Skip to main content

Full text of "Des Cardinals und Bischofs Nicolaus von Cusa wichtigste Schriften in deutscher Uebersetzung"

See other formats


u nee ee 











CI3h 1% 


er A 







Harvard College 
Library 





FROM THE FUND OF 


HARRIET J. G. DENNY 


OF BOSTON 


See 
DEREN EERREUEERUERUENUNENN 


5555555555844658 





Digitized by Google 


Digitized by Google 


Digitized by Google 


Des Gardinals und Bischofs 
Yicolaus von Cufa 


widtigite Schriften 


in deutfher Ueberfegung 


von 


Dr. F. A. Scharpff, 


Domeapitular in Rottenburg. 


Freiburg im Jreisgan. 
Herderfhe Verlagshbandlung. 
1862. 


Drud von 3. Kreuger in Stuttgart, 


Sorwort. 


Seidem ich das vorher entweder ganz unbekannte oder vielfach entſtellte 
veben und Wirken des deutſchen Cardinals und Biſchofs Nicolaus von Cuſa 
nach ſorgfältigem Sammeln der mir zugänglichen Duellen !) in einer Mono» 
grapbie (Der Earbinal und Bifchof Nicolaus von Eufa, Mainz 1843) 


1) Schon die Rechenfchaft, welche ich hierüber in der Vorrede zu meiner Monos 
arapbie (S. XI—XIV) ablegte, beweist, daß ich dieſem Gegenſtande alle einer fo 
michtigen Aufgabe entfprechende Mühe und Sorgfalt gewidmet habe, was denn auch 
in den über bad Buch erfchienenen NRecenfionen die gebührende Anerkennung gefunden 
bat. Erſt dem Herrn Prof. Dr. Jäger im Mien, der über den Streit des Gars 
dinalse mit dem Herzog Sigmund von Deftreich zwei Bände (Innsbrud 1861) 
berausgegeben hat, war es vorbehalten, meine Arbeit der „gewohnten Oberflächlichfeit“ 
(IL &. 84) zu beichuldigen, weil ich einmal in einem Briefe bed Cardinals den Aus: 
druck haeresiarcha auj Gregor von Heimburg ſtatt auf den herzogl. Rath Blumenan 
bezogen, bie Lage ded Schloßed Auraß in Tirol nicht genau gewußt (kennt Herr 
Dr. Zäger die Rage aller Schlöffer in Württemberg ?) oder ein paar Stellen in Ori— 
ginalurfunden aus jener Zeit nicht richtig geleien uw. dgl., auch zu fehr ald Apologet 
des Cardinals aufgetreten fei. Wer über einen ganz fpeciellen Gegenſtand durch Wege, 
die mir damals nicht zugänglich waren, im Befige aller Quellen ift und fomit über 
eine, durch die Leidenfchaft beider Theile ſchon in den Melationen aus jener Zeit ents 
ſtellte und vielfah dunkle Parthie, überdieg mit allen Hülfsmitteln einer Univerſitaͤts⸗ 
bibliothek, die mir damals nicht zu Gebote ſtanden, eine bis ins Einzelnſte gehende 
Unterſuchung anſtellt, muß natürlich in Vielem auf richtigere Ergebniſſe gelangen, bie 
mich in jenem Werke, einzig weil fie die Wahrheit in einzelnen Parthien mehr 
ans Licht fiellen, erfreuten. Nuffallend war es mir ferner, daß Herr Dr. Jäger mir 
sorwirft, daß ich eine fchon von Chmel veröffentlichte Urfunde nicht gekannt (II, 108), 
dagegen die nach meiner Arbeit erfchienene Monvgrapbie von Dr. Dür über Gufa ein 
gedie genes Werf nennt, obwohl Dr. Dür die fragliche Streitfrage in nichts MWefentlichem 
beſſer, ale es von mir gefchehen, aufgehellt, den wichtigen Codex cusanus durchaus 


IV 


zunächſt nach der Seite des kirchlichen Wirkens in einem Gefammtbilde zu zeich- 
nen verfucht, hat fi die Aufmerffamfeit auch auf deſſen Iiterarifche Thätig- 
keit, namentlih auf das philoſophiſch⸗theologiſche Syftem desſelben, wovon ich 
die Grundzüge in der Tübinger tbeologifchen Quartalſchrift, Jahrg. 1837, 
2. Heft niedergelegt hatte, in erhöhtem Grade hingewendet. Dr. Clemens, 
damals Privatdocent in Bonn, zeigte im Jahre 1847 in einer beſondern 
Schrift: Giordano Bruno und Nicolaus von Eufa das Verhältniß 
beider Philoſophen zu einander, zu welchem Bebufe er das Syſtem Eufa’s in 
vortreffliher Weiſe in den Grunbzügen bdarlegte. Dr. Dür, Regens des 
bifhöfl. Seminars in Würzburg, nimmt in feiner Monographie über Nico— 
laus von Cuſa (Regensburg 1847) auf diefe lehrreiche und geblegene Schrift, 
obwohl ihr Inhalt fhon 1844 in der Zeitfchrift für Wiſſenſchaft und Kunft 
von Dr. Dieringer niebergelegt war, Feine Rüdfiht und beſchränkt fi in 
dem Abſchnitte über das literarifche Wirken auf mehr oder weniger ausführ- 
lihe Auszüge aus den wichtigften Schriften des Cardinals, ohne über das 
Syſtem felbft, feine innere Entwidlung, über die Stellung Eufa’s in ber 
Geſchichte der Philoſophie und der dogmengeſchichtlichen Entwidlung, wovon 
doch die Würdigung des literarifhen Wirkens in erfter Linie abhängt, in 
irgend eine Unterfuhung einzugeben. Der VIIL Band der Sitzungsberichte 
ber philoſophiſch-hiſtoriſchen Claſſe der Falferlihen Academie der Wiffen- 
fhaften in Wien vom Jahre 1852 enthält eine fehr gute Abhandlung von 
Prof. Zimmermann über die Philoſophie des Garbinald unter dem Titel: 
„Der Gardinal Nicolaus Eufanus ala Vorläufer Leibnigens“. 
Ritter bat in feiner Geſchichte der Philofophie des Mittelalterd dem philo— 
ſophiſchen Syfteme Cuſa's eine ausführlichere, jedoch nicht in allen Theilen 
genügende Darftellung gewidmet, und Staudenmater hat in feiner Dog» 
matif (IT. Bd. 2. Abthlg. Freiburg, bei Herder, 1848) In der Lehre von 


nicht felbft benützt und unterfucht, fondern fich in den thatfächlichen Specialitäten in ber 
Regel auf meine Darftellung geftügt hat und die gleiche apologetiiche Tendenz wie ich 
verfolgt. Micht Bine Stelle habe ich gefunden, in welcher Herr Dr. Jäger mid auf 
eine richtigere Unterfuchung und Darftellung des vorhin genannten Biographen hätte 
binweifen fünnen. Alfo reine Ungnade ! 


v 


Bott und der Verwirklichung der Welt an vielen Stellen auf Nicolaus von 
Cuſa hingewieſen. 

Dieſe Beleuchtung einzelner Parthien des in den ältern Werken über 
Geſchichte der Philoſophie von Bruder, Buhle und Tennemann gleich 
der ganzen Scholaſtik gänzlich entſtellten Syſtems zeigen nicht nur den tiefen 
md reichen Gehalt der Speculation unferd Denkers, fondern treiben von felbft 
bin, diefe einzelnen Belenchtungen in Einen Breunpunft zu fammeln und 
das Ergebniß der meueften Unterfuchungen über dieſe ober jene Seite der cuſa— 
niſchen Speculation in ein Gefammtbild zufammen zu faſſen, welches die inmere 
Entwiflung der cufanifhen Philofophte darlegt, ſodann die Stellung Eufa’s 
im Entwidlungsgange der Philoſophie vor- und rückwärts beleuchtet, überbich 
au den dogmatifhen Auffaffungen einiger wichtigen Lehrſtücke der fpertellen 
Glaubenslehre — eine bisher ganz unbeachtet gebliebene Materie — die ger 
bübrende Beachtung widmet und enblih eine Auswahl des Gediegenften aus 
den Predigten und religiöfen Dialogen liefert. 

In der Ausführung der Hauptaufgabe, der vollſtändigen Darlegung des 
Iperulativen Syſtems, glaubte ich aus mehrern Gründen mich nicht auf den 
gewöhnlichen Weg eined Referates, bet welchem der Philoſoph felbft nur 
bie und da zum Worte kommt, beſchränken, fondern von den nambafteften 
Schriften eine möglihft finngetreue Ueberfegung, mit nur wenigen Auslaffungen 
von ſolchen Sägen, die bloße Wiederholungen des Gedankens find, dem 
Publikum geben zu follen. Dies dürfte gerechtfertigt erfcheinen 

1. vor Allem durch die bisherige mangelbafte Kenntniß des Gangen ber 
Ipeeufativen Wirkfamkelt Cuſa's, der doch an Tiefe der Gedanken ſich an bie 
beten Scholaftiker des Mittelalters anreiht, an Vielfeitigkeit und mannigfaden 
Anklängen an die neuere Philoſophie fie alle übertrifft. Gine nähere Bes 
kanntſchaft mit dem Syſteme Cuſa's aus feinen Schriften felbft ift wegen ber 
großen Seltenheit ver Ausgabe berfelben (die gewöhnliche ift die Basler, 
ex offieina Henricpetrina v. 3. 1565) für die Wenigften ermöglicht. 

2. Je origineller Cuſa's Ideen gedacht und ausgeführt find, defto we— 
niger werden fie im ihrer ganzen Eigenthümlichkeit durch ein bloßes Neferat, 
wenn auch biefed mit einzelnen Stellen aus den Schriften felbit durd- 


vl 


flochten iſt, erkannt. Veranlaſſung, Eingang, Art der Ausführung, Schluß 
einer Schrift geben uns erſt ein ganzes Bild und laſſen uns oft nur in ein— 
zelnen hingeworfenen Bemerkungen, die man fonft nicht als eigentliche dieta 
probantia zu betrachten pflegt, tiefere Blicke in die ganze Geiftesrichtung 
werfen. Mag das Neferat über einen Philoſophen fih noch fo getreu an den 
Gehalt feiner Schriften anfchmiegen, es erſetzt doch das Lefen derfelben und 
die eigene Ausführung des Autors keineswegs. Deßhalb geben auch die Aus- 
züge bei Dr. Dür ein nur mangelbaftes und fragmentarifches Bild des Ge— 
danfengangs der einzelnen fpeculativen Schriften. Wenn Gufa wiederholt 
von feinem Syſteme fagt, es unterfcheide fih von der zu feiner Zelt üblichen 
Metbode des Philoſophirens wie das (felbfiftändige) Eeben vom Hören (de& 
Ueberlicferten), fo wird auch in der Erfenntniß feines Syſtems das Sehen 
vor dem Hören den Vorzug verdienen. 

3. Cuſa bat aub der Form und Architeftonif feiner Gedanken eine 
große Sorgfalt gewidmet. Seine Ausführungen bewegen ſich nicht durch volu— 
mindfe Schriften bin, ſondern find in verhältnißmäßig Eleinen Abhandlungen 
niedergelegt, von denen jede ein eigenthümliches Ganze bildet; in einigen ift 
die dBialogifhe Korm Plato's nachgeahmt. Non diefer Form des Syſtems 
erhalten wir nur durch Ueberfegung ein ebenſo anſchauliches als anziehendes, 
nicht durch übermäßige Gedehntheit ermüdendes Bild. 

4. Mit einem gewiffen nationalen Selbftgefüble bittet Cuſa feinen Lehrer, 
Gardinal Julian Gäfarini, dem er die erfte größere pbilofopbiiche Arbeit 
— de docta ignorantia — widmete, er möge diefes wie immer geartete 
Syſtem eines Deutfhben über göttlibe Dinge mohlwollend aufnehmen. 
Und in der That! wenn wir das lateinifche Gewand der Darftellung hinweg- 
nehmen, fo wird jeder Kundige bier dad Werf eines deutſchen Geiftes 
mit Freuden entdeden ; ja, er wird oft meinen, nicht einen Scholaftifer aus 
dem 15. Jahrhunderte, fondern einen deutſchen Philofopben der neueren Zeit 
zu leſen. Die Grundgedanfen der deutſchen Myſtik — man könnte Eufa’s 
Spftem ven ind Philoſophiſche überſetzten Thomas von Kempis, aus deſſen 
Kreifen auch jener hervorgegangen, nennen —, elne Kritit des menschlichen 
Grfenntnifvermögens, die Naturpbilofophie von Echelling und Bader — alles 


vu 


Diefes tritt uns bier entgegen, aber zu einem ſolchen Ganzen verarbeitet, daß 
der Bantbeidmus überwunden wird und durch die großartig, im Geiſte eines 
Clemens von Alerandrien aufgefaßte Logoslehre die Grundideen bed Ehriften- 
thums überall ihre Herrſchaft fiegreih behaupten — Gründe gemug, daß wir 
das Tateinifche Gewand, aus welchem ohnehin die deutiche Korn des Gedan— 
tend überall bervorfchaut, hinwegnehmen und dem deutfchen Denker in feiner 
natürlihen Geſtalt ſchauen Laffen. Ich ſchmeichle mir mit der Hoffnung, daß 
die biäber nur mangelhaft erjchloffene Lectüre eines riftlichen Philoſophen, 
durch deffen Schriften fih eine fo tiefe und warme Religiofität hindurchzieht, 
der in allem feinem Denken nichts Anders bezweckte, ald daß, wie in ihm, 
jo au in feinen Lefern auf dem Wege der Speculation „Chriftus für 
Geift und Herz immer größer werden möge“ (de doeta ignorantia 
Il, e. 12, ©. 62) aufer den Männern vom Bade, die an der Quelle felbft 
ſchöpfen, Allen willfommen fein werde, welche auf jenem Grade von Bildung 
fteben, daß ein jeder Verſuch zur Löſung der höchften Probleme des menſch— 
lichen Geiftes ihr lebhafteſtes Intereffe in Anfpruh nimmt. Werfen wir 
vollends einen Blif auf den vermaligen Stand der Philoſophie, fo ift der- 
jelbe von der Art, daß ein Geift wie Cuſa aufzutreten fih niht im Min« 
beiten ſcheuen darf. 

5. Es verftebt fih endlich von felbft, daß die Ueberfegung der namhaf« 
teften philoſophiſchen Schriften die befte Grundlage bildet, auf welcher eine 
lebendige Erörterung über Geift umd Richtung, Entwicklungsgang des Syſtems ır. 
in der zweiten Abtbeilung aufgebaut werben fann. Iſt ja eine richtige Ueber- 
gung auch ſchon eine Erklärung des Sinnes mander Stellen, vorausgeſetzt, 
daß man nicht da, wo die Ueberfegung Schwierigkeiten bietet, den lateiniſchen 
Ausdruck beibehält, fondern wirklich den möglichft adäquaten aus der deutfchen 
rbilofophifchen Sprache auffuht. Im wieweit ih nun die oft nicht geringen 
Schwierigkeiten überwunden und namentlich auch den vielfach fehlerhaften Tert 
der Basler Ausgabe aus dem Sinn und Zufammenhang verbeffert habe, ftelle 
Id dem Urtheile der Sachverftändigen anbeim. 

Durh die Auswahl der überfegten philoſophiſchen Schriften ſoll nicht 
gelagt fein, daß nicht noch einige andere der nicht überfegten zur allſeitigen 


VIII 


Erkenntniß des Syſtems erforderlich ſeien; doch find die Hauptgedanken in 
dem hier Ueberſetzten niedergelegt. Zwei der überſetzten Schriften: de pace 
fidei und eribratio Alchoran gehören zwar nicht zu den im engern Sinne 
ſpeculativen, allein fie find doch von den Grundideen der phliloſophiſchen An—⸗ 
ſchauung Gufa’s getragen und verdienen auch ihrem übrigen Inhalte nach 
wörtlih und vollftändig befannt zu werden. Unterlaffen habe ich die Ueber- 
feßung der Schrift: de concordantia catholica, fo wie der Briefe an 
die Böhmen, da ihr mefentlicher Inhalt bereits in meine oben erwähnte 
Monographie (S. 32—91 und 9I—105) aufgenommen tft. 

Die zweite Abtheilung wird die miffenfchaftliche Unterfuchung über Eufa’s 
Syſtem und defjen Stellung im Entwidlungsgange der Philoſophie und ſpe— 
eulativen Theologie enthalten, 

Möge fich diefe meine Arbeit der gleichen günftigen Aufnahme, wie die 
frübere über denfelben Gegenftand erfreuen! Glücklich würde ich mich ſchätzen, 
wenn diefelbe Einiges ‚beitragen follte, daß, wenn in nicht ferner Zeit (am 
10. Auguft 1864) vier Jahrhunderte ſeit dem Hinſchelden des Mannes, auf 
den die katholiſche Kirche und befonders das deutſche Vaterland mit Stolz 
binbliden darf, verfloffen find, fein geiftiges Bild in möglichft Tebensvollen 
und fprechenden Zügen vor uns ſteht. 


Inhaltsverzeichniß. 


U 


I. Speculative Schriften, 
Don der Wiſſenſchaft des Ni a EG OR Er 
en DHmaBeanen © 2 u 2 — — — 


Don dem Gott Suchen 


Seite 








Ueber die Entſtehung der Welt 
cher dad Sehen Gottes . 

Ueber das Seinfönnen . 
Ueber das Globusfpiel . . ’ 
Don der Jagd auf die Weisheit 
Kritif des Alchoran 


Ueber den Frieden oder die teßereinkimmuug — Religionen re || 
II. Speciell Dogmatiſch-Ethiſches. 




















Werth der Literatur 2 2 rennen. dl 
Summe der heil. Shift - > > 2 2 a nn nr 442411 
Altes und neues Teflament > 2 2 rennen. 42 
Verftändniß der heil. Schrift . . . ee 
Verherrlihung Gottes — das Ziel * fine 2 Werte” ee ME 
Jeſus das Ziel der — A ——— .. 4 241h16 
kehre von den Engeln . . . 6462417 
Utſprung der Seele . . . De ee ee ee ee 
Die Seele von Natur eine Ghriftin ee ee 
Urſprüngliche Unſchuld, Verluſt derfelbeen . © > 2 nn nn 2421 
Die Eine . . . nn. 422 
Das Böfe, fein Willen — Bott, ſein —D 2) Ken Bott FE Rt > >. 
Barum Gott die Sünde zuliß . - - - ... 424 


Sündenfall im Verhältniß zu Gott. » >» 2 2 nn 42424 
Gewiſſen, Sünde, Todſünde.. 242785 
Der Teufel und ſeine ——— 4477 
Fall des Teufel . . ee ee ee 
Birfungen des Teufel....442428 
Cinfluß der Dämonen.. 404290 


EEE DER 90 EEE 

















Digitized by Google 








Digitized by Google 


J. 


Speculative Schriften. 


Digitized by Google 


Don der Wiſſenſchaſt des Nichtwiſſens. 


(De docta ignorantia.) 


Nicolaus von Cuſa an den hochehrwürdigen Cardinal Julian, 
feinen Lehrer, 


Deinen großen und gepriefenen Geift wird es mit Recht befremden, 
daß ih, indem ih aus dem Barbarenlande meine Albernheiten (meas 
barbaras ineptias) allzu unüberlegt zu veröffentlihen wage, Did um ein 
Gutachten erſuche (te arbitrum eligo), als hätteft Du bei Deiner Stel 
lung am apoftoliihen Stuhle als Gardinal und bei der angeftrengteften 
Thätigfeit im öffentlichen Dienfte noch einige Muße übrig, oder als fünnte 
Did, den feinften Kenner der gefammten lateinifhen und nun auch der 
griebiihen Literatur, das Ungewöhnliche des Titeld für diefe meine viel 
leiht ganz ungereimte Schrift gewinnen. Meine Geiftesrichtung Ift Dir 
längft Hinlänglic befannt. Ich gebe mid der Hoffnung hin, daß nicht 
jo faft der Gedanke, bier bisher Unbekanntes zu finden, als vielmehr das 
Befremden über die Kühnheit, mit der ih mich an eine Abhandlung über 
die Wiſſenſchaft des Nichtwiſſens gewagt, Deine große Wißbegierde zum 
Einfehen meiner Arbeit bewegen werde. Die Naturlehre jagt und, dem 
Appetite gehe eine unangenehme Empfindung im Gaumen vorher, auf 
daß die Natur bei ihrem Selbfterhaltungstriebe hiedurch angereizt neue 
Kräfte ſammle. So geht wohl aub mit Recht das Staunen, das und 
um Philofophiren anregt (admirari, propter quod philosophari), dem 
Bifienstriebe vorher, damit unfere Vernunft, der das Begreifen ihr Sein 
it, im Streben nah Wahrheit zur VBollfommenheit gelange. Das Sels 
tene fefjelt und, wenn ed auch abenteuerlih (monstra) ift. 

So glaube denn, mein einziger Lehrer! in Deiner Humanität, daß 
bier etwas Deiner Würdiges verborgen fei und nimm biefed wie immer 
geftaltete Philofophem eines Deutfchen über göttliche Dinge wohlwollend 
auf! Die große Mühe, die ich darauf verwendet, hat ed mir zu einer 
äuferft lieben Beſchäftigung gemacht. 


1* 


Erfies Bud, 


Erites Kapitel. 
Unfer Wifjen ift Nichtwiffen. 


Als Gabe Gottes liegt in allen Dingen, wie wir fehen, ein natürs 
liches Verlangen, auf eine befjere Weife zu eriftiren, wie es ihr 
natürfiher Zuftand zuläßt. Kür dieſes Ziel find beſonders diejenigen 
Weſen thätig und mit den geeigneten Hülfsmitteln verfehen, denen der 
Berftand angeboren ift, entiprechend dem Zwecke des Erfennens, auf daß 
jenes Berlangen nicht ein vergebliches fei, fondern in dem Gegenftande 
des Verlangens dur den Zug (pondere) der eigenen Natur feine Rube 
finde, Gebt es etwa anders, fo kann dies nur accidentiell fein, 3. B. 
wenn Kränflichfeit den Gaumen oder die Meinung den Berftand in bie 
Srre führt. Daher jagen wir, die gefunde und freie Bernunft erfenne 
das Wahre, das fie in einem ihr angeborenen unerfättlihen Suchen, 
Alles durchforſchend, zu erreichen ftrebt, wenn fie es in liebendem Umfaffen 
ergreift (Quamobrem sanum liberum intelleetum verum [quod insatia- 
biliter indito discursu, cuncta perlustrando attingere cupit], apprehen- 
sum amoroso amplexu cognoscere dieimus), und wir zweifeln nicht, 
vollfommen wahr fei das, dem fein gefunder Verftand widerfprechen fann. 
Alle Forihung ermißt aber das Ungewiffe dur proportionale Berglei- 
hung mit etwas vorausgefegten Gewiffen. Jede Forſchung ift mit- 
bin eine vergleihende (comparativa est omnis inquisitio), mittelft 
einer Proportion. Läßt fih das Geſuchte in nahe liegender Proportion 
mit dem vorausgefcgten Gewiffen im Verbindung bringen, fo ergibt ſich 
das (die Mahrheit) erfaffende Urtheil auf leichte Weile, bedarf es aber 
einer vielfachen Vermittlung (multis mediis), dann entitehen Echwierig- 
feiten und Mühe. Bekannt ift died von der Mathematif, wo die erften 
Lehrfäge auf die erften und ganz befannten Principien leichter zurüdges 
führt werden, die ſpätern Lehrſätze aber fchwieriger, weil es nur durch die 
Vermittlung jener möglich iſt. Jedes Forſchen bewegt fi aljo in einer 
leichten oder fhwierigen vergleichenden Proportion nad einem Unendlichen 
bin, das als Unendliches, indem es fi jeder Proportion ent- 
zieht, unbefannt if. Da die Proportion ein Zufammenftimmen in 


5 


einem gewiffen Einen und zugleich ein Andersfein ift, fo läßt fie fih ohne 
Zahl nicht denken. Die Zahl fließt fomit alled Proportionale in fid. 
Nicht alfo bloß in der Duantität ift die Zahl, fondern in Allem, was wie 
immer fubftantiell oder accidentiell zufammenftimmen und differiren fann. 
Deßhalb hat wohl Pythagoras gelehrt, Alles werde durch die Kraft 
der Zahlen georbnet und erfannt. Indeſſen eine präcife Combination im 
Körperliden und eine congruente Anreihung des Unbekannten an das 
Bekannte geht über den menfchlihen Verſtand, weßhalb Sokrates 
meinte, er wiſſe nichts, außer daß er nichts wiflee Der weile Salomo 
fagte, alle Dinge feien ſchwierig und nicht durd Worte zu erflären. Und 
ein anderer Mann voll des göttlihen Geifted fagt, verborgen ſei die 
Weisheit und die Etütte der Erfenntniß vor den Augen aller Lebenden. 
Wenn dem fo ift, wie auch der tiefbringende Ariftoteles in feiner 
„erſten Philojophie” jagt, daß felbft in den von Natur ganz unbefannten 
Dingen uns diefelben Schwierigkeiten begegnen, wie der Eule, wenn fie 
die Sonne jehen will, fo geht offenbar, da der Erfenntnißtrieb nicht um— 
fonft in uns iſt, unfer Verlangen dahin, zu wiflen, daß wir nichts willen. 
Bringen wir dieſes Verlangen zur Vollendung, fo erlangen wir bie 
Wiſſenſchaft des Nichtwiſſens (doctam ignorantiam). Aud der 
Wißbegierigſte fann es in feiner Bildung zu feiner höhern Vollkommen— 
beit bringen, ald wenn er über die Unwifjenheit, die dem Menfchen eigen 
if, recht unterrichtet erfunden wird (in ipsa ignorantia doctissimum re- 
periri). Zu dem Ende habe ih mir die Mühe genommen, über eben 
diefe Wiffenfhaft des Nichtwiſſens Einiges zu ſchreiben. 


Zweites Kapitel, 
Ginleitender Ueberblick des Ganzen. 


Die Erörterung über das größte Nichtwiffen erfordert allererft eine Er: 
läuterung der Natur des Größten. 

Das Größte ift das, über welches hinaus es nichts Größeres gibt. 
Die höchſte Fülle (abundantia) fommt aber der Einheit zu. Es coins 
cidirt alfo mit dem Größten die Einheit, die aud das Sein (entitas) 
ft. Da diefe Einheit von allem Verhältniß und allem Goncreten (con- 
tractione) ganz und gar frei if, fo hat fie offenbar feinen Gegen, 
lat. Das abfolut Größte iſt daher eine Einheit, die Alles ift und in 
der Alles ift, weil es das Größte if. Weil ed feinen Gegenfag 
bat, fo coincidirt mit ihm das Kleinfte, es ift daher auch in 
Allem. Weil es abfolut ift, fo ift es in Wirklichkeit (actu) alles mögliche 
Sein, ohne durch die Dinge befchränft zu fein, da alle Dinge von ihm find, 


6 


Diefed Größte, das im einftimmigen Glauben aller Nationen Gott 
genannt wird, werde ich im erften Buche im nicht begriffsmäßiger Weife, 
über den menſchlichen Verſtand hinausgreifend (supra humanam rationem 
incomprehensibiliter inquirere laborabo) zu erforfhen ſuchen, unter der 
Leitung Defien, der allein in einem unzugänglichen Lichte wohnet. 
Wie das abfolute Größte das abfolute Sein ift, durd welches Alles 
ift, was ift, fo gibt ed auch eine univerfale Einheit des Seins aus jener, 
die das abfolut Größte if. Sie eriftirt concret (contracte) als Uni— 
verfum, deflen Einheit in conereter Vielheit befteht, ohne welche fie nicht 
fein fünnte. Obwohl diefes Marimum in feiner univerfalen Einheit Alles 
umfaßt, und Alles, was aus dem Abfoluten ftammt, in ihm ift und es 
in Allem, fo bat es doch feinen Beftand nicht außer dem Bereiche der 
Vielheit, da es nicht ohne concrete Beichränfung (contractione) befteht, 
von der es fih nicht losmadhen fann. Bon diefem Marimum, dem Unis 
verfum, werde ih im zweiten Buche Einiges fagen. 

Conſequent wird fih dann das Marimum der dritten Betrachtung 
herauöftellen. Denn da das Univerfum nur ein bejchränftes Sein in der 
Vielheit hat, fo werden wir aus dem Bielen Ein Größtes heraus— 
judhen, in dem das Univerfum auf die größte und vollfoms 
menfte Weife actuell, als in feinem Ziele, Subfiftenz findet. 
Diefes muß fi mit dem Abfoluten, das der Höhepunft des Univerfums 
(terminus universalis) ift, vereinen, weil ed das vollfommmenfte Ziel fein 
fol, über alle menſchliche Faſſungskraft. Bon diefem Größten, das zu— 
gleih concret und abfolut ift, dae wir Jeſus, den ewig ge— 
priefenen nennen, will ic im dritten Buche Einiges, ſoweit mic Jeſus 
felbft hiezu erleuchtet, beifügen. 

Wer aber meinen Sinn erforfhen will, muß über die Wortbedeutung 
hinaus fih zum geiftigen Verſtändniß erheben und nit an der eigents 
fihen Bedeutung der Worte hängen bleiben (oportet potius supra ver- 
borum vim intellectum efferre, quam proprietatibus vocabulorum in- 
sistere), die zur Bezeichnung ſolcher Myfterien ded Geiftes in ihrer ge= 
wöhnlihen Bedeutung nicht ausreichen (quae tantis intellectualibus my- 
steriis proprie adaptari non possunt), Auh Bergleihungen aus 
der Sinnenwelt muß man zur Anleitung anwenden, indem man fie 
auf das Geiftige überträgt, auf daß der Leſer leichter ſich zur einfachen 
Bernunfterfenntniß (ad intellectualitatem simplicem) erhebt. Den Weg 
biezu bemühte ich mich auch gewöhnlichen Talenten fo deutlich als möglich, 
mit Vermeidung aller Härte der Darftellung zu zeigen. Zu dem Ende 
werde ich fogleich zu dem Wurzelbegriff der Wiffenfchaft des Nichtwiſſens 
— die Unmöglichkeit einer präcifen Erfafjung der Wahrheit, übergehen. 


Drittes Kapitel, 
Die präcife Wahrheit ift unerfafibar, 


Da es an und für fih Mar ift, daß das Unendliche und Enbliche 
in feiner Proportion zu einander ftehen, jo ift au das gang Har, daß 
man dba, wo ſich Ausfhreitungen (excedens et excessum) finden, 
auf ein einfab Größtes nicht kommt, weil die Ausichreitungen 
endlich find, das Größte aber als foldhes nothwendig unendlich if. Nimmt 
man aljo irgend einen Gegenftand, der nicht das fchlechthin Größte felbft 
it, jo läßt fi immer ein größerer auffinden. Und da die Gleichheit 
eine ftufenmäßige ift, fo daß etwas dem Einen gleicher ift, ald dem An 
dern, nach ber generifchen, fpecifiihen, räumlichen, zeitlichen x. Ueberein- 
fimmung und Verſchiedenheit, fo erhellt, vaß nicht Zwei oder Mehrere 
jo äbnlih und gleih ſich finden laflen, daß fie niht unend- 
ih ähnlicher fein könnten. Zwilhen dem Maaß und dem Ge 
meflenen wird bei der größten Gleichheit immer noch eine Differenz übrig 
bleiben. Der endlihe Berftand kann mithin die Wahrheit der 
Dinge durch Auffuhung der Achnlichfeit (per similitudinem) 
nit präcis erfennen. Denn die Wahrheit ift ein nicht Mehr 
und nicht Weniger, ein gewifjes Lintheilbare, was von Allem, das 
nicht die Wahrheit felbft ift, nicht präcis gemefien werben fann, fo wenig, 
was nicht Kreis iſt, den Kreis, deſſen Sein in einem gewiſſen Untheils 
baren befteht, meflen fann. Unſer Berftand, der nicht die Wahrheit ift, 
erfaßt daher die Wahrheit nie fo präcis, daß nicht ein unendlich präck- 
ſeres Erfaffen möglich wäre, er verhält fih zur Wahrheit wie das Poly 
gon zum Kreiſe. Mögen auch der Winfel noch fo viele gemacht werben, 
jo wird doch das Polygon nie dem Kreife gleich, bis es ſich in die Iden⸗ 
tität mit demfelben auflöst.. Wir wiffen fomit von der Wahrheit 
nihts Anderes, als daß fie in präcifer Weife unerfaßbar ift. 
Sie iſt die abfolutefte Nothwendigfeit, die nicht mehr und nicht weniger 
iR, ald fie ift, unfer Berftand ift die Möglichkeit. Das Was (quidditas) 
der Dinge, das die Wahrheit des Seienden ift, bleibt in feiner Reinheit 
unerreihbar. Alle Philofophen haben ed gefucht, aber Keiner, wie es 
an fi ift, gefunden. Je grünblicher aber unfere Meberzeugung von dieſem 
Nichtwiſſen ift, defto mehr werden wir und der Wahrheit felbft nähern. 


Viertes Kapitel. 


Das abfolut Größte wird nur als unbegreiflich erfannt. Mit ihm coincldirt 
das abfolut Kleinfte. 


Das einfah und abfolut Größte erfaffen wir, da es zu 
groß ift, ald daß es von und begriffen werben fönnte, weil ed die uns 
endlihe Wahrheit ift, niht anders, denn als unbegreiflid (non 
aliter quam incomprehensibiliter attingimus). Denn da ed nicht von 
der Natur der Dinge ift, welhe Ausfchreitungen zulaffen, fo geht es über 
alled8 das hinaus, was wir begreifen können. Was wir nämlich durch 
Sinne, Berftand (ratione) oder Vernunft (intellectu) erfaflen, iſt unter 
fi gegenfeitig fo verfchieden, daß Feine präcife Gleichheit ftattfindet. Die 
größte Gleichheit, die von nichts verfchieden ift, geht fomit über allen Begriff. 

Da das abfolut Größte alles Das tft, was fein fann, fo ift es 
ganz und gar Wirklichkeit (in actu). Wie es nicht größer fein fann, fo 
auch aus demjelben Grunde nicht Feiner, da ed alles Das ift, was fein 
fann. Das Kleinfte ift, was nicht mehr fleiner fein kann. Da dus 
Größte eben das ift, fo ift Elar, daß das Größte und Kleinfte cos 
incidiren. Died wird dir deutlicher, wenn du beide Begriffe auf das 
Gebiet der Quantität herüberträgft. Die größte Quantität ift die am 
meiften (maxime) große, die Heinfte — die am meiften Fleine. Denke 
nun die Duantität hinweg, fo bleibt das Größte, der Superlativ, in 
beiden gleih ... Gegenfäge kommen daher nur im Gebiete ded Con— 
creten vor (oppositiones igitur his tantum excedens admittunt atque 
excessum, et his differenter conveniunt, maximo absoluto nequa- 
quam), nicht im abfolut Größten, es fft über allem Gegenfage. Es 
ift eben deßhalb über aller Bejahung und Berneinung, Alles, was 
ed nad unferen Begriffen ift, ift e8 eben fo, als daß es dasſelbe auch 
nicht ift (omne id, quod concipitur esse, non magis est, quam non 
est) und umgekehrt, es iſt in der MWeife das Einzelne (hoc), daß es 
zugleich Alles ift, und in der MWeife Alles, daß es nichts von Allem ift, 
und in der Weiſe am meiften Dieſes, daß es diefed auch am wenigften 
ift. Sage id: Gott, die abfolute Größe, iſt das Licht, fo heißt dies 
nichts Anderes, als: Gott ift am meiften (maxime) Licht, er, der am 
wenigften (minime) Licht if. Das abfolut Größte wäre nicht alles 
Mögliche in Wirklichkeit, wenn es nicht unendlich wäre, der Begriff (ter- 
minus) von Allem, aber durch nichts von Allem zu begreifen (termina- 
bilis), wie ich im Folgenden mit Gottes Hülfe zeigen werde. Das geht 
über unfern Berftand, der Gontradictorifhes auf logiſchem Wege (via 
rationis) in feinem (dem contradictorifchen) Prinzipe nicht verbinden kann; 


9 


denn wir ſtehen auf dem Boden Deffen, was uns die Betrachtung ber 
Natur offenbart, die, weit von der unendlichen Kraft abftehend, ihre uns 
endlihen contrabictorifhen Gegenfäge nicht vereinigen kann. 


Fünftes Kapitel. 
Das Größte tft Eines. 


Ohne Zahl kann die Vielheit der Dinge nicht beftehen; denn ohne 
Zahl gibt es Feine Unterfcheldung, Ordnung, Proportion, Harmonie. Wäre 
die Zahl felbft unendlich, fo wäre daffelde der Fall. Denn daß die Zahl uns 
endlih und daß fie gar nicht ift, fommt auf Eines hinaus. Man fommt 
daher bei der Zahl in auffteigender Richtung auf fein abfolut Größtes. 
Wäre bei der abfteigenden Richtung dasfelbe der Fall, fo wäre wieder alle 
Ordnung, Proportion ıc. unmöglid. Man muß daher in der Zahl auf ein 
Kleinftes fommen, das nicht Heiner fein fann, und dies ift die Einheit. 
Eie iſt ald das ſchlechthin Kleinfte mit dem ſchlechthin Größten identiſch; 
diefe Einheit kann nicht felbft Zahl fein, wohl aber ift fie das 
Princip aller Zahl, weil das Kleinſte, und das Ende aller Zahl, weil das 
Größte. Diefe abfolute Einheit, die feinen Gegenfag hat, ift das abjolut 
Größte — Gott. Sie ift nicht der Vervielfältigung fähig, weil fie Alles 
ift, was fein fann. Sie fann daher felbft nie Zahl werben. Die 
Zahl hat uns alfo zu der Einſicht geführt, Gott fei die abfolute Einheit, 
vernföge welcher er Alles wirklich ift, was fein fann. Wer daher fagte, 
ed gebe mehrere Götter, der würde fo viel fagen, als, es gebe feinen 
Gott und fein Univerfum... 


Sechstes Kapitel. 
Das Größte iſt die abfolute Notbwendigfeit. ") 


Im Vorhergehenden ift gezeigt, daß außer dem Einen Größten Alles 
endlih und begrenzt if. Das Endlihe und Begrenzte hat nothwendig 
etwas, von dem es feinen Anfang und Begrenzung bat. Und da man 
nicht fagen kann, jenes abfolute Größte fei größer, ald ein gegebencd Ends 
liches, da man nicht fo ind Unendliche fortfteigen kann, da fonft das 
Größte von der Natur des Endlichen wäre, fo tft das abfolut Größte 
nothwendig, ald Anfang und Ende alles Endlichen. Ueberdies könnte 
nichts fein, wenn jenes nicht wäre. Wäre das Endliche aus fi, fo eri- 


1) Es ift der fogenannte metaphufifche Beweis fürd Dafein Gotte* gemeint. 


10 


firte e8, bevor es eriftirt, und in den Urſachen und Principien gibt es, 
wie die Regel fagt, keinen Regressus in infinitum, Sodann müſſen wir 
fagen: das Größte hat feinen Gegenfag, weder das concrete Sein, noch 
das Nichtfein. Wie läßt es fich alfo denken, das Größte könne 
nit fein, da gar nicht fein (minime esse) bei ihm heißt: am 
meiften fein (maxime esse)? Es läßt fib alfo fein Sein denfen, ohne 
das Sein. Ferner: die größte Wahrheit ift das abfolut Größte. Nun 
aber die größte alle denkbaren Fälle erihöpfende Wahrheit ift die, daß 
das abfolut Größte entweder fei oder nicht fei, oder fei und nicht ſei, oder 
endlich weder jei noch nicht fei. Welches Glied diefer Didjunction du ale 
das am meiften wahre (maxime verum) bezeichnen magft, fo ift ber Bes 
weis damit geliefert, denn ich habe jedesmal die größte Wahrheit, die das 
ſchlechthin Größte if. Wenn gleih auch das Wort Sein feine präcife 
Bezeichnung für das Größte ift, dad alle Namen überfteigt, fo muß doc 
biefer Name noch am eheften ihm zukommen. 

Durch diefe und unendlich viele ähnliche Beweife vom Standpunfte 
der MWiffenfhaft des Nichtwiffens erhellt, daß das fchlechthin Größte 
nothbwendig eriftire, weßhalb es die abfolute Nothwendigkeit ift. 


GSiebentes Kapitel. 
Bon der dreifahen und Einen Emigfeit. 


Es hat Feine Nation gegeben, die nicht Gott verehrte und aneihn 
als das abjolut Größte glaubte. Wir finden von Minar in den Büchern 
der Alterthümer aufgezeichnet, daß die Siffenier hauptſächlich die Einheit 
angebetet. Pythagoras dagegen, zu feiner Zeit von unerfchüttertem 
Anjehen, faßte jene Einheit ald eine dreifache auf. Um die Wahrheit 
bievon zu erforfchen, müſſen wir den Blick des Geiſtes erhöhen und nach 
unfern Prämiſſen jagen: 

Was allem Anvdersfein vorhergeht, ift ohne Zweifel ewig; denn das 
Andersfein ift fo viel ald das Veränderlichſein. Das Andersfein befteht 
aber aus Einem und einem Andern, es ift daher, wie die Zahl, nach der 
Einheit; diefe geht ihm naturgemäß (naturaliter) voran; fie ift fomit 
ewig. Alle Ungleichheit ift aus einem Gleichen und etwas darüber (exce- 
dente), fie geht alfo der Gleichheit nah; denn fie fann durch Wegneh- 
men bed darüber Hinausgehenden in Gleichheit verwandelt werden. Die, 
Gleichheit geht alfo naturgemäß der Ungleichheit, die das Andersſein 
ift, vorher, fie ift alfo ewig. 

Die Einheit endlich ift entweder Verbindung (connexio) oder Ur» 
fahe der Verbindung. Verbunden ift, was zugleich geeint if. Die 


11 


Zweiheit dagegen (binarius) iſt Trennung oder Urſache der Trennung. 
Wie nun die Einheit der Natur nach der Zweiheit vorhergeht, jo aud 
die Verbindung der Trennung. Folglich ift die Verbindung, wie bie 
Einheit, ewig. 

Run kann es aber nicht mehrere Ewigfeiten geben, fonft wäre etwas 
vor der Ewigkeit, wad unmöglich iſt. Auch würde fonft Eines dem Ans 
vern fehlen, und es wäre daher Feine der drei Ewigfeiten vollfommen; es 
wäre etwas ewig, was nicht ewig wäre, da es nicht vollfommen ift. 
Folglich find Einheit, Gleichheit und Verbindung Eines (unum). 
Das ift die Dreieinigkeit, welche Pythagoras, der erfte unter allen Philofo- 
phen, die Zierde Staliend und Griechenlands, ald Gegenftand der Anbes 
tung lehrte. 

Wir wollen jedoch noch einiges Beftimmtere über die Zeugung (ge- 
neratione) der Gleichheit aus der Einheit beifügen. 


Achtes Kapitel, 
Von der ewigen Zeugung. 


Zeigen wir mun ganz furz, daß aus der Einheit die Gleichheit der 
Einheit erzeugt werde, und die Verbindung aus der Einheit und der Gleich» 
heit der Einheit hervorgehe. 

Die Einheit ift dad Sein (unitas dieitur quasi onitas von dr 
= ens, woher entitas). Gott ift dad Sein der Dinge, denn er ift das 
Princip des Seins. Die Gleichheit der Einheit ift daher die Gleichheit 
des Seins, d. i. daß in einem Dinge nicht mehr und nicht weniger ift, 
nichts darüber, nichts unter feinem Sein. Iſt in einem Wefen mehr, fo 
ft es ein Monftrum, ift weniger, fo findet feine Zeugung der Gleichheit 
aus der Einheit flatt. Denn Zeugung (generatio) ift Wiederholung der 
Einheit oder Vermehrung derfelben Natur, wie 5. B. der Sohn. Diele 
Jeugung findet fih nur im Irdiſchen, aber die Zeugung der Einheit aus 
der Einheit ift Eine Wiederholung der Einheit (una unitatis repetitio) 
oder die Einheit einmal, wodurd die Einheit fein Anderes, wie bei 
wei, drei x. erzeugt, fondern nur die Gleichheit der Einheit, was 
nichts Anderes heißen will, ald: die Einheit erzeugt die Einheit, und diefe 
Zeugung ift ewig. 


12 


Neuntes Kapitel. 
Bon dem ewigen Hervorgehen der Verbindung. 


Wie die Zeugung der Einheit aus der Einheit eine einmalige Wie— 
derholung der Einheit ift, fo iſt das Hervorgehen aus Beiden die Einis 
gung (unitio) der Wiederholung jener Einheit, oder befjer: die Einigung 
der Einheit und der Gleichheit der Einheit. Sie heißt ein Hervor- 
gehen (processio), weil fie gleihfam eine Ausdehnung vom Einen auf 
das Andere if. Wenn zwei Dinge gleich find, fo breitet fih gleichſam 
die Gleichheit von dem einen auf das andere aus, fie verbindet und vers 
fnüpft fie. Mit Recht fagt man daher, die Verbindung gehe aus der 
Einheit und Gleichheit der Einheit hervor, denn die Verbindung (con- 
nexio) bezieht ſich nicht bloß auf eines, fondern die Einheit geht aus der 
Einheit in die Gleichheit und von der Gleichheit der Einheit in die Eini- 
gung (unitionem) hervor. Sie dehnt fi alfo von dem einen in das 
andere aus. Nicht von einem Gezeugtwerden aus der Einheit oder 
der Gleichheit der Einheit fprechen wir bei jener Verbindung, weil fie 
nicht aus der Einheit durch Wiederholung oder Vermehrung entfteht. Wie— 
wohl die Gleichheit der Einheit aus der Einheit gezeugt wird und aus 
Beidem die Verbindung hervorgeht, fo ift doch Einheit, Gleichheit der Ein- 
heit und aus beiden hervorgehende Verbindung Eines und Dasfelbe, wie 
wenn man von demfelben Gegenftande fagt: hoc, id, idem. 

Wenn unfere Kirchenlehrer die Einheit den Vater, die Gleichheit 
den Sohn, die Verbindung den hl. Geift genannt haben, fo haben fie 
hiebei auf die Achnlichfeit mit irdiſchen Verhältniffen Rüdfiht genommen. 
Denn in dem Bater und Sohne ift eine gewiſſe Gemeinſamkeit der Natur, 
welche Eine ift (quaedam communitas naturae, quae una est), fo daß 
der Sohn dem Vater in der Natur gleih if. Denn es ift nicht mehr 
oder weniger Menfchheit in dem Sohne, als in dem Bater (nihil enim 
magis vel minus humanitatis est in filio, quam in patre), und ed bes 
fteht unter ihnen eine gewifle Verbindung. Denn eine natürliche Liebe 
verbindet den einen mit dem andern, wegen ber Aehnlichkeit (similitudi- 
nem) derfelben Natur, die vom Vater auf den Sohn übergeht. Deßhalb 
liebt er den Sohn mehr, als einen Andern, der mit ihm in der Menfch- 
beit übereinfiimmt (secum in humanitate convenientem). 

Dies ift meiner Anfiht nad, gemäß der pythagoreifhen Forſchung, 
die klarſte Auffaffung der Dreiheit in der Einheit und der Einheit in 
der Dreiheit. 


13 


Zehntes Kapitel. 
Das Verſtändniß der Dreiheit in der Einheit geht über alle Begriffe. 


Unterfuchen wir nun, was Martianus wollte, wenn er fagte, eine 
Philoſophie, die fih zum Verſtändniſſe diefer Dreteinigfeit erheben wolle, 
müfle zuvor Kreife und Sphären aufgegeben haben (evomuisse). Es 
it oben gezeigt, daß ed nur Ein einfachfted Größtes gibt. Es ift nicht 
die vollfommenfte förperlihe Figur — die Kugel, nicht Kreis, nicht Dreied, 
nicht Linie, fondern über alles diefes hinaus. Man muß daher, was Sinn, 
Eindildung oder Berftand darbietet, aufgeben, um zu der einfachften und 
abftracteften Vernunfteinficht Cintelligentia) zu gelangen: Alles ift Eines; 
bie Linie ift Dreieck, Kreis und Kugel, die Einheit Dreiheit u. ſ. f., das 
Accidens Subftanz, der Körper Geift, die Bewegung Ruhe ı. Dann 
erfennen wir, daß Jegliches in dem Einen Eines ift und das 
Eine Alles und folgerichtig Jegliches in ihm Alles. Namentlich 
bat man nicht vollftändig Kugel, Kreis ıc. aufgegeben, fo lange man nicht 
zur Einficht gelangt, die größte Einheit fei nothwendig dreieinig. 
Die Einheit des vernünftigen Erkennens (intellectus) befleht in dem 
Erfennenden, dem Erfennbaren und dem Erkennen. Willſt du dich nun 
von dem Erfennenden zum abfolut Größten erheben und fagen, es fei das 
am meiften Erfennende, dabei aber nicht beifügen, ed ſei aud das am 
meiften Erfennbare und das höchſte Erkennen, fo hätteft du feine rechte 
Auffaffung der größten und volltommenften Einheit. Die Einheit fchließt 
ferner die Untheilbarfeit, Unterfcheidung und Berbindung in fih, da alle 
drei aus der Einheit ſtammen; die größte Einheit ift mithin alle drei zu—⸗ 
mal. Als Untheilbarfeit iſt fie die Ewigfeit ohne Anfang, wie denn das 
Ewige von Nichts getrennt oder gefchieden iſt; als Unterfcheidung ift fie 
aus der unveränderlichen Ewigfeit, ald Verbindung geht fie aus Beiden 
bervor. Folglich, indem ich fage: die Einheit ift die größte, fpreche ich 
damit die Trinität aus. Mit dem Worte: Einheit bezeichne ich den Ans 
fang ohne Anfang (principium sine prineipio), mit dem Worte: „größte“ 
kn Anfang aus dem Anfange, mit der Copula „iſt“ — das Hervor- 
gehen aus Beiden. 

Ich fagte oben, im Größten ſei die Linie zugleih Dberfläde, Kreis 
und Kugel. Um nun deinen Geiftesblid zu ſchärfen, will ich dich zu der 
Einficht diefed Sapes erheben, die dir dann, wenn bu dich von den (mathes 
matischen) Figuren zur geiftigen Wahrheit felbit erhebft, einen überaus 
großen Genuß gewähren wird, und bu wirft auf diefem Wege in ber 
Viſſenſchaft des Nichtwiſſens große Fortſchritte machen. 


14 


Elftes Kapitel, 
Die Mathematik ift ein treffliches Hülfsmittel im Erfaffen göttlicher Wahrheiten. 


Alle unjere weiſen und frommen Kirchenlehrer fagen einftimmig, vie 
fihtbaren Dinge feien Abbilder der unfihtbaren Welt, der Schöpfer könne 
auf diefem Wege wie in einem Spiegel und Räthjel erfannt werden. Daß 
aber die geiftigen, an fih von uns unerfaßbaren Dinge auf dem Wege 
des Symbold von und erkannt werben, bat feinen Grund in dem oben 
Gefagten, weil alle Dinge in einem und freilich unbefannten Verhältnif 
zu einander ftehen, fo daß aus allen das Eine Univerfum fich herausftellt, 
und Alles in dem Einen Größten dad Eine felbft if. Und wiewohl 
jedes Abbild dem Urbilde ähnlich ift, jo ift doch außer dem größten Abs 
bilde, welches dafjelbe, was das Urbild iſt, in der Einheit der Natur Fein 
Abbild fo Ähnlich oder auch gleih, daß es nit unendlich ähnlicher oder 
gleicher fein könnte. Bedient fih num unfer Forſchen des Abbildes, fo 
darf natürlich hinfichtlich des Abbildes Fein Zweifel obwalten, da der Weg 
zum Ungewiſſen nur durch das vorausgelegte Gewiſſe geht. Nun bewegt 
fih aber alles Sinnlihe wegen der in ihm überwiegenden materiellen 
Möglichkeit in einem gewifien beftändigen Schwanfen. Dagegen hat das 
Abftracte (abstractiora istis), nit als ob es der materiellen Zuthat, 
ohne welche es ſich nicht vorftellen läßt, ganz und gar entbehrte, große 
Beftigfeit und Gewißheit, wohin die Säge der Mathematif gehören. Da: 
ber haben die Philofophen in ihnen eine Anleitung zur philofophiichen 
Fotſchung (exempla indagandarum rerum) gefunden; Keiner von den 
berühmten Alten bat jchwierige Unterfuhungen anders als mittelft der 
Achnlichfeiten, welche die Mathematif darbietet, angeftellt. So lehrte 
Bostius, der berühmte römifche Gelehrte, Niemand könne ed in den 
göttlihen Dingen zu einer Wiſſenſchaft bringen, der feine Uebung in der 
Mathematif habe. Septe nit Pythagoras, der erfte Philofoph dem 
Namen und der That nah, alle Unterfuhung der Wahrheit in das 
Verftändniß der Zahl? Ihm folgten die Platonifer und die erften 
chriſtlichen Philofophen in dem Grade, daß unfer Auguftin und nach 
ihm Bostius behaupteten, die Zahl fei im Geifte des Schöpfer dad Urs» 
bild der zu erfchaffenden Dinge gewefen. Wie konnte und Ariftoteles, 
der durch Widerlegung feiner Vorgänger ald einzig daftehen wollte, in ber 
Mathematif anders die Differenz der Arten lehren, als, indem er fie mit 
den Zahlen verglih? Indem er uns über die Geftalt der Naturwefen 
und wie eine in der andern enthalten ift, belehren wollte, nahm er zu den 
mathematifchen Formen feine Zuflucht, wenn er ſagte: wie das Dreied in 
dem Biere, fo tft das Niedere in dem Höhern enthalten, um nichts von 


15 


unzähligen andern Bergleihungen zu fagen... Hat nicht die Lehre der 
Epifuräer von den Atomen und vom leeren Raume, eine Anficht, die Gott 
läugnet und alle Wahrheit aufhebt, nur durch den mathematifchen Beweis 
der Pythagoräer und Beripatetifer ihre Widerlegung gefunden, indem fie 
jeigten, man fönne nicht auf untheilbare und einfache Atome fommen, die 
Epifur ald Princip annahm? Auf diefem Wege der Alten alfo, mit ihnen 
vorgehend, fagen wir, daß wir und, da man einmal zum Göttlihen nur 
mittelft der Symbole gelangen fann, der mathematiichen Zeichen wegen 
ihrer ungerftörlichen Gewißheit am Paſſendſten bedienen können. 


Zwölftes Kapitel. 


Wie man fi der mathematifchen Zeichen für den vorliegenden Zwer zu 
bedienen habe. 


Da aus dem Früheren befannt ift, daß das ſchlechthin Größte nicht 
zu dem gehört, was wir wiffen oder erfaflen, jo muß man, wenn man 
ed auf dem Wege des Symbold erforjhen will, über die Achnlichkeit bins 
ausgehen (transilire). Da alle mathematiſchen Zeichen endlid find, fo 
muß man zuerft die mathematifchen Figuren mit den Veränderungen, die 
fie zulafjen (cum suis passionibus), ald endliche betrachten, fodann bie 
endlihen Verhältniſſe entiprechend auf derlei unendliche Figuren übertragen, 
endlich dieſe Verhältniffe der unendlihen Figuren auf das ſchlechthin 
Unendlihe, das von jeder Figur frei ift, übertragen. Dann wird unfer 
Kihtwiffen auf eine unbegreifliche Weife belehrt werden, wie wir, die wir 
in räthjelhaftem Erfennen und abmühen (nobis in aenigmate laboran- 
tibus), über das Höcfte mit mehr Wahrheit urtheilen können. So ver: 
glih der fromme Anſelm die höchſte Wahrheit mit der unendlichen Linie; 
nad feinem Vorgange bringe ich die Linie der Geradheit ald gerade 
Linie in Anwendung. Andere haben die bochheilige Trinität mit einem 
Dreied von drei gleichen Seiten und rechten Winkeln verglichen. Und 
weil ein foldye® Dreieck nothwendig unendlihe Seiten hat, fo iſt es ein 
unendliches Dreieck. Wir folgen auch diefer Auffaflung. Wieder Andere 
wollten die unendliche Einheit darftellen und nannten Gott den unendlichen 
Kreis. Diejenigen endlich, welche die höchſte Wirkſamkeit (aetualitatem ) 
Gottes darftellen wollten, bezeichneten Gott als die unendlihe Kugel. 
Ih werde zeigen, daß fie Alle zufammen eine richtige Auffaſſung Gottes 
gehabt und Alle Ein und Daffelbe gedacht haben. 


16 


Dreizehntes Kapitel, 


Don den möglichen Veränderungen (de passionibus) ber größten und unend» 
lichen Linie. 


Ih fage alfo: gäbe es eine unendliche Linie, fo wäre fie ein Dreied, 
Kreid und Kugel; ebenfo, gäbe es eine unendliche Kugel, fo wäre fie 
Dreied, Kreis und Linie; das Gleiche gilt vom unendlihen Dreied 
und Kreife. 

Fürs Erfte erhellt, daß 

mn? bie unendliche Linie eine ges 

f zade ift. Denn der Durch⸗ 

mefler eines Kreiſes iſt 

eine gerade eine, bie Ste eine frumme, größer ald der Durch⸗ 

meſſer. Wenn nun diefe frumme Linie Heiner wird, je größer der Kreis 

ift, fo ift die Peripherie des größtmöglichften Kreifed gar nicht frumm, 

folglih ganz gerade; ed coincivirt alfo das Kleinfte mit dem Größten, 

wie aus der bier ftehenden Figur erhellt. Fürs Zweite, um zu zeigen, 

daß die unendliche Linie das größte Dreied, Kreis und Kugel fei, müfs 

fen wir fehen, was aus der endlichen Linie werden fann (quid sit in 

potentia lineae finitae); was fie werden fann, fft die unendliche Linie 

wirflid (actu). Erftend wiſſen wir, daß die endliche Linie länger und 

gerader fein fann, und es tft bereitd gezeigt, daß die größte Linie bie 

längfte und geradefte if. Zweitens, wenn die Linie a b um den feften 

Bunft a fo herumbewegt wird, bis b zu c fommt, fo 

entfteht ein Dreied. Wird die Umdrehung vollendet, 

bis b zu feinem Anfange zurüdfehrt, fo entfteht ein 

Kreis. Wird endlich b zu feinem entgegengefeßten 

Punkte, d, gebracht, jo entfteht ein Halbfreis; und 

wird nun diefer Halbfreis um den unbeweglichen Durchs 

mefjer b d herumbewegt, fo entfteht die Kugel. In 

ihr gelangt die Potenz der Linie zur legten und vollften Entfaltung. Iſt 

nun die unendliche Linie Alles actu, was die endliche in der Potenz iſt, 

fo folgt, daß fie Dreieck, Kreis und Kugel zugleih ift, was zu bes 
weifen war. 

Ich werde jedoch noch deutlicher im Folgenden zeigen, daß, was in 
der Potenz endlich, in Wirklichkeit unendlich ift. 





17 


Bierzehntes Kapitel, 
Die unendliche Linte ift Dreieck. 


Was die Vorftellung Cimaginativa), die über das Sinnliche nicht 
binausfommt, nicht faffen kann, die Linie könne ein Dreied fein, ift der 
Bernunft leicht verftändlich. 

Nah einem geometrifhen Lehrfage können von einem Dreied, deſſen 
eine Seite eine unendliche ift, die beiden andern zufammen nicht Feiner 
fein. Weil num jeder Theil des Unendlichen unendlich ift, fo müffen auch 
diefe beiden andern Eeiten unendlich fein. Da es nun aber nicht mehrere 
Unendlihe geben kann, fo kann das unendliche Dreieck nicht aus mehreren 
Einien zufammengefegt fein. Es ift daher Eine unendliche Linie, aber als 
wahres Dreieck hat ed doch drei Linien; Cine Linie find Drei und Drei 
Eine. Ebenfo verhält es fih mit den Winkeln: es ift nur Ein unends 
liher Winfel und diefer ift drei Winkel und drei Winfel find Einer. Das 
größte Dreieck ift nicht aus Seiten und Winfeln zufammengefegt, fondern 
die unendliche Linie und Winkel ift Ein und Dasfelbe. Denft man fid 
den einen der drei Winfel bis zu 2 R erweitert, fo jedoch, daß das Dreied 
bleibt, fo fällt das Dreieck zu einer Linie zufammen und es. tft nur Ein 
Winkel, der zugleich die drei Winkel darftellt. Im Conereten ift dies freis 
ih unmöglich, aber übergetragen auf das höhere Grbiet, wo dad Duans 
tum aufhört, fehen wir die Nothwendigfeit hievon ein. 


Fünfzehntes Kapitel, 
Das unendliche Dreieck ift Kreis (und Kugel). 


Denft man ſich das Dreied abc, entftanden durch R 
Herumführen der Linie ab von dem feften Punkte a bis 
mc, fo müßte, wenn ab eine unendliche Linie ift 
und b ganz bis zu feinem Anfange herumbewegt wird, 
ein größerer Kreis entftehen, von welchem be ein Theil 
iſt. Weil Theil eines unendlichen Bogens, fo wäre be 
eine gerade Linie, und da jeder Theil des Unendlichen un- ud 
endlich ift, fo wäre be nicht mehr bloß ein Theil, fondern der ganze 
Umfreis. Da ferner bc eine gerade Linie iſt, fo iſt die unendliche Linie 
ab nicht größer, da ed im Unendlichen fein Mehr oder Weniger gibt, 
und aus demfelben Grunde find es Feine zwei Linien. Es iſt folglich die 
unendlihe Linie, die Dreieck ift, aud Kreis. 

Sharpff, Nic v. Cuſa. 2 


18 


Endlih: die Linie ab iſt die Peripherie des größten Kreijes, ja 
felbft, wie bewiejen ift, ein Kreid. Sie il aus b nad c geführt, be 
aber, wie ebenfalld bewiejen ift, eine unendliche Linie. Daher kehrt ab 
in c zurüd, nachdem es fi um ſich felbft bewegt hat, aus welder Ber 
wegung die Kugel entjteht. Es ift jomit die unendliche Linie auch Kugel. 


Sechszehntes Kapitel, 
Das Größte verhält fih zu Allem, wie die größte Linie zu den Linien. 


Nachdem wir nun gezeigt haben, daß die unendliche Linie Alles in 
unendlicher Wirklichkeit ift, was die emdliche der Potenz nach ift, fagen 
wir mit Uebertragung auf das abfolut Größte, daß es in Wirklichkeit 
(actu) im höchſten Grade Alles ift, was in der Potenz des abjoluten 
einfachften Wefens liegt. Was möglich ift, ift das Größte in 
Wirklichkeit auf die größte Weije, nicht fofern ed aus dem 
Möglichen ift, fondern jofern ed dies im höchſten Grade ift (non ut ex 
possibili est, sed ut maxime est), wie aus der Linie das Dreied ent- 
fteht (edueitur). Die unendliche Linie ift aber nicht ein Dreied, wie es 
aus einer endlichen Linie entfteht, jondern in Wirklichkeit dad unendliche 
Dreieck, das mit der (unendlihen) Linie Eins it. Sodann ift die ab» 
folute Möglichkeit im Größten nicht etwas Anderes (non aliud), als 
das Größte in Wirklichkeit jelbft, wie die unendliche Linie die Kugel in 
Mirflichkeit ift. Aus dem Dbigen folgt auch die wichtige philofophifche 
Wahrheit, daß im Größten das Kleinfte das Größte ift und daß es über 
allen Gegenfägen ſteht. Ja, die ganze Gotteslehre, jo weit fie von und 
erkennbar ift, folgt aus unferm Principe, weßhalb der große Erforjcher 
der göttlihen Dinge, Dionyfius der Areopagite in feiner myſti— 
ihen Theologie fagt, der felige Barptolemäus habe die Theologie meifters 
haft verftanden, indem er fage, diefelbe fei die größte und Eleinfte zu- 
gleich; denn wer dies verfteht, verfteht Alles, er geht über den natürlichen 
Verſtand hinaus. Denn Gott, das abfolut Größte, iſt nicht Dieſes 
und ein Anderes nicht, er iftniht da und dort nidt, fon 
dern gleihwie Alles, jo auch nichts von Allem. Eben deßhalb 
ift er unbegreiflih, nur er begreift ſich ſelbſt. Dionyſius ſuchte von 
feinem andern Principe aus, ald dem unfrigen, zu zeigen, daß Gott nur 
dur die Wiſſenſchaft des Nichtwiffens gefunden werde. In Anwendung 
diefes Principo müſſen wir fagen: Gott ift die einfachfte Wefenheit 
(essentia) von allen Wefenheiten; alle find, was fie find, waren oder 
fein werden, actuell und ewig nur in ihm. Die Weſenheit von Allem 
ift in der Art eine jede, daß fie zugleich Alle ift (ita est quaelibet, quod 


19 


simul omnes), und feine befonderd. Die größte Weſenheit ift wie bie 
unendliche Linie dad adäquatefte Maaß von allen. 


Siebenzehntes Kapitel, 
Folgerungen voll tiefer Weisheit. 


Die endliche Linie ift theilbar, die unendliche nicht, allein die end» 
liche ift nicht theilbar in eine Nichtlinie, daher ift die endliche Linie im 
Weien der Linie (in ratione lineae) untheilbar, denn die Linie eines 
Schuhes ift eben fo gut Linie, als die eines Kubikfußes. Hieraus folgt, 
dab die unendliche Linie der rationelle Grund (ratio) der endlichen ift. 
So ift denn auh das Größte der rationelle Grund (ratio) von 
Allem und als folder das Maaß von Allem Mit Recht fagt daher 
Ariftoteles in der Metaphufif, dad Erfte fei vas Maaf von Allem, weil 
der Grund von Allem, Ferner: wie die unendliche Linie untheilbar, deßhalb 
auh ewig und unveränderlich ift, jo au Gott ald der Grund von Allem. 
Hier ‚zeigt fich wieder der Gelft des großen Dionyfius, wenn er jagt, das 
Weſen der Dinge fei ungerftörlih. Der göttlihe Plato fagte mit den 
Worten des Calcidius im Phädon, Eines fei das Urbild oder die Idee von 
Allem, jo ferne es in fich ift, in Hinficht aber auf die Vielheit der Dinge ſcheint 
es mehrere Urbilder zu geben. Allein wenn ich eine Linie von 2 und 
eine andere von 3 Fuß habe, fo ift das Weſen der Linien in beiden 
gleich, die Verſchiedenheit bezieht fi auf die Länge. In der unendlichen 
Linie füllt diefe Verfchiedenheit weg und nur der rationelle Grund der 
Linie bleibt in ihr für beide. Beide haben fomit Einen rationellen Grund; 
nicht in diefem liegt der Grund ihrer Verfchiedenheit, fondern darin, Daß 
nicht beide auf vollfommen gleiche Weiſe an jenem Einen Grunde parti- 
tipiren fünnen, Eben hieraus erhellt auch, warum biefer rationelle Grund 
aller Linien infofern ganz in jeder ift, ald er in feiner bejonders ift, 
weil er im legten Falle nicht mehr das abjolute Maaß aller fein fönnte. 
Es iſt daher die unendliche Linie in jeder Linie ganz, jo daß 
jede in ihr ift, und diefe beiden Säge find in ihrer Verbindung (con- 
junetim) aufzufaffen. Sagen wir daher: das Größte iſt in jedem und 
in feinem Dinge, jo heißt dies nichts Anderes, ald: da das Größte in 
demfelben Verhältniſſe (ratione) im jedem Dinge ift, in welchem jedes 
Ding in ihm ift und es diefed Verhältniß felbft ift (et sit ipsamet ratio) 
jo ift vas Größte in fih feldft. Kein Ding ift alfo in fid 
jeldft, fondern nur das Größte, jedes Ding iſt nur in feinem rationellen 
Örunde in fich felbft, weil diefer Grund das Größte ift. 

Auf diefem Wege fann die Vernunft dur Bergleihung des Größten 

2* 


20 


mit der unendlichen Linie ſich helfen und im Heiligthum des Nichtwiffens 
(in sacra ignorantia) große Fortfchritte machen; denn dad fehen wir num 
Har, daß wir Gott nur durd Entfernung der Participation aller Ding e 
finden. Alles participirt an dem Sein. Nehmen wir diefes ‘Barticipiren 
hinweg, fo bleibt das einfachfte Sein felbft, die Wefenheit der Dinge 
übrig. Der große Dionyfins jagt, die Erfenntniß Gottes führe mehr zum 
Nichts, als zu Etwas hin. Das heilige Nichtwiffen belehrt uns aber, daß, 
was der Vernunft Nichts zu fein fcheint, eben das unbegreiflih Größte if. 


Achtzehntes Kapitel, 
Das Bisherige führt und auch zum Verjtändniffe des Participirend an dem Sein. 


Lebhaft durch das Bisherige angeregt, forfcht unfer unerfättliber Er- 
fenntnißtrieb mit größter Luft weiter, wie er fi das Participiren an dem 
Einen Größten noch deutlicher denfen möge, und indem er wieder die Vers 
gleihung mit der unendlichen, der geradeften Linie zu Hülfe zieht, fagt er: 

Die frumme Linie, die ein Mehr oder Weniger zuläßt, kann nicht 
die abfolut größte fein, fte ift ald frumme Linie an ſich nichts, weil Das 
Krumme der Abfall vom Geraden if. Das Sein der frummen Linie 
rührt alfo von der Theilnahme an der geraden Linie her, denn die abjo- 
(ut größte oder Fleinfte Krümmung ift eben das Gerade. In ähnlicher 
Weiſe participiren nun die Dinge an dem Sein, wie dad Krumme am 
Geraden. Wie aber die gerade endliche Linie einfacher und unmittelbarer, 
die frummen aber vermittelft der geraden an der unendlichen Linie pars 
ticipiren, fo iſt es auch bei den wirflihen Dingen, woraus fid der Unter: 
fhied von Subftanz und Accidens und der größere oder geringere 
Werth der Subftangen und Accidenzen ergibt. Das adäquatefte 
Maaß für beive ift das Größte, das eben deßhalb felbft weder Subftanz 
noch Accidens ift, indeß doch eher den Namen von dem unmittelbar am 
Sein PBarticipirenden, der Subftanz, entlehnt und daher mit dem großen 
Dionyſius das mehr ald Subftanziale ) d. i. das Superfubftantiale 
genannt wird. 





1) Unde Dionysius maximus ipsius plus quam sabstantiam sive substantiälem 
vocat, potius quam superaceidentialem. Das „sive* weist unftreitig auf ein Wort 
bin, welches die Worte: plus quam substantiam, ebenfo in Eins zufammenfaßt, wie 
gleich darauf „superaccidentialem“ und fo viel ift als: plus quam accidens. Es muf 
daher flatt substantialem gelefen werben: supersubstantialem, wie auch aus dem Folgen— 
den: dieitur autem supersubstantiale etc. hervorgeht. 


21 


Nennzehntes Kapitel. 
Uebertragung des Drelecks auf bie Trinität des Größten. 


Laffen wir uns nun über den Sag: „Die größte Linie ift das größte 
Dreied* durch unfer Syftem des Nichtwiffens belehren! 

Die größte Linie ift ein Dreieck, und weil die größte Linie die ein- 
fachſte iſt, fo ift fie das einfachfte Dreifahe (trinum) und jeder Winfel 
des Dreiecks eine Linie, da das ganze Dreieck Linie if. Die unendliche 
Linie ift alfo dreifach, und da es nicht mehrere unendliche geben fann, ift 
diefe Dreiheit Einheit. Werner: da der der größern Seite entgegenftehende 
Winfel größer und bier von einem Dreied die Rede ift, das unend- 
lie Seiten hat, fo find die Winfel die größten und unendlich. Einer 
it daher nicht Feiner, als die andern, noch zwei zufammen größer als 
der dritte. Einer ift daher im andern, und alle drei find das Eine 
Größte. Sodann: wie die größte Linie nicht mehr Linie ift, als Dreicd, 
Kreid oder Kugel, fondern in Wahrheit alles diefes ift, ohne Zufammen- 
fegung, fo ift auch das Größte wie die größte Linie, und dies fünnen wir 
die Weienheit nennen, wie das größte Dreied, — das ift die Drei- 
einigfeit, wie der größte Kreis — die Einheit, wie die größte Kugel 
— die höchſte Wirffamfeit. Die MWefenheit ift nichts Anderes, ale 
die Dreieinigfeit, dieſe nichts Anderes, ald die Einheit x. Wir haben 
bier nicht einen Winkel, dann noch einen und emblich einen dritten, wie 
bei endlichen Dreieden, die etwas Zufammengefegted find, fondern das 
Eine ift ohne Vervielfältigung dreifach (unum triniter est). Mit Recht 
jagt daher der gelehrte Auguftin: fo wie du anfängft die Dreieinigfeit 
m zählen, fo verlierft du die Wahrheit. In den göttlichen Dingen 
nuß man in einem einfahen Begriffe, fo weit ed nur 
immer möglich ift, die Gegenfäge in Eins zufammenfaf- 
jen, indem man ihrem Auseinanderfallen in Gegenſätze 
ſuvorkommt. (Oportet enim in divinis simplici conceptu, quantum 
hoe possibile est, complecti contradictoria, ipsa antecedenter prae- 
veniendo.) So darf man im dem göttlichen Dingen nicht Unterſcheiden 
und Nichtunterfheiden als zwei Gegenfäße (contradicentia) auffaffen, 
fonden muß fie a priori (antecedenter) in ihrem einfachſten Princip 
faffen, wo Unterſcheiden und Nichtunterſcheiden noch nicht etwas Ber: 
ibiedenes find; dann verfteht man, daß Dreiheit und Einheit Dasfelbe 
find. Denn wo Unterfheiden zugleich Nichtunterfcheiden ift, da iſt bie 
Dreiheit Einheit, und umgekehrt: wo Nichtunterfcheiden zugleih Unter⸗ 
Iheiden ift, da iſt die Einheit Dreiheit. So verhält es ſich aud mit 
ver Mehrheit der Perfonen und der Einheit des Wefens; denn wo 


22 


Mehrheit Einheit ift, ift die Dreiheit ver Perfonen dasjelbe, wie die Ein- 
heit des Weſens, und umgefehre: wo die Einheit Mehrheit ift, ift Die 
Einheit des Weſens Dreiheit in den Perfonen. Klar fieht man died an 
unferem Beifpiele, wo die einfachfte Linie Dreieck ift und das einfachfte 
Dreieck eine Linie. Man fieht bier auch, daß man die Winfel dieſes 
Dreieds nicht zählen kann, denn jeder ift in jedem, wie der Sobn 
fagt: „ich im Vater und der Vater in mir.” ... 


Zwanzigites Kapitel, 
Fortfegung; Vierheit ıc. tft im Göttlichen nicht möglich. 


Das Dreieck ift die einfachfte Figur, auf welche jedes Polygon redu- 
eirt werden fann. Das abfolut größte, oder was dasfelbe ift, dad abſo— 
lut Fleinfte Dreieck faßt alle möglihen Polygone in fih; die vier- und 
mehrfeitige Figur ift alfo nicht die kleinſte, weil die dreifeitige Heiner als 
fie ift, fie ift folglih au niht ohne Zufammenfegung. Es fann 
mithin dem Größten ald dem Einfachften, das nur mit dem Kleinften 
coincidirt, die vier⸗ und mehrfeitige Figur, die ftetS zuſammengeſetzt iſt, 
nicht correfpondiren, fie fünnte auch unmöglich das adäquatefte Maaß der 
Dreiede fein. So wie daher nur das Dreieck die nächſt höhere Potenz 
der Linie ift für alle rechtwinflichten, der Kreis für alle Freisförmigen 
Flächen, die Kugel für alle Breiten und Tiefen, diefe aber, unendlich ge— 
dacht, Eines find, und weitere Potenzen der Linie unmöglich, fo ift auch 
in dem Größten feine Vierheit oder Vielheit möglich, fondern die Drei— 
heit, welche Einheit, ift das einzige und adäquatefte Maß aller Dinge. 
Dahin gehören alle Thätigfeiten, die fih in Potenz, Gegenftand und 
Wirkſamkeit verlaufen, alle Operationen des Erfennens, alle Thätigfeit 
der Natur, die aus einem Wirkenden, Leivenden und dem Refultate aus 
beiden beiteht. 


Einundzwanzigftes Kapitel, 
Uebertragung des unendlichen Kreifes auf die Einheit. 


Der Kreis ift die vollfommene Figur der Einheit und Einfachheit. 
Das Größte, unter dem Bilde des unendlichen Kreiſes betrachtet, iſt da— 
ber die abfolute Einheit und Identität feines Wefens, 
ohne Verfchiedenheit und Andersfein, fo daß feine Güte nicht etwas An— 
deres ift, ald feine Weisheit, fondern dasfelbe. Alle Verſchiedenheit 
(diversitas) ift in ihm Einheit. Da mithin feine Macht, wenn ich 


23 


io fagen darf, die geeinetfte Cunissima) ift, fo ift fie auch die ftärffte 
und unendlichfte (infinitissima). In der geeinigten Dauer des Größten 
ift die Vergangenheit nicht etwas Anderes, als die Zukunft und die Zur 
funft nichts Anderes, ald die Gegenwart — Ewigfeit ohne Ans 
fang und Ende Da im größten Kreife aud der Durchmefler der 
größte ift, und es nicht mehrere Größte geben kann, fo ift der größte 
Kreis jo ehr geeinet (in tantum unissimus), daß Durchmeſſer und Ums 
freid Eines find. Ein unendlicher Durchmefjer hat aber auch eine uns 
endlihe Mitte oder Centrum. Im größten Kreife find mithin Cen— 
trum, Durdmefjer und Peripherie Eines. Daraus folgert unfer 
Syſtem des Nichtwiflens (ignorantia nostra), daß das Größte auch auf 
das Bollfommenfte in Allem ift, einfach und untheilbar, weil das unendliche 
Gentrum, außer Allem, Alles umfaffend, weil unendliche Peripherie, 
Alles durchdringend, weil unendliher Durchmeſſer; Anfang von 
Allem, als Centrum, Ende von Allem als Peripherie, die Mitte 
von Allem ald Durchmefler; die wirfende Urſache (eausa efficiens) 
ald Centrum, die geftaltende (formalis) ald Durchmefjer, die ziel— 
gebende oder Endzweck (finalis) ald Peripherie; Schöpfer (dans 
esse) ald Gentrum, Regierer (gubernans) als Durchmeſſer, Erhalter 
ald Peripherie. 

Nun begreift du, daß das Größte mit feinem Wefen iden- 
tifh no von ihm verſchieden ift (maximum cum nullo est idem 
neque diversum) und daß Alles in ihm, aus ihm und burd es 
ift, weil es Umfreis, Durchmeſſer und Centrum if. Es umfaßt aljo 
Alles, was ift und nicht ft, fo daß nicht fein in ihm heißt am mei— 
ften fein (non esse in ipso est maximum esse). Es ift dad Maaß 
aller freisförmigen Bewegung, wie der des Uebergangs aus der 
Möglichkeit in die Wirklichkeit und der Nüdfehr diefer in jene, der Ver— 
bindung ded Principe mit dem Individualleben und der Auflöfung des 
Letztern in fein Prinzip, das Maaß aller volllommenen Freisförmigen Ge: 
falten und Freisförmigen Thätigfeiten, aller Bewegung über fich (super 
se) und zu dem Anfange zurüd. Nur das Eine bemerfe ih noch: 
die ganze Gotteslehre ift Freisförmig und bewegt ſich im 
Kreife (omnis theologia circularis est et in circulo posita existit), jo 
daß die (göttlihen) Attribute fich gegenfeitig bewahrheiten: 
die höchſte Gerechtigkeit ift die höchſte Wahrheit und die höchfte Wahrheit 
it die höchfte Gerechtigkeit. Dehnſt du diefen Gedanken weiter aus, fo 
werden dir viele theologiſche Materien, die dir jegt noch verborgen find, 
ganz Flar werben. 


_ 


24 


Zweinndzwanzigfted Kapitel, 
Die göttlihe Vorfehung einigt das Entgegengefeßte. 


Um die Probe zu machen, daß wir durch unfere Prämiffen zu tiefer 
Erfenntniß geführt werden, wollen wir nun das Geſagte auf die gött- 
lihe Borfehung anwenden. 

Da gezeigt ift, daß Gott der Inbegriff (complicationem) von Allem ift, 
auch von dem Entgegengefegten (etiam contradietoriorum), fo fann feiner 
Borfehung nichts entgehen. Wir mögen etwas thun oder das Gegentheil 
bievon, oder auch gar nichts, fo war Alles in dem Vorherſehen Gottes 
enthalten (totum in Dei providentia implieitum fuit). Nichts wird fidh 
alfo ereignen, außer gemäß der göttlihen Vorfehung. Wenn man daher 
auch annehmen wollte, ') Gott habe Vieles vorherfehen fünnen, was er 
nicht vorherſah und nicht vorherjehen wird, und wenn er auch Vieles vor- 
hergeſehen hat, was er auch fonnte nicht vorherſehen, fo erleidet doch Die 
göttlihe WBorfehung feinen Zuwachs oder Verminderung, wie folgende 
Vergleihung zeigt. Die menſchliche Natur ift Eines und einfah. Würde 
nun aud ein Menfch geboren, defjen Geburt man nie erwartete, jo würde 
doch die menfchlide Natur dadurd eben fo wenig einen Zuwachs erhalten, 
als dur fein Nichtgeborenwerden einen Abgang erleiden, wie fie aud 
durh das Sterben der Geborenen feinen Abgang erleidet; denn die menfch- 
liche Natur faßt eben fo wohl Die in fih, welche erifliren, als auch Die, 
welche nicht eriftiren und auch nicht eriftiren werden, wiewohl fie hätten 
eriftiren Fönnen. Würde fih daher auch ereignen, was ſich nie ereignen 
wird, für die göttliche Vorfehung wäre dies fein Zuwachs (nihil adderetur 
divinae providentiae), weil fie fowohl das umfaßt, was gefchieht, als 
auch das, was nicht gefchieht, aber geſchehen kann. Denn gleihwie in 
der Materie Vieles möglich ift, was nie geichehen wird, fo iſt im Gegens 
theile Alles, was nicht geſchieht, obgleich ) es gefchehen fann, in ver 
göttlihen Vorſehung nicht möglich, ſondern wirflih (non possibiliter, 
sed actu), woraus nicht folgt, daß Jenes (dad Mögliche) auch wirklich 
eintrete, Wie die unendliche Einheit alle Zahl, fo faßt die Vorfehung 
Gottes Unendlihes in fih, fowohl was geſchieht, als aud was nicht ges 
ihieht, aber gefchehen Fann, und das Gegentheil, wie die Gattung die ent- 


4) Der Conjunctiv in den Worten: unde quamvis Deus multa potuisset pro- 
vidisse, fcheint mir hier den nur gedachten Fall anzudeuten (nad Art des gries 
chifchen e2 mit Optativ), da Gufa im andern Falle, wenn er von wirklichen Verhaͤlt— 
niffen redet, quamvis mit dem Indicativ zu verbinden pflegt. 

2) Statt: si evenire possunt bürfte wohl richtiger: etsi evenire possunt zu 
lefen fein. 


25 


gegengefegten Differenzen in fih faßt. Und was bie göttliche Vorfehung 
weiß, weiß fie nicht mit einem Zeitunterfchiede, denn fie weiß die Zufunft 
nicht als Zukunft, die Vergangenheit nicht als Bergangenheit, fondern 
ewig, dad Veränderliche in unveränderlicher Weiſe. Daber ift fie unver: 
änderlich und nichts fann ihr entgehen (inevitabilis), nichts ihr entweichen. 
Alles hat in Bezug auf fie Nothiwendigfeit (omnia ad ipsam providen- 
tiam relata necessitatem habere dieuntur), und zwar mit Recht, weil 
Alles in Gott Gott ift, der die abfolute Nothwendigkeit. Hieraus erhellt, 
daß das, was fich nie ereignen wird, in der oben dargegebenen Weife in 
Gottes Vorfehung enthalten ift, auch wenn es nicht als fünftig eintretend 
vorbergefehen ift. Gott muß nothwendig vorausgefehen haben, was er 
vorausgefehen hat, weil feine Borfehung nothwendig und unveränderlich 
it, wiewohl er auch das Gegentheil von dem vorberfehen fonnte, was er 
vorbergejehen hat; denn mit dem Inbegriffe ift noch nicht der inbegriffene 
Gegenftand, wohl aber mit der Entwidlung der Inbegriff gefegt (posita 
complicatione non ponitur res complicata, sed posita explicatione po- 
nitar complicatio), Ich kann morgen lefen oder nicht leſen — was ich 
immer thue, ich entgehe der Vorſehung nicht, die das Entgegengefepte 
umfaßt, weßhalb, was ich immer thue, der göttlichen Vorſehung gemäß 
geſchieht. 

So ſehen wir, wie wir nach den Prämiſſen, die uns zeigen, daß 
das Größte allen Gegenſätzen vorausgehe, weil es Alles in ſich faßt, 
über die göttliche Vorſehung und verwandte Gegenſtände und einen rich— 
tigen Begriff bilden Fönnen. 


Dreinndzwanzigites Kapitel. 
Uebertragung der unendlichen Kugel auf die Alles wirkende Exiſtenz Gottes. 


Nun no einige Betrachtungen über die unendliche Kugel! 

In der unendlichen Kugel jehen wir die drei größten Linien ber 
Bänge, Breite und Tiefe im Centrum zufammenlaufen. Das Centrum 
der größten Kugel ift aber gleich dem Durchmeſſer und der Peripherie; 
es ift folglib das Gentrum jenen drei Linien gleich, ja, das Gen 
trum ift fie alle: Länge, Breite und Tiefe. Im Größten find das 
ber alle Länge, Breite und Tiefe das Eine einfachfte und untheilbare 
Größte ſelbſt. Und wie das Centrum aller Breite, Länge und Tiefe 
vorhergeht, dad Ende und die Mitte von ihmen ift (denn in der unend- 
lichen Kugel find Centrum, Dichtigkeit und Peripherie Ein und Dasfelbe), 
wie die unendliche Kugel ganz in actu und auf die einfachfte Weife ift, 
Pit aub das Größte ganz in Wirklichkeit (in actu) auf die 


26 


einfahfte Weife. Wie die Kugel die volle Wirkfamfeit der Linie, des 
Dreiedd und des Kreifes ift, fo ift das Größte die Wirkſamkeit 
von Allem (omnium actus). Jedes wirkſame Sein hat alfo von ihm 
alle feine Wirkſamkeit; jedes Sein eriftirt in Wirffamfeit infoweit, wie 
weit es in dem Unendlichen wirffam if. Daher ift va8 Größte das 
bildende Prinzip von Allem (forma formarum), das Prinzip des 
Seins (forma essendi) oder das höchſte wirkffame Sein (maxima actualis 
entitas). Sehr fcharffinnig fagt daher Barmenides, Gott ſei es, 
für den jegliches Sein all das Sein ift, das es ift (Deum esse, cui esse 
quodlibet, quod est, est esse omne id, quod est), Wie die Kugel die 
höchſt mögliche Vollendung der Figuren iſt, fo iſt das Größte die 
vollfommenfte Vollendung von Allem,fo daß alles Unvoll 
fommene in ibm das Bollfommenfte ift, wie die unendliche Linte 
Kugel und in ihr das Krumme gerade, das Zufammengefegte einfach, 
das Verfchiedene identifch, das Andersfein Einheit if. Wie fönnte dort 
eine Unvollfommenheit fein, wo die Unvollfommenheit die höchſte Boll 
fommenheit, die Möglichkeit die unendliche Wirkſamkeit ift ı.? Iſt das 
Größte wie die größte Kugel, fo ift ed das einfadhfte, adäquateſte 
Maaf des ganzen Univerfums und aller Wefen im Univerfum, 
denn in ihm ift das Ganze nicht größer, als der Theil, wie die Kugel 
nicht größer iſt, als die unendliche Linie. Gott ift daher der einzige 
einfachfte rationelle Grund (ratio) des ganzen Univerfums, 
und wie aus unendlich vielen Umfreifen (eirculationes) die Kugel entfteht, 
fo ift Gott als die größte Kugel das einfachfte Maaß aller Freiöförmigen 
Bewegungen; denn alle Belebung (vivificatio), Bewegung und Intelligenz 
ift aus ihm, in ihm und durd ihn, bei dem Eine Kreisbewegung der 
achten Sphäre nicht Feiner ift, ald die der umendlichen, weil er das Ziel 
aller Bewegung ift, in dem alle Bewegung als in ihrem Ziele zur Ruhe 
fommt. Es ift nämlich Dasjenige die größte Ruhe, in dem alle Bewegung 
Ruhe if. So ift denn die größte Ruhe das Maaß aller Bewegung, wie 
das größte Gerade das Maaß aller Umfreife, die größte Gegenwart oder 
die Ewigfeit das Maaß aller Zeiten ift. Und weil Gott das Sein alles 
Seins ift und alle Bewegung fih auf das Sein bezieht, fo ift er, das 
Ziel ver Bewegung, auch die Ruhe der Bewegung, d. i. das Princip (forma) 
und die MWirkfamfeit des Seins. Alles Seiende hat daher einen 
Zug zu ihm (ad ipsum tendunt). Weil es aber endlich ift und nicht 
auf gleiche Weife an ihm participiren fann, jo participiren die einen 
Weſen an dem Ziele aller Dinge mittelft der andern, wie bie 
Linie mittelft des Dreiecks und Kreifes, das Dreieck mittelft des Kreijes, 
der Kreis durch fich felbft zur Kugel wird. 


27 


Bierundzwanzigftes Kapitel, 
Vom Namen Gottes und der affirmativen Theologie. 


Nachdem wir num mit Gottes Hülfe dur ein mathematiſches Beis 
ſpiel in unferem Nihtwiffen über das erfte Größte zu größerer Erkeuntniß 
zu gelangen geftrebt, wollen wir zur Ergänzung unſeres Wiſſens nod 
über den Namen des Größten eine Unterfuchung anftellen, die, wenn 
wir dad Bisherige fefthalten, von Feiner Schwierigfeit fein wird. 

Da das Größte das fchlehthin Größte ift, das feinen Gegenſatz 
bat, fo ift Mar, daß ihm eigentlich fein Name zufommen könne. Denn 
alle Namen entftehen aus einer gewiſſen fingulären Berftandesthätigfeit, 
dur welche Eined vom Andern unterfhieden wird. Wo nun Alles Eins 
it, fann es feine befondere Namen geben. Mit Recht fagt daher 
Hermes Trismegiftus: da Gott das All der Dinge ift (universitas 
rerum), fo bat er feinen bejondern Namen, denn man müßte entweder 
Gott mit jedem Namen, oder Alles mit feinem Namen benennen, da er 
in feiner Einfachheit das AU der Dinge in fich begreift, daher muß auch 
der Gott eigentlich zufommende Namen (jener von uns unausfprechliche 
Name, der zeromyoduueror iſt oder aus vier Buchftaben befteht, und 
deßhalb der eigentliche Name Gottes heißt, weil er ihm nicht in Folge 
eines Berhältniffes zu den Ereaturen, fondern nach feiner eigentlichen We: 
ſenheit zukommt) überfegt werden: Einer und Alles (unus et omnia) 
oder beffer! Alles in Einheit (omnia uniter). ; Und jo hat fib ung 
ja oben die höchſte Einheit, die fo viel ift, als: „Alles in Einheit,“ 
ergeben, ja der Name „Einheit“ fcheint noch näher bezeichnend zu fein, 
als: Alles in Einheit. Daher jagt auch der Prophet: „an jenem Tage 
wird Gott fein und fein Name ift: Einer,” und ein andermal: „Höre 
Jörael! Cd. i. du, der du Gott mit der Vernunft ſchauſt) dein Gott ift 
Einer.” Die Einheit ift aber nicht in dem Sinne der Name Gottes, wie 
wir die Einheit verftehen. Der Einheit fteht die Wielheit gegenüber. 
Eine ſolche Einheit kommt Gott nicht zu, fondern jene, der fein Anders— 
kin, feine Vielheit entgegenfteht. Dies iſt der größte Name, der Alles 
in der Einfachheit der Einheit zufammenfaßt, dies der unausiprechliche 
Name, der über allen Verftand geht. Denn wer könnte die unendliche 
Einheit begreifen, die unendlih allem Gegenfage vorausgeht, wo Alles 
ohne Zufammenfegung in der Einfachheit der Einheit begriffen ift, ohne 
Anderes und Gegenfag, wo der Menſch nicht vom Löwen, der Himmel 
nit von der Erde verfchleven und doch jedes auf die wahrfte Weife ift, 
nicht nach feiner Endlichkeit, fondern als die größte Einheit felbft! Wer 
diefe Einheit zu begreifen oder zu benennen vermöchte, die als Einheit — 


28 


Alles, und als das Kleinfte — das Größte ift, der hätte den Namen 
Gottes gefunden. Allein da der Name Gottes Bott felbft if, 
jo Fennt Niemand Gott, außer derjenige Geift, der Das 
Größte ſelbſt ift und der größte Namen Durch die Wiffenfchaft 
des Nichtwiſſens fehen wir alſo ein, daß die Einheit, wenn fie gleich 
eine nähere Bezeichnung des Größten ift, doch hinter dem wahren Namen 
des Größten, der das Größte felbft if, noch unendlich zurückbleibt. 
Hieraus erhellt, daß die affirmativen Namen Gottes mur 
im unendlich fleinften Grade (per infinitum diminute) ihm zufommen, 
denn fie werden ihm nad irgend einer Eigenschaft der Ereaturen beigelegt. 
Da nun aber Gott etwas Particulares, das einen Gegenfag hat, nur 
im allerfleinften Grade zufommen kann, fo find alle affirmativen Namen, 
wie Dionyfius fagt, nicht genug zufammenfaffend (incompactae). 
Nennft du ihn die Wahrheit, fo ift der Gegenfag die Lüge, nennft bu 
ihn die Tugend (virtutem), fo ift der Gegenjag die Sünde (vitium) —, 
Subitanz, fo ift der Gegenfag das Accivens u. f. fe Da er aber nict 
eine Subſtanz ift, die nicht Alles ift, ohne einen Gegenfag, nicht Wahrheit, 
die nicht Alles ohne Gegenfag ') ift, fo können ihm jene Namen nur im 
ganz verminderten Grade zufommen. Alle Affirmationen, die in fein Weſen 
etwas aus dem von ihnen bezeichneten Gegenftande hineinlegen (quasi in 
ipso aliquid sui significati ponentes), fünnen ihm nicht zufommen, ber 
nicht irgend Etwas mehr ift, ald er Alles ift (qui non est plus aliquid 
quam omnia). Daher werden ihm die affirmativen Namen, wenn 
fie anders ihm zufommen, nur im Berhältniffe zu den Ereaturen 
beigelegt, nit als ob die Creaturen die Urſache hievon wären, da 
das Größte von den Ereaturen nichts haben kann, fondern fie fommen 
ihm vermöge feiner unendlichen Macht im Berhältniffe zu den Greaturen 
zu (sed ei ex infinita potentia ad creaturas conveniunt); denn von 
Ewigkeit fonnte Gott fchaffen; hätte er dies nicht gefonnt, fo wäre er nicht 
die höchfte Allmadt. Wenn ihm daher gleich der Name: Schöpfer im 
Berhältniffe zu den Gefchöpfen zufommt, fo kommt er ihm doch auch zu, 
bevor noch ein Geſchöpf war, weil er von Ewigkeit fhaffen fonnte. So 
verhält e8 ſich auch mit der Gerechtigfeit und andern affirmativen Namen, 
die wir auf Gott aus dem Leben der Gefchöpfe wegen einer gewiſſen 
Vollkommenheit, die durch diefe Namen bezeichnet wird, übertragen. Alle 
diefe Namen waren von Ewigfeit, ehe wir fie Gott beilegten, in Wahr 
heit in feiner höchſten Volltommenheit und feinem unendlihen Namen 
enthalten, fo wie auch alle Dinge, die durch diefe Namen bezeichnet, und 
von denen fie dur und auf Gott übertragen werden. Das Gefagte hat 


1) Im Terte ſteht: appositione, offenbar unrichtig, ftatt : oppositione. 


29 


fo fehr Giltigfeit, daß auch der Name der Trinität und der Perfonen: 
Vater, Sohn und heiliger Geift im Verhältniffe zu den Gefchöpfen ihm 
beigelegt werden. Denn da Gott ald Einheit erzeugend und Bater, als 
Gleihheit der Einheit — gegeugt oder Sohn, als Verbindung beider — 
der heilige Geiſt ift, fo ift Mar, daß ver Sohn Sohn heißt, weil er bie 
Gleichheit der Einheit oder db Seins if. Weil Gott von Ewigfeit die 
Dinge erfchaffen fonnte, wenn er fie auch nicht erfchaffen hätte, fo wird 
er in Rüdficht auf die Dinge Sohn genannt; denn deßhalb ift 
er Sohn, weil er die Gleichheit des Seins iſt, über oder unter welcer 
die Dinge nicht beftehen fünnten, die Gott machen fonnte, wenn er fie 
auch nicht gemacht haben würde. Könnte Gott fie nicht machen, fo wäre 
er weder Gott Bater, noch Sohn, noch heiliger Geift, überhaupt nicht 
Gott. Betrachteft du die Sache tiefer, fo heißt: „der Vater erzeugt den 
Sohn,“ fo viel ald: er erfchafft Alles durh das Wort (quod si 
subtilius consideras, patrem filium gignere, hoc fuit omnia in verbo 
eteare). Deßhalb nennt auh Auguftin das Wort die Kunft und Idee 
im Berhältniß zu den Geſchöpfen. Die Creatur beginnt dadurd, daß 
Bott — Bater ift, ihr Sein; dadurd, daß er Sohn ift, erlangt fie ihre 
Vollendung (perfieitur), dadurch, daß er heiliger Geift ift, ift fie mit der 
ganzen Weltordnung im Einklang. Died find die Spuren der Trinität 
in jeglihem Dinge. Dies ift der Sinn der Worte Auguftind, wenn 
er die Stelle der Genefis: „Im Anfange erihuf Gott Himmel und Erde“ 
aljo erflärt: Gott hat als Vater die Principien der Dinge erichaffen. 

Was aljo in der affirmativen Theologie von Gott ausgefagt wird, 
gründet fih auf das Verhältniß zu den Gefchöpfen. Dies gilt auch in 
Bezug auf jene heiligften Namen, die ſich bei den Hebräern 
und Ehaldäern finden, und in denen die größten Geheimnifje ver 
Erfenntniß Gottes enthalten find. Keiner diefer Namen bezeichnet Gott 
anders, als nach einer befonderen Eigenthümlichfeit, außer jenem Namen 
mit vier Buchftaben, welche find: 17°, das der eigentlihe und unaus— 
ſptechliche Name ift und oben erflärt wurde. Hierüber handeln Hieros 
nymus und der Rabbiner Salomon in dem Bude: dux neutrorum 
ausführlih, wad man nachlefen mag. 


Fünfundzwanzigſtes Kapitel, 
Vie Heiden gaben Gott im Verhältniſſe zu den Gefhöpfen verfehledene Namen. 


(Die Heiden benannten Gott nad den verfchiedenen Verhältniffen zu 
den Gefchöpfen. Jupiter nannten fie ihn wegen feiner bewunderungsd« 
würdigen Güte (propter mirabilem  pietatem). Julius Firmicus fagt 


30 


nämlich, Jupiter fei ein fo günftiges Geftirn, daß, wenn er allein im 
Himmel regierte, die Menſchen unfterblid wären. Saturn heißt Gott 
wegen der Tiefe der Gedanfen und ber Erfindungen in dem, was zum 
Leben nothwendig ift, Mars von den Siegen im Kriege, Merkur wegen 
der Klugheit im Rathe, Benus wegen der die Natur erhaltenden Liebe, 
Sonne wegen der Stärfe der Bewegungen in der Natur, Mond wegen 
der Erhaltung der zum Leben notbwendigen Feuchtigkeit, Eupido wegen 
der Einheit beider Gefchlechter, weßhalb man ihn auch die Natur nannte, 
weil er durd das Gefchlechtlide die Gattungen der Dinge enthält... Her 
mes fagt, Alles, ſowohl Lebendes als nicht Lebenves, ſei doppelten Ge— 
ſchlechts, weßhalb die Urfache von Allem, Gott, männliches und weibliches 
Geſchlecht in fih enthalte, wovon Eupido und Venus die äußere Er- 
ſcheinung fei. In gleihem Sinne befang der Römer Balerius den 
allmächtigen Jupiter als die zeugende und gebährende Gottheit (genitorem 
genitricemque Deum). Daher nannte er aud Cupido, ſofern nämlid 
ein Weſen nach dem andern begehrt (eupit), die Tochter der Benus, d. i. 
der natürlichen Schönheit. Die Venus nannten fie die Tochter des all 
mächtigen Jupiters, von dem die Natur und Alles, was mit ihr gegeben 
ift, herſtammt. Auch die Tempel des Friedend, der Ewigkeit 
und der. Eintracht, dad Pantheon, in dem ein Altar des Un— 
endlichen (termini infiniti), der feine Grenze hat, in der Mitte umter 
freiem Himmel errichtet war, und Ähnliche Erjcheinungen zeigen und, daß 
die Heiden Gott nah dem Berhältniffe zu den Geſchöpfen verfchieden 
benannt haben. Alle diefe Namen find nur die Entfaltung des 
Einen unausſprechlichen Namens, und fofern der eigentlich Gott 
zufommende Name unendlid ift, faßt er unzählige foldhe den befondern 
Volltommenheiten entnommene Namen in fih. Daher ift auch die Ent 
faltung dieſes Namens eine vielfache, die immer der Vermehrung fähig 
ift, und jeder einzelne Name verhält fid zu dem eigentlichen und unaud- 
Iprechlichen Namen wie das Endlihe zum Unendlichen. 

Die Heiden verladten die Juden, melde den Einen unendlichen 
Gott, den fie nicht Fannten, anbeteten, und doch verehrten fie felbft ihn 
in der Entfaltung feines Weſens (quem tamen ipsi in explicationibus 
venerabantur), da fie ihn verehrten, wo immer fie feine göttlichen Werfe 
erblidten. Der Unterfchied im ganzen Menfchengefchlechte beſtand damals 
darin, daß Alle an den Einen größten Gott, über dem es feinen größern 
gibt, glaubten, den die Einen, wie die Juden und Siffennier, in feiner 
einfachiten Einheit, als den Inbegriff Ccomplicatio) aller Dinge, die 
Andern dagegen da verehrten, wo fte die Entfaltung feiner Gottheit wahr- 
nahmen, wobei fie das für die Sinne Bekannte als einen Wegweiſer zu 
der Urfadhe und dem Princip nahmen (recipiendo notum sensibiliter 


31 


pro manuductione ad causam et prineipium). Auf der legten Stufe 
(in hae ultima via) dieſes Weges geriet) das ſchlichte Volk in Irrthum, 
das die Entfaltung (der Gottheit) nicht als Bild, fondern als 
Bahrheit nahm, wodurd der Gößendienft im Volke fih ausbildete, 
während die Verftändigeren in der Negel über die Einheit Gottes richtig 
dachten. Das ift Jedem befannt, der Tullius (Cicero) über die Natur 
der Götter und die alten Philofophen mit Aufmerkjamfeit gelefen hat. 
Bir ftellen indeß nicht in Abrede, daß einige Heiden nicht eingefehen 
haben, daß Gott, das Sein der Dinge, in anderer Weife eriftire, denn 
ald eine bloße Abftraction außerhalb der Dinge, wie 3. B. die erfte Mas 
terie außerhalb der Dinge nur als eine Abftraction eriftirt (Non negamus 
tamen, quosdam ex paganis non intellexisse, ‘) Deum, cum sit entitas 
rerum, aliter, quam per abstractionem extra res esse, sicut prima 
materia extra res nonnisi per abstrahentem intellectum existit). Diefe 
haben Gott in den Geſchöpfen angebetet und den Gögendienft auch phi— 
loſophiſch begründet (rationibus astruebant). inige glaubten aud, man 
fnne Gott in etwas hineinzaubern (Deum devocabilem putarunt), wie 
denn die Siffannier ihn in Engel hineinzauberten; die Helden zauberten 
iin in Bäume hinein, nad dem, was man von dem Sonnen: und Mondes 
baume liest. Andere zanberten ihm dur beftimmte Zauberformeln in 
Luft, Waffer oder Tempel. In weld großer Täufhung fie alle waren 
und wie weit von der Wahrheit entfernt, geht aus dem oben Gezeigten hervor. 


Schsundzwanzigites Kapitel. 
Mon der negativen Theologie. 


Da die Gottesverehrung im Geifte und in der Wahrheit ſich noth— 
wendig auf pofitive Ausfagen von Gott gründet, fo erhebt fih jede 
Religion in ihrer Gotteöverehrung nothwendig mittelft der affirmativen 
Gotteslehre zur Anbetung Gottes ald des Einen und Dreieinigen, weten, 
gädigen, des Lebens, der Wahrheit x., indem fie dieſer Berehrung 
duch den Glauben, den fie durch die Wiflenfchaft des Nichtwiſſens rich— 
iger auffaßt (verius attingit), die Richtung gibt, durd den Glauben 
nämlich, der, den fie als den Einen anbetet, fei Alles in Einheit, und 
ven fie als das unzugängliche Licht verehrt, fei nicht ein phyſiſches Licht, 
das die Finfterniß zum Gegenfage hat, fondern das einfachfte und unend» 
liche Licht, in dem die Finfterniß unendliches Licht ift, das beftändig in der 
Finfterniß unferes Nichtwiffens leuchtet, aber von diefer Finfterniß nicht 


1) Das Berftäntnig der Stelle wirb wefentlich erleichtert, wenn man, was im 
Texte fehlt, nach intellexisse ein Komma ſetzt. 





32 


erfaßt werben kann. Daher ift die negative Gotteslchre eine fo 
nothwendige Ergängung der pofitiven, daß ohne fie Gott nicht ald unend- 
liher Gott, jondern vielmehr ald Gefchöpf verehrt würde. Dies Leßtere 
ift Gögendienft, der dem Abbilde erweist, was nur der Wahrheit gebührt. 
Daher dürfte ed zwedmäßig fein, über die negative Gotteslehre noch einige 
Worte beizufügen. 

"Unfere heilige Wiffenihaft des Nichtwiſſens (sacra ignorantia) hat 
uns belehrt, daß Gott unausſprechlich ift, weil er größer ift, ald Alles, 
was genannt werden fann. Da died ausgemacht ift, jo werben wir von 
ihm richtiger auf dem Wege des Ausichließend und Negirens, gleich dem 
großen Dionyjius, der ihn weder Wahrheit, noch Vernunft, noch Licht, noch 
irgend Etwas, was fi ausjprehen läßt, genannt wiſſen wollte, denfen. 
Ihm folgte der Rabbiner Salomon und alle Philofophen. Nah diefer 
negativen Gotteslehre ift daher Gott weder Vater, nob Sohn, noch heiliger 
Geift, fondern nur unendlid. Die Unendlichkeit als ſolche ift weder 
jeugend, noch gezeugt, noch hervorgehend. Daher hat Hilarius von 
Poitiers ſehr fharffinnig in der Unterjheidung der göttlihen Perſonen 
gefagt: Im Ewigen ift Unendlichkeit, Idee, Ausübung (in aeterno in- 
finitas, species in imagine, usus in munere), Er will jagen: obwohl 
wir in der Ewigfeit nur die Unendlichkeit fehen fönnen, fo kann doc die 
Unendlichkeit, die die Ewigkeit ift, weil negativ, nicht ald zeugend aufge 
faßt werden, wohl aber die Ewigfeit, weil fie die Affirmation der Einheit 
oder größten Gegenwart ift. Sie ift daher der Anfang ohne Anfang, 
die Idee (species in imagine) ift der Anfang vom Anfang (principium a 
prineipio), die Ausübung (usus in munere) ift das Hervorgehen aus Bei— 
dem. Died ift durch das früher Gezeigte ganz Kar; denn obwohl Die 
Ewigfeit Unendlichkeit ift, jo daß die Ewigfeit eben fo wenig Urſache des 
Baters ift, ald die Unendlichkeit, fo wird doc in der Betrachtungsweife 
(secundum considerationis modum) die Ewigfeit dem Water, nicht dem 
Sohne und heiligen Geifte zugefchrieben, die Unendlichkeit hingegen nicht 
einer Perſon mehr, ald der andern, weil die Unendlichkeit als Einheit be- 
tradhtet (secundum considerationem unitatis) der Vater, als Gleichheit 
der Einheit der Sohn, ald Verbindung Beider der heilige Geiſt ift. 
Dagegen die Unendlichkeit, ſchlechthin betrachtet, ift weder Vater, noch 
Sohn, noch Heiliger Geiſt. Wenn aljo gleih die Unendlichkeit und 
Ewigkeit jede der drei Perfonen ift und umgekehrt jede Perſon Unend— 
lichkeit und Ewigfeit, fo gilt Died doch nicht nach der Betradhtungsweife 
der Sache. Die Unendlichkeit, als ſolche betrachtet, ift Gott weder Einer 
noch Mehreres, vom Standpunfte der negativen Gottedlchre finden wir 
in Gott nichts Anderes, ald die Unendlichkeit. Er ift daher auch nad 
derfelben weder in biefer, noch in der Fünftigen Welt erfennbar, weil jede 


33 


Greatur, da fie das unendliche Licht nicht faffen kann, im Berhältniß zu 
diefem verbunfelt wird. Gott ift nur fich felbft befannt. 

Aus dem Gefagten erhellt, daß in der Gotteserfenntniß ) die Nes 
gationen wahr, die Affirmationen unzureichend find. Je mehr Unvolls 
fommenheit eine Negation von dem vollflommenften Weſen entfernt, defto 
wahrer ift fie. So ift ed wahrer, Gott fei fein Sein, als er fei nicht 
das Reben oder die Intelligenz, wahrer, er ſei nicht die Trunfenheit, als 
er ſei nicht die Tugend. Das Gegentheil gilt von den Affirmationen. Es 
it eine wahrere Affirmation, Gott fei die Intelligenz oder das Leben, 
ald er ſei Erde, Stein, Körper. Alles dies ift aus dem früher Gefagten 
ganz klar. 

Als Schlußwahrheit ergibt fih, daß die praͤciſe Wahrheit in der 
Finfterniß unſeres Nichtwiffens in unerfaßbarer Weife leuchtet, und das 
it die Miffenfchaft des Nichtwiſſens, die wir gefucht haben, durch die wir 
allein dem größten, dreieinigen Gott von unendlicher Güte auf den Stufen 
diefer Wiffenichaft des Nichtwiffend uns nahen fönnen, um ihn aus allen 
unfern Kräften ewig dafür zu loben, daß er jelbft fih uns als unbegreifs 
li zu erfennen gibt, der über Alles gepriefen fei in Ewigfeit. Amen. 


1) In diefem engern Sinne muß nach dem Zufammenhange der weitere Ausdrud: 
„in theologieis* gefaßt werben. 


Scharpff, Nic, v. Gufa, 8 


DBweites Bud. 


Nachdem die Wiffenfchaft des Nichtwiffens über die Natur des abfolut 
Größten mittelft einiger ſymboliſchen Figuren dargeftellt ift, jo wollen wir 
nun mittelft dieſes Größten, das einigermaßen wie in Umrifjen in uns 
wiederfcheint, in derfelben Methode das unterfuchen, welches Alles, was 
es ift, durch das abfolut Größte if. Da aber das Berurfachte ganz 
aus feiner Urfache und nichts aus fich ift, und da es fih an den Urfprung 
und Grund, dur den es das ift, was es ift, fo nahe und fo ähnlich 
als möglich anſchließt (originem et causam quanto propinquius et simi- 
lius potest, concomitetur), fo ift far, daß die Natur des Eoncreten 
(contractionis) ſchwer zu erfennen ift, wenn das abfolute Urbild nicht 
erfannt if. Wir müffen alſo aud bier über unfer Begreifen hinaus ein 
gewifjes Nichtwiſſen als Princip feithalten (in quadam ignorantia nos 
doctos esse convenit), um, da wir die präcife Wahrheit an fich nicht 
erfaflen, wenigftend dahin zu gelangen, daß wir diefelbe als ſeiend erfennen 
(ut ipsam esse videamus), da wir fie für jegt nicht ganz begreifen Fönnen. 

Dies ift mein Ziel in dieſem zweiten Theile, den deine Nachſicht bes 
urtheilen und wohlwollend aufnehmen möge. 


Erftes Kapitel. 


Einleitende Bolgefäge aus dem Bisherigen, um den Begriff ded Einen unend- 
lichen Univerſums feftzuftellen. 


Es dürfte für unfere Wiffenfchaft fehr förderlich fein, vorerſt einige 
Folgefäge aus unferm Princip vorauszufhiden. Sie werden eine gewifle Gr 
wandtheit geben, unendlich vieles Aehnliche auf gleiche Weife aus dem Prineip 
zu entwideln, und werden über das Folgende größere Klarheit verbreiten. 

