn Gott ſprach: es werde Licht! und
ed ward Licht, wie hätte er fagen können: Es werde Licht! wenn bie
Wahrheit (Idee) des Lichtes nicht naturgemäß vorher dagewefen wäre?
Und nachdem zeitlich das Licht in Wirklichkeit umgefeßt war, warum wurde
es gerade Licht und nicht anders genannt, wenn die Idee des Lichts nicht
vorher da war? Vieles Aehnliche wird zur Beftätigung angeführt.
Die Peripatetifer geben zwar zu, das Werf der Natur fei ein
Werk der Intelligenz, läugnen jedoh das Dafein der Ideen. Wenn fie
nicht unter der Intelligenz Gott verftehen, fo find fie fiber im Irrthume.
Denn wenn fein Wiffen der Dinge und der Intelligenz ift, wie fann fie
tenn, was doch Vorausfegung ift, die Dinge bewegen? Hat fie aber
eine Kenntniß der zeitlich zu entwidelnden Dinge, was das Wernünftige
in der Bewegung (ratio motus) ift, fo kann diefe von den Dingen, die
ja zeitlih noch nicht eriftiren, nicht abftrahirt fein. Gibt es alfo ein
Wiffen ohne Abſtraction, fo ift es fiher dasjenige, von dem die Plato—
nfer reden, das nicht den Dingen entnommen ift, fondern nach dem
die Dinge gebildet find (res secundum eam). Daher waren nad den
Platonifern die Ideen der Dinge nicht etwas Gefondertes, verſchieden von
der Intelligenz felbft, fondern fie bildeten, obwohl unter fi geſchieden,
Eine einfache Intelligenz, die alles Vernünftige in fih begreift. So ift
war die Idee des Menſchen nicht die des Steins, gleihwohl hat die
Menſchheit, von der der Menſch der concrete Ausdrud ift, fein anderes
Sein als in der Intelligenz, in ihr geiftig, in der Mirflichfeit reel. Es
gibt micht eine andere (ideale) Menfchheit des Plato und eine andere
in der Realität, fondern diefelbe Menſchheit Plato’s ift in verſchiedenen
Seinsweiſen, vorber in der Intelligenz, dann in der Wirklichkeit, was
jedoch nicht als ein Vorher der Zeit zu denfen ift, fondern fo wie der ra—
tionelle Grund (ratio) einer Sahe ihr naturgemäß vorhergeht. Sehr
Iharffinnig und philoſophiſch find hierin die Platonifer, und Ariftoteles
bat fie vielleicht nicht ganz philoſophiſch hierin getadelt, indem er mehr
an der Schale der Worte hängen blieb, als in den Kern der Sache
eindrang.
Wo die Wahrheit liege, wollen wir num durd die Wiſſenſchaft des
Nichtwiſſens ermitteln.
Es ift bewiefen, daß man auf fein einfach Größtes fommt, daß es
daher feine abfolute Möglichkeit und feine abjolute Idee (formam) oder
Wirklichkeit (actum) gebe, die nicht Gott ift, daß jedes Ding beichränft
it und es nur Eine Idee aller Ideen (forma formarum) und Ein Urbilv
(veritas veritatum) gebe, und die abfolute Idee des Kreifed und Vierecks
58
bie gleiche ift. Die Ideen der Dinge find daher nicht unterfchieden, außer
fofern fie coneret (contractae) erſcheinen; im ihrer Abfolutheit find fie
Eine ununterſchiedene Idee — das Wort Gottes. Die Weltfeele hat
daher fein anderes Sein, ald ein mögliches, durch welches fie beſchränkt
wird, und der Geift ift nicht getrennt, nicht trennbar von den Dingen
(mens non est separata a rebus aut separabilis). Denn betrachten wir
den Geift in feiner gänzlihen Getrenntheit von der Möglichkeit, fo if
died der göttliche Geift, der allein ganz und gar Wirklichkeit ift. Es kann
fomit nicht mehrere gefonderte Ideen geben, denn jede wäre in Bezug auf
ihre Abbilder das Größte und Wahrfte. Nun fann es aber nicht mehrere
Größte geben. Ein unendliches Urbild ift nothwendig und hinreichend,
in dem Alles geordnet enthalten ift, das allen rationellen Grund aud für
die verjchiedenften Dinge auf das Adäquateſte im fich begreift. Wenn wir
die große Verjchiedenheit der Dinge betrachten, jo ftaunen wir darüber, wie
Eine einfachfte Idee von allen auch der Grund der Differenz der Einzelndinge
fein joll. Nach ven Principien unferes Eyftemd muß dies jo fein, weil fie
alle Verſchiedenheit ald Identität in Gott nahweilen. Da wir erkennen,
daß in Gott die Verſchiedenheit der rationellen Gründe aller Dinge auf
das Wahrſte eriftirt, fo erfennen wir eben darin, daß dies das Wahrſte
ift, den Einen wahren rationellen Grund aller Dinge, und dies ift die
höchſte Wahrheit felbft. Sagt man, Gott habe nach einer andern Idee
(alia ratione) den Menfhen, nad einer andern den Stein erfhaffen, fo
ift died wahr in Hinfiht auf die Geſchöpfe, nicht auf den Schöpfer,
wie wir an den Zahlen fehen. Der Ternar ift ein Einfachſtes (ratio
simplicissima), das weder ein Mehr noch ein Weniger zuläßt, in fich
einig; gang anderd aber wird er in Bezug auf die Dinge, Anders ift
der Ternar der Dreiede, anderd der von Materie, Form und Zufammeis
fegung in der Subftanz, anders der von Vater, Mutter, Sohn, anders
der von drei Menſchen und drei Eſeln. Das Alles mit Nothwendigfeit
umfcließende Band ift daher nicht, wie die Blatonifer wollten, ein Geift,
geringer als der ihn zeugende, ſondern der dem Vater in der Gottheit gleiche
Sohn; er heißt Aoyog oder Vernunft (ratio), weil er die Bernunft (ver
rationelle Grund) von Allem if. Es heißt daher auch nichts, was die
PBlatonifer von den Bildern der Formen (Ideen — de imaginationibus
formarum) gejagt haben; fondern ed gibt nur Eine unendlide Idee (forma
formarum), von der alle Ideen Abbilder find, wie wir oben gezeigt haben,
Man muß died genau ind Auge fallen, Die Weltjeele ift zwar als cine
Art univerfeller Form, die alle Formen in ich faßt, zu betrachten; allein
fie eriftirt in Wirklichkeit nur bejchränft und ift in jedem Dinge die con:
erete Form ded Dinged (forma contracta rei), wie in der Lehre vom
Univerjum gezeigt wurde. Gott ift alfo die hervorbringende, ges
59
faltende und zum Ziel führende Urſache von Allem, der in
dem Einen Worte Alles noch fo Verfhiedene hervorbringt,
und es gibt fein Geſchöpf, das nicht durch Verendlihung weniger wäre
(quae non sit ex contractione diminuta), in unendlihem Abfall von jenem
göttlihen Wirken; denn nur Gott ift abjolut, alles Andere ift
beihränft (solus Deus absolutus, omnia alia contracta). Es gibt aud
fein Mittelding zwifchen dem Abfoluten und Beichränften, wie fih Die
einbildeten, die die Weltfeele fi als einen Geift dachten, der nadı Gott
und vor der Verendlihung der Welt wäre. Nur Gott ift die Seele
und der Geift der Welt, fofern man die Seele ald etwas Abfolutes
denkt, in dem alle Formen der Dinge in Wirklichkeit find.
Die Philoſophen waren über das Wort Gotted und das
abjolut Größte nit vollftändig unterrichtet, daher faßten fie
Gift, Seele und Nothwendigkeit in einer gewiſſen Entwicklung dieſer
Nothwendigkeit abfolut, nicht befchränft auf. Die Ideen im Worte find
in Wirklichkeit das Wort felbft, in allen Dingen find fie bejchränft. Die
Peen, die in der erfchaffenen geiftigen Natur liegen, find zwar gemäß
der geiftigen Natur gewiffermaßen mehr abjolut, jedoch nicht ohne Ber
ibränfung, weil fie einem Geiſte angehören, deſſen Thätigfeit, wie Aris
ftotele8 fagt, ein Erfennen durch abftrahirte Achnlichkeit ift (per simi-
litudinem abstractivam). Hierüber Einiges im Bude von den Muth—
maßungen. Das über die Weltſeele Gejagte mag genügen.
Zehntes Kapitel.
Nom Geifte des Univerſums.
Einige betrachten die Bewegung, welche die Verbindung der Form
und Materie bewirft, ald eine Kraft (spiritum), die die Vermittlung
zwiſchen Form und Materie vollzieht und dachten fich viefelbe über den
freien Himmelsraum, die Planeten und die irdiihe Welt verbreitet. Sie
nannten fie argonos, gleihjam das Bewegungslofe, weil fie glaubten,
der Eine Himmeldraum habe eine einfache Bewegung von Oft nad Weft;
ſodann And, das ift: Umprehung, weil ſich die Plancten dur) Umdrehung
gegen den Himmeldraum von Weft nad Dft bewegen; endlich Aryeoıs,
d. i. Zufall (sors), weil der Zufall die Welt regiert. Die Bewegung
der Planeten ift die Entfaltung ver erften Bewegung und die Bewegung
Im Zeitlihen iſt die Entfaltung der Planetenbewegung. In den irdischen
Dingen find einige Urjahen von gewiffen Folgen verborgen, wie die Saat
im Samen enthalten ift; daher fagten die Alten, was in der Weltfeele
wie zu einem Knäuel eingewidelt fei, werde durch die Bewegung ent-
60
widelt und entfaltet. Die Philofophen gingen nämlich davon aus: wie
ein Künftler, der eine Statue in Stein aushauen will, die Form derſelben
als Idee in fih hat, und dann mittelft einiger Inftrumente die Korm der
Statue nad feinem idealen Bilde abbilplich darftellt, fo trage die Welt-
jeele die Ideen der Dinge in fih und bringe fie mittelft der Bewegung
in der Materie zur Wirklichkeit; diefe Bewegung erftrede fih über Alles;
daß ein Ding in Wirklichkeit gerade dieſes Ding fei, werde durch biefe
Bewegung beftimmt. Dieſe verbindende Kraft (spiritum connexionis)
gehe aus Beidem: der Möglichkeit und der Weltfeele hervor. Denn da
die Materie dur ihre Gefügigfeit ein gewiſſes Berlangen nad der Form
hat, diefe aber nad der Wirklichkeit ftrebt, jedoch nicht abfolut beftehen
fann, da fte fein eigenes Sein bat und auch nicht Gott ift, jo fenkt fie
fih in die Möglichkeit (Materie) herab, um beſchränkt in ihr zu fein, und
wirft begrenzgend, vollendend und beftimmend. Aus dieſer gegenfeitigen
Durchdringung entfteht die beide verbindende Bewegung. Diefe bewegende
Kraft geht durch das ganze Univerfum und alle feine Theile und heißt
Natur, Die Natur ift demnach der Inbegriff (complicatio) von Allem,
was durh Bewegung entfteht. Wie nun diefe Bewegung aus dem All-
gemeinen herab ſich fpecialifire (quomodo ab universali contrahitur us-
que in particulare), mit Beibehaltung der ftufenmäßigen Drönung, mag
aus folgendem Beifpiele erhellen. Wenn ich fage: Gott ift, fo ‚geben
diefe Worte aus einer gewiffen Bewegung hervor, in einer beftimmten
Ordnung, fo daß ich zuerft die Buchftaben, dann die Sylben, dann bie
Worte, zulegt den ganzen Sag ausſpreche, obwohl das Gehör diefe Ord-
nung nicht unterfcheidet. So fteigt die Bewegung aus dem Allgemeinen
In dad Particulare herab, und erlangt bier zeitlich oder natürlich eine
concrete Geftalt. Diefe Bewegung, diefe Kraft (spiritus) fommt von
dem heiligen Geifte (descendit a sp. s.), der durch die. Bewegung felbft Alles
bewegt. Wie in dem Nedenden ein gewiſſer Geift ift, der beim Reden
von ihm ausgeht und in der oben angegebenen Weile ſich concret auss
geftaltet, fo geht von Gott, der ein Geift ift, alle Bewegung aus, Denn
alfo fprict die Wahrheit: „Nicht ihr feid ed, die da reden, jondern der
Geiſt eured Waterd redet in euch.“ Dies gilt au von allen andern
Bewegungen und Thätigkeiten. Diefer Geift nun (die Bewegung im Unis
verfum) ift ein erfhaffener Beift, ohne den nichts eine Einheit ift
und beftehen kann; die ganze Welt und Alles in ihr ift durch diefen Geift,
der den Erdkreis erfüllt, in der naturgemäßen Verbindung; die Möglichkeit
tft durch feine Vermittlung Wirklichkeit und die Wirklichkeit ebendadurch
in der Möglichkeit. Es ift dies die Bewegung, die Alles zur
liebenden Bereinigung und Einheit führt, fo daß Alles Ein
Univerfum bildet. Während Jedes feine befondere Bewegung hat,
61
um auf die befte MWeife das zu fein, was es ift, und Kleines fih ganz
gleich wie das Andere bewegt, fo nimmt dod Jedes an der Bewegung
eines Jeden im feiner Weife, mittelbar oder unmittelbar Antheil (wie die
Elemente an der Bewegung ded Himmeld und alle Glieder au der Bes
wegung ded Herzens), auf daß es Ein Univerfum fei. Durch diefe' Be-
wegung eriftiren alle Dinge auf die beftmöglichfte Weife, fie erhalten fich
in ih und in ihrer Art dur die natürliche Verbindung der verfchiedenen
Geſchlechter, ) die durch natürliche Bewegung geeint, wenn auch indivi—
duell gefondert find. Keine Bewegung fann aber die abfolut
größte fein, weil diefe mit der Ruhe coincidirt. Keine Bewegung ift
daher abjolut, denn die abfolute Bewegung ift Rube, ift Gott, der alle
Bewegung in fih begreift. Wie demnach alle Möglichkeit in der abſo—
Iuten ruht, welche der ewige Gott ift, jede Form und MWirflichfeit in der
abfoluten Form, die das Wort, der Sohn des Vaters ift, fo ruht alle
wrbindende Bewegung, alle einigende Proportion und Harmonie in der
abjoluten Verbindung aus dem heiligen Geiite, auf daß Ein Princip von
Mlem ift — Gott, in dem und dur den Alles ift, in einer gewiſſen
dreifaltigen Einheit, die ihren abbilvlihen concreten Ausdruck innerhalb
dem ſchlechthin Größten und Kleinften findet, in verichiedenen Stufen, fo
daß eine Stufe der Bewegung nah Möglichkeit, Wirflichfeit und Ber:
bindung in den geiftigen Naturen ift, wo Bewegen Denfen ift, eine andere
Stufe in dem förperlichen Sein nach Materie, Form und Verbindung,
wo das Bewegen Sein if. Doc hierüber ein anderes Mal. Das über
die Dreieinigfeit ded Univerfums Gefagte mag für jegt genügen.
Elftes Kapitel,
Folgerungen aus dem Wefen der Bewegung.
Es ftaunen vieleicht Manche über diefe bisher unerhörte Süße, deren
Bahrheit die Wiflenfhaft des Nichtwiſſens nachgewieſen hat. Wir wifjen
nun, daß das Univerfum dreieinig und daß es nicht ein Univerfum gibt,
das nicht eine Einheit ift aus Möglichkeit, Wirflichfeit und vereini—
gender Bewegung, jo wie daß fein Wefen abfolut, ohne die andern bes
ftehen kann, weßhalb nothwendig Alles in den verfchiedenften Grad-
unterfchieden befteht, jo daß im ganzen Univerfum nicht zwei Dinge eins
ander volltommen gleih find. Es ift daher, wenn man die Berjchieden,
beit der Bewegung der Weltkörper erwägt, unmöglich, daß etwas bie
Weltmaſchine fei, oder daß diefe fihtbare Erde oder Luft, Feuer
1) Statt sexum muß ed im Texte heißen: sexuum,
62
oder jonft irgend Etwas das fefte und unbemwegliche (Welts) Centrum
bilde. Denn man kommt in der Bewegung auf fein fchlechthin Kleinftes,
wie 3. B. ein fired Centrum, weil das Kleinfte nothwendig mit dem
Größten coincidirt. Es würde alfo das Centrum der Welt mit ihrer
Peripherie coincidiren. Die Welt bat daher feine Peripherie; hätte
fie Centrum und Peripherie, fo hätte fie ihren Anfang und Ende in fich
felbft, die Welt wäre in Bezug auf ein Anderes begrenzt, außer der Welt
wäre ein Anderes und ein Raum, — Süße, die alle der Wahrheit entbehren.
Da es fomit unmöglich ift, daß die Welt in ein förperliches Centrum und
eine beftimmte Peripherie eingefchloffen fei, fo erkennen wir die Welt nicht,
deren Gentrum und Peripherie Gott if. Und wiewohl diefe Welt nicht
unendlich ift, fo fann fie doch auch micht als endlich gedacht werden, ba
fie feine Grenzen bat, in welche fie eingefchloffen if. E8 fann fomit
auch die Erde, die das Gentrum nicht fein fann, nit ohne
alle Bewegung fein (terra igitur, quae centrum esse nequit, motu
omni carere non potest); denn daß fie fich bewegen müffe, ift auch in
dem Sinne zu faffen, daß fie ſich noch unendlich weniger bewegen könnte
(nam eam moveri taliter etiam necesse est, quod per infinitum minus
moveri posset). Wie die Erde nicht das Centrum der Welt ift, fo ift
ed auch nicht die Sphäre der Firfterne oder ein anderer Umfreis derfelben,
wiewohl die Erbe, im Verhältniß zu dem Himmel betrachtet, mehr dem
Centrum, der Himmel mehr der Beripherie ähnlich zu fein ſcheint. Die
Erde iſt alfo nicht das Centrum, auch nicht für die erfte oder irgend eine
andere Sphäre; aud das Erſcheinen der ſechs Himmeldzeihen über dem
Horizonte berechtigt nicht zu dem Schluſſe, die Erde fei im Gentrum der
achten Sphäre. Denn aud wenn diefe von ihrem Centrum entfernt wäre
und fih in der Nähe einer durch die Pole gehenden Achſe befände, fo
daß fie auf der einen Seite gegen den einen Bol erhoben, auf der andern
gegen den andern Pol gefenft wäre, würde Denjenigen, die fo weit von
den Polen entfernt ftehen, als der Horizont fi ausdehnt, nur die Mitte
der. Sphäre fichtbar fein, was für ſich Far ift. Es ift aud das Gentrum
ber Welt nicht mehr innerhalb, als außerhalb der Erde. Ja, weder
bie Erde, nod irgend eine Sphäre (Himmelskörper) hat ein
Gentrum. Denn da dad Centrum der von der Peripherie gleichweit
entfernte Punkt it und ed feinen vollfommen wahren Kreis oder Kugel
gibt, die Feine größere Vollfommenheit zuließe, fo gibt es offenbar Fein
Gentrum, das nicht noch viel wahrer und präcifer fein könnte. Eine
präcife gleihweite Entfernung ift außer Gott unmöglih, weil er allein
die abjolute Gleichheit ift. Gott alfo, ver das Centrum der Welt
ift, ift aub das Gentrum der Erde und aller Himmel
förper und von Allem, was in der Welt iftz er ift zugleich
63
die unendblihe Peripherie von Allem. Ferner: am Himmel
find feine unbewegliden und firen Pole, wiewohl auch ver
Himmel der Firfterne in Folge der Bewegung Kreife von ftufenweife
verfhiedener Größe, kleiner ald die Meridiane oder als die Aequinvetiale
(dad Gleiche gilt von den dazwiſchen liegenden Kreifen) zu beichreiben fcheint.
Alein ed muß fi jeder Theil des Himmels bewegen, wiewehl
ungleib, im Verhältniß zu den Kreilen, welde die Sterne in ihrer Bewer
gung bejchreiben. Wie einige Sterne einen größten, jo fcheinen andere
Sterne einen fleinften Kreid zu beichreiben; e8 gibt aber feinen
Stern, der feinen Kreis beihriebe. Gibt e8 in einem Hims
melöförper (in sphaera) feinen firen Pol, fo gibt ed auch feine Mitte,
die gleihweit von den Polen entfernt wäre. Es gibt daher in der
abten Sphäre feinen Stern, der durch feine Umdrehung einen größten
Kreis beichreibt, weil derfelbe gleihweit von den Polen, die es nicht gibt,
entfernt fein müßte. Folglich gibt es auch feinen, der einen Fleinften
Kreis bejchreibt. Die Pole der Himmelsförper coinciviren daher mit
dem Gentrum, fo daß Centrum und Pol nichts Anderes ift, ald — Gott.
Und da wir die Bewegung nur im Verhältniffe zu etwas Unbeweglichem,
zum Pole oder Mittelpunkt, wahrzunehmen im Stande find und jene
bei dem Meſſen der Bewegungen vorausfegen, fo finden wir, daß wir
aur in Muthmaßungen und bewegen und in allen Stüden irre gehen;
wir wundern und, wenn wir nach den Negeln der Alten Sterne in ihrer
Stellung nicht übereinftimmend finden, weil wir annehmen, daß die Alten
über Centrum, Pole und Meffung richtige Begriffe gehabt haben.
Aus dem Geſagten geht Har hervor, vaß die Erde fih bewege.
Da wir aus Erfahrung wiflen, daß ſich die Elemente durch die Bewer
gung eined Kometen, der Luft und des Feuers bewegen, jo wie, daß
der Mond ſich weniger von Oſt nach Weſt bewege ald der Mercur,
die Venus oder die Sonne und jo ftufenweife, jo bewegt fi die Erde
noh weniger, als alle andern (Sterne), jedoch ift fie nicht ein Stern,
der um Gentrum oder Bol ven fleinften Kreis beichreibt, fo wie nad)
dem eben Geſagten die achte Sphäre oder irgend eine andere feinen
größten befchreibt. Beachte daher wohl: wie fih die Sterne zu den ans
genommenen (conjecturales) Bolen der achten Sphäre verhalten, fo find
Erde, Mond und Planeten Sterne, die fi am Pole in verfchiedenen
Abftinden bewegen, jo daß wir da den Pol ſuchen, wo man bisher
dad Gentrum annahm (conjecturando polum esse, ubi creditur centrum),
Wenn daher gleih die Erde ein Stern ift, der fih in größerer Nähe
von dem Gentralpole befindet, jo bewegt fie fib doch und bejchreibt nicht,
wie gezeigt ift, eimen Hleinften Kreis. Ja, weder Sonne, noh Mond
oder Erde, oder irgend ein Himmeldförper fann, wenn es und gleich
64
anders jcheint, eine wahre Freisförmige Bewegung befchreiben, weil fie fid
nicht um etwas Feſtes bewegen. Es gibt auch feinen wahren Kreis,
der nicht vollfommener fein fönnte, und zu einer Zeit fih ganz genau wie
zu einer andern bewegt oder einen ganz gleichen Kreis befchreibt, wenn
wir dies gleih nicht wahrnehmen. Willſt du daher über die Bewegung
des Univerfums eine andere Anficht, als die bisher übliche, gewinnen, fo
mußt du Centrum und Pole zufammenfaffen (necesse est ut centrum
cum polis complices) und dabei fo gut, ald ed angeht, die Einbildungs-
fraft zu Hülfe nehmen. Denn wenn Einer auf der Erde und unter dem
Nordpofe, ein Anderer im Nordpole ftünde, fo würde der auf der Erde
Stehende ebenſo glauben, der Pol fei im Zenith, wie der im Pole Ste
hende glauben würde, das Centrum fei im Zenith. Wie die Gegenfüßler
gleih und den Himmel über fih haben, fo würde den auf beiden Polen
Stehenden die Erde im Zenith zu fein jcheinen, und wo immer Einer ftebt,
glaubt er, er ſei im Centrum. Faſſe alfo jene entgegengelegten Vor:
ftellungen zufammen, fo daß das Centrum Zenith ift und umgefehrt, dann
wird dein PVerftand, dem mur die Wiſſenſchaft des Nichtwiffend gute
Dienfte leiftet, einfehen, daß die Welt, ihre Bewegung und Geſtalt nicht
erfannt werden fönnen, denn fie wird dir vorfommen wie ein Rad im
Rade oder eine Kugel in der Kugel, die, wie gejagt, nirgends
Gentrum und Umfreid hat.
Zwölftes Kapitel,
Don den Zuftänden der Erbe.
Das eben Ausgeführte kannten die Alten nicht, weil ihnen die Wiffen:
haft des Nichtwiffens fehlte. Uns ift es jegt ganz klar, daß diefe Erde
fich wirklich bewegt, wenn wir c8 gleich nicht bemerken, va wir die Bes
wegung nur durch Vergleichung mit etwas Unbeweglihem wahrnehmen.
Wüßte Jemand nicht, daß das Waſſer fließe und ſähe er das Ufer nicht,
wie würde er, wenn er in einem auf dem Waſſer hingleitenden Schiffe
fteht, bemerken, daß das Schiff fi bewegt? Da es daher Jedem, er
mag auf der Erde oder Eonne oder einem andern Sterne fi befinden,
vorfommt, er ftehe im unbeweglichen Mittelpunfte, während Alles um ihn
her fi bewege, fo würde er, in der Sonne, im Monde, Mars ıc. ftehend,
immer wieder andere Pole angeben. Der Bau der Welt ift daher fo,
als hätte fie überall ihr Centrum und nirgends eine Peripherte, denn Ums
freid und Centrum ift Gott, der überall und nirgends ift. Diefe Erde
it nicht Fugelförmig, wie Einige gefagt haben, wiewohl fie
der Kugelform ſich zumeigt, denn die Geftalt ver Welt ift, wie
65
aud ihre Bewegung, in ihren Theilen befchränft., Wird aber die unend«
liche Linie ald concret gedacht, in der Art, daß fie, ald concret, nicht mehr
vollfommener und umfaffender (capacior) fein fünnte, fo ift fie kreis—
förmig, denn bier trifft Anfang und Ende zufammen. Wie daher die volls
fommenere Bewegung die freisförmige ift, jo ift die vollfommenere förper-
lihe Geſtalt die Fugelförmige. Jede Bewegung des Theiles hat daher
Beziehung zur Volfommenheit des Ganzen: Das Schwere ftrebt nad
ver Erbe, das Leichte nah Oben, Erde zu Erde, Waffer zu Waffer, Luft
m Luft, Feuer zu euer. Die Bewegung ded Ganzen folgt fo viel als
möglih der kreisförmigen Bewegung, jede Figur der fugelförmigen Figur,
wie wir an den Theilen der Thiere, an den Bäumen und dem Himmel ſehen.
Eine Bewegung ift freisförmiger und vollfommener als die andere, ebenfo find
auch die Geftalten verſchieden. Die Geftalt der Erde ift beweglich und
fugelförmig, ihre Bewegung freisförmig, könnte aber vollfommener fein.
Da es in allen Bollfommenheiten, Bewegungen und Geftalten der
Belt fein Größtes gibt (wie aus dem Gejagten erhellt), fo ift es ums
wabr, daß diefe Erde der geringfte und unterfte Theil der
Relt iftz denn wenn fie gleih im Verhältniß zur Welt mehr im Centrum
zu fein fcheint, fo fft fie doch aus demſelben Grunde, wie fchon gezeigt,
auch dem Pole näher. Die Erde ift nicht ein aliquoter Theil der Welt,
denn da die Welt fein Größtes und SKleinftes hat, fo hat fie auch feine
Mitte und feine aliquoten Theile, wie dies auch nicht vom Menfchen
oder Thiere gilt, denn die Hand ift Fein aliquoter Theil des Menden,
wiewohl ihr Gewicht ein Verhältniß zum Körper hat.
Auch die ſchwarze Farbe ift fein Beweis für die fchlechte Ber
ſchaffenheit (vilitatis) der Erde. Wer in der Sonne wäre, der würde
nicht die große Helle, wie wir auf Erden, wahrnehmen. Denn betrachtet
man den Sonnenkörper, fo hat er eine mehr concentrirte Erde und eine
wie Feuer leuchtende Peripherie, dazwiichen eine Art Wolfen und reinere
Luft, gerade wie unfere Erde ihre Elemente hat. Stünde daher Jemand
außerhalb der Region des Feuers, fo würde ihm dieſe Erde dur das
Medium des Feuers wie ein heller Stein vorfommen, wie und, die wir
im Umfreid der Region der Sonne find, die Sonne überaus hell Teuchs
tend vorfommt. Der Mond erfcheint und nicht fo hell, vielleicht weil wir
in feinem Umfreis mehr den centralen Theilen desjelben zugefehrt find,
(wa der wäfjerigen Region desſelben. Daher erfcheint und fein Licht
nicht, obgleich er ein eigenes Licht hat, das nur denen erjcheint, die in
den Äußerften Grenzen feines Umkreiſes ftehen, während und nur der
Refler des Sonnenlichtes fichtbar if. Defhalb wird auch die Wärme
des Monde, die ohne Zweifel durch die Bewegung entfteht, und daher
5
Sharpfi, Mic. v. Cuſa. r
66
in der Peripherie, wo die größere Bewegung ift, größer ift, und nicht fo mit
getheilt, wie von der Sonne. Unfere Erde iſt zwifchen die Region der
Sonne und ded Mondes geftellt, durch deren Vermittlung fie an der Ein-
wirfung anderer Sterne participirt, die wir nicht fehen, weil wir außer
halb ihrer Region uns befinden, denn wir fehen nur die Region derjenigen
Sterne, welde leuchten. "Die Erve ift ein edler Stern, der Licht, Wärme
und Einwirkung von allen andern Sternen in verfchiedener Weife empfängt.
Jeder Stern unterjcheidet fih von jedem durch Licht, natürliche Beſchaffen—
heit und Einwirfung, wie aud jeder Stern dem andern Licht und Eins
wirfung mittheilt, nicht abjichtlich (ex intentione); denn alle Sterne
haben nur Bewegung und Glanz, um auf die befte Weile zu fein, woraus
als Folge das PBarticipiren entfteht, wie das Licht feiner Natur nad
leuchtet, niht damit ich ſehe, fondern das Participiren an demſelben
ift Folge, indem ih das Licht zum Zwede des Sehens benütze. Der
gütige Gott hat Alles jo erichaffen, daß jedes Wefen, indem es fein Sein
wie einen göttliben Beruf zu erhalten ftrebt, dieſes in Gemeinſchaft mit
andern vollzieht. Wie der Fuß nicht jich allein, fondern auch dem Auge,
den Händen, dem Leibe, ja dem ganzen Menfchen dadurch dient, daß er
nur zum Gehen gebildet ift, fo gilt das Gleiche von den Theilen der
Welt. Plato nannte die Welt ein lebendes Weſen; denfft du dir als
ihre Seele — jedoh ohne Verſchmelzung — Gott, fo wird dir Vieles
von dem bisher Gefagten Far werben.
Man kann aud nicht fagen, die Erde fei deßwegen von geringer
Beihaffenheit, weil fie Eleiner als die Sonne und ihrer
Einwirfung unterworfen ift, denn die ganze Region der Erde,
die fi bis zum Umkreis des Feuers ausdehnt, ift allerdings groß. Iſt
gleich die Erde Heiner ald die Sonne, wie wir aus dem Schatten und
den Eclipfen wiffen, jo ift doch nicht befannt, um wie viel die Region der
Sonne größer oder fleiner ald die der Erde iſt. Vollkommen gleich Fann
fie auf feinen Ball fein, da fein Stern dem andern gleich fein fann. Die
Erde iſt auch deßhalb nicht der kleinſte Stern, weil fie größer als ver
Mond ift, wie die Eclipfen beweifen, und als der Merkur, wie Einige
fagen, vielleicht au größer ald andere Sterne, Aus ihrem Umfange ift
man daher nicht auf ihre Unbedeutendheit zu fchließen berechtigt.
Auch der Einfluß, den fie aufnimmt, beweist nicht ihre
Unvollfommenheit, denn als Stern übt auch fie, wie gezeigt ift, auf bie
Sonne und ihre Region Einfluß aus, und da unfere unmittelbare Wahr
nehmung feine andere ift, ald daß wir im Gentrum find, wo alle Eins
flüffe zufammenftrömen, fo haben wir von jenem Einfluffe feine Erfahrung.
Berhält fi die Erde wie die Möglichkeit, die Sonne, wie die Seele oder
67
geiftig bildende Kraft, der Mond als die vermittelnde Verbindung, fo
da diefe zu Einer Region gehörenden Sterne dur gegenfeitigen Einfluß
vereinigt find, und diefen Einfluß auf andere Sterne, den Merkur und
die Venus und die andern über ihnen ftehenden (nah der Anficht der
Aten und auch einiger Neueren) mittheilen, fo it das Verhältniß des
Einflufjes der Art, daß der eine Stern ohne den andern nicht beftehen fann.
Der Einfluß wird daher ein einiger und dreifacher, in jedem einzelnen
Sterne nad feinen Graden fein. Daraus geht hervor, der Menjch könne
nicht wiffen, ob die Region der Erde fih in einem vollfommeneren oder
weniger vollfommenen Grade, im Verhältniß zu den Regionen der andern
Sterne, der Sonne, des Monds xx. befinde. Dasfelbe gilt von der Erde
als Wohnplag. Es läßt fih nicht jagen, daß die Erde ein Wohnplag
von Menfchen, Thieren und Pflanzen fei, die graduell geringer find, als
die Bewohner der Region der Sonne und anderer Sterne. Denn, wenn
gleih Gott das Centrum und die Peripherie aller Sternenregionen ift,
und von ihm Naturen von verſchiedenem Werthe ausgehen, fo daß jede
Region bewohnt, und fo viele Räume des Himmels und der
Sterne nicht leer an Wefen find, und wohl nicht diefe Erde allein
von geringeren Weſen bewohnt ift, jo fcheint e8 doch feine edlere und voll-
fommenere Natur, ald die geiftige, die fih auf unferer Erde vorfindet,
zu geben, mögen aud Geſchöpfe ganz anderer Art in andern Sternen
wohnen, denn der Menfh hut fein Verlangen nad einer andern Natur,
er will nur in feiner Natur vollfommen fein. Es ftehen daher die Be-
wohner anderer Eterne, wie fie nun auch fein mögen, in feinem Ber-
hältni$ Cimproportionabiles sunt) zu den Bewohnern diefer Erde, wenn
auch jene ganze Region zu der ganzen der Erde für den Zweck des Unis
verfums in einem verborgenen Verhältniß ftehen mag, auf daß die Be—
wohner der Erdenregion zu den Bewohnern anderer Sterne durch Ber:
mittlung der univerfellen Region in einem gegenfeitigen angemefjenen Vers
haͤltniß ſtehen, wie die einzelnen Glieder der Finger dur Vermittlung
der Hand in einem Verhältniß zum Buße, und die Zehen mittelit des
Fußes in einem Verhältniß zur Hand ftehen, fo daß Alles die Proportion
eines vollftändigen lebenden Wejend annimmt. Da num jene ganze Region
uns unbekannt ift, fo bleiben auch die Bewohner derfelben und ganz uns
befannt, wie auch anf diefer Erde die Thiere Einer Species, indem fie
gleihfam eine ſpecifiſche Negion bilden, fich vereinigen, und wechieljeitig
an dem, was zu diefer Region gehört, participiren, von andern Specied
aber nichts annehmen. Gin Gefchöpf einer Species kann nicht die Natur
einer andern, die fich durch beftimmte Laute fennzeichnet, erfaffen, außer
In ganz wenigen Zeichen äußerlich, und auch dann nur nach langer Uebung
5*
68
und nur annähernd. Aber noch weit weniger fünnen wir von den Be—
wohnern einer andern Region, die in feinem Berhältniß zu uns ftehen,
wiffen. Wir nehmen an, in der Region der Sonne ſeien mehr fonnige
(solares), flare, lichte, geiftige Bewohner, geiftiger ald im Monde, wo
mehr mondartige (lunatici), und auf der Erde, wo mehr materielle und
malfive (grossi) Weſen wohnen. Die geiftigen Sonnennaturen wären
in hohem Grade in Wirkfamfeit, wenig in bloßer Möglichkeit, bei da
Erdenbewohnern wäre die Möglichkeit überwiegend über die Wirkfamfeit,
die Monpdbewohner bewegten fih unftät (Auctuantes) in der Mitte von
beiden. Died vermuthen wir aus dem Feuereinflufe der Sonne, dem
Einfluffe von Waller und Luft aus dem Monde und der materiellen
Schwere der Erde; ähnlich bei den Regionen anderer Sterne. Wir neh
men an, fein Stern ſei unbewohnt. Der particularen Theile “des Einen
Univerfums find jo viele, als viele Sterne es gibt, fie laffen ſich nicht
zählen, außer durch den, der Alles in der Zahl erichaffen hat.
Auh die Zerftörung der Dinge auf der Erde ift Fein
giltiger Beweis der geringen Beichaffenheit der Erde. Denn da die
Welt ein Univerfum ift, und alle einzelnen Sterne gegenfeitigen Einfluß
auf einander ausüben, jo ift ed nicht ausgemacht, daß irgend etwas gan
und gar zerftörlic ift, wohl aber kann es in eine andere Seinsweije über-
gehen, wenn die comereten Einwirkungen in Einem Individuum fih auf
löjen, jo daß die Weije, fo oder jo zu fein, aufhört, ohne daß ein eigent-
liher Tod eintritt, wie ſchon Virgil ſagt. Denn der Tod jcheint nichts
anderes zu fein, als eine Auflöfung des Zufammengejegten in die Elemente
der Zufammenfegung. Ob eine folhe Auflöfung nur bei den Erdenbe—
wohnern ftattfinde, wer fann das wiſſen? Einige fagten, es gebe jo viele
Arten der Dinge auf Erden, ald Sterne find. Wenn nun der Einfluß
aller Sterne in allen einzelnen Arten der Erdenwefen feinen conereten Ausds
druck findet, warum foll nicht Aehnliches in den Regionen anderer Sterne,
welche den Einfluß der übrigen Sterne aufnehmen, ftattfinden? Wer faun
wiſſen, ob die concrete Geftaltung aller diefer Einwirfungen, die zuerft
eine Zufammenfegung (zu einem Individuum) ift, in Auflöfung übergebe,
jo daß ein lebendes Erdenwefen von irgend einer Art ſich auflöje, oder
ob es zu feinen Prineipien (Elementen) zurüdfehre, indem das Bildungs
princip zu dem befonderen Sterne, von dem jene Art auf der Erde wirt
lihes Sein erlangt hatte, zurüdfehrt? oder ob dieſes Bildungsprincip
zu feinem Urbilde, der Weltfeele (nach den Platonifern), oder zur Möge
lichfeit der Materie zurückkehrt, während der die Einigung bewirfende Geift
in der Bewegung der Sterne verbleibt und zu einigen aufhört, indem er
fih wegen Untauglichfeit der Organe oder aus einem andern Grunde zu-
69
rüdzieht und fomit aus der nunmehr entgegengefegten Bewegung Trens
nung verurfacht? oder ob die geftaltenden Principien (formae) jeder Region
in einem höhern Princip, etwa dem geiftigen, ihren Stüspunft finden
(quiescant) und durch dieſes das Ziel der Welt erreichen, während diefes
böbere Princip fein Ziel in Gott findet. Diefes legtere erhebt fich viel—
leicht zur Peripherie, die Gott tft, hinauf, während der Körper nach dem
Centrum, wo wieder Gott ift, hinabfinft, fo daß die Bewegung von
Allem nad Gott bin geht, in welchem dereinft, wie Gentrum und Peris
pberie in Gott Eines find, der Körper, wenn er gleich zum Centrum
binabzufinfen fchien, und die Seele, die fih zur Peripherie erhoben, wieder
vereinigt werden, indem alddann nicht jegliche Bewegung, fondern nur
die des Gefchlechtlihen aufhört. Der Alles einigende Geift fehrt zurüd
und verbindet die Möglichkeit wieder mit dem belebenden Princip, das ihr
im Leben angehört hatte. Alles das kann fein Menfch aus fich wiffen,
wenn er nicht eine befondere Belehrung darüber von Gott erhalten hat.
Zweifelt auch Niemand daran, daß der gute Gott Alles für fi (ad se)
eribaffen hat und nicht will, daß eines feiner Werke zu Grunde gebe,
und wiſſen wir gleib, daß er der reiche Vergelter aller feiner Verehrer
fei, ſo kennt doch die Art der göttlichen Wirkfamfeit, der gegenwärtigen
und zufünftigen Vergeltung nur Gott allein, er allein weiß, wie feine
Wirkſamkeit ift. Hierüber will ich jedoch nah dem Maafe der göttlichen
Eingebung weiter unten noch Einiges fagen.
Dreizehntes Kapitel.
Von der wunderbaren göttlihen Kunft in Erſchaffung der Welt und ber
Elemente.
Da es die einftimmige Anfiht der Philofophen tft, daß wir durd
die fihtbare Welt, die Größe, Schönheit und Ordnung der Dinge zur
Bewunderung der göttliben Kunft und Herrlichkeit bingeriffen werben,
und nachdem wir einige Kunftwerfe der göttliben Weisheit bei Erfhaffung
des Univerfums befprocden haben, jo wollen wir zur Erhöhung dieſer
Bewunderung noch Einiges über die Lage und Ordnung der Elemente
beifügen.
Gott hat fi bei Erfhaffung der Welt der Arithmetik, Geometrie,
Mufit und Aftronomie bedient, Künfte, die auch wir jegt anwenden, wenn
wir die Verhältniffe der Dinge, der Elemente und Bewegungen erforfchen.
Durb die Arithmetik hat er die Dinge in ein Ganzes gebracht (coadu-
vavit), durch die Geometrie hat er fie geformt (figuravit), daß fie
70
Feſtigkeit, Beftand und Beweglichkeit, je nach ihrer Beſchaffenheit, erlang«
ten. Durch die Mufif hat er fie in ſolche WVerhältniffe gebracht, daß
nicht mehr Erde in der Erde ift, als Waſſer im Wafler, Luft in ber Luft,
Feuer im Feuer, und daß fein Element ſich ganz in das andere auflölen
läßt, woher es fommt, daß der Meltbau nicht untergehen kann, Wie—
wohl ein Theil des Einen fib in ein Anderes auflöfen läßt, fo kann doch
nie die ganze Luft, die mit Waſſer vermifcht ift, in Waſſer verwandelt
werden, weil die umgebende Luft died verhindert. Gott hat es daher bes
wirft, daß nur Theile der Elemente wechjelfeitig aufgelöst werden; ges
ſchieht dies langſam, fo wird aus dem Zufammenwirfen der Elemente
etwas hervorgebracht, das fo lange dauert, fo lange jenes Zufammen-
wirken ftattfindet. Mit ihr lösſt fih auch das durch fie Entſtandene
wieder auf. In wunderbarer Ordnung find daher die Elemente durch
Gott gefbaffen, der Alles in Zahl, Maaß und Gewicht erihaffen
bat. Die Zahl bezieht fih auf die Arithmetif, das Gewicht auf die Muftf,
das Maaf auf die Geometrie. Die Schwere wird durd Einwirfung des
Leichten (levitate constringente) gehalten; die jchwere Erde ift durch das
Feuer wie in der Mitte fhwebend. Das Leichte dringt auf das Schwere
ein, wie das Feuer auf die Erde. Indem die ewige Weisheit diefes fo
ordnete, verfuhr fie nach einer nicht zu entziffernden SBroportion. Sie wußte
voraus, wie viel jeded Element das andere überwiegen müffe, indem fie
die Elemente jo abwog, daß das Feuer um fo viel leichter wäre, als
die Luft, als diefe leichter ift ald das Waſſer, und diefes leichter als Die
Erde, fo daß Gewicht mit Volumen übereinftimmte und das Einfchließende
einen größern Raum einnahm ald das Gingefchloffene. Er verband fo:
dann die Elemente jo mit einander, daß eines nothwendig im andern ift.
Die Erde ift, wie Plato fagt, gleichſam ein lebendes Weſen, die Steine
find die Knochen, die Bäche die Adern, die Bäume die Haare; die Thiere,
die zwilchen diefen Haaren der Erde ſich nähren, find wie die Maden in
den Haaren der Thiere. Zum Feuer verhält ſich die Erde, wie bie
Welt zu Gott, mit welchem das Feuer in feiner Beziehung zur Erde viele
Achnlichkeit hat. Seine Entfaltung ift grenzenlos, es wirkt, durchdringt,
erhellt, fördert und geftaltet Alles auf der Erde, und zwar mittelft der
Luft und ded Waſſers, fo daß Alles, was auf ber Erde entſteht, nur
eine immer wieder anders modificirte Wirkſamkeit des Feuers ift, wie
denn aud die Geftalten der Dinge (im Aeußerlichen) durch den verfchies
denen Wiederſchein des Feuers entftehen. Indeß ift das Feuer mit den
Dingen vermengt, ohne welche Vermengung weder es felbit, noch bie
Dinge auf Erden fein fünnen. Gott aber ift abſolut. Er wird baber
von den Alten ein verzehrendes, abfolutes Feuer, eine abfolute Klarheit
71
genannt, da er ein Licht if, im dem feine Kinfterniß. An feinem feurigen
Maren Weſen fucht Alles, was da ift, Theil zw nehmen, wie wir an
allen Geftirnen jehen, wo ſich diefe Klarheit materiell befchränft findet.
Diefe unterfcheidende und Alles durchdringende Klarheit ift immateriell
coneret in den lebenden und geiftigen Weſen. Wer bewundert nicht den
Künftler, der einer ähnlichen Kunft (Aftronomie) auch in den Himmelds
fürpern, Sternen und Sternregionen fi bedient hat, fo daß ohne Prüs
dfton bei der größten Verſchiedenheit die ſchönſte Harmonie befteht! Die
Größe, Lage und Bewegung © der Sterne hat er feftgeftellt, die Entfer⸗
nungen der Sterne jo georbnet, daß, wenn nicht jede Region fo wäre,
wie fie ift, fie weder felbft beftehen , noch in dieſer beftimmten Lage und
Ordnung, noch das Univerfum überhaupt beftehen fünnte. Er gibt jedem
Sterne ein anderes Licht, Einfluß, Geftalt, Farbe und Wärme. Das
Berhältnig der Theile zu einander hat er fo geordnet, daß in jedem die
Bewegung der Theile "eine Beziehung auf das Ganze hat: von Oben
nah der Mitte beim Schweren, von der Mitte nah Dben beim Leichten,
und um die Mitte, wie bei der freisförmigen (orbicularem) Bewegung
der Sterne.
Bei diejer jo bewunderungswürdigen, verfchiedenartigen Ordnung der
Belt fehen wir durch unfer Syftem, daß wir von allen Werfen Gottes
feine rationelle Einficht erlangen, fondern nur ftaunen fönnen, weil Gott
groß und jeiner Größe feine Grenze ift. Als die abfolute Größe ift er
von allen feinen Werken wie Urheber und Verſtändniß, jo auch das Ziel.
In ihm ift Alles, außer ihm nichts, er ift Anfang, Mitte und Ende von
Allem, Centrum und Umfreis des Univerfums, und in Allem wird mur
er gefucht, weil ohne ihn Alles nichts ift, mit ihm haben wir Alles, in
ihm wiflen wir Alles; denn er ift die Wahrheit von Allem, und will,
daß der wunderbare Weltbau und zur Bewunderung hinreife. Er vers
birgt jedoch denjelben vor und um fo mehr, je mehr wir ihn bewundern,
weil er es ift, den wir mit ganzem Herzen und allem Eifer juchen follen.
Und da er das unzugängliche Licht bewohnt, das in Allem gefucht wird,
fo fann er allein den Anklopfenden die Thür öffnen und den Bittenden
geben. Kein Wefen von allen erfchaffenen hat die Macht, fih dem Ans
Hopfenden aufzuthun und zu zeigen, was es ſei, da alle ohne ihn, der in allen
if, nichts find. Wer aber nad Anleitung des Syſtems des Nichtwiſſens
fe fragt, was und wie und wozu fie feien, dem antworten fie: aus und
find wir nichts, und aus uns können wir auch dir nichts anderes, als nichts
antworten, da wir von und felbft Feine Erfenntniß haben, jondern allein
1) motum flatt notum im Texte.
72
der, durch deffen Denken wir das find, was er in und will, befiehlt umd
weiß. Wir alle find ftumm, er, der und erichaffen hat, rebet in und
allen, er allein weiß, was, wie und wozu wir finds. Wilft du etwas
über und erfennen, fo frage unfern Grund, unfere Urſache, nicht und;
dort findeft du Alles, wenn du diefen Einen fuchft, ja auch dich ſelbſt
fannft du nur in ihm finden. Strebe daher, fagt unfere gelchrte Unwoifjen-
heit, daß du dich in ihm findeft, und da Alles in ihm er felbft ift, io
fann bir nichts fehlen. Unfere Sache ift es nicht, und dem Unzugäng-
lihen zu nahen, fondern Defjen, der uns ein ihm zugewandtes Antlig ge
geben hat, damit wir ihn mit allem Eifer fuchen. Thun wir dies, ſo
wird er in feiner großen Güte uns nicht verlaffen, er zeigt fich ſelbſt ung,
und wenn feine Herrlichfeit erfcheint, wird er ewig uns fättigen. Er ſei
gepriefen in Ewigfeit! Amen.
Drittes Bud.
Nah diefen furzen Erörterungen über das Univerfum und feine be
fhränfte (contractione) Eriftenz, will ih nun, um über das abjolut und
beikränft Größte zugleih, Jeſus Chriſtus, der ewig gepriefen ſei, eine
Unterfubung in wiſſenſchaftlichem Nichtwiſſen anzuftellen, zur Vermehrung
des Glaubens und unferer Bollfommenheit, Dir, dem Manne von bewun—
dernswerther Thätigfeit, einen Furzen Lehrbegriff von Jefus überreichen,
wobei ich ihm anrufe, er möge mir der Weg zu ihm, der die Wahr
beit ift, fein, durch die wir jegt im Glauben und dereinft durch feligen
Genuß (per adeptionem) zum Leben gelangen, in ihm und durch ihm,
der dad ewige Leben ift.
Erftes Kapitel,
Das in diefer oder jener conereten Form erfheinende Größte, über welches es
fein Größeres gibt, kann ohne das abfolut Größte nicht beftehen.
Im erften Buche ift die Rede von dem Einen abfolut Größten, das
nicht mitgetheilt, in das endliche Sein vermengt (immersibile) und nicht
auf Diefes oder Jenes eingefchränft werben kann, fondern in fi ewig
gleih und unbeweglich als vie abfolute Identität eriftirt. Im zweiten
Buche wurde das conerete Univerfum gezeigt, und wie Diefed und Jenes
nur concret eriftirt. Es ift alfo die Einheit des Größten in ſich abfolut,
die Einheit des Univerſums in Vielheit beſchränkt. Die Vielheit num,
in welcher das Univerfum in Wirklichkeit feinen Ausdruck findet, Tann
unmöglich mit der höchften Gleichheit beftehen, denn fonft wäre es Feine
Vielheit. Somit befteht Alles nothwendig in differenter Weife, nad
Sattung, Art und Zahl, fo daß Jegliches in befonderer Zahl, Maaf und
Gewicht beſteht. Es find daher im Univerfum Gradunterfchiede, und fein
Weſen coineldirt mit dem andern. Kein concretes Sein fann daher den
Grad der Eoneretheit eines andern Seins präcis decken. Zwifchen dem Größ-
ten und Kleinften ift ſonach Alles concret und es gibt immer größere oder
Heinere Grade des Eonereten, ohne daß jedoch dies in's Unendliche fort:
74
geht, da eine Unendlichkeit von Graden unmöglich tft; denn unendlich viele
Grade wären fo viel als Fein Grad, wie ich in der Lehre von ber Zahl
im erften Buche gezeigt habe. E8- gibt fomit im Eoncreten fein Aufs oder
Abfteigen zu dem abfolut Größten oder KHleinften. Wie daher die gött-
liche Natur, die abjolut größte, Feine Verminderung zuläßt, jo daß fie in
die endlidhe und concrete übergeht, jo fann aud die concrete, enbliche ihrer
Goncretheit fo entkleivet werben, daß fie zur ganz abfoluten wird. So
nad erreicht fein concretes Sein, da ed mehr oder weniger concret
fein fann, das Höchſte (terminus) im Univerfum, in der Gat—
tung oder Art, denn bie erfte generelle concrete Ausgeftaltung des Unis
verfums ift die Vielheit der Gattungen, die nothwendig grabuell verfdie
den if. Die Gattungen aber beftehen coneret nur in den Arten, die
Arten nur in den Individuen, die allein in Wirklichkeit eriftiren. Wie
ed daher nah der Natur des Gonereten fein Individuum gibt, das nicht
hinter dem Höchften feiner Species zurüdbleibt, fo Fann auch fein Indivi—
dımm das Höchſte in der Gattung oder im Univerfum erreichen: Denn
unter mehreren Individuen derfelben Art muß nothiwendig eine Verſchie—
denheit der grabnellen Vollfommenheit ftattfinden. Kein Weſen ift daher
in feiner Art ganz vollfommen, jo daß es Fein vollfommeneres gibt, fowie
feines jo unvollfommen ift, daß es Fein unvollfommeneres gibt: das höchſte
feiner Art erreicht feines. Es gibt jomit nur Ein Höchſtes (unus
terminus) aller Arten, Gattungenund des ganzen Univerfums,
es ift das Centrum, die Peripherie und die Verbindung von Allem; das
Univerjum erfhöpftnidt die unendliche abfolut größte
Macht Gottes, jo daß es als das jchledthin Größte die Grenze der
göttlihen Allmacht bildete. Es erreidt fomit das Univerfum
niht das Höcfte des abfolut Größten, wie die Oattungen
nicht das Höchſte des Univerfums, die Arten nicht das Höchfte der Gat—
tungen, die Individuen nicht das Höchfte der Arten, fo daß es Alles das,
was es ift, auf die befte Art wäre, zwilchen dem Größten und Kleinften,
und Gott Anfang, Mitte und Ende des Univerfums und jedes Einzelnen,
auf daß alle Dinge, fie mögen nah Oben oder nach Uuten oder nad
der Mitte ftreben, fih Gott nähern. Wohl aber befteht eine Verbindung
aller Dinge durd ihn; alles noch jo Verſchiedene ift verbunden. Unter
den Gattungen, die der concrete Ausdruck ded Einen Univerfums find,
beſteht eine ſolche Verbindung der niedern und höhern, daß fie im ber
Mitte coineidiren. Die verfchiedenen Arten find fo geordnet, daß die
oberfte Art einer Gattung mit der unterften der nächſthöheren coincidirt,
wodurd in Einer Eontinuität die Volltommenheit des Univerfums fid
darftell. Jede Verbindung ift aber grabuell, und man gelangt nicht auf
die größte, weil diefe Gott if. Es find daher verfchiedene Arten ber
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niedern und höhern Gattung nicht in einem gewiffen Untheilbaren ver:
bunden, das fein Mehr oder Weniger zuläßt, fondern in einer dritten
Art, deffen Individuen grabuell verſchieden find, fo daß feines derfelben
gleibmäßig an jeder Art, ald wäre es ein aus beiden Arten Zufammen-
geſetztes, participirt, fondern es ift in feinem Grade der concrete Ausdrud
einer befondern Art, die im Bergleih zu den übrigen aus der niedern
und höhern zufammengefegt fcheint. Keine Art fteigt vemnah zum Minis
mum einer Gattung hinab, denn bevor fie dieſes wird, verändert fie fich
in eine andere, Wenn in der Gattung der lebenden Wefen die Men-
ſchenart daran ift, ſich im Gebiete des rein Sinnlichen auf eine höhere
Stufe zur erheben, gebt fie plößlich die Verbindung mit der geiftigen Natur
ein, doch bleibt die niedere Seite überwiegend, weßhalb fie noch lebendes
Weſen (animal) genannt wird... Die Arten find daher wie eine progrefs
five Zahl, die nothwendig begrenzt ift, fo daß Ordnung, Harmonie und
Proportion bei aller Verſchiedenheit befteht, und man muß zulegt zu der
unterften Urt der niedrigften Gattung, die in Wirklichkeit die Fleinfte ift,
und zu der oberften Art der höchſten Gattung, die ebenjo in Wirklichkeit
die höchfte ift, über die es jedoch noch eine Fleinere oder größere geben
könnte, kommen, ohne Progrefftion ins Unendliche, fo daß wir, wir mögen
num nach Dben oder nad Unten zählen, mit der abioluten Einheit, die
Gott ift, ald dem Princip aller Dinge den Anfang machen. Die Arten
find dann gleichfam die bei dem Fortfchritt von dem SKleinften (das das
Größte ift), oder von dem Größten, dem fein Kleinftes entgegenfteht,
und entgegentretenden Zahlen, jo daß nichts im Univerfum ift, das
ih nicht eines gewiffen fingulären Seins erfreuete, das fi
in feinem andern Wefen findet. Kein Wefen vereinigt Alles in
Allem, keines das Entgegengefepte auf eine gleiche Weife, feines kann mit
irgend einem andern zu irgend einer Zeit ganz gleich fein, wenn es auch
m einer Zeit weniger, zu einer andern Zeit mehr als das andere fit.
Diefen Uebergang macht es in einer gewiffen Singularität des Seins,
ohne je Die präcife Gleichheit zu erreihen. So geht ein in einen Kreis
beihriebenes Viereck zur Größe eined um den Kreis befchriebenen über:
aus dem Viereck, das weniger als ein Kreis ift, geht ed über zu dem
Viereck, das größer als der Kreis ift, ohne jedoch je zur Gleichheit mit
jenem zu gelangen. Der Einfallswinkel erhebt fih aus einem Winfel,
der Heiner als eim rechter ift, zu einem folchen, der größer als ein rechter
it, ohne die volle Gleichheit zu erreihen. Mehreres hierüber in dem
Bude über die Muthmaßungen. Es fünnen nämlich die individuali-
firenden Prineipien in feinem Individuum in derfelben harmoniſchen Pros
portion, wie in einer andern zujammentreffen, jo daß jedes Wefen
für fih eine Einheit, und in feiner Weife vollfommen
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if. Wenn fi gleich in einer Art, 3. B. der Menfchenart, zu einer bes
ftimmten Zeit Einige finden, die vollfommener und in gewiffer Hinficht
hervorragender find, als Andere, wie Salomon Alle an Weisheit, Abfalon
an Schönheit, Samfon an Stärfe übertroffen bat, und wenn die geiftig
Hervorragenden von den Lebrigen geehrt wurden, fo fünnen wir doc,
weil die Verſchiedenheit der Anfichten nah der Verſchiedenheit der Reli
gionen, Secten und Gegenden verfchiedene Urtheile erzeugt, fo daß, was
nach dem einen Geſichtspunkte Lob, nach einem andern Tadel erlangt,
und weil und die auf der ganzen Welt zerftreuten Menſchen unbekannt
find, nicht fagen, wer unter Allen der Vortrefflichſte ſei, da wir ja nict
einmal Ginen aus Allen vollfommen zu erfennen im Stande find. Dies
ift von Gott fo angeorbnet, auf daß Jeder in ſich felbft Genüge finde,
wenn er gleih Andere bewundert, und auf daß ihm in feinem Heimath-
lande fein Geburtsort viel ſchöner vorfomme, eben fo hinftchtlih der Lan;
deögebräuce, Landesſprache ꝛc. So herrſcht Einheit und Friede ohne
Mißgunft, fo weit Died nur immer möglich iſt; denn vollfommen herrict
der Friede nur bei Denen, die mit dem herrfchen, der unfer alle Sinne
überfteigender Friede ift.
Zweites Kapitel.
Das Größte, concret und abfolut zugleih, Schöpfer und Geſchöpf.
Es ift hinlänglich gezeigt, daß das Univerfum nur in coneret Vielem
befteht, das in Wirklihfeit von der Art if, daß Keines
das fhlehthin Größte erreicht.
Ich füge nun bei: wenn man fih das Größte concret in
einer beftimmten Art (species) wirklich eriftirend denft,
fo wäre es, entfprebend dem Charafter der gegebenen
concreten Art, in Wirflihfeit Alles, was in der ganzen
Möglihfeit jener Gattung oder Art liegt; denn das abfolnt
Größte ift alles, was möglih ift, in abfoluter Wirklichkeit. Diejes
Größte in conereter Erſcheinung einer Gattung oder Art iſt zugleich in
Wirklichkeit die höchſtmögliche Vollkommenheit derfelben,
entfprechend dem gegebenen Goncreten. Da es in dem Bereiche derfelben
fein Größeres gibt, fo umfaßt fie unendlich die ganze Natur des gegebenen
Concreten. Wie das abfolut Kleinfte mit dem abfolut Größten coincidirt,
fo auch das coneret Kleinfte mit dem coneret Größten. Ein ganz deut
liches Beiſpiel hievon ift die größte Linie, die feinen Gegenſatz zuläßt, jeder
Figur glei, und das adäquatefte Maaß von allen ift, mit der der Punkt
coineibirt, wie wir im erften Buche gezeigt haben. Wäre daher das con,
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eret Größte ein Individuum irgend einer Art, fo müßte dieſes die Boll
fommenbeit der ganzen Gattung oder Art fein, das Leben, das Princip,
die Idee und Wahrheit in höchſter Vollendung von Allem, was biefe
Art ald Möglichkeit in fich begreift. Diefed coneret Größte wäre über
alle Natur der Eoncretheit hinaus deren Höhepunft (terminus finalis)
und würde ihre ganze Vollkommenheit im ſich fallen. Jedem Gegebenen
wäre ed, Über alle Proportion erhaben, vollflommen gleich, nicht größer,
nicht Heiner, ald Jegliches; die Vollkommenheit von Allem würde es in
ganzer Fülle in ſich faſſen. Hieraus erhellt, vaß das coneret Größte nicht
als rein Concretes (pure contractum) gelten kann, nad) dem kurz vors
bin Gezeigten, wornach fein Concretes innerhalb der Grenze der Gattung
oder Art Die höchfte Vollfommenheit erreichen fann, aber auch als concret
nicht Gott, der abfolut ift, fein fann. Es wäre fomit nothwendig das
conerete Größte, das ift: Gott und Geſchöpf, abfolut und concret,
in einer Concretheit, die nicht aus fih Beftand hätte, ruhete fie nicht
inder abjoluten Größe. Denn es gibt, wie im erften Buche gezeigt
it, nur Ein Größtes, dur weldes das Concrete — Größtes genannt
werden fann. Wenn nun die größte Macht das Concrete fo mit fich
einet, daß es, unbefchadet der beiverfeitigen Naturen, nicht noch mehr ges
eint fein könnte, und daher das jo Geeinte mit Beibehaltung der Natur
der Goneretheit die concrete und erſchaffene Bollfommenbeit
einer beftimmten Art, in Folge der bypoftatifhen Einigung aber zus
leid Gott und Alles ift, fo würde dieje wunderbare Cinigung all
unjern Verſtand überfteigen. Denn denkt man fie ald eine Bereinigung
von Entgegengeſetztem (quemadmodum diversa uniuntur), jo wäre dies
ein Itrthum; denn das abfolut Größte ift fein Anderes oder Verſchiedenes,
da ed Alles ift. Denkt man fie ald Zwei, die vorher getreunt, jegt vers
bunden (eonjuneta) find, — gefehlt! Denn in der Gottheit ift Fein Vor:
ber und Nachher, auch ift fie nicht Diefes mehr ald Jenes. Das Gon-
tete fonnte auch nicht vor der Vereinigung Dieſes oder Jenes fein, denn
is iſt eine in fich beftehende individuelle Perfönlichfeit. Jene Vereinigung
if endlich auch wicht die Verbindung von Theilen zu einem Ganzen, da
Gott fein Theil jein kann. Wer follte daher diefe wunderbare Vereini⸗
gung begreifen, die auch nicht wie die Verbindung der Form mit der
Materie ift, da Gott als abfolut ſich mit der Materie nicht vermengen
lann! Sie ift daher erhabener als alle denkbaren Vereinigungen. Das
Gonerete beftcht bier, da es das Größte ift, nur in dem abjolut Größs
in, ohne diefem einen Zuwachs zu geben, da es das abjolut Größte ift,
ohne in deſſen Natur überzugehen, da es coneret iſt. Das Goncrete
iuhete (subsisteret) demnach in dem Abfoluten in der Weife, daß, wenn
wir ed und als Gott vorftellten, dies irrig wäre, da das Concrete feine
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Natur nicht aufgibt; dächten wir ed ald diefe Natur (si ipsam esse
imaginaremur), fo. irrten wir, da das abjolut Größte, Gott, Diefer Natur
nicht bedarf. Nehmen wir es ald aus Beiden zufammengefegt, fo täu-
fhen wir und, da eine Zufammenfegung aus Gott und Geſchöpf, con
eretem und abjolut Größten, unmöglih if. Man muß fih daher jenes
conceret Größte jo ald Gott denfen, daß es dabei zugleich
Geſchöpf ift, fo ale Gefhöpf, daß es zugleih der Schöpfer
ift, Schöpfer und Gefhöpf ohne Bermifhung und Zujammen
jegung. Wer mag ſich jo weit hinauf erheben, daß er in der Einheit
die Verſchiedenheit (diversitatem) und in der Verfchiedenheit die Einheit
begreift! Dieje Vereinigung überfteigt alfo alle unfere Begriffe.
Drittes Kapitel,
Nur in der Natur der Menjchheit iſt diefes coneret Größte möglich (possibilius).
Es wird ſich nun leicht unterfuchen laffen, welcher Natur das concret
Größte angehören müffe (cujus naturae contractum maximum esse debe-
ret). Da nämlich dafjelbe nothwendig Eines ift, wie das abfolut Größte
die abfolute Einheit ift, und es dabei coneret Diejes oder Jenes ift, fo
ift für's Erfte zu erwägen, daß es die Ordnung mit fich bringt, daß einige
Dinge im Berhältnig zu andern von niederer Natur find, wie alle bie,
welche fein Leben und geiftige Thätigkeit haben, andere höherer Natur,
wie 3. B. die rein geiftigen Naturen (intelligentiae), ) wieder andere
die Mitte von beiden einnehmen. Wenn nun das abfolut Größte das
Sein von Allem in der univerfellften Weife ift, nicht mehr das Sein
des Einen, als des Andern, fo ift Har, daß jenes Sein mit dem
Größten fih eher vereinen läßt, weldes die größere Ber
wandtfchaft mit der Gefammtheit alles Seienden hat (elarum
est, hoc ens magis maximo sociabile, quod magis universitati entium
est commune). Betrachten wir die Natur der niedern Dinge und denfen
wir und eines derfelben zur abfoluten Größe erhoben, fo wird es Gott
und zugleich es felbft fein, wie man an der größten Linie ſteht. Da fie
unendlich und die größte ift, jo wird nothwendig jede Linie, mit weldyer
ſich die größte vereint, Gott fein durch die abjolute Größe, während fie
vermöge ihrer Goncretheit Linie bleibt; fie wird demnach Alles in Wirk
fichfeit fein, was aus einer Linie werden fan. Allein die Linie fchlieht
Leben und Geiſt nicht in fih, wie Tann daher die Linie zur höchſten
4) Unter den „Iutelligenzen“ (analog zu nehmen mit dem im Deutfchen eingebür
gerien Worte; Excellenzen) verficht Cuſa die Engel. Excit. VIIL, 603, de ludo Globi II,
©. 228.
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Größe erhoben werden, wenn fie die Fülle der Naturen nicht erreicht?
Cie wäre ') das Größte, dad nod größer fein fönnte und würde ber
Volfommenheit ermangeln. Das Gleiche gilt von der oberften Natur,
die die umtere nicht in fich faßt, außer in dem Sinne, daß höhere und
niedere Natur mehr gegenfeitige Annäherung als Trennung zulaffen. Dem
Größten aber, mit dem das Kleinfte coinchdirt, wird es fich geziemen, fo
das Eine zu umfaffen, daß es das Andere nicht ausfchließt, fondern Alles
zumal in fih faßt. Es ift daher die mittlere Natur, das Verbins
dungöglied der niedern und höhern, allein diejenige, welde zur Er-
bebung zum Größten durd die Macht des unendlich größten
Gottes am beften fich eignet (quapropter natura media, quae est
medium connexionis inferioris et superioris, est solum illa, quae ad
maximum convenienter elevabilis est potentia maximi infiniti Dei).
Denn da fie ald die höchfte der niedern und die niederfte der höhern
Natur ale Naturen in fi faßt, fo ift flar, daß, wenn fie nad ihrem
ganzen Weſen (secundum omnia sui) fih zur Einigung mit dem Größten
erhebt, alle Naturen, ja das ganze Univerfum auf jede mögliche Weife
in ihr zum böcften Grade (ihrer Vollkommenheit) gelangen. Die
menſchliche Natur ift die Krone der Schöpfung (humana natura est
illa, quae est supra omnia Dei opera elevata), nur wenig unter die Engel
gelegt, die Vereinigung der geiftigen und finnlihen Natur; fie faßt die
ganze Welt in ſich (universa intra se constringens), weßhalb fie von den
Alten mit Recht mnporsouog oder Welt im Kleinen genannt wird.
Sie it es daher, die, zur Einigung mit dem Größten erhoben, die Fülle
aller Bollfommenheiten des Univerfumd und alles Ginzelnen darftellen
würde, fo, daß in der Menfchheit Alles zu feiner höchſten Stufe gelangte.
Nun eriftirt aber die Menfchheit nur concret in Diefem oder Jenem. Da
es num nicht möglich tft, daß mehr als Ein wirklicher Menſch fich zur
Einigung mit dem Größten erheben kann, fo wäre diefer in der Art
Menfh, daß er zugleich Gott ift, und in der Art Gott, daß er zugleich
Menſch ift, die Vollendung des Univerfums, der Primat von Allem (in
omnibus primatum tenens). Kleinftes, Größtes und Mittleres, der Natur
des abjolut Größten geeinet, würde in ihm fo coinciviren, daß er die
Vollfommenheit (perfectio) von Allem wäre und alles Goncrete ?) in ihm
als in feiner Volllommenheit zur Ruhe gelangte. Er wäre das (abſolute)
Maaß für Menfchen und Engel (wie Johannes in der Apocalypfe fagt)
wie für alles Einzelne, weil er durch die Vereinigung mit dem abfoluten
Sein, das das abfolute Sein von Allem ift, das concret univerfelle Sein
1) Statt esse im Terte ift offenbar zu lefen: esset.
2) Statt cuncta contracta sunt im Texte muß ed heißen: cuncta, quas con-
tracta, sunt.
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aller einzelnen Ereaturen (universalis contraeta entitas singularum crea-
turarum) wäre. Alles erhielte dur ihn den Anfang und das Ende bed
conereten Seins; durch ihn, der das concret Größte aus (a) dem abfolut
Größten if, ginge Alles ind concrete Sein über, durch feine Vermittlung
kehrte es ind Abfolute zurüd; er wäre der Anfang (principium) der Emas
nation und das Ziel der Nüdfehr in Gott. Gott aber ift ald die Gleich—
heit alled Seins der Schöpfer des Univerfums, da diefes für ihn (ad
ipsum) erjhaffen ift. Die höchſte und größte abfolute Gleichheit
alles Seins ift ed demnach, mit der die menfhlidhe Natur ge
einigt wird, fo daß Gott durd Annahme der menſchlichen Natur in
ver Sphäre der Menſchheit Alles in conereter Weife ebenfo ift, wie er
in abfoluter Weife die Gleichheit alled Seins iſt. Da nun jener Menſch
dur die Einigung in der größten Gleichheit des Seins beharrete (cum
in ipsa maxima aequalitate essendi per unionem subsisteret), jo wäre
er ver Sohn Gottes oder das Wort, durch das Alles gemadt
ift, oder die Gleichheit des Seins felbft, die, nad dem früher
Gezeigten, Sohn Gottes genannt wird, ohne jedoch aufzuhören, Menſchen—
fohn zu fein, wie er auch nicht aufhören würde, Menfch zu fein. Da Gott,
dem Beiten und Bollfommenften, das nicht widerftreitet, was ohne Wechſel,
Shwähung oder Verminderung feined Weſens durch ihn gefchehen Fann,
vielmehr feiner unermeßlichen Güte ganz entipricht, wie denn Alles auf
das Beſte und Vollkommenſte in fhöner Ordnung von ihm und für ihn
erſchaffen ift, fo kann, da ohne die oben erwähnte Einigung (semota hac
via) Alles zu höherer Vollkommenheit nicht ') gelangen fann, Niemand,
der nicht Gott oder deflen höchſte Güte läugnen will, der obigen Aus—
führung vernünftiger Weife entgegentreten. Denn alle Mißgunft ift weit
entfernt von Dem, der die höchſte Güte ift und deffen Wirfen
nicht mangelhaft fein kann, fondern, wie er das Größte ift,
jo aud fein Werf jo viel ald möglih dem Größten nähern
will. Es hat nämlich die größte Macht ihre Grenze nur in fidh felbft,
weil außer ihr nichts und fie unendlih ift. In keinem Geſchöpfe findet
fie fomit eine Grenze, daß ſie nicht im Verhältniß zu irgend einem ge
gebenen Gefchöpfe ein beflered und vollfommeneres erſchaffen könnte. Wird
nun ein Menſch zur Vereinigung mit der Allmacht ſelbſt erhoben, jo daß
dieſer Menſch nicht mehr ein in ſich, fondern in der Einheit mit ber
1) Unter den Worten: hac via fann nichts Anderes verflanden werben, als bie
ganze oben entwicelte Idee des Gottmenfchen, durch den Alles zur höchſtmoͤglichen Voll:
fommenheit gelangt. Es geben daher die Worte: cum semota hac via omnia per-
fectiora esse possent feinen Sinn, wenn nicht vor possent ein non gefeßt wird: ohne
den Gottmenſchen ift dem geichöpflichen Sein das Gelangen zur hödhften Bolltommen:
heit nicht möglich.
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unendlihen Macht beftehendes Geſchöpf iſt, fo ift bier die Allmacht nicht
durch das Geſchöpf, fondern nur durch fich jelbft beichränft. Es ift dies
die vollfommenfte Thätigfeit (perfectissima operatio) der unend—
liben und unbegrenzbaren Allmacht Gottes, in der fein Mangel
kein fann fonft wäre wederder Schöpfer, noch das Geſchöpf.
Denn wie fönnte das Gefchöpf in concreter Weiſe fein aus dem abjoluten
göttlihen Sein, wenn die Goneretheit felbft feine WVereinigung mit Lep-
terem zuließe (Quomodo enim creatura esset contracte ab esse divino
absoluto, si ipsa contractio ipsi unibilis non esset)? die Goncretheit,
durch welche alle Dinge, fofern fie aus dem Abfoluten find, concret
eriftiren, und fofern fie coneret find, aus dem Abfoluten find. Mit diefem
Abfoluten nun iſt die Goncretheit ſelbſt auf das Innigfte geeinet. So
it denn in erfter Linte Gott der Schöpfer, in zweiter Gott und
der Menſch, deſſen erfchaffene Menſchheit im höchften Grade zur Einheit
mit ih von Gott angenommen ift (creata humanitate supreme in uni-
tatem sui assumta), gleichfan als die univerfelle Goncretheit aller Dinge,
mit der Gleichheit alles Seins hypoſtatiſth und perfönlich geeint, fo daß
durh den abjoluten Gott durd Vermittlung der univerfellen Eoncretheit —
die Menſchheit — in dritter Linie Alles ins concrete Sein hervorgeht,
auf daß alle Dinge auf diefem Wege, was fie find, in der beften Ord⸗
nung und Weile fein können. Dieſe Reihenfolge darf aber nicht zeitlich
gefaßt werden, ald wäre Gott der Zeit nah vor dem Erftgebornen der
Schöpfung, oder der erftgeborne „Bott und Menſch“ ver Zeit nach vor
der Welt gewejen, fondern es bezeichnet jene Reihenfolge die über alle
Zeit erhabene Natur und Ordnung der Bollfommenheit, fo daß ver bei
Bott vor aller Zeit und allen Dingen Eriftirende in der Fülle der Zeit
nah vielen Zeitumläufen der Welt erichienen ift.
Biertes Rapitel.
Das concret Größte ift Jeſus, der Gottmenſch.
Nachdem wir nun durch diefe Vernunftgründe in zweifellofem Glauben
dahin gelangt find, daß wir ohne Anftand das Geſagte ald ausgemachte
Wahrheit fefthalten, fo fahren wir weiter und fagen: die Fülle der Zeit
ift vorüber und Jeſus, der gepriefen fei in Ewigfeit, ift der Erſtge—
borne der ganzen Schöpfung. Theild aus dem, was er ald Menſch
in übermenfchlicher, göttlicher Weife vollbracht hat, theild aus feinen Aus-
jagen von fich feldft, ver in Allem wahrhaftig erfunden worden, theild aus
den mit Hingabe des eigenen Lebens befräftigten Zeugniffen feiner vers
trauten Freunde behaupten wir mit unerfchütterlicher, durch BAR Bes
Sharpff, Nie, v. Cuſa.
82
weiſe längft feftftehender Gewißheit, Er fei der, den die ganze Schöpfung,
ald in der Zeit erfcheinend von Anfang an erwartet, der fein Erfcheinen
in der Welt dur die Propheten vorhergefagt hat. Er kam, um Alles
zu erfüllen. Allen gab er wieder gefundes Leben, alle verborgenen
Tiefen und Geheimniffe der Weisheit fhloß er auf, wie Einer, der Macht
hat über Alles. Sünden vergab er wie Gott, er erwedte Todte, verwandelte
die Natur, gebot den böfen Geiftern, dem Meere und den Winden, ſchritt
auf dem Waſſer dahin und gab ein Gefeg, das die Ergänzung aller Ge
jege zu ihrer Vollfommenheit bildet. Nach dem Zeugnifje jenes ganz aus-
gezeichneten Verfünderd der Wahrheit, des heiligen Paulus, der in einer
Entzüdung die Erleuchtung von Dben erhielt, haben wir in Jeſus die
Bollendung von Allem (perfectionem omnium), die Erlöfung
und Bergebung der Sünden. Er ift das Abbild des unfichtbaren
Gottes, der Erfigeborne der ganzen Schöpfung; denn in ihm ift Alles
erihaffen, im Himmel und auf Erden, Sichtbares und Unfichtbares, Thronen,
Herrihaften, Bürftenthümer und Gewalten. Alles ift vurd ihn und
in ihm erfhaffen, er ift vor Allem und Alles befteht in ihm. Cr
ift dad Haupt ded Körpers der Kirche; denn er ift der Anfang felbit,
der Erftling aus den Todten, jo daß er in Allem den Primat einnimmt;
denn dem Vater gefiel es, daß in ihm die ganze Fülle wohne und Alles
durch ihn mit dem Vater verföhnt werde. Diefe und viele andern Zeugniſſe
der Heiligen bejtätigen «8, daß er Gott und Menſch ift; die Menſch—
heit ift in ihm durch das Wort mit der Gottheit geeint, jo daß er nicht
in fi, fondern in dem Worte fein Beftehen bat, dieweil die Menfchheit
auf ihrer höchften Stufe und in ihrer ganzen Fülle nicht anders, als in
der göttlihen Perfon des Sohnes beftehen fonnte.
Um nun über unjern Berftand hinaus, gleihfam in gelehrtem Nicht:
wiffen die Perſon zu verftehen, die den Menfchen mit fi geeinigt bat,
jo wollen wir für unfer Verſtändniß einen höhern Standpunft einnehmen
und auf den Sag zurüdgehen, den wir früher beiprochen haben, daß
nämlich Gott durch Alles in Allem und Alles durch Alles in Gott ift.
Da diefe Säge copulativ zu verftehen find und Gott infofern in Allem
ift, als Alles in Gott, und da das göttlibe Sein felbft die höchſte
Gleichheit und Einfachheit ift, fo ift Gott, fofern er in Allem ift, nicht
graduell in Allem, ald ob er fich ftufens und theilweiſe mittheilte. Das
AU kann aber ohne grabuelle Unterfchiede nicht fein. Es ift daher
mit gradueller Berfchlevdenheit in Got. Da nun Gott infofern in
Allem ift, ala Alles in ihm, fo erhellt, daß Gott ohne Beränderung
feines Weſens in der Gleichheit des Seins Alles ift in der
Einheit mit der größten Menfchheit Jefu Denn der größte
Menih kann in ihm micht anders als in der größten Weile (maxime)
83
kein. So find denn in Jeſus, der Gleichheit alles Seins, als In
dem göttlihen Sohne, der die mittlere göttliche Perfon if, der ewige
Vater und der heilige Geift, und Alles ift in ihm als in
dem Worte, jede Greatur iſt in der höchften und vollfommenften Menfchs
beit, welche univerfell Alles, was erfchaffen werben fann, (omnia creabilia)
in fih faßt, fo daß Jefus die ganze Fülle ift, die in ihm
wohnt Wir können uns dies einigermaaßen durch folgende Vergleihung
veranſchaulichen. Die Sinnenerfenntniß ift ein befchränftes (contracta)
Erkennen, weil der Einn nur Einzelne erfaßt. Die BVBernunfterfenntniß
it univerfell, weßhalb fie im Vergleich zur Sinnenerfenntniß abfolut ift
und frei von der Beichränftheit auf das Einzelne. Die Sinnenthätigfeit
(sensatio) erfcheint nun im verfchiedenen Graden, wodurch, je nad den
edleren und vollfommeneren Graden, verfchicdene Arten von Thieren ents
fehen. Wiewohl nun die Sinnenthätigfeit fib nah dem oben Gezeigten
niht auf den ſchlechthin höcften Grad erhebt, fo tritt fie doch in jener
Art, welhe in der Gattung der thierifhen Wefen die wirklich höchſte ift,
alſo in der menschlichen, als ein lebendiges Weſen auf, das infofern les
bendes Weſen ift, daß es zugleich Geift ift (denn der Menfch ift als Geift
Selbftbemußtfein — homo enim suus est intellectus), fo daß hier die
conerete Sinnlichkeit gewiffermaaßen in der geiftigen Natur hppoſtatiſch
rubt (suppositatur), indem die geiftige Natur ein gewiſſes göttliches,
abgefondertes, abftractes Sein ift, während die Sinnlichfeit ihrer Natur
nad zeitlich und zerftörli bleibt. Nach diefer obwohl entfernten Ver—
gleihung müfjfen wir Jeſus auffaffen. Die Menjchheit ruht in ihm hypo⸗
katifch in der Gottheit, weil fie anders nicht in ihrer ganzen Fülle die
größte fein könnte. Da nämlich die Vernunft Jeſu Cintellectus Jesu)
die vollfommenfte und ganz und gar actuell ift, jo kann fie mur in ber
göttliben Vernunft, die allein Alles in Wirklichkeit ift, perfönlih ruhen
(suppositari). Die Vernunft ift nämlih in allen Menfhen der Mög—⸗
ifeit nach Alles, fie geht ftufenweile von der Möglichkeit in die Wirk—
Ifeit über. Da nun die größte Vernunft der Höhepunft (terminus)
der Macht der ganzen vernünftigen Natur ift, in vollftändiger Aetivität,
jo fann fie Died nur fein, wenn fie infofern Vernunft ift, als
fie zugleich Gott ift, der Alles in Allem if. Die menſchliche Natur
ſei das in einem Kreis befchriebene Polygon, der Kreis die göttliche Natur.
Soll mın das Polygon das größtmöglichfte fein, fo dürfte es nicht im
beftimmten Winkeln für fich beftehen, fondern in der Kreisform, fo, daß
td feine befondere Geftalt feines Beftehens hätte, die von der ewigen
heiförmigen Geftalt losgelöst werben könnte. Die höchſte Vollendung
der menschlichen Natur zeigt fih im ihrem Subftantiellen und Weſentlichen,
aljo in der Vernunft, der alles Körperliche dienen muß. Der volltom-
6°
84
menfte Menſch braucht alfo nicht im Aecidentiellen hervorzuragen, außer
fo weit fi dieſes auf die Vernunft bezieht. Es ift nicht erforberlid,
daß er ein Rieſe oder uralt oder von diefer oder jener Größe, Farbe,
Geftalt ac. fei. Nur das wird erfordert, daß fein Körper die Ertreme
vermeide, um ein ganz tauglihes Werkzeug der Vernunft zu fein, der er
ohne Widerfeglichkeit oder Ermattung gehorchen und Folge leiften muß.
Bon unferem Jeſus, in dem alle Schäge ver Wiffenfchaft und Weisheit,
auch fo lange er ald das Licht in der Finfterniß auf diefer Welt wan-
delte, verborgen waren, nimmt man zufolge der Ueberlieferung der heiligen
Zeugen feined Lebens an, er habe einen dem Zwede der eminenteften
Vernünftigfeit ganz entfprechenden, vollfommenen Körper gehabt.
Fünftes Kapitel,
Chriſtus, empfangen von dem hi. Beifte, ift geboren aus Maria der Jungfrau.
Weiterhin ift zu erwägen, daß die volllommenfte, nad Oben geeinte
Menfhheit, da fie im Conereten der Höhepunft der Vollfommenheit if,
die Natur der (menſchlichen) Art nicht ganz ablegt. Nun wird aber
Gleiches von Gleihem erzeugt, das Erzeugte geht nah dem Naturgefehe
aus dem Erzeuger hervor. Hat aber der Grenz» und Höhepunft Feine
Schranfe (terminus autem cum careat termino), fo fehlt auh die Br-
grenzung und Proportion. Daher fann der größte Menſch nicht auf dem
natürlichen Wege erzeugt werden. Auf der andern Seite fann er aber aud
nicht des Anfangs ald Gattungsweien ganz entbehren, da er die höchſte
Vollkommenheit der Gattung ift. Einerfeits alfo tritt er ald Menſch nad
dem Geſetze der menjchlihen Natur in die Welt, andererjeits ift, weil er
das Höchſte im Anfange (altissimum prineipiatum), ganz unmittelbar mit
dem Anfang geeint ift Cimmediatissime principio unitur), diefer Anfang
jelbft das Schaffende oder Zeugende, der Vater. Der menſchliche Anfang
ift paffiver Natur, er gibt die empfänglihe Materie; daher die Ab-
ffammung von einer Mutter, ohne männlihen Samen. Alt
Thätigfeit aber geht aus einem Geift und einer Liebe hervor, die das
Active mit dem Baffiven vereint, wie früher gezeigt wurde. Die größte
Thätigfeit daher, über allem Gefege der Natur, durch welde der
Schöpfer mitdem Geſchöpfe geeint wird, muß aus der größten
einigenden Liebe, fomit aus dem bl. Geifte, der die abfolute Liebe
ift, hervorgehen. Dur ihn allein fonnte die Mutter den Sohn Gotted,
ded Vaters ohne Hülfe einer wirfenden Kraft aus dem Bereiche der
Gattung empfangen; fo daß Gott der Vater, gleihwie er Alles durch
feinen Geift geftaltet hat (formavit), was nicht aus fhon Gegebenem durd
85
ihn in’® Dafein hervorgetreten ift, jo in noch höherem Grade) mittelft
eben dieſes heiligen Geiftes wirkte, als er feine vollfommenfte Thätigfeit
entfaltere. Eine Vergleichung möge unferer Unwifjenheit zu Hülfe fommen.
Wenn ein ausgezeichneter Lehrer fein geiftiges Wort, feinen Gedanken
den Schülern mittheilen will, auf daß fie durd Darlegung der Wahrheit
geiftige Nahrung erlangen, fo forgt er dafür, daß der Gedanfe feines
Geifted zu einem Laute werde (vocem induat), weil er anders nicht mit-
theilbar iſt. Dies ift aber anders nicht ausführbar, ald durch den nas
türlihen Hauch (spiritus) des Lehrers, der durch Benügung der Luft einen
Laut bildet, welcher feinem geiftigen Worte (Gedanken) entſpricht. Mit
diefem Laute vereinigt er diefed Wort, fo daß der Laut in dem Worte
kin Beftehen hat, und die Zuhörer mittelft des Lautes das Wort erfaflen.
Diefe obwohl ganz entfernte Aehnlichkeit mag uns ein wenig in unferer
detrachtung behülflich fein. Indem der ewige Vater voll unendlicher Güte
und die Schäge feiner Herrlichkeit zu aller Fülle der Wiſſenſchaft und
Weisheit eröffnen wollte, hüllte er das ewige Wort, feinen Sohn, der
die Fülle von Allem ift, aus Mitleid mit unferer Schwachheit, weil wir
es anderd als in finnlicher und uns ähnlicher Form nicht erfaffen Fonnten,
um dafjelbe nach dem Maaße unferer Empfänglichkeit zu offenbaren, in bie
menfhlihe Natur, durch den bi. Geift, der gleihen Wefend mit ihm
it. Und wie der Hauch aus der am ſich gezogenen Luft die Stimme, fo
bat der bi. Geift aus der reinen Fruchtbarkeit des jungfräulichen Blutes
den Leib Jeſu gebildet (contexuit), auf daß der Menſch das Wort Gottes
des Vaters wäre, und hat diefen Leib innerlich fo fehr mit fich geeinet,
dab er das Eentrum der Subftanz der menſchlichen Natur wurde. Alles
dies iſt micht im zeitlicher Reihenfolge, wie bei der menſchlichen Empfäng-
niß, fondern in einer momentanen überzeitlihen Wirkſamkeit, durch den
der unendlichen Allmacht conformen Willen vollzogen worden.
Niemand wird zweifeln, daß die tugendreihe Mutter, welde
die Materie (für die Menfchwerdung des ewigen Wortes) darbot, alle
Jungfrauen durd die höchſte Tugend und Bollfommenheit
übertroffen habe und unter allen fruchtbaren Weibern die ge-
jegnetfte gewefen. Sie, die zu einer fo ausgezeichneten, ja einzigen
Iungfräulichen Geburt vorherbeftimmt war, mußte nothwendig von Allem
frei fein, was der Reinheit oder lebengfräftigen Einheit einer fo ausge—
rihneten Geburt im Wege ftehen konnte. Wäre die Auserwählte nicht
Jungfrau gewefen, wie hätte fie fih zu jungfräulihem Gebähren ohne
Juthun eines Mannes geeignet? War fie nicht ganz heilig und reich
gefegnet von Gott, wie hätte fie das heilige Gefäß (sacrarium) des
1) prineipalibus im Terte gibt feinen Sinn ; e8 muß wohl heißen: principalius,
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bl. Geiftes, in welchem dieſer für den Sohn Gottes den Leib bildet,
werben Fönnen? Blieb fieniht nad der Geburt Jungfrau, fo hätt
fie nicht für jene ganz einzige Geburt den Mittelpunkt der mütterlihen
Fruchtbarkeit in deren höchſten Vollfommenheit verwendet, fondern ihre
Thätigkeit wäre getheilt und geſchwächt gewefen, wie es fich für einen
folden, einzigen und höchſten Sohm nicht gegiemte. Hat aljo die heilige
Jungfrau fih ganz Gott hingegeben, dem. fie in der Wirkſamkeit des hi.
Geifted auch die ganze Natur der Fruchtbarkeit mitgetheilt hat, fo ift in
ihr die unbefledte Jungfräulichfeit vor, bei und nad der Ge—
burt, ganz über das Geſetz des gewöhnlichen Gebährens hinaus unver
fehrt geblieben. Somit ift der Gottmenſch Jeſus Ehriftus aus dem
ervigen Vater und einer zeitlichen Mutter, der glorreihen Jungfrau Maria,
geboren: aus dem größten Vater von abfoluter Fülle, aus eine
Mutter in der Fülle jungfräulicher, reichgefegneter Fruchtbarkeit, — in
der Fülle der Zeit. Der Menſch fonnte nämlich aus der jungfräulicen
Mutter nur zeitlich, aus Gott dem Vater nur ewig hervorgehen; aber die
zeitlihe Geburt erforderte binfichtlih der Zeit die Fülle der Wollendung,
wie in der Mutter die Fülle der Fruchtbarkeit. Als daher die Fülle der
Zeit fam, wurde er in der geeignetften Zeit und Raum, der jedoch allen
Gefchöpfen ganz verborgen blieb, geboren. Denn die höchfte Fülle ver
trägt fih nicht mit den fonftigen Ereignifjen ded Tages. Daher fein
Zeihen, an dem irgend welcher Verftand jene Fülle der Zeit hätte wahr
nehmen fönnen, obwohl durd eine ganz geheimnißvolle prophetiiche Ein
gebung einige dunfle Andeutungen, verhüllt in menfchliche Bilder, über
liefert waren, an denen die Verftändigen die Menſchwerdung des Wortd
in der Fülle der Zeit hätten vorherjehen fünnen. Doc genau den Dit,
die Zeit und Art und Weife hat nur der ewige Vater gewußt, der ı#
anordnete, daß, während Alles in der Stille der Mitternacht ruhte, im
Verlaufe der Naht der Sohn aus der Himmeldburg in den Leib der
Jungfrau hinabftieg und zur feftgefegten geeigneten Zeit in Knechtsgeſtall
fi) der Welt offenbarte.
Sechstes Kapitel,
Das Mofterium des Todes Jeſu Chriſti.
Ih muß. mir eine furze Digreffion erlauben, um das Miüfterium
ded Kreuzes deutlicher darzuftellen.
Der Menfch befteht aus Sinn und Vernunft, zwiſchen welden fid
der Berftand als Berbindungsglied befindet. Der Ordnung nad iſt der
Sinn dem Verftande, diefer der Vernunft untergeordnet. Die Vernunft
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iſt nicht zeitlih und weltlih, fondern hievon frei; ber Sinn tft mweltlich
(de mundo), der Zeit und Beweguma unterworfen. Der Berftand ift der
Horizont der Vernunft, dad Auge des Sinnes; in ihm coincivirt, was
unter und über der Zeit iſt. Der Sinn tft unfähig für das Leberzeitliche
und Geiftige. Das Thier verfteht nicht, was Gottes ift, da Gott ein
Geift, ja mehr als ein Geift ift. Daher bewegt fih die Sinnenerfennt»
niß in einer Finfterniß der Unfenntniß der ewigen Dinge; ihre Bewegung
geht fleifchlih nah den fleifchliden Gelüften vermöge der Begierlichkeit,
während fie vermöge der Zornmüthigfeit nicht im Stande ift, jene zurüds
worängen. Der Berftand, der fein Uebergewicht durch die Theilnahme
an der vernünftigen Natur gewinnt, bewahrt in fich einige Geſetze, durch
die er die Teidenfchaftlihen Begierden regiert, leitet und auf das rechte
Maaß zurücführt, auf daß der Menſch nicht das Sinnlihe fidy zum Ziele
jege und fo der Sehnſucht nad dem Geiftigen und Vernünftigen verluftig
gehe. Ein Hauptgefeg des Berftandes ift, nichts dem Andern zu thun,
was man ſelbſt nicht wünſcht, das Ewige dem Zeitlichen, das Lautere und
Heilige dem Bergänglihen und Unlautern vorzuziehen. Behülflih find
biegu auch jene Gefege, die ald ein Erzeugniß des Berftandes von heili-
gen Gefeggebern nah Berfchiedenheit von Drt und Zeit ald Heilmittel
für den Berftand der Sünder gegeben wurden, Allein die Vernunft er
fennt auf ihrem höheren Standpunfte, daß, wenn aud der Sinn fih in
allen Stüden dem Berftande unterwirft und den ihm angebornen Affecten
nicht huldigt, der Menſch gleihwohl aus fi das Ziel feines ver
nünftigen und ewigen Sehnen nicht erreichen fann. Denn da
der Menſch aus dem Samen Adams in fleifchlicher Luft gezeugt ift, fo
dag das Thierifche dur die Fortpflanzung über das Geiftige das Ueber,
gewicht hat, fo tft die menjhlihe Natur in ihrer Wurzel (in
radice originis) in das fleifhlihe Begehren eingetauct (carnalibus
deliciis immersa), in welchem jeder Menfh durch den Vater gezeugt ift,
und er bleibt daher gänzlih unfähig, über das Zeitliche hinweg das
Beiftige zu ergreifen. Wenn nun das Gewicht der fleifchlichen Gelüfte
Verftand und Vernunft abwärts zieht, daß beide diefen Gelüften zuftimmen,
ohne ihnen Widerftand zu leiften, fo ift Far, daß der folhergeftalt abwärts
gefehrte Menich, von Gott abgewandt, des Genuſſes des höchſten
Gutes, das für die Vernunft im Himmel und ewig if, vollftändig bes
raubt ift. Herricht aber der Verftand über den Sinn, fo ift noch weiter
erforderlich, daß auch die Vernunft über den Verſtand herriche, damit der
Menſch über den Verftand hinaus in lebendigem Glauben (fide formata) an
den Mittler ſich anfchließe, und fo durch Gott zur Glorie erhoben werden kann.
Kein Menih war je im Stande, erhoben über fich felbft und feine Natur,
die von Anfang an den Sünden der fleifchlihen Begierden unterworfen
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ift, über die Wurzel feines Lebens zum Ewigen und Himmlifchen fich zu
erheben. Nur der vom Himmel herabgeftiegen ift, Jeſus Chriſtus, ift
Derjenige, der auch im eigener Kraft wieder hinaufgeftiegen; in ihm ift
die menfhlide Natur nit aus dem Willen bes Fleifches,
fondern aus Bott geboren und fand daher fein Hinderniß, mit Macht
zu Gott dem Vater zurüczufehren. In Chriſtus ift daher die menſch—
lihe Natur durd jene Einigung zur höchſten Macht erhoben
und dem Gewichte der zeitlihen und befchwerenden Begierden entrifien.
Ehriftus der Herr wollte num alle Sünden der menfchliben Natur, bie
und zum Irdiſchen berabziehen, an feinem menfchlichen Leibe nicht um
feinetwillen (da er feine Sünde begangen), fondern um unfertwillen gänzlich
ertödten und durch das Ertödten wegſchaffen, auf daß alle Menfchen von
gleicher Menfchheit mit ihm die volftändige Reinigung von ihren Sünden
in ihm erlangten. Der freiwillige und fo unverfhuldete, fo
ſchmähliche und graufame Kreuzestod ded Menfhen Chriſtus
war für alle fleiſchlichen Begierden der menſchlichen Natur
deren Tilgung, Genugthuung und Reinigung. Was nur immer
nach Menſchenweiſe gegen die Liebe des Nächſten geſchehen kann, das
iſt in der Fülle der Liebe von Chriſtus, indem er ſogar für ſeine
Feinde ſich dem Tode hingab, wirklich vollbracht worden. Die Menſch—
heit in Chriſto Jeſu hat demnach das Mangelhafte aller Menſchen ergänzt
(omnes omnium hominum defecetus adimplevit). Denn da dieſe Menſch—
heit die größte ift, fo umfaßt fie die ganze Potenz der Gattung und ift
gegen jeden Menfchen die Gleichheit des Seins, fo daß Ehriftus mit
einem jeden Menfchen weit inniger als der Bruder oder vertrautefte Freund
verbunden if. Das bewirft das Vollmaaß (maximitas) der
menfchliben Natur, daß Ehriftus in jedem Menſchen, der fid
in lebendigem Glauben an ihn anfhließt, eben dieſer Menſch
ift, in vollfommenfter Ginigung, unbefchadet der Selbftftändigfeit
des Einzelnen (eujuslibet numero salvo). So bewahrheitet fih, was er
felbft fagt: „Was ihr einem der Geringften aus den Meinigen thuet,
das habt ihr mir gethan“, woraus umgekehrt folgt, daß, was Jeſus
Ehriftus durch fein Leiden verdient bat, Die verdient haben,
die Eines mit ihm find, wobei jedoch verſchiedene Grade des Ber:
dienftes ftattfinden, nad dem Grade der Einigung eined Jeden mit ihm
in einem von Liebe belebten Glauben (per fidem caritate formatam).
In ihm find demnach die Gläubigen befchnitten, in ihm getauft, geftorben,
durd die Auferftehung wiederbelebt, in ihm mit Gott geeint und verherr
liht (glorificati). Unfere Rechtfertigung ift daher nicht au
uns, fondern aus Chriſtus. Da er die ganze Fülle ift, jo erlangen
wir in ihm Alles, wenn wir ihn haben. Und da wir ihn im diefem Leben
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durch Tebendigen Glauben befigen, fo fünnen wir nicht anders als durch
den Glauben gerechtfertigt werden, wie ich weiter unten ausführlicher
jeigen werde.
Das ift das unausfprechliche Geheimniß des Kreuzes und unferer
Erlöfung. Durch dasſelbe zeigt uns Chriſtus (weit beffer ald durd das
oben Berührte), daß wir Wahrheit, Gerechtigfeit, alle göttliche Tugenden
dem zeitlichen Leben ald das Ewige dem Hinfältigen vorziehen follen, To
wie daß der vollfommene Menſch fib durch höchſte Standhaftig-
feit und Starfmuth, Liebe und Humanität auszeichnen joll, wie
der Kreuzestod Ehrifti zeigt, daß in ihm, dem größten Menſchen, viele
und alle andern Tugenden im größten Maafe vorhanden waren. Je mehr
daher der Menſch in den unfterblichen Tugenden fortfchreitet, deſto ähn—
liher wird er Chriftus. Das Kleinfte coincivirt dann mit dem Größten:
die größte Erniedrigung mit der größten Erhöhung, der ſchmähliche Tod
des Frommen mit dem Leben in der Glorie ıc., wie und das Alles Ehrifti
eben, Leiden und Kreuzestod zeigen. |
Siebentes Kapitel.
Das Moyfterium der Auferftehung.
Der dem Leiden und Tode unterworfene Menſch Chriftus konnte auf
feinem andern Wege in die Herrlichkeit des Waters, der als das abjolute
Leben die Unfterblichfeit ſelbſt ift, eingehen, ald wenn das Sterbliche die
Unfterblichfeit anzog. Died war ohne den Tod nicht möglich; denn wie
jollte das Sterbliche die Unfterblichfeit anziehen, außer wenn es der Sterb-
lichkeit entfleidet wird? und wie follte dies gefchchen, außer wenn dem
Tode der Tribut entrichtet wird? Daher fagt die Wahrheit felbft, dieje-
nigen feien unverftändig und von langſamer Einficht, welche nicht einfehen,
„daß Chriftus fterben und fo in feine Herrlichkeit eingehen mußte.“ Da
wir nun vorhin gezeigt haben, Ehriftus fei für uns des graufamften Todes
geftorben, fo müſſen wir folgerichtig fagen: weil die menfchlihe Natur
nicht anders, als durch den Sieg über den Tod zum Tempel der Uns
fterblichkeit hinaufgeführt werden fonnte, fo ftarb Ehriftus, damit die
menſchliche Natur mit ihm zum ewigen Leben auferftehe und
der thierifche fterblihe Körper ein geiftiger und unzerftörs
liher werde. Er fonnte fein wahrer Menſch fein, wenn er nicht fterblich
war, und er founte die fterblihe Natur nicht zur Unfterblichfeit führen,
wenn nicht die Sterblichkeit dur den Tod entwaffnet war. Höre, wie
ſchön uns die Wahrheit felbft hierüber belehrt, wenn fie fagt: „Wenn
das Waizenkorn nicht in die Erde fällt und ftirbt, fo bleibt es allein;
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ftirbt e8 aber, fo bringt es viele Frucht.” Wäre alfo Ehriftus immer
fterblih geblieben, wenn er auch nie geftorben wäre, wie hätte er, ein
fterblihber Menfh, der menſchlichen Natur die Unfterblichkeit gegeben ?
MWäre er nie geftorben, fo wäre er eben allein, ohne zu fterben, fterblic
geblieben. Er mußte alfo von der Möglihfeit des Sterbend
durh den Tod befreit werden, wenn er viele Früchte bringen
follte, auf daß er fo erhöhet Alles an fich ziehe, wenn feine Macht fid
nicht bloß auf die Welt und vergängliche Erde, fondern aud auf ben
unvergänglihen Himmel erftredte. Wir werden dies in unferer Unwiſſen⸗
heit einigermaaßen erfaffen, wenn wir das oft Gefagte ung vergegemwärtigen.
Wir haben gezeigt, Jeſus, der größte Menfch, habe in fib, abge
fondert von der Gottheit, Fein Beftehen, weil er der größte if. Deßhalb
wird der gegenfeitige Austauſch der göttlichen und menſchlichen Prädicate
(communicatio idiomatum) geftattet, fo daß das Menſchliche mit dem
Göttlichen coincidirt, weil jene Menſchheit, ungertrennlich von der Gottheit,
in Bolge der höchften Einigung, gleichſam durch die Gottheit angezogen
und angenommen (quasi per divinitatem induta et assumta) abgefondert
fein perfönlihes Sein und Beftehen hat. Nun ift ver Menſch aus Körper
und Seele geeint; die Scheidung ift der Tod. Da nun der größte Mens
in der göttlihen Perſon bypoftatiich ruht (suppositatur), fo fonnte auch
nad der localen Scheidung unmöglich entweder die Seele oder der Leib
im Moment des Todes von der göttlichen Perſon, ohne welde der größte
Menſch nicht beftand, losgetrennt werden. Chriftus farb alfo micht in
der Weiſe, als hätte feine PBerfon einen Mangel gehabt, fondern, abge
jehen von der localen Scheidung, blieb er in Hinfiht auf das Een
trum, in weldem feine Menſchheit rubte, mit der Gottheit
bypoftatifch geeint. Nach der nievern Natur, welche ihrem Wefen
nah eine Echeidung von Seele und Leib geftattet, ift diefe Scheidung
zeitlich und räumlich erfolgt, fo daß in der Todesftunde Seele und Leib
nicht mehr in bderjelben Zeit und in demfelben Raume zugleich waren.
In Körper und Seele war eine Zerftörlichfeit nicht möglih, da fie mit
der Ewigfeit geeint waren, allein die zeitlihe Geburt war dem Tode und
der zeitlichen Scheidung unterworfen, fo daß, nachdem der Kreislauf von
der Zufammenfegung zur Auflöfung vollendet und namentlich der Leib von
aller zeitlichen Bewegung frei geworden war, das wahre Weſen ber
Menſchheit (veritas humanitatis), das überzeitlich mit der Gott
heit geeint unverfehrt geblieben, wie es diefed wahre Weſen er
forderte, den wahren Leib mit der wahren Seele vereinte (veri-
tatem corporis veritati animae adunaret), jo daß das Scattenbild der
Wahrheit (Idee) des Menſchen entlaffen wurde (dimissa umbrosa ima-
gine veritatis hominis) und der in der Zeit erſchienene wahre Menſch
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frei von aller Einwirkung der Zeitlichfeit auferftand. Es ift alfo ein und
verjelbe Jeſus, erhoben über alle zeitlihe Bewegung, um nicht mehr zu
fterben, in Wirflichfeit auferftanden, durch eine Wiedervereinigung der Seele
und des Leibe, Ohne diefe MWiedervereinigung wäre die unzerftörliche
Wahrheit (Idee) der Menichheit nicht auf das Wahrfte, ohne Vermiſchung
der Raturen, mit der göttlichen -Perfon bypoftatifch vereinigt geweſen.
Unterftüge die Schwäche und Unwiffenheit des Geiftes durch das Beifpiel
Ehrifti vom Waizenfom! Das Waizenforn wird als ein Einzelnes zer:
fört, aber die fpecifiihe Wefenheit defielben bleibt unverfehrt, durch welce
die Natur eine Menge von neuen Körnern auferwedt. Wäre nun das
einzelne Waizenforn das größte und vollfommenfte feiner Art, und würde
8 in dem beften und fruchtbarften Erdreiche erfterben, jo könnte ed nicht
bloß hundert- und taufenfahe Frucht bringen, fondern fo viele, ald im
Bereihe der ganzen Möglichkeit feiner Art enthalten if. Das ift der
Sinn jenes Wortes der ewigen Wahrheit: „es bringt viele Brut“; denn
das Viele ift eine zahllofe Endlichkeit. Verftehe es wohl! Die Menſch—
beit Jeſu muß, fo gut fie ald concrete Erfcheinung des Menſchen Ehriftus
aufgefaßt wird, ebenjo zugleich auch als vereint mit der Gottheit gedacht
werden. In letzterer Hinficht ift fie abfolut (plurimum absoluta), fofern
Ehriftus ald wahrer Menfch betrachtet wird, ift fie concret, fo daß er
dur die Menichheit Menſch if. So iſt die Menfchheit Jeſu die Mitte
milben dem rein Abfoluten und rein Concreten. Sie tft eben deßhalb
nur relativ zerftörlich, fchlechthin aber unzerſtörlich (non fuit corruptibilis,
oisi secundum quid, et simpliciter ineorruptibilis). Der Zeitlichfeit nach,
auf die fie eingefchränft. war, war fie zerftörlich, als frei von der Zeit,
über der Zeit, mit der Gottheit geeint, war fie ungerftörlihd. Die Wahr
beit in ihrer zeitlichen Grfcheinung (veritas ut est temporaliter contracta)
it Symbol und Abbild der überzeitlihen Wahrheit. So ift auch die zeit
lie Erſcheinung des Körpers gleihfam das Scyattenbild ded wahren
überzeitlichen Körpers, und die concerete Eeele das Schattenbild der von
der Zeitlichfeit befreiten Seele. So lange diefe in der Zeit ift, wo fie
ohne Bilder der Dinge (sine phantasmatibus) nichts auffaßt, erſcheint fie
mehr ald Sein oder Berftand, ) denn ald Vernunft; ift fie aber über
die Zeitlichfeit erhaben, fo ift die Vernunft (von diefen Bildern) frei und
unabhaͤngig. Da nun die Menichheit Jeſu unauflöslih nad Oben in
4) Der Tert bat: videtur enim potius sensns aut raro quam intellectus, was
kinen Einn gibt. Schon der Gegenfag von intellectus deutet darauf hin, daß Gufa
son den zwei übrigen, unter der Vernunft flehenden Grfenntnißfräften, bie im gewöhn:
Ühen Leben der Menfchen vorherrfchend find, ſprechen will, und diefe find (vgl. furz
vorher III. e. 6.) sensus und ratio. Statt raro muß alfo unftreitig ratio gelefen
Werben,
92
ber göttlichen Ungerftörlichfeit wurzelte, fo konnte, nachdem der vergängliche
zeitliche Lebenslauf vollendet war, die Löfung mur nach der Wurzel der
Ungerftörlichkeit bin erfolgen. Daher ift Jeſus nach dem Ende des zeit
lichen 2ebenslaufes, welches der Tod war, nah Entfernung von Allem,
was ſich zeitlich der Wahrheit der menfchlichen Natur beigefellte, aufer«
ftanden, nicht mit einem fchweren, zerftörlichen, unvollfommenen (umbrosa),
leivensfähigen und mit den andern, der zeitlihen Zufammenfegung anfle
benden Mängeln bebafteten Leibe, fondern in einem wahren, verherrlichten,
leidensunfähigen, beweglichen und unfterblichen Leibe, wie es die Wahrheit,
frei von zeitlichen Bedingungen, erforderte. Diefe Wiedervereinigung (von
Seele und Leib) war durch die Wahrheit der bypoftatiihen Einigung der
göttliben und menſchlichen Natur geboten. Es mußte alfo Ehriftus von
den Todten auferftehen, wie er felbft fagte: „So mußte Ehriftus leiden
und am dritten Tage von den Todten auferftehen.“
Achtes Kapitel.
Ehriftus, der Erftling der Entfchlafenen, ift in den Himmel aufgefahren.
Nah dem bisher Gezeigten ift nun leicht einzufehen, daß Ehriftus
der Erftling der Geftorbenen ift (primogenitum ex mortuis esse); denn
fein Mensch fonnte vor ihm auferftehen, weil die menjchlide Natur noch
nicht in der Zeit zu ihrem Höhepunfte (ad maximum) gelangt, noch nicht
mit der Ungerftörlichfeit und Unfterblichfeit, wie in Chriſtus, geeint war.
Ale waren unfähig dazu, bis Der Fam, welcher fagte: „ich habe die Macht
mein Leben Hinzugeben und es wieder zu nehmen.“ In Chriftus, dem
Erftlinge der Entichlafenen, bat daher die menfchliche Natur die Unſterb—
lichkeit angezogen. Nun gibt ed aber nur Eine untheilbare Menjchheit
und nur Eine fpecifiiche Wefenheit aller Menfchen, durch welche alle ein-
zelnen Menfchen unter fich der Zahl nad verfchiedene Weſen find, fo daß
die Menfchheit Ehrifti und aller andern Menfchen die gleiche ift, unbe
fhadet des numerifchen Unterfchieds der einzelnen Individuen. Hienach
ift Mar, daß die Menjchheit aller Menfchen, die zeitlich vor oder nad)
Ehriftus Tebten oder noch leben werben, in Ehriftus die Unfterblichkeit ans
gezogen haben. Der Schluß ift alfo gültig: der Menſch Ehriftus ift auf
erftanden, folglich werden nad dem ganzen Ablaufe der zeitlichen Zerftörs
lichkeit alle Menſchen dur ihn auferftehen, um ewig ungerftörlih zu fein.
Wiewohl jedoch die Menfchheit aller Menſchen Eine und Diefelbe ift, fo
find doch die individualiſirenden Principien, welche die Menfchheit auf
dieſes oder jenes Subject einfchränfen, mannigfach und verſchieden. Nur
in Zefus Chriftus waren fie am vollfommenften und mächtigften, dem
93
Weſen der Menſchheit am nächften, die mit der Gottheit geeint war, in
deren Kraft Jeſus im Stande war, mit eigener Kraft aufzuerftehen, eine
Kraft, die ihm aus der Gottheit zufam. Eben deghalb heißt ed auch,
Gott habe ihn von den Todten auferwedt, während er, va er Gott und
Menſch war, durch eigene Kraft auferftanden ift. Chriftus, der nur nad)
feiner Abftammung von einer Mutter zeitlich geboren ift, bat bei feiner
Auferftehung nicht den ganzen Abfluß der Zeit abgewartet, weil die Zeit
feine Geburt durchaus nicht erfaßt hat.
Beachte ferner: die menfchliche Natur hat in Chriſtus die Unfterb-
lipeit angezogen; daher werden wir zwar Alle, Gute wie Böfe, aufer—
ftehen, aber nicht alle durch die Herrlichkeit (per gloriam), die und durch
Ehriftus, den Sohn Gottes, zu Kindern Gottes (in filios adoptionis) um—
geftaltet, verwandelt werden. Alle werden durch Chriftus aufer-
ftehen, aber nicht Alle wie Chriſtus und durd Einigung mit ihm,
jondern nur Jene, die ihm durd Glaube, Hoffnung und Liebe
angebören.
Hieraus fiehft du, wenn ich mich nicht täufhe, daß es Feine
vollfommene, den Menfchen zum höchften und erfehnten Ziel des Frie-
dend führende Religion gibt, die Chriſtus nit ald Mittler
und Erlöfer, als Gott und Menfhen, ald den Weg, die
Wahrheit und das Leben auffaßt. Wie wiverfinnig ift daher der
Itrglaube der Saracenen, welche Chriftus für den größten und
volllommenften Menſchen halten, geboren aus der Jungfrau, und glauben,
daß er lebendig in den Himmel aufgefahren, aber feine Gottheit läugnen.
Sie find fürwahr verblendet, weil fie Unmögliched behaupten. Nach dem
Gefagten muß es für jeden vernünftigen Menſchen fonnenflar fein, daß
fein Menſch der durchaus vollfommenfte und größte und übernatürlich
aus einer Jungfrau geboren fein kann, der nicht zugleich Gott iſt. Die
Saracenen find daher unverfländig, Feinde des Kreuzes, die deflen My—
ferien nicht verftehen und darım auch die göttliche Frucht der Erlöfung
nicht verfoften werden. Auch von dem Gefehe ihres Mahomed, das nichts
als die Befriedigung finnlicher Luſt verheißt, die durch den Tod Ehrifti
in uns ertödtet ift, dürfen fie nicht erwarten, wornach wir in Hoffnung
auf den Befig unvergänglicher Herrlicfeit eifrig fireben. Mit den Sa—
rasenen glauben auch die Zuden, der Meſſias fei der größte, vollfoms
menfte, unfterblihe Menſch, läugnen aber gleichfalls feine Gottheit, von
derfelben teuflifchen Blindheit gefhlagen. Auch fie werden die höchſte Se—
ligfeit, Gott zu genießen, auf die fie nicht hoffen, auch nicht erlangen.
Bas am Befremdendften ift, ift das, daß fowohl Juden ald Saracenen
an eine einftige allgemeine Auferftehung glauben, aber die Möglichkeit ders
ſelben durch einen Menſchen, der zugleich Gott if, nicht zulaffen. Wollte
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man auch fagen, die Auferftehung fei ſchon darum nothwendig, weil fonft,
wenn die Bewegung ded Entſtehens und der Zerftörung aufhört, das
Univerfum nicht mehr feine VBollfommenbeit hätte, und da die menfchliche
Natur ein weſentlicher Theil des Univerfums ift, das Univerfum ohne fie
nicht nur nicht vollfommen, fondern überhaupt Fein Univerfum mehr fein
würde, und daß, wenn einmal die Bewegung aufhört, entweder das
ganze Univerfum zu Grunde gehen oder die Menfchen, deren Natur als
die mittlere das Ganze in fich faßt, zur Ungerftörlichfeit auferftehen müffen
(andere lebende Weſen brauchen nicht aufzuerftehen, da der Menfch die
Vollfommenheit derfelben ift); oder wollte man auch die Auferftehung
nur defhalb annehmen, damit der ganze Menih die ihm gebührende
Vergeltung von dem gerechten Gott erhalte, fo ift doch zu allem Dem
vor Allem der Glaube an Ehriftus als den Gottmenſchen nothwendig,
durch welchen allein die menſchliche Natur zur Unvergänglichfeit gelangen
fann. Blind find daher Alle, welhe an die Auferftehung glauben, aber
Ehriftus, die Vermittlung ihrer Möglichkeit, nicht befennen, da der Glaube
an die Auferftehung auch der Glaube an die Gottheit und Menfchheit
Ehrifti, an feinen Tod und feine Auferftehung If.
Auferftanden iſt er, um dur die Himmelfahrt in feine Herrlichkeit
einzugehen. Ich glaube, daß diefe Himmelfahrt zu denfen ift ald über alle
Bewegung der Zerftörlichfeit und über allen Einfluß der Himmel erhaben.
Denn wiewohl Jefus feiner Gottheit nach überall ift, fo ift doch das fein
ihm eignender Drt, wo fein Wechſel, Leiden, Traurigkeit, überhaupt nichts
von dem ift, was der Zeitlichfeit angehört. Diefer Ort der ewigen Freude
und des Friedens — fagen wir — ift über den Himmeln, wiewohl er
weder zu bejcdhreiben, noch zu definiren ift. Chriftus ift der Mittelpunft
und die Peripherie der vernünftigen Natur, und da die Vernunft Alles
umfaßt (omnia ambiat), fo iſt er über Allem. Indeſſen wohnt er in den
heiligen Seelen und vernünftigen Geiftern, welde die Himmel find, vie
feine Herrlichfeit verfünden, als in feinem Tempel, Wir erfennen alſo,
daß Chriftus über Raum und Zeit zu einer ungerftörlihen bleibenden
Wohnung fi erhoben habe, wenn es heißt: er erhob ſich über alle Himmel,
um Alles zu erfüllen. Da er Gott tft, fo ift er Alles in Allem; er
herricht in den Himmeln der vernünftigen Naturen, da er die Wahrheit
ſelbſt iſt. Er ift nicht räumlich mehr in der Peripherie, ald im Centrum,
da er der Mittelpunft aller vernünftigen Geifter und ihr Leben ift. Daber
fagt er aud, er, der die Duelle des Lebend und das Ziel aller Geifter
ift, das Himmelreich fei in den Menfcen.
95
Neuntes Kapitel,
Chriſtus ift der Nichter der Lebendigen und der Todten.
Welcher Richter ift gerechter, ald der, welder die Gerechtigkeit felbft
it? Chriftus, das Haupt und der Anfang jedes vernünftigen Geichöpfes,
ift die größte Vernunft felbit, von der jede Vernunft ftammt. Die Ber
nunft fällt das unterfcheidende Urtheil. Sonach ift der mit Recht der
Richter der Lebendigen und der Todten, der mit allen vernünf-
tigen Naturen die menjhliche Natur angenommen hat und dabei Gott ge—
blieben ift, der der Vergelter von Allem iſt.
Ehriftus richtet Alles überzeitlich, durch ſich und in fi, weil er alle
Geihöpfe als der größte Menſch, in dem Alles ift, in fi begreift. Gott
ald Gott ift das unendlidye. Licht, in dem feine Finfterniß ift, das Alles
erleuchtet, jo daß in diefem Lichte dem Lichte ſelbſt Alles ganz klar und
offenbar ift. Diefes unendliche vernünftige Licht umfaßt überzeitlich ſo
Gegenwart ald Bergangenheit, Lebendes und Todtes in fih, wie das
phyſiſche Licht die Hypoftafe aller Farben if. Ehriftus ift wie das
reinfte Feuer, das vom Lichte ungertrennlich ift, und nicht in fich, fons
dern im Lichte feinen Beftand hat. Er ift das Feuer des geiftigen und
vernünftigen Lebens, das, indem ed Alles verzehrt und in fi
aufnimmt, eben dadurd Alles prüft und beurtbeilt. Alle
vernünftigen Geifter werden in Ehriftus fo geprüft, wie dad dem Feuer
Uebergebene Cignibile) im Feuer. Einiges wird, während es im feuer
aushält, doch ganz in die Achnlichfeit mit dem Feuer umgewandelt. So
wird das befte und vollfommenfte Gold im Feuer fo in Feuer verwandelt,
daß man nicht Gold mehr ald Feuer wahrnimmt. Anderes nimmt an
der Intenfität des Feuerd nicht in diefem Grade Antheil, wie das ger
läuterte Silber, Erz und Eifen. Jedoch fcheint Alles in Feuer verwandelt,
obwohl Zegliched in einem befondern Grade. Diejed Gericht übt jedoch
nur das Feuer aus, nicht die vom Feuer ergriffenen Gegenftände (iguitum),
da jeder der leßtern in jedem andern nur das heftige Feuer bemerft, nicht
aber die Gradunterfchiede der vom Feuer ergriffenen Gegenftände, gleich.
wie auch wir, wenn wir gejchmolzenes Gold, Silber und Kupfer in einem
ſeht großen Feuer fehen, die Unterfhiede der Metalle, wenn fie in die
Form des Feuers umgeftaltet find, nicht wahrnehmen. Hätte nun dieſes
euer Bewußtfein und Vernunft, fo fennete es die Grade der Boll
fommenheit eines Jeden, und vie Yähigfeit für die Aufnahme eines in-
tenfiven Feuers würde in Jedem graduell verfhieden erfcheinen. Wie es
daher einige dem Feuer unterworfene Stoffe gibt, die im Feuer unzers
Rörli verharrend Licht und Wärme in fehr hohem Grade aufnehmen
96
und vermöge ihres geläuterten Zuftandes leicht zur Aehnlichkeit des Feuers
fih umgeftalten laffen, während andere Stoffe wegen ihrer unreinen
Beichaffenheit zwar wärmefühig, aber nicht in Licht verwandelbar find,
jo theilt auch Chriftus der Richter in Einem einfachften und unter
Ichiedlofen Ausipruche (judicium), in Einem Momente, an Alle auf bie
gerechtefte Weiſe, ohne alle Mißgunft, nicht in zeitlicher, fondern natürlicher
Ordnung, die Wärme der anerfchaffenen Berftändigfeit (calorem creatae
rationis communicat) aus, und ift diefe Wärme von Jedem aufgenommen,
fo gießt er das göttliche Licht der Vernunft von Oben ein, fo daß Gott
Alles in Allem iſt und Alles dur ihn, den Mittler, in Gott und ihm
(dem Mittler) glei, fo weit dies nad der Empfänglichfeit eined Jeden
möglich iſt. Daß aber einige Stoffe (quaedam), die mehr geeint und
geläutert find, nicht nur für Wärme, fondern auch für Licht empfänglic
find, andere faum für Wärme, aber nicht für Licht, ift eine Folge ver
mangelhaften Dijpofition der Gegenftände. Da mun jened unendliche Licht
die Ewigfeit und Wahrheit felbft ift, fo muß das verftindige Geſchöpf,
das durch dasfelbe erleuchtet werden will, fihb über Welt und Zeit zu
dem Wahren und Ewigen hinwenden. Denn Körperliched und Geiſtiges
find Gegenſätze. Das bloße Vegetiren ift körperlicher Natur, es ver
wandelt die von Außen aufgenommene Nahrung in die Natur des Gr
nährten, ed verwandelt fih nit das Thier in Brod, fondern umgekehrt.
Der vernünftige Geift hingegen, deſſen Thätigkeit überzeitlich, gleichfam
am Horizont der Ewigkeit fih bewegt, faun das Ewige, weil ed ewig
ift, nicht in fih verwandeln; allein er kann auch fi, da er gleichfalls un
zerftörlih ift, nicht fo in das Ewige verwandeln, daß er aufhört, eine
vernünftige Subftanz zu fein. Er wird daher fo in jened verwandelt,
daß er zur Aehnlichfeit mit dem Ewigen umgeftaltet wird (absorbeatur),
jedoch mit graduellem Unterfchieve. Iſt er ftärfer und inniger dem Eigen
zugewandt, jo geht feine Vollendung durh das Ewige aud tiefer (pro-
fundius ab aeternis perficiatur) und fein Sein verbirgt fih in dem ewigen
Sein (et abscondatur ejus esse in ipso esse aeterno). Da Chriftus
unfterblich ift und fortlebt, ja das Leben und die Wahrheit ift, fo wendet
fih, wer zu ihm fih wendet, zum Leben und zur Wahrheit bin; mit je
vegerem Eifer es geſchieht, deſto mehr erhebt er fi über das Zeitliche
und Bergängliche zum Ewigen hin, jo daß fein Leben verborgen ift in
Ehriftus. Die Tugenden find die ewige Gerechtigkeit, die in alle Ewig—
feit dauert, das Leben und die Wahrheit. Wer fi der Tugend zuwendet,
wandelt auf den Wegen Ehrifti, auf den Wegen der Reinheit und Um
fterblichfeit. Die wahren Tugenden find eine göttlide Er
leuchtung (divinae illuminationes). Wer fih daher in diefem Leben
durch Chriftus, der die Tugend ift, zur Tugend wendet, wird, wenn er
97
von dieſem zeitlichen Leben befreit ift, in der Reinheit des Geiftes erfunden
werden, und eingehen dürfen in die Freude, Gott ewig zu befigen. Die
Hinfehr (eonversio) unſeres Geiftes erfolgt, wenn er fih mit allen feinen
geiftigen Kräften zur reinften ewigen Wahrheit im Glauben, dem er
Alles hintanfegt, hinwendet und diefe Wahrheit ald das allein Liebends
würdige liebt. Die Hinfehr zu Ehriftus, der die Wahrheit ift, im fels
ienfeften Glauben ift Beratung der Welt und fiegreihes Bezähmen alles
Weltliben (est mundum istum deserere atque in victoria calcare).
Chriſtus auf das Herzlichfte lieben, heißt in geiftiger Bewegung zu ihm
himiehen, der nicht nur liebenswürdig, fondern die Liebe (caritas) felbft
it. Zieht der Geift in den Stufen der Liebe zur Liebe felbft hin, fo
vertieft er fich, erhoben über die Zeit und alle weltliche Bewegung, in der
Liebe (in ipsam caritatem profundatur). Wie jeder Liebende in der Liebe,
ſo leben Alle, welche die Tugend lieben, in Chriftus. Und wie jeder
Biebende durch die Liebe liebt, fo lieben alle Freunde der Wahrheit die
Wahrheit durch Chriſtus. Niemand kennt alfo die Wahrheit, es fei denn
der Geift Ehrifti in ihm. Wie es unmöglich ift, daß ein Liebender ohne
Liebe fei, fo ift ed unmöglich, daß Jemand Gott befige chne den Geift
Ehrifti, in welchem Geifte wir allein Gott anbeten fünnen. Daher find
die Glaubenslofen, die fih nicht Chriftus zuwenden, als unempfänglic
für das zur Glorie umgeftaltende Licht ſchon verurtheilt zur Finfterniß und
zum Schatten ded Todes; denn fie find weggewandt von dem Leben, das
Ehriftus ift, von deffen Fülle allein Alle in der Herrlichfeit durch die
Vereinigung mit ihm gejättigt werden. Hierüber will ich weiter unten
in dem Abſchnitte über die Kirche auf gleicher Grundlage zu unferem
Trofte noch Einiges beifügen.
Zehntes Kapitel.
Dom Ausſpruche des Richters.
Es iſt klar, daß kein Sterblicher jenes Gericht und den Ausſpruch
des Richters zu begreifen im Stande iſt. Da es über aller Zelt und
Bewegung iſt, fo vollzieht ſich jenes Gericht nicht in einer vorausgehenden
Erörterung, nicht im Ausſprechen von Worten und ähnlichen Aeußerlich⸗
feiten, welche eine Zeitdauer in ſich ſchließen, ſondern wie in dem Worte
(er fprach und ed ward) Alles erſchaffen ift, fo wird in demfelben
Borte Alles gerichtet. Auch fällt zwiſchen den Ausiprud und
defien Vollzug feine Zeitdauer, fondern es iſt Ein Moment: Auferftchen
und Gelangen zum legten Ziele. Letzteres nach zwei Richtungen: Vers
Märung durch Aufnahme unter die Kinder Gottes und Verdammung
SHarpff, Nie. v. Cuſa. 7
98
durch Ausfchließen der von Gott Abgefehrten find durch feinen Zeitmoment
von einander getrennt.
Die vernünftige Natur, die über die Zeit erhaben und der zeitlichen
Zerftörung nicht unterworfen ift, die in ihrer Natur die ungerftörlicen
Formen der Mathematif und der Naturwefen begreift und daher der jelbft
ungerftörlihe Ort dieſer ungerftörlichen Formen ift, wird durch eine natür
liche Bewegung zur reinen, von aller concreten Beimiſchung freien Wahr
heit (ad veritatem movetur abstractissimam), ald zum Ziele ihres
Sehnens und zu ihrem höchſten, genußreichſten Objecte hingetrieben. Und
da diefes Object Gott ift, fo iſt die unfterblihe und ungerftörliche Ber
nunft nicht befriedigt, bis fie ihn erreicht, da fie nur in dem ewigen Ob
jeete Befriedigung findet. Wenn nun die Vernunft, frei vom Körper, in
dem fie den Meinungen der Zeit unterworfen ift (in quo opinionibus ex
tempore subjicitur), nicht zum erwünjchten Ziele gelangt, ſondern vie
mehr, während fie doch nad der Wahrheit ein Verlangen hat, in Unwiſſen—
heit verfinft, und während ihr höchſtes Sehnen fein anderes tft, als bie
Wahrheit jelbft, nicht wie in Räthjeln und Symbolen, ſondern mit böch—
fter Gewißheit von Angeficht zu erfaflen, in der Stunde des Scheidend
von diefer Welt wegen ihrer Abkehr von der Wahrheit und Hinfehr zu
dem Bergänglichen in diefes von ihr erftrebte Vergängliche binabfinft, in
die Ungewißheit und Verworrenbeit, in das finftere Chaos der bloßen Mög:
lichkeit, in der feine wirkliche Gewißheit ift (cum cadat ad incertitudinem
et confusionem, in ipsum tenebrosum chaos merae possibilitatis, ubi nihil
certi actu), fo jagt man mit Recht, fie fei dem geiftigen Tode verfallen
(recte ad intellectualem mortem descendisse dieitur). Denn für die
Seele tit das vernünftige Erkennen ihr Sein, das Erſehnte erfennen —
ihr Leben. Wie es daher ihr ewige Leben ift, zulegt das Er
fehnte, Beharrlide, Ewige zu erfafien, fo ift ed ihr ewigen
Tod, von diefem erjehnten feften Ziele getrennt und in dad
Chaos der Verwirrung binabgeftürzt zu werben, wo fie nad
ihrer Weife von dem ewigen Feuer gequält wird, das wir und nidt
anders denfen können, als die Qual defjen, der der lcbengebenden Nahrung
und der Gefundheit, ja, wad noch mehr ift, auch der Hoffnung, je diele
Güter zu erlangen, beraubt ift, und daher, ohne je zu erlöichen, ohne Ende
beftändig ftirbt in ewigem Todesfampfe (ut sine extinetione et
fine semper moriatur agonizando). Das ijt ein über allen Begriff quals
volles Leben, denn es ift ein ſolches Leben, das zugleih Tod ift, ein
Eein, das ein Nictfein, ein Erkennen, das ein Nichtwiffen ift. In dem
Früheren ift gezeigt, daß die Auferftehung der Menfchen erhaben über alle
Bewegung, Zeit, Quantität und über Anderes, was zur Zeit gehört, er-
folgt, jo daß das Zerftörliche ind Ungerftörliche, das Thierifche ind Geiſtige
99
verwandelt wird und der ganze Menſch volle Perfönlichkeit und dieſe
ganz geiftiger Natur, und fomit aud der wahre Leib vom Geiftigen vers
fblungen ift (ut totus homo sit suus intellectus, qui est spiritus, et
corpus verum sit in spiritu absorptum), Der Leib befteht nicht mehr
in ib (in se) nad feinen körperlichen quantitativen und zeitlichen Vers
hältniffen, fondern ift in das Geiftige aufgenommen (translatum in spiri-
tum), das Gegenflüd zu dem jegigen Leibe, wo man nicht die Vernunft,
fondern nur den Körper wahrnimmt, in dem die Vernunft felbft wie eins
geferfert ift, während dort der Körper eben fo im Geifte ift, wie hienteden
der Geift im Körper, und mithin, während bier die Seele durd den Körs
per belaftet, dort der Körper durch den Geiſt [hwunghaft wird (alleviatur).
Wie daher die geiftigen Freuden des vernünftigen Lebens die größten
find, am denen aud der verflärte Leib im Geifte participirt, fo ift auch
die bölifche Traurigkeit des geiftigen Todes die größte, und auch ber Reib
empfindet fie im Geifte. Und da unfer Gott, der, lebendig erfaßt, das
ewige Leben ift, über allen unjern Verſtand erfennbar ift, jo find auch
jene ewigen Freuden, die ale unfere Begriffe überfteigen, viel zu groß,
ald daß fie ſich irgend wie ſchildern ließen. In gleicher Weile gehen aud)
die Strafen der Verdammten über alle denkbaren oder ber Darftellung
fähigen Strafen hinaus. Daher find alle jene der mufifalifhen Harmonie
entlehnten Zeichen der Freude, des Frohlodens und der Herrlichkeit, welche
als und befannte Zeichen zum Ermefjen des ewigen Lebens von ben
Vätern überliefert wurden, nur ganz entfernte finnlihe Zeichen, die unend-
ich von jenen geiftigen, Feiner Phantafie zugängliben Freuden abfteben. _
Eben jo halten auch die Höflenftrafen, foferne fie mit einem Elementars
feuer aus Schwefel und Pech und ähnlichen finnlihen Qualen verglichen
werden, feinen Vergleich aus, mit jenen feurigen Geiftesqualen (ad igni-
les illas intellectuales aerumas),. vor welden und Jeſus Chriftus, unfer
Leben und Heil bewahren wolle. Er fei gepriefen in Ewigkeit. Amen.
Elftes Kapitel,
Das Myſterium (die Natur) des Glauben.
Unfere Vorfahren fagen alle einftimmig, der Glaube fei ver An—
fang des Wiffens (fidem initium esse intellectus ). Sn jevem Ges
biet des Wiſſens (in omni facultate) werden einige Sätze als erfte Prins
cipien (Ariome) vorausgejegt, die man nur durch den Glauben crfaßt,
und aus welchen fodann die Erfenntniß des zu erforfhenden Gegenftanded
entwidelt wird (ex quibus intelligentia tractandorum elicitur.) Wer
zu einer Wiffenfhaft auffteigen will, muß an die Dinge glauben, ohne
7°
100
bie er nicht auffteigen fan. Darum fagt Jeſaias: wenn ihr nicht
glaubet, werdet ihr nicht einfehben. Der Glaube faßt daher alles
Erfennbare in fih, die Erfenntniß ift die Entfaltung ) des Glaubens
(fides est in se complicans omne intelligibile, intellectus autem est
fidei explicatio), Das Wiffen erhält daher durb den Glauben feine
Richtung (dirigitur), der Glaube durch das Wiſſen feine Eutwidlung
(extenditur).. Wo daher fein gefunder Glaube ift, da gibt ed auch fein
wahres Wiſſen. Es iſt befannt, zu weldien Sclüffen faljche Principien
und ein unfiheres Fundament führen.
Es gibt feinen vollfommeneren Glauben, ald die Wahrheit ſelbſt —
Jeſus. Wer fieht ed nicht ein, daß der rechte Crecta) Glauben die herr
lichfte Gottesgabe ift? Der Apoftel Johannes jagt, der Glaube an
die Menfchwerdung ded Wortes Gottes führe und in die Wahrheit, fo
daß wir Kinder Gottes werden. Died zeigt er im Eingange (feines
Evangeliums) mit wenigen Worten und zählt dann viele Thaten Ehrifti
auf, im Einflange mit diefer Glaubenswahrheit, damit die Vernunft im
Glauben erleuchtet werde; deßhalb fagt er am Schluffe: „Dies ift ge
fhrieben, damit ihr glaubet, daß Jeſus der Sohn Gottes
ift.“ Der füße Glaube an Ehriftus, an dem die Einfalt des Herzend
fefthäft, kann nun nach unferer Wiſſenſchaft des Nichtwiffens im ftufen-
mäßigem Auffteigen erweitert und entfaltet werden. Denn die größten
und tiefften Geheimniffe Gottes, die den Weltkindern, wie verftändig fie
auch fonft fein mögen, verborgen bleiben, werden dem findlichen und
demüthigen Gemüthe im Glauben an Jeſus offenbar, weil in Jeſus alle
Scäge der Weisheit und Wifjenfhaft verborgen find. Ohne ihn fann
Niemand etwas ausführen, denn er ift das Wort und die Allmacht, durch
welche Gott die Welt erihaffen hat; er, der allein Höchfte, hat Gewalt
über Alles im Himmel und auf Erden. Da er in dieſer Welt nicht er
fennbar ift, und Berftand, Meinung und Unterriht und durch Symbole
vom Bekannten zum Unbefannten führen, fo wird er nur da erfaßt, wo
das Ueberreden (persuasiones) aufhört und der Glaube beginnt, durd
den wir in der Einfalt des Herzens dergeftalt entzüct werden, daß wir
ihn Cipsum) über Berftand und Einficht im dritten Himmel der einfachften
Vernünftigfeit im Körper unförperlih (weil im Geifte), in der Welt über-
weltlih, himmliſch in einer alle Begriffe überfteigenden Weife betrachten,
wo wir auch das einjehen, daß er wegen feiner unendlichen Erhabenheit
1) Wenn der Glaube dad Willen wie der Keim die Blüthe — complicans omne
intelligibile — in fi faßt, fo muß das Willen der vor dem Bewußtfein entfaltete
Glaube fein. Daher muß wohl in obiger Stelle ftatt complicatio des Tertes richtiger:
intellectus autem est fidei explicatio gelefen werben. Daher gleich nachher: fides
per intellectum extenditur.
101
nicht begriffen werden kann. Das ift die gelehrte Unwiffenheit, durch
welhe der heilige Paulus fich zu der Einficht erhob, daß er Ehriftus,
von dem er eine Zeitlang mur ein Wiffen hatte (quem aliquando solum
scivit), dann micht fenne (ignorare), wenn er fi höher hinauf zu ihm
erhob.) Wir Ehriftgläubigen werden daher durch das gelehrte Nichtwiffen
zu dem Berge, der Ehriftus ift, binaufgeführt, den wir in unſerm natürs
lihen Leiben und Leben (cum natura animalitatis nostrae) nicht berühren
können. Wollen wir aber mit dem Auge der Vernunft ihn betrachten,
jo ftoßen wir auf Finfterniß und wiffen, innerhalb diefer Finfterniß ſei
der Berg, wo allein Alle, deren Stärfe die Vernunft ift (omnibus in-
tellectu vigentibus), wohnen dürfen. Befteigen wir diefen Berg mit
feftem Glauben, fo werden wir den Augen der finnlihen Weltfinder
entrüdt; wir hören innerlih (auditu interiori) die Stimmen, die Donner
und fchredlichen Zeichen von Gottes Majeftät und vernehmen unjchwer
den Herrn ſelbſt, dem Alles gehorcht, indem wir ftufenweile zu einigen
ungerftörliben Spuren feiner Fußtritte, wie zu göttlichen Kennzeichen ges
langen, und jo nicht die Stimme fterbliher Gefchöpfe, fondern die Stimme
Gottes felbft in feinen heiligen Organen, in Propheten und andern Heis
ligen vernehmen, und jo ihn noch deutlicher durd eine Menge von Bers
fandesgründen ?) erfennen. Allein au von hier fteigen die Gläubigen
in glübendem Berlangen immer höher auf, und werden über alles Sinn-
lihe hinweg zur einfadhen, vernünftigen Anfhauung erhoben (ad
intellectualitatem simplicem rapiuntur), ein Fortfchritt, wie aus dem
Schlafe zum Wachen, vom Hören zum Sehen, wo fie ſehen, was nicht
geoffenbart werden fann, weil fein Gehör es zu faflen, feine Stimme es
zu lehren vermag. Müßte das hier Gcoffenbarte ausgefprohen werben,
dann würde Unausſprechliches ausgefproden und Unerhörtes gehört, wie
das Unfichtbare dort gefehen wird. Jeſus, der gepriefen fei in Ewigfeit,
das Ziel der Vernunft als die Wahrheit, das Ziel der Einne ald das
eben, das Ziel alles Seins als das Sein, die Vollfommenheit jedes
Geihöpfes als der Gottmenſch, wird dort als das Höchſte aller Worte in
und unbegreiflicher Weife gehört. Er ift nämlich Ausgang und Ziel jeden
1) @8 fcheint Hier in der Sapftellung eine Inverfion des eigentlichen Gedanken—
gangs eingetreten zu fein, welcher eigentlich ber folgende iſt: indem Paulus einfah, daß
er Ghriftus (in feiner vollen Größe) nicht zu erkennen im Stande fei, dann gerabe
erhob er ſich höher zu ihm (im Glauben) hinauf.
2) Der Tert bat: clarius ipsum quasi per nubem rationem intuemur. Cuſa
(bildet die Stufen des Glaubens: vom Hören fleigt er auf zu den Berftandesgrüns
den, welche in den Zeugniffen der Propheten enthalten find, um ſich zulegt zur ver:
nänftigen Grfenntniß, zur geiftigen Anfchauung zu erheben. Daher muß flatt ratio-
nem, was feinen Sinn gibt, rationum gelefen werben, über welche hinauf fi dann
vie gleich darauf gefchilderte intellectualitas simplex erhebt.
102
Wortes: was in einem Morte Wahres ift, fommt von ihm. Jedes Wort
hat den Zwed der Belehrung. Er ift alſo diefer letzte Zweck, well er
die Weisheit ſelbſt iſt. Die Urfache jedes vergänglich verhallenden Wortes
ft das unvergänglide Wort — die Vernunft. Chriftus ift die Fleiſch
gewordene höchfte Wernunft, weil „das Wort Fleifch geworden iſt“. Jeſus
iſt demnach das Ziel von Allem.
Solde Wahrheiten enthüllen fi dem, der im Glauben zu Chriftus
auffteigt.
Die göttlide Wirffamfeit dieſes Glaubens Täßt fich nicht
befchreiben ; fie eint den Glaubenden mit Jeſus und ift fomit über Alles
erhaben, was nicht in der Einheit mit Jeſus if. Der Gläubige bat,
wenn fein Glaube groß ift, in der Kraft Jeſu, mit dem er vereint ift,
Gewalt über die Natur und Bewegung; er gebietet fogar den böfen
Geiftern, wie das Reben der Heiligen beweist.
Der vollflommene chriftlihe Glaube muß aber ganz lauter, ſehr groß
und jo viel ald nur möglib von Liebe belebt fein. Er duldet feine
Beimifbung, weil er der Glaube an die reinfte, alvermögende Wahrheit
ift. Oft genug haben wir es bisher ausgefprochen, daß das Kleinfte mit
dem Größten coincidire. Dies gilt audb vom Glauben, der nah Eein
und Macht im feinem Erdenpilger der größte fein fan, wenn der Reßtere
nicht zugleich, wie Jeſus, der lebendige Inbegriff des Glaubens ift (qui
non sit et comprehensor simul, qualis Jesus fuit.) Der in Wirflid+
feit größte Glaube muß zu einem ſolchen Grade ungmweifelhafter Gewiß-
heit erhoben fein, daß er auch im Fleinften Maaße (minime) Glaube,
und vielmehr vollefte, zweifellofefte Gewißheit if. Das ift der machtwolle
Glaube, der in der Weiſe der größte und Fleinfte zugleich ift, daß er alle
Gegenftände des Glaubens in Ihm, der die Wahrheit ift, umfaßt. Wenn
auch der Glaube des Einen den Glaubensgrad des Andern nicht erreicht,
weil volle Gleichheit unmöglich if, fo muß doch Jeder, jo viel ed an ihm
liegt, in Wirflichfeit den größten Glauben haben (necesse est ut quis-
que quantum in se est, actu maxime credat). Dann ift der Glaube
deffen, der im PBergleiche zu Andern nur einen Glauben wie ein Senf
forn erhalten hat, gleichwohl von fo unermeßlicher Kraft, daß felbft die
Berge ihm Gehorfam Tleiften, wenn er ihnen in der Kraft des Wortes
Gottes, mit dem er, fo viel an ihm liegt, auf das Innigſte im Glauben
vereinigt ift, Befehle ertheilt, da dem Worte Gottes nichts widerfteben
fann. Wie groß ift aljo die Macht, die dem vernünftigen Geifte in ver
Kraft Chrifti zur Seite fteht, wenn er ſich an diefen vollftändig anfchlieft,
daß er dur ihn belebt wird, und, unbeſchadet feiner Selbftftändigfeit in
ihm ald in feinem Lebensgrunde ruhet! Da dies nur dur die Hinfehr
der Vernunft zu Chriftus im größten Glauben möglich ift, fo muß biefer
103
durch die einigende Liebe belebt jein; der Glaube kann ohne Liebe
nicht der größte jein. Denn wenn jeder Lebende das Leben, jeder
Denfende dad Denken liebt, wie fann Jeſus ald das unfterbfiche Leben
und ald die unenblihe Wahrheit geglaubt werden, wenn er nicht auf das
Höhfte geliebt wird? Das Leben ift an ſich der Liebe werth; ift alfo
unfer Glaube, Jeſus fei das ewige Leben, fehr groß, jo muß er noths
wendig geliebt werden; denn der Glaube ift Fein lebendiger, fondern ein
tbter, ja Fein Glaube, ohne Liebe. Die Liebe ift das belebende Princip
(forma) ded Glaubens, das ihm das wahre Sein verleiht, ja fie ift das
Zeichen des felfenfeften Glaubens, denn wenn wir Chriſto Alles hintan-
gen, wenn wir Leib und Seele im Vergleich zu ihm für nichts achten,
jo ift Died der Beweis eines fehr großen Glaubens. Gin großer Glaube
it au ohne die Hoffnung, einft Jeſus felbft zu genießen, nicht mög»
ib, Oder wer fünnte einen feften Glauben haben, und dabei nit auf
die Verheißungen Ehrifti hoffen? Wer nicht glaubt, er werde das ewige
von Ehriftus den Glaubenden verheißene Leben erhalten, wie fann der an
Chriftus glauben, und ihn für die Wahrheit halten? Wer auf die Vers
beifungen nicht zweifellos hofft, wie wird der für Ehriftus in den Tod
geben, wenn er nicht auf die Unfterblichkeit hofft? Wer dagegen glaubt,
daß Ehriftus die nicht verläßt, die auf ihn hoffen, fondern ihnen die ewige
Scligfeit verleiht, der hält es für etwas Geringes, um einer folden Ver:
geltung willen Alles für Chriftus zu leiden.
Eo groß ift die Kraft des Glaubens; fie macht den Menfchen
Chriftus ähnlich Cchristiformem); er verläßt die Welt, entzieht ſich
der Befledung des Fleiſches, wandelt in Furcht auf den Wegen Gottes,
folgt mit Freuden den Fußftapfen Ehrifti, nimmt das Kreuz mit Frohloden
auf Äh, im Fleiſche wandelnd, ift er ganz Geiftz die Welt ift ihm ver
Tod für Ehriftus, der Tod, der ihn zu Ehriftus führt, ift ihm Leben.
Bie edel ift doch ein Geift, in dem Chriſtus durch den Glauben wohnt!
Welch eine wunderbare Gabe Gottes, daß wir und auf unferer Pilgerfchaft
im gebrechlien Leibe dur die Kraft des Glaubens zur Macht über
Ars, was Chriftus nicht ift, erheben können! Wer finfenmäßig, durch
Ertödtung des Fleiſches fih zur Einheit mit Chriſtus erhebt, und in einer
jo tief gehenden Einigung, ald es nur immer in diefem Leben möglich ift,
in ihn aufgegangen ift (in ipsum absorbeatur), der erhebt fid über alles
Sichtbare, ja über Alles in der Welt, und erlangt die complete
Vollfommenheit der menfhliden Natur.
Das ift die Vollfommenheit der Natur, die wir dur Chriftus in
Grtövtung des Fleifches und der Sünde, umgeftaltet zu feinem Bilde er
langen fünnen, nicht aber jene eingebildete Vollkommenheit
durh Magie, die den Menfchen zu einem gewifien höhern Weſen
104
durch die Thätigfeit der auf und einwirfenden Chöhern) Geifter mittelft des
Glaubens fi erheben läßt, jo daß vie Zauberer in der Kraft diefer
Geifter, mit denen fie fib durch den Glauben vereinigen, verſchiedene un-
denfbare Dinge im Feuer, Wafler, in Kenntniß der Harmonien, in Ber
wandlungen, im Errathen verborgener Dinge ıc. verrichten. Es ift Far,
daß Tas Alles nur Trug und Täuſchung ift, ohne Leben und Wahrheit.
Die Zauberer find durch Bündniffe und Verträge mit den böſen Geiftern
dergeftalt gebunden, daß fie, was fte im Glauben fefthalten, aud that:
ſächlich durch Huldigungen und Gebete beweifen, die fie ftatt Gott, dem
fie allein gebühren, den böſen Geiftern, als hätten diefe die Macht, ihre
Bitten zu erhören, mit größter Verehrung darbringen. Sie erlangen bis,
weilen durch den Glauben das erbetene flüchtige zeitliche Gut, durch ihre
Vereinigung mit dem böfen Geifte, mit dem fie, getrennt von Chriftus,
auch in dem Straforte werden ewig vereinigt bleiben müffen. Geprieſen
fei Gott, der durch feinen Sohn uns der Finfterniß einer fo großen Uns
wiffenheit entriffen hat, daß wir nun wiffen, Alles fei Irrthum und Be
trug, wad immer durch einen andern Mittler ald Chriftus, der die Wahr-
heit ift, und in einem andern Glauben, ald den an Jeſus vollbradt
wird. Denn es ift nur Ein Herr Jefus, der Macht hat über Alles,
allen Segen und zumendet und alle unjere Unvollfommenheit im Ueber
maaße ergänzt.
Zwölftes Kapitel,
Non der Kirche.
Obwohl das Verftändniß über die Kirche Ehrifti ſchon aus dem Bis
berigen gewonnen werden kann, fo will ich doc, damit dem Werfe nichts
fehle, noch ein kurzes Wort beifügen.
Da der Glaube in den verichiedenen Menſchen graduell verſchieden
ift, jo gelangt fein Menfch zum Glauben in der höchſten Potenz, fo wenig
ald zur größten Liebe. Wäre in einem Ervenpilger der höchſte Glaube,
der feine Steigerung zuläßt, fo müßte er zugleich der lebendige Inbegriff
ded Glaubend (comprehensor fidei) fein. So fann aud die fchledthin
größte Liebe in feinem Liebenden fein, er fei denn zugleih der Geliebte.
Daher findet ſich der jchlechthin größte Glaube und die größte Liebe in
Keinem, als in Jeſus Chriſtus, weldyer Erdenpilger (viator) und Im
begriff de8 Glaubens, liebender Menſch und geliebter Gott zugleich war.
Nun ift aber in dem Größten Alles eingefchloffen,, weil es Alles umfaßt.
Der Glaube Jeſu Ehrifti fchließt daher allen wahren Glauben, die Liebe
Ehrifti alle wahre Liebe in fih, wobei jedoch immer verſchiedene Grad»
105
unterfchiede bleiben. Da diefe alle unter dem Größten und über dem Kleins
fen find, fo fann Niemand, wenn er auch in MWirflichkeit, jo viel an ihm
liegt, den größten Glauben hat, zum fchlecbthin größten Glauben Ehrifti
gelangen, durch den er EChriftus ald Gott und Menfchen vollftändig er
faßte, fowie auch Niemand Ehriftus jo ſehr lieben fan, daß diefe Liebe
feine Steigerung zuließe, weil Chriftus die Liebe (amor et caritas) und
deßhalb ind Unendliche liebenswürdig if. Niemand fann in diefem oder
dem zufünftigen Leben Ehriftus jo lieben, daß er ſelbſt Ehriftus der Gott:
menich *) würde; denn Alle, die entweder in diefem Leben durch Glauben
und Liebe, oder im andern durch unmittelbares Grfaffen und Genießen
mit Chriftus vereinigt find, find es nicht in der Art ?), daß fie nicht noch
inniger vereinigt fein könnten, unbeſchadet der graduellen Verſchiedenheit,
jo daß ohne dieje Vereinigung Niemand aus und durch fich befteht, ſo—
wie durch Ddiefelbe Niemand feine graduelle Verſchiedenheit verliert.
Dieje Bereinigung nun ift die Kirche oder die Gemeinſchaft
Bieler in Einen, gleichwie viele Glieder an Einem Körper find,
jeded mit einem befonderen Range (gradus), wo Ein Glied nicht ein
andered und jedes Glied durd den Körper mit dem andern vereinigt
it, und feines ohne den Körper Leben und Beftand bat, wiewohl am
Körper Ein Glied nicht alle Glieder in ſich faßt, außer mittelft des
Körperd. Die Wahrheit unfered Glaubens kann daher während unferer
irdiſchen Pilgerfhaft nur im Geifte Ehrifti beftehen, unbeſchadet der
Etufenordnung der Gläubigen, fo daß ſich eine Verſchiedenheit
bei voller Uebereinftimmung in dem Einen Jeſus geitaltet
(ut sit diversitas in concordantia in uno Jesu). Und fcheiden wir
durch die Auferftehung aus der ftreitenden Kirche, jo fünnen wir wieder
zur *) durch Chriftus auferftehen, fo daß aud die triumphirende
Kirche Cin ihm) eine Einheit ift, in der Jever feinen eigenthümlichen
Rang behauptet. Dann wird die Wahrheit unferes Fleiſches nicht mehr
in fi, fondern in der Wahrheit des Fleiſches Chrifti, die Wahrheit unferes
Leibes nur in der Wahrheit des Leibes Chriſti, die Wahrheit unferes
Geiftes in der Wahrheit des Geiftes Jeſu Chriſti beftehen, wie die Reb—
1) Der Tert hat: ut propterea sit Christus et homo. Soll homo einen Sinn
erhalten, fo muß wohl nach Christus — Deus eingefchaltet werden; vgl. kurz vorher:
per quam comprehendet Christum Deum et hominem.
2) Die Worte des Terted: ommes... eo modo uniuntur, quod magis... uniri
un possent Wären das gerade Gegeniheil des im Gingange des Kapitels Gefagten:
ad maximam fidem, qua nulla major esse potest, nemo devenire potest, ſowie des
ganzen Begriffs ber Einigung mit Chriftus, die unendliche Steigerung zulaͤßt. Es muß
daher vor: eo modo — non eingefchaltet werben.
3) Auch Hier muß im Terte: non aliter in Christo resurgere poterimus nad):
bon aliter offenbar nisi eingeichoben werben.
106
zweige in dem MWeinftode. Es wird die Eine Menfhhelt Ehrifti in allen
Menſchen, der Eine Geift Chrifti in allen Geiftern fein, fo daß Jegliches
in ihm und gleibfam Ein EChriftus aus Allen it Y. Wer daher Einen
aus Allen, die Ehriftus angehören, in diefem Leben aufnimmt, nimmt Chris
ſtus auf, und was Einem der Geringften gethan wird, wird Ehriftus ges
"than, gleihwie, wer die Hand Plato's verlegt, Plato felbft verlegt, und
wer dort im wahren Waterlande über den Geringften ſich freut, freut ſich
über Chriſtus. In Allem ficht er Jeſus und durch diefen — Gott. So
wird unfer Gott durch feinen Sohn Alles in Allem, Jeder
im Sohne und dur diefen mit Gott und Allen fein; es
herrſcht volle Freude ohne Mifgunft und Mangel.
Da Glaube und Liebe, fo lange wir hienieden pilgern, einer beftän-
digen Steigerung fähig find, fo müffen wir und Mühe geben, daß die
Möglichkeit durd die Gnade unferes Herrn Jeſu Ehrifti zur Wirklichkeit
gelange, auf daß wir von Tugend zu Tugend, von einer Stufe zur andern
weiter fehreiten durch den, der der Glaube und die Liebe felbft ift, ohne
den wir aus uns als foldhen nichts vermögen, da wir Alles nur in ihm
vermögen. Er allein kann uns geben, was uns fehlt, daß wir am Tage
der Auferftehung als gefunde und werthvolle Glieder an ihm erfunden
werden. Diefe Gnate des Mahsthums in Glaube und Liebe können
wir jonder Zweifel durb anhaltendes Gebet erlangen, indem wir
vertrauendvoll dem Throne deflen und nahen, der voll Güte ift und fein
heilige8 Verlangen unbefriedigt läßt.
Wenn du dies tief im Geifte erwägft, durchſtrömt dich eine wunder:
bare geiftige Wonne; innerlich verfofteft du wie füßen Wohlgeruch vie
unaudfprecliche Güte Gottes, die er dir, hienieden an dir vorübergehend,
erweifet, die dich einft füttigen wird, wenn feine volle Herrlichkeit ericheint,
ich fage: fättigen, ohne fatt zu werden (absque fastidio), weil jene un-
ſterbliche Speife das Leben felbft if. Und wie die Sehnfucht nah dem
Leben immer wächst, jo wird auch die Speife des Lebens immer genoffen,
ohne daß fie in die Natur des Genießenden übergeht, denn fonft wäre fie
eine und anwidernde Speife, die und beläftigte und und das unfterbliche
Leben nicht zu geben vermöchte, da fie in fih mangelhaft wäre, weil fie
fih in die Natur des Genießenden verwandelte. Unfer vernünftiger Geift
aber will geiftig leben und beftändig weiter dringen zu Leben
und Freude. Da diefe unendlich find, fo werden die Seligen unauf
hörlih zur Sehnſucht nad ihnen hingezogen. So finden fie Sättigung,
indem fie dürftend aus der Duelle des Lebens trinken, und da dieſes
1) Ih vermuthe, daß im Terte: ut qui sit unus Christus ex omnibus, ba ex om-
nibus von Chriſtus, der Feine Zufammenfegung ift, nur uneigentlich gefagt werben kann,
flatt: qui zu lefen fein möchte: quasi.
107
Trinfen nicht in Vergangenheit übergeht, indem es ewig ift, fo trinfen
die Seligen immer aus diefer Duelle und find immer gefättigt, und nie
geht Beides in die Vergangenheit über. Gepriefen fei Gott, der uns eine
Vernunft gegeben hat, die in diefer Zeit nicht gefättigt wird, deren unbe—
grenzted Sehnen fich felbft ald erhaben über die vergängliche Zeit, ald unver:
gänglich erfaßt und erfennt, daß fie ihre volle geiftige Befricdigung nur
in dem Genuffe des höcften, vollfommenften, nie abnehmenvden Gutes
finde, wo der Genuß nie in Vergangenheit übergeht, weil das Begehren
durh den Genuß nicht abnimmt. Wenn ein Hungriger an der Tafel
eined mächtigen Königs fich niederließe und ihm die gewünſchte Speiſe
vorgefegt würde, fo daß er nach einer andern nicht begehrte, und wenn
es die Natur diefer Speife wäre, daß fie durch Sättigen den Appetit
feigerte, fo ift Har, daß, wenn diefe Speije nie ausginge, der Gaſt bes
Rändig gefättigt wäre und zugleich beftändig nach derſelben Speiſe ein
Verlangen hätte, und immer fähig wäre, die Speife zu fich zu nehmen,
deren Natur ed mit fi bringt, den damit Gefpeisten zu beftändigem Ber:
langen nad diefer Epeife hinzutreiben. Die vernünftige Natur nun hat
die Fühigfeit, indem fie das Leben in fi aufnimmt, in vasfelbe verwans
delt zu werden, wie die Luft durch Aufnahme des Sonnenſtrahls in Licht
verwandelt wird. Daher erfaßt die Vernunft, da ihre Natur eine Um—
wandlung zu dem vernünftig Erfennbaren zuläßt, nur das Univerfelle,
Ungerftörlihe und Bleibende. Die ungerftörlihe Wahrheit ift ihr Object;
in der Ewigkeit erfaßt fie diefelbe in feligem Frieden in Jeſus Ehriftus.
Das ift die triumphirende Kirche, in der unfer Gott ift, der
geprieien ſei in Ewigfeit, und wo in höchſter Einigung Jeſus Chriſtus
ad wahrer Menfh mit Gott dem Sohne fo innig vereinigt ift, daß die
Menſchheit nur in der Gottheit ihren Beftand hat. Sodann ift jede
vernünftige Natur mit Chriftus dem Herrn, unbeſchadet der Perſönlich—
keit des Einzelnen, wenn fie in diefem Leben durd Glaube, Hoffnung
und Liebe ihm zugewandt war, jo feft vereinigt, daß ſowohl Engel als
Menfben mur in ihm beftehen, durd ihn in Gott, fo daß jeder der
Scligen mit Bewahrung feiner Befonderheit in Ehrifto Jeſu
— Ehriftus, und durd diefen in Gott — Gott tft, Gott aber,
ohne aufzuhören, das abfolut Größte zu fein, in Ehrifto Jeſu
Jefus felbft ift und in ihm Alles in Allem.
Dies ift der einzige Weg zur böcftmögliben Einheit der Kirche,
oder der Einheit Bieler (unbefchadet der wahren Selbfiftändigfeit dcs Ein»
zelnen) ohne Vermengung der Naturen und Grade. Je mehr Einheit
aber in der Kirche, defto größer ift fie. Die größte Kirche ift das
ber die Gemeinfhaft der ewig Triumphirenden, denn eine größere Einheit
der Kirche iſt nicht möglih. Welch eine große Einigung (unio) — die
108
abfolut größte göttliche Einigung, dann die Einigung der Gottheit und
Menſchheit in Jeſus, endlich die Einigung der in der Gottheit Jeſu trium—
phirenden Seligen! Die abfolute Einigung ift nicht größer oder Fleiner,
ald die Einigung der Naturen in Jeſus oder die Einigung der Seligen
in dem himmliſchen Baterlande; denn jene tft die größte Einigung, die
Einigung aller Einigungen, das Wefen jeder Einigung, ohne ein Mehr
oder Weniger, aus der Einheit und Gleichheit, wie im erften Bude ge
zeigt iſt, hervorgehend. Ebenfo ift die Einigung der Naturen in Chriftus
nicht größer oder Fleiner, ald die Einheit der triumphirenden Kirche; dem
da fie die größte Ginigung der Naturen ift, fo läßt fie fein Mehr over
Weniger zu. Somit erhalten alle Gegenfäge, die zur Einheit verbunden
find, von biefer größten Einigung der Naturen in Ehriftus ihre Einheit,
durch welde die Einheit der Kirhe das ift, was fie if. Die Einkeit
der Kirche ift die größte kirchliche Einheit. Als diefe größte coincidirt fie
nach Oben mit der bypoftatiihen Einigung der Naturen in Ehriftus, und
da dieje die größte ift, mit der abjoluten Einigung — Gott. So ift die
firhlihe Einheit durch Jeſus in die göttlide Einigung, von
der fie den Anfang hat, aufgenommen (resolvitur). Dies erhellt
noch deutlicher, wenn wir und an das oben öfters Miederholte erinnern,
daß nämlich die abjolute Einigung — der heilige Geift ifl. Die größte
hypoſtatiſche Einigung coincivirt mit der abfoluten Ginigung; daher ift
nothwendig die Einigung der Naturen in Chriftus dur die abjolute,
welche der heilige Geiſt ift, und in ihr. Die kirchliche Einheit coincidirt,
wie oben gezeigt, mit der hypoftatifchen, weßhalb im Geiſte Jeſu die Einis
gung der triumphirenden Kirche, die durch den hl. Geiſt befteht, enthalten
ift. Daher fagt die Wahrheit felbft bei Johannes: „Die Herrlid-
feit, die du mir gegeben haft, Habe ih ihnen gegeben, damit
fie Eines find, wie wir Eines find, ih in ihnen, du im mir,
auf daß fie vollfommen Eines feien,* auf daß die Kirche in ewiger
Ruhe fei, fo vollfommen, daß fie nicht vollfommener fein fönnte, in fo
unausſprechlicher Umgeſtaltung zum Lichte der Glorie, daß in Allem nur
Gott bervortritt. Nah diefer Glorie trachten wir in größtem Eifer mit
Siegedgewißheit (ad quam tanto affectu cum triumpho aspiramus) und
bitten Gott den Water inftändig, er möge durch feinen Sohn, unfern
Herrn, Jeſus Chriftus, und in ihm durd ven hi. Geift in feiner unend-
lichen Güte uns in diefe Glorie aufnehmen, um diefelbe ewig zu genießen.
Er fei gepriefen in Ewigkeit. Amen.
109
Empfange bier, verehrter Vater! was ich längft in verſchiedenen
Syſtemen (variis doctrinarum viis) zu erreichen fuchte, allein nicht eher
zu Stande bradte, als bi ich auf der Rückkehr von Griechenland (ich
glaube durch die Gnade von Dben, vom Water des Lichtes, von dem jede
gute Gabe kömmt) darauf Fam, das Unbegreiflihe als unbegreiflid aufs
zufaflen (ut incomprehensibilia incomprehensibiliter amplecterer), ın der
Wiffenibaft des Nichtwiſſens, durch Hinausgehen über die menjchlichen
Begriffe von der ungerftörliben Wahrheit (per transcensum veritatum
incorruptibilium humaniter scibilium). Dieſe Aufgabe habe ih nun in
Dem, der die Wahrheit ift, in den vorliegenden Büchern gelöst, die, auf
gleihem Principe ruhend, eine Verengung und Erweiterung zulafien. Das
ganze Streben unſers Geiſtes muß allen Ernftes dahin ge
richtet fein, Sich zu jener Einfachheit, in der die Gegenfäge
coineidiren, zu erheben. (Debet autem in his profundus omnis
nostri ingenii conatus esse, ut ad illam se elevet simplicitatem, ubi
contradictoria coincidunt.) Dies iſt das Ziel des erften Buches. Das
weite leitet daraus einige Säge über das Univerjum ab, die fich über
den gewöhnlihen Standpunft der Philofophen erheben und Vielen ald
etwas Seltened erjcheinen werden (rara multis), Und nun babe ich
Ibliegiih auh das dritte Buch über Jeſus, der gepriefen fei, vollendet,
immer auf gleihem Fundamente weiter bauend, und im Wadhsthum
des Glaubens ift auch Jeſus mir für Geift und Herz immer
größer geworden (et factus est mihi Jesus Dominus continue major
in intellectu et affectu per fidei crementum), Denn Niemand, der den
Glauben an Ehriftus hat, wird in Abrede ftellen, daß nicht durch dieſes
Epftem feine Schnfucht immer höher gefteigert wird, fo daß er nach vielem
immer höher fich erhebenden Nachdenken zulegt den füßen Jeſus ald den
allein Liebenswürdigen erfennt und freudig Alles verläßt, um ihn als das
wahre Leben und die ewige Freude zu umfaffen. Wer fo in die Erfenntniß
Jeſu eindringt, dem gelingt Alles Comnia cedunt); feine Schrift, ja die
ganze Welt fann ihm Schwierigfeit bereiten, weil er in Jefus umgewandelt
wird dur den Geiſt Ehrifti, der in ihm wohnt und das Ziel des vers
nünftigen Verlangens iſt. Bitte, frommer Vater! um diefen Geift ins
Kändig und beftändig für mich armen Sünder, auf daß wir vereint ihn
ewig zu befigen gewürdigt werben!
Von den Muthmaßungen.
Dem von Gott gelichten ehrwirdigen Bater, Herrn Julian, des Hl.
apoftolifhen Stuhls hochwürdigſten Cardinale, feinem verehrten Lehrer,
Nicolaus von Enfa.
Erfies Bud.
Erites Kapitel.
Da mir einige Mußezeit gegönnt ift, fo will ih nun mein Syftem
über die Muthmaßungen darftellen. Dbwohl ih weiß, daß dasjelbe nicht
nur an der allgemeinen Mangelhaftigkeit menſchlicher Geiftesproducte, fon,
dern auch an den befondern Gebrechen meines ſchwachen Talentes leidet und
in Schatten tritt, fo habe ich doch für Dich, befter Vater! der in allen
Wiffenihaften bewandert it, das Ganze in dem Vertrauen entwidelt,
Dein bewährter Geift voll göttliher Erleuhtung werde meiner Arbeit die
wiünfchenswerthe Verbefferung angedeihen laffen. Ich bin überzeugt, dieſe
Formel zur Erforfhung des Wiſſens Chanc indagandaruım artium for-
mulam) werde in ihrem gegenwärtigen unvollfommenen Zuftande nicht der
Mißachtung ausgefegt fein, wenn ein jo hochberühmter Mann die Gnade
bat, fie huldvoll aufzunehmen und der verbeflernden Feile zu würdigen.
Flöße alfo durd Deinen glänzenden Namen Denjenigen Muth ein, welde
diefen furgen und ebenen Weg betreten, um die höchſten Wahrheiten zu
enthüllen.
Zweites Kapitel,
Begriff ver Mutbmaßung. ')
Da präciie Erfenntniß der Wahrheit unerreihbar ift, fo ift jede
menſchliche pofitive Behauptung über das Wahre Muthmaßung.
Denn auch das fortwährende Wacfen im Erfaffen der Wahrheit erfchöpft
diefelbe nicht. Weil nämlih zu dem größten menſchlicher Weife möglichen,
an fih unerreihbaren Wiffen unfer wirflihes Wiffen in feinem Verhält—
niffe fteht, fo macht unfer unvollfommenes unfihered Greifen nah Wahr
beit, fern von der Reinheit derfelben, unfere pofitiven Behauptungen zu
bloßen Muthmaßungen des Wahren. Die Einheit der unerreid
1) Diefe Auffchrift fehlt im Originale.
111
baren Wahrheit wird daher von uns in muthmaßlider Ans
dersheit erfannt (cognoseitur igitur inattingibilis veritatis unitas
alteritate conjecturali); erft jenfeitS werben wir heller, ald durd
diefed Andersfein, die Wahrheit in der einfachften Einheit mit ihr
ſthauen. Weil aber der creatürlice Geift von endlicher Wirkfamfeit in
jedem Andern anders ift, fo daß eine Berfchiedenheit unter den Muth—
maßenden bleibt, fo iſt es zuverläffig gewiß, daß die Muthmaßungen
Mehrerer über daſſelbe unerfaßbare Wahre graduell verſchieden, zu eins
ander jelbft aber unproportional fein werden. jo daß der Eine vielleicht
mehr als der Andere, Keiner jedoch unfehlbar fiher den Sinn ded Ein-
seinen erfaßt. Daher gebe ih das hier Mitgetheilte, das ich aus der
Möglichfeit meines unbedeutenden Geiftes nad nicht geringem Nachdenken
entwidelt habe, ald meine Muthmaßungen, für große Geifter vielleicht
ganz unbefriedigend, die jedoch von der Art find, daß fie, wenn auch
Viele, die an dem unverftändigen Herfömmlichen fefthalten, fie gering.
[dägen mögen, doch von tiefer dringenden Geiftern als eine nicht ganz
uuſchmackhafte Speiſe in ein helleres Verſtändniß umgewandelt werden
fönnen; denn wer durch fleißigen Genuß und wiederholtes Nachdenken ſich
bier eine geiſtige Nahrung gewinnen will, wird eine tröſtliche Geiſteser⸗
quidung erlangen, wenn ihm aud) die Sache anfangs unverarbeitet (cruda)
und durch ihre Neuheit jogar auftößig ericheint.
Ich werde zuerft, gleihfam als Handleitung für die Jüngern, an
einigen Figuren ald Baradigmen den Weg zur generellen Kunft der Muth-
maßung zeigen, und dann aus der fruchtbaren Anwendung auf Einzelne
einige Blüthen der Betrachtung pflüden zur Erquidung für Soldye, die
nad Wahrheit hungern und dürften.
Drittes Kapitel.
Urfprung der Muthmaßungen.
Die Muthmaßungen müflen aus unferm Geifte, wie die wirkliche
Belt aus der göttlichen unendlichen Vernunft hervorgehen. Denn da der
menihliche Geift, das erhabene Ebenbild Gottes, an der Fruchtbarkeit der
töpferiihen Natur möglichft Antheil nimmt, fo entwidelt er aus fic,
ald dem Bilde der allmächtigen Form, in Achnlichkeit ver wirklichen Dinge,
Lerſtandesdinge. Wie nämlich, die abfolute göttliche Wefenheit alles das,
was fie ift, im jedem Mefen ift, welches ift, fo ift auch die Einheit des
menschlichen Geiftes die Mefenheit feiner Muthmaßungen. Und wie Gott
Alles um feiner felbft willen wirft, um geiftiger Anfang und Ziel von
Allem zu fein; fo ift auch die Entfaltung der begrifflichen Welt, die aus
112
unferm fie in fich faffenden Geifte hervorgeht, um des fhöpferifchen Geiſtes
felbft willen da. Denn je tiefer er fi in der aus ihm entwidelten Welt
erihaut, um fo reicher wird er innerhalb feiner felbft befruchtet, da fein
Ziel die unendliche Vernunft ift, welde allein das Maaß von Allem und
der lebendige Mittelpunkt unſers Geiftes iſt. Daher das natürliche Ver:
fangen nad der Wiſſenſchaft, die und vervollfommnet.
Wie nun der Urgrund aller Dinge und unferes Geiſtes ein breis
einiger ift, ſo macht fih unfer Geiſt zum dreieinigen Grund feiner Br
griffswelt. Denn da der Verftand allein das Maaf der Vielheit, Größe
und Zufammenfegung ift, die er als die Einheit, Gleichheit und Verbin
dung aus ſich entfaltet, fo iſt unfer Geift unterfheidendes, Ber
hältniß-beſtimmendes (proportionativum) und verbindendes
(compositivum) Princip.
Viertes Kapitel.
Das Symbol für dad Urbild der Dinge ift die Zahl.
Das natürliche und fruchtbare Princip der BVerftandesthätigfeit iſt
die Zahl: unvernünftige Wefen, wie die Thiere, zählen nicht. Die Zahl
aber ift nichts Anderes, ald die Entfaltung des Verſtandes. Ohne fie
wäre für den Verftand nichts von Allem da, was er erreichen fan. Denn
daß der Verftand zuerft die Zahl aus fich entfaltet, und derjelben bei Bil
dung feiner Muthmaßungen fih bedient, heißt nichts Anderes, ald daß er
fih feiner felbft bediene, und in der natürlichen höchſten Aehnlichkeit mit
ſich Alles fich denfe, wie der unendliche Geift, Gott, in feinem gleich ewigen
Worte den Dingen das Sein mittheilt. Es fann auch nichts vor der Zahl
fein. Denn Alles, was aus der einfachften Einheit heraustritt, iſt in
feiner Weife ein Zufammengefegtes, dieſes aber ohne Zahl nicht denkbar,
da Vielheit, Verfehievenheit und Verhältniß der Theile aus der Zahl ftammt.
Die Zahl felbft aber, die Allem vorangeht, ift nur aus fich felbft zw
fammengefegt. So ift der Ternar aus fich felbft zufammengefegt. Man
darf fih nicht Dad, Wand und Fundament abgefondert vorftellen, wenn
man die Form ded Haufes fi denfen will. Der Ternar ift daher eine
Gombination von Dreien... Iſt alfo nicht die Zahl die höchfte Aehn—
lichkeit des Geiſtes? und das Weſen der Zahl das erfte Vorbild des Geiftes?
Denn die Zahl ift das erfte concrete Abbild der Trinität in unferm Ber
ftande. Durch Muthmaßung von der Verftandeszahl unferes Geifted auf
die realen Zahlen des göttlichen Geifted übergehend, fagen wir, in dem
Geifte des Schöpfers fei das erfte Vorbild der Dinge die Zahl ge
wefen, wie das erfte Vorbild der in Nehnlichkeit mit den Dingen von und
gefhaffenen Begriffswelt die Zahl unſeres Verftandes ift.
113
Fünftes Kapitel.
Von der natürlichen Progreffion.
Beachten wir zuerft die SPBrogrefftion der Zahl, fo finden wir, daß
diefelbe im Duaternar fih erihöpft. Denn die natürlide Entfaltung
der einfachen Einheit ift die Zehnzahl, aus dem Fortichritte der Zahl
bis zu Bier, a 1 +2? +3 + 4= 10. Bon 10, oder der zweiten Einheit,
gelangen wir in gleihem vierfachen Fortichritte zum Quadrat von Zehn,
Hundert; 10 +20 + 30 + 40 = 100, und auf demfelben Wege von
Hundert, ald der dritten Einheit zum Gubus von Zehn, Taufend, der
legten Einheit. Diefer vierfahe Fortſchritt, dreimal wiederholt,
erihöpft die ganze Möglichkeit der Zahl; alle übrigen Zahlen find Rück—
gänge zur Einheit. Somit ift der Duaternar die Entfaltung der Einheit,
die Potenz der gejammten Zahlenwelt.
—— —— — en —
[213 Mo
9— I I | Faooo|
Hu ® 3 Fa u — 400
Sechstes Kapitel.
Don den vier Einheiten.
Indem nun unfer Geift davon ausgeht, daß er Alles umfaſſe, durch⸗
torihe und begreife, fo fchließt er weiter, daß er dergeftalt in Allem und
Ales in ihm fei, daß ed Nichts außer ihm geben könne, was feinem
Blide fih entzöge. Er betrachtet daher in der von ihm felbft entwidelten
Zahlenähnlichkeit feiner ſelbſt, ald in feinem natürlichen und eigenften
Bilde feine Einheit, die feine Wefenheit if. Diefe Einheit erfennt er
eben durch die Zahl als eine vierfache. Die erfte ift die einfachfte, die
meite die Wurzel der andern, die dritte dad Quadrat, bie vierte der
Cubus. Don diefen geiftigen Einheiten nennt der Geift die erfte und
einfachfte — Gott; die zweite, die Wurzel der übrigen, ohne felbft eine
Vurzelzahl vor fih zu haben — Bernunft (intelligentia); die dritte, die
quadratifhe Concretheit der zweiten, — Seele, und die legte compacte
(solida, grossa) und nichts weiter in fi faflende Einheit — den = rper.
Scharpff, Nic, v. Cuſa.
114
Alles aber in Gott ift Gott, in der Vernunft Vernunft, in der Seele
Seele, im Körper Körper, was fo viel heißt, als daß unfer Geiſt Alles
entweder göttlich, wie ein Ding die Wahrheit ift, oder vernünftig,
wie ed awar nicht die Wahrheit, aber wahr, oder ſeeliſch (aui-
maliter), wie ed wahrſcheinlich, oder förperlich, wie es felbit die
MWahrjceinlichfeit verliert und Verworrenheit annimmt, betrachtet,
fo daß der Geift in bewunderungswürdiger Wechſelprogreſſion, wo die gött-
lie und abjolute Einheit zu Vernunft und Verſtand herab, dagegen die
coneret finnlihe dur den Berftand in die Vernunft binauffteigt, Alles
unterfcheidet und mit einander verbindet.
Siebentes Kapitel.
Mon der erften Einheit.
Großes und bisher Verborgenes werde ih num aus diefen Prämiſſen
an's Licht zu ziehen verſuchen.
Die götthiche Einheit geht, wenn wir die Zahl ald das Urbilv
der Dinge annehmen, Allem voran und faßt Alles in fih. Indem fie
der Vielheit vorangeht, geht fie eben damit aller Verſchiedenheit, Anders:
heit, Entgegenfeßung, Ungleichheit ıc. voran, und wenn die Arten der
Dinge wie die Zahlen unterfchieden werden, fo ift fie feine Art, hat feinen
Namen, Figur x. und ift doch Alles in Allem, die Einheit aller Vielheit,
das Eine Maaß aller Maaße x. unendlich größer, ald jede Zahl, mithin
almädtig... Wir fhauen fie daher um fo Hlarer, je mehr loßgetrennt
von aller Vielheit wir fie ſchauen. Wenn du alles Andere ausge
ſchieden haft und fie allein fchauft, wenn du dir denfft, daß etwas Anderes
nie gewejen fei, oder fei, oder fein könne, wenn bu die einfachfte Einheit
ſelbſt nicht — mehr als einfache, denn ald nicht einfah, nicht — mehr
als Eine, denn ald nit Eine denkſt, dann bift du in alle Geheimnifte
eingedrungen, es gibt für dich feinen Zweifel, fein Hinderniß mehr. In
diefer feiner abfoluten Einheit, in der er Alles ift, ift das Leben des
Geifted nicht zerftörbar. Bon diefer abfoluten Einheit hat
aber der ®eift die präcijefte Gewißheit, fo daß er ganz in
ihr und durd fie thätig fit. Keine Frage fann der Geift aufwerfen,
welche nicht diefe Einheit vorausſetzte; die Frage, ob fie fei? fegt ihr
Sein voraus; was fie fei? ihr Weſen; warum fie fei? den Grund; zu
welhem Ziele? das Ziel von Allem, Was aljo bei allem Zweifel voraus
gefegt wird, muß das Gewiffefte fein. Auf jede mögliche Frage über
Gott muß aljo allererft geantwortet werden, daß fie eine ungeeignete if.
Jede Frage jegt nämlih voraus, daß in Bezug auf das Gefragte fih
115
nur der eine der Gegenſätze bewahrheiten oder fi von demfelben etwas
Anderes, als in Bezug auf andere Dinge bejahen oder verneinen lafle.
Bon der abjoluten Einheit aber wird nicht einer der Gegenſätze, es wird
vielmehr jeder mögliche eine eben fo ſehr, als der andere bejaht. Willſt
du daher das Gefragte beantworten, jo wiederhole nur das vorausgefegte
Abſolute. So läßt fih 3. B. auf die Frage, ob Gott Menſch ſei, ant-
werten: er ift jene Wefenheit, durch welche die Menfchheit iftz auf die
Frage, ob Gott ein Engel ſei: er fei die abfolute Mefenheit des Engelſeins
(cum entitatem absolutam angelitatis). Weil aber jede Bejahung einer
Berneinung entgegenfteht und umgekehrt, fo erreicht weder Bejahung noch
Berneinung das Weſen Gottes, und der abjolut wahrfte Begriff von ibm
it der, welcher beide Gegenfäge disjunctiv zugleich und copulativ verwirft.
Die befte Antwort auf die Frage: ob Bott fei, ift daher: daß
er weder ift, noch nicht ift und daß er nicht — ift und nicht
if. Doch bleibt aud fie noch — Muthmaßung, da die allerpräcifefte
Antwort für Verſtand und Vernunft unerreichbar ift.
Achtes Kapitel,
Von ber zmeiten Einheit.
Da die zweite Einheit, die geiftige, aus der erften herabfteigt,
folglich ins Andersfein, ind Gegenſätzliche, übergeht, fo fann fie nicht
ſchlechthin einfach, wie die erfte, fondern muß geiftig zufammenges
jegt fein, fo jedoch, wie ed der einfachen Wurzel zukommt. Daher gehen
die Gegenfäge ihr nicht vorher, fo daß fie aus ihnen, ald dem Vorher:
gehenden, zufammengejegt wäre, fondern fie entftehben zugleich mit
(br und find in ihr ungetheilt und unaufgelöst (indivise atque
irresolubiliter) enthalten. Fragen. über die Wefenheit felbft, welche den
einen der Gegenjäge als verneinbar und nur den andern als zu bejahend
vorausfegen, werden daher in diefer Einheit ungeeignet (improprie) aufs
geworfen; denn was immer die Vernunft bejaht, bat feinen mit diefer
Bejahung unverträglichen Gegenſatz (omne enim de intelligentia qualiter-
eungue affirmabile, incompatibile non habet oppositum). Höher und ein-
faber ift das vernünftige Sein, ald jene Weiſe des Seins, welde mit
dem Richtfein unverträglich ift. Gegenfäge, die in ihrer Entfaltung in
der Berftandeseinheit unverträglich find, find in ihr noch verbunden. So
it dem Verftande Bewegung der unverlöhnlihe Gegenfag von Ruhe;
aber wie unendliche Bervegung in der erften Einheit mit der Ruhe coins
üdiet, fo fchließen fie fih auch in deren nächftem Abbilde nicht aus; denn
die Bewegung in dem Gefichtöfreis der Vernunft ift einfacher, als der
g*
116
Berftand zu meſſen im Stande if. Wende hier deinen ganzen Scharis
finn an! Ich erinnere mich, in der Schrift über das gelehrte Nichtwifien
über Gott öfterd vom Standpunft ver Vernunft, durd Zufammen-
fafjung (per copulationem) der Gegenfäge in die einfache Einheit ge,
fprochen zu haben. In dem eben Gefagten aber habe ich die Sache vom
göttlihden Standpunfte aus (divinaliter intentum explicavi) aufge
faßt. Biel einfacher it die Negation der Gegenſätze disjunctiv und
copulativ zugleich, ald die Zufammenfaffung derfelben. Weil daher alle
Fragen, die von dem forfchenden Berftande ausgehen, durd die Vernunft
das find, was fie find, fo fegen fie alle die Vernunft voraus,
Wie könnte der Verftand über die Vernunft eine Unterſuchung anftellen,
ohne Das anregende und beftrahlende Licht der Vernunft?
Die Vernunft verhält ſich aljo zum Werftande, wie Gott zur Vernunft.
Daher ſchaue auch bier in allen Fragen, die der Verſtand aufwirft, auf
die Borausfegung und antworte diefer gemäß. So auf die Frage:
was ift die Vernunft? antworte: fie ift die vorausgefegte geiftige Welenheit
(quidditas), von der die Wefenheit des Verftandes abhängt. Willft du
alfo die Wahrheit auf dem Standpunfte der Vernunft erforichen, fo mußt
du dich auch vernunftmäßiger Begriffe bedienen, die feinen unverträglichen
Gegenfag haben, da dieje Unverträglichfeit der Gegenſätze nicht zur Natur
der Bernunfteinheit gehört. Daher genügen die üblichen Berftandes-Be-
griffe (Kategorien) von Bewegung, Ruhe, Raum, Geftalt, Subftanz, Ac
cidens in der Weije, wie fie der Verſtand bemügt, der Bernunfterfenntnif
nicht. Der Berftand ift das Wort der Vernunft, in weldem dieje wie
in ihrem Abbilde widerfcheint. Fragt man daher, ob die Vernunft ein
Duantum jei, jo liegt die Muthmaßung fehr nahe in der Antwort: fie
ift nicht ein Duantum, fondern das Weſen, die Idee ded Quantum
(ratio quanti); ebenfo ift fie nicht der Raum, fondern die Idee des
Raums x. Denfe hierüber reiflih nad und viele Schwierigfeiten werden
fi dir löfen.
Neuntes Kapitel,
Mon der dritten Einheit.
Die dritte Einheit, die Seele, wird nicht unpaffend das Quadrat
der Vernunft genannt; denn in der Seele ift die Einheit der Vernunft
entfaltet und fpiegelt fi in ihr, wie in ihrem eigentlichen Bilde ab.
Dies beachte um fo mehr, weil in ähnlicher Weife die körperliche Form
die Zahl der Einheit der Seele ift; denn fo wie wir die erfte, einfachfte
Einheit nicht in fi, fondern in der Vernunft, ald deren Zahl, die Ber:
nunft nicht in fich, fondern in der Seele ſchauen, fo fehen wir auch die
117
Rraft oder Einheit der Seele nicht in fi, fondern in deren förperlicher
Entfaltung auf eine finnlihe Weije. Beachte ferner: Aus der Vermehs
rung der Hundertzahl, des Bildes der Seele, durch die Zehnzahl entftcht
Taufend, das Bild des Körperd. Es ift daher die Seele nidt Wurzel
des Kubifchen oder des Körpers, fondern das Mittel und Werfzeug,
durh welches die Vernunft in den Körper heruiederſteigt; der Körper ift
bie durch die Seele vermittelte Bervielfältigung des Geiſtes. Da nun
in allem Körperlichen die Seele ald Werkzeug ſich abfpiegelt, fo ift die
Seele die Borausfegung und Einheit alles Sinnlihen. Alles finnlich
Verſchiedene und Entgegengelegte hat daher Einen Grund, der im verfchies
dener Coneretheit die Mannigfaltigfeit des Sinnlihen ausmacht. Die
Urtheile der Seele find aljo wie die Zahlen, von welden die eine
gerade, die andere ungerade ift und mie dieſelbe Beides zugleich,
gerade und ungerade. Die Seele hält daher die Gegenfäge in ihrem
Orunde für unverföhnlic, da ihr Urtheil die Zahl oder die Entfaltung
ihrer (höhern) Einheit ift, alfo diefe felbft in ihrer Einfachheit nicht ers
reiht, wie dies aud in analoger Weife bei den übrigen Einheiten der
Fall if.
Zehntes Kapitel,
Don der legten Einheit.
Die finnlidhe, förperlide Einheit ift die legte, weil fie die
Entfaltung der Einheiten ift und ſelbſt nichts mehr in fih befaßt. Nur
der Geift kennt und unterfheidet die drei erften Einheiten, der Sinn erfaßt
nur das Körperlibe. Nun fehen wir auch deutlih ein, wie uns
gereimt es ift, wenn wir durch das Sinnliche das Geiftige
meſſen wollen. Ungereimt ift es ſchon, die Einfachheit der Linie durch
den Körper zu meffen, aber das Allerungereimtefte, das Untheilbare, ven
einfahften Punkt in die Geftalt des Körperd einzukleiden. Durch alle
ſolche körperliche Formen und finnliche Ueberlieferungen auf dem Gebiete
vr Literatur (per has sensibiles literatorias tralitiones) erhalten wir
nur eine verfehrte und dunkle Vorftellung von tieferen theologiichen Ideen.
Der Sinn fühlt nur das Sinnliche, aber fein Fühlen ift verworren
und unterſchiedslos ohne die höhere Einheit des Sinnes; denn daß der
Einn Weißes und Schwarzes, Wärme und Kälte, Scharfes und Stumpfes
ünterjcheidet, das fümmt von feiner höhern Einheit, dem unterfcheidenden
Verſtand. Der Sinn ald folder negirt daher nicht, denn Negiren ift
Unterfheiden; er bejaht nur, daß das Sinnlihe fei, aber nicht Diefes
oder Jenes. Der Berftand bedient fi alfo des Sinnes als eines Werk:
wuged, um das Sinnliche zu unterfcheiden, aber er felbft ift es, der im
118
Sinne das Sinnlihe unterfcheidet. Beachte nun, Vater Julian, wie aus
dem Gebiete des Sinnlihen alle Verneinung entfernt ift, gleihwie aus
dem der oberften Einheit alle Bejahung. In den mittlern Einheiten fommen
Beide, Bejahung und Verneinung vor, verbunden in der zweiten, aus:
einander getreten in der dritten. So ſprechen wir in der unterften Einheit
nur von der gegenwärtigen Zeit, in der oberften von feiner Zeit, in ber
zweiten von der gegenwärtigen und nicht gegenwärtigen, in der dritten
von der gegenwärtigen oder nicht gegenwärtigen. Wenn man daher
die Begriffeden@inbeiten,aufweldefih unfereForfhung
bezieht, anpaßt, jo ergeben fib die wahreren Muth
maßungen Wenn wir 3. B. als VBerftandeswefen von Gott reden,
jo unterwerfen wir Gott den Gejegen des PVerftandes und bejahen das
Eine, verneinen das Andere von ibm. Das ift die Weife beinahe
aller neuen Theologen, welde von Gott vom Standpunkte
des Verftandes aus ſprechen; auf diefem Wege behaupten wir Vieles,
was wir vom Geſichtspunkte der einfahen Einheit aus verneinen müſſen.
Eines ift bier noch zu beachten: die finnliche Einheit, die feiner
weitern Entfaltung fähig ift, fehrt nad Oben zurüd. Der Sinn fehrt
in den Berftand, dieſer in die Vernunft, die Vernunft in Gott, den Anfang
und die Vollendung zurüdf, in vollendetem Kreislaufe. Es irrt alfo der
Sinn von dem Wege zur Rüdfehr in das legte Ziel ab, wenn er von
der Einheit des Verſtandes fich entfernt, ähnlich Verftand und Vernunft.
Elites Kapitel.
Von der Einheit und dem Anderöfeln.
Nachdem ih nun, fo weit ed mein ungebildeter Geift vermochte, aus
der Zahlenordnung die Örundlage für meine Muthmaßungen gewonnen
habe, will ih nun, aus derfelben Wurzel, Eined, was immer aufs Neue
dem Geifte einzuprägen ift, beifügen.
Jede Zahl befteht aus Einem und einem Andern, aber nie wird bie
Einheit einer Zahl der Einheit einer andern vollfommen gleich fein, da
im Endlichen präcife Gleichheit unmöglih if. Es wird daher Zahlen
geben, in welden die Einheit die Andersheit beftegt und foldhe, im welchen
die Anderöheit die Einheit zu verichlingen fcheint. Niemand zweifelt
daran, daß die Wurzelzahlen einfacher feien, ald die Duadrats und Kus
bifzgahlen, die ein Vielfaches find, alfo der PVielheit angehören. Nach
diefem Vorbilde denfe dir nun das Univerfum und alle Welten mit Allem,
was aus ihnen hervorgeht, aus der in einander übergehenden Einheit und
Anderöheit gebildet, jedoch in verfchiedener Weife, nah dem Geſetze der
119
‚ Einheitsentfaltung. Stelle dir nun die Einheit ald ein belebendes und
bildendes Licht, die Anvdersheit ald Schatten und Rückſchritt von dem erften
Einfachften, als die materielle Dichtigkeit vor; laß nun eime Lichtpyramide
in Finfterniß und eine Finfternifpyramive in das Lichtgebiet übergehen
und führe alles zu Erforſchende auf diefe Figur zurüd, um nad ihrer
Anleitung in die Geheimniffe einzubringen,
Paradigma der drei Welten, der höchſten lichtartigen, der unterften
finfternißartigen und der dazwiſchenliegenden.
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Gott, die Einheit, iſt gleichſam die Baſis des Lichts, die Baſis der
Finſterniß iſt das Nichts. Zwiſchen Gott und das Nichts aber
fällt nach unſerer Muthmaßung jegliche Creatur. Die
oberſte Welt iſt reich an Licht, jedoch nicht ohne Finſterniß; in der unters
Ren Welt herrjcht die Finfterniß, wiewohl auch fie nicht lichtlos if. Nur
das muß ich immer wieder erinnern, daß man fich fein finnliches Licht
oder Finfterniß denfen darf, um nicht irrige VBorftellungen zu bekommen.
Zwölftes Kapitel,
Erläuterung.
Die ganze Kraft unferes Geifted muß fich der tiefften Erfaffung der
Einheit zumenden, weil die ganze Menge des Erfennbaren von ihrer Er-
kenntniß abhängt, welche in jeder Wiffenfchaft das ift, was gewußt wird.
Die ganze Menge ihrer Namen ift nichts anderes als gewifle Zahlen:
auöbrüde ihres Einen Namens. Was daher den Charakter der Uns
theilbarfeit (wie: Ungerftörlichkeit, Unfterblichkeit Unveränderlichfeit,
Unbeweglichkeit) des Unterfhiedenen (wie: die Geftalt, das Einzelne,
das Licht, das Feuer, das Gelftige), und der Verbindung (wie: Thä-
tigkeit, Ganzes, Allgemeines, Gattung, Liebe, Kunft) an fih trägt, das
geht in feinen Gegenfag ebenfo über, wie die Einheit in die Andersheit.
120
|
Es geht daher im oberften Himmel alle Andersheit, und was zu ihr ger |
hört, in die Einheit über, in dem unterften Himmel ift die gerade ent- |
gegengefegte Bewegung: hier ift das Unfterblihe in Sterblichkeit, die
Wirklichkeit in der Möglichkeit, die Männlichkeit in der Weiblichkeit ıc. x. |
In der mittleren Welt ift ein mittlerer Zuftand. |
Wer died genau erwägt, der ſchaut Großes und Vielen gang und |
gar Berborgened im hellften Lichte und dringt bis im die tiefiten Ge
heimniffe der Natur. Denn er wird dahin geführt, daß die Welt nur,
die Einheit und Andersheit in einer Variation von Bezeicd-
nungen {ft (duceris enim in variationes terminorum unius et alterius
mundi). ben daher eriftirt alles in der Welt Möglihe in Diffe
renzen: anders ift in dem einen Dinge die Einheit mit der Andersheit
verbunden, anders in dem andern. Auf ein einfah Größtes oder
Kleinftes kömmt man daher in ihr nit. Von der Annäherung
an die Einheit oder der Entfernung von ihr, von dem Grade, in weldem
die Einheit in einem Weſen in Wirklichkeit oder in der Möglichkeit iſt,
hängt daher aud der Werth, die Würde und die Vollfommenbeit
eined Dinge ab. Denn die Einheit faßt auch den Einklang von Grund
oder Anfang und Ziel eines Dinges in fih. So ift die Einheit der
Seele volltommener, als die des Körpers, weil das Ziel der Einheit des
Körpers die Einheit der Seele iſt; denn mit der Seele ſchwindet auch
die Einheit des Körpers. Zu den nachweisbar einfachſten Elementar-
Einheiten, die ganz in Wirflichfeit (actu) find, können wir aber nit
gelangen, weil es bei graduell Verſchiedenem fein abfolut Größtes und
Kleinftes gibt (es gibt z. B. kein Waffer, das ſich nicht in Hinficht auf
das Glementare von dem andern als Species unterfchiede), wiewohl der
Verſtand das Dafein derfelben glaubt. Aber die wahre Einfiht in das
Orundelement alles Seins — Gott — gibt und wieder nur jene negas
tive Wifjenfhaft, welche präcife Erfenntniß als unmöglih nadhweist. Sie
zeigt zugleich, was fehr wichtig ift, daß das Fortjchreiten der Einheit in
die Ander&heit zugleich ein Fortichreiten der Andersheit in die Einheit iftz fie
haut alfo das wieder verbunden, was der Berftand trennt. Dieje Eins
fiht haben fi die Philofophen und philofophirenden
Theologen bisher durd ihr Grundprincip unmöglid gemadt.
Dreizehntes Kapitel.
Das vernünftig Erfennbare ift in feinem Anſich nicht zu erkennen.
Sn dem entwicelten Begriffe der Einheit ift nun auch tiefer be
gründet, was gleich im ingange über das Wefen der menſchlichen Er,
121
fenntniß ale Muthmaßung gejagt wurde. Die Einheit ift nämlich bie
unmittelbare in ihrem Anfich unerreihbare Identität. Nun ift aber jedes
Weſen nur in feinem eigenen Eein, in feinem Anſich, in jedem andern
anderd. Der Kreis z. B. als ein Verftandesding wird nur in feiner
eigenthümlichen Wefenheit, welche eben der Verſtand ift, erfaßt; außer
dem Berftande, in der Sinnlichkeit, ald ſinnlicher Kreis ift er nicht mehr
in feinem Anfih, er ift in einem Andern, daher anders und nicht in
feinem Anfih präcis zu erfaffen. Und wenn fi auch das Anfich nicht
anders, denn als Anfih mittheilte, fo fann es doch in einem Andern
nur anders participirt werden, nicht in Folge eines innern Mangels, fons
dern weil es in einem Andern ift. Schenke diefem Sate deine ganze Auf
merffamfeit, um in die Mannicyfaltigkeit der Muthmaßungen tiefer eins
wdringen! Du ſiehſt nun, daß Du nichts vernünftig Erkenn—
bares (intelligibile) in feinem Anfiherfenneft, wenn Du Deine
Vernunft füretwas Anderes hältft, ale das Erfennbare felbft;
denn das vernünftig Erfennbare wird nur in feiner eigenen Idee, durch
deren Sein es ift, in feinem Aufih erfannt, in allem Andern aber anders.
Nichts wird aljo in feinem Anfih erfannt, außer in der eigenen Wahrs
beit, dur Die es ift. Daher wird nur in der göttlichen Vernunft, durch
welde jedes Ding ift, das Anfih aller Dinge erreicht, in jeder andern
Vernunft anders. Wie die Verfchiedenbeit der Echauenden in
der Einheit des Schaueng, fo fchließt fih die Verfhiedenbeit
des zu Schauenden (visibilium) in der Einheit der Anſchauung—
zuſammen. Nicht fo aber ift es zu denken, als gingen die Geifter, die
den Lichtſtrahl der göttlihen Vernunft in fi aufnehmen, auf natürliche
Reife diefer Aufnahme voraus; fondern das geiftige Barticipiren an jenem
unmittheilbaren höchſt wirffamen Lichte ift eben ihre Weſenheit; und
da diefed PBarticipiren in verfchiedenem Grade, in verfchiedener Potenz, ftatts
findet, jo fönnen wir fagen: die ganze Thätigfeit unferer Ber»
nunft befteht in potentiell verfchiedbener Theilnabme an der
göttlichen Thätigfeit (potius igitur omnis nostra intelligentia ex
participatione actualitatis divinae in potentiali varietate consistit).
Denn das actuelle Erfaffenfönnen der Wahrheit an fi kommt den
geibaffenen Geiftern in der Weife zu, wie e8 Gott eigen ift, jene
Actualität feldft zu fein, die von den erfchaffenen Geiſtern in verfchiedener
Potenz participirt wird. Je durchgebildeter (formior) daher die Gottes-
erfenntniß, defto näher fommt ihre Potentialität der höchſten Wirklichkeit,
ie dunkler, defto entfernter ift fie von ihr. Da alfo nur eine ftete Ans
näberung, fein Erreichen des Anſich möglich ift, fo ſiehſt Du, daß alle
pofitiven Behauptungen der Weifen nur Muthmaßungen find. Die
122
Muthmaßung iſt eine pofitive Behauptung, welde das An-
fi der Wahrheit im Andersfein participirt.
Welches ift aber die Art und Weife dieſes Participirens? Da
Alles, was ein PBarticipiren zuläßt, diefes nur im Andersfein zuläßt, fo
muß ed in der Bierheit gefchehen; denn Indem die Einheit zum Anderds
fein vorichreitet, bleibt fie im Quaternar ftehen, da Alles, was in einem
Andern participirt wird, weder am Größten noch am Sleinften, noch auf
völlig gleihe Weile von diefem in fih aufgenommen werben kann. Der
Adfallaber von dem am Gröften-, am Kleinftene und dem Gfeichfein
ift der Quaternar. Die abfolute Einfachheit wird daher eben, weil fe
die Einfachheit ift, nicht participirt in einem Theilverhältniſſe,
nicht als Inbegriff des Barticipirten, nibt als ins Ans
dberdjein übergegangene Entfaltung, fondern fie ift als Art
und Weile der Kraft der an fib Fein Barticipiren zulajr
fenden Einheit in ihrer Zufammenfaffung in einer gewiſ—
fen Eoincidenz zu denfen. (Non igitur participatur unitas ut
est complicans simplicitas, nec ut est alterata explicatio, sed ut alte-
rabilis ejus participabilis explicatoria, quasi quidam modus virtutis
ipsius complicative imparticipabilis unitatis, per quandam coincidentiam
intelligitur.)
Bierzehntes Kapitel.
Von den drei Welten.
Durd das Herabfteigen der erften göttlihen Einheit in die Zehner:
einheit und die Rüdfehr diefer in jene entfteht eine oberfte Welt, die
man auch den dritten Himmel nennen fann: in analoger Weiſe eine
zweite und dritte Welt. So befteht alfo das Univerſum aus einer
ganz geiftigen Gentralmelt, aus einer ganz dichten Peripheriewelt und
aus einer mittlern. Das Centrum der erften it Gott, das Centrum der
zweiten die Vernunft (intelligentia), das der dritten der Berftand.
Die Sinnlichkeit ift gleichſam die dichte Rinde um die dritte Welt. Wie
das erfte Centrum, Alles in Allem befaffend, überall Centrum ift, fo die
Einnlichfeit überall nur Ertremität. Alles ift in der erften Welt,
Alles in der zweiten, Alles in der dritten, in jeder Welt
nad feiner Weife; in der erften Welt in feiner Wahrheit, in ber
zweiten in einer entfernteren Nehnlichfeit, in der dritten im dem entfernte
ften Schattenbilde, wie das Bild eines Waters in feinen entfernteften
Verwandten faum noch erkennbar if. Das Bild der wahren Kind»
haft Gottes (Hliationis), unſers Vaters und Urgrundes haben mir
daher nur in dem dritten Himmel, deffen Centrum die Wahrheit felbft iſt.
123
Nurdort werden wir als wahre Söhne das Rei der
Vahrheit befigen können.
Fünfzehntes Kapitel.
Von den dreimal drei Unterfheldungen.
Ich muthmaße nun weiter, daß jede der brei Welten des Univer-
ſums die Zahlenreihe in fi wiederhole, jo daß jede in ihrer Weife
vollfommen ift, freilich mit Beibehaltung der grabuellen Verſchieden⸗
kit, So ergeben fih denn im Univerfum neue graduelle Einheiten aus
der erften einfachften Einheit, wie folgende Figur des Univerſums (P),
ver 3 Welten, 9 Dronungen und 27 Chöre zeigt, die zum Berftändniß
des Ganzen unentbehrlich ift,
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124
Große Geheimniffe, die Vielen verborgen find, werden fih Dir,
wenn Du diefe Figur, wie fih’8 gebührt, mit dem Auge des Geifted
betrachteft, enthüllen. 1) Der Denar iſt der Inbegriff aller Zahl, ver
Duaternar die Vollendung jeder Progreſſion. Wiermal zehn find vierzig.
Du findeft daher in Allem zufammen 40 Kreiſe. Die Progreffion 1, 3,
9, 27 = 40 wird daher mit Recht gepriefen. Denn wie 1, 2, 3,4
die regelmäßigfte Progreffion aller Zahl ift, (die Multipltcation des Bi:
nars gibt den Quaternar, wie die Aodition der Einheit zum Ternar); je
gibt es zum Zehnfahen des Quaternar⸗Vierzig feine regelmäßigere Pro
greſſton als 1, 3, 9, 27. 2) Beachte, wie die einfache Einheit, welde
hier Gott bezeichnet, vier Kreife berührt, den des Univerfums, der oberften
Melt, der oberften Ordnung und des oberften Chots. Sie participiren alle
ftufenweife an feinem Lichte und feiner Welenheit, und ein Chor
theilt dem andern das empfangene Licht mit, bis es zum Tegten
gelangt. Aber vabei ift doch die Zehnheit abjoluter in der oberften, einge
fchränfter (contractior) in der mittlern Welt, und der unterfte Grad der
obern Ordnung coincidirt immer mit dem oberften der mächft niedern. Da
die 9 Zehner-, Hunderts und Taufendeinheiten der 3 Ordnungen fi zu
einander wie die Progreffionen der Zahlen verhalten und immer mit
der abfoluten Einheit anfangen, fo kömmt in jeder Welt
die Progreffion zu ihrer Bollendung.
So muß denn nad den verjhiedenen Urtheilen der ver
Ihiedenen Welten verfhieden über fie geurtheilt werden.
Veber jeden Denfenden urtheilt anders die Schule der Grammatiker, anders
die der Matheinatifer, anders die der Theologen. Anders ift ferner das
Urtheil der unteren Welt in ihrem Fürfichfein, anders in ihrem Ber
hältniß zu den obern Welten. Wer daher muthmaßt, der wiſſe
vor Allem zu unterfheiden und das Unterſchiedene bald einzeln,
bald im Verhältniß zu einander zu betrachten, um bald zu verneinen, bald
zu bejahen. Keine Welt zählt oder fpricht oder thut wie die andert.
Die rein geiftigen Naturen (intelligentiae) werben nicht gezählt, wie
Steine oder Thiere, fie reden nicht, wie die Menſchen, fondern jede
Welt hat ihre Weife.
Bweites Bud.
Erites Kapitel. ')
Nah diefer Fundamentallehre meiner Muthmaßungen will ih nun bie
Einfachheit und Identität des entwidelten Begriffs in einer Mannigfaltigkeit
von Anderdheiten faßliher mahen und dad Gefagte durch Anwendung
erläutern. Wenn Du dann Dasfelbe in verfciedener Weife fih abfpiegeln
ſiehſt, iſt Dir durch die Kunft des Muthmaßens der Weg zu jeglicher Unter
ſuchung geöffnet.
Drittes Kapitel,
Bon der Verſchiedenheit und Lebereinftimmung.
Der menfhlihe Geift ald Verſtand, der als foldher das Unendliche
von dem Kreife feines Erkennens ausjchließt, behauptet, jedes Ding unters
ideide fi von dem andern, und jeder mögliche Unterfchied fei immer
Heiner, als der unendliche, dieſer aber fei ebenfo Unterfchted, ald er zus
gleih Einftimmung if. Jegliches ſtimmt alfo mit Jeglichem
überein und ift von ibm verfhieden, jedoch nie in abfoluter
Präcifion, die im Univerfum vergebens gefucht wird. Wenn dies für die
finnlihe Welt, nah der Natur diefer Welt, ald wahr gilt, fo hat jedes
finnlihe Weſen mit jedem finnlichen Wefen eine univerfellfte Einftimmung
und eine ſpeciellſte Verfchiedenheit. Denken wir und jene als die Eins
beit, diefe ald die Andersheit, nach der Figur P, fo geht eine im die
andere durch zwei Mittelftufen über, und mit Anwendung der Figur des
1) Das erfle und zweite Kapitel haben feine befondere Auffchriftl. Wir über:
geben den Inhalt derfelben, da er nur eine ausführliche Erörterung des oft befprochenen
Gedankens ift, dag wir es zu einer präcifen Erkenntniß unmöglich bringen fönnen, und
af die vermeintliche Präcifion der Sinnen-, Verſtandes⸗ und Vernunfterkenntniß in
ihtem Andersfein als Unvolllommenheit erkannt wird, fobald man fie im Lichte ber
naht höheren Ginheit betrachtet. (Oportet etiam, ut fundamentum illud inattin-
gibilis praeeisionis ad hoc indesinenter resolvas, ut, dum tibi aut sensibilis aut ratio-
valis, aut intellectualis occurrit praecisio, eam ut contractam taliter praecisam ad-
mittas, enjus alteritatem tunc tantum intueberis, quando in unitatem absolutioris
tontractionis ascenderis).
126
Univerfums fäßt fih der Sag auch fo ausſprechen: jedes finnliche Wefen
ift mit jedem und feinem übereinftimmend, von jedem und feinem ver
ihieden. Denn denfen wir und den Mittelpunkt eines der Fleinften Kreiſt
als ein Einzelnmwefen, fo ift es ald Mittelpunkt von allen andern ver
fhieden, als ein Bunft überhaupt füllt e8 in den Kreid des Univerſums
und hat daher mit dem übrigen Inhalt deffelben eine univerfelle Weber
einftimmung, eine generelle mit dem nächft kleinern Kreife, eine ſpecielle
mit dem noch fleinern und eine fpeciellfte mit dem allerfleinften Kreiſe.
Alles Univerfelle, Generelle und Specielle julianifirt in Dir, Julian, vole
die Harmonie auf der Flöte flötet, auf der Zither — zithert (eitharizat).
Viertes Kapitel.
Von den Elementen,
Gibt es nun eine univerfelle Uebereinftimmung aller Dinge im Uni:
verfum, fo ift auch in allen eine gemeinfame, erfte und univerfellfte Natur,
die unfere Muthmaßung Elementarnatur nennt. Clement nenne id
die von der Andersheit verfchlungene und eben darum nicht einfach in fid
ald reine Actualität beftehende Einheit einer jeden Lebensſphäre. Das
aus den Elementen Entftandene (elementatum) kann daher nicht in ein
fache Elemente aufgelöst werden, da die Auflöfung zu einem Einfachften
nicht fommen fann, und das einfache Element nicht die Kraft hat, wirklich
(actu) zu eriftiren. Die Unterfheidung der Elemente ergibt fi aus
der allgemeinen Figur der Unterfcheidung; fie ift eine dreifache: ald Wurzel,
Duadrat, Cubus. Die einen Elemente beziehen fih mehr auf die Ber
nunft, andere auf den Verftand, andere auf die Sinne. Was der Einn für
Element hält, ift dem Verſtande ein Zufammengefegtes (elementatum)
und was diefem Clement ift, darin ſieht die Vernunft Zufammenfegung.
Daß wir aber der Elemente vier annehmen, die in einander ſich
auflöfen laffen, davon ift der Grund, weil der Quaternar es ift, der
das Kortichreiten der Einheit in das Andersfein und die Rückkehr des
Andersfein in die Einheit vermittelt. Denn denfen wir und die Elemente
als PBunfte, fo ergibt fih, daß 3 Elemente zur Bildung eined Körpers
(solidum) nicht hinreichen, aber auch, daß nad) (post) dem Quaternar eine
Verbindung eined Jeglicben mit Jeglichem nicht möglich ift. Der Beweis
für legteren Sap liegt im Folgenden. Jede Linte fann im eine immer
weiter theilbare getheilt werden, ohne daß das Theildhen je den Punkt
erreicht. Es find daher der Potenz nach nicht mehr Punfte in der einen,
als in der andern Linie. Es läßt fi folglih der Punkt von der Linie
nicht trennen, da er weder ein Theil der Linie ift, noch die für fh ber
127
fiehende Einheit. Aus demfelben Grunde kann die einfache Linie nicht von der
Oberfläche, diefe nicht vom Körper getrennt werden; es müßte fonft der Bunft
von der Linie abgefondert werden fünnen. Nun füllt aber die Linie bes
fanntlich zwifchen zwei Punkte. Die Linie ift alfo die Fortjegung zweier
fih wechfelfeitig wiederholender Punkte; die einfache Oberfläde, von drei
Linien begrenzt, ift die Wiederholung dreier Punfte, und jo der Körper
die wechjeljeitige Verbindung von vier Punkten. Im Duinar ift feine
ſolche Verbindung derfelben möglich, bei der jeder Punkt mit jedem vers
bunden ift (innectatur). Beranfchaulicht wird dies an der dreiſeitigen
Pyramide, dem einfachften Körper aus d Punkten, 6 Linien und 4 drei—
winfligen Oberflähen. Es gibt daher vier Elemente, aus diejen
gehen 6 und durch deren Vermittlung 4 hervor. Weil aber die Elemente
eine gewifle Combination zu einander bilden, fo entjteht ein anderes Ele»
ment, wenn eines die andern vereinigt, und wieder ein anderes, wenn mit
einem andern die übrigen verbunden werden. Jedes Element faßt daher
die 3 andern in fi, wie der Kegel (conus) einer dreijeitigen Pyramide, fo
dag die Einheit von einem die Actualität der übrigen ift und jo das eigen-
thümliche Product dieſes einen Elementes fi herausſtellt. Solcher Pro-
ducte (prima elementata) find es daher 4. Die 3 übrigen Elemente,
in dem einfachern, bellern und geeinigtern verbunden, find in der Region
der Sinnlichkeit dad Feuer, in dem Pdichteren und finfteren vereint — bie
Erde, in dem, dem erftern fich nähernden — die Luft, in dem, dem letzteren
ih nähernden — das Waffer. Was man aljo gewöhnlich Elemente nennt,
find die vier erften und allgemeinften Producte der Elemente (elementata.)
Fünftes und ſechstes Kapitel.
Wie ift das Clement in feinem Producte?
Wie ift aber dad Element in feinem Producte? Dies zeigt Dir die
Figur des Univerfums. Denn wenn Du Luft, Feuer, Waſſer oder Erde
Dir ald den größern Kreis denkſt, fo fiehit Du, wie in demfelben die
Kreiſe der drei andern Elemente enthalten find. Gin Clement faßt alfo
univerfelt im ſich 3, diefe 3 generell 9, dieſe 9 fpeciel 27. So ift der
Gubus des Ternars die Entfaltung jedes Glements zur fpeciellen Ein:
beit, Diefe aber faßt das Individuelle fo in fih, wie z. B. die latei-
nie Sprache alle möglichen Worte und Verbindungen, d. b. unerfhöpflic.
Das Individuum iſt gleichſam das Ende des Ausſtrömens der Elemente
und der Anfang ihres Zurüdftrömeng ; das Gegentheil gilt von der höch ſten
Öattung (generalissimum). Das Meer wird die allgemeine Mutter der
128
Flüffe genannt; denn in der Duelle ift es auf das Speclellfte eingefhränft;
aus ihr entfteht der Bach, der zulegt wieder in's Meer zurüdfehrt.
Aus dem Bisherigen ift zugleih Flar, daß feine Wiſſenſchaft die prä-
ciie Zufammenfegung der Elemente erreicht, weil es unmöglich ift, daß
2 Dinge auf gleihe Weiſe die Natur der Elemente participiren.
Sp viel von den Elementen im Allgemeinen. Willſt Du in bie
BDefonderheit der Elemente eingehen, jo verfahre proportional den
einzelnen Gebieten. Wie in der finnlihen Welt finnliche, fo denke
dir in der verftändigen verftändige, in der vernünftigen vernünftige
Elemente. Beachte dies wohl, Julian, denn die abfolute Einheit, welde
auch die unausfprechliche Wahrheit tft, ift in ihrem Anfih unerfaßbar,
Das Sein des Geiſtes aber ift Denfen und das heißt an der Wahrheit
Theil haben. Und weil dies Theilhaben nur im Andersjein, in der Viel
heit und Verſchiedenheit geichieht, fo wird das die rechte Theilnahme an
der Wahrheit fein, in welchem die Kraft der Wahrheit geeineter und har-
monifcher wiedertönt, wie das Ohr fich ergögt an dem Einflange verſchie—
dener Töne. Unausſprechlich ift daher die Freude deffen, der in ver Man:
nigfaltigfeit geiftiger Wahrheiten die Einheit der unendlihen Wahrheit
felöft erfaßt. Denn er fieht im Andersfein des geiftig Erkennbaren bie
Einheit aller Schönheit, hört geiftig die Einheit aller Harmonie, Foftet die
Einheit aller Süßigfeit, erfaßt die Einheit aller Gründe und Urſachen und
haut in geiftiger Wonne Alles in der Wahrheit, die er allein Tiebt.
Siebentes Kapitel,
Vom Senar, Septenar und Denar.
Da die abfolute Einheit, wie wir gefehen, nur im Andersfein parti-
eipirt wird, jo fteigt die abfolute Einheit herab in die geiftige Unendlich—
feit, diefe in die verftändige, diefe in die finnliche, welche ſich in demſelben
Stufengange wieder zur abfoluten Einheit erhebt, fo daß in der abjo-
Iuten Einheit Anfang des Ausftrömens und Ende des Rüchſtrömens,
in der finnliden Einheit Ende des Ausftrömend und Anfang des
— Rückſtrömens coincidiren. Für dieſe über ſich kreis—
— ee förmig zurückkehrende Progreifton ift der Senar bad
f Zahlenbild und die nebenflehende Figur die Veran
ihaulihung. Es bezeichnet a die abſolute, b die gei«
ftige, e die verftändige, d die finnliche, e die verftän-
dige, f die gelftige Einheit.
68 erhellt hieraus: wie der Kreislauf des Senard
das Maaf des Perpetuirlichen ift, und wie die Zeitfolge aus dem
129
Perpetuirlichen hervorgeht und die Natur alles Werdenden und Vergehenden
beherricht, jo geht der Septenar aus dem Senar hervor ald das Zahlen-
bild der nicht zu ſich ſelbſt zurücfehrenden, fondern in ein anderes Aehnliche
übergehenden Progreifion. Wenn aus dem Samen der Baum und aus dem
Baume wieder Samen entiteht, fo umfaßt Beides der Septenar, welder
entfteht, wenn das Ende in der Zahl mit dem Erften nicht coincidirt, wohl
aber dad Ende ded Ausjtrömend mit dem Anfange des Rückſtrömens.