Als Wurzelbegriff ftellten wir auf, daß man da, wo fid) Ausſchiei— 
tungen finden (in excessis et excedentibus), zum Größten, in Sein 
und Können, nicht gelange. Daher zeigten wir, die präcife Gleichheit 
fomme nur Gott zu, woraus folgt, daß Alles außer ihm ſich differenzire. 
Es fann daher nicht eine Bewegung der andern gleih, nicht eine das 
Maaß für die andere fein, da das Maaß und das Gemefjene nothwendig 


35 


verſchieden find. Dies laͤßt eine Anwendung auf unendlich Vieles zu. 
Was die Aftronomie betrifft, fo erfiehft du daraus, daß der aftronos 
miſche Galcul der Präcifion entbehre , weil er vorausfegt, durch die Be— 
wegung der Sonne könne die Bewegung aller andern Planeten gemefjen 
werden. Auch die ganze Eitmation des Himmeld (coeli dispositio), man 
mag wad immer für eine Stelle annehmen, ſeien es bie öftlichen oder 
weitliben Himmelszeihen oder die Elevation des Pold und was damit 
wiammenhängt, läßt feine präcife Erfenntniß zu. Und da feine zwei 
Orte in Zeit und Lage präcid übereinftimmen, fo ift Har, daß die Urtheile 
über die Geftirne nach deren particularem Wefen weit von Präcifion ents 
fernt find. Wendeſt du diefe mathematiſche Regel auf die Geometrie 
an, fo findeft du auch bier, daß in der Wirklichkeit (actu) eine Gleich» 
beit der geometrifhen Figuren unmöglich fei, und fein Ding mit dem 
andern in Figur und Größe präcid übereinftimmen könne. Wenn gleich 
die Regeln rationell (in sua ratione) richtig find, eine einer gegebenen 
Figur gleiche zu befchreiben, fo ift doch in Mirklichfeit die Gleichheit uns 
möglid. Hieraus erfennft du, daß die Wahrheit, lodgetrennt vom Mates 
stellen, rationell die Gleichheit ficht, die man in den Dingen unmöglich 
durdführen fann, weil bier immer ein Mangel bleibt. Auch in der 
Muſik gibt es feine Präcifion. Kein Ding ftimmt mit dem andern in 
Gewicht, Länge und Dichtigfeit überein, und zwijchen den verfcdiedenen 
Tönen von Fifteln, Gloden, Menfhen und Inſtrumenten läßt fi feine 
präcife harmonische Broportion herftellen, die nicht noch präcifer fein könnte. 
Eine präciſe Proportion befteht daher nur rationell; in der Sinnenwelt 
it auch die ſchönſte Harmonie nicht ohne Mangel, weil fie dort nicht zu 
finden ift. Erhebe dich hier zu dem Gedanken, daß die präcifefte, größte 
Harmonie Proportion in der Gleichheit ift, die der im Fleiſche lebende 
Menſch zu hören nit im Stande tt, weil fie, da fie ganz rationell ift, 
dad Kationelle unferer Seele volljtändig an fich ziehen Cabforbiren) würde, 
wie das unendliche Licht alles Licht (abforbirt), fo daß die von der Sinn» 
lihfeit ganz loögelöste Seele ohne eine Entzückung (sine raptu) eine auf 
das Höcfte übereinftimmende Harmonie mit dem Ohre des Berftandes 
nicht hören würde. ine ſchöne und wichtige Betrachtung ließe fi bier 
anfnüpfen, ſowohl über die Unfterblichfeit unferer geiftigen Natur, die das 
ungerftörlich Rationelle (rationem incorruptibilem) in fich trägt, vermöge 
welchem fie deflen Abbild, den Einklang in der Muftf aus fich jelbft er- 
jeugt, ald aud Über die ewige Freude, in welche die Seligen, losgelöst 
von der Welt, erhoben werden. Doc hierüber ein audersmal. Wenden 
wir unfer Princip auf die Arithmetif an, fo fehen wir, daß feine zwei 
Dinge in der Zahl übereinftimmen, weil hinfichtlih der Wahrheit der Zahl 
die Zufammenfegung, Proportion, Harmonie, Bewegung ıc. ſich verändern. 
3*+ 


36 


Wir fehen hieraus, daß wir nichts wiffen (ignorare); denn Keiner ift wie ber 
Andere in Sinn, Einbildung, Vernunft, in allen Thätigfeiten, im Schreiben, 
Malen und jeglider Kunft, wenn er auch taufend Jahre lang den Andern 
nabahmen wollte. Die Kunft ift eine Nahahmung der Natur, aber zur 
Präcifion bringt fie es nicht. Daher fehlt der Medicin, Alchymie, Magie 
und andern verwandelnden Künften die Präcifion der Wahrheit, wenn 
gleich die Medicin wahrer ift ald die verwandelnden Künfte. Aus unjerm 
Princip folgern wir ferner den Sag: weil wir in den Gegenfägen immer 
eine Ausfhreitung finden, wie im Einfachen und Zufammengefegten, Abs 
ftracten und Gonereten, Formalen und Materialen, Zerftörlihen und Un, 
zerftörlichen 2c., fo gelangt man nie zu dem reinen Gegenfage, 
oder zu der präciſen und ganz gleihen Indifferenz der Ger 
genfäße (ad alterum purum oppositorum non devenitur, aut in quo 
concurrant praecise aequaliter). Alles ift daher in den Gegenjägen in 
gradueller Verſchiedenheit; nach dem Uebergewicht des einen über den andern 
nimmt der eine von der Natur ded andern mehr oder weniger in fi auf. 
Daher wird die Kenntniß der Dinge rationell der Art erforfcht, daß wir 
einjehen, wie die Zufammenjegung in dem einen Dinge eine gewille Ein 
fachheit annimmt, während in einem andern die Einfachheit eine zufammen- 
gefeßte iſt, Zerftörlichfeit in Ungerftörlichkeit in dem einen, umgefehrt in 
einem andern Dinge ıc., wie wir im Buche von den Muthmaßun— 
gen (in libro conjecturarum) zeigen werden, wo hierüber ausführlicher 
gehandelt werden wird. Died Wenige möge genügen, um die hohe Bes 
deutung der Wiſſenſchaft des Nichtwiſſens zu zeigen (pro mirabili potestate 
doctae ignorantiae ostendenda), 

Um meinem Zwede näher zu kommen, fage ih: da ein Hinauffteigen 
zum ſchlechthin Größten oder Hinabfteigen zum Kleinften unmöglich if, 
weil fonft ein unendliches Auf- oder Abfteigen entftünde, fo läßt fich bei 
jedem gegebenen endlihen Dinge immer ein größeres oder kleineres geben. 
Denn da jeder Theil des Unendlichen unendlich ift, fo involvirt es einen 
Widerfprud, daß ein Mehr oder Weniger fih da finden follte, wo man 
zum Unendlichen gelangt, da ein Mehr oder Weniger dem Unendlichen 
nicht zufommen und auch Fein Verhältniß zum Unendlichen haben fann, indem 
nothwendig auch dieſes unendlich if. Denn in der unendlichen Zahl wäre 
Zwei nicht weniger als Hundert. Es gibt daher nichts, was die 
göttlihe Macht begrenzte; bei jedem Gegebenen fann durch fie ein 
Größeres oder Kleineres gegeben werden, ed wäre denn das Gegeben 
zugleih das abfolut Größte, wie im dritten Buche gezeigt werden fol. 
Es ift demnach nur das abfolut Größte negativ unendlich, 
es ift allein das, was fein kann, in voller Allmadıt. (Solum illud 
est id, quod esse potest, omni potentia.) Das Univerfum dagegen 


37 


fann, da es Alles umfaßt, was nicht Gott ift, nicht negativ unend— 
ih fein, obwohl e8 ohne Grenze (sine termino) und fo privativ 
unendlich iſt. Nach diefer Betrachtung ift e8 daher weder endlich 
noh unendlich; denn ed kann nicht größer fein, ald es ift, und zwar 
died in Folge eines Mangeld (hoc quidem ex defectu evenit), denn die 
Möglichfeit oder Materie hat fein Streben über fih hinaus (possibilitas 
enim sive materia ultra se non extendit.) Zu fagen, das Univerfum 
kann actu immer größer werden , ift fo viel ald zu fagen: das Sein-Können 
geht über in das wirflihe Cactu) unendlibe Sein, was unmöglich ift, 
da die unendliche Wirklichkeit (actualitas), die die abſolute Ewigkeit ift, 
aus dem Sein-Können nicht entftehen fann, fie, die in Wirklichkeit Die 
ganze Möglichkeit des Seins iſt. (Nam non est aliud dicere, universum 
posse semper actu esse majus, quam dicere, posse esse transire in 
actu infinitum esse, quod est impossibile, cum infinita actualitas, quae 
est absoluta aeternitas, ex posse oriri nequeat, quae est actu omnis 
essendi possibilitas.) Wiewohl daher das Univerfum in NRüdficht auf 
die unendliche Allmacht Gottes, die unbegrenzbar ift, größer fein könnte, 
jo fann es doch nicht größer fein, da die Möglichfeit des Eeind oder 
die Materie, welche nicht actu ind Unendliche ausdehnbar ift, widerftrebt. 
Es ift daher unbegrenzt (interminatum), da es ein wirklich Größeres nicht 
gibt, nach dem es begrenzt würde. In diefem Sinne ift e8 privativ uns 
endlih. Im Wirklichkeit Cactu) ift e8 aber nur im concret bejchränfter 
Reife (contracte), fo daß es in fo guter Weiſe eriftirt, als es feine 
Natur zuläßt. Denn es ift Gefhöpf, das nothmendig aus dem 
abjolut göttliben Sein ftammt (est enim creatura, quae necessario est 
ab esse divino simpliciter absoluto), wie ich nun im Folgenden aus der 
Wiſſenſchaft des Nichtwiffens fo Har und einfach ald möglich zeigen werde. 


Zweites Kapitel. 


Das Sein der Greatur ſtammt auf eine uns unbegreifliche Weife aus dem Sein 
des erften Größten. (Quod esse creaturae sit inintelligibiliter ab esse primi.) ‘) 


Unfer Syftem hat und gezeigt, daß nichts aus fich ift, als das fchlecht- 
bin Größte, in dem aus fich, in fich, durch fih Sein identifch ft, nämlich das 
abſolute Sein felbft, jo wie daß Alles, was ift, das was es ift und ſoweit es 


-— — 





1) &o ftelle ich den Tert der Auffchrift her, ftatt: quae esse creaturae sit intelli- 
gibiliter ab esse primi. Statt quae ift offenbar quod zu lefen; flatt intelligibiliter muß 
iniptelligibiliter gelefen werden, weil bie Unbegreiflichfeit des creatürlichen Seine im 
ganzen Kapitel nachgewielen wird (non est igitur ejus esse intelligibile ıc. vgl. 1,4). 
Daß zu „primi* — maximi zu fubintelligiren, vgl. I, 24. 


38 


ift, aus jenem feiz denn wie fönnte, was nicht aus fich iſt, anders fein, 
ald aus dem ewigen Sein?’ Da nun aber das Größte fern von jeder 
Mißgunſt Cinvidia) ift, fo ift es ihm unmöglich, ein vermindertes Sein 
(ald ſolches) mitzutheilen. Es bat fomit die Greatur, die aus dem Sein 
ift, Alles das, was fie fit: Zerftörbarfeit, Theilbarkeit, Unvollfommens 
heit, Verſchiedenheit, Vielheit zc., nicht von dem ewigen, untheilbaren, 
vollfommenften, ununterfchiedenen Einen Größten, überhaupt nicht von 
einer pofitiven Urſache; denn wie die unendliche Linie das unendlich Gerade 
ift und die Urfache alles Seins der Linien, die krumme Linie aber als 
Linie ihr Sein von der unendlichen hat, als frumme Linie aber nicht von 
diefer, da die Krümmung eine Folge der Eudlichkeit ift, indem fie deß— 
halb krumm ift, weil fie nicht die größte Linie ift, (wäre fie die größte, 
fo wäre fie, wie oben gezeigt wurde, nicht krumm), jo geht ed auch mit den 
Dingen. Eoferne fie vermindert, getrennt 2c. find, Fönnen fie nicht aus dem 
Größten fein '), weil dieſe Zuftände feine pofitive Urfache haben. Bon Gott 
alfo hat es das Gefhöpflide, einig, unterfchieden und mit 
dem Univerfum verbunden zu fein, und zwar je mehr geeint,“ defto 
ähnlicher ift e8 Gott. Daß aber feine Einheit in PBielheit, fein 
Unterſchiedenes in Verwirrung (discretio in confusione), feine 
Verbindung in Disharmonie fi befindet, das hat ed nicht von 
Gott, nod von irgend einer pofitiven Urfache, fondern zufällig Ccon- 
tingenter)., Wer will nun, indem er in dem Gefchöpflichen die Begriffe 
der abjoluten Nothwendigfeit, aus der es ift, und der Zufälligfeit, ohne 
die es nicht iſt, zugleich denkt, ihr Sein begreifen? Scheint es nicht, ale 
ob das Gefchöpflice, das weder Gott, nod auch Nichts ift, gleihfam nad 
Gott und vor dem Nichts ift, zwiſchen Gott und dem Nichts, wie ein 
Philofoph fagt: Gott ift der Gegenfag ded Nichts durd Vermittlung 
des Eeind (Deus est oppositio nihil mediatione entis); und doch fann 
das Gefchöpflice nidt aus dem Eein und Nichtfein zufammengefegt fein. 
Es fcheint alfo weder zu fein, weil e8 aus dem Sein herabfteigt, nod 
auch nicht zu fein, weil ed vor dem Nichts ift, und nicht aus jenen beiden 
zufammengejegt. Unfer Verftand, der über Gegenjäge nicht hinausfommt, 
er mag dieſe getrennt oder verbunden auffaffen (divisive aut compositive), 
erfaßt das Sein des Geſchöpflichen nicht, obwohl er weiß, daß deſſen 
Sein nur aus dem Sein des Größten ſtamme. Das Sein des Ge 
ſchöpflichen ift demnach nicht zu begreifen, da das Sein, aus 
dem es iſt, nicht zu begreifen ift, fowie au das Dafein des Accidend 


1) Aus dieſer Ueberfegung, die allein den Sinn richtig gibt, erhellt, daß die Worte: 
quoniam ab maximo esse non possunt nicht ald Parenthefe, wie es im Terte gefchieht, 
zu betrachten find, vielmehr die Worte: ut sunt diminuta x. fih als nothwendig ers 
gänzender Gedanfe an: quoniam x. anfchließen. 





39 


nicht zu begreifen if, wenn die Subftanz, an der e6 ift nicht begriffen wird. 
Weil aber das Gefchöpfliche durch das Eein des Größten erfchaffen ift und 
in dem Größten Sein, Machen und Erſchaffen identiſch find, fo ſcheint 
das Erſchaffen nichts Anderes zu fein, als daß Gott Alles 
il. (Quoniam vero creatura per esse maximi creata est, in maximo 
vero idem est esse, facere et creare, tunc non aliud videtur esse creare, 
quam Deum omnia esse.) ! Iſt aber Gott Alles und heißt dieſes Er- 
ibaffen, wie läßt fih denfen, daß das Gefhöpfliche nit ewig 
ift, da das Sein Gottes ewig, ja die Ewigkeit felbft It? So weit 
alſo das Gefchöpflihe das Sein Gottes ift, ift ed ohne Zweifel die Ewig- 
feit, foweit es jedoch der Zeit anheimfällt Ccadit sub tempore), ift es 
nicht von Gott, weil diefer ewig if. Wer begreift ed nun, daß das Ges 
ihöpfliche aus dem Ewigen und dabei zeitlih it? Es mußte im Sein 
jelbft in der Ewigfeit fein, und fonnte auch nicht vor der Zeit fein, weil 
ed vor der Zeit fein Vorher gab; und fo war es denn immer, feit ee 
fein fonnte (et ita semper fuit, quando esse potuit). Sodann wer fann 
es begreifen, daß Gott das bildende Princip des Seind (essendi formam) 
it, und Doch fich nicht mit dem gefhöpfliden Sein vermiſcht 
(nee tamen immisceri creaturae)? Denn es kann nicht aus der unendlichen 
kinie und der endlichen Frummen ein Zufammengefegtes entftehen, das 
ohne Verhäftnißbeftimmung (absque proportione) nicht denkbar if. Daß 
aber zwiſchen Unendlihem und Endlihem fein Verhältniß beftcht, beftreitet 
Niemand. Wie kann alfo der Verftand es begreifen, daß das Sein der 
frummen Linie aus der unendlich geraden ftamme, wenn doch dieſe jene 
nicht bildet als ihr bildendes Princip, fondern als ihre Urſache und 
Grund (quae tamen ipsam non informat ut forma, sed ut causa et 
ratio)? An diefem ihrem Grunde fann fie nicht fo participiren, daß fie 
einen Theil davon ausmacht (non potest participare partem capiendo), 
da derfelbe unendlih und untheilbar tft, alfo nicht wie die Materie an 
der Form participirt, oder Sofrated und Plato an der Menjchheit oder 
die Theile am Ganzen, die Theile des Univerfums am Univerfum oder 
mehrere Spiegel an derſelben Geftalt, die fie abfpiegeln, da das Sein der 
Ereatur nicht vor dem Dafein derjelben 9) iftz denn fie ift wie ein Spie- 
gel; num ift aber der Spiegel da, che er das Bild eines Begenftandes 
in ih aufnimmt. Wer will es alfo begreifen, wie ein unendliches Bil 
dungsprincip (forma) von verſchiedenen Gefhöpfen verfchieden participirt 
wird, da doch das Sein ded Gefhöpflihen nur der Wiederfchein ift, der 
nicht in einem andern pofitiv aufgefaßt wird, fondern zufälliger Weife ein 


1) Im Texte fteht: cum non sit esse creaturae ante abesse. Statt des letzteren 
Boris, das feinen Sinn gibt, vermuthe ich adesse, da gleich darauf folgt: ante est 
(k e. adest) speculum, quam imaginem faciei recipiat. 


gr 


40 


verfchiedener ift (cum creaturae esse non possit aliud esse, quam ipsa 
resplendentia, non in aliquo alio positive recepta, sed contingenter 
diversa)? gleichwie ein vollendeted Kunftwerf, das ganz von der Idee 
des Künftlers abhängig ift, Fein andered Sein bat, ald das der Abhän- 
gigfeit von dem, aus dem ed das Sein hat, und durch defien Einfluß 
ed erhalten wird, oder wie eine Geftalt, die in einem Spiegel fi ab» 
fpiegelt, der vorher und nachher am fih und in fih nichts if. Ebenſo 
wenig läßt es ſich begreifen, wie Gott durch ſichtbare Gefchöpfe uns 
offenbar werben fann, denn es ift da nicht wie bei unferem Geifte. Wenn 
diefer zu denfen anfängt, fo nimmt er, der zuerft formlo® (informis) ift, 
aus gewiſſen Anfhauungen ein Bild einer Farbe, eines Tones u. dgl. in 
das Gedächtniß auf, nachher nimmt er wieder ein anderes Bild von 
andern Zeichen, Stimmen oder Buchftaben in fih auf und verfenft ſich in 
fie (se aliis insinuat). Anders ift es bei Gott; denn obwohl Gott 
zur Offenbarung feiner Güte (vom religiöfen Standpunkte betradtet — 
ut pii volunt) oder weil er die größte abfolute Nothwendigfeit ift, die 
Welt erfchaffen ‘hat, auf daß fie ihm gehorde oder damit Wefen da find, 
die feine Befehle annehmen und ihn fürdten, die er einft richte u. dgl., 
fo ift doch Mar, daß er Feine andere Form annehmen kann, da er bie 
Form aller Formen ift, noch aud in pofitiven Zeichen erſcheinen Fann, 
da dieſe Zeichen als ſolche mothiwendig wieder andere Zeichen zu ihrer 
Vermittlung und jo Ind Unendlihe fort erforderten. Wer wollte e8 bes 
greifen, daß Alles ein Abbild des Einen unendlihen Bildungsprincips 
fei, und die Verjchiedenheit nur zufällig Cex contingenti) habe, gleich— 
fam ald wäre dad geihöpflihe Sein Gott aus Zufall, wie man das 
Accivend Subftanz aus Zufall, das Weib Mann aus Zufall nennen 
fönute (quasi creatura sit Deus occasionatus, sicut accidens substantia 
oecasionata, et mulier vir occasionatus), weil das unendliche Princip 
nur endlich recipirt ift, jo daß das ganze gefhöpflihe Sein gleich— 
ſam eine endlihe Unendlichkeit oder ein gefhaffener Gott ift, 
auf daß es fo auf die beitmögliche Weiſe eriftire (ut omnis creatura sit 
quasi infivitas finita aut Deus creatus, ut sit eo modo, quo hoc melius 
esse possit); ald wenn der Schöpfer gefagt hätte: Es werde! und weil 
Gott, der die Ewigfeit ſelbſt ift, nicht werden fonnte, jo ift geworben, 
was Gott am Ähnlichften werden fonnte. ine Folgerung aus dem Bid- 
herigen ift, vaß jedes Geſchöpf als ſolches vollfommen ift, wenn 
es auch im Berhältniffe zu einem andern weniger vollfommen zu fein 
fcheint; denn der gütige Gott theilt dad Sein Allen in der Weife mit, 
in der es aufgefaßt werden fann. Da Gott ohne Berfchiedenheit und 
Mißgunſt das Sein mittheilt, und es in der Art aufgenommen wird, daß 
es anderd nicht aufgenommen werden Fönnte, jo ruht jedes erfchaffene 


41 


Sein in der Vollkommenheit, die es auf das Neichlichite (liberaliter) 
von dem göttlichen Sein erhalten hat, und begehrt fein anderes Gejchöpf zu 
kein, ald wäre ed dann vollfommener, fordern hat eine Vorliebe (praedi- 
ligens) zu dem Sein, das e8 von dem Größten hat, als zu einem göttlichen 
Geſchenk, das es ungerftörlich zu erhalten und zu vervollkommnen fucht. 


Drittes Kapitel, 


Tas Größte ift auf eine und unbegreifliche Weife ") der Inbegriff und die Ent» 
faltung des Alls. 


Nichts läßt fih Über die unerforichliche Wahrheit, won der im erften 
Buche die Rede war, ausſagen oder denken, was nicht in der erften Wahr— 
beit enthalten if. Denn was mit dem, was dort von der erften Wahr- 
beit gefagt wurde, übereinftimmt, ift wahr, was nicht übereinftimmt, falſch. 
Run aber ift dort gezeigt, e8 gebe nur Ein Größtes von allen Größen. 
Das Größte ift, das feinen Gegenfag hat, wo aud das Kleinfte das 
Größte iſ. Die unendlidhe Einheit ift alfo der Inbegriff (com- 
plicatio) von Allem. Das nennt man Einheit, was Alles einet, nicht 
nme wie die Einheit der Zahl, fondern des Als. Wie man in der Zahl 
old der Entfaltung der Einheit nichts als die Einheit findet, fo findet 
ih in Allem, was ift, nur das Größte wieder. In der Dnantität ift 
die Einheit der Punkt; daher finden wir in der Linie, Oberfläche und dem 
Körper nichts als den Punkt. Und es ift nicht mehr ald Ein Punkt, 
der der Inbegriff alles Duantums if. Eo ift die Ruhe der einbeit- 
lihe Inbegriff der Bewegung, die, genau betrachtet, nichts Anderes 
it, als die Reihenfolge der Ruhe (motus est quies seriatim ordinata). 
Die Bewegung ift mithin die Entfaltung der Ruhe. Das Jetzt oder 
die Öegenwartift der Inbegriff der Zeit. Die Vergangen- 
heit war Gegenwart, die Zukunft wird Gegenwart fein. Die Zeit ift 
daher die aneinandergereihte Gegenwart. Es gibt alfo nur Eine Gegen: 
wart, ald der Inbegriff aller Zeiten, und diefe Gegenwart ift die Ein- 
heit ſelbſt. So ift die Identität der Inbegriff der Verſchie— 
denheit, die Gleichheit der der Ungleichheit. Gott ift demnach der 
Inbegriff von Allem, in dem Sinne, daß Alles in ihm ift; 
er it die Entfaltung von Allem, foferne er in Allem ift (Deus 
ergo est omnia complicans, in hoc, quod omnia in eo, est omnia 
explicans, in hoc, quia ipse in omnibus). Und wie aus unferm Geifte 


1) Auch Hier muß im Terte ftatt intelligibiliter gelefen werben: inintelligibiliter, 
wie wir dieſes Wort als das letzte des ganzen Kapitels im Terte leſen. 


42 


dadurch, daß wir vieles Einzelne ald Einem Gemeinfamen zugehörig er- 
fennen, die Zahl entfteht, To entfteht die WVielheit der Dinge aus dem 
göttlichen Geiſte, in dem das Viele ohne Vielheit ift, weil in der zufammen- 
faffenden Einheit; deßhalb nämlich, weil die Dinge an der Gleichheit des 
Seins nicht auf gleiche Weiſe participiren können, hat Gott in der 
Ewigfeit das eine fo, das andere anders gedacht, woraus bie 
Vielheit, die in Ihm Einheit, entftanden if. Die Art und Weije diefes 
Inſichfaſſens und Entfaltend geht über unfern Verſtand. Wer follte es 
begreifen, daß aus dem göttlichen Geifte die Vielheit der Dinge entfteht, 
da das Denfen Gottes fein Sein und diefes die unendliche Einheit iſt? 
Ziehft du die Vergleihung mit der Zahl, dem Bielfachen der Einheit her— 
bei, fo jcheint Gott gleihfam in den Dingen vervielfältigt, da fein Denken 
fein Sein ift, und doch fiehft du die Unmöglichfeit davon ein, daß ſich 
die unendliche und höchſte Einheit vervielfältige. Wie läßt ſich aljo die 
Vielheit begreifen, deren Sein aus dem Einen ohne Vervielfältigung 
ftammt ? oder wie die Vervielfältigung der Einheit, ohne Vervielfältigung ? 
Dffenbar nicht wie die Bielheit der Individuen in Einer Art 
oder mehrerer Arten in Einer Gattung, außerhalb welder die Gat— 
tung und Art nur eine leere Abftraction ift! Wie aljo Bott, deſſen Sein 
und Einheit weder eine Abftraction des Verſtandes, nod 
eine Bermengung mit den Dingen ift, durd die Zahl der Dinge 
fi entfalte, das begreift Niemand. Betrachteft du die Dinge ohne ihn, 
jo find fie nichts, wie die Zahl ohne die Einheit. Betrachteft du ihn 
ohne die Dinge, fo ift er, und die Dinge find nichts. Betrachteft du ihn, 
fofern er in den Dingen ift, fo ftellft du dir vor, die Dinge feien etwas, 
in denen er iſt; allein das ift ein Irrthum, wie das vorige Kapitel gezeigt 
hat, weil das Sein eines Dinges nicht etwas ift, wie ein abgefonderted Sein, 
fondern fein Sein ift von dem Sein des Größten. Bettachteſt du enplich 
das Ding, foferne es in Gott ift, fo erhältft vu Gott und die Einheit. 
Es bleibt nichts Anderes übrig, als zu fagen: die Vielheit der 
Dinge entftehbt dadurch, daß Gott im Nichts ift (quod 
pluralitas rerum exoriatur eo, quod Deus est in nihilo). Denn nimm 
Gott von dem Gefchöpfe hinweg, fo bleibt Nichts; nimm die Subftanz 
von dem Zufammengefegten hinweg, und es bleibt fein Accidens übrig; 
jo bleibt denn das Nichts übrig. Wie mag unfer Verftand dies bes 
greifen? Denn hört auch nah Aufhebung der Subftanz das Accidens 
auf, fo iſt deßhalb das Accidens nicht Nichts; es hört aber auf (perit), 
weil fein Sein nur ein Dabeifein (adesse) if. Wenn gleich 3. B. die 
Duantität nur durch das Sein der Subftanz ift, fo ift doch die Subftanz 
nur, weil die Quantität dabei ift (adest), ein Quantum. Nicht fo ift es 
hier; denn das Geſchöpfliche ift nicht fo bei Gott (Deo adest), denn es 


43 


bringt Gott nichts bei (nihil confert Deo), wie das Accidens der Eubs 
fan. Ja das Accidens bringt der Subftanz fo viel bei, daß dieſe, ob» 
wohl jenes von ihr das Sein hat, doch ohne alles Accidens nicht fein 
fann. Das kann bei Gott nicht fo fein. Wie föünnen wir alfo das Ges 
ſchöpfliche als ſolches begreifen, das von Gott ift, aber nichts ihm, ber 
der Größte ift, beibringen (tribuere) fann? Und wenn es als Geſchöpf— 
liches auch nicht einmal fo viel Sein als ein Accidens hat, fondern ganz 
und gar Nichts ift, wie lüßt es fich denfen, daß die Bielheit der Dinge 
dadurch fich entfalte, daß Gott im Nichts ift, da das Nichts Fein Sein 
MH? Sagft du: fein allmädtiger Wille ift die Urfade, 
Ville und Allmadt find fein Sein (denn die ganze Gotteslchre 
bewegt fih im Kreife), jo geftehit du eben damit, daß du die Art des 
Jnfihfaffens und Entfaltens nicht fenneft, obwohl du das weißt, daß 
Alles in ihm er felbft, und er in Allen bas, was fie find, ift, wie das 
Urbild in dem Abbilde; wie wenn ein Antlig fein eigenes Abbild hätte, 
das von ihm bald nahe, bald fern vervielfältigt wird, die Entfernung nicht 
räumlich gefaßt, fondern graduell, nach der Achnlichkeit mit dem Originale, 
fo würde das Eine Antlig in verjchiedenen Abbildern verſchieden verviel- 
fältigt erfcheinen, in einer dem Sinn und Verftande unbegreiflihen Weife. 


Biertes Kapitel, 
Das Untverfum, das coneret Größte, ift nur ein Abbild des abfolut Größten. 


Wenn wir das durch die Wiſſenſchaft des Nichtwiflens bisher Ers 
mittelte weiter verfolgen, fo werden fih uns aus dem Sage, daß Alles 
das abjolut Größte oder von demjelben ift, über die Welt oder das Unis 
verfum, das ich als das coneret (contractum) Größte betrachte, mande 
Aufiblüffe ergeben. Denn da diefes coneret Größte Alles, mas es ift, 
vom Abfoluten hat, fo ift ed eine größtmöglide Nachahmung 
desfelben. Wir fagen daher, daß, was fih uns im erften Buche über 
das abfolut Größte ergeben hat und diefem ald Abfoluten abſolut zufömmt, 
dem concret Größten concret zufomme. Wir wollen Einiges zum Behufe 
des Verftändnifies erläutern. Gott ift das abfolut Größte, die abfolute 
Einheit, Die allen Unterfchieden und Gegenfägen vorausgeht und fie einigt 
(wie 3. B. das Gontradictorifche, von dem es Feine Vermittlung gibt), 
die abfolut das ift, was Alles ift, in Allem das abfolute Princip und 
Ende der Dinge, das Sein, in dem Alles ohne Vielheit das abfolut 
Größte ſelbſt ft, einfach ununterfchieden, wie die unendliche Linie alle 
Biguren in fich begreift. Auf ähnliche Weife ift die Welt oder das Unis 
verfum das concret Größte und Eine, den concreten Gegenfägen 


44 


vorausgehend; es ift in concreter Weife das, was Alles ift, das concrete 
Princip und Ende in Allem, coneretes Sein, concrete Unendlichkeit; Alles 
ift in ihm ohne Vielheit das concret Größte felbft, in concreter Einfachheit 
und Ununterfchiedenheit, wie die concret größte Linie alle Figuren coneret in 
fich begreift. Hält man den Begriff des Concreten richtig feit, jo ift Alles 
flar. Es fteigt mämlih die concrete Unendlichkeit oder Einfachheit in 
unendlicher Weile, ohne Proportion aus dem Abfoluten und Einen herab. 
Daher ift die concrete Einheit nicht ohne Vielheit, dad Umendliche befchränft, 
das Einfache zufammengefegt, das Ewige ein Nadeinander, die Noth— 
wendigfeit dur die Möglichkeit befchränft ꝛc. Wieles läßt ſich hieraus 
entwideln. Wie Gott in feiner Unermeßlichfeit weder in der Sonue, 
noh im Monde ift, obwohl er in ihnen das, was fie find, abjolut ift, 
jo ift au das Univerfum weder in der Sonne, noch im Monde, es iſt 
aber in ihnen das, was fie find, in concreter Weife. Und da das abfolute 
Sein der Sonne nichts Anderes ift, ald das abfolute Sein ded Mondes 
(weil e8 Gott felbft ift, der das abfolute Sein und Wefen der Dinge 
ift), dagegen das conerete Sein der Sonne ein anderes ift, ald das des 
Mondes, fo ift zwar nicht das abfolute Sein einer Sade, wohl 
aber das concrete die Sade felbft. Da demnach das concrete Sein 
des Univerfumd anders in der Sonne, anders im Monde ift, fo befteht 
die Identität des Univerfums in Verſchiedenheit, wie feine Einheit 
in Bielheit. Obwohl daher das Univerfum weder Sonne noh Mond ifl, 
fo ift ed doch in der Sonne Sonne, im Monde Mond, es ift aber das, 
was Sonne und Mond ift, ohne Vielheit und Verfchiedenheit. Univerfum 
bezeichnet die Umiverfalität, d. i. die Einheit von Vielem. Wie die 
Menfchheit weder Sofrates, noch Plato, wohl aber im Sofrated Sofrates, 
im Plato Plato ift, fo verhält ſich das Univerfum zu allen Dingen. Da 
gefagt wurde, das Univerfum fei der conerete Anfang von Allem, und in 
fofern das Größte, fo erhellt, daß das ganze Univerfum burd eine 
einfabe Emanation des concret Größten aus dem abfolut 
Größten in's Dafein getreten ifl. Alle MWefen, welche Beftandtheile 
des Univerfums find, ohne die es nicht Eines, ganz und vollflommen fein 
fönnte, find zugleich mit dem Univerfum in's Dafein getreten, nicht 
zuerft die Intelligenz, dann die Seele, dann die Natur, wie Avicenna 
und andere Philofophen Iehrten. Wie in der Intention des Künftlerd 
vorher das Ganze, z. B. ein Haus ift, ehe er an die Theile, z. B. die 
Wände denft, fo fagen wir, daß, da Alles nach der Intention Gottes 
in's Dafeln getreten ift, zuerft das Univerfum und in Folge deflen (et in 
ejus consequentiam) Alles, ohne was weder ein Univerfum, noch ein 
vollfommenes Univerfum fein kann, entftanden ift. Wie aljo das Abftracte 
im Conereten tft, fo betrachten wir das abfolut Größte im concret Größten 


45 


als das Erfte (prioriter consideramus), dad in Folge deffen in allem 
particularen Sein ift, weil es auf abfolute Weile in dem ift, was Alles 
in conereter Weile ift. Gott ift nämlich das abiolute Sein des Univerfumg, 
diefes ift das conerete Sein, das Concrete bezieht ſich auf das Einzelne, 
auf Dies oder Jenes. Es it alfo Gott das Eine, im Einen Univerfum, 
das Univerfum aber in Allem coneret. So begreifen wir, wie 
Gott mitteljt des Univerſums in Allem und die Vielheit 
der Dinge mittelft des Einen Univerfums in Gott iſt. 


Fünftes Kapitel. 
Jegliches iſt in Jeglichem. 


Wenn du das Bisherige wohl erwägft, fo wirft du unfchwer den 
Sinn jenes" Satzes des Anaxagoras: „ZJegliches ift in Jeglichem“ 
erfennen, ja vielleicht noch tiefer erfaſſen, als Anaxagoras ſelbſt. Denn 
da im erſten Buch gezeigt iſt, Gott ſei in dem Sinne in Allem, daß 
Alles in ihm ift, und da jet erwielen ift, Gott fei mittelft des Univer— 
jums in Allem, fo folgt, vaß Alles in Allem und Jegliches in 
Jeglihem if. Das Univerfum geht nämlich als das Vollkommenſte 
naturgemäß (ordine naturae) allen Dingen vorher, damit Jedes in Jedem 
fein fann. Eo tft dus Univerfum in jedem Geſchöpfe diefes Gejchöpf, 
und Jegliches nimmt Alles in fih auf, jo daß diefes in ihm concret eriftirt. 
Da jedes Einzelne nicht in Wirklichkeit (actu) Alles fein fann, weil es 
beichränft ift, fo fchränft ed Alles in fi ein, auf daß Alles dieſes Eins 
jelne fei (cum quodlibet non possit esse actu omnia, cum sit contractum, 
eontrahit omnia, ut sint ipsum). Iſt folglich Alles in Allem, fo ſcheint 
Alles dem Einzelnen vorherzugehen. Alles ift ſomit nicht die Bielheit, 
weil die Vielheit nicht dem Einzelnen vorhergeht. Alles ift daher ohne 
Vielheit Jeglichem naturgemäß vorhergegangen. In Seglichem ift daher 
nicht die Bielheit in Wirklichkeit (actu), fondern Alles ift ohne Vielheit 
eben diefed Einzelne. Da nun das Univerfum coneret in den Dingen ift, 
fo ift jedes wirklich (actu) eriftirende Wefen eine conerete Darftellung 
des Univerfumd (contrabit universa), fo daß diefes in Wirklichkeit das 
it, was jenes Weſen iſt. Jedes wirklich Eriftirende ift aber in Gott, 
weil er die Wirklichkeit von Allem ift. Die Wirklichfeit (actu) ift Volls 
endung und Ziel der Möglichkeit. Da nun das Univerfum in jedem 
wirflih Griftirenden coneret erfcheint, fo folgt, daß Gott, der im Univerfum 
ift, in Jeglichem fei und jedes wirklich Eriftirende unmittelbar in Gott 
wie das Univerfum. Segliches ift in Jeglichem — heißt alfo jo viel als: 
Gott iſt durch Alles in Allem, und Alles ift durch Alles 


7) 


46 


in Gott. Einem tieferen Nachdenken find biefe fchwierigen Dinge ganz 
Har, fowohl: daß Gott ohne Verfchiedenheit in Allem, weil Segliches in 
Seglihem, ald auch, dag Alles in Gott ift, weil Alles in Allem if. Ein 
Beilpiel. Bekanntlich ift die unendliche Linie — Linie, Dreied, Kreis 
und Kugel. Jede endlihe Linie hat ihr Sein von der unendlichen, bie 
alles das ift, was fie if. In der endlichen Linie ift daher Alles, was 
fie ift, endliche Linie: Dreied, Kreis, Kugel. Jede Figur in der endlichen 
Linie ift daher dieſe Linie; in ihr ift fein Dreieck, Kreid oder Kugel in 
Wirklichkeit (actu), weil aus mehrerem Wirklichen (ex pluribus actu) 
nicht Ein Wirkliches wird, da nicht jedes Ding auch actu in jedem ift, 
“ fondern das Dreied in der Linie ift Linie, der Kreis in der Linie ift 
Linie ꝛc. Alles am Stein ift Stein, an der Seele Seele, am Leben 
Leben, am Gefichte Gefiht, an der Einbildung Einbildung, am Berftande 
Verftand, an der Vernunft Vernunft, an Gott Gott. Und nun betrachte, 
wie das Univerfum in Vielheit iſt und die Vielheit in Einheit. Erwäge 
noch reifliher und du wirft einfehen, daß jeglihes wirklich eri- 
ftirende Ding darin feine Ruhe findet, daß Alles in 
ibm es felbftift, und es felbft in Gott — Bott. Wir be 
merfen eine wunderbare Einheit, eine ftaunenswerthe Gleichheit und eine 
unbegreiflibe Verbindung der Dinge, auf daß Alles in Allem fei. Die 
Verſchiedenheit und Verbindung der Dinge entfteht auf folgende Weiſe: 
da jeded Ding nicht in Wirklichkeit (actu) Alles fein konnte, weil es 
fonft Gott wäre, und deßhalb Alles in Jedem auf die Art ift, wie es 
nah Dem fein kann, was es ift, fo fonnte nicht jedes in Allem dem 
andern Ähnlich fein. Deßhalb fhuf Gott Alles in verfhiedenen 
Stufen, wie er denn auch jenes Sein, welches nicht zugleich unzerſtörlich 
fein fonnte, durd das zeitliche Nacheinander ungerftörlih machte, auf daß 
Alles das fei, was es ift, weil ed nun einmal nicht anders und befier 
fein fonntee E8 bat daher Alles in Jedem feinen Rube 
punft, weil feine Stufe ohne die andere fein fönnte, wie am Körper 
jedes Glied dem andern dient und alle Glieder in allen ihr Genüge finden 
(contentantur). Weil das Auge niht Hand und Fuß und alle anderen 
Glieder in Wirklichkeit fein fann, fo begnügt es fih, Auge, der Fuß 
begnügt fi, Fuß zu fein. Alle Glieder unterftügen fich gegenfeitig, auf 
daß jedes auf die beftmöglichfte Weife das fei, was es iſt. Die Hand 
ift nicht Hand, der Fuß nicht Fuß im Auge, fondern im Auge find fie 
Auge, und jo ald Auge unmittelbar im Menſchen. Ebenfo find alle 
Glieder im Fuße und als Fuß unmittelbar im Menſchen, fo daß jedes 
Glied durd jedes unmittelbar im Menfchen und der Menſch oder dad 
Ganze dur jedes Glied in jedem ift. Oder betrachteft du die Menſch⸗ 
heit als ein gewiſſes abjolutes, nicht zu vermengendes und einzufchränfended 


47 


Sein und dann den Menfchen, in welchem die abfolute Menichheit auf 
abſolute Weiſe fich vorfindet, aus welcher die concrete Menfchheit — der 
Menſch — herftammt, fo entipriht die abſolute Menfchheit Gott, die 
oncrete dem Univerſum. Die abſolute Menſchheit ift im Menſchen nad 
der Priorität, und in Folge deflen in jedem Gliede oder Theile. Die 
conerete Menſchheit ift im Auge Auge, im Herzen Herz 2c., in jeglichen 
jegliches concret. Auf dieſem Wege ergibt ſich die Aehnlichkeit zwoifchen 
Gott und der Welt und die Veranſchaulichung alles deffen, was in den 
zwei legten Kapiteln befprochen wurde, fammt mehreren Folgerungen daraus. 


Schötes Kapitel. 


Veber den Organismus (de complicatione) und die Stufen bed concreten 
Univerfums. 


Wir haben gefehen, daß das Univerfum oder die Welt Eines ſei, 
aber eine Einheit in Vielheit. Iſt die abfolute Einheit die erfte, fo ift 
die des Univerſums die zweite. Da mun die zweite Einheit (wie in dem 
Bude über die Muthmaßungen gezeigt werben wird) die des 
Zehners (denaria) ift und zehn Prävicamente in fich begreift, fo ents 
faltet das Eine Univerfum die erfte abfolute Einheit 
Inder concreten Form des Zehners (denaria contractione). 
Im Zehner iſt Alles inbegriffen, weil es feine Zahl über ihn hinaus gibt. 
Wie nun der Zehner die Wurzel ded Duadratd — Hundert — und des 
Cubus — Taufend iſt, fo ift die Einheit des Univerjums die Wurzel, 
aus der die quadratiſche Einheit ald die dritte und die cubijche als bie 
vierte und Segte hervorgeht. So ergeben fih und drei univerfelle 
Einheiten, die ftufenmäßig zum particularen Sein herabfteigen, in dem 
fie concret werben, um actu dieſes felbft zu fein, Die erfte abfolute Ein- 
heit umfaßt Alles in abjoluter, Die erfte concrete in concreter Weife; allein 
die Ordnung bringt es mit ſich, daß die abfolute Einheit die erfte concrete 
in ih zu faſſen feheint, um mittelft ihr alles Andere zu umfaffen. Die 
erftie concrete Einheit fcheint die zweite conerete und mittelft ihr die dritte 
zu umfaſſen, um mittelft ihr in das Gebiet des Particularen herab zu 
fommen. So fehen wir, wie das Univerfum in jedem particularen Eein 
in drei Stufen fich eoncentrirt (contrahitur). Das Univerfum ift demnach 
die Gefammtheit von zehn höchſten Allgemeinheiten 
(quasi decem generalissimorum universitas), auf welche die Gattungen, 
dann die Arten folgen. Sie alle bilden, je nad ihren Stufen, die Unis 
verfalien, welde gemäß der Ordnung der Natur (ordine quodam na- 
tarae) flufenweife vor dem Dinge, das ihr concreier wir 


48 


licher Ausdruck iſt, eriffiren (ante rem, quae actu ipsa contrahit, 
existunt). Da das Univerfum coneret ift und fomit nur in Gattungen, 
diefe nur in den Arten beftehen, und da das Univerfum nur in den In— 
dividuen zur Wirflichfeit gelangt, fo eriftiren nach dieſer Betrachtung 
die Univerfalien nur in der concreten Wirklichkeit 
(universalia non sunt nisi contracte actu). Im diefem Sinne fagen bie 
PBeripatetifer mit Recht, die Univerfalien hätten außer den Dingen 
feine Wirklichkeit, denn nur das Einzelnweſen, in welchem die Univerfalien 
concret ed felbft find, hat Wirklichkeit. Indeſſen haben die Univerfalien 
naturgemäß ein gewiſſes univerfelles Sein, das der fingulären Ausge— 
ftaltung fähig ift (contrahibile per singulare), nicht als ob fie vor dieſem 
Eoncretwerden in Wirflihfeit (actu) anders, als gemäß der natürlichen 
Ordnung eriftirten, nämlich als ein der concreten Ausprägung fähiges 
Univerfale, dad nicht in fich befteht, fondern nur in feiner Verwirklichung 
(ut universale contrahibile, non in se subsistens, sed in eo, quod actu 
est), wie Punkt, Linie, Oberfläche nad der Ordnung der Progreffton dem 
Körper, in dem fie allein zur Wirklichkeit gelangen, vorhergehen. Wie 
das Univerfum deßhalb, weil ed in Wirklichkeit nur coneret exiftirt, mod 
feineöwegs ein bloßer Berftandesbegriff ift, fo find aud die Unis 
verfalien nicht bloße Verftandesbegriffe, wenn fie gleid 
außer dem Einzelnwefen in Wirklichkeit nicht exiftiren, gleichwie Linie und 
Oberfläche, obfhon fie außer dem Körper nicht vorfommen, dennoch nicht 
bloße Verftandesbegriffe (entia rationis) find, weil fie im Körper eben 
jo find, wie die Univerfalien in den Einzelndingen. Der Verſtand gibt 
ihnen jedoch durch Abftraction ein Sein außerhalb den Dingen, und dieſe 
Abftraction iſt ein BVerftandesbegriff, da ihnen doc ein abfolutes Sein 
nicht zufommen fann. Denn das völlig abfolute Univerfale 
ift Gott. Wie aber das Univerfale in unferem Geifte ift, werden wir 
im Bude von den Muthmaßungen ſehen, wiewohl es jchon aus 
dem Gefagten erhellen kann, da fie im Geifte nur Geift und fomit auf 
geiftige Weiſe coneret (intellectualiter contracte) eriftiren. Da das 
Denken des Beiftes ein ) helleres und höheres Sein ift, fo erfaßt es bie 
Univerfalien, wie fie coneret in ihm und im anderen Sein eriftiren (cujus 
intelligere cum sit esse clarius et altius, apprehendit universalium 
contractionem in se et in aliis), Der Hund und andere Thiere der 
jelben Art find durch das in der Natur. liegende Gemeinfame der Art, 
das im ihnen ſich findet, zu einer Art verbunden, und died wäre auch 0, 


1) Daß dem intelligere Fein ebleres und höheres Sein zufommt, als dem 
reinen Sein ober Leben, widerfireitet der ganz beflimmten Lehre Cuſa's. Daher ift in 
ben Tertesworten : oujus (intellectus) intelligere cum non sit esse clarius et altius — 
bad non unfeblbar zu ftreichen. 


49 


wenn auch nicht der Geift eines Plato dur Vergleihung des Achnlichen 
ſich Artbegriffe bilden würde. Es folgt alfo das Erfennen bins 
fihtlih feiner Thätigfeit dem Sein und Leben (sequi- 
tur igitur intelligere, esse et vivere quoad operationem suam), weil 
es durch feine Thätigfeit weder Eein, noch Leben, noch auch das Er— 
kennen des Geiftes felbft jegen kann; hinfichtlid der erfannten Dinge da> 
gegen folgt das Sein und Leben als Abbild dem Erkennen der Natur 
(quo ad res intellectas sequitur esse et vivere intelligere naturae in 
similitudine). Es find daher die Univerfalien, welde ſich der 
Geiſt durch Bergleihung bildet, ein Abbild (similitudo) 
der in den Dingen conceret eriftirenden Univerjalien. 
Die Univerfalien eriftiren im Geifte bereit8 und zwar auf concrete Weife, 
bevor diefer fich derfelben durch denfende Betrachtung der Außenwelt, was 
feine Thätigkeit ift, bewußt wird. Denn er fann nichts erfennen, was 
nit fon in ihm im concreter Weife — er felbft iſt. Erkennt er aljo 
die Welt, jo bringt er mittelft finnbildliher Zeichen ein Bild der Welt, 
das in ihm auf concrete Weiſe liegt, zum Bewußtjein und zur Entwids 
lung Cintelligendo mundum quendam similitudinarium, qui est in ipso 
contractus, notis et signis similitudinariis explicat). 


Siebentes Kapitel. 
Von der Dreieinigkeit des Univerfums. 


Da die abfolute Einheit nothiwendig, zwar nicht conceret, wohl aber 
abfolut dreieinig iſt (denn die abjolute Einheit ift nichts Anderes, als die 
Dreieinigkeit, die im ihren inneren Beziehungen gleichſam intimer erfaßt 
wird (quae quidem in quadam correlatione familiarius apprehenditur), 
wie im erften Buche hinlänglich gezeigt ift, fo ift auch Die coneret 
größte Einheit, als Einheit, gleichfalls dreieinig, nicht abjolut, 
jo daß die Dreieinigfeit Einheit ift, fondern coneret, jo daß die Ein 
beit nur in Dreiheit beftehbt, wie das Ganze in feinen 
Theilen. In der Gottheit ift jede Perſon die Einheit jelbft, und weil 
die Einheit Dreieinigfeit ift, jo ift eine Perjon nicht die andere. Im 
Univerfum fann es nicht fo fein; deßhalb haben die drei @orrelationen, 
die im Göttlihen Perſonen heißen, fein anderes wirflihes Sein, außer 
in ihrer Einheit zumal (nisi in unitate simul), Man muß das 
genau beachten, denn im Göttlichen ift die Vollfommenheit der Einheit, 
die Dreieinigfeit ift, fo groß, daß der Vater wirflih (actu) Gott, der 
Sohn wirflih Gott, der hl. Geift wirklich Gott ift, der N und hl. 

Sharpff, Nie, v. Eufa. 


50 


Geift wirklich im Vater, der Sohn und Vater im hl. Geiſte, der Vater und 
hl. Geift im Sohne ift. Im coneret Größten kann dies nicht fein, denn 
die Beziehungen (correlationes) haben fein Beftehben aus 
und durch fib, außer in ihrer Berbindung (correlationes non 
sunt subsistentes per se, nisi copulate). Es fann daher nicht jede 
das Univerfum fein, fondern nur alle zufammen. Es iſt nidyt eine in 
Wirklichkeit in der andern, fondern fie find, fo gut es nur immer die 
Natur des Eoncreten zuläßt, auf das Bollfoinmenfte gegenfeitig verbunden, 
fo daß fih aus ihnen das Eine Univerfum geftaltet, das ohne diefe Dreis 
fachheit nicht Eines fein könnte. Denn die Goncretheit kann nicht ohne 
ein der Concretheit Fähiges (contrahibile), ein concret Machendes (con- 
trahens) und eine Verbindung, die fih in der gemeinfamen Thätigfeit 
der beiden Erftgenannten vollzieht, gedacht werden. Jene Fähigkeit be 
zeichnet die Möglichkeit, die aus der zeugenden göttlichen Einheit 
herabfteigt, die allem Sein vorhergeht. So geht im conereten Sein nichts 
dem Sein» Können vorher. Denn wie follte etwas fein, wenn es nicht 
fein könnte? Die Möglichkeit fteigt fomit von der ewigen Einheit herab. 
Das concret Machende fteigt, da es die Möglichkeit begrängt, von 
der Gleichheit der Einheit herab. Die Gleichheit der Einheit ift die Gleich» 
heit des Seins. ein und Einheit find Wechſelbegriffe. Da nun das 
conceret Macende die Möglichkeit gleichmacht, daß fie Diefes oder Jenes 
jei, fo fagt man mit Recht, daß es aus der Gleichheit des Seins, welde 
im Göttlihen das Wort ift, herabfteige. Und da dieſes Wort oder die 
Vernunft und Idee oder auch die abjolute Nothwendigfeit der Dinge die 
Möglichkeit durch das concret Machende nöthiget und bindet, jo haben 
Einige das Concretmachende das bildende Princip der Welt oder die 
Weltfeele genannt, die Möglichkeit — die Materie, Andere das Fatum 
der Subſtanz (fatum in substantia), wieder Andere, wie die Platonifer, 
das Alles umfcließende Band (necessitatem complexionis), weil e8 von 
der abjoluten Nothwendigfeit herabfteigt, fo daß es eine Art conereter 
Nothwendigkeit ift, ein concretes bildendes Princip, in dem alle andern 
Bildungsprincipien als in ihrem Urbilde enthalten find, wovon fpäter die 
Rede fein wird. Endlich gibt e8 eine Verbindung des coneret 
Machenden und des der Concretheit Fähigen oder der 
Materie und Form, oder der Möglichfeit und Nothwendigfeit, die ſich durch 
einen gewiſſen Geift der Liebe, der durd feine Bewegung jene Bereinis 
gung bewirkt, vollzieht. Es ift Har, daß diefe Verbindung von dem Hl. 
Geiſte, der die unendlihe Verbindung ift, herabfteige. 

Es ergeben fih fonah vier allgemeine Modalitäten des 
Seins: jene Modalität des Seins, welde die abjolute Nothwendigfeit 
— Gott iftz in diefer Weife des Seins ift Alles in Gott — die abs 


51 


polute Nothwenbigkeit. Die zweite Art des Seins ift jene, vermöge welcher 
die Dinge in dem Alles umfhlingenden Bande find, wo die an fid 
wahren Bilder der Dinge find, wie in unferm Geifte (ob das wirk- 
ih jo fei, werden wir unten fehen). Die dritte Weife des Seins ift 
die der determinirten Möglichkeit, in Wirklichkeit Dies oder Jenes zu fein. 
Die legte Weife ift die der reinen Möglichkeit — wie die Dinge fein 
Üinnen. Die legten drei Weifen des Seins bilden im Univerfum Eine 
univerjelle Art des Seins, jedoch nicht fo, ald wäre ed aus jenen drei 
Velfen wie aus Theilen zufammengefept, fondern aus befondern Weifen 
des Seins, wie 3. B. eine Rofe, die an einem Rofenftode im Winter 
der Potenz nah, im Sommer in der Wirklichkeit fich befindet, aus der 
einen Ecinsweife der Möglichkeit in die andere der Determination durd) 
die Wirflichkeit übergegangen iſt. 


Achtes Kapitel, 
Don der Möglichfeit oder der Materie des Univerfums,. 


Um nun, wenn aud nur in Kürze das vorzuführen, was unferer 
Unwiffenheit zur Belehrung dienen fann, wollen wir die genannten drei 
Weiſen des Seins etwas weiter erörtern und dabei mit der Möglich— 
feit beginnen. 

Die Alten haben fi viel mit ihr befchäftigt; ihre übereinftimmende 
Lchre war: aus Nichts wird Nichts, weßhalb fie eine gewiſſe abfolute 
Möglichkeit, Alles. zu fein, ald ewig annehmen, in der fie fich Alles ver 
Möglichkeit nah enthalten dachten. Den Begriff diefer Materie oder 
Möglichkeit haben fie durch eine verkehrte Denkoperation, wie man fie fonft 
nur bei der Ermittlung der abfoluten Nothwendigfeit anwendet, geſucht; 
af dem Wege des Hinwegnehmend der Form der Körperlichfeit vom 
Körper meinten fie den Körper fich nichtförperlich denken zu können. Bei 
diefer Unmifjenheit konnten fie das Wefen der Materie nicht erfaflen; 
denn wie läßt fih ein Körper ohne Form an einem Körper denfen? Sie 
fagten dann weiter, die Möglichkeit gehe jedem Dinge der Natur nad) 
vorher, fo daß man nie in Wahrheit fagen Fonnte: Gott ift, ohne daß 
man nicht auch in Wahrheit fagen mußte: die abfolute Möglichkeit ift. 
Doch nahmen fie diefelbe nicht gleihewig mit Gott, weil fie, die nicht 
Etwas und nicht Nichts, nicht Eine und nicht Mehrere, nicht Diefes und 
nicht Jenes ift, von Gott iſt; fie faßten fie, als die Möglichkeit zu Allem, 
die nichts von Allem wirflich iſt. Da fie aller Geftalt entbehrt, nannten 
die Platoniker fie den Mangel (carentiam). Weil fie Mangel hat, 
will fie (quia caret, appetit); fie ift daher die Willfährige (aptitudo), 

4° 


52 


die der ihr gebietenden, d. i. fie zum wirfliben Sein führenden Noth— 
wendigfeit gehorct, wie dad Wachs dem Künftler, der etwas aus dems 
jelben machen will. Die Formlofigfeit (informitas) geht aus dem Mangel 
und der MWillfährigfeit hervor, und fft deren Verbindung, fo daß die ab» 
folute Möglichkeit gleichſam eine dreifache, ohne Zufammenfegung, ift; denn 
Mangel, Wilfährigfeit und Formloſigkeit können nicht ihre Theile fein, 
fonft würde ver abfoluten Möglichfeit etwas vorhergehen, was unmöglic 
if. Es find daher Modalitäten (modi), ohne welde die abjolute Mögr 
lichkeit al8 foldhe nicht wäre. Der Mangel ift zufällig (contingenter) in 
der Möglichkeit: weil fie die Form nicht hat, die fie haben fann, heißt 
fie Mangel. Die Formlofigkeit ift gleichfam die Form der Möglichkeit, 
die nah den Platonikern gleihjam die Materie der Formen iſt. Denn 
indem fich die Weltſeele mit der Möglichkeit verbindet, wird jene forms 
(oje Vegetation (vegetabilitas) in die wirflih vegetative Seele gebradt, 
in Folge der Bewegung, die von der Weltjeele ausgeht und der Bewer 
gungsfähigfeit der Möglichkeit oder Vegetation. Sie Ichrten daher aud, 
die Formlofigfeit fei die Materie der Formen, die dann durd Sinn, Ber: 
ftand und Vernunft zur Wirklichkeit geftaltet wird. Daher nannte Homer 
die vAn den Stoff für Körper (nutricem corporum), die Formloſigkeit aber 
den Stoff für die Seelen. iner der Unfrigen fagte, das Chaos fei der 
Melt naturgemäß vorhergegangen, als Möglichfeit der Dinge, im Chaos 
fei der formlofe Geift geweien, in dem alle Seelen der Möglichkeit nad 
find. Die Stoifer jagten daher, alle Formen feien in der Möglichkeit 
wirflih (actu), allein verborgen, es dürfe nur die fie verdedende Hülle 
hinweggenommen werden, damit fie hervortreten (et per‘) sublationem 
tegumenti apparere), wie wenn ein Löffel aus Holz nur durd Hinweg— 
nehmen (von Holztheilen) entftünde. Nach den Beripatetifern aber find 
die Formen nur der Möglichkeit nah in der Materie, und werden durd 
eine bildende Kraft hervorgebradit (per eflicientem educi dicebant). 
Dffenbar ift ed das Richtige, daß die Formen nicht aus der Möglidıs 
feit entitehen, jondern aus einer bildenden Kraft. Denn wer vom Hole 
Theile hinwegnimmt, um aus dem Hole eine Statue zu maden, der 
gibt ihm Form (addit de forma); das iſt far. Denn wenn man aus 
Stein feinen Kaften machen fann, fo liegt der Fehler in der Materie; 
fann aber ein Anderer ald der Künftler nicht aus Holz einen Kaften her 
ftellen, jo liegt der Fehler im Verfertiger. Es ift aljo Materie und 
eine wirkende Kraft erforderlid. In einem gewiflen Sinne find daher 
die Formen der Möglichkeit nach in der Materie, die, wie es dem Bilpner 
convenirt, in Wirklichfeit gefegt werden. So ift num nach den Peripa— 


1) Diefed per fehlt im Texte, gehört aber nothiwendig hierher, um den Sinn her 
zuftellen. Gine Parallele ift gleich die folgende Zeile: fit per ablationem partium. 


53 


tetifern in der abfoluten Möglichkeit Die Gefammtheit der Dinge der Mög— 
fihfeit nad, die abjolute Möglichkeit ift unbegrenzt und unendlich, wegen 
des Mangeld an Form und der Gefügigfeit zu Allem. Diefe Unendlichfeit 
ift das Gegentheil der Unendlichkeit Gottes; jene entfteht aus Mangel, 
diefe aus Weberfluß, weil Alles in ibm er felbft in Mirflichkeit if. So 
ift die Unendlichkeit der Materie privativ, die Gottes negativ. 

Das find die Süße Derer, die über die abfolute Möglichfeit ſich 
ausgefprocdhen haben. 

Wir finden durch unfere Wiffenfhaft des Nihtwiffens, daß eine 
abjolute Möglichkeit unmöglich ift. Denn da unter den möglichen 
Dingen nichtd weniger fein fann, als die abfolute Möglichkeit, die auf das 
Allernächſte an dad Nichtfein grenzt, auch nach der Anficht mehrerer Autoren, 
jo füme man auf ein Kleinftes und fomit auch auf ein Größtes in dem, 
was ein Mehr oder Weniger zuläßt, was unmöglich if. Daher ift die 
abfolute Möglichkeit nur in Gott und Gott felbft; außer ihm 
ift fie nicht möglich, denn es gibt nichts, das in abfoluter Potenz wäre, 
da Alles außer Gott nothwendig befchränft (contracta) if. Wenn fi 
auch in der Welt verfchiedene Dinge finden, von denen aus dem einen 
mehr entftehen fann, als aus dem andern, fo fommt man doch zu feinem 
abfolut Größten oder Kleinften, fondern gerade aus ihrem Vorhandenſein 
folgt, daß es feine abfolute Möglichkeit gebe. Jede Möglichkeit ift alfo 
beihränft, ihre Befchränfung ift die Wirklichkeit. Es gibt folglich Feine 
reine Möglichkeit, die ganz unbefchränft wäre durd was immer für eine 
Wirklichkeit. Auch die Gefügigkeit (aptitudo) der Möglichkeit kann nicht 
unendlib und abfolut fein, frei von jeder Beichränfung. Denn ins 
dem Gott die unendliche Wirklichkeit (actus) ift, ift er die Urſache dieſer 
Wirklichkeit, die Möglichkeit des Seins ift zufällig (est contingenter). 
It nun die Möglichkeit abfolut, zu was bildet fie dann das Zufällige 
(eui contingit)?‘) Das Zufällige fommt aber der Möglichkeit ſchon 
deßhalb zu, weil?) das Sein aus dem Erften nicht die vollftändig und 
ſchlechthin abfolute Wirklichkeit fein fann. Die Wirflichfeitwirb daher 
gleihfalls durch die Möglichkeit befhränft, fo daß fie nie abfolut, 
iondern in Potenz, und die Potenz nie abfolut, fondern durd die Wirk: 
lichleit befchränft if. Es gibt übrigens Unterſchiede und Stufen: Eines 
if mehr im Wirklichkeit, ein Anderes mehr in Potenz, ohne daß man jedoch 
je auf ein fchlechthin Größtes und Kleinftes fommt, weil die größte und 


— — 





1) Im Texte ſteht nach: cui contingit Doppelpunkt, als wäre cui contingit 
ein Relativfag zu possibilitas est absoluta. Es muß aber diefer Sap als Bragefag ge: 
nommen werben, worauf fchon der Umftand führt, daß fonft der Satz: si igitur possi- 
bilitas est absoluta feinen Nachſatz hat. 

2) Statt per hoc, quo bed Terted muß fliehen: per hoc, qu.od. 


94 


Eleinfte Wirklichkeit mit der größten und kleinſten Potenz coincidirt und 
das abjolut Größte ift, wie im erften Buche gezeigt if. Berner: wäre 
die Möglichfeit der Dinge niht befhränft, fo gäbe es 
feinen vernünftigen Orund der Dinge (non posset ratio 
rerum haberi), fondern Alles wäre durch Zufall, wie Epikur 
fälſchlich lehrte. Denn daß diefe Welt nah vernünftigem Grunde (ra- 
tionabiliter) aus der Möglichkeit hervorging, erfolgte nothwendig deßhalb, 
weil die Möglichkeit nur die Gefügigfeit hatte, gerade nur diefe Welt zu 
jein. Die Gefügigfeit der Möglichkeit war aljo bejchränft, nicht abfolut. 
Died gilt von Erde, Somme und den übrigen Gejhöpfen. Wären fie 
nicht in einer gewiſſen befchränften Möglichkeit in der Materie verborgen 
geweſen, fo wäre fein größerer Grund für ihr Hervortreten in die Wirk 
lichkeit, als für das Gegentheil vorhanden geweien. Wenn daher gleich 
Gott unendlich ijt und demgemäß eine unendlihe Welt hätte erfchaffen 
fönnen, fo konnte doch die Welt, weil die Möglicyfeit nothwendig beichränft 
und nicht abjolut, auch die Gefügigfeit der Materie feine unendliche war, 
hinfichtlich der Möglichkeit ihres Seins nicht in Wirklichkeit (actu) unendlic, 
oder größer oder anders fein, ald fie ift. Die Beichränfung der Mög- 
lichfeit ift die Wirklichkeit, Ddiefe aber ftammt aus der abfolut größten 
Wirklichkeit. Da demnah die Beihränfung der Möglichkeit aus Gott 
fommt und die Bejchränfung der Wirklichkeit aus dem Zufall, fo ift Die 
mit Nothwendigfeit bejchränfte Welt durch Zufall endlic. 
(Quare cum contractio possibilitatis sit ex Deo, et contractio actus ex 
contingenti, hine mundus necessario contractus ex contingenti finitus est.) 

Aus dem Begriffe der Möglichkeit jehen wir alfo, daß das concret 
Größte aus der nothwendig befchränften Möglichkeit entitanden ift, eine 
Beichränfung, die nicht zufällig ift,. weil fte durch die Wirklichkeit erfolgt. 
So hat denn das Univerfum eine vernünftige und nothwendige Urfache 
feiner Goncretheit, fo daß die Welt, die nur ein befchränftes Sein hat, 
nicht zufällig aus Gott ift, dem abjolut Größten. Das ift ganz befonders 
in's Auge zu fallen. Da alfo Gott die abfolute Möglichkeit ift, fo ift 
die Welt, wenn wir fie ald in der abjoluten Möglichfeit feiend betrachten, 
in Gott und die Ewigkeit felbftz betrachten wir fie ald bejchränfte Mög: 
lichkeit, jo geht die Möglichkeit nur der Natur nad der Welt vorher, und 
dieſe befchräntte Möglichkeit ift nicht die Ewigfeit, noch gleihewig mit 
Gott, ſondern ein Abfall von ihr (cadens ab ipsa) und wie Endliches 
und Abfolutes in unendlibem Abitande, 

Auf diefe Weiſe müffen die Anfichten über die Möglichkeit oder Ma— 
terie mach den Principien der Wiſſenſchaft des Nichtwiſſens ihre Berich- 
tigung erhalten. 


59 


Wie die Möglichkeit ſtufenweiſe zur Wirklichkeit vorfchreite, wollen 
wir und im Buche über die Muthmaßungen zu erörtern vorbehalten. 


Nenntes Kapitel. 
Leber die Seele oder das belebende Mrincip des Univerſums. 


Alle Philofophen ftimmen darin überein, daß das Seinfönnen nur 
durh das wirflice Sein zur Wirklichkeit gebracht werden kann, weil nichts 
ch jelbft in Wirklichkeit fegen kann, weil es fonft die Urfache feiner ſelbſt 
und jomit da wäre, bevor es ift. Man fagte daher, was die Möglichkeit 
in Wirklichkeit ſetzt, handle nad Abficht (ex intentione), fo daß die Mög: 
lichkeit aus vernünftiger Anordnung, nicht durch Zufall zur Wirklichkeit 
gelangt. Diefe Wirfungsweije nannte man theil® Geift (mentem), theils 
Bernunft (intelligentiam), theild Weltjeele, theild Fatum der Subftanz, 
tbeild, wie die Platoniker, das umfcließende Band (necessitatem com- 
plexionis). Diefe glaubten nämlih, die Möglichkeit werde mit Noths 
wendigfeit durch fich felbft determinirt, fo daß fie jegt in Wirklichkeit ift, 
was fie vorher jein fonnte. In jenem Geifte liegen nah den Plato— 
nifern die Formen der Dinge. geiftig ebenjo, wie in der Materie der 
Möglichkeit nad. Das Alles umſchließende Band, das in fih das 
Urdild der Formen hat, bewegt der natürlichen Ordnung gemäß den 
Himmel, jo daß mittelft der Bewegung ald des Werkzeugs die Mög— 
lihfeit zu einer dem geiftigen Urbilde möglichſt entiprechenden Wirklichkeit 
gelangt. Mittelft dieſer Operation des Geiftes werbe durch die Bewegung 
die in die Materie gelegte Form ein, wenn auch nicht wahres, jo doch 
der Wahrheit nahe fommendes Abbild der idealen Form des Geiftes. 
Demnach find nah den Platonifern in der Weltjeele die Ideen (veras 
formas) der Dinge, zwar nicht der Zeit, wohl aber der Natur nach vorher, 
als fie in den Dingen find. Die Peripatetifer geben dies nicht zu, 
indem fie behaupten, die Ideen (formas) hätten fein anderes Sein, außer 
in der Materie und durd Abftraftion, die den Dingen folgt, im Geifte. 
Die Blatonifer nehmen eine Mehrheit folder unter fih verſchiedenen 
Feen, die aus der Einen unendlihen Vernunft ftammen, an, in welder 
fie alle Eines fein. Doch ließen fie diefe Ideen nicht aus der Einen 
Vernunft geſchaffen werden, ſondern jo herabfteigen, daß fie in der Welts 
feele die Entfaltung des göttlichen Geiſtes erblidten, und was in Gott 
Eine Uridee ift, in der MWeltieele mehrere und verſchiedene Ideen find. 
Sie fügten bei, Gott gehe naturgemäß dem umſchließenden Bande der 
Nothwendigfeit vorher, wie die Weltfeele der Bewegung und dieſe der 
jeitlihen Entfaltung der Dinge. Diefe zeitliche Entwidlung folgt dem 


56 


Naturgefege, das in der Weltjeele Liegt, und heißt fubftantielles Fatum, 
die zeitliche Entfaltung deöfelben tft das gewöhnlich fogenannte Fatum. 
So ift, was wir die geiftige Welt nennen, die Art und Weile des 
Seins in der Weltfeele. Das Sein in der Wirklichkeit, wo die Mög- 
lichkeit, dur die Wirklichkeit determinirt, die Entwidlung bervorbringt, if 
die Sinnenwelt. Die Ideen, wie fie im materiellen Sein liegen, find 
nach ihnen von denen, die in der MWeltfeele find, nur in der Seinsweiſe 
verſchieden; in diefer wahr und an fich, in der Materie dem Wahren 
ſich nähernd (verisimiliter), nicht in ihrer Reinheit, ſondern verbunfelt. 
Die Wahrheit der Ideen erweife nur die Vernunft (intellectum); Ber 
ftand, Einbildung und Sinne erfaffen nur die Abbilder oder die Ver: 
mifchung der Ideen mit der Möglichkeit, weßhalb fie auch nicht die Wahr— 
heit, fjondern nur ein Meinen erzielen (non vere attingitur quidquam, 
sed opinative). Bon der Weltfeele geht nah den Platonifern ale Br 
wegung aus, denn fie ift ganz im Ganzen und in jedem Theile der Welt, 
obwohl fie nicht diefelbe Thätigkeit in allen Theilen entfaltet, wie aus 
die Seele im Menſchen in den Haaren und im Herzen nicht die gleice 
Wirkſamkeit zeigt, obgleich fie ganz im ganzen Menſchen und in jedem 
Theile ift. In der Weltjeele find alle Seelen, in und außer den Körpern, 
enthalten, weil fie da8 ganze Univerfum durchdringt, nicht theilweife, da 
fie untheilbar und einfach ift. Sie iſt ganz in der Erde, wo fie die Erbe 
zufammenbält, gang im Stein, wo fie das Fefte der Theile bewirkt, ganz 
im Waffer, in den Bäumen ıc. Sie ift die erfte Freisförmige Entfaltung 
des göttlichen Geiftes, der das Centrum bildet, die natürliche Entfaltung 
der zeitlihen Dronung der Dinge. Wegen der in Ihr liegenden Unter 
fheidung und Ordnung nannten fie diefelbe auch die fih bewegende Zahl; 
fie beftehe, wie Diele, aus Gleihem und Verſchiedenem, und unterfcheide 
fi) auch nur durch die Zahl von der Seele des Menſchen. Mas bie 
Seele für den Menfchen, ift fie für das Univerfum. Alle Seelen fommen 
von ihr und löſen ſich fchließfich, wenn nicht Mißverdienfte ein Hindernif 
bilden, in fie wieder auf. 

Viele Ehriften haben ſich diefer Anficht der Platoniker angefchloffen, 
und zwar hauptlächlih aus dem Grunde: da das MWefen des Steines ein 
anderes, ald das des Menfchen tft, und in Gott Feine Verſchiedenheit 
und fein Andersfein ftattfindet, fo bielten fie es für eine logifhe Noth— 
wendigfeit, daß die verfhiedenen Ideen, nach welhen die Dinge verfchieben 
find, nah Gott und vor den Dingen feien (denn das Rationelle einer 
Sache geht ihr vorher). Diefe Sonderung fanden fie befriedigt in dem 
Begriffe des die Welt regierenden Geiſtes (intelligentia rectrice orbium). 
Diefe unterfchiedenen Ideen find die ungerftörlicen Begriffe der Dinge 
in der Weltjecle, ja, diefe ſelbſt faßten fie ald den Gefammtbegriff aller 


57 


Begriffe; alle Begriffe haben in ihr ihr fubftantielled Sein, wiewohl das 
ſchwer zu verftehen fei. Sie führen felbft die Autorität der heiligen 
Schrift zur Begründung an. Wenn Gott ſprach: es werde Licht! und 
ed ward Licht, wie hätte er fagen können: Es werde Licht! wenn bie 
Wahrheit (Idee) des Lichtes nicht naturgemäß vorher dagewefen wäre? 
Und nachdem zeitlich das Licht in Wirklichkeit umgefeßt war, warum wurde 
es gerade Licht und nicht anders genannt, wenn die Idee des Lichts nicht 
vorher da war? Vieles Aehnliche wird zur Beftätigung angeführt. 

Die Peripatetifer geben zwar zu, das Werf der Natur fei ein 
Werk der Intelligenz, läugnen jedoh das Dafein der Ideen. Wenn fie 
nicht unter der Intelligenz Gott verftehen, fo find fie fiber im Irrthume. 
Denn wenn fein Wiffen der Dinge und der Intelligenz ift, wie fann fie 
tenn, was doch Vorausfegung ift, die Dinge bewegen? Hat fie aber 
eine Kenntniß der zeitlich zu entwidelnden Dinge, was das Wernünftige 
in der Bewegung (ratio motus) ift, fo kann diefe von den Dingen, die 
ja zeitlih noch nicht eriftiren, nicht abftrahirt fein. Gibt es alfo ein 
Wiffen ohne Abſtraction, fo ift es fiher dasjenige, von dem die Plato— 
nfer reden, das nicht den Dingen entnommen ift, fondern nach dem 
die Dinge gebildet find (res secundum eam). Daher waren nad den 
Platonifern die Ideen der Dinge nicht etwas Gefondertes, verſchieden von 
der Intelligenz felbft, fondern fie bildeten, obwohl unter fi geſchieden, 
Eine einfache Intelligenz, die alles Vernünftige in fih begreift. So ift 
war die Idee des Menſchen nicht die des Steins, gleihwohl hat die 
Menſchheit, von der der Menſch der concrete Ausdrud ift, fein anderes 
Sein als in der Intelligenz, in ihr geiftig, in der Mirflichfeit reel. Es 
gibt micht eine andere (ideale) Menfchheit des Plato und eine andere 
in der Realität, fondern diefelbe Menſchheit Plato’s ift in verſchiedenen 
Seinsweiſen, vorber in der Intelligenz, dann in der Wirklichkeit, was 
jedoch nicht als ein Vorher der Zeit zu denfen ift, fondern fo wie der ra— 
tionelle Grund (ratio) einer Sahe ihr naturgemäß vorhergeht. Sehr 
Iharffinnig und philoſophiſch find hierin die Platonifer, und Ariftoteles 
bat fie vielleicht nicht ganz philoſophiſch hierin getadelt, indem er mehr 
an der Schale der Worte hängen blieb, als in den Kern der Sache 
eindrang. 

Wo die Wahrheit liege, wollen wir num durd die Wiſſenſchaft des 
Nichtwiſſens ermitteln. 

Es ift bewiefen, daß man auf fein einfach Größtes fommt, daß es 
daher feine abfolute Möglichkeit und feine abjolute Idee (formam) oder 
Wirklichkeit (actum) gebe, die nicht Gott ift, daß jedes Ding beichränft 
it und es nur Eine Idee aller Ideen (forma formarum) und Ein Urbilv 
(veritas veritatum) gebe, und die abfolute Idee des Kreifed und Vierecks 


58 


bie gleiche ift. Die Ideen der Dinge find daher nicht unterfchieden, außer 
fofern fie coneret (contractae) erſcheinen; im ihrer Abfolutheit find fie 
Eine ununterſchiedene Idee — das Wort Gottes. Die Weltfeele hat 
daher fein anderes Sein, ald ein mögliches, durch welches fie beſchränkt 
wird, und der Geift ift nicht getrennt, nicht trennbar von den Dingen 
(mens non est separata a rebus aut separabilis). Denn betrachten wir 
den Geift in feiner gänzlihen Getrenntheit von der Möglichkeit, fo if 
died der göttliche Geift, der allein ganz und gar Wirklichkeit ift. Es kann 
fomit nicht mehrere gefonderte Ideen geben, denn jede wäre in Bezug auf 
ihre Abbilder das Größte und Wahrfte. Nun fann es aber nicht mehrere 
Größte geben. Ein unendliches Urbild ift nothwendig und hinreichend, 
in dem Alles geordnet enthalten ift, das allen rationellen Grund aud für 
die verjchiedenften Dinge auf das Adäquateſte im fich begreift. Wenn wir 
die große Verjchiedenheit der Dinge betrachten, jo ftaunen wir darüber, wie 
Eine einfachfte Idee von allen auch der Grund der Differenz der Einzelndinge 
fein joll. Nach ven Principien unferes Eyftemd muß dies jo fein, weil fie 
alle Verſchiedenheit ald Identität in Gott nahweilen. Da wir erkennen, 
daß in Gott die Verſchiedenheit der rationellen Gründe aller Dinge auf 
das Wahrſte eriftirt, fo erfennen wir eben darin, daß dies das Wahrſte 
ift, den Einen wahren rationellen Grund aller Dinge, und dies ift die 
höchſte Wahrheit felbft. Sagt man, Gott habe nach einer andern Idee 
(alia ratione) den Menfhen, nad einer andern den Stein erfhaffen, fo 
ift died wahr in Hinfiht auf die Geſchöpfe, nicht auf den Schöpfer, 
wie wir an den Zahlen fehen. Der Ternar ift ein Einfachſtes (ratio 
simplicissima), das weder ein Mehr noch ein Weniger zuläßt, in fich 
einig; gang anderd aber wird er in Bezug auf die Dinge, Anders ift 
der Ternar der Dreiede, anderd der von Materie, Form und Zufammeis 
fegung in der Subftanz, anders der von Vater, Mutter, Sohn, anders 
der von drei Menſchen und drei Eſeln. Das Alles mit Nothwendigfeit 
umfcließende Band ift daher nicht, wie die Blatonifer wollten, ein Geift, 
geringer als der ihn zeugende, ſondern der dem Vater in der Gottheit gleiche 
Sohn; er heißt Aoyog oder Vernunft (ratio), weil er die Bernunft (ver 
rationelle Grund) von Allem if. Es heißt daher auch nichts, was die 
PBlatonifer von den Bildern der Formen (Ideen — de imaginationibus 
formarum) gejagt haben; fondern ed gibt nur Eine unendlide Idee (forma 
formarum), von der alle Ideen Abbilder find, wie wir oben gezeigt haben, 
Man muß died genau ind Auge fallen, Die Weltjeele ift zwar als cine 
Art univerfeller Form, die alle Formen in ich faßt, zu betrachten; allein 
fie eriftirt in Wirklichkeit nur bejchränft und ift in jedem Dinge die con: 
erete Form ded Dinged (forma contracta rei), wie in der Lehre vom 
Univerjum gezeigt wurde. Gott ift alfo die hervorbringende, ges 


59 


faltende und zum Ziel führende Urſache von Allem, der in 
dem Einen Worte Alles noch fo Verfhiedene hervorbringt, 
und es gibt fein Geſchöpf, das nicht durch Verendlihung weniger wäre 
(quae non sit ex contractione diminuta), in unendlihem Abfall von jenem 
göttlihen Wirken; denn nur Gott ift abjolut, alles Andere ift 
beihränft (solus Deus absolutus, omnia alia contracta). Es gibt aud 
fein Mittelding zwifchen dem Abfoluten und Beichränften, wie fih Die 
einbildeten, die die Weltfeele fi als einen Geift dachten, der nadı Gott 
und vor der Verendlihung der Welt wäre. Nur Gott ift die Seele 
und der Geift der Welt, fofern man die Seele ald etwas Abfolutes 
denkt, in dem alle Formen der Dinge in Wirklichkeit find. 

Die Philoſophen waren über das Wort Gotted und das 
abjolut Größte nit vollftändig unterrichtet, daher faßten fie 
Gift, Seele und Nothwendigkeit in einer gewiſſen Entwicklung dieſer 
Nothwendigkeit abfolut, nicht befchränft auf. Die Ideen im Worte find 
in Wirklichkeit das Wort felbft, in allen Dingen find fie bejchränft. Die 
Peen, die in der erfchaffenen geiftigen Natur liegen, find zwar gemäß 
der geiftigen Natur gewiffermaßen mehr abjolut, jedoch nicht ohne Ber 
ibränfung, weil fie einem Geiſte angehören, deſſen Thätigfeit, wie Aris 
ftotele8 fagt, ein Erfennen durch abftrahirte Achnlichkeit ift (per simi- 
litudinem abstractivam). Hierüber Einiges im Bude von den Muth— 
maßungen. Das über die Weltſeele Gejagte mag genügen. 


Zehntes Kapitel. 
Nom Geifte des Univerſums. 


Einige betrachten die Bewegung, welche die Verbindung der Form 
und Materie bewirft, ald eine Kraft (spiritum), die die Vermittlung 
zwiſchen Form und Materie vollzieht und dachten fich viefelbe über den 
freien Himmelsraum, die Planeten und die irdiihe Welt verbreitet. Sie 
nannten fie argonos, gleihjam das Bewegungslofe, weil fie glaubten, 
der Eine Himmeldraum habe eine einfache Bewegung von Oft nad Weft; 
ſodann And, das ift: Umprehung, weil ſich die Plancten dur) Umdrehung 
gegen den Himmeldraum von Weft nad Dft bewegen; endlich Aryeoıs, 
d. i. Zufall (sors), weil der Zufall die Welt regiert. Die Bewegung 
der Planeten ift die Entfaltung ver erften Bewegung und die Bewegung 
Im Zeitlihen iſt die Entfaltung der Planetenbewegung. In den irdischen 
Dingen find einige Urjahen von gewiffen Folgen verborgen, wie die Saat 
im Samen enthalten ift; daher fagten die Alten, was in der Weltfeele 
wie zu einem Knäuel eingewidelt fei, werde durch die Bewegung ent- 


60 


widelt und entfaltet. Die Philofophen gingen nämlich davon aus: wie 
ein Künftler, der eine Statue in Stein aushauen will, die Form derſelben 
als Idee in fih hat, und dann mittelft einiger Inftrumente die Korm der 
Statue nad feinem idealen Bilde abbilplich darftellt, fo trage die Welt- 
jeele die Ideen der Dinge in fih und bringe fie mittelft der Bewegung 
in der Materie zur Wirklichkeit; diefe Bewegung erftrede fih über Alles; 
daß ein Ding in Wirklichkeit gerade dieſes Ding fei, werde durch biefe 
Bewegung beftimmt. Dieſe verbindende Kraft (spiritum connexionis) 
gehe aus Beidem: der Möglichkeit und der Weltfeele hervor. Denn da 
die Materie dur ihre Gefügigfeit ein gewiſſes Berlangen nad der Form 
hat, diefe aber nad der Wirklichkeit ftrebt, jedoch nicht abfolut beftehen 
fann, da fte fein eigenes Sein bat und auch nicht Gott ift, jo fenkt fie 
fih in die Möglichkeit (Materie) herab, um beſchränkt in ihr zu fein, und 
wirft begrenzgend, vollendend und beftimmend. Aus dieſer gegenfeitigen 
Durchdringung entfteht die beide verbindende Bewegung. Diefe bewegende 
Kraft geht durch das ganze Univerfum und alle feine Theile und heißt 
Natur, Die Natur ift demnach der Inbegriff (complicatio) von Allem, 
was durh Bewegung entfteht. Wie nun diefe Bewegung aus dem All- 
gemeinen herab ſich fpecialifire (quomodo ab universali contrahitur us- 
que in particulare), mit Beibehaltung der ftufenmäßigen Drönung, mag 
aus folgendem Beifpiele erhellen. Wenn ich fage: Gott ift, fo ‚geben 
diefe Worte aus einer gewiffen Bewegung hervor, in einer beftimmten 
Ordnung, fo daß ich zuerft die Buchftaben, dann die Sylben, dann bie 
Worte, zulegt den ganzen Sag ausſpreche, obwohl das Gehör diefe Ord- 
nung nicht unterfcheidet. So fteigt die Bewegung aus dem Allgemeinen 
In dad Particulare herab, und erlangt bier zeitlich oder natürlich eine 
concrete Geftalt. Diefe Bewegung, diefe Kraft (spiritus) fommt von 
dem heiligen Geifte (descendit a sp. s.), der durch die. Bewegung felbft Alles 
bewegt. Wie in dem Nedenden ein gewiſſer Geift ift, der beim Reden 
von ihm ausgeht und in der oben angegebenen Weile ſich concret auss 
geftaltet, fo geht von Gott, der ein Geift ift, alle Bewegung aus, Denn 
alfo fprict die Wahrheit: „Nicht ihr feid ed, die da reden, jondern der 
Geiſt eured Waterd redet in euch.“ Dies gilt au von allen andern 
Bewegungen und Thätigkeiten. Diefer Geift nun (die Bewegung im Unis 
verfum) ift ein erfhaffener Beift, ohne den nichts eine Einheit ift 
und beftehen kann; die ganze Welt und Alles in ihr ift durch diefen Geift, 
der den Erdkreis erfüllt, in der naturgemäßen Verbindung; die Möglichkeit 
tft durch feine Vermittlung Wirklichkeit und die Wirklichkeit ebendadurch 
in der Möglichkeit. Es ift dies die Bewegung, die Alles zur 
liebenden Bereinigung und Einheit führt, fo daß Alles Ein 
Univerfum bildet. Während Jedes feine befondere Bewegung hat, 


61 


um auf die befte MWeife das zu fein, was es ift, und Kleines fih ganz 
gleich wie das Andere bewegt, fo nimmt dod Jedes an der Bewegung 
eines Jeden im feiner Weife, mittelbar oder unmittelbar Antheil (wie die 
Elemente an der Bewegung ded Himmeld und alle Glieder au der Bes 
wegung ded Herzens), auf daß es Ein Univerfum fei. Durch diefe' Be- 
wegung eriftiren alle Dinge auf die beftmöglichfte Weife, fie erhalten fich 
in ih und in ihrer Art dur die natürliche Verbindung der verfchiedenen 
Geſchlechter, ) die durch natürliche Bewegung geeint, wenn auch indivi— 
duell gefondert find. Keine Bewegung fann aber die abfolut 
größte fein, weil diefe mit der Ruhe coincidirt. Keine Bewegung ift 
daher abjolut, denn die abfolute Bewegung ift Rube, ift Gott, der alle 
Bewegung in fih begreift. Wie demnach alle Möglichkeit in der abſo— 
Iuten ruht, welche der ewige Gott ift, jede Form und MWirflichfeit in der 
abfoluten Form, die das Wort, der Sohn des Vaters ift, fo ruht alle 
wrbindende Bewegung, alle einigende Proportion und Harmonie in der 
abjoluten Verbindung aus dem heiligen Geiite, auf daß Ein Princip von 
Mlem ift — Gott, in dem und dur den Alles ift, in einer gewiſſen 
dreifaltigen Einheit, die ihren abbilvlihen concreten Ausdruck innerhalb 
dem ſchlechthin Größten und Kleinften findet, in verichiedenen Stufen, fo 
daß eine Stufe der Bewegung nah Möglichkeit, Wirflichfeit und Ber: 
bindung in den geiftigen Naturen ift, wo Bewegen Denfen ift, eine andere 
Stufe in dem förperlichen Sein nach Materie, Form und Verbindung, 
wo das Bewegen Sein if. Doc hierüber ein anderes Mal. Das über 
die Dreieinigfeit ded Univerfums Gefagte mag für jegt genügen. 


Elftes Kapitel, 
Folgerungen aus dem Wefen der Bewegung. 


Es ftaunen vieleicht Manche über diefe bisher unerhörte Süße, deren 
Bahrheit die Wiflenfhaft des Nichtwiſſens nachgewieſen hat. Wir wifjen 
nun, daß das Univerfum dreieinig und daß es nicht ein Univerfum gibt, 
das nicht eine Einheit ift aus Möglichkeit, Wirflichfeit und vereini— 
gender Bewegung, jo wie daß fein Wefen abfolut, ohne die andern bes 
ftehen kann, weßhalb nothwendig Alles in den verfchiedenften Grad- 
unterfchieden befteht, jo daß im ganzen Univerfum nicht zwei Dinge eins 
ander volltommen gleih find. Es ift daher, wenn man die Berjchieden, 
beit der Bewegung der Weltkörper erwägt, unmöglich, daß etwas bie 
Weltmaſchine fei, oder daß diefe fihtbare Erde oder Luft, Feuer 


1) Statt sexum muß ed im Texte heißen: sexuum, 


62 


oder jonft irgend Etwas das fefte und unbemwegliche (Welts) Centrum 
bilde. Denn man kommt in der Bewegung auf fein fchlechthin Kleinftes, 
wie 3. B. ein fired Centrum, weil das Kleinfte nothwendig mit dem 
Größten coincidirt. Es würde alfo das Centrum der Welt mit ihrer 
Peripherie coincidiren. Die Welt bat daher feine Peripherie; hätte 
fie Centrum und Peripherie, fo hätte fie ihren Anfang und Ende in fich 
felbft, die Welt wäre in Bezug auf ein Anderes begrenzt, außer der Welt 
wäre ein Anderes und ein Raum, — Süße, die alle der Wahrheit entbehren. 
Da es fomit unmöglich ift, daß die Welt in ein förperliches Centrum und 
eine beftimmte Peripherie eingefchloffen fei, fo erkennen wir die Welt nicht, 
deren Gentrum und Peripherie Gott if. Und wiewohl diefe Welt nicht 
unendlich ift, fo fann fie doch auch micht als endlich gedacht werden, ba 
fie feine Grenzen bat, in welche fie eingefchloffen if. E8 fann fomit 
auch die Erde, die das Gentrum nicht fein fann, nit ohne 
alle Bewegung fein (terra igitur, quae centrum esse nequit, motu 
omni carere non potest); denn daß fie fich bewegen müffe, ift auch in 
dem Sinne zu faffen, daß fie ſich noch unendlich weniger bewegen könnte 
(nam eam moveri taliter etiam necesse est, quod per infinitum minus 
moveri posset). Wie die Erde nicht das Centrum der Welt ift, fo ift 
ed auch nicht die Sphäre der Firfterne oder ein anderer Umfreis derfelben, 
wiewohl die Erbe, im Verhältniß zu dem Himmel betrachtet, mehr dem 
Centrum, der Himmel mehr der Beripherie ähnlich zu fein ſcheint. Die 
Erde iſt alfo nicht das Centrum, auch nicht für die erfte oder irgend eine 
andere Sphäre; aud das Erſcheinen der ſechs Himmeldzeihen über dem 
Horizonte berechtigt nicht zu dem Schluſſe, die Erde fei im Gentrum der 
achten Sphäre. Denn aud wenn diefe von ihrem Centrum entfernt wäre 
und fih in der Nähe einer durch die Pole gehenden Achſe befände, fo 
daß fie auf der einen Seite gegen den einen Bol erhoben, auf der andern 
gegen den andern Pol gefenft wäre, würde Denjenigen, die fo weit von 
den Polen entfernt ftehen, als der Horizont fi ausdehnt, nur die Mitte 
der. Sphäre fichtbar fein, was für ſich Far ift. Es ift aud das Gentrum 
ber Welt nicht mehr innerhalb, als außerhalb der Erde. Ja, weder 
bie Erde, nod irgend eine Sphäre (Himmelskörper) hat ein 
Gentrum. Denn da dad Centrum der von der Peripherie gleichweit 
entfernte Punkt it und ed feinen vollfommen wahren Kreis oder Kugel 
gibt, die Feine größere Vollfommenheit zuließe, fo gibt es offenbar Fein 
Gentrum, das nicht noch viel wahrer und präcifer fein könnte. Eine 
präcife gleihweite Entfernung ift außer Gott unmöglih, weil er allein 
die abjolute Gleichheit ift. Gott alfo, ver das Centrum der Welt 
ift, ift aub das Gentrum der Erde und aller Himmel 
förper und von Allem, was in der Welt iftz er ift zugleich 


63 


die unendblihe Peripherie von Allem. Ferner: am Himmel 
find feine unbewegliden und firen Pole, wiewohl auch ver 
Himmel der Firfterne in Folge der Bewegung Kreife von ftufenweife 
verfhiedener Größe, kleiner ald die Meridiane oder als die Aequinvetiale 
(dad Gleiche gilt von den dazwiſchen liegenden Kreifen) zu beichreiben fcheint. 
Alein ed muß fi jeder Theil des Himmels bewegen, wiewehl 
ungleib, im Verhältniß zu den Kreilen, welde die Sterne in ihrer Bewer 
gung bejchreiben. Wie einige Sterne einen größten, jo fcheinen andere 
Sterne einen fleinften Kreid zu beichreiben; e8 gibt aber feinen 
Stern, der feinen Kreis beihriebe. Gibt e8 in einem Hims 
melöförper (in sphaera) feinen firen Pol, fo gibt ed auch feine Mitte, 
die gleihweit von den Polen entfernt wäre. Es gibt daher in der 
abten Sphäre feinen Stern, der durch feine Umdrehung einen größten 
Kreis beichreibt, weil derfelbe gleihweit von den Polen, die es nicht gibt, 
entfernt fein müßte. Folglich gibt es auch feinen, der einen Fleinften 
Kreis bejchreibt. Die Pole der Himmelsförper coinciviren daher mit 
dem Gentrum, fo daß Centrum und Pol nichts Anderes ift, ald — Gott. 
Und da wir die Bewegung nur im Verhältniffe zu etwas Unbeweglichem, 
zum Pole oder Mittelpunkt, wahrzunehmen im Stande find und jene 
bei dem Meſſen der Bewegungen vorausfegen, fo finden wir, daß wir 
aur in Muthmaßungen und bewegen und in allen Stüden irre gehen; 
wir wundern und, wenn wir nach den Negeln der Alten Sterne in ihrer 
Stellung nicht übereinftimmend finden, weil wir annehmen, daß die Alten 
über Centrum, Pole und Meffung richtige Begriffe gehabt haben. 

Aus dem Geſagten geht Har hervor, vaß die Erde fih bewege. 
Da wir aus Erfahrung wiflen, daß ſich die Elemente durch die Bewer 
gung eined Kometen, der Luft und des Feuers bewegen, jo wie, daß 
der Mond ſich weniger von Oſt nach Weſt bewege ald der Mercur, 
die Venus oder die Sonne und jo ftufenweife, jo bewegt fi die Erde 
noh weniger, als alle andern (Sterne), jedoch ift fie nicht ein Stern, 
der um Gentrum oder Bol ven fleinften Kreis beichreibt, fo wie nad) 
dem eben Geſagten die achte Sphäre oder irgend eine andere feinen 
größten befchreibt. Beachte daher wohl: wie fih die Sterne zu den ans 
genommenen (conjecturales) Bolen der achten Sphäre verhalten, fo find 
Erde, Mond und Planeten Sterne, die fi am Pole in verfchiedenen 
Abftinden bewegen, jo daß wir da den Pol ſuchen, wo man bisher 
dad Gentrum annahm (conjecturando polum esse, ubi creditur centrum), 
Wenn daher gleih die Erde ein Stern ift, der fih in größerer Nähe 
von dem Gentralpole befindet, jo bewegt fie fib doch und bejchreibt nicht, 
wie gezeigt ift, eimen Hleinften Kreis. Ja, weder Sonne, noh Mond 
oder Erde, oder irgend ein Himmeldförper fann, wenn es und gleich 


64 


anders jcheint, eine wahre Freisförmige Bewegung befchreiben, weil fie fid 
nicht um etwas Feſtes bewegen. Es gibt auch feinen wahren Kreis, 
der nicht vollfommener fein fönnte, und zu einer Zeit fih ganz genau wie 
zu einer andern bewegt oder einen ganz gleichen Kreis befchreibt, wenn 
wir dies gleih nicht wahrnehmen. Willſt du daher über die Bewegung 
des Univerfums eine andere Anficht, als die bisher übliche, gewinnen, fo 
mußt du Centrum und Pole zufammenfaffen (necesse est ut centrum 
cum polis complices) und dabei fo gut, ald ed angeht, die Einbildungs- 
fraft zu Hülfe nehmen. Denn wenn Einer auf der Erde und unter dem 
Nordpofe, ein Anderer im Nordpole ftünde, fo würde der auf der Erde 
Stehende ebenſo glauben, der Pol fei im Zenith, wie der im Pole Ste 
hende glauben würde, das Centrum fei im Zenith. Wie die Gegenfüßler 
gleih und den Himmel über fih haben, fo würde den auf beiden Polen 
Stehenden die Erde im Zenith zu fein jcheinen, und wo immer Einer ftebt, 
glaubt er, er ſei im Centrum. Faſſe alfo jene entgegengelegten Vor: 
ftellungen zufammen, fo daß das Centrum Zenith ift und umgefehrt, dann 
wird dein PVerftand, dem mur die Wiſſenſchaft des Nichtwiffend gute 
Dienfte leiftet, einfehen, daß die Welt, ihre Bewegung und Geſtalt nicht 
erfannt werden fönnen, denn fie wird dir vorfommen wie ein Rad im 
Rade oder eine Kugel in der Kugel, die, wie gejagt, nirgends 
Gentrum und Umfreid hat. 


Zwölftes Kapitel, 
Don den Zuftänden der Erbe. 


Das eben Ausgeführte kannten die Alten nicht, weil ihnen die Wiffen: 
haft des Nichtwiffens fehlte. Uns ift es jegt ganz klar, daß diefe Erde 
fich wirklich bewegt, wenn wir c8 gleich nicht bemerken, va wir die Bes 
wegung nur durch Vergleichung mit etwas Unbeweglihem wahrnehmen. 
Wüßte Jemand nicht, daß das Waſſer fließe und ſähe er das Ufer nicht, 
wie würde er, wenn er in einem auf dem Waſſer hingleitenden Schiffe 
fteht, bemerken, daß das Schiff fi bewegt? Da es daher Jedem, er 
mag auf der Erde oder Eonne oder einem andern Sterne fi befinden, 
vorfommt, er ftehe im unbeweglichen Mittelpunfte, während Alles um ihn 
her fi bewege, fo würde er, in der Sonne, im Monde, Mars ıc. ftehend, 
immer wieder andere Pole angeben. Der Bau der Welt ift daher fo, 
als hätte fie überall ihr Centrum und nirgends eine Peripherte, denn Ums 
freid und Centrum ift Gott, der überall und nirgends ift. Diefe Erde 
it nicht Fugelförmig, wie Einige gefagt haben, wiewohl fie 
der Kugelform ſich zumeigt, denn die Geftalt ver Welt ift, wie 





65 


aud ihre Bewegung, in ihren Theilen befchränft., Wird aber die unend« 
liche Linie ald concret gedacht, in der Art, daß fie, ald concret, nicht mehr 
vollfommener und umfaffender (capacior) fein fünnte, fo ift fie kreis— 
förmig, denn bier trifft Anfang und Ende zufammen. Wie daher die volls 
fommenere Bewegung die freisförmige ift, jo ift die vollfommenere förper- 
lihe Geſtalt die Fugelförmige. Jede Bewegung des Theiles hat daher 
Beziehung zur Volfommenheit des Ganzen: Das Schwere ftrebt nad 
ver Erbe, das Leichte nah Oben, Erde zu Erde, Waffer zu Waffer, Luft 
m Luft, Feuer zu euer. Die Bewegung ded Ganzen folgt fo viel als 
möglih der kreisförmigen Bewegung, jede Figur der fugelförmigen Figur, 
wie wir an den Theilen der Thiere, an den Bäumen und dem Himmel ſehen. 
Eine Bewegung ift freisförmiger und vollfommener als die andere, ebenfo find 
auch die Geftalten verſchieden. Die Geftalt der Erde ift beweglich und 
fugelförmig, ihre Bewegung freisförmig, könnte aber vollfommener fein. 

Da es in allen Bollfommenheiten, Bewegungen und Geftalten der 
Belt fein Größtes gibt (wie aus dem Gejagten erhellt), fo ift es ums 
wabr, daß diefe Erde der geringfte und unterfte Theil der 
Relt iftz denn wenn fie gleih im Verhältniß zur Welt mehr im Centrum 
zu fein fcheint, fo fft fie doch aus demſelben Grunde, wie fchon gezeigt, 
auch dem Pole näher. Die Erde ift nicht ein aliquoter Theil der Welt, 
denn da die Welt fein Größtes und SKleinftes hat, fo hat fie auch feine 
Mitte und feine aliquoten Theile, wie dies auch nicht vom Menfchen 
oder Thiere gilt, denn die Hand ift Fein aliquoter Theil des Menden, 
wiewohl ihr Gewicht ein Verhältniß zum Körper hat. 

Auch die ſchwarze Farbe ift fein Beweis für die fchlechte Ber 
ſchaffenheit (vilitatis) der Erde. Wer in der Sonne wäre, der würde 
nicht die große Helle, wie wir auf Erden, wahrnehmen. Denn betrachtet 
man den Sonnenkörper, fo hat er eine mehr concentrirte Erde und eine 
wie Feuer leuchtende Peripherie, dazwiichen eine Art Wolfen und reinere 
Luft, gerade wie unfere Erde ihre Elemente hat. Stünde daher Jemand 
außerhalb der Region des Feuers, fo würde ihm dieſe Erde dur das 
Medium des Feuers wie ein heller Stein vorfommen, wie und, die wir 
im Umfreid der Region der Sonne find, die Sonne überaus hell Teuchs 
tend vorfommt. Der Mond erfcheint und nicht fo hell, vielleicht weil wir 
in feinem Umfreis mehr den centralen Theilen desjelben zugefehrt find, 
(wa der wäfjerigen Region desſelben. Daher erfcheint und fein Licht 
nicht, obgleich er ein eigenes Licht hat, das nur denen erjcheint, die in 
den Äußerften Grenzen feines Umkreiſes ftehen, während und nur der 
Refler des Sonnenlichtes fichtbar if. Defhalb wird auch die Wärme 
des Monde, die ohne Zweifel durch die Bewegung entfteht, und daher 

5 


Sharpfi, Mic. v. Cuſa. r 


66 


in der Peripherie, wo die größere Bewegung ift, größer ift, und nicht fo mit 
getheilt, wie von der Sonne. Unfere Erde iſt zwifchen die Region der 
Sonne und ded Mondes geftellt, durch deren Vermittlung fie an der Ein- 
wirfung anderer Sterne participirt, die wir nicht fehen, weil wir außer 
halb ihrer Region uns befinden, denn wir fehen nur die Region derjenigen 
Sterne, welde leuchten. "Die Erve ift ein edler Stern, der Licht, Wärme 
und Einwirkung von allen andern Sternen in verfchiedener Weife empfängt. 
Jeder Stern unterjcheidet fih von jedem durch Licht, natürliche Beſchaffen— 
heit und Einwirfung, wie aud jeder Stern dem andern Licht und Eins 
wirfung mittheilt, nicht abjichtlich (ex intentione); denn alle Sterne 
haben nur Bewegung und Glanz, um auf die befte Weile zu fein, woraus 
als Folge das PBarticipiren entfteht, wie das Licht feiner Natur nad 
leuchtet, niht damit ich ſehe, fondern das Participiren an demſelben 
ift Folge, indem ih das Licht zum Zwede des Sehens benütze. Der 
gütige Gott hat Alles jo erichaffen, daß jedes Wefen, indem es fein Sein 
wie einen göttliben Beruf zu erhalten ftrebt, dieſes in Gemeinſchaft mit 
andern vollzieht. Wie der Fuß nicht jich allein, fondern auch dem Auge, 
den Händen, dem Leibe, ja dem ganzen Menfchen dadurch dient, daß er 
nur zum Gehen gebildet ift, fo gilt das Gleiche von den Theilen der 
Welt. Plato nannte die Welt ein lebendes Weſen; denfft du dir als 
ihre Seele — jedoh ohne Verſchmelzung — Gott, fo wird dir Vieles 
von dem bisher Gefagten Far werben. 

Man kann aud nicht fagen, die Erde fei deßwegen von geringer 
Beihaffenheit, weil fie Eleiner als die Sonne und ihrer 
Einwirfung unterworfen ift, denn die ganze Region der Erde, 
die fi bis zum Umkreis des Feuers ausdehnt, ift allerdings groß. Iſt 
gleich die Erde Heiner ald die Sonne, wie wir aus dem Schatten und 
den Eclipfen wiffen, jo ift doch nicht befannt, um wie viel die Region der 
Sonne größer oder fleiner ald die der Erde iſt. Vollkommen gleich Fann 
fie auf feinen Ball fein, da fein Stern dem andern gleich fein fann. Die 
Erde iſt auch deßhalb nicht der kleinſte Stern, weil fie größer als ver 
Mond ift, wie die Eclipfen beweifen, und als der Merkur, wie Einige 
fagen, vielleicht au größer ald andere Sterne, Aus ihrem Umfange ift 
man daher nicht auf ihre Unbedeutendheit zu fchließen berechtigt. 

Auch der Einfluß, den fie aufnimmt, beweist nicht ihre 
Unvollfommenheit, denn als Stern übt auch fie, wie gezeigt ift, auf bie 
Sonne und ihre Region Einfluß aus, und da unfere unmittelbare Wahr 
nehmung feine andere ift, ald daß wir im Gentrum find, wo alle Eins 
flüffe zufammenftrömen, fo haben wir von jenem Einfluffe feine Erfahrung. 
Berhält fi die Erde wie die Möglichkeit, die Sonne, wie die Seele oder 


67 


geiftig bildende Kraft, der Mond als die vermittelnde Verbindung, fo 
da diefe zu Einer Region gehörenden Sterne dur gegenfeitigen Einfluß 
vereinigt find, und diefen Einfluß auf andere Sterne, den Merkur und 
die Venus und die andern über ihnen ftehenden (nah der Anficht der 
Aten und auch einiger Neueren) mittheilen, fo it das Verhältniß des 
Einflufjes der Art, daß der eine Stern ohne den andern nicht beftehen fann. 
Der Einfluß wird daher ein einiger und dreifacher, in jedem einzelnen 
Sterne nad feinen Graden fein. Daraus geht hervor, der Menjch könne 
nicht wiffen, ob die Region der Erde fih in einem vollfommeneren oder 
weniger vollfommenen Grade, im Verhältniß zu den Regionen der andern 
Sterne, der Sonne, des Monds xx. befinde. Dasfelbe gilt von der Erde 
als Wohnplag. Es läßt fih nicht jagen, daß die Erde ein Wohnplag 
von Menfchen, Thieren und Pflanzen fei, die graduell geringer find, als 
die Bewohner der Region der Sonne und anderer Sterne. Denn, wenn 
gleih Gott das Centrum und die Peripherie aller Sternenregionen  ift, 
und von ihm Naturen von verſchiedenem Werthe ausgehen, fo daß jede 
Region bewohnt, und fo viele Räume des Himmels und der 
Sterne nicht leer an Wefen find, und wohl nicht diefe Erde allein 
von geringeren Weſen bewohnt ift, jo fcheint e8 doch feine edlere und voll- 
fommenere Natur, ald die geiftige, die fih auf unferer Erde vorfindet, 
zu geben, mögen aud Geſchöpfe ganz anderer Art in andern Sternen 
wohnen, denn der Menfh hut fein Verlangen nad einer andern Natur, 
er will nur in feiner Natur vollfommen fein. Es ftehen daher die Be- 
wohner anderer Eterne, wie fie nun auch fein mögen, in feinem Ber- 
hältni$ Cimproportionabiles sunt) zu den Bewohnern diefer Erde, wenn 
auch jene ganze Region zu der ganzen der Erde für den Zweck des Unis 
verfums in einem verborgenen Verhältniß ftehen mag, auf daß die Be— 
wohner der Erdenregion zu den Bewohnern anderer Sterne durch Ber: 
mittlung der univerfellen Region in einem gegenfeitigen angemefjenen Vers 
haͤltniß ſtehen, wie die einzelnen Glieder der Finger dur Vermittlung 
der Hand in einem Verhältniß zum Buße, und die Zehen mittelit des 
Fußes in einem Verhältniß zur Hand ftehen, fo daß Alles die Proportion 
eines vollftändigen lebenden Wejend annimmt. Da num jene ganze Region 
uns unbekannt ift, fo bleiben auch die Bewohner derfelben und ganz uns 
befannt, wie auch anf diefer Erde die Thiere Einer Species, indem fie 
gleihfam eine ſpecifiſche Negion bilden, fich vereinigen, und wechieljeitig 
an dem, was zu diefer Region gehört, participiren, von andern Specied 
aber nichts annehmen. Gin Gefchöpf einer Species kann nicht die Natur 
einer andern, die fich durch beftimmte Laute fennzeichnet, erfaffen, außer 
In ganz wenigen Zeichen äußerlich, und auch dann nur nach langer Uebung 
5* 


68 


und nur annähernd. Aber noch weit weniger fünnen wir von den Be— 
wohnern einer andern Region, die in feinem Berhältniß zu uns ftehen, 
wiffen. Wir nehmen an, in der Region der Sonne ſeien mehr fonnige 
(solares), flare, lichte, geiftige Bewohner, geiftiger ald im Monde, wo 
mehr mondartige (lunatici), und auf der Erde, wo mehr materielle und 
malfive (grossi) Weſen wohnen. Die geiftigen Sonnennaturen wären 
in hohem Grade in Wirkfamfeit, wenig in bloßer Möglichkeit, bei da 
Erdenbewohnern wäre die Möglichkeit überwiegend über die Wirkfamfeit, 
die Monpdbewohner bewegten fih unftät (Auctuantes) in der Mitte von 
beiden. Died vermuthen wir aus dem Feuereinflufe der Sonne, dem 
Einfluffe von Waller und Luft aus dem Monde und der materiellen 
Schwere der Erde; ähnlich bei den Regionen anderer Sterne. Wir neh 
men an, fein Stern ſei unbewohnt. Der particularen Theile “des Einen 
Univerfums find jo viele, als viele Sterne es gibt, fie laffen ſich nicht 
zählen, außer durch den, der Alles in der Zahl erichaffen hat. 

Auh die Zerftörung der Dinge auf der Erde ift Fein 
giltiger Beweis der geringen Beichaffenheit der Erde. Denn da die 
Welt ein Univerfum ift, und alle einzelnen Sterne gegenfeitigen Einfluß 
auf einander ausüben, jo ift ed nicht ausgemacht, daß irgend etwas gan 
und gar zerftörlic ift, wohl aber kann es in eine andere Seinsweije über- 
gehen, wenn die comereten Einwirkungen in Einem Individuum fih auf 
löjen, jo daß die Weije, fo oder jo zu fein, aufhört, ohne daß ein eigent- 
liher Tod eintritt, wie ſchon Virgil ſagt. Denn der Tod jcheint nichts 
anderes zu fein, als eine Auflöfung des Zufammengejegten in die Elemente 
der Zufammenfegung. Ob eine folhe Auflöfung nur bei den Erdenbe— 
wohnern ftattfinde, wer fann das wiſſen? Einige fagten, es gebe jo viele 
Arten der Dinge auf Erden, ald Sterne find. Wenn nun der Einfluß 
aller Sterne in allen einzelnen Arten der Erdenwefen feinen conereten Ausds 
druck findet, warum foll nicht Aehnliches in den Regionen anderer Sterne, 
welche den Einfluß der übrigen Sterne aufnehmen, ftattfinden? Wer faun 
wiſſen, ob die concrete Geftaltung aller diefer Einwirfungen, die zuerft 
eine Zufammenfegung (zu einem Individuum) ift, in Auflöfung übergebe, 
jo daß ein lebendes Erdenwefen von irgend einer Art ſich auflöje, oder 
ob es zu feinen Prineipien (Elementen) zurüdfehre, indem das Bildungs 
princip zu dem befonderen Sterne, von dem jene Art auf der Erde wirt 
lihes Sein erlangt hatte, zurüdfehrt? oder ob dieſes Bildungsprincip 
zu feinem Urbilde, der Weltfeele (nach den Platonifern), oder zur Möge 
lichfeit der Materie zurückkehrt, während der die Einigung bewirfende Geift 
in der Bewegung der Sterne verbleibt und zu einigen aufhört, indem er 
fih wegen Untauglichfeit der Organe oder aus einem andern Grunde zu- 


69 


rüdzieht und fomit aus der nunmehr entgegengefegten Bewegung Trens 
nung verurfacht? oder ob die geftaltenden Principien (formae) jeder Region 
in einem höhern Princip, etwa dem geiftigen, ihren Stüspunft finden 
(quiescant) und durch dieſes das Ziel der Welt erreichen, während diefes 
böbere Princip fein Ziel in Gott findet. Diefes legtere erhebt fich viel— 
leicht zur Peripherie, die Gott tft, hinauf, während der Körper nach dem 
Centrum, wo wieder Gott ift, hinabfinft, fo daß die Bewegung von 
Allem nad Gott bin geht, in welchem dereinft, wie Gentrum und Peris 
pberie in Gott Eines find, der Körper, wenn er gleich zum Centrum 
binabzufinfen fchien, und die Seele, die fih zur Peripherie erhoben, wieder 
vereinigt werden, indem alddann nicht jegliche Bewegung, fondern nur 
die des Gefchlechtlihen aufhört. Der Alles einigende Geift fehrt zurüd 
und verbindet die Möglichkeit wieder mit dem belebenden Princip, das ihr 
im Leben angehört hatte. Alles das kann fein Menfch aus fich wiffen, 
wenn er nicht eine befondere Belehrung darüber von Gott erhalten hat. 
Zweifelt auch Niemand daran, daß der gute Gott Alles für fi (ad se) 
eribaffen hat und nicht will, daß eines feiner Werke zu Grunde gebe, 
und wiſſen wir gleib, daß er der reiche Vergelter aller feiner Verehrer 
fei, ſo kennt doch die Art der göttlichen Wirkfamfeit, der gegenwärtigen 
und zufünftigen Vergeltung nur Gott allein, er allein weiß, wie feine 
Wirkſamkeit ift. Hierüber will ich jedoch nah dem Maafe der göttlichen 
Eingebung weiter unten noch Einiges fagen. 


Dreizehntes Kapitel. 


Von der wunderbaren göttlihen Kunft in Erſchaffung der Welt und ber 
Elemente. 


Da es die einftimmige Anfiht der Philofophen tft, daß wir durd 
die fihtbare Welt, die Größe, Schönheit und Ordnung der Dinge zur 
Bewunderung der göttliben Kunft und Herrlichkeit bingeriffen werben, 
und nachdem wir einige Kunftwerfe der göttliben Weisheit bei Erfhaffung 
des Univerfums befprocden haben, jo wollen wir zur Erhöhung dieſer 
Bewunderung noch Einiges über die Lage und Ordnung der Elemente 
beifügen. 

Gott hat fi bei Erfhaffung der Welt der Arithmetik, Geometrie, 
Mufit und Aftronomie bedient, Künfte, die auch wir jegt anwenden, wenn 
wir die Verhältniffe der Dinge, der Elemente und Bewegungen erforfchen. 
Durb die Arithmetik hat er die Dinge in ein Ganzes gebracht (coadu- 
vavit), durch die Geometrie hat er fie geformt (figuravit), daß fie 


70 


Feſtigkeit, Beftand und Beweglichkeit, je nach ihrer Beſchaffenheit, erlang« 
ten. Durch die Mufif hat er fie in ſolche WVerhältniffe gebracht, daß 
nicht mehr Erde in der Erde ift, als Waſſer im Wafler, Luft in ber Luft, 
Feuer im Feuer, und daß fein Element ſich ganz in das andere auflölen 
läßt, woher es fommt, daß der Meltbau nicht untergehen kann, Wie— 
wohl ein Theil des Einen fib in ein Anderes auflöfen läßt, fo kann doch 
nie die ganze Luft, die mit Waſſer vermifcht ift, in Waſſer verwandelt 
werden, weil die umgebende Luft died verhindert. Gott hat es daher bes 
wirft, daß nur Theile der Elemente wechjelfeitig aufgelöst werden; ges 
ſchieht dies langſam, fo wird aus dem Zufammenwirfen der Elemente 
etwas hervorgebracht, das fo lange dauert, fo lange jenes Zufammen- 
wirken ftattfindet. Mit ihr lösſt fih auch das durch fie Entſtandene 
wieder auf. In wunderbarer Ordnung find daher die Elemente durch 
Gott gefbaffen, der Alles in Zahl, Maaß und Gewicht erihaffen 
bat. Die Zahl bezieht fih auf die Arithmetif, das Gewicht auf die Muftf, 
das Maaf auf die Geometrie. Die Schwere wird durd Einwirfung des 
Leichten (levitate constringente) gehalten; die jchwere Erde ift durch das 
Feuer wie in der Mitte fhwebend. Das Leichte dringt auf das Schwere 
ein, wie das Feuer auf die Erde. Indem die ewige Weisheit diefes fo 
ordnete, verfuhr fie nach einer nicht zu entziffernden SBroportion. Sie wußte 
voraus, wie viel jeded Element das andere überwiegen müffe, indem fie 
die Elemente jo abwog, daß das Feuer um fo viel leichter wäre, als 
die Luft, als diefe leichter ift ald das Waſſer, und diefes leichter als Die 
Erde, fo daß Gewicht mit Volumen übereinftimmte und das Einfchließende 
einen größern Raum einnahm ald das Gingefchloffene. Er verband fo: 
dann die Elemente jo mit einander, daß eines nothwendig im andern ift. 
Die Erde ift, wie Plato fagt, gleichſam ein lebendes Weſen, die Steine 
find die Knochen, die Bäche die Adern, die Bäume die Haare; die Thiere, 
die zwilchen diefen Haaren der Erde ſich nähren, find wie die Maden in 
den Haaren der Thiere. Zum Feuer verhält ſich die Erde, wie bie 
Welt zu Gott, mit welchem das Feuer in feiner Beziehung zur Erde viele 
Achnlichkeit hat. Seine Entfaltung ift grenzenlos, es wirkt, durchdringt, 
erhellt, fördert und geftaltet Alles auf der Erde, und zwar mittelft der 
Luft und ded Waſſers, fo daß Alles, was auf ber Erde entſteht, nur 
eine immer wieder anders modificirte Wirkſamkeit des Feuers ift, wie 
denn aud die Geftalten der Dinge (im Aeußerlichen) durch den verfchies 
denen Wiederſchein des Feuers entftehen. Indeß ift das Feuer mit den 
Dingen vermengt, ohne welche Vermengung weder es felbit, noch bie 
Dinge auf Erden fein fünnen. Gott aber ift abſolut. Er wird baber 
von den Alten ein verzehrendes, abfolutes Feuer, eine abfolute Klarheit 


71 


genannt, da er ein Licht if, im dem feine Kinfterniß. An feinem feurigen 
Maren Weſen fucht Alles, was da ift, Theil zw nehmen, wie wir an 
allen Geftirnen jehen, wo ſich diefe Klarheit materiell befchränft findet. 
Diefe unterfcheidende und Alles durchdringende Klarheit ift immateriell 
coneret in den lebenden und geiftigen Weſen. Wer bewundert nicht den 
Künftler, der einer ähnlichen Kunft (Aftronomie) auch in den Himmelds 
fürpern, Sternen und Sternregionen fi bedient hat, fo daß ohne Prüs 
dfton bei der größten Verſchiedenheit die ſchönſte Harmonie befteht! Die 
Größe, Lage und Bewegung © der Sterne hat er feftgeftellt, die Entfer⸗ 
nungen der Sterne jo georbnet, daß, wenn nicht jede Region fo wäre, 
wie fie ift, fie weder felbft beftehen , noch in dieſer beftimmten Lage und 
Ordnung, noch das Univerfum überhaupt beftehen fünnte. Er gibt jedem 
Sterne ein anderes Licht, Einfluß, Geftalt, Farbe und Wärme. Das 
Berhältnig der Theile zu einander hat er fo geordnet, daß in jedem die 
Bewegung der Theile "eine Beziehung auf das Ganze hat: von Oben 
nah der Mitte beim Schweren, von der Mitte nah Dben beim Leichten, 
und um die Mitte, wie bei der freisförmigen (orbicularem) Bewegung 
der Sterne. 