Aus dem Septenar entfteht der Denarz denn wenn F x
a der Same ift, d der Baum, g ein anderer Same,
kein anderer Baum, fo geht a durh b, e in d über, „|NN\r ;
d.aber dur e, f in g, womit der Septenar ſich jchließt. f
gerhebt ſich nun durch h,iin kz fo haben wir den vol» 2 1
fommenen Denar. Die Individualiſirung der Species
in dem Samen a, die als foldhe zerftörlich, ald Species ” ⸗
aber unzerſtörlich iſt, ſucht ſich durch die Kraft der in ihr enthaltenen Spe—
ed zu erhalten und gibt daher, indem fie ſich in die Species auflöst,
das individuelle Sein anf, um mittelft der Species ein Achnliches aus fich
bervorzubringen. Es wird fih daher nad dem Gefege des Quaternars
zu einem Baume entfalten, weil es font ſich nicht vervielfältigen kann.
a will g hervorbringen und erhebt fich deshalb zu d. d aber, jetzt ein Baum,
kann ſich nur in einem Aehnlichen erhalten und ftrebt daher nah k. Um
über k zu erreichen, muß es zuvor zu g berabfteigen. So ift in a ein
doppelter Trieb verbunden, ein natürlicher, der in g fein Ziel hat ımd ein
wfälliger (acciventeller), der in d fein Ziel hat. Aehnlich ift in d ein
doppelter Trieb vereint. Dem g ift alfo ein matürlicher Trieb von a mit«
getbeilt und ein zufälliger von d gleichſam eingedrückt (impressus). Ein
Trieb tahelt und treibt fo den andern, damit ein ununter—
brohenes Erzeugen und Zerftören ift und das Erzeugen des
Einen ein Zerftören des Andern. Beachte aber, daß wir nur durd) 2
Samen und 2 Bäume, welche 4 find Calfo dur den Quaternar), zu der
gewonnenen Einficht gelangt find. Du mußt alfo die Progreifion adg
md dgk in deinem Geift verbunden auffaffen, fo daß die Coincidenz vom
Ende der einen und Anfang der andern eine vollftändige Reihenfolge bil-
det. Du fiehft nun auch, wie die Sameneinheit des Baumes (das eins
klne Samenforu), die kein Participiren zutließ, im Andersfein des Samens
dieſelbe zuläßt. Trage nun das vom Samen und Baume Gefagte auch
af Anderes: Mineralien, Begetabilien, Thiere, ja felbft auf das Ver«
handess und Vernunftgebiet über. Denn hier wächſt aus dem Staunen,
a8 dem Samen, der Baum der Berftanveserfenntniß hervor, der wieder
Naunenswerthe Früchte trägt, und der Baum der Verftandeserfenntniß läßt,
"ermittelt durch das erregte Staunen, einen ähnlihen Baum der Verftandes;
Eharpif, Nie. v. Cuſa. 9
130
erfenntniß hervorwachſen. Ebenfo wächſt aus der Verftandespemonftration
ald Same der Baum der Bernunfterfenntniß hervor, der Principien ale
neuen Samen für einen neuen Baum der Vernunfterfenntmiß hervorbringt.
Achtes Kapitel.
Mon dem Unterſchiede (differentia) der Individuen.
Menn im Gebiete des Sinnlihen der Same zugleih Baum ift und
unter den lebenden Wefen, die fih wie die Bäume verhalten, die einen
männlich, die andern weiblich find, fo muß auch das eine männlicher, dad
andere weiblicher Samen fein. Die Figur P, bei welder das Licht die Ar
tualität, der Schatten die Potentialität bezeichnet, zeigt Dir alfo, daß die
Actualität die Portentialität verfehlinge und umgekehrt, und daß die Js
dDividuen an deren Natur participiren. Betrachten wir die Actualität
allein nach der Figur P, jo ift das Licht dad Männliche der Actualität,
die Finfternig das Weibliche. Das Gleihe gilt von der Potentialität.
Beide müſſen aber ald etwas Endliched nothwendig differiren, und es
gibt Feine größte Männlichkeit. In aller Männlichkeit iſt aljo die Weib»
lichkeit in Differenzen verihlungen, Daher fehen wir auch an den männ-
lichen Weſen Zeichen der Weiblichkeit, 3. B. Zeihen von Brüften, das
Umgekehrte gilt von dem Samen. Wir wiſſen aud, daß die Individuen
die Species in verichiedener Weile participiren; die einen Weſen partic-
piren die Species vollfommener im Samen, die andern im Baume (d. i.
in der Entfaltung ded Samen). Je edler, vollfommener und fFräftiger
die Species ift, deſto mehr find ed auch die Bäume, die ihre Natur partici-
piren, und zwar bei den Bäumen wieder das Männliche, bei den Samen
das Meiblihe auf eine vollfommene Weile. So ift ein Birnbaum etwas
Edleres ald eine Birne, der Löwe edler ald die Löwin und der Samt
des Löwen. Umgefehrt ift beim Waizen der Same etwas Beſſeres als
der Halm. Mo nämlih der Baum mehr die Natur der ungerftörlicen
Species an fih hat, Frucht hervorzubringen, ohne dabei die Productiond-
fraft zu verlieren, da hat der Baum mehr von der Vollfommenheit der
Species an ih. Wo aber der Same der ungerftörliben Species die Natur
mehr auf ein Einzelnes einichränft und eben damit die Productiongfraft
jhwindet, weil fie ganz in den Samen übergeht, wie in den Waizens,
Hafers und andern Körnern, da ijt der Same das Vollkommnere und
zwar twieder das Weiblichete das Edlere. Doch auch hierin find wieder
Gradunterſchiede möglih. Der Baum, für die Kraft des Samens glei»
ſam der fich ausbreitende Kanal, welder der Feuchtigkeit den Lauf an
weist, wird diefe um fo vollfommener zur Species auswachſen lafjen, je
131
vollfommener die Kraft des Samens, fe freier fie ſich ausgebreitet hat,
und je vollfommener und für die Species geeigneter der Boden ift. Gin
durch einen eingepfropften Birnbaumzweig veredelter Baum nimmt die Natur
des Birnbaumes an. Ein in Ztalien lebender Deutfcher ift im erften Jahre
noh mehr deutſch, als im zweiten.
Aehnliches beachten wir auch in der Verftandeswelt wie in den Eit-
ten, Gewohnheiten und Berftandeserfeimtniffen, die eine Art Boden und
Rahrung für unfern Geift find, ja felbft in dem Vernunftgebiete.
Zehntes Kapitel,
Von den Unterfchleden der aus Seele und Leib zufammengefegten Weſen.)
Um die Verſchiedenheit der aus Seele und Leib zuſam—
mengefegten Wefen zu verftehen, blide wieder auf die Figur P, und
ige die Seele ald Einheit, den Körper ald Andersheit. Es erhebt fid
alio das Körperliche in's Geiftige und es fleigt dieſes zu jenem herab,
beides verbunden, fo daß die Verfchiedenheit der Körper jo aus der
Verſchiedenheit der Seelen zu erklären ift, daß man zugleich die letztere Ver:
ISiedenheit aus der erftern begreift. Denn daß die menſchliche Seele fi
ihren eigenthümlichen Körper bilvet, rührt zugleich daher, daß diefer Kör—
per gerade diefe Seele erfordert. Daher fchließen die Phyſiognomen aus
der Betrachtung des Körpers auf die Eigenthümlichfeit der Seele. Leute
von zartem Fleiſche (molles carne) haben der Erfahrung zufolge einen
empfänglichen Geift (aptos mente experimur). Auch die Bewegung, durch
welche fich die lebenden Wefen von den Vegetabilien unterfcheiden, ift nicht
nur auf ein Bebürfniß des Körpers, fondern auch der Seele zu bezichen.
Das Thier verändert feinen Ort nicht bloß, um die nöthige Nahrung zu
jammeln, fondern auch, um das Wirken der Seele zu bethätigen. Ein
Ihier übertrifft das andere im Fliegen, Laufen, Geſchicklichkeit, nicht bloß
deßhalb, weil feine Selbfterhaltung dies erfordert, ſondern auch, weil fein
Inneres es fo will (quia haec et spiritus exquirit), So hat der Menſch
nicht deßhalb einen größern Verftand, um für feines Leibes Nothdurft
fen, pflanzen, Handel treiben, bauen, weben, fochen zu können, fondern
der höchſte Künftler hat es jo geordnet, daß der Berftand in's Körper:
liche hinabfteige, damit der Körper in's Verftändige fi erhebe. Jedes
Icbende Wefen ift alfo von jedem durch eine aus dem Körper und der
Seele entfiehende Differenz verfchieden, aber eben deßhalb auch mit jedem
1) Das neunte Kapitel „Bon den Unterfchieden ber Seinsweiſen“ (Noth—
wendigkeit, Wirklichkeit, Möglichkeit) übergehen wir, da fein Inhalt aus dem Bieheri⸗
gen binlänglich hervorgeht.
9 *
132
einftimmig (concordat), Daher verbirgt felbft das vegetative
Leben in feiner Dunkelheit das geiftige in ſich (occultat in-
tellectualem). Keunzeichen von diefem treten hervor in den Aeſten zur
Erhaltung, in Blättern und Rinde zur Beihügung der Frucht. Mehr
Zeichen des Geiftigen finden wir in den Thieren im Sinne, noch mehr
in der Einbildungsfraft, noch mehr im Berftande und unter
den verftändigen Weſen noch weit entfchievenere Zeichen von Vorherſchen
(providentiae) im Menſchen, bis in den rein geiftigen Naturen (den
Engeln) (in intelligentiis) die finnlihe Natur vom Geiſte ganz ver-
fchlungen ift. In den Vegetabilien ift dad Vernünftige vegetabilijcher Na
tur: es treibt feine Aeſte hinaus, auf daß am ihnen die Früchte bangen;
in den Thieren thierifcher Natur: es treibt fie zum Jagen und Aufjuden
des zu ihrem Unterhalte Nothwendigen; in den Geiftern ift es geiftig:
es führt zur Wahrheit hin. Alles Geiflige participirt alfo in feiner Weile
an den Elementen der geiftigen, wie das Körperlihe an denen der für
perlihen Natur. — Iſt die Seele die Einheit, der Körper die Andersbeit,
jo ift Alles, wad im Körper entfaltet ift, in der Seele wie
in einem Einheitöprincipe eingefchloffen. Wie im Körper Haupt,
Hände und Füße graduell verfchiedene Functionen haben, fo find im der
Seele die Vernunft das Haupt, der Verftand die Hände, die Sinne die
Füße. Denfe Dir alſo die Seele des Löwen mit einem Geifte ald Haupt,
mit Sinnen ald Füßen, mit einem Verftande ald den Händen, aber alles
diefes beichloflen in der VBefchränftheit der Löwennatur, wie wir es im
Menihen ald Menſchennatur finden.
Auch die Verfchiedenheit und das Sneinanderfpielen der körperlichen
Eigenthümlichfeiten findeft Du nad Anleitung der Figur P. Nach ihr
findeft Du aub in der Verbindung des Geiftigen und Körperlichen drei
Grade: eine Seele, oder geiftige Natur; einen förperlichen, in den Arte
rien eingefchlofjenen Geift als Vehikel für dad Band der Seele (vehi-
eulum connexionis animae), und einen förperlichen Geift, durch den die
Seele auf den Körper und das Sinuliche einwirft, fo daß durd viele Ver:
mittlung die Kraft der Seele mit dem Körper verbunden ift.
Elftes Kapitel.
Dom Leben.
Um das Leben zu erfennen, benüge wieder die Figur P und Du
wirft jened edle Leben erfennen, von deſſen Klarheit und Einheit jede An—
dersheit verſchlungen ift (absorbetur), aber auch jenes, deſſen Einheit im
Andersfein flüchtiger und unbeftändiger Finfterniß befangen if, Dur
133
Anwendung der Figur des Univerfums aber findeft Du drei, wie Wurzel,
Duadrat und Cubus, verfchiedene Arten des Lebens: ein ungerftörliches,
ein veränderliches und ein mehr ungerftörlies und mehr veränderliches.
Damit das niedere Leben dem höhern geeinet werde in der Einheit
des Univerfumsd, muß das höhere mit dem niedern verbunden werden.
Diefe Zufammenfegung aus dem Leben, in welchem die Einheit, und aus
dem, in welchem die Andersheit fiegt, ift alfo aus zerftörlichem und unzer:
körlibem Leben zugleich, in Differenzen oder Graden; fie ift, wie anderes
Sterbliche, dem Tode unterworfen. Das geiftige Leben aber, zur
unzertörlibden Wahrheit nah Oben erhoben, fennt feinen Zug
mm zerſtörlichen Andersfein hin (intellectualis autem vita, ad
ineorruptibilem veritatem evecta sursum, ad corruptibilem alteritatem
moveri nescit). Es wird zwar der unterfte Grad der geiftigen Natur, ver
wenig in Wirklichkeit, beinahe ganz nur in Potenz tft, eine gewiffe Mög:
iöfeit haben, in Folge der engen Verbindung mit dem vergänglichen Leben
an diefem ſelbſt Theil zu nehmen; jedoch nicht, um diefem flüchtigen Leben
die Kraft zu fiherem Beftande zu verleihen, fondern vielmehr, um durd
de enge Verbindung mit demfelben in Folge des Staunen erregenden Eins
drufs der Sinnenwelt ald BVerftand in Bewegung geſetzt und fo aus der
ihlummernden Potenz erwedt und in Nctualität gefegt zu werben. Es
läßt ſich dieſe fpecifiiche Verbindung des Unzerſtörlichen und Zerftörlichen,
welhe eben die menschliche Natur ift, nicht zu mehreren Epecied verviel-
Niltigen. Das unauflöslihe Leben ift alfo dad vernünftige
keben, das auflöslihe das finnliche. In der Mitte, dem vernünftigen
näher, iſt das edlere verftändige (rationalis); dem Sinne nähert fich
dad unedlere verftindige, das Einbildungskraft Cimaginativa) genannt
wird. Die edlere an der Vernunft participirende Werftändigfeit ift in der
Menfhengattung mit der niedern Verftändigfeit und der finnlihen Na—
tur zu einer Einheit verbunden.
Zwölftes Kapitel.
Non der Natur und Kımfl.
Natur ift die Einheit, Kunft die Andersheit, denn fte ift eine Achn«
ühfeit der Natur. Gott ift, nach der Sprache der Vernunft, die abfolute
Ratur und Kunft zugleich, wiewohl die Wahrheit ift, daß er weder Kunft,
sch Natur, noch Beides if. Da aber bier Präcifion unmöglich ift, fo
erimert und Died daran, daß es Nichts gebe, was bloß Natur oder bloß
Kunft iſt. Jegliches participirt an Beiden auf feine Weife. So partis
pirt die Vernunft, ald Ausflug der göttlichen Vernunft, an der Kwıft,
134
und foferne fie die Kunft aus fich hervorbringt, ift fie Natur. Wie das
finnlih Natürlide nicht ohne Kunft, fo ift das finnlih Künftliche nict
ohne Natur. Die Sprade ift ein Werk der Kunft, aber geftügt auf die
Natur. Das Denken ift ein Werk der Natur, aber nicht ohne die Kunft,
daher der Eine in der Kunft des Denkens weiter ift, als der Andere.
Mie in der Sprade der natürliche Verſtand fich offenbart, fo daß man
den Menihen aus feiner Spradye erfennen fann, fo offenbart fid im
Verftande die Kunft des Denkens.
Die Differenzen von Natur und Kunſt und die Verbindung Beider
zeigt dir die Schon oft erwähnte Figur. Die Natur befteht aus dem
Männlihen als der Einheit und dem Weiblichen ald der Andersheit.
Im Gebiete des Geiftigen ift die Weiblichkeit von der Männlichkeit abs
forbirt. Jedes Geiſtige befruchtet ſich als Einheit (unitive) in ſich
ſelbſt (intra se), während das Begetabilifche als das weibliche Anders—
fein die männliche Natur in fich determinirt und daher dutch Entfals
tung nad Außen Frucht bringt.) Bei den Thieren hingegen ſind
die Gefchlehter getrennt, der Mann erzeugt in dem Weibe, das Weib ge:
bährt nah Außen. Im Geiftigen wird geiftige Frucht, im Thierifchen eine
thierifche, im Vegetabiliſchen eine vegetabilifche hervorgebradt. Die finn-
lihe Natur gehorcht der verftändigen, diefe der vernünftigen, dieſe der
göttlihen Natur. Das finnlih zu Fertigende (sensibiliter faetibile) ge
horcht der Kunft des Verftandes, diefe der der Vernunft, diefe der gött-
lichen Kunſt. Die Einheit der Natur und ſinnlichen Kunft ift der Ber
ftand; in feiner Einheit ift die ganze WVielheit einzelner Naturweſen wir
in ihrer Species begriffen und es geht aus ihr die unzählige Menge ein
zelner Kunftprodufte hervor, 4. B. aus der Kunft ded Schuſters eine un
zählige Menge von Schuhen. Die Bildung folder Kunftprodufte hat zu
ihrem Ziele wie zu ihrem Anfange die finnliche Natur, wie die Kunft des
Geiſtes die verftändige Natur.
Dreizehntes Kapitel.
Von der vernünftigen Natur.
In der univerfellen Natur, entſprechend dem Kreife des Univerfums,
nimmt die geiftige, vernünftige Natur (natura intellectualis, intelli-
gentia) ald die geeintefte den erften Rang ein. Sie ift fein Duantım
und auch ihre Bewegung nicht die eined Quantum, außer in geiftige
1) Die Ermittlung des richligen Sinnes wird namentlich im biefem Paſſus, abet
auch an wielen andern Stellen des Tertes, durch unrichtige Interpunftion mw
ſchwert.
135
Weiſe. Ihr Uebergehen in dad Andersfein ift nichts anderes, als das
Uebergehen des Andersfein in die abſolutere Form der Einheit. Die Vers
nunfteinheit fteigt in die Verftandeseinheit herab, damit diefe fich zu jener
erhebe. Ebenſo ift ihr Drt nur geiftig zu faflen: fie ift nicht überall und
nirgends, abfolut, wie Gott, jondern mit der Einfchränfung des ber
dingten Geifted (contracte intellectualiter), wie die Menjchheit in ihrer
Species, die Seele im Körper überall und nirgends tft. Sagt man, der
Geiſt iſt der Drt der Univerfalien, fo ift dies nach den nun fchon oft
angegebenen Regeln fo zu denfen, der Geiſt fei ſo in den Unis
verfalien, daß dieje in ihm find, wie ein König infoferne in
ſeinem Reiche ift, als das Reich in ihm if. Die Bewegung des Geiftes
ft daher zugleihb Ruhe, da fie ein Gehorfam gegen die Wahrheit ift,
geichwie das in Bewegung jehende Wort ded Königs, das er vom
Throne herab ausfpricht, mit Ruhe verbunden ift. Geifter bewegen fich,
indem fie in dem Gentrum ihres Reiches ruhen, und wir denfen ung Diefe
Bewegung wie die eined Richters. Ein Richter hat ein Verftändniß der
(Entfcheidungs-) Gründe, und er bewegt fi, wenn er wegen der übers
wiegenden Wahrheit fih für das eine Moment enticheidet und das andere
verwirft. So muß man fidh die Geifter als univerfelle Kräfte und Lenker
dr Berftandeswelt denfen, gleihfam als Sonnen. Wie dur den Sonnens
glanz die Augen über dad Schöne oder Häßliche urtheilen, fo bringt der
Beift Leben und Regſamkeit zur Erfenntniß des Wahren hervor. Die unend-
liche Sonne der Geifter aber ift Gott; die Geiſter find wie verfchiedene Strah—
Ienbrehungen diefer Einen Sonne (Deus autem ipse infinitus sol intelli-
gentiarum est, intelligentiae vero ut varia contractiora lumina rationum).
Daher laffen fib Geifter nicht zählen, wie finnlihe Dinge, da fie
jelbft die höhere Zuhleneinheit für den zählenden und meflenden Berftand
And; nur die göttlihe Einheit, im welcher Zählen und Gezähltwerden,
Unteriheiden und Richtunterfcheiden coincidirt, vermag fie zu unterſcheiden.
Bir finden muthmaßend die Verfchiedenheit der Geifter, je nach der über-
wiegenden Bernünftigfeit oder Sinnlichkeit, aus der Anwendung der ſchon
oft erwähnten Figuren. Zu beachten ift hiebei wieder nur dies, daß Die
den Nationen, Bereinen, Sprachen, Reichen und Kirchen gleichſam als
die Legaten des oberften NRegenten des Univerfums präfivirenden Geifter
nicht bloß unfertwegen diefen Dienft beforgen, fondern nur infoferne, als
fe fih felbft als das Ziel denken; fie find infoferne für uns da,
ald wir für fie. Im einem Könige concentrirt ſich feine Sorge für ihn
ſelbſt und für die Wohlfahrt feines Volkes. ES wäre ja auch der Ges
borfam des Bolfed und der Eifer des Fürften kein recht bereitwilliger,
wenn nicht Volk und Fürft erwarten dürften, daß fie, jenes für feinen Ge-
borjam, diejer für feine Mühen fich gegenfeitig belohnen.
136
Bierzehntes Kapitel.
Vom Menſchen.
a Den Menfchen denke dir als die Einheit der menfchlichen Natur
und die Audersheit des körperlichen Seins. Nach der Figur des Univer:
fums wirft du im Menſchen drei Regionen und jede dreifach unterfchieden
erfennen: im Körperlichen unedlere, beftändig weränderliche, Dann aus
gebildetere und zufegt die edelften Theile; in gleihem Stufengange bie
geiftigeren förperlihen Sinne (naturas), in welche die Kraft des Fühlend
eingefenft ift, von den ftumpferen bis zu den feinften. Hiezu fommen
noch 9 Unterſchiede in der Seele ſelbſt. So ergeben fih 9 förperlide
Unterſchiede mit 3 Ordnungen, in welchen das Gefühl noch abforbirt
ift und bloße Vegetation herrfht, dann 9 gemifchte, wo die Empfindung
(virtus sensitiva) mit dem Sinnlien und Körperlichen vermijct if;
endlih 9 edlere Unterichiede, wo das Körperliche vom unterſcheidenden
Geifte (discretivus spiritus) abforbirt ift.
"Die Empfindung überhaupt (sensatio) entfteht durch einen Ein
druf von Außen (obviatione), welcher Eindruck theils ein nächiter, theils
ein entfernterer fein fann, wie 3. B. bei dem Geruche, noch mehr bei
dem Gehöre, in noch höherem Grade bei vem Gefichte, das alk
andern Einne übertrifft. Weber die Beichränftheit der Sinnenerfenntniß in
Hinfiht auf Maffe, Zeit, Geftalt und Raum geht in größerer Ungebuns
vdenheit hinaus die Einbildungskraft; fie erfaßt mehr und and
weniger ald der Sinn, näher und entfernter, fie bezieht fih auf das Ab—
wefende, ohne jedoch über das Gebiet des Sinnlichen hinauszufommen.
Der Berftand jchreitet (feiten Schrittes) durch das Gebiet der Ein
bildungskraft (ratio imaginationem pergreditur) und fieht 3. B., daß
die Gegenfüßler fo wenig ald wir fallen fünnen, da das Schwere den
Zug nach dem Gentrum hat, welches zwifchen ihnen und und im der Mitte
ift. Das ſieht die Einbildungsfraft nicht, der Verftand geht alfo über fie
hinaus und fchreitet in wahrerer und uneingefchränfterer Weife zur Er
fenntniß der Dinge. Die Vernunft endlich verhält fih zum Verſtande
wie die Kraft der Einheit zur endlichen Zahl.
Wunderbar ift dieſes MWerf Gottes, wo das Vermögen zu unten
ſcheiden vom Mittelpunfte der Sinne ftufenweife bis zur höchſten Geiftig.
feit ſich erhebt, wo der bindende feinfte Nervengeift durch das allmählid
überwiegende Pſychiſche immer leichter und einfacher wird, bis er zum Ver—
ftande gleichſam als feiner Zelle gelangt (ubi continue ligamenta tenuis-
simi spiritus corporalis lucidificantur atque simplificantur, propter vic-
toriam virtutis animae, quousque inrationalis virtutis cellam pertingantur)
137
Bon da gelangt er Ind Gebiet der Vernunft, gleihlam wie durch einen
Bach ind Meer, und hat bier fein Ziel erreicht.
Eo umfaßt das Menfchenwefen in menfclich befchränfter Weife das
Univerfum. Weil e8 Alles durch den Sinn oder Verftand oder die Ver:
nunft erreichen zu fönnen muthmaßt, fo glaubt ed auch nah Menſchen—
weile zur Erkenntniß von Allem fchreiten zu können. Der Menſch ift
Bott, jedoh nicht abfolut, weil er Menſch if. Er ift
alio ein menfhlihder ®ott (homo enim Deus est, sed non
absolute, quoniam homo. Humanus est igitur Deus), Der Menſch ift
auch eine Melt, aber nicht das concrete Univerfum, weil er Menſch ift.
Er ift aljo ein umpoxdauog, oder eine menfhlihe Welt (humanus mun-
dus). Die Region des Menichheitlihen umfaßt aljo Gott und die Welt
in der Potenz des Menfchliben. Es kann alfo der Menih Gott in
menſchlicher Weiſe fein, oder ein menschlicher Engel, ein menſchliches Thier,
ein menfchlicher Löwe oder Bär. Iſt das Menfchenwefen eine Einheit,
jo fann fie auch innerhalb ihrer Sphäre Alles aus ſich, aus ihrem
Centrum als der Potenz entfalten und entwideln. Das Ziel der Einheits-
entwicklung ift aber immer wieder die Einheit, weil fie zugleich die Uns
endlichkeit iſt. Die ſchöpferiſche Thätigfeit des Menfchenwefens hat folgs
lih fein anderes Ziel, als fih ſelbſt; es kommt die Menſch—
beitin ihrem Schaffen nidt aus fih hinaus; fie ſchafft
nichts Neues, ſondern waß ſie ſchafft, iftin ihr vorher
ſhon gewefen, weil Alles in ihr menfchheitlih eriftirt. Du haft,
Vater Julian, von dem dreieinigen abfoluten Principe und Schöpfer des
Univerfums gehört, wie er, weil er die abfolute Einheit oder Wefenheit
it, in welcher unendliche Gleichheit und Verbindung, eben deßhalb der
allmaͤchtige Schöpfer ift. Als unendliche Gleichheit, in welcher die Ein—
beit und Verbindung ift, ift er Lenker, Ordner und Regierer des Uni:
verſums, als unendliche Verbindung, in welcher die Einheit und Gleich—
beit, ift er der Erhalter des Univerfums. Alles dies gilt nun in bes
Khränfter Weife von dem Menfchen. Er ift das concrete Princip der
Schöpfung, Regierung und Erhaltung feines Geſchlechts. So ſchafft der
Menſch in feiner Phantafie Aehnlichkeiten oder Abbilder der Sinnen;
welt, weil er die Einheit iſt, im welcher zugleich die Gleichheit und Ber:
bindung. Die gefchaffenen Bilder ordnet er, weil er die Gleichheit if,
in welcher auch die Einheit und Verbindung if. Dann bewahrt er fie
im Gedächtniſſe, weil er die Verbindung ift, im welcher Einheit und
Gleichheit. Analog verführt er als Verftand und Vernunft. Allem
dieſem gibt er aber eine Beziehung auf fih felbft, um fich zu erfennen,
iu leiten umd zu erhalten, und fo der Gottähnlichkeit fih zu nahen, wo
Alles im ewigen Frieden ruhet.
2,
138
Fünfzehntes Kapitel.
Fortſetzung.
Willſt Du nach dieſen Muthmaßungen über das Menſchenweſen über⸗
haupt die Unterſchiede und Uebereinſtimmung in demſelben ers
fernen, fo haft du auf die Figur des Univerfums zu achten. Dann findeft
Du, daß die Einen geiftigefreier (abstractiores), contemplativer Art find,
beichäftigt mit dem Geiftigen und Ewigen, gleihfam im oberften Himmel
der Menfchheit ſich bemwegend, der Erforfhung der Wahrheit zugewandt,
Andere dem Sinnlichen zugefehrt. Jene find die Weifen, gleichfam bie
hellften, reinften Sterne, Abbilver der ungerftörlichen geiftigen Welt; dieſe,
gleichſam die Thierifchen, folgen der Begierlichfeit und dem Sinnengemffe.
Zwiſchen beiden endlich find Solche, welche den erleuchtenden Einfluß der
über ihnen Stehenden genießen, und den unter ihnen Stehenden vorftehen.
Unter den Contemplativen oder Religiöfen laffen ſich aber wieder 3 Claſſen
unterfheiden: die Einen erfaflen die Religion auf eine erhabene und edle
Weile, über allem Verftande und Sinne; die Andern ziehen fie im bie
Sphäre des Berftandesmäßigen herein, wieder Andere in die der Sinw
lichkeit. Weil demnach bei allen Menſchen das Religiöfe je in eigen
thümlicher Form fich findet, fo finden die geiftig Freieren das höhere Ziel
der Unfterblichfeit, das die Religion allen Menſchen verheißt, in einem
©, 2eben, das durd feine Reinheit und Erhabenheit Alles, was BVerftand
und Sinn faſſen fann, überfteigt. Andere ziehen die Glüdfeligkeit in das
Verftandesgebiet herein, und finden in Erfenntniß und Genuß der Dinge
ihr Ziel. Andere endlich fuchen auf die abgefchmadtefte Weile ihr Glüd
in finnlichen Ergögungen. So ergibt fi die generellfte Uebereinftimmung
und Berichievenheit der Menſchen: ald Religiöfe (dritter Himmel), als
Herrſchende (zweiter Himmel) und ald Untergebene (dritter Himmel).
Wo das Generelle in die Species übergeht, da erleidet es, fo fehr es
auch den Charakter des Generellen beibehält. doch eine Veränderung, da
wir die präciſe Wahrheit nur muthmaßend erreiben. So wird denn Die
Einheit der VBernunftreligion nur in verfhiedenem Anderds
fein (von den Menfhen) aufgenommen (in varia igitur alteritate
unitas intellectualis illius religionis recipitar) / ebenfo das Princip der
Herrihaft nur in der veränderlihen Menge der Herrfchenden, und wenn
auh bei einer Nation das Religiöfe oder die Regierung in einem blei-
benden und beharrlihen Zuftande zu fein fcheint, fo ift dies doch Fein
wahrhaft bfeibender Zuftand, wie der Rhein, obgleich er immer benjelben
Lauf zu haben fheint, doch in feinem Momente ganz derſelbe if. So
139
ihwanft das Religiöfe zwifhen Geiftigem und Zeitlihem
(ita et religio inter spiritualitatem et temporalitatem instabiliter fuc-
tuat), die Herrichaft zwifchen größerm oder geringerm Gehorfame. — Auch
die Berjchiedenheit der Erdenbewohner nad Geiftesrihtung, Körperbes
Ihaffenheit, Geftalt, Farbe, Lebensart, fittlichen Gebrechen läßt fib auf
dem bezeichneten Wege erflüren. In den nörbliben Gegenden ift das
Geiftige mehr im feiner Potenz und in das Sinnliche verfenft; je mehr
gegen den Meridian, defto freier tritt der Geift hervor. Daher in Indien
und Hegypten die Religion in ihrer reinen Geiftigfeit (religio intellec-
twalis) und die mathematiihen Wifjenichaften vorherrſchend waren; bei
den Griechen, Afrifanern und Römern waren Dialeftif, Rhetorif und die
Rechtswiſſenſchaft (legales scientiae) — furg: der Verſtand beſonders
ausgebildet; in den nördlichern Gegenden die empiriihen, mechaniſchen
Bertigfeiten. Uebrigens haben alle Länder in allen dieien Zweigen des
Wiffens in ihrer Art ihre berühmten Männer, damit fo das Eine Mens
ſchenweſen im verichiedener Weiſe bervortrete.
Sechszehntes Kapitel.
Von der menfhliden Seele.
Die menſchliche Seele venfe dir gemäß der Figur P beſtehend
aus der intellectuellen Einheit und dem finnlichen Andersfein. Denn indem
das Licht der Intelligenz in das finitere Reich der Sinnlichkeit herabfteigt
und die Sinnlichkeit zu jener fich erhebt, entjtehen zwei mittlere Zuftände,
welche ich Verſtand (ratio) nenne, von welden das ſich der Vernunft
Nähernde die Faffungsfraft (apprehensiva vis), das dem Sinne fi
Nähernde Phantafie oder Einbildungsfraft genannt werden mag. Dies
find gleichſam die vier Elemente der menichlihen Seele. Die Bernunft
feigt im unferer Seele in den Sinn herab, damit dieſer fih zum Ber
nünftigen erhebe. Ohne die Thätigkeit des vernünftigen Bewußtſeins ers
faßt der Gefichtsfinn das Sichtbare nicht, weßhalb wir, wenn wir auf
mad Anderes unfere Aufmerfiamfeit richten, einen an und Borübers
gehenden nicht jehen. Die Sinnenerfenntniß ift verworren ohne die hins
miommende Unterfheidung des Verſtandes. Die Seele ift nichts anders,
ald eine edle, einfache und geeinte Kraft. Jede Seite diefer Kraft hat
ihre Wahrheit nur im Ganzen. Der Sinn, die Einbildungsfraft tft, da
fie in der Seele find, — die Eeele, wie fie auch das Belebende der
Hand, des Fußes ac. if. Der Tod ift das Aufbören diefes Belebens.
Indem das Geiftige im Sinne zur Wirklichkeit bervordringt (in actu
140
est), wird durch das erregte Staunen der fchlafende Verftand angeregt '),
um durd feine Discurfive Thätigfeit das Wahrſcheinliche zu finden (ut
ad verisimile discurrat). Dadurch wird bei der Vernunft angeflopft,
auf daß fie fih aus ihrer fchlummernden Potenz losmache und mit Leb:
haftigfeit zur Erfenntniß des Wahren erhebe. Das durd die Sinne
MWahrgenommene wird in der Einbildungsfraft abgebildet, und indem
Grund und Weſen des Wahrgenommenen unterfucht wird, geht ed weiter
zur wirklichen Erfenntniß des Wahren. Der Geift einigt das Andersſein
der Siunenwahrnehmungen in der Einbildungsfraft, die verfchiedenen Bilder
der Einbildungefraft im Verſtande, das Andersfein der Verftandeserfennt-
niß in der einfachen Bernunfteinheit. Die Ginheit der Vernunft fteigt
in das Andersfein des Verftandes, die Einheit des Verſtandes in dad
Andersfein der Einbildung, diefe in das Andersfein des Sinnes herab.
Faſſe nun aufs und abfteigende Richtung in eine Vernunfteinheit, um zum
Verftändniß zu gelangen. Die Vernunft will nicht Sinn werden, fondern
vollfommene Vernunft in voller Thätigfeit. Da fie nun auf anderm Mege
nicht zu leßterer gelangen fann, wird fie Sinn, um aus der Möglichkeit
in die Wirklichfeit überzugehen! So fehrt die Vernunft im Kreislaufe in
ſich ſelbſt zurück. Die reihen und edleren rein geiftigen Naturen (intel-
ligentiae) bedürfen der Sinne nicht; fie find gleichſam aus ſich ſelbſt
brennendes unauslöfchliches Feuer, das feiner Anfahung aus einem Funfen
bedarf. Sie find immer in Wirffamfeit (in actu); wohl aber bedarf
diefer Anfachung unfer Antheil an der Vernünftigfeit, der wie ein unter
grünem Holze verborgener Funfe ift. Die reinen Geiiter erfaflen geiftig,
was wir auf dem Wege der Sinne. Sprit Jemand die römiſche (ita—
lienifche) Sprache, fo erfaffe ih durch das Gehör die Worte, Du aber in
den Worten auch den Einn. Der reine Geift fhaut den Einn, ohne
Worte... Da die Vollfommenheit der Vernunft im wirflihen Erkennen
befteht, fo erzeugt fie das vernünftig Erfennbare, das ein Gegenftand des
vernünftigen Bewußtſeins wird, aus fih hervor, und ift fo ihre eigene
Fruchtbarkeit. Denn das Hinabfteigen der Vernunft im die finnlichen
Gattungen und Arten ift das Herauffteigen derfelben, frei von den cons
creten Bedingungen, zur reineren Einheit. Se tiefer fie fih daher in fie
verfenft, defto mehr werden jene Gattungen umd Arten von ihrem Lichte
abjorbirt, fo daß zulegt das Andersfein, aufgelöst in die Vernunfteinheit,
feine Ruhe findet.
Da die Vernunft die Einheit des Verftandes ift, welcher jene im
1) Der Tert hat: Per hoc igitur, quod intellectus in sensu in actu est, excitat
admiratione dormitans ratio etc. Der fchlummernde Verſtand ift nicht im Stande, zu
erweden, fondern er muß erwedt werben, was durch das Staunen — eine Folge der
Sinnenwahrnehmung — geſchieht. Es ift alfo ftatt exeitat zu lefen: excitatur.
141
Andersfein participirt, fo ift die Vernunft, weil vor dem Andersſein eri-
firend, weder der Zeit, die aus dem Verftande hervorgeht (quod
ex ratione prodit), noch der Zerftörbarfeit unterworfen. Ihre Natur
ift daher nicht zerftörbar, da fie dem Verſtande vorausgeht. Wo
aber die Einbeit das Andersjein abjorbirt, da ift Unfterb-
lihfeit. Daher ift auch die höhere Seite des Verſtandes, foferne er
dad Andersfein der Phanrafiegebilde im Lichte feiner höhern Einheit ab-
jorbirt und fich dem Lichte der unfterbfihen Vernunft zumwendet, unfterbs
ih wie ein Licht ohne Schatten. Denn fo wie das Licht jelbft in feinem
Aufich nothwendig fihtbar fein muß, jo muß der reine Verftand notls
wendig vernünftig erfaunt werden. Das ift fein Leben und feine Voll—
endung. Hierin findeft Du auch den Unterfhied zwiſchen dem Verſtande der
Menſchen und dem der Thiere; Du fiehft, daß der Verftand der Menfchen
unſterblich ift, weil von der Unfterblichfeit des vernünftigen Lebens abfors
birt, das ein fortwährendes Denfen Cintelligere) ift, weil ed immerfort
an fi denkbar Cintelligibilis) ift, wie das Licht an fich fichtbar. Das
Andersfein des Lichts, die Farben, find nicht an ſich fihtbar; fo aud
nit das Andersſein ded Berftandes in den andern Gattungen thierijcher
Weſen, daher diefe auch zerftörbar find.
Wenn der Menih zu ſehen anfängt, fo gefchieht dies vermitteljt des
Lichtes; das Licht ift das Andersfein der Sehfraft (alteritas spiritus vi-
sivi). Der Geſichtsſinn erfaßt feine Einheit nicht, außer vermittelft des
Andersjeind. Es ift alſo das Licht, das fih in das Auge ein
fenft und durch defien Vermittelung es ficht, ein von dem
Lichte der Sehfraft verfchiedenes Licht. Wenn nun die Stärfe
des Lichts der Schfraft das fihtbare Licht in ſich abforbirt, fo wird das
Eichtbare zum Geſehenen. Abforbirt aber das Andersfein des fichtbaren
Lichtes durd fein Uebergewicht die ſchwache Sehfraft, jo geht die Einheit
der Sehfraft in Andersfein und Zertheilung über. Aehnliches gilt nun
auch von der Vernunft und dem Lichte des Verftanded. Der VBerftand
it das Andersfein der Vernunfteinheitz ift nun deren Kraft nicht bedeus
tend, fo wird fie oft von dem Andersfein ded Verſtandes abjorbirt, und
hält eine Meinung (opinionem) für einen wahren Begriff. Ebenfo abs
jorbirt das Andersjein der Phantafiegebilde ehr oft den Verſtand, und
der Menſch hält eine Einbildung für etwas durch den Verſtand Erwies
jenes. So abforbirt endlih das Andersjein des Sinnes bisweilen die
Einheit der Phantafie; man hält das, was man fieht, für das, was
man fich einbilvet, wie wenn ein Kind, das noch eine ungeregelte Eins
bildungsfraft hat, ein Weib, das es fieht, für die Mutter hält, die es
ſich einbilvet.
Da demnah das Erkennen mit dem Sinnlichen anfängt (cum a
—
142
sensibilibus ortum capiat), ſo iſt es nicht abſolut, ſondern nur relativ
(secundum quid) wahr, im Verſtande verſtandesmäßig, in der Vorſtel—
lung nach der Weiſe der Borftellung, im Sinne nah der Welle des
Einned. Erft wenn der Geiſt die Dinge abjtracter in feiner einfachen
geiftigen Natur betrachtet, erfaßt er fie im Lichte der Wahrheit. Denn
der Geift ift das Andersfein der unendlichen Einheit. & mehr daher
der Geift von feinem Andersfein fich lostrennt (se abstrahit), je mehr
er ſich zur einfachften Einheit erhebt, defto vollfommner ift er. t. / Denn da
jedes Andersfein nur im feiner Einheit erfannt wird, fo Fann der Geift,
der nicht der göttliche abfolutefte Geift, fondern menſchlichet
Geift, alfo ein Andersfein ift, nur in der göttlihen Einheit
ſich felbft in feinem Anfih anfhauen. "Sn ſich ſchaut er aber zw
gleib auh die wmendlihe Einheit nicht in ihrem Anſich, fondern
fo wie fie menſchlich gedacht werden kann. Aber durch fie, die
er fo im Andersfein anfchaut, erhebt er ſich noch höher, um zu ihr, wie
fie in fich ift, überzugehen (ut absolutius in eam, uti est, pergat), vom
Mahren zur Wahrheit, Ewigfeit und Unendlichkeit. Das ift dann die
höchfte Vollendung des Geiftes, weil er dur die Theophanie, vie fih
zu ihm herniederſenkt, beftändig fih erhebt zur Annäherung am bie
unendliche, göttlihe Einheit, die das unendliche Leben, die Wahrheit und
Ruhe ded Geiftes iſt.
Siehenzehntes Kapitel.
Von der Selbiterfenntnif.
Auf dem oft erwähnten Wege gelangen wir endlich auch zur Selbſi—
erfenntniß. Die Anwendung der Figur P zeigt nämlich, in wie viel
fahen Abftufungen der einzelne Menſch an dem Menſchſein und durch
diefed an dem Sein Gottes felbft participirt. Um eine Veranſchaulichung
zu geben, fo denfe man fich die einfachfte Einheit diefer fihtbaren Welt
als ein unbefchränftes Licht, wornach alfo die Farbe die PBarticipation
deffelben im Andersfein ift. Der Kreid des Univerfums fei nun ber
Umfang des Farbenreichs. So ergeben fih drei Barbenregionen in 9 gras
duellen Differenzen. Wenn Du nun, mein Julian! das Licht als die
Gottheit, die Farbe ald die Menfchheit, das Univerfum als die fichtbare
Welt nimmft, fo unterfuche num felbft, ob Du zur oberften, mittleren oder
unteren Region gehörft. Ich meinestheild bin der Anficht, daß Du die
Menichheit in der oberften Region und zwar in einer edlen Species der:
felben, participirend an dem göttlichen Lichte, darſtellſt. Beachte nun, daß
dein Menfchfein dein ganzes Sein umfaßt, und daß Du am der Gottheit
— —
143
nach dem Maße deines concreten Menſchſeins participirſt. Die Gottheit
aber iſt die unendliche Einheit, Gleichheit ud Verbindung, und
zwar in der Einheit die Gleichheit und Verbindung, in der Gleichheit die
Einheit und Verbindung. Weil nun an der Gottheit geiſtig participiren fo
viel heißt, ald die Einheit participiren und dieſe eben das geiftige Sein,
die Vernunft felbit ift, fo participiren wir das Licht der Gottheit im LKichte
ver Vernunft Cintelligentiae), und zwar um fo mehr, je mehr dieſe
eine einige if. Wir participiren die Gottheit geiltig als die Gleichheit,
welche zugleich Einheit und Verbindung ift, alfo durch das Licht der
Gerehtigfeit. Wir participiren fie endlih al die ewige Verbindung,
in der die Einheit und Gleichheit it — alfo in dem Lichte der Liebe.
Wie Du nun das dreieinige Licht der Gottheit in der höchſten Sphäre
deines Menjchfeind vernünftig, alfo am vollfommenften participirft, fo in
der mittlern Sphäre nah ihrer Weile x. Du fichft, mein Vater Julian!
dag Du an jener Kraft participirft, welde die Natur der Gleichheit und
Verbindung im ſich trägt, jo daß deine Vernunft, indem fie nad ihrer
Weife an dem göttlichen Sein participirt, in der Gleichheit defielben die
göttliche Vernunft erfennen und lieben fann, und fo dein vernünftiges
Erkennen nichts Anderes ift, als die Gleichheit deiner Ber
nunft mit der participirten Einheit. Da wir num an der Einheit
um fo vollfommener participiren, je größer in ihr die Gleichheit und
Verbindung ift, fo können Vernunfterkenntniß und Liebe ohne die Voll
fommenheit der Einheit der Bernunft nicht gefteigert werden. Es bat
daher die Vernunft eine Neigung zum Erkennen und Lieben, ebenfo der
Berftand zum Denfen, der Sinn zum Wahrnehmen, um zur Vollkom—
menheit zu gelangen. Daher gibt ſich Die Vernunft der Specu-
lation bin, zu ihrer Emährung, Erhaltung, Vervollflommnung, Aus—
ſchmückung. Du fiehft nun, Bater Julian! daß Du ein Ebenbilv
Gottes bift. Dein Menſchſein iſt ein dreieiniged; es ift Einheit oder
Wefenheit, durch welhe Du eben ein Menſch bift, und in diefer Einheit
it auch die Gleichheit, vermöge welder Alles in Dir, Körperliches und
Geiftiged auf das Gerechteſte, PBroportionirtefte geordnet iftz endlich die
Verbindung, durch welche dieſes Mannichfaltige in Dir eine Einheit ift,
und ohne welche die Einheit deines.menſchlichen Bewußtſeins auf-
bören würde (unum tuum humanum esse deficere necesse erit). Und
da auch fein anderes endliches Sein anders befteht, ald durch die abiolute
Dreieinigfeit, fo gelangft Du in Dir und von Dir aus zur Ers
fenntniß von Allem. Hieraus folgt aber aub: Nichts im Unis
verfum dürfen wir anders lieben, als in der Einheit und
Ordnung des Univerfums, feinen Menjchen anders, als in ver
Einheit und Ordnung feines Menſchſeins. Aus Dir felbft kannſt Du
144
nun auch die gottähnliche Liebe erfennen. Du fichft, daß Gott, der
die unendliche Verbindung iſt, nicht wie ein befchränft Liebenswürbiges zu
lieben ift, fondern als die abfolutefte unendliche Liebe. In der Liebe, mit
welcher Gott geliebt wird, muß die höchſte Einheit und Gerechtigkeit fein.
Es muß folglich alle Liebe zu Gott nothivendig geringer fein, al® die, mit
der er geliebt werden fanı. Du ſiehſt auch: Gott lieben heißt von
Gott geliebt werden, weil er die Liebe if. Se mehr wir alle
Gott lieben, defto mehr haben wir Theil an feiner Gottheit. So ficht
Du auch durch Theilnahme an feinem göttlichen Lichte, daß das geredt
und billig ift, was die Einheit und Verbindung in fih faßt. Ein Ge
jeg, dem die Einheit und Verbindung fehlt, kann nicht gerecht fein. Da
ber bezeichnet das Geſetz: „was du willft, daß man dir thue, das
the einem Andern“ die Gleichheit in der Einheit. Willt Du ge
recht fein, jo haft Du nichts Anderes zu thun, ald von der Gleichheit, in
welcher die Einheit und Verbindung ift, nicht abzufaffen. Daun wirt
Du gleihmüthig (aequaliter) in Einheit und Liebe fein bei Armuth oder
Reichthum, Ehre oder Verachtung; Du wirft nicht Rechts oder Links ab-
jhweifen, fondern in der fihern Mitte der Gleichheit verharren. Nichts
Harted, Fein Ungemach fann Dir begegnen, wenn Du das den Sinnen
Midrige begreift und erfaffeft ald etwas in der Gleichheit der Einheit
und Liebe zu Ertragendes; dies heißt am der Gottheit auf eine edle um
bejeligende Weife Theil haben. Du fiehft nun auch, daß diefe oft er
wähnte Gleichheit die Mutter, der Inbegriff aller Tugend ift,
und daß es feine Tugend geben fünne, außer in der Theilnahme am dieſer
Gleichheit. —
Doch Du fannft weit beffer als ich das Participiren an dem dreis
einigen Lichte der Gottheit in Dir felbft betrachten, der Du dich längft von
zerftreuenden Weltforgen hinweg in jener Gleichheit des Lebens der Pflege
der Gerechtigfeit geweihet haft, und ich würde diefe meine albernen Muth»
maßungen vor dir auszuframen nicht gewagt haben, hätte ich nicht ge
wußt, daß du diefelben gemäß dem ofterwähnten Geſetze der Gleichheit
in der Einheit der Liebe aufnehmen werdeſt.
Ueber das Gott Suden.
(De quaerendo Deum.)
Deinem Wunſche nah Kräften zu entiprechen, in Chriftus wahrhaft
ehrwürdiger Bruder! will ich jept, was ich gewöhnlich am Epiphaniefefte
über das Verſtändniß ded Namend Gotted erörtere, kurz und deutlich
bier jchriftlich wiederholen, damit unfer beiverjeitiged Nachdenken gewedt
und durch denfended Hinauffteigen der innere Menſch von einer Klarheit
ur andern umgeftaltet werde, bis er durch das Licht der Glorie zu klarer
Anſchauung in die Freude feined Herrn eingeht. |
Zuvörderit beachteft Du, mein befter Bruder! wie Paulus, der nad
kiner Ausfage zur Anfhauung von göttlihen Geheimniffen in den dritten
Himmel entzückt wurde, ald er den Philofophen in Athen auf dem Areos
page die Wahrheit predigte, als Thema anfündigte, den unbekannten
Gott, dem die Heiden felbft einen Altar errichtet hatten, wolle er ihnen
verfündigen. Im Eingange feiner Erörterung fchidte er voraus, daß Gott
in Einem Menſchen Alle erfhaffen und ihnen in diefer Welt eine beftimmte
Zeit gelafjen habe, Gott zu fuchen, ob fie ihn wohl finden würden, wos
bei der Apoflel bemerkt, Gott fei nicht ferne von einem Jeden, denn in
ihm haben wir Sein und Leben und Bewegung. Dann den Gögendienft
verwerfend, fügt er bei, daß im Denken des Menfchen nichts (Gott) Aehn—
lihes fein könne. Es befremdet mich diefe Stelle der Apoftelgefchichte, fo
oft ich ſie leſe. Paulus wollte den Philofophen den unbefannten Gott
offenbaren, von dem er nadıher jagt, daß er durch feinen menfchlichen
Verftand erfaßt werden könne. Darin wird alfo Gott offenbar, daß
man weiß, jeder Verftand fei zu fchwach zu defien Erfenntniß. Der
Apoftel nennt ihn Gott, griebiih Heös. Wenn nun der Menſch dazu
erihaffen ift, daß er Gott fuche und dem gefundenen anhange und durch
diefe Anhänglichfeit feine Ruhe finde und er gleichwohl in diefer Sinnen,
welt Gott nicht fuchen und erfaffen fann, da Gott ein Geift, nicht ein
Körper ift, und er ihn auch auf dem Mege der geiftigen Abftraction nicht
erreihen Fann, da der Menfch bier feine Nehnlichfeit Gottes findet:
wie fann dann Gott fo gefucht werden, daß man ihn wirklich findet?
Gewiß, wenn nicht diefe Welt dem Suchenden behülflih ift, fo ift der
Menſch umfonft zu dem Ziele, Gott zu fuchen, in die Welt gefegt. Dieſe
Belt muß alfo dem Suchenden Hülfe leiften und der Suchende muß
Scharpff, Nie. v. Cuſa. 10
146
zur Ginfiht fommen, daß weder in der Welt, noch in Allem, was der
Menfch begreift, etwas Gott Achnliches zu finden fft.
Sehen wir nun, ob der Name Heog oder Deus und einen Finger
zeig gibt.
Der Name sog felbft ift nicht der Name Gottes, der über allen
Begriff und Namen iſt. Er fann nur der Name Gottes fein, injoweit
Gott vom Menſchen im diefer Welt geſucht wird... sog kommt ber
von Hewpew oder Hew: ich ſehe, ich laufe. Der Menih muß alio laus
fen, durd das Geſicht fuhend, um zu dem Alles fehenden Gott zu
gelangen. Wir müſſen alfo die Natur des finnlihen Anſchauens vor dem
Auge der geiftigen Anſchauung erweitern, um eine Leiter des geiftigen
Auffteigend zu gewinnen,
Das Sehen entftcht durch einen gewiffen hellen und lichten Geift,
der aus dem Gehirne in das Auge ald Organ herabfteigt und von einem
farbigen Dbjecte ein ähnliches Bild in das Auge reflectirt unter Mitwir—
fung des äußern Lichtes. Im der Region des Sichtbaren ift überall
Farbe. Das Sehen aber ijt nicht aus dieſer Region, fondern über die-
felbe erhaben. Das Sehen hat alfo feine Farbe; um jede Farbe redt
jehen zu können, ift es nicht auf eine derfelben beſchränkt. So rein von
jeder befledenden Vermengung mit der Farbenwelt ift das Sehen, daß
alles Eichtbare im Vergleiche zu ihm gewiffermaßen Binfterniß ift, eine
fürperlide Dictigfeit, im Vergleiche zum Sehgeifte. Die fihtbare Farben
welt weiß daher auch nichts von dem Sehen, da fie nur das Farbige
fennt. Sagen wir ihr auch, das Sehen eriftire und es fei farblos, je
wird fie fib aus ihrem ganzen Bereiche feinen entſprechenden Begriff: vom
Schen zu machen im Stande fein, da ihre Begriffe der Farbe nicht ent
behren fönnenz ja ed wird — aus demfelben Grunde — das Farblolt
für fie gar nicht eriftiren. Daher paßt auf das Sehen fein Name von |
allen möglichen Barben, weder von jeder einzelnen, noch von der ihr ent
gegengefeßten, nod von der Verbindung der entgegengefegten Farben.
Wenn nun Jemand, da die Farbe nicht fich ſelbſt differenzlirt (cum color
non sit diseretus) und darım auch nicht durch ſich felbit, fondern nur
durch eine höhere Urfache, das Sehen, erfannt wird, alle fihtbaren Dinge
fragte, ob dem fo ſei und wie fie jene höhere Urſache erfennen, jo werden
fie antworten, jene ihnen vorgefegte Urfahe — das Sehen — fei etwas
fehr Gutes und Schönes nad Allem, was fie fallen können. Sie werden
aber bei ihrer Vorftellung von demfelben immer wieder auf die Farbe
zurüdfommen und fagen, es fei fchöner, als jede mögliche weiße Farbe, es
fei das Aeußerfte, das Höchfte und Reinſte in der weißen Farbe.
Erhebe Dich nun, mein Bruder! in analogem Verfahren vom Sehen
zum Hören, Gefhmad, Geruch, Taftfinn, dann zum allgemeinen Sinne.
147
Dann feige höher hinauf in das Gebiet der Vernunft, die über ber
ganzen Verftandeswelt it und daher von diefer nicht erfaßt wird, da fi
die Vernunft verhält wie das Sehen, das Verftandesmäßige wie bie
Karben. Dehnſt Du Deine Betrachtung weiter aus, fo wirft Du ein«
hen, daß die Vernunft fib verhält wie ein freier Blick oder wahrer
Richter über die ganze Verftandeswelt, in welchem fih Feine Vermengung
mit dem Speciellen der Berftandeswelt findet, jo daß fie eines hellen
intuitiven Urtheils über dfe ganze Mannigfaltigfeit des Verftandesmäßigen
fähig it. Durch diefe wird daher die Vernunft fo wenig begriffen, als
dad Schen durd die Farbe. Will fie von ihrem Könige, Richter und
Vorgejegten fih einen Begriff mahen, fo nennt fie ihn die Grenze, das
Arugerfte ihrer Vollfommenheit. So fagen auch die geiftigen Naturen,
die Naturen des Wahren, ihr König fei das Neußerfte, das Höchſte aller
intuitiven Vollkommenheit. Sie nennen ibn Oeog oder Deus, gleichſam
die Speculation und intuitive Kraft ſelbſt, Alles zu fehen, in
der Fülle der Vollfommenheit. Indeß im der ganzen Region der intellecs
tuellen Naturen findet ſich nichts, dem der König felbit ähnlich wäre: er
it über Alles binaus, was begriffen und erfannt wird, fein Name ift
nicht zu erfafen, obwohl er der Name ift, der alles DVernünftige nennt
und unterſcheidet. .... Ale Könige und Häupter der untergeordneten
Gebiete unterfcheiden und fehen, fpeculiren, bis zum König der Könige
und Herrn aller Herrſcher, der die Speculation jelbft ift und alle Könige
in feiner Gewalt bat, von dem fie Alles haben, was fie haben: Macht,
Schönheit, Wefenheit, Freude, Leben und alles Gute. Im Reiche des
oberiten und größten Könige wird daher alle Zierde fichtbarer Formen,
die bunte Farbenwelt, das Angenehme der Proportion, der Glanz des
Goldes, Alles, was das Auge ergögt, ed wird an der Curie des großen
Königs für Nichts gehalten, es gehört zum Geringſten in der Curie.
Auch aller Stimmen ſchöner Einklang, alle füße Harmonie, alle Geſänge
der Sirenen und Nachtigallen, fie find Koth, der am Boden flebt, in der
Curie des größten und beften Königs... .. Doch die Könige des geiftigen
Gebiet gehören zur Dienerfchaft (de familia sunt) des oberften
Anführers, fie freuen ſich, feinem Kriegsdienfte zugetheilt zu fein, und
haben feinen andern Wunſch, ald irgend eine Rangftufe am Hofe des
Herrſchers zu erlangen, auf welcher fie in geiftiger Anſchauung durd ihn,
der sog genannt wird, erquidt würden. In ihm ift Alles in feiner
Ergänzung, in fih, göttlich, was in den andern Regionen und
Königen unvolllommen, außer fi, wie im Scattenrifje und Abbilde, in
unproportionalem Abftande, concret gefunden wird.... . Im Reiche des
Allmaͤchtigen, wo das Reich der König felbft ift, wo Alles, was in allen
Reihen, der König iſt, wo die Farbe nicht ſinnlich, nicht geiftig, fondern
10°
148
göttlih, ja Gott felbft ft, wo alles Bewegungs» und Leblofe in der
finnliben Welt, Alles, was vegetatives, verftändiges oder vernünftiges
Leben hat, das göttliche Leben ſelbſt ift, weldies die Unſterblichkeit
felbjt ift, im der nur Gott wohnt, — in ihm Alles, Er ſelbſt, —
dort ift die Monne aller Freuden, die durd Aug, Ohr, Geſchmack, Taften,
Geruch, Gefühl, Leben, Bewegung, Berftand, Vernunft genoffen werben,
unendliche Freude, göttlib und unausſprechlich, und die Ruhe aller Freude
und alles Ergötzens; weil Gott felbft das Schen ift und das Laufen, er,
der Alles fieht, in Allem ift, durd Alles läuft. Auf ihn ſchaut Alles
bin, als auf den König; auf feinen Befehl bewegt ſich Alles und alles
Laufen nah dem Ziele der Ruhe geht auf ihn zu. Co ift Gott alfo
Alles Comne): der Anfang des Auslaufens, die Mitte, in der
wir bewegt werden, und das Ziel des Zurüdlaufene.
Auf diefem Wege beftrebe Dich, mein Bruder, in eifriger Speculation
Gott zu ſuchen: er muß gefunden werden, wenn er recht gejucht wird, da
er überall ift.
Wenden wir und jegt zum zweiten Theile unjerer Frage und fehen
wir, wie wir zum ftufenmäßigen Aufiteigen in dem genannten Schauen
(foferne Yeos von HewpEw abgeleitet wird) gelangen, da wir doch zum
ganz Unbefannten uns nicht hingetrieben fühlen. Zu dem Ende müſſen
wir die Natur des Sehens betrachten.
Damit das Geſicht etwas Sichtbared genau erkenne, bedarf ed eines
doppelten Lichted. Es ift nicht der Geſichtsſinn, der den Farben die
Namen gibt, fondern der Geift im Gefichtöfinn. Der Sinn, der durd
die Augennerven aus dem Gehirne in das Auge herabfteigt, erhält durch
ein vorgehaltened Object einen Anftoß und es entfteht eine verworrene
Wahrnehmung. Die animalifbe Kraft fommt dur diefe Wahrnehmung
in eine Art Grftaunen und fie bejtrebt fib nun zu unterfcheiden. Alſo
nicht der Gefichtöfinn an ſich unterfcheidet, fondern ein höherer Sinn (das
Bewußtfein) bewirkt das Unterfcheiden. Wir fünnen dies täglih wahr;
nehmen. Worübergehende, deren Bild in unfer Auge eindringt, bemerfen
wir oft nicht, wenn wir mit Anderem geiftig befchäftigt find, und wenn
Mehrere mit uns zugleich reden, fo veritehen wir nur Den, auf weldyen
unfere Aufmerffamfeit gerichtet ift. Damit ift erwiefen, daß der Geſichts—
finn durch ein höheres Licht, nämlich des Verftandes, feine Thätigkeit
vollzieht. Außer diefem höhern (geiftigen) Lichte ift aber auch das natürs
liche Licht nothwendig, mittelft deffen das Bild eines Gegenftandes in
unfer Auge gelangt. In diefem Lichte ift die Farbe gleihfam in ihrem
Principe; denn die Farbe ift mur die Begrenzung (terminus) des Lidyts
in einem durchfcheinenden Medium (in diaphano), wie wir am Regen—
bogen fehen. Die Farbe ift daher nur in ihrem Principe, dem Lichte,
149
fihtbar. Das Äußere Licht und der Gefihtsfinn erzeugen gemeinfam ein
Mares Bild (lux extrinseca et spiritus visivus in claritate communicant).
Hieraus, mein Bruder! bahne Dir den Weg zu der Unterfuchung,
wie der unbefannte Gott alle8 Das übertrifft, wodurch wir zu ihm bins
bewegt werden... . Unbefannt ift das Licht, durch das wir die Karben
ſehen, dem Auge, und doch ift ed dem Geſichtsſinn ein Ergögen . . .
Das Licht des Unterfcheidend ift der Anfang, die Mitte und das Ende
der Sinnenerfenntniß, in ihm haben alle Sinne ihr Leben, ihre Thätig—
feit, Breude und Ruhe . . . So ift nun aud die Vernunft das Licht
der Verftandesthätigfeit. Won hier erhebe Dich zu Gott, der das Licht
der Bernunft if. Wenn Du fo mittelft der Analyfe der Sinnenerfennts
niß weiter gebft, fo wirft Du finden, daß unfer Gott, der in Ewigkeit ges
priefen fei, alles Dad, was in jedem Sein ift, eben fo ift, wie das Licht
der Unterfcheidung in den Sinnen, das der Vernunft im Verftande; daß
er ed iſt, von welchem die Creatur ihr Sein, Leben und Bewegung hat;
daß in feinem Lichte fib all unfer Erkennen bewegt, fo, daß nicht wir es
find, die erfennen, jondern vielmehr er in und. Nur durch fein Licht, das
in unfern Geiſt einbringt, werden wir angetrieben, zu ibm zu fommen.
Wie das Sein, jo hängt aud das Erfanntwerden von ihm ab: wie vom
materiellen Licht das Sein der Farbe, fo hängt von dem Lichte felbft die
Grfenntniß der Farbe ab... . Wir werden alfo zum unbefannten Gott
bingezogen durd das bewegende Licht feiner Gnade, der nicht anders er-
fannt werden kann, außer er zeige fich felbft, der gefucht fein will und
den Suchenden fein Licht gibt, ohne welches fie ihn nicht ſuchen können.
— So wird er alſo durch Sehen (theorice) geſucht, in einem Laufe (cum
earsu), der den Laufenden zur Nuhe der Bewegung binführt, wenn er
mit größter Sehnſucht gefucht wird. "Nicht anders wandeln wir auf dem
rechten Weg, um die Weisheit zu erreichen, außer man ſuche fie mit ver
größten Sehnſucht. Wer fie fo fucht, ſucht fie auf dem rechten Wege,
wo fie unzweifelhaft gefunden wird, indem fie felbft ſich kundgibt. Es
gibt Feinen andern Weg als diefen, feinen andern weifen und die gelehrten
und heiligen Männer, welche nah Weisheit geftrebt haben. Jene ftolzen,
anmaßenden, fih weile bünfenden Geiſter, die nur ihrem eigenen Vers
fande vertrauten, in ftolger Erhebung fi dem Höchſten gleich betrachteten
— fie alle find im Irrthume. Sie alle haben fih den Weg zur Weiss
beit verfperrt, weil fie nichts für Wahrheit hielten, als was fie mit ihrem
Verftande gemefien haben; in ihrer Eitelfeit find fie verfommen: den Baum
der Erfenntniß haben fie umfaßt, aber den Baum ded Lebens nicht ers
langt. Jene aber, welche lehrten, man könne die Weisheit und das ewige
geiftige Leben nur durch das Geſchenk der Gnade erlangen; fo groß ſei
die Güte Gottes, daß er Alle erhört, die feinen Namen anrufen, dieſe
150
wurden felig . .. Gott ift der Geber alles Guten, im feiner Furcht
müffen wir leben, in feiner Liebe wandeln; in aller Demuth muß man
das unfterbliche Leben von ihm erbitten und Alles, was zu demfelben ver«
hilft, mit aller Neligiofität erfaffen. Du fiehft, mein Bruder! daß feine
Tugend, fein Gefeg, feine Vorfchrift und rechtfertige, fo daß wir nad Ge—
bühr (merito) jenes herrliche Geſchenk erlangen, fondern die Virtuofität
des Lebens, Beobachtung der Gebote, Abtödtung des Fleiſches, Verachtung
der Welt u. dgl. begleiten Den, der in rechter Weiſe das göttliche Leben
und die ewige MWeisheit ſucht. Wo den Suchenden nicht diefe Dinge ber
gleiten, ift er offenbar nicht in, fondern außer dem Leben... Nur wer
Alles verläßt, kann ungeftört im Liebeödrange zur Weisheit eilen; wie der
Hirſch nah Waſſerbächen, fo ſehnt fi eine folde Seele nah Gott. Er
liebt, die ihn lieben, und weil er die Liebe ift, fo fchenft er fich felbft einer
ſolchen Seele.
Du fichft num, mein Bruder! wozu Du, wie ich im Eingange erwähnt
habe, in die Melt gefommen bift: — um Gott zu fuchen. So übe Did
alfo vielfach, erhebe Dich im Gebiete des Schens und Du wirft eine Nah—
rung finden, die Dich auf Deinem Wege ftärft und immer mehr Deine Sehn—
fucht fteigert. Unſer Geift hat die Natur des Feuers in ſich; er ift zu
feinem andern Zwede von Gott auf diefe Erde geſetzt, ald um zu brennen
und zu einer Flamme anzuwachſen. Gr wächſt, wenn er durch Etaunen
angeregt wird. Bei der Betrachtung der Werke Gottes ftaunen wir über
die ewige Weisheit; dieſes Staunen ift der Wind, der unfere Sehnſucht
zur Liebe des Schöpfers fteigert und zur Anſchauung der Weisheit, die
Alles wunderbar geordnet hat. Schen wir ein ganz Kleines Senfforn
und bedenfen dann feine Kraft und die in ihm liegende Möglichfeit, fo
haben wir einen Weg, um zur Bewunderung Gottes hingeriffen zu werden.
In dielem fleinen Korne ift eine unermeßlice Kraft: ein großer Baum
mit vielen ſolchen Körnern, in deren jedem wieder die Potenz eines Baumes
if. Würde diefe ganze Kraft des Senfkorns actuell entfaltet, fo würde
diefe fihtbare Welt, ja 10 und 1000 Welten, ja fogar fo viele
Welten, als fib nur zählen laffen, nicht hinreichen. Wer muß hier nicht
ftaunen, wenn er noch dazu erwägt den Geift des Menſchen, der diefe
ganze Potentialität des Senfkorns, ja die ganze körperliche meßbare Welt
umfaßt? Welche Größe ift demnach in unferm Geifte! Und wenn dieje
Größe doh nur wie ein Punkt ift, wie groß ift dann vollends Gott! . .
Er ift die Wirklichkeit aller Möglichkeit, denn er ift das Ende aller Mög:
lichkeit, nicht der ‚conereten Möglichkeit des Senfkorns oder unſers Vaters
Adam u. dgl., fondern der abjoluten Möglichkeit, welche die abfolute
Wirklichkeit it. Wer wird nicht in ftaunende Bewunderung verfegt, werm
er Gotted Allmacht auf diefem Wege ſucht? ... Mit dem Auge des
151
Geiftes fiehft Du, daß im jedem Stücke Holz oder Steine alle möglicden
Körperformen der Geometrie, alle mögliden Abbildungen von Menſchen,
Thieren, Blumen xX. ıc. potentiell enthalten find. Wenn nun Der jchon
ein großer Künftler ift, der aus einem Holze die Geſtalt eines Könige
oder eined Thiered ac. herausichnigen kann, welch ein Künftler ift dann
Der, der alles Das in Wirklichkeit fegen fann, was im ganzen Bereiche
der Möglichkeit it! Doch noch größere Macht und Meishelt bat Der,
welber das Senfforn jelbft erihaffen und diefe ungeheure Potenz in es
gelegt hat. Stupende Meifterfchaft aber befigt Der, welcher alle möglichen
Kormen aud dem Senfforne nicht in aceidenteller Aehnlichkeit, fondern in
eſſentieller Wahrheit herausbilden fanı. Und ein allen Verſtand über:
fteigendes, unbeichreiblihes Wunder ift es, nicht etwa aus Steinen lebende
Menihen zu machen, jondern aus Nichts und was nicht ift, in's Dafein
zu rufen, während alle menjdlihe Kunft nur Etwas in Etwas bildet.
Endlich gibt es noch einen Weg in Dir, Gott zu fuchen, dies ift die
Negation alles Begrenzten. Wenn ein Künftler aus einem Holze das
Bild eines Königs verfertigt, fo nimmt er Alles hinweg, was andere
begrenzt ift, ald das Bild des Königs, das er geiftig vor fih hat. Wenn
Du nun Gott Dir vorftellft als beffer denn Alles, was man ſich vorftellen
faun, fo wirfft Du Alled weg, was coneret und begrenzt ift: Körperlich-
feit (Gott ift fein Körper), Sinne, Einbildung, die nicht ohne die Sinnen—
welt thätig jein können; Verſtand, denn er begreift nicht Alles; Vernunft,
denn auch fie erfegt nicht die reine Wahrheit ver Dinge. Kurz, Du fin—
deit nichts in Dir Gott ähnlich, und fagft daher, Gott fei über alles dieſes
hinaus das Princip deines geiftigen Lebens, aus dem Dir Alles zufließt,
was Du haft. Auf diefem Wege findeft Du Gott, um ihn nach diefem
Leben in feiner Wahrheit anzuſchauen. Das möge er Dir und mir vers
leihen, er, der fich denen, die ihn lieben, reichlich mittheilt. Er fei geprie—
jen in Ewigkeit! Amen.
Ueber die Gabe des Waters des Fichten.
(De dato patris luminum.)
An Biſchof Gerhard.
1.
Obwohl die Dunfelheit meines Geiſtes Tängft befannt ift, fo haft
Du do, ehrwürdiger Vater! in einer finnreichen Weile Lichtfunfen dem
ſelben abzugewinnen verfucht. Als während des Botanifirens die Sprade
auf das Wort des Apoftel Jakobus fam, jede gute Gabe und jedes
vollfommene Geſchenk fomme von Oben, vom Vater des
Lichtes, bateft Du mich dringend, über das Verftändniß dieſer Stelle
meine Anficht niederzufchreiben. Ich weiß, daß Du, ehrwürdiger Bater!
die Anfichten der gelehrteften Theologen getreu im Gedächtniſſe bewahrft,
während ich noch fehr wenige Schriften gelefen habe; ich müßte daher
mit Recht erröthen, kennete ich nicht die Aufrichtigfeit Deiner Gefinnung.
So empfange denn hier meine Anficht!
Nach meiner Meinung war e8 die Abfiht des heiligen Apoftels, uns
auf einem leicht zu betretenden Wege zu allem von uns Erfehnten hinzuführen.
Jeder vernünftige Menſch hat das Verlangen nah Wiffen. Wiffen
(verftehen, intelligere) ift das Leben des Geiftes, ift fein erfehntes Ziel;
er fann aber zum Erfaffen der Weisheit fih nicht erheben, als unwiſſend,
durch fein eigenes Licht. Denn wer mangelhaft ift, hat an Dem Mangel,
was er entbehrt. Dad Mangelhafte muß fih als mangelhaft erkennen
und begierig der Ergänzung feiner Mangelbaftigfeit zuftreben. Wenn ber,
dem Weisheit fehlt, diefe von dem verlangt, deſſen Schäße die Fülle ver
Meisheit find, der dem Bittenden diefelben noch vermehrt, deffen Karg—
heit das reichlichfte Austheilen ift, jo muß er nothwendig die Weisheit
erlangen, zumal diefe fich feldft dem Geifte des Suchenden hingibt. Ber-
langen aber heißt mit feftem Glauben fuchen, in der unzweifelhaften Hof:
nung des Erlangend. Von wem mun die Weisheit, diefes Licht für unfern
Pfad und Leuchte für unfere Füße, das Verſtändniß und Leben der Seele,
verlangt werben müffe, Iehrt uns der Apoftel, um jeden Irrthum aus
zufhließen, in den Worten: jede gute Gabe und jedes vollfommene Ge—
ſchenk tft von Oben.
Wenn jedes Sein infoweit fih für gut hält, daß es nie etwas
Anderes, ald eben dieſes fein Sein (wiewohl auf eine zuläfftg vollfommenere
153
Weiſe) zu fein wünſcht, fo erfennt jedes Weſen, das fih aus dem Beften
ſtammend erfennt, feinen Zuftand als den beften. Es erfennt fein Sein,
deffen Zerftörung oder Veränderung in das Sein einer andern Gattung es
nie wünſchen fann, ihm von nichts Anderem gegeben, das nicht von Oben
it, erhaben über Alles, in der Höhe der Volllommenheit (in altitudine
omnis optimitatis). Der menfchlihe Verſtand glaubt nicht, feine Weſen—
beit habe er von Etwas erhalten können, deflen Güte (Bollfommenheit)
nicht das Höchfte hoch oben über alles Gute hinaus wäre. Es würde
auch fein Weſen mit der ihm verliehenen MWefenheit zufrieden fein, wenn
ed aus einem verminderten, nur erfchaffenen Guten herftammte; ſondern
weil es von dem beften und höchſten Meifter, über dem es nichts Höheres
gibt, fein Sein hat, fo rubt e8 in feiner ſpecifiſchen Wefenheit als in ver
beften aus dem Beften; es ift alfo von Dben, aus der unendlihen All
macht, die eine ſolche Kunft und Weisheit in ſich hat, daß fie das völlig
ausreihende Bildungsprincip von Allem ift.
Weil aber kein Wefen den Grad der höchftmöglichen ſpecifiſchen Voll⸗
fommenheit wirklich erreicht, fondern von derfelben (nur Jeſus Chriftus
macht eine Ausnahme) in weitem Abftande fich befindet, jo bedarf aud
der Geiſt, der potentiell Alles umfaßt, was nicht fein Schöpfer ift, um
m wirflihen Erfaffen der Dinge zu gelangen, das Geſchenk der Gnade
feines Schöpfers, wie der Schüler das aufhellende Wort des Lehrers,
Die geiftige Erleuchtung, die eine Gabe Gottes iſt, fommt alfo von Dben,
vom Bater aller Gaben, welde Erleuchtungen oder Gottedoffenbarungen
find (theophaniae). Calomon hatte in der natürlichen Beſchaffenheit
keiner Seele eine große Gabe Gottes erlangt; doch war (in natürlicher
Hinfiht) feine Seele nicht beffer, als die Seele jedes andern Menſchen;
aber durch die Gabe der Erleuchtung hatte er eine Scele, deren geiftige
Kraft zur wirklichen Grfaffung der Weisheit fih über alle vorausgegans
genen jüdiichen Könige erhoben hat. Der Apoftel wollte daher zwei Irrs
thümer befeitigen, einmal den, welcher Gott zum Urheber des Böſen macht,
ſedann den der Selbftüberhebung, als könne der Menſch aus fich, ohne
das Gefchenf der Gnade oder des Angezogenwerdens durch den Vater,
um Erfaffen der Weisheit gelangen. Died war die Sünde höhfter Ans
maßung in dem Sondergeifte (spiritus separati) Lucifer, der durch eigene
Kraft zur Achnlichkeit des Allerhöchften fich erheben wollte, fo wie unferer
Stammeltern. Eben darum fordert und auch der Apoftel zum beftändigen und
glaubensvollen Gebete auf. 9 N
Erheben wir und nun zur größeren Bewunderung des wunderbaren
ihres, das in den Worten des Apofteld verborgen if. Er fagt: „Alle
gute (optimum) Gabe und jedes vollfommene Geſchenk“ xX.
154
Nach viefem Worte fcheint jede Creatur gewiffermaßen Gott zu fein.
Denn nur Gott ift der ganz Gute oder der Befte. Iſt nun die Greatur
die befte Gabe, jo Icheint fie ein gegebener Gott zu fein. (Datum igitur
optimum si est creatura, quoniam omnis creatura est bona valde,
videtur Deus datus esse.) Dad Gegebene muß nämlich in der Madt
ded Gebers fein: in der Macht des Guten ift das Gute. Da nun aber
das Beſte nur Eines, einfach und untheilbar ift, weil es das Beite ift,
fo kann es nur fich felbft geben, fich ſelbſt ausjpenden, jedoch nicht theil-
weife, unvermindert, denn es ift Alles das, was es fein kann; fein Sein
ift fein Beitfein, feine Ewigkeit. Hienach fcheint es, daß Gott und die
Greatur dasfelbe find: nach der Modalität (secundum modum) des Gebers:
Gott, nah der Modalität des Gegebenen: die Greatur. Es ift alſo nur
Eines, das nach der verichiedenen Seinsweiſe (secundum modi diversi-
tateım) verjchiedene Namen erhält. Ein und dasſelbe ift ewig in Hinfiet
auf (secundum modum) den Geber, und zeitlib in Hinfiht auf das
Gegebene: Eines und Dasfelbe ift Schöpfer und Gejchöpf ic. Unftreitig fehlt
ed diefer Darftelung an Präcifion. Suchen wir dad Verſtändniß der
Wahrheit auf!
Die Philofophen fagen, die Form fei es, die einem Dinge das Sein
gibt. Diefer Behauptung fehlt die Präcifion: es ift nicht ein Ding da,
weldhem die Form das Sein gibt, da jeded Ding nur durd die Form
ift. „Die Form gibt einem Dinge das Sein“ — will alfo heißen: Die
Form tft das Sein felbft in jeder Sache; das dem Dinge gegebene Sein
ift die Sein gebende Form ſelbſt. Gott nun iſt die abjolute Form dee
Seins, er gibt Allem das Sein; er wird daher von Wielen mit Redt
der Geber der Formen genannt, Gott ift allo nicht die Form der Erde,
Luft, des MWaffers x., fondern die abfolute Form der Form der Erde x.
Die Erde ift daher nicht Gott, fondern Erde, die Luft ift Luft 2c., jeg—
liches Weſen ift diefes durch feine Form. Die Form jeden Weſens fteigt
herab aus der univerfellen Form. Das drüdt der Apoftel in wunder
barer Tiefe in dem Worte aus: jede gute Gabe fteigt herab (descendit),
ald wollte er fagen: der Geber der Formen gibt michts von fich ſelbſt
Verſchiedenes, feine Gabe ift die befte, ift fein abjolut Beſtes und uni
verfell Größtes; aber fie kann nicht aufgenommen werden jo, mie
fie gegeben wird, weil die Aufnahme des Gegebenen auf dem Wege ded
Herabfteigens erfolgt (receptio dati fit descensive). Das Unenblide
wird endlich aufgenommen, das Univerfelle partifulär, das Abfolute be
ichränft Ccontracte). Da eine ſolche Aufnahme ein Abfall von der fid
mittheilenden Wahrheit ift, fo wird fie zur Aehnlichkeit und zum
Abbilde, fie ift nicht der wirkliche Geber, fondern fein Bild,
in ftufenmäßiger Klarheit. So find die Karben die verfchiedene Aufnahme
155
des herabfteigenden Lichtes. Jeder Sinn, Auge, Ohr x. ift eine ver
ihiedenartige Aufnahme des allgemeinen Bewußtſeins, welches in bie
Einnenorgane herabfteigt; eben darum iſt diefes nicht iventifch mit den
einzelnen Sinnen .... Obwohl auf diefe Art Gott Alles in Allem ift,
je ift do die Menſchheit nit Gott; wiewohl man bei richtigem
Verftändniffe das Wort des Hermes Tridmegiftus gelten laſſen fünnte,
Gott werde mit dem Namen aller Dinge und alle Dinge werben mit
dem Namen Gottes benannt, jo daß der Menfh ein vermenſchlichter
Gott (Deus humanatus) und diefe Welt ein finnliber Gott (Deus
sensibilis) genannt werden fönnte, wie auch Plato meinte. Weit Gott
dad Endziel feiner Schöpfung ift, der um feinetwillen Alles gemacht hat,
jo gab er fih als finnlihe Welt (se dedit mundum sensibilem), damit
die finnlihe Welt um feinetwillen da wäre, damit feine Aufnahme im
Gebiete des Sinnlihen feine Güte auf dem Wege ded Sinnlichen darftelle
und das unendliche Licht der Sinnenwelt finnlih leuchte, den lebenden
Weſen ald Leben, der Verftandeswelt ald Verftand, den Vernünftigen als
Vernunft.
3.
Ich beachte, wie vorſichtig der Apoſtel ſagt, jede Creatur ſei in ihrem
Geber ewig und die Ewigkeit ſelbſt. Die Allmacht des Gebers coincidirt
mit feiner Ewigkeit: immer konnte der Allmächtige geben. Jedes Gege—
bene war alſo in der Ewigfeit beim Vater; von ihm ſteigt es durch Auf—
nahme herab. Immer und ewig hat der Geber gegeben, aber die Auf-
nahme erfolgte nur im Abfall von der Ewigfeit, in der Einfchränfung der
Ewigfeit in die Zeitdauer, die einen Anfang hat. Die Zahl ift das
Maaß der Dauer, fie ift das Bild der zu einem Anfange gewordenen,
aber endlofen Ewigfeit. Die Welt hat daher einen Anfang, in ihm ift
al ihr Sein Ewigfeit (in ipso aeternitas est omne esse ejus), jedod)
nicht die abfolute, fondern die durch einen Anfang befhränfte Ewigkeit.
Die ewige Welt ift geworden; und es ift die Welt, die ewig bei dem
Vater ift, feine andere, als die durch Herabfteigen vom Vater gewordene,
aber jene ift nicht veränderlich, ift beftändig fich gleich bleibend, ohne allen
Schatten der Veränderung; diefe ift durch das Herabfteigen ins befondere
Sein veränderlich und unftät wogend. Die Welt ift gleihfam der veräns
derliche Gott, die unveränderliche Welt ift der ewige Gott. Das find
Redeweifen der Speculation, denen alle Präcifion fehlt, wiewohl fie im
Jneinanderfein der Begriffe von Gott und der Welt fih der Präcifion
nähern. SPräcijer ift freifih die Auffaffung von Gott, dem Unausſprech⸗
hen, welde ihn weit über alle Affirmation und Negation, Gegenfah
md Veränderung im unzugänglichen Lichte der Intelligenz wohnen läßt.
156
4.
Es erübrigt nun noch das Wort ded Npofteld zu erwägen, wornad
er Gott nicht das Licht, fondern den Vater der Lichter nennt.
Alle Dinge find für und Erſcheinungen (apparitiones), gleichſam
Lichter. Weil nun Ein Vater und Urquell der Lichter ift, fo find alle
Dinge Erfcheinungen des Einen Gottes, in unendliher Verſchiedenheit.
Gott ift die unendliche Kraft und völlige Activität. Wenn diefe vermöge
ihrer Güte fib offenbaren will, fo läßt fie aus fich verfchiedene Lichter
— Theophanien — herabfteigen, in welchen Allen fie den Reichthum des
Lichtes ihrer Herrlichkeit offenbart. Dieſes Hervorbringen (generatio),
das ein ganz freiwilliges ift und feinen andern Grund hat, al& die eigene
Güte, geſchieht durch das Wort der Wahrheit. Das Wort der Wahrheit
ift die abfolute Kunft, das Licht jedes Verſtandes. Dieſes Licht, das
Wort, der eingeborene Sohn, iſt die höchſte Erjheinung des Vaters.
Alle Erfheinungen der Dinge hat der Vater der Lichter erzeugt; im ber
oberiten Kraft, in der Stärfe der Einheit find alle andern erfcheinenden
Lichter inbegriffen: in der abfoluten Sohnſchaft ift jede andere Sohnicaft,
in der univerfellften Kunft jedes Kunftwerf, in dem abjoluten Berftande
jeder Verftand, jede Unterfcheidung enthalten. In diefem ewigen Worte
hat der Vater und erzeugt, auf daß wir, indem wir das Licht des ewigen
Wortes durd deffen Herabfteigen in der uns möglichen Weife aufnehmen,
ein gewiffer Anfang feines Weſens feien (simus initium aliquod crea-
turae ejus). Diefe Aufnahme der Erfheinung des Vaters im Worte ift
mehr als der Anfang der Schöpfung; denn durd jene find wir ein ges
wiffer Anfang feines Weſens, weil wir das Wort der Wahrheit, in dem
er und erzeugt hat, in unferer Weife aufnehmen... Wir find alfo cin
Geſchlecht Gotted (sumus igitur nos genus Dei), weil er und erzeugt
bat. Wie im Worte oder der Kunft der Menfchheit alle Menſchen fo er
zeugt find, daß fie einen Anfang des befondern Menſchſeins erlangen, ſo
ift im Worte der Wahrheit alles, was wahrhaft ift — die Lüge ift
nicht — jo erzeugt, daß es ein Anfang der Wefenheit (creaturae, fo ift
offenbar dieſes Wort hier zu überfegen) des Erzeugers ift.
5.
Noh Einen Punkt, der nicht zu übergehen ift, will ich beipreden,
die Gaben der Erleuchtung.
Es gibt verfchiedene Gaben des Einen vollendenden Geifted. Es
wird nämlich Gott, der die reinfte Actualität und abfolute Bollfommenheit
ift, im Herabfteigen zu uns nicht fo, wie er ift, aufgenommen, fondern
nur potentiell, wie der Baum von feiner Frucht nur ald Same aufge
nommen wird. Wie nun der Vater im Worte der Wahrheit Alles er-
157
Ihafft (generat), fo wird vom Geiſte, der vom Water und Sohne auds
geht, Alles vollendet. Der Geift erfüllt, d. i. bringt zur Vollendung den
Erdkreis und was die Kenntniß der Sprade hat (quae vocis scientiam
habent), fteht zum Water im Verhältniß der Vaterſchaft (sunt in patre
paternaliter), zum Sohne in dem der Sohnſchaft (Klialiter), zum heiligen
Geiſte in dem der Vollendung (perfectionaliter), Im Water hat Alles
dad Sein, im Sohne die Macht, im heil. Geifte die Wirkjamfeit. Gott
der Vater ift Alles in Allem, Gott der Sohn fann Alles in Allem, Gott
ver heil. Geiſt bewirft Alles in Allem, denn aus dem Sein und Können
geht das MWirfen hervor. Der Geift bewirft die Vollendung ded Seins
in dem Seienden, des Lebens in den Lebenden, des Wiſſens in den Den;
Inden, auf daß jede Greatur nach der Beichaffenheit ihres Weſens zum
®ottwerden (deificationem), d. i. zum Ziele ihrer Ruhe -fih erhebe. Es
ruht nämlich das förperliche Sein in dem Leben, das Leben im Geifte,
der Geift in der Wahrheit, welche Gott ift. Die geiftigen Naturen find
aljo die Vermittlung für den Ausfluß der niederen Naturen aus — und
ihren Zurüdfluß in Gott.
Um aber das Ziel ihrer Ruhe zu erreichen, um aus ver Möglichkeit
ihrer Kraft zur höchſten Entfaltung derſelben zu gelangen, bietet der voll»
endende heil. Geift der geiftigen Natur viele Lichter dar. Ale Gefchöpfe
And ihr ſolche Lichter, durch deren Mamnigfaltigfeit fie erleuchtet wird,
um zum wejentlichen Licht aller Gefchöpfe vorzudringen. Indem der
Menſch in einigen Greaturen bloßes Sein, in andern Leben, in wieder
andern Berftand wahrnimmt, wird er ſogleich erleuchtet, daß die abjolute
Bejenheit der Creaturen nicht Eines oder das Andere hievon ift, weil fonft
die übrigen nicht Creaturen wären. Sie it daher Feine der einzelnen
Ereaturen. Die Creaturen find groß, Hein, anfehnlih, unanſehnlich ıc.
Die abſolute Wefenheit ift alfo weder groß, noch Flein ıc. Andere Lichter
werden Durch göttliche Erleuchtung dem Geifte eingegoflen (infunduntur),
wie das Licht ded Glaubens, durch welden der Geift erleuchtet wird,
dag er über den Verftand hinaus fih zum Erfaffen der Wahrheit erhebt.
Weil der Geift durch diefes Licht dahin gebracht wird, daß er glaubt, er
Ünne die Wahrheit erreichen, die er mit Hülfe ded Verſtandes nicht ers
rihen fann, und fo feine Schwäche und Blindheit, um derentwillen er
der Stüge des Verſtandes fih bediente, in einem ihm von Gott eingeges
denen Verlangen verläßt und die Möglichkeit, auf eigenen Füßen zu ftehen,
aufgibt, fo gelangt er, durch das Wort des Glaubens geftärkt, zu der
meifellofen Zuverfiht, das Verheißene zu erlangen und erfaßt es auch
alsbald im eilenden Lauf der Liebe (amoroso cursu festinanter appre-
hendit). Das ift die Erleuchtung, von welcher der Apoftel redet.
Unfere geiftige Kraft ‚hat unfäglihe Schäge von Licht in fi, die
158
wir, fo lange fie nur potentiell da find, nicht fennen, bis fie und burd
ein activ einwirkendes geiftiges Licht eröffnet und die Art und Weile, fe
bervorzuloden, gezeigt wird, durch diejenigen, welche diefer Geiſtescultut
von jeher eine große Sorgfalt gewidmet haben. Die Philofophen, Mojes,
die Propheten und Apoftel waren ſolche mit Tugenden gezierte Männer,
welde das finftere Reich diefer Welt verließen und dem Lichte des Geifteö
folgten, dur welche der Geber der Lichter und den verborgenen Schah
der Weisheit erjchloffen, die Art, den Ader zu bewahren, von Unfraut zu
reinigen und den Lebensbaum zu pflanzen gelehrt hat. Doc aller vieler
Münner Lehre war nur ein empfangenes Licht aus dem abfoluten Work,
nicht diefes Wort felbft, das unendlihe Licht des Waters, bis dieſts
Wort ohne Einfhränfung ſich finnlih wahrnehmbar in unſerm Herm
Jeſus Chriftus offenbarte. In diefem Worte find wir ald Kinder des
Lichts geboren, weil ed und geoffenbart hat, daß die Schäße der Glotie
des ewigen Reichs in und und innerhalb unferd Weſens feien Cin nobis
ac intra nos esse revelavit), und uns die Unfterblichfeit des Geiftes durch
Abtödtung erreichen lehrte. Es ſei in Ewigfeit gepriefen! Amen.
ee — — —
Dialog über die Entfehung der Welt,
(De genesi.)
Eonrad. Eine Abwehslung auch von weniger ausgejuchten Speir
jen gewährt und eine angenehme Mahlzeit. Obwohl Du daher, mein
Ritolaus! mir ſchon oft auf das freigebigite dargeboten haft, was zu
einer unvergänglichen Geiftednahrung hinführt, jo möge es dir gleichwohl
nicht unfieb fein, wenn ich eine noch fchmadhaftere Nahrung von Dir er-
bitte. Nikolaus. Du weißt ed längft, mein Conrad! daß ih in uns
etmũdlichem Eifer nah dem Unbegreiflihen jtrebe, und es freut mich,
durch Fragen angere gt oder durch Einwürfe angetrieben zu werden. Sprich
aljo! Conrad. Ich flaune, wie Eined und Dasſelbe aller fo verſchie—
dener und entgegengejegter Dinge Urſache iſt. Mein Forſchen iſt daher
auf die Entſtehung des Wellalls gerichtet, worüber ih von Dir eine
fürze und faßliche Erklärung zu erhalten wünfche; denn auch der göttliche
Mofes und viele Andere haben durch ihre verſchiedenen Erflärungsweifen
immerhin noch Schwierigfeiten übrig gelaſſen. Nifolausd Alle, welde
über die Entftehung der Welt geſprochen haben, haben, wie Du fagft, von
Demfelben gefproden in verfchiedenen Weifen. Warum alfo befremdet es
Dich, daß Dasfelbe die Urfache des Verſchiedenen it? Conrad. Weil
Dasfelbe nur geeignet fcheint, Dasfelbe herworzubringen. Nikolaus.
Richtig; eben deßhalb find alle Dinge von demfelben Abjoluten
das, was fie find, undin der Weise, wie fie find, Denn dad abs
jolute Dasfelbe ift, weil ed Dasjelbe ift, ewig. Es fann nicht von einem
Andern fein. Denn wenn e8 Died (Einzelweſen) bervorbringen fann, fo
auch ein Andered und wieder ein Anderes u. ſ. f. Bon weldem Andern
follte ed alſo felbft fein? Es ift alfo ewig, einfach, unbegrenzt, unvers
äuderlih, unvermehrbar, u. ſ. f.... Es ift daher auch feinem Anvdern
gleih oder entgegengefegt, da Alles in ihm Dasfelbe if. Das Allgemeine
und PBartifulare, die Einheit und die Unendlichkeit find in ihm Dasfelbe,
Wirflichleit und Möglichkeit, ja Sein und Nichtfein find im abfoluten
Demfelben nothwendig Dasfelbe. .. Sagen wir, dad Entgegengefegte ift ent»
gegengejeßt, fo jagen wir, es fei ſ ich dasfelbe. Nur durd das abfolute
Dasielbe ift alles, was ift, fich felbft gleich, und für ein Anderes anders,
während das abſolute Dasfelbe jelbft nie Dasjelbe mit einem
Anderen, oder einem Andern entgegengefegt fein kann. Und
160
weil das abfolut Dasfelbe aud in allem Bildfamen das bildende, geftals
tende Princip ift, fo kann das bildende Princip nicht außerhalb Dems
ſelben fein. Denn daß ein Ding fi feldft gleich ift, fommt aus dem
geftaltenden Prineip; daß es aber für ein anderes Ding ein andere
ift, fommt daher, weil fein Bildungsprineip nicht das abjolut Dasſelbe
tft, nicht das Geftaltende in Allem, was geftaltet. Nur das abjolut
Dasfelbe ift daher Anfang, Mitte und Ende jeder Geſtal—
tung, die abfolute Wirklichkeit aller Möglichkeit. — Doch, laf
und nun diefe Brämifjen weiter verfolgen. Du ziveifelft nicht, daß Das;
jelbe auch Dasſelbe bewirfe (idem identificat). Der Berftand verfteht,
das Geficht ficht, die Wärme wärme x. Weil aber das abfolut Dad
felbe Feine Vervielfältigung „zuläßt, fo befteht fein Identificiren in einem
Aſſimiliren. Das „Nichtvasjelbe* fteigt in einer Umfehr zu „Dem
jelben” berauf, und weil es das (abſolut) Dasfelbe nicht erreichen fann,
jo aſſimilirt es fi ihm. Es coincidirt gewiſſermaßen das Hinabfteigen
des Dasfelben zu dem „Nichtvasfelbe” und. das Hinauffteigen des „Nicht
dasjelbe” zu Demfelben. Die Erfhaffung der Welt kann daher eine
Verähnlichung mit dem abfoluten Sein genannt werben, weßhalb
die Heiligen die Schöpfung eine Aehnlichkeit und Bild Gottes genannt
haben. Aus dem angeführten Grunde ift die Schöpfung. eine Vielheit,
die im verfhiedener Weife an dem Einen und Demjelben participirt, wo
raus eben die Ordnung und Harmonie des Ganzen (xoauos) eb
fteht. Alle Wefen rufen einftimmig und verfünden das Eine und Dasjelde,
und dieſes einjtimmige Rufen ift die Affimilation, ift die vollere und rei
here Darftellung des Einen und Desfelben. Aber auch alle Zeugung,
Zerftörung, Anderdbildung ꝛc. fommt daher, weil Dasfelbe immer Dasfelbe
bewirft. Denn indem das Eine und Dasfelbe fi in größtem Gegenjatt
der Kräfte manifeftirt, jo entfteht, indem Jedes das fih Gleiche und dem
andern Entgegengefegte wirkt, ein Kampf der Kräfte, und aus biejem
neue Zeugung und Zerftörung. Conrad. Du haft mid vollftändig be
friedigt. ... Ich fehe nun auch deutlich, warum frühere Forſcher über die
Enntſtehung der Welt irre gingen, weil fie das eben Gefagte nicht bedacht
haben. Aus der unermehlihen Dauer der Welt haben fie eine Ewigfeit
der Welt gemacht, da doch die Ewigfeit, das abfolut Dasfelbe, durch feine
noch fo lange Dauer zu erreichen ift, umd im der unermeßlichen Dauer
gerade feine Unerreichbarkeit um fo deutlicher offenbart. Der Maaßſtab
der bloßen Reflerion, der nur das Zeitliche berührt, reicht nicht zu den
Dingen, die zeitlos find, wie das Gehör das nicht erreicht, was nicht
hörbar ift, wiewohl dies für den Verftand erreichbar if. Nikolaus.
Ganz richtig. Das Wahre haben daher unfere Heiligen ausgeiproden,
wenn fie fagten, die Welt fei im Anfange erfhaffen worden. Es fl
161
far, daß der Anfang der Welt nicht in einem Andern ift, fondern das
abſolut Dasſelbe ift Anfang, Mitte und Ende der Welt, und es ließ
Gott die Zeitdauer ebenfo wenig ald die Welt außerhalb dem abjolut
Demielben den Anfang nehmen. So wenig daher durch die Welt und
Alles in der Welt ein Weltwefen in feinem wahren Wefen erfaßt wird,
fondern nur in dem Einen Abfoluten, jo wenig kann die Zeitbauer in
ihrem Weſen durch irgend ein (relatives) Maaß erfaßt werden, nur das
abjolut Dasfelbe ift das adäquatefte Maaß alles Meßbaren. Eonrad.:
Ih würde gerne beiftimmen, wenn mich nicht das Buch Mofis über die
Eribaffung der Welt zurückhielte. Nach dem dort Erzählten können wir
das Zeitmaaß für den Anfang der Welt berechnen, die noch Feine 7000
Jahre alt ift, wiewohl es in der Naturgefchichte des Plinius und vielen
andern Schriften wieder anders angegeben wird. Nikolaus. Ich fchäge
die Schriften des Mofes fehr hoch und weiß, daß fie durchaus wahr find,
jofern ich auf die Abficht des Schriftftellers hinfehe. Soferne ih auf Gott
jelbft, dem es eigen ift; Gottähnlich zu bilden (cujus est deificare), hinſehe,
jo ftimme ich Mofes nicht deßhalb, weil ich Chrijt und dem (göttlichen)
Geſetze verpflichtet bin, jondern weil die Vernunft anders zu dem
fen verbietet, auf das Entichiedenfte bei. Indeß hat Mofes hinficht-
id der Art, wie die Welt erſchaffen wurde, ſich durchaus menſchlich aus
gedrückt, um die Wahrheit in menfchlich erfaßbarer Weife darzuitellen.
Benn er jagt, Gott fei nichts von allem Dem, was gefehen oder ab-
gebildet werben fann, er fei mur auf den Fußftapfen, die hinter ihm find,
ſichtdat, fo hat er damit hinlänglich ausgedrüdt, er habe die Art und
Weiſe der nicht zu fehildernden Schöpfung menſchlich dargeftelt. Wenn
daher die Weiſen fagen, der unfichtbare Gott habe Alles nach feinem
Bilen auf Einmal erfhaffen, fo ftehen fie mit der Intention Moſis
in feinem Widerſpruche ... Sie entkleiden die Angabe des Geſetzgebers
von ihrer conereten Hülle, fo daß fie nur das fehen, daß das abjolut
Dasfelbe iventificire. Sie ftoßen ſich daher auch nicht an dem Abweichenden
der Erzählung, der Zeit, der Benennung der Menfchen, dem entgegenge:
ſehten Raufe der nad) der Erzählung mitten aus dem Paradiefe ausftrö-
menden Flüſſe und noch Anderm, das vielleiht noch abgeſchmack—
ter (absurdiora) fein mag, fondern erbeuten aus diefen Abgefchmadts
heiten einen geheimen Sinn voll tiefer Bedeutung, wie Du es bei den
geiſtig geübteſten Kirchenlehrern hinſichtlich dieſes Theils der Genefis
Anden kannſt: in des Ambroſius Schrift über das Paradies, in feinem
Heraemeron, bei Bafilius, YAuguftin, Hieronymus. — Eon
rad. Es freut mich fehr, dies von Dir zu bören. Doc weil David
anderswo fagt: „Durch das Wort des Herrn find die Himmel ges
gründet, und dur den Hauc feines Mundes all IR. ae jo
SHarpff, Nie. v. Cuſa.
162
wünfche ich eine Belehrung darüber, ob diefe Vorftellung angemeſſen ſel.
Nikolaus Es gibt verſchiedene Erklärungen über die Art, wie Alles
aus dem Einen und Erften entftanden ift, allein die tieferen Philofophen
laffen die Formen der Naturwelt durd Gott, den reinften Geiſt, der die
lautere und vollfommenfte Wirkſamkeit ift, auf den Befehl feines Willens
fo entftehen, wie auf den Befehl des Baumeifterd das Haus entftcht.
Willſt Du aber eine paflendere Bergleihung, fo findeft Du fie in dem
Berfertigen gläferner Gefäße aus der glühenden Glasmaſſe mit
telft Blaſens. Conrad. Sehr treffend zum Berftändniß der fiht-
baren Welt! Dod gib mir noch eine univerfellere Bergleihung! Nike
laus. Ich glaube, daß das Lehren unter den uns wohlbefannten
Operationen die univerjellfte Anwendung zuläßt. Um einen noch umunter-
richteten Schüler zur Identität mit dem Lehrer heranzubilden, macht ber
Lehrer die Stille zu einem feinem Begriffe ähnlichen Laute. Diefer Laut
ift die (bildſame) Möglichkeit, aus der hernach die Sylben, und aus dieſen
die Worte, freilich in faum bemerfbarem Nacheinander, entftehen. Das
jo entftandene Wort des Lehrers begreift eine dreifahe Ordnung in fit:
es ift finnlich und wird durch den Gehörsſinun vernommen, es it ver
tändig, weil nur der Verſtand die Worte faßt; es ift endlich geiftig,
foferne es den Sinn des Lehrers, der die größte Achnlichfeit feines Geiftes
ift, zur geiftigen Anfhauung bringt. Ganz paflend vergleicht aljo ver
Prophet David die Schöpfung mit dem Worte und dem Haude des
Mundes. Wielleiht wollte Died auch Moſes andeuten, wenn er in den
Worten: „Gott fprah: es werde Licht! Und es warb Licht“, bie
Schnelligfeit des Schaffens mit dem gefprochenen Worte verglich. Con
rad. Ich begreife nun die ſchöne Ordnung in der Welt, wie nämlic
das Körperliche zum Behufe der Sinnenunterfheidung, dieſe
zum Behufe der verftändigen, diefe für die geiftige, die geiftige
wegen der wahren Urface, der Schöpferin von Allem gegeben ift. Die
ganze Natur dient alfo der geiftigen Natur; dieſe ift das Bild (signa-
culum) der wahren und abfoluten Urfache, jo daß jedes Ding nur durd
deren Vermittlung den Duell feined Seins erreiht. Denn was fuct
alle Sinnenthätigfeit, ald Neflerion oder Berftänpigkeit? Was ſucht der
Verftand anderes, ald das Bernünftige? Was fucht die Vernunft ans
dered, als die wahre abfolute Urfahe? Nur der Geift (die Vernunft)
hat alfo ein Auge, um die Wefenheit (quidditas) anzuſchauen, die er
nur in der wahren Urſache, welde die Duelle aller Sehnſucht ift, am
ſchaut, in welder Sein und Berlangen (Sehnſucht) coincidiren, — Mit
Freuden habe ich diefe Wahrheiten aus beiner Belehrung gefhöpft, aus
denen ich Vieles und Wichtiges über die Weltfhöpfung und die Natur
ableiten fann. Doc weil einige Heilige die Welt mit einem geſchrie—
163
benen Buche vergleichen, fo fage mir auch über dieſes Bild deine Ans
id. Nikolaus. Das Bild fcheint mir fehr paffend. Gin Deutfcer,
m ein griechtihes Buch Plato's vorgelegt würde, könnte durch Ber:
muthung mittelft Gombination einige Vocale und Worte erkennen; das
Weſen, der Geift ded Buchs im Ganzen und Einzelnen bliebe ihm
cbenjo verborgen, wie wenn ein Maler die Kunft zu malen, im Falle
Niemand da wäre, dem er fie lehrte, in einem Buche in verfchiedenen
Ömälden niederlegte. Wer würde diefe Kunft, die felbft nicht fichtbar,
iondern nur durch den Geiſt erreichbar ift, aud dem Buche voll Gemäl-
ven erlernen, wenn der Unterricht des Künftlers fehlte? So kann aud
Östt Vater, die Duelle der. Kunft zu identificiren, er, die im Weltall
nie in einem Gemälde entfaltete Kunft des Seins, durch Keinen er:
kant werden, der nicht das Verſtändniß diefer Kunft befigt, ta nur der
Geift Gottes des Waterd jene Kunft befigt, welche die abfolute Kunft ift.
Diefe Erwägung führt und zur Verachtung des fyllogiftiihen Jagens und
um Unterwerfung unter die Erleuchtung durch die Offenbarungen der
Propheten. So fchreitet der Geift, fich felbit ald völlig ungenügend ver:
ahtend, in feinem Suchen weiter. Die Erfenntniß der Unwifjenheit ers
niedrige und gibt in der Erniedrigung die Erhöhung und Einfiht. Trefs
fend hat dies Moſes ausgedrüdt, indem er den Menfchen, der, auf feine
Kraft ſich ſtützend, im Wiffen Gott gleich fein wollte, in Unwifjenheit
fallen läßt, welche der Tod des Geiftes if. Conrad. Nachdem nun
jo Vieles zum Verftändniß des Propheten mir dargeboten ift, erfläre mir 7
noch deutlicher, warum er fagt, die Himmel, ſeien durd das Wort, und
ihre Kräfte durch den Hauch feines Mundes gebildet worden. Nikolaus.
... Es find nad diefen Worten die Himmel, und was unter dem Namen
oder nach Aehnlichkeit des Himmels ind Dajein gelangt, durch Ein
ort der Allmacht auf Einmal entftanden. Diefem erihaffenen Himmel
baut der Schöpfer eine Kraft ein. Das Aeußere eines jeden Weſens,
gleichſam der es umjchließende Himmel, ift fein Entftehen aus dem Nichts;
kin Inneres ift die ihm vom Schöpfer eingehauchte, verlichene Kraft des
Seins, dur welche e8 eine größere Aehnlichfeit mit dem Echöpfer hat,
ald dur den (äußern) Himmel feines Seind. Es find daher in jedem
Velen drei Dinge: die Möglichkeit, dur feine Hervorrufung aus
dm Nichts, die Wirkſamkeit, dur fein Barticipiren an der göttlichen
Kraft und die Verbindung von Beidem. Moſes drüdt died in den
Borten aus: „Es bildete Gott den Menfchen aus Erde und hauchte ihm
den Hauch des Lebens ein, und fo wurde er ein lebende Weſen“. ...
Conrad. Ih fann diefer Ausführung nicht widerfprehen. Doch weil
David den Himmeln Kräfte und Engel zutheilt, wenn er fagt: „Lobt
den Herrn von den Himmeln, lobt ihn in der Höhe! Lobt ihn alle feine
in
164
Engel, lobt ihn alle feine Kräftel” fo fage mir nur mit Einem Worte
noch, ob diefen Himmeln Engel vorftehen; dann will ic, da die tiefe
Naht und zur Ruhe ruft, vom Fragen ablaffen. Nikolaus. Gegen
unfere Verabredung zieht Du Bieled und nun vollends einen Punkt ber
bei, der eine tiefere Forfhbung erfordert. Doch um fertig zu werden, fage
ih nur Ein Wort: alle Bewegung der verftändigen Weſen trachtet nad
dem abjolut „Demfelben“. Es geht ein Haud der Kraft von Gott aus,
welcher die an feinem Sein Barticipirenden beftändig. zu „Demſelben“ hin
leitet. Jeder Kreis, Himmel des Seins, hat eine eigene ihm beftinmt
zugemeflene Kraft des Seins. in Geift, Engel, der den einzelnen
Sphären des Seins vorfteht, und die ganze Kraft diefer Ephäre in ſich
begreift, ift alſo gleichjam der dienende Geift, der Engel des Schoͤpfers
in diefer Sphäre und leitet und regiert fie, wie der Rector einer Schule
die Claffen der Grammatik, der Rhetorik, der Logik je durch die dieſen
vorgejegte, ihm unterworfene Xehrer leitet und regiert... ..
Dod weil diefer Gegenftand zu tieferer Ergründung eine paſſendere
Zeit erfordert, fo fei die Unterredung num geſchloſſen. Der Hahn hat une
längft zur Ruhe gerufen. Xebe wohl!
Ueber das Schen Gottes
(de visione Dei),
ober :
Ueber das Bild
(de icone),
An den Abt und die Brüder in Tegernfee.
Ih gebe bier Etwas, was ih Euch, geliebte Brlder! längſt vers
iprochen habe, zur leichten Erfaffung der myſtiſchen Theologie. Euch, die,
wie ih weiß, der Eifer für Gott befeelt, halte ich für würdig, dieſen foft-
baren und überaus ergiebigen Schaß zu eröffnen. Ich bitte den Allmäch—⸗
tigen, daß er mir das Wort von Dben verleihe, welches allein fich felbft
darlegen fann, um nad Eurer Faſſungskraft wunderbare Dinge Euch zu
etzaͤhlen, die weit über alle Sinn-, Verſtandes- und Wermunfterfenntniß
binaus nur geoffenbart werden. Ich werde auf die einfachfte und ges
meinverftändlichfte Weife mittelft einer finnlichen Anleitung (experimenta-
liter) Euch in das geheiligte Dunkel führen; dort angelangt, werdet ihr
das unzugänglihe Licht wahrnehmen, und Jeder mag dann, wie es ihm
von Gott gegeben ift, demfelben fich immer mehr nähern und in einem
ſüßen Berfoften einen Vorgefhmad des Mahles ewiger Glüdfeligfeit em-
pfinden, zu dem wir im Worte des Lebens durch das Evangelium Ehrifti
berufen find, der gepriefen fei in Ewigkeit!
Borwort.
Soll ih Euch auf menſchlich verftändige Weiſe zum Göttlichen bins
führen, fo bedarf es hiezu eines Bildes. Unter Werfen von Menfhen-
band fand ich fein Bild, das fih für meinen Zwed mehr eignet, als ein
Bild des Allfehenden, das von geſchickter Künftlerhand fo gemalt ift, daß
ed nach allen Seiten zu fehen ſcheint. Es gibt treffliche Bilder dieſer
Art auf dem Marfte zu Nürnberg, zu Brüffel von dem ausgezeichneten
Maler Roger auf einem fehr foftbaren Gemälde, das fi in der Wohnung
des Statihalterd befindet, zu Eoblenz in meiner Gapelle zur 51. Beronifa,
w Briren in der Engelöburg, und mehrere andere. Damit jedoch Eure
Betrahtung, welde durchaus ein ſolches finnlihes Bild erfordert, nicht
166
mangelhaft fei, ſchicke ih Eurer Liebden (caritati vestrae) ein kleines |
Gemälde, wie ich e8 eben befonmen fonnte, weldes das Bild des Al,
fehenden darftellt. Ich nenne es das Bild Gottes (iconem Dei). Dieſes
befeftiget an irgend einer Stelle, etwa in der nörbliben Wand; ftellet
Euch, Brüder! in mäßiger Entfernung um dasjelbe und ſchauet es an.
Seder wird meinen, von welchem Standpunfte er ed auch anſchaut, das
Bild fehe nur ihn allein an. Wer öſtlich fteht, wird glauben, das Bild
fehe öftlih, wer füdlich oder weftlich ftcht, wird ed nah Süden ober
Weſten fih richten fehen. Anfangs werdet Ihr ftaunen, wie ed möglih
fet, daß es auf Alle und Jeden zugleich hinſchaut. Der öftlih Steheade
kann es nicht faflen, daß der Blid des Bildes nach einer andern Richtung,
etwa Weſt oder Süd, gerichtet fei. Sodann ftelle fih der Bruder, der
öftlich fand, weftlich, und er wird finden, daß der Blick nun auf ihn eben-
fo nach Weften gerichtet ift, wie er vorher nach Dften gerichtet war, Da
er weiß, daß das Bild unbeweglib an der Wand befeftigt ift, jo wir
er die Beweglichkeit de8 unbeweglichen Blides deſto mehr bewundern,
Heftet er den Blick feft auf das Bild und geht dabei von Weſt nat
Dft, fo wird er den Blick des Bildes beftändig ihm folgen fehen. Kehrt er
von Dit nad Weſt zurüd, fo wird der Blick auch bier ihn nicht verlafen
und er wird fih wundern, wie derſelbe unbeweglich fib bewegte; feine
Vorftelung wird es nicht faffen, daß der Blick ſich zugleich mit einem
Andern, der ihm in entgegengefegter Richtung entgegenfommt , bemegt.
Wenn er hievon einen Verſuch machen will und beißt zu dem Ende einen
Bruder das Bild anfhauen, und dabei von Oft nah Weſt gehen, wäh
rend er felbft von MWeft nah Dit geht, und fragt dann den ihm entgegen
fommenden Bruder, ob der Blick des Bildes ſich beitindig mit ihm fort
bewege und er hört nun, daß der Blid ſich ebenjo in entgegengefegter
Richtung bewege, fo wird er dem Bruder glauben; glaubte er nicht, ſo
würde er die Sache nicht für möglich halten. So fommt er durd die
Offenbarung des Berichterftattenden (revelatione relatoris) dahin, daß
er weiß, jener Blif wende fih von Keinem, wenn er auch in entgegen
gefegter Richtung geht, hinweg. Er wird alfo erfahren, daß das unbe
wegliche Antlig fib jo nad Oſten fehrt, Daß es zugleich auch nach Weiten,
jo nah Norden, daß es zugleih auch nab Süden gerichtet ift, nad
Einem Drte und na allen zugleich, daß die Bewegung des Blids auf
Einen und auf Alle zugleich geht. Wenn Jeder beachtet, daß jener Blid
Keinen verläßt, fo überzeugt er fih, daß er für Jeden fo große Sotge
trägt, als gehe der forgende Blick nur auf den allein, der fich beobachte
fieht und auf feinen Undern, dergeftalt, daß der von dem Blicke Beob—
achtete es nicht faffen kann, daß das Antlig auch für einen Andern Sorge
167
trägt. Er überzeugt fih auch, daß der Blid für das Fleinfte Geſchöpf die
größte Sorge wie für das größte und für das ganze Univerfum trägt.
Nah diefem finnlihen Bilde (apparentia ), gedenfe ich Euch, geliebte
Brüder! auf dem Wege frommer Betradtung (per quandam praxin
devotionis) in das Gebiet der myftiihen Theologie zu erheben, wozu
ih drei hiefür geeignete Süße vorausihide,
1.
Die finnlide Erſcheinung (das finnlibe Bild) gewinnt ihre Wahr:
beit und Vollkommenheit in der Vollkommenheit Gottes (quod
perfectio apparentiae verificatur in Deo perfectissimo).
AS erfte Borausfegung bezeichne ih, daß an dem Sehen (Blide)
der Abbildung Gotted nichts vorfommen kann, das nicht im wahren Sehen
Gotted wahrer (und vollfommener) wäre. Denn Gott, das Höchſte
aller Bollfommenheit, größer ald unfer Gedanke (major, quam cogitari
potest), wird eben deßhalb Hsog genannt, weil er Alles ſieht. Wenn
daher der gemalte Blid auf einem Bilde die Erjcheinung eines zugleich
Alles und jedes Einzelne (denn das iſt eben das vollfommene Sehen)
ſehenden Blicks gewinnt, fo kann dies bei der Wahrheit (lebendigen Wirk—
lipfeit) im micht geringerm Grade zutreffen, als bei dem Bilde in der
Ephäre der finnlihen Erſcheinung. Wenn das eine Sehen fhärfer ift
ald das andere, wenn der Eine faum das Nahe, der andere fogar Ent»
fernteres noch unterfcheidet, der Eine einen Gegenftand langfam, der Andere
ſchnell erſchaut, fo ift Fein Zweifel, daß das abjolute Sehen, von dem
jedes Sehen herrührt, alle Schärfe, Schnelligkeit und Kraft Aller, die
wirflih fehen oder jehend werden fünnen, weit übertrifft. Wenn ich näm—
ih binfehe auf das reine Sehen (ad abstractum visum), bei dem id
ale Augen und Sehwerkzeuge hinwegdenfe, und erwäge, daß dieſes reine
Schen in feinem concreten Sein, fo wie die Sehenden durch das Sehen
jelbft fehen, an Zeit, Himmeldgegend, einzelne Objecte und andere Ber
dingungen gebunden ift, während das reine Sehen von diefen Bedingun—
gen ganz frei ift, fo begreife ich vollfommen, zum Welen des Sehens ges
höre ed nicht, daß es mehr auf ein Object als auf ein anderes Rüdjicht
nehme, wiewohl diefed bei dem concreten Sehen ſtets eintrifft, daß, wäh.
end ed auf das Eine ficht, nicht zugleich auf das Andere, oder abfolut
auf Alles jehen fann. Gott nun, das wahre, unbefchränfte Sehen, ift
nicht geringer als unfer Begriff von dem reinen Sehen, fondern Außer
allem Berhältniffe vollfommener. Die concrete Erfcheinung des Schens
in jenem Bilde faun ſich daher noch weit weniger der höchſten Vollkom⸗
menbeit des abfoluten Sehens nähern, als der Begriff davon. Was daher
168
in jenem Bilde finnlich hervortritt, muß ohne Zweifel im abfoluten Sehen
auf eminente Weiſe ſich wiederfinden,
" 2.
Das abfolute Sehen begreift alle Arten (des Sehens) in fic.
Fürs Zweite beachte, daß das Sehen in den Sehenden varlirt, in
Folge der verfchiedenen conereten Form desfelben. Denn unfer Sehen
richtet fih nah den Affectionen des Sehorgand und des Gemüthes. Es
fieht einer jegt fiebreih und freudig drein, jegt ſchmerzlich und erbittert,
erft ald Knabe, dann ald Mann, zulegt ald Greis. Das abfolute Sehen
aber, frei von jeder Beichränftheit, zugleih und Einmal (simul et semel)
begreift alle und jede Art des Sehens in fih, ald deren adäquateftes
Maaß und wahrftes Vorbild. Denn ohne das abiolute Sehen gibt «6
fein endliched Sehen. Es begreift alle Arten des Sehens jo in ih, daß
es zugleich jede einzelne umfaßt, und bleibt von jeder Verfchiedenheit gänz—
lich frei. In ihm find alle concreten Arten des Sehens auf nicht con—
crete Weife. Denn jede Concretheit (contractio) ift in dem Abfoluten,
weil das abfolute Eehen das Gonerete alled Goncreten iſt; denn das
Bonerete ift nicht weiter concret zu machen. (Omnis enim contractio est
in absoluto, quia absoluta visio est contractio contractionum. Contractio
enim est incontrahibilis.) Das einfachfte Goncrete coincidirt daher mit
dem Abfoluten. Ohne Goncretheit gibt e8 Fein Concretes (Sine autem
contractione nihil contrahitur). So ift denn das abjolute Sehen in jedem
Sehen, weil jedes conerete Sehen dur dasfelbe ift und ohne dasſelbe
nicht fein fann.
3.
Die Prädifate Gottes find Feine realen Unterfhiede (quod
quae de Deo dicuntur, realiter non differunt).
Als Folgefag aus dem Gefagten beachte, daß alle Ausfagen von
Gott wegen deffen höchfter Einfachheit feine realen Differenzen fein kön—
nen, wiewohl wir nad diefen oder jenen Beziehungen immer wieder andere
Namen geben. Da aber Gott die abfolute Vernunft ift, jo faßt er alle
vernünftigen Verhältnißbeftimmungen in ſich (Deus cum sit absoluta
ratio, omnium formalium rationum in se omnes rationes complicat).
Wenn wir daher auch Gott Sehen, Hören, Schmeden, Rieden, Taten,
Sinn, Berftand, Vernunft ıc. zufchreiben, nach den verſchiedenen Geſichts—
punften, welche jedes diefer Worte angibt, fo ift doch fein Sehen nit
verfchieden von feinem Hören, Taften, Fühlen, Denfen, Begreifen. Das
her fagt man, die ganze Gotteslehre bewegt fich im Kreife, weil eines
der göttlichen Attribute auch von dem andern ausgeſagt wird; Gottes
169
Haben ift fein Sein, fein Bewegen Stilfftehen, fein Laufen ein Ruben ıc.
Mögen wir ihm nad einem Gefichtöpunfte (ratione) Bewegung zufchreis
den, nach einem andern Stillftehen, fo fann doch in Gott, weil er die
abfolute Vernunft ift, in der jedes Andersfein Einheit und jeder Gegen—
ap Identität ift, eine Verjchiedenheit von Beftimmungen (rationum diver-
sitas), die nicht zugleich Identität wäre, wenigftend nach dem, was wir
und unter Verſchiedenheit denken, nicht beftehen.
4.
Das Sehen Gottes ift Vorfehung, Gnade und ewiges Leben.
Tritt nun, mein betrachtender Bruder! zum Bilde Gottes heran und
telle dich zuerft öftlih, dann füdlich, zulegt weſtlich. Da der Blid des
Bildes auf dich überall gleihmäßig hinſchaut und dic nicht verläßt, wohin
du au gehen magjt, jo wirft du zum Nachdenfen angeregt werben,
und iprechen:
Herr, jetzt Schaue ich in diefem deinem Bilde deine Vorſehung
in einer finnlichen Erfahrung; denn wenn du mich nicht verläßeft, der ich
der Geringfte von Allen bin, fo verläßeft du feinen Menſchen. Bei Allen
und Jedem bift du fo, wie bei Allen und Jedem das Sein ift, ohne das
fe nicht fein können. Du, das abfolute Sein von Allem, bift fo bei
Allen, ald hätteft du Feine Sorge für etwas Anderes. Died kommt das
ber, weil jedes Wefen fein Sein allen Andern, und feine Art des Seins
Ulen andern Arten vorzieht, und fein Sein dergeftalt beſchützt, daß es das
Sein aller Andern lieber als das feinige zu Grunde gehen ließe. Denn
du, o Herr! fchaueft jedes Weſen jo an, daß man denken follte, du
babeft feine andere Sorge, ald daß mur diefes Wefen auf die beftmög-
lichſte Weiſe eriftire und daß alle andern Wefen nur dazu da feien, um zu
dienen, damit das Wefen, das du anfchaueft, auf das Befte eriftire. Du
läßt es, o Herr! mich durch feine Vorftellung denken, daß du ein anderes
Befen mehr liebſt, ald mich, da nur mich dein Blick nicht verläßt. Und
weil da das Auge ift, wo die lebe, fo erfenne ich, daß du mich Liebft,
weil auf mich, deinen Knecht, deine Augen mit der größten Aufmerkſam—
feit gerichtet find (quia supra me, servulum tuum, oculi tui sunt atten-
issime), Herr! Dein Sehen ift Lieben. Und wie dein Blick ſich fo
aufmerfam mir zumendet, daß er fi niemals von mir fehrt, fo auch
deine Liebe. Und weil deine Liebe immer bei mir if, und deine Liebe,
o Herr! nichts Anderes ift, ald du felbft, der du mich liebft, fo bift du
immer bei mir, o Herr! Du verläßeft mich nicht, beidhügeft mich von allen
Seiten, weil du die größte Eorgfalt für mic trägft. Dein Sein, o Herr!
verläßt mein Sein niemals. Denn nur fo weit bin ich, als du bei mir
bit, und da dein Sehen dein Sein ift, fo bin ich, weil du auf mich fiehft,
170
und wendeft du deinen Blick von mir ab, fo bin ich nicht mehr. Doch
ich weiß, daß dein Blick jene größte Güte ift, welche fih jedem Empfän-
lichen mittheilen muß. Du fannft mich alfo niemals verlaffen, fo lange
ich für dich empfänglih bin. Meine Sache ift es daher, immer mehr für
dich empfänglic zu werden. Ich weiß aber, daß die Empfänglichkeit, die
zur Einigung führt, ein Aehnlichſein ift. Die Unempfänglichfeit kommt
aus der Unähnlichfeit. Mache ih mich alfo auf jede mögliche Weile
deiner Güte ähnlich, nah den Stufen der Aehnlichkeit, fo werde ich für
die Wahrheit empfänglic fein. Du haft mir, o Herr! das Sein gegeben,
und ein folded Erin, das fih deiner Gnade und Güte immer empfäng-
liher maden fann, Die Kraft, die ih von dir habe, in welcher ich das
lebendige Bild deiner Allmacht befige, ift der freie Wille, durch welchen
ib die Empfänglichfeit für deine Gnade erweitern oder einfchränfen kann:
erweitern durch Gleihförmigfeit, wenn ich gut zu fein trachte, weil du
gut bift, gerecht, weil du gerecht, barmberzig, weil du barmherzig; wenn
all mein Streben nur auf dich gerichtet ift, weil all dein Streben auf
mich gerichtet ift; wenn ich ganz aufmerffam nur auf did hinſehe, und
nie den Blick meines Geiſtes wegwende, meil du mic beftändig mit deinem
Blicke umgibftz; wenn ic meine Liebe nur dir zumende, weil bu, der du
die Liche bift, nur mir zugewendet bift. Was ift, o Herr! mein Leben,
als die Umarmung, mit welder deine füße Liebe mich fo liebend umfaßt?
Ich liebe mein Leben, weil du die Süßigfeit meined Lebens bift. Id
erblicke jest in dem Bilde, wie in einem Spiegel, das ewige Leben,
weil diefed nur das felige Anfchauen ift, mit welchem du in höchſter Zärt
lichkeit bi8 ind Innerſte meines Herzend mid zu fehen nicht aufhört.
Dein Sehen ift ein Beleben, ein beftändige® Einflößen der füßeften
Liebe zu dir, durch diefes Einflößen ein Entflammen meiner Liebe zu bir,
durh das Entflammen ein Nähren, durch das Nähren ein Anfeuern der
Sehnfuht, durch das Anfeuern ein Tränfen mit dem Thaue der Wonne,
durh das Tränken ein Einfenfen der Quelle des Lebens, durch das Eins
fenfen ein Vermehren und Andauern und ein Mittheilen deiner Unſterb—
lichkeit, ein Verleihen der unverwelflihen Glorie des himmlischen, höchſten
und größten Reiches, ein Mittheilen jener Erbſchaft, welche nur dem Sohne
gehört, ein AInbefignehmen der Seligkeit, wo der Urquell (ortus) aller
MWonnen ift, die je erftrebt werden fünnen, über welden binans etwas
Beflered nicht nur feinem Menfchen oder Engel denkbar ift, fondern auch
in feiner Weife des Seins eriftirt, denn es iſt die abfolute Größe felbft von
jedem vernünftigen Verlangen, die nicht mehr größer fein kann.
171
5.
Fortſetzung. |
D Größe der Süßigfeit, die du Denen, die Dich fürchten, vorbehalten
haft (quam abscondisti timentibus te)! Es ift ein unerfhöpfliber Schag
der vollften Freude. Deine Süfigkeit verfoften heißt in unmittelbarer Bes
rübrung (experimentali contactu) die Lieblichfeit alles Ergöglichen in feinem
Urſptunge erfaffen und den vernünftigen Grund alles Erjehnenswerthen
in deiner Weisheit erreihen. Die abfolute Vernunft, welche die Vernunft
Aller ift, fehen, heißt nichts Anderes, als dich, o Gott! geiftig verfoften,
weil du die Lieblichfeit felbft bift, das Sein des Lebend und Denkens.
Was Anderes ift daher dein Schen, o Herr! wenn du mich mit
mildem Auge anblidft, als daß du von mir gefehen wirft? Indem
vu mich fiebft, gibft du dich mir zu fehen, der du der verborgene Gott
bit (quid aliud, Domine, est videre tuum, quando me pietatis oculo re-
spicis, quam te a me videri? videndo me das te a me videri, qui es
Deus absconditus)? Niemand kann dich jehen, außer foweit du es vers
leihft, gefehen au werden, und daß du gejehen wirft, ift nichts Anderes,
ald daß du den fiehft, der dich ficht. Ich fehe an diefem deinem Bilpe,
wie gerne Du, o Herr! dein Antlig Allen zeigft, die dich juchen, denn nie
jlieeft du die Augen, nie wendeft du dich nach einer andern Eeite. Wenn
i# mich auch von dir wegwende, indem ich mich ganz nad) einem andern
Gegenftande hinwende, fo wendeft doch du deßhalb weder Auge noch
Bid. Siehſt du mich nicht mit gnädigem Auge an, fo liegt die Urfadye
in mir, weil ih mid von dir getrennt und einem andern Gegenftande,
den ih dir vorziehe, zugewendet habe. Gleichwohl wendeft du did nicht
ganz von mir, dein Erbarmen folgt mir nad, ob ich etwa wieder zu Dir
wrüffehre, um für die Gnade empfänglich zu fein... O unendliche
Liebe! Wie unglüdlich ift jeder Sünder, der dich, die Rebensader, verläßt,
und dich nicht in dir, fondern in dem ſucht, was in fih Nichts ift und
auh Nichts geblieben wäre, wenn du ihn nicht aus dem Nichts gerufen
bätteft! Wie thöricht ift, wer dich fucht, der die Güte ift, und indem er
dich fucht, won dir weicht und die Augen von dir abwendet! Jeder Suchende
ſucht doh nur Gutes; wer Gutes fucht und dabei von dir abweicht, weicht
von dem zurück, was er fucht. Jeder Sünder verirrt fi) von dir und fommt
immer weiter auf Abwege. Kehrt er aber zu dir zurüd, fo fommft du
ihm unverweilt entgegen und bevor er dich noch erblidt, wendeft du mit
Vaterliebe deine barmherzigen Augen zu ihm hin. Dein Erbarmen ift
niht8 Anderes, ald dein Sehen. Dein Erbarmen begleitet daher jeven
Menihen in feinem ganzen Leben, auf jedem feiner Schritte, wie dein
Blid Keinen je verläßt. So lange daher der Menſch Iebt, treibft du ihn
172
unaufhörlich mit füßer, innerlicher Ermahnung an, daß er von feinem Im
thume abftehe und fich zu dir fehre, um glücklich zu fein. Du, Her! biſt
der Geführte meiner Pilgerreife; wohin ich gehe, immer find deine Yugen
über mir. Dein Sehen ift dein Bewegen; du bewegft dich daher mit mir,
und hörft in deiner Bewegung nicht auf, fo fange ich mich bewege. Ruhe
ich, fo bift du bei mir; fteige ich auf eine Höhe, fo fteigft du mitz fteige
ich herab, jo fteigft au du herab: wohin ich mich wende, bift du dabei.
Du verläßt mid auch nicht am Tage der Trübſal; fo oft ich dich anrıfe,
bift du mir nahe. Denn dich anrufen heißt fich zu dir wenden; du fannit
den nicht verlaffen, der fi zu dir wendet und es kann fih Niemand zu
dir befehren, du feift denn zuvor bei ihm. Wäreſt du nicht da und wöürbeft
mich anregen, fo fenmete ich dich nicht; wie könnte ich mich alſo zu dir
wenden? Du bift alfo mein Gott, der Alles fieht, dein Sehen ift Wirken.
Du wirfft daher Alles, daher nicht und, o Herr! nicht und, fondern deinem
großen Namen, welder Yes heißt, finge ich ewiges Lob; denn ich habe
nichts, was du nicht gibft, und ich würde das, was. du gegeben haft,
nicht behalten, wenn nicht du es mir bewahrtef. Du gibft mir Alles;
du bift der allmächtige und barmherzige (pius) Gott, der uns Alles jhenkt;
der Diener, der in Allem uns dient, die erhaltende Vorfehung. Dies
Alles wirfeft du in Einem einfachen Blide. Sei gepriefen in Ewigkeit!
6.
Von dem Sehen des Antlitzes (de visione faciali).
Je länger ich dein Autlig, mein Herr und Gott! amfchaue, deſto
fhärfer fiheint dein Blick auf mir zu ruhen. Dein Anblick treibt mic zu
der Erwägung hin, daß diefes dein Abbild deßhalb im diefer ſinnlichen
Weiſe gemalt ift, weil das Antlig nicht ohne Farbe gemalt werden und
die Farbe nicht ohne Quantität fein kann. Ich fehe aber nicht mit den
fleiſchlichen Augen, die dieſes Bild anſehen, ſondern mit den Augen die
Geiftes dein unfichtbares wahres Bild, welches hier nur im unvollfoms
menen Umriffe gezeichnet ift. Dieſes dein wahres Bild ift frei von jeder
Beichränftheit, es ift nicht Quantität, nicht Qualität, nicht zeitlich und
örtlich, es ift die abfolute Form, das Antlig aller Antlige. Beachte it,
daß diefes Bild die Wahrheit und das adäquatefte Maaß aller Antlipe
ift, fo ergreift mih Staunen, Denn jenes Bild hat feine Quantität:
es ift daher weder größer noch Feiner. Es ift aber auch feinem Antlipe
gleih, weil es feine Quantität, fondern abfolut ift. Es ift daher die
Wahrheit, welche die Gleichheit ift, frei von allem Quantum. So begreift
ih, daß dein Antlig, o Herr! jedem möglichen Antlige vorhergehe, dat
Urbild und die Wahrheit aller Antlige ift und diefe alle — Abbilder von
jenem, das feine Beſchränkung und Mittheilung zuläßt. Daher ſieht jedes
173
Antlitz, welches in das deinige fchant, nichts Anderes oder von fi Vers
ſchiedenes, weil es feine MWahrbeit ſieht. Gleihwie, wohin ich immer
mein Antlig wende, dieſes dein Bild bier fih mir zuwendet, fo ift dein
Antlig allen Antligen, die dich anſchauen, zugewandt. Dein Sehen, o
Herr! ift dein Antlig. Wer daher mit liebevollem Antlige dich anſchaut,
wird auch dein Antlig nicht anders als liebreih finden und je liebreicher
er dich anſchaut, deſto liebreicher wird er dein Antlig finden. Wer dich
mit Unwillen anſchaut, wird dein Antlig gleichfalls unwillig finden; wer
freudig zu dir blict, dem wird dein Blid chen fo freudig begegnen. Wie
dem fleifchlihen Auge, wenn ed durch ein rothes Glas ſchaut, Alles roth
eriheint, bei einem grünen Glafe Alles grün, jo beurtheilt das geiftige Auge,
verbüftert durch Befchränftheit und Äußere Einwirfung (obvolutus contrac-
tione et passione), did, das Dbject des Geifted, nach der Natur dieſer
Beihränftheit und Einwirfung. Der Menſch kann nicht anders als menfc-
lich urtheilen. Wenn der Menſch dir ein Antlig gibt, fo fucht er dieſes nicht
außerhalb der menſchlichen Gattung, weil fein Urtheil in den Kreis der
menſchlichen Natur eingefchränft ift und er diefe Beichränftheit im Urtheilen
nicht ablegt. Würde ein Löwe dir ein Antlig geben, jo würde ed wie
das eines Löwen ausfallen, bei dem Adler wie das des Adlerd. D Herr!
wie wunderbar ift dein Antlig! Dem Jünglinge ift ed jung, dem Manne
männlich, dem Greifen bejahrt. Wer es verftehen wollte, müßte fi über
die Geftalten aller denkbaren Autlige hinaus erheben. Wie verfteht er es
aber, wenn er über alle Antlige, alle Aehnlichkeit derfelben, über alle Bes
griffe, die fich von dem Antlige geben laffen, über alle Farbe und Schmuck
aller Antlige fih hinaus erhebt? Wer aljo zum Sehen deines Antliges
ſich aufmacht, ift, jo lange er noch etwas begreift, noch weit von deinem
Antlige entfernt, Denn jeder Begriff, jede Schönheit bleibt weit hinter
demjelben zurüf. Dein Antlig hat Schönheit und dieſes Haben tft das
Sein, es ift die abfolute Schönheit, das bildende Princip, das jeder
Ihönen Geftalt das Sein gibt. D überaus ſchönes Antlig, deſſen Schöns
beit zu bewundern Keiner von Allen hinreicht, denen es vergönnt ift, es
anzufhauen! In allen Antlipen wird es nur verhülft (velate) und räthiel-
baft gefehen; enthüllt (revelate) erft danıı, wenn wir über alle einzelnen
Antlige eingehen in eine gewiffe geheime und verborgene Stille, wo ſich
nichts von der Wifjenichaft und dem Begriffe des Antliged findet. Denn
eben diefe Finfterniß oder Unwiſſenheit zeigt und an (revelat), bier ſei
das Antlig, erhaben über alle Verhüllung (supra omnia velamenta). So
erblict unfer Auge, wenn es das Sonnenlicht, welded dad Antlig der
Sonne ift, fehen will, diefes Licht zuerft verhüllt in den Sternen, Farben
und Allem, was am Lichte participirt. Wenn ed das Licht enthüllt fehen
will, fo geht es über alles fichtbare Licht hinaus, weil es weiß, daß, jo
174
lange es noch etwas fieht, Died nicht das Licht ift, das man nicht jehen
kann. Im Hinausgehen aber über alles fihtbare Licht ift das, was in
das Auge nun eindringt, nothwendig lichtlos und daher fo zu fagen Fin-
fterniß. Jetzt wilfen wir, daß wir dem Antlige der Sonne und genahet
haben, denn jene Dunkelheit im Auge entfieht eben aus der überaus großen
Helle des Sonnenlicht. Je größer wir alfo die Finfterniß erkennen,
defto wahrer erreihen wir in der Finfterniß das unfichtbare Licht. Ich
fehe ein, o Herr! daß ich fo und nicht anders zum ungugänglichen Lichte,
zur Schönheit und zum lange deined Antliged auf dem Wege der Ent-
hüllung gelangen kann.
7.
Von der Frucht dieſer Anſchauung des Antlitzes und wie ſie
gewonnen wird. |
Groß iſt die Wonne, mit der du, o Herr! auf diefem Wege meine
Seele nährft. Eine Unterftügung geben mir hiebei theild die Erfahrungen
dieſes Lebens, theild die willkommenen Vergleichungen, die du eingibt.
Denn da du, o Herr! jene Kraft, jenes Princip bift, aus dem Alles if,
dein Antlig jenes Princip ift, aus welchem Alles das ift, was es ift, fo
betrachte ich jeßt diefen großen und herrlihen Nußbaum, deſſen Princip
ich zu fehen wünſche. Mit dem finnlihen Auge fehe ich ihn groß und
breit, farbig, voll Zweigen, Blättern und Nüffen. Mit dem geiftigen
Auge fehe ich, daß er in dem Samen war, nicht fo wie ich ihm bier ehe,
fondern der Kraft nad (virtualiter). Ich beachte die wunderbare Kraft
dieſes Samens, in weldem der ganze Baum mit allen feinen Rüffen und
mit allem neuen Samen der Nüffe enthalten war, und ich fehe, daß dieſe
Kraft in feiner Zeit je ganz zu erfchöpfen if. Indeſſen ift die Kraft
dieſes Samens doch befchränft, weil fie nur in diefer Gattung von Nüfen
Geltung hat. So fehe ih denn die Samenkraft aller Bäume aller Gab
tungen befchränft auf jede Gattung. Mill ich daher die abfolute Kraft
aller Gefäme und ihr Princip erfennen, fo muß ich über alle Samenfraft,
die gedacht werden fann, hinausgehen und in das Gebiet jener Unwillen
heit eingehen, in welcher nichts von der Kraft des Samens zu finden if.
Dann finde ich in jener Finfterniß die ftaunenswerthe Kraft, Feiner denk
baren Kraft erreihbar, welde das Princip ift, das jeder Kraft Deflen,
was Same oder nit Same ift, dad Sein verleiht. Da dieſe abjolute
und über Alles erhabene (superexaltata) Kraft jeder Samenfraft ed ver
leiht, daß fie virtuell den Baum mit Allem, was zum Baume gehört und
aus ihm hervorgeht, in ſich faßt, fo faßt jenes Princip im Keime und
in abfoluter Weife (complieite et absolute) als Urſache Alles in fid,
was als Wirfung von ihr hervortritt (quidquid dat eflectui) ... Ich
175
erfenne baber den Baum als eine Entfaltung der Samenkraft und den
Samen ald eine Entfaltung der allmäctigen Kraft. Ich fehe ein, daß,
wie der Baum im Samen nicht Baum, fondern die Kraft ded Samens
it, fo die Kraft des Samens in ihrer Urſache, welde die Kraft aller
Kräfte ift, nicht Samenfraft, fondern abfolute Kraft if. So ift der Baum
in dir, meinem Gotte, du felbft, o mein Gott, in dir ift er die Wahrheit
und das Urbild feiner felbft (et ita est arbor in te Deo meo tu ipse
Deus meus, et in te est veritas et exemplar sui ipsius). Ebenſo tft
der Same ded Baumes in dir die Wahrheit und das Urbild feiner felbft:
für Baum und Samen bift du, o Gott! Wahrheit und Vorbild. Du
bit die Natur aller Naturen. O Gott! wohin haft du mich geführt,
daß ih mun fehe, dein abfoluted Antlig fei dad matürliche Antlig jeder
Natur, die abfolute Wefenheit alles Seins, die Kunft und Wiffenfchaft
alles Wiſſens. Wer alfo dein Antlig zu fehen verdient, fieht Alles ent-
hüllt und nichts bleibt ihm verborgen. Alles weiß und Alles hat, o Herr!
wer dich hat, Alles hat, wer dich fieht, denn Niemand fieht dich, der dic
nicht hat, Niemand kann fi dir nahen, weil du unnahbar bift. Niemand
faßt dich, es fei denn, du ſchenkeſt dich ihm. Wie habe id did, o Herr!
da ich nicht würdig bin, vor deinem Antlige zu erfcheinen? Wie fol mein
Gebet zu dir gelangen, da du auf jede Weife unzugänglich bift? Wie joll
ib did verlangen (quomodo petam te)? Denn was ift ungereimter, als
in verlangen, daß du dich mir fchenfeft, der du Alles in Allem bift? Und
wie wirft du dich mir geben, wenn du mir nicht zugleich
Himmel und Erde und Alles, was in ihnen tft, gibft?
Sa, wie wirft du dich mir geben, wenn du nicht mich felbft
mir gibft? Indem ich fo in der Stille der Betrachtung ruhe, ſprichſt du,
o Herr! in mein Herz hinein zu mir: Sei du dein eigen und id
werde bein eigen fein (sis tu tuus, et ego ero tuus)! D Herr!
du Wonne aller Süßigfeit, du haft ed ganz in meine Freiheit gelegt, daß
id, wenn ich will, mir angehöre. Gehöre ich daher nit mir an: fo
gehörſt auch du nicht mir; denn du möthigft die Freiheit, da du
nicht mir gehören fannft, wenn ih nicht mir gehöre. Weil
du jedoh Died ganz in meine freie Wahl gelegt haft, fo
nötbigft du mich nicht, fondern erwarteft, daß ich ed er
wähle, mir felbft anzugehören. (O Domine, suavitas omnis
dulcedinis, posuisti in libertate mea, ut sim, si volam, mei ipsius.
Hine nisi sim mei ipsius, tu non es meus; necessitas enim libertatem,
cum ta non possis esse meus, nisi et ego sim mei ipsius. Et quia
hoc posuisti in libertate mea, non me necessitas, sed exspectas, ut
ego eligam mei ipsius esse). Von mir hängt es alfo ab, nicht von
dir, o Herr! weil du deine große Güte nicht einfchränfeft, fondern auf
176
das Reichlichfte über alle Empfängliche ausgießeft. Und beine Güte, das
bift du, o Herr! Wie gehöre ich aber mir an, wenn du, o Herr! mic
nicht belehrft ? Das ift deine Lehre, daß der Sinn der Vernunft gehorde
und die Vernunft herrſche. Dient der Sinn der Vernunft, dann gehöre
ih mir ſelbſt an. Allein die Vernunft wird durch nichts Anderes gebildet,
als durch did, o Herr! der du das Wort und die Vernunft aller Vers
nunft bift. Ich erkenne nun: wenn ich dein Wort höre, das in mir un
aufhörlich redet und beftändig in meiner Vernunft leuchtet, fo bin ich mein
eigen, frei, fein Sklave der Sünde, und du gehörft mir, gibft mir zu
jehen dein Antlig und ich bin glückſelig. — Geprieſen ſeieſt du daher,
o Gott! in deinen Gaben, der du allein im Stande bift, meine Seele zu
tröften und zu der Hoffnung aufzurichten, dich zu erreichen und zu genießen,
als ihre eigenthümliche Gabe (ut suo proprio dono) und ald den unend-
lihen Schag alles Wünfcenswerthen.
8.
Das Sehen Gottes ift Lieben, Verurſachen (causare), Leien
und Alles in fid faſſen.
Mein Herz ruht nicht, o Herr! weil deine Liebe es mit folder
Sehnfucht entflammt hat, daß es nur in dir ruhen fann. Ich babe an
gefangen, das Gebet des Herrn zu beten und du haft ed mir eingegeben
zu beachten, daß du unfer Vater bift. Dein Lieben ift dein Sehen,
deine Vatergüte ift dein Schauen, das und Alle väterlih umfaßt; denn
wir fagen: Vater unfer. Du bift der Vater Aller und jedes Einzelnen.
Mer da fagt: Du bift unfer Bater, die väterliche Liebe, der begreift dar
unter alle und jedes deiner Kinder, denn der Vater liebt in der Art
alle Kinder, daß er jedes einzelne liebt, weil er infofern der Water aller
ift, al er der Vater jedes Einzelnen if. So liebt er ein jedes feiner
Kinder, daß jedes fih allen andern vorgezogen glaubt. Biſt du alle
der Vater und unfer Vater, fo find wir deine Kinder. Die Liebe dei
Vaters fommt aber der der Kinder zuvor. So lange wir deine Kinder
find und dich als Kinder anfhauen, hörft auch du nicht auf, und mil
väterlibem Blicke anzuſchauen. Du bift daher unfer väterlicher Verforger
« (provisor noster paternus), und haft für und eine wäterliche Sorgfalt.
Dein Sehen ift Vorfehung. Geben wir, deine Kinder, dich, den Valer,
auf, fo find wir nicht mehr deine Kinder, und nicht mehr freie Kinder
in unferer Gewalt, fondern wir ziehen in ein fernes Rand, indem wir und
von dir trennen, und gerathen in eine harte Knechtſchaft, unter einen
Fürften, der dein Feind if. Doch du, o Water! der du wegen MT
uns verliehenen Freiheit, weil wir deine Kinder find, der du bie Frei
heit felbft bift, und zwar abirren (quanquam sinas nos abire) und die
177
Freiheit und das große Vermögen in den fchlechten finnlichen Lüften ver-
ihren laͤſſeſt, verläffeft und doch nicht ganz, fondern bift in beftändiger
Anregung und nahe, redeft in und und rufft und zu dir zurüd, bereit,
immer und mit dem ewigen VBaterauge wieder anzuſchauen, wenn wir
jurüdfehren und zu dir und wenden. D guter Gott! blide auf mich,
der ih im Zerfnirfhung aus der elenden Eflaverei, der ſchmutzigen Luft
der Schweine, im der ich vor Hunger verfhmachtet, jegt zurüdfehre, um
in deinem Haufe mich wieder zu fättigen. Nähre mih, o Herr! mit
deinem Anblide und lehre mih, daß dein Blick jeden Blid des Sehen:
den und alled Sichtbare, jeden Act ded Sehens, jede Sehfraft, jede
Ähtbare Kraft und Alles, was aus allem dem entfteht, fehe. Denn
dein Sehen ift Verurſachen, du fiehft Alles, der dur Alles verurs
ſachſt. Lehre mih, o Herr! daß du mit Ginem Blide zugleih uns im
Einzelnen (simul et singulariter) unterſcheideſt. Sclage ih ein Bud
sum Leſen auf, fo fehe ich verworren die ganze Seite. Wil ih nun die
einzelnen Buchftaben, Sylben und Worte umterfcheiden, fo muß ich mid
der Reihe nach zum Einzelnen hinwenden, ih fann nur fucceffiv einen
Buhftaben, Wort, Sag nad dem andern Iefen. Du aber, o Herr! fichft
und liejeft zugleich das ganze Buch ohne Zeitmaaß. Leſen zwei zugleich,
der Eine fchneller, der Andere langfamer, fo ſiehſt du zugleich mit Bei—
den und fcheinft zeitlich zu lefen, weil du mit den Lefenden lieſeſt, ſiehſt
aber Alles über aller Zeit und liejeft daher zumal (simul). Denn dein
Schen ift dein Lefen. Alle gefchriebenen oder noch zu fchreibenden Bücher
bat Du zugleih und Einmal (simul et semel) frei von allem Zeitverzug
von Ewigkeit zugleich gefehen und gelefen und dabei (cum hoc) liefeft du
fe mit allen Lefenden der Zeit nad (seriatim). Auch lieſeſt du nichts
Anderes in der Ewigkeit und Anderes in der Zeit zugleich mit den Lefern,
ſondern Ein und Dasfelbe, da du dich immer auf diefelbe Weife verhältft,
der du nicht veränderlich bift, fondern die feftftehende (fixa) Ewigtfeit.
Da aber die Ewigfeit die Zeit nicht verläßt, fo fcheint fie fih mit der
Jeit zu bewegen, obſchon die Bewegung in der Ewigfeit Ruhe ifl. —
Herr! du fiehft und haft Augen. Du bift daher das Auge, weil bein
Haben dein Sein iſt; du fchaueft daher in dir felbft Alles. Wäre in
mit dad Schen Auge wie in dir, mein Gott! jo würde ih in mir Alles
hen, weil das Auge ein Spiegel ift und ein noch fo Heiner Spiegel in
Rh im Bilde einen großen Berg fammt deſſen ganzer Oberfläche ſieht.
Die Geftalten von Allem find in dem Epiegel des Auges. Weil aber
unfer Blick mittelft de8 Auges als Spiegel nur den einzelnen Gegenftand
Recht, dem er fich zumendet, da feine Schfraft durch das Object determis
nirt iſt, ſo ficht er nicht Alles, was der Spiegel des Auges I erfafjen
Sqarpif, Nie. v. Cuſa.
178
vermag. Dein Blid aber, der ein lebendiger Spiegel tft, fieht in ſich
Alles, ja, weil er die Urfache alles Sichtbaren ift, fo erfaßt und erſchaut
er Alles in der Urfahe und dem Grunde von Allem, d. i. in ſich ſelbſt.
Dein Auge, o Herr! reicht ohne Hemmung (sine flexione) zu Allem,
Denn daß unfer Auge durd die Objecte feine Richtung erhält, rührt
daher, weil unfer Blick nur durch einen quantitativen Winfel (per an-
gulum quantum) fieht, dein Augenwinfel aber, o Gott! iſt nicht ein
quantitativer, Sondern ein unendlicer, er ift ein Kreis, ja die unendliche
Sphäre; dein Blick ift das Auge des unendlihd Sphäriſchen und Boll
fommenen. Gr ficht daher im Umfreife, nah Oben und Unten, Alles
zugleih. O wie bewunderungswürdig ift dein Blick, welder Beos if
für Alle, die ihn erforſchen! wie ſchön und liebenswürdig für Alle, die
dich lieben! wie erfchredfih für Alle, die dich, mein Gott und Her!
verlaffen! Durch deinen Blick, o Herr! belebft du jeden Geift, erfreueit
jeden Glücklichen, verfheucheft jede Traurigkeit. So blide denn mit
Barmherzigkeit auf mich herab, und meiner Seele ift Heil widerfahren!
9,
Gottes Sehen ift univerfell und particulär zugleid. Vom
Wege zur Anfhauung Gotted.
Ich ftaune, o Herr! daß in deiner Sehkraft, der du zugleich Alle
und Jeden fiehft, wie diefes Gemälde zeigt, das Univerfelle mit dem Ein
zelnen coineidirt. Ich erkenne aber, daß meine: Vorftellung darım nidt
begreift, wie diefes vor ſich geht, weil ich in meiner Sehfraft dein Echen
zu erfennen fube. Da nun diefes nicht an das Ginnenorgan wie das
meinige gebunden ift, fo täufcht mich mein Urtheil. Dein Sehen, o Her!
ift deine Weſenheit. Faſſe ich num die Menfchheit, die in allen Menſchen
die Eine und einfach ift, ind Auge, fo finde ich fie in allem und jeden
Menſchen. Obwohl fie an ſich weder eine orientalifhe, noch vccidenta
liſche, weder eine ſüdliche noch nördliche ift, fo ift fie doch in den Driem
talen im Driente, in den Deciventalen im Occidente. Ebenſo gehört
Bewegung und Ruhe nicht zum Weſen der Menfchheitz fie bewegt fid
jedoch in den Beweglihen, ruht mit den Ruhenden und fteht mit den
Stehenden zugleih und auf Einmal in dem gleihen Moment, weil die
Menfchheit die Menfhen nicht verläßt, fie mögen fi bewegen oder nidt,
fhlafen oder ruhen, Verhält es ſich nun bei der Natur der Menfchheit,
welche beihränft ift und außer der Menfchenwelt fi nicht vorfindet, der
Art, daß fie einem Menfchen nicht mehr innewohnt ald dem andern, und
einem fo vollfommen, als wäre fie in feinem andern, fo gilt dies in weit
höherem Grade von der unbefchränften Menfchheit, welche das Vorbild
und die Idee, das Geftaltende und die Wahrheit ver befchränften menſch⸗
179
lichen Natur iſt. Sie fann die beichränfte Menfchheit in den Individuen
nie verlaffen, denn fie ift das Geftaltende, das der Natur ald Form das
Sein gibt. Die fpecififbe Form kann demnach ohne fie nicht fein, da
jene fein Sein für fih hat; fie ftammt von ihr, die durch fi ift, ehe
nob eine andere war. Jenes Geftaltende alfo, was der Species das
Sein gibt, ift die abfolute Form, und das bift du, o Gott! der Schö—
pfer (formator) Himmeld und der Erde und des ganzen Univerfums,
Sche ich alfo auf die befchränfte Menfchheit und durch fie auf die abſo—
inte, indem ich im Beichränften das Abfolute, wie in der Wirfung die
Urfade und im Abbilde die Wahrheit und das Urbild fehe, dann trittft
Du mir entgegen, o mein Gott! als das Urbild aller Menſchen, als der
Menfb an fib (homo per se), das ift, der abfolute Menfh. Wende
ib mich in ähnlicher Weife in allen Gattungen zur Geftalt aller Geftalten,
ſe begegneft Du wieder mir in allen als deren Idee und Urbild. Weil
das abjolute und einfachfte Urbild — biſt du nicht zufanmengefegt aus
mehreren Urbildern, fondern Ein einfachites Urbilv, unendlich, fo daß du
von Allem und Jedem, was ſich geftalten läßt, das wahrfte und adäquas
teite Urbild biſt. Du bift fomit die Wejenheit der Wefenheiten und gibft
der endlichen Wefenheit dasjenige Sein, das fie hat. Außer dir, o
Gott! kann alfo nichts fein. Wie deine Weſenheit, fo durchdringt alfo
auch dein Sehen, das deine Wefenheit ift, Alles. Wie nichts von
Allen, was ift, feinem eigenen Sein entfliehen fann, fo auch micht deiner
Weienheit, welde die MWefenheit Allem verleiht, fomit auch nicht deinem
Vlicke. Alles und Jedes fiehft du daher, o Herr! zugleich, du bewegft
dich mit Allem, was ſich bewegt, und fiehft mit den Etiflftehenden.
Wenn Einige ſich bewegen, während Andere ftehen bleiben, fo ftehft du,
o Herr! und bewegft dich zugleich, du fchreiteft voran und ruheft zus
gleich. Denn wenn fih Bewegung in der Zeit zugleich mit der Ruhe in
verfhiedenen Perfonen nur in befchränfter Weife findet, und nichts außer:
halb dir fein kann, fo ift auch Bewegung und Ruhe nicht außerhalb dir;
Allen bift du zugleih und Einmal und Jedem in der Ganzheit nahe,
o Herr! Indeſſen haft du feine Bewegung und Ruhe, weil du hoch—
ababen (superexaltatus) und frei von Allem bift, was fi denfen oder
ausſprechen läßt. Du ſtehſt und wandelft und zugleich ftehft und wan-
delt du nicht; das zeigt mir dieſes Gemälde Deines Angefihts. Denn
wenn ich mich bewege, jo fcheint fein Blick ſich zu bewegen, weil er mic
nicht verläßt. Steht ein Anderer, der das Bild betrachtet, während ich
mih bewege, ſtill, ſo verläßt auch diefen der Blick nicht, fondern er bleibt
mit {hm unbeweglich. Indeſſen kann es dem abfoluten Antlige nicht zus
fommen, daß e8 unbeweglich fei oder fih bewege, meil es über alles Uns
bewegliche und alle Bewegung in der einfachften und abfoluteften Unendlich»
12°
180
feit fich befindet; erſt nach biefer Unendlichkeit beginnt Bewegung und Rube,
Gegenſatz, Begriff und Wort. Ich fehe daraus, daß ich nothwendig in
die Finfterniß eingehen und die Coincidenz der Gegenfäge zugeben muß,
über alles Erfaffen des Verſtandes hinaus, und die Wahrheit da ſuchen,
wo die Unmöglichkeit mir entgegentritt. Wenn ih dann felbft über vie
höchfte Erhebung der Bernunft hinaus zu dem gelange, was von jeder
Vernunft unerkannt ift, was jeder Geift als die größte Entfernung von
der Wahrheit anfiebt, dann finde ih dich, mein Gott! der du die ab-
folute Nothwendigkeit bift. Und je mehr jene dunkle Unmöglichkeit als
dunfel und unmöglich erfannt wird, defto wahrer leuchtet die Nothwendizg—
feit, defto weniger verhüllt ift fie nahe. Daher danfe ich dir, mein Gott!
daß du mir offenbarft, es gebe feinen andern Weg, dir zu nahen, ald
eben den, welcher allen Menſchen, auch den gelehrteften Philofophen, gan
unzugänglih und unmöglich erfcheint, weil du mir gezeigt haft, du fün
neft nirgendswo gefehen werben, als wo die Unmöglichfeit mir entgegen
tritt. Du, o Herr! der du die Nahrung für große Geifter bift (qui es
cibus grandium), haft mich ermuthigt, mir felbft Gewalt anzuthun, weil
die Unmöglichkeit mit der Nothwendigfeit coincidirt. Hier habe id; die
Stelle gefunden, wo du geoffenbart gefunden wirft; fie ift umzäunt mit
der Goincidenz der Gegenfüge. Das ift die Mauer des Paradiefes, In
dem du wohnft. Seine Pforte bewacht der ftolze Verſtand. Wird dieler
nicht beftegt, jo öffnet fih das Thor nicht zum Eingange. Alſo nur
jenſeits der Coincidenz der Gegenfäge fannft du gefchaut werden, diedjeitd
derjelben in Feiner Weife. Iſt die Unmöglichkeit die Nothwendigkeit, jo it
in deinem Blide, o Herr! nichts, was dein Blick nicht fehe.
10,
Gott wird jenfeits der Goincidenz der Gegenfäge erfannt.
Sein Sehen ift Sein.
Ich ftehe vor dem Bildniſſe deines Antlitzes, mein Gott! das ich mit
finnfihen Augen anſchaue. Ich beftrebe mich, mit inmern Augen die
Wahrheit anzufchauen, die in dem Gemälde angedeutet if. Da drängt
es fi) mir auf, wie Har dein Blik rede. Denn dein Reden ift nicht
Anderes ald dein Sehen, da fie in dir, der abfjoluten Einfachheit, nicht
real differiren. Sch erkenne es flar, daß du zugleih Alles und Jedes
fiehft, weil ich, wenn ich predige, zugleich und auf Einmal zu der verfam
melten Gemeinde rede, indem ich zu Allen in der Kirche ein und dasſelbe
Wort und in diefem Einen Wort zu Jedem rede. Was für mid die
Kirche ift, das iſt für dich, o Herr! die ganze Welt und jede Greatur,
die ift oder fein fan. So fprichft du zu Jedem, und Die, zu denen du
181
ſprichſt, fiehft du.) O Herr! höchſter Troft aller auf dich Hoffenden,
du gibft mir ein, daß ich dich durch mid liebe! denn du haft mir ein
Antlig nach deinem Belieben gegeben. Alle, denen ich predige, jehen es
einzeln und zugleich, fo ywoie Jeder mein Mort hört. Ich aber Fann nicht alle
Redenden zugleich unterfcheiden, hören oder fehen, fondern nur Einen nad
dem Andern. Hätte ich aber eine foldhe innere Kraft, daß Gehörtwers
den und Hören, Geſehenwerden und Sehen, Reden und Hören coineidirten,
wie fie bei dir, der höchften Kraft, coincidiren, fo würde ich Alle und Jeden
zugleich hören und fehen. Wie ich mit Jedem zugleich reden könnte, würde ich
auch Aller und eined Jeden Antworten in demfelben Momente hören und
ſehen. Ich beginne daher an der Thüre der Coincidenz der Gegenfäge, die
der Engel bewacht, der am Eingange des Paradieſes aufgeftellt ift, did, o
Herr! zu fehen. Dort bift du, wo Reden, Sehen, Hören, Verfoften, Berühren,
Denken, Wiffen und Einfehen Ein und Dasfelbe find, wo Schen coincidirt mit
Beiehenwerden, Hören mit Gehörtwerden, Berkoften mit Verkoftetwerden,
Berühren mit Berührtwerden, Reden mit Hören, Schaffen mit Reden. Würde
ih aljo ſehen, wie ich fihtbar bin, jo wäre ich feine Ereatur. Und wenn
du, 0 Gott, nicht fehen würdeft, wie du fihtbar bift, fo wäreft du nicht
der allmächtige Gott. Bon allen Greaturen fannft du gejehen werden
(ab omnibus creaturis es visibilis) und Alle fiehft du: dadurd, daß du
Ale fiehft, wirft du von Allen gefehen. Anders fünnen die Greaturen
nicht fein: durch dein Sehen find fie. Würden fie nicht dih den Su
benden ſehen, fo hätten fie von dir fein Sein: das Sein der Ereatur iſt
dein Sehen und Gejehenwerden zugleih. Du redeft durd dein Wort
u Allem, was ift und rufft ins Dafein, was nicht iſt. . . Du redeft
wur Erde und berufft fie zur menihliben Natur. Und es hört dich Die
Erde und Diefes ihr Hören ift das Werden des Menſchen. Du redejt
um Nichts, als fei ed Etwas und rufit ed zum Etwas, und das Nichts
hört di, weil Etwas wird, was nicht war. O unendlide Kraft! dein
Denken ift Reden; du denkt den Himmel und er ift, wie du ihn denfft,
die Erde und fie ift, wie du fie denfit. — Doch, zum Verwundern bift
du, mein Gott! Du redeft und denkſt Einmal; wie fommt ed denn, daß
nicht Alles zumal, fondern Vieles fucceffiv da ift? Wie fommt fo Ber
Ihiedenes aus Ginem Gedanfen? An die Echwelle der Thüre bingeftellt
erleuchtet du mich mit der Einfiht: dein Gedanke ift die einfachfte Ewigfeit
ſelbſt. Nun fann aber nichts werden nach der einfachften Gwigfeit (ni-
hil est autem possibile fieri post aeternitatem simplieissimam). Daher
umgibt die unendlihe Dauer = Ewigkeit alled Nadeinander (omnem
1) Der Tert, et ea quibus loqueris vides, fcheint corrupt zu fein. Analog dem
doransyehenden ; singulis loquor muß es wohl heißen: et eos, quibus loqueris, vides.
182
successionem). Was und daher ald Naceinander erfcheint, ift keineswegs
nad (post) deinem Gedanfen, der die Ewigfeit felbft if. Dein einiger
Gedanke, welcher dein Wort ift, umfaßt (complicat) Alled und Jedes in
fi, dein einiges Wort fann nicht vielfach, entgegengefeßt, veränderlich fein.
So fehe ih denn, o Gott! daß Nicht nach (post) deinem Gedanfen ift;
Alles ift, weil du es denfft, du denfft ed aber in der Ewigfeit, das Nach—
einander in der Ewigfeit ift die Ewigkeit ohne Naceinander, dein Wort
ſelbſt, Herr und Gott! Ein Ding, das und zeitlich erfcheint, Haft du
nicht eher gedacht, ald e8 ift. Denn in der Gwigfeit, in der du bdenfit,
coineidirt alles Naceinander der Zeit mit dem Jetzt der Ewigkeit. Es
gibt daher feine Vergangenheit oder Zufunft, wo Zufunft und Vergangenheit
mit der Gegenwart coincidiren; daß aber Dinge in diefer Welt früher
oder fpäter eriftiren, rührt daher, weil du dieſe Dinge früher nicht ale
Stiende gedacht haft. In weflen Gedanken ein Vorher und Nachher
vorfommt, jo daß er zuerft dad Eine denft und nachher ein Anderes, ber
it nicht allmächtig. Weil nun du der allmädtige Gott bift, fo bift du
innerhalb der Mauer im PBaradiefe. Die Mauer ift die Coincidenz des
Spätern mit dem Frühern, wo das Ende coincidirt mit dem Anfange, wo
a und o Dagfelbe find. Immer find daher die Dinge, weil du fagft, daß
fie feien, und fie find nicht eher, weil du es nicht eher fagft. Wenn ich leſe,
Adam habe vor fo vielen Jahren gelebt und heute fei ein folcher (Adam
d. i. Menfch wieder) geboren worden (et hodie talem natum), fo fheint
ed unmöglich, daß Adam damals Iebte, weil du ed damald gewollt haft
und daß ein folder uns in gleicher Weiſe heute geboren wurde, weil du «6
jest gewollt haft, und daß du gleichwohl nicht früher gewollt Haft, daß ein
Adam fei, als bis der jehige geboren wurde. Allein was unmöglid
fcheint, ift die Nothwendigfeit felbft; denn Jegt und Damals find erft nad
(post) deinem Worte. Daher begegnen fie dem, der fi dir naht, in
der Mauer, die den Ort umgibt, wo du in der Coincidenz (der Gegenläge)
wohnft; denn Jetzt und Damals coincidiren im Umfreife der Mauer ded
Paradiefed. Du aber, o mein Gott! lebft und redeft über dem Jept und
Damals hinaus, denn du biſt die abfolute Ewigfeit.
11.
In Gott ift ein Naheinander ohne Nacheinander (quod videtur
in Deo successio sine successione).
Ich empfinde deine Güte, o mein Gott! die mich armen Sünder nicht
nur nicht verachtet, fondern mit einer gewiffen Sehnſucht füß entzüdt. Du
haft mir über die Einheit des geiftigen Wortes oder Begriffes von dir
und deffen Verſchiedenheit in der ſucceſſiven Erſcheinung ein paffendes Bild
eingegeben: der einfache Begriff einer guten Uhr ift mir ein Fingetzeig—
183
der mich zur tiefen Erkenntniß deines Begriffes und Wortes fortführt.
Der einfache Begriff einer Uhr faßt alles zeitliche Nacheinander in fic.
Iſt num die Uhr der Begriff, jo hören wir, wenn wir gleich den Schall
des Schlages Sechs vor dem Echlage Sieben vernehmen, dod den Schlag
Sieben nicht bälder, ald e8 der Begriff der Uhr gebietet; Sechs Uhr ift
nicht eher im Begriffe, ald Eichen oder Acht Uhr, fondern in tem Einen
Begriffe der Uhr ift feine Stunde früher oder jpäter als die andere, wies
wohl die Uhr eine Stunde nie bälder jchlägt, ald wenn es ihr Begriff
gebietet.. Da nun die Uhr in Gott der Begriff desfelben ift, fo ſehen
wir einigermaßen, wie dad Nadeinander der Uhr ohne Nacheinander im
Worte oder Begriffe Gottes ift, wie in diefem einfachen Begriffe alle Ber
wegungen und Töne und alles empiriiche Nacheinander begriffen find, und
wie alled Naceinander nicht über den Begriff hinausfommt, fondern eine
Entfaltung desſelben ift, fo daß der Begriff einem Jeden das Sein gibt -
und daher nichtd früher war, ehe ed wird, weil es vorher nicht als Seins
follende® begriffen war. Denfen wir und den Begriff der Uhr als die
Ewigfeit felbjt, jo ift die Bewegung in der Uhr das Naceinanver. Die
Ewigkeit begreift und entfaltet daher das Nacheinander.
Gepriejen feift du, mein Herr und Gott! der du mich mit der Milch
des SHeichniffed nähreft und fpeifeft, bis du mir ftärfere Nahrung reicheſt.
Führe mic, mein Gott und Herr! auf diefen Wegen zu dir! Wenn du
mich nicht führeft, kann ich bei der Hinfälligkeit der vergängliden Natur
und dem zerbrechlihen Gefäße, das ich umhertrage, auf dem Wege nicht
aushalten. Im Vertrauen auf deine Hülfe, o Herr! fomme idy wieder,
um dich über der Mauer der Coincidenz, über dem Begriffe und feiner
Entfaltung (ultra murum coincidentiae complicationis et explicationis)
zu finden, und indem ich durch diele Thüre deines Begriffes und Wortes
eins und ausgehe, finde ich die füßefte Weide. Finde ih did, als die
Alles entfaltende Kraft, fo gehe ih aus; finde ich dich ald die Alles in
fih begreifende und aus fich entfaltende Kraft, fo gehe ich ein und aus
zugleich. Ich gehe ein, von den Geſchöpfen zu dir dem Echöpfer, von den
Rirfungen zur Urſache; ich gehe aus, von dir dem Schöpfer zu dem Ger
Ihöpfe, von der Urſache zur Wirkung. Ich gehe ein und aus zugleich,
wenn ich erkenne, daß dad Ausgehen zugleih ein Eingehen und das
Eingehen zugleich ein Ausgehen if. Das Ausgehen der Ereatur von
dir it ihr Eingehen in dich und das Entfalten ift ein Inſichfaſſen.
Wenn ich did, o Gott! im Paradieſe fehe, welches von der Mauer der
Koincidenz der Gegenfäge umgeben ift, fo fehe ich, daß du weder zufammens
faffeft noch entfalteft, weder disjunctiv noch copulativ; denn das Disjuncs
tive, wie die Verbindung, ift die Mauer der Goincivenz, über welder
hinaus du eriftirft, abfolut fern von Allem, was ſich jagen oder deufen läßt.
184
12.
Gott wird unfihtbar gefehen und unerjhaffen erjhaffen
(quod ubi invisibilis videtur, increatus creatur).
Du bift mir, o Herr! als unfichtbar von jedem Geſchöpfe erſchie—
nen, weil du der verborgene, unendliche Gott bif. Die Unendlichkeit ift
aber in jeder Weiſe des Begreifens unbegreiflid. Dann erjcienft du
mir ald von Allen fihtbar, weil ein Ding infoweit ift, ald du es ſiehſt,
und es wäre micht woirflih (actu), wenn es nicht dich fühe; denn
dein Sehen gibt das Sein, weil ed deine Wefenheit if. So bift du,
mein Gott! unfichtbar und fichtbar zugleih: unfichtbar, foferne du biſt
(uti tu es), fichtbar, fofern die Greatur ift, welche infoferne ift, als fie
dich fieht. Du wirft alfo, mein Gott! unfihtbar von Allen gefehen und
in jedem Blide (in omni visu) gefehen. Durch jeden Sehenden, in allem
Eihtbaren, in jedem Acte des Sehens wirft du gefehen, der du unfichtbar,
abfolut und ins Unendliche hocberhaben bift. Ich muß alfo, o Herr, jene
Mauer des unfihtbaren Sehens überfteigen, wo du alsdann gefunden
wirft. Diefe Mauer ift: Alles und Nichts zumal. Denn du, der du
mir erfcheinft, als feieft du Alles und zugleih Nichts von Allem, wohneſt
innerhalb jener erhabenen Mauer, welche fein Verſtand durch feine
eigene Kraft überfteigen fann. Zumeilen legt fi) mir der Gedanke nahe,
dur feheft in dir Alles, gleich einem lebendigen Spiegel, in welchem Allee
fih abfpiegelt. Weil aber dein Sehen Wiſſen ift, fo denke ich hinwieber,
dur feheft nicht in dir Alles, gleich einem lebendigen Spiegel, weil ſonſt
dein Wiffen aus den Dingen entftünde. Dann fommft du mir vor, du
feheft in dir Alles, wie eine fich feldft anfchauende Kraft; gleichwie Die Kraft
des Samens des Baumes, Fönnte fie fich ſelbſt befchanen, im fich ben
Baum in feiner Kraft anfhauen würde, weil die Kraft ded Samens der
Baum in der Potenz (virtualiter) if. Alsdann fümmt ed mir vor, ale
feheft du dich nicht und in dir Alles, ald Krafl. Denn den Baum in
der Potenz fehen, ift etwas Anderes, ald das Anfchauen des Baumes in
der MWirflichfeit (in actu). So finde ih denn, daß deine unendliche Kraft
über die MWeife ded Epiegeld und des Samens, über die Coincidenz des
Ausftrablens und Reflectirens, der Urfahe und des Verurſachten hinaus
geht, weil jene abfolute Kraft das abfolute Sehen (visio absoluta) iſt,
die Vollkommenheit felbft, höher ald alle Arten des Schens; denn alle
Arten, welche die Vollfommenheit des Sehens darftellen wollen, find ohne
Art, dein Sehen, das deine Weſenheit ift, mein Gott!
Doch Taf, gütiger Gott! dein geringes Geſchöpf noch weiter mit
dir reden!
Wenn dein Sehen dein Erfhaffen ift, und bu nichts Anderes ald
185
dich fiehft, fo daß du felbft dad Object deiner felbft biſt (denn du bift
der Sehende, das Eichtbare und das Eehen), wie erfhaffft du dann
Dinge, die etwas Anderes find, als Du? denn du fcheinft offenbar
di felbit zu erfchaffen, wie du dich felbft ſiehſt. Doch du tröfteft mic,
Leben meined Geiftes! denn wenn ſich mir auch die Mauer des Mider-
finnigen entgegenftellt, nämlich der oincivenz des Erfhaffens mit dem
Erihaffenwerbden (gäbe man diefe zu, jo bieße Died behaupten, ein Ding
fei, bevor es ift; denn wenn Gott Etwas erichafft, fo ift es, und ift nicht,
weil es erfchaffen wird), fo fehe ih darin doch Fein Hinderniß: denn dein
Schaffen ift dein Sein. Zugleich erfhaffen und erfchaffen werden heißt
nihts Anderes, als dein Sein Allen mittheilen, fo daß du Alles
in Allem bift und doch von Allem frei und fosgelößt (nec est aliud
creare pariter et creari, quam esse tuum omnibus communicare, ut sis
omnia in omnibus, et ab omnibus tamen maneas absolutus). Denn
ind Leben rufen, was nicht ift, heißt das Sein dem Nichts mittheilen
(est communicare esse nihilo), So tft das (ind Leben) Rufen ein
Erfhaffen, das Mittheilen ein Erſchaffenwerden (sic vocare
est creare, communicare est creari). Ueber diefe Coincidenz des Erfchaffens
mit dem Erfchaffenwerden hinaus bift du der abfolute und unendliche Gott,
weder erihaffen noch erfhaffbar (ereabilis), wiewohl Alles das ift, was
es ift, weil du biſt. O Höhe des Reichthums, wie unbegreiflic bift du!
So lange ich den Schöpfer als jchaffend denke, bin ich noch diesſeits der
Mauer des Paradiefes. So lange ich den Echöpfer als erfchaffbar denke,
bin ich noch nicht eingegangen, fondern noch auf der Mauer. Wenn ich dic
aber als die abfolute Unendlichkeit erfenne, der weder der Name des fchaf-
fenden Schöpfer noch des erfhaffbaren Schöpfers zufommt, dann fange
id dich enthüllt zu jchauen an und beginne in den Urfprung der Wonne
einzugehen, weil du nichts von dem bift, was fich fagen oder denfen läßt,
ſondern abfolut und unendlich über al Das erhaben. Du bift alfo micht
Schöpfer, fondern mehr als Schöpfer, in's Unenvliche, obwohl ohne dic
nichts geſchieht oder geſchehen Fann.
Dir ſei Lob und Ehre in alle Ewigkeit! Amen.
13.
Gott wird als die abfolute Unendlichkeit erfannt.
Mein Herr und Gott! Hülfe der dich Suchenden! ich fehe dih im
Urfprung des Paradiefes und weiß nicht, was ich fehe, weil ich nichts
Sichtbares ſehe; ich weiß nur das allein, daß ich weiß, ich wiffe nicht,
was ich fehe und könne es nie willen; ich weiß dich micht zu benennen,
weil ih nicht weiß, was du bift. Und fagte mir auch Jemand, dies
Oder jenes fei dein Name, fo weiß ih gerade daraus, daß er einen Namen
186
angibt, daß dies nicht dein Name if. Denn jegliche Bezeichnung durch
Namen ift die Mauer, über welche hinaus ich Dich fehe.. Gibt Jemand
einen Begriff an, dur den du begriffen werden magſt, fo weiß ic, daß
dies nicht der Begriff von dir iftz denn jeder Begriff hat feine Schranke
innerhalb der Mauer des Paradieſes. Auch von jedem Bilde und Gleid,
niffe, nad dem du zu denfen wäreft, weiß ich, daß es nicht dein Bild
ift. Auch jede Vernunfterfenntniß Cintellectus) ift noch weit von bir ent
fernt. Eine hohe Mauer trennt dih von allem Dem. Erhebe ich mid
daher fo hoch als möglich, jo fehe ih dich als die Unendlichkeit.
Daher bift du ungugänglic, unerfaßbar, unnennbar, unfibtbar. Wer dir
ih nahen will, muß über alle Begriffe, Grenze und Begrenztes fid er
heben. Der Geift muß unwiſſend (ignorantem) werden und in's Dunfle
ſich ftellen, wenn er dich fehen will. Was ift aber dieſe Unwiſſenheit
des Beiftes? Iſt es nicht die gelehrte Unwiſſenheit (docta igno-
rantia)? Es kann fich alfo dir, mein Gott! der du die Unendlichfeit bif,
nur derjenige nahen, welder weiß, daß er dich nicht fenne (qui scit se
ignorantem tui). Du, mein Gott! bift die abſolute Unendlichkeit,
von der ich erkenne, fie fei das unendliche Ende, allein ih vermag «8
nicht zu faflen, wie das Ende ein Ende ohne Ende ift. Du bift, o Gott!
das Ende deiner felbft, weil du bift, was du haft; haft du ein Ende,
fo bift du das Ende. Du bift fomit das unendliche Ende, weil dad
Ende deiner ſelbſt. Weil dein Ende deine Wefenheit ift, fo wirft du
nicht durch ein anderes Ende begreugt, fondern dur dich felbft. Somit
ift das Ende, weldhes das Ende feiner felbft ift, das unendliche Ende.
Jedes andere Ende ijt ein endlihed. Du, o Herr! der du die Gremt
bift, die Alles begrenzt, bift eben darım die Grenze, die feine Grenze
bat, die unendlich ift.... . Als unendlich gibt es für dich fein Andered,
Verſchiedenes oder Entyegengefegtes, da außer dem Unendlichen nichts it;
denn Alles umfchließt und umfaßt die abfolute Unendlichkeit. Gäbe es
eine Unendlichkeit und ein Anders außer ihr, fo wäre weder die Unend»
lichfeit noch das Andere. Die Unendlichkeit ift in der Art Alles, daß es
nichts von Allem ift. Die Unendlichkeit ift auch fein Ganges, welches den
Theil zum Gegenfage hat, nicht groß oder Hein, fondern dad Maaß aller
Größen, die abfolute Gleihheitz einem Jeden und Allen und Keinem
gleib.... D wie erhaben bift du, o Gott! über Alles, und vabei jo
herablaffend (humilis), weil du in Allem bift! Du bift, als unendlid,
ohne Anfang und Ende; du bift der Anfang ohne Anfang und das Ende
ohne Ende; der Anfang ohne Ende und das Ende ohne Anfang; Du bit
ald Anfang zugleih das Ende und ald Ende zugleich der Anfang; weder
Anfang noch Ende, fondern über Anfang und Ende die abſolute Unend⸗
lichkeit, welche geprieſen ſei in Ewigkeit!
187
14.
Gott fafit Alles in ſich, ohne Andersſein.
Ih erfenne, o Herr! durch die Unendlichkeit deiner Erbarmung dich
ald die Unendlichkeit, die Alles umgibt, Es ift alſo nichts aufer Dir,
Alles ift im dir michts von dir Verfchiedenes (omnia autem in te non
sunt aliud a te). So lehrſt du mich, o Herr! daß das Anverdfein (al-
teritas), das im dir micht ift, auch nicht im fich felbft ift und fein kann.
Das Andersjein, das in dir nicht ift, bewirft es daher auch nicht, daß
die eine Greatur verſchieden (altera) ift von der andern (ab alia), wiewohl
ein und dieſelbe nicht eine andere ift (fondern ſich felbft gleih). Der
Himmel ift micht die Erde, obwohl der Himmel Himmel und die Erve
Erde iſt. Erforiche ich nun dieſes Andersfein, das weder in dir, noch
außer dir ift, wo werde ich es finden? Hat es fein Sein, wie ift dann
die Erde ein anderes Geihöpf ald der Himmel? ohne Andersfein läßt
fh dies nicht denfen. — Doc du, o Herr! redeft in mir und fpricft:
das Andersfein ift Fein pofitives Princip und fo hat cd fein Sein (non
est); denn wie Fönnte das Andersfein ohne Princip (Anfang) fein, es
wäre denn felbft das Princip und die Unendlichkeit? Nun ift aber das
Andersfein nicht das Princip des Seins; denn es wird benannt vom
Nihtfein (alteritas enim dicitur a non esse), weil Eines nicht ein Vers
itiedenes ift, nennt man es ein Anderes (quod enim unum non est aliud,
hine dieitur alterum). Das Andersfein ift aber nicht Etwas; daß aber
der Himmel nicht die Erde ift, rührt daher, weil der Himmel nicht bie
Unendlichkeit ſelbſt ift, die Alles umgibt. Weil die Unendlichkeit abjolut
it, daher rührt es, daß das Eine nicht verfchieven fein fann. Das Sein
des Sokrates umfaßt das ganze fokratiihe Sein, in dem mithin fein Ans
dersjein, feine Verſchiedenheit ift: von Allem, was in Sofrates ift, ift
dad Sofratesfein die individuelle Einheit, in diefem Einen Eein ift das
Sein von Allem, was in Sofrates ift, enthalten, in diefem Einen Sein
entfaltet fih das ganze Wefen des Sokrates, außer demfelben ift es nicht
und kann es nicht fein, obwohl in dem Sofratesfein das Auge nicht Ohr,
das Haupt nicht Herz, das Geficht nicht Gehör, der Sinn nicht der Ver—
hand iſt. Dies rührt nicht von einem Princip des Andersfein ber, fons
m das einfachfte Sein des Sofrates voraudgefegt, ergibt es fih, daß
das Haupt deßwegen nicht die Füße find, weil dad Haupt nicht das ein;
ſabſte Sofratesfein felbft ift. Daher umfaßt das Sein des Hauptes
nicht das ganze Sofratesfein. So fehe ich dur deine Erleuchtung, o
Herr! daß, weil das einfache Sofratesfein dem Sein des
einzelnen Gliedes durchaus nicht mitgetheilt, nicht auf
dasſelbe eingefhränft werden Fann, deßhalb das Sein des einen
188
Gliedes nicht das des andern ift, wohl aber ift das einfache Eofratesfein
zugleib das Sein aller Glieder des Eofrates; in ihm ift alle Verſchie—
denheit und Andersheit, die den Gliedern zukommt, eine einfache Einheit,
wie die Vielheit der Formen und Theile in der Form des Ganzen Einheit
if. Aehnlich verhält fih dein Sein, o Gott! als die abfolute Unend—
lichfeit zu Allem, was iſt. Ich danfe dir, mein Gott und Herr! der du
mir, fo weit ich es faffen kann, deutlich zeigit, daß du die Unendlichkeit
bift, welche das Sein Aller in einfachfter Kraft in fich faßt. Sie wäre
nit Unenblichfeit, wäre fie nicht unendlich geeint (quae non esset infi-
nitas, nisi infinite unita), denn die geeinte Kraft hat größere Stärke.
Iſt demnach eine Kraft fo geeint, daß fie nicht noch mehr geeint werden
fan, fo ift fie unendlih und allmächtig. Du bift der allmächtige Gott,
weil die abfolute Einfachheit, welche die abfolute Unendlichkeit ift.
15.
Die actuelle Unendlichkeit ift die Einheit und im ihr die
Wahrheit.
Laß noch ferner deinen Knecht, dem alle Weisheit fehlt, fo weit du
fie ihm nicht verleiäft, mit dir, feinem Gotte, reden! Ich fehe in dieſem
Gemälde ein Bild der Unendlichkeit; denn der Blick desfelben ift nicht auf
ein Dbject oder eine Stelle beichränft und infofern unenblih, denn er
wendet fih dem einen Beichauenden nicht mehr zu, al® dem aubern.
Obwohl aber der Blick desfelben im fich unbefchränft ift, fo ſcheint er doch
durch jeden Befchauenden befchränft zu werden, weil er jeden Beſchauen—
den infoferne beichränft anfteht, als es fcheint, er fehe nur ihm und
nichts Anderes, Du erfcheinft mir daher, o Herr! ald das abfolute und
unendlihe Seinfönnen, das in jede Form fich bilden und einzwängen
läßt. Denn wir fagen, die bildungsfähige Potenz der Materie ſei un
endlich, weil fie nie ganz begrenzt wird. Allein du, unendliches Lidt
in mir! erwiederft hierauf, deine abfolute Potenz fei die Unendlichkeit ſelbſt,
welche jenfeit8 der Mauer der Eoincidenz liegt, wo das Werdenfönnen
mit dem Mirfenfönnen und die Potenz mit der Wirklichkeit coincidirt.
Wenn gleih die Materie die Potenz für unendliche Formen ift, fo fann
fie diefelben doch actuell nicht haben, fondern ihre Potenz wird durd eine
Form begrenzt und, ift diefe aufgehoben, durch eine andere. Würde alfo dad
Seinfönnen der Materie mit dem wirflihen Sein coincidiren, fo waͤre ſie
Potenz und Wirklichkeit zugleich und hätte in Wirklichkeit unendlich viele
Formen. Die actuelle Unendlichkeit iſt aber ohne Andersſein und kann
nicht Unendlichkeit ſein, ohne zugleich Einheit zu ſein. Somit kann eb
nicht actuell unendliche Formen geben, ſondern die actuelle Unendlichkeit
ift die Einheit. So bift denn du, o Gott! der du die Unendlichkeit ſelbſt
189
bit, der Eine Gott, in welchem ich alles Seinfönnen in Wirklichkeit
(actu) fehe. Denn das abjolute Können, frei von jeglicher Beſchränkung,
it das abjolute Sein; was in dem unendlichen Sein ift, ift das unends
lichſte einfachite Sein felbft, es ift daher das Allesfeinfönnen im uns
endlihen Sein das unendliche Sein ſelbſt. Das abfolute Seinkönnen
und das wirkliche abiolute Sein find in dir, mein Gott! nur du felbft,
mein unendliher Gott! Alles Seinfönnen bift du, mein Gott! Wenn bu
daher, mein Gott! mir als die bildpfame Materie vorfommft, weil du die
Form eines jeden dich Anſchauenden annimmſt, fo erhebft du mich zu ver
Einfiht, daß der dich Anfchauende nicht dir eine Form gibt, fons
dern in dir [haut er ih an, weil er von dir empfängt, was
ri. Was du demnach von dem Anfchauenden zu erhalten fcheinft, ift
kin Geſchenk an ihn, als feieft du der lebendige Spiegel der Ewigkeit,
der die Form aller Formen ift. Blickt Jemand in diefen Spiegel, fo fieht
er feine Form in der Form aller Formen und glaubt nun, die Form, die
er in dieſem Spiegel fieht, fei die (concrete) Figur feiner Form, weil es
in einem materiellen polirten Spiegel fo der Fall if. Und doc iſt ge
sade dad Gegentheil hieran wahr; denn was er in jenem Spiegel fieht,
it nicht die Figur, fondern die Wahrheit, deren Figur der Sehende ift.
Es hat alfo die Figur in dir, mein Gott! ihre Wahrheit, du bift
dad Urbild von Allem und Jedem, was -ift oder fein kann.
O Gott, wunderbar für jeden Geift! zuweilen fcheint ed mir, als
jeteft du ein Schatten, der du doch das Licht bit. Denn wenn ich jehe,
wie mit meiner Beräuderung auch der Blid deines Bildes verändert
Iheint, fo ſcheint mir auch dein Antlig verändert und du fommft mir ver-
ändert vor, ald wäreft du ein Schatten, weldyer der Ortöveränderung des
Gchenden folgt. Weil aber ich der lebendige Schatten, du die Wahrheit
bift, fo meine ich, mit der Veränderung des Schattend habe ſich aud die
Bahrheit verändert. Du bift alfo, mein Gott! in der Art der Schatten,
daß du zugleich die Wahrheit bift, in der Art mein und eined Jeden
Bild, dag du zugleich das Urbild Aller bit. Mein Herr und Gott! Er«
kuhter der Herzen! Mein Antlig ift ein wahres Antlig, weil du ed mir
gegeben haft, der du die Wahrheit bift. Mein Antlig ift auch ein Abbild,
weil ed nicht die Wahrheit felbft ift, jondern ein Abbild derjelben. Der
Begriff von mir faßt aljo die Wahrheit und das Abbild meines Antliges
in fi, er ift die Goineivenz des Abbildes mit der Wahrheit; fo weit es
Abbild ift, jo weit hat ed Wahrheit. Und num zeigft du mir, o Herr! wie
mit der Beränderung meined Antliged auch dein Antlig verändert und
unverändert zumal ift: verändert, weil ed von der Wahrheit meines
Antliges nicht weicht, unverändert, weil ed der Veränderung des Abbildes
nicht folgt. Während dein Antlig die Wahrheit meines Antliges nie vers
190
läßt, folgt e8 der Veränderung des anders fein könnenden Abbildes nict;
denn die abjolute Wahrheit geftatret Fein Andersfein, die Wahrheit meines
Antliged aber iſt veränderlich, weil fie nur infofern Mahrheit ift, als fie
Abbild ift, die Wahrheit deines Antliges aber ift unveränderlich, weil fie
infofern Abbild ift, als fie zugleich die Wahrheit felbft if. Die Wahr
heit meines Antliges fann von der abfoluten Wahrheit nie verlaffen wer:
den; denn fonft könnte jenes nicht beftehen. So fcheinft du denn, o Gott!
wegen deiner unendlichen Güte veränderlich, weil du die veränderlichen
Greaturen nicht verläffeft;z doch wie du die abfolute Güte bift, fo bift du
nicht veränderlih, weil du der Veränderlichkeit nicht folgft. O Gott von
unendlicher Tiefe! du verlaͤſſeſt und begleiteft die Ereaturen nicht. O um
erflärliche Liebel du gibft dich dem dich Anfchauenvden hin, ald empfangef
du von ihm dad Sein und macht dich ihm gleichgeftaltet, damit er dih
um jo mehr liebe, je ähnlicher du ihm erfcheinftz denn wir können doch
unmöglich und ſelbſt haffen. Wir lieben, was unfer Sein angeht und
begleitet, wir umfangen unfer Gleihbild, weil es und repräfentirt und
wir in ihm uns lieben. Du, o Gott! zeigft did uns in der Demuth
deiner unendlichen Güte, als wäreft du unfer Gefhöpf, um und
fo an dich zu ziehen. Ja, du zieheft und an dich auf jede möglice
Weiſe, in der das freie vernünftige Gefchöpf angezogen werben fann. In
dir, o Gott! coinchdirt das Erfchaffenwerden mit dem Erfhaffen; denn
die Achnlichkeit, die ald von mir erfchaffen erfheint, ift die Wahrheit, die
mich erichafft, damit ich verftehe, wie innig ich mit dir verbunden fein foll,
da in dir dad Geliebtwerden mit dem Lieben coincidirt. Denn
wenn ich mich in dir, dem mir Aehnlichen, lieben fol, und um fo mehr
hiezu verpflichtet bin, wenn ich fehe, daß du mich als dein Gefchöpf und
- Abbild liebft, wie follte der Vater den Sohn nicht lieben, der Sohn und
Vater zugleich iſt (qui sic est ſilius, quod pater)? Wenn Der große
Liebe verdient, welcher der vwermeintlihe Sohn, bei richtiger Erfenntnif
aber der Water iſt (qui est aestimatione filius, cognitione pater), ver—
dienft dann du nicht die größte Liebe, der du über den vermeintlichen Sohn
wie über den wirklichen Vater weit hinausreihft? Du wollteft, o Gott!
die findliche Liebe zu dir auf jene menſchliche Anfhauung von dir gründen;
dur willft ähnlicher ald ein Sohn und erfcheinen und zärtlicher als ein Vater
erfannt werden, weil du die Liebe bift, welche die Liebe fo des Sohnes
als des Waters in ſich begreift (tu Deus voluisti filialem dilectionem
in aestimatione constitui et vis similior filio aestimari et intimior
patre cognosci, quia es amor, complicans tam filialem quam paternalem
dilectionem). So fei denn du, meine füße Liebe! mein Gott! gepriejen
in Ewigfeit!
191
16.
Wäre Gott nicht unendlich, fo gäbe es fein Ziel und Ende
unſerer Sehnfudt.
Im Feuer erlifcht nicht die Gluth und in der Liebe zu dir, 0 Gott!
nicht die Sehnfuht, da du dad Urbild alles Wünſchenswerthen und
die Wahrheit bift, die in aller Sehnſucht erftrebt wird. Da id nun durch
deine honigfüße Gnade angefangen habe, deine unbegreiflihe Lieblichkeit
zu foften, die mir um fo lieber ift, je unendlicher fie erfcheint, fo jehe ich,
daß tu, o Gott! deßhalb von allen Geſchöpfen unerfannt bift, damit fie
in diefer heiligen Unmiffenheit wie in einem unzählbaren und unerſchöpf—
liten Schage defto mehr Ruhe finden, Eine weit größere Freude empfins
det, wer einen Schag gefunden hat, den er als unzählbar und unendlich
erfannt hat, als wer einen zu ermeflenden endlichen Schatz entdeckt hat.
Daher ift diefe heilige Unfenntniß deiner Größe die erfehnte Nahrung für
meinen Geift, zumal, da ich diefen großen Schag in meinem Ader gefun—
den, jo daß er mein Schap if. D Duelle des Reichthums! du willft
dih dur mein Befigthum begrenzen laſſen und doch unbegrenzt und une
begreiflich bleiben, weil du eine Fülle von Süßigkeiten bift, von denen
fine dad Ziel erreichen kann. Wie fönnte die Begierde nad dem Nicht:
kienden begehren? der Wille mag nad dem Seienden oder Nichtjeienden
begehren, da8 Begehren felbft fann nie ruhen, fondern geht in's Unend—
liche. Du fteigft zu uns herab, o Herr! um erfaßt zu werben und bleibft
doch ungemeſſen und unendlih, und bliebeft du nicht unendlich, jo
bliebeft du nicht das Ziel der Sehnſuchtz du bift unendlich, um dad
Ziel aller Sehnfucht zu fein. Denn die Sehnſucht des Geiftes geht nicht
nah dem hin, was größer oder erfehnenswerther fein fann. Nun aber
alles Nicht-Unendliche (omne eitra infinitum) fann größer fein. Du bift
alſo, o Gott! die Unenplichfeit feldft, die ich allein in aM’ meiner Sehn—
fuht erſehne. Der Wiffenfchaft des Unendlihen kann ich mich nicht mehr
nähern, als indem ich ed ald unendlich erfenne. Je mehr ich alfo dich,
meinen Gott, als unbegreiflich erfenne, defto mehr mähere ich mich dir,
weil ich mich dem Ziele meiner Sehnfucht nähere. Meine Schnjucht, in
der du wiederſcheinſt, führt mich zu dir; fie wirft alles Endliche, jeden
Begriff von ſich, weil fie darin nicht ruhen fann; nur durch dich wird
lie gu dir geführt. Du aber bift der Anfang ohne Anfang, das Ende
ohne Ende. Dur den ewigen Anfang, von welchem meine Sehnjucht
ihr Sein hat, wird fie zu dem Ziele ohne Ziel, zum unendlichen Ziele
geführt. Ich ſehe dich, Herr und Gott! in einer Art von Entzüdung Cin
Taptu quodam mentali); denn wenn das Auge nicht durch den Anblid,
das Ohr nicht durch das Gehörte, fo wird noch weniger der Geift durch
192
den Geift (intellectus intellectu) gefättigt. Was alſo den Geift fättigt
und fein Ziel ift, ift nicht das, was er erfennt, jo wie ihn auch das
nicht fättigen Tann, was er durchaus nicht erkennt, fondern mur das,
was er, ohne ed zu begreifen, erfennt (sed solum id, quod non in-
telligendo intelligit). Was der Geift in der Art als erfennbar erfennt,
dag ed nie vollfommen erfannt werden fann, das Fann ihn allein fättigen.
Wer einen unerfättliden Hunger hat, den fättigt nit wenig Speife, noch
eine Speife, zu der er nicht gelangen fann, fondern mur eine ſolche Speiſe,
die zu ihm gelangt und, ob fie glei beftindig genoffen wird, doch nie
vollftändig verzehrt werden fann, weil fie von der Art ift, daß fie
durh das Genießen fih nicht vermindert, ſomit unendlich ift.
17.
Bott fann nur als dreieiniger vollfommen erfannt werden,
Du haft dich mir, o Herr! fo liebenswürdig gezeigt, daß du nict
liebenswürdiger fein fannft, denn du bift unendlich liebenswürdig, mein
Sort! Nie alfo fannft du von jemand jo geliebt werden, wie du Lich
verdienft, außer von einem unendlich Liebenden. Wäre nicht ein unendlid
Liebender, fo wäreft du nicht umendlich liebenswürdig. Deine Liebend
würdigfeit, welche darin befteht, daß du ind Unendliche geliebt werden
fannft, bedeutet auch zugleih das in's Unendliche Liebenfönnen. Aus
dem unendlich Liebenfönnen und unendlich Geliebtwerdenfönnen entfteht das
unendliche Band der Liebe zwifchen dem unendlich Liebenden und unendlich
Liebenswürdigen, Die feine Vermehrung zuläßt. So bift denn du, ®
Gott! der du die Liebe bift, die liebende Liebe, die liebenswürdige Liebe
und die Verbindung (nexus) beider... Du bift alfo, o Gott! die unend-
liche Liebe, die ohne einen Liebenden, Geliebten und die Verbindung beider
von mir nicht als eine natürliche und vollfommene Liebe erfannt werden
fann. Denn was in der endlichen (contractus) Liebe gefunden wird,
fann in der unendlichen nicht fehlen. Du aber, o Gott! bift die volk
fonımenfte und einfachfte Liebe. Daher find in dir der Liebende, der Gr
liebte und die Verbindung beider nicht etwas Anderes, fondern du ſelbſt,
mein Gott! Sie find nicht Drei, ſondern Eines . . . O bewunderungs⸗
würdiger Gott! der du nicht Einzahl, nicht Mehrzahl bift, fondern über
Beides erhaben, einigorei (unitrious) und dreieinig (triunus). Ib jehe
alfo in der Mauer des Paradiefes, wo du bift, die Mehrzahl mit der
Einzahl coincidiren und did weit darüber hinaus wohnen. Lehre mid,
o Herr! wie ih das ald möglich begreifen kann, was ich als nothwendig
einſehe. Wer da fagt: Eines, Eines, Eines, ſagt dreimal Eines, aber
nicht drei, fondern das ine dreimal; er wiederholt das Eine, er zählt
aber nicht, denn zählen heißt das Eine zu einem Andern machen (unum
193
alterare), das Eine und dasſelbe aber dreimal wiederholen, heißt, ohne Zahl
vermehren... . In der endlichen Liebe find jene drei nicht weienhaft
(essentialiter) verbunden und eine Einheit, fondern gehen in Differenzen
in eine Dreiheit auseinander...
So habe ich nun in einem Bilde den Vorgeſchmack deiner Wefens
heit ausgedrückt. Doch verzeihe mir, wenn ich den unbefchreiblichen Genuß
deiner Süßigfeit zu fchildern verfuche. Wenn die Süßigfeit eines unbe-
fannten Obſtes feine Schilderung, Feine Beſchreibung zuläßt, wer bin ich
armer Sünder, der ich dich, Unfichtbaren, darzuftellen und jene unendliche
Süßigkeit Andern zum Genuffe darzubieten mir herausnehme, die ich ſelbſt
noch nicht zu Foften vwerbient habe und durch meine Darftellung eher ver:
leinere ald vergrößere? Doc; deine große Güte, o mein Gott! läßt
auch Blinde vom Lichte reden und das Lob eines Gegenſtandes verkünden,
von dem fie nichts willen und wiffen fönnen, es werde ihnen denn geoffen-
bart. Die Offenbarung aber berührt den Geſchmack nicht, das Ohr des
Glaubens nicht die zu verfoftende Süßigfeit. Das haft du, mein Gott!
mir geoffenbart, daß die unendlihe Süßigfeit fein Ohr gehört und feines
Menihen Herz je empfunden hat, welde du Denen bereitet haft, vie
dich lieben. Das hat uns dein großer Apoftel Paulus geoffenbart, ver
über die Mauer der Coincidenz ind Paradies entzüdt wurde, wo du
allein enthüllt (revelate) gefchaut werden fannft, du die Quelle aller
Wonne. Ich habe diefer Entzüdung mich hinzugeben verſucht (conatus
sum me subjicere raptui), im ®Bertrauen auf beine unendliche Güte,
um dib, Unſichtbaren, zu fehen und deine unenthüllbare und doch ent
büllte Anfhauung (et visionem revelatam irrevelabilem). Wohin id
aber gefommen bin, weißt du, ich weiß es nicht; es gemügt mir deine
Gnade, durh die du mir die Gewißheit gibt, daß du unbegreiflich
ſeieſt, und die fefte Hoffnung in mir begründeft, ich werde einft, von bir
geleitet, zum Genufle deiner felbft gelangen.
18.
Wäre Gott nit dreieinig, fo wäre er nicht die Glüdjeligfeit.
Möchten doch, o Herr! die Augen des Geiftes Alle öffnen, welde
fie ald Gabe von dir erhalten haben, und mit mir erfennen, daß du
Gott, der Eiferer, weil du bie lebende Liebe bift, nichts haffen Fannft.
In dir, dem liebendwürdigen Gott, ver alles Liebenswürdige in fi faßt,
liebt du alles Liebenswürdige. So mögen Alle mit mir einfehen, durch
welches Bündniß du mit Allen vereinigt biſt. Du liebft, o Gott! Alles
und Jedes, du breiteft deine Liebe über Alle aus; doc Viele lieben
dich nicht und ziehen Anderes dir vor. Indeſſen wäre das Liebend-
würdige nicht verſchieden von dem Liebenden, fo wäreft du —— ſo lie⸗
Scharpff, Nie. v. Cuſa.
194
benswürdig, daß fie außer dir nichts lieben könnten, und alle vernünftigen
Naturen wären genöthigt, dich zu lieben. Du bift aber jo edelmüthig,
mein Gott! daß du ed dem freien Willen der vernünftigen Seelen über
läffeft, dich zu lieben oder nicht. Daher wird deine Liebe nicht immer
mit Gegenliebe erwiedert (quapropter ad amare tuum non sequitur, quod
ameris). Während du, mein Gott! durd ein Band der Liebe mit Allen
geeinet bijt, ift wicht jeder vernünftige Geift mit dir geeint. Jede vers
nünftige Seele haft du durd deine Liebe dir zur Braut gewählt; aber
nicht jede Braut liebt dich als ihren Bräutigam, fondern hängt fich oft
an einen Andern. Wie fünnte aber deine Braut, mein Gott! die menſch—
liche Seele, ibr Ziel erreichen, wäreft du nicht liebenswürdig, jo daß ſie,
indem fie dich, den Liebenswürdigen, liebt, zur glüdjeligen Vereinigung
mit dir gelangen kann? Wer kann aljo dich ald den dreieinigen Gott
läugnen, wenn er doc einfteht, daß du weder der edelmrüthige und
vollfommene Gott bit, noch daß es einen freiwählenden Geift gäbe und
diefer zum Genuſſe deiner und jo zu feiner Glüdjeligfeit gelangen könnte,
wäreſt du micht dreieinig? Weil du die erfennende und erkennbare Ber:
nunft Cintellectus intelligens et intellectus intelligibilis) und die Ber:
bindung beider bift, darum kann die erfchaffene Vernunft in dir, ihrem
erfennbaren Gott, die Vereinigung mit dir und fo die Glückſeligkeit erreis
hen. Ebenſo fann der erichaffene liebende Wille, da du die liebenswürs
dDige Liebe bift, mit dir, feinem liebenswürdigen Gott, die Wereinigung
und jo die Glückſeligkeit vollziehen. Wer dich, das geiftige, Licht, auf
nimmt, kann zu einer ſolchen Bereinigung mit dir gelangen, daß er Dir
geeinet ift, wie der Sohn mit dem Vater. Ich ſehe durch deine Erleuds
tung, o Herr! ein, daß die vernünftige Natur die Vereinigung mit bir
nur darum vollziehen fann, weil du liebenswürdig und geiftig erfaßbar
(intelligibilis) bift. Sie ift nicht der Vereinigung fähig mit dir, dem Tieben-
den Gott (denn fo wäreſt du nicht ihr Object), fondern mit dir, als ihrem
liebenswürdigen Gott, da das Liebenswürdige das Object des Liebenden
it... Der Menſch, der auf diefe Weife mit dir, feinem Gott, fid
vereint, geht in eine Verbindung ein, die wegen ihrer Innigfeit und
Seftigfeit den Namen der Kindihaft (Aliationis) erhalten mag; denn wir
fennen fein feitered Band, als das der Kindſchaft. Iſt diefe Verbindung
die größtmögliche geworden und fannft du, liebenswürdiger Gott! von
einem Menfchen nicht noch mehr geliebt werden, dann erreicht jene Ber
bindung die vollfommenfte Kindſchaft. Diefe ift dann die Vollendung,
die jede mögliche Kindſchaft in fich begreift, durch welche alle Kinder die
höchſte Glüdjeligkeit und Vollfommenheit erlangen. In dem oberften
Sohne ift die Kindihaft wie die Kunft in dem Künftler, wie das Licht
In der Sonne, in allen Undern nur wie die Kunft in den Schülern oder
195
dad Licht in den Sternen. (Diefer Oberfte in der Kindfchaft ift ber
Sohn Gottes, Jeſus Ehriftus.)
19.
Jeſus ift die Vereinigung (unio) Gottes und des Menfden.
Ich fage dir unausfprehliden Danf, Gott, Leben und Licht meiner
Seele! denn ich erfenne jegt den Glauben, den dur Belehrung (revela-
tione) der Apoftel die fatholifche Kirche feithält, nämlih daß du, liebender
Gott! aus dir den liebenswürdigen Gott erzeugt und daß du, gezeugter
liebenswürdiger Gott! der abjolute Vermittler biſt. Denn durch dic ift
Alles, was ift und fein kann; du, liebender Gott! fafleft (complicas)
Alles in dir, dem liebenswürdigen Gott. Alles, was du, o Gott!
willſt oder denfft, ift in dir, dem liebenswürdigen Gott, enthalten (com-
plicatum). Es fann nichts fein, außer du wolleft, daß es ſei. Es hat
aljo Alles im deinem liebenswürdigen Gedanken die Urfahe, den Grund
des Seins; es gibt feinen andern Grund aller Dinge, außer dein Wohl-
gefallen, und nichts gefällt dem Liebenden ald das Liebenswürdige. So -
bit alfo du, liebenswürdiger Gott! der Sohn Gottes des liebenden
Vaters, denn auf dir ruht das ganze Wohlgefallen des Vaters (in te
enim est omnis complacentia patris). So ift alles erihaffbare Sein in
dir, dem liebenswürdigen Gott, enthalten. Da demnad aus dir, dem
liebenden Gott, der liebendwürbdige Gott ft, wie der Sohn aus dem
Vater, fo bift du dadurch, daß du, der liebende Gott, Vater des liebends
würdigen Gotted des Sohnes bift, der Vater von Allem, was if. Denn
dein Gedanfe (conceptus) iſt der Sohn und Alles in ihm, er ift die
Einigung mit dir und der Gedanfe von dir, woraus fich die Thätigfeit
und MWirffamfeit erhebt, in der er die Wirklichkeit und Entfaltung von
Allem if. (Nam conceptus tuus est filius, et omnia in ipso, et unio
tua et tuus conceptus est actus et operatio exsurgens, in qua est om-
nium actus et explicatio.) Wie nämlih aus dir, dem liebenden Gott,
der fiebenswürdige Gott erzeugt wird, welches Erzeugen ein Denken ift
(quae generatio est conceptio), fo geht aus dir, dem liebenden Gott
und dem liebendswürbigen Gedanken, der aus dir erzeugt iſt, beine
Wirffamfeit und der Begriff von dir (actus tuus et tuus conceptus)
hervor, der ein Band ift (nexus nectens) und ein Gott, der did und
deinen Gedanken einigt; gleichwie das Lieben den Liebenden und das
Liebenswürdige in der Liebe einigt, welche Verbindung ein Geift genannt
wird, denn der Geift ift gleihfam eine Bewegung, die aus dem Bewegen⸗
den und Bewegbaren hervorgeht. Sie ift alfo die Entfaltung ded Ges
dankens des Bewegenden. Es entfaltet fih demnach Alles in dir, Gott,
heiliger Geiſt! wie Alles in dir gedacht wird, Gott Sohn! Durd deine
13°
196
Erleuchtung ſehe ih nun, daß Alles in dir, dem Sohne Gottes des
Vaters, ald in feinem Grunde, Begriffe, Urfahe und Urbilve, und der
Sohn die Vermittlung (medium) von Allem ift, weil er die Bernunft ifl.
Denn mittelft der Vernunft und Weisheit wirfeft du Alles, Gott Vater!
Der Geift oder die Bewegung fegt den Gedanken der Vernunft in Wirk
lichfeit, wie der Kaften ald Gedanfe des Künftlers mittelft der bewegenden
Kraft der Hände zur Wirklichkeit wird. Sodann jehe ih, mein Gott!
daß dein Sohn die Vermittlung der Einigung von Allem tft, fo daß
Alles durch Vermittlung des Sohnes in dir ruht. Ich fehe Jeſum, der
gepriefen fet, den Menfchenjohn deinem Sohne auf das Höchſte (altis-
sime) geeint und daß dad Menjchenfind mit dir, Gott Water! nur dur
Vermittlung deines Sohnes, ded abjoluten Vermittlers, vereint werden
fonnte. Mer wird nicht auf das Höchſte entzüdt, wenn er diefed auf
merfjam überdenft? Du, mein Gott! offenbarft mir Armen das Geheim-
niß, daß ich einjehe, der Menſch könne dich, o Vater! nicht erfennen,
außer in deinem Sohne, welder erfennbar und der Mittler ift, fo wie
“- vaß dich erkennen heiße, mit dir vereinigt werden. Es kann alfo der
Menſch mit dir dur deinen Sohn, der das Mittel der Bereinigung if,
vereinigt werden. Die menjhlihe Natur, auf das Höchfte mit dir ver
eint, kann in feinem Menfchen eine innigere Vereinigung mit dir voll
ziehen. Ohne Vermittlung fann fie mit dir nicht vereinigt werden.
Sie wird daher dur die gegebene Vermittlung auf das Höchfte vereint,
fie felbft aber wird nicht die Vermittlung. Wiewohl fie aber felbft nict
die Vermittlung werden kann, da ohne Vermittlung Feine Vereinigung
mit dir möglich ift, jo wird fie doch dur eine abfolute Vermittlung der
geftalt mit dir verbunden, daß zwiſchen ihr und deinem Sohne, der
diefe abjolute Vermittlung ift, Feine weitere Vermittlung möglich ift; denn
jonft wäre feine Vermittlung nicht die höchſtmögliche. D guter Jeſul in
dir ſehe ich die menjchlihe Natur auf das Höcfte mit Gott dem Vater
vereinigt! Der Menfhenfohn ijt in dir, o Jefus! der du Menfchenfohn
bift, mit dem Gottesjohn auf das Höchſte vereinigt, und mit Recht heißt
du daher Sohn Gottes und Sohn des Menfhen. Deine Menfchenfohn-
haft beruht (subsistit) auf deiner Gottesſohnſchaft, nicht bloß als inbe
griffen, Sondern wie dad Angezogene an der anziehenden Kraft, die vers
urjachte Subftanz an der fubftanggebenden (substantiatum in substantiante).
Eine Trennung (separatio) ded Menſchenſohns von dem Gottesjohne if
in dir, o Jefus! nicht möglih. Diefe Trennung entfteht daraus, daß
eine Vereinigung größer fein fonnte; wo dies nicht ift, kann nichts dar
zwijchen fommen. Größer aber kann es feine Vereinigung geben, als
wo dad Geeinte in dem Einigenden feine Subfiftenz hat. So ift es in
Jeſus. Ehre fei dir, Gott! in Ewigkeit!
197
20.
Jefus ift dad Band (copulatio) der göttlihen und menſch—
lichen Natur.
Du, o ungefchwächtes Licht! zeigft mir, daß die höchfte Vereinigung,
in welcher die menſchliche Natur in meinem Jeſus mit deiner göttlichen
Natur verbunden ift, im Feiner Welle der unendlichen Vereinigung ähn—
ih if. Denn die Einigung, in welcher Gott der Vater mit Gott dem
Sohne vereinigt ift, iſt der bi. Geiſt; daher ift fie eine unendliche Bers
einigung, fie reicht in die abfolute und wejenhafte Identität hinein (per-
tingit in identitatem ete.). Nicht das Gleiche gilt von der Vereini—
gung der menfchlihen Natur mit der göttlichen. Die menfchlihe Natur
fann nicht in die weienhafte Vereinigung mit der göttlichen übergehen, fo
wenig ald das Endliche mit dem Unendlichen unendlich vereinigt werden
fann, denn ed ginge fonft in die Identität mit dem Unendlichen über
und hörete auf, endlich zu fein. Daher ift die Vereinigung der menid-
lichen Natur mit der göttlichen Cin Jeſus) nur eine höchſtmögliche Ans
ziehung (attractio) der menfchlihen Natur an (ad) die göttliche, fo daß
die menſchliche Natur ala folche nicht weiter und höher angezogen werden
fönnte. Es ift alfo die größte Bereinigung, jedoch nicht die abfolut
größte, wie die göttliche Bereinigung if. So fehe ich denn durch deine
Güte und Gnade in dir, o Jefus! dem Menfhenfohne, den Sohn
Gottes und in dem Sohne Gottes den Vater. Ich ſehe in dir,
dem Menfchenfohne, ven Sohn Gottes, weil du in der Art Menſchenſohn
bit, daß du zugleich Gottes Sohn bift; in der angezogenen endlichen
Natur fehe ich die anziehende unendliche, in dem abfoluten Sohne ſehe
ib den abfoluten Vater; denn der Sohn kann ald Sohn nicht erfannt
werden, ohne daß nicht auch der Vater erkannt wird. Ich fehe in dir,
0 Jefus! die göttliche Sohnſchaft (Kindfchaft, filiatio), welhe die Wahr:
beit aller Sohnſchaft ift, und fehe zugleich die höchſtmögliche menſchliche
Sohnſchaft als das allerähnlichfte Abbild der abfoluten Sohnſchaft. Gleich—
wie das Abbild, zwifchen weldhem und dem Urbilde fein vollfommeneres
Abbild dazwiſchen treten fann, am allernächften in der Wahrheit, deren
Abbild es iſt, fubfiftirt, fo fehe ich die menſchliche Natur in der gött-
lien fubfiftiren. In deiner menichlichen Natur fehe ich jomit Alles, was
ih auch im deiner göttlichen wahrnehme, doch ift dort auf menfchliche
Reife, was hier die göttliche Wahrheit ſelbſt iſt. Was ih Menfchliches an
dir, o Jeſus! fehe, iſt eine Aehnlichkeit der göttlichen Natur, die aber
ohne Medium an das Urbild fo angefchlofien ift, daß fie nicht ähnlicher
kin fönnte. In der menfchlichen oder vernünftigen Natur ſehe ich den
verftändigen Menfchengeift mit dem göttlichen Geifte, welcher der abjolute
198
Verſtand ift, auf das Innigfte geeint, ebenfo die menſchliche Bernunft
mit der göttlichen Vernunft; ich fehe Alles in deiner Vernunft, o Jeſus!
Denn du erfennft Alles, o Jeſus! ald Gott, und dieſes Erfennen ift das
Sein von Allem. Du erfennft Alles ald Menſch, und diefes Erfenmen
ift die Aehnlichfeit von Allem. Denn der Menſch erkennt jedes Ding nur
durch eine Aehnlichkeit: der Stein ift im menschlichen Geifte nicht als in
feinem Grunde, fondern ald Aehnlichkeit der Species. Es ift alſo im bir,
o Jeſus! das menfhlihe Erkennen mit dem göttlihen Erkennen geeint,
wie das vollfommenfte Abbild mit der Wahrheit des Urbildes.... I6
fehe dich, o guter Jeſus! innerhalb der Mauer des Paradiefed; dem
dein Geift ift Wahrheit und Abbild zugleih, wie du Gott und Greatur
zugleich bift, unendlich und endlich zugleih. Es ift unmöglich, dich diesjeite
(eitra) der Mauer zu fehen, weil du die Vereinigung (copulatio) der
ſchaffenden göttlihen und der erichaffenen menfhlichen Natur bifl. Das
ift aber zwifchen deinem Geift und dem eines jeden Men
fhen der große Unterjchied, daß fein Menſch Alles weiß, was ber
Menſch wiffen fann, weil feines Menſchen Geift mit dem Urbilde aller
Dinge fo vereinigt ift, daß diefe Vereinigung nicht inniger und thatfräf-
tiger (magis in actu) fein könnt. Dein Geift aber erfennt wir
lich (actu) Alles, was der Menſch erfennen kann, weil in bir
die menſchliche Natur die vollfommenfte ihrem Urbilde am nächſten it.
Es überfteigt daher dein menschlicher Geift jeden menfchlichen Geift im der
Vollfommenheit der Erfenntniß. Alle vernünftigen Geifter find
weit unter dir; für fie alle bit du, o Jeſus! der Lehrmeifter, das
Licht und die Vollendung. Durd dich gelangen fie, als durch den Ber
mittler, zur abfoluten Wahrheit. Du bift der Weg zur Wahrheit
und zugleih die Wahrheit felbft, das Leben für das Leben
des Geiſtes und zugleih das Leben felbft, der Wohlgeruch der
erfreuenden Nahrung und zugleich der erfreuende Genuß jelbft. Darum,
o füßefter Jeſus! ſei gepriefen in Ewigkeit!
21.
Ohne Jeſus gibt es feine Glüdfeligfeit.
Jeſus, Vollendung des Univerfumd (finis universi), in welchem jede
Ereatur als im Höchſten der Vollkommenheit ruhet, du bift allen Wellen
biefer Welt gänzlich unbekannt, weil wir von dir das Entgegengefegte mit
volliter Wahrheit ausfagen: du bift Schöpfer und Geſchöpf, das Anzies
hende und das Angezogene, das Endliche und das Unendliche. Died
als möglich anzunehmen, halten fie für Thorheit. Sie fliehen daher deinen
Namen, und faffen deim Licht nicht, mit dem du uns erleuchteft. Indem
fie fih aber für weife halten, bleiben ſie Thoren, unwiſſend und blind in
199
Emwigfeit. Würden fie glauben, daß du Ehriftus, Gott und Menſch bift,
würden fie die Worte des Evangeliums als die eines fo großen Lehrmeiſters
annehmen und behandeln, fo würden fie auf das Klarfte einfehen, daß
im Vergleiche zu dem Lichte, das in deinen einfachen Worten verborgen
it, alles Andere dichte Finfterniß und Unwiffenheit if. Nur gläubigen
Kindern wird dieſe guadenreiche, Leben jpendende Dffenbarung zu Theil.