Bei diejer jo bewunderungswürdigen, verfchiedenartigen Ordnung der 
Belt fehen wir durch unfer Syftem, daß wir von allen Werfen Gottes 
feine rationelle Einficht erlangen, fondern nur ftaunen fönnen, weil Gott 
groß und jeiner Größe feine Grenze ift. Als die abfolute Größe ift er 
von allen feinen Werken wie Urheber und Verſtändniß, jo auch das Ziel. 
In ihm ift Alles, außer ihm nichts, er ift Anfang, Mitte und Ende von 
Allem, Centrum und Umfreis des Univerfums, und in Allem wird mur 
er gefucht, weil ohne ihn Alles nichts ift, mit ihm haben wir Alles, in 
ihm wiflen wir Alles; denn er ift die Wahrheit von Allem, und will, 
daß der wunderbare Weltbau und zur Bewunderung hinreife. Er vers 
birgt jedoch denjelben vor und um fo mehr, je mehr wir ihn bewundern, 
weil er es ift, den wir mit ganzem Herzen und allem Eifer juchen follen. 
Und da er das unzugängliche Licht bewohnt, das in Allem gefucht wird, 
fo fann er allein den Anklopfenden die Thür öffnen und den Bittenden 
geben. Kein Wefen von allen erfchaffenen hat die Macht, fih dem Ans 
Hopfenden aufzuthun und zu zeigen, was es ſei, da alle ohne ihn, der in allen 
if, nichts find. Wer aber nad Anleitung des Syſtems des Nichtwiſſens 
fe fragt, was und wie und wozu fie feien, dem antworten fie: aus und 
find wir nichts, und aus uns können wir auch dir nichts anderes, als nichts 
antworten, da wir von und felbft Feine Erfenntniß haben, jondern allein 


1) motum flatt notum im Texte. 


72 


der, durch deffen Denken wir das find, was er in und will, befiehlt umd 
weiß. Wir alle find ftumm, er, der und erichaffen hat, rebet in und 
allen, er allein weiß, was, wie und wozu wir finds. Wilft du etwas 
über und erfennen, fo frage unfern Grund, unfere Urſache, nicht und; 
dort findeft du Alles, wenn du diefen Einen fuchft, ja auch dich ſelbſt 
fannft du nur in ihm finden. Strebe daher, fagt unfere gelchrte Unwoifjen- 
heit, daß du dich in ihm findeft, und da Alles in ihm er felbft ift, io 
fann bir nichts fehlen. Unfere Sache ift es nicht, und dem Unzugäng- 
lihen zu nahen, fondern Defjen, der uns ein ihm zugewandtes Antlig ge 
geben hat, damit wir ihn mit allem Eifer fuchen. Thun wir dies, ſo 
wird er in feiner großen Güte uns nicht verlaffen, er zeigt fich ſelbſt ung, 
und wenn feine Herrlichfeit erfcheint, wird er ewig uns fättigen. Er ſei 
gepriefen in Ewigfeit! Amen. 


Drittes Bud. 


Nah diefen furzen Erörterungen über das Univerfum und feine be 
fhränfte (contractione) Eriftenz, will ih nun, um über das abjolut und 
beikränft Größte zugleih, Jeſus Chriſtus, der ewig gepriefen ſei, eine 
Unterfubung in wiſſenſchaftlichem Nichtwiſſen anzuftellen, zur Vermehrung 
des Glaubens und unferer Bollfommenheit, Dir, dem Manne von bewun— 
dernswerther Thätigfeit, einen Furzen Lehrbegriff von Jefus überreichen, 
wobei ich ihm anrufe, er möge mir der Weg zu ihm, der die Wahr 
beit ift, fein, durch die wir jegt im Glauben und dereinft durch feligen 
Genuß (per adeptionem) zum Leben gelangen, in ihm und durch ihm, 
der dad ewige Leben ift. 


Erftes Kapitel, 


Das in diefer oder jener conereten Form erfheinende Größte, über welches es 
fein Größeres gibt, kann ohne das abfolut Größte nicht beftehen. 


Im erften Buche ift die Rede von dem Einen abfolut Größten, das 
nicht mitgetheilt, in das endliche Sein vermengt (immersibile) und nicht 
auf Diefes oder Jenes eingefchränft werben kann, fondern in fi ewig 
gleih und unbeweglich als vie abfolute Identität eriftirt. Im zweiten 
Buche wurde das conerete Univerfum gezeigt, und wie Diefed und Jenes 
nur concret eriftirt. Es ift alfo die Einheit des Größten in ſich abfolut, 
die Einheit des Univerſums in Vielheit beſchränkt. Die Vielheit num, 
in welcher das Univerfum in Wirklichkeit feinen Ausdruck findet, Tann 
unmöglich mit der höchften Gleichheit beftehen, denn fonft wäre es Feine 
Vielheit. Somit befteht Alles nothwendig in differenter Weife, nad 
Sattung, Art und Zahl, fo daß Jegliches in befonderer Zahl, Maaf und 
Gewicht beſteht. Es find daher im Univerfum Gradunterfchiede, und fein 
Weſen coineldirt mit dem andern. Kein concretes Sein fann daher den 
Grad der Eoneretheit eines andern Seins präcis decken. Zwifchen dem Größ- 
ten und Kleinften ift ſonach Alles concret und es gibt immer größere oder 
Heinere Grade des Eonereten, ohne daß jedoch dies in's Unendliche fort: 


74 


geht, da eine Unendlichkeit von Graden unmöglich tft; denn unendlich viele 
Grade wären fo viel als Fein Grad, wie ich in der Lehre von ber Zahl 
im erften Buche gezeigt habe. E8- gibt fomit im Eoncreten fein Aufs oder 
Abfteigen zu dem abfolut Größten oder KHleinften. Wie daher die gött- 
liche Natur, die abjolut größte, Feine Verminderung zuläßt, jo daß fie in 
die endlidhe und concrete übergeht, jo fann aud die concrete, enbliche ihrer 
Goncretheit fo entkleivet werben, daß fie zur ganz abfoluten wird. So 
nad erreicht fein concretes Sein, da ed mehr oder weniger concret 
fein fann, das Höchſte (terminus) im Univerfum, in der Gat— 
tung oder Art, denn bie erfte generelle concrete Ausgeftaltung des Unis 
verfums ift die Vielheit der Gattungen, die nothwendig grabuell verfdie 
den if. Die Gattungen aber beftehen coneret nur in den Arten, die 
Arten nur in den Individuen, die allein in Wirklichkeit eriftiren. Wie 
ed daher nah der Natur des Gonereten fein Individuum gibt, das nicht 
hinter dem Höchften feiner Species zurüdbleibt, fo Fann auch fein Indivi— 
dımm das Höchſte in der Gattung oder im Univerfum erreichen: Denn 
unter mehreren Individuen derfelben Art muß nothiwendig eine Verſchie— 
denheit der grabnellen Vollfommenheit ftattfinden. Kein Weſen ift daher 
in feiner Art ganz vollfommen, jo daß es Fein vollfommeneres gibt, fowie 
feines jo unvollfommen ift, daß es Fein unvollfommeneres gibt: das höchſte 
feiner Art erreicht feines. Es gibt jomit nur Ein Höchſtes (unus 
terminus) aller Arten, Gattungenund des ganzen Univerfums, 
es ift das Centrum, die Peripherie und die Verbindung von Allem; das 
Univerjum erfhöpftnidt die unendliche abfolut größte 
Macht Gottes, jo daß es als das jchledthin Größte die Grenze der 
göttlihen Allmacht bildete. Es erreidt fomit das Univerfum 
niht das Höcfte des abfolut Größten, wie die Oattungen 
nicht das Höchſte des Univerfums, die Arten nicht das Höchfte der Gat— 
tungen, die Individuen nicht das Höchfte der Arten, fo daß es Alles das, 
was es ift, auf die befte Art wäre, zwilchen dem Größten und Kleinften, 
und Gott Anfang, Mitte und Ende des Univerfums und jedes Einzelnen, 
auf daß alle Dinge, fie mögen nah Oben oder nach Uuten oder nad 
der Mitte ftreben, fih Gott nähern. Wohl aber befteht eine Verbindung 
aller Dinge durd ihn; alles noch jo Verſchiedene ift verbunden. Unter 
den Gattungen, die der concrete Ausdruck ded Einen Univerfums find, 
beſteht eine ſolche Verbindung der niedern und höhern, daß fie im ber 
Mitte coineidiren. Die verfchiedenen Arten find fo geordnet, daß die 
oberfte Art einer Gattung mit der unterften der nächſthöheren coincidirt, 
wodurd in Einer Eontinuität die Volltommenheit des Univerfums fid 
darftell. Jede Verbindung ift aber grabuell, und man gelangt nicht auf 
die größte, weil diefe Gott if. Es find daher verfchiedene Arten ber 


75 


niedern und höhern Gattung nicht in einem gewiffen Untheilbaren ver: 
bunden, das fein Mehr oder Weniger zuläßt, fondern in einer dritten 
Art, deffen Individuen grabuell verſchieden find, fo daß feines derfelben 
gleibmäßig an jeder Art, ald wäre es ein aus beiden Arten Zufammen- 
geſetztes, participirt, fondern es ift in feinem Grade der concrete Ausdrud 
einer befondern Art, die im Bergleih zu den übrigen aus der niedern 
und höhern zufammengefegt fcheint. Keine Art fteigt vemnah zum Minis 
mum einer Gattung hinab, denn bevor fie dieſes wird, verändert fie fich 
in eine andere, Wenn in der Gattung der lebenden Wefen die Men- 
ſchenart daran ift, ſich im Gebiete des rein Sinnlichen auf eine höhere 
Stufe zur erheben, gebt fie plößlich die Verbindung mit der geiftigen Natur 
ein, doch bleibt die niedere Seite überwiegend, weßhalb fie noch lebendes 
Weſen (animal) genannt wird... Die Arten find daher wie eine progrefs 
five Zahl, die nothwendig begrenzt ift, fo daß Ordnung, Harmonie und 
Proportion bei aller Verſchiedenheit befteht, und man muß zulegt zu der 
unterften Urt der niedrigften Gattung, die in Wirklichkeit die Fleinfte ift, 
und zu der oberften Art der höchſten Gattung, die ebenjo in Wirklichkeit 
die höchfte ift, über die es jedoch noch eine Fleinere oder größere geben 
könnte, kommen, ohne Progrefftion ins Unendliche, fo daß wir, wir mögen 
num nach Dben oder nad Unten zählen, mit der abioluten Einheit, die 
Gott ift, ald dem Princip aller Dinge den Anfang machen. Die Arten 
find dann gleichfam die bei dem Fortfchritt von dem SKleinften (das das 
Größte ift), oder von dem Größten, dem fein Kleinftes entgegenfteht, 
und entgegentretenden Zahlen, jo daß nichts im Univerfum ift, das 
ih nicht eines gewiffen fingulären Seins erfreuete, das fi 
in feinem andern Wefen findet. Kein Wefen vereinigt Alles in 
Allem, keines das Entgegengefepte auf eine gleiche Weife, feines kann mit 
irgend einem andern zu irgend einer Zeit ganz gleich fein, wenn es auch 
m einer Zeit weniger, zu einer andern Zeit mehr als das andere fit. 
Diefen Uebergang macht es in einer gewiffen Singularität des Seins, 
ohne je Die präcife Gleichheit zu erreihen. So geht ein in einen Kreis 
beihriebenes Viereck zur Größe eined um den Kreis befchriebenen über: 
aus dem Viereck, das weniger als ein Kreis ift, geht ed über zu dem 
Viereck, das größer als der Kreis ift, ohne jedoch je zur Gleichheit mit 
jenem zu gelangen. Der Einfallswinkel erhebt fih aus einem Winfel, 
der Heiner als eim rechter ift, zu einem folchen, der größer als ein rechter 
it, ohne die volle Gleichheit zu erreihen. Mehreres hierüber in dem 
Bude über die Muthmaßungen. Es fünnen nämlich die individuali- 
firenden Prineipien in feinem Individuum in derfelben harmoniſchen Pros 
portion, wie in einer andern zujammentreffen, jo daß jedes Wefen 
für fih eine Einheit, und in feiner Weife vollfommen 


76 


if. Wenn fi gleich in einer Art, 3. B. der Menfchenart, zu einer bes 
ftimmten Zeit Einige finden, die vollfommener und in gewiffer Hinficht 
hervorragender find, als Andere, wie Salomon Alle an Weisheit, Abfalon 
an Schönheit, Samfon an Stärfe übertroffen bat, und wenn die geiftig 
Hervorragenden von den Lebrigen geehrt wurden, fo fünnen wir doc, 
weil die Verſchiedenheit der Anfichten nah der Verſchiedenheit der Reli 
gionen, Secten und Gegenden verfchiedene Urtheile erzeugt, fo daß, was 
nach dem einen Geſichtspunkte Lob, nach einem andern Tadel erlangt, 
und weil und die auf der ganzen Welt zerftreuten Menſchen unbekannt 
find, nicht fagen, wer unter Allen der Vortrefflichſte ſei, da wir ja nict 
einmal Ginen aus Allen vollfommen zu erfennen im Stande find. Dies 
ift von Gott fo angeorbnet, auf daß Jeder in ſich felbft Genüge finde, 
wenn er gleih Andere bewundert, und auf daß ihm in feinem Heimath- 
lande fein Geburtsort viel ſchöner vorfomme, eben fo hinftchtlih der Lan; 
deögebräuce, Landesſprache ꝛc. So herrſcht Einheit und Friede ohne 
Mißgunft, fo weit Died nur immer möglich iſt; denn vollfommen herrict 
der Friede nur bei Denen, die mit dem herrfchen, der unfer alle Sinne 
überfteigender Friede ift. 


Zweites Kapitel. 
Das Größte, concret und abfolut zugleih, Schöpfer und Geſchöpf. 


Es ift hinlänglich gezeigt, daß das Univerfum nur in coneret Vielem 
befteht, das in Wirklihfeit von der Art if, daß Keines 
das fhlehthin Größte erreicht. 

Ich füge nun bei: wenn man fih das Größte concret in 
einer beftimmten Art (species) wirklich eriftirend denft, 
fo wäre es, entfprebend dem Charafter der gegebenen 
concreten Art, in Wirflihfeit Alles, was in der ganzen 
Möglihfeit jener Gattung oder Art liegt; denn das abfolnt 
Größte ift alles, was möglih ift, in abfoluter Wirklichkeit. Diejes 
Größte in conereter Erſcheinung einer Gattung oder Art iſt zugleich in 
Wirklichkeit die höchſtmögliche Vollkommenheit derfelben, 
entfprechend dem gegebenen Goncreten. Da es in dem Bereiche derfelben 
fein Größeres gibt, fo umfaßt fie unendlich die ganze Natur des gegebenen 
Concreten. Wie das abfolut Kleinfte mit dem abfolut Größten coincidirt, 
fo auch das coneret Kleinfte mit dem coneret Größten. Ein ganz deut 
liches Beiſpiel hievon ift die größte Linie, die feinen Gegenſatz zuläßt, jeder 
Figur glei, und das adäquatefte Maaß von allen ift, mit der der Punkt 
coineibirt, wie wir im erften Buche gezeigt haben. Wäre daher das con, 


77 


eret Größte ein Individuum irgend einer Art, fo müßte dieſes die Boll 
fommenbeit der ganzen Gattung oder Art fein, das Leben, das Princip, 
die Idee und Wahrheit in höchſter Vollendung von Allem, was biefe 
Art ald Möglichkeit in fich begreift. Diefed coneret Größte wäre über 
alle Natur der Eoncretheit hinaus deren Höhepunft (terminus finalis) 
und würde ihre ganze Vollkommenheit im ſich fallen. Jedem Gegebenen 
wäre ed, Über alle Proportion erhaben, vollflommen gleich, nicht größer, 
nicht Heiner, ald Jegliches; die Vollkommenheit von Allem würde es in 
ganzer Fülle in ſich faſſen. Hieraus erhellt, vaß das coneret Größte nicht 
als rein Concretes (pure contractum) gelten kann, nad) dem kurz vors 
bin Gezeigten, wornach fein Concretes innerhalb der Grenze der Gattung 
oder Art Die höchfte Vollfommenheit erreichen fann, aber auch als concret 
nicht Gott, der abfolut ift, fein fann. Es wäre fomit nothwendig das 
conerete Größte, das ift: Gott und Geſchöpf, abfolut und concret, 
in einer Concretheit, die nicht aus fih Beftand hätte, ruhete fie nicht 
inder abjoluten Größe. Denn es gibt, wie im erften Buche gezeigt 
it, nur Ein Größtes, dur weldes das Concrete — Größtes genannt 
werden fann. Wenn nun die größte Macht das Concrete fo mit fich 
einet, daß es, unbefchadet der beiverfeitigen Naturen, nicht noch mehr ges 
eint fein könnte, und daher das jo Geeinte mit Beibehaltung der Natur 
der Goneretheit die concrete und erſchaffene Bollfommenbeit 
einer beftimmten Art, in Folge der bypoftatifhen Einigung aber zus 
leid Gott und Alles ift, fo würde dieje wunderbare Cinigung all 
unjern Verſtand überfteigen. Denn denkt man fie ald eine Bereinigung 
von Entgegengeſetztem (quemadmodum diversa uniuntur), jo wäre dies 
ein Itrthum; denn das abfolut Größte ift fein Anderes oder Verſchiedenes, 
da ed Alles ift. Denkt man fie ald Zwei, die vorher getreunt, jegt vers 
bunden (eonjuneta) find, — gefehlt! Denn in der Gottheit ift Fein Vor: 
ber und Nachher, auch ift fie nicht Diefes mehr ald Jenes. Das Gon- 
tete fonnte auch nicht vor der Vereinigung Dieſes oder Jenes fein, denn 
is iſt eine in fich beftehende individuelle Perfönlichfeit. Jene Vereinigung 
if endlich auch wicht die Verbindung von Theilen zu einem Ganzen, da 
Gott fein Theil jein kann. Wer follte daher diefe wunderbare Vereini⸗ 
gung begreifen, die auch nicht wie die Verbindung der Form mit der 
Materie ift, da Gott als abfolut ſich mit der Materie nicht vermengen 
lann! Sie ift daher erhabener als alle denkbaren Vereinigungen. Das 
Gonerete beftcht bier, da es das Größte ift, nur in dem abjolut Größs 
in, ohne diefem einen Zuwachs zu geben, da es das abjolut Größte ift, 
ohne in deſſen Natur überzugehen, da es coneret iſt. Das Goncrete 
iuhete (subsisteret) demnach in dem Abfoluten in der Weife, daß, wenn 
wir ed und als Gott vorftellten, dies irrig wäre, da das Concrete feine 


78 


Natur nicht aufgibt; dächten wir ed ald diefe Natur (si ipsam esse 
imaginaremur), fo. irrten wir, da das abjolut Größte, Gott, Diefer Natur 
nicht bedarf. Nehmen wir es ald aus Beiden zufammengefegt, fo täu- 
fhen wir und, da eine Zufammenfegung aus Gott und Geſchöpf, con 
eretem und abjolut Größten, unmöglih if. Man muß fih daher jenes 
conceret Größte jo ald Gott denfen, daß es dabei zugleich 
Geſchöpf ift, fo ale Gefhöpf, daß es zugleih der Schöpfer 
ift, Schöpfer und Gefhöpf ohne Bermifhung und Zujammen 
jegung. Wer mag ſich jo weit hinauf erheben, daß er in der Einheit 
die Verſchiedenheit (diversitatem) und in der Verfchiedenheit die Einheit 
begreift! Dieje Vereinigung überfteigt alfo alle unfere Begriffe. 


Drittes Kapitel, 
Nur in der Natur der Menjchheit iſt diefes coneret Größte möglich (possibilius). 


Es wird ſich nun leicht unterfuchen laffen, welcher Natur das concret 
Größte angehören müffe (cujus naturae contractum maximum esse debe- 
ret). Da nämlich dafjelbe nothwendig Eines ift, wie das abfolut Größte 
die abfolute Einheit ift, und es dabei coneret Diejes oder Jenes ift, fo 
ift für's Erfte zu erwägen, daß es die Ordnung mit fich bringt, daß einige 
Dinge im Berhältnig zu andern von niederer Natur find, wie alle bie, 
welche fein Leben und geiftige Thätigkeit haben, andere höherer Natur, 
wie 3. B. die rein geiftigen Naturen (intelligentiae), ) wieder andere 
die Mitte von beiden einnehmen. Wenn nun das abfolut Größte das 
Sein von Allem in der univerfellften Weife ift, nicht mehr das Sein 
des Einen, als des Andern, fo ift Har, daß jenes Sein mit dem 
Größten fih eher vereinen läßt, weldes die größere Ber 
wandtfchaft mit der Gefammtheit alles Seienden hat (elarum 
est, hoc ens magis maximo sociabile, quod magis universitati entium 
est commune). Betrachten wir die Natur der niedern Dinge und denfen 
wir und eines derfelben zur abfoluten Größe erhoben, fo wird es Gott 
und zugleich es felbft fein, wie man an der größten Linie ſteht. Da fie 
unendlich und die größte ift, jo wird nothwendig jede Linie, mit weldyer 
ſich die größte vereint, Gott fein durch die abjolute Größe, während fie 
vermöge ihrer Goncretheit Linie bleibt; fie wird demnach Alles in Wirk 
fichfeit fein, was aus einer Linie werden fan. Allein die Linie fchlieht 
Leben und Geiſt nicht in fih, wie Tann daher die Linie zur höchſten 

4) Unter den „Iutelligenzen“ (analog zu nehmen mit dem im Deutfchen eingebür 


gerien Worte; Excellenzen) verficht Cuſa die Engel. Excit. VIIL, 603, de ludo Globi II, 
©. 228. 


79 


Größe erhoben werden, wenn fie die Fülle der Naturen nicht erreicht? 
Cie wäre ') das Größte, dad nod größer fein fönnte und würde ber 
Volfommenheit ermangeln. Das Gleiche gilt von der oberften Natur, 
die die umtere nicht in fich faßt, außer in dem Sinne, daß höhere und 
niedere Natur mehr gegenfeitige Annäherung als Trennung zulaffen. Dem 
Größten aber, mit dem das Kleinfte coinchdirt, wird es fich geziemen, fo 
das Eine zu umfaffen, daß es das Andere nicht ausfchließt, fondern Alles 
zumal in fih faßt. Es ift daher die mittlere Natur, das Verbins 
dungöglied der niedern und höhern, allein diejenige, welde zur Er- 
bebung zum Größten durd die Macht des unendlich größten 
Gottes am beften fich eignet (quapropter natura media, quae est 
medium connexionis inferioris et superioris, est solum illa, quae ad 
maximum convenienter elevabilis est potentia maximi infiniti Dei). 
Denn da fie ald die höchfte der niedern und die niederfte der höhern 
Natur ale Naturen in fi faßt, fo ift flar, daß, wenn fie nad ihrem 
ganzen Weſen (secundum omnia sui) fih zur Einigung mit dem Größten 
erhebt, alle Naturen, ja das ganze Univerfum auf jede mögliche Weife 
in ihr zum böcften Grade (ihrer Vollkommenheit) gelangen. Die 
menſchliche Natur ift die Krone der Schöpfung (humana natura est 
illa, quae est supra omnia Dei opera elevata), nur wenig unter die Engel 
gelegt, die Vereinigung der geiftigen und finnlihen Natur; fie faßt die 
ganze Welt in ſich (universa intra se constringens), weßhalb fie von den 
Alten mit Recht mnporsouog oder Welt im Kleinen genannt wird. 
Sie it es daher, die, zur Einigung mit dem Größten erhoben, die Fülle 
aller Bollfommenheiten des Univerfumd und alles Ginzelnen darftellen 
würde, fo, daß in der Menfchheit Alles zu feiner höchſten Stufe gelangte. 
Nun eriftirt aber die Menfchheit nur concret in Diefem oder Jenem. Da 
es num nicht möglich tft, daß mehr als Ein wirklicher Menſch fich zur 
Einigung mit dem Größten erheben kann, fo wäre diefer in der Art 
Menfh, daß er zugleich Gott ift, und in der Art Gott, daß er zugleich 
Menſch ift, die Vollendung des Univerfums, der Primat von Allem (in 
omnibus primatum tenens). Kleinftes, Größtes und Mittleres, der Natur 
des abjolut Größten geeinet, würde in ihm fo coinciviren, daß er die 
Vollfommenheit (perfectio) von Allem wäre und alles Goncrete ?) in ihm 
als in feiner Volllommenheit zur Ruhe gelangte. Er wäre das (abſolute) 
Maaß für Menfchen und Engel (wie Johannes in der Apocalypfe fagt) 
wie für alles Einzelne, weil er durch die Vereinigung mit dem abfoluten 
Sein, das das abfolute Sein von Allem ift, das concret univerfelle Sein 





1) Statt esse im Terte ift offenbar zu lefen: esset. 
2) Statt cuncta contracta sunt im Texte muß ed heißen: cuncta, quas con- 
tracta, sunt. 


80 


aller einzelnen Ereaturen (universalis contraeta entitas singularum crea- 
turarum) wäre. Alles erhielte dur ihn den Anfang und das Ende bed 
conereten Seins; durch ihn, der das concret Größte aus (a) dem abfolut 
Größten if, ginge Alles ind concrete Sein über, durch feine Vermittlung 
kehrte es ind Abfolute zurüd; er wäre der Anfang (principium) der Emas 
nation und das Ziel der Nüdfehr in Gott. Gott aber ift ald die Gleich— 
heit alled Seins der Schöpfer des Univerfums, da diefes für ihn (ad 
ipsum) erjhaffen ift. Die höchſte und größte abfolute Gleichheit 
alles Seins ift ed demnach, mit der die menfhlidhe Natur ge 
einigt wird, fo daß Gott durd Annahme der menſchlichen Natur in 
ver Sphäre der Menſchheit Alles in conereter Weife ebenfo ift, wie er 
in abfoluter Weife die Gleichheit alled Seins iſt. Da nun jener Menſch 
dur die Einigung in der größten Gleichheit des Seins beharrete (cum 
in ipsa maxima aequalitate essendi per unionem subsisteret), jo wäre 
er ver Sohn Gottes oder das Wort, durch das Alles gemadt 
ift, oder die Gleichheit des Seins felbft, die, nad dem früher 
Gezeigten, Sohn Gottes genannt wird, ohne jedoch aufzuhören, Menſchen— 
fohn zu fein, wie er auch nicht aufhören würde, Menfch zu fein. Da Gott, 
dem Beiten und Bollfommenften, das nicht widerftreitet, was ohne Wechſel, 
Shwähung oder Verminderung feined Weſens durch ihn gefchehen Fann, 
vielmehr feiner unermeßlichen Güte ganz entipricht, wie denn Alles auf 
das Beſte und Vollkommenſte in fhöner Ordnung von ihm und für ihn 
erſchaffen ift, fo kann, da ohne die oben erwähnte Einigung (semota hac 
via) Alles zu höherer Vollkommenheit nicht ') gelangen fann, Niemand, 
der nicht Gott oder deflen höchſte Güte läugnen will, der obigen Aus— 
führung vernünftiger Weife entgegentreten. Denn alle Mißgunft ift weit 
entfernt von Dem, der die höchſte Güte ift und deffen Wirfen 
nicht mangelhaft fein kann, fondern, wie er das Größte ift, 
jo aud fein Werf jo viel ald möglih dem Größten nähern 
will. Es hat nämlich die größte Macht ihre Grenze nur in fidh felbft, 
weil außer ihr nichts und fie unendlih ift. In keinem Geſchöpfe findet 
fie fomit eine Grenze, daß ſie nicht im Verhältniß zu irgend einem ge 
gebenen Gefchöpfe ein beflered und vollfommeneres erſchaffen könnte. Wird 
nun ein Menſch zur Vereinigung mit der Allmacht ſelbſt erhoben, jo daß 
dieſer Menſch nicht mehr ein in ſich, fondern in der Einheit mit ber 


1) Unter den Worten: hac via fann nichts Anderes verflanden werben, als bie 
ganze oben entwicelte Idee des Gottmenfchen, durch den Alles zur höchſtmoͤglichen Voll: 
fommenheit gelangt. Es geben daher die Worte: cum semota hac via omnia per- 
fectiora esse possent feinen Sinn, wenn nicht vor possent ein non gefeßt wird: ohne 
den Gottmenſchen ift dem geichöpflichen Sein das Gelangen zur hödhften Bolltommen: 
heit nicht möglich. 


81 


unendlihen Macht beftehendes Geſchöpf iſt, fo ift bier die Allmacht nicht 
durch das Geſchöpf, fondern nur durch fich jelbft beichränft. Es ift dies 
die vollfommenfte Thätigfeit (perfectissima operatio) der unend— 
liben und unbegrenzbaren Allmacht Gottes, in der fein Mangel 
kein fann fonft wäre wederder Schöpfer, noch das Geſchöpf. 
Denn wie fönnte das Gefchöpf in concreter Weiſe fein aus dem abjoluten 
göttlihen Sein, wenn die Goneretheit felbft feine WVereinigung mit Lep- 
terem zuließe (Quomodo enim creatura esset contracte ab esse divino 
absoluto, si ipsa contractio ipsi unibilis non esset)? die Goncretheit, 
durch welche alle Dinge, fofern fie aus dem Abfoluten find, concret 
eriftiren, und fofern fie coneret find, aus dem Abfoluten find. Mit diefem 
Abfoluten nun iſt die Goncretheit ſelbſt auf das Innigfte geeinet. So 
it denn in erfter Linte Gott der Schöpfer, in zweiter Gott und 
der Menſch, deſſen erfchaffene Menſchheit im höchften Grade zur Einheit 
mit ih von Gott angenommen ift (creata humanitate supreme in uni- 
tatem sui assumta), gleichfan als die univerfelle Goncretheit aller Dinge, 
mit der Gleichheit alles Seins hypoſtatiſth und perfönlich geeint, fo daß 
durh den abjoluten Gott durd Vermittlung der univerfellen Eoncretheit — 
die Menſchheit — in dritter Linie Alles ins concrete Sein hervorgeht, 
auf daß alle Dinge auf diefem Wege, was fie find, in der beften Ord⸗ 
nung und Weile fein können. Dieſe Reihenfolge darf aber nicht zeitlich 
gefaßt werden, ald wäre Gott der Zeit nah vor dem Erftgebornen der 
Schöpfung, oder der erftgeborne „Bott und Menſch“ ver Zeit nach vor 
der Welt gewejen, fondern es bezeichnet jene Reihenfolge die über alle 
Zeit erhabene Natur und Ordnung der Bollfommenheit, fo daß ver bei 
Bott vor aller Zeit und allen Dingen Eriftirende in der Fülle der Zeit 
nah vielen Zeitumläufen der Welt erichienen ift. 


Biertes Rapitel. 
Das concret Größte ift Jeſus, der Gottmenſch. 


Nachdem wir nun durch diefe Vernunftgründe in zweifellofem Glauben 
dahin gelangt find, daß wir ohne Anftand das Geſagte ald ausgemachte 
Wahrheit fefthalten, fo fahren wir weiter und fagen: die Fülle der Zeit 
ift vorüber und Jeſus, der gepriefen fei in Ewigfeit, ift der Erſtge— 
borne der ganzen Schöpfung. Theild aus dem, was er ald Menſch 
in übermenfchlicher, göttlicher Weife vollbracht hat, theild aus feinen Aus- 
jagen von fich feldft, ver in Allem wahrhaftig erfunden worden, theild aus 
den mit Hingabe des eigenen Lebens befräftigten Zeugniffen feiner vers 
trauten Freunde behaupten wir mit unerfchütterlicher, durch BAR Bes 

Sharpff, Nie, v. Cuſa. 


82 


weiſe längft feftftehender Gewißheit, Er fei der, den die ganze Schöpfung, 
ald in der Zeit erfcheinend von Anfang an erwartet, der fein Erfcheinen 
in der Welt dur die Propheten vorhergefagt hat. Er kam, um Alles 
zu erfüllen. Allen gab er wieder gefundes Leben, alle verborgenen 
Tiefen und Geheimniffe der Weisheit fhloß er auf, wie Einer, der Macht 
hat über Alles. Sünden vergab er wie Gott, er erwedte Todte, verwandelte 
die Natur, gebot den böfen Geiftern, dem Meere und den Winden, ſchritt 
auf dem Waſſer dahin und gab ein Gefeg, das die Ergänzung aller Ge 
jege zu ihrer Vollfommenheit bildet. Nach dem Zeugnifje jenes ganz aus- 
gezeichneten Verfünderd der Wahrheit, des heiligen Paulus, der in einer 
Entzüdung die Erleuchtung von Dben erhielt, haben wir in Jeſus die 
Bollendung von Allem (perfectionem omnium), die Erlöfung 
und Bergebung der Sünden. Er ift das Abbild des unfichtbaren 
Gottes, der Erfigeborne der ganzen Schöpfung; denn in ihm ift Alles 
erihaffen, im Himmel und auf Erden, Sichtbares und Unfichtbares, Thronen, 
Herrihaften, Bürftenthümer und Gewalten. Alles ift vurd ihn und 
in ihm erfhaffen, er ift vor Allem und Alles befteht in ihm. Cr 
ift dad Haupt ded Körpers der Kirche; denn er ift der Anfang felbit, 
der Erftling aus den Todten, jo daß er in Allem den Primat einnimmt; 
denn dem Vater gefiel es, daß in ihm die ganze Fülle wohne und Alles 
durch ihn mit dem Vater verföhnt werde. Diefe und viele andern Zeugniſſe 
der Heiligen bejtätigen «8, daß er Gott und Menſch ift; die Menſch— 
heit ift in ihm durch das Wort mit der Gottheit geeint, jo daß er nicht 
in fi, fondern in dem Worte fein Beftehen bat, dieweil die Menfchheit 
auf ihrer höchften Stufe und in ihrer ganzen Fülle nicht anders, als in 
der göttlihen Perfon des Sohnes beftehen fonnte. 

Um nun über unjern Berftand hinaus, gleihfam in gelehrtem Nicht: 
wiffen die Perſon zu verftehen, die den Menfchen mit fi geeinigt bat, 
jo wollen wir für unfer Verſtändniß einen höhern Standpunft einnehmen 
und auf den Sag zurüdgehen, den wir früher beiprochen haben, daß 
nämlich Gott durch Alles in Allem und Alles durch Alles in Gott ift. 
Da diefe Säge copulativ zu verftehen find und Gott infofern in Allem 
ift, als Alles in Gott, und da das göttlibe Sein felbft die höchſte 
Gleichheit und Einfachheit ift, fo ift Gott, fofern er in Allem ift, nicht 
graduell in Allem, ald ob er fich ftufens und theilweiſe mittheilte. Das 
AU kann aber ohne grabuelle Unterfchiede nicht fein. Es ift daher 
mit gradueller Berfchlevdenheit in Got. Da nun Gott infofern in 
Allem ift, ala Alles in ihm, fo erhellt, daß Gott ohne Beränderung 
feines Weſens in der Gleichheit des Seins Alles ift in der 
Einheit mit der größten Menfchheit Jefu Denn der größte 
Menih kann in ihm micht anders als in der größten Weile (maxime) 


83 


kein. So find denn in Jeſus, der Gleichheit alles Seins, als In 
dem göttlihen Sohne, der die mittlere göttliche Perfon if, der ewige 
Vater und der heilige Geift, und Alles ift in ihm als in 
dem Worte, jede Greatur iſt in der höchften und vollfommenften Menfchs 
beit, welche univerfell Alles, was erfchaffen werben fann, (omnia creabilia) 
in fih faßt, fo daß Jefus die ganze Fülle ift, die in ihm 
wohnt Wir können uns dies einigermaaßen durch folgende Vergleihung 
veranſchaulichen. Die Sinnenerfenntniß ift ein befchränftes (contracta) 
Erkennen, weil der Einn nur Einzelne erfaßt. Die BVBernunfterfenntniß 
it univerfell, weßhalb fie im Vergleich zur Sinnenerfenntniß abfolut ift 
und frei von der Beichränftheit auf das Einzelne. Die Sinnenthätigfeit 
(sensatio) erfcheint nun im verfchiedenen Graden, wodurch, je nad den 
edleren und vollfommeneren Graden, verfchicdene Arten von Thieren ents 
fehen. Wiewohl nun die Sinnenthätigfeit fib nah dem oben Gezeigten 
niht auf den ſchlechthin höcften Grad erhebt, fo tritt fie doch in jener 
Art, welhe in der Gattung der thierifhen Wefen die wirklich höchſte ift, 
alſo in der menschlichen, als ein lebendiges Weſen auf, das infofern les 
bendes Weſen ift, daß es zugleich Geift ift (denn der Menfch ift als Geift 
Selbftbemußtfein — homo enim suus est intellectus), fo daß hier die 
conerete Sinnlichkeit gewiffermaaßen in der geiftigen Natur hppoſtatiſch 
rubt (suppositatur), indem die geiftige Natur ein gewiſſes göttliches, 
abgefondertes, abftractes Sein ift, während die Sinnlichfeit ihrer Natur 
nad zeitlich und zerftörli bleibt. Nach diefer obwohl entfernten Ver— 
gleihung müfjfen wir Jeſus auffaffen. Die Menjchheit ruht in ihm hypo⸗ 
katifch in der Gottheit, weil fie anders nicht in ihrer ganzen Fülle die 
größte fein könnte. Da nämlich die Vernunft Jeſu Cintellectus Jesu) 
die vollfommenfte und ganz und gar actuell ift, jo kann fie mur in ber 
göttliben Vernunft, die allein Alles in Wirklichkeit ift, perfönlih ruhen 
(suppositari). Die Vernunft ift nämlih in allen Menfhen der Mög—⸗ 
ifeit nach Alles, fie geht ftufenweile von der Möglichkeit in die Wirk— 
Ifeit über. Da nun die größte Vernunft der Höhepunft (terminus) 
der Macht der ganzen vernünftigen Natur ift, in vollftändiger Aetivität, 
jo fann fie Died nur fein, wenn fie infofern Vernunft ift, als 
fie zugleich Gott ift, der Alles in Allem if. Die menſchliche Natur 
ſei das in einem Kreis befchriebene Polygon, der Kreis die göttliche Natur. 
Soll mın das Polygon das größtmöglichfte fein, fo dürfte es nicht im 
beftimmten Winkeln für fich beftehen, fondern in der Kreisform, fo, daß 
td feine befondere Geftalt feines Beftehens hätte, die von der ewigen 
heiförmigen Geftalt losgelöst werben könnte. Die höchſte Vollendung 
der menschlichen Natur zeigt fih im ihrem Subftantiellen und Weſentlichen, 
aljo in der Vernunft, der alles Körperliche dienen muß. Der volltom- 
6° 


84 


menfte Menſch braucht alfo nicht im Aecidentiellen hervorzuragen, außer 
fo weit fi dieſes auf die Vernunft bezieht. Es ift nicht erforberlid, 
daß er ein Rieſe oder uralt oder von diefer oder jener Größe, Farbe, 
Geftalt ac. fei. Nur das wird erfordert, daß fein Körper die Ertreme 
vermeide, um ein ganz tauglihes Werkzeug der Vernunft zu fein, der er 
ohne Widerfeglichkeit oder Ermattung gehorchen und Folge leiften muß. 
Bon unferem Jeſus, in dem alle Schäge ver Wiffenfchaft und Weisheit, 
auch fo lange er ald das Licht in der Finfterniß auf diefer Welt wan- 
delte, verborgen waren, nimmt man zufolge der Ueberlieferung der heiligen 
Zeugen feined Lebens an, er habe einen dem Zwede der eminenteften 
Vernünftigfeit ganz entfprechenden, vollfommenen Körper gehabt. 


Fünftes Kapitel, 
Chriſtus, empfangen von dem hi. Beifte, ift geboren aus Maria der Jungfrau. 


Weiterhin ift zu erwägen, daß die volllommenfte, nad Oben geeinte 
Menfhheit, da fie im Conereten der Höhepunft der Vollfommenheit if, 
die Natur der (menſchlichen) Art nicht ganz ablegt. Nun wird aber 
Gleiches von Gleihem erzeugt, das Erzeugte geht nah dem Naturgefehe 
aus dem Erzeuger hervor. Hat aber der Grenz» und Höhepunft Feine 
Schranfe (terminus autem cum careat termino), fo fehlt auh die Br- 
grenzung und Proportion. Daher fann der größte Menſch nicht auf dem 
natürlichen Wege erzeugt werden. Auf der andern Seite fann er aber aud 
nicht des Anfangs ald Gattungsweien ganz entbehren, da er die höchſte 
Vollkommenheit der Gattung ift. Einerfeits alfo tritt er ald Menſch nad 
dem Geſetze der menjchlihen Natur in die Welt, andererjeits ift, weil er 
das Höchſte im Anfange (altissimum prineipiatum), ganz unmittelbar mit 
dem Anfang geeint ift Cimmediatissime principio unitur), diefer Anfang 
jelbft das Schaffende oder Zeugende, der Vater. Der menſchliche Anfang 
ift paffiver Natur, er gibt die empfänglihe Materie; daher die Ab- 
ffammung von einer Mutter, ohne männlihen Samen. Alt 
Thätigfeit aber geht aus einem Geift und einer Liebe hervor, die das 
Active mit dem Baffiven vereint, wie früher gezeigt wurde. Die größte 
Thätigfeit daher, über allem Gefege der Natur, durch welde der 
Schöpfer mitdem Geſchöpfe geeint wird, muß aus der größten 
einigenden Liebe, fomit aus dem bl. Geifte, der die abfolute Liebe 
ift, hervorgehen. Dur ihn allein fonnte die Mutter den Sohn Gotted, 
ded Vaters ohne Hülfe einer wirfenden Kraft aus dem Bereiche der 
Gattung empfangen; fo daß Gott der Vater, gleihwie er Alles durch 
feinen Geift geftaltet hat (formavit), was nicht aus fhon Gegebenem durd 


85 


ihn in’® Dafein hervorgetreten ift, jo in noch höherem Grade) mittelft 
eben dieſes heiligen Geiftes wirkte, als er feine vollfommenfte Thätigfeit 
entfaltere. Eine Vergleichung möge unferer Unwifjenheit zu Hülfe fommen. 
Wenn ein ausgezeichneter Lehrer fein geiftiges Wort, feinen Gedanken 
den Schülern mittheilen will, auf daß fie durd Darlegung der Wahrheit 
geiftige Nahrung erlangen, fo forgt er dafür, daß der Gedanfe feines 
Geifted zu einem Laute werde (vocem induat), weil er anders nicht mit- 
theilbar iſt. Dies ift aber anders nicht ausführbar, ald durch den nas 
türlihen Hauch (spiritus) des Lehrers, der durch Benügung der Luft einen 
Laut bildet, welcher feinem geiftigen Worte (Gedanken) entſpricht. Mit 
diefem Laute vereinigt er diefed Wort, fo daß der Laut in dem Worte 
kin Beftehen hat, und die Zuhörer mittelft des Lautes das Wort erfaflen. 
Diefe obwohl ganz entfernte Aehnlichkeit mag uns ein wenig in unferer 
detrachtung behülflich fein. Indem der ewige Vater voll unendlicher Güte 
und die Schäge feiner Herrlichkeit zu aller Fülle der Wiſſenſchaft und 
Weisheit eröffnen wollte, hüllte er das ewige Wort, feinen Sohn, der 
die Fülle von Allem ift, aus Mitleid mit unferer Schwachheit, weil wir 
es anderd als in finnlicher und uns ähnlicher Form nicht erfaffen Fonnten, 
um dafjelbe nach dem Maaße unferer Empfänglichkeit zu offenbaren, in bie 
menfhlihe Natur, durch den bi. Geift, der gleihen Wefend mit ihm 
it. Und wie der Hauch aus der am ſich gezogenen Luft die Stimme, fo 
bat der bi. Geift aus der reinen Fruchtbarkeit des jungfräulichen Blutes 
den Leib Jeſu gebildet (contexuit), auf daß der Menſch das Wort Gottes 
des Vaters wäre, und hat diefen Leib innerlich fo fehr mit fich geeinet, 
dab er das Eentrum der Subftanz der menſchlichen Natur wurde. Alles 
dies iſt micht im zeitlicher Reihenfolge, wie bei der menſchlichen Empfäng- 
niß, fondern in einer momentanen überzeitlihen Wirkſamkeit, durch den 
der unendlichen Allmacht conformen Willen vollzogen worden. 

Niemand wird zweifeln, daß die tugendreihe Mutter, welde 
die Materie (für die Menfchwerdung des ewigen Wortes) darbot, alle 
Jungfrauen durd die höchſte Tugend und Bollfommenheit 
übertroffen habe und unter allen fruchtbaren Weibern die ge- 
jegnetfte gewefen. Sie, die zu einer fo ausgezeichneten, ja einzigen 
Iungfräulichen Geburt vorherbeftimmt war, mußte nothwendig von Allem 
frei fein, was der Reinheit oder lebengfräftigen Einheit einer fo ausge— 
rihneten Geburt im Wege ftehen konnte. Wäre die Auserwählte nicht 
Jungfrau gewefen, wie hätte fie fih zu jungfräulihem Gebähren ohne 
Juthun eines Mannes geeignet? War fie nicht ganz heilig und reich 
gefegnet von Gott, wie hätte fie das heilige Gefäß (sacrarium) des 


1) prineipalibus im Terte gibt feinen Sinn ; e8 muß wohl heißen: principalius, 


86 


bl. Geiftes, in welchem dieſer für den Sohn Gottes den Leib bildet, 
werben Fönnen? Blieb fieniht nad der Geburt Jungfrau, fo hätt 
fie nicht für jene ganz einzige Geburt den Mittelpunkt der mütterlihen 
Fruchtbarkeit in deren höchſten Vollfommenheit verwendet, fondern ihre 
Thätigkeit wäre getheilt und geſchwächt gewefen, wie es fich für einen 
folden, einzigen und höchſten Sohm nicht gegiemte. Hat aljo die heilige 
Jungfrau fih ganz Gott hingegeben, dem. fie in der Wirkſamkeit des hi. 
Geifted auch die ganze Natur der Fruchtbarkeit mitgetheilt hat, fo ift in 
ihr die unbefledte Jungfräulichfeit vor, bei und nad der Ge— 
burt, ganz über das Geſetz des gewöhnlichen Gebährens hinaus unver 
fehrt geblieben. Somit ift der Gottmenſch Jeſus Ehriftus aus dem 
ervigen Vater und einer zeitlichen Mutter, der glorreihen Jungfrau Maria, 
geboren: aus dem größten Vater von abfoluter Fülle, aus eine 
Mutter in der Fülle jungfräulicher, reichgefegneter Fruchtbarkeit, — in 
der Fülle der Zeit. Der Menſch fonnte nämlich aus der jungfräulicen 
Mutter nur zeitlich, aus Gott dem Vater nur ewig hervorgehen; aber die 
zeitlihe Geburt erforderte binfichtlih der Zeit die Fülle der Wollendung, 
wie in der Mutter die Fülle der Fruchtbarkeit. Als daher die Fülle der 
Zeit fam, wurde er in der geeignetften Zeit und Raum, der jedoch allen 
Gefchöpfen ganz verborgen blieb, geboren. Denn die höchfte Fülle ver 
trägt fih nicht mit den fonftigen Ereignifjen ded Tages. Daher fein 
Zeihen, an dem irgend welcher Verftand jene Fülle der Zeit hätte wahr 
nehmen fönnen, obwohl durd eine ganz geheimnißvolle prophetiiche Ein 
gebung einige dunfle Andeutungen, verhüllt in menfchliche Bilder, über 
liefert waren, an denen die Verftändigen die Menſchwerdung des Wortd 
in der Fülle der Zeit hätten vorherjehen fünnen. Doc genau den Dit, 
die Zeit und Art und Weife hat nur der ewige Vater gewußt, der ı# 
anordnete, daß, während Alles in der Stille der Mitternacht ruhte, im 
Verlaufe der Naht der Sohn aus der Himmeldburg in den Leib der 
Jungfrau hinabftieg und zur feftgefegten geeigneten Zeit in Knechtsgeſtall 
fi) der Welt offenbarte. 


Sechstes Kapitel, 
Das Mofterium des Todes Jeſu Chriſti. 


Ih muß. mir eine furze Digreffion erlauben, um das Miüfterium 
ded Kreuzes deutlicher darzuftellen. 

Der Menfch befteht aus Sinn und Vernunft, zwiſchen welden fid 
der Berftand als Berbindungsglied befindet. Der Ordnung nad iſt der 
Sinn dem Verftande, diefer der Vernunft untergeordnet. Die Vernunft 


87 


iſt nicht zeitlih und weltlih, fondern hievon frei; ber Sinn tft mweltlich 
(de mundo), der Zeit und Beweguma unterworfen. Der Berftand ift der 
Horizont der Vernunft, dad Auge des Sinnes; in ihm coincivirt, was 
unter und über der Zeit iſt. Der Sinn tft unfähig für das Leberzeitliche 
und Geiftige. Das Thier verfteht nicht, was Gottes ift, da Gott ein 
Geift, ja mehr als ein Geift ift. Daher bewegt fih die Sinnenerfennt» 
niß in einer Finfterniß der Unfenntniß der ewigen Dinge; ihre Bewegung 
geht fleifchlih nah den fleifchliden Gelüften vermöge der Begierlichkeit, 
während fie vermöge der Zornmüthigfeit nicht im Stande ift, jene zurüds 
worängen. Der Berftand, der fein Uebergewicht durch die Theilnahme 
an der vernünftigen Natur gewinnt, bewahrt in fich einige Geſetze, durch 
die er die Teidenfchaftlihen Begierden regiert, leitet und auf das rechte 
Maaß zurücführt, auf daß der Menſch nicht das Sinnlihe fidy zum Ziele 
jege und fo der Sehnſucht nad dem Geiftigen und Vernünftigen verluftig 
gehe. Ein Hauptgefeg des Berftandes ift, nichts dem Andern zu thun, 
was man ſelbſt nicht wünſcht, das Ewige dem Zeitlichen, das Lautere und 
Heilige dem Bergänglihen und Unlautern vorzuziehen. Behülflih find 
biegu auch jene Gefege, die ald ein Erzeugniß des Berftandes von heili- 
gen Gefeggebern nah Berfchiedenheit von Drt und Zeit ald Heilmittel 
für den Berftand der Sünder gegeben wurden, Allein die Vernunft er 
fennt auf ihrem höheren Standpunfte, daß, wenn aud der Sinn fih in 
allen Stüden dem Berftande unterwirft und den ihm angebornen Affecten 
nicht huldigt, der Menſch gleihwohl aus fi das Ziel feines ver 
nünftigen und ewigen Sehnen nicht erreichen fann. Denn da 
der Menſch aus dem Samen Adams in fleifchlicher Luft gezeugt ift, fo 
dag das Thierifche dur die Fortpflanzung über das Geiftige das Ueber, 
gewicht hat, fo tft die menjhlihe Natur in ihrer Wurzel (in 
radice originis) in das fleifhlihe Begehren eingetauct (carnalibus 
deliciis immersa), in welchem jeder Menfh durch den Vater gezeugt ift, 
und er bleibt daher gänzlih unfähig, über das Zeitliche hinweg das 
Beiftige zu ergreifen. Wenn nun das Gewicht der fleifchlichen Gelüfte 
Verftand und Vernunft abwärts zieht, daß beide diefen Gelüften zuftimmen, 
ohne ihnen Widerftand zu leiften, fo ift Far, daß der folhergeftalt abwärts 
gefehrte Menich, von Gott abgewandt, des Genuſſes des höchſten 
Gutes, das für die Vernunft im Himmel und ewig if, vollftändig bes 
raubt ift. Herricht aber der Verftand über den Sinn, fo ift noch weiter 
erforderlich, daß auch die Vernunft über den Verſtand herriche, damit der 
Menſch über den Verftand hinaus in lebendigem Glauben (fide formata) an 
den Mittler ſich anfchließe, und fo durch Gott zur Glorie erhoben werden kann. 
Kein Menih war je im Stande, erhoben über fich felbft und feine Natur, 
die von Anfang an den Sünden der fleifchlihen Begierden unterworfen 


88 


ift, über die Wurzel feines Lebens zum Ewigen und Himmlifchen fich zu 
erheben. Nur der vom Himmel herabgeftiegen ift, Jeſus Chriſtus, ift 
Derjenige, der auch im eigener Kraft wieder hinaufgeftiegen; in ihm ift 
die menfhlide Natur nit aus dem Willen bes Fleifches, 
fondern aus Bott geboren und fand daher fein Hinderniß, mit Macht 
zu Gott dem Vater zurüczufehren. In Chriſtus ift daher die menſch— 
lihe Natur durd jene Einigung zur höchſten Macht erhoben 
und dem Gewichte der zeitlihen und befchwerenden Begierden entrifien. 
Ehriftus der Herr wollte num alle Sünden der menfchliben Natur, bie 
und zum Irdiſchen berabziehen, an feinem menfchlichen Leibe nicht um 
feinetwillen (da er feine Sünde begangen), fondern um unfertwillen gänzlich 
ertödten und durch das Ertödten wegſchaffen, auf daß alle Menfchen von 
gleicher Menfchheit mit ihm die volftändige Reinigung von ihren Sünden 
in ihm erlangten. Der freiwillige und fo unverfhuldete, fo 
ſchmähliche und graufame Kreuzestod ded Menfhen Chriſtus 
war für alle fleiſchlichen Begierden der menſchlichen Natur 
deren Tilgung, Genugthuung und Reinigung. Was nur immer 
nach Menſchenweiſe gegen die Liebe des Nächſten geſchehen kann, das 
iſt in der Fülle der Liebe von Chriſtus, indem er ſogar für ſeine 
Feinde ſich dem Tode hingab, wirklich vollbracht worden. Die Menſch— 
heit in Chriſto Jeſu hat demnach das Mangelhafte aller Menſchen ergänzt 
(omnes omnium hominum defecetus adimplevit). Denn da dieſe Menſch— 
heit die größte ift, fo umfaßt fie die ganze Potenz der Gattung und ift 
gegen jeden Menfchen die Gleichheit des Seins, fo daß Ehriftus mit 
einem jeden Menfchen weit inniger als der Bruder oder vertrautefte Freund 
verbunden if. Das bewirft das Vollmaaß (maximitas) der 
menfchliben Natur, daß Ehriftus in jedem Menſchen, der fid 
in lebendigem Glauben an ihn anfhließt, eben dieſer Menſch 
ift, in vollfommenfter Ginigung, unbefchadet der Selbftftändigfeit 
des Einzelnen (eujuslibet numero salvo). So bewahrheitet fih, was er 
felbft fagt: „Was ihr einem der Geringften aus den Meinigen thuet, 
das habt ihr mir gethan“, woraus umgekehrt folgt, daß, was Jeſus 
Ehriftus durch fein Leiden verdient bat, Die verdient haben, 
die Eines mit ihm find, wobei jedoch verſchiedene Grade des Ber: 
dienftes ftattfinden, nad dem Grade der Einigung eined Jeden mit ihm 
in einem von Liebe belebten Glauben (per fidem caritate formatam). 
In ihm find demnach die Gläubigen befchnitten, in ihm getauft, geftorben, 
durd die Auferftehung wiederbelebt, in ihm mit Gott geeint und verherr 
liht (glorificati). Unfere Rechtfertigung ift daher nicht au 
uns, fondern aus Chriſtus. Da er die ganze Fülle ift, jo erlangen 
wir in ihm Alles, wenn wir ihn haben. Und da wir ihn im diefem Leben 


89 


durch Tebendigen Glauben befigen, fo fünnen wir nicht anders als durch 
den Glauben gerechtfertigt werden, wie ich weiter unten ausführlicher 
jeigen werde. 

Das ift das unausfprechliche Geheimniß des Kreuzes und unferer 
Erlöfung. Durch dasſelbe zeigt uns Chriſtus (weit beffer ald durd das 
oben Berührte), daß wir Wahrheit, Gerechtigfeit, alle göttliche Tugenden 
dem zeitlichen Leben ald das Ewige dem Hinfältigen vorziehen follen, To 
wie daß der vollfommene Menſch fib durch höchſte Standhaftig- 
feit und Starfmuth, Liebe und Humanität auszeichnen joll, wie 
der Kreuzestod Ehrifti zeigt, daß in ihm, dem größten Menſchen, viele 
und alle andern Tugenden im größten Maafe vorhanden waren. Je mehr 
daher der Menſch in den unfterblichen Tugenden fortfchreitet, deſto ähn— 
liher wird er Chriftus. Das Kleinfte coincivirt dann mit dem Größten: 
die größte Erniedrigung mit der größten Erhöhung, der ſchmähliche Tod 
des Frommen mit dem Leben in der Glorie ıc., wie und das Alles Ehrifti 
eben, Leiden und Kreuzestod zeigen. | 


Siebentes Kapitel. 
Das Moyfterium der Auferftehung. 


Der dem Leiden und Tode unterworfene Menſch Chriftus konnte auf 
feinem andern Wege in die Herrlichkeit des Waters, der als das abjolute 
Leben die Unfterblichfeit ſelbſt ift, eingehen, ald wenn das Sterbliche die 
Unfterblichfeit anzog. Died war ohne den Tod nicht möglich; denn wie 
jollte das Sterbliche die Unfterblichfeit anziehen, außer wenn es der Sterb- 
lichkeit entfleidet wird? und wie follte dies gefchchen, außer wenn dem 
Tode der Tribut entrichtet wird? Daher fagt die Wahrheit felbft, dieje- 
nigen feien unverftändig und von langſamer Einficht, welche nicht einfehen, 
„daß Chriftus fterben und fo in feine Herrlichkeit eingehen mußte.“ Da 
wir nun vorhin gezeigt haben, Ehriftus fei für uns des graufamften Todes 
geftorben, fo müſſen wir folgerichtig fagen: weil die menfchlihe Natur 
nicht anders, als durch den Sieg über den Tod zum Tempel der Uns 
fterblichkeit hinaufgeführt werden fonnte, fo ftarb Ehriftus, damit die 
menſchliche Natur mit ihm zum ewigen Leben auferftehe und 
der thierifche fterblihe Körper ein geiftiger und unzerftörs 
liher werde. Er fonnte fein wahrer Menſch fein, wenn er nicht fterblich 
war, und er founte die fterblihe Natur nicht zur Unfterblichfeit führen, 
wenn nicht die Sterblichkeit dur den Tod entwaffnet war. Höre, wie 
ſchön uns die Wahrheit felbft hierüber belehrt, wenn fie fagt: „Wenn 
das Waizenkorn nicht in die Erde fällt und ftirbt, fo bleibt es allein; 


90 


ftirbt e8 aber, fo bringt es viele Frucht.” Wäre alfo Ehriftus immer 
fterblih geblieben, wenn er auch nie geftorben wäre, wie hätte er, ein 
fterblihber Menfh, der menſchlichen Natur die Unfterblichkeit gegeben ? 
MWäre er nie geftorben, fo wäre er eben allein, ohne zu fterben, fterblic 
geblieben. Er mußte alfo von der Möglihfeit des Sterbend 
durh den Tod befreit werden, wenn er viele Früchte bringen 
follte, auf daß er fo erhöhet Alles an fich ziehe, wenn feine Macht fid 
nicht bloß auf die Welt und vergängliche Erde, fondern aud auf ben 
unvergänglihen Himmel erftredte. Wir werden dies in unferer Unwiſſen⸗ 
heit einigermaaßen erfaffen, wenn wir das oft Gefagte ung vergegemwärtigen. 

Wir haben gezeigt, Jeſus, der größte Menfch, habe in fib, abge 
fondert von der Gottheit, Fein Beftehen, weil er der größte if. Deßhalb 
wird der gegenfeitige Austauſch der göttlichen und menſchlichen Prädicate 
(communicatio idiomatum) geftattet, fo daß das Menſchliche mit dem 
Göttlichen coincidirt, weil jene Menſchheit, ungertrennlich von der Gottheit, 
in Bolge der höchften Einigung, gleichſam durch die Gottheit angezogen 
und angenommen (quasi per divinitatem induta et assumta) abgefondert 
fein perfönlihes Sein und Beftehen hat. Nun ift ver Menſch aus Körper 
und Seele geeint; die Scheidung ift der Tod. Da nun der größte Mens 
in der göttlihen Perſon bypoftatiich ruht (suppositatur), fo fonnte auch 
nad der localen Scheidung unmöglich entweder die Seele oder der Leib 
im Moment des Todes von der göttlichen Perſon, ohne welde der größte 
Menſch nicht beftand, losgetrennt werden. Chriftus farb alfo micht in 
der Weiſe, als hätte feine PBerfon einen Mangel gehabt, fondern, abge 
jehen von der localen Scheidung, blieb er in Hinfiht auf das Een 
trum, in weldem feine Menſchheit rubte, mit der Gottheit 
bypoftatifch geeint. Nach der nievern Natur, welche ihrem Wefen 
nah eine Echeidung von Seele und Leib geftattet, ift diefe Scheidung 
zeitlich und räumlich erfolgt, fo daß in der Todesftunde Seele und Leib 
nicht mehr in bderjelben Zeit und in demfelben Raume zugleich waren. 
In Körper und Seele war eine Zerftörlichfeit nicht möglih, da fie mit 
der Ewigfeit geeint waren, allein die zeitlihe Geburt war dem Tode und 
der zeitlichen Scheidung unterworfen, fo daß, nachdem der Kreislauf von 
der Zufammenfegung zur Auflöfung vollendet und namentlich der Leib von 
aller zeitlichen Bewegung frei geworden war, das wahre Weſen ber 
Menſchheit (veritas humanitatis), das überzeitlich mit der Gott 
heit geeint unverfehrt geblieben, wie es diefed wahre Weſen er 
forderte, den wahren Leib mit der wahren Seele vereinte (veri- 
tatem corporis veritati animae adunaret), jo daß das Scattenbild der 
Wahrheit (Idee) des Menſchen entlaffen wurde (dimissa umbrosa ima- 
gine veritatis hominis) und der in der Zeit erſchienene wahre Menſch 


9 


frei von aller Einwirkung der Zeitlichfeit auferftand. Es ift alfo ein und 
verjelbe Jeſus, erhoben über alle zeitlihe Bewegung, um nicht mehr zu 
fterben, in Wirflichfeit auferftanden, durch eine Wiedervereinigung der Seele 
und des Leibe, Ohne diefe MWiedervereinigung wäre die unzerftörliche 
Wahrheit (Idee) der Menichheit nicht auf das Wahrfte, ohne Vermiſchung 
der Raturen, mit der göttlichen -Perfon bypoftatifch vereinigt geweſen. 
Unterftüge die Schwäche und Unwiffenheit des Geiftes durch das Beifpiel 
Ehrifti vom Waizenfom! Das Waizenforn wird als ein Einzelnes zer: 
fört, aber die fpecifiihe Wefenheit defielben bleibt unverfehrt, durch welce 
die Natur eine Menge von neuen Körnern auferwedt. Wäre nun das 
einzelne Waizenforn das größte und vollfommenfte feiner Art, und würde 
8 in dem beften und fruchtbarften Erdreiche erfterben, jo könnte ed nicht 
bloß hundert- und taufenfahe Frucht bringen, fondern fo viele, ald im 
Bereihe der ganzen Möglichkeit feiner Art enthalten if. Das ift der 
Sinn jenes Wortes der ewigen Wahrheit: „es bringt viele Brut“; denn 
das Viele ift eine zahllofe Endlichkeit. Verftehe es wohl! Die Menſch— 
beit Jeſu muß, fo gut fie ald concrete Erfcheinung des Menſchen Ehriftus 
aufgefaßt wird, ebenjo zugleich auch als vereint mit der Gottheit gedacht 
werden. In letzterer Hinficht ift fie abfolut (plurimum absoluta), fofern 
Ehriftus ald wahrer Menfch betrachtet wird, ift fie concret, fo daß er 
dur die Menichheit Menſch if. So iſt die Menfchheit Jeſu die Mitte 
milben dem rein Abfoluten und rein Concreten. Sie tft eben deßhalb 
nur relativ zerftörlich, fchlechthin aber unzerſtörlich (non fuit corruptibilis, 
oisi secundum quid, et simpliciter ineorruptibilis). Der Zeitlichfeit nach, 
auf die fie eingefchränft. war, war fie zerftörlich, als frei von der Zeit, 
über der Zeit, mit der Gottheit geeint, war fie ungerftörlihd. Die Wahr 
beit in ihrer zeitlichen Grfcheinung (veritas ut est temporaliter contracta) 
it Symbol und Abbild der überzeitlihen Wahrheit. So ift auch die zeit 
lie Erſcheinung des Körpers gleihfam das Scyattenbild ded wahren 
überzeitlichen Körpers, und die concerete Eeele das Schattenbild der von 
der Zeitlichfeit befreiten Seele. So lange diefe in der Zeit ift, wo fie 
ohne Bilder der Dinge (sine phantasmatibus) nichts auffaßt, erſcheint fie 
mehr ald Sein oder Berftand, ) denn ald Vernunft; ift fie aber über 
die Zeitlichfeit erhaben, fo ift die Vernunft (von diefen Bildern) frei und 
unabhaͤngig. Da nun die Menichheit Jeſu unauflöslih nad Oben in 


4) Der Tert bat: videtur enim potius sensns aut raro quam intellectus, was 
kinen Einn gibt. Schon der Gegenfag von intellectus deutet darauf hin, daß Gufa 
son den zwei übrigen, unter der Vernunft flehenden Grfenntnißfräften, bie im gewöhn: 
Ühen Leben der Menfchen vorherrfchend find, ſprechen will, und diefe find (vgl. furz 
vorher III. e. 6.) sensus und ratio. Statt raro muß alfo unftreitig ratio gelefen 
Werben, 


92 


ber göttlichen Ungerftörlichfeit wurzelte, fo konnte, nachdem der vergängliche 
zeitliche Lebenslauf vollendet war, die Löfung mur nach der Wurzel der 
Ungerftörlichkeit bin erfolgen. Daher ift Jeſus nach dem Ende des zeit 
lichen 2ebenslaufes, welches der Tod war, nah Entfernung von Allem, 
was ſich zeitlich der Wahrheit der menfchlichen Natur beigefellte, aufer« 
ftanden, nicht mit einem fchweren, zerftörlichen, unvollfommenen (umbrosa), 
leivensfähigen und mit den andern, der zeitlihen Zufammenfegung anfle 
benden Mängeln bebafteten Leibe, fondern in einem wahren, verherrlichten, 
leidensunfähigen, beweglichen und unfterblichen Leibe, wie es die Wahrheit, 
frei von zeitlichen Bedingungen, erforderte. Diefe Wiedervereinigung (von 
Seele und Leib) war durch die Wahrheit der bypoftatiihen Einigung der 
göttliben und menſchlichen Natur geboten. Es mußte alfo Ehriftus von 
den Todten auferftehen, wie er felbft fagte: „So mußte Ehriftus leiden 
und am dritten Tage von den Todten auferftehen.“ 


Achtes Kapitel. 
Ehriftus, der Erftling der Entfchlafenen, ift in den Himmel aufgefahren. 


Nah dem bisher Gezeigten ift nun leicht einzufehen, daß Ehriftus 
der Erftling der Geftorbenen ift (primogenitum ex mortuis esse); denn 
fein Mensch fonnte vor ihm auferftehen, weil die menjchlide Natur noch 
nicht in der Zeit zu ihrem Höhepunfte (ad maximum) gelangt, noch nicht 
mit der Ungerftörlichfeit und Unfterblichfeit, wie in Chriſtus, geeint war. 
Ale waren unfähig dazu, bis Der Fam, welcher fagte: „ich habe die Macht 
mein Leben Hinzugeben und es wieder zu nehmen.“ In Chriftus, dem 
Erftlinge der Entichlafenen, bat daher die menfchliche Natur die Unſterb— 
lichkeit angezogen. Nun gibt ed aber nur Eine untheilbare Menjchheit 
und nur Eine fpecifiiche Wefenheit aller Menfchen, durch welche alle ein- 
zelnen Menfchen unter fich der Zahl nad verfchiedene Weſen find, fo daß 
die Menfchheit Ehrifti und aller andern Menfchen die gleiche ift, unbe 
fhadet des numerifchen Unterfchieds der einzelnen Individuen. Hienach 
ift Mar, daß die Menjchheit aller Menfchen, die zeitlich vor oder nad) 
Ehriftus Tebten oder noch leben werben, in Ehriftus die Unfterblichkeit ans 
gezogen haben. Der Schluß ift alfo gültig: der Menſch Ehriftus ift auf 
erftanden, folglich werden nad dem ganzen Ablaufe der zeitlichen Zerftörs 
lichkeit alle Menſchen dur ihn auferftehen, um ewig ungerftörlih zu fein. 
Wiewohl jedoch die Menfchheit aller Menſchen Eine und Diefelbe ift, fo 
find doch die individualiſirenden Principien, welche die Menfchheit auf 
dieſes oder jenes Subject einfchränfen, mannigfach und verſchieden. Nur 
in Zefus Chriftus waren fie am vollfommenften und mächtigften, dem 


93 


Weſen der Menſchheit am nächften, die mit der Gottheit geeint war, in 
deren Kraft Jeſus im Stande war, mit eigener Kraft aufzuerftehen, eine 
Kraft, die ihm aus der Gottheit zufam. Eben deghalb heißt ed auch, 
Gott habe ihn von den Todten auferwedt, während er, va er Gott und 
Menſch war, durch eigene Kraft auferftanden ift. Chriftus, der nur nad) 
feiner Abftammung von einer Mutter zeitlich geboren ift, bat bei feiner 
Auferftehung nicht den ganzen Abfluß der Zeit abgewartet, weil die Zeit 
feine Geburt durchaus nicht erfaßt hat. 

Beachte ferner: die menfchliche Natur hat in Chriſtus die Unfterb- 
lipeit angezogen; daher werden wir zwar Alle, Gute wie Böfe, aufer— 
ftehen, aber nicht alle durch die Herrlichkeit (per gloriam), die und durch 
Ehriftus, den Sohn Gottes, zu Kindern Gottes (in filios adoptionis) um— 
geftaltet, verwandelt werden. Alle werden durch Chriftus aufer- 
ftehen, aber nicht Alle wie Chriſtus und durd Einigung mit ihm, 
jondern nur Jene, die ihm durd Glaube, Hoffnung und Liebe 
angebören. 

Hieraus fiehft du, wenn ich mich nicht täufhe, daß es Feine 
vollfommene, den Menfchen zum höchften und erfehnten Ziel des Frie- 
dend führende Religion gibt, die Chriſtus nit ald Mittler 
und Erlöfer, als Gott und Menfhen, ald den Weg, die 
Wahrheit und das Leben auffaßt. Wie wiverfinnig ift daher der 
Itrglaube der Saracenen, welche Chriftus für den größten und 
volllommenften Menſchen halten, geboren aus der Jungfrau, und glauben, 
daß er lebendig in den Himmel aufgefahren, aber feine Gottheit läugnen. 
Sie find fürwahr verblendet, weil fie Unmögliched behaupten. Nach dem 
Gefagten muß es für jeden vernünftigen Menſchen fonnenflar fein, daß 
fein Menſch der durchaus vollfommenfte und größte und übernatürlich 
aus einer Jungfrau geboren fein kann, der nicht zugleich Gott iſt. Die 
Saracenen find daher unverfländig, Feinde des Kreuzes, die deflen My— 
ferien nicht verftehen und darım auch die göttliche Frucht der Erlöfung 
nicht verfoften werden. Auch von dem Gefehe ihres Mahomed, das nichts 
als die Befriedigung finnlicher Luſt verheißt, die durch den Tod Ehrifti 
in uns ertödtet ift, dürfen fie nicht erwarten, wornach wir in Hoffnung 
auf den Befig unvergänglicher Herrlicfeit eifrig fireben. Mit den Sa— 
rasenen glauben auch die Zuden, der Meſſias fei der größte, vollfoms 
menfte, unfterblihe Menſch, läugnen aber gleichfalls feine Gottheit, von 
derfelben teuflifchen Blindheit gefhlagen. Auch fie werden die höchſte Se— 
ligfeit, Gott zu genießen, auf die fie nicht hoffen, auch nicht erlangen. 
Bas am Befremdendften ift, ift das, daß fowohl Juden ald Saracenen 
an eine einftige allgemeine Auferftehung glauben, aber die Möglichkeit ders 
ſelben durch einen Menſchen, der zugleich Gott if, nicht zulaffen. Wollte 


94 


man auch fagen, die Auferftehung fei ſchon darum nothwendig, weil fonft, 
wenn die Bewegung ded Entſtehens und der Zerftörung aufhört, das 
Univerfum nicht mehr feine VBollfommenbeit hätte, und da die menfchliche 
Natur ein weſentlicher Theil des Univerfums ift, das Univerfum ohne fie 
nicht nur nicht vollfommen, fondern überhaupt Fein Univerfum mehr fein 
würde, und daß, wenn einmal die Bewegung aufhört, entweder das 
ganze Univerfum zu Grunde gehen oder die Menfchen, deren Natur als 
die mittlere das Ganze in fich faßt, zur Ungerftörlichfeit auferftehen müffen 
(andere lebende Weſen brauchen nicht aufzuerftehen, da der Menfch die 
Vollfommenheit derfelben ift); oder wollte man auch die Auferftehung 
nur defhalb annehmen, damit der ganze Menih die ihm gebührende 
Vergeltung von dem gerechten Gott erhalte, fo ift doch zu allem Dem 
vor Allem der Glaube an Ehriftus als den Gottmenſchen nothwendig, 
durch welchen allein die menſchliche Natur zur Unvergänglichfeit gelangen 
fann. Blind find daher Alle, welhe an die Auferftehung glauben, aber 
Ehriftus, die Vermittlung ihrer Möglichkeit, nicht befennen, da der Glaube 
an die Auferftehung auch der Glaube an die Gottheit und Menfchheit 
Ehrifti, an feinen Tod und feine Auferftehung If. 

Auferftanden iſt er, um dur die Himmelfahrt in feine Herrlichkeit 
einzugehen. Ich glaube, daß diefe Himmelfahrt zu denfen ift ald über alle 
Bewegung der Zerftörlichfeit und über allen Einfluß der Himmel erhaben. 
Denn wiewohl Jefus feiner Gottheit nach überall ift, fo ift doch das fein 
ihm eignender Drt, wo fein Wechſel, Leiden, Traurigkeit, überhaupt nichts 
von dem ift, was der Zeitlichfeit angehört. Diefer Ort der ewigen Freude 
und des Friedens — fagen wir — ift über den Himmeln, wiewohl er 
weder zu bejcdhreiben, noch zu definiren ift. Chriftus ift der Mittelpunft 
und die Peripherie der vernünftigen Natur, und da die Vernunft Alles 
umfaßt (omnia ambiat), fo iſt er über Allem. Indeſſen wohnt er in den 
heiligen Seelen und vernünftigen Geiftern, welde die Himmel find, vie 
feine Herrlichfeit verfünden, als in feinem Tempel, Wir erfennen alſo, 
daß Chriftus über Raum und Zeit zu einer ungerftörlihen bleibenden 
Wohnung fi erhoben habe, wenn es heißt: er erhob ſich über alle Himmel, 
um Alles zu erfüllen. Da er Gott tft, fo ift er Alles in Allem; er 
herricht in den Himmeln der vernünftigen Naturen, da er die Wahrheit 
ſelbſt iſt. Er ift nicht räumlich mehr in der Peripherie, ald im Centrum, 
da er der Mittelpunft aller vernünftigen Geifter und ihr Leben ift. Daber 
fagt er aud, er, der die Duelle des Lebend und das Ziel aller Geifter 
ift, das Himmelreich fei in den Menfcen. 


95 


Neuntes Kapitel, 
Chriſtus ift der Nichter der Lebendigen und der Todten. 


Welcher Richter ift gerechter, ald der, welder die Gerechtigkeit felbft 
it? Chriftus, das Haupt und der Anfang jedes vernünftigen Geichöpfes, 
ift die größte Vernunft felbit, von der jede Vernunft ftammt. Die Ber 
nunft fällt das unterfcheidende Urtheil. Sonach ift der mit Recht der 
Richter der Lebendigen und der Todten, der mit allen vernünf- 
tigen Naturen die menjhliche Natur angenommen hat und dabei Gott ge— 
blieben ift, der der Vergelter von Allem iſt. 

Ehriftus richtet Alles überzeitlich, durch ſich und in fi, weil er alle 
Geihöpfe als der größte Menſch, in dem Alles ift, in fi begreift. Gott 
ald Gott ift das unendlidye. Licht, in dem feine Finfterniß ift, das Alles 
erleuchtet, jo daß in diefem Lichte dem Lichte ſelbſt Alles ganz klar und 
offenbar ift. Diefes unendliche vernünftige Licht umfaßt überzeitlich ſo 
Gegenwart ald Bergangenheit, Lebendes und Todtes in fih, wie das 
phyſiſche Licht die Hypoftafe aller Farben if. Ehriftus ift wie das 
reinfte Feuer, das vom Lichte ungertrennlich ift, und nicht in fich, fons 
dern im Lichte feinen Beftand hat. Er ift das Feuer des geiftigen und 
vernünftigen Lebens, das, indem ed Alles verzehrt und in fi 
aufnimmt, eben dadurd Alles prüft und beurtbeilt. Alle 
vernünftigen Geifter werden in Ehriftus fo geprüft, wie dad dem Feuer 
Uebergebene Cignibile) im Feuer. Einiges wird, während es im feuer 
aushält, doch ganz in die Achnlichfeit mit dem Feuer umgewandelt. So 
wird das befte und vollfommenfte Gold im Feuer fo in Feuer verwandelt, 
daß man nicht Gold mehr ald Feuer wahrnimmt. Anderes nimmt an 
der Intenfität des Feuerd nicht in diefem Grade Antheil, wie das ger 
läuterte Silber, Erz und Eifen. Jedoch fcheint Alles in Feuer verwandelt, 
obwohl Zegliched in einem befondern Grade. Diejed Gericht übt jedoch 
nur das Feuer aus, nicht die vom Feuer ergriffenen Gegenftände (iguitum), 
da jeder der leßtern in jedem andern nur das heftige Feuer bemerft, nicht 
aber die Gradunterfchiede der vom Feuer ergriffenen Gegenftände, gleich. 
wie auch wir, wenn wir gejchmolzenes Gold, Silber und Kupfer in einem 
ſeht großen Feuer fehen, die Unterfhiede der Metalle, wenn fie in die 
Form des Feuers umgeftaltet find, nicht wahrnehmen. Hätte nun dieſes 
euer Bewußtfein und Vernunft, fo fennete es die Grade der Boll 
fommenheit eines Jeden, und vie Yähigfeit für die Aufnahme eines in- 
tenfiven Feuers würde in Jedem graduell verfhieden erfcheinen. Wie es 
daher einige dem Feuer unterworfene Stoffe gibt, die im Feuer unzers 
Rörli verharrend Licht und Wärme in fehr hohem Grade aufnehmen 


96 


und vermöge ihres geläuterten Zuftandes leicht zur Aehnlichkeit des Feuers 
fih umgeftalten laffen, während andere Stoffe wegen ihrer unreinen 
Beichaffenheit zwar wärmefühig, aber nicht in Licht verwandelbar find, 
jo theilt auch Chriftus der Richter in Einem einfachften und unter 
Ichiedlofen Ausipruche (judicium), in Einem Momente, an Alle auf bie 
gerechtefte Weiſe, ohne alle Mißgunft, nicht in zeitlicher, fondern natürlicher 
Ordnung, die Wärme der anerfchaffenen Berftändigfeit (calorem creatae 
rationis communicat) aus, und ift diefe Wärme von Jedem aufgenommen, 
fo gießt er das göttliche Licht der Vernunft von Oben ein, fo daß Gott 
Alles in Allem iſt und Alles dur ihn, den Mittler, in Gott und ihm 
(dem Mittler) glei, fo weit dies nad der Empfänglichfeit eined Jeden 
möglich iſt. Daß aber einige Stoffe (quaedam), die mehr geeint und 
geläutert find, nicht nur für Wärme, fondern auch für Licht empfänglic 
find, andere faum für Wärme, aber nicht für Licht, ift eine Folge ver 
mangelhaften Dijpofition der Gegenftände. Da mun jened unendliche Licht 
die Ewigfeit und Wahrheit felbft ift, fo muß das verftindige Geſchöpf, 
das durch dasfelbe erleuchtet werden will, fihb über Welt und Zeit zu 
dem Wahren und Ewigen hinwenden. Denn Körperliched und Geiſtiges 
find Gegenſätze. Das bloße Vegetiren ift körperlicher Natur, es ver 
wandelt die von Außen aufgenommene Nahrung in die Natur des Gr 
nährten, ed verwandelt fih nit das Thier in Brod, fondern umgekehrt. 
Der vernünftige Geift hingegen, deſſen Thätigkeit überzeitlich, gleichfam 
am Horizont der Ewigkeit fih bewegt, faun das Ewige, weil ed ewig 
ift, nicht in fih verwandeln; allein er kann auch fi, da er gleichfalls un 
zerftörlih ift, nicht fo in das Ewige verwandeln, daß er aufhört, eine 
vernünftige Subftanz zu fein. Er wird daher fo in jened verwandelt, 
daß er zur Aehnlichfeit mit dem Ewigen umgeftaltet wird (absorbeatur), 
jedoch mit graduellem Unterfchieve. Iſt er ftärfer und inniger dem Eigen 
zugewandt, jo geht feine Vollendung durh das Ewige aud tiefer (pro- 
fundius ab aeternis perficiatur) und fein Sein verbirgt fih in dem ewigen 
Sein (et abscondatur ejus esse in ipso esse aeterno). Da Chriftus 
unfterblich ift und fortlebt, ja das Leben und die Wahrheit ift, fo wendet 
fih, wer zu ihm fih wendet, zum Leben und zur Wahrheit bin; mit je 
vegerem Eifer es geſchieht, deſto mehr erhebt er fi über das Zeitliche 
und Bergängliche zum Ewigen hin, jo daß fein Leben verborgen ift in 
Ehriftus. Die Tugenden find die ewige Gerechtigkeit, die in alle Ewig— 
feit dauert, das Leben und die Wahrheit. Wer fi der Tugend zuwendet, 
wandelt auf den Wegen Ehrifti, auf den Wegen der Reinheit und Um 
fterblichfeit. Die wahren Tugenden find eine göttlide Er 
leuchtung (divinae illuminationes). Wer fih daher in diefem Leben 
durch Chriftus, der die Tugend ift, zur Tugend wendet, wird, wenn er 


97 


von dieſem zeitlichen Leben befreit ift, in der Reinheit des Geiftes erfunden 
werden, und eingehen dürfen in die Freude, Gott ewig zu befigen. Die 
Hinfehr (eonversio) unſeres Geiftes erfolgt, wenn er fih mit allen feinen 
geiftigen Kräften zur reinften ewigen Wahrheit im Glauben, dem er 
Alles hintanfegt, hinwendet und diefe Wahrheit ald das allein Liebends 
würdige liebt. Die Hinfehr zu Ehriftus, der die Wahrheit ift, im fels 
ienfeften Glauben ift Beratung der Welt und fiegreihes Bezähmen alles 
Weltliben (est mundum istum deserere atque in victoria calcare). 
Chriſtus auf das Herzlichfte lieben, heißt in geiftiger Bewegung zu ihm 
himiehen, der nicht nur liebenswürdig, fondern die Liebe (caritas) felbft 
it. Zieht der Geift in den Stufen der Liebe zur Liebe felbft hin, fo 
vertieft er fich, erhoben über die Zeit und alle weltliche Bewegung, in der 
Liebe (in ipsam caritatem profundatur). Wie jeder Liebende in der Liebe, 
ſo leben Alle, welche die Tugend lieben, in Chriftus. Und wie jeder 
Biebende durch die Liebe liebt, fo lieben alle Freunde der Wahrheit die 
Wahrheit durch Chriſtus. Niemand kennt alfo die Wahrheit, es fei denn 
der Geift Ehrifti in ihm. Wie es unmöglich ift, daß ein Liebender ohne 
Liebe fei, fo ift ed unmöglich, daß Jemand Gott befige chne den Geift 
Ehrifti, in welchem Geifte wir allein Gott anbeten fünnen. Daher find 
die Glaubenslofen, die fih nicht Chriftus zuwenden, als unempfänglic 
für das zur Glorie umgeftaltende Licht ſchon verurtheilt zur Finfterniß und 
zum Schatten ded Todes; denn fie find weggewandt von dem Leben, das 
Ehriftus ift, von deffen Fülle allein Alle in der Herrlichfeit durch die 
Vereinigung mit ihm gejättigt werden. Hierüber will ich weiter unten 
in dem Abſchnitte über die Kirche auf gleicher Grundlage zu unferem 
Trofte noch Einiges beifügen. 


Zehntes Kapitel. 
Dom Ausſpruche des Richters. 


Es iſt klar, daß kein Sterblicher jenes Gericht und den Ausſpruch 
des Richters zu begreifen im Stande iſt. Da es über aller Zelt und 
Bewegung iſt, fo vollzieht ſich jenes Gericht nicht in einer vorausgehenden 
Erörterung, nicht im Ausſprechen von Worten und ähnlichen Aeußerlich⸗ 
feiten, welche eine Zeitdauer in ſich ſchließen, ſondern wie in dem Worte 
(er fprach und ed ward) Alles erſchaffen ift, fo wird in demfelben 
Borte Alles gerichtet. Auch fällt zwiſchen den Ausiprud und 
defien Vollzug feine Zeitdauer, fondern es iſt Ein Moment: Auferftchen 
und Gelangen zum legten Ziele. Letzteres nach zwei Richtungen: Vers 
Märung durch Aufnahme unter die Kinder Gottes und Verdammung 

SHarpff, Nie. v. Cuſa. 7 


98 


durch Ausfchließen der von Gott Abgefehrten find durch feinen Zeitmoment 
von einander getrennt. 

Die vernünftige Natur, die über die Zeit erhaben und der zeitlichen 
Zerftörung nicht unterworfen ift, die in ihrer Natur die ungerftörlicen 
Formen der Mathematif und der Naturwefen begreift und daher der jelbft 
ungerftörlihe Ort dieſer ungerftörlichen Formen ift, wird durch eine natür 
liche Bewegung zur reinen, von aller concreten Beimiſchung freien Wahr 
heit (ad veritatem movetur abstractissimam), ald zum Ziele ihres 
Sehnens und zu ihrem höchſten, genußreichſten Objecte hingetrieben. Und 
da diefes Object Gott ift, fo iſt die unfterblihe und ungerftörliche Ber 
nunft nicht befriedigt, bis fie ihn erreicht, da fie nur in dem ewigen Ob 
jeete Befriedigung findet. Wenn nun die Vernunft, frei vom Körper, in 
dem fie den Meinungen der Zeit unterworfen ift (in quo opinionibus ex 
tempore subjicitur), nicht zum erwünjchten Ziele gelangt, ſondern vie 
mehr, während fie doch nad der Wahrheit ein Verlangen hat, in Unwiſſen— 
heit verfinft, und während ihr höchſtes Sehnen fein anderes tft, als bie 
Wahrheit jelbft, nicht wie in Räthjeln und Symbolen, ſondern mit böch— 
fter Gewißheit von Angeficht zu erfaflen, in der Stunde des Scheidend 
von diefer Welt wegen ihrer Abkehr von der Wahrheit und Hinfehr zu 
dem Bergänglichen in diefes von ihr erftrebte Vergängliche binabfinft, in 
die Ungewißheit und Verworrenbeit, in das finftere Chaos der bloßen Mög: 
lichkeit, in der feine wirkliche Gewißheit ift (cum cadat ad incertitudinem 
et confusionem, in ipsum tenebrosum chaos merae possibilitatis, ubi nihil 
certi actu), fo jagt man mit Recht, fie fei dem geiftigen Tode verfallen 
(recte ad intellectualem mortem descendisse dieitur). Denn für die 
Seele tit das vernünftige Erkennen ihr Sein, das Erſehnte erfennen — 
ihr Leben. Wie es daher ihr ewige Leben ift, zulegt das Er 
fehnte, Beharrlide, Ewige zu erfafien, fo ift ed ihr ewigen 
Tod, von diefem erjehnten feften Ziele getrennt und in dad 
Chaos der Verwirrung binabgeftürzt zu werben, wo fie nad 
ihrer Weife von dem ewigen Feuer gequält wird, das wir und nidt 
anders denfen können, als die Qual defjen, der der lcbengebenden Nahrung 
und der Gefundheit, ja, wad noch mehr ift, auch der Hoffnung, je diele 
Güter zu erlangen, beraubt ift, und daher, ohne je zu erlöichen, ohne Ende 
beftändig ftirbt in ewigem Todesfampfe (ut sine extinetione et 
fine semper moriatur agonizando). Das ijt ein über allen Begriff quals 
volles Leben, denn es ift ein ſolches Leben, das zugleih Tod ift, ein 
Eein, das ein Nictfein, ein Erkennen, das ein Nichtwiffen ift. In dem 
Früheren ift gezeigt, daß die Auferftehung der Menfchen erhaben über alle 
Bewegung, Zeit, Quantität und über Anderes, was zur Zeit gehört, er- 
folgt, jo daß das Zerftörliche ind Ungerftörliche, das Thierifche ind Geiſtige 


99 


verwandelt wird und der ganze Menſch volle Perfönlichkeit und dieſe 
ganz geiftiger Natur, und fomit aud der wahre Leib vom Geiftigen vers 
fblungen ift (ut totus homo sit suus intellectus, qui est spiritus, et 
corpus verum sit in spiritu absorptum), Der Leib befteht nicht mehr 
in ib (in se) nad feinen körperlichen quantitativen und zeitlichen Vers 
hältniffen, fondern ift in das Geiftige aufgenommen (translatum in spiri- 
tum), das Gegenflüd zu dem jegigen Leibe, wo man nicht die Vernunft, 
fondern nur den Körper wahrnimmt, in dem die Vernunft felbft wie eins 
geferfert ift, während dort der Körper eben fo im Geifte ift, wie hienteden 
der Geift im Körper, und mithin, während bier die Seele durd den Körs 
per belaftet, dort der Körper durch den Geiſt [hwunghaft wird (alleviatur). 
Wie daher die geiftigen Freuden des vernünftigen Lebens die größten 
find, am denen aud der verflärte Leib im Geifte participirt, fo ift auch 
die bölifche Traurigkeit des geiftigen Todes die größte, und auch ber Reib 
empfindet fie im Geifte. Und da unfer Gott, der, lebendig erfaßt, das 
ewige Leben ift, über allen unjern Verſtand erfennbar ift, jo find auch 
jene ewigen Freuden, die ale unfere Begriffe überfteigen, viel zu groß, 
ald daß fie ſich irgend wie ſchildern ließen. In gleicher Weile gehen aud) 
die Strafen der Verdammten über alle denkbaren oder ber Darftellung 
fähigen Strafen hinaus. Daher find alle jene der mufifalifhen Harmonie 
entlehnten Zeichen der Freude, des Frohlodens und der Herrlichkeit, welche 
als und befannte Zeichen zum Ermefjen des ewigen Lebens von ben 
Vätern überliefert wurden, nur ganz entfernte finnlihe Zeichen, die unend- 
ich von jenen geiftigen, Feiner Phantafie zugängliben Freuden abfteben. _ 
Eben jo halten auch die Höflenftrafen, foferne fie mit einem Elementars 
feuer aus Schwefel und Pech und ähnlichen finnlihen Qualen verglichen 
werden, feinen Vergleich aus, mit jenen feurigen Geiftesqualen (ad igni- 
les illas intellectuales aerumas),. vor welden und Jeſus Chriftus, unfer 
Leben und Heil bewahren wolle. Er fei gepriefen in Ewigkeit. Amen. 


Elftes Kapitel, 
Das Myſterium (die Natur) des Glauben. 


Unfere Vorfahren fagen alle einftimmig, der Glaube fei ver An— 
fang des Wiffens (fidem initium esse intellectus ). Sn jevem Ges 
biet des Wiſſens (in omni facultate) werden einige Sätze als erfte Prins 
cipien (Ariome) vorausgejegt, die man nur durch den Glauben crfaßt, 
und aus welchen fodann die Erfenntniß des zu erforfhenden Gegenftanded 
entwidelt wird (ex quibus intelligentia tractandorum elicitur.) Wer 
zu einer Wiffenfhaft auffteigen will, muß an die Dinge glauben, ohne 

7° 


100 


bie er nicht auffteigen fan. Darum fagt Jeſaias: wenn ihr nicht 
glaubet, werdet ihr nicht einfehben. Der Glaube faßt daher alles 
Erfennbare in fih, die Erfenntniß ift die Entfaltung ) des Glaubens 
(fides est in se complicans omne intelligibile, intellectus autem est 
fidei explicatio), Das Wiffen erhält daher durb den Glauben feine 
Richtung (dirigitur), der Glaube durch das Wiſſen feine Eutwidlung 
(extenditur).. Wo daher fein gefunder Glaube ift, da gibt ed auch fein 
wahres Wiſſen. Es iſt befannt, zu weldien Sclüffen faljche Principien 
und ein unfiheres Fundament führen. 

Es gibt feinen vollfommeneren Glauben, ald die Wahrheit ſelbſt — 
Jeſus. Wer fieht ed nicht ein, daß der rechte Crecta) Glauben die herr 
lichfte Gottesgabe ift? Der Apoftel Johannes jagt, der Glaube an 
die Menfchwerdung ded Wortes Gottes führe und in die Wahrheit, fo 
daß wir Kinder Gottes werden. Died zeigt er im Eingange (feines 
Evangeliums) mit wenigen Worten und zählt dann viele Thaten Ehrifti 
auf, im Einflange mit diefer Glaubenswahrheit, damit die Vernunft im 
Glauben erleuchtet werde; deßhalb fagt er am Schluffe: „Dies ift ge 
fhrieben, damit ihr glaubet, daß Jeſus der Sohn Gottes 
ift.“ Der füße Glaube an Ehriftus, an dem die Einfalt des Herzend 
fefthäft, kann nun nach unferer Wiſſenſchaft des Nichtwiffens im ftufen- 
mäßigem Auffteigen erweitert und entfaltet werden. Denn die größten 
und tiefften Geheimniffe Gottes, die den Weltkindern, wie verftändig fie 
auch fonft fein mögen, verborgen bleiben, werden dem findlichen und 
demüthigen Gemüthe im Glauben an Jeſus offenbar, weil in Jeſus alle 
Scäge der Weisheit und Wifjenfhaft verborgen find. Ohne ihn fann 
Niemand etwas ausführen, denn er ift das Wort und die Allmacht, durch 
welche Gott die Welt erihaffen hat; er, der allein Höchfte, hat Gewalt 
über Alles im Himmel und auf Erden. Da er in dieſer Welt nicht er 
fennbar ift, und Berftand, Meinung und Unterriht und durch Symbole 
vom Bekannten zum Unbefannten führen, fo wird er nur da erfaßt, wo 
das Ueberreden (persuasiones) aufhört und der Glaube beginnt, durd 
den wir in der Einfalt des Herzens dergeftalt entzüct werden, daß wir 
ihn Cipsum) über Berftand und Einficht im dritten Himmel der einfachften 
Vernünftigfeit im Körper unförperlih (weil im Geifte), in der Welt über- 
weltlih, himmliſch in einer alle Begriffe überfteigenden Weife betrachten, 
wo wir auch das einjehen, daß er wegen feiner unendlichen Erhabenheit 


1) Wenn der Glaube dad Willen wie der Keim die Blüthe — complicans omne 
intelligibile — in fi faßt, fo muß das Willen der vor dem Bewußtfein entfaltete 
Glaube fein. Daher muß wohl in obiger Stelle ftatt complicatio des Tertes richtiger: 
intellectus autem est fidei explicatio gelefen werben. Daher gleich nachher: fides 
per intellectum extenditur. 


101 


nicht begriffen werden kann. Das ift die gelehrte Unwiffenheit, durch 
welhe der heilige Paulus fich zu der Einficht erhob, daß er Ehriftus, 
von dem er eine Zeitlang mur ein Wiffen hatte (quem aliquando solum 
scivit), dann micht fenne (ignorare), wenn er fi höher hinauf zu ihm 
erhob.) Wir Ehriftgläubigen werden daher durch das gelehrte Nichtwiffen 
zu dem Berge, der Ehriftus ift, binaufgeführt, den wir in unſerm natürs 
lihen Leiben und Leben (cum natura animalitatis nostrae) nicht berühren 
können. Wollen wir aber mit dem Auge der Vernunft ihn betrachten, 
jo ftoßen wir auf Finfterniß und wiffen, innerhalb diefer Finfterniß ſei 
der Berg, wo allein Alle, deren Stärfe die Vernunft ift (omnibus in- 
tellectu vigentibus), wohnen dürfen. Befteigen wir diefen Berg mit 
feftem Glauben, fo werden wir den Augen der finnlihen Weltfinder 
entrüdt; wir hören innerlih (auditu interiori) die Stimmen, die Donner 
und fchredlichen Zeichen von Gottes Majeftät und vernehmen unjchwer 
den Herrn ſelbſt, dem Alles gehorcht, indem wir ftufenweile zu einigen 
ungerftörliben Spuren feiner Fußtritte, wie zu göttlichen Kennzeichen ges 
langen, und jo nicht die Stimme fterbliher Gefchöpfe, fondern die Stimme 
Gottes felbft in feinen heiligen Organen, in Propheten und andern Heis 
ligen vernehmen, und jo ihn noch deutlicher durd eine Menge von Bers 
fandesgründen ?) erfennen. Allein au von hier fteigen die Gläubigen 
in glübendem Berlangen immer höher auf, und werden über alles Sinn- 
lihe hinweg zur einfadhen, vernünftigen Anfhauung erhoben (ad 
intellectualitatem simplicem rapiuntur), ein Fortfchritt, wie aus dem 
Schlafe zum Wachen, vom Hören zum Sehen, wo fie ſehen, was nicht 
geoffenbart werden fann, weil fein Gehör es zu faflen, feine Stimme es 
zu lehren vermag. Müßte das hier Gcoffenbarte ausgefprohen werben, 
dann würde Unausſprechliches ausgefproden und Unerhörtes gehört, wie 
das Unfichtbare dort gefehen wird. Jeſus, der gepriefen fei in Ewigfeit, 
das Ziel der Vernunft als die Wahrheit, das Ziel der Einne ald das 
eben, das Ziel alles Seins als das Sein, die Vollfommenheit jedes 
Geihöpfes als der Gottmenſch, wird dort als das Höchſte aller Worte in 
und unbegreiflicher Weife gehört. Er ift nämlich Ausgang und Ziel jeden 


1) @8 fcheint Hier in der Sapftellung eine Inverfion des eigentlichen Gedanken— 
gangs eingetreten zu fein, welcher eigentlich ber folgende iſt: indem Paulus einfah, daß 
er Ghriftus (in feiner vollen Größe) nicht zu erkennen im Stande fei, dann gerabe 
erhob er ſich höher zu ihm (im Glauben) hinauf. 

2) Der Tert bat: clarius ipsum quasi per nubem rationem intuemur. Cuſa 
(bildet die Stufen des Glaubens: vom Hören fleigt er auf zu den Berftandesgrüns 
den, welche in den Zeugniffen der Propheten enthalten find, um ſich zulegt zur ver: 
nänftigen Grfenntniß, zur geiftigen Anfchauung zu erheben. Daher muß flatt ratio- 
nem, was feinen Sinn gibt, rationum gelefen werben, über welche hinauf fi dann 
vie gleich darauf gefchilderte intellectualitas simplex erhebt. 


102 


Wortes: was in einem Morte Wahres ift, fommt von ihm. Jedes Wort 
hat den Zwed der Belehrung. Er ift alſo diefer letzte Zweck, well er 
die Weisheit ſelbſt iſt. Die Urfache jedes vergänglich verhallenden Wortes 
ft das unvergänglide Wort — die Vernunft. Chriftus ift die Fleiſch 
gewordene höchfte Wernunft, weil „das Wort Fleifch geworden iſt“. Jeſus 
iſt demnach das Ziel von Allem. 

Solde Wahrheiten enthüllen fi dem, der im Glauben zu Chriftus 
auffteigt. 

Die göttlide Wirffamfeit dieſes Glaubens Täßt fich nicht 
befchreiben ; fie eint den Glaubenden mit Jeſus und ift fomit über Alles 
erhaben, was nicht in der Einheit mit Jeſus if. Der Gläubige bat, 
wenn fein Glaube groß ift, in der Kraft Jeſu, mit dem er vereint ift, 
Gewalt über die Natur und Bewegung; er gebietet fogar den böfen 
Geiftern, wie das Reben der Heiligen beweist. 

Der vollflommene chriftlihe Glaube muß aber ganz lauter, ſehr groß 
und jo viel ald nur möglib von Liebe belebt fein. Er duldet feine 
Beimifbung, weil er der Glaube an die reinfte, alvermögende Wahrheit 
ift. Oft genug haben wir es bisher ausgefprochen, daß das Kleinfte mit 
dem Größten coincidire. Dies gilt audb vom Glauben, der nah Eein 
und Macht im feinem Erdenpilger der größte fein fan, wenn der Reßtere 
nicht zugleich, wie Jeſus, der lebendige Inbegriff des Glaubens ift (qui 
non sit et comprehensor simul, qualis Jesus fuit.) Der in Wirflid+ 
feit größte Glaube muß zu einem ſolchen Grade ungmweifelhafter Gewiß- 
heit erhoben fein, daß er auch im Fleinften Maaße (minime) Glaube, 
und vielmehr vollefte, zweifellofefte Gewißheit if. Das ift der machtwolle 
Glaube, der in der Weiſe der größte und Fleinfte zugleich ift, daß er alle 
Gegenftände des Glaubens in Ihm, der die Wahrheit ift, umfaßt. Wenn 
auch der Glaube des Einen den Glaubensgrad des Andern nicht erreicht, 
weil volle Gleichheit unmöglich if, fo muß doch Jeder, jo viel ed an ihm 
liegt, in Wirflichfeit den größten Glauben haben (necesse est ut quis- 
que quantum in se est, actu maxime credat). Dann ift der Glaube 
deffen, der im PBergleiche zu Andern nur einen Glauben wie ein Senf 
forn erhalten hat, gleichwohl von fo unermeßlicher Kraft, daß felbft die 
Berge ihm Gehorfam Tleiften, wenn er ihnen in der Kraft des Wortes 
Gottes, mit dem er, fo viel an ihm liegt, auf das Innigſte im Glauben 
vereinigt ift, Befehle ertheilt, da dem Worte Gottes nichts widerfteben 
fann. Wie groß ift aljo die Macht, die dem vernünftigen Geifte in ver 
Kraft Chrifti zur Seite fteht, wenn er ſich an diefen vollftändig anfchlieft, 
daß er dur ihn belebt wird, und, unbeſchadet feiner Selbftftändigfeit in 
ihm ald in feinem Lebensgrunde ruhet! Da dies nur dur die Hinfehr 
der Vernunft zu Chriftus im größten Glauben möglich ift, fo muß biefer 


103 


durch die einigende Liebe belebt jein; der Glaube kann ohne Liebe 
nicht der größte jein. Denn wenn jeder Lebende das Leben, jeder 
Denfende dad Denken liebt, wie fann Jeſus ald das unfterbfiche Leben 
und ald die unenblihe Wahrheit geglaubt werden, wenn er nicht auf das 
Höhfte geliebt wird? Das Leben ift an ſich der Liebe werth; ift alfo 
unfer Glaube, Jeſus fei das ewige Leben, fehr groß, jo muß er noths 
wendig geliebt werden; denn der Glaube ift Fein lebendiger, fondern ein 
tbter, ja Fein Glaube, ohne Liebe. Die Liebe ift das belebende Princip 
(forma) ded Glaubens, das ihm das wahre Sein verleiht, ja fie ift das 
Zeichen des felfenfeften Glaubens, denn wenn wir Chriſto Alles hintan- 
gen, wenn wir Leib und Seele im Vergleich zu ihm für nichts achten, 
jo ift Died der Beweis eines fehr großen Glaubens. Gin großer Glaube 
it au ohne die Hoffnung, einft Jeſus felbft zu genießen, nicht mög» 
ib, Oder wer fünnte einen feften Glauben haben, und dabei nit auf 
die Verheißungen Ehrifti hoffen? Wer nicht glaubt, er werde das ewige 
von Ehriftus den Glaubenden verheißene Leben erhalten, wie fann der an 
Chriftus glauben, und ihn für die Wahrheit halten? Wer auf die Vers 
beifungen nicht zweifellos hofft, wie wird der für Ehriftus in den Tod 
geben, wenn er nicht auf die Unfterblichkeit hofft? Wer dagegen glaubt, 
daß Ehriftus die nicht verläßt, die auf ihn hoffen, fondern ihnen die ewige 
Scligfeit verleiht, der hält es für etwas Geringes, um einer folden Ver: 
geltung willen Alles für Chriftus zu leiden. 

Eo groß ift die Kraft des Glaubens; fie macht den Menfchen 
Chriftus ähnlich Cchristiformem); er verläßt die Welt, entzieht ſich 
der Befledung des Fleiſches, wandelt in Furcht auf den Wegen Gottes, 
folgt mit Freuden den Fußftapfen Ehrifti, nimmt das Kreuz mit Frohloden 
auf Äh, im Fleiſche wandelnd, ift er ganz Geiftz die Welt ift ihm ver 
Tod für Ehriftus, der Tod, der ihn zu Ehriftus führt, ift ihm Leben. 
Bie edel ift doch ein Geift, in dem Chriſtus durch den Glauben wohnt! 
Welch eine wunderbare Gabe Gottes, daß wir und auf unferer Pilgerfchaft 
im gebrechlien Leibe dur die Kraft des Glaubens zur Macht über 
Ars, was Chriftus nicht ift, erheben können! Wer finfenmäßig, durch 
Ertödtung des Fleiſches fih zur Einheit mit Chriſtus erhebt, und in einer 
jo tief gehenden Einigung, ald es nur immer in diefem Leben möglich ift, 
in ihn aufgegangen ift (in ipsum absorbeatur), der erhebt fid über alles 
Sichtbare, ja über Alles in der Welt, und erlangt die complete 
Vollfommenheit der menfhliden Natur. 

Das ift die Vollfommenheit der Natur, die wir dur Chriftus in 
Grtövtung des Fleifches und der Sünde, umgeftaltet zu feinem Bilde er 
langen fünnen, nicht aber jene eingebildete Vollkommenheit 
durh Magie, die den Menfchen zu einem gewifien höhern Weſen 


104 


durch die Thätigfeit der auf und einwirfenden Chöhern) Geifter mittelft des 
Glaubens fi erheben läßt, jo daß vie Zauberer in der Kraft diefer 
Geifter, mit denen fie fib durch den Glauben vereinigen, verſchiedene un- 
denfbare Dinge im Feuer, Wafler, in Kenntniß der Harmonien, in Ber 
wandlungen, im Errathen verborgener Dinge ıc. verrichten. Es ift Far, 
daß Tas Alles nur Trug und Täuſchung ift, ohne Leben und Wahrheit. 
Die Zauberer find durch Bündniffe und Verträge mit den böſen Geiftern 
dergeftalt gebunden, daß fie, was fte im Glauben fefthalten, aud that: 
ſächlich durch Huldigungen und Gebete beweifen, die fie ftatt Gott, dem 
fie allein gebühren, den böſen Geiftern, als hätten diefe die Macht, ihre 
Bitten zu erhören, mit größter Verehrung darbringen. Sie erlangen bis, 
weilen durch den Glauben das erbetene flüchtige zeitliche Gut, durch ihre 
Vereinigung mit dem böfen Geifte, mit dem fie, getrennt von Chriftus, 
auch in dem Straforte werden ewig vereinigt bleiben müffen. Geprieſen 
fei Gott, der durch feinen Sohn uns der Finfterniß einer fo großen Uns 
wiffenheit entriffen hat, daß wir nun wiffen, Alles fei Irrthum und Be 
trug, wad immer durch einen andern Mittler ald Chriftus, der die Wahr- 
heit ift, und in einem andern Glauben, ald den an Jeſus vollbradt 
wird. Denn es ift nur Ein Herr Jefus, der Macht hat über Alles, 
allen Segen und zumendet und alle unjere Unvollfommenheit im Ueber 
maaße ergänzt. 


Zwölftes Kapitel, 
Non der Kirche. 


Obwohl das Verftändniß über die Kirche Ehrifti ſchon aus dem Bis 
berigen gewonnen werden kann, fo will ich doc, damit dem Werfe nichts 
fehle, noch ein kurzes Wort beifügen. 

Da der Glaube in den verichiedenen Menſchen graduell verſchieden 
ift, jo gelangt fein Menfch zum Glauben in der höchſten Potenz, fo wenig 
ald zur größten Liebe. Wäre in einem Ervenpilger der höchſte Glaube, 
der feine Steigerung zuläßt, fo müßte er zugleich der lebendige Inbegriff 
ded Glaubend (comprehensor fidei) fein. So fann aud die fchledthin 
größte Liebe in feinem Liebenden fein, er fei denn zugleih der Geliebte. 
Daher findet ſich der jchlechthin größte Glaube und die größte Liebe in 
Keinem, als in Jeſus Chriſtus, weldyer Erdenpilger (viator) und Im 
begriff de8 Glaubens, liebender Menſch und geliebter Gott zugleich war. 
Nun ift aber in dem Größten Alles eingefchloffen,, weil es Alles umfaßt. 
Der Glaube Jeſu Ehrifti fchließt daher allen wahren Glauben, die Liebe 
Ehrifti alle wahre Liebe in fih, wobei jedoch immer verſchiedene Grad» 


105 


unterfchiede bleiben. Da diefe alle unter dem Größten und über dem Kleins 
fen find, fo fann Niemand, wenn er auch in MWirflichkeit, jo viel an ihm 
liegt, den größten Glauben hat, zum fchlecbthin größten Glauben Ehrifti 
gelangen, durch den er EChriftus ald Gott und Menfchen vollftändig er 
faßte, fowie auch Niemand Ehriftus jo ſehr lieben fan, daß diefe Liebe 
feine Steigerung zuließe, weil Chriftus die Liebe (amor et caritas) und 
deßhalb ind Unendliche liebenswürdig if. Niemand fann in diefem oder 
dem zufünftigen Leben Ehriftus jo lieben, daß er ſelbſt Ehriftus der Gott: 
menich *) würde; denn Alle, die entweder in diefem Leben durch Glauben 
und Liebe, oder im andern durch unmittelbares Grfaffen und Genießen 
mit Chriftus vereinigt find, find es nicht in der Art ?), daß fie nicht noch 
inniger vereinigt fein könnten, unbeſchadet der graduellen Verſchiedenheit, 
jo daß ohne dieje Vereinigung Niemand aus und durch fich befteht, ſo— 
wie durch Ddiefelbe Niemand feine graduelle Verſchiedenheit verliert. 
Dieje Bereinigung nun ift die Kirche oder die Gemeinſchaft 
Bieler in Einen, gleichwie viele Glieder an Einem Körper find, 
jeded mit einem befonderen Range (gradus), wo Ein Glied nicht ein 
andered und jedes Glied durd den Körper mit dem andern vereinigt 
it, und feines ohne den Körper Leben und Beftand bat, wiewohl am 
Körper Ein Glied nicht alle Glieder in ſich faßt, außer mittelft des 
Körperd. Die Wahrheit unfered Glaubens kann daher während unferer 
irdiſchen Pilgerfhaft nur im Geifte Ehrifti beftehen, unbeſchadet der 
Etufenordnung der Gläubigen, fo daß ſich eine Verſchiedenheit 
bei voller Uebereinftimmung in dem Einen Jeſus geitaltet 
(ut sit diversitas in concordantia in uno Jesu). Und fcheiden wir 
durch die Auferftehung aus der ftreitenden Kirche, jo fünnen wir wieder 
zur *) durch Chriftus auferftehen, fo daß aud die triumphirende 
Kirche Cin ihm) eine Einheit ift, in der Jever feinen eigenthümlichen 
Rang behauptet. Dann wird die Wahrheit unferes Fleiſches nicht mehr 
in fi, fondern in der Wahrheit des Fleiſches Chrifti, die Wahrheit unferes 
Leibes nur in der Wahrheit des Leibes Chriſti, die Wahrheit unferes 
Geiftes in der Wahrheit des Geiftes Jeſu Chriſti beftehen, wie die Reb— 





1) Der Tert hat: ut propterea sit Christus et homo. Soll homo einen Sinn 
erhalten, fo muß wohl nach Christus — Deus eingefchaltet werden; vgl. kurz vorher: 
per quam comprehendet Christum Deum et hominem. 

2) Die Worte des Terted: ommes... eo modo uniuntur, quod magis... uniri 
un possent Wären das gerade Gegeniheil des im Gingange des Kapitels Gefagten: 
ad maximam fidem, qua nulla major esse potest, nemo devenire potest, ſowie des 
ganzen Begriffs ber Einigung mit Chriftus, die unendliche Steigerung zulaͤßt. Es muß 
daher vor: eo modo — non eingefchaltet werben. 

3) Auch Hier muß im Terte: non aliter in Christo resurgere poterimus nad): 
bon aliter offenbar nisi eingeichoben werben. 


106 


zweige in dem MWeinftode. Es wird die Eine Menfhhelt Ehrifti in allen 
Menſchen, der Eine Geift Chrifti in allen Geiftern fein, fo daß Jegliches 
in ihm und gleibfam Ein EChriftus aus Allen it Y. Wer daher Einen 
aus Allen, die Ehriftus angehören, in diefem Leben aufnimmt, nimmt Chris 
ſtus auf, und was Einem der Geringften gethan wird, wird Ehriftus ges 
"than, gleihwie, wer die Hand Plato's verlegt, Plato felbft verlegt, und 
wer dort im wahren Waterlande über den Geringften ſich freut, freut ſich 
über Chriſtus. In Allem ficht er Jeſus und durch diefen — Gott. So 
wird unfer Gott durch feinen Sohn Alles in Allem, Jeder 
im Sohne und dur diefen mit Gott und Allen fein; es 
herrſcht volle Freude ohne Mifgunft und Mangel. 

Da Glaube und Liebe, fo lange wir hienieden pilgern, einer beftän- 
digen Steigerung fähig find, fo müffen wir und Mühe geben, daß die 
Möglichkeit durd die Gnade unferes Herrn Jeſu Ehrifti zur Wirklichkeit 
gelange, auf daß wir von Tugend zu Tugend, von einer Stufe zur andern 
weiter fehreiten durch den, der der Glaube und die Liebe felbft ift, ohne 
den wir aus uns als foldhen nichts vermögen, da wir Alles nur in ihm 
vermögen. Er allein kann uns geben, was uns fehlt, daß wir am Tage 
der Auferftehung als gefunde und werthvolle Glieder an ihm erfunden 
werden. Diefe Gnate des Mahsthums in Glaube und Liebe können 
wir jonder Zweifel durb anhaltendes Gebet erlangen, indem wir 
vertrauendvoll dem Throne deflen und nahen, der voll Güte ift und fein 
heilige8 Verlangen unbefriedigt läßt. 

Wenn du dies tief im Geifte erwägft, durchſtrömt dich eine wunder: 
bare geiftige Wonne; innerlich verfofteft du wie füßen Wohlgeruch vie 
unaudfprecliche Güte Gottes, die er dir, hienieden an dir vorübergehend, 
erweifet, die dich einft füttigen wird, wenn feine volle Herrlichkeit ericheint, 
ich fage: fättigen, ohne fatt zu werden (absque fastidio), weil jene un- 
ſterbliche Speife das Leben felbft if. Und wie die Sehnfucht nah dem 
Leben immer wächst, jo wird auch die Speife des Lebens immer genoffen, 
ohne daß fie in die Natur des Genießenden übergeht, denn fonft wäre fie 
eine und anwidernde Speife, die und beläftigte und und das unfterbliche 
Leben nicht zu geben vermöchte, da fie in fih mangelhaft wäre, weil fie 
fih in die Natur des Genießenden verwandelte. Unfer vernünftiger Geift 
aber will geiftig leben und beftändig weiter dringen zu Leben 
und Freude. Da diefe unendlich find, fo werden die Seligen unauf 
hörlih zur Sehnſucht nad ihnen hingezogen. So finden fie Sättigung, 
indem fie dürftend aus der Duelle des Lebens trinken, und da dieſes 

1) Ih vermuthe, daß im Terte: ut qui sit unus Christus ex omnibus, ba ex om- 


nibus von Chriſtus, der Feine Zufammenfegung ift, nur uneigentlich gefagt werben kann, 
flatt: qui zu lefen fein möchte: quasi. 