In deinem geheiligten Evangelium, diefer Himmelöfpeife, ift, wie in dem
Manna, alle Eüßigfeit der Sehnſucht verborgen, die nur von dem mit
Glauben ed Genießenden verfoftet werden fann. Nur wer ed gläubig
aufnimmt, erfährt auf das Zuverläßigfte, daß du vom Himmel gefommen
und der einzige Lehrer der Wahrheit bit. O guter Jeſus! du bift der
Baum ded Lebens im Paradiefe aller Wonnen; Niemand fann mit dem
erſehnten Leben gejpeist werden, als nur durch deine Frucht. Du bift,
o Jefus! Die Speije, die allen Kindern Adams verwehrt ift, welche aus
dem PBaradiefe vertrieben, von der Erde, auf der fie fih abmühen, ihre
Rahrung ſuchen. Daher muß Jeder den alten Menſchen, den Hochmuth,
ausziehen, und den neuen Menfhen der Demuth, der nad dir geitaltet
iR, anziehen, wenn er innerhalb des Paradiefes der Wonne die Nahrung
des Lebens verfoften will. Der neue und der alte Adam haben die gleiche
Natur, aber im alten Adam ift fie thieriih, im dir, dem neuen Adam,
geiftig, weil geeint mit Gott, welcher Geift ift. Jeder Menſch muß das
ber, wie durd die ihm und dir gemeinfame Natur, fo auch in Einem
Geifte mit dir, o Jeſus, vereinigt fein, um fo in feiner Natur, die er
mit dir gemein hat, zu Gott dem Bater, der im Paradiefe ift, zu ges
langen. Gott ven Vater und dich feinen Sohn erfennen, heißt im Pas
radiefe und der ewigen Glorie fein; wer außer dem Paradieſe ift, kann
diefe Anſchauung nicht haben, da weder Gott der Vater, noch du, Jeſus,
außer dem Paradiefe zu finden biſt. Es hat alfo Jever die Glüdfeligkfeit
erlangt, wer mit dir, o Jeſus! wie das Glied mit dem Haupte vereinigt
it. Niemand kann zum Vater fommen, er fei denn vom Vater gezogen
(attractus). Der Bater hat durch feinen Sohn deine Menſchheit, o Jeſus,
angesogen und dur Dich, o Jeſus, zieht nun der Vater alle Menſchen an
fh... Ohne dich ift es alfo unmöglich, die Glückſeligkeit zu erlangen. Du,
o Jeſus! bift die Offenbarung des Vaters. Denn der Allen unfichtbare
Vater ift nur dir feinem Sohne fichtbar, und dur did Demjenigen, ver
dur dich und deine Offenbarung ihm zu fehen verdienen wird... Kein
Beier diefer Welt kann die wahre Glückſeligkeit erlangen, wenn er dich
nicht kennt. Keim Glücklicher fann den Vater fehen, außer mit dir, o
Jeſus! innerhalb des Paradiefes. Auch von dem Glüdlichen fann das
Entgegengefeßte, wie von dir, o Zefus! ausgefagt werden, da er mit dir
in dem vernünftigen, natürlichen und Einen Geifte geeinet ift. Denn es
200
ruht jeder glüdlihe Geift in deinem Geifte, wie der Neubelebte in dem
Belebenden. Es fieht jeder glüdliche Beift den unfichtbaren Gott und ift
dur dich, o Jeſus! mit dem ungugänglicen und ewigen Gott geeint.
So wird das Endliche dur Dich mit dem Unendlihen und Nichtzueinens
den geeint, der Unbegreiflihe wird begriffen in ewigem Genuſſe, der bie
höchfte nie endende Seligfeit iſt.
Erbarme dich, o Jeſus! erbarme dich meiner, laß mich dich ent
hüllt fehen, und meine Seele ift gerettet!
22.
Wie Jeſus fieht und wirft.
Das Auge des Geiftes kann ſich nicht fatt fehen an dir, o Jeſus!
Du bift die Ergänzung (complementum) jeder geiltigen Schönheit und
aus diefem Bilde jchließe ich, daß dein Blid, o gepriefener Jeſus! über
aus wunderbar und ftaunenswerth iſt. Ald du in diefer fihtbaren Welt
wandelteft, hatteft du fleifchlihe Augen wie wir, mit denen du die Gegen—
ftände ſcharf und genau unterfchiedeft. Aber noch mehr! Aus der Ge
ftalt des Antliges und der Augen Derer, die du faheft, fchloßeft du mit
Wahrheit auf ihre inneren Empfindungen von Zorn, Freude, Trauer. Noch
ſchärfer erfannteft du aus wenigen Zeichen, was im Geifte eines Menſchen
verborgen war (denn der Geift denkt nichts, was nicht im Angefichte, be
fonderd in den Augen fih ausdrüdt, denn es ift der Bote des Herzend).
Meit richtiger als jeder erfchaffene Geift erfannteft du nad dieſen Zeichen
das Innere eines Menfchen. Aus einem unbedeutenden Zeichen erfannteft
du die ganze Geiftesrichtung, wie die Verftändigen aus wenigen Worten
den ganzen Gedanfengang einer langen Rede, und Gelehrte aus einigen
Bliden in ein Bud den ganzen Sinn des Schriftfteller8 errathen. Du,
o Jeſus! übertrafft im diefer ‚Art von Erkennen alle Vollkommenheit,
Echnelligkeit und Scharffinn aller früheren, jegigen und der zufünftigen
Menſchen. War auch diefes menfchlibe Erfennen an das leibliche Auge
gebunden, fo war es doch ftaunenswerth und bewundernswürdig. Denn
wenn ed Menſchen gibt, die durd langes und mühſames Korjchen den
Einn eines Echreibenden aus neuerfundenen Echriftzügen und ungefehenen
Zeichen herausrathen, fo fieheft du, o Jeſus! unter jedem Zeichen und
jeder Figur — Alles. Wenn man von einzelnen Menfchen liest, welche
die Gedanken der fie Fragenden, felbft wenn diefelben in Gedanken ein
Lied fingen, aus einigen Zeihen an den Augen errathen, fo erfenneft du,
o Jeſus! noch weit befler alle Gedanfen aus jeder Bewegung der Augen.
Ich Fannte ein taubes Weib, das aus der Bewegung der Lippen ihrer
Tochter Alles verftand, was diefe fagte. Iſt dies durch lange Gewohn⸗
heit möglich, fo gabeſt du, o Jeſus! der du alles zu Wiſſende wirflid
201
wußteft, ald der Meifter aller Lehrmeifter aus ganz kleinen und von und
unbeachteten Winfen und Zeichen über das Innere und feine Gedanfen
ein ganz richtiged Urtheil. — Mit diefer deiner menſchlich ganz vollkom—
menen, wiewohl immerhin noch befchränften und an ein Organ gebun-
denen Erfenniniß war jedoch ein abjoluted und ımendlihes Erkennen
(visio) verbunden, vermöge deſſen du Alles und Jedes zugleih als Gott
erfannteft, Abwefendes und Gegenwärtiges, Bergangenheit und Zufunft,
die Subſtanz der Dinge. Noch nie hat ein im Fleiſche Lebender außer
dir, o Jeſus! die Subſtanz, die Wefenheit der Dinge gefehen. Du allein
baft Seele und Geift und Alles im Menfchen auf das Genauefte gejehen.
Die nämlih das Erkenntnißvermögen des Menfhen mit dem ſinnlichen
Schvermögen fo vereint ift, daß der Menfch nicht bloß fieht, als Thier,
iondern auch unterfcheidet und urtbeilt ald Menſch, fo ift das abjolute
Erkennen in dir, o Jeſus! mit dem menfchliben Erfenntnißvermögen vers
einige... Wie in dem höhern Erkennen des Menſchen alle nievern Stufen
des Erfennend, fo find in dem göttlichen Erfennen alle Grade der geiftigen
Grfenntniß inbegriffen. So erfenne ih in Dir, o Jeſus! alle Vollkom—
menbeit: die Vernunft ift dem Berftande oder dem discurſiven Erfennen,
welches das Dberfte in der Sinnenerkenutniß ift, übergeorbnet;z mit der
Vernunft in ihrer höchſten Stufe ift das göttliche Wort vereint. Dieſes
ort Gottes erleuchtet die Vernunft, wie das Sonnenlicht die Welt, es
erleuchtet jeden Geiſt. Du bift alfo allein der Höcfte unter allen Crea—
turen: Geſchöpf und Schöpfer, der gepriefen fei!
23.
Aſus ift getorben, jedod ohne Auflöfung der Vereinigung
mit dem Leben.
D Jefus, föftlihe Nahrung des Geiftes, du erfcheinft mir bewun—
verndwerth, jo oft ich dich innerhalb der Mauer des Paradiefed betrachte.
denn du bift das menfchgewordene Wort Gotted und der gottgewordene
Nenſch (verbum enim Dei es humanatum et homo es deificatus).
Du bift jedoch feine Zufammenfegung aus Gott und dem Menſchen. Bei
Zuſammengeſetztem ift eine Proportion nothwendig, aber das Enbliche
fcht in feiner Proportion zu dem Unendlihen. Du bift auch nicht die
Coincidenz des Schöpfers mit dem Geſchöpfe in der Weife, wie die Coin—
üben bewirkt, daß eines zugleich ein Anderes if. Denn die menfchliche
Ratır iſt micht die göttliche umd umgekehrt. Denn die göttlihe Natur
it nicht veränderlich, geht nicht über in etwas Andered. Man kann dic,
° Jehust auch nicht eine zwifchen der göttlichen und menfclichen in der
Mitte ſtehende Natur nennen, die an jeder derſelben participirte, denn die
Hltlihe participirt nicht. Du, o Jefus! wäreft dann weder Gott noch
202
Menſch. Ich erkenne dich, o Herr Jefus! über allen Verſtand als die
Eine Hypoftaje (video te — unum suppositum), weil du der Eine
Chriſtus bift, wie ih auch fehe, daß deine Eine menſchliche Seele, in
welcher eine zerſtörliche ſinnliche Natur enthalten ift, in der geiftigen un-
zerftörliden Natur ihre Subfiftenz babe (subsistere). Deine Seele war
nicht zufammengefegt aus Zerftörlichem und Unzerſtörlichem, auch coincidirt
das Einnlidhe nicht mit dem Geiftigen, wohl aber ſehe ich die geiftige
Seele mit dem Körper durch die finnliche Kraft, welche den Körper br
lebt, vereinigt (video autem animam intelleetualem uniri corpori per
virtutem sensibilem, vivificantem corpus). Würde nun das geiftige
Princip (anima intellectiva) die Belebung des Körpers unterlafjen, ohne
daß fie jedoch vom Körper ſich trennte, fo wäre der Menſch todt, weil
das Leben fehlte (quia vita cessaret). Gleihwohl wäre der Körper
nicht vom Leben getrennt, da der Geift fein Leben if. Wenn Jemand
mittelft des Geſichts aufmerkſam einen Herankommenden unterjcheiden
will und feine Aufmerfiamkeit, indem er plöglid von andern Gedanfen
ganz in Anfprud genommen ift, aufhört, während das Auge immer noch
auf den Heranfommenden gerichtet ift, fo wird das Auge micht won ber
Seele, wohl aber von der unterfcheidenden Aufmerkfamfeit der Seele gu
trennt. Würde mit jener Zerftreutheit nicht bloß die unterfcheidende (dis-
eretiva), fondern auch die finnliche (sensitiva vivificatio) Belcbungsfraft
des Auges aufhören, jo wäre das Auge todt, weil ed nicht belebt würde.
Gleichwohl wäre es nicht von dem geiftigen Principe (a forma intellectiva)
getrennt, welches das Sein gibt, wie eine verdorrte Hand mit dem Principe
(formae), das den ganzen Körper zulammenhält, auf diefe Weiſe vereinigt
bleibt. Es gibt Menſchen, die den lebenden Geift zurüdziehen fünnen und
todt und empfindungslos zu fein fcheinen, wie der bi. Auguftin angibt. In
diefem Falle bleibt die geiftige Natur mit dem Körper vereinigt, der
Körper behält fein lebendes Princip, allein dieſes breitet ſich in Wirk
lichfeit nicht in den Körper aus. Ich fehe, daß ein folder Menſch wahr
haft topt ift, weil ihm das Belebende fehlt (der Tod ift der Mangel des
lebengebenden Princips), und doch wäre diejer todte Körper nicht von feinem
Leben, das feine Seele ift, getrennt. Auf diefe. Weile ſehe ich das ab-
folute Leben, welches Gott ift, mit deinem menfchlichen Geifte, o gütigfter
Jeſus! und durd diefen mit deinem Körper ungertrennlich vereinigt. Denn
diefe Vereinigung ift die größtmöglihe und eine trennbare Vereinigung
fteht weit unter ihr. Es kann alfo und wird nie wahr fein, daß bie
göttlihe Natur von deiner menſchlichen getrennt war, fomit aud nicht
von der Seele und dem Körper, ohne welche die menſchliche Natur nict
denkbar if. So wahr es ift, daß deine Seele aufgehört hat, dem Körper
zu beleben und du wahrhaftig in den Tod gegangen bift, fo gewiß if
203
es, daß dein Körper nie von der Wahrheit ded Lebens getrennt wurde
(quamvis verissimum sit, animam tuam desiisse corpus vivificare et
te veraciter mortem subiisse et tamen nunquam a veritate vitae se-
paratum). Wenn jener Priefter, den Auguftin erwähnt, was immer für
eine Gewalt hatte, die Belebung aus dem Körper hinwegzunehmen, in—
dem er fie in die Seele zurückzog, wie wenn eine bremmende Kerze in
einem Zimmer lebend gedacht würde und die Strahlen ind Centrum ihres
Lihted zurüczöge d. h. nicht mehr ausftrömen ließe, ohne jedoch aus dem
Zimmer entfernt zu werden; was Wunder, wenn du, o Jeſus! die Ges
walt hattet, da du das lebendige und freiefte Licht bift, die belebende
Seele zu geben und zu nehmen (vivificantem animam ponendi et tol-
lendi)? Als du fie weggeben wollteft, erlitteft du den Tod,
ald du fie wieder nehmen wollteft, bift du durd eigene Kraft
auferftanden. Man fagt nämlich, vie Seele werde weggegeben, wenn
der menſchliche Geift aufhört, zu beleben. Gibt er dieſe Verrichtung auf
und trennt er fich infofern (quoad hoc) vom Körper, jo ift er deßhalb
no micht ſchlechthin vom Körper getrennt.
Solches gibft du mir ein, o Jefus! um mir, dem Unmwürbdigften, jos
weit ih ed faflen fann, zu zeigen, daß in dir die fterbliche menjchliche
Natur die Unfterblichkeit angezogen habe, auf daß alle Menſchen von
gleider menfchliber Natur in dir Unfterblichfeit und göttliches Leben er-
langen fünnen. Was ift füßer, was erfreulicher, ald die Ueberzeugung,
daß wir in dir, o Jeſus! Alles in unfrer Natur finden, der du allein
Alles kannſt, auf das Freigebigfte mittheilft und nichts und vorwirfſt (et
oil improperas). O unausiprechlice Liebe und Erbarmen! du, o Gott!
die Güte ſelbſt, konnteſt deiner unbegrenzten Liebe und Güte nicht ges
nügen, bis du dich felbft uns gabeft. Dies konnte nicht für dich paſſen—
der, für und zur Aufnahme leichter gefchehen, als indem du unfere Natur
annahmft, da wir zu deiner Natur nicht gelangen fonnten. So famft
du zu und und dein Name ift Jefus, der in Ewigkeit gepriefene Heiland.
24.
Wie Zefus das Wort des Lebens iſt.
Ich betrachte durch deine große und liebevolle Gnade did, o mein
Reſus! wie du das Wort des Lebens verfündigft und den göttliben Samen
reihlih in die Herzen der Zuhörer ausftreuft; ich ſehe, daß nur Diejeni-
gen dich verlaffen, welche nicht verftehben, was des Geiſtes ift. Bleiben
ſehe ich diejenigen Jünger, welde die Süßigfeit deiner das Innere ber
lebenden Lehre ſchon zu verfoften angefangen haben. In ihrer aller Namen
hat der Fürft und oberfte aller Apoftel, Petrus, das Befenntniß abge—
kat: du Haft Worte des Lebens, und er wunderte fi, daß Die, welche
204
bad Leben zu erlangen fuchen, von dir weggehen. Paulus vernahm von
dir, o Jefus! in der Entzückung Worte des Lebens, und von da an ver
mochte nicht Verfolgung, nicht Schwert und Hunger ihn von dir zu trennen.
Niemand hat je dich verlaffen, der die Worte ded Lebens verfoftet hat.
Wer fann einen Bären vom Honig hinwegbringen, wenn biefer einmal
die Süßigkeit verfoftet hat? Wie groß ift die Süßigfeit der Wahrkeit,
die das freudigfte Leben gewährt, weit über alle körperliche Freude? Was
ift ftärfer, ala die Liebe, aus der alles Liebenswürdige ftammt? Wenn
das Band der irdiſchen Liebe bisweilen fo ftarf ift, daß felbft die Furdt
vor dem Tode es nicht zerreißen kann, wie feft muß dann das Band jener
Liebe fein, aus der alle Liebe ftammt! Es befremdet mich nit, daf
andere deiner Streiter, o Jeſus! die graufamften Strafen für nichts ges
achtet haben, nachdem du dich ihnen ald Nahrung des Lebens Hingegeben
haft. O Jeſus, meine Liebe! du haft ven Samen des Lebens auf den
Ader der Gläubigen ausgeſäet und mit dem Zeugniß deines Bluted des
goſſen; durch den leiblichen Tod haft du gezeigt, die Wahrheit fei das
Leben des vernünftigen Geiftes. Der Same wuchs in gutem Erdreich
und gab reihe Frucht .... Weil der vernünftige Geift nicht durch den Ein
fluß des Himmeld (der Himmeldbewegung) bedingt wird (necessitatur),
jondern ganz frei ift, jo gelangt er, wenn er fich nicht dem Einflufje dee
Wortes Gotted unterwirft, nicht zur Vollendung, wie ein freier Schüler,
der fein eigener Herr ift, wenn er ſich nicht dem Worte des Lehrers im
Hlauben unterwirft, nicht zur Vollfommenheit gelangt; er muß dem Lehrer
glauben und ihn hören. Durch das Wort Gottes vervollkommnet fih der
Geift, wächst und wird beftändig fähiger und dem Worte ähnlicher. Diele
Bervollfommnung, welde aus dem Worte fommt, aus dem aud dad
Sein hervorgeht, ift nicht eine vergängliche, fondern eine gottähnlice Ber
vollfommnung,, wie die Vollendung ded Goldes nicht eine vergänglide,
fondern eine bimmelsähnlihe (coelestiformis) (aus dem Einfluſſe des
Sonnenlibts) ift. Jeder Geift muß im Glauben fih dem Worte
Gottes unterwerfen, mit der größten Aufmerfjamfeit die innere (internam)
Lehre des höchften Lehrmeiſters anhören, und hörend, was der Herr durd
das Wort zu ihm redet, wird er vollfommen werden. Daher haft du,
o einziger Xehrmeifter Jeſus! verfündet, der Glaube fei Jedem, der zum
Duell des Lebens gelangen wolle, nothwendig, nad dem Grade des Glan
bens richte fich die Einwirfung der göttlichen Gnade. Nur zwei Erüde
haft du gelehrt, Erlöfer! Glaube und Liebe. Durch den Glauben g%
langt der Chrift zum Worte, dur die Liebe wird er mit ihm vereint; ie
mehr er fih naht, defto mehr wächst feine Kraft, und je mehr er lebt
defto mehr gründet er fich im Lichte ded Worted (duo tantum docaisti,
Christe salvator, fidem et dilectionem. Per fidem accedit intellectus
205
ad verbum, per dilectionem unitur ei. Quantum accedit, tantum in
virtute augetur, et quantum diligit, tantum figitur in luce ejus). Das
Wort Gottes ift innerlih; man darf ed nicht außer fih fuchen, denn
innerlich wirft du es finden und im Glauben dih ihm nahen. Ihm nahe
zu fommen, fannft du durch Gebet erlangen, denn das Wort wird durd)
Mittheilung feines Lichte den Glauben erhöhen.
Ih danke dir, o Jeſus! daß ich durch deine Erleuchtung bis daher
gelangt bin. Im deinem Lichte erfenne ich das Licht meines Lebens: du,
dad Wort, gibft allen Glaubenden das Leben und vollendeft Alle, die da
lieben. Gibt es eine fürzere und wirffamere Lehre ald diefe, o guter
Jeſus? du wilt nur Glauben und gebieteft nur Liebe. Was ift
leihter, ald Gott glauben (credere Deo)? Was ift ſüßer, als ihn lieben?
Wie füß ift dein Zoch, wie leicht deine Bürde, einziger Lehrer! Wer deine
Lehte beobachtet, dem verfprichit du alled Erjehnte, du verlangt nichts,
was dem Glauben ſchwer, nichts, was der Liebe zu verweigern wire,
Das find die Verheißungen an deine Jünger, fie find wahr, weil du die
Wahrheit bift, die nur Wahres verſprechen kann. Ja, dich felbft ver:
Iprihft du, der du die Volllommenheit eines jeden der Vollftommenheit
Faͤhigen bift. Lob, Ehre und Dank fei dir in alle Ewigkeit!
25.
Jeſus iſt die Vollendung (consummatio).
Was iſt es, o Herr! was du dem Geiſte des Menſchen, den du zur
Volllommenheit führft, einſenkſt? If es nicht dein guter Geiſt, ver
ganz Wirkſamkeit ift, die Tugend aller Tugenden, die Vollkommenheit
der Bollfommenen? Er ift ed, der Alles bewirket. Wie die Kraft des
Sonnenlihts in die Vegetation herabfteigt und diefelbe zur Vollkom—
menheit bringt, jo daß durch ein ganz zuträgliches Auskochen der himm—
lihen Wärme mittelft eined guten Baumes eine gute Frucht hervor.
Iommt, fo kommt dein Geift, v Gott! in den Geift eines guten Menfcen
und dringt dur die Wärme der göttliben Liebe die Anlage zur Tugend
zum Ausfochen und zur Vollfommenheit, fo daß eine lieblihe Frucht ent
ſteht. Die Erfahrung zeigt, daß dieſer einfache, im feiner Kraft unend»
lihe Geift auf vielfache Weife aufgenommen werde. Bei dem Einen be-
wirft er die Gabe der Weiffagung, bei dem Andern die der Auslegung,
bei dem Andern die der Wiffenfchaft u. j. f. Seine verfhievenen Gaben
find geiftige Vollkommenheiten, wie diefelde Sonnenwärme in verſchiedenen
Bäumen verſchiedene Früchte zur Reife bringt. Ich ſehe, o Herr! daß
dein Geift feinem Geifte fehlen fünne, denn er ift der Geift der Geifter,
die Bewegung aller Bewegungen, er erfüllt den Erdfreis. Er ordnet
Ass, was feinen vernünftigen Geiſt hat, durch die geiftige Natur (per
206
intellectualem naturam), die den Himmel bewegt, und durch ihre Be-
wegung Alles leitet, was ihr untergeordnet if. Die Dispofitionen aber
in der geiftigen Natur bat der Geift Gottes fich felbft ausfchließlich vors
behalten, denn er hat ſich mit diefer Natur vermählt, er hat fie auber—
wählt, in ihr zu ruhen, als in feiner bleibenden Wohnung und dem Him—
mel der Wahrheit; denn nirgends, außer in der geiftigen Natur fann die
Wahrheit an fich erfaßt werden. Du, o Herr! der du Alles um deiner
ſelbſt willen wirfft, haft diefe ganze Welt um der geiftigen Natur willen
erſchaffen, wie ein Maler, der verfchiedene Karben mifcht, um zuletzt ſich
felbft zu malen und ein Bild von ſich zu haben, an dem er Gefallen finde,
in dem feine Kunft zur Ruhe fomme und er felbft, da er nicht zu ver
vielfältigen ift, wenigftend in entiprechendem Abbilde vervielfältigt werde.
Gr macht viele Bilder, weil das Abbild feiner unendlichen Fähigkeit nur
in der Vielheit vollfommener fi ausprägen kann. So find aud alle
vernünftigen Geifter jedem Geifte dienftbar (opportuni). Wären
fie nit unzählbar, fo Fönnteft du, unendlider Gott, nidt
auf eine befjere Weife erfannt werden. Jeder vernünftige Geift
fieht in dir, o mein Gott! etwas, was durch die Mittheilung an Andere
bewirft, daß fie dich, ihren Gott, auf noch beffere Weife erkennen. Die
liebevollen Geifter offenbaren ſich gegenfeitig ihre Geheimniſſe; dadurd
fteigert fi die Erfenntniß des Geliebten, und die Sehnfucht nad ihm,
die Süßigfeit der Freude durdwärmt dad Herz (revelant igitur sibi
mutuo secreta sua amoris pleni spiritus et augetur ex hoc cognitio amati
et desiderium ad ipsum et gaudii dulcedo inardeseit). Indeß ohne
deinen Sohn Jefus, den du vor feinen Genoffen gefalbt haft, welder
Ehriftus ift, fehlte deinem Werfe, o Herr und Gott! die Ergänzung, dem
in feinem Geifte ruht die Vollendung der erfhaffbaren Natur: er ift die
höchfte, vollfommenfte, unvermehrbare Aehnlichfeit Gottes, und eine folde
fann ed nur Eine geben. Alle andern Geifter find durch feine Vermittlung
Achnlichkeiten. Alle ruhen in ihm als in der höchſten Vollkommenheit
des Bildes Gottes, in verfchiedener Abftufung. Durch deine Gnade, o mein
Gott! (dono tuo) habe ich alfo dieſe ganze fichtbare Welt, die gan
Schrift und alle dienenden Geifter zu meiner Hilfe; zum Wachsthum in
deiner Erkenntniß, zur Hinfehr zu Dir treibt mic Alles an. Ale Schrift
will nur dich zeigen, alle vernünftigen Geifter haben fein anderes Streben
als dich zu fuchen, und was fie von dir gefunden haben, mitzutheilen.
Mehr als diefes haft du mir in Jeſus, dem Lehrmeifter, ven Weg, die
Wahrheit und das Leben gegeben, damit mir durchaus nichts fehle. Du
ärkft mich durch deinen Geift, du gibft mir durch ihm die Berufswahl
und heiliges Verlangen ein. Durd den Vorgeſchmack der Süßigkelt der
himmlifhen Glorie treibft du mich an, daß ich dich, den guten Gott, un⸗
207
enblich liebe. Du führft mich in die Entzückung, daß ich über mich jelbft
binausfomme und in der Glorie den Drt zum voraus fehe, zu welchem
du mich einladeſt. Viele ſchmackhafte Genüffe, die mich durd ihren Wohl:
geruch feſſeln, zeigt du mir; einen Schag von Reihthum, Leben, Freude,
Schönheit läßt du mich fchauen. Die Quelle, aus der alles Erjehnte
in Natur und Kunft fließet, dedft du mir auf. Nichts bleibt mir Ge—
heimniß. Die Ader der Liebe, des Frievdend und der Ruhe verbirgft du
mir nicht. Alles bieteft du mir Armen an, den du aus Nichts erjchaffen
haſt. Was zögere ich alſo? warum eile ich nicht, mit Wohlgerüchen ges
jalbt von meinem Chriftus, warum eile ich nicht in die Freude meines
Harn? Mas hält mich zurüd? Hemmte mich bisher die Unfenntniß
deiner, o Herr! und die citle Weltfreude, fo ſoll fie mich fortan nicht mehr
hemmen. Ich will, o Herr! weil du mir die Kraft, es zu wollen, gibft,
die Dinge diefer Welt verlaflen, weil auch die Welt mich verlaffen will,
Ih eile zum Ziele, ich habe die Laufbahn beinahe vollendet; ich fomme
der Welt mit dem Lebewohl zuvor, und ſchmachte nach der Krone. Ziehe
mich zu dir, o Herr! Niemand fann zu dir gelangen, außer von dir ges
zogen. Gezogen von dir löje ich mich los von diefer Welt und vereinige
mich mit dir, dem abfoluten Gott, in der Glorie des ewigen Lebens. Amen,
Gefpräch über das Seinkönnen.
(De Possest.)
Die Sprechenden find: Bernhard, Johann, der Cardinal.
Bernhard. Da wir die längit erfehnte Gelegenheit haben, den Car:
dinal zu fprechen, und es ihm nicht läftig fällt, einen längft erwogenen
Gedanken mitzutheilen, fo bringe Du, mein Abt Johannes! um ihn ans
regen, Etwas aus feiner Philofophie zur Sprade. So angeregt wird
er und ohne Zweifel willfommenen Aufihluß geben. Johannes. Mid
bat er ſchon oft gehört; wenn Du die Anregung gibft, wird er ſchneller
migegenfommen, da er Dich gerne fieht und lieb bat. Ich werde dabei
nicht fehlen. Treten wir näher zum euer (Kamin)! Sieh ihn dort
auf feinem Sige, bereit, Deinen Wünfchen zu entfprehen. Eardinal.
Iretet näher! die ungewöhnlihe Kälte fefjelt uns und entſchuldigt es,
wenn wir und am Kamine zulammenfehen. Bernhard. Da die Zeit
drängt, gehorchen wir Deinem Befehle. Cardinal. Ihr habt vielleicht
einen Zweifel, da ihr fo nachdenklich feid. Machet mih zum Genoffen
eurer Studien! Johannes. Wir haben allerdings Zweifel, welde
Dir Bernhard vorlegen wird. Gardinal. Gut. Bernhard. Ih
hieß auf den Brief des Apoftel Paulus an die Römer und las dort,
208
daß Gott den Menfhen Das offenbart, was ihnen von ihm befannt ift,
Dies geichehe in der Weiſe, daß das Unfichtbare von ihm durd Er-
ihaffung der Welt erfannt werde, feine ewige Macht und Gottheit,
Darüber wünſchen wir von Dir eine Aufhellung zur erhalten. Cardinal.
Wer kann den Sinn des Paulus beffer geben ald Paulus ? Das Unfichtbare,
jagt er anderdwo, ift das Ewige, die zeitliben Dinge find Abbilver des
Ewigen. Wenn aljo das, was erihaffen ift, erfannt wird, jo wird dad
Unfihtbare an Gott erfannt: feine Ewigfeit, Kraft und Gottheit. So
ift die Erfhaffung der Welt eine Offenbarung Gottes. Bernhard.
Wir ftaunen beide darüber, daß das Unfichtbare gefchaut werden fan.
Gardinal. Es wird unfihtbar geibaut. Bernhard. Wie wir
dieſes Schauen aus der unfictbaren Welt entwidet? Cardinal.
Ich weiß, daß, was ih mit den Augen fehe, nicht aus ſich felbit ik;
es muß von einer höhern Kraft, umd diefe muß ewig, aus fid jelbit
fein. Bernhard. Der Apoftel fcheint aber doch noch einen tiefen
Sinn mit feinen Worten zu verbinden, zu einer fruchtbarern Erkenntniß
Sotted. Das eröffne und! Gardinal, Da jedes Griftirende dad
fein fann, was es wirklich ift, fo erfennen wir die abfolute Actualität
ald diejenige, durch welche die wirflihen Dinge das find, was fie find; wie
wenn unfer Auge etwas Weißes ficht, wir das Weißfein geiftig ſchauen,
ohne welches das Meiße nicht weiß ift. Da nun die Actualität wirflid
ift, fo fann fie auch fein, weil dad Nichtfeinfönnende auch nicht if.
Das abfolute Seinfönnen kann nidts anderes fein, als das
Können und die abfolute Actualität nichts anderes ald das Wirkliche.
Das abjolute Seinfönnen fann auch nicht vor der Wirklichkeit fein, wie wir
jagen, die Möglichkeit gehe ver Wirklichkeit voran. Denn wie wäre fie
zur Mirklichfeit geworden, außer durd die Wirklichkeit? Denn wenn
das Merdenfönnen ſich jelbft in Wirklichkeit fegte, fo wäre es wirflid,
bevor es wirflib iſt. Es geht daher die abjolute Möglichkeit, durd
welche das, was wirklich iſt, wirklich jein fann, der Wirklichkeit nicht voran,
noch folgt fie ihr nad, denn wie fünnte die Wirklichkeit fein, wenn die
Möglichkeit nicht wäre? Es find alfo gleih ewig die abjolutt
Möglichkeit, Wirklichkeit und die Berbindung Beider. &
gibt aber nicht mehrere Ewige, fondern fie find fo ewig, daß fie die
Ewigkeit felbft find. Leuchtet dies Euch ein? Bernhard. Allerdinge.
Gardinal. So gehe ih weiter meinem Ziele zu. Ich nenne dieſe
Ewigfeit den glorreihen Gott und fage: wir fennen nun Gott vor der
Mirflichfeit, ſoferne dieſe von der Möglichkeit unterfchieden ift, und ver
der Möglichkeit, unterfhieden von der Wirklichkeit, als das einfache Priw
cip der Melt. Alles, was nach ibm ift, eriftirt im Unterſchiede der
Möglichkeit und Wirklichkeit; fo daß Gott allein das ift, wat
209
fein fann, keineswegs aber die Greatur, da Möglichkeit und Wirklich,
feit nicht im ihr, fondern nur in ihrem Brincipe Eins find ). Berns
bard. Halte ein wenig ein, Vater! und löfe mir einen Zweifel. Kann
man nicht auch von Sonne, Mond und jedem Dinge jagen, daß es das
if, was ed fein fann? Cardinal. Ich rede in abfoluten und gene-
rellften Ausprüden, wie wenn ich fagte: da Möglichfeit und Wirklich»
feit in Gott Eins find, fo it Gott alles das wirflid, von
weldem das Seinfönnen audgejagt werden fann, denn
nichts kann fein, was nicht Gott ift. Nicht fo ift es bei der Sonne,
obwohl fie wirklich ift, was fie fein kann, fo fann fie doch andere fein,
ald fie wirklich iſt. Sie kann nicht überall fein, fie könnte größer oder
Heiner fein 2. Bernhard. Fahre weiter, Vater! denn es ift Mar,
daß feine Creatur wirklich alles Das ift, was fein kann; da Gottes
Schöpferfraft durch die Schöpfung nicht erfchöpft ift, daß er nicht aus einem
Steine einen Menſchen erfchaffen, jede Qualität vermehren oder vermins
dern, jede Greatur in eine andere und wieder andere verwandeln Fönnte.
Gardinal. Richtig. Da alfo Gott alles Mögliche wirklich ift, fo ift
ercomplicite Alles. Alles, was irgendwie ift, oder fein kann, ift
in ihm als dem Principe enthalten, alles Erihaffene oder noch zu Ers
ſchaffende wird aus ihm entfaltet. Subftangen, Qualitäten x.
ind in Gott Gott, wie fie entfaltet als Ereatur Welt
find. Johann. So ift denn Gott groß. Cardinal. Allerdings,
und zwar jo groß, daß er die abjolute Größe ift, die weder größer
noch fleiner jein fann, fomit die abfolute Gleichheit des
Seins Eben fo ift er die abfolute Schönheit, Güte, Be
wegung x. Gott iſt aber in der Weile Alles in Allem, daß
er niht Eines mehr ift als dad Andere, weil er nicht fo Eines
it, daß er nicht zugleich ein Anderes wäre. Johann. Siehe
w, daß Du Dir nicht widerfprihft, wenn Du fagteft, Gott ſei Alles
und zugleich, er fei nicht die Sonne. Cardinal. Ich fage, Gott fei
die Sonne, aber nicht in der Seinsweiſe, wie diefe Sonne ift; das
Sonnefein fehlt ihm nicht, aber er ift es in ver vollfommenften, der
göttlihen Weiſe. So hat die Hand ihr volllommenered Sein in der
Seele, ald in der Hand, weil in der Seele Leben ift, während die Hand
für ſich todt iſtz wiewohl ih damit nicht fagen will, daß Gott die
Beltfeele if. Am treffendften fann daher Gott mit Einem Worte:
1) Ita ut solus Deus id sit quod esse potest, nequaquam autem quaecungue
ereatura, cum potentia et actus non sint idem, nisi in principio. Um ben Unterfchied
wiſchen dem göttlichen und creatürlichen Sinn nach Gufa feftzuhalten, müſſen wir über:
ſehen: Gott ift alles das, was fein Fann, nicht: was er fein kann; während der Sag:
sol est actu, quod esse potest zu überfeßen ifl : die Sonne iſt wirklich, was fie fein fann.
Sharpff, Nic. v. Gufa, 14
210
Possest, dad Können und Sein benannt werden. Als daher Gott
im Anfang die Kenntniß feiner felbft offenbaren wollte, ſprach er: ic
bin der Alles Könnende (omnipotens) Gott, d. h. ich bin die Wirk
lichfeit aller Möglichkeit. Dieſer Name führt die Speculation über alle
Sinmens, Verſtandes⸗ und Vernunfterkenntniß zur myſtiſchen Anſchau—
ung, wo das Ende aller aufſteigenden Erkenntniß und der Anfang der
Offenbarung des unbekannten Gottes iſt. Der Geiſt hofft auf dieſer
Stufe in demüthigſtem Verlangen von Gott erleuchtet zu werden, um ihn,
den Unſichtbaren, ſo weit zu ſehen, als er ſich ihm offenbaret. So ver—
ſtehe ich das beſprochene Wort des Apofteld.... Bernhard. Wir wün—
ſchen nun nod eine Veranſchaulichung, befonderd wie das Ewige Alles
zugleich und das ewige Jetzt it. Cardinal.
Sch will es verjuhen. Denkt man fi den
Kreis bc in der möglichft fchnellen Bene
gung um a, fo würde er dem feften Kreile
de an Ruhe gleich fommen. Die entgegen
gefegten Punkte b, c wären immer bei d und
zugleich immer bei e; eben fo alle zwiſchen b
und c liegenden Punkte. Der ganze Kreis,
‚wie groß er aud fein möchte, wäre alſo in
jedem Augenblicke bei dem Punkte d und bei jedem Punkte des Kreifes de.
Bezeichnet nun der Kreid bc die Ewigfeit, de die Zeit, fo ift far, daß
ed fein Widerſpruch ift, daß die Ewigfeit zugleich ganz in jedem
Zeitpunfte ift und Gott ganz in Allem und alle Zeitdiftangen in Gott
lautere Gegenwart find (denn wenn im beweglichen Kreife b zu d kommt, jo
ift e8 zugleich bei e). Ahr könnt nun auch die Theologen in Einklang
bringen, wenn die Einen fagen, die Weisheit, welche Gott ift, ſei be
weglicher ald Alles, fie durchdringe Alles, während die Andern behaup
ten, dad Grundprineip fei feit, unbeweglih, in beftändiger Ruhe, wenn
ed gleich Allem Bervegung verleihe.. . . . Aus dem Gefagten fehet Ihr
auch, daß aud das Nichtfein, da es durch den Allmächtigen fein Fann,
in. der umendlihen Möglichkeit, im Possest enthalten if. Nichtſein
ift in Gott — Alles fein. Eben darum ift Gott die abjolute
Nothwenpdigfeit, weiler nicht — nit fein fann. Bern—
hard. Weil die Welt erfhaffen werden fonnte, jo war auch immer die
Möglichkeit ihres Eeind. Dies ift aber in den finnlichen Dingen die
Materie. Die Materie ift alfo ewig. Johann. Dein Be
weiß geht nicht richtig voran. Denn die unerfhaffene Möglich—
feit ift das Können und Sein (Possest). Diefes ift der einzige
Grund alles Seins. Bedurfte das abfolute Können der Materie, ſo
wäre ed nicht das Können und Sein feld. Denn daß der Menſch zu
d
e
211
feinem Machenkönnen der Materie bedarf, rührt daher, weil er nicht das
Können und Eein ift, in weldem Machen und Werden das Können
jelbft if. Gardinal. Der Abt bat Redt. Johann. Kein Ber
Rand faßt die abfolute Möglichkeit, nur fie jelbft begreift fih und in fi
Ale. Cardinal. Wenn fie nicht das SKönnengefehenwerden in
Wirklichkeit ſetzt durch Dffenbarung ihrer felbft, fo wird fie nicht gefehen.
Es gibt aber einen Dffenbarenden, es ift Jeſus Ehriftus. Er zeigt
in ih den Vater, und wer es verdient, ihn, den Sohn, zu fehen, ſieht
auh den Bater. Johann. Du willft vielleicht jagen, denen werde der
Bater gezeigt, in welchen Ehriftus dur den Glauben wohnt. Gardis
nal. Chriſtus kann in Niemand durd den Glauben wohnen, wenn er
niht den Geift der Wahrheit hat, der Alles lehrt. Der Geift
Ehrifti wird in den Chriſto Gleichförmigen ausgegoffen und ift der Geift
der Liebe, den nur befigt, wer über die Welt fich erhebt. In dieſem
Geifte wenden wir uns in zweifellofem Glauben, der von Liebe bes
lebt it, im inftändigen Gebete, an Ehriftus, der den Seinigen nichts
verweigert. Bernhard. Diele großen Wahrheiten haft Du und eben
jo fur; als far dargelegt. Sch wünfhe nur von Dir, Vater! noch
Etwas über die heiligfte Trinität zu hören, um über alle wichtigen
Bahrheiten eine beruhigende Einficht zu baben.... Gardinal. Ohne
Möglichkeit, Wirflichkeit und Verbindung von Beiden ift nichts
und kann nichts fein. Keined von diefen dreien darf fehlen. Wie wäre
etwas, wenn ed nicht fein könnte? Wie wäre ed, wenn ed nicht wirk—
id wäre? Wenn e8 fein fünnte, aber nicht wäre, fo wäre es nicht.
Diefes dreieinige Princip hat feinen Widerfhein in allen Wefen. Die
Dreieinigfeit der endlichen Weſen ald endlicher ift aber nad dem drei»
einigen Urprincipe, diejes alfo ewig. Johann. Da aber der dhriftliche
Glaube ehrt, daß die Perfon des Vaters — des abfoluten Können
eine andere fein al& die des Sohnes — des abfoluten Seins, und wie
der eine andere der heilige Geift — die abfolute Verbindung und Liebe
Beider, wie ift dies zu denten? Cardinal. Das „Andere“ ift bier nicht
ein (coneretes) Andersfein, da ja die Dreieinigfeit nicht von einem An—
dern, fondern durch fih if. Sondern das Sein (der Sohn) feht das
Können, die Möglichkeit (— Vater) voraus, während die Möglichkeit
nichts vorausfegt. Sehe ich daher Gott, der feinen Grund feiner felbft vor—
ausfegt, und Gott, der einen Grund feiner felbft vorausfegt, und Gott,
der aus Beiden hervorgeht, und fehe ih darum doch nicht drei Götter,
jondern die Einheit der Gottheit in der Dreiheit, jo zweifle ich nicht,
daß das, was ich fo im Unterfchiede fehe, in der unterfchtenslofen Gotts
heit wahrer und vollfommener fei, als ich es fehe. Wie ich daher fehe,
daß das abfolute Können in der Ewigfeit — ewig iſt und das Sein
| 14*
212
des ewigen Könnend nur aus dem ewigen Können ift, fo glaube ih,
daß das ewige Können ein ewiges Fürfichfein, Hypoftafe, habe und durd
fih fei, daß von Bott dem Water, der durch fich ift, gezeugt werde
Gott, der Alles, was er ift, durd die Allmacht des Vaters ift, fo daß
der Sohn der Allmacht Alles das if, was ber Bater fann (vermag),
fomit allmädtig aus dem abfoluten Können, aus welden Beiden hervor
geht die Verbindung der Allmacht und des Allmäctigen. Ich fehe dem
nah Gott ewiglih und denfelben Gott von Gott ewiglich und denfelben
Gott aus beiden ewig hervorgehen. Wie daher die Vollkommenheit ded
Grundes verlangt, daß er Einer fei, fo verlangt fie in Wahrheit, daf
er dreieinig fei. Die Einheit wäre nicht die vollfommenfte, wenn fie
nicht Alles in ſich faßte, was zum vollfommenften Princip nothmwendig
ift, und dies wird durd die Dreiheit ausgedrüdt. Die Dreiheit wäre
nicht vollfommen, wenn fie nicht Einheit wäre. Die Einheit Gottes if
nicht eine mathematifche, fondern eine wahre und lebendige, melde
Alles in fih faßt und zwar muß die Möglichkeit, um die vollfom
menfte zu fein, dad Sein und die Verbindung beider in fich faflen,
fo das vollfomenfte Sein — die Möglichkeit und die Berbindung
Beider, die vollfommenfte Berbindung endlih die Möglichkeit
und das Wirflihe. Auch die Dreiheit ift feine mathematifche, jondern
eine lebendige Gorrelation. Ohne das dreieimnige Leben
gibt es feine ewige Freude und höhfte Vollkommenheit.
Das Lebenfönnen muß fo allmädtig fein, daß es aus fich das Leben
feiner felbft erzeugt, und aus beiden hervorgeht der Geift der Liebe und
die ewige Freude. — Das find die Lehren jener gelehrten Unwiſ—
fenheit, die zu dem Unausſprechlichen hinſtrebt ..... Johannes.
Ich fürchte unbeſcheiden und läſtig zu werden, ſonſt würde ich noch um
eine weitere Belehrung bitten. Cardinal. Bittet nur Beide; dieſe
Unterredungen ermüden mich nicht, fondern find mir ein großes Ber
gnügen. Iſt alfo noch etwas übrig, fo habet feine Nachſicht mit mit,
da ich vielleicht ein andersmal weniger Muße finde. Johannes. Unter
Unzähligem, was id zu hören wünfhe, habe ich vornämlich die Eine
Frage, warum wir die göttlihe Allmaht auf negativem Wege
beffer erreiben.... Gardinal.- Nehmen wir die erfte aller Nega—
tionen: nicht fein, haben wir hier nicht eine Borausfegung und
eine Verneinung? Johannes. Allerdings, fie fegt das Erin
voraus und verneint ed. Gardinal. Das Sein, welches fie voraud
fest, ift alfo vor der Verneinung. Johannes. Co ift es. Cardi⸗
nal. Das Sein alſo, welches von der Negation voraudgefept wird, if
ewig, denn es iſt vor dem Nichtfein, und jenes Sein, welches negirt
wird, hat nad dem Nichtfein feinen Anfang. Johannes. Nothwendig
213
Garbinal. Die Negation, welche das Sein trifft, negirt alfo jenes
vorausgejegte Sein, was nichts Anderes heißt, ald daß das Sein nad
dem Nichtſein nicht das ewige und unausfprechlihe Sein if. Johan
ned. Ih kann das nicht läugnen. Cardinal. So jehe ih denn
auf dieſe Weife Gott wahrhaftiger, ald die Well. Denn ich fehe die
Welt nur in Verbindung mit dem Nichtfein, negativ, wie wenn ich fagte:
ih fehe die Welt ald das Nicht-Gottſein, Gott aber fehe ich vor dem
Nihtfein, darum wird das Nichtſein von ihm negirt....
Bas ift die Welt anders, als die unfichtbare Erfcheinung Gottes? was
iſt Gott anders, als die Unfichtbarfeit des Sichtbaren, wie der Apoftel
in der Stelle fagt, von der unfere Unterredung ausging.
Unfere ganze Unterredung aber hat feinen andern Zwed als zu bes
greifen, daß Gott alle Begriffe überfteige, deſſen allein befeligende An—
ſtauung und im Glauben durch die Wahrheit felbft, den Sohn Gottes,
verheißen wird, wenn wir den von ihm durch Wort und That vorgezeich-
neten Weg einhalten. Das verleihe und unfer Herr Jeſus Chriftus,
ver hochgelobt fei in Ewigkeit. Amen.
Ueber das Globusfpiel.
(De ludo globi.)
Erfies Dud.
Ein Gefpräch zwifchen dem Herzog Johann von Bayern und dem Garbinal.
Johann. Da ih Dich in den Seffel zurüdgelehnt fehe, vielleicht
müde vom Globusfpiele, ſo möchte ich, wenn es beliebt, über diefes Spiel
mit Dir ſprechen. Gardinal. Mir fehr angenehm. Johann. Wir be—
wundern Alle dieſes neue und unterhaltende Spiel, vielleicht weil e8 die Ber
anfhaulidung einer tiefen Speculation ift, die wir gerne erflärt wünſchen.
Cardinal. Die Vermuthung ift nicht unrichtig. Einige Wiffenfchaften
haben ihre Inftrumente und Spiele, fo die Muſik den Monaflord; aud
das Schachſpiel ift nicht ohne Moral. Jedes ehrbare Spiel faßt irgend
eine gute Lehre in fi. Doch diefes unterhaltende Globusfpiel follte uns,
den? ich, einen nicht geringen philofophifchen Aufihluß geben. Johann.
&o erkläre und die Sache ein wenig.
Cardinal. Ich befürchte eine große
Arbeit zu unternehmen, die zuvor
eine längere Meditation erfordert.
Johann. Ih will nicht in alle
Tiefen eingeweiht fein, befriedige
und nur mit Wenigem! Card inal.
Die Jugend ift feurig und unge
ſtüm, hat aber bald genug. Doch
ich will entiprechen und in euren
edlen Geift einige Samenförner der
Erfenntniß legen, welde von eud
aufgenommen und gepflegt, eine
herrliche Brucht der vom Menfchen fo erfehnten Selbfterfenntniß hervor:
bringen werden. — |
Fürs Erfte werdet ihr wohl erwägen, daß der Globus und feine
Bewegung ein Werf der Intelligenz find. Kein Thier fann ed verfertigen.
Solche Werke der Menſchen entftehen aus einer Fertigkeit, in der fie die
Thierwelt übertreffen. Johann. So ift ed allerdings. Cardinal
215
Allein warum der Globus durch die Kunft des Drechslers die Figur eines
Kegeld mit Eugelförmiger, etwas concaver Mitte erhalten hat, werdet ihr
wohl wiffen. Dadurch allein macht er eine fpiralförmige Bewegung, denn
der Theil des Globus, der ein vollfommener Kreis ift, würde fih in ge:
rader Richtung fortbewegen, wenn nicht der ſchwerere und corpulente Theil
diefe Bewegung hemmte und zu einer centralen hinzöge. Durch dieſe Ver:
ſchiedenheit iſt die Figur der hervorzubringenden Bewegung angepaßt,
welhe weder eine ganz gerade, noch eine ganz freisförmige ift. Beachtet
alſo zuerſt ven Grund der Geftalt des Globus, in weldem ihr eine cons
vere DOberflähbe an der Hälfte der größern Sphäre und eine concave
Dberflähe an der Hälfte der kleinern Sphäre und zwiſchen beiden den
Körper des Globus jehet. Durch die verſchiedene Abänderung der ger
nannten Dberflähen kann der Globus unzähligemal geändert und immer
in eine andere Bewegung gebradt werden. Johann. Sch begreife
das, denn wenn ein eiferner Ring ein Kreis fein könnte, ohne alle Breite
des Umkreiſes, und rollte über eine glatte und ebene Oberfläche, z. 2.
Eis hin, fo würde er nur eine gerade Linie befchreiben. Da wir nun
bier den Ring globusförmig, mit einer gewiflen Gorpulenz, fehen, jo bes
ſchteibt er Feine gerade, jondern eine frumme Linie, deren Krümmung nad
der Verſchiedenheit des Globus verfchieden it. Gardinal. Ganz redt;
allein es ift auch zu beachten, daß auch die Bewegungslinien bei Einem
und demjelben Globus verfchieden und nie die gleichen find, er mag durd
diefelbe oder eine andere Perfon in Bewegung gejegt werden, weil die
bewegende Kraft immer eine verfchiedene iſt; ift diefe ftärfer, fo fcheint
die bejchriebene Linie mehr gerade, ift fie jchwächer, mehr frumm zu fein.
Im Anfang der Bewegung, wenn der Stoß noch frifch ift, find daher
die Bewegungslinien gerader, ald wenn die Bewegung nadläßt. Der
Globus wird nämlich immer zur Hervorbringung einer geraden Richtung
in Bewegung geſetzt. Bei einem ftärfern Abſtoßen wird daher ver
Natur des Globus mehr Gewalt angethan, er muß fih gegen feine
Natur ſoviel als möglich geradeaus bewegen. Bei einem geringern Ab-
floßen leidet feine natürliche Bewegung weniger Gewalt und die Bewegung
folgt ihrer natürlichen Angemeffenheit an die Form des Globus. Johann.
Ih fehe das Har ein. Denn nie bewegt ſich der Globus das einemal
gerade jo wie dad anderemal. Das muß die Wirfung des verfchiedenen
Abſtoßens fein. Gardinal. Wer den Globus hinauswirft, hält ihn
nicht jedesmal gleihmäßig in der Hand, legt ihn nicht immer gleichmäßig
auf dem Boden auf und wirft ihm micht immer mit gleicher Kraft hinaus,
denn nichts kann zweimal auf die gleihe Weife geſchehen. Es ift ein
Innerer Widerſpruch, daß zwei Dinge in allen Stüden ohne jegliche Dif-
fereng ganz gleich feien. Denn wie könnte Mehreres fein ohne Differenz?
216
Obgleich der im Spiele Geübtere fih immer gleichmäßig zu verhalten
fheint, fo ift Died doch mit voller Präcifion nicht möglih, wenn man
gleih die Differenz nicht immer bemerft. Johann. Mancherlei bewirkt
eine Verſchiedenheit: die VBerfbiedenheit des Bodens, das Dazmilchen
fommen von Steinden, welde den Lauf flören, oft ganz hemmen, das
Maflenhafte des Globus, eine Spalte, die er etwa erhält, und vieles
Andere. Gardinal. Alles das muß man ins Auge faflen, um das
durch zu dem fpeculativen Momente, auf das wir ausgehen, zu gelangen.
Die Bewegung wird oft, wenn der Globus über feine ebene Fläche hin
abfällt, mangelhaft, fie wird gehindert durch den Wechfel der äußern Um:
ftände im Verhältniß zum Globus, und nimmt naturgemäß ganz ab, wenn
an dem Pole oder der Mitte der frummen Oberfläche die Bewegung ſich
allmählich vermindert. Dieſes und vieles Andere ift wegen der Aehnlich—
feit der Kunft und Natur genau zu beadten. Denn da die Kunft die
Nachahmung der Natur ift, fo fchreiten wir von Dem, was wir an der
Kunft wahrnehmen, zur Erfenntniß der Kräfte der Natur. Johann.
Was verftehft Du unter dem MWechfel der Umftände? Gardinal. Die
Veränderung des Himmels, der Sterne, Luft und Zeitz der Wechſel diefer
Dinge bewirft auch eine Veränderung der Umftände und des Inhalts.
Johann. Du fagteft, ver Globus habe eine halbiphärifche Dberfläde.
Könnte er nicht eine größere oder geringere oder das Runde einer ganzen
Sphäre haben? Cardinal. Ich läugne nicht, daß der Globus eine
größere oder geringere Oberfläche haben oder auch eine vollftändige Sphäre
fein fünnte, wenn wir von der fihtbaren Geftalt oder Rundheit, die nie gan
volltommen ift, reden. Das Runde, das nicht mehr runder fein könnte, iſt
nicht fihtbar. Denn da die Oberflähe vom Gentrum der Sphäre überall
gleih weit entfernt ift, fo bleibt das Aeußerfte ded Runden (extremitas
rotundi), deſſen Grenze ein untheilbarer Punkt ift, für unfere Augen gan
unfihtbar. Denn nur das Theilbare und Quantitative fönnen wir jehen.
Johann. So iſt alfo das Aeußerfte der Weltfugel, die ich für die vols
fommenfte runde Geftalt halte, nicht fihtbar? Cardinal. Keineswegs,
und ebenfowenig ift die Rundheit der Welt theilbar, da fie in einem nicht
zu theilenden und nicht zu vermehrenden Punkte befteht. Das Runde fann
nicht aus Punkten zufammengefegt fein, denn da der Punkt untheilbar ift,
feine Duantität, Theile, fein Vornen und Hinten und andere derartige
Unterfchiede hat, jo kann er mit feinem andern Punkte zufammengefegt wers
den. Aus Punkten wird nichts zufammengefegt; Punft und Punft addiren,
heißt jo viel ald Nichts mit Nichts verbinden. Das Aeußerſte (extremitas)
der Welt ift fomit nicht aus Punkten zufammengefegt, fondern ihr Aeußer⸗
ftes ift das Runde, das im Punkte beftcht. Denn da dad Runde bie
gleiche Höhe hat, die überall gleichweit vom Gentrum entfernt ift, und ed
217
nicht mehrere praͤcis gleiche Linien geben kann, fo wird es nur Eine gleich»
weit entfernte Höhe ded Runden geben, die im Punkte ihre Grenze findet.
Johann. Wundervol! Ich ſehe ein, daß alle möglichen ſichtbaren
Formen in der Welt enthalten find, und gleihwohl wäre die Welt, fünnte
ih Jemand außerhalb derfelben aufftellen, für ihn unfichtbar wie ein uns
theilbarer Punkt. Cardinal. Richtig erfaßt! Du begreift nun, daß
die Melt, dad größte Quantum, im Kleinften, dem Punkte, enthalten ift,
und ihr Centrum und Peripherie nicht gefehen werden fünnen, fo wie, baß
es nicht mehrere verfchievene Punkte gibt, da der Punkt feine Verviel⸗
fältigung zuläßt; in mehreren Atomen ift nur Ein und Derſelbe Punkt,
wie in vielem Weißen nur das Eine Weiße. Die Linie ift demnach die
Entfaltung (evolutio) des Punktes. Entfalten heißt, den Punkt felbft ent⸗
wideln (explicare), was jo viel heißt, ald daß der Punkt in der Mehr:
beit von Atomen in der Weiſe ift, daß die einzelnen verbunden und ans
einandergereiht find. Johann. Iſt niht auf diefe Weile aud das
er (extremitas) des MWinfeld, da dasjelbe im Punkt ift, unfichtbar?
Gardinal. Allerdings. Wenn aber der ganze Winkel nur das Neußerfte
wäre, wie die Rundheit das Aeußerfte des Runden ift, fo wäre gewiß auch
der ganze Winkel unfihtbar. Johann. Ich begreife, es ift fo, wie Du fagft.
Somit farın auch dad Dberfte und Unterfte des Runden nicht gefehen
werden, da es der gleihe Atom ift. In einer Sphäre oder dem Runden
ift aber Alles Oben und Unten. Es fann daher weder das Runde noch
ein Theil desfelben geliehen werden. Ich fage nicht, daß ein runder
Gegenftand nicht fichtbar ift, aber die Rundheit felbft ift unfihtbar. Wenn
der Sinn etwas rund heißt, fo ift das nicht die wahre Rundheit. Ich
glaube, Du mwillft fagen: das Urtheil des Sinnes über daß
Runde fei fein wahres. Gardinal. Das ift meine Abſicht.
Nur das Materielle ift fihtbar; die wahre Rundheit ift nicht im Mate
tiellen zu finden, fondern nur ihr Abbild. Johann. So ift denn feine
Form wahrhaft in der Materie, fondern immer nur ein Abbild der wahs
ren Form, da die wahre Form frei von allem Materiellen if. Gardinal.
Obwohl Du im platonishen Sinne wahr fprichft, fo iſt doch zwiſchen der
Rundheit und einer andern Form ein Unterfchied, weil die Rundheit, wenn
ed auch möglich wäre, daß fie materiell fih ausdrüde, dennoch nicht fichts
bar wäre. Anders ift es bei den andern Formen, wenn fie materiell ers
ſcheinen; fie fönnen alsdann gefehen werden, nicht aber die Rundheit.
Denn nur Länge und Breite find fihtdbar. In dem Runden aber ift
nichts lang und breit oder gerade, fondern fie ift ein von einem Punkte zum
andern gezogenes Gonverum, deſſen Höchftes überall ift, es ift ein Atom,
der durch feine Kleinheit unfihtbar if. Johann. Sind nicht mehrere
Aome, mehrere Höchfte in der Rundheit und bilden eine gewiſſe convere
218
Linie, die fichtbar iſt, fo daß ein Theil der Rundheit fihtbar wäre?
GBardinal. Das ift unmöglich, da in dem Runden Alles das Höchfte
if. Wenn der Atom das Höcfte im Runden bildet, wo follte das Auge
anfangen, das Runde zu fehen? nicht beim Atome, da diefer unfichtbar ift,
und doch könnte das Auge nur bei dem Höchften des Runden den Ans
fang damit machen, dad Runde zu fehen. Müßte nicht das Auge vom
Höcften zum Höcften den Blid richten? Johann. Das müßte ed
allerdings, da im Runden nichts ald das Höcfte if. Gardinal. Nun
ift aber das Höchfte ein unfichtbarer Atom. Mercurius hat daher richtig
gefagt, die Welt fei aus ſich nicht fichtbar, weil fie rund ift und nictd
fieht man von ihr oder in ihr, ald die im ihr enthaltenen Formen der
Dinge. Johann. Da die Rundheit der Welt materiell ift und durch
ihren Anſchluß an die Materie ein Abbild der (wahren) Rundheit, fo
fann das Abbild des Runden im Materiellen nicht gefehen werben. Gar:
dinal. Diefes Abbild des Munden mähert fib fo fehr dem wahren
Runden, daß es über den Gefichtöfreis und alle Sinne hinquögeht.
Johann. Deshalb alfo fehen wir die Welt nicht, als infoweit wir in
ihren Theilen die Formen der Dinge fehen; wären diefe hinweg, fo wir
den wir weder die Welt noch ihre Form fehen. Cardinal. Ridtig,
denn die Geftalt der Welt ift eine umnfichtbare Rundheit. Nimmt man
demnach die fihtbaren Formen hinweg, fo hat die ganze Welt nur Ein
Ausfehen (vultus) — die Möglichkeit des Seins oder die unfichtbare
Materie, in welcher die Gefammtheit der Dinge enthalten ift, und gan
philoſophiſch kann man zugeben, daß fie wegen ihrer Bollfommenbeit
die Rundheit fei. Johann. Das geht über meinen Verſtand, obwohl
ih merke, daß Du die Wahrheit reveft. Es befremdet mich jedoch, daß
in der Welt feine wahre Rundheit ift, fondern nur ein der Wahrheit fid
annäherndes Abbild. Cardinal. Wundere Dich nicht! denn da ein
Rundes vollfommener als das andere ift, fo gibt es nie ein Rundes, dad
die Rundheit ſelbſt if. Diefe Regel ift giltig, weil wir in Allem, was
ein Mehr oder Weniger zuläßt, nicht auf ein ſchlechthin Größtes ober
Kleinftes kommen. . . . Die Welt ift demnach in ihrer Rundheit unſicht⸗
bar, weil das, was ſich von der Rundheit der Welt dem Auge darbietet,
ein Atom if. Johann. ine klare Museinanderfegung! In wenigen
Worten haft Du mir Vieles erläutert. Allein fage mir: wie verftehft Du
das, die Rundheit der vollfommenen Welt fei ein Abbild, das immer
vollfommener werden kann? Cardinal. Ich weiß, daß die Rundheit
eines Runden runder tft, als die eines andern. Man muß daher im
Runden zu einem Runden von größter Rundheit gelangen, die nicht mehr
größer fein kann, weil man nicht ins Unenbliche fo fortfehreiten Fann.
Das iſt die Rundheit der Welt; durch Participiren am ihr ift alles Runde
219
und. Allein, obgleich die Rundheit der Welt die größte ift, die actuell
nicht mehr größer fein fann, fo ift fie doch nicht die abjolute und wahrfte
Rundheit felbft, fomit das Abbild von ihr. Im Kreife, der feinen Ans
fang und fein Ende hat, da fein Punkt in ihm ift, der mehr den Ans
fang ald das Ende bildet, ſehe ich das Bild der Trinitätz fomit ift auch
die Rundheit das Bild der Ewigkeit, da fie dasfelbe ift (wie der Kreis).
Sohann. Ich ftinnme bei. Allein ich frage nun: kann man die Welt
niht, fo gut man fie rund nennt, auch ewig nennen; denn es jcheint,
daß, da die Ewigkeit und die abfolute Rundheit das Gleiche find, auch
das Ewige und Runde Ein und Dasfelbe fein. Cardinal. Ich glaube
nicht, daß man bei richtigem Berftändniffe nicht fagen fünne, die Welt
fei ewig, wiewohl fie nit die Ewigfeit ift. Denn nur der
Schöpfer des Als ift in der Art ewig, daß er die Ewigkeit felbft fit;
wird etwas Anderes ewig genannt, jo ift ed Died nur dur Theilnehmen
an der Ewigkeit. Die Ewigfeit geht allem Ewigen voraus, es ſei denn
jened Ewige, das mit der Ewigkeit identifh if. Es ift daher die Ewig—
feit der Welt, da fie der Welt Ewigfeit ift, vor der gleichfalls ewigen
Welt (aeternitas igitur mundi, cum sit mundi aeternitas, est ante mun-
dum etiam aeternum). Bon ihr hat die Welt, daß fie ewig ift, wie
das Weiße von dem Weißſein es hat, daß ed weiß ift. Da demnach
die Ewigfeit der Welt das in fih bat, was die abfolute Ewigfeit iſt, fo
conftitwirt fie die ewige Welt, d. i. die Welt, die nie ein Ende hat, oder
beftändig dauert (perpetuum), welche deßhalb ewig genannt wird. Man
fonnte nie mit Wahrheit jagen: die Ewigfeit ift, ohne daß es nicht auch
wahr gewefen, zu fagen: die Welt ift, wiewohl die Welt durd) jene ift, was
fie if. Johann. Wenn ich recht verftehe, fo fann es nur Eine
Welt geben, die ganz rund und ewig ifl. Cardinal. Rictig
aufgefaßt! denn da man in dem Runden nothwendig auf ein actuell
Größtes kommen muß, wie im Warmen auf das Feuer als das Wärmfte,
jo gibt es nur Eine Welt, und diefe bat fo viel Nundheit, daß fie ſich
der ewigen Runbheit am meiften nähert, weßhalb fie auch unfichtbar und
ewig genannt werden kann, wie der Apoftel Paulus jagt: „Das Unficht-
bare ift ewig”; nicht als ob fie ewig genannt werde, weil fie ohne Ans
fang ift, fondern weil es nie mit Wahrheit gejagt werben fonnte: bie
Ewigkeit ift, ohne daß man nicht auch wahrhaft fagen konnte: die Welt
it, Denn die Welt hat nicht in der Zeitangefangen. Denn nicht
die Zeit ging der Welt voran, fondern allein die Ewigfeit. Auch die
Zeit wird bisweilen ewig genannt, wie der Prophet von einer ewigen
Zeit fpricht, da doch die Zeit nicht ihren Anfang in der Zeit haben fonnte,
Der Zeit ging nicht die Zeit voran, fondern die Ewigfeit. Die Zeit wird
deßhalb ewig genannt, weil fie von der Ewigfeit ausfließt. So heißt
220
auch die Welt ewig, weil fie aus der Ewigkeit, nicht aus der Zeit ſtammt.
Indeffen fommt der Welt die Benennung ewig mehr zu, als der Zeit,
weil die Dauer der Welt niht von der Zeit abhängt. Hört
auch die Bewegung ded Himmels und die Zeit, die das Maaf der Br:
wegung ift, auf, fo hört darum die Welt nicht auf zu fein. Wäre aber
die Welt nicht mehr, fo wäre auch die Zeit aus. Die Ewigkeit als
MWeltfhöpferin ift Gott, der Alles nach feinem Willen gemacht hat
(aeternitas igitur mundi creatrix Deus est, qui ut voluit cuncta fecit).
Die Welt ift nämlich nicht fo vollfommen erfchaffen, daß Gott in ihrer
Erfhaffung Alles, was er machen fonnte, wirklich gemadt hätte, wie
wohl die Welt fo vollfommen, ald fie es werben fonnte, gemacht if.
Gott fonnte eine vollfommenere und rundere Welt und ebenfo eine uns
vollfommenere und weniger runde Welt machen, wiewohl fie fo vollfommen
als fie fein Fonnte, gemacht if. Sie wurde, was fie werden fonnte,
ihr Wervenfönnen ift geworden. (Hoc enim factus est, quod fieri po-
tuit, et fieri posse ipsius factum est.) Aber dieſes ihr gewordenes
Werdenkönnen tft nicht das abfolute Wirkenfönnen des allmächtigen Got:
ted (sed hoc fieri posse ejus, quod factum est, non est ipsum facere
posse absolutum omnipotentis Dei). Obwohl in Gott Werbenfönnen
und Wirfenfönnen Eines find, fo ift doch nicht das Werdenkönnen eines
jeglihen Dinges identifh mit dem Wirfenfönnen Gottes. Hieraus er
belt, daß Gott die Welt nach feinem Willen erfhaffen hat. Sie if
daher überaus vollfommen, weil fie ganz nad dem freien Willen des
gütigften Gottes erfhaffen ift. Da man dies in meinen andern Schrife
ten ausführlich Iefen fann, jo mag das Gefagte für ‘jegt genügen.
Johann. So fehre denn zu unferem Spiele zurüd, und füge Eis
niges über die Bewegung des Globus bei. Cardinal. Es bleibt noch
Bieles zu fagen übrig; komme ich auf das Eine oder Andere, fo werde
ich ed erwähnen. Für Erfte bemerfe ich: wenn ich den Globus von dem
Punkte aus, wo man fi aufftellt, zu dem in der Mitte ſtehenden Zeichen
des angegebenen Kreiſes werfe, fo ift Died in einer geraden Linie nict
möglich. a fei der Standort, b d der Kreis, c fein Mittelpunkt, e der
Globus.) Ich will nun von a nach e werfen, das kann nur dur eine
folhe Bewegungslinie gefchehen, die Feine gerade ift, welche Figur immer
der Globus haben mag. Johann. Wenn er fugelförmig wäre, fo wäre
wohl eine geradlinige Bewegung a c möglich. Denn ich fehe nicht ein,
warum eine Kugel nicht durch a c ſich bewegen und in c ruhen fönnte.
Cardinal. Du wirft deinen Irrthum fogleich einfehen, wenn Du €"
wägft, daß eine Linie gerader ift als die andere, und daß man dahet
1) Die hier angegebene mathematifche Figur fehlt im Texte.
221
nad dem vorhin Geſagten zu einer ganz präcid geraden Linie nicht fomme.
Es it daher nicht möglih, daß auch die vollfommenfte Kugel in einer
präcis geraden Linie von a nad c gelange, mag aud der Boden ganz
eben und die Kugel ganz rund fein. Denn eine ſolche Kugel würde bie
Ebene nur in einem Atom berühren. Sie würde nur eine unfichtbare
Linie befchreiben und keineswegs die geradefte zwilchen a und c und fie
würde nie in ce ruhen. Denn wie follte fie über einem Atome ruhen?
Bollfommen und fo, daß das Oberfte auch das Unterfte und zwar ein
Atom ift, wird fie, einmal bewegt, nie aufhören, ſich zu bewegen, da fie
fih nicht verfchieden verhalten fanı. Was nämlich bewegt wird, würde
nie ruhen, wenn es fich nicht zur einen Zeit anders verbielte, als zur
andern. Daher würde eine Kugel, einmal auf einer ebenen und gleich
fürmigen Fläche bewegt, ſich bei ftetd gleichem Verhalten immerfort be:
wegen. Die Geftalt ded Runden ift daher zur Fortdauer der Bewegung
bie paſſendſte. Kommt zu diefer von Natur aus (naturaliter) die Bewe—
gung, fo wird diefe nie aufhören. Wenn fie daher fih immer um ſich
jelbft (super se) bewegt, jo daß fie das Centrum ihrer Bewegung ift,
fo bewegt fie ſich beftändig. Das ift die natürlihe Bewegung, durch
welche das Aeußerſte der Kugel ohne Kraftanwendung von außen (sine
violentia) und Grmüdung ſich bewegt, eine Bewegung, an der Alles, was
natürliche Bewegung hat, participirt. Johann. Wie hat Gott die Bes
wegung dem Aeußerſten der Sphäre anerfchaffen (concreavit)? Gars
dinal. Wehnlich, wie Du die Bewegung des Globus hervorbringft (creas).
Denn jene Sphäre wird nicht durch Gott, den Schöpfer, noch durd den
Geift Gottes bewegt, wie auch der Globus nicht durd Dich oder Deinen
Geiſt bewegt wird, wenn’ Du ihn hinrolfen fiehft, wiewohl Du ihn in Bes
wegung gelegt haft, indem Du durch einen Stoß der Hand, durch Deinen
Villen, ihm einen Anftoß gibft; jo lange diefer dauert, bewegt er fid.
Johann. Das läßt fih wohl auch von der Seele jagen, dur beren
Sein im Körper diefer fi bewegt. Cardinal. Es gibt wohl fein
näherliegended Bild (exemplum), um die Erfhaffung der Geele,
durch welche die Bewegung im Menfchen erfolgt, zu begreifen. Denn
nicht Gott ift die Seele, noch bewegt der Geift Gottes den Menſchen,
jondern es ift in Dir eine Bewegung, die fich felbft bewegt, wie die Pla;
tonifer jagen, geichaffen; dies ift die vernünftige Seele, die fih und Dein
ganzes Ich bewegt. (Creatus est in te motus, se ipsum movens, se-
eundam Platonicos, qui est anima rationalis movens se et cuncta tua.)
Johann. Beleben ift Sache der Seele. Es ift alfo Bewegung. Gar-
dinal. Allerdings ift das Leben eine Art Bewegung. Johann.
Ich bin ganz damit einverftanden; denn durch dieſes concrete Beifpiel
ſehe ich num ein, daß Viele in ver Auffaffung der Seele geirrt haben,
222
Cardinal. Beachte, daß die Bewegung ded Globus abnimmt und auf
hört, obwohl ver Globus ganz und unverfehrt bleibt, weil derfelbe feine natlıs
liche, fondern nur eine accidentelle, durd Gewalt hervorgebrachte Bewegung
hat. Die Bewegung hört daher auf, wenn der auf den Globus ausgelbte
Anſtoß nahläßt. Wäre aber der Globus vollfonmen rund, fo würde er,
wie vorhin gefagt, weil einem ſolchen Globus die runde Bewegung natür
(ib und nicht gewaltiam beigebracht ift, nie ruhen. So hört die das
Thier belebende Bewegung nie auf, den Körper zu beleben, fo lange
diefer lebensfähig und gefumd ift, weil fie eine natürliche ift. Und hört
auch die belebende Bewegung im Thiere durch mangelnde Geſundheit des
Körpers auf, fo hört doch die Bewegung nicht in der vernünftigen menſch—
lihen Seele auf, welche (Bewegung) fie auch ohne Körper hat und au
übt. Es ift alfo jene fid felbft geiftig bewegende Bewegung
in ſich ruhend (in se subsistens) und fubftantiell. Cine nicht fid
jelbft beivegende Bewegung ift ein Accidens, die fich felbft bewegende
eine Subftanz. Wellen Natur Bewegung ift, hat diefe nicht als Accivene,
wie 3. DB. die Natur des Geiſtes (intellectus), der nicht Geift fein fann
ohne geiftige Bewegung, durch welche er in Activität tritt (per quem est
aetu). Die geiftige Bewegung iſt demnach eine fubftantielle, eine fih
felbft bewegende. Sie hört daher nie auf (nunquam igitur deficit).
Dagegen ift die Belebung (vivificatio) eine Lebensbewegung, die für den
Körper aceidentiell ift, weil er nicht feiner Natur nach lebendig ift, denn
auch ohne Leben ift der Körper cin wahrer Körper. Diefe dem Körper
aceiventiele Berwegung fann aljo aufhören, deßhalb hört aber die fub
ftantielle, fich felbft bewegende Bewegung nicht auf. Denn feine Kraft,
welche auch Geift (mens) genannt wird, verläßt den Körper, wenn fie
aufhört, in ihm Leben zu fpenden (vivificare), zu empfinden (sentire)
und vorzuftellen (imaginari). Uebt fie auch dieſe Thätigfeiten im Körper
nicht mehr aus, fo exiſtirt fie dennoch beftändig, obgleich fie Iocal vom
Körper getrennt if. Wenn jene Kraft aud in einen Raum begrenzt ift,
jo daß fie nur in dieſem Raume ift, fo nimmt fie doch nicht diefen Raum
ein, da fie Geift if. (Virtus enim illa, licet in loco circumscribatur,
ut non sit nisi ibi, non tamen occupat locum, cum sit spirites.)
Durch ihre Anweſenheit wird nicht der Luftkreis geſchieden (non disten-
ditur aör) oder ein beftimmter Plag eingenommen (aut locus occu-
patur), fo daß fie (nad dem Ausfcheiden) weniger vom Raum bed
Körpers einnimmt als zuvor. Johann, Diefe Vergleihung des Gl
bus mit dem Körper und feiner Bewegung mit der Seele gefällt mit
ausnehmend. Der Menſch macht den Globus und defien Bewegung, bie
er ihm durch einen Stoß gibt, und diefe Bewegung ift unſichtbar, uns
theilbar, Feinen Raum einmehmend, wie unjere Seele. Daß diefe aber
223
eine fubftantielle Bewegung if, möchte ich noch beffer einfehen. Car-
dinal, Gott gibt (est dator) die Subſtanz, der Menih das Accidens
oder die Aehnlichkeit der Subſtanz. Die Geftalt ded Globus, die
dem Holze durd den Menden gegeben ift, ift der Subſtanz des Hol-
jes beigegeben ; jo ift auch die Bewegung der jubftantielen Form beiges
geben, Gott aber ift der Schöpfer der Subftanz. Vieles participirt an
der Bewegung, um dadurch bewegt zu werden. Man fommt alfo auf
Eines, das durch fich bewegt wird: dies hat die Bewegung nicht acci—
dentiel, dur SBarticipiren, fondern aus feiner eigenen Wejenheit; das
iR die vernünftige Seele, denn die Vernunft bewegt ſich felbft. Um es
noch deutlicher zu verftehen, beachte, daß in dem Nunden die Angemeflen:
beit zur Bewegung liegt; denn das Runde wird leichter bewegt. Wäre
nun die Rundheit die größtmögliche, fo würde fie durch fich felbft bewegt,
fie wäre dad Bewegende und Bewegliche zugleih. Die Bewegung alfo,
welhe Seele heißt, ift dem Körper anerjchaffen (concreatus), nicht ihm
von außen eingebrüdt (non impressus ei), wie bei dem Globus, eine
Bewegung aus fi (per se motus), mit dem Körper verbunden, fo daß
fie wieder von ihm getrennt werden kann, folglich Subſtanz. Johann.
Von jener Kraft, die Du die vernünftige Seele nennft, wird daher auch
mit Recht gefagt, daß fie leide oder belohnt werde (quod patia-
tur aut praemietur). Cardinal. Das jei dir eine ausgemachte Wahrheit.
Denn wie fie im Körper den körperlichen Affeftionen unterliegt, ſo aud)
außerhalb dem Körper dem Zorne, Neide und andern Affeften (afflictio-
nibus), da fie noch vom Schmuße des Körpers bejdwert ift (gravata
adhue sorde corporea) und den Körper nicht vergeflen hat. Sie leidet
auch durch ein materielles, zu dieſem Zwede zubereitetes euer, fo
daf fie den Schmerz des Brennend empfindet. Durch unfer Feuer fünnte
fie freilich nicht berührt (affligi) werden. Ebeuſo wird jene Kraft, die
Eeele, ſelig (salvatur), denn fie fommt in die Ruhe und leivet feine
Qualen. Johann. Ich fehe ein, daß Du fagen wilft: die Geele
it eine unförperlide Subftanz und die Kraft zu verſchiede—
nen Fähigkeiten. Sie ift die Sinnenwahrnehbmung (sensualitas),
fe ift das Einbildungsvermögen (ipsa est imaginatio), fie ift Ver—
and und Vernunft (ratio et intelligentia), Einnenwahrnchmung
und Einbildung übt fie im Körper aus, Berftand und Vernunft außer:
bald dem Körper. Einnenwahrnehmung, Einbildungsfraft, Verſtand und
Vernunft haben Eine und diefelbe Subſtanz, wiewohl der Einn nicht
Einbildung , Verftand oder Vernunft ift. Ebenfo ijt die Einbildungsfraft
nicht Verftand und Vernunft oder eines der andern Vermögen. Es find
verfhiedene Auffaffungsweifen in der Seele, von denen die eine nicht auch
die andere fein kann. Das willft Du wohl jagen. Cardinal. Aller
224
dinge. Johann. Es fcheint auch Deine Anficht zu fein, daß die Seele
im Körper zugleich an verfchtedenen Drten if. Cardinal. Ja, dem
da fie eine Kraft ift und in der wahren Philoſophie in jedem Theile
einer Kraft die ganze Kraft fih bewahrheitet (quaelibet pars virtutis de
toto verificetur), fo ift dad Lebengebende der Seele — die Seele. Nun
belebt aber die Seele verſchiedene Glieder des Körpers, die an verſchie⸗
denen Orten find. Folglich ift fie da, wo fie belebt. Es ift fomit die
ganze Subftanz der Seele, fo lange fie im Körper ift, am verfchiebenen
Stellen. So lange fie aber außerhalb dem Körper ift, ift fie nicht an
verichiedenen Orten, wie auch der Engel nicht, der nicht belebt. In
Körper aljo ift die ganze Seele in jedem Theile des Körpers, wie ihr
Schöpfer in jedem Theile der Welt. Johann. Zieht fih die Seele
zurüd, wenn der Finger abgefchnitten wird? Gardinal. KKeinedwegs,
jondern fie hört auf, den Finger zu beleben. Sie zieht ſich nicht zurüd,
weil fie nicht von einem Theile des Körpers zum andern übergeht, da
fie zugleich in allen und jedem Theile it. Johann. Eines möchte ih
noch fragen über die Bewegung der Seele. Da Du fagft, die Seele br
wege fich felbft: — in welcher Art von Bewegung bewegt fie fid be
ftändig? Gardinal. In feiner von allen ſechs Arten von Bewegun⸗
gen bewegt fte fih, ihre Bewegung ift eine äquivoke (aequivoce).
Die Seele bewegt fi felbft, d. i. fie unterfcheidet, abftrahirt, trennt
und verbindet. Das Denken (ratioeinari) ift eine Kraft der Seele, foly
ih ift ed auch die Seele (ratiocinari virtus est animae; igitur et
anima). Einige Berftandeswahrheiten find beftändig und unveränderlid,
wie daß vier nicht zwei find, weil vier drei in fich faffen, nicht aber zwei.
Das ift eine unveränderliche Verftandeswahrheit (ratio). Es iſt aljo auch
die Seele unveränderlih. Indem nun aber der Berftand im Denfen did
curfiv verfährt (discurrit), fo ift gewiß dieſes Discurfive verftändig.
Folglich wird der Verftand beim Denfen aus fi (a se) bewegt. Pie
Seele hat ferner die Kraft in fih, neue Künfte und Wiflenfchaften zu
erfinden. Sie kann daber in diefer auf die Erfindung von Neuem bin
zielenden Bewegung nur von fich felbft bewegt werden. Ebenſo wird fie
aus fih bewegt, indem fie fih allem Erfennbaren affimilirt (dum se fa-
eit similitudinem omnium cognoseibilium). Sie afftmilirt ſich durd ben
Sinn dem Sinnlihen, dur das Gefiht dem Sichtbaren, durch das Ge
hör dem Hörbaren ıc. Daher jagt man, die Seele beftehe aus Gleichem
und Entgegengefegtem (ex eodem et diverso), wegen ihrer Fähigkeiten,
das Univerfelle und das Particulare der Gegenfäge zu erfafien, fie fd
Individuum und Dividuum, weil fie fih dem Theilbaren und Veränder—
lichen conformirt. Die Seele ift demnach jene Kraft, die ſich
allen Dingen conformiren fannz fie macht ſich zur Urſache der für
225
perlihen Bewegung der Hand, des Fußes, allein nicht Immer durch
Selhftbeftimmung (ex discretione) ; denn es gibt auch eine aus der Na-
tur ffammende Bewegung, wie die der Nerven und des Pulſes. In den
Knaben übt fie wegen ber Zartheit des Alters dieſe Aifimilation noch
nicht aus, fondern erft nad den Jahren der Unterfheidung, wenn ber
Körper erftarft und das Urtheil erwacht ift (adjuncta discretione), haupts
ſächlich wenn Unterriht und Uebung binzufommt. Die Seele ift im
Anabenalter noch ungebilvet, hinfichtlih des Gebrauchs der Vernunft noch
dem Naturleben unterworfen, und es foll erft ein fräftiger und vollfoms
mener Mann werben. Das Ungebildete gelangt dur Unterricht und
Uebung zur Vollkommenheit. Man kann fagen, die Seele bewege fi
auf zweifache Art: theils, indem fie fich zur Urfache ver Bewegungen des
Körpers madt, was fie auch im Sclafe thut, theild, indem fie ſich den
Dingen affimilirt, und diefes ihr Leben außerhalb dem menſchlichen Körs
per jcheint auch ein Sichbewegen zu fein. Die Seele hat daher ein wahr.
rered Leben, indem fie fib aus fi bewegt, ald der menfchliche Leib, der
dur die Seele bewegt wird. Johann. Ich glaube daher, daß Gott
in noch wahrerer Weije lebt, ald die Seele. Gardinal. Ganz richtig,
nicht al8 ob Gott ſich bewege oder den Dingen affimilire, wie die Seele,
wiewohl in ihm Alles in einer gewiſſen Einfachheit ift, fondern weil er
jelbft das wahre Sein der Dinge ift und das Leben alles Lebens. Denn
er fagt: „Ich bin die Auferftehung und das Leben“. Johann. Was
Du vorhin über die Erfindung des Neuen gefagt, hat mir befonderd ger
fallen, denn bier ſieht man deutlich, daß die Seele fich felbft bewege.
Ih wünſche, daß Du diefen Punkt auf das Spiel anwendef. Gars
dinal. Ich faßte den Gedanken, ein Weisheitsjpiel zu erfinden, ich über:
legte, wie died auszuführen wäre, dann beftimmte ich die Ausführung
io, wie Du fichft. Denken, Ueberlegen und Begriffbilden (cogi-
tatio, consideratio et terminatio) find Kräfte unferer Seele. Kein Thier
faßt den Gedanken, ein neues Spiel au erfinden. Daher überlegt es
nicht und bildet feinen Begriff. Dies find Kräfte des Iebensfräftigen
Verftandes, der Seele heißt, und find felbft lebendfräftig, weil fie ohne
die Bewegung des lebensfräftigen Verſtandes nicht beftehen fünnten. In
jenem Denfen bemerkt Jeder die Bewegung des verftändigen Geiftes, der
erwägt, daß dad Denten ein gewiſſes Sichhinundherwenden (discur-
rere) ift, ebenfo das Ueberlegen und Begriffebilden, wobei der Körs
per feine Hülfe leiſtet. Es zieht fi daher die Seele fo viel ald mög—
ih vom Körper zurüd, um beffer zu denfen, zu überlegen und Ber
griffe zu bilden. Denn fie will ganz in ihrer Freiheit fein, um frei zu
wirfen. Diefe freie Kraft, die wir die vernünftige Seele nennen, ift um
ſo Fräftiger, je unabhängiger fie von körperlichen ——— iſt. Die
Scharpff, Nie. v. Cuſa.
226
Seele lebt daher niht mehr in dem Körper, als außer demfelben, fie
wird durch die Auflöfung der Harmonie oder rechten Stimmung (tempe-
ramenti) ded Körpers nicht aufgelöft, da fie nicht, wie die Gefumbheit,
von diefer richtigen Stimmung abhängt. Im Gegentheil, diefe Stim—
mung hängt von der Seele ab; ohne fie gibt es Feine gute Dispo
fition des Körpers. Die Seele ift Leben, weil fie Verftand, die lebende
Bewegung iſt. Indem ich alfo denfe, überlege und begreife, was iſt
Died Anderes, ald daß der verftändige Geift, der die Denk-, Ueberlegungs⸗
und Begriffe bildende Kraft iſt, ſich felbft bewegt? Indem ich. die Ber
griffsbeftimmung (determinationem) der Seele fuhe und frage: was if
die Seele? fo denke und überlege ib und finde, die Seele bewege
fi felbft freisförmig, weil ihre Bewegung in fich felbft zurückkehrt.
Denn wenn id über das Denfen nacdenfe, fo ift Dies eine freid-
förmige, fi felbft beftimmende Bewegung. Eben deßhalb ift die leben:
dDige Bewegung der Seele eine beftändig dauernde, weil fie freisförmig,
weil fie NReflerion über ſich felbft (supra se ipsum reflexus) iſt.
Johann. Ich verftehe Did, und es ift mir fehr angenehm, jene drei
Kräfte der vernünftigen Seele vernommen zu haben, von denen feine die
andere iſt: die erfte ift das Denken, die zweite das Ueberlegen, die dritte
das Begriffoilden. Das Denken erzeugt das Ueberlegen, das Begriff:
bilden geht aus beiden hervor; alle drei find nur Eine Tebendige, id
ſelbſt vollfommen bewegende Bewegung. Du erfennft hieraus, daß die
vernünftige Kraft nothmwendig eine dreieinige fei, wenn fie wollfommen
leben oder fid bewegen fol. Cardinal. Setze noch hinzu, fie fei darum
die vollfommenere, weil in ihr die unendliche und vollfommenfte Kraft —
Gott — ſich mehr abipiegelt. Wie Gott ewig, fo tft fie beftändig
dauernd (perpetua). Die beftändige Dauer ift eine vollfommenere Ab
fpiegelung der Ewigkeit, als das Zeitlihe. Johann. Ich will vielen
Satz fehr gerne annehmen, aber auch eine mir fehr willfommene Wahr:
heit nicht hinweglaſſen. Cardinal. Und diefe wäre? Johann. Ge—
hört, wie Du trefflich gezeigt haft, zur Vollfommenheit unferes Geifted
nothwendig, daß er dreieinig ift, jo muß man Alle für Ignoranten er—
flären, welche läugnen, daß Gott, der vollfommenfte Geift, dreieinig it.
Cardinal. Allerdings beweiſt es große Umwiffenheit, von Gott nicht
auszufagen, was zur Einfachheit und Vollkommenheit gehört. Je mehr
nämlich die Einheit einigt, defto einfacher und vollfommener ift fie. Die
dreieinige ift demnad vollfommen; denn fie ift in der Art einig, daß fie
auch in drei Perſonen, deren jede eine Einheit iſt, die Einheit bildet;
fonft wäre fie nicht die vollfommenfte Einheit. Denn es fehlete ihr,
was zu ihrer vollfommenften Wefenheit erforderlich if. Dod das if
höherer Art, als die Gegenftände, die und jetzt befchäftigen. Johann.
227
Wohl bedacht haft Du es, ald Du fagteft, der Gedanke von dieſem Spiele,
die Ueberlegung und der Begriff desſelben finden fich nicht bei den Thieren,
wobei Du wohl nit läugnen wilft, daß die Thiere im Nefterbauen,
Jagen und Anderm auch denfen, überlegen und Begriffe bilden. Wie
wilft Du nun beweifen, daß dies feine Verftandesthätigfeit it? Car;
dinal. Sie haben nicht den freien Willen, den der Menſch
bat. Als ich diefes Spiel erfand, dachte ich nah, überlegte und ftellte
den Begriff desjelben feft, was ein Anderer nicht dachte, überlegte und
feftftellte, weil jeder Menich die Freiheit hat, zu denfen, was er will,
ebenfo zu Überlegen und in Begriffe zu faflen. Daher denfen nicht Alle dass
jelbe, weil Jeder den eigenen freien Geift hat. Nicht fo bei den Thieren.
Der Inſtinkt treibt fie zu dem, was fie thun, und die gleiche Gattung
treibt das Jagen und Nefterbauen auf die gleiche Weife. Johann. Sie
tbun es aber doch nicht ohne Verſtand. Gardinal. Es waltet Vers
Rand in der Natur (natura movetur intelligentia). Allein wie der Ges
feggeber, von vernünftigen Gründen geleitet, das Geſetz anordnet, wo
dann nicht die ratio legis die Unterthanen, denen diefe verborgen bleibt,
leitet, fondern der Befehl der Obern fie zwingt, jo wird das Thier durch
dad Mactgebot der Natur, das ihm eine Nöthigung ift, beftimmt, nicht
durh Bernunftgründe, die es nicht kennt, Wir jehen daher von Einer
ſpecifiſchen Bewegung alle Thiere derfelben Species wie von einem ihnen
angebornen Geſetze der Natur angetrieben und bewegt. ine ſolche Nö—
tbigung feflelt nicht unfern Geift, der wie ein König und Kaifer frei
waltet (hac coactione non stringitur spiritus noster regius et impe-
rialis), fonft würde er nichts erfinden, fondern nur den Impuls der Nas
tur vollziehen. Johann. Da ich fehe, daß die Spinnen in ihren Ge—
weben und Jagden, die Schwalben im Nefterbauen und fo unzählige ans
dere Thiere das gleiche Geſetz beobachten, fo begreife id wohl, daß Allee
in derfelben Gattung Einer Bewegung folge und dieje von einem Im—
pulje herrühre, ich gebe mich daher zufrieden. Cardinal. Wenn Du bes
achteft, daß wir Einiges, was unfere thieriihe Natur fordert, naturges
mäß (naturaliter) denfen, überlegen und feftftellen, Underes, was ben
Körper nicht, wohl aber den Geift berührt, in der oben genannten Weiſe,
fo erfennft Du auf dem Wege der Erfahrung, daß wir im eritern Falle
frei bewegt werden, jedoch gemäß unferer finnlihen und körperlichen Nas
tur, im zweiten jedoch ganz frei, da das Freie ſich fjelbft bewegt. Die
Natur fann unferm Beifte nie einen Zwang auferlegen, wohl
aber der Geift der Natur, wie man an dem Guten, der Enthalt:
famfeit, Keufchheit und an dem Böfen fieht, wenn mir gegen die Natur
fündigen, wenn Berzweifelte an fich felbft Hand anlegen und ſich tödten.
Johann. Eines wünſchte ih noch deutlicher einzufehen: das verſchie⸗
15°
228
dene Berhalten der Empfindungsd- und der Begetativfraft
im Menſchen und in den Thieren. Du fagteft nämlich, es jei nur
Eine Subftang, und diefe der Inbegriff vieler Kräfte: der vegetativen und
was dieje in fih faßt, der Wahrnehmungsfraft und ihres Inhalts, auch
der vernünftigen und was zu ihr gehört. Nun ift ed ausgemacht, daß
diefe Subftanz als vernünftige Kraft ven Körper nicht bedarf. Somit if
die ganze Subftanz der Eeele, da fie nicht vom Körper abhängt, für ſich
beitehend (est per se stans), ohne den Körper, wiewohl fie andere Kräfte,
die Wahrnehmungs- und Vegetativfraft, nicht ohne den Körper ausübt,
Eie it aljo außer dem Körper nicht von geringerer Kraft, als in dem
jelben, wenn auch die Ausübung der den Körper erfordernden Kräfte aufs
hört. Da aber die Seele des Thiered eine Subftanz und Kraft ift, die
den Körper erfordert, weil fie ohne Körper nicht ausgeübt wird, ſo ſcheint
es, daß fie mit dem Aufhören des Körpers aufhört. Da fie aber ein
Subftanz ift, die im Menfchen vernünftig ift und eine nicht abnehmende
Kraft, fo Scheint auch fie nie aufzuhören; denn die Subftanz ift nad Die
nyſius eine ungerflörlihe Weſenheit; fie Fan immerdauernd (perpetua)
fein, weil fie in der Seele des Menfchen immerdauernd ift. Cardinal.
Du gehft gründlich zu Werke, indem Du nad dem Unterfchiede der Em
pfindungs ⸗ und Wegetativfraft im Menichen und in den Thieren fragit.
Fürs Erfte ift zu beachten, daß die Vegetativ⸗, die Empfindungd- und
Einbildungsfraft in der vernünftigen Kraft des Menfchen, wie Ariftotelke
richtig bemerkte, fo find, wie das Trigon in dem Tetragon. Das Ir
gon hat aber in dem Tetragon nicht feine Trigonform , fondern die de
Tetragon. In den Thieren dagegen hat das Trigon die Form des Tri
gond. Das Trigon ift fomit von anderer Natur, als das Tr
tragon. So find auch die Vegetativs, die Empfindungs⸗ und Einbil
dungsfraft, welche das Trigon, welches Thierjeele heißt, conftituiren, von
geringerer (imperfectioris) Natur als im Menjchen, wo fie in Bereinis
gung mit der edelften und vollfommenften Kraft, der vernünftigen, das
Tetragon, welches Menfchenfeele heißt, conftituiren. Denn das Nieder
ift in dem Höhern nach der Natur des Höhern. So ift das Leben
auf edlere Weiſe in der Empfindungs-, ald in der Begetativfraft, nod
edler in der Vernunft, am edelften in der göttlichen Natur, die das Le
ben alles Lebens it. Kein Wunder daher, wenn jene Kräfte
im Trigon nicht von der Natur der Kräfte im Tetragen
find, wo fie in die fubftantielle Identität mit der unzer—
ftörlihen, vernünftigen Kraft gelangen. Denn wie die Pu
getativ-, Empfindungss, Einbildungs⸗ und Bernunftfraft in der göttlichen
Natur, welche die ewige Ewigfeit felbft ift, ewig find, fo ift die Br
getativ-, Empfindungs, und Einbildungsfraft in ber
229
vernünftigen Natur, die immerwährend ift, gleihfalle
immerwährend. Und obwohl jene Kräfte im Thiere nicht immer;
während find fraft des Immerwährenden der vernünftigen Natur, fo
glaube ich doch niht, daß an jenen Kräften im Folge des verfchiedenen
Verhaltens des Körpers ſich etwas fubftantiell verändere. Denn wie im
Menihen, wenn auch feine Hand verdorret, die Eubftanz des Vegetativ—
und Empfindungslebend nicht vwerborret, fondern immer bleibt, weil bie
Kraft der Seele des Menſchen ungerftörlih if, wenn auch Vegetation und
Empfindung in der Hand aufhört, So gebt vielleiht aud beim
Tode ded Thieres und dem Verdorren des Baumes jene
Subftanz, welde Empfindung oder Vegetation (Wade:
thbum) genannt wird, nidt verloren (non perit), wiewohl fie
ihre Wirkſamkeit nicht mehr wie früher ausübt. Johann. Wie bleibt
fie vorhanden? Cardinal. Wir fünnen nicht läugnen, daß der Menſch
ein Mikrokosmus, d. i. eine Welt im Kleinen ift, der eine Seele bat.
So laffen nun Mande au die große Welt eine Seele haben,
welche Einige Natur, Andere Weltfeele (spiritum universorum) nens
nen, die Alles in fih nährt, eint, verbindet, hegt und bewegt. Jene
Weltkraft, welche fib und Alles bewegt (von der wir gefprocen), ift
immerwährend, weil ihre Bewegung eine runde und freiöförmige iſt, die
jede andere Bewegung, wie der Kreid jede andere Figur, in fidh begreift.
Schr Biele nennen daher diefe Seele aub das feft umfchließende Band
(necessitas complexionis), Andere das Fatum der Subſtanz (fatum in
substantia), weil fie Alles in Ordnung entfaltet. Die ganze Körperwelt
verhält fi zu diefer Seele, wie der menfchlihe Körper zur Seele. Sie
ift die Empfindung in den empfindenden Wefen, das Wahsthum in dem,
was wädhft, dad Elementare in den Elementen (anima . . . elementa-
tiva in elementis). Hört fie auf, einen Baum wacjen oder ein Thier
leben zu lafien, fo Hört dieſes deßhalb noch nicht auf zu ſein,
wie von der Seele des Menſchen vorhin gezeigt wurde. Johann. Die
Seele eines Thieres oder Baumes iſt demnach nicht eine andere, als die
eines andern? Cardinal. Der Subſtanz nad muß dies nah un—
ſerer Auffaſſung zugegeben werden, denn es iſt nur Eine Seele von Allen
(quoniam non est nisi una omnium anima), allein accidentiell find
alle verſchieden. So iſt die Sehfraft im Menſchen fubftantiell vom Ges
böre nicht verfchieden, weil ed die Eine Seele ift, die die Kraft des
Sehens und Hörend bildet, während accidentiell eine Verfchiedenheit ftatts
findet, da die Schfraft im Auge, nicht im Ohre, und das eine Auge ges
eigneter zum Sehen ift, ald das andere. Johann. Demnab fann man
fagen, ed gebe eine dreifache Welt: die Fleine Welt — der Menfh, die
größte — Gott, die große — das Univerfum. (Secundum hanc opinio-
230
nem concedi potest, quod triplex est mundus: parvus, qui homo,
maximus, qui est Deus, magnus, qui universum dieitur,) “Die fleine
Melt ift das Bild (similitudo) der großen, die große das Bild der größ—
ten. Allein ich bezweifle, ob der Menſch, da er die fleine Welt ift, auch
ein Theil der großen if. Cardinal. Allerdings ift ver Menſch in
der Weife eine Fleine Welt, daß er zugleich Theil der großen
ift. In allen Theilen fpiegelt fih dad Ganze, da der Theil ein Theil
ded Ganzen iſt. So fpiegelt fich der ganze Menſch in der Hand ab, die
eine richtige Proportion zum ganzen Menfchen hat. Indeſſen fpiegelt fich
doh im Haupt die ganze Vollfommenheit des Menſchen vollfommener ab.
So fpiegelt fib auch das Univerfum in jedem feiner Theile ab. Denn
Alles hat feine Angemeffenheit und fein richtiges Verhältniß zum Unis
verfum. Gleichwohl fpiegelt e8 fih in dem Theile, der Menſch heißt,
befier ab, als in jedem andern. Da nun die Vollkommenheit ded Unis
verfums in feiner Totalität fih mehr im Menſchen abfpiegelt, fo ift
aud der Menih eine vollfommene Welt, wenn fchon eine Kleine
und ein Theil der großen Welt. Was demnah das Univerfum univers
jel hat, hat auch der Menfh in particulärer, eigenthümlicher (proprie)
und abgejonderter (discrete) Weife. Und da es nur Gin Univerfum,
wohl aber viel Particulared und Abgefondertes geben fann, fo tragen die
vielen partieularen und abgefonderten Menfchen die Geftalt und das Bild
des Einen vollfommenen Univerfums an fih, auf Daß die fich gleichbleis
bende (stabilis) Einheit des großen Univerfums in der mannigfaltigiten
Vielheit vieler Feiner wechfelnder (Auidorum) Welten, die aufeinander fols
gen, um fo vollfommener fi entfalte. Johann. Wenn ich recht vers
ftehe, jo it der Menich, wie das Univerfum Ein großes Reich, aud ein
Reih, wiewohl ein Feines in dem großen Reiche, wie dad Königreich
Böhmen im römifhen Reiche oder im Kaiſerthum. Cardinal. Ganz
recht. Der Menfh ift ein Reich, ähnlich dem Reich des Univerſums,
gegründet auf einen Theil des Univerfums. So lange er nämlih Embryo
im Mutterleibe ift, ift er noch nicht ein befonderes Reich, fondern erft
nah Erfhaffung der vernünftigen Seele, die durb Schöpfung in ihn
fommt (quae creando imponitur), wird er ein Reih, das feinen befon»
bern König hat und Menſch heißt. Weicht die Seele von ihm, fo hört
er auf, Menfh und ein Reich zu fein. Der Körper kehrt, wie er vor
der Anfunft der vernünftigen Seele dem allgemeinen Reihe, der großen
Welt angehörte, in diefed wieder zurüd, gleichwie Böhmen dem Reiche
angehörte, bevor es einen befondern König hatte, und jenem wieder an-
heimfällt, wenn der befondere König aufhört. Der Menſch ift alfo uns
mittelbar feinem befondern König, der in ihm thront, unterthan, mittel-
bar ift er dem Reiche der Welt unterworfen. So lange er aber noch fel-
231
nen König bat, oder wenn er zu fein aufgehört hat, iſt er unmittelbar
dem Reihe der Welt unterworfen. Im Embryo übt daher die Natur
oder Welticele, wie in Anderem, was Wachsthum bat, die Kraft des
Wachsſsthums aus und ſetzt dieſe Function auch in einigen Todten fort,
denen Haare und Nägel wacjen. Indeſſen habe ich, daß der Menſch ein bes
jonderes Reich, frei und von edler Beichaffenheit fei, anderwärts ausführs
licher erörtert. Es iſt eine fchöne Betrachtung, wie der Menſch durd Selbft-
erfenntniß in feinem, wenn auch Heinen Reiche Alles reichlich ohne Mangel
vorfindet, fich glüclich findet, wenn er nur will, und vollfommen zufrieden ift.
Died fei daher hier mur furz berührt. Johann. Laß es Dich nicht ver-
drießen, zu diefer fo ſchönen Entwicklung noch beizufügen, wie die größte
Belt — Gott — in dem Univerfum fih abfpiegelt. Cardinal.
Du verlangft Hohes, id weiß nicht, ob ich genügen werde; doch will ich
mir mittelft ded Globus helfen, fo gut ich fann. Der fihtbare Globus ift
das Abbild des unfichtbaren, der im Geiſte des Künſtlers iſt. Beachte
nun wohl, daß der Geift die Kraft des Bildend und Geftaltend hat. Ins
dem nämlich der Geiſt in fih die Fähigkeit hat, zu denken, was er
will, befigt er die Kunft, jeinen Gedanten zu entfalten (pandendi con-
ceptum), was wir die Kunft ded Bildend (fingendi) nennen wollen,
der ih die Töpfer, Bildhauer, Maler, Dreher, Zimmerleute, Weber und
ähnliche Künftler widmen. Gefegt nun, ein Töpfer wollte Häfen, Schüffeln
und dgl., wovon er fi einen Begriff bilder, ſichtbar darftelen, um als
Meifter erfannt zu werben, jo verichafft er fich zuerft die Möglichkeit hiezu,
d. i. er macht die Materie tauglich zur Aufnahme einer fünftlerifchen Form.
Iſt dies gefchehen, fo findet er, daß er ohne Bewegung die Möglichkeit
nicht in MWirflichkeit umjegen kann, auf daß fie die Form annimmt, bie
er fih gedacht hat; er macht ein Rad, dur deſſen Bewegung er die von
ihm zuvor erdachte Form aus der Möglichfeit der Materie herausarbeitet.
Da eine Materie gefügiger als die andere ift, fo kann feine Möglichkeit
die vollfommenfte fein. In feiner Materie fann daher die immaterielle
geiftige Form wahrhaft, wie fie an ſich ift, abgebildet werden; jede ficht-
bare Form wird nur Abbild und Aehnlichkeit der wahren, unfichtbaren
Form fein, die im Geiſte der Geift felbft ift. So ift im Geifte des Drehers
diefer Globus fein Geift felbft, und indem er feinen Gedanfen ſichtbar
madhen will, nimmt er Materie, hier Holz, das die geiftige Form auf—
nehmen fol. Durch Drehen bringt er nun die Form in das Hol. Der
Globus war alfo im Gedanfen, und dort ift der vorbildliche Globus der
Gedanfe (mens); er war im Holze ald Möglichkeit, und hier war er bie
Materie; er war endlich in der Bewegung, indem er aus der Möglichkeit zur
Rirflichkeit gebracht wurde, und hier war er die Bewegung. Die Mög—
lichkeit wurde Wirklichkeit. durch Determinirung der Möglichkeit, welche nun
232
in Wirklichkeit fo determinirt ift, daß fie ein fichtbarer Globus if. Aus
diefem Bilde der menfhlihen Kunft fannft du dir einigermaßen einen Bes
griff von der göttlichen fchaffenden Kunft machen, wiewohl zwiſchen dem
Schaffen Gotted und dem Machen des Menſchen ein ebenio
großer Unterfchied ift, als zwiſchen dem Schöpfer und Gefchöpfe. Der
göttliche Geift, der die Welt denkt, ein Gedanke, welcher der Geift jelbft
ift, gleich (aequalis) dem Gedanken, heißt die vorbildliche (archetypus) Welt.
Nun wollte aber Gott die Schönheit feines Gedankens offenbaren. So ſchuf
er denn die Möglichfeit oder das Werdenkönnen der fhönen Welt und
die Bewegung, durch welde fie aus der Möglichkeit heraus zur Wirk
lichfeit fommen follte, in welcher die Möglichkeit, fo wie es Gott wollte
und wie ed fein fonnte, wirklich begrenzt wurde. Johann. Werftehft
Du unter dem MWerdenfönnen, der Möglichfeit oder Materie
etwas, woraud die Welt gemadt ift, wie der Globus aus dem
Hole? Bardinal, Keineswegs, fondern nur den Uebergang der Welt
aus der Seindweife, welche Möglichkeit, Werdenkönnen oder Materie ge
nannt wird, in die Seinsweile des wirfliben (actu) Seins, Es wir
nämlich nichts, was nicht werden fonnte. Was unmöglih werden fann,
wie follte diefed werden? Märe die Materie etwas in Wirklichkeit (ali-
quid actu), fo wäre fie entweder die Ewigkeit felbft oder ein Gefhöpf
ber Ewigkeit (aeternitatis factura). Nun fann fie aber nicht die Ewigkeit
fein, denn die Ewigkeit ift Gott, der alles das ift, was fein kann. So
ift die Materie nicht, denn fie ift die Möglichkeit, dad Werbenfönnen oder
die Veränderbarfeit (variabilitas), Sie ift aber auch nicht eim Geſchöpf
der Ewigkeit; denn wäre fie gemadt worden, fo hätte fie werden fönnen
und fo wäre das Werdenfönnen oder die Materie aus der Materie d. |.
aus fich felbft gemacht, was unmöglich ift. Folglich ift die Materie
nicht etwas Wirflihes. Wohl aber fagt man, die Sache, welde
wird, werde aus der Materie, weil fie werden fonnte. Der göttlide
Geift wäre niht allmäcdtig, wenn er nur aus Etwas etwa®
machen fönnte, was der nicht allmächtige erſchaffene Geiſt täglie
thut. Johann. Du negirft nicht, daß das Werdenfönnen, obwohl es
nicht irgend ein Sein ift, doch etwas werden fann. Es ift alfo nicht
durchaus Nichts, da aus Nichts nichts wird. Und da es nicht Gott iſt,
noch auch etwas in Wirklichkeit, no aus Etwas, noch auch nichts, ſo
ift ed, was es auch fein mag, aus Nichts; denn aus fich felbft kann ed
nicht fein, da es ſich nicht aus Nichts erfhaffen kann. Es ſcheint alle
ein Gefchöpf Gottes zu fein. Cardinal. Die Folgerung iſt gam
richtig. Dazu nöthigt und die gefunde Vernunft (viva ratio), wiewohl
wir, wie die Sache zu denken ſei, nicht einſehen. Denn wie der Begriff
von Gott alle Begriffe überfteigt, fo entzieht ſich auch der Begriff der
233
Materie jeglihem Begreifen. Johann. Liegen die Kormen in
der Materie verborgen (latent), wie der Globus im Holze verborgen
lag? Gardinal. Mit nichten. Denn indem der Dreher ven Globus
dadurch macht, daß er Holztheile fo lange abfchneidet, bis er auf die Ge—
Halt ded Globus kommt, geht die Möglichkeit, welche er im Holze hatte,
indem er den Globus dem Globus in feinem Geifte gleich geftaltet, aus dem
mögliben Sein in das wirkliche über. Die materielle Urſache hievon ift
dad Holz, die wirkende (efficiens) der Künftler, die geftaltende (formalis)
dad Urbild im Geifte des Künftlers, das Endziel (causa finalis) der
Künftler felbft, ver um feiner felbftwillen thätig war. Drei Urſachen finden
Ab alſo im Künftler felbft, die vierte ift die materiafe. So ift auch Gott
die dreifache Urſache (tricausalis): die ſchaffende, geftaltende und zielger
bende für jede Ereatur und für die Materie felbft, welche etwas verurfacht
(quae causat aliquid), obwohl fie ſelbſt nicht etwas ift. Allein ohne fie
könnte das, wad wird, nicht werden. Denn da das, was im Geifte
Gottes .ift, Gott — die Ewigkeit — ift, fo fann offenbar das nicht
werden und wird auch nicht, was nicht im Geifte und Gedanfen Gottes
it. Die Wahrheit jedes Dinges, das wird, muß daher nothiwendig nichts
Anderes als das Urbild von ihr fein, das der Geiſt Gottes ift. Alles,
was wird, Ift daher das Abbild einer Urform (exemplaris formae); denn
die Wahrheit des Abbildes ift nicht das Abbild, fondern das Urbild.
Wenn alfo Alles, was wird, nicht die Wahrheit ift, fondern nur ihr
Abbild, fo muß, was wird, da ed von ber fich gleich bleibenden Ewigfeit
berabfommt, in dem veränderlichen Subjecte aufgenommen werden, wo es
niht fo, wie ed in der Ewigfeit ift, fondern wie es werden fann, aufs
genommen wird. Johann Wenn ich Alles recht verftehe, fo ift Alles
in Gott und in ihm die Wahrheit, die fein Mehr noch Weniger ift. In
ihm ift Alles complicite und unentwidelt, wie der Kreis im Punkte. Alles
it in der Bewegung, aber in ihr ift es in feiner Entwicklung. Alles ift
im MWerdenfönnen, wie der Kreis in der Materie, die zu einem Kreiſe
gebildet werden kann. Alles ift in der beftimmt begrenzten Möglichkeit,
wie der wirklich bejchriebene Kreis. Kardinal. Du haft diefe Punkte
ziemlich ſummariſch zufammengefaßt, die, ich weiß nit wie, außerhalb
des Thema's in unfer Geſpraͤch hereingefommen find. Kehren wir daher
m unferm Spiele zurüd; ich will, was ich noch im Auge habe, fo fur
als möglich mittheilen. Johann. Sähe ich nicht, daß Du reihlih und
über unfer Erwarten uns befriedigt und und eine Belehrung, die zu tiefem
Rahdenten führt, gegeben haft, fo würde ich bei unferer großen Lernbe—
gierde Di, obwohl Du ermüdet bift, inftändig bitten, das Begonnene in
ausführliben Abhandlungen weiter zu führen. Doc verfahre nun nad
Belieben, wir werden Deine Schriften aufjuchen, die, wie wir hoffen, reich
234
an folhen Höhepunften der Speculation find (quos his apicibus refertos
speramus). Gardinal. Ich glaube, daß ich Diefes und Anderes öftere
mündlich und fchriftlih erörtert habe, vielleicht befier als jetzt, wo meine
Kräfte mehr naclaffen und das Gedächtniß nur langiam feine Dienfte
thut. Meine Abfiht war, dieſem neuen Spiele, das Jedermann leicht
verfteht und gerne fpielt, dem aber ein ficheres Berfahren fehlte, eine
meinem Vorhaben entfpredhende Einrichtung zu geben. Ich bezeichnete den
Standpunft zum Werfen des Globus und einen Kreis in der Mitte einer
ebenen Fläche. Mitten im Kreife ift der Sitz des Könige, deſſen Reid
das Reich des Lebens ift, eingeichloffen in den Kreis, der noch neun ans
dere Kreife in fih faßt. Die Regel des Spiels ift nun bie: der Globus
muß innerhalb des Kreiſes zur Ruhe kommen; je mäher dem Centrum
er ruht, defto mehr gewinnt er nach der Zahl des Kreifed, in dem er zur
Ruhe kommt. Wer am fchnellften es auf 34 — die Zahl der Jahre
Ehrifti — bringt, ift Sieger. Dieſes Spiel nun bezeichnet die Bewe—
gung unferer Eeele aus ihrem Reiche in das Reich des Lebens, in dem
Ruhe und ewige Seligfeit ift, in deffen Gentrum unfer König, der Spender
ded Lebens, Jeſus Chriftus, thront. Da er uns glei war, bewegte er
den Globus feiner Perfon vergeftalt, daß er in der Mitte des Lebens
rubte, und ein Beifpiel binterlaffend, daß auch wir e8 machen, wie er.
Unfer Globus folge dem feinigen, wiewohl ed unmöglich ift, daß ein
anderer Globus in demfelben Centrum das Lebens, in dem der Globus
Ehrifti ruht, zur Ruhe gelange. Innerhalb des Kreiles find nämlich
unendlich viele Orte des Stillſtehens. Jeder Einzelne fommt an dem
ihm eignenden Punkte, den nie ein anderer erreichen fann, zur Rube.
Keine zwei Globus find vollfommen gleih weit vom Centrum entfernt,
fondern einer mehr, der andere weniger. Jeder Ehrift muß mun be
denfen, daß Einige feine Hoffnung auf das andere Leben haben; es find
Die, welche ihren Globus nur im Srdifchen bewegen. Andere haben die
Hoffnung auf Glüdjeligkeit, allein mit ihren eigenen Kräften und Gefegen,
ohne Ehriftus, ftreben fie zu jenem Leben zu gelangen. Diefe folgen nur
ihrem Globus; mittelft ihrer eigenen Geiftesfräfte und den Lehren ihrer
Propheten und Lehrmeifter nehmen fie einen Anlauf in die Höhe (ii glo-
bum suum sequendo ingenii vires et suorum prophetarum et magi-
strorum praecepta ad alta currere faciunt), aber in's Reich des Lebend
gelangen fie nicht. Endlich gibt es Solde, welche den Weg, den Chriſtus,
ver eingeborne Sohn Gottes gelehrt und betreten hat, einfchlagen. Diele
wenden fich der Mitte zu, zum Throne des Königs der Tugenden, des
Mittlerd zwiſchen Gott und den Menihen. Den Fußftapfen Ehrifti
folgend, treiben fte ihren Globus zu mäßigem Laufe an (globum saum
medioeri cursu impellunt). Sie allein erlangen eine Wohnftätte im Reiche
235
bes Lebens, denn nur der Sohn Gottes, der vom Himmel herabgeftiegen,
fannte den Weg des Lebens, den er den Gläubigen durch Wort und That
geoffenbart bat. Johanun. Du fagft: den Gläubigen. Wer find diefe?
Gardinal. Wer an den Sobn Gottes glaubt und daß das Evanges
(um dur ihn verkündet fei, der hat über die Wahrheit des Evangeliums
Gewißheit, weil der Sohn Gottes nicht lügt. Er zieht daher die Vers
beifungen ded Evangeliums diefem Leben vor. Er freut fib bier zu
Rerben, um mit Ehriftus in das ewige Leben einzugehen. Sterben muß
man jedenfalls. Aber Sterben für den Glauben an den Sohn Gottes
hat die Vergeltung des ewigen Lebens. Denn wie follte Gott, der fo
gerecht und barmberzig ift, den treuen Glauben des für Gottes Ehre
Sterbenden nicht vergelten? und welde andere Vergeltung follte er geben,
ald die des Lebens Dem, der für ihn das Leben gegeben hat? Iſt Gott
weniger edelmüthig, als ein Edelmann, der die Treue feiner Dienftmannen
reichlich, bis zur Theilnahme an der Herrſchaft, belohnt? Wenn daher
in Gläubiger für die Ehre des Sohnes jelbft den ewigen Tod zu leiden
fh entſchloſſen hätte, welde andere Vergeltung wird ihm zu Theil werden,
ald die des Lebens, mit der Gewißheit, daß er immer und ewig wahr:
baft lebe und fich freue? Johann. Sind das alſo feine wahren Ehriften,
die nicht wie Ehriftus für die Ehre Gottes fterben? Cardinal. Der
it ein Chrift, der die Ehre Chrifti dem eigenen Leben und der eigenen
Ehre vorzieht, und zwar fo, daß wenn die Prüfung der Verfolgung über
ihn fommt, er als Chrift erfunden wird. In dem lebt Ehriftus und er
ielbft lebt nicht. Welt und Leben verachtet Der, in dem durch den Glauben
der Geift des Sohnes Gottes, Jeſu Ehrifti, ift, der der Welt abgeftorben
in Ehriftus lebt. Johann. So viel ich fehe, ift es fchwer, dem ger
hümmten Globus eine ſolche Richtung zu geben, daß er dem Wege Ehrifti
folgt, in dem der Geift Gottes war, der ihn in’d Gentrum und zum Duell
des Lebens führte. Cardinal. Es ift ganz leicht für Den, der wahren
Glauben hat, wie ich vorhin fagte. Der Globud Deiner Perſon wird
durd den Geift des Glaubens angetrieben, durch fefte Hoffnung ges
litet, durch Liebe an Chriftus gefeſſelt, ver dich mit fich zum Leben führt.
Bür die Ungläubigen ift dies unmöglich. Johann. Davon bin ic
ſeſt überzeugt: wer nicht Chriſtus, dem Sohne Gottes, glaubt, huldigt der
Belt und hofft nicht auf ein befjered Leben; der Gläubige aber freut fich
in Unglück, weil er weiß: ein glorreicher Tod gibt mir das unfterbliche
Leben. Allein es fcheint kaum möglich, daß der, feiner Natur nach, nad)
unten geneigte Globus nicht bei der Bewegung eime fchiefe Richtung
nehme, der eine mehr als der andere. Gardinal. Das ift eben das
hoͤchſte Geheimniß dieſes Spiels, daß wir lernen, die Senkungen und na—
rlihen Krümmungen durch eifrige Uebung fo zu überwinden, daß wir
236
endlich nach vielen Schwankungen, unfihern Bewegungen und Krümmungen
im Reiche des Lebens zur Ruhe fommen. Du fiehft, daß der Eine den
Globus auf diefe, der Andere auf eine andere Meife antreibt, während
der Globus felbft immer feine Gurvengeftalt beibehält. Nach dem ver
fchiedenen Anftoße ift auch feine Bewegung und zur Ruhe Kommen ver:
fchieden, und bevor er zur Ruhe fommt, weiß man nie mit Sicherheit
feinen Ruhepunft anzugeben. Sieht nun Einer, daß der von einem Andern
angetriebene Globus ganz nahe an's Eentrum gefommen, fo will er «6
ihm nachmachen, verfucht ed wiederholt und zulegt gelingt e8. Johann.
Jeder Globus ift von befonderer Art und anders gefrümmt Es kann
fomit nicht Einer dem Andern folgen. Cardinal. Allerdings, Keiner
fann in die Fußftapfen eines Andern präcis eintreten, wohl aber muß
jeder die Senfungen feines Globus — feine Leidenſchaften — durch Uebuns
gen, die er mit fih vornimmt, überwinden. So gefchult fuche er dann
die Richtung zu treffen, bei der die Krümmung feines Globus fein Hin
derniß mehr findet, um in den Kreis des Lebens zu gelangen. Das ift
die myftifhe Bedeutung des Spiels: durch eifrige Uebung
fann aud ein gefrümmter Globus eine fo regelredte
Richtung befommen,daß er nad unfiher fih hinwindender
Bewegung im Reihe des Lebens zur Ruhe fommt. Johann.
Ich kann nicht Täugnen, daß ſich der Globus nach dem verfchiedenen Anſtoß
des MWerfenden immer verfchieven bewegen werde und daß der nämliche
Globus von Jemand beliebig geworfen werden kann, fo daß, obwohl die
frumme Richtung immer bleibt, doch feine Bewegung eine verſchiedene
it. Da er jedoch nicht immer im Gentrum des Kreifed, wohin ibm jeder
Spieler bringen will, zur Ruhe kommt, und ein Spieler das eine Mal ihn
nahe an's Centrum bringt, das andere Mal, obwohl er diejelbe Abſicht hat,
weit vom Centrum entfernt bleibt, fo fcheint mir, daß nicht bloß die Ad
ſicht des Spielers, fondern aub das Glück auf die Bewegung Einfluß
hat. Eardinal. Glück fanı man nennen, was unabhängig von der
Abſicht fih ereignet, und da jeder Spieler nad dem Centrum des Kreiled
zielt, fo ift es nicht Glück, wenn er es trifft. Indeſſen fteht es auch
nicht in unferer Gewalt, daß unfer Wille vollzogen wird (quod voluntas
nostra perficiatur). Denn indem der Globus hinrollt, fehen wir aufs
merffam zu, ob er in's Gentrum gelangt, und gerne möchten wir ihm,
wenn es möglich wäre, zu Hülfe kommen, daß er endlich im Gentrum
anlange. Weil wir ihm aber auf feinem Wege nicht mehr helfen fünnen,
wenn wir nicht zuvor ihm den nöthigen Anftoß gegeben haben, fo fönnen
wir mit unferer hintennach hinzufommenden Abſicht den Lauf, den wir ihm
gegeben, nicht Ienfen, gleichvoie, wer von einem Berge herab zu laufen an
gefangen hat, im fehnellen Laufe, auch wenn er will, ſich nicht anhalten
237
fan. Man muß daher auf den Anfang der Bewegung feine Aufmerf-
jamfeit richten. Daher läßt eine fchlechte Gewohnheit, die auch eine Bes
wegung ift, und nicht zum Guthandeln fommen, wenn wir fie nicht aufs
geben und durch eine gute Gewohnheit die Bewegung zur Tugend hin
rihten. Es dürfen daher Die, welche ihrem Lebendlaufe eine fchlechte
Rihtung geben, wenn fie auch während desjelben Reue empfinden, feinem
äußern Verhältniffe, dad man Scidfal (fatum) oder Mißgeſchick (mala
fortuna) zu nennen pflegt, es zufchreiben, wenn fie ihren Lauf jchlecht
endigen, fondern nur fich ſelbſt, die fi unüberlegt in's Verderben ges
fürst haben. Du fiehft deutlich, daß Du den Globus, wann und wie
Du willft, in Bewegung ſetzen kannſt, au wenn eine Conftellation
am Himmel Dir fagte, der Globus müſſe unbeweglich bleiben; der Einfluß
diefer Eonftellation wird Deine Hand nicht hemmen, den Globus, wenn
Du willft, in Bewegung zu jeßen. Denn das Neid eined Jeden ift ein
freied, wie auch das Reich des Univerjums, in dem auch die Himmel und
Geftirne inbegriffen find, die aud in der kleinen Welt, wiewohl in menfd«
licher Weife, fih vorfinden. Johann. Demnach muß Jeder auch
das Unglüd nur ſich felbft zuſchreiben. Cardinal. Wllers
dings, im Gebiete des Sittliben und in denjenigen Hands»
lungen, die der Menſch als Menfh begeht. Niemand ift ein
Sünder, ald nur durch feine Schuld. Johann. Warum nennt man
aber das Schidjal allmähtig? Cardinal. Das fagt ein Dichter, der
wußte, daß dies die Lehre der Platonifer fe. Denn diefe nennen das
Shidjal (fortuna) die Ordnung und Gintheilung aller Dinge nad) ihrem
beiondern Sein, fie nennen ed das feft umfchließende Band (necessitatem
complexionis), weil jener Anordnung nichts widerftehen kann. Diefe heißt
weder ungünftig noch güuftig an fi, fondern nur in Bezug auf uns und
nah der Entwidlung der Dinge, 3. B. die Beftimmung und Anordnung,
daß ein Menſch fei, womit gefagt wird, daß Alles fo gefchehe, wie es zu
geihehen pflegt, fonft würde ein Menſch nicht entftehen. Diefe Noth—
wendigfeit iſt daher unvermeidlih und nichts kann ihr widerftehen, ins
ſofern allmächtig. Daß aber Sofrates und Plato wirklich verſchiedene
Menſchen find, das rührt nicht daher, daß das Schidjal oder die Aus
ordnung der Dinge günftig oder ungünftig ift, jondern nur relativ wird
dem Einen von ihnen Glück zu Theil im Verhältniß zum Andern, Allein
weder dieſes Schidfal, noch die früher genannte Weltfcele
ordnet in unferem Reihe Dasjenige an, was den Menſchen
betrifft. Jeder Menfch hat den freien Willen, zu wollen oder nicht
u wollen; Jeder erkennt Tugend und Lafter, das Sittliche und Unfittliche,
dad Gerechte und Ungerechte, das Lob⸗ und das Tadeldwerthe, das Ehren-
volle und das Entcehrende; Jeder weiß, daß man das Gute wählen, das
238
Böfe verwerfen müffe, denn er bat in fih den König und Richter. Da
die Thiere von allem Dem nichts wiffen, fo fommt ed dem Menſchen
als Menſchen zu. Diefe eben erwähnten Tugenden bilden ein edles Reid,
das weder dem Univerfum noch einer andern Greatur unterworfen if,
nicht aber jene äußeren Glücksgüter, über die der Menfch nicht nach feinem
freien Willen verfügen kann, weil fie nicht wie die genannten unfterblicen
Güter dem Willen des Menichen unterworfen find. Die unſterbliche Seele
fuht und wählt fib mit freier Wahl die unfterbliben Tugenden, bie
ihrem Leben eine unfterblihe Nahrung geben, wie ſich der Körper die ihm
zufagende körperliche Nahrung fucht. Und wiewohl e8 unmöglich ift, ſo
lange der Globus in Bewegung iſt, vorher zu wiffen, in welchem Punfte
er ruhen werde, und obwohl er nicht jedesmal im Kreife zur Ruhe kommt,
weil er mandmal in den Kreis gelangt, fo kann man doch durch Ge
wohnheit und beftändige Uebung mit ziemliher Wahrſcheinlichkeit vorher,
beftimmen, daß der Globus im Kreife feine Ruhe finden werde. Schwerer
läßt fi fagen, in welder Ordnung der abgefonderten Kreife, aber durch⸗
aus nicht, in welchem Punkte. Mit dem irdifhen Menfhen und feiner
Wanderſchaft hat der Globus mit feinem gewichtigen Körper, feiner ber
Erde fich zuneigenden Seite und der durch einen Menfchen ihm gegebenen
Bewegung manche Aehnlichfeit. Denn die menfhlihe Bewegung kann
nicht in der geraden Nichtung bleiben. Durch ihr irdifch gefinntes Weſen
(propter terresteritatem) fenft fie fich fehnell, unbeftändig und wechſelnd
ſchwankt fie beſtändig. Gleihwohl kann fie durch Tugendübung ihre
Bewegung im Kreife zum Ziele dringen, und einen guten und beharrlicen
Willen unterftügt Gott, der in der Bewegung gefucht wird, und bringt
ihn zur Vollendung (perficit bonam voluntatem). Denn er ift es, der
den Gläubigen Teitet (dirigit) und zur Volltommenheit führt und ber
Ohnmacht des auf ihm Hoffenden durch feine allmächtige Güte aufbilft
(et impotentiam in ipsum sperantis sua omnipotenti supplet clementia).
Wenn daher der Chrift Alles, was in ihm ift, vollzieht (qui facit om-
nia, quae in ipso sunt), fo wird er, wenn er gleich merft, daß fein
Globus eine unbeftändige Bewegung habe, doch im Vertrauen auf Gott
nit zu Schanden werden, weil Gott Die nicht verläßt, die auf ihn hoffen.
Das ift das Geheimniß diefes Spiels, das ich nun in fo kurzer Zeit
hinlänglich erläutert habe. Du fannft aus diefem Wenigen Vieles Dir
entnehmen und in der Bewegung vorankommen, auf daß wir einmal ver
eint im Reiche des Lebens mit Chriftus unferm Könige glücklich den
Ruhepunkt finden! Das möge Der gewähren, der allein die Macht day
hat und in Ewigfeit gepriefen fei. Amen.
239
Zweites Dud.
Gin Geſpräch zwifchen dem jungen Albert, Herzog von Bayern und dem Gardinal
Nicolaus.
Albert. Es ift Dir befannt, mein Vater! daß ich im der frohen
Hoffnung, unferem Papſte Pius, Dir und andern Garbinälen befannt zu
werden und mich weiter auszubilden, hieher gefommen bin. Als ih nun
den erlauchten Herzog Johann, meinen lieben Vetter, in der Stadt antraf
und nad den gemeinſchaftlichen Beſuchen bei unfern Freunden bemerkte,
daß er die Schrift über das Globusſpiel fleißig Iefe, fo bewunderte ich
lowohl das Spiel, als die Schrift und bemühte mich, wenigftend Einiges
mit meinem noch jungen Berftande zu erfaſſen. Allein ich verftand bie
Erflärung der myftifchen Bedeutung der Kreife in der Region des Lebens
nit. Ich bitte daher Deine Güte, verachte nicht meine Unfähigkeit, ein
ſolches Geheimniß zu erfaffen. Reicher an Belehrung werde ich, was ich
etwa von Dir höre, bei mir wiederholen, und fo mit Hülfe Gottes Forts
Ihritte mahen. Cardinal. Es hat mich fehr gefreut, dich mit deinem
Bruder Wolfgang bei mir zu fehen. Denn Dein Vater Albert, der ers
lauchte Pfalzgraf und Herzog von Baiern, war mir viele Jahre mit bes
ſonderer Liebe zugethan und hat mir died auch durch die That bewicfen.
Zu jeben, daß der Vater in den erlauchten talentvollen und gebildeten
Söhnen fortlebe, ift mir ein großes Vergnügen. Ich werde daher, was
in meinen Kräften fteht, gerne mitteilen. Ueber das Globusiptel wün—
ſcheſt Du Aufſchlüſſe, die Du vielleicht bei Deiner Jugend nicht faffen Fannft.
Dod wirft Du jedenfalld ftaunen und mit einem gewiſſen Eifer erhabene
Wahrheiten in Dich aufnehmen, die Dich fähig machen, alles andere Wiſſen
jüneller zu erfaffen; Du mußt aber das Auge des Geiftes aufthun und
den Blick ganz in die Höhe richten, fo daß Du meine Worte mehr fiehft,
als höreft. Albert. Ich will das Alles thun, foweit Anlage und Tas
int e8 erlauben. Cardinal. Um das Geheimniß der Kreile zu vers
Heben, merfe Dir folgenden Sag: Es kann nichts größer oder Heiner fein
ald Das, das in Allem und in dem Alles if. Es ift daher das Urbild
von Allem. Albert. Gut, ich habe diefen Sa meinem Gedächtniffe
eingeprägt. Damit aber der Geift die Wahrheit einfehe, bedarf e8 einer
Erklärung. Gardinal. Wenige Worte werden genügen. Wie follte
etwas fleiner fein ald das, das in Allem, oder wie größer als das, in
dem Alles? Wenn alfo nichts von Allem größer oder Kleiner ift, jo find
240
alle Dinge nothwendig die Abbilder (exemplata) jenes Einen Urbildes.
Albert. Das ift die fürzefte Erflärung, denn ih fehe ganz gut ein,
daß, da das Abbild Alles nur vom Urbilde bat, und ed nur Ein Urbild
von Allem gibt, das in Allem und in dem Alles ift, Du mich zu einer
Betrachtung hoher Dinge führft, indem Du mir die Einheit des Urbildes
aller verfchiedenen Abbilder zeigt. Cardinal. Du fichit alfo ein, daß
das Abbild micht fein könne, es fei denn in ihm das Urbild. Albert.
Ganz gewiß. Gardinal. Allein wie eriftirt das Abbild, wenn ed nicht
in feinem Urbilde ift? Denn tft das Abbild außerhalb feinem Urbilde,
wie bleibt ed dann noch Abbild? Albert. Ich nehme feinen Ans
ftand, Died zuzugeben. Das Abbild muß nothwendig in feinem Urbilde
enthalten fein, jonft wäre es fein wahres Abbild. Vollkommen fehe ih
ein, daß das Urbild nothwendig in dem Abbilde und das Abbild in
dem Urbilde enthalten it. Gardinal. Das Urbild ift alfo in
allen Abbildern, und alle Abbilder find in ihm. Kein
Abbild ift alfo Eleiner oder größer als dasſelbe. Somit find alle Abbilver
Abbilder des Einen Urbildes. Albert. Ganz richtig, ich begreife dad.
Cardinal. Und es bedarf nicht wegen der Vielheit der Abbilder meh
rerer Urbilder, da Eines für unendlich Viele genügt. Denn naturgemäß
geht das Urbild dem Abbilde, aller Vielheit die Einheit woraus, welde
das Urbild aller abbilvlihen Vielheit it. Wären nun mehrere Urbilder,
fo müßte die Vielheit der urbildlihen Einheit vorangehen. Jene mehreren
Urbilder wären nicht die gleihmäßig erften (aeque prima) Urbilder, fon
dern die Abbilder Eines erften Urbildes. Man kommt alfo immer wieder
auf Ein erftes Urbild, das in allen Abbildern und in dem alle Abbilver.
Albert. Du haft mir gezeigt, was ich zu fehen wünſchte. Ohne Am
ftand fehe ich ein, daß die Einheit das Princip aller Vielheit ift; in
Folge hievon erkenne ih die Einheit als das Urbild aller Abbilber.
Cardinal. Ich fagte, die Einheit fei das Urbild aller Zahlen oder
aller Vielheit und Menge. Denn in jeder Zahl fiehft Du bie
Einheit und jede Zahl fiehft Du in der Einheit enthalten.
Jede Zahl ift Eins: der Zweier, Dreier, Zehner ıc., jedes tft die Einzahl.
Das wäre nicht möglich, wenn in ihr nicht die Einheit und fie nicht in
der Einheit wäre. Albert. Bisher beachtete ich dies nicht; ich glaubte,
der Zehner fei größer als die Einheit und fomit nicht in der Einheit ent
halten. Jetzt fehe ich aber, daß der Denar, da er Ein Denar ift, dieſes
nicht fein fann, außer er fei im der Ginheit enthalten. Cardinal.
Du mußt aber auch darauf achten, daß die Einheit weder feiner noch
größer fein fann. Daß fie nicht Kleiner ift, haft Du fo eben zugegeben;
daß fie nicht größer ift, fiehft Du auch ein, wenn Du beachteft, daß bad,
was größer ald Eined wäre, nicht Eines wäre. So iſt's beim Denar; er
241
mag vermindert oder vergrößert fein, fo iſt er nicht mehr der Denar. Das
hat alle Zahl von der Einheit, denn die Zahl ift das Abbild der Einheit als
ded Vorbilde. Albert. Der Sag, den Du vorausgeſchickt haft, ſcheint
der Schlüffel zum Verftändniffe verborgener Wahrheiten zu fein, wenn ber
Borihende ihm recht anwendet. Cardinal. Die Anwendung ift nicht
ſchwer. Wenn ich eine Reihe von Fragen an Dich richte, fo wird ſchon
die Frage Dich zur Anfhauung der Wahrheit hinführen, 3. B. ich frage
Dih, ob Du glaubft, daß Alles, was Du fiehft, reale Eriftenz habe.
3b bin überzeugt, Du wirft jagen: alles dies hat feine Eriftenz. Albert.
Da ed etwas ift, fo muß es auch exiſtiren. Cardinal. Iſt in dem,
was eriftirt, dad Sein ſelbſt? Albert. Allerdings, denn wenn in ihm
niht das Sein felbft wäre, wie fönnte es eriftiren? Cardinal. Exi—
firt aljo nicht Alles, was ift, in dem Sein felbt? Albert. Außers
halb dem Sein felbft würde es freilich nicht eriftiren. Cardinal. Das
Erin von Allem ift alfo in Allem, was eriftirt, und alles GEriftirende
erifiirt in dem Eein felbft. Albert. Es ift mir nichts gewifler, als
dag das einfahfte Sein von Allem das Urbild alles Eriftirenden iſt.
Bardinal. Das ift das abjolute Erin, das wir ald den Echöpfer
von Allem, was ift, glauben. Albert. Wer follte nicht einjehen, daß
dad, was Du gelagt haft, ſich wirklich jo verhalte? Gardinal. So
feht Du in dem Befeelten die Seele und zugleih das Befeelte in der
Seele, im Gerechten die Gerechtigkeit und ihn in der Gerechtigkeit, im
Weißen dad Weißfein und das Weiße im Weißfein, überhaupt im
Goncreten (in contracto) das Abjolute und das Eoncrete im
Abfoluten, die Menfhheit im Menſchen und den Menfhen in der
Menſchheit. Albert. Ich begreife dies Alles als nothwendig, allein die
Vorftellung (imaginatio) fann das Wie nicht faflen. Oper wer jollte
es faflen, daß Eines in dem Andern ift und died Andere in demfelben
Einen? Cardinal. Dies ift deßhalb nicht vorftellig (inimaginabile),
weil die Vorftellung durch die Kategorie oder Quantität befhränft ift.
Was fein Duantum ift, erfaßt die Vorftellung nit. Daß daher das
Einihließende in dem Eingeſchloſſenen ift (continens in contento), vers
Reht die Vorftellung nicht, indem fie fih einen Raum, der eine Quantität
hat, vorftellt ; fie meint, es fei, ald wollte man fagen: wenn Jemand in
einem Haufe ift, fo ift das Haus in ihm. Allein das Auge des Geiſtes,
dad auf das Erfennbare, das über die Vorftellung hinausgeht, hinſchaut,
fann den Sag nicht in Abrede ftellen; denn es ficht in dem Sein felbft,
das über die -Vorftellung hinausliegt, Alles, auch die Borftellung ſelbſt,
eingeichloffen, und wäre dies vom Eingefchloffenen nicht wahr, fo eriftirte
es nicht. Albert. Ich erkenne die Wahrheit dieſes Sapes und es
Sqcharpff, Nie. v. Cuſa. 16
242
fällt mir eim deutliches Beilpiel hievon ein. Was durch Sinn und Bor:
ftellung erreicht wird, ift an der Eubftanz (circa substantiam) und heißt
Accidens. Würden die Nceidentien nicht in der Subftanz enthalten fein
(nisi continerentur per substantiam), fo würden fie nicht beftehen.
Was alio die Accidentien in ſich fehließt, muß in den Aceidentien fein
und- beftehen (substare), damit diefe in ihm beftehen. Die Eubftanz der
vernünftigen Natur (intelligibilis naturae), die über Sinn und Vorſtel—
lung binausliegt, begreift alfo alle Aceidentien in fih und eriftirt in dem
von ihr Inbegriffenen. Daß die Accidentien an einem Subjecte d. i. an
der Subſtanz find, ift ſoviel, als daß die Subftanz in den Accidentien if.
Ganz befonderd ſehe ib das ald wahr ein, daß die Accidentien nicht an
ihrem Subjecte, der Eubftanz, wie an einem beftimmten Orte find, da der
Ort felbft Accidens, nicht Subftanz if. Cardinal. ES freut mid,
daß Du einen gefunden Geiftesblid bafl. Wenn Du unfere Gebanfen
auf die vernünftige Seele, welde die Eubftanz aller ihrer Kräfte und
Fähigkeiten it, ausdehnſt, fo fiehft Du, daß fie diefe in fich enthalte und
in allen ihren Kräften und Rähigfeiten enthalten fei. Albert. Id
fange an Geſchmack an diefem ſchmackhaften Wiſſen zu finden; ich werde
mich in ihm üben, um Beftigfeit darin zu erlangen. Doc damit id Did
nicht zu fange bei diefer für mich nothwendigen Digreffion aufhalte, ſo
fahre nun weiter, um zu Deinem Ziele zu gelangen. Cardinal. Nun
wirft Du, den? ich, diefe Lebensfreife (des Globus) leicht verftehen. In
jedem Lebenden muß Leben und der Lebende im Leben fein. Das Leben
der nach Chriſtus Geftalteten (vita Christiformium), d. i. aller Derer, die
in der Region der Lebenden find, verhält fih alfo fo, vaß das Keben,
welches Ehriftus ift, welder jagt: „Ich bin das Leben“,
in allen dort Lebenden ift und alle Lebenden in dem
Leben find, welches Chriſtus if. Es ift fomit das Leben
Ehriftidas Urbild für alledort Lebenden, welde die Abs
bilder desfelben find. Albert. Ich ſehe wohl, daß der lebendige Ehrift
fih fo verhalte, wie Du fagft: ed muß in ihm bas Leben Ehrifti und er
in diefem Leben fein. Cardinal. Abgebildet wird diefes Leben im der
Region der Lebenden in der runden Figur, die Du fiehft, und indem alle
Kreife das gleibe Centrum haben, find fie das Bild des Runden. Das
Runde ift das Kreisförmige, die Bewegung des immerwährenden und
unendlichen Lebens. In jedem Runden muß die Rundheit fein, durch die
es eben rund ifl. Wie es nun weder eine Kenntniß, noch Wefenheit dee
Runden oder Immerwährenden (perpetui) geben fann, außer im Centrum,
um das ſich die immerwährende Bewegung drebt, fo daß ohne das Een
trum eine immerwährende Dauer und eine Bewegung des immermwährenden
Lebens, die auf dem gleichen Verhältniß zur Identität des Centrums bes
243
ruht, weder fein noch erkannt werben fann, fo verhält fih auch das
Centrum, weldes Ehriftus ift, zu allen freisförmigen Bewegungen. Die
Kreife bezeichnen die Berwegung des Lebens. Die lebensreicheren Bewe—
gungen (vivaciores motus) werben dur die dem Lebendcentrum näheren
Kreife bezeichnet. Denn das Lebenscentrum felbft ift der Art, daß es
weder größer noch Fleiner fein fann. Im ihm ift die Lebensbewegung,
die außer ihm nicht ift. Denn eine Lebensbewegung, im der nicht das
Leben ift, ift keine wahre Lebensbewegung. Die freisförmige und centrale
Bewegung ift das Leben der Lebenden. . Je näher nun der Kreis dem
Gentrum iſt, deſto fchneller ift feine Kreisbewegung. Polglib kann der
Kreis, der mit dem Centrum zufammenfällt, im Augenblick (in Nunc in-
stanti) fih umdrehen; die Bewegung ift demnach bier eine unendliche.
Run ift aber dad Centrum ein firer Punkt; die Bewegung ift daher
die größte oder unendlihe und zugleich die Fleinfte da, wo
Centrum und Umfreis identifh find. Wir nennen died das
ewige Leben, das in feiner firen Ewigfeit alle möglice Bewegung des
Lebens im fich begreift. Albert. Ich begreife, daß Du fagen willft, der
fleinere Umfang der Kreife bezeichne eine fchnellere oder Iebenswollere Les
bensbewegung, weil fie dem Eentrum, dem Leben der Lebenden, näher ift.
Doch fage mir: warum haft Du neun Kreife gezeichnet? Cardinal.
Wir wiffen, daß Einige in der vernünftigen Bewegung fchnell, Andere
langfam find, in verjciedenen Gradunterfchieden, wie wir an der Bers
ſchiedenheit der Talente fehen. Einige haben eine ſolche Lebensfülle, daß
fie ganz fehnell fi bewegen; Andere find langfamer, fie machen in feinem
Stüde Fortſchritte. Ehriftus nun, der das Leben ift, ift auch die
BVeisheit und das fhmadhafte Wiffen (sapida scientia).
Die Weisheit, fofern fie fhmadhaft ift, erweist fi als lebendiges Er-
faſſen. Bon diefer Art ift das vernünftige Erfafien der Weisheit oder
des ſchmackbaften Wiſſens. Daher will jede lebendige, ver»
nünftige Bewegung den Grund ihres Lebens erfennen
und in diefem Wiffen unfterblihe Nahrung finden. Ge
langt fie nicht zu diefem Ziele, fo lebt fie nicht, weil fie den Grund ihres
Lebens nicht Fennt. Der Spender des Lebens iſt Gott; aber Niemand
kennt ihn, wenn ihm nicht Ehriftus, der Sohn Gottes, befannt macht
(ostendit), Dieſes Bekanntmachen vermag nur er; denn Niemand kann
den Bater ald Bater befannt machen, ald der Sohn. Es ift aber mur
Ein Vater Ehrifti und unfer Vater, der die Ewigfeit felbft ift, der in
allen Vätern ift und in dem alle Väter enthalten find. Um noch beuts
liher Den, ver den Bater befannt macht, zu erfennen, fo beachte, daß er
die Wahrheit ift. Denn er fagte, er fei ver Weg und die Thüre, das
16*
244
Leben und die Wahrheit. Ein zuverläffiges und wahres Bekanntmachen
ift nur dur die Wahrheit möglid. Die Lüge, die dem Lügner und Ver
führer, dem Teufel, zugefchrieben wird, irrt und verirrt (errat et deviat).
Die Kindſchaft (Aliatio) Gottes offenbart in Chriftus fich felbft, weil er
die Wahrheit iſt. Wer Ehriftus wahrhaftig erfennt, erfennt
inihbm den Bater und ihn im Vater. Die Kreife bedew
ten die Stufen der Erfenntnif (gradus visionis). In jedem
Kreife ficht man das allen gemeinfame Centrum, doch näher in dem
nähern, entfernter in dem entfernteren. Mer nicht in einem Kreife iR,
fann das Gentrum, das man nur in einem Kreife fieht, nicht jehen, und
ift fomit außerhalb der Stufen der ewigen Anſchauung. Ohne Ehriftus
ſiehſt Du nicht das Leben der Lebenden, das Licht der ver
nünftigen Lichter. In der Finfterniß ift daher fein Leben: fehen heißt
leben. In der Ermanylung des Lichts fann man nichts fehen, wenn aud
dad Auge gefund if. Daher fann die Seele, obwohl ihrer Natur
nad ungerftörlib, ohne das aufhellende Licht (luce carens ostensiva),
das Ehriftus ift, nichts fehen und nit vernünftig leben
Wie das phyſiſche Sehen, um wahr und lebendig zu fein, das ſinnliche
Licht bedarf, fo bedarf pas vernünftige Sehen Cintellectualis visio)
das vernünftige Licht der Wahrheit, um zu fehen und zu leben. Weil nun
im Zehner ſich alle Zahl abſchließt, fo Habe ich das Aufiteigen (in's Reid
des Lebens) durch neun Kreife, aus denen man in dem zehnten, der fo
Kreis als Centrum ift, gelangt, bezeichnet. Albert. Wenn id aud
Alles, was Du gefagt haft, nicht volftändig begriffen habe, fo habe id
doch die Wahrheit davon eingefehen. Nur das verftehe ich noch niet,
wie, da doch die Unendlichkeit des centralen Lichts auf das Freigebigſte
ausftrömt, Grade entftehen können, Cardinal. Dieſes Licht ver
breitet fi nicht über Äußere Räume, wie das phyſiſche (corporea) Licht,
das die ihm zunächſt liegenden Räume am Hellſten beleuchtet. Es iſt ein
Licht, das, wie das Denken des Geiſtes, in keinen Raum eingeſchloſſen
und durch kein Hinderniß gehemmt wird. Was aber von ihm beleuchtet
wird, muß verſchiedener Art fein, weil Vieles ohne Verſchiedenheit) nicht
Vieles wäre; denn ed wäre fonft Ein und Dasfelbe. Die Aufnahme
des Lichts iſt in dem verfchievenen @eiftern eine verfchiedene, wie dad
Eine phyfiihe Licht in verfchiedenen Augen verfchieden aufgenommen
wird, in dem einen heller ald in dem andern, nach der Fähigkeit des
Auges, die bei verſchiedenen Subjecten nicht eine gleiche fein kann. Es
nehmen daher auch die Chriſtusähnlichen (Christiformes) das Licht der
1) Im Texte fieht: sine veritate; ed muß, um den richtigen Sinn zu geben, noth⸗
wendig sine varietate heißen.
25
Glorle zwar alle in binreichendem Grade (suflicienter) auf, allein vers
ihieden nach der Fähigfeit eines Jeden. Wenn der Prediger des Evan
geliumd das Eine Licht (der göttlichen Wahrheit) auf gleihe Weife
in die Zuhörer ausftrömen läßt, fo wird es nicht von Allen auf gleiche
Weile aufgefaßt, da fie nicht von gleichem Geifte und Faflungsfraft find,
Albert. Da nur Selige (nemo nisi beatus) in der Region der Lebens
den find, und nur der felig ift, welcher hat, wornad er ftrebt, und bie
Ruhe alles Strebens einzig darin befteht, auf vie beite und vollfom«
menfte Weiſe das Gentrum ded Lebens zu ſehen, fo fällt ed mir auf,
daß Du in der Abbildung Einige dem Centrum näher fommen läffeft, da
doch die Entfernteren nicht auf eine beflere Weile, als ed möglich ift,
(dad Centrum des Lebens) erfaflen. Cardinal. Die ewige Seligfeit
wird (gewöhnlich) in dem Bilde des Trinfend aus dem Duell des Lebens
dargeftellt; Sehen und Trinfen ift bier Ein und Dasjelbe. Es gibt nur
Eine lebendige Quelle dur die ganze Region der Lebenden, aus welcher
Jeder, foviel er Durft und Perlangen hat, trinkt. Es können aber uns
möglib Zwei gleichen Durft und gleiches Verlangen haben. Wenn daher
gleih Ale zur vollen Genüge (suffcientissime) trinfen, fo viel fie er
langen, fo geſchieht es doch nicht bei Allen auf gleiche Weiſe, weil fie
wicht auf gleiche Weiſe dürften. Die Liebe macht uns dürſten, die in
Verihiedenen verſchieden if. So verglih Chriftus das Himmelreih mit
einem Hochzeitmahle, wo er felbfi einem Jeden nach deſſen Verlangen
austheilt. Alle werden gefättigt nah dem Maße ihres Verlangens
und Hungers, wiewohl die Einen mehr, die Andern weniger erhalten.
Albert. Dem ftimme ich bei; ih fehe nun, daß es nicht bloß neun
Kıeiie der Glorie gibt, fondern unzählige, da jeder der Seligen feinen
genen Kreis hat. Cardinal. Wiewohl es fo ift, daß die ganze
Öreite des Reichs des Lebens vom Gentrum bis zur Peripherie fich
ausdehnt, und diefe Breite wie eine Linie, die unendlich viele gleiche
tinien vom Centrum zur Peripherie in ſich faßt, gedacht werben Fann,
wo das gemeinfame Gentrum Aller und die Peripherie der Einzelnen zus
ſammen fallen (unumque sit commune omnium centrum et circumferen-
ta singularum), fo läßt fi doch jene unendliche Menge von Linien in
run Grade theilen, damit wir ſtufenweiſe durd das Gebiet jenes Rei—
des, das mit fchönfter Ordnung geziert if, wo das gemeinfame Centrum
und die particulare Peripherie Eines find, zu Chriftus Hingeführt werden.
In ihm ift das gemeinfame Gentrum und die particulare
Peripherie der Greatur Eines. Denn Chriſtus ift Gott und Menſch,
Schöpfer und Geihöpf, von allen feligen Greaturen ift er dad Centrum.
Beate hiebei wohl, daß feine Peripherie die Peripherienatur aller Peri—
Pberien, d. i. aller vernünftigen Naturen hat. Und da er in perfönlicher
246
Identität ift mit dem Gentrum von Allem, dem Schöpfer, fo finden
alle Seligen, die dur die Peripherie der Kreife vorgeftellt find, in der
Peripherie Ehrifti, die der erfchaffenen Natur ähnlich ift, ihre Ruhe und
ihr Ziel, in Folge der bypoftatiihen Vereinigung der Peripherie der ers
ſchaffenen @reatur mit der unerfchaffenen Natur. Hieraus fiehft Du,
daß Ehriftus für Alle, die felig werden wollen, jo noth
wendig ift, daß ohne ihn Niemand felig werden fannz er if
der einzige Mittler, dur den man den Zugang zum wahren Xeben (ad
viventem vitam) erlangen fann. Albert. Große und fchöne Wahr
heiten haft Du da ausgeiprodhen; möchten doc die Gegner des Chriften-
thums fie beherzigen, dann würden fie fchnell mit Ehriftus und den Ehris
ften Frieden fließen! Da ih vorhin von Subftanz und Accidens ge
fprocben, jo kommt mir der Gedanfe, daß man wohl durch die neun bes
fhriebenen Kreife ebenfo zum Centrum gelange, wie dur die neun Ar
cidenzen zur Subſtanz. Cardinal. Die Zahl ift ein Unterfchied des
Einen vom Andern, durch Eins, Zwei, Drei und fo fort bis zum Zehner,
in dem es ſich abjchließt. Daher fommt au alle Zahl mit dem Zehner
zum Abſchluß. So unterjceiden fib auch die Accidenzen in neun ganz
generelle Arten, und tragen dadurch zur Erfenntniß der MWefenheit oder
Eubftanz bei. Durch je eine hinzukommende Einheit entfteht zwei, drei,
vier, fünf, ſechs, fieben, acht, neun. Hiemit ift die Zahl erfchöpft, die
in die Einheit des Denard fih zuſammenſchließt. Das Zählen ift ein
Unterſcheiden. Die Dinge unterfcheiden fih hauptſächlich durch die Sub
ftanz, und die Subſtanz durch Duantität, Qualität und die übrigen As
eivenzen, die neun verfchiedene Arten bilden. Um die vollftändige Unter
fheidung zu bezeichnen, deßhalb gab ich der Figur diefe Eintheilung.
Albert. Ich babe gehört, auch die Engel unterfcheiden fih in neun
Ehören. Cardinal. Die Engel find Intelligenzen, und weil fie ver
ſchieden find, fo müſſen ihre Anſchauungen als Intelligenzen Cintelligen-
tiales eorum visiones et discretiones) in Ordnungen und Stufen, vom
unterften bi® zum oberften (welder Chriſtus ift, der magni consilü
angelus genannt wird) intellectuell unterfchieden werden, wodurch fid drei
Drdnungen und in jeder drei Chöre ergeben. Den Abſchluß (per neun
Stufen) bildet das Centrum *), gleihwie der Zehner der Abſchluß der
neun Ginheiten if. Die erfte Ordnung ift mehr centraler Natur
(eentralior est) und befteht aus ſolchen Intelligenzen, welche durch ein
1) Der Text unferer Ausgabe: Et minus centrum est, gibt durchaus feinen Ein;
er fcheint auch hier wieder corrupt zu fein. Ich vermuthe, daß ſtatt minus zu leſen
iſt: terminus, was ſowohl zum Vorausgehenden paßt, als auch durch die ſolgende
Vergleichung: ut denarius terminus novem articulorum nahegelegt iſt.
247
fabes Schauen in das Gentrum oder allmächtige Urbild Alles ohne Nach—
einander, fei es der Zeit, fei es der Natur, und Alles zumal (omnia
simal) begreifen (comprehendunt), und der göttliben Majeftät afftftiren,
von der fie es haben, daß fie in diefer Weife Alles ſehen können. Denn
gleihwie Gott aus ſich die Mnterfcheidungsfraft hat, daß er in feiner Ein-
fahheit Alles zumal anſchaut, weil er die intelligente Urfadhe von Allem
it, fo verleiht er jenen affiftirenden Geiftern, daß fie in göttlicher Einfach:
beit Alles wiſſen. Sie werden daher auch, obwohl fie erichaffen find,
ewig genannt, weil fie Alles zumal erfafien. Die zweite Ordnung
der Intelligenzen erfaßt zwar Alles zumal, allein nicht ohne das natürs
liche Naceinander, d. i. in der Art, wie Eines aus dem Audern natur«
gemäß entſteht. Dbwohl fie ohne das Naceinander der Zeit erkennen,
jo haftet doch an ihrem Erkennen, weil fie in demfelben an die natürs
ide Ordnung gebunden find, eine gewiffe Abjbwächung Sie heißen
daber nicht ewig, wie die der erften Ordnung, ſondern immerwährend,
weil fie in natürlicher Ordnung und Reihenfolge erfennen. Die dritte
Drdnung ift die verfandesmäßige (Crationalis); fie haben zwar ein
fiheres Erfaffen und Begreifen, erkennen aber doc minder vollfommen,
ald die andern. Die erfte Ordnung hat drei Chöre, die den göttlichen
Bilen in Gott, wiewohl in differenter Weife, anfhauen, und ahmen
jein Unterfcheiden (ejus diseretionem) nad, Die drei intelligibeln Chöre
erfaffen den göttlihen Willen im Gebiete des Jutelligibeln. Die drei
rationalen Chöre ſchauen den göttlihen Willen im Gebiete ded Intel:
ligiben. Es find aljo neun Ordnungen, und Gott, der Alles in fi
umſchließt und enthält, wird durch den Zehner abgebildet. Es hat fomit
jede der neun Drdnungen ihre Hsopari« oder Erjheinung der Gottheit,
Gott jelbft ift die zehnte, von der alle andern emaniren. Es gibt daher
zehn verichiedene Arten von Unterſchieden (discretionum): die göttliche,
die ald Centrum abgebildet ift, die Urfadhe von Allem, und neun andere,
beftehend in den neun Chören der Engel, Es gibt nicht mehr Zahlen,
fomit auch nicht mehr Unterſchiede. Daraus erhellt, warum ich das Reich
ded Lebens fo abgebildet, das Centrum ald Sonnenlicht dargejtellt und
die drei nächften Kreife feurig, drei andere ätheriſch und drei gleichſam
wäferig, die in das finftere Erdreich auslaufen, gezeichnet habe. Albert.
Da der Zehner alle Unterfcheidung in fi faßt, warum fließt fich die
Progreffion im Quaternar ab? Man fpriht unr von vier Urſachen
oder Gründen der Dinge, von vier Elementen, vier Jahreszeiten ıc.
Cardinal. Wenn Du von dem größten äußern Kreife bis zum fein,
fen, innerften und centrafen zählft, in der Weile: einmal Eins, dann
meimal Eins, dann dreimal Eins, zulegt viermal Eine, jo endet der
Uuaternar im Gentrum. Du fiehft aljo, daß Eins, Zwei, Drei und
248
Bier zufammen Zehn geben. Daher fchließt fich die Progreffion im Qua;
ternar ab, da es feine Unterfcheivung oder Zahl gibt, die fi in ihm nicht
findet. Doc fiehft Du nur Eins in jeder Zahl. Eins kann nur Eins
fein. Mehrere find nicht Eins, wie Du aud in allen Kreifen ein umd
dasſelbe Weſen des Kreifes fiehft, obgleich die Peripherie des einen mehr
ald die des andern vom Gentrum entfernt if. Das ift bei Mehreren
nothwendig, da es unmöglich ift, daß mehrere PBeripherien von demfelben
Gentrum gleich weit entfernt find. Das Andersfein ift fomit Folge der
Vielheit. Obgleich daher in allem Seienden nur Ein Sein ift und allee
Seiende in diefem, das Gott ift, fo daß zur Unterſcheidung alled Seien
den als ſolchen ed nichts weiter bedarf, als die Unterfcheidung des Einen
Seins, fo ift doch, da mit der Vielheit das Andersfein verbunden if,
zur Unterfcheidung alles Seienden als einer Vielheit die genauer unters
fheidende (discretior) Zahl des Andersſeins nothmendig, ohne welde das
Eine vom Andern nicht unterjcieden werben fann. Albert. Gott er
fennt alfo das Seiende (entia) nicht? Denn erkennen heißt unterſcheiden,
was ohne Zahl nicht möglih if. Eardinal. Das Erfennen
Gottes ift Sein, das Sein Gottes ift Wefenheit; dad
Erfennen Gottes heißt fo viel, als daß das göttlide
Sein in allem Seienden ift. (Cognoscere Dei est esse, esse
Dei est entitas; cognoscere Dei est, entitatem divinam in omni-
bus entibus esse.) Nicht fo ift unfer Geiſt in feinem Erfennen wie
Gott, der erfennend erfhafft und bildet. Unſer Geift unterfcheidet in ſei⸗
nem Erkennen das Erfchaffene, um mit feiner Erfenntnißfraft Alles ) zu
umfaflen. Gleihwie Gott die Urbilvder von Allem in fi bat,
um Alles zu geftalten, fo hat der Geift die Idee von Allem
in fib, um Alles zu erfennen. Gott ift die fchaffende Kraft, ver
möge welder er macht, daß Alles wahrhaft das if, was es ift, weil er
das Sein alles Seienden ift. Unſer Geift ift eine begreifende Kraft, ver
möge welcer er fi Alles begrifflich macht. Die Wahrheit iſt demnach
fein Object; wenn er feine Begriffe nad ihr bildet (cui suum conceptum
si assimilat), fo hat er Alles als Erfenntniß, als Vernunftgebilde (entia
rationis) in fih. Der Stein ift im Erfennen unſeres Geiftes nicht al
ein reales Sein, fondern als ein Ding unfered Verſtandes (ens rationis).
Du fichft: Gott bedarf der Zahl nicht, um au unterfcheiden, aber unfer
1) Im Texte flieht: ut sua notitiali virtute anima ambiat. If anima Subject
des Sapes, fo fehlt das Object. Ueberdies ift nicht abzufehen, warum Gufa, wenn e
von unferm Geifte — mens als Erfenntnißfraft fpricht, plöglich auf die anima, die ihm
vorherrfchend belebendes Princip des Körpers if, übergeben und ihr die Erkenntnißlraſt
zufchreiben follte. Es wird daher, ſtatt anima zu lefen fein: omnia, wa ben beiten:
omnia im folgenden Sage entfpridht. |
249
Geift vermag ohne Zahl dad Andersfein und die Verſchiedenheit der
Dinge niht zu unterfcheiden. Albert Erſchafft ver Schöpfer nicht auch
dad Andersfein? Wenn dies, fo unterfcheidet auch er durch die Zahl, da
er nichts erihafft, was er nicht erkennt, das Andersſein aber ohne Zahl
niht erfannt wird. Gardinal. Alles erichafft Gott, auch das dem
Andersfein Unterworfene (alterabilia), dad Veränderliche und Zerftörliche,
aber das Andersfein, die Veränderung und Zerftörung erfchafft er nicht.
Da er das Sein felbft ift, fo Schafft er nicht den Untergang, fondern das
Sein. Daß die Dinge untergehen oder anders werden, haben fie nicht
vom Schöpfer, fondern zufällig (sed sie contingit). Gott ift die Die
Materie hervorbringende Urſache; nicht Entziehung und Mangel, fondern
Fülle (opportunitas) oder Möglichkeit, welcher der Mangel (carentia)
folyt, ſchafft er, fo daß es feine Fülle ohne Mangel gibt, welche zufälligers
weile hinzufommt. Folglich find das Uebel, das Sündigem,
Sterbens und Anderswerdenfönnen nicht Geſchöpfe Gottes,
der das Sein if. Das Andersfein kann aus Feiner MWefenheit fein,
da in ihr Fein Sein und fie in feinem Sein if. Auch aus der Weſen—
heit de8 Binarius ftammt das Andersfein nicht, obwohl fih daran, daß
er Binarius iſt, dad Andersfein anſchließt. Wenn von mehreren Kugeln,
die in einem Wurfe auf eine ebene Fläche hingeworfen werden, feine ganz
gleich mit der andern fortrollt oder ruhen bleibt, fo rührt diefes Anders»
kin und Verſchiedenſein nicht von dem Werfenden her, fondern aus dem
Zufall (ex contingenti), da es nicht möglich ift, daß fie fih gleich bes
wegen oder an derfelben Stelle ruhen. Albert. Iſt ed nit Sache
des Seins, zu vereinigen und zu verbinden? Gardinal. Allerdings.
Albert. Was aber verbunden ') werden fol, muß verſchieden, anders
und getrennt fein. Gardbinal. Obwohl Gott, der die Verbindung (nexus)
if, nicht die Urfache der Trennung ift, fo ift er doch der Schöpfer alles
Verſchiedenen und Getrennten. Die Verbindung ift vor der Trennung,
weil die Trennung die Bereinigung voraudjegt. Die Einheit, die das
Sein ift, verbindet daher das Entgegengefegte und Getrennte in Einen
barmonifhen Einklang. Denn das Viele als foldhes hat fein Sein, außer
lofern es verbunden ift. Die Verbindung geht aus der Ginheit und
Gleichheit hervor. Das Biele hat ed alfo nicht von der Einheit oder
dem Sein, daß es ein vielfahes Sein ift )). Allein da ed nicht Vieles
geben kann, außer im Andersfein und in Trennung, fo ift das Viele,
um in der Einheit zu beftehen, durch das Sein, das Gott ift, in einer
Verbindung, welde aller Trennung vorausgeht, zufammengehalten. Bei
genauerer Erwägung fichft du demnah, das Sein fei die Einheit
1) Es if offenbar connecti flatt des im Texte flehenden conjecti zu lefen.
2) quod non sunt esse plura; non muf, wie der Sinn erfordert, geftrichen werben.
250
felbft, welche aud fih die Gleichheit erzeugt, aus der bie
Verbindung beider hervorgeht. Die Gleichheit kann nur die Gleich—
heit verſchiedener Hypoftafen fein, vor allem Ungleichfein und Andersſein.
Schen wir daher auf die Vielheit der Creaturen ded Einen Univerjumsd
hin, fo finden wir in ihnen eine Einheit, welche dad Sein von allen ift,
und die Gleichheit der Einheit. Denn alle haben das Sein auf gleiche
Weife, da das eine Ding nicht mehr oder weniger ein Ding ift, ald dad
andere. In allem und jedem Dinge ift die Totalität des Seins in ber
Gleichheit. ES find daher auch alle Dinge zu Einem Ganzen verbunden,
weil in allen und jedem das Sein, die Gleichheit und die Verbindung
ift, die aus der Einheit und Gleichheit hervorgeht. So erfennft Du
die erfte Urſache als Eine, weil fie die erfte ift, und als dreis
einig, weil fie Einheit, Gleichheit und Verbindung iftz wenn das nit
wirflih fo wäre, fo wäre die erfte Urfahe nicht das Sein ded Seien
den. Gottmuß alfo al8 Schöpfer dreieinigund einig fein.
Die Welt ift von ihm erfhaffen, auf daß in ihr der Schöpfer als brei-
einig und einig erfannt werde. Er wird Vater genannt, als Ginheit
= Eein, Sohn als Gleichheit der Einheit (denn die Einheit, das Sein,
erzeugt die Gleichheit, welche die Gleichheit des Seins if), heiliger
Geift, weil Berbindung oder Liebe der Einheit und Gleichheit, was id
anderwaͤrts ausführlicher gezeigt babe. Albert. Es ift gut, dies öfterd
zu wiederholen, weil ed nüglih und etwas Seltenes ift, das ich, wie id
hoffe, fpäter beffer verftehen werde. Ich wende mich nun wieder zu dem gar
einfachen Centrum und fehe, daß ed Anfang, Mitte und Ende aller Kreilt
ift. Seine Einfachheit ift untheilbar und ewig, Alles faßt es in feiner
untheilbaren und vollftändigften Einheit in ſich. Es ift der Anfang ber
Gleihheitz denn wenn nicht alle Linien vom Centrum zur Peripherie ein
ander gleich find, fo ift ed nicht das Centrum des Kreiſes. Die Untheil
barkeit ded Centrums ift der einfache Anfang der Gleichheit, und wenn
fih nicht die Einfachheit des Punftes mit der Gleichheit verbindet, 10
kann ed nicht das Centrum des Kreifes fein, deſſen Weſen im der gleis
chen Entfernung von der Peripherie beftcht. So ſehe ich in dem Gentrals
punfte die Einheit, Gleichheit und die Verbindung beider. Cardinal.
Du dringft tief ein, und wenn Du auf das Wort eines Weifen achteſt,
welcher fagte: Gott ift ein Kreis, defien Centrum überall ift, dann ſiehſt
Du ein, daß, wie der Punft in jedem Ouantum überall ſich findet, ſo
auch Gott in Allem ift. Es gibt jedoch deßhalb nicht mehrere Punkte,
weil unfer Berftand den Punkt in einem Quantum überall findet. ©
gibt es auch nicht mehrere Götter, wenn gleich Gott in jedem Einzelnen
erfannt wird. Albert. Das verftehe id nicht ganz. Erfläre mit, daß
der Punkt nicht in mehrere Punkte vervielfältigt iſt, obgleich er in einem
251
Duantum überall angetroffen wird. Garbinal. Wenn Du ein Papier
mit Schriftzügen der Art erfüllteft, daß Du nichts ald das Wort: „Eines“
überall hinfchriebeft, fo wäre doch, obgleih Du Eines überall hinge—
fhrieben fändeft, in Wahrheit nicht mehr als nur Ein „Eines“ übers
all hingefchrieben.. Das „Eines“ ift durch das vervielfältigte Schreiben
an mehreren Stellen nicht verändert und vervielfältigt worden. Albert.
Es ift ſicher, daß ich das Niederfchreiben des „Eines“, nicht das „Eines“
ſelbſt vervielfältigt habe. Cardinal. So fieht der Berftand in allem
Weißen das Weißjein, es ift deßhalb letzteres nicht ein vielfahed. Im
allen Atomen fieht er den Punkt, es find deßhalb aber nicht mehrere
Punkte. ) Noch deutlicher fiehft Du die Sadıe ein, wenn Du erwägt,
daß das einfachfte Eine in fih die ganze Vielheit begreife und eben deß—
bald nicht zu vervielfältigen fei, da es felbft die Vervielfältigung alles
Vielfachen, aller Menge ift. Daher ericheint es in jeder Vielheit; deun
die Vielheit iR nur die Entfaltung der Einheit, Das Gleiche gilt vom
Punkte, der der Inbegriff (complieatio) der Größe ift. Albert. Id
Degreife, daß das fo fei. Cardinal. Deffne nun den Bli des Geiftes,
und Du wirft confequenter Weiſe Gott in aller Vielheit finden, weil er
in dem Einen ift und in aller Größe, weil er im Punkte if. Hieraus
ergibt fih auch, daß die göttliche Einfachheit noch reiner (subtilior) ift,
als das Eine und der Punkt, denen fie die Kraft verleiht, Vielheit und
Größe in ſich zu faſſen. Gott ift daher eine noch mehr compacte Kraft
(virtus magis complicativa), ald Einheit und Punkt. Albert. Aller⸗
dings ift die Einfachheit Gottes größer, als die des Einen und des Puns
td, Bardinal. Folglid auch compacter, denn die compacte Kraft bes
Reht in der Einfachheitz je mehr geeint, deſto einfacher und compacter.
dolglich ift Gott, die größte Kraft, die ed geben Fann, die am meiften
geeinte und einfachfte Kraft. Er ift daher auf das Höchſte
mädtig (maxime potens) und compact (complicans); er ift das Gom-
pacte alles Compacten (igitur est complicatio complicationum). Albert.
Ganz richtig. Eardinal. Gefegt mun, ein Ding fei der Inbegriff aller
eriftirenden Dinge, fo ift es Dir ganz ausgemacht, da fein Ding ift, es
ki denn in ihm das Sein, daß Gott eben deßhalb, weil das Sein in
dem Seienden ift, in Allem if. Und obwohl das Sein felbft in Allen,
was ift, erfannt wird, fo ift doch mur Ein Sein, wie vorhin vom Einen
ud dem Punkte gezeigt wurde. Der Sag: Gott ift in Allem, heißt
nichts Anderes, als daß das Sein in dem Seienden ift, welches Alles
in ih faßt. Das hat Derjenige ganz richtig eingefehen, der fagte: weil
1) Im Terte ſteht offenbar unrichtig: non tamen ideo non sunt plura puncta.
Non vor sunt muß wegbleiben, wenn der Sinn nicht ind Gegentheil verkehrt wer-
den ſoll.
252
Gott ift, ift Alles. Albert. Ich würde mit diefem Schluſſe einverftans
den fein, wenn nit das im Wege ftünde, daß Gott von Ewigfeit if,
die Gejchöpfe aber einen Anfang haben. Cardinal. Du täufcheft Dich;
Du ftellft Dir vor, vor Erfhaffung der Welt fei Gott gewefen, aber
nicht die Gefchöpfe. Beachteft Du aber, daß man nie in Wahrheit fagen
fonnte, Gott fei geweien, ohne daß nicht auch die Geſchöpfe waren, fo
fiehft Du ein, daß man nicht eigentlih fagen fann, Gott fei vor
den Gejhöpfen gewefen. Denn daß etwas, da die Zeit noch nicht war,
gewefen fei, ift unmöglid, da das Geweſenſein eben die vergangene Zeit
ift. Die Zeit ift ein Geſchöpf der Ewigfeit, jene iſt nicht die Ewigfeit,
welche die Totalität und das Zumal iftz fie ift nur ihr Abbild, da fie ein
Nachelnander it. Albert. Warum wird die Zeit das Abbild der Ewigfeit
genannt? Cardinal. Wir faflen die Ewigfeit nicht ohne Dauer, und
die Dauer können wir uns nicht vorftellen ohne Nacheinander. Daher legt
fih und das Naceinander ald Zeitdauer nahe, wenn wir die Ewigfeit be
greifen wollen. Allein unfer Verftand fagt und, daß die abjolute Dauer,
die Ewigfeit, naturgemäß der fucceffiven Dauer vorangehe. So erfennen wir
in der fucceffiven Dauer, wie im Abbilde die Dauer an fih. Albert. Die
Vorftellung unterftügt alfo doch den mit ihr verbundenen Verftand. Cars
dinal. Es ift ganz fiber, daß das vernünftige Denfen (intelligentem) aus
Bildern und Vorftellungen der ungerftörlihen Welt philofophifche Gedanken
fhöpfe (ex phantasmatibus incorruptibilium haurire speculationem.) Diele
Bilder gibt und die Einbildungäfraft (imaginatio). Solche Bilder ftehen
dem die Wahrheit fuchenden Verftande leichter zu Gebote (citius succur-
runt). Würde unfer Verftand nicht der Hülfe der Ginbildungsfraft ber
dürfen, um zur Wahrheit, welche über die Einbildungsfraft hinaus liegt,
und um die es ihm allein zu thun ift, zu gelangen, wie, wer über einen Gras
ben fpringt, fi mit einem Stode ftügt, jo wäre und Die Einbildungsfraft
nicht gegeben. Doch genug hievon. Albert. Du haft, wie ich höre, in andern
Schriften ausführlicher Dich hierüber verbreitet. Kehren wir nun zu def
Kreisauslegung unſers Spiels zurüd. Wenn nod ein Geheimniß darin
enthalten ift, fo fage es mir. Cardinal. Es find deren noch fo viele,
daß ich fie nicht alle vollftändig ausführen fann. Wie von der hierarhis
ſchen Ordnung der guten Geifter die Rede war, fo wird der Denfende
auch über die böfen abgefallenen Geifter und deren Fall Bieles finden.
Bon jeder Ordnung und jedem Chore find einige Frevler abgefallen; ihr
Fall beftand darin, aus der Gewißheit des Wiſſens in die Ungewißheit
hinabgefunfen zu fein (quorum casus est, a certitudine scientiae in in-
certitudinem ') ruisse). Auch hinfichtlid der Unterfheidung der Himmel
41) Im Texte fleht: in certitudinem, offenbar unrichtig, ftatt: im incertitudinem-
253
läßt ſich Einiges erbeuten (venari). Einige Heilige ſprachen von einem
fibtbaren, einem erkennbaren (intelligibile) und einem vernünftigen Cin-
telleetuale) Himmel und von drei Unterjhieden in einem jeden, fo daß
die Neunzahl der Himmel im Zehner (wo der Thron Gotted über den
Eherubim ift) zum Abſchluſſe fommt. Albert. Ich zweifle nit, daß
die Zahl unterfcheidet und daß im Zehner alle Zahl und Unterfcheidung
enthalten ift. Was aber vom Menſchen gezählt und unterſchieden wird,
hat von der Unterfheidung nicht das Sein, fondern das Unterſchiedenſein;
denn wäre es nicht, wie könnte es unterfchieden fein? Diefe unters
Iheidende Kraft, die nad der Sein fegenden ift, fcheint mir ein fchöner
Stoff zum Beiprehen. Gib mir Deine Anſicht! Cardinal. Ih will
Giniged berühren, um Deinem edlen Berlangen zu entipredhen. Jene
Kraft zu unterfheiden heißt in und Verftand (rationalis anima).')
Obwohl unjere Seele mit dem Gefihte dad Sichtbare, mit dem Gehöre
das Hörbare, überhaupt mit den Sinnen das finnlih Wahrnehmbare
erfaßt, fo unterfcheidet fie doch mur mit dem Berftande. Beim Hören
erfaffen wir mit dem Sinne die Stimmen (concinentes voces), allein die
Unterfhiede und das Zufammenftimmen meſſen wir durd den Berftand
und den erlangten Unterriht. Dies finden wir bei den Thieren nicht.
Sie haben nicht die Fähigfeit für Zählen und für Proportion. Daber
fönnen fie nicht Mufif lernen, wiewohl fie die Töne wie wir erfaffen und
der Einklang der Töne ihnen Ergögen macht. Unſere Seele wird daher
mit Recht verftändig genannt, weil fie eine mefjende und zählende Kraft
it, die Alles in fih faßt, ohne was eine genaue Unterſcheidung nicht
möglih ift. Indem das Gehör durh einen Schönen harmoniſchen Einklang
angenehm bewegt wird, hat ber Verftand, indem er ficht, daß der Grund
der Harmonie in ihm in Zahl und Proportion liege, den durd die Zahl
vermittelten rationellen Unterricht über mufifaliihen Einklang erfunden.
Die Seele ſcheint daher jene lebendige Einheit zu fein, die das Princip
der Zahl ift, alle unterfcheidende Zahl in fi faßt und aus fi die Zahl
entfaltet, gleihfam der lebendige Funke des unterfcheidenden Lichtes, das
ih über das, was es unterfheiden will, ausdehnt und von dem, was ed
nicht wiffen will, zurüdzieht, wie es denn auch den Gefichtsfinn zu dem
Sichtbaren, das es fehen will, hin und von dem Sichtbaren, das es nicht
fehen will, wegwendet. Albert. Das wünſchte ich zu hören. Doch da
Du vorhin Gott die Einheit mannteft und jept die Seele eine Einheit
1) Im Texte folgt hier der Sa: Ratio ne quidem discernit, ratiocinatio, suppu-
tatio et numeratio est. Much hier ift ber Tert in den erflen Worten corrupt, die Her:
ſtellung des muthmaßlichen Textes jedoch ſchwieriger. Indeflen da der Sag im Folgenden
feine Erläuterung findet, fo habe ich ihn in der Meberfegung ganz weggelaſſen. Es dürfte
eiwa zu leſen fein: Ratione quidem discernit ratiocinatio, supputatio et numeratio,
254
nennft, fo fage mir, wie ich dies zu denfen habe. Cardinal. Gott ift
die Einheit, die zugleich dad Sein ift (entitas) und Alles dem Sein nad in
fi faßt. Die vernünftige Seele ift eine Einheit, die Alles, wie ed gedacht
oder unterſchieden werden fann, in fi faßt. In der Einheit, die Gott
tft, ift die Einheit der vernünftigen Seele enthalten, fo daß fie das fein
fann, was fie ift, d. b. daß fie als Seele alles ideal (notionaliter) in
fih faßt. In der Einheit, die Gott ift, ift Alles auch, fo fern es gebadt
werden fann, enthalten, da Einheit und Sein (entitas) in Gott Eines if.
Folglih find in ibm auch Sein und Erfanntwerden Eine.
Allein die Einheit, welche die vernünftige Seele ift, ift nicht
Eines mit dem Sein felbft, weldes das Princip des Seins ift,
durch welches auch die Seele das hat, was fie if. Wohl find die Eins
heit der Seele und ihr beſonderes Eein Wechlelbegriffe, nicht aber die
Seele und das abfolute Sein, weil auch die Einheit der Seele feine ab-
folute iſt, ſondern der Seele eigenthümlih, wie auch ihr Sein. Die‘
vernünftige Seele ift ver Inbegriff der ganzen Gedanfenwelt
(complicatio omnium rationalium complicationum). Sie faßt in fid
den Begriff (complicatio) der Vielheit und den Begriff der Größe, d. I.
den des Einen und des Punftes, denn ohne Vielheit und Größe gibt es
feine Unterfcheidung. Sie faßt in fih den Begriff der Bewegungen, und
diefer Begriff heißt Ruhe; denn in aller Bewegung fieht man nichts ald
Ruhe. Die Bewegung geht von der Ruhe in die Ruhe. Sie faßt aud
in fi den Begriff der Zeit; diefer Begriff ift das Jetzt oder die Gegen
wart. In der Zeit finden wir michts als ein beftändiges Sept. Das
Gleiche gilt von allen andern Begriffen: die vernünftige Seele iſt die
Einfachheit aller Begriffe. Die fubtilfte Kraft der vernünftigen Seele
erfaßt in ihrer Einfachheit alles Complicirte, ohne was eine vollfommene
Unterfcheidung nicht möglich if. Um die Vielheit zu unterfcheiden, aſſi⸗
milirt fie fih der Einheit oder dem Inbegriff der Zahl, und entwidelt
fo aus fi den Zahlbegriff der Vielheit. Ebenſo affimilirt fie ſich dem
PBunfte, der der Begriff der Größe if, um aus fi die Begriffe von
Linie, Oberfläche und Körper zu entwideln. Aus dem Begriffe beider
zuſammen, der Einheit und des Punktes, entwidelt fie die mathematiſchen
Figuren, Kreife und PBolygone, die ohne Vielheit und Größe zugleich
nicht gedacht werden können. Sie aſſimilirt ſich der Ruhe, um die Be⸗
wegung zu unterfcheiden, der Gegenwart oder dem Jetzt, um die Zeit 1
unterfcheiden. Da alle dieſe Begriffe in ihr vereint find, fo vermag fe
als der Begriff aller Begriffe Alles zu unterfcheiden und zu mefjen: Zeit,
Bewegung, Felder und alles Quantum. Gie ift es, bie die Arithmetil,
Geometrie, Muſik, Aſtronomie erfunden hat, weil alle dieſe Wiſſenſchaften
in ihrer Kraft enthalten find. Da dieſelben unvergänglich find und immer
255
in derfelben Weiſe verbleiben, fo erfennt die Seele hieraus, daß fie felbft
unzerftörlih tft und immer fortdauert, weil diefe Wiffenfhaften nur in
ihr und ihrer Fähigkeit enthalten find und durch fie erzeugt werben, fo
daß, wenn es feine vernünftige Seele gäbe, auch jene nicht eriftirten. Es
find daher auch die zehn Eigenſchaften (praedicamenta), die fünf Univers
jalien und alle logifchen Beftimmungen, überhaupt was zu einem volls
fommenen Begriff gehört, im der Begriffe bildenden Fähigkeit der Seele
enthalten, fie mögen nun ein Sein außer dem Geifte haben oder nicht,
da es ohne fie fein vollfommenes Unterfcheiden und Begriffebilden gibt.
Albert, Wie befriedigt mich die Einficht, daß die Zeit, dad Maaß der
Bewegung, ohne die vernünftige Seele weder fein noch gedacht werden
fönne, da fie der Grund (ratio) oder die Zahl der Bewegung iſt, und
daß die Begriffe ald folde aus der Seele ftammen, welde die Schöpferin
der Begriffe ift, wie Gott der Schöpfer des Selenden! Cardinal. Die
Seele erfchafft dur ihre Erfindumgsfunft neue Werkzeuge, zum Unterfcheis
den und Erkennen. So erfand Ptolomäus das Aftrolabium, Orpheus vie
Leyer x. Nicht durch ein Aeußeres erfchufen die Erfinder dieſe Dinge,
fondern durch ihren Geiſt. In der Materie verwirklichten fie ihren Be—
griff. So find Jahre, Monate, Stunden vom Menſchen erfonnene Werks
jeuge des Zeitmaaßes. So ift die Zeit, al8 Maaß der Bewegung,
Werkzeug des mefjenden Verſtandes. Es hängt alfo nicht die
verftändige Seele (ratio animae) von der Zeit ab, fondern das verftäns
dige Maaß der Bewegung, welches Zeit heißt, hängt von der verftändigen
Seele ab. Die verftändige Seele ift daher auch nicht der Zeit
unterworfen, fondern geht der Zeit vorher (ad tempus se habet an-
terioriter), wie dad Sehen dem Auge; obgleich das Sehen des Auges
berarf, fo fommt das Schen doch nicht vom Auge her, da das Auge
nur das Organ iſt. So ift auch die vernünftige Seele, obwohl fie die
Bewegung nicht ohne Zeit mißt, deßhalb doch nicht der Zeit unterworfen,
im Gegentheile, fie gebraucht die Zeit ald Werkzeug und Organ, um die
Bewegungen zu unterfcheiden. Die Bewegung der unterfcheidenden Seele
lann daher durch feine Zeit gemeſſen werden, fie ift daher auch nicht
dur die Zeit begrenzbar, folglih inmerwährend. Albert. Ich fehe auf
das Klarfte ein, daß die unterfcheidende Bewegung der vernünftigen Seele,
die alle Bewegung und Ruhe mittelft der Zeit mißt, nicht mit der Zeit
gemefien werden fann. Künfte und Wiſſenſchaften, die durch die Zeit
nit zu verändern find, was find fie anders, als ein Berftandeswerf?
Ver zweifelt noch, daß das Wefen (rationem) des Kreifes über der Zeit
iſt und aller Freisförmigen Bewegung naturgemäß vorangehe, folglich von
der Zeit ganz unabhängig ſei? Wo anders fehen wir dieſes Weſen des
Kreiſes, als in der vernünftigen Seele? Wenn alfo diefe in fich ſelbſt
256
das Weſen des Kreiſes, das über der Zeit ift, fieht, fo mag nun bie
verftändige Seele der Berftand felbft oder (Sache von) Unterricht, Kunft
oder Wiſſenſchaft fein oder auch nicht, fo viel ift gewiß, daß fie über der
Zeit ift. Das ift mir Beweis genug davon, daß die verftändige Seele
zu feiner Zeit Schaden leiden oder untergehen fann. Wenn ich aber
einen Menfchen jehe, der feinen Verftand hat, fondern nur Sinnenthätig—
feit, fo weiß ich nicht, ob feine Seele nicht wie die eines unvernünftigen
Thiered anzufehen tft. Gardinal. Die Seele des Menſchen ift Eines
und Heißt vernünftig, wenn fie gleih mit den Thieren die Sinnenthätigkeit
gemeinfam bat. Wie ich mich erinnere, dem Herzog Johann in einem
frühern Geiprädhe am Trigon und Tetragon gezeigt zu haben, fo ift die
Sinnenthätigfeit im Menſchen nicht die einer Thierfeele, fondern einer
vernünftigen Seele, was fi) an dem Beiſpiele des Priefterd Reftitutus,
von dem der heil. Auguftin im 14. Buche feiner Schrift „de civitate Dei“
redet, ganz deutlich gezeigt hat. Albert. Wie fo? Cardinal. Augus
ftin erzählt, daß diejer Priefter Reftitutus, wenn es ihm beliebte oder er
von Andern angegangen wurde, auf dad Rufen eines fcheinbar lamentis
renden Menfchen fi jo feiner Sinnesthätigfeit entäußern fonnte und einem
Todten ganz ähnlih da lag, daß er nicht nur das Zupfen und Stoßen
Anderer nicht im Mindeften empfand, fondern bisweilen auch ohne alled
Gefühl von Schmerz gebrannt wurde. Man bemerfte am ihm wie an
einem Zodten feinen Athem. Nur gab er nahher an, Stimmen von
Menfhen, die etwas laut ſprachen, wie von ferne gehört zu haben. Dieler
durch freien Willen hervorgebrachte Zuftand beweist, daß die vernünftige
Seele ſich vom Körper dergeftalt zurüdgezugen habe, daß er feine Empfin⸗
dung mehr hatte. Hieraus erhellt, daß die vernünftige und die empfins
dende Seele durd den freien Willen gefchleven feien und daß bie Ber:
nunft über die Sinnenthätigfeit berrfhe. Die vernünftige Seele und
das Empfindungsvermögen iſt alfo im Menſchen eine Einheit; wenn auf
der volle Vernunftgebrauch im einzelnen Menfchen nicht hervortritt, fo iR
deßhalb die Seele doch nicht eine thierifhe. So wenn auch der Körper
fo dünn oder fein wäre, daß man ihn nicht leicht fehen ober berühren
fönnte, fo hörte er deßhalb nicht auf, Körper zu fein, da er ſich nicht in
einen Nicht» Körper auflöfen ließe. Es ift auch nicht möglich, daß ein
Menſch, der durch Mittheilung der vernünftigen Seele einmal einen Ber
ftand hatte, fpäter dDeffelben ganz beraubt werden kann, wenn man gleich
keinen Beweis von Verſtand an ihm wahrnimmt. Denn die Entwidlung
des Verſtandes ift bei dem Einen klarer, bei dem Andern verwotrener,
fie fann daher nie eine Hleinfte fein, wenn fie gleich fo Hein ift, daß fie
von Andern nicht unterfchieden werden fann. Dies erhellt aus dem Princip
des gelehrten Nichtwiffens, welches jagt, daß man bei Allem, mas ein
257
Mehr oder Weniger zuläßt, nie auf ein abjolut Größtes oder Kleinftes
fommt. Albert. Wenn der Blödfinn (stultitia), den man bei vielen
Menſchen antrifft, in und Zweifel erregt, ob diefe wohl Verſtand haben,
jo fheint mir folgende Bergleihung geeignet, dieſen Zweifel zu löfen.
Einige haben unverjehrte Augen, unterfcheiden aber nichts. Sie entbehren
nicht der Sehfraft, fondern deren Gebrauch, wozu eine beflere Dispofition
des Drgand erforberlihb wäre. Wie bisweilen dad Auge eine befjere
Dispofition empfängt, was ein beffered Sehen zur Folge hat, fo ift es
auh mit dem Blöpfinn. Diefer hört auf, fobald die Gefunpheit des
Organs eintritt, ohme welches fein Gebraud des Berftanded möglich ift,
er hört aber nicht auf, fo lange der Defect des Organs nicht gehoben ift.
Das aber halte ich für ausgemacht, daß, gleichwie fein Auge in einer fo
ſchlechten Dispofttion ift, daß es nicht einiges Licht wahrnimmt, wenn es
auch nichts unterfcheidet, es fich ebenjo mit dem Blöpfinn verhält. Ins
defien bleiben in mir doch noch einige Anftände: wenn die Seele die
Urfahe der förperliben Bewegung ift, wie ift dies möglich ohne Verän—
derung ? und wenn die Seele durch Bewegung verändert wird, jo ift fie
ja zeitlich; denn Alles, was verändert wird, ift unbeftändig und kann
nit immerwährend fein. Gardinal. Wir müſſen fagen, die Seele
bewege, werde aber nicht verändert, wie Ariftoteled fagte, der (von Allen)
erfehnte Gott fee in Bewegung. Denn jenes von Allen erfehnte Gut
bleibt im fi unbeweglich und bewegt Alles zu fib bin, was nad dems
jelben ein Verlangen hat. Die vernünftige Seele fucht ihre Abficht aus-
zuführen. Während diefe ihre Abſicht unverändert bleibt, bewegt fie
Hände und Werkzeuge, indem der Bildhauer den Stein bearbeitet. Die
Abſicht fheint in der Seele unbeweglich zu bleiben und Körper
und Werkzeuge in Bewegung zu feßen. So ſetzt aud die Natur (welche
Einige die Weltfeele nennen), während fie felbft unbeweglich ift und die
fefte Adficht hat, den Willen des Echöpfers zu vollziehen, Alles in Bes
wegung. Und der Schöpfer erſchafft Alles nad ewig unveränderlicher
und unbeweglicher Abſicht. Was ift aber die Abfiht Anderes, als der
Begriff oder das vernünftige Wort, in dem die Urbilder aller Dinge find?
Sie iſt der Endzweck (finalis terminus), der die Unendlichkeit des Werden—
fünmens begrenzt. Die Eine, ewige und einfachfte Abficht Gottes, feft
und beharrlih,, ift die Urfache von Allem. So ift auch in der vernünfs
tigen Seele Ein beftändiger Endzweck (finalis intentio), die Erfenntniß
Gottes zu erwerben, d. b. im Begriffe das Gut in fi zu haben, nad)
dem Alles firebt. Nie Ändert die vernünftige Seele als folde
diefen Endzweck. Es gibt indeß auch noch andere, fecundäre (secundae)
Abſichten, die, foferne fie von jener erften Abficht abweichen, ſich verän-
dern, während das erfte Verlangen unverändert bleibt. Allein wegen der
Säarpff, Nie. v. Gufa. 17
258
Veränderung bdiefer Abfichten verändert fih nicht aud die vernünftige
Seele, weil fie feft bei der erften Abſicht verharrt. Gerade die Unver:
änderlichfeit diefer erften Abficht ift die Urfache der Veränderung der fecun
dären Nbfihten. Albert. Mit wenigen Worten haft Du mich zu der
Einfiht gebracht, daß Gott und die vernünftige Seele durch die unver
änderliche Abficht, aus welcher und nad welder fie wirken, Alles jcafft
und bewegt. Kein Zweifel, daß, wenn die Abficht feft bleibt, Gott und
die vernünftige Seele bewegen, nicht aber bewegt und verändert werden.
Bei feftftehender Abſicht fteht auch der Beabfichtigende feft, der durch bie
Abficht nicht bewegt wird. In Gott ift die Abftcht nichts Anderes, als
der beabfichtigende Gott. So ift auch in der vernünftigen Seele die Ab
ſicht nichts Anderes, als die beabfichtigende Seele. Was Du von den
fecundären Abfichten gefagt haft, verdient eine befondere Beachtung und
hebt viele Zweifel. Cardinal. Will ih das Sichtbare fehen, fo fege
ich die Augen, will ih hören, die Ohren, will ich gehen, die Füße in
Bewegung; überhaupt, will ich wahrnehmen, feße ich die Sinne in Be
wegung. Mill ich fehen, was ich wahrgenommen, fo fee ich die Ein
bildungsfraft oder das Gedächtniß in Bewegung. Zu allem Körperlicen
gelange ich alſo mittelft eines körperlichen Organs. Mill ich mich aber
zum Unförperliben hinwenden, fo ziehe ich mid vom Körperlichen zurüd,
und zwar um fo mehr, je richtiger ich jenes zu erforfchen trachte. So
wenn ich meine Seele ſehen will, die fein Object des Gefichtsfinne if,
fo werde ich fie richtiger mit gefchloffenen Augen erfennen. Sodann made
ih die Seele zum Werkzeuge, Unkörperliches zu feben. Will ich die
MWiffenfchaften erfaffen, fo wende ih mih an die Vernunftthätigfeit der
Seele. Will ib Grund und Urfahe aller Dinge erfennen, fo wende ic
mih an die vernünftige, einfachfte und ftärfite Kraft der Seele. Die
Seele ficht dad Unförperliche befier, ald das Körperliche, weil fie Jened
fieht, indem fie in ſich eingeht, Diefes, indem fie aus ſich herausgeht.
In allen diefen Beftrebungen hat fie nur Cine Abfiht, den Grund von
fih und Allem durch Bernunftthätigfeit einzujehen und zu begreifen, um,
indem fie diefen Grund in ihrer lebendigen Vernunft als vorhanden vor
findet, das höchſte Gut, beftändigen Frieden und Freude zu genießen.
Denn was fucht das natürlihe Verlangen der Vernunft nah Willen
Anderes, ald Grund und Urfahe von Allem? Es ruht nicht, bis es ihn
erfannt hat, und dies ift nur möglich, indem es dieſes fein eigenftes Vers
langen, d. i. die ewige Urfache ver Vernunft in fich mittelft diefer Ber:
nunft erfennt und empfindet. (Rationalis enim spiritus, natura seire
desiderans, quid aliud quaerit quam omnium causam et rationem? nec
quiescit, nisi ipsam sciat, quod fieri nequit, nisi suum sciendi deside-
rium, scilicet rationis suae aeternam causam, in se, ipsa scilicet vir-
259
tute rationali videat et sentiat.) Albert. Eine große und unbeftrittene
Wahrheit! Da die vernünftige Seele das höchſte Verlangen hat, zu
unterfcheiden und zu erfennen, fo bat fie offenbar, wenn fie an dem Bunft
angelangt ift, die Urſache diefed Verlangens in ſich felbft, nämlich in
ihrem Unterfcheidungsvermögen, zu erfennen, in fi die Kenntniß Defien,
der jened Verlangen gegeben bat. Weberhaupt kann fie nach nichts fire
ben, was fie nicht im fich felbft erfennete. Denn was kann das Verlangen
nah Wiffen noch weiter verlangen, wenn dad Verurſachte die Willenichaft
feiner Urſache in fih erfennt? Es befigt ja den Grund und die
Kunft der eigenen Erihaffung, und damit die Vollendung
und Ergänzung jeglihden Wiſſensdrangs, das höchſte Glüd
und die höchſte Wonne für die mwißbegierige vernünftige Seele. Die
Kenntniß aller zu erlernenden Künfte zu befigen, heißt noch wenig Tim
Vergleihe zu der Kunft, die die Echöpferin aller Künfte if. Nur das
ſcheint mir fhwierig, wie die wenn auch noch fo vernünftige und gelehrige
Greatur jene fchöpferifche Kunſt (creativam artem) erfaffen fann, die nur
Bott befigt. Cardinal. Die fchöpferiihe Kunft, die die glüdfelige
(felix) Seele erlangt, ift nicht jene Kunft im Weſenſetzen (ars illa per
essentiam), die nur Gott ift, fondern die Mittheilung und das Theilnchmen
an derfelben. Albert. Das gefällt mir, da die heil. Schrift vom Sohne
Gottes jagt: „wenn er in feiner Herrlichkeit erjcheint, werden wir ihm
ähnlich fein“, fie jagt nicht: wir werben er felbft fein. Doch da Du von
dem Bewußtfein der vernünftigen Seele (de sensu rationalis ani-
mae) gefproden haft, wie verftehft Du das, daß in der vernünftigen
Natur Bewußtfein (sensum) it? Cardinal. Wir beachten oft
Borübergehende nicht, weder mit unferem Gefihte noch mit dem Ger
böre, weil wir nicht aufmerffiam auf fie find; find wir aber aufmerfs
am, jo find wir deſſen bewußt (sentimus). Wir befigen in unferer
Seele der Fähigkeit nach (virtualiter) die Kenntniß alles Wiffendwers
tben, wir find uns deſſen aber in Wirklichkeit erft bewußt, wenn
wir unfere Aufmerffamfeit darauf hinlenfen. Wenn ih auch Kenntniß
von Mufif babe, fo merke ich doch, fo lange ich mich der Geometrie
widme, nicht, daß ich ein Mufifer bin. Alſo nur aufmerffames Beachten
läßt mich Geiftiged erkennen, von dem ich vorher fein Bewußtiein gehabt
hatte. Wie das Centrum aller Kreife in der Tiefe verborgen ift, in
defien Einfachheit die Alles in ſich fallende Kraft liegt, jo faßt auch das
Gentrum der vernünftigen Seele Alles, was zum Gebiete des Vernünftigen
gehört, in fi, allein wir find uns deffen nicht bewußt (non sentiuntur),
jo lange jene Kraft der Vernunft nicht durch aufmerkſames Nachdenken ans
geregt und entwidelt wird. Albert. Trefflih und willfommen find alle
Deine Antworten. Du eilft nun, wie ich fehe, dem Ende zu. Füge nun
17°
260
nur noch Einiges über das Verborgene und DOffenbare (circa oc-
cultum et patulum) bei, denn es jcheint nad) der gezeichneten Figur alle
Kraft im Centrum verborgen zu fein. Gardinal. Es ſieht
geichrieben, Bott jei den Augen aller Weifen verborgen und alles Un
fihtbare ift im Unfichtbaren verborgen. Das Sichtbare ift den Augen
offenbar, das Unfichtbare liegt den Augen fern. Die Principien, fagt
Ariftoteled, haben die kleinſte Duantität und die größte Kraft. Die Kraft
ift geiftig und unfichtbar, die Kraft (virtus) eines Feuerfunkens hat fo
viel Gewalt (potentiae), ald das ganze Feuer. Ein Fleined Senftorn
hat fo viel Kraft als viele Körner, ja als alle, die fein fünnen. Das
Ziel des Dffenbaren ift dad Verborgene, dad des Aeußern das Inner.
Die Häuthen und Rinden find um des Fleifhed und Marfes willen,
und diejed wegen der darin verborgenen unfichtbaren Kraft. Die elemen⸗
tariſche Kraft ift im Chaos verborgen, in der vegetativen die der Sinnen,
wahrnehmung, im diefer die Einbildung, in dieſer die Berftandesfraft
(Logif), in diefer die Vernunft (intellectualis), in der Vernunft das
Erfennbare (intellectibilis virtus), in diefer die Kraft aller Kräfte. Dies
lied ald Geheimniß aus der Figur der Kreife heraus. Der äußerfte
umfchließende Kreid bezeichnet das verworrene Chaos, der zweite die ele
mentare Kraft, die die nächfte am Chaos ift, der dritte die mineraliſche;
biefe drei Kreife fchließen ſich im vierten ab, der die vegetative Kraft
vorftellt. Der fünfte bezeichnet die Sinnenwahrnehmung, der fedhöte die
Einbildung oder Phantafie. Diefe drei legtgenannten Kreife fließen ih
im zweitsvierten ab, der als der fiebente die Verftandesfraft oder Logif
bezeichnet. Darauf folgt der achte, der die Vernunft (intelligentialem),
der neunte, der das vernünftig Erfennbare (intellectibilem) vorftelt.
Diefe drei, der fiebente, achte und neunte, fchließen fi im mächftsvierten,
dem zehnten ab. Albert. Sehr jhön haft Du da den Fortſchritt aus
dem Verworrenen zum Unterfchiedenen gezeigt. Weil man nad bieler
Auffaffung von allem Unvollfommenen zum Vollkommenen auffteigt, von
der verworrenen Finfterniß zum unterfchiedenen Lichte, vom Thörichten zum
BVerftändigen durh Zwijchenftufen, vom Schwarzen zum Weißen durd
Zwifchenfarben (von Allem dem fann der Menfh die Erfahrung an fid
feldft machen, weßhalb er auch Mifrofosmus genannt wird), fo möge «6
Dir nicht verdrüßlih fein, über dad Wefen diefer jo wunderbaren und
fruchtbaren Progrejfion, die fih auf alle Gegenftände des Wiſſens ans
wenden läßt, noch Einiges zu fagen. Gardinal. Wie alle Unterjeis
bung, fo faßt der Zehner aub allen Fortſchritt in fi. Denn
eind, zwei, drei und vier find zehn. In Zehn fchließt ſich alfo, wie die
Unterfbeidung, fo auch der Fortfchritt der Unterſcheidung ab. Es Fünuen
nicht mehr ald drei ſolche PBrogreffionen fein, weil die dritte durch den
261
Zehner abgeſchloſſen iR (concluditur), die fich nothiwendig fo zu einander
verhalten, daß das Oberfte der erften das Unterfte der zweiten und das
Dberfte der zweiten das Unterfte der dritten bilden, fo daß Eine ftätige
und zugleich dreifahe Progreffton fich herausftelt. Wie die erfte Pros
greſſion fih im Quaternar abſchließt, fo beginnt die zweite in diefem und
endet im Siebener. Mit diefem beginnt die dritte und vollendet ſich im
Zehner. Willſt Du den Grund hievon erfennen, fo merfe Kolgended. Die
Dronung, die nothwendig zu allen Werfen Gottes gehört, wie der Apoftel
mit Recht fagt: „Was von Gott fommt, ift georbnet”, kann ohne An—
fang, Mitte und Ende weder fein, noch gedacht werden. Es gibt nun
eine abjolut vollfommenfte und einfachfte Ordnung, die in jedem Geord-
neten und in dem jedes Geordnete ift, wie ich es in einem generellen
Schema im Eingange unfered Geſprächs gezeigt habe. In diefer Drd-
nung, dem Urbilde aller Ordnungen, muß nothwendig die Mitte die eins
fahfte fein, da die Ordnung die einfachfte if. Die Mitte wird alſo fo
gleich fein, daß fie die Gleichheit jelbft ift, eine Dronung, die von uns
dur feine Unterfheidung, fondern nur durch die georbnetfte Progreffion
erfaßt wird, die mit der Einheit beginnt und im Ternar ſich abfchließt.
In ihr bildet die einfachfte Mitte die gleiche Mitte des Anfangs und des
Endes. Denn Zwei ift die präcife und gleiche Mitte von Eind und Drei
umd zugleich die präcije dritte Zahl der ganzen Ordnung und Progreſſion.
(Duo enim medium est praecisum et aequale unius et trium et praecisa
tertia totius ordinis et progressionis). Anders, als nad diefer Pros
greffton können wir die einfadhfte nöttlihe Ordnung nicht unterfcheiden.
Da nun die Mitte eine gleiche Mitte ift, ganz ununterfchieden von der
Gleichheit, fo bleibt fie auch in dem Gebiete der Wefenheit Eind mit dem
Anfange und Ende. Denn von verfiedenen Wefenheiten fann es Feine
präciie Gleichheit geben. Jede Drdnung nun, die ihr Sein von der ges
nannten einfachften Ordnung hat, kann feine einfache und gleihe Mitte
haben. Denn eine folde (abbildlihe) Ordnung ift zufammengefegt; alles
Jufammengefeßte befteht aber aus Ungleihem. Es können unmöglich
mehrere zufammenfegbare Theile ganz gleih fein; fie wären fonft weder
mehrere, noch Theile. Auch läßt die Gleichheit Feine Vervielfältigung zu.
In der erften und einfachſten Ordnung ift daher Eine Gleichheit der drei
Hypoſtaſen. Kann alſo in der erfchaffenen Ordnung feine einfache und
gleiche Mitte fein, fo ift fie auch nicht in der Progrefftion des Ternars
inbegriffen, fondern geht in die Zufammenfegung über (sed ultra
progreditur in compositionem). Der Quaternar geht unmittelbar von
der erften Progreffion aus, was nicht der Fall wäre, wenn die Pros
greffton nicht geordnet wäre. Was daher die geordnete Progreffion, die
von der erften abfolut geordneten audgeht, erfordert, das liegt in ihr,
262
weil fie die Progreffion bed Ternars (ternaria progressio) if. Sie
bat daher eine zufanımengefegte Mitte, Zwei und Drei, bie zugleich bie
Mitte der ganzen Progreffion find. Denn 1+2?+3 +4 = 10.
Zwei und Drei find Fünf, die Mitte (Hälfte) von Zehn. Ebenfo ver-
halten fi 4, 5, 6, 7 und 7, 8, 9, 10. Hierin haft Du den Grund
des vorhin Gefagten. Albert. Groß iſt die Energie (vigorositas) der
Vernunft, wie ih ſehe. Doc befremdet mich noch Deine Aeußerung,
nicht8 fei aus Gleichem zufammengefegt. Iſt der Vierer nicht aus zwei
Zweiern zufammengefegt? Gardinal. Keineswegs. Jede Zahl ift
entweder gleich oder ungleich. Iſt fie zufammengefegt, fo ift fie nur aus
einer Zahl zufammengelept, d. i. aus einer gleiben und ungleichen, oder
aus der Einheit und dem Andersjein. Ich negire nicht, daß die Duans
tität ded Duaternar aus zwei Zweiern beftcht, allein feine Subftanz be
fteht nur aus Gleihem und Ungleihem. Denn unter den Theilen, die
etwas zufammenfegen follen, muß cine Proportion, fomit auch Verſchie—
denheit beftchen. Mit Recht jagte daher Boetius, aus Gleichem werde nichts
zufammengejegt. Die Harmonie befteht aus proportionirten, hohen und
niedern Tönen, und jo Allee. Der Quaternar ift daher aus dem Ternar
und einem Andern zufammengefegt. Der Ternar ift ungleich, das Ans
dere (alter) gleich; fo der Zweier aus Einem und einem Andern. Das
Andersfein wird gleid genannt wegen ſeines Abfalld von der untheilbaren
Einheit in die Theilbarfeit, die in dem Gleihen (in pari) liegt. So iſt
der Duaternar aus dem ungleihben und untbheilbaren Ternar und dem
Andern, d. i. dem Theilbaren zufammengefeht. Jede Zahl beftcht aus
der Zahl; fie ift aus Einem und einem Andern zuſammengeſetzt; Eine
und ein Anderes ift Zahl. Ich erinnere mich, hierüber in mehreren
Schriften, namentlich in denen „Über den Geift“ (de mente) ausführlider
geiprochen zu haben. Hier fei diefes nur wiederholt, damit Du die unters
jcheidende Kraft ver Seele an der Zahl, die ein Erzeugniß des Geiſtes if,
beffer erfennft und einfeheit, daß diefes Unterfheidungsvermögen gleich ber
Zahl aus Einem und cinem Andern zufammengejegt iſt; denn das Zählen
des Geiftes heißt Ein Gemeinſames vervielfältigen, fo daß Eines in
Vielem und Vieles in Einem ift und Eines vom Andern fi unterfheiden
läßt. Pythagoras hat in der Erwägung, daß es Feine Wiffenfhaft
geben könne, außer durch Unterfheidung, über Alles mittelft der Zahl
pbilojophirt. Kein Philofoph hat wohl eine vernünftigere Methode des
Philofophirens eingehalten; weil Plato diefe Methode nahgeahmt hat,
wird er mit Recht als ein großer PVhilofoph gefeiert. Albert. Ich gebe
Died zu. Da nun der Tag fib zum Abend neigt, fo fchließen wir unfer
Geſpräch. Füge zu fo vielem Beachtenswerthen noch einen fhönen Schluf
hinzu! Cardinal. Ich will e8 verfuhen, und glaube das Ende des
263
Geſprächs nicht beffer verwerthen zu können, ald wenn ich von dem
Werthe fprede.‘) Albert. Ganz recht. Gardinal. Es ift etwas
Buted, Edles und Koftbared um das Eein, daher ift nichts, was ift,
obne Werth. Es fann nichts geben, das gar feinen Werth hätte. Es
gibt auch nichts von jo geringem Werthe, daß er nicht noch geringer fein
könnte, und nicht von fo großem Werthe, daß er nicht noch größer fein
fönnte. Nur der Werth, der der Werth aller Werthe ift, der in Allen,
wad Werth hat, fih findet und in dem Alles Werth bat, faßt allen
Werth in fib und jein Werth fann nicht größer oder Feiner fein. Diefen
abjoluten Werth, die Urſache alles Werthes, denke Dir im Centrum aller
Kreije verborgen; den Außeriten Kreis betrachte ald den geringften Werth,
beinahe wie Nichts. Beachte denn, wie diejer Werth mittelit der Dreis
einigen Progreſſion, nad der wiederholt beiprochenen Weile, fih zum
Denar fteigert und Du wirft trefflihe Gedanfen daraus entwideln. Als
bert. Wenn Du von einem beftimmten Werthe reden wollteft, jo wäre
dies vielleicht belehrender. Gardinal. Sol ih etwa vom Gelde
reden? Albert. 9a. Cardinal. Gut. Dod nun beachte, daß der
Werth aller Dinge nur das Sein von Allen ift. Und wie in dem Einen,
einfach größten, ganz unzufammengefegten und untheilbaren Werthe der
Werth von Allem auf das Wahrfte enthalten ift, jo im einfachſten Sein
das Sein von Allem. Wie in dem Werthe Eines Guldend der Werth
von 1000 kleinen Denaren, in einem Doppelgulden der von 2000 und
jo in's Unendliche enthalten ift, jo muß in dem abfolut beften Gulden ver
Werth von umähligen Denaren enthalten fein. Wie Du dies für wahr
erfenuft, fo ift es auch in der MWirklichfeit wahr. Albert. Allerdings.
Gardinal. Indem Du es aber in Dir als wahr erfenuft, wel
ben Werth bat da der Blid Deines Beifted, derdurd
eine Kraft alle Werthe unterfheidet? In dieſem Blide
ft der Werth von Allem und von jedem Einzelnen, doch nicht fo, wie in
dem Werthe aller Werthe. Denn deghalb, weil der Geift das fieht, was
alle Werthe beftimmt, hat er noch nicht den Werth von Allem (non enim
propterea, quia mens videt id, quod omaia valet, ideo ipsa omnia
valet). Denn in ihm find die Werthe nicht efjentiell, fondern nur ibeal;
denn der Werth ift etwas Reales, wie auch der Werth des Geiſtes etwas
Reales if. So ift denn ein Ding in Gott, als in der Wefenheit des
Verthes, und ift Gedanfending, weil es erfannt werden kann, in unferer
Vernunft, welche die Werthe erkennt, nicht als in höherem Werthe und
1) Die Worte: et non incidit mihi, quomodo melius, quae dixi, valere (Lebe
wohl fagen, beichließen) faciam, quam si de valore loquar — laflen ſich in der Ueber⸗
jehung Faum andere, ald etwa in ber oben angegebenen Weife wiedergeben.
264
nicht als in der Urſache oder Weſenheit des Werthes. Denn deßhalb,
weil unfere Vernunft den geringern oder größern Werth erkennt, ift ber
Werth felbft nicht größer oder geringer. Diefed Erkennen gibt dem Werthe
nicht feine Weſenheit. Albert. Vermehrt aber nicht diefe Erfenntniß
eined größern Werthed, ald ver Werth des erfennenden Subjectes ift,
aud den Werth eben diefes erfennenden Eubjecteds? Cardinal. Der
Werth der Erfenntniß ded erfennenden Subjecteß fleis
gert ſichdadurch, daß es Mehr erfennt, ed mag dieſes Mehr
nun von größerm oder geringerm Werthe fein, ald der Werth des Erfen
nenden. Denn der Werth des Erfannten geht nit in den Werth des
Erfennenden über, um defien Werth zu erhöhen, wiewohl die Erfenntniß
verbefiert wird. So madt das Erfennen des Böfen den Erfennenden
nicht Schlimmer, und das Erkennen des Guten ihn nicht beffer, doch ver
Ihafft Beides ihm eine beffere Erfenntnig. Albert. Ich verftehe. So
nennen wir Jemand einen viel geltenden Gelehrten (valentem doctorem),
wenn gleich mehrere Nichtgelehrte einen größeren Werth haben als er. Der
Werth der vernünftigen Natur ift jedenfalls ein jehr
großer, weil in ihr die Unterfcheidung aller Werthe liegt, die wun—⸗
derbar ift und Alles, was nicht unterfcheiden kann, weit übertrifft. Gar
dinal. Wenn Du die Sache tiefer betrachteft, fo ift der Werth
der vernünftigen Natur dernädfte am Werthe Gottes,
denn in ihr liegt der Werth Gottes und aller Dinge
ideal und in ihrer Unterfheidung (Dum profonde consi-
deras, intellectualis naturae valor post valorem Dei supremus est;
nam in ejus virtute est Dei et omnium valor notionaliter et disere-
tive). Obwohl die Vernunft den Werthen nicht ihr Sein gibt, Te
kann doch ohne Vernunft felbft das Borhandenfein eines Werthes
nicht ermeflen werden (sine intellectu valor discerni etiam „quia
est“ non potest). Denn bei Abwefenheit der Vernunft läßt ſich
gar nicht fagen, ob ein Werth da if. Ohne die Berftandesthätigfeit,
die nad) Proportion mißt (proportionativa), fehlt jedes Schägen und ohne
diefes fehlt der Werth. Wollte alfo Gott, daß der Werth feines Werles
gefchäßt werde, fo mußte er unter feinen Werfen auch die vernünftige Natur
erfchaffen. Albert. Wenn wir Gott ald Münzmeifter (monetarium) be
trachten, fo ift die Vernunft der Wechsler (nummularius). Cardinal. Die
Bergleihung ift nicht unpaffend, wenn man ſich Gott als den allmädhti-
gen Müngmeifter denkt, der durch feine erhabene und allmächtige Kraft
jeglihe Münze hervorbringen kann. Hätte Jemand fo große Madı,
daß er aus feiner Hand jede beliebige Münze hervorbringen fönnte, und
würde er einen Wechsler aufftellen, der die Fähigkeit hätte, alle Münzen
zu unterfcheiden, der die Kenntniß des Zählens verflünde, wobel Jene
265
nur die Kunft des Münzens ſich vorbehielte, fo könnte der Wechäler
die Koftbarfeit und den Werth der Münzen, Zahl, Gewicht und Maaß,
das jede Münze von Gott erhalten, angeben, fo daß der Werth der
Münze und eben dadurch die Madıt des Müngmeifterd offenbar würde.
Die Vergleihung wäre unftreitig jehr treffend. Albert Groß wäre
die Macht dieſes Münzmeiſters, der in ihr den Schag aller Münzen
befüße. Aus diefem Schage könnte er neue und alte, goldene, filberne
und wächſerne Münzen von großem, Fleinem und mittleren Werthe her:
vorholen, während der Schatz immer unendlich, unerſchöpflich und unge—
ſchwächt bliebe. Groß wäre auch das fondernde Geſchäft des Wechslers,
der alle diefe verjchiedenen Münzen zu jondern, zu zählen, zu wägen und
den Werth aller zu meflen hätte. Die Kunft Gotted würde jedod
die Kunft des Wechslers unendlih übertreffen, denn jene
würde Sein fegen, diefe nur Erfenntniß bewirken. Cardinal. Siehft
Du da nicht, die Münze eriftire anders in der Kunft des allmächtigen
Münzmeifterö, anders in der zu münzenden Materie, anders, wenn
fie durh Bewegung und Inſtrumente gemünzt wird, anders als
fertige Münze? Alle diefe Seindweilen fommen am ein der Münze
vor. Wieder anders ift die Art und Weiſe, die fi auf jene Seind-
weifen bezieht, foferne nämlich die Münze in dem unterfcheidenden Ber:
fande if. Was die Münze verfertigt, ift das Bild oder Zeichen
defien, dem fie gehört. Gehört fie dem Münzmeifter, fo trägt fie
defien Bild, die Abbildung feines Angefihts, wie Chriftus uns belehrt,
ald er nach Vorzeigung einer Münze fragte: weſſen ift das Bildniß?
und zur Antwort erhielt: des Kaiſers. Durch das Antlig erfennen wir
den Menfchen, indem wir dadurch einen von dem andern unterfcheiden.
Es gibt daher nur Ein Antlig ded Münzmeiſters, durch das er gefannt
wird, das ihn offenbart, der fonft unfichtbar und unerfennbar wäre.
Da das Bild dieſes Antliges auf allen Münzen ift, fo gibt ed uns
Kenninif von dem Münzmeifter, dem die Münze gehört. Das Bildniß
it nichts Anderes, ald die Umſchrift. Denn alfo fagte Ehriftus:
„weſſen iſt dad Bildniß und feine Umfchrift ?" Sie antworteten: des
Kaiferd. Somit find das Bildniß, der Name, die Geftalt der Subftanz
und der Sohn des Münzmeifterd Ein und Dasjelbe. Der Sohn ift das
lebendige Bild, die Geftalt der Subftang und der Abglanz ded Vaters,
dur welchen der Vater, der Mlüngmeifter, Alles macht oder münzt oder
ieihnet (signat). Da ohne diefes Zeichen die Münze keine rechte ift, fo
it das Eine, das in jeder Münze abgebildet wird, das einzige Urbild
und die formale Urſache aller Münzen. Iſt daher ver Münzer die Eins
heit oder das Sein, fo fft die Gleichheit, die naturgemäß von ber
Einheit gezeugt wird, die formale Urfache des Seienden. In der Einen
266
und einfachen Gleichheit fiehft Du daher die Wahrheit von Allem, was
ift oder fein fann, fofern ed durch das Sein fignirt if. Du ſiehſt aud
in der Gleichheit die Einheit, wie im Sohne den Vater. Was daher
ift oder fein fann, ift in jener ®eftalt der Subftanz des Da
ters als des Schöpfers enthalten. Der fhöpferiihe Müny
meifter ift daher mittelft der Geftalt feiner Subftanz in allen
Münzen. Beachte, daß ein müngbarer Stoff dur ein aufgeprägtes
Zeichen eine Münge wird. Dieje fo mit einem Zeichen verjehene, in eine
Geftalt (figurata) gebrachte Materie empfängt eben dadurch die Begrens
zung der Möglichkeit, eine Münze zu fein. So jehe ih das Gepräge
(signatum) vor dem Zeichen, in dem Zeichen und nad dem Zeichen. Vor
dem Zeichen als die Wahrheit, die vor ihrer concreten Geftalt if, in
dem Zeichen ald die Wahrheit in ihrem Abbilde, nad dem Zeichen, for
ferne das Gepräge dur das Zeichen entftanden iſt. Das erfte Gepräge
ift die unendlibe Actualitäit, das legte — die unendlihe Möglichkeit;
das mittlere Gepräge ift doppelt: theils fofern das erfte im Zeichen,
theils fofern das Zeichen im legten ift. Das erfte Gepräge, das ich bie
unendlihe Actualität nannte, heißt die abfolute Nothwendigfeit, die all
mächtig, allbezwingend ift, der nichts widerftchen kann. Das feßte Ge—
präge, die unendliche Möglichfeit, heißt auch die abfolute und unbegrenzte
(indeterminata) Möglichkeit. Zwiſchen diefen extremen Seinsweiſen liegen
zwei andere: die eine, die die Nothwendigfeit zu einem allumfchließenden
Band geftaltet und das mit Nothwendigkeit umfchließende Band (necessi-
tas complexionis) heißt, wie 3. B. die Nothwendigkeit, ein Menſch zu
fein. Diefe Nothwendigkeit faßt bezüglich des Menſchen Alles in fid,
was zum rechten und vollen Menfchenwefen, zur Menfchheit nothwendig
ft. So auch bei allem Andern. Die andere (Seinsweife) erhebt die
Möglichkeit mittelft Begrenzung zur Wirklichkeit, und heißt die begrenzte
Möglichkeit, 3. B. dieſer Gulden, diefer Menſch. Betrachte nur irgend
eine Münze, etwa einen päpftlichen Gulden, und denke ihn dir lebendig
und vernünftig, mit Selbftreflerion (et quod in se mentaliter respiciat),
fo wird er durch philofophifdhe Selbſtbetrachtung (se speculando) dieſes
und Alles, was gefagt wurde oder gejagt werden fann, finden. Kein
Thier ift jo ſtumpf, daß es nicht fih von andern Thieren unterfcheide uud
andere Thiere derfelben Gattung erkenne. Wer aber vernünftiges Leben
hat, erkennt Alles vernünftig, d. h. er findet die Ideen von Allem in
ih. Die Bernunft faßt alles vernünftig zu Erfennende in ſich. Alles,
was ift, ift vernünftig erfennbar (omnia, quae sunt, intelligibilia
sunt), wie alles Farbige fihtbar if. Einiges Sichtbare entgeht dem
Blide, wie ein ungewöhnlid helles Licht, Anderes ift fo Fein, daß ed
den Blick nicht auf fich zieht und direct nicht gefehen wird. Das helle
267
Sonnenliht wird nur negativ gefehen; was man fieht, ift nicht bie
Sonne, die ein fo überaus helles Licht hat, daß man es nicht fehen
fann. Ebenſo ift, was man fehen fan, Fein unfichtbarer Punkt, da
diefer zu Mein iſt, als daß er gejehen werden kann. Go fieht
denn die Vernunft nur negativ die unendlihe Wirkffamfeit, die Gott ift,
und die umendlihe Möglichkeit oder die Materie. Das dazwiſchen Lies
gende ſieht fie mittelft des Verftandes affirmativ. Die Vernunft betrachtet
aljo die Seinsweifen, foferne fie vernünftig erfennbar (intelligibilis) find,
in ih wie ein lebendiger Epiegel. Die Vernunft ift das Gelpftüd,
dad zugleih der Wechsler ift (est igitur intellectus ille nummus,
qui et nummularius), wie Gott die Münze ift, die zugleih der
Münzmeifter ift (sicut Deus illa moneta, quae et monetarius). Die
Vernunft findet daher eine ihr verwandte Kraft, jede Münze zu erfennen
und zu zählen. Wie aber jenes lebendige Geldſtück, die Vernunft, in ſich
Alles vernünftig fucht und findet, davon fannft Du ein beliebiges Beilpiel
in Dem finden, was ih im Hinblide auf die Vernunft gejagt habe.
Wer hier tiefer als ich eindringt, wird auch ſchärfer jehen und Befleres
mittheilen fönnen. So viel über den Müngmeifter und Wechöler. Albert.
Eine überaus reihe Anwendung haft Du von meiner einfachen Vergleichung
gemadt. Zu meiner Belehrung magft Du nur noch Folgendes anhören.
Es ſcheint mir, Du wollteft fagen: hätte ein päpftlicher Gulden vernünftiges
Leben, fo würde er fih unftreitig ald Gulden erfennen, folglich aud eins
iehen, daß er die Münze deſſen fei, defjen Zeichen und Bild er trägt.
Er würde erkennen, daß er das Buldenfein nicht aus ſich habe, jondern
von dem, der ihm fein Bildniß aufgeprägt, und indem er in allen vers
nünftigen Weſen das gleiche Bildniß fände, würde er fie alle ald dems
ſelben Herrn angehörig erfennen. Das gleiche Bild auf allen mit Zeichen
verfehenen Münzen erfennend, würde er die Eine Gleichheit, durch welde
jede Münze in Wirklichkeit getreten, als die Urſache jeder möglichen glei—
hen Münze erfennen. Eben fo würde er, da die Münze eine geprägte
if, einfehen, daß die Münze werden konnte, und vorher münzbar (mone-
tabilis) war, ehe fie wirflih gemünzt wurde. So würde er die Materie
erfennen, die durch das Aufprüden des Zeichens zu einem Gulden begrenzt
wurde. Da die Münze dem gehört, deffen Zeichen fie trägt, jo hat fie
ihr Sein von der Wahrheit (dem Urbilde) des Zeichens, nicht von dem
der Materie aufgedrüdten Zeihen, wie denn die Eine Wahrheit in vers
ſchiedenen Zeichen die Materie in verfchievener Weife begrenzt. Mehrere
Zeichen find nicht möglih, ohne daß die Vielheit auch die Verfchiedenheit
im Gefolge hat und die Wahrheit fann in verſchiedenen Zeichen nur vers
ſchiedenartig die Materie begrenzen. Hieraus ergibt fih, e8 müffe jede
Münze mit der andern übereinftimmen (concordare), da es
268
übereinflimmende Münzen find, weil fie den gleichen Münzmeifter haben,
aber aud differiren, da fie unter fich verfchievden find. Dies und
noch vieled Andere würde der lebendige Gulden in fih erfennen. Car
dinal. Volftändig haft Du das Befprochene reafjumirt. Doch gan
befonders präge Dir ein, daß ed nur Ein wahres, prä
cifes und vollflommen audreihendesd Princip (forma)
gibt, das Alles geftaltet, in verfhiedenen Zeichen ſich
abfpiegelt, das Bildfame verfhiedenartig bildet und
determinirt oder in Wirklichkeit fegt.
Don der Zagd auf die Weisheit.
— 9 —
Borwort,
Ih habe mir vorgenommen, meine Jagden auf die Weisheit, wie
ih fie biß zu meinem reifenalter vor dem Auge meined Geiftes für
immer wahrer gehalten, in den Hauptergebniffen aufzuzeichnen und der
Nachwelt zu hinterlaffen, da ich nicht weiß, ob mir eine längere und ges
eignetere Zeit zum Denfen vergönnt ift; denn ich habe jegt das 61. Le;
bensjahr zurüdgelegt.
Schon längft habe ich eine Abhandlung gefchrieben über das Gotts
Suden; ih machte darauf Fortfchritte und ſchrieb andere Abhandlungen.
Jetzt, nachdem ich in des Diogenes Laörtius Lebensbeſchreibung der Philo-
fophen die Jagden verfchiedener Philofophen nad Weisheit gelefen, habe
ih, dadurch angeregt, meinen Geift ganz und gar einer fo angenehmen
Sperulation zugewandt, dem Süßeften, was der Menſch genießen fann.
Was ich durch die forgfältigfte Meditation ‚gefunden habe, wie unbedeus
tend ed aud fein mag, will id armer Sünder, um Begabtere zum tiefern
Geiftesforfhen anzuregen, ſchüchtern und ehrerbietig mitthellen, wobei ich
in folgender Ordnung verfahre.
Dur ein unferer Natur angeborenes Berlangen ftreben wir nicht
nur nach Wiffen, fondern nad) Weisheit (sapientiam), d. i. nah einem
ſchmackhaften Wiſſen (sapidam scientiam). Zuerft werde ih daher Eini-
ged über dad Weſen derfelben fagen, dann für das Philofophiren (denn
das verftehe ich unter der Jagd nad Weisheit) Reviere (regiones) und
in denfelben einige Stellen bezeichnen, und die Philofophen auf Felder
binführen, wo fie nad meiner Meinung reiche Beute finden werben,
Erftes Kapitel.
Die Weisheit tft die Nahrung des Geiſtes.
Da unfere geiftige Natur lebt, fo bedarf fie nothwendig der Nah:
rung. Aber eine andere als geiftige Nahrung kann fie unmöglich ftärfen,
fintemal jedes lebende Weſen durch eine feinem Leben ähnliche Nahrung
270
gefpeist wird. Da die Lebenskraft eine angenehme Bewegung ift, welde
Leben genannt ift, fo erlifcht diefe Lebenskraft, wenn fie nicht durch die
ihrer Natur angemeffene Erfrifchung erhalten wird... .. Wenn nım
jedes lebende Wefen eine angeborene Kenntniß Deffen hat, was zu feiner
und der ganzen Gattung Erhaltung nothiwendig ift, wenn es einen Trieb
hat, nad feiner Nahrung zu jagen, das hiezu geeignete Licht, paſſende
Drgane für das Erjagen (wie 3. B. die Thiere, die Nachts jagen, ein
den Augen gegebenes [oculis congenitam lucem] Licht), wenn es die
ihm geignete Nahrung erfennt und zu fih nimmt, fo wird gewiß unfer
geiftige® Leben alles Deffen nicht entbehren. Daher ift der Geift von
Natur mit Logif ausgeräftet, um mittelft ihrer hin und her zu eilen und
feine Jagd zu machen. Die Logik ift, wie Ariftoteles fagte, das eractefte
Werkzeug zum Erjagen des MWahren und des Wahrfcheinlihen. Wenn
der Geift die Wahrheit findet, fo erfennt er fie und ergreift fie mit Be
gierde. Die Weisheit ift ed alfo, welche gefucht wird, weil fie den Geift
nährt; denn fie ift eine unfterbliche Speife, fie nährt alfo auch unfterbiid.
Sie leuchtet aber aus verfchiedenen Berhältniffen (rationibus) hervor,
welche in verfchiedener Weiſe an ihr participiren. In verfhiedenen Ber
hältniffen jucht daher auch der Geift das Kicht der Weisheit, um fich da-
durch zu nähren. Wie das finnliche Reben in verfchiedenen ſinnlichen Dingen
durh Anwendung des Berftandes feine Nahrung fucht, fo erjagt auch
der Geift aus ſinnlichen Vorſtellungen mittelft des Verftandes feine gei—
ftige Nahrung. Eine Nahrung ftärft ihn mehr als die andere, doc das
Koftbare ift immer aud dad Schwierigere. Weil jedoch der Menſch grös
ßerer Anftrengung, ald ein anderes Geſchöpf bedarf, um fein leibliches
Leben zu nähren, wozu er feine natürliche Logik anwendet, fo ift er auf
die geiftige Nahrung nicht in dem Grade bedacht, wie die geiftipe Natur
es erfordert. Die Uebertreibung jenes Hafchend nad der leiblichen Nah—
rung entfernt von dem Streben nad Weisheit. Daher muß die Philo—
fophie das Fleiſch, deſſen Feindin fie ift, ertödten. Auch unter den Philo—
fophen felbft findet ſich große Verſchiedenheit; der Eine ift ein befierer
Zäger ald der Andere, weil er geübter ift und die Logif ihm geläufiger
zu Gebote ftehtz der Eine weiß beffer ald der Andere, in welchem Reviere
die gefuchte Weisheit fchneller gefunden und wie fie feftgehalten werde.
Zweites Kapitel,
Nah welchem Principe Ich die Gebiete der Welshelt durchſucht habe.
Der erfte Philofoph, Thales von Mitet, fagte, Gott fei der älteſte,
weil er umerfchaffen ift, die Melt fei die fhönfte, weil fie durch Gott er
271
fhaffen iſt. Diefe Worte, die ih in Laërtius lad, gefielen mir aus:
nehmend. Ich erfenne die Welt als fehr ſchön, weil in ihr die höchfte
Güte, Weisheit und Schönheit des höchften Gottes widerſcheint. Es
treibt mich den Baumeifter diefed bewunderungswürbigen Werkes zu ers
forfihen und ich fage bei mir: da das Unbekannte durch noch Unbefann-
teres nicht erfannt werden fan, fo muß ih an etwas gang Gewiſſem
feſthalten, das alle Jäger unbezweifelt vorausfegen, und in feinem Lichte
dad Unbekannte fuchen. Denn Wahre und Wahres ftimmt zufammen
(verum enim vero consonat). Indem mein Geiſt eifrig nad einem
ſolchen Punkte fuchte, ftieß ih auf den Sag, den auch Ariftoteles im
Anfang feiner Phyfif ausipriht: Was unmöglidh werden fann,
wird nicht. Nach diefem Principe durdfchreite ih in der nachfolgenden
Betrabtung die Regionen der Weisheit.
Drittes Kapitel.
In welcher Dialectlf (discursu) die Vernunft ihre Jagd anftelt.
Da das Unmöglihe nicht wird, fo wird nichts, ohne daß es wer:
den fann. Was aber ift und micht gemacht und erjchaffen ift, das
fann nicht gemacht und erichaffen werden. Denn es geht dieſes dem
Werdenfönnen voraus und ift ewig, da ed weder gemacht noch
erſchaffen ift, noch ein Anderes werden fann. Alles aber, was geworden
iR oder wird, hat, da es ohne das Werdenfönnen weder geworben ift
noch wird, Ein abjolntes Princip, welches das Princip des Werden»
fönnens ſelbſt ift. Dies iſt jenes Ewige, weldes Alles das ift,
was fein kann. Das, was wird, wird aus dem MWerbenfönnen hervor:
gebracht (produeitur), weil das Werdenfönnen actuell (actu) alles das
wird, was es wird. Alles, was aus dem MWerbenfönnen geworben ift, ift
entweder das, was werden fann, oder nach demfelben, und folgt dem
Werdenfönnen und ahmt e8 nad. Da jedem Geworbenen das Werben,
fünnen vorausgeht, wie follte dad Werdenkönnen felbft werden? Da «8
jedoch nach Dem ift, welches Alles ift, was fein kann, dem Ewigen, fo
hat e8 einen Anfang. Gleihwohl kann das Werdenfönnen nicht abneh:
men (deficere); denn wenn ed abnähme, jo würde diejed (das Abnehmen)
werden fönnen und fomit das Werdenfönnen felbft nicht abnehmen. Das
einen Anfang habende Werbenfönnen bleibt alfo beftändig. Da es nicht
geworden iſt und doc einen Anfang hat, fo nennen wir es erfchaffen,
da es, feinen Schöpfer ausgenommen, nichts vorausjegt, woraus e& ift.
Alles alfo, was nach ihm ift, tft durch den Schöpfer aus dem Werdens
fönnen hervorgebracht.
272
Was geworben ift, was es werben fann, das find die himm—
lifhen und geiftigen Naturen. Was ift, aber nicht das, was
ed werden Tann, ift nichts Feſtes und in beftändiger Mangelhaftigfeit.
Es ahmt das Beftändige nad, ohne es je zu erreihen. Es ift das Zeit
lihe und Irdiſche, die Sinnenwelt.
Wende ich mid alfo zur Betrachtung des Ewigen, fo fehe ih es
als reine Actwalität und in ihm ſehe ich Alles enthalten als im ber
abjoluten Urſache.
Sehe ich auf das beftändig Dauernde, fo fehe ich geiftig dad Wer
denfönnen und in ihm die Natur von Allem und jedem Einzelnen, wie
e8 in vollfommener Entfaltung nad der Vorberbeftimmung bes göttlichen
Geiſtes werden foll.
Sehe ich auf das Zeitliche, wie Alles in der Reihenfolge ſich entfal-
tet, jo fehe ih, wie es die Vollkommenheit des Beftändigen im Gebiete
des Einnlihen nahahmt. Die Sinnenwelt ift eine Nachahmung der
Geifteswelt. Es ift fomit in dem erfchaffenen Wervenfönnen alles Er
ſchaffene prädeterminirt, fo daß diefe ſchöne Welt, fo wie fte ift, gewor
den iſt. Hierüber weiter unten ausführlicher. Wie dies zu denfen fei,
will ich dur ein, wiewohl nur annäherndes, Beifpiel erläutern.
Viertes Kapitel.
Wie die Vernunft an der Logik ein Mittel zur Beranfhaulidung findet.
Die Bernunft des Lehrers will die fyllogiftiiche Kunft erfchaffen.
Er geht aber dem Werdenfönnen diefer Kunft vorher, die Kunft ift in
ihm als in ihrer Urfache. Er fest und ftellt feft das Werdenkönnen dies
fer Kunft. Was jene Kunft erfordert, das kann werben: Name, Worte,
aus diefen Säge und aus den Sätzen der Syllogismus, der aus drei
Süpen befteht, deren zwei die Prämifien find, aus denen der britte, der
Schlußfag folgt. Subjecte und Prädicate aller drei Säge dürfen nur
drei Begriffe fein. Einer muß daher in ven Prämiffen zweimal vor
fommen. Dies ift der Mittelbegriff; fei es, daß er im Oberfage Sub
ject und im Unterfage Prädicat, oder in beiden Sägen Prädicat oder Sub-
ject if. So entfichen drei Figuren und von jeder Figur verfchiedene
Arten: Barbara und Celarent, . . . Diefe fpeeifiihen fyllogiftifchen Fir
guren find in dem Denkvermögen begründet und daher conftant: jeder
Syllogismus muß fie nahahmen. So erflärt fih das Werdenfönnen
diefer Kunft. Diefe Kunft übergibt der Lehrer, der fie erfunden, bem
Schüler und läßt dieſen nach allen angegebenen Modalitäten Schlüfe
bilden.
273
So verhält es fi einigermaßen auch mit dem Kunſtwerk der Welt.
Indem ihr Lehrmeifter, der glorreiche Gott, eine ſchöne Welt erfchaffen
wollte, ichuf er dad Werbenfönnen derjelben und in demfelben complicite
alles zur Einrichtung der Welt Nothwendige. Die Schönheit der Welt
erfordert feiende, Iebende und denkende Wefen und von diefen drei Elaf-
ien verfchiedene Arten oder Weifen der Schönheit. Es find dies die
practiichen vorherbeftimmten Ideen des göttlichen Geiftes und die nüglichen
ſchönen Gombinationen, geeignet zur Weltgründung (quae sunt divinae
mentis practicae praedeterminatae rationes et utiles pulchrae combi-
nationes, ad mundi constitutionem opportunae). Dieſes göttlibe Kunft-
wert (opificinm) übergab Gott der gehorjamen Natur, die mit dem Wers
denfönnen zugleich erjchaffen wurde (obedienti scilicet naturae, ipsi posse
feri concreatae, tradidit), fo daß er dad Werdenkönnen der Welt nad)
den eben genannten prädeterminirten Ideen der Vernunft entfaltete, fo
, B. das Werden des Menſchen nach der vorherbeitimmten Idee des
Menſchen. Und fo Alles, wie der einen Syllogismus Bildende auf die
vorberbeftimmten Formen desjelben (ad praedeterminatas rationes): Bar-
bara und Celarent binfieht.
Fünftes Kapitel,
Auch die Geometrie dient ald Mittel zur Veranfhaulichung.
Der Geometer ahmt die Natur nah, indem er einen Kreis bildet.
Er fieht auf die vorherbeflimmte Idee (ad praedeterminatam rationem)
des Kreiſes hin, welcher gemäß er vperirt, foweit diefed das Werden⸗
fönnen des finnlihen Subftrats geftattet; denn das eine ift fügfamer als
das andere. Jene Idee ift aber feine andere, als die gleiche Entfernung
ded Centrum von dem Umfreife. Das ift die wahre Idee des Kreifes, die
fein Mehr oder Weniger zuläßt. Kein Kreis fann aber jo vollfommen
gejogen werden, daß er diefe Idee präcis erreiche, denn das Werden⸗
können des finnlichen Kreifes ift nach jemer vernünftigen und fich gleich
bleibenden dee, und folgt ihr wie das Abbild der Wahrheit im Bereiche
der finnlihen Materie. Da dieſe veränderlich ift, jo wird der befchriebene
Kreis nie alled Das fein, was der finnlihe Kreid werden fann, da. ein
jeder möglich gegebene Kreid noch wahrer und vollfommener und der
Idee des Kreifes ähnlicher fein könnte. — Will der Geometer einen rechs
ten Winfel bilden, jo fieht er auf die Idee desjelben hin, die alles das
ft, was der rechte Winkel feiner Idee nach fein fann. Dies vermag
fein finnliher Winfel präcis nachzuahmen. Auch wenn er einen fpigigen
Sqarpff, Nie. v. Cuſa. 18
274
oder ftumpfen Winkel bildet, fieht er auf feine andere Art von Winkel
bin, fondern nur auf den rechten: der fpisige ift fleiner, der ftumpfe grös
fer als der rechte. Denn der fpigige Winkel kann dem rechten immer
ähnlicher werden, eben fo aud der ſtumpfe. Wäre der eine vom beiden
nicht mehr ein folder (ſpitzig oder ftumpf), fo daß er nicht mehr minder
fpigig oder ftumpf fein könnte, fo wäre er ein rechter. . Jene find fomit
in der Idee des rechten MWinfeld enthalten, da fie rechte Winfel find,
wenn fie find, was fie werben fünnen. So ſieht auch die Natur auf
feine andere Art, ald die menfchliche hin, indem fie das männliche oder weib-
liche Geflecht hervorbringt, wiewohl die Idee des Menſchen nicht männ
ih oder weiblih ift, was nur der finnlichen Erfcheinung zufommt. Denn
die Art (species) ift das Mittlere, das im ſich einigt, was von ihr ents
weder rechts oder links abweicht. Daß jenes fo ſei, fiehft Du noch deut:
licher, wenn Du beacteft, daß das vernünftig @eiftige (intelligibilia)
nicht8 von dem tft und an fi hat, was an den finnlihen Dingen wahr
genommen wird. Es hat nit Farbe, Figur, Härte, Weichheit, Quan⸗
tität, Geſchlechtliches ıc. Alles dieſes folgt dem Geiftigen, wie das Zeit
lihe dem Immerwährenden. So iſt denn auch wieder feines von den
geiftigen Wefen die Ewigfeit, die allem vernünftig Geiftigen vorher
geht, wie dad Ewige dem Jmmerwährenden (perpetuum). Alles Präciie
und Dauernde ift fchöner, als das Siunliche, dad nur inſofern ſchön iſt,
foweit die geiftigen Ideen oder Schönheiten in ihm ſich abfpiegeln.
Sechstes Kapitel,
Erläuterung des Werdenkönnens.
Der Lefer wird num ohne Zweifel fib damit befhäftigen, dad Wer
denfönuen zu begreifen, eime ſchwierige Aufgabe, weil dad Werdenlönnen
durch nichts begrenzt wird, außer durch fein Prineip (feinen Urgrund).
Damit er jedoch nicht ganz abirre, will ich dem Leſer mit einem freilich
ungenauen Bilde zu Hilfe fommen. Denfen wir und Gott als das
ewige Licht, die Welt ganz unfichtbar und das Licht wolle nun eime fit
bare Welt erfhaffen. Weil nun das Werdenkönnen der fichtbaren. Welt
die Farbe ift, die Wehnlichkeit des Lichtes (die Hypoſtaſe der Farbe if
das Licht), jo Ihafft das Licht die Farbe, in welcher Alles, was geſchen
werden fann, enthalten ift (complicatur). Wiewohl nun die eine Farbe,
wie 3. B. die weiße, dem Lichte näher und daher edler ift, als die am
dere, fo nimmt doch nichts Farbiges an der Karbe fo fehr Antheil, daß
ed nicht noch vollfommener daran partieipiren Fönnte und das Werben
fünnen hat feine Grenze außer in der Urfache der Farbe, dem Lichte.
275
So ift die Farbe das fichtbare Werdenfönnen; denn was wir fehen, fehen
wir nur, weil es farbig iſt. Weil der Gefihtöfinn am dem Lichte der
Unterſcheidungskraft partieipirt und felbft nicht farbig ift, um über alle
Farbe urtheilen zu können, fo iſt die Farbe nicht fein Werdenkönnen.
Noch ein helleres Licht hat die Vernunft; denn fie unterfcheidet auf das
Schärffte Unfihtbares; die Farbe ift daher noch weniger das Werden»
fönnen der Vernunft; fondern das MWerdenfönnen diefer hellen und ſchö—
nen Welt mit Allem, was in ihr iſt, auch felbft die Farbe inbegriffen,
it etwas infacheres ald die Farbe, die nur eine Achnlichfeit ded ewigen
Lichtes ift, welche in ihrer paffiven Potenz alles Lichte, was iſt, lebt,
empfindet, denft, in fi faßt.
Siebentes Kapitel.
Es gibt nur Eine Urſache ded Werdenfönnend von Allem.
Die Eonjecturen meiner ganzen Jagd ruhen in dem
Sape: Es ift nur Eine fchöpferifche Urfache des Werdenkönnens
von Allem (non est nisi una omnium causa creatrix, posse fieri
omnium); fie geht allem Werdenkönnen vorher, und ift ihre Begrenzung
(termious) ; fie ift mit feinem Namen zu bezeichnen, fie läßt Fein Barticis
piren zu, wohl aber wird ihr Abbild (similitudo) in Allen participirt.
Weil dieſes Participiren aller Dinge ein verſchiedenes ift, und in vers
ſchiedenen Gattungen, fo fommt man nothwendig zu Einem, weldes vor:
zugsweiſe fo genannt werden kann, und das Erfte oder Princip oder Bors
nehmfte in der fpecififchen Barticipation tft, an deffen Aehnlichkeit die andern
Weſen derfelben Ordnung participiren. So nennen wir das Licht ein Abs
bild der Grundurfache, welches in einem ganz hellen Körper, 3. B. der
Sonne zuerft und vornehmlich widerfcheint, In andern leuchtenden Körpern
dur deren Participiren an dem Sonnenliht. Die Urſache des Som
nenlit8 aber hat nichts gemein mit dem Sonnenlichte, jons
dern Ift Die Urſache von Allem, und eben varum Nichts von
Allem. Denn es tft außer Zweifel, daß das Urprincip nichts Gewor⸗
dened (factum) ift, da nichts aus ſich felbft, fondern aus einem Vorauss
gehenden wird, Was aber nicht geworden ift, kann ſich auch nicht auf
[fen und nicht untergehen, es ift ewig. Das Werdenfönnen, bie paſſive
Potenz, kann nicht ſich felbft zur Wirklichkeit (in actum) hervorbringen;
denn dad Hervorbringen kommt aus der Actualität (ex actu). Bor der
Potenzialität ift daher die Actualität (actus). Das Werdenfönnen
IR jomit nicht das einzige Princip. Mit Recht fagte ein heiliger
18*
276
Lehrer: behaupten, die paffive Potenz fei immer gewefen, ift Härefie. Der
große Dionyfius jagt im 9. Kapitel von den göttlichen Namen: Jenes
Erfte ift ewig, unbeugſam, unveränderlich, unvermiſcht, immateriell, gan
einfach, nichts bebürfend, nicht vermehrbar, unfterblich, nicht gemacht, immer
feiend. Dies ſieht Jeder ein, der begreift, daß jenes erfte Werdenfön⸗
nen auch untergehen fanı, Sch faſſe nun Die zwei Momente ind Auge,
daß das Urprincip feine Vermehrung und Verminderung zuläßt, und gebe
mit diefen auf die Jagd und fage: was feine Vermehrung zuläßt, fan
nicht größer fein; es ift alfo das Größte. Was feine Verminderung
zuläßt, kann nicht Heiner fein; es ift alfo das Kleinfte. Da es mun
das Größte und Kleinfte zugleich ift, fo ift ed im der That micht kleinet
als irgend Etwas (nullo utique est minus), weil e8 das Größte if,
und nicht größer, als irgend Etwas, weil ed das Kleinſte iſt, ſondern
von Allem, dem Großen wie Kleinen das präcijefte Maaß
und Borbild.
Achtes Kapitel,
Wie Plato und Ariftoteles die Jagd angeftellt haben.
Plato, ein höchſt umfichtiger Jäger, erwog, daß die oberen Dinge
(Welt) in den unteren auf dem Wege des Participirens (participative),
die unteren in den obern durch Hervorragen (excellenter) feien. Indem
er nun fah, daß Vieles gut, gerecht, fittlich genannt werde durd das
Theilhaben am Guten ıc., bemerkte er, daß diefes den Namen deſſen, woran
es participirt, erhalten, und fam jo auf den Begriff des an ſich Guten,
Gerechten ıc., fowie darauf, daß, wenn das Participirende gut, gerecht x.
ift, vollends das an fih Gute x. zugleich die Urfache von Anderm wird,
Hiemit ftimmt das fharfinnige Haupt der Peripatetifer, Ariftoteles,
überein, der, indem er in der Natur viele Wärme wahrnahm, Lehrte, man
müffe auf ein an fih Warmes kommen, welches diefed im höchften Grade
und die Urfache der Wärme in Allem fei, wie ed das Feuer if Au
diefem Wege fommen Beide zu der erften, durd ſich beftehenden Urſache
aller Urfachen, zum Sein des Seienden, Leben alles Lebenden und Vers
ftand aller Verftändigen. Näher betrachtet gelangte Plato, auffteigend
von dem participirten Guten zu dem an fih Guten, auf folgende Weile
zur Univerfalurfahe von Allem. Gr erwog, daß alles Seiende, auch das
nur potentiell Seicnde, dur das Theilnehmen an Einem Guten gut ge
nannt werde, weßhalb das im höchſten Grade Gute, das an fi Gute,
von Allen auf das Eifrigfte erftrebt wird. Diefes muß daher eben def
halb die Urfache von Allem fein, da Alles, feinem eigenem Grunde zus
gewandt, nad ihm ftrebt, von welchem es Alles hat, was es hat. Plato
277
Iehrte daher als Urprincip den an fih Einen und guten Gott; die Prins
tiplen von allem Andern: Sein, Leben, Geiſt ıc. nannte er das an fidh
Seiende, das am ſich Lebende, das am ſich Denfende. Proclus nennt diefe
Principien die weltgründenden Götter (conditorios Deos), durch deren Bars
fieipation alles Sein, Leben und Denfen befteht. Nach dem erften Gott
der Götter lehrte Plato einen zweiten Gott, den weltgründenden Verſtand
(eonditorem intellectum), welchen Proctus in Jupiter, dem oberften ber
Götter, erfannte. Er fcheint die Attribute der Gottheit, in denen fein realer,
iondern nur ein logiſcher Unterfchied ift, zu verſchiedenen Göttern zu machen,
dadurch verleitet, daß nichts denkbar (intelligibile) iſt, was nicht wirklich
eflirt, da das Denfbare am Sein participirt. Was daher gedacht wird,
nahm er als feiend an, und alles Nichtmaterielle als geiftiges Sein. Die
Peripatetifer flimmen Dem nicht bei; fie fehen die Gedanken als ein Pros
duft des Verftandes an, durch welche das real Setende nicht berührt werde.
Auch darin ftimmen fie nicht bei, das Eine und Gute (das Urprincip)
ii älter ald da® Seiende: Eines, Seiended und Gutes find ihnen Wed
idbegröffe; die Urfache des Einen und Guten und Seienden ift: Eine
und diefelbe. Gleichwohl fehreibt Ariftoteled dem PVerftande, der ihm wie
dem Anaragoras die erfte Urſache und das Princip der Bewegung ift,
niht die Regierung der ganzen Welt zu, fondern nur der Himmlifchen,
melde hinwieder das Irdiſche leiten. Epikur jedoch läßt die ganze Welt
allein von Gott, ohne jegliche andere Hülfe geleitet werden. — Unſere
Theologen haben durch göttliche Offenbarung gelernt, die erfte Urfache,
die nach allgemeiner Lehre dreiurfächlih (tricausalis) ift: wirfend, ges
Raltend und zum Ziele führend, fei infofern Eine, als fie dreieinig if,
und infoferne dreieinig, als fie Eine ift. Als wirkende Urſache wird fie
mit Plato Einheit genannt; als geftaltende mit Ariftoteled das Seiende
(entitas), al8 zum Ziele führend mit Beiden die Güte, das Gute.
Neuntes Kapitel.
daß die Hl. Schrift umd die Philofophen das Nämliche, nur in verſchiedenen
Ausprüden, bezeichnet haben.
Wer mit diefen Vorausſetzungen zuerft die Genefis, die Mofes lange
vor der Zeit der Philofophen gefchrieben hat, liest, wird, was ich oben über
Ye Principien gefagt habe, wieder finden. Mofes fagt: Im Anfang fehuf
Gott Himmel und Erde, dann das Licht, womit er fagen will, das
Vervenfönnen der Welt, welche dur Himmel und Erde bezeichnet ift,
Mi im Anfange erfchaffen worden. Nachher beichreibt er erft das wirk
id Gewordene: den Himmel, der unter dem Firmamente, die Erde, die
278
unter dem Trodenen, das Licht, das unter der Sonne zu verftehen if
Im MWervenfönnen wurde Alles verworren und complicite erfchaffen, was
nachher wirflih geworden und entwidelt worden if, Wenn er baber
anführt, Gott habe gefagt: es werde Licht! und es warb Licht, fo hat er
dies von der Natur ded Werdenfönnend geſagt. Im Werdenkönnen fah
er das Licht als gut und nothwendig zur Wahrheit diefer fihtbaren Welt,
und fprach daher zu diefer Natur des Lichts im MWerdenfönnen: ed werde
Licht! und es trat num das Merdenfönnen des Lichts ala wirkliches Licht
hervor. Die Bewegung, wodurd das MWerdenfönnen in die Wirklichkeit
übergeht, ift eine natürliche; von Natur aus, die das Werkzeug des gött-
liben Willens ift, ift diefe Bewegung dem Werdenkönnen anerfcaffen,
daß «8 mit einer gewiſſen Luft ohne Anftrengung und Ermüdung, wir
lich werde, was werden fann. Das Wort Gottes aber, auf welches bie
Natur hört, daß Alles werde, ift Bott felbfl. — Die Platonifer
nennen dieſes Wort den weltgründenden Berftand, den Eingeboremen, den
Herrn von Allem, nach Procus. Anaragoras nennt ed den Geifl
(mentem, sovs); die Stoifer dad Wort, das fie auch Gott nennen,
wie man im Laörtius liest. Diefe find ganz richtig dem Propheten
David gefolgt, welder jagt: „Durd das Wort ded Herrn find die Him—
mel geichaffen worden;” anderswo fagt er: „er ſprach, und fie wurden, er
befahl, und fie waren erſchaffen.“ Beachten wir noch, wie ſich die Philos
fophen dieſe Prineipien näher dachten, Anaragoras fagt, der Geiſt,
das Princip der Bewegung, fei zur Materie, in welcher Alles verworren
lag, Hinzugefommen, und habe Alled im Einzelnen georbnet und unten
fhieden. So ſpricht auch Plato von Gott und der Materie ald zwei
Prineipien der Dinge. Ariftoteles faßt Alles in den zwei Begriffen
von MWirklichfeit und Möglichkeit zufammen. Pythagoras vergleidt
die Principien der Monas und Zweiheit: die noch ununterfibiedene Ma—
terie fei der Monas als ihrem Urheber unterworfen. Die Stoifer
nannten Gott den Baumeifter Copifex) diefer unermeßlichen Welt, und
ſprachen von zwei Principien aller Dinge: einem wirkenden und leidenden
(faciens et patiens). Nah Epifur ift auf den Befehl Gottes Alles aus
der Materie, die ihnen eine Unzahl von Atomen ift, entftanden. Weiteres
findet ſich nicht bei Laërtius.
Bei genauer Erwägung gebt die Tendenz (intendunt) Aller auf das
oben Ausgeführte: Gott, der reinfte Act, macht aud Alles aus dem Wer
denfönnen, nur hat Mofes es viel beſtimmter ausgeſprochen, daß dad
MWerdenfönnen ein Gefchöpf Gottes ſei. Thales widerfpricht dem nicht,
wenn er fügt, die Welt ei ein Gefchöpf Gottes. So hält aud Plate
die Erfhaffung der Welt fett. Beharrlich fagt er, alles Sinnliche (sensı-
bile) ſei nothwendig von einem früheren Principe, die Zeit ſei nicht vor
219
der Welt, fondern mit der Erſchaffung ver Welt fel aud die Zeit ent
fanden. Nah Ariftoteles aber hat das Werdenfönnen feinen Anfang,
Bewegung und Zeit find ihm nichts Geſchaffenes. Seine Täuſchung befteht
darin, daß er, weil dad Werdenfönnen ohne Bewegung nicht wirflides
Sein wird, daraus jchloß, Bewegung und Zeit feien nicht erfchaffen.
Hätte er bedacht, daß vor dem Werdenkönnen actu das Ewige ift, fo
hätte er nicht läugnen fünnen, daß jenes durch das, was ihm vorhergeht,
feinen Anfang babe. Das Nachreinander der Bewegung, defien Maaß
die Zeit ift, megirt aus fich felbft die Ewigkeit der Zeit und der Bewer
gung, da die Ewigkeit zugleich alles wirklich ift, was fein kann. Rich—
tig jagt daher der fchärfer fehende Plato, die Zeit fei das Bild der
Ewigkeit; fie ahmt die Ewigkeit nah und folgt dem Werdenfönnen; denn
wie würde ein Nacheinander werden, wenn ed nicht werden könnte?
Anaragoras nahm einen Anfang der Dinge und ein Ende der Zeit an;
denn auf die Frage: ob wohl da, wo die Gebirge von Lampſacus find,
einmal Meer fein werde, antwortete er: ja, wenn die Zeit nicht ausginge,
So ſtimmen auch die Stoifer, nad weldhen die Welt zerftörbar iſt,
befier mit und, mit dem geoffenbarten Glauben überein.
Zehntes Kapitel.
Mie die Philofophen das MWerbenfönnen genannt haben.
Dem Thales aus Mile war das Waller das Werdenkönnen, da
aus feiner Ausbünftung die Luft, aus feiner Verflüchtigung (subtilitate)
dad Feuer, aus feiner Verdichtung (grossitie) die Erde werde und alles
Lebende durch dasſelbe genährt werde, fomit auch entftehe, denn woraus
die lebenden Weſen find, daraus ziehen fie auch ihre Nahrung. Daß
aber das Waſſer nicht das Werdenfönnen der Welt fein könne, gebt
daraus hervor, weil Gott nad) Thales felbft das Aeltefte ift, alio vor
allem Erfchaffenen; das Wafler ift aljo nach ihm geworden, es geht alſo
dem Waller das MWerdenfönnen voraus. Der Stoifer Zeno lehrte, Gott
babe die Subftany des Feuerd mittelt der Luft in Waffer verwandelt;
und gleichwie der Same im Fötus enthalten iſt, fo fei die Keimfähigkeit
(serendi rationem) in der Feuchtigkeit zurücgeblieben, eine zum Bearbeiten
ehr tauglihe Materie, aus welcher dann Alles entftanden fe Man
beachte hier wieder, daß unfer Princip, das Werbenfönnen dem Waſſer
und allen Elementen, allem Gewordenen vorbergehe. Auch ift jene Feuch—
tigkeit nicht reines Waſſer, da es ein abfolut reined Waſſer, das nicht
mehr reiner fein könnte, nicht gibt (ed ift alfo mit Anderm vermiſcht). Es
280
darf daher auch nicht Einem Elemente, ſondern der Vereinigung von allen
das Werbenfönnen der fihtbaren Welt zugemeffen werben... ..
Eilftes Kapitel,
Von ben brei Gebieten und den zehn Feldern der Metöhett. |
Um unfern Gebanfen darzulegen, fagen wir: ed gibt drei Gebiete |
der Weisheit; das erfte ift jenes, in welcher fie fo aufgenommen wird,
wie fie in ihrem ewigen Sein ifl. Im zweiten Gebiete wird fie auf |
genommen in ihrer beftändigen Aehnlichkeit; im dritten leuchtet fie
aus der Berne, im zeitlihen Abfluſſe ihrer Mehnlichfeit. Sodaun |
gibt es zehn Felder, die zur Jagd auf die Weisheit fehr geeignet find:
1) die gelehrte Unwiffenheit, 2) dad Könnenfein (possest),
3) das Nihtandersfein, 4) das Licht, 5) das Lob, 6) die Ein
heit, 7) die Gleichheit, 8) die Verbindung, 9) die Beftimmtheit
(terminus), 10) die Ordnung. ‘)
Zwölftes Kapitel.
Erftes Feld: Die gelehrte Unwiſſenheit.
Indem ich in das erfte Feld eintrete, ſehe ich, daß der Unerfaß-
bare nur als unerfaßbar erfannt wird. Euſebius erzählt, Sofrated
habe einen nad Athen gefommenen Indier gefragt, ob man, wenn man
Gott nicht Fenne, etwas zu wiſſen im Stande fei; der Indier babe
befremdet über diefe Frage erwiedert: wie wäre dies möglih? Er meinte
nicht, daß man nichts wiffe, auch nicht, daß man von Gott gar nichts
wiffe; denn Alles, weil es ift, gibt auch von Gott, weil er ift, Zeugniß.
Ya vielmehr: weil Gott ift, ift Alles. Wie nun die Canfalität Gotted
(sieut „quia est“ Dei) die Urfache des Wiffend von Allem ift, weil «#
ift, fo ift.auch, weil die Wefenheit Gottes (quia Deus quid sit) am fid
unbefannt ift (denn was man weiß, kann befier und vollfommener gewußt
werben; man weiß alfo nichts, fo wie ed zu wiſſen ift — nihil uti sci-
bile seitur —), aud die Weſenheit von Allem ald folde (uti scibilis
est) unbefannt. Ariſtoteles fagt von ihr, fie fei beftändig eine geſuchte,
wie er denn auch in feiner Erften Philofophie fie fucht, aber nicht findet.
Es kann nicht fein, daß man das weiß, was dem Seinfönnen vorhergeht.
1) Die zehn Felder find eben fo viele Auffaflungen bes göttlichen Weſens,
um durch allfeitige Beftimmtheit vesfelben zur vollen Gotteserfenntniß zu gelangen. Das
erfte Feld koͤnnte deutlicher die Unerfaßbarkeit Gottes genannt werben.
281
Dies ift Bott; er iſt alfo ımbegreiflih. Da man das Weſen des Werden
fönnens fo wenig als die Urſache von diefem begreifen kann, jo wird das
Weien von feinem Ding an fih wirklich erfaßt. Je mehr Jemand über:
kugt ift, daß man dies nicht wiſſen könne, defto gelehrter (doctior) ift
et .... Ich habe dies im den Büchern über die gelehrte Unmifienheit
(jo gut ich konnte) auseinandergefegt. Sonderbar! Der Geift hat ein
Verlangen nah Wiffen, jedoch ift ihm dieſes natürliche Verlangen nicht
anerfbaffen zur Erfenntniß der Wefenheit feines Gottes, ſondern zur
Erfenntniß der Umendlichfeit der Größe Gottes, die allen Begriff und
alles Wiſſen überfteigt. Der Geift ſelbſt wäre micht in fich zufrieden,
wenn er die Achnlichfeit eines fo Fleinen und unvollfommenen Scöpfers
wäre, der noch größer und volllommener fein könnte. Mur den Gott von
unerfaßbarer Bollfommenheit, und nicht einen kleineren, erkennt alle Greatur
als ihren Gott an und fih als Achnlichkeit desſelben . . . Da Gott
über das MWerdenfönnen hinausreicht, jo kann nichts vollfommener werden,
das er nicht überträfe. Er ift alles einer Vervollkommnung Fähige und
alles zur Bollfommenheit Gelangte (omne perfectibile perfectumque).
Er if das Vollkommene felbft, die Vollkommenheit. Es freut fi daher
der Geiſt, daß er eine folde die Vollkommenheit bewirfende, nie völlig
aufzuzehrende Nahrung habe, durdy die er unſterblich genährt wird und
Immer in der Weisheit wachen und erftarfen kann; wie der ſich mehr
freut, der einen unendlichen, unerfchöpflichen Schag gefunden hat, als der,
welher nur einen befchränften und begrenzten entdedt hat... Du fiehft
mn, daß die nach Weisheit jagenden Philoſophen, welde die Weſenheit
der Dinge bei Unfenntniß der Weſenheit Gottes zu erjagen und die im»
mer nur annähernd zu erforſchende Wefenheit Gottes als erforſchte darzu-
tellen fih bemühten, vergeblihe Mühe aufgewendet haben; fie haben das
Feld der gelehrten Unwifienheit nicht betreten. Nur Plato, der etwas
weiter als die andern PVhilofophen fab, fagte, es follte ihn wundern,
wenn Gott follte gefunden werden, ımd noch mehr, wenn der Gefundene
den Menfchen follte können befannt gemacht (propalari) werden.
Dreizehntes Kapitel.
Zweites Feld: Das Könnenfein (possest).
Wenn der Geift in das Feld des Könnenfein, wo die Mög-
lichkeit Wirklichkeit (actu) if, eintritt, fo erbeutet er ganz ergiebige
Nahrung.
Bott ift, wie Thales von Milet richtig bemerkt, älter als Alles,
weil er nicht geworben oder erjchaffen iftz er ift vor dem Etwas und
282
Nichts, vor dem Ausfprechliden und Unausfprechlichen, vor dem Werden:
können und dem Geworbenen. Gr kann alfo nichts werden, was er nicht
von Gwigfeit wirflih (actu) if. Obgleich die Menfchheit das ift, was
zum Menfchfein gebört, fo ift fie doch nicht wirflih Alles, was fie jein
kann; denn fie ift nach dem MWerbenfönnen und fteht unter der Allmacht
des Schöpfers des Werdenkönnens. Es ift alfo nichts von Allem, was
nah dem Werdenkönnen folgt, von der Möglichkeit frei, anders zu werben,
ald es if. Nur Gott ift das Könnenfein, weil er wirklich ift, was
er ſein kann. Man darf daher Gott in feinem andern Felde fuchen, als
in dem des Könnenfein. Was man immer aufweist, fo ift Gott nicht
Dieſes; denn Diefes fann ein Anderes werden. Er ift micht klein, weil
das Kleine größer, nicht groß, weil das Große Heiner werben kann. Er
ift vor Allem, was anderd werden fann, vor allen Differenzen von Licht
und Finfterniß, Gleichheit und Ungleichheit, vor der Differenz der Indif⸗
ferenz und der Differenz ac., er ift fomit die Ewigkeit.
Mas die Philojophen abfchredte, dieſes Feld zu betreten, war ihre
Vorausſetzung, man müfle aud Gott wie Alles, was dem Werbenfönnen
folgt, in der Differenz der Gegenfäge aufjuhen. Bor der Differenz ver
contradictorishen Gegenſaͤtze glaubten fie Gott nicht zu finden. Indem
fie aljo die Jagd auf ihn innerhalb jenes Principes: „Jegliches ift ent:
weder oder es ift nicht” anftellten, Eonnten fie ihn, der auch älter als
Diefes Princip it und über dejjen Umfang hinaugreicht, unmöglich finden.
Bierzehntes Kapitel.
Drittes Feld: Das Nichtanderöfeln (non aliud).
Das, was dem Werdenkönnen vorbergeht, fann nicht anders werben,
es kann nicht durch andere Begriffe (termini) definirt werden, das able,
Iute Sein ift die Definition feiner felbft (sui ipsius definitio est);
denn die Definition drückt die generifhe Concordanz und die ſpecifiſche
Differenz des Definirten aus, das Abfolute aber ift über und vor aller
Differenz. Es felbft definirt Alles, da dieſes nicht eriftirte, wenn es
nicht durch dasfelbe wäre und definirt würde... Das Feld, auf weldem
die angenehmfte Jagd auf das angeftellt wird, was ſich und Alles defi
nirt, nenne ich das Nichtandersfein. Auf die Frage: was ift das Nicht,
andersfein? wird am paffendften alfo geantwortet: das Nichtandersfein if
nicht8 Anderes, ald: „nicht anders.” Und auf die Frage: was ift dad
„Anders“? ift die richtige Antwort: das „Anders“ ift nichts Anderes,
als immer anderd. So ift die Welt nichts Anderes als Welt x. Sieht
Du nun, daß jenes uralte Ewige auf diefem Felde ganz ergöhlich erjagt
283
werben lann? Denn da es die Definition feiner felbft und alles Andern
it, fo finden wir es in nichts Anderem Elarer und beſtimmter, als in dem
Nibtandersfein. Staunend findet der Geift in dem geheimnißvollen Felde,
wenn er genau verfährt, daß die Trinität, ohne welde Gott ſich
felbit nicht definirt, Einheit fei, weil die Definition zugleich das
Definirte ift. Der dreifache und einfache Gott ift die Definition, die fich
md Alles definiert... Die Beruunft findet alio, daß Gott das Nichts
anderd ift, weil er dad „Anders“ felbft definirt. Denn nimmt man das
Rihtandersfein hinweg, fo bleibt nichts Anderes übrig. Denn wenn das
Anderdfein fein fol, jo fann ed nichts Anderes fein, ald eben anders,
ionft wäre es anders ald anderd und jomit nicht andere. Da es alfo
vor dem Andersſein ift, kann es nicht ander werden und iſt wirflid
(actu) Alles, was es ſchlechthin jein fann. Beachte übrigens wohl, daß
das Nichtandersſein micht fo viel ift, als identiſch jein (idem); ſondern
da Dasfelbe (idem) nichts Anderes iſt, als Dasſelbe, fo geht das Nicht⸗
anderd ihm und Allem vorher. Wenn daher Gott das Nichtandersfein
genannt wird, weil er das nicht Anders jeden andern Wefens ift (ipse est
non aliud, ab alio quocunque), jo ift er deßwegen nicht Dasfelbe,
wie jedes Weſen; er ift das nichts Anderes des Himmels (non est aliud
a coelo), aber defhalb nicht Dasjelbe, was der Himmel. Er hat chält)
daher alle Dinge ald nicht andere, ald wie fie find (habet igitur omnia ut
von alia quam sunt), weil Gott fie definirt; von ihm, dem Nichtandersfein,
haben fie ed, daß fie nichts Anderes, fondern ſich Aehnliches in den Gats
tungen hervorbringen. — Die auf Wahrheit Jagd machenden Philofophen
haben dieſes Feld gar nicht betreten, in welchem allein feine Negation
der Affirmation entgegengefegt if. Das Nichtanders ift fein Gegenſatz
um Anders, da es diejes definirt und ihm vorbergeht. Nur außerhalb
dieſes Feldes ftehen Negation und Affirmation einander entgegen, wie
ferblich und unfterblih x. Gott alfo in andern Feldern ſuchen, wo er
nicht gefunden wird, ift ein vergebliches Jagen; Gott fteht keinem Gegen
fage gegenüber. Umnvollfommener wird daher Gott unfterblich genannt,
dem das Sterblichjein entgegenfteht, genauer: dad Nichtandersfein, dem
weder das Anders noch das Nichts entgegenfteht, da ed auch dem Nichts
vorhergeht und es befinirt. Denn das Nichts ift nichts Anderes als
nichts. Sehr feharffinnig jagt der göttliche Dionyftus, Gott fei in Allem
Alles und in Nichts — nichts (in nihilo nihil).
284
Fünfzehntes, ſechszehntes und ficbenzehntes Kapitel.
Diertes Feld: Das Licht. *)
Ich will nun das Feld des Lichts betreten und durch das gegebene
Licht die Erleuchtung der Weisheit fuchen. Denn es feuchter über uns,
wie der Prophet fagt, das Licht des Antliges oder der Erkenntniß Gottes,
und in biefem Lichte ift das Jagen nah Weisheit überaus freudig und
angenehm.
Wer den Schnee ficht, fagt, er fei weiß. Diefer Definition wider
ſprechen, wäre Unfinn. Was jeder Verftand ald wahr befinirt, muf
wahr jein. Die fih und Alles befinirende Definition ift daher notb-
wendig fehr gut, groß, wahr, ſchön, weisheitipendend, ergötzend, Har,
gleihmäßig (aequa), felbftgenügend. Alles viefes ift in der Definition
die Definition und in dem Definirten dad Definirte. (Definition und
Definirtes fallen zufammen, decken ſich vollftändig.) Daraus .erbeutet der
Geift eine bewunderungswürbige, äußerft genußreiche Weisheit, da er auf
das Evidentefte einfieht, alles diefes fei in dem ewigen einfaditen
Gott — Gott felbft, der fib und Alles definirt, daher auch im jedem
Definirten das Definirte ift. Der Geiſt weiß nun aud, daß nichts von
Allem, was ift, ganz frei von dem Guten, Großen, Schönen x.
ift. Alles ift auf das Gemügendfte erfchaffen, jedes Weſen hat fo viel,
als es zu feiner Selbftgenüge bevarf. O wunderbare Weisheit Gottet,
welche Alles, was fie gemacht hat, als fehr gut erfannte. Durd die
ganze Jagd zur Bewunderung dieſer ewigen Weisheit gelangen, das
heißt, fih ihr nähern... In diefer freudenvollen Hoffnung fleigert
der Jäger feinen Lauf. Nur dur die Laft des Körpers gehemmt, bie
überaus ſchnell vor ihm hineilende Weisheit zu erreichen, wünfcht er vom
Körper getrennt zu fein; er möchte das Band löfen, das ihn mit vielem
verbindet, und fürchtet daher den Tod nicht, um die Weisheit Gottes ale
unfterbliche Speife zu koſten. Wer ihrer werth ift, weiß, daß man fie
felbft dem eigenen Leben vorziehen und von folcher Liebe zu ihr entflammt
fein muß, daß man fih und Alles gerne hingibt, um nur fie zu geroinnen.
— Fragen wir nad der Definition des Guten, fo finden wir, daß alle
übrigen oben genannten Prädicate (groß, wahr, ſchön ıc.) das Gute find.
Definiren wir das Große, fo find in ihm das Gute, Wahre ıc. eben das
Große. In Jedem derfelben find alle — e8 felbft. Nothwendig
1) Nach der folgenden Erläuterung ift unter Licht die innere Wahrheit, Boll:
fommenbeit Gottes und die Wahrheit aller Dinge in Gott zu verfichen; das Go:
rollar hievon ift das Lob Gottes (im fünften Feld, mit beigefügten practifchen Fol:
gerungen).
285
find fie in dem Nichtandersfein — nicht anders, alfo das Gute nichts
Anderes ald das Große, Wahre x., während in dem Andersſein biefe
Prädicate anderd werden. So ift dad Gute der Sonne anders als ihre
Größe, Wahrheit x. ed nimmt die Natur ded Zufammengefegten, des
Verſchiedenen an. Wenn das Wahre, Gute xx. aus allen Dingen hervor:
leuchtet, fo iſt Alles in Allem, verfteht fi in befonderer Art des
Seins; das Gute, Wahre, Schöne ꝛc. ift in Gott — Gott, in unfes
rem Geifte — geiftig, im Sinne ſinnlich. Dadurch aber ift dem
Geifte das Erkennen des MWahren möglich: in ſich beſchaut er Alles, wie
in einem Spiegel, Alles fieht er ſich affimilirt; in dieſer Aiftmilation hat
er das lebendige Bild des Schöpfers von Allem und erkennt fi
als deſſen Abbild; in diefem Abbilde erfennt er mit zweifellofer
Gewißheit feinen Gott.
Achtzehntes, neunzehntes und zwanzigftes Kapitel.
Fünftes Feld: Das Lob Gottes.
Sobald ih das Feld des Lichtes durchpürſchet hatte, öffnete ſich mir
dad ſchöne Feld des Lobes Gottes, denn nachdem ich jene zehn oben
erwähnten Prädicate: das Gute, Große, Wahre ıc. ıc. erbeutet hatte,
fand ih, daß fie alle im Felde des Lobes Gottes gepflanzt feien, als ein
ebenjo vielfaches Lob Gottes. Daher fang David im Hinblide auf alle
Werke Gottes: Lobet den Herrn im Himmel! Lobet ihn in der Höhe!
Jedes Geſchöpf Gottes lobt Gott, daß er gut ift, weil ed bezeugt, daß
ed jelbft gut und lobenswerth nur dur fein Geſchenk iftz ebenio lobt
ihn jedes als groß, ſchön x. Im Felde des Lobes Gottes haben in
größter Ehrfurcht ihre Jagd angeftellt die Propheten und übrigen Heilis
gen, wie ihre Schriften beweifen, welde alle auf das Lob Gottes ab-
zielen . . .. Wenn gleih jede Gattung von Gefchöpfen ein bejonderer
Aecord im Hymnus der ganzen Schöpfung ift, fo hat doch der denfende
Menſch mehr Gehalt, als alles Sichtbare, zum Lobe Gottes in fi, um vor
allen Andern Gott beftändig zu loben. Das ift daher aud das Ziel feines
Lebens, Gott wiederzugeben, was er zu feinem Sein erhalten hat —
Lob und Ehre.... Unfinn ift daher der Gößendienft, welcder der Creatur
das Lob Gottes widmet, erzeugt von cinem ſchwachen, blinden und irre
geführten Geifte. Kennt ja doch die ganze Schöpfung ihren Schöpfer,
verfteht fein Wort und folgt ihm. Sagt er zu einem Steine, er folle
Reben werden, jo hört er ed und gehorcht. Sogar Todte hören das Wort
Gottes und leben, wie die Ehriften an Lazarus fehen. Hieraus folgt,
daß der mit freiem Willen begabte Menſch, der Gott nicht lobt und auf
286
fein Wort nicht hört, nicht zu entſchuldigen tft, da ihn feine eigene Natur
verurtheilt, und unwürdig der Gemeinfchaft der Seligen ift, die Gott
ohne Ende loben. Unfäglich ift das beftändige und freudige Lob Gottet
aus dem Munde der Heiligen. So groß ihr Lieben, fo groß iſt auf
ihr Loben (quantum amant, tantum clamant), und je mehr fie Gott
loben, defto mehr Lob erlangen fie ſelbſt und nähern fih dem unendlich
Lobenswürdigen, ohme ihm je gleich zu werben. Im entgegengejeßte
Richtung wird auch die ewige Verdammniß der rebellifchen Geifter nie
eine zeitliche. und endende. Die Ehre und das Lob der vollkommenen
Menſchen befteht nach beftindiger Meberlieferung in der Gemeinſchaft mit
Gott und allen Heiligen. Welt: und Gigenliebe haben diefe Volllom—
menen weggeworfen und ben Lehrer der Wahrheit, das menfchgeworbene
Wort Gottes, nadgeahmt, der zum Lobe Gotted unter allen Schreden
dem Schredlichften, dem fhmählichiten Tode fich freiwillig unterzogen bat.
Unzählige Märtyrer find ihm nachgefolgt und haben durch den Tod um
fterbliches Leben erlangt, und auch heute noch fireben viele Religivien,
der Welt abzufterben und vollfommene Lobpreifer Gottes zu werben... .-
Einnndzwanzigftes ımd zweinndzwanzigites Kapitel.
Sechstes Feld: Die Einheit.
Aurelius Auguftinus fagt im feiner Schrift über die Ordnung,
das Nachdenken aller Philofophen beſchäftige ſich mit der Einheit. Das
Gleiche hat nad ihm der gelehrte Bostiud durch fein Buch Über die
Einheit und das Eine ausgefprochen. Beide folgten dem Plato, welder
das Eine das erfte und ewige Prineip nennt. Bor ihm lehrte Pyt ha—
goras aus Samos, welder Alles unter dem Geſichtspunkte der Zahl
betrachtete, die Monas fei das Princip von Allem, denn die Einheit iſt
vor aller Bielheit. | |
Wir wollen num dieſes Feld der Einheit durchſtreifen. Obwohl
das Nihtandersfein der Einheit vorhergeht, fo ift doch die Einheit jenem
am nächften. Das Eine und Dasfelbe (unum et idem) fheinen an
dem Nichtanders mehr als alles Andere zu participiren . . . Und da dad
Eine das ift, was es fein kann, ganz einfach, nicht vermehrbar, fo faßt
es Alles in ſich, was ohne dasfelbe nicht mehr wäre. Denn Alles if
nur infofern, als es Eines if, das Eine umfaßt das Wirkliche und das
Mögliche, Somit mehr ald das Sein (ens) (wiewohl nad Ariftoteles
Sein [ens] und Einheit Wechfelbegriffe find). Das Seiende (ens)
wäre daher ein befchränfteres Princip von Allem, als die Einheit, €
fann auch feine Vielheit geben, die nicht an der Einheit participirte; ſonſt
287
wäre dad Aehnliche unähnlich; vieles Aehnliche wäre zugleich unähnlich;
dasjenige nämlih, das nicht an der Einheit participirte und doch mit
dem PBarticipirenden Aehnlichfeit hätte. So würde alle Drbnung der
Dinge aufhören, wie died Plato im Parmenides fharffinnig nachgewiefen
bat. Das Eine kann nicht geicaffen fein, da e8 dem Geſchaffenen vor
bergeht,, ed kann micht zerftört, geändert werden, da ed dem Werden—
können vorbergeht und Alles ift, was es fein kann . . . Unwahr ift es
daher, daß vor dem Werdenfönnen Götter feien, die an dem Einen par:
tieipiren, wie an einer Specied von Gottheit; ed wäre fonft eine Vielheit
des ewigen göttlichen Weſens. Vergebliche Mühe machte ſich baher
Proclus in ſeinen 6 Büchern über die Theologie des Plato, indem er
and unfichern Conjecturen die Differenzen jener ewigen Götter und ihr
Berhältnig zu Einem Gott der Götter zu ermitteln fuchte; denn es gibt
nur Einen ewigen Gott, der für Alles vollfommen genügend ift und die
ganze Welt regiert. Die Philoſophen feheinen alle ihre Betrachtungen
über Gott, Götter, den Himmel und feine Bewegung, Fatum, Geifters
welt, Ideen und die Natur nur vom Standpunfte diefer fichtbaren (sen-
sibili) Welt und Dem, was zu ihrer Erhaltung nöthig ift, angeftellt zu
baben, als ob dieſe irdiſche Welt die Krone aller Werke Gottes wäre.
Ariſtoteles und Plato laffen Gott die Himmel leiten; die Himmel aber
find nad ihnen nur um diefer fichtbaren Welt da, damit die Zeugungen
und was zur Erhaltung der Erde gehört, durb Nahahmung der Him—
melsbewegung erfolgen. Sie bedachten nicht, daß umählige Sterne, viel
größer als dieſe bewohnte Erde, fo viele Geifter nicht bloß für diefe Erde
geihaffen find, fondern, wie oben gefagt, zum Lobe ihres Echöpfers.
Die verftändigfte Jagd auf diefem Felde haben diejenigen angeftellt,
welde, wie Auguftin, die Einheit als eine fruchtbare (lebendige) er:
fannt haben, welche die Gleichheit aus fich erzeugt, und die vereinis
gende Liebe, die von der Einheit und Gleichheit ausgeht... .
Dreinndzwanzigftes Kapitel.
Siebentes Feld: Die Gleichheit.
Die Bielheit bringt auch die Ungleichheit mit fih. Bon den vielen
Dingen iſt Feines dem andern vollfommen gleih. Die Gleichheit, welche
das ift, was fie fein kann, ift daher vor dem Andersfein und der Un—
gleichheit und eben veßhalb ewig, wie die Einheit, aus der fie ewig
hervorgeht. Die Gleichheit ift daher feiner Vervielfältigung fähig. Das
Gute, Große, Wahre, Schöne ıc. find nicht Vielheiten, fondern ſich glei
und ewig. Aus dem ungleichen PBarticipiren aller Dinge an der abfoluten
288
Gleichheit folgt der Sap: Alle Dinge flimmen unter fich überein und
differiren zugleich (concordant pariter et differunt omnia).
Vierundzwanzigftes, fünfundzwanzigftes und fehsundzwanzigites Kapitel,
Achtes Feld: Die Verbindung.
Mit der Bielheit und Manntgfaltigfeit it auch die Theilung gegeben,
aber aller Theilung gebt die Verbindung (nexus) voraus, als ewige
Untheilbarfeit, die aus der ewigen Einheit und deren Gleichheit ewig
hervorgeht . . . . Obwohl die Einheit nicht die Gleichheit iſt und die
Verbindung, jo ift doch Die Gleichheit und Verbindung nicht etwas An
dered als die Einheit, da fie das Nichtandersfein find, das dem Andere
fein vorhergeht. Alles und Jedes ift ein Nachbild diefer Trinität...
die Einheit ift die Bindung (constructio) des flüchtigen Seins; die
Gleichheit ift die Oeftaltung (formatio) des Gebundenen, die Verbindung
(nexus) ift die Verfnüpfung ded Geeinten und Geftalteten. Die Ber
bindung gebt als zujammenhaltendes Princip durch die ganze Schöpfung;
fie verbindet Seele und Leib, fie bindet mit einem geiftigen Bande den
Geift an die Weisheit und bewirkt dadurch die Erfenntniß und die wahr
Gluͤckſeligkeit.
Die Philoſophen haben dieſes Princip der Verbindung zumeiſt nicht
erkannt und deßhalb auch die wahre Weisheit nicht erreicht ....
Siebenundzwanzigftes, achtundzwanzigſtes und neunundzwanzigſtes
Kapitel.
Neuntes Feld: Die Idee (terminus).
Das der Verbindung zunächſt liegende Feld, welches ich das der
Idee ) nenne, iſt voll der erſehnten Beute, überaus groß und unbegrent.
Es hat weder Anfang noch Ende, wohl aber hat es die Anfänge, Mitte
und Ende alles Beftimmbaren (terminabilium) in fi, gleichſam die Wurzel
der Allmacht, indem fie in ihrer Kraft Alles begreift (eontinet), aus
Alles aus fih entfaltet und begrenzt. Die Beftimmtheit (terminus),
welde Alles ift, was fein fann, ift vor jeder Beftimmtheit der Dinge,
die werden fünnen. Sie ift die unbegrenzte Beftimmtheit des Werben
könnens felbft, die Alles, was werben fan, determinirt vorher in ſich
u — — — an
1) So muß nach der folgenden Grlänterung die Aufſchrift „terminus“ gefaht
werben.
289
faßt. Es ift alfo die Beftimmtheit aller Dinge und aller Wiffenfchaften.
Wer anders aber fegt Grenze und Beftimmtheit als der Geift (mens) und
die Weisheit? Der Geift, wie Anaragoras ſehr richtig fah, begrenzt
(determinat) und unterſcheidet die verworrene Möglichkeit, und bewegt
alle Dinge, daß fie zu dem von ihm den Dingen beftimmten Ziele ges
langen. Die Weisheit ) hat die Urbilder der Dinge gebildet (exem-
plaria rerum definivit), die Ideen (rerum rationes), die in ihr präs
erifliren, nach welchen (secundum quas) die göttlihe Weisheit Alles
vorherbeftimmt oder vorherbegrenzt und hervorgebracht hat (praedestinavit
sen praedeterminavit produxitque). Was find alfo diefe Ideen Anderes,
ald die Beflimmtheiten (termini), die Allem Beftimmtheit geben? Gewiß
it, daß für fie alle der göttliche Geift das Beftimmende (terminus) ift.
Er hat fie rationell in fih auf das Vollkommenſte determinirt, und fie
find feine wirkſa men (validae) und vollfommenen Ideen, außer in-
joweit fie am göttlihen Geiſte participiren, wodurd fie das find,
was fie find. Die Verfchiedenheit der Ideen entſteht nur aus diefer
verihiedenen PBarticipation. Wenn Du vor das Werdenkönnen hinſchauſt
und nah menſchlicher Weile denfit, Gott habe von Ewigfeit den Gedanfen
gefaßt, er wolle ſchaffen, fo war offenbar, da noch nichts gefchaffen war,
weder Himmel noch Erde noch Engel ıc., alles dieſes nicht mehr erfchaff-
bar, ald Anderes, was mit diefem gar nichts gemein hat und das wir
und gar nicht vorftellen fönnen. Gott beftimmte nun (determinavit)
in feinem Begriffe, daß er gerade diefe Schöpfung, die wir
ſehen, erfchaffen wolle. Durch die Selbftbeftiimmung des götts
liden Geiſtes (ex determinatione mentis in se ipsa) hat alfo Alles
kine Beftimmtheit, fo oder fo au fein, erhalten. Nach diefer ewigen Idee
(conceptus) hat Gott das erfchaffene Werdenfönnen determinirt zum Werben
diefer Welt und ihrer Theile. Das Werdenkönnen ift nicht vag und uns
beftimmt, fondern zu dem Ziel und mit der Beftimmtheit, diefe Welt zu wers
den und nichtd Anderes, erihaffen. Die Idee alfo, auch das geiftige Wort
(verbum mentale) oder die Weisheit genannt, ift die Beftimmtheit, die feine
Beſtimmtheit, Grenze, hat. Bor dem göttlichen Geifte ging fein anderer Geift
voraus, der Ihn zum Erſchaffen diefer Welt beftinnmte; der ewige göttliche
Geiſt hat, mit vollfommener Freiheit, zu fhaffen oder nicht zu ſchaffen,
jo oder anders, feine Allmacht in ſich felbft nah feinem Willen
von Ewigfeit determinirtt.... Es ift far, daß die göttliche Weisheit
in diefem Felde verborgen ift und durch eifriged Jagen gefunden wird.
Denn fie ift e8, „die dem Meere und feften Lande, Sonne, Mond und
1) Haeo bezieht fi nach dem ganzen Zufammenhange nicht auf mens, fonbern
auf das grammatifch mäher flehende sapientia.
Sharpff, Nic, v. Gufa. 19
290
Sternen und ihrer Bewegung die Grenzen gefegt und ihr Geſetz jeglicher
Creatur gegeben hat, das diefe nicht überfchreiten kann“, wodurch Alles
in beftimmtem Maaß, Gewicht und Zahl ſich bewegt; ohne dieſes Geſetz
wäre überall nichts ald Verwirrung.
Unfer Geift ift ein Abbild des göttlichen Geiftes; er ift daher das
Prineip, nicht der Dinge, fondern nur feiner geiftigen Thätigfeiten, die er
beterminirt; er faßt alles begrifflidh (notionaliter), nicht weſenheitlich, in
fih. Das Weſen der Dinge findet er daher nicht in ſich; ſelbſt feine
eigene MWefenheit erfennt der Geift nicht, fondern nur das Bild von ihr;
da er denft, weiß er, daß er ein denfendes Weſen if. Die Aehnlichkeit
der Dinge ift in ihm, daher wird er ein Drt der Begriffe (locus
speeierum) genannt. Die Wefenheit der Dinge ift vor den Begriffen
von ihr, diefe find alfo erft nach ven Dingen....
Dreißigftes, einumddreißigftes und zweinnddreifigites Kapitel,
Zehntes Feld: Die Ordnung. ‘)
Dionyfius, fharffinniger als alle andern Philofophen, jagt in dem
Kapitel von der Weisheit: Vielleicht ſagen wir richtig, daß wir Gott
aus feiner Natur und Mefenheit nicht erfennen (denn dieſe ift und gan
unbefannt und überfteigt alle Verſtandes- und Sinnenerfenntnig), wohl
aber aus der überaus treffliden Ordnung aller Geſchöpfe,
die fein Werk tft und ein Ausdruck und Abbild feiner göttlichen Ideen.
Wir erheben und zu Dem, der alles übertrifft, ſyſtematiſch durch gänglice
Privation und dur Betrachtung Gottes ald der Urſache von Allem.
Daher wird in Allem und außer Allem (seorsum ab omnibus) Gott
erfannt, durch Wiffen und durch Nichtwiffen (per scientiam et ignora-
tionem noscitur Deus)... In Allem ift er Alles und in Keinem nicte,
aus Allem wird er von Allen erfannt und aus Keinem von Niemand
(in omnibus omnia est et in nibilo nihil; et ex omnibus omnibus n08-
citar, et ex nullo nemini). Indem Gott der Schöpfer von Allem if,
der Alles ftets in Einklang bringt (omnia concordans), als die Urſache
einer unauflöslichen Einheit, der das Ende des Erſten verknüpft mit dem
Anfange des Zweiten und fo einen Einklang im ganzen Univerjum und
Eine ſchöne Harmonie hervorbringt, ift er der Urheber der Ordnung, durch
welche auch Ruhe, Friede und Selbſtgenüge in allen Creaturen entſteht,
1) Nach den folgenden Erläuterungen iſt unter dieſem Felde bie tosmologiſche
Gotteserkenntniß zu verſtehen, womit bie f. g. via negativa und positird
fowie via causalitatis in ber Erfenntniß Gottes in Berbindung fleht.
291
Indem jedes mit der Stellung zufrieden tft, im die es für bie Ordnung bes
Ganzen in das Ganze, wie 3. B. Fuß und Auge in den Körper
eingefügt ift.
Da Alles, was aus dem MWerdenfönnen wirflih werben foll, bie
Ordnung vorandfegt, welche alled das ift, was fein fann, fo ift bie
Ordnung ewig. Wäre fie erfchaffen, fo wären die Dinge durch die
Ordnung aus dem Möglichen zur Wirklichfeit gelangt und ed wäre bie
Ordnung dagemwelen, bevor fie war, was unmöglib if. Sie hat alfo
feinen Anfang und fein Ende. Was kann aber die Ordnung im ein-
fachſten Principe oder Dinge anders fein, als dieſes Princip felbft? ſowohl
das Princip ohne Princip, ald auch das Princip aus dem Principe und
das aus beiden hervorgehende Princip. Ohne dieſes kann die Ordnung
im Principe nicht fein, da e8 zum Wefen der Ordnung gehört, Anfang
(prineipium), Mitte und Ende zu fein. Werden diefe in dem einfachften
und oberften Principe negirt, fo wird aud die Ordnung negirt, obne
welche nichts übrig bleibt, da die Welt ohne Ordnung und Schönheit
nicht beftehen fann. Denn wie follte das Sein ohne Ordnung aus dem
Seinfönnen in die Wirklicfeit gelangen? Wenn im Princip feine Ord—
nung it, woher follte dad durch das Princip Gefeßte Ordnung haben?
Ju dem durh das Princip Geſetzten ift (Cabbildlib) das Princip
ohne Princip — die Wefenheit (essentia), dad Princip aus dem
Prindip — die Kraft, das Princip, das aus Beiden hervorgeht —
de Wirfjamfeit (operatio). Diefe drei finden fih in Allem, auf daß
Alles an der göttlichen Ordnung participire. Die Welt ift geordnet in
geiftige8, lebendiges und Teblofed Sein; das bürgerliche und
Familienleben, Kunft und Wiffenfchaft haben ihre Ordnung, nur ein
geordnetes Wiſſen hat Erfolg und Fortfhritt, und eine geordnete Rede
maht Eindrud; Ordnung fommt dem Gedächtniſſe zu Hülfe; kurz: die
Ordnung ift ein Wiederfchein der Weisheit (relucentia sapientiae orda),
die ohne Ordnung nicht mit Erfolg wirffam wäre. Ordnung ift das
Band des Univerfum (copula universi). Durch fie ift der Menſch als
Mierocosmus an die Spige der Sinnenwelt und an die umterfte Stufe
der intelligiblen Welt geftellt, am den Horizont der Zeit und Ewigfeit,
beide Welten in fich werbindend, indem er an jeder participir. In noch
großartigerer Weife verbindet die Menſchheit Jeſu Ehrifti die niedere
Natur nicht nur mit der höhern, geiftigen, fondern mit Gott dem
Schöpfer felbft und der ewigen Unfterblichkeit, wenn wir durch Glaube
und Liebe ihm, dem Mittler, gleichgeftaltet werden.
Was ift ſchöner als die wunderbare Ordnung der Wiedergeburt? Ich
habe im Bisherigen Einiges Über die Felder der zu erjagenden Weisheit
19 *
292
geſprochen, aber dort, in der Ordnung der Wiedergeburt, hat die incar-
nirte Weisheit den Weg zu ihr durch ihr eigenes Beiſpiel geoffenbart.
Wir ftreben nah Weisheit, um unfterblic zu fein; da uns aber
feine Weisheit vor den Schreden des Todes bewahrt, fo wird das die
wahre Weisheit fein, durch welde die Nothwendigkeit des Sterben in
die Kraft, zu leben und in den fihern Weg zur Auferftehung umgewandelt
wird, was nur mit der Kraft Jeſu und Nahahmung feines Beiſpiels
möglih ift. Hierauf müſſen wir aljo den größten Eifer verwenden,
hier allein ift fichere Jagd, der Erfolg zuverläffig — der Befig der Un—
fterblichfeit. |
Dreinnddreißigftes Kapitel.
Ueber die Bedeutung ded Wortes.
Die Philofophen Haben oft auf die Bedeutung (vis) eines Mortes
große Rüdficht genommen, als ob das Wort das präcife Bild (fguratio)
des Gegenftandes wäre. Allein die Worte, die der erfte Menſch aus
Reflerion des Verſtandes den Dingen gab, find feine präcife Bezeichnung;
denn der Begriff ift nicht das Weſen der Sache. Hätte Jemand den
Namen für das Weſen einer Sache, dann würde er Alles richtig benennen
und befäße die vollfommenfte Kenntnig von Allem. In dem fubftantiellen
Weſen der Dinge liegt alfo fein Widerftreit (dissensio), fondern in den
Morten, die nach verſchiedenen Geſichtspunkten (rationibus) den Dingen
gegeben werden und in den verfhiedenen Bildern (configuratione) von
den Dingen, wie Plato in feinen Briefen an den Tyrannen Dionyſius
fehr ſchön ausführt. Dionyfius Arcopagita will daher, man folle mehr
auf den Sinn, ald auf die Bedeutung der Worte fehen. Niemand
bemühte ſich vifriger, die Wortbedeutung aufzuſuchen, als Ariftoteles, der
in der Definition, welche ihm die MWorterflärung ift, das Licht der Er
fenntniß fand. In der Erfenntniß der menfhlihen Dinge mag dies der
Fall fein, weßhalb die Kenntniß, welde fib auf die Wortbedeutung
ftügt, dom Menfchen, als feiner Natur angemeffen, fehr geläufig ifl. In
der Erforfhung der göttlihen Weisheit aber muß man menfhlihe Aus
drüde, wie fie dem Menſchen zugefchrieben werden, von Gott negiren.
So bezeihnet das Mort Leben, das alles Lebende umfaßt, nit das
Weſen Gottes, welder die Urſache alles Lebens iſt. Auch auf die
Unterfheidung der verfchiehenen Bedeutungen der Worte muß man, wie
ſchon der hi. Thomas aufmerfjam gemacht hat, forgfältig adten...-
Dadurd werden viele Differenzen der Schriftfteller in Einklang gebradt.
Diefe meine Forſchung nach der unausſprechlichen Weisheit, welde
älter ift ald alles Namengeben, bewegt fi mehr im Stillfhweigen und
293
Schauen, als im vielen Neben und Hören. Sie fegt voraus, daß die
menschlichen Worte, deren fie fid bedient, nicht präcis find, feine Engels—
und Gottedworte; fie gebraucht fie, da fie anders feinen Begriff ausdrüden
fann, wenn fie die Ewigkeit durd fie bezeichnen will, die freilich Feines
von den Dingen ift, um derentwillen die Worte gebildet find, fondern Die
Urjahe von ihnen, und ein Wort nicht von dDiefer Zeit (verbumque
nullius temporis).
Bierunddreißigftes, fünfunddreigigites und ſechsunddreißigſtes Kapitel,
Ueber die gefangene Beute.
Nahdem ih nun die zehn Felder durchpürſcht habe, erübrigt mir
noch, die gefangene Beute zu fammeln. Eine große Jagd habe ich
angeftellt, um große Beute zu erlangen. Nicht mit irgend etwas Gros
bem, das größer fein Fonnte, zufrieden, habe ich die Urfache der
Größe, die nicht mehr größer fein fann, aufgefucht. Könnte jene Urfache
größer fein, fo würde fie durch das von ihr Berurfachte größer. So
wäre dad Spätere vor dem früheren. Nothwendig muß daher die
Urfahe der Größe das fein, was fein kann. Die Größe (das abfolut
Größte) geht fomit vem Werdenfönnen vorher, da fein Anderes werden
fann, wenn ed alles das ift, was fein fann. Die Größe tft fomit bie
Ewigkeit, die feinen Anfang und fein Ende hat, da fie nicht geworden
it, weil vor allem Gewordenen das Werdenkönnen ift, welchem die
Größe vorangeht, Da dies von Gott im Verhältniß zu allen Geſchöpfen
oben im Felde vom Lobe Gotted nachgewieſen ift, jo wenden wir nun
den Begriff der Größe auf das Sinnlihe und Vernünftige, dann auch
auf das Lobenswerthe an, um zu fehen, ob wir jene (die Größe) nicht,
ki ed dem Sinne, fei ed der Bernunft, als gewonnene Beute aufweien
fönnen. Zu dem Ende ziehe ich die Linie a—b, und fage: die Linie
ab ift groß, weil fie größer als ihre Hälfte iſt; fie kann noch größer
werden durch ihre Verlängerung. Sie wird aber nie die Größe werden,
da diefe ift, was fein kann. Würde die Linie fo groß, daß fie nicht
größer werden fönnte, fo wäre fie, was fein kann; fie wäre nicht
geworden, fondern ewig, dem Werdenkönnen vorhergehend, und fie wäre
nicht eine Linie, fondern die ewige Größe. Ich fehe daher: da Alles,
was größer werden kann, nah dem Werdenfönnen ift, fo wird es nie
das, was jein kann. Weil aber die Größe das ift, was fein kann, fo
fann fie nicht größer und Fleiner werden; fie ift aljo von allem Großen
und Kleinen die höchfte Urſache; fie ift alles Große und Kleine und
hugleich feines von Allen, da alles Große und Kleine nad dem Werden⸗
294
fönnen ift, das ihnen vorangeht. Da nun Oberfläche, Körper, Zahl, Sinn,
Vernunft, Himmel, Sein und alles Erſchaffene nicht ohne Größe ift, fo
ift in ihnen allen das Seinfönnen (Possest) — fo nenne ih die Größe —
das, was fie find und Keines von Allen...
Da ich ferner fehe, das Gute fei etwas Großes und fönne immer
beffer werden, weil ein Gutes beſſer ift ald ein anderes, fo jagen wir
folgerichtig: da das Gute, das fo gut iſt, daß ed nicht mehr beſſer wer
den kann, das Seinfönnen felbit ift, jo iſt es die Urſache der Größe.
Das Nämlihe gilt vom Schönen, Wahren, Weijen, kurz von allen zehn
lobenswerthen Eigenſchaften. In gleicher Weife ift das Große, Schön,
das fo gut, ſchön ac. ift, daß es nicht mehr befjer, fchöner ac. fein Fann,
die Urſache der Güte, der Schönheit x. Es ift alfo das Seinfönnen die
Urſache der Güte, Größe, Schönheit, Wahrheit, Weisheit, Freude, Volk
fommenheit, Klarheit, Gleichheit und Seligfeit (sufficientiae). Der Höbe
punft des Werdenfönnens von je neun diefer Eigenfchaften zeigt und jeded
mal dad Seinfönnen ald die Urſache des je zehnten (terminus ipsius
posse fieri novem ipsorum ostendit Possest causam decimi). “Denn der
Höhepunkt des MWerdenfönnend der Größe, der Güte, Schönheit, Wahr
heit 2. zeigt das Seinfönnen als die Urjfahe der Größe. Der Höhe
punft des MWerdenfönnend der Güte, der Größe, Schönheit, Wahrheit x.
zeigt dad Seinkönnen als Urfahe der Güte. (Im Seinfönnen haben
alle Eigenfhaften ihre höchſte Urſache und Einheit und find unter fid
Eins.) Da ich alfo das Seinfönnen als die Urfache aller lobenswertben
Eigenfhaften erfenne, und diefe alle dur Theilnahme an dem Lobe lv
benswerth find, jo nenne ic das Seinfönnen das Lob, weldes das if,
was fein Fann, weil es Quelle und Urfache alles Kobenswerthen ift. So
fagt der große Prophet Mofes im feinem Lobgefang: „Gott ift mein
Lob“. Da ih fonad Gott als die wefentlihe Urſache alles Lobend
werthen erkenne, fo fehe ih auch mit Dionyfius, daß die Wefenheiten
und Subftanzen von Allem, was geworden ift oder werden fann, burd
Theilnahme an dem Lobenswerthen das find, was fie find.
Das ift es alfo, was ih durd meine Jagd erbeutet habe:
mein Gott ift in allem Lobenswerthen lobenswerth, nicht ald
participire er an dem Lobe, fondern ald das abjolute Lob, das in ſich
felbft Iobenswerth und die Urſache alles Kobenswerthen iſt. Er ift daher
vor und über (prior atque major) allem Lobenswerthen, denn er If der
Höhepunft (terminus) und das Seinfönnen alled Lobenswerthen. alle
Werke Gottes find lobenswerth, weil fie durch Theilnahme an dem
Lobenswerthen, in welchem Gott ald Urſache gelobt wird, erfhaffen find.
Ich weiß aud, daß mein Gott größer ift, als alles Lob und durd fein
Lob gebührend gelobt werden kann. Und Allen, die ba verſuchen, ihn
295
mehr und mehr zu loben, offenbart er fich felbft, daß fie ihn erfennen
ald lobendwerth, glorreih und über Alles erhöht. Diefe loben ihn dann
nicht bloß in feiner Güte, in der er fi Allen mittheilt, in der Größe,
die er Allen verleiht, in der Schönheit, die er Allen fpendet, im der
Wahrheit, die feinem Weſen fehlt, in der Weisheit, die Alles
ordnet, in der Freude, in der Alles in fich felig ift, in der Vollkom—
menheit, deren fihb Alles rühmt, in der Klarheit, die Alles er
belt, in der Gleichheit, die Alles läutert, in der Selbftgenüge, in
der Alles feine Ruhe und fein Genügen findet, oder in Anderem, was
Folge des Barticipirend an der Gottheit ift, jonden den Gott der
Götter felbft in Zion loben fie, indem fie in der Offenbarung feines
lihtes ihn anſchauen.
Siebenunddreißigites Kapitel.
Grflärung (de declaratione).
Ih will nun das ſchon oft Gefagte wiederholen, weil es das Wejen
unferer ganzen Jagd ausmacht. Es heißt: Da das Gewordene dem
Werdenfönnen nadfolgt, fo ift ed nie fo geworden, daß das Werben:
fönnen in ihm ganz und gar feine Grenze gefunden hätte (quod posse
fieri sit in eo penitus terminatum). Denn das Werdenfönnen ift zwar,
jofern es in Wirklichkeit tritt, aber nicht fchlechthin begrenzt. So ift in
Plato zwar dad Menfchwerdenfönnen begrenzt, aber nicht vollftändig,
jondern nur das Platoniſchſein; es bleiben noch andere, fogar vollfommes
nere Seinsweifen übrig. Aber auch in Plato ift das Menſchwerdenkönnen
nicht an feiner Grenze angelangt. Denn der Menſch kann Mufifer, Geo—
meter, Mechanifer werden, was Plato nicht war. Das Werdenfönnen
wird fomit fchlechthin nur durch das Seinkönnen, als fein Princip und
Ende begrenzt. So hat die Zahl ihre Grenze (terminus) in der Monas,
die ihr Princip und Ende if. In Wirflichfeit (actu) findet das Wers
denfönnen in der Welt feine volle VBerwirflihung (terminatur), da es in
Wirklichkeit nichts Volllommeneres und Größeres als fie gibt. Das Ge,
wordene ift immer etwas Singuläred und feiner Vervielfältigung fähig,
wie jedes Individuum, aber es ift nicht immer ungerftörlich, es ſei denn
ein Erfted. Was nämlih eine Nachahmung des Erften ift, ift, da es
dad, was es ift, durch SBarticipiren am Erften ift, zerftörlib; denn es
fann an dem unzerftörlichen fingulären Sein des Erften, das feine Ver—
vielfältigung zuläßt, nicht participiren. Daß aber die Grften (prima),
deren Sein nicht von dem Barticipiren eines vorhin Gewordenen abhängt,
ungerftörlich find, hat feinen Grund darin, weil das Werdenfönnen
296
in ihnen fpecififch beterminirt if. Daher ift das vernünftig Erfenn-
bare, das Himmlifhe ungerftörlid, wie die vernünftigen Naturen, Sonne,
Mond und Sterne. Daß Sonne, Mond und Sterne die erften Geſchöpfe
find (prima facta), fagt Moſes deutlih in der Schöpfungsgeſchichte:
fie feien von Gott gemacht, um beftändig zu leuchten. Immer und
ohne Aufhören ift der fihtbaren Welt, wenn fie feinen Mangel haben foll,
ihre Sichtbarkeit nothwendig. Was aljo gemadt ift, um zu leuchten,
muß immer fo bleiben. Sie find fomit nicht nad einem vorher Gewor:
denen gemacht, durch deſſen Participation fie find, was fie find. So bat
denn das Sonne-, Monds und Sternewerden in den Individuen, bie wir
jehen, feinen Höhepunft erreicht, dagegen find die Individuen der fin
lihen Natur Nahahmung, Abbilder der geiftigen Urbilver, wie Diony:
ſius jagt. Da nun das Sinnliche das Geiftige nicht präcis nachahmen
fann, jo participirt ed auf eine veränderliche und zeitliche Weife an Dem,
was immerwährend ift und ift daher felbft nicht immerwährend (perpetuum).
Achtunddreißigſtes Kapitel,
Recapitulatlon.
Um durd Recapituliren meinen Gedanken noch deutlicher darzulegen,
füge ich Folgendes bei.
Es ift ausgemacht, daß das Werdenkönnen fih auf etwas bezieht,
was demfelben vorhergeht. Weil es dem Werdenkönnen vorhergeht, kann
es felbft nicht werden. Es ift auch nicht geworden, da nichts geworben
ift, wa® nicht werden fonnte. Das Gewordene folgt alfo dem Werben
fönnen. Da nun das, worauf fih das Wervenfönnen bezieht, was feine
Vorausſetzung ift, ihm vorhergeht, fo ift e8 nothwendig ewig. Da dad
Ewige nicht werben fann, fo muß es wenigftend nichts Anderes als dad
fein, was im Werdenfönnen ponirt wird. (Unde cum aeternum non pos-
sit fieri, necesse erit quod saltem aeternum non sit aliud ab eo, quod
in posse fieri affirmatur.) Das Ewige ift fomit nichts Anderes, ald
alles Das, was wird, obgleich es felbft nicht wird. (Aeternum igitur
non est aliud ab omni eo, quod fit, licet non fiat.) Es iſt fomit
Princip und Ende des Werdenkönnens. Was alfo geworden ift, ift Darı
ftellung des feinem Werden unterworfenen Ewigen (hinc quod factum
est, infactibilis aeterni est repraesentatio). Hieraus erhellt, daß das
Werdenkönnen der Welt ſich auf das Urbild der Welt (mundum arche-
typum) im ewigen Geifte Gottes bezieht. Da die Ewigfeit feine Ber
vielfabung und Vermehrung zuläßt und Feine Möglichkeit andeutet (ne
aliquam possibilitatem significans), da fie dem Werbenfönnen vworherged'
297
jo ift fie weder durch die Vernunft noch den Sinn erkennbar, nicht voll
fändig barftellbar (nee plene repraesentabilis), nicht durch die Einbil«
dung zu erfaffen (imaginabilis) und geftattet feine Affimilation (nec assi-
milabilis). In legter Inſtanz (ultimate) findet daher das Werdenkönnen
feinen Höhepunft nicht in etwa® (non terminatur in aliquo), das ihm
nahfolgt, fondern fein Ziel und Höhepunft (terminus) geht ihm vorber.
Ih fehe daher, daß Alles, was werden kann, nur jenes einfache Urbild
bat, das nichts Anderes ift (non est aliud ab — —) ald Alles, was
werden fann, da ed die Wirklichkeit aller Möglichkeit ift (actus omnis
posse). Da ed die Wirflichfeit aller Möglichkeit ift und nichts Anderes
fein fann, weder größer noch Heiner, noch anders, noch in anderer Weile,
jo iſt es nichts Anderes als irgend etwas (non aliud ab aliquo), nicht
größer oder fleiner ald irgend etwas, nicht anders, nicht in anderer Weiſe.
Es ijt fomit von Allem, was ift, lebt und denkt, die Urfache, das Urbild,
dad Maaß, die Art und Weife und die Ordnung. Nichts in Allem und
allen Einzelnen gibt ed, das nicht aus ihm als feiner Urfache ift und
hervorgeht. Und weil Alles nur die NRepräfentation von ihm ift, fo ift
Alles ihm zugewandt, von Allem wird ed erfehnt, gepriefen, gelobt, vers
berrlicht und angerufen. Es ift der unbefhränfte Ziels und Höhe:
yunft von Allem (termious interminus).
Alles, was ich auf diefe Weife erfenne, und fo, wie ich es erfenne,
ht in Worten genügend auszubrüden vermag, kann ich in feinem fürs
ern Ausdrude zufammenfaflen, als den: Der Höhepunft des Wer:
denfönnens von Allem ift: Allesmachenkönnen (terminus posse
feri omnia est posse facere omnia), gleichwie der Höhepunkt des deter—
minirten Werdenkönnens das determinirte Machenfönnen if. So ift der
Höhepunkt des Warmwerdenfönnens das Warmmacenfönnen. Das Feuer,
der Ziels und Höhepunkt des Warmwerdenkönnens, fann warm maden;
der Ziele und Höhepunkt des Bollfommenwerbenfönnens ift das Bolls
Iommenmachen. Es ift daher das von Allen Erjehnte, weil es der Ziels
und Höhepunkt alles Erfehnenswerthen ift, die Urfache aller Sehnſucht.
Da demnach der Ziel- und Höhepunft alles Werdenfönnens allmächtig ift,
Alles machen kann, fo fann er aud das Werdenfönnen maden.
So ift er der Höhepunkt von Dem, deſſen Princip er ift, und dad Wers
denfönnen äft nicht vor dem Allmächtigen, gleichwie in allem Gewordenen
das Werdenfönnen zuerft gefehen wird, fowohl das Werdenkönnen ſchlecht⸗
bin (simplieiter), deffen Anfang und Ende der Allmächtige ift, ald das
toncrete MWerdenkönnen von Diefem und Senem. Diefe Determina-
tion des Werdenkönnens geht von dem Schöpfer aus, ber in
feiner Allmacht allein zu beftimmen hat, daß das Werdenkönnen fo oder
lo werde. Und weil das Werdenkönnen nur dur den Allmächtigen de—
298
terminirt wird, fo ift jede Determination des Werdenkönnens in Dem,
was wird, nicht eine Determination ded Merdenfönnend von der Art,
daß der Allmächtige nicht machen fünnte, was er will; indem aber ein-
mal dad Werdenkönnen fingulär auf diefes Einzelnweſen eingefchränft
wird (contracta ad hoc), bildet es des fo Gewordenen Natur und
Subſtanz. |
Nennunddreißigſtes Kapitel.
Schlupf. ')
Da nichts geworben ift, was nicht werben fonnte und nichts fich felbit
machen kann, fo folgt, daß es ein dreifahes Können gibt: Maden
fünnen, Werdenfönnen und Gewordenjeinfönnen (posse fac-
tum). Bor dem Gewordenfeinfönnen ift das Werdenfönnen, vor dem
Werdenkönnen dad Macdenfönnen, Princip und Höhepunkt des Werden:
könnens iſt das Machenfönnen; das Gewordenfeinfönnen ift durch dad
Machenfünnen aus dem Werbenfönnen geworden. Da das Machenfön
nen vor dem Werdenkönnen ift, fo ift ed weder geworden, nod
fann ed ein Anderes werden. Es ift fomit Alles, was fein fann,
Es kann alfo nicht größer fein, und dies nennen wir das Größte, nod
Fleiner, und died nennen wir das Kleinfte;z auch kann es nicht ein Ande—
red fein. Es ift alfo die bewirfende, geftaltende und zum Ziele führende
Urfahe von Allen, da e8 Ziels und Höhepunft und Ende des Werben
fünnend und fomit auch des Geworbenfeinfönnens if. Indem Maden:
fönnen ift fomit Alles, was werden fann und was geworben ift, zum
Voraus (prioriter) enthalten. Das Werdenfönnen dagegen ift in
Allem, was geworden ift, das, was ed geworben iſt; denn nichts ift in
Wirklichkeit geworden, außer was werden Fonnte, nur ift es in einer an
dern Sinnesweife, in unvollfonmenerem Sein ald Potenz, in vollfomme
nerem als Wirklichkeit. Werdenkönnen und Gewordenfeinfönnen find ſo—
mit wejentlid (in essentia) nicht verfchieden, aber dad Machenfönnen
ift, obwohl es fein Anderes ift, doch als Urſache der Wefenheit
nicht die Wefenheit ſelbſt, denn die Weienheit ift das von ihm Ber
urfachte. Da aber das Werdenfönnen nicht das Gewordenfeinfönnen ift,
fo ift das Werdenkönnen nicht aus dem MWervenfönnen geworden, fondern
vor dem Wervenfönnen ift nichts ald das Macenfönnen. Aus Nichts
ift daher, wie man gewöhnlid fagt, das Werdenfönnen gewor-
den. Daher fagen wir, dem Macdenfönnen gehe nichts vorher, nicht aber
4) Diefes dritte Schlußwort ber legten bebeutenderen philofophifchen Schrift
Cuſa's beweist fein unermübliches Streben, das Syſtem in dem wichtigften Theile, ber
Lehre von dem Verhaͤlmiß Gottes zur Welt, zum feften Abfchluffe zu bringen.
299
dem Werdenfönnen. Da alfo das Werdenfönnen aus Nichts
durh das Machenkönnen hervorgebradt, nicht geworden iſt,
fo fagen wir, es fei erfhaffen. (De nihilo igitur posse fieri cum
sit per posse facere productum et non factum, creatum dicimus.) Da
wir nun das abjolute Machenkönnen den Allmäctigen nennen, jo fagen
wir, der Allmächtige fei ewig, nicht geworden, nicht erſchaffen, der nicht
zu Richt oder anderd werden kann, als er ift, weil er vor dem Nichts
und dem Werdenfönnen if. Wir verneinen auch Alles von ihm, was
die Sprache ald Namen in fih bat, weil dieſe erft dem Werdenfönnen
folgen. Der Name ſetzt das Werdenfönnen, d. i. Etwas, dad benannt
werden fann, voraus. Auch hat das Werdenfönnen feinen Ziel- und
Höhepunkt nur im. Machenfönnen; eben deßhalb wird es nie zu Nichte
werden (non annihilabitur); denn wäre Legteres, jo fünnte ed werden;
wie folkte alfo das MWervdenfönnen zu Nichts werden? Es ift jomit im—
merdauernd (perpetuum), da ed einen Anfang hat und nicht zu Nichte
werden kann, fondern fein Ziels und Höhepunkt auch jein Anfang ift.
Da nun aber von Demjenigen, was werden fann, Einiges das Erfte,
Anderes nah dem Erjten ift und dieſes nahahmt, jo ift jenes Erfte
(prima), da fein Werdenkönnen Wirflichfeit und complet ift, wie das
Verdenfönnen jelbft, immerdauernd. Im den dem Grften nachfolgenden
Dingen ift das Werdenfönnen nicht compfet und vollkommen, fondern nur
Nachahmung des Completen; daher find dieſe nicht immerdauernd, fondern
ahmen diefed nur nad; fie find daher unbeftändig und zeitlih ..... .
Hiemit glaube id nun den unvollfommenen und nicht vollftändig ges
läuterten Begriff meiner Jagd, jo weit ed mir möglih war, dargelegt
»ju haben. Sch unterwerfe Alles dem Urtheile eines Geiftes, der befler,
ald ich, in dieſe Tiefen eindringt.
Sichtung (Kritik) des Alchoran.
(De cribratione Alchoran.)
Pins II., dem oberften Heiligen Vater der ganzen hriftlichen Kirche
gewidmet,
Empfange, heiliger Vater! dieſes Buch, das Dein unterthänigfter
Diener im Eifer für den Glauben verfaßt hat. Wenn Du nad dem
Vorgange des dreimal heiligen Papft Leo, der die neftorianifche Häreft
mit apoſtoliſchem Geifte, engelgleihem Berftande und gottbegeifterten Wors
ten darniederwarf, die mahomedaniſche Secte, die aus jener entftanden if,
in demfelben Geifte, mit gleiher Ginfiht und Beredtfamfeit als irrig
und verwerflich darlegft, fo möge Dir diefe meine Schrift das nöthige Ma
terial zum fchnellen Gebraudhe zur Hand geben! Deinem Urtheile, der
Du der Erfte im Episcopat des Glaubens bift, unterwerfe ich mein Bud
und Alles, was ich geichrieben habe oder noch fchreiben werde, ja mid
ſelbſt, wie e8 einem Chriften geziemt, ganz und gar, mit dem Borfape,
in feinem Stüde je von Deinem apoftolifchen Throne abzuweichen.
-Borwort.
Ich gab mir die größte Mühe, das Geſetzbuch der Araber zu ver
ftehen, das id nach der Ueberfegung des Abts Peter von Elugny zu
Bafel befaß, ſammt der (aufgezeichneten) Disputation jener zwei vor:
nehmen Araber, von denen der Eine, ein Genoſſe Mahomeds, den Ans
dern auf feine Seite zu ziehen fuchte, welcher, gebildeter und von Anfehen
unter den Arabern, zeigte, man müſſe vielmehr am hriftlihen Glauben,
dem er fehr eifrig huldigte, fefthalten. Dabei waren noch einige ander
Schriften über die Abftammung Mahomeds und über feine 12 Nachfolger
in der Regierung, fodann über feine Lehren, gegen 100 Unterfuchungen.
Sch ließ das Buch bei Meifter Johann von Segovia zurüd und reist
nah Gonftantinopel, wo ich bei den Minoriten, die beim hl. Kreuz wob-
nen, einen Alchoran in arabifcher Sprache fand, den mir diefe Brüder in
einigen Punkten, fo gut fie fonnten, erflärten. In Pera, im Convent der
301
Dominikaner, fand ich eine Ueberfegung, ganz wie die, welche ih in Bafel
zurückließ. Ich erfundigte mich, ob ein Griehe gegen diefe Albernheiten
geihrieben habe und erfuhr, daß nur Johannes Damascenus, der kurz
nah der Entftehung diefer Secte lebte, einiges Wenige, wad man noch
hat, gefchrieben habe. Es war damals ein Kaufmann, Balthafar de
Luparis, in der Nähe von Gonftantinopel. Als diefer mein eifriges Nach—
forichen vernahm, fagte er mir, daß der Gelehrtefte und Angefehenfte unter
den Türken, der in Pera heimlih im Evangelium des hl. Johannes un-
terrichtet wurde, mit 12 angefehenen Männern zum PBapft zu reifen und
fih vollftändig unterrichten zu laffen beabfichtige, wenn ich ihnen heimlich
für das Geleite ſorgte. Ich erfuhr durch den Bericht der Brüder, daß
dem jo fei und gab ihnen das gewünfchte Geleite. Weil jener angefehene
Türfe die Aufficht über die Spitäler hatte, wollte er dieſe vifitiren und
fh dann zulegt heimlich an den Ort begeben, wo das Schiff zur Ueber
fahrt nah Rom fie erwartete. Allein die Peſt raffte ihn während der
Vifitation hinweg. Herr Balthafar, der jetzt als Kriegemann zu Bos
logna fih aufhält, fagte mir oft, daß alle ihre Gelehrte eine große Liebe
zum Evangelium haben und es ihrem Gefegbuche vorziehen. Ich munterte
endlih den Bruder Dionyfius den arthäufer auf, gegen den Alchoran zu
ſchteiben. Er that es und ſchickte fein umfaffendes Buch dem Papfte
Nicolaus (dem fünften). Später ſah ich zu Rom die Echrift des Bru—
derd Ricold aus dem Predigerorben, der dad Arabifche in Baldach (Bagdad)
fudirte und am meiften Beifall fand. Ich fah noch andere Fatholifche
Schriften von Brüdern über diefe Materie, befonders die des hl. Thomas
über die Vernunftgründe des Glaubens (de rationibus fidei) an den
Eantor von Antiohia, jüngft die Schrift des hochwürdigſten Cardinals von
Et, Sixtus, der die Härefien und Irrthümer Mahomeds mit einleuchten-
den Gründen widerlegt. Meine Tendenz geht dahin, aud aus
dem Alchoran die Wahrheit des Evangeliums nachzuweiſen.
(Ego ingenium applicui, ut etiam ex Alchoran Evangelium verum
ostenderem). Zu dem Ende ſchicke ich einen Furzen Vorbegriff voraus.
Wir wiffen, daß in ung ein Streben ligt, deffen Beweggrund (ratio)
und Ziel das Gute iſt . . .. Weil unfer Geift nicht dieſes Gute felbft
it, wornach er ftrebt, fo liegt es nicht in ihm, er kennt e& nicht, wohl
aber firebt er, es zu ergreifen. .... Da wir wiflen, daß nichts von uns
krer Vernunft erfaßt werde, was nicht durd den Einn in fie eingeht
(der Blinde hat feine Kenntniß von der Farbe), fo willen wir, daß jenes
Out niht aus der Region der finnlihen Welt ift und daß unfer Geift
in diefer Welt nicht zur Ruhe gelangt. Würde indeß die fihtbare Welt
unferm Geift nicht zur Erlangung feines Zieles behülflich fein, fo wären
wir umfonft in diefer Welt. Der Weg, den wir in diefer Welt zurüd-
302
zulegen haben, um uns zum Erlangen des erfehnten Gutes zu befähigen,
muß gleichfalls ein guter fein. Da es jedoch viele Wege geben
fann, welde gut fheinen, jo entftebt Zweifel darüber, wel—
bed der wahre und vollfommene Weg ift, der und zuverläffig
zur@rfenntniß des Guten hinführt. Diefes Gut nennen wir Gott,
um und zu verjtehen, wenn wir davon reden. Mofes hat einen folden
Weg beichrieben, aber nicht Alle haben ihn eingefchlagen und verftanden.
Ehriftus hat ihm aufgehellt und vervollfommnet, allein Viele find un
gläubig geblieben. Mahomed hat diefen Weg, damit ihn auch all
Götzendiener betreten möchten, bequemer zu machen gefucht, ward jedod
vom böfen Geifte irre geführt. Dies die merfwürbigften Befchreibungen
des genannten Weges, wiewohl ed noch andere von Philofophen und Pro;
pheten gibt. Alle gehen davon aus, das oft erwähnte Gut fei das größte
und daher. nur Eines, welches fie den Einen Gott nennen. Sie nennen
ihre Beichreibungen gut, weil diefelben wirklich oder vermeintlich von die
fem guten Gotte geoffenbart find. Es ift num aber Far: Da fein Menid
für fih (purus homo) ®ott begreifen fann, fo haben wir feine Ge
wißheit, daß ein purer Menfh uns den Weg zu einem ibm
unbefannten Ziele zeigen fann. Wenn weder Mofes noch Maho—
med während ihred Lebens auf Erden das genannte Gut geſehen haben,
(Bott hat noch fein Menſch gejehen), wie können fie dann Andern den
Weg zu ihm zeigen? Gefegt auch, fie hätten einige ihnen amvertrauft
Worte (immissos sermones) veröffentlicht, welche Gott und den Weg
zu ihm bezeichneten oder verfinnbilveten, fo hätten Doch weder fie noch ein
anderer Menſch dieſe Worte erflären (exponere) fünnen. Könnte ein
Menich diefen Weg offenbaren, fo müßte er der größte aller Menden
fein, wie died alle Nationen vom Mefftas zugeben. Wäre dieſer Menſch
nicht die allwiſſende göttliche Weisheit ſelbſt, durch die Gott Alles wirket,
fo könnte er nicht offenbaren, was ihm felbft unbekannt ift. Jeſus aber,
der Sohn der Jungfrau Maria, der Chriftus (Gefalbte), den Moſes und
die Propheten vorausgefagt haben, fam und hat jenen Weg, da er Alk
wußte, aufs Deutlichfte gezeigt, wie ed Mahomed felbft bezeugl.
Wer Ehriftus und feinen Wegen folgt, fommt zum Ergreifen des eriehw
ten Guted. Wenn alfo Mahomed in einem Punkte von Ehriftut
abweicht, fo muß dies entweder von Unmwiffenbeit, in der er
Chriſtus nicht gefannt und verftanden hat, oder von böfer
Abſicht herrühren, indem er die Menfchen nicht zu dem Ziele der Ruhe
hinführen wollte, zu welchem Chriſtus den Weg gezeigt hat, ſondern ins
dem er unter dem Vorwand jenes Zieles nur feine VBerherr
lichung ſuchte. Daß wir Beides annehmen müffen, wird eine Ber
gleihung des Geſetzes Ehrifti mit dem Geſetze Mahomed®
303
jeigen. Wir werben baher daran fefthalten müflen, daß die Unwiſ—
ſenheit die Urfahe des Irrthums und der Bosheit fei. Niemand, der
Chriſtus kennt, ſtimmt mit ihm nicht überein oder entzieht ihm etwas von
kiner Ehre.
Meine Abficht Ift, unter Borausfehung des Evangeliums
Ehrifti, das Bub Mahomeds zu fihten und zu zeigen, daß
ih aud in diefem Buche alles Das finde, wodurd das Evan-
gelium, wenn ed diejed Zeugniffes bedürfte, ausnehmend
beftätigt würde; daß aber, wo diejes Bud vom Evangelium
abweicht, diefes aus der Unwiſſenheit Mahomeds und in
Folge hievon aus verfehrter Abfiht desjelben entftanden fei,
indem Ehriftus nicht feine Ehre, fondern die feines Vaters
und das Heil der Menſchen, Mohamed nicht Gottes Ehre und
das Heil der Menden, fondern feine Ehre ſuchte.
Zweites Borwort,
(Ueber die Entſtehung des Alchoran, im DVerhältniffe zum Neftorlanismus.)
Der vornehme chriftlibe Araber, von dem ich oben ſprach, gibt an,
der aus feinem Klofter audgeitoßene Mönch Sergius ſei nah Mecha
(Mekka) gefommen, wo er zwei Völker: Gögendiener und Juden ange
noffen habe; er habe hier den chriſtlichen Glauben nad der Lehre des
Reftorius gepredigt, um feine neftorianischen Brüder ſich wieder zu vers
jöhnen, wie er denn alle Gößendiener zum Glauben befehrt habe. Dars
unter war auch Mahomed, der vom Götzendienſte befehrt als neftorianis
ſcher Ehrift geftorben if. Allein drei ganz verſchmitzte Juden ſchloſſen ſich
an Mahomed an, um ihn vom Chriftenthum abwendig zu maden; fie
gaben ihm verfchiedene fchlimme Rathſchlaͤge. Als nun nah dem Tode
Mahomed alle zu feinem (dem neftorianifch schriftlichen) Glauben übers
gingen, machten fi diefe Juden an Hali's Sohn, Habitalir, weldem
Mahomed feine Schriften (collectiones) überlaffen hatte, und beredeten ihn,
er möchte auh wie Mahomed ald Prophet auftreten; fie thaten nad
Willführ am Bude Mahomeds davon und dazu. Mahomen fcheint an-
fangs durch Sergius einen feften Grund im chriftliden Glauben erhalten
zu haben® und die Juden vermocten ihn von diefem Wege nicht abzus
dringen. Um jedoch ihr Möglichites zu thun, machten fie ſolche Zufäge,
da Mahomed als Stifter einer eigenen Secte erfdien, Die dem alten
Zeftamente nicht minder ald dem Evangelium Glauben ſchenke. Sergius
batte e8 (wie der oben erwähnte Gewährdmann berichtet) bei ihm vers
mocht, daß er im Nichoran die Ehriften, namentlich die Ordensmänner
und Briefter, ald größere Freunde, ald die Juden bezeichnete. Gleihwohl
304
verfpottete er fpäter, von den Juden verleitet, die Ehriften, weil diefe ihre
Prälaten und Päpfte an Gotted Statt verehrten. Das fommt daher,
weil die Ehriften fie mit einem Namen bezeichnen, mit welchem nur Gott
bezeichnet wird, nämlich Herr, ein Name der nur Gott gebührt. Denn im
Erodus fteht: der Herr ift Gott. Es erwähnt auch Mahomed einmal die
zehn Namen Gottes, unter welchen au der Name 972° ifl, welcher Herr
bedeutet; ein unausfprechlicher Name wird durd 972° bezeichnet, gelelen
und ausgedrüdt. Daher wird im Alchoran nur Bott, auch nicht Ehriftus
und Maria diefer Name beigelegt. Weil nun die Ehriften Chriftus den
Herrn Jeſus und Maria die Herrin (domina) nennen, fo follen fie fie
deßhalb an Gottes Statt verehren. Wie er fih hütet, Niemand außer
Gott den Namen Herr zu geben, fo hütet er fih auch, Gott den Namen
Vater zu geben; er verfteht unter Gott den, der Alles macht, was er
will, daher eignet ihm nicht der Act der Zeugung (generationis). Wenn
Mahomen von den Chriften günftig fpricht, fo verfteht er darunter die
weiß Gekleideten (fo nennt er feine Schüler) und die Neftorianer, deren
Irrthum er nicht einfah, während er feine andern Chriſten kannte. Neftos
rius nahm das ganze Evangelium an, in Chriftus einen Leib, Seele
und Gottheit, nur in der Art der Vereinigung irrte er. Er gab zu, daß
Leib und Seele in einer natürlichen Einigung zu einem wahren Menicen
(in Ehriftus) verbunden feien, diefer Menfch aber fei mit der Gottheit
durch die Gnade geeint, nicht durch die allgemeine Gnade, welde alle
Guten mit Gott vereint, fondern durch die Fülle der Gnade, durch welde
Gott und der Menfh Zefus nur Einen Willen baben, um welder
ganz ausnehmenden (excellentissimam) Gnade Willen von Chriftus In
Wahrheit gefagt wurde, er fei der Sohn Gottes. Er gab aber nicht
zu, daß Maria die Mutter Gottes fei, weil, was Chriftus von jeiner
Mutter annahm, nicht Gott zufommt (non convenit Deo). So meintt
er, die menſchliche Natur fei in Ehriftus vergöttliht worden deificatam
esse). Da aber das Evangelium fagt: dad Wort Gottes iſt Fleiſch ge
worden, nicht: das Fleiſch ift das Wort Gottes geworden, fo verwarf
die Kirche jene Auslegung im dritten und vierten allgemeinen Concil und
gab der Mutter Jeſu den Namen Heöroxog, Gottesgebärerin. Die Ne
ftorianer Iehren die ewige Zeugung (des Sohnes aus dem Vater). Da—
her ſcheint es, Mahomed habe nichts gegen die heiligfte Dfeifaltigkeit
fchreiben, fondern nur die Wahrheit der Götter verwerfen wollen. Hätte
Jemand Mahomed gefragt: in welder Geftalt würde Gott an die Men
fhen einen Gefandten, der mehr als ein Engel ift, gefendet haben? er
hätte gewiß geantwortet: einem Engel und einem Wefen, das mehr ale
ein Engel ift, würde er die menſchliche Geftalt gegeben haben. Run
ſchicte er aber nach Mahomed ſelbſt Ehriftus, den er das Wort Gotted
305
und den Sohn Mariä nennt. Da nun das Wort Gottes nothwendig ders
jelben Natur ift wie Gott (denn Alles, was Gottes ift, ift Gott — omnia
enim Dei Deus sunt — wegen feiner einfachften Natur), fo hat Gott,
wenn er den höchſten Geſandten fenden wollte, fein Wort gefendet, über
welches hinaus es feinen größern Gefandten gibt. Weil er ihn an die
Menfhen fandte, jo follte er die reinfte (mundissimam) menſchliche Natur
annehmen, was in Maria der Jungfrau ſich vollzog, wie man öfter im
Alchoran leſen kann. Es wird alfo nit ſchwer fein, im Alchos
ran die Wahrheit des Evangeliums zu finden, obwohl Ma-
hbomed felbft vom wahren Verſtändniſſe desfelben weit ent»
fernt war.
Nicht zu überjehen it au, daß die Kapitel der Sanımlung im ger
nannten Geſetzbuche der Araber nicht ein zuſammenhängendes Ganzes bilden ;
jedes bildet ein Ganzes für ſich. Es ift ein -eigenthümlicher Rythmus
oder metrifches Gedicht (carmen bene mensuratum — die Guren). Der
Gompilator legte das größte Gewicht darauf, durch glänzende Darftellung
zu feffeln, zur Bewunderung binzureißen und fo feine Echriften als gött-
lihe Eingebung erjcheinen zu lafien. Man wird mir daher verzeihen,
daß ih micht immer eine rechte Ordnung einzuhalten jcheine, wenn ich
den Inhalt des überaus confufen Buchs beiprece.
Erſtes Dud.
1
Ueber den Alchoran, und daß der wahre Gott nidt der Ur
heber desfelben fei.
Dad Geſetzbuch der Araber hat den Namen Alchoran, weldes:
„Sammlung der Gebote” und Alfurfam, weldes die „Eintheilung in
Kapitel” bedeutet. Es hat auch noch andere Namen. inige Erflärer
fügen, es habe im Driente eine andere Eintheilung, ald in den abend:
ländiihen Gegenden. Die Occidentalen fagen, ed enthalte nad dem vors
ausgehenden Gebete, weldes „die Mutter ded Buchs’ genannt wird,
123 Azoren (Suren) oder Kapitel. Nach den Drientalen geht die erfte
Aore bis: Soretamram, welches das fünfte Kapitel in der fpanifchen
Ausgabe iſt. Ich habe das Bud, wie man es in Epanien in lateinijicher
Ueberſetzung hat, gelefen; nad) diefer Ueberfegung citire ich.
Sqarpff, Nic. v. Gufa. 20
306
Dieſes Buch fcheint apofryph zu fein. Nah einigen Arabern bat
ed Muhamed, ein Araber aus dem Gefchlehte Ismael, verfaßt. Nah
Andern behauptete Mahomed, es ſei durch fünf Männer vom Himmel
herabgefommen. Wieder Andere laffen nah dem Tode Mahomers vier
verſchiedene und ſich widerfprehende Alchorane durd vier Gegner, deren
Namen fie angeben, verfaßt werden, Einige jagen, der jegt gebräuchliche
Atchoran fei von Merba, einem Eohne Elheken's verfaßt, die andern Al
chorane habe er verbrannt. Elgag, ein angefehener Mann, foll 85 Sen
tenzen aus dem Buche genommen und eben jo viele andere am deren
Stelle gefegt haben. In der Ehronif Mahomeds und der ihm folgenden
Ghalifen Iefen wir, Gomar, der zweite Ehalife nah Mahomed, habe Gr
bete in allen Tempeln für den Monat Remadam angeordnet, der Alchoran
folle in diefem Monate ganz durdhgelefen werden. Ihm folgte Dobiner,
der mit Hülfe Anderer zuerft ven vollftändigen Alchoran gefammelt bat.
Hieraus erhellt, daß, wenn gleih Mahomed einige Gebote aus dem alten
Teftamente und dem Evangelium gelammelt bat, welche Gebote Gottes
oder Alchoran genannt wurden, das Bud in feiner Vollſtändigkeit dod
erft nach dem Tode Mahomeds zufammengeftellt wurde.
Das Buch fügt im erften Kapitel: „Jeder Gegner Gabriels, der
dieſes Buch deinem Herzen durd den Schöpfer anvertraut, — — dus
Buch ift Fraft göttlihen Befehls deinen Händen anvertraut” x. ıc. Diet
Worte findet man ald angeblihe Worte Gottes fehr oft im Bude;
nach ihnen fol nur Bott der Schöpfer der Verfaſſer des
Buchs jein
Allein nah den gelehrten Arabern und der wahren Geſchichte, nad
dem Buche ſelbſt und feinem Namen ift ed eine Sammlung einiger Bor:
ichriften, die in feiner Weife dem wahren Gotte zugejchrieben werden
fann. Woher follte er fammeln, der die Weisheit felbft ift? Eine Samm-
lung, die nur allmählich in der Zeit entftehen kann, kann nie Gott zus
fommen, deſſen Wirken über aller Zeit, ohne ein Nacheinander if. Wem
fann fie allein zugetheilt werden, ald einem Menſchen, der aus verfchiedenen
Schriften eine Sammlung macht und dem Gefammelten einen beliebigen
Namen gibt? Daher fagen einige verftindige Bertheidiger des Buchs,
die Sammlung fei eine menſchliche, fie fei aber eine vertraulide Ein
gebung Gottes mittelit ded Engeld Gabriel (intimationem vero Dei per
Gabrielem esse). Das Legtere fann aber unmöglib wahr fein. Denn
das Buch enthält Dinge, die wegen ihrer Schändlichfeit, Ungerechtigkeit,
Erlogenbeit und ihrer Widerfprühe Gott ohne Gottesläfterung nicht zu—
geichrieben werden fünnen. Gin Anderer ald der wahre Gott muß der
Urheber fein; es fann nur der Gott diefer Welt fein. Grit
ed, der die Ungläubigen verblendet, daß das Licht des Evangeliums der
307
Glorie Ehriftt, ver das Abbild des unfichtbaren Gottes iſt, fie nicht bes
ſcheine. Da ihnen das Evangelium verborgen bleibt, find fie verloren,
wie der Apoftel an die Korinther ſchreibt. Diefer faliche Gott, der Fürft
diefer Welt, der Lügner von Anfang an, hat durch einen feiner Engel,
der die Gejtalt des Lichts und vielleicht den Namen Gabrield ange:
nommen hat, hat durch Mahomed, den er ald einen Gögendiener, Ders
ehrer der Benus (Wolluft) und aller Weltfreuden biezu am tauglichten
fand, fowie durch deſſen Nachfolger den lügenhaften Alchoran gefammelt
und hat dem Sammler häretiſche Ehriften und verkehrte Juden als pafjende
Rathgeber beigejellt. Dahin gehören der Neftorianer Sergius, der Jar
cobite Baheira, die Juden Fineed, Abdia, mit Namen Salon, ſpäter
Abdalla genannt, was die wahre arabifhe Geſchichte nachweist. Wie:
wohl dad Bud viele Zeugniffe zum Lobe des alten und neuen Teftaments,
ded Abraham, Moſes, vorzügli Jeſu Ehrifti, des Sohnes der Jungfrau
Maria zu enthalten jcheint, fo muß mau doch, da es dieſem Allem, wenn
man auf einen wahren und heiljamen Endzwed hinſieht, widerſpricht (wie
fih nachher zeigen wird), annehmen, diefes Lob fei mehr zum Täufcen
geipendet worden,
2.
Was enthält der Alchoran nah den Robrednern dejfelben?
Die Anhänger Mahomeds jagen, der Alchoran fei in guter Abficht
geihrieben, er enthalte, wie Mahomed, ein Waife, Gögendiener, arm, des
Geſetzes und der Schrift ganz unfundig, der nur die arabifche Volksſprache
verftand und viele Weiber hatte, von Gott Gnade erlangt habe, reich,
hochherzig (magni cordis), gewandt im Verftändniß fchwieriger Dinge
und berühmt geworden fei. Gott felbft hat ihm zum Lehrer des unges
bildeten arabiſchen Volkes aufgeftellt, ald feinen Gejandten und Propheten,
jedoch ohne offenfundige Wunderfraft. Er follte die Araber vom Irrthum
des Göpendienftes zum wahren Leben führen. Gott offenbarte ihm, er
ſolle den Glauben Abrahams, des Gerechten, der fib vom Götzendienſte
wegfehrte und den Einen Gott und Schöpfer des Als anbetete, annehmen
und auch feine Araber hiezu vermögen, jedoch ohne allen Zwang, er ſolle
Gott verkünden als den Einzigen Schöpfer und Negenten der Welt, der
alles Gute verleiht, allmächtig, Herr des Lebens und des Todes, weile,
unförperlich, unbegreiflih, unbegrenzt, gnädig und barmherzig, voll Ers
barmen gegen alle Gläubige, die ihn anbeten und anrufen. Am Tage
des Ihredlihen Weltgerichtes, des Weltendes, wird er die Todten mit der
Leichtigkeit, mit der er den Menfchen erfchuf, auferweden, Gute und Böje
beiden; den Gläubigen wird er nad ihren Verdienften ein ewiged Pa-
radies aller Genüffe, Erfüllung aller Wünfche und das befte Leben, den
20°
308
Ungläubigen und Böfen nad ihrem Mißverdienfte (demerita) die Gehenna
und ewige Strafe geben. Das Bud Alchoran fei vom Himmel herab-
gefommen; die Mutter und das Fundament defielben fei der vornenan
ftehende Glaube an Einen Gott und an das Gelangen Aller vor fein
ſchreckliches Gericht. Das Uebrige im Buche feien theild Beweile für
jenen Glauben, theild Geſetze, melde pie gläubigen Araber zu beob-
achten haben, wenn fie in der Gnade Gottes verharren und einft den
Lohn im Paradiefe erlangen wollen. Alle Anhänger dieſes Glaubens
heißen Muffilmannen, d. i. Männer des rechten Glaubens (sanae fidei),
fie mögen Menfchen, Engel oder Dämonen fein. Diefer Glaube fei zur
Seligfeit nothwendig, alle Bropheten ftimmen in ihm überein. Gott habe
allen Völfern auch einheimiſche Boten (nativos nuncios) gefendet, welde
fie über den Glauben und die Gebote belehrt hätten.... Wenn daher durd
diefe verfchiedenen Boten Gottes bei den verfchiedenen Wölfern neben der
Einheit des Glaubens verfhiedene Ritus und Gefege ſich finden, fo fönne
dies fein Hinderniß bilden, von dem gütignen und gerechten Richter den
gebührenden Lohn zu erlangen. Als Bropheten und Boten Gottes, denen
man Glauben jhuldig war, zählt Mahomed auf: Abraham, Jemael,
Sfaat, Jakob, Moſes, Ehriftus und mehrere Andere.
3.
Was enthält der Alchoran nad dem Urtheile der
Verſtändigen?
Wer von den Arabern und Chriſten durch die Gnade Gottes Voll⸗
fommenheit erlangt hat, weiß wohl, daß der Alchoran unter dem Vorwande
der Bertilgung des Gögendienfted lehrt, Ehriftus fei weder der Sohn
Gottes, noch fei er gefreugigt worden. Died fcheint die Haupttendenz des
ganzen Buchs zu fein. Denn nur diefer Glaube befiegt den Teufel und
die Welt, nur diefer Glaube vermag das unfterblihe Leben im geiftigen
und unzerſtörlichen Himmelreihe zu verleihen. Durd Aufhebung dieied
Glaubens ſucht Satan das Evangelium ganz auszurotten, wie wir dent
leider fahen, daß ſchon viele chriftliche Reiche vom wahren Glauben Chriſti
abgefallen find und das arabifche Gefeg angenommen haben. Wir willen
jevoh fowohl aus dem Evangelium ald aus dem Alchoran, daß Maho—⸗
med nicht dad UWebergewicht erlangen könne; Ehriftus wird zulept
fiegen. Viele Chriften unter arabijchen Fürften dienen Chriftus nur um
jo treuer, und unzählige Ehriften find wieder zurückgekehrt. Viele Araber
geben fih nur aus Furcht vor dem Schwerte für Anhänger jenes Olaus
bend aus; in der Todesftunde befennen fie fih als Chriften; zulept
werden died Alle thun.
309
4.
Mo der Alchoran der heiligen Schrift widerfpridht, verdient
er feinen Glauben.
Ein Gelehrter macht darauf aufmerffam, Mahomed, der außer der
arabifchen feine Sprache verftand, nicht leſen und fchreiben fonnte, müffe
Juden und Ehriften an der Hand gehabt haben, welde ihm auf Arabiſch
den Inhalt des alten Teftaments und Evangeliums angaben.... Als man
ibm aber diefe Belehrung durch Andere vorhielt, fiel er auf fein Angeficht
nieder, feine Hände und Füße zogen ſich framphaft zufammen und feine
Genoſſen bededten ihn mit ihren Gewändern. Als er wieder zu fich fam,
ſagte er: Gott hat es zugelaffen euch zu ftrafen wegen diefer eurer Rede.
Er las eine Sentenz aus der Sure Eluael, d. i. die Palme, welche beißt:
„Wir wiffen, daß fie fagen werden: ed wird ihn einer in perſtiſcher
Sprache unterrihten.” Das Nrabifche ift aber die Mutterfprache des
Perſiſchen . . Daher ſprach er: wie fann man fagen, jene belehrten mic,
von denen der Eine ein Perſer, der Andere ein Hebräer iſt? worauf
man ihm erwiederte: ift ed möglih, daß fie in ihrer Eprade mit dir
reden und dir erklären, und du im deiner Sprahe Alles richtig ftellft?
Darauf wußte er feine Antwort. Siehe, Mahomed ift von Berfchiedenen
belehrt worden! Da zur Zeit als Mahomed auftrat (624 nad Ehriftus
unter Kaifer Heraflius) bereits viele Härefien aufgetaucht und auf Synoden
verworfen waren, fo ift es wahrfcheinlich, daß zu ihm Mehrere kamen,
welhe den reinen Sinn der heiligen Schrift mit den Neuerungen ihrer
minder wahren Anfichten, das alte Teftament mit Talmudifhen Sagen,
das lautere Evangelium mit apofrypben Büchern vermiſcht hatten und num,
wie e8 ihnen gutdünkte, dem Mahomed berichteten. Daher und aus der
poetiichen Schreibart fei ed gefommen, daß das Geſchichtliche im
Alchoran felten mit dem Gefhichtliden des alten Teftaments
und Evangeliums übereinftimmt. Hiegegen führt freilich Mahomed
iu feiner Rechtfertigung an, er fei mur von Gott belehrt, und fagt im
25. Kapitel: „Wenn ein Wort mit einem andern vertaufcht ift, fo jagen
die Ungläubigen fogleib: du bift ein Lügner, da du fo fehr in den Worten
ſchwankeſt. Das verftehen fie aber nicht; denn Gott felbft und der heilige
Geiſt haben diefes ganz wahre Buch verfaßt.“ Allein diefe erdichtete und
lügenhafte Entjhuldigung genügt nicht, um das Schwanfen des Verfaffers
ju verbergen (quia libri compositor varius reperiatur), was von dem
wahren und unveränderlihen Gotte ausgefagt, Blasphemie wäre. So
jagt der Alchoran, die Jungfrau Maria, die Mutter Jeſu, fei die
Schweſter Aarons und die Tochter Amrams. Gewiß hat der, welder
Died Mahomed angab, geirrt und das Wahre nicht gewußt, da Maria,
310
die Tochter Amrams, die Schwefter Moſis und Aaron's, vor mehr als
1000 Zahren geftorben ift, während nad demfelben Alchoran Maria, die
glorreihe Mutter Zefu zur Zeit des Zacharias, des Vaters Johannes
des Täufers lebte. Gin Bub mit folden Irrthümern fann nicht ein
MWerf Gottes fein. Nach der Erzählung in Kapitel 35 kam Mofes zu
Pharao und diefer fagt, er habe ihn im feinem Haufe ermährt. Allein
jener Pharao, welcher Moſes ernährt hatte, war, ald Moſes nad
Aegypten zurückkehrte, längft geftorben. Erod. 4. Mofes war 40 Jahre
in Madian, und während diefer Zeit ftarb jener. Man kann alfo den
Inhalt des Nlchoran nicht als Gottes Wort anfehen, wenn er mit
frühern, durch Gott überlieferten und durch den Alchoran felbft angenom-
menen Schriften nicht harmonirt.
5.
Das Evangelium hat den Borzug vor dem Alchoran.
Im fünften Kapitel des Alchoran heißt es: „der gütige und barm-
herzige Gott, der lebendige und höchfte, außer weldyem es Feinen andern
gibt, ift es, der zuerft das alte Teftament, nachher dad Evangelium als
rechten Weg den Menfchen gegeben bat, zulegt das wahrhaftige Bud Als
furfam zu Befräftigung eures Geſetzes von Oben euch mitgetheilt hat.
Diefes Buch enthält einige feitftehende und umwiderleglihe Worte“ ıc, x.
Eiche, wie alted Teftament und Evangelium die rechten Wege genannt
werden und der Alchoran felbft dies beſtätigt! . . . Wo diefer alfo mit
jenen Beiden nicht übereinftiimmt, muß man fich auf Seite der letztern
ftellen. Zu beachten ift ferner Kap. 12, wo es heißt, Gott habe den
Juden erklärt: „Chriftus ift ver Sohn Mariens, welchem ih das Evan
gelium anvertraut, welches das Licht und die Kraft des alten Teftaments,
der rechte Weg der Gottesfürdhtigen iſt; zur Erfüllung eures Geſetzes habe
ih ihn geſendet.“ Anderswo nennt er dad Evangelium hellleuchtend
(lucidum), einmal fogar glanzvoll (splendidissimum). Wenn dem fo if,
fo findet fih im Alchoran nihts, was zur Seligfeit notb
wendig ift, über das hinaus, was das Evangelium enthält;
was nah dem Alchoran zur Eeligfeit nothwendig ift, ift dem Evangelium
conform. Gin frommer, der arabifhen Sprache mächtiger Mann, der in
Baldach (Bagdad) den Alchoran ftudierte, fagt, in dem Kapitel „Elmeide*
ftehe: „Wir haben den Fußftapfen der Menfhen dur Jeſus, den Sohn
Martens, der überaus wahrheitsliebend ift, eine beftimmte Richtung und
ihm das Evangelium gegeben, das eine Richtſchnur, ein Licht und offen
bare Wahrheit ift.” Daraus erhellt, daß der Alchoran die Araber an
das Evangelium weile. Denn es ſteht im Alchoran: „Man foll wiſſen,
daß die Gefegesmänner die Vollfommenheit feines Gefeges oder Glaubens
311
erreichen, außer bie des alten Teſtaments und Evangeliums; fie ſollen daher
den Geboten diefes von Bott gegebenen Buches gehorchen“. Dies kann
nur von den Juden und Arabern, welche die Männer des Geſetzes find,
gemeint fein. Im 70. Kap. wird erwähnt: „Alle Guten follen Gott
dienen, wie ed Jeſus Chriftus, der Eohn Mariens, gelehrt hat“. Wenn
alfo Die guten Ehriften diefen Geboten des Alchoran nachkommen, fo vers
dienen fie gewiß von den Berehrern des Alchoran feinen Tadel.
6.
Das Evangelium ift das Verſtändniß (lux) der Wahrheit des
Alchoran.
Es läßt fih vom Aldoran nicht jagen, er fei in fich genügend und
der rechte Meg, außer fofern das Evangelium in ihm enthalten iſt; nur
Das im Alchoran fann das Berftindniß der Wahrheit und des rechten
Weges genannt werden, was mit dem Evangelium übereinftimmt. Der
Verfaffer des Alchoran war über das Evangelium nicht im Ungewiflen;
er führt zufammenhängende Stüde aus demfelben an, 3. B. wie, ale
Ehriftus die Parabeln erklärte, Einige von ihm weggingen, von dem Ge:
treideforn, von dem Blindgebornen ıc. Da das Evangelium mehrere hun:
dert Jahre vor Mabomet der Welt befannt geworden und bi heute un.
verändert geblieben ift, fo muß man fih wundern, daß die Araber nicht zum
Verftändniß des Alchoran das Evangelium lefen und ftudieren, wie denn auch
viele Gcbildete unter ihnen heimlih dem Evangelium die größte Verehrung
erweilen, da fie ohne dasſelbe nichts Gutes aus dem Alchoran entnehmen
können. Würden aber die heiligen und wahren Bücher ded Evangeliums
Öffentlich gelefen, fo würde das Falſche des Alchoran aldbald entvedt
werden... . Das Schöne, Wahre und Herrliche, das ſich im
Alchoran befindet, ift ein Strahl ausdem Sonnenglanze des
Evangeliums (si quid pulchri, veri et clari in Alchoran reperitur,
necesse est, quod sit radius lucidissimi Evangelii). Das ficht man erft
ein, wenn man nach Refung des Gvangeliums fih an den Alchoran macht.
Woher hat diefer die Weltverachtung, den Vorzug des fünftigen Lebens,
Ueberzeugung von der Gerechtigkeit und den Werken der Barmherzigkeit,
Liebe Gottes und des Nächſten, Aufopferung des Vermögens, ja ſelbſt
der Seele für Gott? Woher hat er den Glauben, ſterben für Gott ſei
ewiges Leben? Woher haben Liebe zur Tugend, Verbot des Wuchers,
Mordes, Meineides, der Hurerei, der Begierde nach fremdem Gute im
Alchoran ihren Glanz erborgt, wenn nicht durch die Vollkommenheit des
Evangeliums? Warum wird Vieles, was der Alchoran dem Einnengenuffe
verheißt, als Werk der Finfterniß, als häßlich und gering felbft von ara-
biſchen Gebildeten betrachtet, als weil es zu den Verheißungen des Evan—
312
geliums durbaus nicht ftimmen will? Die Sonne des Evangeliums
leuchtet aus dem Alchoran heraus, felbft gegen die Abficht des Urhebers,
für die, welche den Geift Ehrifti haben, freilich nicht für den jchlüpfrigen
Mahomed und jene Antichriften, welche diefe Welt der fünftigen vorziehen
und nichts für gut halten, was nicht ihre Begierden befriedigt. Sie
meinen, Gott, der Urheber des Alchoran, genehmige ihre verdorbenen
Gelüfte und beachten nit, daß nichts wahr ift, was dem Evangelium
widerftreitet.
T.
Die ſchöne Sprache beweist nicht, daß der Alchoran ein Werk
Gottes ſei.
Niemand darf ſich durch die Behauptung berücken laſſen, der Alchoran
könne nicht von Menſchen, nicht von Dämonen, ſondern wegen ſeiner
ausnehmend ſchönen Sprache nur von Gott herrühren. Geſetzt auch,
Mahomed habe dieſe Gabe gehabt und man ſchließe daraus, das But
fei ein Geſchenk Gottes, fo folgt daraus keineswegs, daß Alles, was in
ihm fteht, das Wort Gottes fei, der wahrhaft und fih gleichbleibend if.
Nun Shwanft aber der Alchoran, wie wir gejchen haben, in feinen Ans
gaben über das alte Teftament und Evangelium. Daß aber fchöne Wort:
ftellung noch nicht auf die Wahrheit des Gefagten fehließen läßt, erhellt
aus dem dritten Kapitel des Alchoran, wo zu leſen ift: „Süßtönend:
Worte, die mit dem Herzen nicht übereinftimmen, rufen Gott, den Her
zendfundigen ald Zeugen an, und da fie dem Redenden Verderben, dem
Volfe Schande bringen, fo mögen fie mit den Strafen im Abgrunde der
Schenna gezüchtigt werden.” Wollten wir zugeben, die Abficht des Al:
choran fei, wie feine Anhänger fagen, Gott dem Schöpfer, Ehriftus und
den Propheten nicht nur nichts zu entziehen, fondern vielmehr deren Ehre
zu erhöhen und zu befräftigen — wovon freilich der Alchoran an vielen
Stellen das Gegentheil enthält, — dann freilich könnte die Lectüre des
Alchoran einigen Nugen gewähren. Liest man das Leben Mohameds
im Alchoran, jo ſieht man fogleih, es fei durch göttliche Zulaffung def
halb gefchrieben, damit erhelle, e8 halte mit Chriſtus, Mofes und andern
Propheten feinen Vergleich aus, viel weniger habe «8 einen Vorzug.
8.
Die Verehrer Ehrifti werden (auch nad dem Alchoran) allen
Andern vorgezogen.
Der Alchoran gibt zu, daß die Verehrer Chrifti allen Andern vor
gezogen werden, da Chriſtus über allen noch fo heiligen Propheten ſtehe.
Der Gott des Alchoran fagt Kap. 4: „Während ich einen der Propheten
313
über den andern erhoben und mit einigen berfelben felbft gefprochen habe,
jo habe ich Ehriftus, dem Sohne Martens, meine eigene Seele verliehen,
und ihm dadurch Kraft und Macht vor allen andern gegeben.” Wenn
wir alfo alle von Gott uns gefchidten Propheten hören und ihnen folgen
müffen, fo gilt dieß in vorzüglichem Grade von Ehriftus. Ein andersmal jagt
der Alchoran, Chriftus habe gefagt: Denen, die Gott fürchten, follen wir
folgen; denn durch Anbetung meines und eures Gottes fehreitet ihr auf ber
rehten Bahn. An einer andern Stelle heißt es: „die und verliehene gött—
liche Wahrheit zeigt dem Wanderer den rechten Weg, deſſen Betretung
die Seligkeit, deffen Verlaffen Nachtheil bringt.“ Die göttlihe Wahrheit
it aber durch Chriftus im Evangelium offenbar geworden.... Dann
wieder: „Alle Guten dienen Gott, wie Jeſus, der Sohn Mariä, und aufs
fordert, wenn er die Männer mit weißen Kleidern fragt: wer wird mir
beiftehen, indem er mir nachfolgt? worauf jene antworteten: „Wir.“ Einige
der Söhne Iſraels glaubten, die wir weit über die ungläubig Geblies
benen erheben.
Wir haben nun hinlänglic aus dem Alchoran gezeigt, man müffe viels
mehr Chriftus als Mahomed, dem Evangelium ald dem Alchoran folgen.
9,
Mit Unrecht nennt der Alchoran die Ehriften Ungläubige.
Da du, Verfaffer des Alchoran, nur eine Vielheit von Göttern vers
wirft, warum nennft du die Chriften, welche an Chriſtus ald den Sohn
Gottes glauben, Ungläubige? Sagt nicht der Alchoran, nachdem er wie
derholt verneint, daß Gott einen Eohn habe, im 32. Kapitel: „Gott hat
nicht einen andern Gott zum Sohne oder Genoſſen angenommen“, wo—
mit er ſelbſt zugibt, die Chriften feten nicht ungläubig, wenn fie fagen,
Chriftus, der Eohn Gottes fei nicht ein anderer Gott. Soferne näm—
lich Genoſſenſchaft, Sohnſchaft der Ehre Gottes nichts entzieht, will der
Achoran Gott, der die abfolnte Vollkommenheit ift, nichts entziehen; nur
loferne jene Worte vom Sohne Gottes einen andern Gott bedeuten wür—
den, entziehen fie — nad) dem Alchoran — Gott dem Schöpfer feine Ehre,
weil er fie mit einem andern Gott zu theilen hat. Gott der Schöpfer
bleibt nicht Gott, wenn ihm nicht alle Ehre zufommt. Mehrere Götter
find fo viel als — fein Gott, da jeder von ihnen der höchftmöglichen Ehre
entbehren würde. Chriften und Juden erheben hiegegen feinen Wivers
hrud. Wenn aber der Alchoran fagt, Mahomed fei zu den götzendiene—
riſchen Arabern gefandt, um fe zur Anbetung Eines Gottes zu führen,
warum verfolgt er die Chriften, die weder Araber find, noch an mehrere
Götter glauben? Die Ehriften verdienen gewiß feinen Tadel, wenn fe den
Schöpfer der Welt Vater nennen. Der Alchoran hat aud im Grunde
314
hiegegen nichts zu erinnern, es fcheint ihm nur ungereimt, daß die Menfhen
ſich Kinder Gottes (filios Dei) nennen; denn er fagt Kapitel 12: „Wenn
ihr Juden und Ehriften die geliebten Kinder Gottes feid, warum beftraft er
euch, wenn ihr fündiget? Gewiß feid ihr alfo nicht mehr als andere
Leute.“ Er ſcheint vorauszufegen, als wäre die Kindſchaft eine Gleih-
heit der Subftanz (consubstantialitas). Will man dies nicht jagen, Te
hat er nichts einzuwenden. Da im alten Teftamente und Evangelium
nirgends fteht, Ehriftus oder fonft Jemand werde in dem Sinne Sohn
Gottes genannt, ald wäre er ein anderer Gott, ald Gott der Vater und
Schöpfer, jo braucht auch fein Chrift die Behauptung des Alchoran zu
widerlegen, Gott fünne feinen Sohn annehmen, weder von einem Weibe,
noch durch Annahme des vornehmften Geichöpfes ald Sohn. Die Ereatur
fann nie gleiher Natur mit dem Schöpfer fein. Wenn aber der
Alchoran negirt, Ehriftus fei der Sohn Gottes, jo frage ih dich, Sklave
des Alchoran (subditum libro Alchoran): Warum foll der Meſſias nit
Sohn Gottes fein, da er in dem von dir felbft gutgeheißenen Evangelium
fehr oft jo genannt wird? Vielleicht fagft du mit dem Alchoran, Ehriftus,
von Gott zur Rechenſchaft gefordert, daß er fib Gott genannt, habe
dies beharrlih geläugnet. Wir wundern und weniger hierüber, als dar
über, daß Mahomed dabei zugegen war, der doc, wie er felbft fagt, den
unfichtbaren Gott nie gefehen hat, über den wir daher nur lachen können.
Wußte Gott die Wahrheit nicht und traute er Chriftus eine Sünde
(falsum) zu? Und wenn er die Wahrheit fannte, fo wußte er fie erft,
nachdem Ebriftus fich entjchuldigt hatte! Sagt nicht ver Alchoran, Chriftus
werde wiederfommen und im fünftigen Gerichte Rechenſchaft von allen feinen
Thaten ablegen? Wie reimt fih damit die Behauptung, diefe Rechenſchaft
fei ſchon erfolgt? Hören wir nody das Geſpräch im Alchoran, Kapitel 13:
Gott jagt: „Jeſus, Sohn Mariä, du beredeft die Menſchen, fie follten
an Gotted Statt did und deine Mutter ald Götter annehmen und ver
ehren. Jeſus antwortet: Gott behüte, daß ich etwas wider die Wahr:
heit rede; was ich gefprocden habe, weißt du, der du die Geheimnifle
aller Herzen durchſchaueſt; du durchdringſt Die Geheimniffe meines Her
zens, ich aber ſehe nicht in dein Herz. Du weißt, daß ich den Mens
ben nur deine Gebote mitgetheilt habe: fie follen dich als meinen und
ihren Gott anbeten. Sept, da du mich von ihnen zu dir erhöhet haft,
magft du der Richter über mich fein. Gott ſpricht: der Tag des Gerichts
naht heran. Sch komme nun für die, die mir gefolgt find; ed wird ihnen
zum größten Bortheile fein, ein Paradies lieblich dur Ströme von Waſſer
will ich ihnen geben; denn ich bin der allmächtige Gott, der über Himmel
und Erde gebietet.” Diefe Etelle enthält nichts gegen die göttlihe Sohn
ſchaft Ehrifti. Daß diefer je die Menfchen gelehrt babe, ihn und feine
315
Mutter an Gottes Statt zu verehren, fagt weder dad Evangelium, nod
glauben es die Ehriften. Jeſus kam mur, um Gott feinem Water die
Ehre zu geben, feine Ehre fuchte er niemals.
10.
68 wird deutlich gelehrt, Chriftus fei der Sohn Gottes.
Es könnte ein Araber fagen: wenn Chrifius Gott geweien wäre,
fo hätte er auf die Worte der Juden: „bu machft dich zu Gott, da bu
doch ein Menſch biſt“ nicht fih damit entfchuldigt, daß im Geſetze die—
ienigen Götter genannt werden, au welde das Wort des Herrn ergan-
gen fei, fondern hätte fich deutlich andgedrüdt. Wir jagen hierauf: er
bat fich deutlich ausgefprochen, denn er fagte: „Wenn die Schrift jene
Götter nennt, an welche das Wort des Herrn ergangen iſt, und die
Schrift nicht aufgehoben werden kann, warum faget ihr zu Dem, den der
Vater geheiligt und in die Welt geſchickt hat, er läftere Gott, weil ich
fagte: ih bin der Sohn Gottes? Wenn ich nicht die Werke meines
Vaters thue, fo glaubet mir nicht; thue ich fie aber und ihr wollet mir
nicht glauben, fo glaubet wenigftens den Werfen, damit ihr einfehet und
glanbet, daß der Water in mir ift, und ich in dem Vater.” Weld eine
dentlihe Sprade! es ift allo Feine Läfterung, daß er fih Sohn Gottes
nannte, er hat fich fomit ftilljchweigend als Bott befannt, Denn wenn
die, welche die Worte Gottes faffen, Götter genannt werden, fo begeht
gewiß der, welchen der Bater ald Water von Ewigfeit geheiligt und in
der Zeit in die Welt gefandt hat, feine Läfterung, wenn er fib Sohn
Botted nennt. Denn der Vater ald Vater zeugt und beiligt nur ven
Sohn; diefer ift ald ſolcher gleihewig mit dem Vater. Died beweilen
die Werfe, die fein Menſch vor ihm vollbracht hat. Wäre nicht der Vater
der Schöpfer in Ehriftus, wie hätte diefer dann feine Werfe vollbracht?
Er war alfo die Wefenheit (essentia) des Vaters, die Alles wirfet in
Chriftus. Iſt aber Gott der Vater wefentlich (essentialiter) in Ehriftus,
ſo ift diefer der Sohn des Vaters, weil von gleicher Wefenheit.
11.
Chriſtus nennt ſich nicht Gott, fondern Sohn Gottes,
Nah dem chriftlichen Glauben ift der allmächtige Vater Gott der
Schöpfer, und Ehriftus neunt diefen Gott feinen Vater. Denn er fagt
in den Juden: „Mein Bater ift es, der mich verherrlicht, von dem ihr
laget, daß er euer Gott fei.“ Chriſtus nennt fich bier nicht Gott, weil er
ſonſt ſich feinen Vater genannt hätte. Gr nennt fih aber den Sohn
Gottes, weil er Den immer Vater nennt, den die Juden Gott nannten.
Ehriftus ift alfo der Sohn Gottes des Vaters, nicht Gott Vater; er ift der
316
wahre Sohn Gottes des Vaters, daher auch gleichen Weſens mit dem Vater,
wierohl fein anderer Gott, ald der Vater. Durch den Sohn erihaft
Gott Alles. Der Alchoran nimmt dies im Allgemeinen an (approbat)
und widerfpricht nicht im Befondern, wie aus dem Folgenden erhellen win.
12.
Das Lob Ehrifti im Alchoran und der Nachweis feiner
Gottheit.
Es fteht nämlich im Alchoran, Jeſus Ehriftus fei der Eohn der
Zungfrau Maria, mit folgenden Worten: „O Maria, herrlicher, reiner
und fchöner als alle Weiber und Männer! Dir wird die höchft erfrew
liche Botihaft im Worte Gottes, welches Jeſus Chriftus heißt, der das
Urbild aller Völfer im diefer und der zufünftigen Welt, ein höchſt weiler
und trefflicher Mann ift, vom Schöpfer des Univerfums gefendet. Yen
antwortete: O Gott, da ich einen Mann nicht kenne, wie fol ich einen
Sohn haben? Die Engel antworten: Gott ift nichts ummöglid; er
wirfet Alles, wie er will. Gr wird deinen Sohn, der mit göttlicer
Kraft ausgerüftet fommt, im Geſetzbuche, in der Lehrweisheit, im (alten)
Teftamente und Evangelium unterrichten. Blinde und Stumme wird er
heilen, Ausfägige wird er reinigen, Todte unter Mitwirkung des Schöpferd
auferweden. Das alte Teftament wird er betätigen und ausrufen: Ihr
Gottesfürchtigen folget mir! Gott ift mein und Euer Herr; wer ihn an
betet, wandelt auf dem rechten Wege.“ An einer andern Stelle: „Jeſus,
der Sohn Mariens, ift Gottes Gefandter, deffen Geift und das vom
Himmel an Marta gefandte Wort." Er ift alfo derſelben Natur wie
Gott, der ihn fendetz; denn Gott umd fein Wort find nicht zwei Götter,
fondern derſelbe einfachfte Gott. So find alfo der fendende Gott und
das gefendete Wort derfelben göttlichen Natur. Da aber ber ſendende
Gott nicht fich felbft fendet, noch auch einen andern Gott, fo kann der
Sendende nicht der Gefendete noch der fendende Gott ein anderer, ale
der gefendete fein.
13.
Es ift leicht zu beweifen, das Chriftus, das Wort Gotteé,
deifen Sohn it.
Ausgemacht ift es dem Alchoran, daß durd das Wort Gottes Alles
erfhaffen if. Somit ft das Wort Gottes felbft unerfhaffen, ewig. Es
ift alfo Fein finnlihes Wort, fondern fogar noch mehr, ald ein geifliget.
Das geiftige Wort, durch welches der Geift Alles bewirkt, ift der geiftige
Begriff. Wenn der Geift nicht in feinen Begriff ſchaut, kann er nichts
ſchaffen. So ſchaut ver Baumeiſter in den Begriff des Hauſes, dad ı
317
bauen will. Diefer Begriff wird Wort genannt; wie das Äußere Wort
von dem innern geiftigen Worte erzeugt wird, fo der Begriff von dem
Beifte. Die geiftige Natur formirt und reformirt Allee durd
ihr Wort. Der Baumeifter formirt durh das Wort das Haus, und
wenn diefed baufällig wird, fo reformirt er e8 durch dasjelbe Wort. So
formirt und reformirt Bott durh das Wort, died Wort wird
auch Weisheit genannt; denn Gott wirft Alles durd die Weisheit. Der
Alchoran jagt nun: „Ehriftus, der mit göttlichen Kräften fommt, ſpricht:
Eiche, ih bin da mit Weisheit, Eure Etreitigfeiten zu ſchlichten; folgt
mir nah und fürdtet Gott!” Der Alchoran nennt alfo, was er vorhin
das Mort nannte, jet göttliche Kraft und Weisheit. Doch, warum
neunt er den Sohn lieber Wort, ald Sohn? Vielleicht um allen Anlaß
zu Gögendienft Solchen zu benehmen, welde eine geiftige Sohnſchaft nicht
zu fallen vermocdten. Es ift auch in der That eine unpaffende Aus-
dvrudsweife: Gott hat einen Sohn. Denn da Gott alles das ift, was
er hat, jo könnte es fo viel heißen, ald: Gott der Vater fei der Sohn.
Wie dem fei, der Alchoran hatte nicht die Abficht, dem Evangelium und
dem Zeugniß ded Johannes des Täufers zu widerjpredhen, den er einen
Befräftiger der Behauptung, Chriſtus fei der eingeborene Sohn Gottes,
nennt, Er fcheint aljo nur darin von den Ehriften abzumweichen, daß er
Den dad Wort Gotted und den Sohn Mariend nennt, den die Ehriften
Chriſtus nennen.
14.
Ein Einwurf aus dem Alchoran und die Löfung deffelben.
Man Fönnte einwenden: fteht nicht im Alchoran: „Sehr Viele haben
in lügnerifher Weife behauptet, Gott habe einen Sohn.” Wider
ſpricht dies nicht dem Evangelium? Ich fage hierauf: der Alchoran er-
Härt ſich felbft, denn er fügt bei: „Hat Gott alfo angefangen, die Söhne
mehr zu lieben?" Was faget ihr hierauf, die ihr ein fo kurzes Gedächtniß
habt? Wenn ihr für eure Behauptung einen feften Grund habet, fo leget
euer Buch vor! — Daß Gott feinen Sohn nach menſchlicher Weife habe,
widerjpricht dem Evangelium nicht, da Gott ein Geift ift, der nicht Fleiſch
und Bein hat. Daß aber Chriſtus der eingeborne Sohn Gottes ift, da-
für fönnen wir die Beweife aus dem Evangelium beibringen und werden
als wahrhaftig erfunden werden. — Berner könnte man einwenden: fagt
nit die vorlegte Azore: „Beharrlich belehre fie, es fei Ein Gott, un-
förperlich, der weder zeugt, noch gezeugt ift, und nichts feines Gleichen
hat.“ Wir erwiedern: diefe Azore hat die Tendenz, Gott die Ehre zu
geben, nicht aber, der Ehre Ehrifti etwas zu entziehen. Da unförpers
liher Gott und Gottheit identiſche Begriffe find, fo widerfpricht dieſe
318
Azore dem Evangelium nicht, da die Gottheit als folche nicht zeugend und
gezeugt ift und Feine andere ihr gleiche Gottheit hat, wohl aber zeugt der
Vater den Eohn von gleicher Wejenheit (quando respicis in Deitatem,
nullaın vides generationem; cum respicis in Deum, vides ipsam). Daf
Gott — Pater genannt werde, liest man deutlich im alten Teftamente,
den Pſalmen und dem Evangelium, nirgends aber ift die Gottheit Vater
genannt. Kommt es Gott zu, Vater genannt zu werden, fo fft es nit
unzufömmlih für Gott, daß auch von einem Gott Sohn gefproden wirt,
da ein Vater nicht gedacht werden fann ohne einen Sohn. Wenn da
her aucd jene Azore zunächft, was die Hauptabficht des ganzen Buchs if,
die Mehrheit der Götter ausſchließen fol, fo fann fie doch aud im wah—
ren Sinn ded Evangeliumd geduldet werden, nämlich: Gott habe weder
gezeugt, noch fei er gezgeugt worden. Denn die ewige Zeugung im gött—
lihen Wefen ift nie eine bloß vergangene gewefen, fondern Gott, der
ewige Bater, zeugt Gott den ewigen Sohn, den Gott von gleicher Gott
heit, den ewigen von gleicher Ewigfeit (Deus pater aeternus generat
Deum filium aeternum eadem deitate Deum, eadem aeternitate aeternum).
15.
Jeſus ift als Meſſias der wahre Sohn Gottes.
Wenn der Alchoran Jeſum den Meſſias d. i. Ehriftus nennt, jo
gibt er von ihm Alles zu, was die Propheten vor Ehriftus fagen. Der
Prophet Miche as ſagt: „Du Bethlehem Ephrata, du Feine unter den
Städten Juda's. Bon dir wird für mich ausgehen der Herricher in Iſtael,
fein Ausgang ift von Anfang an von den Tagen der Ewigkeit.“ Dieler
Prophet redet von der Zeugung (generatio) ded Meſſias, die ihm theild
eine zeitliche, in Bethlehem, theild eine ewige ift. Bon Anfang der Welt
an iſt geweifjagt, Gott werde den Meſſias ald Heiland in die Welt
fenden. Es ift alfo ausgemacht, daß der Meſſias vor der Welt Grin
dung iſt, wie Ehriftus von ſich in den Worten bezeugt: „Verherrliche
mich, Vater! mit der Herrlichkeit, die ih vor der Welt Gründung hatte”.
Dieſer Mefftad, der, weil der oberfte und größte Erlöfer, ald Sohn Gottes
erwartet wurde, war alfo ein Anderer, als der Water, der ihn fandte.
Er war aber zugleich gleicher Natur mit dem Water, vor aller Greatur,
denn er war, ald noch Feine andere Natur außer der göttlichen da war.
Daher jagt der Prophet Jeſaias: Gott felbft wird fommen und und er:
löfen. Dann werden die Augen der Blinden und die Ohren. der Tauben
fih öffnen. Der Prophet Baruch fah den Meifias als Gott und als
Meisheit Gottes kommen und mit den Menſchen verkehren... So
lange die Propheten den Meffias im Geifte fahen und feine Ankunft
vorausfagten, haben fie ihn nie als ein Geichöpf gefehen, fondern ale
319
göttliche Kraft und Macht. Und wie fie gefehen und geglaubt haben, fo
ift ed geſchehen: Derfelbe, den fie in der Ewigfeit im Geifte geſchaut haben
(und fein anderer) tft in der Zeit erſchienen. .. Der Alchoran will
nicht weniger von Chriſtus ausfagen, ald das Evangelium und die Pro-
pheten. Wenn er jagt, Chriftus ſei als der höchfte Bote Gottes mit der
Kraft Gottes erfchienen, fo jagt er dad Größte von ihm; denn wie ift
der Gefandte fühig, die Macht des ihn fendenden Gottes zu faffen, wenn
er nicht der abjolut Höchſte (summus, quo major esse nequit) iſt? Wie
kann er eine pure Greatur fein, wenn Gott einen Bollfommenern und Reinern
ald ihn nicht erſchaffen kann? Wie fann er eine Macht haben, die nicht
die abjolut größte ift durch die Mittheilung der Fülle der göttlihen Macht ?
16.
Chriſtus iſt als Wort und Gefandter des höchſten Gottes —
Sohn Gotteß,
Es war alfo das Wort, das in der Jungfrau Maria die menich-
ide Natur angenommen bat, das allmädhtige Wort des allmächtigen
Vaters, welches alle Creatur nicht zu faffen im Stande if. Mit Recht
ihreibt ihm daher der Alchoran Weisheit und Lehramt zu und lehrt ganz
trefflich, Chriſtus Habe der Welt bewiefen, daß er mit göttlicher Macht
gefommen fei und als Gefandter Gottes, dem Gott Alles in feine Hand
gelegt, Alles vermag, was die Menſchen von Gott erflehen. Zu dem
Ende zählt der Alchoran im Allgemeinen als Wunder Ehrifti auf: Hei—
lung unheilbarer Krankheiten und Auferweckung von Zodten; auch habe
Chriftus Vögel aus Koth gebildet und fie durch Anhauchen belebt, als
wollte der Alchoran damit fagen, nichts von dem habe gefehlt, was wir
Gott zufchreiben. So lehrt Mahomed auch, Chriſtus babe aus ber
Erde (aus dem Grab?) im Namen feines Vaters Japhet, den Sohn
des Nos, erwedt, damit er die Thaten feines Vaters Nos erzähle.
Dieſe Wunderthaten find, wie der Alchoran fchließen läßt, veröffentlicht, um
Glauben zu erwecken. Denn da fein Befandter Gottes, der purer Menfch
ft, der Art ift, daß man ihm nothwendig glauben muß, da Gott einen
noch glaubwürdigern erfchaffen könnte, fo können wir nur dem unbedingt
glauben, der als gleicher Natur mit Gott auch gleich wahrhaftig ift...
17,
Jeugniffe des NAlchoran beweifen, Ehriftuß fei der
Sohn Gottes,
Man fönnte fragen: was will der Alchoran mit der Behauptung,
der göttliche Geift fei für Chriftus, den Sohn Mariens, als unterftügen-
der Zeuge aufgetreten? Daß der bl. Geift für Chriftus Zeugniß gegeben,
320
bezeugt Johannes, der Sohn des Zacharias, wenn es im Evangelium
heißt: „Ih ſah den Geift herabfommen wie eine Taube vom Himmel
und über Jefus ruhen, und ich kannte ihm nicht. Der mid aber geſendet
hat, mit Waffer zu taufen, hat mir gefagt: über wen Du den Geiſt
herabfommen und bleiben ftehft, der ift es, der mit dem hi. Geiſte tauft.
Ich ſah ihn und habe Zeugniß gegeben, daß diefer der Sohn Gottes ift.*
Wie bei Ehriftus hat der hf. Geift auch in allen Apojteln und andern Heili-
gen Zeugniß abgelegt, daß Jeſus ift Chriftus, der Sohn Gottes. Welche
Hülfe er in der Empfänguiß der heiligen Jungfrau und in Allen, die ihn als die
Bürgschaft der Verheißungen Ehrifti aufnehmen, geleiftet, und wie er die
Gläubigen in das Verftändniß der Lehre Ehrifti eingeführt, das willen
Alle, die das Evangelium und die Echriften der Heiligen forgfältig leſen.
Zu beachten ift nun, wie fehr der Alchoran Johannes, den Sohn dis
Zacharias, preist als einen durchaus glaubwürdigen Mann; er nennt
ihn einen guten Mann, der in der Jungfräulichfeit verharrte, einen großen
Propheten, der das Wort Gottes befräftigte, und in gleicher Weife führt
er dad Zeugniß des bi. Geiftes an. Alles dies ließ der barmberzige
Gott in den Alchoran aufnehmen, um die Verſtändigen zu den Zeug
niffen der Wahrheit hinzulenfen, um Chrifto nichts zu entziehen, wenn
auch (wegen des niedrigen finnlihen Standpunftes des Volkes, weld:d
die geiftige und göttlihe Natur Ehrifti nicht zu faffen im Stande iſt), nicht
offen von ihm gejagt wird, er fei der Sohn Gottes. Es ſchien daher vorſich⸗
tiger, nur negativ zu lehren, Ehriftus, der Sohn Mariens, fei nicht der Sohn
Gottes, da er als folder fürperlih und fihtbar war. Daß er aber
göttlihe Kraft und Macht hat, die nur der Glaube fieht, wie die Wun—
der beweifen, konnte auch der Alchoran nicht läugnen.
18,
Wie die Worte des Aldhoran zu verftehen feien, Chriftus
fei der Geift, die Seele Gottes.
Warum jagt der Aldhoran: Chriſtus ift der Geift Gottes? und au
derswo: Gott hat ihm feine eigene Seele verliehen (Deus ipsi animam
suam proprie contulit)? Ich erwivere: der Alchoran nimmt Seele und
Geift oft gleichbedeutend; ich verftche darunter das geiftige Reben, wel
ches die Weisheit iſt. Gott verlich ihm eine gnädige und mitleidige
Seele, d. i. das Leben im eigentlichen Sinne. So fagt Chriſtus jelbit:
„Wie der Vater das Leben in fih hat, fo hat er dem Sohne gegeben,
das Leben in fih zu haben.” Wie alfo der leibliche Vater fein leibliches
Leben im eigentlichen Sinne dem Sohne gibt, daß er im fich felbft lebt,
fo hat Gott fein Leben Chriftus gegeben. Diefe Einheit der Lebendnalur
Gottes des Vaters und Ehrifti drüdt der Alchoran durch die Eine Seele
321
Beider aus. Mie der Vater lebendig machen fann, wen er will, fo bat
er auch dem Eohne gegeben, lebendig zu machen wen er will. “Daher
wird jened Leben Geift Gotted genannt, da jede Bewegung aus verbors
gener Urjache Geift genannt wird. Mit Recht fagt daher der Aldhoran,
Ehriftus habe von fih im Evangelium gefagt: „Ich bin das Leben und
die Auferftehbung“; anderswo: „Die Worte die ich geredet habe, find
Geift und Leben.” Denn der Geift Ehrifti ift der gute Geift, der zum
guten und unfterblihen Leben, welches Gott ift, hinführt. Der Geift
des Teufels aber ift der böſe Geift, der zum ewigen Tode hintreibt.
19,
Wie die Worte des Alchoran au verftehben feien,
Chriftus fei ein guter, ja vortreffliber Mann und das
Urbild (faciem) aller Bölfer.
Was bedeuten die Worte des Alchoran, Ehriftus fei cin guter, ja
vortrefflicher Mann und das Urbild aller WVölfer in diefer und ber zu
fünftigen Welt? Wir antworten: der Alchoran erhebt die Jungfrau
Maria über alle Männer und Weiber, und mit Recht, weil fie die
Mutter Ehrifti, des Sohnes Gottes if. Nun ift aber unftreitig Chriſtus
über feine Mutter erhöht (exaltatus). Er ift aljo der Beſte, weil er
nicht befjer jein fan... Zwifchen ihm und Gott fann nichts dazwilchen
liegen, er it die Güte ſelbſt. Chriftus ift daher gut durch erjchaffene
Büte, welche nicht die Güte felbft ift, foferne er Menſch war, dancben
aber ift er auch gut in unerſchaffener Güte, weldes die Güte felbft ift,
da er der abjolut Gute ift, ver feiner Zunahme in der Güte fähig ift. —
Dur den Ausdrud: Chriftus ift das Urbild aller Völker, wird Chriftus
ald derjenige bezeichnet, von weldem der Prophet Daniel fagt: Schön
an Geftalt vor allen Menſchenſöhnen, ift Anmuth über deine Lippen aus—
gegoſſen; daher preist dih Gott in Ewigkeit. Wo findet fih der Aus-
drud der Schönheit, außer im Antlige? Mas ift ſchöner, als ein Bild
aller Tugenden? Was ift Ehriftus anderd nach dem Propheten David,
ald der Herr der Tugenden, der König aller Herrlichkeit, Klarheit und
Schönheit? Daber ift er der Sohn Gottes, an welchem der Water das
größte Mohlgefallen hat und ift gefalbt vor allen feinen Genoſſen.
Daher jagt Mahomed, die Volltommenen fichen am Tage des Gerichts
in der Natur Adams und in der Geftalt Jeſu Ehrifti von den Todten
af. Die Geftalt Chriſti ift die Vollendung der Wollendeten. Daher
it ed GChriftus, durch den die Vollendeten gerichtet werden; feine Geſtalt
ift die allein dem unfterblichen Leben angemeffene. Die ihm ähnlich find,
geben ein im die Freude des Herrn. Daher wiederholt der Alchoran öfter,
die Geftalt der Einen (der Gerechten) fei am Tage des — weiß
Scharpff, Mic, v. Cuſa.
322
und glänzend, die der Andern (der Ungläubigen und Böſen) ſei ſchwarz. Um
mich kurz zu fallen: Ehriftus ift alles das, was in allen Völkern der
Gegenwart und Zukunft nah Recht und Wahrheit Lob verdient. Er ift das
ſchöne Urbild Aller, in welchem alle Völker ruhen und gepriefen werben.
20.
Digreffion zur Beranfhaulidung im Gebiete des
Ueberfinnliden.
Der Alchoran nennt Ehriftus Ruhella (vom hebrätichen m"),
was Einige Hauch Gottes, Andere Geift Gottes, Andere Wort Gotted,
wieder Andere Seele Gottes überfegen. Wie man es überfegen mag,
nothwendig ift damit Gott gemeint, wie aus dem Vorhergehenden er
heilt. Mir fcheint die Deutung: Wort Gottes, nämlih das geiftige
Wort, das wir auch Begriff, Idee nennen, weil fie mit dem heiligen
Evangelium übereinftimmt, den Vorzug zu verdienen. Damit nun weni
ger Gebildete durch ein conereted Beilpiel den Vater, dad Wort und den
Geift einigermaßen, wenn aud in weiter Ferne, erfennen, fo mögen fie die
Glasbereitung fih vorftellen. Sie ift dad Werf der Jutelligenz. An
eine eijerne Röhre läßt man eine geeignete Quantität des Glasftoffes ſich
anhängen, bläst in fie und madt fo ein Glas nad Belieben. Das
Blaſen wirft Innerhalb des Glasſtoffes und bildet ihn, Dies hat Achıw
lichfeit mit dem Wirken der Natur. Beachte in dem Blafen Zweierlei:
das Meußere, die wahrnehmbare Luft aus dem Munde des Künftlerd,
innerlihd — feinen Berftand, denn er hat eine beftimmte Abſicht bei feinem
Blafen, — ven Begriff, das (geiftige) Wort. Diefed Wort wird von
dem Geifte erzeugt, der fih in ihm entfaltet. WBom Geifte und feinem
Begriffe (Wort) geht dann die Bewegung aus, welche in der That
ſich vollendet. So geht nun auch von dem Scöpfer mittelft des Worts
durch göttlihe Bewegung oder den Geift Alles ind Dafein hervor. Zu
beachten ift, daß Gott den Elias, 3. Könige, Kap. 16, belehrte, er jel
nicht im Sturmwinde, der die Berge umſtürzt, micht im euer, das auf
die Bewegung folgt, fondern im faniten Säufeln, das auf das Feuer
folgt. Das heißt, er fei ein feinerer Geift, ald jeder auch der feinfte
Geift, d. i. ohne Einnahme eines beftimmten Raumes, wie der Geift in
ver Sprache; fein Accidens, fondern die Eubftanz, die alle Subftanz er
ſchafft. — Dies ſei gefagt, damit die weniger gebildeten Anhänger des
Alchoran ihren Geift zum Geiftigen erheben, und erwägen, daß der Geift
Gott in Allem nahahmen fol, daß das Subftantielle, das nur durd den
Geift erfaßt wird, dem Accidens weit vorzuziehen fei, da das Accidens kein
Sein (esse), fondern nur ein Dabeifein (adesse) hat, und daß wir In
der Schule der göttlichen Dingen lernen follen, die göttliche Zeugung niet
323
mit der irbiichen, die Freuden des ewigen Lebens, nach denen wir trachten,
nicht mit den Freuden der Welt in Vergleichung zu bringen, auf daß fie
fih vom Alchoran zum fichern, geiftigen und göttlichen Evangelium Ehriftt
binwenden.
Bweites Dud.
1.
Bon der myftifhen Theologie, nah welder Gott unaußs
ſprechlich if.
Ich jchreite jegt zur Erklärung der Dreieinigfeit, die wir in der Gottheit
anbeten, und zeige, daß der Alchoran, richtig ausgelegt, der Dreicinigfeit,
wie wir Chriften fie nah dem Evangelium glauben, nicht widerſpreche. —
Es könnte vielleicht ein Araber jagen: wir, die wir den Alchoran als
Wort Gottes verehren, und den Glauben an Einen Gett, den Echöpfer
des Als, der ohne Theilnehmer, Genoſſen, PVielheit, ohne einen Eohn
oder Söhne ift und ohne Jegliches feines Gleichen, während die Chrijten
von einer Bielheit Gottes des Waters, Gotted des Eohnes, und Gottes
des hl. Geiſtes reden, widerfprehen dem Evangelium nicht, daher ziehen
die Mufelmannen mit Recht den Alchoran dem Evangelium vor. Die
Ehalifen in Bagdad, wo die hohe Schule diefer Sefte ift, verbieten, daß
man über Evangelium und Philofophie Worlefungen halte. Denn fie
hatten die Erfahrung gemacht, daß diejenigen, welde das Evangelium
Audierten, Chriſten geworden, daß ein chriftgewordener Chalife das Kreuz
ſteis heimlich auf feiner Bruft getragen habe, und die Philofophen den
Achoran verlachen.
Im 11. Kap. des Alchoran wird Ehriftus genannt Jeſus, der Eohn
Martens, Gottes Gefandter und Geift, das Wort, das Marien vom
Himmel gefandt wurde, Wer alfo an Gott und diefen feinen Gefandten
glaubt, fage nicht, es feien drei Götter, da nur Ein Gott ift, der feinen
Sohn Hat, deffen Allmacht Alles im Himmel und auf Erden unterworfen
iſt. Chriſtus ſelbſt und die der Gottheit nächſten Engel werden am
wenigften läugnen, daß fie Gott unterworfen find. Wir antworten bier-
auf: das Evangelium verwirft nicht nur alle Vielheit der Götter, fondern
eillärt diefelbe für geradezu unmöglih. Niemand bezweifelt, daß Gott
das Princip und der Urgrund von Allem if. Wie fann die Biel
heit Princip fein, da vor ihr die Einheit oder Einzigfeit (singularitas)
21*
324
ift, die als reines Princip nothwendig ewig ift, weil fie der Anfang,
nicht das Angefangene ift (quia principium et non prineipiatum)? Jenes
Urprineip kann nun betrachtet werden ohne Rüdfiht auf das durch dasſelbe
Begründete (prineipiata), fo daß es nicht mehr Prineip, ald nicht Princiy
ift. Nah dieſer Betrachtung ift es ſchlechthin unendlich und unbegrenit,
unbegreiflich, unausſprechlich. Ueber alle Sinnen» und Vernunftserkenut—
niß erhaben, ift e8 weder Eines noch dreifach, weder gut noch weile,
weder Vater, noch Sohn, no hi. Geiſt. Es ift den Augen aller Weifen
verborgen, von feiner Greatur, nur von fi ſelbſt erfannt... Daber
bewundern und verehren wir ed nur mit Stillichweigen. Won diefem
unendlichen Gott fpriht der Alchoran 29. Kap.: „Das Ende bieler
Welt oder den Tag ded Gerichts, der feine Lüge iſt, erwartend, erkenne
nur den Gott, der feine Grenze bat, aufer dem fein anderer Gott iſt;“
und Kap. 64: „Jedes Weltwefen hat feine Grenze, nur die Geſtalt
des großen und gütigen Gottes iſt unbegrenzt. — Wer leugnet dies?“
2.
Bon der affirmativen Theologie, nach welder Gott dreifad
und Einer ift.
Wir finden, daß diefe fihtbare Welt, da fie anders fein könnte, ald
fie ift, nicht durch fich felbft ift, fonft wäre fie geweien, che fie war.
Da fie anders fein könnte, größer, Kleiner ꝛc., und ihre Größe eine begrenzte
it, jo ift fie offenbar dur ein Älteres Prineip das, was fie iftz dieſes
hat fie jo und nicht anders gemacht. Da dieſes Princip von feinem an
dern genöthigt fein fonnte, weil Eein anderes vor ihm war, fo hatte und
bat es die freie Wahl, zu fchaffen und nicht zu fchaffen, wie der Geiſt
frei ift im feiner Thätigfeit. Wie diefer in fih einen Begriff von dem
bildet, was er fhafft, jo hat auch Gott in einer göttlihen Kunft oder
Wiffenihaft das, was er wirfet. Ebenſo hat er das, was er wirft,
auch in feinem Willen. Wie würde ein Maler ein Gemälde verfertigen,
wenn er nicht in feinem Geifte die Vorftellung ded Gemäldes hätte?
Wie fünnte er ed ausführen, wenn er nicht die Keuntniß der Malerei
hätte, und wenn er nicht wollte? Der Wille ift aber nicht die Kennt
niß und die Vorftellung oder das geiftige Bild; dagegen was im Geiſte
(als geiftiges Bild) ift, ift auch in der Kenntniß und im Willen, und
zwar nicht jedesmal in anderer Weife, fonft wäre ed nicht Eine voll
fommene Ihätigfeit....
325
| 3.
Aus der Thätigfeit unferer geiftigen Natur erfennen wir
die Thätigfeit der göttlihen.
Diefe edle Beichaffenheit hat unfere geiftige Natur von ihrem
Schöpfer: wie diefer ald Schöpfer die wirflihen Dinge hervorbringt, To
der Geift, fein Abbild, durch Denken die Bilder der wirfliben Dinge.
Gottes Schaffen ift ein Segen von Mefen (creare est essentiare),
Denken ift Alfimiliren. Da num der Schöpfer vor Allem ein Bild von
dem hat, was er fchafft, es verfteht zu fchaffen und Schaffen wihl, fo
it der Eine Schöpfer des AU nothwendig dreieinig, deſſen Bild in
unferm Geifte, der Eined im MWefen und dreifah in feiner MWirffamfeit
it, ſich abſpiegelt. So iſt Gott: Vater, Sohn und hl. Geiſt.
Wegen diefer Trinität nennt Moſes Gott am Anfange der Geneſis im
Plural: EOrsdR und fagt: „Laffet und den Menfhen machen,” wies
wohl er anderswo wieder fagt: „Ich bin Gott der Eiferer.* So fagt
auh im Alchoran Gott: „Wir haben die Menſchen aus vergänglicher
feuchter Maffe erfchaffen,” und anderswo: „Den Himmel und alles
Himmlische haben wir nach unſerm Belieben erfchaffen,” wiewohl ed an
einer andern Stelle heißt: „Sage meinem Volke, ih bin der barnıherzige
Bott." — Mie Mofes und Mahomed durch den Ausdruck der Mehrzahl
in dem Edaffen und Wirfen Gotted nicht eine Mehrheit von Göttern
anerfennen wollten, fo wollen die Ehriften um der Dreieinigfeit willen
niht vom Glauben an Einen Gott und Schöpfer ablaffen.
4.
Vie wir uns von der Fruchtbarfeit unferer geiftigen Natur
jur Fruchtbarkeit der göttliben Natur erheben.
Um Did mittelft einer finnlihen Anſchauung zur Fruchtbarfeit des
Beiftes und von diefem zur Fruchtbarkeit der göttliben Natur zu erheben,
erwaͤge, daß die unzähligen Städte, Tempel, Schlöffer und Gebäude,
Gemälde und andere Kunftgegenftände, Sprachen, Künfte und Wiffen:
haften, füße Harmonien, geordnete Staaten und unzähliges Andere das
Werk des einfahen, von Gott un gegebenen, unſichtbaren Geiftes find.
Cie wären nicht fein Werf, wenn fie nicht in höherer Weife zuvor geiftig
(iveal) in ihm eriftirten.. So erfheint Dir der Geiſt ald ein wahres
Wunder. Erhebe Dih nun vom Geifte zu feinem und aller Dinge
Schöpfer, um feine göttliche Fruchtbarkeit zu erfennen, da die Intelligenzen,
die Himmel, die Sterne, Sonne, Mond, die Elemente, das Werk des
einfahften und fruchtbarften Echöpfers find. Die Schoöpfung ift das
Eihtbarwerden Deffen, was immer und ewig in feinem Geifte Er felbft
326
war, in feiner Kunft oder Weisheit immer und ewig Er felbft war, im
Wohlgefallen feines Willens ewig Er felbft, der gepriefene Gott, war.
Er zeigt die Schäge feiner Herrlichkeit aus reiner Güte, vwole ein reicher
Geiſt die Schäge feiner Einfiht zur Offenbarung feiner Herrlichkeit fund
gibt und mittheilt. So hat auch Gott der einfachfte, der unausſprechlich
reihe, ſchöne und in fih felige, alle liht» und ideenreihen (formis
plenas) Intelligenzen, alle heilleuchtenden Sterne, alle lebenden Weſen,
alle füßen Gerüche und Düfte, alle ſchönen Blumen xX. erihaffen.
5.
Analogie (manuductio) aus den Weltwefen zur Erfenntniß
Gottes ald des Dreieinigen.
Da Mahomed in feinem Glauben an Gott, den Schöpfer des AI,
von demfelben nothwendig ausfagt, wad die Ehriften über die Dreifal—
tigfeit defjelben glauben, fo fage ich, damit jeder Araber fih in feinem
Glauben zur göttlihen Fruchtbarkeit, Geburt und Liebe erheben
fann, daß diefe Welt ohne Fruchtbarkeit, Geburt und Liebe nicht beftchen
fannz fie müßte nothwendig zergehen (deficere). Durch jene drei ift fie
Eine Welt. Fruchtbarkeit, Geburt und Liebe find nicht — jedes eine
andere Welt, fondern fie find zufammen Eine und diefelbe Welt, fo daß
nichts von der Welt ohne fie ift (sic sunt unius mundi, ut nihil mundi
sit sine illis). An der Fruchtbarkeit, Geburt und Liebe participiren aber
die Engel engelmäßig, die Menſchen menschlich, die Thiere thierifch, die
Vegetabilien vegetabilifh, die Mineralien mineraliih, die Himmel bimm:
liſch, die Sonne fonnenartig, die Geifter geiftig, jedes in feiner Weile.
Woher hat es nun die Welt, daß fie nothwendig fo dreieinig als Eine
ift, außer von ihrem Schöpfer? Wenn alfo die Welt ohne diefe Trinität
weder ihre Natur hätte, noch ihre natürliche Vervollkommnung, nod den
Segen vom Schöpfer, wenn die Dreieinigfeit in der dreieinigen Einheit
ihred Weſens ſich abipiegelt, wie follte der Schöpfer die Vollkommenheit
nicht haben, die er doch allen Wefen verleiht, auf daß fie möglichft vol:
fommen feien? Gott ift alfo dreieinig, der die Welt dreieinig ald
fein Ebenbild erfhaffen bat. Die Fruchtbarkeit ift der Vater, die
Geburt diefer Fruchtbarkeit ift der Sohn, die Liebe ift die Verbindung
Beider — der hl. Geiſt.
6.
Analogie von der Trinität des Geifted zu ber ber
Gottheit.
Um in der Gott ähnlichen Greatur fein Bild zu erfennen, wollen
wir die geifiige Natur betrachten. Wie viele Theorien über die Wahr
327
heit hat die Fruchtbarfeit des Geiſtes jchon gefhaffen? Wie viel geiftiger
Genuß ift daraus entftanden, wie viele Beratung der Weltfreuden? In
der geiftigen Natur ift eine Fruchtbarkeit, die aus fih dad Wort oder den
Begriff erzeugt; aus Beiden geht die Umarmung oder der Wille hervor.
So wenig man das licht, was man nicht weiß, jo gewiß erzeugt der
Geift und die Erfenntnig den Willen, das Streben. Dies führt und
wieder zum dreieinigen Gott. Gott ift nicht unfundig feiner ſelbſt. Er-
fennt er fih, fo erzeugt er auh das Wort oder den Begriff von ſich
jelbft, und beide find in Liebe verbunden. Das Wort ift von der
Selbfterfenntniß Gottes verfchieden und doch nicht anderer Weſenheit. ...
7.
Analogie aus dem Wefen.der Liebe.
Damit alle Vernünftigen einfehen, daß wir, die wir an bie
Trinität glauben, vernünftig verfahren, wollen wir durd ein anderes
Beifpiel zu demfelben Ergebniffe gelangen. Jedermann fieht ein, vaß
die Liebe zum Beftande der Welt durchaus nothwendig iſt; ohne fie
fönnte die Welt nicht beftehen. In allen lebenden und in den geiftig
lebenden Weſen, in Allem, was ein Fürfichfein hat, findet ſich die Liebe,
in jedem auf feine Weile; können wir die Liebe Gott abfpreden, welcher
der Schöpfer der Liebe ift? Sagen wir alſo, Gott habe Liebe, fo ift er,
was er hat, er ift das Weſen der Liebe. Weil aber die Liebe einet, fo
gehört die Einheit zum Weſen der Liebe. Die Liebe erzeugt aber
aub die Gleichheit ihrer felbft, die Liebe, weßhalb man jagt: willft
du geliebt fein, fo liche. Aus Beidem geht ihr Band, die verbindende
Liebe hervor. Die Liebe ift die Berbindung ded Vaters und des
Sohnes, von welchen fie ausgeht. Die Einheit ift vor der Vielheit, die
Gleichheit vor der Ungleichheit, die Verbindung vor der Trennuung, fomit
ewig. Mehrere Emwigfeiten kann es aber nicht geben, daher ift die Drei-
einigfeit Eine Ewigfeit.
8.
Erflärung (declaratio) der heiligen Dreieinigfeit.
Es ift nun Far, daß, wer nicht einfieht, daß das Richtandersfein
nicht das Identiſche ift und das Nichtidentifche nicht ein Andersjein, auch
nicht faſſen kann, daß die Einheit, Gleichheit und ihre Verbindung Dasfelbe
in der Wefenheit, aber nicht Dasfelbe unter ſich betrachtet find. Daher
begreifen fie die Trinität in der Gottheit nicht, außer in drei Göttern.
Chriftus hat uns aber belehrt, daß Gott der Bater lebendig made und
daß auch der Geift, der von Beiden ausgeht, lebendig made, wie man
im Evangelium des h. Johannes leſen kann. Deßhalb find aber nicht
328
drei Leben gebende und drei belebende Götter. Wer dies nicht begreift,
hat offenbar feinen vollfommenen Begriff von dem vollfommenflen Gott,
fondern man erdichtet ſich einen Gott, der nicht der allerglüdfeligfte if,
feine Natur und Wefenheit hat (innaturalem), unfruchtbar ift, der Süßig—
feit der Liebe ald Bater, Sohn und Verbindung Beider und der vollen
Entfaltung der Fruchtbarfeit entbehrt. Man beachtet nicht, daß Gott
dur Jeſaias gefagt hat: „Sollte ich, der ich Andere gebären laſſe, ſelbſt
nicht gebären? der ich Andern die Zeugungsfähigfeit gebe, folle unfradt-
bar fein?” — Die Araber fünnen den Propheten Jeſaias nicht ver
werfen, da im Nichoran fein Prophet verworfen, fondern alle ange
nommen werden.
9.
Ein wenn auch nur entfernt ähnliches Bild der heiligen
Dreieinigkeit.
Bis wir in dieſen Dingen eine Geiſtesgewandtheit haben, müſſen
wir zu einem Bilde (aenigma) unſere Zuflucht nehmen.
Ich ſah zwiſchen runden Ufern ein großes Wafler, ohne Zus und
Abfluß eines andern Waſſers, immer von gleiher Quantität und ringsum
fruchtiragende Bäume, Saatfelver und Wiefen ; das Randvolf, das hier
wohnte, fonnte dad Waſſer nicht genug loben ald das befte, dad es gebe.
Ich wunderte mich, daß es ſich nicht verminderte, nicht austrodnete und
nicht fumpfig wurde, da doch fein Büchlein einen Zufluß brachte. Ich
trat näher und bei forgfältiger Unterfuhung fand ib, im der Mitte fei
eine Duelle, die aus einer Strömung, die vom Gentrum zu fommen
ſchien, berrühre, und dachte: das ift wohl der Grund, warum fich dieſes
Waſſer nie vermindert, während e8 doch der ganzen Umgebung Vegeta—
tion bereitet. Wiewohl es an den Ufern bin ftagnirt (ſtille fteht), fo
ernenert es ſich doch beftändig, weil es aus einer Quelle hervorkömmt.
Das Waffer war alfo Quelle, Fluß (Strömung) und Stagnation (ftilles
Wafjer) und zwar gleibmäßig, weil es das Eine nicht mehr, als das
Andere war. Im ftillftehenden Wafler fah ich die Strömung und die
Duelle, dob war die Quelle nicht die Strömung nod das Stillftchende,
die Strömung nicht die Duelle noch das Stillſtehende, das Stillſtehende
nicht Die Duelle no die Strömung. Ich begriff Died aber erft, als id
geiftig die Quelle aus fi die Strömung hervorbringen ſah. Beide diffe—
riren aljo wie der Erzeuger und das Erzeugte, wie Vater und Sohn.
So kaun aub das Etrififtehende nicht der Fluß oder die Duelle fein,
aus welden es hervorgeht. Ich ſprach bei mir: die Duelle tft die Eins
heit, die Strömung — die Gleichheit, das Stillſtehende die Verbindung
beiver, Erhebe ih mid von diefem Bilde ind Gebiet des Ewigen, fo
329
begreife ich es als das Dreicinige. Im Alchoran fteht, alles Lebende
fi aus dem Wafler. Wenn num jenes Waſſer feiner ganzen Umgebung
Vegetation verleiht, wie viel mehr gibt der Schöpfer dieſes Waſſers allen
Greaturen Alles, ohne Verminderung feiner felbft!
10,
Analogie aus drei PBerfonen.
Die Menjchheit und der (einzelne) Menſch find nicht identiſch, wohl
aber Gott und die Gottheit. Es gibt weder mehrere Gottheiten, noch
mehrere Götter. In der Menfchheit find nur drei Perſonen: ich, du, er,
die gleich find im Menſchſein. Woher hätten fie dies, wenn nicht aud)
Gott dreifach in den Perſonen, einfach in der Wefenheit wäre? Gott
fann fagen: ich bin Gott, du bift Gott, er ift Gott von gleicher Gotts
beit. Diefe drei Perfonen find aber nicht drei Götter, fondern nur Ein
Bott. —
11.
Die Araber müjfen nothwendig die Dreieinigfeit befennen,
Wenn die Araber nicht freiwillig die Trinität im Göttlichen zugeben,
jo wird ihnen aus dem Alchoran, den fie doch für ein Buch der Wahr
beit halten, nachgewieſen, daß Gott einen Genoffen habe. Dort ſpricht
Gott zu Mahomed: „Dir, der du Geſetz und Schrift nicht fannteft,
ſchickten wir unfern Geift und verfhafften dir dadurch Erleuchtung.“
Dann wieder: „Der gepriefene und ganz gerechte Geift hat dein Herz
durhörungen, daß du mit ihm ausgerüftet die Araber zurechtweifeft.*
Chriftus nennt er befanmtlich Zefus, den Sohn Mariens, den Gefundten
Gottes, und deſſen Geift das Wort, das Marien vom Himmel gefandt
wurde. Ferner: „Gott und fein gepriefener Geift haben dieſen Alchoran '
verfaßt.” Da nun der Geift Gottes feine Ereatur genammt werden kann
md der gefendete Geift nicht durch fich jelbft gefendet ift, jo muß man,
wenn man nicht jagt, er fei die dritte Perſon in der Gottheit, vom Vater
und Sohn gefendet (weil er in der Mehrzahl von den Sendenden fprict),
nothwendig mehrere Götter annehmen (mas doch ganz gegen die Tendenz
des Alchoran if). Auch das Wort Gottes kann feine Greatur fein; denn
durch das Wort Gottes iſt Alles erſchaffen worden. Das Wort Gottes
it alfo Gott. Iſt es Gott und doch nicht die zweite Perſon, der Sohn,
ſo fommt man wieder auf mehrere Götter, das Wort Gottes ift ein
Genofje Gottes (particeps Deo). Die Araber müffen alfo an die
Trinität glauben, fonft find fie Ungläubige.
Es läßt fih auch fo beweifen: Ihr gebet zu, das Evangelium fel
ein ganz Mares und wahres Bud. Im dieſem fteht nun, es fei Ein
330
Gott, Vater, Sohn und heiliger Geift. Hiegegen Fönnet ihr nicht ans
führen, da das Evangelium von feiner geringern Auctorität ald der Al,
choran ift, wie diefer felbft behauptet.
So viel von der heiligen Dreieinigfeit.
12.
Ehriftus ift wahrhaft geftorben und gefrenzigt worden.
Es bleiben nun noch einige nicht unerheblihe Abweichungen des
Alchoran vom Evangelium zu erläutern übrig.
Im 11. Kapitel des Alchoran flieht, Chriſtus ſei micht geftorben,
fondern ein Chrifto ähnliches Subject hätten die Juden aufgehängt,
Chriſtus aber nicht getödtet; der unergründbare, weile Gott habe ihn zu
fih hinüberwandern laffen (transmigrare fecit), An ihn werben bie
Männer des Geſetzes vor ihrem Tode glauben und in der Zufunft wird er
als ihr Zeuge vor ihnen ftehen. Allein das Evangelium und alle Schriften
der Schüler, die MWeltgefchichte lehrt einftimmig, Chriſtus fei nicht nur
geftorben, fondern auch fo geftorben, wie es die Propheten voraudgefagt
hatten. Da nun nad den Schriften der Späteren der Alchoran nicht fo
verftanden werben fol, als widerfpreche er fih, da er dad Evangelium
und die Propheten anerkennt, fo fragt es fih, was er mit dem Borer-
wähnten fagen will. Suchen wir zuerft dad dem Evangelium Conforme
auf, die Etelle: zulegt werde Ehriftus der Eine Hirt und die ganze Welt
der Eine Schafftall desjelben fein. In Uebereinftimmung hiemit lehrt ver
Alchoran, alle Männer des Geſetzes, des alten wie des neuen und des
arabifchen, würden vor dem Tage des Gerichte an ihn wahrhaft glaus
ben. Die ganze Tendenz des Alchoran ift der Glaube an Einen Gott.
Somit trennt er in der Behauptung: alle Gefepeöverehrer werden an
Ehriftus glauben, diefen von der Gottheit nicht, er erflärt ihn ſtillſchwei—
gend für göttliber Natur. So fagt aud im Evangelium Ehriftus, wer
an ihn glaube, glaube an den, der ihm gefendet. Sodann nehmen
Evangelium und Alchoran im legten Gerichte den gleichen Richter und
Zeugen an, der nach dem Evangelium Ehriftus if. Da aud der Alchoran
dies ſtillſchweigend zugibt, wenn er Chriftus den Zeugen feiner Getreuen
in der Zufunft nennt, fo erfennt er ihn auch ald den Richter an. Nah
dem Alchoran ift aber nur Gott der Schöpfer der Richter. Der Menſch
Chriſtus ift alfo als Richter auch Gott. Der Alchoran fagt im 45. Ka—
pitel: „Gott, Schöpfer von Allem, du wirft mit den ermordeten Pro
pheten dich nahen und Alles in der Mahrheit richten.“ Wenn Gott in
Geſellſchaft der ermordeten Propheten richtet und Chriftus, der über allen
Propheten fteht, im Gerichte nicht fehlt, fo iſt er alfo aud mach dem
Alchoran im Gerichte der oberfte aller Propheten, die Wahrheit ſelbſt—
331
das wahrhaftige Wort Gottes, durch das Alles gerichtet wird, weßhalb
das Evangelium mit Recht fagt, Gott der Vater habe das ganze Bericht
dem Sohne übergeben, weil er auh Menſchenſohn if. Gemäß feiner
menſchlichen Geftalt urtheilt er, daß die ihm ähnlichen Menſchen Kinder
Gottes feien, wie er, und fo werden fie denn auch Kinder der Unfterbs
lihfeit fein, daß dagegen die ihm Unähnlichen Kinder des ewigen Todes
feien. Nach einer milden (pia) Auslegung hat der Alchoran diefe Ges
heimnifje nur den Verftändigen (sapientibus) offenbaren wollen. Daher
jagt er, er verfchweige fein Geheimniß; nur für die Verſtändigen fei er
leibt, für die Andern fchwer zu verftehen. Die ungebildeten Araber,
welche der Alchoran die fhlimmften unter allen Ungläubigen nennt, durfs
ten nicht offen über jene Geheimnifje belehrt werden. Hätte Mahomed
ihnen einfach das Evangelium gepredigt und fein befondered Geſetz geges
ben, fo wären fie zum criftliben Geſetze übergegangen, das fie beinahe
600 Zahre lang verworfen hatten. Er belehrte fie daher, fie ſeien Js—
maeliten ımd ſtammten von Abraham; fowohl Juden ald Ehriften vers
ehrten diefen Patriarchen und hätten feinen Glauben, durch ten er fo
Großes von Gott in diefer und der andern Welt erlangt habe. Wenn
die Heiden, welde Abraham nachfolgen, ihre Götzen verwerfen und entweder
Mofis oder Ehrifti Gefeg annehmen, fo müßten fie, die aus Abraham
ftammen, ſich um fo beſſer halten. Gott habe ihnen Mahomed als feinen
Gefandten auserwählt, der weder Jude noch Ehrift gewefen, da er vor
beiden gelebt. Er verwarf die Gögen und wandte fi zur Anbetung
des wahren Gottes hin. So bradte Mahomed Viele zur WVerwerfung
des Gögendienfted, wozu fie vorher das Evangelium nicht gebracht hatte, da
die evangelifhe Vollkommenheit ihnen zu ſchwer ſchien. Auch lehrte ver
Alchoran, daß diejenigen, welche den chriftlihen Glauben annehmen, aber
die Gebote nicht halten, mehr als alle Andern Gott beleidigen und in
der Hölle die größten Etrafen leiden. Daher verbarg ihnen Mahomed
die Geheimniffe ded Evangeliums, von denen er glaubte, daß fie jpäter
den Berftändigen befannt würden. So blieb ja auch das Evangelium
am Anfange Bielen dunfel und unbefannt, bis es nah und nach befjer
erfannt wurde. Wäre das nicht nützlich geweſen (nisi hoc expedivisset),
jo hätte Chriftus zu dem Wolfe nicht in Gleichniffen geredet.
13.
Chriſti Kreuzigung ift feine Erhöhung und Verberrlihung.
Menden wir und nun dem Myfterium des Todes Ehrifti zu, um zu
erkennen, wie es wohl zu verftehen fei, Chriſtus ſei nicht am Kreuze ges
forben. Fürs Erfte ift ausgemacht, ed flimme mit dem Evangelium
überein, daß Ehriftus lebt. Lebt er und wird feine Wiederfunft erwartet,
332
um alle Männer des Geſetzes zu befehren, fo iſt Mar, daß die Ehriften,
die fein Evangelium angenommen haben, Fein andered Evangelium ans
nehmen werben, da jenes auch nach dem Alchoran vollfommen if. Wenn
dagegen Andere Schriften folgen, weldye dem Evangelium widerfprecen,
fo müflen fie diefe verwerfen und das Evangelium annehmen. Dann
erft werben fie auf dem rechten Wege fein. Es ift daher ganz unge
reimt, wenn die Araber die Verehrer des Evangeliums aus dem Grunde
verfolgen, weil der Alchoran nad ihrer Auslegung mit dem Evangelium
nicht übereinftimmt. In dieſer Verfolgung der Gläubigen und des im
Alchoran ſelbſt gebilligten Evangeliums handeln fie vielmehr gegen den
Alchoran. Bielleiht fagen fie: in dem Glauben, Chriſtus, das Wort
Gottes, fei durch die treulofen Juden an's Kreuz geheftet worden, ſeien
die Chriften nicht Chriften, fondern Gottesläfterer. Die Chriſten ant-
worten hierauf: der erft gegen 600 Jahre nad dem Tode Ehrifti ver-
faßte Alchoran beftätigt das Evangelium, das um die Zeit des Todes
Ehrifti geichrieben wurde, und die Propheten, welche von dem Tode Ehrifli
weifjagten, Chriſtus werde zu der Zeit fommen, in der er auch wirklich
fam, er werde fo handeln, wie er handelte, fo fterben, wie er wirflid
geftorben ift. Es verdient Beachtung, daß der Engel Gabriel dem Daniel
offenbarte, nab 62 Wochen müſſe Ehriftus getödtet werden, wie man
bei Daniel 9. Kapitel liest. Das hat alfo derfelbe Engel Gabriel ger
offenbart, von welchem Mahomed fagt, er habe ihm den Alchoran mit
getheilt. Wie reimt es fih nun, daß Gabriel auf Befehl Gottes dem
Propheten den Tod Ehrifti vorausfagte und ihm nad Umfluß dieſer Zeit
fagt, er ſei nicht geftorben, indem er Gott und fih zum Lügner madt?
Erwäge auch, daß Ehriftus vor feinem Tode feinen Tod am Kreuze den
Jüngern voraudfagte. Co behaupten es einftimmig die Geſchichtsbücher
jener Zeit, fo haben alle Ehriften, Juden und Heiden vor Mahomed
gegen 600 Jahre lang geglaubt. Man darf aljo wohl annehmen, daß
man, wenn der Alchoran died verneint, dem Evangelium glauben muß, da
jener feinen Grund für feine Behauptung beibringt. — Einige fagen, dem
Berfaffer des Alchoran babe die Kreuzigung wohl eine Läfterung ge
ſchienen, man dürfe fie von einem fo großen Propheten nicht annehmen,
da fie ihm micht zur Ehre gereicht hätte. In diefem Falle bat er dad
Myſterium ded Kreuzes Chriſti nicht verftanden. Die Kreuzigung Chrifti
ift feine Erhöhung und Verherrlihung, die Rechtfertigung und das Leben
der Chriſten und die Auferftehung aller Menſchen. Viele Könige und
Fürften haben die Chriften wegen ihrer Verehrung eines Gefreuzigten
verfpottet und verfolgt, wie Egeas in Achaia Andreas, den erflen Jünger
Ghrifti, Andreas erflärte jenem, dies fei die Folge feiner Unfenntnif
des Myſteriums des Todes Chriftt am Kreuze, den die Heiden nicht zu
333
fafjen vermöcten. Als der Apoftel Paulus vom Kreuze Chriſti prebigte,
das den Juden ein Wergerniß, den weltweifen Griehen eine Thorheit
war, ſchwieg er nicht, bis er das Geheimniß der Erlöfung den Ehriften
enthüllt hatte. Hätte der Alchoran den Arabern die Kreuzigung Chrifti,
ohne zugleih das Geheimniß aufzuſchließen, offen gelehrt, jo hätte er in
ihrem Sinne Chriftus nicht verherrlicht. Nach einer mildern Auslegung
wollte er wohl den jhmählihen Tod Ehrifti den Arabern verbergen und
daber lehren, er lebe noch und werde wiederfommen. Er hätte aud)
line Auferftehung vom Tode, vermöge der Gewalt, die er nach feiner
Ausfage im Evangelium hatte, jein Leben hinzugeben und wieder zu
nehmen, nicht lehren können, außer wenn er ihn nicht als einen bloßen
Menſchen, jondern auch als Gott auffaßte, welches Lebtere aber nad)
dem Alchoran mit der Einheit Gottes im Widerfpruh war. Auch paßte
ed, wie ich fogleih zeigen werde, jonft nicht zu feinem Glauben, zu
Ichren, Chriſtus fei bereit8 vom Tode auferftanden, weßhalb er vermuth-
lich ſo geiproden hat. Er ſpricht indeß in einer Weile, daß die Vers
ſtaͤndigen wohl zwiſchen den Zeilen lefen Celicere) fünnen, das Evange-
lium habe das Wahre.
14.
Nah dem Alchoran hat Bott die Seele Ehrifti an fid
gezogen, ihn aus dem Leibe wandern (transmigrare)
laffen und zu [ih hinüber genommen.
As die Ungläubigen mit Chriſtus treulos zu verfahren anfingen
und ihn durd den Tod zu vertilgen trachteten, wurden fie nad dem Als
choran hintergangen. Denn der Schöpfer redet dort Chriſtus aljo an:
„Indem ich deine Seele an mich zog und erhöhte, habe ich dich von den
Ungläubigen befreit." Dann anderdwo: „Gott ließ Chriftus aus deſſen
keibe zu ihm auswandern.“ Und wieder: „Gott hat Chriſtus an fi
angezogen (assumpsit)”. Die Chriften geben died Alles zu: denn als
Jeſus nach dem Evangelium mit lauter Stimme am Kreuze zu feinem
Vater rief, warum er ihn verlaffen habe und beifügte, er empfehle feinen
Geift im feine Hände, den er unter diefem Rufen aufgab, da bewahrheitete
ed ſich, daß Gott feine Seele an fi gezogen habe. Denn Seele und
Geiſt find Ein und dasſelbe. In der Auferftehung erfüllte fih das Hins
überwandern (transmigratio); denn fie war der Uebergang durch den Tod
zum unfterblihen Leben. So ließ ihn Gott zu fih, der allein in der
Unfterblichfeit wohnt (qui solus habitat immortalitatem), hinüberwandern,
was die Chriften Peihah nennen, von welchem auch ver Alchoran redet.
In der Himmelfahrt Chrifti vollzog fih fein Hinaufgenommenwerden
(assumtio). — Nah Mahomed haben die Juden nicht Chriftus getödtet,
334
fondern einen Andern, der ihm ähnlih war, und nirgends erwähnt er ver
Kreuzigung. Vielleicht wollte Mahomed alfo argumentiren: Chriftus lebt,
alfo ift er durch die Juden nicht getödtet worden, denn wie fönnte er fonft
leben, außer durch die Auferftehung ; diefe ift aber noch nicht erfolgt,
fondern erfolgt erft in der Zufunft. Bor diefem Tage der Auferftehung
muß Alles, was") Leben hat, feien es Engel oder Menſchen oder andere
lebende Wefen, fterben, damit die allgemeine Auferftehfung und Wieder:
funft (reditio) erfolgen fanı. Somit war Chriftus, der, wie audgemadt
ift, lebt, nie getödtetz er wird jedoch einmal fterben und am Tage der
Auferftehung auferftehen. Das ift der Glaube Mahomeds, der im Al:
choran, wiewohl nur da und dort vorfommt. Gleichwohl fagt er Kap. 48:
„Beim erften Poſaunenſchall verfällt Alles dem Tode, was nicht bie
Rechte Gottes beihüßt, beim zweiten lebt alles wieder auf.” Tas ift
wegen des Folgenden wohl zu merken. Mahomed lehrt auch, nur Gott
fei der Auferweder der Todten; von den ſchon Auferwedten und den noch
Aufzuerwedenden dürfe man nicht glauben, fie ſeien bereit von den Tod
ten auferftanden. Sie müffen daher vor dem Tage der Auferftehung noch
einmal fterben. Auch liegt nah ihm zwilhen dem Todestage und dem
Tage der Auferftehung feine wahrnehmbare Zeit zwifhen inne. Wenn
Abel, Adams Sohn, der erfte Geftorbene, auferfteht, fo wird er meinen,
er fei nicht länger todt gewelen, ald derjenige, welder kurz vor dem
Tage der Auferftehung ftirbt. Im 55. Kap. heißt ed: „Am Tage des
Gerihtes, an welchem Jedem unfer Gebot offenbar wird, wird Jeder
heranfommen, als hätten fie nur Eine Stunde eines Tages ſich verweilt.“
So auch Kap. 25 und an vielen andern Stellen. Die mittlere Zeit
zwifchen dem Tode und der Auferftehung bringt er nicht in Anfchlag, ob—
obwohl er fagt, daß diejenigen, die für Gott zu fterben ſcheinen, nicht
wirflih fterben. So fagt au der Alchoran: „Niemand halte die aus
Gehorfam gegen Gott Gefallenen für tobt, vielmehr für gefund und lebend.”
Ein andersmal: „denen, die aus Gehorfam und LXiebe zu Gott in den
Tod gehen, naht fi die göttliche Liebe und gewährt ihnen Freuden.”
Und wieder: „die auf den Wegen Gottes fterben, darf man nicht für
todt halten; erfreut von der Güte und Liebe Gottes leben fie bei Gott,
harrend ihrer Hinterbliebenen, nichts fürchtend.“ Obwohl daher Mahomed
fagt: „iede Seele (anima) wird den Tod foften”, fo folgt er doc dem
Evangelium, welches fagt, man dürfe Die nicht fürchten, welche nur ben
Körper, aber nicht die Seele tödten fünnen, wohl aber Den, der außer
dem Leibe auch die Seele in die Hölle ftürzen kann; er folgt den Büchern
der „Weisheit“, nach welchen die Gerechten, wenn fie auch in den Augen
1) Im Terte: omuis, quo vitam habent, flatt omnia, quae v. h.
335
der Unverftändigen zu fterben fcheinen, dennoch leben und im Frieden find.
Nichtsdeſtoweniger müffen die Seelen Solcher (nah dem Alchoran) fier-
ben, damit fie bei der allgemeinen Auferftehung, welche er den Tag der
Wahrheit nennt, auferftehen. Denn es beißt im Alchoran: „Am Tage
ver Wahrheit, an welchem die Seelen und Engel auferftehen.“ Und in
den Lehren an Abdalla: „An jenem Tage wird Gott dem Engel des Tor
des befehlen, jede lebende Greatur zu tödten: alle Engel, Teufel, Mens
ſchen, Vögel, Filche und Thiere des Waldes und Feldes. Alles ift todt,
außer Gott." Er fügt bei: „Zulegt wird Adriel, der Todesengel, fi
jelbft tödten.” Dann folgt die Auferftehung. „Raphael nimmt die Pos
faune, die 500 Jahre fang ift, er fteht in Serufalem, bläst in fie und
bläst alle ihm inzwifchen anvertrauten Seelen hinaus, die zu ihren Körs
pen eilen.“ — Nach diejer Anficht ift ed gewiß, daß Chriſtus von den
Juden feiner Seele nach nicht getödtet wurde; denn fie hätten ihn wegen
keines Gehorfams gegen Gott getödtet, und ald Solcher darf er nicht für
todt gehalten werden. Daß die Juden Ehriftus gefreuzigt haben, ift (nad)
dem Alchoran) ganz irrig; was aber im Alchoran dabeifteht: „indem fie
ih al8 die Urheber (auctores) feined Todes befennen, fühlen fie in
ihrem Junern eine nicht geringe Bellommenheit (ambiguitatem), allein
getötet haben fie ihn nicht,“ ift wohl zu beachten. Nach diefen Worten
ibeint nicht geläugnet zu fein, daß die Juden nicht die Urheber des Tos
des Ehrifti fein fönnten, wenn fie ihm auch nicht getödtet haben. Der
Achoran läugnet alfo die Kreuzigung Chriſti nicht ganz und gar (in toto),
die Pilatus, wenn auch nicht die Juden, vornehmen laffen fonnte, fo wie
es im Evangelium fteht.
15.
Bon der Auferfiehung Jeſu Ehrifti.
Daß Ehriftus ohne Leiden (expers malorum) geftorben und durch
ine eigene Kraft lebendig auferftanden tft, fheint aus dem 28. Kay.
des Alchoran flar hervorzugehen, wo Ehriftus unter Anderem alfo fpricht:
„Bott hat mich als Einen, ver frei von Leiden ift, erfchaffen; über mir
ruht die Hand Gottes (divina salus) am Tage meiner Geburt und
meines Todes, aus welchem ich lebendig hervorgehe.” Dies ift ein wah-
rd Wort über Ehriftus, den Sohnes Mariens, worüber jedoch Viele vers
ſchiedener Anficht find. Beachte, daß von dem Tage ded Todes, nicht
von dem der allgemeinen Auferftehung, die er anderewo auf Johannes,
den Sohn des Zacharias, anwendet, die Rede if, wenn er fagt, die Hand
Gottes ſei über Johannes am Tage feiner Geburt, des Todes und der
Auferftchung. Sch verftehe daher jene Stelle jo, Chriftus fei vor der
allgemeinen Auferfiehung geftorben und wieder auferftanden, wie es das
336
Evangelium lehrt. Es ift demnad nicht wahr, Chriftus und alles Lebende
fterbe beim Schale der Poſaune oder durch den Todesengel Adriel, wie
in der Lehre Mahomeds zu leſen if. Zur Berichtigung diefer Behaup
tung wird daher Kap. 42. beigefegt: „Alles unterliegt dem ode, außer
was die Hand Gottes beſchützt“. Wenn irgend Einer, fo ift Chriſtus
dieſes Schutzes würdig; ja er felbft ift jene rechte Hand Gotted oder
Macht, durch welche Gott Alles gemacht hat und noch macht. Bon Br
lang ift auch, was man in der Chronif Mahomeds und feiner Nachfolger
liest, Maria, die Mutter Jeſu, babe diefen fünf Jahre überlebt und
54 Jahre gelebt.
Doch faget mir, ihr Gejegesfundige der Araber! Wenn die für Gott
Gefallenen nicht todt find, weil fie bei Gott leben, fo werben ihre Seelen
getrennt vom Körper leben. Müſſen num ihre Seelen am Tage des
Todes alles Lebenden fterben? Saget ihr: ja, fo erwiedere ich: wird
nicht ein Freund Gottes, der auf den Wegen Gottes wandelt, wenn er
an jenem Tage durch den Engel Gottes getödtet wird, ebenfowenig feiner
Seele nad fterben, wie wenn er ſchon längft getöbtet worden wäre? Si
dem fo, fo wird ein Solcher alfo der Seele nah am Tage ') der allge
meinen Auferftehung nicht tobt fein, fomit auch nicht die früher für Gott
Gefallenen, weil die ja in feiner ſchlimmen Lage fein werben. Die Seel
aller Diefer wird daher nie fterben und auferftehen, wiewohl ber ganze
Menſch, beftehend aus Seele und Leib, welcher todt war, auferftchen
wird. Da e8 nicht angeht zu fagen, die todte und ganz erlofchene Seel
des Eünderd werde von Gott wieder zum Leben erwedt, damit fie ewig
in der Hölle brenne, fo ift offenbar die Lehre Ehrifti wahr, die Seck
fönne nicht getödtet werden. Es muß daher die Etelle im Aichoran:
„Alles ift todt außer Gott” im Verhältniß zu Gott verftanden werden,
der allein in der Unfterblichfeit wohnt (inhabitat immortalitatem), durd
welden alles Lebende infoferne lebt, inwieferne Gott ihm Leben verleiht.
Gott verleiht aber der vernünftigen Seele die Freiheit, in Folge deren fie
gerichtet wird, wenn fie den Irrthum der Wahrheit vorziehtz fie fann
daher nicht untergehen, da fie dem göttlichen Gerichte unterworfen if
(cum sit subjeetum divini judieii). Da die vernunftlofen lebenden Weſen
nicht gerichtet werden fünnen, und es daher nicht nothwendig ift, daß fie
zum Gerichte auferftchen, fo würden fie umfonft auferſtehen. Wie jollten
fie auferwedt werden, da die vorige Seele doch nicht mehr in ihren Koͤr⸗
per zurückkehren würde, indem dieſelbe durch den Tod ganz erloſchen und
zu Nichts geworden iſt? Und wie ſollte die reine geiſtige Natur, die
1) Der Text hat: Non erit igitur ille secundum animam Dei generalis resür-
rectionis mortuus. Statt Dei ift offenbar zu lefen: die.
337
aus Feiner vorhergegebenen Materie erfhaffen wird (cum creetur ex nulla
praejacenti materia), wie jollte dieje auferftehen? Deßhalb haben Engel
und Dämonen feine Auferftehung, da fie rein geiftige Naturen und bereits
gerichtet find. Es müfjen auch nicht alle einft zu richtenden Weſen zu
Gott, aus dem fie find, zurüdfehren, da es bei ihm fein Vergefien, feine
Vergangenheit gibt. Somit müflen die Araber jene nicht mit dem Evans
gelium harmonierenden Säge im Einne des criftliben Glaubens auffafjen.
Nicht ohne guten Grund nennt der Alchoran das Evangelium oft ein
ichr helles Licht und den rechten Weg. Unrichtig ift die Behauptung,
Ehriftus werde noch einmal fterben und zulegt mit den Andern auferftchen;
wahr ift nur, daß er von den Todten auferftanden ift.
16.
Das Myfterium der Geburt und des Todes Ehrifti.
Um die Urſache des Kreuzestodes Chrifti einzufehen, müflen wir
vorausſchicken, daß Gott Alles zur Offenbarung feiner Herrlichkeit ers
ihaffen hat. Da ein unbefannter König in feiner Herrlichkeit ebenfos
gut für feinen König, als für einen König gehalten wird und aller Ehre
und Erweife feiner Güte entbehrt, fo wendet er alle feine Thätigfeit
darauf, daß feine Macht und Herrlichkeit gejhaut und er als ein großer
König erfannt, geehrt und verherrliht werde. Er gibt fih aber nur den
mit Berftand Begabten zu erfennen. So hat au Gott geiftige Naturen,
fähig, feine Herrlichkeit und Wahrheit zu erfennen, gefhaffen, um erfannt
ju werden, und um bdiefer geiftigen Naturen willen die ganze unter ihnen
ftehende Welt (cuncta inferiora). Um feiner felbft willen hat er Alles
gewirkt, wie im 94. Kapitel des Alchoran fteht, er fei der Anfang und
das Ende aller Dinge. Der Menfh, der unter den geiftigen Naturen
die umterfte Stelle einnimmt, hat den Geift nur als Potenz (in potentia)
und bedarf eines andern Actes, der ihn aus der Potenz zur Actualität
bringt. Er ward ind Paradies gejegt, mit Unfchuld geziert (dotatus inno-
centia), auf daß er unfchuldig, im Gehorſam gegen Gott lebend, durch
Gottes Gnade zulegt zur Anfchauung der Herrlichkeit feines Gotted ger
lange und zum Genuſſe verfelden. Weil aber der freie Menſch durd
Ücherredung dcs Teufeld es vorzog, mehr durch Wiſſen (per scientiam), als
durh Unschuld und Gehorfam fih zu erheben (ascendere), verweigerte er
Gott den Gehorfam, um nah den Verheißungen des Teufeld aus fi
Gutes und Böfes zu wiffen (ut secundum promissa diaboli esset per
se sciens bonum et malum). Nach Berluft der Unfhuld wurde er aus
dem Paradiefe verftoßen. Er, der vorher, wenn er ftandhaft blieb (si
stetisset) beftändig hätte leben fönnen, wurde fterblih und unwiſſend
Sqarpff, Nic. v. Cuſa. 22
338
(ignorans), Es war ihm nie mehr möglich, mit aller feiner Anftrengung
zur Unfterblichfeit und Anfbauung der Herrlichkeit Gottes, die Fein Sterb—
liher fhauen fann, zu gelangen. Es gab fein anderes Mittel, als
wenn Der, welcher ihn zu diefem Zwede erfchuf, ihn aus Gnade wieder:
fhuf (denuo gratiose reformaret). Zur Vorbereitung dieſer Wieder
geburt (ad hanc reformationem aptandam) follte der Menſch an fid vie
Probe maden (probatus est homo), ob er durch das natürliche, ihm ars
erfhaffene Geſetz voranfchreiten fünme, Später fam das gefchriebene Geſch
hinzu und erwedte in ihm die Hoffnung auf die Verheißungen Gotted,
zuerft im Gebiete des Sinnlihen, dann in dem des Geiftigen. Don allen
Propheten wurde der von Gott ald Erlöfer aller Menſchen zu fendende
Meſſias als Fünftig erfcheinend vorausgefagt, welcher, mit der Kraft Gottes
ausgerüftet, dad Volk Gotted vollftändig reformiren und erlöfen follte.
Lange erwartet fam er endlich vom Himmel als höchfter Gefandter und
Gottes Sohn in Menfchengeftalt, arm und unanfehnlid, der Sohn der
armen Jungfrau Maria in die Welt und ward Jeſus Chriftus genannt,
Seine göttlihe Kraft und Macht bewies er durch feine himmlische Lehre
und göttlihe Wunderthaten, damit Jedermann fehe, in ihm wirke Gott
der Vater, der ihn gefandt, und feine Worte feien Worte ded wahrhaftigen
Gottes. Johannes, des Zacharias Sohn, legte von ihm das zuverläffigie
Zeugniß ab. Er verfündete, was er bei feinem himmlischen Vater gejeben.