107 


Trinfen nicht in Vergangenheit übergeht, indem es ewig ift, fo trinfen 
die Seligen immer aus diefer Duelle und find immer gefättigt, und nie 
geht Beides in die Vergangenheit über. Gepriefen fei Gott, der uns eine 
Vernunft gegeben hat, die in diefer Zeit nicht gefättigt wird, deren unbe— 
grenzted Sehnen fich felbft ald erhaben über die vergängliche Zeit, ald unver: 
gänglich erfaßt und erfennt, daß fie ihre volle geiftige Befricdigung nur 
in dem Genuffe des höcften, vollfommenften, nie abnehmenvden Gutes 
finde, wo der Genuß nie in Vergangenheit übergeht, weil das Begehren 
durh den Genuß nicht abnimmt. Wenn ein Hungriger an der Tafel 
eined mächtigen Königs fich niederließe und ihm die gewünſchte Speiſe 
vorgefegt würde, fo daß er nach einer andern nicht begehrte, und wenn 
es die Natur diefer Speife wäre, daß fie durch Sättigen den Appetit 
feigerte, fo ift Har, daß, wenn diefe Speije nie ausginge, der Gaſt bes 
Rändig gefättigt wäre und zugleich beftändig nach derſelben Speiſe ein 
Verlangen hätte, und immer fähig wäre, die Speife zu fich zu nehmen, 
deren Natur ed mit fi bringt, den damit Gefpeisten zu beftändigem Ber: 
langen nad diefer Epeife hinzutreiben. Die vernünftige Natur nun hat 
die Fühigfeit, indem fie das Leben in fi aufnimmt, in vasfelbe verwans 
delt zu werden, wie die Luft durch Aufnahme des Sonnenſtrahls in Licht 
verwandelt wird. Daher erfaßt die Vernunft, da ihre Natur eine Um— 
wandlung zu dem vernünftig Erfennbaren zuläßt, nur das Univerfelle, 
Ungerftörlihe und Bleibende. Die ungerftörlihe Wahrheit ift ihr Object; 
in der Ewigkeit erfaßt fie diefelbe in feligem Frieden in Jeſus Ehriftus. 

Das ift die triumphirende Kirche, in der unfer Gott ift, der 
geprieien ſei in Ewigfeit, und wo in höchſter Einigung Jeſus Chriſtus 
ad wahrer Menfh mit Gott dem Sohne fo innig vereinigt ift, daß die 
Menſchheit nur in der Gottheit ihren Beftand hat. Sodann ift jede 
vernünftige Natur mit Chriftus dem Herrn, unbeſchadet der Perſönlich— 
keit des Einzelnen, wenn fie in diefem Leben durd Glaube, Hoffnung 
und Liebe ihm zugewandt war, jo feft vereinigt, daß ſowohl Engel als 
Menfben mur in ihm beftehen, durd ihn in Gott, fo daß jeder der 
Scligen mit Bewahrung feiner Befonderheit in Ehrifto Jeſu 
— Ehriftus, und durd diefen in Gott — Gott tft, Gott aber, 
ohne aufzuhören, das abfolut Größte zu fein, in Ehrifto Jeſu 
Jefus felbft ift und in ihm Alles in Allem. 

Dies ift der einzige Weg zur böcftmögliben Einheit der Kirche, 
oder der Einheit Bieler (unbefchadet der wahren Selbfiftändigfeit dcs Ein» 
zelnen) ohne Vermengung der Naturen und Grade. Je mehr Einheit 
aber in der Kirche, defto größer ift fie. Die größte Kirche ift das 
ber die Gemeinfhaft der ewig Triumphirenden, denn eine größere Einheit 
der Kirche iſt nicht möglih. Welch eine große Einigung (unio) — die 


108 


abfolut größte göttliche Einigung, dann die Einigung der Gottheit und 
Menſchheit in Jeſus, endlich die Einigung der in der Gottheit Jeſu trium— 
phirenden Seligen! Die abfolute Einigung ift nicht größer oder Fleiner, 
ald die Einigung der Naturen in Jeſus oder die Einigung der Seligen 
in dem himmliſchen Baterlande; denn jene tft die größte Einigung, die 
Einigung aller Einigungen, das Wefen jeder Einigung, ohne ein Mehr 
oder Weniger, aus der Einheit und Gleichheit, wie im erften Bude ge 
zeigt iſt, hervorgehend. Ebenfo ift die Einigung der Naturen in Chriftus 
nicht größer oder Fleiner, ald die Einheit der triumphirenden Kirche; dem 
da fie die größte Ginigung der Naturen ift, fo läßt fie fein Mehr over 
Weniger zu. Somit erhalten alle Gegenfäge, die zur Einheit verbunden 
find, von biefer größten Einigung der Naturen in Ehriftus ihre Einheit, 
durch welde die Einheit der Kirhe das ift, was fie if. Die Einkeit 
der Kirche ift die größte kirchliche Einheit. Als diefe größte coincidirt fie 
nach Oben mit der bypoftatiihen Einigung der Naturen in Ehriftus, und 
da dieje die größte ift, mit der abjoluten Einigung — Gott. So ift die 
firhlihe Einheit durch Jeſus in die göttlide Einigung, von 
der fie den Anfang hat, aufgenommen (resolvitur). Dies erhellt 
noch deutlicher, wenn wir und an das oben öfters Miederholte erinnern, 
daß nämlich die abjolute Einigung — der heilige Geift ifl. Die größte 
hypoſtatiſche Einigung coincivirt mit der abfoluten Ginigung; daher ift 
nothwendig die Einigung der Naturen in Chriftus dur die abjolute, 
welche der heilige Geiſt ift, und in ihr. Die kirchliche Einheit coincidirt, 
wie oben gezeigt, mit der hypoftatifchen, weßhalb im Geiſte Jeſu die Einis 
gung der triumphirenden Kirche, die durch den hl. Geiſt befteht, enthalten 
ift. Daher fagt die Wahrheit felbft bei Johannes: „Die Herrlid- 
feit, die du mir gegeben haft, Habe ih ihnen gegeben, damit 
fie Eines find, wie wir Eines find, ih in ihnen, du im mir, 
auf daß fie vollfommen Eines feien,* auf daß die Kirche in ewiger 
Ruhe fei, fo vollfommen, daß fie nicht vollfommener fein fönnte, in fo 
unausſprechlicher Umgeſtaltung zum Lichte der Glorie, daß in Allem nur 
Gott bervortritt. Nah diefer Glorie trachten wir in größtem Eifer mit 
Siegedgewißheit (ad quam tanto affectu cum triumpho aspiramus) und 
bitten Gott den Water inftändig, er möge durch feinen Sohn, unfern 
Herrn, Jeſus Chriftus, und in ihm durd ven hi. Geift in feiner unend- 
lichen Güte uns in diefe Glorie aufnehmen, um diefelbe ewig zu genießen. 
Er fei gepriefen in Ewigkeit. Amen. 


109 


Empfange bier, verehrter Vater! was ich längft in verſchiedenen 
Syſtemen (variis doctrinarum viis) zu erreichen fuchte, allein nicht eher 
zu Stande bradte, als bi ich auf der Rückkehr von Griechenland (ich 
glaube durch die Gnade von Dben, vom Water des Lichtes, von dem jede 
gute Gabe kömmt) darauf Fam, das Unbegreiflihe als unbegreiflid aufs 
zufaflen (ut incomprehensibilia incomprehensibiliter amplecterer), ın der 
Wiffenibaft des Nichtwiſſens, durch Hinausgehen über die menjchlichen 
Begriffe von der ungerftörliben Wahrheit (per transcensum veritatum 
incorruptibilium humaniter scibilium). Dieſe Aufgabe habe ih nun in 
Dem, der die Wahrheit ift, in den vorliegenden Büchern gelöst, die, auf 
gleihem Principe ruhend, eine Verengung und Erweiterung zulafien. Das 
ganze Streben unſers Geiſtes muß allen Ernftes dahin ge 
richtet fein, Sich zu jener Einfachheit, in der die Gegenfäge 
coineidiren, zu erheben. (Debet autem in his profundus omnis 
nostri ingenii conatus esse, ut ad illam se elevet simplicitatem, ubi 
contradictoria coincidunt.) Dies iſt das Ziel des erften Buches. Das 
weite leitet daraus einige Säge über das Univerjum ab, die fich über 
den gewöhnlihen Standpunft der Philofophen erheben und Vielen ald 
etwas Seltened erjcheinen werden (rara multis), Und nun babe ich 
Ibliegiih auh das dritte Buch über Jeſus, der gepriefen fei, vollendet, 
immer auf gleihem Fundamente weiter bauend, und im Wadhsthum 
des Glaubens ift auch Jeſus mir für Geift und Herz immer 
größer geworden (et factus est mihi Jesus Dominus continue major 
in intellectu et affectu per fidei crementum), Denn Niemand, der den 
Glauben an Ehriftus hat, wird in Abrede ftellen, daß nicht durch dieſes 
Epftem feine Schnfucht immer höher gefteigert wird, fo daß er nach vielem 
immer höher fich erhebenden Nachdenken zulegt den füßen Jeſus ald den 
allein Liebenswürdigen erfennt und freudig Alles verläßt, um ihn als das 
wahre Leben und die ewige Freude zu umfaffen. Wer fo in die Erfenntniß 
Jeſu eindringt, dem gelingt Alles Comnia cedunt); feine Schrift, ja die 
ganze Welt fann ihm Schwierigfeit bereiten, weil er in Jefus umgewandelt 
wird dur den Geiſt Ehrifti, der in ihm wohnt und das Ziel des vers 
nünftigen Verlangens iſt. Bitte, frommer Vater! um diefen Geift ins 
Kändig und beftändig für mich armen Sünder, auf daß wir vereint ihn 
ewig zu befigen gewürdigt werben! 


Von den Muthmaßungen. 


Dem von Gott gelichten ehrwirdigen Bater, Herrn Julian, des Hl. 
apoftolifhen Stuhls hochwürdigſten Cardinale, feinem verehrten Lehrer, 
Nicolaus von Enfa. 


Erfies Bud. 





Erites Kapitel. 


Da mir einige Mußezeit gegönnt ift, fo will ih nun mein Syftem 
über die Muthmaßungen darftellen. Dbwohl ih weiß, daß dasjelbe nicht 
nur an der allgemeinen Mangelhaftigkeit menſchlicher Geiftesproducte, fon, 
dern auch an den befondern Gebrechen meines ſchwachen Talentes leidet und 
in Schatten tritt, fo habe ich doch für Dich, befter Vater! der in allen 
Wiffenihaften bewandert it, das Ganze in dem Vertrauen entwidelt, 
Dein bewährter Geift voll göttliher Erleuhtung werde meiner Arbeit die 
wiünfchenswerthe Verbefferung angedeihen laffen. Ich bin überzeugt, dieſe 
Formel zur Erforfhung des Wiſſens Chanc indagandaruım artium for- 
mulam) werde in ihrem gegenwärtigen unvollfommenen Zuftande nicht der 
Mißachtung ausgefegt fein, wenn ein jo hochberühmter Mann die Gnade 
bat, fie huldvoll aufzunehmen und der verbeflernden Feile zu würdigen. 
Flöße alfo durd Deinen glänzenden Namen Denjenigen Muth ein, welde 
diefen furgen und ebenen Weg betreten, um die höchſten Wahrheiten zu 
enthüllen. 


Zweites Kapitel, 
Begriff ver Mutbmaßung. ') 


Da präciie Erfenntniß der Wahrheit unerreihbar ift, fo ift jede 
menſchliche pofitive Behauptung über das Wahre Muthmaßung. 
Denn auch das fortwährende Wacfen im Erfaffen der Wahrheit erfchöpft 
diefelbe nicht. Weil nämlih zu dem größten menſchlicher Weife möglichen, 
an fih unerreihbaren Wiffen unfer wirflihes Wiffen in feinem Verhält— 
niffe fteht, fo macht unfer unvollfommenes unfihered Greifen nah Wahr 
beit, fern von der Reinheit derfelben, unfere pofitiven Behauptungen zu 
bloßen Muthmaßungen des Wahren. Die Einheit der unerreid 


1) Diefe Auffchrift fehlt im Originale. 


111 


baren Wahrheit wird daher von uns in muthmaßlider Ans 
dersheit erfannt (cognoseitur igitur inattingibilis veritatis unitas 
alteritate conjecturali); erft jenfeitS werben wir heller, ald durd 
diefed Andersfein, die Wahrheit in der einfachften Einheit mit ihr 
ſthauen. Weil aber der creatürlice Geift von endlicher Wirkfamfeit in 
jedem Andern anders ift, fo daß eine Berfchiedenheit unter den Muth— 
maßenden bleibt, fo iſt es zuverläffig gewiß, daß die Muthmaßungen 
Mehrerer über daſſelbe unerfaßbare Wahre graduell verſchieden, zu eins 
ander jelbft aber unproportional fein werden. jo daß der Eine vielleicht 
mehr als der Andere, Keiner jedoch unfehlbar fiher den Sinn ded Ein- 
seinen erfaßt. Daher gebe ih das hier Mitgetheilte, das ich aus der 
Möglichfeit meines unbedeutenden Geiftes nad nicht geringem Nachdenken 
entwidelt habe, ald meine Muthmaßungen, für große Geifter vielleicht 
ganz unbefriedigend, die jedoch von der Art find, daß fie, wenn auch 
Viele, die an dem unverftändigen Herfömmlichen fefthalten, fie gering. 
[dägen mögen, doch von tiefer dringenden Geiftern als eine nicht ganz 
uuſchmackhafte Speiſe in ein helleres Verſtändniß umgewandelt werden 
fönnen; denn wer durch fleißigen Genuß und wiederholtes Nachdenken ſich 
bier eine geiſtige Nahrung gewinnen will, wird eine tröſtliche Geiſteser⸗ 
quidung erlangen, wenn ihm aud) die Sache anfangs unverarbeitet (cruda) 
und durch ihre Neuheit jogar auftößig ericheint. 

Ich werde zuerft, gleihfam als Handleitung für die Jüngern, an 
einigen Figuren ald Baradigmen den Weg zur generellen Kunft der Muth- 
maßung zeigen, und dann aus der fruchtbaren Anwendung auf Einzelne 
einige Blüthen der Betrachtung pflüden zur Erquidung für Soldye, die 
nad Wahrheit hungern und dürften. 


Drittes Kapitel. 
Urfprung der Muthmaßungen. 


Die Muthmaßungen müflen aus unferm Geifte, wie die wirkliche 
Belt aus der göttlichen unendlichen Vernunft hervorgehen. Denn da der 
menihliche Geift, das erhabene Ebenbild Gottes, an der Fruchtbarkeit der 
töpferiihen Natur möglichft Antheil nimmt, fo entwidelt er aus fic, 
ald dem Bilde der allmächtigen Form, in Achnlichkeit ver wirklichen Dinge, 
Lerſtandesdinge. Wie nämlich, die abfolute göttliche Wefenheit alles das, 
was fie ift, im jedem Mefen ift, welches ift, fo ift auch die Einheit des 
menschlichen Geiftes die Mefenheit feiner Muthmaßungen. Und wie Gott 
Alles um feiner felbft willen wirft, um geiftiger Anfang und Ziel von 
Allem zu fein; fo ift auch die Entfaltung der begrifflichen Welt, die aus 


112 


unferm fie in fich faffenden Geifte hervorgeht, um des fhöpferifchen Geiſtes 
felbft willen da. Denn je tiefer er fi in der aus ihm entwidelten Welt 
erihaut, um fo reicher wird er innerhalb feiner felbft befruchtet, da fein 
Ziel die unendliche Vernunft ift, welde allein das Maaß von Allem und 
der lebendige Mittelpunkt unſers Geiftes iſt. Daher das natürliche Ver: 
fangen nad der Wiſſenſchaft, die und vervollfommnet. 

Wie nun der Urgrund aller Dinge und unferes Geiſtes ein breis 
einiger ift, ſo macht fih unfer Geiſt zum dreieinigen Grund feiner Br 
griffswelt. Denn da der Verftand allein das Maaf der Vielheit, Größe 
und Zufammenfegung ift, die er als die Einheit, Gleichheit und Verbin 
dung aus ſich entfaltet, fo iſt unfer Geift unterfheidendes, Ber 
hältniß-beſtimmendes (proportionativum) und verbindendes 
(compositivum) Princip. 


Viertes Kapitel. 
Das Symbol für dad Urbild der Dinge ift die Zahl. 


Das natürliche und fruchtbare Princip der BVerftandesthätigfeit iſt 
die Zahl: unvernünftige Wefen, wie die Thiere, zählen nicht. Die Zahl 
aber ift nichts Anderes, ald die Entfaltung des Verſtandes. Ohne fie 
wäre für den Verftand nichts von Allem da, was er erreichen fan. Denn 
daß der Verftand zuerft die Zahl aus fich entfaltet, und derjelben bei Bil 
dung feiner Muthmaßungen fih bedient, heißt nichts Anderes, ald daß er 
fih feiner felbft bediene, und in der natürlichen höchſten Aehnlichkeit mit 
ſich Alles fich denfe, wie der unendliche Geift, Gott, in feinem gleich ewigen 
Worte den Dingen das Sein mittheilt. Es fann auch nichts vor der Zahl 
fein. Denn Alles, was aus der einfachften Einheit heraustritt, iſt in 
feiner Weife ein Zufammengefegtes, dieſes aber ohne Zahl nicht denkbar, 
da Vielheit, Verfehievenheit und Verhältniß der Theile aus der Zahl ftammt. 
Die Zahl felbft aber, die Allem vorangeht, ift nur aus fich felbft zw 
fammengefegt. So ift der Ternar aus fich felbft zufammengefegt. Man 
darf fih nicht Dad, Wand und Fundament abgefondert vorftellen, wenn 
man die Form ded Haufes fi denfen will. Der Ternar ift daher eine 
Gombination von Dreien... Iſt alfo nicht die Zahl die höchfte Aehn— 
lichkeit des Geiſtes? und das Weſen der Zahl das erfte Vorbild des Geiftes? 
Denn die Zahl ift das erfte concrete Abbild der Trinität in unferm Ber 
ftande. Durch Muthmaßung von der Verftandeszahl unferes Geifted auf 
die realen Zahlen des göttlichen Geifted übergehend, fagen wir, in dem 
Geifte des Schöpfers fei das erfte Vorbild der Dinge die Zahl ge 
wefen, wie das erfte Vorbild der in Nehnlichkeit mit den Dingen von und 
gefhaffenen Begriffswelt die Zahl unſeres Verftandes ift. 


113 


Fünftes Kapitel. 
Von der natürlichen Progreffion. 


Beachten wir zuerft die SPBrogrefftion der Zahl, fo finden wir, daß 
diefelbe im Duaternar fih erihöpft. Denn die natürlide Entfaltung 
der einfachen Einheit ift die Zehnzahl, aus dem Fortichritte der Zahl 
bis zu Bier, a 1 +2? +3 + 4= 10. Bon 10, oder der zweiten Einheit, 
gelangen wir in gleihem vierfachen Fortichritte zum Quadrat von Zehn, 
Hundert; 10 +20 + 30 + 40 = 100, und auf demfelben Wege von 
Hundert, ald der dritten Einheit zum Gubus von Zehn, Taufend, der 
legten Einheit. Diefer vierfahe Fortſchritt, dreimal wiederholt, 
erihöpft die ganze Möglichkeit der Zahl; alle übrigen Zahlen find Rück— 
gänge zur Einheit. Somit ift der Duaternar die Entfaltung der Einheit, 
die Potenz der gejammten Zahlenwelt. 


—— —— — en — 



































[213 Mo 
9— I I | Faooo| 
Hu ® 3 Fa u — 400 


Sechstes Kapitel. 
Don den vier Einheiten. 


Indem nun unfer Geift davon ausgeht, daß er Alles umfaſſe, durch⸗ 
torihe und begreife, fo fchließt er weiter, daß er dergeftalt in Allem und 
Ales in ihm fei, daß ed Nichts außer ihm geben könne, was feinem 
Blide fih entzöge. Er betrachtet daher in der von ihm felbft entwidelten 
Zahlenähnlichkeit feiner ſelbſt, ald in feinem natürlichen und eigenften 
Bilde feine Einheit, die feine Wefenheit if. Diefe Einheit erfennt er 
eben durch die Zahl als eine vierfache. Die erfte ift die einfachfte, die 
meite die Wurzel der andern, die dritte dad Quadrat, bie vierte der 
Cubus. Don diefen geiftigen Einheiten nennt der Geift die erfte und 
einfachfte — Gott; die zweite, die Wurzel der übrigen, ohne felbft eine 
Vurzelzahl vor fih zu haben — Bernunft (intelligentia); die dritte, die 
quadratifhe Concretheit der zweiten, — Seele, und die legte compacte 
(solida, grossa) und nichts weiter in fi faflende Einheit — den = rper. 

Scharpff, Nic, v. Cuſa. 


114 


Alles aber in Gott ift Gott, in der Vernunft Vernunft, in der Seele 
Seele, im Körper Körper, was fo viel heißt, als daß unfer Geiſt Alles 
entweder göttlich, wie ein Ding die Wahrheit ift, oder vernünftig, 
wie ed awar nicht die Wahrheit, aber wahr, oder ſeeliſch (aui- 
maliter), wie ed wahrſcheinlich, oder förperlich, wie es felbit die 
MWahrjceinlichfeit verliert und Verworrenheit annimmt, betrachtet, 
fo daß der Geift in bewunderungswürdiger Wechſelprogreſſion, wo die gött- 
lie und abjolute Einheit zu Vernunft und Verſtand herab, dagegen die 
coneret finnlihe dur den Berftand in die Vernunft binauffteigt, Alles 
unterfcheidet und mit einander verbindet. 


Siebentes Kapitel. 
Mon der erften Einheit. 


Großes und bisher Verborgenes werde ih num aus diefen Prämiſſen 
an's Licht zu ziehen verſuchen. 

Die götthiche Einheit geht, wenn wir die Zahl ald das Urbilv 
der Dinge annehmen, Allem voran und faßt Alles in fih. Indem fie 
der Vielheit vorangeht, geht fie eben damit aller Verſchiedenheit, Anders: 
heit, Entgegenfeßung, Ungleichheit ıc. voran, und wenn die Arten der 
Dinge wie die Zahlen unterfchieden werden, fo ift fie feine Art, hat feinen 
Namen, Figur x. und ift doch Alles in Allem, die Einheit aller Vielheit, 
das Eine Maaß aller Maaße x. unendlich größer, ald jede Zahl, mithin 
almädtig... Wir fhauen fie daher um fo Hlarer, je mehr loßgetrennt 
von aller Vielheit wir fie ſchauen. Wenn du alles Andere ausge 
ſchieden haft und fie allein fchauft, wenn du dir denfft, daß etwas Anderes 
nie gewejen fei, oder fei, oder fein könne, wenn bu die einfachfte Einheit 
ſelbſt nicht — mehr als einfache, denn ald nicht einfah, nicht — mehr 
als Eine, denn ald nit Eine denkſt, dann bift du in alle Geheimnifte 
eingedrungen, es gibt für dich feinen Zweifel, fein Hinderniß mehr. In 
diefer feiner abfoluten Einheit, in der er Alles ift, ift das Leben des 
Geifted nicht zerftörbar. Bon diefer abfoluten Einheit hat 
aber der ®eift die präcijefte Gewißheit, fo daß er ganz in 
ihr und durd fie thätig fit. Keine Frage fann der Geift aufwerfen, 
welche nicht diefe Einheit vorausſetzte; die Frage, ob fie fei? fegt ihr 
Sein voraus; was fie fei? ihr Weſen; warum fie fei? den Grund; zu 
welhem Ziele? das Ziel von Allem, Was aljo bei allem Zweifel voraus 
gefegt wird, muß das Gewiffefte fein. Auf jede mögliche Frage über 
Gott muß aljo allererft geantwortet werden, daß fie eine ungeeignete if. 
Jede Frage jegt nämlih voraus, daß in Bezug auf das Gefragte fih 


115 


nur der eine der Gegenſätze bewahrheiten oder fi von demfelben etwas 
Anderes, als in Bezug auf andere Dinge bejahen oder verneinen lafle. 
Bon der abjoluten Einheit aber wird nicht einer der Gegenſätze, es wird 
vielmehr jeder mögliche eine eben fo ſehr, als der andere bejaht. Willſt 
du daher das Gefragte beantworten, jo wiederhole nur das vorausgefegte 
Abſolute. So läßt fih 3. B. auf die Frage, ob Gott Menſch ſei, ant- 
werten: er ift jene Wefenheit, durch welche die Menfchheit iftz auf die 
Frage, ob Gott ein Engel ſei: er fei die abfolute Mefenheit des Engelſeins 
(cum entitatem absolutam angelitatis). Weil aber jede Bejahung einer 
Berneinung entgegenfteht und umgekehrt, fo erreicht weder Bejahung noch 
Berneinung das Weſen Gottes, und der abjolut wahrfte Begriff von ibm 
it der, welcher beide Gegenfäge disjunctiv zugleich und copulativ verwirft. 
Die befte Antwort auf die Frage: ob Bott fei, ift daher: daß 
er weder ift, noch nicht ift und daß er nicht — ift und nicht 
if. Doch bleibt aud fie noch — Muthmaßung, da die allerpräcifefte 
Antwort für Verſtand und Vernunft unerreichbar ift. 


Achtes Kapitel, 
Von ber zmeiten Einheit. 


Da die zweite Einheit, die geiftige, aus der erften herabfteigt, 
folglich ins Andersfein, ind Gegenſätzliche, übergeht, fo fann fie nicht 
ſchlechthin einfach, wie die erfte, fondern muß geiftig zufammenges 
jegt fein, fo jedoch, wie ed der einfachen Wurzel zukommt. Daher gehen 
die Gegenfäge ihr nicht vorher, fo daß fie aus ihnen, ald dem Vorher: 
gehenden, zufammengejegt wäre, fondern fie entftehben zugleich mit 
(br und find in ihr ungetheilt und unaufgelöst (indivise atque 
irresolubiliter) enthalten. Fragen. über die Wefenheit felbft, welche den 
einen der Gegenjäge als verneinbar und nur den andern als zu bejahend 
vorausfegen, werden daher in diefer Einheit ungeeignet (improprie) aufs 
geworfen; denn was immer die Vernunft bejaht, bat feinen mit diefer 
Bejahung unverträglichen Gegenſatz (omne enim de intelligentia qualiter- 
eungue affirmabile, incompatibile non habet oppositum). Höher und ein- 
faber ift das vernünftige Sein, ald jene Weiſe des Seins, welde mit 
dem Richtfein unverträglich ift. Gegenfäge, die in ihrer Entfaltung in 
der Berftandeseinheit unverträglich find, find in ihr noch verbunden. So 
it dem Verftande Bewegung der unverlöhnlihe Gegenfag von Ruhe; 
aber wie unendliche Bervegung in der erften Einheit mit der Ruhe coins 
üdiet, fo fchließen fie fih auch in deren nächftem Abbilde nicht aus; denn 
die Bewegung in dem Gefichtöfreis der Vernunft ift einfacher, als der 

g* 





116 


Berftand zu meſſen im Stande if. Wende hier deinen ganzen Scharis 
finn an! Ich erinnere mich, in der Schrift über das gelehrte Nichtwifien 
über Gott öfterd vom Standpunft ver Vernunft, durd Zufammen- 
fafjung (per copulationem) der Gegenfäge in die einfache Einheit ge, 
fprochen zu haben. In dem eben Gefagten aber habe ich die Sache vom 
göttlihden Standpunfte aus (divinaliter intentum explicavi) aufge 
faßt. Biel einfacher it die Negation der Gegenſätze disjunctiv und 
copulativ zugleich, ald die Zufammenfaffung derfelben. Weil daher alle 
Fragen, die von dem forfchenden Berftande ausgehen, durd die Vernunft 
das find, was fie find, fo fegen fie alle die Vernunft voraus, 
Wie könnte der Verftand über die Vernunft eine Unterſuchung anftellen, 
ohne Das anregende und beftrahlende Licht der Vernunft? 
Die Vernunft verhält ſich aljo zum Werftande, wie Gott zur Vernunft. 
Daher ſchaue auch bier in allen Fragen, die der Verſtand aufwirft, auf 
die Borausfegung und antworte diefer gemäß. So auf die Frage: 
was ift die Vernunft? antworte: fie ift die vorausgefegte geiftige Welenheit 
(quidditas), von der die Wefenheit des Verftandes abhängt. Willft du 
alfo die Wahrheit auf dem Standpunfte der Vernunft erforichen, fo mußt 
du dich auch vernunftmäßiger Begriffe bedienen, die feinen unverträglichen 
Gegenfag haben, da dieje Unverträglichfeit der Gegenſätze nicht zur Natur 
der Bernunfteinheit gehört. Daher genügen die üblichen Berftandes-Be- 
griffe (Kategorien) von Bewegung, Ruhe, Raum, Geftalt, Subftanz, Ac 
cidens in der Weije, wie fie der Verſtand bemügt, der Bernunfterfenntnif 
nicht. Der Berftand ift das Wort der Vernunft, in weldem dieje wie 
in ihrem Abbilde widerfcheint. Fragt man daher, ob die Vernunft ein 
Duantum jei, jo liegt die Muthmaßung fehr nahe in der Antwort: fie 
ift nicht ein Duantum, fondern das Weſen, die Idee ded Quantum 
(ratio quanti); ebenfo ift fie nicht der Raum, fondern die Idee des 
Raums x. Denfe hierüber reiflih nad und viele Schwierigfeiten werden 
fi dir löfen. 


Neuntes Kapitel, 
Mon der dritten Einheit. 


Die dritte Einheit, die Seele, wird nicht unpaffend das Quadrat 
der Vernunft genannt; denn in der Seele ift die Einheit der Vernunft 
entfaltet und fpiegelt fi in ihr, wie in ihrem eigentlichen Bilde ab. 
Dies beachte um fo mehr, weil in ähnlicher Weife die körperliche Form 
die Zahl der Einheit der Seele ift; denn fo wie wir die erfte, einfachfte 
Einheit nicht in fi, fondern in der Vernunft, ald deren Zahl, die Ber: 
nunft nicht in fich, fondern in der Seele ſchauen, fo fehen wir auch die 


117 


Rraft oder Einheit der Seele nicht in fi, fondern in deren förperlicher 
Entfaltung auf eine finnlihe Weije. Beachte ferner: Aus der Vermehs 
rung der Hundertzahl, des Bildes der Seele, durch die Zehnzahl entftcht 
Taufend, das Bild des Körperd. Es ift daher die Seele nidt Wurzel 
des Kubifchen oder des Körpers, fondern das Mittel und Werfzeug, 
durh welches die Vernunft in den Körper heruiederſteigt; der Körper ift 
bie durch die Seele vermittelte Bervielfältigung des Geiſtes. Da nun 
in allem Körperlichen die Seele ald Werkzeug ſich abfpiegelt, fo ift die 
Seele die Borausfegung und Einheit alles Sinnlihen. Alles finnlich 
Verſchiedene und Entgegengelegte hat daher Einen Grund, der im verfchies 
dener Coneretheit die Mannigfaltigfeit des Sinnlihen ausmacht. Die 
Urtheile der Seele find aljo wie die Zahlen, von welden die eine 
gerade, die andere ungerade ift und mie dieſelbe Beides zugleich, 
gerade und ungerade. Die Seele hält daher die Gegenfäge in ihrem 
Orunde für unverföhnlic, da ihr Urtheil die Zahl oder die Entfaltung 
ihrer (höhern) Einheit ift, alfo diefe felbft in ihrer Einfachheit nicht ers 
reiht, wie dies aud in analoger Weife bei den übrigen Einheiten der 
Fall if. 


Zehntes Kapitel, 
Don der legten Einheit. 


Die finnlidhe, förperlide Einheit ift die legte, weil fie die 
Entfaltung der Einheiten ift und ſelbſt nichts mehr in fih befaßt. Nur 
der Geift kennt und unterfheidet die drei erften Einheiten, der Sinn erfaßt 
nur das Körperlibe. Nun fehen wir auch deutlih ein, wie uns 
gereimt es ift, wenn wir durch das Sinnliche das Geiftige 
meſſen wollen. Ungereimt ift es ſchon, die Einfachheit der Linie durch 
den Körper zu meffen, aber das Allerungereimtefte, das Untheilbare, ven 
einfahften Punkt in die Geftalt des Körperd einzukleiden. Durch alle 
ſolche körperliche Formen und finnliche Ueberlieferungen auf dem Gebiete 
vr Literatur (per has sensibiles literatorias tralitiones) erhalten wir 
nur eine verfehrte und dunkle Vorftellung von tieferen theologiichen Ideen. 

Der Sinn fühlt nur das Sinnliche, aber fein Fühlen ift verworren 
und unterſchiedslos ohne die höhere Einheit des Sinnes; denn daß der 
Einn Weißes und Schwarzes, Wärme und Kälte, Scharfes und Stumpfes 
ünterjcheidet, das fümmt von feiner höhern Einheit, dem unterfcheidenden 
Verſtand. Der Sinn ald folder negirt daher nicht, denn Negiren ift 
Unterfheiden; er bejaht nur, daß das Sinnlihe fei, aber nicht Diefes 
oder Jenes. Der Berftand bedient fi alfo des Sinnes als eines Werk: 
wuged, um das Sinnliche zu unterfcheiden, aber er felbft ift es, der im 


118 


Sinne das Sinnlihe unterfcheidet. Beachte nun, Vater Julian, wie aus 
dem Gebiete des Sinnlihen alle Verneinung entfernt ift, gleihwie aus 
dem der oberften Einheit alle Bejahung. In den mittlern Einheiten fommen 
Beide, Bejahung und Verneinung vor, verbunden in der zweiten, aus: 
einander getreten in der dritten. So ſprechen wir in der unterften Einheit 
nur von der gegenwärtigen Zeit, in der oberften von feiner Zeit, in ber 
zweiten von der gegenwärtigen und nicht gegenwärtigen, in der dritten 
von der gegenwärtigen oder nicht gegenwärtigen. Wenn man daher 
die Begriffeden@inbeiten,aufweldefih unfereForfhung 
bezieht, anpaßt, jo ergeben fib die wahreren Muth 
maßungen Wenn wir 3. B. als VBerftandeswefen von Gott reden, 
jo unterwerfen wir Gott den Gejegen des PVerftandes und bejahen das 
Eine, verneinen das Andere von ibm. Das ift die Weife beinahe 
aller neuen Theologen, welde von Gott vom Standpunkte 
des Verftandes aus ſprechen; auf diefem Wege behaupten wir Vieles, 
was wir vom Geſichtspunkte der einfahen Einheit aus verneinen müſſen. 

Eines ift bier noch zu beachten: die finnliche Einheit, die feiner 
weitern Entfaltung fähig ift, fehrt nad Oben zurüd. Der Sinn fehrt 
in den Berftand, dieſer in die Vernunft, die Vernunft in Gott, den Anfang 
und die Vollendung zurüdf, in vollendetem Kreislaufe. Es irrt alfo der 
Sinn von dem Wege zur Rüdfehr in das legte Ziel ab, wenn er von 
der Einheit des Verſtandes fich entfernt, ähnlich Verftand und Vernunft. 


Elites Kapitel. 
Von der Einheit und dem Anderöfeln. 


Nachdem ih nun, fo weit ed mein ungebildeter Geift vermochte, aus 
der Zahlenordnung die Örundlage für meine Muthmaßungen gewonnen 
habe, will ih nun, aus derfelben Wurzel, Eined, was immer aufs Neue 
dem Geifte einzuprägen ift, beifügen. 

Jede Zahl befteht aus Einem und einem Andern, aber nie wird bie 
Einheit einer Zahl der Einheit einer andern vollfommen gleich fein, da 
im Endlichen präcife Gleichheit unmöglih if. Es wird daher Zahlen 
geben, in welden die Einheit die Andersheit beftegt und foldhe, im welchen 
die Anderöheit die Einheit zu verichlingen fcheint. Niemand zweifelt 
daran, daß die Wurzelzahlen einfacher feien, ald die Duadrats und Kus 
bifzgahlen, die ein Vielfaches find, alfo der PVielheit angehören. Nach 
diefem Vorbilde denfe dir nun das Univerfum und alle Welten mit Allem, 
was aus ihnen hervorgeht, aus der in einander übergehenden Einheit und 
Anderöheit gebildet, jedoch in verfchiedener Weife, nah dem Geſetze der 


119 


‚ Einheitsentfaltung. Stelle dir nun die Einheit ald ein belebendes und 
bildendes Licht, die Anvdersheit ald Schatten und Rückſchritt von dem erften 
Einfachften, als die materielle Dichtigkeit vor; laß nun eime Lichtpyramide 
in Finfterniß und eine Finfternifpyramive in das Lichtgebiet übergehen 
und führe alles zu Erforſchende auf diefe Figur zurüd, um nad ihrer 
Anleitung in die Geheimniffe einzubringen, 

Paradigma der drei Welten, der höchſten lichtartigen, der unterften 
finfternißartigen und der dazwiſchenliegenden. 





2 
2 " ‚mittlere =; 
er A 37 
= ei.) 
nn N dr 
- 
* ei 
=] Sm 
3 3 2 
“| 3 
* 


Gott, die Einheit, iſt gleichſam die Baſis des Lichts, die Baſis der 
Finſterniß iſt das Nichts. Zwiſchen Gott und das Nichts aber 
fällt nach unſerer Muthmaßung jegliche Creatur. Die 
oberſte Welt iſt reich an Licht, jedoch nicht ohne Finſterniß; in der unters 
Ren Welt herrjcht die Finfterniß, wiewohl auch fie nicht lichtlos if. Nur 
das muß ich immer wieder erinnern, daß man fich fein finnliches Licht 
oder Finfterniß denfen darf, um nicht irrige VBorftellungen zu bekommen. 


Zwölftes Kapitel, 
Erläuterung. 


Die ganze Kraft unferes Geifted muß fich der tiefften Erfaffung der 
Einheit zumenden, weil die ganze Menge des Erfennbaren von ihrer Er- 
kenntniß abhängt, welche in jeder Wiffenfchaft das ift, was gewußt wird. 
Die ganze Menge ihrer Namen ift nichts anderes als gewifle Zahlen: 
auöbrüde ihres Einen Namens. Was daher den Charakter der Uns 
theilbarfeit (wie: Ungerftörlichkeit, Unfterblichkeit Unveränderlichfeit, 
Unbeweglichkeit) des Unterfhiedenen (wie: die Geftalt, das Einzelne, 
das Licht, das Feuer, das Gelftige), und der Verbindung (wie: Thä- 
tigkeit, Ganzes, Allgemeines, Gattung, Liebe, Kunft) an fih trägt, das 
geht in feinen Gegenfag ebenfo über, wie die Einheit in die Andersheit. 


120 


| 
Es geht daher im oberften Himmel alle Andersheit, und was zu ihr ger | 
hört, in die Einheit über, in dem unterften Himmel ift die gerade ent- | 
gegengefegte Bewegung: hier ift das Unfterblihe in Sterblichkeit, die 
Wirklichkeit in der Möglichkeit, die Männlichkeit in der Weiblichkeit ıc. x. | 
In der mittleren Welt ift ein mittlerer Zuftand. | 
Wer died genau erwägt, der ſchaut Großes und Vielen gang und | 
gar Berborgened im hellften Lichte und dringt bis im die tiefiten Ge 
heimniffe der Natur. Denn er wird dahin geführt, daß die Welt nur, 
die Einheit und Andersheit in einer Variation von Bezeicd- 
nungen {ft (duceris enim in variationes terminorum unius et alterius 
mundi). ben daher eriftirt alles in der Welt Möglihe in Diffe 
renzen: anders ift in dem einen Dinge die Einheit mit der Andersheit 
verbunden, anders in dem andern. Auf ein einfah Größtes oder 
Kleinftes kömmt man daher in ihr nit. Von der Annäherung 
an die Einheit oder der Entfernung von ihr, von dem Grade, in weldem 
die Einheit in einem Weſen in Wirklichkeit oder in der Möglichkeit iſt, 
hängt daher aud der Werth, die Würde und die Vollfommenbeit 
eined Dinge ab. Denn die Einheit faßt auch den Einklang von Grund 
oder Anfang und Ziel eines Dinges in fih. So ift die Einheit der 
Seele volltommener, als die des Körpers, weil das Ziel der Einheit des 
Körpers die Einheit der Seele iſt; denn mit der Seele ſchwindet auch 
die Einheit des Körpers. Zu den nachweisbar einfachſten Elementar- 
Einheiten, die ganz in Wirflichfeit (actu) find, können wir aber nit 
gelangen, weil es bei graduell Verſchiedenem fein abfolut Größtes und 
Kleinftes gibt (es gibt z. B. kein Waffer, das ſich nicht in Hinficht auf 
das Glementare von dem andern als Species unterfchiede), wiewohl der 
Verſtand das Dafein derfelben glaubt. Aber die wahre Einfiht in das 
Orundelement alles Seins — Gott — gibt und wieder nur jene negas 
tive Wifjenfhaft, welche präcife Erfenntniß als unmöglih nadhweist. Sie 
zeigt zugleich, was fehr wichtig ift, daß das Fortjchreiten der Einheit in 
die Ander&heit zugleich ein Fortichreiten der Andersheit in die Einheit iftz fie 
haut alfo das wieder verbunden, was der Berftand trennt. Dieje Eins 
fiht haben fi die Philofophen und philofophirenden 
Theologen bisher durd ihr Grundprincip unmöglid gemadt. 


Dreizehntes Kapitel. 
Das vernünftig Erfennbare ift in feinem Anſich nicht zu erkennen. 


Sn dem entwicelten Begriffe der Einheit ift nun auch tiefer be 
gründet, was gleich im ingange über das Wefen der menſchlichen Er, 


121 


fenntniß ale Muthmaßung gejagt wurde. Die Einheit ift nämlich bie 
unmittelbare in ihrem Anfich unerreihbare Identität. Nun ift aber jedes 
Weſen nur in feinem eigenen Eein, in feinem Anſich, in jedem andern 
anderd. Der Kreis z. B. als ein Verftandesding wird nur in feiner 
eigenthümlichen Wefenheit, welche eben der Verſtand ift, erfaßt; außer 
dem Berftande, in der Sinnlichkeit, ald ſinnlicher Kreis ift er nicht mehr 
in feinem Anfih, er ift in einem Andern, daher anders und nicht in 
feinem Anfih präcis zu erfaffen. Und wenn fi auch das Anfich nicht 
anders, denn als Anfih mittheilte, fo fann es doch in einem Andern 
nur anders participirt werden, nicht in Folge eines innern Mangels, fons 
dern weil es in einem Andern ift. Schenke diefem Sate deine ganze Auf 
merffamfeit, um in die Mannicyfaltigkeit der Muthmaßungen tiefer eins 
wdringen! Du ſiehſt nun, daß Du nichts vernünftig Erkenn— 
bares (intelligibile) in feinem Anfiherfenneft, wenn Du Deine 
Vernunft füretwas Anderes hältft, ale das Erfennbare felbft; 
denn das vernünftig Erfennbare wird nur in feiner eigenen Idee, durch 
deren Sein es ift, in feinem Aufih erfannt, in allem Andern aber anders. 
Nichts wird aljo in feinem Anfih erfannt, außer in der eigenen Wahrs 
beit, dur Die es ift. Daher wird nur in der göttlichen Vernunft, durch 
welde jedes Ding ift, das Anfih aller Dinge erreicht, in jeder andern 
Vernunft anders. Wie die Verfchiedenbeit der Echauenden in 
der Einheit des Schaueng, fo fchließt fih die Verfhiedenbeit 
des zu Schauenden (visibilium) in der Einheit der Anſchauung— 
zuſammen. Nicht fo aber ift es zu denken, als gingen die Geifter, die 
den Lichtſtrahl der göttlihen Vernunft in fi aufnehmen, auf natürliche 
Reife diefer Aufnahme voraus; fondern das geiftige Barticipiren an jenem 
unmittheilbaren höchſt wirffamen Lichte ift eben ihre Weſenheit; und 
da diefed PBarticipiren in verfchiedenem Grade, in verfchiedener Potenz, ftatts 
findet, jo fönnen wir fagen: die ganze Thätigfeit unferer Ber» 
nunft befteht in potentiell verfchiedbener Theilnabme an der 
göttlichen Thätigfeit (potius igitur omnis nostra intelligentia ex 
participatione actualitatis divinae in potentiali varietate consistit). 
Denn das actuelle Erfaffenfönnen der Wahrheit an fi kommt den 
geibaffenen Geiftern in der Weife zu, wie e8 Gott eigen ift, jene 
Actualität feldft zu fein, die von den erfchaffenen Geiſtern in verfchiedener 
Potenz participirt wird. Je durchgebildeter (formior) daher die Gottes- 
erfenntniß, defto näher fommt ihre Potentialität der höchſten Wirklichkeit, 
ie dunkler, defto entfernter ift fie von ihr. Da alfo nur eine ftete Ans 
näberung, fein Erreichen des Anſich möglich ift, fo ſiehſt Du, daß alle 
pofitiven Behauptungen der Weifen nur Muthmaßungen find. Die 


122 


Muthmaßung iſt eine pofitive Behauptung, welde das An- 
fi der Wahrheit im Andersfein participirt. 

Welches ift aber die Art und Weife dieſes Participirens? Da 
Alles, was ein PBarticipiren zuläßt, diefes nur im Andersfein zuläßt, fo 
muß ed in der Bierheit gefchehen; denn Indem die Einheit zum Anderds 
fein vorichreitet, bleibt fie im Quaternar ftehen, da Alles, was in einem 
Andern participirt wird, weder am Größten noch am Sleinften, noch auf 
völlig gleihe Weile von diefem in fih aufgenommen werben kann. Der 
Adfallaber von dem am Gröften-, am Kleinftene und dem Gfeichfein 
ift der Quaternar. Die abfolute Einfachheit wird daher eben, weil fe 
die Einfachheit ift, nicht participirt in einem Theilverhältniſſe, 
nicht als Inbegriff des Barticipirten, nibt als ins Ans 
dberdjein übergegangene Entfaltung, fondern fie ift als Art 
und Weile der Kraft der an fib Fein Barticipiren zulajr 
fenden Einheit in ihrer Zufammenfaffung in einer gewiſ— 
fen Eoincidenz zu denfen. (Non igitur participatur unitas ut 
est complicans simplicitas, nec ut est alterata explicatio, sed ut alte- 
rabilis ejus participabilis explicatoria, quasi quidam modus virtutis 
ipsius complicative imparticipabilis unitatis, per quandam coincidentiam 
intelligitur.) 


Bierzehntes Kapitel. 
Von den drei Welten. 


Durd das Herabfteigen der erften göttlihen Einheit in die Zehner: 
einheit und die Rüdfehr diefer in jene entfteht eine oberfte Welt, die 
man auch den dritten Himmel nennen fann: in analoger Weiſe eine 
zweite und dritte Welt. So befteht alfo das Univerſum aus einer 
ganz geiftigen Gentralmelt, aus einer ganz dichten Peripheriewelt und 
aus einer mittlern. Das Centrum der erften it Gott, das Centrum der 
zweiten die Vernunft (intelligentia), das der dritten der Berftand. 
Die Sinnlichkeit ift gleichſam die dichte Rinde um die dritte Welt. Wie 
das erfte Centrum, Alles in Allem befaffend, überall Centrum ift, fo die 
Einnlichfeit überall nur Ertremität. Alles ift in der erften Welt, 
Alles in der zweiten, Alles in der dritten, in jeder Welt 
nad feiner Weife; in der erften Welt in feiner Wahrheit, in ber 
zweiten in einer entfernteren Nehnlichfeit, in der dritten im dem entfernte 
ften Schattenbilde, wie das Bild eines Waters in feinen entfernteften 
Verwandten faum noch erkennbar if. Das Bild der wahren Kind» 
haft Gottes (Hliationis), unſers Vaters und Urgrundes haben mir 
daher nur in dem dritten Himmel, deffen Centrum die Wahrheit felbft iſt. 


123 


Nurdort werden wir als wahre Söhne das Rei der 
Vahrheit befigen können. 


Fünfzehntes Kapitel. 
Von den dreimal drei Unterfheldungen. 


Ich muthmaße nun weiter, daß jede der brei Welten des Univer- 
ſums die Zahlenreihe in fi wiederhole, jo daß jede in ihrer Weife 
vollfommen ift, freilich mit Beibehaltung der grabuellen Verſchieden⸗ 
kit, So ergeben fih denn im Univerfum neue graduelle Einheiten aus 
der erften einfachften Einheit, wie folgende Figur des Univerſums (P), 
ver 3 Welten, 9 Dronungen und 27 Chöre zeigt, die zum Berftändniß 
des Ganzen unentbehrlich ift, 


Kr * | —E 


0 
R— 

⸗ 
⸗ 


— 


— 






— rn 
FA / 
IN, 

2 


z 





124 


Große Geheimniffe, die Vielen verborgen find, werden fih Dir, 
wenn Du diefe Figur, wie fih’8 gebührt, mit dem Auge des Geifted 
betrachteft, enthüllen. 1) Der Denar iſt der Inbegriff aller Zahl, ver 
Duaternar die Vollendung jeder Progreſſion. Wiermal zehn find vierzig. 
Du findeft daher in Allem zufammen 40 Kreiſe. Die Progreffion 1, 3, 
9, 27 = 40 wird daher mit Recht gepriefen. Denn wie 1, 2, 3,4 
die regelmäßigfte Progreffion aller Zahl ift, (die Multipltcation des Bi: 
nars gibt den Quaternar, wie die Aodition der Einheit zum Ternar); je 
gibt es zum Zehnfahen des Quaternar⸗Vierzig feine regelmäßigere Pro 
greſſton als 1, 3, 9, 27. 2) Beachte, wie die einfache Einheit, welde 
hier Gott bezeichnet, vier Kreife berührt, den des Univerfums, der oberften 
Melt, der oberften Ordnung und des oberften Chots. Sie participiren alle 
ftufenweife an feinem Lichte und feiner Welenheit, und ein Chor 
theilt dem andern das empfangene Licht mit, bis es zum Tegten 
gelangt. Aber vabei ift doch die Zehnheit abjoluter in der oberften, einge 
fchränfter (contractior) in der mittlern Welt, und der unterfte Grad der 
obern Ordnung coincidirt immer mit dem oberften der mächft niedern. Da 
die 9 Zehner-, Hunderts und Taufendeinheiten der 3 Ordnungen fi zu 
einander wie die Progreffionen der Zahlen verhalten und immer mit 
der abfoluten Einheit anfangen, fo kömmt in jeder Welt 
die Progreffion zu ihrer Bollendung. 

So muß denn nad den verjhiedenen Urtheilen der ver 
Ihiedenen Welten verfhieden über fie geurtheilt werden. 
Veber jeden Denfenden urtheilt anders die Schule der Grammatiker, anders 
die der Matheinatifer, anders die der Theologen. Anders ift ferner das 
Urtheil der unteren Welt in ihrem Fürfichfein, anders in ihrem Ber 
hältniß zu den obern Welten. Wer daher muthmaßt, der wiſſe 
vor Allem zu unterfheiden und das Unterſchiedene bald einzeln, 
bald im Verhältniß zu einander zu betrachten, um bald zu verneinen, bald 
zu bejahen. Keine Welt zählt oder fpricht oder thut wie die andert. 
Die rein geiftigen Naturen (intelligentiae) werben nicht gezählt, wie 
Steine oder Thiere, fie reden nicht, wie die Menſchen, fondern jede 
Welt hat ihre Weife. 


Bweites Bud. 


Erites Kapitel. ') 


Nah diefer Fundamentallehre meiner Muthmaßungen will ih nun bie 
Einfachheit und Identität des entwidelten Begriffs in einer Mannigfaltigkeit 
von Anderdheiten faßliher mahen und dad Gefagte durch Anwendung 
erläutern. Wenn Du dann Dasfelbe in verfciedener Weife fih abfpiegeln 
ſiehſt, iſt Dir durch die Kunft des Muthmaßens der Weg zu jeglicher Unter 
ſuchung geöffnet. 


Drittes Kapitel, 
Bon der Verſchiedenheit und Lebereinftimmung. 


Der menfhlihe Geift ald Verſtand, der als foldher das Unendliche 
von dem Kreife feines Erkennens ausjchließt, behauptet, jedes Ding unters 
ideide fi von dem andern, und jeder mögliche Unterfchied fei immer 
Heiner, als der unendliche, dieſer aber fei ebenfo Unterfchted, ald er zus 
gleih Einftimmung if. Jegliches ſtimmt alfo mit Jeglichem 
überein und ift von ibm verfhieden, jedoch nie in abfoluter 
Präcifion, die im Univerfum vergebens gefucht wird. Wenn dies für die 
finnlihe Welt, nah der Natur diefer Welt, ald wahr gilt, fo hat jedes 
finnlihe Weſen mit jedem finnlichen Wefen eine univerfellfte Einftimmung 
und eine ſpeciellſte Verfchiedenheit. Denken wir und jene als die Eins 
beit, diefe ald die Andersheit, nach der Figur P, fo geht eine im die 
andere durch zwei Mittelftufen über, und mit Anwendung der Figur des 


1) Das erfle und zweite Kapitel haben feine befondere Auffchriftl. Wir über: 
geben den Inhalt derfelben, da er nur eine ausführliche Erörterung des oft befprochenen 
Gedankens ift, dag wir es zu einer präcifen Erkenntniß unmöglich bringen fönnen, und 
af die vermeintliche Präcifion der Sinnen-, Verſtandes⸗ und Vernunfterkenntniß in 
ihtem Andersfein als Unvolllommenheit erkannt wird, fobald man fie im Lichte ber 
naht höheren Ginheit betrachtet. (Oportet etiam, ut fundamentum illud inattin- 
gibilis praeeisionis ad hoc indesinenter resolvas, ut, dum tibi aut sensibilis aut ratio- 
valis, aut intellectualis occurrit praecisio, eam ut contractam taliter praecisam ad- 
mittas, enjus alteritatem tunc tantum intueberis, quando in unitatem absolutioris 
tontractionis ascenderis). 





126 


Univerfums fäßt fih der Sag auch fo ausſprechen: jedes finnliche Wefen 
ift mit jedem und feinem übereinftimmend, von jedem und feinem ver 
ihieden. Denn denfen wir und den Mittelpunkt eines der Fleinften Kreiſt 
als ein Einzelnmwefen, fo ift es ald Mittelpunkt von allen andern ver 
fhieden, als ein Bunft überhaupt füllt e8 in den Kreid des Univerſums 
und hat daher mit dem übrigen Inhalt deffelben eine univerfelle Weber 
einftimmung, eine generelle mit dem nächft kleinern Kreife, eine ſpecielle 
mit dem noch fleinern und eine fpeciellfte mit dem allerfleinften Kreiſe. 
Alles Univerfelle, Generelle und Specielle julianifirt in Dir, Julian, vole 
die Harmonie auf der Flöte flötet, auf der Zither — zithert (eitharizat). 


Viertes Kapitel. 
Von den Elementen, 


Gibt es nun eine univerfelle Uebereinftimmung aller Dinge im Uni: 
verfum, fo ift auch in allen eine gemeinfame, erfte und univerfellfte Natur, 
die unfere Muthmaßung Elementarnatur nennt. Clement nenne id 
die von der Andersheit verfchlungene und eben darum nicht einfach in fid 
ald reine Actualität beftehende Einheit einer jeden Lebensſphäre. Das 
aus den Elementen Entftandene (elementatum) kann daher nicht in ein 
fache Elemente aufgelöst werden, da die Auflöfung zu einem Einfachften 
nicht fommen fann, und das einfache Element nicht die Kraft hat, wirklich 
(actu) zu eriftiren. Die Unterfheidung der Elemente ergibt fi aus 
der allgemeinen Figur der Unterfcheidung; fie ift eine dreifache: ald Wurzel, 
Duadrat, Cubus. Die einen Elemente beziehen fih mehr auf die Ber 
nunft, andere auf den Verftand, andere auf die Sinne. Was der Einn für 
Element hält, ift dem Verſtande ein Zufammengefegtes (elementatum) 
und was diefem Clement ift, darin ſieht die Vernunft Zufammenfegung. 

Daß wir aber der Elemente vier annehmen, die in einander ſich 
auflöfen laffen, davon ift der Grund, weil der Quaternar es ift, der 
das Kortichreiten der Einheit in das Andersfein und die Rückkehr des 
Andersfein in die Einheit vermittelt. Denn denfen wir und die Elemente 
als PBunfte, fo ergibt fih, daß 3 Elemente zur Bildung eined Körpers 
(solidum) nicht hinreichen, aber auch, daß nad) (post) dem Quaternar eine 
Verbindung eined Jeglicben mit Jeglichem nicht möglich ift. Der Beweis 
für legteren Sap liegt im Folgenden. Jede Linte fann im eine immer 
weiter theilbare getheilt werden, ohne daß das Theildhen je den Punkt 
erreicht. Es find daher der Potenz nach nicht mehr Punfte in der einen, 
als in der andern Linie. Es läßt fi folglih der Punkt von der Linie 
nicht trennen, da er weder ein Theil der Linie ift, noch die für fh ber 


127 


fiehende Einheit. Aus demfelben Grunde kann die einfache Linie nicht von der 
Oberfläche, diefe nicht vom Körper getrennt werden; es müßte fonft der Bunft 
von der Linie abgefondert werden fünnen. Nun füllt aber die Linie bes 
fanntlich zwifchen zwei Punkte. Die Linie ift alfo die Fortjegung zweier 
fih wechfelfeitig wiederholender Punkte; die einfache Oberfläde, von drei 
Linien begrenzt, ift die Wiederholung dreier Punfte, und jo der Körper 
die wechjeljeitige Verbindung von vier Punkten. Im Duinar ift feine 
ſolche Verbindung derfelben möglich, bei der jeder Punkt mit jedem vers 
bunden ift (innectatur). Beranfchaulicht wird dies an der dreiſeitigen 
Pyramide, dem einfachften Körper aus d Punkten, 6 Linien und 4 drei— 
winfligen Oberflähen. Es gibt daher vier Elemente, aus diejen 
gehen 6 und durch deren Vermittlung 4 hervor. Weil aber die Elemente 
eine gewifle Combination zu einander bilden, fo entjteht ein anderes Ele» 
ment, wenn eines die andern vereinigt, und wieder ein anderes, wenn mit 
einem andern die übrigen verbunden werden. Jedes Element faßt daher 
die 3 andern in fi, wie der Kegel (conus) einer dreijeitigen Pyramide, fo 
dag die Einheit von einem die Actualität der übrigen ift und jo das eigen- 
thümliche Product dieſes einen Elementes fi herausſtellt. Solcher Pro- 
ducte (prima elementata) find es daher 4. Die 3 übrigen Elemente, 
in dem einfachern, bellern und geeinigtern verbunden, find in der Region 
der Sinnlichkeit dad Feuer, in dem Pdichteren und finfteren vereint — bie 
Erde, in dem, dem erftern fich nähernden — die Luft, in dem, dem letzteren 
ih nähernden — das Waffer. Was man aljo gewöhnlich Elemente nennt, 
find die vier erften und allgemeinften Producte der Elemente (elementata.) 


Fünftes und ſechstes Kapitel. 
Wie ift das Clement in feinem Producte? 


Wie ift aber dad Element in feinem Producte? Dies zeigt Dir die 
Figur des Univerfums. Denn wenn Du Luft, Feuer, Waſſer oder Erde 
Dir ald den größern Kreis denkſt, fo fiehit Du, wie in demfelben die 
Kreiſe der drei andern Elemente enthalten find. Gin Clement faßt alfo 
univerfelt im ſich 3, diefe 3 generell 9, dieſe 9 fpeciel 27. So ift der 
Gubus des Ternars die Entfaltung jedes Glements zur fpeciellen Ein: 
beit, Diefe aber faßt das Individuelle fo in fih, wie z. B. die latei- 
nie Sprache alle möglichen Worte und Verbindungen, d. b. unerfhöpflic. 
Das Individuum iſt gleichſam das Ende des Ausſtrömens der Elemente 
und der Anfang ihres Zurüdftrömeng ; das Gegentheil gilt von der höch ſten 
Öattung (generalissimum). Das Meer wird die allgemeine Mutter der 


128 


Flüffe genannt; denn in der Duelle ift es auf das Speclellfte eingefhränft; 
aus ihr entfteht der Bach, der zulegt wieder in's Meer zurüdfehrt. 

Aus dem Bisherigen ift zugleih Flar, daß feine Wiſſenſchaft die prä- 
ciie Zufammenfegung der Elemente erreicht, weil es unmöglich ift, daß 
2 Dinge auf gleihe Weiſe die Natur der Elemente participiren. 

Sp viel von den Elementen im Allgemeinen. Willſt Du in bie 
BDefonderheit der Elemente eingehen, jo verfahre proportional den 
einzelnen Gebieten. Wie in der finnlihen Welt finnliche, fo denke 
dir in der verftändigen verftändige, in der vernünftigen vernünftige 
Elemente. Beachte dies wohl, Julian, denn die abfolute Einheit, welde 
auch die unausfprechliche Wahrheit tft, ift in ihrem Anfih unerfaßbar, 
Das Sein des Geiſtes aber ift Denfen und das heißt an der Wahrheit 
Theil haben. Und weil dies Theilhaben nur im Andersjein, in der Viel 
heit und Verſchiedenheit geichieht, fo wird das die rechte Theilnahme an 
der Wahrheit fein, in welchem die Kraft der Wahrheit geeineter und har- 
monifcher wiedertönt, wie das Ohr fich ergögt an dem Einflange verſchie— 
dener Töne. Unausſprechlich ift daher die Freude deffen, der in ver Man: 
nigfaltigfeit geiftiger Wahrheiten die Einheit der unendlihen Wahrheit 
felöft erfaßt. Denn er fieht im Andersfein des geiftig Erkennbaren bie 
Einheit aller Schönheit, hört geiftig die Einheit aller Harmonie, Foftet die 
Einheit aller Süßigfeit, erfaßt die Einheit aller Gründe und Urſachen und 
haut in geiftiger Wonne Alles in der Wahrheit, die er allein Tiebt. 


Siebentes Kapitel, 
Vom Senar, Septenar und Denar. 


Da die abfolute Einheit, wie wir gefehen, nur im Andersfein parti- 
eipirt wird, jo fteigt die abfolute Einheit herab in die geiftige Unendlich— 
feit, diefe in die verftändige, diefe in die finnliche, welche ſich in demſelben 
Stufengange wieder zur abfoluten Einheit erhebt, fo daß in der abjo- 
Iuten Einheit Anfang des Ausftrömens und Ende des Rüchſtrömens, 
in der finnliden Einheit Ende des Ausftrömend und Anfang des 

— Rückſtrömens coincidiren. Für dieſe über ſich kreis— 

— ee förmig zurückkehrende Progreifton ift der Senar bad 

f Zahlenbild und die nebenflehende Figur die Veran 

ihaulihung. Es bezeichnet a die abſolute, b die gei« 

ftige, e die verftändige, d die finnliche, e die verftän- 
dige, f die gelftige Einheit. 

68 erhellt hieraus: wie der Kreislauf des Senard 
das Maaf des Perpetuirlichen ift, und wie die Zeitfolge aus dem 





129 


Perpetuirlichen hervorgeht und die Natur alles Werdenden und Vergehenden 
beherricht, jo geht der Septenar aus dem Senar hervor ald das Zahlen- 
bild der nicht zu ſich ſelbſt zurücfehrenden, fondern in ein anderes Aehnliche 
übergehenden Progreifion. Wenn aus dem Samen der Baum und aus dem 
Baume wieder Samen entiteht, fo umfaßt Beides der Septenar, welder 
entfteht, wenn das Ende in der Zahl mit dem Erften nicht coincidirt, wohl 
aber dad Ende ded Ausjtrömend mit dem Anfange des Rückſtrömens. 
Aus dem Septenar entfteht der Denarz denn wenn F x 
a der Same ift, d der Baum, g ein anderer Same, 


kein anderer Baum, fo geht a durh b, e in d über, „|NN\r ; 
d.aber dur e, f in g, womit der Septenar ſich jchließt. f 
gerhebt ſich nun durch h,iin kz fo haben wir den vol» 2 1 
fommenen Denar. Die Individualiſirung der Species 

in dem Samen a, die als foldhe zerftörlich, ald Species ” ⸗ 


aber unzerſtörlich iſt, ſucht ſich durch die Kraft der in ihr enthaltenen Spe— 
ed zu erhalten und gibt daher, indem fie ſich in die Species auflöst, 
das individuelle Sein anf, um mittelft der Species ein Achnliches aus fich 
bervorzubringen. Es wird fih daher nad dem Gefege des Quaternars 
zu einem Baume entfalten, weil es font ſich nicht vervielfältigen kann. 
a will g hervorbringen und erhebt fich deshalb zu d. d aber, jetzt ein Baum, 
kann ſich nur in einem Aehnlichen erhalten und ftrebt daher nah k. Um 
über k zu erreichen, muß es zuvor zu g berabfteigen. So ift in a ein 
doppelter Trieb verbunden, ein natürlicher, der in g fein Ziel hat ımd ein 
wfälliger (acciventeller), der in d fein Ziel hat. Aehnlich ift in d ein 
doppelter Trieb vereint. Dem g ift alfo ein matürlicher Trieb von a mit« 
getbeilt und ein zufälliger von d gleichſam eingedrückt (impressus). Ein 
Trieb tahelt und treibt fo den andern, damit ein ununter— 
brohenes Erzeugen und Zerftören ift und das Erzeugen des 
Einen ein Zerftören des Andern. Beachte aber, daß wir nur durd) 2 
Samen und 2 Bäume, welche 4 find Calfo dur den Quaternar), zu der 
gewonnenen Einficht gelangt find. Du mußt alfo die Progreifion adg 
md dgk in deinem Geift verbunden auffaffen, fo daß die Coincidenz vom 
Ende der einen und Anfang der andern eine vollftändige Reihenfolge bil- 
det. Du fiehft nun auch, wie die Sameneinheit des Baumes (das eins 
klne Samenforu), die kein Participiren zutließ, im Andersfein des Samens 
dieſelbe zuläßt. Trage nun das vom Samen und Baume Gefagte auch 
af Anderes: Mineralien, Begetabilien, Thiere, ja felbft auf das Ver« 
handess und Vernunftgebiet über. Denn hier wächſt aus dem Staunen, 
a8 dem Samen, der Baum der Berftanveserfenntniß hervor, der wieder 
Naunenswerthe Früchte trägt, und der Baum der Verftandeserfenntniß läßt, 
"ermittelt durch das erregte Staunen, einen ähnlihen Baum der Verftandes; 
Eharpif, Nie. v. Cuſa. 9 


130 


erfenntniß hervorwachſen. Ebenfo wächſt aus der Verftandespemonftration 
ald Same der Baum der Bernunfterfenntniß hervor, der Principien ale 
neuen Samen für einen neuen Baum der Vernunfterfenntmiß hervorbringt. 


Achtes Kapitel. 
Mon dem Unterſchiede (differentia) der Individuen. 


Menn im Gebiete des Sinnlihen der Same zugleih Baum ift und 
unter den lebenden Wefen, die fih wie die Bäume verhalten, die einen 
männlich, die andern weiblich find, fo muß auch das eine männlicher, dad 
andere weiblicher Samen fein. Die Figur P, bei welder das Licht die Ar 
tualität, der Schatten die Potentialität bezeichnet, zeigt Dir alfo, daß die 
Actualität die Portentialität verfehlinge und umgekehrt, und daß die Js 
dDividuen an deren Natur participiren. Betrachten wir die Actualität 
allein nach der Figur P, jo ift das Licht dad Männliche der Actualität, 
die Finfternig das Weibliche. Das Gleihe gilt von der Potentialität. 
Beide müſſen aber ald etwas Endliched nothwendig differiren, und es 
gibt Feine größte Männlichkeit. In aller Männlichkeit iſt aljo die Weib» 
lichkeit in Differenzen verihlungen, Daher fehen wir auch an den männ- 
lichen Weſen Zeichen der Weiblichkeit, 3. B. Zeihen von Brüften, das 
Umgekehrte gilt von dem Samen. Wir wiſſen aud, daß die Individuen 
die Species in verichiedener Weile participiren; die einen Weſen partic- 
piren die Species vollfommener im Samen, die andern im Baume (d. i. 
in der Entfaltung ded Samen). Je edler, vollfommener und fFräftiger 
die Species ift, deſto mehr find ed auch die Bäume, die ihre Natur partici- 
piren, und zwar bei den Bäumen wieder das Männliche, bei den Samen 
das Meiblihe auf eine vollfommene Weile. So ift ein Birnbaum etwas 
Edleres ald eine Birne, der Löwe edler ald die Löwin und der Samt 
des Löwen. Umgefehrt ift beim Waizen der Same etwas Beſſeres als 
der Halm. Mo nämlih der Baum mehr die Natur der ungerftörlicen 
Species an fih hat, Frucht hervorzubringen, ohne dabei die Productiond- 
fraft zu verlieren, da hat der Baum mehr von der Vollfommenheit der 
Species an ih. Wo aber der Same der ungerftörliben Species die Natur 
mehr auf ein Einzelnes einichränft und eben damit die Productiongfraft 
jhwindet, weil fie ganz in den Samen übergeht, wie in den Waizens, 
Hafers und andern Körnern, da ijt der Same das Vollkommnere und 
zwar twieder das Weiblichete das Edlere. Doch auch hierin find wieder 
Gradunterſchiede möglih. Der Baum, für die Kraft des Samens glei» 
ſam der fich ausbreitende Kanal, welder der Feuchtigkeit den Lauf an 
weist, wird diefe um fo vollfommener zur Species auswachſen lafjen, je 


131 


vollfommener die Kraft des Samens, fe freier fie ſich ausgebreitet hat, 
und je vollfommener und für die Species geeigneter der Boden ift. Gin 
durch einen eingepfropften Birnbaumzweig veredelter Baum nimmt die Natur 
des Birnbaumes an. Ein in Ztalien lebender Deutfcher ift im erften Jahre 
noh mehr deutſch, als im zweiten. 

Aehnliches beachten wir auch in der Verftandeswelt wie in den Eit- 
ten, Gewohnheiten und Berftandeserfeimtniffen, die eine Art Boden und 
Rahrung für unfern Geift find, ja felbft in dem Vernunftgebiete. 


Zehntes Kapitel, 
Von den Unterfchleden der aus Seele und Leib zufammengefegten Weſen.) 


Um die Verſchiedenheit der aus Seele und Leib zuſam— 
mengefegten Wefen zu verftehen, blide wieder auf die Figur P, und 
ige die Seele ald Einheit, den Körper ald Andersheit. Es erhebt fid 
alio das Körperliche in's Geiftige und es fleigt dieſes zu jenem herab, 
beides verbunden, fo daß die Verfchiedenheit der Körper jo aus der 
Verſchiedenheit der Seelen zu erklären ift, daß man zugleich die letztere Ver: 
ISiedenheit aus der erftern begreift. Denn daß die menſchliche Seele fi 
ihren eigenthümlichen Körper bilvet, rührt zugleich daher, daß diefer Kör— 
per gerade diefe Seele erfordert. Daher fchließen die Phyſiognomen aus 
der Betrachtung des Körpers auf die Eigenthümlichfeit der Seele. Leute 
von zartem Fleiſche (molles carne) haben der Erfahrung zufolge einen 
empfänglichen Geift (aptos mente experimur). Auch die Bewegung, durch 
welche fich die lebenden Wefen von den Vegetabilien unterfcheiden, ift nicht 
nur auf ein Bebürfniß des Körpers, fondern auch der Seele zu bezichen. 
Das Thier verändert feinen Ort nicht bloß, um die nöthige Nahrung zu 
jammeln, fondern auch, um das Wirken der Seele zu bethätigen. Ein 
Ihier übertrifft das andere im Fliegen, Laufen, Geſchicklichkeit, nicht bloß 
deßhalb, weil feine Selbfterhaltung dies erfordert, ſondern auch, weil fein 
Inneres es fo will (quia haec et spiritus exquirit), So hat der Menſch 
nicht deßhalb einen größern Verftand, um für feines Leibes Nothdurft 
fen, pflanzen, Handel treiben, bauen, weben, fochen zu können, fondern 
der höchſte Künftler hat es jo geordnet, daß der Berftand in's Körper: 
liche hinabfteige, damit der Körper in's Verftändige fi erhebe. Jedes 
Icbende Wefen ift alfo von jedem durch eine aus dem Körper und der 
Seele entfiehende Differenz verfchieden, aber eben deßhalb auch mit jedem 


1) Das neunte Kapitel „Bon den Unterfchieden ber Seinsweiſen“ (Noth— 
wendigkeit, Wirklichkeit, Möglichkeit) übergehen wir, da fein Inhalt aus dem Bieheri⸗ 
gen binlänglich hervorgeht. 

9 * 


132 


einftimmig (concordat), Daher verbirgt felbft das vegetative 
Leben in feiner Dunkelheit das geiftige in ſich (occultat in- 
tellectualem). Keunzeichen von diefem treten hervor in den Aeſten zur 
Erhaltung, in Blättern und Rinde zur Beihügung der Frucht. Mehr 
Zeichen des Geiftigen finden wir in den Thieren im Sinne, noch mehr 
in der Einbildungsfraft, noch mehr im Berftande und unter 
den verftändigen Weſen noch weit entfchievenere Zeichen von Vorherſchen 
(providentiae) im Menſchen, bis in den rein geiftigen Naturen (den 
Engeln) (in intelligentiis) die finnlihe Natur vom Geiſte ganz ver- 
fchlungen ift. In den Vegetabilien ift dad Vernünftige vegetabilijcher Na 
tur: es treibt feine Aeſte hinaus, auf daß am ihnen die Früchte bangen; 
in den Thieren thierifcher Natur: es treibt fie zum Jagen und Aufjuden 
des zu ihrem Unterhalte Nothwendigen; in den Geiftern ift es geiftig: 
es führt zur Wahrheit hin. Alles Geiflige participirt alfo in feiner Weile 
an den Elementen der geiftigen, wie das Körperlihe an denen der für 
perlihen Natur. — Iſt die Seele die Einheit, der Körper die Andersbeit, 
jo ift Alles, wad im Körper entfaltet ift, in der Seele wie 
in einem Einheitöprincipe eingefchloffen. Wie im Körper Haupt, 
Hände und Füße graduell verfchiedene Functionen haben, fo find im der 
Seele die Vernunft das Haupt, der Verftand die Hände, die Sinne die 
Füße. Denfe Dir alſo die Seele des Löwen mit einem Geifte ald Haupt, 
mit Sinnen ald Füßen, mit einem Verftande ald den Händen, aber alles 
diefes beichloflen in der VBefchränftheit der Löwennatur, wie wir es im 
Menihen ald Menſchennatur finden. 

Auch die Verfchiedenheit und das Sneinanderfpielen der körperlichen 
Eigenthümlichfeiten findeft Du nad Anleitung der Figur P. Nach ihr 
findeft Du aub in der Verbindung des Geiftigen und Körperlichen drei 
Grade: eine Seele, oder geiftige Natur; einen förperlichen, in den Arte 
rien eingefchlofjenen Geift als Vehikel für dad Band der Seele (vehi- 
eulum connexionis animae), und einen förperlichen Geift, durch den die 
Seele auf den Körper und das Sinuliche einwirft, fo daß durd viele Ver: 
mittlung die Kraft der Seele mit dem Körper verbunden ift. 


Elftes Kapitel. 
Dom Leben. 


Um das Leben zu erfennen, benüge wieder die Figur P und Du 
wirft jened edle Leben erfennen, von deſſen Klarheit und Einheit jede An— 
dersheit verſchlungen ift (absorbetur), aber auch jenes, deſſen Einheit im 
Andersfein flüchtiger und unbeftändiger Finfterniß befangen if, Dur 


133 


Anwendung der Figur des Univerfums aber findeft Du drei, wie Wurzel, 
Duadrat und Cubus, verfchiedene Arten des Lebens: ein ungerftörliches, 
ein veränderliches und ein mehr ungerftörlies und mehr veränderliches. 

Damit das niedere Leben dem höhern geeinet werde in der Einheit 
des Univerfumsd, muß das höhere mit dem niedern verbunden werden. 
Diefe Zufammenfegung aus dem Leben, in welchem die Einheit, und aus 
dem, in welchem die Andersheit fiegt, ift alfo aus zerftörlichem und unzer: 
körlibem Leben zugleich, in Differenzen oder Graden; fie ift, wie anderes 
Sterbliche, dem Tode unterworfen. Das geiftige Leben aber, zur 
unzertörlibden Wahrheit nah Oben erhoben, fennt feinen Zug 
mm zerſtörlichen Andersfein hin (intellectualis autem vita, ad 
ineorruptibilem veritatem evecta sursum, ad corruptibilem alteritatem 
moveri nescit). Es wird zwar der unterfte Grad der geiftigen Natur, ver 
wenig in Wirklichkeit, beinahe ganz nur in Potenz tft, eine gewiffe Mög: 
iöfeit haben, in Folge der engen Verbindung mit dem vergänglichen Leben 
an diefem ſelbſt Theil zu nehmen; jedoch nicht, um diefem flüchtigen Leben 
die Kraft zu fiherem Beftande zu verleihen, fondern vielmehr, um durd 
de enge Verbindung mit demfelben in Folge des Staunen erregenden Eins 
drufs der Sinnenwelt ald BVerftand in Bewegung geſetzt und fo aus der 
ihlummernden Potenz erwedt und in Nctualität gefegt zu werben. Es 
läßt ſich dieſe fpecifiiche Verbindung des Unzerſtörlichen und Zerftörlichen, 
welhe eben die menschliche Natur ift, nicht zu mehreren Epecied verviel- 
Niltigen. Das unauflöslihe Leben ift alfo dad vernünftige 
keben, das auflöslihe das finnliche. In der Mitte, dem vernünftigen 
näher, iſt das edlere verftändige (rationalis); dem Sinne nähert fich 
dad unedlere verftindige, das Einbildungskraft Cimaginativa) genannt 
wird. Die edlere an der Vernunft participirende Werftändigfeit ift in der 
Menfhengattung mit der niedern Verftändigfeit und der finnlihen Na— 
tur zu einer Einheit verbunden. 


Zwölftes Kapitel. 
Non der Natur und Kımfl. 


Natur ift die Einheit, Kunft die Andersheit, denn fte ift eine Achn« 
ühfeit der Natur. Gott ift, nach der Sprache der Vernunft, die abfolute 
Ratur und Kunft zugleich, wiewohl die Wahrheit ift, daß er weder Kunft, 
sch Natur, noch Beides if. Da aber bier Präcifion unmöglich ift, fo 
erimert und Died daran, daß es Nichts gebe, was bloß Natur oder bloß 
Kunft iſt. Jegliches participirt an Beiden auf feine Weife. So partis 
pirt die Vernunft, ald Ausflug der göttlichen Vernunft, an der Kwıft, 


134 


und foferne fie die Kunft aus fich hervorbringt, ift fie Natur. Wie das 
finnlih Natürlide nicht ohne Kunft, fo ift das finnlih Künftliche nict 
ohne Natur. Die Sprade ift ein Werk der Kunft, aber geftügt auf die 
Natur. Das Denken ift ein Werk der Natur, aber nicht ohne die Kunft, 
daher der Eine in der Kunft des Denkens weiter ift, als der Andere. 
Mie in der Sprade der natürliche Verſtand fich offenbart, fo daß man 
den Menihen aus feiner Spradye erfennen fann, fo offenbart fid im 
Verftande die Kunft des Denkens. 

Die Differenzen von Natur und Kunſt und die Verbindung Beider 
zeigt dir die Schon oft erwähnte Figur. Die Natur befteht aus dem 
Männlihen als der Einheit und dem Weiblichen ald der Andersheit. 
Im Gebiete des Geiftigen ift die Weiblichkeit von der Männlichkeit abs 
forbirt. Jedes Geiſtige befruchtet ſich als Einheit (unitive) in ſich 
ſelbſt (intra se), während das Begetabilifche als das weibliche Anders— 
fein die männliche Natur in fich determinirt und daher dutch Entfals 
tung nad Außen Frucht bringt.) Bei den Thieren hingegen ſind 
die Gefchlehter getrennt, der Mann erzeugt in dem Weibe, das Weib ge: 
bährt nah Außen. Im Geiftigen wird geiftige Frucht, im Thierifchen eine 
thierifche, im Vegetabiliſchen eine vegetabilifche hervorgebradt. Die finn- 
lihe Natur gehorcht der verftändigen, diefe der vernünftigen, dieſe der 
göttlihen Natur. Das finnlih zu Fertigende (sensibiliter faetibile) ge 
horcht der Kunft des Verftandes, diefe der der Vernunft, diefe der gött- 
lichen Kunſt. Die Einheit der Natur und ſinnlichen Kunft ift der Ber 
ftand; in feiner Einheit ift die ganze WVielheit einzelner Naturweſen wir 
in ihrer Species begriffen und es geht aus ihr die unzählige Menge ein 
zelner Kunftprodufte hervor, 4. B. aus der Kunft ded Schuſters eine un 
zählige Menge von Schuhen. Die Bildung folder Kunftprodufte hat zu 
ihrem Ziele wie zu ihrem Anfange die finnliche Natur, wie die Kunft des 
Geiſtes die verftändige Natur. 


Dreizehntes Kapitel. 
Von der vernünftigen Natur. 


In der univerfellen Natur, entſprechend dem Kreife des Univerfums, 
nimmt die geiftige, vernünftige Natur (natura intellectualis, intelli- 
gentia) ald die geeintefte den erften Rang ein. Sie ift fein Duantım 
und auch ihre Bewegung nicht die eined Quantum, außer in geiftige 


1) Die Ermittlung des richligen Sinnes wird namentlich im biefem Paſſus, abet 
auch an wielen andern Stellen des Tertes, durch unrichtige Interpunftion mw 
ſchwert. 


135 


Weiſe. Ihr Uebergehen in dad Andersfein ift nichts anderes, als das 
Uebergehen des Andersfein in die abſolutere Form der Einheit. Die Vers 
nunfteinheit fteigt in die Verftandeseinheit herab, damit diefe fich zu jener 
erhebe. Ebenſo ift ihr Drt nur geiftig zu faflen: fie ift nicht überall und 
nirgends, abfolut, wie Gott, jondern mit der Einfchränfung des ber 
dingten Geifted (contracte intellectualiter), wie die Menjchheit in ihrer 
Species, die Seele im Körper überall und nirgends tft. Sagt man, der 
Geiſt iſt der Drt der Univerfalien, fo ift dies nach den nun fchon oft 
angegebenen Regeln fo zu denfen, der Geiſt fei ſo in den Unis 
verfalien, daß dieje in ihm find, wie ein König infoferne in 
ſeinem Reiche ift, als das Reich in ihm if. Die Bewegung des Geiftes 
ft daher zugleihb Ruhe, da fie ein Gehorfam gegen die Wahrheit ift, 
geichwie das in Bewegung jehende Wort ded Königs, das er vom 
Throne herab ausfpricht, mit Ruhe verbunden ift. Geifter bewegen fich, 
indem fie in dem Gentrum ihres Reiches ruhen, und wir denfen ung Diefe 
Bewegung wie die eined Richters. Ein Richter hat ein Verftändniß der 
(Entfcheidungs-) Gründe, und er bewegt fi, wenn er wegen der übers 
wiegenden Wahrheit fih für das eine Moment enticheidet und das andere 
verwirft. So muß man fidh die Geifter als univerfelle Kräfte und Lenker 
dr Berftandeswelt denfen, gleihfam als Sonnen. Wie dur den Sonnens 
glanz die Augen über dad Schöne oder Häßliche urtheilen, fo bringt der 
Beift Leben und Regſamkeit zur Erfenntniß des Wahren hervor. Die unend- 
liche Sonne der Geifter aber ift Gott; die Geiſter find wie verfchiedene Strah— 
Ienbrehungen diefer Einen Sonne (Deus autem ipse infinitus sol intelli- 
gentiarum est, intelligentiae vero ut varia contractiora lumina rationum). 
Daher laffen fib Geifter nicht zählen, wie finnlihe Dinge, da fie 
jelbft die höhere Zuhleneinheit für den zählenden und meflenden Berftand 
And; nur die göttlihe Einheit, im welcher Zählen und Gezähltwerden, 
Unteriheiden und Richtunterfcheiden coincidirt, vermag fie zu unterſcheiden. 
Bir finden muthmaßend die Verfchiedenheit der Geifter, je nach der über- 
wiegenden Bernünftigfeit oder Sinnlichkeit, aus der Anwendung der ſchon 
oft erwähnten Figuren. Zu beachten ift hiebei wieder nur dies, daß Die 
den Nationen, Bereinen, Sprachen, Reichen und Kirchen gleichſam als 
die Legaten des oberften NRegenten des Univerfums präfivirenden Geifter 
nicht bloß unfertwegen diefen Dienft beforgen, fondern nur infoferne, als 
fe fih felbft als das Ziel denken; fie find infoferne für uns da, 
ald wir für fie. Im einem Könige concentrirt ſich feine Sorge für ihn 
ſelbſt und für die Wohlfahrt feines Volkes. ES wäre ja auch der Ges 
borfam des Bolfed und der Eifer des Fürften kein recht bereitwilliger, 
wenn nicht Volk und Fürft erwarten dürften, daß fie, jenes für feinen Ge- 
borjam, diejer für feine Mühen fich gegenfeitig belohnen. 


136 


Bierzehntes Kapitel. 
Vom Menſchen. 


a Den Menfchen denke dir als die Einheit der menfchlichen Natur 
und die Audersheit des körperlichen Seins. Nach der Figur des Univer: 
fums wirft du im Menſchen drei Regionen und jede dreifach unterfchieden 
erfennen: im Körperlichen unedlere, beftändig weränderliche, Dann aus 
gebildetere und zufegt die edelften Theile; in gleihem Stufengange bie 
geiftigeren förperlihen Sinne (naturas), in welche die Kraft des Fühlend 
eingefenft ift, von den ftumpferen bis zu den feinften. Hiezu fommen 
noch 9 Unterſchiede in der Seele ſelbſt. So ergeben fih 9 förperlide 
Unterſchiede mit 3 Ordnungen, in welchen das Gefühl noch abforbirt 
ift und bloße Vegetation herrfht, dann 9 gemifchte, wo die Empfindung 
(virtus sensitiva) mit dem Sinnlien und Körperlichen vermijct if; 
endlih 9 edlere Unterichiede, wo das Körperliche vom unterſcheidenden 
Geifte (discretivus spiritus) abforbirt ift. 

"Die Empfindung überhaupt (sensatio) entfteht durch einen Ein 
druf von Außen (obviatione), welcher Eindruck theils ein nächiter, theils 
ein entfernterer fein fann, wie 3. B. bei dem Geruche, noch mehr bei 
dem Gehöre, in noch höherem Grade bei vem Gefichte, das alk 
andern Einne übertrifft. Weber die Beichränftheit der Sinnenerfenntniß in 
Hinfiht auf Maffe, Zeit, Geftalt und Raum geht in größerer Ungebuns 
vdenheit hinaus die Einbildungskraft; fie erfaßt mehr und and 
weniger ald der Sinn, näher und entfernter, fie bezieht fih auf das Ab— 
wefende, ohne jedoch über das Gebiet des Sinnlichen hinauszufommen. 
Der Berftand jchreitet (feiten Schrittes) durch das Gebiet der Ein 
bildungskraft (ratio imaginationem pergreditur) und fieht 3. B., daß 
die Gegenfüßler fo wenig ald wir fallen fünnen, da das Schwere den 
Zug nach dem Gentrum hat, welches zwifchen ihnen und und im der Mitte 
ift. Das ſieht die Einbildungsfraft nicht, der Verftand geht alfo über fie 
hinaus und fchreitet in wahrerer und uneingefchränfterer Weife zur Er 
fenntniß der Dinge. Die Vernunft endlich verhält fih zum Verſtande 
wie die Kraft der Einheit zur endlichen Zahl. 

Wunderbar ift dieſes MWerf Gottes, wo das Vermögen zu unten 
ſcheiden vom Mittelpunfte der Sinne ftufenweife bis zur höchſten Geiftig. 
feit ſich erhebt, wo der bindende feinfte Nervengeift durch das allmählid 
überwiegende Pſychiſche immer leichter und einfacher wird, bis er zum Ver— 
ftande gleichſam als feiner Zelle gelangt (ubi continue ligamenta tenuis- 
simi spiritus corporalis lucidificantur atque simplificantur, propter vic- 
toriam virtutis animae, quousque inrationalis virtutis cellam pertingantur) 


137 


Bon da gelangt er Ind Gebiet der Vernunft, gleihlam wie durch einen 
Bach ind Meer, und hat bier fein Ziel erreicht. 

Eo umfaßt das Menfchenwefen in menfclich befchränfter Weife das 
Univerfum. Weil e8 Alles durch den Sinn oder Verftand oder die Ver: 
nunft erreichen zu fönnen muthmaßt, fo glaubt ed auch nah Menſchen— 
weile zur Erkenntniß von Allem fchreiten zu können. Der Menſch ift 
Bott, jedoh nicht abfolut, weil er Menſch if. Er ift 
alio ein menfhlihder ®ott (homo enim Deus est, sed non 
absolute, quoniam homo. Humanus est igitur Deus), Der Menſch ift 
auch eine Melt, aber nicht das concrete Univerfum, weil er Menſch ift. 
Er ift aljo ein umpoxdauog, oder eine menfhlihe Welt (humanus mun- 
dus). Die Region des Menichheitlihen umfaßt aljo Gott und die Welt 
in der Potenz des Menfchliben. Es kann alfo der Menih Gott in 
menſchlicher Weiſe fein, oder ein menschlicher Engel, ein menſchliches Thier, 
ein menfchlicher Löwe oder Bär. Iſt das Menfchenwefen eine Einheit, 
jo fann fie auch innerhalb ihrer Sphäre Alles aus ſich, aus ihrem 
Centrum als der Potenz entfalten und entwideln. Das Ziel der Einheits- 
entwicklung ift aber immer wieder die Einheit, weil fie zugleich die Uns 
endlichkeit iſt. Die ſchöpferiſche Thätigfeit des Menfchenwefens hat folgs 
lih fein anderes Ziel, als fih ſelbſt; es kommt die Menſch— 
beitin ihrem Schaffen nidt aus fih hinaus; fie ſchafft 
nichts Neues, ſondern waß ſie ſchafft, iftin ihr vorher 
ſhon gewefen, weil Alles in ihr menfchheitlih eriftirt. Du haft, 
Vater Julian, von dem dreieinigen abfoluten Principe und Schöpfer des 
Univerfums gehört, wie er, weil er die abfolute Einheit oder Wefenheit 
it, in welcher unendliche Gleichheit und Verbindung, eben deßhalb der 
allmaͤchtige Schöpfer ift. Als unendliche Gleichheit, in welcher die Ein— 
beit und Verbindung ift, ift er Lenker, Ordner und Regierer des Uni: 
verſums, als unendliche Verbindung, in welcher die Einheit und Gleich— 
beit, ift er der Erhalter des Univerfums. Alles dies gilt nun in bes 
Khränfter Weife von dem Menfchen. Er ift das concrete Princip der 
Schöpfung, Regierung und Erhaltung feines Geſchlechts. So ſchafft der 
Menſch in feiner Phantafie Aehnlichkeiten oder Abbilder der Sinnen; 
welt, weil er die Einheit iſt, im welcher zugleich die Gleichheit und Ber: 
bindung. Die gefchaffenen Bilder ordnet er, weil er die Gleichheit if, 
in welcher auch die Einheit und Verbindung if. Dann bewahrt er fie 
im Gedächtniſſe, weil er die Verbindung ift, im welcher Einheit und 
Gleichheit. Analog verführt er als Verftand und Vernunft. Allem 
dieſem gibt er aber eine Beziehung auf fih felbft, um fich zu erfennen, 
iu leiten umd zu erhalten, und fo der Gottähnlichkeit fih zu nahen, wo 
Alles im ewigen Frieden ruhet. 


2, 


138 


Fünfzehntes Kapitel. 
Fortſetzung. 


Willſt Du nach dieſen Muthmaßungen über das Menſchenweſen über⸗ 
haupt die Unterſchiede und Uebereinſtimmung in demſelben ers 
fernen, fo haft du auf die Figur des Univerfums zu achten. Dann findeft 
Du, daß die Einen geiftigefreier (abstractiores), contemplativer Art find, 
beichäftigt mit dem Geiftigen und Ewigen, gleihfam im oberften Himmel 
der Menfchheit ſich bemwegend, der Erforfhung der Wahrheit zugewandt, 
Andere dem Sinnlichen zugefehrt. Jene find die Weifen, gleichfam bie 
hellften, reinften Sterne, Abbilver der ungerftörlichen geiftigen Welt; dieſe, 
gleichſam die Thierifchen, folgen der Begierlichfeit und dem Sinnengemffe. 
Zwiſchen beiden endlich find Solche, welche den erleuchtenden Einfluß der 
über ihnen Stehenden genießen, und den unter ihnen Stehenden vorftehen. 
Unter den Contemplativen oder Religiöfen laffen ſich aber wieder 3 Claſſen 
unterfheiden: die Einen erfaflen die Religion auf eine erhabene und edle 
Weile, über allem Verftande und Sinne; die Andern ziehen fie im bie 
Sphäre des Berftandesmäßigen herein, wieder Andere in die der Sinw 
lichkeit. Weil demnach bei allen Menſchen das Religiöfe je in eigen 
thümlicher Form fich findet, fo finden die geiftig Freieren das höhere Ziel 
der Unfterblichfeit, das die Religion allen Menſchen verheißt, in einem 


©, 2eben, das durd feine Reinheit und Erhabenheit Alles, was BVerftand 
und Sinn faſſen fann, überfteigt. Andere ziehen die Glüdfeligkeit in das 


Verftandesgebiet herein, und finden in Erfenntniß und Genuß der Dinge 
ihr Ziel. Andere endlich fuchen auf die abgefchmadtefte Weile ihr Glüd 
in finnlichen Ergögungen. So ergibt fi die generellfte Uebereinftimmung 
und Berichievenheit der Menſchen: ald Religiöfe (dritter Himmel), als 
Herrſchende (zweiter Himmel) und ald Untergebene (dritter Himmel). 
Wo das Generelle in die Species übergeht, da erleidet es, fo fehr es 
auch den Charakter des Generellen beibehält. doch eine Veränderung, da 
wir die präciſe Wahrheit nur muthmaßend erreiben. So wird denn Die 
Einheit der VBernunftreligion nur in verfhiedenem Anderds 
fein (von den Menfhen) aufgenommen (in varia igitur alteritate 
unitas intellectualis illius religionis recipitar) / ebenfo das Princip der 
Herrihaft nur in der veränderlihen Menge der Herrfchenden, und wenn 
auh bei einer Nation das Religiöfe oder die Regierung in einem blei- 
benden und beharrlihen Zuftande zu fein fcheint, fo ift dies doch Fein 
wahrhaft bfeibender Zuftand, wie der Rhein, obgleich er immer benjelben 
Lauf zu haben fheint, doch in feinem Momente ganz derſelbe if. So 


139 
ihwanft das Religiöfe zwifhen Geiftigem und Zeitlihem 


(ita et religio inter spiritualitatem et temporalitatem instabiliter fuc- 
tuat), die Herrichaft zwifchen größerm oder geringerm Gehorfame. — Auch 
die Berjchiedenheit der Erdenbewohner nad Geiftesrihtung, Körperbes 
Ihaffenheit, Geftalt, Farbe, Lebensart, fittlichen Gebrechen läßt fib auf 
dem bezeichneten Wege erflüren. In den nörbliben Gegenden ift das 
Geiftige mehr im feiner Potenz und in das Sinnliche verfenft; je mehr 
gegen den Meridian, defto freier tritt der Geift hervor. Daher in Indien 
und Hegypten die Religion in ihrer reinen Geiftigfeit (religio intellec- 
twalis) und die mathematiihen Wifjenichaften vorherrſchend waren; bei 
den Griechen, Afrifanern und Römern waren Dialeftif, Rhetorif und die 
Rechtswiſſenſchaft (legales scientiae) — furg: der Verſtand beſonders 
ausgebildet; in den nördlichern Gegenden die empiriihen, mechaniſchen 
Bertigfeiten. Uebrigens haben alle Länder in allen dieien Zweigen des 
Wiffens in ihrer Art ihre berühmten Männer, damit fo das Eine Mens 
ſchenweſen im verichiedener Weiſe bervortrete. 


Sechszehntes Kapitel. 
Von der menfhliden Seele. 


Die menſchliche Seele venfe dir gemäß der Figur P beſtehend 
aus der intellectuellen Einheit und dem finnlichen Andersfein. Denn indem 
das Licht der Intelligenz in das finitere Reich der Sinnlichkeit herabfteigt 
und die Sinnlichkeit zu jener fich erhebt, entjtehen zwei mittlere Zuftände, 
welche ich Verſtand (ratio) nenne, von welden das ſich der Vernunft 
Nähernde die Faffungsfraft (apprehensiva vis), das dem Sinne fi 
Nähernde Phantafie oder Einbildungsfraft genannt werden mag. Dies 
find gleichſam die vier Elemente der menichlihen Seele. Die Bernunft 
feigt im unferer Seele in den Sinn herab, damit dieſer fih zum Ber 
nünftigen erhebe. Ohne die Thätigkeit des vernünftigen Bewußtſeins ers 
faßt der Gefichtsfinn das Sichtbare nicht, weßhalb wir, wenn wir auf 
mad Anderes unfere Aufmerfiamfeit richten, einen an und Borübers 
gehenden nicht jehen. Die Sinnenerfenntniß ift verworren ohne die hins 
miommende Unterfheidung des Verſtandes. Die Seele ift nichts anders, 
ald eine edle, einfache und geeinte Kraft. Jede Seite diefer Kraft hat 
ihre Wahrheit nur im Ganzen. Der Sinn, die Einbildungsfraft tft, da 
fie in der Seele find, — die Eeele, wie fie auch das Belebende der 
Hand, des Fußes ac. if. Der Tod ift das Aufbören diefes Belebens. 

Indem das Geiftige im Sinne zur Wirklichkeit bervordringt (in actu 


140 


est), wird durch das erregte Staunen der fchlafende Verftand angeregt '), 
um durd feine Discurfive Thätigfeit das Wahrſcheinliche zu finden (ut 
ad verisimile discurrat). Dadurch wird bei der Vernunft angeflopft, 
auf daß fie fih aus ihrer fchlummernden Potenz losmache und mit Leb: 
haftigfeit zur Erfenntniß des Wahren erhebe. Das durd die Sinne 
MWahrgenommene wird in der Einbildungsfraft abgebildet, und indem 
Grund und Weſen des Wahrgenommenen unterfucht wird, geht ed weiter 
zur wirklichen Erfenntniß des Wahren. Der Geift einigt das Andersſein 
der Siunenwahrnehmungen in der Einbildungsfraft, die verfchiedenen Bilder 
der Einbildungefraft im Verſtande, das Andersfein der Verftandeserfennt- 
niß in der einfachen Bernunfteinheit. Die Ginheit der Vernunft fteigt 
in das Andersfein des Verftandes, die Einheit des Verſtandes in dad 
Andersfein der Einbildung, diefe in das Andersfein des Sinnes herab. 
Faſſe nun aufs und abfteigende Richtung in eine Vernunfteinheit, um zum 
Verftändniß zu gelangen. Die Vernunft will nicht Sinn werden, fondern 
vollfommene Vernunft in voller Thätigfeit. Da fie nun auf anderm Mege 
nicht zu leßterer gelangen fann, wird fie Sinn, um aus der Möglichkeit 
in die Wirklichfeit überzugehen! So fehrt die Vernunft im Kreislaufe in 
ſich ſelbſt zurück. Die reihen und edleren rein geiftigen Naturen (intel- 
ligentiae) bedürfen der Sinne nicht; fie find gleichſam aus ſich ſelbſt 
brennendes unauslöfchliches Feuer, das feiner Anfahung aus einem Funfen 
bedarf. Sie find immer in Wirffamfeit (in actu); wohl aber bedarf 
diefer Anfachung unfer Antheil an der Vernünftigfeit, der wie ein unter 
grünem Holze verborgener Funfe ift. Die reinen Geiiter erfaflen geiftig, 
was wir auf dem Wege der Sinne. Sprit Jemand die römiſche (ita— 
lienifche) Sprache, fo erfaffe ih durch das Gehör die Worte, Du aber in 
den Worten auch den Einn. Der reine Geift fhaut den Einn, ohne 
Worte... Da die Vollfommenheit der Vernunft im wirflihen Erkennen 
befteht, fo erzeugt fie das vernünftig Erfennbare, das ein Gegenftand des 
vernünftigen Bewußtſeins wird, aus fih hervor, und ift fo ihre eigene 
Fruchtbarkeit. Denn das Hinabfteigen der Vernunft im die finnlichen 
Gattungen und Arten ift das Herauffteigen derfelben, frei von den cons 
creten Bedingungen, zur reineren Einheit. Se tiefer fie fih daher in fie 
verfenft, defto mehr werden jene Gattungen umd Arten von ihrem Lichte 
abjorbirt, fo daß zulegt das Andersfein, aufgelöst in die Vernunfteinheit, 
feine Ruhe findet. 

Da die Vernunft die Einheit des Verftandes ift, welcher jene im 


1) Der Tert hat: Per hoc igitur, quod intellectus in sensu in actu est, excitat 
admiratione dormitans ratio etc. Der fchlummernde Verſtand ift nicht im Stande, zu 
erweden, fondern er muß erwedt werben, was durch das Staunen — eine Folge der 
Sinnenwahrnehmung — geſchieht. Es ift alfo ftatt exeitat zu lefen: excitatur. 





141 


Andersfein participirt, fo ift die Vernunft, weil vor dem Andersſein eri- 
firend, weder der Zeit, die aus dem Verftande hervorgeht (quod 
ex ratione prodit), noch der Zerftörbarfeit unterworfen. Ihre Natur 
ift daher nicht zerftörbar, da fie dem Verſtande vorausgeht. Wo 
aber die Einbeit das Andersjein abjorbirt, da ift Unfterb- 
lihfeit. Daher ift auch die höhere Seite des Verſtandes, foferne er 
dad Andersfein der Phanrafiegebilde im Lichte feiner höhern Einheit ab- 
jorbirt und fich dem Lichte der unfterbfihen Vernunft zumwendet, unfterbs 
ih wie ein Licht ohne Schatten. Denn fo wie das Licht jelbft in feinem 
Aufich nothwendig fihtbar fein muß, jo muß der reine Verftand notls 
wendig vernünftig erfaunt werden. Das ift fein Leben und feine Voll— 
endung. Hierin findeft Du auch den Unterfhied zwiſchen dem Verſtande der 
Menſchen und dem der Thiere; Du fiehft, daß der Verftand der Menfchen 
unſterblich ift, weil von der Unfterblichfeit des vernünftigen Lebens abfors 
birt, das ein fortwährendes Denfen Cintelligere) ift, weil ed immerfort 
an fi denkbar Cintelligibilis) ift, wie das Licht an fich fichtbar. Das 
Andersfein des Lichts, die Farben, find nicht an ſich fihtbar; fo aud 
nit das Andersſein ded Berftandes in den andern Gattungen thierijcher 
Weſen, daher diefe auch zerftörbar find. 

Wenn der Menih zu ſehen anfängt, fo gefchieht dies vermitteljt des 
Lichtes; das Licht ift das Andersfein der Sehfraft (alteritas spiritus vi- 
sivi). Der Geſichtsſinn erfaßt feine Einheit nicht, außer vermittelft des 
Andersjeind. Es ift alſo das Licht, das fih in das Auge ein 
fenft und durch defien Vermittelung es ficht, ein von dem 
Lichte der Sehfraft verfchiedenes Licht. Wenn nun die Stärfe 
des Lichts der Schfraft das fihtbare Licht in ſich abforbirt, fo wird das 
Eichtbare zum Geſehenen. Abforbirt aber das Andersfein des fichtbaren 
Lichtes durd fein Uebergewicht die ſchwache Sehfraft, jo geht die Einheit 
der Sehfraft in Andersfein und Zertheilung über. Aehnliches gilt nun 
auch von der Vernunft und dem Lichte des Verftanded. Der VBerftand 
it das Andersfein der Vernunfteinheitz ift nun deren Kraft nicht bedeus 
tend, fo wird fie oft von dem Andersfein ded Verſtandes abjorbirt, und 
hält eine Meinung (opinionem) für einen wahren Begriff. Ebenfo abs 
jorbirt das Andersjein der Phantafiegebilde ehr oft den Verſtand, und 
der Menſch hält eine Einbildung für etwas durch den Verſtand Erwies 
jenes. So abforbirt endlih das Andersjein des Sinnes bisweilen die 
Einheit der Phantafie; man hält das, was man fieht, für das, was 
man fich einbilvet, wie wenn ein Kind, das noch eine ungeregelte Eins 
bildungsfraft hat, ein Weib, das es fieht, für die Mutter hält, die es 
ſich einbilvet. 

Da demnah das Erkennen mit dem Sinnlichen anfängt (cum a 


— 


142 


sensibilibus ortum capiat), ſo iſt es nicht abſolut, ſondern nur relativ 
(secundum quid) wahr, im Verſtande verſtandesmäßig, in der Vorſtel— 
lung nach der Weiſe der Borftellung, im Sinne nah der Welle des 
Einned. Erft wenn der Geiſt die Dinge abjtracter in feiner einfachen 
geiftigen Natur betrachtet, erfaßt er fie im Lichte der Wahrheit. Denn 
der Geift ift das Andersfein der unendlichen Einheit. & mehr daher 
der Geift von feinem Andersfein fich lostrennt (se abstrahit), je mehr 
er ſich zur einfachften Einheit erhebt, defto vollfommner ift er. t. / Denn da 
jedes Andersfein nur im feiner Einheit erfannt wird, fo Fann der Geift, 
der nicht der göttliche abfolutefte Geift, fondern menſchlichet 
Geift, alfo ein Andersfein ift, nur in der göttlihen Einheit 
ſich felbft in feinem Anfih anfhauen. "Sn ſich ſchaut er aber zw 
gleib auh die wmendlihe Einheit nicht in ihrem Anſich, fondern 
fo wie fie menſchlich gedacht werden kann. Aber durch fie, die 
er fo im Andersfein anfchaut, erhebt er ſich noch höher, um zu ihr, wie 
fie in fich ift, überzugehen (ut absolutius in eam, uti est, pergat), vom 
Mahren zur Wahrheit, Ewigfeit und Unendlichkeit. Das ift dann die 
höchfte Vollendung des Geiftes, weil er dur die Theophanie, vie fih 
zu ihm herniederſenkt, beftändig fih erhebt zur Annäherung am bie 
unendliche, göttlihe Einheit, die das unendliche Leben, die Wahrheit und 
Ruhe ded Geiftes iſt. 


Siehenzehntes Kapitel. 
Von der Selbiterfenntnif. 


Auf dem oft erwähnten Wege gelangen wir endlich auch zur Selbſi— 
erfenntniß. Die Anwendung der Figur P zeigt nämlich, in wie viel 
fahen Abftufungen der einzelne Menſch an dem Menſchſein und durch 
diefed an dem Sein Gottes felbft participirt. Um eine Veranſchaulichung 
zu geben, fo denfe man fich die einfachfte Einheit diefer fihtbaren Welt 
als ein unbefchränftes Licht, wornach alfo die Farbe die PBarticipation 
deffelben im Andersfein ift. Der Kreid des Univerfums fei nun ber 
Umfang des Farbenreichs. So ergeben fih drei Barbenregionen in 9 gras 
duellen Differenzen. Wenn Du nun, mein Julian! das Licht als die 
Gottheit, die Farbe ald die Menfchheit, das Univerfum als die fichtbare 
Welt nimmft, fo unterfuche num felbft, ob Du zur oberften, mittleren oder 
unteren Region gehörft. Ich meinestheild bin der Anficht, daß Du die 
Menichheit in der oberften Region und zwar in einer edlen Species der: 
felben, participirend an dem göttlichen Lichte, darſtellſt. Beachte nun, daß 
dein Menfchfein dein ganzes Sein umfaßt, und daß Du am der Gottheit 


— — 


143 


nach dem Maße deines concreten Menſchſeins participirſt. Die Gottheit 
aber iſt die unendliche Einheit, Gleichheit ud Verbindung, und 
zwar in der Einheit die Gleichheit und Verbindung, in der Gleichheit die 
Einheit und Verbindung. Weil nun an der Gottheit geiſtig participiren fo 
viel heißt, ald die Einheit participiren und dieſe eben das geiftige Sein, 
die Vernunft felbit ift, fo participiren wir das Licht der Gottheit im LKichte 
ver Vernunft Cintelligentiae), und zwar um fo mehr, je mehr dieſe 
eine einige if. Wir participiren die Gottheit geiltig als die Gleichheit, 
welche zugleich Einheit und Verbindung ift, alfo durch das Licht der 
Gerehtigfeit. Wir participiren fie endlih al die ewige Verbindung, 
in der die Einheit und Gleichheit it — alfo in dem Lichte der Liebe. 
Wie Du nun das dreieinige Licht der Gottheit in der höchſten Sphäre 
deines Menjchfeind vernünftig, alfo am vollfommenften participirft, fo in 
der mittlern Sphäre nah ihrer Weile x. Du fichft, mein Vater Julian! 
dag Du an jener Kraft participirft, welde die Natur der Gleichheit und 
Verbindung im ſich trägt, jo daß deine Vernunft, indem fie nad ihrer 
Weife an dem göttlichen Sein participirt, in der Gleichheit defielben die 
göttliche Vernunft erfennen und lieben fann, und fo dein vernünftiges 
Erkennen nichts Anderes ift, als die Gleichheit deiner Ber 
nunft mit der participirten Einheit. Da wir num an der Einheit 
um fo vollfommener participiren, je größer in ihr die Gleichheit und 
Verbindung ift, fo können Vernunfterkenntniß und Liebe ohne die Voll 
fommenheit der Einheit der Bernunft nicht gefteigert werden. Es bat 
daher die Vernunft eine Neigung zum Erkennen und Lieben, ebenfo der 
Berftand zum Denfen, der Sinn zum Wahrnehmen, um zur Vollkom— 
menheit zu gelangen. Daher gibt ſich Die Vernunft der Specu- 
lation bin, zu ihrer Emährung, Erhaltung, Vervollflommnung, Aus— 
ſchmückung. Du fiehft nun, Bater Julian! daß Du ein Ebenbilv 
Gottes bift. Dein Menſchſein iſt ein dreieiniged; es ift Einheit oder 
Wefenheit, durch welhe Du eben ein Menſch bift, und in diefer Einheit 
it auch die Gleichheit, vermöge welder Alles in Dir, Körperliches und 
Geiftiged auf das Gerechteſte, PBroportionirtefte geordnet iftz endlich die 
Verbindung, durch welche dieſes Mannichfaltige in Dir eine Einheit ift, 
und ohne welche die Einheit deines.menſchlichen Bewußtſeins auf- 
bören würde (unum tuum humanum esse deficere necesse erit). Und 
da auch fein anderes endliches Sein anders befteht, ald durch die abiolute 
Dreieinigfeit, fo gelangft Du in Dir und von Dir aus zur Ers 
fenntniß von Allem. Hieraus folgt aber aub: Nichts im Unis 
verfum dürfen wir anders lieben, als in der Einheit und 
Ordnung des Univerfums, feinen Menjchen anders, als in ver 
Einheit und Ordnung feines Menſchſeins. Aus Dir felbft kannſt Du 


144 


nun auch die gottähnliche Liebe erfennen. Du fichft, daß Gott, der 
die unendliche Verbindung iſt, nicht wie ein befchränft Liebenswürbiges zu 
lieben ift, fondern als die abfolutefte unendliche Liebe. In der Liebe, mit 
welcher Gott geliebt wird, muß die höchſte Einheit und Gerechtigkeit fein. 
Es muß folglich alle Liebe zu Gott nothivendig geringer fein, al® die, mit 
der er geliebt werden fanı. Du ſiehſt auch: Gott lieben heißt von 
Gott geliebt werden, weil er die Liebe if. Se mehr wir alle 
Gott lieben, defto mehr haben wir Theil an feiner Gottheit. So ficht 
Du auch durch Theilnahme an feinem göttlichen Lichte, daß das geredt 
und billig ift, was die Einheit und Verbindung in fih faßt. Ein Ge 
jeg, dem die Einheit und Verbindung fehlt, kann nicht gerecht fein. Da 
ber bezeichnet das Geſetz: „was du willft, daß man dir thue, das 
the einem Andern“ die Gleichheit in der Einheit. Willt Du ge 
recht fein, jo haft Du nichts Anderes zu thun, ald von der Gleichheit, in 
welcher die Einheit und Verbindung ift, nicht abzufaffen. Daun wirt 
Du gleihmüthig (aequaliter) in Einheit und Liebe fein bei Armuth oder 
Reichthum, Ehre oder Verachtung; Du wirft nicht Rechts oder Links ab- 
jhweifen, fondern in der fihern Mitte der Gleichheit verharren. Nichts 
Harted, Fein Ungemach fann Dir begegnen, wenn Du das den Sinnen 
Midrige begreift und erfaffeft ald etwas in der Gleichheit der Einheit 
und Liebe zu Ertragendes; dies heißt am der Gottheit auf eine edle um 
bejeligende Weife Theil haben. Du fiehft nun auch, daß diefe oft er 
wähnte Gleichheit die Mutter, der Inbegriff aller Tugend ift, 
und daß es feine Tugend geben fünne, außer in der Theilnahme am dieſer 
Gleichheit. — 

Doch Du fannft weit beffer als ich das Participiren an dem dreis 
einigen Lichte der Gottheit in Dir felbft betrachten, der Du dich längft von 
zerftreuenden Weltforgen hinweg in jener Gleichheit des Lebens der Pflege 
der Gerechtigfeit geweihet haft, und ich würde diefe meine albernen Muth» 
maßungen vor dir auszuframen nicht gewagt haben, hätte ich nicht ge 
wußt, daß du diefelben gemäß dem ofterwähnten Geſetze der Gleichheit 
in der Einheit der Liebe aufnehmen werdeſt. 


Ueber das Gott Suden. 


(De quaerendo Deum.) 


Deinem Wunſche nah Kräften zu entiprechen, in Chriftus wahrhaft 
ehrwürdiger Bruder! will ich jept, was ich gewöhnlich am Epiphaniefefte 
über das Verſtändniß ded Namend Gotted erörtere, kurz und deutlich 
bier jchriftlich wiederholen, damit unfer beiverjeitiged Nachdenken gewedt 
und durch denfended Hinauffteigen der innere Menſch von einer Klarheit 
ur andern umgeftaltet werde, bis er durch das Licht der Glorie zu klarer 
Anſchauung in die Freude feined Herrn eingeht. | 

Zuvörderit beachteft Du, mein befter Bruder! wie Paulus, der nad 
kiner Ausfage zur Anfhauung von göttlihen Geheimniffen in den dritten 
Himmel entzückt wurde, ald er den Philofophen in Athen auf dem Areos 
page die Wahrheit predigte, als Thema anfündigte, den unbekannten 
Gott, dem die Heiden felbft einen Altar errichtet hatten, wolle er ihnen 
verfündigen. Im Eingange feiner Erörterung fchidte er voraus, daß Gott 
in Einem Menſchen Alle erfhaffen und ihnen in diefer Welt eine beftimmte 
Zeit gelafjen habe, Gott zu fuchen, ob fie ihn wohl finden würden, wos 
bei der Apoflel bemerkt, Gott fei nicht ferne von einem Jeden, denn in 
ihm haben wir Sein und Leben und Bewegung. Dann den Gögendienft 
verwerfend, fügt er bei, daß im Denken des Menfchen nichts (Gott) Aehn— 
lihes fein könne. Es befremdet mich diefe Stelle der Apoftelgefchichte, fo 
oft ich ſie leſe. Paulus wollte den Philofophen den unbefannten Gott 
offenbaren, von dem er nadıher jagt, daß er durch feinen menfchlichen 
Verftand erfaßt werden könne. Darin wird alfo Gott offenbar, daß 
man weiß, jeder Verftand fei zu fchwach zu defien Erfenntniß. Der 
Apoftel nennt ihn Gott, griebiih Heös. Wenn nun der Menſch dazu 
erihaffen ift, daß er Gott fuche und dem gefundenen anhange und durch 
diefe Anhänglichfeit feine Ruhe finde und er gleichwohl in diefer Sinnen, 
welt Gott nicht fuchen und erfaffen fann, da Gott ein Geift, nicht ein 
Körper ift, und er ihn auch auf dem Mege der geiftigen Abftraction nicht 
erreihen Fann, da der Menfch bier feine Nehnlichfeit Gottes findet: 
wie fann dann Gott fo gefucht werden, daß man ihn wirklich findet? 
Gewiß, wenn nicht diefe Welt dem Suchenden behülflih ift, fo ift der 
Menſch umfonft zu dem Ziele, Gott zu fuchen, in die Welt gefegt. Dieſe 
Belt muß alfo dem Suchenden Hülfe leiften und der Suchende muß 

Scharpff, Nie. v. Cuſa. 10 


146 


zur Ginfiht fommen, daß weder in der Welt, noch in Allem, was der 
Menfch begreift, etwas Gott Achnliches zu finden fft. 

Sehen wir nun, ob der Name Heog oder Deus und einen Finger 
zeig gibt. 

Der Name sog felbft ift nicht der Name Gottes, der über allen 
Begriff und Namen iſt. Er fann nur der Name Gottes fein, injoweit 
Gott vom Menſchen im diefer Welt geſucht wird... sog kommt ber 
von Hewpew oder Hew: ich ſehe, ich laufe. Der Menih muß alio laus 
fen, durd das Geſicht fuhend, um zu dem Alles fehenden Gott zu 
gelangen. Wir müſſen alfo die Natur des finnlihen Anſchauens vor dem 
Auge der geiftigen Anſchauung erweitern, um eine Leiter des geiftigen 
Auffteigend zu gewinnen, 

Das Sehen entftcht durch einen gewiffen hellen und lichten Geift, 
der aus dem Gehirne in das Auge ald Organ herabfteigt und von einem 
farbigen Dbjecte ein ähnliches Bild in das Auge reflectirt unter Mitwir— 
fung des äußern Lichtes. Im der Region des Sichtbaren ift überall 
Farbe. Das Sehen aber ijt nicht aus dieſer Region, fondern über die- 
felbe erhaben. Das Sehen hat alfo feine Farbe; um jede Farbe redt 
jehen zu können, ift es nicht auf eine derfelben beſchränkt. So rein von 
jeder befledenden Vermengung mit der Farbenwelt ift das Sehen, daß 
alles Eichtbare im Vergleiche zu ihm gewiffermaßen Binfterniß ift, eine 
fürperlide Dictigfeit, im Vergleiche zum Sehgeifte. Die fihtbare Farben 
welt weiß daher auch nichts von dem Sehen, da fie nur das Farbige 
fennt. Sagen wir ihr auch, das Sehen eriftire und es fei farblos, je 
wird fie fib aus ihrem ganzen Bereiche feinen entſprechenden Begriff: vom 
Schen zu machen im Stande fein, da ihre Begriffe der Farbe nicht ent 
behren fönnenz ja ed wird — aus demfelben Grunde — das Farblolt 
für fie gar nicht eriftiren. Daher paßt auf das Sehen fein Name von | 
allen möglichen Barben, weder von jeder einzelnen, noch von der ihr ent 
gegengefeßten, nod von der Verbindung der entgegengefegten Farben. 
Wenn nun Jemand, da die Farbe nicht fich ſelbſt differenzlirt (cum color 
non sit diseretus) und darım auch nicht durch ſich felbit, fondern nur 
durch eine höhere Urfache, das Sehen, erfannt wird, alle fihtbaren Dinge 
fragte, ob dem fo ſei und wie fie jene höhere Urſache erfennen, jo werden 
fie antworten, jene ihnen vorgefegte Urfahe — das Sehen — fei etwas 
fehr Gutes und Schönes nad Allem, was fie fallen können. Sie werden 
aber bei ihrer Vorftellung von demfelben immer wieder auf die Farbe 
zurüdfommen und fagen, es fei fchöner, als jede mögliche weiße Farbe, es 
fei das Aeußerfte, das Höchfte und Reinſte in der weißen Farbe. 

Erhebe Dich nun, mein Bruder! in analogem Verfahren vom Sehen 
zum Hören, Gefhmad, Geruch, Taftfinn, dann zum allgemeinen Sinne. 


147 


Dann feige höher hinauf in das Gebiet der Vernunft, die über ber 
ganzen Verftandeswelt it und daher von diefer nicht erfaßt wird, da fi 
die Vernunft verhält wie das Sehen, das Verftandesmäßige wie bie 
Karben. Dehnſt Du Deine Betrachtung weiter aus, fo wirft Du ein« 
hen, daß die Vernunft fib verhält wie ein freier Blick oder wahrer 
Richter über die ganze Verftandeswelt, in welchem fih Feine Vermengung 
mit dem Speciellen der Berftandeswelt findet, jo daß fie eines hellen 
intuitiven Urtheils über dfe ganze Mannigfaltigfeit des Verftandesmäßigen 
fähig it. Durch diefe wird daher die Vernunft fo wenig begriffen, als 
dad Schen durd die Farbe. Will fie von ihrem Könige, Richter und 
Vorgejegten fih einen Begriff mahen, fo nennt fie ihn die Grenze, das 
Arugerfte ihrer Vollfommenheit. So fagen auch die geiftigen Naturen, 
die Naturen des Wahren, ihr König fei das Neußerfte, das Höchſte aller 
intuitiven Vollkommenheit. Sie nennen ibn Oeog oder Deus, gleichſam 
die Speculation und intuitive Kraft ſelbſt, Alles zu fehen, in 
der Fülle der Vollfommenheit. Indeß im der ganzen Region der intellecs 
tuellen Naturen findet ſich nichts, dem der König felbit ähnlich wäre: er 
it über Alles binaus, was begriffen und erfannt wird, fein Name ift 
nicht zu erfafen, obwohl er der Name ift, der alles DVernünftige nennt 
und unterſcheidet. .... Ale Könige und Häupter der untergeordneten 
Gebiete unterfcheiden und fehen, fpeculiren, bis zum König der Könige 
und Herrn aller Herrſcher, der die Speculation jelbft ift und alle Könige 
in feiner Gewalt bat, von dem fie Alles haben, was fie haben: Macht, 
Schönheit, Wefenheit, Freude, Leben und alles Gute. Im Reiche des 
oberiten und größten Könige wird daher alle Zierde fichtbarer Formen, 
die bunte Farbenwelt, das Angenehme der Proportion, der Glanz des 
Goldes, Alles, was das Auge ergögt, ed wird an der Curie des großen 
Königs für Nichts gehalten, es gehört zum Geringſten in der Curie. 
Auch aller Stimmen ſchöner Einklang, alle füße Harmonie, alle Geſänge 
der Sirenen und Nachtigallen, fie find Koth, der am Boden flebt, in der 
Curie des größten und beften Königs... .. Doch die Könige des geiftigen 
Gebiet gehören zur Dienerfchaft (de familia sunt) des oberften 
Anführers, fie freuen ſich, feinem Kriegsdienfte zugetheilt zu fein, und 
haben feinen andern Wunſch, ald irgend eine Rangftufe am Hofe des 
Herrſchers zu erlangen, auf welcher fie in geiftiger Anſchauung durd ihn, 
der sog genannt wird, erquidt würden. In ihm ift Alles in feiner 
Ergänzung, in fih, göttlich, was in den andern Regionen und 
Königen unvolllommen, außer fi, wie im Scattenrifje und Abbilde, in 
unproportionalem Abftande, concret gefunden wird.... . Im Reiche des 
Allmaͤchtigen, wo das Reich der König felbft ift, wo Alles, was in allen 


Reihen, der König iſt, wo die Farbe nicht ſinnlich, nicht geiftig, fondern 
10° 


148 


göttlih, ja Gott felbft ft, wo alles Bewegungs» und Leblofe in der 
finnliben Welt, Alles, was vegetatives, verftändiges oder vernünftiges 
Leben hat, das göttliche Leben ſelbſt ift, weldies die Unſterblichkeit 
felbjt ift, im der nur Gott wohnt, — in ihm Alles, Er ſelbſt, — 
dort ift die Monne aller Freuden, die durd Aug, Ohr, Geſchmack, Taften, 
Geruch, Gefühl, Leben, Bewegung, Berftand, Vernunft genoffen werben, 
unendliche Freude, göttlib und unausſprechlich, und die Ruhe aller Freude 
und alles Ergötzens; weil Gott felbft das Schen ift und das Laufen, er, 
der Alles fieht, in Allem ift, durd Alles läuft. Auf ihn ſchaut Alles 
bin, als auf den König; auf feinen Befehl bewegt ſich Alles und alles 
Laufen nah dem Ziele der Ruhe geht auf ihn zu. Co ift Gott alfo 
Alles Comne): der Anfang des Auslaufens, die Mitte, in der 
wir bewegt werden, und das Ziel des Zurüdlaufene. 

Auf diefem Wege beftrebe Dich, mein Bruder, in eifriger Speculation 
Gott zu ſuchen: er muß gefunden werden, wenn er recht gejucht wird, da 
er überall ift. 

Wenden wir und jegt zum zweiten Theile unjerer Frage und fehen 
wir, wie wir zum ftufenmäßigen Aufiteigen in dem genannten Schauen 
(foferne Yeos von HewpEw abgeleitet wird) gelangen, da wir doch zum 
ganz Unbefannten uns nicht hingetrieben fühlen. Zu dem Ende müſſen 
wir die Natur des Sehens betrachten. 

Damit das Geſicht etwas Sichtbared genau erkenne, bedarf ed eines 
doppelten Lichted. Es ift nicht der Geſichtsſinn, der den Farben die 
Namen gibt, fondern der Geift im Gefichtöfinn. Der Sinn, der durd 
die Augennerven aus dem Gehirne in das Auge herabfteigt, erhält durch 
ein vorgehaltened Object einen Anftoß und es entfteht eine verworrene 
Wahrnehmung. Die animalifbe Kraft fommt dur diefe Wahrnehmung 
in eine Art Grftaunen und fie bejtrebt fib nun zu unterfcheiden. Alſo 
nicht der Gefichtöfinn an ſich unterfcheidet, fondern ein höherer Sinn (das 
Bewußtfein) bewirkt das Unterfcheiden. Wir fünnen dies täglih wahr; 
nehmen. Worübergehende, deren Bild in unfer Auge eindringt, bemerfen 
wir oft nicht, wenn wir mit Anderem geiftig befchäftigt find, und wenn 
Mehrere mit uns zugleich reden, fo veritehen wir nur Den, auf weldyen 
unfere Aufmerffamfeit gerichtet ift. Damit ift erwiefen, daß der Geſichts— 
finn durch ein höheres Licht, nämlich des Verftandes, feine Thätigkeit 
vollzieht. Außer diefem höhern (geiftigen) Lichte ift aber auch das natürs 
liche Licht nothwendig, mittelft deffen das Bild eines Gegenftandes in 
unfer Auge gelangt. In diefem Lichte ift die Farbe gleihfam in ihrem 
Principe; denn die Farbe ift mur die Begrenzung (terminus) des Lidyts 
in einem durchfcheinenden Medium (in diaphano), wie wir am Regen— 
bogen fehen. Die Farbe ift daher nur in ihrem Principe, dem Lichte, 


149 


fihtbar. Das Äußere Licht und der Gefihtsfinn erzeugen gemeinfam ein 
Mares Bild (lux extrinseca et spiritus visivus in claritate communicant). 

Hieraus, mein Bruder! bahne Dir den Weg zu der Unterfuchung, 
wie der unbefannte Gott alle8 Das übertrifft, wodurch wir zu ihm bins 
bewegt werden... . Unbefannt ift das Licht, durch das wir die Karben 
ſehen, dem Auge, und doch ift ed dem Geſichtsſinn ein Ergögen . . . 
Das Licht des Unterfcheidend ift der Anfang, die Mitte und das Ende 
der Sinnenerfenntniß, in ihm haben alle Sinne ihr Leben, ihre Thätig— 
feit, Breude und Ruhe . . . So ift nun aud die Vernunft das Licht 
der Verftandesthätigfeit. Won hier erhebe Dich zu Gott, der das Licht 
der Bernunft if. Wenn Du fo mittelft der Analyfe der Sinnenerfennts 
niß weiter gebft, fo wirft Du finden, daß unfer Gott, der in Ewigkeit ges 
priefen fei, alles Dad, was in jedem Sein ift, eben fo ift, wie das Licht 
der Unterfcheidung in den Sinnen, das der Vernunft im Verftande; daß 
er ed iſt, von welchem die Creatur ihr Sein, Leben und Bewegung hat; 
daß in feinem Lichte fib all unfer Erkennen bewegt, fo, daß nicht wir es 
find, die erfennen, jondern vielmehr er in und. Nur durch fein Licht, das 
in unfern Geiſt einbringt, werden wir angetrieben, zu ibm zu fommen. 
Wie das Sein, jo hängt aud das Erfanntwerden von ihm ab: wie vom 
materiellen Licht das Sein der Farbe, fo hängt von dem Lichte felbft die 
Grfenntniß der Farbe ab... . Wir werden alfo zum unbefannten Gott 
bingezogen durd das bewegende Licht feiner Gnade, der nicht anders er- 
fannt werden kann, außer er zeige fich felbft, der gefucht fein will und 
den Suchenden fein Licht gibt, ohne welches fie ihn nicht ſuchen können. 
— So wird er alſo durch Sehen (theorice) geſucht, in einem Laufe (cum 
earsu), der den Laufenden zur Nuhe der Bewegung binführt, wenn er 
mit größter Sehnſucht gefucht wird. "Nicht anders wandeln wir auf dem 
rechten Weg, um die Weisheit zu erreichen, außer man ſuche fie mit ver 
größten Sehnſucht. Wer fie fo fucht, ſucht fie auf dem rechten Wege, 
wo fie unzweifelhaft gefunden wird, indem fie felbft ſich kundgibt. Es 
gibt Feinen andern Weg als diefen, feinen andern weifen und die gelehrten 
und heiligen Männer, welche nah Weisheit geftrebt haben. Jene ftolzen, 
anmaßenden, fih weile bünfenden Geiſter, die nur ihrem eigenen Vers 
fande vertrauten, in ftolger Erhebung fi dem Höchſten gleich betrachteten 
— fie alle find im Irrthume. Sie alle haben fih den Weg zur Weiss 
beit verfperrt, weil fie nichts für Wahrheit hielten, als was fie mit ihrem 
Verftande gemefien haben; in ihrer Eitelfeit find fie verfommen: den Baum 
der Erfenntniß haben fie umfaßt, aber den Baum ded Lebens nicht ers 
langt. Jene aber, welche lehrten, man könne die Weisheit und das ewige 
geiftige Leben nur durch das Geſchenk der Gnade erlangen; fo groß ſei 
die Güte Gottes, daß er Alle erhört, die feinen Namen anrufen, dieſe 


150 


wurden felig . .. Gott ift der Geber alles Guten, im feiner Furcht 
müffen wir leben, in feiner Liebe wandeln; in aller Demuth muß man 
das unfterbliche Leben von ihm erbitten und Alles, was zu demfelben ver« 
hilft, mit aller Neligiofität erfaffen. Du fiehft, mein Bruder! daß feine 
Tugend, fein Gefeg, feine Vorfchrift und rechtfertige, fo daß wir nad Ge— 
bühr (merito) jenes herrliche Geſchenk erlangen, fondern die Virtuofität 
des Lebens, Beobachtung der Gebote, Abtödtung des Fleiſches, Verachtung 
der Welt u. dgl. begleiten Den, der in rechter Weiſe das göttliche Leben 
und die ewige MWeisheit ſucht. Wo den Suchenden nicht diefe Dinge ber 
gleiten, ift er offenbar nicht in, fondern außer dem Leben... Nur wer 
Alles verläßt, kann ungeftört im Liebeödrange zur Weisheit eilen; wie der 
Hirſch nah Waſſerbächen, fo ſehnt fi eine folde Seele nah Gott. Er 
liebt, die ihn lieben, und weil er die Liebe ift, fo fchenft er fich felbft einer 
ſolchen Seele. 

Du fichft num, mein Bruder! wozu Du, wie ich im Eingange erwähnt 
habe, in die Melt gefommen bift: — um Gott zu fuchen. So übe Did 
alfo vielfach, erhebe Dich im Gebiete des Schens und Du wirft eine Nah— 
rung finden, die Dich auf Deinem Wege ftärft und immer mehr Deine Sehn— 
fucht fteigert. Unſer Geift hat die Natur des Feuers in ſich; er ift zu 
feinem andern Zwede von Gott auf diefe Erde geſetzt, ald um zu brennen 
und zu einer Flamme anzuwachſen. Gr wächſt, wenn er durch Etaunen 
angeregt wird. Bei der Betrachtung der Werke Gottes ftaunen wir über 
die ewige Weisheit; dieſes Staunen ift der Wind, der unfere Sehnſucht 
zur Liebe des Schöpfers fteigert und zur Anſchauung der Weisheit, die 
Alles wunderbar geordnet hat. Schen wir ein ganz Kleines Senfforn 
und bedenfen dann feine Kraft und die in ihm liegende Möglichfeit, fo 
haben wir einen Weg, um zur Bewunderung Gottes hingeriffen zu werden. 
In dielem fleinen Korne ift eine unermeßlice Kraft: ein großer Baum 
mit vielen ſolchen Körnern, in deren jedem wieder die Potenz eines Baumes 
if. Würde diefe ganze Kraft des Senfkorns actuell entfaltet, fo würde 
diefe fihtbare Welt, ja 10 und 1000 Welten, ja fogar fo viele 
Welten, als fib nur zählen laffen, nicht hinreichen. Wer muß hier nicht 
ftaunen, wenn er noch dazu erwägt den Geift des Menſchen, der diefe 
ganze Potentialität des Senfkorns, ja die ganze körperliche meßbare Welt 
umfaßt? Welche Größe ift demnach in unferm Geifte! Und wenn dieje 
Größe doh nur wie ein Punkt ift, wie groß ift dann vollends Gott! . . 
Er ift die Wirklichkeit aller Möglichkeit, denn er ift das Ende aller Mög: 
lichkeit, nicht der ‚conereten Möglichkeit des Senfkorns oder unſers Vaters 
Adam u. dgl., fondern der abjoluten Möglichkeit, welche die abfolute 
Wirklichkeit it. Wer wird nicht in ftaunende Bewunderung verfegt, werm 
er Gotted Allmacht auf diefem Wege ſucht? ... Mit dem Auge des 


151 


Geiftes fiehft Du, daß im jedem Stücke Holz oder Steine alle möglicden 
Körperformen der Geometrie, alle mögliden Abbildungen von Menſchen, 
Thieren, Blumen xX. ıc. potentiell enthalten find. Wenn nun Der jchon 
ein großer Künftler ift, der aus einem Holze die Geſtalt eines Könige 
oder eined Thiered ac. herausichnigen kann, welch ein Künftler ift dann 
Der, der alles Das in Wirklichkeit fegen fann, was im ganzen Bereiche 
der Möglichkeit it! Doch noch größere Macht und Meishelt bat Der, 
welber das Senfforn jelbft erihaffen und diefe ungeheure Potenz in es 
gelegt hat. Stupende Meifterfchaft aber befigt Der, welcher alle möglichen 
Kormen aud dem Senfforne nicht in aceidenteller Aehnlichkeit, fondern in 
eſſentieller Wahrheit herausbilden fanı. Und ein allen Verſtand über: 
fteigendes, unbeichreiblihes Wunder ift es, nicht etwa aus Steinen lebende 
Menihen zu machen, jondern aus Nichts und was nicht ift, in's Dafein 
zu rufen, während alle menjdlihe Kunft nur Etwas in Etwas bildet. 

Endlich gibt es noch einen Weg in Dir, Gott zu fuchen, dies ift die 
Negation alles Begrenzten. Wenn ein Künftler aus einem Holze das 
Bild eines Königs verfertigt, fo nimmt er Alles hinweg, was andere 
begrenzt ift, ald das Bild des Königs, das er geiftig vor fih hat. Wenn 
Du nun Gott Dir vorftellft als beffer denn Alles, was man ſich vorftellen 
faun, fo wirfft Du Alled weg, was coneret und begrenzt ift: Körperlich- 
feit (Gott ift fein Körper), Sinne, Einbildung, die nicht ohne die Sinnen— 
welt thätig jein können; Verſtand, denn er begreift nicht Alles; Vernunft, 
denn auch fie erfegt nicht die reine Wahrheit ver Dinge. Kurz, Du fin— 
deit nichts in Dir Gott ähnlich, und fagft daher, Gott fei über alles dieſes 
hinaus das Princip deines geiftigen Lebens, aus dem Dir Alles zufließt, 
was Du haft. Auf diefem Wege findeft Du Gott, um ihn nach diefem 
Leben in feiner Wahrheit anzuſchauen. Das möge er Dir und mir vers 
leihen, er, der fich denen, die ihn lieben, reichlich mittheilt. Er fei geprie— 
jen in Ewigkeit! Amen. 


Ueber die Gabe des Waters des Fichten. 


(De dato patris luminum.) 


An Biſchof Gerhard. 


1. 

Obwohl die Dunfelheit meines Geiſtes Tängft befannt ift, fo haft 
Du do, ehrwürdiger Vater! in einer finnreichen Weile Lichtfunfen dem 
ſelben abzugewinnen verfucht. Als während des Botanifirens die Sprade 
auf das Wort des Apoftel Jakobus fam, jede gute Gabe und jedes 
vollfommene Geſchenk fomme von Oben, vom Vater des 
Lichtes, bateft Du mich dringend, über das Verftändniß dieſer Stelle 
meine Anficht niederzufchreiben. Ich weiß, daß Du, ehrwürdiger Bater! 
die Anfichten der gelehrteften Theologen getreu im Gedächtniſſe bewahrft, 
während ich noch fehr wenige Schriften gelefen habe; ich müßte daher 
mit Recht erröthen, kennete ich nicht die Aufrichtigfeit Deiner Gefinnung. 
So empfange denn hier meine Anficht! 

Nach meiner Meinung war e8 die Abfiht des heiligen Apoftels, uns 
auf einem leicht zu betretenden Wege zu allem von uns Erfehnten hinzuführen. 

Jeder vernünftige Menſch hat das Verlangen nah Wiffen. Wiffen 
(verftehen, intelligere) ift das Leben des Geiftes, ift fein erfehntes Ziel; 
er fann aber zum Erfaffen der Weisheit fih nicht erheben, als unwiſſend, 
durch fein eigenes Licht. Denn wer mangelhaft ift, hat an Dem Mangel, 
was er entbehrt. Dad Mangelhafte muß fih als mangelhaft erkennen 
und begierig der Ergänzung feiner Mangelbaftigfeit zuftreben. Wenn ber, 
dem Weisheit fehlt, diefe von dem verlangt, deſſen Schäße die Fülle ver 
Meisheit find, der dem Bittenden diefelben noch vermehrt, deffen Karg— 
heit das reichlichfte Austheilen ift, jo muß er nothwendig die Weisheit 
erlangen, zumal diefe fich feldft dem Geifte des Suchenden hingibt. Ber- 
langen aber heißt mit feftem Glauben fuchen, in der unzweifelhaften Hof: 
nung des Erlangend. Von wem mun die Weisheit, diefes Licht für unfern 
Pfad und Leuchte für unfere Füße, das Verſtändniß und Leben der Seele, 
verlangt werben müffe, Iehrt uns der Apoftel, um jeden Irrthum aus 
zufhließen, in den Worten: jede gute Gabe und jedes vollfommene Ge— 
ſchenk tft von Oben. 

Wenn jedes Sein infoweit fih für gut hält, daß es nie etwas 
Anderes, ald eben dieſes fein Sein (wiewohl auf eine zuläfftg vollfommenere 


153 


Weiſe) zu fein wünſcht, fo erfennt jedes Weſen, das fih aus dem Beften 
ſtammend erfennt, feinen Zuftand als den beften. Es erfennt fein Sein, 
deffen Zerftörung oder Veränderung in das Sein einer andern Gattung es 
nie wünſchen fann, ihm von nichts Anderem gegeben, das nicht von Oben 
it, erhaben über Alles, in der Höhe der Volllommenheit (in altitudine 
omnis optimitatis). Der menfchlihe Verſtand glaubt nicht, feine Weſen— 
beit habe er von Etwas erhalten können, deflen Güte (Bollfommenheit) 
nicht das Höchfte hoch oben über alles Gute hinaus wäre. Es würde 
auch fein Weſen mit der ihm verliehenen MWefenheit zufrieden fein, wenn 
ed aus einem verminderten, nur erfchaffenen Guten herftammte; ſondern 
weil es von dem beften und höchſten Meifter, über dem es nichts Höheres 
gibt, fein Sein hat, fo rubt e8 in feiner ſpecifiſchen Wefenheit als in ver 
beften aus dem Beften; es ift alfo von Dben, aus der unendlihen All 
macht, die eine ſolche Kunft und Weisheit in ſich hat, daß fie das völlig 
ausreihende Bildungsprincip von Allem ift. 

Weil aber kein Wefen den Grad der höchftmöglichen ſpecifiſchen Voll⸗ 
fommenheit wirklich erreicht, fondern von derfelben (nur Jeſus Chriftus 
macht eine Ausnahme) in weitem Abftande fich befindet, jo bedarf aud 
der Geiſt, der potentiell Alles umfaßt, was nicht fein Schöpfer ift, um 
m wirflihen Erfaffen der Dinge zu gelangen, das Geſchenk der Gnade 
feines Schöpfers, wie der Schüler das aufhellende Wort des Lehrers, 
Die geiftige Erleuchtung, die eine Gabe Gottes iſt, fommt alfo von Dben, 
vom Bater aller Gaben, welde Erleuchtungen oder Gottedoffenbarungen 
find (theophaniae). Calomon hatte in der natürlichen Beſchaffenheit 
keiner Seele eine große Gabe Gottes erlangt; doch war (in natürlicher 
Hinfiht) feine Seele nicht beffer, als die Seele jedes andern Menſchen; 
aber durch die Gabe der Erleuchtung hatte er eine Scele, deren geiftige 
Kraft zur wirklichen Grfaffung der Weisheit fih über alle vorausgegans 
genen jüdiichen Könige erhoben hat. Der Apoftel wollte daher zwei Irrs 
thümer befeitigen, einmal den, welcher Gott zum Urheber des Böſen macht, 
ſedann den der Selbftüberhebung, als könne der Menſch aus fich, ohne 
das Gefchenf der Gnade oder des Angezogenwerdens durch den Vater, 
um Erfaffen der Weisheit gelangen. Died war die Sünde höhfter Ans 
maßung in dem Sondergeifte (spiritus separati) Lucifer, der durch eigene 
Kraft zur Achnlichkeit des Allerhöchften fich erheben wollte, fo wie unferer 
Stammeltern. Eben darum fordert und auch der Apoftel zum beftändigen und 
glaubensvollen Gebete auf. 9 N 


Erheben wir und nun zur größeren Bewunderung des wunderbaren 
ihres, das in den Worten des Apofteld verborgen if. Er fagt: „Alle 
gute (optimum) Gabe und jedes vollfommene Geſchenk“ xX. 


154 


Nach viefem Worte fcheint jede Creatur gewiffermaßen Gott zu fein. 
Denn nur Gott ift der ganz Gute oder der Befte. Iſt nun die Greatur 
die befte Gabe, jo Icheint fie ein gegebener Gott zu fein. (Datum igitur 
optimum si est creatura, quoniam omnis creatura est bona valde, 
videtur Deus datus esse.) Dad Gegebene muß nämlich in der Madt 
ded Gebers fein: in der Macht des Guten ift das Gute. Da nun aber 
das Beſte nur Eines, einfach und untheilbar ift, weil es das Beite ift, 
fo kann es nur fich felbft geben, fich ſelbſt ausjpenden, jedoch nicht theil- 
weife, unvermindert, denn es ift Alles das, was es fein kann; fein Sein 
ift fein Beitfein, feine Ewigkeit. Hienach fcheint es, daß Gott und die 
Greatur dasfelbe find: nach der Modalität (secundum modum) des Gebers: 
Gott, nah der Modalität des Gegebenen: die Greatur. Es ift alſo nur 
Eines, das nach der verichiedenen Seinsweiſe (secundum modi diversi- 
tateım) verjchiedene Namen erhält. Ein und dasſelbe ift ewig in Hinfiet 
auf (secundum modum) den Geber, und zeitlib in Hinfiht auf das 
Gegebene: Eines und Dasfelbe ift Schöpfer und Gejchöpf ic. Unftreitig fehlt 
ed diefer Darftelung an Präcifion. Suchen wir dad Verſtändniß der 
Wahrheit auf! 

Die Philofophen fagen, die Form fei es, die einem Dinge das Sein 
gibt. Diefer Behauptung fehlt die Präcifion: es ift nicht ein Ding da, 
weldhem die Form das Sein gibt, da jeded Ding nur durd die Form 
ift. „Die Form gibt einem Dinge das Sein“ — will alfo heißen: Die 
Form tft das Sein felbft in jeder Sache; das dem Dinge gegebene Sein 
ift die Sein gebende Form ſelbſt. Gott nun iſt die abjolute Form dee 
Seins, er gibt Allem das Sein; er wird daher von Wielen mit Redt 
der Geber der Formen genannt, Gott ift allo nicht die Form der Erde, 
Luft, des MWaffers x., fondern die abfolute Form der Form der Erde x. 
Die Erde ift daher nicht Gott, fondern Erde, die Luft ift Luft 2c., jeg— 
liches Weſen ift diefes durch feine Form. Die Form jeden Weſens fteigt 
herab aus der univerfellen Form. Das drüdt der Apoftel in wunder 
barer Tiefe in dem Worte aus: jede gute Gabe fteigt herab (descendit), 
ald wollte er fagen: der Geber der Formen gibt michts von fich ſelbſt 
Verſchiedenes, feine Gabe ift die befte, ift fein abjolut Beſtes und uni 
verfell Größtes; aber fie kann nicht aufgenommen werden jo, mie 
fie gegeben wird, weil die Aufnahme des Gegebenen auf dem Wege ded 
Herabfteigens erfolgt (receptio dati fit descensive). Das Unenblide 
wird endlich aufgenommen, das Univerfelle partifulär, das Abfolute be 
ichränft Ccontracte). Da eine ſolche Aufnahme ein Abfall von der fid 
mittheilenden Wahrheit ift, fo wird fie zur Aehnlichkeit und zum 
Abbilde, fie ift nicht der wirkliche Geber, fondern fein Bild, 
in ftufenmäßiger Klarheit. So find die Karben die verfchiedene Aufnahme 


155 


des herabfteigenden Lichtes. Jeder Sinn, Auge, Ohr x. ift eine ver 
ihiedenartige Aufnahme des allgemeinen Bewußtſeins, welches in bie 
Einnenorgane herabfteigt; eben darum iſt diefes nicht iventifch mit den 
einzelnen Sinnen .... Obwohl auf diefe Art Gott Alles in Allem ift, 
je ift do die Menſchheit nit Gott; wiewohl man bei richtigem 
Verftändniffe das Wort des Hermes Tridmegiftus gelten laſſen fünnte, 
Gott werde mit dem Namen aller Dinge und alle Dinge werben mit 
dem Namen Gottes benannt, jo daß der Menfh ein vermenſchlichter 
Gott (Deus humanatus) und diefe Welt ein finnliber Gott (Deus 
sensibilis) genannt werden fönnte, wie auch Plato meinte. Weit Gott 
dad Endziel feiner Schöpfung ift, der um feinetwillen Alles gemacht hat, 
jo gab er fih als finnlihe Welt (se dedit mundum sensibilem), damit 
die finnlihe Welt um feinetwillen da wäre, damit feine Aufnahme im 
Gebiete des Sinnlihen feine Güte auf dem Wege ded Sinnlichen darftelle 
und das unendliche Licht der Sinnenwelt finnlih leuchte, den lebenden 
Weſen ald Leben, der Verftandeswelt ald Verftand, den Vernünftigen als 
Vernunft. 
3. 


Ich beachte, wie vorſichtig der Apoſtel ſagt, jede Creatur ſei in ihrem 
Geber ewig und die Ewigkeit ſelbſt. Die Allmacht des Gebers coincidirt 
mit feiner Ewigkeit: immer konnte der Allmächtige geben. Jedes Gege— 
bene war alſo in der Ewigfeit beim Vater; von ihm ſteigt es durch Auf— 
nahme herab. Immer und ewig hat der Geber gegeben, aber die Auf- 
nahme erfolgte nur im Abfall von der Ewigfeit, in der Einfchränfung der 
Ewigfeit in die Zeitdauer, die einen Anfang hat. Die Zahl ift das 
Maaß der Dauer, fie ift das Bild der zu einem Anfange gewordenen, 
aber endlofen Ewigfeit. Die Welt hat daher einen Anfang, in ihm ift 
al ihr Sein Ewigfeit (in ipso aeternitas est omne esse ejus), jedod) 
nicht die abfolute, fondern die durch einen Anfang befhränfte Ewigkeit. 
Die ewige Welt ift geworden; und es ift die Welt, die ewig bei dem 
Vater ift, feine andere, als die durch Herabfteigen vom Vater gewordene, 
aber jene ift nicht veränderlich, ift beftändig fich gleich bleibend, ohne allen 
Schatten der Veränderung; diefe ift durch das Herabfteigen ins befondere 
Sein veränderlich und unftät wogend. Die Welt ift gleihfam der veräns 
derliche Gott, die unveränderliche Welt ift der ewige Gott. Das find 
Redeweifen der Speculation, denen alle Präcifion fehlt, wiewohl fie im 
Jneinanderfein der Begriffe von Gott und der Welt fih der Präcifion 
nähern. SPräcijer ift freifih die Auffaffung von Gott, dem Unausſprech⸗ 
hen, welde ihn weit über alle Affirmation und Negation, Gegenfah 
md Veränderung im unzugänglichen Lichte der Intelligenz wohnen läßt. 


156 


4. 

Es erübrigt nun noch das Wort ded Npofteld zu erwägen, wornad 
er Gott nicht das Licht, fondern den Vater der Lichter nennt. 

Alle Dinge find für und Erſcheinungen (apparitiones), gleichſam 
Lichter. Weil nun Ein Vater und Urquell der Lichter ift, fo find alle 
Dinge Erfcheinungen des Einen Gottes, in unendliher Verſchiedenheit. 
Gott ift die unendliche Kraft und völlige Activität. Wenn diefe vermöge 
ihrer Güte fib offenbaren will, fo läßt fie aus fich verfchiedene Lichter 
— Theophanien — herabfteigen, in welchen Allen fie den Reichthum des 
Lichtes ihrer Herrlichkeit offenbart. Dieſes Hervorbringen (generatio), 
das ein ganz freiwilliges ift und feinen andern Grund hat, al& die eigene 
Güte, geſchieht durch das Wort der Wahrheit. Das Wort der Wahrheit 
ift die abfolute Kunft, das Licht jedes Verſtandes. Dieſes Licht, das 
Wort, der eingeborene Sohn, iſt die höchſte Erjheinung des Vaters. 
Alle Erfheinungen der Dinge hat der Vater der Lichter erzeugt; im ber 
oberiten Kraft, in der Stärfe der Einheit find alle andern erfcheinenden 
Lichter inbegriffen: in der abfoluten Sohnſchaft ift jede andere Sohnicaft, 
in der univerfellften Kunft jedes Kunftwerf, in dem abjoluten Berftande 
jeder Verftand, jede Unterfcheidung enthalten. In diefem ewigen Worte 
hat der Vater und erzeugt, auf daß wir, indem wir das Licht des ewigen 
Wortes durd deffen Herabfteigen in der uns möglichen Weife aufnehmen, 
ein gewiffer Anfang feines Weſens feien (simus initium aliquod crea- 
turae ejus). Diefe Aufnahme der Erfheinung des Vaters im Worte ift 
mehr als der Anfang der Schöpfung; denn durd jene find wir ein ges 
wiffer Anfang feines Weſens, weil wir das Wort der Wahrheit, in dem 
er und erzeugt hat, in unferer Weife aufnehmen... Wir find alfo cin 
Geſchlecht Gotted (sumus igitur nos genus Dei), weil er und erzeugt 
bat. Wie im Worte oder der Kunft der Menfchheit alle Menſchen fo er 
zeugt find, daß fie einen Anfang des befondern Menſchſeins erlangen, ſo 
ift im Worte der Wahrheit alles, was wahrhaft ift — die Lüge ift 
nicht — jo erzeugt, daß es ein Anfang der Wefenheit (creaturae, fo ift 
offenbar dieſes Wort hier zu überfegen) des Erzeugers ift. 

5. 

Noh Einen Punkt, der nicht zu übergehen ift, will ich beipreden, 
die Gaben der Erleuchtung. 

Es gibt verfchiedene Gaben des Einen vollendenden Geifted. Es 
wird nämlich Gott, der die reinfte Actualität und abfolute Bollfommenheit 
ift, im Herabfteigen zu uns nicht fo, wie er ift, aufgenommen, fondern 
nur potentiell, wie der Baum von feiner Frucht nur ald Same aufge 
nommen wird. Wie nun der Vater im Worte der Wahrheit Alles er- 


157 


Ihafft (generat), fo wird vom Geiſte, der vom Water und Sohne auds 
geht, Alles vollendet. Der Geift erfüllt, d. i. bringt zur Vollendung den 
Erdkreis und was die Kenntniß der Sprade hat (quae vocis scientiam 
habent), fteht zum Water im Verhältniß der Vaterſchaft (sunt in patre 
paternaliter), zum Sohne in dem der Sohnſchaft (Klialiter), zum heiligen 
Geiſte in dem der Vollendung (perfectionaliter), Im Water hat Alles 
dad Sein, im Sohne die Macht, im heil. Geifte die Wirkjamfeit. Gott 
der Vater ift Alles in Allem, Gott der Sohn fann Alles in Allem, Gott 
ver heil. Geiſt bewirft Alles in Allem, denn aus dem Sein und Können 
geht das MWirfen hervor. Der Geift bewirft die Vollendung ded Seins 
in dem Seienden, des Lebens in den Lebenden, des Wiſſens in den Den; 
Inden, auf daß jede Greatur nach der Beichaffenheit ihres Weſens zum 
®ottwerden (deificationem), d. i. zum Ziele ihrer Ruhe -fih erhebe. Es 
ruht nämlich das förperliche Sein in dem Leben, das Leben im Geifte, 
der Geift in der Wahrheit, welche Gott ift. Die geiftigen Naturen find 
aljo die Vermittlung für den Ausfluß der niederen Naturen aus — und 
ihren Zurüdfluß in Gott. 

Um aber das Ziel ihrer Ruhe zu erreichen, um aus ver Möglichkeit 
ihrer Kraft zur höchſten Entfaltung derſelben zu gelangen, bietet der voll» 
endende heil. Geift der geiftigen Natur viele Lichter dar. Ale Gefchöpfe 
And ihr ſolche Lichter, durch deren Mamnigfaltigfeit fie erleuchtet wird, 
um zum wejentlichen Licht aller Gefchöpfe vorzudringen. Indem der 
Menſch in einigen Greaturen bloßes Sein, in andern Leben, in wieder 
andern Berftand wahrnimmt, wird er ſogleich erleuchtet, daß die abjolute 
Bejenheit der Creaturen nicht Eines oder das Andere hievon ift, weil fonft 
die übrigen nicht Creaturen wären. Sie it daher Feine der einzelnen 
Ereaturen. Die Creaturen find groß, Hein, anfehnlih, unanſehnlich ıc. 
Die abſolute Wefenheit ift alfo weder groß, noch Flein ıc. Andere Lichter 
werden Durch göttliche Erleuchtung dem Geifte eingegoflen (infunduntur), 
wie das Licht ded Glaubens, durch welden der Geift erleuchtet wird, 
dag er über den Verftand hinaus fih zum Erfaffen der Wahrheit erhebt. 
Weil der Geift durch diefes Licht dahin gebracht wird, daß er glaubt, er 
Ünne die Wahrheit erreichen, die er mit Hülfe ded Verſtandes nicht ers 
rihen fann, und fo feine Schwäche und Blindheit, um derentwillen er 
der Stüge des Verſtandes fih bediente, in einem ihm von Gott eingeges 
denen Verlangen verläßt und die Möglichkeit, auf eigenen Füßen zu ftehen, 
aufgibt, fo gelangt er, durch das Wort des Glaubens geftärkt, zu der 
meifellofen Zuverfiht, das Verheißene zu erlangen und erfaßt es auch 
alsbald im eilenden Lauf der Liebe (amoroso cursu festinanter appre- 
hendit). Das ift die Erleuchtung, von welcher der Apoftel redet. 

Unfere geiftige Kraft ‚hat unfäglihe Schäge von Licht in fi, die 


158 


wir, fo lange fie nur potentiell da find, nicht fennen, bis fie und burd 
ein activ einwirkendes geiftiges Licht eröffnet und die Art und Weile, fe 
bervorzuloden, gezeigt wird, durch diejenigen, welche diefer Geiſtescultut 
von jeher eine große Sorgfalt gewidmet haben. Die Philofophen, Mojes, 
die Propheten und Apoftel waren ſolche mit Tugenden gezierte Männer, 
welde das finftere Reich diefer Welt verließen und dem Lichte des Geifteö 
folgten, dur welche der Geber der Lichter und den verborgenen Schah 
der Weisheit erjchloffen, die Art, den Ader zu bewahren, von Unfraut zu 
reinigen und den Lebensbaum zu pflanzen gelehrt hat. Doc aller vieler 
Münner Lehre war nur ein empfangenes Licht aus dem abfoluten Work, 
nicht diefes Wort felbft, das unendlihe Licht des Waters, bis dieſts 
Wort ohne Einfhränfung ſich finnlih wahrnehmbar in unſerm Herm 
Jeſus Chriftus offenbarte. In diefem Worte find wir ald Kinder des 
Lichts geboren, weil ed und geoffenbart hat, daß die Schäße der Glotie 
des ewigen Reichs in und und innerhalb unferd Weſens feien Cin nobis 
ac intra nos esse revelavit), und uns die Unfterblichfeit des Geiftes durch 
Abtödtung erreichen lehrte. Es ſei in Ewigfeit gepriefen! Amen. 


ee — — — 


Dialog über die Entfehung der Welt, 


(De genesi.) 


Eonrad. Eine Abwehslung auch von weniger ausgejuchten Speir 
jen gewährt und eine angenehme Mahlzeit. Obwohl Du daher, mein 
Ritolaus! mir ſchon oft auf das freigebigite dargeboten haft, was zu 
einer unvergänglichen Geiftednahrung hinführt, jo möge es dir gleichwohl 
nicht unfieb fein, wenn ich eine noch fchmadhaftere Nahrung von Dir er- 
bitte. Nikolaus. Du weißt ed längft, mein Conrad! daß ih in uns 
etmũdlichem Eifer nah dem Unbegreiflihen jtrebe, und es freut mich, 
durch Fragen angere gt oder durch Einwürfe angetrieben zu werden. Sprich 
aljo! Conrad. Ich flaune, wie Eined und Dasſelbe aller fo verſchie— 
dener und entgegengejegter Dinge Urſache iſt. Mein Forſchen iſt daher 
auf die Entſtehung des Wellalls gerichtet, worüber ih von Dir eine 
fürze und faßliche Erklärung zu erhalten wünfche; denn auch der göttliche 
Mofes und viele Andere haben durch ihre verſchiedenen Erflärungsweifen 
immerhin noch Schwierigfeiten übrig gelaſſen. Nifolausd Alle, welde 





über die Entftehung der Welt geſprochen haben, haben, wie Du fagft, von 


Demfelben gefproden in verfchiedenen Weifen. Warum alfo befremdet es 
Dich, daß Dasfelbe die Urfache des Verſchiedenen it? Conrad. Weil 
Dasfelbe nur geeignet fcheint, Dasfelbe herworzubringen. Nikolaus. 
Richtig; eben deßhalb find alle Dinge von demfelben Abjoluten 
das, was fie find, undin der Weise, wie fie find, Denn dad abs 
jolute Dasfelbe ift, weil ed Dasjelbe ift, ewig. Es fann nicht von einem 
Andern fein. Denn wenn e8 Died (Einzelweſen) bervorbringen fann, fo 


auch ein Andered und wieder ein Anderes u. ſ. f. Bon weldem Andern 
follte ed alſo felbft fein? Es ift alfo ewig, einfach, unbegrenzt, unvers 


äuderlih, unvermehrbar, u. ſ. f.... Es ift daher auch feinem Anvdern 


gleih oder entgegengefegt, da Alles in ihm Dasfelbe if. Das Allgemeine 
und PBartifulare, die Einheit und die Unendlichkeit find in ihm Dasfelbe, 
Wirflichleit und Möglichkeit, ja Sein und Nichtfein find im abfoluten 
Demfelben nothwendig Dasfelbe. .. Sagen wir, dad Entgegengefegte ift ent» 


gegengejeßt, fo jagen wir, es fei ſ ich dasfelbe. Nur durd das abfolute 


Dasielbe ift alles, was ift, fich felbft gleich, und für ein Anderes anders, 
während das abſolute Dasfelbe jelbft nie Dasjelbe mit einem 
Anderen, oder einem Andern entgegengefegt fein kann. Und 


160 


weil das abfolut Dasfelbe aud in allem Bildfamen das bildende, geftals 
tende Princip ift, fo kann das bildende Princip nicht außerhalb Dems 
ſelben fein. Denn daß ein Ding fi feldft gleich ift, fommt aus dem 
geftaltenden Prineip; daß es aber für ein anderes Ding ein andere 
ift, fommt daher, weil fein Bildungsprineip nicht das abjolut Dasſelbe 
tft, nicht das Geftaltende in Allem, was geftaltet. Nur das abjolut 
Dasfelbe ift daher Anfang, Mitte und Ende jeder Geſtal— 
tung, die abfolute Wirklichkeit aller Möglichkeit. — Doch, laf 
und nun diefe Brämifjen weiter verfolgen. Du ziveifelft nicht, daß Das; 
jelbe auch Dasſelbe bewirfe (idem identificat). Der Berftand verfteht, 
das Geficht ficht, die Wärme wärme x. Weil aber das abfolut Dad 
felbe Feine Vervielfältigung „zuläßt, fo befteht fein Identificiren in einem 
Aſſimiliren. Das „Nichtvasjelbe* fteigt in einer Umfehr zu „Dem 
jelben” berauf, und weil es das (abſolut) Dasfelbe nicht erreichen fann, 
jo aſſimilirt es fi ihm. Es coincidirt gewiſſermaßen das Hinabfteigen 
des Dasfelben zu dem „Nichtvasfelbe” und. das Hinauffteigen des „Nicht 
dasjelbe” zu Demfelben. Die Erfhaffung der Welt kann daher eine 
Verähnlichung mit dem abfoluten Sein genannt werben, weßhalb 
die Heiligen die Schöpfung eine Aehnlichkeit und Bild Gottes genannt 
haben. Aus dem angeführten Grunde ift die Schöpfung. eine Vielheit, 
die im verfhiedener Weife an dem Einen und Demjelben participirt, wo 
raus eben die Ordnung und Harmonie des Ganzen (xoauos) eb 
fteht. Alle Wefen rufen einftimmig und verfünden das Eine und Dasjelde, 
und dieſes einjtimmige Rufen ift die Affimilation, ift die vollere und rei 
here Darftellung des Einen und Desfelben. Aber auch alle Zeugung, 
Zerftörung, Anderdbildung ꝛc. fommt daher, weil Dasfelbe immer Dasfelbe 
bewirft. Denn indem das Eine und Dasfelbe fi in größtem Gegenjatt 
der Kräfte manifeftirt, jo entfteht, indem Jedes das fih Gleiche und dem 
andern Entgegengefegte wirkt, ein Kampf der Kräfte, und aus biejem 
neue Zeugung und Zerftörung. Conrad. Du haft mid vollftändig be 

friedigt. ... Ich fehe nun auch deutlich, warum frühere Forſcher über die 
Enntſtehung der Welt irre gingen, weil fie das eben Gefagte nicht bedacht 
haben. Aus der unermehlihen Dauer der Welt haben fie eine Ewigfeit 
der Welt gemacht, da doch die Ewigfeit, das abfolut Dasfelbe, durch feine 
noch fo lange Dauer zu erreichen ift, umd im der unermeßlichen Dauer 
gerade feine Unerreichbarkeit um fo deutlicher offenbart. Der Maaßſtab 
der bloßen Reflerion, der nur das Zeitliche berührt, reicht nicht zu den 
Dingen, die zeitlos find, wie das Gehör das nicht erreicht, was nicht 
hörbar ift, wiewohl dies für den Verftand erreichbar if. Nikolaus. 
Ganz richtig. Das Wahre haben daher unfere Heiligen ausgeiproden, 
wenn fie fagten, die Welt fei im Anfange erfhaffen worden. Es fl 


161 


far, daß der Anfang der Welt nicht in einem Andern ift, fondern das 
abſolut Dasſelbe ift Anfang, Mitte und Ende der Welt, und es ließ 
Gott die Zeitdauer ebenfo wenig ald die Welt außerhalb dem abjolut 
Demielben den Anfang nehmen. So wenig daher durch die Welt und 
Alles in der Welt ein Weltwefen in feinem wahren Wefen erfaßt wird, 
fondern nur in dem Einen Abfoluten, jo wenig kann die Zeitbauer in 
ihrem Weſen durch irgend ein (relatives) Maaß erfaßt werden, nur das 


abjolut Dasfelbe ift das adäquatefte Maaß alles Meßbaren. Eonrad.: 


Ih würde gerne beiftimmen, wenn mich nicht das Buch Mofis über die 
Eribaffung der Welt zurückhielte. Nach dem dort Erzählten können wir 
das Zeitmaaß für den Anfang der Welt berechnen, die noch Feine 7000 
Jahre alt ift, wiewohl es in der Naturgefchichte des Plinius und vielen 


andern Schriften wieder anders angegeben wird. Nikolaus. Ich fchäge 


die Schriften des Mofes fehr hoch und weiß, daß fie durchaus wahr find, 
jofern ich auf die Abficht des Schriftftellers hinfehe. Soferne ih auf Gott 
jelbft, dem es eigen ift; Gottähnlich zu bilden (cujus est deificare), hinſehe, 
jo ftimme ich Mofes nicht deßhalb, weil ich Chrijt und dem (göttlichen) 
Geſetze verpflichtet bin, jondern weil die Vernunft anders zu dem 
fen verbietet, auf das Entichiedenfte bei. Indeß hat Mofes hinficht- 
id der Art, wie die Welt erſchaffen wurde, ſich durchaus menſchlich aus 
gedrückt, um die Wahrheit in menfchlich erfaßbarer Weife darzuitellen. 
Benn er jagt, Gott fei nichts von allem Dem, was gefehen oder ab- 
gebildet werben fann, er fei mur auf den Fußftapfen, die hinter ihm find, 
ſichtdat, fo hat er damit hinlänglich ausgedrüdt, er habe die Art und 
Weiſe der nicht zu fehildernden Schöpfung menſchlich dargeftelt. Wenn 
daher die Weiſen fagen, der unfichtbare Gott habe Alles nach feinem 
Bilen auf Einmal erfhaffen, fo ftehen fie mit der Intention Moſis 
in feinem Widerſpruche ... Sie entkleiden die Angabe des Geſetzgebers 
von ihrer conereten Hülle, fo daß fie nur das fehen, daß das abjolut 
Dasfelbe iventificire. Sie ftoßen ſich daher auch nicht an dem Abweichenden 
der Erzählung, der Zeit, der Benennung der Menfchen, dem entgegenge: 
ſehten Raufe der nad) der Erzählung mitten aus dem Paradiefe ausftrö- 
menden Flüſſe und noch Anderm, das vielleiht noch abgeſchmack— 
ter (absurdiora) fein mag, fondern erbeuten aus diefen Abgefchmadts 
heiten einen geheimen Sinn voll tiefer Bedeutung, wie Du es bei den 
geiſtig geübteſten Kirchenlehrern hinſichtlich dieſes Theils der Genefis 
Anden kannſt: in des Ambroſius Schrift über das Paradies, in feinem 
Heraemeron, bei Bafilius, YAuguftin, Hieronymus. — Eon 
rad. Es freut mich fehr, dies von Dir zu bören. Doc weil David 
anderswo fagt: „Durch das Wort des Herrn find die Himmel ges 
gründet, und dur den Hauc feines Mundes all IR. ae jo 
SHarpff, Nie. v. Cuſa. 


162 


wünfche ich eine Belehrung darüber, ob diefe Vorftellung angemeſſen ſel. 
Nikolaus Es gibt verſchiedene Erklärungen über die Art, wie Alles 
aus dem Einen und Erften entftanden ift, allein die tieferen Philofophen 
laffen die Formen der Naturwelt durd Gott, den reinften Geiſt, der die 
lautere und vollfommenfte Wirkſamkeit ift, auf den Befehl feines Willens 
fo entftehen, wie auf den Befehl des Baumeifterd das Haus entftcht. 
Willſt Du aber eine paflendere Bergleihung, fo findeft Du fie in dem 
Berfertigen gläferner Gefäße aus der glühenden Glasmaſſe mit 
telft Blaſens. Conrad. Sehr treffend zum Berftändniß der fiht- 
baren Welt! Dod gib mir noch eine univerfellere Bergleihung! Nike 
laus. Ich glaube, daß das Lehren unter den uns wohlbefannten 
Operationen die univerjellfte Anwendung zuläßt. Um einen noch umunter- 
richteten Schüler zur Identität mit dem Lehrer heranzubilden, macht ber 
Lehrer die Stille zu einem feinem Begriffe ähnlichen Laute. Diefer Laut 
ift die (bildſame) Möglichkeit, aus der hernach die Sylben, und aus dieſen 
die Worte, freilich in faum bemerfbarem Nacheinander, entftehen. Das 
jo entftandene Wort des Lehrers begreift eine dreifahe Ordnung in fit: 
es ift finnlich und wird durch den Gehörsſinun vernommen, es it ver 
tändig, weil nur der Verſtand die Worte faßt; es ift endlich geiftig, 
foferne es den Sinn des Lehrers, der die größte Achnlichfeit feines Geiftes 
ift, zur geiftigen Anfhauung bringt. Ganz paflend vergleicht aljo ver 
Prophet David die Schöpfung mit dem Worte und dem Haude des 
Mundes. Wielleiht wollte Died auch Moſes andeuten, wenn er in den 
Worten: „Gott fprah: es werde Licht! Und es warb Licht“, bie 
Schnelligfeit des Schaffens mit dem gefprochenen Worte verglich. Con 
rad. Ich begreife nun die ſchöne Ordnung in der Welt, wie nämlic 
das Körperliche zum Behufe der Sinnenunterfheidung, dieſe 
zum Behufe der verftändigen, diefe für die geiftige, die geiftige 
wegen der wahren Urface, der Schöpferin von Allem gegeben ift. Die 
ganze Natur dient alfo der geiftigen Natur; dieſe ift das Bild (signa- 
culum) der wahren und abfoluten Urfache, jo daß jedes Ding nur durd 
deren Vermittlung den Duell feined Seins erreiht. Denn was fuct 
alle Sinnenthätigfeit, ald Neflerion oder Berftänpigkeit? Was ſucht der 
Verftand anderes, ald das Bernünftige? Was fucht die Vernunft ans 
dered, als die wahre abfolute Urfahe? Nur der Geift (die Vernunft) 
hat alfo ein Auge, um die Wefenheit (quidditas) anzuſchauen, die er 
nur in der wahren Urſache, welde die Duelle aller Sehnſucht ift, am 
ſchaut, in welder Sein und Berlangen (Sehnſucht) coincidiren, — Mit 
Freuden habe ich diefe Wahrheiten aus beiner Belehrung gefhöpft, aus 
denen ich Vieles und Wichtiges über die Weltfhöpfung und die Natur 
ableiten fann. Doc weil einige Heilige die Welt mit einem geſchrie— 


163 


benen Buche vergleichen, fo fage mir auch über dieſes Bild deine Ans 
id. Nikolaus. Das Bild fcheint mir fehr paffend. Gin Deutfcer, 
m ein griechtihes Buch Plato's vorgelegt würde, könnte durch Ber: 
muthung mittelft Gombination einige Vocale und Worte erkennen; das 
Weſen, der Geift ded Buchs im Ganzen und Einzelnen bliebe ihm 
cbenjo verborgen, wie wenn ein Maler die Kunft zu malen, im Falle 
Niemand da wäre, dem er fie lehrte, in einem Buche in verfchiedenen 
Ömälden niederlegte. Wer würde diefe Kunft, die felbft nicht fichtbar, 
iondern nur durch den Geiſt erreichbar ift, aud dem Buche voll Gemäl- 
ven erlernen, wenn der Unterricht des Künftlers fehlte? So kann aud 
Östt Vater, die Duelle der. Kunft zu identificiren, er, die im Weltall 
nie in einem Gemälde entfaltete Kunft des Seins, durch Keinen er: 
kant werden, der nicht das Verſtändniß diefer Kunft befigt, ta nur der 
Geift Gottes des Waterd jene Kunft befigt, welche die abfolute Kunft ift. 
Diefe Erwägung führt und zur Verachtung des fyllogiftiihen Jagens und 
um Unterwerfung unter die Erleuchtung durch die Offenbarungen der 
Propheten. So fchreitet der Geift, fich felbit ald völlig ungenügend ver: 
ahtend, in feinem Suchen weiter. Die Erfenntniß der Unwifjenheit ers 
niedrige und gibt in der Erniedrigung die Erhöhung und Einfiht. Trefs 
fend hat dies Moſes ausgedrüdt, indem er den Menfchen, der, auf feine 
Kraft ſich ſtützend, im Wiffen Gott gleich fein wollte, in Unwifjenheit 
fallen läßt, welche der Tod des Geiftes if. Conrad. Nachdem nun 


jo Vieles zum Verftändniß des Propheten mir dargeboten ift, erfläre mir 7 


noch deutlicher, warum er fagt, die Himmel, ſeien durd das Wort, und 
ihre Kräfte durch den Hauch feines Mundes gebildet worden. Nikolaus. 
... Es find nad diefen Worten die Himmel, und was unter dem Namen 
oder nach Aehnlichkeit des Himmels ind Dajein gelangt, durch Ein 
ort der Allmacht auf Einmal entftanden. Diefem erihaffenen Himmel 
baut der Schöpfer eine Kraft ein. Das Aeußere eines jeden Weſens, 
gleichſam der es umjchließende Himmel, ift fein Entftehen aus dem Nichts; 
kin Inneres ift die ihm vom Schöpfer eingehauchte, verlichene Kraft des 
Seins, dur welche e8 eine größere Aehnlichfeit mit dem Echöpfer hat, 
ald dur den (äußern) Himmel feines Seind. Es find daher in jedem 
Velen drei Dinge: die Möglichkeit, dur feine Hervorrufung aus 
dm Nichts, die Wirkſamkeit, dur fein Barticipiren an der göttlichen 
Kraft und die Verbindung von Beidem. Moſes drüdt died in den 
Borten aus: „Es bildete Gott den Menfchen aus Erde und hauchte ihm 
den Hauch des Lebens ein, und fo wurde er ein lebende Weſen“. ... 
Conrad. Ih fann diefer Ausführung nicht widerfprehen. Doch weil 
David den Himmeln Kräfte und Engel zutheilt, wenn er fagt: „Lobt 
den Herrn von den Himmeln, lobt ihn in der Höhe! Lobt ihn alle feine 
in 


164 


Engel, lobt ihn alle feine Kräftel” fo fage mir nur mit Einem Worte 
noch, ob diefen Himmeln Engel vorftehen; dann will ic, da die tiefe 
Naht und zur Ruhe ruft, vom Fragen ablaffen. Nikolaus. Gegen 
unfere Verabredung zieht Du Bieled und nun vollends einen Punkt ber 
bei, der eine tiefere Forfhbung erfordert. Doch um fertig zu werden, fage 
ih nur Ein Wort: alle Bewegung der verftändigen Weſen trachtet nad 
dem abjolut „Demfelben“. Es geht ein Haud der Kraft von Gott aus, 
welcher die an feinem Sein Barticipirenden beftändig. zu „Demſelben“ hin 
leitet. Jeder Kreis, Himmel des Seins, hat eine eigene ihm beftinmt 
zugemeflene Kraft des Seins. in Geift, Engel, der den einzelnen 
Sphären des Seins vorfteht, und die ganze Kraft diefer Ephäre in ſich 
begreift, ift alſo gleichjam der dienende Geift, der Engel des Schoͤpfers 
in diefer Sphäre und leitet und regiert fie, wie der Rector einer Schule 
die Claffen der Grammatik, der Rhetorik, der Logik je durch die dieſen 
vorgejegte, ihm unterworfene Xehrer leitet und regiert... .. 

Dod weil diefer Gegenftand zu tieferer Ergründung eine paſſendere 
Zeit erfordert, fo fei die Unterredung num geſchloſſen. Der Hahn hat une 
längft zur Ruhe gerufen. Xebe wohl! 


Ueber das Schen Gottes 
(de visione Dei), 


ober : 


Ueber das Bild 


(de icone), 


An den Abt und die Brüder in Tegernfee. 


Ih gebe bier Etwas, was ih Euch, geliebte Brlder! längſt vers 
iprochen habe, zur leichten Erfaffung der myſtiſchen Theologie. Euch, die, 
wie ih weiß, der Eifer für Gott befeelt, halte ich für würdig, dieſen foft- 
baren und überaus ergiebigen Schaß zu eröffnen. Ich bitte den Allmäch—⸗ 
tigen, daß er mir das Wort von Dben verleihe, welches allein fich felbft 
darlegen fann, um nad Eurer Faſſungskraft wunderbare Dinge Euch zu 
etzaͤhlen, die weit über alle Sinn-, Verſtandes- und Wermunfterfenntniß 
binaus nur geoffenbart werden. Ich werde auf die einfachfte und ges 
meinverftändlichfte Weife mittelft einer finnlichen Anleitung (experimenta- 
liter) Euch in das geheiligte Dunkel führen; dort angelangt, werdet ihr 
das unzugänglihe Licht wahrnehmen, und Jeder mag dann, wie es ihm 
von Gott gegeben ift, demfelben fich immer mehr nähern und in einem 
ſüßen Berfoften einen Vorgefhmad des Mahles ewiger Glüdfeligfeit em- 
pfinden, zu dem wir im Worte des Lebens durch das Evangelium Ehrifti 
berufen find, der gepriefen fei in Ewigkeit! 


Borwort. 


Soll ih Euch auf menſchlich verftändige Weiſe zum Göttlichen bins 
führen, fo bedarf es hiezu eines Bildes. Unter Werfen von Menfhen- 
band fand ich fein Bild, das fih für meinen Zwed mehr eignet, als ein 
Bild des Allfehenden, das von geſchickter Künftlerhand fo gemalt ift, daß 
ed nach allen Seiten zu fehen ſcheint. Es gibt treffliche Bilder dieſer 
Art auf dem Marfte zu Nürnberg, zu Brüffel von dem ausgezeichneten 
Maler Roger auf einem fehr foftbaren Gemälde, das fi in der Wohnung 
des Statihalterd befindet, zu Eoblenz in meiner Gapelle zur 51. Beronifa, 
w Briren in der Engelöburg, und mehrere andere. Damit jedoch Eure 
Betrahtung, welde durchaus ein ſolches finnlihes Bild erfordert, nicht 


166 


mangelhaft fei, ſchicke ih Eurer Liebden (caritati vestrae) ein kleines | 
Gemälde, wie ich e8 eben befonmen fonnte, weldes das Bild des Al, 
fehenden darftellt. Ich nenne es das Bild Gottes (iconem Dei). Dieſes 
befeftiget an irgend einer Stelle, etwa in der nörbliben Wand; ftellet 
Euch, Brüder! in mäßiger Entfernung um dasjelbe und ſchauet es an. 
Seder wird meinen, von welchem Standpunfte er ed auch anſchaut, das 
Bild fehe nur ihn allein an. Wer öſtlich fteht, wird glauben, das Bild 
fehe öftlih, wer füdlich oder weftlich ftcht, wird ed nah Süden ober 
Weſten fih richten fehen. Anfangs werdet Ihr ftaunen, wie ed möglih 
fet, daß es auf Alle und Jeden zugleich hinſchaut. Der öftlih Steheade 
kann es nicht faflen, daß der Blid des Bildes nach einer andern Richtung, 
etwa Weſt oder Süd, gerichtet fei. Sodann ftelle fih der Bruder, der 
öftlich fand, weftlich, und er wird finden, daß der Blick nun auf ihn eben- 
fo nach Weften gerichtet ift, wie er vorher nach Dften gerichtet war, Da 
er weiß, daß das Bild unbeweglib an der Wand befeftigt ift, jo wir 
er die Beweglichkeit de8 unbeweglichen Blides deſto mehr bewundern, 
Heftet er den Blick feft auf das Bild und geht dabei von Weſt nat 
Dft, fo wird er den Blick des Bildes beftändig ihm folgen fehen. Kehrt er 
von Dit nad Weſt zurüd, fo wird der Blick auch bier ihn nicht verlafen 
und er wird fih wundern, wie derſelbe unbeweglich fib bewegte; feine 
Vorftelung wird es nicht faffen, daß der Blick ſich zugleich mit einem 
Andern, der ihm in entgegengefegter Richtung entgegenfommt , bemegt. 
Wenn er hievon einen Verſuch machen will und beißt zu dem Ende einen 
Bruder das Bild anfhauen, und dabei von Oft nah Weſt gehen, wäh 
rend er felbft von MWeft nah Dit geht, und fragt dann den ihm entgegen 
fommenden Bruder, ob der Blick des Bildes ſich beitindig mit ihm fort 
bewege und er hört nun, daß der Blid ſich ebenjo in entgegengefegter 
Richtung bewege, fo wird er dem Bruder glauben; glaubte er nicht, ſo 
würde er die Sache nicht für möglich halten. So fommt er durd die 
Offenbarung des Berichterftattenden (revelatione relatoris) dahin, daß 
er weiß, jener Blif wende fih von Keinem, wenn er auch in entgegen 
gefegter Richtung geht, hinweg. Er wird alfo erfahren, daß das unbe 
wegliche Antlig fib jo nad Oſten fehrt, Daß es zugleich auch nach Weiten, 
jo nah Norden, daß es zugleih auch nab Süden gerichtet ift, nad 
Einem Drte und na allen zugleich, daß die Bewegung des Blids auf 
Einen und auf Alle zugleich geht. Wenn Jeder beachtet, daß jener Blid 
Keinen verläßt, fo überzeugt er fih, daß er für Jeden fo große Sotge 
trägt, als gehe der forgende Blick nur auf den allein, der fich beobachte 
fieht und auf feinen Undern, dergeftalt, daß der von dem Blicke Beob— 
achtete es nicht faffen kann, daß das Antlig auch für einen Andern Sorge 


167 


trägt. Er überzeugt fih auch, daß der Blid für das Fleinfte Geſchöpf die 
größte Sorge wie für das größte und für das ganze Univerfum trägt. 

Nah diefem finnlihen Bilde (apparentia ), gedenfe ich Euch, geliebte 
Brüder! auf dem Wege frommer Betradtung (per quandam praxin 
devotionis) in das Gebiet der myftiihen Theologie zu erheben, wozu 
ih drei hiefür geeignete Süße vorausihide, 


1. 
Die finnlide Erſcheinung (das finnlibe Bild) gewinnt ihre Wahr: 
beit und Vollkommenheit in der Vollkommenheit Gottes (quod 
perfectio apparentiae verificatur in Deo perfectissimo). 


AS erfte Borausfegung bezeichne ih, daß an dem Sehen (Blide) 
der Abbildung Gotted nichts vorfommen kann, das nicht im wahren Sehen 
Gotted wahrer (und vollfommener) wäre. Denn Gott, das Höchſte 
aller Bollfommenheit, größer ald unfer Gedanke (major, quam cogitari 
potest), wird eben deßhalb Hsog genannt, weil er Alles ſieht. Wenn 
daher der gemalte Blid auf einem Bilde die Erjcheinung eines zugleich 
Alles und jedes Einzelne (denn das iſt eben das vollfommene Sehen) 
ſehenden Blicks gewinnt, fo kann dies bei der Wahrheit (lebendigen Wirk— 
lipfeit) im micht geringerm Grade zutreffen, als bei dem Bilde in der 
Ephäre der finnlihen Erſcheinung. Wenn das eine Sehen fhärfer ift 
ald das andere, wenn der Eine faum das Nahe, der andere fogar Ent» 
fernteres noch unterfcheidet, der Eine einen Gegenftand langfam, der Andere 
ſchnell erſchaut, fo ift Fein Zweifel, daß das abjolute Sehen, von dem 
jedes Sehen herrührt, alle Schärfe, Schnelligkeit und Kraft Aller, die 
wirflih fehen oder jehend werden fünnen, weit übertrifft. Wenn ich näm— 
ih binfehe auf das reine Sehen (ad abstractum visum), bei dem id 
ale Augen und Sehwerkzeuge hinwegdenfe, und erwäge, daß dieſes reine 
Schen in feinem concreten Sein, fo wie die Sehenden durch das Sehen 
jelbft fehen, an Zeit, Himmeldgegend, einzelne Objecte und andere Ber 
dingungen gebunden ift, während das reine Sehen von diefen Bedingun— 
gen ganz frei ift, fo begreife ich vollfommen, zum Welen des Sehens ges 
höre ed nicht, daß es mehr auf ein Object als auf ein anderes Rüdjicht 
nehme, wiewohl diefed bei dem concreten Sehen ſtets eintrifft, daß, wäh. 
end ed auf das Eine ficht, nicht zugleich auf das Andere, oder abfolut 
auf Alles jehen fann. Gott nun, das wahre, unbefchränfte Sehen, ift 
nicht geringer als unfer Begriff von dem reinen Sehen, fondern Außer 
allem Berhältniffe vollfommener. Die concrete Erfcheinung des Schens 
in jenem Bilde faun ſich daher noch weit weniger der höchſten Vollkom⸗ 
menbeit des abfoluten Sehens nähern, als der Begriff davon. Was daher 


168 


in jenem Bilde finnlich hervortritt, muß ohne Zweifel im abfoluten Sehen 
auf eminente Weiſe ſich wiederfinden, 
" 2. 

Das abfolute Sehen begreift alle Arten (des Sehens) in fic. 

Fürs Zweite beachte, daß das Sehen in den Sehenden varlirt, in 
Folge der verfchiedenen conereten Form desfelben. Denn unfer Sehen 
richtet fih nah den Affectionen des Sehorgand und des Gemüthes. Es 
fieht einer jegt fiebreih und freudig drein, jegt ſchmerzlich und erbittert, 
erft ald Knabe, dann ald Mann, zulegt ald Greis. Das abfolute Sehen 
aber, frei von jeder Beichränftheit, zugleih und Einmal (simul et semel) 
begreift alle und jede Art des Sehens in fih, ald deren adäquateftes 
Maaß und wahrftes Vorbild. Denn ohne das abiolute Sehen gibt «6 
fein endliched Sehen. Es begreift alle Arten des Sehens jo in ih, daß 
es zugleich jede einzelne umfaßt, und bleibt von jeder Verfchiedenheit gänz— 
lich frei. In ihm find alle concreten Arten des Sehens auf nicht con— 
crete Weife. Denn jede Concretheit (contractio) ift in dem Abfoluten, 
weil das abfolute Eehen das Gonerete alled Goncreten iſt; denn das 
Bonerete ift nicht weiter concret zu machen. (Omnis enim contractio est 
in absoluto, quia absoluta visio est contractio contractionum. Contractio 
enim est incontrahibilis.) Das einfachfte Goncrete coincidirt daher mit 
dem Abfoluten. Ohne Goncretheit gibt e8 Fein Concretes (Sine autem 
contractione nihil contrahitur). So ift denn das abjolute Sehen in jedem 
Sehen, weil jedes conerete Sehen dur dasfelbe ift und ohne dasſelbe 
nicht fein fann. 


3. 


Die Prädifate Gottes find Feine realen Unterfhiede (quod 
quae de Deo dicuntur, realiter non differunt). 

Als Folgefag aus dem Gefagten beachte, daß alle Ausfagen von 
Gott wegen deffen höchfter Einfachheit feine realen Differenzen fein kön— 
nen, wiewohl wir nad diefen oder jenen Beziehungen immer wieder andere 
Namen geben. Da aber Gott die abfolute Vernunft ift, jo faßt er alle 
vernünftigen Verhältnißbeftimmungen in ſich (Deus cum sit absoluta 
ratio, omnium formalium rationum in se omnes rationes complicat). 
Wenn wir daher auch Gott Sehen, Hören, Schmeden, Rieden, Taten, 
Sinn, Berftand, Vernunft ıc. zufchreiben, nach den verſchiedenen Geſichts— 
punften, welche jedes diefer Worte angibt, fo ift doch fein Sehen nit 
verfchieden von feinem Hören, Taften, Fühlen, Denfen, Begreifen. Das 
her fagt man, die ganze Gotteslehre bewegt fich im Kreife, weil eines 
der göttlichen Attribute auch von dem andern ausgeſagt wird; Gottes 


169 


Haben ift fein Sein, fein Bewegen Stilfftehen, fein Laufen ein Ruben ıc. 
Mögen wir ihm nad einem Gefichtöpunfte (ratione) Bewegung zufchreis 
den, nach einem andern Stillftehen, fo fann doch in Gott, weil er die 
abfolute Vernunft ift, in der jedes Andersfein Einheit und jeder Gegen— 
ap Identität ift, eine Verjchiedenheit von Beftimmungen (rationum diver- 
sitas), die nicht zugleich Identität wäre, wenigftend nach dem, was wir 
und unter Verſchiedenheit denken, nicht beftehen. 


4. 
Das Sehen Gottes ift Vorfehung, Gnade und ewiges Leben. 


Tritt nun, mein betrachtender Bruder! zum Bilde Gottes heran und 
telle dich zuerft öftlih, dann füdlich, zulegt weſtlich. Da der Blid des 
Bildes auf dich überall gleihmäßig hinſchaut und dic nicht verläßt, wohin 
du au gehen magjt, jo wirft du zum Nachdenfen angeregt werben, 
und iprechen: 

Herr, jetzt Schaue ich in diefem deinem Bilde deine Vorſehung 
in einer finnlichen Erfahrung; denn wenn du mich nicht verläßeft, der ich 
der Geringfte von Allen bin, fo verläßeft du feinen Menſchen. Bei Allen 
und Jedem bift du fo, wie bei Allen und Jedem das Sein ift, ohne das 
fe nicht fein können. Du, das abfolute Sein von Allem, bift fo bei 
Allen, ald hätteft du Feine Sorge für etwas Anderes. Died kommt das 
ber, weil jedes Wefen fein Sein allen Andern, und feine Art des Seins 
Ulen andern Arten vorzieht, und fein Sein dergeftalt beſchützt, daß es das 
Sein aller Andern lieber als das feinige zu Grunde gehen ließe. Denn 
du, o Herr! fchaueft jedes Weſen jo an, daß man denken follte, du 
babeft feine andere Sorge, ald daß mur diefes Wefen auf die beftmög- 
lichſte Weiſe eriftire und daß alle andern Wefen nur dazu da feien, um zu 
dienen, damit das Wefen, das du anfchaueft, auf das Befte eriftire. Du 
läßt es, o Herr! mich durch feine Vorftellung denken, daß du ein anderes 
Befen mehr liebſt, ald mich, da nur mich dein Blick nicht verläßt. Und 
weil da das Auge ift, wo die lebe, fo erfenne ich, daß du mich Liebft, 
weil auf mich, deinen Knecht, deine Augen mit der größten Aufmerkſam— 
feit gerichtet find (quia supra me, servulum tuum, oculi tui sunt atten- 
issime), Herr! Dein Sehen ift Lieben. Und wie dein Blick ſich fo 
aufmerfam mir zumendet, daß er fi niemals von mir fehrt, fo auch 
deine Liebe. Und weil deine Liebe immer bei mir if, und deine Liebe, 
o Herr! nichts Anderes ift, ald du felbft, der du mich liebft, fo bift du 
immer bei mir, o Herr! Du verläßeft mich nicht, beidhügeft mich von allen 
Seiten, weil du die größte Eorgfalt für mic trägft. Dein Sein, o Herr! 
verläßt mein Sein niemals. Denn nur fo weit bin ich, als du bei mir 
bit, und da dein Sehen dein Sein ift, fo bin ich, weil du auf mich fiehft, 


170 


und wendeft du deinen Blick von mir ab, fo bin ich nicht mehr. Doch 
ich weiß, daß dein Blick jene größte Güte ift, welche fih jedem Empfän- 
lichen mittheilen muß. Du fannft mich alfo niemals verlaffen, fo lange 
ich für dich empfänglih bin. Meine Sache ift es daher, immer mehr für 
dich empfänglic zu werden. Ich weiß aber, daß die Empfänglichkeit, die 
zur Einigung führt, ein Aehnlichſein ift. Die Unempfänglichfeit kommt 
aus der Unähnlichfeit. Mache ih mich alfo auf jede mögliche Weile 
deiner Güte ähnlich, nah den Stufen der Aehnlichkeit, fo werde ich für 
die Wahrheit empfänglic fein. Du haft mir, o Herr! das Sein gegeben, 
und ein folded Erin, das fih deiner Gnade und Güte immer empfäng- 
liher maden fann, Die Kraft, die ih von dir habe, in welcher ich das 
lebendige Bild deiner Allmacht befige, ift der freie Wille, durch welchen 
ib die Empfänglichfeit für deine Gnade erweitern oder einfchränfen kann: 
erweitern durch Gleihförmigfeit, wenn ich gut zu fein trachte, weil du 
gut bift, gerecht, weil du gerecht, barmberzig, weil du barmherzig; wenn 
all mein Streben nur auf dich gerichtet ift, weil all dein Streben auf 
mich gerichtet ift; wenn ich ganz aufmerffam nur auf did hinſehe, und 
nie den Blick meines Geiſtes wegwende, meil du mic beftändig mit deinem 
Blicke umgibftz; wenn ic meine Liebe nur dir zumende, weil bu, der du 
die Liche bift, nur mir zugewendet bift. Was ift, o Herr! mein Leben, 
als die Umarmung, mit welder deine füße Liebe mich fo liebend umfaßt? 
Ich liebe mein Leben, weil du die Süßigfeit meined Lebens bift. Id 
erblicke jest in dem Bilde, wie in einem Spiegel, das ewige Leben, 
weil diefed nur das felige Anfchauen ift, mit welchem du in höchſter Zärt 
lichkeit bi8 ind Innerſte meines Herzend mid zu fehen nicht aufhört. 
Dein Sehen ift ein Beleben, ein beftändige® Einflößen der füßeften 
Liebe zu dir, durch diefes Einflößen ein Entflammen meiner Liebe zu bir, 
durh das Entflammen ein Nähren, durch das Nähren ein Anfeuern der 
Sehnfuht, durch das Anfeuern ein Tränfen mit dem Thaue der Wonne, 
durh das Tränken ein Einfenfen der Quelle des Lebens, durch das Eins 
fenfen ein Vermehren und Andauern und ein Mittheilen deiner Unſterb— 
lichkeit, ein Verleihen der unverwelflihen Glorie des himmlischen, höchſten 
und größten Reiches, ein Mittheilen jener Erbſchaft, welche nur dem Sohne 
gehört, ein AInbefignehmen der Seligkeit, wo der Urquell (ortus) aller 
MWonnen ift, die je erftrebt werden fünnen, über welden binans etwas 
Beflered nicht nur feinem Menfchen oder Engel denkbar ift, fondern auch 
in feiner Weife des Seins eriftirt, denn es iſt die abfolute Größe felbft von 
jedem vernünftigen Verlangen, die nicht mehr größer fein kann. 


171 


5. 

Fortſetzung. | 

D Größe der Süßigfeit, die du Denen, die Dich fürchten, vorbehalten 

haft (quam abscondisti timentibus te)! Es ift ein unerfhöpfliber Schag 
der vollften Freude. Deine Süfigkeit verfoften heißt in unmittelbarer Bes 
rübrung (experimentali contactu) die Lieblichfeit alles Ergöglichen in feinem 
Urſptunge erfaffen und den vernünftigen Grund alles Erjehnenswerthen 
in deiner Weisheit erreihen. Die abfolute Vernunft, welche die Vernunft 
Aller ift, fehen, heißt nichts Anderes, als dich, o Gott! geiftig verfoften, 
weil du die Lieblichfeit felbft bift, das Sein des Lebend und Denkens. 
Was Anderes ift daher dein Schen, o Herr! wenn du mich mit 
mildem Auge anblidft, als daß du von mir gefehen wirft? Indem 
vu mich fiebft, gibft du dich mir zu fehen, der du der verborgene Gott 
bit (quid aliud, Domine, est videre tuum, quando me pietatis oculo re- 
spicis, quam te a me videri? videndo me das te a me videri, qui es 
Deus absconditus)? Niemand kann dich jehen, außer foweit du es vers 
leihft, gefehen au werden, und daß du gejehen wirft, ift nichts Anderes, 
ald daß du den fiehft, der dich ficht. Ich fehe an diefem deinem Bilpe, 
wie gerne Du, o Herr! dein Antlig Allen zeigft, die dich juchen, denn nie 
jlieeft du die Augen, nie wendeft du dich nach einer andern Eeite. Wenn 
i# mich auch von dir wegwende, indem ich mich ganz nad) einem andern 
Gegenftande hinwende, fo wendeft doch du deßhalb weder Auge noch 
Bid. Siehſt du mich nicht mit gnädigem Auge an, fo liegt die Urfadye 
in mir, weil ih mid von dir getrennt und einem andern Gegenftande, 
den ih dir vorziehe, zugewendet habe. Gleichwohl wendeft du did nicht 
ganz von mir, dein Erbarmen folgt mir nad, ob ich etwa wieder zu Dir 
wrüffehre, um für die Gnade empfänglich zu fein... O unendliche 
Liebe! Wie unglüdlich ift jeder Sünder, der dich, die Rebensader, verläßt, 
und dich nicht in dir, fondern in dem ſucht, was in fih Nichts ift und 
auh Nichts geblieben wäre, wenn du ihn nicht aus dem Nichts gerufen 
bätteft! Wie thöricht ift, wer dich fucht, der die Güte ift, und indem er 
dich fucht, won dir weicht und die Augen von dir abwendet! Jeder Suchende 
ſucht doh nur Gutes; wer Gutes fucht und dabei von dir abweicht, weicht 
von dem zurück, was er fucht. Jeder Sünder verirrt fi) von dir und fommt 
immer weiter auf Abwege. Kehrt er aber zu dir zurüd, fo fommft du 
ihm unverweilt entgegen und bevor er dich noch erblidt, wendeft du mit 
Vaterliebe deine barmherzigen Augen zu ihm hin. Dein Erbarmen ift 
niht8 Anderes, ald dein Sehen. Dein Erbarmen begleitet daher jeven 
Menihen in feinem ganzen Leben, auf jedem feiner Schritte, wie dein 
Blid Keinen je verläßt. So lange daher der Menſch Iebt, treibft du ihn 


172 


unaufhörlich mit füßer, innerlicher Ermahnung an, daß er von feinem Im 
thume abftehe und fich zu dir fehre, um glücklich zu fein. Du, Her! biſt 
der Geführte meiner Pilgerreife; wohin ich gehe, immer find deine Yugen 
über mir. Dein Sehen ift dein Bewegen; du bewegft dich daher mit mir, 
und hörft in deiner Bewegung nicht auf, fo fange ich mich bewege. Ruhe 
ich, fo bift du bei mir; fteige ich auf eine Höhe, fo fteigft du mitz fteige 
ich herab, jo fteigft au du herab: wohin ich mich wende, bift du dabei. 
Du verläßt mid auch nicht am Tage der Trübſal; fo oft ich dich anrıfe, 
bift du mir nahe. Denn dich anrufen heißt fich zu dir wenden; du fannit 
den nicht verlaffen, der fi zu dir wendet und es kann fih Niemand zu 
dir befehren, du feift denn zuvor bei ihm. Wäreſt du nicht da und wöürbeft 
mich anregen, fo fenmete ich dich nicht; wie könnte ich mich alſo zu dir 
wenden? Du bift alfo mein Gott, der Alles fieht, dein Sehen ift Wirken. 
Du wirfft daher Alles, daher nicht und, o Herr! nicht und, fondern deinem 
großen Namen, welder Yes heißt, finge ich ewiges Lob; denn ich habe 
nichts, was du nicht gibft, und ich würde das, was. du gegeben haft, 
nicht behalten, wenn nicht du es mir bewahrtef. Du gibft mir Alles; 
du bift der allmächtige und barmherzige (pius) Gott, der uns Alles jhenkt; 
der Diener, der in Allem uns dient, die erhaltende Vorfehung. Dies 
Alles wirfeft du in Einem einfachen Blide. Sei gepriefen in Ewigkeit! 


6. 
Von dem Sehen des Antlitzes (de visione faciali). 


Je länger ich dein Autlig, mein Herr und Gott! amfchaue, deſto 
fhärfer fiheint dein Blick auf mir zu ruhen. Dein Anblick treibt mic zu 
der Erwägung hin, daß diefes dein Abbild deßhalb im diefer ſinnlichen 
Weiſe gemalt ift, weil das Antlig nicht ohne Farbe gemalt werden und 
die Farbe nicht ohne Quantität fein kann. Ich fehe aber nicht mit den 
fleiſchlichen Augen, die dieſes Bild anſehen, ſondern mit den Augen die 
Geiftes dein unfichtbares wahres Bild, welches hier nur im unvollfoms 
menen Umriffe gezeichnet ift. Dieſes dein wahres Bild ift frei von jeder 
Beichränftheit, es ift nicht Quantität, nicht Qualität, nicht zeitlich und 
örtlich, es ift die abfolute Form, das Antlig aller Antlige. Beachte it, 
daß diefes Bild die Wahrheit und das adäquatefte Maaß aller Antlipe 
ift, fo ergreift mih Staunen, Denn jenes Bild hat feine Quantität: 
es ift daher weder größer noch Feiner. Es ift aber auch feinem Antlipe 
gleih, weil es feine Quantität, fondern abfolut ift. Es ift daher die 
Wahrheit, welche die Gleichheit ift, frei von allem Quantum. So begreift 
ih, daß dein Antlig, o Herr! jedem möglichen Antlige vorhergehe, dat 
Urbild und die Wahrheit aller Antlige ift und diefe alle — Abbilder von 
jenem, das feine Beſchränkung und Mittheilung zuläßt. Daher ſieht jedes 


173 


Antlitz, welches in das deinige fchant, nichts Anderes oder von fi Vers 
ſchiedenes, weil es feine MWahrbeit ſieht. Gleihwie, wohin ich immer 
mein Antlig wende, dieſes dein Bild bier fih mir zuwendet, fo ift dein 
Antlig allen Antligen, die dich anſchauen, zugewandt. Dein Sehen, o 
Herr! ift dein Antlig. Wer daher mit liebevollem Antlige dich anſchaut, 
wird auch dein Antlig nicht anders als liebreih finden und je liebreicher 
er dich anſchaut, deſto liebreicher wird er dein Antlig finden. Wer dich 
mit Unwillen anſchaut, wird dein Antlig gleichfalls unwillig finden; wer 
freudig zu dir blict, dem wird dein Blid chen fo freudig begegnen. Wie 
dem fleifchlihen Auge, wenn ed durch ein rothes Glas ſchaut, Alles roth 
eriheint, bei einem grünen Glafe Alles grün, jo beurtheilt das geiftige Auge, 
verbüftert durch Befchränftheit und Äußere Einwirfung (obvolutus contrac- 
tione et passione), did, das Dbject des Geifted, nach der Natur dieſer 
Beihränftheit und Einwirfung. Der Menſch kann nicht anders als menfc- 
lich urtheilen. Wenn der Menſch dir ein Antlig gibt, fo fucht er dieſes nicht 
außerhalb der menſchlichen Gattung, weil fein Urtheil in den Kreis der 
menſchlichen Natur eingefchränft ift und er diefe Beichränftheit im Urtheilen 
nicht ablegt. Würde ein Löwe dir ein Antlig geben, jo würde ed wie 
das eines Löwen ausfallen, bei dem Adler wie das des Adlerd. D Herr! 
wie wunderbar ift dein Antlig! Dem Jünglinge ift ed jung, dem Manne 
männlich, dem Greifen bejahrt. Wer es verftehen wollte, müßte fi über 
die Geftalten aller denkbaren Autlige hinaus erheben. Wie verfteht er es 
aber, wenn er über alle Antlige, alle Aehnlichkeit derfelben, über alle Bes 
griffe, die fich von dem Antlige geben laffen, über alle Farbe und Schmuck 
aller Antlige fih hinaus erhebt? Wer aljo zum Sehen deines Antliges 
ſich aufmacht, ift, jo lange er noch etwas begreift, noch weit von deinem 
Antlige entfernt, Denn jeder Begriff, jede Schönheit bleibt weit hinter 
demjelben zurüf. Dein Antlig hat Schönheit und dieſes Haben tft das 
Sein, es ift die abfolute Schönheit, das bildende Princip, das jeder 
Ihönen Geftalt das Sein gibt. D überaus ſchönes Antlig, deſſen Schöns 
beit zu bewundern Keiner von Allen hinreicht, denen es vergönnt ift, es 
anzufhauen! In allen Antlipen wird es nur verhülft (velate) und räthiel- 
baft gefehen; enthüllt (revelate) erft danıı, wenn wir über alle einzelnen 
Antlige eingehen in eine gewiffe geheime und verborgene Stille, wo ſich 
nichts von der Wifjenichaft und dem Begriffe des Antliged findet. Denn 
eben diefe Finfterniß oder Unwiſſenheit zeigt und an (revelat), bier ſei 
das Antlig, erhaben über alle Verhüllung (supra omnia velamenta). So 
erblict unfer Auge, wenn es das Sonnenlicht, welded dad Antlig der 
Sonne ift, fehen will, diefes Licht zuerft verhüllt in den Sternen, Farben 
und Allem, was am Lichte participirt. Wenn ed das Licht enthüllt fehen 
will, fo geht es über alles fichtbare Licht hinaus, weil es weiß, daß, jo 


174 


lange es noch etwas fieht, Died nicht das Licht ift, das man nicht jehen 
kann. Im Hinausgehen aber über alles fihtbare Licht ift das, was in 
das Auge nun eindringt, nothwendig lichtlos und daher fo zu fagen Fin- 
fterniß. Jetzt wilfen wir, daß wir dem Antlige der Sonne und genahet 
haben, denn jene Dunkelheit im Auge entfieht eben aus der überaus großen 
Helle des Sonnenlicht. Je größer wir alfo die Finfterniß erkennen, 
defto wahrer erreihen wir in der Finfterniß das unfichtbare Licht. Ich 
fehe ein, o Herr! daß ich fo und nicht anders zum ungugänglichen Lichte, 
zur Schönheit und zum lange deined Antliged auf dem Wege der Ent- 
hüllung gelangen kann. 


7. 


Von der Frucht dieſer Anſchauung des Antlitzes und wie ſie 
gewonnen wird. | 


Groß iſt die Wonne, mit der du, o Herr! auf diefem Wege meine 
Seele nährft. Eine Unterftügung geben mir hiebei theild die Erfahrungen 
dieſes Lebens, theild die willkommenen Vergleichungen, die du eingibt. 
Denn da du, o Herr! jene Kraft, jenes Princip bift, aus dem Alles if, 
dein Antlig jenes Princip ift, aus welchem Alles das ift, was es ift, fo 
betrachte ich jeßt diefen großen und herrlihen Nußbaum, deſſen Princip 
ich zu fehen wünſche. Mit dem finnlihen Auge fehe ich ihn groß und 
breit, farbig, voll Zweigen, Blättern und Nüffen. Mit dem geiftigen 
Auge fehe ich, daß er in dem Samen war, nicht fo wie ich ihm bier ehe, 
fondern der Kraft nad (virtualiter). Ich beachte die wunderbare Kraft 
dieſes Samens, in weldem der ganze Baum mit allen feinen Rüffen und 
mit allem neuen Samen der Nüffe enthalten war, und ich fehe, daß dieſe 
Kraft in feiner Zeit je ganz zu erfchöpfen if. Indeſſen ift die Kraft 
dieſes Samens doch befchränft, weil fie nur in diefer Gattung von Nüfen 
Geltung hat. So fehe ih denn die Samenkraft aller Bäume aller Gab 
tungen befchränft auf jede Gattung. Mill ich daher die abfolute Kraft 
aller Gefäme und ihr Princip erfennen, fo muß ich über alle Samenfraft, 
die gedacht werden fann, hinausgehen und in das Gebiet jener Unwillen 
heit eingehen, in welcher nichts von der Kraft des Samens zu finden if. 
Dann finde ich in jener Finfterniß die ftaunenswerthe Kraft, Feiner denk 
baren Kraft erreihbar, welde das Princip ift, das jeder Kraft Deflen, 
was Same oder nit Same ift, dad Sein verleiht. Da dieſe abjolute 
und über Alles erhabene (superexaltata) Kraft jeder Samenfraft ed ver 
leiht, daß fie virtuell den Baum mit Allem, was zum Baume gehört und 
aus ihm hervorgeht, in ſich faßt, fo faßt jenes Princip im Keime und 
in abfoluter Weife (complieite et absolute) als Urſache Alles in fid, 
was als Wirfung von ihr hervortritt (quidquid dat eflectui) ... Ich 


175 


erfenne baber den Baum als eine Entfaltung der Samenkraft und den 
Samen ald eine Entfaltung der allmäctigen Kraft. Ich fehe ein, daß, 
wie der Baum im Samen nicht Baum, fondern die Kraft ded Samens 
it, fo die Kraft des Samens in ihrer Urſache, welde die Kraft aller 
Kräfte ift, nicht Samenfraft, fondern abfolute Kraft if. So ift der Baum 
in dir, meinem Gotte, du felbft, o mein Gott, in dir ift er die Wahrheit 
und das Urbild feiner felbft (et ita est arbor in te Deo meo tu ipse 
Deus meus, et in te est veritas et exemplar sui ipsius). Ebenſo tft 
der Same ded Baumes in dir die Wahrheit und das Urbild feiner felbft: 
für Baum und Samen bift du, o Gott! Wahrheit und Vorbild. Du 
bit die Natur aller Naturen. O Gott! wohin haft du mich geführt, 
daß ih mun fehe, dein abfoluted Antlig fei dad matürliche Antlig jeder 
Natur, die abfolute Wefenheit alles Seins, die Kunft und Wiffenfchaft 
alles Wiſſens. Wer alfo dein Antlig zu fehen verdient, fieht Alles ent- 
hüllt und nichts bleibt ihm verborgen. Alles weiß und Alles hat, o Herr! 
wer dich hat, Alles hat, wer dich fieht, denn Niemand fieht dich, der dic 
nicht hat, Niemand kann fi dir nahen, weil du unnahbar bift. Niemand 
faßt dich, es fei denn, du ſchenkeſt dich ihm. Wie habe id did, o Herr! 
da ich nicht würdig bin, vor deinem Antlige zu erfcheinen? Wie fol mein 
Gebet zu dir gelangen, da du auf jede Weife unzugänglich bift? Wie joll 
ib did verlangen (quomodo petam te)? Denn was ift ungereimter, als 
in verlangen, daß du dich mir fchenfeft, der du Alles in Allem bift? Und 
wie wirft du dich mir geben, wenn du mir nicht zugleich 
Himmel und Erde und Alles, was in ihnen tft, gibft? 
Sa, wie wirft du dich mir geben, wenn du nicht mich felbft 
mir gibft? Indem ich fo in der Stille der Betrachtung ruhe, ſprichſt du, 
o Herr! in mein Herz hinein zu mir: Sei du dein eigen und id 
werde bein eigen fein (sis tu tuus, et ego ero tuus)! D Herr! 
du Wonne aller Süßigfeit, du haft ed ganz in meine Freiheit gelegt, daß 
id, wenn ich will, mir angehöre. Gehöre ich daher nit mir an: fo 
gehörſt auch du nicht mir; denn du möthigft die Freiheit, da du 
nicht mir gehören fannft, wenn ih nicht mir gehöre. Weil 
du jedoh Died ganz in meine freie Wahl gelegt haft, fo 
nötbigft du mich nicht, fondern erwarteft, daß ich ed er 
wähle, mir felbft anzugehören. (O Domine, suavitas omnis 
dulcedinis, posuisti in libertate mea, ut sim, si volam, mei ipsius. 
Hine nisi sim mei ipsius, tu non es meus; necessitas enim libertatem, 
cum ta non possis esse meus, nisi et ego sim mei ipsius. Et quia 
hoc posuisti in libertate mea, non me necessitas, sed exspectas, ut 
ego eligam mei ipsius esse). Von mir hängt es alfo ab, nicht von 
dir, o Herr! weil du deine große Güte nicht einfchränfeft, fondern auf 


176 


das Reichlichfte über alle Empfängliche ausgießeft. Und beine Güte, das 
bift du, o Herr! Wie gehöre ich aber mir an, wenn du, o Herr! mic 
nicht belehrft ? Das ift deine Lehre, daß der Sinn der Vernunft gehorde 
und die Vernunft herrſche. Dient der Sinn der Vernunft, dann gehöre 
ih mir ſelbſt an. Allein die Vernunft wird durch nichts Anderes gebildet, 
als durch did, o Herr! der du das Wort und die Vernunft aller Vers 
nunft bift. Ich erkenne nun: wenn ich dein Wort höre, das in mir un 
aufhörlich redet und beftändig in meiner Vernunft leuchtet, fo bin ich mein 
eigen, frei, fein Sklave der Sünde, und du gehörft mir, gibft mir zu 
jehen dein Antlig und ich bin glückſelig. — Geprieſen ſeieſt du daher, 
o Gott! in deinen Gaben, der du allein im Stande bift, meine Seele zu 
tröften und zu der Hoffnung aufzurichten, dich zu erreichen und zu genießen, 
als ihre eigenthümliche Gabe (ut suo proprio dono) und ald den unend- 
lihen Schag alles Wünfcenswerthen. 


8. 


Das Sehen Gottes ift Lieben, Verurſachen (causare), Leien 
und Alles in fid faſſen. 

Mein Herz ruht nicht, o Herr! weil deine Liebe es mit folder 
Sehnfucht entflammt hat, daß es nur in dir ruhen fann. Ich babe an 
gefangen, das Gebet des Herrn zu beten und du haft ed mir eingegeben 
zu beachten, daß du unfer Vater bift. Dein Lieben ift dein Sehen, 
deine Vatergüte ift dein Schauen, das und Alle väterlih umfaßt; denn 
wir fagen: Vater unfer. Du bift der Vater Aller und jedes Einzelnen. 
Mer da fagt: Du bift unfer Bater, die väterliche Liebe, der begreift dar 
unter alle und jedes deiner Kinder, denn der Vater liebt in der Art 
alle Kinder, daß er jedes einzelne liebt, weil er infofern der Water aller 
ift, al er der Vater jedes Einzelnen if. So liebt er ein jedes feiner 
Kinder, daß jedes fih allen andern vorgezogen glaubt. Biſt du alle 
der Vater und unfer Vater, fo find wir deine Kinder. Die Liebe dei 
Vaters fommt aber der der Kinder zuvor. So lange wir deine Kinder 
find und dich als Kinder anfhauen, hörft auch du nicht auf, und mil 
väterlibem Blicke anzuſchauen. Du bift daher unfer väterlicher Verforger 
« (provisor noster paternus), und haft für und eine wäterliche Sorgfalt. 
Dein Sehen ift Vorfehung. Geben wir, deine Kinder, dich, den Valer, 
auf, fo find wir nicht mehr deine Kinder, und nicht mehr freie Kinder 
in unferer Gewalt, fondern wir ziehen in ein fernes Rand, indem wir und 
von dir trennen, und gerathen in eine harte Knechtſchaft, unter einen 
Fürften, der dein Feind if. Doch du, o Water! der du wegen MT 
uns verliehenen Freiheit, weil wir deine Kinder find, der du bie Frei 
heit felbft bift, und zwar abirren (quanquam sinas nos abire) und die 


177 


Freiheit und das große Vermögen in den fchlechten finnlichen Lüften ver- 
ihren laͤſſeſt, verläffeft und doch nicht ganz, fondern bift in beftändiger 
Anregung und nahe, redeft in und und rufft und zu dir zurüd, bereit, 
immer und mit dem ewigen VBaterauge wieder anzuſchauen, wenn wir 
jurüdfehren und zu dir und wenden. D guter Gott! blide auf mich, 
der ih im Zerfnirfhung aus der elenden Eflaverei, der ſchmutzigen Luft 
der Schweine, im der ich vor Hunger verfhmachtet, jegt zurüdfehre, um 
in deinem Haufe mich wieder zu fättigen. Nähre mih, o Herr! mit 
deinem Anblide und lehre mih, daß dein Blick jeden Blid des Sehen: 
den und alled Sichtbare, jeden Act ded Sehens, jede Sehfraft, jede 
Ähtbare Kraft und Alles, was aus allem dem entfteht, fehe. Denn 
dein Sehen ift Verurſachen, du fiehft Alles, der dur Alles verurs 
ſachſt. Lehre mih, o Herr! daß du mit Ginem Blide zugleih uns im 
Einzelnen (simul et singulariter) unterſcheideſt. Sclage ih ein Bud 
sum Leſen auf, fo fehe ich verworren die ganze Seite. Wil ih nun die 
einzelnen Buchftaben, Sylben und Worte umterfcheiden, fo muß ich mid 
der Reihe nach zum Einzelnen hinwenden, ih fann nur fucceffiv einen 
Buhftaben, Wort, Sag nad dem andern Iefen. Du aber, o Herr! fichft 
und liejeft zugleich das ganze Buch ohne Zeitmaaß. Leſen zwei zugleich, 
der Eine fchneller, der Andere langfamer, fo ſiehſt du zugleich mit Bei— 
den und fcheinft zeitlich zu lefen, weil du mit den Lefenden lieſeſt, ſiehſt 
aber Alles über aller Zeit und liejeft daher zumal (simul). Denn dein 
Schen ift dein Lefen. Alle gefchriebenen oder noch zu fchreibenden Bücher 
bat Du zugleih und Einmal (simul et semel) frei von allem Zeitverzug 
von Ewigkeit zugleich gefehen und gelefen und dabei (cum hoc) liefeft du 
fe mit allen Lefenden der Zeit nad (seriatim). Auch lieſeſt du nichts 
Anderes in der Ewigkeit und Anderes in der Zeit zugleich mit den Lefern, 
ſondern Ein und Dasfelbe, da du dich immer auf diefelbe Weife verhältft, 
der du nicht veränderlich bift, fondern die feftftehende (fixa) Ewigtfeit. 
Da aber die Ewigfeit die Zeit nicht verläßt, fo fcheint fie fih mit der 
Jeit zu bewegen, obſchon die Bewegung in der Ewigfeit Ruhe ifl. — 
Herr! du fiehft und haft Augen. Du bift daher das Auge, weil bein 
Haben dein Sein iſt; du fchaueft daher in dir felbft Alles. Wäre in 
mit dad Schen Auge wie in dir, mein Gott! jo würde ih in mir Alles 
hen, weil das Auge ein Spiegel ift und ein noch fo Heiner Spiegel in 
Rh im Bilde einen großen Berg fammt deſſen ganzer Oberfläche ſieht. 
Die Geftalten von Allem find in dem Epiegel des Auges. Weil aber 
unfer Blick mittelft de8 Auges als Spiegel nur den einzelnen Gegenftand 
Recht, dem er fich zumendet, da feine Schfraft durch das Object determis 
nirt iſt, ſo ficht er nicht Alles, was der Spiegel des Auges I erfafjen 
Sqarpif, Nie. v. Cuſa. 


178 


vermag. Dein Blid aber, der ein lebendiger Spiegel tft, fieht in ſich 
Alles, ja, weil er die Urfache alles Sichtbaren ift, fo erfaßt und erſchaut 
er Alles in der Urfahe und dem Grunde von Allem, d. i. in ſich ſelbſt. 
Dein Auge, o Herr! reicht ohne Hemmung (sine flexione) zu Allem, 
Denn daß unfer Auge durd die Objecte feine Richtung erhält, rührt 
daher, weil unfer Blick nur durch einen quantitativen Winfel (per an- 
gulum quantum) fieht, dein Augenwinfel aber, o Gott! iſt nicht ein 
quantitativer, Sondern ein unendlicer, er ift ein Kreis, ja die unendliche 
Sphäre; dein Blick ift das Auge des unendlihd Sphäriſchen und Boll 
fommenen. Gr ficht daher im Umfreife, nah Oben und Unten, Alles 
zugleih. O wie bewunderungswürdig ift dein Blick, welder Beos if 
für Alle, die ihn erforſchen! wie ſchön und liebenswürdig für Alle, die 
dich lieben! wie erfchredfih für Alle, die dich, mein Gott und Her! 
verlaffen! Durch deinen Blick, o Herr! belebft du jeden Geift, erfreueit 
jeden Glücklichen, verfheucheft jede Traurigkeit. So blide denn mit 
Barmherzigkeit auf mich herab, und meiner Seele ift Heil widerfahren! 


9, 


Gottes Sehen ift univerfell und particulär zugleid. Vom 
Wege zur Anfhauung Gotted. 

Ich ftaune, o Herr! daß in deiner Sehkraft, der du zugleich Alle 
und Jeden fiehft, wie diefes Gemälde zeigt, das Univerfelle mit dem Ein 
zelnen coineidirt. Ich erkenne aber, daß meine: Vorftellung darım nidt 
begreift, wie diefes vor ſich geht, weil ich in meiner Sehfraft dein Echen 
zu erfennen fube. Da nun diefes nicht an das Ginnenorgan wie das 
meinige gebunden ift, fo täufcht mich mein Urtheil. Dein Sehen, o Her! 
ift deine Weſenheit. Faſſe ich num die Menfchheit, die in allen Menſchen 
die Eine und einfach ift, ind Auge, fo finde ich fie in allem und jeden 
Menſchen. Obwohl fie an ſich weder eine orientalifhe, noch vccidenta 
liſche, weder eine ſüdliche noch nördliche ift, fo ift fie doch in den Driem 
talen im Driente, in den Deciventalen im Occidente. Ebenſo gehört 
Bewegung und Ruhe nicht zum Weſen der Menfchheitz fie bewegt fid 
jedoch in den Beweglihen, ruht mit den Ruhenden und fteht mit den 
Stehenden zugleih und auf Einmal in dem gleihen Moment, weil die 
Menfchheit die Menfhen nicht verläßt, fie mögen fi bewegen oder nidt, 
fhlafen oder ruhen, Verhält es ſich nun bei der Natur der Menfchheit, 
welche beihränft ift und außer der Menfchenwelt fi nicht vorfindet, der 
Art, daß fie einem Menfchen nicht mehr innewohnt ald dem andern, und 
einem fo vollfommen, als wäre fie in feinem andern, fo gilt dies in weit 
höherem Grade von der unbefchränften Menfchheit, welche das Vorbild 
und die Idee, das Geftaltende und die Wahrheit ver befchränften menſch⸗ 


179 


lichen Natur iſt. Sie fann die beichränfte Menfchheit in den Individuen 
nie verlaffen, denn fie ift das Geftaltende, das der Natur ald Form das 
Sein gibt. Die fpecififbe Form kann demnach ohne fie nicht fein, da 
jene fein Sein für fih hat; fie ftammt von ihr, die durch fi ift, ehe 
nob eine andere war. Jenes Geftaltende alfo, was der Species das 
Sein gibt, ift die abfolute Form, und das bift du, o Gott! der Schö— 
pfer (formator) Himmeld und der Erde und des ganzen Univerfums, 
Sche ich alfo auf die befchränfte Menfchheit und durch fie auf die abſo— 
inte, indem ich im Beichränften das Abfolute, wie in der Wirfung die 
Urfade und im Abbilde die Wahrheit und das Urbild fehe, dann trittft 
Du mir entgegen, o mein Gott! als das Urbild aller Menſchen, als der 
Menfb an fib (homo per se), das ift, der abfolute Menfh. Wende 
ib mich in ähnlicher Weife in allen Gattungen zur Geftalt aller Geftalten, 
ſe begegneft Du wieder mir in allen als deren Idee und Urbild. Weil 
das abjolute und einfachfte Urbild — biſt du nicht zufanmengefegt aus 
mehreren Urbildern, fondern Ein einfachites Urbilv, unendlich, fo daß du 
von Allem und Jedem, was ſich geftalten läßt, das wahrfte und adäquas 
teite Urbild biſt. Du bift fomit die Wejenheit der Wefenheiten und gibft 
der endlichen Wefenheit dasjenige Sein, das fie hat. Außer dir, o 
Gott! kann alfo nichts fein. Wie deine Weſenheit, fo durchdringt alfo 
auch dein Sehen, das deine Wefenheit ift, Alles. Wie nichts von 
Allen, was ift, feinem eigenen Sein entfliehen fann, fo auch micht deiner 
Weienheit, welde die MWefenheit Allem verleiht, fomit auch nicht deinem 
Vlicke. Alles und Jedes fiehft du daher, o Herr! zugleich, du bewegft 
dich mit Allem, was ſich bewegt, und fiehft mit den Etiflftehenden. 
Wenn Einige ſich bewegen, während Andere ftehen bleiben, fo ftehft du, 
o Herr! und bewegft dich zugleich, du fchreiteft voran und ruheft zus 
gleich. Denn wenn fih Bewegung in der Zeit zugleich mit der Ruhe in 
verfhiedenen Perfonen nur in befchränfter Weife findet, und nichts außer: 
halb dir fein kann, fo ift auch Bewegung und Ruhe nicht außerhalb dir; 
Allen bift du zugleih und Einmal und Jedem in der Ganzheit nahe, 
o Herr! Indeſſen haft du feine Bewegung und Ruhe, weil du hoch— 
ababen (superexaltatus) und frei von Allem bift, was fi denfen oder 
ausſprechen läßt. Du ſtehſt und wandelft und zugleich ftehft und wan- 
delt du nicht; das zeigt mir dieſes Gemälde Deines Angefihts. Denn 
wenn ich mich bewege, jo fcheint fein Blick ſich zu bewegen, weil er mic 
nicht verläßt. Steht ein Anderer, der das Bild betrachtet, während ich 
mih bewege, ſtill, ſo verläßt auch diefen der Blick nicht, fondern er bleibt 
mit {hm unbeweglich. Indeſſen kann es dem abfoluten Antlige nicht zus 
fommen, daß e8 unbeweglich fei oder fih bewege, meil es über alles Uns 
bewegliche und alle Bewegung in der einfachften und abfoluteften Unendlich» 
12° 


180 


feit fich befindet; erſt nach biefer Unendlichkeit beginnt Bewegung und Rube, 
Gegenſatz, Begriff und Wort. Ich fehe daraus, daß ich nothwendig in 
die Finfterniß eingehen und die Coincidenz der Gegenfäge zugeben muß, 
über alles Erfaffen des Verſtandes hinaus, und die Wahrheit da ſuchen, 
wo die Unmöglichkeit mir entgegentritt. Wenn ih dann felbft über vie 
höchfte Erhebung der Bernunft hinaus zu dem gelange, was von jeder 
Vernunft unerkannt ift, was jeder Geift als die größte Entfernung von 
der Wahrheit anfiebt, dann finde ih dich, mein Gott! der du die ab- 
folute Nothwendigkeit bift. Und je mehr jene dunkle Unmöglichkeit als 
dunfel und unmöglich erfannt wird, defto wahrer leuchtet die Nothwendizg— 
feit, defto weniger verhüllt ift fie nahe. Daher danfe ich dir, mein Gott! 
daß du mir offenbarft, es gebe feinen andern Weg, dir zu nahen, ald 
eben den, welcher allen Menſchen, auch den gelehrteften Philofophen, gan 
unzugänglih und unmöglich erfcheint, weil du mir gezeigt haft, du fün 
neft nirgendswo gefehen werben, als wo die Unmöglichfeit mir entgegen 
tritt. Du, o Herr! der du die Nahrung für große Geifter bift (qui es 
cibus grandium), haft mich ermuthigt, mir felbft Gewalt anzuthun, weil 
die Unmöglichkeit mit der Nothwendigfeit coincidirt. Hier habe id; die 
Stelle gefunden, wo du geoffenbart gefunden wirft; fie ift umzäunt mit 
der Goincidenz der Gegenfüge. Das ift die Mauer des Paradiefes, In 
dem du wohnft. Seine Pforte bewacht der ftolze Verſtand. Wird dieler 
nicht beftegt, jo öffnet fih das Thor nicht zum Eingange. Alſo nur 
jenſeits der Coincidenz der Gegenfäge fannft du gefchaut werden, diedjeitd 
derjelben in Feiner Weife. Iſt die Unmöglichkeit die Nothwendigkeit, jo it 
in deinem Blide, o Herr! nichts, was dein Blick nicht fehe. 


10, 
Gott wird jenfeits der Goincidenz der Gegenfäge erfannt. 
Sein Sehen ift Sein. 

Ich ftehe vor dem Bildniſſe deines Antlitzes, mein Gott! das ich mit 
finnfihen Augen anſchaue. Ich beftrebe mich, mit inmern Augen die 
Wahrheit anzufchauen, die in dem Gemälde angedeutet if. Da drängt 
es fi) mir auf, wie Har dein Blik rede. Denn dein Reden ift nicht 
Anderes ald dein Sehen, da fie in dir, der abfjoluten Einfachheit, nicht 
real differiren. Sch erkenne es flar, daß du zugleih Alles und Jedes 
fiehft, weil ich, wenn ich predige, zugleich und auf Einmal zu der verfam 
melten Gemeinde rede, indem ich zu Allen in der Kirche ein und dasſelbe 
Wort und in diefem Einen Wort zu Jedem rede. Was für mid die 
Kirche ift, das iſt für dich, o Herr! die ganze Welt und jede Greatur, 
die ift oder fein fan. So fprichft du zu Jedem, und Die, zu denen du 


181 


ſprichſt, fiehft du.) O Herr! höchſter Troft aller auf dich Hoffenden, 
du gibft mir ein, daß ich dich durch mid liebe! denn du haft mir ein 
Antlig nach deinem Belieben gegeben. Alle, denen ich predige, jehen es 
einzeln und zugleich, fo ywoie Jeder mein Mort hört. Ich aber Fann nicht alle 
Redenden zugleich unterfcheiden, hören oder fehen, fondern nur Einen nad 
dem Andern. Hätte ich aber eine foldhe innere Kraft, daß Gehörtwers 
den und Hören, Geſehenwerden und Sehen, Reden und Hören coineidirten, 
wie fie bei dir, der höchften Kraft, coincidiren, fo würde ich Alle und Jeden 
zugleich hören und fehen. Wie ich mit Jedem zugleich reden könnte, würde ich 
auch Aller und eined Jeden Antworten in demfelben Momente hören und 
ſehen. Ich beginne daher an der Thüre der Coincidenz der Gegenfäge, die 
der Engel bewacht, der am Eingange des Paradieſes aufgeftellt ift, did, o 
Herr! zu fehen. Dort bift du, wo Reden, Sehen, Hören, Verfoften, Berühren, 
Denken, Wiffen und Einfehen Ein und Dasfelbe find, wo Schen coincidirt mit 
Beiehenwerden, Hören mit Gehörtwerden, Berkoften mit Verkoftetwerden, 
Berühren mit Berührtwerden, Reden mit Hören, Schaffen mit Reden. Würde 
ih aljo ſehen, wie ich fihtbar bin, jo wäre ich feine Ereatur. Und wenn 
du, 0 Gott, nicht fehen würdeft, wie du fihtbar bift, fo wäreft du nicht 
der allmächtige Gott. Bon allen Greaturen fannft du gejehen werden 
(ab omnibus creaturis es visibilis) und Alle fiehft du: dadurd, daß du 
Ale fiehft, wirft du von Allen gefehen. Anders fünnen die Greaturen 
nicht fein: durch dein Sehen find fie. Würden fie nicht dih den Su 
benden ſehen, fo hätten fie von dir fein Sein: das Sein der Ereatur iſt 
dein Sehen und Gejehenwerden zugleih. Du redeft durd dein Wort 
u Allem, was ift und rufft ins Dafein, was nicht iſt. . . Du redeft 
wur Erde und berufft fie zur menihliben Natur. Und es hört dich Die 
Erde und Diefes ihr Hören ift das Werden des Menſchen. Du redejt 
um Nichts, als fei ed Etwas und rufit ed zum Etwas, und das Nichts 
hört di, weil Etwas wird, was nicht war. O unendlide Kraft! dein 
Denken ift Reden; du denkt den Himmel und er ift, wie du ihn denfft, 
die Erde und fie ift, wie du fie denfit. — Doch, zum Verwundern bift 
du, mein Gott! Du redeft und denkſt Einmal; wie fommt ed denn, daß 
nicht Alles zumal, fondern Vieles fucceffiv da ift? Wie fommt fo Ber 
Ihiedenes aus Ginem Gedanfen? An die Echwelle der Thüre bingeftellt 
erleuchtet du mich mit der Einfiht: dein Gedanke ift die einfachfte Ewigfeit 
ſelbſt. Nun fann aber nichts werden nach der einfachften Gwigfeit (ni- 
hil est autem possibile fieri post aeternitatem simplieissimam). Daher 
umgibt die unendlihe Dauer = Ewigkeit alled Nadeinander (omnem 





1) Der Tert, et ea quibus loqueris vides, fcheint corrupt zu fein. Analog dem 
doransyehenden ; singulis loquor muß es wohl heißen: et eos, quibus loqueris, vides. 