Wer feine Worte aufnahm, erfuhr «8 in fih, daß er das wahrhafte
Wort Gottes fei. Der geliebte Sohn Gottes gab Allen, welde an ihn
ald den Sohn Gotted glaubten, die Macht, Kinder Gotted zu werben.
Denn dahin ging al fein Streben, daß man an ihn als den Sohn
und das Wort Gotted glaube (ut crederetur filius et verbum Dei);
denn dann würden auch alle feine Lehren angenommen, feine Berheißungen
über das fünftige Reich Gottes, Auferftehung der Todten und ewiges
Leben zweifellod geglaubt und feine Gebote befolgt. Wer ſollte noch
fündigen, wenu er von dem feinen Zweifel zulaffenden Worte Gottes
weiß, die Sünde bringe den ewigen Tod? Wer follte nicht bis in ben
Tod gehorfam fein, wenn er vom Worte Gottes erfährt, daß er für ben
zeitlihen Tod von Gott, dem gerechten Vergelter, das ewige Leben
erhalten werde? Wie fann der Menfh an den Berheißungen noch zweifeln,
wenn fein Glaube ihm mit aller Beftimmtheit fagt, es feien Verheißungen
Gottes? Jeſus fam in die Welt ohne jegliche Begierlichfeit des Fleiſches,
nicht durch den Willen eined Mannes, dem Tode nicht unterworfen, ber
wegen der wirklichen Sünde der Stammeltern und wegen der Erbſünde
aller ihrer in ver Begierlichkeit des Fleifches erzeugten Nachkommen über
Alle kommt, bei denen ed Gott zuläßt. Der fündenlofe Cinnocens) Jeſus
war daher frei vom Tode, da er weder in Sünden geboren wurde, noch
339
je eine Sünde vollbracht hat. Ueber den himmlifhen Vater, deffen Reich
und Glorie offenbarte er, was nur er, fein Anderer willen fonnte, da
Niemand je den Water in diefer finnlihen Welt, in der er unfichtbar ift,
geliehen hat; er offenbarte fih ald den Weg, die Wahrheit und das Xeben.
Die Schrift legte er aus, weil fie von ihm ſprach (quoniam de ipso
erant); durch Wort und That zeigte er, er fei der Arzt gegen alle Kranfs
heiten ded Körpers und der Seele, auch gegen den Tod felbft. Er Ichrte,
er jei der König und Meffias, doch fein Reich fei nicht von diefer Welt;
dieſe Welt, dieſes Leben müſſe man für nichts halten, im Vergleiche zum
ufünftigen. Nah vielen Zeichen und Wundern, durch die er zeigen wollte,
man müfle diefed Leben für die Wahrheit und das unfterbliche Leben
darangeben und Gott felbft bis zum fchmählichen Tode des Kreuzes ges
borhen, ging er, der, wenn er wollte, unfterblic fein fonnte, in den
Tod, indem er fo Gott, feinen Water, der es fo wollte, verherrlichte und
durh feinen unfhuldigen Tod Allen, die ibn im Glauben annehmen und
in fih ausgeftalten (ipsum inducentibus), das ewige Leben bei ihm
verdiente. Der volljogene Tod des unichuldigen eingebornen Sohnes
Gottes, den Diefer in feiner menfchlihen Natur erdulvete, hatte zu feinen
Verdienfte die Befreiung aller durch den Satan, den Urheber des Todes,
Öefangenen x. Im Tode Ehrifti ift jeder Gläubige, der ihm eingegliedert
it (eidem incorporatus), gleichfalls geftorben und hat als Verdienſt das
Leben. Alle mit dem Meſſias gefreuzigten und geftorbenen Chriftgläubigen
haben ald Verdienft das ewige Leben in Ehriftus erlangt, Am dritten
Tage fand er durch eigene Macht auf, denn er hatte Macht, fein Leben
im Tode hinzugeben und ed in der Auferftehung wider zu nehmen,
Seine Auferftehung ift e8, durd welche alle Menfchen, die mit ihm gleicher
menfhliher Natur find, die in ihm dem unfterblihen Leben geeinet ift,
auferftehen. Er ftand auf, um thatfächlih zu beweifen, man müffe an
die Auferftehung der Todten glauben, die am Tage des Gerichts erfolgen
werde. In feinem Tode fterben wir, in feiner Auferftcehung werden wir
wieder erweckt; durdy ihm haben wir den Zugang zu Gott Vater, um ihn
zu [hauen in feiner Herrlichkeit und mit ihm Jeſus Chriftus, feinen ewig
gepriefenen Sohn.
Aus diefer kurzen Darftellung erhellt, daß der ſchmähliche Kreuzestod
Chrifti fehr große Gcheimniffe in ſich begreife, und ebenſo nothwendig für
die Gläubigen als glerreich für Chriftus fei. Diefer farb, um feinen
Vater zu verberrlihen, um zu zeigen, wie groß Der iſt, dem ver
Meſſias mit Aufopferung feines Körpers, im ſchmählichſten und ſchmerz—
lichſten Tode bis zur Grenze aller Schreden gehordte; wie groß das Er
barmen dieſes Gottes ift, der allen Chriftusähnlichen wegen ihrer Ges
22 *
— — — — nn
340
meinſchaft mit dem Tode des Sohnes, mit dieſem ſeinem geliebten Sohne
das Reich des ewigen Lebens zum Beſitze ertheilt. Der Tod Ehrifti
verherrlihte aber auch Jeſum als den Sohn voll göttlicher Liebe,
der nicht jo mitleldig, erbarmungsvoll und bereitwillig im Gehorden bis
zum Tode gewefen wäre, wäre er nicht ganz volllommen und Gott gleih
(Deiformis) geweien. Mit feinem Blute gab er von dem Vater dad
Zeugniß, er fei über Alles zu lieben, feine Verehrung, die Befolgung
feiner Gebote, die WVerherrlibung des fünftigen Lebens müfle bis zur
Verachtung diefed elenden Lebens gehen. Chriftus zeigt, die Verheißungen
feines Baterd und feine eigenen Vorherfagungen feien erfüllt, wahrhaftig
fei der Vater und er felbft die Wahrheit desjelben. Alle Wiſſenſchaft,
alle Geheimniffe der heiligen Schrift find durch ihn enthüllt.
Das willen alle Kinder des Lichts, die Chriftus nachfolgen; den
Söhnen der Finfterniß, den Kindern diefer Welt, denen der Geift Ehrii
fehlt, bleibt eö ewig verborgen.
17.
Von der Fruhbt des Todes Chriſti.
Ein eifriger Araber könnte fagen: wenn der Tod Ehrifti den Vater,
den Schöpfer des Alls, verherrliht, fo iſt er allerdings machtvoll und
rühmlih, und ed wäre mir erwünfcht, hierüber noch vollftändiger belehrt
zu werden. Solchem Eifer will ich nad meinem geringen Vermögen ned
Einiges mittheilen, damit Jeder die Wahrheit jener Behauptung einſehe.
Es unterliegt feinem Zweifel, daß die Sünde eine Trennung mb
ſchen Gott und dem Menſchen bewirfe, wie der Prophet fagt: „eur
Sünden haben zwifhen euch und eurem Gott eine Trennung bewirkt,’
und David, ein Nahahmer Gottes, fagt: „die Sünder haſſe id.’
Diefe Sünde kann von der Abftammung herrühren, fo daß der in Ein
den von feiner Mutter Empfangene in Unreinigfeit und Fleifhestu lebt,
wie derfelde Prophet von feiner Abftammung ausfagt. Auf diefe Weile
find wir Alle aus Adam von der Mutter nad dem Willen des Mann
empfangen; Keiner hat die gottgefällige Reinheit, wie Hiob fagt: „Kam
der Menſch gerecht fein im Vergleiche zu Gott, oder der vom Weib
Geborene rein erfcheinen ?* Wir werden ald Kinder des Zorns mit dem
Geifte der Begierlichkeit des Fleifches geboren, der nicht aus dem gelfis
gen Himmelreiche unfered unförperlihen Gottes if. Aus der Geneigt
heit zum Böfen, die wir von Kindheit an haben, erfahren wir, daß und
nicht der gute Geift Gottes regiert, und zwar erfahren wir dies in und
durch eine Gabe Gottes. Gott hat nämlich den Menfchen ſo geſchaffen,
daß er beim Anblid eines Uebels erſchrickt, wie der Alchoran Kap. '9
fagt. — Jeder von Adam auf dem Wege der Begierlichkeit Geborene if
341
alfo theild durch die Erbfünde, theils durch wirflihe Sünden von Gott
getrennt, mit einziger Ausnahme von Ehriftus, der aud nad dem Zeug»
niffe des Nlchoran von der Mutter und Jungfrau Maria, die nie ges
fündigt hat, ohne Zuthun eines Mannes, ohne fleifchlie Luft, ganz rein
geboren ift. Er tft Fein Sohn des Zornd, des Hafled und Abſcheues,
fondern ganz rein; daher der Liebling Gottes unter Allen, die lebten oder
noch leben werden. Nie beging er eine wirflihe Sünde, denn von ihm
fieht gefchrieben: „er beging feine Sünde und fein Trug ging aus feinem
Munde hervor.” Er war fomit von Gott nie getrennt, die göttliche
Weisheit nahm ihn zur Einigung mit ſich an (in sui unionem assum-
sit). Wie die Weisheit ein böfed Herz und einen der Sünde dienenden
Körper verabfcheut, fo liebt fie eine reine Seele und einen von jeder fünd-
lihen Befleckung reinen Körper; fie feiert mit einer foldhen Seele eine
ewige Bermählung (sibi perpetuo foedere desponsat). Ghriftus ift der
erfts und zugleich eingeborene Eohn des Königs der Tugenden, ded Kö—
nigs der Herrlichkeit. Wenn nah Mofes Gott fagte: „mein erftgebore-
ner Sohn ift Israel,“ fo ift ohne Widerrede Ehriftus in Jsrael der Erfte
von Allen, weil er der Meffias iftz der Erftgeborene Gottes ift in die
Welt gefandt, der zugleich der eingeborene Sohn Gottes ift, wie Ehriftus
jelbft fagt: „wer nicht an mich glaubt, iſt fchon gerichtet, weil er nicht
an den Namen des eingeborenen Sohned Gottes glaubt." Wenn Gott
diefen feinen erſt- und eingeborenen Sohn für die Erlöfung der Welt hin-
gegeben hat, fo hat er gewiß die Welt auf das Höchfte geliebt. Dies
bezeugt das Evangelium mit den Worten: „So jehr hat Gott die Welt
geliebt, daß er feinen eingeborenen Sohn dahin gab.” Sind wir alfe
niht um einen theuren Preis erfauft, durch das Foftbare Blut des eins
geborenen Sohnes, um Gott anzugehören, die wir worher dem Fürften
der Finfterniß gehörten? Der Alchoran fagt, Adam habe dad Gebot
Gottes nicht erfüllt und fei fo dem Recht des Todes verfallen (jus mor-
tale subivit). In Folge der Sünde ded Stammvaterd verlor das ganze
Menichengefchlecht die Unſchuld (innocentia), die allein im Himmelreiche
eine Stätte findet; unterworfen dem Fürften diefer Welt, ward es auf
ewig verdammt, der Anfhauung der Herrlichfeit Gottes beraubt zu fein,
und dies ift der Tod der geiftigen Natur; es büßte feine Schuld im Tode
des eingeborenen Sohnes, der für Alle, die ihn als Meſſias und Kö—
nig des geiftigen Lebens aufnehmen, in den Tod ging. So haben Alle,
die in feinem Tode geftorben find, Genugthuung geleiftet, und find von
dem Sflavenjocdhe des Fürftend des Todes befreit. Der koſtbare Tod
des Eingeborenen, den Gott mehr als alle Andern liebte, hat deßhalb
volle Genüge geleiftet, weil e8 der Tod Deflen war, der den Schmerz
des Todes aufhob (quia fuit mors praecidentis dolorem mortis), wie
342
der Prophet fagt: „ihn (den Schmerz) kennen alle Eterbenven nicht.“
Derfelde fagt: „er hat unfere Schmerzen getragen.“ Gehen wir auf den
gläubigen Abraham, den Water des Glaubens, hin, auf die Größe feis
ned Verdienſtes, da er feinen einziggeborenen Sohn Iſaak Gott zu lieh
dem Tode weihen wollte, fo erfennen wir fogleih die Größe des Ber
dienfted des Meſſias, der fih, Gott zu gefallen, für die Erlöfung ver
Menihheit in den Tod hingab. Erkenne die unausfpredliche Liebe Got:
tes, der feined Sohnes nicht ſchonte, fondern ihn für und Alle hingege
ben hat! Berdiente er nicht, gleih Abraham, eine unzählbare Menge von
Söhnen und Erben feines himmliſchen Reiches zu erlangen ? Und was
verdiente Zeus, der eines fo Ihmählichen und ſchmerzlichen Todes ftarb,
der alle Schmerzen der Eterbenden übertrifft? Weil er das Leben hingab,
fo verdiente er gewiß Auferftehung von den Todten für ſich und feine
dem Bater erworbenen Brüder, unter welden er gleihiam der Erfige
borene ift, der an der Spige vieler Brüder fteht. Das Neich der geifts
gen Himmel dürfen wir nicht wie eim irdiſches Reich betrachten, von
welbem Jeder um fo weniger hat, je Mehrere daran Antheil baben;
fondern da Er felbit ohne Verminderung (absque defectu) von Umzähli
gen gefbaut und erfannt werden kann, fo fann das geiftige Reich Chrifi
von unzähligen Geiftern und von Jedem folidarifh in Befig genommen
werden (ipsum regnum intellectuale ab innumeris intellectibus potest
a quolibet in solidum possideri). Geiftig ift das Leben der Auferftehen
den, fo daß fie wiflen und fich deffen freuen, daß fie leben. Wäre eb
eine Vergeltung des für Gott fterbenden Gläubigen, wenn er im Tod:
bliebe oder nicht wüßte, daß er lebe? Lieber will der Menſch nicht fein,
ald ohne allen Geift fein. Daher erfolgt die Auferftehung des Menſchen
zum geiftigen Leben nur durch die Weisheit, die ein ſchmackhaftes Willen
(sapida scientia) ift, welches empfindet und weiß, daß es lebt. Die
Weisheit, an welcher alle geiftigen Naturen partieipiren, hat im Meſſias
ihren Meifter (in Messia magisterium habet). Durd das Theilnehmen
an diefer Meifterfchaft lebt ever, der in Chriftus auferfteht, weil dieſet
die Auferſtehung und das Leben iſt. Daraus erhellt nun, wie viel das
MWerf der Wiedergeburt (reformationis) ded Menſchengeſchlechts erhabener
ift, ald das Werk feiner Erihaffung, und wie weife Alles bier geordnet
if. Die Weisheit nun, welde Alles, fowohl was den Tod als die Aul
erftehung Chriſti anbelangt, auf das Weifefte angeordnet hat, IR, obs
wohl fie Ehriftus nie verlaffen hat, niemals geftorben, aud als Chriſtus
gemäß feiner Menſchheit durch die Trennung der Seele und des Kömers
ftarb. Auch iſt es feine andere Weisheit, welche den Menſchen Jeſub
angenommen hat (assumsit) und durch welche Alles erſchaffen wurde (Der
Alchoran ſcheint diefe die Seele Gottes zu nennen, wenn er fagt, M
343
Seelen der Menſchen participiren infoweit an der Seele Gottes, als bie
Weisheit in ihnen wiederfcheint); allein die Seele Ehrifii war der Fülle
: der Weisheit Gotted geeinet. Daher fagt der Alchoran, Gott habe im
| eigentlichen Sinne feine Seele Ehriftus gegeben, und daß diefer fie vom
Mutterleibe an gehabt habe, zeigt der Alchoran an mehreren Wundern,
' Rab ihm ſprach Chriftus zu feiner Mutter im Momente der Geburt
‚ Möftende Worte. Er vertheidigte feine Mutter an feinem Geburtstage
-.a.on® -
vor den Verwandten, welche gegen fie Argwohn hegten. Er unterhielt
fh mit unmündigen Kindern ald wären ed Greife, und redete zu Lehm
' gebilden, um Menfhen oder Vögel daraus zu macen. So behauptet
Mahomed in feiner Lehre und im NAlchoran. Chriftus machte dur ein
Wort den Blindgeborenen fehend, Ausfägige und andere Kranfe gefund,
: brachte Todte ind Leben zurüd. Dieſes und mehrered Andere fann aus
dem Evangelium und Alchoran entnommen werden, welcher legtere Ehriftus
auch einen Weiſen nennt, indem er ihm den nämlichen Namen gibt, wie
Gott, der fehr oft unbegreiflih und weiſe genannt wird. Gibt er alſo
m, Chriſtus fei der abfolut Weije, wie auch Gott der Water, fo ift die
Beisheit Gottes des Vaters feine andere, ald die Ehrifti, fondern Gott
der Schöpfer wirft Alles durch feine Weisheit, welche Ehriftug if. Das
it die unverwelflihe Weisheit, die jedem Geifte Leben gibt, der ohne die
Weisheit todt iſt. Die Ergreifung derfelben ift der Endzwed bei Erſchaf—
: fung der geiftigen Natur. Der Menſch kann fie ohne dem Mittler Chri-
ſtus, in weldem die allen Menſchen gemeinfame menſchliche Natur der
höchſten Weisheit in unauflöslicher Weife geeinet ift, in feiner menſch—
lichen Natur für fih nicht erreichen. Chriſtus ift daher der Meifter, ver
die Lehre und das belebende Wort für unfern Geift hat, der Enthüller
aller Schäße der Gottheit, der Verlündiger (ostensor) ded Vaters, des
Quells der Weisheit und Herrlichkeit. Dieſes Verkünden ift ein Auf—
nehmen der Weisheit, das den Geiſt ewig belebt und Chriſtus, dem
Sohme Gottes Ähnlih macht. Das ift die wahre Glüdfeligkeit, die ewige
Herrihaft im Himmel, im höchſter Wonne. Diefe Verheißungen Chrifti
haben für Alle, die ihn aufnehmen, volle Gewißheit.
18.
Vom Paradieſe.
Ein Araber könnte jagen: die Aufſchlüſſe des Alchoran über das
Paradies und die Verheißungen des Evangeliums gehen weit ausein-
ander. Der Alchoran verheißt den Gläubigen und Anhängern des Ge—
ſehes die Erfüllung aller Wünſche und fchildert diefe Wünfche ala ſolche,
von welchen gewöhnlih die Wollüftigen erfüllt werden. Das Evange-
lum aber verheißt nur eine geiftige Glückſeligkeit, beftehend in der geifti-
344
gen Anfhauung, Wiffenfhaft, Welsheit und Erkenntniß. Wir antwors
ten hierauf: immer iſt e8 uns vorgefommen, zwifchen dem Paradiefe Ma:
homeds und Ehrifti fei ein Unterfchied, wie zwiſchen Einnlidem und
Geiftigem, oder zwiſchen Sichtbarem, das zeitlih, und dem Unficht-
baren, das ewig iftz ein Verhältniß, das überhaupt zwiſchen Alchoran
und Evangelium befteht. Einige geben indeß zur Entſchuldigung des Vers
fafjerd des Alchoran an, er habe dadurch nur die ungebildeten Araber
zum Glauben an den Einen Schöpfer beftimmen wollen: der ihnen das
zeitliche Leben gegeben, werde ihnen auch im Senfeitd ein Leben, obne
Mangel, viel beſſer als dieſes zeitliche, geben. Zu dem Ende babe er
mebrere Gleichniffe, anfhauliche Bilder hievon gegeben, die er jedoch nict
weiter ausführte, fondern den Verftändigen ald befannt überließ. Hätte
er diefe Bilder nicht von dem finnlichen Leben genommen, um die Süßig—
feit des zufünftigen Lebens zu fchildern, fo hätten die Araber die Sache
nicht verftanden und wären dur ihnen unbefannte Verheißungen nict
angetrieben worden. Er fagt nämlih 51. Kapitel: „die Gläubigen und
die Milothätigen werden im Befige der fchönften Gegenden des Para
diefes alle ihre Wünſche erfüllt ſehen; dies ift ihr größter Gewinn, dies
ihre fhönfte Wonne.“ Er fcheint daher den Einen Gedanken ausſprechen
zu wollen, daß Gott den Gläubigen, ihm Dienenden vergilt nad der
Hoffnung und Sehnfucht des ihm Dienenden: für zeitlichen Dienft erlangt
er Zeitlihes, für Ewiges — das Ewige, für Sinnengenuß — wieder
Einnengenuß, für Geiſtiges wird ihm Geiſtiges zu Theil; denn 6. Ku
pitel fagt er: „Gott, der alle Wünfche fennt und überaus reich (om-
nium dives) ift, gibt denen, die Zeitliche fuchen, Zeitliches, die nad
Himmliſchem ftreben, Himmliſches als höcftes Gut.“ Im 51. Kapitel
fagt er: „Wer nach den Gütern diefer Welt ftrebt, dem geben wir fie,
aber am Andern hat er feinen Antheil.“ Wenn er daher im 1. Kapitel
fagt, die Guten gehen in das Paradies ein, wo fie herrliches Wafler,
alle Arten von Dbft, verfchiedene Früchte, anftändige und faubere Frauen
(decentissimas ac mundissimas mulieres) und alle® Gute ewig befigen
werden, fo ift zu beachten, daß diefe legtern Worte: „und alles Yute
werden fie ewig befigen“ nichts Anderes, als Gott bezeichnen. Gleich—
wohl wiederholt er die finnlichen Verheißungen fehr oft und zulept, 64
Kapitel, fagt er: „Alle Weifen follen alfo Gott fürchten, der allen Glaͤu—
bigen Weisheit und Erfenntniß Gottes verleiht." Im 107. Kapitel jagt
er: „Sie werden das Paradies bei Gott erlangen.” Achnliches Fommt
oft vor, daß nämlich ewiges Leben, ewige Freude und Seligfeit die Der
geltung fein werde. In den Rehrbegriffen (doctrinis) fagt er auch, vom
ewigen Leben laſſe fih Fein Bild entwerfen. Schließlich ſcheint er alſo
doch nicht dem Evangelium zu widerſprechen, wenn er ein Paradies für
345
die Geiftigen und Weiſen, Anfhauung Gottes und feiner Weisheit, d. 1.
Ehrifti, behauptet. Daher nennt auch der Alchoran in andern Stellen
die Bewohner der Hölle beraubt des Unterſcheidens (discretione) und ber
Weisheit. Wieder an andern Etellen fagt er nah Aufzählung aller
Dinge diefer Welt und feiner Verheißungen vom Paradiefe, die Güter
des ewigen Lebens feien viel beffer, als all Diefes, weil dieſes Leben
nichts fei im WVergleih zum ewigen. Wenn er im Bilde der Qualen
eined materiellen Feuers die Strafe der Verdammten ſchildert, jo im
Bilde des Waſſers und der Quellen das Leben der Seligen. Doch bes
fhreibt er nicht die reine geiftige Seligfeit, wie Apicenna in feiner Metas
phyſik ſelbſt zugibt. Obwohl diefer dem arabifchen Gelege (Glauben) anges
hörte, fo fagt er doch, Mahomed jchildere nur eine finnlihe Glüdjeligs
feit, die geiftige, die weit vortrefflicher fei, werde von dem Philofophen
befier dargeftelt. Der Aichoran ſetze jedoch, wiewohl minder deutlich
(minus extense) die vollfommene Glüdfeligfeit der Weiſen (Philofophen)
in die Erfenntniß Gottes und defien Weisheit, welhe der Eohn Gottes
if, wie auch das Evangelium lehrt: „die Welt vergeht mit ihrer Luft,“
die Dinge der zufünftigen Welt aber verhalten fih zu den Dingen diefer
Welt, wie dad Ewige zum Vergänglihen. Die Kenntniß und Anfchauung
Gottes des Vaters und feiner Weisheit ift eine unfterblihe Nahrung für
den Geift, weil die Weisheit nie vergeht (est immarcescibilis), wie aus
dem Buche der Weisheit zu erfchen ift.
19.
Snvective gegen den Alchoran.
Bei der Lectüre ded Alchoran bemerfte ih, daß er fehr oft des
furchtbaren Tages des legten Gerichts, des Paradiefed und der Hölle
Erwähnung thut, in einer großen Mannigfaltigkeit von Gleihniffen, da
fih das, was noch in feines Menfhen Sinn gefommen, nicht anders als
auf dem Wege der Muthmaßung nab dem Sinnlichen und Eichtbaren,
das ein Bild des Geiftigen ift, befchreiben läßt. Da auch das Himmels
reich auf diefe Weile in verichiedenen Gleichniſſen im Evangelium und
alten Teftamente gefchildert ift, fo fand jener Weg bei mir nad einer
milden Auslegung Entihuldigung. Als ich aber im Alchoran von der
Reufchheit der Jungfrau Maria, des Zohannes des Täuferd, von dem
Lobe der Keufchheit überhaupt las, von dem Verbote des fleilchlichen Zus
ſammenlebens in Tempeln, vom Gebote der Wafhungen nad) demfelben und
dor dem Gebete, und daß die Reinheit Gott gefällig fei, daß die Guten
Bott fchauen und bei ihm im Paradiefe find, daß Gott fie auf das
Höchfte Tiebe und ihmen das Höchſte (maximum, d. 1. ſich felbft) als
Lohn gebe, daß das Höchſte und Größte felbft die geiftige und ewige
346
Freude ift, da mußte ich ftaunen, wenn fo oft von Freudenmädchen und
Ihren Brüften, vom tbierifhen Koncubinat im Paradiefe die Mede iſt,
mit der Erklärung, 88. Kapitel, das fei die befte Vergeltung Gottes für
die Gläubigen; das Schamgefühl hielt mich ab, jene ſchmutzigen Dinge
zu leſen, Indem ich bei mir dachte: wenn Mahomed dieſes Buch voll Uns
rath Gott zufchreibt oder es zwar felbft fchreibt, aber Gott die Urheber
ſchaft beilegt, fo wundere ich mich, wie verftändige, keuſche und tugend—
fame Araber, Mauren, Aegyptier, Perſer, Afrifaner und Türken, welde
zu jenem Glauben gehören, Mahomed für einen Propheten halten, deſſen
Leben Niemand nachfolgen kann, der nad dem Himmelreiche ftrebt, wo
man nicht heirathet, fondern, wie Chriſtus Iehrte, den Engeln gleich if.
So Schmusiges fpricht Niemand auf eine fo ſchmutzige Weife aus, ber
nicht felbft voll folhen Schmutzes iftz aus der Füle des Herzens redet
der Mund. Daß Jenes wahr fei, erhellt aus dem 42. Kapitel, wo er
fagt, Gott habe die für Andere verbotene MWolluft, troß dem Merbote,
welches am Ende des 7. Kapiteld fteht, ganz nach Belieben ihm (Mas
homed) erlaubt; Gott habe befohlen, daß ein durch ihn (Mahomed) ge
gebener Eidſchwur zum Zweck des Ehebruchs mit einer Ehriftin Maria
aufgehoben werde. Hievon redet er im Eingange des 75. Kapiteld, im
Gegenfage gegen das, was er an andern Stellen über die Verdammniß
ber Ehebrecher und Meineidigen ausfpricht. Im 77. Kapitel fagt er felbt,
Meineidige, die zu ihrer perfönlihen Rettung fchwören, feien verdammt.
Warum fürchtet er fih nicht vor Blasphemie, wenn er von Gott ausjagt,
er habe einen Eidſchwur befohlen, damit dadurch ein Ehebruch fortgejegt
werde? Eine Beftätigung findet Obiges auch in Mehrerem, was er hin
fichtlich der Weiber geftattete, wie z. B. 3. Kapitel: „Weiber, die euch
unterworfen find, mögt ihr nach euren Verhältnifien (pro modo vestro),
fo viele Ihr wollt, halten.“ 8. Kapitel: Er erlaubte jo viele Weiber,
ald Jeder im ehelichen Reben halten fonnte und wollte, Im 9. Kapitel
heißt es: „Diefed euch vom Himmel herab gegebene Buch verordnet ald
erlaubt und geboten, daß ihr für euer Geld keuſche Weiber nehmet. Lebet
mit ihnen, wie es euch beliebt, ohne Scheu und Scham!” Daß David
und fpäter andere heilige Männer (des alten. Bundes) die Zahl der Wei-
ber überfchritten, entſchuldigt Mahomed nicht, der vielmehr kraft feines Ge
feßeö dies geftattete, was bisher bei allen Propheten und Gefepgebern
unerhört war; ja, es ift Läfterung Gottes, ihm in den Mund legen, was
er ganz und gar verabjhent. Ich erwog, daß ih im Alchotan laß,
76. Kapitel, Gott habe alfo dem Mahomed befohlen: „Zeige dic wahr,
haftig! Sage nichts Anderes, als du feieft mein Bote!“ Ebenſo nennt
ihn Gott im Eingange des 77. Kapitel unter eidlicher Verficherung
feinen Boten an die gößendienerifhen Araber. Im 27. Kapitel: „Richt
347
habe ich deiner Zunge geftattet, al8 daß bu den Gottesfürchtigen eine
freudennolle Botfchaft, den Ungläubigen Buße und Bekehrung (castiga-
men ineredulis) bringeſt.“ Im 32, Kapitel: „Sprich: mir ift nichts auf-
getragen, als Gott allein anzubeten und feinen ihm Gleichen anuerfens
nen. Ihm empfehle ich mich, zu ihm fehre ich wieder zurück.“ Iſt dies
Wahrheit, warum hat es Mahomed nicht beobahtet ? Warum hat er Ans
dern geboten, was ihm nicht geboten war? Warum nennt er fih im
77. Kapttel den Bölkerapoftel, da er doch nad dem oben Gefagten nur
ein Bote an die gögendienerifchen Araber war? Wenn du, Mahomer,
dih in das bir nicht Aufgetragene durchaus nicht einzumifchen hatteft,
fage mir, warum fpribft du dann doch gegen das Evangelium, gegen
das Geſetz des alten und neuen Bundes, ald wäre dir died aufgetragen
worden ? Wenn du fagft, deine Zunge habe feine andere Vollmacht, ald
den Gottesfürctigen eine große Freudenbotfhaft, den Ungläubigen Buße
und Bekehrung zu bringen, fo fchenft man hierin dir und Jedem, ber
Solches behaupten würde, Glauben. Jeder fann Solches behaupten und
verfünden, weil es eine Wahrheit ift und jede Wahrheit von dem wahrs
haftigen Gott ſtammt. Was nimmft du dir aber heraus, von andern
Dingen zu reden, da es dir Gott weder geboten, noch geftattet hat?
Warum foll ih dir glauben, da du Gott nicht gehorcheft? Du wäreft zu
entfhufpigen, wenn du nicht dem unveränderlichen Gott veränderliche Ge—
finnung beilegteft, und fo als Gottesläfterer erfchieneft. Indeß der alls
mächtige Gott wollte, daß allen jenen ſchmutzigen und nichti—
gen Lehren, die den verftändigen Arabern felbft ein Abſcheu
find, Einiges untermifht werde, aus dem der Lihtglang des
Evangeliums fo bervorfhimmern follte, daß er fih für Ber:
kändige, die ihn forgfältig auffudhen, durch fih felbft zu
erfennen gibt. Das Licht ded Evangeliums leuchtet fo heile, daß ohne
dasjelbe nichtd wahr und heil ift. Jedes Wort, fede Echrift, die des
Lichtes entbehrt, welches fpricht: „ih bin das Licht der Welt, das jeden
Menfhen erleuchtet, der in diefe Welt kommt; wer mir folget, wandelt
nicht in der Finſterniß“ — ift finfter, ungeorbnet, dunfel, todtbringend,
dem Geifte ein Abfchen, und nur der thierifchen Natur, die aus dleſer
Welt it, mag fie ergöglich erfcheinen !
348
Drittes Bud.
1
Der Alchoran hält zwar den Blauben an Einen Bott fett,
fhmeichelt aber Allen, wiewohl er Ehriftus den
Vorzug gibt.
Der Leſer des Alchoran wird bemerken, daß dieſer unbefchabet des
Glaubens: „es ift fein Gott außer Gott“ feinem andern Glauben ent
gegenzutreten verſucht. Wo er auf Glaubensgegenfäge ftößt, ſchwankt
(variat) er dergeftalt in feinem Glauben, daß Jeder in ihm etwas Anges
nehmes findet, welcher Härefie oder Secte er auch angehören mag. So
fagt er oft, daß zwiſchen dem Tode und der Auferftehung eines Jeden
faum eine Stunde zwilchen inne liegt, damit man über den Zuftand ber
Seelen vor dem Gerichte feine Beforgniß zu haben braucht. Gleichwohl
flibt er wieder die Behauptung ein, Einige werben in der Zwiſchenzeit
in eine anmuthige, quellenreiche Gegend verfegt, fo Ehriftus, die Jungfrau
Maria und die für Gott gefallenen Gerechten (3. Kapitel), die nach ihm
in Gott leben. Einige Seelen werden nah dem Alchoran (32. Kapitel)
bis zum Tage ded Gerichts mit Feuer gequält, während er anderswo
fagt, es befinden fih Feine Seelen im Paradiefe und in der Hölle vor
der Endentiheidung des Weltrichters. Das ift Alles fo unbeftimmt ge
fprochen, daß er die entgegengefegten Lehren der Häretifer und der Recht⸗
gläubigen über die Seelen der Geftorbenen vor dem Gerichte zu begünftis
gen fcheint. So fucht er in allen Anfichten zu „machen“ (sic nititur in
omnibus facere opinionibus). Vom Himmelreihe fpricht er nie, wohl
aber ſehr oft vom Paradieſe, als meinte er ein irdiſches Paradies; der
Gläubige werde nach dem Gerichte in den Ort, aus weldhem Adam ver
trieben worden war, wieder eingefegt, um beftändig dort zu bleiben. Um
jedoch nicht das Paradies der Chriften, das Himmelreich hintanzufegen,
nimmt er an einem beftimmten Drte zwei Paradiefe an mit verfchiedenen
Abſtufungen; im Paradiefe finde man dereinft, was die Ehriften in ihrem
Himmelreihe zu befigen glauben, das ewige Leben. So fagt er 25. Kapitel:
„Das Irdiſche vergeht fchnell, das Himmlifche niemals. Nach den beften
Werfen wird Gott einem Jeden vergelten und das ewige Leben verleihen,
ed ſei Mann oder Weib." Siehe, wie das ewige Leben das göttlide
ift, das im Himmelreihe befteht und von den Chriſten erwartet wird!
349
So heißt es auch im 18. Kapitel: „Zulegt werden alle Beobachter der gött-
lien Gebote volle und ewig dauernde Freude erlangen.“ Das fann nur
bei Gott fein, der im Himmel wohnt. Im 26. Kapitel fagt er, die Guten
gelangen ind Paradies, wo ihnen aus der göttlihen Subſtanz mitgetheilt
wird. — So macht er ed in allen Stüden. Nach dem 25. Kapitel hat
Gott zu ihm gefagt: „Diefed Buch habe ich dir aus feiner andern Urs
ſache anvertraut, ald damit du den Menfchen ihre Widerſprüche aufs
zeigeſt.“ Im gleichen Kapitel jagt er: „Ich habe did gefendet, damit
du Abrahams Gejege folgeft, ohne abzumeichen, um fein Ungläubiger zu
ein. Die Beobahtung des Sabbaths habe ich jedoch nicht geboten, weil
bierüber ein Gegenfag und Meinungsverfchiedenheit beftand, worüber Gott,
ver fünftige Richter, entjcheiden wird.” Anderswo gibt er Denen den Vors
zug, welche den Propheten glauben und über fie nicht discutiren. So
jagt er 4. Kapitel am Ende und 2. Kapitel: „Wer Gott und deflen
Geſandten nicht gehorcht ımd über fie diecutirt, wer ſich der Partei, nicht
dem Ganzen, das den rechten Weg verfolgt, anfchließt, über den werde
ih, als über einen der Wahrheit ſelbſt nicht Glaubenden Unheil herein—
breben laffen. Den Glaubenden aber, die nicht lange discutiren, wird
ver barmhberzige Gott, der reih an Erbarmen ift, unermeßlichen Lohn
verleihen.” Trog Gegenfag und Widerſpruch muß man aljo jedem Ges
jandten Gottes glauben; Keines Anfiht darf man einzeln annehmen, die
Entſcheidung, welche die richtige fei, muß man Gott am Tage des Ges
tichtes überlaffen. Im diefer Weile fpricht er jehr oft; zweifelhafte Stels
len im Geſehe und in den Propheten muß man auf den Tag des Ge—
rihtes verſchieben; da er übrigens im 26. Kapitel jagt, der Alchoran fei
wur nach und nach Schritt für Schritt erfchienen, fo jchidt er im 2. und
3. Kapitel eine Erörterung über die Propheten voraus. In diefer wird
Chriftus über alle andern geftell. Folglih muß man fich bei Zweifeln
an Ehriftus halten, welcher fagte, er fei nicht gefommen, Gefeg und
Propheten aufzuheben, fondern zu erfüllen; Gefeg und Propheten redeten
von ihm. Da aljo Ehriftus das Ziel und der Abſchluß vom Gejeh und
allen Propheten ift, die je aufgetreten oder noch auftreten werden, fo er»
langt die Eröterung über alle Propheten in ihm ihren Abfchluß.
2.
Mahbomed fhwankt in feinem Denken und Handeln und
hat Feine feften Lehrfäge hinterlaffen
Daß Mahomed nicht der Erfte ift, gefteht er ſelbſt im 55. Kapitel:
„Ih bin nicht der erfte Bote (Gottes) und weiß nicht, was ich oder
Ihr thun ſollen. Doc will ich die göttlihen Aufträge erläutern, an die
Ihr, obwohl fie bier fichen und viele gläubige Jöraeliten fie bezeugen,
350
nicht glaubet.“ — Weld ein Prophet ift demnach Mahomed, der nicht
weiß, was er und Andere thun follen; er hält fib nur an frühere
Gebote (Gottes), wobei er die Juden als Zeugen für fih anführt und
behauptet, er erkläre nur die Älteren göttlichen Gebote. Er fagt, wer den
Geboten Mofis folge, werde felig; dann verwirft er wieder alle Juden,
weil fie an die Auferftehung nicht glauben und Ehriftus nicht anerkennen.
Die Ehriften, welche Ehriftus folgen, fpricht er felig, an andern Stellen
nennt er fo Juden ald Chriften, weil beide Gott einen Sohn zufcreiben,
ungläubig, wiewohl es von den Juden nicht wahr ift, daß fie Gott
einen Sohn geben. Alle Ungläubige find nah ihm verdammt. So im
46. Kapitel: „Heft fteht das Wort Gottes über die Ungläubigen; fie
werden ind ewige Feuer gehen.“ Allein im 51. Kapitel fagt er: „Die
Ungläubigen wird Gott vielleicht alle verftoßen, vielleicht Vielen vers
zeihen.* Sehr oft läßt er alle Seelen bei der Auferftehung in ihre
Körper zurüdfehren. Im 18. Kapitel aber fagt er: „Den Sterbenden
nimmt Gott in der Stunde des Todes, den Andern in der Stunde der
Betäubung (hora sopitionis) die Seelen aus dem Leibe. Einigen gibt
er fie wieder zu einer beftimmten Stunde, Andern niemals, Alles nad
feinem Willen; Verftändige fönnen das nicht begreifen.” Nach andern Stel
len ziehen die Engel die Seelen aus den Leibern heraus. Er läßt alfo die
allgemeine Auferftehung, auf die er beinahe in jedem Kapitel zurüdkömmt,
im Zweifel, wenn er behauptet, Einige erhalten ihre Seelen nie wieder.
So bleibt bei ihm nichts Gewiffes übrig, ald der Sag: es ift Ein Gott,
der Schöpfer des Univerfums. Nur der Glaube an Einen Gott if,
wie er oft wiederholt, zur Seligfeit nothwendig. Am Ende zweifelt er
auch an diefem Sape und faßt den notwendigen Glaubendinhalt in die
Worte: „Es ift fein Gott außer Gott (non est Deus nisi Deus)
und Mahomed tft fein Geſandter.“ Die Eeinigen fügen bei: fein
großer Geſandte. Nun, Gott nennt fein Menſch Hein, da feine Größe
feine Grenze hat. Auch nennt Niemand den Sag irrig: Gott ift Gott.
Auch dem Gögendiener, der an mehrere Götter glaubt, ift es eine Wahr
heit, daß Gott Bott ift, weil dies an und für fih Mar if. So hätte
es nie einen Ungläubigen gegeben und wird nie einen geben, Wenn er
beifügt: „und Mahomed ift fein Gefandter”, fo if dies in dem Sinn,
daß er ein Bote der Wahrheit, d. i. einer an und für ſich ausgemadten
Behauptung ift, nichts Großes; denn allezeit galt e8 won ihm und jedem
Andern als wahr, der fei ein wahrer Bote, der Solches verkündet. Anders
aber ift ed mit dem Glaubensfage: „und Mahomed ift fein Gefandter";
er fann unmöglich zur Seligkeit nothwendig fein. Denn es war eine
Zeit, wo es ald ausgemachte Wahrheit galt: es ift fein Gott aufer Gott,
aber ald eben fo große Unwahrheit: „Mahomed ift fein Geſandter“, ald
351
nämlich diefer noch nicht lebte. Wenn alfo damals Alle nur durch den
Slauben: es ift fein Gott außer Gott — felig wurden, fo werben noth—
wendig Alle zu allen Zeiten nur durch diefen Glauben felig. Aber auch
zur Zeit Mahomeds war der Glaube: Mahomed ift fein Geſandter —
nicht zur Seligfeit für Alle nothwendig, da er felbft fagt, er fei nur ein
Befandter an die Araber und am feine Nation. Und aud die Araber
waren nicht zum Glauben an ihn verpflichtet, da er micht mit folden
Wundern und Tugenden auftrat, welde in ihm das Wort Gottes ers
fennen ließen. Da er ohne Wunderkraft auftrat und ein Leben gemeiner
Sünder führte, ein Gögendiener war und, wie Andere, der Venus huls
digte, jo darf es und nicht wundern, wenn die Araber ihm entgegens
hielten, er babe, durch einen der Götter beleidigt, um fih an ihm zu
rächen, fich für den Gefandten des Einen Gotted ausgegeben, wie im
20. Kapitel zu lefen if. Im 30. Kapitel bielten fie ihm entgegen, er jel
ein ihnen ähnlicher Menſch, da er doch in der Kunft eined Magierd zu
ihnen gefommen fei, deſſen Körperumfang aljo entweder ein Traumbild
oder eine Ervichtung fei. Gegen Solches und Anderes, das fie aus feis
nen eigenen Worten gegen ihn anführten, wußte er feine andere Entgegs
nung, als die im 29. Kapitel: „Man fagt: wenn er mit göttliher Wuns
derfraft ausgerüftet gefommen wäre; (dann würden wir ihm glauben).
Habe ih nicht aus den frühern heil. Schriften Zeugniffe für mich beige:
bracht?“ Siehe, er beruft fihb auf Evangelium und (altes) Teftament!
dort jei von ihm die Reve. Im 70. Kapitel fagt er, Chriſtus habe
vorausgefagt, nah ihm werde ein Gejandter Gottes fommen, Mahos
med mit Namen, den fie fäljchlih den Großen nennen werden. So
beichränft fi alfo das ganze Zeugniß darauf, Mahomed fei ein Ges
jandter Gotted. Da dies ganz unwahr ift, fo ift Har, daß von allen
feinen Behauptungen nichts als wahr übrig bleibt, ald der Sag: es if
kin Gott außer Gott.
3.
Barum die an den Alchoran Ölaubenden felig werden.
Das Schwert ift Lehrmeifter.
Als Mahomed merkte, daß es bei ihm an Wahrheit fehle und die
Rügen, die er dem ungebildeten und unwiſſenden Volke unter Berufung
auf das alte Teftament und Evangelium anführte, nicht lange verborgen
bleiben könnten, weder für die Chriften noch die Juden, da weder im
alten noch neuen Teftamente Mahomeds Erwähnung gefchehe, fo wandte
er ih den Waffen zu und ſprach zum Volfe: „Gott hat mir befohlen,
die Völker mit dem Schwerte zu erobern, bis fie befennen: es ift Fein
Bott außer Gott und ich bin fein Prophet. Legen fie dies Bekenntniß
352
ab, fo retten fie Leben und Vermögen.” Bon Schrecken erzitternd fügten
fihh Viele und entgingen fo dem Blutbade und der Plünderung; fie
hießen nun Gerettete (salvati) oder Mufelmannen. Zu beadten
ift, daß er fih oft den einzigen einheimiſchen oder Landes» (nativum)
Propheten der Araber nennt, welche vor ihm feinen Propheten hatten,
Und doch läßt er im Kapitel von den Propheten Gott jagen: „wir
haben did an die Gefammtheit der Wölfer gefendet,” wodurd er hier
wie in andern Etellen Gott in Widerfpruch mit fich felbft ſetzt. Zuleht,
nachdem er bereits einen großen Anhang gewonnen hatte, gab er den
Slaubensartifel, er fei ein Gefandter Gottes, ganz auf uud ließ ver
fünvden, wer fage: es ift fein Gott außer Gott, komme in's Paradies.
Nah der arabijchen Ueberlieferung wollte Mahomed eigentlich fagen: wer
glaubt, kommt ind Paradies, wenn er aud ein Hurer, Räuber oder
ſonſtiger ſchwerer Sünder ift, weil der Glaube felig macht (quia
fides salvaret). Er gab alfo auf Befchl feines Gottes das Prädicat
eines göttlihen Gefandten auf; denn im 72. Kapitel heißt ed: „Um ale
wahrhaftig zu erjbeinen, nenne did nur einen Geſandten!“ Da es nun
aber der Abfiht Mahomeds nicht convenirte, bloß zu verfündigen: es if
fein Gott außer Gott und Mahomed ift ein Gefandter, fo ließ er den
letztern Eaß lieber ganz weg. So fpreden denn Solche, die ſich an ihn
anſchließen wollen, nur dur die Erhebung eines Fingers den Glauben
an Einen Gott aus und fagen, dies genüge. — So ift denn der legte
Beweis von Allem, was im Alchoran ſteht — das Schwert! (Est
igitur ultima resolutio probationis omnium, quae in Alchoran leguntur,
gladius.) Denn jo fteht e8 im Kapitel von den. Propheten im Alchoran
über Mahomed: „du haft Träume ausgefproden und Blasphemien anein—
andergereiht, oder ift vielleicht dad Ganze ein Gedicht (vel forte poötizas).
Zeige und doch deine Wunder, mie fie frühere Propheten verrichtet haben.“
Er antwortet hierauf: „Wir haben, fpricht Gott, Städte zerftört, welde
nicht glaubten, und ihr würdet auch Wundern nicht glauben, fondern nur
dem Schwerte.“ Gott habe es befohlen, man folle bei den Menſchen
Gewalt gebrauchen (violentiam hominibus inferri). Co macht er Gott,
von dem Mahomed doch fehr oft fchreibt, er habe folhen Zwang und
Gewaltanwendung verboten, zu einem veränderlihen, ſchwankenden und
füguerifhen Weſen, wovon weiter unten noch die Rede fein wird.
353
4.
Der Gott des Alchoran Scheint der abfolute Gott zu fein;
der Alchoran jpriht aber noh von einem andern Gott,
welcher mit der Welt vermiſcht ift (rebus immersus).
Run wollen wir unterfuchen, wer der Gott ded Alchoran fei. Der
Gott Mahomeds jagt im 24. Kapitel: „Wir haben den Menſchen aus
Erde und Koth (vorher war der Teufel aus zerftörendem Feuer erfhaffen)
gebildet, ald ih den Engeln mittheilte, ich wolle den Menfchen aus Koth
bilden und ihm einen Theil meiner Seele einhauchen.“ Im 26. Kapitel;
„Auf die Frage: wem die Seele gehöre, jage: Gott, der dir nur ein
geringes Maaß von Weisheit gegeben hat.“ Im 30. Kapitel: „Indem
Gott feine Seele in den Leib Mariens eingehaucdt hat, hat er diefe und
ihren Sohn zum Gegenftand eines offenbaren Wunders gemadt.“
31. Kapitel: „Gott hat den Menichen aus Koth gebildet und deſſen
Nachkommen aus vergänglicher Feuchtigfeit und bat ihm aus feinem
Geiſte eingehaudt.* Im 47. Kapitel: „Gott ſprach zu den Engeln,
er wolle den Menſchen bilden. Nachdem derjelbe aufs Befte eingerichtet
war, haben wir ihm aus unferm Geiſte eingehauct und auf unjern Bes
fehl haben fih außer Beelzebub, der abfiel, alle Engel vor ihm gebeugt.
Auf die Frage, warum er fi gegen Gott empöre und fi nicht demüthis
gen wolle, ertviederte diefer: ich bin aus Feuer und beffer ald jener Koth.“
Im 26. Kapitel jagt Gott: „den Öläubigen, deren Werfe meinen Beifall
haben, gebe ich dad Paradies, ich theile ihnen mit aus meiner göttlichen
Eubftang, die keineswegs geringe iſt.“ Hieraus erhellt, daß der Gott
des Alchoran noch von einem andern Gotte ſpricht. Denn er fagt:
„Sage, fie (die Seele) fei Gottes, nicht: fie fei mein oder unſer.“
Wenn alfo der Gott, der im Alchoran redet, der Gott der Götter ift, und
der Gott, von welchem er redet, ein anderer Gott ift, dem die Seelen ans
gehören, der jeine Seele den Menſchen mittheilt und feine göttlihe Sub—
fanz feinen Lieblingen, der feinen Geiſt in die Leiber der Schwangern
einhaucht, fo ift der Gott des Alchoran abfolut und untheilbar, der Gott
aber, von welchem dieſer redet, in die Dinge verfenft, theilbar, jomit
fürperlih. Da nun nad dem Alchoran, 38. Kapitel, jeve Seele den Tod
verfoften wird, und die Seele jened Gottes auch die Eeele Aller ift, fo
ift diefer Gott jterblih. Es find alfo auch die Engel und Dämonen
förperliche, und zwar feurige Naturen. Haben Gott und die Menſchen Eine
Seele, fo auch die Engel, nah 45. Kapitel. Die Seele der Engel
if die ihnen mitgetheilte Seele Gottes, diefer Gott if von der Na
tur der Gefhöpfe — und alle vernünftigen Greaturen find
von der Natur diefes Gottes, da in ihnen die Natur Gottes
Scharpff, Ric. v. Gufa. 23
354
in concreter Form (contracta) if. Er ift das Bildungsprincip (forma)
eines Seven, ein Theil des Zufammengefegten, der einem eben das
Sein gibt. Er iſt nicht Gott der Schöpfer, der aus Nichts
erfhafft, fondern er geftaltet Alles aus fih felbit: er
ift die van oder die Materie. Aus feiner Seele bildet er
Seelen, aus feinem Geifte Geifter, aus feinem Körper Körper, aus jeinem
Sein Alles, was iſt, aus feinen Flügeln die Flügel der Engel, dem
einen zwei, dem ander vier, wie der Alchoran von diefen Flügeln er
zählt. Gehört aber die Seele Gott, dem einzigen und höchften Schöpfer
und fpricht der Gott im Alchoran, welcher fagt, die Seele ift Gottes,
von fi, d. 1. von dem einzigen Schöpfer des AN, dann fft feine Seele
auch Gott, da Alles, was zum göttliben Wefen gehört, Gott ift (cum
nihil sit Dei nisi Deus). Daher ift jede Greatur von geiftiger Kraft
Gott und Greatur: Gott nach ihrem Geifte, Greatur nach ihrem Körper,
in bypoftatiiher Einigung (Igitur omnis creatura formae intellectivae
erit Deus et creatura: Deus secundum spiritum seu formam, et
creatura secundum corpus in unione hypostatica). Und da Chriſtus
die Seele Gottes nicht theilweile und annäherungsweife (non secundum
portionem aliquam nec appropriate), fondern im eigentlichen Sinne
(proprie) hat, jo ift er im eigentlichen Einne Gott und Greatur: voller
(plenus) und vollfommener Gott und voller und volllommener Menſch.
Das gilt wicht von den andern vernünftigen Naturen, weil in ihnen die
Seele Gottes partiell, unvollfommen und uneigentlih if. Daher werben
fie nicht im eigentlichen Sinne Gott und Greatur genannt, fondern nur
uneigentlich könnten fte jo genannt werden, nur Chriſtus im eigentlichen
Einne. Das muß Jeder zugeben, der den Alchoran annimmt. Chriſtus
ift alfo die abfolute Vollfommenheit der geiftigen Greaturen, an deſſen
Fülle alle theilnehmen. In dem Haupte Ehriftus liegt die Vollendung
(perfectio) jeder Creatur, welche (Vollendung) nicht größer oder Eleiner fein
fann, weil fie Alles ift, was fie fein fann, während fie in anderen Crea—
turen einen Zuwads oder Abnahme zuläßt. Chriftus ift der Werth drd
Goldes in reinem Golde, die andern geiftigen Naturen find der Werth
des Goldes in andern Metallen, von welder das eine mehr, das andere
weniger goldhaltig. ift.
5.
Der Gott des Alchoran erſcheint geringer als die Welt;
er ift der Diener Mahomeds und deffen Begriff (servus Ma-
homed atque ejus conceptus). |
Wie flieht ed, wenn der Gott des Alchoran bei dem Herm des
Drientd und ded Occidents fhwört? Daraus geht hervor, daß ber
355
Gott ded Alchoran einen andern Gott über fih, daß er den Herrn bes
Drientd und Occidents ald den größern anerfennt. Es ift alfo nicht der
höchſte und abjolute Gott, ja er fchwört bei dem Rohre, dem Feigen—
baume, der Müde und anderen Geſchöpfen. Der Gott des alten Teftase
ments und des Evangeliums Kat nie auf folde Weiſe gefchworen, fondern
immer nur bei ſich felbft, da er feinen größern Gott kennt; er hat aud
nicht die Art des Schwörens geändert, da er ein fich gleich bleibender
Gott, ohne Veränderung, iſt. Da aber der Gott des Alchoran bei gerins
gen Geſchöpfen fchwört, bald bei dieſen, bald bei jenen, fo ift er bei diefer
feiner Unbeftändigfeit und feinem Schwanfen weniger ald jedes Geſchöpf.
Denn die Bekräftigung einer Ausfage erfolgt durch einen, der wahrhaftiger
und größer ift, bei dem man fchwört, der ald Zeuge für die Glaubwür—⸗
digfeit der Audfage angerufen wird. — Beachtet man das 42, Kapitel,
fo ift der Gott des Alchoran der Diener (servus) Mahomeds. Er und
die Engel beten für Mahomed. Diefer Gott redet, was Mahomed zu
reden ſich jcheut, er iſt der Vermittler zwiichen ihm und Mahomeds
Weibern, indem er der unreinen Luft desſelben dient, durch Dispenfion
vom Eidſchwure, Geſetz und Verſprechen, um ihm gefäallig zu fein; Schande,
Schuld und Eünde nimmt er auf fi, damit Mahomed nicht guten Ruf
und Reputation verliere. Macht da nicht Mahomed Gott zu feinem
Diener? Dies erhellt aus vielen Stellen. Wenn Mahomed im 48, Kas
pitel jagt: „Gottes Gebot iſt cd, daß ich ihn mit reinem Herzen anrufe
und in Beobachtung ded den Gläubigen gegebenen Geſetzes Allen vorans
gehe, da ih fonft in großed Unglüd gerathe. Ich ahme daher Gott
und feinem Geſetze ftandhaft nach;“ wenn er im 55. Kapitel von ſich
fagt: „ih bin der Erfte der Gläubigen und der Gottergebenen;“ wie
bereinigt ſich dies mit deiner Behauptung, du beobachteft Fein Gefch,
keinen Eid, weil ed dir Gott verboten habe, der deinem unreinen Herzen,
deiner Fleifchesluft den Vorrang vor Geſetz und Eid gegeben habe? Du
wilt glauben machen, Gott habe dir Eolched geboten? Wie fannft du
der Erfte der Gläubigen und Gottergebenen fein, der du an andern
Stellen Moſes ald den Erften bezeichneſt? Du warft von Anfang ein
Sünder und bift ed unaufhörlich geweſen; du ftarbit im Haufe eines
deiner Weiber (unius mulieris tuae), nad unzähligem Blutvergießen,
Plünderung, Unzucht und Unterdrüdung der Armen. Hat Gott dir ges
boten, dem gerechten Abraham zu folgen, bift du, wie du felbft fagft,
der Regte der Propheten, wie fannft du dann der Erfte der Gläubigen
kein? — Der Gott des Alchoran ift alfo nicht jener große Gott, dem
ide vernünftige Greatur glauben muß, weil er der Schöpfer von Allen
it, fondern es ift dein Gott, der durch dich redet, was du denfit. Was
23°
356
alfo im Alchoran Gott redet, es fei wahr oder falfch, ift nichts Anderes,
als der Gedanke Mahomeds. Und da er Bieles fchrieb und fchreiben
ließ, was er von Gergius und Baheira und ihm befreundeten Juden ger
"hört und nicht verftanden hat, vielleiht auch die nicht, Die es ihm hinter:
bracht haben, fo hat er felbft nicht Alles verftanden und nur Gott das Bers
ſtäändniß des Alchoran zugefchrieben, der nah 82. Kapitel ihm eingeſchäͤrft
hat, fleißig und eifrig auch des Nachts im Alchoran zu leſen, was freilid
wieder der im Alchoran niedergelegten Behauptung widerfpricht, er ſei
des Leſens und Schreibens unfundig gewefen.
b.
Mahomed verfolgt blindlings, gegen die Gebote Gottes,
Chriſtus in den Chriſten.
Sage mir ferner, Mahomed! Nachdem dir Gott fo oft befohlen
hat, um des Gejeges willen feine Gewalt anzuwenden, jo 4. und 15. 8%
pitel: „von den Ungläubigen laß ab, ohne ihnen Mebles oder Schmach
zugufügen, wenn fie auch im Zorne oder aus Unwiſſenheit ſchlecht von
Gott reden (jedem Wolfe gefallen feine Sitten); fehren fie zu Gott zus
rüf, fo werden fie ihre Fehler deutlich durd die Gnade Gottes ſchon
einſehen“; 18. Kapitel: „die Völker follen zum Glauben nicht gezwungen
werden, weil ohne den Willen Gottes, der die Sünder in ihrem Sün—
denfchmuge läßt (nisi Deo volente), Niemand glauben fann“; 56. Ku
pitel: „Füge ihnen feine Gewalt durch Züchtigung zu, ſondern erfläre
ihnen nur den Alchoran” und fo an vielen Stellen, — wie magjt du
gegen deinen Gott, der dir died befohlen hat, dir herausnehmen, zu jagen,
Gott habe dir befohlen, Ungläubige gefangen zu nehmen, zu morden und
auszuplündern, zum Glauben zu zwingen oder einen Tribut zu entrichten?
Gott fügft du damit ein großes Unrecht und große Schmach zu, in deſſen
Augen ein erzwungener Dienft eine Sünde ift (Deo magnam facis in-
juriam et contumeliam, apud quem coacta servitia vitia sunt). E
will Anbeter, die aus freier Wahl ihm ergeben und gläubig find, Du
fagft 19. Kapitel, Gott habe dir gefagt: „den ſich Widerfegenden fage:
wie fie für das Ihrige, fo forge du für das Deinige,” aber er fagt
nicht, du folleft ihnen Gewalt anthun. Anderswo ſagſt du, über die
Entgeguungen der Juden, Chriften und Anderer, werde am Tage des Ge—
richts entſchieden. An andern Stellen läßt du dic von Gott wegen
deiner Frömmigkeit und Milde loben. Warum zeigft du dich aber that
fächlih anders und ftrafit fo das Zeugniß Gottes Rügen? Warum fell
du deinen Gott ebenfo oft im Widerfpruche mit fich felbft dar, als du
deinen Sinn geändert haft? Im 25. Kapitel fagft du: „wer mit Bei⸗
behaltung feines Glaubens durh Gewalt und Zwang ungläubig ge
357
worden ift, aber Glauben und Geſetz in feinem Herzen bewahrt, ber
wird nicht verdammt, fondern nur wer freiwillig abfällt.” Du weißt,
daß die Ehriften den Glauben an Einen Gott haben, ohne einen andern
Gott oder Genofjen Gotted. Cie find daher nach dir Gläubige. Wenn
fie daher gleich gezwungen dir beizuftimmen fcheinen, im Herzen bleiben
fie Ehriften und werden mit dir nicht verdammt werden. Warum bes
fümpfeft du gleihwohl Chriftus in den Chriſten, indem du dieſe vers
folgt, von denen du doch nicht Täugneft, daß fie durch ihr Geſetz ſelig
werden? Die Chriften waren vor dir da und Ehriftus wird in feinen
Gläubigen einen großen Theil diefer Welt auch ferner befigen, durch den
ftandhaften, bis in den Tod gehenden Gehorfam unzähliger Märtyrer
Gottes. Warum verfolgen aljo deine Anhänger Ehriftus, um ihm das
Volk, dad er fih als eigen erworben hat, zu entreißen? Unſere Zuvers
ſicht iſt das Evangelium, dem du nad fo vielen Beftätigungen desſelben
Unrecht zufügeft, in welchem Chriftus fagt: „Selig find, die um der
Gerechtigkeit willen Verfolgung leiden, ihrer ift dad Himmelreih. Selig
jeid ihr, wenn euch die Menfchen ſchmähen und verfolgen und alles
Ueble gegen euch jagen in Lügen, um meinetwillen. Freuet euch und
frohlodet, groß ift der Lohn im Himmel. So haben fie die Propheten
vor euch verfolgt.” Das ift unfer Troft in all unferer Noth und Bes
drängniß, weil wir vom Tode ind ewige Leben gelangen.
T.
Mahomed glaubt, die Gegenwart Gottes nöthige (neces-
sitare) zu Allem, was die Menſchen thun (ad omnia, quae
aguntur).
Sage mir weiter, Mahomed! Warum verfolgft du die Chriften?
Wenn du fagft: wegen ihrer Sünden, fo fage mir: wenn du glaubft,
dur Zwang künne Jemand dahin gebradt werden, daß er gut wird,
warum fagft du dann im 9. Kapitel, Gott verzeihe Todfünden nicht, fons
dern nur Fleinere? Und im 13. Kapitel ſteht: „Schlechte Menſchen wird
Gott nicht auf den rechten Weg führen.“ Warum fagft du im 16. Kapitel,
Gott habe gefagt: Wahrhaftig ift Gottes Wort, daß Ungläubige nie
befehrt werden follen. Im 46. Kapitel: „Wer von Gott in Irrihum ger
führt worden ift, wird nie auf den rechten Weg geführt werben“ (a Deo
deductus in errorem nunquam dirigetur). Im 66. Kapitel: „Nichts für
eure Seelen Schädliches werdet ihr auf Erben vollbringen, was nicht vor
eurer Eribaffung von dem Alles wiſſenden Gotte aufgezeichnet war.“
Zeigen diefe Stellen nicht deutlich, du könneſt die Schlechten nicht auf
den rechten Weg hinführen, da Gott felbft fie nicht dahin lenkt? Gleich—
wohl fagft du oft, wie auch fonft, das gerade Gegentheil hievon. “Deine
398
Anhänger wiffen wohl, daß du meinft: Was der Menfh thut, thut er
deßhalb, weil Gott ihm zum Voraus beftimmt hat, fo zu thun (quia sie
Deus faciendum praenotavit), nicht bloß, weil Gott alles Zufünftige
voraußfieht, fondern weil fein Vorausſehen nöthiget (sed quod prae-
visio necessitet), ein Grundirrthum, der alle Geſetze und Gerichte, Be
lohnungen und Etrafen aufbebt. Da Gott in der Ewigfeit Alles zugleich
fieht, was in der Zeit nacheinander gefchieht, fo fieht er Geburt und Tod
und den ganzen dazwiſchen liegenden Lebenslauf des Menſchen mit Einem
Male, und diefed Sehen ift feine Nöthigung (et haec visio non neees-
sitat). Wenn ich dich fallen fehe, fo fällſt du nicht, weil ich dich fallen
fehe, fondern weil du füllt, fo ſehe ich dich fallen. Gott ſieht alle
Alles, was der Menfh thutz indem er in der Ewigfeit Alles weiß, hält
er ein gerechte Gericht nad den guten oder ſchlechten Thaten, die der
Menſch in der Zeit vollbringt und für ihn ewig gegenwärtig find. —
Sage mir audi: was foll der Gläubige thun, den du an den Alchoran
verweifeft, da doch, wie du felbft fagft, Niemand außer Gott und den
Meilen, die göttlibe Wiſſenſchaft befigen, vdenfelben verſteht? Davon
fagft du wieder das Gegentheil, der Alchoran fei klar und leicht ver
ſtändlich. Wer mag das faffeen? Go ift Alles von dir in Widerſprüche
und Schwankungen eingehüllt, was auf das Argument, das du im
9. Kapitel für den Alchoran aufftelft, hindeutet. Du fagft nämlid:
„wäre er nicht ein Werf Gottes, fo würde er viele Widerfprüche entbal
ten." Folglich kann er, da er ſich fo oft widerfpricht, nicht aus Gott fein.
8.
Das Ziel Mahomeds war feine Erhöhung.
Du ſcheinſt mir, Mahomed! unter dem Vorwande der Religion nur
nah Herrſchaft au ftreben; denn die ganze Entfheidung legſt du im das
Ediwert, durch das Schwert hoffft du jedenfalls zum Tribut zu gelangen.
Du lehrſt, Jeder könne nach feiner Religion (in sua lege) felig werben,
Gott liebe die Standhaftigfeit ver Gläubigen, keineswegs aber die ſchwan—
fenden Gemürher. Dann nimmft du das Schwert in die Hand, als
wolleſt du Diejenigen zur Wahrheit hintreiben, die du zur Standbab
tigfeit ermahnt haſt; allein du läffeft ihnen mur die Wahl, entweder ben
Glauben zu wechſeln oder Tribut zu zahlen. Wer fiecht nicht ein, dab
dad Ziel deiner Religion, der Eifer für dein Geſetz fein anderes if,
als — Herrfhaft? Denn wer befriedigt Gott und dich durd einen
Tribut? Du batteft feine andere Abficht, ald mittelft Gottes um
der Religion mädtig zu werden. Nie haft du am die Wahr
heit der vorgeblihen Gebote Gottes geglaubt, weil du fie micht befolgt
haft. Laͤßt du nicht Gott im Alchoran fagen , die Chriften feien mehr
359
beine Freunde als die Juden? Und an andern Stellen verabfcheuft du
die Verfolgung, welche Einige gegen die Ehriften begonnen haben, indem
du ſagſt, Gott habe ihnen Stärfe verliehen (36. Kapitel). Anfangs
wurden fie in einem benachbarten übelgefinnten Lande von den Heiden
befiegt, nah 9 Jahren aber wurden fie mit Hilfe Gottes die Sieger.
Hieraus erhellt, daß du nicht in Folge einiger feindfeligen Berhältniffe
oder auf Grund deines Geſetzes die Ehriften verfolgt, fondern einzig aus
Herrſchſucht ihnen Gewalt zugefügt und fo deinen Nachfolgern ein jehr
ſchlechtes Beiſpiel hinterlaffen hafl. Denn aus derfelben Herrſchſucht vers
folgen fie die Chriſten. Doch die Ehriften werden zulegt mit der Gnade
Gottes ihre Ueberwinder befiegen.
9
Mahbomed nennt Chriſtus bald Gott und Menſchen, bald
nur einen Menſchen; bald einen Gott in der Einzahl, bald
in der Mehrzahl (modo singularem Deum, modo pluralem).
Ueber Ehriftus fpricht fich der Alchoran oft in einer Weife aus, daf
jener ald der göttliben Natur theilhaftig (consortem) erfheint. Er geht
von dem Grundfage aus, Wunder feien Beweis der Gottheit (miracula
divina esse). Nun aber habe Chriftus Wunder wie fein Anderer ver
ribtet. Er gibt nicht nur Diejenigen Wunder an, die im Evangelium erzählt
And, jondern aud ſolche, die in andern, apofryphen Schriften enthalten
find, wie 3. DB. die Erfchaffung lebender Vögel aus Korh und Anderes,
wad auf eine göttlihe Natur in Ehriftus fließen läßt, Der Befig der
generellen Gewalt zu allen Arten von Wundern ift Beweis des Gött-
lichen. (Habere enim generalem ompium miraculorum potestatem,
diviaum est.) So bewies fih Jeſus ald Meffias, als Johannes vom
Gefängniffe aus zwei feiner Schüler an ihn fandte, mit der Frage: bift
du der Meſſias, der da kommen foll, oder follen wir auf einen andern
warten? Jeſus antwortete: Gehet und faget dem Johannes, was ihr
geiehen und gehört habt! Die Blinden fehen, die Lahmen gehen, die
Ausfügigen werden rein, die Tauben hören, die Todten ftehen auf, den
Armen wird das Evangelium verfündet, und felig ift, wer fih an mir
wicht ärgert. Siehe, wie Jeſus dur Thaten ausfpricht, er jei der erwartete
Meifias, von welchem Johannes, wenn er died Alles vernommen, nicht
mehr zweifeln folle, er fei der Sohn Gottes, dem der heilige Geift am
Jordan das Zeugniß gab. So ſucht auch der Alchoran Chriftus zur
Gemeinſchaft (consortium) der göttliben Natur zu erheben, wenn er jagt,
Chriſtus ftche über allen Propheten, wenn diefe auch noch fo fehr mit Gott
dertraut und ihm ganz nahe waren. Nun aber liegt zwijchen Dem, der
über den höchſten Propheten fteht, und der göttlichen Natur nichts zwifchen
360
inne, ba es Keinen geben kann, ber nod näher an Gott wäre. “Der
Alchoran fagt ferner, Gott wohne in den guten Menfchen und nennt
Ehriftus den NAilerbeften. Gott wohnt alfo ganz in ihm, auf das Poll
fommenfte, mit feiner ganzen Fülle, fo daß die menfhlihe Natur mit der
göttlichen, die in ihm wohnt, im höchſten Grade der Ginigung geeint ift,
die wir eine hypoſtatiſche oder perfönliche nennen, wie im Menſchen ber
Körper mit der Seele, wie die thierifbe Natur mit der gefftigen geeint
if. Daher ift Ehriftus der Mittler zwiſchen der menſchlichen und gött
lichen Natur. Wie es zwiſchen ihm und den Menfchen feine Vermittlung
geben fann, wegen der Identität feiner menſchlichen Natur und ber aller
Meniben, fo fann e8 auch zwifchen ihm und Gott feine Wermittlung
geben wegen der Identität feiner göttliben Natur und der Gottes. Wir
wohl jedoch der Alchoran über Chriftus Sätze aufftellt, aus welchen tie
Verftändigen unfchwer das eben Grwähnte folgern können, fo fehwanft
er doch auch hier wieder und Jehrt an andern Stellen, was einer Nega—
tion feiner Gemeinſchaft mit der göttliben Natur gleich fickt. So wur
nah ihm die Jungfrau Marta Chrifti wahre Mutter; Chriftus habe mit
feiner Mutter menjchlihe Epeife und anderes Eßbare gemoffen (ipsum
cum matre usum fuisse humanis cibis ete.), da er doch an andem
Etellen behauptet, Gott effe nicht, Gott fei der Herr von Chriſtus und
ftehe über ihm, Gott habe ihn und feine Mutter, wie andere Greaturen,
wenn er gewollt, zu Nichte machen fünnen (annihilare); Chriftus fei werer
Bott noch Eohn Gottes, fein Genoffe und Theilhaber (der göttlichen
Natur). Seine Behauptungen ftehen mit den früheren in durchaus feinem
Einflange. Sollen fie nicht an innerem Miderfpruche leiden, fo müſſen
fie in dem oben angegebenen Sinne gefaßt werben: Chriſtus fei fein an
derer Gott, fondern gleicher göttliber Natur mit dem Schöpfer der Welt.
So wiederholt er über die Einheit Gottes beftändig, es fei nur Ein Gatt
und Schöpfer; und doc redet die Gottheit im Alchoran im Werfe der
Schöpfung und fonft fehr häufig in der Mehrzahl: Wir haben den Men
hen gefhaffen. Soll diefe Einzahl und Mehrzahl fich nicht widerfpreden,
fo muß fie im früher angegebenen Sinne verftanden werben, wornach die
Dreiheit oder Mehrheit nicht als Pluralis zu nehmen ift, fondern ale
Singularis, als Einheit; denn die Vielheit ift auch bei den Grammall
fern nicht der Plural, weil der Singular die Einheit if. So ift auf
bei den Theologen die Vielheit — die Ginheit der einfachſten göttlicen
Natır. Es iſt daher Gott nur die finguläre und Eine Gottheit, tie
wir früher kurz gezeigt haben. Das ſcheint auch der Alchoran am End
des 32. Kapitel zu fagen, wenn er die Anrufung eines andern Gotte?
mit den Worten verbietet: „Gott ift in fi allein feine volle Zahl“
(qnia apud Deum solum totus est illius numerus).
361
10.
Deifpiele des beftändigen Shwanfend Mahomeds,
Mahomed fagt im Kapitel von den fieben Schlafenden, Jeder könne in
geheimen Dingen fügen, was ihm beliebt, er verdiene hierüber feinen Tadel.
Daher hält er fib in der Anführung verfciedener, ja entgegengelegter
Anfihten bald an diefe, bald an jene, Für geheim hält er aber Alles,
worin die Propheten und deren Schriften nicht mit den von Gott geges
benen Geboten übereinftimmen. Es ftimmen aber alle ‘Bropheten von
Abraham bis auf ihn überein in dem Glauben an Einen Gott umd
Schöpfer und Richter am Tage der Auferftehung, was er in die Worte
wufammenfaßt: Es ift Fein Gott außer Gott, ein Glaube, ohne welchen
Niemand felig werde. Wer dies einfach glaubt, und das durch einen
Bropheien ihm gegebene Geſetz befolgt, wird das Paradies befigen; wer
nicht glaubt, wird, wenn micht Gott, der reih an Erbarmen ift, ihm
verzeiht, erwig verdammt. Glaubt er, beobadıtet aber das Beleg nicht
und ift unbußfertig, fo wird er verdammt. Der Bußfertige aber erlangt
im Augenblid des Todes Verzeibung. Das fcheint, wie oben gejagt,
der Hauptgedanfe zu fein. Schwanfend fcheint er jedoh von Denen zu
ſprechen, die von einem Gefege zu einem andern übergehen. Im 1. Kapitel
heißt es: „Im Allgemeinen ift zu wiſſen, daß Jeder, der rectichaffen
lebt, er fei Jude oder Heide, wenn er feine Religion verläßt und zu
einer andern übergeht, Jeder, der Gott anbetet und gut handelt, uns
zweifelhaft fich der Liebe Gottes erfreut. Jeder Sünder aber, der Schuld
auf Schuld häufet, wird vom ewigen Feuer verbrannt.” Er jagt: Jeder
(generell ), der von feiner Religion zu einer andern übergeht. Im 3. Kapitel
aber fagt er: „Alle, die von deinem Geſetze abfallen, follen ohne Unter
brechung von deinem Wolfe befriegt werden, bis fie womöglidy wieder zu
deinem Geſetze befehrt werden. Wer dein Gefeg gegen ein anderes vers
taufcht und in diefem verharrt, wird fchon hier und in der andern Welt ald
ſchuldig des unauslöfhliben Feuers zu Grunde gehen.” Eiche, wie er
bier jener generellen Behauptung entgegen von den Anhängern feines
Geſetzes jagt, daß fie in einer andern Religion nicht felig werden. Im
Widerſpruche hievon heißt ed 4. Kapitel „Um des Gefeges willen thue
Niemand Gewalt an, da Gutes und Böses fich feldft offenbart. Wer
niht an die Bögen, fondern an den Schöpfer glaubt, wer den Geboten
des Weiſen und Allwiffenden, der allen feinen Verehrern gnädig ift, ge
horcht, fommt von der Finfternif zum Lichte. Der Ungläubige wird vom
ewigen Feuer gequält.” Diefe Stelle flimmt wieder mit jener erften übers
ein, die ganz generell gehalten if. So fagt er im 5. Kapitel „Die an
Gott glauben, und um Vergebung ihrer Sünden, um Befreiung von der
362
Dual des Feuers flehen, die Enthaltfamen und Wahrhaftigen, die Freunde
» des Gebets und Almofend werden nah dem Zeugniffe Gottes, der Engel
und aller Berftändigen, die an Einen unbegreifliden und weifen Gott
und Schöpfer glauben, vor dem fein Geſetz (Religion) Beifall findet,
fondern nur die gänzlihe Hingabe an ihn, die Freuden des Paradieſes
genießen.“ Hier fpricht er wieder generell, wie im 1. Kapitel. Aehnlich im
12. Kapitel Dagegen ganz anders im 37. Kapitel: „Du, der du das Bud
Alchoran ganz unerwartet zugeiendet erhalten haft, follft von feinen Ge
boten nicht abweichen, um nicht ungläubig oder ein Begünftiger der Uns
gläubigen zu fein.“ Und 4. Kap.: „Gibt ed etwas Schlechtered, ale
nah der Annahme unfrer Gebote von denfelben abzuweichen? Schon
durch Moſes haben wir dieſes Buh den Söhnen Israels übergeben,
defien Befolgung unfehlbar mit Gott verbindet.“ Hier ftelt er fein Bud
ald Gottes Wort bin, fo daß Jeder dieſes Gejeg Gottes zu halten ver
pflichtet ift, wenn er nicht ald Sünder gelten will. Da die Ehriften nad
ihm mehr ald Andere im ihrem Gefege ſchwanken (legem variant), je
benennt er fie oft mit dem Schimpfnamen Gefepesänderer (legem va-
riantes). Nach jener Stelle darf weder ein Anhänger des (mohameda—
nischen) Gefeges, noch ein Jude oder Ehrift ohne Sünde das einmal
empfangene Gefeg (Religion) ändern. Denn er fagt, Gott liebe bie
Getreuen, bei feinem Geſetze Beharrenden mehr ald Andere. Im 51. Kap.
heißt es: „Wir lehren jegt die Gebote des Geſetzes und die Vorfchriften,
die wir Nos, dir, Abraham, Moſes und Ehriftus geoffenbart haben. An
diefen haltet feft, und widerfeget euch ihnen nicht!“ Damit fagt er offen,
er wolle die den frühern Propheten geoffenbarten Gebote nicht beftreiten,
jondern lehren. in andersmal fagt er, Ehriften und Juden feien un
gläubig und allefammt verdammt. Wer mag and allem Dem etwas
Feftes herausfinden?
11.
Gegen die Behauptung, das Gefeg des Alchorans fei das
Geſetz Abrahams.
Sage mir, Mahomed: der Glaube iſt doch wohl zur Seligkeit noth—⸗
wendig. Wenn du nun jagt, dir fei von Gott geoffenbart worden,
dem Geſetze Abrahams zu folgen, ohne rechts oder links abzuweichen, um
nicht als ungläubig erfunden zu werden, wie wagft du zu behaupten,
das Gefeg des Alchoran fomme von Gott, da du Keinem beweifen fannfl,
dag Abraham ein folhes Gefeg gegeben habe? Wenn Dir Gott dad
Gefeg Abrahams zur Beobachtung gegeben hat, wenn das dem Moſes
und das Ehriftus gegebene Gefeg in den göttlichen Schriften des alten
und neuen Bundes, wie du fagft, enthalten find, fo weichen fie noth⸗
363
wendig weder rechts noch links vom Gefege Abrahams ab. Wie fommft
du nun au der Behauptung, dein Geſetz habe den Vorzug vor jenen ?
Es gibt doch nicht zwei Geſetze des alten Teftamentsd und Evangeliumd,
fondern nur Gin göttliches Geſetz, das Ehriftus nicht aufgelöst, ſondern
erfüllt hat, indem er den Geift des Gefeges, der in dem Buchftaben ents
halten und nicht erfaßt war, enthüllte. Weder das alte, noch das neue
Teftament weicht vom Gehege Abrahams ab, fondern erflüärt, was dem
Abraham geboten war, daß er nämlih vor Gott wandeln jolle, um
vollfommen zu fein. Mofes zeigt nun, wie man vor Gott wandeln
müſſe, Ehriftus, wie der nah Mofis Anweifung vor Gott Wandelnde
zur Vollkommenheit, die dem Abraham geboten war, gelangen fünne. Es
it alfo am Gefege Abrahams nichts mehr zu erläutern. Wie kann nun
dein Geſetz, welches das Geſetz der Araber heißt, Abrahams Geſetz ger
nannt werden, da es doch vom Evangelium abweibt? Du wirft doc
nicht annehmen, Gott habe dir größere Kenntniß gegeben, als Chriſtus,
den du felbft dir und allen Propheten vorzieheft! Du mußt alfo zus
geben, es fei nur Ein Gefeh das des Abrahams, Moſes und Ehriftus,
das feinen Anhängern das ewige Leben als hödften Lohn verheißt. Es
fann nicht mehrere Bollfommenheiten (plura perfectissima) geben, da
fonft jede noch vollfommener fein könnte. Es gibt aljo nur Einen volls
fommenften Weg zum Einen vollfommenften Ziele, und es fann dies Fein
anderer jein, ald der, den Ehriftus, der Allervollfommenfte, gewandelt
it und gelehrt hat. Was maht Did fo jchwanfend und unſicher in
Allem, als die Unkenntniß Ehrifi? Du ſagſt, Jeſus, der Eohn der
Jungfrau Maria fei Ehriftus, und darin irrſt du nicht; was aber Chrir
us ſei, iſt dir ganz unbekannt, Würdeſt du in feftem Glauben Chri—
Rus als den wahren Eohn Gottes des Vaters und der Mutter Maria
erfennen, fo würdeft du einfehen, daß das ewige Leben, welches die
hoͤchſte heißerfehnte Glückſeligkeit ift, durch feinen Menſchen, außer in ihm
erreichbar iſt; Gott würde in dir und du in Gott bleiben, du würdeft
dich nicht in den Meinungen derer, welche Chriſtus nicht fennen, unficher
bin und ber bewegen. Hätteft du doch die Wiſſenſchaften verftanden,
und wenigftend nur den kleinen canonifhen Brief des Johannes des
Evangeliften, jenes geliebten Züngers Ehrifti, ſtudiret! Du Hätteft das
Schreiben des Alchoran aufgegeben, und hätteft in jenem Lichte der Wahrs
beit Deine Ruhe gefunden. Warum wollte Gott, daf jene in weiße
Kleider gehüllten Anhänger Ehrifti, zu demen der Gvangelift Johannes,
der Liebling Ehrifti, der in der Zungfraufchaft verharrte, gehörte, fo oft
im Alchoran mit den höchſten Lobſprüchen gepriefen werden, ald damit
ihr Verehrer des Alchoran der Chriften Leben und Rehre erforfchet und
aachahmet? So fuchet denn das Licht in dem angeführten Briefe, damit
364
ihe zu Chriftus, dem wahren Lichte, das jeden Menfchen erleuchtet, ges
fanget, und ihr werdet einen Schag von Weisheit und Verſtändniß der
ganzen hl. Schrift finden.
12.
Der Alchoran nennt Abraham fälfhlih einen Gögenanbeter.
Angabe des wahren Sachverhalte.
Ich ſuche jegt zu zeigen, daß das Evangelium und auf das Voll
fommenfte das Gefeg Abrahams gegeben hat. Für's Erfte entziehen das
Evangelium und feine Verehrer nichts der Ehre Abrahams, wie es ber
Alchoran und feine Anhänger in der Behauptung thun, Abraham fei zu
erft ein Gögenanbeter gewefen, der nach feiner Bekehrung feinen Water
Thara wegen des Göhendienftes getadelt habe, worüber der Alchoran
Vieles erzählt. Dies gereicht Abraham zur Schmah, wie man denn in
der „Lehre Mahomeds“ liest, Abraham felbft erfläre fich wegen des
Gögendienfts für einen unwürdigen Vermittler bei Gott. Mahomed hat
Died nicht aus dem Texte des alten Teftamentd gefchöpft, fondern ein
Jude hat es aus einer Gloffe zur Entfräftung des Einwurfs, den man
hinfichtlih der Jahre Thara's und Abraham’s erhebt, erfonnen; die
Ehriften nahmen es nicht als wahr an, und ebenfowenig der große
jübifche Gefcichtfchreiber Joſephus. Daher iſt nicht zu glauben, daß
Abraham, ald er aus dem Lande Ur in Chaldäa auszog, ein Gögens
biener geweſen fei, oder fein Water oder der Großvater Nachor oder
Heber, von welhem er und die Juden Hebräer hießen, oder Noe,- oder
irgend ein anderer Vorfahre Abrahams. Auf Gottes Befehl zog Abra—
ham fogleih aus dem Lande, von feinen Verwandten weg in das Land
Canaan. Wegen diefes Gehorfams ſprach Gott: „Ich will dich zu einem
großen Volfe maden, ich will dich fegnen, und deinen Namen verberr
lichen, und du wirft gefegnet fein. Ich will fegnen die dich fegmen, ud
verfluchen, die dir fluchen, ja in dir ſollen alle Völfer der Erde gefegnet
fein.“ Berner: „Alles Land, das du fiehft, gebe ich dir und beinem
Samen auf ewig; ich will deinen Samen wie Sand machen. Wenn
Jemand vermag, den Staub der Erde zu zählen, fo wird er auch deinen
Samen zählen können.“ Dann: „Fürdte dich nicht, ich bin dein Be
ichüger und dein überaus großer Lohn.“ Wiederum: „Nicht dein Haud
geborner wird dein Erbe fein, fondern der aus deinen Lenden hervor
geht, den wirft du zum Erben haben. Blicke auf zum Himmel und
zähle die Sterne, wenn du kannſt; fo wird dein Same fein. Abraham
glaubte Gott und dies ward ihm zur Gerechtigkeit angerechnet.“ Dan:
„Ich bin der allmächtige Gott, wandle vor mir und fei vollkommen.
Ich will meinen Bund fchließen zwifchen mir und dir und dich fehr er
365
mehren.“ Da fiel Abraham auf fein Angeficht auf die Erde und Gott
ſprach zu ihm: Sch bin und fchließe meinen Bund mit dir, du wirft der
Pater vieler Völker fein. Du ſollſt von nun an nit mehr Abram,
fondern Abraham heißen, weil ich dich zum Vater vieler Völker gemacht
babe. Ich mache dich fehr fruchtbar und made dich zu Völfern, und
Könige follen aus dir hervorgehen. Und ich errichte meinen Bund zwiſchen
mir und dir und deinem Samen nad dir auf ihre Fünftigen Geſchlechter
hin, ald einen ewigen Bund, dein Gott zu fein und deines Samend nad)
dir.... Sarat dein Weib follft du nicht Sarai, fondern Sara nennen.
Ih fegne fie, und gebe dir von ihr einen Sohn, den ich fegnen werde,
er wird zu Nationen werden, und Könige der Völker werden aus ihm
hervorgehen. Da fiel Abraham auf fein Angeficht, und lachte und ſprach
In feinem Herzen: Glaubft du wohl, daß einem Hundertjährigen geboren
wird, und daß Sara, die neunzigjährige, gebären wird? Und er ſprach
um Herrn: Möge Ismael leben vor dir, den ich von der Magd Hagar
erhalten habe auf das Verlangen und die Bitte der Sara. Und der
Herr jprad zu Abraham: Sara, deine Frau, wird dir einen Sohn ges
bären, und du folft feinen Namen Sfaaf nennen. Und ich will meinen
Bund mit ihm errichten zu einem ewigen Bündniß und mit dem Samen
nah ihm. Auch für Ismael erhörte ich dich. Siehe ich fegne ihn, ich
mache ihn fruchtbar und vermehre ihn ſehr; zwölf Fürften fol er erzeus
gen, und ich made ihn zu einem großen Volke. Und meinen Bund
errihte ih mit Iſaak. . . . Darauf befchnitt Abraham, wie es ihm
Gott befohlen hatte, fi und Jsmael, feinen Sohn von zwölf Jahren,
und alles Männliche in jeinem Haufe... . Und es erſchien ihm der Herr
im Thale Mambre; er faß an der Thüre feines Zeltes bei der Hige des
Zaged. Und nachdem er ihm die Augen eröffnet hatte, erfchienen ihm
drei Männer, die vor ihm ftanden. Als er fie erblicdte, lief er ihnen
entgegen aus der Thüre des Zeltes, fiel nieder zur Erde und ſprach:
Herr, wenn ich Gnade gefunden habe vor deinen Augen, fo gebe nicht
vorüber am deinem Knechte; ich will ein wenig Waſſer bringen, und es
offen eure Füße gewajchen werden; ruhet unter dem Baume. Ich will
einen Biffen Brod vorfegen, und es ftärfe fi euer Herz; dann möget
Ihr weiter gehen. Sie fpradyen: Thue, wie du gefagt haft... Sara
empfing und gebar einen Sohn in ihrem Alter, um die Zeit, welche
Gott vorhergefagt. Und Abraham nannte den Namen feined Sohnes,
den ihm Sara geboren hatte, Iſaak. Er befchnitt ihn am achten Tage,
wie ihm Gott befohlen hatte, als jener 100 Jahre alt war.... Und als
Sara den Sohn der Hagar, der Negyptierin, mit ihrem Sohne Saat
pielen fah, fprah fie zu Abraham: Vertreibe diefe Magd und ihren
Sohn, denn der Sohn der Magd foll nicht Erbe fein mit meinem Sohne
366
Saat. Und es fprad Gott zu Abraham: Alles, was Sara bir fagt,
gehordhe ihrer Stimme; denn nad Iſaak foll dein Samen genannt wer
den. Doch auch den Eohn der Magd will ih zu einem großen Bolke
macen, weil er dein Same ift..... Hierauf verfuchte Gott Abraham
und Sprach: Nimm deinen einziggeborenen Sohn x. (folgt das Opfer
Abrahams mit neuen Berheißungen, nah 1. Mof. 22,1 ff.)
13.
Ueber die dem gläubigen Abraham gegebene Verheißung.
Abraham war der Bater vieler Völker, weil er Vater des Glaubens
war; er glaubte Gott, und died ward ihm zur Gerechtigkeit angerechnet.
Daher werden Alle, welde Gott glauben (Deo credentes), wie Abra—
ham, dur den Glauben gerechtfertigt. Da Gott ihm um des Glaubens
willen den Sohn Iſaak gab, der fonft nah dem Laufe der Natur dem
66 (oben: 100) Jahre alten Abraham und der 90 Jahre alten und über
dies unfruchtbaren Sara nicht geboren werben fonnte, jo jehen wir, daß
wir durch den Glauben, über unfere fterblihe Natur hinaus, das erfehnte
ewige Leben erlangen. Wir wünjhen Söhne zu haben, damit in ihnen
unfere fterblihe und Hinfällige Natur neues Leben gewinne und wir
in ihnen fortleben. Durh den Glauben fehen wir Abrahams, des Gr
rechtfertigten, Berlangen erfüllt (per fidem videmus Abrahae desi-
derium justificatum). Er verbiente die Erfüllung feines Werlangent
durch Den, dem in feinen Augen nichts unmöglih war. Durch den
Glauben erlangte er dad Leben in dem ihm von Gott gegebenen Sohne
und fo in feinen Nachkommen für ewige Zeiten; denn Gott fpricht: dieled
Land will ich deinem Samen auf ewige Zeiten geben. Es lebt alle
Abraham in feinem ewig dauernden Samen, und wie lebt er? Nicht fleiid-
lid (secundum carnem), wie in feinem Eohne Jémael, der ein Sohn
des Fleifches, nicht der Verheißung war, fondern geiftig (secundum
spiritum), wie der Geift des Glaubenden in den Verheißungen Gottes
lebt. Es wird alfo der Bund Abrahams mit Gott, welcher Bund cwig
fein fol, durch Iſaak fortgefept, nicht durch Jsmael. Alle Glaubenden
find in Iſaak der Samen Abrahams. Söhne Abrahams find alfo Alk,
welche Gott jo ſehr glauben, daß fie dur den Glauben gerechtfertigt
werden. Daher fagte der Prophet: freue dich, Unfruchtbare, die du nich
gebährft, brich in Freudentruf aus, die du Feine Kinder haft! Denn piele
Söhne hat die Verlaffene, mehr als die, welde einen Mann hat. Dw
her zeigt der der freien, wiewohl unfructbaren Sara verheißene Iſaal,
daß alle gläubigen Heiden in dem Vater Abraham geſegnete Soöhne det
Verheißung feien. Indem Gott dem Abraham eine überaus große Der
mehrung feines Samens verſprach, in welchem alle Völker und alle Stämme
367
der Erde gefegnet werben follten, bezog er den Bund mit Abraham auf
Chriftus, daß nämlich er, der Eine Echöpfer, ihr Gott fein wolle (utique
de Christo locutus est pactum Dei et Abrahae, scilicet, quia unus ipse
creator esset Deus eorum). Der Bund wurde genau beobadtet von
allen Söhnen Abrahams, den Propheten, die über der Beobachtung jenes
Bundes forgfältige Wache. hielten. - Zulegt mußte man zum größten aller
Propheten kommen, in weldem jener Same fein höchſtes Wahsthum
erfangte- und die Fülle des verheißenen Segens fi offenbart. Das ift
Ehriftus, in welhem Abraham und alle Glaubenden ewig leben. Als
daher die Jungfrau Maria nad der Empfängniß im Geifte frohlockte und
ihre Seele Gott pried, ſprach fie: Er hat ſich Iſraels, feines Zöglings,
angenommen, eingedenf feiner Barmherzigkeit; wie er zu unfern Vätern
geiprochen, über Abraham und feine Nachkommen auf ewig. Aus diefem
Lobgeſange wiſſen wir, Ehriftus fei der Zögling Israel, der "als Mann
Gott fieht (Christum puerum esse Israel viram videntem Deum), nad)
der dem Abraham und deflen Samen gegebenen Berheißung, Der Bros
yhet Zacharias, der Vater Johannes des Täufers, fagte von Jeſus, er
fi das Horn des Heils, aufgerichtet im Haufe Davids, d. i. Meſſias,
ver Heiland, wie er durch den Mund der Heiligen geiproden, die von
Anfang find, gemäß dem Eidfchwure, den er gefchworen unferem Bater
Abraham, er werde ihn (den Erlöfer) und geben. Somit ift Ehriftus
ver Sohn Abrahams, der verheißene Same, der ewige Eohn, in welchem
alle Gläubigen ewig leben. Da alle gläubigen Stämme der Erde im
Vater Abraham gefegnet find und er im feinem Sohne lebt, Jeſus, dem
gefegneten Samen, fo leben Alle gefegnet in dem Vater und in dem
gefegneten Sohne. Daher fagte Ehriftus zu den Juden, er wife wohl,
daß fie Söhne Abrahams feien, nämlih nah dem Fleiſche. Weil aber
dies zur wahren geiftigen Sohnſchaft nicht hinreichte, fo fegte er bei:
„wenn ihr Söhne Abrahams jeid, fo thuet die Werke Abrahams”, wor
mit er fie befehren wollte, das feien die wahren Söhne Abrahams, welche
feine Werfe thun, gläubig find und Gott geboren. Er ſagte auch:
Abraham wünfchte feinen Tag zu fehen; er fah ihn und freute fih, Er
ſah alſo vor ſich Ehriftus und daß diefer ihm verheißen fei und aus feinen
Nachlommen erftehen werde. Indem er diefen Tag der Ankunft fah, freute
er ih. Im dieſer Anfhauung hatte er die Gewißheit, daß alles ihm Ver:
heißene in Erfüllung gehe, und daß diefe Verheißungen ihm nicht bloß
wegen des Geſetzes und der Befchneivdung, fondern wegen feines Glau-
bens gemacht worden feien. Diefe anfangs verborgenen Geheimniffe find
und durch Ehriftus und feine Jünger geoffenbart worden.
368
14,
Der Bund Botted mit Abraham fließt die JZsmaeliten aus
und fommt in dem Mittler Ehriftud zum Abfhluß (in Christo
mediatore concluditur).
Nun merfet auf, ihr Araber! und erfennet, daß ihr, Nachkommen
Ismaels dem Fleifhe nah, nicht in dem Bunde Abrahams mit Gott,
wie die Söhne der Verheißung aus Iſaak, mitbegriffen feid; ihr habet
feinen Antheil an dem Erbe Abrahams, weil ihr Nachkommen der Magd
Hagar und Feinde des Geiftes feid, wie das Fleiſch immer wider den
Geiſt if. Ihr könnet nicht im Samen Abrahamd gefegnet fein, wenn
ihr nicht geiftige Söhne Abrahams durd den Glauben ſeid. Nur dann
fönnet ihr die Verheißung des Segens in Ehriftus, der das Ziel und die
Vollendung der Verheißung ift, erlangen. Verſtehet es, der Glaube wird
durch den Geift erfaßt und erlangt in Ehriftus, dem Leben, das unſterb⸗
liche und ewige Leben, da diefer ebenfo Menſchenſohn ald Sohn Gottes
ift, der allein unfterblich ift. Zm erften Kapitel des Alchoran fteht, Abras
ham habe alfo geberet: „O ©ott, erwede einen Sohn unfered Geſchlechts
ald Bermittler und Propheten, der den Andern ihre Pflichten und deine
Tugenden fchriftlih offenbare und fie fegne; denn du bift ja der erhabene
Rehrer, der Alles weiß und hört.“ Siehe, wie er in diefem Gebete von
Chriſtus, dem Mittler zwilchen Gott und dem Menfchen Abraham redet.
Kein Anderer kann gemeint fein, da er von dem Propheten, der ein Sohn
feines (Abrahams) Stammes ift, redet, nämlih Iſaak, den Gott deſſen
Einziggebornen nannte. Diefer ift der Mittler zwiſchen Gott und dem
Menſchen, weil er der Einzige ift, zwiſchen welchem und Gott Fein Ans
derer ald Vermittler auftritt, da Ehriftus der allerhöchfte Prophet ift, der
allein Gott den Vater befannt macht, weil er deffen Sohn ift, und die
Gläubigen durch ſich als der oberfte Hohepriefter fegnet. Sehet mn,
Araber! Wie feid ihr die Nahfommen Abrahams, da ihr an diefem Olaw
ben nicht fefthaltet? Wie wandelt ihr vor Gott, um vollfommen zu fein,
da ihr doc nicht Söhne der Verheißung in Ehrifto Jeſu ſeid? Forſchet
nach und ihr werdet nicht finden, daß Gott je einen Geſandten oder Lehrer,
Propheten oder Boten gefendet habe, der nicht die Verträge und Bünds
niffe heilig hielt, welche Gott mit Abraham, Iſaak und Jakob geſchloſſen
hat. Aus der Reihenfolge der Verehrer dieſer Bündniſſe waren Alk,
denen Gott den Geift der Propheten gegeben bat, nicht aus der Genew
logie Ismaels, mit dem Gott feinen Bund gefchloffen hat, da er, mit
Ausſchließung desſelben, Iſaak erwählt hat, obwohl Abraham jenen fegr
nete und feinen Samen vermehrte und zwölf Fürften aus demfelben ber
vorgingen, fo daß er fowohl in diefem als dem zufünftigen Leben beRän
369
digen Segen erlangte. 2eget kein Gewicht darauf, wenn im 2. Kapitel
ded Alchoran Ismael unter den Propheten nah Abraham und vor Iſaak
geiegt, wenn er im 28. Kapitel Gefandter und Prophet genannt wird.
Diefe Behauptung hat fein Zeugniß, weder im alten, noch neuen Tefta-
mente für fich, fondern es ftcht von ihm zu lefen, daß der Engel der Has
gar, ald fie mit Jömael [hwanger ging, vorausgefagt habe, er werde ein
wilder Menſch werden, der feine Zelte gegen feine Brüder aufſtelle. Mas
bomed fegte jenes in den Alchoran, um fib, da er ein Ismaelite war,
als Nachfommen eined Prophetengefchlechtes darzuftellen und fo deſto
leihter als Gefandter und Prophet bei den Arabern Eingang zu finden.
Da es aber in diefem Stüde bei ihm fehlerhaft ausſah, fo zeigte er das
durh nur, was von ihm zu halten jei. Im 46. Kapitel fagt er, Abra>
ham habe zu Iſaak gejagt: „Mein Cohn, mir ift in einer Erſcheinung
angefündigt worden, ich ſolle dich enthaupten; fage mir, was ift deine
Meinung ?* Er antwortete: „Vollziehe den Befehl, mich wirft du ftandhaft
finden, Alles zu leiden.“ Iſt dem fo, wie dort ftcht, fo verdiente aller:
dingd Ifaaf, indem er Gott und feinem Water bis in den Tod gcehorfam
war, Derjenige zu fein, den Gott berufen hat, ald den Eamen des Se—
gend für alle Gläubige. Denn gewiß war Abrahams Glaube ſehr groß,
da er im feften Glauben, daß Gott feinen Samen in Iſaak auf das
Aeußerfte vermehren werde, unerachtet des Befehle, diefen Eohn ale
Brandopfer Gott darzubringen, nit daran dachte, es gehe Died gegen
die Verheißungen Gottes, fondern hoffte, Gott werde nur um fo mehr
kin Verſprechen erfüllen, wenn er ihm in der Tödtung des Sohnes ges
borhe, indem er wußte, es fei dem nichts ſchwer oder unmöglich, der
Todte ganz leicht auferwedt.
15.
Nur ein Ehrift, der die Dreieinigfeit in der Einheit ans
betet, fann ein Sohn Abrahums fein.
Ganz vollflommen war alfo der Glaube Abrahams, deſſen Sohn
Naak fein wahrer Nachfolger und Erbe war, der Typus jenes vollfoms
menften Samens, des Meſſias, der feinem Water bis zum fchmählichiten
Tode gehorfam war. Doch was ift noch weiter beachtenswerih? Gewiß,
daß ein Midder ftatt des Iſaak geopfert wurde. Diefer Widder, den
Abraham fand und ftatt feines Sohnes opferte, bedeutet die Darbringung
Ehrifti als Opfer, der wahrhaft geopfert und getödtet wurde, damit ber
Yäubige Iſaak und das ganze Geſchlecht der Gläubigen lebe. Iſaak
alſo bedeutet Chriftus, wegen feiner Freudigfeit des Gehorſams bie in
den Top, die allen wahren Gläubigen innewohnen muß. Der Widder
SHarpff, Nic. v. Cuſa. 24
370
bedeutet Chriſtus, foferne dieſer das Opfer (holocaustum) iſt, der durd
feinen Tod alle Kinder Gottes durch den vollendeten Glauben (per con-
summatam fidem) erlööt und vom ewigen Tode befreit hat. In den „Lehren
Mahomeds“ fteht, der Widder fei ohne Cfleifchlihe) Vermiſchung wie
Ehriftus geboren. — Wenn du, Araber! die Sache richtig faſſeſt, jo war
Abraham (wie der Alchoran an einer Stelle fagt), allerdings nicht vor
Ehriftus, weßhalb der Alchoran Abraham feinen Chriſten nennt, wohl
aber war Ehriftus, der Sohn Gottes, der gleihewig mit Gott dem
Bater ift, vor ihm; denn im Evangelium fagt Ehriftus: „Bevor Abraham
geboren ward, bin id.“ Diefer ſah alfo in prophetifchem Geifte, ver
Meſſias, der Mittler und Heiland, werde einmal in die Welt fommen,
ohne den weder er noch irgend Jemand Zugang zum Bater haben werde.
Abraham war daher ein Ehrift, indem er hoffte, durch die Wermittelung
Ehrifti unzweifelhaft das ewige Leben zu erlangen. Das ift der einzige
und vollfommene Glaube Abrahams, der auch der Glaube Aller fein
muß, die den reinen (sanam) Glauben haben und durch denfelben jelig
werden wollen. Abraham fah drei Männer im Thale Mamre, fiel auf
die Erde und betete an und fprab: „Herr, wenn id Gnade vor deinen '
Augen gefunden habe, fo gehe vor deinem Knechte nicht vorüber.“ Den
Einen Herrn betete er in drei Perfonen an; das ift Die Am
betung der Ehriftenz; wenn ihr an diefer nicht fefthaltet, jo ſeid ihr nict
Nachkommen Abrahams. Wie glaubet ihr in den Fußftapfen des ger
rechten Abraham zu wandeln, da ihr die Kinder Abrahams verfolget?
Es iſt nur Ein Sohn Abrahams, der Erbe Aller, Jeſus Chriſtus, der
Sohn der Jungfrau Maria, der Tochter Abrahams. Er, deffen Vorbild
Iſaak ift, ift der wahre Erbe Aller, weil er zugleih der Sohn Gottes
ift, wahrer Gott und der überaus große Lohn Abrahams. Gott gab
dem Abraham den Sohn Iſaak, weil er glaubte, Gott fei wahrhaftig in
den Verheißungen; wegen des Gehorfams aber, den er in der Dpferung
des Sohnes bewies, gab er ihm zum Lohne Ehriftus, den König und
Her von Allem. Ihr Araber glaubet aber nicht, daß Abraham für
feine Gerectigfeit und Gehorfam einen folhen Lohn erlangt habe.
Ihr glaubet alfo weniger von Abraham ald die Ehriften, die wahren
Kinder Abrahams. Seid ihr feine getreuen Kinder Abrahams, fo fönnt
ihr auch nicht Miterben Ehrifti, des Sohnes Abrahams fein.
16.
Die Araber fennen das Geſetz Abrahams nicht und ver
folgen dasſelbe.
Genügt für euch die Beſchneidung? erfüllet ihr damit das Geleh
Abrahams? Die Beihneidung macht euch noch nicht zu Kindern Abras
371
hams, ber Gott glaubte, und das ward ihm zur Gerechtigkeit anges
rechnet. Der Glaube Abrahams rechtfertigt. Abraham war gerecht, als
er moch nicht beichnitten war; allein Gott, der Abraham, Iſaak und
Jafob und deren Nachkommen zu feinem befondern Volke auserwählt hat,
wollte den Bund, daß er ihr Gott jein wolle, durch die willige Annahme
ver Beichneidung (in obedientia eircumeisionis) befräftigen laſſen; ein
Bündniß, mit jedem Einzelnen dadurd geihloffen, daß er fein Blut aus
Gehorſam gegen Gott vergoß, konnte nicht verläugnet werden, und wer
von der Verehrung des von ihm angenommenen Gottes abfiel, follte das
Zeichen feiner Treulofigfeit an feinem Körper tragen. Die Ehriften aber
find in Ehriftus befchnitten, da fie durdh Glauben und Taufe den myftis
ſchen Leib Chriſti bilden. In Chriftus bereits befchnitten, zeigen fie fich
durh ihren Namen ald Gläubige Gottes vor aller Welt. Wenn die
Beſchneidung das Sinnbild des Abfchneidens der fleifchliben Gelüfte ift,
jo beweist euer Geſetz, daß es nicht das Geſetz Abrahams fei, da es
die Gelüfte allgufreigebig geftattet. Die Befchneidung foll acht Tage
nah der Geburt, wie ed bei Iſaak der Fall war, vorgenommen werben.
Ihr aber haltet euch nicht an den Befehl Gottes, fondern nehmet fie erft
im dreizehnten Jahre (weil in diefem Alter SJömael befchnitten war) vor,
um Jsmaeliten zu fein. Ihr wifjet, daß Abraham, um feinen Bruder zu
befreien, mit vollem Rechte zu den Waffen gegriffen, und dennoch fib von
Raub und Plünderung und fremdem Gute nicht habe bereichern wollen.
Ihr wollet durch ungerechte Angriffe und Plünderung reich werden und
behauptet, es fei euch durch euer Geſetz erlaubt, das doch vom Gefche
Abrahams nicht abweichen darf. Eure Lüge, died fei mit dem Gefſetze
Abtahams im Einflange, ift eine Läfterung des Gottes Abrahams gegen
Abraham. Euer Gefeg gibt Gott, deffen Eigenthum die Welt, ven
fünften Theil der Beute. Wie lächerlich, wenn ihr fagt: Solches (Plüns
derung ac.) gejhieht nur gegen die Ungläubigen. Iſt es nicht nad
eurem Glauben ganz unbefannt, wer einen befjern Wandel führe, wenn
gleih Jever glaubt, er fei der Beſſere? Nah dem Alchoran ließ Gott
einem Jeden fein Belieben. Das und verborgene Innere eined Jeden
gehört vor den Richter ded Verborgenen am Tage des Gerichted. Weifet
nad, wo Abraham Solches gethan oder zu thun befohlen habe! da ihr
nichts der Art auffinden könnt, fo faget ihr mit Unrecht, ihr befolget das
Geſetz Abrahams. Wie oft ſagt euer Buch: wenn es Gott wollte, ſo
hätten Alle freien Glauben und Gottesdienſt; allein er läßt den dermaligen
Zuftand zu. Warum nehmet ihr euch heraus, eine andere Weltordnung
ald Gott feftzuftellen, als weil ihr Gott mehr als alle Andern in gottes⸗
Üferiiher Weife zu eurem fündhaften Begehren mißbraucht? Ihr faget
24°
372
vielleicht: wir zehnten wie Abraham; hat nicht Abraham dem Hohen
priefter Melcifedeh Zehnten gegeben? Was verfinnbildete aber der König
von Salem, der Priefter des höchſten Gottes, Anders ald den Meifias?
David fagt dies von ihm, Gott habe gefagt (im 109. Palm): Du bift
der Priefter auf ewig nad der Ordnung Melchiſedechs.“ Jeſus Chriftus
jelbft legt den Palm im Evangelium auf diefe Weife aus. Gebet ihr
Chriſtus, dem ewigen Priefter, Zehnten, jo ahmet ihr den Zehnten Abras
hams nad; gebet ihr aber Chrifto feinen, fo feid ihr, wenn ihr ihm aud
(ſonſt) gebet, nicht Nadhfommen Abrahams. Allein ihr verfolget Chriftus,
ihr plündert ihn, ihr befämpfet ihn in feinen Gliedern; fomit thut ihr
Abraham, als deffen Nachfolger ihr euch rühmet, Gewalt an. Möchtet
ihr doch einfehen, daß das geheimnißvolle Brod und Wein, dad Opfer
des ewigen Priefters, die himmliſche Tafel, auf ewig nähre! Dann würde
ihr vollfommen einjehen, daß gleichwie die Subftanz von Brod und ein,
die nicht lebendig ift, durch die Thätigfeit der (menſchlichen) Natur gereis
nigt und durch die menfchlice Subftanz zur lebendigen Einigung mit ihr
angenommen wird, weil die Subftanz der Nahrung in die Einigung mit
der Eubftanz des durch fie Genährten übergeht, fo auch vie lebendig:
Subſtanz ded Menihen durch die Thätigfeit des Wortes Gotted gereis
nigt und in die Einigung mit diefem aufgenommen wird, um in einem
höhern Leben, als vorher, nämlich im göttlihen und ewigen, zu leben.
(tunc perfecte videretis, quod sicut substantia panis et vini, quae non
est viva, opere naturae depuratur et assumitur per substantiam hu-
manam in sui unionem vivam, quoniam substantia nutrimenti transit
in unionem substantiae aliti: sic substantia viva hominis depuratur
opere verbi Dei et demum assumitur in ejus unione, ut vivat vita
altiori quam prius, scilicet divina et aeterna.) Hieraus fieht man,
wie Ehriftus, das Wort Gottes und fein myftiicher Leib Ein unſterbliches
und ewiges Leben mittelft der obengenannten Einigung leben. Doc diele
ganz verborgenen Geheimniffe vermöget ihr nicht zu faffen, weil ihr an
die perfonelle Einigung der menſchlichen und göttlihen Natur in Chriſtus
nicht glaubet. Ihr fönnet die oben erwähnte Frucht nie koſten, weil ihr
ohne Glauben und Hoffnung feid.
17,
Guter Rath an den Sultan, er folle befeblen, daß bie
Jungfrau Maria ald Gottesgebärerin, Beoronog, verehrt
und das Licht des Evangeliums angenommen werde
Sultan von Babylon, Fürft eines großen Volkes! bevenfe, warum
du behaupteft, dir fei die Bewachung des Glaubens der Araber anver:
traut! Du wart einft Chriſt und haft, um zur Herrſchaft fähig zu fein,
373
den chriftlichen Glauben verläugnet. Du willſt Chriſtus nicht ganz vers
läugnet haben, fondern nur weniger glauben, als vorher. Du glaubteft,
er fei der wahre Sohn Gottes, dies glaubft du jeßt nach dem arabifchen
Glauben micht mehr. Dagegen den Glauben an die Ginheit Gottes hältft
du jegt noch wie früher feft. Du glaubteft, Maria, die Mutter Jefu Ehrifti, fei
Beoroxos, Gottesgebaärerin; jetzt hältft du fie zwar für die Mutter Ehrifti,
aber nicht für die Mutter Gottes. Du glaubieft, Ehriftus fei in Seru:
jalem durch Pontius Pilatus zu unferm Heile gefreuzigt worden, du
befuchteft fein Grab in Jeruſalem, du faheft die Zeichen von Dem, was
in feiner Todesſtunde vorging, die Spalten der Felfen in Folge des Erds
bebend; jetzt läugneft du feinen Tod und behaupteft, er lebe noch. Du
jahft oft mit Andacht die Stätte feiner Geburt im Stalle zu Bethlehem;
ht läugneſt du diefe Thatfache und fagft, unter einer Palme in einer
einfamen Gegend fei Ehriftus geboren. Sonderbar! du bift nicht Sultan
geworden, um die Ehre und Verherrlihung Chriftt und feiner Mutter,
der Jungfrau Maria, zu vermindern; daß jene heiligen Orte die beftän-
digen Denfmale der Kreuzigung und Geburt Jeſu, ein unumterbrochenes
Zeugniß von mehr als taufend Jahren feien, gibit du zu, daß fie aber
dib deines Unglaubens überführen, darüber errötheft du nicht. Einft
glaubteft du, daß der Engel Gabriel von Gott zu der Jungfrau Maria
nah Nazareth gefandt worden fei und ihr gemeldet habe, fie werde Jeſus,
den Sohn Gottes, gebären. Jetzt glaubft du, Amram fei der Vater Mariens
und folglich fie nicht jene Maria, von welder das Evangelium redet,
welbe auf jene erfte Maria erft nach mehr als 1000 Jahren gefolgt ift.
Sagft du, der Alchoran babe hierin geirrt, fo folgt, daß der Gabriel des
Evangeliums wahrhaftig und der Gabriel des Alchoran ein Lügner ift.
Bedenke doch: wenn Mahomed durch die ihm beiftehenden Juden getäufcht
worden ift, welche ihm beibrahten, Maria, die Mutter Chrifti fei die
Schweſter Aarons geweien, fo fonnten fie ihm auch in vielem Andern
täuſchen, ba er von der Geſchichte gar nichts verftand. Die glorreiche
Jungfrau Maria verlangt von dir, daß du ihr bie ihr von Gott vers
liehene, von der dritten Synode unter Theodofius, von der vierten unter
Nartianus feierlich ausgefprocene Ehre wiederherftelleft. Blicke hin auf
jene ruhmvollen Kaifer Theodofins, Marttanus, Eonftantin und alle an—
dern, welche die Ehre der Jungfrau und Mutter Ehrifti mit dem größten
Eiſet zu erhöhen fich beftrebten. Bift du ein Fürft, fo bevenfe, deine
Ehre erfordere ed, eben fo zu handeln, da did dazu das früher von bir
belannte Evangelium verpflichtet, das du jegt durch die Annahme des
Alchoran aufs Neue befräftigt und beftätigt haft. Dur fagft vielleicht:
„Berne fei es von mir, daß ich der Jungfrau Maria nicht die gebührende
Ühre geben wollte! fo verftehe ich den Alchoran nicht, weßbalb ich Alle,
374
welche die heilige Jungfrau läftern, mit dem Tode beftrafe. Allein es
fehlt mir das Verftändniß über die Art der Geburt Jeſu aus der Jungs
frau.” Ich antworte darauf: Die Art der Menſchwerdung des Wortes
gebt über den menfhlichen Verftand; da aber das Evangelium jagt: dad
Wort ift Fleiich geworden, jo mußt du dies glauben, wenn du anders
dem Evangelium glaubft. Es genügt, wenn du an die Mutter Chrifti
glaubft (si credis matrem Christi), welder Ehriftus das Wort ift, dad
in Maria der Jungfrau Fleifh angenommen hat, in der Weife, wie dies
Gott bewirkt hat. Wenn du daher den Befehl erläffelt, daß Alle in
deinem ganzen Reihe dem Evangelium glauben, wie die Yegyptier, Afti—
faner, Römer und Afiaten geglaubt und die hl. Jungfrau zur Zeit Ma:
homeds, vor und nad ihm, wenigftend zum größeren Theile, verehrt haben,
fo wird diefer Befehl gewiß Gott und Chriſtus und der unbefledten
(intemeratae) Jungfrau angenehm fein, unzähligen Gemüthern Heil und
Frieden, dir unfterbliches Xob und das ewige Leben verihaffen. Koms
men muß die Zeit (wie oben aus dem Alchoran gezeigt ift), wo nur
der Glaube Ehrifti befteht (Evenire debet tempus, ut supra die-
tum est ex Alchoran, quo non erit nisi fides Christi). Mache du den
Anfang zum Mebertritte und es folgen dir alle Fürften jener Secte!
Dann wird man fagen: Siche, Gott hat Böjes zugelaffen, damit Gutes
daraus hervorgehe. Der Glaube des Evangeliumd war allenthalben
von den orientalifhen Götzendienern verachtet: da fam der arabiide
Glaube (lex), ſcheinbar abgeneigt jenem beizuftimmen (quasi nolens con-
sentire in ipsam), und führte die Araber zur Anbetung des Einen Gottes,
jedoch mit heimliher Billigung ded Evangeliumd (approbato tamen ot-
culte Evangelio). Sept gefiel e8 Gott, daß das fo beftätigte Evange
lium, das jedoch noch mit vielen Albernheiten des Alchoran bededt ift,
and Tageslicht hervorfomme. So werden Diejenigen vom arabiſchen
Glauben zum Evangelium geführt werden, welche Anfangs den ftärkften
MWiverftand Teifteten, zur Ehre des großen Gottes, des Königs der
Könige, ded Schöpferd und Herrn der Welt.
18.
An den Chalifen von Bagdad, daß die Juden über Abraham
im Alchoran (willführlihe) Zuſätze gemacht haben.
Zuvörberft frage ich Deine Weisheit, der Du das Haupt der aru—
bifhen Religionsgenoffenfchaft bift (qui praees legi Alchoran): glaubfl
Du, daß Gott der Urheber des Alchoran ift oder nicht? Wo nicht, warum
befichlft Du, daß man auf der Hochſchule zu Bagdad diefem Bude fo
eifriges Etudium widme, das von fich ſelbſt falfches Zeugniß ablegt, da
e8 behauptet, von Gott verfaßt zu fein, was Du doch nicht glaubt?
375
Glaubſt Du aber, daß das Bud Gotted Wort enthalte, wie kann es bes
baupten, Gott habe. e8 dem Mahomeb durch Gabriel eingehändigt mit den
Worten: „dieſes Buch Gabrield, das er deinem Herzen dur den Schöpfer
nahe legt? ? Wie können diefe Worte Gott in den Mund gelegt werden,
ver der Schöpfer it? Du weißt durch das Lefen des Buchs, daß ſich
jehr häufig Dinge darin finden, die an und für fich beweifen, fie feien nicht
Worte Gottes? Doch gefegt, Du glaubeft nun einmal, trog diefer und
anderer Cinwürfe, Gott habe dad Buch zujammengeftellt, fo mußt Du
auch den ganzen Inhalt für ganz wahr halten. Sage nun: wenn es im
19. Kapitel heißt: „Ich, dem Gott den rechten und geraden Weg, den
Weg des nicht ungläubigen Abrahamd öffnet und darbietet,” was vers
fieht Du unter: Jh? Meinft Du Mahomen, fo find es nicht Worte
Gottes umd verdienen feinen Glauben. Wenn Mahomen von fich felbft
Zeugniß gibt, fo hat diefer Beweis feinen Werth. Da aber jene Worte
im Alchoran ftehen, fo haft Du fie für Gottes Worte erflärt, was Beides
fih nicht zufammenreimt. Sodann, fteht nicht im 6. Kapitel: „Schärfe
den Andern ein, Gott habe wahrhaftig geboten, fie follten Abrahams
Secte nachahmen, der fein Ungläubiger und kein Gößendiener war ?*” Hat
Gott dies befohlen und darauf im 16. Kapitel dem Mahomed zuerft den
Weg Abrahams geoffenbaret, wie reimt fich Beides und wie verträgt
ih damit das im 6. Kapitel Gefagte, Abraham fei fein Ungläubiger
und Fein Gögendiener gewefen, was er auch) in feinen „Lehren“ behauptet?
Sage mir: da Mahomed 40 Jahre alt vom Gögendienfte durch den
neftorianifchen Mönch Sergius, von dem er auch den Drdenshabit annahm,
befehrt wurde und in diefem Glauben geftorben fein fol, wie fann es
dann wahr fei, daß er das Geſetz Abrahams beobachtet habe? Wo
liest man im Alchoran ein Gebot über die Beichneidung, oder daß Mas
homed beichnitten war; nicht 8 Tage nad feiner Geburt, wie es für die
Söhne Abrahams geboten war, nicht im 13. Jahre, wie Jsmael (denn
damals war er noch Gögendiener), noch auch fpäter ward er befchnitten.
Wohl aber war er als neftorianifher Chrift getauft. Denn die Neftos
tianer halten am Evangelium feft und haben die Taufe. Es ift nicht
wahrfcheinlich, daß Mahomed jene (obigen) Etellen in den Alchoran ges
ſchtieben habe. Denn befanntlich enthält das 12. Kapitel und was vor
jenen Kapiteln fteht, welche das Geſetz Abrahams dem Mahomed mit-
getheilt werden laſſen, Lobſprüche auf das Evangelium; ebenfo enthält
dad 4. Kapitel ein Rob auf Ehriftus, was von Mahomed herrühren kann,
da er Chriſt war. Es iſt ausgemadt, daß er Ehriftus allen Propheten
und den evangelifhen Glauben allen andern vorzieht. Daher ift es nicht
wohl denkbar und wahricheinlih, daß er, nachdem er Chriſtus und das
Evangelium verlaffen, durch Gott auf Abraham hingewieſen worden fei,
376
da die Chriften wiffen, daß die Beobachtung des Evangeliums die ganze
Volfommenheit ded Glaubens und Geſetzes Abrahams in fich begreife.
Wahrſcheinlich haben daher die Etelle über das Gefeg und den Weg
Abrahams die Juden nah Mahomeds Tod in den Alchoran gefegt, in«
dem die Sammlung Mahomeds, wie früher erwähnt, in ihren Händen
fib befand. — Nun fiehft Du, Ehalife! daß ihr durch verſchmitzte, Alles
verfehrende, gottesläfterlibe Juden getäufcht feid, welche den Alchoran bei
Lebzeiten Mahomeds nie veröffentlicht haben, fo wie aub fein Inhalt nie
Jemanden im Zufammenhange als Ein Ganzes mitgetheilt wurde. Nach
dem Tode Mahomeds festen die Juden, die fih an Mahomed ange
fhloffen und die Sammlung feiner Gebote ganz in ihrer Gewalt hatten,
ehe fie diefe Eammlung dem Ali, dem fie nah Mahomeds Anweiſung
übergeben werben follte, zuftellten, die Stellen über Abraham hinein, als
defien Söhne die Juden ſich rühmen, fo wie noch mehreres Andere, was
dann im Alchoran ftehen geblieben iſt. Da Du dies wohl weißt, fe
faffe einen männlihen Entſchluß in der Furcht Gottes und ziehe die
Wahrheit der Lüge vor.
19.
Demweis, daß Niemand ohne Ehriftus jelig werden fann.
Bedenke ferner, dag Du Di Ehriftus und feinem Evangelium ohne
Zweifel auh nah Mahomed unterwerfen mußt, wenn Du zum ewigen
Leben gelangen willft, weil dies dem Menfchen ohne Ehriftus unmöglid
ift. Um dies zu zeigen, fehicte ich voraus, daß aud nach dem Aldoran
der Sterblihe dur feine Anftrengung und Uebung in der Tugend um
fterblih werden fann. Könnte die fterblibe Natur ſich felbft unfterblid
machen, fo fünnte fie auch ſich zu Gott maden, der allein durd feine
Natur unfterblih ift, auch nah dem Alchoran. Kein Menfh kann bei
dem größten Eifer folbe Werfe verrichten, um derentwillen er nach Redt
und Verdienſt unfterblih würde. Da wir gleichwohl Alle nach Unfterd-
lichfeit uns fehnen, fo gelangte Niemand zur höchſten Glüdjeligfeit, außer
er erreiche die Unfterblichkeit, und es würde nicht genügen, fie ohne Vers
dienſt zu befigen. Wer das Neich der Unfterblichkeit nicht als Erbe und
Herr durd die Gerechtigkeit erlangt, ift noch nicht glüdlih. Der Bufall,
der das, was er hat, aus Gnade hat, ift nicht glücklich, weil er ein
Diener ift, fondern nur der Herr und Erbe. Wie ift es nun möglid,
daß der Menſch zum Reiche des Himmels und der Unfterblichfeit fo ge
lange, daß er König und Herr und Erbe dieſes Reiches fei, wenn ber
Sterblibe die Unfterblichfeit nicht fo verdienen kann, daß fie ihm ald
Verdienft gebührt (sic mereri non potest, quod ei debeatur)? mie
das Leben des unvernünftigen Thieres durch Feine Webung ſich zum gel
377
figen und intelligenten Reben hinauf erheben fann, wiewohl das eine
Thier mehr als das andere dur die Drefiur (doctrina) ded Menſchen
zu einer WHehnlichkeit der Intelligenz auffteigen fann, ald das andere;
doch wird es nie möglich fein, daß das Thier intelligent werde. — Gäbe
es aber ein Thier, das der Belehrung in dem Grade fühlg wäre, daß
ihm durch fortgefegte Uebung das Verftändniß der Dinge, die nur ber
Menſch verfteht, aufginge und es died durch die That beweifen würde, fo
wäre Died keineswegs ein reines brutum, fondern hätte einen Berftand,
mit welchem die fpecifiih thieriſche Natur wie mit feiner Hypoftale ge
einet wäre. Es fönnte daher, was ed in jener Wurzel, die ich Hypoftafe
nenne, als Natur befaß (naturaliter habuit), in der angenommenen thie—
riſchen Epecied durd entfpredende Uebung verdienen (potuit etiam in
assumta specie brutali congruo mereri exereitio). Was vom Thiere und
Menihen gilt, das muß auch vom Menfchen und der Gottheit (divini-
tate), welche auch Unfterblichfeit genannt wird, gelten. Mag ein Menſch
noch fo fehr der Unfterblichfeit oder Gott ähnlicher fein, ald ein Anderer,
fo gelangt er doch nie durch feine noch jo eifrige Uebung, wenn er auch
beftändig Heiliger wird, zur Gottheit oder Unfterblichkeit, Und glaubt
auch einer dahin gelangt zu fein, fo muß feine Wurzel oder Hypo—
fafe göttlich geweſen fein, fo daß er in der angenommenen Menfcheit
durch eine entiprechende Tugendübung die Unfterblichfeit, die er in feiner
Wurzel oder Hypoftafe fhon hatte, auch verdienen fonnte. Ihr zweifelt
nad dem Alchoran nicht, es fünne ein Menſch durd Glauben und Werke
verdienen, daß ihm durch den Urtheilsſpruch Gottes, des Richters, am
Tage des legten Gerichtes das ewige Leben zuerkannt werde. Bei Chriftus
fönnet ihr died alfo am allerwenigften bezweifeln, weil Keiner fittlich
würbiger ald er war. hr müßt alfo zugeben, daß, weil Chriſtus ale
ſterblicher Menſch, die Unfterblicfeit in der menfchlihen Natur fi vers
dient hat, diefe menfhlihbe Natur in ihm zur Wurzel (wenn id
fo fagen darf) und Hppoftafe die göttlihe Natur hatte. In
keinem andern Menfhen war die menfchlihe Natur fo erhöht (elevata),
daß ihre Hypoftafe die göttlihe war; denn er allein ift der Höchfte
(altissimus). Es fonnte deßhalb und kann Fein anderer Menfch feiner
menfhlihen Natur die Unfterblichfeit verdienen, nur Chriftus konnte es.
Er verdiente daher die Unfterblichfeit Allen, die durch die gleiche menſch⸗
liche Natur ihm conform find. Nun begreifen wir, warum er in der dur
den Engel Gabriel an die Jungfrau Maria ergangenen, im Evangelium
aufgezeichneten Verkündigung — von Gott Jefus genannt wurde, weil
et der Erlöfer if, der fein Volk erlöst, ebenfo, warum er Meſſias oder
Helaldter König if. Zu feinem Reiche gehören Alle, die das ewige und
unſterbliche Leben erlangen wollen.
378
20.
Beweis, daß Ehriftus den Ehriften die Unſterblichkeit ver
dient hat.
Verſtehe, Chalife! daß Ehriftus diefes Neich der Unfterblichfeit durch
die aus der Jungfrau angenommene menjhlide Natur verdient hat, weil
er in der Wurzel oder Hupoftafe, der Natur nad) (per naturam) unſterblich
war. ... Die menfhlihe Natur ift in ihm nicht dinzig und allein durch die
Gnade der Einigung derfelben mit der göttlichen Hypoftafe, fondern aud
dur die Tugendübung (ex exercitio virtutis) unfterblic geworden. Nach
Ablegung der Sterblichkeit im Tode, den er aus Gehorfam gegen Gott
erduldet, verdiente er unfterblich zu werben (meruit fieri amplius immor-
talis). Es ift daher der Meifiad oder Ehriftus der König, vor allen
feinen Genoſſen (prae consortibus) geſalbt, durh Natur und Verdienſt
der König ded ewigen oder unfterblichen Lebens. Es ift dies fein Reid,
ded Königs der Tugenden und der Chimmlifchen) Glorie; zu diefem feinem
Reiche find Alle, Ungläubige und Gläubige, durch ihn berufen, um mit
Ihm zu berrfhen; die feine Stimme hören und ihm nachfolgen, befigen
die Unfterblichkeit. Du fichft hieraus deutlich, Chriftus fei der Mittler
zwifchen Gott und den Menfchen und fein Menfch verdiene durd Glauben
und Werfe das ewige Leben, außer dur ihn. Er ift der Erbe des un
fterdlihen Reiches Gottes, in dem Gott allein wohnt, nad dem alle
Menſchen fi fehnen. Er ift Erbe im jeder Weile, nad feiner Natur und
nad) pofitiver Anordnung (secundum naturam et constitutionem). Als
Erbe der Natur nah wird er der wahre Sohn Gottes genannt, denn
der Sohn ift der natürliche Erbe, als Erbe nah pofitiver Anordnung
heißt er Menfchenfohn, gejalbt vor feinen Genofjen. Die Anordnung ift
aber eine doppelte: die eine, welde einfach von der Wahl des Anords
nenden abhängt, die andere, die nicht nur von der Wahl des Anordnnenden,
fondern von dem Verdienſte des Beorderten (constituti) abhängt. Wenn
ein König, der einen Sohn und einen mächtigen Feind hat, verfündete,
er werde denjenigen Krieger zu feinem Erben einfegen, der ihm den Feind
befiege, und wenn nun der Sohn die Geftalt eined Kriegerd annähme
und Sieger würde, fo wäre diefer in beider Hinfiht Erbe: dur Natur
und pofitive Anordnung. So ift aud Chriftus der Erbe von Allem durd
Natur und pofitive Anordnung. Denn er hat die menſchliche Knechts⸗
geftalt angenommen und den Fürften diefer Welt, den Feind Gottes ber
fiegt, aus deſſen Hand er die gefangene menſchliche Natur befreit hat,
die nach dem Ebenbilde Gottes und zu feiner Anſchauung erſchaffen iſt.
Du fiehft alfo, Ehriftus ift der vollfommenfte Erbe Gottes, durch Natur
und Verdienſt Gotted- und Menfhenfohn. Alle, die Chriftus ähnlich find,
379
find durch ihn Erben und Kinder Gottes und Miterben Chriſti. Die
Erbichaft ift das Neich des ewigen Lebens, in weldem Gott der Vater
in feiner Herrlichfeit gejchaut wird und Ghriftus, der Siegreihe, in ber
Herrlichfeit Gottes des Vaters. Anders fann auch der Alchoran die
Sache nicht verftehen, wie Du felbft in Deinem Haren Verftande einfiebit.
Wenn Du darauf recht achteſt, fo fiehft Du, daß in Ehriftus nur Eine
göttlihe Hypoftafe ift, in welcher die menſchliche Natur wurzelt (radicatur).
Die Hypoftafe der göttlichen und unfterblihen Natur nimmt die menfchliche
Natur an (humanam in se colligit naturam). Wegen diefer Hypo—
ſtaſe ift Chriſtus Eine göttliche Perſon, obwohl er göttlihe und menſch—
lihe Natur zugfeih hat. Durch communicatio idiomatum wird von ihm
ausgefagt, was wir der göttlichen und menſchlichen Natur zugleich zuweiſen.
Hierüber kannt Du, wenn es Dir beliebt, bei vielen gelehrten Ehriften
binlänglicen Aufihluß erhalten.
21.
Nachweis der Aehnlichkeit zwifhen Adam und Chriftus.
Da über die Art der Einigung der menfchlichen Natur mit der gött—
liben Hypoftafe Viele feine rechte Vorftellung haben, weil diefe das nicht
erreicht, was allen Verſtand überfteigt, fo will ich hierüber noch Einiges
beifügen, damit du nicht auf Irrwege geratheft, wenn Du dem Neitorius
oder Eutyches oder einem Andern, der feine richtigen Begriffe hat, folgeft.
Zu einem richtigen Verftändniffe mußt Du wiffen, daß, wie im
5. Kapitel des Alchoran ftcht, Jeſus eine gewiffe Aehnlichfeit mit Adam
bat. Der Begriff hievon ift folgender: Adam wurde von Gott erfcaffen,
um über die Thiere zu berrichen, er war König und Meffias der Thiere.
In ihm war eine höhere Hypoftafe, als in den Thieren, die geiftige Natur,
welche die thieriſche Natur in fi faßt und mit fich einige. Er war
daher Eine Perſon, wiewohl von geiftiger und thierifcher Natur Da
die Natur (natürliche Befchaffenheit) den Vorzug hat vor jedem Stufen-
gang der Bervollfommmung, fo geht Gott Allem vorher, nicht der Zeit
nah, da er nicht in der Zeit if, fondern feiner Natur nach, weil er
vollfummener if. Gott ift daher Älter ald die Vernunft, die Vernunft
Älter als die finnlihe oder thieriihe Natur, diefe Älter ald das Vegeta—
biliſche. Ich fage Älter, nicht in Rückſicht auf die Zeit, fondern auf die
Stufe, Würde und Volltommenheit. So hat nun in Adam bie geiftige
Natur, Älter als die finnliche, diefe mit fich geeinet und er ift der König
aller finnlichen lebenden Wefen geworden. . . So kann auch Ehriftus nad
diefer Aehnlichkeit gefaßt werden als Meffias und König aller geiftigen
Naturen, weil die göttlihe Natur, Älter ald die geiftige, diefe mit ſich
geeinigt und zu göftliher Thätigfeit (ad operationes divinas) in Ber
380
wegung gefegt hat. Es ift jedoch mur eine theilwelfe Aehnlichfeit, nicht
eine totale. Denn das geiftige Leben in Adam hat nicht nur mit fih
das finnlihe Leben geeinet, fondern weil zwifchen dem geiftigen und finns
lichen Leben ein gewiſſes Verhäftnig möglich ift, da jedes erſchaffen und
befhränft ift, fo ift das geiftige Leben in diefer Einigung zum geftaltenden
Princip (forma) geworden, welches das ihm geeinte finnlice Leben ges
ftaltet und belebt (formans). Das göttlide Leben in Chriftus aber bat
zwar die geiftige menfchliche Natur bypoftatifch mit ſich geeint, jedoch nicht
als geftaltendes Princip (non formaliter), da zwiſchen dem göttlichen,
ganz unbegrenzten Leben und dem geiftigen befchränften Fein Verhältniß
befteht, wie ed doch nothwendig zwifchen der Geftalt und dem geftaltenden
Princip beftehen muß. Da jedoch die Hypoftafe von unendlicher Kraft
ift, fo verläßt fie die in fih aufgenommene Natur niemals; wie die Kraft
des Magnetd das von feiner Hypoftafe angezogene Eifen nie verläßt und
mittelſt des angezogenen Eiſens auch ein anderes anzieht, was ins Um
endliche ginge, wenn feine Kraft eine unendliche wäre. Gleichwohl wird
die Kraft des Maguets nicht das geftaltende Princip für das Eifen, fie
geht nicht ind Eifen über, um Eiſen zu werben, fie ift feine Zufammen
fegung mit dem Eifen, fo daß ein Drittes aus der Zufammenjegung
Beider würde, fondern bei unvermifchtem Fortbeſtande beider Naturen
(remanentibus naturis inconfusis) hängt fih das Eifen fo an die Kraft
ded Magnetes an, daß es diejelbe nie verläßt, ed mag hinauf, hinunter
oder auf die Seite bewegt werden. Im diefen wiewohl unvollfommenen
Bildern erfaffe Ehriftus. Sodann: wie der irbifhe Adam jeden Men
fen, der in dieſe fihtbare Melt kommt, in fich faßte, fo daß complicite
alle Menſchen in ihm waren und von ihm die Möglichkeit erhielten,
Menfhen für diefe Welt zu fein, fo find aud in Chriſtus, dem zweiten
und himmliſchen Adam, alle zum unfterblihen Leben Präpdeftinirten, von
dem fie Alles empfangen, um Bürger und Hausgenoſſen jenes unzer
ftörliben himmlischen Reiches fein zu fünnen. Dies wirft Du auf das
Klarfte und Deutlichfte einfehen, wenn Gott dir die Augen zum Lefen
und Berftehen-des heiligen Evangeliums öffnet. Das verleihe Dir der
gnädige und barmherzige Gott, dem Preis ſei in Ewigkeit! Amen.
Üeber den Frieden oder die Webereinftimmung unter den
Religionen.
(De pace seu concordantia fidei.)
1.
Die Nachricht über die Graufamfeiten, welde der türfifhe Sultan
jüngft bei Conftantinopel verübte, haben einen frommen Mann, der früher
jene Gegenden gefehen hatte, vergeftalt ergriffen, daß er unter vielen
Seufzern den Schöpfer bat, er möchte dod der außerordentlihen Vers
folgung, die dort wegen der Verfchiedenheit der Glaubensbefenntniffe
würhet, in feiner Gnade eine Grenze fegen. Da geſchah es, daß jenem
frommen Manne nah einigen Tagen in Folge des täglich fortgefegten
Nachdenkens eine Erfheinung zu Theil wurde, die ihn auf die Idee
brachte, es könnte durch einen Verein einiger verftändiger Männer, welche
von allen Verſchiedenheiten der Religionen auf der ganzen Erde eine ger
naue Kenntniß haben, eine gewiffe Uebereinftimmung (concordantiam) in
denjelben aufgefunden und fo ein beftändiger Religionsfrieve dur ein
geeignetes, auf Wahrheit gegründeted Mittel bergeftellt werden. Damit
nun jene Erſcheinung zur Kenntniß Derer, welche bei jenen wichtigen Er-
eignifjen einzufchreiten haben, gelange, fo hat er diefelbe, fo gut das Ge⸗
daͤchtniß fie wiedergab, im Nachftehenden aufgezeichnet.
Er ward auf eine Höhe geiftiger Betrachtung erhoben, wo unter
Hingefchiedenen im hohen himmlischen Rathe unter dem Borfige des Alls
mädtigen über diefe Sache folgende Berathung gepflogen wurde.
Der König Himmeld und der Erde ſprach, traurige Botſchaften von
den Seufzern Unterdrüdter feien aus dem Reiche der Welt zu ihm gelangt.
Viele hätten um der Religion willen die Waffen gegen einander erhoben,
eigenmäctig zwingen die Einen die Andern unter Androhung des Todes
zur Abſchwörung eined lange Zeit geübten Glaubend. Sehr groß war
die Zahl der Ueberbringer diefer Klagen aus dem ganzen Erdenrunde,
welche der Himmelsfönig im Plenum den Heiligen vortragen ließ. Jene
Botſchafter ſchienen alle den Himmelsbewohnern befannt zu fein, weil
vom König des Univerfums felbft von Anfang an über die einzelnen
Provinzen und Religionen eingefegt. Sie fahen nicht wie Menfchen aus,
ſondern erfhienen als geiftige Kräfte Cintellectuales virtutes). Der
382
Dberfte von ihnen fprah im Namen Aller: Herr und König des Melt
alls! was hat jede Greatur, das du ihr nicht gegeben haft? Den aus
Etaub der Erde gebildeten Leib haft du mit einem vernünftigen Geifte
belebt, auf daß in ihm das Bild deiner unfterblihen Macht wiederfceine.
Einer hat fih zu einem großen Volfe vermehrt, welches die Oberfläche
der Erde bewohnt. Und obwohl diefer vernünftige Geift, gepflanzt in
Ervenftaub und umfangen von Schatten (absorptus in umbra), das Licht
und den Anfang feiner Entftehung nicht zu fehen vermag, fo haft du ihm
doch Alles noch dazu gegeben (concreasti), wodurd er, zum Staunen über
das, was fein Auge fteht, angeregt, dad Auge des Geifted zu bir, dem
Schöpfer des ANS erheben, mit dir in höchfter Liebe fich einen und fo
reih an Verdienft (cum fructu) zu feinem Urfprunge zurüdfehren kann.
Du weißt aber, o Herr! daß eine große Menge nicht ohne große Ber
Ichievenheit fein fann, daß faft Alle ein mühleliges, fummer- und leidend
volles Leben führen müfen und in knechtiſcher Unterwürfigfeit unter ihren
Königen ftehen. Daher haben nur Wenige aus Allen fo viel Muße,
daß fie im felbftftändiger, freier Entichließung zur Kenntniß ihrer jelbft
gelangen: durch viele irdiſche Sorgen und Geſchäfte geftört, vermögen
fie dich, den verborgenen Gott, nicht zu fuchen. Daher haft du deinem
Volke Könige und Propheten gegeben, von denen die. Meiften im deinem
Namen und Auftrage Gottesdienſt und Gefege angeordnet und das uns
wiffende Volk belehrt haben. Dieje Gefege haben fie, ald hätteft du felbit
von Angefiht zu Angefict zu ihnen geredet, angenommen und im jenen
deinen Dienern haben fie deine Stimme vernommen, den verfchiedenen Nas
tionen haft du verfchiedene Propheten und Lehrer zu verſchiedenen Zeiten ges
fendet. Im Menſchenweſen liegt es nun, daß eine zur Natur gewordene lange
Gewohnheit zulegt als Wahrheit feitgehalten wird. So entfteht nicht geringe
Uneinigfeit, wenn jede religiöfe Genofjenjhaft ihren Glauben dem andern
vorzieht. So eile denn du zu Hülfe, der allein helfen fann; denn um deinets
willen, den fie allein verehren in dem, was Alle anbeten, beftcht diefer
Mettftreit. Jeder erftrebt in dem, wornad er zu ftreben fcheint, nur dad
But, das du biſt. Was will der Lebende, ald leben? was der Eeiende,
als fein? Du alfo, der du der Spender des Seins und Lebens bift, bift
ed, der in verfchievenen Religionen (ritibus) in verfchiedener Weife gefuct
und mit verfchiedenen Namen benannt wird, weil du in deinem wahren
Sein Allen unbefannt und unausſprechlich bif. Die Creatur kann von
deiner Unendlichfeit fi feinen Begriff machen, weil zwiſchen Endlichem
und Unendlichem feine Proportion befteht. Du fannft aber, allmädhtiger
Bott! auf eine erfaßbare Weife dich jedem Geifte erkennbar offenbaren.
So verbirg dich nicht länger, o Herr! fei gnädig und zeige dein Antlih,
und Heil widerfährt allen Wölfern, welche ferner die Ader des Lebend
383
und ihre Süßigfeit, die fie noch zu wenig gefoftet haben, unmöglich vers
laffen; denn Niemand verläßt dich, außer wer dich nicht Fennt. Ruben
wird dann das Schwert und der Haß und alle Leiden, und Alle werben
einfehen, daß in der WVerfchiedenheit der religiöfen Gebräuche nur Eine
Religion iſt (cognoscent omnes, quod nonnisi una religio est in ri-
tuum varietate). Kann diefe Verſchiedenheit der Gebräuche nicht aufge
hoben werden oder frommt es nicht, foferne die Verſchiedenheit eine Er-
böhung der Gotteöverehrung im Wetteifer der einzelnen Länder bewirft,
ſo möge wenigftens, wie du Einer bift, Eine Religion und Eine Gotteds
verehrung (unus latriae cultus) beftehen. Sei aljo verföhnlih, o Herr!
dein Zorn ift Liebe und deine Gerechtigkeit Mitleid; erbarme dich deiner
gebrehlihen Creatur! So flehen deine Bevollmächtigten, die du. deinem
Volle zu Wächtern gefegt haft, in tieffter Demuth zu deiner Majeftät.
2.
Als nach diefer Bitte des Erzengeld alle Himmelsbürger fich vor
dem höchften Könige verbeugten, fagte, der auf dem Throne faß, er habe
den Menſchen frei gejchaffen, und dur die Freiheit die Fähigkeit der Ger
meinihaft mit ihm gegeben. Weil aber ver tbierifche und irdiſche Menſch
unter dem Fürſten der Finfterniß in Unwiffenheit gehalten wird, fo lange
er in diefem finnlihen Leben wandelt und nicht nah dem geiftigen innern
Menfhen, der in der Region feines Urfprungs ſich bewegt, fo habe er
mit vieler Sorgfalt durd Propheten den Menfhen von feinem Srrwege
wurüdgerufen. Und als endlih auch die Propheten den Fürft der Un—
wiſſenheit vollftändig befiegen fonnten, habe er fein Wort, durch das er
die Welt erfchaffen, gefendet, das die Menfchheit annahm, um auf diefem
Wege den gelehrigen freien Menfchen zu erleuchten, auf daß er einfche,
nit nah dem äußern, fondern nad dem innern Menfchen müſſe er
wandeln, wenn er zur Güßigfeit des unfterblihen Lebens zu gelangen
hoffen wolle. Indem das Wort die menſchliche Natur annahm, hat es
dadurch der Wahrheit Zeugniß gegeben, daß der Menſch des ewigen Le
bens fähig fei und daß das ewige Leben nur die Sehnfucht des innern
Menfhen if. Was fonnte alfo noch gefchehen, das nicht gefchehen ift?
3.
Auf diefe Frage des Königs der Könige antwortete das Wort, das
Sleifh geworden, das unter allen Himmeldbewohnern den oberften Rang
einnimmt, alfo: Water der Erbarmung! alle deine Werke find ganz
vollfommen und bebürfen feiner Ergänzung. Weil du aber von Anfang
an den Menfhen frei erfchaffen wollteft und in diefer finnlichen Welt
nichts feften Beſtand hat und nach dem Zeitgeifte die Anfichten und
384
Ihwanfenden Meinungen wechfeln wie auch die Sprachen und Auslegungen,
fo bedarf die Menfchheit einer wiederholten Eichtung (visitatione), daf
bie über dein Wort fo häufig ſich erhebenden Irrthümer ausgerottet werden
und die Wahrheit ftets ungetrübt ftrahle. Da diefe nur Eine ift und jeder
freie Geift fie nothwendig erfaffen muß, fo möge alle Verſchieden—
heit der Religionen auf den Einen orthbodoren Glauben zw
rüdgeführt werden! — Der König ftimmte bei. Alle Engel, die den
Nationen und Sprachen vorftehen, wurden herbeigerufen und Jedem ders
jelben befohlen, je Einen befonderd Berftändigen zum menjchgewordenen
Morte herbeizuführen. Da erichienen alsbald vor dem Worte die ange
fehenften Männer der Erde, wie in einer Efftafe hinweggerafft, die das
Wort Gottes alſo anredete: Der Herr ded Himmeld und der Erde
hat das Ecufzen der Ermordeten, der Gefeſſelten und Gefangenen gehört,
die um der KReligionsverjchiedenheit willen leiden, und da Alle, welde
diefe Verfolgung ausüben oder erbulden, nicht anders glauben, als ihr
Seelenheil erfordere died und ed habe das Wohlgefallen ihres Schöpfers,
fo hat fi der Herr feines Volkes erbarmt und genehmigt, daß alle
Religionsverfhiedenheit in Folge allgemeiner Ueber
einftimmung auf Eine Religion friedlich reducirt werde,
die fortan unverleglic fein foll. Den Vollzug diefer Wufgabe
übergibt er euch Auserwählten. Zur Beihülfe gibt er euch aus feiner
Gurie Geifter der Engel, die euch befhügen und leiten. Als den pafjend
ften Ort der Berfammlung bezeichnet er Jeruſalem.
4.
Nun fprad Einer, Älter als die Uebrigen, wie es fchien, ein Grleche:
Lob und Preis unferm Gotte, ... der allein bewirken fann, daß die große
Glaubensverfciedenheit zum gemeinfamen Frieden gebradt werde. Wir
wünfchen jedoch belehrt zu werden, wie diefe Einheit durd uns hergeftellt
werden fol. Denn jede Nation wird fhwerlih einen andern Glauben,
ald den, welchen fie bisher mit ihrem eigenen Blute vertheidigt hat, au
nehmen. Das Wort: Ihr werdet finden, daß derfelbe Glaube
überall vorausgejegt wird. Ihr Alle feid doch Philojophen und
fiebet die Weisheit. Setzet ihr alfo nicht Alle die Weisheit voraus? —
Alle ftimmten bei und das Wort fprab: Es fann nur Eine Weisheit
geben; gäbe es mehrere, jo müßten fie aus Einer herſtammen; denn vor
aller Vielheit ift die Einheit. Jeder erführt in der Entfaltung derfelben
ihre unendlibe Kraft. Der Grieche: Allerdings auf feinem andern
Wege, als durd Staunen über die fihtbaren Werfe der Weisheit ger
langen wir zur Liebe zu ihr... Dad Wort. Ihr feid auf ganz richtis
385
gem Wege zu unferm Ziele. Doc faget mir: umfaßt bie Eine
Weisheit Alles, was fih nur audfpreden läßt?
5.
Der Italer antwortet: Ja, es gibt fein Wort außer der Weis-
keit. Denn das Wort ded MWeifeften bewegt fih in der Weisheit und
im Worte ift Weisheit und nichts ift außer ihr. Alles Unendlihe ums
faßt die Weisheit. Das Wort. Wenn aljo der Eine jagt: Alles ift
in der Weisheit erfchaffen, und der Andere: Alles ift im Worte er-
Ihaffen, würden fie Dasfelbe oder Verfchiedenes fagen? Der Staler.
Bei der Verſchiedenheit der Worte ift bier Einheit des Gedankens, denn
das Wort des Schöpfers, in dem er Alles erfhuf, kann nur feine Weis:
beit fein. Das Wort. Iſt alfo jene Weisheit Gott oder ein Geſchöpf?
Der Italer. Weil Gott der Schöpfer Alles in der Weisheit erfchafft,
jeift er nothwendig die Weisheit der erfchaffenen Weisheit
(ipse est necessario sapientia creatae sapientiae). Das Wort. So
it denn die Weisheit ewig, weil vor allem Erjchaffenen. Der Italer.
Allerdings. ... Das Wort. Es kann aber nicht mehrere Gwigfeiten
geben; die Weisheit ift alfo Gott, der Eine, einfache, ewige, der
Anfang von Allem. Der Italer. Gewiß. Das Wort. Siehe,
wie verſchiedene philofophifche Schulen in dem Belenntniffe Eines Gottes,
oferne fie alle Liebhaber der Weisheit find, übereinftimmen.
6.
Nun begann der Araber: Nichts ift Harer und wahrer, ald Dies...
Die Weisheit ift das Leben, die Nahrung, das Verlangen des Geifted. ...
Das Wort. Es gibt alfo nur Eine Religion, nur Einen Euftus aller
Vernünftigen (omnium intellectu vigentium), die bei aller Verſchiedenheit
der Ritus vorausgefegt werden. Der Araber. Du bift die Weidheit,
dad Wort Gottes; fage, wie die Verehrer mehrerer Götter mit dem
Einen Gott der Philofophen übereinftimmen?... Das Wort. Alle Vers
ebrer mehrerer Götter haben ſtets das Dafein der Gottheit vorausgefegt.
Diefe beten fie in allen Göttern als in den an der Gottheit Participis
tenden an. Wie ed ohne das Weißfein nichts Weißes, fo gibt es ohne
die Gottheit Feine Götter... Wer von mehreren Göttern fpricht, meint
Immer vorzugsweife Ein Princip von allen, wie mehrere Heiligen Einen
Heiligen der Heiligen vorausfegen. Kein Bol hat je von feinen meh»
teren Göttern einen jeden für das Urprincip und den Weltihöpfer ge
halten. Der Araber. So ift es. Mehrere Urprincipe — iſt ein
innerer Widerfprud. ... Das Wort. Gehen alfo alle Verehrer mehr
ShHarpff, Rice. v. Cuſa. 25
386
rerer Götter von der Gottheit felbft aus, und verehren fie dieſe öffent
ih, wie fie fie ftillfehweigend vorausfegen, fo ift der Streit gelöst.
Der Araber. Das hat wohl feine Schwierigfeit, allein jedes Volt
hält daran feft, daß durd feine Götterverehrung ihm helfende Fürbitte
(suffragia) zu Theil werde, und daher fommt ed um feines eigenen
Beitens willen immer wieder auf feine Gottheiten zurüd. Das Wort.
Wenn das Volf über fein wahres Beſtes in dem angegebenen Sinne
belehrt würde, fo würde es fein Heil gewiß lieber bei Dem fjuchen, der
ihm das Sein gegeben hat, und felbft ver Heiland in unendlihem Maafe
ift, ald bei Denen, welche aus fich nichts haben, was ihnen nicht vom
Heilande felbft gegeben if. Wenn aber dad Volk zu Solchen, weld:
allgemein für heilig gehalten wurden, weil fie gottähnlid (deiformiter)
gelebt, in Krankheiten oder andern Nöthen feine Zuflucht nehmen würde,
als zu Gott wohlgefülligen Fürfprechern und denfelben nur Verehrung
erwiefe (eosdem dovAx« veneratione coleret), woferne ed nur dem Einen
Gotte die Anbetung widmet (dummodo uni soli Deo omnem daret
latriae cultum), fo wäre das fein Widerfprud mit der Einen Relis
gion, und das Wolf würde ſich wohl gerne dabei beruhigen.
T.
Der Indier: Wie verhält es fid) aber mit den Gögen- Statuen
und Bildern? Das Wort. Abbildungen, welde das veranidhaw
fiben, was in der wahren Verehrung des Einen Gottes erlaubt ift, find
nicht verwerflich; wenn fie aber von der Anbetung des Einen Gottes ab-
lenken, als liege in den Bildfäulen felbft etwas Göttliches, fo find fie
eine Täufhung, lenken von der Wahrheit ab, und müſſen daher zerftört
werden. Der Indier. Es iſt fehwer, das Volf vom eingemurzelten
Gögendienfte abzubringen, wegen der Orakelſprüche, welche dort ertheilt
werden. Das Wort. Im der Regel werden diefe Orakelſprüche durch
Vriefter fabricirt, welche fie dann für Ausſprüche der Gottheit ausgeben.
... Daber find fie auch gewöhnlich mehrdeutig, damit fie nicht offen der
Lüge beſchuldigt werden können, oder gänzlich falfch und fo nur zufälig
manchmal wahr... . Nachdem diefer Trug ded Satans in vielen Gegen
den aufgedeckt worden, haben beinahe alle Verftändigen den Gögendienft
verworfen; und es wird nicht ſchwer werden, auch im Driente ihn au
zurotten. Der Indier. Nachdem die verftändigen Römer, die Grieden
und Araber ihre Gögenbilder zerftört haben, ift zu hoffen, daß auch die
weifen Indier, zumal fie die Nothwendigkeit der Anbetung Eines Gotted
einfehen, dem Beiſpiele Jener folgen werben.
Doch über den dreieinigen Gott wird es fehr ſchwer fein, ein
Eintracht herzuftellen, da Alle die Trinität ohne eine Dreiheit fih nicht
387
benfen können. Das Wort. Gott als Schöpfer ift dreieinig und Einer;
ald unendlich weder dreifach noch Einer, noch irgend etwas von dem,
was genannt werden fann. Da die Gotteöverehrer ihn ald den Urheber
des Univerfumsd anbeten müſſen, in diefem fih aber Vielheit, Ungleich—
beit und Trennung findet, und das Princip der Vielheit die Einheit, der
Ungleichheit die Gleichheit, der Trennung die Verbindung ift, fo iſt Bott
als die Einheit, Gleichheit und Verbindung aufjufaflen; jede von
diefen muß vor der Zeit, alfo ewig fein, und da ed nicht mehrere Ewig-
feiten gibt, fo ift diefe Dreifaltigkeit einig, fomit Gott dreieinig.
8.
Der Ehaldäier: Mögen das auch die Philofophen einigermaßen
faffen, fo geht e6 doch über den Berftand des gemeinen Mannes. Denn
jo viel ich verftehe, it e8 unmahr, daß drei Götter find, fondern Einer,
der dreieinig iſt. Willſt du etwa fagen, diefer Eine fei in feiner Wir-
kungsweiſe Cin virtute) dreieinig? Das Wort. Gott ift die abfolute
Kraft (vis) aller Wirkfamfeit (omnium virtutum), weil er allmädhtig
it. Da es nım nur Eine abfolute Wirkſamkeit gibt, welche die göttliche
Weſenheit ift, fo heißt die Behauptung, dieſe Wirkſamkeit fei eine drei-
einige, nichts Anderes, als Gott fei dreieinig. Doc faſſe diefe Wirk—
jamfeit nicht im Gegenfage gegen die Realität auf, weil in Gott die
Virffamkeit die Realität ſelbſt if. So wäre es denn nicht ungereimt
zu fagen, die göttliche Allmacht habe in fih die Kraft (virtus) der
Einheit, welche die Dinge ins Dafein fest (denn ein Ding iſt nur
iniofern, ald e8 einig (una) ift), die Kraft der Gleichheit, welde
alles Seiende geftaltet (denn wäre ein Ding mehr oder weniger, als
das, was es ift, fo eriftirte e8 nicht), und die Kraft der Verbin
dung, durch welche Alles zufammengehalten wird..... Diefe Einheit,
Gleichheit und Verbindung find von einander unzertrennlich. Die Gleiche
heit ift wefentlih Gleichheit der Einheit, die Verbindung ift die Verbins
dung der Einheit und Gleichheit. Im der Dreieinigfeit ift daher fein
efientieller Unterfchied, fondern nur eine verfchiedene Verhältnißbeftimmung
(non in essentia, sed in ipsa relatione videtur, quomodo alia est
unitas, alia aequalitas, alia connexio).... Der Ehaldäer. Id
glaube, daß Niemand diefer Erläuterung widerfprehen fünne; daß aber
Gott einen Sohn hat, einen Genoſſen der Gottheit, das beftreiten die
Araber und Viele mit ihnen. Das Wort. Einige nennen die Einheit
Bater, die Gleichheit Sohn und die Verbindung den hl. Geiſt, weil
diefe Ausprüde, obwohl fie nicht eigentlich zu nehmen find, doch die
Trinität paſſend bezeichnen. Die Natur des Vaters geht mit einer ges
25°
388
wiſſen Wehnlichkeit in den Sohn über und verbindet beide in Liebe.
Könnte man einfachere Ausprüde finden, fo wären fie noch pafjender etwa:
Einheit, Diesheit Ciditas) und Diefelbigfeit Cidentitas). Dieſe Aus
drüde ſcheinen die jo fruchtbare Einfachheit des Weſens noch befier iu
bezeichnen. Auch in der Wefenheit der vernünftigen Seele ift eine frudt
bare Einheit: Geift, Weisheit und Liebe oder Wille. Der Geilt
erzeugt die Weisheit, aus beiden entfteht die Liebe oder der Milk.
Jede Greatur trägt dad Abbild der unerfchaffenen göttlihen Dreieinigkeit
an fid....
9,
Hierauf jprah der Jude: Trefflih ift die hochgeprieſene Dreieinig-
feit dargeftellt, die micht geläugnet werden fann. Denn ein Prophet bat
fie und in aller Kürze geoffenbart, wenn er jagt, Gott habe gefragt,
wie er felbft, der Anderen die Fruchtbarfeit der Fortpflanzung verleibt,
unfruchtbar fein follte. Wiewuhl die Juden nichts von der Trinität willen
wollen, weil fie diefelbe ald VBielheit nehmen, fo werden fie doch nad
erlangter Einfibt, daß fie nur die Fruchtbarfeit der einfachſten Einheit
ift, fehr gerne beiftimmen. Das Wort. Unfchwer werden aub die
Araber und alle PBhilofophen hieraus einfehen, daß die Trinität läug
nen jo viel heißt, als die göttliche Fruchtbarfeit und Schöpferfraft läugnen,
und daß die Annahme der Trinität das Aufgeben der Vielheit und Ge
nofjenjchaft (consocialitatem) der Götter if. Die Fruchtbarkeit, welche
die Dreieinigfeit ift, hebt die Nothwendigkeit mehrerer Götter auf, welde
mit einander das All erihaffen, da Eine unendliche Fruchtbarkeit zur
Erihaffung alles Defien binreiht, was erihaffen werden kann. Viel
beſſer werden die Araber die Wahrheit in diefem Sinne als nad ihrer
Auffaffung begreifen, wenn fie fagen, Gott babe eine Wefenheit und ein
Seele und nod beifügen, Gott habe ein Wort und einen Geift. Ben
fagt man, Gott habe eine Seele, fo kann man diefe Seele nicht anders
faffen, als fie fei die Vernunft oder das Wort, weldhes Gott it. Pers
nunft und Wort ift Dasfelbe, und was ift denn der hi. Geift Gottes,
als die Liebe, welche Gott ift? Bon Gott, dem infachften wird nichts
ausgefagt, was nicht er ſelbſt ift: ift ed wahr, Gott habe ein Wort, Io
iſt aud) wahr, daß das Wort Gott feiz iſt ed wahr, Gott habe einen
Geift, jo ift aud wahr, daß der Geiſt Gott fei. Denn das Haben
fommt nur uneigentlih Gott zu, der Alles if. Haben ift in Gott —
Sein. Der Araber negirt daher nicht, Gott fei ein Geift, aus biefem
werde das Wort oder die Weisheit erzeugt, und aus Beiden gebe der
Geift oder die Liebe hervor. Died ift die oben erflärte und durd die
Araber gelehrte Trinität, obwohl die Meiften von ihnen nicht bemerken,
389
daß fie an die Trinität glauben. Ihr Juden findet auch in euren Pros
pheten: „Durch das Wort Gottes find die Himmel gefchaffen und dur
jeinen Geift.” In dem Sinne, wie Araber und Juden die Trinität
liugnen, muß fie gewiß von Allen negirt werden; in dem oben erläus
terten Sinne aber muß fie nothwendig von Allen angenommen werben.
10.
Der Scythe: Kein Serupel fann mehr hinfichtlih der Ans
betung der einfachſten Dreieinigfeit zurüdbleiben. Auch heutzutage beten
fie Ale an, welche Götter verehren. Die Philoſophen fagen, Gott fei
der Schöpfer beider Geſchlechter, er fei die Liebe. Sie wollen fo die
fruchtbare Dreieinigfeit, fo gut fie es verftehen, erklären. Andere fagen,
Bott, der über Alles erhaben, erzeuge aus fih die Vernunft, und nennen
diefe Gott von Gott. Sie nennen Gott den Schöpfer, weil jedes Ges
iböpf eine Urfache hat, warum es gerade Diefed und nichts Anderes ift.
Sort ift alfo die. Eine unendliche Urfahe von Allem. Die Vernunft aber
(Aöyos oder Wort) geht von dem Redenden aus. Wenn alfo der Als
mädtige das Wort ausfpricht, fo tft Das real geworden, was im Worte
ideal begriffen war. Sie fagen dann, an dritter Stelle gehe der Geift
der Verbindung hervor, der Alles zur Einheit des Univerfums verbindet.
Dies ift die MWeltfeele der Philofophen, durch welche jede Greatur ein les
bendiges Glied des Univerfums if. Dies ift die Liebe Gottes, welcde
dad ganze Univerfum durchdringt: die Verbindung aller Theile zu einem
Ganzen, ohne welche es Feine Vervollkommnung gäbe, hat Gott zu ihrem
Prineipe. — So fieht man, daß alle Philofophen irgend eine Seite
der Trinität in der Einheit erfannt haben. Wenn fie daher die Erläus
terung, bie wir nun vernommen haben, hören, fo werben fie fi freuen
und Gott loben.
11.
Der Gallier: Bisweilen habe ih unter den Philofophen auch
folgende Beweisführung erörtert gefunden: Die Ewigkeit ift entweder eine
ungezeugte oder gezeugte (ingenita aut genita), oder weder ungezeugt,
noch gezengt. Die ungezeugte wird vernünftiger Weife der allmächtige
Vater genannt, die gezeugte dad Wort oder der Sohn, die weder unge
wugte noch gezeugte die Liebe oder der hl. Geift, weil er von Beiden
ausgeht. Er ift nicht ungezeugt, weil er nicht der Vater ift, nicht ges
zeugt, weil er nicht der Sohn ift, fondern von Beiden ausgeht. Es ift
alſo Eine Ewigkeit, und diefe ift dreifach und ganz einfadh. ine drei-
einige Gottheit, ine dreieinige Wefenheit, Ein dreieiniges Leben, Eine
dreieinige Macht (potentia), Eine dreieinige Wirkfamfeit (virtus). In
390
diefer Schule habe ich meine Fortfchritte gemacht, und was mir dunfel
war, ift mir jegt als ſonnenklare Einficht verliehen.
Der größte Gegenfag erhebt fib nur noch im Gebiete der Welt.
Die Einen fagen, das Wort fei Fleifh geworden, um und
Alle zu erlöfen, Andere lehren wieder Anderes. Wir müſſen daher be
lehrt werden, wie wir aud in diefem Gegenfage die Uebereinftimmung
auffinden. Das Wort. Mit der Aufbellung diefes Gegenftandes if
der Apoftel Petrus beauftragt; höret ihn, er wird euch binlänglich über
Alles, was euch noch dunkel ift, belehren. Petrus erfchien in ihrer Mitte
und begann alſo: Petrus Alle Gegenfäge über die Menſchwerdung
reduciren fih auf Folgendes: Fürs Erfte fagen Einige, das Wort
Gottes fei nicht Gott. Diefer Einwurf ift fhon in dem Vorhergehenden
binlänglich widerlegt, weil das Wort Gottes nothwendig Gott ift (cap. 9).
... Wer aljo zugibt, das Wort Gottes fei Fleifch oder Menfch geworden,
muß auch zugeben, jener Menſch, der das Wort Gottes genannt wir,
fei auch Gott.
12.
Der Berfer: Betrus! wenn das Wort Gotted Gott ift, wie
fann Gott, der unveränderlich ift, Nicht-Bott werden, — ein Menſch, der
Schöpfer ein Gefhöpf? Wir läugnen dies beinahe Alle mit wenigen
Ausnahmen in Europa. Auch Einige unter und, welche Ehriften genannt
werden, ftinnmen in der Unmöglichkeit der Sache mit uns überein, daß
das Unendlihe endlih, das Ewige zeitlich fein fol. Petrus. Dub
das Ewige zeitlich fei, megire auch ih mit euch auf das Entſchiedendſte;
da aber ihr Alle, die ihr am Gefege der Araber feithaltet, ſaget, Chriſtus
fei das Wort Gottes, und dies ganz richtig faget, fo müſſet ihr ihn
aud für Gott halten. Der Perſer. Wirgeben zu, er jet das Wort
oder der Geift Gottes, weil Keiner unter allen jest oder früher Lebenden
eine fo ausgezeichnete Kraft des Worts oder Geiſtes
Gottes befaß; deswegen geben wir jedoch nicht zu, daß er Gott war,
der feinen feines Gleihen (participem) hat. Um nicht in Vielheit ber
Götter zu verfallen, halten wir ihn nicht für Gott, wiewohl für den
Nähten an Gott. Petrus. Glaubet ihr eine menfchliche Natur in
Chriſtus? Der Perfer. Allerdings, und zwar eine wahre menſchliche
Natur. Petrus. Diefe Natur war als menfchlihe nicht göttlid. Und
das gilt von Allem, was ihr an Chriftus in Folge feiner menſchlichen
Natur wahrnehmer, dur welche er den Menſchen ähnlich war. In ibr
fehet ihr nicht den Gott, fondern den Menſchen Ehriftus (non appre-
hendistis Christum Deum sed hominem). Der PBerfer. Allerdings.
Petrus. Hierin weicht Niemand von euch ab. Die menjclice Natur
391
war in Ehriftus die vollfommenfte, durch welche er wahrer Menfch und
fterblihb wie alle Menjchen war; nad diefer Natur war er nicht das
Wort Gottes. Sag mir alfo, wenn ihr ihn das Wort Gotted nennet,
was wollet ihr damit jagen? Der Berfer. Wir meinen dabei nicht
feine Natur, fondern die Gnade: er habe dieſe ausgezeichnete Gnade ers
langt, weil Gott fein Wort in ihn gelegt hat. Petrus. Hat er nicht
in andere Propheten in gleicher Weiſe fein Wort gelegt? Alle haben
dur das Wort Gottes geredet, und waren Herolde des göttlichen Wortes.
Der Perſer. So iſt ed; doch Chriftud mar der größte unter allen
Propheten, daher wird er mehr als alle Propheten im eigentlichen Sinne
dad Wort Gotted genannt. Mehrere Seudichreiben könnten für befons
dere Gejchäfte und Provinzen das Wort eines Königs enthalten, aber
nur Ein Sendfchreiben fünnte das Wort des Königs in fih faflen, durch
welches das ganze Neich regiert wird, weil es ein Gefeß und Gebot
enthält, dem Alle zu gehorchen haben. Petrus. Du fcheinft ein für
unfern Zweck paſſendes Gleihniß gebracht zu haben; das Wort eines
Königs, auf verſchiedene Papiere gefchrieben, verwandelt dieje Papiere
nicht in andere Naturen, ihre Natur bleibt nah der Aufzeihnung des
Wortes, wie fie zuvor war. So faget ihr aud, die menihlihe Natur
ſei in Chriſtus geblieben. Der Berfer. Ja Betrud Nun gut.
Doch beachte den Unterfchied zwiſchen einem Sendſchreiben und dem Erben
des Reihe. Im Erben ded Reihe ift dad Wort ded Königs im eigents
lihen Sinne lebendig, frei und uneingefchränft, in den Sendichreiben
niht. Der Berjer. Sch gebe zu, wenn der König den Thronerben
in das Reich ausjendet, fo bringt (portat) er dad Wort des Vaters
lebendig und uneingefchränft. Petrus. Iſt nicht eigentlich der Thron;
erbe das Wort und nicht ein Bote oder Commiſſär oder ein Sendſchreiben?
Sind nit im Worte des Erben alle Worte der Boten und Sendichreiben
enthalten? Und obwohl der Thronerbe nicht der Water, fondern der
Sohn ift, fo iſt ihm die Königs-Natur doch nicht fremd, wegen deren
Gleichheit er eben Thronerbe if. Der Perſer. Ich verftehe dag,
aber der König und fein Sohn find eben zwei, defhalb geben wir nicht
zu, daß Gott einen Sohn hat. Denn der Eohn wäre ein anderer Gott
ald der Vater, wie der Sohn des Königs ein anderer Menſch als fein
Vater if. Petrus Ganz richtig befämpfit Du die Achnlichfeit, fie
üt feine wahre (propria), wenn Du auf die Subjecte (supposita) fiehft.
Hebft Du aber die numerische Verfchiedenheit der Subjecte auf, und fiehft
auf die Macht, welche in der königlichen Würde des Vaters und feines
Sohnes, des Thronerben liegt, dann fiehft Du, daß die Königsmacht bie
Eine im Vater und Sohne ift: im Vater ald in dem Ungezeugten, im
Sohne als in dem ezeugten oder dem lebendigen Worte des Vaters.
392
Der Berfer Fahre weiter! Petrus. Gefept, ed gebe eine folde
abfolute ungezeugte und gezeugte Königsmacht, und Die ungezeugte berufe
zur Theilnahme an der Succelfion der gezeugten gleichen Natur (vocet
ad societatem successionis connaturalis genitae) eine andere Natır
(natura alienum), fo daß diefe andere Natur in Einheit (unione) mit
der eigenen zugleih und ungetheilt das Reich befiget, treffen alsdann nicht
die Suceeffion aus Natur und die aus Gnade oder durd Adoption in
der Einen Erbfchaft zufammen? Der Berfer. Das iftHar. Petrus,
So find aub in Einer Succeffion Eines Reiches Sohnſchaft und Adop
tion verbunden; jedoch hat die Succeſſion der Adoption ihre Grundlage
(suppositatur) nit in ſich, fonden in der Succefjion der
Sohnſchaft. Es ift daher der Adoptiv-NRachfolger fein anderer, ald
der natürliche, wiewohl der Adoptirte eine andere Natur ift, als der Sohn.
MWäre der Adoptirte abgefondert (separatus) und nicht in gleicher Hypo-⸗
ftafe mit dem Sohne, wie könute er an der Succeffion der untbeil
baren Erbihaft Theil nehmen? Daher müſſen wir fefthalten, in Ehris
ſtus fei die menſchliche Natur mit dem Worte oder der göttlichen Natur
vereinigt, fo jedoch, daß die menfchliche nicht in die göttliche übergeht,
wohl aber fo unauflöslih an fie fi anfchließt (adhaeret eidem), daß
fie nicht abgefondert in fi, fondern in der göttlichen befteht (sustentetur
seu personetur), zu dem Zwede, daß die menſchliche Natur, berufen
zum Erben des ewigen Lebens mit der göttlichen, in und durch dieſe bie
Unfterblichfeit erreihen fann. Der Berfer Ih fafle das vollftändig.
Doch veranihaulice das Geſagte noch durch ein anderes paflendes Bei-
fpiel! Petrus Ganz präcife Gleichniſſe laſſen fih nicht erdicten,
doch fiehel Die Weisheit in ſich — iſt fie ein Accidens oder Subftanz?
Der Berfer. Sie tft Subftang, foferne fie in fih ift, Accidens, ſo—
ferne fie in einem Andern vorfommt. Petrus. Alle Weisheit aller
Weifen kommt von jener Weisheit, welche die Weisheit an fich ift, weil
fie Gott if. Der Perſer. Das ift ſchon gezeigt. Petrus. Sf
nit ein Menſch weiſer, ald der andere? Der Perſer. Gemiß.
Petrus Der Weifere ift alfo näher an der Weisheit am fich, die bie
abfulut größte ift, der weniger Weife ift entfernter von ihr. Der Berier.
Ich gebe e8 zu. Petrus. Kein Menfh ift aber nah feiner menjd»
lihen Natur fo weife, daß er nicht noch weifer fein könnte; zwoifchen der
beichränften (contractam) menſchlichen Weisheit und der Weisheit an
fih, die göttlih, die größte und unendlich ift, bleibt immer ein unends
licher Abftand. Der Perſer. Auch das ift mir ganz Mar. Petrus.
So ift es auch mit der abfoluten und der endlichen Meifterichaft; in jener
ift die unendliche, in diefer nur eine endliche Kunſt. Gefegt nun, es
habe ein Mensch in feinem Geifte eine ſolche Meiſterſchaft und Weisheit,
393
daß eine größere nicht mehr möglich ift, dann iſt fein Geift mit ber
größten Weisheit an fich geeint, jo, daß eine größere Einigung
nicht denfbar if. Würde nicht ein folder Geift durch die Kraft der mit
ihm geeinten höchſten Weisheit und Meifterfchaft die göttliche Kraft
(virtutem) erlangt haben? wäre nicht in diefem Menſchen die menjcliche
geiftige Natur auf das Unmittelbarfte (immediatissime ) mit der göttlichen
Natur oder dem Morte der ewigen Weisheit oder der allmächtigen Kunft
geeinet? Der Perſer. Ich gebe ed ganz zu, allein diefe Einigung
wäre doch Sade der Gnade. Petrus Wenn die Vereinigung der
niedern Natur mit der göttlichen die größtmögliche wäre, dann wäre fie
auch in einer Perſonal⸗Einheit mit ihr geeinetz denn jo lange jene nicht
zu einer Perfonal- oder hypoſtatiſchen Einheit mit der göttlichen erhoben
wäre, fünnte fie noch größer jein. Wird alfo die Einigung als die
größte vorausgeſetzt, fo befteht die niedere nur im Anſchluß an die höhere
(inferior in superiori adhaerendo subsistit), und das geſchieht nicht
dur die Natur, fondern dur die Gnade. Allein zwilchen der größt—
möglichften Gnade und der Natur befteht Feine Diftanz, fie ift mit diefer
geeint (haec autem gratia maxima, quae major esse nequit, non distat
a natura, sed cum illa unitur, — immediatissime terminatur in na-
tura). Der Perſer. Sage mir, was Du willft: feitvem die menſch—
lihe Natur durch die Gnade in jedem Menfchen zur Einigung mit der
göttlichen erhoben werden kann, kann der Menfh Chriſtus nicht mit grö—
berem Rechte Gott genannt werden, als jeder andere Heilige, wiewohl
er unter allen Menfchen der Heiligfte war. Petrus. Würdeſt Du bes
achten, daß nur in Chriftus die abfolut höchſte Hoheit, die größte Gnade,
die micht mehr größer fein fann, die größte Heiligkeit gewefen fei, dann
müßteft Du einfehen, daß diefe Hoheit, Helligkeit ic. nur Eine fein fann
und daß die Hoheit ıc. jedes Propheten bei was immer für einem Grade
derfelben in feinem Verhältniß ſtehe zu der abfolut größten Hoheit,
Weisheit, Meifterfchaft ꝛc. Chriſti. Dies glauben auch die Araber felbft,
wiewohl fie ſich deſſen micht Mar bewußt find, wenn fie fagen, Chriſtus
allein fei der Höchfte in diefer und der zufünftigen Welt und das Wort
Gottes. Nichts Anderes fagen die, welde glauben, Chriftus fei Gott
und Menſch. Der Perſer. Wenn die Einigung, welde in dem Höch—
ften nothwendig ift, gehörig ind Auge gefaßt wird, fo können die Araber
vielleicht zur Annahme diefes Glaubens beftimmt werden, weil durch die—
ſelbe die Einheit Gottes, auf welde wir das größte Gewicht legen, nicht
im Mindeften alterirt, fondern feftgehalten wird. Doc fage mir, wie
begreift es fih, daß die menfchlihe Natur nicht in ſich, fondern in der
göttlichen durch Anſchluß an diefelbe hypoſtaſirt (adhaerendo supposite-
tur)? Petrus Hier ein wiewohl nicht ganz zutreffendes Gleihniß!
=
394
Der Magnet zieht das Eifen in die Höhe und an dem Magnete bängend
beiteht die Natur des Eifens nicht in ihrer Natur der Schwere (fenit
müßte e8 auf die Erde fallen), fondern in der Kraft des Magnets jchwebt
ed in der Luft. Die Urfahe davon, daß die Natur des Eiſens zur
Natur des Magnets inclinirt, it, weil das Eifen in fih eine Aehnlich—
feit mit der Natur des Magnets hat, aus welder es feinen Urfprung
erhalten haben fol. Wenn ſonach die menſchliche geiftige Natur ſich auf
das Allerinnigfte an die geiftige Natur Gottes, von der fie das Sein
erhalten hat, anſchließt (adhaeret), würde fie mit ihr ald dem Duell
ihreö Lebens unaufhörlic verbunden fein. Der Perſer. Ich begreike.
Petrus. Es gibt eine beträchtliche arabische Secte, welche lehrt, Chri⸗
tus babe Todte auferwedt, aus Koth Vögel gefhaffen und vieles An
dere gethan, was Jeſus Ehriftus als Einen, der Macht hatte, darftellt.
Dadurd fönnen fie um fo leichter überzeugt werben, weil fich nicht läug-
nen läßt, daß er Jenes nur fraft der göttlihen Natur, weldyer bie
menjhliche bypoftatiih (suppositaliter) geeint war, gethan habe. Der
Perſer. Noch Bieled glauben die Araber von Ehriftus, was im „Als
furcan“ aufgezeichnet iſt; fchwerer wird man die Juden zu diefem Glauben
beftimmen, weil fie von Chriftus ausdrücklich nichts zugeben. Petrus.
Sie haben auch alled Diefes in ihren Schriften über Chriftus (den Gr
jalbten), allein am Wortlaute hängend, fommen fie nit zum Verſtaͤnd⸗
niffe. Doc diefer Widerftand der Juden hindert die Uebereinſtimmung
nicht, denn fie find nur wenige und werden ja wohl nicht mit Waffen
getöſe die ganze Welt in Verwirrung bringen (et turbare universum
mundum armis non poterunt)!
13.
Der Syrer: Petrus! ich habe vorhin gehört, daß nach den gege
benen Vorausſetzungen in jeder Secte die Uebereinftimmung hergeſtellt
werden fann. Sage mir, wie läßt fi dies an diefem Artikel nachweijen?
Petrus. Ich will es Dir zeigen; doch fage mir zuvor: ift nicht Gott
allein ewig und unfterblih? Der Eyrer. Allerdings; denn Alles außer
Gott Hat einen Anfang, fomit auch ein Ende. Petrus. Hält aber
nicht beinahe jede Religion, die jüdiſche, chriftlihe, arabiſche und viele
andern feſt, daß die menichlihe Natur eines jeden Menſchen nad dem
Tode zum ewigen Leben auferftehen werde? Der Syrer. Allerdings.
Petrus. Sie geben alfo alle zu, daß die menfhliche Natur mit der
göttliben und unfterblihen geeint werden müſſe. Wie follte fonft bie
menſchliche Ratur zur Unfterblichfeit übergehen, wenn fie nicht durd eine
unauflöslihe Einigung fib an fie anfhlöße? Der Syrer. Das jegt
der-Ölaube an Auferftchung nothwendig voraus Petrus.
395
ehrt dies der Glaube, fo muß die menſchliche Natur in einem Menſchen
vorbildlich (prioriter) mit der göttlichen geeint fein, in Dem nämlid,
welcher das Borbild (facies) aller Völker ift, der höchſte Mefltas und
Chriſtus, wie Araber und Juden Ehriftus nennen. Er, nah dem Glau—
ben Aller Gott am nächſten, wird derjenige fein, in welchem aller Men;
ſchen Natur zum Boraud mit Gott geeint wird. Dadurch ift er der
Erlöfer und Mittler Aller, in dem die Eine menſchliche Natur, durch
welche alle Menfhen — Menſchen find, mit der göttlihen und unfterb»
liben Natur geeint wird, auf daß fo alle Menſchen von gleiher Natur
die Auferftehung von den Todten erlangen. Der Syrer. Ich jehe, daß
nah Dir der Glaube an die Auferftehung der Todten die Einigung der
menfchlichen Natur mit der göttlichen vorausſetzt, ohne welche diefer Glaube
unmöglich wäre; dieſe Ginigung fichft Du in Chriftus vollzogen; dieſer
Glaube fegt alfo ihn woraus. Petrus. Ganz richtig. Alle Verheißun—
gen an die Juden haben im Glauben an den Meſſias oder Mittler ihre
Befräftigung, durch welchen allein die Verheifungen des ewigen Lebens
in Erfüllung gehen können. Der Syrer. Und wie fteht ed mit den
andern Religionsfyftemen? Petrus. Ganz gleih. Alle Menjchen haben
in ihrer menſchlichen Natur nur das Verlangen und die Hoffnung des
ewigen Lebens; dazu haben fie Bußübungen und Opfer eingeführt, um
fih in ihrer Natur diefem ewigen Leben beffer anzujchmiegen. Die Mens
ſchen begehren die Glüdfeligfeit, welche das ewige Leben iſt, in Feiner
andern, ald im der ihnen eignenden menſchlichen Natur; ber
Menſch will nur Menſch fein, fein Engel oder eine andere Natur; er
will aber ein glüdfeliger Menſch fein, der die höchſte Glückſeligkeit erreicht.
Diefe Glückſeligkeit ift der Genuß oder die Einigung des menſchlichen Le—
bens mit feiner Duelle, aus welder das Leben felbft ftrömt, und dieſe
if das göttliche, unfterblihe Leben. Wie wäre aber dies dem Men:
ben möglidh, wenn nicht in Einer Perſon die gemeinfame
Menfhennatur zu diefer Einigung erhoben wäre, durd wels
Gen ald den Mittler alle Menſchen das legte Ziel ihrer Sehn—
ſucht erreihen fönnten? Diefer ift dann der Weg, weil er ein
Menſch ift, durch melden jeder Menfh den Zugang zu Gott hat, dem
Ziele all unferen Sehnens. Chriftus iſt alfo die Vorausſetzung Aller,
welche die höchſte Gtücjeligfeit zu erlangen hoffen. Der Syrer. Das
gefällt mir ausnehmend, Denn wenn der menfchliche Geift glaubt, er
fünne eine ſolche Ginigung mit der Weisheit erreichen, daß er dadurch
ewige Nahrung für fein Reben findet, fo fept er voraus, der Geift eines
ganz erhabenen (altissimi) Menfchen babe jene Einigung in der erha-
benften Weiſe (altissime) erreicht und fo das höchſte und erhabenfte Lehrs
amt erlangt, mittelft deffen er auf ähnliche Weife einmal zur Weisheit
396
zu gelangen hofft. Würde er das nicht für möglich halten, fo würde er
es auch an dem hervorragendften Menfchen nicht für möglich halten. Da
ed num die Hoffnung Aller ift, einmal zur Glüdfeligfeit zu gelangen, auf
welche jede Religion abzielt (hierin gibt ed feine Täufchung, weil dieſe
Hoffnung durch ein anerfhaffenes Verlangen Allen gemeinfam ift und folge,
richtig auch die Frucht diefer Hoffnung, die Religion, welche in gleicher
Weiſe Allen angeboren ift), fo fehe ich, daß der Lehrmeiſter und Mittler,
welcher im Befige der höchitmöglichen menfchlichen Bollfommenheit den
Principat in der Menſchheit einnimmt, von Allen vorausgefegt werte.
Indeß die Juden fagen vielleicht, diefer Fürft (priocipem) der menſchlichen
Natur, in welchem alle Mängel aller Menfhen ausgeglichen find, ſei noch
nicht geboren, fondern werde erft auf die Welt fommen. Petrus. Es
genügt, daß fowohl Araber ald Chriften und Andere, die mit ihrem Blute
Zeugniß abgelegt haben, fowohl aus dem, was die Propheten von ihm
gejagt haben, als auch, was er felbft während feines Wandelns auf Er-
den Uebermenſchliches vollbracht hat, bezeugen, er fei bereitd gefommen.
14.
Der Spanier. Ueber den Meffias, deſſen bereitd erfolgte Ankunft
der größere Theil der Welt annimmt, fann vielleicht hinfichtlich feiner Or
burt eine andere Schwierigfeit entftehen: Chriften und Araber glauben,
er fei aus Maria der Jungfrau geboren, Andere halten dies für un
möglih. Petrus. Ale, welche an die erfolgte Ankunft Chrifti glauben,
lehren auch, er fei aus der Jungfrau geboren. Denn da er das Aeußerſte
(ultimitas) in der Vollkommenheit der menſchlichen Natur und allein der
Höchſte (solus altissimus) ift, von welchem Vater follte er der Sohn fein?
Jeder erzeugende Vater befindet ſich durch die Unvollfommenheit feiner
Natur in einem fo weiten Abftande von der höchſten Vollkommenheit, daß
er dem Sohne nicht die abfolut höchſte Vollkommenheit mittheilen fan,
die nur in Einem Menfchen möglich iftz es kann died nur der Dater,
welcher der Schöpfer der Natur ift. Der Höchfte (altissimus) hat alfo nur
den zum Water, von dem alle VBaterfchaft herftammt. Durch göttlice
Kraft wird daher der Höchſte im Leibe der Jungfrau empfangen und in
der Jungfrau vereinigte ſich die höchfte Fruchtbarkeit mit der Jungfräulich—
feit. Chriſtus ift uns daher fo geboren, daß er mit allen Menſchen in
der innigften Verbindung fteht (ut sit omnibus hominibus conjunctissi-
mus). Er bat Den zum Vater, von welchem jedes Menſchen Water das
Baterfein hat, und er hat Die zur Mutter, die mit feinem Menſchen
fleifchlich wermählt war. So erblidt Jeder in der allernächften Verbindung
mit Chriftus feine Natur in der höchſten Vollkommenheit.
397
15.
Der Türfe. Es erübrigt nun noch eine nicht geringe Differenz.
Die Ehriften jagen, Ehriftus fei durd die Juden gefreuzigt worden, Ans
dere verneinen died. Petrus. Wenn Einige fagen, Ehriftus fei nicht
gefreuzigt worben, fondern lebe noch und werde zur Zeit des Antichrifts
wiederfonmen, fo verftehen fie das Myfterium feines Todes nicht.
Sie laſſen ihn in fterblihem Fleifche wiederfommen, ald ob er in anderer
Weiſe den Antichrift nicht befiegen fünnte. Die Verneinung feiner Kreus
zigung fcheint aus Verehrung für Chriftus zu entftehen, als ob Leute, wie
die Juden, feine Gewalt über ihn gehabt hätten. Beachte jedoch, daß jene
Hiftorien, deren es viele gibt, und die Predigt der Apoftel, die für die
Wahrheit geftorben find, mit Recht Glauben verdient, Chriftus fei wirk—
lich geftorben. So haben es die Propheten von Chriſtus vorausgefagt,
er müfle zum fchmählichften Tode verurtbeilt werden, und die ift ver
Kreuzestod. Das tiefere Verftindniß liege im Folgenden.
Ehriftus fam, von Gott dem Vater gefendet, um das Himmelreich
zu verkünden; feine Lehre vom Himmelreihe fonnte nicht beſſer bewahr«
beitet werden, ald durch das Zeugniß feines Bluted. Um alſo feinem
Bater ganz gehorfam zu fein und für die von ihm verfündete Wahrheit
alle Gewißheit darzubieten, ftarb er und zwar des ſchmählichſten Todes,
damit fein Menſch ſich weigere, die Wahrheit anzunehmen, für deren Bes
zeugung Ehriftus freiwillig in den Tod gegangen war. Er verfündete
das Himmelreih, indem er lehrte, wie der Menſch, fühig für dieſes Reich,
zu demfelben gelangen fünne, Um viejed Reiches willen muß man das
Leben in diefer Welt, an dem Alle fo zäh fefthalten, für nichts achten,
und, damit man wiſſe, daß jenes himmlifhe Reich das Reich der Wahr-
beit ift, gab er für die Wahrheit fein irdiſches Leben bin, um jo auf das
Volllommenfte das Himmelreih zu verkünden und die Welt von der Uns
wiſſenheit zu befreien, in der fie biejes Leben dem zukünftigen vorzieht,
und um fich zum Opfer für Biele hinzugeben, um, erhöht am Kreuze
vor Aller Augen, Alle zum Glauben binzuziehen (attraheret ad creden-
dum omnes), dad Evangelium zu verberrliben, die Schwachen zu ftärs
fen, fih zum Löfegeld für Viele hinzugeben und Alles auf die beftmög-
liche Weife eingurichten, auf daß die Menſchen den Glauben an die
Erlöfung (fdem salvationis), die Hoffnung, derjelben theilhaftig zu
werden und die Liebe in Erfüllung der Gebote Gottes erlangen. Wenn
daher die Araber auf die Frucht des Todes Ehrifti hinfehen wollten, fos
wie, daß es ihm, dem Gefandten Gottes, zukam, fich ſelbſt zum Opfer
zu mahen, um den Willen feines Vaterd zu erfüllen, und daß es für
Ehriftus nichts Ruhmvolleres gab, als für die Wahrheit in Gehorfam
398
des ſchmählichſten Todes zu fterben, fo würden fie Ehriftus nicht diefen
Ruhm feines Kreuzes entziehen, durch welches er, der Größte dem Ge
horſam wie der Natur nach (et obedientissimus et altissimus — vergl.
über den legtern Begriff Kapitel 13), in die Herrlichfeit feines Vaters
erhöht zu werden verdiente. Wenn ferner Chriftus lehrte, die Menſchen
würden nad dem Tode in der Auferftehung Unfterblichfeit erlangen, wie
fonnte er die Welt hierüber befier überzeugen, als durch feinen freiwilli—
gen Tod, feine Auferftehung und Erſcheinen als Pebender? Dadurd hat
die Welt die Äußerfte Gewißheit erlangt, daß fie die Auferfiehung und
das Miederaufleben des am Kreuze geftorbenen Chriftus von Vielen bes
zeugt hörte, welde ihn lebend fahen und ihr Leben ließen, um treue
Zeugen feiner Auferftehung zu fein. Das tft alfo das vollflommenfte Evan
gelium, welches Chriftus an fich felbft gelehrt hat, ein vollfommeneres
fonnte ed nicht geben, aber ohne Tod ‘und Auferftehung fonnte es immers
hin vollfommener fein. Wer daher glaubt, EChriftus, unfer Herr, habe
auf das Vollfommenfte den Willen feines Vaters erfüllt, muß auc alles
Das zugeben, ohne was fein Evangelium nicht das vollfommenfte war.
— Beachte fodann, daß das Himmelreih bis auf Ehriftus Allen vers
borgen war. Denn das ift eben das Evangelium Chrifti, jenes Allen
unbefannte Reich zu verfünden, Es gab alfo feinen Glauben, feine Hof
nung, das Himmelreih zu erlangen, Niemand fonnte es lieben, weil «6
ganz unbefannt war, es war feine Möglichkeit, es zu erlangen, da bie
menſchliche Natur noch nicht zu jener Höhe hinaufgehoben war, wo fie
der göttlihen Natur theilhaftig (consors) wurde, Chriftus hat und das
her auf jede Welle das Himmelreich eröffnet, auf welche es mur immer
eröffnet werden fann. Doc eingehen kaun in daflelbe nur, wer das Neid
diefer Welt im Tode aufgibt (deponit). Der Sterblihe muß die Sterb-
‚ lichfeit niederlegen, d. i. die Möglichkeit ded Sterbend, was durd den
Tod geihieht, dann kann er die Unfterblichfeit anziehen. Wenn baher
Ehriftus als fterblicher Menſch nicht ftarb, fo legte er die Sterblichkeit
niht ab und fonnte fo nicht in das Himmelreih eingehen. Wenn er,
der Erftling (primitiae) und Erftgeborene aller Menfchen nicht das Him—
melreich geöffnet bat, fo ift unfere Gott geeinte Natur noch nicht in dad
Himmelreih eingeführt. Das Gegentheil hievon behaupten aber alle
Menihen, welbe an das Himmelreih glauben; denn Alle glauben, daß
wenigftens einige Heilige aus ihrer Religion die ewige Glückſeligkeit er
reicht haben. Daher fegt der Glaube, daß es Heilige in der ewigen
Glorie gebe, den Tod und die Himmelfahrt Chrifti voraus,
399
16.
Der Deutfhe. Alles das ift ganz gut, allein Hinfichtlich der
Glüdjeligfeit fehe ich nicht geringe Gegenfüge. Den Juden tft in
ihrem Gelege nur Zeitliches verheißen, das in ſinnlichen Gütern befteht,
die Araber haben in ihrem Gefege, das im Alchoran aufgeſchrieben ift,
nur Berheißungen von fleifchlichen, aber ewig dauernden Genüflen. Das
Evangelium verfpricht Aehnlichfeit mit den Engeln, welche nichts Fleiſch—
lies an fih haben. Petrus. Laͤßt ſich eine Sehnfucht nah irgend Ets
was diefer Welt denfen, die nicht abnimmt, fondern ſich beſtändig fteis
gert? Der Deutfche. Alles Zeitliche vergeht, nur das Geiftige
nit: efjen, trinfen, Wohlleben u. dgl. gefallen eine Zeit lang, dann
nicht mehr, fie find etwas Unbeftändiges; wilfen aber und denfen,
mit dem Auge des Beiftes die Wahrheit ſehen, madt immer
Freude. Ge älter der Menſch wird, defto größere Freude gewähren
fie ihm, je mehr er fi ihnen bingibt, defto mehr wird das Verlangen
nah dem Befige der Wahrheit gefteiger. Petrus. Wenn aljo die
Sehnſucht umd die Nahrung vderfelben eine immerdauernde fein fol, fo
lann fie nicht zeitlich und finnlich fein; fondern eine Nahrung des geiftis
gen Lebens. Wenn fi daher im Alchoran die BVerheifung eines Para—
diejed befindet, mit Strömen von Wein und Honig, mit einer Menge
von Mädchen und fchon in diefer Welt Viele diefe Dinge verabfcheuen,
wie können dieſe glüdlich fein, wenn fie dort erlangen, was fie ſchon hier
nicht wollten? Es heißt im Alchoran: „ſchöne ſchwarze Mädchen befinden
Äh dort mit ganz weißen Augen ;* — allein fein Deutfcher, wenn er aud)
den fleifchlichen Gelüften ergeben ift, würde fchon in dieſer Welt an ihnen
Befallen finden. Diefe Dinge müffen daher bildlich verftanden werden.
Denn an andern Stellen verbietet der Alchoran Concubinat in Kirchen
oder Synagogen, Mofcheen (mesquitis) und alle andern fleiichliden Ge—
nüffe; es iſt jedoch nicht anzunehmen, daß ihm die Mofcheen heiliger find,
als dad Paradies. Wie können daher diefe Dinge hier in den Mofceen
verboten werden, welde dort im Paradieſe eine Verheißung find ? Ans
derdwo jagt er: „diefe Dinge finden ſich dort, weil dort die Erfüllung
von Allem ift, was hier erfehnt wird.” Damit zeigt er binlänglid, was
er damit fagen wolle, wenn er fagt, diefe Dinge finden fi dort. Denn
wenn fie im vieler Welt erfehnt werden, in der Vorausjegung, daß in
der andern Welt die gleiche Sehnſucht ift, jo müßten fie dort in erquis
fer Weife und in Fülle gefunden werden. Nur in diefem Sinne Fonnte
er jagen, jened Leben fei die Erfüllung alles Sehnens. Er wollte aud)
dem ungebildeten Bolfe keine andern verborgenen Dinge offenbaren, fons
dern nur eine finnlich höhere Glüdfeligkeit, damit nicht das Volk, welches
400
an den Dingen des Geifted feinen Geſchmack findet, die Verheißungen
geringihäge. Das Hauptbeftreben des Geſetzgebers fcheint geweſen zu fein,
das Volf vom Gögendienft abzuhalten, zu welchem Zwede er ſolche Bers
heißungen machte. Allein er verwarf das Evangelium nicht, im Gegen
theil er lobte es, indem er zu verftehen gab, die im Evangelium ver
heißene Glüdjeligfeit fei nicht geringer, als jene finnliche. Die Berftäw
digen und Weiſen unter den Arabern erfennen dies auch als die Wahr
heit. Avicenna fagt, der geiftige Genuß des Anſchauens oder Genichens
Gottes und der Wahrheit fei über allen Vergleich beffer, ald die im Ga
ſetzbuche der Araber geichilderte Glückſeligkeit, und er ftand doch unter die
fem Geſetze; dasjelbe jagen ihre andern Philofophen. Darin kann alio
feine Schwierigkeit liegen, alle Religionen zu vereinigen. Man wird ia
gen, jene Glüdjeligfeit gehe über Alles, was fi befchreiben oder aus—
fprechen läßt, weil fie die Erfüllung jeder Sehnſucht und der Genuß des
Guten an feiner Quelle, die Erlangung des unfterblihen Lebens if.
Der Deutſche. Wie fteht e8 aber mit den Juden, welde die Verheißung
des Himmelreichs nicht fallen, fondern nur die der zeitlichen Dinge?
Petrus. Die Juden geben ſich für ihr Geſet und die Heilighaltung
desjelben dem Tode hin. Würden fie nicht glauben, dadurch nad dem
Tode die Glüdfeligfeit zu erlangen, daß fie den Eifer für das Geſetz dem
Leben vorziehen, fo würden fte fih nicht in den Tod hingeben. Die Jw
den fagen daher nicht, es gebe fein ewiged Leben und fie könnten es nicht
erlangen (jonft würde Keiner von ihnen für das Geſetz fterben), allein fie
erwarten die ewige Glüdfeligfeit nicht aus den Werken des Geſetzes, weil
die Geſetze es nicht verheißen, fondern aus dem Glauben, und bieler
fegt Ehriftus voraus, wie oben gezeigt ift.
17.
Der Tartar. Zu dem Vielen und mir bisher Unbefannten, wor»
über fich viele fchlihte Tartaren, die Einen Gott über Alles verehren, ver
wundern, gehört auch die Verſchiedenheit des Ritus bei Soldhen, die
doch mit ihnen den Einen Gott verehren. Sie lachen darüber, daß einige
Ghriften, alle Araber und Juden die Beſchneidung haben, Andere
aufder Stirne ein Brandmal erhalten, Andere getauft find,
In der Ehe befteht gleichfalls eine fehr große Verjchiedenheit: Einer hat
nur Eine Frau, ein Anderer Eine ihm rechtlih angetraute Ehefrau mit
mehreren Goneubinen , wieder ein Anderer hat mehrere legitime Frauen.
In den Dpfern ift eine fo große Verfchievenheit des Ritus, daß fie
fih nicht beichreiben läßt. Unter diefer großen Mannigfaltigfeit ſcheint
das Opfer der Ehriften, wenn fie Brod und Wein opfern und fagen, es
fei der Leib und das Blut Ehrifti und dieſes Opfer nach der Aufopferung
401
effen und trinken, um fo verabiheuungswürdiger, als fie Den verzehren,
den fie anbeten. Wie in in diefen Dingen, die überdies nah Drt und
Zeit verfchieden find, eine Ginigung zu Stande fommen foll, dad begreife
id nit. Und fommt fie nicht zu Stande, fo hört die Verfolgung nicht
auf. Denn die Verfchiedenheit erzeugt Trennung, Feindſchaft, Haß und
Krieg. — Da begann Paulus, der Völferapoftel (doctor gentium),
im Auftrage des Worts alfo: Man muß zeigen, daß nicht durch die
Werke, fondern ven Ölauben das Heil dargeboten werde
(praesentari). Abraham war der Glaubensvater aller Glaubenden,
jeien e8 Ehriften, Araber oder Juden, er glaubte Gott (credidit Deo)
und died wurde ihm zur Gerechtigfeit angerechnet; die Seele des Gerech—
ten wird das ewige Leben erben. Iſt dies zugegeben, fo wird die Vers
Ihiedenheit der Riten feine Störung maden, denn fie find als finnliche
Zeihen der Wahrheit des Glaubens eingefegt und angenommen; die Zei—
ben laſſen eine Veränderung zu, nicht aber das dadurch Bezeichnete. Der
Zartar. Erfläre mir, wie der Glaube rechtfertigt (salvat). Paulus.
Wenn Gott Etwas aus reiner Gnade und Barmherzigkeit verfpricht, muß
man dann nicht ihm, der die Macht hat, Alles zu geben und der wahrhaftig
it, glauben? Der Tartar. Gewiß, fintemal Niemand getäufcht wer-
den kann, der ihm glaubt; wer ihm nicht glaubte, wäre unwürdig, eine
Gnade vorn ihm zu erhalten. Paulus. Was rechtfertigt aljo Den,
der die Gerechtigkeit erlangt? Der Tartar. Seine Berdienfte nicht,
\onft wäre es nicht Gnade, fondern Schuldigfeit. Paulus. Ganz ride
tig; allein gerade weil fein Menfch dur feine Werke vor Gott gerecht
fertigt wird, fondern weil der Allmäctige durch feine Gnade, Wem er will,
das gibt, was er will, jo muß man, um würdig zu fein, die Verheißung,
welhe pure Gnade ift, zu erlangen, nothiwendig Gott glauben. Dadurch
wird der Menfch gerechtfertigt, dadurch allein erlangt er die Verheißung,
daß er Gott glaubt und hofft, daß das Wort Gottes in Erfüllung gebe.
Der Tartar. Nachdem Gott verfprohen hat, ift es gerecht, daß das
Verfpreben gehalten werde. Der Gott Glaubende wird alfo vielmehr
durh die Verheißung (repromissionem), ald durd den Glauben geredits
fertigt. Baulus. Gott, welder Abraham einen Samen verfproden
hat, in welchem Alle gefegnet werden follten, hat Abraham gerechtfertigt,
auf daß er die Verheißung erlange. Hätte aber Abraham Gott nicht
geglaubt, fo hätte er weder die Rechtfertigung, noch die Verheißung ers
langt. Der Tartar. Allerdings. Paulus. Der Glaube hat alfo
dei Abraham bewirft, daß die Erfüllung der Verheißung eine gerechte
war, die außerdem weber eine gerechte, noch eine vollzogene .(adimpleta)
geiwefen wäre. Der Tartar. Was hat Gott verheißen? Paulus.
SHarpff, Nie. v. Cuſa. 26
402
Gott verhieß dem Abraham, er werde ihm einen Nachkommen (semen)
in Iſaak geben, in weldem alle Geſchlechter gepriefen werben follen.
Diefe Verheißung wurde zu einer Zeit gegeben, wo ed nad dem ge
wöhnlihen Laufe der Natur für Sara unmöglid war, noch zu empfan
gen und zu gebären; weil er aber glaubte, erhielt er den Sohn Jiadf,
Dann ftellte Gott Abraham in dem Gebote auf die Probe, den Sohn,
in welchem die Verheißung eines Nachkommens in Erfüllung gegangen
war, zu tödten und zu opfern. Abraham gehorchte, glaubte jedoch nichls—
deftoweniger an bie fiber ſich erfüllende Verheifung, wenn der todte Sohn
wieder ind Leben gerufen würbe. Seitdem nun Gott einen fo großen
Glauben bei Abraham fand, wurde Abraham gerechtfertigt, und die Ber
heißung in dem Einen Samen erfüllt, der von ihm im Iſaak ausging.
Der Tartar. Welches tft diefer Same? Paulus. Chriftuß;
denn alle Völfer erlangen in ihm den göttlichen Segen. Der Tartat.
Und worin beftcht diefer Segen? Paulus. Der göttliche Segen if
das Ziel unferer Schufucht, die Glückſeligkeit, das ewige Leben, über
weldes Du vorhin das Hinlänglihe vernommen haft. Der Tartar.
Meint Du alfo, Gott babe uns in Chriftus den Segen der ewigen
Glüdjeligfeit verheißen? Paulus. Allerdings. Daher muß man Gott
glauben, wie Abraham glaubte, auf daß der fo Glaubende mit dem gläw
bigen Abraham gerechtfertigt werde, um in dem Einen Samen Abrahams,
Ehriftus Jeſus, die Verheißung zu erlangen, welche der göttliche Segen
ift, der alles Gute im fih begreift. Der Tartar. Meinft Du alio,
jener Glaube allein rechtfertige zur Erlangung des ewigen Lebene
(vis igitur, quod sola fides illa justificet ad perceptionem aeterna®
vitae)? Paulus. NMlerdings. Der Tartar. Wie wirft Du aber
den ſchlechten Tartaren das Verftändniß darüber auffchließen, daß fie es
begreifen, Chriſtus fei es, in welchem fie die Glüdfeligkeit erreichen können?
Paulus Du haft doch gehört, daß nit nur die Ehriften, fondern
aud die Araber glauben, Chriſtus fei der Höchfte (altissimum) von Allen,
welche je lebten oder noch leben werden und das Urbild (faciem) aller
Völker. Wenn aljo in Einem Nachkommen alle Völker gefegnet find, fo
fann dies nur Chriftus fein. Der Tartar. Welchen Beweis führſt
Du an? Paulus. Das Zeugniß der Araber wie der Chriften, daß
der Geift, der die Todten ind Leben ruft, der Geift Ehrifti if. Wem
nun der befebende Geift in Chriftus if, welcher die Macht hat, Alle, die
er will, zu beleben, fo ift er der Geift, ohne den fein Todter auferwedt
wird und fein Geift ewig leben kann. Denn e8 wohnt in dem Geifte
Chriſti die Fülle der Gottheit und Gnade, aus welcher Fülle alle zu Er
löfenden die Gnade der Erlöfung erlangen. Der Tartar. Es freut
mich, died von Dir, dem Apoftel der Heiden, zu vernehmen, weil es in
403
Verbindung mit dem vorhin Wernommenen für unfern Zweck genügt.
Ih erfenne nun die Nothwendigfeit des Glaubens, ohne den Niemand
felig wird. Doch — genügt der Glaube? Paulus Ohne Glauben
it es unmöglih, Gott zu gefallen. Der Glaube muß aber ein
lebendiger fein, ohne die Werfe ift er todt (oportet autem, quod
fides sit formata, nam sine operibus est mortua). Der Tartar.
Welches find diefe Werke? Paulus. Wer Gott glaubt, hält feine
Gebote; wie fannft Du glauben, Gott fei Gott, wenn Du Di nicht
beitrebft, feine Gebote zu erfüllen? Der Tartar. Nicht mehr als billig,
daß die Gebote Gottes beobachtet werden. Doch die Juden fagen, fie
hätten feine Gebote durch Mofes, die Araber — durch Mahomed, die
Ehriften durch Jeſus; andere Nationen verehren vielleicht wieder befondere
Propheten, durch welche fie die Gebote Gottes befommen haben wollen.
Wie fommen wir da zu einer Uebereinftimmung? Paulus. Die götts
lihen Gebote find ganz furz, Allen binlänglich befannt und allen Nationen
gemeinfamz; ja, das Licht, das fie aufhellt, ift unferer vernünftigen Seele
anerfhaffen. In uns felbft ſpricht Gott, daß wir ihn lieben follen, von
dem wir das Leben haben, und daß wir Keinem etwas zufügen, außer
was wir wünſchen, daß auch uns zugefügt werde. Die Liebe ift die Ers
füllung des göttlichen Gefeges, alle Gefege reduciren fi auf dieſes Eine
Geſetz. Der Tartar. Sch zweifle nicht, daß ſowohl der Glaube, als
das Gefeg der Liebe von den Tartaren angenommen werben; doch wegen
der verfchiedenen Riten bin ich im Zweifel, ich weiß nicht, wie fie die
Beihneidung, über die fie lachen, annehmen follen, Paulus. Hinfict-
ih der Seligfeit liegt an der Befchneidung nichts, denn fie macht nicht
kelig; wer jedoch die Befchneldung zwar zur Seligfeit nicht für nothwendig
hält, viefelbe jedoh an fih vernehmen läßt, um Abraham und deffen
Nahfolgern auch hierin gleichförmiger zu fein, der wird deßhalb nicht ver,
dammt, wenn er nur den Glauben hat. So war Ehriftus befchnitten
und viele Ehriften wegen feiner, wie noch jetzt die Jacobiniſchen Aethios
pier und Andere, ald wäre ed ein zur Seligfeit nothwendiged Sacrament.
Dod wie fann der Friede unter den Gläubigen beftehen, wenn die Einen
beſchnitten find, die Andern nicht und fo noch größerer Zweifel entfteht?
Da der größere Theil der Menfchen nicht befchnitten ift, fo halte ich es
für paffend, in Erwägung, daß die Beichneidung nicht mothwendig if,
daß der Fleinere Theil fih um des Friedens willen dem größern, mit dem
er im Glauben Eines ift, confornirt. Ja, wenn um bed Friedens willen
der größere Theil fih an den Heinern anfchlöße und die Beichneidung
annähme, follte er ed meiner Meinung nad thun, damit durch gegen»
feitiges Sichanſchließen der Friede befeftigt werde. Würden fo die einen
26°
404
Nationen von den Chriften den Glauben und bie Ehriften von andern
um des Friedens willen die Befchneidung annehmen, fo würde der Friede
mehr Befeftigung erlangen. Die Ausführung halte ich aber für fchwierig.
Es mag daher genügen, den Frieden im Glauben und in dem Ges
bote der Liebe zu befeftigen und den Ritus da wie dort zu dulden.
18.
Der Armenier. Wie fol man ed mit der Taufe halten, da es
bei den Ehriften für ein zur Seligkeit nothwendiges Sacrament gehalten
wird? Paulus Die Taufe ift das Sucrament des Glaubens. Wer
glaubt, er Fönne durch Jeſus Ehriftus die Rechtfertigung erlangen, der
glaubt auch, daß es durch ihn eine Abwaſchung der Sünden gebe. Diele
Reinigung, die durh das Taufbad bezeichnet wird, wird jeder Gläubige
offen an den Tag legen. Denn die Taufe ift nichts Anderes, ald das
Bekenntniß jened Glaubens mittelft des facramentalifchen Zeichens. Es
wäre fein Gläubiger, wer nicht feinen Glauben durch Wort und alle
hiezu von Chriftus eingefegten äußern Zeichen offen befennen wollte,
Es gibt ein ſolches Taufbad aus Ehrfurcht vor der Religion bei Hebräern
und Arabern, denen es nicht ſchwer fallen wird, die von Chriſtus zum
Befenntniß ded Glaubens angeordnete Taufe anzunehmen. Der Arme;
nier. Die Annahme dieſes Sacramentes fcheint nothwendig, da ed zur
Seligfeit nothwendig if. Paulus. Der Glaube ift nothwendig bei
den Erwachſenen, die ohne dieſes Sacrament felig werden fünnen, wenn
fie e8 nicht befommen fönnen. Können fie e8 aber befommen, fo können
fie fih nicht Gläubige nennen, wenn fie fi nicht ald ſolche mittelft des
Sacraments der Wiedergeburt zeigen wollen. Der Armenier. Wie
ſteht es mit den feinen Kindern? Paulus. Sie werden fib um fo
leichter dazu verftehen, die Kinder taufen zu laffen, als fie die Knäblein
am achten Tage aus Religiofität befchneivden ließen; die Vertaufhung der
Befchneidung mit der Taufe wird willfommen fein und man wird ihnen
die Wahl laffen, ob fie fib mit der Taufe begnügen wollen,
19,
Der Böhme. Im allen bisher befprochenen Punkten vürfte es
möglich fein, eine Uebereinftimmung zu finden, in den Opfern aber wird
ed jehr große Schwierigfeit haben. Wir wiſſen, daß die Ehriften das
Opfer von Brod und Wein im Sacramente der Gudariftie nidt
Andern zu gefallen aufgeben fünnen, da dieſes Opfer von Chriftus eins
gelegt ift; daß aber andere Nationen, welche nicht fo zu opfern pflegen,
diefe Weife des Opferns annehmen, ift nicht leicht zu glauben; zumal da
fie es für Unfinn Halten, an eine Verwandlung des Brodes in den Leib
405
und des Weines in das Blut Ehrifti zu glauben und nachher dad Sacras
ment zu verfpeifen. Paulus. Das Sacrament der Euchariftie vers
finnbildet (figurat) nichts Anderes, ald daß wir ans Gnade in Jeſu
Ehrifto die Erquidung (refectionem) ded ewigen Lebens erlangen werben,
wie wir in diefer Welt durch Brod und Wein erquicdt werden. Wenn
wir alfo glauben, Ehriftus jei die Nahrung des Beifted, dann
nehmen wir ihn unter den Geftalten, die den Körper fpeifen.
(Quando igitur credimus Christam cibum mentis, tunc ipsum sumimus
sub speciebus corpus cibantibus.) Und da wir in dem Glauben übers
einfimmen müflen, daß wir die Nahrung des belebenden Geiſtes (eiba-
tionem vitae spiritus) in Chriſtus erlangen, warum wollen wir diefen
Glauben nicht in dem Sacramente der Euchariftie offen zeigen? Es tft
ju erwarten, daß alle gläubigen Menfchen durd den Glauben ſchon in
diefer Welt jene Speife verfoften wollen, die im andern Leben in Wahr:
heit die Speife unfered Lebens fein wird. Der Böhme Wie wird
man alle Völker von der Verwandlung der Subftanz des Brods
in den Leib des Herrn überzeugen? Paulus. Der Gläubige weiß,
daß das Wort Gottes in Jeſu Ehrifto und aus dieſer elenden Welt hin
überführen wird bis zur Kindſchaft Gotted (transferet usque ad filiatio-
nem Dei) und zum Befige des ewigen Lebens, weil Gott nichts unmög—
ih if. Wenn wir das glauben und hoffen, dann zweifeln wir aud
nicht, daß das Mort Gottes nad der Anordnung Chrifti das Brod in
das Fleiſch (Ehrifti) verwandeln könne. Wenn die Natur dies bei den
Thieren thut, wie follte dad Wort es nicht vermögen, durch welches Gott
die Welt erfchaffen hat? Der Glaube nöthigt und, daran feftzuhalten.
Denn wenn es möglid ift, daß wir Kinder Adams, die aus Erde find,
umgeftaltet werden in Ehrifto Jeſu, dem Worte des unfterblichen Gottes,
wenn wir dieſes glauben und die Frucht davon hoffen; wenn es möglich
it, daß wir dereinft fein werden wie Jeſus, das Wort des Vaters, fo
müflen wir in gleicher Weife an die Transfubftantiation des Brodes
in das Fleilh und des Weines in das Blut glauben durch das nämliche
Wort, durch welches Brod Brod ift und Wein Wein, Fleiſch Fleiſch und
Blut Blut, und durd welches die Natur die Speife in das mit der Speife
Verfehene umwandelt. Der Böhme. Diefe Verwandlung der Subftanz
des Brodes wird ſchwer begriffen. Paulus. Durch den Glauben fehr
liht! Denn nur durch den Geift (sola mente) ift died zu erfaflen
(est attingibile), welder allein die Subftanz als Gaufalitär, nicht als
Weſen betrachtet (quae sola substantiam intuetur quia est, non quid
est); denn die Subftanz geht allem Accidens voraus. Da demnach die
Subftang weder Qualität noch Quantität hat und fie allein verwandelt
wird, fo daß nicht mehr die Subftanz des Brodes, fondern die des Flei-
406
fhes da ift, fo ift jene Verwandlung nur eine geiftige (spiritualis), weil
ganz entfernt von Allem, was durch den Sinn erfaßbar if. Durch dieſe
Verwandlung wird daher nicht die Quantität des Fleiſches vermehrt, nicht
numerifch vervielfältigt. Daher ift ed nur die Eine Subftanz des Flei⸗
ches, in welde die Subftanz des Brodes verwandelt ift, wenn aud das
Brod an verfhiedenen Orten dargebraht wird und mehrere Brode bei
Einem heiligen Meßopfer vorgelegt werden. Der Böhme. Ich begreife
nun diefe mir fehr werthe Lehre, daß dieſes Sacrament dad Sacrament
der Speiſe des ewigen Lebens ift, durch welche Speiſung wir die Erb
haft der Kinder Gottes in Jeſu Ehrifto erlangen, und daß eine Aehn—
lichkeit bievon in dem Sacramente der Euchariftie liegt (et quomodo
est similitudo hujus in sacramento isto eucharistiae), fowie daß died Ge⸗
heimniß nur durch den Geift erreicht (sola mente attingitur), durd
den Glauben verfoftet und genoffen wird (fide degustatur et capitur).
Wenn diefed Geheimniß nicht begriffen wird, fo rührt ed waher, weil
Ungebildete vielleicht nicht nur einen Widerwillen haben, es zu glauben,
fondern aud ein fo großes Sacrament zu empfangen. Paulus. Soweit
dieſes Sacrament in finnlichen Zeichen befteht, ift es, wofern der Glaube
da ift, nicht fo nothwendig, daß man ohne es nicht felig wird, denn jur
Seligfeit genügt es zu glauben und auf diefe Weife (sic) das Brod des
Lebens zu genießen. Daher ift auch über die Austheilung des Sacra—
ments an das Volf: ob, wen und wie oft ed dem Volke ausgetheilt wer:
den folle, fein zwingendes Geſetz (lex necessitatis) gegeben. Wenn Jemand,
der Glauben hat, fih für unwürdig hält, zum Tifche des höchften Königs
hinzuzutreten, jo ift diefe Demuth vielmehr zu loben. Hinfichtlid des
Empfanges und des Ritus werden daher die Vorſteher der Kirche in
jeder Religion das ihnen nah den Zeitumftänden geeignet Scheinende
(allezeit unbefchadet ded Glaubens) anordnen fönnen, fo daß bei der Ber
fhiedenheit der Ritus gleichwohl der Friede des Glaubens unverfehrt bleibt.
20.
Der Engländer Wie fteht es mit dem andern Sarramenten:
Ehe, Priefterweihe, Birmung und legte Delung? Paulus.