182 


successionem). Was und daher ald Naceinander erfcheint, ift keineswegs 
nad (post) deinem Gedanfen, der die Ewigfeit felbft if. Dein einiger 
Gedanke, welcher dein Wort ift, umfaßt (complicat) Alled und Jedes in 
fi, dein einiges Wort fann nicht vielfach, entgegengefeßt, veränderlich fein. 
So fehe ih denn, o Gott! daß Nicht nach (post) deinem Gedanfen ift; 
Alles ift, weil du es denfft, du denfft ed aber in der Ewigfeit, das Nach— 
einander in der Ewigfeit ift die Ewigkeit ohne Naceinander, dein Wort 
ſelbſt, Herr und Gott! Ein Ding, das und zeitlich erfcheint, Haft du 
nicht eher gedacht, ald e8 ift. Denn in der Gwigfeit, in der du bdenfit, 
coineidirt alles Naceinander der Zeit mit dem Jetzt der Ewigkeit. Es 
gibt daher feine Vergangenheit oder Zufunft, wo Zufunft und Vergangenheit 
mit der Gegenwart coincidiren; daß aber Dinge in diefer Welt früher 
oder fpäter eriftiren, rührt daher, weil du dieſe Dinge früher nicht ale 
Stiende gedacht haft. In weflen Gedanken ein Vorher und Nachher 
vorfommt, jo daß er zuerft dad Eine denft und nachher ein Anderes, ber 
it nicht allmächtig. Weil nun du der allmädtige Gott bift, fo bift du 
innerhalb der Mauer im PBaradiefe. Die Mauer ift die Coincidenz des 
Spätern mit dem Frühern, wo das Ende coincidirt mit dem Anfange, wo 
a und o Dagfelbe find. Immer find daher die Dinge, weil du fagft, daß 
fie feien, und fie find nicht eher, weil du es nicht eher fagft. Wenn ich leſe, 
Adam habe vor fo vielen Jahren gelebt und heute fei ein folcher (Adam 
d. i. Menfch wieder) geboren worden (et hodie talem natum), fo fheint 
ed unmöglich, daß Adam damals Iebte, weil du ed damald gewollt haft 
und daß ein folder uns in gleicher Weiſe heute geboren wurde, weil du «6 
jest gewollt haft, und daß du gleichwohl nicht früher gewollt Haft, daß ein 
Adam fei, als bis der jehige geboren wurde. Allein was unmöglid 
fcheint, ift die Nothwendigfeit felbft; denn Jegt und Damals find erft nad 
(post) deinem Worte. Daher begegnen fie dem, der fi dir naht, in 
der Mauer, die den Ort umgibt, wo du in der Coincidenz (der Gegenläge) 
wohnft; denn Jetzt und Damals coincidiren im Umfreife der Mauer ded 
Paradiefed. Du aber, o mein Gott! lebft und redeft über dem Jept und 
Damals hinaus, denn du biſt die abfolute Ewigfeit. 


11. 


In Gott ift ein Naheinander ohne Nacheinander (quod videtur 
in Deo successio sine successione). 

Ich empfinde deine Güte, o mein Gott! die mich armen Sünder nicht 
nur nicht verachtet, fondern mit einer gewiffen Sehnſucht füß entzüdt. Du 
haft mir über die Einheit des geiftigen Wortes oder Begriffes von dir 
und deffen Verſchiedenheit in der ſucceſſiven Erſcheinung ein paffendes Bild 
eingegeben: der einfache Begriff einer guten Uhr ift mir ein Fingetzeig— 


183 


der mich zur tiefen Erkenntniß deines Begriffes und Wortes fortführt. 
Der einfache Begriff einer Uhr faßt alles zeitliche Nacheinander in fic. 
Iſt num die Uhr der Begriff, jo hören wir, wenn wir gleich den Schall 
des Schlages Sechs vor dem Echlage Sieben vernehmen, dod den Schlag 
Sieben nicht bälder, ald e8 der Begriff der Uhr gebietet; Sechs Uhr ift 
nicht eher im Begriffe, ald Eichen oder Acht Uhr, fondern in tem Einen 
Begriffe der Uhr ift feine Stunde früher oder jpäter als die andere, wies 
wohl die Uhr eine Stunde nie bälder jchlägt, ald wenn es ihr Begriff 
gebietet.. Da nun die Uhr in Gott der Begriff desfelben ift, fo ſehen 
wir einigermaßen, wie dad Nadeinander der Uhr ohne Nacheinander im 
Worte oder Begriffe Gottes ift, wie in diefem einfachen Begriffe alle Ber 
wegungen und Töne und alles empiriiche Nacheinander begriffen find, und 
wie alled Naceinander nicht über den Begriff hinausfommt, fondern eine 
Entfaltung desſelben ift, fo daß der Begriff einem Jeden das Sein gibt - 
und daher nichtd früher war, ehe ed wird, weil es vorher nicht als Seins 
follende® begriffen war. Denfen wir und den Begriff der Uhr als die 
Ewigfeit felbjt, jo ift die Bewegung in der Uhr das Naceinanver. Die 
Ewigkeit begreift und entfaltet daher das Nacheinander. 

Gepriejen feift du, mein Herr und Gott! der du mich mit der Milch 
des SHeichniffed nähreft und fpeifeft, bis du mir ftärfere Nahrung reicheſt. 
Führe mic, mein Gott und Herr! auf diefen Wegen zu dir! Wenn du 
mich nicht führeft, kann ich bei der Hinfälligkeit der vergängliden Natur 
und dem zerbrechlihen Gefäße, das ich umhertrage, auf dem Wege nicht 
aushalten. Im Vertrauen auf deine Hülfe, o Herr! fomme idy wieder, 
um dich über der Mauer der Coincidenz, über dem Begriffe und feiner 
Entfaltung (ultra murum coincidentiae complicationis et explicationis) 
zu finden, und indem ich durch diele Thüre deines Begriffes und Wortes 
eins und ausgehe, finde ich die füßefte Weide. Finde ih did, als die 
Alles entfaltende Kraft, fo gehe ih aus; finde ich dich ald die Alles in 
fih begreifende und aus fich entfaltende Kraft, fo gehe ich ein und aus 
zugleich. Ich gehe ein, von den Geſchöpfen zu dir dem Echöpfer, von den 
Rirfungen zur Urſache; ich gehe aus, von dir dem Schöpfer zu dem Ger 
Ihöpfe, von der Urſache zur Wirkung. Ich gehe ein und aus zugleich, 
wenn ich erkenne, daß dad Ausgehen zugleih ein Eingehen und das 
Eingehen zugleich ein Ausgehen if. Das Ausgehen der Ereatur von 
dir it ihr Eingehen in dich und das Entfalten ift ein Inſichfaſſen. 
Wenn ich did, o Gott! im Paradieſe fehe, welches von der Mauer der 
Koincidenz der Gegenfäge umgeben ift, fo fehe ich, daß du weder zufammens 
faffeft noch entfalteft, weder disjunctiv noch copulativ; denn das Disjuncs 
tive, wie die Verbindung, ift die Mauer der Goincivenz, über welder 
hinaus du eriftirft, abfolut fern von Allem, was ſich jagen oder deufen läßt. 


184 


12. 


Gott wird unfihtbar gefehen und unerjhaffen erjhaffen 
(quod ubi invisibilis videtur, increatus creatur). 


Du bift mir, o Herr! als unfichtbar von jedem Geſchöpfe erſchie— 
nen, weil du der verborgene, unendliche Gott bif. Die Unendlichkeit ift 
aber in jeder Weiſe des Begreifens unbegreiflid. Dann erjcienft du 
mir ald von Allen fihtbar, weil ein Ding infoweit ift, ald du es ſiehſt, 
und es wäre micht woirflih (actu), wenn es nicht dich fühe; denn 
dein Sehen gibt das Sein, weil ed deine Wefenheit if. So bift du, 
mein Gott! unfichtbar und fichtbar zugleih: unfichtbar, foferne du biſt 
(uti tu es), fichtbar, fofern die Greatur ift, welche infoferne ift, als fie 
dich fieht. Du wirft alfo, mein Gott! unfihtbar von Allen gefehen und 
in jedem Blide (in omni visu) gefehen. Durch jeden Sehenden, in allem 
Eihtbaren, in jedem Acte des Sehens wirft du gefehen, der du unfichtbar, 
abfolut und ins Unendliche hocberhaben bift. Ich muß alfo, o Herr, jene 
Mauer des unfihtbaren Sehens überfteigen, wo du alsdann gefunden 
wirft. Diefe Mauer ift: Alles und Nichts zumal. Denn du, der du 
mir erfcheinft, als feieft du Alles und zugleih Nichts von Allem, wohneſt 
innerhalb jener erhabenen Mauer, welche fein Verſtand durch feine 
eigene Kraft überfteigen fann. Zumeilen legt fi) mir der Gedanke nahe, 
dur feheft in dir Alles, gleich einem lebendigen Spiegel, in welchem Allee 
fih abfpiegelt. Weil aber dein Sehen Wiſſen ift, fo denke ich hinwieber, 
dur feheft nicht in dir Alles, gleich einem lebendigen Spiegel, weil ſonſt 
dein Wiffen aus den Dingen entftünde. Dann fommft du mir vor, du 
feheft in dir Alles, wie eine fich feldft anfchauende Kraft; gleichwie Die Kraft 
des Samens des Baumes, Fönnte fie fich ſelbſt befchanen, im fich ben 
Baum in feiner Kraft anfhauen würde, weil die Kraft ded Samens der 
Baum in der Potenz (virtualiter) if. Alsdann fümmt ed mir vor, ale 
feheft du dich nicht und in dir Alles, ald Krafl. Denn den Baum in 
der Potenz fehen, ift etwas Anderes, ald das Anfchauen des Baumes in 
der MWirflichfeit (in actu). So finde ih denn, daß deine unendliche Kraft 
über die MWeife ded Epiegeld und des Samens, über die Coincidenz des 
Ausftrablens und Reflectirens, der Urfahe und des Verurſachten hinaus 
geht, weil jene abfolute Kraft das abfolute Sehen (visio absoluta) iſt, 
die Vollkommenheit felbft, höher ald alle Arten des Schens; denn alle 
Arten, welche die Vollfommenheit des Sehens darftellen wollen, find ohne 
Art, dein Sehen, das deine Weſenheit ift, mein Gott! 

Doch Taf, gütiger Gott! dein geringes Geſchöpf noch weiter mit 
dir reden! 

Wenn dein Sehen dein Erfhaffen ift, und bu nichts Anderes ald 


185 


dich fiehft, fo daß du felbft dad Object deiner felbft biſt (denn du bift 
der Sehende, das Eichtbare und das Eehen), wie erfhaffft du dann 
Dinge, die etwas Anderes find, als Du? denn du fcheinft offenbar 
di felbit zu erfchaffen, wie du dich felbft ſiehſt. Doch du tröfteft mic, 
Leben meined Geiftes! denn wenn ſich mir auch die Mauer des Mider- 
finnigen entgegenftellt, nämlich der oincivenz des Erfhaffens mit dem 
Erihaffenwerbden (gäbe man diefe zu, jo bieße Died behaupten, ein Ding 
fei, bevor es ift; denn wenn Gott Etwas erichafft, fo ift es, und ift nicht, 
weil es erfchaffen wird), fo fehe ih darin doch Fein Hinderniß: denn dein 
Schaffen ift dein Sein. Zugleich erfhaffen und erfchaffen werden heißt 
nihts Anderes, als dein Sein Allen mittheilen, fo daß du Alles 
in Allem bift und doch von Allem frei und fosgelößt (nec est aliud 
creare pariter et creari, quam esse tuum omnibus communicare, ut sis 
omnia in omnibus, et ab omnibus tamen maneas absolutus). Denn 
ind Leben rufen, was nicht ift, heißt das Sein dem Nichts mittheilen 
(est communicare esse nihilo), So tft das (ind Leben) Rufen ein 
Erfhaffen, das Mittheilen ein Erſchaffenwerden (sic vocare 
est creare, communicare est creari). Ueber diefe Coincidenz des Erfchaffens 
mit dem Erfchaffenwerden hinaus bift du der abfolute und unendliche Gott, 
weder erihaffen noch erfhaffbar (ereabilis), wiewohl Alles das ift, was 
es ift, weil du biſt. O Höhe des Reichthums, wie unbegreiflic bift du! 
So lange ich den Schöpfer als jchaffend denke, bin ich noch diesſeits der 
Mauer des Paradiefes. So lange ich den Echöpfer als erfchaffbar denke, 
bin ich noch nicht eingegangen, fondern noch auf der Mauer. Wenn ich dic 
aber als die abfolute Unendlichkeit erfenne, der weder der Name des fchaf- 
fenden Schöpfer noch des erfhaffbaren Schöpfers zufommt, dann fange 
id dich enthüllt zu jchauen an und beginne in den Urfprung der Wonne 
einzugehen, weil du nichts von dem bift, was fich fagen oder denfen läßt, 
ſondern abfolut und unendlich über al Das erhaben. Du bift alfo micht 
Schöpfer, fondern mehr als Schöpfer, in's Unenvliche, obwohl ohne dic 
nichts geſchieht oder geſchehen Fann. 
Dir ſei Lob und Ehre in alle Ewigkeit! Amen. 


13. 
Gott wird als die abfolute Unendlichkeit erfannt. 

Mein Herr und Gott! Hülfe der dich Suchenden! ich fehe dih im 
Urfprung des Paradiefes und weiß nicht, was ich fehe, weil ich nichts 
Sichtbares ſehe; ich weiß nur das allein, daß ich weiß, ich wiffe nicht, 
was ich fehe und könne es nie willen; ich weiß dich micht zu benennen, 
weil ih nicht weiß, was du bift. Und fagte mir auch Jemand, dies 
Oder jenes fei dein Name, fo weiß ih gerade daraus, daß er einen Namen 


186 


angibt, daß dies nicht dein Name if. Denn jegliche Bezeichnung durch 
Namen ift die Mauer, über welche hinaus ich Dich fehe.. Gibt Jemand 
einen Begriff an, dur den du begriffen werden magſt, fo weiß ic, daß 
dies nicht der Begriff von dir iftz denn jeder Begriff hat feine Schranke 
innerhalb der Mauer des Paradieſes. Auch von jedem Bilde und Gleid, 
niffe, nad dem du zu denfen wäreft, weiß ich, daß es nicht dein Bild 
ift. Auch jede Vernunfterfenntniß Cintellectus) ift noch weit von bir ent 
fernt. Eine hohe Mauer trennt dih von allem Dem. Erhebe ich mid 
daher fo hoch als möglich, jo fehe ih dich als die Unendlichkeit. 
Daher bift du ungugänglic, unerfaßbar, unnennbar, unfibtbar. Wer dir 
ih nahen will, muß über alle Begriffe, Grenze und Begrenztes fid er 
heben. Der Geift muß unwiſſend (ignorantem) werden und in's Dunfle 
ſich ftellen, wenn er dich fehen will. Was ift aber dieſe Unwiſſenheit 
des Beiftes? Iſt es nicht die gelehrte Unwiſſenheit (docta igno- 
rantia)? Es kann fich alfo dir, mein Gott! der du die Unendlichfeit bif, 
nur derjenige nahen, welder weiß, daß er dich nicht fenne (qui scit se 
ignorantem tui). Du, mein Gott! bift die abſolute Unendlichkeit, 
von der ich erkenne, fie fei das unendliche Ende, allein ih vermag «8 
nicht zu faflen, wie das Ende ein Ende ohne Ende ift. Du bift, o Gott! 
das Ende deiner felbft, weil du bift, was du haft; haft du ein Ende, 
fo bift du das Ende. Du bift fomit das unendliche Ende, weil dad 
Ende deiner ſelbſt. Weil dein Ende deine Wefenheit ift, fo wirft du 
nicht durch ein anderes Ende begreugt, fondern dur dich felbft. Somit 
ift das Ende, weldhes das Ende feiner felbft ift, das unendliche Ende. 
Jedes andere Ende ijt ein endlihed. Du, o Herr! der du die Gremt 
bift, die Alles begrenzt, bift eben darım die Grenze, die feine Grenze 
bat, die unendlich ift.... . Als unendlich gibt es für dich fein Andered, 
Verſchiedenes oder Entyegengefegtes, da außer dem Unendlichen nichts it; 
denn Alles umfchließt und umfaßt die abfolute Unendlichkeit. Gäbe es 
eine Unendlichkeit und ein Anders außer ihr, fo wäre weder die Unend» 
lichfeit noch das Andere. Die Unendlichkeit ift in der Art Alles, daß es 
nichts von Allem ift. Die Unendlichkeit ift auch fein Ganges, welches den 
Theil zum Gegenfage hat, nicht groß oder Hein, fondern dad Maaß aller 
Größen, die abfolute Gleihheitz einem Jeden und Allen und Keinem 
gleib.... D wie erhaben bift du, o Gott! über Alles, und vabei jo 
herablaffend (humilis), weil du in Allem bift! Du bift, als unendlid, 
ohne Anfang und Ende; du bift der Anfang ohne Anfang und das Ende 
ohne Ende; der Anfang ohne Ende und das Ende ohne Anfang; Du bit 
ald Anfang zugleih das Ende und ald Ende zugleich der Anfang; weder 
Anfang noch Ende, fondern über Anfang und Ende die abſolute Unend⸗ 
lichkeit, welche geprieſen ſei in Ewigkeit! 


187 


14. 
Gott fafit Alles in ſich, ohne Andersſein. 

Ih erfenne, o Herr! durch die Unendlichkeit deiner Erbarmung dich 
ald die Unendlichkeit, die Alles umgibt, Es ift alſo nichts aufer Dir, 
Alles ift im dir michts von dir Verfchiedenes (omnia autem in te non 
sunt aliud a te). So lehrſt du mich, o Herr! daß das Anverdfein (al- 
teritas), das im dir micht ift, auch nicht im fich felbft ift und fein kann. 
Das Andersjein, das in dir nicht ift, bewirft es daher auch nicht, daß 
die eine Greatur verſchieden (altera) ift von der andern (ab alia), wiewohl 
ein und dieſelbe nicht eine andere ift (fondern ſich felbft gleih). Der 
Himmel ift micht die Erde, obwohl der Himmel Himmel und die Erve 
Erde iſt. Erforiche ich nun dieſes Andersfein, das weder in dir, noch 
außer dir ift, wo werde ich es finden? Hat es fein Sein, wie ift dann 
die Erde ein anderes Geihöpf ald der Himmel? ohne Andersfein läßt 
fh dies nicht denfen. — Doc du, o Herr! redeft in mir und fpricft: 
das Andersfein ift Fein pofitives Princip und fo hat cd fein Sein (non 
est); denn wie Fönnte das Andersfein ohne Princip (Anfang) fein, es 
wäre denn felbft das Princip und die Unendlichkeit? Nun ift aber das 
Andersfein nicht das Princip des Seins; denn es wird benannt vom 
Nihtfein (alteritas enim dicitur a non esse), weil Eines nicht ein Vers 
itiedenes ift, nennt man es ein Anderes (quod enim unum non est aliud, 
hine dieitur alterum). Das Andersfein ift aber nicht Etwas; daß aber 
der Himmel nicht die Erde ift, rührt daher, weil der Himmel nicht bie 
Unendlichkeit ſelbſt ift, die Alles umgibt. Weil die Unendlichkeit abjolut 
it, daher rührt es, daß das Eine nicht verfchieven fein fann. Das Sein 
des Sokrates umfaßt das ganze fokratiihe Sein, in dem mithin fein Ans 
dersjein, feine Verſchiedenheit ift: von Allem, was in Sofrates ift, ift 
dad Sofratesfein die individuelle Einheit, in diefem Einen Eein ift das 
Sein von Allem, was in Sofrates ift, enthalten, in diefem Einen Sein 
entfaltet fih das ganze Wefen des Sokrates, außer demfelben ift es nicht 
und kann es nicht fein, obwohl in dem Sofratesfein das Auge nicht Ohr, 
das Haupt nicht Herz, das Geficht nicht Gehör, der Sinn nicht der Ver— 
hand iſt. Dies rührt nicht von einem Princip des Andersfein ber, fons 
m das einfachfte Sein des Sofrates voraudgefegt, ergibt es fih, daß 
das Haupt deßwegen nicht die Füße find, weil dad Haupt nicht das ein; 
ſabſte Sofratesfein felbft ift. Daher umfaßt das Sein des Hauptes 
nicht das ganze Sofratesfein. So fehe ich dur deine Erleuchtung, o 
Herr! daß, weil das einfache Sofratesfein dem Sein des 
einzelnen Gliedes durchaus nicht mitgetheilt, nicht auf 
dasſelbe eingefhränft werden Fann, deßhalb das Sein des einen 


188 


Gliedes nicht das des andern ift, wohl aber ift das einfache Eofratesfein 
zugleib das Sein aller Glieder des Eofrates; in ihm ift alle Verſchie— 
denheit und Andersheit, die den Gliedern zukommt, eine einfache Einheit, 
wie die Vielheit der Formen und Theile in der Form des Ganzen Einheit 
if. Aehnlich verhält fih dein Sein, o Gott! als die abfolute Unend— 
lichfeit zu Allem, was iſt. Ich danfe dir, mein Gott und Herr! der du 
mir, fo weit ich es faffen kann, deutlich zeigit, daß du die Unendlichkeit 
bift, welche das Sein Aller in einfachfter Kraft in fich faßt. Sie wäre 
nit Unenblichfeit, wäre fie nicht unendlich geeint (quae non esset infi- 
nitas, nisi infinite unita), denn die geeinte Kraft hat größere Stärke. 
Iſt demnach eine Kraft fo geeint, daß fie nicht noch mehr geeint werden 
fan, fo ift fie unendlih und allmächtig. Du bift der allmächtige Gott, 
weil die abfolute Einfachheit, welche die abfolute Unendlichkeit ift. 


15. 


Die actuelle Unendlichkeit ift die Einheit und im ihr die 
Wahrheit. 

Laß noch ferner deinen Knecht, dem alle Weisheit fehlt, fo weit du 
fie ihm nicht verleiäft, mit dir, feinem Gotte, reden! Ich fehe in dieſem 
Gemälde ein Bild der Unendlichkeit; denn der Blick desfelben ift nicht auf 
ein Dbject oder eine Stelle beichränft und infofern unenblih, denn er 
wendet fih dem einen Beichauenden nicht mehr zu, al® dem aubern. 
Obwohl aber der Blick desfelben im fich unbefchränft ift, fo ſcheint er doch 
durch jeden Befchauenden befchränft zu werden, weil er jeden Beſchauen— 
den infoferne beichränft anfteht, als es fcheint, er fehe nur ihm und 
nichts Anderes, Du erfcheinft mir daher, o Herr! ald das abfolute und 
unendlihe Seinfönnen, das in jede Form fich bilden und einzwängen 
läßt. Denn wir fagen, die bildungsfähige Potenz der Materie ſei un 
endlich, weil fie nie ganz begrenzt wird. Allein du, unendliches Lidt 
in mir! erwiederft hierauf, deine abfolute Potenz fei die Unendlichkeit ſelbſt, 
welche jenfeit8 der Mauer der Eoincidenz liegt, wo das Werdenfönnen 
mit dem Mirfenfönnen und die Potenz mit der Wirklichkeit coincidirt. 
Wenn gleih die Materie die Potenz für unendliche Formen ift, fo fann 
fie diefelben doch actuell nicht haben, fondern ihre Potenz wird durd eine 
Form begrenzt und, ift diefe aufgehoben, durch eine andere. Würde alfo dad 
Seinfönnen der Materie mit dem wirflihen Sein coincidiren, fo waͤre ſie 
Potenz und Wirklichkeit zugleich und hätte in Wirklichkeit unendlich viele 
Formen. Die actuelle Unendlichkeit iſt aber ohne Andersſein und kann 
nicht Unendlichkeit ſein, ohne zugleich Einheit zu ſein. Somit kann eb 
nicht actuell unendliche Formen geben, ſondern die actuelle Unendlichkeit 
ift die Einheit. So bift denn du, o Gott! der du die Unendlichkeit ſelbſt 


189 


bit, der Eine Gott, in welchem ich alles Seinfönnen in Wirklichkeit 
(actu) fehe. Denn das abjolute Können, frei von jeglicher Beſchränkung, 
it das abjolute Sein; was in dem unendlichen Sein ift, ift das unends 
lichſte einfachite Sein felbft, es ift daher das Allesfeinfönnen im uns 
endlihen Sein das unendliche Sein ſelbſt. Das abfolute Seinkönnen 
und das wirkliche abiolute Sein find in dir, mein Gott! nur du felbft, 
mein unendliher Gott! Alles Seinfönnen bift du, mein Gott! Wenn bu 
daher, mein Gott! mir als die bildpfame Materie vorfommft, weil du die 
Form eines jeden dich Anſchauenden annimmſt, fo erhebft du mich zu ver 
Einfiht, daß der dich Anfchauende nicht dir eine Form gibt, fons 
dern in dir [haut er ih an, weil er von dir empfängt, was 
ri. Was du demnach von dem Anfchauenden zu erhalten fcheinft, ift 
kin Geſchenk an ihn, als feieft du der lebendige Spiegel der Ewigkeit, 
der die Form aller Formen ift. Blickt Jemand in diefen Spiegel, fo fieht 
er feine Form in der Form aller Formen und glaubt nun, die Form, die 
er in dieſem Spiegel fieht, fei die (concrete) Figur feiner Form, weil es 
in einem materiellen polirten Spiegel fo der Fall if. Und doc iſt ge 
sade dad Gegentheil hieran wahr; denn was er in jenem Spiegel fieht, 
it nicht die Figur, fondern die Wahrheit, deren Figur der Sehende ift. 
Es hat alfo die Figur in dir, mein Gott! ihre Wahrheit, du bift 
dad Urbild von Allem und Jedem, was -ift oder fein kann. 

O Gott, wunderbar für jeden Geift! zuweilen fcheint ed mir, als 
jeteft du ein Schatten, der du doch das Licht bit. Denn wenn ich jehe, 
wie mit meiner Beräuderung auch der Blid deines Bildes verändert 
Iheint, fo ſcheint mir auch dein Antlig verändert und du fommft mir ver- 
ändert vor, ald wäreft du ein Schatten, weldyer der Ortöveränderung des 
Gchenden folgt. Weil aber ich der lebendige Schatten, du die Wahrheit 
bift, fo meine ich, mit der Veränderung des Schattend habe ſich aud die 
Bahrheit verändert. Du bift alfo, mein Gott! in der Art der Schatten, 
daß du zugleich die Wahrheit bift, in der Art mein und eined Jeden 
Bild, dag du zugleich das Urbild Aller bit. Mein Herr und Gott! Er« 
kuhter der Herzen! Mein Antlig ift ein wahres Antlig, weil du ed mir 
gegeben haft, der du die Wahrheit bift. Mein Antlig ift auch ein Abbild, 
weil ed nicht die Wahrheit felbft ift, jondern ein Abbild derjelben. Der 
Begriff von mir faßt aljo die Wahrheit und das Abbild meines Antliges 
in fi, er ift die Goineivenz des Abbildes mit der Wahrheit; fo weit es 
Abbild ift, jo weit hat ed Wahrheit. Und num zeigft du mir, o Herr! wie 
mit der Beränderung meined Antliged auch dein Antlig verändert und 
unverändert zumal ift: verändert, weil ed von der Wahrheit meines 
Antliges nicht weicht, unverändert, weil ed der Veränderung des Abbildes 
nicht folgt. Während dein Antlig die Wahrheit meines Antliges nie vers 


190 


läßt, folgt e8 der Veränderung des anders fein könnenden Abbildes nict; 
denn die abjolute Wahrheit geftatret Fein Andersfein, die Wahrheit meines 
Antliged aber iſt veränderlich, weil fie nur infofern Mahrheit ift, als fie 
Abbild ift, die Wahrheit deines Antliges aber ift unveränderlich, weil fie 
infofern Abbild ift, als fie zugleich die Wahrheit felbft if. Die Wahr 
heit meines Antliges fann von der abfoluten Wahrheit nie verlaffen wer: 
den; denn fonft könnte jenes nicht beftehen. So fcheinft du denn, o Gott! 
wegen deiner unendlichen Güte veränderlich, weil du die veränderlichen 
Greaturen nicht verläffeft;z doch wie du die abfolute Güte bift, fo bift du 
nicht veränderlih, weil du der Veränderlichkeit nicht folgft. O Gott von 
unendlicher Tiefe! du verlaͤſſeſt und begleiteft die Ereaturen nicht. O um 
erflärliche Liebel du gibft dich dem dich Anfchauenvden hin, ald empfangef 
du von ihm dad Sein und macht dich ihm gleichgeftaltet, damit er dih 
um jo mehr liebe, je ähnlicher du ihm erfcheinftz denn wir können doch 
unmöglich und ſelbſt haffen. Wir lieben, was unfer Sein angeht und 
begleitet, wir umfangen unfer Gleihbild, weil es und repräfentirt und 
wir in ihm uns lieben. Du, o Gott! zeigft did uns in der Demuth 
deiner unendlichen Güte, als wäreft du unfer Gefhöpf, um und 
fo an dich zu ziehen. Ja, du zieheft und an dich auf jede möglice 
Weiſe, in der das freie vernünftige Gefchöpf angezogen werben fann. In 
dir, o Gott! coinchdirt das Erfchaffenwerden mit dem Erfhaffen; denn 
die Achnlichkeit, die ald von mir erfchaffen erfheint, ift die Wahrheit, die 
mich erichafft, damit ich verftehe, wie innig ich mit dir verbunden fein foll, 
da in dir dad Geliebtwerden mit dem Lieben coincidirt. Denn 
wenn ich mich in dir, dem mir Aehnlichen, lieben fol, und um fo mehr 
hiezu verpflichtet bin, wenn ich fehe, daß du mich als dein Gefchöpf und 
- Abbild liebft, wie follte der Vater den Sohn nicht lieben, der Sohn und 
Vater zugleich iſt (qui sic est ſilius, quod pater)? Wenn Der große 
Liebe verdient, welcher der vwermeintlihe Sohn, bei richtiger Erfenntnif 
aber der Water iſt (qui est aestimatione filius, cognitione pater), ver— 
dienft dann du nicht die größte Liebe, der du über den vermeintlichen Sohn 
wie über den wirklichen Vater weit hinausreihft? Du wollteft, o Gott! 
die findliche Liebe zu dir auf jene menſchliche Anfhauung von dir gründen; 
dur willft ähnlicher ald ein Sohn und erfcheinen und zärtlicher als ein Vater 
erfannt werden, weil du die Liebe bift, welche die Liebe fo des Sohnes 
als des Waters in ſich begreift (tu Deus voluisti filialem dilectionem 
in aestimatione constitui et vis similior filio aestimari et intimior 
patre cognosci, quia es amor, complicans tam filialem quam paternalem 
dilectionem). So fei denn du, meine füße Liebe! mein Gott! gepriejen 
in Ewigfeit! 


191 


16. 


Wäre Gott nicht unendlich, fo gäbe es fein Ziel und Ende 
unſerer Sehnfudt. 

Im Feuer erlifcht nicht die Gluth und in der Liebe zu dir, 0 Gott! 
nicht die Sehnfuht, da du dad Urbild alles Wünſchenswerthen und 
die Wahrheit bift, die in aller Sehnſucht erftrebt wird. Da id nun durch 
deine honigfüße Gnade angefangen habe, deine unbegreiflihe Lieblichkeit 
zu foften, die mir um fo lieber ift, je unendlicher fie erfcheint, fo jehe ich, 
daß tu, o Gott! deßhalb von allen Geſchöpfen unerfannt bift, damit fie 
in diefer heiligen Unmiffenheit wie in einem unzählbaren und unerſchöpf— 
liten Schage defto mehr Ruhe finden, Eine weit größere Freude empfins 
det, wer einen Schag gefunden hat, den er als unzählbar und unendlich 
erfannt hat, als wer einen zu ermeflenden endlichen Schatz entdeckt hat. 
Daher ift diefe heilige Unfenntniß deiner Größe die erfehnte Nahrung für 
meinen Geift, zumal, da ich diefen großen Schag in meinem Ader gefun— 
den, jo daß er mein Schap if. D Duelle des Reichthums! du willft 
dih dur mein Befigthum begrenzen laſſen und doch unbegrenzt und une 
begreiflich bleiben, weil du eine Fülle von Süßigkeiten bift, von denen 
fine dad Ziel erreichen kann. Wie fönnte die Begierde nad dem Nicht: 
kienden begehren? der Wille mag nad dem Seienden oder Nichtjeienden 
begehren, da8 Begehren felbft fann nie ruhen, fondern geht in's Unend— 
liche. Du fteigft zu uns herab, o Herr! um erfaßt zu werben und bleibft 
doch ungemeſſen und unendlih, und bliebeft du nicht unendlich, jo 
bliebeft du nicht das Ziel der Sehnſuchtz du bift unendlich, um dad 
Ziel aller Sehnfucht zu fein. Denn die Sehnſucht des Geiftes geht nicht 
nah dem hin, was größer oder erfehnenswerther fein fann. Nun aber 
alles Nicht-Unendliche (omne eitra infinitum) fann größer fein. Du bift 
alſo, o Gott! die Unenplichfeit feldft, die ich allein in aM’ meiner Sehn— 
fuht erſehne. Der Wiffenfchaft des Unendlihen kann ich mich nicht mehr 
nähern, als indem ich ed ald unendlich erfenne. Je mehr ich alfo dich, 
meinen Gott, als unbegreiflich erfenne, defto mehr mähere ich mich dir, 
weil ich mich dem Ziele meiner Sehnfucht nähere. Meine Schnjucht, in 
der du wiederſcheinſt, führt mich zu dir; fie wirft alles Endliche, jeden 
Begriff von ſich, weil fie darin nicht ruhen fann; nur durch dich wird 
lie gu dir geführt. Du aber bift der Anfang ohne Anfang, das Ende 
ohne Ende. Dur den ewigen Anfang, von welchem meine Sehnjucht 
ihr Sein hat, wird fie zu dem Ziele ohne Ziel, zum unendlichen Ziele 
geführt. Ich ſehe dich, Herr und Gott! in einer Art von Entzüdung Cin 
Taptu quodam mentali); denn wenn das Auge nicht durch den Anblid, 
das Ohr nicht durch das Gehörte, fo wird noch weniger der Geift durch 


192 


den Geift (intellectus intellectu) gefättigt. Was alſo den Geift fättigt 
und fein Ziel ift, ift nicht das, was er erfennt, jo wie ihn auch das 
nicht fättigen Tann, was er durchaus nicht erkennt, fondern mur das, 
was er, ohne ed zu begreifen, erfennt (sed solum id, quod non in- 
telligendo intelligit). Was der Geift in der Art als erfennbar erfennt, 
dag ed nie vollfommen erfannt werden fann, das Fann ihn allein fättigen. 
Wer einen unerfättliden Hunger hat, den fättigt nit wenig Speife, noch 
eine Speife, zu der er nicht gelangen fann, fondern mur eine ſolche Speiſe, 
die zu ihm gelangt und, ob fie glei beftindig genoffen wird, doch nie 
vollftändig verzehrt werden fann, weil fie von der Art ift, daß fie 
durh das Genießen fih nicht vermindert, ſomit unendlich ift. 


17. 

Bott fann nur als dreieiniger vollfommen erfannt werden, 
Du haft dich mir, o Herr! fo liebenswürdig gezeigt, daß du nict 
liebenswürdiger fein fannft, denn du bift unendlich liebenswürdig, mein 
Sort! Nie alfo fannft du von jemand jo geliebt werden, wie du Lich 
verdienft, außer von einem unendlich Liebenden. Wäre nicht ein unendlid 
Liebender, fo wäreft du nicht umendlich liebenswürdig. Deine Liebend 
würdigfeit, welche darin befteht, daß du ind Unendliche geliebt werden 
fannft, bedeutet auch zugleih das in's Unendliche Liebenfönnen. Aus 
dem unendlich Liebenfönnen und unendlich Geliebtwerdenfönnen entfteht das 
unendliche Band der Liebe zwifchen dem unendlich Liebenden und unendlich 
Liebenswürdigen, Die feine Vermehrung zuläßt. So bift denn du, ® 
Gott! der du die Liebe bift, die liebende Liebe, die liebenswürdige Liebe 
und die Verbindung (nexus) beider... Du bift alfo, o Gott! die unend- 
liche Liebe, die ohne einen Liebenden, Geliebten und die Verbindung beider 
von mir nicht als eine natürliche und vollfommene Liebe erfannt werden 
fann. Denn was in der endlichen (contractus) Liebe gefunden wird, 
fann in der unendlichen nicht fehlen. Du aber, o Gott! bift die volk 
fonımenfte und einfachfte Liebe. Daher find in dir der Liebende, der Gr 
liebte und die Verbindung beider nicht etwas Anderes, fondern du ſelbſt, 
mein Gott! Sie find nicht Drei, ſondern Eines . . . O bewunderungs⸗ 
würdiger Gott! der du nicht Einzahl, nicht Mehrzahl bift, fondern über 
Beides erhaben, einigorei (unitrious) und dreieinig (triunus). Ib jehe 
alfo in der Mauer des Paradiefes, wo du bift, die Mehrzahl mit der 
Einzahl coincidiren und did weit darüber hinaus wohnen. Lehre mid, 
o Herr! wie ih das ald möglich begreifen kann, was ich als nothwendig 
einſehe. Wer da fagt: Eines, Eines, Eines, ſagt dreimal Eines, aber 
nicht drei, fondern das ine dreimal; er wiederholt das Eine, er zählt 
aber nicht, denn zählen heißt das Eine zu einem Andern machen (unum 


193 


alterare), das Eine und dasſelbe aber dreimal wiederholen, heißt, ohne Zahl 
vermehren... . In der endlichen Liebe find jene drei nicht weienhaft 
(essentialiter) verbunden und eine Einheit, fondern gehen in Differenzen 
in eine Dreiheit auseinander... 

So habe ich nun in einem Bilde den Vorgeſchmack deiner Wefens 
heit ausgedrückt. Doch verzeihe mir, wenn ich den unbefchreiblichen Genuß 
deiner Süßigfeit zu fchildern verfuche. Wenn die Süßigfeit eines unbe- 
fannten Obſtes feine Schilderung, Feine Beſchreibung zuläßt, wer bin ich 
armer Sünder, der ich dich, Unfichtbaren, darzuftellen und jene unendliche 
Süßigkeit Andern zum Genuffe darzubieten mir herausnehme, die ich ſelbſt 
noch nicht zu Foften vwerbient habe und durch meine Darftellung eher ver: 
leinere ald vergrößere? Doc; deine große Güte, o mein Gott! läßt 
auch Blinde vom Lichte reden und das Lob eines Gegenſtandes verkünden, 
von dem fie nichts willen und wiffen fönnen, es werde ihnen denn geoffen- 
bart. Die Offenbarung aber berührt den Geſchmack nicht, das Ohr des 
Glaubens nicht die zu verfoftende Süßigfeit. Das haft du, mein Gott! 
mir geoffenbart, daß die unendlihe Süßigfeit fein Ohr gehört und feines 
Menihen Herz je empfunden hat, welde du Denen bereitet haft, vie 
dich lieben. Das hat uns dein großer Apoftel Paulus geoffenbart, ver 
über die Mauer der Coincidenz ind Paradies entzüdt wurde, wo du 
allein enthüllt (revelate) gefchaut werden fannft, du die Quelle aller 
Wonne. Ich habe diefer Entzüdung mich hinzugeben verſucht (conatus 
sum me subjicere raptui), im ®Bertrauen auf beine unendliche Güte, 
um dib, Unſichtbaren, zu fehen und deine unenthüllbare und doch ent 
büllte Anfhauung (et visionem revelatam irrevelabilem). Wohin id 
aber gefommen bin, weißt du, ich weiß es nicht; es gemügt mir deine 
Gnade, durh die du mir die Gewißheit gibt, daß du unbegreiflich 
ſeieſt, und die fefte Hoffnung in mir begründeft, ich werde einft, von bir 
geleitet, zum Genufle deiner felbft gelangen. 


18. 

Wäre Gott nit dreieinig, fo wäre er nicht die Glüdjeligfeit. 

Möchten doch, o Herr! die Augen des Geiftes Alle öffnen, welde 
fie ald Gabe von dir erhalten haben, und mit mir erfennen, daß du 
Gott, der Eiferer, weil du bie lebende Liebe bift, nichts haffen Fannft. 
In dir, dem liebendwürdigen Gott, ver alles Liebenswürdige in fi faßt, 
liebt du alles Liebenswürdige. So mögen Alle mit mir einfehen, durch 
welches Bündniß du mit Allen vereinigt biſt. Du liebft, o Gott! Alles 
und Jedes, du breiteft deine Liebe über Alle aus; doc Viele lieben 
dich nicht und ziehen Anderes dir vor. Indeſſen wäre das Liebend- 
würdige nicht verſchieden von dem Liebenden, fo wäreft du —— ſo lie⸗ 

Scharpff, Nie. v. Cuſa. 


194 


benswürdig, daß fie außer dir nichts lieben könnten, und alle vernünftigen 
Naturen wären genöthigt, dich zu lieben. Du bift aber jo edelmüthig, 
mein Gott! daß du ed dem freien Willen der vernünftigen Seelen über 
läffeft, dich zu lieben oder nicht. Daher wird deine Liebe nicht immer 
mit Gegenliebe erwiedert (quapropter ad amare tuum non sequitur, quod 
ameris). Während du, mein Gott! durd ein Band der Liebe mit Allen 
geeinet bijt, ift wicht jeder vernünftige Geift mit dir geeint. Jede vers 
nünftige Seele haft du durd deine Liebe dir zur Braut gewählt; aber 
nicht jede Braut liebt dich als ihren Bräutigam, fondern hängt fich oft 
an einen Andern. Wie fünnte aber deine Braut, mein Gott! die menſch— 
liche Seele, ibr Ziel erreichen, wäreft du nicht liebenswürdig, jo daß ſie, 
indem fie dich, den Liebenswürdigen, liebt, zur glüdjeligen Vereinigung 
mit dir gelangen kann? Wer kann aljo dich ald den dreieinigen Gott 
läugnen, wenn er doc einfteht, daß du weder der edelmrüthige und 
vollfommene Gott bit, noch daß es einen freiwählenden Geift gäbe und 
diefer zum Genuſſe deiner und jo zu feiner Glüdjeligfeit gelangen könnte, 
wäreſt du micht dreieinig? Weil du die erfennende und erkennbare Ber: 
nunft Cintellectus intelligens et intellectus intelligibilis) und die Ber: 
bindung beider bift, darum kann die erfchaffene Vernunft in dir, ihrem 
erfennbaren Gott, die Vereinigung mit dir und fo die Glückſeligkeit erreis 
hen. Ebenſo fann der erichaffene liebende Wille, da du die liebenswürs 
dDige Liebe bift, mit dir, feinem liebenswürdigen Gott, die Wereinigung 
und jo die Glückſeligkeit vollziehen. Wer dich, das geiftige, Licht, auf 
nimmt, kann zu einer ſolchen Bereinigung mit dir gelangen, daß er Dir 
geeinet ift, wie der Sohn mit dem Vater. Ich ſehe durch deine Erleuds 
tung, o Herr! ein, daß die vernünftige Natur die Vereinigung mit bir 
nur darum vollziehen fann, weil du liebenswürdig und geiftig erfaßbar 
(intelligibilis) bift. Sie ift nicht der Vereinigung fähig mit dir, dem Tieben- 
den Gott (denn fo wäreſt du nicht ihr Object), fondern mit dir, als ihrem 
liebenswürdigen Gott, da das Liebenswürdige das Object des Liebenden 
it... Der Menſch, der auf diefe Weife mit dir, feinem Gott, fid 
vereint, geht in eine Verbindung ein, die wegen ihrer Innigfeit und 
Seftigfeit den Namen der Kindihaft (Aliationis) erhalten mag; denn wir 
fennen fein feitered Band, als das der Kindſchaft. Iſt diefe Verbindung 
die größtmögliche geworden und fannft du, liebenswürdiger Gott! von 
einem Menfchen nicht noch mehr geliebt werden, dann erreicht jene Ber 
bindung die vollfommenfte Kindſchaft. Diefe ift dann die Vollendung, 
die jede mögliche Kindſchaft in fich begreift, durch welche alle Kinder die 
höchſte Glüdjeligkeit und Vollfommenheit erlangen. In dem oberften 
Sohne ift die Kindihaft wie die Kunft in dem Künftler, wie das Licht 
In der Sonne, in allen Undern nur wie die Kunft in den Schülern oder 


195 


dad Licht in den Sternen. (Diefer Oberfte in der Kindfchaft ift ber 
Sohn Gottes, Jeſus Ehriftus.) 


19. 

Jeſus ift die Vereinigung (unio) Gottes und des Menfden. 

Ich fage dir unausfprehliden Danf, Gott, Leben und Licht meiner 
Seele! denn ich erfenne jegt den Glauben, den dur Belehrung (revela- 
tione) der Apoftel die fatholifche Kirche feithält, nämlih daß du, liebender 
Gott! aus dir den liebenswürdigen Gott erzeugt und daß du, gezeugter 
liebenswürdiger Gott! der abjolute Vermittler biſt. Denn durch dic ift 
Alles, was ift und fein kann; du, liebender Gott! fafleft (complicas) 
Alles in dir, dem liebenswürdigen Gott. Alles, was du, o Gott! 
willſt oder denfft, ift in dir, dem liebenswürdigen Gott, enthalten (com- 
plicatum). Es fann nichts fein, außer du wolleft, daß es ſei. Es hat 
aljo Alles im deinem liebenswürdigen Gedanken die Urfahe, den Grund 
des Seins; es gibt feinen andern Grund aller Dinge, außer dein Wohl- 
gefallen, und nichts gefällt dem Liebenden ald das Liebenswürdige. So - 
bit alfo du, liebenswürdiger Gott! der Sohn Gottes des liebenden 
Vaters, denn auf dir ruht das ganze Wohlgefallen des Vaters (in te 
enim est omnis complacentia patris). So ift alles erihaffbare Sein in 
dir, dem liebenswürdigen Gott, enthalten. Da demnad aus dir, dem 
liebenden Gott, der liebendwürbdige Gott ft, wie der Sohn aus dem 
Vater, fo bift du dadurch, daß du, der liebende Gott, Vater des liebends 
würdigen Gotted des Sohnes bift, der Vater von Allem, was if. Denn 
dein Gedanfe (conceptus) iſt der Sohn und Alles in ihm, er ift die 
Einigung mit dir und der Gedanfe von dir, woraus fich die Thätigfeit 
und MWirffamfeit erhebt, in der er die Wirklichkeit und Entfaltung von 
Allem if. (Nam conceptus tuus est filius, et omnia in ipso, et unio 
tua et tuus conceptus est actus et operatio exsurgens, in qua est om- 
nium actus et explicatio.) Wie nämlih aus dir, dem liebenden Gott, 
der fiebenswürdige Gott erzeugt wird, welches Erzeugen ein Denken ift 
(quae generatio est conceptio), fo geht aus dir, dem liebenden Gott 
und dem liebendswürbigen Gedanken, der aus dir erzeugt iſt, beine 
Wirffamfeit und der Begriff von dir (actus tuus et tuus conceptus) 
hervor, der ein Band ift (nexus nectens) und ein Gott, der did und 
deinen Gedanken einigt; gleichwie das Lieben den Liebenden und das 
Liebenswürdige in der Liebe einigt, welche Verbindung ein Geift genannt 
wird, denn der Geift ift gleihfam eine Bewegung, die aus dem Bewegen⸗ 
den und Bewegbaren hervorgeht. Sie ift alfo die Entfaltung ded Ges 
dankens des Bewegenden. Es entfaltet fih demnach Alles in dir, Gott, 


heiliger Geiſt! wie Alles in dir gedacht wird, Gott Sohn! Durd deine 
13° 


196 


Erleuchtung ſehe ih nun, daß Alles in dir, dem Sohne Gottes des 
Vaters, ald in feinem Grunde, Begriffe, Urfahe und Urbilve, und der 
Sohn die Vermittlung (medium) von Allem ift, weil er die Bernunft ifl. 
Denn mittelft der Vernunft und Weisheit wirfeft du Alles, Gott Vater! 
Der Geift oder die Bewegung fegt den Gedanken der Vernunft in Wirk 
lichfeit, wie der Kaften ald Gedanfe des Künftlers mittelft der bewegenden 
Kraft der Hände zur Wirklichkeit wird. Sodann jehe ih, mein Gott! 
daß dein Sohn die Vermittlung der Einigung von Allem tft, fo daß 
Alles durch Vermittlung des Sohnes in dir ruht. Ich fehe Jeſum, der 
gepriefen fet, den Menfchenjohn deinem Sohne auf das Höchſte (altis- 
sime) geeint und daß dad Menjchenfind mit dir, Gott Water! nur dur 
Vermittlung deines Sohnes, ded abjoluten Vermittlers, vereint werden 
fonnte. Mer wird nicht auf das Höchſte entzüdt, wenn er diefed auf 
merfjam überdenft? Du, mein Gott! offenbarft mir Armen das Geheim- 
niß, daß ich einjehe, der Menſch könne dich, o Vater! nicht erfennen, 
außer in deinem Sohne, welder erfennbar und der Mittler ift, fo wie 


“- vaß dich erkennen heiße, mit dir vereinigt werden. Es kann alfo der 


Menſch mit dir dur deinen Sohn, der das Mittel der Bereinigung if, 
vereinigt werden. Die menjhlihe Natur, auf das Höchfte mit dir ver 
eint, kann in feinem Menfchen eine innigere Vereinigung mit dir voll 
ziehen. Ohne Vermittlung fann fie mit dir nicht vereinigt werden. 
Sie wird daher dur die gegebene Vermittlung auf das Höchfte vereint, 
fie felbft aber wird nicht die Vermittlung. Wiewohl fie aber felbft nict 
die Vermittlung werden kann, da ohne Vermittlung Feine Vereinigung 
mit dir möglich ift, jo wird fie doch dur eine abfolute Vermittlung der 
geftalt mit dir verbunden, daß zwiſchen ihr und deinem Sohne, der 
diefe abjolute Vermittlung ift, Feine weitere Vermittlung möglich ift; denn 
jonft wäre feine Vermittlung nicht die höchſtmögliche. D guter Jeſul in 
dir ſehe ich die menjchlihe Natur auf das Höcfte mit Gott dem Vater 
vereinigt! Der Menfhenfohn ijt in dir, o Jefus! der du Menfchenfohn 
bift, mit dem Gottesjohn auf das Höchſte vereinigt, und mit Recht heißt 
du daher Sohn Gottes und Sohn des Menfhen. Deine Menfchenfohn- 
haft beruht (subsistit) auf deiner Gottesſohnſchaft, nicht bloß als inbe 
griffen, Sondern wie dad Angezogene an der anziehenden Kraft, die vers 
urjachte Subftanz an der fubftanggebenden (substantiatum in substantiante). 
Eine Trennung (separatio) ded Menſchenſohns von dem Gottesjohne if 
in dir, o Jefus! nicht möglih. Diefe Trennung entfteht daraus, daß 
eine Vereinigung größer fein fonnte; wo dies nicht ift, kann nichts dar 
zwijchen fommen. Größer aber kann es feine Vereinigung geben, als 
wo dad Geeinte in dem Einigenden feine Subfiftenz hat. So ift es in 
Jeſus. Ehre fei dir, Gott! in Ewigkeit! 


197 


20. 


Jefus ift dad Band (copulatio) der göttlihen und menſch— 
lichen Natur. 

Du, o ungefchwächtes Licht! zeigft mir, daß die höchfte Vereinigung, 
in welcher die menſchliche Natur in meinem Jeſus mit deiner göttlichen 
Natur verbunden ift, im Feiner Welle der unendlichen Vereinigung ähn— 
ih if. Denn die Einigung, in welcher Gott der Vater mit Gott dem 
Sohne vereinigt ift, iſt der bi. Geiſt; daher ift fie eine unendliche Bers 
einigung, fie reicht in die abfolute und wejenhafte Identität hinein (per- 
tingit in identitatem ete.). Nicht das Gleiche gilt von der Vereini— 
gung der menfchlihen Natur mit der göttlichen. Die menfchlihe Natur 
fann nicht in die weienhafte Vereinigung mit der göttlichen übergehen, fo 
wenig ald das Endliche mit dem Unendlichen unendlich vereinigt werden 
fann, denn ed ginge fonft in die Identität mit dem Unendlichen über 
und hörete auf, endlich zu fein. Daher ift die Vereinigung der menid- 
lichen Natur mit der göttlichen Cin Jeſus) nur eine höchſtmögliche Ans 
ziehung (attractio) der menfchlihen Natur an (ad) die göttliche, fo daß 
die menſchliche Natur ala folche nicht weiter und höher angezogen werden 
fönnte. Es ift alfo die größte Bereinigung, jedoch nicht die abfolut 
größte, wie die göttliche Bereinigung if. So fehe ich denn durch deine 
Güte und Gnade in dir, o Jefus! dem Menfhenfohne, den Sohn 
Gottes und in dem Sohne Gottes den Vater. Ich ſehe in dir, 
dem Menfchenfohne, ven Sohn Gottes, weil du in der Art Menſchenſohn 
bit, daß du zugleich Gottes Sohn bift; in der angezogenen endlichen 
Natur fehe ich die anziehende unendliche, in dem abfoluten Sohne ſehe 
ib den abfoluten Vater; denn der Sohn kann ald Sohn nicht erfannt 
werden, ohne daß nicht auch der Vater erkannt wird. Ich fehe in dir, 
0 Jefus! die göttliche Sohnſchaft (Kindfchaft, filiatio), welhe die Wahr: 
beit aller Sohnſchaft ift, und fehe zugleich die höchſtmögliche menſchliche 
Sohnſchaft als das allerähnlichfte Abbild der abfoluten Sohnſchaft. Gleich— 
wie das Abbild, zwifchen weldhem und dem Urbilde fein vollfommeneres 
Abbild dazwiſchen treten fann, am allernächften in der Wahrheit, deren 
Abbild es iſt, fubfiftirt, fo fehe ich die menſchliche Natur in der gött- 
lien fubfiftiren. In deiner menichlichen Natur fehe ich jomit Alles, was 
ih auch im deiner göttlichen wahrnehme, doch ift dort auf menfchliche 
Reife, was hier die göttliche Wahrheit ſelbſt iſt. Was ih Menfchliches an 
dir, o Jeſus! fehe, iſt eine Aehnlichkeit der göttlichen Natur, die aber 
ohne Medium an das Urbild fo angefchlofien ift, daß fie nicht ähnlicher 
kin fönnte. In der menfchlichen oder vernünftigen Natur ſehe ich den 
verftändigen Menfchengeift mit dem göttlichen Geifte, welcher der abjolute 


198 


Verſtand ift, auf das Innigfte geeint, ebenfo die menſchliche Bernunft 
mit der göttlichen Vernunft; ich fehe Alles in deiner Vernunft, o Jeſus! 
Denn du erfennft Alles, o Jeſus! ald Gott, und dieſes Erfennen ift das 
Sein von Allem. Du erfennft Alles ald Menſch, und diefes Erfenmen 
ift die Aehnlichfeit von Allem. Denn der Menſch erkennt jedes Ding nur 
durch eine Aehnlichkeit: der Stein ift im menschlichen Geifte nicht als in 
feinem Grunde, fondern ald Aehnlichkeit der Species. Es ift alſo im bir, 
o Jeſus! das menfhlihe Erkennen mit dem göttlihen Erkennen geeint, 
wie das vollfommenfte Abbild mit der Wahrheit des Urbildes.... I6 
fehe dich, o guter Jeſus! innerhalb der Mauer des Paradiefed; dem 
dein Geift ift Wahrheit und Abbild zugleih, wie du Gott und Greatur 
zugleich bift, unendlich und endlich zugleih. Es ift unmöglich, dich diesjeite 
(eitra) der Mauer zu fehen, weil du die Vereinigung (copulatio) der 
ſchaffenden göttlihen und der erichaffenen menfhlichen Natur bifl. Das 
ift aber zwifchen deinem Geift und dem eines jeden Men 
fhen der große Unterjchied, daß fein Menſch Alles weiß, was ber 
Menſch wiffen fann, weil feines Menſchen Geift mit dem Urbilde aller 
Dinge fo vereinigt ift, daß diefe Vereinigung nicht inniger und thatfräf- 
tiger (magis in actu) fein könnt. Dein Geift aber erfennt wir 
lich (actu) Alles, was der Menſch erfennen kann, weil in bir 
die menſchliche Natur die vollfommenfte ihrem Urbilde am nächſten it. 
Es überfteigt daher dein menschlicher Geift jeden menfchlichen Geift im der 
Vollfommenheit der Erfenntniß. Alle vernünftigen Geifter find 
weit unter dir; für fie alle bit du, o Jeſus! der Lehrmeifter, das 
Licht und die Vollendung. Durd dich gelangen fie, als durch den Ber 
mittler, zur abfoluten Wahrheit. Du bift der Weg zur Wahrheit 
und zugleih die Wahrheit felbft, das Leben für das Leben 
des Geiſtes und zugleih das Leben felbft, der Wohlgeruch der 
erfreuenden Nahrung und zugleich der erfreuende Genuß jelbft. Darum, 
o füßefter Jeſus! ſei gepriefen in Ewigkeit! 


21. 
Ohne Jeſus gibt es feine Glüdfeligfeit. 

Jeſus, Vollendung des Univerfumd (finis universi), in welchem jede 
Ereatur als im Höchſten der Vollkommenheit ruhet, du bift allen Wellen 
biefer Welt gänzlich unbekannt, weil wir von dir das Entgegengefegte mit 
volliter Wahrheit ausfagen: du bift Schöpfer und Geſchöpf, das Anzies 
hende und das Angezogene, das Endliche und das Unendliche. Died 
als möglich anzunehmen, halten fie für Thorheit. Sie fliehen daher deinen 
Namen, und faffen deim Licht nicht, mit dem du uns erleuchteft. Indem 
fie fih aber für weife halten, bleiben ſie Thoren, unwiſſend und blind in 


199 


Emwigfeit. Würden fie glauben, daß du Ehriftus, Gott und Menſch bift, 
würden fie die Worte des Evangeliums als die eines fo großen Lehrmeiſters 
annehmen und behandeln, fo würden fie auf das Klarfte einfehen, daß 
im Vergleiche zu dem Lichte, das in deinen einfachen Worten verborgen 
it, alles Andere dichte Finfterniß und Unwiffenheit if. Nur gläubigen 
Kindern wird dieſe guadenreiche, Leben jpendende Dffenbarung zu Theil. 
In deinem geheiligten Evangelium, diefer Himmelöfpeife, ift, wie in dem 
Manna, alle Eüßigfeit der Sehnſucht verborgen, die nur von dem mit 
Glauben ed Genießenden verfoftet werden fann. Nur wer ed gläubig 
aufnimmt, erfährt auf das Zuverläßigfte, daß du vom Himmel gefommen 
und der einzige Lehrer der Wahrheit bit. O guter Jeſus! du bift der 
Baum ded Lebens im Paradiefe aller Wonnen; Niemand fann mit dem 
erſehnten Leben gejpeist werden, als nur durch deine Frucht. Du bift, 
o Jefus! Die Speije, die allen Kindern Adams verwehrt ift, welche aus 
dem PBaradiefe vertrieben, von der Erde, auf der fie fih abmühen, ihre 
Rahrung ſuchen. Daher muß Jeder den alten Menſchen, den Hochmuth, 
ausziehen, und den neuen Menfhen der Demuth, der nad dir geitaltet 
iR, anziehen, wenn er innerhalb des Paradiefes der Wonne die Nahrung 
des Lebens verfoften will. Der neue und der alte Adam haben die gleiche 
Natur, aber im alten Adam ift fie thieriih, im dir, dem neuen Adam, 
geiftig, weil geeint mit Gott, welcher Geift ift. Jeder Menſch muß das 
ber, wie durd die ihm und dir gemeinfame Natur, fo auch in Einem 
Geifte mit dir, o Jeſus, vereinigt fein, um fo in feiner Natur, die er 
mit dir gemein hat, zu Gott dem Bater, der im Paradiefe ift, zu ges 
langen. Gott ven Vater und dich feinen Sohn erfennen, heißt im Pas 
radiefe und der ewigen Glorie fein; wer außer dem Paradieſe ift, kann 
diefe Anſchauung nicht haben, da weder Gott der Vater, noch du, Jeſus, 
außer dem Paradiefe zu finden biſt. Es hat alfo Jever die Glüdfeligkfeit 
erlangt, wer mit dir, o Jeſus! wie das Glied mit dem Haupte vereinigt 
it. Niemand kann zum Vater fommen, er fei denn vom Vater gezogen 
(attractus). Der Bater hat durch feinen Sohn deine Menſchheit, o Jeſus, 
angesogen und dur Dich, o Jeſus, zieht nun der Vater alle Menſchen an 
fh... Ohne dich ift es alfo unmöglich, die Glückſeligkeit zu erlangen. Du, 
o Jeſus! bift die Offenbarung des Vaters. Denn der Allen unfichtbare 
Vater ift nur dir feinem Sohne fichtbar, und dur did Demjenigen, ver 
dur dich und deine Offenbarung ihm zu fehen verdienen wird... Kein 
Beier diefer Welt kann die wahre Glückſeligkeit erlangen, wenn er dich 
nicht kennt. Keim Glücklicher fann den Vater fehen, außer mit dir, o 
Jeſus! innerhalb des Paradiefes. Auch von dem Glüdlichen fann das 
Entgegengefeßte, wie von dir, o Zefus! ausgefagt werden, da er mit dir 
in dem vernünftigen, natürlichen und Einen Geifte geeinet ift. Denn es 


200 


ruht jeder glüdlihe Geift in deinem Geifte, wie der Neubelebte in dem 
Belebenden. Es fieht jeder glüdliche Beift den unfichtbaren Gott und ift 
dur dich, o Jeſus! mit dem ungugänglicen und ewigen Gott geeint. 
So wird das Endliche dur Dich mit dem Unendlihen und Nichtzueinens 
den geeint, der Unbegreiflihe wird begriffen in ewigem Genuſſe, der bie 
höchfte nie endende Seligfeit iſt. 

Erbarme dich, o Jeſus! erbarme dich meiner, laß mich dich ent 
hüllt fehen, und meine Seele ift gerettet! 


22. 
Wie Jeſus fieht und wirft. 

Das Auge des Geiftes kann ſich nicht fatt fehen an dir, o Jeſus! 
Du bift die Ergänzung (complementum) jeder geiltigen Schönheit und 
aus diefem Bilde jchließe ich, daß dein Blid, o gepriefener Jeſus! über 
aus wunderbar und ftaunenswerth iſt. Ald du in diefer fihtbaren Welt 
wandelteft, hatteft du fleifchlihe Augen wie wir, mit denen du die Gegen— 
ftände ſcharf und genau unterfchiedeft. Aber noch mehr! Aus der Ge 
ftalt des Antliges und der Augen Derer, die du faheft, fchloßeft du mit 
Wahrheit auf ihre inneren Empfindungen von Zorn, Freude, Trauer. Noch 
ſchärfer erfannteft du aus wenigen Zeichen, was im Geifte eines Menſchen 
verborgen war (denn der Geift denkt nichts, was nicht im Angefichte, be 
fonderd in den Augen fih ausdrüdt, denn es ift der Bote des Herzend). 
Meit richtiger als jeder erfchaffene Geift erfannteft du nad dieſen Zeichen 
das Innere eines Menfchen. Aus einem unbedeutenden Zeichen erfannteft 
du die ganze Geiftesrichtung, wie die Verftändigen aus wenigen Worten 
den ganzen Gedanfengang einer langen Rede, und Gelehrte aus einigen 
Bliden in ein Bud den ganzen Sinn des Schriftfteller8 errathen. Du, 
o Jeſus! übertrafft im diefer ‚Art von Erkennen alle Vollkommenheit, 
Echnelligkeit und Scharffinn aller früheren, jegigen und der zufünftigen 
Menſchen. War auch diefes menfchlibe Erfennen an das leibliche Auge 
gebunden, fo war es doch ftaunenswerth und bewundernswürdig. Denn 
wenn ed Menſchen gibt, die durd langes und mühſames Korjchen den 
Einn eines Echreibenden aus neuerfundenen Echriftzügen und ungefehenen 
Zeichen herausrathen, fo fieheft du, o Jeſus! unter jedem Zeichen und 
jeder Figur — Alles. Wenn man von einzelnen Menfchen liest, welche 
die Gedanken der fie Fragenden, felbft wenn diefelben in Gedanken ein 
Lied fingen, aus einigen Zeihen an den Augen errathen, fo erfenneft du, 
o Jeſus! noch weit befler alle Gedanfen aus jeder Bewegung der Augen. 
Ich Fannte ein taubes Weib, das aus der Bewegung der Lippen ihrer 
Tochter Alles verftand, was diefe fagte. Iſt dies durch lange Gewohn⸗ 
heit möglich, fo gabeſt du, o Jeſus! der du alles zu Wiſſende wirflid 


201 


wußteft, ald der Meifter aller Lehrmeifter aus ganz kleinen und von und 
unbeachteten Winfen und Zeichen über das Innere und feine Gedanfen 
ein ganz richtiged Urtheil. — Mit diefer deiner menſchlich ganz vollkom— 
menen, wiewohl immerhin noch befchränften und an ein Organ gebun- 
denen Erfenniniß war jedoch ein abjoluted und ımendlihes Erkennen 
(visio) verbunden, vermöge deſſen du Alles und Jedes zugleih als Gott 
erfannteft, Abwefendes und Gegenwärtiges, Bergangenheit und Zufunft, 
die Subſtanz der Dinge. Noch nie hat ein im Fleiſche Lebender außer 
dir, o Jeſus! die Subſtanz, die Wefenheit der Dinge gefehen. Du allein 
baft Seele und Geift und Alles im Menfchen auf das Genauefte gejehen. 
Die nämlih das Erkenntnißvermögen des Menfhen mit dem ſinnlichen 
Schvermögen fo vereint ift, daß der Menfch nicht bloß fieht, als Thier, 
iondern auch unterfcheidet und urtbeilt ald Menſch, fo ift das abjolute 
Erkennen in dir, o Jeſus! mit dem menfchliben Erfenntnißvermögen vers 
einige... Wie in dem höhern Erkennen des Menſchen alle nievern Stufen 
des Erfennend, fo find in dem göttlichen Erfennen alle Grade der geiftigen 
Grfenntniß inbegriffen. So erfenne ih in Dir, o Jeſus! alle Vollkom— 
menbeit: die Vernunft ift dem Berftande oder dem discurſiven Erfennen, 
welches das Dberfte in der Sinnenerkenutniß ift, übergeorbnet;z mit der 
Vernunft in ihrer höchſten Stufe ift das göttliche Wort vereint. Dieſes 
ort Gottes erleuchtet die Vernunft, wie das Sonnenlicht die Welt, es 
erleuchtet jeden Geiſt. Du bift alfo allein der Höcfte unter allen Crea— 
turen: Geſchöpf und Schöpfer, der gepriefen fei! 


23. 
Aſus ift getorben, jedod ohne Auflöfung der Vereinigung 
mit dem Leben. 

D Jefus, föftlihe Nahrung des Geiftes, du erfcheinft mir bewun— 
verndwerth, jo oft ich dich innerhalb der Mauer des Paradiefed betrachte. 
denn du bift das menfchgewordene Wort Gotted und der gottgewordene 
Nenſch (verbum enim Dei es humanatum et homo es deificatus). 
Du bift jedoch feine Zufammenfegung aus Gott und dem Menſchen. Bei 
Zuſammengeſetztem ift eine Proportion nothwendig, aber das Enbliche 
fcht in feiner Proportion zu dem Unendlihen. Du bift auch nicht die 
Coincidenz des Schöpfers mit dem Geſchöpfe in der Weife, wie die Coin— 
üben bewirkt, daß eines zugleich ein Anderes if. Denn die menfchliche 
Ratır iſt micht die göttliche umd umgekehrt. Denn die göttlihe Natur 
it nicht veränderlich, geht nicht über in etwas Andered. Man kann dic, 
° Jehust auch nicht eine zwifchen der göttlichen und menfclichen in der 
Mitte ſtehende Natur nennen, die an jeder derſelben participirte, denn die 
Hltlihe participirt nicht. Du, o Jefus! wäreft dann weder Gott noch 


202 


Menſch. Ich erkenne dich, o Herr Jefus! über allen Verſtand als die 
Eine Hypoftaje (video te — unum suppositum), weil du der Eine 
Chriſtus bift, wie ih auch fehe, daß deine Eine menſchliche Seele, in 
welcher eine zerſtörliche ſinnliche Natur enthalten ift, in der geiftigen un- 
zerftörliden Natur ihre Subfiftenz babe (subsistere). Deine Seele war 
nicht zufammengefegt aus Zerftörlichem und Unzerſtörlichem, auch coincidirt 
das Einnlidhe nicht mit dem Geiftigen, wohl aber ſehe ich die geiftige 
Seele mit dem Körper durch die finnliche Kraft, welche den Körper br 
lebt, vereinigt (video autem animam intelleetualem uniri corpori per 
virtutem sensibilem, vivificantem corpus). Würde nun das geiftige 
Princip (anima intellectiva) die Belebung des Körpers unterlafjen, ohne 
daß fie jedoch vom Körper ſich trennte, fo wäre der Menſch todt, weil 
das Leben fehlte (quia vita cessaret). Gleihwohl wäre der Körper 
nicht vom Leben getrennt, da der Geift fein Leben if. Wenn Jemand 
mittelft des Geſichts aufmerkſam einen Herankommenden unterjcheiden 
will und feine Aufmerfiamkeit, indem er plöglid von andern Gedanfen 
ganz in Anfprud genommen ift, aufhört, während das Auge immer noch 
auf den Heranfommenden gerichtet ift, fo wird das Auge micht won ber 
Seele, wohl aber von der unterfcheidenden Aufmerkfamfeit der Seele gu 
trennt. Würde mit jener Zerftreutheit nicht bloß die unterfcheidende (dis- 
eretiva), fondern auch die finnliche (sensitiva vivificatio) Belcbungsfraft 
des Auges aufhören, jo wäre das Auge todt, weil ed nicht belebt würde. 
Gleichwohl wäre es nicht von dem geiftigen Principe (a forma intellectiva) 
getrennt, welches das Sein gibt, wie eine verdorrte Hand mit dem Principe 
(formae), das den ganzen Körper zulammenhält, auf diefe Weiſe vereinigt 
bleibt. Es gibt Menſchen, die den lebenden Geift zurüdziehen fünnen und 
todt und empfindungslos zu fein fcheinen, wie der bi. Auguftin angibt. In 
diefem Falle bleibt die geiftige Natur mit dem Körper vereinigt, der 
Körper behält fein lebendes Princip, allein dieſes breitet ſich in Wirk 
lichfeit nicht in den Körper aus. Ich fehe, daß ein folder Menſch wahr 
haft topt ift, weil ihm das Belebende fehlt (der Tod ift der Mangel des 
lebengebenden Princips), und doch wäre diejer todte Körper nicht von feinem 
Leben, das feine Seele ift, getrennt. Auf diefe. Weile ſehe ich das ab- 
folute Leben, welches Gott ift, mit deinem menfchlichen Geifte, o gütigfter 
Jeſus! und durd diefen mit deinem Körper ungertrennlich vereinigt. Denn 
diefe Vereinigung ift die größtmöglihe und eine trennbare Vereinigung 
fteht weit unter ihr. Es kann alfo und wird nie wahr fein, daß bie 
göttlihe Natur von deiner menſchlichen getrennt war, fomit aud nicht 
von der Seele und dem Körper, ohne welche die menſchliche Natur nict 
denkbar if. So wahr es ift, daß deine Seele aufgehört hat, dem Körper 
zu beleben und du wahrhaftig in den Tod gegangen bift, fo gewiß if 


203 


es, daß dein Körper nie von der Wahrheit ded Lebens getrennt wurde 
(quamvis verissimum sit, animam tuam desiisse corpus vivificare et 
te veraciter mortem subiisse et tamen nunquam a veritate vitae se- 
paratum). Wenn jener Priefter, den Auguftin erwähnt, was immer für 
eine Gewalt hatte, die Belebung aus dem Körper hinwegzunehmen, in— 
dem er fie in die Seele zurückzog, wie wenn eine bremmende Kerze in 
einem Zimmer lebend gedacht würde und die Strahlen ind Centrum ihres 
Lihted zurüczöge d. h. nicht mehr ausftrömen ließe, ohne jedoch aus dem 
Zimmer entfernt zu werden; was Wunder, wenn du, o Jeſus! die Ges 
walt hattet, da du das lebendige und freiefte Licht bift, die belebende 
Seele zu geben und zu nehmen (vivificantem animam ponendi et tol- 
lendi)? Als du fie weggeben wollteft, erlitteft du den Tod, 
ald du fie wieder nehmen wollteft, bift du durd eigene Kraft 
auferftanden. Man fagt nämlich, vie Seele werde weggegeben, wenn 
der menſchliche Geift aufhört, zu beleben. Gibt er dieſe Verrichtung auf 
und trennt er fich infofern (quoad hoc) vom Körper, jo ift er deßhalb 
no micht ſchlechthin vom Körper getrennt. 

Solches gibft du mir ein, o Jefus! um mir, dem Unmwürbdigften, jos 
weit ih ed faflen fann, zu zeigen, daß in dir die fterbliche menjchliche 
Natur die Unfterblichkeit angezogen habe, auf daß alle Menſchen von 
gleider menfchliber Natur in dir Unfterblichfeit und göttliches Leben er- 
langen fünnen. Was ift füßer, was erfreulicher, ald die Ueberzeugung, 
daß wir in dir, o Jeſus! Alles in unfrer Natur finden, der du allein 
Alles kannſt, auf das Freigebigfte mittheilft und nichts und vorwirfſt (et 
oil improperas). O unausiprechlice Liebe und Erbarmen! du, o Gott! 
die Güte ſelbſt, konnteſt deiner unbegrenzten Liebe und Güte nicht ges 
nügen, bis du dich felbft uns gabeft. Dies konnte nicht für dich paſſen— 
der, für und zur Aufnahme leichter gefchehen, als indem du unfere Natur 
annahmft, da wir zu deiner Natur nicht gelangen fonnten. So famft 
du zu und und dein Name ift Jefus, der in Ewigkeit gepriefene Heiland. 


24. 
Wie Zefus das Wort des Lebens iſt. 

Ich betrachte durch deine große und liebevolle Gnade did, o mein 
Reſus! wie du das Wort des Lebens verfündigft und den göttliben Samen 
reihlih in die Herzen der Zuhörer ausftreuft; ich ſehe, daß nur Diejeni- 
gen dich verlaffen, welche nicht verftehben, was des Geiſtes ift. Bleiben 
ſehe ich diejenigen Jünger, welde die Süßigfeit deiner das Innere ber 
lebenden Lehre ſchon zu verfoften angefangen haben. In ihrer aller Namen 
hat der Fürft und oberfte aller Apoftel, Petrus, das Befenntniß abge— 
kat: du Haft Worte des Lebens, und er wunderte fi, daß Die, welche 


204 


bad Leben zu erlangen fuchen, von dir weggehen. Paulus vernahm von 
dir, o Jefus! in der Entzückung Worte des Lebens, und von da an ver 
mochte nicht Verfolgung, nicht Schwert und Hunger ihn von dir zu trennen. 
Niemand hat je dich verlaffen, der die Worte ded Lebens verfoftet hat. 
Wer fann einen Bären vom Honig hinwegbringen, wenn biefer einmal 
die Süßigkeit verfoftet hat? Wie groß ift die Süßigfeit der Wahrkeit, 
die das freudigfte Leben gewährt, weit über alle körperliche Freude? Was 
ift ftärfer, ala die Liebe, aus der alles Liebenswürdige ftammt? Wenn 
das Band der irdiſchen Liebe bisweilen fo ftarf ift, daß felbft die Furdt 
vor dem Tode es nicht zerreißen kann, wie feft muß dann das Band jener 
Liebe fein, aus der alle Liebe ftammt! Es befremdet mich nit, daf 
andere deiner Streiter, o Jeſus! die graufamften Strafen für nichts ges 
achtet haben, nachdem du dich ihnen ald Nahrung des Lebens Hingegeben 
haft. O Jeſus, meine Liebe! du haft ven Samen des Lebens auf den 
Ader der Gläubigen ausgeſäet und mit dem Zeugniß deines Bluted des 
goſſen; durch den leiblichen Tod haft du gezeigt, die Wahrheit fei das 
Leben des vernünftigen Geiftes. Der Same wuchs in gutem Erdreich 
und gab reihe Frucht .... Weil der vernünftige Geift nicht durch den Ein 
fluß des Himmeld (der Himmeldbewegung) bedingt wird (necessitatur), 
jondern ganz frei ift, jo gelangt er, wenn er fich nicht dem Einflufje dee 
Wortes Gotted unterwirft, nicht zur Vollendung, wie ein freier Schüler, 
der fein eigener Herr ift, wenn er ſich nicht dem Worte des Lehrers im 
Hlauben unterwirft, nicht zur Vollfommenheit gelangt; er muß dem Lehrer 
glauben und ihn hören. Durch das Wort Gottes vervollkommnet fih der 
Geift, wächst und wird beftändig fähiger und dem Worte ähnlicher. Diele 
Bervollfommnung, welde aus dem Worte fommt, aus dem aud dad 
Sein hervorgeht, ift nicht eine vergängliche, fondern eine gottähnlice Ber 
vollfommnung,, wie die Vollendung ded Goldes nicht eine vergänglide, 
fondern eine bimmelsähnlihe (coelestiformis) (aus dem Einfluſſe des 
Sonnenlibts) ift. Jeder Geift muß im Glauben fih dem Worte 
Gottes unterwerfen, mit der größten Aufmerfjamfeit die innere (internam) 
Lehre des höchften Lehrmeiſters anhören, und hörend, was der Herr durd 
das Wort zu ihm redet, wird er vollfommen werden. Daher haft du, 
o einziger Xehrmeifter Jeſus! verfündet, der Glaube fei Jedem, der zum 
Duell des Lebens gelangen wolle, nothwendig, nad dem Grade des Glan 
bens richte fich die Einwirfung der göttlichen Gnade. Nur zwei Erüde 
haft du gelehrt, Erlöfer! Glaube und Liebe. Durch den Glauben g% 
langt der Chrift zum Worte, dur die Liebe wird er mit ihm vereint; ie 
mehr er fih naht, defto mehr wächst feine Kraft, und je mehr er lebt 
defto mehr gründet er fich im Lichte ded Worted (duo tantum docaisti, 
Christe salvator, fidem et dilectionem. Per fidem accedit intellectus 


205 


ad verbum, per dilectionem unitur ei. Quantum accedit, tantum in 
virtute augetur, et quantum diligit, tantum figitur in luce ejus). Das 
Wort Gottes ift innerlih; man darf ed nicht außer fih fuchen, denn 
innerlich wirft du es finden und im Glauben dih ihm nahen. Ihm nahe 
zu fommen, fannft du durch Gebet erlangen, denn das Wort wird durd) 
Mittheilung feines Lichte den Glauben erhöhen. 

Ih danke dir, o Jeſus! daß ich durch deine Erleuchtung bis daher 
gelangt bin. Im deinem Lichte erfenne ich das Licht meines Lebens: du, 
dad Wort, gibft allen Glaubenden das Leben und vollendeft Alle, die da 
lieben. Gibt es eine fürzere und wirffamere Lehre ald diefe, o guter 
Jeſus? du wilt nur Glauben und gebieteft nur Liebe. Was ift 
leihter, ald Gott glauben (credere Deo)? Was ift ſüßer, als ihn lieben? 
Wie füß ift dein Zoch, wie leicht deine Bürde, einziger Lehrer! Wer deine 
Lehte beobachtet, dem verfprichit du alled Erjehnte, du verlangt nichts, 
was dem Glauben ſchwer, nichts, was der Liebe zu verweigern wire, 
Das find die Verheißungen an deine Jünger, fie find wahr, weil du die 
Wahrheit bift, die nur Wahres verſprechen kann. Ja, dich felbft ver: 
Iprihft du, der du die Volllommenheit eines jeden der Vollftommenheit 
Faͤhigen bift. Lob, Ehre und Dank fei dir in alle Ewigkeit! 


25. 
Jeſus iſt die Vollendung (consummatio). 


Was iſt es, o Herr! was du dem Geiſte des Menſchen, den du zur 
Volllommenheit führft, einſenkſt? If es nicht dein guter Geiſt, ver 
ganz Wirkſamkeit ift, die Tugend aller Tugenden, die Vollkommenheit 
der Bollfommenen? Er ift ed, der Alles bewirket. Wie die Kraft des 
Sonnenlihts in die Vegetation herabfteigt und diefelbe zur Vollkom— 
menheit bringt, jo daß durch ein ganz zuträgliches Auskochen der himm— 
lihen Wärme mittelft eined guten Baumes eine gute Frucht hervor. 
Iommt, fo kommt dein Geift, v Gott! in den Geift eines guten Menfcen 
und dringt dur die Wärme der göttliben Liebe die Anlage zur Tugend 
zum Ausfochen und zur Vollfommenheit, fo daß eine lieblihe Frucht ent 
ſteht. Die Erfahrung zeigt, daß dieſer einfache, im feiner Kraft unend» 
lihe Geift auf vielfache Weife aufgenommen werde. Bei dem Einen be- 
wirft er die Gabe der Weiffagung, bei dem Andern die der Auslegung, 
bei dem Andern die der Wiffenfchaft u. j. f. Seine verfhievenen Gaben 
find geiftige Vollkommenheiten, wie diefelde Sonnenwärme in verſchiedenen 
Bäumen verſchiedene Früchte zur Reife bringt. Ich ſehe, o Herr! daß 
dein Geift feinem Geifte fehlen fünne, denn er ift der Geift der Geifter, 
die Bewegung aller Bewegungen, er erfüllt den Erdfreis. Er ordnet 
Ass, was feinen vernünftigen Geiſt hat, durch die geiftige Natur (per 


206 


intellectualem naturam), die den Himmel bewegt, und durch ihre Be- 
wegung Alles leitet, was ihr untergeordnet if. Die Dispofitionen aber 
in der geiftigen Natur bat der Geift Gottes fich felbft ausfchließlich vors 
behalten, denn er hat ſich mit diefer Natur vermählt, er hat fie auber— 
wählt, in ihr zu ruhen, als in feiner bleibenden Wohnung und dem Him— 
mel der Wahrheit; denn nirgends, außer in der geiftigen Natur fann die 
Wahrheit an fich erfaßt werden. Du, o Herr! der du Alles um deiner 
ſelbſt willen wirfft, haft diefe ganze Welt um der geiftigen Natur willen 
erſchaffen, wie ein Maler, der verfchiedene Karben mifcht, um zuletzt ſich 
felbft zu malen und ein Bild von ſich zu haben, an dem er Gefallen finde, 
in dem feine Kunft zur Ruhe fomme und er felbft, da er nicht zu ver 
vielfältigen ift, wenigftend in entiprechendem Abbilde vervielfältigt werde. 
Gr macht viele Bilder, weil das Abbild feiner unendlichen Fähigkeit nur 
in der Vielheit vollfommener fi ausprägen kann. So find aud alle 
vernünftigen Geifter jedem Geifte dienftbar (opportuni). Wären 
fie nit unzählbar, fo Fönnteft du, unendlider Gott, nidt 
auf eine befjere Weife erfannt werden. Jeder vernünftige Geift 
fieht in dir, o mein Gott! etwas, was durch die Mittheilung an Andere 
bewirft, daß fie dich, ihren Gott, auf noch beffere Weife erkennen. Die 
liebevollen Geifter offenbaren ſich gegenfeitig ihre Geheimniſſe; dadurd 
fteigert fi die Erfenntniß des Geliebten, und die Sehnfucht nad ihm, 
die Süßigfeit der Freude durdwärmt dad Herz (revelant igitur sibi 
mutuo secreta sua amoris pleni spiritus et augetur ex hoc cognitio amati 
et desiderium ad ipsum et gaudii dulcedo inardeseit). Indeß ohne 
deinen Sohn Jefus, den du vor feinen Genoffen gefalbt haft, welder 
Ehriftus ift, fehlte deinem Werfe, o Herr und Gott! die Ergänzung, dem 
in feinem Geifte ruht die Vollendung der erfhaffbaren Natur: er ift die 
höchfte, vollfommenfte, unvermehrbare Aehnlichfeit Gottes, und eine folde 
fann ed nur Eine geben. Alle andern Geifter find durch feine Vermittlung 
Achnlichkeiten. Alle ruhen in ihm als in der höchſten Vollkommenheit 
des Bildes Gottes, in verfchiedener Abftufung. Durch deine Gnade, o mein 
Gott! (dono tuo) habe ich alfo dieſe ganze fichtbare Welt, die gan 
Schrift und alle dienenden Geifter zu meiner Hilfe; zum Wachsthum in 
deiner Erkenntniß, zur Hinfehr zu Dir treibt mic Alles an. Ale Schrift 
will nur dich zeigen, alle vernünftigen Geifter haben fein anderes Streben 
als dich zu fuchen, und was fie von dir gefunden haben, mitzutheilen. 
Mehr als diefes haft du mir in Jeſus, dem Lehrmeifter, ven Weg, die 
Wahrheit und das Leben gegeben, damit mir durchaus nichts fehle. Du 
ärkft mich durch deinen Geift, du gibft mir durch ihm die Berufswahl 
und heiliges Verlangen ein. Durd den Vorgeſchmack der Süßigkelt der 
himmlifhen Glorie treibft du mich an, daß ich dich, den guten Gott, un⸗ 


207 


enblich liebe. Du führft mich in die Entzückung, daß ich über mich jelbft 
binausfomme und in der Glorie den Drt zum voraus fehe, zu welchem 
du mich einladeſt. Viele ſchmackhafte Genüffe, die mich durd ihren Wohl: 
geruch feſſeln, zeigt du mir; einen Schag von Reihthum, Leben, Freude, 
Schönheit läßt du mich fchauen. Die Quelle, aus der alles Erjehnte 
in Natur und Kunft fließet, dedft du mir auf. Nichts bleibt mir Ge— 
heimniß. Die Ader der Liebe, des Frievdend und der Ruhe verbirgft du 
mir nicht. Alles bieteft du mir Armen an, den du aus Nichts erjchaffen 
haſt. Was zögere ich alſo? warum eile ich nicht, mit Wohlgerüchen ges 
jalbt von meinem Chriftus, warum eile ich nicht in die Freude meines 
Harn? Mas hält mich zurüd? Hemmte mich bisher die Unfenntniß 
deiner, o Herr! und die citle Weltfreude, fo ſoll fie mich fortan nicht mehr 
hemmen. Ich will, o Herr! weil du mir die Kraft, es zu wollen, gibft, 
die Dinge diefer Welt verlaflen, weil auch die Welt mich verlaffen will, 
Ih eile zum Ziele, ich habe die Laufbahn beinahe vollendet; ich fomme 
der Welt mit dem Lebewohl zuvor, und ſchmachte nach der Krone. Ziehe 
mich zu dir, o Herr! Niemand fann zu dir gelangen, außer von dir ges 
zogen. Gezogen von dir löje ich mich los von diefer Welt und vereinige 
mich mit dir, dem abfoluten Gott, in der Glorie des ewigen Lebens. Amen, 


Gefpräch über das Seinkönnen. 
(De Possest.) 
Die Sprechenden find: Bernhard, Johann, der Cardinal. 


Bernhard. Da wir die längit erfehnte Gelegenheit haben, den Car: 
dinal zu fprechen, und es ihm nicht läftig fällt, einen längft erwogenen 
Gedanken mitzutheilen, fo bringe Du, mein Abt Johannes! um ihn ans 
regen, Etwas aus feiner Philofophie zur Sprade. So angeregt wird 
er und ohne Zweifel willfommenen Aufihluß geben. Johannes. Mid 
bat er ſchon oft gehört; wenn Du die Anregung gibft, wird er ſchneller 
migegenfommen, da er Dich gerne fieht und lieb bat. Ich werde dabei 
nicht fehlen. Treten wir näher zum euer (Kamin)! Sieh ihn dort 
auf feinem Sige, bereit, Deinen Wünfchen zu entfprehen. Eardinal. 
Iretet näher! die ungewöhnlihe Kälte fefjelt uns und entſchuldigt es, 
wenn wir und am Kamine zulammenfehen. Bernhard. Da die Zeit 
drängt, gehorchen wir Deinem Befehle. Cardinal. Ihr habt vielleicht 
einen Zweifel, da ihr fo nachdenklich feid. Machet mih zum Genoffen 
eurer Studien! Johannes. Wir haben allerdings Zweifel, welde 
Dir Bernhard vorlegen wird. Gardinal. Gut. Bernhard. Ih 
hieß auf den Brief des Apoftel Paulus an die Römer und las dort, 


208 


daß Gott den Menfhen Das offenbart, was ihnen von ihm befannt ift, 
Dies geichehe in der Weiſe, daß das Unfichtbare von ihm durd Er- 
ihaffung der Welt erfannt werde, feine ewige Macht und Gottheit, 
Darüber wünſchen wir von Dir eine Aufhellung zur erhalten. Cardinal. 
Wer kann den Sinn des Paulus beffer geben ald Paulus ? Das Unfichtbare, 
jagt er anderdwo, ift das Ewige, die zeitliben Dinge find Abbilver des 
Ewigen. Wenn aljo das, was erihaffen ift, erfannt wird, jo wird dad 
Unfihtbare an Gott erfannt: feine Ewigfeit, Kraft und Gottheit. So 
ift die Erfhaffung der Welt eine Offenbarung Gottes. Bernhard. 
Wir ftaunen beide darüber, daß das Unfichtbare gefchaut werden fan. 
Gardinal. Es wird unfihtbar geibaut. Bernhard. Wie wir 
dieſes Schauen aus der unfictbaren Welt entwidet? Cardinal. 
Ich weiß, daß, was ih mit den Augen fehe, nicht aus ſich felbit ik; 
es muß von einer höhern Kraft, umd diefe muß ewig, aus fid jelbit 
fein. Bernhard. Der Apoftel fcheint aber doch noch einen tiefen 
Sinn mit feinen Worten zu verbinden, zu einer fruchtbarern Erkenntniß 
Sotted. Das eröffne und! Gardinal, Da jedes Griftirende dad 
fein fann, was es wirklich ift, fo erfennen wir die abfolute Actualität 
ald diejenige, durch welche die wirflihen Dinge das find, was fie find; wie 
wenn unfer Auge etwas Weißes ficht, wir das Weißfein geiftig ſchauen, 
ohne welches das Meiße nicht weiß ift. Da nun die Actualität wirflid 
ift, fo fann fie auch fein, weil dad Nichtfeinfönnende auch nicht if. 
Das abfolute Seinfönnen kann nidts anderes fein, als das 
Können und die abfolute Actualität nichts anderes ald das Wirkliche. 
Das abjolute Seinfönnen fann auch nicht vor der Wirklichkeit fein, wie wir 
jagen, die Möglichkeit gehe ver Wirklichkeit voran. Denn wie wäre fie 
zur Mirklichfeit geworden, außer durd die Wirklichkeit? Denn wenn 
das Merdenfönnen ſich jelbft in Wirklichkeit fegte, fo wäre es wirflid, 
bevor es wirflib iſt. Es geht daher die abjolute Möglichkeit, durd 
welche das, was wirklich iſt, wirklich jein fann, der Wirklichkeit nicht voran, 
noch folgt fie ihr nad, denn wie fünnte die Wirklichkeit fein, wenn die 
Möglichkeit nicht wäre? Es find alfo gleih ewig die abjolutt 
Möglichkeit, Wirklichkeit und die Berbindung Beider. & 
gibt aber nicht mehrere Ewige, fondern fie find fo ewig, daß fie die 
Ewigkeit felbft find. Leuchtet dies Euch ein? Bernhard. Allerdinge. 
Gardinal. So gehe ih weiter meinem Ziele zu. Ich nenne dieſe 
Ewigfeit den glorreihen Gott und fage: wir fennen nun Gott vor der 
Mirflichfeit, ſoferne dieſe von der Möglichkeit unterfchieden ift, und ver 
der Möglichkeit, unterfhieden von der Wirklichkeit, als das einfache Priw 
cip der Melt. Alles, was nach ibm ift, eriftirt im Unterſchiede der 
Möglichkeit und Wirklichkeit; fo daß Gott allein das ift, wat 


209 


fein fann, keineswegs aber die Greatur, da Möglichkeit und Wirklich, 
feit nicht im ihr, fondern nur in ihrem Brincipe Eins find ). Berns 
bard. Halte ein wenig ein, Vater! und löfe mir einen Zweifel. Kann 
man nicht auch von Sonne, Mond und jedem Dinge jagen, daß es das 
if, was ed fein fann? Cardinal. Ich rede in abfoluten und gene- 
rellften Ausprüden, wie wenn ich fagte: da Möglichfeit und Wirklich» 
feit in Gott Eins find, fo it Gott alles das wirflid, von 
weldem das Seinfönnen audgejagt werden fann, denn 
nichts kann fein, was nicht Gott ift. Nicht fo ift es bei der Sonne, 
obwohl fie wirklich ift, was fie fein kann, fo fann fie doch andere fein, 
ald fie wirklich iſt. Sie kann nicht überall fein, fie könnte größer oder 
Heiner fein 2. Bernhard. Fahre weiter, Vater! denn es ift Mar, 
daß feine Creatur wirklich alles Das ift, was fein kann; da Gottes 
Schöpferfraft durch die Schöpfung nicht erfchöpft ift, daß er nicht aus einem 
Steine einen Menſchen erfchaffen, jede Qualität vermehren oder vermins 
dern, jede Greatur in eine andere und wieder andere verwandeln Fönnte. 
Gardinal. Richtig. Da alfo Gott alles Mögliche wirklich ift, fo ift 
ercomplicite Alles. Alles, was irgendwie ift, oder fein kann, ift 
in ihm als dem Principe enthalten, alles Erihaffene oder noch zu Ers 
ſchaffende wird aus ihm entfaltet. Subftangen, Qualitäten x. 
ind in Gott Gott, wie fie entfaltet als Ereatur Welt 
find. Johann. So ift denn Gott groß. Cardinal. Allerdings, 
und zwar jo groß, daß er die abjolute Größe ift, die weder größer 
noch fleiner jein fann, fomit die abfolute Gleichheit des 
Seins Eben fo ift er die abfolute Schönheit, Güte, Be 
wegung x. Gott iſt aber in der Weile Alles in Allem, daß 
er niht Eines mehr ift als dad Andere, weil er nicht fo Eines 
it, daß er nicht zugleich ein Anderes wäre. Johann. Siehe 
w, daß Du Dir nicht widerfprihft, wenn Du fagteft, Gott ſei Alles 
und zugleich, er fei nicht die Sonne. Cardinal. Ich fage, Gott fei 
die Sonne, aber nicht in der Seinsweiſe, wie diefe Sonne ift; das 
Sonnefein fehlt ihm nicht, aber er ift es in ver vollfommenften, der 
göttlihen Weiſe. So hat die Hand ihr volllommenered Sein in der 
Seele, ald in der Hand, weil in der Seele Leben ift, während die Hand 
für ſich todt iſtz wiewohl ih damit nicht fagen will, daß Gott die 
Beltfeele if. Am treffendften fann daher Gott mit Einem Worte: 





1) Ita ut solus Deus id sit quod esse potest, nequaquam autem quaecungue 
ereatura, cum potentia et actus non sint idem, nisi in principio. Um ben Unterfchied 
wiſchen dem göttlichen und creatürlichen Sinn nach Gufa feftzuhalten, müſſen wir über: 
ſehen: Gott ift alles das, was fein Fann, nicht: was er fein kann; während der Sag: 
sol est actu, quod esse potest zu überfeßen ifl : die Sonne iſt wirklich, was fie fein fann. 

Sharpff, Nic. v. Gufa, 14 


210 


Possest, dad Können und Sein benannt werden. Als daher Gott 
im Anfang die Kenntniß feiner felbft offenbaren wollte, ſprach er: ic 
bin der Alles Könnende (omnipotens) Gott, d. h. ich bin die Wirk 
lichfeit aller Möglichkeit. Dieſer Name führt die Speculation über alle 
Sinmens, Verſtandes⸗ und Vernunfterkenntniß zur myſtiſchen Anſchau— 
ung, wo das Ende aller aufſteigenden Erkenntniß und der Anfang der 
Offenbarung des unbekannten Gottes iſt. Der Geiſt hofft auf dieſer 
Stufe in demüthigſtem Verlangen von Gott erleuchtet zu werden, um ihn, 
den Unſichtbaren, ſo weit zu ſehen, als er ſich ihm offenbaret. So ver— 
ſtehe ich das beſprochene Wort des Apofteld.... Bernhard. Wir wün— 
ſchen nun nod eine Veranſchaulichung, befonderd wie das Ewige Alles 
zugleich und das ewige Jetzt it. Cardinal. 
Sch will es verjuhen. Denkt man fi den 
Kreis bc in der möglichft fchnellen Bene 
gung um a, fo würde er dem feften Kreile 
de an Ruhe gleich fommen. Die entgegen 
gefegten Punkte b, c wären immer bei d und 
zugleich immer bei e; eben fo alle zwiſchen b 
und c liegenden Punkte. Der ganze Kreis, 
‚wie groß er aud fein möchte, wäre alſo in 
jedem Augenblicke bei dem Punkte d und bei jedem Punkte des Kreifes de. 
Bezeichnet nun der Kreid bc die Ewigfeit, de die Zeit, fo ift far, daß 
ed fein Widerſpruch ift, daß die Ewigfeit zugleich ganz in jedem 
Zeitpunfte ift und Gott ganz in Allem und alle Zeitdiftangen in Gott 
lautere Gegenwart find (denn wenn im beweglichen Kreife b zu d kommt, jo 
ift e8 zugleich bei e). Ahr könnt nun auch die Theologen in Einklang 
bringen, wenn die Einen fagen, die Weisheit, welche Gott ift, ſei be 
weglicher ald Alles, fie durchdringe Alles, während die Andern behaup 
ten, dad Grundprineip fei feit, unbeweglih, in beftändiger Ruhe, wenn 
ed gleich Allem Bervegung verleihe.. . . . Aus dem Gefagten fehet Ihr 
auch, daß aud das Nichtfein, da es durch den Allmächtigen fein Fann, 
in. der umendlihen Möglichkeit, im Possest enthalten if. Nichtſein 
ift in Gott — Alles fein. Eben darum ift Gott die abjolute 
Nothwenpdigfeit, weiler nicht — nit fein fann. Bern— 
hard. Weil die Welt erfhaffen werden fonnte, jo war auch immer die 
Möglichkeit ihres Eeind. Dies ift aber in den finnlichen Dingen die 
Materie. Die Materie ift alfo ewig. Johann. Dein Be 
weiß geht nicht richtig voran. Denn die unerfhaffene Möglich— 
feit ift das Können und Sein (Possest). Diefes ift der einzige 
Grund alles Seins. Bedurfte das abfolute Können der Materie, ſo 
wäre ed nicht das Können und Sein feld. Denn daß der Menſch zu 


d 


e 


211 


feinem Machenkönnen der Materie bedarf, rührt daher, weil er nicht das 
Können und Eein ift, in weldem Machen und Werden das Können 
jelbft if. Gardinal. Der Abt bat Redt. Johann. Kein Ber 
Rand faßt die abfolute Möglichkeit, nur fie jelbft begreift fih und in fi 
Ale. Cardinal. Wenn fie nicht das SKönnengefehenwerden in 
Wirklichkeit ſetzt durch Dffenbarung ihrer felbft, fo wird fie nicht gefehen. 
Es gibt aber einen Dffenbarenden, es ift Jeſus Ehriftus. Er zeigt 
in ih den Vater, und wer es verdient, ihn, den Sohn, zu fehen, ſieht 
auh den Bater. Johann. Du willft vielleicht jagen, denen werde der 
Bater gezeigt, in welchen Ehriftus dur den Glauben wohnt. Gardis 
nal. Chriſtus kann in Niemand durd den Glauben wohnen, wenn er 
niht den Geift der Wahrheit hat, der Alles lehrt. Der Geift 
Ehrifti wird in den Chriſto Gleichförmigen ausgegoffen und ift der Geift 
der Liebe, den nur befigt, wer über die Welt fich erhebt. In dieſem 
Geifte wenden wir uns in zweifellofem Glauben, der von Liebe bes 
lebt it, im inftändigen Gebete, an Ehriftus, der den Seinigen nichts 
verweigert. Bernhard. Diele großen Wahrheiten haft Du und eben 
jo fur; als far dargelegt. Sch wünfhe nur von Dir, Vater! noch 
Etwas über die heiligfte Trinität zu hören, um über alle wichtigen 
Bahrheiten eine beruhigende Einficht zu baben.... Gardinal. Ohne 
Möglichkeit, Wirflichkeit und Verbindung von Beiden ift nichts 
und kann nichts fein. Keined von diefen dreien darf fehlen. Wie wäre 
etwas, wenn ed nicht fein könnte? Wie wäre ed, wenn ed nicht wirk— 
id wäre? Wenn e8 fein fünnte, aber nicht wäre, fo wäre es nicht. 
Diefes dreieinige Princip hat feinen Widerfhein in allen Wefen. Die 
Dreieinigfeit der endlichen Weſen ald endlicher ift aber nad dem drei» 
einigen Urprincipe, diejes alfo ewig. Johann. Da aber der dhriftliche 
Glaube ehrt, daß die Perfon des Vaters — des abfoluten Können 
eine andere fein al& die des Sohnes — des abfoluten Seins, und wie 
der eine andere der heilige Geift — die abfolute Verbindung und Liebe 
Beider, wie ift dies zu denten? Cardinal. Das „Andere“ ift bier nicht 
ein (coneretes) Andersfein, da ja die Dreieinigfeit nicht von einem An— 
dern, fondern durch fih if. Sondern das Sein (der Sohn) feht das 
Können, die Möglichkeit (— Vater) voraus, während die Möglichkeit 
nichts vorausfegt. Sehe ich daher Gott, der feinen Grund feiner felbft vor— 
ausfegt, und Gott, der einen Grund feiner felbft vorausfegt, und Gott, 
der aus Beiden hervorgeht, und fehe ih darum doch nicht drei Götter, 
jondern die Einheit der Gottheit in der Dreiheit, jo zweifle ich nicht, 
daß das, was ich fo im Unterfchiede fehe, in der unterfchtenslofen Gotts 
heit wahrer und vollfommener fei, als ich es fehe. Wie ich daher fehe, 


daß das abfolute Können in der Ewigfeit — ewig iſt und das Sein 
| 14* 


212 


des ewigen Könnend nur aus dem ewigen Können ift, fo glaube ih, 
daß das ewige Können ein ewiges Fürfichfein, Hypoftafe, habe und durd 
fih fei, daß von Bott dem Water, der durch fich ift, gezeugt werde 
Gott, der Alles, was er ift, durd die Allmacht des Vaters ift, fo daß 
der Sohn der Allmacht Alles das if, was ber Bater fann (vermag), 
fomit allmädtig aus dem abfoluten Können, aus welden Beiden hervor 
geht die Verbindung der Allmacht und des Allmäctigen. Ich fehe dem 
nah Gott ewiglih und denfelben Gott von Gott ewiglich und denfelben 
Gott aus beiden ewig hervorgehen. Wie daher die Vollkommenheit ded 
Grundes verlangt, daß er Einer fei, fo verlangt fie in Wahrheit, daf 
er dreieinig fei. Die Einheit wäre nicht die vollfommenfte, wenn fie 
nicht Alles in ſich faßte, was zum vollfommenften Princip nothmwendig 
ift, und dies wird durd die Dreiheit ausgedrüdt. Die Dreiheit wäre 
nicht vollfommen, wenn fie nicht Einheit wäre. Die Einheit Gottes if 
nicht eine mathematifche, fondern eine wahre und lebendige, melde 
Alles in fih faßt und zwar muß die Möglichkeit, um die vollfom 
menfte zu fein, dad Sein und die Verbindung beider in fich faflen, 
fo das vollfomenfte Sein — die Möglichkeit und die Berbindung 
Beider, die vollfommenfte Berbindung endlih die Möglichkeit 
und das Wirflihe. Auch die Dreiheit ift feine mathematifche, jondern 
eine lebendige Gorrelation. Ohne das dreieimnige Leben 
gibt es feine ewige Freude und höhfte Vollkommenheit. 
Das Lebenfönnen muß fo allmädtig fein, daß es aus fich das Leben 
feiner felbft erzeugt, und aus beiden hervorgeht der Geift der Liebe und 
die ewige Freude. — Das find die Lehren jener gelehrten Unwiſ— 
fenheit, die zu dem Unausſprechlichen hinſtrebt ..... Johannes. 
Ich fürchte unbeſcheiden und läſtig zu werden, ſonſt würde ich noch um 
eine weitere Belehrung bitten. Cardinal. Bittet nur Beide; dieſe 
Unterredungen ermüden mich nicht, fondern find mir ein großes Ber 
gnügen. Iſt alfo noch etwas übrig, fo habet feine Nachſicht mit mit, 
da ich vielleicht ein andersmal weniger Muße finde. Johannes. Unter 
Unzähligem, was id zu hören wünfhe, habe ich vornämlich die Eine 
Frage, warum wir die göttlihe Allmaht auf negativem Wege 
beffer erreiben.... Gardinal.- Nehmen wir die erfte aller Nega— 
tionen: nicht fein, haben wir hier nicht eine Borausfegung und 
eine Verneinung? Johannes. Allerdings, fie fegt das Erin 
voraus und verneint ed. Gardinal. Das Sein, welches fie voraud 
fest, ift alfo vor der Verneinung. Johannes. Co ift es. Cardi⸗ 
nal. Das Sein alſo, welches von der Negation voraudgefept wird, if 
ewig, denn es iſt vor dem Nichtfein, und jenes Sein, welches negirt 
wird, hat nad dem Nichtfein feinen Anfang. Johannes. Nothwendig 


213 


Garbinal. Die Negation, welche das Sein trifft, negirt alfo jenes 
vorausgejegte Sein, was nichts Anderes heißt, ald daß das Sein nad 
dem Nichtſein nicht das ewige und unausfprechlihe Sein if. Johan 
ned. Ih kann das nicht läugnen. Cardinal. So jehe ih denn 
auf dieſe Weife Gott wahrhaftiger, ald die Well. Denn ich fehe die 
Welt nur in Verbindung mit dem Nichtfein, negativ, wie wenn ich fagte: 
ih fehe die Welt ald das Nicht-Gottſein, Gott aber fehe ich vor dem 
Nihtfein, darum wird das Nichtſein von ihm negirt.... 
Bas ift die Welt anders, als die unfichtbare Erfcheinung Gottes? was 
iſt Gott anders, als die Unfichtbarfeit des Sichtbaren, wie der Apoftel 
in der Stelle fagt, von der unfere Unterredung ausging. 

Unfere ganze Unterredung aber hat feinen andern Zwed als zu bes 
greifen, daß Gott alle Begriffe überfteige, deſſen allein befeligende An— 
ſtauung und im Glauben durch die Wahrheit felbft, den Sohn Gottes, 
verheißen wird, wenn wir den von ihm durch Wort und That vorgezeich- 
neten Weg einhalten. Das verleihe und unfer Herr Jeſus Chriftus, 
ver hochgelobt fei in Ewigkeit. Amen. 


Ueber das Globusfpiel. 


(De ludo globi.) 


Erfies Dud. 


Ein Gefpräch zwifchen dem Herzog Johann von Bayern und dem Garbinal. 


Johann. Da ih Dich in den Seffel zurüdgelehnt fehe, vielleicht 
müde vom Globusfpiele, ſo möchte ich, wenn es beliebt, über diefes Spiel 
mit Dir ſprechen. Gardinal. Mir fehr angenehm. Johann. Wir be— 
wundern Alle dieſes neue und unterhaltende Spiel, vielleicht weil e8 die Ber 
anfhaulidung einer tiefen Speculation ift, die wir gerne erflärt wünſchen. 
Cardinal. Die Vermuthung ift nicht unrichtig. Einige Wiffenfchaften 
haben ihre Inftrumente und Spiele, fo die Muſik den Monaflord; aud 
das Schachſpiel ift nicht ohne Moral. Jedes ehrbare Spiel faßt irgend 
eine gute Lehre in fi. Doch diefes unterhaltende Globusfpiel follte uns, 
den? ich, einen nicht geringen philofophifchen Aufihluß geben. Johann. 
&o erkläre und die Sache ein wenig. 
Cardinal. Ich befürchte eine große 
Arbeit zu unternehmen, die zuvor 
eine längere Meditation erfordert. 
Johann. Ih will nicht in alle 
Tiefen eingeweiht fein, befriedige 
und nur mit Wenigem! Card inal. 
Die Jugend ift feurig und unge 
ſtüm, hat aber bald genug. Doch 
ich will entiprechen und in euren 
edlen Geift einige Samenförner der 
Erfenntniß legen, welde von eud 
aufgenommen und gepflegt, eine 
herrliche Brucht der vom Menfchen fo erfehnten Selbfterfenntniß hervor: 
bringen werden. — | 

Fürs Erfte werdet ihr wohl erwägen, daß der Globus und feine 
Bewegung ein Werf der Intelligenz find. Kein Thier fann ed verfertigen. 
Solche Werke der Menſchen entftehen aus einer Fertigkeit, in der fie die 
Thierwelt übertreffen. Johann. So ift ed allerdings. Cardinal 





215 


Allein warum der Globus durch die Kunft des Drechslers die Figur eines 
Kegeld mit Eugelförmiger, etwas concaver Mitte erhalten hat, werdet ihr 
wohl wiffen. Dadurch allein macht er eine fpiralförmige Bewegung, denn 
der Theil des Globus, der ein vollfommener Kreis ift, würde fih in ge: 
rader Richtung fortbewegen, wenn nicht der ſchwerere und corpulente Theil 
diefe Bewegung hemmte und zu einer centralen hinzöge. Durch dieſe Ver: 
ſchiedenheit iſt die Figur der hervorzubringenden Bewegung angepaßt, 
welhe weder eine ganz gerade, noch eine ganz freisförmige ift. Beachtet 
alſo zuerſt ven Grund der Geftalt des Globus, in weldem ihr eine cons 
vere DOberflähbe an der Hälfte der größern Sphäre und eine concave 
Dberflähe an der Hälfte der kleinern Sphäre und zwiſchen beiden den 
Körper des Globus jehet. Durch die verſchiedene Abänderung der ger 
nannten Dberflähen kann der Globus unzähligemal geändert und immer 
in eine andere Bewegung gebradt werden. Johann. Sch begreife 
das, denn wenn ein eiferner Ring ein Kreis fein könnte, ohne alle Breite 
des Umkreiſes, und rollte über eine glatte und ebene Oberfläche, z. 2. 
Eis hin, fo würde er nur eine gerade Linie befchreiben. Da wir nun 
bier den Ring globusförmig, mit einer gewiflen Gorpulenz, fehen, jo bes 
ſchteibt er Feine gerade, jondern eine frumme Linie, deren Krümmung nad 
der Verſchiedenheit des Globus verfchieden it. Gardinal. Ganz redt; 
allein es ift auch zu beachten, daß auch die Bewegungslinien bei Einem 
und demjelben Globus verfchieden und nie die gleichen find, er mag durd 
diefelbe oder eine andere Perfon in Bewegung gejegt werden, weil die 
bewegende Kraft immer eine verfchiedene iſt; ift diefe ftärfer, fo fcheint 
die bejchriebene Linie mehr gerade, ift fie jchwächer, mehr frumm zu fein. 
Im Anfang der Bewegung, wenn der Stoß noch frifch ift, find daher 
die Bewegungslinien gerader, ald wenn die Bewegung nadläßt. Der 
Globus wird nämlich immer zur Hervorbringung einer geraden Richtung 
in Bewegung geſetzt. Bei einem ftärfern Abſtoßen wird daher ver 
Natur des Globus mehr Gewalt angethan, er muß fih gegen feine 
Natur ſoviel als möglich geradeaus bewegen. Bei einem geringern Ab- 
floßen leidet feine natürliche Bewegung weniger Gewalt und die Bewegung 
folgt ihrer natürlichen Angemeffenheit an die Form des Globus. Johann. 
Ih fehe das Har ein. Denn nie bewegt ſich der Globus das einemal 
gerade jo wie dad anderemal. Das muß die Wirfung des verfchiedenen 
Abſtoßens fein. Gardinal. Wer den Globus hinauswirft, hält ihn 
nicht jedesmal gleihmäßig in der Hand, legt ihn nicht immer gleichmäßig 
auf dem Boden auf und wirft ihm micht immer mit gleicher Kraft hinaus, 
denn nichts kann zweimal auf die gleihe Weife geſchehen. Es ift ein 
Innerer Widerſpruch, daß zwei Dinge in allen Stüden ohne jegliche Dif- 
fereng ganz gleich feien. Denn wie könnte Mehreres fein ohne Differenz? 