Man muß der menjhliden Schwachheit fehr oft Rechnung tragen, fo
weit ed nicht gegen bie ewige Seligkeit anftößt. Eine eracte Eon;
formität in allen Stüden fuhen, heißt vielmehr den Frieden
ftören. Es ift jedoch zu hoffen, daß, was die Ehe und Prieſterweihe
betrifft, eine Uebereinftimmung gefunden werde. Bei allen Nationen fcheint
die Ehe durch ein Naturgefeg gewiffermaßen in der Art eingeführt, daß
Einer Eine Frau habe; fo findet fih auch das Prieſterthum in allen
Religionen. Hierin wird alfo eine Vereinigung um fo leichter jein und
407
es wird fih aud nad dem Urtheile aller Andern nachweiſen laſſen, baß
die chriftliche Religion in beiden Sacramenten eine lobenswerthere Reinheit
der Auffafjung fefthalte. Der Engländer Was ift Deine Anſicht
über Faften, firhliche Aemter (officiis ecclesiasticis), Abftinenz von
Speife und Trank, Gebetsformeln u. dgl.? Paulus Wo fid
feine Uebereinftimmung in der Art und Weiſe finden läßt, laffe man bie
Nationen (unbeihadet ded Glaubens und Friedens) bei ihren Andachten
und Geremonien. Die Andacht gewinnt vielleicht fogar durch die Ver—
jiedenheit, wenn jede Nation fi bemüht, ihren Gottesdienft durch Eifer
und Sorgfalt- an Glanz zu erhöhen, um die andern darin zu übertreffen,
und jo mehr Verdienft vor Gott, mehr Lob vor der Welt zu erlangen. —
Nachdem alles Diefed mit den MWeifeften aus den Nationen durch—
gelprochen war, wurden fehr viele Schriften von Solchen vorgelegt, welde
über die alten Gebräuche geichrieben haben, deren es in jeder Sprade
einige hervorragende gibt; 3. B. bei den Lateinern Marcus Varro, bei den
Griechen Eufebius, welcher die verschiedenen Religionen zufammengeftellt
hat, und noch viele Andere. Nah Durchgehung derfelben zeigte fih, daß
alle Berfchiedenheit mehr im Ritus als in der Verehrung des Einen
Gotted gelegen fei, von welchem fih aus der Vergleihung aller jener
Werke ergab, daß er von Anfang an ftetd von Allen vorausgefegt und
in allen Gottesbienften verehrt worden fei, wiewohl das fchlichte Volk,
durh Die feindlihe Macht des Fürften der Finfterniß oft irre geführt,
nicht immer verftand, was es that.
So wurde denn nun im Himmel der Vernunft die Ein-
trabt der Religionen befchloffen in der bisher angegebenen Weife
(conelusa est igitur in coelo rationis concordia religionum). Der König
der Könige befahl, die Weiſen follten in ihre Länder zurüdfehren und
ihre Nationen zur Einheit des wahren Cultus bewegen; dienende Geifter
ſollten ſie führen und ihnen beiftehen. Dann follten fie mit Vollmacht
von Allen verfehen (cum plena omnium potestate) in Serufalem als
dem gemeinfamen Mittelpunfte zufammenfommen und im Namen Aller
Einen Glauben annehmen und über venfelben einen ewigen Frieden fdhlies
fen, auf daß durch den Frieden der Schöpfer Aller verherrlicht werde,
dem Preis und Ehre fei in Ewigkeit! Amen.
1.
Speciell
Dogmatifh-Ethifdes.
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Werth der Piteratur.
Die Schrift ftammt aus der Kunft der geiftigen Natur, vermöge
weldher ein Geift dem andern die Eingebung (inspirationem) des götts
lichen Lichtftrahles zur Ehre Gottes und Vervollfommnung der vernünftigen
Natur mittheilen kann. Die Schrift ift das Mittel, Gedanken befannt
zu geben zur Belehrung der Gegenwärtigen und Abwefenden über bie
Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Der Geift bedarf nämlich einer
gewiſſen Erfahrung zu feiner Ausbildung, um die Fählgfeit zum Unters
fuhen zu erlangen. Da man aus dem Samen nicht wiffen fann, was
aus ihm werde, wenn nicht die Erfahrung aus der Vergangenheit mic
hierüber belehrt (der Menfh kann die Zufunft nur durd die Kenntniß
der Vergangenheit vorherwiffen), fo ift dem Menſchen Kenntniß der Ber
gangenheit nothwendig. So hat Ptolemäus aus den Beobachtungen
des Abraches und Timochores über die Bewegung der Planeten die Ges
ſehe ihrer Bewegung in der Zufunft entvedt. Der Menih muß daher
die Vergangenheit fennen, und die Beobachtungen aus langer Zeit, um
fiherer über die Zukunft Schlüffe bilden zu können. Daher hatten bie
erften Menfchen ein fo langes Leben, um aus langer Erfahrung von
600 Jahren die Himmeldbewegung und Anderes zu unterfucen und ihre
Erfahrung zum Gemeingute der Nachwelt zu machen. Gin Hülfsmittel
hiezu ift die Schrift, durch welche fi) Zeitalter an Zeitalter anreiht, auf
daß der Menſch im ihr wie in einem Spiegel die Vergangenheit erfenne
und daraus Nugen ziehe; durch die Schrift fpricht der Todte mit dem
Lebenden, der Abwefende mit dem Gegenwärtigen, — ein wahrhaft gött-
liches Kunſtwerk, durch welches alle Jahrhunderte und Zeitalter, alle
Gelehrten, die je gelebt, alle göttlichen Eingebungen und menfhliden Ers
findungen der früheren Zeiten auch in der Gegenwart noch jedem Geifte
m Gebote ftehen und zu deffen Ausbildung dienen. Zu unferer Belch-
fung lebt der Geiſt des bi. Paulus in feinen Briefen, und belehrt und
bildet und durch das Mittel der Schrift. (Exc. VII, 615, 616.)
Summe der HI. Schrift.
Wenn du recht in die hl. Schrift eindringft, fo findeft du nichts als:
Gott, die Welt und Ehriftus, und daß Chriſtus es ift, durch den
Gott die Welt mit ſich wieder verföhnt hat. Es gibt Feine andere Wiſ—⸗
412
fenfhaft, als diefes Wiffen. Gott der Vater wollte, daß auch wir Men
hen an feiner Herrlichfeit Theil haben. Welche größere Herrlichkeit Fann «4
für die menfchlihe Natur geben, als daß in ihr ein Menfch fih fand, der der
gepriefene Sohn Gottes ift, in dem Alles im Himmel und auf Erden
gefegnet wird? Auch die Engel wären ohne das Wort Gottes ohne
Leben. Die göttliche Vernunft, die das Wort Gottes ift, ift die Weis—
heit, die jedem vernünftigen Gefchöpfe Nahrung gibt, und Gott offenbart
die Schäge feiner Weisheit zu feiner Berherrlihung durch das Wort,
dad alle vernünftigen Geifter ewig nähret.
(Exc. VI, 524, vgl. Exc. VIII, 617.)
Altes und neues Teitament,
Das ift der Unterfhied zwifchen altem und neuen Tells
mente: das neue ift Verftändniß (novum intelligit) und durch
dieſes Wirken ald Verftändnig ift ed in der Freiheit. Niemand fanı
von ſich fagen, er diene wie ein Knecht, wer thut, was ihm die Vernunft
zu thun befichlt, wohl aber der, welcher aus Furcht vor Strafe ein Geht
zu beobachten genöthigt wird, das er nicht verfteht, weil fi in demfelben
einiged Geheime befindet, das ſich dem Auge des Verſtändniſſes entzieht
und erft feiner Zeit geoffenbart, vorher aber nur wie in einem Raͤthſel
(Bilde) erfannt wird. in folcher erfüllt Enechtifch, aus Furcht und Zwang,
das Gefeß, wie ein Knabe unter dem Lehrmeifter, deſſen Zuchtruthe er
fürchtet, mühfam die Elemente des Wiſſens erlernt und fih in der Gram⸗
matif übt, ohne jegt noch zu wiffen, wozu das diene. Kommt er aber
in das reifere Alter, fo erfennt er den Nugen davon und ift nicht mehr
ein Sklave der Grammatik, fondern handhabt frei den Geift, die Bedew
tung der Worte, fümmert fib nicht um Worte, fondern um Gedanken,
jagt nad Wahrheit und ruht erft, wann er diefe erjagt hat. So hat
denn alle Anftrengung für Elementarfenntniffe ihr Ziel in der Wahrheit;
hat man diefe erfaßt, fo bedarf es der Formen und Figuren nicht mehr.
So verhält es fih auch mit Gefeg und Chriſtus, der die Wahrheit
ift. Die Fülle fchließt das Theilweiſe aus, die Wahrheit das bloße
Bild, der Geift den Buchſtaben, das Ziel das, was für ed angeordnet
if. Die Wahrheit vollendet fih in uns in vier Stufen. Gleichwie
Etwas in der weiten Ferne zuerft überhaupt als ein Gegenftand erſcheint,
näher heranfommend als ein lebendes Wefen, noch näher als ein Men,
der endlich in der nächften Nähe ald der, der er ift, ald Water oder Sohn
x. erfannt wird, fo erfehien auch die Wahrheit vor der Periode des Gr
feßes in der Ferne im verworrenen Sein in der Natur. Als ſodann ein
Engel (Bote Gottes) das Geſetz gab (wie in der Apoſtelgeſchichte ſteht),
413
wurde die Wahrheit, nicht bloß als ein Gegenftand überhaupt, fondern
ald etwas Lebendes enthüllt. Durch den Sohn Gottes wurde fie nod
ſpecifiſcher, nämlih ald ein Menſch, geoffenbart. Es ift nun noch die
vierte Stufe übrig, wo wir ohne Vermittelung eines Dffenbarenden fie
felbft fehen und erfennen, wie fie if. Das ift die höchſte und legte
Etufe: in ihr hat die vernünftige Seele ihr Ziel und ihre Ruhe.
(Exc. V, 499.)
Die Hl. Schrift.
Die hi. Schrift übertrifft alle Wifjfenfhaften fhon durch die Art
ihrer Darftellung, weil fie in einer und derjelben Darftellung eine That—
ſache erzählt und zugleich ein Glaubensgeheimniß darlegt (dum narrat
gestum, prodit mysterium). (Exec. I, 403.)
Verſtändniß der Hl. Schrift.
Das Liht muß die Erfenntniß leiten und erleuchten. Was beachtet
nun Der, welcher ein Buch lefen will? Sieht er nicht vorher in fein Ges
dihtniß, ehe er das Buh liest? Denn er liedt das im Buche,
was er vorher in ſich fah und in dem Begriffe hatte, der aus dem
Goädtnig hervorgeht. Das Gedächtniß erzeugt nämlich die Erkenntniß
der Buchftaben und Wörter in einem innerlihen Begriffe, der vorher
geihaut wird, ehe er im Buche gelefen wird. Denn durch die Kenntniß
der Buchftaben gelangen wir zum Leſen; indem ich finnlih die Buchftaben
ehe, gehe ich auf das Gedächtniß zurüd und erinnere mih an den ähn—
lihen Buchftaben; wenn ich diefe Formen nicht im Gedächtniß habe, fo
fann ih mir feinen Begriff bilden und nicht lefen. Soll alfo der Geift,
der aus Gott ift und Vernunft heißt, in Güte, Gerechtigkeit, Wahrheit,
voranfchreiten, fo müflen feine Augen auf das vernünftige Gedächtniß,
das nicht einen finnlich erworbenen, fondern angebornen Inhalt hat, wos
rin feine Wefenheit befteht, weil es Ebenbild Gottes ift, binfehen. Dort
findet er das Licht der Güte, Gerechtigkeit und Wahrheit ald Naturgefeg,
das die Augen erleuchtet, und er bildet fi über jene Dinge (Güte 20.) einen
Begriff, na dem er jeinen Wandel einrichtet. Dieſes Licht iſt das er-
leuchtende Wort Gottes, durch das wir Gutes und Böſes, Gerechtes und
Ungerechte8 unterſcheiden. Von dieſer innerliben Anfhauung aus begibt
fih num der Geift zu der hl. Schrift und fieht nun in ihrem Geifte und
Buchſtaben das geiftig Vernünftige, das er in fih ſchaut im Lichte des in
Ihm wohnenden (göttlihen) Wortes. Daher der Name Vernunft; denn
diefe ift nur ein Abglanz des göttlichen Lichtes, das die abjolute Vernunft,
das abfolute Licht if. Im diefem Lichte wandeln, heißt fi in Allem dem
414
Gebote der Vernunft unterwerfen. So fiehft du, daß das innere Wort
erleuchtet und lehrt den Weg der Gerechtigkeit zum Ergreifen des wahren
Lebend, das in der Erfenntniß deſſen befteht, der das Leben in fid if.
Men daher diefes Wort belehrt, der wird, er mag nun in basfelbe
eindringen oder mit demfelben an die Lefung der heiligen Schrift
gehen, reihlihe Nahrung finden. (Exc. IX, 656.)
Die Taufe des Johannes hatte die Geſtalt eines reinigenden Waflers,
allein der Geiſt hatte fih noch nicht darein ergoffen, um bie Eecle zu
reinigen. Das kalte Wafjer nimmt die eingedrungenen Flecken nicht hin
weg, wenn ed gleich diefelben oberflächlich wegzumwiichen ſcheint. Kommt
aber die Wärme durch Feuer hinzu, fo reinigt das fo erwärmte Waſſer
auch die tiefer eingedrungenen Fleden eines Kleides. Der Geift Jeſu iſt
die Gnade, die aus feiner Fülle auf die, welde glauben und durd dad
Sacrament ded Glaubens, d. i. die Taufe, zeigen, daß fie an eine Reini
gung (dur die Gnade) glauben, übergeht. So ift denn auch die Schrift
des alten Bundes ein Leib, dem Ehriftus durch fein Wort den Geift ge
geben hat. Er hat uns dur das Wort feiner Lehre, in das er feinen
Geiſt eingehaucht hat, die Schrift erfchlofjen. Gibt demnach er und nicht
feinen Geift, jo wird die Schrift nicht verftanden, fo daß. fie belebt und
in unferm Geifte Wohlgefallen erwedt. | (Exc. VII, 563.)
Niemand verfteht die Schrift eined Andern, wenn er nicht zur Abd
ſicht (intentio) des Schreibenden vordringt. Will er aber diejes, um
zum Verftändniffe zu gelangen, fo muß feine Intention und die des Schrei
benden, oder der Beide bewegende Geift Einer und derfelbe fein. Wer
alfo nicht denfelben Geift wie Jeſus hat, kommt nicht zum Verſtändniſſe
und Genufle des Evangeliums. (Exc. VII, 581.)
Berherrlihung Gottes — das Ziel aller feiner Werke.
Siehe, wie Gott das Ziel aller feiner Werfe tft! Er heilige, um
geheiliget, er belehrt, um erfannt, er verherrliht, um verherrlicht, er
liebt, um geliebt zu werden. Daher werden die Gott Liebenden geliebt,
die Erfennenden erfannt, die MWeifen mit Weisheit erfüllt (sapientes sa-
piuntur), die Gott nicht Kennenden nicht gefannt, die ihn Sgnorirenden
ignorirt.
Du fragft mih, warum verlangt er unfere Heiligung® Ich ſage:
weil er eim Licht ift, in dem feine Finſterniß if, ein geiftiges, wernünftiged
Licht. Wie nämlih das finnlihe Licht um fo beſſer if, je edler es M
415
und fi gemäß der Natur feiner WVortrefflichfeit um fo weiter verbreitet,
fo ift e8 auch mit dem geiftigen Lichte, der Geift will begriffen und er-
kannt fein. Wie ein mächtiger König, wenn er in feiner königlichen
Herrlichkeit nicht erfannt wird, nicht mehr König ift, als ein jeder Pris
vatmann, weßhalb die föniglihe Würde in ihrer Herrlichfeit erfannt fein
will, fo verhält e& fichb auch mit dem Geifte, der der König der Könige ift.
Denn was in jedem Regierenden regiert, ift die Vernunft. Sie will das
ber erfannt fein, und um fo mehr, je vortrefflicher fie ift, wie wir an den
Shriften der Gelchrten fahen. So hat denn die weltichaffende Vernunft
(eonditor intellectus), da fie unendlich gut ift, in dem Beftreben erfannt
zu werden, weil fie die unendliche Vernunft ift, Alles erſchaffen, auf daß
fie in ihrer Herrlichkeit erfannt oder geihaut und geheiliget werde, wie bie
Eonne einen hellen Anblid gewährt, damit fie in ihrer Herrlichkeit geſchaut
und gepriefen werde. Weil alfo Gott geheiliget fein will, deßhalb ift
Alles da, was er erſchaffen hat. Er will, was er will, weil er Gott ift.
Du fragft mid: da die Heiligkeit die Gottähnlichfeit (Deiformitas) ift,
wie wird fie erworben? Ich ſage: durch die Ehriftusähnlichfeit (in Christi-
formitate); denn da und Gott unbekannt ift, jo hat er, um ung zur Gotts
Ähnlichkeit heranzuziehen, feinen Sohn in unfere Natur gefandt. Da vdiefer
Menſch ift, fo haben wir einen Zugang zu ihm. Indem er unfere fterbs
lie, von jeder Sünde freie (ab omni vitio separatam) Natur angenoms
men hat, wiflen wir, daß wir, wenn wir von Sünde frei und erhalten,
ihn anziehen fönnen, und wie er Menfchenfohn geworden, wir Söhne
Gotted werden. Dann find wir rein, wenn wir von Sünde frei find.
Keine Sünde haben heißt heilig und unbefledt fein, und dies find wir,
wenn wir den Geift Ehrifti haben, der nicht von diefer Welt if. Würe
er von diefer Welt, jo würde die Welt ihn und er die Welt lieben. —
Du fragft: Woran erfennt man dieſen Geift? Ich fage: an der Armuth
in der Welt des Fleiſches, die Reichthum ift in der Welt des Geiftes.
Nichts von diefer Welt ald Eigenthum befigen, ift die Armuth im Geifte.
Ihn befledt Feine Liebe zum Ruhme, zeitlihen Gütern oder fleiſchlichen
Genüſſen. Die Welt ift ihm ein Schiff, in dem er dad Meer durd)s
fegelt, um fehnell und unverfehrt in den Hafen zu gelangen. Das ift das
Zeichen, daß der Geiſt, der nicht ohme den Zug der Liebe ift, fich der Liebe
der ewigen Güter zugewandt habe. Da wir das Verlangen haben, in
Gott überzugehen (in Deum transire), fo ftrebt Jever, nad Kräften Gott
ähnlih zu werben. Da nun aber Gott ald Geift nur durch den Geift
erreiht Cadiri) werden kann, unfer Geift aber, der Vernunft und Willends
kraft hat, micht durch die Vernunft in Gott übergehen fann, weil Gott
alle Vernunft überfleigt, und nicht durch den Willen oder die Liebe, weil
das Unerfannte nicht geliebt wird, fo ift Har, daß er micht durch fich,
416
folglich nur durch einen Mittler zum Uebergehen in Gott gelangen fann,
Gott der Vater zieht durch Vermittlung des Mittlers unfern Geift an fih,
wie das Erfehnte den Sehnenden. Indem der Geift das Wort und die
Lehre Jeſu aufnimmt und im fi bewahrt, fo liebt er Chriftus als den
Sohn Gotted und in diefem den Vater und der Vater liebt ihn durd
die Liebe ded Sohnes. Gott ift die Liebe, die durch Liebe erkannt und
durch Erkennen geliebt wird. So geht der Geift in Gott ein in der Ein
heit der oben genannten zwei Kräfte, (Exc. X, 679. 680.)
Yefus, das Ziel der Weltihöpfung.
Der Sohn Gottes, vor aller Zeit vorherbeftimmt, das Menſchenge⸗
ſchlecht zu erlöfen, hat den Namen Jeſus auf dem Wege der Präbeftina
tion aus dem Munde Gottes erhalten. Wenn ein Golpfhmid, der eine
Mafle Goldes in der Hand hat, gefragt würde, was er damit mad,
und antwortete, einen Kelch wolle er maden, fo würde der Kelch dieſen
Namen erhalten, wenn er auch noch nicht zu fehen ift, weil der Kinftler
den Kelch bereitd in feinem Geiſte ficht. Doch wie? Wenn der Künfller,
noch bevor irgend ein bildfamer Stoff, aus dem ein Kelch verfertigt werben
könnte, vorhanden ift, zuerft eine Metallader aufjuhte und zu dem Zwechke
reinigte, um einen Kelch zu verfertigen, würde er nicht auf die Frage, was
er in allen diefen Vorarbeiten bezwede, mit Recht antworten, er mache
“einen Kelch, wenn gleich eine mehrfahe und ftufenmäßige Zubereitung des
Stoffes vorhergeht? Was follen wir nun von dem allmächtigen Künftler
fagen, der nicht aus etwas Anderem Gold fucht, fondern Alles aus Nichts
fhafft: Himmel, Erde und was in ihnen ift? Würde er auf die Frage:
warum er Alles erfchaffe, fagen, er erichaffe Alle wegen Jeſus, fo würde
er richtig antworten. Jeſus iſt jened Gemach des ganzen Weltgebäudes,
in welchem wie in einem großen Balafte der Sohn des Königs rubet,
(Non est Jesus nisi camera illa totias aedificii, in quo ut in magno
palatio filius regis requiescit.) Das Wort Gottes heilt. „Er fandte
(fagt er) fein Wort aus und heilte fie.* Die vernünftige Greatur if
der PBalaft, der Menſch das Gemach, das auch der Endzweck des Palafted
ift, in welches der Heiland herabzufteigen befchloffen hat, um dort Woh—⸗
nung zu nehmen. Jenes Gemach ift das Reste, was zubereitet wird,
wiewohl Alles um deffentwillen da ift; das Ziel des Gemachs ift die Ruhe
des Wortes. Es hat fomit Gott, der um feiner felbft willen Alles ge
ſchaffen hat, Alles zu dem Zwede erfhaffen, vamit Jeſus fei, der dad
Ziel und der Endpunft (ultimitas) der Schöpfung ift. So ift Jeſus vor
Allem, durd ihn und für ihn ift Alles, er tft das Ziel und die Ruhe
des ſchaffenden Schöpfers und aller erfhaffenen Geſchöpfe, der Erfigeborne
417
vor aller Ereatur, das Alpha und Dmega. Als daher nah Abfluß der
Zeit, in der Fülle der Zeit Derjenige in der fihtbaren Welt zeitlich ge-
boren wurde, der ewig ift, ald Der fam, ver fih nie bewegt, ald Der
an einem beftimmten Drte geboren wurde, der in feinen Raum einges
fhloffen werden fann, der in Ewigkeit immer gezeugt wird, nahm er
diejen Namen: Jeſus, Erlöfer mit in unfere Natur. So ift Jeſus oder
die Erlöjung in der menſchlichen Natur geboren, die bis zu feiner Ankunft
ftetö der Verdammniß unterworfen war. (Exc. V, 502.)
Lehre von den Engeln.
Drdnung ift der Wiederfchein des Göttlihen. Alle Vielheit it und
befteht dur Ordnung, denn die Vielheit ift der Abfall (cadit ab..) von
dem Einen und Seienden; jeded Ding ift nur infoweit, ald es Eines if.
Das Biele, zur Einheit geordnet, hat dadurch fein Beftehen, während
es in fih, als Vieles, nicht beftehen fann. Die Ordnung fordert aber
Proportion und Harmonie. Die firdlihe Ordnung, die von Einem aus
in Viele übergeht, hängt von der göttlichen Hierardie ab (der Ordnung
der Engel), deren Abbild fte ift.
Wie gelangen wir aber zu einiger Kenntniß des Weſens der Engel
(„quid est‘ angelorum) oder der geiftigen Subftanzgen (substantiarum
intellectualium)? Denfe dir das alfo:
Alle Nationen lehren einftimmig das Dafein der Engel, zuerſt bie
heil. Bücher der Bibel, die allen andern Büchern vorhergehen. Abraham
ging allen griehifchen Schriftftellern vorher, Mofes ift älter als Plato
und Sofrated. Die Philofophen reden von Intelligenzen (de intel-
ligentiis), welche Moſes Engel nennt, indem fie davon ausgingen, Alles
entftehe (nasci) durch die Bewegung des Himmels. Das Leben ſtammt
aber nicht von den Himmeldförpern, denn die Körperfraft bezieht fih nur
auf den Körper. Jenes Etwas alfo, das dem Körper die Lebensbewegung
verleiht, iſt nicht aus der Körperwelt, fondern aus dem Beweger des
Himmel® (ex motore coeli). Wie alfo die Bewegung der Körper aus
der Himmelsbewegung, fo fommt die Rebensbewegung aus dem Beweger
des Himmeld. Da aber die Lebensbewegung eine Bewegung mit einem
beflimmten Endzwede ift, jo ftammt fie von der Intelligenz, die nach einem
beftimmten Ziele hin bewegt. Sntelligenzen find alfo die bewegenden Kräfte
der Welten (motrices orbium). Der Zobiafus ift der Ort, unter dem
fih die Planeten bewegen. Der Zodiafus iſt auch der Lebenskreis (vi-
talis) genannt worden (Zon = vita). Es gibt aljo fo viele Intelligen-
zen, ald es gefonderte Bewegungen am Himmel gibt. Wenn jeder Stern
feine befondere Bewegung hat, fo hätte er demnach auch feinen befonderen
Scharpff, Nie. v. Cuſa. 27
418
Beweger ober feine befondere Intelligenz. . . . . Der Engel ift eine ab»
abgefonderte (nicht mit Körperlichem verbundene, fomit reine) geiftige
Subflanz. In jeder fpecifiihen Bewegung. jehen wir inflang; die
Species der Pferde ift Eine und alle Pferde erlangen Eine und dieſelbe
fpecifiiche Bewegung. Daher hat diefe Species eine Intelligenz zu ihrem
Vorſtande, welche einheitlich die ganze Sphäre der Species bewegt. An
diefer einheitlichen Bewegung der Species erfennen wir die bewegende
Intelligenz; fonft wäre es nicht Eine Species, Kraft und Thätigkeit,
Jede Species, die ein untheilbared Ganzes ausmacht, ift ein Himmel,
dem eine Intelligenz oder Engel vorfteht, der gleichſam der Gott in die
fem feinem Neiche if. Jeder Menſch ift gleihfam eine Species für ſich,
wegen feiner Bervollfommnung. Hermes fchreibt an Aesculap, die Menſch
heit fei die Gattung, die Menfchen die Arten. Da wir fehen, daß bie
menfchliche Seele, ohne die der Menſch nicht Menſch ift, nicht durd Fort
pflanzung (non ex traduce), fondern im jedem Menſchen durch ben
Schöpfer (ex creante), der der Schöpfer der Arten ift, entftehe, fo finden
wir, daß auch der vernünftigen Bewegung des Menfchen eine Intelligen
vorftche. Denn die Bewegung, die aus unferem Geifte ausgeht, der ſich
in einem der Sünde unterworfenen Körper befindet (quae est in corpore
subdito peccatis), würde, wäre fie nicht von einer abgefonderten Intelli-
genz geleitet, nur den körperlichen Trieben folgen. So aber fteht ımd
der Engel zur Seite, der und die Bewegung nah Dben gibt, daß wir
verlangen, was ber vernünftigen Natur geziemt, und der ganzen geiftigen
Bewegung die Richtung nah dem Ewigen gibt. Cine andere ift die
Bewegung der thieriihen Natur, der das Irdiſche gefällt; dieſe Bewegung
ift injpirirt vom Fürften der Finſterniß. Das ift nun eben der Kampf in
und, in dem wir Vernunft und Einne entgegengefegten Fürften, bie ſich
unaufhörlich befämpfen, untergeordnet finden.
Auch das Geſetz wird durch die Engel vollgogen. Jede Art in
der Natur hat ihre befondern Geſetze; der der Art vorftehende Engel
leitet fie nad diefem Geſetze. Das Geſetz ift auch der Geift Gotted
oder Die göttlihe Vorſehung; der Engel ift der Verkündiger oder
Vollſtrecker diefed Geſetzes. Wenn in einem Sendſchreiben die Stimme
ded Kailerd, in der Stimme das Wort, im Worte der Geiſt, der bie
Untergebenen über die Abfiht des Kaiferd unterweifet, zu dem Unterthanen
gelangt, fo fann ein ſolches Schreiben ein Bote oder Engel genannt wers
den; dad Wort und der Geift im Worte ift der gemäß dem Willen ber
göttlichen Vorfehung bewegende Geiſt. Der Engel ift es daher, durd
den Gott Alles, was er will, anfündigt oder anordnet; der Engel iſt der
Träger (gerulus) des ewigen, göttlichen Geſetzes und Willens, der Boll:
firedfer der göttlichen Anordnung. Gott der Geiſt ift in jedem Engel;
419
der Engel ift die Aufnahme (receptio) ber Abficht Gottes. Der Engel
it demnad das lebendige geiftige Gefegbuc, das lebendige Papier, auf
dem die Schrift des göttlichen Willens aufgezeichnet ift, ein intelligenter
Geſandte an die Ereatur, auf daß fie, die in den Geiſt des unfichtbaren
Gottes nicht hineinfchauen fann, mittelft eines äußern Zeichens das Ber:
ſtaͤndniß der göttlichen Abfichten erhalte (ut... mediante signaculo re-
eipiat illuminationem intentionis).
Ih fage dies zugleich mit Bezug auf die Namen der Engel, welde
Bezeichnungen ihrer Aemter ald dienſtthuender Geifter find. Der eine
Engel heißt Michael, der andere Gabriel, der dritte Raphael, ver
vierte Uriel, nad ihren Verrichtungen, weil fie je nad) der Bedeutung
des Worts göttliche Gaben uns vermitteln. Wie an dem Hofe eines
Königs die Dienftthuenden ihre Namen haben, fo enden die Namen aller
Engel auf el, (b8 heißt Gott), weil fie die Diener des Königs der
Gerechtigkeit find. Indeffen an fich, nicht als Diener Gottes betrachtet,
find und jene Geifter ganz unbefannt. Wir kennen Jemand aus feinem
Dienfte, ohne diefen kennen wir ihn nicht. Die geiftige Natur wird nur
nad Ihrer Aehnlichkeit (mit ihrem Urbilve, Gott) erkannt, wie man die
durch die Einwirkung des Sonnenlichts erzeugten Dinge aus ihrer grös
Bern oder geringern Aufnahme des Sonnenftrabls erfemnt...... &o
erkennen wir auch aus dem Einfluffe der geiftigen Sonne jene edlen, gei⸗
figen, nad Gott geftalteten Naturen, gleich als lebendige, leuchtende
Spiegel und lebendige Abbilder Gottes. ... Die göttliche Intelligenz
wird theils ſeraphiſch, theils cherubifch, theils thronifch x.
aufgefaßt (capitur). Gleichwie aus der verfchiedenen Aufnahme und
Brechung des Lichts neun Ordnungen der Farben entftehen, fo gibt es
auh meun Chöre der Engel... . Das Evangelium fagt: „die Engel
der Gläubigen fehen das Angeficht des Baterd im Himmel.” Sie find
daher wie reine Augen des Herzens. Wie ein Spiegel, der nicht rein iſt,
aufhört, der Wirkfamfeit nah Spiegel zu fein, fo ficht aud das Auge
nichts, wenn es nicht rein iſt. Die Engel find daher ganz reine geiftige
Augen. Wie dad Auge am Anblide des fihtbaren Schönen feine Freude
hat, fo fucht die geiftige Natur dur ihre geiftige Anfhanung den Schö-
pfer ihrer geiftigen Form zu fehen, der das Schönfte ift und in dem fie
ihre Ruhe findet. Durch das Angeficht kennen wir die Menihen. Das
Angeſicht des Vaters der geiftigen Natur fehen, heißt die Duelle ihres
lebend erkennen. Jede Vernunft ftrebt die Urſache von Allem, Gott,
zu erfennen; ihn erfafen, ift das füßefte Ergögen. Allein ihn zu ſehen
IR nur möglich durch die Offenbarung des Sohnes Gottes, weil nur ber
Sohn den Vater kennt, alle Andern erfennen ihn nur durch die Dffens
barung ded Sohnes. Denn der Vater ift , wie der Sohn fagt, im Ber
27*
420
borgenen. Der Mittler aller vernünftigen Getfter iſt das Wort oder der
Sohn Gottes; durch ihn erlangen Alle das Ziel ihrer Echnfucht, die
höchſte Glüdjeligfeit.
Die Engel verdienten im Kampfe für Chriftus im Siege befeftigt
und in der Gnade beftärft zu werden, weil fie die Ehre Gottes ihrem
Leben vorzogen; daß fie aber fiegten, fam aus dem Berdienfte des Blut:
vergießensd Ehrifti. Denn Chriſtus verdiente e8, daß Diejenigen, welde
für feine Ehre bid in den Tod kämpfen, vom Satan nicht beſiegt werden,
fondern ihn befiegen, weil Ehriftus ſelbſt ihn befiegt hat und Ehrifti Gr
walt ihn überragt. In Chrifti Kraft wird der Drade befiegt. Die
Kraft Ehrifti aber ift, gehorfam zu fein bid in den Tod und nicht das
Seinige, fondern Gotted Ehre zu fuhen. So fam denn dad Verdienfl
Ehriftt den Engeln von Anfang an zu Hülfe (subvenit), wie aud den
heiligen Vätern, die feiner Ankunft im Bleifche vorangegangen. Wie ein
treuer und beglaubigter Bürge einen Schuldner augenblicklich befreit, in
dem er die Schuld auf fih nimmt, wenn er gleich erft fpäter zu einer
vorherbeftimmten Zeit wirklich Genugthuung Teiftet, fo ift es aud bei
Ehriftus. Beachte daher, daß das Wort Gottes oder die Gewalt Ehrifti,
die das ganze Reich der feligen Geifter umfaffende Gewalt ift (potesta-
tem Christi esse imperialem virtutem spirituum beatorum ).
(Exc. VIU, 603—605.)
Urfprung der Seele.
Iſt die Seele aus der Wefenheit (essentia) Gottes?
Gott Schafft und wirft nicht durch ein Accidens, da died auf ihm ald
den Einfachften feine Anwendung findet; er wirft nicht wie das Feuer
durch Wärme, fondern er wirft ald erwärmende Wärme gemäß feiner
Weſenheit. Allein er theilt fich nicht auf dem Wege der Verendlichung
(via contractionis) mit, da er einfach und fein Theilnehmen an fich, Feine
Vermiſchung mit feinem Weſen zuläßt, wie der Sonnenftrahl durch feinen
Schmug verunreinigt werden kann. Es bleibt alfo Gott abfolut und
ſchafft durd feinen Willen, wie der König nad feinem Willen die
Dfficialen ernennt umd nach einem unveränderlichen Gefege Alles bewegt.
Indem er den Officialen und Rectoren das Sein gibt, drüdt er durd
feinen Willen die Aehnlichkeit mit feiner Herrſchaft den Nectoren auf, ſo
daß fie an dem Abbilve feiner Herrſchaft participiren, während das Ur
bild der Herrfchaft unparticipirt in ihm bleibt. Wenn ein Sigill fein
Bild in Wachs eindrüdt, fo find die Buchftaben im Wachſe nicht aus
der Wefenheit der Buchftaben des Sigills, die Feine Mittheilung Cihred
Wefens) zulaffen, fondern find Abbilder der wefentlichen Buchftaben. Gott
421
drüdt die Bilder (die Aehnlichkeit) feiner Speen (suarum rationum) ber vers
nünftigen Ratur ein und theilt fich auf diefe Weife ihr mit. Beachte, daß
die Aehnlichfeit der Umendlichfeit Gottes, fofern nämlich Gott die in Wirk;
famfeit (actu) unendliche Kraft ift, in der Weiſe im Geifte gefunden wird,
in welder die Aehnlichfeit der Unendlichkeit eben dieſer Kraft fähig if,
gleihfam die Achnlichfeit der Ewigfeit, welde lautere Wirffamfeit zumal
it (quae est tota simul actu). Daher ift die Möglichkeit, immer mehr
und mehr zu erfennen ohne Ende, die Achnlichkeit der ewigen Weisheit.
Hieraus folgere, daß unfer Geift das lebendige Abbild des Schöpfers ift,
das fi dem Schöpfer ohne Ende immer mehr gleichgeftaltet, daher der
Belehrung fähig ift. (Exc. X, 679.)
Die Seele von Natur eine Chriftin,
Das Wort Gottes gab und eine Achnlichfeit feiner felbft. Da es der
köyos oder die Vernunft ift, jo wollte ed in dem vernünftigen Geifte
wiederfcheinen. Es legte in ihn das Verlangen nah Wahrheit, das Ber:
langen nach Leben und gab ihm das ewige Geſetz, durch welches er zur
Wahrheit und zum Leben gelangen fann. Ehriftus ift das Wort, welches
die Wahrheit, dad Leben und der Weg if. Es ift alfo unfer Verlangen
nah Wahrheit ein Verlangen nad Ehriftus, das Verlangen nah dem
Leben ift ein Verlangen nah Ehriftus. Wir fragen, auf weldem Wege
wir dahin gelangen; Chriftus ift der Weg, weil Gott die Liebe if. Die
Liebe ift der Weg zum wahren Leben. Wir Alle fühlen es, daß die
Grundzüge von allem Diefem in unfere Vernunft gelegt find (Omnes haec
in ratione nostra characterizata sentimus), denn es gibt Niemand, der
fein Verlangen nah Wahrheit habe, Niemand, der nicht die Unfterblich-
feit wünfchte, Niemand, der nicht liebte. Allein in dieſer Welt wiſſen
wir nicht, was Wahrheit ift, Leben, Weg, Geſetz oder Liebe, Deßhalb
tam Ehriftus in diefe Welt, um und Alles diefes zu zeigen.
(Exc. III, 404.)
Urſprüngliche Unſchuld, Verluſt derjelben.
Ein unſchuldiger Knabe fündigt nicht und iſt ohne Sorge wegen
keines Lebens. Woher er das leibliche Leben hat, von daher wird er
auch genährt. Die Mutter, die ihm geboren, nährt ihn aud an ihrem
Leibe. Wenn er aber zur Erfenntnig des Guten und Böfen gelangt ift,
wird er feinem eigenen Urtheile überlaffen; er lebt nun ſchon in. Sorge
und bebaut die Erde. Die Unſchuld hatte alfo dieſes Vorrecht (erat sic
privilegiata). Bon Gott allein nämlich erhielten unfere Eltern das Leben,
und hätte die Unfchuld fortgedauert, fo hätten fie ohne Sorge gelebt;
422
denn wer ihnen das Leben gab, hätte auch aus fich, wie an feinen eige—
nen Brüften, ben Geiſt, den er ihnen eingehaudt, belebt. Und fo wäre
aus der Unfterblichfeit felbft dem Geifte das Leben mitgetheilt worden;
Himmel und Erde und was in ihnen ift, hätten im Dienfte des Menſchen
biefem alle Bedürfniffe feines Körpers zu einem vergnügten Leben gereicht,
Aber unfere Eltern, vollfommen geboren, hatten die Vollmacht, bie
Unſchuld, welde mit der vollfommenen Vernunft Eined war (quae cum
perfecta ratione concurrebat), zu verlaffen und zum Gebrauch des Ber:
ftandes fi hinzuwenden und fo fich felbft zu regieren. So lange näm-
lich ein Kind fih nicht felbft regieren fann, überlaffen e8 die Eltern nicht
fi felbft, fondern forgen für dasjelbe. Unfere Voreltern hatten die Boll
macht, wie unverftändige und unfchuldige Kinder unter der Leitung des
Schöpferd oder des Worted oder der ewigen Vernunft zu verbleiben, ober
fih durd ihren eigenen Verſtand zu regieren. Da fie nun fich felbft ge
fielen, verachteten fie die Reitung Gottes und wurden eitel und arm, wie
die Parabel vom verlornen Sohne ganz trefflih zeigt. Jeſus fam ald
Lehrer in die Welt, um zu zeigen, daß man den thörichten Hochmuth, der
von diefer Welt ift, ablegen und zur Demuth und Sclichtheit der Um
ſchuld zurüdfehren müffe, auf daß fo der Menich zu dem Regenten, ber
allein für Soldes Sorge trägt, zurüdfehre. Obwohl der verſchwenderiſche
Sohn fih der Leitung feines Vaters entzog, fo wurde er doch, nachdem
er im fich gegangen (reversus ad cor) und ſich verdemüthigt, wieder auf
genommen und ihm bie frühere Liebe und Gnade wieder zugewandt (reci-
pitur denuo cum priori stola). (Exc. VI, 517.)
Sünde.
Ob Gott in deiner Seele als in feinem heiligen Tempel wohne,
fannft du daran erfennen, wenn du frei von Sünden bif. Dann wohnt
Gott in dir. Die Eünde verurfacht dreierlei Uebel in der Seele: fie
wird durch fie verdunfelt (obumbratur), befledt (maculatur), be
trübt (contristatur). Gleichwie die Braut, die den Bräutigam verloren
bat, ſich ſchwarz kleidet, nicht wafcht, fondern ſchmutzig und traurig if,
fo geht es der Seele beim Verlufte ihres Bräutigams durd die Sünde,
welche das Eheband in Folge ebebrecherifcher Liebe auflöst. Kommt aber
der Bräutigam wieder, fo hört jenes Alles auf. Empfindet die Seele in
fih das klare Licht der göttlichen Gnade, die pas Gewiſſen dergeftalt er-
heilt, daß du deine Sünden einzufehen vermagft, die du ohne dieſes Licht
nicht faheft, dann ift Gott wieder da. (Exc. V, 505.)
423
Die Sünde ift wie die Fäulniß im Obſt. Diefe benimmt Farbe,
Werth, Gefhmad und Geruch. So nimmt au die Sünde dem Leben
feine Zierde (decorem vitae), dem guten Rufe den Wohlgerud, ver
Gnade ihren Werth, der (fünftigen) Herrlichkeit ihren Wohlgefhmad
(saporem gloriae). Die Sünde ift wie eine Wunde im Körper; fo
fange diefe noch neu iſt, läßt fie ſich berühren und drüden, nad drei
Tagen ſchon ſchwerer. So ift ed auch bei den Sündern. Es find aud)
bier drei Tage: VBollführung (perpetratio), Gewohnheit, Berftodtheit
(obstinatio); dann läßt fih die Sünde nicht mehr anfaflen; nad dem
Worte in den Proverbien: Wenn der Sünder tief in die Sünde gerathen
it, fo veracdtet er. Die Bosheit verhärtet ihn und er haft Den, der
ihn zurechtweifet. (Exec. I, 399.)
Das Böfe, fein Willen durch Gott, fein Urſprung nicht aus Gott,
Einige jagen: daß Gott dad Gute kenne, geben wir zu, weil er die
Güte ift, von dem alles Gute fommt. Da aber das Böfe nichts ift,
fo wäre es beffer, zu jagen, er wifle es nicht, ald daß er es weiß, Es
ſcheint demnach, daß Gott das Böfe nicht weiß. Ich behaupte aber,
daß Gott das Gute und Böfe fenne (weil er fonft nicht vollfommen er
fennete) , wie dad Auge Licht und Finfterniß erfennt; denn er erfennete
dad Licht nicht vollfommen, wenn er nicht aud die Finfterniß kennete.
Der Maler erkennt fein Gemälde, auch wenn einer dasfelbe mit ſchmutzi⸗
ger Farbe befudelt. Gott hat durch feine allmächtige Hand alle Crea—
turen gemalt und feine Aehnlichkeit in den ſchönſten Farben Allen aufge
drüdt. Der Teufel aber befledt diefes Gemälde. Das weiß Gott, wie
der Maler e8 weiß, wenn fein Gemälde verunftaltet wird, wie Gott es
wußte, daß der böfe Feind nah dem guten Samen Unfraut ausfäete.
So wird aud das Böſe, obwohl e8 der Sache nad nidts ift,
doch erfannt. Gott erkennt das zufünftige Böſe; ich fage: das zufüuftige,
nah unferm Standpunkte, denn fein Erkennen, das über der Zeit ift, ift
weder ein vergangened noch eim zufünftiges. Es könnte aber jemand ein-
wenden, Gott habe den Menfchen ſchwach, hülfsbevürftig erfchaffen, fo
daß wegen diefer feiner Mangelhaftigkeit ein Arzt nöthig ift. Ich fage:
Gott hat feinen Mangel oder Schwäche erfhaffen; wohl aber,
wenn ein folder in Folge der Freiheit des Menfhen eintreten
ſollte, ſich die Heilung vorbehalten, damit nicht der durch ſeine Schuld
ſchwache Menſch ganz erſchlaffe; wie der Vater dem verſchwenderiſchen
Sohne nur einen Theil feines Erbes gab und den andern für den Fall,
daß der Sohn verarme, aufbewahrte. (Exc. IX, 646—647.)
424
Warum Gott die Sünde zulieh.
Die Frage: warım ließ Gott Adam, unfern Stammvater, fündigen
und und Alle in Folge feiner Sünde fterben ? löst ſich im Hinblid auf
das Wort Ehrifti an den Blindgebornen, daß in feiner Heilung fid die
Herrlichkeit Gottes offenbaren ſollte. Daß ed Gott zuließ, daß Adam in
Eünde gerieth, das rührte nicht von feiner Sünde her, fondern damit die
Herrlichkeit Gotted offenbar würde, denn obgleih Gott an der Sünde,
beren Entftehen er verhinderte, Fein Gefallen hatte, jo weiß er doch
auch aus dem Böfen Gutes hervorzubringen (elicere). Das läßt ſich
von allen zur Seligfeit Präpeftinirten fagen, von denen man weiß, daß
fie Sünder gewejen.
Die heilige Schrift faßt Alles unter die Sünde, damit den Gläubis
gen die Verheißung aus dem Glauben zu Theil werde.
Gott wollte feine Herrlichkeit in feinem Sohne offenbaren, damit,
wie durch Einen Menſchen der Tod in die Welt fam, fo dur Ehriftus
Jeſus das Leben in Alle füme. Der Sohn verberrliht den Vater, indem
er die Schäge ber Herrlichfeit des Vaters aufzeigt und mittheilt, der Vater
verberrlicht den Sohn, weil er dur ihn Das ewige Leben verleiht. Gott
ließ es daher zu, daß Alle der Gnade bedurften, um den Reichthum feiner
Gnaden in Jeſus zu zeigen, dem er ald der Quelle (ut fonti) die Fülle
der Gnaden zumwied (contulit). Gott ließ zu, daß wir Alle unvollkom⸗
men (defectuosos) feien, um fih ald den Vollkommenſten zu erweilen,
der Alles in Ehriftus erfüllt und vollendet,
(Exc. VI, 523. cf. VI, 541.)
Sündenfall im Verhältnig zu Gott.
Gott gab dem Menfhen eine Gnade (donum), durch die er von
Tod und Schwäche frei fein konnte. Aber er beraubte fich derfelben
dur feinen eigenen Willen und gab fih, mit Verſchmähung ber Gabe
Gottes, in den Tod hin. Gott verurtheilt ihn zum ewigen Tode, nicht
wegen der Natur, die er gab, fondern wegen der Schuld, der fich der
Menih unterwarf; denn Gott will den Tod ded Sünders, die Berbam-
mung nicht aus dem Grunde der Sünde oder der Verdammung, d. b.
niht um der Verbammung als folder willen (non sub ratione peccati
vel damnationis), fondern um der Gerechtigkeit willen (sub ratione justi).
(Exec. VII, 575.)
425
Gewiffen, Sünde, Todfünde.
Wir haben in und einen erfennenden Geift, der aus der Wahrheit
ſtammt und und belehrt, wenn wir etwas Tadelnswerthes, gegen das
ewige Geſetz, gethan haben; unfer Herz, nämlich das erfennende (cor
nostrum scilicet intelleetuale), tadelt und. Da aber Gott größer ift
ald unfer Herz, weil er die Duelle des Lichtes der Erkenntniß ift, durch
den unfere Seele die Erfenntnißfraft erlangt hat, fo fennt er unfer ganzes
Innere. Wir fühlen ed alfo in und, ob wir vor Gott tadelnswerth
feien oder nicht, und indem wir diefes erkennen, erforfdhen wir unfer Ins
nered; macht und unfer Innered feine Vorwürfe, fo haben wir gute
Zuverfiht (fduciam). Da Niemand Reue haben fann, es table ihn
denn fein Inneres, fo erhellt, daß die Neue über die Sünde aus dem
Lichte der göttlichen Erkenntniß entſpringt. Macht uns das Innere feine
Vorwürfe, fo fehen wir daraus, daß wir im Lichte der Wahrheit wan-
deln. Die Sünde ift demnach das Vleberfchreiten der Gebote des Lichts,
das Nichtverrichten von Werfen des Lichts, die Gott gefallen, weil er
ſelbſt das Licht und die Wahrheit ift. Die Sünde ift ein Kämpfen wider
das Licht der Erfenntnif (peccatum est in lumen intelligentiae offendere).
Das lehrt Ehriftus: „Wäre ich nicht gefommen und hätte ich nicht zu
ihnen geredet, fo hätten fie feine Sünde, fo aber haben fie feine Ents
ſchuldigung.“ Das Licht der Erfenntnif, das wir in Achnlichfeit des götts
lichen Lichtes befigen, ift das Licht der Vernunft; es ift ver Vernunft
von Natur aus gegeben, ohne welches unfere Vernunft nicht vollfom-
men iſt. In diefem Lichte erfennen wir die Gebote (quae legis sunt), daß
man Gott den Geber des Lebens und in Gott den Nächften lieben müffe,
wie wir geliebt fein wollen. Allein wir erfennen in diefem Lichte noch
nit die Macht des Geiftes, welde iſt die Einigung besfelben mit
der reinen Wahrheit, worin die höchfte Glüdfeligfeit befteht. Darum
fam Ehriftus, deſſen vernünftige Erfenntnif (rationalis intelligentia) mit
der höchſten göttlichen Wahrheit jo vereinigt ift, wie der Glanz mit dem
Sonnenſtrahle, und befehrte uns, wie wir die Kindfchaft (Aliatio) Gottes
erlangen können. Diejes Licht ift das Licht der Gnade, das unfere
Erfenntniß durch den Glauben an Jeſus Ehriftus erlangt.... Wer
daher Chriſtus nicht aufnimmt, wenn er gleich das Licht der Vernunft
mu haben fdheint, durch welches er erkennt, daß man Gott anbeten und
den Nächften lieben müſſe, der bleibt in der Finſterniß der Unwiſſenheit,
weil er nicht das Licht der Gnade aufnimmt, das den Geift zur Kinds
ſchaft Gottes erhebt Ein Solder mag treiben, was er will, er
wird nie zur Ruhe der geiftigen Erkenntniß, die im Erfaſſen der Wahr.
beit an fi (veritatis uti est) befteht, gelangen können; benn bei dem
426
natürlichen Lichte iſt jeder menfchliche Geift unfähig für das Schauen der
Wahrheit. Diefe Unfähigkeit findet ihre Ergänzung einzig in
dem fleifhgewordenen Worte. Wer allo das Licht des Glaubens,
der Kindfchaft Gottes, ſich nicht erworben hat, in dem bleibt die Sünde,
weil er die höchſte Glüdfeligfeit, die er nicht glaubt und hofft, nicht er
langen kann. Daraus geht flar.hervor, daß wir dann eine Todfünde
begehen, wenn wir bie Gebote des Lichtes der Erfenntniß übertreten
(quando mandata luminis intelligentiae transgredimur). “Denn biejed
Licht belehrt und, man müſſe die rechte Ordnung fefthalten, welde ver
langt, daß das unveränderlihe Gut dem veränderlichen, das Sittlichgute
dem Nüslichen, Gottes Wille unferm Willen, die Vernunft der Sinnlid-
feit vorgezogen werde. Die Berkehrung diefer Ordnung ift, da fie mit
dem Lichte der Erfenntniß nicht übereinftimmen fann (quoniam in ipsum
lumen intelligentiae nequit consentire), die "Sünde- der MWegfehr von
dem Leben, mithin Todfünde. Wenn man daher gewöhnlich fagt, die
Zuftimmung der Vernunft (eonsensum rationis) made die Todfünde
aus, in der Verfehrung der rechten Ordnung, fo ift died nach dem chen
Gefagten richtig aufzufaffen, daß man nämlich fage, die Vernunft ftimme
dann überein, wenn fie unterliegt. Denn ald Bernunft ftimmet fie nie
überein, wohl aber überwiegt der Geift der Finfterniß, der Welt und
ded Fleiſches, mag aud die Vernunft Widerfpruch erheben. Weil jedoch
die Vernunft durch ihren Widerfprud (ratio reclamans) flegen fann,
wiewohl ihr eine gewiffe Gewalt angethban wird, fo wirb das Sichge⸗
fangengeben (captivitas) ihr angerechnet. Wenn fie fo unterliegt, lo
geräth fie in eine um jo größere Knechtſchaft unter ben Geift der Finfter
niß, je freier die Kraft des Widerftandes in ihr zuvor gewefen; gleihwie
die Nachläffigfeit eines Kirchenobern eine Todſünde ift, wenn er einen
Untergebenen von einer großen Sünde fern halten kann und es nicht
thut. Jene Bewegungen des Geiſtes der Finfterniß heißen Verfuhun
genz fie verfuchen vielmehr, als daß fie der Vernunft Gewalt anthun,
deren Macht fih über Alles erftredt, was zu diefer Welt und deren
Fürften gehört. Der Verfuchung unterliegen ift daher ſchimpflich für Den,
der fiegen kann. In den erften Bewegungen, die noch nicht dem Urtheile
der Vernunft vorgehalten werden, liegt feine Leberfchreitung; wenn aber
der Widerftrebende geftattet, daß die Sinnlichkeit zuftimme, fo erhält die
Ordnung der Gerechtigkeit einen Riß und es entfteht die Sünde. Zu
weilen entfteht eine Störung dieſer Ordnung, jedoch ohne Verfehrung der
Gerechtigkeit, weil nicht ein veränderliched Gut einem unveränderlichen
vorgezogen wird. Dies ift eine Sünde, welde Berzeihung ver
dient, weil von folder Sünde bei der Gebrechlichkeit unferer Natur
faum Jemand frei fein fann. Die Todſünde macht die Seele, wie eine
427
unheilbare Krankheit, für allegeit unfähig, eine Braut Ehrifti zu fein, bie
ohne alle Mafel fein muß. Die läßlihe Sünde macht die Seele nur
vorübergehend hiezu unfähig, bis fie gereinigt if. Es ift daher mit der
Sünde wie mit der Kräge, deren ed verfchiedene Arten gibt: einige find
ſchnell zu heilen, andere fchlummern längere Zeit (quaedam morpheaticae),
wieder andere haben Achnlichkeit mit dem Ausfage. (Exc. II, 427.)
Der Tenfel und feine Verfuhungen.
Sp oft in dir ein Verlangen nad dem entfleht, was nicht aus dem
Reihe der Wahrheit ift, jo nimm dich vor dem Verſucher in Acht; denn
er pflegt fih den Menfchen zu nahen, wenn fie fi in ein foldes Ber-
langen einlaffen. Sei daher vorfichtig bei allen Reizen diefer Welt, wenn
du auch nichts minder ſittlich Gutes dabei bemerfft; es kann die Schlange
im Grafe verborgen fein.
Der Satan war ungewiß, ob es (in der Wüſte) der Sohn Gottes
jet, wiewohl er wußte, daß derſelbe Hunger hatte. Darüber war er alfo
nit ungewiß, daß der Sohn Gottes Menſchenſohn fein und Hunger
gleih einem Menſchen haben könne. Weil aber der Gottmenfch hungern
und einen Stein in Brod verwandeln fann, um ihn zu cflen, jo wollte
er aus der vorzunehmenden Verwandlung der Naturen (ded Stein in
Brod) fih Gewißheit verfhaffen. Beachte, wie der Verfucher argumens
fit! „Wenn du der Sohn Gottes bift, fo befehl, daß dieſe Steine Brod
werden.” Denn auf das Wort des Sohnes Gottes. hört Alles, ja felbft
die Todten hören feine Stimme... Er redet nicht an Ohren von Außen
ber, fondern ald die innerſte Kraft der Wefenheit. Die Wunder ber
Verwandlung find die Werke des Sohnes Gottes. Erfolgen fie durch
einen Menſchen, fo glauben wir an ihn als den Sohn Gottes. Daher
werden die Heiligen, die erweislih Wunder, erhaben über die Natur,
verrihtet haben, unter die Söhne und Heiligen Gottes gezählt, wenn fie
anders als gläubig erfunden worden. Beachte hier, wie ein Geift, der
nad der Kindſchaft CAiliatio) Gottes trachtet, wenn er fih fo viel als
möglich hiezu geeigenfchaftet hat, den Verſucher zu fürchten hat, der ihn
durh Wunder verfucht.
Fall des Teufels,
Der Teufel liebt ed, dem Höchſten ähnlich (similis) zu gelten; das
if die Sünde, in der er von Anfang an verharrt. Denn nieverfallen
md anbeten fchließt das Bekenntniß der höchften Ehrfurcht, die nur dem
Merhöchften gebührt, in fih. Weiler nicht der Höchfte fein fonnte, wollte
er demfelben ähnlich fein. Weil aber auch das nicht möglich war, da
428
jene Achnlichkeit des Höchften, die abfolute Gleichheit felbft, nur Bott if,
fo fiel er, der bi zum Unmöglihen hinauffteigen wollte, im die Region
der Unähnlichkeit. Und nun hört er im biefer Region nicht auf, bie
Menſchen zu überreden, ihn als den Allerhöcften zu verehren, wiewoehl
er ed nicht iſt; wie der Heuchler auf jede Weife durch alle möglichen
Zeichen und Winfe zu überreden fucht, daß man ihn als heilig verchre,
was er doch nicht iſt, ja er beweist gerade durch diefed fein Benehmen,
daß er es nicht fei, er verräth und. verurtheilt fich felbft ald Betrüger.
(Exc, V, 484.)
Wirkungen des Teufels,
Die Kraft des böfen Feindes ift wie die Kraft des rauhen Norbwins
des, der durch fein Wehen kalt und gefrieren macht, tödtet und ftarr madt.
Er fann nur überwunden werden durch ben Geift der Liebe oder Wärme,
die Sonne der Gerechtigkeit, die Eis und Schnee auflöst und das Unbe
wegliche beweglich, lebendig und flüffig macht. Dazu erfchien der Sohn
Gottes, um die Werfe des Teufeld zu vernichten. (Exc. VII, 567.)
Einfluß der Dämonen,
Ueber die Wejen, welche feine Vernunft (intellectus) haben, ba
der Dämon Gewalt. Daher kann der Dämon auf unfere geiftige Natur
nicht eindringen (illabi). Denn was der Dümon feflelt, das feflelt a
dur fich felbft und durd fein Eindringen (per suum illapsum), wit
— die Kälte durch ihr Einfallen das Waſſer gefrieren oder das Lab die
Mil gerinnen macht. So war die Zunge des Stummen bei Mark.
7. Kapitel gefeffelt und ed wurde dad Band feiner Zunge gelöft. Allein
in den vernünftigen Geift fann außer dem Worte Gottes nichts eindringen
(illabi), weil er Gott ähnlich ift, welder ein Geift ift, und zwiſchen
Gott und dem Geifte ift Feine vermittelnde Natur. Zwifchen der Wahr
heit und dem Geiſte kann es feine dazwifchenliegende (media) Natur
geben. Gott ift die Wahrheit; die Wahrheit wird im Geifte erfaßt.
Nur Gott alfo dringt Cillabitur) in die geiftige Natur ein. Wie die
Kälte dad Wafler, das fie feffelt, in Befig nimmt, fo nimmt das Leben
der Wahrheit durch ihr geiftiges Eindringen die Seele in Befig. Der
Begriff der Freude erfreut, eine große Freude noch mehr, die ewige Freude
ewig, die abfolute Freude abforbirt und ganz. Died empfinden Die,
welche in die Freude ihres Herm eingehen. Wenn der böfe Geift per
aceidens gefrieren macht, fo macht der gute Geift wieder flüffig. Daber
jagt die Braut: „Meine Seele ift flüffig geworden, wie mein Geliebter
zu mir geredet hat,“ (Exe. V, 474.)
429
Die Erlöfung der Welt nur durch göttliche Vermittlung möglich.
Ehriftus mußte leiden, weil er auf andere Weife der Wahrheit das
größte Zeugniß nicht geben Fonnte. Denn er war dazu geboren, der
Wahrheit Zeugniß zu geben. Anſelm wirft die Frage auf, ob eine Noths
wendigfeit ed forderte, daß der Höchfte fih fo ſehr erniedrigte, und der
Almähtige ſolchem Leiden fih unterzog, und antwortet darauf: Alle
Nothwendigfeit und Unmöglichkeit unterliegt feinem Willen: was er will,
muß fein, was er nicht will, fann unmöglich fein. Somit hat er allein
durch feinen MWillen, der allezeit gut ift, aljo allein durch feine Güte die
Erlöfung bewirkt. Die menſchliche Natur mußte eigentlih Alles thun,
wad nothiwendig war, damit fie zu dem wieder hergeftellt werde, um
deſſentwillen fie erfhaffen war. Allein weder fie, noch Alles, was nicht
Gott ift, reichte dazu bin. Denn der Menſch wird zu feiner urfprünglichen
Beftimmung nur dann hergeftellt, wenn er zur Aehnlichkeit mit den Engeln,
in welchen feine Sünde ift, emporgehoben wird, was unmöglich ift, wenn
ihm nicht alle Sünden nachgelaffen werden, und dies erfolgt nur durch
eine volftändige Genugthuung, weldhe der Art fein muß, duß der
Sünder oder Jemand an feiner Statt Gott etwas von dem Seinigen
gibt, das er (zu geben) nicht fhuldig ift (quod debitum non sit), und
das Alles übertrifft, was nicht Gott if. Denn wenn Sündigen heißt
Gott beleidigen, und der Menfch dies nicht thun fol, auch wenn Alles,
was nicht Gott if, zu Grunde gienge, fo fordert unftreitig die unveräns
derlihe Wahrheit und die flare Vernunft, daß der Sünder Gott für die
diefem entzogene Ehre etwas gebe, was größer ift, ald das, um deffents
wien er ihn wicht beleidigen durfte (reddat Deo... . aliquid majus, quam
sit hoc, pro quo illum exhonorare non debuit). Da dieſes die menfch-
Ihe Natur allein nicht geben fonnte, und diefelbe ohne gebührende Ges
nugthuung nicht verföhnt werden konnte, fo fam die Güte Gottes zu
Hülfe, damit die Gerechtigkeit Gottes nicht in feinem Reiche die Sünde
ald etwas Ungeordnetes befteben laffe.e Der Sohn Gottes nahm die
menſchliche Natur in feiner Berfon an, damit in diefer Perſon der Menſch
Gott wäre, welcher befigt, was nicht nur alle Weſenheit, die nicht Gott
ft, fondern auch alle Leiftung, die der Sünder zu entrichten hat, weit
übertrifft (ut in ea persona esset homo Deus, qui haberet, quod
Superaret non solum omnem essentiam, quae Deus non est, sed etiam
omne debitum, quod peccatores solvere debent). Da er (der Gotts
menſch) nichts für fich zu leiften hatte, fo that er es für Andere; denn
daB Lehen des Menſchen ift foftbarer als Alles, was nicht Gott ift, und
übertrifft jegliche Keiftung (omne debitum). Wenn fein Tod alle Menge
und Größe der Sünden, die fih nur denfen laffen, übertrifft, fo ift Mar,
430
daß fein Leben mehr Gutes in fi hat, als alle Sünden Böfes. Diefes
Leben gab Derjenige, der nicht in Folge einer Schuld fterben mußte,
weil er fein Sünder war, freiwillig als fein Gigenthum (de suo) zur
Ehre ded Vaters hin, indem er ed ſich um der Gerechtigkeit willen neh:
men ließ, um Allen ein Beifpiel zu geben, man dürfe die Gerechtigkeit
felbft bei Verluft des Lebens nicht aufgeben. Anders ift es bei dem
aus Adam ftammenden Menfchen, defien ganzes Streben vermöge feines
natürlichen Urfprungs auf Erhaltung biefes zeitlichen Lebens gerichtet if,
Das Kind diefer Welt weiß von feinem Berlangen nah dem, was ber
Gegenſatz zu diefer Welt ift, wie das Auge nicht nach den Gegenftänden
des Gehörs ein Verlangen hat, ed will nur gut fehen. Die Sehnſucht
nach diefer Welt zieht den Menfchen dahin, bienieden feine Ruhe zu ſuchen.
Weil der Menſch nicht wußte, daß er die Fähigkeit für das andere Leben
babe, fo Fonnte auch fein Verlangen nad demfelben in ihm entftehen.
Der Menſch war von feiner Geburt an unwiſſend, allein er follte weile
werden und das höchſte Ziel erreihen. Da nahm die Weisheit die menid
lihe Natur an, Chriftus, die Weisheit Gottes, wurde Gottmenſch und
unfere Weisheit, damit wir in ihm die Sehnfucht nach der andern Welt
empfänden. Da aber unfere gebrechlihe Natur fich nicht nad Oben au
fhwingen fonnte, wenn nicht das irdifche Verlangen in ihr ertödtet if,
fo finden wir in Ehriftus die Füle und Vollkommenheit, die alle unfer
Mängel ergänzt (plenitudo, replens omnes defectus nostros). In Ihm,
der fam, um alle unfere Mängel zu ergänzen (adimplere), müſſen wir
aljo die Läuterung aller finnlihen Begierden finden. Diefe Läuterung
erfolgt durch eine finnliche Strafe... Wer durch Ehriftus auf dem rechten
Wege fi zu Gott hinmwendet, kann das Ziel erreichen; wer ſich von ihm
’ wendet, verliert das Ziel der Erlöfung.
(Exec. III, 418. 419.)
Bedürfniß einer objectiven fubftantiellen Weisheit.
Wenn Plato um des Wiſſens willen die Welt durchwandert und
überall einen Lehrmeiſter gefucht, wenn er Archytas aufgefucht hat, und
ebenfo Andere, die gewiß alle nur die Incarnation der Weisheit gejudt
haben, fo wird in allen L2ehrmeiftern diefe Incarnation der Weisheit gr
fucht. Wäre fie daher nicht in irgend Einem incarnirt, d. i., gäbe es nicht
einen Menfchen, der fo weife ift, daß eine höhere Weisheit nicht möglid
ift, welche die Weisheit in ihrer Wefenheit ift, fo fuchten wir vergeb⸗
lich alle rn auf, wenn die Weisheit in Keinem gefunden werden
könnte. (Exc. IX., 632.)
431
Chriftus, der Erlöfer. Bedingung der Aufnahme feines Geiftes in uns.
Je mehr der Geift fib des Adels feiner Abfunft bewußt ift, defto
mehr fühlt er feine Gebundenheit durch die Schranfen der endlichen Natur,
fo wie das Unvermögen, fi felbft von der Natur zu befreien, und zur
Ergreifung ded ewigen Lebens, das in feinem Urfprung oder Echöpfer
ruht, fih zu erheben. Der edle Geift ſehnt ſich daher nad etwas, deſſen
Erfaſſung jedoch über alle feine Kraft geht, und er feufit, daß er, was
er fo fehr verlangt, nicht ergreifen fan. Da nun die Sehnfuht nad
der Erfaffung des ewigen und unfterblihen Lebens allen edlen vernünftis
gen Geiftern, die nämlich ihr Leben geiftig zu leben wünſchen, einges
pflangt ift, fo erhellt hieraus, daß der, welder aus feiner Gnade das
edle Streben nad Unfterblichkeit gegeben hat, dieſes beige Echnen nicht
ohne die Hoffnung der Erfüllung gab; denn fonft würde diefe Gabe zur
Dual, was Gott, dem beften Vater, nicht zufommt, der nur Gutes fpens
det, Daher lehren denn auch alle Propheten, und felbft die Wetjen der
Heiden, im Gefühle, daß fie nicht aus fich felbft dad Verlangen ihres
Geifted befriedigen fönnen, und im Elaren Bewußtiein, daß ihnen diejes
Verlangen nicht umfonft innewohne, daß der, welcher dem Geifte dieſes
Berlangen gab, auch die Gnade, es zu erreichen, geben werde. Diele
Gnade aber, die Ergänzung der unvollfommenen Natur wird nothiwendig
In Einem ald Gnade der ewigen Zeugung erfcheinen, dur welden fie
dann al8 Gnade der Wiedergeburt auf Alle übergeht. (Haec autem
gratia, quae est suppletio defectuum naturae, necessario erit in aliquo
gratia generationis, per quem gratia regenerationis in omnes veniet.)
Ohne Zweifel würde: Jeder, der die Kunft zu beleben verftünde, ewig
leben, weil er beftändig den Tod, vor dem er einen fo großen Ab-
ſcheu hat, von fih abwehrte. Daher wünfchten die Alten, daß die Kunft
des unfterblichen Lebens, nach welcher Alle fich fehnen, durd die Gnade
der Zeugung Einem anerfchaffen würde, der dann diefelbe jedem vernünfs
tigen Geifte mittheilen könnte. Das unfterblihe Reben aber ift Gott, und
die Kunft dieſes Lebens die Weisheit oder der Sohn Gottes. Diefer
if daher der Erlöfer, der uns neu fohafft, durch das Licht der
Weisheit oder der unfterblihen Kunft, um unfer höchſtes Verlangen zu
erreichen. Jeſus jagt: der Kleinſte im Himmelreich fei größer, als Jo—
hannes; denn jener ift wahrhaft wiedergeboren zum unfterblichen Leben;
Johannes aber nur im Glauben; denn er glaubte, daß der allgemein er-
wartete Erretter fommen werde, und daß er durd ihm die Wiedergeburt
erhalten werde, die er jedoch in der Wirklichkeit noch nicht erlangt hatte;
denn Niemand fann jenes Leben in der That erreihen, wenn nicht das
finnliche Leben erftorben it. Der Glaube führt daher vom fterblichen
432
Leben zum unfterblihen; er ift ber Weg zum Uebergang aus der Gnade
der Geburt in dieſer Welt zur Gnade der Wiedergeburt in der andern
Welt. Johannes vergleicht in der Offenbarung das Wiffen des creatür
lihen Lebens mit dem Monde, die Weisheit der Wiedergeburt mit der
Eonne, und zwar defhalb, weil die Sonne das Werk ver höchften Weis
heit ift, da in der Sonne das erleuchtende Licht und die belebende Wärme
oder Liebe vereinigt if. So coincidirt auch im der Weisheit das Willen
mit der Liebe. Denn fie iſt ein fchmadhaftes Wiſſen. Mit Recht be
trachtet ſich der verftändige Geift mehr als tobt, denn als lebend, weil
er in allen feinen Kräften feine Lebensbewegung findet, fondern vielmehr
eine vom Leben entfernte traurige, die in Erfenntniß des Ewigen traum
ähnlih, dagegen fehr gewandt im Srdifchen if. Endlich weiß er ſich
nicht ald frei und als arm im Geifte, welche Armuth des Geiſtes allen
Reichthum in ſich ſchließt. Dagegen findet er in fich den eigenen Willen
mächtig, der ihn ganz beherrfcht und er ſchätzt fich im Beſitze desſelben
für reich, da doch in diefem Reichthum die größte Mangelhaftigkeit ift, weil
Gotted Wille da fehlt, wo der eigene herrict.
Diefe Mangelhaftigkeit des Geiftes fann nur durch Ehriftus geheilt
werden; er, der die Blindheit der Unwiſſenheit hinwegnehmen fann, if
der Rebensfpender; denn der Tod des Geiftes ift die Unwiſſenheit, feine
Freude das Wifien. Daher erhält das Auge das Geficht, oder der Geil
die Einfiht, durch die unendlihe Weisheit; der Hinfende die Bewegung,
d. h. die rechte Richtung zum Ewigen, ohne zu hinken, d. h. ohne der
Sinnlichkeit fib hinzugeben, durch die unendliche Gerechtigkeit; der Geil
die Heilung von der Anſteckung aus Fleiſchesluſt durch den göttlichen Ant.
Es erfolgt die Herftellung des Gehörs zur glaubensvollen Aufnahme des
Wortes Gottes im Geifte dur die unendlihe Kunftz die Erwedung dei
erftorbenen Geiftes durch den. Schöpfer; die Entfernung des Eigenwillene
und Aneignung des göttlihen Willens, fo daß im Geifte nur die Liebe
Gottes ift, nur durch den Erlöfer Aller. Daher wird der Geift mit Recht
glüclich gepriefen, der ſich nicht daran ftößt, fo wunderbare Eigenſchaften
am Menfhen zu fehen, fondern Gott die Ehre gibt und nicht der Magie
oder dem Geifte des Irrthums, und feinen Augenblid zweifelt, daß, wer
ſolches verrichtet, der Sohn des lebendigen Gottes feiz denn er findet den
Meifiad und weicht nicht von ihm, weil er weiß, daß er Worte dei
ewigen Lebens habe; gleihwie Petrus glüdlih war, der, nachdem er von
Chriſtus Erlöfung erlangt, arm am Geifte, überall das ewige Reich ver
fündete; denn jene Umwandlung des unmiffenden Fifcherd zum größten
Theologen und Menfchenfifher legte auch die göttliche Weisheit Ehrift
an den Tag, welde dieſe erftaunliche und wunderbare Umänderung be
wirkte. Daß aber jene Mängel in geiftiger Beziehung verftanden werden,
433
erhellt aus vielen Stellen der Schrift, wo von Blindheit des Herzens,
von blinden Führern der Blinden, von den Befehlen Jeſu an den tauben
und ſtummen Geift, von den Todten, die ihre Todten begraben, die Rede
if, Daher find alle jene verſchiedenen lörperlichen Mängel geiftig gefaßt
— Ein und derfelbe Mangel. Wo dad Schen zugleih ein Hören ift,
da ift die Blindheit auch Taubheit; wo Sehen zugleich Leben ift, da ift
Blindheit auch Tod; wo die Begierde Bewegung ift, da die Schwäche
ein Hinfen. Wie daher Ehriftus die Blinden, Etummen und Tauben
dur fein Wort heilte, fo erfolgt aud die vollftändige Heilung mit dem
Beifte der Weisheit, mit dem Geifte Sefu.
Um aber diefen Ehrifto Ähnlichen Geift zu erhalten, muß Alles, was
in der Welt Ehrifto vorherging, auch im Menſchen als einer Welt im
Kleinen vorhergehen. Zuerft ift er daher Adam, dann fteigt er auf, bis
er Noe wird, auf daß er in der Arche gerettet werde; dann werde er ein
treuer Abraham, dann Iſaak, Jakob, dann wandere er nach Aegypten.
Hierauf folge der Zug durh das rothe Meer uud die Wüfte, unter
Moſes; auf daß er durch Joſua in das Heilige Land geführt werde, und
in der heiligen Stadt Jerufalem fein Geift erftarfe, fo daß er gelehrt
und tüchtig fei zur Weiffagung, zur Leitung und Opferung als Keiter und
Priefter, und in ihm ein feuriger Geift wohne, wie in Eliad und Johan»
ned, und er fo endlich den Geift der tiefften Demuth und reinften Frudt-
barfeit, wie Maria, erlange, in weldhem er dann, von der Gnade des
Höhften überfchattet, jenes Licht aufnehmen kann, welches das Irdiſche
ind Himmlifche verwandelt — den Geift Jeſu. So ift dann fein Geift
geläutert, Indem er den ganzen alten Bund, Gefeg und Propheten, geiftig
in ſich durchlebt. Zu beachten ift, daß Geſetz und Propheten ihre Grenze
In Johannes haben; denn diefer offenbart im fürzeften Ausdrucke alle
Geheimniffe des Geſetzes und der Propheten; er iſt der länternde Bote,
der vor dem Angefichte Gotted des Erlöferd vorhergeht. Es ruft der
Geift des großen Propheten Johannes: ein Jeder thue Buße, der felig
werden und das Reich des ewigen Lebens erlangen will, denn das Him—
melreich ift nahe. Es muß fih alfo unfer Geift, um himmliſch zu wers
den, durd MAbftreifen des Irdiſchen reinigen.
Dann wird er fähig für das Sonnenlicht, für die Sonne der Ges
tehtigfeit, deren Licht von den gereinigten Sternen, fo wie ed an fi ift,
unverlierbar aufgenommen wird. Nehmen wir Chriſti Wort, das alle
Wahrheit in fich begreift, in diefer Weife im Glauben auf, dann werden
wir erfennen, daß Gott wahrhaftig ift, und daß wir in ihm Alles erlangen
können, weil er die Fülle der Gnade ift, aus welcher Fülle uns alles
Mangelnde zufließt und das Aehnlihwerden mit Chriftus und möglid
SHarpff, Nie. v. Gufa, 28
434
wird. Wir fehen dann: ihm anhängen, heißt mit der höchften Güte
verbunden fein; in ihn allein jegen wir dann unfere Hoffnung, da er
allein mächtig, liebevoll und barmherzig it. Durch diefe Untenweifung
Sohannes ded Täuferd wird unfer Geift der Kraft des Elias gleichge⸗
ftaltet, feurig und läuternd mit Zerftörung alles Defien, was im Feuer
zerftört werden fol, jo daß er fähig ift, das himmlifche Licht der ewigen
Weisheit aufzunehmen. (Exc. VII, 560—562.)
Jeſus.
Gott iſt Erretter, Jeſus die Errettung (salvatio); Gott iſt wahr
haflig, Jeſus die Wahrheit Gottes; Gott iſt barmherzig, Jeſus ſeine
Barmherzigkeit; Gott iſt gütig, Jeſus ſeine Güte; Gott iſt weiſe, Jeſus
feine Weisheit; Gott iſt allmächtig, Jeſus feine Kraft und Allmacht;
Gott ift Schöpfer, Jeſus feine Schöpfung (ereatio ejus); Gott ift Xehrer,
Jeſus fein Lehramt; wie wenn einer ein Buch Plato's zeigte, das deſſen
ganzen Lehrbegriff enthielte. Kurz: in Jeſus hat die menfchliche Natur
alled erlangt, was fie verlangt und was wir Gott zufchreiben. Sie
verlangt Glückſeligkeit, welche Gott iſt; diefe hat fie in Ehriftus erlangt,
weil er Gott erfaßt (apprehendit). Und Jeſus hat fie nicht wur für
fih, jondern kann fie auch mittheilen. Adam erhielt die lebendige
Seele dur die Vernunft, welche die Glückſeligkeit diefer Welt ift, in dem
Bild der ewigen; aber er erhielt fie nicht fo, daß er fie ſollte mittheilen
fönnen, weil er die Vernunft nur für fich erhielt, wohl aber erhielt er
den thierifhen Menfchen zur Mittheilung, weil er feine Natur annahm,
nicht aber nahm er jo das Bild Gottes oder der Weisheit an. Chriſtus
aber, der zweite Adam, nahm die Natur oder das Wefen der Weisheit
ſelbſt an, nicht ein nicht mittheilbares bloßes Abbild; daher wird er zum
belebenden Beift für Alle, die ihn aufnehmen. (Exe. IX, 627.)
Die Bolllommenheit Chrifti.
In Chriftus erſchien Alles als Totalität und Einheit, was in allen
Heiligen getrennt und partiell ſich zeigt. Im der Heiligfeit des Lebens
dien Johannes der Täufer in ihm wieder erftanden zu fein. Andere
glaubten, im ihm fei der Geift des Elias, Andere fahen in ihm den Geift
des Jeremias oder eines andern Propheten. Erkenne hieraus, daß der
Geiſt Chriſti die Tugenden aller Heiligen in ſich begriffen habe.
(Exc. V, 499.)
435
Chriftus, ein Magnet.
Ehriftus ift die Magnetnadel, die den Schiffern beim Sturme
den rechten Weg zeigt (Exc. VII, 566). Ohne diefe Magnetnadel würs
den wir in bie Finfterniß der Unwiſſenheit gerathen und den Hafen des
Heild nicht erreichen. Die Magnetnadel bleibt feſt in ihrer Richtung, wie
auch das Meer tobe. So ift Ehriftus das Licht, das in der Finfterni
leuchtet. Der Geift Ehrijti zieht, weil Chriftus der Sohn Gottes ift,
jeden vernünftigen Geift an fih, wie der Name Plato's Schüler herbei
jog, denen der Philofoph die Weisheit mittheilte, oder wie der Mag—
net das Eiſen anzieht, dem er die Anziehungskraft mittheilt, fo daß das
von ihm Angezogene in der Gemeinſchaft mit ihm wieder anderes Eifen
anzieht. So werben viele eijernen Ringe, wie zu einer Kette verbunden,
durch die freie Anziehungsfraft des Magnets, gleihlam wie durd die
Gnade desjelben nah Dben gezogen, ungehemmt durch die Schwerkraft,
die nad dem Erdencentrum zieht. Die über den erften Ring audgegofiene
Magnetfraft bewirkt, daß das Unterſte des erften Rings das Oberfte des
weiten an fich zieht m. f. . So ift ed durch die wunderbare Macht
Gottes geordnet, daß das Unterfte der obern Sphäre mit dem Oberften
der untern verbunden if. Das Wort Gottes reinigt das Eifen, daß
es fühlg zur Aufnahme der Magnetfraft wird. Die Anziehungsfraft ift
der heilige Geiſt. Die Kraft des Magnets wächſt dur feine Verbin-
dung mit einer größern Quantität Eiſen; fo auch die Kirche dur bie
Bereinigung Bieler mit Chriftus. (Exec. VII, 563.)
Maria, frei von der Erbfünde,
Es dient zum Lobe Gotted und der Jungfrau und Mutter Maria,
daß fie, aus welder das Leben Fleifh annehmen follte, zu feiner Zeit
unter der Herrſchaft des Urhebers des Tores war. Die Jungfrau bes
durfte feines Befreiers, der fie von dem Urtbeilöfprucde freifprad, der in
Folge der fleifhlihen Luft (ex voluptate carnis) über Adam und deſſen
Nahlommen ergangen war. Nie unterlag fie demfelben, weil das Er-
barmen zum Boraus der ausderwählten Mutter der Barmherzigkeit zu
Hülfe fam. Wer ald ein Freier empfangen und geboren wird, bedarf
feines Befreierd won der Sklaverei, in der er fih nie befunden. Die
heilige Jungfrau hatte nämlih an Chriftus einen Vorausbefreier (prae-
liberatorem), wie alle Anvdern einen Befreier und Nachbefreier (postlibe-
ratorem). Sie allein wurde feit dem Kalle Adams nicht ermangelnd
fondern voll der urfprünglichen Gerechtigkeit, wie Eva, ja noch weit mehr,
erihaffen, gleichwie Chriſtus feiner menjhlihen Natur nach in der ganzen
j 28 *
436
Fülle der Gerechtigkeit (in noch weit höherem Grade ald Adam) erihaffen
wurde. Nur der ausderwählten Mutter Gotted war es gegeben, daß fie
vom Anfang ihres Seins an nicht unter der Knechtfchaft des böfen Fein
des irgend einen Fehler hatte (quod . . deficere nequivit), daß fie alio
bei der Erſchaffung ihrer vernünftigen Seele im Körper und bei dem Schei⸗
den derfelben aus dem Körper nie in der Gewalt des böfen Feindes war.
Bon der glorreihften Jungfrau allein findet man alfo nie, daß fie ber
Erbſünde unterworfen gewefen. Ihre erfchaffene Seele entbehrte in ihrem
dunkeln Körper aus Adam nie des Lichtes des Lebens, welches vielmehr
ohne Verzug auf das Neichlichfte bei ihrer Erfhaffung zugegen war
(creationi coafluit). Maria ift nicht ausgeftrihen aus dem Bude des
Todes, des Fürften des Todes, weil fie nie in dasfelbe eingeſchrieben
war, fie war vielmehr nad ewiger Borherbeftimmung fchon vor ihrer
Empfängniß ind Buch des Lebens eingefchrieben. (Exec. VII, 616.)
Unbefledte Empfängniß Maria's.
Jener Same durfte nicht auf dem Wege der Begierlichkeit des Flei⸗
ſechs aus der Potenz in Wirklichkeit geſetzt werden, wenn er anders gan
gereinigt (purgatissimum) fein ſollte. Denn die aus der Sünde entftan
dene Begierlichkeit inhärirt dem aus Begierlichkeit entftandenen Samen
dergeftalt, daß jener Same die Begierlichkeit in dem aus ihm Erzeugten
nicht ablegt.
Die Fruchtbarkeit in der Jungfräulichkeit ift die größte. Eine Frau
ift fruchtbarer, ald die andere. Jene aber, welche ohne einen Mann
aus ſich felbft Fruchtbarkeit entfalten kann, ift über Alle gepriefen.
Eva hieß die Mutter der Lebenden, gemäß ihrer Empfängniß aus
Adam. Maria heißt die Mutter der Erleuchteten und MWiedergeborenen
wegen ihrer Empfängniß aus dem heiligen Geifte. Eva hat uns geboren
als irdiſche Gefchöpfe diefer Welt, Maria als himmliſche. Wir Ale
werden geiſtig wiedergeboren durch den Geiſt und Marla, fo daß mir
Brüder und Miterben Jefu werden. Maria ift die Kirche.
Die glorreibe Jungfrau empfing durch den Glauben ihren Sohn.
Diefe Zeugung ift ähnlich der göttlichen Zeugung, wo die Fruchtbarkeit
des Vaters jo groß ift, daß die Fruchtbarkeit aus ſich ſelbſt zeuget. So
ift die Fruchtbarkeit in der Jungfrau, weil- fie Mutter und Jungfram,
Samen Abrahams ohne männlihen Samen.
Gleichwie Eva in Adam war, und aus dieſem ohne Samen bie
Mutter der Lebenden entftand, fo aus Marta Chriftus. Maria war
nämlich jene Mutter, die den Mann — Chriftus — umgab. Und wie
Eva die erfte, fo wird Maria die zweite Mutter der Lebenden genannt.
437.
Denn Maria erhielt ihren Namen von dem zweiten Adam, d. i. dem
Manne (vir = mar, mas, wovon masculum), den fie umgab, wie bie
erfte aus Adam virago hieß. Beachte hier Folgendes: Gin Waizenforn
wird mehrmals in die Erde ausgefäet, um in einem guten Erdreiche ſich
mehr und mehr zu veredeln, bis es zulegt die höchfte Veredlung erreicht hat.
Diefed Waizenforn ift der Same Abrahams, das befte Erdreich ift der
Leib der heiligen Jungfrau; durch die Kraft des heiligen Geiftes wird nun
dieſes Waizenbrod in den Leib Chriſti verwandelt, wie es durch den
Priefter am Altare verwandelt wird... ... Mie Ehriftus der zweite Adam,
fe it Maria die zweite Eva, die Mutter aller aus dem Glauben Lebenden,
deren Bater Ehriftus if. Wunderbar ift e8, daß der Sohn Bater,
Chriftus der Vater, Maria die Mutter ift, in welcher Chriſtus der
Bater ift, wie in Adam, dem Bater, die Mutter Eva var. Diefe Ge-
nerationen verhalten fih im umgekehrter Weile zu einander, wie Himmel
und Erde; die eine ift himmlifch, die andere irdiſch. (Exc. V, 480.)
Adams Ungehorfam, Chrifti Gehorfam.
Chriſtus ift der Töpfer, der aus einer ungehorfamen Seele ein Foft«
bares Gefäß macht, in dem das Manna, d. i. das Wort Gottes, das
nur eine gehorfame Seele aufnimmt, aufbewahrt wird. Ä
Der erite Menich fiel, weil er Menfh war und Gott fein wollte,
mit Bewußtſein vom Gehorfam ab und fuchte in dem Reizenden der
Frucht des Baumes die Nahrung für die Erfenntniß des Guten und
Vöſen, fand aber den Tod. Die Lüge wurde fein Bildungsprincip
(mendacium magisterium formandi accepit), der Menfch unterwarf fi
ihm und erhielt fo die Geftalt des Irrthums. Der von Hochmuth ans
gefüllte Thon wurde nun fpröde und unbildfam, hart wie falted Wade,
und fügte ſich nicht dem Siegel der Ewigkeit. Er fonnte nur durd ein
geifliges Feuer erweicht werden, aber in diefer Welt fand es fi nicht.
Da fam Ehriftus und erniedrigte ſich in Knechtögeftalt bis zur Leerheit
und zum Breifein von aller eitlen, nichtigen Form, wie der Thon ift,
wenn er geformt wird, um zu Allem gefügig zu fein. Denn der Thon
muß ganz formlos werden, um jedem Befehle des Töpfers gehorcen zu
innen. So wurde Chriftus; er entäußerte fih, fo daß in ihm weber
Geſtalt noch Reben blieb; durchs Kreuz oder den Baum des Todes ging
er in die Herrlichkeit ded Vaters. Adam fand durch die Frucht des
Baumes der Erkenntniß — Unwiffenheit und Tod, Chriſtus durch den
Baum des Todes das Leben. Gewiß ift durch Chriftus die menſchliche
Natur, der Thon aus Adam, das ftarre Wachs durch die Wärme des
himmlischen Feuers, welches die Liebe ift, aus der Starrheit aufgelöft
438
und dem Willen Gottes gefügig worden. Je fügfamer nun die Seele
für den verevelnden Eindrud des göttlichen Lebensprincips geworben iſt,
defto heller ftrahlt fie die Herrlichkeit Gottes zurüd, Denn es wird aus
ihr durch göttliche Kunft, entiprechend ihrer Fähigfeit, ein lebendiges Ge⸗
fäß, aus welchem zuvor alle irdiſchen Begierden entfernt find; fie wird
mit dem Thaue der Gnade angefüllt, fo daß fie fih durch bie Sonne
der Gerechtigkeit in die Höhe hebt, wie ein ausgehöhltes, mit Than an
gefüllte und durch Wachs verfchloffenes Ei durch die Sonne in die Höhe
gezogen wird.
Wir, die Bervohner diefer Welt, haben eine der Umbildung fähige
Seele, gleih ald wäre fie ein geiftiges Wachs, die fich ihren Begierden
oder von ihr felbft beliebten Formen gleich geftaltet. Da fie die göttlichen
Formen, die himmliſch und ewig dauernd find, nicht fennt, fo bilvet fie
fih nicht nach diefen, fondern nad) den zeitlichen, Die ihr nicht geben fün-
nen, was fie nicht haben. Wenn fie fih aber in Einfalt dem Töpfer
unterwirft, der die Herzen Aller gebildet und ihnen fein Siegel aufge
prüft hat, dann gewinnt fie durd das Wort Gottes eine himmlifche und
unfterblihe Geftalt, die nicht von diefer Welt ift, eine Geftalt, die fie,
ehe fie diefelbe erhalten, nicht gefannt hat und die Niemand Fennt, ehe
er fie empfängt, Nah dem Empfange derfelben erkennt fie, daß fie ſich
nah dem Worte Gottes, dem fie gehordt, geftalte. So lange die Seele
ſich nad dem geftaltet, was fie liebt, fo lange fie fih lebt und fomit
fi) mac ſich geftaltet, während fie doch aus fih Sein und Leben nidt
hat, fo lange liebt fie fih micht, indem fie fi lebt. Wenn fie aber
Gott liebt, von dem fie Sein und Leben hat, deſſen Ebenbilv fie if,
wenn fie fib nicht liebt, um jenen defto mehr zu lieben, dann liebt fie
fih. Keine Seele kann aber Gott lieben, in der nicht die Geftalt Ehrifli
ift, der allein und durch Wort und Beifpiel belehrt, wie wir Gott fichen
fönnen, nämlih in der Nahahmung der Geftalt Ehrifti. Wenn wir das
her in und wahrnehmen, was wir an Ehriftus wahrnehmen (id quod
in Christo credimus), den Gehorfam bis zum Tode, dann geftaltet fid
Ehriftus in und und wir gewinnen die Geftalt des Sohnes Gottes, durch
die wir zur Herrlichfeit ded Vaters gelangen. Wie empfinden wir Chri⸗
ſtus am Kreuze in und? Wer, wie Der, der am Pfahle des Kreuzes
hing, nicht das Gegenwärtige im Auge hat, nit an. feine Neigungen
benft, nicht von Sorgen und Aengften für den morgigen Tag gequält,
nicht von Begierden aufgeregt, von feinem Stolze, Neid und Haffe erfült
wird, ſondern glaubt, daß, jo lange er noch athmet, für ihn alle Ele
mente nur Mangelhaftes haben; wer, wie Chriftus, dorthin den Blid ſei⸗
ned Innern richtet, wohin zu gelangen er zuverfichtlich hofft, fiche! mer
fo mit dem gefreuzigten Chriftus geftimmt ift, der ift mit ihm gefreugigt;
439
frei nicht nur von Sünden, fondern felbft von den Elementen biefer Welt,
bat er feine Augen feit dahin gerichtet, wohin er jeden Augenblick zu
wandern hofft. Ein Solcher gehorcht vollfommen, das ift der vollendete
Gehorfam. (Exc. X, 660.)
Das Berdienft Chrifti dur feinen Tod.
Ehriftus wußte Alles (fein ganzes Leiden) voraus, damit fo fein
Leiden und Tod ein vollfommener (consummata) würde, der alle Bitter
keit des Todes in höchfter Intenfität in fih faßte, wodurch folgerichtig
auch fein Verdienſt ein vollfommenes, für Alle genugthuendes werben follte.
Denn die Bergeltung für die Bitterfeit des Todes ift das Leben. Wenn
der flar voraudgefehene bittere Tod alle Strafe aller Sterbenden in fi
faßt, fo warb aud die Belohnung Allen zu Theil, denen das Werbienft
gewendet wird. Beachte das Mpyfterium, daß defhalb der Erlöfer noth—
wendig Gott und Menſch fein mußte: Gott, damit von dem furchtbaren
Todesleiden nichts ihm verborgen bliebe; Menfch, damit er fterben konnte.
So ift der Tod Chriſti das hinreichende Verdienſt des Lebens für Alle,
die durch ihren ) Tod das ewige Leben von Gott verdienen fönnen. (Et
sic mors Christi esset sufficiens meritum vitae omnibus, qui per mortem
suam vitam aeternam a Deo mereri possent.) Die Frage, ob Gott
den Menschen auf einem andern Wege erlöfen fonnte, kann in folgender
Weiſe gelöst werden. Das ewige Leben, das durch Verdienſt in Befig
genommen werben muß, damit nichts zur vollen Glüdfeligfeit fehle, da
derjenige Befig angenehmer ift, der in Folge von Verdienſt wie eine
ſchuldige Gebühr erworben wird, fonnte nicht anders, ald ed Gott an—
geordnet hatte, erworben werden. Indem er nun anoronete, daß Ehriftus
fterben folle, fo mußte diefer fterben und fo in feine Herrlichkeit eingehen,
wie er jeine Schüler vor feinem Tode und am Tage der Auferftehung auf
dem Wege nad Emmaus belehrt hatte. Denn fo wurde er unfere Rechts
fertigung (nostra justificatio), fo daß die Gemeinſchaft (communicatio)
feines Verdienſtes durch feine Gnade unfere Gerechtigkeit geworden iſt.
Nun können wir zu Gott unferem Vater fagen, er möge uns das Reich
des Lebens geben, das durch das Verbienft unfers Chriftus und als unfer
Eigenthum gebührt (per meritum Christi nostri nobis debitum tanquam
nostrum). Das halte ich für das höchfte Myfterium des Kreuzes, denn
Ih glaube, daß Ehriftus das Reich durch fein Verdienft befige. Und Die:
jenigen, denen er fein Verdienſt aus Gnade mittheilt (communicat),
1) Das „suam“, wie ed grammatifch geboten ift, auf qui bezogen, würde auds
trüden, was Nicolaus von Gufa an mehreren Stellen hervorhebt, daß Diejenigen, welche am
Verdienfte Antheil Haben wollen, gleichfalls ſich ſelbſt ertöbten müſſen. (Exc. IX, ©. 655.)
440.
befigen es in gleicher Weiſe durch die Gnade der Mittheilung (ex gratia
communionis) und durch das Verdienſt des Leidens Chriſti. Im jedem
Erlösten concurrirt daher Gnade und Gerechtigkeit (concurrit gratia cum
justitia), wie wenn der Papft ein beneficium verleiht, fo thut er dies
aus der Fülle der Gnade; denn er fann es verleihen oder nidt. Wem
er es aber verleiht, der befigt es Eraft eines rechtlichen Titeld (justo titulo).
Beachte hiebei noch: nur Chrifti Tod fonnte das ewige Reben verdienen,
weil der vollfommenfte Tod ( consummata mors) das unfterblihe Reben ver:
dient. Alle andern Martyrer verdienen dur ihren Tod nicht das ewige
Leben, weil jeder andere Tod hinter dem größten (volllommenen), der
allein das größte, d. i. ewige Leben verdient, in unendlichem Abs
ftande zurückbleibt. Wohl aber beweist der Tod der Martyrer, daß fie
Chriſtus ähnlich (christiformes) find, ſich im Stande der Gott wohl-
gefällig macenden Gnade befinden und deßhalb, durd das Verdlenſt des
Todes Ehrifti, das aus Gnade ihnen mitgetheilt ward, gerechtfertigt und
geheiligt find. — Noch könnte man fragen: wenn der Tod Ehrifti Alles vers
berrlicht, wie beweist er, daß Jeſus, der Menfchenfohn, Sohn Gottes fei?
Ich fage, wie mich ein gefeierter älterer Erflärdr der Briefe des Paulus
— jeined Namens fann ich mich bis jegt nicht erinnern — belehrt: der
Tod Chrifti zeigt, daß er Sohn Gottes ift, weil er für feine Feinde ge
ftorben ift, fo wie, um in und mit dem Zeugniffe feines Blutes die Worte
des Lebens zu befräftigen. Da Gott die abfolute Güte ift, fo wird Der
jenige, der fo gut ift, daß er fogar für das Heil feiner Feinde ftirbt, da
ed eine größere Güte nicht geben kann, mit Recht der Sohn der Güte,
welche Gott felbft ift, genannt. Chriftus felbft fagt: „eine größere Liebe
kann Niemand haben, ald wer fein Leben für feine Feinde hingibt.“ Diele
abfolute größte Güte ift alfo göttlih. So beweifen die aus der größten
Liebe hervorgehenden Werke, daß der Geift Chrifti göttlich if. Daber
vergilt ein chriftliher Geift, da er der Geiſt Chriſti ift, nicht Böſes mit
Böfem, fondern Böfes mit Gutem, Haß mit Liebe. Mit Recht tadelte
Ehriftus feine Jünger, die mit Feuer vom Himmel herab eine Unbild
rächen wollten, mit den Worten: „Ihr wiſſet nicht, weß Geiftes ihr ſeid.“
Begreife demnach, daß der Tod Ehrifti für feine Feinde ein Beweis dar
für ift, er fei der Sohn Gottes. (Exc. IX, 647.)
Nechtfertigung.
Jeder Sünder ift ein Knecht der Eünde. Der Knecht aber fann
ſich nicht felbft aus der Knechtichaft befreien. Wenn die Werfe des Gr
feges und feine Handlungen ihn rechtfertigten, fo könnte er fich ſelbſt redt-
fertigen. Das ift aber unmöglih, ja ein Wiverfprud. Denn mie ed
441.
ein Widerſpruch ift, daß Jemand ſich felbft erfhaffen kann — er wäre ja,
bevor er wäre —, fo ift ed auch bei der Rechtfertigung. Wer fi ſelbſt
rechtfertigen Fönnte, wäre gerecht, bevor er gerecht iſt. Daß daher ber
Ungerechte gerecht wird, fann nicht durch die Gerechtigkeit des Ungerech⸗
ten oder Die gerechten Werke des Ungerechten, fondern nur durch die Ges
rehtigfeit des Gerechten erfolgen, der nur durch die Gnade gerecht madıt,
wen er will. Es gibt aber mur Eine und nur eines Einzigen Gere»
tigkeit. - Dies ift die Gerechtigkeit des Einen Mittler, der nothwendig
Gott und Menih if. Diefer will nur das Gerechte. Weil er durch
Gnade rechtfertigen will und was er will, dad Gerechte ift, fo ift es ge
recht, daß Der wirklich gerechtfertigt werde, den er rechtfertigen will. Das
mit diefer fein Wille die rechtfertigende Gerechtigfeit fei, wurde er jelbft
unfere Gererhtigkeit, indem er fich felbft hingab. So brachte er auf ewig
unfere Heiligung zu Stande. Gott jegte ihn zum gnaͤdigen Vermittler
(propitistorem) durh den Glauben in deffen Blute, zur Offenbarung
keiner Gerechtigkeit. Die Gnade, durch die wir gerettet werben, ift Ge⸗
rehtigkeit. Alles alfo, was durch Mofes auf göttlichen Befehl in Bezug
auf Rechtfertigung gejchrieben und angeordnet wurde, follte uns anbeuten,
daß durch Tod und Beiprengung mit Blut, d. i. durch Gemeinſchaft des
Todes die Rechtfertigung und Heiligung, die der Seele das Leben geben,
zu geſchehen habe. ...
Die volllommene Blutbefprengung erfolgte durch den Hohepriefter,
der allein Einmal im Jahre in das Allerheiligfte eintrat. Dadurch wurde
angedeutet, daß die Alles vollendende (consummatrix) Salbung und Hin-
gabe, die in der Vergießung des Blutes ihr Höchfted erreicht, nur durch
den ſchlechthin größten KHohepriefter erfolgen fünne. Der Umlauf eines
Sonnenjahrs verhält fih zur immenwährenden Dauer, wie der zeitliche
Hohepriefter zum oberften Hohepriefter.
Ale zeitlichen Hoheprieſter affittiren Gott nicht innerhalb des Vor⸗
hangs, wo das Allerheiligfte ift, fondern gehen jährlich einmal ein und
aus. Unſer Hohepriefter aber affiftirt Gott im himmlischen Allerheiligften
ehne Unterlaß, und fleht immer für und, weil er unfer Hohepriefter ift.
Wie das Licht in der Sonne immer der Klarheit affiftiirt und nie von
ihr weicht, fo affiitirt Ehriftus, die Sonne der Gerechtigkeit, immer ber
Klarheit des ewigen Vaters.
Die Sonnenjahre gehen dahin und mit ihnen die Hohepriefter. Die
Sonne aber, aus deren Fülle Alle Licht und Leben fchöpfen, bleibt ewig.
Er ift der wahre Hobepriefter, weil er alle hohepriefterlichen Berrichtungen
in höchfter Vollkommenheit zumal ausgeübt hat. Er fpricht von der Schuld
frei und erläßt fie, ohne Genugthuung (sine satisfactione). Er gießt
die Gnade ein, ohne äußeres Vehikel (sine instrumentis); er erlangt Ver:
442
zeihung, ohne ein Hinderniß. Kein anderer Hohepriefter kann die Schuld
nacdlaffen. Der Papſt fann die Erbfünde nicht ohne die Taufe, eine
Todfünde nicht ohne dad Sacrament der Buße nadlaffen; denn die Kunft
vermag nichts, ohne Beihülfe der Natur. Die Natur felbft aber vermag
nichts ohne die Hülfe (adjutorio) Gottes, der die Materie erfchaffen und
ihr ihre Wirkfamfeit gegeben hat. So vermag denn der Papft nichts
ohne die Sacramente, die Sacramente nichts ohne Gott. Gott aber kann
Alles ohne alles Andere... .
Paulus fagt, ein anderer fei der äußere, ein anderer der innere Menit,
ein anderer der alte, ein anderer der neue Menfh. Der äußere Menſch
ift fihtbar, der innere unſichtbar. Der alte Menich ift zweifach, ver alte
ift feelifch, der neue geiftig, der alte ift nach dem alten Adam, der nei
nah dem neuen Adam — Ehriftus. Paulus nimmt eine dreifache Be
wegung der vernünftigen Seele an: das Leben der Natur, des geſchrie—
benen Geſetzes und der Gnade. Einige find nämlich der Natur nad
fi ſelbſt Beleg: die Natur treibt und bewegt fie, daß fie erfahren, wo
das Leben ihrer Seele zu finden if. Andere werden durch das Gebet
des Gefeges, andere durd das Gebot des Wortes Gottes dahin gebradt.
Genau genommen kann alle Lebensbewegung der vernünftigen Seele mır
aus dem Worte Gottes fommen. Denn die Seele hört entweder, mie
Gott in ihr redet und diefes Reden ift das Gewiſſen, das billigt ober
tadelt. So ſpricht Gott zu ihr mittelft der Vernunft. Eine andere Sprache
fpriht das Wort Gottes durch menfchliche Worte, wie durch den Geſeh—
geber Mofes und die Propheten. Wieder eine andere ſpricht Gott durd
Das eigene Wort, durch das menſchgewordene Wort. Das erfte Wort
ift in die Natur eingefchrieben, das zweite ift in Gefep und Propheten,
das dritte im Evangelium enthalten. Das erfte ift wie der Sim, das
zweite der Verftand, das dritte der Geiſt. Das erfte Wort, wenn es
auch Gutes zu und redet, macht doch nicht felig (non salvat). Das
Heil Liegt nicht in der Natur, fondern übertrifft fie. In feines Menſchen
Sinn ift es je gelommen, was den Menfchen glüdfelig macht. Das Auge
fieht es nicht, das Ohr hört es nicht, was glüdjelig macht. Das zweite
bringt gleichfalls nicht die Seligfeit; denn die Werfe des Geſetzes redt-
fertigen nicht. Wer außerhalb der Gerechtigkeit ſteht, kann fich micht felbf
rechtfertigen. Könnte er durch Werke gerechtfertigt werden, fo fönnte er
fih felbft rechtfertigen. Nur das dritte rechtfertigt, denn die Gnade Gottes
wirft hier ein (influit), mittelft deren der Menfch Über feine Natur hinaus
glaubt und hofft; und weil Gott getreu ift, wird er das Ziel erreicen.
Das erfte und zweite Wort dienen dem dritten, wie der Stun dem Ber
ftande, dieſer der Vernunft.
Der im innern Menfchen gepflanzte Baum des Lebens kann aus ih
443
bie Lebensfrucht nicht hervorbringen, wenn er nicht bie Einwirkung ber
Sonne der Gerechtigkeit, der ewigen Weisheit, in fih aufnimmt.
(Exc, VI, 515. 516.)
Die Redtfertigung ein Werl Gottes.
Der Schöpfer ift auch der Nechtfertiger. Denn gleihwie die Ers
bebung des Nichts zum ein ein Werf der Allmacht ift, fo ift auch die
Berfegung des Eünderd in den Zuftand der Rechtfertigung das Wert
feiner geringern Kraft. Denn nur die unendliche Güte fann dies bewir-
fen, da feine befchränfte Kraft es vermag. Denn wie will ein Todter
fich felbft in’8 Leben erweden, wenn die Kraft des Lebens in ihm fehlt?
So fann auch die Gottlofigfeit Cimpietas) fi nicht felbft zur Gerechtig—
fit erheben, da in dem Gottlofen die Gerechtigkeit ganz erlofchen ift. “Dies
wird allo das Werk Desjelben fein, der aud das Etwas aus dem Nichts
und aus dem Tode in’d Leben bringt. (Exc. III, 426.)
Die Höllenfahrt Chrifti.
Die Anſchauung (visio) ded Todes im Wege der unmittelbaren Er-
fahrung (via cognoscentiae) ift die vollfommenfte Strafe. Da nun der
Tod Chrifti ein vollfommener war, weil er durd eigene Erfahrung den
Tod jah, den zu dulden er frei gewählt hatte, fo ftieg die Seele Ehrifti
in die Unterwelt (ad inferna) hinab, wo die Anfhauung des Todes ift,
Denn der Tod wird Unterwelt (infernus) genannt und ift aus der unteren
Unterwelt losſsgelaſſen (liberata est ex inferno inferiori). Die untere
oder tiefere Unterwelt ift da, wo man den Tod anſchaut. Als Gott
Ehriftus auferweckte, entriß er ihn, wie wir im der Apoftelgefchichte lefen,
aus der untern Unterwelt, nachdem er ihn von den Qualen der Unterwelt
befreit (solutis doloribus inferni), weßhalb der Prophet fagt: „Er ließ
meine Seele nicht in der Unterwelt.” Das Leiden Ehrifti, das größte,
das fich denfen läßt, war wie das der Verdammten, die nicht noch mehr
verdammt werden fönnen, d. i. bis zur Strafe der Hölle (usque ad poe-
nam infernalen). Im Ramen Ehrifti jagt der Prophet: „Die Qualen
der Hölle haben mich umgeben, du haft aber meine Seele aus der
Hölle herausgeführt.* Er ift es allein, der durd einen folchen Tod in
ine Herrlichkeit einging. Die Strafe an den Sinnen (poenam sensus)
wollte er ähnlich den Verdammten in der Hölle dulden zur Verherrfihung
leines Vaters, um zu zeigen, man müſſe ihm bis zur Äußerften Qual
(usque ad extremum supplicium) gehorden. Das heißt Gott auf jede
mögliche Weife und zu unferer Rechtfertigung preifen und verherrlichen,
444
wie Chriftus gethan hat. Wir Sünder haben in ihm die mit Redt
verdienten Höllenftrafen bezahlt (exsolvimus), jo daß wir zur Auferftehung
des Rebend gelangen. Die aber Ehrifto nicht angehören, bleiben im Tode,
weil fie nicht mit Chriftus auferftehen und werden den ewigen Tod fehen.
Und dieſes Sehen des Todes ift der zweite Tod. Das Anfchauen be
Todes in alle Ewigfeit ift nichts Anderes, ald das Sein im Tode auf
dem Wege der eigenen Erfahrung, von welchem man nie befreit wir.
Die Wahrheit befreit und von folbem Tode. Daher ift dad Anſchauen
der Wahrheit das Sein im unverlierbaren und unfterblichen Leben. Daber
ſagt Ehriftus, in der Erfenntniß Gottes und feiner, der fih die Wahr
heit nennt, beftehe dad ewige Leben. (Exc. X, 659.)
Prüdeftination.
Chriſtus, vom Vater gefendet, wußte, welchen der Vater e8 gegeben
hat, zu glauben. Hierin liegt eine tiefe Auffaffung der Prädeſtination.
Da aber das Gehen mit dem Kommen coincidirt, fo daß ed Jenem vom
Vater gegeben ift, der durch Glauben zum Sohne fommt, fo fann Niemand
zweifeln, daß es ihm gegeben fei. Indeſſen wird Jeder, ſoviel an ihm
ift, das Kommen befchleunigen '), denn das Glauben ift Niemand unmög—
ih. Das Geben des Vaters fehlt alfo Keinem, der fib ihm nahet,
wie dad euer die Natur hat, warm zu machen, und fein Geben (donum)
darin befteht, alles Kalte zu erwärmen, fo daß nichts warm wird, außer
durd feine Gabe. Was fih daher dem Feuer nahet, erlangt dieſe Gabe
der Erwärmung; nichts geht derjelben verluftig, außer Demjenigen, das
fih nit nahe. Daher ermahnt und die Schrift, uns Gott zu nahen,
damit wir erleuchtet werden. „Kommet, heißt es, zu mir Alle, die ibr
nach mir Verlangen habt und ihr werdet von mir erfüllt werden.“ Jenet
nun, der weiß, was im Menfchen ift, dem das Leben des Menfchen bis
zu defien Ende gegenwärtig if, weiß aud, ob der Einzelne ſich nahe oder
nicht, fo daß er in Folge hiervon fieht, ob die Gabe Gottes gegeben ill,
oder nicht. Er hat von Anfang an, in Einem Momente, der alle Zeil
und die ganze Lebensdauer des Menichen in fih faßt, gewußt, ob und
wer glaube. Das Leben des Menfchen verlauft nicht gemäß dieſem
Wiffen, als gehe dieſes Wiffen, welches unfehlbar ift, dem Lebenslauf
vorher. Das Wiffen folgt auch nicht dem Lebenslaufe erft nad, ald ent
ftünde ed erft nach und nad aus dem Lebenslaufe, fondern ohne Vorher und
Nachher verläuft das Wiffen zugleich mit dem Lebenslaufs,
4) Statt accelerarit im Terte bürfte wohl dem Zufammenhange angemeffen fein:
accelerabit, scil. quisque.
445
obwohl der Lebenslauf gemäß ber Einrichtung diefer Welt in einer bes
ftimmten Zeit fih bewegt, während jenes Wiffen als über diefe Welt
erhaben, aud über alter Zeit ift... In Wahrheit fonnte daher Ehriftus
zu feinen Apofteln jagen: „Gleichwie ihr Zwölfe deßwegen, weil ich eud)
auserwählt habe, nicht alle fo jeid, wie ich ed von euch wünſchte, da Eis
ner von euch ein Teufel (diabolus) ift, jo daß meine Wahl ed euch nicht
benommen hat, nad eurem freien Willen anders zu handeln, als fo, wozu
ih euch erwählt habe, fo darf auf der andern Seite Niemand glauben, er
fönne nicht zu mir fommen, wegen meines Vorherwiflens. Denn wie die
Wahl den freien Willen nicht aufhebt, fo aud nicht mein Vorherwiſſen,
obwohl es wahr if, daß ohne die Gabe des Vaters Niemand zu mir
fommen fann. (Exc. IV, 450.)
Der HL. Geift — das Feuer der Liebe.
Das Feuer, aus welchem die göttliche Blamme hervorfommt, ift der
Geift, der auch die Liebe genannt wird. Und wie das Feuer in einer
unverzehrbaren Materie nicht aufhört, zu erwärmen, jo hört aud der
bl. Geift nie auf, lebendige Freude, die Alamme der Liebe in der ver:
nünftigen Seele zu entzünden, wenn diefe der Vereinigung mit ihm fähig
und ungerftörlid ift. Der Apoftel nennt das Herz die Seele feldft, wenn
er fagt: „Die Liebe Gottes ift in unfere Herzen audgegoffen durd den
bl. Geift, der und gegeben ift.“ Das Herz wird hier genannt, weil e6
das Gentrum ded Lebens if. So heißt der heilige Geift die Liebe, ob»
wohl die Liebe vom bi. Geifte ftammt und in den Mittelpunkt unferes
Lebens ausftrömt, wie dad Herz Seele genannt wird, obfhon von der
Seele die Spendung des Herzlebens (vitae cordialis) ausgeht. Was
die Einheit der Geifter bewirft und erhält, ift die Liebe. Der Geiſt
Jeſu alfo ift es, in welchem vie Gläubigen Eines find, der Geift Gottes,
die Liebe. Wie im menschlichen Leibe verſchiedene Glieder find, die für
fh fein Leben oder Beftehen haben, fondern nur in Einheit mit dem den
Körper belebenden Geifte leben, jedes in feiner Sphäre; fo find im gei—
Rigen Körper Augen, Ohren, Sprache ıc. auf geiftige Welle, wie gewiſſe
Kräfte oder Potenzen des Geiſtes Jeſu, geordnet zur Einheit im Geifte,
aus welchem alle Kräfte ftrömen. Daher find alle Gläubigen verbunden,
daß fie mittelft der Kirche oder des myftifchen Körpers Ehrifti vom
Beifte des Lebens Jeſu Leben erlangen. (Exc. VII, 586.)
Die Gaben des hl. Geiftes.
Zweifach ift Gott in der Ereatur: dur feine Wefenheit, Gegenwart
und Macht, und in diefem Sinne ift er überall; oder auf dem Gnaden—
446
wege (gratuite) und geiftig, durch Verleihung der Gaben der Gnade, und
in diefem Sinne ift er bier (sie est hic; ohne Zweifel von der Eenbung
des hi. Geiſtes zu verftehen). Denn er kommt ‚mit einem Gefchenfe.
Die Liebe Gottes, heißt ed, ift audgegoffen in unfere Herzen durch den
hf. Geift, der und gegeben ift. Durch die umfonft verliehene Gnade
(per gratiam gratis datam) wird Niemand felig, wohl aber durd bie
wohlgefällig macdende Gnade (per gratiam gratum facientem), nämlid
die Liebe, weil wir ohne den bi. Geift nicht felig werden. „Wen
ich die Liebe nicht habe, fo bin ich nichts.” Diele Liebe verbindet die
Seele dur füße Zumeigung mit Gott und wird die genußreice (fruc-
tivus amor) Liebe genannt. GSiegebietet über alle Kräfte der Seele und
des Körpers, daß fie dem Geliebten überall und allezeit dienen. Sie
heißt auch Die Liebe der göttlichen Begierlichfeit (amor divinae concupis-
centiae), weil fie Gott zu dienen begehrt und ift als folde die werk
thätige, praftifhe Liebe. ine andere Stufe derfelben iſt bie, in
welcher fie die Seele antreibt, daß der Geliebte vor Allen gelicht, gelodt
und gepriefen werde. Daraus fließt. die Liebe zum Nächten... Der
hl. Geiſt fommt zur Heiligung, weil er heilig it. Die Sendung de
hl. Geiſtes ift das Hervorgehen der Liebe aus dem Vater und Sohn
auf das Gefchöpf zur Heiligung des Gefchöpfes. Nur die vernünftige
Natur ift diefer Heiligung fähig, weil fie allein Gott durch Vernunft
und Wilen faflen kann. Die Heiligung ift nicht® Anderes, als die
Gott wohlgefällig machende Gnade oder die Liebe, die der hl. Geift durd
fein Kommen und eingießt. Sie entfteht zuerft durch Nachdenfen über
die Sünden, durch Furdt vor dem ftrengen Gerichte und der Straft,
und iſt als folche noch knechtiſche Furcht und der Anfang der Weisheit.
Dann folgt das Erwägen der vom Schöpfer erhaltenen Gutthaten und
das Erröthen darüber, ihn beleidigt zu haben, und nun madt ber
hl. Geift ven Anfang mit feinem Eingehen in den Geift des Menſchen.
Erwägt alsdann der Menfh nicht feine Berfon, nicht die Strafe,
fondern die Ehre Gottes, dann wird die Liebe die eined Kindes Gottes
(Alialis) und died ift die erfte Gabe (donum primum)! Der Stun
des Menfchen wird jeht religiös (pia) und auf eine edle Weiſe wohl
gefinnt Cliberaliter benevola); er beftrebt fih, Gott Alles, mas er
ihm gegeben, zu vergelten, und den Nächſten um Gottes willen zu lieben
und ihm alles Diitgefühl zu fchenten. Dies iſt die zweite Gabe
Weil aber hiezu Unterfheidung nothwendig ift, fommt die Gabe ber
Wiffenfhaft (scientiae) hinzu, die übernatürlibe Unterſcheidung in
dem, was zu thun iftz weil das MWiderftreben der Verſuchungen niet
fehlt, folgt die Gabe der Stärke; danıı die Gabe des Rathes, um
eifrig zu vollziehen, was der Geift befchloffen hat. Dies find bie Gaben
447
für das active Leben. Nun folgt die Gabe des Berftandes (in-
tellectus) für dad contemplative Leben, durch welde wir die wuns-
derbare Macht Gottes, feine wunderbaren Werfe und fein Gefeg erfen-
nen. Dann die Gabe der Weisheit, um zu verfoften, wie lieblich der
Herr if,
Mit einigen Gaben des hi. Geiftes wird die Gott wohlgefällig
madende Gnade nicht verliehen, wie die knechtiſche Furcht und der lebloſe
(informis) Glaube. Mit andern wird fie nicht immer verliehen, wie die
Gabe der Spracen, der Wunder, der Weifjagung. In andern wird fie
immer verliehen, ja fie find die wahre Heiligung des Geſchöpfes, fo die
Liebe, welde den Menfhen Gott angenehm macht, und das iſt eben
Heligmaben. Durd die Eingießung der Liebe wird daher der hi. Geift
verliehen, denn fie ift die Tugend aller Tugenden, deren belebendes Priucip,
das ihnen den Werth des Verdienſtes gibt. Nur die Xiebe fcheidet
zwiſchen Kindern Gottes und des Ververbend. Ein aus häufigen Hands
lungen erworbener Seelenzuftand vermag die Liebe nicht zu erfegen, denn
menfhlihe Uebung vermag mit al ihrer Anftrengung den Menſchen nicht
ju jeinem höchſten Ziele zu führen; nur die Liebe treibt im übernatürlicher
Weife den Geiſt fowohl hienieden, als in feinem Baterlande. Eie ift ein
von Bott durb den bl. Geift eingegofjener habitus, und unter den
erſchaffenen Gaben die vortrefflihfte, ja gewiffermaßen ein Theilnehmen
an der ungeichaffenen Gabe, dem hi. Geifte ſelbſt, von dem fie un—
mittelbar. in den Geift und zwar zunähft in den Willen ausftrömt; fie
belebt alle Kräfte der Seele und gibt ihnen die Richtung zu Gott. Wie
ver bi. Geift das unauflöslihe Band ift, in weldem der Vater und der
Sohn fih und uns lieben, fo ift die Liebe das Band, dur das wir in
järtliher Zuneigung mit Gott verbunden und mit dem Nächten in Gott
gleihfam verfittet werden (das heißt: Gott bleibt in und und wir in
Got), nicht wie das fittlihe Verhältniß der Freundſchaft,
das um des fittlih Guten, Angenehmen und Nüglichen willen zum Zwecke
des bürgerlihen Zufammenlebens die Menjchen verbindet, fondern jene
it die höchſte Liebe im feligen Zuſammenleben mit Gott.
Die Liebe hat ihre Ordnung. Zuerſt erhebt fie. fih über ſich in
Gott um feiner felbft willen. Wer Gott nur befennt, wenn er ihm eine
Wohlthat erweist, liebt mehr fih als Gott und fteht außerhalb der Liebe.
Zweitens bewegt fie fih im ſich, indem fie ſich als einen Genoffen der
Glorie Gottes liebt. Drittens bewegt fie fi auf das, was neben ihr
il, — den Nächſten ald den Genoſſen der Seligkeit. Wer den Nächften
niht wegen Gott, fondern wegen feiner ſelbſt liebt, fteht nicht in der
Liebe. Viertens bewegt fie fi auf das, was unter ihr (infra se) ift,
auf den eigenen Leib, um ihn zu nähren, zu leiten, zu Fafteien, auf daß
448
er ein Genoſſe der Glüdfeligkeit werde. Keine Liebe ift es, das eigene
Fleiſch in finnlicher Luft zu lieben.
Da die Liebe das Leben der Seele ift, fo ift jede Sünde, die gegen
die Liebe ift, Todfünde. Die Beratung bewirkt die Todfünde, weil fie
der Liebe widerftreitet. Im weitern Sinne ift daher jede Sünde eine
Sünde wider den hi. Geift....
Wie müflen wir und vorbereiten, damit uns der hl. Geift zu
Theil werde?
Da der bi. Geift eine Kraft Gottes ift, fo wird er nur einem Geiſie
zu Theil werden, der mit Tugend ausgerüſtet iftz; denn die Tugend wer
trägt ſich nicht mit einem bloßen Scheinleben oder einem fündhaften Leben.
Ein guter Geift muß feine Richtung nah dem Einen, Wahren und Guten
haben. Er muß fih nah dem Ginen hin bewegen, der das Sein jelbh
ift, d. i. nad dem Bater, nah dem Wahren, das ift der Sohn, nad
dem Guten, das ift der bi. Geiſt. In einem Solchen kann der Vater,
der Sohn und der hi. Geift wohnen. Wer Gott Allem, was in de
Melt, die in vielfaher Trennung begriffen ift und im Argen liegt, vor
zieht, der hat die Richtung zum Vater. Wer die Wahrheit Allem vor
zieht, der nimmt aus dem Truge und der Täufchung diefer Welt die
Richtung zu dem Sohne Wer das Gute in feiner Reinheit ausermählt,
verläßt allen Schein des Guten in diefer Welt und nimmt die Richtung
zu dem bi. Geiſte. Wer feinem Geifte durch foldhe Bewegung eine feſte
Richtung gibt, flößt Ihm einen heiligen Eifer ein. Der ganze Menit
wird diefen Eifer haben, wenn der Geift feine finnlihe Bervegung außer
halb diefem Wege auffommen läßt, fondern den Körper durch Zügel und
Eporen bändiget. Ein Solder ſchmückt fein Haus mit Klugheit, Stark
muth, Gerechtigkeit, Selbftbeherrichung, fo daß in ihm die theologiſchen
Tugenden wohnen fönnen: Glaube, Hoffnung und Liebe. Sodann muß
er beachten, daß die Worte Ehrifti Geift und Leben find. Er muß an
ihnen fefthalten, über fie nachdenken und erwägen, daß, wenn bie finn
liche Gegenwart nicht an ihm vorüberzieht, er micht im Geiſte leben fann;
er muß beten, bitten und anflopfen; wer anflopft, dem wird von der
Güte, Die in's Berborgene ficht, geöffnet werden. Das Haus werk
forgfältig vorbereitet, gereinigt von Sünden der Unreinigfeit, denn der
Geiſt ift nicht ein Schwein; das Thierifche werde abgelegt, denn di
thierifche Menſch vernimmt nicht, was des Geiftes ift. So wenig Wafır
und Feuer fi) vertragen, fo wenig fleifchliche und geiftige Genüfle Nas
der Reinigung muß das Haus mit verfchiedenen Gemälden heiliger Br
trachtungen geziert werden. Durch inftändiges Gebet muß der Bi. Geiſt
eingeladen werden; denn er iſt nicht wie ein Poſſenreißer, der uneinge
laden zur Hochzeit geht, Die Apoftel beteten für ſich und für Anden.
449
Der Einladung folgt er ſchnell. „Ih bat, fagt der Weife, und es
wurde mir der rechte Sinn gegeben. Ich rief zu Gott, und es fam zu
mir der Geiſt der Weisheit." Zur rechten Zeit müfjen wir ihn anrufen,
nicht erft in den legten Tagen unfered Lebens.
(Exc. II, 420. 423.)
Die Kirhe ald Organismus,
Jede Vielheit fchließt fib in harmoniſcher Ordnung zu einer Ein-
heit zufammen. So find viele Stimmen zu Giner Harmonte, viele Glieder
ju Einem Leibe verbunden. Der Geift, der das innere Band iſt, einet
die Glieder, daß fie geeint einen Leib darftellen; die Glieder find noth-
wendig verſchieden, damit fie mittelft der PBroportion, in welder die Vers
Ibiedenen zu einander ftehen, harmonisch geeint werden können. Der bes
lebende Geift einigt den ganzen lebensfähigen Leib mach feiner innern
Seite und mittelft ded Ganzen alle Theile und Glieder. Aus dem Gans
jen empfängt jedes Glied die Ordnung feined Lebens. Und wie jedes
aus dem Ganzen empfängt, fo hat ed auch wicder eine Beziehung zum
Ganzen. Das Auge empfängt von der Seele mittelft ded Körperd das
Reben, das im Sehen befteht, und erfreut fich diefed Lebens. Diejes
Echen betrifft num aber nicht bloß das Auge, jondern den ganzen Men:
iben, darum flieht das Auge nicht bloß für ſich, fondern auch für Hände
und Füße Weil alle Glieder zur Herftellung der Harmonie, welche
Menih heißt, geordnet find, fo ift jedes Glied zufrieden mit feinem Orte,
Duantität, Dualität und Ihätigfeit, weil ed nicht überflüffig, fondern zur
Herftellung der Harmonie, weldhe Menfch heißt, geeignet iſt.
So ift es auch mit der Kirche, dem myſtiſchen Leibe Ehrifti, in wel—
ber der Geift Ehrifti, d. i. die heiligende Liebe weht, deren Subject die
vernünftige Seele ift. Diefe belebt den Körper, während fie jelbit vom
Geiſte Ehrifti belebt wird; der Geift ift das Wort des Lebens, bie
vernünftige Seele ift dad Prieftertbum, der Leib das gläubige
Volk. Die Seele empfängt aus dem Worte Zefu den Geift des Lebend.
Das Wort ift unter dem Buchſtaben ded ewigen Evangeliums verborgen,
erquickt die Seele und theilt fih dem Leibe mit. Die Eine Seele tft im
Priefterthum, im den verſchiedenen Gliedern desfelben verihieden. Da
Alles, was von Gott kommt, wohlgeorbnet ift, fo ift Petrus der
Lehrmeiſter (magister), dem der Vater das ganze Geheimniß des
Glaubens gesffenbart hat; er muß daher die Brüder ftärfen und nimmt
den Stuhl ein, an den die Wahrheit gefmüpft ift (cui veritas alligata
est). Die Biſchöfe nehmen die Stelle der Apoftel, die Pfarrer (plebani)
Sharpff, Nic. v. Cuſa. 29
450
die Stelle der Jünger (discipulorum) ein. So geftaltet fi Alles zur
Ordnung und Einheit in der Kirche... Die Kirche empfüngt dad Wort
des Lebens aus der Echrift, weil ihre Ausſprüche (eloquia) ihr anvers
traut find, und dad Wort des Lebens will, daß wir erforjchen follen,
was von ihm herrührt. Der Geift ift alfo die göttliche Schriſt, in wel-
cher der Geift des Lebens unter dem todten Buchitaben verborgen if,
wie die Lehre vom PBaradiefe, vom Ader des Herm, vom Weinberge
und wahren Weinſtocke, vom Brunnen lebendigen Waſſers, das vom
Libanon herabfließt, von den lebenden Thieren, den Sternen ded Himmels
und den Früchten der Erde und von Allem, was und vom Einnlicen
auf das umfichtbare Leben hinweist. Der Hirt führt durd die Thüre,
d. i. Chriſtus, die Seelen zur Waide; beim Eins und Ausgehen finden
fie Waide. Beim Eintritte in die Welt findet der Menſch Waide, indem
er im activen Leben Ehriftus nachfolgt und beim Austritte aus der Welt,
indem er Ghriftus auf dem Wege der Eontemplation nadfolgt. Alles
das iſt von Gott zu umferer Heiligung angeordnet; denn das ift der
Mille Gotted, unfere Heiligung zum dereinftigen Anſchauen feiner lorie,
die nur den Heiligen fichtbar ift, da nichts Unreines in jened Reich eins
gehen kann, wo unfer König in feiner Glorie thronet.
(Exc. VII, 575 f.)
Die Kirche und die verfhiedenen Geiftesrichtungen.
Die Kirche ift zu betrachten ald Ein Körper, der Eine Seele hat,
und Einen Geiſt — die Seele, in der der Geift der Weisheit ift, ift zu
betrachten, wie der menſchliche Körper in der Angemeffenheit zu feiner
Seele. Wie Eine Seele im Meuſchen ift, die fib durch den ganzen
Körper ausbreitet und in jedem Theile ded Körpers auf andere Weile
aufgenommen wird, jo breitet fi der Geift der Weisheit durch Die vers
nünftige Seele der Kirche, die er erleuchtet, nah allen Theilen aus, wir
aber immer wieder anderd aufgenommen. Es vereinigt jomit der Geiſt
Jeſu, der durh das Wort in die Seele der Kirche fi einjenft, Wiele
auf particulare Weile zur Einheit des göttlichen Lebens, wie die Serle
viele Glieder des Körpers zur Einheit des finnlichen Lebens verbindet;
die Ausdehnung desjelben ift eine Einigung. Anders aber wird ber
Geiſt des göttlichen Lebens oder der ewigen Meisheit im Worte Gottes
in der Seele des Petrus, anders in der Seele des Paulus und je
anders in jedem Einzelnen erfaßt; doch einet das göttliche Leben fie ale,
fo daß alle Seelen im Geifte Eine Seele find, wie alle Schüler Plato’d
im platonifhen Syfteme vereinigt find, wenn gleih Memnon dasſelbe
anders auffaßt, als Eriton. (Exc. VII, 577.)
451
Wir erlangen das chriſtliche Leben, die geiftige Wiedergeburt durch
Vermittlung der Kirche,
Um zu begreifen, daß Jerufalem unfere Mutter ift, bemerfe Folgendes:
Wie Maria die Mutter Chrifti ift, des Menfchenfohnes, fo die Kirche
unfere Mutter, auf daß wir Kinder Gotted feien. Chriftus, der von
Ewigkeit der Sohn Gotted oder das Wort war, ift wiedergeboren aus
dem Schooße Mariend, um in Menfchengeftalt Menfcenfohn zu fein.
So werden wir, die wir in der Menfchheit als Menſchenſöhne geboren
werden, durch den Schooß der Mutter Kirche wiedergeboren, auf daß wir
neu geichaffen werden aus Gott. Dieſes Geborenwerden tft aber ein
geiftiged, weil die Braut, die Kirche, in Einheit des Geiftes, vereint mit
Ehriftus, ihrem Bräutigam, und geiftig new gebiert; denn die fatholifche
Kirhe empfängt uns aus dem fie überfchattenden bi. Geifte, aus der
Kraft des Allerhöchften, jo daß der von ihr Empfangene ein Kind Gots
tes iſt. Wenn daher dein Geift neu geboren werben foll, d. h. wenn er
Ehriftum anziehen will, fo muß er in den Schooß der Kirche aufgenom«-
men jein, welche Fleiſch vom Fleiſche Ehrifti und Gebein von feinem Ges
beine iſt. Died kann aber nur dur die ummandelnde Kraft des Geiſtes
geihehen, der die Liebe ift, des heiligen Geiſtes. Durd die heilige
Liebe alfo geht der Geift in eine neue Empfängniß über, um neu ges
boren zu werden. Der Glaube muß aber der Liebe vorbergehen, denn
der vernünftige Geift fann nur auf vernünftige Weile durch die Liebe
umgeftaltet werden. Zu ganz Unbefanntem führt uns die Liebe nicht hin.
Daher wird er durch die Liebe nur zu Dem geführt, was er ald liebend«
würdig glaubt. Durch den Glauben alfo wird unfer Geift im Schooß der
Kirche empfangen, auf daß er als Kind Gottes neu geboren werde,
dv. b. der Glaube, daß Ehriftus der Sohn Gottes ſei und daß in ihm
der Geift des Menſchen die Kindfchaft Gottes erlangen fünne. Daher
eint diefer in der Kirche verfündete Glaube die Gläubigen unter
einander, welche Glieder Ehrifti durch den Glauben find, und legt und
in feinen Schooß, d. h. in den Schooß der Kirche, welcher der Leib Ehrifti
ift, im welchem Leibe ein Geift ift, welchem fich der unfrige unterwirft
und durch Liebe allmählich vermählt, fo daß er immermehr in ihn umges
ſtaltet wird, bis wir nach diefem irdiſchen Leben wiedergeboren werden
in dem nad) Chriſtus umgeftalteten Geifte und jo die Kindſchaft Gottes
erlangen. (Exe. IV, 453.)
29 *
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452
Ueber die drei Stände in der Rirde.
Wie fih die Heiligen im Himmel an der Anfchauung Gottes weiden,
fo die Heiligen der Kirche an der Anhörung des Worts. Im Himmel
ift alles gemein und einer theilt mit dem andern, das Verdienſt ded Einen
vermehrt die Freunde Aller. So war es im Stand der Natur vor dem
Gefege, fo in der erften Kirche und fo jegt im einigen Drden. Im
Himmel heirathet Keiner, Alle find ganz rein, keuſch; fo auch im Drvend
leben (in religione). Im Himmel bieten ſich Alle Gott zu einem vol,
fommenen Opfer dar, fo im Orden dur den Gehorfam, indem fie Gott
ihren eigenen Willen übergeben. Im Himmel gehorchen die Bürger frei
willig, freudig und beharrlich dem göttlichen Befehle, fo in dem Orden
dem Abte. Der Gehorfam bezieht fi entweder auf Borjchriften, ober
Rathſchlage, oder Gleichheit der Gefinnung, wie Paulus jagt: was willi
du, daß ich thue? Ohne Murren muß man gehorchen, denn unter Murren
und Schreien fuhren die Teufel auf den Befehl Jeſu aus. Himmliih
und heiter muß der Gehorfam fein, dann erfreut er den Prälaten, en
leichtert die Arbeit und gewährt Ruhe des Gewiſſens. Auch muß er
anhaltend fein, daher fagt Bernhard: - Ehriftus verlor dad Leben, um
nit den Gehorſam zu verlieren. In der chriftliben Religion gibt es
aber drei verjchiedene Stände, den der Laien, der Elerifer und Mönde.
In jedem derfelben übrigens muß das Leben unter Gehorſam ge
lebt werden; denn Chriftus unfer Meifter ward feinem Vater gehorjam,
da er ſprach: micht wie. ich will, jondern wie du, und zwar bis zum
Tode. So müflen Alle gehorfam fein, aber größer muß doch der Ge—
horſam im geiftlihen Stande fein, noch größer der der Mönde. Im
eriten Stande find jene drei Stüde auch wefentlih, aber die Keufchbeit
iſt nicht fo ſtreng (laxa), weil die Begierlichfeit des Fleiſches erlaubt
wird, wenn fie nicht bis zur Ausgelaffenheit geht. Daher tft die Ebe
bier erlaubt, weil fie fi noch viesfeitd der Grenze der Ausſchweifung
und Hurerei bewegt. So ift auch Armuth in diefem Stande, wenn .einer
bloß das Seinige befigt, ohne fremdes Gut fih anzumaßen. Bei dem
Geiftlihen muß die Keufchheit ſchon ftrenger fein, weil hier auch die Ehe
nicht erlaubt if. So kann er auch nicht etwas fein Eigenthun nennen,
obſchon er von den Dingen, welche der Kirche gehören, Gebrauch maden
und fie befonders verwenden darf. In dem Mönchſtande aber wird weber
Ehe, noch Gebraud von Gütern mit deren Verwaltung geftattet, ſondern
nur Ginem, der vorfteht und verwaltet. — Wir wollen nun bei dem
Laienftand ſtehen bleiben und zuerft erwägen, daß Jeder Chriftus, dem
Haupte der Religion und deſſen Stellvertretern Gehorſam ſchuldig if.
Chriſtus Hat und nämlich das evangelifche Gefeg binterlaffen, und Wächter
453
bedfelben am feiner Statt eingefeßt; wer jenes verkündet und nicht feine
eigenen Worte redet, der ift von Chriſtus gefandt. Im Gvangelium ift
aber das Wort des Sohnes Gottes enthalten; wer daher die Worte
des Evangeliumd verfündet, der muß ganz wie Ehriftus angehört werden.
Die Worte des Biſchofs (pontificis) find die Worte Gottes des Vaters,
und dur jeinen Sohn verfündet umd durch die Bilchöfe wieder vorge-
tragen. Diefen muß man daher gehorhen. Beharrlicher Ungehorfam
Ihlieget von der chriftlihen Religion aus, iſt heidnifh und fatanifh und
das Verbrechen des Götzendienſtes. Wie Gott, alfo muß man den Bors
ihriften der Kirche gehorhen, und beharrlich Ungehorfame müfjen abge:
jondert und außer der Gemeinfchaft mit den Uebrigen gebracht werben,
ald Glieder, die wegen ihrer Fäulniß von dem myftifchen Körper Chrifti
losgetrennt find. Das wiſſet alfo, meine Lieben! wenn ihr nicht euren
Vorgeſetzten gehorcht, fo feld ihr nicht aus der Kirche, in welcher die
Vinde- und Löfegewalt ift, und wenn ihr nicht glaubet, daß eure Borges
fegten die Stelle Ehrifti einnehmen, fo fünnet ihr nie die Nadlaffung
eurer Elinden: erlangen, noch Losſprechung und Indulgenz, die aus dem
biihöflihen Stuhle ausfließen. Denn wer wicht glaubt, hofft nicht und
wer nicht glaubt und nicht hofft, erlangt nicht. — Es ſei daher Jeder
vereint mit feinem Borfteher und Präfaten; in diefem verehre er Ehriftus
umd nehme feine Worte ald die Worte Ehrifti an! Dann bringt er
durch diefen Gehorſam ſich felbft Gott zum Opfer, bis zur Ertödtung
des freien Willens, dieweil nicht er lebt, fondern Ehriftus in ihm,
defien Willen, vom Prieſter ihm ausgedrüdt, er ohne Murren gehordt.
Thuft du aljo das und bift du dem von Gott dir Vorgefegten in Allem
gehorfam, dann wirft du durch die Hände des Vorgeſetzten zum ewigen
Reiche geleitet und du brauchſt beim ftrengen Gerichte von nichts Anderm
Rechenschaft zu geben, ald vom Gehorſam. Wenn du dann fagft: Herr!
ih babe dir in den mir Vorgefegten gehorcht, fo genügt dir dies zu deinem
Heile, auch wenn dein Vorgeſetzter über die Laften, die er auf deine
Schultern gelegt, über feine Vorfchriften und Losſprechungen Gott Rechen⸗
haft geben muß. Du fannft durch den Gehorfam gegen den von der Kirdye
gebuldeten Borgefegten nicht getäufcht werden, wenn er auch gegen dad
Recht dir Befehle gab; denn dir fommt es nicht zw, zu urtheilen, ob
feine Befehle ungerecht waren, und du darfſt nicht ungehorfam fein, wenn
er dir ungerecht fcheint; denn dad wäre fein Gehorfam, wenn es im deiner
Willkühr ftünde, über, den Befehl des Biſchofs zu urtheilen, od man ihm
gehorchen müfe. Die Kirche präfumirt von dem Befehle, er fei ein ges
rechter; wenn du ihm gehorchſt, wird dein Lohn groß fein. Der nicht
raifonirende (irrationalis) Gehorfam alfo ift der volllommene. Siehſt du
alfo, daß dein Bifchof mit Jemanden feinen Umgang habe (non commu-
454
nicare), jo habe auch du feinen Umgang mit ihm. Sieh, wie fehr Die
fündigen, welde den Bifchof herabzufegen fuchen und Böſes gegen den
Stellvertreter Ehrifti reden, befonders in ſolchen Saden, wo jener ald
Biſchof handelt. (Exec. VI, 546—547.)
Die Euchariſtie.
Da Ehriftus das belebende Leben ift, und unfer Leben nicht ohne
Speije erhalten werden kann, fo ift er, wie der Geber, fo auch der Er-
halter des Lebens — das Brod ded Lebens. Als Brod oder Speile
des Lebens kann er aber nur durh den Glauben erfaßt werden, denn
das Belebende ift der Geift. Woher aber und wohin diefer wehe, famı
man nad der Lehre Chrifti nicht wiffen. Durch das Wiffen kann er
mithin nicht erreicht werden. Weil wir aber doch zum Geift ded Lebens
gelangen müffen, wenn wir das Leben erlangen wollen, und dies durd
das Wiſſen nicht geſchehen fann, fo muß es durd jene Kraft geichehen,
welche über dem Wiffen ift, — durch den Glauben.
Der Glaube, welcher das Leben des Geiſtes erfaflen ſoll, muß fieg-
haft und fämpfend fein, und den Berftand dem Gehorfam gegen Ehriftus
unterwürfig machen, um ein fieghafter Glaube und eine Tugend ( virtuosa)
zu fein. Die Tugend wird nur durch ein ihr Entgegenftehendes vollfom-
men. Daher muß jener Glaube, um tugendhaft und ftarf zu fein, Schwie—
rigfeiten zu überwinden haben und um fo mehrere, je fiegreicher er jein
fol. Soll er aber fo fräftig fein, daß er im Geifte das ewige Leben
des Geiſtes erfaßt, jo muß er der allerfräftigfte und darum audb
fiegreichfte fein. Es muß daher das zu überwindende Entgegenſtehende
recht augenfällig hervortreten, und von der Art fein, daß ed durch fein
Dafeln dem Glauben geradezu entgegentritt, wie die Gewißheit der finn
lichen Anfhauung. Da nichts im Verſtande ift, was nicht vorher in der
finnlihen Anfbauung war, fo beweist es die größte Stärfe des lau
bend, den Berftand gefangen zu nehmen und Das zu glauben, wovon
der Siun gerade das Gegentheil zeigt. Daher bietet ſich Chriſtus nur
jenen Geiftern als Lebensſpeiſe dar, welche mit Befiegung der Sinnen
erfenntniß im Glauben fi gefangen geben und zweifellos das für wahr
halten, wovon der Sinn das Gegentheil ausfagt. Dies thun dieſe bloß
deshalb, weil fie Den, den fie ald Menſchen fennen lernten, für den
Sohn Gottes halten, und in Folge dieſes Glaubens glauben fie allen
feinen Ausſprüchen und Lehren als Worten Gottes, bei dem nichts un—
möglich if. Doch je unmöglicher etwas ift, deſto möglicher ift es für
Gott zur Offenbarung feiner Allmacht und Herrlichkeit. Er lehrte, die
evangeliihe Speife habe in fi die Lehre des Lebens, weil fie dad
455
Wort des ewigen Lebens ift und die Rechtfertigung, fo daß es
Eine und Diefelbe Speife des Lebens tft: die des fleifhge-
wordenen Wortes als frohe Botfhaft und des fleifhgewor-
denen Wortes ald rechtfertigendes Opfer. Weil aber zum glaws
bensvollen Erfaffen des Lebensbrodes jener Kampf gegen die finnliche
Anſchauung für alle Zeit ftattfinden follte, auf daß diefe Nahrung, wie
fie für Alle nothwendig ift, fo auch ſtets durch einen ganz ftarfen Glau—
ben erfaßt werben fünnte, fo verſprach Chriftus bei feinem Scheiden von
diefer Welt, er wolle mit uns fein bis zum Ende der Welt auf eine
Reife, daß feine Gegenwart und zur Erlangung des ewigen Lebens bins
führe. Da er num ſah, es fei zum Erfafien des Lebens am Geeignetiten,
wenn er fih ald die Nahrung des geiftigen Lebens unter finnliche Ges
falten, die eine feiblihe Nahrung find, alfo unter den Geftalten von
Drod und Wein ebenio verberge, wie er bei feinem leiblihen Erfcheinen
die wahre Nahrung des geiftigen Lebens in feinem von Brod und Wein
genährten Leibe, d. i. im feinem Fleiſche und Blute verborgen trug, fo
hinterließ er bei feinem Scheiden von der Welt uns ein Sacrament,
in welchem er ſelbſt als geiftige Speife, unter den finnlichen Zeichen des
Sacraments verborgen ift, gleichwie er bei feinem Herummwandeln auf
Erden das Brod des Lebens in feinem Fleifhe und Blute verborgen trug,
damit in jenen Speifen, in weldsen der fterbliche Leib eine vorübergehende
Erquidung aus vergänglihem Manna erhält, auch der Geift dur den
Ölauben die Nahrung eined unvergänglichen, vom Himmel berabfommenden
Manna erhalte; fo daß der Glaube es ift, der durd feine Lebendigkeit
den Geift in das lebendige Brod hineinbringt, auf daß der Geift in
dem Leben lebt (ut fides sit quasi spiritum suo fervore in panem vivum
injiciens, ut in vita vivat), gleichwie der Magen durch feine Kraft die
Nahrung and dem vergänglichen Brode zu feiner Erquickung ſich aneignet.
Wie num Jeſus vom Vater gefandt war, und als Lehrer im Worte des
Lebens die Nahrung des Lebens darbot, und zugleich ſich felbft uns ale
Speife hingab, fo fandte er wieder die Apoftel und Schüler und deren
Nachfolger bis zum Ende der Welt aus, auf daß auch fie dur das
Wort des Lebens die Lebensfpeife darböten, und ihn als Lebensfpeife in
finnlicher Speife opferten und fpendeten (offerrent). So iſt au die Ber:
fündigung des Evangeliums ebenfo ein Darreichen der Lebensfpeile wie bie
Ausfpendung der Lebensipeife, und die Verfündigung iſt um fo vollfoms
mener, je. fruchtbringender fie ift, und oft ift fie eine füße Darbringung
des myſtiſchen Leibes Ehrifti (et saepe im ipsa est dulcissima oblatio
mystici corporis Christi).
Ih will nur noch die Urfache und Beranlaffung der Einfegung
dieſes Sacramented berühren. Die eine ift die eben angegebene, daß
456
nämlich Chriftus fo bei uns fei, daß wir durch den Glauben die Nah—
rung ded Lebend und aneignen (haurire) fünnen, d. i. daß wir, da er
ald rechtfertigendes Opfer, das für das Leben der Welt dargebracht wurde,
bei ung ift, in einer dem Sinne nicht zugänglichen Weiſe durch ftarfen
. Glauben in Darbringung des wufihtbaren Opfers, das in fihtbaren Ge—
ftalten enthalten ift, das Leben erlangen können. Wohl zu bemerken if
aber noch die andere Urfache der Cinfegung. Ehriftus nahm nämlich
Brod, dankte, brach es und gab es feinen Jünger mit den Morten:
„Nehmet und eſſet, ‚das ift mein Leib, der für euch bingegeben wird;
dies thut zu meinem Andenken!“ womit er fagen wollte, daß fein wahre
Leib für fie bingeopfert werben follte, um ihnen das Leben zu geben,
gleihwie das Brod, das er zu feinem Leibe machte, Eines und zugleich
ein getheilte® war für einen Jeden, und ein Jeder dur den Genuß
dedfelben Erquickung erhielt. Ebenfo beim Kelche. Wie demnach Ehriftus,
das belebende Leben, den ganzen Körper der Gläubigen in der Einheit
des Lebens einigt, fo daß er das Leben it, die Gläubigen der Leib; jo
jegte er dieſes Sacrament ein, damit in ihm er felbft die Lebensſpeiſe,
und die das Eine Brod Empfangenden auch Einen Leib Chriſti,
aus Einem Lebendbrode erquidt, bildeten. |
Zum Andenken daran, daß er, das Leben, für die Gläubigen ſich
bingegeben, follte nach feinem Willen das Brod gefegnet und den Glaͤu⸗
bigen gefpendet werden. Für den Gläubigen ift es daher Pflicht, den Leib
Chriſti zu genießen, der in dem Sacramente ded Brodes enthalten ifl,
damit er dadurch befenne, daß er die Hingabe Ehrifti für ihm wohl in
der Erinnerung babe, und zwar muß er ed thun in der Einheit mit dem
myſtiſchen Körper Ehrifti, wodurch er am Brode der ‚Gläubigen und mit
dem myſtiſchen Körper zugleih an der Verbindung mit Chriftus, dem man
im Saeramente empfängt, Theil nimmt. Die Liebe des Nächften genügt
nicht ohne die Liebe Gottes, denn der Gegenftand des Sacraments ift
zum Heile nothwendig. Nothwendig ift daher die beftändige Verbindung
mit dem Leibe Chrifti und mit dem Haupte Chriftus, ohne welches fein
Leben möglib if. Sodann ift der Genuß dieſes Sacramentsd nothiwen
dig als öffentliches Zeugniß, daß wir glauben, dieſe Eingliederung in
Ehriftus fei zur Seligfeit nothwendig. (Exc. IV, 444.)
Dem Stande diefed Lebens fommt es nicht zu, Chriſtus offen zu feben,
wegen der Hülle des Geheimniffes und des Werbienfted des Glaubens.
Es gibt feine andere geiftige gemeinfame und heilbringende Nahrung, ald
den wahren Leib Ehrifti. Er muß daher wahrhaftig in dieſem
Sacramente fein; es erfordert died die Vollfommenheit des Opfers ded
457
einigenden Sacramented und der erquidenden Wegzehrung, (melde das
Sein im neuen Teftamente gibt, der geoffenbarten Gnade und der Wahr:
baftigfeit Chriſti. Der wahre Leib Ehrifti kann nicht in Theile getheilt
werden, denn Leib, Seele und Gottheit ift hier nur Ein einfaches Eacras
ment (est enim ibi corpus, anima et Deus utrobique unum et simpli-
cissimum Sacramentum). Der ganze Leib ift fo unter der ganzen Ges
ftalt wie unter einem jeden Theile derfelben, die Geftalt mag ganz over
getheilt fein. Demnach ift er in der Geftalt nicht begrenzt (circumseriptum),
als nehme er einen Drt ein, oder habe eine beftimmte Lage (ut habeat
situm) und fei durch einen menschlichen Einn wahrnehmbar; er ift viel
mehr jedem Sinne verborgen, damit Glaube und Verdienſt Plag greifen.
Die Aceiventien haben daher, damit der Leib Chrifti nicht erkannt werde,
(ut non deprehendatur), die volle Thätigfeit, die fie auch vorher hatten,
obwohl fie ohne ein Subject find (licet sint praeter subjeetum), fo lange
fie den Leib Ehrifti in ſich (intra se) haben, d. h. fo lange fie in ihrer
natürlichen Beſchaffenheit fortbeftehen und zum Genießen tauglich find.
Erheben wir unfern Geift zu einiger Erwägung der wunderbaren
Süfigfeit diefed heiligen Eacramented und fprechen wir:
D Herr, wie groß ift die Süßigfeit deiner Güte, der du willſt, daß
wir im Genuſſe der Lebensſpeiſe (in esu vitae) täglich deinen Tod vers
finden! Was fonnteft du dem Menfchen, der durch Effen todt war, mehr
geben, ald das Leben durd Eſſen (quid plus dare potuisti homini mor-
tuo per esum, quam vitam per esum?) D Nahrung des Lebens, an's
Kreuz geheftet! Mer fann dieſes große Geſchenk in feinem Geifte fafien,
daß du Höchſter, Gütigiter, Evelfter! dich felbft zu Nahrung hingibft? Es
beißt alles Maaß der Freigebigfeit und Liebe überfchreiten, wenn das
Geſchenk dasſelbe iſt, was der Schenfende. Gibt es ein Volf, weldes
feine Gottheit fih fo nahe weiß, wie du wahrer Gott und nahe bift,
jwar unter einer andern Form, aber in der eigenen Welenheit? O Speife,
die wahrhaft nährt, erquicdt und ftärft, nicht das Fleiſch, fondern die
Seele. O edles Gedächtnißmal, der Tiefe des Herzens anzuvertrauen und
jorgfältig im Gemüthe zu bewahren! Süßigfeit, Freude und Thränen
vereinigen ſich in diefer Gedächtnißfeier. Weinen wir in heiliger Freude!
Das Herz von unendliher Wonne durchſtrömt, träufelt füße Thränen durch
die Augen.
Erhebe ich mich, o Herr! zur Betrachtung diefes hohen Geheimnifjes,
jo erfenne ich, daß das Licht meined Berftandes nichts vermag; bu bift
ed, der allein Alles vermag. Die Neugierigen (euriosi) fragen nad Ur:
ſachen, Vernunftgründen und Zeichen, ich nahe mich dir durch den Glauben.
Iſt es ein Wunder, daß plöplich durch das Ausſprechen von Morten bie
Verwandlung (transsubstantiatio) erfolgt? Verwandelt fih nicht durch
458
Wärme ein gewiſſer Same in lebende Thiere, die f. g. Seidenwürmer?
Wird nidt die Schlange durch Morte bezaubert (incantatur) und ihr
Gehör verhärtet, daß fie die Stimme der Zauberer nicht hört? Haft nict
du, o Gott! mit Einem Worte Alles erfchaffen? „Er ſprach und es ward.”
Iſt nicht Loth's Weib durch einen Blick in eine Salzfäule verwandelt
worden? Berwandelt nicht gewiſſes Duellwaffer Holy in Stein, Eifen in
Kupfer? Wer wollte fih über deine Allmaht wundern! Verwandelt nicht
unjer Magen Fleifh und Blut, Brod und Wein in feine Natur? Bringt
nicht der Glasverfertiger aus der Afche des Kiefelfteins ein ſchönes Glas
hervor? Kommt nicht aus dem Anſchlagen des Feuerſteins plöglich Feuer
hervor? Was iſt darüber zu wundern, daß du Gott und Menſch, nicht
eingejchränft (non contractus) in der ganzen Quantität, in ber du am
Kreuze hingft, im dieſem Sacramente zugegen bift? Iſt nicht in einem
Heinen Senfforne eine große Kraft, ein großer Baum in der Potenz?
Was bedarf ed des Wunderns, daß die Geftalten über ihre Natur hinaus
ohne Eubject find (quod speeies super naturam sunt sine subjecto)?
Das Vorbild, daß das Sacrament und verhüllt unter Geftalten gegeben
werde, ift Jakob unter ber Geftalt Eſau's, wodurch Iſaak getäufct
wurde. So werben auch hier alle Sinne getäuſcht: Geſicht, Geſchmad,
Taſtſinn. Doch das Gehör Iſaaks ward nicht getäuſcht, weil er bie
Stimme, die aus dem Innern fam, kannte. Co wird auch hier der
Glaube nicht getäufht. Was ift ed wunderbar, mein Gott! daß Fleiſch
und Blut in diefem Sacramente an verfchiedenen Orten und doch gam
und vollflommen find (quid mirandum de hoc, quod sacramentaliter cor-
pus et sanguis sunt in diversis locis integraliter)? Wird nicht die Eine
Mede, die ich halte, ganz umd vollfommen von Mehreren zugleich gehört
und verftanden? Ich weiß ja, daß Gott überall ift, der Menſch nur an
Einer Stelle. Was Wunder, wenn der Gottmenfh in einer gewiſſen
mittlern Weife nicht überall, aber nicht bloß an Einem Orte, jondern an
mehreren zugleich ift? Kommt nit Eine Definition der Specied mehren
Individuen zugleich zu? Iſt nicht das ganze Wort, dad von Ewigfeit und
in Ewigkeit beim Vater ift, auch ganz in den Leib der Jungfrau herab»
geftiegen? Er, der überall der Ganze und Eine ift, ift Fleiſch geworben,
um die Menfchen zu fpeifen, verfelbe, der zugleich vollftändig beim Bater
blieb, um die Epeife der Engel zu fein. Ebenfowenig wundere ich mid,
Daß er ganz unter jedem Theile der getheilten Hoftie if. Wenn er näms
lich ungetheilt an vielen Drten zugleih und doch ganz (totaliter) ift, fe
ift auch der Eine und ganze Ehriftus unter jedem Theile der Hoftie. IM
im Spiegel nicht ein Bild, das nur Eine Geftalt abbilvet? wird er aber
zerbrochen, fo geben die Stüde die ganze Geftalt zugleich wieder. SM
nicht in den homogenen Dingen 5. B. Waffer jever Theil wie das Gange?
459
Erhielt nicht von dem Manna, das in der Müfte herabfiel, auch wer
mehr gefammelt hatte, nicht mehr, ald ein Anderer? Iſt nicht die Seele
in einem fleinen Menſchen fo groß, als in einem großen, ganz im ganzen
Menfchen und ganz in jedem Theile? Noch weniger wunderbar ift, daß
diefer Leib, obwohl täglich genoſſen, ſich doch nicht vermindert, weil er
nad der Auferftehung zur Unzerftörlichkeit verherrlicht iſt. Er wird nicht
aufgelöst (corrumpitur), weil er fich nicht in die Natur des Genährten vers
wandelt, im Gegentheile: wer diefe geiftige Speife genießt, wird durch Bes
geifterung und Liebe (per mentis excessum et amorem) in fie verwandelt.
Wird nicht, wenn auch viele Kerzen von eimem Lichte angezündet werben,
doch das Licht nicht vermindert? Fließt nicht aus der Quelle Wafler,
ohne daß jene abnimmt? Wie viel weniger wird der Duell des Erlöferd
abnehmen? Was Wunder, daß diefes Sacrament dem Einen zur Seligs
feit, dem Andern zum Gerichte wird? Zicht nicht aus derſelben Blume
die Biene Honig, die Spinne Gift? Ein und Dasfelbe ift dem Einen
eine Heilkraft, dem Andern der Tod. Schmilzt nit die Eine Sonne das
Es und macht den Koth gefrieren? — Ich habe feinen Zweifel, o Herr!
Gib, daß ich durch dieſes Sacrament dad Leben erlange, das du verheißen
haft! O Herr! wenn man diefed Leben, das voll Elend, dem Tode nahe
und in feinen Vergleich mit der Ewigfeit kommt, fo fehr liebt, wie viel
mehr müſſen wir es lieben, in dir zu fein, dem ewigen Leben? Wohl
denen, die würdig zu diefem Sacramente hinzutreten! Wehe den Unwür—
digen! Aus dem Quell des Lebens trinfen fie den Tod, Wenn ich er
wäge, o Herr! daß die Menſchen über den Freuden und Gemüffen dieſes
vergänglichen Lebens, dich, das ewige Leben, verlieren, fo ſeufze und
ütere ih. O der Verblendung, in der der größere Theil der Menfchen
dir nur zum Scheine dient! Dahin ift die Wahrheit, fie ift überwältigt
dur den falfchen Schein! O Prieſter, bedenfe dein Leben, bevenfe deine
Gewalt, bedenke deine Worte und Handlungen, bedenfe die Würde deines
Amtes ! (Exc. II, 396. 397.)
Transfnbftantiation.
Die Euchariſtie ift eine Speife für beide Seiten des Menſchen; fie
nährt den Körper, wie ein im Magen verbautes Brod, und nährt den
Geiſt, ald das im Glauben an den Sohn Gottes aufgenommene Wort.
Denn das Wort, das in dem Glauben aufgenommen wird, es fei das
Wort des Sohnes Gottes, ift ein nahrhaftes Brod, das alle Süßigfeit
gewährt. Die nährende Kraft des Brodes ift aber principaliter von
Bott, wie auch die Kraft des Wortes, das die Seele nährt, vom Worte
Gottes oder der göttlihen Subftanz herrührt. Es ift nämlich in der
460
Eudariftie Eine Subftanz, aus der jene Kräfte herrühren, die man
nicht die Subftanz des fihtbaren Brodes nennen fann, fondern die Sub
tanz des Wortes. Dies beftätigt Ehriftus, ald er nach der Weile,
in der Moſes von diefem Myſterium gefprochen hat, fagte: „nicht vom
Brode allein Lebt der Menfh, fondern vom jedem Worte, das aus bem
Munde Gotted geht." Denn wenn der Äußere Menfh von der Sub
tanz des Brodes leben kann, fo fchlieft dies nicht aus, daß er von ber
Subſtanz des Morted, das die Kraft des Brodes in ſich faßt, leben
fann. Wenn man daher fagt, nicht nur Brod, fondern auch der Leib
Chriſti fet in diefem Sacramente, fo beachtet man nicht, daß die Sub
fang des Brodes zur Nahrung nicht nothwendig if, wenn. eine folde
Subftanz vorhanden ift, welche die nährende Kraft in fid
begreift. Die Kraft der niedern Subftanz ift in der der höhern.
„Durd das Mort Gottes find die Himmel befeftigt worden und durd
den Hauch feines Mundes all ihre Kraft." Die Eubftanz des Brodes
muß im Belenntniffe dieſes Sarramentd (in confessione sacramenti) in
die höhere Subſtanz Ehrifti hinübergenommen werben (transsumi), fonft
wäre ed nicht das vollfommene Saerament, in welchem auf jede möglide
Weife eine Transfubftantiation enthalten fein muß (in quo debet
contineri omni possibili modo transsubstantiatio); dieſe findet wahrhaft
ftatt, wenn unfere Natur in die gnadenreiche Kindſchaft Gottes übergeht.
Ich fage nicht, daß die Natur vergeht (quod natura pereat), aber dab
die Subftanz in eine höhere übergeht (transsumitur). So geht auch bier
die Natur des Brodes, die im- Nahrunggeben befteht, nicht unter, aber
die Subftang wird transfubftanzlirt, d. i. gebt in eine höhere Subftanz
über. Das lehrt und der göttlibe Prophet David, wenn er fagt:
„Das Geſetz des Herrn ift lauter, e6 verwandelt (convertens) die Her
zen; dad Zeugniß Gottes ift getreu, es gibt Weisheit den Unmündigen.“
Was ift das lautere Gefep des Herm anders, ald das. Wort Gott?
Diefes Geſetz, das Wort Gottes, geftaltet die Herzen um, wie die Weit
heit den Geift ummandelt, indem fie ihn zur Weisheit hinüberzicht, und
den Kindern (parvulis) diefer Bekehrung gibt es ein getreued Zeugniß.
Das will heißen: in diefem Sacramente erlangen wir ein ſehr treue
Zeugniß diefer Umwandlung (conversionis), wo die Subftanz des Bro
des in die Subftanz des fleifchgewordenen Wortes umgewandelt wird
(convertitur), was der präcifefte und Fräftigfte Beweis davon ift, daf
unfere geiftige Natur, wenn fte gleich die menfchliche zu fein fcheint, durd
das Wort Gottes in den Sohn Gottes und aus der Finfterniß der Uns
fenntniß Gottes und der Mahrheit in die Anſchauung oder in's Licht
verwandelt werben fünne. nr
Hieraus erhellt, Ehriftus fei im Sacramente nicht räumlich (loca-
461
liter), aber mit den Accidenzien der Subftanz des Brodes (sed cum
accidentibus substantiae panis), nicht als ob die Accivenzien in der
Subftanz ded Brodes wären oder in der Kraft ihren Beſtand hätten,
welhe aus der höhern Subftanz, ald das Brod ift, ausfließt. Die Sub»
ftanz des Brodes, die in die Subftanz des Leibed Chrifti verwandelt ift,
geht jedem Aceivend voraus (praevenit); fo bleiben die Accidenzien wie
zuvor, allein die Subftanz ift verwandelt. Wie wenn ein Unwilfender
ein Weifer, ein Laie ein Priefter, ein Sklave ein König wird; alle Acci—
denzien bleiben, nur die Unwiffenheit wird in Weisheit ıc. verwandelt.
Dies ift was immer für eine Bergleihung; beſſer wäre fie, wenn Un—
wifienheit und Weisheit Subftangen wären. Berfteht e8 Jemand in dem
Sinne, das Brod werde nicht transfubftangiirt, fondern nur mit einer
edlen Subſtanz überfleidet (supervestiri), wie wir hoffen, mit dem
Lichte der Glorie überffeivet zu werden, unbefchapdet unferer Subftanz,
wie einige ältere Theologen die Sache aufgefaßt haben, welde fagten,
nicht nur das Brod, fondern auch der Leib Ehrifti fei in dem Sarras
mente, fo muß man auf die Bedeutung der Worte Acht haben. Sagt
man, jenes Licht der Glorie fei ein Accivens, fo wird es jedenfalld edler
(nobilius) fein, als die vorige Subſtanz. Wie Chriſtus von Judas fagt:
beffer wäre e8 gewefen, er wäre nicht geboren, als verdammt, jo fage
ih umgekehrt: beffer ift das Licht der Slorie ald die Subftanz der Scele
(animae), und fo iſt der Unterfchied nicht bedeutend. Ich nenne Subs
ſtanz das, als welches es nichts Beſſeres an einem Gegenftande gibt.
Wenn du Jenes (Licht der Glorie) ein Accidens nennſt, weil es nach dem
natürlichen Sein noch binzufommt, fo ift nur im Ausdrude eine Unterſchied.
Aus dem Bisherigen folgt ferner, daß der Leib Ehrifti ohne
quantitative Größe, fomit untheilbar und in jedem Theile der
Hoftie vollfommen gegenwärtig ift. Unfer Gedächtniß ift nicht größer,
ob es einen Berg oder ein Senfforn in fih aufnimmt, es ift ganz in
Jedem, woran es fich erinnert, fo wie auch der Gegenftand, an den es
fh erinnert, ganz im Gedächtniß ift. Wenn dad Gedächtniß zugleich
und auf Einmal in Mehreren wäre, wie Ein Bild in vielen Augen ift,
jo wäre die Vergleihung noch präctier. (Exc. VI, 522.)
Bedingung des würdigen Empfauges des Abendmals.
Die Eucariftie ift das Sacrament ded Worte, Wie dur die kör—
perlihe Speife Nahrung des Leibes, fo erlangt man dur fie Nahrung
ded Geiftes in dem Glauben, daß das Wort Gottes die Nahrung für
dad Leben des vernünftigen Geiftes if. Wie kann nun Der ernftlich
glauben, die Euchariftie fei das Sarrament des gnadenvoll nährenden
462
Wortes, der ed verfehmäht, die Stimme des Wortes felbft in feine Seele
aufzunehmen? Er gleibt Dem, der durd das bloße Anjchauen der
Schriften Plato's ein Platonifer werden will, ohne deſſen lebendige Rede
hören zu wollen. Ich frage: wie wird dir die Eudhariftie ein lebendiges
Brod, wenn du nicht durch das Wort felbft belehrt bift? Siebe, das
lebendige Wort macht dir dad Brod des Abendmahls ſchmackhaft, wel
ches nur dur die Erleuchtung des Worts eine Nahrung deiner Seele
wird. Ohne das Wort bleibt dir jener liebliche Geſchmack verborgen und
du fühlt nicht, daß es alle Erquicung in fich begreifet. Der Unwiſſende
nimmt es mehr wie ein thierifcher, denn als ein geiftiger Menſch, weil
der Geift nichts davon empfindet und nie empfinden wird, außer burd
Belehrung. Wenn einem gebornen Blinden ein Brod mit der Aufforde⸗
rung gereicht würde: iß dieſes Brod und du wirft fehr ſchön und wohl
geftaltet werden, fo würde der Blinde jenen Worten wenig Gehör der
fen, weil er die Schönheit nicht fennt. Um die Größe des ihm ver
heißenen Gefchenfes einzufehen, müßte man ihm vorher die Augen öffnen,
und bei dem Anblicke mehrerer Schönheiten würde er dann im Glauben,
daß er eine ſolche Schönheit erlangen werde, gierig effen. Aus fich jelbi
aber fäme er nicht dahin, und ohne vorherige Erleuchtung würde er dad
Brod ohne Freude über die ihm verfprodene Schönheit eſſen. So if
denn die Erleuchtung des Wortes Allen nothwendig, welde mit Entzüden
und innigem Verlaugen dad Abendmahl empfangen wollen. Sonft get
man, wie leider! häufig gefchieht, Falt hinzu. (Exc. IX, 626.)
Unfterblichfeit der Seele.
Die Fähigkeit für Weisheit und LUnfterblichfeit erfehen wir darauf,
weil der Geift fih zu Dem hinneigt, was ungerftörlich iſt, und es erfaßt
wie wir ed an den SKünften ſehen; er faßt die unfterbliche Fähigkeit in
fi, zu zählen und zu meffen. Das fönnte er nicht, hätte er micht ein
Seele, welche fi aus dem particularen und zerftörlichen Erfahrung®
mäßigen zu dem univerfellen Verftändniß desſelben erheben und fo id
eine Kunft erwerben fann. (Hoc non posset facere, nisi haberet ani-
mam, quae de particularibus corruptibilibus experimentis se posset ad
universalem talium rationem convertere et ita artem acquirere.) Dil!
Fähigkeit der Secle aber ift ein Beweis, daß fie nicht an das zerflör
liche Inftrument des Körperd und an die Organe der Sinne gebunden
iſt. Sie ift daher fähig für Wiffenfhaft und Künfte und Weisheit,
Dinge, die von allem PBarticularen und Zerftörlidhen frei (separata) find.
Die Seele ergeht (perit) deßhalb nicht, wenn auch der Körper zergedt
da fie nicht von ihm abhängt, wie dad Sehen vom Auge, das aufhört
463
wenn dad Auge, an welches es gebunden war, zerftört if. Da bie
Schfraft in der Seele bleibt, fo fönnte fie wieder ſehen, fobald das
Auge wieder hergeftellt if. Wir erfennen auch in der Einbildungsfraft
(imaginatio) eine höhere Art von Sinn, weil unjer Einbilden bei Abs
weienheit eined Gegenftandes genauer (snbtilius imaginamur, quam senti-
amus) ift, ald die Sinnenerkenntniß. Indeſſen irrt die Cinbildung oft,
binfichtlih der Wahrheit, wie wenn wir uns einbilden, die Gegenfüßler
fallen. Es gibt deßhalb eine genauere Kraft, welche die Einbildung corris
girt — der Verftand, welcher uns fagt, jened Ballen wäre ein in vie
Höhe Steigen des Schweren, woraus er fchließt, daß jene eben fo wenig
fallen können, als wir in die Höhe fteigen. Allein auch der discurfive
Verftand irrt fehr oft und hat fein Correctiv an der vernünftigen Ans
ſchauung (visio intellectualis) wie in der Schrift „von der Brille” bes
rührt if. Da unfere Seele (aus der geiftigen Anjchauung) ein Auge
bat, mit welchem ed in das Princip, das allem Gegenfäglichen und for
mit aller Zerftörbarfeit vorangeht, hineinſchaut, fo ift fie ungerftörlic.
Denn das Zerftörlihe wird vom zerftörlihen Auge, das Zufammengefegte
vom Zufammengefegten, dad Materiele vom Materiellen, das Aehnliche
vom Aehnlichen erfaßt. So fann auch das Unzerflörlihe nur vom Uns
zerftörlihen, das Einfache vom Einfahen, das SJmmaterielle vom Im—
materiellen gefhaut werden. Hieraus fiebft du, daß die Vernunft (intel-
lectum) einfach und ungerftörlich iftz denn fir ficht einfach und untheilbar
dei jeder Art von Theilung das erfte Princip der Greaturen, und in ihm
Alles, was eines Principe fähig ift (in ipso omnia prineipiabilia), wähs
send jenes Princip nichts von allem durd es Entjtandenen iſt. Noch
höher ald durch die vernünftige Natur ſchaut die Seele mittelft des
Glaubens, nah der Lehre des Erlöjers, und dies ift das Höchſte, zu
was der Geift erhoben werden fanı. Die Wunder bezeugen dem Gläus
digen, daß der Geiſt in das ganze Gebiet des Glaubens, in Erkennen und
Birken fortfchreiten fönne. (Et miracula sunt, quae attestantur medio
fdei, intellectum ad omnia credibilia posse procedere et operari).
Durh diefe Erwägung fehen wir deutlih, daß der Geift nicht finnlicher
Art it (intellectum non esse sensum), da wir Vieles finnlih wahrnch-
men, das wir nicht verftehen, und umgekehrt, fowie daß wir mit vers
Ihloffenen Augen, und ohne zu hören, begreifen (intelligere) fönnen. So
hat denn die Seele, joferne fie an den Körper gebunden ift, ſinnliche Ems
pfindungen. (sentit); durch ihre Wefenheit aber, foferne fie in ſich ift, d. i.
gelondert (separata) von der Belebung (animatio), Die fie dem Körper
verleiht, iſt fie gewiffermaßer frei von particularer Befchränfung, [haut
in die Prineipien des conereten Univerfumd (est quodammodo absoluta
464
a particulari contractione et intuetur in prineipia universalia contracta),
und ift jo der Weisheit und Unſterblichkeit fähig.
Wenn der Geift die finnlihe Erkenntnißkraft ind Auge faßt, fo findet
er, daß diefelbe zwar, foferne fie von einem mangelhaften Organe ab
hängt, mangelhaft ijt, nicht aber ald Seelenvermögen (ut est vis aniımae),
weil fie nah Herftellung des Organs wieder fo gut wie früher (che
dasjelbe franfhaft geworden) wahrnimmt, ohne daß eine neue Fähigkeit,
ein neues Wahrnehmungsvermögen geichaffen worden wäre. Ebenjo ver
hält es fih mit der Einbildungsfraft: bei einem minder guten Drgane
find die Bilder der vernimftigen Seele minder lebendig; auf eine Zeit
lang kann der Menfh, wenn das Organ gehemmt ift, das Gedädtnif
verlieren, und dann wieder erhalten. Es bleibt aljo in der Seele die
Gedächtnißkraft, wiewohl ihre Wirffamfeit ceſſirt, die fie ohne ein gr
fundes Organ nicht ausüben kann. Wie der Schreibende ohme Fedet
nicht ſchreiben kann, jo ift auch die Verftandesthätigfeit mangelhaft, wenn
die Thätigkeit ded Organs leidet, obwohl jene im Geiſte fortbefteht.
Während die Vernunft bei ihrer Aufhauung des vernünftig Erfennbaren
feines finnlihen Organs bedarf, jo ift dagegen der Geift bei der Erkennt
niß der finnliben Dinge an ein Organ gebunden, deßgleichen bei der
Einbildung, da diefe finnliher Natur if. Auch der discurfive Verſtand
bedarf, da er das denfend durchgeht, was er aus der Sinnenwelt ge
fböpft hat, der Sinnenorgane, die das Mehr oder Weniger genau auf
faffen und zum Gebraude geübt find. Nur bei der Anſchauung des ver,
nünftig Erfennbaren (in visione intelligibilium), das durch feinen fin,
liben Gegenftand zu firiren ift (quae non sunt in aliquo sensibili signi-
bilia), weil feine Einfachheit und das Unconerete feiner abfoluten Natur
über dad Gebiet der Sinnenwelt hinausgeht, bedarf der Geift fein Sinnen
organ, fondern nur feine innere, der Natur des zu Erfennenden conformt
Einfachheit. Diefe geiftige Anſchauung iſt daher in der Vernunft nict
mangelhaft, und da fie von feinem Organe abhängt, fo fann nichts fie
hindern, immer den Blick frei zu bewahren. Wenn das Auge und die
Sehkraft der Seele Eines und dasfelbe wären, nämlich die Seele felbtt,
jo würde dad Sehen nie durch Alter oder Mangelhaftigfeit des Auge
eine Breinträhtigung erfahren. Die Vernunft fieht in die Gründe (intuetor
in rationes) und urtheilt, welder Grund wahr, welcher für die Unfterb-
lichfeit beweifend iſt, welcher nicht. Sie ficht alfo ihre Unfterblichkeit, in
den fie einfieht, daß der eine Grund mehr zum Erfaffen derſelben dient,
als der andere, daß fie in dem einen beftimmter wiederfcheine, ald in dem
andern. Diefes Urtheil fönnte die Vernunft wicht fällen, wenn fie nidt
ihre eigene Unfterblichfeit vollftändig erfennete. Die Vernunft erfennt (videt)
fi alſo als unfterblich, indem fie einficht, daß fie durch feinen Verſtandes—
465
grund fo ans Licht geftellt werden fann, daß fie nicht noch präciier nadıs
gewiefen werden könnte. Die Bernunft beurtheilt daher den Werth eines
für fie geltend gemachten Grundes nah ihrer Anſchauung der Unfterblichs
feit, und nicht umgekehrt die Unfterblichfeit aus dem angeführten Grunde.
Und würde auch irgend ein Grund für die Unfterblichkeit beweifend fein,
jo bliebe died doch ganz unerkannt, wenn nicht die Vernunft fo urtheilte,
Die Vernunft fieht bei diefem ihrem Urtheile nicht bloß in die Beichaffens
heit des Grundes, fondern in die Wahrheit felbft hinein, und eben indem
fie die Uebereinftimmung mit ihr in dem angeführten Grunde findet, ſpricht
fie das Urtheil aus, der Grund fei ein wahrer. Aus dieſer aflfeitigen
genauen Erwägung ergibt fi, daß die Vernunft nicht in dem Verſtandes—
grunde, ſondern in fich die ungerftörliche Natur ihrer Einfachheit fchaue.
Dieje Kraft der Vernunft (virtus intelleetualis) rührt feineswegs
von der Abjtammung ber (nequaquam est a generante), fonft würde fie
die Natur und Beichaffenheit anderer Zuftände, die von Abftammung ber:
rühren, annehmen. Wie das Auge ein natürliches Verhältniß zur Farbe,
der Sinn zum Objecte hat, jo müßte man auch von der Vernunft fügen,
fie ſei nicht frei im Wollen, Gedächtniß und Erfermen, fondern durch die
Natur genöthigt, oder fünne durch einen andern Menſchen genöthigt wers
den, während wir das Gegentheil hievon wahrnehmen: der Menſch ift
frei in feinem Lieben, Wollen und Erkennen. Die Vernunft altert auch
nicht wie der Einn, fie ift folglich nicht aus dem Bereihe des Sterb⸗
liben und Zerftörlihen. Wir fehen, daß Bejahrte, während ihre Sinne
abnehmen, an Erfenntniß und Weisheit zunehmen. Ferner gelangt der
Menſch in Dem, was er durch Abftammung hat, zu einer Grenze und zur
"Ettigung; es fommt ein Zeitpunft, wo er nicht mehr fehen und hören
mag, was er geichen und gehört hat. Nicht jo ift es bei dem Erfennen
oder Wollen: immer will er, was er erfennt, beſſer erfennen, was er
liebt, noch mehr lieben. Ja, die ganze Welt genügt ihm nicht, weil fie
fein Verlangen nach Erfenntniß nicht ausfüllt, während ein einziges Ob:
jet dem Sinne genügt. Nichts genügt alfo der Vernunft ald Gott, von
dem der Menſch das Sein hat, defjen Ebenbild er ift. Denn das lebendige
Abbild, Das geiftige Leben, kann weder in fi noch in etwas Auderem
Ruhe finden, fondern nur in feinem Urbilde als in feinem Princip, Urs
ſache und Wahrheit. Nührte die Seele von der Abitammung ber, fo
wären alle ihre Verrichtungen naturnothwendig, fie Fönnte nichts Sitt—
liches: Gerechtigkeit, Klugheit ıe. ausüben. Ein verftändiger Vater ers
jeugt nicht wieder einen verftändigen Sohn, vermöge feiner Einſicht, und
der Sohn iſt nicht naturnothwendig verftändig, fondern er hat von Gott
den Geift, der einer unfterblichen Tugend fähig ift, weil er von dem ums
Sharpff, Nie. v. Gufa, 30
466
fterblichen Vater herrührt. Wäre der Menfh von Natur aus eifrig fürs
Gute, fo wäre died jeder Menfch, fo gut ald jeder Menſch fichtbar iſt.
Die vernünftige Natur ift geiftig (spiritualis), daher nicht der Fortzeus
gung fähig. Sonft wäre fie auch zerftörlih, wie wenn aus genofjenem
Brode Fleiih wird, fo wird die Species des Brodes zerftört und daraus
Fleiſch gebilvet. Allein die Species der geiftigen Natur kann nicht, wie
die der förperlihen Natur, die ihr Subject und eine verſchiedener Species
fähige Materie bat, zerftört werden. Der legte und bedeutendfte Grund
dafür, daß die vernünftige Seele nicht von Abftammung herrührt, ift der:
fie hat einen Endzweck, um defjentwillen fie da ift, und dieſer iſt höher,
als bloß das belebende Princip im Menſchen zu fein; fie foll Gott er
fennen und lieben. Die Vernunft ftammt fomit vom Schöpfer her.
(Exc. X, 677—679.
Unfterblichfeit.
„Wer aus Gott ift, hört Gottes Wort.” Der Herr fpricht bier
von der Seele, welche allein die Worte hören kann; die Ohren hören
nur die Stimme. Wenn nun die Seele, welche die Worte hört, nur von
dem Worte unmittelbar abſtammt, fo ift fte unfterblih und unzerſtörlich,
wie wir fehen, daß Alles beftändig fortvauert, was unmittelbar von Gott
erfhaffen ift: der Himmel, die Erde, die Elemente. Gott erjchafft durd
fein Wort, fein Wort ift feine Kunft. Durch diefe Kunft erfchafft er bie
der Kunft fühlge Seele. Die Seele, welde der Inbegriff der Kunſt
felbft ift (quae est ipsa capacitas artis), mißt daher Alles: Zeit, Be
wegung ıc. Sie ift daher nicht felbft zeitlich, weil fie über der Zeit ſteht
(superponitur tempori), deren Maaß fie ift. Jeder Künftler bringt fein
Werk auf die beftmögliche MWeife hervor. Co erihafft auch die unend—
liche Allmacht ein Werk ohne Ende und Endlihes mit einem Ende. Was
von Gott mittelft der endlihen Greatur, welche nichts Unendliches in ih
haben fann, hervorgebracht wird, hat ein Ende, wie der Menſch, vom
Menſchen gezeugt, fterblich iftz ebenfo die Gewächſe. in Geſchöpf, das
Gott lieben, Gerechtigkeit, Wahrheit und alle unfterblihen Tugenden üben
fan, kann auch von Gott umfterblich geliebt werden. Und da die Liebe
ihr Wohlwollen nicht nur im guten Willen, fondern in thatlächlichem
Beweiſe zeigen foll, die Guten aber in diefer Welt unterdrüdt leiden und
ihnen nicht unfterbliches Wohlwollen bewiefen wird, fo muß es ihnen in
der unvergänglichen Welt bewiefen werden. Denn die Gerechtigkeit Gottes
erfordert Vergeltung. Wie kann fie aber Dem zu Theil werden, der den
Tod um der Gerechtigkeit willen gewählt hat, wenn es durch den Tod
mit ihm ganz aus wäre? Die Seele, eine geiftige Subftanz, die feinen
467
Gegenſatz bat, iſt im Körper wie in einem Gefängniffe oder wie ber
Schiffsmann im Schiffe, und wird nicht zerftört, wenn auch das Gefäng—
nis oder Schiff zerftört wird. Daher ſprach David: „Führe meine Seele
aus ihrem Gefängniffe heraus, damit fie deinen Namen befenne.” Der
Körper ift das Werkzeug der Eeele, wie der Hammer für die Kunft des
Schmieds; mit dem Hammer geht die Kunft nicht zu Grunde, Dies
beftätigt auch Ariftoteles, wenn er fagt: Hätte der Greid das Auge eines
Jünglings, fo würde er fehen, wie ein Süngling, Die Brille ift ein
Beweis, daß nicht die Seele, fondern nur das Drgan des Anges alterds
ſcwach wird. Die Eeele ift im Körper, wie das Sonnenlicht in der
Luft; verläßt ed auch die Luft, fo doch nicht die Sonne. Das vegetative
Leben erlifcht nicht, fo wenig ald das Feuer in der Kohle, das fenfttive
jo wenig, als das Feuer in der Kerze, das geiftige fo wenig, als der
Sonnenftrahl im der Luft. Die Thätigkeit der Seele ſcheint nicht der
Zeit unterworfen zu fein. Cine jede Sache wird dur ihr Wirken ers
fanıt, das Wirfen von Zeitlibem ift ſelbſt zeitlich. Der zeitliche Körper
Rirbt daher zeitlich; wer nach Rom gehen will, reist mehrere Tage. Das
Wirken der Seele aber ift ohne Zeit, wie wir erfahren, wenn wir uns
plöglich ber das Meer hinüber denken. Der Menfh ift in die Mitte
gelegt zwifchen die höhere Natur der Engel und die niedere thierifche,
Das Mittlere aber nimmt an der Natur beider andern Gebiete Antheil.
Somit gehört er nach feinem vernünftigen Geifte der höhern, ungerftörs
lichen Natur an. (Exe. V, 488. 489.)
Die Vernunft (Cintellectus) it dad Auge (visus) der Seele. Die
Seele lebt dort ewig, wo fie den Tod nicht fieht, d. i. in der Vernunft,
Denn wenn die Vernunft, welde die Weisheit Gottes in fih hat, ihr
Leben fieht oder erfennt, weil das Erkennen desjelben ihr Sein ift und
erfennend fein fo viel heißt, als ewig lebend fein, fo ſieht fie den Tod
in Ewigfeit nicht. Denn der Lebende ſieht als in fih lebend nichts als
Leben und feineswegs den Tod, da der Tod nur die Beraubung dee
lebens if. Sehen fann nur dem Lebenden zufommen. Somit ift der
Tod dem Lebenden nicht fichtbar; wer Alles fieht, ſieht den Tod nicht,
denn der Tod ift nichts von Allem. Die vernünftige Seele, die für bie
Aufnahme des Wortes fähig ift, hat allein ein ungerftörliched Auge (visum),
weil es ewig und unbegrenzt iſt, denn fie kann durch das ewige Wort
genährt werden. Wie daher die finnlibe Sehfraft durd alles Sichtbare
kin Ende finden kann (est infinibilis) (denn nie wird das Auge des
Sehens fatt), fo wird aud die Schfraft des Geiftes nie jatt im Schauen
30%.
468
der Wahrheit. Immer wird die Sehfraft geichärft und geftärft, was
wir an und erfahren: je mehr wir in einer Wiffenfchaft Fortichritte ma-
hen, defto fähiger find wir und defto mehr ſuchen wir immer weiter zu
ſchreiten. Das ift ein Beweis der Ungzerftörlichfeit des Geiſtes.
Die Juden beten zu Gott, er möge eingedenf der Verheigungen fein,
die den Patriarchen gegeben wurden. Sind nun Patriarchen und Pro;
pheten im Gedächtniß Gottes, der das Leben iſt, jo können fie nicht todt
fein. Denn das Gedächtniß Gottes ift Gott, der das Leben ift; außer
demfelben find Die, welche vor feinen Augen tobt find. Das Gedächtniß
Gottes ift daher das Buch des Lebens; todt find Die, welche im Bude
des Lebens audgeftrihen find. (Exec. V, 488.)
Untergang der Welt.
Wenn die Welt erneuert wird und eine andere Geftalt erhält, geht
ihre Zerftörung vorher, wie wenn aus dem Ei das Junge hervorfommt.
So aub, wenn der Menfh ein Kind Gottes werden joll, was er im
Glauben der Potenz nad) ift, wie das Junge im Ei. — Aus dem Gleich—
nifje vom Feigenbaum belehrt und Chriftus, daß das Reich Gottes im
Vergleiche zu diefer Welt fih verhält wie der Sommer, nämlich ein frudt-
reicher Sommer, zum Winter. Denn in dieſer Welt nehmen wir das
Werden der Frucht im Glauben auf; im Sommer, d. i. in der andern
Melt blühen wir und bringen Früchte durch die aufgenommene Beuchtigfeit.
Wenn die Bäume Frucht tragen, ift cd Sommer. ©leihwie der Baum
im Winter feine Frucht bringt, fondern in fih (Nahrung) aufnimmt,
und feine Frucht an ihm wahrgenommen werden fann, fo wenig als eine
Roſe an den Dornen und ed nicht möglidy jcheint, Daß aus dem trodenen,
rauhen und unfheinbaren Holze im Sommer cine ſchöne Roſe mit Vege—
tationdfraft hervorwachfe und föftlihen Wohlgeruch verbreite, fo geht aub
der vom Menjhen im Glauben an Chriftus aufgenommene Fruchtfeim
der Ehriftusähnlichfeit im andern Leben als Leben auf; allein die Unwiſ—
fenden und Ungebildeten glauben es nicht.
Zwei Dinge lehrt Ehriftus: wenn die fichtbare und zerftörliche Welt
ihrem Ende zugeht, fo erfcheint das Zeichen der Erlöjung, wie wenn ber
Winter feinem Ende zueilt, das Zeichen des fommenden Sommers auf
geht. Dies verftehe ih fo, daß, wie die Zeichen der Zerftörung dem
Untergange der Welt noch während jener Generation vorhergehen, je
fommen auch die Zeichen des fih nahenden Reiches Gotted; es wird
nämlid der Geift der Auserwählten und Gläubigen eine Stärfung erhalten
(fortificabitur), weil die Anfunft Chrifti, ver am Tage des Gerichts ſicht⸗
bar fein. wird, in den Wolfen mit großer Macht und Herrlichkeit erfolgen
u
469
wird, in jenen Molfen, welhe dahin eilen, wie die Wolfen, unter denen
Ehriftus verborgen iſt. Dieſe Ankunft geht dem Untergange diefer Welt
voraus, wie bier (in der heiligen Schrift) gefchrieben fteht. Denn es
ſagt Chriftus: „Wahrlich, fage ich euch, diefes Geſchlecht wird nicht vers
gehen, bis alled Das geſchieht,“ d. i. alle die vorher angegebenen Zeichen.
An jenem Tage wird eim neuer Himmel und eine neue Erbe fein,
und der Menichenfohn wird zu einer Erneuerung erfcheinen. Denn ber
Menſch' wird ungerftörlih und unfterblich auferftehen, und doch eben der;
jelbe fein, der jest fterblich ift. Er wird daher einen wahren Leib haben,
aus wahren Elementen, wie früher gebildet, er wird die Augen haben,
die er früher hatte, aber Alles wird die Unfterblichfeit anziehen. Wie
der Menſch durch die Auferftehung erneuert wird, fo auch Alles, ohne was
der Menſch gegenwärtig Chodie) nicht fein fann. Nun aber hat gegens
wärtig das ganze Univerfum: Himmel, Erde und was in ihnen ift, auf
dad Sein des Menfhen Einfluß. Ed muß daher auch alles Diefes,
d. i. das ganze Univerfum, erneuert werben, wenn ber Menſch in bie
Unfterblichfeit verfegt if. Wie alfo der Menfch vergehen wird (transibit),
jo auch Himmel, Erde und Alles. Nur das Wort, durch welches Alles
in's Sein hervorgegangen ift, wird nicht vergehen, denn durch dasjelbe
wird Alles nen gemacht. (Exec. V, 493 f.)
Auferftehung.
Es könnte Jemand fagen: Da die Auferftehung eine allgemeine ift,
jo fage, wie fie erfolgt. Ich antworte: die Art und Weife ift uns uns
befannt, allein mit Einigen kann man fagen, im Menfchen fei eine förper-
liche Natur, die aber viel Himmliſches (multum coelestialem) an ſich
bat, wie in ihm ein Geift ift, der viel Göttliched (multum divinus) hat.
Diefe himmliſche Natur nun, die man die Duinteffenz nennen fann, und
die elementariiche Natur in fih als in der Einheit begreift, bleibt, wenn
die Elementarftoffe auch zerftört find, (wie wenn Gold, das Blei mit fi
vereinigt enthält, übrig bleibt, wenn auch das Blei aufgelöst if). Der
Geift des Menſchen hat nun eine Hinneigung (inelinatur) zu jenem feinem
himmliſchen Körper und wird am Ende der Weltbewegung mit ihr wieder
vereint, fo daß das Gericht gehalten wird über den mit dem geiftigen,
bimmlifhen und ungerftörlichen Körper vereinten Geift, was eben das
Menſchenweſen ausmacht (in quibus consistit homo), und an dem Mens
ſchen nach feinen Verdienften Himmelfahrt, oder nach feinem Mißverdienfte
(pro demerito) Höllenfahrt vollzogen wird, (Exc. X, 672.)
470
Allgemeines Gericht.
Die Urſache, warım ein allgemeines Gericht ift, iſt, weil ver
allmädhtige, weile und barmberzige Gott auch gerecht ift. Wie wäre er
Gott, wenn er nicht gerecht ift? „Gerecht ift der Herr, er liebt Gerechtig⸗
keit.“ Allmächtig bewies er fih in der Schöpfung, weile in der Anord—
nung des Ganzen, barmberzig in der Erlöfung. Es ift nur mod übrig,
daß er fih ald gerecht beweist. Da er nämlich gütig ift und die geiftige
Natur mit Freiheit ausgeftattet hat, um feine Güte zu verfoften, jo er:
fordert die Gerechtigfeit, daß über diefe geiftige Natur ein Urtheil gefällt
werde, ob fie durch ihre Freiheit das Leben verdient babe, weldes in
dem Genuffe des Schöpfers felbft befteht, oder nicht. Und da Derjenige
ohne alle Entſchuldigung ift, der nicht im Werke fich barmberzig zeigt
(denn wie will Derjenige, welcher nicht Mitleid mit dem Nächften gehabt
hat, die Strenge der Gerechtigkeit mildern?), fo wird das ftrenge Gericht
gegen Diejenigen ergehen, die in den Werfen der Barmherzigkeit fich lieb»
[08 bewielen haben. Da vor dem Angeſichte jened Richters fein Menſch
rein ift, fo haben wir nichts darzubringen, als die Werfe der Liebe, da:
mit fie unfere Unreinigfeit zudeden. Wir können bei dem Mangel der:
felben feine Entfhuldigung finden, denn im und felbft finden wir den
Richter im Gerichte unferes Gewilfens, welches jagt, daß wir das dem
Andern thun follen, was wir wollen, daß man und thue. In jenem
gerechten Gerichte ift Alles klar und offen, und es fann über den Aus
fpruch des Richters kein Bedenken geben, weil er nur über Dasjenige
richtet, was vor unferem eigenen Gewiſſen unbeftrittenermaaßen als
gerecht erfcheint (Non judicat nisi super iis, quae apud conseientias
nostras sunt notorie justa). Es bedarf feines Advocaten, feines Ge
richtsverfahrend, es find Feine Zeitfriften zur inleitung des Proceſſes
nothwendig. In Einem Augenblif wird die Sache erledigt, Eine Een
tenz iſt es, die ruft und verdammt, Zum Richter ift einzig Derjenige
eingefeßt, der an und durch fich felbft Richter ift, Jeſus der Gottmenid;
indem Alle ihn als den Richter anfchauen, fchauen fie in ihm ihren
Urtheilsſpruch. Die ihm Gleichgeftalteten werden Kinder Gottes genannt
werden, weil er felbft der Sohn Gottes ift, die ihm Unähnlichen werden
dem ihm unähnliben Satan zugefellt werden, ver mun ihr Haupt und
Fürft fein wird. (Exe. V, 511.)
471
Die Vortrefflichkeit der hriftlihen Sittenlehre,
Die meiften Stifter von Religionen (legislatores) haben das ewige
Dort in ihren Religionsfgftemen (leges)') auszudrüden fih bemüht,
und die einzelnen Religionsiyfteme find gewiſſe Gedanken (quaedam
loeutiones) des Wortes Gottes, der ewigen Vernunft, ?)
Nur jenes Sittengefep ift gut, welches aus der Liebe hervorgeht;
je mehr es Liebe enthält, deſto befler ift ed. Das Sittengefeg, das die
volltommenfte unveränderliche und ewige Liebe felbit ift, iſt nicht von
diefer Welt, weil es durch jeden vernünftigen Geift allezeit erfüllt werben
kann. Er kann in ver Beobachtung desſelben leben. ... Glauben wir,
Chriſtus fei der Sohn Gottes, fo zweifeln wir nicht im Mindeften, daß
feine Worte die Worte Gottes des Vaters find, der ihn gefendet, fomit
Worte der Wahrheit, fo daß Himmel und Erde vergehen, aber feine Worte
nicht, fowie, daß Gott, der Spender des Lebens, und in feinem Sohne
nur Leben und Worte ded ewigen Lebens gegeben hat. Im Glauben
an Jeſus, den Sohn Gottes, haben wir den Glauben, der die Welt
überwindet, der und die zuverfichtliche Gewißheit gibt, wir werben bie
Verheißung des ewigen Lebens erlangen, wenn wir feine Gebote erfüllen.
Und damit nicht die Menge der Gebote und die Erlangung ded Bers
beißenen unmöglih made, jo haben wir nur Ein Gebot, die Liebe,
das in erfter Linie fih auf Gott, im zweiter auf den Nächten bezieht.
Eofern es fih auf den Nächten bezieht, bewegt es fid im Aehnlichkeit
mit dem Gebote der Liebe Gottes.
Daß aber Alles aus dem Glauben hervorgeht, erficht Jeder aus
folgender Berradtung. Iſt der Glaube an Jeſus, den Sohn Gottes,
groß und vollfommen, und nicht der mindefte Zweifel mehr vorhänden,
wie denn die Apoftel und Märtyrer ihren Glauben durch ihr Blut bes
zeugt haben, fo begeht der fo Glaubende aud Feine Sünde, denn er
weiß mit voller Gewißheit, daß die Sünde, wenn fie Todfünde ift, den
ewigen Tod herbeiführe. Der Glaubende jtirbt lieber den zeitlihen Tod,
ald daß er eine Todſünde beginge. Alle Unbilden diejer Welt trägt er
mit Freude in größter Geduld; denn er weiß, daß zweifellos das Wort
Ehrifti feftfteht: „Freuet euch und frohlodet, die ihr Unrecht duldet, groß
ift euer Lohn im Himmel’; er weiß, daß Die, welde in den Augen der
tbörichten Welt zu fterben fchienen, in der himmliſchen Glorie leben.
Der wahre Ehrift befiegt die Welt; die Armuth, die den Kindern dieſer
1) lex beveutet bier im Zufammenhange — Glaubens: und Sittenfyftem, wie auch
an vielen Stellen in: de cribrat. Alcoran. In dem obigen Nbfchnitte tritt jedoch mehr
ber Begriff des auf dem Glauben rubenden Sittengefehes in dem Worte lex hervor.
2) Der Grundgebanfe der Schrift: de pace fidei,
472
Welt läftig ift, ift den Söhnen des Lichtes willfommen. Denn die Ars
muth diefer Welt bringt ihm die Schäge der andern Welt, nad der er
eilet, um dort zu bleiben. Die Betrübniß in dieſer Welt bringt dem
Glaubenden die Freuden der andern Welt, der Tod hienieden dort — das
ervige Leben. Wie bewundernswerth ift die Kraft ded Glaubens, der
in jedem Leiden Troſt findet. In diefer Erwägung ſpricht der Chtiſt:
wer follte nicht Gott lieben, von dem wir einen 2ehrmeifter haben, ver
und die von jeher verborgenen Geheimniffe enthüllt. hat? Wer wollte
nicht diefen Lehrmeiſter lieben, ver und gelehrt hat, mit Einem Worte:
es heißt Glaube, können wir zu Allem, auch was unfern Verftand übers
fteigt, uns hinauf erheben und Alles glüdlich erreihen. Wer wollte den
Lehrmeifter nicht lieben, der, da er und die Dinge des Glaubens nur
durh das Hören mittheilen Fonnte, Fleiih annahm und fi unferer Nas
tur gleichgeftellet hat, um und auf diefem Wege den Glauben zu. vers
fünden und und aus dem zerftörlihen Leben ind ewige hinüberzuführen?
Wer wollte nicht diefem Lehrmeifter buldigen, der, da er und die Wahr
heit des Evangeliums nicht vor die Augen ftellen fonnte (quum non
posset ad oculum ostendere), durch fichtbare Wunder und übernatürlice
Werfe uns allen Zweifel benommen und zulegt und nod das allergrößte
Zeugniß der Wahrheit gegeben bat, indem er im fchmählichiten Tode
fein Leben für die Wahrheit hbingab?... In feinem Blute hat er und
gereinigt, in jenem Opfer auf dem Altare des Kreuzes.
(Exec. VI, 538. 539.)
Die Gebote Gottes find Gebote der reinen Vernunft.
Ohne allen Zweifel ift die abfolute Vernunft der König des Unis
verfums, alles Seind und Lebens . . . . Chriſtus Jeſus iſt diefe incars
nirte abjolute Vernunft. Er ift daher unfer König, wir feine Unter:
thanen ... Wir find ihm daher nicht einen bloß relativen Gehorfam
(non debemus obedire secundum quid, hoc est in eo, in quo nobis
videtar) ſchuldig, jondern bis zum Tode, ja zum fchmählichften Kreuzed-
tode. Wir willen jedoch, daß ein wahrer König nichts Böſes befichlt,
jondern feine ganze Regierung zielt auf das Gute bin. Wenn daber
aud etwas hart und ſchwer erfceint, jo lange es geichieht, aber füß in
feinem Ende ift, jo zweifelt doch fein Menſch, daß das gefchehen müſſe,
was die Vernunft gebietet. Die Gebote unfered Königs find die
Gebote der unbefledten, unbejhränften, gerechten, wahren, guten, voll
fommenen, fräftigen, weifen und allvorfehenden Vernunft: Den zu lieben,
der dir Alled gegeben hat, was du haft, fammt der Fähigkeit, zu ergreis
fen, was du willft: Leben oder Tod. Erſcheint er dir nicht als der Maͤch—
473
tigfte, Befte, Freigebigfte und Gerechtefte? Wer ift er? Er ift der Herr
der Kräfte, der König der Herrlichkeit, der Vater und Urgrund alles
Seins, Lebens und Denfens! Ich muß ihn daher mit ganzer und voller
Kraft abfolut lieben, ihn den Urquell aller Tugenden, ver in fi
liebenswürdig ift, von dem jede gute Gabe flammt. Zweitens, Niemand
zweifelt, daß, wenn Gott unjere Liebe verdient, ihm nichts vorgezogen
werden darf, Wer etwas der Wahrheit vorzieht (Gott ift die Wahr«
heit) zieht etwas Gott vor. Ein Solcher handelt gegen fein eigenes
vernünftiges Sein und gibt fich felbft in den Tod hin. — Ein andres
Gebot der Bernunft ift: thue dem Andern, was du willft, daß man
dir thue; befolgit du Dies, fo liebft du Gott und den Nächften. Wer
wollte diefen VBernunftgeboten nicht gehorhen? Der Jude und Heide, der
Vernunft hat, fann fie nicht in Abrede ftellen. Unfer König beftehlt nichts
Anderes, ald das zu thun, durch deffen Unterlaffung du dich felbft notb-
wendig verdammeſt. Er befichlt nichts Anderes, allein er fügt nod
bei, was vor ihm Niemand wifjen fonnte, weil Niemand ein
Ange hatte, um fiber den geftirnten Himmel hinaus zu fchauen oder Uns
förperliche® zu fehen. Die Vernunft war in Allen eine bejhränfte
mit beftimmten Maaße; Keines Vernunft reichte bid zum Ans
fange ihrer felbftz wie wenn ein Mind nach feiner Geburt auf eine
Inſel ausgefegt würde und bis zu den Jahren der Jugend über feinen
Anfang nachdenken fellte, fo würde es ſchlechterdings nichts finden... -
Daher fam Ehriftus und verfündete und vom Himmel den Anfang unfes
res Geiſtes, deffen Ziel und Ende und das Leben im Reiche des Baters,
und gab uns alle möglibe Bürgſchaft unfered Glaubens an ihn... .
(Exc. III, 424.)
Nachweis des freien Willens,
Der Menſch bat einen Leib, der nicht aus fich lebt; denn wir jehen,
daß der Leib Fein Leben hat, wenn ihm die Empfindung fehlt (quando
non sentit). Er bat alfo das Leben aus der empfindenden Kraft (sen-
sitiva virtus). Wir feben aber, daß diefe Kraft nad Richtungen, vie
ihrem Wünſchen gerade entgegengefegt find, gelenft werde, wie zur Keufch-
heit und Enthaltfamfeit. Demnach muß das eine höhere Kraft fein, der
die Empfindung dient, und dies ift der freie Wille. Der freie Wille
fann aber nur in der geiftigen Natur fein. Denn der Wille fegt Einſicht
voraus, da er ein Wählen ift; das Wählen ift ein Vergleihen und Unters
ſcheiden. (Exc. X, 680.)
474
Gnade.
Zum Behnfe des fittlihen Fortichritts läßt Gott auf eine Zeitlang
eine Verfuhung zu, allein zur rechten Zeit ift der Beiftand da, der, wenn
er angefleht wird, aus der Berrängniß befreit, ja, er befreit nicht mur,
fondern verherrlicht den Angefochtenen, weil er in der Verfuchung geſiegt
hat. Ehriftus gibt den Siegeslohn Dem, in welchem er felbft geſiegt bat,
denn Der, in dem er flegt, ift fein Getreuer, er wohnt daher in ihm mit
feiner Gnade, Das MVerbleiben der Gnade des Herrn beruht auf der
Treue feines Dienerd (Gratiae domini mansio est fidelitas servitoris).
Der Herr fchreibt den Sieg, den er durch feine Kraft und Macht errungen
hat, der Treue feines Dienerd zu. Die Treue erlangt daher den Preis,
denn fie ift es, welche die ſtarkmachende Gnade an fich feflelt. Chriftus
fagt: „Es genügt dir, Paulus! meine Gnade,“ denn die Natur genügt
nicht. Nur die Gnade ift das Genügende (est sufficientia); fie enthält
das Fehlende. So fann dem Diener eines Königs der Adel der Geburt,
Tapferkeit, Klugheit und mehreres Anvere fehlen, was von einem fönig
lichen Diener gefordert wird, allein wegen feiner Treue iſt er im der
Gnade des Königs. Diefe Gnade des Königs genügt, fie ergänzt Alles,
fie macht ihm adelig, tapfer, Hug in den Augen des Königs und das
genügt ihm, in den Augen des Königs durch deſſen Gnade ohne Mangel
dayuftehen. Die Gnade macht den Menſchen würdig, Adoptivfohn Gottes
und fo auf das Höchfte, ald Erbe des Reiches Gottes, glücklich zu fein.
Die Gnade Gottes ift das Princip (forma), das die ſchwache Natur zur
Bolltommenheit bringt (perficiens). Die Fülle der Gnade in ihrem Fort
jhritte zur Mittheilung an Alle ift Ehriftus (plenitudo gratiae profieien-
tis ad communicandum omnibus est Christus), aus deffen Fülle Ale
empfangen und vollfommen werben. Wie dem Paulus, fo genügt Allen
diefe Gnade, die die abfolute Gnade ift, ohne vie Niemand Gott wohl
gefällig fein fann, durch welche Alle Gott wohlgefällig werden, weil in
dem wahren Sohne Gottes, deſſen Sohnfhaft alle Gnade in fi fahl
(eomplicat).
Seien wir alfo getreu, wie Paulus, und zeigen wir gleich ihm die
Treue in jeglicher Bedrängniß, und wir werden hinreichende Gnade haben,
durch die wir ihm ähnlich werden, in der Herrlichfeit Gottes des Waterd,
der gepriefen ſei in Ewigfeit! (Exec. IX, 645.)
Gnade, in und aufgenommen durd Liebe.
Gott kann feiner Natur nah nicht in einem befchränften Raume
fein. Allein die Gnade ift das Gleiche in Vielen. Die Gnade eined
475
Königs kann auf vielen feiner Diener zugleich ruhen und dies {ft fo viel,
ald daß Viele in der Gnade ded Königs find. Daß Gott durch feine
Gnade in vielen Heiligen ift, heißt fo viel als: viele Heilige find in der
Gnade Gottes. „Wer in der Liebe bleibt, bleibt in Gott und Gott in
ihm." Es ift eine Coincidenz: das Bleiben des Heiligen in Gott und
Gottes in dem Heiligen. Da jedoh Gottes Gnade feine Güte und feine
Welenbeit ift (cum Dei gratia sit bonitas ejus et sit essentia ejus), jo
it Gott nirgends durch feine Gnade, wo er nicht ift durch feine Wefenheit,
wiewohl Gott nicht in Allem, was ift, ald Gnade aufgenommen wird.
Wohl aber würde Alles, was ift, micht fein, wenn im ihm nicht Gott
wäre, der das Sein (entitas) alles Eeins iſt. . . Obwohl Gott nichts von
AMem, was er gemacht bat, haffen kann, fo fann er doch das Eine _
mehr lieben, ald das Andere. In diefer Hinficht hat Gott eine Regel
gegeben, nach. der wir wiffen, ob er uns liebt, und wir in feiner Gnade
find, wenn er fagte: „Sch liebe, die mich lieben.“ Unſere vernünftige
Natur, welcher von Gott die Fähigkeit gegeben ift, Gott zu faffen (capax
Dei), ift der Tempel, in welchen Gott aufgenommen werden fann nad
einer Barmherzigkeit und Liebe, wenn wir Gott lieben. Im feuer der
geiftigen Liebe wird Gott aufgenommen, der die Liebe if. Die Liebe iſt
etwas Edles und Freied. Unſere geiitige Natur muß daher edelgeſinnt
und frei fein, um wahrhaft und auf edle Weife ihren Gott Tieben zu
fünmen. Wird Gott wahrhaft geliebt, er, der die Liebe ift, fo muß er
nothwendig in dem Liebenden fein. Mer einen förperlihen Gegenftand
liebt, trägt denfelben im feiner Liebe; weil aber diefer Gegenftand nicht
die Liebe ift, fo iſt er micht in dem Liebenden, obwohl der Liebende in
fh die Liebe zu ihm trägt. Der Gegenftand iſt nur in feinem Bilde im
Liebenden, nicht in der Mahrheitz nur Gott fit im der geiftigen Liebe
wahrhaftig, weil nur Gott die Sättigung der Liebe if. Da das, wad
außer Gott (praeter Deum) geliebt wird, nur im Bilde zu dem Liebenden
gelangt, fo fann es nicht füttigen. Die geiftige Liebe findet außerhalb
der Wahrheit feine Ruhe. Jene Schattenbilder und Scheingeftalten von
göttliher Liebe bringen nur Dual und Leiden (Umbrae igitur illae et
figurae charitatis divinae potius eruciant et passiones inferunt). Der
Tempel Gottes iſt der von Liebe erfüllte vernünftige Geiſt. Wenn der
Liebende das Bild des geliebten Gegenftandes in fih trägt, fo hat er ſich
zur Aehnlichkeit mit demſelben umgeftaltet (hoc est se transformasse etc.)
Lieben wir daher Niedriges, fo werden wir ind Niedrige umgeſtaltet. . .. .
Wer daher Gott liebt, trägt fi in Gott über (in Deum transfertur),
was nicht gefchehen kann, ohne daß fi Gott gewiffermaaßen auch in ihn
überträgt (quod esse nequit, nisi Deus fuerit quodammodo translatus
in ipsam, scil. mentem). Da Gott die Liebe ift, fo kann der Geift Gott
476
nicht erfennen, ohne ihn zu lieben. So fann es denn feine wahre Erfenntnif
Gottes geben, wo nicht die Liebe if. Im jedem Sünder ift daher Uns
fenntniß (ignorantia) Gottes. Affimiliren und Affimilirtwerden coin—
eidiren im Geifte, wie Erkennen und Lieben. Ohne eine Sehnſucht erfennt
der Geift nicht und ohne Erfenntniß liebt er niht. (Exec. V, 503.)
Die Belehrung.
Dbwohl die Todlünden eine ſolche Laft find, daß fie die fündige
Seele ſchwerer machen, ald das ganze Gewicht der Erde, fo daß die
Seele dadurch bis in die Hölle, zum Gentrum der Erdenfchwere herabge—
drüdt wird, fo ift doch Jeſus barmherzig und fucht jede irrende Seele
auf. Läßt fie fib von ihm fuchen und verbirgt fie ſich nicht vor dem
Antlige ded Suchenden, dann ergänzt er felbft ihre Ohnmacht, fi in
den Himmel zu erheben und auf feinen eigenen Schultern trägt er fe
binauf in die Freude der Heiligen.
Melde Strafe verdient der Verirrte, der fich nicht finden und bes
fehren läßt! Seine Trauer wird mit Necht fo groß fein, ald groß die
Freude im Himmel über feine Befehrung geweien wäre. Ewige Trauer
und ewiged Elend ift alfo fein 2008, weil die Freude im Himmel
ewig ift.
Wenn ein Glied des Körpers das Leben verloren bat, z. B. die
Hand verdorret ift, und dann das Leben wieder erhält, fo ift der ganze
Menſch darüber erfreut.
Der Auffindung einer verlormen Seele geht eine Umkehr (revolutio)
des ganzen Haufe voraus. Bevor der Sünder fih ald Sünder be
fennt und Reue empfindet, gebt eine große Veränderung In ihm vor und
Alles, was im Haufe ift, muß fich verändern. In der wahren Buße
erleidet die ganze Sinnlichkeit eine Umgeftaltung, alles Ergötzen des
fletichlih gefinnten Haufes wird zernichtet, eine Art Todesfampf (quae-
dam agonia) geht dem Sceiden von der Welt voraus, auf daß durd
die Buße die Reinigung der Seele erfolge, die mit der ewigen Weisheit
wieder verlobt werden fol, Wenn dann die Weisheit ihre geliebte Braut
aus dem Rachen des Todes und Verderbens entriffen hat, jo ruft fie die
Nachbarn zufammen, ſich mit ihr zu freuen. Das find die Kräfte der
Engel, die der Weisheit zunächit find. So freuen fih denn alle ver
nünftigen Geifter mit dem Worte Gottes, wenn Eine vernünftige Seele,
die verloren war, durch die Weisheit wiedergewonnen wird. Den
ohne einen Sieg über den Fürften diefer Welt ift dies micht möglid;
daher freuen fich über diefen Sieg des Wortes, das die Waffen feines
Feindes zerbriht und feine gefangene Braut befreit, alle Kämpfer
477
feined Heeres. Beachte dies, o Sünder! Siehe, wie did dein Schöpfer
liebt, der über deine Errettung eine foldhe Freude hat, mit dem ſich audı
alle heiligen, vernünftigen Geifter freuen! Auch deine Freude wird aljo
groß und ewig fein, weil du fiehft, daß fih Gott und alle Heiligen um
deinetwillen freuen. Dieje Freude Gotted und der Heiligen ift deine
Freude. Mit ihnen allen wirft du dich mit Ehriftus, deinem Erlöfer,
freuen, dem du, wie er es verdient, ewige Ehre und Verherrlichung
erweileft. | ( Exc. VI, 543.)
— —
So weit der Himmel von der Erde ift, jo weit ift die Freude der
Himmlifshen von der der Erdbewohner, und das Etreben Ehrifti, einen
Sünder aufzuſuchen und zu befehren, von den Bemühungen eines Men:
Ihen, fein verlornes Schaf wieder zu finden, verſchieden.
Wenn die Todfünde auch noch fo ſchwer ift, fo daß fie die fündige
Seele mehr befhwert, als jede Laft der Erde, und die Eeele bis zur
Unterwelt, bis zum Mittelpunft der Schwere herabfinft, fo ift doch Jeſus
jo gnädig, daß er jede verirrte Seele fucht. Und wenn fie fi finden
läßt und ſich nicht jelbft vor dem Antlige des Suchenden verbirgt, jo er-
gänzt er Jelbft ihre Ohnmacht, in den Himmel fib zu erheben und trägt
fie auf feinen eigenen Schultern hinauf zur Freude der Heiligen.
So groß wird die Strafe des Verirrten, der ſich nicht finden und
befehren laſſen will, fo groß wird billig des Verftodten Betrübniß fein,
ald groß Die Freude über feine Bekehrung im Himmel geweſen wäre.
Ewige Trauer und ewiges Elend wird ihn treffen, weil auch die Freude
im Himmel ewig if. Die Freude im Himmel wird vermehrt dur die
Theilnahme an der Geſellſchaft der Heiligen und über neunundneunzig
Gerechte entfteht Feine fo große Freude, als über die Befehrung eincs
einzigen Sünderd; denn die Gerechten find immer Eines mit dem Vater,
wie geliebte Söhne; und weil fie nicht tobt, jondern lebend find, fo ents
fteht feine Freude über fie, als hätten fie neu aufgelebt. Wo aber Ein
Glied des Körpers das Leben verloren hat, 3. B. die Hand verborrt
it, da empfindet das ganze Leben des Menfchen, wenn jenes dem Leben
wiedergegeben ift, Freude, und es ift, wie wenn das Leben, das verloren
war, wieder gefunden worden wäre In allen andern Gliedern aber war
dad Leben nie verloren, daher auch in ihnen feine Freude über ein wieder
erneutes, fondern nur über die Erhaltung und Vermehrung des gewöhn—
lihen Lebens. Die daher über große Sünden eine recht lebhafte Reue
empfinden, erregen die Freude aller Bürger der triumphirenden Kirche,
und je mehr wir die Freude der Heiligen erregen, eine deſto größere
Freude erlangen wir felbft. Wenn wir und ſchon in diefer Welt bemühen,
478
Soldies zu thun, worüber fib Jedermann unter uns freut, fo laßt und
noch viel eifriger Werke der Buße thun, über welche ſich die ganze himms
liihe Verſammlung ewig freut!
Mit einem Lichte wird die verlorene Seele gefucht; fie verbirgt fid,
denn fie ſcheuet das Licht, weil die böfen Werke fich verbergen. Der
Auffindung derfelben geht daher eine Umwälzung in dem ganzen Hauſt
vorher. Bevor die fündige Seele fi als Sünderin befennet und Buße
thut, geht eine große Veränderung vorher und Alles, was im Hauſe if,
geräth nothiwendig in Bewegung; denn bei der wahren Neue beugen fid
alle Sinne und jedes Vergnügen des fleifchlichen Haufes wird vernictet:
der Scheidung von der Welt geht ein Kampf voraus, jo daß durd
Buße eine Reinigung der Seele, die nun der ewigen Weisheit fich ver:
lobt, erfolgt. Wenn daher die Weisheit ihre geliebte Braut dem Rachen
ded Todes und ded Verderbend entriffen hat, fo ruft fie ihre Nachbam
zur Mitfreude auf — die Eugel, die der Weisheit am nächſten ftehen.
Es freuen fib alle vernünftigen Geifter mit dem Worte Gotted, wenn
diefes eine verlorene vernünftige Seele durch Weisheit wieder gewinnt;
denn dies ift ohne einen Sieg über den Fürften diefer Welt unmöglic.
Daher müfjen fih über den Sieg ded Worts, wenn ed die Waffen ſei—
ned Gegners zerbricht und die von diefem gefangen genommene Braut
befreit, alle aus feinem Heere mitfreuen. Beachte nun, o Sünder, wie
fi mit dem Worte Gotted bei deiner Befehrung alle Engel mitfreuen!
Siehe, wie dich dein Schöpfer liebt, der fih über dein Wohl fo jebr
freut und mit ihm alle vernünftigen Geiſter! Deine Freude wird alſo
ewig und unendlich fein, weil du über did — Gott und alle Heiligen fih
freuen fiehft und dieje ihre Freude wird auch deine Freude fein, weil du
mit ihnen allen in Chriſtus dich freueft, dem du dadurch ewigen und nie
welfenden Ruhm und Preis bereiteit. (Exec. VI, 542. 543.)
Weg zur Lostrennung von der Sünde.
Zuerft muß man in das Herz fich erheben (ascendendum est primo
ad cor), für's Zweite in ein reined Herz, drittens in ein reines und
von Liebe entzündetes Herz.
In die Todfünde haft du dich durch dreifaches Herabfteigen vers
widelt: dur die Wegwendung von Gott im Hocmuthe, dem formalen
Grund der Eünde und Hinfcehr an die Greatur, durch Wohlgefallen an
der Eünde, durch wirflihes Handeln gegen das Geſetz Gottes. Erhebe
dih nun gleichfalls in dreifaher Stufe! Zuerft wende das Herz von den
Greaturen weg und habe den feften Vorfag, wenn du aud taufendmal
fterben müßteft, Gott zu dienen und dich nicht mehr den Greaturen zu
479
unterwerfen, mit Schmerz über die erfolgte Wegwendung von Gott.
Diefe Stufe ift die Zerknirſchung (contritio): das harte Herz wird
erweicht, zerknirſcht und ſchmilzt. Zweitens, weil du Gott im Hochmuthe
verachtet haft, mußt du dich einem Menſchen, der an Gotted Statt die
Löjegewalt hat, demüthig unterwerfen und ihm, als wäre er Chriftus,
der Herr und Richter, in Demuth, Zerknirſchung und Schmerz deine
Eünden befennen. Dann werden dir nach dem Maaße der Zerfnirs
bung. und der ehrfurctsvollen Verdemüthigung deine Emden in der
Beihte nachgelaffen. Drittens, wie du bisher deine Glieder dur die
Sünden zu Werkzeugen ded Satans gemacht haft, fo mußt du fie nun
zu Werkzeugen der ©erechtigfeit machen, in Helligung, auf daß du Ents
gegengeſetztes durch Entgegengefegted heileſt und. Genugthuung leiſteſt.
Dann biſt du in's Herz zurückgekehrt. (Exc. III, 405.)
Wiedergeburt.
Das Ei fommt vom Schöpfer, daraus wird ein Vogel, dann wächst
diefer jo, daß er fliegen fan. So iſt ed auch mit unjerer geiftigen
Natur. Wie Gott die Greatur aus dem Nichtſein zur Aehnlichkeit mit
ich ruft, fo fammelt die geiftige Natur die Aehnlichfeit der Dinge in fich,
um fib den Dingen ähnlich zu machen. Der menſchliche Geiſt, durch das
Wort Gottes belehrt, erfaßt daher Gott, um fih ihm ähnlich zu macen
und nimmt in der Wiedergeburt die göttliche Geftalt feines Scöpfers an,
wie dad Ei zu einem Jungen (in pullum) wiedergeboren wird. Allein
ed gelangt noch nicht zur Vollfommenheit, jondern wird erft durd eine
lebengebende Bewegung vollendet, wie dad Junge aus dem Ei noch feine
Federn hat, fondern erft allmählig zum Fliegen fähig und dem Vogel,
aus dem es ftammt, Ähnlich wird. Im der Geſtalt eines fliegenden Vo—
geld wurde der heil. Geift geiehen. Die fliegende Taube bezeichnet
ſeht richtig die Einfachheit des heil, Geiſtes. Der Taube gleich wird
unjer Geift immer geiftiger, um zulegt zu jener göttlichen Geftalt zu ges
langen, aus der er durch Erfhaffung hervorgegangen iſt. Siehe, wie
das Ei, deſſen Bewegung feiner Natur nah nach Unten geht, Icbendig
wird. Nachdem es Nahrung zu fih genommen, erjtarft der Lebenägeift,
ed erhält Federn, mittelft deren es fih erhebt, nach Dben bewegt und
in die Höhe aufjhwingt. So wird unfere Seele, die nad der Natur
des Fleiſches fih nach Unten neigt, wiedergeboren, wird lebendig, und
wenn fie die Speiſe des geiftigen Lebens gefoftet, belommt fie die Fe
dern der Liebe und der Betrachtung (contemplationis) und ſchwingt ſich
in die Höhe. (Exc. X, 674.)
480
Wer Quellwafler trinkt, trinft nicht die Quelle ſelbſt; könnte er bie
Duelle felbft trinfen, fo würde er nie mehr dürften, weil die lebendige
Duelle in ihm wäre. Wer den Geift trinft, der trinft die voll fprus
delnde Duelle, ein fi felbft unaufhörlich vermehrendes Woffer.... So
wird auch die Kraft des Geiftes Chrifti, die den geiftigen Sohn erzeugt,
zu einer geiftigen Quelle, die fih ewig lebendig aus fich felbft bewegt.
Eie ift daher wie ein göttlicher, geiftiger Samen. Diefe geiftige Geburt
wird Wiedergeburt genannt, weil unſere gelftige Natur noch einmal
geboren werden muß. Gleichwie der Wiſſende noch einmal geboren if,
weil der zuvor Unwiſſende (hinſichtlich des Wiſſens) ein anderer Menſch
geworden ift, nicht ald 0b von Außen etwas Sichtbares in den innern
Menſchen eingedrungen. wäre, fo wird unfer Geift wiedergeboren, wenn
in ihn der Same Gottes oder der Wiſſenſchaft des Lebens kommt, nict
durd Gindringen von irgend Etwas von Außen, fondern durch die Kraft
des Allerhöcften, die unfern Geift überfchattet, ihn ummwandelt und nad
fih umgeftaltet, wie ein ſchöner Gegenftand die Traurigfeit in Freude
verwandelt und nad ſich umgeftaltet. Wie daher der Sohn Gottes,
nod einmal geboren (denuo natus) durd die Kraft des Aller:
böhften Menfhenfohn geworden ift, jo wird der Menſchen—
fohn, wiedergeboren durd die Kraft des Allerhöchſten, Got:
tesjohn.... Zit das höhere, göttliche Princip — der Glaube, im unfern
Geift eingelenkt, jo wird es zu einer göttlichen Quelle, deren wahres und
lebendiges Waſſer ewig fortjtrömt. Daher fagte Chriftus, daß aus Dem,
der an ihn glaube, Ströme lebendigen Waflerd von Innen heraus ewig
audftrömen. (Exc. X, 657.)
Ser Chrift bringt ſich Gott zum Opfer.
Mer ein lieber Sohn Gottes fein will, der muß nach der Weile
Ehrifti handeln, er muß aus Liebe fih zum Dpfer machen und fich Gott
ald ein wohlriebended Opfer darbingen. In der vollfommenen Liebe
aber wandelt Der, in dem die Liebe ftarf wie der Tod ift, d. b. in dem
nichts, was fein ift (nihil sui), fondern nur Chriftus lebt. In wem nur
Chriſtus lebt, in dem lebt die Liebe Gottes und des Nächften.
Der wahre Chrift macht feinen thieriihen Menſchen zu einem Opfer
thiere; er ftredft über ihn aus die Hände der Kraft des Geifted als über
die Sünde, gleihwie Moſes das Opferthier Sünde nennt; er tödtet dad
Verlangen und die Freuden des thieriſchen Menfcen, anf daß nur Ehriftue
in ihm lebt. Ein ſolches Gott dargebrachte Opfer, das wegen ber Lieb
lichkeit ſeines Geruches Gott verlöhnt, ift friedebringend, wie das Opfer
Ehrifti und den Frieden gebracht hat.
481
Wer in fih den Hochmuth ertödtet, der hat ein Opferlamm ges
ſchlachtet. Wer den Zorn zu Boden wirft, fchlachtet einen Widder. Wer
der finnlichen Luft entfagt, hat einen Bock, ein lüfterned Thier, getödtet.
Wer unnüge Gedanfen aus fidy entfernt, der opfert Vögel. Gin jever
Leid, der auf diefe Weiſe getödtet wird, iſt ein lebendiges Opferthier.
Dann fönnen wir mit den Apoftel fagen: „Immer tragen wir die Wunds
mahle Jeſu an unferm Leibe herum, damit auch das Leben Jeſu an und
offenbar werde.” Denn find die Eünden am lebendigen Opferleibe aus»
gerottet, fo iſt die geheiligte und gottgefällige Seele eine Wohnung des
bl. Geiftes. Der Apoftel nennt dieſes Opfer einen vernünftigen Gehor—
jam, weil ſich ein vernünftiger Grund davon angeben läßt; die Tödtung
von Thieren zu Opfern hat feinen vernünftigen Grund.
(Exc. IX, 655.)
Glaube, objectiv.
Der Herr fprah zu dem Weibe: „Dein Glaube hat dir geholfen,
geh Hin im Frieden!” um die Menſchen dur diefe wunderbare Nahrung
einer Lehre in der Ueberzeugung zu befeftigen, daß nur der Glaubende
das Heil erlangen kann und daß der Glaube mit dem Erlöfer coincidirt,
jo daß das Sade des Erlöfers ift, was Sache ded Glaubens ift (fides
illa coineidit cum salvatore, ut id sit salvatoris, quod est fidei).
Denn indem Ehriftus ſprach: „Deine Sünden find dir vergeben,” war
er 28, der vergab, wie die Anweſenden richtig einfahen. Jetzt aber fagt
er, der Glaube habe ihr geholfen. Somit war Chriſtus der Glaube, der
ihr geholfen, er, der ihr die Sünden vergeben hat. Chriftus Hilft alfo nicht,
man glaube denn, er fei der Erlöfer. Somit bewirft der Glaube, der
ſich Chriſtus als dem Erlöfer naht, daß Ehriftus hilft, fo daß die Er-
rettung (salvatio) Sache Ehrifti und des Glaubens ft, nit als
weier Verfchiedenen, fo daß der Glaube ein Anderes und Ehriftus ein
Anderes iſt, fondern in Coincidenz, fo daß Chriftus der Glaube ift,
der felig macht. Der Geift, der den Glauben an Ehriftus hat, geht in
die Einheit mit Chriftus über, fo daß die Operation des Seligmachens
nicht Chriftus angehört ald Einem, der feparat von dem Geifte Deſſen iſt,
der felig wird, noch auch dem Glauben ald einer Macht, melde nicht
Ehriftus ift, fondern Einem und Demfelben, Chriftus dem Seligmacher
und dem Glauben des Befeligten (sed sit unius, qui est Christus sal-
vator et fides salvati). Wer auf diefe Weile das Heil erlangt, indem
er durh den Glauben in Ehriftus und Ehriftus durch Ertheilen des Heils
in ihm iſt, den heißt Chriftus mit Necht im Frieden binziehen, denn er
it zu dem Ziele des Lebens gelangt, in weldem Ruhe ift, fo er, um
Sharpff, Nic. v. Cuſa.
482
den Frieden zu fuchen, nicht weiter zu gehen braucht, fondern ſich inmitten
des gefundenen Friedens befindet; wie wenn ein noch unwiſſender Scüler,
der lange einen Lehrer fucht, wenn er dieſen gefunden, . im Frieden ift,
wenn er gleich noch nicht dem Lehrer Ähnlich iftz er wandelt nach gefun,
denem Lehrer im Frieden, indem er immer größere Fortfchritte macht.
(Exec. III, 426.)
Glaube.
Gott hat unferm Beifte zwei Dinge verlichen: das Hörenfönnen
von feinem Ruhme (in diefer Welt) und das Schauen desfelben (in
der andern Welt). Weil aber das Hörenfönnen vom Reiche Gottes in
und ift und weil, was wir hören, das Wort ift, fo fönnen wir dad
Wort vom Reiche Gottes hören. Weil aber nur Gott zu und von feinem
ihm allein befannten Reiche reden fann, fo hat ung Gott das Glauben:
fönnen verliehen. Ohne dieſes Glaubenkönnen fönnten wir feinen Rubm
nicht faffen. Ohne Glauben könnte und über die unfichtbare Herrlichfeit
Gottes nichts geoffenbart werden. Daher hat und Gott das Glauben
fönnen verliehen, um jo mittelft des Gehörd die Offenbarung zu faflen.
Weil aber, wer nicht geneigt iſt Cnolens), nicht glaubt, fondern nur der
zum Glauben Geneigte (volens), und der Wille frei ift, fo ſteht es in
unferer Gewalt, glauben fönnen oder nit. Wählen wir das Glauben,
fo unterwerfen wir und dem Morte, fowohl im Verftande, den wir ge
fangen geben, ald im Willen. Das Glauben tft ein Denfen, mit unferer
Zuftimmung verbunden (credere est cum assensione cogitare); denn im
Glauben (in ipso credere) ftimmt unfer geiftige8 Auge dem &ehörten
oder das Sehen dem Hören bei, wie ich in einem wahren Berichte über
etwas Schönes, das ich nicht gefehen, über dasfelbe zuſtimmend denk
(cogito de illa cum assensu). ber dad Glauben ift nicht eim reines
Hören oder Sehen des Geiftes, fondern es fteht unter dem Schauen und
über dem Hören; denn wir ftimmen nicht Allem bei, was wir hören
und fehen nicht Alles, dem wir beiftimmen; glauben wir aber dem Ge—
hörten, dann flimmen wir dem Nichtgefehenen bei. Daher kann jeder
Geift, der nur ein wenig Verftand hat, glauben, weil dazu Fein Scharf
blick (acutus visus) erfordert wird, fondern ein mäßiger Grad gemügt.
Die Einfältigen find daher geeignet zum Glauben, denn fie haben ein
bereitwilligeres Gehör. Wir machen die Erfahrung, daß die mehr zum
Sehen Aufgelegten weniger geneigt zum Hören find, und umgefehrt. Jeder
Schüler muß zuerft aufmerffam zuhören, dann das Gehörte forgfältig über:
legen, um fchließlich in fi die Wahrheit des Gehörten zu ſchauen. Nur
wer ganz ohne Verftand ift, kann nicht glauben, weil er nicht denfen und
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nicht beiftimmen fann. Daher wird auch den Kleinen und Einfältigen
das Reich Gottes verfündet, und ed muß, um die Offenbarung zu faflen,
der Mann ein Kind und der Weile ein Thor werden, d. h. alle Weiss
beit, die fi irgend welche Kenntniß vom Reiche Gotted anmaft, für
Thorheit halten; denn mie ift in eined Menfchen Sinn etwas dem
Reihe Gotted Achnliched gefommen. Er unterwirft fib dann dem Worte
Gottes, um es zu fallen. (Exc. VI, 536.)
Der Glaube geht über die Kraft der Natur. Dem Glaubenden
iſt nichts unmöglid. Denn das Wort, durd das die Himmel erjchaffen
find, wohnt in unferer Seele durch den Glauben, deſſen Belcbenves,
woraus feine Wirffamfeit entjpringt, die Liebe ift. Nichts Anderes be:
wirft das Heil, ald der Glaube an Chriſtus Jefus dur die werkthätige
tiebe (Nihil aliud operatur salutem, nisi fides in Christo Jesu per
charitatem operantem).... Da unfere Seele das lebendige Abbild der
unendlichen Kraft Gottes ift, jo kann fie Gott gleichgeftaltet werden durch
einen habitus der Gnade, der ihrer Natur verliehen wird (qui ad-
ditur naturae suae), und diefer habitus ift das lebendige Licht des
Glaubens. Der Glaube, der in ein demüthiged Gemüth fommt, ers
bebt die Natur über ihre Grenze hinaus. Wie das Auge die Geftirne
nur durh das von dieſen ausjtrahlende Licht erblidt, jo erfennen wir das
Göttlihe nur im göttlichen Lichte, welhes der lebendige Glaube iſt. Der
Glaube hat feine Wohnung nur in einem demüthigen Gemüthe; ver
Stolze, Anmaßende glaubt nicht, wenn er nicht begreift, der Demüthige
begreift nicht, wenn er nicht glaubt. Deßhalb find unfer Etammvater
und der Lucifer gefallen, weil fie nicht aus Glauben und Gehorſam, fon-
dern aus ihrem eigenen Wiſſen leben wollten. Die wahre Beichaffenheit des
Ölaubens ift eine Gottähnlichkeit. Nun ift Gott dreieinig, fo alfo auch
jene Beſchaffenheit. In derfelden fehen wir ein Princip, den Glauben,
aus diefem geht die Hoffnung, aus beiven die Liebe hervor, wie aus
dem Sonnenftrahle das Licht, aus diefem die Erleuchtung, aus beiden
die Wärme. Der Glaube iſt aus’ dem Vater, die Hoffnung aus dem
Sohne, die Liebe aus dem heiligen Geifte. Ze vollfommener der Glaube,
deito vollfommener aud die Hoffnung und die Liebe. Jeſus lehrte den
Glauben an den Vater, die Hoffnung auf ihn, die Liebe zum bl. Geift.
Der Bater ift in und durch den Glauben, der Sohn durd die Hoffnung,
der hl. Geift dur die Liebe. Chriftus hat und wiedergeboren zum
Ölauben, und lebendige Hoffnung zu ihm felbit eingeflößt. Der Glaube
iſt todt ohne die Liebe, wie der Körper ohne die Seele. Allein ohne
die Hoffnung geht aus dem Glauben die Liebe nicht hervor. Wunders
31 *
484
bar! Der Glaube belebt fi felbft und erzeugt aus fich die Hoffnung;
ans beiden entiteht die Liebe, die das Leben des Glaubens ift. Die
gläubige Seele lebt alfo ein unfterblice® Leben, weil fie den Duell des
Lebens in fih hat. (Exc. V, 506 f.).
Irdiſche Weisheit und Glaube, jedes in feinen Wirkungen, nach Paulus.
Durch die Bhilofophie, die irdifhe Weisheit werden Diejenigen gu
täufcht, welde in diefer Welt weife fein wollen. Der Apoftel Paulus
nennt jene Weisheit eitlen Trug aus menichlichen Ueberlieferungen. Wenn
gleich die menfchlihe Weisheit vieles Wahrfcheinliche lehrt, fo ift es doech
eitel; denn es ftammt aus den Elementen diejer Welt, nicht aus Chris
ftus, in welchem die Fülle der Gottheit feibhaftig wohnt Alles, was
der Bater hat, hat er dem Sohne gegeben, indem er ihn in der Fülle
der Gottheit zeugte; in ihm wohnt alfo die Fülle leibhaftig (corporaliter),
denn er hat einen Leib angenommen, in weldem der vollfommene (plenus)
Gott geblieben if. Wer alfo in ihm ift, der ift, wie der Apoftel jagt,
aller Weisheit voll, weit mehr, ald es durch die Elemente der Welt
möglich iſt; denn in Chriftus empfangen, die in ihm find, den Neid:
thum der Gottheit (abundantiam divinitatis). Das ift der jchlicte
Glaube (simplieitas fidei), an dem man nad der Lehre des Apoftels
fefthalten fol. Alles Andere follen wir für nichts halten, bauptädlid
jene menſchlichen Erfindungen, die durch die böfen Engel eingegeben find.
Diefe Ueberlieferungen böfer Geifter find die Urſache des Götzendienſtes
von ihnen rührt nämlich die Aftrologie ber, mittelft deren fie Die Mau
hen zu Wahrfagungen verleiteten. Daraus entftanden dann die Götzen—
bilver aus den verfchiedenen Conftellationen, was weiterhin dazu führte,
Geifter mit ihren Einwirkungen, wie den Geift des Saturn und Jupiter
an die Bildniffe zu bannen (alligandi spiritus influentiales), endlich dieſe
Geifter dur eine nur Gott gebührende Verehrung für ſich zu gewinnen.
So hat der böfe Geift eine Art von Religion, die von Gott hinweg
führt und im welcher mur jener verehrt wird, eingeführt. Diefen Trug
vernichtet nur die Religion Chrifi. Der Glaube, daß die Lehre Chrifti
die Lehre des wahren Gotted und feines Sohnes iſt, zerftört jene Leber
lieferungen, welche für Engellehren ausgegeben werden, und dedit fie ald
das Werk der böfen Geifter auf, die durch Ehriftus ausgetrieben worden.
Die Summe der Lehre des Paulus if demnach: was ben
Menfhen von dem einfachen Glauben abzieht, wie die irdifche Weisheit,
die Meinungen von einer Religion der Geifter ic. iſt verwerflich, denn
es iſt nicht die gefunde Lehre. Den Herrn Jeſus Chriftus anziehen,
beißt fih mit unvergänglihen Tugenden fhmüden, indem man die ver
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gänglihen Begierden ertödtet, und Gerechtigkeit, Wahrheit und andere
Tugenden übt; fie find die Glieder des innern Menſchen, der nad) Gott
geihaffen ift, Tugenden, wie wir fie an dem Haupte Ehriftus antreffen.
Eo nehmen wir die Geftalt Chrifti an, wir werden Chriſto gleih ges
ftaltet, die Sünden fterben im Tode Chrifti, und wir ftehen auf in Chris
tus. Denn wer die Geftalt Ehrifti annimmt, an dem geht Alles gleich«
mäßig vor fib, was wir an Chriftus volljogen fehen. Die Taufe ift
das Eacrament der Abwaſchung der Sünde oder des alten Menfchen und
des Anziehend des neuen Menfchen Chrifti durch den Glauben.
Das ift eine furzge Erinnerung an Paulus und feine Lehre, die er
von Chriftus hatte, der durch ihm gefproden, der ihn zu feinem Ges
jandten auserwählt hat, wie Paulus dur die Kraft des Wortes und
der Wunder bewiefen hat. Laffet und nun Gott Danf fagen für das
Gefagte, und ihn inftändig bitten, er möge und den Geift des Paulus
mittheilen, zu unferm Heile und zu feiner ewigen Berherrlihung!
(Exc. IX, 637.)
Glauben und Wiſſen.
Durch das Mort Gottes entfteht in uns Fein ſolches Wiſſen, wie
wenn wir durch das Wort eines Menfchen unterrichtet werden; die Weis—
beit, die aus dem Worte Gotted in uns entfteht, ift Shmadhaft (sa-
pida) und belebend, ein wahres Ergöpen für die Eeele, weil fie ein
Strahl aus dem Lichte ift, durch dad Alles, auch die Seele, gemacht if. Sie
demüthigt und belebt. Menſchliches Willen erzeugt wohl auch Freude,
aber feine belebende und vergöttlichende, fondern oft nur eine eitle und
aufblähende Freude... Das Wort Gottes iſt ein göttliher Same, der
im Ader der vernünftigen Seele Frucht bringt, wenn der Ader durch
lebendigen Glauben gut zubereitet if. Es hat eine umgeftaltende Kraft.
Wo diefer Glaube ift, da ift die Vernunft, der Adyos — die Auctorität,
jomit volle Gewißheit. Wo aber noch Zweifel ift, da begnügt ſich die
Seele nicht mit der Auctorität des Nedenden, fondern fragt nach dem
Örunde (de causa inquirit). in foldes Wort wandelt da® Innere
nit um, fondern der Zuhörer fucht vielmehr das Wort in fid
umzuwandeln. Wenn feine Einfiht das Wort nit für wahr hält,
jo verwirft er ed; er will nicht glauben, außer er fehe. Wenn er aber
fieht, glaubt er nicht, denn der Glaube bezieht ſich auf die Dinge, bie
man nicht fieht. Die Gewißheit des Glaubens feht voraus, das Wort
ki Gottes Wort, da jeder Menſch lügenhaft if. CExc. VII, 568).
486
ie das Angenehme und Nuͤtzliche fib dem Willen von felbft nabe
fegt und ihr Subject an und für fich zu einem Gegenſtande des Strebend
macht, fo erweden Evidenz und Wahrheit aus ſich Glauben und Glaub
würdigfeit. Es iſt daher in diefem Kalle Fein Verdienft und feine Tu
gend, zu glauben, wohl aber, wenn das Unwahrſcheinliche, Nihtwbe
weifende (improbabilia) dur die Tugend des Glaubenden geglaubt wir,
ohne daß fih dad Geglaubte von ſelbſt nahe legt. Wie das Licht zum
Gefichte, fo verhält fih das des Beweifes Fähige (probabile) zum Geiſe,
das Angenehme und Nüpliche zum Willen. Wie das Finftere zum Gr
fihte, fo verhält fih das Nichtzubeweifende zum Geifte.
Die Wahrfcheinlichfeit (probabilitas) ift eine geringe und ſchwacht
Erhellung dur Licht. Cie bewirkt daher Feine Feftigfeit, während die
Evidenz der Wahrheit ftark in den Geift eindringt, darin haftet und Ge
wißheit erzeugt. Daraus erhellt Klar, daß Unerwieſenes glauben ebenio
eine Stärfe und Kraft des Geiftes erfordert, wie die Liebe zum Schoͤ—
lihen und uns Läftigen von Stärfe und Kraft des Willens zeugt. E
ift ein ftarfes Glaubenslicht erforderlih, wenn es die Rinfterniß vieler un
erweisbaren (improbabilium) Dinge, die zum Glauben gehören, burd-
dringen und fie erhellen fol. Daraus erhellt, daß der Glaube die erſte
Gnade der Vernunft ift, durch welche fie mit Glorie umgeben wird (ves-
titur), und ohne welche die Glorie nicht eintritt. Der ganze Menit
muß religiös fein, wenn er zur Glorie gelangen will, vor Allem das
Haupt, d. i. die Vernunft muß durd den Glauben religiög fein.
Wie der Wille nothwendig gegen fich felbft ftreiten muß, wenn er zu
Glorie gelangen will, fo wird es auch bei der Vernunft eben fo fein mil
fen. Unter den Thätigkeiten des Geifted verurfacht nur das Glauben
Miderftreit. Glauben, Vermuthen und Meinen gehen nur mit Gewalt
in den Geiſt ein, er nimmt fie nicht mit freiem Willen auf; nicht fo dat
Demonftrirte und Berwiefene, dem er mit Nothwendigfeit beiftimmt. Die
Wiſſenſchaft ift ein Werf der freiwilligen Forſchung. Das Glauben (ere-
dere), das Fundament der Religion, hat zu fümpfen mit dem Bisputiren,
Abrathen, dem Gegentheile, der Unmwahrfceinlichfeit, welche Direct gegen
den Berftand in die Echranfe tritt; wo der Verftandesgrund fehlt, ergän
der Glaube (Credere .. habet contra se bellum disputativum, dissuasivum,
contradicetorium, improbabilitatis, quae improbabiliter direete pugnat
contra rationem, quia ubi ratio deficit, fides supplet). Jever Kampf muf
aber mit Friegerifcher Tapferkeit geführt werden; ohne Tapferkeit gibt «
feinen Sieg. Somit tft der Glaube eine Tugend. Jedem Menfchen glaubt
man nur in Folge feines Ueberredens, Gott glaubt man ohne Zureden und
Beweis, durch den Glauben.
Darin ehrt der Gläubige Gott vor allem Andern, daß er ihm ſchnel⸗
487
er glaubt. Der Berftand fucht wegen feiner Schwäche Stügpunfte und
Vermittlung durch Beweiſe (fulcimenta et media probationum); er ftüßt
fih auf fie wie auf einen Stod, indem er von einer Concluſion zur an-
dern ſchreitet. Wer aber durch eigene Kraft (virtute propria) glaubt,
bedarf der Stüge nicht und hat einen größern Glauben (et magis credit);
wie der Liebende, der durd eigene innere Kraft liebt, eine größere Liebe
zum Geliebten hat, ald wer in Folge Deſſen liebt, was er bei dem Ges
lichten wahrnimmt; fonft wäre die Liebe eine auf fich felbft zurückkehrende,
wenn er nur von dem Geliebten angereizt wäre.
Der Berftand, der nad Beweiſen fucht, gleicht einem Werfäufer, ber
ein Pfand verlangt und außerdem nicht glaubt. Ein folhes Pfand vers
langt der Heide, ehe er glaubt. Der Ehrift aber, der weiß, daß das
Pfand von Gott aus Mangel an Glaubensgeneigtheit verlangt werde,
verlangt fein Pfand. Ein Stab madt den Kranken nicht gefund, fo auch
nicht ein Pfand den Verftand, es macht ihn nicht redlich und eifrig. Baculi
non sanant infirmum, sic nec pignora intellectum, quare nec probum
et studiosum faciant.) Den Glauben darf man auch nicht durch Zeichen
eritreben wie die Juden, nicht durch Wiſſenſchaft und Kunft, wie bie
Griechen, fondern dur Tugend. ZJuverläffiger (certius) wird er auf
dem Wege der Tugend, ald dem der Kunft erkannt. Die Kunft ift
ein Gemälde, das eine Äußere Form zeigt, die Tugend ein Wohlgeruch
und Wohlgeſchmack, der das Innere offenbart. Je näher das Licht der
Sonne, defto reiner ift es; je entfernter und gebrochen, defto weniger heil.
So fommt der Glaube von Gott, dem Lichte der Lichter, mittelft der Gnade
herab, die Gegenftände des Beweiſes (probabilia) durch ein entferntes
licht. Reiner tft daher das in gerader Richtung von Gott kommende Licht,
ald das von den Greaturen reflectirte. „Iede gute Gabe, jedes vollfom-
mene Gejchenf fommt von Dben, vom Bater der Lichter.” Die über:
natürlichen Gaben find daher ftärfere, als die natürlichen, weil fie zur
Seligfeit uns hinziehen. Es gibt fomit nichts Zuverläffigeres, als ben
Glauben: der Glaube ift demnach die Gnade der göttlichen Freigebigfeit,
des göttlichen Wohlwollens, er iſt ein durch Gnade erlangtes Gut (gra-
tuitum bonum). Er ift zugleich eine Kraft, die aufrichtet, den Berftand
ftärft (firmans intellectam), ihn auf ſich felbft ftehen (Cfaciens illum
per se stare) und den rechten Weg wandeln (recte ambulare) macht,
auf dem Wege der Heildwahrheit (salutaris veritatis), ohne Hülfe und
Stüge eines Stodes, eine Kraft, welche ihn ſchützt gegen die Pfeile des
Disputirens und ihm eine fefte Unterlage darbietet gegen die Angriffe und
Stöße der Gegenfäge und Meinungen fo wie gegen den Einfluß ver eiges
nen Schwäche und Unbeholfenheit. Der Glaube ift cin Licht, weldes
das natürliche Licht der Sinne und felbft der Vernunft übertrifft, wie man
488
die8 am Eacramente des Altares ſieht, wo die Sinne durch den Glauben
befiegt find und man Gott auf eine feiner würdige Weiſe, ohne jedes
Pfand glaubt (Deo ereditur), wo ihm fraft ded Gehorfams geglaubt
wird... . Raymund fagt: der Glaube ift eine gute Richtung Chabitus bonus)
vermöge der Güte Gottes; durch den Glauben werben diejenigen objectis
ven Mahrbeiten hergeftellt (restaurantur), welche der Geift nicht erreichen
(attingere) fann. Umfaffender ift der Glaube des Ehriften von Gott,
denn er glaubt an den dreieinigen Gott, an Menfchwerbung, Leiden, Aufs
erftehung, Himmelfahrt, an die Herrſchaft Ehrifti über Alles, an die fieben
Sacramente. Der Geift fann einen Habitus des Glaubend und ber
Wiffenihaft haben, und zwar den Habitus des Glaubens, um den der
Wiſſenſchaft zu erwerben, wie Jeſaias jagt: wenn ihr nicht glaubet, ſo
werdet ihr nicht erfennen.
Der Glaube ift eine Kraft, verbunden mit Gerechtigkeit; denn es
ift gerecht, jene Wahrheiten von Gott zu glauben, welche die Vernunft nict
erreichen fann. Der Glaube ift eine Richtung (habitus), in welcher der
Katholif die einzelnen göttlihen Wahrheiten glaubt (credit distincte in
divinis), damit er das Licht für die Vernunft vorbereite (ut praeparet
lumen intellectui) und die Vernunft Far, nicht confus die Acte der göft
lichen Wahrheiten erfenne: den Handelnden, dad zum Handeln Fähige
(agibile) und die Handlung... Der Fatholifhe Glaube ift alfo ein
Mittel für die Vernunft, daß fie befier erleuchtet fei, um die Höhe Gottes
zu erreichen. (Exc. I, 383 —385.)
Glaube und Wilfe,
Der Glaube, durch den der ſterbliche Menfh die Gewißheit hat, daf
er die Unfterblichfeit erlangen fönne, wird nur durch einen fchweren Kampf
errungen; der Sieg, in weldem der Glaube den Berftand (rationem)
befiegt, erfordert den größten Kampf. Indem Abraham glaubte, was
der Berftand für unmöglich erklärte, fiegte er. So wenn der Menſch
glaubt, er werde zum unfterblihen Leben auferftehen, was weder Berftand
noch Erfahrung beftätigen, da vielmehr der Verftand ihm zu der entgegen
gefegten Anficht Hinzieht, muß nothwendig der Verſtand erfterben und
feine Klugheit weichen, der Hochmuth muß ſich demüthigen, die Anmaßung
des Geiftes ertödtet werden, der Menih muß wie ein Thor und Sklave
werden, der auf die Freiheit feines Verſtandes verzichtet und fich gefangen
gibt. Das ift der größte Kampf, nicht gegen Fleifh und Blut, fondern
gegen den anmaßenden, ftolen Geift, wo die Demuth den Stolz befiegt.
Glaubenfönnen (posse ceredere) {ft daher die größte Kraft (maxima
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animae nostrae virtus), fie übertrifft alle geiftige Kraft Cintelleetivam
virtutem ), denn fie gehört in das Gebiet des Willend, fie entipringt
aus der Freiheit des Willens. Die vernünftige Seele fann glauben
oder nicht glauben, je nachdem fie will oder nicht, und das ift die größte
Gabe (donum) Gottes. So herriht der Geift oder freie Wille durch
den Glauben, den er annimmt (quam assumit), über den Berftand und
bildet ihn nach feiner Geftalt (informat eum sua forma); denn er redet
gebieterifch zu dem Verſtande (loquitur intelleetui imperative). Das ift
ed, wad Einige fagten, der Glaube ftehe in der Speculation unter dem
Gebote des Willens, weil er den Geift nur, wenn diefer durch Glau—
ben eine beftimmte Geftalt gewonnen hat, zum Unterfcheiden fommen läßt
(fidem esse in intellectu speculativo sub* imperio voluntatis, quia non
sinit intellectum nisi habituatum fide discernere). Indeſſen faßt der
Geift (intellectus) den Glauben, den er micht begreift, leicht auf,
wenn der Mille durh den Glauben ihm das ald Gegenftand des Glaus
bend (credenda) anfündigt, wa® wir hören, weil es ihm burd den
Sohn Gotted oder das Wort Gotted geoffenbart if. Der Wille tft
nämlich gleichfam das Gehör der Seele, wie die Vernunft (intel-
lectus) das Gefiht. Was daher eine ftrebfame Seele als etwas Gu—
td vernommen bat (quae anima zelosa ad bonum audivit), das meldet
fie der Bernunft, damit dieſe fich felbft erfenne, weil das, was fie meldet,
von der Art iſt, daß es nicht geliehen werden fann. Die Vernunft glaubt
fi, indem fie das ihr Gemelvete für wahr hält (credit sibi vera esse
nunciata) und erfaßt ed als Geſehenes, d. i. in der Gewißheit, ala hätte
fie e8 gefehen. So ift der Glaube hinfichtlid der Vernunft die Coins
eidenz von Eichtbarem und Unfichtbarem. Wenn der Wille dur einen
beftimmten Glauben auf die Vernunft drüdt (Dum voluntas hac fide in-
tellectum imprimit), daß nämlich Gott zu und durch die Propheten, zur
legt dur den Sohn, der uns die Lehre von der Unfterblichfeit geoffens
bart, geredet hat, fo nimmt die Vernunft feinen Anftand, dem Worte
Gottes zu glauben (non dubitat, esse .. credendum). Das Berlangen
der vernünftigen Seele nad Wiffen ift der Wille oder die Liebe zur Wahr-
beit; kann die Seele nicht mittelft der Vernunft das Erfehnte aus eiger
nen Kräften erreichen, fo glaubt fie dem Worte Gottes. Und fie glaubt
niht an das Wort Gottes, weil fie begreift, fondern fie begreift, weil fie
gaubt. Die göttliche Vernunft, die unferer vernünftigen Seele das Ver:
langen nach Erfaffen der Unfterblichfeit gegeben hat, indem fie in dieſer
Sehnſucht zu uns redet, gibt uns ein (inspirat), daß dieſe Sehnſucht
nicht gegeben wäre, wenn die vernünftige Creatur es (den Gegenſtand
der Sehnſucht) nicht erreichen könnte. Wer alſo die Sehnſucht gegeben
490
bat, ift auch im Stande, die Befriedigung ') derfelben zu geben. So wird
die vernünftige Eeele zum Glauben beftimmt (ad fidem movetur), indem
fie Das bei Gott für möglich glaubt, wovon fie die Art und Weife, wie
es geichieht, nicht begreifen fann. So glaubt fie dem Morte Gottes, das
den Gläubigen Glüdfeligfeit verheißt, und fie glaubt, daß Dasjenige, weldes
verheißt, dad Wort Gottes fei. Sie nimmt das Wort Jeſu an als Wort
Gottes, das allein versprechen fann, das ewige Leben, nad dem der Geiſt
mehr ald nah allem Andern jeufzend fich fehnt, zu geben; fie nimmt
Ehriftus ald den Lehrmeifter an, als das fleifhgewordene Wort Gottes,
um durch dasſelbe glüdfelig zu werben.
So erhellet, dur welchen Kampf wir zur wahren Tugend des Glau—
bend gelangen. Nad dem erften Kampfe, in weldem die Eeele gläubig
wird und Gott glaubt, find die übrigen Kämpfe nad Mafgabe der Größe
des errungenen Glaubend. Denn was in jedem Kampfe ftegt, iſt der
Glaube; ift der Glaube groß, fo unterliegen die Verfuchungen ſchnell;
ift er Elein, ‚jo werden fie langfamer zurüdgedrängt. Haft du den feften
Glauben, du werdeft durch Sieg über die Verfuhungen die Uniterblichfeit
erlangen, fo verachteft du Alles, was dieſem zeitlichen Leben gefällt. Da
alles Eichtbare, Sterblihe und Zeitliche zur Unfterblihfeit und ewigen
Dauer nichts beiträgt, fo achteft du es gering und wie Auskehricht. So
weit ed dich von der Erwartung ewiger Glückſeligkeit fern hält, mußt du
ed wie Gift fliehen. In dieſem Kampfe haft du fein anderes Vorbild
als Ehriftus, den Sieger über den Tod. Auf feinen Pfaden fiegft du
gleih allen Heiligen, mit denen du die ewige Giegeöfrone zu erlangen
hofft. Iſt aber dein Glaube Klein, unlebendig, fo droht dir täglich großer
Kampf, nicht nur mit Dem, was die Sinne dir von Außen ald jchön, an
genehm, ergöglich darftellen, fondern auch das Fleifh felbft fäümpft aufs
Erbittertfte gegen den Geift und fehr oft unterliegft du; du verfällt in ein
thieriſches Treiben, weil dir der Schild ded Glaubens fehlt, mit dem bu
die Pfeile des finnlichen Lebens abhältſt. Der Lebenslauf des Chriften
muß vol fefter und fiherer Hoffnung fein; jchwanft er, fo fehlt alle
Sicherheit in Erreichung des Zieles. Wer im Vertrauen auf Jeſus nicht
wanfet, wird in Wirklichkeit erlangen, was er zuverfichtlich hoffte; die
Hoffnung läßt nicht zu Schanden werden. Wer Gott nicht vertragsmäßig,
jondern im Vertrauen auf feine Gnade dient, der wird als eim guter
und getreuer Knecht von dem überaus gnädigen Herrn eine Vergeltung
erlangen, die nicht geringer iſt, als fie einer großen Treue aus der Hand
des freigebigften und glorreihften Herm der Welt gebühret.
(Exec. IX, 641—643.)
4) fi. affectum muß es im Terte nothwenbig heißen: eflectum.
491
Hruchtbarfeit des Glaubens, Der Glaube ein inneres Erfahren,
Die Fructbarfeit des Glaubens gelangte in der Jungfrau Maria
auf ihre oberfte und höchfte Stufe. Maria ift das Vorbild davon, wie
der Glaube Herrihaft ausübt und den Menfchen in dem Grade hinauf:
hebt, fogar bis zur Gottähnlichkeit (usque in formam Dei), als er glaus
ben fann. Im Abraham fand der Glaube feinen Höhepunft (termina-
batur) in dem Gebähren der Unfruchtbaren, die ihm den von Gott, dem
er glaubte, verheißenen Eohn gebar. In der Jungfrau Maria gelangte
der Glaube zu feinem Höhepunfte in der Geburt ded Sohnes Gottes,
dem fie glaubte. Eiche, wie fruchtbar jene unfruchtbare Mutter des
Glaubens ift, aus deren Fruchtbarkeit alle Eöhne Joraels hervorgegangen
find und noc hervorgehen, die jest und in Zufunft Gott ſehen, bier
räthjelhaft, dort von Angefiht. In dem fchlichten Glauben (in sterili-
tate fidei) ift eine größere Fruchtbarkeit, (ald in dem durch reichliche Ver:
ftandesgründe vermittelten Erkennen). Wie die Empirifer unter den Aerzten
lehren, fo haben einige Kräuter für Vertreibung der Cholera eine erftauns
liche Wirfung, obwohl man die Gründe davon nicht einfieht, weil die
Wirfung im einer verborgenen fpecififchen Eigenthümlichfeit verfelben liegt.
Wer der Auctorität Deffen, der die Erfahrung gemacht hat, glaubt, findet,
daß die Sache wahr ift, wiewohl ihn fein Berftandesgrund überzeugt
bat. Bon dieſen Heilmitteln erfahren wir größere und untrüglichere
Wirfungen, ald wenn die Phyſiker durch Kombinationen des Verſtandes
eine Arznei zufammenfegen. So ift der Glaube, daß das fleifhgewor-
dene Wort Gottes jede Erfblaffung der Seele heilt, und im derjelben
eine Erneuerung ihrer Zugendfülle, d. i. Unfhuld, bewirkt und in dere
jelben erhält, gleich einem erprobten Heilmittel, das diefe Wirfung ale
Ipecififche Eigenthümlichfeit an fih bat. Wer dies glaubt, der wird durch
Erfahrung ſich glüdlich fühlen. Diefes Fühlen ift ein Sehen, weldes
eine größere Gewißheit ift, als die Schlüffe des Verftandes fie geben
(quam ratiocinari). So ift alſo im fchlibten Glauben, dem dad Sehen
(Erkennen) folgt, eine größere Fruchtbarfeit, ald in dem, was in Folge
einer Fülle von Berftandesgründen behauptet wird (Ita patet, qund
major est foecunditas in sterilitate ſidei, quam sequitur visio, quam
in eo, quod multis rationibus foecundum asseritur). (Exc. X, 658.)
Lebendiges Willen — Weisheit,
Einige widmen fih der Mathematik, Andere der Arithmetif, Andere
der Mufif, Andere der Philofophie und Theologie. Wer in der Grams
matif nachforſcht, hätte gewiß eine fehr große Freude, wenn er Eine ganz
492
kurze Regel fände, durch die er in Einem Momente die ganze Grammatif
noch weit beffer ald Priscian verftünde., So der Rhetorifer, wenn ihm
ein kurzes Mort gegeben würde, durch das er mit Einemmale ein ungleich
befferer Redner als Cicero würde. Diefe Vollfommenheit wäre die Speiſe
des Lebens des Geifted, der gleichfam durch die Kunft der Allmacht das
bin gelangte, wo der Wille mit der Macht coincidirt. Das Wiffen Gottes
ift jenes, das der MWechjelbegriff feined Willens iſt (quae convertitur
cum voluntate); ed weiß, was es will, und es ift ver Wechfelbegriff feiner
Macht: es ift das wirflih, was es kann. An diefem Wiffen Theil
haben, ift unfterblicher Genuß; es heißt Meisheit haben, nämlich eine
Ihmadhafte und febendige Erkenntniß, welche Unfterblichfeit gewährt.
Denn wer ein ſolches Wiffen hat, daß er weiß, was er wiſſen will, und
das ift, was er weiß und fein will, der ift glüdfelig. (Exec. IX, 655.)
Willen und Weisheit.
Die vernünftige Seele hat einen Trieb in ſich nach Geiftigem, und
dieſes Verlangen ift das Wiffen. Die Neigung zur Begierlichkeit im
Sleifhlihen und die Neigung zur Wiffenfhaft im Gebiete des Vernünf—
tigen liegt in und. Wie nun die Begierlichfeit des Fleiſches, binüberge
leitet in das Sacrament der Ehe, ihre Heiligung und Ruhe findet, fo
findet die Liebe zum Wiffen, binübergeleitet zur wahren VBermählung mit
dem Bräutigam, ihre Ruhe. Eo lange der vernünftige Geift, getrennt
von feinem wahren Bräutigam, jchranfenlo8 (illimitate) fib dem eitlen
Wiffen (ad vanas artes) hingibt, fo findet er das, wozu das natürliche
Verlangen ihn hintreibt, ebenfowenig, als wer mit jeder Dirne buhlt. Er
muß daher zur WVermählung fchreiten und ſich nicht mit einer unbeftändi-
gen, fondern der ewigen Weisheit verloben. (Exc. V, 473.)
Die Piebe als virtus infusa.
Keine Tugend reicht zur Erligfeit hin, wenn nicht Die eingegoffen:
Tugend, d. i. die Liebe Hinzufommt. Wie die Klugheit das Princiy
(forma) der menſchlichen Tugenden ift, fo gibt die Liebe den Tugenden
das Gepräge göttlicher Tugenden, welches allein Gott mwohlgefällig if
(format virtutes, ut sint formatae forma divina, quae solum est Deo
accepta). (Exc. VIII, 607.)
493
Die Liebe.
Die Liebe ift das belebende Princip aller Tugenden. Wer die
wahre Liebe haben will, muß alle Burdt und unvollflommene Liebe
aus fih verbannen; denn wer fürchtet, liebt noch nicht vollfommen; denn
die Furcht jagt, daß der Liebende noch nicht um des Geliebten willen
etwas zu verlieren bereit ift, nämlih die Anhänglichfeit an Das,
was er nicht gerne verlöre. Aber die vollfommene Liebe liebt nur den
Einen Geliebten; denn der liebt weniger, als er fann, der feine Liebe
theilt und Verſchiedenes liebt. Die Liebe entfernt daher alle Furcht,
außer derjenigen, den Geliebten zu, beleidigen. Und daher hat Der, wels
ber Ehriftus wahrhaft liebt, feine Furt, etwas zu verlieren, weil er
nihtd außer ihm und Alles wegen ihm liebt. Die Liebe, dad Band der
Einheit und Eintracht, hält Alles zufammen, auf daß es das ift, was
ed it. Die Welt wird, um Ein für fi beftehendes Ganzes zu fein,
durh ein gewiſſes Band der Liebe, weldes Alles, was zu jener gehört,
umfchlingt, azufammengehalten. Auch das finnliche Leben befteht nur
durh Liebe; denn ein gewifler, der Seele und dem Körper gemeinfamer
Geiſt (Nervengeift), der aus der Natur der Welt ift, fofern die Seele in
den Körper, als deſſen belebende Kraft hinabfteigt, und aus der Natur
des Körpers, fofern dieſer fih erhebt, um zur Aufnahme diefer Kraft
empfänglich zu fein, diefer Geift ift das Liebesband (vinculum amorosum)
zwiſchen beiden, denn die Seele verlangt, den Körper zu beleben, und
der Körper liebt die Seele, ohne die er nicht beftünde. MWie jedes Ding
in dad Nichts, in Tod und Zerftörung übergeht, ohne das zufammen»
haltende Band der Liebe, jo hört der Körper zu leben auf, wenn ihm
die Kraft jenes Geiftes fehlt, denn mit der natürliben Wärme hört auch
jener Geift auf, der nicht ohne Wärme fein fann und fo entfteht der
Tod. Und bemerfe hier, daß wie fi die Seele zum Körper, fo auch
Gott zur Seele verhält; denn der Körper hat aus ſich Fein Leben, wenn
es ihm nicht von der Seele gegeben wird. So wird aud das Leben
unferer Seele, das fein Sein aus dem wahren Leben hat, unferer Seele
durh das liebevolle Herabfteigen des wahren Lebens ertheilt, durch wels
ches wir find, was wir find. Zuerſt alfo hat uns Gott geliebt, der
feines feiner Geſchöpfe haſſen kann. Aber er gab und nicht nur ein
Sein, wie feiner Eonne, die er über Gute und Böfe aufgehen läßt,
jondern ein ſolches geiftiged Leben, durch welches fih unfer Geift empor«
heben und mit der Duelle feines Lebens verbinden kann, wie der Körper
mit der Seele, auf daß er durch das Leben der Seele lebe. Wie aber
der Körper nur durch den warmen Geift, welder durch die beftändige
Beihülfe des urfprünglich Feuchten, das durd die feuchte Nahrung ges
494
nährt wird, mit der Seele verbunden werden kann, jo unfer Geift mit
feinem Leben nur dur die Wärme ver geiftigen Liebe. Die Liebe feielt
daher unfern Geift jo zur Duelle des Lebend, daß er aufs Innigſte an
fie gebunden ift, wie das Leben des Körpers an das Leben der Eeele.
Nur die Liebe ift daher die Ergänzung, dur die wir im unferm Leben
das geliebte Leben befigen. Die lebendige Vernunft ift felbft gemifler-
maßen Liebe. Denn was ift das Leben, recht betradtet, anders, als
Liebe oder Freude und Fröhlichkeit? Es ift Sache der Liebe, nie zu
ruhen. Auch Freiheit ift die Liebe, denn frei bewegt fich die Xiebe wegen
ihrer edlen Natur und kann nicht gezwungen werden. Unſer Geift ift
frei und kann fi liebend nach oben oder unten wenden. Wendet ſich
feine Liebe dem Unbeftändigen zu, fo haftet fie daran und verwandelt
ſich in den Gegenftand ihrer Liebe. Ste wird daher an ihm auch haften,
wenn fie diefen Körper verläßt. In Unbeftändigfeit, ohne Ruhe, Freude
und Frieden wird der Menſch gequält fein, nad der Natur des geliebten
Gegenftandes, in den er verwandelt worden iſt. Werlaflen wir alſo auf
unjerer irdiſchen Wanderſchaft, was nur fcheinbar ergögt und wenden wir
und zur Quelle der Liebe und des unveränderlichen Gutes, in der allein
Ruhe zu finden if. Im Chriſtus haben wir Frieden, in der Welt Angit
und Roth. (Exc. IV, 464, 465.)
Etwas Wunderbares ift die Liebe, die fich in den Andern und den
Andern in ſich ummwandelt. Die Liebe ift die Kraft des höchſten Geiſtes,
welcher in den vernünftigen Geift eingehend und ihn erhebend über alle
Natur dahin bringt, daß er feine Einheit vermehre und fein Andersjein
identificiere. (Exc. VIII, 614.)
Die Liebe im Verhältniß zum Erkennen und zur Freiheit.
Set erkennen wir nur theilweife und unvollfommen, dann aber, jagt
der Apoftel, werde ich erkennen, wie ich erfannt bin. Denn wer Gott
liebt, der ift von ihm erfanntz je mehr er alfo liebt, defto mehr ift er er
fannt. Und wie er daher durch die Liebe dem Liebenden erfannt ift, ſo
erfennt’er auch (durch die Liebe den ihn Liebenden). Denn das Lieben
ſchließt das Erkennen in fid.
Die Liebe (charitas) ift das belebende Princip und die Volllommen⸗
heit aller vernünftigen Handlungen oder Tugenden. Dur Liebe wird
ein" Geift mit dem andern verbunden. Sie machte, daß die Apoftel Ein
Hei und Eine Seele waren. Der vernünftige Geift tft frei, feine Frei
495
heit heißt Wille. Wenn daher der Wille durch Liebe an etwas gefeffelt
wird, jo ift der Geift durch das Band der Liebe an das Geliebte ge—
bunden. Wenn nun der Geift nicht an dieſes oder jenes finnliche umd
zeitliche Liebenswürdige gefeflelt ift, fondern frei von aller endlihen Ger
bumdenheit fih allein zur Liebe hinwendet, welche das Belebende in allem
Liebenswürdigen ift, — zu Gott, fo bleibt er in der Einheit mit der uns
zerftörlihen Freude. Der in der Liebe gewurzelte Geiſt bleibt daher frei
und unabhängig von jeder endlichen Gebundenheit, weil mit feinem Gott,
der die Liebe felbft ift, vereint, ohne an irgend ein Geichöpf gefeffelt zu
fein, das aus fih nichts geben fann. Die Liebe ift daher die Verbin
dung unjeres freien Geiftes mit dem belebenden Leben. (Exc. VII, 574.)
Menn der Wille in freier Liebe Den wählt, von dem er die freie
Wahl hat, fo vermehrt fi die Wahlfreiheit um fo mehr, je größer die
Liebe if. Genau betrachtet ijt die Liebe zu Gott nicht wie die Liebe zu
einem Geliebten, der von der Liebe felbit verfchieden ift, wo die Liebe und
das Geliebte nicht coincidiren. Gott ift die Liebe; wer Gott liebt, liebt die
Liebe. Wo nun die Liebe das Geliebte ift, bleibt die Seele frei, denn
fie ift nicht an Died oder Jenes gebunden, fondern bleibt in der Liebe,
welde allem einzelnen Liebenswürdigen ald Grund und Urſache vorangeht.
(Exc. VII, 575.)
Die nah Wiffen ftreben, lieben die Wahrheit, die fie fuchen. Wenn
du aber das liebft, was du fuchft, liebft du etwas dir Unbefanntes und
auch wieder nicht Unbefanntes, eben weil du es fuchft. Gott ift die Wahr-
beit. Der Weg alfo, die Wiffenfhaft der Wahrheit oder der Erfenntniß
Gottes zu erlangen, ift diefer, ihm zu nahen mit dem Geifte der Schn-
jucht oder Liebe. Wenn man jagt, daß man nichts Unbekanntes liebt, fo
wäre died wahr, wenn nicht Wahrheit und Güte coincidirten. Denn die
Liebe, die Gott ift, wird, fo fehr fie geliebt wird, eben fo fehr au er
fannt; fo viel erfehnt der Liebende, ald er liebt. Beachte bier die
Coincidenz! (Exc. VII, 584.)
Die Kraft der Piebe.
Die Liebe ift ftarf wie der Tod. Wie dem Tode Alles unter dem
Himmel unterworfen ift, fo auch der Liebe. Unauflöslibe Verbindungen
müpfen fi dur die Liebe. So lobenswerth daher die rechte Liebe ift,
jo tadelnswerth ift die verkehrte Liebe. Begierlichkeit, Zorn und alle Leis
denihaften entfiehen aus dem Mangel der wahren Liebe.
Jeſus fagte: „Niemand kann zu mir fommen, außer der Vater, der
mich gefendet hat, ziehe ihn.“ Wodurch zieht ihn aber der Vater? Durd)
Liebe, nach jenem Ausſpruche: „in ewiger Liebe habe ich dich geliebt;
496
darım hab’ ich aus Erbarmen dic an mich gezogen.“ Denn bie Liche
ift eine geiftige Wärme, die Wärme aber hat eine eniwidelnde Kraft, wie
wir ſehen, daß fie die Kraft des Samens unter der Erde anziehe umd
ihn zum Keimen bringt, Sie löst das Schwere und zieht die Dünfte in
die Höhe; das angezündete Holz fendet fogleich die Flamme in die Höhe.
Eo löst die Liebe den Geift des Menſchen, den fie berührt, von aller
Fleifchlichfeit ab und zieht ihn in die Höhe. (Exc. VI, 544.)
Wirkffamfeit der Liebe,
Blicken wir zum Himmel, fo jehen wir alle Kraft desſelben in der Sonne
concentrirt; auf der Erde ift alle Kraft ded Mineralreichs im Golde ; in der
Mitte von beiden fehen wir die wunderbare Kraft des Feuers. Ich fage
nun, daß die Liebe in diefen drei finnlichen Körpern ihr Abbild finde und
daß ihre Kraft in ihnen ſich abfpiegle. Wie das Sonnenlicht ale
Sterne erleuchtet und zu fi hinwendet, weil in ihm der Duell alles Lichtes
ift, fo verbreitet fich die Liebe über alle geiftigen Naturen, zieht fie an
fi, daß fie an ihrer Natur, die das göttliche und unvergänglidhe Leben
ift, Theil nehmen. Sie müflen aber in ihrem Innern die Sonnenftrablen
aufnehmen, dann bleibt in ihnen feine Finfterniß. Der Mond, von irdi-
fcher Natur, nimmt den Sonnenftrahl in feiner Tiefe nicht auf, er ift dw
her nur auf der Oberfläche, welde der Sonne zugefehrt ift, erleuchtet,
Sp nimmt auch unfere Scele, die ſich am Horizont der Zeit und Ewigkeit
bewegt, den Geift der Liebe nur in der oberften Potenz, wo fie der Sonne
der Gerechtigkeit zugewandt ift, auf, weil nur dieſe reine umd geglättete
Oberfläche für den Lichtftrahl fähig iſt, nicht aber nimmt fie ihm auf in
der Tiefe, in Fleiib und Blut; denn der thierifche Menſch faßt mic,
was des Geiftes iſt. — Ohne den Einfluß der Sonne lebt nichts. Alles
nimmt an der Lebensbewegung Antheil, die von der Bewegung der Sonne
im Zodiacus oder Kreislaufe ded Lebens ausgeht. Eo find im Himmel
der geiftigen Natur viele Kräfte, wie die Sterne am Firmamente, die
alle von der Eonne der Gerechtigkeit ihr Licht haben, ohne welches fe
ohne allen Glanz und Schönheit und feine Tugenden wären; denn ber
Zugend darf Ordnung und Zierde nicht fehlen (virtus enim absque or-
nato decore non est). Nur der Geift der Sonne der Gerechtigfeit bes
wirft jenes göttliche Leben, welches die Kindſchaft Gotted genannt wird.
Der Werth; des Goldes ift der Maaßſtab für den Werth aller an
dern Metalle. So ift auch die Liebe der Maafftab des Werthes aller
Tugenden: fo viel Liebe im ihnen ift, fo viel Werth haben fi. — Die
Wirkſamkeit der Wärme, ohne die nichts lebt, ftammt aus dem Feuer,
das Alles durchdringt und in ſich umgeftaltet. Was wir fehen, if
497
nicht reines Feuer, wohl aber feuerhaltig. So ift auch die Liebe an fi
unerfennbar, aber fie liegt allen Tugenden zu Grunde, welde fie umge:
ftaltet, reinigt und erneuert. Die Liebe ift wie der Stein des Gyges,
der den Menichen unfichtbar macht; denn die Liebe dedt dad Schmutzige
und Nadte zu, fie dedt eine Menge Sünden zu, jo daß fein Fleden ſich
zeigt. Die Schwarze Kohle und das fchwarze Eifen find im Feuer nicht
ſchwarz, fondern leuchtend; mur getrennt vom Feuer find fie wieder ſchwarz.
Schon die Liebe diefer Welt dedt die Mängel zu, denn der Liebende fieht
die Mängel des geliebten Gegenſtandes nicht, jo lange er liebt; fobald
die Liche aufhört, fieht er fie. Aber die Liebe der Welt dedt die Mängel
nicht wirklich zu, fondern verblendet nur und benimmt den richtigen Blick;
denn der ſinnlich Liebende urtheilt nicht nach wahrer Einficht, fondern nad)
der Leidenſchaft. (Exec. VII, 588—590.)
Die Liebe im Verhältniſſe zu Glaube und Hoffnung.
Der dur die Liebe ausgedehnte und weiter (capacior) gewordene
Geift bleibt in diefer Erweiterung, wie wenn cine Quantität Goldes,
ind Feuer geworfen, eine erweiterte Mafje bleibt. Diefe Erweiterung,
die durh das Gießen entjtanden ft, bleibt, wenn das Gold an einen
rubigen Plag gelegt wird, obwohl fie, fo lange der Fluß in Bewegung
it, dur eine entgegenwirfende Kraft verloren werden fanı. So fann
auch die Seele, die dur das Feuer der Liebe, durch Gießen d. i. Barm⸗
berzigfeit eine Erweiterung erhalten bat, diefe in diefer Welt durch ver
ſchiedene Gegenfäge und Erfhütterungen verlieren. Wenn fie aber über
diefer Welt in den Ort ihrer Ruhe gelangt ift, fo verliert fie die erlangte
Erweiterung nie mehr, fondern fie bleibt ihr immer. Glaube aber und
Hoffnung vergehen; fie find nur die Merfzeuge, durch welche jene Er—
weiterung hergejtellt wird. Der Glaube ift der Dfen, der das zu ſchmel—
jende Gold aufnimmt. Die Hoffnung ift dad Modell (dispositio) für
die zu gießende Maſſe, in einem feften Behältniſſe. Iſt die Mafle ges
goflen, fo kümmert man fi) weder um den Ofen, noch um das Modell.
Die Kiebe aber, welche die Seele erweitert, erweitert fie für die Liebe
oder Gnade Gotted. Denn die Liebe ift weit genug für die Liebe des
Geliebten; die Gnade ift ein Geſchenk, das nur der wahrhaft Liebende
erlangt. Wie die Liebe (amor) der Form fi öffnet, um die Form des
Geliebten in fih aufzunehmen, und in Einheit mit ihm d. i. Gleichförmig—
feit fich zu erfreuen, fo ift die Charitas die Liebe der Liebe, welche Gott ift
(sie charitas est amor amoris, qui Deus est). Die Liebe fucht daher,
was Gottes iſt, das Ewige: Wahrheit, Gerechtigkeit, nn x. Das
Scharpff, Nie. v. Gufa.
498
Gold im Ofen fhmilzt nur dur das Blafen des Windes. So ſchmilzt
auch die Seele nicht, wenn nicht der hl. Geiſt die Süßigkeit der Liebe
ihr einhaucht. Der verborgene Gott wird und nicht lieblich und liebens—
würdig, ed werde denn von und zuvor der liebliche Geruch empfunden,
der von ihm uns mitgetheilt wird, Wie verborgened Obſt durch feinen
Wohlgeruh unfer Verlangen nad demjelben erwedt, daß wir es wit
Liebe auffuhen und als einen Genuß fürs Leben erfircben, jo fagte eine
fromme Seele, fie eile nah dem fie feffelnden Wohlgeruche der Salben
ihres Geliebten. Finden fi jene hohen Dinge, die Paulus aufzählt,
in einem Menſchen ohne die Liebe, fo find fie nichts. Ohne die Liebe
fann der geiftige Menſch ebenfowenig leben, ald das finnliche Leben ohne
Wärme feine Lebensthätigfeit ausüben kann. (Exec. VII, 573.)
Liebe und Willen.
Die Natur Gottes ift für den endlichen Geiſt unbegreiflih; nur in
Chriſtus wird er erkannt. Im ihm erfennen Gott auch die Heiligen.
Mie die Königdwürde uur in ihrer Macht, diefe aber nur in ihrer Wirk:
ſamkeit erfannt wird, jo auch die abfolute Größe mur im ihrem Morte
und dem Geifte aus beiden. Diefed Wort aber wird nur durch den Geiſt
erfaßt, der unfere Kraft ftärft, fo daß in unferem inneren Menſchen Chri—
find dur den Glauben wohnt. So in der Liebe gegründet, fünnen wir
mit allen Heiligen begreifen, welches die Länge und Breite, Höhe und
Tiefe (Gottes) fei. Indem wir in lebendigem Glauben Ehriftus an
ziehen, gelangen wir zur Ergreifung des Heild; denn das ift die Form
der Heiligkeit: die Form Chriſti. Chriſtus Ähnlich find daher alle Heilige,
die das Heil ergreifen. Beachte auch die folgenden Worte des Mpofteld:
„zu erfennen auch die Alles übertreffende Miffenfchaft der Liebe Chriſti,
um mit der ganzen Fülle Gottes erfüllt zu werden.” Die göttliche Wiffen-
fchaft ift nämlich nicht ohne die Liebe. Der zweifellofe Glaube führt zur
Liebe und durch Die Liebe zur Erfenntniß Gottes. Niemand kennt bie
Liebe als der Liebende; je mehr er liebt, defto mehr erfaßt er die Liebe.
Wie die Liebe immer wächst, jo auch ihre Erkemtniß. Die Liebe, die
im Herzen wohnt, lehrt daher fich ſelbſt d. i. Gott erfennen. Die Liebe
Chriſti Ichrt und die Wiflenfchaft der Liebe, durch die der Menſch mit
der ganzen Fülle der Gottheit erfüllt wird. (Exec. IX, 641.)
Wollte die- Weisheit nicht, fo würde fie (die das Beweglichfte und
Schnellſte ift und Allem vorauseilt) wicht gefangen werden. Weil fie ſich
fangen laffen will, jo muß fie durd Liebe gefangen werden, da fie
durch Feine erichaffene Kraft oder Macht gefangen werden kann. Wenn
daher die Weisheit wicht durch Liebe gewonnen Cplacata) ſich ſelbſt in
499
die Seele des Suchenden herabläßt, um fich fangen zu laffen, fo wird
fie nicht erfaßt. Sie felbft aber tft e8, die fpricht: „Ich liebe, die mich
lieben.” Dieſe Weije Fannten alle Jagd auf fie machenden Philofophen
nicht; nur Chriſtus machte fie und befannt, indem er lehrte, daß ber
Jäger, wenn er in Glaube, thätig in Liebe, fie verfolgt, Gnade findet
in ihren Augen und fie ſich ihm hingibt. (Exc. VI, 552.)
lieber die Liebe zu Gott und dem Nächſten.
Die erfte und größte und wahre Liebe (dilectio) ift die Liebe zu
Gott (charitas dei); die andere ift ihr Abbild und heißt Liebe des Näch—
fen. Wenn die Liebe des Nächten nicht Abbild der Liebe Gottes ift,
jo ift fie nicht vollfommen; denn nichts ift durch Theilnahme an dem Ab—
bilde vollfommen, außer ſofern cd Abbild der abfoluten Vollfommenheit
it; daher erfüllt die Nächftenliebe, fofern fie ähnlich ift der Liebe Gottes,
den göttlihen Befehl; denn in ihr ift dad, was erfcheint, Achnlichkeit,
aber der darunter verborgene Geift ift die Liebe, den jene Liebe im Abs
bilde darftellt. Den Nächften lieben beißt Gott in feinem Abbilde lieben.
Liebe ich einen Menfchen, der wie ih Gott zum Water hat, fo liebe ich
in ihm den Bater. In der That find daher die wahren Werfe der
Barmherzigkeit heilige Werke, weil fie aus reiner Nächftenliebe hervor—
gehen, bei welchen Gott der Beweggrund if. Wer daher den Nädhften
nit um Gottes, fondern um eines zeitlichen Vortheils willen liebt, der
erfüllt da8 Gebot nicht, der ift nicht im der Liebe Gottes, fondern feiner
jelbft, weil er nur fi im Nächften liebt. Durch Liebe gelangen
wir zur Erfenntniß Gottes. Wir wiſſen aber, daß Gott die Liebe ift,
und die Liebe des Nächten ihr Abbild. Dur die Liebe des Nächften
gelangen wir wie durch Abbild und Gleihniß zur Erfenntniß Gottes.
(Exc. VU, 588. 589. vgl. Exec. X,'658.)
Ueber die Nachfolge Ehrifti.
Ehriftus jagt, er gehe, wie von ihm gefchrieben fteht. Wir müſſen
alfo eilen, mit ihm zu geben; denn er fommt vom Himmel und fann
und allein zum Himmel führen. Wir müſſen alfo Eines mit ihm fein,
weil er allein in den Himmel eingehen kann; er, der vom Himmel herab»
fam, kehrte auch wieder in denfelben zurüd. Wir müſſen alfo gehen und
Eines fein mit ihm. Wie das todte Fell, das du anziehft, mit dir zur
Anfhauung des Königs gelangt, fo gehft du mit Chriſtus in den Him—
mel ein, wen du mit ihm vereinigt bift. Aber du mußt noch mehr mit
ihm verbunden fein (als bloß Außerlih). Du mußt ein Glied von ihm
32%
500
fein. Wie der Sflave feinen Act eines freien Menfhen verrichten fan,
wenn er nicht von der Sklaverei in die Freiheit verfegt ift, jo auch nict
der Menfh, wenn er nicht von diefer Welt in das Reich Chrifti verjept
it. Iſt aber der Menfb einmal wie vom ftürmifhen Meere in den
ruhigen Hafen eingegangen, fo muß er weiter überlegen, wie er mit
Ehriftus gehen fann. Im Chriſtus findet er Alles; er ift der Sohn vis
Menſchen und der Bruder Aller, Man findet ihn auf gleiche Weile in
jeglider Weile des menſchlichen Lebens: der Diener ald Diener, der
Sflave ald Sklave, der Lehrer als Lehrer, der König als König. Alles
ift in ibm; — aber was ift er in Allen? — Gewiß iſt, daß cr
der Demuthövolle, der von Herzen Sanfte, der Gerechte und Friedfertige
it. So aljo mußt du wandeln und fein Jod auf dich nehmen, weldes
fanft und leicht ift. Lege darum ab die ſchwere Sündenlaft, welche den
Lauf mit Chriftus hindert! Wollen wir alfo mit Chriftus wandeln, je
müſſen wir darauf bedacht jein, wie wir heute gelefen und ihn haben
handeln ſehen. Zuerft müſſen wir aus Egypten geheu und im rothen
Meere abgewajchen werden und zwar gemäß dem Borgelefenen, was
wohl zu erwägen ift, damit wir ohne Murren das Brod des Himmels
erhalten. Nach der Abwaihung und Buße müffen wir danı dem Erlöfer
entgegengehen und ihn in und aufnehmen; dann mit Paulus entzüdt
werden über die Erkenntniß Chrifti und endlich durch Leiden Chrifto im
Tode nachfolgen. (Exec. V, 469).
Weber die Trennung von der Welt und die Freundſchaft mit Chriftus.
Der Schüler (Scholasticus) trennt fih von der Welt und ſchließt
fih an eine Zahl von Schülern an, fobald er hört, daß fein Lehrer ein
Chriſt fei und die Welt verlaffen habe, mit allem Vertrauen Chrifto folge
und alle. überflüfftge Sorge für das Kleiih aufgegeben habe. Wer Chris
ftus nachfolgt, fucht das Himmelreich, welches das Leben des Geiſtes if,
und dieſem Leben wird alles Andere beigegeben. Der Knabe braudt
nicht darüber bejorgt zu fein, was er am fommenden Tage effe, wenn er
einen Vater hat, welcher weiß, was fein Sohn bedarf und welder Alles
in feiner Gewalt hat. Wenn der Menfch geiftig befcbäftigt ift, fo ift er,
wenn gleich unter einer Schaar lebend, von der finnlichen Welt getrenut.
Die das Evangelium des ewigen Reiches hören, haben diefe Welt ver-
laffen; die aber unter Menfcen leben, hören und handeln von Dingen
diefer Welt, und legen dadurch dem Geifte ein Hindernif; denn wie eine
verdorbene Luft den Körper verderbt, verborbenes Waſſer den Wein, ver
dorbenes Obſt das übrige Obſt und ein franfes Schaf die gefunde Heerde
anſteckt, fo befledt diefe Welt, in der feine Wahrheit ift, den Geiſt, der
4)
501
nur durch Wahrheit fein Leben ernährt. Der Geift der Finfterniß hält
mittelft der Gemeinfhaft mit den weltliden Dingen jene zurüd, die zum
Leben und zur Glücfeligkeit fich erheben wollen. Mit dem Sohne Got«
ted dagegen fann man eine vollfommene Verbindung eingehen, weil er
das Bild von Allem in fih trägt. Daher heißt er auch die Kunft des
Vaters, vol der Bilder aller Dinge; denn er ift ein Spiegel ohne Flecken.
Wir jehen, daß wenn eine Sache eine beftimmte Geftalt hat, fie nicht
eine andere annimmt, der Spiegel aber, weil er feine hat, viele andere.
So hat Gott als Geiſt nicht eine eigenthümliche Form eined Dinges
und daher wahrhaft die Bilder von allen in fih. Mit ihm kann daher
eine vollkommene und erfreulihe Gemeinſchaft und Freundſchaft ftattfinden,
weil er für alle Menſchen paßt. Gott enthält Alles in fih, was man
an einem Freunde ſucht. An diefem fucht man Weisheit zur Belchrung,
Schönheit zur Erheiterung, Reichthum zur Unterftügung, Kraft zum
Schutze, Adel und hohe Würde zur Erhöhung. Alles das findet ſich in
ausgegeichnetem Grade in Chriftus. In ihm find alle Schäge der Weis—
beit verborgen, er ift fehöner als die Sonne; denn feine Schönheit be—
wundern Sonne und Mond; in feiner Rechten find Schäge und Ruhm,
Niemand kann feinem Willen widerftehen, da er erhaben ift über alle
Völker. Es gibt feine dauernde Verbindung und Freundfhaft, außer in
Chriftus; denn jede Freundfchaft befteht wegen irgend eines Gute; es
gibt aber Fein reined Gut, außer Gott; jedes andere ift gemilcht.
(Exc. VL, 545.)
Ehriftus vergilt nuſere Wohlthaten.
Wunderbar ift die Lehre Ehrifti: willft du deinen Geiſt nähren, fo
nähre den eines Andern. Mas du willit, daß man dir thue, das thue
dem Andern. Sollte dir ein Anderer von Rechtswegen etwas Tleiften,
was er jedoch nicht zu leiften im Stande ift, fo wird es dir der vergels
tn, der die Gerechtigfeit felbft ift, Gott, welcher der Vergelter alles
Guten ift, und nichts Gutes unvergoften läßt. Die Gerechtigfeit vergilt
nicht unter Gebühr, da fie auf den Erfolg, nicht auf die That fieht (ad
effectum, non ad hoc, quod ago, respieiens). Sie vergilt, wie es ihrer
Erhabenheit gemäß tft, welche zugleih Güte, Mitleid und Freigebigfeit
it, mit dem Hundertfahen, fie gibt für Zerftörliches Unzerſtörliches, für
Hei Gold, für eine irdiſche Erquickung ewiges Leben. Wir Menfhen
alle find in dem Einen Menfhen Chriſtus Brüder, welder der Sohn
des Menfchen ift und dad Band der Vereinigung der menfhlihen Natur
mit der göttlichen, der Schöpferin von Allem. Chriftus hebt allen tren—
nenden Unterfcbied fo auf, daß der Barbar und der Ecythe in ihm nicht
502
verfchieden, fondern Brüder find. Erweiſe ich daher einem Bruder in
Ehriftus Barmherzigkeit, fo erhalte ih in Chriſtus, welder die Fülle der
Gnade ijt, gemäß feiner großen Barmherzigkeit, Vergeltung. Was der
Nächte wegen feinem Unvermögen nicht vergelten fann, das vergilt der,
in welchem unſer Nächfter ftarf ift, Chriftus, da in diefem feine menſch—
liche Natur, welde die menfchlihe Natur Ehrifti ift, voll der Gnade und
des Reichthums iſt; denn meine menfhlihe Natur it in Chriſtus mit
ihrem Principe oder dem Worte, durch welches ih erſchaffen bin, vereint,
und fo auch die eines jeden Menſchen. Was daher dem Geringften ge
than wird, wird Chriſto gethau, da eines jeden, großen oder Heinen
Menfhen Menfchheit in Ehriftus mit feinem Princip vereint iſt. Ein
Jeder vergilt daher in Chriftus nicht wie in einem Andern, ſondern ald
in feiner eigenen Menfchheit, welche mit dem Princip ihres Lebens ver-
bunden ift. So vergilt denn die menjhlihe Natur (humanitas) verbun
den mit dem Leben, göttliche Leben, da ich fie mir in einem beftimmten
Menſchen zur Schulpnerin gemacht habe. Und es iſt Vergeltung dei
Lebens; denn wenn die Menfchheit felbft in Ehriftus mit dem Leben ver
eint ift, fo nimmt fie mich als einen Menſchen zur Genoſſenſchaft an, fo
daß ich als Menſch in meiner Menfchheit, die in Jeſu Chriſto ift, die
Theilnahme am göttlichen Leben, das mit der Menjchheit in Chriſtus ver
eint ift, erlange. (Exc. IIl, 425.)
Begriff und Bedingungen des wahren Gebets.
Das lebendige Gebet ift da, wo die reine Vernunft ift, die
das Wort des Geiftes iftz denn olme das Denfen (mens), das vom
Gedanken (a memorando) feinen Namen hat, entfleht fein Gedanke. —
Du denkſt das Leben, indem du den Begriff desfelben im Gedächtniß haft
Wie könnteft du fonft den Gedanken desfelben hervorbringen? Aus dem
Gedächtniß und dem Worte geht dann ein Trieb und Berlangen nad
dem Gedanken hervor. Im Gebete prüdt fih daher der Geiſt
der Sehnſucht in Worten aus: in Worte ausbrechen beißt die
Fülle des Verlangens ausdrüden, Diefed Verlangen unſeres Geiſtes
durhdringt den Himmel und gelangt bis zu den Ohren Gottes. Wer
Erhörung finden will, muß wohl beachten, daß das Gebet alles Erichaffene
übertrifft, wegen unfered vernünftigen Geiſtes, der (im Gebete) ſich ſelbſt
fteigert, wie ein Feuer, das feine Kraft durch Bewegung erhöht. Wenn
du die Sache recht beachteft, fo weicht dem Gebete die Natur, die Br
wegung des Himmeld und jede Creatur. Es betete Elias und es regnet:
nicht und Alles verdorrte. Er betete wieder und es regnete und bie
Erde wurde fruchtbar. Er betete, und Fener, deſſen natürliche Be
903
wegung nach Dben geht, fiel vom Himmel herab. Stand nicht die
Sonne in ihrer regelmäßigen Bewegung ftille, in Folge des Gebetes?
Das Gebet hat alfo eine gewiffe Allmacht in ſich, nicht vermöge unfered
Geiſtes, fondern jenes Geifted, welcher in dem unfrigen iftz denn aus
der Bewegung ded Feuers entfteht die Sehnſucht. Es liegt in unferm
Geifte eine gewiſſe Macht, den göttlichen Geift in fich zu denfen (conci-
piendi), wenn anders unfer Geift in der gehörigen Verfaſſung if. Er
begreift nämlich nicht ohne Glaube: was wir nicht glauben, das verwers
fen und verachten wir. Der Glaube alfo, daß du von Gott erlangen
fönneft, um was du bittet, muß vorausgehen. Du darfit 3. B, nicht
meifeln, daß Gott Alles möglich fei und daß er alle Gute reichlich
mittheil. Du bitteft und du erhält. Du mußt aber auch für fein
Geſchenk empfänglich fein: du verlangft Erleuchtung und haft nicht die
dihte Finfterniß in dir verſcheucht; du beteft um Keufhheit und gibft
niht den Umgang mit unfeufchen Weibern und die Reizmittel der Wolluft
auf; um Mitleid und bift doch micht mitleidig, fondern nmähreft Groll
gegen deinen Nächten; um zeitliche nicht nothwendige Güter, und haft
nicht den frommen Sinn zu ihrer guten Verwaltung; um - Ehrenftellen,
aber es fehlt dir die Armuth des Geiſtes, wodurd jene für dich nur ein
läftiger Dienft, für Andere eine Duelle ded Segend werden. Die Em:
pfänglichkeit Deines -Geiftes für die Aufnahme des Geiftes Gottes, welcher
die Liebe ift, befteht in dem Aehnlichwerden mit ihm; denn die Aehn—
lichfeit verbindet. MWillft du den Geift der Wahrheit, fo mußt du bie
Lüge haſſen, denn Unähnlichfeit trennt. So wird dein Geift fähig zur
Aufnahme des guten Geiftes, wenn er Alles, was dieſem entgegen iſt,
nicht nur nicht liebt, fondern verabfchent. (Exc. VII, 588.)
Gebet ift Nöthigung Gottes.
Satan verfucht und, damit wir verleitet werden, Gott zu verfuchen,
wie es in den |. g. Rechtfertigungen der Unfchuld (purgationes) dur
heißes Waſſer, glühendes Eifen, Zweikampf ıc. geichieht, die der Satan
angibt, um die Menfchen zu täufchen.... Gott darf nicht verfucht wer:
den, ed darf nicht feine Macht, Weisheit, Wahrheit auf die Probe und
ſomit in Frage geftellt werden.
Beten follen wir zu Gott, er möge unferer Bedrängniß, und zwar
wenn es nicht auf natürlichem Wege ausreicht und menfhliche Hülfe nicht
u Gebote fteht, auch fogar in wunderbarer Weife zu Hülfe fommen.
Immer jedoch müſſen wir beifegen, wie Chriftus auf dem Delberge:
Dein -Wilte geſchehe! Wiffe, daß Gott nicht durch Verſuchen, fondern durch
Gebet genöthigt werden fol. Es fft dies eine Art von Goincidenz ber
904
Gegenfäge: Das Gebet wird Nöthigung (oratio fit coaetio). Gott
wird durch das anhaltende Gebet genöthigt, wie das anhaltend bittente
Weib vom Richter Rosfprehung erhielt. Wieviel das anhaltende Gebet
eined Gläubigen vermöge, hat Chriftus an eben dieſem Weibe, der
Apoſtel Jacobus am Beifpiel des Elias gezeigt. (Exec. IX, 649.)
Belehrung über Anwendung des Vater unſer als Gebet im jedem
Anliegen.
Wenn die Kirche im Miffale oder Pontificale einige Gebetsformeln
gegen Gewitter, verpeftete Luft u. dgl. feftgeftellt hat, müſſen wir dieſe
Formeln beobachten. Wo fie aber nichts Specielles feftgefegt bat, müſſen
wir die allgemeinen Gebete auf den befondern Zwed anwenden. Wo
feine gut anwendbaren allgemeinen Gebetsformeln fid finden, da maden
wir und mit Hülfe des Gebetes des Herrn felbft ein Gebet. Ein Jeder
fennt das Gebet des Her, das Alles, was wir von Gott erbitten
fönnen, in fich begreift, und fann es in frommer Abficht auf befondere
Fälle anwenden, Willft du 3. B. eine den Früchten günftige Witterung,
fo fagft du: Vater unfer! und fügft dann demüthig bei: „Herr, du heißeſt
mid von dir das täglihe Brod bitten, und den allezeit nothwendigen
Lebensunterhalt. Um diefen ‚nun als deine Gabe zu erhalten, nimm
ungünftige Witterung, Hagel, unmäßigen Regen, allzugroße Kälte x.
hinweg!" Wünſcheſt Du von Gott einen guten Biſchof, fo füngft du
wieder an: Water unfer! und fügeft dann bei: „Weil du, o Gott! befiehlſt,
daß wir alle Erquickuug des Lebens nur von dir verlangen und bie
Weisheit oder dein Wort die Nahrung der Seele und das tägliche Brod
des vernünftigen Geiftes ift, darum, o Gott! damit meine Seele genährt
werden möge vom Wort des Lebens, gib und, o Gott! einen guten
Biſchof, der verftändig ift und dich liebt, der und unaufhörlich und täglid
nähre.” Willſt du andere Bevürfniffe von Gott dir erbitten, wie Geſund—
heit, Frieden, Liebe u. dgl., fo fannft du unter dem Namen des Broded
alles dieſes von Gott erbitten. (Exc. VI, 546.)
Erflärung des Bater unſer.
Je allgemeiner (commanior) eine Sache ift, deſto befier ift fie. So
ift der Taftfinn beffer als jeder andere, weil ihn auch Diejenigen haben,
die der andern Sinne entbehren; find alle andere Sinne zerftört, fo il
doch noch Reben da; mit dem Taftfinn bört auch das Leben auf. So
ift unter Sein, Leben, Denken das Eein das Allgemeinere und baber
Beffere, denn Alles hat ein Verlangen zu fein. Das Gebet aber ill
505
no allgemeiner; *) denn das Sehen geſchieht durch die Augen, das Hören
durh die Ohren, dad Denfen durch den Geift, dad Lieben durch den
Affeet, das Beten aber durd vieles Alles. Denn das Wort Gottes
hören heißt beten, das Himmlifche lieben, die Dfficien fingen, alles das
it beten, gemäß jenem Sprude: „Der hört nicht auf zu beten, der nicht
aufhört Gutes zu thun.“ Jeder hat feine befondern Pflichten, das Gebet
it die Pflicht Aller.
Das Gebet ift ftürfer als alle Gefchöpfe. Die Engel oder Intelli—
genzen bewegen die MWeltförper, die Sonne und die Sterne. Das Gebet
aber ift ftärfer, denn es hemmt diefe Bewegung, wie das Gebet Jofua’s
die Sonne ftillftehen machte, Es ift ſtärker als die Einflüffe der Sterne,
Härfer ald dad Leben, das ohne Nahrung nicht beftehen Fann, ber
dad Gebet hat ohne Nahrung Tange Zeit Heilige am Leben erhalten,
wie den Elias, Mofes u. A. Es ift ftärfer als jede Creatur, denn feine
kann die Greatur in den Schöpfer verwandeln (transformare), das Gebet
ded confecrirenden Prieſters kann ed. Es ift mehr ald Almojen und
Baften; denn wer aud fein Almofen geben oder faften fann, kann doch
beten, wenn auch nur im Herzen, wenn er ftumm ift oder den Todes»
fampf kaͤmpfet, nach jenem Worte: „Mein Gebet ift beftändig vor dem
Herrn.”
Erklärung des Vater unfer, in Fragen und Antworten.
. Warum lehrte unfer Lehrmeifter uns beten?
. Wegen der audgezeichneten Kraft des Gebetes.
. Warum hat er ein fo kurzes Gebet gemacht ?
. Weil er der einzige Lehrmeifter ift.
. Warum fängt es an mit: Vater, und nicht mit Gott oder
Herr?
. Weil der Vater nichts abſchlägt.
. Was bedeutet: unfer?
. Daß Jeder denfelben Vater anbete, daß wir uns ald Brüder
befennen und Einen Gott verehren.
. Mas bedeutet: der?
. Daß Gott ganz unbeſchränkt ift (absolutus ab omnibus).
. Maß bedeutet: du bift?
. Daß er allein ift und daß das abfolute Sein das väterliche
ift, aus dem Alles ftammt.
. Mas bedeutet: in?
. Daß er, der von Allem unbefchränft, in Allem ift.
8)
wa aan
>
eaean
-
= 9
1) Es fcheint hier der Gontert mangelhaft zu fein und einige Zwifchengebanfen zu
ehlen.
ea a Pe
oe: eo ec
aa
a 820
zweaean [en 2 a em
506
. Was bedeutet: den Himmeln?
. Daß, wer in den Himmeln ift, in Allem ift, weil die niedere
Natur in der höhern ift.
. Was bedentet: Bater unfer?
. Daß wir einmüthig (unanimes) beten follen.
. Mas bedeutet: der du bift?
. Den Unterfchied zwifchen Gott dem Vater und einem —
und veränderlichen Water.
. Was bedeutet: in den Himmeln?
. Daß der Vater eigentlih dort ift, wo es feine Weränderung
gibt.
Mas bedeutet: Vater unfer, der du bift in den Him:
meln?
. Daß wir und Alle im Gebete an Einen und denjelben wenden
follen.
. Warım hat er und beten gelehrt?
. Damit wir befennen, daß wir Alles aus Gnade befigen.
Erfte Bitte,
. Warum heißt die erfte Bitte: geheiligt werde dein Name?
. Weil darin die Erleuchtung unferes Geiftes liegt.
. Was bedeutet: geheiligt werde?
. Daß wir defwegen auf der Welt find, damit wir feine Herr
lichfeit erfennen und er von und geheiligt (verherrlicht)
werde.
. Was bedeutet: Name?
. Name ift die Kenntniß oder Offenbarung des Vaters, — der
Sohn oder die Gleichheit.
. Was. bedeutet: dein?
. Der Name, der ded Vaters Name ift, ift der Sohn, in dem
Sohne wird der Vater benannt,
. Warum fagte er: geheiligt werde dein Name?
. Weil die Heiligung in der Aufnahme des Vaters und Did
Sohnes befteht.
Zweite Bitte.
. Warum fügte er die zweite Bitte über das Neich bei?
. Auf die Kenntniß des Vaters und des Sohnes folgt Friede
und Glückſeligkeit, und dies ift das Reich.
. Warum fagte er: zu ung fomme?
. Damit wir wiffen, e8 fei zukünftig und nicht won dieſer Welt,
weil diefe den Gelft nicht faffen Fanır.
. Mas bedeutet: Reich?
10.
11.
12.
= a
— 2
= 7
wa um m
507
Ein Reich ift eine Einheit oder Verbindung; diefe fommt dem
hl. Geifte zu.
. Mad bedeutet: dein?
. Daß man wiffe, e8 fei ewig und gleicher Subftanz (consub-
stantiale) mit dem Water.
. Warum fagte er: zu und komme dein Reich?
„ Weil der Betende fir das Reich fähig ift, wie ber Körper
lebensfähig, wenn die Seele hinzukommt.
Dritte Bitte.
. Warum fügte er die dritte Bitte bei: dein Wille geſchehe?
. Weil die vorausgegangene Bitte nicht in Erfüllung geht, wenn
nicht fein Mille gejchieht.
. Was bedeutet: gefhehe?
. Das „Geſchehe“ oder „Werde“ ift das Wort Gottes, wie z. B.
„ed werde Licht”.
. Was bedeutet: Wille?
. &8 ift der heilige Geift.
. Was bedeutet: dein?
. Der hl. Geift ift aus dem Vater, als feinem Urquell,
. Was bedeutet: dein Wille geihehe?
‚ Die Allmaht Gottes.
. Warum fegte er bei: wie im Himmel, fo aud auf Erden?
. Weil im Himmel nur der Wille Gottes geſchieht.
. Warum fagte er: wie?
. Daß fih diefe Welt in der Aehnlichkeit mit der andern
bewegen ſoll.
.Was bedeutet: im?
. Daß der Wille Gotted innerlicher als das Innerlichfte ift Gin-
timior omni intimo).
. Was bedeutet: im Himmel?
. Er fagt nicht: „in den Himmeln“, damit wir einfehen, daß
wir bitten, wie der Wille in unferm innern Menſchen redet,
fo möge er vom äußern Menſchen vollzogen werben.
. Mas bedeutet: auch?
. Daß der Wille in dem Einen Menfhen Einer fei aus ber
Verbindung zweier Naturen.
. Was bedeutet: auf (in) ?
. Daß diefer Wille in und ald die bewegende Natur fei, die
von Innen heraus treibt.
. Was bedeutet: Erden?
Daß der Menfh aus Erde ift.
508
Vierte Bitte,
1. 5. Warum fügte er die vierte Bitte bei: Unfer täglides
Brod gib uns heute?
A. Weil zur Erlangung des Erbetenen das Brod nothwendig if.
2. F. Warım fagte er: Brod?
A. Um das auszudrüden, was wir ald gemeinfam und notb-
wendig erfennen.
3. 5. Mus bedeutet: unfer?
A. Weil wir für Alle bitten und es wird und gegeben.
4. 8. Was bedeutet: täglich?
U. Weil e8 immer nothwendig und immer zu erflehen ift.
9. %. Was bedeutet: übernatürlich (supersubstantialem) ? ‘)
U. Daß der Menſch nicht vom Brode allein lebt, fondern von
jedem Worte, das aus dem Munde Gottes fommt, und did
it das übernatürlihe Brod.
6. 5. Was bedeutet: gib?
A. Daß wir unfer Brod nicht anderd haben Fünnen, denn als
ein Geſchenk; die es haben und nicht als Geſchenk, haben
fremdes Gut genommen, wie die Wucherer, Diebe und
Räuber.
7. 5. Was bedeutet: uns?
U. Daß wir in der Kirche find.
8. 8. Was bedeutet: heute?
U. Daß wir e8 immer und ohne Unterbrehung bedürfen, da es
das Leben ift. ?)
9. F. Was bedeutet: unfer täglihes Brod?
U. Daß wir um ein andered nicht bitten folfen.
10. 3. Was bedeutet: gib uns heute?
A. Daß wir nicht Einmal, fondern zu jeder Zeit darum bitten follen.
Fünfte Bitte.
1. F. Warım folgt die fünfte Bitte: Und vergib und unfere
Schulden?
A. Weil die Vergebung der Sünden nur den in Chriftus Einge—
gliederten zu Theil wird, der und die Vergebung der Sünden
verdient hat.
2. 5. Was bedeutet: und?
1) Während es fcheint, ala fei bier in das Water unfer willführlich ein Wort eins
geſchoben, das nicht in demfelben fteht, unterliegt es feinem Zweifel, daß nur die Faſ⸗
fung der Frage eine nicht ganz gelungene ift. Es hätte die Frage paflender etwa fo
geftellt werben fünnen: Was hat „Brod“ noch für eine weitere Bedeutung ?
2) Dies feheint fih auf das übernatürliche Brod zurüdzubezichen.
12,
=
za sa sammen en m
=
mo
= oa
909
. Weil Beides zugleih geſchieht, die Eingliederung in Chriftus
und die Rechtfertigung.
. Was bedeutet: vergib?
. Weil die durh die Sünde gefeffelte Seele nur durch einen
Stärfern befreit und erlöst werben kann.
Was bedeutet: uns? (d. i. den in Chriſtus Eingegliederten.)
. Daß es außerhalb der Kirche keine Sündenvergebung gibt.
. Was bedeutet: Schulden?
. Daß wir Alle Schuldner und der Geredhtigfeit Öottes verfallen find.
.Was bedeutet: unfere?
. Daß nichts unfer ift ald die Sünde; denn außer berfelben
haben wir nichts, was nicht Gott gehört.
. Warum ift beigefegt: wie?
. Damit wir nichts Ungerechtes von Gott erbitten; denn wer
bittet, daß ihm vergeben werde, und nicht vergibt, defien Bitten
ift ein Widerſpruch.
. Warum wird: auch beigejegt?
. Damit die Wehnlichkeit der Beziehung mit Rüdficht auf die
Gleichheit der Gerechtigkeit ausgedrückt werde.
.Warum folgt: wir? |
. Weil, wenn Einer in der Kirche beleidigt wird, Alle beleidigt
werden; deßhalb muß die Vergebung dur Alle erfolgen.
. Warum heißt ed: wir vergeben?
. Unfer Vergeben ift ein Abbild der wahren Bergebung, wenn
wir verzeihen und Gott die Beftrafung (vindictam) überlafien.
. Was bedeutet: Schuldigern?
. Daß wir denen vergeben, die und für zugefügtes Unrecht Genug—
thuung leiften und überdieß körperlich gezüchtigt werden follten.
- Mad bedeutet: unfern?
. Weil fie und und einem Geben Genugthuung leiften und zum
allgemeinen Beften geftraft werben follten.
Sechste Bitte.
. Warum heißt die feste Bitte: und führe und nidt im
Verſuchung?
.Weil wir nicht überſehen ſollen, wae beſonders nothwendig zu
erbitten iſt.
. Mas bedeutet: und? (dad Verbindungswort.)
. Daß wir mir Demjenigen zu unſerm Beſten verbunden und
vereinigt feien, von dem wir alle Hülfe erwarten.
. Warum folgt: nicht?
. Damit er dem Feinde alle Gewalt, uns zu ſchaden, nehme.
= ge) aa
wa BAER 2 00 za
wann mam
510
. Was bedeutet: und nicht?
. Daß er und nie von ihm, dem wir fett anbangen, getrennt
werden laffe.
. Warum fegen wir bei: uns?
. Weil wir ſelbſt es find, die im Guten befeftigt, und gegen’
das Böſe geſchützt zu werden bebürfen.
» Was bedeutet: führe ung?
. Weil 08 Feine Fähigfeit, gut zu handeln, gibt, wenn er fie
nicht gewährt, noch eine Macht der Berfuhung, wenn er fie
nicht zuläßt.
. Was bedeutet: in?
. Duß in ihm Alles und er in Allem iſt; oben im Himmel un
unten auf der Erde, und in allen Abgründen ift feine Madt.
. Was bedeutet: in Verfuhung?
. Ein vom Wolfe angegriffenes Schaf kann ſich nicht befreien
und wenn ed auch vom Hirten befreit wird, fo wird es dod
verwundet. So wird aud, wer der Verſuchung preisgegeben
wird, vom böfen Feinde verwundet, wenn er auch, nachdem
die Zulaffung vorüber, befreit wird, wie wir an Petrus, der
der VBerfuhung überlaffen war, deutlich jehen.
Siebente Bitte.
. Welches ift die fiebente Bitte ?
. Sondern erlöfe uns von dem Uebel. Amen.
. Warum: fiebente?
. Weil die Siebenzahl die Zahl der Ruhe und nach Entfernung
alles Uebels Jeder im Guten feine Ruhe findet.
. Was bedeutet: fondern erlöfe uns von dem Uebel
. Daß und das Gute wie ein Licht befcheinen möge, denn dad
Licht leuchtet nicht, fo lange nicht die Finfterniß entfernt iR,
und das Gute geht mur denen Cirradiat) auf, die vom Uebel
befreit find,
. Warum folgt: fondern?
. Weil man vom Böſen fit abfondern foll (adversandum).
. Zu wen fagen wir: erlöfe uns?
. Zu dem, der allein erlöfen fann, der ſprach: „ich verwunde und
ich heile, und Niemand kann aus meiner Hand hinausfallen.“
Was bedeutet: uns?
. Daß Alle für fih Gutes erfireben.
. Warıım fagen wir: von?
Weil der, von dem Alles, jedes Sein ift (est ens omue), das
fi) fcheidet von dem Nichts und nicht Seienden.
511
8. F. Warım ſchließen wir die Bitte mit dem Worte: von dem
Uebel?
A. Weil wir alles Uebel ausſchließen und ausſcheiden müſſen,
damit in uns alles Gute Frucht bringe.
9. F. Warum ſchließen wir das ganze Gebet mit: Amen?
A. Weil wir von Gott die Bekräftigung in allem Guten erflehen
müſſen. Denn hat auch ein Weſen das Erbetene erhalten,
ſo macht es doch geringe Fortſchritte, wenn es im Guten
nicht befeſtigt (confirmatur) wird.
10. 5. Warum ift das Amen das Leste in den Bitten?
A. Weil: Gott felbft das Amen ift und die Befräftigung aller
Bekräftigung. Wer daher am Schluſſe fagt: Amen, bittet
Gott um die Erlangung des Ziele und um die Befräftigung
von Allem.
So befräftige uns denn in allem Guten Gott, der alles Gute über:
trifft und alles Gute verleiht! Amen. (Exc. VI, 549—552.)
Eine andere Erklärung des Vater unſer.
Die auslegung über den pater nofter, von her nicolas von
Euja, Gardinal und pifhoff zw Briren.
Jeſus in einer allerdiemütigften menſchhait war wärer got, und alio
waren feine wort und lere auch war, und überireffent dye anderen all;
und darumb fo ift der pater nofter in ainer ainfeltigfeit der wort wer
greiffend die höchft ler und weishalt. Wann gleich als die gothait in der
menichhait Erifti verporgen lag, alſo ift all wegreifflibe weyshait vers
vorgen in den ainfältigen worten der ler Grifti, die nyemants gar ges
gründen mag auf difem ertreih. Ein yeglich menſch hat ein unergänflich
ſpeis auf dieſer fichtigen Wellt in der verporgenen weishait goted unter
den worten und finnlichen zaichen als der Fröften menjch wartend ift ainer
ewigen ſpeis des obriften verftäntlihen Lebens offenbarung an (ohne) alle
jaihen oder mittel der franfen fimlichait. Darum ift es, daß ein menſch
mag nad der gnad goted ein Flarär und höcher verftäntnuß haben in den
worten des pater nofterd, denn der ander, ald ainer Flarär augen hat
dann der ander, die ſune an zefehen, und wiewol ein yeglicher in fainer
ainfalt eine ſünderliche genügliche füßigfait in demfelben gepet haben mag,
jo ift doch, daß got ainem ainen vortail wider den andern geben hat
ainen yeglichen ze nüß, und darum lernet ainer den andern und ſy bes
geren von einander zit lernen.
Mein verftäntnuß des pater noſters zu diſer Zeit ift hie mad) ges
Ihriben und getraw daß folich verftäntuiß fol in mir gemert und beflärt
512
werden von tag zu tag, ald ih aud in dir won got des begeren pin.
Es ift ze willen daß ein gepet get nad) der wegirde und ber pegirlic
will get nach dem hoffen, wann was der menfch nit hofft, des pegert er
nicht; aber die hoffnung volgt dem glauben und verftäntmüß. Nyemanıd
hofft, dad er nit geglaubt oder ways, und darum fo und das obrift gepet
haben dye obrijten pegirde, hoffen und glauben; und das ift, daß du für
dich fegen folt in dem pater nofter ze fuhen. Wann nun unfer verjtänt
nüß ift genaigt die warhait ze wifjen, fo findeft du, was du glauben jollt
in der warhait ye got und den creaturen, und wann du den glauben der
warhait funden haft, durch den du erleucht wirdeft, warzu menſchlich
weſen kömen mag zit feiner völfommenhait, fo hoffeſt du auch daryı x
fümen, und wann du findet, daß jolich völfommenhait gut iſt, fo wegerel
du derfelben, und piteft nad dem du dy felben verfteeft, und hoffeſt daf
du darzu fommen mügft. Und aljo unfer verftäntniß zu der warhalt ge
naygt findet ein erläuchtung in dem pater nofter ze wiſſen im aimem ftäten
glauben, was dy warhait ſey: zu dem erften von dem anbeginn und ur
fprung aller ding, von dem ausfluß aller ding von got, von dem mittel
des widerfluß aller ding und von dem ende. Der urfprung ift die gälle
liche natur in den worten: vater unfer der du da pift in den Him
meln, geheiligt werbt dein nam, zü köm ung dein reich. De
ausfluß in den worten: dein will gefheh als indem Himmel
und in dererden. Das Frefitig mittel in den worten: unfer täg
lid prot gib ung heut, vergib ung unfre ſchuld als wir tun
unfern [huldigern, nit verlayt uns im weforung. Das ende
in den worten: ſundern erlöd uns von übel. Amen.
Der urfprung ift und aufgetan in ainem glauben in den worten:
vater unfer; in dem hoffen der verftäntnüß in den worten: geheiligt
werdet dein nam; in wegirt des guten in den worten: zu fom und
dain rei. Der ausfluß der creaturen wirt und offenbar in feiner ons
nung in den worten: dein will gefheh indem Himmel und in
der erden. Unfer wandlung bye in der zeyt wil haben ein kreffligt
ſpeis, und eine ringerung der ſchwären pürd, des, dardurch wir leyden
bindernüß, ein ficher wegweid und eine befchirmung im weg. An die vier
punkten fan nyemants wol gewandeln. Der erft punft ift in ben worten:
unfer täglid prot gib uns heut, der ander in den worten: ver
gib uns unſer ſchuld, der dritt in den worten: al8 wir tun unfert
Ihuldigern, der viert in den worten: mit verlayt uns in Br
forung. Das ende aller wandlung ift zu dem guten begriffen in ben
worten: Sundern erlös uns von übel. amen.
Die natur, die gnad und glorie und alles, das der menſch wegert
zu wiſſen, wye des möglih iſt und auf difem erdreich in der ordnung,
513
ald die maifter von den höchften fynnen des begreiffen mögen, {ft alles
je finden in difem heiligften gepet, darin nichts übrige, nichts ze wenig
ift, nichts je ſchwär, michts ze leicht, nichts ge lang, nichts ze kurz,
nichts am fach und rechte ordnung ift, da das erft das erfte foll feyn,
das lezt das legte, warm ber Artifel: Water unfer, der du pift in den
bimmeln mag fainen vor ym leyden, und der artifel: geheiligt werd dein
nam get auß dem erjten, und der dritt aus dem zweyten vorgenannten.
Der artifel: dein will werd, geet aus den, die vor ym gennt, und alfo
pis an das ende, ein yedlicher in feiner ordnung. Diß aller heiligited und
höchftes gepet leg ich mit dem fürzten alfo aus.
Bater unfer. Ein vater ift ein natürlicher erfter und öbrifter urs
fprung und ift allain ein anbeginnen aller unfer, des beweift dad wort:
unſer; wann ains ift nit unfer, fundern unfer ift viel, aber vil
haben ainen urfprung, als uns die zal des weit. Zehen oder zwanzig
it mer dann ains und ift wil, aber deß zehen zehen find, oder zwanzig
mwanzig find, des haben fy von ainem. Zehen ift nit anders, dann ains
sehnmal, und darumb wär ains nicht, zehen möchten nit gefein, und alfo
find zehen von ainem, umd haben von yn (ihnen) felber nichte, Sondern
was ſy find, des iſt von ainem, und ift im ym nichts dann ains. Dar—
umb jo fein wir alle, wie vil unfer fein, von ainem und feyn wir nichts
von und, und was wir fein, des feyn wir in dem vater, an den wir
nit jein mügen, und aljo haben wir wie all Greaturen von ainem vater
und in ainem feyn, aus den worten: vater unſer. Darnach volgt: du
vi. Da merk: ſeyt der vater ifl, So ift er das weſen aller ding, wann
alle ding von ym und in ym find, und alfo ift got alles, das da in
yedlichem ift, das da ift.
Und darnach volgt: in den himeln. Durch die himel verftee ich
die obriften creaturen, und aljo lerent mich dije ainfeltige wort, wie got
der vater ift in allen Dingen, wann er ift in den bimeln. Die obriften
treaturen das find die verftäntlichen naturen, die haben in frer frafft und
macht die undriften als die bewegleich lebendig natur. Der paum hat in
ym die untreft element; und das finlig leben der tier begreift yn ym
des beweglich leben, und darumb wachſet und nympt zu das tyer ald
der paum. Die vernünftig natur begreifft dye finnlihen, ald in den
menfchen, und die verftändig himliſch natur begreift in yr die rebleich
(rationalis) als in den engeln. Und darumb ift ain got der vater, in
dem alle ding find im den hymeln. So ift er in allen, und ift ain
got vater in vil himeln, und find vil himliſch naturen, in den ein ainig
ainfeltig got vater ungetailt und unvermengt ift. Daraus du merkt wie
diß ertreich der fonlichait ift vern von der erfäntniß gotes, wann er in
den himeln ver obreften verftäntmüß ift, und bajelbs wirt un mit
Sharpff, Nic. v. Gufa,
914
den augen ber verftäntlichen maturen, die wir auch in unſer felen haben;
wann er eine obrefte geiftlihe natur ift, bie unſer ſynnliche und leipliche
augen nit fehauen mügen. Und alſo merf, daß get der vater ift das
weſen aller ding, und ift in yeblichenn alfo, als in allen und in fainem
wejend, aber wegreifflih und merklih; fo if er in den bimeln ‚der ver
ftäntlichen naturen.
Seheiligt werdt dein name Gin nam ift ein kantnuß. Par
dem namen haben wir underfchidfiche befanntnüß, und fo der nam je yaf
bedeutt, dad da genannt wird, fo er ye rechter und warer iſt. Und
darumb ein warhaftiger nam ift ein recht geleichnüß des genannten; un
ift als ein begreifflih wort, das da fleußt aus macht der verftäntnüf.
Alfo ift der nam got des vaterd ein obrift wort, gleich der verftäntlicen
naturen des vaterd; ımd wann der nam allergleichift iſt dem water (und
der obrift nam ift, der wicht warer, rechter und gleicher fein mag), ie
mag der nam nicht mynner fein dann der vater. Warm wär er mynner,
fo möcht (fönnt) er mer fein, denn er wär, und alſo wär er nit be
obrift warhaftigfte nam. Seyt aber, daß er gleich dem water ift, fo ii
er gleich got, als der vater. Aber got der vater iſt ein ainig urfprung
aller ding, als oben gefhriben ftent; derumb muß der name, der dem
vater gleich ift, derſelb ainig got fein, der der vater iſt; wye wol ber
name der vater nicht ift, an (ſondern?) des vaterd name, ben wir um
deßwillen, daß er ift von dem vater, als fein obriſte gleichnüß wennen
mügen den fun. Nym ein gleihnüß in der finnlihen gepurt, da ber
fun ift von dem vater. Kain fun auf difem ertreich ift feinem vater alle
gleih, er möcht ym noch gleicher ſeyn. Alſo fain ding mag dem ande
nymer fo gleich fein, ed möcht ym noch gleicher jeyn. Und wann mur
die alleröbrift und warhaftigift gleihnüß ift allein des vaters jun oder
name, darumb ift alle gleihnüß auf difem ertreich gemengt und vermildt
mit ungleih und iſt gotes vaterd nam auf difem ertreich mit ze finder
yn ettwe gleichem an große ungleichheit. Und wann num got nit erkannt
mag werden anders, denn in feinem namen, fe it daß wir hoffen, daf
wir derzu fommen mügen, daß wir In über unfer verftäntnüß bekennen,
in dem daß got der vater und in feinem namen erleuchtet, daß wir in
halligen. Wann wenn wir heiligen feinen namen, das fümpt and deu
Licht, dad uns geben ift von dem Water, darin wir fehen feinen na
men über all namen. Wann wir ben namen aljo fehen, dann jo beill
gen wir in über alles, das da heilig, war und recht iſt; wann wir ſehen,
wye der name der war nam iſt und der gerecht nam der obriften gleich⸗
nüß und der Spiegl der wayshait, darin got der vater allein geſehen
und erfannt mag werden, und daß alles, das da genannt iſt im bim
melreich und im ertreich hat kainen waren namen, am gepreften, abgang
515
und ungleihhait, aber anders ift es in bifem namen, und das’ darum
fain ding mög erfannt werden in der warhait anderd dann in dem na—
men. Alſo lernet und Chriſtus piten, daß der name geheiligt werb durd)
und, darine begriffen ift die umergrünt lere zu kommen in die erfännts
nüß goles, derzu wir nyt fommen mügen von und, fondern von gnaden
gotes, die und heilige, daß wir auch heiligen mügen den namen der et
kaͤnntnüß gotes über alle erfänntnüß. Und wenn alſo unfer verftäntnüß
allein gotes namen heilige, und in feinen andern dingen luſt noch rue
findet oder ſuchet, fo hat der menfch, des (was) er pitet von got in den
worten: geheiligt werdt dein nam.
Darnach volgt: Zu fom uns dein reich. Ein reich ift ein vor
ainigung. Ein künigreich ift ein verainigung in einem fünig. Ein gotess
reich iſt ein verainigung in got. Das gotliche reich ift die gotlich und
obrift verainigung, die nicht mag mer geſein. Die verainigung des va-
ter und des fund, der dem vater allergleichift ift, iſt die obrift verainis
gung. Aus einem und feinem gleichen fümpt verainigung ald aus um
gleih tailung, umd darumb jo fümpt aus einem und feinem allergleichiften
die obrift ainigung. Die obrift ainigung, die nit mer mag fein, muß
got fein; wann alles, des da ift, des es fein mag, des ift get; und
was got nit ift, ded mag durch got anders fein, dann es ift. Aber
got allain ift alles, des da gefein mag. Alfo ift die obrift verainigung
got, den wir nennen den heiligen geift, der da. fümpt von ainen und jel-
nem gleichen, das ift von dem vater und von dem fun. Alſo merkit du,
daß des vaterd reich iſt die obrift verainigung, der heilig geift. Und
darumb, wann der menjch erhebt wirt im die befanntnüß gotes in feinem
namen, und aljo geliehen bat, de got allain der allerbegierlihift if
und das oberft gut, fo findet er, daß got des reich ift aller wunne und
freuden, und die lieb ift aller lieblichkeit, und daß allain in dem reich ift
der heilig ewig frid und verainigfait ftätiflich, und deß außer dem reich
It alle lieb vergänflic gemengt mit layd, und aller frid unftätiglich ger
mengt mit unfrid und alle frewndtichaft und verainigung geprechenlich.
Darumb fo fullen wir mit großer begird piten, daß des reih zu ums
fom darin und nichts gepreften mag, fondern ewiglich fälig fein. Wir
piten des, daß und des reich zuköm. Darin verfteen wir, daß wir
glauben fullen, wie wol wir creatur fein und auf difem ertreich leben in
vil gepreften und creatur beleiben müßen, daß und Doch das frivfam ums
tötlih reich zufommen müg. Und alfo werden wir gelernet von Erifte,
daß wir begreifflich fein, gotes kinder ze fein, und daß und gottes reich
jufomen mag zu einer ewigen erbfchafft, und daß wir an und haben rin
untötlihait, zu der gotes reich fomen mag. Wir werden and gelermet,
daß unfer oberfte hoffnung fein joll zu befigen das reich ber — frew⸗
516
den. Und indem, daß wir piten umb das reich, werben wir gelernt, daß
und got des reich von gnaden geben mag, und daß wir fein recht, des
zu fordern haben, wann wir fein ald von uns ſelbs finder des zomd
und der zwitracht und der fünden, das ift der tailung, wann fündt Fimpt
von - fündern, das ift tallen. Darumb fo jeind wir nit als von und
felb8 geporen zu dem reich des fridend und verainigung, fondern allaiı
von gnaden. In dem aber, daß criftus uns lernt got darumb zu piten,
verfteen wir, daß got darumb gepeten wil werden, und daß feine guad
uns das dann nit verzeihen wil. In dem aber, daß du gelemet yil
zu fprehen: zu fom uns dein reich, darin merfeftu, daß gotes reich if
zufünfftig nach difer vergänflien zeit, und daß deß reich difer welt, das
nun ift, in dem wir num fein, umbegreifflih ift des reihs gotes, umd
dag du gebullt haben folt in difer wellt und harren mit großer begin
gotes reich nach difer welt; und alfo [chi dich in dem rei, da du nun
ynnen pift, dich alfo got ze lieben und zu verainigen, daß dir gotes reid
zufomen müg. Indem aber wir piten, daß fein reihb uns zukom,
darin merfeftu, daß du zu gotes reich nit anders fümpft, dann daß dat
reich gotes zu dir füm. Als unfer leib Fümpt nit anders zu dem leben,
dann wann das leben der jel zu ym kümpt.
Alfo haſtu des erft tayl des heiligen paternoftere in dem Fürsten,
und verfteeft wol aus dem, daß die ler Criſti unzergründen ift. Nun
merf noch aus den dreyen Artifeln, die ich dir alfo ausgelegt bat, mic
du von difer wellt dich zu got keren ſollt. Du findeft zu dem erften auf
difem ertreih vil dings, ftayn, tyer, paum x. Dernach fiehft du, das
die vil ungleih find. in ftayn ift einem tyer ungleich, und ein tyer if
einem paum ungleich, aljo daß kein ding dem andern gleich if. Darnach
fiehft du, daß alle ding gefundert und getailt find, die flerne da oben,
die erden hyn nieden, die fiſch in dem wafler, die vögel in der luft, um
ift hie ains getailt von dem andern. Die drew ding merkt ein yedlich
menſch wol auf difem ertreich, vil ungleich und gefündert, und an
vil fümpt ungleich, und aus yn paiden kümpt gefundert oder geteilt.
Wil du nun zu got fomen, merk den urfprung von vil, des ift ains.
Seyt nun vil in ainem verainigt find als in yrem urfprung, fo fer dich
von vil zu ainem: fo magit du ſprechen: vater unfer, der bu pift in
den himeln. Darnach merk, wie ungleich gleich ift, des ift im got
fun. Darumb fer dih von ungleihem und unrechtem zu dem gleiden
und rechten, fo kereſt bu dich zu gotes fun, und magft wol piten: ge⸗
heiligt wert dein nam. Darnach merf, wie alle taylung und fürs
derung verainigt ift, des ift in dem waren frid, das ift in dem beiligen
geiſt. Darumb Fer dich von aller fünderung und tailung der ſünden, die
da tailen zwiſchen dir und got und deinen nägften, das fey im zermen
517
oder haß zu der verainigung der lieb und des friedes; fo magft du wol
piten: zufom uns dein reich. Und die weg find dir not und find
auch genud.
Dein willwerb als in dem bimel und in der erden,
In difen worten werben wir gelerent, daß alle ding von got ausflieffent
nad dem willen gotes und daß alle ding haben ires weſens fain ander
fah, dann gotes willen. Daß der bimel himel ift und bie erd erd iſt,
und ein menſch ein menich ift, das ift um anders nichts, dann daß got
alio des wil. Darum in dein, werde und wille fließen alle dinge
von dem vater in ir weien. Das ift nit anders, dann daß alle ding fein
das alles, das fie fein, von ainem drimaltigen got, von dem vater, in
jeinem wort, des ift der fun; mit feinem willen, das ift der heilig geift.
Darumb merf, daß in den dreyen worten: dein will werd alle ding
in iren ausfluß verzeichnet find; von got dem vater in den wort dain;
von got dem fun in de wort: werde; von got dem heiligen geift in
dem wort will; und als die drey wörter begeichnent die dryvaltigfait,
und in den. worten bie heilig drivaltigkeit bedewtet wirbt. Alſo bat ein
wblih ding, das da ift, eim pild goted und der heiligen dryvalt in ym,
durh welche pilde das ding ift, wann fain ding nichts anders if, dann
ald fern und als vil es gotes pild if. Merk mit fleiß diſe drew wort:
dein will werd, die dir geben im der heiligen brivalt den ausfluß
aller ding zu verfteen. Wann wildu wiffen, wye der menſch menſch ift
worden, fo wirdeft du fie gelernt, daß du befenneft, daß kain ander ſach
if, dann daß gotes des vaters will werden iſt. Alfo nym es in allen
dingen.
Darnach volgt: als in dem himel und in der erden. Das
raus merkſt du die ordnung aller ding; wann alle ding, die got beſchaffen
bat, find fie wenannt. Mit der ordnung ift fie genannt der himmel, bie
erden und damit ein end. Da merf ein oberfte himliſche natur, die geift«
lich if, ein undrifte yrdiſche natur, die leiplich ift, und ein mitteleiche natur
von difen paiden verainigt, die da himliſch und irdifch ift, als die menfch-
lich natur, die ob ir hat die himlifchen englifchen natur, und unter ir hat
irdifhe natur, das ift alle natur der elementen. Daraus merfeft du, wie
alle natur unter dem menfchen haben fain gemeinfchafft mit der himlifchen
geiftligen natur, und daß darumb got, der in dem himel ift, durch ſy nit
erfannt wird, merklicher wann fy fein aus der erben; bie ift ir aller ger
maine mutter, und werben daraus erhaben bie andern element, und aus
den elementen werden ftain und beweglich und finnlich natur erhaben; und
wann die matur ift irbifch von der muter, fo ift ſy der himlifchen under,
taͤnig. Aber die himliſch ift geiftlih und got gleicher und darumb ebler,
wann in der verftäntlichen natur finden wir ein geiftlich weſen verfäntnüß
518
und willen. Das wefen ift genaigt zu der ewigfeit und untötlichait, bie
verftäntnüß iſt genaigt zu der warheit, der will zu dem guten. Alſo findeft
da, wie die himliſch geiftlih natur ift ein fchein gotes und der heiligen
drivaltigfait; eim jchein gotes des vaters, der ewig ift in fr. untötlichfait;
ein fchein des jun goted in der verftäntuuß in der warhait, die da er
fheint im’ der verftäntuuß, durch die dy verftäntnuß hat den glanz ber
wiffenhait zu der warhait; ein fchein des heiligen geifts yn dem willen,
der von dem licht des heiligen geiſts anders nit pegerdt, denn das gut if.
Alfo pegert der will nichts denm gut, wann gut fleußt von dem heiligen
geiftz und hat des begeren zu dem guten von dem audfluß des heil.
geifts, als auch die verftäntnuß zu fomen zu nichts andern denn zu wars
hatt aus dem ausfluß von dem fun gotes genaigt ift. — Und alſo die menſch⸗
lich natur, verainigt von den himlifhen und irdiſchen naturen, findet in
dem geift feiner felen die himlifh naigung zu der untötlichtait, zu ber
warhait und zu dem guten über fich zu gotz umd im der irdiſchen finnlis
chen natur findet ſy ain naigung unter fich zu dem vergänflichen, unmaren,
fcheinenden gut; alfo daß die gefagt ungleich und wider einander fint.
Darım lernet und Criſtus piten, daß der wil gote& werde in der erben
als in dem himel, daß die ſinnlich fleiſchliche natur fich kere zu der ver
ftäntlichen und weleibenden in der gehorfamfait verainigt. Das ift darumh,
wann alfo (weil fo) ift der menſch ganz über fi in. dem himel feiner ver
ftäntnuß, da got warnend ift im freyen wandeln. Und aus dem, daß wir
ſolichs piten fein, befennen wir, daß wir won uns ſelbs franfer natur
fein; und mügen an die gnad goted dem fleifch und ver finnlichait mit
widerften, und aus irdifcher natur, mag ſy die himliſchen geſetzt, durch
welch ſy der götliden ewigfait tailhaftig wird, mit empfahn am götlice
genad, die doch got wiliglih geben will, wann wir mit ynnigkait piten
feyn: dein will werd, ald in dem himel und in der erden. Alſo das um
ander vil großer ler in den worten und won Grifto Iheſu geoffenbaret find,
Unjer täglich prot gib uns hewt.
Wyr haben vor gepeten, daß unfer irdifche Natur in die gehorſam
käme ber gaiftlihen Himliichen naturen. Wann nu fölides umb gepreftu
der naturen nicht gefhehn mag, wir haben dann ein fpeis, dye unß täg
ih und am unterläß ſpeis und fterfe, und dieß ift, das Griftus ums
fernet, daß wir got piten um die ſpeis des lebens, darburd wir gefpeift
werden, frafft ze haben, und des todes und aller geprechenlichait ledig
ze ſeyn. Wann num in und verainigt feyn zwo natur, ein himliſche umd
ein irdiiche, fo piten wir um das nottürftig prot zu paiden naturen, das
ift umb das himliſch prot, darin das himlifch untoblich Teben ift über alle
feldftentigfait aller creaturen, als der evangelift Matheus fchreibt, und um
519
das prot aller motturfft, die und als heut, als in diſem finnlichen Leben
täglich zufomen mag.
Nun haben wir verftanden byevon, daß die verftäntlich geiftliche
natur wirt mit der warhait und dem wort goted das ift mit dem ewigen
goted fun, der die weisheit ift, untötlich geipeyfet. Darumb piten wir,
daß das wort ein fpeid werde unjer menjchlichen natur. Nun muß ein
ſpeis verainigt werden mit dem, der da geſpeyſ't wirbt, anderft fo ift es
fein ſpeis, und darumb piten wir, daß die warhait oder das wort gotes
unfer natur verainiget und gegeben werd, wann das ift das prot, in dem
wir das umtötlich leben haben mügen, und ift unfer prot unfer natur;
darımb piten wir, daß got und unfer prot geb das ift Shefum Eriftum
in unfer herz des lebens geb als ein ſpeis des lebend; umd wirt unjer
prot und gegeben zu einer ſpeis des lebend, wann wir Ihn in unferm
bergen mit ganzem Glauben für ein fpeis des lebens empfahen; wann
alio dann verainigt fich unſer leben in umjrer aignen menjclichen natur
in Grifto, in welchem unfer natur dem götlihen leben untötlich verainiget
it; und alfo fein wir dann gefpeyst in unferm brot, das und got aljo
geben bat.
Merk nu, wye dyſe wort: unſer täglich prot dir zu bem erften
offenbaren, daß fölih unfer prot if, und darnach, daß es und zu dem
leben not ift, und daß wir ein hoffen haben füllen, daß wir damit ges
Ipeyst werben, und daß dad nyt, dann mit goted gnaden gefchehen mag,
und daß got mit andacht und liebe darumb gepeten wil feyn, und dann
geben wil — das alles beweilent und die wort des gepets.
Da merf auch, was darzu gehört, daß der menfch das leben haben
mög, wann es ift not, daß er Eriftum bat, der das bimlifch prot ift.
Aber Eriftus wirt nyemant, wann dur den glauben, daß er jey das prot
des lebend, und die hoffnung und lieb und eine gnabenreiche gabe gotes.
Merf bye: ſeyt Erifius ein fpeis ift des lebens, fo vollbringt criftus im
und und erftätt all geprechen, ald die ſpeis erfüllt die motturftz und das
tumb jo ift Eriftus eine fpeis aller fpeis in aller volfomenhait, all ges
preften zu erftatten; und aljo, was und geprist, es fey in dem weien,
in der ‚gerechtigfeit, weishait oder warhait und in dem friv, der lieb oder
guthait, das finden wir alles in diſem prot. Darauf beweyfen wir
unfer begird zu dem prot, und unfer glauben und hoffnung und liebe
werden gemeret. Alſo ift daß get und diß prot alle tag geben ift, und
das iſt das obrift, heiligift ſacrament, daß wir mit großer lieb und
andaht als die obrift und höchfte gutes gab in dieſem gepet begern
und empfahen füllen, Nun verfteeft du wol, daß der menfch zu dem ewi⸗
gen umtötlichen Ieben zu befogen oder begreiffen des oberft gut anders,
dann in Erifto Ihefu, darinn all unfer gepreften erfüllt fein, nicht fomen
520
mag, Sondern daß wir alle in Im volfomen werben und im Im erfteen
von dem tod und verainigt werden dem leben, wann er ift das Tebenbig
prot, das über alle ſubſtanzien umd feldftftäntigfeit aller creaturen ift, und
find in Im all creaturen in irer obriften volfomenheit, und er ift ber
vorganf und das haupt aller hoffnung gottes, und find alle werf gote& in
Im, und er fft ein anbeginne und urfprung, der ausfluß aller creaturen,
und das mittel des widerfluß und das ende aller volkomenhait; wann bie
menfhlih natur in ihr verainigt all creaturen die himliſchen und irbifchen,
und die iſt in crifto goted fun verainigt. So iſt criftus das ende aller
volfomenhait, wann er ift allain der höchſt. Daraus merfeft du, daf er
nie ift ein fpeis, dye fich feret in unfer natur, als ein leiplich fpeis, wann
er allain der obrift ift, Sundern er ift ein ſpeis des lebens, die uns im ſich
verainigt, und in feinem leben und lebendig macht, als deine fel ift ein fpeis
eines natürlichen lebens deinem leibe und allen deinen glidern, nit daß bie ſel
fi fer in den leib und die leiblih natur an fi nem, ſundern daß bie
fel verainigt in ir deinen leib und alle deine glieder. In ver verainigung
jo lebt der leib in dem leben der fe. Da merf, daß alle creaturen, bie
da zu dem ewigen leben fomen, find als glid eines leichnams criftiz in
denen iſt das leben crifti allo, daß in Ihnen nit anders lebt dann criftus;
und iſt das nicht anderft, dann daß die vernünfftigen creatur verainigt
find in ainen leid, der in dem leben Grifti verainigt ift.
Nu ſich eigentlich: Wildu daß Eriftus in dir leb, fo mußt du in
Im verainigt fein; ald wolt dein finger, daß dein fel in im lebt, fo muß
dein finger verainigt fein dem leib, und durch den Leib der fl. Wann
ſcheideſt du den finger von der fel, dur daß du den finger von dem leib
fcheideft, jo fchaideft du in von dem leben; und alfo fiehbft vu, daß bu
verainigt mußt fein Erifto, folt du leben. Aber die werainigung mit Erifte
mag nicht gefein, denn du feift in dem leib Erifti verainigt, das ift in
ver heiligen fanung der friftenlichen fyrchen, und darumb pitet du: unfer
täglich prot gib und hewt. In dem daß du fprihft: unfer, fo welennſt
du, daß du der ſamung verainigt bit. In dem, daß du fpricft: prot
befenuft du ein lebentige ſpeis, dardurch du wurdeft verainigt in Im. In
dem daß du jprichft: gib und hewt, befenneft du, daß diſe ſpeis wir
nit gegeben ainem, der da geſündert if, funder vil, bie da mit einander
verainigt find. Darumb merk aus der ler Erifti, daß -dir der gelaub und
facrament und al tugend nit helfen mügen, daß du au dem ewigen leben
fömpft, du feyft dann ein glid des leichnams der glaubigen Grifti im einer
verainigung. Du folt auch merken, wie du gelernet wirft alle tag an
unterlaß zu piten, wenn gleich ald deiner fele einfluß den glidern deines
leibes alzeit not ift, füllen deine gliver leben, alfo ift deiner fel algeit not
diß Himlifh prot, und das merfeft du wol aus dem wort täglicd und
521
dem wort heut. Wann ift das prot täglich not, und piten wir, baß
und dad prot, def wir täglich nottürftig fein, hewt geben werd, fo bes
fennen wir aud, jeyt ed und zu allen tagen not ift, daß wir in alle tag
darumb piten fullen, wann wir in der zeit diß finnlichen lebend als weg⸗
fertig wandrär zu dem bimlifchen leben bedurffen der ſpeis, an die wir
nit zeitlicher leben mügen. Und alſo lernet und Eriftus, daß wir um
das prot biten ſullen. Nu merf, daß Eriftus ift unfer prot, ald wir zu
Im wandernd fein, und wird und-gegeben in feinem wefen, in feiner
weishait und feiner güthait, nadhdem und nur dann möglich ift, in bifer
wandlpären zeit zu empfahen.
Wann nu dife unfre fleifchlihe augen im difer finnlichen wellt Eris
ftum, der untötlih und nad der urftänd vom tod mit tötlichen augen
unſichtiklich iſt, von feiner allerwefentlichen und unbegreifflihen geiftlichen
farbhait wegen, von welder natur wegen Eriftus ein geiftlich jpeis ift
unjrer fel: So ift, daß Erifind und unter der geftaltnuß des prots in
bifer wandlung und gegeben wird, da wir In mit gejehen mügen mit den
finnlihen augen, Eunder mit den augen des glaubens. Und alfo ift
Eriftus warhaftig unter der geftaltnüß des prots in dem jacrament und ift
alles das dadurch die finn anfehen, Ehoften, fchmeden oder riechen, we—
greiffen mit den war leihnam Erifti, fundern die warzeichen oder facrament
des leihnams, der da ift, und mit dem glauben der verftäntnüß allain ge-
fehen wird. Das ift die obrift gab gotes zu unfer fpei und wandrärn
gegeben, pis wir aus diſer wellt der finnlichait zu den himeln ver vers
ftäntnüß fommen, da wir Eriftum nicht verbeft unter den facramenten und
nit mit dem glauben, funder in der warhait, als er ift, ſchawen werben.
Umb das prot piten wir und füllen ed empfahen mit ganzem glauben,
alfergrößter hoffnung und mit voller lieb. In dem glauben follen wir
Eriftum unter den facramenten warbaftig empfahen, daß er ganz und
warhaftig fei unter aller geftaltnüß des protes in allen facramenten und
taifen, als unfer fel unfichtigklich ift warhaftig und ganz in allen unfern
glivern und in einem yedlichen; ald ein angefiht in vil augen, die das
fehen, und ein wort in vil ören, die das hören, und ein funft in vil
maiftern, die das fünnen, und ain warhalt in vil verftäntnüß, die fie
merfen, und ald unfer fel nit wechet, wenn wir Flain fein und groß wer-
den, funder der leib allain; daß auch alfo Eriftus nicht größer ift unter
der geftaltnüß des großen oder des Flainen protes oder unter vil oder
wenig facramenten.
Wir füllen auch hoffen, daß wir von dem glauben kömen werben zu
der warhait, und füllen alfo Griftum empfahn mit großer lieb, daß wir
Im verainigt werben durch die lieb als unferm höchſten gut und Haile.
In feiner weidhait wird und Criſtus gegeben in feiner lere; wann
322
in lere des maifters ligt die funft der maliterfhafft. Darumb fo finden
wir Griftum in feiner fere, und des beweyfet und die ler des heiligen
pater nofter, da Griftus innen ift, wann die fer Erifti ift vor aller weit
hait vor aller tugend und nit zu verpeffern ald der maiſter.
Nu merk in difen worten: unfer täglich prot gib uns hewt:
Nachdem wir wandlpär fein, lernet uns Iheſus, daß wir unbeforgt füllen
fein, wann got unfer notturfft uns zu difem leben geben will won tag
zu tag, pis wir von hynnen kömen. Darımb füllen wir fainen fleyß
haben yn girifait, vil pey -einander haben und befigen yn zeitlicait,
wann aljo wären wir nit wandrär, jundern innwonär diß ertreichs, ober
daß got nit wiße, was wir not haben, und und das in der zeit nit geben
müg. Wir werden auch gelernet, daß wir von got nichts piten füllen,
dann das täglich nottürftig prot, wann er wirt und anders nit erbören,
und fümpt und die Über notturfft zu, daß uns die von got nit Fümpt als
um unfer willen, jundern umb der notturfft willen, den armen und durfs
tigen durch dich zu behelfen, auf daß du wiſſeſt, ald du got piteft umb
das täglich prot, daß dann fölih prot, das got gibt, nit Dein allein,
jondern unſer ift, das ift derer, die des nad dir bebürffen find, und
ob du das prot, das du bein motturfft haft, nicht gemain macheſt den
burfftigen, fo ift ein zaichen, daß du fölich prot mit umrecht nud zeitigfeit
gefamet haft und unrecht befigeft, und got unwürdig pift, der bir und
einem yedlichen notturfft beftellt zu geben, da du wider feinen willen ald
ein ungetrewer diener den armen gotesfindern ir tail verhalfteft. Im diſet
und andrer ler Grifti, in diſem heiligen pater nofter und den heil. evan—
gelien gibt und got Griftum, ver der weg, bie warhait und. das leben
iſt. Got gibt und auch ein fpeis unfrer waudiung in dem leben Erifti,
darin wir in unfrer wandlung gefpeift werden, warn was ums notturfit
it zu wandeln, das finden wir da. Iſt unfer wandlung gebrechenhafftig
in hoffart, fo finden wir in der diemütigen wandlung Grifti ein fpeiß,
wollen wir die vordern (fein), begeren und zu und nehmen, jo iſt diſe
not und diſer gepreft der hoffart abgenommen, wann wir unſer leben
fpiegeln in dem leben Erifi. So jehen wir, was und geprift und was
wir tun föllen. Wollen wir wandeln zu Criſto in das ewig leben, ſo
füllen wir uns fleyßen auf diefem ertreich zu wandeln ald Criſtus ge
wandelt hat, und füllen umb unfer ſelbs hayl willen den weg nit ver
fmähen, den Griftus got und menſch umb unfres hayl willen nad der
menſchhait, in der er ung gleich ift, gewandert hat; und ob bu ald ganf
den weg nit gehalten fanft oder magit, fo ift doch not, daß du dem weg
in fölichem fleyß volgeft, daß du zu dem end, da Griftus ift, geraichen
mügft. Läßt du aber den weg und fereft ym dem rud, fo piſt aus dem
weg des lebens im dem weg des tods, und fümpft mit zu Grifte, Da
523
merf, wie du in deiner wandrung aus den werfen der wandrung Erifti
gefpeist wirdeft; und ob du umb diſe fpeiß mit piteft noch empfaheſt, fo
wird dir gepreiten das lebendig prot, und das ift, dad du aus dem vors
gefhriben worten merken magft.
. Und vergib und unſer ſchuld.
Eriftus lernet uns, daß wir got piten fullen umb vergebung unfer
fhuld. Darinn merken wir, daß wir all umb unfer natur wegen mit
fchulden beftridet fein, und feyt nun, daß jederman nad der ler Grifti
aljo piten joll, fo befennet auch ein jederman ſchuldig zu fein, und ift
die fehuld unfer, wann fy ift unfer natur. Darumb ift fy gemain einem
yebfichen, und ift got fain fach oder urfach unfer Schuld, wann ſy ift unfer,
und darımb piten wir vergebung unfer fhuld. Daraus merk, daß got
allain die fhuld, die wir wider ihn geborcht haben, vergibt, wann wir
in innigflih piten jein. Da lern, daß du glauben jolt, daß got den
jünder rechtfertigen mag und fein jchuld vergeben, und wir fain ſchuld,
groß noch Flain, ausgenommen. Da merk auch, daß goted mächtigfeit
ift fein parmberzigfeit, und durd feiner gnaden parmberzigfeit macht er
aus dem ungercchten dem gerechten, als er durch feine allmächtigfeit macht
and nichts ettwas und aus dem toden den lebendigen, aus einer natur
die andere, aus wafjer wain nach feinem willen, wann fein will ift feine
macht, und was er will, dad mag er thun und muß geichehen. Merk
auch, daß kain Menſch verzweifeln fol an der parmberzigfeit gotes, fon»
dern eine hofnung haben in ainer gangen ftätigfeit, daß got ym vergeb,
wann Eriftus lernet dich piten vergebung der ſchuld; möcht dir aber nit
vergeben werben, jo hätt dich Criſtus mit gelernet, daß du hoffen folteft
vergebung und darumb piten. Du folt aud merfen, wie diß gebet
anhebt mit ainem „und“, wann es fpriht: und vergib und. Das und
ſtricket und pinnt diß gepet zu dem mächften vorgeſchriben: unfer täg—
lich prot gib und hewt, und vergib und unfer jchuld, wann verges
bung der ſchuld mag und nit werden an das prot; Sunder mit der vers
ainigung in dem himlischen prot. Durch den glauben mügen wir piten
vergebung der ſchuld, wann wir haben als von. und eine verfchulte und
verfündigte natur, dye allain im Grifto gerainigt iſt; und alfo mag die
gnad der rainigung von den jünden in unfer natur nit kömen, denn durch
Griftum, der all unſer breften erfüllet und bezallt, doch ob wir in feiner
lieb verainigt fein; alfo daß und die quittanzie und genugtuen unfrer
fünden erlöfung dann werden mag, wann und Griftus mit feinem vers
dienen verainigt ift, in dem wir al in unfrer natur genug getan haben,
und aljo werden wir pilleih von got erböret. Merk aud, daß du piteft,
vergib und unfer ſchuld, wann wer ba gejchaiden ift und gefündert von
den andern und maynt für fi allein zu piten, und nit für die andern,
524
der mag nit fpreden: vergib uns, und darumb erwirbt er nicht; wann
wir lernen bye, daß vergebung der fünden iſt in der ainträchtigfait der
heil. famung der Griftenlichen kirchen, auffer welchen kirchen mag der
glaub Erifti nyemands helfen, daß er von feinen ſchulden erlöst müg
werden.
Als wir tun unfern fhuldigern.
In difem Heiligen pater nofter, darin alles, das und mot ift, zu
einer ler begriffen ift, finden wir nit anders, das wir tun follen, dann
in difen artifel, der da fteet: ald wir tuen unfern ſchuldigern. Darumb
fo findet bye alle gefäg Erifti, die wir follen begreifen, das ift vers
geben.. Eriftus lernet und, daß got und nit vergibt anders, dann wie
wir vergeben.
Da merk, daß Erifti Geſätz ift, daß du tueft andern, als du will
dir getan haben. Das außweiſen die wort: vergib uns unſer ſchuld,
ald wir vergeben unfern ſchuldigern. Bitet du aber got, daß cr
dir vergeb, und vergidft du nit, jo verfageft du dir felber. Dein jchuls
diger ift goted creatur, als du piſt, und got wil den von dir erledigt
haben, als wol als dich dünft dich gut fein, daß got am dir tue ſölichs,
dad du nit wilt tun an deym ſchuldiger. Wie pift du denn wirbig vor
got das gut der vergebung ze empfahen, piſt du mit gut, das ſelb zu
tuen. Merk wie ein vernünftiges und Flares gefüg das ift, das yeder⸗
mann pilleihen tuen muß und verfteet. Wer got pitet, daß er ym ver
geb, und vergibt nit, und glaubt, daß fein gepet erhört werde, ber
glaubt, daß got nit got fey, "und daß unrecht recht fen, und bös gut
ſey. Wer aber glaubt, das Eriftus ung lernt, daß got vergeb, als wir
vergeben, der hat einen rechten glauben zu got, daß er der gerecht umd
peft got ſey, und mag der Menjch aus feinen werfen der vergebung hoffen,
daß ym von got vergeben werd und mit lieb darumb piten. Daraus merf
menſch, daß dir bye ein ainig weg wirt aufgetan, daburd du wiſſen
magft, ob du von got erhöret werdeſt, umd gotedfind feyeft, das ift, ob
du vergebeft deinen fchuldigern Härlaih und nicht tragft zu yn anders,
dann lieb.
So ift an zweifel, daß du ein gang getrawen magft haben, daß bu
von got vergebung aller deiner fündt erworben haft und ein find des
ewigen lebens feyft, wann dir geprift kain gefäg zu erfüllen, warn in
der lieb deines nächſten, die in der vergebung der ſchuld in den werfen
beweiſ't wird, tft die volfomenhait aller geſätz.
Nicht verlayt uns in beforung.
Hye werden wir gelernet, ob wir wol der gefäg ains erfüllt hätten
und vergebung unfrer fünden erworben, fo fein wir Doch mit ficher, daß
wir wefteen und nit fallen in die ſchuld durch das in laytten der Belo—⸗
525
rung. Das ift, daß die heforung dann anhebt, wann wir der fünbt
kedig fein und füllen glauben, daß wir behüttet mügen werden von got,
daß wir befteen und nit fallen, und hoffen, daß wir deezu fomen mügen,
und ded mit Innigkeit von got piten, und alfo ſprechen: mit layt un
in beforung, als wollten wir fpreden: her, kain betrügnüß under einer
geftaltnüß des guten im feiner beforung gewollt hab mich zu verlaytten,
es ſey denn daß du ſölichs verhengeft, und yn dem daß alle Ding
durd dein verhengnüß oder willen gejchehen, fo bit ih dich, nit zeuch
ab die hannt deines ſchirms vor pöſer beforung, fo mag ich nit fallen;
aber dur das abziehn deines ſchirmes layteft du mid) in beforung, als
dife Eune durch daß ſy untergeet, giebtjye und die nadt, darin wir
nit ſehen.
Merk auch, wie wir wider in die fünd fallen, wann wir werden
gelaytt von einer beforung eined fcheinenden gutes, das uns fürbradht
wirdt yn der ſynulichait von der fihtigen welt, oder in der vernunft von
den pöjen geiit, der verfehren iſt, die verftäntnüß von der warhait zu
verlaptten; und wann wir zu got nit fliehn, daß er und behütt und bes
fhirme, So werben wir verlaytt, bis wir in die beforung fümen, und
die aufnehmen für gut. Alſo fein wir dann von got, der das obrift gut
ift, gewallen in das betrogene ſcheinbar gut. Da haben wir Fainen ans
dern weg nicht wider dann nad) der ler Grifti got zu piten, in aller bes
forung, daß wir nit verlaytt werden, nad den worten des heiligen gepet®.
Sunder erlöß uns von übel.
Hye in diſen legten worten haben wir aus der ler Erifti daß wir
in difer welt an dye böfen beforung nit fein, wann wir fein, da das
übel ift. Bon dem piten wir erlöfung. Darinn befennen wir ain ander
reich zu fein, da das übel nicht ift, funder allain das obrift warhafftig
und ungemengt gut, und daß unſer erlöjung vom übel ift die erlöfung
von difer fonnlichen fchalfhafftigen wetrogen wellt, und begeren der glory
ded ewigen guts, darin wir allain erlöſ't mügen fein von allem übel,
warn außerhalb der obriften glory ift Fain ftat des lauttern, unvergänf-
lichen, ftäten gutes. Wir piten umb die Erlöjung. Darinn gelauben und
erfennen wir, wie wol daß wir nu in dem leben der finnlichen wellt
fein, und aus der anderd denn dur den tod nit fomen mügen, daß
nad difem ſynnlichen tod wir ain weſen haben mügen in ainem- ftäten ewigen
gut, und hoffen darzu zu fümen, und mit großer lieb fein wir piten und
pegeren darzu zu fomen, wie wol biß an den ſynnlichen tod mit gefein
mag. — Und darumb fo ift unfer fonnlichait im -diefem gepett in Die
geiftlihait unfrer verftintnüß bezüdet; und der will goted als in dem
himel unfrer verftäntnüß ift als in der ſynnlichen erden, wann der gang
menſch iſt gang über fi in got befert yn begerung zu ſchayden und
526
erlöftt zu fein von diſem zeitlihen pöſen leben, auf daß er pei got,
der das gut iſt umd davon got von dem guten genannt ift, in ewiglait
fein müg.
Merf bye: wer nit gerne fterben wollt des ſynnlichen tods, barumb
dag er zu got käm und bittet erlöfung von übel, der erwirbt micts,
wann er pitet wider fein herz; und wer bife pöfe wellt lieber hat dam
got, der beleibt geichaiden von got und von dem guten und iſt im ewig—
fait in dem übel, darauß er nimmer mer erlöf't mag werben. Und da
rumb ift diß gepet des menſchen der recht umbefleft und ungemengt lieb
tragend weg zu gotz wann wer da fegt got für fein zeitlich leben und
für alles das geihaffen ift, und das got mit iſt; der bittet um bie ew
löfung von diſem franden vergänflien leben, darumb daß er müg bey
feinem allerliedften gut fein, an welches gut er mit begert zu leben, wann
er veritet, daß er nicht enlebt anderd dann in der verainigung gotes,
da ihn feine lieb Hinfürt und da er durd die lieb allain ift, wie wol
er doch in diſer finnlihen wellt noch in feinem fleifchlichen temp! ge
fangen ift. Der pitt mit andacht erlöfung, dem diß leben aljo laidet
um der lieb willen, dye er zu got hat, daß Ihn bedunkt, wye er in
ainem chnöden vinftern unraynen karcher gefangen fey, und wann er
daraus wär, daß er zu einer ftäten, guten und obriften fremden zu feinem
allerliebften füm, das er ollain begert. Der alſo ift in gotes lieb, und
ift nach den pundten diß heiligen pater nofters darzu fomen, und findet
funder got zu hören über alle artifel erlöfung von übel, das ift gebung
des ewigen lebens, wann das ewig leben nit anders ift, dann das obrif,
das wir begeren mügen, und wir mügen anders nit begeren, dann gut,
das iſt got ſelber.
Der mensch fpriht: D ber, feyt du mir mein ſchuld vergeben haft
durch das himliſch prot, nit verlayt mich in beforung, nit laß mich lang
in difer betrogenen welt weleiben, da ich unbefort nit fein mag und um
verlayt wefteen an deinem ſchirme, Sunder erlöß mich her von allem
übel, darzu du mir in deym Iheſu gerufen halt.
Merk bye: will du wifjen, was die ewig frewd ſey, die fain menſch
wegreiffen mag umb irer größ willen, fo findeft du, daß die ewig fremd,
nit mag paß kürzer und klarär verftanden werden durch und, dann ald
Eriftus bye und lernet, wanı die frewd ffterlöfung von dem übel. Wil
du wiſſen, was die hell iſt; Griftus lernet dih, daß die Heil if eim
eroige fänfnüß in dem übel. Erlöſung vom übel it die oberfte frewd,
unerlöfung oder fänknüß im übel ift die maift betrübnüß und pein. Die
obrift himliſch frewd iſt in dem gut, das got ift emiglich zu fein, ge
fhaiden vom übel. Die größt helliſch pein ift, geihaiden fein von dem
guten das got ift. Das reich, da nit dann gut oder got ift, haißet
527
das obrift reich, das himelreichz das reich, da mit dann pöß und übel
it, haißt die hell, wann hell iſt unter oder Inder, und iſt die hell in
ainer tallung, zwieträdt, unfrid, unwiſſen und vinfternüß. Darumb bie
fürften der hell fürften der finfternüß oder tewfel halfen. Aber das reich
der himel ift einträchtigfait, freud, frieve, lieb, weyßhait als gut umd
Harhait. Darumb haißet der fürft des himelreichs erlöfer von allem übel,
den wir piten und zu erlöjen von der belle und allem übel. Amen.
Macht des fittlichen Wandels.
Biel mächtiger ift die Predigt Deflen, der heilig it, ald Deffen, der
in großen Würden fteht. Ich ſah, daß der Papft Martin zu Rom das
Volf nicht dazu bewegen fonnte, einige Grmahnungen zu befolgen. Da
berief er den Minoritenbruder -Bernhardin, der jetzt heiliggeſprochen ift;
diefer brachte zumwege, was dem Bapfte nicht gelungen war. Dieſer
Bruder pflegte, wie ih zu Papua felbft von ihm hörte, zu fagen, ein
Prediger, der Feuer hat, könne auch aus erlofchenen Koblen ein Feuer
anfachen. Ich gebe es zu von Solchen, die fich über Gott belehren lafjen
ud dad Wort Gotted aufnehmen: „wer aus Gott ift, hört Gottes
Wort." Schuee und Eis faſſen den Lichtitrahl nicht, fie werden erft
warm, wann fie zu Waffer aufgelöst find. Co faßt auch die Seele im
Zuftande thieriichen Lebens, wodurch fie ganz verhärtet und werbichtet
wird, das Wort Gottes nicht auf. Sie muß zuvor erweicht werben, um
den göttlichen Geiſt und das Einftrömen der Wärme, welde die Liebe
if, zu faſſen. (Exe. IX, 634.)
Der wahre Seelenpirt.
Der Seelenbirt darf nicht auf fih binfehen, er thue nur, was Gott
dem guten Hirten befiehlt, wenn er auch denfen müßte, er werde in die
Hölle verftoßen. Denn wer eine folche Liebe hätte, der würde natürlich
nicht verdammt, Der Gerechte in der Hölle hätte wicht die Strafe der
Ungerechten zu dulden. Je mehr Liebe ein Seelenhirt hat, je bereitwilliger
er ift, noch mehr für feine Heerde zu leiden, deſto größer iſt die Herr
lichkeit, die er erlangen wird. Denkt er alſo nicht an fin Leben, wenn
nur die ihm Anvertrauten leben, die gewiffermaßen fein myſtiſcher Leib
find, fo wird er, je wahrer fi dieſes Letztere herausftellt, ein defto befs
ſeres Leben haben; weil nicht nur er in den Seinigen lebt, fondern auch
fie in ibm, der fein Leben ihnen bingegeben hat. Hat ein Haupt ſchwäch⸗
lihe Glieder, fo leidet cd Alles, damit die Glieder gejund werden. Aus
der Geſundheit der Glieder, die durch fein Ringen uud Abmühen erlangt
528
worden ift, wird dann hinwieder Gefundheit und Leben ded Hauptes
erhöht und dem Haupte wird für feine Traurigfeit und Leiden nur Freude
zu Theil. Denn je mehr Jemand fein Leben and Liebe bingibt, deſto
mehr erlangt er ed wieder. Denn je mehr er aus Liebe verliert, deſto
größer ift feine Liebe. Je größer aber die Liebe, defto größer das Leben
des Geiſtes, da die Liebe das Leben des vernünftigen Geiſtes if. Denn
aus der Erfenntniß Gottes entfteht die Liebe, die eine ergöplihe Bewe
gung, eine Freude über das Erfaſſen (Gottes) if. Wer Gott kennt,
zweifelt nicht, man müfle ihm bis aufs Aeußerfte geboren und thut
daher Alles aus Liebe. Wenn daher eine Handlung eine größere Liebe
beweist, fo beweist fie auch ein größeres Leben im Geiſte. Während
daher der Geift, der ſich der Außerften Demuth hingibt und fo viel er
vermag, fih aus Liebe in Nichts auflöst, in Nichts zu vergehen jcheint,
geht er in Wahrheit in ein vollfommeneres Sein über. (Exc. X, 668.)
Der Prediger,
Der Prediger ded Evangeliums muß ein ftarfmüthiger (fortis) und
ernfter Dann fein, ohne Sünde, durdans wahrhaftig, denn er vertritt
die Stelle Gottes. Die Gläubigen müffen fid bei Anhörung des Wortes
Gottes gerade fo verhalten, wie bei dem Empfange der Eucariftie.
Das Predigen fommt nicht wie das Gonfecriren allen Prieſtern zu;
ed erfordert eine höhere Kraft (est altioris virtutis), und fommt den
Erften in der Kirche Gottes, den Nachfolgern der Apoftel, zu, den Aus
dern nur dann, wenn fie durch diefe gelendet werden. (Exc. V, 488.)
Der Prediger und wie er anzuhören ift.
Selten oder nie findet man an verfchiedenen oder auch an Einem
Drte gleiche Bäder, und es fteht auch nicht in der Macht des Büäders,
immer glei gutes Brod zu baden; das Gleiche gilt vom Prediger. Es
ift auch unter ihnen, wie unter den Bädern, ein großer Unterſchied. Das
find gute Prediger, die das Getreideforn, welches Ehriftus iſt, gut zu
mahlen verftchen, vaß man bis zum Innerften und Reinften des MWaizens
gelangt, und die dann verfchiedenes Brod zu baden willen, für die ver
ſchiedenen Stände des Adels, des Mittelftandes und der unterm Klaſſe,
und der Kirche diefe Brode zugleich darbieten, fo daß Jever nach feinem
Stande Nahrung findet. Der Bäder fann nicht immer gleich gutes Brod
machen, weil dies von der Gnade Gottes abhängt. Und ihr follt nicht
darauf fehen, wer der Bäder ift, fondern auf dad Brod; denn wenn ihr
nicht hungrig feid, jo werdet ihr das gute Brod nicht zu ſchätzen willen.
529
Wann ihr aber mit Appetit es foftet und das Brod anfehet, fo werbet
ihr feine Schmadhaftigfeit erfennen. Wo ein Hungriger ein Brod bekom—
men kann, fragt er nicht lange nah dem Bäder, wie fein Leben fei,
welcher Nation. er angehöre, ob er rein ift oder nicht, fondern er achtet
nur auf das Brod. Kann er fein Brod, das feinem Stande angemeffen
it, befommen, wenn er 3. B. ein Adeliger ift, fo wird er au ein ans
dered nehmen, weil er hungrig ift. Keiner alfo, meine Lieben! zeige, daß
er nicht hungrig Äft, fondern nur, wenn ihr hungrig feid, werdet ihr
reichlich gefegnet werben; feid ihr vollgefättigte Reiche, fo geht ihr leer
aus. Die find nicht hungrig, die mit vieler Neugierde nach der Bes
ſchaffenheit des Bäders oder Koches fragen, ehe fie eſſen, oder die das
Brod nicht niedlich genug zubereitet finden und es daher nicht nehmen,
oder denen an der Menge des Brodes eckelt; — hätten fie Hunger, fie
würden die Menge nicht verachten, foudern fie zur allmäligen Erquidung
aufbewahren; oder die aus der unterften Klaffe an Kleienbrod gewöhnt
find und am feinften Waizenmehl Edel haben oder umgekehrt. Wenn fie
warten können, bis der Bäder alle Brode aus dem Dfen herausgenommen
hat, werden fie ſchon das Brod finden, an das fie nad) ihrem Stande
gewöhnt find. Ich rathe euch indeß, Daß ihr lernet, edlerer Natur zu
werden und mit edlerem Brode euch zu nähren. Denn der Menih fann
ja fogar von dem Brode der Engel genießen, wenn er fich hiezu fähig
macht. Beten wir alfo, daß der Bäder die Gnade erhalte, uns ein
Brod, das alle Lieblichkeit in fich begreift, mitzutheilen!
(Exc. IV, 465.)
Der wahre Ordensmann.
Der wahre Drdensmann geht in das Klofter, um nicht bintergangen
zu werden und um Buße zu thun. Dem falſchen Ordensmann ift Alles
ſchwer, dem wahren Alles leiht. Es iſt daher leicht zu erproben, wel⸗
ches die wahren und die falfchen DOrdensleute find. Der Gchorjam
jeigt ed. Der wahre beftrebt fib auf das Eifrigfte, ven Befehlen der
Dberen ebenfo, ald wären ed Befehle Gottes, zu gehorchen; er wird wie
ein Raftthier, dem eine Laft aufgelegt wird; er fagt nie: es ijt genug,
folange er nicht unter der Laft erliegt. Der falſche Ordensmann will
im Orden weniger thun, als er in der Welt hätte thun müſſen; er meint,
durh den Drden ſei er ein Herr, und dürfe fib dem Müpiggang und
Wohlleden hingeben; denn deßwegen hat er den Namen eined Religiofen
angenommen, um die fleifchlichen Begierden befier befriedigen zu können.
Wird ihm etwas auferlegt, was hart ift und Bezähmung des Fleiſches
bezweckt, fo vermag er fogleich feinen Widerwillen nicht zu verbergen.
(Exc. V, 496.)
34
Scharpff, Nic, v. Cuſa.
530
Erziehung der Jünglinge.
Man muß die Zünglinge in der Einſamkeit erziehen, damit ſie ſchlechte
Geſpräche und Gefellichaften meiden. Zur unausgejegten Arbeit müſſen
fie gewöhnt werden, damit fid der Körper an Anftrengung gemöhne,
und nicht beim -Müßiggang das Lafter fich einchleiche. Eie dürfen feinen
Schmaufereien und Trinfgelagen fih bingeben, und es darf feine Zeit
geben, im der fie nicht etwas zu thun haben. Die Zeit ſelbſt muß fie
antreiben und auffordern, jetzt Dieſes, jegt Jenes zu thun, zur beftimmten
Stunde aufzuftehen, dann nach einer Betrachtung ein Gebet zu verrichten,
fo an diefem und dem andern Tage, dann wieder anders an diefem und
dem andern Tage und fo in fiebentägiger Abwechslung. Am Sonntage
follen fie erwägen, was in der ganzen Woche Gutes oder Böſes getban,
was unterlaffen wurde; das Verſäumte muß dann nachgeholt werden.
Man muß fodann der Freunde, der lebenden wie der verftorbenen, ge
denfen, dies jeden Tag vor dem Schlafengeben, worauf dann jedesmal
für fie etwas zu beten oder in ihrem Namen zu thun if. Es muß eine
Tagesordnung gegeben werden, auf daß alle Arbeit in rechter Ordnung
verrichtet werde und der Teufel immer den ganzen Meufden bu
ſchäftigt finde. (Exec. IV, 451.)
Die Heiligen.
Wie an glühenden Kohlen nur Feuer, und an bemabltem Tuche nur
Farbe hervortritt (apparet), fo an den Heiligen nur Gott.
(Exc. IX, 644.)
Freundſchaft.
Wie der Baum bei heftigem Winde durch die Wurzeln feftgehalten
wird, fo der Menſch im Unglüde dur Freunde, die ihn tröften.
(Exec. VI, 545.)
Selbftverläugiung.
Alles haben wir von Gott, nichts aus und. Wenn wir daher Alles
verfaufen, fo find wir in Allem arm und befigen nichts, um jenen Einen
Edelftein zu kaufen, in welchem wir alles Erfehnte befigen; wie wenn ein
Schüler Alles verfaufte, um von einem Lehrmeifter, der alle Wiſſenſchaft
befigt, die Eine Wifjenfchaft zu Faufen; oder wie wenn ein reicher Mann
Alles zu Geld machte, um damit einen Ader zu kaufen, in welchem ein
Schatz aller Reichthümer verborgen if. So muß, wer das Himmelteich
faufen will, al feine Freiheit verfaufen und fich zum Sklaven (servum)
Defien machen, von dem er den Evelftein oder den Ader mit dem Schaft
531
aufen will, Nichts wird ihm mehr übrig bleiben, Alles gehört dem
Lchrmeifter oder dem verfaufenden Befiger. Lebit du, fo gehört dein
Leben nicht dein, fondern deinem Herm, dem dur dich verfauft haft. Siehe
da, wie du dur Berfaufen und Armwerden Reichthum, durch Abtödtung
dad Leben erlangft. Willft du alfo die unfterblihe Wahrheit und das
ewige Leben erlangen, fo müflen alle deine Glieder nur Werkzeuge der
Wahrheit fein, deine Zunge darf nur Wahrheit reden, die Hand muß
ohne Trug fein; fo Fuß und Auge, ohne Begierlichfeit nad fremden
Gute. Erwäge, daß der Evelftein and dem Thau des Himmels entftcht,
und durch Erfchütterung (conquassatione) edel und groß wird. So wurde
die hl. Margaretha aus der Erfhütterung im Leiden edel und berühmt.
(Exe. II, 378. 379.)
Selbſtbeherrſchung.
Der Menſch beſteht aus der vernünftigen und thieriſchen Natur, die
eine ift oben, die andere unten; er ift gleichfam aus Feuer und Wajler;
die feßtere ift dem Maffer, die erftere dem Feuer ähnlich. Dies find in
der Natur Gegenfäge, allein durch die Einrichtung des Menſchen wird
diefer Gegenfag vermindert: denn der Menſch ift die Bereinigung zweier
Naturen, die verfhiedene Gefege und Bewegung haben. Dieſe Vereini—
gung ift daher mit einem beftändigen Kampfe verbunden, Die Tugend,
welche dieſen Kampf befänftigt, it die Geduld. ine Tugend ift fie,
weil die Eeele den Körper liebt. Kann fie dem Körper in feinen Bes
gierden nicht zu Gefallen fein, fondern widerfteht fie dem Körper, den fie
doch liebt, um nicht, während fie feinem Verlangen huldigt, das vernünfs
tige Leben zu verlieren, dann liebt ſie fib und leidet dabei (patienter se
amat). Sie leidet nämlich, weil fie dem nicht beiftimmen kann, was fie
liebt. Befiehlt daher die Vernunft, was beſchwerlich ift, und erträgt der
Vollzieher des Gebotes diefe Beichwerde gutwillig und gibt fi hiebei
viele Mühe, fo übt er die Tugend aus, durch welche der Menſch ſich
jelbft beherrfcht; denn der Herr fagt: „in Geduld werdet ihr eure
Seelen befigen.“ Nicht unpaffend fann man von dem Geduldigen fagen,
er wife zu leiden; es coincidirt in der Geduld Traurigfeit und Tröftung,
wie Ehriftus fagt, die Tranrigfeit der Heiligen verwandle ſich in Freude.
Lüge im Dulden nicht ein angenehmer Troft, jo wäre es feine Tugend.
Die Geduld ift eine edle Art zu fiegen; wer duldet, fiegt und fenbet die
Pfeile feiner Feinde in ihre eigenen Herzen zurüd. Duldend befiegt er
Beinde, Dämonen und fi ſelbſt. Cine geduldige Seele gleicht dem
Salamander, der fih vom Feuer der Trübfal nähret, dem Strauß, der
Eifen verfchludet, dem Golde, das in den Glühofen gelegt wird, um ed
zu läutern. (Exe. VIII, 615.)
34 *
532
Werth frommer Gelübde,
Außer der befondern Form eines Sacraments ') kann der Gläubige
fich feine eigene Form machen, in der Form des Gelübdes (ex voto).
Wenn ich 3. B. von Jeſus Heil erlangen (salutem impetrare) will,
fo fage ich bei mir felbft: Wenn ich zu dem Kreuze bintrete, an welchem
fein Erbarmen fih und barftellt, cin Gebet verrichte und das Bild, wel:
ches ihn finnlih darftellt, füffe, den ich in meinem Geifte zu erfafien das
Verlangen habe, fo wird mir Heil zu Theil werben (salvabor). Diver
wenn ich bei mir fprede: Den erften Armen, der mir begegnet, will ic
wie Chriſtus anſehen, ich will ihm thun wie Chriftus, deſſen Perſon er
darſtellt; ich will feine Füße wafchen und ihm Almofen geben, und ic
werde ohne Zmeifel von Ehriftus Heil erlangen (non dubitandum, quin
a Christo salvationem consequar). Wer diefed Gelübde demüthig er-
füllt, wird ohne Zweifel Heil erlangen (assequetur salvationem), es fei
denn, er bitte etwas wider dad Heil jeiner Seele, dann weiß er nict,
was er bittet; wüßte er ed, fo würde er nicht in dieſer Weiſe bitten.
Er wird ſomit nicht erlangen, was er in Unfenntniß feinem Heile zus
wider bittet. Chriſtus ift der Heiland; eine Bitte, die wider das Heil
ift, gewährt er nicht. (Exec. VIIL 612.)
Verſchiedenheit des Lohns.
Der Grund, warum die Lebtberufenen für geringe Arbeit fo große
Gnade erhielten, ift, weil der Glaube durch die Liebe wirft. Jene Gläu:
bigen, die auf die Güte und Gnade des Ependerd vertrauten, verrichteten
was fie in furger Zeit arbeiteten, mit großer Liebe. Diele Intenfität
ihrer warmen Liebe fiel fchwerer ins Gewicht, ald das ertenfiv Viele der
Andern,, wie das Gold fchwerer wiegt, ald Kupfer. Denn die um ge
dungenen Lohn arbeiteten, arbeiteten nicht aus Liebe zum Herrn, fie war
nicht ihr Ziel; die Gläubigen aber thun Alles bis in den Tod um des
Herrn willen, der die Güte und Liebe felbft ift, von dem fie daher den
Lohn empfangen, der Denen zu Theil wird, welche die Güte lieben, denn
er ift nichts ald Liebe und Güte. Mer die Liebe liebt (qui charitatem
diligit), erwartet feinen andern Lohn; in der Liebe ift Liebe die Der
geltung ; der Liebende ift der Liebe treu, der er dient, und was er thut,
1) ubi non est propria forma alicujus sacramenti. Der Sinn fann nur fein:
Wenn glei zur Erlangung des Heild die beflimmte Form der Sacramente pofitiv an:
geordnet ift, fo fann doch auch durch Gelübde ein unfer Heil förderndes göttliches Wohl
wollen erlangt werben, ohne daß damit gefagt ift, daß hiedurch eines der das Heil zw
naͤchſt vermittelnden Sarramente erfegt werde.
533
thut er aus Liebe. — Warum fagt der Herr: „Ich will aber dieſem
Letzten fo viel geben, als dir"? Deßhalb, weil er dem Einen, was ihm
gebührt (quod suum est), nad erechtigfeit geben kann und dem Ans
dern, was er will, aus Liebe. Den Liebenden gibt die Liebe ſich felbft, °
weil fie geliebt fein will, und nichts Anderes; darum gibt fie fih den
Liebenden. — Warum fagt er: „So werden die Erften die Regten und
die Legten die Erften fein”? Ich jage: Erhöhung fällt zufammen mit Er
niedrigung, wie in Chriftus; darum warb er über Alle erhöht. In ver
Erniedrigung ift Erhöhung, im Tode Auferſtehen. Das ift fo, weil die
Liebe vordringt und den Siegespreid erhält. Haben gleich Viele vor ihr
ven Lauf begonnen, jo hat doch nur fie eine getreue, lebhafte und aus—
dauernde Bewegung, die nicht ermüdet, ſondern beftändig wächst. Wer
mehr liebt, wird mehr erhalten. Es ift hier ein Kreislauf: aus Liebe
wird er verfoften und durch Verkoſten wird er mehr in Liebe erglühen.
(Exc. IX, 643.)
Der Friede,
Das Ende ift das Erfte und Letzte, wo die Abfiht Erfüllung ift.
Hier fängft du an, den Frieden zu erfennen. Der Künftler, der um
des Endzwecks willen wirft, hat den Endzweck in feiner Abficht und ftrengt
fih an, das, was er beabfichtigt, in Stand zu bringen. So ift der
Endzweck (finis) die Urfahe aller Urfahen; denn was das fchaffende
(effciens) und geftaltende Princip (forma) verurjaden (causans), haben
fie aud dem Endzwede. Wer nun ein folcher Künftler wäre, daß feine
Abſicht zugleih der Vollzug wäre und durch jeinen denkenden Geift die
gedachte Sache zumal ind Dafein gefegt würde, in dem würde « und o,
Anfang und Ende coincidiren. Diefe in ihrem Weſen (in se) betrachtete
Coincidenz ift der Friede der dbreicaufalen Einheit; das ſchaffende,
geftaltende und fi ald Ziel fegende Cfinalis) Princip ift die Eine
und dreifache Urfahe. Denn in dem fchaffenden Princip findeft
du, wenn du die Sade recht betradhteft, auch das geitaltende und das
fih als Ziel jegende, ebenjo indem geftaltenden Princip das jchaffende und
das ſich als Ziel fegende, in diefem die beiden andern; gleichwie der Geift,
indem er fi denkt, fchaffend, geftaltend und fich ald Ziel fegend ift, denn
er ſchafft, bildet und erzielet nichts Anderes, als ſich felbft... Daher
ift der Friede, der die Dreieinigfeit ift, wie der Prophet fagt, „feine
Stätte und Wohnung auf dem Berge Zion“, d. i. in der Höhe der Spe—
eulation. Es ift der Gott, den auch der Heide Ariftoteles, als die
dreicaufale, zugleih aber Eine und einfachfte Urfache erfannte, ohne die
nichts beftchen kann. Plato faßt in einem Briefe das dreicaufale
534
Princip ald die dreifache Art des Seins der Dinge in dem Einen, wie
wenigftens die befler Unterrichteten ihn verftehen.
Für jegt will ih mur das gefagt haben, der abfolute Friede fei es,
“in weldem allein der dreieinige Gott gefunden wird; denn daß Gott
der Friede ift, beißt fo viel, als daß er das dreieinige
Princip ift.
Ich fage nun: der göttliche Friede ift es, ohne den nichts beftehen Fann.
Denn nothwendig müffen alle Kräfte, aus denen die Greaturen beſtehen,
unter einander in Frieden verbunden fein, damit fie Ruhe und Beftand
haben. Der Friede ift aber eine Einigung, der Friede einigt. Die Eis
nigung erfolgt durch eine Vermittelung; diefe Vermittelung ift das, worin
die Gegenfäge ihre Ruhe finden (in quo quietantur extrema). Der Friede
fcheint daher die Verbindung (nexus) zu fein, dur welde Alles mit
dem Centrum verbunden wird, daß es nicht auseinander fahre (ne de-
fluant). Der Friedensftifter heißt Vermittler; denn in der Bewegung
findet man nur Ruhe, und in der Zeit nur ein beftändiged Jetzt. Der
reine Friede iſt nur der Friede an fi oder der göttlihe. Kein Ding
fann des Friedens entbehren ; jedes Ding befteht nur infofern, fofern «8
am Frieden participirt. Der Friede muß die Sehnfucht aller Wefen fein,
weil ohne ihm nichts befteht. Der Friede ift die Bereinigung der Peris
pherie mit dem Centrum, das Bentrum ift der Drt des Friedens und der
Ruhe. Der Friede befteht in der Coincidenz der Gegenfäge; die Ber
mittlung ift der Ort des Friedens. Die Subftanz befteht weder in dem
Princip, weldes ihr dad Sein verleiht, noch in der Materie, dem Sub
ftrate de Princips (in materia subjectiva), fondern im Gentrum der
Verbindung, des Friedens und der Vermittlung beider. Feſte und bleis
bende Wahrheit gibt ed nicht außer der Region des Friedens. Ohne
friedliche Vermittelung, durch welche die ſichere (stabilis) Wahrheit er
kannt wird, gibt e& feine Wiſſenſchaft. ) Denn indem der Geilt
Vermittlung [der entgegengefepten Gedanken] fucht, fieht er im allen
Stüden befier die Wahrheit (Nam mens dum utitur hoc pacis medio,
in omnibus verius intuetur), Alle, welche mit feinem Geiſte über bie
Mahrbeit gefchrieben haben, haben, fo präci® als fie es nur vwermochten,
das Wahre der verſchiedenen Meinungen in friedliher Weiſe zu vermits
teln geſucht (Omnes, qui de veritate eleganter scripserunt, quanto prae-
eisius potuerunt, veritatem opinionum ad pacis medium reduxerunt).
Ale Wiflenfchaften fcheinen demnach nur verfchiedene Weifen zu fein, um
1) De medio pacis, per quod videtur stabilis veritas, non est scientia. Wenn
der Tert hier nicht corrupt if, fo Fann der aus dem Zufammenhange fi Klar ergebende
Sinn nur dadurch in der Ueberfegung ausgebrüdt werden, daß de negativ genommen
wird — weg von...getrennt von x.
535
die Anfhanung des Friedens auszudrüden. Auch im Gebiete der Sittlich⸗
feit ift die Tugend die Vermittlung und der Friede.
Der Friede ift der Himmel der Glüdjeligen, denn mit Recht fagt
man: glüdlih, wer die Mitte inne hält (medium tenuere beati). Der
Philoſoph forſcht nah BVielem, um durch dasjeldbe zur Wahrheit fih zu
erheben. Viele Gegenfäge treten ihm entgegen, und fo lange er fi in
Gegenjägen bewegt, ſieht er den Frieden noch nicht. Die Stätte der
Wahrheit ift der Friede, der durch fein Raiſonnement ded Verftandes
(aulla ratiocinatione) erlangt wird; nur über allen Gegenlägen, alle
Sinnen» und VBerftandeserfenutniß überfteigend, wird er gefhaut. Sind
nicht die Accidenzien in der Peripherie des Friedens? Der Friede ift das
Gentrum, der Ort der Subftanz. An je dauernderem Frieden ein Ding
participirt, deſto edlerer Art ift ed. Es gilt daher vom Frieden, was
von dem Guten und dem Leben. Die Klugheit ift Friede und Leben.
Die Weisheit des Geiſtes ift daher fein Friede uud fein Leben. Daher
nennen wir das ewige Leben die ewige Ruhe. Die Bereinigung der
Gottheit mit der Menfchheit ift ver höchſte Friede, denn fie ift die Ber-
einigung des Friedens oder der ewigen Ruhe. Der abfolute Friede zieht
Alles an fih und vereinigt Alles mit fih. Der Friede Gottes, ohne
den nichts beftehen fann, ift mit Allen, aber nicht jeder Geift ift mit Gott,
weil der freie Geift, nach freier Bewegung dem Frieden ſich nähern oder
von ihm entfernen Fann, Mir werden ald Kinder des Zornes geboren,
aber durch den Glauben an Chriſtus mit dem Water und Lirheber des
Fliedens verföhnt. Für diefen Frieden Chrifti ift Alles von Anfang an
zum Boraus zubereitet, fo daß Eine Welt ift und für Alles in ihr der
Endzweck — Ehriftus.
Der Ungehorfam des Menſchen hat den Frieden mit Gott gebrochen
und den Widerſpruch erhoben, der bewirkt, daß das Einftrömen des gött-
lien Geiftes in den menſchlichen aufhörte... Chriſtus fam, vereinigte
fh mit der menfchliben Natur, umd es wurde Friede und der Einfluß
der göttlichen Gnade wieder hergeftellt. (Exec, V, 497, 498.)
Die wahre Freude.
Die Freude wohnt im vernünftigen Geifte, in dem die Liebe ift,
denn aus dem Feuer der Liebe kommt die Freude, denn fie ift ein Ergögen,
das die Wärme der Liebe begleitet. Diefe Wärme ift der Seele gleich,
ſam die Ausbreitung einer ihr zufagenden Begeifterung, die fie durd ben
Einfluß des geliebten Gegenftandes, dem fie eine gaftlihe Wohnung in
ſich bereitet, erwedt (qui calor est in anima quasi dilatatio ardoris sibi
placentis, quem ex se exserit in virtute amati sui, in se hospitati).
536
In den Thieren ift eigentlich Feine Freude, obwohl fie ſich an dem ers
gögen, was ihnen zufagt. Die Freude entfteht aus dem Bewußtfein ber
Gegenwart des geliebten Gegenftandes; es ift, ald ob ſich die Seele
erweitere, um das Geliebte, das fie fchon erfaßt hat, noch fefter zu um—
faffen. Die Traurigfeit verengt (arctat), um dad dem Leben nicht Zuſa—
gende auszuſtoßen, die Freude dehnt fih aus, um das dem Leben Zuſa—
gende feftzuhalten. Der Traurige fließt die Augen und jchräuft den
Blick ein; der Freudige öffnet und erweitert ihn, fein Auge ftrablt
(laetus aperit visum, ampliat et magnificat). Die vermünftige Freüde
ift ein gewifles Gefühl des Geiſtes, der feine Lebensfülle empfindet.
Die Seele, von der Liebe berührt, erweidhet, wie das von der Mürme
berührte Wachs. Diefe Berührung empfindet die Seele und diefes Ems
pfinden ift ein Erweichtwerden. Ferner hat fie ein GErgögen, wie der
durb Kälte Erftarrte, wenn er Wärme fühlt, die den Gliedern die lebens
dige Biegfamkeit wieder gibt, Freude und Wohlbehagen empfindet. ')
Das Wort des Heild, fleifchgeworden im Leibe der Jungfrau, redete
durch den Mund der Gottedgebärerin (als Maria Eliſabeth befucte).
Sohannes hörte es durh das Ohr feiner Mutter und freute fich über
die Nähe des göttlichen Wortes. So wurde der Geift Jeſu, der durd
den Mund der Apoftel frohe Botfchaft verfündete, von den Ohren folder
gläubigen Seelen vernommen, welche für geiftige. Freude fähig waren.
Auf das Mactgebot des Wortes ermweichten die Herzen und lösten ſich
auf in Freude. Bemerfe die wunderbare Kraft des Worts! Es malt
die Seele wie von einem tiefen Schlafe erwachen, es löst fie und befreit
fie von dem Tode der Unwiſſenheit und Traurigkeit. Iſt es einmal die
Signatur der Seele geworden (si hoc signatur in anima), jo gibt es
ihr eine herzliche, innerlide Freudigfeit, weil e8 ihr das wahre und uns
zerftörliche Leben bringt, da ed das Wort Gottes ift und das Licht des
Lebens, welches die Finfterniß des Werftandes erleuchtet, im fich bat.
Und welche Seele wird nicht zum Jubel bingeriffen, wenn fie die Quelle
des Lebens in fih fühle? Wenn fih Die freuen, welche Beute unter fih
vertheilen oder das Werlorne wieder erhalten, verborgene Schäße finden,
oder das Augenlicht wieder erlangen, jo ift die Freude des Geiftes um
endlich größer, der die Duelle des Lebens in fi findet, ein nie man
gelndes Leben, die Weisheit, die Schöpferin von Allem, Dies ift der
belebende Geift, der nothwendig Freude ſchafft, weil er der Geber un
fterblicher Sreude iſt. Die Seele, deren Faffungsfraft unendlich ift, bfeibt
immer leer, fo lange Der fehlt, der fie allein mit Freude erfüllen kann.
1) In dem Texte: sieut qui ob frigus... . gaudet et delectatur; et loquitur yer-
bum salutis etc. ſcheint ein ben Uebergang vermittelnder Gedanke zu fehlen.
537
„Ih bin gefättigt, wenn deine Herrlichkeit erſcheint.“ Won der ſinnlichen
Freude leitet und der Herr durch Wergleihung zu der geiltigen. Nun
it die finnliche Freude zeitlich, mangelhaft, vergänglich, trügerijh. Die
geiftige, die unfichtbar ift, ift fomit ewig; denn das Unfichtbare ift ewig.
Und Diefe Freude ijt nothwendig rein, denn die leere vergängliche Freude
it mit vielem Widrigen verbunden und ihr Ende ift Trauer. Wie die
Traurigkeit diefer Welt Grade hat, bis zur Traurigkeit des Todes, den
der Berdammte in der Hölle erleidet, fo läßt auch die Freude ein Wachs—
thum zu, und man fommt nicht zur vollen abfoluten geiftigen Freude,
außer wenn der Geift im die Freude des unfterblichen Lebens eingeht.
In diefer Welt iit alfo feine reine Freude, wie feine abiolut größte
Traurigkeit. Wie es aber unter allen Werken des finnlichen Lebens für
den Einn feine größere Freude gibt, als jene, Die der Menſch unter dem
Gejege der Ehe empfindet, wenn er aud der Natur, die er von Adam
bat, ein fi Aehnliches erzeugt und fo ein Leben hervorbringt, in dem
fein Leben euthalten ift, jo kann es für den vernünftigen Geift feine
größere Freude geben, als die, im welde der geiftige Menſch unter dem
Geſetze Chriſti und der Kirche eingeht, wenn er aus der göttlihen Gnade,
die er von dem Spender des geiftigen Lebens hat, aus fih ein nie ab»
nehmendes Leben erzeugt, wie eine fi nicht verzehrende Kerze durd das
ihr gegebene Feuer aus ſich Licht hervorbringt, das ihr Leben ift (eine
ausgelöſchte Kerze ift todt) oder wie der Asbeſt, einmal angezündet, nie
erlöiht. Dies ift Das Feuer, dad Chriftus in die Seelen fenft, vaß es
brenne ; von diefem Feuer war die Seele ded Elias, Eliſäus und Jos
hannes des Täufers entflammt, ver daher von Ehriftus eine brennende
Leuchte genannt wird. Keine Freude kann gefichert fein, fie fei denn über
allen Wedel erhaben. In dieſer Welt, wo Gegenſätze find, ift nichts
gefiert. Nur die größte Freude, über die hinaus feine größere gedacht
werden mag, iſt gefihert. Denn fie ift über allen Öegenfag erhaben und
frei von aller Traurigkeit, wie der Himmel von aller Dunfelheit frei ift,
weil die Sonne, die Urfadye des Lichts, dort immer ſcheint. So ift in
der himmlifchen Freude die Urfacde der Freude, Gott, die Sonne der
Gerechtigkeit, immer gegenwärtig, und die Wirfung hört nie auf, da die
Urjache immer wirft. Das ift die wahre Freude, während die Freude
diefer Welt nur (vorübergehende) Erſcheinung, nicht Wahrheit if. Wie
trügerifch die Freude der Welt fei, erhellt aus ihrem Ende und den
Strafen, die ihr folgen. Sie ift wie die Freude des Trinkers, auf welde
verbummende Betrunfenheit folgt, oder wie die Freude des Turnierd und
Tanzes, welche Ermüdung bis zur Entfräftung zur Folge hat, oder wie
die Freude Derer, welche die erften noch fauren Trauben beim Beginne der
Tafel effenund dadurch die Zähne abftumpfen, daß fie für jhmadhaftere
538
Speifen nicht mehr tauglich find. So find die Weltfreuden ein Hinder:
niß für die Freuden des Geifted. Der Geſchmack an dieſen geht vers
loren und bleibt, wenn nicht die Gnade Gottes noch zur richtigen Einſicht
führt, ganz unerfannt. Daher lehrt uns das Geſetz Chrifti die Melt
freuden fliehen, damit wir unbefledt durch diefelben die große Süßigfeit
Gottes verfoften mögen.
Die Freude in Gott ift immer neu, weil fie fih immer wieder
holt, wie das Sonnenlicht, das Licht der Kerze, die riefelnde Quelle ims
mer neu iſt, weil fie fich beftändig erneuert. Die himmlische Freude ift
daher immer neu, ohne Mangel, ohne nadyzulaffen oder zu altern. Das
Immerwährende darf nicht als ein Altwerden gedacht werden; denn «6
geht nie in Vergangenheit oder Zufunft über, es ift ein beftindiges Heute,
denn ed wird erzeugt, wie der Sohn Gottes, von dem der Prophet jagt:
„Heute habe ich dich gezeugt.“ Das Heute geht nie in Vergangenheit
oder Zufunft über, fondern ift immer neu. So ift es bei den Werfen
Gottes, von welchen es heißt: „Siche, ih made Alles neu.” So ill
dad Leben immer neu im Körper, weil die Ginwirfung der Seele eine
continuirlihe ift. Die Neuheit ift, reiflih erwogen, über der Zeit und
vor ihr, da auch die Zeit durch die Neuheit eine neue genannt wird.
Jeder Zeitmoment ift neu, weil er feine Vergangenheit und Zufunft iſt.
Und wie in der Zeit alles nen ift, fo auch in allem Erſchaffenen. Do
ber ift Alles neu, fofern es in Wirklichkeit tritt. Die Neubeit ift daber
dad Princip, welches in Allem das wirkliche Sein verleiht. Nur von
Gott fommt diefe Neuheit, weil er der Schöpfer iſt; die Ereatur ift die
ins Sein aufaenommene Neuheit (creatura est novitas sic recepta);
indem Gott aus Nichts den Himmel neu jhuf, ift die auf dieſe Weile
ind Sein aufgenommene Neuheit — Himmel geworden; ebenfo bei allen
andern Gefhöpfen. Die Neuheit ift aber nicht in beftändigem Fluſſe,
fondern fie ift die Ermeuung Eines und Desſelben (est circa idem inno-
vatum), über den Begriff der Zeit hinaus. Wenn z. B. etwas durch
Feuer fein Sein hätte, wie dus Gold, fo würde diefed bei Abwefenheit
Des Feuers nicht fein, Dagegen bei Anweſenheit desfelben ftetd erneuert
werden. Die Philoſophen, welhe fagen, das Sein müffe man bei der
beftändigen Strömung der Zeit nicht anders denfen ald ein Werben,
denfen fih das Sein nicht als etwas PVeftändiges, in irgend einem Zeit
momente. Ich aber faffe das Sein als etwas Beftändiges, weil es mie
altert, wie das Jegt der Zeit nie altert, fondern es wird dafjelbe Jeht
erueuert, weil ed vom Schöpfer nicht mittelſt des Nacheinander der Zeit,
fondern unmittelbar herrührt, nach der Zeit, welche nur die Entfaltung
desjelben ift, wie die Zahl die Entfaltung der Einheit. Die Neubeit
abfolut betrachtet, ift ewig; denn vor der Neuheit kann nichts fein ald
539
die Ewigkeit. Die Neuheit wird von der Ewigkeit erzeugt. Sie ift die
ftetö neue Ewigfeit (novitas est nova aeternitas). Iſt die Ewigkeit der
Anfang ohne Anfang, oder der allmächtige Vater, fo ift die Neuheit der
Anfang vom Anfange oder der Sohn, der die ewige Neuheit ift, durch
welche Alles erſchaffen iſt . . Die ewige Liebe geht aus beiden hervor
ald heiliger Geift... Durch ihn werden daher die Herzen erneuert.
Reinigung, Läuterung und was zur Neufchaffung gehört, gebt von ihm
ad, Das Reih der Glüdjeligfeit tft daher die Freude
im heiligen Geiſte. (Exec, VII, 618—620.)
Das Schöne,
Mit den geiftigen Sinnen, mit welhen wir nad Erlangung von
Kenntniffen ausgehen, erreichen wir auch in gewifjer Weile das Schöne.
Bir fagen, die Farbe, die Geftalt habe Schönheit, dasfelbe fagen wir
von der Stimme und Sprade. Es erreichen alfo Gefiht und Gehör
einigermaßen dad Schöne. Geruh, Geſchmack und was dem ZTaftfinn
unterliegt, nennen wir nicht fchön, weil diefe Einne nicht jo an das Geis
ſtige angrenzen; fie find rein thieriih. Es find nämlid alle Sinne durch
ihre Bereinigung mit dem vernünftigen Geifte edler, als in den Thieren;
die edlere Kraft veredelt auch das mit ihr Vereinte, wie das Sonnenlicht
die Luft durchleuchtet. Die feineren Sinne find im einer innigeren Bers
einigung mit der Vernunft. Daher wird das Gefiht durd eine fchöne
Geftalt und Farbe, das Gehör durch eine fchöne Harmonie gefeffelt und
dies ift im Menfchen Wahrheit, weil das Verſtändige, das in der Pros
vortion feine Freude hat, in jenen Sinnen deutlicher wiederfcheint. Was
daher wohlgeordnet und proportionirt ift, d. h. wo in der Vielheit die
Einheit als Proportion oder Harmonie fih abipiegelt, das ift und anges
nchm. Nach Dionyfius beftcht das Weſen des Schönen in dem Eins
klange der Gegenſätze (Rationem autem pulchri consistere in quadam
consonantia diversorum, Dionysius dicit.) Dionyfius handelt davon,
daß gewiſſe göttliche MWirffamfeiten in die Greaturwelt heraustreten, wos
dur diefe zur Aehnlichkeit mit Gott erhoben wird (sunt quaedam divinae
processiones in creaturas, quibus perficiuntur in divinam assimilationem,
cum procedant processione formali), da dieſes Heraustreten ein bilden-
des und geftaltendes ift, wie aus der erften Wärme alles Warme entiteht.
Das erfte Heraustreten, das in unſerem Geifte vor ſich geht, bezieht fich
auf das Erfafien des Wahren. Das Wahre leuchtet alsdann auf, es
zündet als etwas Gutes und nun erft erhebt fih das Verlangen nad)
ihm (Prima autem processio, quae est in mente, est secundum appre-
hensionem veri. Deinde illud verum excandescit et accenditur in ra-
540
tione boni, et sic demum movetur desiderium ad ipsum). Ber Bewe—
gung des Verlangend muß nämlich ein doppeltes Erfaffen vorangeben:
ein Erfaffen der theoretifhen Bernunft (intellectus speculativi),
welches das abjolute Erfafien des Wahren felbft ift, und ein Erfaflen der
praftiihen Vernunft Cintellectus practici), durch das Auffaflen des
Wahren unter dem Gefichtspunfte des Guten ) (per apprehensionem ver
in ratione boni). Nun erft entfteht die Schnfuht nad dem Guten.
Gleichwie nämlih die Heilfunft in ihrem Wirken feinen Erfolg eriet,
wenn fie nicht durch die Wirffamfeit der Natur unterftügt wird, jo fommt
ed auch zu feiner Sehnſucht, wenn fie nicht durch das Erfaffen der Wahr
heit ihre Richtung erhält. Dem Erfaflen des Wahren ald Wahren (in
ratione veri) correfpondirt dad Hervorgehen des Lichtes; dem Erfafien
des Wahren ald des Guten (in ratione boni) correfpondirt das Hemer
gehen des Schönen; der Bewegung der Sehnfucht correipondirt das
Hervorgehen des Liebenswürdigen (processio diligibilis).
Das Schöne, das nad) Tullius durch feine innere Kraft und an fid
zieht und durch feinen innern Werth fefjelt, faßt in feinem Weſen drei
Stüde in fih: Erftend dad Glänzende der Geſtalt (splendorem formae),
fei dieſe nun eine jubftantielle oder. accidentielle, das ſich über die propor⸗
tionirten und beitimmt begrenzten Theile eines Gegenftandes verbreitet,
wie 3. B. ver Körper ſchön genannt wird durch die angemefjene Ver
theilung der Farbe über proportionirte Glieder (ex resplendentia coloris,
super membra proportionata). Zweitens: dad Erregen des Werlangens
zum Schönen. Dies fommt dem Schönen zu, foferne es etwas Gute
und ein Endzweck (Anis) if. Drittens: das Schöne fammelt Alles in
eine Einheit (congregat omnia), und zwar fofern es cin geftaltende?
Princip ift (et hoc dieitur ex parte formae), deſſen Abfpiegelung eben
das Schöne bewirft.
Die Schönheit an fi ift das, was durd feine Weſenheit die Ur
ſache des Schönen ift und alle Schönheit bewirft. Das Schöne um
fittlih Gute Chonestum) find bezüglich ihres Gegenftandes identifh (in
ratione subjecti idem sunt), in ihrem Weſen aber verfihieden. Das
Wefen des Schönen ald Univerfales befteht darin, daß fich ein geftaltended
Princip in der Proportion der Beftandtheile oder in verfchiedenen Mate
rien und Handlungen abjpiegelt; das Wefen des ſittlich Guten befteht
darin, daß es das Verlangen nad fich erwedt. Schönheit und einzelne?
Schöne find Eines in Gott. Die Schönheit in Gott ift die erft
und höchſte, aus welder die Natur der Schönheit in allem einzelnen
1) Gut ift (bonum) hier und im Folgenden im weiteren Sinne = bad ımd Zu⸗
ſagende, im Gegenſatze von Uebel genommen.
541
Schönen ausfließt. Sie iſt dad Princip (forma) alles Schönen; denn
fie bewirft (facit) alles Schöne, wie die Weißheit alles Weiße (sicut
albedo omnia alba). Die Wefenheit Gottes, welde Gott felbft ift, iſt
die oberfte und erfte Schönheit.
In allem Schönen ift Mebereinftimmung oder Proportion und Klarheit
(elaritas): Uebereinſtimmung an dem einzelnen Subjecte (der Schönheit)
(consonantia, ut subjectum), Klarheit, foferne das Schöne Wefenheit ift
(elaritas, ut essentia). Die Tugend hat eine Klarheit in fi, vermöge
welcher fie ſchön ift, wenn fie auch von Niemand erfannt wird; fie ift
jedoch fo eingerichtet, daß fie mitſammt ihrer Klarheit erfannt wird. In
diefem Sinne nannte Tullius das fittlihb Gute aud das Schöne. Vom
Schönen als einzelnem Gegenftande (ratione subjecti) gilt, was vom
Guten gefagt wird: Alles hat ein Verlangen nad dem Schönen (wie
nad dem Guten).
Zum MWefen ded Guten gehört, daß e8 Ziel der Echnfuct tft;
denn nah dem, was gut ift, ftrebt Alles. Das fittlih Gute fügt zu
dem Begriff ded Guten noch den der innern Kraft und Würde hinzu,
mit der ed und anzieht. Das Schöne geht noch weiter, indem ed (das
Gute) mit einem großen Glanze und Klarheit verbunden mit Proportion
überffeivet (De ratione boni est, quod sit finis desiderii, movens ipsum
ad se; nam ipsum est quod omnia appetunt. Honestum addit supra
bonum, quod sua vi et dignitate nos trahat. Pulchrum ulterius
supperaddit resplendentiam et claritatem quandam super quaedam
proportionata). Der Schönheit fommt es daher, foferne fie Endzweck
und ein Gut ift, zu, an fih zu fefleln; foferne fie bildendes Princip
(forma) ift, zu jammeln und zu einigen (dem Princip kommt es eigentlich
zu, zu jammeln, weil es vielfache Potenzen der Materie eint und in Eines
zulammenfaßt). Eine Schönheit, die nur von Einem bildenden Principe
abhängt, ift eine vollfommenere Schönheit, als diejenige, deren Schönheit
von mehreren Prineipien bedingt iftz denn von je Wenigerem etwas feine
Vollfommenheit erlangt, defto edler ift ed. Das Schöne, das mit dem
Guten gleichbedeutend ift, iſt die Urſache aller Bewegungen der Geifter,
da die Sehnſucht das Bewegende ift. Sehnſucht ift fo recht die Sade
ded Geiſtes. Wenn dem Engel die Schönheit eines Gutes gezeigt wird,
jo ftrebt er eifrigft, diefelbe zu offenbaren und dann fo fchnell als möglid)
zum Genuffe derjelben zurüczufehren, um fo den Kreislauf abzuſchließen.
Das Zeigen geſchieht im Centrum. Das Herabfteigen zum Offenbaren
it eine geradlinige Bewegung zur Außerften Peripherie, im Wege ber
Vorfehung. Die Rückkehr ift wie der Refler der Bewegung, fo daß in
der Schönheit des Guten der Kreis ſich abfchließt. So theilt Der, dem
ein Schag aufgezeigt wird, feine Freude fo ſchnell als möglich dem Freunde
542
mit, dann eilt er zurüd, um den Schag zu zählen ober zu genießen. €o
bewegen fi die Engel freisförmig, in gerader und reflectirter Richtung
(reflexe). Die Seelen bewegen fib in ebenfo vielfaher Bewegung.
Wenn die Sonne die Sehfraft erhellt, daß fie mittelft derfelben die Karben
fieht, So zieht fih die Sehfraft, wenn fie das Eonnenlicht fehen will,
von allem Farbigen zurüf. So fteht auch die Seele, durd das Licht des
Verftandes, das Particulare. WII fie in das Licht des Verftandes felbf
bineinjehen, fo zieht fie fih von dem SBarticularen zurück und kehrt zu dem
erften Lichte zurüd. Diefe Bewegung ift gleichfalls eine FEreisförmige,
Denn die Sehfraft ift der Veritand, das Sonnenlicht iſt das Licht de
in Thätigfeit begriffenen Verſtandes; das Erfennbare (intelligibilia) find
die Farben. So geht die Bewegung von der Schönheit des Erften aus
und ehrt zu diefem zurücd; denn mit der Kraft des göttlichen Lichtes, das
in dem thätigen Verſtande fchimmert, bewirft der in Thätigfeit befindlice
Verſtand Alles. Wenn daher der Verftand als Potenz (intellectus pos-
sibilis) das Licht des thätigen Verftandes in fih aufnimmt und aus dem
Barticularen zur Anſchauung feiner ſelbſt in fich zurüdfehrt, dann empfängt
er von ihm, und was ihm wirkliches Sein gegeben bat, kehrt wieder in
den erften (die Anregung gebenden) Berftand zurüd.
Alle Bewegung der finnlihen Dinge geht aus dem Schönen in
das Schöne zurüd, fo alle Progreifionen, Leben, Sinne, Seele, Natur,
Kleined, Großes, Proportionen, Miſchungen, furz: Alles. Denn Alles,
was ift, ift aus dem Schönen und Guten, im Schönen und Guten und
wird in Schönes und Gutes verwandelt. Alles, was geſchieht, geicicht
wegen ded Guten und Schönen, nah dieſem ſchaut Alles bin, von ihm,
um feinetwillen und durch es wird Alled bewegt und zufammengehalten;
in ihm iſt dad Princip für alle Nahahmung..... Alles ift auf über
fubftantielle Weile (omnia supersubstantialiter) im Schönen und Guten,
es ift der Anfang und das Ende von Allem. Für Alle ift das Srön
und Gute ein Gegenftand der Sehnſucht, der Liebe und des Begehrend;
durch dasfelbe und um feinetwillen liebt dad Niedere auf dem Wege der
Umwandlung das Höhere, das Gleiche wie einen Bertrauten das Gleite,
ſchließt ſich das Höhere in vorforgliher Liebe an das Niedere an. Jedes
Weſen liebt fih in feinem Beftande und dem Beichloffenfein in fich felbi
(et ipsa se amant singula suae ratione constantiae vel continentiae),
was fie thun und wollen, das thun und wollen Alle aus Sehnſucht nad
dem Schönen und Guten. Selbſt der Schöpfer von Allem liebt Allee,
thut Alles, vollendet Alles, umfaßt Alles, verwandelt Alles nad der
Größe feiner Güte, So lehrt der große Dionyfius Arcopagita, das ſei
das Gute, was Alle anftreben und das abjolut Schöne, das mit ber
Schönheit iventifh ift. Er nimmt befondere Arten des Schönen an, mad
543
er an dem Belfpiele von der Sonne nachweist. Vom finnfichen Lichte
geht er zum geiftigen über und zeigt, wie jenes Licht in den geiftigen
Naturen eben fo wirft, wie das Sonnenlicht in der finnlihen Natur.
Die Abipiegelung des Schönen in der niederften Etufe erreichen
wir mit den mehr geiftigen Sinnen, dem Gefiht und Gehör. Dadurch
wird der Geiſt mit Bewunderung erfüllt und feine Kraft angeregt, in
thätiger Weile dad Schöne geiftig zu erftreben, das der Sinn nur im
allerfleinften Maaße erreicht, wie der, welder nur mit der Zungenfpige
etwad Süßes verfoftet hat, dadurch beftimmt wird, ſich durch Dagjelbe
zu erquiden. Denn Alles firebt nad dem Guten, das aud das Schöne
ift, und wendet fich ihm zu, Jegliches nad feiner Natur: ald Sein, Leben
oder Geift (amt essentialiter, aut vitaliter aut intellectualiter). Da
nun die geiftige Natur an der Natur des Guten und Edönen geiftig
participirt , weil dieſe ihr Prineip ift, jo fann fie nur unter dem Einflufje
desjelben Nahrung und Leben erhalten. Im geiftigen Anfhauen und Ges
wiegen ded Schönen und Guten befteht ihr Leben. Wir fehen, daß alle
verftändige Weſen über das Schöne zu urtheilen vermögen; fie nennen
diefen Kreis, dieſe Rofe, jenes Holz, jenen Gefang fhön. Hätte nun
das Urtheilende, der Geift, nicht die Idee der Schönheit, die alle finns
ide Schönheit in fi faßt, fo könnte er nicht zwiichen mehrerem Schönen
urtheilen, und das Eine ſchön, das Andere noch fchöner nennen. Daber
it der Geift eine gewiſſe univerfele Schönheit oder die Idee der einzelnen
Arten des Schönen (species specierum), da diefe nur concerete Schön,
heiten find. Wie das Feuer die Geftalt und den Begriff alles Warmen
in fih faßt, fo iſt der Geiſt der Inbegriff aller geiftigen Ideen. Die
geiltige Natur, die erſte Ausftrahlung ded Schönen (quae est prima pul-
chri irradiatio ), joferne fie Ebenbild Gottes, der abfoluten Schönheit ift,
faßt alles natürlibe Schöne, das fi in jeinen Gattungen im Univerfum
entfaltet, vorbildlich (antecedenter) in ſich. Die abfolute Schönheit,
welche Gott ift, entflammt fid durch ihre Selbftanihauung zur Liebe ihrer
ſelbſt. Wie follte die Quelle alles Schönen, die von allem Schönen mit
Rebt Vater genannt wird, die höchſte Schönheit fein, wenn fte fd ſelbſt
nicht als jchön erfennete! Die unendliche Schönheit muß alſo nothwendig
fih jelbft erfennen, Erkennt fie aber fi felbft, jo muß daraus unends
libe Liebe entftehen. Siehe da die Dreieinigkeit in der Einheit
des Weſens der Schönheit, wo der Quell der Schönheit die Selbſt—
anſchauung der Schönheit erzeugt, aus denen dann die Liebe entfpringt!
Unfer Auge fieht ſich nicht felbft, außer im Refler des Spiegeld, der
Geift aber ficht Anderes nicht, bevor er nicht fich felbit ficht, denn erft
dur fich ficht er Anderes. Wäre die Sehfraft, die im Auge ift, Geiſt,
ſo würde fie zuerft fi und das Andere in fi fehen. Die vernünftige
544
Natur weiß, daß fie vernünftig ift, fonft wäre fie nicht vernünftig; vieles
Wiffen heißt fich ſelbſt anſchauen. Dann erft fieht fie in ſich Anderes
geiftig, vole der Sinn dad Sinnliche in fih auf finnlihe Weiſe erfaßt.
Die lebendige Schönheit alfo, das göttliche und ewige Leben, fie, das
Leben felbft, das Gott ift, wollte ihre Herrlichkeit, die das Princip aller
Schönheit ift, offenbaren, und zwar darım, weil die Schönheit aud die
Gitte ift, die Güte aber fich felbft mittbeilt, wie die Schönheit an fid
feffelt. Um aljo ihre Herrlichkeit zu offenbaren, und an der Güte und
Schönheit Antheil zu nehmen zu laffen, erfchuf fie die Welt. Die Schön
heit zieht an. - Soweit aljo jedes aus dem Nichts durch die Schönheit
angezogene Weſen aus dem Nichts der Schönheit fi nähert, inſoweit
fommt ed aus dem Nichts zum Sein. Kein MWefen ift daher frei von
Schönheit und Güte. Das Princip demnach, welches das Sein verleikt,
ift fein anderes, als die Theilnahme an der Schönheit. Nach dem Grade
der Aehnlichkeit mit der Schönheit geftalten fi die Gradunterſchiede der
Dinge; dur die Schönheit des Accidens, die wir mittelft des Sinnes
erfaffen, und die ſich wie in einer Verhüllung und Aeußerlichkeit der Fir
guren vorfindet, fteigen wir auf zur Schönheit der Subftanz. Alles, mas
ift, ift Werk der abfoluten Schönheit, nad der Aehnlichkeit mit ihr ge
bildet. Diefed Bilden ift ein Anziehen. Im Reiche der Schönheit if
alles ſchön, was ift und was fein fann. Die Schönheit ift das gan
Sein alled Seienden, alled Lebenden, alles Vernünftigen. Denn in ber
Einheit ift alle Zahl compflicite, in der Zahl alle Proportion und Ber
mittlung, in der Proportion alle Harmonie, Drdnung und Einklang,
fomit alle Schönheit, die in Ordnung, Proportion und Einklang fih abs
fpiegelt. Nennen wir daher Gott den Einen, fo ift diefer Eine die über
fubftantiele Einheit oder Schönheit, die alles Schöne im fich begreift.
Nennen wir Gott dad Licht, in dem feine Finfterniß, jo ift dieſes Lidt
nicht8 Anderes, als die Einheit. Gäbe es einen einfacheren Namen,
welcher das Licht, das die Einheit ift, ald göttliches Attribut ausdrückt,
fo faſſete diefer Name das ganze Wefen der Schönheit in fi, fomehl
das Materiele der Schönheit: die Proportion, ald auch das Formelk:
den Ecein (resplendentia), und zwar Jenes, weil ed Einheit, Dielet,
weil es Licht ift.
Die Kräfte der Himmel — was find fie Anderes, ald Schönheiten
im Reiche Gottes? Eine Kraft ift infoweit groß, fo weit fie ſchön if.
Das Gemeine (foeda) ift nicht vom Neid der Schönheit. Die fittliden
Mißgeftaltungen (deformitates) der Seelen find eine Häßlichkeit (foedi-
tates), welche die Schönheit der Seele entftellen (animarum pulchritu-
dinem deformantes); fie ftammen nicht aus der Schönheit, weil aus der
erften Schönheit nur Schönes und Gutes hervorgehen kann. Die Ent
545
ftelung rührt von dem aufnehmenden Gefchöpfe her, die Schönheit von
dem bildenden Schöpfer (Deformitas ex recipientibus, decor a datore
formae).
Blickt das Auge zum Reiche der Schönheit auf, fo finder es, daß
die Schönheit jedes einzelnen Schönen die Schönheit des andern nicht be-
einträchtigt (non occupet), weil die Schönheit fein Quantum ift, nicht
flein oder groß, fondern Kleines und Großes ift ſchön durd die Schön—
beit. Betrachten wir die Schönheit eined Königreih8 oder der Hicrardie
der ftreitenden Kirhe vom Standpunkte des Himmelreichs, ') fo jehen wir
fie dort in ihrer Reinheit, erhaben über jede Beichränfung des Raumes
oder der Zeit. Die Schönheit von Sachen, Dertern, Gegenden ıc. ift
im Reiche der Schönheit geiftig und ewig. Die Echönheit der Unſchuld,
Reinheit, Jugend, Männlichkeit, Keufchheit, Tapferkeit ꝛc. bilden nicht
ein Gemengjel von Gemeinplägen (non sunt confusae provinciae), fonts
dern fie find ſchön und wohlgeordnet im Himmelreihe. Bleibende
Stätten voll Schönheit (mansiones pulchrae) find in diefem Reiche; fie
werden die MWohnftätten für jene ſchönen Geifter, die mit dem Glanze
der Tugend gefjhmüdt find. Jeder erhält die Stelle, die feiner Tugend
entipricht. Die zwölf Stämme Isrtaels d. i. Derer, die Gott fchauen in
Serujalem d. i. in der Anfhauung des Friedens, haben in dem Einen
Reihe nah Stämmen abgejonderte Wohnfige, und waiden fih dort an
der Schönheit, je nah der Schönheit ihrer Tugend. Der vernünftige
Geiſt ftrebt im dieſer jchönen Welt (die daher xoouos genannt wird)
nah der Schönheit der Tugenden, mit denen er den Schmud feiner nas
türlihden Schönheit erhöht. Liebe ift das Ziel der Schönheit; die Schön
heit will geliebt fein. Gott iſt die Schönheit feldft, er will alfo geliebt
fein. Die aus fich felbft liebenswürdige Schönheit ift die Charitas; ohne
fie wird alfo Niemand die abjolnte Schönheit fhauen. Unſer Streben
wird es daher fein müſſen, daß wir von der Schönheit des Sinnlichen
und zur Schönheit unſeres Geiftes erheben, welde alle finnlihe Schöns
beit in fich faßt. Von der Betrachtung unferer Schönheit fteigen wir auf
jur Bewunderung der Duelle der Schönheit, von der unfere Schönheit
ein Abbild ift. Verlaſſen wir alles Häßliche, die Sünden, von denen
unfer Geift felbft, das Gewiſſen, uns Zeugniß gibt, daß fie häßlich find,
und ftreben wir mit der und innewohnenden Schönheit in beftändiger Liebe,
dem Quell der Schönheit und gleich zu gejtalten. Denn die lebendige
Heiftige Echönheit wird durch Erkenntniß ver abioluten Schönheit in uns
beihreibliher Sehnſucht zu ihr hingezogen; je inniger die Sehnſucht, defto
mehr mähert fie fi und wird mehr und mehr dem Urbilde ähnlich. Denn
1) Nach dem Zufammenhange f. v. a, im idealen Neiche der Schönheit.
Sharpff, Nie. v. Gufa. 35
546
die Sehnfucht oder Liebe verwandelt den Liebenden unaufhörlich zur Aehn—
lichfeit mit dem Gegenftand feiner Liebe, und es naht zulegt die Etunde
der Erhebung (in das himmlische Reich der Schönheit), im Zuge der Schön:
heit oder der göttliben Glorie. Die Glorie ift nur im Himmelreich ver
Schönheit (nam non est gloria nisi in regia pulchritudine). Sn der
Glorie fein heißt in der Anſchauung der Schönheit fein und in Liebe mit
ihr vereint. (Exc. VIII, 591—594.)
Höchſte Glüdſeligkeit.
Die Glückſeligkeit unſeres Geiſtes beſteht nicht im Wiſſen, da dieſes
ein Mehr oder Weniger zuläßt. Was mehr oder weniger fein kann,
macht nicht glüdlib; denn kann ed weniger fein, jo fann ed auch gam
aufhören; faun es mehr fein, fo ift es nicht vollfommen. Die Glüd:
jeligfeit aber ift nichts Unbeftimmtes (non est in ambiguo), fie ift das
Ende der. Bollfommenbeit in der beftändigen Ewigfeit. So gewiß und
demnad der Grad der höchſten Sinnenerkenntniß fehlt, fo lange wir eine
Sache nicht gejehen haben, fo gewiß find wir zum Ziele unferer Schw
fucht noch nicht gelangt, fo lange wir die Wahrheit nur wiffen, und wir
‚fie nicht in jener Auſchauung fehen, welde die höchfte mit dem Genuſſe
- verbundene Erfenntniß ift (ultima fruitiva cognitio). Die Glüdfeligkit
befteht aljo in der geiftigen Anſchauung des Schöpfers der Welt. |
Welches der Weg zu Erlangung diefes göttlichen Geiftes ſei, if
klar: e8 ift das Evangelium, die frohe Botſchaft, nicht die Philoſophle,
nicht die Logif oder Dialektif, nicht das Ueberreden aus Vernunftgründen
(rationalis persuasio), fondern die Verkündigung ded Sohnes Gottes,
die fi im der Kraft der Wunder bewährt hat. Durch diefe Anleitung
gelangen wir zu dem Geifte, der und zur Glüdfeligfeit führt, auf jedem
andern Wege nicht. Daher jagt Paulus, er thue alles Mögliche, um dei
Evangeliums, in dem der Geift fich findet, der und zum Leben führt,
theilhaftig zu werden. Wir müflen aljo unfern Lebenslauf fo einrichten,
daß wir des Evangeliums theilhaftig werden. Dann find wir vwerficer,
daß das Ergreifen der unfterblihen Krone und gelingen werde.
(Exc. X, 681.)
Wenn ich fage, das ewige Leben fei die Erfenntniß der Liebe und
du auf die Erfenntniß allein hinfiehft, fo beftceht dir das ewige Leben in
der Erfenntniß und ift fomit Sache der Vernunft. Siehft du aber auf
die Liebe hin (charitatem), fo ruht dir das ewige Leben im Wilken,
weil die Liebe als ſolche nur durd Liebe erfannt wird. Erhebſt du dich
547
aber zu jener Einfachheit, wo Erkennen und Lieben Eines ift, fo begreifft
du, daß diefe beiden Potenzen der Seele, Erkennen und Lieben, in der
höchſten Glückſeligkeit coincidiren. So viel die glüdjelige Seele liebt, fo
viel erfennt fie und umgekehrt: fo viel fie erkennt, fo viel liebt fie, da
die Glüdfeligkeit ihr von Dem zu Theil wird, in dem Grfennen und
Lieben Eines ift und der, indem er die Seele beglüdt, im Erkennen fich
nicht mehr ihr mittheilt, als im Lieben. Um dies noch deutlicher einzu:
ſehen, erwäge, daß die vernünftige Seele in diefer Welt zwei verfchiedene
Kräfte hat: durch die eine fammelt fie Alles im ſich, Dies ift die Vers
nunft, die Alles in fi nimmt Cintellectus, intus seu in se legens
omnia) oder Alles innerlich an fih bindet (seu omnia in se intus li-
gans); dur die andere geht fie zu Allem aus fih hinaus und bindet
fh an Alles, das ift der Wille oder die Liebe. Durch diefe einet fie
fh mit Allem und bindet fih an Alles. Iſt fie glüdjelia, fo bat fie
Gott, in dem fie Alles in fih bat. In ihm ift fie mit Allem vereint,
und ed ift Dasfelbe, daß Alles in ihr und fie in Allem ift, weil fie
Gott hat, in dem Alles und der in Allem ift. (Exc. X, 671.)
35*
I.
Religiöſe Dialoge.
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Weber die Verkündigung der glorreichiten Zungfran
Maria.
Ein frommes Gefpräd.
Verfonen: Der Berfaffer, ein Chrift, Maria.
In einem Geſpräche unterhielt fich ein frommer Chrift mit Marta
am Fefte der Verfündigung derjelben. Um dieſes Feſt würdig zu feiern,
ging er im fein Gemach, fniete auf den Boden, — befannte zuerſt feine
Schuld unter vielem Weinen und Thränen, und dachte dann in inniger
Demuth und heißem Berlangen darüber nah, wie er das merkwürdige
Ereigniß dieſes Tages würdig feiern könne. Da fiel ihm ein, daß ihm
das unmöglich fei, weil er ein Umwifiender war (idiota erat et iguo-
rans). Endlich nahm er zum Gebete feine Zuflucht, auf daß er Weigheit
erlange. Da erſchien ihm die glorreiche Jungfrau; erfchroden fiel er zu
Boden; fie aber machte ibm Muth mit den Worten: Fürchte dich nicht,
ih bin eine gnädige Mutter, die Mutter der Barmherzigkeit, veine Mutter
md die Mutter aller Erben des Reiches und Miterben meines Sohnes!
Sie berührte ihn mit ihrer Hand voll Gnade und Kraft. Er erhielt die
Befinnung wieder; geftärft richtete er ſich fchüchtern ein wenig auf
und ſprach:
Der Chriſt. Entferne dib von mir, Mutter des Himmelsfönigs,
denn ich bin ein Sünder, der Unreinfte aller Menfchen und dieſes ganze
Haus ift unrein wegen meiner Sünden.
Maria. Weil du dich als umrein erfennft, fo wird die Gnade dich
nicht verlaffen und je mehr du deine Unreinigfeit erfennft, defto beffer er:
fennft du dich ſelbſt. Ich bin die Mutter Aller, welche fich feldft fennen ;
diefe find die von aller Weisheit erleuchteten Söhne und ich bin Maria,
die Lichtfpenderin (illuminatrix). Ich nehme mit Jenen, welde fi
ſelbſt kennen, am Lichte Theil. Darum fei getroft! Denn daß dir deine
Sünden ein Gräuel find, ift ein Zeichen, daß du von mir heimgefucht zu
werden verbieneft, die ich wie eine auserlefene Myrthe lieblihen Wohlgeruch
mittheile. Wem feine Sünden ein Gegenftand des größten Abſcheues
find, der iſt gefund, der hat einen gefunden Geruch, heifehende Augen,
mit denen er feine Nichtigkeit erfennt; er verdient, daß ih, die Mutter
552 _
der Schönen Liebe, mich ihm zeige und ihm wie eine Mutter liebe und
pflege. Doc weil du aus vollem Herzen um die Gnade der Weisheit
geflehet haft, um mein Keft würdig feiern zu fönnen, ſiehe! fo bin ic,
die Mutter der Gnade, bereit, deinen Bitten zu willfahren.
Der Ehrift erhob fihb nun ein wenig und redete die Mutter der
Gnade aljo an:
Der Chriſt. D Mutter der Gnade! dieweil du dich zu meiner
wiedrigen Hütte herabzulaffen gewürdiget haft, fo follte ih dich wohl mit
irgend einem Deiner würdigen Lobe und Gruße empfangen. Doch wer
bin ih, um etwas zu fagen, was allen Werth überfteigt? wie fol ic
dich preifen, Jungfrau, die den, welchen die Himmel nicht zu faflen ver
mögen, in ihrem Schoße getragen hat? Du bift die Himmelsfönigin,
die Murter der Engel und Menfchen, der Jubel der Propheten; dein
Borzug- ift, Mutter Gottes und ded Menfchen zu fein. Was fol ih be—
ginnen wenigftens nad meiner Schuldigfeit, denn nah Gebühr fann ic
dir nichts erweiſen? Indeß beftreben will ich mich wenigitend, daß ic es
an nichts fehlen laffe, um alled zu deiner Verehrung auszuführen.
Maria. Der Allvater im Himmel, der dich und Alles erichaffen
hat, wird dich belehren, wie du mich, ald die Mutter feines Sohnes,
begrüßen follt. Mir kann nichts lieber fein, ald was Gott angeordnet
hat. So bediene dich denn des Engeldgrußes, da menfchliches Lob zu
ſchwach ift, zum Gruße für die Mutter Chrift, — Died hob den Muth
des frommen Beters und er ſprach:
Der Ehrif. Gegrüßt feieft du Maria, du bift voll der
Gnade; der Herr ift mit dir. — Bei diefen Worten lächelte Marta
in Freude und Entzüden den Beter an und fprad:
Maria. Der Engel bradte mir diefen Gruß in wahrem Engel
finn; und je mehr ich ihn in diefem Engelsfinne mir bringen höre, defte
größer ift meine Freude darüber. Wenn ein frommes Gemüth mir diele
hohe Gnade in die Erinnerung bringt, fo durdftrömt Freude mein Her.
Der Ehrift. Sage mir dod, Maria, wie ich es dahin bringen
fann, daß ich dich in diefem Engelöfinne grüße.
Maria. Ein Engel ift ein vernünftiger Geiftz je geiftiger daher
und je weniger fleiſchlich Jemand iſt, defto vernünftiger ift er, defte
weniger zerftreut, defto mehr gefammelt und begeiftert, defto mehr engel
gleih. Bedenke daher, indem du mich begrüßeft, daß du mich nie genug
engelgleih begrüßt habeſt und ftrebe in beftändiger Wiederholung, mit
innerer Begeifterung (interiori ferventia spiritus) mid zu grüßen, und
du wirft Fortichritte machen.
Der Berfaffer. Nun wiederholte der fromme Chriſt im lebendi⸗
gerem Gefühle den Gruß. Er fah wie Maria von größerer Freude ftrahlte,
593
tie blickte ihm noch liebreiher an und ſprach: Mein Sohn, fo bleibe und
ih werde nie aufhören, wie eine Mutter dich zu nähren und zu pfles
gen, auf daß du Theil habeft an dem Erbe der Söhne Gotted und der
Miterben meines Sohnes.
Der Ehrift. Es fcheint, Maria! daß mit diefem Gruße der Ans
fang der Feier des heutigen Tages zu machen fei.
Maria. Allerdings; denn er ift der Anfang aller meiner Befte.
Der Ehrift. Fürs Erfte find mir die Worte des Lucad, des
Beihreiberd deiner Geheimniffe (Lucas secretarius tuus), daß du bei
dem Gruße erfchradeft, unklar; wenn du erjchradeft, warum freueft du
dich jetzt?
Maria. Als der Engel meine Unruhe aus Furt entfpringen
ſah, jagte er: fürchte dich nicht, Maria! denn ich erſchrack nicht wie über
eine unangenehme und mir mißfällige Sade: die Grhabenheit der Bots
ihaft erfchredfte mich. Ich fürchtete mich nicht, weil ein Engel zu mir
iprach, als über etwas ganz Neues (denn ed war mir nichts Neucd und
ih erfchrad nicht vor dem Engel der Kraft und Stärke Gottes, mit dem
ih längft vertraut war), fondern ich erfchrad, wie das Auge erfchridt,
wenn der reine Lichtftrahl in es hineinfällt. Dem Gefichte ift nichts lieber
als das Licht; aber vor einem allzuftarfen Lichte erfchridt es, fo daß es
Thränen vergießt.
Der Ehrift. Gebieterin! Warum dachteſt du nah, was das
wohl für ein Gruß wäre? Du befaßeft doh alle Einfiht, nad dem
Zeugniffe des Engels, der dich „voll der Gnade“ nannte,
Maria. Ich dachte nicht nad, als verftünde ich Den Gruß nicht,
und bat auch den Engel nicht um Aufichluß über denfelben, fondern ganz
erftaunt, wie ich war, dachte ich nach, wie ein jo erhabener Gruß mir,
der geringen Magd und Dienerin, vom Himmel zugefandt wurde. Würde
nicht ein geringer Knecht, dem die frohe Nachricht eröffnet wird, daß er
um Könige erwählt worvden fei, wegen der Größe der Erhöhung von
Staunen ergriffen werden? würde nicht feine Secle ihre Sinnenthätigfeit
aufgeben und fih zur Erwägung der wichtigen, ihr gewordenen Botſchaft
in ſich zurüdziehen ?
Der Chriſt. Mit Recht fonnteft du dich über den Gruß und
jeine Beihaffenheit wundern; denn Gottes Macht brachte dir vom Himmel
die Botſchaft in Engelds, nicht in Menfchenworten. Denn daß eine
Jungfrau die Fülle der Gnade empfing, daß Gott mit ihr war und fie,
obwohl Jungfrau, mit Fruchtbarkeit vor allen Weibern gejegnet wurde,
died war etwas Neues, das Gott weit über allem Irdiſchen veranftaltete.
Von der Erde Fam allen Erdbewohnern das Weh: vom Himmel das
„Ave“, Won der Erde ftammen alle Söhne des Zorns, alle Rafterhaften
554
und mit Sünden Beladenen: vom Himmel die Fülle der Gnade. Bon
der Erde Alle, die unter der Gewalt der Finfterniß find: vom Himmel
der Herr Aller, der mit dir ift. Alle Jungfrauen (dich allein ausgenommen)
entbehrten des Segens der Fruchtbarkeit; alle (dich allein ausgenommen)
waren unter der Gewalt der Finfterniß, nicht als ob alle gefallen wären,
fondern weil fie fallen Founten. Nicht über das Greigniß felbft alſo
dürfen wir und wundern und nachdenken; wohl aber wünſchte ich darüber
Aufſchluß, daß der Engel ſprach: „Fürchte did nicht, Maria! du hafl
Gnade bei Gott gefunden.” Haft du, Maria! etwa Gott gebeten, daß
an dir dieſes Wunder geſchehen möge?
Maria. Nachdem einmal Gott, der vor aller Zeit ift, mich zur
Mutter feines Sohnes auserwählt und mid nad feinem Erbarmen mit
allem dem ausgefchmücdt hat, was der Mutter der Weisheit des Vatert
ziemte, jo duldete er nicht, daß mir irgend eine feiner Gnaden und Se
nungen fehlte. Gr gab mir daher Weisheit und Einficht weit über all
Menfhen und Engel, da ih die Mutter der Weisheit, der Vernunft und
des Wortes fein follte. Ich erfannte demnach, Gott habe in feiner Er
barmung einen Samen verſprochen, in weldem alle Völker gejegnet
würden. Sm welcher Zeit aber jenes dem Abraham eivlih gegebene Ver
ſprechen in Erfüllung gehen würde, blieb, fo wie auch die Art der Erfüllung,
mir und Allen verborgen. Ich fah das Elend des Volkes Gottes, dat
ohne den verheifenen Samen die ewige Seligfeit nicht erlangen konnte.