216 


Obgleich der im Spiele Geübtere fih immer gleichmäßig zu verhalten 
fheint, fo ift Died doch mit voller Präcifion nicht möglih, wenn man 
gleih die Differenz nicht immer bemerft. Johann. Mancherlei bewirkt 
eine Verſchiedenheit: die VBerfbiedenheit des Bodens, das Dazmilchen 
fommen von Steinden, welde den Lauf flören, oft ganz hemmen, das 
Maflenhafte des Globus, eine Spalte, die er etwa erhält, und vieles 
Andere. Gardinal. Alles das muß man ins Auge faflen, um das 
durch zu dem fpeculativen Momente, auf das wir ausgehen, zu gelangen. 
Die Bewegung wird oft, wenn der Globus über feine ebene Fläche hin 
abfällt, mangelhaft, fie wird gehindert durch den Wechfel der äußern Um: 
ftände im Verhältniß zum Globus, und nimmt naturgemäß ganz ab, wenn 
an dem Pole oder der Mitte der frummen Oberfläche die Bewegung ſich 
allmählich vermindert. Dieſes und vieles Andere ift wegen der Aehnlich— 
feit der Kunft und Natur genau zu beadten. Denn da die Kunft die 
Nachahmung der Natur ift, fo fchreiten wir von Dem, was wir an der 
Kunft wahrnehmen, zur Erfenntniß der Kräfte der Natur. Johann. 
Was verftehft Du unter dem MWechfel der Umftände? Gardinal. Die 
Veränderung des Himmels, der Sterne, Luft und Zeitz der Wechſel diefer 
Dinge bewirft auch eine Veränderung der Umftände und des Inhalts. 
Johann. Du fagteft, ver Globus habe eine halbiphärifche Dberfläde. 
Könnte er nicht eine größere oder geringere oder das Runde einer ganzen 
Sphäre haben? Cardinal. Ich läugne nicht, daß der Globus eine 
größere oder geringere Oberfläche haben oder auch eine vollftändige Sphäre 
fein fünnte, wenn wir von der fihtbaren Geftalt oder Rundheit, die nie gan 
volltommen ift, reden. Das Runde, das nicht mehr runder fein könnte, iſt 
nicht fihtbar. Denn da die Oberflähe vom Gentrum der Sphäre überall 
gleih weit entfernt ift, fo bleibt das Aeußerfte ded Runden (extremitas 
rotundi), deſſen Grenze ein untheilbarer Punkt ift, für unfere Augen gan 
unfihtbar. Denn nur das Theilbare und Quantitative fönnen wir jehen. 
Johann. So iſt alfo das Aeußerfte der Weltfugel, die ich für die vols 
fommenfte runde Geftalt halte, nicht fihtbar? Cardinal. Keineswegs, 
und ebenfowenig ift die Rundheit der Welt theilbar, da fie in einem nicht 
zu theilenden und nicht zu vermehrenden Punkte befteht. Das Runde fann 
nicht aus Punkten zufammengefegt fein, denn da der Punkt untheilbar ift, 
feine Duantität, Theile, fein Vornen und Hinten und andere derartige 
Unterfchiede hat, jo kann er mit feinem andern Punkte zufammengefegt wers 
den. Aus Punkten wird nichts zufammengefegt; Punft und Punft addiren, 
heißt jo viel ald Nichts mit Nichts verbinden. Das Aeußerſte (extremitas) 
der Welt ift fomit nicht aus Punkten zufammengefegt, fondern ihr Aeußer⸗ 
ftes ift das Runde, das im Punkte beftcht. Denn da dad Runde bie 
gleiche Höhe hat, die überall gleichweit vom Gentrum entfernt ift, und ed 


217 


nicht mehrere praͤcis gleiche Linien geben kann, fo wird es nur Eine gleich» 
weit entfernte Höhe ded Runden geben, die im Punkte ihre Grenze findet. 
Johann. Wundervol! Ich ſehe ein, daß alle möglichen ſichtbaren 
Formen in der Welt enthalten find, und gleihwohl wäre die Welt, fünnte 
ih Jemand außerhalb derfelben aufftellen, für ihn unfichtbar wie ein uns 
theilbarer Punkt. Cardinal. Richtig erfaßt! Du begreift nun, daß 
die Melt, dad größte Quantum, im Kleinften, dem Punkte, enthalten ift, 
und ihr Centrum und Peripherie nicht gefehen werden fünnen, fo wie, baß 
es nicht mehrere verfchievene Punkte gibt, da der Punkt feine Verviel⸗ 
fältigung zuläßt; in mehreren Atomen ift nur Ein und Derſelbe Punkt, 
wie in vielem Weißen nur das Eine Weiße. Die Linie ift demnach die 
Entfaltung (evolutio) des Punktes. Entfalten heißt, den Punkt felbft ent⸗ 
wideln (explicare), was jo viel heißt, ald daß der Punkt in der Mehr: 
beit von Atomen in der Weiſe ift, daß die einzelnen verbunden und ans 
einandergereiht find. Johann. Iſt niht auf diefe Weile aud das 
er (extremitas) des MWinfeld, da dasjelbe im Punkt ift, unfichtbar? 
Gardinal. Allerdings. Wenn aber der ganze Winkel nur das Neußerfte 
wäre, wie die Rundheit das Aeußerfte des Runden ift, fo wäre gewiß auch 
der ganze Winkel unfihtbar. Johann. Ich begreife, es ift fo, wie Du fagft. 
Somit farın auch dad Dberfte und Unterfte des Runden nicht gefehen 
werden, da es der gleihe Atom ift. In einer Sphäre oder dem Runden 
ift aber Alles Oben und Unten. Es fann daher weder das Runde noch 
ein Theil desfelben geliehen werden. Ich fage nicht, daß ein runder 
Gegenftand nicht fichtbar ift, aber die Rundheit felbft ift unfihtbar. Wenn 
der Sinn etwas rund heißt, fo ift das nicht die wahre Rundheit. Ich 
glaube, Du mwillft fagen: das Urtheil des Sinnes über daß 
Runde fei fein wahres. Gardinal. Das ift meine Abſicht. 
Nur das Materielle ift fihtbar; die wahre Rundheit ift nicht im Mate 
tiellen zu finden, fondern nur ihr Abbild. Johann. So ift denn feine 
Form wahrhaft in der Materie, fondern immer nur ein Abbild der wahs 
ren Form, da die wahre Form frei von allem Materiellen if. Gardinal. 
Obwohl Du im platonishen Sinne wahr fprichft, fo iſt doch zwiſchen der 
Rundheit und einer andern Form ein Unterfchied, weil die Rundheit, wenn 
ed auch möglich wäre, daß fie materiell fih ausdrüde, dennoch nicht fichts 
bar wäre. Anders ift es bei den andern Formen, wenn fie materiell ers 
ſcheinen; fie fönnen alsdann gefehen werden, nicht aber die Rundheit. 
Denn nur Länge und Breite find fihtdbar. In dem Runden aber ift 
nichts lang und breit oder gerade, fondern fie ift ein von einem Punkte zum 
andern gezogenes Gonverum, deſſen Höchftes überall ift, es ift ein Atom, 
der durch feine Kleinheit unfihtbar if. Johann. Sind nicht mehrere 
Aome, mehrere Höchfte in der Rundheit und bilden eine gewiſſe convere 


218 


Linie, die fichtbar iſt, fo daß ein Theil der Rundheit fihtbar wäre? 
GBardinal. Das ift unmöglich, da in dem Runden Alles das Höchfte 
if. Wenn der Atom das Höcfte im Runden bildet, wo follte das Auge 
anfangen, das Runde zu fehen? nicht beim Atome, da diefer unfichtbar ift, 
und doch könnte das Auge nur bei dem Höchften des Runden den Ans 
fang damit machen, dad Runde zu fehen. Müßte nicht das Auge vom 
Höcften zum Höcften den Blid richten? Johann. Das müßte ed 
allerdings, da im Runden nichts ald das Höcfte if. Gardinal. Nun 
ift aber das Höchfte ein unfichtbarer Atom. Mercurius hat daher richtig 
gefagt, die Welt fei aus ſich nicht fichtbar, weil fie rund ift und nictd 
fieht man von ihr oder in ihr, ald die im ihr enthaltenen Formen der 
Dinge. Johann. Da die Rundheit der Welt materiell ift und durch 
ihren Anſchluß an die Materie ein Abbild der (wahren) Rundheit, fo 
fann das Abbild des Runden im Materiellen nicht gefehen werben. Gar: 
dinal. Diefes Abbild des Munden mähert fib fo fehr dem wahren 
Runden, daß es über den Gefichtöfreis und alle Sinne hinquögeht. 
Johann. Deshalb alfo fehen wir die Welt nicht, als infoweit wir in 
ihren Theilen die Formen der Dinge fehen; wären diefe hinweg, fo wir 
den wir weder die Welt noch ihre Form fehen. Cardinal. Ridtig, 
denn die Geftalt der Welt ift eine umnfichtbare Rundheit. Nimmt man 
demnach die fihtbaren Formen hinweg, fo hat die ganze Welt nur Ein 
Ausfehen (vultus) — die Möglichkeit des Seins oder die unfichtbare 
Materie, in welcher die Gefammtheit der Dinge enthalten ift, und gan 
philoſophiſch kann man zugeben, daß fie wegen ihrer Bollfommenbeit 
die Rundheit fei. Johann. Das geht über meinen Verſtand, obwohl 
ih merke, daß Du die Wahrheit reveft. Es befremdet mich jedoch, daß 
in der Welt feine wahre Rundheit ift, fondern nur ein der Wahrheit fid 
annäherndes Abbild. Cardinal. Wundere Dich nicht! denn da ein 
Rundes vollfommener als das andere ift, fo gibt es nie ein Rundes, dad 
die Rundheit ſelbſt if. Diefe Regel ift giltig, weil wir in Allem, was 
ein Mehr oder Weniger zuläßt, nicht auf ein ſchlechthin Größtes ober 
Kleinftes kommen. . . . Die Welt ift demnach in ihrer Rundheit unſicht⸗ 
bar, weil das, was ſich von der Rundheit der Welt dem Auge darbietet, 
ein Atom if. Johann. ine klare Museinanderfegung! In wenigen 
Worten haft Du mir Vieles erläutert. Allein fage mir: wie verftehft Du 
das, die Rundheit der vollfommenen Welt fei ein Abbild, das immer 
vollfommener werden kann? Cardinal. Ich weiß, daß die Rundheit 
eines Runden runder tft, als die eines andern. Man muß daher im 
Runden zu einem Runden von größter Rundheit gelangen, die nicht mehr 
größer fein kann, weil man nicht ins Unenbliche fo fortfehreiten Fann. 
Das iſt die Rundheit der Welt; durch Participiren am ihr ift alles Runde 


219 


und. Allein, obgleich die Rundheit der Welt die größte ift, die actuell 
nicht mehr größer fein fann, fo ift fie doch nicht die abjolute und wahrfte 
Rundheit felbft, fomit das Abbild von ihr. Im Kreife, der feinen Ans 
fang und fein Ende hat, da fein Punkt in ihm ift, der mehr den Ans 
fang ald das Ende bildet, ſehe ich das Bild der Trinitätz fomit ift auch 
die Rundheit das Bild der Ewigkeit, da fie dasfelbe ift (wie der Kreis). 
Sohann. Ich ftinnme bei. Allein ich frage nun: kann man die Welt 
niht, fo gut man fie rund nennt, auch ewig nennen; denn es jcheint, 
daß, da die Ewigkeit und die abfolute Rundheit das Gleiche find, auch 
das Ewige und Runde Ein und Dasfelbe fein. Cardinal. Ich glaube 
nicht, daß man bei richtigem Berftändniffe nicht fagen fünne, die Welt 
fei ewig, wiewohl fie nit die Ewigfeit ift. Denn nur der 
Schöpfer des Als ift in der Art ewig, daß er die Ewigkeit felbft fit; 
wird etwas Anderes ewig genannt, jo ift ed Died nur dur Theilnehmen 
an der Ewigkeit. Die Ewigfeit geht allem Ewigen voraus, es ſei denn 
jened Ewige, das mit der Ewigkeit identifh if. Es ift daher die Ewig— 
feit der Welt, da fie der Welt Ewigfeit ift, vor der gleichfalls ewigen 
Welt (aeternitas igitur mundi, cum sit mundi aeternitas, est ante mun- 
dum etiam aeternum). Bon ihr hat die Welt, daß fie ewig ift, wie 
das Weiße von dem Weißſein es hat, daß ed weiß ift. Da demnach 
die Ewigfeit der Welt das in fih bat, was die abfolute Ewigfeit iſt, fo 
conftitwirt fie die ewige Welt, d. i. die Welt, die nie ein Ende hat, oder 
beftändig dauert (perpetuum), welche deßhalb ewig genannt wird. Man 
fonnte nie mit Wahrheit jagen: die Ewigfeit ift, ohne daß es nicht auch 
wahr gewefen, zu fagen: die Welt ift, wiewohl die Welt durd) jene ift, was 
fie if. Johann. Wenn ich recht verftehe, fo fann es nur Eine 
Welt geben, die ganz rund und ewig ifl. Cardinal. Rictig 
aufgefaßt! denn da man in dem Runden nothwendig auf ein actuell 
Größtes kommen muß, wie im Warmen auf das Feuer als das Wärmfte, 
jo gibt es nur Eine Welt, und diefe bat fo viel Nundheit, daß fie ſich 
der ewigen Runbheit am meiften nähert, weßhalb fie auch unfichtbar und 
ewig genannt werden kann, wie der Apoftel Paulus jagt: „Das Unficht- 
bare ift ewig”; nicht als ob fie ewig genannt werde, weil fie ohne Ans 
fang ift, fondern weil es nie mit Wahrheit gejagt werben fonnte: bie 
Ewigkeit ift, ohne daß man nicht auch wahrhaft fagen konnte: die Welt 
it, Denn die Welt hat nicht in der Zeitangefangen. Denn nicht 
die Zeit ging der Welt voran, fondern allein die Ewigfeit. Auch die 
Zeit wird bisweilen ewig genannt, wie der Prophet von einer ewigen 
Zeit fpricht, da doch die Zeit nicht ihren Anfang in der Zeit haben fonnte, 
Der Zeit ging nicht die Zeit voran, fondern die Ewigfeit. Die Zeit wird 
deßhalb ewig genannt, weil fie von der Ewigfeit ausfließt. So heißt 


220 


auch die Welt ewig, weil fie aus der Ewigkeit, nicht aus der Zeit ſtammt. 
Indeffen fommt der Welt die Benennung ewig mehr zu, als der Zeit, 
weil die Dauer der Welt niht von der Zeit abhängt. Hört 
auch die Bewegung ded Himmels und die Zeit, die das Maaf der Br: 
wegung ift, auf, fo hört darum die Welt nicht auf zu fein. Wäre aber 
die Welt nicht mehr, fo wäre auch die Zeit aus. Die Ewigkeit als 
MWeltfhöpferin ift Gott, der Alles nach feinem Willen gemacht hat 
(aeternitas igitur mundi creatrix Deus est, qui ut voluit cuncta fecit). 
Die Welt ift nämlich nicht fo vollfommen erfchaffen, daß Gott in ihrer 
Erfhaffung Alles, was er machen fonnte, wirklich gemadt hätte, wie 
wohl die Welt fo vollfommen, ald fie es werben fonnte, gemacht if. 
Gott fonnte eine vollfommenere und rundere Welt und ebenfo eine uns 
vollfommenere und weniger runde Welt machen, wiewohl fie fo vollfommen 
als fie fein Fonnte, gemacht if. Sie wurde, was fie werden fonnte, 
ihr Wervenfönnen ift geworden. (Hoc enim factus est, quod fieri po- 
tuit, et fieri posse ipsius factum est.) Aber dieſes ihr gewordenes 
Werdenkönnen tft nicht das abfolute Wirkenfönnen des allmächtigen Got: 
ted (sed hoc fieri posse ejus, quod factum est, non est ipsum facere 
posse absolutum omnipotentis Dei). Obwohl in Gott Werbenfönnen 
und Wirfenfönnen Eines find, fo ift doch nicht das Werdenkönnen eines 
jeglihen Dinges identifh mit dem Wirfenfönnen Gottes. Hieraus er 
belt, daß Gott die Welt nach feinem Willen erfhaffen hat. Sie if 
daher überaus vollfommen, weil fie ganz nad dem freien Willen des 
gütigften Gottes erfhaffen ift. Da man dies in meinen andern Schrife 
ten ausführlich Iefen fann, jo mag das Gefagte für ‘jegt genügen. 
Johann. So fehre denn zu unferem Spiele zurüd, und füge Eis 
niges über die Bewegung des Globus bei. Cardinal. Es bleibt noch 
Bieles zu fagen übrig; komme ich auf das Eine oder Andere, fo werde 
ich ed erwähnen. Für Erfte bemerfe ich: wenn ich den Globus von dem 
Punkte aus, wo man fi aufftellt, zu dem in der Mitte ſtehenden Zeichen 
des angegebenen Kreiſes werfe, fo ift Died in einer geraden Linie nict 
möglich. a fei der Standort, b d der Kreis, c fein Mittelpunkt, e der 
Globus.) Ich will nun von a nach e werfen, das kann nur dur eine 
folhe Bewegungslinie gefchehen, die Feine gerade ift, welche Figur immer 
der Globus haben mag. Johann. Wenn er fugelförmig wäre, fo wäre 
wohl eine geradlinige Bewegung a c möglich. Denn ich fehe nicht ein, 
warum eine Kugel nicht durch a c ſich bewegen und in c ruhen fönnte. 
Cardinal. Du wirft deinen Irrthum fogleich einfehen, wenn Du €" 
wägft, daß eine Linie gerader ift als die andere, und daß man dahet 


1) Die hier angegebene mathematifche Figur fehlt im Texte. 


221 


nad dem vorhin Geſagten zu einer ganz präcid geraden Linie nicht fomme. 
Es it daher nicht möglih, daß auch die vollfommenfte Kugel in einer 
präcis geraden Linie von a nad c gelange, mag aud der Boden ganz 
eben und die Kugel ganz rund fein. Denn eine ſolche Kugel würde bie 
Ebene nur in einem Atom berühren. Sie würde nur eine unfichtbare 
Linie befchreiben und keineswegs die geradefte zwilchen a und c und fie 
würde nie in ce ruhen. Denn wie follte fie über einem Atome ruhen? 
Bollfommen und fo, daß das Oberfte auch das Unterfte und zwar ein 
Atom ift, wird fie, einmal bewegt, nie aufhören, ſich zu bewegen, da fie 
fih nicht verfchieden verhalten fanı. Was nämlich bewegt wird, würde 
nie ruhen, wenn es fich nicht zur einen Zeit anders verbielte, als zur 
andern. Daher würde eine Kugel, einmal auf einer ebenen und gleich 
fürmigen Fläche bewegt, ſich bei ftetd gleichem Verhalten immerfort be: 
wegen. Die Geftalt ded Runden ift daher zur Fortdauer der Bewegung 
bie paſſendſte. Kommt zu diefer von Natur aus (naturaliter) die Bewe— 
gung, fo wird diefe nie aufhören. Wenn fie daher fih immer um ſich 
jelbft (super se) bewegt, jo daß fie das Centrum ihrer Bewegung ift, 
fo bewegt fie ſich beftändig. Das ift die natürlihe Bewegung, durch 
welche das Aeußerſte der Kugel ohne Kraftanwendung von außen (sine 
violentia) und Grmüdung ſich bewegt, eine Bewegung, an der Alles, was 
natürliche Bewegung hat, participirt. Johann. Wie hat Gott die Bes 
wegung dem Aeußerſten der Sphäre anerfchaffen (concreavit)? Gars 
dinal. Wehnlich, wie Du die Bewegung des Globus hervorbringft (creas). 
Denn jene Sphäre wird nicht durch Gott, den Schöpfer, noch durd den 
Geift Gottes bewegt, wie auch der Globus nicht durd Dich oder Deinen 
Geiſt bewegt wird, wenn’ Du ihn hinrolfen fiehft, wiewohl Du ihn in Bes 
wegung gelegt haft, indem Du durch einen Stoß der Hand, durch Deinen 
Villen, ihm einen Anftoß gibft; jo lange diefer dauert, bewegt er fid. 
Johann. Das läßt fih wohl auch von der Seele jagen, dur beren 
Sein im Körper diefer fi bewegt. Cardinal. Es gibt wohl fein 
näherliegended Bild (exemplum), um die Erfhaffung der Geele, 
durch welche die Bewegung im Menfchen erfolgt, zu begreifen. Denn 
nicht Gott ift die Seele, noch bewegt der Geift Gottes den Menſchen, 
jondern es ift in Dir eine Bewegung, die fich felbft bewegt, wie die Pla; 
tonifer jagen, geichaffen; dies ift die vernünftige Seele, die fih und Dein 
ganzes Ich bewegt. (Creatus est in te motus, se ipsum movens, se- 
eundam Platonicos, qui est anima rationalis movens se et cuncta tua.) 
Johann. Beleben ift Sache der Seele. Es ift alfo Bewegung. Gar- 
dinal. Allerdings ift das Leben eine Art Bewegung. Johann. 
Ich bin ganz damit einverftanden; denn durch dieſes concrete Beifpiel 
ſehe ich num ein, daß Viele in ver Auffaffung der Seele geirrt haben, 


222 


Cardinal. Beachte, daß die Bewegung ded Globus abnimmt und auf 
hört, obwohl ver Globus ganz und unverfehrt bleibt, weil derfelbe feine natlıs 
liche, fondern nur eine accidentelle, durd Gewalt hervorgebrachte Bewegung 
hat. Die Bewegung hört daher auf, wenn der auf den Globus ausgelbte 
Anſtoß nahläßt. Wäre aber der Globus vollfonmen rund, fo würde er, 
wie vorhin gefagt, weil einem ſolchen Globus die runde Bewegung natür 
(ib und nicht gewaltiam beigebracht ift, nie ruhen. So hört die das 
Thier belebende Bewegung nie auf, den Körper zu beleben, fo lange 
diefer lebensfähig und gefumd ift, weil fie eine natürliche ift. Und hört 
auch die belebende Bewegung im Thiere durch mangelnde Geſundheit des 
Körpers auf, fo hört doch die Bewegung nicht in der vernünftigen menſch— 
lihen Seele auf, welche (Bewegung) fie auch ohne Körper hat und au 
übt. Es ift alfo jene fid felbft geiftig bewegende Bewegung 
in ſich ruhend (in se subsistens) und fubftantiell. Cine nicht fid 
jelbft beivegende Bewegung ift ein Accidens, die fich felbft bewegende 
eine Subftanz. Wellen Natur Bewegung ift, hat diefe nicht als Accivene, 
wie 3. DB. die Natur des Geiſtes (intellectus), der nicht Geift fein fann 
ohne geiftige Bewegung, durch welche er in Activität tritt (per quem est 
aetu). Die geiftige Bewegung iſt demnach eine fubftantielle, eine fih 
felbft bewegende. Sie hört daher nie auf (nunquam igitur deficit). 
Dagegen ift die Belebung (vivificatio) eine Lebensbewegung, die für den 
Körper aceidentiell ift, weil er nicht feiner Natur nach lebendig ift, denn 
auch ohne Leben ift der Körper cin wahrer Körper. Diefe dem Körper 
aceiventiele Berwegung fann aljo aufhören, deßhalb hört aber die fub 
ftantielle, fich felbft bewegende Bewegung nicht auf. Denn feine Kraft, 
welche auch Geift (mens) genannt wird, verläßt den Körper, wenn fie 
aufhört, in ihm Leben zu fpenden (vivificare), zu empfinden (sentire) 
und vorzuftellen (imaginari). Uebt fie auch dieſe Thätigfeiten im Körper 
nicht mehr aus, fo exiſtirt fie dennoch beftändig, obgleich fie Iocal vom 
Körper getrennt if. Wenn jene Kraft aud in einen Raum begrenzt ift, 
jo daß fie nur in dieſem Raume ift, fo nimmt fie doch nicht diefen Raum 
ein, da fie Geift if. (Virtus enim illa, licet in loco circumscribatur, 
ut non sit nisi ibi, non tamen occupat locum, cum sit spirites.) 
Durch ihre Anweſenheit wird nicht der Luftkreis geſchieden (non disten- 
ditur aör) oder ein beftimmter Plag eingenommen (aut locus occu- 
patur), fo daß fie (nad dem Ausfcheiden) weniger vom Raum bed 
Körpers einnimmt als zuvor. Johann, Diefe Vergleihung des Gl 
bus mit dem Körper und feiner Bewegung mit der Seele gefällt mit 
ausnehmend. Der Menſch macht den Globus und defien Bewegung, bie 
er ihm durch einen Stoß gibt, und diefe Bewegung ift unſichtbar, uns 
theilbar, Feinen Raum einmehmend, wie unjere Seele. Daß diefe aber 


223 


eine fubftantielle Bewegung if, möchte ich noch beffer einfehen. Car- 
dinal, Gott gibt (est dator) die Subſtanz, der Menih das Accidens 
oder die Aehnlichkeit der Subſtanz. Die Geftalt ded Globus, die 
dem Holze durd den Menden gegeben ift, ift der Subſtanz des Hol- 
jes beigegeben ; jo ift auch die Bewegung der jubftantielen Form beiges 
geben, Gott aber ift der Schöpfer der Subftanz. Vieles participirt an 
der Bewegung, um dadurch bewegt zu werden. Man fommt alfo auf 
Eines, das durch fich bewegt wird: dies hat die Bewegung nicht acci— 
dentiel, dur SBarticipiren, fondern aus feiner eigenen Wejenheit; das 
iR die vernünftige Seele, denn die Vernunft bewegt ſich felbft. Um es 
noch deutlicher zu verftehen, beachte, daß in dem Nunden die Angemeflen: 
beit zur Bewegung liegt; denn das Runde wird leichter bewegt. Wäre 
nun die Rundheit die größtmögliche, fo würde fie durch fich felbft bewegt, 
fie wäre dad Bewegende und Bewegliche zugleih. Die Bewegung alfo, 
welhe Seele heißt, ift dem Körper anerjchaffen (concreatus), nicht ihm 
von außen eingebrüdt (non impressus ei), wie bei dem Globus, eine 
Bewegung aus fi (per se motus), mit dem Körper verbunden, fo daß 
fie wieder von ihm getrennt werden kann, folglich Subſtanz. Johann. 
Von jener Kraft, die Du die vernünftige Seele nennft, wird daher auch 
mit Recht gefagt, daß fie leide oder belohnt werde (quod patia- 
tur aut praemietur). Cardinal. Das jei dir eine ausgemachte Wahrheit. 
Denn wie fie im Körper den körperlichen Affeftionen unterliegt, ſo aud) 
außerhalb dem Körper dem Zorne, Neide und andern Affeften (afflictio- 
nibus), da fie noch vom Schmuße des Körpers bejdwert ift (gravata 
adhue sorde corporea) und den Körper nicht vergeflen hat. Sie leidet 
auch durch ein materielles, zu dieſem Zwede zubereitetes euer, fo 
daf fie den Schmerz des Brennend empfindet. Durch unfer Feuer fünnte 
fie freilich nicht berührt (affligi) werden. Ebeuſo wird jene Kraft, die 
Eeele, ſelig (salvatur), denn fie fommt in die Ruhe und leivet feine 
Qualen. Johann. Ich fehe ein, daß Du fagen wilft: die Geele 
it eine unförperlide Subftanz und die Kraft zu verſchiede— 
nen Fähigkeiten. Sie ift die Sinnenwahrnehbmung (sensualitas), 
fe ift das Einbildungsvermögen (ipsa est imaginatio), fie ift Ver— 
and und Vernunft (ratio et intelligentia), Einnenwahrnchmung 
und Einbildung übt fie im Körper aus, Berftand und Vernunft außer: 
bald dem Körper. Einnenwahrnehmung, Einbildungsfraft, Verſtand und 
Vernunft haben Eine und diefelbe Subſtanz, wiewohl der Einn nicht 
Einbildung , Verftand oder Vernunft ift. Ebenfo ijt die Einbildungsfraft 
nicht Verftand und Vernunft oder eines der andern Vermögen. Es find 
verfhiedene Auffaffungsweifen in der Seele, von denen die eine nicht auch 
die andere fein kann. Das willft Du wohl jagen. Cardinal. Aller 


224 


dinge. Johann. Es fcheint auch Deine Anficht zu fein, daß die Seele 
im Körper zugleich an verfchtedenen Drten if. Cardinal. Ja, dem 
da fie eine Kraft ift und in der wahren Philoſophie in jedem Theile 
einer Kraft die ganze Kraft fih bewahrheitet (quaelibet pars virtutis de 
toto verificetur), fo ift dad Lebengebende der Seele — die Seele. Nun 
belebt aber die Seele verſchiedene Glieder des Körpers, die an verſchie⸗ 
denen Orten find. Folglich ift fie da, wo fie belebt. Es ift fomit die 
ganze Subftanz der Seele, fo lange fie im Körper ift, am verfchiebenen 
Stellen. So lange fie aber außerhalb dem Körper ift, ift fie nicht an 
verichiedenen Orten, wie auch der Engel nicht, der nicht belebt. In 
Körper aljo ift die ganze Seele in jedem Theile des Körpers, wie ihr 
Schöpfer in jedem Theile der Welt. Johann. Zieht fih die Seele 
zurüd, wenn der Finger abgefchnitten wird? Gardinal. KKeinedwegs, 
jondern fie hört auf, den Finger zu beleben. Sie zieht ſich nicht zurüd, 
weil fie nicht von einem Theile des Körpers zum andern übergeht, da 
fie zugleich in allen und jedem Theile it. Johann. Eines möchte ih 
noch fragen über die Bewegung der Seele. Da Du fagft, die Seele br 
wege fich felbft: — in welcher Art von Bewegung bewegt fie fid be 
ftändig? Gardinal. In feiner von allen ſechs Arten von Bewegun⸗ 
gen bewegt fte fih, ihre Bewegung ift eine äquivoke (aequivoce). 
Die Seele bewegt fi felbft, d. i. fie unterfcheidet, abftrahirt, trennt 
und verbindet. Das Denken (ratioeinari) ift eine Kraft der Seele, foly 
ih ift ed auch die Seele (ratiocinari virtus est animae; igitur et 
anima). Einige Berftandeswahrheiten find beftändig und unveränderlid, 
wie daß vier nicht zwei find, weil vier drei in fich faffen, nicht aber zwei. 
Das ift eine unveränderliche Verftandeswahrheit (ratio). Es iſt aljo auch 
die Seele unveränderlih. Indem nun aber der Berftand im Denfen did 
curfiv verfährt (discurrit), fo ift gewiß dieſes Discurfive verftändig. 
Folglich wird der Verftand beim Denfen aus fi (a se) bewegt. Pie 
Seele hat ferner die Kraft in fih, neue Künfte und Wiflenfchaften zu 
erfinden. Sie kann daber in diefer auf die Erfindung von Neuem bin 
zielenden Bewegung nur von fich felbft bewegt werden. Ebenſo wird fie 
aus fih bewegt, indem fie fih allem Erfennbaren affimilirt (dum se fa- 
eit similitudinem omnium cognoseibilium). Sie afftmilirt ſich durd ben 
Sinn dem Sinnlihen, dur das Gefiht dem Sichtbaren, durch das Ge 
hör dem Hörbaren ıc. Daher jagt man, die Seele beftehe aus Gleichem 
und Entgegengefegtem (ex eodem et diverso), wegen ihrer Fähigkeiten, 
das Univerfelle und das Particulare der Gegenfäge zu erfafien, fie fd 
Individuum und Dividuum, weil fie fih dem Theilbaren und Veränder— 
lichen conformirt. Die Seele ift demnach jene Kraft, die ſich 
allen Dingen conformiren fannz fie macht ſich zur Urſache der für 


225 


perlihen Bewegung der Hand, des Fußes, allein nicht Immer durch 
Selhftbeftimmung (ex discretione) ; denn es gibt auch eine aus der Na- 
tur ffammende Bewegung, wie die der Nerven und des Pulſes. In den 
Knaben übt fie wegen ber Zartheit des Alters dieſe Aifimilation noch 
nicht aus, fondern erft nad den Jahren der Unterfheidung, wenn ber 
Körper erftarft und das Urtheil erwacht ift (adjuncta discretione), haupts 
ſächlich wenn Unterriht und Uebung binzufommt. Die Seele ift im 
Anabenalter noch ungebilvet, hinfichtlih des Gebrauchs der Vernunft noch 
dem Naturleben unterworfen, und es foll erft ein fräftiger und vollfoms 
mener Mann werben. Das Ungebildete gelangt dur Unterricht und 
Uebung zur Vollkommenheit. Man kann fagen, die Seele bewege fi 
auf zweifache Art: theils, indem fie fich zur Urfache ver Bewegungen des 
Körpers madt, was fie auch im Sclafe thut, theild, indem fie ſich den 
Dingen affimilirt, und diefes ihr Leben außerhalb dem menſchlichen Körs 
per jcheint auch ein Sichbewegen zu fein. Die Seele hat daher ein wahr. 
rered Leben, indem fie fib aus fi bewegt, ald der menfchliche Leib, der 
dur die Seele bewegt wird. Johann. Ich glaube daher, daß Gott 
in noch wahrerer Weije lebt, ald die Seele. Gardinal. Ganz richtig, 
nicht al8 ob Gott ſich bewege oder den Dingen affimilire, wie die Seele, 
wiewohl in ihm Alles in einer gewiſſen Einfachheit ift, fondern weil er 
jelbft das wahre Sein der Dinge ift und das Leben alles Lebens. Denn 
er fagt: „Ich bin die Auferftehung und das Leben“. Johann. Was 
Du vorhin über die Erfindung des Neuen gefagt, hat mir befonderd ger 
fallen, denn bier ſieht man deutlich, daß die Seele fich felbft bewege. 
Ih wünſche, daß Du diefen Punkt auf das Spiel anwendef. Gars 
dinal. Ich faßte den Gedanken, ein Weisheitsjpiel zu erfinden, ich über: 
legte, wie died auszuführen wäre, dann beftimmte ich die Ausführung 
io, wie Du fichft. Denken, Ueberlegen und Begriffbilden (cogi- 
tatio, consideratio et terminatio) find Kräfte unferer Seele. Kein Thier 
faßt den Gedanken, ein neues Spiel au erfinden. Daher überlegt es 
nicht und bildet feinen Begriff. Dies find Kräfte des Iebensfräftigen 
Verftandes, der Seele heißt, und find felbft lebendfräftig, weil fie ohne 
die Bewegung des lebensfräftigen Verſtandes nicht beftehen fünnten. In 
jenem Denfen bemerkt Jeder die Bewegung des verftändigen Geiftes, der 
erwägt, daß dad Denten ein gewiſſes Sichhinundherwenden (discur- 
rere) ift, ebenfo das Ueberlegen und Begriffebilden, wobei der Körs 
per feine Hülfe leiſtet. Es zieht fi daher die Seele fo viel ald mög— 
ih vom Körper zurüd, um beffer zu denfen, zu überlegen und Ber 
griffe zu bilden. Denn fie will ganz in ihrer Freiheit fein, um frei zu 
wirfen. Diefe freie Kraft, die wir die vernünftige Seele nennen, ift um 
ſo Fräftiger, je unabhängiger fie von körperlichen ——— iſt. Die 
Scharpff, Nie. v. Cuſa. 


226 


Seele lebt daher niht mehr in dem Körper, als außer demfelben, fie 
wird durch die Auflöfung der Harmonie oder rechten Stimmung (tempe- 
ramenti) ded Körpers nicht aufgelöft, da fie nicht, wie die Gefumbheit, 
von diefer richtigen Stimmung abhängt. Im Gegentheil, diefe Stim— 
mung hängt von der Seele ab; ohne fie gibt es Feine gute Dispo 
fition des Körpers. Die Seele ift Leben, weil fie Verftand, die lebende 
Bewegung iſt. Indem ich alfo denfe, überlege und begreife, was iſt 
Died Anderes, ald daß der verftändige Geift, der die Denk-, Ueberlegungs⸗ 
und Begriffe bildende Kraft iſt, ſich felbft bewegt? Indem ich. die Ber 
griffsbeftimmung (determinationem) der Seele fuhe und frage: was if 
die Seele? fo denke und überlege ib und finde, die Seele bewege 
fi felbft freisförmig, weil ihre Bewegung in fich felbft zurückkehrt. 
Denn wenn id über das Denfen nacdenfe, fo ift Dies eine freid- 
förmige, fi felbft beftimmende Bewegung. Eben deßhalb ift die leben: 
dDige Bewegung der Seele eine beftändig dauernde, weil fie freisförmig, 
weil fie NReflerion über ſich felbft (supra se ipsum reflexus) iſt. 
Johann. Ich verftehe Did, und es ift mir fehr angenehm, jene drei 
Kräfte der vernünftigen Seele vernommen zu haben, von denen feine die 
andere iſt: die erfte ift das Denken, die zweite das Ueberlegen, die dritte 
das Begriffoilden. Das Denken erzeugt das Ueberlegen, das Begriff: 
bilden geht aus beiden hervor; alle drei find nur Eine Tebendige, id 
ſelbſt vollfommen bewegende Bewegung. Du erfennft hieraus, daß die 
vernünftige Kraft nothmwendig eine dreieinige fei, wenn fie wollfommen 
leben oder fid bewegen fol. Cardinal. Setze noch hinzu, fie fei darum 
die vollfommenere, weil in ihr die unendliche und vollfommenfte Kraft — 
Gott — ſich mehr abipiegelt. Wie Gott ewig, fo tft fie beftändig 
dauernd (perpetua). Die beftändige Dauer ift eine vollfommenere Ab 
fpiegelung der Ewigkeit, als das Zeitlihe. Johann. Ich will vielen 
Satz fehr gerne annehmen, aber auch eine mir fehr willfommene Wahr: 
heit nicht hinweglaſſen. Cardinal. Und diefe wäre? Johann. Ge— 
hört, wie Du trefflich gezeigt haft, zur Vollfommenheit unferes Geifted 
nothwendig, daß er dreieinig ift, jo muß man Alle für Ignoranten er— 
flären, welche läugnen, daß Gott, der vollfommenfte Geift, dreieinig it. 
Cardinal. Allerdings beweiſt es große Umwiffenheit, von Gott nicht 
auszufagen, was zur Einfachheit und Vollkommenheit gehört. Je mehr 
nämlich die Einheit einigt, defto einfacher und vollfommener ift fie. Die 
dreieinige ift demnad vollfommen; denn fie ift in der Art einig, daß fie 
auch in drei Perſonen, deren jede eine Einheit iſt, die Einheit bildet; 
fonft wäre fie nicht die vollfommenfte Einheit. Denn es fehlete ihr, 
was zu ihrer vollfommenften Wefenheit erforderlich if. Dod das if 
höherer Art, als die Gegenftände, die und jetzt befchäftigen. Johann. 


227 


Wohl bedacht haft Du es, ald Du fagteft, der Gedanke von dieſem Spiele, 
die Ueberlegung und der Begriff desſelben finden fich nicht bei den Thieren, 
wobei Du wohl nit läugnen wilft, daß die Thiere im Nefterbauen, 
Jagen und Anderm auch denfen, überlegen und Begriffe bilden. Wie 
wilft Du nun beweifen, daß dies feine Verftandesthätigfeit it? Car; 
dinal. Sie haben nicht den freien Willen, den der Menſch 
bat. Als ich diefes Spiel erfand, dachte ich nah, überlegte und ftellte 
den Begriff desjelben feft, was ein Anderer nicht dachte, überlegte und 
feftftellte, weil jeder Menich die Freiheit hat, zu denfen, was er will, 
ebenfo zu Überlegen und in Begriffe zu faflen. Daher denfen nicht Alle dass 
jelbe, weil Jeder den eigenen freien Geift hat. Nicht fo bei den Thieren. 
Der Inſtinkt treibt fie zu dem, was fie thun, und die gleiche Gattung 
treibt das Jagen und Nefterbauen auf die gleiche Weife. Johann. Sie 
tbun es aber doch nicht ohne Verſtand. Gardinal. Es waltet Vers 
Rand in der Natur (natura movetur intelligentia). Allein wie der Ges 
feggeber, von vernünftigen Gründen geleitet, das Geſetz anordnet, wo 
dann nicht die ratio legis die Unterthanen, denen diefe verborgen bleibt, 
leitet, fondern der Befehl der Obern fie zwingt, jo wird das Thier durch 
dad Mactgebot der Natur, das ihm eine Nöthigung ift, beftimmt, nicht 
durh Bernunftgründe, die es nicht kennt, Wir jehen daher von Einer 
ſpecifiſchen Bewegung alle Thiere derfelben Species wie von einem ihnen 
angebornen Geſetze der Natur angetrieben und bewegt. ine ſolche Nö— 
tbigung feflelt nicht unfern Geift, der wie ein König und Kaifer frei 
waltet (hac coactione non stringitur spiritus noster regius et impe- 
rialis), fonft würde er nichts erfinden, fondern nur den Impuls der Nas 
tur vollziehen. Johann. Da ich fehe, daß die Spinnen in ihren Ge— 
weben und Jagden, die Schwalben im Nefterbauen und fo unzählige ans 
dere Thiere das gleiche Geſetz beobachten, fo begreife id wohl, daß Allee 
in derfelben Gattung Einer Bewegung folge und dieje von einem Im— 
pulje herrühre, ich gebe mich daher zufrieden. Cardinal. Wenn Du bes 
achteft, daß wir Einiges, was unfere thieriihe Natur fordert, naturges 
mäß (naturaliter) denfen, überlegen und feftftellen, Underes, was ben 
Körper nicht, wohl aber den Geift berührt, in der oben genannten Weiſe, 
fo erfennft Du auf dem Wege der Erfahrung, daß wir im eritern Falle 
frei bewegt werden, jedoch gemäß unferer finnlihen und körperlichen Nas 
tur, im zweiten jedoch ganz frei, da das Freie ſich fjelbft bewegt. Die 
Natur fann unferm Beifte nie einen Zwang auferlegen, wohl 
aber der Geift der Natur, wie man an dem Guten, der Enthalt: 
famfeit, Keufchheit und an dem Böfen fieht, wenn mir gegen die Natur 
fündigen, wenn Berzweifelte an fich felbft Hand anlegen und ſich tödten. 
Johann. Eines wünſchte ih noch deutlicher einzufehen: das verſchie⸗ 
15° 


228 


dene Berhalten der Empfindungsd- und der Begetativfraft 
im Menſchen und in den Thieren. Du fagteft nämlich, es jei nur 
Eine Subftang, und diefe der Inbegriff vieler Kräfte: der vegetativen und 
was dieje in fih faßt, der Wahrnehmungsfraft und ihres Inhalts, auch 
der vernünftigen und was zu ihr gehört. Nun ift ed ausgemacht, daß 
diefe Subftanz als vernünftige Kraft ven Körper nicht bedarf. Somit if 
die ganze Subftanz der Eeele, da fie nicht vom Körper abhängt, für ſich 
beitehend (est per se stans), ohne den Körper, wiewohl fie andere Kräfte, 
die Wahrnehmungs- und Vegetativfraft, nicht ohne den Körper ausübt, 
Eie it aljo außer dem Körper nicht von geringerer Kraft, als in dem 
jelben, wenn auch die Ausübung der den Körper erfordernden Kräfte aufs 
hört. Da aber die Seele des Thiered eine Subftanz und Kraft ift, die 
den Körper erfordert, weil fie ohne Körper nicht ausgeübt wird, ſo ſcheint 
es, daß fie mit dem Aufhören des Körpers aufhört. Da fie aber ein 
Subftanz ift, die im Menfchen vernünftig ift und eine nicht abnehmende 
Kraft, fo Scheint auch fie nie aufzuhören; denn die Subftanz ift nad Die 
nyſius eine ungerflörlihe Weſenheit; fie Fan immerdauernd (perpetua) 
fein, weil fie in der Seele des Menfchen immerdauernd ift. Cardinal. 
Du gehft gründlich zu Werke, indem Du nad dem Unterfchiede der Em 
pfindungs ⸗ und Wegetativfraft im Menichen und in den Thieren fragit. 
Fürs Erfte ift zu beachten, daß die Vegetativ⸗, die Empfindungd- und 
Einbildungsfraft in der vernünftigen Kraft des Menfchen, wie Ariftotelke 
richtig bemerkte, fo find, wie das Trigon in dem Tetragon. Das Ir 
gon hat aber in dem Tetragon nicht feine Trigonform , fondern die de 
Tetragon. In den Thieren dagegen hat das Trigon die Form des Tri 
gond. Das Trigon ift fomit von anderer Natur, als das Tr 
tragon. So find auch die Vegetativs, die Empfindungs⸗ und Einbil 
dungsfraft, welche das Trigon, welches Thierjeele heißt, conftituiren, von 
geringerer (imperfectioris) Natur als im Menjchen, wo fie in Bereinis 
gung mit der edelften und vollfommenften Kraft, der vernünftigen, das 
Tetragon, welches Menfchenfeele heißt, conftituiren. Denn das Nieder 
ift in dem Höhern nach der Natur des Höhern. So ift das Leben 
auf edlere Weiſe in der Empfindungs-, ald in der Begetativfraft, nod 
edler in der Vernunft, am edelften in der göttlichen Natur, die das Le 
ben alles Lebens it. Kein Wunder daher, wenn jene Kräfte 
im Trigon nicht von der Natur der Kräfte im Tetragen 
find, wo fie in die fubftantielle Identität mit der unzer— 
ftörlihen, vernünftigen Kraft gelangen. Denn wie die Pu 
getativ-, Empfindungss, Einbildungs⸗ und Bernunftfraft in der göttlichen 
Natur, welche die ewige Ewigfeit felbft ift, ewig find, fo ift die Br 
getativ-, Empfindungs, und Einbildungsfraft in ber 


229 


vernünftigen Natur, die immerwährend ift, gleihfalle 
immerwährend. Und obwohl jene Kräfte im Thiere nicht immer; 
während find fraft des Immerwährenden der vernünftigen Natur, fo 
glaube ich doch niht, daß an jenen Kräften im Folge des verfchiedenen 
Verhaltens des Körpers ſich etwas fubftantiell verändere. Denn wie im 
Menihen, wenn auch feine Hand verdorret, die Eubftanz des Vegetativ— 
und Empfindungslebend nicht vwerborret, fondern immer bleibt, weil bie 
Kraft der Seele des Menſchen ungerftörlih if, wenn auch Vegetation und 
Empfindung in der Hand aufhört, So gebt vielleiht aud beim 
Tode ded Thieres und dem Verdorren des Baumes jene 
Subftanz, welde Empfindung oder Vegetation (Wade: 
thbum) genannt wird, nidt verloren (non perit), wiewohl fie 
ihre Wirkſamkeit nicht mehr wie früher ausübt. Johann. Wie bleibt 
fie vorhanden? Cardinal. Wir fünnen nicht läugnen, daß der Menſch 
ein Mikrokosmus, d. i. eine Welt im Kleinen ift, der eine Seele bat. 
So laffen nun Mande au die große Welt eine Seele haben, 
welche Einige Natur, Andere Weltfeele (spiritum universorum) nens 
nen, die Alles in fih nährt, eint, verbindet, hegt und bewegt. Jene 
Weltkraft, welche fib und Alles bewegt (von der wir gefprocen), ift 
immerwährend, weil ihre Bewegung eine runde und freiöförmige iſt, die 
jede andere Bewegung, wie der Kreid jede andere Figur, in fidh begreift. 
Schr Biele nennen daher diefe Seele aub das feft umfchließende Band 
(necessitas complexionis), Andere das Fatum der Subſtanz (fatum in 
substantia), weil fie Alles in Ordnung entfaltet. Die ganze Körperwelt 
verhält fi zu diefer Seele, wie der menfchlihe Körper zur Seele. Sie 
ift die Empfindung in den empfindenden Wefen, das Wahsthum in dem, 
was wädhft, dad Elementare in den Elementen (anima . . . elementa- 
tiva in elementis). Hört fie auf, einen Baum wacjen oder ein Thier 
leben zu lafien, fo Hört dieſes deßhalb noch nicht auf zu ſein, 
wie von der Seele des Menſchen vorhin gezeigt wurde. Johann. Die 
Seele eines Thieres oder Baumes iſt demnach nicht eine andere, als die 
eines andern? Cardinal. Der Subſtanz nad muß dies nah un— 
ſerer Auffaſſung zugegeben werden, denn es iſt nur Eine Seele von Allen 
(quoniam non est nisi una omnium anima), allein accidentiell find 
alle verſchieden. So iſt die Sehfraft im Menſchen fubftantiell vom Ges 
böre nicht verfchieden, weil ed die Eine Seele ift, die die Kraft des 
Sehens und Hörend bildet, während accidentiell eine Verfchiedenheit ftatts 
findet, da die Schfraft im Auge, nicht im Ohre, und das eine Auge ges 
eigneter zum Sehen ift, ald das andere. Johann. Demnab fann man 
fagen, ed gebe eine dreifache Welt: die Fleine Welt — der Menfh, die 
größte — Gott, die große — das Univerfum. (Secundum hanc opinio- 


230 


nem concedi potest, quod triplex est mundus: parvus, qui homo, 
maximus, qui est Deus, magnus, qui universum dieitur,) “Die fleine 
Melt ift das Bild (similitudo) der großen, die große das Bild der größ— 
ten. Allein ich bezweifle, ob der Menſch, da er die fleine Welt ift, auch 
ein Theil der großen if. Cardinal. Allerdings ift ver Menſch in 
der Weife eine Fleine Welt, daß er zugleich Theil der großen 
ift. In allen Theilen fpiegelt fih dad Ganze, da der Theil ein Theil 
ded Ganzen iſt. So fpiegelt fich der ganze Menſch in der Hand ab, die 
eine richtige Proportion zum ganzen Menfchen hat. Indeſſen fpiegelt fich 
doh im Haupt die ganze Vollfommenheit des Menſchen vollfommener ab. 
So fpiegelt fib auch das Univerfum in jedem feiner Theile ab. Denn 
Alles hat feine Angemeffenheit und fein richtiges Verhältniß zum Unis 
verfum. Gleichwohl fpiegelt e8 fih in dem Theile, der Menſch heißt, 
befier ab, als in jedem andern. Da nun die Vollkommenheit ded Unis 
verfums in feiner Totalität fih mehr im Menſchen abfpiegelt, fo ift 
aud der Menih eine vollfommene Welt, wenn fchon eine Kleine 
und ein Theil der großen Welt. Was demnah das Univerfum univers 
jel hat, hat auch der Menfh in particulärer, eigenthümlicher (proprie) 
und abgejonderter (discrete) Weife. Und da es nur Gin Univerfum, 
wohl aber viel Particulared und Abgefondertes geben fann, fo tragen die 
vielen partieularen und abgefonderten Menfchen die Geftalt und das Bild 
des Einen vollfommenen Univerfums an fih, auf Daß die fich gleichbleis 
bende (stabilis) Einheit des großen Univerfums in der mannigfaltigiten 
Vielheit vieler Feiner wechfelnder (Auidorum) Welten, die aufeinander fols 
gen, um fo vollfommener fi entfalte. Johann. Wenn ich recht vers 
ftehe, jo it der Menich, wie das Univerfum Ein großes Reich, aud ein 
Reih, wiewohl ein Feines in dem großen Reiche, wie dad Königreich 
Böhmen im römifhen Reiche oder im Kaiſerthum. Cardinal. Ganz 
recht. Der Menfh ift ein Reich, ähnlich dem Reich des Univerſums, 
gegründet auf einen Theil des Univerfums. So lange er nämlih Embryo 
im Mutterleibe ift, ift er noch nicht ein befonderes Reich, fondern erft 
nah Erfhaffung der vernünftigen Seele, die durb Schöpfung in ihn 
fommt (quae creando imponitur), wird er ein Reih, das feinen befon» 
bern König hat und Menſch heißt. Weicht die Seele von ihm, fo hört 
er auf, Menfh und ein Reich zu fein. Der Körper kehrt, wie er vor 
der Anfunft der vernünftigen Seele dem allgemeinen Reihe, der großen 
Welt angehörte, in diefed wieder zurüd, gleichwie Böhmen dem Reiche 
angehörte, bevor es einen befondern König hatte, und jenem wieder an- 
heimfällt, wenn der befondere König aufhört. Der Menſch ift alfo uns 
mittelbar feinem befondern König, der in ihm thront, unterthan, mittel- 
bar ift er dem Reiche der Welt unterworfen. So lange er aber noch fel- 


231 


nen König bat, oder wenn er zu fein aufgehört hat, iſt er unmittelbar 
dem Reihe der Welt unterworfen. Im Embryo übt daher die Natur 
oder Welticele, wie in Anderem, was Wachsthum bat, die Kraft des 
Wachsſsthums aus und ſetzt dieſe Function auch in einigen Todten fort, 
denen Haare und Nägel wacjen. Indeſſen habe ich, daß der Menſch ein bes 
jonderes Reich, frei und von edler Beichaffenheit fei, anderwärts ausführs 
licher erörtert. Es iſt eine fchöne Betrachtung, wie der Menſch durd Selbft- 
erfenntniß in feinem, wenn auch Heinen Reiche Alles reichlich ohne Mangel 
vorfindet, fich glüclich findet, wenn er nur will, und vollfommen zufrieden ift. 
Died fei daher hier mur furz berührt. Johann. Laß es Dich nicht ver- 
drießen, zu diefer fo ſchönen Entwicklung noch beizufügen, wie die größte 
Belt — Gott — in dem Univerfum fih abfpiegelt. Cardinal. 
Du verlangft Hohes, id weiß nicht, ob ich genügen werde; doch will ich 
mir mittelft ded Globus helfen, fo gut ich fann. Der fihtbare Globus ift 
das Abbild des unfichtbaren, der im Geiſte des Künſtlers iſt. Beachte 
nun wohl, daß der Geift die Kraft des Bildend und Geftaltend hat. Ins 
dem nämlich der Geiſt in fih die Fähigkeit hat, zu denken, was er 
will, befigt er die Kunft, jeinen Gedanten zu entfalten (pandendi con- 
ceptum), was wir die Kunft ded Bildend (fingendi) nennen wollen, 
der ih die Töpfer, Bildhauer, Maler, Dreher, Zimmerleute, Weber und 
ähnliche Künftler widmen. Gefegt nun, ein Töpfer wollte Häfen, Schüffeln 
und dgl., wovon er fi einen Begriff bilder, ſichtbar darftelen, um als 
Meifter erfannt zu werben, jo verichafft er fich zuerft die Möglichkeit hiezu, 
d. i. er macht die Materie tauglich zur Aufnahme einer fünftlerifchen Form. 
Iſt dies gefchehen, fo findet er, daß er ohne Bewegung die Möglichkeit 
nicht in MWirflichkeit umjegen kann, auf daß fie die Form annimmt, bie 
er fih gedacht hat; er macht ein Rad, dur deſſen Bewegung er die von 
ihm zuvor erdachte Form aus der Möglichfeit der Materie herausarbeitet. 
Da eine Materie gefügiger als die andere ift, fo kann feine Möglichkeit 
die vollfommenfte fein. In feiner Materie fann daher die immaterielle 
geiftige Form wahrhaft, wie fie an ſich ift, abgebildet werden; jede ficht- 
bare Form wird nur Abbild und Aehnlichkeit der wahren, unfichtbaren 
Form fein, die im Geiſte der Geift felbft ift. So ift im Geifte des Drehers 
diefer Globus fein Geift felbft, und indem er feinen Gedanfen ſichtbar 
madhen will, nimmt er Materie, hier Holz, das die geiftige Form auf— 
nehmen fol. Durch Drehen bringt er nun die Form in das Hol. Der 
Globus war alfo im Gedanfen, und dort ift der vorbildliche Globus der 
Gedanfe (mens); er war im Holze ald Möglichkeit, und hier war er bie 
Materie; er war endlich in der Bewegung, indem er aus der Möglichkeit zur 
Rirflichkeit gebracht wurde, und hier war er die Bewegung. Die Mög— 
lichkeit wurde Wirklichkeit. durch Determinirung der Möglichkeit, welche nun 


232 


in Wirklichkeit fo determinirt ift, daß fie ein fichtbarer Globus if. Aus 
diefem Bilde der menfhlihen Kunft fannft du dir einigermaßen einen Bes 
griff von der göttlichen fchaffenden Kunft machen, wiewohl zwiſchen dem 
Schaffen Gotted und dem Machen des Menſchen ein ebenio 
großer Unterfchied ift, als zwiſchen dem Schöpfer und Gefchöpfe. Der 
göttliche Geift, der die Welt denkt, ein Gedanke, welcher der Geift jelbft 
ift, gleich (aequalis) dem Gedanken, heißt die vorbildliche (archetypus) Welt. 
Nun wollte aber Gott die Schönheit feines Gedankens offenbaren. So ſchuf 
er denn die Möglichfeit oder das Werdenkönnen der fhönen Welt und 
die Bewegung, durch welde fie aus der Möglichkeit heraus zur Wirk 
lichfeit fommen follte, in welcher die Möglichkeit, fo wie es Gott wollte 
und wie ed fein fonnte, wirklich begrenzt wurde. Johann. Werftehft 
Du unter dem MWerdenfönnen, der Möglichfeit oder Materie 
etwas, woraud die Welt gemadt ift, wie der Globus aus dem 
Hole? Bardinal, Keineswegs, fondern nur den Uebergang der Welt 
aus der Seindweife, welche Möglichkeit, Werdenkönnen oder Materie ge 
nannt wird, in die Seinsweile des wirfliben (actu) Seins, Es wir 
nämlich nichts, was nicht werden fonnte. Was unmöglih werden fann, 
wie follte diefed werden? Märe die Materie etwas in Wirklichkeit (ali- 
quid actu), fo wäre fie entweder die Ewigkeit felbft oder ein Gefhöpf 
ber Ewigkeit (aeternitatis factura). Nun fann fie aber nicht die Ewigkeit 
fein, denn die Ewigkeit ift Gott, der alles das ift, was fein kann. So 
ift die Materie nicht, denn fie ift die Möglichkeit, dad Werbenfönnen oder 
die Veränderbarfeit (variabilitas), Sie ift aber auch nicht eim Geſchöpf 
der Ewigkeit; denn wäre fie gemadt worden, fo hätte fie werden fönnen 
und fo wäre das Werdenfönnen oder die Materie aus der Materie d. |. 
aus fich felbft gemacht, was unmöglich ift. Folglich ift die Materie 
nicht etwas Wirflihes. Wohl aber fagt man, die Sache, welde 
wird, werde aus der Materie, weil fie werden fonnte. Der göttlide 
Geift wäre niht allmäcdtig, wenn er nur aus Etwas etwa® 
machen fönnte, was der nicht allmächtige erſchaffene Geiſt täglie 
thut. Johann. Du negirft nicht, daß das Werdenfönnen, obwohl es 
nicht irgend ein Sein ift, doch etwas werden fann. Es ift alfo nicht 
durchaus Nichts, da aus Nichts nichts wird. Und da es nicht Gott iſt, 
noch auch etwas in Wirklichkeit, no aus Etwas, noch auch nichts, ſo 
ift ed, was es auch fein mag, aus Nichts; denn aus fich felbft kann ed 
nicht fein, da es ſich nicht aus Nichts erfhaffen kann. Es ſcheint alle 
ein Gefchöpf Gottes zu fein. Cardinal. Die Folgerung iſt gam 
richtig. Dazu nöthigt und die gefunde Vernunft (viva ratio), wiewohl 
wir, wie die Sache zu denken ſei, nicht einſehen. Denn wie der Begriff 
von Gott alle Begriffe überfteigt, fo entzieht ſich auch der Begriff der 


233 


Materie jeglihem Begreifen. Johann. Liegen die Kormen in 
der Materie verborgen (latent), wie der Globus im Holze verborgen 
lag? Gardinal. Mit nichten. Denn indem der Dreher ven Globus 
dadurch macht, daß er Holztheile fo lange abfchneidet, bis er auf die Ge— 
Halt ded Globus kommt, geht die Möglichkeit, welche er im Holze hatte, 
indem er den Globus dem Globus in feinem Geifte gleich geftaltet, aus dem 
mögliben Sein in das wirkliche über. Die materielle Urſache hievon ift 
dad Holz, die wirkende (efficiens) der Künftler, die geftaltende (formalis) 
dad Urbild im Geifte des Künftlers, das Endziel (causa finalis) der 
Künftler felbft, ver um feiner felbftwillen thätig war. Drei Urſachen finden 
Ab alſo im Künftler felbft, die vierte ift die materiafe. So ift auch Gott 
die dreifache Urſache (tricausalis): die ſchaffende, geftaltende und zielger 
bende für jede Ereatur und für die Materie felbft, welche etwas verurfacht 
(quae causat aliquid), obwohl fie ſelbſt nicht etwas ift. Allein ohne fie 
könnte das, wad wird, nicht werden. Denn da das, was im Geifte 
Gottes .ift, Gott — die Ewigkeit — ift, fo fann offenbar das nicht 
werden und wird auch nicht, was nicht im Geifte und Gedanfen Gottes 
it. Die Wahrheit jedes Dinges, das wird, muß daher nothiwendig nichts 
Anderes als das Urbild von ihr fein, das der Geiſt Gottes ift. Alles, 
was wird, Ift daher das Abbild einer Urform (exemplaris formae); denn 
die Wahrheit des Abbildes ift nicht das Abbild, fondern das Urbild. 
Wenn alfo Alles, was wird, nicht die Wahrheit ift, fondern nur ihr 
Abbild, fo muß, was wird, da ed von ber fich gleich bleibenden Ewigfeit 
berabfommt, in dem veränderlichen Subjecte aufgenommen werden, wo es 
niht fo, wie ed in der Ewigfeit ift, fondern wie es werden fann, aufs 
genommen wird. Johann Wenn ich Alles recht verftehe, fo ift Alles 
in Gott und in ihm die Wahrheit, die fein Mehr noch Weniger ift. In 
ihm ift Alles complicite und unentwidelt, wie der Kreis im Punkte. Alles 
it in der Bewegung, aber in ihr ift es in feiner Entwicklung. Alles ift 
im MWerdenfönnen, wie der Kreis in der Materie, die zu einem Kreiſe 
gebildet werden kann. Alles ift in der beftimmt begrenzten Möglichkeit, 
wie der wirklich bejchriebene Kreis. Kardinal. Du haft diefe Punkte 
ziemlich ſummariſch zufammengefaßt, die, ich weiß nit wie, außerhalb 
des Thema's in unfer Geſpraͤch hereingefommen find. Kehren wir daher 
m unferm Spiele zurüd; ich will, was ich noch im Auge habe, fo fur 
als möglich mittheilen. Johann. Sähe ich nicht, daß Du reihlih und 
über unfer Erwarten uns befriedigt und und eine Belehrung, die zu tiefem 
Rahdenten führt, gegeben haft, fo würde ich bei unferer großen Lernbe— 
gierde Di, obwohl Du ermüdet bift, inftändig bitten, das Begonnene in 
ausführliben Abhandlungen weiter zu führen. Doc verfahre nun nad 
Belieben, wir werden Deine Schriften aufjuchen, die, wie wir hoffen, reich 


234 


an folhen Höhepunften der Speculation find (quos his apicibus refertos 
speramus). Gardinal. Ich glaube, daß ich Diefes und Anderes öftere 
mündlich und fchriftlih erörtert habe, vielleicht befier als jetzt, wo meine 
Kräfte mehr naclaffen und das Gedächtniß nur langiam feine Dienfte 
thut. Meine Abfiht war, dieſem neuen Spiele, das Jedermann leicht 
verfteht und gerne fpielt, dem aber ein ficheres Berfahren fehlte, eine 
meinem Vorhaben entfpredhende Einrichtung zu geben. Ich bezeichnete den 
Standpunft zum Werfen des Globus und einen Kreis in der Mitte einer 
ebenen Fläche. Mitten im Kreife ift der Sitz des Könige, deſſen Reid 
das Reich des Lebens ift, eingeichloffen in den Kreis, der noch neun ans 
dere Kreife in fih faßt. Die Regel des Spiels ift nun bie: der Globus 
muß innerhalb des Kreiſes zur Ruhe kommen; je mäher dem Centrum 
er ruht, defto mehr gewinnt er nach der Zahl des Kreifed, in dem er zur 
Ruhe kommt. Wer am fchnellften es auf 34 — die Zahl der Jahre 
Ehrifti — bringt, ift Sieger. Dieſes Spiel nun bezeichnet die Bewe— 
gung unferer Eeele aus ihrem Reiche in das Reich des Lebens, in dem 
Ruhe und ewige Seligfeit ift, in deffen Gentrum unfer König, der Spender 
ded Lebens, Jeſus Chriftus, thront. Da er uns glei war, bewegte er 
den Globus feiner Perfon vergeftalt, daß er in der Mitte des Lebens 
rubte, und ein Beifpiel binterlaffend, daß auch wir e8 machen, wie er. 
Unfer Globus folge dem feinigen, wiewohl ed unmöglich ift, daß ein 
anderer Globus in demfelben Centrum das Lebens, in dem der Globus 
Ehrifti ruht, zur Ruhe gelange. Innerhalb des Kreiles find nämlich 
unendlich viele Orte des Stillſtehens. Jeder Einzelne fommt an dem 
ihm eignenden Punkte, den nie ein anderer erreichen fann, zur Rube. 
Keine zwei Globus find vollfommen gleih weit vom Centrum entfernt, 
fondern einer mehr, der andere weniger. Jeder Ehrift muß mun be 
denfen, daß Einige feine Hoffnung auf das andere Leben haben; es find 
Die, welche ihren Globus nur im Srdifchen bewegen. Andere haben die 
Hoffnung auf Glüdjeligkeit, allein mit ihren eigenen Kräften und Gefegen, 
ohne Ehriftus, ftreben fie zu jenem Leben zu gelangen. Diefe folgen nur 
ihrem Globus; mittelft ihrer eigenen Geiftesfräfte und den Lehren ihrer 
Propheten und Lehrmeifter nehmen fie einen Anlauf in die Höhe (ii glo- 
bum suum sequendo ingenii vires et suorum prophetarum et magi- 
strorum praecepta ad alta currere faciunt), aber in's Reich des Lebend 
gelangen fie nicht. Endlich gibt es Solde, welche den Weg, den Chriſtus, 
ver eingeborne Sohn Gottes gelehrt und betreten hat, einfchlagen. Diele 
wenden fich der Mitte zu, zum Throne des Königs der Tugenden, des 
Mittlerd zwiſchen Gott und den Menihen. Den Fußftapfen Ehrifti 
folgend, treiben fte ihren Globus zu mäßigem Laufe an (globum saum 
medioeri cursu impellunt). Sie allein erlangen eine Wohnftätte im Reiche 


235 


bes Lebens, denn nur der Sohn Gottes, der vom Himmel herabgeftiegen, 
fannte den Weg des Lebens, den er den Gläubigen durch Wort und That 
geoffenbart bat. Johanun. Du fagft: den Gläubigen. Wer find diefe? 
Gardinal. Wer an den Sobn Gottes glaubt und daß das Evanges 
(um dur ihn verkündet fei, der hat über die Wahrheit des Evangeliums 
Gewißheit, weil der Sohn Gottes nicht lügt. Er zieht daher die Vers 
beifungen ded Evangeliums diefem Leben vor. Er freut fib bier zu 
Rerben, um mit Ehriftus in das ewige Leben einzugehen. Sterben muß 
man jedenfalls. Aber Sterben für den Glauben an den Sohn Gottes 
hat die Vergeltung des ewigen Lebens. Denn wie follte Gott, der fo 
gerecht und barmberzig ift, den treuen Glauben des für Gottes Ehre 
Sterbenden nicht vergelten? und welde andere Vergeltung follte er geben, 
ald die des Lebens Dem, der für ihn das Leben gegeben hat? Iſt Gott 
weniger edelmüthig, als ein Edelmann, der die Treue feiner Dienftmannen 
reichlich, bis zur Theilnahme an der Herrſchaft, belohnt? Wenn daher 
in Gläubiger für die Ehre des Sohnes jelbft den ewigen Tod zu leiden 
fh entſchloſſen hätte, welde andere Vergeltung wird ihm zu Theil werden, 
ald die des Lebens, mit der Gewißheit, daß er immer und ewig wahr: 
baft lebe und fich freue? Johann. Sind das alſo feine wahren Ehriften, 
die nicht wie Ehriftus für die Ehre Gottes fterben? Cardinal. Der 
it ein Chrift, der die Ehre Chrifti dem eigenen Leben und der eigenen 
Ehre vorzieht, und zwar fo, daß wenn die Prüfung der Verfolgung über 
ihn fommt, er als Chrift erfunden wird. In dem lebt Ehriftus und er 
ielbft lebt nicht. Welt und Leben verachtet Der, in dem durch den Glauben 
der Geift des Sohnes Gottes, Jeſu Ehrifti, ift, der der Welt abgeftorben 
in Ehriftus lebt. Johann. So viel ich fehe, ift es fchwer, dem ger 
hümmten Globus eine ſolche Richtung zu geben, daß er dem Wege Ehrifti 
folgt, in dem der Geift Gottes war, der ihn in’d Gentrum und zum Duell 
des Lebens führte. Cardinal. Es ift ganz leicht für Den, der wahren 
Glauben hat, wie ich vorhin fagte. Der Globud Deiner Perſon wird 
durd den Geift des Glaubens angetrieben, durch fefte Hoffnung ges 
litet, durch Liebe an Chriftus gefeſſelt, ver dich mit fich zum Leben führt. 
Bür die Ungläubigen ift dies unmöglich. Johann. Davon bin ic 
ſeſt überzeugt: wer nicht Chriſtus, dem Sohne Gottes, glaubt, huldigt der 
Belt und hofft nicht auf ein befjered Leben; der Gläubige aber freut fich 
in Unglück, weil er weiß: ein glorreicher Tod gibt mir das unfterbliche 
Leben. Allein es fcheint kaum möglich, daß der, feiner Natur nach, nad) 
unten geneigte Globus nicht bei der Bewegung eime fchiefe Richtung 
nehme, der eine mehr als der andere. Gardinal. Das ift eben das 
hoͤchſte Geheimniß dieſes Spiels, daß wir lernen, die Senkungen und na— 
rlihen Krümmungen durch eifrige Uebung fo zu überwinden, daß wir 


236 


endlich nach vielen Schwankungen, unfihern Bewegungen und Krümmungen 
im Reiche des Lebens zur Ruhe fommen. Du fiehft, daß der Eine den 
Globus auf diefe, der Andere auf eine andere Meife antreibt, während 
der Globus felbft immer feine Gurvengeftalt beibehält. Nach dem ver 
fchiedenen Anftoße ift auch feine Bewegung und zur Ruhe Kommen ver: 
fchieden, und bevor er zur Ruhe fommt, weiß man nie mit Sicherheit 
feinen Ruhepunft anzugeben. Sieht nun Einer, daß der von einem Andern 
angetriebene Globus ganz nahe an's Eentrum gefommen, fo will er «6 
ihm nachmachen, verfucht ed wiederholt und zulegt gelingt e8. Johann. 
Jeder Globus ift von befonderer Art und anders gefrümmt Es kann 
fomit nicht Einer dem Andern folgen. Cardinal. Allerdings, Keiner 
fann in die Fußftapfen eines Andern präcis eintreten, wohl aber muß 
jeder die Senfungen feines Globus — feine Leidenſchaften — durch Uebuns 
gen, die er mit fih vornimmt, überwinden. So gefchult fuche er dann 
die Richtung zu treffen, bei der die Krümmung feines Globus fein Hin 
derniß mehr findet, um in den Kreis des Lebens zu gelangen. Das ift 
die myftifhe Bedeutung des Spiels: durch eifrige Uebung 
fann aud ein gefrümmter Globus eine fo regelredte 
Richtung befommen,daß er nad unfiher fih hinwindender 
Bewegung im Reihe des Lebens zur Ruhe fommt. Johann. 
Ich kann nicht Täugnen, daß ſich der Globus nach dem verfchiedenen Anſtoß 
des MWerfenden immer verfchieven bewegen werde und daß der nämliche 
Globus von Jemand beliebig geworfen werden kann, fo daß, obwohl die 
frumme Richtung immer bleibt, doch feine Bewegung eine verſchiedene 
it. Da er jedoch nicht immer im Gentrum des Kreifed, wohin ibm jeder 
Spieler bringen will, zur Ruhe kommt, und ein Spieler das eine Mal ihn 
nahe an's Centrum bringt, das andere Mal, obwohl er diejelbe Abſicht hat, 
weit vom Centrum entfernt bleibt, fo fcheint mir, daß nicht bloß die Ad 
ſicht des Spielers, fondern aub das Glück auf die Bewegung Einfluß 
hat. Eardinal. Glück fanı man nennen, was unabhängig von der 
Abſicht fih ereignet, und da jeder Spieler nad dem Centrum des Kreiled 
zielt, fo ift es nicht Glück, wenn er es trifft. Indeſſen fteht es auch 
nicht in unferer Gewalt, daß unfer Wille vollzogen wird (quod voluntas 
nostra perficiatur). Denn indem der Globus hinrollt, fehen wir aufs 
merffam zu, ob er in's Gentrum gelangt, und gerne möchten wir ihm, 
wenn es möglich wäre, zu Hülfe kommen, daß er endlich im Gentrum 
anlange. Weil wir ihm aber auf feinem Wege nicht mehr helfen fünnen, 
wenn wir nicht zuvor ihm den nöthigen Anftoß gegeben haben, fo fönnen 
wir mit unferer hintennach hinzufommenden Abſicht den Lauf, den wir ihm 
gegeben, nicht Ienfen, gleichvoie, wer von einem Berge herab zu laufen an 
gefangen hat, im fehnellen Laufe, auch wenn er will, ſich nicht anhalten 


237 


fan. Man muß daher auf den Anfang der Bewegung feine Aufmerf- 
jamfeit richten. Daher läßt eine fchlechte Gewohnheit, die auch eine Bes 
wegung ift, und nicht zum Guthandeln fommen, wenn wir fie nicht aufs 
geben und durch eine gute Gewohnheit die Bewegung zur Tugend hin 
rihten. Es dürfen daher Die, welche ihrem Lebendlaufe eine fchlechte 
Rihtung geben, wenn fie auch während desjelben Reue empfinden, feinem 
äußern Verhältniffe, dad man Scidfal (fatum) oder Mißgeſchick (mala 
fortuna) zu nennen pflegt, es zufchreiben, wenn fie ihren Lauf jchlecht 
endigen, fondern nur fich ſelbſt, die fi unüberlegt in's Verderben ges 
fürst haben. Du fiehft deutlich, daß Du den Globus, wann und wie 
Du willft, in Bewegung ſetzen kannſt, au wenn eine Conftellation 
am Himmel Dir fagte, der Globus müſſe unbeweglich bleiben; der Einfluß 
diefer Eonftellation wird Deine Hand nicht hemmen, den Globus, wenn 
Du willft, in Bewegung zu jeßen. Denn das Neid eined Jeden ift ein 
freied, wie auch das Reich des Univerjums, in dem auch die Himmel und 
Geftirne inbegriffen find, die aud in der kleinen Welt, wiewohl in menfd« 
licher Weife, fih vorfinden. Johann. Demnach muß Jeder auch 
das Unglüd nur ſich felbft zuſchreiben. Cardinal. Wllers 
dings, im Gebiete des Sittliben und in denjenigen Hands» 
lungen, die der Menſch als Menfh begeht. Niemand ift ein 
Sünder, ald nur durch feine Schuld. Johann. Warum nennt man 
aber das Schidjal allmähtig? Cardinal. Das fagt ein Dichter, der 
wußte, daß dies die Lehre der Platonifer fe. Denn diefe nennen das 
Shidjal (fortuna) die Ordnung und Gintheilung aller Dinge nad) ihrem 
beiondern Sein, fie nennen ed das feft umfchließende Band (necessitatem 
complexionis), weil jener Anordnung nichts widerftehen kann. Diefe heißt 
weder ungünftig noch güuftig an fi, fondern nur in Bezug auf uns und 
nah der Entwidlung der Dinge, 3. B. die Beftimmung und Anordnung, 
daß ein Menſch fei, womit gefagt wird, daß Alles fo gefchehe, wie es zu 
geihehen pflegt, fonft würde ein Menſch nicht entftehen. Diefe Noth— 
wendigfeit iſt daher unvermeidlih und nichts kann ihr widerftehen, ins 
ſofern allmächtig. Daß aber Sofrates und Plato wirklich verſchiedene 
Menſchen find, das rührt nicht daher, daß das Schidjal oder die Aus 
ordnung der Dinge günftig oder ungünftig ift, jondern nur relativ wird 
dem Einen von ihnen Glück zu Theil im Verhältniß zum Andern, Allein 
weder dieſes Schidfal, noch die früher genannte Weltfcele 
ordnet in unferem Reihe Dasjenige an, was den Menſchen 
betrifft. Jeder Menfch hat den freien Willen, zu wollen oder nicht 
u wollen; Jeder erkennt Tugend und Lafter, das Sittliche und Unfittliche, 
dad Gerechte und Ungerechte, das Lob⸗ und das Tadeldwerthe, das Ehren- 
volle und das Entcehrende; Jeder weiß, daß man das Gute wählen, das 


238 


Böfe verwerfen müffe, denn er bat in fih den König und Richter. Da 
die Thiere von allem Dem nichts wiffen, fo fommt ed dem Menſchen 
als Menſchen zu. Diefe eben erwähnten Tugenden bilden ein edles Reid, 
das weder dem Univerfum noch einer andern Greatur unterworfen if, 
nicht aber jene äußeren Glücksgüter, über die der Menfch nicht nach feinem 
freien Willen verfügen kann, weil fie nicht wie die genannten unfterblicen 
Güter dem Willen des Menichen unterworfen find. Die unſterbliche Seele 
fuht und wählt fib mit freier Wahl die unfterbliben Tugenden, bie 
ihrem Leben eine unfterblihe Nahrung geben, wie ſich der Körper die ihm 
zufagende körperliche Nahrung fucht. Und wiewohl e8 unmöglich ift, ſo 
lange der Globus in Bewegung iſt, vorher zu wiffen, in welchem Punfte 
er ruhen werde, und obwohl er nicht jedesmal im Kreife zur Ruhe kommt, 
weil er mandmal in den Kreis gelangt, fo kann man doch durch Ge 
wohnheit und beftändige Uebung mit ziemliher Wahrſcheinlichkeit vorher, 
beftimmen, daß der Globus im Kreife feine Ruhe finden werde. Schwerer 
läßt fi fagen, in welder Ordnung der abgefonderten Kreife, aber durch⸗ 
aus nicht, in welchem Punkte. Mit dem irdifhen Menfhen und feiner 
Wanderſchaft hat der Globus mit feinem gewichtigen Körper, feiner ber 
Erde fich zuneigenden Seite und der durch einen Menfchen ihm gegebenen 
Bewegung manche Aehnlichfeit. Denn die menfhlihe Bewegung kann 
nicht in der geraden Nichtung bleiben. Durch ihr irdifch gefinntes Weſen 
(propter terresteritatem) fenft fie fich fehnell, unbeftändig und wechſelnd 
ſchwankt fie beſtändig. Gleihwohl kann fie durch Tugendübung ihre 
Bewegung im Kreife zum Ziele dringen, und einen guten und beharrlicen 
Willen unterftügt Gott, der in der Bewegung gefucht wird, und bringt 
ihn zur Vollendung (perficit bonam voluntatem). Denn er ift es, der 
den Gläubigen Teitet (dirigit) und zur Volltommenheit führt und ber 
Ohnmacht des auf ihm Hoffenden durch feine allmächtige Güte aufbilft 
(et impotentiam in ipsum sperantis sua omnipotenti supplet clementia). 
Wenn daher der Chrift Alles, was in ihm ift, vollzieht (qui facit om- 
nia, quae in ipso sunt), fo wird er, wenn er gleich merft, daß fein 
Globus eine unbeftändige Bewegung habe, doch im Vertrauen auf Gott 
nit zu Schanden werden, weil Gott Die nicht verläßt, die auf ihn hoffen. 

Das ift das Geheimniß diefes Spiels, das ich nun in fo kurzer Zeit 
hinlänglich erläutert habe. Du fannft aus diefem Wenigen Vieles Dir 
entnehmen und in der Bewegung vorankommen, auf daß wir einmal ver 
eint im Reiche des Lebens mit Chriftus unferm Könige glücklich den 
Ruhepunkt finden! Das möge Der gewähren, der allein die Macht day 
hat und in Ewigfeit gepriefen fei. Amen. 


239 


Zweites Dud. 


Gin Geſpräch zwifchen dem jungen Albert, Herzog von Bayern und dem Gardinal 
Nicolaus. 


Albert. Es ift Dir befannt, mein Vater! daß ich im der frohen 
Hoffnung, unferem Papſte Pius, Dir und andern Garbinälen befannt zu 
werden und mich weiter auszubilden, hieher gefommen bin. Als ih nun 
den erlauchten Herzog Johann, meinen lieben Vetter, in der Stadt antraf 
und nad den gemeinſchaftlichen Beſuchen bei unfern Freunden bemerkte, 
daß er die Schrift über das Globusſpiel fleißig Iefe, fo bewunderte ich 
lowohl das Spiel, als die Schrift und bemühte mich, wenigftend Einiges 
mit meinem noch jungen Berftande zu erfaſſen. Allein ich verftand bie 
Erflärung der myftifchen Bedeutung der Kreife in der Region des Lebens 
nit. Ich bitte daher Deine Güte, verachte nicht meine Unfähigkeit, ein 
ſolches Geheimniß zu erfaffen. Reicher an Belehrung werde ich, was ich 
etwa von Dir höre, bei mir wiederholen, und fo mit Hülfe Gottes Forts 
Ihritte mahen. Cardinal. Es hat mich fehr gefreut, dich mit deinem 
Bruder Wolfgang bei mir zu fehen. Denn Dein Vater Albert, der ers 
lauchte Pfalzgraf und Herzog von Baiern, war mir viele Jahre mit bes 
ſonderer Liebe zugethan und hat mir died auch durch die That bewicfen. 
Zu jeben, daß der Vater in den erlauchten talentvollen und gebildeten 
Söhnen fortlebe, ift mir ein großes Vergnügen. Ich werde daher, was 
in meinen Kräften fteht, gerne mitteilen. Ueber das Globusiptel wün— 
ſcheſt Du Aufſchlüſſe, die Du vielleicht bei Deiner Jugend nicht faffen Fannft. 
Dod wirft Du jedenfalld ftaunen und mit einem gewiſſen Eifer erhabene 
Wahrheiten in Dich aufnehmen, die Dich fähig machen, alles andere Wiſſen 
jüneller zu erfaffen; Du mußt aber das Auge des Geiftes aufthun und 
den Blick ganz in die Höhe richten, fo daß Du meine Worte mehr fiehft, 
als höreft. Albert. Ich will das Alles thun, foweit Anlage und Tas 
int e8 erlauben. Cardinal. Um das Geheimniß der Kreile zu vers 
Heben, merfe Dir folgenden Sag: Es kann nichts größer oder Heiner fein 
ald Das, das in Allem und in dem Alles if. Es ift daher das Urbild 
von Allem. Albert. Gut, ich habe diefen Sa meinem Gedächtniffe 
eingeprägt. Damit aber der Geift die Wahrheit einfehe, bedarf e8 einer 
Erklärung. Gardinal. Wenige Worte werden genügen. Wie follte 
etwas fleiner fein ald das, das in Allem, oder wie größer als das, in 
dem Alles? Wenn alfo nichts von Allem größer oder Kleiner ift, jo find 


240 


alle Dinge nothwendig die Abbilder (exemplata) jenes Einen Urbildes. 
Albert. Das ift die fürzefte Erflärung, denn ih fehe ganz gut ein, 
daß, da das Abbild Alles nur vom Urbilde bat, und ed nur Ein Urbild 
von Allem gibt, das in Allem und in dem Alles ift, Du mich zu einer 
Betrachtung hoher Dinge führft, indem Du mir die Einheit des Urbildes 
aller verfchiedenen Abbilder zeigt. Cardinal. Du fichit alfo ein, daß 
das Abbild micht fein könne, es fei denn in ihm das Urbild. Albert. 
Ganz gewiß. Gardinal. Allein wie eriftirt das Abbild, wenn ed nicht 
in feinem Urbilde ift? Denn tft das Abbild außerhalb feinem Urbilde, 
wie bleibt ed dann noch Abbild? Albert. Ich nehme feinen Ans 
ftand, Died zuzugeben. Das Abbild muß nothwendig in feinem Urbilde 
enthalten fein, jonft wäre es fein wahres Abbild. Vollkommen fehe ih 
ein, daß das Urbild nothwendig in dem Abbilde und das Abbild in 
dem Urbilde enthalten it. Gardinal. Das Urbild ift alfo in 
allen Abbildern, und alle Abbilder find in ihm. Kein 
Abbild ift alfo Eleiner oder größer als dasſelbe. Somit find alle Abbilver 
Abbilder des Einen Urbildes. Albert. Ganz richtig, ich begreife dad. 
Cardinal. Und es bedarf nicht wegen der Vielheit der Abbilder meh 
rerer Urbilder, da Eines für unendlich Viele genügt. Denn naturgemäß 
geht das Urbild dem Abbilde, aller Vielheit die Einheit woraus, welde 
das Urbild aller abbilvlihen Vielheit it. Wären nun mehrere Urbilder, 
fo müßte die Vielheit der urbildlihen Einheit vorangehen. Jene mehreren 
Urbilder wären nicht die gleihmäßig erften (aeque prima) Urbilder, fon 
dern die Abbilder Eines erften Urbildes. Man kommt alfo immer wieder 
auf Ein erftes Urbild, das in allen Abbildern und in dem alle Abbilver. 
Albert. Du haft mir gezeigt, was ich zu fehen wünſchte. Ohne Am 
ftand fehe ich ein, daß die Einheit das Princip aller Vielheit ift; in 
Folge hievon erkenne ih die Einheit als das Urbild aller Abbilber. 
Cardinal. Ich fagte, die Einheit fei das Urbild aller Zahlen oder 
aller Vielheit und Menge. Denn in jeder Zahl fiehft Du bie 
Einheit und jede Zahl fiehft Du in der Einheit enthalten. 
Jede Zahl ift Eins: der Zweier, Dreier, Zehner ıc., jedes tft die Einzahl. 
Das wäre nicht möglich, wenn in ihr nicht die Einheit und fie nicht in 
der Einheit wäre. Albert. Bisher beachtete ich dies nicht; ich glaubte, 
der Zehner fei größer als die Einheit und fomit nicht in der Einheit ent 
halten. Jetzt fehe ich aber, daß der Denar, da er Ein Denar ift, dieſes 
nicht fein fann, außer er fei im der Ginheit enthalten. Cardinal. 
Du mußt aber auch darauf achten, daß die Einheit weder feiner noch 
größer fein fann. Daß fie nicht Kleiner ift, haft Du fo eben zugegeben; 
daß fie nicht größer ift, fiehft Du auch ein, wenn Du beachteft, daß bad, 
was größer ald Eined wäre, nicht Eines wäre. So iſt's beim Denar; er 


241 


mag vermindert oder vergrößert fein, fo iſt er nicht mehr der Denar. Das 
hat alle Zahl von der Einheit, denn die Zahl ift das Abbild der Einheit als 
ded Vorbilde. Albert. Der Sag, den Du vorausgeſchickt haft, ſcheint 
der Schlüffel zum Verftändniffe verborgener Wahrheiten zu fein, wenn ber 
Borihende ihm recht anwendet. Cardinal. Die Anwendung ift nicht 
ſchwer. Wenn ich eine Reihe von Fragen an Dich richte, fo wird ſchon 
die Frage Dich zur Anfhauung der Wahrheit hinführen, 3. B. ich frage 
Dih, ob Du glaubft, daß Alles, was Du fiehft, reale Eriftenz habe. 
3b bin überzeugt, Du wirft jagen: alles dies hat feine Eriftenz. Albert. 
Da ed etwas ift, fo muß es auch exiſtiren. Cardinal. Iſt in dem, 
was eriftirt, dad Sein ſelbſt? Albert. Allerdings, denn wenn in ihm 
niht das Sein felbft wäre, wie fönnte es eriftiren? Cardinal. Exi— 
firt aljo nicht Alles, was ift, in dem Sein felbt? Albert. Außers 
halb dem Sein felbft würde es freilich nicht eriftiren. Cardinal. Das 
Erin von Allem ift alfo in Allem, was eriftirt, und alles GEriftirende 
erifiirt in dem Eein felbft. Albert. Es ift mir nichts gewifler, als 
dag das einfahfte Sein von Allem das Urbild alles Eriftirenden iſt. 
Bardinal. Das ift das abjolute Erin, das wir ald den Echöpfer 
von Allem, was ift, glauben. Albert. Wer follte nicht einjehen, daß 
dad, was Du gelagt haft, ſich wirklich jo verhalte? Gardinal. So 
feht Du in dem Befeelten die Seele und zugleih das Befeelte in der 
Seele, im Gerechten die Gerechtigkeit und ihn in der Gerechtigkeit, im 
Weißen dad Weißfein und das Weiße im Weißfein, überhaupt im 
Goncreten (in contracto) das Abjolute und das Eoncrete im 
Abfoluten, die Menfhheit im Menſchen und den Menfhen in der 
Menſchheit. Albert. Ich begreife dies Alles als nothwendig, allein die 
Vorftellung (imaginatio) fann das Wie nicht faflen. Oper wer jollte 
es faflen, daß Eines in dem Andern ift und died Andere in demfelben 
Einen? Cardinal. Dies ift deßhalb nicht vorftellig (inimaginabile), 
weil die Vorftellung durch die Kategorie oder Quantität befhränft ift. 
Was fein Duantum ift, erfaßt die Vorftellung nit. Daß daher das 
Einihließende in dem Eingeſchloſſenen ift (continens in contento), vers 
Reht die Vorftellung nicht, indem fie fih einen Raum, der eine Quantität 
hat, vorftellt ; fie meint, es fei, ald wollte man fagen: wenn Jemand in 
einem Haufe ift, fo ift das Haus in ihm. Allein das Auge des Geiſtes, 
dad auf das Erfennbare, das über die Vorftellung hinausgeht, hinſchaut, 
fann den Sag nicht in Abrede ftellen; denn es ficht in dem Sein felbft, 
das über die -Vorftellung hinausliegt, Alles, auch die Borftellung ſelbſt, 
eingeichloffen, und wäre dies vom Eingefchloffenen nicht wahr, fo eriftirte 
es nicht. Albert. Ich erkenne die Wahrheit dieſes Sapes und es 
Sqcharpff, Nie. v. Cuſa. 16 


242 


fällt mir eim deutliches Beilpiel hievon ein. Was durch Sinn und Bor: 
ftellung erreicht wird, ift an der Eubftanz (circa substantiam) und heißt 
Accidens. Würden die Nceidentien nicht in der Subftanz enthalten fein 
(nisi continerentur per substantiam), fo würden fie nicht beftehen. 
Was alio die Accidentien in ſich fehließt, muß in den Aceidentien fein 
und- beftehen (substare), damit diefe in ihm beftehen. Die Eubftanz der 
vernünftigen Natur (intelligibilis naturae), die über Sinn und Vorſtel— 
lung binausliegt, begreift alfo alle Aceidentien in fih und eriftirt in dem 
von ihr Inbegriffenen. Daß die Accidentien an einem Subjecte d. i. an 
der Subſtanz find, ift ſoviel, als daß die Subftanz in den Accidentien if. 
Ganz befonderd ſehe ib das ald wahr ein, daß die Accidentien nicht an 
ihrem Subjecte, der Eubftanz, wie an einem beftimmten Orte find, da der 
Ort felbft Accidens, nicht Subftanz if. Cardinal. ES freut mid, 
daß Du einen gefunden Geiftesblid bafl. Wenn Du unfere Gebanfen 
auf die vernünftige Seele, welde die Eubftanz aller ihrer Kräfte und 
Fähigkeiten it, ausdehnſt, fo fiehft Du, daß fie diefe in fich enthalte und 
in allen ihren Kräften und Rähigfeiten enthalten fei. Albert. Id 
fange an Geſchmack an diefem ſchmackhaften Wiſſen zu finden; ich werde 
mich in ihm üben, um Beftigfeit darin zu erlangen. Doc damit id Did 
nicht zu fange bei diefer für mich nothwendigen Digreffion aufhalte, ſo 
fahre nun weiter, um zu Deinem Ziele zu gelangen. Cardinal. Nun 
wirft Du, den? ich, diefe Lebensfreife (des Globus) leicht verftehen. In 
jedem Lebenden muß Leben und der Lebende im Leben fein. Das Leben 
der nach Chriſtus Geftalteten (vita Christiformium), d. i. aller Derer, die 
in der Region der Lebenden find, verhält fih alfo fo, vaß das Keben, 
welches Ehriftus ift, welder jagt: „Ich bin das Leben“, 
in allen dort Lebenden ift und alle Lebenden in dem 
Leben find, welches Chriſtus if. Es ift fomit das Leben 
Ehriftidas Urbild für alledort Lebenden, welde die Abs 
bilder desfelben find. Albert. Ich ſehe wohl, daß der lebendige Ehrift 
fih fo verhalte, wie Du fagft: ed muß in ihm bas Leben Ehrifti und er 
in diefem Leben fein. Cardinal. Abgebildet wird diefes Leben im der 
Region der Lebenden in der runden Figur, die Du fiehft, und indem alle 
Kreife das gleibe Centrum haben, find fie das Bild des Runden. Das 
Runde ift das Kreisförmige, die Bewegung des immerwährenden und 
unendlichen Lebens. In jedem Runden muß die Rundheit fein, durch die 
es eben rund ifl. Wie es nun weder eine Kenntniß, noch Wefenheit dee 
Runden oder Immerwährenden (perpetui) geben fann, außer im Centrum, 
um das ſich die immerwährende Bewegung drebt, fo daß ohne das Een 
trum eine immerwährende Dauer und eine Bewegung des immermwährenden 
Lebens, die auf dem gleichen Verhältniß zur Identität des Centrums bes 


243 


ruht, weder fein noch erkannt werben fann, fo verhält fih auch das 
Centrum, weldes Ehriftus ift, zu allen freisförmigen Bewegungen. Die 
Kreife bezeichnen die Berwegung des Lebens. Die lebensreicheren Bewe— 
gungen (vivaciores motus) werben dur die dem Lebendcentrum näheren 
Kreife bezeichnet. Denn das Lebenscentrum felbft ift der Art, daß es 
weder größer noch Fleiner fein fann. Im ihm ift die Lebensbewegung, 
die außer ihm nicht ift. Denn eine Lebensbewegung, im der nicht das 
Leben ift, ift keine wahre Lebensbewegung. Die freisförmige und centrale 
Bewegung ift das Leben der Lebenden. . Je näher nun der Kreis dem 
Gentrum iſt, deſto fchneller ift feine Kreisbewegung. Polglib kann der 
Kreis, der mit dem Centrum zufammenfällt, im Augenblick (in Nunc in- 
stanti) fih umdrehen; die Bewegung ift demnach bier eine unendliche. 
Run ift aber dad Centrum ein firer Punkt; die Bewegung ift daher 
die größte oder unendlihe und zugleich die Fleinfte da, wo 
Centrum und Umfreis identifh find. Wir nennen died das 
ewige Leben, das in feiner firen Ewigfeit alle möglice Bewegung des 
Lebens im fich begreift. Albert. Ich begreife, daß Du fagen willft, der 
fleinere Umfang der Kreife bezeichne eine fchnellere oder Iebenswollere Les 
bensbewegung, weil fie dem Eentrum, dem Leben der Lebenden, näher ift. 
Doch fage mir: warum haft Du neun Kreife gezeichnet? Cardinal. 
Wir wiffen, daß Einige in der vernünftigen Bewegung fchnell, Andere 
langfam find, in verjciedenen Gradunterfchieden, wie wir an der Bers 
ſchiedenheit der Talente fehen. Einige haben eine ſolche Lebensfülle, daß 
fie ganz fehnell fi bewegen; Andere find langfamer, fie machen in feinem 
Stüde Fortſchritte. Ehriftus nun, der das Leben ift, ift auch die 
BVeisheit und das fhmadhafte Wiffen (sapida scientia). 
Die Weisheit, fofern fie fhmadhaft ift, erweist fi als lebendiges Er- 
faſſen. Bon diefer Art ift das vernünftige Erfafien der Weisheit oder 
des ſchmackbaften Wiſſens. Daher will jede lebendige, ver» 
nünftige Bewegung den Grund ihres Lebens erfennen 
und in diefem Wiffen unfterblihe Nahrung finden. Ge 
langt fie nicht zu diefem Ziele, fo lebt fie nicht, weil fie den Grund ihres 
Lebens nicht Fennt. Der Spender des Lebens iſt Gott; aber Niemand 
kennt ihn, wenn ihm nicht Ehriftus, der Sohn Gottes, befannt macht 
(ostendit), Dieſes Bekanntmachen vermag nur er; denn Niemand kann 
den Bater ald Bater befannt machen, ald der Sohn. Es ift aber mur 
Ein Vater Ehrifti und unfer Vater, der die Ewigfeit felbft ift, der in 
allen Vätern ift und in dem alle Väter enthalten find. Um noch beuts 
liher Den, ver den Bater befannt macht, zu erfennen, fo beachte, daß er 
die Wahrheit ift. Denn er fagte, er fei ver Weg und die Thüre, das 
16* 


244 


Leben und die Wahrheit. Ein zuverläffiges und wahres Bekanntmachen 
ift nur dur die Wahrheit möglid. Die Lüge, die dem Lügner und Ver 
führer, dem Teufel, zugefchrieben wird, irrt und verirrt (errat et deviat). 
Die Kindſchaft (Aliatio) Gottes offenbart in Chriftus fich felbft, weil er 
die Wahrheit iſt. Wer Ehriftus wahrhaftig erfennt, erfennt 
inihbm den Bater und ihn im Vater. Die Kreife bedew 
ten die Stufen der Erfenntnif (gradus visionis). In jedem 
Kreife ficht man das allen gemeinfame Centrum, doch näher in dem 
nähern, entfernter in dem entfernteren. Mer nicht in einem Kreife iR, 
fann das Gentrum, das man nur in einem Kreife fieht, nicht jehen, und 
ift fomit außerhalb der Stufen der ewigen Anſchauung. Ohne Ehriftus 
ſiehſt Du nicht das Leben der Lebenden, das Licht der ver 
nünftigen Lichter. In der Finfterniß ift daher fein Leben: fehen heißt 
leben. In der Ermanylung des Lichts fann man nichts fehen, wenn aud 
dad Auge gefund if. Daher fann die Seele, obwohl ihrer Natur 
nad ungerftörlib, ohne das aufhellende Licht (luce carens ostensiva), 
das Ehriftus ift, nichts fehen und nit vernünftig leben 
Wie das phyſiſche Sehen, um wahr und lebendig zu fein, das ſinnliche 
Licht bedarf, fo bedarf pas vernünftige Sehen Cintellectualis visio) 
das vernünftige Licht der Wahrheit, um zu fehen und zu leben. Weil nun 
im Zehner ſich alle Zahl abſchließt, fo Habe ich das Aufiteigen (in's Reid 
des Lebens) durch neun Kreife, aus denen man in dem zehnten, der fo 
Kreis als Centrum ift, gelangt, bezeichnet. Albert. Wenn id aud 
Alles, was Du gefagt haft, nicht volftändig begriffen habe, fo habe id 
doch die Wahrheit davon eingefehen. Nur das verftehe ich noch niet, 
wie, da doch die Unendlichkeit des centralen Lichts auf das Freigebigſte 
ausftrömt, Grade entftehen können, Cardinal. Dieſes Licht ver 
breitet fi nicht über Äußere Räume, wie das phyſiſche (corporea) Licht, 
das die ihm zunächſt liegenden Räume am Hellſten beleuchtet. Es iſt ein 
Licht, das, wie das Denken des Geiſtes, in keinen Raum eingeſchloſſen 
und durch kein Hinderniß gehemmt wird. Was aber von ihm beleuchtet 
wird, muß verſchiedener Art fein, weil Vieles ohne Verſchiedenheit) nicht 
Vieles wäre; denn ed wäre fonft Ein und Dasfelbe. Die Aufnahme 
des Lichts iſt in dem verfchievenen @eiftern eine verfchiedene, wie dad 
Eine phyfiihe Licht in verfchiedenen Augen verfchieden aufgenommen 
wird, in dem einen heller ald in dem andern, nach der Fähigkeit des 
Auges, die bei verſchiedenen Subjecten nicht eine gleiche fein kann. Es 
nehmen daher auch die Chriſtusähnlichen (Christiformes) das Licht der 


1) Im Texte fieht: sine veritate; ed muß, um den richtigen Sinn zu geben, noth⸗ 
wendig sine varietate heißen. 


25 


Glorle zwar alle in binreichendem Grade (suflicienter) auf, allein vers 
ihieden nach der Fähigfeit eines Jeden. Wenn der Prediger des Evan 
geliumd das Eine Licht (der göttlichen Wahrheit) auf gleihe Weife 
in die Zuhörer ausftrömen läßt, fo wird es nicht von Allen auf gleiche 
Weile aufgefaßt, da fie nicht von gleichem Geifte und Faflungsfraft find, 
Albert. Da nur Selige (nemo nisi beatus) in der Region der Lebens 
den find, und nur der felig ift, welcher hat, wornad er ftrebt, und bie 
Ruhe alles Strebens einzig darin befteht, auf vie beite und vollfom« 
menfte Weiſe das Gentrum ded Lebens zu ſehen, fo fällt ed mir auf, 
daß Du in der Abbildung Einige dem Centrum näher fommen läffeft, da 
doch die Entfernteren nicht auf eine beflere Weile, als ed möglich ift, 
(dad Centrum des Lebens) erfaflen. Cardinal. Die ewige Seligfeit 
wird (gewöhnlich) in dem Bilde des Trinfend aus dem Duell des Lebens 
dargeftellt; Sehen und Trinfen ift bier Ein und Dasjelbe. Es gibt nur 
Eine lebendige Quelle dur die ganze Region der Lebenden, aus welcher 
Jeder, foviel er Durft und Perlangen hat, trinkt. Es können aber uns 
möglib Zwei gleichen Durft und gleiches Verlangen haben. Wenn daher 
gleih Ale zur vollen Genüge (suffcientissime) trinfen, fo viel fie er 
langen, fo geſchieht es doch nicht bei Allen auf gleiche Weiſe, weil fie 
wicht auf gleiche Weiſe dürften. Die Liebe macht uns dürſten, die in 
Verihiedenen verſchieden if. So verglih Chriftus das Himmelreih mit 
einem Hochzeitmahle, wo er felbfi einem Jeden nach deſſen Verlangen 
austheilt. Alle werden gefättigt nah dem Maße ihres Verlangens 
und Hungers, wiewohl die Einen mehr, die Andern weniger erhalten. 
Albert. Dem ftimme ich bei; ih fehe nun, daß es nicht bloß neun 
Kıeiie der Glorie gibt, fondern unzählige, da jeder der Seligen feinen 
genen Kreis hat. Cardinal. Wiewohl es fo ift, daß die ganze 
Öreite des Reichs des Lebens vom Gentrum bis zur Peripherie fich 
ausdehnt, und diefe Breite wie eine Linie, die unendlich viele gleiche 
tinien vom Centrum zur Peripherie in ſich faßt, gedacht werben Fann, 
wo das gemeinfame Gentrum Aller und die Peripherie der Einzelnen zus 
ſammen fallen (unumque sit commune omnium centrum et circumferen- 
ta singularum), fo läßt fi doch jene unendliche Menge von Linien in 
run Grade theilen, damit wir ſtufenweiſe durd das Gebiet jenes Rei— 
des, das mit fchönfter Ordnung geziert if, wo das gemeinfame Centrum 
und die particulare Peripherie Eines find, zu Chriftus Hingeführt werden. 
In ihm ift das gemeinfame Gentrum und die particulare 
Peripherie der Greatur Eines. Denn Chriſtus ift Gott und Menſch, 
Schöpfer und Geihöpf, von allen feligen Greaturen ift er dad Centrum. 
Beate hiebei wohl, daß feine Peripherie die Peripherienatur aller Peri— 
Pberien, d. i. aller vernünftigen Naturen hat. Und da er in perfönlicher 


246 


Identität ift mit dem Gentrum von Allem, dem Schöpfer, fo finden 
alle Seligen, die dur die Peripherie der Kreife vorgeftellt find, in der 
Peripherie Ehrifti, die der erfchaffenen Natur ähnlich ift, ihre Ruhe und 
ihr Ziel, in Folge der bypoftatiihen Vereinigung der Peripherie der ers 
ſchaffenen @reatur mit der unerfchaffenen Natur. Hieraus fiehft Du, 
daß Ehriftus für Alle, die felig werden wollen, jo noth 
wendig ift, daß ohne ihn Niemand felig werden fannz er if 
der einzige Mittler, dur den man den Zugang zum wahren Xeben (ad 
viventem vitam) erlangen fann. Albert. Große und fchöne Wahr 
heiten haft Du da ausgeiprodhen; möchten doc die Gegner des Chriften- 
thums fie beherzigen, dann würden fie fchnell mit Ehriftus und den Ehris 
ften Frieden fließen! Da ih vorhin von Subftanz und Accidens ge 
fprocben, jo kommt mir der Gedanfe, daß man wohl durch die neun bes 
fhriebenen Kreife ebenfo zum Centrum gelange, wie dur die neun Ar 
cidenzen zur Subſtanz. Cardinal. Die Zahl ift ein Unterfchied des 
Einen vom Andern, durch Eins, Zwei, Drei und fo fort bis zum Zehner, 
in dem es ſich abjchließt. Daher fommt au alle Zahl mit dem Zehner 
zum Abſchluß. So unterjceiden fib auch die Accidenzen in neun ganz 
generelle Arten, und tragen dadurch zur Erfenntniß der MWefenheit oder 
Eubftanz bei. Durch je eine hinzukommende Einheit entfteht zwei, drei, 
vier, fünf, ſechs, fieben, acht, neun. Hiemit ift die Zahl erfchöpft, die 
in die Einheit des Denard fih zuſammenſchließt. Das Zählen ift ein 
Unterſcheiden. Die Dinge unterfcheiden fih hauptſächlich durch die Sub 
ftanz, und die Subſtanz durch Duantität, Qualität und die übrigen As 
eivenzen, die neun verfchiedene Arten bilden. Um die vollftändige Unter 
fheidung zu bezeichnen, deßhalb gab ich der Figur diefe Eintheilung. 
Albert. Ich babe gehört, auch die Engel unterfcheiden fih in neun 
Ehören. Cardinal. Die Engel find Intelligenzen, und weil fie ver 
ſchieden find, fo müſſen ihre Anſchauungen als Intelligenzen Cintelligen- 
tiales eorum visiones et discretiones) in Ordnungen und Stufen, vom 
unterften bi® zum oberften (welder Chriſtus ift, der magni consilü 
angelus genannt wird) intellectuell unterfchieden werden, wodurch fid drei 
Drdnungen und in jeder drei Chöre ergeben. Den Abſchluß (per neun 
Stufen) bildet das Centrum *), gleihwie der Zehner der Abſchluß der 
neun Ginheiten if. Die erfte Ordnung ift mehr centraler Natur 
(eentralior est) und befteht aus ſolchen Intelligenzen, welche durch ein 


1) Der Text unferer Ausgabe: Et minus centrum est, gibt durchaus feinen Ein; 
er fcheint auch hier wieder corrupt zu fein. Ich vermuthe, daß ſtatt minus zu leſen 
iſt: terminus, was ſowohl zum Vorausgehenden paßt, als auch durch die ſolgende 
Vergleichung: ut denarius terminus novem articulorum nahegelegt iſt. 


247 


fabes Schauen in das Gentrum oder allmächtige Urbild Alles ohne Nach— 
einander, fei es der Zeit, fei es der Natur, und Alles zumal (omnia 
simal) begreifen (comprehendunt), und der göttliben Majeftät afftftiren, 
von der fie es haben, daß fie in diefer Weife Alles ſehen können. Denn 
gleihwie Gott aus ſich die Mnterfcheidungsfraft hat, daß er in feiner Ein- 
fahheit Alles zumal anſchaut, weil er die intelligente Urfadhe von Allem 
it, fo verleiht er jenen affiftirenden Geiftern, daß fie in göttlicher Einfach: 
beit Alles wiſſen. Sie werden daher auch, obwohl fie erichaffen find, 
ewig genannt, weil fie Alles zumal erfafien. Die zweite Ordnung 
der Intelligenzen erfaßt zwar Alles zumal, allein nicht ohne das natürs 
liche Naceinander, d. i. in der Art, wie Eines aus dem Audern natur« 
gemäß entſteht. Dbwohl fie ohne das Naceinander der Zeit erkennen, 
jo haftet doch an ihrem Erkennen, weil fie in demfelben an die natürs 
ide Ordnung gebunden find, eine gewiffe Abjbwächung Sie heißen 
daber nicht ewig, wie die der erften Ordnung, ſondern immerwährend, 
weil fie in natürlicher Ordnung und Reihenfolge erfennen. Die dritte 
Drdnung ift die verfandesmäßige (Crationalis); fie haben zwar ein 
fiheres Erfaffen und Begreifen, erkennen aber doc minder vollfommen, 
ald die andern. Die erfte Ordnung hat drei Chöre, die den göttlichen 
Bilen in Gott, wiewohl in differenter Weife, anfhauen, und ahmen 
jein Unterfcheiden (ejus diseretionem) nad, Die drei intelligibeln Chöre 
erfaffen den göttlihen Willen im Gebiete des Jutelligibeln. Die drei 
rationalen Chöre ſchauen den göttlihen Willen im Gebiete ded Intel: 
ligiben. Es find aljo neun Ordnungen, und Gott, der Alles in fi 
umſchließt und enthält, wird durch den Zehner abgebildet. Es hat fomit 
jede der neun Drdnungen ihre Hsopari« oder Erjheinung der Gottheit, 
Gott jelbft ift die zehnte, von der alle andern emaniren. Es gibt daher 
zehn verichiedene Arten von Unterſchieden (discretionum): die göttliche, 
die ald Centrum abgebildet ift, die Urfadhe von Allem, und neun andere, 
beftehend in den neun Chören der Engel, Es gibt nicht mehr Zahlen, 
fomit auch nicht mehr Unterſchiede. Daraus erhellt, warum ich das Reich 
ded Lebens fo abgebildet, das Centrum ald Sonnenlicht dargejtellt und 
die drei nächften Kreife feurig, drei andere ätheriſch und drei gleichſam 
wäferig, die in das finftere Erdreich auslaufen, gezeichnet habe. Albert. 
Da der Zehner alle Unterfcheidung in fi faßt, warum fließt fich die 
Progreffion im Quaternar ab? Man fpriht unr von vier Urſachen 
oder Gründen der Dinge, von vier Elementen, vier Jahreszeiten ıc. 
Cardinal. Wenn Du von dem größten äußern Kreife bis zum fein, 
fen, innerften und centrafen zählft, in der Weile: einmal Eins, dann 
meimal Eins, dann dreimal Eins, zulegt viermal Eine, jo endet der 
Uuaternar im Gentrum. Du fiehft aljo, daß Eins, Zwei, Drei und 


248 


Bier zufammen Zehn geben. Daher fchließt fich die Progreffion im Qua; 
ternar ab, da es feine Unterfcheivung oder Zahl gibt, die fi in ihm nicht 
findet. Doc fiehft Du nur Eins in jeder Zahl. Eins kann nur Eins 
fein. Mehrere find nicht Eins, wie Du aud in allen Kreifen ein umd 
dasſelbe Weſen des Kreifes fiehft, obgleich die Peripherie des einen mehr 
ald die des andern vom Gentrum entfernt if. Das ift bei Mehreren 
nothwendig, da es unmöglich ift, daß mehrere PBeripherien von demfelben 
Gentrum gleich weit entfernt find. Das Andersfein ift fomit Folge der 
Vielheit. Obgleich daher in allem Seienden nur Ein Sein ift und allee 
Seiende in diefem, das Gott ift, fo daß zur Unterſcheidung alled Seien 
den als ſolchen ed nichts weiter bedarf, als die Unterfcheidung des Einen 
Seins, fo ift doch, da mit der Vielheit das Andersfein verbunden if, 
zur Unterfcheidung alles Seienden als einer Vielheit die genauer unters 
fheidende (discretior) Zahl des Andersſeins nothmendig, ohne welde das 
Eine vom Andern nicht unterjcieden werben fann. Albert. Gott er 
fennt alfo das Seiende (entia) nicht? Denn erkennen heißt unterſcheiden, 
was ohne Zahl nicht möglih if. Eardinal. Das Erfennen 
Gottes ift Sein, das Sein Gottes ift Wefenheit; dad 
Erfennen Gottes heißt fo viel, als daß das göttlide 
Sein in allem Seienden ift. (Cognoscere Dei est esse, esse 
Dei est entitas; cognoscere Dei est, entitatem divinam in omni- 
bus entibus esse.) Nicht fo ift unfer Geiſt in feinem Erfennen wie 
Gott, der erfennend erfhafft und bildet. Unſer Geift unterfcheidet in ſei⸗ 
nem Erkennen das Erfchaffene, um mit feiner Erfenntnißfraft Alles ) zu 
umfaflen. Gleihwie Gott die Urbilvder von Allem in fi bat, 
um Alles zu geftalten, fo hat der Geift die Idee von Allem 
in fib, um Alles zu erfennen. Gott ift die fchaffende Kraft, ver 
möge welder er macht, daß Alles wahrhaft das if, was es ift, weil er 
das Sein alles Seienden ift. Unſer Geift ift eine begreifende Kraft, ver 
möge welcer er fi Alles begrifflich macht. Die Wahrheit iſt demnach 
fein Object; wenn er feine Begriffe nad ihr bildet (cui suum conceptum 
si assimilat), fo hat er Alles als Erfenntniß, als Vernunftgebilde (entia 
rationis) in fih. Der Stein ift im Erfennen unſeres Geiftes nicht al 
ein reales Sein, fondern als ein Ding unfered Verſtandes (ens rationis). 
Du fichft: Gott bedarf der Zahl nicht, um au unterfcheiden, aber unfer 


1) Im Texte flieht: ut sua notitiali virtute anima ambiat. If anima Subject 
des Sapes, fo fehlt das Object. Ueberdies ift nicht abzufehen, warum Gufa, wenn e 
von unferm Geifte — mens als Erfenntnißfraft fpricht, plöglich auf die anima, die ihm 
vorherrfchend belebendes Princip des Körpers if, übergeben und ihr die Erkenntnißlraſt 
zufchreiben follte. Es wird daher, ſtatt anima zu lefen fein: omnia, wa ben beiten: 
omnia im folgenden Sage entfpridht. | 


249 


Geift vermag ohne Zahl dad Andersfein und die Verſchiedenheit der 
Dinge niht zu unterfcheiden. Albert Erſchafft ver Schöpfer nicht auch 
dad Andersfein? Wenn dies, fo unterfcheidet auch er durch die Zahl, da 
er nichts erihafft, was er nicht erkennt, das Andersſein aber ohne Zahl 
niht erfannt wird. Gardinal. Alles erichafft Gott, auch das dem 
Andersfein Unterworfene (alterabilia), dad Veränderliche und Zerftörliche, 
aber das Andersfein, die Veränderung und Zerftörung erfchafft er nicht. 
Da er das Sein felbft ift, fo Schafft er nicht den Untergang, fondern das 
Sein. Daß die Dinge untergehen oder anders werden, haben fie nicht 
vom Schöpfer, fondern zufällig (sed sie contingit). Gott ift die Die 
Materie hervorbringende Urſache; nicht Entziehung und Mangel, fondern 
Fülle (opportunitas) oder Möglichkeit, welcher der Mangel (carentia) 
folyt, ſchafft er, fo daß es feine Fülle ohne Mangel gibt, welche zufälligers 
weile hinzufommt. Folglich find das Uebel, das Sündigem, 
Sterbens und Anderswerdenfönnen nicht Geſchöpfe Gottes, 
der das Sein if. Das Andersfein kann aus Feiner MWefenheit fein, 
da in ihr Fein Sein und fie in feinem Sein if. Auch aus der Weſen— 
heit de8 Binarius ftammt das Andersfein nicht, obwohl fih daran, daß 
er Binarius iſt, dad Andersfein anſchließt. Wenn von mehreren Kugeln, 
die in einem Wurfe auf eine ebene Fläche hingeworfen werden, feine ganz 
gleich mit der andern fortrollt oder ruhen bleibt, fo rührt diefes Anders» 
kin und Verſchiedenſein nicht von dem Werfenden her, fondern aus dem 
Zufall (ex contingenti), da es nicht möglich ift, daß fie fih gleich bes 
wegen oder an derfelben Stelle ruhen. Albert. Iſt ed nit Sache 
des Seins, zu vereinigen und zu verbinden? Gardinal. Allerdings. 
Albert. Was aber verbunden ') werden fol, muß verſchieden, anders 
und getrennt fein. Gardbinal. Obwohl Gott, der die Verbindung (nexus) 
if, nicht die Urfache der Trennung ift, fo ift er doch der Schöpfer alles 
Verſchiedenen und Getrennten. Die Verbindung ift vor der Trennung, 
weil die Trennung die Bereinigung voraudjegt. Die Einheit, die das 
Sein ift, verbindet daher das Entgegengefegte und Getrennte in Einen 
barmonifhen Einklang. Denn das Viele als foldhes hat fein Sein, außer 
lofern es verbunden ift. Die Verbindung geht aus der Ginheit und 
Gleichheit hervor. Das Biele hat ed alfo nicht von der Einheit oder 
dem Sein, daß es ein vielfahes Sein ift )). Allein da ed nicht Vieles 
geben kann, außer im Andersfein und in Trennung, fo ift das Viele, 
um in der Einheit zu beftehen, durch das Sein, das Gott ift, in einer 
Verbindung, welde aller Trennung vorausgeht, zufammengehalten. Bei 
genauerer Erwägung fichft du demnah, das Sein fei die Einheit 


1) Es if offenbar connecti flatt des im Texte flehenden conjecti zu lefen. 
2) quod non sunt esse plura; non muf, wie der Sinn erfordert, geftrichen werben. 