Ih bat Gott, er möchte Den ſchicken, den er ſchicken wollte. Und da
biefer im Geifte mit mir war, fo war mein höchſtes Verlangen, daf
er auch im Fleifche geiehen werde, damit er die Sünden der Welt bin
wegnehme. Ich dachte: wie glüdlich ift doch die Mutter des Könige,
defien Neich Fein Ende nimmt! wie edel, wie rein muß fie fein! D
könnte ich fie fehen, fönnte ich ihre Dienerin, ihre Magd fein! Indem
ich fo dachte und in mir nur Gott war, Über deſſen Ankunft ich nad—
dachte, fiehe! da verfündete *) mir der Engel, es fei mir die Gnade ge
worden, zu fehen das Heil meines Gottes. Und er fügte bei: „ſie he!
du wirft empfangen und einen Sohn gebären und feinen
Namen Jeſus nennen; diefer wird groß fein und.ein Sohn
des Allerhöchſten genannt werden; denn Gott der Her!
wird ihm den Thron Davids, feines Vaters geben; berw
ſchen wird er im Haufe Jacob in Ewigfeit, und feine
Reihes wird fein Ende fein.“
Der Ehrift. O weld überreihe Gnade haft du, glüdliche Jung
frau! gefunden, daß es dir vergönnt war, aus deinem jungfräulichen Leibe
1) Im Texte: anmuntiabit flatt annuntiavit,
555
geboren zu fehen, was du gewünſcht haſt. Du follteft die Mutter bes
Kindes fein, die du doch nur wünſchteſt, die demüthige Magd feiner
Mutter fein zu dürfen. Diefe Worte des Engels find die Erklärung des
Grußes, über den du flaunteft. Als er nämlich dich Jungfrau die ges
priefene unter allen Weibern nannte, mochteft du wohl, da er noch nicht
beigefügt hatte, ') du, die Jungfrau, werdeft in deinem Leibe eis
nen Sohm empfangen, über die Belchaffenheit dieſes Grußes nach—
benfen. Er löste aber dein Bedenken, ald er beifügte, du werbeft einen
Sohn empfangen. Sage nun, füße Jungfrau! warum fagte der Engel:
„er wird groß fein und ein Sohn des Allerhöchſten ge
nannt werden.“
Marta. Ich glaubte und dachte mir in meinem Geiſte den vers
heißenen Meffias fo, wie der Engel ihn mir anfündigte, daß ih ihn
empfangen werde; ich dachte ihn als ſchlechthin groß, nicht ald groß in
Hinfiht auf eine befondere Gabe, 3. B. die Weisheit, wie Salomo große
Meisheit unter den Königen Iſtaels befaß, auch nicht groß an Schönheit
wie Abfalon, oder an Stärfe, wie Simjon, oder an prophetifcher Gabe,
wie Elias u. f. w., fondern fchlechthin groß, in aller Größe der Boll
fommenbeit und Gnade, als die Größe aller Größen (ut sit ipse
magnitudo omnium magnorum). Ich dachte ihn ald den Sohn feines
Andern als des Allerhöchften, wodurch er allein in diefer Weife groß fein
fonnte. Ich dachte ihn alfo als den Urheber von Allem, als den höchften
König, als Sohn des Allerhöchften, fo daß er herriche auf dem Throne
Davids und im Haufe Jacobs in Ewigkeit und feines Reiches fein Ende
fi. Denn fein Thron ift heiliger, ald der Davids, Fein Volk ift heiliger,
ald das der zwölf Stämme Iſtaels, die im Haufe Jacobs find. Sein
Reich ift daher Heiligkeit und Gerechtigfeit in Ewigfeit. Und weil ich
das Alles eben fo überdachte, wie ed die Propheten von ihm vorberges
jagt hatten, darum fügte der Engel, indem er mir Jeſus anfündigte,
damit ich nicht bei diefem Namen mir einen gewöhnlichen Menſchen vors
ftellte, da noch mehrere Menſchen diefen Namen batten, noch hinzu, der
mir verfündigte Jefus fei micht ein Heiland (salvator) für befondere Fälle,
wie Zofua im Kriege, oder Jefus Sirab im Rathgeben, fondern Der
Heiland felbft (ipsa salutatio), der ald der Meffias von mir empfangen
würde,
Der Ehrifl. Sage mir, felige Jungfrau! warum erwiederteft du
dem Engels: Wie foll das gefhehen, da ih feinen Mann
erfenne? "
Maria. Der Engel hatte mir gejagt, er follte der Sohn bed
1) Im Terte fleht: adjecerant flatt adjecerat.
556
Allerhöchhften genannt und der Thron feines Vaters David ihm verliehen
werden, er follte aljo fowohl eines Andern, als auch mein Cohn fein,
die ich ihn in meinem Leibe tragen ſollte. Ich begriff daher micht, wie
Died nach dem Gefege der Natur anders ald durch einen Mann gefchehen
jollte. Und da ich feinen Mann erfannte, fragte ich, wie ich einem An
dern einen Sohn gebären follte, ohne Verbindung mit demfelben. Darauf
erwieberte der Engel, mich zufriedenftelend: der bi. Geift wird
über dich fommen und die Kraft des Allerhbödften wird did
überfchatten, daher wird das Heilige, das aus dir geboren
wird, Sohn Gottes genannt werden.
Der Ehrif. D Maria, Lichtipenderin! erläutere mir diefe tiefen
Worte des göttlichen Herolds.
Maria. Mein Ehrift! die Worte find far. Denn da der Engel
mir fagen wollte, der Sohn des Allferhöchiten, den ich empfangen follte,
fei, wenn gleich David fein Vater genannt wird, doch nur der Eohn
Gottes und nicht eines, wenn auch noch fo hochftehenden Menſchen, fo
erflärte er eben dadurch, die Art und Weile meines Empfangens gehe von
der Kunft des Geiftes und der Kraft Gottes aus. Denn wenn ber
Sohn eined Waters Sohn ift durd die im Weibe geugende Kraft des
Baterd, fo iſt der der Sohn Gottes, bei deſſen Werben feine andere
menschliche Kraft geftaltend wirkte (coextitit), als allein die Kraft Gottes.
So wird denn aus dem bi. Beifte nur das Heilige und aus ver
Kraft des allerhöcften Gottes des Vaters nur der Sohn Gottes empfangen.
Da nun der bi. Geift die Liebe und die Verbindung ift, fo fit die
Liebe, die der hi. Geiſt ift, über mich gefommen und hat in mir ges
wirft und durch ihre Wirffamfeit hat die Kraft des Allerhöchften mid
überfbattet, ald bringe mir der HI. Geift die Kraft oder das Wort
Gottes. Indem das Wort Gottes in mir die menfhlihe Natur ange
nommen hat, hat es mich ütberfchattet, weil die in mir verborgene Kraft
Gottes ihr Licht durch eine fleifhlihe Hülle zugededt hat. Es hat fid
alfo für mich die Kraft des Allerhöchſten überjchattet (obumbravit se
mihi virtus altissimi), indem der Sohn Gottes fi) in mir verborgen
hat (cum se condidit in me filius Dei). Wie der Laut das Wort des
Geiſtes dem Gehöre zuführt und der Berftand des Hörers die Kraft
(den Einn) des Wortes aufnimmt und in fi empfängt, wobei der Laut
nur mitroirft, indem er überbringt, jedoch nicht felbft empfangen wird, fon
dern das geiftige Wort, das den Geift des Menfchen überjchattet, auf
daß es erfaßt werde: fo iſt im ähnlicher Weife die Kraft Gottes oder dad
Wort dur den über mich Fommenden hl. Geift mir zugebracht und in
mir Fleiſch geworden.
Der Ehrift. Maria, meine gnädige Gebieterin! Lucas fchreibt,
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der Engel habe noch beigefügt: „Und fiehe, Elifabeth, deine
Verwandte, bat gleihfalls in ihrem Alter einen Sohn
empfangen, und ſchon geht jie, die für unfrudtbar Gehal—
tene, im fehsten Monate, denn bei Gott ift nichts unmög—
ih." Warum, gütige Mutter! hat er dies beigefügt? Denn gewiß hat
der Engel nur das Nothmwendigfte gejprochen, bejonders zu dir, der vers
ftändigen auserwählten Braut Gottes.
Maria. Der Engel wußte, daß ich feines feiner Worte hinfichtlich
des Thatfüchlihen bezweifle, fondern blos die Art der Ausführung einer
Sache, die vorher noch nie dageweſen. Da nun der fegenreiche Samen
Abrahams, der der Vater des Samend geworden ift, weil er Gott (Deo)
in Dem geglaubt hat, was nad dem Naturgefege und dem gewöhnlichen
Gange nicht möglih war, nur von der gläubigften Seele empfangen werden
fonnte, jo hat der Engel, damit, fo weit an ihm lag, die Befchleunigung
der Empfängniß, die er aldbald vollzogen wünfchte, erfolge, eifrigft jene
Worte beigefügt, die mich über die Art und Weiſe zufriedenjtellen ſollten.
Denn bei Gott zu fragen, wie er wirfe, er, dem nichts unmöglich tft, ift
unpaffend; denn was er will, muß fein und der entgegengefegte Gang
der Natur ift fein Hinderniß. So führte er denn das Beilpiel der Vers
wandten an. So hatte auch Sara einen feften Glauben, ald der Engel
fie belehrte, für Gott fei nichts ſchwierig. Er, die reine Nothiwendigfeit,
it nicht an eine Weile, fo oder fo zu verfahren, gebunden; denn von der
Unvollfommenheit rührt es her, zu fragen, welde Art und Weiſe erfor-
derlich ſei. Wo alfo Möglichkeit und Unmöglichkeit, die von diefer Welt
find, wo die Art und Weife entfcheidet, nicht ftatt haben, fondern der reine
Wille die abjolute Nothwendigfeit ift, da ift es überflüffig, über die Art
und Weiſe nachzuforfhen, So wurde mir jeder Zweifel benommen. Und
da nun in mir nichts mehr war, als ein ganz fefter Glaube, jo ſagte ich
zuftimmend: „Siehe, ich bin die Magd des Herrn, mir ge
hehe nah deinem Worte.“ Denn ih, die Magd des Herrn,
wünfchte, es möchte gefchehen, was mir verfündet war, daß ich, die Magd
des Herrn, die Mutter des Herru würde,
Der Ehrif. O wunderbarer Verkehr! der Schöpfer des Menſchen—
geſchlechts würdigt fih unter den Geſchöpfen aus feiner Magd geboren
zu werden !
Maria. Der Herr und Schöpfer von Allem, vor den Zeiten ges
zeugt, ') ift wieder von mir empfangen und würdigt ſich als Menſchen—
fohn von mir geboren zu werden, wie der geborne Menfch (geiftig) noch
einmal empfangen wird, damit er ald Kind Gottes wiedergeboren werde.
1) natus ante saecula ift wohl im Sinne unferes Schriftftellers richtiger durch
obige Meberfegung wiedergegeben.
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Der Chriſt. D Glanz alles Lichtes der Erkenntniß! erfläre mir
Died Deutlich !
Maria. Ich werde es dir nachher im geeigneten Zufammenhange
erklären, ') wenn du mich inftändig bitteſt. Doch nun, als ich fo mit
vollem Glauben wünjhte, das Mort des Engeld möchte fi erfüllen,
empfieng ich in demfelben Momente in meinem Leibe den Sohn Gottes
und der Engel fhied von mir, nachdem er feinen Auftrag vollzogen.
Der Ehrift. Lucas erzählt, du habeft dich aufgemadht und ſeieſt
eilends in dad Gebirgland in eine Stadt Juda's gegangen und habeft,
ald du in des Zacharias Haus gefommen, Elifabeth begrüßt.
Maria. Elifabeth war meine Verwandte, die den größten Propheten
der Welt in ihrem Leibe trug. Da mir dies der Engel gemeldet hatte, je
ſchien es, ald fende er mich damit zu ihr. Und wie ich zu meiner Freude
von dem Engel erfuhr, fie habe empfangen, jo war es billig, daß auch fie
zu ihrer Freude vernehme, ich fei ſcwwanger. Da ich jung war, ſchien es
meine Pflicht zu fein, aldbald die ſchwangere bejahıte Verwandte zu be
fuhen und ihr Dienfte zu leiften und wegen der erlangten Mutterfchaft
nicht ſogleich die Pflibten einer Magd aufzugeben, jondern vielmehr die
erlangte Würde durch die Demuth, durch die ih Gott gefallen hatte, zu
erhöhen. Eo zog id denn über das Gebirge, eilends, wie Freunde eilen,
die fih gegenfeitig einen Dienft erweifen wollen. Als ich in das Haus
des Zacharias eintrat, grüßte ich mit aller möglichen Ehrerbietung und
Zuneigung meine Berwandte Eliſabeth und wünſchte ihr Glüf, daß im
vorgerüdten Alter eine fo wunderbare ausgezgeihnete Empfüngnig —
Der Ehrift Ceinfallend) — der Vorläufer Johannes ihr Glüd
erhöhen follte.
Maria.) Mein Befuh bradte der bejahrten Mutter viele Freuden.
Der Prophet Im Leibe der bejahrten Mutter merfte, daß in meinem Leibe
fein Herr, defien Vorläufer er werden follte, zu ihm gekommen fei und
indem das Kind im Leibe vom bi. Geifte erfüllt in Freude fih be
wegte, ging diefe Freude auch auf die Mutter Elifabeth über, fo das
fie mir zuvorfam ) im Belenntniffe Deffen, was fie durh mich erft er
fahren follte. Denn mit lauter Stimme rief fie, angetrieben vom heiligen
Geifte und über die Maaßen begeiftert: „Woher fommt mir das,
1) explanando im Terte muß unflreitig explanabo heißen.
2) Diefes Wort fehlt im Texte vor den Worten: et multa attulit bona ete. Dad
„et“ läßt vermuthen, daß im Terte einige Worte fehlen.
3) Der Tert hat: ut ipsa perveniret confitendo. Die folgenden Worte aber: quae
me narrante audire debuit und der ganze Zufammenhang legen den Gebanfen nah,
Glifabeth fei Maria im Bekenntniſſe, daß Leßtere die Mutter des Sohnes Gottes ſei,
zuvorgefommen, weßhalb ich vermuthe, daß flatt perveniret — praeveniret zu leſen if.
559
baß die Mutter meines Herrn zu mir fommt?“ Cie befannte
damit, daß ich die Mutter ihres Herrn fei, ein Befenntniß, das fie, wenn
nicht erfüllt vom bl. Geiſte, unmöglich hätte ablegen fünnen. Da fie
alt, ih jung und Jungfrau war, wie hätte fie auf einem andern Wege
wiſſen fönnen, ich fei die Mutter ihred Herrn? Und ihr Kind, beftimmt
zum Dienfte Jeſu, meined Herm, war es nicht durd cine wunderbare
Fügung Gottes von ihr, der Bejahrten und Unfruchtbaren, aus dem ber
jahrten Zacharias empfangen? Die Berwandte fügte beir „Siehe,
wie der Laut deines Örußesin meine Ohren drang, ſprang
vor Freude auf das Kind in meinem Leibe”. Sie bewies
damit, daß nicht nur ihr Kind, fondern auch fie felbft vom hi. Geifte
füllt war, da ihr Kind im Leibe aufhüpfte, und fie diefed empfand, was
ohne Erfülltfein vom Geifte des Herm unmöglich geichehen konnte. Das
mals wurde Johannes im Mutterleibe geheiligt, da er durch ein Zeichen
weiffagte, der Erlöjer fei da, und er konnte num im Mutterleibe ver
Prophet des Allerhöcften genannt werden, da er dur deſſen Ankunft
den Geift fo großen Frohlodens erhalten hatte. Daher nannte mic) fo:
gleih Eliſabeth, gleichfalls vom hl. Geifte erfüllt, die Gepriefene
unter den Weibern, weil fie wußte, daß ih Jungfrau bin, und fagte
diefe Worte nicht in Verbindung mit dem, was der Engel mir gefagt
hatte: Gebenedeit ift die Frucht deines Leibes! Denn fie felbft war
von demſelben bi. Geifte belehrt, vie Leibesfrucht, die ich trug, ſei
jene gefegnete Frucht, die einft Gott veriprochen hatte und die ich endlich
empfing.
‚Der Ehrift. D heilige Elifaberh! Ich ſehe nun, daß die Mutter
des Herrn zu dir gefommen ift, damit der Prophet in deinem Leibe, ins
dem er in dir vor Freude aufiprang, die über Alle gepriefene Leibesfrucht
weifjage. Und wie die Jungfrau alle Segnung, mehr als alle Weiber,
erlangte, weil fie zugleich Jungfrau und Mutter war, fo fam ihr Eohn,
gepriefen vor allen Söhnen, zu Johannes, um diefen zu feinem Herolde
einzujegen; es fam Maria zu Eliſabeth, um zu hören, fie ſei die gejegnete
Mutter einer fegensreihen Frucht. O weld ein Freudentag! Doc,
glückliche Jungfrau! nach Lucas fügte Elifabeth die Worte bei: „Selig
bit du, daß du geglaubt haft, es werde Alles an dir in Er
füllung geben, wa® dir vom Herrn gefagt wurde“ Sage,
Maria, warum fie diefes fagte.
Maria. Ih trug zu diefem wunderbaren Geheimnifje nichts bei
ald den Glauben. ) Und weil fih in mir fein anderer Grund biefer
großen Gnade finden läßt, fo fagte Elifaberh mit Recht, dag ih nur
1) fide im Texte muß heißen: fidem,
560
durh den Glauben diefed ganze Gefchenf Gottes erlangt habe. Auf
welchem Wege fanı das Geſchöpf Etwas von Gott erlangen, ald durd
den Glauben? Niemand kann etwas aus fih, aber Gott vermag Alles;
er allein ift wahrhaftig und treu in feinen Verheißungen, denn er ift die
Wahrheit. Da wir durch uns ſelbſt nicht gerecht werden fönnen, fo be
fteht unfere ganze ©erechtigkeit in dem Glauben au Gott (credere Deo),
welcher mächtig genug ift, alle feine Verfprechen zu erfüllen. Nur der
Glaube befiegt diefe Welt und alle Gefepe der Natur. Wie fann Der
getäufcht werden, welcher der Wahrheit glaubt, bei der nichts unmöglid
oder fchwer ift ?
Der Chriſt. Du fangeft aud einen Lobgefang, Maria! erkläre
mir auch diefen noch, damit ich jo die Feier deines heutigen Feftes freudig
vollende,
Maria. Der Ausruf der Elifabeth, die mich wegen meined Glau—
bens felig pried, ftimmte mich zu dem Gefange: „ES preifet meint
Seele den Herrn.” Diefe Worte flogen aus meinem gotterfülten Her
zen. Mein Herz brad im Uebermaße geiftiger Wonne in einen Loge
fang aus, um den zu preifen, der fih mir, obwohl er der Höchſte war,
zu feinem Sohne gab. „Und mein Getft, welcher das Leben der Seele
ift, frohlodte nur im Gott, meinem Helfer“, denn der Geiſt if
das Leben der Seele, er lebt das vollfommenfte Leben, welches Gott felht
if. Das Leben des Geiſtes kann daher nur in Gott frohloden, welter
fein Jubel, feine Liebe, fein Leben und fein Berlangen ift.
Der Ehrift. Sage, Jungfrau! ift eim Unterfchied zwiſchen Gele
und Geiſt?
Maria. Die Seele befeelt und belebt den Körper; ihr gehören all
Lebensthätigfeiten an, die man am Körper wahrnimmt. Die Seele bat
übrigens die Kraft in fich, fih vom Körper weg und zu Gott hinzumen
den; dann geht fie in den Geift (spiritum) über. Wie fih das Feut
über dad Brennbare ausdehnt, um es in Feuer zu fegen, zu welchem Zwede
ed ſich zu einer Pyramide von großer Kraft einigt, fo theilt fich die Seck,
indem fie den Körper belebt, mit und fcheint nach dieſer Seite fehr körper
licher Natur zu fein, wie das Feuer im Holge von ziemlich dichter (crassae)
Natur zu fein Scheint. Trennt fi) aber die Seele vom Körper und re
nigt fie fi, fo wird fie (resolvit se) zu einem ftarfen, nad Oben fr
benden Geiſte, der der Geift der Liebe iſt. Diefer Geift ift die Schaͤtft
(acuties) des Verſtandes und der Vernunft in der Seele. Da nun die
Seele in der Sphäre des thieriſchen Lebens ſich durch die Sinnenotgant
ausbreitet, in der Sphäre ded Verftanded aber ſchon höher und in de
Vernunft noch geläuterter (purior) ift und nichts geliebt wird, wenn
361
nicht der Glaube vorhergeht, fo ift die Liebe die Echärfe der Vernunft
oder des vernünftig erleuchteten Glaubens (fidei, quae est intellecta).
Der Ehrifl. Fahre in der Erklärung deines Lobgefangs fort,
weife Jungfrau! Warum frohlodte dein Geift in Gott deinem
Helfer?
Maria. Herab fah er auf feine geringe Magd. Darüber
froblodte am meiften mein ®eift, daß der Herr auf die Niedrigfeit feiner
Magd herabfah. Eine Magd, die fih als ſolche erfennt, iſt demüthig,
denn fie erkennt ſich als nichtö weiter, denn was fie wirflih if. Eie
verrichtet alle Geſchäfte einer Magd. Diele zielen aber alle dahin, ihrem
Herrn zu gefallen. Und wenn der Herr die Niedrigfeit feiner Magd ans
fieht und anädig aufnimmt, fo muß die Magd in der größten geiftigen
Freude frohloden, denn fie bat, was fie gewünfcht.
Der Chrift. Ich fehe aus deiner Belehrung, daß Gott nichts
lieber ift, al8 Demuth; denn da er bei dir nicht auf deine unzähligen
Vorzüge, die du Gnadenvolle hatteft, fondern auf deine Demuth fah und
du al8 Jungfrau um der Demuth willen Mutter Gotted zu werden ges
würdigt wurdeft, fo fehe ich, daß jedem Ehriften Demuth nothwendig iſt.
Maria. Mit Recht; denn wie dem Herm als folbem Hoheit und
Erhabenheit geziemt, fo dem Knechte ald ſolchem Demuth; jede Greatur
it eine Dienerin, nur Gott ift der Herr.
Der Chriſt. Eo lehre mid denn Demuth, glorreiche Jungfrau!
Maria. Der Weg zu ihr ift Seldftfenntnig. Nur der Demüthige
weiß es, daß er aus fich nichts ift und hat, fondern nur durd den, der
ibm nah Wohlgefallen mittheilt, zu dem Zwecke, daß er ihm diene.
Bedenke daher: je größere Güter du von deinem Herrn empfangen haft,
defto ftrengere Rechenſchaft mußt du von deiner Verwaltung ablegen.
Prüfe dich daher öfter, welchen Gebrauch du von dieſen Gaben gemadt
baft, von deinem Leben, deinen Einnen, deinem Geiſte, von allem
Uebrigen: von Dienerihaft, Weib und Kindern, von deinem Amte. Und
bältft du num daran feft, daß du nie der Meinung geweſen, du babeft
deine geringe Kraft genug geübt und die zu deiner Verherrlihung dir vers
liehenen Gaben nah Pfliht angewandt, erfenneft du dich als unnügen
Knecht; dann ift deine Demuth als die Demuth einer Magd dem Herrn
angenehm; auf jene fieht er herab, die, fich felbft für nichts haltend, zu
ihm fliehen.
Der Ehrift. Maria, welches find die Zeichen der Demuth?
Maria. Gelaffenheit (omnia aequo animo ferre); wer Unbilven
geduldig erträgt, hält fih für nichts; er nimmt jede Unbild an, als wäre
er fo gering, daß ihm gar feine Unbild angethan werden Fönnte, Krank
Scharpff, Nie. v. Gufa. 36
562
heit erträgt er ebenfo wie Gefunphelt, Armuth wie Reichthum, geringe
Gefchäfte verrichtet er fo freudig wie die wictigiten. Daher ift Uebung
in Ertragung von Unbilden und in niedrigen Geſchäften eine ganz zwed—
mäßige Uebung. in ganz befonderer Beweis der Demuth ift aber das,
daß man Freude daran hat, erniedrigt und verachter zu werden; denn nun
weicht von uns aller Schein der Demuth, der ſich bei dieſer Tugend oft
für Wahrheit ausgibt.
Der Ehrifl. Wie wird die Seele eine Magd des Herm?
Maria. Auf die Demuth folgt Unterwürfigfeit in frommer Erge
bung. Diefe ift eben die Bereitwilligfeit des Geifted im Dienfte dis
Herrn: der Geift gibt fih Gott hin und weihet alle feine Kräfte und
Vermögen zu einem lautern Gotteödienfte. Wenn fo die Sinnlicfet
ohne Widerftreben der Vernunft gehorcht, dann feiert die Demuth unter
Gottes Beiftand ihren Triumph in geiftiger Wonne und in einem lchens
digen, durch alles Sinnliche nicht zu ftillenden Verlangen; denn die Liebe
Gottes matt das harte Herz wei, veribafft ihm Genuß und Ergöpen
und flößt ihm regen Eifer ein. Doch ganz befonderd dient die Seele
Gott, wenn fie beftändig mehr zu dienen wünfcht, weil fie weiß, daß fe
nie nah Gebühr gedient habe.
Der Chriſt. Erfläre nun, glorreihe Jungfrau, weiter die Worte:
„liebe, darum werden mid felig preifen alle Geſchlechter.“
Maria. Weil Gott auf die Nieprigkeit jeiner Magd fah, weil Große
that an mir der Müchtige, indem er nad feiner unbeichränften Matt,
welcher nichts widerftehen fan, mich zur Gotteögebährerin machte, darum
werden alle Gefchlechter, nicht nur Elifabeth, mid preifen; alle find mein
Geſchlechter (sunt omnes generationes), da ih die Mutter des Sohnes der
Menſchen und Gottes bin. Darum erwählte er mich, die Jungfrau, damit
er nicht der Sohn von Diefem oder Jenem, fondern univerfell der Men
fhenjohn fei, gleihwie auch die Jungfrau, indem fie feinem beftimm-
ten Manne angehört, die Möglichkeit hat, univerfell von einem Maune
zu empfangen. Go ift die Geburt der Jungfrau der Menfchenjohn, nid!
der Sohn von Diefem oder Jenem, der ihn „mein Sohn” nennen fönuk,
fo daß er weniger oder anderd als jede mögliche andere Geburt wäre
Jeſus hat denjelben Vater, den auch du haft, nämlich Gott, den Pater
Aller. Jeſus ift daher auch der Bruder Aller, aber er ift der Erfigebomt
des Vaters, und um fo wahrer, als er feinen andern Water im irgend
einer Weile hat, wie wir. Zwar hatte auch Adam feinen andern Vater,
ald Gott den Schöpfer, aber Adam war irdiih. Er war daher nicht der
Menfhenfohn, weil er Adam, d. i. der Sroifche, beißt. Da aber Ielud
der Menihenfohn ift und er dies nicht werden konnte, wenn nicht Adam
Menſch geworden wäre; fo erhellet, daß Adam aus Erde ald Menid
563
geibaffen wurde, damit Jeſus aus einer Jungfrau, einer Tochter Adams,
als Menſch geboren würde. Gleihwie daher Adam um Chrifti willen
erihaffen wurde, fo auch wir Alle, die wir aus Adam find. hriftus
it aber um fo erhabener ald Adam, je niedriger der irdiſche Anfang
Adams war, welchem erft nachher der Geift des Lebens eingehaucht wurde,
auf daß er Menſch würde. Nicht jo bei Jeſus: er war die Kraft des
AMerhöchften, welche in der Jungfrau die menfhlibe Natur annahm,
Adam ift alfo von der Erde, Ehriftus vom Himmel, wie es der Urfprung
eines Jeden darthut. Chriftus ift daher die Ergänzung (complementum )
und dad Ziel aller Gefchlehter aus Adam. Darum preiſen mich felig
alle Geſchlechter. — Noch füge ich bei, daß mein Sohn der Vater
alles Segens if. Er macht Alle zu Söhnen Gottes. Alle Söhne
Botted erlangen alfo in ihm Segen. Er ift daher die Wiedergeburt
Aler und der Water der Wiedergeburt. Er ift au der Glaube Aller;
denn er ift der Sohn Abrahame, in dem alle Gläubigen waren, und Alle,
die glauben wie Abraham, erlangen Segen in deffen Sohne, welder ift
Iefus. Chriftus. Daher nennt er feine Schüler und Die, fo den Willen
feines Vaters thun, Mutter und Brüder. Er alfo ift der Sohn, wir
feine Mutter und Brüder.
Der Ehrift. So fei denn du, Königin der Barmherzigkeit! und eine
wahre Mutter und dein gepriefener Sohn, wie durch feine Geburt fo
auch durch feine Leitung auf allen unfern Wegen, ein barmberziger Vater!
Der Berfaffer. Nach diefen Worten verfbwand die Königin der
Barmherzigkeit und fcheidend erfüllte fie ihren frommen Diener mit aller
Hoffnung, Glauben und Liebe.
Huf den Eharfreitag.
Der Glaubensartifel: „Gekreuziget für und unter Pontius
Pilatus, geftorben und begraben“ ift der fünfte Glaubensartifel und
wird dem heiligen Johannes zugefchrieben. Mit Recht hat er, der allein
unter den Apofteln in den Leidenstagen Jeſu anweſend war, und Alles
mit auſah, diefen Glaubensartifel dem apoftolifhen Glaubensbekenntniſſe
beigefügt. Wir wollen daher eben diefen von Gott geliebten Apoftel herz
li anreden mit der Bitte, und den Sinn und die Bedeutung diefer
Worte zu erflären. Maria, die Mutter der Barmherzigkeit, ſei unfere
Sachwalterin; fie rede in unferem Namen und die Antworten des Johannes
auf ihre Fragen mögen und über das, was heute die Kirche feiert, bes
36*
964
lehren. Laßt und alfo Maria in ehrfurchtsvollem Gebete um die Gewäh—
rung unferer Bitte anrufen und fprehen: Du bift die Mutter, welde die
Gottgebährerin genannt wird, die Mutter Gottes, die Gebährerin tes
Wortes und du bift Menſch, weßhalb Jeſus von dir feinen Namen hat
und fich oft zu deinem Lobe Menihenfohn nannte, den du bis zu feinem
Begräbniß nicht verließeft. Du weißt, daß wir heute den Todestag deines
Sohnes feiern und zu feiner Ehre ihn mit dem Auge des Geifted in dem
Leiden, das er für unfere Erlöſung duldete, zu ſchauen wünſchen. Ueber
nimm die Mühe, bejte Mutter! und frage deinen Johannes, damit diefer
und Alles erfläre.
“ Maria. Mohl verdient diefe Bitte ein williged Gehör. Denn
eben das wünſche ich, daß die Liebe meines Sohnes, welche er befondersd
darin zeigte, daß er fie feinem eigenen Leben vorzog, erfannt werde,
Die Kirhe. Du weißt, Mutter der Güte, wie nothwendig für
unfer Heil es ift, das Leben deines Eohnes, in deſſen Leben das Leben
aller Lebenden begriffen ift, zu erfennen. Nur befürdten wir, es mödt
die ung jo nöthige Erinnerung hieran in dir die Wunden deines Schmerzes
erneuern. Wir wünfcten gern, was zu unferem Helle und frommt, aber
wir möchten nicht, daß der bittere Echmerz des durddringenden Echwertet
aufs Neue unferthalben dein jungfräuliches und zugleih mütterlides Her
durchbohre.
Maria. Freudenvoll ift das Andenken an den Schmerz für men
Mutterherz, nachdem ich den Sohn lebend gefehen. Nicht Täftig find mir
daher die Töne des Mitgefühls, die ihr Frommen hören lafjetz vielmehr
freuen fie mich über Alles, da fie heute zu eurem Heile und zur Ehre
meined Eohnes dienen. Durch die Gnade meine Sohnes ift meine Na
tur von allen Leiden befreit (sum . . . impassibilis naturae); denn er,
der durch feinen Tod der Natur, die er von mir erhielt, Freiheit von
allen Leiden erwarb, macte auch meine Natur durch fich frei won Leiden.
So Seid aud ihr, fo lange ihr dieſe fterblihe Natur nicht im Tode ableget,
den Leiden unterworfen und könnet leiden mit meinem Sohne, durch deflen
Leiden ihr, die ihr mit ihm leidet, aus dem fterblichen Leibe befreit, zur
Achnlichkeit mit ihm auferftehen und eine von Leiden befreite Natur an
nehmen werdet. Das wird der Tod meines Sohnes in euch wirfen, wenn
ihr als leidend mit ihm erfunden werdet.
Die Kirche. Wir fehen, Mutter der Güte! daß das Andenken an
den Tod Jeſu, um mit ihm zu fterben, allen zur Erlangung der Freihelt
von Leiden nothwendig. ift.
Mutter. Ganz richtig! denn obwohl mein Eohn nur Einmal ge
ftorben ift, fo will er doch, daß diefer fein fo bitterer Tod dem Geiſte
der Gläubigen ſtets gegenwärtig fei, damit fie, mitfterbend mit ihm, ale
565
zeit dad Leben verdienen. Wer mit dem Sohne Gottes ftirbt, ber lebt
mit ihm. Die Genoſſen feines Todes find auch Genoffen feines Troſtes.
Kein Tod verdient das ewige Leben, außer der Tod des fündenlofen
Chriftus, von ihm felbft dazu beftimmt, daß er Allen, die mit ihm fterben,
Theilnahme am Leben verfhaffe. Das ewige Leben, welches ein geiftiges
ift, belebt Alle, die an ihm Theil nehmen, wie die Gerechtigkeit alle ihre
Anhänger gerecht macht, und allen verdienftlihen Werten Leben und Ge
hmad gibt. Denn wie ohne Salz jegliche, auch noch fo Foftbare Epeife
geihmadlos ift, jo hat mein Sohn, das Salz der Erbe, dem Tode fi
geweiht, und ift fo das Salz, welches den Tod aller Martyrer falzt und
ſchmackhaft macht.
Die Kirche. Sag’ und doch, Mutter der Gnade! wie wir mit dem
Erlöfer mitleiden und fterben follen.
Maria. Bor Allem müßt ihr glauben, daß mein Sohn aud der
Sohn Gottes fei, der dur feinen Tod Jedem, der ihm fi naht und
durb feften Glauben die inniafte Gemeinfhaft mit ihm eingeht, das
Leben erworben hat. Denn Alle, die durch ven ftärfiten Glauben mit
Ihm verbunden find, gehen in die Einheit mit feinem Verdienft über, weil
fie gläubige Glieder von ihm find; denn es freuen fich die Söhne über
dad durch das Verdienft ihres Vaters Errungene. Der Glaube muß
aber lauter (integra) und wahr fein bis zum Tode. Wenn der Eohn
Gottes bis zum Tode getreu war und durd feinen Tod den Gläubigen
Befreiung vom ewigen Tode verdient hat, fo geht billig fein Tod auf
alle Befreite über (mors ejus omnibus liberatis imprimitur), fo daß fie
dieſes ganz vortreffliche Merk des Glaubens mit innigfter Liebe in frohem
Andenken behalten. Sie wünfhen daher, den Glauben an ihren Befreier
auf alle mögliche Weife an den Tag zu legen und halten es für die
größte Gnade, daß der Tod Chrifti zu feiner Ehre in ihnen ermeuert wird.
Die Kirche. Das Leiden mit Chriftus muß alfo ein freudiges fein.
Maria. Allerdings ift ein freimilliges nicht ohne Freude; zwar ift
dad Fleiſch ſchwach, aber die Bereitwilligkeit des Geiſtes äußert fih in
Freude. Im dem Leiden meines Sohnes traf die höchſte Freude des Geis
ſtes mit dem tiefften Schmerz des Körpers zufammen. Der Wille des
Fleiſches wollte nicht fterben, er fürchtete vielmehr den Tod mehr, als ihn
je der Mille irgend eines andern Sterbenden fürchtete, weil er die Kennt:
niß des Todes hatte. Der Wille des Geiftes dagegen hatte die größte
Sehnſucht nach dem Tode, weil er wußte, daß er dadurch Gott und den
Mitmenihen wohlgefalle; denn der Sinn, der von diefer Welt ift, findet
in ihr feine Rube, der Geift aber, der aus dem Himmel ftammt, fann
mr im Himmel feine Ruhe finden. Da der Geift, der dem Sinne das
edle Princip des Lebens gibt, durch feine Trennung vom Körper den Tod
566
des Körpers verurfacht, weil er diefem feine Freude, das Leben entzieht,
fo ift das Sinhenleben traurig, der Geift aber freut fich, der durch dielen
Tod in fein Leben eingeht. Weil nun nur Diejenigen, in welchen der
Beift des Sohnes Gottes, des Siegers über den Tod, ift, ſichet wiflen,
daß ihr Geift vom Tode ind Leben übergehe, jo ift der Tod, mit Aus
nahme Derer, welche eine Bürgichaft ihrer Gewißheit haben, für ale
Andern etwas Bittered.
Die Kirche. Mas führt und zur Erinnerung an den Tod Jelu?
Maria. Ale Einribtungen der Kirche: Taufe, Abendmahl und
die übrigen Sacramente, welde den Tod Ehrifti ald Verdienſt und Kraft
in fih haben, Echriften, Gemälde, das Bildniß des Gefreuzigten in allen
Kirchen, an Sceidewegen, in Bethäufern, die Leidendgefchichte und die
lebendige Rede des Mredigerd, der irgend ein finnliches Bild auf die
geiftigen Begriffe der Seele überträgt, wodurd er die Kraft ded Verdieuſtes
Ghrifti einfhärft und die Seele zur Ehre des Erlöſers entflammt und
Chriſtus ähnlich macht, fo daß ihr das Andenken an die Liebe des &
freuzigten erfreulich ift.
Die Kirhe. Damit nun in und diefed Andenken gemedt wert,
predige uns, Johannes! und präge uns unter deiner Leitung das Bild is
Gefreuzigten ein. Wir brennen vor Begierde, das Worts des Heilt
zu bören.
Maria. So rede denn, geliebter Johanned!
Sobannesd. Gebiete, Mutter! was ich reden ſoll.
Maria. Sprid zuerft von dem Geheimniffe des Kreuzes, damit
die Erzählung anziehender werde!
Johannes. Du haft mit wenigen Worten alle Geheimnife
des Kreuzes berührt, befte Mutter! Weil du aber eine Wiederholung
wünſcheſt, fo gehorhe ich willig. Leite du mich, Mutter des fleildge
wordenen Wortes, und belle mir dad Dunkle auf! So wiſſet denn, ib
Gläubigen! Doppelt ift das Neih der vernünftigen Natur, die allein
regiert, weil fie den freien Willen bat. Das eine ift das Reich dieler
Welt, das im Argen liegt, weil der böfe Feind ed beherrſcht; dad
andere ift dad Himmelreih, das auf diefer Welt unbefannt war, um
erft durch Chriftus verkündet worden if. In jenem ift dieſe Wil
das Ziel aller Religion und Tugend; es iſt das zeitliche Leben; in
diefem ift Gott das Ziel, und das Leben ft ein ewiges. In jenem
wird nur Sinnlihe® und ſinnliche Genüffe verfprochen, in dieſem nur
Geiftiges und geiftige Genüffe. Das vom Himmelreih kommende, fleiit‘
gewordene Wort hat geoffenbart, was der Welt gang unbefannt war,
daß das Ziel und die Glüdjeligkeit des Geiftes nit in den Genüflen
diefer Welt, fondern in den Freuden des himmlischen Paradieſes liege,
567
daß das Reich dieſer Welt in Vergleich mit dem himmlifchen gänzliche
Knechtſchaft und Elend fei, weil diefe Welt und jenes Reich fih unters
jheide wie Sichtbares und Unſichtbares, wie Zeitlihes und Ewiges.
Das war etwas Neues und vorher Unerhörted für das ganze Menfchen-
geſchlecht. Um es zu faſſen, fügte der göttliche Lehrer mehrere Ermah—
nungen bei: man folle diefe Welt und was in ihr ift, nicht lieben, weil
ihre Güter nur Scheingüter feien, ohne ale Wahrheit und ewige Dauer,
die Güter des Himmelreiches dagegen feien ewig und wahr, und gewäh—
ren eine ewige Freude und Glüdieligfeit. Weil die Welt die Botſchaft
nicht faffen fonnte ald etwas Geiftiges, das fie nicht fah und hörte, fo
wollte er aus Mitleid etwas feftießen, wodurch dieſelbe erfaßt würde.
Gr lehrte daher, der Glaube umfafje Alles, er fei vom Himmel gefom-
men und erzähle, was er dort bei feinem Vater gefehen habe, ihm müffe
man glauben, weil er die Wahrheit fei, der Sohn oder dad Wort des
Vaters. In Kraft und Macht erwies er ſich ald Gott, ald Sohn Gottes,
durch Wunder, die über die menfchliche Kraft hinaus gehen. Er fagte:
„wenn ihr mir nicht glaubet, fo glaubet den Werfen, die der Vater, der
in mir ift und mich zu euch gefandt hat, zu eurem Heile wirket“; er
lehrte, dem Glaubenden fei nichts unmöglich, denn wer Gott (Deo) glaube,
fönne unmöglich getäufcht werden, da Gott wahrhaftig und getreu in feinen
Berheißungen if. Daß er jelbft das Leben gebe, bewies er durch die
Auferweckung von Todten, befonderd des Lazarus, wobei er verfprac,
er werde Denen, die an ihn glauben, dad ewige Leben geben, da er das
Wort Gottes fei, durch weldes Gott Alles im Himmel und auf Erden
gemabt hat. Da er demnach die Kunft und Wiſſenſchaft des allmächti—
gen Gottes ift, fo dürfen wir nicht zweifeln, daß er jened (meue) Leben in
den Gläubigen hervorbringen fann. Er lehrte: wie das finnliche Leben durch
die Aufuahme von Speis und Tranf, fo beiteht das geiftige Leben durch eine
geiftige Nahrung — die Weisheit. Die Weisheit ift das Leben der Vernunft.
Er ſelbſt nannte ſich diefe Weisheit oder das Wort des Alles belebenden
Vaters. Das glüdfelige Leben befteht daher nach der Lehre Jeſu in der
Erfenntniß Gotted und feines Wortes; nur das Wort, der Sohn ers
fennt den Vater, und wem es der Eohn offenbart, gleihwie Niemand
die Weisheit eines Gelehrten erfennt, außer deſſen geiftiger Gedanke oder
Wort. Wenn dann diefer von dem Gelehrten gezeugte Gedanke oder
Wort fih in einen finnlih wahrnehmbaren Laut einhüllt, fo offenbart
diefer feinen Vater. Das ganze Streben Ehrifti ging dahin, den Men—
hen vom finnlihen Vergnügen zum Koften jener Eüßigfeit, welche ber
Geiſt im Erfafjen der belebenden Wahrheit empfindet, Hinzuführen;
er ſchloß daher den Sinn der hl. Schrift auf, die unter dem Buch-
968
ftaben den Geift der Wahrheit verbirgt, der die unfterblibe Nahrung
der Seele ift. Irrthum, der zum geiftigen Tode hinführt, entfteht (ans
der bi. Schrift) nur für Die, welde bei der Oberflähe und Rinde
ftehen bleiben; für das geiftige Verftändnig ift fie Wahrheit und Süßig—
feit. Niemand fann von dem Irrthum, der in diefer Welt, fern von der
Wahrheit herrfcht, befreit werben, ald durch die Aufnahme feines Wortes
ald des Wortes ded Sohnes Gottes, der zur Erleuchtung der Finfternif
dDiefer Welt von Gott gefandt if. Der Geift des Irrthums, der das
Menfhengefhlecht gefangen hielt, der Geift der geiftigen Finfterniß kann
nur dur das geiftige Licht des Wortes Gottes verbannt werden. Nur
das Wort Gottes hat die Kraft, jenen Tod, der in der Verfinfterung
des Geiftes befteht, dur die Offenbarung feiner felbft und des Vaters
zu entfernen. Denn die Selbftoffenbarung des Lichted aus der Duelle
der Wahrheit verfheucht aus der Vernunft die todbringende Finfterniß
der Unwiffenheit, wie das Sonnenlicht die phyſiſche Finfterniß vertreibt.
Der Unterihied ift nur der, daß die Erleuchtung, die den Geift belebt,
bleibend ift, weil fie den Geift in fih verwandelt, wie die Weisheit oder
das ſchmackhafte Wiffen die Seele, der fie eine ſchmackhafte Nahrung be
reitet, in fi verwandelt, nicht bloß zeitlih, denn fie gibt der Seele
eine Nahrung, die nicht vergeht. Durch die Kraft diefer Nahrung ge
winnt der Geift immer mehr Stärfe und Leben, fie gewährt fomit Um
fterblichfeit. Anders ift es bei der zeitlichen, finnlihen Nahrung, weß—
halb die thieriſche Natur altert und zulegt ftirbt. Da aber die menſch—
libe Natur wegen ihrer Beflediheit durch die Erbfünde und durch lange
Gewohnheit zur Wertreibung des Geiſtes ded Irrthums aus feiner alten
Gewohnheit nicht fühig ift, da fie der Gerechtigkeit ermangelt, weldye allein
den Geift gerecht und für jene unfterblihe Seligfeit fähig macht, (in cin
böjes Herz dringt der Geiſt der Weisheit nicht ein), fo ward Chriſtus,
um feine Sendung vollfommen zu erfüllen, der Reiniger unferer Seelen
durch das Verdienft feined Todes, damit er den fo Gereinigten die Gr
meinjchaft mit feinem göttliden Leben mittheilen fonnte. Zur Erlangung
diefer Reinigung, welde in der Abwaſchung der Sünden und geiftigen
Flecken befteht, erklärte er e8 für nothwendig, daß der Geift fih aud bie
zu vorbereite und fähig made. Diefe Vorbereitung befteht in feiner Nach⸗
ahmung, in der Betrachtung der Tugenden, welde Chriſtus durch fein
Wort lehrte und dur die That übte, und in der Nachahmung berjelben,
nämlih der Sanftmuth, Demuth, Geduld, Wahrheit, Barmberzigfeit,
Friede, Glaube, Liebe, Gerechtigkeit und den übrigen Früchten des Geiſtes.
Wenn jo Wille und Geiſt fih dem Willen Chrifti ähnlich macht, und
dies in tugendhaften Werfen zeigt, dann bereitet er ſich zur Aufnahme
des Verdienſtes der Erlöfung und zur Einheit mit dem Geifte des Lebens
569
Ehrifti vor. Die Tugenden der Abtödtung (virtutes mortales) machen
dad Gemüth, in dem fie fich bleibend niederlaffen, zur Aufnahme des uns
fterblihen Lebens fühle. Denn wenn der Geift zu einem foldhen Gehors
fam gelangt, daß in ihm nur die Kraft und der Wille Gottes herrict,
und der eigene Wille, der Wille des Fleiihes und diefer Welt ganz ers
tödtet ift, dann ift er zum Leben des göttlichen Geiftes fähig. Wer fo
zum Geifte gelangt, beobachtet die Gebote Gottes in Gottes⸗ und Nädhitens
liebe, und zieht die Liebe Gottes und des Nächften feinem eigenen zeit
lien Leben vor. Der göttliche Geift wohnt beftändig in ihm. Um diefe
Beweile feiner Gottes- und Menfchenliebe an fich ſelbſt darzuthun, wählte
er, der Unfchuldige, den Tod, um zu zeigen fowohl feine große Liebe zu
Gott, da er aus Gehorfam gegen ihn fterben wollte, ald auch feine große
Liebe zu den Menſchen, für deren Heil er blutete. So find denn alle
göttlichen Geheimniffe in der Kreuzigung des unfchuldigen Ehriftus ents
halten. So jehr muß man Gott mit aller Kraft der Seele lieben, daß
man Alles, ja das Leben felbft zur Offenbarung feiner Herrlichkeit für
nicht hält. So ſehr muß man das Seelenheil des Nebenmenſchen lieben,
daß man den fchmäplichiten zeitlichen Tod gegen ein fo großes Gut für
nichts halten fol. Der Tod des unfchuldigen Ehriftus erwarb das ewige
Leben, und mit Recht, da er aus reiner Liebe zu Gott und den Menfchen,
nicht um eine Sünde, von der er ganz frei war, abzubüßen, gelitten hat.
AUS fein Leiden herannahete, erflärte er, daß er fich ſelbſt heilige oder
opfere für feine Apoftel und alle Gläubigen, und daß der Fürft diefer
Welt, der die Menfchen beherrfchte, hinausgeftoßen werde.
Dffenbar follte nun werden die unendliche Liebe des Vaters, der den
Menfhen erfhuf, um ihm feine Herrlichkeit zu zeigen und feines eigenen
Sohnes nicht fchonte, fondern ihn für die Befreiung der Menfchheit da-
bingab. Dffenbaren follte fih nun auch die unendliche Liebe des Sohnes,
der fich felbft für die Menſchen dahingab und fich jo als den Sohn Gottes
bewies. So ward dem Menfhenfohn Gewalt über das Leben gegeben,
wegen des Verdienſts feiner Liebe in der Hingabe feines Lebens. In
diefem Tode, der Wirkung reiner Liebe, wurde Chriſto das ewige Leben
ald Berdienft gegeben, weldes alle förperlich und geiftig Todten, die durch
Glauben und Tugend dazu fähig find, ewig beleben fannz wie wenn Gott
Jemanden diefe fihtbare Sonne als Verdienſt gäbe, fo hätte diefer die
Macht, jede finnliche, für Licht und Leben empfängliche Natur zu erleuch-
ten und zu beleben. Chriftus hat alfo dus Leben des Geiftes in feiner
Macht, ald rechtmäßiger Vefiger und Erbe des Reich des Lebens: er allein
hat das Gefeg erfüllt, weldes das Leben verheißt, fowie auch Chriſtus
jelbft im Geſetze verheißen war. Gott und den Nächten fo vollfommen,
als das Geſetz es befichlt, lieben fonnte nur der Sohn Gottes, welder
970
den Vater und das ewige Leben erfennt. Daher ift der Meſſias im Ge⸗
fege verheißen und die Propheten verfündeten ihn; Chriſtus ift fomit
der Beift des Geſetzes. Weil nun das Geſetz dem Beobachter desielben
das Leben verfpricht, fo ift Chriftus Derjenige, dem das Reich des Lebens
veriprocen if. Durch feinen Tod offenbarte Chriftus eine folche Lich
Gotted und des Nächften, wie feine größere möglich war. Wie er jr
mit alle nur mögliche Liebe in fih fchließt, fo auch alle Gefegeserfülung;
er ift theilhaftig aller auf diefe gefegten Verheißungen. Er ift der Bräw
tigam, der die Braut und alle geiftige Wonne hat. Wie daher kin
Seele gerecht fein fann, ohne die gerechtmachende Gerechtigkeit, jo aus
nicht Icbendig, ohne das belebende Leben. (Gerechtigkeit ift nichts Anderd
als Belebung.) Chriftus ift durch das Verdienft feines Todes die ge
rehtmadende Gerechtigkeit und das belebenve Leben aller Gläubigen, bie
ChHriftus ähnlich find. Die daher im Lichte wandeln, wie er, dieje reinigt
fein Blut von allen Sünden, fie find Fremde, für die er geftorben, für
deren Heil er fih in den Tod hingegeben hat.
Keiner kann durch feinen Tod fich felbft reinigen, weil Keiner fd
felbft das Leben gegeben hat. Kein Todter fann fi felbft aufenweden,
fein Heil bewirken und fih neufhaffen; denn fein todter Sünder hat e—
was, wodurd er Das Leben verdiene. Niemand kann in Wahrheit von
fih fagen, er fei ohne Sünde; wer es fagt, ift ein Lügner. Daher madı
nur der Tod des unſchuldigen Ehriftus, der ſich felbit für und an's Kreu
gegeben, Diejenigen, welche in ihm bleiben und wie er wandeln, geredit.
In Chriftus belehrt uns die volllommene im Tode erprobte Xiebe, daß
Die; fo in der Liebe bleiben und ihm nachfolgen, Söhne Gottes find,
hier in der Hoffnung, nad dem Tode in der Wirflichfeit, weil wir ihm
ähnlich fein werden. Die Geheimniffe des Todes Chriſti lehren un,
daß die Gebote Gottes, nämlich die Liebe Gottes und die diefer ähnliche
Liebe des Nächſten erfüllt werden müffen, wenn die Liebe vollfommen fen
foll, und daß der, welcher fie befolgt, nicht weit vom Himmelreih enl
fernt, fondern auf dem Wege dahin wandelt, weil er Chriſtus nachahmt,
der zu dieſem Reiche führt. Niemand hat je das Geſetz, das in ver fick
befteht, erfüllt, außer Chriftus, der nicht Fam, das Gejeg aufzuheben,
fondern es zu erfüllen. Das ift alfo die vollfommene Liebe, die im To
Ehrifti fich gezeigt hat; fie verbient das Reich des ewigen Lebens. Un
da Niemand zu diefer vollfommenen Liebe fih erheben kann, da es Nie
mand gibt, der etwas Gutes thut, das nicht durch etwas Beſſeres üben
troffen würde, mit Ausnahme des Einen, Chriftus, fo ift er es allein
der vollendet und ergänzt, was Allen fehlt: aud feiner Fülle em
pfangen Alle, Und weil das Verdienft des Leidens das (ewige) Lebe
mit feinen Schägen ift, darım werben dürch das Geheimniß ded Kreuze
571
nothwendig Alle gerettet, die gerettet werben. “Daher gab ich im apoftos
lifhen Symbolum an, daß Chriftus für und gefreuzigt worven if.
Maria. Sage nun, Johannes! wie das Leben in den Gläubigen,
die meinem Sohne folgen, bleibt.
Johannes. Das ewige Leben ift das Reich des Vaters, welches
der Vater dem Sohne übergeben hat, es ift das lebendige Licht der Weis-
heit oder die Liebe: wer im Sohne bleibt, bleibt in dem Lichte oder im
Leben des Baterd, Die Verheißung lautet: „wer in der Liebe bleibt,
der bleibt in Gott.” Wer in der lebendigen Kraft der Liebe Ehrifti bleibt,
bleibt in Chriftus. Chriftus ift aber der Sohn des Vaters: wer in Ehriftus
bleibt, ift alfo Sohn Gottes dur die Geftalt Chrifti, in der er bleibt.
Er if daher auh im Vater, weil der Sohn im Vater, und der Bater
it in ihm, weil der Bater im Sohne tft. Und das ift Dad ewige Leben.
Wer den Sohn befennt, befennt aud den Vater; wer den Sohn läugnet,
läugnet auch den Vater. Nur der lebendige Glaube aber ift jenes Bes
fenntniß, welches das ewige Leben verſchafft; denn die Liebe, welche den
Glauben belebt, ift die Liebe Ehrifti und ift allein als das belebende
Princip vollfommen.
So willen wir denn, um diefe Erörterung zu fchließen, daß der
Sohn Gottes gekommen ift und Fleifh angenommen hat, für und ges
forben und für uns auferftanden ift, daß er und zu fich genommen, und
und den Sinn für die Erfenntniß ded wahren Gottes eröffnet hat, fo
daß wir in feinem wahrhaften Eohne, Jeſus Chriftus, leben, welcher
wahrer Gott ift und das ewige Leben. i
Maria. Du baft nun, geliebter Johannes! die Urfache der Ans
funft meines Sohnes im Fleifche binlänglich erörtert, daß fein Kreuzed-
tod ihn verherrlicht, und daß er es ift, der im Gefege und den Prophes
ten verheißen ift, in dem Alle gefegnet und belebt werden; daß er durch
feinen Tod der Alles verföhnende und Alles vollendende Mittler ift, die
Gerechtigkeit Sottes undderMenfden: die Gerechtigkeit Gottes
des Vaters, denn alle feine Verheißungen find in ihm erfüllt; er bewies die
Gerechtigkeit, Treue und Wahrhaftigkeit des Waters; die Gerechtigkeit der
Menſchen, welche alle durch feine Gerechtigkeit gerecht find. Und dieſe
Gerechtigkeit ift durch den Kreuzestod vollfommen ind Werk geſetzt (con-
summata). Doch, wie er zu diefem Tode fam, wünſcht das gläubige
Volf von Dir noch zu hören, Johannes!
Johannes. Was ich fah und noch im Gedächtniß habe, will
ih auf Deine Aufforderung, Mutter der Barmherzigkeit! erzählen. Ich
befürchte aber fehr, meine Grzählung möchte fälter ald die Wärme
der Liebe des leidenden Chriftus und ſchwächer als die Bosheit feiner Wis
572
derſacher — deinem lebhaften Wunſche und dem Heile des hörbegierigen
Volkes nicht genügen, wenn nicht deine Liebe fie ergänzt.
Maria. Ich ſtehe dir bei und unterftüge dich.
Johannes Ich bitte nun vor Allem meine Zuhörer, feit zu
glauben, daß Ehriftus, der Geſandte der Liebe, alles Vorberbeftimmte
fo vollfommen ausgeführt bat, daß es nicht beffer hätte gefchehen Fönnen.
War ed demnah die Abficht des Waters, daß der Sohn dur feinen
Tod das Menichengefchlecht vom Tode befreie, fo unterzog fih der Sohn
einem folden Tode, der durch die Heftigfeit ded Schmerzes die Todes
ftrafe aller zu Befreienden in fi faßte, fo daß Jeder, der durch die Ueber—
tretung des Gefeges oder den Ungehorfam mit Recht den Tod verdiente,
im Tode Chriſti Genugthuung leiftete, wenn er aud die Höllenftrafen
verdient hätte, Die Heftigfeit des Schmerzes Ehrifti, der unfere Schmerzen
trug, dad Todesurtheil auf fih nahm und die Handidrift an's Kreuz
heftete, war fo groß, daß nur die vollfommenfte Liebe, die nur der Sohn
Gottes haben Fonnte, fie zu ertragen im Stande war. Jede erdenkliche
Strafe ift daher Fleiner, als die Genugthuung leiftende Strafe, die Chri—
ftu8 gelitten hat. Denn er fannte den Tod und alle Strafen Aller, die
Strafe leiden können; feiner leiblichen Natur nach hatte er einen fo edlen
Körper, daß diefer ftärfer, als jeder andere, das Leiden empfand. Er
litt eine Art von Strafe, die die empfindlichfte, fhmählichfte und ſchimpf—
lichſte war nach Ort und Zeit, fowie dur die Anwefenheit aller Derer, die
zur Erhöhung des Schmerzes als Zufchauer verfammelt waren. Kurz:
alles Mögliche vereinigte ib, um den Schmerz zu erhöhen, fo daß es
ein vollendeter (consummata) Tod war: fein Mitleid, fein Erbarmen
bei den Juden, bei ihren Dienern und den Henferöfnehten! Jeſaias
hatte das Alles von ihm vorhergefagtz; er nennt ihn ven Mann der äus
Berften Schmerzen, der da kennt unfere Schwäche, unfhuldig unfere Sün—
den auf fih nimmt. Das mögen alfo die Zuhörer im Glauben feithalten,
damit fie einfehen, daß die Größe der Strafe fich nicht in Worten ſchil—
dern laffe; und wollte fie der Eine fo, der Andere anders bejchreiben,
fo fehleten fie nicht darin, daß fie zu viel, fondern ſtets zu wenig da—
rüber fagten.
Marta. Ganz richtig, Johannes! Mie könnte mein Mitleiven
über das Leiden meined Sohnes durch einen Andern gefcildert werden,
da ich felbft es nicht fchildern konnte! Es genüge daher, daß Jeder
nach feiner Verehrung und Liebe zu meinem Sohne fih eine dem bei
tigften Leiden fo ſehr ald möglich entſprechende Vorftellung mache. Fahte
nun fort!
Sohannes. Beginnen wir alfo damit, daß die wunderbare Auf:
erwedung des Lazarus durch Jeſus nahe bei Zerufalem, vier Tage nad
973
dem Tode, wobei Jeſus laut rief: „Lazarus, fomm heraus!“ die Juden
dergeftalt beunrubigte, daß fie an die Tödtung Ehrifti dachten. Denn fie
hatten wohl bemerft, daß Viele mit dem Glauben (vom Grabe) wegs
gingen, Chriſtus fei der Sohn Gotted oder der Meſſias. Da fie ter
Ueberzeugung nicht Raum geben fonnten, er fei Gott, fo ſchrieben fie Die
Macht, die Chriftus bewies, der Magie und dem Teufel zu. Sie hielten
nun einen Rath, in weldhem auf den Vortrag des Hoheprieſters Kaiphas,
ed ſei gut, daß Ein Menſch für das Wolf fterbe, damit nit Alle zu
Grunde gehen, der Beihluß gefaßt wurde, Chriſtus follte bei pafjender
Gelegenheit in Zerufalem fterben, Siehe da das wunderbare Geheimniß!
Chriſtus ſollte fterben, damit er verherrlicht würde, und verberrlicht in der
Erhöhung am Kreuze Alled an fich ziehe! Die Juden aber, welde fein
Andenken von der Erde vertilgen wollt:n, glaubten, der Rath des Kais
phas fei ihrem Vorhaben fürderlih, und vollzogen ihn. Chriftus wollte
fterben, allein in der Weile, daß er als ein Verurtheilter fterbe, weil,
wenn der Gerechte ald ein Verurtheilter ftarb, der Satan alles Redt,
das er ſich über die Kinder Adam's angemaßt, verlor; denn indem er
gegen die Gerechtigfeit ſelbſt fündigte, verlor er allen Rechtsanſpruch, wie
der Mißbrauch den Verluft des Privilegiums nad fih zieht. Chriftus
ließ did Alles geſchehen, weil es feinem Vorhaben nicht entgegen war;
im Gegentheile, es mußte fo fommen, damit er von Juden und Heiden
Gott zum Dpfer für alles Volk dargebracht würde, wie Kaiphas geweil-
jagt hatte, damit nicht das ganze Volk zu Grunde gehe. Wie wunders
bar! Sie wollten von aller Täuſchung befreit fein, deßhalb opferten fie
Chriftus, und fiehe! das Volk erlangte eben dadurd Befreiung von den
Täuſchungen des Fürften diefer Welt. Der Satan täufchte ſich felbft:
er leitete ed ein, daß Chriftus fterbe, damit er feine Herrihaft nicht
verliere, und eben dadurch verlor er fte.
Sodann ereignete fih ein anderer Vorfall, der Judas zum Verrathe
beitimmte. Sechs Tage vor dem Ofterfefte war nämlich Jeſus nad Bes
thanien gefommen. Als nun Lazarus mit ihm zu Tiihe faß und Mehr
tere, um Lazarus zu fehen, gefommen waren, bradte Maria Magdalena
eine foftbare Salbe von ächtem Nardenöle, zerbrach das Alabaftergefäß, in
dem ed aufbewahrt war, und goß das Del über das Haupt Jeſu. Der
Wohlgeruch verbreitete fih durdb das ganze Haus. Auf Antrieb des
Judas drüdten nun die Jünger des Herrn ihren Unwillen über das Vers
ſchwenden einer fo Foftbaren Salbe aus: fie hätte um einen hohen ‘Preis
zum Beften der Armen verfauft werden können. So beredete fie Judas,
damit die Jünger von den Armen redeten, wiewohl er an dieſe nicht
dachte; er war ein Dieb und hätte von dem Erlöfe einen Theil für fi
behalten (er führte nämlich den Beutel). Er berechnete, daß er als
574
zehnten Theil des ganzen (projectirten) Erlöfes (von 300 Denaren)
dreißig Eilberlinge gewonnen hätte, und beichloß daher Ehriftus den
Juden um diefe dreißig Silberlinge zu verfaufen. Mas Chriftus zur
Rechtfertigung feined und der Magdalena Verfahrens fagte, ift euch wohl
befannt. As nun am andern Tage Chriftus, als König und Hobe
priefter fein Bolf zu befuchen, auf einer Efelin nach Serufalem fam, und
die Jünger fammt den Schaaren ded Wolf und den Kindern der He
räer ihm ald dem Sohne Gottes ihre Verehrung bezeuaten, nahlen fid
die Pharijäer, unwillig hierüber, Ehriftus und verlangten von ihm, er
möge feinen Jüngern und den Uebrigen dieſe Lobpreifungen verbieten.
Ehriftus aber antwortete ihnen: „wenn diefe fehwiegen, fo würden die
Steine fehreien.” Im Eifer für das Haus des Herrn vertrieb er nun
die Wechsler aus dem Tempel, heilte viele Kranfe und fehrte nad Br
thanien zurück. Died fteigerte den Haß der Schriftgelehrten und Phari—
fäer gegen ihn. Als er am andern Tage früh Morgens in den Tempel
zurüdfehrte, vwerfuchten fie ihn durch Herbeiführen der Ehebrecerin.‘)
Den Apofteln, die ihm meldeten, es feien Heiden ) zum Feſte gekommen,
die ihm zu fehen wünſchten, fagte er: die Stunde der Verherrlichung ſei
da, der Vater im Himmel habe die bezeugt; er müſſe jetzt verhertlich
werden, wobei er das Gleihnig vom Weizenforne gebraudte, dad, wenn
es erftirbt, viele Krucht bringt. Wenn er von der Erde erhöht fein werde,
werde er Alles an fich ziehen. Abends fehrte er wieder nach Bethanien
zurüd. Das Haus des Lazarus und feiner Schweftern ftand nämlich am
Fuße des Delbergs, 15 Stadien oder ungefähr 2 Meilen von Jeruſalem
entfernt.
Maria. Laß mich die Verherrlihung, von der mein Sohn ge
ſprochen, den zuhörenden Heiden erklären!
Was die Seele glüdjelig macht, ift die Weisheit oder das ſchmad—
hafte Wiffen. Die höchfte Glückſeligkeit befteht daher in der Erkenntniß
des Beten, d. i. Gottes und feines Gefandten, meines Sohnes. Herr
lichkeit Celaritas) ift ein klares Erkennen, ein ſolches, das mit Lobprei-
fung verbunden ift.?) Kenntniß Gottes und feines Sohnes, die zur Lob
preifung antreibt, ift eben das, was Chriftus offenbaren wollte. Haupt
fächlih hat er dies durch feinen Tod vollbracht, wo die Liebe, die Gott
ift, jene Kenntniß Gottes offen dargelegt hat. Dort hat der Sohn den
Bater verherrlicht, denn aus Gehorfam gegen ihn ift er geftorben, um
der Vater hat den Sohn verherrlicht, der die große Kraft, in einen fol
1) Die Begebenheit mit der Ehebrecherin fällt nach Joh. c. 8 in eine frühere Zeit.
2) vgl. Joh. 12, 20.
3) Im Texte iſt noch beigeſetzt: et dieitur gloria a claritate, was ſich im Deutſchen
nicht gut wiedergeben laͤßt.
575
hen Tod aus Liebe zu gehen, nicht gehabt hätte, wäre er nicht der Sohn
Gottes und der Liebe, die Gott iſt, gewefen!
Die Kirbe. Dank fei dir, Jungfrau der Jungfrauen, die du
gemäß deinem Namen Maria und erleuchtet haft! Erleuchte und weiter
auch darüber, in wiefern das ewige Leben in der Erfenntniß beiteht.
Maria. Die vernünftige Natur erfennt oder verfteht. Das Ver—
ſtehen (intelligere) ift ein innerlices Lefen oder Eammeln (intelligere
est intus legere seu colligere). Wenn die vernünftige Natur das Kör—
perlie verfteht, fo fammelt fie die Körper nicht in fih, weil diefe nicht
in den Geift eingehen (illabi spiritum) fünnen. Das Verftehen iſt Sache
der geiftigen (spiritualis) Natur. So, wenn die Vernunft die Wärme
verficht, fo wird fie deßhalb nicht warm; fie verändert fich dadurd nicht,
wie fih der Sinn verändert, wenn er empfindet, weil fie das Körpers
lihe nicht in fih jammelt; fondern fie macht fih ein Bild, eine Vor—⸗
ftelung nach Aehnlichfeit des Körperliben, und durch dieſe verfteht fie
dad Körperlibe. Hingegen beim Verſtehen der göttliden Dinge, die
geiftiger Natur (spiritualia) find und in die vernünftige Natur eindringen
(illabi) können, hat fie diejelben in fi und fammelt fi. Daher vers
teht die Vernunft die göttlihe Weisheit nicht dur Bilder oder Aehn—
lihfeiten, fondern dur diefe felbft, weil fie die Weisheit in fi findet;
hätte fie die Weisheit nicht in fi, fo könnte fie diefelbe nicht verftehen.
Eben dadurch, daß fie verfteht, iſt fie weile. Das Gleiche gilt vom
Leben, von der Liebe, von allen göttlichen Tugenden. Eben dadurch,
dag die Vernunft das göttliche Leben erfennt, hat fie dieſes Leben in
fh; indem fie das Leben verfteht, lebt fie. Sie hat alfo Gott in
fih, indem fie ihnerkennt. Sie bat Chriſtus, indem fie
die Wahrheit erfennt, denn er ift die Wahrheit. Sie hat
die Liebe, die die lebendige göttlihe Wärme ift, indem fie die Liebe
verfteht. Gott und feinen Sohn erfennen heißt fomit alles Wünſchens—
werthe beſſer, als es fih denken läßt, in fih haben. Das ift die Glück—
ſeligkeit; wer fie nicht befigt, fann fie nicht begreifen und verftehen.
Die Kirche. Mit Recht heißeft du Maria die Mutter des Lichs
tes, das die Gläubigen erleuchtet.
Marta. Johannes möge nun feine Erzählung fortfegen.
Johannes Am dritten Wocentage kehrte er wieder in den Tems
pel zurüd, wo die Oberpriefter ihn fragten, aus welcher Macht er diefes
thue. Indem er eine Gegenfrage an fie richtete, auf die fie micht ants
worteten, ließ auch er ihre Brage unbeantwortet.) Er erzählte dann
mehrere PBarabeln: von den zwei Söhnen, von denen der Eine dem Bes
1) Matth. 21, 23—28. Marc, 11, 27—33.
576
fehle, In den Weinberg zu gehen, zwar mit Worten fich wlderſetzte, thats
ſächlich aber Folge Teiftete, während der Andere entgegengefeht verfuhr,‘)
dann die Parabel von den MWeingärtnern,?) durd die er fagen wolke,
er wife wohl, daß fie den Sohn und Erben tödten wollen, um fein
Erbe an fih zu ziehen. Jene begriffen aber nicht, daß durd den Tod
des Sohned und Erben viele Miterben entftanden. Er fprad aud von
den zum Hochzeitmahle Geladenen.”) Hierauf nahten ſich ihm die Pha—
rijäer mit der Frage, ob die Römer von ihnen Tribut beziehen dürften.
Er zeigte ihnen eine Münze und antwortete ihnen, fie follten fowohl
Gottes, ald des Kaiferd Recht unverfehrt laffen. Dann erklärte er ihnen
das größte Gebot und die Liebe des Nächſten; der Samariter ſei der
Nächte geweien, womit er jagen wollte, der fei unter Allen der abjolut
Nächte, der vom Tode der Seele befreit. Damit bezeichnete er fih al
den (wahren) Samariter. Er gab auch Aufſchluß über Chriftus, den
David feinen Herrn nennt. Sodann tadelte er die Phariſäer wegen fal
fcher Lehre, Ehrgeiz, Graufamfeit, Heucelei, Habſucht und Hodmuth,
Beim Hinausgehen aus dem Tempel fagte er zu ihnen: „Ahr werde
mich nicht mehr fehen, bis man ruft: Gepriefen, der da fommt im Na
men ded Herrn!” Als man ihn draußen auf den herrlichen Tempelbau
aufmerffam machte, fagte er voraus, es werde ein Tag der Zeritörung
fommen, an dem fein Stein auf dem andern bleiben wird. Auf der
Rückkehr nah Berhanien fagte er zu den Apofteln: „Ihr wißt, daß nad
zwei Tagen Dftern ift und der Menfchenfohn verrathen wird.“ *)
(Exec. X, 660—667.)
Dialog über die Auferftebung Chriſti.
Damit wir die Süßigkeit diefes Geheimniffes (der Auferftehung)
einigermaßen faffen und uns geiftig erweden, jo laßt uns in dieſer din
mernden Morgenftunde des hohen Feſtes Maria Magdalena, die voll
Trauer, Liebe und Mitleid ift, anreden und fprechen:
1) Matth. 21, 28—31.
2) Matıh. 21, 33 ff.
3) Matth. 22, 1 ff.
4) Der Dialog bricht bier im Terte ab, der und ſtatt eines paflenden Sälnfet
nur noch die kritiſche Bemerfung gibt: „Obwohl andere Gefchichtsangaben von Pilatıt
erzählen, er habe fich felbft entleibt, fo bemerft doch Tertullian in feinem Apologe
ticus, er fei ein Chrift geworden und habe Tod, Auferftehung und Himmelfahrt Ehrift
dem Tiberiud berichte. Die Worte Tertullians lauten: Pilatus, in feinem Inner
Chriſt, erftattete dem damaligen Kaifer Tiberius einen Bericht über Chriftus.“
977
Der Chriſt. Sag’ und Maria, warum haft du dich mit Maria
(ded Joſephs) dem Grabe gegenüber gelegt?
Maria. Den Schatz meines Herzens, den die Treulofen mir ent-
zogen haben, wollte ih im Tode nicht verlaffen, ihn, den ich immer fo
fehr liebte. So fegte ih mid denn, das traurigfte aller Weiber, voll
Detrübniß nieder, um wenigftend den Ort zu fehen, in den fie meinen
Geliebten verborgen. Ich durfte nicht näher binzutreten, daher fegte ich
mid dem Grabe gegenüber. Wenigftend von ferne jollte die Sehnſucht
nah meinem Erlöfer mich erquiden. Ich Unglücklichſte von Allen hatte
fein Leben mehr in mir, da ich das Herz meines Geliebten, in dem
mein Leben ruhte, von der Lanze durchbohrt ſah. Wie fonnte da noch
irgend eine Kraft in mir übrig fein? Ich warf mich ermattet auf die
Erde hin, daß der Reſt des Lebens mir genommen und ich begraben
werde mit dem Geliebten, dieweil ich jeinem Leibe mid nicht nahen
durfte, an den ich mich doch durch Bande der Liebe ungertrennlich gefeflelt
hatte. Allein mein Geliebter rubte im Frieden, und ald der Sabbath
nahte, fprad er, der in meinem Herzen nie geftorben war, ſondern um fo
mehr lebte, weil er auch für mid, unter meinen Augen, geftorben war:
Erhebe dich, eile, meine Freundin! Du ſiehſt den Ort meiner Beftattung
von Wachen umgeben, du warteft umfonft, der Garten iſt verſchloſſen;
werde jedoch nicht muthlos, du wirft mich nicht verlieren. Ich ſprach:
D Herr! wel ein Trofteswort! Da ich den Duell des Lebens, dich,
o Herr! mit einem großen Steine verfchloffen fehe, fo wird Niemand dic
von binnen nehmen. Ich will alfo gehen, um, bevor der Sabbath es
mir verbietet, Salben zu bereiten und den heiligen Leichnam mit Thränen
zu benegen umd zu falben, wie ich es einft an dem Lebenden gethan.
D Duell des Lebens, laß mich eine Lebenseſſenz (antidotum vitae)
erfinden, um fie deinem Leichnam zu übergeben. Denn ich Arme bin
dur mein erſtes Einfalben gewiffermaßen die VBeranlaffung deines Todes
geworden, weil Judas durch diefelbe zum Verrathe gegen dich beftimmt
wurde, Konnte mir ein ſchwereres Unglück widerfahren, als jene Stunde,
in der du um meinetwillen durch den Verrat) des Judas dem Tode
geweiht wurdeft, während ich von dir, dem Barmherzigen, erlöfet wurde?
Der du Alles kannſt, laß mich eine Salbe erfinden, dieſer hier ent
gegengefegt, auf daß wieder auflebe das Leben der Lebenden. Mit
diefem Gedanken ſcheide ich von dir, ich ſcheide nur leiblich, nicht mit ver
Seele, mit der ich mit dir begraben ruhe; ich ſcheide ſchnell, damit aud)
die Wächter fcheiden. Wenn fie Niemand fehen, werden fie gleichfalls
weggehen und ich fehre dann ſchnell zurüd.
Der Ehrift. Sage, Maria, was thatejt du Be
Scharpff, Nic. v. Cuſa.
578
Maria. Ich fammelte wirflih das Heilmittel einer wohlriechenden
Salbe, meiner wahren Liebe, im hellen alabafternen Gefäße meines
Herzens und fchloß fie feſt zu, auf daß fie nicht verdunſte, fondern im
beftändig freifenden Feuer füßen Wohlgeruchs beffer verarbeitet werde, den
ganzen Sabbath hindurch, nach Art meines im Grabe eingejchloflenen
Geliebten, damit ih, wenn ich Gelegenheit fände, mich zu nahen, das
warme Heilmittel dem verwundeten Körper plöglih aufgieße und mid
mit meinem warmen Leben ganz über den Leichnam ausbreite, auf daß
durd den Hauch des unfterblihen Lebens die Seele des Geliebten zurüds
fehre und wiederbelebe feinen wohlriehenden ſchönen Leib, den ich mit
meinem Herzen erwärmt und mit meinen Thränen benegt habe. Sobald
daher der Sabbath vorüber war, fam ich fo fchnell als möglid (ie
fchlief nicht, denn mein Herz wachte immer) allein herbei; ich fürdtete
weder die Soldaten der Wache, noch erſchrack ih vor dem Galvarienberg,
der durch die Leichname fhauervoll war, in der Finfterniß der Nadt.
Ich trat in der Finfterniß mit der Salbe an das Grab und fprad dabei
zu mir ſelbſt: O glüdjeliger Tag, wenn es mir gelänge, daß mel
Beliebter unter meiner Umarmung erwacht! Was fol ich jagen, wenn
ih angelommen bin? Mit David und den Propheten will ih ihn anreden.
Er, der vom Himmel auf die Erde gefommen, wird ficher das Rufen
der Väter hören: „Schicke, o Herr! den du fchiden willſt!“ Iſt das Wort
zum Heile der Welt Fleifch geworden und auf das Weinen und Rufen
Adams vom Himmel herabgefommen, fo wird e8 mir vielleicht möglid,
durch füße Worte und demüthiges Flehen ihm, der mich liebt, zu bewegen,
daß die mit der Gottheit geeinte Seele zu dem mit der Gottheit geeinten
Körper zurücehre, nachdem er lange genug in der Unterwelt (Borbölk)
fih aufgehalten, um auch dort zu tröften, und mit der höchften Selig
feit, welche fie dort erlangt haben, zu erfreuen. Der unendlichen Gott
heit, die mit Beiden vereint ift, wird dies noch viel leichter fein, ald die
Menfhwerdung, wiewohl der Gottheit nichts unmöglich oder ſchwer if.
Ich will ihm ins Gedächtniß zurüdrufen, daß er felbft durd den Pro
pheten gefprochen hat: „Ich werde dich erhöhen, o Herr! weil du mid
befannt haft bis ans Ende.” Damit fprict er wahrhaftig feine Auf
erftehung aus. Ich will zu ihm fagen: Erhebe dich, du meine Herrlid-
feit, erhebe dich, Lobgefang und Either! Zieh’ die Beute aus der Unter
welt, erhebe dich, Licht meiner Augen! Und bift du um meinetwillen
geftorben, o Herr! und würdigeſt dich nicht, mich zu erhören, fo blid
doh Hin auf deine Mutter, deine Brüder, die Jünger und Apoftel und
erhebe dich bei dem Seufzen und Elende diefer Armen! Wer zweifelt, daf
von dir gefchrieben fteht: „ich erhebe mich in der Morgendämmerung.“
Darum bin ich vorausgeeilt, um dich aufzuweden, damit dein Hemor
579
gehen nad Oſee's Weiffagung vorbereitet fei wie die Morgenröthe,
Ich dachte an Vieles, was ich ihm weinend fagen wollte, damit ich feine
Liebe und Macht erwede und er wieder lebe; jagen wollte ich ihm, daß
er es ift, der die Jugend des Adlers erneut, den Löwen das Junge
durch Brüllen wieder erwecken und den Phönir aus der verbrannten Aſche
neu aufleben läßt. Reden wollte ich mit ihm von Jonas, der aus dem
Bauche des Wallfiſches unverfehrt hervorfam, von dem Samenforne, das
in die Erde fiel und viele Frucht bradte, von dem Hirfche, der fein
Geweih wieder erhält, von Samſon, der die Thore trug, von Joſeph,
der aud dem Gefängniffe herausfam und Herr von ganz Aegypten wurde,
Da trat ih Hinzu und ſah den Stein weggewält Wo gli ein
Schmerz dem meinigen? AU mein Hoffen war vereitelt, denn ich glaubte,
der Geliebte fei von den Treuloſen geraubt, Ich fand den nicht, den
meine Seele ſuchte. Ih ſprach: D unglüdliches Weib! fo bift du denn,
obwohl Finfterniß noch gelagert ift, doch zu fpät gefommen; fie famen
dir zuvor, die den Herrn weggeſchleppt. O unverzeihliche Nadhläffigfeit,
warum trennteft du dich von dem begrabenen Scabe, den nun ein
Anderer audgräbt und dir entzieht? Während ich dies unter beftigem
Schluch zen ſprach, merfte ich, ed könne mit mir nicht befjer werden, ich
könne meinen entwendeten Chriſtus zu diefer Stunde nicht finden, weil
ih ihm nicht auf die rechte Weile fuchte; denn noch lagerte in mir Die
Finfterniß des Unglaubens an die Auferftehung, und die Schrift des alten
und neuen Teſtaments gab mir noch nicht ihren vollen Aufihluß. Da
eilte ich zu Petrus, dem Haupte der Apoftel und der ganzen Kirche, der
Chriftus mehr ald die Anvern liebte, ob er mir etwa einen Rath im
Suchen geben könne. Ich begab mid aud) zu Johannes, den Chriſtus
mit befonderer Liebe umfaßte, ob ihm etwa Chriftus beim Abendmahle
die Schrift des alten Bundes erfchloffen habe, daß ich mit deren Hülfe
den Geliebten fünde. Siehe, da eilen plöglih Petrus und Johannes
herbei, diefer ald der Jüngere dem Petrus voraus. Dod trat Petrus
juerft ein, nach ihm Johannes; fie überzeugten fih, daß ich die Wahrheit
geſprochen. Obwohl ihnen die Schrift erſchloſſen war, daß er auferftehen
müffe, jo hatten fie doch noch Fein Verſtändniß. Als fie wieder fort
gingen, blieb ih allein zurück, um durch Thränen mein Herz zu erleichs
tem. Ich blieb außen ftehen, da ich innen den Geliebten nicht gefunden
hatte. Als ich mich weinend wieder hinneigte, um das Grab zu fehen,
ſah ih Engel an der Stelle, an welcher Joſeph und Nicodemus den
Herrn hingelegt hatten,
Der Chriſt. Als du num, Maria! hineinfhauteft und den Ort
ſaheſt, wo dein Geliebter hingelegt worden war, ſag' und, was fagteft
du dann?
37*
580
Maria. Ih ſprach: Mein Gott! warum baft du mich am Ent
verlaffen? Ich habe dich nie verlaffen. Sch wollte mit dir fterben, aber
du wollteft nicht. Laß mid, o Herr! an deinen Grabe fterben, damit
man mich wenigftend immer dort treffe, wo du gelegen haft. Ich blide,
o Herr! rings umher, und ich finde Niemand, der mich tröftet! It
fuche nicht Engel, fondern di, den Schöpfer der Engel. Warum jhidi
du mir zum Trofte Geſchöpfe, da ih dich allein fuche, dich liebe? Gi
ift unmöglich, daß du Die nicht liebeft, die dich lieben. Doc ift es Rich,
o Herr! wenn du mich betrübeft? Ich ſuche micht ſchöne Geifter und
Diener Gottes.
Der Ehrif. Du Haft Engel gefehen, Maria; haft du aus
Worte von ihnen gehört?
Maria. AS ich mich liebend zum Grabe hinneigte, fah und hörte
ih Engel. Sie ſprachen: Was weinft du, Weib? Wir willen, daß du
Jeſus den Erlöfer ſuchſt, du ſuchſt jenen Nazarener, der fchöner um
wohlgeftalteter ald alle Menfchenföhne, den die Juden fo ſchmählich miß—
handelt haben; fie verhüllten fein lichtvolles Antlig, feine Tieben Augen,
aus welchen der Strahl der göttlichen Weisheit hervorleuchtete. Felt
banden fie feine Hände, ald wäre er ein Dieb und Straßenräuber, gabe
ihm Mautffchellen, fpieen in fein heiliges Angefiht, krönten den König
der Herrlichkeit mit einer Dormenfrone, geißelten ihn, daß weder Geftalt
noh Ecönheit mehr in ihm war, überlieferten ihn mit Verbrechern zum
ungerechten Tode. Suchſt du diefen, Maria? Ich erwiederte: Ja, eben
diefen fuche ich, ihr Engel! ihn, meine Eeele, mein Leben, ihn, den Ber
wundeten, den Todten fuche ich, ich fuche und finde ihn nirgends, Lie
haben meinen Herrn weggenommen und ich weiß nicht, wohin fie Ihn
gelegt haben. Indem ich rings umberfhaute, glaubte ich den Gärter
zu fehen. Als diefer mich Unglüdliche, Troftlofe fragte: Was weinek
du? antwortete ih: Herr, wenn du ihn genommen haft, fo ſag' mit
wohin du ihn gelegt haft, damit ich hingehe und ihn hole.
Der Chriſt. Maria, ald du rücdwärts den faheft, den du für
den Gärtner hielteft, und in der ſyriſchen Landesfprache zu ihm fagtel:
Herr! wenn du ihn genommen haft, fo ſag' es mir! glanbteft du, &
werde dies verftehen?
Maria. Ih Arme glaubte, jeder Lebende müfje meine große Bo—
drängniß und Kummer wißen und fehen.
Der Ehrift. Als er aber zu dir fagte: Weib, was weineft du?
wo waren deine Ohren, daß fie deinen Herrn nicht kamten?
Maria. Seine Geftalt (dispositio) war eine andere, als di
frühere meines Herrn; er, der feiner Menfchheit nach jegt fo Vielet
581
gelitten, jah früher gang anders aus als damals, da er mir ald Gärtner
erjbien. Auch ließ mid die große Sehnfucht nicht cher aufmerffam fein,
als bis es ihm beliebte. Deßhalb jagte ih: Wenn du ihn weggenoms
men haft, fo ſag' ed mir.
Der Chriſt. Als er aber zu dir fagte: Maria! warum Ffannteft
du ihn alsdann?
Maria. Mein Geliebter ließ ein Licht des Troftes und der Gnade
in mich einftrömen, daß ich Blinde jah und erfanute, daß der mid fenne,
der mich beim Namen nannte. Plöglih erleuchtete er mich mit feinem
Strahle, daß ich den ſah, den ich blind längſt gefucht. Meine Begierde
fteigerte fih nämlih im Suchen, da ich nicht finden konnte. Er ließ
meine Sehnſucht zur Flamme werden, auf daß ich eifriger juchte und mit
größerer Freude finden möge, Ich fiel nun auf die Erde und erfannte,
es habe jo nad göttliher Anordnung fommen müſſen, daß das Fleiſch
gewordene Wort, mein Herr, für dad Heil des Menſchengeſchlechts
ftarb, in die Vorhölle hinabftieg und am dritten Tage mit verberrlichtem
und umzerftörlichem Leibe gemäß der Schrift auferftand, und die zur
Seligfeit Erlösten, von den Todten Auferwedten an Leib und Seele
glückſelig machte, denen er als Hohepriefter, der die Himmel durchdringt,
voranging.
Der Ehrift. Maria, wie groß war ba deine Freude?
Maria. Unendlih, als ic die Wonne meines Lebens unſterblich
wußte, noch mehr, al8 ich den fiegreihen Triumphator über Tod und
Hölle, mein einziged Berlangen, in feinem Leibe, in der Stole der
Unfterblichfeit glänzen, mit Ehre und Herrlichkeit geſchmückt ſah. Da
ſprach ich mit vollem Rechte: das ift der Tag, den der Herr gemacht hat,
laßt und frohloden und fröhlich fein in ihm; denn an diefem Tage ift
die volle Wieverherftelung des Menſchengeſchlechts erfolgt. O füßer,
apoftolifher Auftrag! denn es gebot mir der Herr, den Wpofteln die
Botſchaft zu bringen. Welche Gnade erwies er mir, daß ich diefe überaus
frohe Kunde ihnen zuerft mittheilen durfte, in Folge deren fie das Allchıja
durch alle Straßen Jeruſalems anftimmten. Ich erhielt nicht den Auf—
trag, der glorreihen Jungfrau und Mutter die Botjchaft zu bringen,
welche ohne Zweifel, wie fie einzig im Glauben mit Ehriftus begraben
war, ſo, auch auferftand, und wie fie ungertrennlich in feitem Glauben
und klarem Geifte dem Sohne im Tode verbunden blieb, jo auch in der
Auferftehung. Sie wußte es daher ſelbſt und zwar mit. Recht, und fein
anderer Bote als der Sohn felbft war würdig genug, diefe Freudenbots
[haft mitzutheilen. Ich meldete fie, eilte da und dorthin, verkündete,
entdeckte das Gefehene; allein mein Geliebter ließ die ungläubigen
382
(dura) Herzen der Jünger nod eine Zeit fang zweifeln, damit die
Nachwelt der Auferftehung defto mehr Glauben jcenfe.
(Exc. II, 405—408.)
Dialog zwifchen Maria Magdalena und einem
Ehriften.
Ueber die Behehrung und die Stufen des neuen Lebens.
Der Chriſt. Warım warfft du did, Maria! beim Eintreten in
dad Zimmer weinend zu den Füßen des Herrn?
Maria. Weil ih Gnade fuhe Krank fam ich zum Arzte, ohne
den ich nicht gerettet werden kann, und ich durfte feine Füße küſſen und
fie mit meinen Thränen beneßen.
Der Chriſt. Wie bift du zu ihm bingetreten?
Maria. Unerfchroden, weil ich des Arztes jehr bedurfte; ic trat
bis zu den Füßen meined Herrn, dreifach mich verdemüthigend. Da id
im Bereiche ter Sünder war, bemädhtigte ſich meiner Furcht vor ver
Strafe; ich fah die ewige Belohnung und fing an zu lieben; ich enticlos
mich, alles Glüf der Welt in Enthaltfamfeit zu verachten und im In
glücke geduldig zu fein. So erftieg ich die erfte Stufe durch Weltverad-
tung, die zweite durch Selbftverleugnung, die dritte dur die demuthövole
Liebe zu Chriſtus. So fand ich, was ich fuchte, fiher und auf dem für
zeften Wege; ich ließ meinen Thränen freien Lauf, um von Feuchtigkeit
mich zu entleeren und das Feuer der Liebe, das Holz des Leidens un
das Brandopfer des Gehorfams in mich aufzunehmen. Ich brachte eine
foftbare, Schöne, wohlriecende Salbe; denn ich fuchte, was foftbarer ald
alle Schäge, liebliher ald jeder Wohlgeruch, ſchöner als jede Schönheit
war. Die Salbe war aus Nardenöl, weil ih, wie der Nardenbaum
flein und wohlriehend ift, mich zu den Füßen meines Meifters erniedrigt,
damit mein Nardenöl feinen Geruch verbreite. Ich krümmte mid vor
feinen Füßen, um mich wieder aufzurichten; ich weinte Thränen der Jer
knirſchung, als ich die erfte Stufe erftieg, um vor dem Anblide eines ſo
großen Königed mic) zu reinigen. Ich weinte in Mitleid auf der zweiten
Stufe, als ich mit der linderuden Salbe vor feinem Grabe ftand. I
weinte auf der dritten Stufe, ald ich nach der Auferftehung den Erjehnten
fand. Da wurde meine Seele in einem Thränenbade ganz erweicht. It
weinte auf der erften Stufe, weil ich mich ald unreine Sünderin erfannt
hatte, und meine Augen öffneten den Thränen einen Ausgang. IE
weinte, weil ich mic, in diefes Leben eingebürgert. „Weh mir, daß mein
583
Eingebürgertfein verlängert iſt!“ Ich weinte, weil ich die Hölle fürdhtete.
Bitterlich weinte ich in der Nacht, d. i. in dem fündhaften Zuftande, Ich
weinte auf der zweiten Stufe, weil ich wußte, daß Ehriftus Fleiſch ge
worden, um mich Unglüdliche zu erlöfen und dieſe Thränen waren meine
Nahrung bei Tag und Nacht; ich weinte, weil ich das menſchliche Elend
mitempfand, und aus Sehnjuht nah dem himmliſchen Vaterlande, An
den Flüffen Babylons faß ich, zernichtete in mir die vergänglihe Weltluft
und gedachte Ziond, des himmliſchen Baterlandes.
Der Ehrift. Warum haft du, Marta! nicht längſt geweint und
jo lange gezaudert ?
Maria. Der Hochmuth erlaubte es mir nicht. Hohe Berge find
oben troden, nur die Thäler find feucht. Eingetaucht in das Irdiſche
war mein Herz verhärtetz mein Geift mit Sorgen für finnlihe Vergnügen
befchäftigt und vertrodnet durch ihre Glut; ich war verrüdt und thörict.
Eingefroren war durch die Menge der Sünden mein Herz bis auf diefen
Tag, da es envarmte durd die Sonne der Gerechtigkeit, Chriſtus, meinen
Herrn. Ich dachte an Anna, von der die Bücher der Könige erzählen,
daß fie in Trübfal unter reichlihen Thränen zu Gott betete und erhört
wurde. Sch erinnerte mid, daß Ezechias durch Thränen erhört worden.
„Sch fah, heißt es, deine Thränen, und beilte dich.“ So wurden Tobias
und Sara durch Thränen erhört, fo Judith und David. „Du warfeft
auf meine Thränen deinen Blid.* So dachte ih, daß Gott, der durch
nichts gezwungen werben kann, durch Thränen gezwungen werben fönne;
darum trat ich Hinzu und weinte,
Der Ehrift. Da deine Thränen reuevoll waren, Maria! fo zeige
mir, wie ftarf und wie groß deine Reue war.
Maria. Meine Reue war liebevoll und leidvoll (amorosus et
dolorosus). Meine Sünden verabfheute und haßte ih, weil ih Gott
beleidigt hatte, und ich haßte fie mit folder herzinniger Betrübniß, wie
ich nie eine größere hatte oder haben konnte, Sie gli der Trauer über
den Berluft des einzigen Sohnes, weil es die Trauer über den Verluſt
der Seele war. Nichts betrübte mich auf der ganzen Welt fo fehr, als
Gott beleidigt zu haben. Dieje Beleidigung erſchien mir, indem ich mic
zu Gott erhob, den ich Über Alles zu lieben mir jet vorgenommen habe,
als die größte unter allen,
Der Chriſt. Und was erlangteft du, Maria?
Maria. Nachlaß der Sünde, Mittheilung der Gnade und die
Seligfeit und einen neuen Bräutigam erhielt ih. Die Gnade Gottes
nahm, von meinen Thränen erweicht, die Häßlichkeit und Befledtheit
meiner Seele hinweg, trug meine Schuld und Strafe, und fchuf mid zu
einer neuen, ihr wohlgefälligen Braut.
584
Der Chriſt. O Maria, welche Gnade haft du gefunden, dieweil
nicht nur Die Schuld, fondern auch die Strafe aller deiner Eünden auf
gehoben ift, jo daß du von Höfe und Fegfeuer befreit, unmittelbar nur
die Herrlichkeit zu erwarten haft. Wie groß ift deine Zerfnirichung! Kühn
trateft du zu den Füßen des Gottmenfchen und füßteft fie. Warum dies?
Maria. Ich füßte feine Füße auf der erften Stufe meines Hin
auffteigend; ich küßte auf der zweiten die Hände zur Zeit, als er vom
Kreuze herabgenommen wurde; auf der dritten füßte ich den Mund ber
Betrachtung und Reue, in der Einfamfelt. Und jegt fchaue ich ihn gan
von Angefiht zu Angefiht und vereinige mich mit ihm in feiner Herr
lichkeit. In demüthiger Bekehrung küßte ich feine Füße, den rechten Fuß
des Mitleids, hingeftredt Füßte ich ihn und der Herr reichte mir in innigs
fter Freundfchaft den Fuß dar, der bis dahin fchredlich für mich war —
den der Gerechtigkeit und Wahrheit. Da entzündete fih naturgemäß tief
Liebe in mir, er wurde felbft mein Geliebter und goß Liebe und Gnade
in mid. Gr ließ mir viele Sünden nah, weil ich viel geliebt; meine
Seele war zuvor ganz befledt und roftig dur die Sünden, von welden
fie das heftige Feuer der Liebe plöglich reinigte. Was in mir zuvor öde
und leer war, bad wandte fich jeht der Verehrung Gottes zu: meine
Augen wurden zum Thränengquell, um feine Füße zu wachen, die Haare
trodneten ihn und mit der Salbe der Demuth und Zerfnirfhung ſalbie
ih ihn, und ich, die ich eitel, elend und eine Sünderin war, wurde zur
Braut Gotted umgefhaffen und die Liebe in mich gepflanzt, die feitdem
in meinem Leben ohne Unterlaß Fräftig in die Höhe wächst.
Der Chriſt. Warum fagte der Herr, du habeft viel geliebt?
Maria. Weil das höcfte Gut eben darum, weil ed das höchſie
ift, auch die größte Liebe verdient, weil man es wie das größte Gut am
meiften genießen und ihm ganz anhängen muß durch Liebe und in ihm
ruhen als in dem legten Ziele.
Der Chriſt. Maria, wie entftand in dir die Liebe?
Maria. Die Liebe Gotted ergoß ſich in mein Herz durd feinen
bi. Geiſt; denn fie iſt das Werk des hf. Geiſtes. Eine Wohnung
bereitete ih meinem Gotte und es wohnte in mir feine Huld und
Gnade und zog mich zur Liebe zu ihm hin. Er entzündete mein Her,
weckte meine fchlummernde Seele auf und erleuchtete meine Finfternif.
Ich hatte den hl. Geift, durd den ich liebte und ohne den ich nict
lieben fonnte; er allein erhob den Trieb meiner Seele zur Liebe Gottes,
welcher Trieb ohne den heiligen Geift nur Begierde iſt. Durch Liebe
wird die Seele zu dem Ziele geführt, nah dem fie ftrebt; ausgelöſcht
war in mir alle Begierlichfeit, fo daß die Liebe wachfen konnte. Durch
Liebe wurde meine Seele angetrieben, Gott zu genießen wegen feiner ſelbſi
585
und alles Andere wegen ihm. Die ich vordem von Begierlichfeit brannte,
alle Dinge außer Gott wegen ihrer felbft und nicht wegen Gott zu ge:
nießen, hing jezt zum Erftenmale durch den Kitt der Liebe an Gott allein,
indem ich feinetwegen Alles verachtete. Weltliebe vertreibt die Liebe zu
Gott und umgekehrt. Gott muß der in fich tragen, welder die Liebe
haben will, denn Gott ift die Liebe.
Der Chrift: Ich verftehe nun, daß Irdiſches fich nicht mit der
Liebe zu Gott vertrage, fondern daß man ed ganz vergefien müſſe. Weil
die Seele nicht ohne Liebe fein kann, fo ift fie unter die Geſchöpfe geſetzt,
damit fie liebe, entweder nah Oben blidend, oder fih nad Unten bewe-
gend. Da nun die Liebe zur Welt ſüß ift, was z0g did von ihr zurüd?
Maria. Nachdem ich mit dem Auge des Geifted eingefehen, daß
alles Erfchaffene eitel ift und alle Lieblichfeit, Freude, Macht und Ueber-
fluß, kurz: Alles, was mich anzog, mich nicht fättige, weil es veränderlich
tft; jo fand ich mich in Irrthum begriffen, wandte mich von Allem ab
und fuchte nur Gott und fand Den, den ich liebte, in dem alle Fülle, in
dem der innere Menſch alle Freude ohne finnlihen Beigeſchmack, alle
Schönheit ohne Schminfe, alle Süßigfeit ohne beftimmte Qualität, Kuß
und Umarmung ohne Berührung fühlt.
Der Chriſt. Mas fühlteft du, Maria! auf der zweiten Etufe,
als du die Hände Chrifti Füßteft, und am feinem Grabe weinteft, von
der Liebe?
Maria. Ed wuchs in mir die Kraft des Allerhöchften, ich gedachte
der Wohlthaten meined Gottes und der Werfe feiner Hände, daß er mir
Leben und einen Geift gegeben, für mich Menfch geworden und fich für mic)
in den Tod hingegeben. Bor Allem aber hielt ich das feft im Gedächtniß
und Gemüthe, daß mir mein Geliebter die Liebe gab, mit der ich ihn
lieben fonnte, und daß er mit dem feiteften Bande mich an fi anjchloß.
Da erweidhte mein Herz. Ich weinte bitter über mein vergangenes
Leben, da meine finnlihen Begierden unheilvoll entbrannten und ich meinen
Gott nicht erfannte. Ich weinte, daß ich fo viele Zeit verloren. Ich
beweinte mich ald das unglüdlichfte Weib, weil ich Gott nicht erfannte
und ihn beleidigte, und dadurch erftarfte die Liebe zu meinem Gotte. In—⸗
dem ich mich erhob zur Erkenntniß feined Weſens, jeiner Güte, Kraft,
Wahrheit und Herrlichkeit und in der tiefiten Demuth mich ganz verachtete
und die vielen Gaben Gottes, die ih, feine geringfte Greatur, befaß,
überdachte, weinte ich aus unbefchreiblicher Freude, und fühlte die höchſte
Süßigfeit darin, daß ih, die verworfenfte Greatur, mit ihm durch die
Bande der LKiebe verbunden und jo geftärft war. Eo erftarfte in mir
die Liebe endlich zur Vollkommenheit. Ich fühlte es: Gott ift die Liebe;
denn ſeit die Liebe in mir war, liebte ih nur Gottes Willen und Ge-
586
bot, fein Gedanfe and Irdiſche drang in mein Herz; nur was Gott
gefiel, gefiel auch mir; was er hafte, haßte auch ih. Num liebte ich
Gott aus ganzer Seele und aus allen Kräften, denn durch die Liebe
wohnte er in mir.
Der Ehrift. Ich erkenne, Maria, daß die Liebe Gotted und
nicht des Menfchen Werk ift, obwohl diefer das Gebot der Gottesliebe
hat. Wenn er Died -gleidy nicht aus fich vermag, fo vermag er es doch
infoferne, daß er nichts eben fo oder mehr als Gott liebt und auf alle
möglihe Weife der Liebe ſich nähert und fie in fich befeftigt, obwohl nicht
Jeder jenen hohen Grad der Liebe aus ganzem Herzen und Ge—
müthe und aus allen Kräften erringt. Zeige daher, Tröfterin, den
Weg zur Liebe!
Maria. Habe ein zerfnirfchtes Herz und weihe dich Gott ganz
und gar; er erfüllt jedes Gefchöpf mit Segen! Empfinde Schmerz; über
das Begangene und faffe gute Vorfäge für die Zukunft! Höre fleifig
das Wort Gottes, gleihwie auch ich Häufig zu den Füßen des Herm
faß und feine Reden anhörte! Sei bereitwillig zu jedem guten Werke;
denn die Liebe will nicht müßig fein. ‘Das find die Zeichen des erften
Grades der Liebe. Der höhere Grad find eine ftrenge Gewiffend-
erforjhung über alle Tod» und läßlihen Sünden, Schwädung der Ber
gierlichkeit, Erwedung und Uebung des geiftigen Lebend. Wie das Leben
des Körpers ſich in den äußern Sinnen bethätigt, fo das der Seele durd
die Hebung der innern Sinne, durch ftrenge Pflichterfülung und Ber
fündigung der göttlichen Wahrheiten, wie auch ich das Wort Gottes
öffentlich verfündete,
Der Chriſt. Sage nun, Marial die Zeichen des dritten Gra
des der Liebe und des dritten Kuſſes.
Maria. Ich ftarb für meinen Gott, Jeſus, täglich im Geifte, ge
ftachelt von Liebe; die Welt gefiel mir wicht mehr, ich wünſchte aufge
1ö8t zu werden und bei Chriſtus zu fein. Ich eilte in die Einöde, weil
Nichts für mich einen Werth hatte, ich wünſchte für Gott oder den Näch—
ften zur Ehre Gottes täglih zu fterben. Ich liebte meine Feinde und
that ihnen Gutes um Gotted willen. Alle Leiden übernahm ich freudig
und trug fie geduldig. Ich entfagte Alleın und folgte Ehrifto,; um
den Geliebten nicht zu verlieren, fandte ich tiefe und innige Seufzer Des
Herzens zu ihm. Hoch war mein Verlangen, denn ih wollte nur den
Höchften. Wenn das Andenken an meinen Geliebten mein innerſtes Ge—
müth berührte, dann fandte meine Liebe Seufzer, die Boten der Liebe
aus. Meine Gedanken ruhten, weil, wo mein Schag, dort aud mein
Her war. Ih ſchmachtete (languebam), weil ih mur den wünjchte,
den ih noch nie fo hatte, wie ich ihm wünfchte. Die Liebe ift in ihrem
587
Beginne Neigung, in ihrem Fortfchreiten Inbrunft, in ihrer Vollendung
feliges Genießen. Ich barrete ſehnſuchtsvoll, aufgelöst und bei Chriftus
zu fein. Ich erhielt Flügel der erhabenften Betrabtung und das Manna
himmliſcher Süßigfeit dreißig Jahre lang in der Wüſte. Siebenmal des
Tages ward ich in Gott entzückt, mein Leib erhob ſich über die Erde,
in lauter Sehnfucht, bei dem Geliebten zu fein. Ich hoffte zu fterben
für den Geliebten und in dem Geliebten; denn nichts ift fchneller, ftärfer
und durchdringender, al& dad Streben der Liebe nad dem geliebten
Gegenſtande; fie ruht nicht, bis fie übernatürlich ihre ganze Tiefe durch—
drungen, und in Liebe über ihre volle Totalität fih hinaus erhoben hat,
obwohl ihr died unmöglich ift (quia suapte natura non quiescit amor,
donec supernaturaliter penetraverit totam profunditatem et transierit
amabilis totalitatem, quantum potest, licet intransibilem). Wird da-
ber der Lauf der Liebe gehindert oder wie immer aufgehalten, fo geräth
die ganze Seele in Unruhe und in einen niedrigen Zuftand des Harrend.. .
Ich gerieth oft in ganz efftatifche Zuftände und war außer mir, weil ich
wegen der innigen Liebe nicht mir, fondern nur dem Geliebten angehörte,
dem id in fo glühender Liebe mich ergab, daß ich ganz außer mir Cin
mentis excessu) nur bei dem Geliebten war. Denn wer vollfommen
liebt, liebt nicht fich, jondern Gott, den er liebt und von dem er geführt,
geleitet und belehrt wird.
Der Ehrift. Als du, o Weib, mit den zwei Adlersflügeln der Liebe
und der Erfenntniß in die Einöde der Betrachtung und Buße flogeft,
und dort auf hohen Felfen dein Neft erbauteft und auf fteilen Felſen—
riffen dich aufhielteft, was hatteft du Arme da bei dir?
Maria. Arm war ich nicht; fiebenmal des Tages wurde ich mit
Hülfe von Engeln zur Betrachtung Deſſen, den meine Seele liebte, ems
porgehoben. Ich hatte geläntertes Gold, im Feuer gehärtetes Eiſen,
wirzbhaften, füßen und ftarfen Wein, weil ich ftarf, verftändig und bes -
harrlich liebte. Ich hatte Raubvögel, welche, nur wenn fie Beute hafchen,
die Erde berühren. Ich hatte ein ungeheures Schiff, vom Wehen des
hl. Geiftes geführt. Ich hatte einen Hammer ded Todes, mit dem ich
das Fleiſch tödtete. Ich hatte eine Duelle und einen Brunnen lebendigen
Waflers, welches der Temperatur der Welt ganz entgegen war; denn es
war kalt im Sommer und warm im Winter, das Gefäß dazu hing an
einem gut geflochtenen ftarfen Seile. Jh hatte einen edlen Jagdhund, der
beim Spüren die Dornen nicht fühlt. Mein Haus war aus fetgebrannten
Steinen; Wetter und Plagregen zerftörten ed nicht. Ich hatte frucht—
tragende Bäume; fie trugen Früchte der Frömmigfeit, Blüthen der Eitts
lichkeit, Blätter der Wahrheit. Ich Hatte ein hochzeitlihes Gewand,
588
wunderbar gewoben, von rother Farbe, Liebe verkündend, vom Feuer des
hl. Geiſtes gewoben, roth durch das Blut Chriſti.
Der Chriſt. Wenn du ſonſt nichts hatteſt, fo wareſt du doch
noch ſehr arm, weil der Liebende nur im Geliebten Ruhe hat.
Maria. Der Herr, der Bräutigam meiner Seele war ſtets bei mir; ich
vereinigte mich mit ihm, und er ſchloß mich immer inniger an ſich durch die
Bande der Liebe. Er reinigte mich durch das Feuer der Liebe, ſchmückte
und erleuchtete mein Herz, damit der Allerhöchfte, mein Geliebter, in ihm
wohne. Durch Feuer brannte er die vorherige Unreinigfeit aus, damit
der Reinfte eine würdige Wohnung in mir finde. Ich überdachte die
Schönheit meined Geliebten, ich erwog, daß Er, der Große, von mir
geliebt fein wollte, der mich zuvor geliebt, ehe ich ihn Fannte. Da loderte
die Flamme der Liebe mächtig auf, und dennody ſchmachtete id (langue-
bam), weil ich ihn nicht fo, wie ich wünfchte, liebe. Aber diefes Schmachten
erhöhte die Liebe. Und je mehr diefes Feuer der Liebe wuchs, defto jüßer
umfaßte mid mit klarem Blicke in geiftiger Umarmung mein Bräutigam,
und indem er mit feiner Liebe meine Seele tröften wollte, ſchlug er mir
eine um fo größere Wunde der Liebe. Indem er mit dem Kuffe feines
Mundes mich füßte, genoß ih Honig und Mil von feiner Zunge, Honig
floß von feinen Lippen und erwedte in mir das Verlangen, ihn noch
öfter und herzlicher zu küſſen.
Der Chriſt. Maria! Da Engel, d. i. tiefinnige, erhabene und
feurige Gefühle der Sehnfucht dich fiebenmal täglid von der Erde nad
Dben, zu deinem Geliebten hin erhoben, fo fage mir, was waren Diele
fo heftigen Gefühle?
Maria. Nachdem ich mich ganz meinem Geliebten zugewandt hatte,
fagte ich zu meiner Liebe, fie möchte mich auf irgend eine Stufe großer
Liebe erheben. Die Liebe ſprach: Bedenke die Liebe deines Gelichten
und die Natur derſelben, die ſich mit nichts vergleichen läßt, weil das
Endliche Feine Vergleihung mit dem Unendlichen zuläßt. Bedenfe bie
Verbindung der unendlichen und endlichen Liebe; denn es gibt Feine wuns
derbarere, feine höhere Verbindung, als die des Geſchöpfes mit dem
Schöpfer. Siehe! indem Verftand und Herz died in Liebe überdachten
und im Gedächtniß bewahrten, erhob ich mich auf die erfte Stufe. Zu
rüdgefehrt aus dieſer Erhebung war ich nicht zufrieden und fprach zur
Liebe: erhebe mich noch höher, auf die zweite Stufe! Und die Liebe
ſprach: Betrachte Alles unter dem Himmel im Vergleiche zu deinem
Geliebten! Da erkannte ich in diefer Berradtung die Vergänglichkeit
alles Irdiſchen, ich verfhmähte e8 und erhob mich‘) in Liebe zum Himm-
1) Statt elerabor im Texte ift zu lefen: elevabar.
989
lichen auf die zweite Stufe, ich verachtete die Liebe des Irdiſchen und
der Geichöpfe und liebte in allen Gefchöpfen ihn allein. Noh einmal
bat ich die Liebe, fie möchte mid auf die dritte Stufe erheben. Und
fie ſprach: Bedenke die Gwigfeit deines Geliebten, bedenfe, daß du
ewig ihn ald deinen Geliebten befigen wirft; je feuriger du ihn liebft,
defto feuriger wird dir fein Befig fein. Das hob mid. Es erftarfte
in mir die Beharrlichkeit, fo daß ich beftändig in der Liebe wuchs. Und
wieder erhob mich die Liebe in unauflöslicher Liebe, weil ih in feiner
Zeit die Güte meines ©elichten, wie oft ich fie auch betrachtete, ergrüns
den konnte. Miederholt bat ich die Liebe, mich höher hinauf zu heben.
Und fie ſprach: Gott, dein Geliebter, ift der reinfte Geift, allmächtig,
der Schöpfer aller Dinge. In um fo innigerer Umarmung erfaßt er den
Liebenden, je geiftiger diefer geworden, und je mehr diefer für den Ges
liebten gelitten, deſto reichliher vergilt es der Geliebte. Da hob fih
mein Berlangen, Tosgetrennt von diefem fterblichen Leibe um des Ges
liebten willen als Märtyrer gefrönt zu werden. Zum Sechstenmale bat
ih die Liebe, mich höher hinauf in die Süßigfeit der Liebe zu erheben.
Und fie Sprach zu mir: Fühleft du deinen Geliebten in dir? Ich ers
wiederte: ja, aber nur wenig. Sie jagte: jo vermehre deine Liebe und
Erfenntniß durch Erwägung der Beihaffenheit des Geliebten. Ich that
es und flieg höher, aber meine Liebe war nicht gefättigt, denn je mehr
ih emporftieg, defto unerſättlicher wuchs meine Liebe. Und als ich jo
noch fehr ungefättigt hungerte, bat ich die Liebe, mich noch mehr zu dem
Geliebten empor zu heben. Zum Siebentenmal erhob fie mich hoch hin;
auf, und ald ich in großem Hunger gierig die Eüßigfeit des Geliebten
verfoftete, wurde meine Sehnfucht zur feurigften Blamme und in demjels
ben Grade wuchs mein Hunger. Da verwundete der Geliebte mein Herz
mit dem Feuer feiner Liebe; ich fchmachtete, weil ich den Geliebten nicht
ganz hatte, wie ich ed wünſchte. Da waren alle Sinne meines Leibed
gefeffelt, denn die Seele war bei dem Geliebten, verlangend, er möchte
die Wunde, die er ihr gefchlagen, heilen, denn unauflöslid ſei fie mit
ihm verbunden. Nun kehrte die Seele wieder zu ihrer Thätigkeit zurüc
und brachte in die Glieder wieder Bewegung, ohne jedoch von ihrem
Geliebten zu weihen. Sie wollte feinen Troft annehmen, weil Alles
für fie todt und nur der Geliebte, der fie verwundet, ihr Leben war.
Diefe Liebe gleicht einem Dürftenden, der durch noch fo viel Nectar feinen
Durft nicht ftillen, ja nur vergrößern und nie fatt würde, wenn er nicht
allen Nectar der ganzen Welt trinfen würde. So ftieg ich täglich höher
hinauf, und je mehr ich tranf, deſto mehr dürftete ih. Ich ging vers
wundet in dem Dörfern und Fleden umber, um zu fterben aus Liebe;
aber ich konnte nicht fterben. Je mehr ich durch die Liebe fterben wollte,
590
defto mehr wuchs die Liebe in mir. Ich bat die Liebe, daß fie mid
lieber tödte, als durch fo viele Wunden verſchmachten laſſe. Mehr ald
dreißig Jahre nährte mich fo die Liebe, bis ich emblich ermübdete. Sie
dachte daran, mich zu erhören, weil ich ihr fo getreu gedient. Nun
führte fie mich im Geifte durch die ganze Welt, damit ich fähe, wie mein
Beliebter fo wenig in der Welt gefannt und geehrt it. Sie führte mid
zu den Gögendienern, Läfterern, Uebermüthigen. Cie führte mich zu
allen Gegenden der Welt, zu Kriegen, Epaltungen, Heuclern, Ehe—
bredern, um fo großen Schmerz Über die Verunehrung, Geringachtung
und Sünden gegen meinen Geliebten mich fühlen zu laffen, daß mid
das Verlangen zu fterben quälte. Aber auch fo konnte ich nicht fterben.
Die Liebe führte mich in die Hölle, um die vielen nah Gottes Bilde
erichaffenen und ewig todten Seelen zu fehen und die verhältnigmäßig
wenigen Seligen. Da ward ich ſehr betrübt, aber fterben konnte ich nicht.
Nun fprah mein Freund zu mir: fo willt du denn durchaus im der
Liebe fterben? Ich erwiderte: in dir allein zu leben ift mein einziges
Verlangen. Da fprah mein Freund zur Liebe: führe ihre Seele ein in
Jeruſalem! Und fie führte mich dahin; ich fah die hl. Stadt Jerufalem,
und fo viele hf. Lieblinge Gottes; ich ſah die glorreihfte Jungfrau Mu
ria mit zahllofen Freunden Gottes. Ich fah den ald Menjch geborenen
und am Kreuze erhöhten Ehriftus. Und nun befiel mih Todesſchwäche,
weil ich den gerechteften, beiten und füßeften Geliebten und Liebenden ie
Ibimpflih am Kreuze hängen und dem Tode fhon nahe fah. Nas
feinem Tode wurde er ind Grab gelegt. Zu diefem führte mich nun
meine Führerin, die Liebe. Ih trat in das Grab: der Tod meines
Geliebten traf mich mit dem Pfeile feiner Liebe, und fogleich ftard id
mit meinem Geliebten in Liebe. Die Liebe begrub mich bei ihm. Plöp
lich aber ftand mein Geliebter auf, und auch meine Seele, mit ihm ver:
eint, lebte durdy den Odem feiner Unfterblicyfeit wieder auf, und er führt
mich mit fich ind ewige Vaterland, wo ich meinen Geliebten jegt in volkr
Sättigung ewig befige. Zu diefem feligen Genuß möge der wahre Galt
und Menſch Jeſus Ehriftus alle die Seinen, die ihn wahrhaft und innig
lieben (wo fie auch fein mögen) hinführen! Amen.
(Exc. II, 398—403.)
IV.
Predigten.
Mede bei Austheilung des hl. Abendmahls.
Bon der Außenwelt find wir alle in das Gotteshaus eingetreten ;
mit dem Glodenfchlage find wir alle bis zum Altare vorgegangen; alle
haben wir dort Gott dem Vater das Opfer dargebraht, alle und in
Ehriftus ihm geopfert; alle find wir zur Vereinigung mit ihm zugelaffen
und mit dem Sacramente des Abenpmahld erquidt worden. Das thaten
wir auf finnliche Weiſe durd Zeichen. Doch das Wunderbare, das diefe
Zeichen bedeuten, wefjen Erinnerung fie und nahe legen, und weldes der
Sinn und Geift jei, der unter ihnen verborgen liegt, das laßt und jetzt
erwägen. Es iſt nichts Anderes, ald der Ausdruf unferes Glaubens.
Wie wir Chriftus leiblich unter leiblihen Zeichen vom Altare hinweg—
tragen, jo müflen wir ihn ohne Zeichen geiftig in unferem Geifte
tragen. Der Geiſt, in welchem Chriſtus, das Licht der Welt, getra-
gen wird, muß heilig fein, wie der Priefter, der das Siegeszeichen des
Kampfes für Ehriftus trägt, weldes der Sieg des weltüberwindenden
Slaubens if. Er muß leuchten, wie die brennenden Kerzen, in reiner
Liebe umd geiftiger Freude. Denn wie das finnliche Leben nur in der
Freude gerne wohnt, fo befteht auch das geiftige Leben nur in Liebe oder
geiftiger Freude. Die Zeichen diefer Freude find Reinigfeit, Gefang,
Hymnen, Berbrüderung, Anftand, Nachfolge in die Fußftapfen der An:
bänger des Lammes. Beim Eintritt in die Kirche müſſen wir glauben,
daß wir von der Außenwelt in den Himmel, in die heilige Wohnung
Gottes und feine heiligfte Ordnung, voll des Wohlgeruchs frommer Ges
bete in Freude und unter Glodengeläute eintreten bis zum Altare, d. h.
bis zu Ehriftus felbft, welcher die Hoftie, der Altar und das Opfer ift;
daß wir dort Gott dem Bater Ehriftus darbringen werden, der in und
ft und uns in ihm, und daß Gott der Vater diefes Opfer annehmen
und und in Jeſus Ehriftus an der Bereinigung mit ihm felbft Theil
nehmen laſſen und mit dem ewigen Leben erquiden wird. Die Speife unferer
Hoffnung aber müffen wir aus dem Andenken an die wunderbare Ein-
fegung diefes Sarramentes nehmen. Diefed Sacrament ift durch Ehriftus
fo angeordnet, daß das Brod in den Leib, und der Wein in das Blut
Chriſti unter den finnlihen Geftalten zur geiftigen Nahrung
Scharpff, Nie, v. Cuſa.
. 594
wird; und dies ift das größte aller Munder. Zwar find alle Werke
Gottes wunderbar, und feines von allen ift, deffen genauere Betrachtung
und nicht am Ende zur Bewunderung führte. Wie unfer Gott verborgen
ift, fo hat er auch die Mefenheit und Natur aller feiner Werke unferem
Auge verborgen, jo daß wir nichts an ſich zu erfennen im Stande fin.
Ginige feiner Werke erregen ganz befonders die Bewunderung der Menſchen,
3. B. wie der Same bei hinzufommender Wärme fchnell in Seidenwürmer
verwandelt wird, wie die Frau des Loth plöglih in eine Säule verwans
delt wurde, wie einige Waflerquellen Hol und Leder in Eteine, der
Magen das Brod in Fleifch und den Wein in Blut verwandelt, wie aus
Ale Glas, aus dem Anfclagen der Fenerfteine Feuer entfteht, wie ein
Storh in einem Ei ift, wie in jedem Theile des Spiegeld die Welt fo
ift, wie fie im ganzen Spiegel war, wie der Baum im Senfform und
alle Menfchen in Adam enthalten find, wie der Magnet das Eiſen an-
zieht und ihm die Schwerfraft nimmt, wie das nämlide Eichtbare in
vielen Uugen und das nämlihe Hörbare in vielen Ohren ift, wie Eine
thierifche und Eine menſchliche Natur in der Vielheit der Thiere und Men,
hen ift und Eine Kerze unzählig viele andere, ohne fich zu vermindern,
anzündet; wie aus Einer Blume die Biene Honig, die Epinne Gilt
fanget, und die Eine Sonne dad Wachs weih, den Koth hart macht.
Solcher Wunder find viele in der Welt, und in dir felbft entdedit du
ähnliche: Eine Seele ift in dir, Die den Körper belebt, die gang im Ganzen
und in jedem Theile desfelben ift, die im Auge fieht, im Ohre hört, im
Magen verdaut. Aber das größte aller Wunder ift, daß die Greatur,
nämlih das Brod in das Fleifch Ehrifti, alſo in den ganzen, Gottheit
und Menfchheit lebendig vereinigenden Chriſtus, umd ebenfo der Wein in
den ganzen Chriftus, nämlich in das Blut, und fomit in Folge hievon (con-
comitanter) in den ganzen Chriftus verwandelt wird, fo daß fraft der vom
Priefter mit beftimmter Intention ausgefprochenen Morte durh die Wirk
famfeit Ehrifti eine Transfubftantiation des Brodes in das Fleifch Chriſti
erfolgt, das nicht ohne Blut, Seele und Gottheit if. So wird in und
durch die MWirffamfeit der Seele mittelft der Wärme des Magens das
Brod in die Subftanz unferer Natur, d. i. in Kleifch, das in und nict
ohne Blut und Leben befteht, verwandelt. Wie aber unjere Kraft nur
nah dem Maaße unferes Körpers, in Verbindung mit der natürlicen
Märme des Magens, im Stande ift, jene Thätigfeit vorzunehmen, näms
lich lebloſes Brod in Leben zu verwandeln (in vitam transsubstantiandi),
fo daß «8 lebendiges finnliches Fleiſch ift, fo liegt es allein in der Kraft
Ehrifti, die die Fülle der Kraft ift von Allem, was an der Kraft partis
cipirt, in der geiftigen Kraft alfo des Wortes Chrifti liegt es, die Sub:
ftang des Brodes, — diefe Subftang abgefondert von aller Quantität
595
und Accidens gedacht — in das Fleiſch Ehrifti, dieſes gleichfalls in feiner
reinen fubftantiellen Wahrheit gedacht, zu verwandeln, fo daß unter den
Accidenzen der wahre Leib Chrifti ganz in der ganzen Hoftie und in
jedem Theile derfelben entbalten if. Und gleichwie nur der Vernunft,
welche die Subſtanz ihrer Accidenzen entfleidet, die reine Eubftanı, wie—
wohl nicht im ihrem Anſich erreichbar ift, fo iſt auch diefes Myſterium
nur dur den Glauben, der eine vernünftige Kraft ift (quae est virtus
intellectualis), nicht durch Sinn oder Berftand erfaßbar. Das ift das
wunderbare Saerament, welches und Nahrung gibt, auf daß wir feit und
ftarf feien in der Hoffnung, die wir durch Ehriftus haben, verwandelt
zu werben in ihm zur Kindſchaft (iliationem) Gotted. Denn wenn die Sub-
ftanz des Brodes und Weines in den Leib und in das Blut Ehrifti durch
Chriſtus mittelft des SPriefterö verwandelt werden kann, ohne daß die Um—
wandlung Ehrifto einen Zuwachs oder der Genuß des Brodes ihm eine
Verminderung zuzieht, fo haben wir in dieſer Nahrung die gegründetfte und
ficherfte Hoffnung, daß unjere vergänglide Natur durch Ehriftus
zur Aehnlichfeit mit Ehriftus umgeftaltet werden fönne, fo daß
wir in Einheit mit ihm das ewige Leben erlangen. O wundervolle Speife,
wie viel Wonne und Freude gießeft du in unfere Hoffnung! du führft
und dahin, daß wir, durch dich gefräftiget, über jegliche Greatur ung er:
heben und feine Befriedigung finden, außer in der Umgeftaltung zur Achns
lichkeit mit Chriſtus — über jegliche Freude diefer Welt, über jegliche
Schönheit des Himmels und der Erde und aller Dinge, die im ihnen find. -
Was ift die Umwandlung ded Brodes in dich anders, ald die Umwand—
fung Deiner in das Brod? denn wenn Du, o Herr! das Brod in deinen
Leib ummwandelft, gibft du dann nicht dem Brode Leben? Was ift die
Umwandlung ded Brodes in unfer Fleifh anders, als daß die Seele bes
lebend in das Brod ſich niederläßt? Eo bift denn du, o Gott! meine
Hoffnung, meine Stüge und Zuflucht, du die Speife, die Freude und das
Brod meined Lebens! Zum Leben werden wir umgewandelt, nicht zu
einem eben, weldhem etwas fehlt und mangelt, fondern zum geiftigen Leben
(in vitam intellectualem), welches jedes finnliche und verftändige übertrifft,
jede Wonne und Freude in fih hat. — So finde ich die Nahrung meiner
Hoffnung in dem Andenfen an dieſes wunderbare Sacrament. Gott gab
aber denen, die ihn fürchten, dieſe Speiſe auch zur Nahrung der Liebe.
Unfer Herr liebte uns bis zum Tode und gab fein Leben Hin,
damit wir das Leben hätten. Das Leben aber der Pilger diefer Welt
wird durch Speife und Tranf erhalten Weil nun der Herr felbit den
Umgang mit uns verlafjen follte, hinterließ er eine Erinnerung an feine
Liebe, durch die er und in feinem Tode das Reben gab. Um daher Alles,
was unbegrenzte Liebe erheijcht, aufs Vollfommenfte zu erfüllen, gab er
38 *
596
feinen Schülern und Nachfolgern, die er bis and Ende d. 5. aufs Imnigfe
liebte, die Macht, ihn in den vorzüglicften Nahrungsmitteln des Leben
— im Waizenbrod und Mein gegemwärtig zu haben, damit fie in dem
Genuß derfelben und in der facramentafifchen Gegenwart Ehrifti ein frohes
Andenken an den Tod Chrifti hätten, und der Geiſt einfche, daß vie
geiftige, und durch den Tod Ehrifti erworbene Belebung dur den gei—
ftigen Genuß Chriſti bewahret werde und zur fehnlichften Ergreifung der
Lebensipeife führe. Daher ift jene Speife der Liebe, das Andenfen ar
jenes wunderbare Sacrament, der Beweis der größten Liebe. Weſſen Liche
nicht durd ein Wohlwollen, über das «8 fein größeres gibt, erwedt und
genährt wird, in dem fann fein Leben jenes Geiftes fein, der die Liche
ift, denn es gibt teufliihe Salamander, die durch das Feuer nicht erwarmen.
Damit daher ihr, die ihr grünes Holz und doc erftorbene Kohlen
ſeid, vom Geiſte Gottes angefacht durd mich, den freilich ſehr unwürdigen
Diener desfelben, die Speife der Liebe verfoften könnet, wollen wir ung bie
Freigebigfeit und Güte des Schöpferd und unferes Herrn Jefu Ehrifti ver
gegenwärtigen.
Erinnern wir und zuerft an die natürliben Wohlthaten, durs
die wir leben und find, dann an die übernatürlicen!
Mürde Gott ald der Geber alles Guten geglaubt und anerkannt,
wie könnte man noch ihn nicht lieben? ine todbringende Erftarnung it
ed daher, wenn man an ihn glaubt, und ihn nicht liebt. Die Teukl
glauben und zittern, aber fie lieben nicht. in teuflifcher Glaube if da
her der Glaube ohne Liebe. Wer follte den nicht lieben, der und dad
Auge gegeben bat? warum liebft du den nicht, der dir Sein und
Leben gab? Was bift du, ald eine Menge und Fülle von Geſchenken
Gottes? was haft du, das du nicht empfangen hätteft? Du bift nice,
als ein von Wohlthaten Gottes brennender Feuerbüſchel; zählſt du die
Gaben, die du empfangen haft, auf, fo findeft du eine Menge Badeln ver
Liche. Ein Wunder ift es, wenn du da nicht erglüheft. Beachte, daß
teuflifches Gift ſchon im dich geträufelt ift, weil alle Wärme in bir er
faltet ift und erftarrt. So beftrebe dih denn, daß du nicht vorübergehend,
fondern andauernd und bleibend erwarmeft. Wie? wenn ein großer
König fein ganzes weit ausgebreiteted Neich fo anorbnete, daß Alle fit
dir gefällig erwiefen, und Alles für dich zu einem heitern und glücklichen
Leben eingerichtet wäre, und der König ſelbſt unabläffig dir beiftünde,
dich beihüßte und bewahrte, dich zum Erben feines Reiches ernennete, ja
nicht nur das Reich, fondern fich ſelbſt, wenn du es verlangen folltelt,
dir zum Lohne darbrächte, müßteft du nicht diefen König mit Recht übt
Alles und aus ganzem Herzen lieben? Siehe nun, was der Regent des
Himmels und der Erde, dein Schöpfer, dir gegeben! Hat er nicht Alle
597
im Himmel und auf Erden zu deinem Dienfte angeordnet? Betrachte bie
Erde! fie ift die Vorrathäfammer, aus welder dir Gott Nahrung und
Kleidung, Wein und Brod, die Thiere: Schafe, Ochſen, Laftthiere zu
deiner Ernährung, Kleidung, zu deinen Reifen hervorholt. Betradte das
Waſſer! wie viele Dienfte leiftet e8 dir zu Fiſchfang, Waſchen, Schiffen
und Unzähligem diefer Art! Betrachte die Luft, die da dient zum Athmen,
zur Erfriihung und ald Wind zur Reinigung und zur Schifffahrt, als
Molfen zum Regen, der die Erde befeuchtet. Was foll ich vom Feuer
jagen, das und ein Schugmittel gegen Kälte und Blöße, und die Duelle
von tauſend Vortheilen ift? was von der Sonne, diefer Leuchte des Tages
für dich und die Thiere? Sie macht die Frucht reif, erwärmt die Luft,
lockt die Keime hervor. Was von allen Sternen, welche alle fich beeilen, auf
deine Natur erhaltend einzuwirfen? Was von den Engeln, den Beihügern
und Bewahrern vor Unglüdsfällen, den Führern zum Guten? Was von
den Heiligen, den Bermittlern und Fürſprechern bei Gott, ihrem Herm?
Alles iſt um deinetwillen da, felbit die Hölle, um durch ihre Schreden
did vom Böfen abzuhalten, und Denen, die fih gegen dich verfündigen,
gerechte Strafe zu vergelten; die böfen Geifter find für dich da, damit du
aus ihren Berfuhungen ald gefrönter Sieger hervorgeheft und in MWider-
wöärtigfeiten als tapferer Sieger dich erprobeft. Alles ift zu deinem Beften.
Und nun erhebe dich zu dem unendlichen Gefchenfe der Gnade, Die
dich in Dem, der das Leben ift, zum Beige ded ewigen geiftigen Lebens
berufen bat; der, damit du dieſes erlangen Fönneft, Menjch geworden ift,
fih Allen unterworfen, dich belehrt und auf den rechten Weg geführet
bat. Er zeigte dir die Wahrheit, indem er fie durch feinen Tod befräfs
tigte, und durch viele Zeugen, welde in feinem Blute dir das Zeugniß
der Wahrheit abgelegt haben. Und da er aus diefer Welt fcheiden wollte,
da ermiedrigte er, der aus reiner Güte dich erſchuf, ſich bis zur Fleiſch—
werdung und zum Tode, um dich aus reiner Liebe zu erhöhen, und hielt
ed für feine größte Freude, bei dir zu fein bid zum Ende. Um fein
Verſprechen in Bezug auf die Erlöfung zu erfüllen, fuhr er in glorreicher
Seligfeit auf gen Himmel. Zugleich blieb er aber auch bei dir auf dieſer
Welt, wo die Wahrheit nur im Bilde erreicht wird, auf die Weife, in
welcher in diefer Welt allein eine Theilnahme an der Gemeinihaft mit
ihm möglich ift, nämlich unter dem Bilde des Sacramentd, unter finns
lihen Zeihen, damit du ihn dereinft im wahren Baterlande nah der
Beichaffenheit ded Lebens jenes Reiches, fo wie er ift, genießen Fannft,
in diefer Welt nach ihrer Beichaffenheit, in Geftalt und Bild, dort durd)
Erfaffung desfelben, ald des Lebens, durch offene geiftige Anfhauung,
d. h. durch dem reinen und Maren, von allem Bilde befreiten Geift der
Wahrheit, welche begreifen fo viel ift, als mit ihr verbunden fein in
598
ewigem Leben; durch den Glauben alfo, durch jene Gabe, vermöge wel
cher der Geiſt über fi felbit im Bilde die Wahrheit erreicht, vie unter
den ®eftalten verborgen ift. Unfere Vernunft fieht in Brod und Wein
nicht das Leben, nicht einmal das förperliche, fondern fie weiß mur, geleitet
von der Natur, daß ed dort fei und genießt daher Brod und Wein zur
Erquidung, und indem fie im Glauben Brod und Wein zur Stärkung
des leiblihen Lebens genießt, findet fie diefe Stärfung da, wohin di
Natur felbit fie geleitet hat, aber nicht in allem Andern, weil die Natur
fie nicht dahin leitet. So fieht fie im Brode nicht das Leben des Hin:
meld, aber durd die Gnade des Glaubens wird fie angeleitet, im jenem
Brode die Erquidung des Geiſtes zu ſuchen und fo findet fie denn aud
diejelbe.
So nährt denn dieſes Sacrament unfere Liebe. Betrachten wir mit
unferem Geifte das eben Angeführte, fo fehen wir Die unendliche Liebe
Gottes, mit der er und zuvor geliebt hat und micht aufhört zu lichen,
fondern ohne Unterlaß liebt, und nicht wegen etwas liebt, das ihm fehlt,
und bei und ſich fände, da er die vollfommenfte, durchaus nichts entbeb
rende Güte ift, und und auch micht liebt, um wieder geliebt zu werden,
da er die Liebe ſelbſt iſt. Darum läßt auch feine Liebe nicht nach, wenn
wir wegen Alters, Schwäche, Armuth oder Todesichreden von Ander
verlaffen find; nein, immer gleich liebt er und, auch wenn wir fterben
und Allen ein Abfchen find, hört er nicht auf und zu lieben; denn fein
Sein ift Liebe und fein Sein ift fein Wirfen; wenn er daher ift, ſo
liebt er auch. Weil er nun fo fehr uns liebt, fo ſchenkt er und ftet
reichlib feine Gnade, wenn wir fie nur annehmen; immer üft er de
Barmberzige, wenn wir um Barmherzigkeit bitten, immer unfere Zuflutt;
unter den Geftalten des Sacraments nährt, ftärft und tröftet er und
Alle ohne Unterſchied, Geſunde und Kranke, Könige und Knechte, Reit
und Arme, Gelehrte und Ungelehrte, ftetS bemüht, durd das Machtwon
feiner Liebe unfern Geift in feinen Geift der Liebe umzuwandeln, wie der
Regent durch feinen Willen den Willen des Unterthanen, den er lieb bat,
in den feinigen ummwandelt. Für diefe Umwandlung hat er das Sarıı
ment der Liebe, in welchem er dur fein Wort die Subſtanz des Brote
in feinen Leib ummandelt, und als das höchſte Deufmal eingelegt.
Wer kann fih demnach vor feiner Liebe verbergen? Kein Geil,
rürwahr! er fei denn von dem teuflifchen Ungeheuer dur unendliche Kält
getödtet, ohne Empfindung und Bewegung wie das fetgefrorene Et,
wird von ſolchem Lichtglanze nicht erleuchtet, von folder Glut nicht 1
wärmt, von folder Liebe nicht entflammt, von fo lieblihem Weine nid!
beraufcht, von fo föftlicher Speife nicht erquidt, von einem ſolchen Gute
nicht zum Danfe gerührt.
599
So iſt denn das Andenken am dieſes Sacrament eine wunderbare
Nahrung des Glaubens, weil der barmberzige Gott es eingelegt hat;
eine noch wunderbarere Nahrung der Hoffnung, weil der erbarmende
Gott in demfelben die Subftang des Brodes in fein Fleifh und die des
Meines in fein Blut verwandelt, und die wunderbarfte Nahrung der
Liebe, weil es der Gott Aller, der Schöpfer und reichlidhe Spender alles
Guten zum Andenfen an die Licbe, mit der er und liebt, eingeſetzt hat.
Nähren wollen wir und darum mit dieſer Lebensſpeiſe, damit wir ins
eroige Leben umgewandelt werden, wo das Leben herricht ohne Tod in
Ewigkeit. Amen. (Exc. IV, 446—449.)
Der Beruf des Ebriften.
Beachten wir, daß wir eine Münze find und unfere Natur ein Bild
in fi trage, das ihr von der göttlihen Vernunft eingeprägt ift. Keine
Minze entiteht, außer durch einen Verſtand, dem die Werkzeuge dienen ;
fein Menjch entfteht, außer durch die Vernunft, welche Gott ift, dem die
Intelligenzen (Engel) und (mittelft diefer) die Himmel dienen. Kein
anderes als ihr eigenes Bild prägt die reine Vernunft und ein, durch
das aucd wir vernünftige Weſen find. Wir haben alfo das Leben der
Vernunft im Ebenbilde Gottes, welches wir nach Gerechtigkeit, wie nad
dem Willen Ehrifti Gott geben müfjen, denn es ift das Ebenbild Gottes.
Wir werden belehrt, daß wir der zeitlichen Welt ihren zeitlihen Tribut
geben jollen, den Geift Gott, weil wir ihn von Gott haben, der Erde,
was wir von Adam haben. Nicht follen wir den Geift der Welt geben;
Diejenigen geben den Geift der Welt, welche die Vernunft der Sinnlichkeit
bingeben, deren Gott ihr Bauch if. Die Vernunft darf den Sinnen
nicht dienen, fie fol über fie herrſchen. Nur mit Maaß und Ziel (cum
discretione) dürfen wir die Welt, z. B. die Nahrung, gebrauhen. Das
ift die Gerechtigkeit, weldhe Jedem das Seine gibt; wer an ihr hält, ift
auf dem Wege zum Frieden, der alle Sinne überfteigt.
Durch eine are Nachweiſung des Namens löst fich jeder Zweifel...
Es handelte fih um das Bributentrihten; da ed nun verjchiedene Arten
desſelben geben kann, fo löste fih, wenn von der Entrictung durd Geld»
münze die Rede ift, durch Vorzeigung einer Münze aus dem Bilpniffe
und defjen Umſchrift jeglicher Zweifel. So wenn die Frage aufgeworfen
wird, ob der Chriſt der Welt und ihrem Fürften dienen dürfe, ift aller
Zweifel befeitigt, jo wie man die Münze und ihre Umſchrift aufweist.
600
Wir find nämlich die Münze Ehrifti, haben feine Geftalt und Umſchrift,
wie der Name Ghrift beweist. Alfo nicht der Welt, fondern Chriftus
gehören wir. Bift du ein Mönd und willft willen, ob es dir erlaubt
fei, unter den Menfchen zu leben, wobei du einige Gebräuche (Mißbräuche)
aus diefer Welt anführeft, wie die Juden zu ihren Gunften den Befehl
des zeitlichen Fürften, d. i. des Kaiſers, anführen fonnten, fo iſt bie
Frage alsbald gelöst, ſobald der Richter zu dir fagt: fage mir: was ift
das Möndthbum? Bit du ein Ganonifer, fo haft du nad den Borjchriften
der Väter und den Canones der Heiligen in aller Ehrbarfeit und Ge
horſam zu leben und nicht von Perſonen und Sachen einen verkehrten
Gebrauch zu mahen. Seid ihr Bürger einer Stadt, und fraget, wie
ihr zu leben habt, fo fage ich: was bedeutet eine Stadt? Sie ift eine
Einheit der Bürger; Einheit befteht aber in der Uebereinftimmung (con-
cordantia), UWebereinftimmung ift die Harmonie von Berjchiedenem (wie
bei einer Orgel oder Cither), wo Ein Glied dem andern dient und das
höhere mit dem niedern leidet .....
Als die Frage über die Entrihbtung der Steuer an den Kaifer auf
geworfen wurde, und die Juden durch Aufweiſung einer Münze, bie
das Bildnif und den Namen des Kaiferd enthielt, überwielen waren,
daß man dem Kalfer Steuer fchuldig fei, 309 der Herr daraus ben
Schluß, dem Kaifer fei zu geben, was des Kaifers ift, und fügte bei:
und Gott, was Gottes if. Denn wiewohl nidt ausdrücklich gefragt
ward, ob wir auch Gott etwas fchuldig feien, jo lag doch dieſe Frage
verftet in der andern. Denn die Juden meinten, ald Söhne Abrabams
müßten fie frei fein und hätten feinem Menfchen Steuer zu entrichten;
fie feien nad dem Gelege nur Gott als Untertbanen verpflichtet. Chriftus
wollte ihnen nun aus dem Denar uachweifen, daß fie dem Kaiſer als
ihrem Herrn, dem die Steuer auf Erden gebührt, aud Unterwerfung
ſchuldig ſeien. Dadurch find fie jedoch nicht vom Gefege Gottes frei; denn
ein anderer ift der bimmlifche Herrfder, dem man vor Allem gehorden
muß, ein anderer der irdifche, dem man in der gebührenden Weife gleid-
falls Gehorfam fhuldig if. Das Aceidentielle, das an der Münje
war, Bildniß und Namen des Kaifers, bezog fih auf dieſe Welt; die
Subftanz des Metalled gehörte Gott. Waren alſo die Juden wegen
des Accidens zur Steuer für den Kaiſer in dem Aceidentiellen verpflichtet,
fo waren fie Gott den Tribut im Subftantiellen fchuldig, weil wir nict
bloß Aeußerliches und Acciventielles Gott zu geben ſchuldig find, fondern
Alles, was wir von ihm haben, ift fein Eigenthum, unfer Sein, Leben
und Denfen. Somit haben wir der Welt das Ihrige in der Meife zu
geben, daß wir Gott nicht das Seinige entziehen.
Wenn uns das pharifäifhe Unweſen befält, fei es des Hochmuths
601
oder der Heuchelei, und wir und vornehmen, der Wahrheit untreu zu
werden, dann verfuchen wir Gott, der die Wahrheit if. Danı mögen
wir und daran erinnern, daß Ghriftus fi die Münze zeigen ließ. Wir
wollen dem Gefege Gottes nicht gehorchen, indem wir vorgeben, daß wir
andere befiere Werfe verrichten, oder, daß wir zum Gehorfam gegen das
Geſetz nicht verpflichtet feien. Sehen wir aber auf die Münze bin, fo
finden wir, daß wir mit dem Ebenbilde Gotted und dem Namen Ehrifti
geziert find, und fo können wir dem Gehorfam und der Gejegeserfüllung
und nicht entziehen. Unſere Subftanz ift eine Münze Gottes, denn durch
das Ebenbild Gottes find wir, was wir find; daher hat die Aehnlichkeit
mit dem Sohne Gottes, dem Abbilde des lebendigen Gottes, in und ſich
eingeprägt, durch Gott den Bater, der und dem Sohne ähnlich gebildet
hat (configuravit filio). Nachdem wir durh die Sünde Knechte des
Fürften diefer Welt geworden, fo ift unfer befledtes und durch angelegten Roft
unfenntlich gewordenes Bild durch das wahre Abbild Gottes, den Sohn
Gottes, gereinigt und wieder erneuert (reformata) worden. Er hat und
erlöst und uns aus der Sklaverei der Sünde in fein Reich aufgenoms
men, zu Erben Gottes und feinen Miterben, er hat uns die Umſchrift
der Freiheit gegeben, durd die wir fein Gigentbum find... Das ift
aljo die Münze, die wir aufzuweifen haben. Wir Männer fönnen uns
nicht anders aufweiſen, denn ald eine Münze aus ächtem Golde, ihr
Weiber, ald eine Münze reinen Silbers. Zeigen wir uns als folde,
fo geben wir Gott, was Gottes ift und lafjen der Welt, was ihr
gehört. Gerathen wir Männer in Berfuhung, fo mögen wir wohl
erwägen, wie wir und vor dem Richterſtuhle Gottes darftellen follen.
Sind wir nicht eine reine Münze lautern Goldes, die das reine Bildniß
Gotted und den Namenszug Ehrifti unfered Erlöſers darjtellt, fo geben
wir nicht Gott, was Gottes ift; wir werden darım auch nicht in feine
ewigen und ungerftörliben Wohnungen aufgenommen, weil wir feine
Münze aus reinem und äcten Golde find. Das Aechte duldet feine Bei:
mifhung. Darum wenn du, o Sünder! entweder durch eine Beimifhung
geringerer Metalle das lautere Gold verfälihet und das Ebenbild des
Schöpfers in ein Ebenbild der Ereatur verwandelt, oder wenn du den
Namenszug Ehrifti, des Erlöſers, verloren haft und dafür den Namen
ded Fürften diefer Welt, dem du dich ergeben, führeft, fo hat deine
Münze feinen Werth im Neiche Gottes, wo nichts Verfälfchtes, Schmußi-
ged und Zerftörliched Eingang finde. Du fannft aber auch Gott nicht
täufchen, denn er ift ein hellloverndes Feuer. Das Gold bewährt im
Beuer feine Aechtheit. IM es Acht, fo beſteht es im Feuer und ſcheint
fih in Feuer zu verwandeln; ift es unächt, fo wird es zu Rauch, fein
Glanz verwandelt fih in Schwärze, fein Gehalt in Aſche. Naht dir
602
daher die Verſuchung, daß du mittelft der Münze Gottes mit dem Teufel
Handel treiben willft (ut de numismate Dei mercimonia diaboli exer-
ceas), wodurd die Münze an Werth verliert und das Bildniß zerftört
wird, fo widerftehe, damit du dich nicht befledeft. Iſt aber das Bil
niß deiner Münze befledt, fo lerne von den Münzmeiftern und Gold—
ſchmieden, wie du die Fleden binwegfchaffen und den Glanz wieder
erneuern magft. Erwärme die Münze im Feuer der Betrübniß deines
Innern, jedoch nicht in einem Feuer, welches das Metall ganz auflöst,
d. i. nicht in Verzweiflung. Aus dem erweichenden euer ftürze dich in
das falzige und Agende Waſſer der Thränen und wiſche es ab mit den Hin
den d. i. mit Werfen der Barmherzigkeit, und der Glanz der Münze wird
wieberfehren, die Umfcrift des Teufeld wird zerftört und der Namenszug
des Grlöjerd wird wieder hervortreten. Kehrt auch das Gewicht des
Goldes dur diefe Reinigung micht wieder und leidet dasfelbe einigen
Abmangel, fo wird doc die gereinigte Münze in ihrem Werthe, nad
ihrem Gewichte, wieder angenommen. Iſt aber dad Gold felbfi durd
eine fo große Reinigung im Feuer der Liebe geläutert, daß es einen
Vorzug vor anderm Golde erhalten hat, dann ergänzt der reine Glanz
den Werth des Gewichtes. Wenn daher gleich die verlorme Unſchuld
unerſetzbar ift, fo fann dod der Werth des Goldes durch das Feuer dir
Buße wiederhergeftellt werden, Beftrebe dich, daß deine Münze Gold
bleibe und hoffe dann dur ihren Werth auf das Maaf ver (einftigen)
Herrlichkeit! If dein Gold durch Geduld und durch dad Feuer der
Trübfal beffer geworden, fo wirft vu gebüßrendermaßen wieder auf:
genommen werden. Haft du fiegend über das Fleiſch die Jungfräulichkeit
bewahrt, fo wirft du ein anderes Gold edler Kronen davontragen. Hall
du ald Martyrer in großer Liebe dein Leben bingeopfert und ven Werth
deines Goldes noch erhöht, jo wirft vu große Iufignien aus dem beten
Golve empfangen und im die Wohnungen der fiegreihen Fürften auf
genommen.
Die Weiber, die einer Münze von Silber gleichen, mögen, was
von der Goldmünze gefagt ift, gleichfalls beachten. Sie haben das
gleiche Bild und Umfchrift, wie die Männer. Auch ift ihr Silber mit
von geringerem Werthe, als das Gold, es iſt weißes Gold. Ein foldes
foftbares Eilber ift von großer Reinheit; es ift ungerftörlich, ſolid,
gewichthaltig, freundlich und füß. Haft du das Ebenbild in dir befledt,
fo reinige es, nimm den Roſt vom Silber und ed wird ein reine
Gefäß werden, wie vorhin hinfichtlich der Männer gefagt wurde. Olaube
nicht, deine Münze gelte im Himmelreiche weniger als die goldene, denn
der Werth von beiden ift gleich. Denn im Neiche Ehrifti gibt es feinen
Unterfchied von Mann und Frau, wiewohl wenige Münzen, ſowohl gel:
603
bene als filberne, rein und unvermifcht find. Denn eine gute Münze: ift
nicht ‚lange im Verkehre, ohne daß fie nicht fchlechter wird. Daraus
entnimm, daß Wenige volllommen und Viele berufen find, und wie es
faum möglih ift, daß der Menſch fich bei längerem Berfehre mit der
Welt nicht beflede. Wir haben daher große und forgfältige Wacfam-
Feit nöthig. Das Eilber ift weiß durch Schamhaftigkeit und Keufchheit,
rein dur Unſchuld, wohlklingend durch angenehme Unterredung, dem
Balſam ähnlich, dur Bewahrung des guten Rufes, dem Edelſteine am
Werthe gleih, durch Hülfeleiftung bei den Nächften, durch Güte und
Wohlthätigkeit. (Exc. VII, 607—610.)
Scheinchriften und wahres Ehriftentbum.
Eine gläubige Seele kann ſchwach (infirma) werden, und fo lange
fie ih als ſchwach erkennt, lebt in ihr noch der Geift der Erfenntniß.
Sie naht fih dem Worte Gottes, das in der bi. Schrift enthalten ift,
und nimmt es mittelft eined pflegenden Arztes, der die Stelle
Chriſti vertritt, als eine heilfame Arznei in fih auf. Das aufgenommene
Wort der Wahrheit macht die Seele frei, wie das Wort der Mahrheit
aus dem Munde des Lehrers den ungebildeten Verſtand von der Unwiſ—
jenheit befreit, die ihm verdunfelt und in Finfterniß gefangen hält. Wie
ein Kraut die förperlihe Schwäche nur mittelft der unfichtbaren Heilkraft,
die unter ber fichtbaren Farbe und Geftalt verborgen ift, heilet, jo macht
die Schrift die ſchwache Seele nicht durd ihren Einband (per corticem)
oder die fihtbaren Buchftaben, fondern durch die unſichtbare Kraft frei,
die unter dem Buchftaben verborgen if. Die Vernunft erfennt jene
Kraft mittelft"ded Glaubens an Chriftus, wie der Arzt die Heilkraft
eined Krautes mittelft des Glaubens an Hypofrates fennt, der ihn über
jene Heilkraft belehrt hat. Das fcheint der Unterſchied zwifchen dem
Evangelium und den übrigen hl. Schriften zu fein, daß legtere alle die
Kraft der Weisheit oder des Wortes Gottes zu offenbaren fuchen, im
Evangelium aber dad Wort Gottes fich ſelbſt offenbart. Wenn in einem
Buche über eine Arznei eine Belehrung fteht, wie Diefe Arznei curirt und
die Zubereitung der Arznei dir gezeigt wird, fo glaubſt Du, daß bie
Heilfraft, die unter dem fichtbaren Präparate unfichtbar enthalten ift, eben
das fei, was heil. Das trage nun auf Chriftus über Wenn die
hl. Schrift, die von der Arznei für die Seele handelt, fagt, Ehriftus fei
bie Arznei der Seele, fo verftehe diefed nur von der Kraft, Die umter
604
dem fichtbaren Körper verborgen ift, denn die Heilung ber umfichtbaren
und ungerftörlihen Seele ift unförperlicher und ewiger Natur. Es if
jene göttlihe Kraft Chrifti, welde die Seelen von Unwiſſenheit oder
Blindheit befreit, welhe aus umviffenden Menjhen vangeliften,
gefrümmte Seelen wieder gerade und gerecht machte und den Bejeflenen
ihre Tobſucht benahm.
Wir wollen nun nach Lefung ded Tertes ded Evangeliums und ber
Epiftel etwas tiefer in das Verſtaͤndniß ded Evangeliums eindringen
(Christum altius evangelizare).
Die Seele eined Ehriften, der fib im Zuftande einer Todſünde bes
findet, ift einer gemalten Statue von Ehriftus ähnlich. Eine ſolche Statue
trägt den Namen Chrifti, allein fie hat Augen, ohne zu fehen, Ohren,
ohne zu hören, Füße, ohne zu gehen. So ift aud die Seele im Zu
ftande von Todfünden aller ihrer Sinne beraubt. Sie ficht nicht, weil
fie Gott nicht fchen fann, den nur die anſchauen, welde reinen Herzens
find, wie gefchrieben ftcht: „Selig die reinen Herzens find, fie werden
Gott anſchauen.“ Sie hört nicht, denn fie verfhmäht es, das Wort
Gottes zu hören. Sie riecht nicht, weil fie von dem MWohlgeruche Ehrifti
nichts wiffen will. Sie hat feinen Geſchmack, denn fie will die Eüßigfeit
des Wortes nicht verkoften. ie hat feinen Taftfinn, denn fie will das
Mort des Lebens nicht betaften. Als unfer Erlöfer in die Welt Fam,
fand er ein foldyed in Todſünden lebendes Menſchengeſchlecht vor, das
durd alle Einne hin ſich mit leblofen Bilpfäulen vergleichen ließ. Alle, die
nur dem Namen, nicht dem Geiſte nach Ehriften find, die Gott nicht im
Beifte und in der Wahrheit aubeten, werden mit Recht mit Bilpfänlen
Ehrifti verglichen, die Äußerlih ein Bild der leiblichen Geftalt Chrifti,
aber im innern Menfchen, in dem wir Ehrijten fein follen, ohne Leben
und Geiſt find. Nur diefer innere Menſch, der nie altert, fondern in
aller Lebensdauer des Äußern Menſchen immer über die Zeit erhaben it,
kaun Ehriftus ähnlich fein, zwar nicht präcis Ähnlich, was’ unmöglid if,
aber doch in einer gewiſſen Nachfolge, die in Jedem eine andere ift, wie
an dem unzerftörlihen Mefen der Menſchheit alle Menfchen, wiewohl
Jeder in anderer Wetje, Theil nehmen. Es fann daher die Umgeſtaltung,
durch welche ver Menfch im Geifte oder innern Menfchen fih umgeftaltet,
immer, fo lange der Menſch Menfch ift, vor fi gehen. Denn wie der
Herr, der Gottes Sohn ift, Knechtägeftalt annahm, jo nehmen die Knechte,
die Kinder Adams, die Geftalt des Herrn in der Taufe an, wo fie ab
gewafchen und mit dem heiligen Dele gejalbt werden, um Chriſtus ähnlich
zu fein. Allein nicht Alle bewahren die empfangene Geftalt im Geifte:
der Name bleibt, der Geift aber ift regungslos, das Leben ein fleiſchliches.
Dies kommt daher, weil fie, was des Geiftes Gottes ift, durch dem fie
605
Chriften fein follten, nicht verftehen. Ihre chriftliche Bildung fommt bei
einem gewiffen finnlihen Weſen zum Stilfftande, wie in der Vergleichung
mit den Etatuen angedeutet ift, wo wir den Anblid einer äußeren Form
und den Mangel des Geiftes wahrnehmen. Wenn wir rechte Umſchau
halten, fo ift die ganze hriftliche Religion mit wenigen Ausnahmen zur
bloßen Erſcheinung herabgefunfen, wie wir an vielen religiöfen Orden
jehen, wo bei mehreren nur der Habit geblieben ift, nichts vom Geifte
des Drbensftifterd. Unter jenen Bilpfäulen find einige von Gold,
andere von Silber, oder Kupfer, Blei, Eifen, Stein, Holy, Thon ıc.
Es gibt in der fichtbaren Kirche neun Ordnungen der Böfen, fo wie es
in der Kirche neun Ordnungen der wahren Streiter Gottes gibt. Es
gibt nämlih Namenchriften, welde ein ganz irdiſches (gestantes ima-
ginem Christi terream), d. i. fleifchlibes und gemußfüctiges Bild
Ehrifti an ſich tragen, deren Gott der Bauch ift. Wenn fie gleich Ehriften
beißen, fo find fie doch Gögendiener. Denn foweit Ehriftus ihrem Bauche
dient, joweit lieben fie ihn. Der Bauch ift alfo, wie der Apoftel ſagt,
ihr Gott und ihr vermittelnder Chriftus. Dahin gehören Die, welche fich
den Schein von Demuth und Aehnlichfeit mit Ehriftus geben, um auf
diefem Wege ihre fleifchlichen Begierden zu befriedigen, wie das freund»
liche Weib, von welchem Salomon fagt: „beſſer ift die Bosheit des
Mannes, als ein freundliches Weib.“ ) Es weiß, daß die Tugend
Beifall findet, daher nimmt e8 den Schein der Tugend oder Ehrifti an,
um geliebt zu werden und ſich an Genüſſen zu ergögen. Es gehören
hieher ferner die Ehriften, welche ein hölgernes Abbild Chriſti worftellen:
fie trachten nad Gewinn und find voll Habfuht. Es gibt au?) fteis
nerne Chriſten: hart, umerbittlic, ohne alles Mitleid, hartherzig; eiferne
— die Geijigen (tenaces), bleierne — die Neidiſchen, zinnerne — bie
Rollüftigen, fupferne — die Hochfahrenden, filberne — die bünfelhaften
Vielwiffer (scioli), goldene — die Eitlen. Alle diefe lieben nur fich ſelbſt;
fie find der Endzweck ihrer Religion, die Geftalt Ehrifti ift ihnen nur ein
Mittel, um ihre Wünfche defto leichter zu befriedigen. Von ihnen Allen
wird Ehriftus umbhergetragen, wie ein Bild, das betrügeriſche Ablaßfrämer,
welche ein heiliges Kreuz und Reliquien um des Gewinnes willen zeigen,
umbertragen. Gegen alle diefe ruft Ehriftus laut: Weh euch, ihr
Heuchler! und warnt vor ihnen ald Solchen, die in Schafpelzen fommen
und reißende Mölfe find. In ihnen Allen ift der innere Menſch göttlichen
Geiftes baar, ihr Geift ift wolfsartig, der thieriſche Geift diefer Welt.
1) Die Stelle ift aus Jeſus Sirach 42, 14; fie hat zu obigen Worten noch ben
Beiſatz: „ — — ein Weib, das ihm Schimpf und Schande bringt.“
2) Statt enim bed Tertes ift etiam zu leſen.
606
Wie werden nun alle diefe Pfendochriften erfannt? Jeſus fagt: an
ihren Früchten! Worte und Handlungen befunden den Geift des Menfcen.
Niemand kann reden oder wirfen außer durch Bewegung, alle Bewegung
aber geht von einem bewegenden Beifte aus. So offenbart das Aeufer
den inuern Geift, das Auge ift der Bote des Herzens. Unziemliche Ber
wegungen, unzüchtige Worte, unzüchtiger Blick beweifen, daß die Wolluſt
den Geiſt beherrſche. Daß Chriſtus in uns lebe, erkennen wir, wenn ein
ſo reger guter Geiſt uns beſeelt, daß wir die Sünde haſſen, und jede
ſündhafte Regung uns ein Gräuel iſt. Paulus zählt die Früchte dieſes
guten Geiſtes auf: Liebe, Freude, Friede, Geduld, Milde, Güte, Lang
muth, Sanftmuth, Treue, Mäßigfeit, Enthaltfamkeit, Keuſchheit. Ehriftus
ift nämlich das Leben oder die Tugend; Gerechtigkeit, Friede, Wahrheit
und jeglibe Tugend ift In der Einen Tugend enthalten, welche der Geil
des Lebens Chrifti genannt wird. In wem Chriſtus ift, in dem ift der
Geift Gottes, der nur zum Ewigen, Unvergängliden und Himmliſchen
hintreibtz und das ift dad wahre Leben. Denn die Wahrheit bleibt in
ale Ewigkeit. Die Kraft jened Geifted, der zu den Tugenden, die
ewig find, antreibt, ift daher der Duell des unfterblichen Lebende. Bes
achte hiebei, daß das Wort Gotted diefen Geift, fomit den Quell bed
Lebens in ſich enthält. Es löst unfern vernünftigen Geift, der ven
Glauben in fib aufnimmt, von den fleifchlichen und Förperlichen Gelüften
diefer Todeswelt los und zieht ihm im fein Lichtreih hinauf, auf daß er
von der Kuehtichaft, in der er dem Tode d. i. den vergänglichen Be
gierden diente, befreit neu auflebt zu einem göttlichen Leben. Wie der
Körper durch die Seele, fo wird die Seele belebt, wenn fie den Geift
des göttlichen Wortes in fih aufnimmt. Durch Anfchlug an den Geilt
Ehrifti wird die Seele nad Ehriftus geftaltet (christiformis); denn fie
geht in die Wereinigung mit der Kraft über, am die fie fih anſchließt.
Sie wird Eines mit der Gerechtigkeit durch Anſchließen an fie (adhae-
rendo), Eines mit der Liebe; und fo mit allen Tugenden. Die gerechte
Seele ift alfo Eines mit dem Geiſte Ehrifti, der der Geift der Gerechtig⸗
feit ift.
Es fünnte nun Jemand fragen: wenn Chriftus die Tugend ift, wird
jeder Gerechte durch Chriſtus gerechtfertigt? Ich antworte: jeder Gerechte
wird in Chriſtus durch die Gerechtigkeit, welche Chriftus ift, geredts
fertigt. Es kann Jemand die Wahrheit reden, aber nicht in Chriſtus,
wie der unreine Geift in den Befeflenen in Wahrheit fagte,. Jeſus ſei
Ehriftus; allein er fagte es micht in Ehriftus, weil er Chriſti Geftalt
nicht hatte, welche die Tugend aller Tugenden ift, er hatte nicht die Ge—
rechtigfeit, Friedfertigfeit und die übrigen Tugenden Chriftl. Das Gleide
läßt fih von Jemand fagen, der gerecht handelt, aber nicht in Ehriftus,
607
oder friedfertig ift, aber nicht in Chriftus. Es muß demnah der Ges
rechte, der durch die Gercchtigfeit, welche Chriſtus ift, gerechtfertigt werden
will, die Geftalt Chrifti annehmen (christiformem esse); er muß Ehriftus
hinfihtlih aller Tugenden ſich felbft vorziehen und der Nachahmung
Ehrifti mit allem Eifer fih bingeben, damit er Ehriftus ähnlich werde.
Der Glaubende fann auf diefem Wege zur Kindfhaft Gottes gelangen,
wenn er Ehriftus, an den er fonder Zweifel ald an den Höhepunft aller
Tugend und zugleib den Sohn Gottes glaubt, nachahmt. Im jedem
guten Werfe verehrt er Ehriftus; ihn allein ftrebt er nachzuahmen als die
wahre Oerechtigkeit, die da gerecht maht und das Leben gibt. Wer aber
nicht in diefer eben angegebenen Abficht die Werke eines Gerechten vers
richtet, fondern nur, um für gerecht zu gelten, ohne es zu fein, der
wird nicht gerechtfertigt, fo daß er ein Miterbe Ehrifti und Kind Gottes
zu fein verdient. Es ift nicht die wahre Gerechtigfeit, weil nicht die Ges
rechtigfeit in Chriſtus, der die Wahrheit ift.
Man könnte ferner fragen: war nicht Adam auf den Weg der wahren
Gerechtigkeit geftelt? Ich antworte: Allerdings, denn durch die Er
ſchaffung und Ausftattung mit einem vernünftigen Geifte fand Adam in
diefem Geifte das natürliche Gefeg, das ift, den Weg der Gerechtigkeit,
welches Geſetz befagt, daß der erfannte Gott verehrt werden fol. Diefes
Geſetz ſagte ihm aub, daß zwiſchen einem guten (mores bonos) und
ſchlechten Leben ein Unterfhied fei und daß man ein gutes Leben führen
müfje, nämlich einem Andern nicht zufügen, was man felbft nicht erleiden
will. Auch ift jened Geſetz mittheilbar, weil der Menſch, fobald er es
erfaßt hat, weiß, daß er ed auch den Eeinigen mittheilen müfe. Dieſes
Geſetz der vernünftigen Natur ift der Weg der Gerechtigkeit und infofern
(ita) das Wort Gottes oder Chriſtus, welder fagt, er fei der Meg;
denn er ift der Weg ded Friedens und der Gerechtigkeit. In der Vers
nunft ſteht daher dieſes Geſetz geichrieben, das ein Abbild des Wortes
Gottes ift, gleichwie das auf eine Tafel gefchriebene Geſetz ein Abbild
der Idee oder des Wortes des Geſetzgebers ift. Allein der Teufel, hinauss
geitoßen durd das Mort Gottes, beneidete das Wort, indem er be
fürchtete, es möchte über die vernünftige menfchliche Creatur zur Herr
Ibaft gelangen. Dann füme es nämlich zur Herrſchaft, wenn der Menſch
fih feinem Gebote unterwerfe. So beneidete er den Menſchen auch um
dad Seelenheil, weil der Gehorfam gegen das Gebot das Leben des
Geiftes war. Er fuchte daher den erften Menſchen, den Anfang der
menjchlihen Fortpflanzung und in ihm alle Nachkommen unter fein Joch
zu bringen, und zwar dadurch, daß er den Menſchen von der Beachtung
jenes Naturgefeges abzog und ihn zur eifrigften Sorgfalt für das, was
dieſe Welt bietet, in der der Menſch leiblich lebt, hinlenkte. So verführte
608
er den Menfchen, den er durch beftändige Anfechtungen bergeftalt in bie
weltliben Begierden verftridte, daß er die Lehre oder das Mort Gottes
oder das matürlihe Gefeg aus dem Gedächtniß verlor. So verlor ea
den Weg der Gerechtigkeit durd Nichtbeachtung des göttlichen Gebotes.
Die ganze Maffe der Menfchheit ift daher in Adam verdorben (corrupta);
das Begehren des Menfcen ift vergiftet (infectum), fo daß er begieriger
nah dem ift, was er fieht und was zeitlih ift, als nad dem Unſicht⸗
baren und Ewigen. Dies ift eine Art allgemeinen Gößendienftes, zu
dem der Teufel überredet hat, denn ihm gehorchte der Menſch mehr als
Gott. Die göttlihe Liebe wollte darauf das erlofhene natürliche Geſch
oder den Weg der Gerechtigkeit durch ein geſchriebenes Gefeg wieder er
neuern, und um nicht durch den Leichtjinn der Sünder ihr Ziel zu ver
fehlen, verfündete fie zur Unterftügung (in adjutorium) des natürlichen
Geſetzes durch Moſes das gefchriebene Gefeg. Allein der Teufel fand
Gelegenheit, die Uebertretung auch dieſes Gefetes zu bewirfen. So war
das Gejeh wegen der Hartherzigfeit der Menfchen nur ein Anlaß zu
weiterem Sündigen. Denn die Menfchen, die ſchon eine fündhafte Gr
wohnheit angenommen hatten, wurden zur Beobachtung des gejchriebenen
Geſetzes noch träger. Auch lag in den Gefegeövorfcriften feine fo große
Kraft, daß fie die Sünde aufzuheben und gerecht zu machen vermodten.
Es blieb daher zulegt nichts Anderes übrig, ald daß das Gejeh bed
Geiſtes oder das Wort Gottes erfhien, das in der menſchlichen Natur
den Menſchen von der Herrichaft des Feindes der Wahrheit befreite,
So lange dies nicht gefchah, blieb der Menſch unter der Botmäßigfeit des
Teufeld und konnte fih nicht ſelbſt von diefer Sflaverei befreien und auf
den Weg der Gerechtigfeit zurüdfehren. So fam denn das Wort Gotteb
felbft, das in der Vernunft zu und redet, und nahm die menfchliche Natur
an, im welder ed den Fürften diefer Welt befiegte. Denn es erſchien
der Menfchenfohn, in dem die Kraft Gotted war, nicht auf dem Wege
der Fortpflanzung aus Adam. Er war jo voll Kraft (virtute plenus),
daß er nicht noch mehr Kraft haben konnte; er war die Tugend felbft,
erhaben über alle Natur und Gnade — der Sieger fiber den Satan.
Eines ift aber befonders zu beachten. Chriftus, in welchem oder vielmehr
welcher das Wort Gottes, Geſetz des Lebend oder der Natur, oder dad
Geſetz des vernünftigen Geifted war ohne alle Mafel und Sünde, in
der höchften Reinheit und Vollendung, die feine Steigerung zulieh, Fam
in der Aehnlichkeit mit andern fündhaften Menfhen. Da nun der Fürft
diefer Welt von allen Nachkommen Adams, die ähnlih wie Adam ge—
fündigt, ſich eine gewiſſe Unterwürfigfeit in Anſpruch nahm, da er bie
Sünde ift, die jeden Sünder regiert, fo hatte der Satan von dem Mens
hen, der von der Gerechtigkeit Gottes nicht ungerechter Weiſe verurtheilt
609
wird, weil er freiwillig fündigte, indem er fich freiwillig zum Knechte der
Sünde und ded Toded oder des Teufeld machte, mit einem gewifjen
Rechte Befig genommen (homo... ab ipso Satana non injuste possi-
debatur). Indem aber der Teufel auch auf Ehriftus, der unter feinem
Rechtstitel ihm untergeben war (qui ei nullo jure subfuit), feine Herre
haft ausdehnte und die Ermordung Deſſen, der die Gerechtigkeit felbft
war, ald wäre er ein Ungerechter und fein (des Teufels) Eigentbum,
herbeiführte, jo beging er, durh Mißbrauch feiner Herrihaft, eine ſolche
Sünde, daß er deßhalb mit Recht feine Herrihaft über Alle, die Ehriftus
angehören, verlor (tunc peccatum tale Satan commisit abutendo im-
perio suo, propter quod juste imperium in omnes, qui Christi sunt,
perdidit). Chriſtus aber gehören Alle an, in welchen wahrhaft Chrifti
Wille lebt, d. 1. die ihn ald den Sohn Gottes aufnehmen und ihm als
ſolchem gehorden, und jo Theil haben am Verdienſte feined Todes, der
Keinem zu Gute fommt, der nicht das Geſetz geiftig auffaßt (quae nulli
profuit, qui legem spiritualiter non intellexit). Denn indem Gott feinen
Sohn in der MHehnlichfeit des fündhaften Fleiſches (in similitudinem
carnis peccati) fandte, hat er wegen der Sünde die Sünde im
Fleiſche verurtheilt (de peccato damnavit peccatum in carne).
Wegen der Sünde — die nämlich gegen ihn begangen wurde, hat
er die Sünde verurtheilt, d. i. den Feind des Heild, auf daß bie
Rechtfertigung des Naturgefeges, das fih an das geiftige Geſetz anſchließt,
in und erfüllt werde, die wir nicht im Fleiſche, fondern im Geifte
wandeln.
Man könnte nun fagen: Hieraus ſcheint hervorzugehen, daß das Ges
ſetz Mofis die Erneuerung ded Geſetzes der Natur if. Untwort: Das
Geſetz Mofts ift dreifach; drei Gefege find in ihm enthalten: ein geiftiges
Geſetz, dad Gefeg der Erneuerung und das Geremonialgefet. Dom gei—
ftigen Gefege fprechen die Worte: „Höre Siracl, dein Gott ift Einer,“
was fih nur auf die Gottheit bezieht. Das Geſetz der Erneuerung ift
jenes, welches das Gefeg der Natur erneuert und reformirt, weldes
auh Das, was nicht für Sünde gehalten wurde, als Sünde erfennen
läßt. Vieles wurde in Folge der entftandenen entgegengefegten Gewohn—
heit nicht für Sünde gehalten, als ob fi Gott nicht darum befümmere,
weil er die Uebertreter nicht beftrafte. Nun ift es aber durd das Geſetz
ind Klare geftellt, indem es jagt, daß, wer etwa der augenblidlichen
Strafe entgehe, doch dem fünftigen Gerichte nicht entgehen werde. Allein
die Gerechtigkeit (gerechtmachende Gnade) Gottes, die mit anderm Namen
auch feine Barmherzigkeit genannt wird, offenbarte fih zwar nicht ohne
das geiftige Gefeg, wohl aber ohne das Strafgeieß (sine lege vindictae),
Scharpff, Nie ». Cuſa. 39
610
d. 1. Geſetz der Erneuerung (innovationis) und das Geſetz des Eabbatt
(Geremonialgefeg), indem ed mit diefen in feiner Verbindung ftand, weil
die Gerechtigkeit Gotted Alle zu befreien befahl, welde das Strafgeich
verurtheilte. &leihwohl wurde aud die Gerechtigkeit (rechtfertigende
Gnade) Gotted vom Geſetze geoffenbart, weil Geſetz und Propheten die
Anfunft Ehrifti vorausfagten. So fam denn Chriftus vom Water zu
dem Zwede gefandt, damit Gott der Vater ald gerecht erfcheine, der fein
gegebenes Wort hält, und damit der Sohn Diejenigen erlöfe, die der
Pater ald Sünder lange Zeit in feiner Barmberzigfeil geſchont hatte
(misericorditer sustinuit). Gott hatte beichloffen, Chriſtus ald gmädigen
Vermittler (propitiatorem) zu fchiden, damit dur ihn dem Menſchenge—
fchledhte Gnade widerfahre (ut per eum propitiaretur generi humano) in
feinem Blute, d. i. in feinem Leiden und zwar durd den Glauben, weil
die Glanbenden auf ihr Heil hoffen dürfen, wie das Beifpiel des Eis
chers am Kreuze, der Sünderin Maria (Magdalena) und anderer Gercht,
fertigten beweist, Man liest nicht, daß dieſe durd voransgegangene gute
Werke gerechtfertigt worden, ſondern durd den [ebendigen Glauben (per
fidem formatam).
Du fragft: wer find jene Gläubigen, welde gerechtfertigt werden?
Sch antworte: es find Die, welde in Chriftus find und von fleiichlichen
Begierden fich nicht beherrfchen Taffen; fie fann die Verdammniß nicht
treffen. In Ehriftus fein heißt aber, nad allen Tugenden ſtreben (om-
nibus virtutibus insistere). Ehriftus ift die Tugend, der Satan die Sünde.
Chriftus ift die Demuth, denn wenn die Tugend berannaht, muß der Hod-
muth weichen und jener den Plag einräumen. Bleibt der Hochmutb, fo
nimmt er die Stelle der Demuth ein, das Gleiche gilt von den übrigen
Tugenden. Die Sünden müflen daher ausgerottet werden, damit bie
Tugenden deren Etille einnehmen. Die Sünden find die Ganander, die
aus dem Lande der Siraeliten nicht leicht zu vertreiben waren. Gott
fonnte fie in Einem Augenblick vernichten, allein zur Prüfung der Kinder
Iſraels und deren Uebung (in der Treue gegen Gott) wollte er es nidt.
Und woher tft der Geift des Lebens oder der Wahrheit und der Geiſt
des Todes oder des Irrthums? Der Geift des Lebens fucht fi eine
Stätte in der vernünftigen Seele, indem er den Geift des Todes ver
treibt, der diefelbe einnimmt und, ftarf dur alte Gewohnheit, fein Be
fisthum kräftig vertheidigt. Chriftus aber, der Sieger über den Tod,
jagt: „wenn ihr meine Worte befolget, fo werdet ihr die Wahrheit er-
kennen und die Wahrheit wird euch frei machen.” Und der Apoftel fagt,
der Geift des Lebens befreie, indem er zeigt, daß der Eohn und hi. Gilt
eine und diejelbe Befreiung bewirfen. Im Glauben wird das Wort
Gottes erfaßt und wenn es befolgt wird, wird es als Wahrheit erfannt.
1
611
Die Wahrheit ift e8, die den Geift von der Sünde oder dem Tode des
Geiſtes, d. i. Irrthum und Unwiffenheit befreit. Denn der Geift des
Lebens, der der Geift der Wahrheit ift, fenft fih in die vernünftige Seele
ein, wo die Wahrheit erfannt wird.
Ih will nun noch fur; berühren, wie die Seele, in der Ghriftus
nur gleich einem leblofen Biloniffe ift, gerechtfertigt und neubelebt wird.
Ehriftus iſt um unferer Rechtfertigung willen auferftanden. Wenn
nun Chriftus in uns iſt ald das Brod, das äußerlich die Geftalt Chrifti
trägt und jo Ehriftus (in und, bei der heiligen Communion) auferfteht,
weil ja dad Brod in den lebendigen Ehriftus verwandelt wird, dann ift
in und die Rechtfertigung, das Leben, der Friede und jegliche Tugend.
Chriſtus feiert dann zum Zwecke unferer Rechtfertigung in und feine Aufers
ftehung, die wir durch feine Auferftehung gerechtfertigt werden. Siehe da,
wie der Gläubige, in welchem Chriſtus auferfteht, vom Tode auferfteht.
Das Zeichen hievon it das Sacrament der Eudariftie. Denn bier ift das
geiftige Leben, das Leben jpendet und durch Glauben erfaßt wird. Hier
wird der Glaube in einer Seele, welde tobt war, der Glaube, der an
Chriſtus fefthält ohme lebendige Werfe (tenens scilicet Christum sine
vivis operibus), ind Leben erwedt, jo daß er ein lebendiger Glaube
ift. Diefe Auferwedung erfolgt durch die Auferftehung Chrifti (in une),
der in und lebendig wird, Died gefhieht in der Weife, in der der Pries
fter das Brod in Ehriftus verwandelt. Der Priefter reinigt fih nämlich
dur die Beiht von der Topfünde und ruft die Barmherzigkeit Gottes
an. Jeder Ehrift ift Priefter, indem er auf Ähnliche Weiſe verführt. Durch
Gebet beim geheimnißvollen Opfer (mysticis orationibus) wird er es er—
langen, daß Ehriftus die Seele, weldhe des vernünftigen und göttlichen Les
bens entbehrte, in das Leben feines Geifted eben fo ummwandelt, wie ber
Priefter am Altare durch Glauben und Ausfprechen der geheimnißvollen
Worte (per fidem et mysticas preces) es erlangt, daß das wirkliche Brod
In den lebendigen Leib Ehrifti verwandelt wird. Iſt dann Chriftus- im
innern Menſchen in das Leben des Gelftes Ehrifti übergegangen, dann
verleiht das unbefledte Lamm Ruhe und Frieden. Denn Chriftus ift der
Friede, die Ruhe des Lebens, die und ewig beglüdt. Er jet gepriefen in
Ewigfeit! Amen. (Exc. IX, 650—654.)
39’
612
Rede auf den Charfreitag.
Damit das Volf zum Verſtändniß der Sade noch eine faßlichere
Anleitung (manuductio) erhalte, mag eine Parabel (exemplum) vor
ausgehen.
Ein König hatte eine Adoptivtochter, welde dur einen Betrüger
verführt und auf eine ferne Inſel gebradt wurde. Da der Verführer fie
viele Jahre nad feinen Grundfägen auferzog, fo entftand im ihr eine
gewiffe Liebe zu ihm. Der König ließ ſie durch feinen eingebornen Sohn
überall auffuhen. Als diefer fie endlih in ihrer traurigen Einöde auf-
fand, offenbarte er ihr ihre Herkunft und ihre Würde ald Adoptivtochter
eines mächtigen Königs, fowie daß fie Miterbin mit ihm fei und daß er
vom Vater gefandt fei, fie zurüdzuführen. Als fie nun über die Wahr
heit dieſer Botſchaft vielfahe Fragen ftellte, konnte fie nicht leicht zu dem
fihern Glauben, daß es ein befferes Vaterland gebe und fie die Königin
desfelben werden folle, gebracht werden, wie fie auch davon nicht über
zeugt werden fonnte, daß der Eohn des ewigen Vaters ohne einen Bater
aus der Mutter auf natürlihem Wege geboren worden, nachdem er
neun Monate in ihrem Leibe geruhet. Es ſchien ihr, daß der Verftand das
nicht faffe, und daß man es deßhalb auch nicht glauben dürfe. Sie ver:
warf daher lange Zeit Alles als Rüge, doch gelang ed dem Sohne end»
lich durd viele Zeihen und Wunder fie zu einigem Glauben zu bringen.
Allein ihr Verführer beredete fie auf alle Weife, nicht zu glauben. Da
fie aber gleibwohl den Sohn öfterd anhörte und ihn fehr liebenswürdig
fand, fo hielt fie am Glauben an ihn feit. Indem fie bemerkte, daß der
Sohn fie auf das Feurigfte liebe, erwiederte fie diefe Liebe. Weil fie aber
wohl wußte, daß fie durd den Aufenthalt in diefer Gegend und in der
Geſellſchaft des Verführers ſich viele Mängel Cinfirmitates) zugezogen,
die der Königsſohn wohl fannte, fo wünfchte fie zwar geliebt zu fein,
befürchtete aber, fie könne wohl nie wahrhaft geliebt werden. Das ſchmerzte
fie, und fie hörte nicht auf zu feufzen und zu weinen. Wiewohl der
Sohn fie tröftete, fo glaubte fie doch, es fei nicht möglih, daß er fe
liebe, da fie fo unmwürdig und fhwac geworden. Der Sohn, der nicht
wollte, daß fte fo jehr niedergebeugt fei, dadıte nad, wie er fie tröften
könne, und fand fein anderes Mittel, ald wenn er ihre Mängel annehme.
So nahm er denn die Mängel des jungen Mädchens an, auf daß fie
aus der Aehnlichfeit Muth faffe. Er traf nun Anftalt, nach dem Auf
trage des Vaters fie in das Königreich zurüdzuführen. Als er fie num über
die See führte, um ihr den Weg in das Reich feines Waters zu zeigen,
jegte der Verführer nah, um fie zurüdzuhalten. Am Ufer, wo der Weg
613
in's Königreich begann, fam e8 zu einem heftigen Kampfe... Der Sohn
bezwang den Verführer und feflelte ihn am nicht zu löfende eiferne Ketten.
Mährend er aber gebunden wurde, wußte er liftiger Weiſe den Königs—
john tödtlich zu verwunden, der bald darauf (nachdem der Berführer ges
feflelt und ins Feuermeer geworfen war) an der Wunde ftarb. Als nun
das Mädchen jah, daß der Königsſohn um ihretwillen geftorben, gelangte
fie zur vollen Gewißheit, daß alle feine Worte, die er durch feinen Tod
erhärtete, wahr feien. Sie blieb nun traurig an jener: Stelle, baute ſich
an ver Todesftätte ein Häuschen, in dem fie die Waffen ded Sohnes
aufbängte, auf daß fie nie des Geſponſes vergeffe, der fie bid in den
Tod liebte. Indem fie aus Grund des Herzens zu Gott rief, ſprach fie:
Mein Berlobter, der feiner Lüge fühig war, fagte mir, du feieft der
König, der ihn gefandt hat, du fein Vater; einen andern Vater habe er
nicht, als dich, o Gott! und in Nehnlicyfeit mit unferer Natur fei eine
Jungfrau feine Mutter. Wenn du nun, o Gott! diefen deinen Sohn
für mich haft fterben laffen, jo laß ihn auch für mich wieder leben, weil
er mich umjonft aus der Einöde herausgeführt hat, wenn ich feinen Um—
gang nicht genießen fann. Beftimmt durch die eigene Güte, durch Liebe
zu dem Sohne und Mitleid gegen das gerettete Mädchen, erwedte der
Pater den Sohn ind Leben. So wurde von dem Bater der Sohn aufs
erwedt, dem jene Braut in Liebe zugethan ift, ſtets eingedenf feiner Treue
bis in den Tod. Ihre Liebe findet Nahrung in der Erinnerung an jenen
Tod, durch diefen höchften Grad der Treue bleibt fie unverfehrt und keuſch.
Allein obgleih der Berlobte lebt, jo ift er doch bei dem Vater, Wie er
jelbft aus dem Bater und der Jungfrau ftammt, jo erzeugt er aus der
ihm verlobten Jungfrau, die er liebt, Miterben durch ven Geiſt feiner
Liebe, den auch feine Werlobte hat, gleihwie er von dem Bater im
Himmel durd den Geift der Liebe des Vaters in diefer Welt aus der
Jungfrau gezeugt iſt. Seine Verlobte fendet ihm alle Tage ald Frucht
ihres Leibes Miterben, durch melde fie ſelbſt allmählig zur Herrichaft
hinauffteigt; fie ſchmückt fie nach der Waffenrüftung ihres Bräutigamsg,
ihm ähnlich, auf daß fie defien Vater angenehm wären und in das Reid)
des Sieges Zutritt erhielten, indem fie Waffen und Feldzeihen des Sie—
gerd vorweilen. Beim Nahen ded Todes ftellt fie das Siegeszeichen vor
das Angeficht ihrer Kinder und thut dies fo lange, bis die Zahl der
Auserwählten voll if. Diefe Zahl verhält fib wie die Theile des Kör-
pers der Braut, in dem der Geift des Bräutigams ift, fo daß Alles,
was der Braut ift, dem Bräutigam gehört, und die Glieder der Braut
in der Art der Braut gehören, daß fie mittelft der Braut, die ganz dem
Bräutigam angehört, gleichfalls diefem zu eigen find. Das ift das Bild
von Ehriftus und der Kirche, feiner Braut.
614
Aus diefer Parabel magft du, fromme Seele! die du die Braut
Ehrifti bift, erfennen, daß dein Bräutigam, Gott und Menſch, vom Vater
in diefe Welt gefandt wurde, um dir die Wahrheit deines Urſprungs zu
enthüllen und dich zur Einfiht zu bringen, daß du in der Hand dee
Verführers bift, um den Glauben dir zu erfchließen und die Sehnſucht
nah dem Reich des Lebens, zu dem dir der König des Lebens die Kinds
haft gegeben, zu erweden. Einſehen follft du, daß der Vater, um feine
große Liebe gegen dich zu zeigen, den eingebornen Sohn felbft dir zum
Bräutigam gegeben hat. Damit er dies fei und du ihn lieben Fannft,
ließ er ibn aus der Jungfrau geboren werden und fchöner ald alle Mens
fchenfinder werden. Er trug ihm auf, dich auf das Zärtlichfte zu lieben,
und dur Liebe an fih zu feffeln, auf daß du, ihm machfolgend, zum
Vater gelangefl. Der Sohn fam, in Allem dem Vater gehorfam, belchrte
dih über die Wahrheit und über deine Auserwählung an Kindesitatt.
Weil dir dad Glauben ſchwer fiel, fo ward er dein Arzt und liebreichiter
Diener, auf daß du anfangeft, ihn zu lieben und dur wunderbare Kuren
an ihn zu glauben. Mit vieler Schwierigkeit befiegte er dich, Daß du
erfannteft, wie jehr er dich liebe. Du zweifelteft, ob es ihm Ernft fei,
weil du dich durch die Genoffenfhaft mit Nichtswürdigem unwürdig, ein-
Augig (unioculam) und ſchwach wußteft. Um daher feiner Liebe verfidert
zu fein, nahm er zu deinem Troſte diefelden Schwächen (easdem infr-
mitates) an. Als du von Liebe gefejfelt zu werden anfingeft, wollte der
Sohn dem Vater gehorfam jein und am Bande der Liebe dih nah fid
ziehen, wie es von dir geichrieben fteht: „Ziehe mich an dich!“ Er führte
dich daher durch das reinigende Waſſer, durch welches die Feſſel der
Liebe zu dieſer Inſelwelt gelöst wird. Allein der Verführer fegte dir
nach, der böje Geift, voll Haß und Neid, und hielt dich zurüd, daß du
deinem Bräutigam nicht folgen konnteſt; diefer, um feinem Vater gehorjam
zu fein und dir durch die That zu zeigen, daß Alles wahr ſei, was er
dir verfündet hat, griff jenen an, obmohl er wußte, daß er von dem
trügerifchen und lügenhaften Fürften diefer Welt Vieles bis zum Tode
am Kreuze leiden werde, und befiegte ihn fterbend, indem er fih für dic
unter lautem Rufen und Weinen zum Opfer bradte. Dies Rufen bat
der Himmel gehört, wie geſchrieben fteht: „ich hörte eine laute Stimme
im Himmel, welche rief: jegt ift das Heil gefommen und die Kraft und
das Reich unfered Gottes und die Macht feines Gefalbten, weil ber
Anfläger unferer Brüder geftürzt it.” Darum, o chriftlide Seele! ver-
härte dein Herz nicht, wenn du heute feine Stimme höreſt; denn für bie
ruft er zum Vater und fein Gehorfam wird erhört. Beachte es wohl!
für dich ging er in den Kampf, treu und ftandhaft kämpfte er, fiegend it
er geftorben. Beachte wohl, wer dein Bräutigam ift, wie ſchön und
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weife; im Andenfen an ihn müffen wir das Jahresgedächtniß feines Todes
feiern. Unaufhörlich folft du feinen Tod in deinem Herzen erwägen;
denn einen ſolchen Bräutigam findeft du fonft nirgends mehr. Siehe, wie
keuſche Frauen ihre guten und geliebten Männer beweinen, während un-
Feufche fie nach dem MWehflagen bald wieder vergefien. Erwede dich zum
Mitleid, wenn du hörft, daß der Herr, dein ©eliebter leide! Welche
treue Magd würde nicht, wenn fie ihre Edelfrau leiden fieht, auch zum
Mitleiven bewegt? Enväge: wenn Chriftus, der für dich gefandt war,
nur dur Leiden zum Vater zurüdfehren konnte, jo mußt mit Recht aud
du leiden, um in das Haus oder Neih, zu dem du nicht geboren bilt,
einzugehen. Welche Anmaßung wäre es, wenn, während der Herr durchs
bohrt von töntlihen Wunden aus dem Kriege zurüdfehrt, jein Kriegs—
knecht unverlegt gleichwohl mit ihm herrihen wollte! Durch Mitleiden
werden wir mitherrfchen. Der Streiter Chrifti muß daher fein Fleiſch
freuzigen, durch Ertödtung der fleifchlihen Begierden. Willft du, der du
in diefer Welt krank bift, gefund werden, jo mußt du das faule Fleiſch
ausſchneiden. Gin Räuber läßt fich lieber die Hand abhauen, als daß
er das Leben felbft verliere; der Chriſt muß in allen Leiden Geduld
haben und diefe nähren durch das Brod der Erinnerung an die Geduld
Ehrifti, in Trübjal, Armuth,. Verachtung und andern um Ehrifti willen
erduldeten Mishandlungen. (Exc. III, 414. 415.)
Ueber Abtödtung.
Niemand fteht zum Leben auf, ver nicht zuvor gefreuzigt if. Jede
Handlung Chrifti ift zu unferer Belehrung, denn er ift der Weg und
der 2ehrmeifter, der an ſich felbft und den Weg zur Herrlichkeit zeigt,
wenn er jagt: „wie ich gethan, fo follet auch ihr thun.” Konnte nun
Ehriftus nicht anders im feine Herrlichkeit eingehen, als nad voranger
gangener Kreuzigung, fo werden auch wir nur auf dem Wege der Kreus
zigung eingehen; denn er fagt: „wer mir nachfolgen will, verläugne
fi felbft, er nehme fein Kreuz auf ſich und folge mir nah." Beachten
wir, daß in und zwei entgegengefegte Befehlshaber find, der eine im
Sleiihe, der andere im Geifte, welche gegeneinander Krieg führen, und
daß die Bewältigung derjenigen Macht, die im Fleiſche befehligt,
Kreuzigung it, wobei diejenige Macht fiegt, welche in der vernünftigen
Seele gebietet, dann werben wir das Myſterium des Kreuzes verftchen,
um zu erfennen, was wir zu thun haben. Paulus lehrt, der Äußere
616
oder alte Menfh müſſe durch den innern neuen, Chriftusähnlichen
Menſchen and Kreuz geheftet werden, dort müſſe all fein Leben — die
Begierlichfeit, getödtet werden, auf daß nur der neue, innere und himm—
liſche Menſch lebe, der nah Gottes Sinn und Willen gerecht und wahrs-
haftig iſt. Wer fo dem Fleiiche nach tobt ift, der wird in der Kraft,
in der der gefreuzigte Chriſtus vom Tode auferftanden, gleichfalld aufer-
fiehen. Die Begierlichfeit des Fleifhes alfo and Kreuz geheftet bändigen,
durch Martern, Selbftpeinigung und Kafteiung, damit das Berlangen
des Geiſtes Fein Hinderniß finde, das heißt den Körper freuzigen, in
welchem die förperliche Begierlichfeit wohnt, die der Körper oder Inhalt
der Sünde ift (quae est corpus seu continens peccatum).
Das Leben iſt Liebe (sine amore non vivitur). Der Menih befteht
aus einer doppelten Liebe (ex duobus amoribus componitur): aus der
Liebe zum Sinnlihen oder Sichtbaren, und aus der Liebe zum Unficht-
baren. Das Eichtbare ift zeitlih, das Unfihtbare ewig; die Sünden
find zeitlich, die Tugenden ewig. Die Liebe zum Zeitlichen, die bis zum
Haſſe oder Veradtung des Ewigen geht, ift fündhaft und ftammt aus
der Begierlichfeit des Fleifches, aus dem alten Adam. Die Liebe zum
Ewigen ift ftrebfam (studiosus) und flammt aus der Sehnfucht der
geiftigen Natur, aus dem Himmel. Aus doppelter Sehnſucht befteht alfo
der Menfh, und die Natur einer jeden ift zur Einheit der Perſon vers
bunden. In diefer Verbindung bemüht fih das Weib d. i. die Begier-
lichkeit des Fleifches, daß der Mann d. i. das Verlangen des Geiſtes,
fih in Liebe an fie anfchließe und fie zum Ziele feines Verlangens mache,
auf daß fein Verlangen ganz fleifchlih werde und fie über ihn berrice.
Und weil fie in ganz familiärer Weife mit ihm zufammenwohnt, fo reizt
fie ihn beftändig durch finnlide Schönheit und meiſtens fiegt der Wille
des Fleiſches über den Geiſt, der gefreuziget wird. Das fonımt aus der
Unwifjenheit, weil der Geift weder feinen Adel, noch die Gemeinheit des
Fleiſches kennt; er kennt nicht Gott, das ewige Leben, nicht die Hölle,
den ewigen Tod. So gelten ihm zeitlihe Genüffe für Glüchſeligkeit.
Der Mann dient dem Weibe, weil er Allem aufbietet, der finnlihen Luft
zu gefallen.
Da kam Jeſus, deffen Geift allwiffend if, dem Lichte der göttlichen
Weisheit geeintz er entfernte die alte Unwiffenheit, zeigte das ewige
Leben des Geiftes, und daß die Freuden diefer Zeit fih zu den Freuden
des ewigen Lebens verhalten, wie Zeit und Ewigkeit. Diefe gehen durch
den ewigen Tod verloren, und die ewige Freude erreichen Diejenigen nicht,
welche fie nicht lieben. Chriftus lehrte, wer dad ewige Leben erlangen
wolle, müſſe Mann fein, und über die Frau, die Begierlichfeit des
Fleiſches, herrichen, er müfje ihm nahahmen, und diefed Leben, dieſe
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Melt mit allen ihren Freuden für nichts achten, um deſto fehnfuchtsvoller
nah dem Himmel zu ringen, wo Alles ewig if. Wer jo handelt, nimmt
fein Kreuz auf fih und folgt ihm nad.
Allein Fein Menſch kann mit feiner eigenen Kraft, die er aus
Adam hat, die Welt befiegen. Es muß daher die Unwiffenheit, dur
die Alle gefallen find, dur den Glauben verdrängt werben. Der
Glaube geht auf das Unfichtbare.. Das Ewige ift unfichtbar; nad dem
ewigen Leben fönnen wir nur durch den Glauben ringen. Allein zu
diefem Glauben fommen wir nur durch den Glauben alles Glaubens,
und dieſer ift: daß unjer Lehrmeifter Jefus der Sohn Gottes und gefreuzigt
worden if. Wird er ald Sohn Gottes geglaubt, fo verſchwindet alles
Dunkle und Finftere des Mißtrauend aus unfern Herzen, da wir wiſſen:
der Sohn Gottes ift wahrhaftig in Wort und Berheißung. Glauben
wir, daß er gefreuzigt worden und fo in dad Reich des Vaters einge:
gangen fei, fo zweifeln wir nicht, daß, wenn auch wir Ehriftus in ver
Kreuzigung nachfolgen, wir ihm aud in fein Reich als Erben folgen
werben.
Zefus, der unendlich erbarmungsvolle Sohn des Vaters der Barm-
herzigfeit, ging freiwillig für und in den Tod, um zu zeigen, wie ſehr er
und liebe und wie übergroß fein Erbarmen fei. Gibt es eine größere
Barmherzigkeit, als fi zur Erlöfung für die Gefangenen bingeben? am
eigenen Leibe den Tod zu erleiden, den wir mit vollem Rechte ob des
Verbrechens der beleidigten Majeftät, das unfer Stammvater gegen den
Schöpfer begangen, zu erleiven hatten? Wir haben ihm aljo nothiwendig
in der Barmherzigkeit nadhzuahmen, die wir thatfächlih denjenigen
beweijen follen, für die er geftorben iſt. Iſt er für Alle geftorben, und
hat er Allen dadurd feine große Liebe bewiefen, was will er anders, als
daß aud wir um feinetwillen Allen Barmherzigfeit beweifen follen?
(Exc. VII, 602.)
Anrede an Canoniker,
aus Veranlaſſung einer bevorſtehenden Viſttation.
(Vom Jahre 1443.)
Accepistis, in quo et statis, per quod et salvamini. 1. Cor. 15.
Unfer Hohepriefter Jeſus Chriftus, der die Himmel durddrungen,
hat in der Fatholifchen Kirche, feiner Braut, die er fi mit feinem Blute
erworben hat, zur Auferbauung feines myſtiſchen Leibes und zu unjerm
618
Heile Biſchöfe hinterlaffen, die feine Stelle vertreten. Sie find die Nach—
folger der Apoftel, von welchen Ehriftus fagt: „wer euch hört, hört mid) *;
und: „wie mid der Water gefendet hat, fo fende ich euch.“ Nun ward
aber Ehriftus gefandt, um zu fuchen und zu retten, was verloren war.
Er befiehlt daher auch den Bifchöfen, feinen Stellvertretern, zu ſuchen
und zu retten, was verloren if. Da nun dieſer unfer Bilchof, den ihr
bier fehet, die gleiche Sendung von Ehriftus erhalten hat, jo war ed
längit feine Ueberzeugung, er fei von Gott gefandt, um zu fuchen und zu
retten, was verloren ift, fo wie daß Vernachläſſigung diefer Sendung
von Seiten Deffen, der einmal dad Joch eines Bifhofs anf fih genom—
men, nicht zu entichuldigen ſei. Allein viele Rüdfichten des öffentlichen
Dienfted und feiner perfönlichen Stellung hinderten ihn bis jegt am der
Ausführung feines Vorhabens. Da fih ihm aber jept eine günftige Ges
legenheit darbietet, fo fommt er, damit nicht das Blut feiner Unterge-
benen im ftrengen Gerichte Gotted von feinen Händen geforbert werde,
nunmehr zu euch als zu Dienern Gottes, zu fuchen und zu retten, gemäß
den Pflichten feines Amtes. Und da die Hirtenforgfalt in der Bifitation,
diefe aber im Grmahnen, Predigen und Reformiren befteht, fo bat der
hochwürdigſte Vater den Auftrag zur Ermahnung mir ertheilt, um fodann
der Reihe na die übrigen Stüde der Bifitation auszuführen. Obwohl
zu Schwach, ald daß ich eine den Zeitverhältniffen angemeffene ') Ermah—
nung ertheilen könnte, bindet mich doch die Pflicht des Gehorfams. Und
fo habe ih denn zum Vollzug des erhaltenen Auftrags jenes Wort des
Völferapofteld ausgewählt, wenn er fagt: „Ihr habt (das Evangelium)
angenommen, worin ihr auch verharret, wodurch ihr auch felig werdet.“
Paulus, der den Gorinthern das Evangelium verfündiget, daß fie
durch den Tod Ehrifti frei geworden und durch feine Auferftehung neues
Leben erhalten hätten, hatte vernommen, daß Einige ausgeftreut, e8 gebe
feine Auferftehung der Todten, und fchreibt daher den Corinthern, er ſelbſt
habe ihnen ja das Evangelium verfündigt und fie hätten ed angenommen.
So habe auch ih euch, im Herrn geliebte Brüder! nichts Neues zu ver
fünden, fondern nur das euch Allen längft Bekannte in Erinnerung.
zu bringen.
Unfere apoftoliihen Väter baben erwogen, daß in dem Evangelium
Ehrifti Alles, was zum Leben und Heile gehört, wodurd jeder Menſch
in Ehrifto Jeſu auferftehen und in ihm ewig leben kann, enthalten ift.
Sie unterfhieden jedoch Einiges, was fo nothwendig zum Heile ift,
1) „ex tempore congrue adhortari“ fünnte auch andeuten, der Befehl zum Pres
digen fei fo unerwartet gegeben worden, daß er ohne forgfältigere Vorbereitung (ex
tempore) zu reden genöthigt fei, worauf auch das Rolgende: ad verbum doctoris gen-
tium pro expletione mandati conrolavi hinzubeuten fcheint.
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daß man ohne dasfelbe nicht in ihm auferfiehen fann, und Anderes, was
freiwillig darüber hinausgeht (alia supererogationis) und als höhere
Vollkommenheit auch eine größere Seligfeit in Chriſto erwirbt. Dies
fcheint auch Paulus fagen zu wollen, wenn er anführt, daß zuerft Chriſtus,
dann Die, welche die Seinen find, jeder in feiner Ordnung, auferftehen
werben. Die nun in einer höhern Stufenordnung in Ehriftus auferftehen,
haben aub ſchon im diefem Leben eine höhere Vollkommenheit erreicht.
Nachdem nämlich Ehriftus dargelegt hatte, Niemand könne ohne die Liebe
Gottes und des Näcften ind Leben eingehen, fügt er bei: wer vollfom-
men fein wolle, ver verfaufe Alles, gebe es den Armen und folge fo
ihm nad! Anderswo fagt er: „Selig find die Armen im Geifte, denn
ihrer ift das Himmelreih.* Da nun fi feldft abtödten nicht die Sadıe
Aller, fondern nur Derer ift, die e8 faffen Fünnen, jo haben heilige und
apoftoliihe Männer, die eifrig nad höherer Vollfommenheit trachteten,
fih einige Regeln gegeben, die zur Bollfommenheit führen, ohne jedoch
alle Ehriftgläubigen zu denfelben zu verpflichten, fondern nur Die, welche
nach Bollfommenheit ftrebten. Die nun, welche diefe evangeliihe Lebends
weife annahmen und diefe Regeln befolgten, hießen Ganonifer d. i. nad)
einer Regel Lebenden. Und dies ift ed chen, was ich euch verfünde. Ihr
feid zwar nicht Elerifer, deren 8008 unter den Gläubigen ift, Eigenthum
Gottes zu fein, aber ihr ſeid Regularen oder Canoniker und habet euch
als ſolche in ftrengerer Regel zum Gehorfam gegen Gott verpflichtet, nad
der ihr nun zu leben verpflichtet feld, um das Heil im höheren Grade
zu erlangen. Ihr habt aljo diefe Verpflichtung von anonifern auf euch
genommen, darin follt ihr auch verharren, darin felig werden. Wer die
Hand an den Pflug legt und zurüdihaut, taugt nicht fürs Himmelreich.
Denn Jeder muß beharrlic und durddringend (perpenetrantem) in der
Berufung, die er erhalten hat, fein, wenn er den Lohn erlangen will.
Das heißt verharren und feft in dem erhaltenen Evangelium bleiben. Sit
gleih ein Gelübde thun Sache der Freiheit, jo ift doch es halten, Sache
der Pflicht (necessitatis). Früher ftand es euch frei, euch nicht an die
Regeln der Heiligen zu halten; da ihr aber nun Ganonifer jeid, und
diefe Regel erhalten habt, fo müßt ihr auch in dem verharren, was eure
Seligfeit begründet. Nichts anderes bezwedt diefe Ermahnung und die
darauf folgende Bifitation, ald daß ihr in Wahrheit feſt ftehet in Dem,
was ihr erhalten habt, dañ ihr wirflib und ohne Selbfttäufhung nad)
den Regeln der Heiligen lebet, daß ihr nicht mit den Lippen und nur
Außerlih mit Worten euch Ganonifer nennt, während ihr innerlich (corde)
von der Bedeutung des Wortes weit entfernt feld.) Ihr fehet doc,
1) Vom Gingange bis hieher aus dem Manuferipte B, das hauptfählid Ser:
monen enthält; das folgende ſteht Exc. III, 412, 413,
620
bag auch im Staate falfhes Gewicht verhaßt iſt und Schaden bringt.
Mer fih für einen Bäder oder andern Gewerbsmann ausgibt und falfches
Gewicht hat, indem er ftatt guten Waizenbrodes ein zum Schein bereis
tetes jchlechtes verfauft, der dient dem Gemeinwefen nicht nur nicht, fon-
dern er fchadet ihm fehr viel. Daher werden die Gewerbe vifitirt und
(nöthigenfalls) reformirt. Wir lefen daher in den Befchlüflen ver hl. Con—
cilien fehr oft, Jeder folle nad der Bereutung feines Namens leben: ber
Mönd (monachus) fol nad) der Bedeutung feines Namens einzeln für
fih und in Trauer leben (quasi unus solus et tristis) und feine Sünden
beweinen; der Kanonifer ald ein Mann der Regel, der die Regeln
der Heiligen auf fih genommen hat; der Biſchof fei ein Oberauffeber
(quasi superintendens), der Presbyter lebe wie ein Senior, der Ans
dern den Weg des Heiles zeigt. Ihr habt in eurem Stande eine be»
ſonders hohe Aufgabe erhalten, indem ihr euch zu befondern Dienern Ehrifti
gemacht habt, um Gott, der ein Geift iſt, im Geifte zu dienen. Diefe
hohe Aufgabe liegt darin, daß ihr die Lebensweife von Heiligen gelobet,
die diefer Welt entfagen, um fi ganz Gott zu weihen. Das Leben der
Regularen muß von der Welt losgelöst fein, damit fie dad, wad Oben
ift, verftehen. Glaubet nicht, es ſei zwifchen euch und den Mönden ein
großer Unterfchied, denn Ein Gedanke leitete die Heiligen: Verzicht auf
Eigenthum, Abtödtung des Fleiſches, Aufgeben des freien Willens —
Trennung von der Welt, um Gott im Geifte zu dienen. Dies ift, wie
ihr wiffet, das Weſentliche aller religiöfen Orden, denn darin liegt Das,
wodurch wir der Welt abfterben. Die Welt ift Sleifchesluft, Augenluft,
Hoffarth ded Lebens. Dieje drei müſſen überwunden werden. „Eine
reine und undefledte Religion ift es, fi von der Befleckung diefer Welt
frei bewahren.” Eben died und nichts Anderes wollen die Regeln der
Väter; durch fie follen wir die Welt verlaffen und Gott dienen. Das
ift eö, was ihr erhalten habt. Du fagft vielleiht: wir haben nicht jeme
firenge Negel erhalten, wie die der Welt Abgeftorbenen, die man Möndye
nennt, denn wir dürfen Eigenthum befigen und Anderes thun, was jenen
nicht erfauft If. Ich antworte: Niemand fann in Abreve ftellen, daß
wir religiöje Ganonifer fein müffen, wenn wir und auch in der Art und
MWeife von den ftrengen Kegeln unterfcheiden. Denn wie alle religiöfen
Orden in den genannten wefentlihen Punkten übereinftimmen, jo jedoch,
daß der eine Orden ftrenger ald der andere ift, fo ruht auch die Regel
der Ganonifer, wiewohl in ihrer Art und Weife larer, doch auf der Baſis
des Ordensweſens (latitudinem religionis non egreditur). Iſt und das
her gleich die Verwaltung ver kirchlichen Einkünfte, von denen wir leben,
geftattet, fo haben wir doc über den Berarf an Nahrung und Kleidung
fein Recht auf diefelben. Wir dürfen daher nicht verfchenfen, vermaden
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und Anderes, was einem Gigenthümer erlaubt if. Es ift daher ein ges
ringer Unterjchied zwifhen und und den im Gonvent lebenden Regularen
(conventuales regulares), wo Einer die Verwaltung hat, da diefe Vers
waltung einem jeden Einzelnen von uns unter feiner andern Verpflich—
tung, als dort dem Einen geftattet iftz nur in mäßigem Befige und Stell»
vertretung unterfbeiden wir und. Sodann iſt und zwar vor den hl. Weihen
die Ehe geftattet; aber mit der Weihe übernehmen wir dad Gelübde der
Keujchheit, gemäß den Regeln der Väter, Daß wir endlich den Obern Ges
horſam geloben, ift für fib flar. Mir haben alfo die Regel von Orvend«
männern angenommen, weil wir, abgefehen von dem Einkommen für Nah—
rung und Kleidung, das Fleiſch ertödten und in Keufchheit und freiwillis
gem Gehorfam Gott zu dienen uns verpflichtet haben, um felig zu werben.
Das, meine Brüder! ift das Jod des Herrn, das ihr auf euch genom-
men habt.
Und nun, wie fönnt ihr in dem, was ihr auf euch genommen, vers
barren? Ich fage: wenn ihr dem Herrn, dem ihr euch zu eigen gegeben,
nad der Natur eben dieſes Herrn eifrig zu dienen euch beftrebt, Da
Gott nichts von diefer Welt an ſich hat, weil fein Reich nicht von diefer
Welt ift, fo müſſet auch ihr diefe Welt ganz verlaffen. Dann werdet
ihr fein Reich in Seligfeit erlangen, wenn ihr arm im Geifte feld, und
eine um fo höhere Stufe im Himmelreiche werdet ihr einnehmen, je mehr
ihr dieje Welt verachtet. Wenn ihr aud) in der Fülle von Reihthum euer
Herz nicht am denfelben hänget, wenn ihr die fleifchlichen Gelüfte ver-
achtet, wenn ihr, fern von Hochmuth, in demüthiger Unterwerfung euch
felbft verachtet, dann ftehet ihr feft in dem, was ihr empfangen habt.
Wenn ihr bedenfet, daß Gott die Wahrheit ift, der da ſpricht: „Ih
bin die Wahrheit”, nicht aber: ich bin das Herkömmliche (et non
dixit: ego sum consuetudo), wenn ihr ihn in der Wahrheit anbetet,
indem ihr die Wahrheit felbft umfafjet, dann fteht ihr feft in Dem, was
ihr empfangen habt. Das Gleiche gilt von der Gerechtigkeit, Güte, Stand»
haftigfeit, Starfmuth und Liebe. Gott ift die reinfte Tugend, und fein
Sünder fann ibm dienen. Er ift die Liebe; wer alfo die Liebe nicht
hat, fteht nicht feft in Dem, was er erhalten hat! So liebet denn eins
ander, ihr feid ja Brüder in Chrifto, der die Liebe ift! Daran erfennet,
daß ihr feit ftehet, wenn ihr einander liebet! Kein Zank und Streit ent
zweie euch, ald wäret ihr noch fleifchlich gefinnt, nicht herrſche unter euch
der Gdgendienft der Habfucht! Jeder erweije dem Andern, was er wünjcht,
daß Andere ihm erweifen; denn ihr feid Brüder. Trage Jeder die Laft
des Andern, Keiner richte über den Andern. Wenn ihr in diefen Tempel
herauffommt, fo fommet nicht wie fich felbft rechtfertigende Pharifäer,
fondern gedenket des gerechtfertigten Zöllners, und demüthigt euch vor dem
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Angefichte Gottes! Seid nicht träge im Dienfte Deffen, dem ihr am biefer
Stätte zu dienen gelobt habet, fondern regfam und eifrig, nicht mit dem
Munde nur, fondern mit Herz und Seele, denn dein ganzes Wefen ver-
langt Gott (te totum vult Deus). Wenn ihr darin feft ftehet, wie es
Etreitern für Chriftus geziemt, dann verharret ihr in Dem, was ihr em
pfangen habt, ihr fteiget von Tugend zu Tugend auf; aus dem Umgange
mit Menſchen gelanget ihr in die Gemeinfhaft der Engel, aus der Blind»
heit zum Eehen, aus der Umwiffenheit zur Miffenfchaft, aus dem Irdi—
jchen zum Himmlifhen. Das ift das Feftiichen, das ein beftändiges Auf-
wärtöfteigen ift. Ueber die Seligfeit, die den feſt Stehenden verheißen
ift, fage ich nur dies Eine: das menschliche Herz vermag nicht zu faſſen
die höchſte Seligfeit, die der Herr Denen verheißen hat, die ihn lieben.
Denn was in Allem, was ift, am meiſten geliebt wird, ift das Sein
jelbft; das Sein hat feinen größern Gegenfaß, ald das Nichtlein. Was
von Allem, was lebt, am meiften geliebt wird, ift das Leben felbft, denn
nichts iſt Schredlicher, al8 der Tod. Was der vernünftige Geift am meiſten
liebt, ift das Erkennen, defien Tod die Unwiffenheit if. Wie das Sein
des Lebens das Leben ift, fo ift das Sein der vernünftigen Naturen —
das Eıkennen. In allen diefen Stüden nun wirft du in der ewigen Se
ligfeit den höchften und ungerftörlihen Grad erlangen: im Sein die Ewigs
feit des Seins, im Leben — die Unfterblichfeit des Lebens, im Erfennen
das wahre und unmangelbafte Erfaffen der erſehnten Wahrheit. In der
vernünftigen Anſchauung werden wir Gott fehen, wie er ift, und Jeſus
Ehriftud unfern Herrn. Zu diefer feligen Anfhauung führe er uns, unfer
Erlöjer, der gepriefen fei in alle Ewigkeit! Amen,
Aus der Rede auf Mariä Himmelfahrt,
gehalten zu Goblenz, 1432, während des Interbicte.
„Nun ward eröffnet der Tempel Gottes im Himmel und fichtbar
wurde die Bundeslade des Herrn im feinem Tempel, und es erfolgten
Blige, Donner und großer Hagel. Es erſchien ein großes Zeichen am
Himmel: ein Weib mit dem Pradtgewand der Sonne, unter ihren Fühßen
der Mond und auf ihrem Haupte eine Krone von zwölf Sternen.“
(Apocal. 11, 19. 12, 1.)
Diefe Worte werben von der Kirche, unferer Mutter, im Allgemeinen
und fpeciell von dem vornehmften Gliede der Kirche, der glorreichen Jung
frau Maria ausgelegt... Die Sonne d. i. die Kirche fteht mit ihren
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Füßen auf dem Monde der irdifhen Unbeftändigfeit; auf ihrem Haupte
d. i. in der Urkirhe hat fie eine Siegeskrone d. i. die Apoftel und Märtyrer.
In unferer Zeit aber ift die Kirche wie die Füße über dem Monde.
Die Füße find die Leidenftaften (affectiones), und wie die Füße immer
auf der Erde find, fo ift auch die Leidenfchaft etwas Irdiſches. Die
Morte: „über dem Monde“, der der Erde am nächſten ift, bedeuten alfo,
daß die Kirche in unfern Tagen leider! fid auf der niederften Stufe, wie
der Fuß, befindet und wenig Edles aufweist. Wiewohl fie das gleiche
Leben hat, wie der ganze Körper, und von dem gleichen Geiſte belebt ift,
fo ift fie do nicht angethan mit dem Sonnengewande der Gerechtigkeit,
Verftändigfeit und Klarheit, fondern gehüllt in das Leder thierifcher Ges
finnung und Unwiffenheit; fie wälzt fih im Kothe der Begierlichfeit und
Ausihweifung, fie Flebt durch Habſucht an der Eide; fie iſt unbeftändig,
vertraut auf den Mond, d. h. fie hat feine Natur, feine Unbeftändigfeit,
feine Einflüffe, fein Sichannähern an die Eonne und feine Eklipſe, weil
unfere Sünden fih Gott entgegenftellen.
Wollen wir und daher retten und und in der Arche, der Kirche, refors
miren, jo müfjen wir, die wir die Füße find, auf dem Wege des Rechts
und der ©erechtigfeit wandeln und den bewegenden Einfluß edlerer Ge:
fühle von Seiten Derjenigen aufnehmen, die über und ftehen und in Heis
ligfeit und vorangegangen find. Wir müſſen unfere Mondsnatur in die
Gemeinihaft mit dem Sonnenlihte fegen, auf daß fie durch diefe Gemein;
ſchaft fih bis zum Vollmond der ewigen Glorie bewege.
Weil man mit Vorfiht wandeln foll, jo muß man auch erwägen,
wie wir wandeln follen. Nidt immer darf man in die Fußftapfen Ans
derer treten, gleich jenem Affen, der die Augen ſchloß, weil fie auch der
Dieb zugejchloffen hatte und deghalb um feine Denare fam. Man muß
die Wege wohl unterfcheiden, damit wir nicht, indem wir zu flehen meinen,
fallen. Der Zufall eröffnet oft verſchiedene Wege. Unfere Laufbahn jei
der Weg der Gebote (Gottes) und ded Gehorſams. Die Schlüſſel—
gewalt der Kirde, wenn fie auch ungerecht verfährt, darf nidt
mißachtet werden; es ift jedenfalld verdienſtlich Cihr Folge zu leiften)
und Strafe zieht ſich Der zu, der einen (ungerechten) Befehl gegeben hat.
Iſt das, was der Vorgefegte gegen dich hat, feine gerechte Sache, jo ift
dein Gehorfam dir nur um fo größeres Verdienft. Ueberdenke dein Leben
und du wirft gewiß finden, daß du Fehler begangen, um derentwillen du
Strafe verdienft. Betrachte nun diefe Vergehen ald die Urfache (ver
jegigen Strafe). Beherzige das Heilfame des Gehorfams und fei nicht
widerfpenftig! Betrachte das Beiſpiel der Geduld und des Gchorfams an
Ehriftus, der gehorfam war bis zum Todel Er lehrte allezeit Gehorfam.
„Auf dem Stuhle Mofis ıc.* Der Fluch Gottes kam auf das Mens
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fchengefchlecht herab wegen des Ungehorfams, Genef. 3. „Verflucht fel
die Erde um deinetwillen!“ Dagegen pries Chriſtus Simon felig wegen
des Gehorſams: „Selig bift du Eimon Barjona ꝛc.“ Matth. 16. Seid
alfo nicht ungehorfam! Der Gehorfam hat großen Gewinn bei Feiner
Mühe. Er wird mit einem Handelsſchiffe verglihen, dad immer dabins
fährt und Gewinne herbeiführt, indeß der Kaufmann ruhet, Sprichw. 31.
Gott ruht in den Gehorfamen und Chriſtus ging nad Bethanien d. i.
in das Haus des Gehorſams. Wo Gehorfam, da ift auch Liebe Gottes.
Die Liebe Gottes macht den Menfchen tractabel und gehorfam, wie Feuer
das Wachs. Wilft du erfennen, wer die Liebe Gottes habe, fo fieh nur
auf feinen Gehorfam, denn „Gehorſam ift beffer ald Opfer.”
(Aus der Sammlung von Predigten des Garbinals, im Manufcripte B.)
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