250 


felbft, welche aud fih die Gleichheit erzeugt, aus der bie 
Verbindung beider hervorgeht. Die Gleichheit kann nur die Gleich— 
heit verſchiedener Hypoftafen fein, vor allem Ungleichfein und Andersſein. 
Schen wir daher auf die Vielheit der Creaturen ded Einen Univerjumsd 
hin, fo finden wir in ihnen eine Einheit, welche dad Sein von allen ift, 
und die Gleichheit der Einheit. Denn alle haben das Sein auf gleiche 
Weife, da das eine Ding nicht mehr oder weniger ein Ding ift, ald dad 
andere. In allem und jedem Dinge ift die Totalität des Seins in ber 
Gleichheit. ES find daher auch alle Dinge zu Einem Ganzen verbunden, 
weil in allen und jedem das Sein, die Gleichheit und die Verbindung 
ift, die aus der Einheit und Gleichheit hervorgeht. So erfennft Du 
die erfte Urſache als Eine, weil fie die erfte ift, und als dreis 
einig, weil fie Einheit, Gleichheit und Verbindung iftz wenn das nit 
wirflih fo wäre, fo wäre die erfte Urfahe nicht das Sein ded Seien 
den. Gottmuß alfo al8 Schöpfer dreieinigund einig fein. 
Die Welt ift von ihm erfhaffen, auf daß in ihr der Schöpfer als brei- 
einig und einig erfannt werde. Er wird Vater genannt, als Ginheit 
= Eein, Sohn als Gleichheit der Einheit (denn die Einheit, das Sein, 
erzeugt die Gleichheit, welche die Gleichheit des Seins if), heiliger 
Geift, weil Berbindung oder Liebe der Einheit und Gleichheit, was id 
anderwaͤrts ausführlicher gezeigt babe. Albert. Es ift gut, dies öfterd 
zu wiederholen, weil ed nüglih und etwas Seltenes ift, das ich, wie id 
hoffe, fpäter beffer verftehen werde. Ich wende mich nun wieder zu dem gar 
einfachen Centrum und fehe, daß ed Anfang, Mitte und Ende aller Kreilt 
ift. Seine Einfachheit ift untheilbar und ewig, Alles faßt es in feiner 
untheilbaren und vollftändigften Einheit in ſich. Es ift der Anfang ber 
Gleihheitz denn wenn nicht alle Linien vom Centrum zur Peripherie ein 
ander gleich find, fo ift ed nicht das Centrum des Kreiſes. Die Untheil 
barkeit ded Centrums ift der einfache Anfang der Gleichheit, und wenn 
fih nicht die Einfachheit des Punftes mit der Gleichheit verbindet, 10 
kann ed nicht das Centrum des Kreifes fein, deſſen Weſen im der gleis 
chen Entfernung von der Peripherie beftcht. So ſehe ich in dem Gentrals 
punfte die Einheit, Gleichheit und die Verbindung beider. Cardinal. 
Du dringft tief ein, und wenn Du auf das Wort eines Weifen achteſt, 
welcher fagte: Gott ift ein Kreis, defien Centrum überall ift, dann ſiehſt 
Du ein, daß, wie der Punft in jedem Ouantum überall ſich findet, ſo 
auch Gott in Allem ift. Es gibt jedoch deßhalb nicht mehrere Punkte, 
weil unfer Berftand den Punkt in einem Quantum überall findet. © 
gibt es auch nicht mehrere Götter, wenn gleich Gott in jedem Einzelnen 
erfannt wird. Albert. Das verftehe id nicht ganz. Erfläre mit, daß 
der Punkt nicht in mehrere Punkte vervielfältigt iſt, obgleich er in einem 


251 


Duantum überall angetroffen wird. Garbinal. Wenn Du ein Papier 
mit Schriftzügen der Art erfüllteft, daß Du nichts ald das Wort: „Eines“ 
überall hinfchriebeft, fo wäre doch, obgleih Du Eines überall hinge— 
fhrieben fändeft, in Wahrheit nicht mehr als nur Ein „Eines“ übers 
all hingefchrieben.. Das „Eines“ ift durch das vervielfältigte Schreiben 
an mehreren Stellen nicht verändert und vervielfältigt worden. Albert. 
Es ift ſicher, daß ich das Niederfchreiben des „Eines“, nicht das „Eines“ 
ſelbſt vervielfältigt habe. Cardinal. So fieht der Berftand in allem 
Weißen das Weißjein, es ift deßhalb letzteres nicht ein vielfahed. Im 
allen Atomen fieht er den Punkt, es find deßhalb aber nicht mehrere 
Punkte. ) Noch deutlicher fiehft Du die Sadıe ein, wenn Du erwägt, 
daß das einfachfte Eine in fih die ganze Vielheit begreife und eben deß— 
bald nicht zu vervielfältigen fei, da es felbft die Vervielfältigung alles 
Vielfachen, aller Menge ift. Daher ericheint es in jeder Vielheit; deun 
die Vielheit iR nur die Entfaltung der Einheit, Das Gleiche gilt vom 
Punkte, der der Inbegriff (complieatio) der Größe ift. Albert. Id 
Degreife, daß das fo fei. Cardinal. Deffne nun den Bli des Geiftes, 
und Du wirft confequenter Weiſe Gott in aller Vielheit finden, weil er 
in dem Einen ift und in aller Größe, weil er im Punkte if. Hieraus 
ergibt fih auch, daß die göttliche Einfachheit noch reiner (subtilior) ift, 
als das Eine und der Punkt, denen fie die Kraft verleiht, Vielheit und 
Größe in ſich zu faſſen. Gott ift daher eine noch mehr compacte Kraft 
(virtus magis complicativa), ald Einheit und Punkt. Albert. Aller⸗ 
dings ift die Einfachheit Gottes größer, als die des Einen und des Puns 
td, Bardinal. Folglid auch compacter, denn die compacte Kraft bes 
Reht in der Einfachheitz je mehr geeint, deſto einfacher und compacter. 
dolglich ift Gott, die größte Kraft, die ed geben Fann, die am meiften 
geeinte und einfachfte Kraft. Er ift daher auf das Höchſte 
mädtig (maxime potens) und compact (complicans); er ift das Gom- 
pacte alles Compacten (igitur est complicatio complicationum). Albert. 
Ganz richtig. Eardinal. Gefegt mun, ein Ding fei der Inbegriff aller 
eriftirenden Dinge, fo ift es Dir ganz ausgemacht, da fein Ding ift, es 
ki denn in ihm das Sein, daß Gott eben deßhalb, weil das Sein in 
dem Seienden ift, in Allem if. Und obwohl das Sein felbft in Allen, 
was ift, erfannt wird, fo ift doch mur Ein Sein, wie vorhin vom Einen 
ud dem Punkte gezeigt wurde. Der Sag: Gott ift in Allem, heißt 
nichts Anderes, als daß das Sein in dem Seienden ift, welches Alles 
in ih faßt. Das hat Derjenige ganz richtig eingefehen, der fagte: weil 

1) Im Terte ſteht offenbar unrichtig: non tamen ideo non sunt plura puncta. 


Non vor sunt muß wegbleiben, wenn der Sinn nicht ind Gegentheil verkehrt wer- 
den ſoll. 


252 


Gott ift, ift Alles. Albert. Ich würde mit diefem Schluſſe einverftans 
den fein, wenn nit das im Wege ftünde, daß Gott von Ewigfeit if, 
die Gejchöpfe aber einen Anfang haben. Cardinal. Du täufcheft Dich; 
Du ftellft Dir vor, vor Erfhaffung der Welt fei Gott gewefen, aber 
nicht die Gefchöpfe. Beachteft Du aber, daß man nie in Wahrheit fagen 
fonnte, Gott fei geweien, ohne daß nicht auch die Geſchöpfe waren, fo 
fiehft Du ein, daß man nicht eigentlih fagen fann, Gott fei vor 
den Gejhöpfen gewefen. Denn daß etwas, da die Zeit noch nicht war, 
gewefen fei, ift unmöglid, da das Geweſenſein eben die vergangene Zeit 
ift. Die Zeit ift ein Geſchöpf der Ewigfeit, jene iſt nicht die Ewigfeit, 
welche die Totalität und das Zumal iftz fie ift nur ihr Abbild, da fie ein 
Nachelnander it. Albert. Warum wird die Zeit das Abbild der Ewigfeit 
genannt? Cardinal. Wir faflen die Ewigfeit nicht ohne Dauer, und 
die Dauer können wir uns nicht vorftellen ohne Nacheinander. Daher legt 
fih und das Naceinander ald Zeitdauer nahe, wenn wir die Ewigfeit be 
greifen wollen. Allein unfer Verftand fagt und, daß die abjolute Dauer, 
die Ewigfeit, naturgemäß der fucceffiven Dauer vorangehe. So erfennen wir 
in der fucceffiven Dauer, wie im Abbilde die Dauer an fih. Albert. Die 
Vorftellung unterftügt alfo doch den mit ihr verbundenen Verftand. Cars 
dinal. Es ift ganz fiber, daß das vernünftige Denfen (intelligentem) aus 
Bildern und Vorftellungen der ungerftörlihen Welt philofophifche Gedanken 
fhöpfe (ex phantasmatibus incorruptibilium haurire speculationem.) Diele 
Bilder gibt und die Einbildungäfraft (imaginatio). Solche Bilder ftehen 
dem die Wahrheit fuchenden Verftande leichter zu Gebote (citius succur- 
runt). Würde unfer Verftand nicht der Hülfe der Ginbildungsfraft ber 
dürfen, um zur Wahrheit, welche über die Einbildungsfraft hinaus liegt, 
und um die es ihm allein zu thun ift, zu gelangen, wie, wer über einen Gras 
ben fpringt, fi mit einem Stode ftügt, jo wäre und Die Einbildungsfraft 
nicht gegeben. Doch genug hievon. Albert. Du haft, wie ich höre, in andern 
Schriften ausführlicher Dich hierüber verbreitet. Kehren wir nun zu def 
Kreisauslegung unſers Spiels zurüd. Wenn nod ein Geheimniß darin 
enthalten ift, fo fage es mir. Cardinal. Es find deren noch fo viele, 
daß ich fie nicht alle vollftändig ausführen fann. Wie von der hierarhis 
ſchen Ordnung der guten Geifter die Rede war, fo wird der Denfende 
auch über die böfen abgefallenen Geifter und deren Fall Bieles finden. 
Bon jeder Ordnung und jedem Chore find einige Frevler abgefallen; ihr 
Fall beftand darin, aus der Gewißheit des Wiſſens in die Ungewißheit 
hinabgefunfen zu fein (quorum casus est, a certitudine scientiae in in- 
certitudinem ') ruisse). Auch hinfichtlid der Unterfheidung der Himmel 


41) Im Texte fleht: in certitudinem, offenbar unrichtig, ftatt: im incertitudinem- 


253 


läßt ſich Einiges erbeuten (venari). Einige Heilige ſprachen von einem 
fibtbaren, einem erkennbaren (intelligibile) und einem vernünftigen Cin- 
telleetuale) Himmel und von drei Unterjhieden in einem jeden, fo daß 
die Neunzahl der Himmel im Zehner (wo der Thron Gotted über den 
Eherubim ift) zum Abſchluſſe fommt. Albert. Ich zweifle nit, daß 
die Zahl unterfcheidet und daß im Zehner alle Zahl und Unterfcheidung 
enthalten ift. Was aber vom Menſchen gezählt und unterſchieden wird, 
hat von der Unterfheidung nicht das Sein, fondern das Unterſchiedenſein; 
denn wäre es nicht, wie könnte es unterfchieden fein? Diefe unters 
Iheidende Kraft, die nad der Sein fegenden ift, fcheint mir ein fchöner 
Stoff zum Beiprehen. Gib mir Deine Anſicht! Cardinal. Ih will 
Giniged berühren, um Deinem edlen Berlangen zu entipredhen. Jene 
Kraft zu unterfheiden heißt in und Verftand (rationalis anima).') 
Obwohl unjere Seele mit dem Gefihte dad Sichtbare, mit dem Gehöre 
das Hörbare, überhaupt mit den Sinnen das finnlih Wahrnehmbare 
erfaßt, fo unterfcheidet fie doch mur mit dem Berftande. Beim Hören 
erfaffen wir mit dem Sinne die Stimmen (concinentes voces), allein die 
Unterfhiede und das Zufammenftimmen meſſen wir durd den Berftand 
und den erlangten Unterriht. Dies finden wir bei den Thieren nicht. 
Sie haben nicht die Fähigfeit für Zählen und für Proportion. Daber 
fönnen fie nicht Mufif lernen, wiewohl fie die Töne wie wir erfaffen und 
der Einklang der Töne ihnen Ergögen macht. Unſere Seele wird daher 
mit Recht verftändig genannt, weil fie eine mefjende und zählende Kraft 
it, die Alles in fih faßt, ohne was eine genaue Unterſcheidung nicht 
möglih ift. Indem das Gehör durh einen Schönen harmoniſchen Einklang 
angenehm bewegt wird, hat ber Verftand, indem er ficht, daß der Grund 
der Harmonie in ihm in Zahl und Proportion liege, den durd die Zahl 
vermittelten rationellen Unterricht über mufifaliihen Einklang erfunden. 
Die Seele ſcheint daher jene lebendige Einheit zu fein, die das Princip 
der Zahl ift, alle unterfcheidende Zahl in fi faßt und aus fi die Zahl 
entfaltet, gleihfam der lebendige Funke des unterfcheidenden Lichtes, das 
ih über das, was es unterfheiden will, ausdehnt und von dem, was ed 
nicht wiffen will, zurüdzieht, wie es denn auch den Gefichtsfinn zu dem 
Sichtbaren, das es fehen will, hin und von dem Sichtbaren, das es nicht 
fehen will, wegwendet. Albert. Das wünſchte ich zu hören. Doch da 
Du vorhin Gott die Einheit mannteft und jept die Seele eine Einheit 


1) Im Texte folgt hier der Sa: Ratio ne quidem discernit, ratiocinatio, suppu- 
tatio et numeratio est. Much hier ift ber Tert in den erflen Worten corrupt, die Her: 
ſtellung des muthmaßlichen Textes jedoch ſchwieriger. Indeflen da der Sag im Folgenden 
feine Erläuterung findet, fo habe ich ihn in der Meberfegung ganz weggelaſſen. Es dürfte 
eiwa zu leſen fein: Ratione quidem discernit ratiocinatio, supputatio et numeratio, 


254 


nennft, fo fage mir, wie ich dies zu denfen habe. Cardinal. Gott ift 
die Einheit, die zugleich dad Sein ift (entitas) und Alles dem Sein nad in 
fi faßt. Die vernünftige Seele ift eine Einheit, die Alles, wie ed gedacht 
oder unterſchieden werden fann, in fi faßt. In der Einheit, die Gott 
tft, ift die Einheit der vernünftigen Seele enthalten, fo daß fie das fein 
fann, was fie ift, d. b. daß fie als Seele alles ideal (notionaliter) in 
fih faßt. In der Einheit, die Gott ift, ift Alles auch, fo fern es gebadt 
werden fann, enthalten, da Einheit und Sein (entitas) in Gott Eines if. 
Folglih find in ibm auch Sein und Erfanntwerden Eine. 
Allein die Einheit, welche die vernünftige Seele ift, ift nicht 
Eines mit dem Sein felbft, weldes das Princip des Seins ift, 
durch welches auch die Seele das hat, was fie if. Wohl find die Eins 
heit der Seele und ihr beſonderes Eein Wechlelbegriffe, nicht aber die 
Seele und das abfolute Sein, weil auch die Einheit der Seele feine ab- 
folute iſt, ſondern der Seele eigenthümlih, wie auch ihr Sein. Die‘ 
vernünftige Seele ift ver Inbegriff der ganzen Gedanfenwelt 
(complicatio omnium rationalium complicationum). Sie faßt in fid 
den Begriff (complicatio) der Vielheit und den Begriff der Größe, d. I. 
den des Einen und des Punftes, denn ohne Vielheit und Größe gibt es 
feine Unterfcheidung. Sie faßt in fih den Begriff der Bewegungen, und 
diefer Begriff heißt Ruhe; denn in aller Bewegung fieht man nichts ald 
Ruhe. Die Bewegung geht von der Ruhe in die Ruhe. Sie faßt aud 
in fi den Begriff der Zeit; diefer Begriff ift das Jetzt oder die Gegen 
wart. In der Zeit finden wir michts als ein beftändiges Sept. Das 
Gleiche gilt von allen andern Begriffen: die vernünftige Seele iſt die 
Einfachheit aller Begriffe. Die fubtilfte Kraft der vernünftigen Seele 
erfaßt in ihrer Einfachheit alles Complicirte, ohne was eine vollfommene 
Unterfcheidung nicht möglich if. Um die Vielheit zu unterfcheiden, aſſi⸗ 
milirt fie fih der Einheit oder dem Inbegriff der Zahl, und entwidelt 
fo aus fi den Zahlbegriff der Vielheit. Ebenſo affimilirt fie ſich dem 
PBunfte, der der Begriff der Größe if, um aus fi die Begriffe von 
Linie, Oberfläche und Körper zu entwideln. Aus dem Begriffe beider 
zuſammen, der Einheit und des Punktes, entwidelt fie die mathematiſchen 
Figuren, Kreife und PBolygone, die ohne Vielheit und Größe zugleich 
nicht gedacht werden können. Sie aſſimilirt ſich der Ruhe, um die Be⸗ 
wegung zu unterfcheiden, der Gegenwart oder dem Jetzt, um die Zeit 1 
unterfcheiden. Da alle dieſe Begriffe in ihr vereint find, fo vermag fe 
als der Begriff aller Begriffe Alles zu unterfcheiden und zu mefjen: Zeit, 
Bewegung, Felder und alles Quantum. Gie ift es, bie die Arithmetil, 
Geometrie, Muſik, Aſtronomie erfunden hat, weil alle dieſe Wiſſenſchaften 
in ihrer Kraft enthalten find. Da dieſelben unvergänglich find und immer 


255 


in derfelben Weiſe verbleiben, fo erfennt die Seele hieraus, daß fie felbft 
unzerftörlih tft und immer fortdauert, weil diefe Wiffenfhaften nur in 
ihr und ihrer Fähigkeit enthalten find und durch fie erzeugt werben, fo 
daß, wenn es feine vernünftige Seele gäbe, auch jene nicht eriftirten. Es 
find daher auch die zehn Eigenſchaften (praedicamenta), die fünf Univers 
jalien und alle logifchen Beftimmungen, überhaupt was zu einem volls 
fommenen Begriff gehört, im der Begriffe bildenden Fähigkeit der Seele 
enthalten, fie mögen nun ein Sein außer dem Geifte haben oder nicht, 
da es ohne fie fein vollfommenes Unterfcheiden und Begriffebilden gibt. 
Albert, Wie befriedigt mich die Einficht, daß die Zeit, dad Maaß der 
Bewegung, ohne die vernünftige Seele weder fein noch gedacht werden 
fönne, da fie der Grund (ratio) oder die Zahl der Bewegung iſt, und 
daß die Begriffe ald folde aus der Seele ftammen, welde die Schöpferin 
der Begriffe ift, wie Gott der Schöpfer des Selenden! Cardinal. Die 
Seele erfchafft dur ihre Erfindumgsfunft neue Werkzeuge, zum Unterfcheis 
den und Erkennen. So erfand Ptolomäus das Aftrolabium, Orpheus vie 
Leyer x. Nicht durch ein Aeußeres erfchufen die Erfinder dieſe Dinge, 
fondern durch ihren Geiſt. In der Materie verwirklichten fie ihren Be— 
griff. So find Jahre, Monate, Stunden vom Menſchen erfonnene Werks 
jeuge des Zeitmaaßes. So ift die Zeit, al8 Maaß der Bewegung, 
Werkzeug des mefjenden Verſtandes. Es hängt alfo nicht die 
verftändige Seele (ratio animae) von der Zeit ab, fondern das verftäns 
dige Maaß der Bewegung, welches Zeit heißt, hängt von der verftändigen 
Seele ab. Die verftändige Seele ift daher auch nicht der Zeit 
unterworfen, fondern geht der Zeit vorher (ad tempus se habet an- 
terioriter), wie dad Sehen dem Auge; obgleich das Sehen des Auges 
berarf, fo fommt das Schen doch nicht vom Auge her, da das Auge 
nur das Organ iſt. So ift auch die vernünftige Seele, obwohl fie die 
Bewegung nicht ohne Zeit mißt, deßhalb doch nicht der Zeit unterworfen, 
im Gegentheile, fie gebraucht die Zeit ald Werkzeug und Organ, um die 
Bewegungen zu unterfcheiden. Die Bewegung der unterfcheidenden Seele 
lann daher durch feine Zeit gemeſſen werden, fie ift daher auch nicht 
dur die Zeit begrenzbar, folglih inmerwährend. Albert. Ich fehe auf 
das Klarfte ein, daß die unterfcheidende Bewegung der vernünftigen Seele, 
die alle Bewegung und Ruhe mittelft der Zeit mißt, nicht mit der Zeit 
gemefien werden fann. Künfte und Wiſſenſchaften, die durch die Zeit 
nit zu verändern find, was find fie anders, als ein Berftandeswerf? 
Ver zweifelt noch, daß das Wefen (rationem) des Kreifes über der Zeit 
iſt und aller Freisförmigen Bewegung naturgemäß vorangehe, folglich von 
der Zeit ganz unabhängig ſei? Wo anders fehen wir dieſes Weſen des 
Kreiſes, als in der vernünftigen Seele? Wenn alfo diefe in fich ſelbſt 


256 


das Weſen des Kreiſes, das über der Zeit ift, fieht, fo mag nun bie 
verftändige Seele der Berftand felbft oder (Sache von) Unterricht, Kunft 
oder Wiſſenſchaft fein oder auch nicht, fo viel ift gewiß, daß fie über der 
Zeit ift. Das ift mir Beweis genug davon, daß die verftändige Seele 
zu feiner Zeit Schaden leiden oder untergehen fann. Wenn ich aber 
einen Menfchen jehe, der feinen Verftand hat, fondern nur Sinnenthätig— 
feit, fo weiß ich nicht, ob feine Seele nicht wie die eines unvernünftigen 
Thiered anzufehen tft. Gardinal. Die Seele des Menſchen ift Eines 
und Heißt vernünftig, wenn fie gleih mit den Thieren die Sinnenthätigkeit 
gemeinfam bat. Wie ich mich erinnere, dem Herzog Johann in einem 
frühern Geiprädhe am Trigon und Tetragon gezeigt zu haben, fo ift die 
Sinnenthätigfeit im Menſchen nicht die einer Thierfeele, fondern einer 
vernünftigen Seele, was fi) an dem Beiſpiele des Priefterd Reftitutus, 
von dem der heil. Auguftin im 14. Buche feiner Schrift „de civitate Dei“ 
redet, ganz deutlich gezeigt hat. Albert. Wie fo? Cardinal. Augus 
ftin erzählt, daß diejer Priefter Reftitutus, wenn es ihm beliebte oder er 
von Andern angegangen wurde, auf dad Rufen eines fcheinbar lamentis 
renden Menfchen fi jo feiner Sinnesthätigfeit entäußern fonnte und einem 
Todten ganz ähnlih da lag, daß er nicht nur das Zupfen und Stoßen 
Anderer nicht im Mindeften empfand, fondern bisweilen auch ohne alled 
Gefühl von Schmerz gebrannt wurde. Man bemerfte am ihm wie an 
einem Zodten feinen Athem. Nur gab er nahher an, Stimmen von 
Menfhen, die etwas laut ſprachen, wie von ferne gehört zu haben. Dieler 
durch freien Willen hervorgebrachte Zuftand beweist, daß die vernünftige 
Seele ſich vom Körper dergeftalt zurüdgezugen habe, daß er feine Empfin⸗ 
dung mehr hatte. Hieraus erhellt, daß die vernünftige und die empfins 
dende Seele durd den freien Willen gefchleven feien und daß bie Ber: 
nunft über die Sinnenthätigfeit berrfhe. Die vernünftige Seele und 
das Empfindungsvermögen iſt alfo im Menſchen eine Einheit; wenn auf 
der volle Vernunftgebrauch im einzelnen Menfchen nicht hervortritt, fo iR 
deßhalb die Seele doch nicht eine thierifhe. So wenn auch der Körper 
fo dünn oder fein wäre, daß man ihn nicht leicht fehen ober berühren 
fönnte, fo hörte er deßhalb nicht auf, Körper zu fein, da er ſich nicht in 
einen Nicht» Körper auflöfen ließe. Es ift auch nicht möglich, daß ein 
Menſch, der durch Mittheilung der vernünftigen Seele einmal einen Ber 
ftand hatte, fpäter dDeffelben ganz beraubt werden kann, wenn man gleich 
keinen Beweis von Verſtand an ihm wahrnimmt. Denn die Entwidlung 
des Verſtandes ift bei dem Einen klarer, bei dem Andern verwotrener, 
fie fann daher nie eine Hleinfte fein, wenn fie gleich fo Hein ift, daß fie 
von Andern nicht unterfchieden werden fann. Dies erhellt aus dem Princip 
des gelehrten Nichtwiffens, welches jagt, daß man bei Allem, mas ein 


257 


Mehr oder Weniger zuläßt, nie auf ein abjolut Größtes oder Kleinftes 
fommt. Albert. Wenn der Blödfinn (stultitia), den man bei vielen 
Menſchen antrifft, in und Zweifel erregt, ob diefe wohl Verſtand haben, 
jo fheint mir folgende Bergleihung geeignet, dieſen Zweifel zu löfen. 
Einige haben unverjehrte Augen, unterfcheiden aber nichts. Sie entbehren 
nicht der Sehfraft, fondern deren Gebrauch, wozu eine beflere Dispofition 
des Drgand erforberlihb wäre. Wie bisweilen dad Auge eine befjere 
Dispofition empfängt, was ein beffered Sehen zur Folge hat, fo ift es 
auh mit dem Blöpfinn. Diefer hört auf, fobald die Gefunpheit des 
Organs eintritt, ohme welches fein Gebraud des Berftanded möglich ift, 
er hört aber nicht auf, fo lange der Defect des Organs nicht gehoben ift. 
Das aber halte ich für ausgemacht, daß, gleichwie fein Auge in einer fo 
ſchlechten Dispofttion ift, daß es nicht einiges Licht wahrnimmt, wenn es 
auch nichts unterfcheidet, es fich ebenjo mit dem Blöpfinn verhält. Ins 
defien bleiben in mir doch noch einige Anftände: wenn die Seele die 
Urfahe der förperliben Bewegung ift, wie ift dies möglich ohne Verän— 
derung ? und wenn die Seele durch Bewegung verändert wird, jo ift fie 
ja zeitlich; denn Alles, was verändert wird, ift unbeftändig und kann 
nit immerwährend fein. Gardinal. Wir müſſen fagen, die Seele 
bewege, werde aber nicht verändert, wie Ariftoteled fagte, der (von Allen) 
erfehnte Gott fee in Bewegung. Denn jenes von Allen erfehnte Gut 
bleibt im fi unbeweglich und bewegt Alles zu fib bin, was nad dems 
jelben ein Verlangen hat. Die vernünftige Seele fucht ihre Abficht aus- 
zuführen. Während diefe ihre Abſicht unverändert bleibt, bewegt fie 
Hände und Werkzeuge, indem der Bildhauer den Stein bearbeitet. Die 
Abſicht fheint in der Seele unbeweglich zu bleiben und Körper 
und Werkzeuge in Bewegung zu feßen. So ſetzt aud die Natur (welche 
Einige die Weltfeele nennen), während fie felbft unbeweglich ift und die 
fefte Adficht hat, den Willen des Echöpfers zu vollziehen, Alles in Bes 
wegung. Und der Schöpfer erſchafft Alles nad ewig unveränderlicher 
und unbeweglicher Abſicht. Was ift aber die Abfiht Anderes, als der 
Begriff oder das vernünftige Wort, in dem die Urbilder aller Dinge find? 
Sie iſt der Endzweck (finalis terminus), der die Unendlichkeit des Werden— 
fünmens begrenzt. Die Eine, ewige und einfachfte Abficht Gottes, feft 
und beharrlih,, ift die Urfache von Allem. So ift auch in der vernünfs 
tigen Seele Ein beftändiger Endzweck (finalis intentio), die Erfenntniß 
Gottes zu erwerben, d. b. im Begriffe das Gut in fi zu haben, nad) 
dem Alles firebt. Nie Ändert die vernünftige Seele als folde 
diefen Endzweck. Es gibt indeß auch noch andere, fecundäre (secundae) 
Abſichten, die, foferne fie von jener erften Abficht abweichen, ſich verän- 
dern, während das erfte Verlangen unverändert bleibt. Allein wegen der 
Säarpff, Nie. v. Gufa. 17 


258 


Veränderung bdiefer Abfichten verändert fih nicht aud die vernünftige 
Seele, weil fie feft bei der erften Abſicht verharrt. Gerade die Unver: 
änderlichfeit diefer erften Abficht ift die Urfache der Veränderung der fecun 
dären Nbfihten. Albert. Mit wenigen Worten haft Du mich zu der 
Einfiht gebracht, daß Gott und die vernünftige Seele durch die unver 
änderliche Abficht, aus welcher und nad welder fie wirken, Alles jcafft 
und bewegt. Kein Zweifel, daß, wenn die Abficht feft bleibt, Gott und 
die vernünftige Seele bewegen, nicht aber bewegt und verändert werden. 
Bei feftftehender Abſicht fteht auch der Beabfichtigende feft, der durch bie 
Abficht nicht bewegt wird. In Gott ift die Abftcht nichts Anderes, als 
der beabfichtigende Gott. So ift auch in der vernünftigen Seele die Ab 
ſicht nichts Anderes, als die beabfichtigende Seele. Was Du von den 
fecundären Abfichten gefagt haft, verdient eine befondere Beachtung und 
hebt viele Zweifel. Cardinal. Will ih das Sichtbare fehen, fo fege 
ich die Augen, will ih hören, die Ohren, will ich gehen, die Füße in 
Bewegung; überhaupt, will ich wahrnehmen, feße ich die Sinne in Be 
wegung. Mill ich fehen, was ich wahrgenommen, fo fee ich die Ein 
bildungsfraft oder das Gedächtniß in Bewegung. Zu allem Körperlicen 
gelange ich alſo mittelft eines körperlichen Organs. Mill ich mich aber 
zum Unförperliben hinwenden, fo ziehe ich mid vom Körperlichen zurüd, 
und zwar um fo mehr, je richtiger ich jenes zu erforfchen trachte. So 
wenn ich meine Seele ſehen will, die fein Object des Gefichtsfinne if, 
fo werde ich fie richtiger mit gefchloffenen Augen erfennen. Sodann made 
ih die Seele zum Werkzeuge, Unkörperliches zu feben. Will ich die 
MWiffenfchaften erfaffen, fo wende ih mih an die Vernunftthätigfeit der 
Seele. Will ib Grund und Urfahe aller Dinge erfennen, fo wende ic 
mih an die vernünftige, einfachfte und ftärfite Kraft der Seele. Die 
Seele ficht dad Unförperliche befier, ald das Körperliche, weil fie Jened 
fieht, indem fie in ſich eingeht, Diefes, indem fie aus ſich herausgeht. 
In allen diefen Beftrebungen hat fie nur Cine Abfiht, den Grund von 
fih und Allem durch Bernunftthätigfeit einzujehen und zu begreifen, um, 
indem fie diefen Grund in ihrer lebendigen Vernunft als vorhanden vor 
findet, das höchſte Gut, beftändigen Frieden und Freude zu genießen. 
Denn was fucht das natürlihe Verlangen der Vernunft nah Willen 
Anderes, ald Grund und Urfahe von Allem? Es ruht nicht, bis es ihn 
erfannt hat, und dies ift nur möglich, indem es dieſes fein eigenftes Vers 
langen, d. i. die ewige Urfache ver Vernunft in fich mittelft diefer Ber: 
nunft erfennt und empfindet. (Rationalis enim spiritus, natura seire 
desiderans, quid aliud quaerit quam omnium causam et rationem? nec 
quiescit, nisi ipsam sciat, quod fieri nequit, nisi suum sciendi deside- 
rium, scilicet rationis suae aeternam causam, in se, ipsa scilicet vir- 


259 


tute rationali videat et sentiat.) Albert. Eine große und unbeftrittene 
Wahrheit! Da die vernünftige Seele das höchſte Verlangen hat, zu 
unterfcheiden und zu erfennen, fo bat fie offenbar, wenn fie an dem Bunft 
angelangt ift, die Urſache diefed Verlangens in ſich felbft, nämlich in 
ihrem Unterfcheidungsvermögen, zu erfennen, in fi die Kenntniß Defien, 
der jened Verlangen gegeben bat. Weberhaupt kann fie nach nichts fire 
ben, was fie nicht im fich felbft erfennete. Denn was kann das Verlangen 
nah Wiffen noch weiter verlangen, wenn dad Verurſachte die Willenichaft 
feiner Urſache in fih erfennt? Es befigt ja den Grund und die 
Kunft der eigenen Erihaffung, und damit die Vollendung 
und Ergänzung jeglihden Wiſſensdrangs, das höchſte Glüd 
und die höchſte Wonne für die mwißbegierige vernünftige Seele. Die 
Kenntniß aller zu erlernenden Künfte zu befigen, heißt noch wenig Tim 
Vergleihe zu der Kunft, die die Echöpferin aller Künfte if. Nur das 
ſcheint mir fhwierig, wie die wenn auch noch fo vernünftige und gelehrige 
Greatur jene fchöpferifche Kunſt (creativam artem) erfaffen fann, die nur 
Bott befigt. Cardinal. Die fchöpferiihe Kunft, die die glüdfelige 
(felix) Seele erlangt, ift nicht jene Kunft im Weſenſetzen (ars illa per 
essentiam), die nur Gott ift, fondern die Mittheilung und das Theilnchmen 
an derfelben. Albert. Das gefällt mir, da die heil. Schrift vom Sohne 
Gottes jagt: „wenn er in feiner Herrlichkeit erjcheint, werden wir ihm 
ähnlich fein“, fie jagt nicht: wir werben er felbft fein. Doch da Du von 
dem Bewußtfein der vernünftigen Seele (de sensu rationalis ani- 
mae) gefproden haft, wie verftehft Du das, daß in der vernünftigen 
Natur Bewußtfein (sensum) it? Cardinal. Wir beachten oft 
Borübergehende nicht, weder mit unferem Gefihte noch mit dem Ger 
böre, weil wir nicht aufmerffiam auf fie find; find wir aber aufmerfs 
am, jo find wir deſſen bewußt (sentimus). Wir befigen in unferer 
Seele der Fähigkeit nach (virtualiter) die Kenntniß alles Wiffendwers 
tben, wir find uns deſſen aber in Wirklichkeit erft bewußt, wenn 
wir unfere Aufmerffamfeit darauf hinlenfen. Wenn ih auch Kenntniß 
von Mufif babe, fo merke ich doch, fo lange ich mich der Geometrie 
widme, nicht, daß ich ein Mufifer bin. Alſo nur aufmerffames Beachten 
läßt mich Geiftiged erkennen, von dem ich vorher fein Bewußtiein gehabt 
hatte. Wie das Centrum aller Kreife in der Tiefe verborgen ift, in 
defien Einfachheit die Alles in ſich fallende Kraft liegt, jo faßt auch das 
Gentrum der vernünftigen Seele Alles, was zum Gebiete des Vernünftigen 
gehört, in fi, allein wir find uns deffen nicht bewußt (non sentiuntur), 
jo lange jene Kraft der Vernunft nicht durch aufmerkſames Nachdenken ans 
geregt und entwidelt wird. Albert. Trefflih und willfommen find alle 
Deine Antworten. Du eilft nun, wie ich fehe, dem Ende zu. Füge nun 
17° 


260 


nur noch Einiges über das Verborgene und DOffenbare (circa oc- 
cultum et patulum) bei, denn es jcheint nad) der gezeichneten Figur alle 
Kraft im Centrum verborgen zu fein. Gardinal. Es ſieht 
geichrieben, Bott jei den Augen aller Weifen verborgen und alles Un 
fihtbare ift im Unfichtbaren verborgen. Das Sichtbare ift den Augen 
offenbar, das Unfichtbare liegt den Augen fern. Die Principien, fagt 
Ariftoteled, haben die kleinſte Duantität und die größte Kraft. Die Kraft 
ift geiftig und unfichtbar, die Kraft (virtus) eines Feuerfunkens hat fo 
viel Gewalt (potentiae), ald das ganze Feuer. Ein Fleined Senftorn 
hat fo viel Kraft als viele Körner, ja als alle, die fein fünnen. Das 
Ziel des Dffenbaren ift dad Verborgene, dad des Aeußern das Inner. 
Die Häuthen und Rinden find um des Fleifhed und Marfes willen, 
und diejed wegen der darin verborgenen unfichtbaren Kraft. Die elemen⸗ 
tariſche Kraft ift im Chaos verborgen, in der vegetativen die der Sinnen, 
wahrnehmung, im diefer die Einbildung, in dieſer die Berftandesfraft 
(Logif), in diefer die Vernunft (intellectualis), in der Vernunft das 
Erfennbare (intellectibilis virtus), in diefer die Kraft aller Kräfte. Dies 
lied ald Geheimniß aus der Figur der Kreife heraus. Der äußerfte 
umfchließende Kreid bezeichnet das verworrene Chaos, der zweite die ele 
mentare Kraft, die die nächfte am Chaos ift, der dritte die mineraliſche; 
biefe drei Kreife fchließen ſich im vierten ab, der die vegetative Kraft 
vorftellt. Der fünfte bezeichnet die Sinnenwahrnehmung, der fedhöte die 
Einbildung oder Phantafie. Diefe drei legtgenannten Kreife fließen ih 
im zweitsvierten ab, der als der fiebente die Verftandesfraft oder Logif 
bezeichnet. Darauf folgt der achte, der die Vernunft (intelligentialem), 
der neunte, der das vernünftig Erfennbare (intellectibilem) vorftelt. 
Diefe drei, der fiebente, achte und neunte, fchließen fi im mächftsvierten, 
dem zehnten ab. Albert. Sehr jhön haft Du da den Fortſchritt aus 
dem Verworrenen zum Unterfchiedenen gezeigt. Weil man nad bieler 
Auffaffung von allem Unvollfommenen zum Vollkommenen auffteigt, von 
der verworrenen Finfterniß zum unterfchiedenen Lichte, vom Thörichten zum 
BVerftändigen durh Zwijchenftufen, vom Schwarzen zum Weißen durd 
Zwifchenfarben (von Allem dem fann der Menfh die Erfahrung an fid 
feldft machen, weßhalb er auch Mifrofosmus genannt wird), fo möge «6 
Dir nicht verdrüßlih fein, über dad Wefen diefer jo wunderbaren und 
fruchtbaren Progrejfion, die fih auf alle Gegenftände des Wiſſens ans 
wenden läßt, noch Einiges zu fagen. Gardinal. Wie alle Unterjeis 
bung, fo faßt der Zehner aub allen Fortſchritt in fi. Denn 
eind, zwei, drei und vier find zehn. In Zehn fchließt ſich alfo, wie die 
Unterfbeidung, fo auch der Fortfchritt der Unterſcheidung ab. Es Fünuen 
nicht mehr ald drei ſolche PBrogreffionen fein, weil die dritte durch den 


261 


Zehner abgeſchloſſen iR (concluditur), die fich nothiwendig fo zu einander 
verhalten, daß das Oberfte der erften das Unterfte der zweiten und das 
Dberfte der zweiten das Unterfte der dritten bilden, fo daß Eine ftätige 
und zugleich dreifahe Progreffton fich herausftelt. Wie die erfte Pros 
greſſion fih im Quaternar abſchließt, fo beginnt die zweite in diefem und 
endet im Siebener. Mit diefem beginnt die dritte und vollendet ſich im 
Zehner. Willſt Du den Grund hievon erfennen, fo merfe Kolgended. Die 
Dronung, die nothwendig zu allen Werfen Gottes gehört, wie der Apoftel 
mit Recht fagt: „Was von Gott fommt, ift georbnet”, kann ohne An— 
fang, Mitte und Ende weder fein, noch gedacht werden. Es gibt nun 
eine abjolut vollfommenfte und einfachfte Ordnung, die in jedem Geord- 
neten und in dem jedes Geordnete ift, wie ich es in einem generellen 
Schema im Eingange unfered Geſprächs gezeigt habe. In diefer Drd- 
nung, dem Urbilde aller Ordnungen, muß nothwendig die Mitte die eins 
fahfte fein, da die Ordnung die einfachfte if. Die Mitte wird alſo fo 
gleich fein, daß fie die Gleichheit jelbft ift, eine Dronung, die von uns 
dur feine Unterfheidung, fondern nur durch die georbnetfte Progreffion 
erfaßt wird, die mit der Einheit beginnt und im Ternar ſich abfchließt. 
In ihr bildet die einfachfte Mitte die gleiche Mitte des Anfangs und des 
Endes. Denn Zwei ift die präcife und gleiche Mitte von Eind und Drei 
umd zugleich die präcije dritte Zahl der ganzen Ordnung und Progreſſion. 
(Duo enim medium est praecisum et aequale unius et trium et praecisa 
tertia totius ordinis et progressionis). Anders, als nad diefer Pros 
greffton können wir die einfadhfte nöttlihe Ordnung nicht unterfcheiden. 
Da nun die Mitte eine gleiche Mitte ift, ganz ununterfchieden von der 
Gleichheit, fo bleibt fie auch in dem Gebiete der Wefenheit Eind mit dem 
Anfange und Ende. Denn von verfiedenen Wefenheiten fann es Feine 
präciie Gleichheit geben. Jede Drdnung nun, die ihr Sein von der ges 
nannten einfachften Ordnung hat, kann feine einfache und gleihe Mitte 
haben. Denn eine folde (abbildlihe) Ordnung ift zufammengefegt; alles 
Jufammengefeßte befteht aber aus Ungleihem. Es können unmöglich 
mehrere zufammenfegbare Theile ganz gleih fein; fie wären fonft weder 
mehrere, noch Theile. Auch läßt die Gleichheit Feine Vervielfältigung zu. 
In der erften und einfachſten Ordnung ift daher Eine Gleichheit der drei 
Hypoſtaſen. Kann alſo in der erfchaffenen Ordnung feine einfache und 
gleiche Mitte fein, fo ift fie auch nicht in der Progrefftion des Ternars 
inbegriffen, fondern geht in die Zufammenfegung über (sed ultra 
progreditur in compositionem). Der Quaternar geht unmittelbar von 
der erften Progreffion aus, was nicht der Fall wäre, wenn die Pros 
greffton nicht geordnet wäre. Was daher die geordnete Progreffion, die 
von der erften abfolut geordneten audgeht, erfordert, das liegt in ihr, 


262 


weil fie die Progreffion bed Ternars (ternaria progressio) if. Sie 
bat daher eine zufanımengefegte Mitte, Zwei und Drei, bie zugleich bie 
Mitte der ganzen Progreffion find. Denn 1+2?+3 +4 = 10. 
Zwei und Drei find Fünf, die Mitte (Hälfte) von Zehn. Ebenfo ver- 
halten fi 4, 5, 6, 7 und 7, 8, 9, 10. Hierin haft Du den Grund 
des vorhin Gefagten. Albert. Groß iſt die Energie (vigorositas) der 
Vernunft, wie ih ſehe. Doc befremdet mich noch Deine Aeußerung, 
nicht8 fei aus Gleichem zufammengefegt. Iſt der Vierer nicht aus zwei 
Zweiern zufammengefegt? Gardinal. Keineswegs. Jede Zahl ift 
entweder gleich oder ungleich. Iſt fie zufammengefegt, fo ift fie nur aus 
einer Zahl zufammengelept, d. i. aus einer gleiben und ungleichen, oder 
aus der Einheit und dem Andersjein. Ich negire nicht, daß die Duans 
tität ded Duaternar aus zwei Zweiern beftcht, allein feine Subftanz be 
fteht nur aus Gleihem und Ungleihem. Denn unter den Theilen, die 
etwas zufammenfegen follen, muß cine Proportion, fomit auch Verſchie— 
denheit beftchen. Mit Recht jagte daher Boetius, aus Gleichem werde nichts 
zufammengejegt. Die Harmonie befteht aus proportionirten, hohen und 
niedern Tönen, und jo Allee. Der Quaternar ift daher aus dem Ternar 
und einem Andern zufammengefegt. Der Ternar ift ungleich, das Ans 
dere (alter) gleich; fo der Zweier aus Einem und einem Andern. Das 
Andersfein wird gleid genannt wegen ſeines Abfalld von der untheilbaren 
Einheit in die Theilbarfeit, die in dem Gleihen (in pari) liegt. So iſt 
der Duaternar aus dem ungleihben und untbheilbaren Ternar und dem 
Andern, d. i. dem Theilbaren zufammengefeht. Jede Zahl beftcht aus 
der Zahl; fie ift aus Einem und einem Andern zuſammengeſetzt; Eine 
und ein Anderes ift Zahl. Ich erinnere mich, hierüber in mehreren 
Schriften, namentlich in denen „Über den Geift“ (de mente) ausführlider 
geiprochen zu haben. Hier fei diefes nur wiederholt, damit Du die unters 
jcheidende Kraft ver Seele an der Zahl, die ein Erzeugniß des Geiſtes if, 
beffer erfennft und einfeheit, daß diefes Unterfheidungsvermögen gleich ber 
Zahl aus Einem und cinem Andern zufammengejegt iſt; denn das Zählen 
des Geiftes heißt Ein Gemeinſames vervielfältigen, fo daß Eines in 
Vielem und Vieles in Einem ift und Eines vom Andern fi unterfheiden 
läßt. Pythagoras hat in der Erwägung, daß es Feine Wiffenfhaft 
geben könne, außer durch Unterfheidung, über Alles mittelft der Zahl 
pbilojophirt. Kein Philofoph hat wohl eine vernünftigere Methode des 
Philofophirens eingehalten; weil Plato diefe Methode nahgeahmt hat, 
wird er mit Recht als ein großer PVhilofoph gefeiert. Albert. Ich gebe 
Died zu. Da nun der Tag fib zum Abend neigt, fo fchließen wir unfer 
Geſpräch. Füge zu fo vielem Beachtenswerthen noch einen fhönen Schluf 
hinzu! Cardinal. Ich will e8 verfuhen, und glaube das Ende des 


263 


Geſprächs nicht beffer verwerthen zu können, ald wenn ich von dem 
Werthe fprede.‘) Albert. Ganz recht. Gardinal. Es ift etwas 
Buted, Edles und Koftbared um das Eein, daher ift nichts, was ift, 
obne Werth. Es fann nichts geben, das gar feinen Werth hätte. Es 
gibt auch nichts von jo geringem Werthe, daß er nicht noch geringer fein 
könnte, und nicht von fo großem Werthe, daß er nicht noch größer fein 
fönnte. Nur der Werth, der der Werth aller Werthe ift, der in Allen, 
wad Werth hat, fih findet und in dem Alles Werth bat, faßt allen 
Werth in fib und jein Werth fann nicht größer oder Feiner fein. Diefen 
abjoluten Werth, die Urſache alles Werthes, denke Dir im Centrum aller 
Kreije verborgen; den Außeriten Kreis betrachte ald den geringften Werth, 
beinahe wie Nichts. Beachte denn, wie diejer Werth mittelit der Dreis 
einigen Progreſſion, nad der wiederholt beiprochenen Weile, fih zum 
Denar fteigert und Du wirft trefflihe Gedanfen daraus entwideln. Als 
bert. Wenn Du von einem beftimmten Werthe reden wollteft, jo wäre 
dies vielleicht belehrender. Gardinal. Sol ih etwa vom Gelde 
reden? Albert. 9a. Cardinal. Gut. Dod nun beachte, daß der 
Werth aller Dinge nur das Sein von Allen ift. Und wie in dem Einen, 
einfach größten, ganz unzufammengefegten und untheilbaren Werthe der 
Werth von Allem auf das Wahrfte enthalten ift, jo im einfachſten Sein 
das Sein von Allem. Wie in dem Werthe Eines Guldend der Werth 
von 1000 kleinen Denaren, in einem Doppelgulden der von 2000 und 
jo in's Unendliche enthalten ift, jo muß in dem abfolut beften Gulden ver 
Werth von umähligen Denaren enthalten fein. Wie Du dies für wahr 
erfenuft, fo ift es auch in der MWirklichfeit wahr. Albert. Allerdings. 
Gardinal. Indem Du es aber in Dir als wahr erfenuft, wel 
ben Werth bat da der Blid Deines Beifted, derdurd 
eine Kraft alle Werthe unterfheidet? In dieſem Blide 
ft der Werth von Allem und von jedem Einzelnen, doch nicht fo, wie in 
dem Werthe aller Werthe. Denn deghalb, weil der Geift das fieht, was 
alle Werthe beftimmt, hat er noch nicht den Werth von Allem (non enim 
propterea, quia mens videt id, quod omaia valet, ideo ipsa omnia 
valet). Denn in ihm find die Werthe nicht efjentiell, fondern nur ibeal; 
denn der Werth ift etwas Reales, wie auch der Werth des Geiſtes etwas 
Reales if. So ift denn ein Ding in Gott, als in der Wefenheit des 
Verthes, und ift Gedanfending, weil es erfannt werden kann, in unferer 
Vernunft, welche die Werthe erkennt, nicht als in höherem Werthe und 





1) Die Worte: et non incidit mihi, quomodo melius, quae dixi, valere (Lebe 
wohl fagen, beichließen) faciam, quam si de valore loquar — laflen ſich in der Ueber⸗ 
jehung Faum andere, ald etwa in ber oben angegebenen Weife wiedergeben. 


264 


nicht als in der Urſache oder Weſenheit des Werthes. Denn deßhalb, 
weil unfere Vernunft den geringern oder größern Werth erkennt, ift ber 
Werth felbft nicht größer oder geringer. Diefed Erkennen gibt dem Werthe 
nicht feine Weſenheit. Albert. Vermehrt aber nicht diefe Erfenntniß 
eined größern Werthed, ald ver Werth des erfennenden Subjectes ift, 
aud den Werth eben diefes erfennenden Eubjecteds? Cardinal. Der 
Werth der Erfenntniß ded erfennenden Subjecteß fleis 
gert ſichdadurch, daß es Mehr erfennt, ed mag dieſes Mehr 
nun von größerm oder geringerm Werthe fein, ald der Werth des Erfen 
nenden. Denn der Werth des Erfannten geht nit in den Werth des 
Erfennenden über, um defien Werth zu erhöhen, wiewohl die Erfenntniß 
verbefiert wird. So madt das Erfennen des Böfen den Erfennenden 
nicht Schlimmer, und das Erkennen des Guten ihn nicht beffer, doch ver 
Ihafft Beides ihm eine beffere Erfenntnig. Albert. Ich verftehe. So 
nennen wir Jemand einen viel geltenden Gelehrten (valentem doctorem), 
wenn gleich mehrere Nichtgelehrte einen größeren Werth haben als er. Der 
Werth der vernünftigen Natur ift jedenfalls ein jehr 
großer, weil in ihr die Unterfcheidung aller Werthe liegt, die wun—⸗ 
derbar ift und Alles, was nicht unterfcheiden kann, weit übertrifft. Gar 
dinal. Wenn Du die Sache tiefer betrachteft, fo ift der Werth 
der vernünftigen Natur dernädfte am Werthe Gottes, 
denn in ihr liegt der Werth Gottes und aller Dinge 
ideal und in ihrer Unterfheidung (Dum profonde consi- 
deras, intellectualis naturae valor post valorem Dei supremus est; 
nam in ejus virtute est Dei et omnium valor notionaliter et disere- 
tive). Obwohl die Vernunft den Werthen nicht ihr Sein gibt, Te 
kann doch ohne Vernunft felbft das Borhandenfein eines Werthes 
nicht ermeflen werden (sine intellectu valor discerni etiam „quia 
est“ non potest). Denn bei Abwefenheit der Vernunft läßt ſich 
gar nicht fagen, ob ein Werth da if. Ohne die Berftandesthätigfeit, 
die nad) Proportion mißt (proportionativa), fehlt jedes Schägen und ohne 
diefes fehlt der Werth. Wollte alfo Gott, daß der Werth feines Werles 
gefchäßt werde, fo mußte er unter feinen Werfen auch die vernünftige Natur 
erfchaffen. Albert. Wenn wir Gott ald Münzmeifter (monetarium) be 
trachten, fo ift die Vernunft der Wechsler (nummularius). Cardinal. Die 
Bergleihung ift nicht unpaffend, wenn man ſich Gott als den allmädhti- 
gen Müngmeifter denkt, der durch feine erhabene und allmächtige Kraft 
jeglihe Münze hervorbringen kann. Hätte Jemand fo große Madı, 
daß er aus feiner Hand jede beliebige Münze hervorbringen fönnte, und 
würde er einen Wechsler aufftellen, der die Fähigkeit hätte, alle Münzen 
zu unterfcheiden, der die Kenntniß des Zählens verflünde, wobel Jene 


265 


nur die Kunft des Münzens ſich vorbehielte, fo könnte der Wechäler 
die Koftbarfeit und den Werth der Münzen, Zahl, Gewicht und Maaß, 
das jede Münze von Gott erhalten, angeben, fo daß der Werth der 
Münze und eben dadurch die Madıt des Müngmeifterd offenbar würde. 
Die Vergleihung wäre unftreitig jehr treffend. Albert Groß wäre 
die Macht dieſes Münzmeiſters, der in ihr den Schag aller Münzen 
befüße. Aus diefem Schage könnte er neue und alte, goldene, filberne 
und wächſerne Münzen von großem, Fleinem und mittleren Werthe her: 
vorholen, während der Schatz immer unendlich, unerſchöpflich und unge— 
ſchwächt bliebe. Groß wäre auch das fondernde Geſchäft des Wechslers, 
der alle diefe verjchiedenen Münzen zu jondern, zu zählen, zu wägen und 
den Werth aller zu meflen hätte. Die Kunft Gotted würde jedod 
die Kunft des Wechslers unendlih übertreffen, denn jene 
würde Sein fegen, diefe nur Erfenntniß bewirken. Cardinal. Siehft 
Du da nicht, die Münze eriftire anders in der Kunft des allmächtigen 
Münzmeifterö, anders in der zu münzenden Materie, anders, wenn 
fie durh Bewegung und Inſtrumente gemünzt wird, anders als 
fertige Münze? Alle diefe Seindweilen fommen am ein der Münze 
vor. Wieder anders ift die Art und Weiſe, die fi auf jene Seind- 
weifen bezieht, foferne nämlich die Münze in dem unterfcheidenden Ber: 
fande if. Was die Münze verfertigt, ift das Bild oder Zeichen 
defien, dem fie gehört. Gehört fie dem Münzmeifter, fo trägt fie 
defien Bild, die Abbildung feines Angefihts, wie Chriftus uns belehrt, 
ald er nach Vorzeigung einer Münze fragte: weſſen ift das Bildniß? 
und zur Antwort erhielt: des Kaiſers. Durch das Antlig erfennen wir 
den Menfchen, indem wir dadurch einen von dem andern unterfcheiden. 
Es gibt daher nur Ein Antlig ded Münzmeiſters, durch das er gefannt 
wird, das ihn offenbart, der fonft unfichtbar und unerfennbar wäre. 
Da das Bild dieſes Antliges auf allen Münzen ift, fo gibt ed uns 
Kenninif von dem Münzmeifter, dem die Münze gehört. Das Bildniß 
it nichts Anderes, ald die Umſchrift. Denn alfo fagte Ehriftus: 
„weſſen iſt dad Bildniß und feine Umfchrift ?" Sie antworteten: des 
Kaiferd. Somit find das Bildniß, der Name, die Geftalt der Subftanz 
und der Sohn des Münzmeifterd Ein und Dasjelbe. Der Sohn ift das 
lebendige Bild, die Geftalt der Subftang und der Abglanz ded Vaters, 
dur welchen der Vater, der Mlüngmeifter, Alles macht oder münzt oder 
ieihnet (signat). Da ohne diefes Zeichen die Münze keine rechte ift, fo 
it das Eine, das in jeder Münze abgebildet wird, das einzige Urbild 
und die formale Urſache aller Münzen. Iſt daher ver Münzer die Eins 
heit oder das Sein, fo fft die Gleichheit, die naturgemäß von ber 
Einheit gezeugt wird, die formale Urfache des Seienden. In der Einen 


266 


und einfachen Gleichheit fiehft Du daher die Wahrheit von Allem, was 
ift oder fein fann, fofern ed durch das Sein fignirt if. Du ſiehſt aud 
in der Gleichheit die Einheit, wie im Sohne den Vater. Was daher 
ift oder fein fann, ift in jener ®eftalt der Subftanz des Da 
ters als des Schöpfers enthalten. Der fhöpferiihe Müny 
meifter ift daher mittelft der Geftalt feiner Subftanz in allen 
Münzen. Beachte, daß ein müngbarer Stoff dur ein aufgeprägtes 
Zeichen eine Münge wird. Dieje fo mit einem Zeichen verjehene, in eine 
Geftalt (figurata) gebrachte Materie empfängt eben dadurch die Begrens 
zung der Möglichkeit, eine Münze zu fein. So jehe ih das Gepräge 
(signatum) vor dem Zeichen, in dem Zeichen und nad dem Zeichen. Vor 
dem Zeichen als die Wahrheit, die vor ihrer concreten Geftalt if, in 
dem Zeichen ald die Wahrheit in ihrem Abbilde, nad dem Zeichen, for 
ferne das Gepräge dur das Zeichen entftanden iſt. Das erfte Gepräge 
ift die unendlibe Actualitäit, das legte — die unendlihe Möglichkeit; 
das mittlere Gepräge ift doppelt: theils fofern das erfte im Zeichen, 
theils fofern das Zeichen im legten ift. Das erfte Gepräge, das ich bie 
unendlihe Actualität nannte, heißt die abfolute Nothwendigfeit, die all 
mächtig, allbezwingend ift, der nichts widerftchen kann. Das feßte Ge— 
präge, die unendliche Möglichfeit, heißt auch die abfolute und unbegrenzte 
(indeterminata) Möglichkeit. Zwiſchen diefen extremen Seinsweiſen liegen 
zwei andere: die eine, die die Nothwendigfeit zu einem allumfchließenden 
Band geftaltet und das mit Nothwendigkeit umfchließende Band (necessi- 
tas complexionis) heißt, wie 3. B. die Nothwendigkeit, ein Menſch zu 
fein. Diefe Nothwendigkeit faßt bezüglich des Menſchen Alles in fid, 
was zum rechten und vollen Menfchenwefen, zur Menfchheit nothwendig 
ft. So auch bei allem Andern. Die andere (Seinsweife) erhebt die 
Möglichkeit mittelft Begrenzung zur Wirklichkeit, und heißt die begrenzte 
Möglichkeit, 3. B. dieſer Gulden, diefer Menſch. Betrachte nur irgend 
eine Münze, etwa einen päpftlichen Gulden, und denke ihn dir lebendig 
und vernünftig, mit Selbftreflerion (et quod in se mentaliter respiciat), 
fo wird er durch philofophifdhe Selbſtbetrachtung (se speculando) dieſes 
und Alles, was gefagt wurde oder gejagt werden fann, finden. Kein 
Thier ift jo ſtumpf, daß es nicht fih von andern Thieren unterfcheide uud 
andere Thiere derfelben Gattung erkenne. Wer aber vernünftiges Leben 
hat, erkennt Alles vernünftig, d. h. er findet die Ideen von Allem in 
ih. Die Bernunft faßt alles vernünftig zu Erfennende in ſich. Alles, 
was ift, ift vernünftig erfennbar (omnia, quae sunt, intelligibilia 
sunt), wie alles Farbige fihtbar if. Einiges Sichtbare entgeht dem 
Blide, wie ein ungewöhnlid helles Licht, Anderes ift fo Fein, daß ed 
den Blick nicht auf fich zieht und direct nicht gefehen wird. Das helle 


267 


Sonnenliht wird nur negativ gefehen; was man fieht, ift nicht bie 
Sonne, die ein fo überaus helles Licht hat, daß man es nicht fehen 
fann. Ebenſo ift, was man fehen fan, Fein unfichtbarer Punkt, da 
diefer zu Mein iſt, als daß er gejehen werden kann. Go fieht 
denn die Vernunft nur negativ die unendlihe Wirkffamfeit, die Gott ift, 
und die umendlihe Möglichkeit oder die Materie. Das dazwiſchen Lies 
gende ſieht fie mittelft des Verftandes affirmativ. Die Vernunft betrachtet 
aljo die Seinsweifen, foferne fie vernünftig erfennbar (intelligibilis) find, 
in ih wie ein lebendiger Epiegel. Die Vernunft ift das Gelpftüd, 
dad zugleih der Wechsler ift (est igitur intellectus ille nummus, 
qui et nummularius), wie Gott die Münze ift, die zugleih der 
Münzmeifter ift (sicut Deus illa moneta, quae et monetarius). Die 
Vernunft findet daher eine ihr verwandte Kraft, jede Münze zu erfennen 
und zu zählen. Wie aber jenes lebendige Geldſtück, die Vernunft, in ſich 
Alles vernünftig fucht und findet, davon fannft Du ein beliebiges Beilpiel 
in Dem finden, was ih im Hinblide auf die Vernunft gejagt habe. 
Wer hier tiefer als ich eindringt, wird auch ſchärfer jehen und Befleres 
mittheilen fönnen. So viel über den Müngmeifter und Wechöler. Albert. 
Eine überaus reihe Anwendung haft Du von meiner einfachen Vergleichung 
gemadt. Zu meiner Belehrung magft Du nur noch Folgendes anhören. 
Es ſcheint mir, Du wollteft fagen: hätte ein päpftlicher Gulden vernünftiges 
Leben, fo würde er fih unftreitig ald Gulden erfennen, folglich aud eins 
iehen, daß er die Münze deſſen fei, defjen Zeichen und Bild er trägt. 
Er würde erkennen, daß er das Buldenfein nicht aus ſich habe, jondern 
von dem, der ihm fein Bildniß aufgeprägt, und indem er in allen vers 
nünftigen Weſen das gleiche Bildniß fände, würde er fie alle ald dems 
ſelben Herrn angehörig erfennen. Das gleiche Bild auf allen mit Zeichen 
verfehenen Münzen erfennend, würde er die Eine Gleichheit, durch welde 
jede Münze in Wirklichkeit getreten, als die Urſache jeder möglichen glei— 
hen Münze erfennen. Eben fo würde er, da die Münze eine geprägte 
if, einfehen, daß die Münze werden konnte, und vorher münzbar (mone- 
tabilis) war, ehe fie wirflih gemünzt wurde. So würde er die Materie 
erfennen, die durch das Aufprüden des Zeichens zu einem Gulden begrenzt 
wurde. Da die Münze dem gehört, deffen Zeichen fie trägt, jo hat fie 
ihr Sein von der Wahrheit (dem Urbilde) des Zeichens, nicht von dem 
der Materie aufgedrüdten Zeihen, wie denn die Eine Wahrheit in vers 
ſchiedenen Zeichen die Materie in verfchievener Weife begrenzt. Mehrere 
Zeichen find nicht möglih, ohne daß die Vielheit auch die Verfchiedenheit 
im Gefolge hat und die Wahrheit fann in verſchiedenen Zeichen nur vers 
ſchiedenartig die Materie begrenzen. Hieraus ergibt fih, e8 müffe jede 
Münze mit der andern übereinftimmen (concordare), da es 


268 


übereinflimmende Münzen find, weil fie den gleichen Münzmeifter haben, 
aber aud differiren, da fie unter fich verfchievden find. Dies und 
noch vieled Andere würde der lebendige Gulden in fih erfennen. Car 
dinal. Volftändig haft Du das Befprochene reafjumirt. Doch gan 
befonders präge Dir ein, daß ed nur Ein wahres, prä 
cifes und vollflommen audreihendesd Princip (forma) 
gibt, das Alles geftaltet, in verfhiedenen Zeichen ſich 
abfpiegelt, das Bildfame verfhiedenartig bildet und 
determinirt oder in Wirklichkeit fegt. 


Don der Zagd auf die Weisheit. 


— 9 — 


Borwort, 


Ih habe mir vorgenommen, meine Jagden auf die Weisheit, wie 
ih fie biß zu meinem reifenalter vor dem Auge meined Geiftes für 
immer wahrer gehalten, in den Hauptergebniffen aufzuzeichnen und der 
Nachwelt zu hinterlaffen, da ich nicht weiß, ob mir eine längere und ges 
eignetere Zeit zum Denfen vergönnt ift; denn ich habe jegt das 61. Le; 
bensjahr zurüdgelegt. 

Schon längft habe ich eine Abhandlung gefchrieben über das Gotts 
Suden; ih machte darauf Fortfchritte und ſchrieb andere Abhandlungen. 
Jetzt, nachdem ich in des Diogenes Laörtius Lebensbeſchreibung der Philo- 
fophen die Jagden verfchiedener Philofophen nad Weisheit gelefen, habe 
ih, dadurch angeregt, meinen Geift ganz und gar einer fo angenehmen 
Sperulation zugewandt, dem Süßeften, was der Menſch genießen fann. 
Was ich durch die forgfältigfte Meditation ‚gefunden habe, wie unbedeus 
tend ed aud fein mag, will id armer Sünder, um Begabtere zum tiefern 
Geiftesforfhen anzuregen, ſchüchtern und ehrerbietig mitthellen, wobei ich 
in folgender Ordnung verfahre. 

Dur ein unferer Natur angeborenes Berlangen ftreben wir nicht 
nur nach Wiffen, fondern nad) Weisheit (sapientiam), d. i. nah einem 
ſchmackhaften Wiſſen (sapidam scientiam). Zuerft werde ih daher Eini- 
ged über dad Weſen derfelben fagen, dann für das Philofophiren (denn 
das verftehe ich unter der Jagd nad Weisheit) Reviere (regiones) und 
in denfelben einige Stellen bezeichnen, und die Philofophen auf Felder 
binführen, wo fie nad meiner Meinung reiche Beute finden werben, 


Erftes Kapitel. 
Die Weisheit tft die Nahrung des Geiſtes. 
Da unfere geiftige Natur lebt, fo bedarf fie nothwendig der Nah: 


rung. Aber eine andere als geiftige Nahrung kann fie unmöglich ftärfen, 
fintemal jedes lebende Weſen durch eine feinem Leben ähnliche Nahrung 


270 


gefpeist wird. Da die Lebenskraft eine angenehme Bewegung ift, welde 
Leben genannt ift, fo erlifcht diefe Lebenskraft, wenn fie nicht durch die 
ihrer Natur angemeffene Erfrifchung erhalten wird... .. Wenn nım 
jedes lebende Wefen eine angeborene Kenntniß Deffen hat, was zu feiner 
und der ganzen Gattung Erhaltung nothiwendig ift, wenn es einen Trieb 
hat, nad feiner Nahrung zu jagen, das hiezu geeignete Licht, paſſende 
Drgane für das Erjagen (wie 3. B. die Thiere, die Nachts jagen, ein 
den Augen gegebenes [oculis congenitam lucem] Licht), wenn es die 
ihm geignete Nahrung erfennt und zu fih nimmt, fo wird gewiß unfer 
geiftige® Leben alles Deffen nicht entbehren. Daher ift der Geift von 
Natur mit Logif ausgeräftet, um mittelft ihrer hin und her zu eilen und 
feine Jagd zu machen. Die Logik ift, wie Ariftoteles fagte, das eractefte 
Werkzeug zum Erjagen des MWahren und des Wahrfcheinlihen. Wenn 
der Geift die Wahrheit findet, fo erfennt er fie und ergreift fie mit Be 
gierde. Die Weisheit ift ed alfo, welche gefucht wird, weil fie den Geift 
nährt; denn fie ift eine unfterbliche Speife, fie nährt alfo auch unfterbiid. 
Sie leuchtet aber aus verfchiedenen Berhältniffen (rationibus) hervor, 
welche in verfchiedener Weiſe an ihr participiren. In verfhiedenen Ber 
hältniffen jucht daher auch der Geift das Kicht der Weisheit, um fich da- 
durch zu nähren. Wie das finnliche Reben in verfchiedenen ſinnlichen Dingen 
durh Anwendung des Berftandes feine Nahrung fucht, fo erjagt auch 
der Geift aus ſinnlichen Vorſtellungen mittelft des Verftandes feine gei— 
ftige Nahrung. Eine Nahrung ftärft ihn mehr als die andere, doc das 
Koftbare ift immer aud dad Schwierigere. Weil jedoch der Menſch grös 
ßerer Anftrengung, ald ein anderes Geſchöpf bedarf, um fein leibliches 
Leben zu nähren, wozu er feine natürliche Logik anwendet, fo ift er auf 
die geiftige Nahrung nicht in dem Grade bedacht, wie die geiftipe Natur 
es erfordert. Die Uebertreibung jenes Hafchend nad der leiblichen Nah— 
rung entfernt von dem Streben nad Weisheit. Daher muß die Philo— 
fophie das Fleiſch, deſſen Feindin fie ift, ertödten. Auch unter den Philo— 
fophen felbft findet ſich große Verſchiedenheit; der Eine ift ein befierer 
Zäger ald der Andere, weil er geübter ift und die Logif ihm geläufiger 
zu Gebote ftehtz der Eine weiß beffer ald der Andere, in welchem Reviere 
die gefuchte Weisheit fchneller gefunden und wie fie feftgehalten werde. 


Zweites Kapitel, 
Nah welchem Principe Ich die Gebiete der Welshelt durchſucht habe. 


Der erfte Philofoph, Thales von Mitet, fagte, Gott fei der älteſte, 
weil er umerfchaffen ift, die Melt fei die fhönfte, weil fie durch Gott er 


271 


fhaffen iſt. Diefe Worte, die ih in Laërtius lad, gefielen mir aus: 
nehmend. Ich erfenne die Welt als fehr ſchön, weil in ihr die höchfte 
Güte, Weisheit und Schönheit des höchften Gottes widerſcheint. Es 
treibt mich den Baumeifter diefed bewunderungswürbigen Werkes zu ers 
forfihen und ich fage bei mir: da das Unbekannte durch noch Unbefann- 
teres nicht erfannt werden fan, fo muß ih an etwas gang Gewiſſem 
feſthalten, das alle Jäger unbezweifelt vorausfegen, und in feinem Lichte 
dad Unbekannte fuchen. Denn Wahre und Wahres ftimmt zufammen 
(verum enim vero consonat). Indem mein Geiſt eifrig nad einem 
ſolchen Punkte fuchte, ftieß ih auf den Sag, den auch Ariftoteles im 
Anfang feiner Phyfif ausipriht: Was unmöglidh werden fann, 
wird nicht. Nach diefem Principe durdfchreite ih in der nachfolgenden 
Betrabtung die Regionen der Weisheit. 


Drittes Kapitel. 
In welcher Dialectlf (discursu) die Vernunft ihre Jagd anftelt. 


Da das Unmöglihe nicht wird, fo wird nichts, ohne daß es wer: 
den fann. Was aber ift und micht gemacht und erjchaffen ift, das 
fann nicht gemacht und erichaffen werden. Denn es geht dieſes dem 
Werdenfönnen voraus und ift ewig, da ed weder gemacht noch 
erſchaffen ift, noch ein Anderes werden fann. Alles aber, was geworden 
iR oder wird, hat, da es ohne das Werdenfönnen weder geworben ift 
noch wird, Ein abjolntes Princip, welches das Princip des Werden» 
fönnens ſelbſt ift. Dies iſt jenes Ewige, weldes Alles das ift, 
was fein kann. Das, was wird, wird aus dem MWerbenfönnen hervor: 
gebracht (produeitur), weil das Werdenfönnen actuell (actu) alles das 
wird, was es wird. Alles, was aus dem MWerbenfönnen geworben ift, ift 
entweder das, was werden fann, oder nach demfelben, und folgt dem 
Werdenfönnen und ahmt e8 nad. Da jedem Geworbenen das Werben, 
fünnen vorausgeht, wie follte dad Werdenkönnen felbft werden? Da «8 
jedoch nach Dem ift, welches Alles ift, was fein kann, dem Ewigen, fo 
hat e8 einen Anfang. Gleihwohl kann das Werdenfönnen nicht abneh: 
men (deficere); denn wenn ed abnähme, jo würde diejed (das Abnehmen) 
werden fönnen und fomit das Werdenfönnen felbft nicht abnehmen. Das 
einen Anfang habende Werbenfönnen bleibt alfo beftändig. Da es nicht 
geworden iſt und doc einen Anfang hat, fo nennen wir es erfchaffen, 
da es, feinen Schöpfer ausgenommen, nichts vorausjegt, woraus e& ift. 
Alles alfo, was nach ihm ift, tft durch den Schöpfer aus dem Werdens 
fönnen hervorgebracht. 


272 


Was geworben ift, was es werben fann, das find die himm— 
lifhen und geiftigen Naturen. Was ift, aber nicht das, was 
ed werden Tann, ift nichts Feſtes und in beftändiger Mangelhaftigfeit. 
Es ahmt das Beftändige nad, ohne es je zu erreihen. Es ift das Zeit 
lihe und Irdiſche, die Sinnenwelt. 

Wende ich mid alfo zur Betrachtung des Ewigen, fo fehe ih es 
als reine Actwalität und in ihm ſehe ich Alles enthalten als im ber 
abjoluten Urſache. 

Sehe ich auf das beftändig Dauernde, fo fehe ich geiftig dad Wer 
denfönnen und in ihm die Natur von Allem und jedem Einzelnen, wie 
e8 in vollfommener Entfaltung nad der Vorberbeftimmung bes göttlichen 
Geiſtes werden foll. 

Sehe ich auf das Zeitliche, wie Alles in der Reihenfolge ſich entfal- 
tet, jo fehe ih, wie es die Vollkommenheit des Beftändigen im Gebiete 
des Einnlihen nahahmt. Die Sinnenwelt ift eine Nachahmung der 
Geifteswelt. Es ift fomit in dem erfchaffenen Wervenfönnen alles Er 
ſchaffene prädeterminirt, fo daß diefe ſchöne Welt, fo wie fte ift, gewor 
den iſt. Hierüber weiter unten ausführlicher. Wie dies zu denfen fei, 
will ich dur ein, wiewohl nur annäherndes, Beifpiel erläutern. 


Viertes Kapitel. 
Wie die Vernunft an der Logik ein Mittel zur Beranfhaulidung findet. 


Die Bernunft des Lehrers will die fyllogiftiiche Kunft erfchaffen. 
Er geht aber dem Werdenfönnen diefer Kunft vorher, die Kunft ift in 
ihm als in ihrer Urfache. Er fest und ftellt feft das Werdenkönnen dies 
fer Kunft. Was jene Kunft erfordert, das kann werben: Name, Worte, 
aus diefen Säge und aus den Sätzen der Syllogismus, der aus drei 
Süpen befteht, deren zwei die Prämifien find, aus denen der britte, der 
Schlußfag folgt. Subjecte und Prädicate aller drei Säge dürfen nur 
drei Begriffe fein. Einer muß daher in ven Prämiffen zweimal vor 
fommen. Dies ift der Mittelbegriff; fei es, daß er im Oberfage Sub 
ject und im Unterfage Prädicat, oder in beiden Sägen Prädicat oder Sub- 
ject if. So entfichen drei Figuren und von jeder Figur verfchiedene 
Arten: Barbara und Celarent, . . . Diefe fpeeifiihen fyllogiftifchen Fir 
guren find in dem Denkvermögen begründet und daher conftant: jeder 
Syllogismus muß fie nahahmen. So erflärt fih das Werdenfönnen 
diefer Kunft. Diefe Kunft übergibt der Lehrer, der fie erfunden, bem 
Schüler und läßt dieſen nach allen angegebenen Modalitäten Schlüfe 
bilden. 


273 


So verhält es fi einigermaßen auch mit dem Kunſtwerk der Welt. 
Indem ihr Lehrmeifter, der glorreiche Gott, eine ſchöne Welt erfchaffen 
wollte, ichuf er dad Werbenfönnen derjelben und in demfelben complicite 
alles zur Einrichtung der Welt Nothwendige. Die Schönheit der Welt 
erfordert feiende, Iebende und denkende Wefen und von diefen drei Elaf- 
ien verfchiedene Arten oder Weifen der Schönheit. Es find dies die 
practiichen vorherbeftimmten Ideen des göttlichen Geiftes und die nüglichen 
ſchönen Gombinationen, geeignet zur Weltgründung (quae sunt divinae 
mentis practicae praedeterminatae rationes et utiles pulchrae combi- 
nationes, ad mundi constitutionem opportunae). Dieſes göttlibe Kunft- 
wert (opificinm) übergab Gott der gehorjamen Natur, die mit dem Wers 
denfönnen zugleich erjchaffen wurde (obedienti scilicet naturae, ipsi posse 
feri concreatae, tradidit), fo daß er dad Werdenkönnen der Welt nad) 
den eben genannten prädeterminirten Ideen der Vernunft entfaltete, fo 
, B. das Werden des Menſchen nach der vorherbeitimmten Idee des 
Menſchen. Und fo Alles, wie der einen Syllogismus Bildende auf die 
vorberbeftimmten Formen desjelben (ad praedeterminatas rationes): Bar- 
bara und Celarent binfieht. 


Fünftes Kapitel, 
Auch die Geometrie dient ald Mittel zur Veranfhaulichung. 


Der Geometer ahmt die Natur nah, indem er einen Kreis bildet. 
Er fieht auf die vorherbeflimmte Idee (ad praedeterminatam rationem) 
des Kreiſes hin, welcher gemäß er vperirt, foweit diefed das Werden⸗ 
fönnen des finnlihen Subftrats geftattet; denn das eine ift fügfamer als 
das andere. Jene Idee ift aber feine andere, als die gleiche Entfernung 
ded Centrum von dem Umfreife. Das ift die wahre Idee des Kreifes, die 
fein Mehr oder Weniger zuläßt. Kein Kreis fann aber jo vollfommen 
gejogen werden, daß er diefe Idee präcis erreiche, denn das Werden⸗ 
können des finnlichen Kreifes ift nach jemer vernünftigen und fich gleich 
bleibenden dee, und folgt ihr wie das Abbild der Wahrheit im Bereiche 
der finnlihen Materie. Da dieſe veränderlich ift, jo wird der befchriebene 
Kreis nie alled Das fein, was der finnlihe Kreid werden fann, da. ein 
jeder möglich gegebene Kreid noch wahrer und vollfommener und der 
Idee des Kreifes ähnlicher fein könnte. — Will der Geometer einen rechs 
ten Winfel bilden, jo fieht er auf die Idee desjelben hin, die alles das 
ft, was der rechte Winkel feiner Idee nach fein fann. Dies vermag 
fein finnliher Winfel präcis nachzuahmen. Auch wenn er einen fpigigen 

Sqarpff, Nie. v. Cuſa. 18 


274 


oder ftumpfen Winkel bildet, fieht er auf feine andere Art von Winkel 
bin, fondern nur auf den rechten: der fpisige ift fleiner, der ftumpfe grös 
fer als der rechte. Denn der fpigige Winkel kann dem rechten immer 
ähnlicher werden, eben fo aud der ſtumpfe. Wäre der eine vom beiden 
nicht mehr ein folder (ſpitzig oder ftumpf), fo daß er nicht mehr minder 
fpigig oder ftumpf fein könnte, fo wäre er ein rechter. . Jene find fomit 
in der Idee des rechten MWinfeld enthalten, da fie rechte Winfel find, 
wenn fie find, was fie werben fünnen. So ſieht auch die Natur auf 
feine andere Art, ald die menfchliche hin, indem fie das männliche oder weib- 
liche Geflecht hervorbringt, wiewohl die Idee des Menſchen nicht männ 
ih oder weiblih ift, was nur der finnlichen Erfcheinung zufommt. Denn 
die Art (species) ift das Mittlere, das im ſich einigt, was von ihr ents 
weder rechts oder links abweicht. Daß jenes fo ſei, fiehft Du noch deut: 
licher, wenn Du beacteft, daß das vernünftig @eiftige (intelligibilia) 
nicht8 von dem tft und an fi hat, was an den finnlihen Dingen wahr 
genommen wird. Es hat nit Farbe, Figur, Härte, Weichheit, Quan⸗ 
tität, Geſchlechtliches ıc. Alles dieſes folgt dem Geiftigen, wie das Zeit 
lihe dem Immerwährenden. So iſt denn auch wieder feines von den 
geiftigen Wefen die Ewigfeit, die allem vernünftig Geiftigen vorher 
geht, wie dad Ewige dem Jmmerwährenden (perpetuum). Alles Präciie 
und Dauernde ift fchöner, als das Siunliche, dad nur inſofern ſchön iſt, 
foweit die geiftigen Ideen oder Schönheiten in ihm ſich abfpiegeln. 


Sechstes Kapitel, 
Erläuterung des Werdenkönnens. 


Der Lefer wird num ohne Zweifel fib damit befhäftigen, dad Wer 
denfönuen zu begreifen, eime ſchwierige Aufgabe, weil dad Werdenlönnen 
durch nichts begrenzt wird, außer durch fein Prineip (feinen Urgrund). 
Damit er jedoch nicht ganz abirre, will ich dem Leſer mit einem freilich 
ungenauen Bilde zu Hilfe fommen. Denfen wir und Gott als das 
ewige Licht, die Welt ganz unfichtbar und das Licht wolle nun eime fit 
bare Welt erfhaffen. Weil nun das Werdenkönnen der fichtbaren. Welt 
die Farbe ift, die Wehnlichkeit des Lichtes (die Hypoſtaſe der Farbe if 
das Licht), jo Ihafft das Licht die Farbe, in welcher Alles, was geſchen 
werden fann, enthalten ift (complicatur). Wiewohl nun die eine Farbe, 
wie 3. B. die weiße, dem Lichte näher und daher edler ift, als die am 
dere, fo nimmt doch nichts Farbiges an der Karbe fo fehr Antheil, daß 
ed nicht noch vollfommener daran partieipiren Fönnte und das Werben 
fünnen hat feine Grenze außer in der Urfache der Farbe, dem Lichte. 


275 


So ift die Farbe das fichtbare Werdenfönnen; denn was wir fehen, fehen 
wir nur, weil es farbig iſt. Weil der Gefihtöfinn am dem Lichte der 
Unterſcheidungskraft partieipirt und felbft nicht farbig ift, um über alle 
Farbe urtheilen zu können, fo iſt die Farbe nicht fein Werdenkönnen. 
Noch ein helleres Licht hat die Vernunft; denn fie unterfcheidet auf das 
Schärffte Unfihtbares; die Farbe ift daher noch weniger das Werden» 
fönnen der Vernunft; fondern das MWerdenfönnen diefer hellen und ſchö— 
nen Welt mit Allem, was in ihr iſt, auch felbft die Farbe inbegriffen, 
it etwas infacheres ald die Farbe, die nur eine Achnlichfeit ded ewigen 
Lichtes ift, welche in ihrer paffiven Potenz alles Lichte, was iſt, lebt, 
empfindet, denft, in fi faßt. 


Siebentes Kapitel. 
Es gibt nur Eine Urſache ded Werdenfönnend von Allem. 


Die Eonjecturen meiner ganzen Jagd ruhen in dem 
Sape: Es ift nur Eine fchöpferifche Urfache des Werdenkönnens 
von Allem (non est nisi una omnium causa creatrix, posse fieri 
omnium); fie geht allem Werdenkönnen vorher, und ift ihre Begrenzung 
(termious) ; fie ift mit feinem Namen zu bezeichnen, fie läßt Fein Barticis 
piren zu, wohl aber wird ihr Abbild (similitudo) in Allen participirt. 

Weil dieſes Participiren aller Dinge ein verſchiedenes ift, und in vers 
ſchiedenen Gattungen, fo fommt man nothwendig zu Einem, weldes vor: 
zugsweiſe fo genannt werden kann, und das Erfte oder Princip oder Bors 
nehmfte in der fpecififchen Barticipation tft, an deffen Aehnlichkeit die andern 
Weſen derfelben Ordnung participiren. So nennen wir das Licht ein Abs 
bild der Grundurfache, welches in einem ganz hellen Körper, 3. B. der 
Sonne zuerft und vornehmlich widerfcheint, In andern leuchtenden Körpern 
dur deren Participiren an dem Sonnenliht. Die Urſache des Som 
nenlit8 aber hat nichts gemein mit dem Sonnenlichte, jons 
dern Ift Die Urſache von Allem, und eben varum Nichts von 
Allem. Denn es tft außer Zweifel, daß das Urprincip nichts Gewor⸗ 
dened (factum) ift, da nichts aus ſich felbft, fondern aus einem Vorauss 
gehenden wird, Was aber nicht geworden ift, kann ſich auch nicht auf 
[fen und nicht untergehen, es ift ewig. Das Werdenfönnen, bie paſſive 
Potenz, kann nicht ſich felbft zur Wirklichkeit (in actum) hervorbringen; 
denn dad Hervorbringen kommt aus der Actualität (ex actu). Bor der 
Potenzialität ift daher die Actualität (actus). Das Werdenfönnen 
IR jomit nicht das einzige Princip. Mit Recht fagte ein heiliger 

18* 


276 


Lehrer: behaupten, die paffive Potenz fei immer gewefen, ift Härefie. Der 
große Dionyfius jagt im 9. Kapitel von den göttlichen Namen: Jenes 
Erfte ift ewig, unbeugſam, unveränderlich, unvermiſcht, immateriell, gan 
einfach, nichts bebürfend, nicht vermehrbar, unfterblich, nicht gemacht, immer 
feiend. Dies ſieht Jeder ein, der begreift, daß jenes erfte Werdenfön⸗ 
nen auch untergehen fanı, Sch faſſe nun Die zwei Momente ind Auge, 
daß das Urprincip feine Vermehrung und Verminderung zuläßt, und gebe 
mit diefen auf die Jagd und fage: was feine Vermehrung zuläßt, fan 
nicht größer fein; es ift alfo das Größte. Was feine Verminderung 
zuläßt, kann nicht Heiner fein; es ift alfo das Kleinfte. Da es mun 
das Größte und Kleinfte zugleich ift, fo ift ed im der That micht kleinet 
als irgend Etwas (nullo utique est minus), weil e8 das Größte if, 
und nicht größer, als irgend Etwas, weil ed das Kleinſte iſt, ſondern 
von Allem, dem Großen wie Kleinen das präcijefte Maaß 
und Borbild. 


Achtes Kapitel, 
Wie Plato und Ariftoteles die Jagd angeftellt haben. 


Plato, ein höchſt umfichtiger Jäger, erwog, daß die oberen Dinge 
(Welt) in den unteren auf dem Wege des Participirens (participative), 
die unteren in den obern durch Hervorragen (excellenter) feien. Indem 
er nun fah, daß Vieles gut, gerecht, fittlich genannt werde durd das 
Theilhaben am Guten ıc., bemerkte er, daß diefes den Namen deſſen, woran 
es participirt, erhalten, und fam jo auf den Begriff des an ſich Guten, 
Gerechten ıc., fowie darauf, daß, wenn das Participirende gut, gerecht x. 
ift, vollends das an fih Gute x. zugleich die Urfache von Anderm wird, 
Hiemit ftimmt das fharfinnige Haupt der Peripatetifer, Ariftoteles, 
überein, der, indem er in der Natur viele Wärme wahrnahm, Lehrte, man 
müffe auf ein an fih Warmes kommen, welches diefed im höchften Grade 
und die Urfache der Wärme in Allem fei, wie ed das Feuer if Au 
diefem Wege fommen Beide zu der erften, durd ſich beftehenden Urſache 
aller Urfachen, zum Sein des Seienden, Leben alles Lebenden und Vers 
ftand aller Verftändigen. Näher betrachtet gelangte Plato, auffteigend 
von dem participirten Guten zu dem an fih Guten, auf folgende Weile 
zur Univerfalurfahe von Allem. Gr erwog, daß alles Seiende, auch das 
nur potentiell Seicnde, dur das Theilnehmen an Einem Guten gut ge 
nannt werde, weßhalb das im höchſten Grade Gute, das an fi Gute, 
von Allen auf das Eifrigfte erftrebt wird. Diefes muß daher eben def 
halb die Urfache von Allem fein, da Alles, feinem eigenem Grunde zus 
gewandt, nad ihm ftrebt, von welchem es Alles hat, was es hat. Plato 


277 


Iehrte daher als Urprincip den an fih Einen und guten Gott; die Prins 
tiplen von allem Andern: Sein, Leben, Geiſt ıc. nannte er das an fidh 
Seiende, das am ſich Lebende, das am ſich Denfende. Proclus nennt diefe 
Principien die weltgründenden Götter (conditorios Deos), durch deren Bars 
fieipation alles Sein, Leben und Denfen befteht. Nach dem erften Gott 
der Götter lehrte Plato einen zweiten Gott, den weltgründenden Verſtand 
(eonditorem intellectum), welchen Proctus in Jupiter, dem oberften ber 
Götter, erfannte. Er fcheint die Attribute der Gottheit, in denen fein realer, 
iondern nur ein logiſcher Unterfchied ift, zu verſchiedenen Göttern zu machen, 
dadurch verleitet, daß nichts denkbar (intelligibile) iſt, was nicht wirklich 
eflirt, da das Denfbare am Sein participirt. Was daher gedacht wird, 
nahm er als feiend an, und alles Nichtmaterielle als geiftiges Sein. Die 
Peripatetifer flimmen Dem nicht bei; fie fehen die Gedanken als ein Pros 
duft des Verftandes an, durch welche das real Setende nicht berührt werde. 
Auch darin ftimmen fie nicht bei, das Eine und Gute (das Urprincip) 
ii älter ald da® Seiende: Eines, Seiended und Gutes find ihnen Wed 
idbegröffe; die Urfache des Einen und Guten und Seienden ift: Eine 
und diefelbe. Gleichwohl fehreibt Ariftoteled dem PVerftande, der ihm wie 
dem Anaragoras die erfte Urſache und das Princip der Bewegung ift, 
niht die Regierung der ganzen Welt zu, fondern nur der Himmlifchen, 
melde hinwieder das Irdiſche leiten. Epikur jedoch läßt die ganze Welt 
allein von Gott, ohne jegliche andere Hülfe geleitet werden. — Unſere 
Theologen haben durch göttliche Offenbarung gelernt, die erfte Urfache, 
die nach allgemeiner Lehre dreiurfächlih (tricausalis) ift: wirfend, ges 
Raltend und zum Ziele führend, fei infofern Eine, als fie dreieinig if, 
und infoferne dreieinig, als fie Eine ift. Als wirkende Urſache wird fie 
mit Plato Einheit genannt; als geftaltende mit Ariftoteled das Seiende 
(entitas), al8 zum Ziele führend mit Beiden die Güte, das Gute. 


Neuntes Kapitel. 


daß die Hl. Schrift umd die Philofophen das Nämliche, nur in verſchiedenen 
Ausprüden, bezeichnet haben. 


Wer mit diefen Vorausſetzungen zuerft die Genefis, die Mofes lange 
vor der Zeit der Philofophen gefchrieben hat, liest, wird, was ich oben über 
Ye Principien gefagt habe, wieder finden. Mofes fagt: Im Anfang fehuf 
Gott Himmel und Erde, dann das Licht, womit er fagen will, das 
Vervenfönnen der Welt, welche dur Himmel und Erde bezeichnet ift, 
Mi im Anfange erfchaffen worden. Nachher beichreibt er erft das wirk 
id Gewordene: den Himmel, der unter dem Firmamente, die Erde, die 


278 


unter dem Trodenen, das Licht, das unter der Sonne zu verftehen if 
Im MWervenfönnen wurde Alles verworren und complicite erfchaffen, was 
nachher wirflih geworden und entwidelt worden if, Wenn er baber 
anführt, Gott habe gefagt: es werde Licht! und es warb Licht, fo hat er 
dies von der Natur ded Werdenfönnend geſagt. Im Werdenkönnen fah 
er das Licht als gut und nothwendig zur Wahrheit diefer fihtbaren Welt, 
und fprach daher zu diefer Natur des Lichts im MWerdenfönnen: ed werde 
Licht! und es trat num das Merdenfönnen des Lichts ala wirkliches Licht 
hervor. Die Bewegung, wodurd das MWerdenfönnen in die Wirklichkeit 
übergeht, ift eine natürliche; von Natur aus, die das Werkzeug des gött- 
liben Willens ift, ift diefe Bewegung dem Werdenkönnen anerfcaffen, 
daß «8 mit einer gewiſſen Luft ohne Anftrengung und Ermüdung, wir 
lich werde, was werden fann. Das Wort Gottes aber, auf welches bie 
Natur hört, daß Alles werde, ift Bott felbfl. — Die Platonifer 
nennen dieſes Wort den weltgründenden Berftand, den Eingeboremen, den 
Herrn von Allem, nach Procus. Anaragoras nennt ed den Geifl 
(mentem, sovs); die Stoifer dad Wort, das fie auch Gott nennen, 
wie man im Laörtius liest. Diefe find ganz richtig dem Propheten 
David gefolgt, welder jagt: „Durd das Wort ded Herrn find die Him— 
mel geichaffen worden;” anderswo fagt er: „er ſprach, und fie wurden, er 
befahl, und fie waren erſchaffen.“ Beachten wir noch, wie ſich die Philos 
fophen dieſe Prineipien näher dachten, Anaragoras fagt, der Geiſt, 
das Princip der Bewegung, fei zur Materie, in welcher Alles verworren 
lag, Hinzugefommen, und habe Alled im Einzelnen georbnet und unten 
fhieden. So ſpricht auch Plato von Gott und der Materie ald zwei 
Prineipien der Dinge. Ariftoteles faßt Alles in den zwei Begriffen 
von MWirklichfeit und Möglichkeit zufammen. Pythagoras vergleidt 
die Principien der Monas und Zweiheit: die noch ununterfibiedene Ma— 
terie fei der Monas als ihrem Urheber unterworfen. Die Stoifer 
nannten Gott den Baumeifter Copifex) diefer unermeßlichen Welt, und 
ſprachen von zwei Principien aller Dinge: einem wirkenden und leidenden 
(faciens et patiens). Nah Epifur ift auf den Befehl Gottes Alles aus 
der Materie, die ihnen eine Unzahl von Atomen ift, entftanden. Weiteres 
findet ſich nicht bei Laërtius. 

Bei genauer Erwägung gebt die Tendenz (intendunt) Aller auf das 
oben Ausgeführte: Gott, der reinfte Act, macht aud Alles aus dem Wer 
denfönnen, nur hat Mofes es viel beſtimmter ausgeſprochen, daß dad 
MWerdenfönnen ein Gefchöpf Gottes ſei. Thales widerfpricht dem nicht, 
wenn er fügt, die Welt ei ein Gefchöpf Gottes. So hält aud Plate 
die Erfhaffung der Welt fett. Beharrlich fagt er, alles Sinnliche (sensı- 
bile) ſei nothwendig von einem früheren Principe, die Zeit ſei nicht vor 


219 


der Welt, fondern mit der Erſchaffung ver Welt fel aud die Zeit ent 
fanden. Nah Ariftoteles aber hat das Werdenfönnen feinen Anfang, 
Bewegung und Zeit find ihm nichts Geſchaffenes. Seine Täuſchung befteht 
darin, daß er, weil dad Werdenfönnen ohne Bewegung nicht wirflides 
Sein wird, daraus jchloß, Bewegung und Zeit feien nicht erfchaffen. 
Hätte er bedacht, daß vor dem Werdenkönnen actu das Ewige ift, fo 
hätte er nicht läugnen fünnen, daß jenes durch das, was ihm vorhergeht, 
feinen Anfang babe. Das Nachreinander der Bewegung, defien Maaß 
die Zeit ift, megirt aus fich felbft die Ewigkeit der Zeit und der Bewer 
gung, da die Ewigkeit zugleich alles wirklich ift, was fein kann. Rich— 
tig jagt daher der fchärfer fehende Plato, die Zeit fei das Bild der 
Ewigkeit; fie ahmt die Ewigkeit nah und folgt dem Werdenfönnen; denn 
wie würde ein Nacheinander werden, wenn ed nicht werden könnte? 
Anaragoras nahm einen Anfang der Dinge und ein Ende der Zeit an; 
denn auf die Frage: ob wohl da, wo die Gebirge von Lampſacus find, 
einmal Meer fein werde, antwortete er: ja, wenn die Zeit nicht ausginge, 
So ſtimmen auch die Stoifer, nad weldhen die Welt zerftörbar iſt, 
befier mit und, mit dem geoffenbarten Glauben überein. 


Zehntes Kapitel. 
Mie die Philofophen das MWerbenfönnen genannt haben. 


Dem Thales aus Mile war das Waller das Werdenkönnen, da 
aus feiner Ausbünftung die Luft, aus feiner Verflüchtigung (subtilitate) 
dad Feuer, aus feiner Verdichtung (grossitie) die Erde werde und alles 
Lebende durch dasſelbe genährt werde, fomit auch entftehe, denn woraus 
die lebenden Weſen find, daraus ziehen fie auch ihre Nahrung. Daß 
aber das Waſſer nicht das Werdenfönnen der Welt fein könne, gebt 
daraus hervor, weil Gott nad) Thales felbft das Aeltefte ift, alio vor 
allem Erfchaffenen; das Wafler ift aljo nach ihm geworden, es geht alſo 
dem Waller das MWerdenfönnen voraus. Der Stoifer Zeno lehrte, Gott 
babe die Subftany des Feuerd mittelt der Luft in Waffer verwandelt; 
und gleichwie der Same im Fötus enthalten iſt, fo fei die Keimfähigkeit 
(serendi rationem) in der Feuchtigkeit zurücgeblieben, eine zum Bearbeiten 
ehr tauglihe Materie, aus welcher dann Alles entftanden fe Man 
beachte hier wieder, daß unfer Princip, das Werbenfönnen dem Waſſer 
und allen Elementen, allem Gewordenen vorbergehe. Auch ift jene Feuch— 
tigkeit nicht reines Waſſer, da es ein abfolut reined Waſſer, das nicht 
mehr reiner fein könnte, nicht gibt (ed ift alfo mit Anderm vermiſcht). Es 


280 


darf daher auch nicht Einem Elemente, ſondern der Vereinigung von allen 
das Werbenfönnen der fihtbaren Welt zugemeffen werben... .. 


Eilftes Kapitel, 
Von ben brei Gebieten und den zehn Feldern der Metöhett. | 
Um unfern Gebanfen darzulegen, fagen wir: ed gibt drei Gebiete | 


der Weisheit; das erfte ift jenes, in welcher fie fo aufgenommen wird, 
wie fie in ihrem ewigen Sein ifl. Im zweiten Gebiete wird fie auf | 
genommen in ihrer beftändigen Aehnlichkeit; im dritten leuchtet fie 
aus der Berne, im zeitlihen Abfluſſe ihrer Mehnlichfeit. Sodaun | 
gibt es zehn Felder, die zur Jagd auf die Weisheit fehr geeignet find: 
1) die gelehrte Unwiffenheit, 2) dad Könnenfein (possest), 
3) das Nihtandersfein, 4) das Licht, 5) das Lob, 6) die Ein 
heit, 7) die Gleichheit, 8) die Verbindung, 9) die Beftimmtheit 
(terminus), 10) die Ordnung. ‘) 


Zwölftes Kapitel. 
Erftes Feld: Die gelehrte Unwiſſenheit. 


Indem ich in das erfte Feld eintrete, ſehe ich, daß der Unerfaß- 
bare nur als unerfaßbar erfannt wird. Euſebius erzählt, Sofrated 
habe einen nad Athen gefommenen Indier gefragt, ob man, wenn man 
Gott nicht Fenne, etwas zu wiſſen im Stande fei; der Indier babe 
befremdet über diefe Frage erwiedert: wie wäre dies möglih? Er meinte 
nicht, daß man nichts wiffe, auch nicht, daß man von Gott gar nichts 
wiffe; denn Alles, weil es ift, gibt auch von Gott, weil er ift, Zeugniß. 
Ya vielmehr: weil Gott ift, ift Alles. Wie nun die Canfalität Gotted 
(sieut „quia est“ Dei) die Urfache des Wiffend von Allem ift, weil «# 
ift, fo ift.auch, weil die Wefenheit Gottes (quia Deus quid sit) am fid 
unbefannt ift (denn was man weiß, kann befier und vollfommener gewußt 
werben; man weiß alfo nichts, fo wie ed zu wiſſen ift — nihil uti sci- 
bile seitur —), aud die Weſenheit von Allem ald folde (uti scibilis 
est) unbefannt. Ariſtoteles fagt von ihr, fie fei beftändig eine geſuchte, 
wie er denn auch in feiner Erften Philofophie fie fucht, aber nicht findet. 
Es kann nicht fein, daß man das weiß, was dem Seinfönnen vorhergeht. 

1) Die zehn Felder find eben fo viele Auffaflungen bes göttlichen Weſens, 


um durch allfeitige Beftimmtheit vesfelben zur vollen Gotteserfenntniß zu gelangen. Das 
erfte Feld koͤnnte deutlicher die Unerfaßbarkeit Gottes genannt werben. 


281 


Dies ift Bott; er iſt alfo ımbegreiflih. Da man das Weſen des Werden 
fönnens fo wenig als die Urſache von diefem begreifen kann, jo wird das 
Weien von feinem Ding an fih wirklich erfaßt. Je mehr Jemand über: 
kugt ift, daß man dies nicht wiſſen könne, defto gelehrter (doctior) ift 
et .... Ich habe dies im den Büchern über die gelehrte Unmifienheit 
(jo gut ich konnte) auseinandergefegt. Sonderbar! Der Geift hat ein 
Verlangen nah Wiffen, jedoch ift ihm dieſes natürliche Verlangen nicht 
anerfbaffen zur Erfenntniß der Wefenheit feines Gottes, ſondern zur 
Erfenntniß der Umendlichfeit der Größe Gottes, die allen Begriff und 
alles Wiſſen überfteigt. Der Geift ſelbſt wäre micht in fich zufrieden, 
wenn er die Achnlichfeit eines fo Fleinen und unvollfommenen Scöpfers 
wäre, der noch größer und volllommener fein könnte. Mur den Gott von 
unerfaßbarer Bollfommenheit, und nicht einen kleineren, erkennt alle Greatur 
als ihren Gott an und fih als Achnlichkeit desſelben . . . Da Gott 
über das MWerdenfönnen hinausreicht, jo kann nichts vollfommener werden, 
das er nicht überträfe. Er ift alles einer Vervollkommnung Fähige und 
alles zur Bollfommenheit Gelangte (omne perfectibile perfectumque). 
Er if das Vollkommene felbft, die Vollkommenheit. Es freut fi daher 
der Geiſt, daß er eine folde die Vollkommenheit bewirfende, nie völlig 
aufzuzehrende Nahrung habe, durdy die er unſterblich genährt wird und 
Immer in der Weisheit wachen und erftarfen kann; wie der ſich mehr 
freut, der einen unendlichen, unerfchöpflichen Schag gefunden hat, als der, 
welher nur einen befchränften und begrenzten entdedt hat... Du fiehft 
mn, daß die nach Weisheit jagenden Philoſophen, welde die Weſenheit 
der Dinge bei Unfenntniß der Weſenheit Gottes zu erjagen und die im» 
mer nur annähernd zu erforſchende Wefenheit Gottes als erforſchte darzu- 
tellen fih bemühten, vergeblihe Mühe aufgewendet haben; fie haben das 
Feld der gelehrten Unwifienheit nicht betreten. Nur Plato, der etwas 
weiter als die andern PVhilofophen fab, fagte, es follte ihn wundern, 
wenn Gott follte gefunden werden, ımd noch mehr, wenn der Gefundene 
den Menfchen follte können befannt gemacht (propalari) werden. 


Dreizehntes Kapitel. 
Zweites Feld: Das Könnenfein (possest). 


Wenn der Geift in das Feld des Könnenfein, wo die Mög- 
lichkeit Wirklichkeit (actu) if, eintritt, fo erbeutet er ganz ergiebige 
Nahrung. 

Bott ift, wie Thales von Milet richtig bemerkt, älter als Alles, 
weil er nicht geworben oder erjchaffen iftz er ift vor dem Etwas und 


282 


Nichts, vor dem Ausfprechliden und Unausfprechlichen, vor dem Werden: 
können und dem Geworbenen. Gr kann alfo nichts werden, was er nicht 
von Gwigfeit wirflih (actu) if. Obgleich die Menfchheit das ift, was 
zum Menfchfein gebört, fo ift fie doch nicht wirflih Alles, was fie jein 
kann; denn fie ift nach dem MWerbenfönnen und fteht unter der Allmacht 
des Schöpfers des Werdenkönnens. Es ift alfo nichts von Allem, was 
nah dem Werdenkönnen folgt, von der Möglichkeit frei, anders zu werben, 
ald es if. Nur Gott ift das Könnenfein, weil er wirklich ift, was 
er ſein kann. Man darf daher Gott in feinem andern Felde fuchen, als 
in dem des Könnenfein. Was man immer aufweist, fo ift Gott nicht 
Dieſes; denn Diefes fann ein Anderes werden. Er ift micht klein, weil 
das Kleine größer, nicht groß, weil das Große Heiner werben kann. Er 
ift vor Allem, was anderd werden fann, vor allen Differenzen von Licht 
und Finfterniß, Gleichheit und Ungleichheit, vor der Differenz der Indif⸗ 
ferenz und der Differenz ac., er ift fomit die Ewigkeit. 

Mas die Philojophen abfchredte, dieſes Feld zu betreten, war ihre 
Vorausſetzung, man müfle aud Gott wie Alles, was dem Werbenfönnen 
folgt, in der Differenz der Gegenfäge aufjuhen. Bor der Differenz ver 
contradictorishen Gegenſaͤtze glaubten fie Gott nicht zu finden. Indem 
fie aljo die Jagd auf ihn innerhalb jenes Principes: „Jegliches ift ent: 
weder oder es ift nicht” anftellten, Eonnten fie ihn, der auch älter als 
Diefes Princip it und über dejjen Umfang hinaugreicht, unmöglich finden. 


Bierzehntes Kapitel. 
Drittes Feld: Das Nichtanderöfeln (non aliud). 


Das, was dem Werdenkönnen vorbergeht, fann nicht anders werben, 
es kann nicht durch andere Begriffe (termini) definirt werden, das able, 
Iute Sein ift die Definition feiner felbft (sui ipsius definitio est); 
denn die Definition drückt die generifhe Concordanz und die ſpecifiſche 
Differenz des Definirten aus, das Abfolute aber ift über und vor aller 
Differenz. Es felbft definirt Alles, da dieſes nicht eriftirte, wenn es 
nicht durch dasfelbe wäre und definirt würde... Das Feld, auf weldem 
die angenehmfte Jagd auf das angeftellt wird, was ſich und Alles defi 
nirt, nenne ich das Nichtandersfein. Auf die Frage: was ift das Nicht, 
andersfein? wird am paffendften alfo geantwortet: das Nichtandersfein if 
nicht8 Anderes, ald: „nicht anders.” Und auf die Frage: was ift dad 
„Anders“? ift die richtige Antwort: das „Anders“ ift nichts Anderes, 
als immer anderd. So ift die Welt nichts Anderes als Welt x. Sieht 
Du nun, daß jenes uralte Ewige auf diefem Felde ganz ergöhlich erjagt 


283 


werben lann? Denn da es die Definition feiner felbft und alles Andern 
it, fo finden wir es in nichts Anderem Elarer und beſtimmter, als in dem 
Nibtandersfein. Staunend findet der Geift in dem geheimnißvollen Felde, 
wenn er genau verfährt, daß die Trinität, ohne welde Gott ſich 
felbit nicht definirt, Einheit fei, weil die Definition zugleich das 
Definirte ift. Der dreifache und einfache Gott ift die Definition, die fich 
md Alles definiert... Die Beruunft findet alio, daß Gott das Nichts 
anderd ift, weil er dad „Anders“ felbft definirt. Denn nimmt man das 
Rihtandersfein hinweg, fo bleibt nichts Anderes übrig. Denn wenn das 
Anderdfein fein fol, jo fann ed nichts Anderes fein, ald eben anders, 
ionft wäre es anders ald anderd und jomit nicht andere. Da es alfo 
vor dem Andersſein ift, kann es nicht ander werden und iſt wirflid 
(actu) Alles, was es ſchlechthin jein fann. Beachte übrigens wohl, daß 
das Nichtandersſein micht fo viel ift, als identiſch jein (idem); ſondern 
da Dasfelbe (idem) nichts Anderes iſt, als Dasſelbe, fo geht das Nicht⸗ 
anderd ihm und Allem vorher. Wenn daher Gott das Nichtandersfein 
genannt wird, weil er das nicht Anders jeden andern Wefens ift (ipse est 
non aliud, ab alio quocunque), jo ift er deßwegen nicht Dasfelbe, 
wie jedes Weſen; er ift das nichts Anderes des Himmels (non est aliud 
a coelo), aber defhalb nicht Dasjelbe, was der Himmel. Er hat chält) 
daher alle Dinge ald nicht andere, ald wie fie find (habet igitur omnia ut 
von alia quam sunt), weil Gott fie definirt; von ihm, dem Nichtandersfein, 
haben fie ed, daß fie nichts Anderes, fondern ſich Aehnliches in den Gats 
tungen hervorbringen. — Die auf Wahrheit Jagd machenden Philofophen 
haben dieſes Feld gar nicht betreten, in welchem allein feine Negation 
der Affirmation entgegengefegt if. Das Nichtanders ift fein Gegenſatz 
um Anders, da es diejes definirt und ihm vorbergeht. Nur außerhalb 
dieſes Feldes ftehen Negation und Affirmation einander entgegen, wie 
ferblich und unfterblih x. Gott alfo in andern Feldern ſuchen, wo er 
nicht gefunden wird, ift ein vergebliches Jagen; Gott fteht keinem Gegen 
fage gegenüber. Umnvollfommener wird daher Gott unfterblich genannt, 
dem das Sterblichjein entgegenfteht, genauer: dad Nichtandersfein, dem 
weder das Anders noch das Nichts entgegenfteht, da ed auch dem Nichts 
vorhergeht und es befinirt. Denn das Nichts ift nichts Anderes als 
nichts. Sehr feharffinnig jagt der göttliche Dionyftus, Gott fei in Allem 
Alles und in Nichts — nichts (in nihilo nihil). 


284 


Fünfzehntes, ſechszehntes und ficbenzehntes Kapitel. 
Diertes Feld: Das Licht. *) 


Ich will nun das Feld des Lichts betreten und durch das gegebene 
Licht die Erleuchtung der Weisheit fuchen. Denn es feuchter über uns, 
wie der Prophet fagt, das Licht des Antliges oder der Erkenntniß Gottes, 
und in biefem Lichte ift das Jagen nah Weisheit überaus freudig und 
angenehm. 

Wer den Schnee ficht, fagt, er fei weiß. Diefer Definition wider 
ſprechen, wäre Unfinn. Was jeder Verftand ald wahr befinirt, muf 
wahr jein. Die fih und Alles befinirende Definition ift daher notb- 
wendig fehr gut, groß, wahr, ſchön, weisheitipendend, ergötzend, Har, 
gleihmäßig (aequa), felbftgenügend. Alles viefes ift in der Definition 
die Definition und in dem Definirten dad Definirte. (Definition und 
Definirtes fallen zufammen, decken ſich vollftändig.) Daraus .erbeutet der 
Geift eine bewunderungswürbige, äußerft genußreiche Weisheit, da er auf 
das Evidentefte einfieht, alles diefes fei in dem ewigen einfaditen 
Gott — Gott felbft, der fib und Alles definirt, daher auch im jedem 
Definirten das Definirte ift. Der Geiſt weiß nun aud, daß nichts von 
Allem, was ift, ganz frei von dem Guten, Großen, Schönen x. 
ift. Alles ift auf das Gemügendfte erfchaffen, jedes Weſen hat fo viel, 
als es zu feiner Selbftgenüge bevarf. O wunderbare Weisheit Gottet, 
welche Alles, was fie gemacht hat, als fehr gut erfannte. Durd die 
ganze Jagd zur Bewunderung dieſer ewigen Weisheit gelangen, das 
heißt, fih ihr nähern... In diefer freudenvollen Hoffnung fleigert 
der Jäger feinen Lauf. Nur dur die Laft des Körpers gehemmt, bie 
überaus ſchnell vor ihm hineilende Weisheit zu erreichen, wünfcht er vom 
Körper getrennt zu fein; er möchte das Band löfen, das ihn mit vielem 
verbindet, und fürchtet daher den Tod nicht, um die Weisheit Gottes ale 
unfterbliche Speife zu koſten. Wer ihrer werth ift, weiß, daß man fie 
felbft dem eigenen Leben vorziehen und von folcher Liebe zu ihr entflammt 
fein muß, daß man fih und Alles gerne hingibt, um nur fie zu geroinnen. 
— Fragen wir nad der Definition des Guten, fo finden wir, daß alle 
übrigen oben genannten Prädicate (groß, wahr, ſchön ıc.) das Gute find. 
Definiren wir das Große, fo find in ihm das Gute, Wahre ıc. eben das 
Große. In Jedem derfelben find alle — e8 felbft. Nothwendig 


1) Nach der folgenden Erläuterung ift unter Licht die innere Wahrheit, Boll: 
fommenbeit Gottes und die Wahrheit aller Dinge in Gott zu verfichen; das Go: 
rollar hievon ift das Lob Gottes (im fünften Feld, mit beigefügten practifchen Fol: 
gerungen). 


285 


find fie in dem Nichtandersfein — nicht anders, alfo das Gute nichts 
Anderes ald das Große, Wahre x., während in dem Andersſein biefe 
Prädicate anderd werden. So ift dad Gute der Sonne anders als ihre 
Größe, Wahrheit x. ed nimmt die Natur ded Zufammengefegten, des 
Verſchiedenen an. Wenn das Wahre, Gute xx. aus allen Dingen hervor: 
leuchtet, fo iſt Alles in Allem, verfteht fi in befonderer Art des 
Seins; das Gute, Wahre, Schöne ꝛc. ift in Gott — Gott, in unfes 
rem Geifte — geiftig, im Sinne ſinnlich. Dadurch aber ift dem 
Geifte das Erkennen des MWahren möglich: in ſich beſchaut er Alles, wie 
in einem Spiegel, Alles fieht er ſich affimilirt; in dieſer Aiftmilation hat 
er das lebendige Bild des Schöpfers von Allem und erkennt fi 
als deſſen Abbild; in diefem Abbilde erfennt er mit zweifellofer 
Gewißheit feinen Gott. 


Achtzehntes, neunzehntes und zwanzigftes Kapitel. 
Fünftes Feld: Das Lob Gottes. 


Sobald ih das Feld des Lichtes durchpürſchet hatte, öffnete ſich mir 
dad ſchöne Feld des Lobes Gottes, denn nachdem ich jene zehn oben 
erwähnten Prädicate: das Gute, Große, Wahre ıc. ıc. erbeutet hatte, 
fand ih, daß fie alle im Felde des Lobes Gottes gepflanzt feien, als ein 
ebenjo vielfaches Lob Gottes. Daher fang David im Hinblide auf alle 
Werke Gottes: Lobet den Herrn im Himmel! Lobet ihn in der Höhe! 
Jedes Geſchöpf Gottes lobt Gott, daß er gut ift, weil ed bezeugt, daß 
ed jelbft gut und lobenswerth nur dur fein Geſchenk iftz ebenio lobt 
ihn jedes als groß, ſchön x. Im Felde des Lobes Gottes haben in 
größter Ehrfurcht ihre Jagd angeftellt die Propheten und übrigen Heilis 
gen, wie ihre Schriften beweifen, welde alle auf das Lob Gottes ab- 
zielen . . .. Wenn gleih jede Gattung von Gefchöpfen ein bejonderer 
Aecord im Hymnus der ganzen Schöpfung ift, fo hat doch der denfende 
Menſch mehr Gehalt, als alles Sichtbare, zum Lobe Gottes in fi, um vor 
allen Andern Gott beftändig zu loben. Das ift daher aud das Ziel feines 
Lebens, Gott wiederzugeben, was er zu feinem Sein erhalten hat — 
Lob und Ehre.... Unfinn ift daher der Gößendienft, welcder der Creatur 
das Lob Gottes widmet, erzeugt von cinem ſchwachen, blinden und irre 
geführten Geifte. Kennt ja doch die ganze Schöpfung ihren Schöpfer, 
verfteht fein Wort und folgt ihm. Sagt er zu einem Steine, er folle 
Reben werden, jo hört er ed und gehorcht. Sogar Todte hören das Wort 
Gottes und leben, wie die Ehriften an Lazarus fehen. Hieraus folgt, 
daß der mit freiem Willen begabte Menſch, der Gott nicht lobt und auf 


286 


fein Wort nicht hört, nicht zu entſchuldigen tft, da ihn feine eigene Natur 
verurtheilt, und unwürdig der Gemeinfchaft der Seligen ift, die Gott 
ohne Ende loben. Unfäglich ift das beftändige und freudige Lob Gottet 
aus dem Munde der Heiligen. So groß ihr Lieben, fo groß iſt auf 
ihr Loben (quantum amant, tantum clamant), und je mehr fie Gott 
loben, defto mehr Lob erlangen fie ſelbſt und nähern fih dem unendlich 
Lobenswürdigen, ohme ihm je gleich zu werben. Im entgegengejeßte 
Richtung wird auch die ewige Verdammniß der rebellifchen Geifter nie 
eine zeitliche. und endende. Die Ehre und das Lob der vollkommenen 
Menſchen befteht nach beftindiger Meberlieferung in der Gemeinſchaft mit 
Gott und allen Heiligen. Welt: und Gigenliebe haben diefe Volllom— 
menen weggeworfen und ben Lehrer der Wahrheit, das menfchgeworbene 
Wort Gottes, nadgeahmt, der zum Lobe Gotted unter allen Schreden 
dem Schredlichften, dem fhmählichiten Tode fich freiwillig unterzogen bat. 
Unzählige Märtyrer find ihm nachgefolgt und haben durch den Tod um 
fterbliches Leben erlangt, und auch heute noch fireben viele Religivien, 
der Welt abzufterben und vollfommene Lobpreifer Gottes zu werben... .- 


Einnndzwanzigftes ımd zweinndzwanzigites Kapitel. 
Sechstes Feld: Die Einheit. 


Aurelius Auguftinus fagt im feiner Schrift über die Ordnung, 
das Nachdenken aller Philofophen beſchäftige ſich mit der Einheit. Das 
Gleiche hat nad ihm der gelehrte Bostiud durch fein Buch Über die 
Einheit und das Eine ausgefprochen. Beide folgten dem Plato, welder 
das Eine das erfte und ewige Prineip nennt. Bor ihm lehrte Pyt ha— 
goras aus Samos, welder Alles unter dem Geſichtspunkte der Zahl 
betrachtete, die Monas fei das Princip von Allem, denn die Einheit iſt 
vor aller Bielheit. | | 

Wir wollen num dieſes Feld der Einheit durchſtreifen. Obwohl 
das Nihtandersfein der Einheit vorhergeht, fo ift doch die Einheit jenem 
am nächften. Das Eine und Dasfelbe (unum et idem) fheinen an 
dem Nichtanders mehr als alles Andere zu participiren . . . Und da dad 
Eine das ift, was es fein kann, ganz einfach, nicht vermehrbar, fo faßt 
es Alles in ſich, was ohne dasfelbe nicht mehr wäre. Denn Alles if 
nur infofern, als es Eines if, das Eine umfaßt das Wirkliche und das 
Mögliche, Somit mehr ald das Sein (ens) (wiewohl nad Ariftoteles 
Sein [ens] und Einheit Wechfelbegriffe find). Das Seiende (ens) 
wäre daher ein befchränfteres Princip von Allem, als die Einheit, € 
fann auch feine Vielheit geben, die nicht an der Einheit participirte; ſonſt 


287 


wäre dad Aehnliche unähnlich; vieles Aehnliche wäre zugleich unähnlich; 
dasjenige nämlih, das nicht an der Einheit participirte und doch mit 
dem PBarticipirenden Aehnlichfeit hätte. So würde alle Drbnung der 
Dinge aufhören, wie died Plato im Parmenides fharffinnig nachgewiefen 
bat. Das Eine kann nicht geicaffen fein, da e8 dem Geſchaffenen vor 
bergeht,, ed kann micht zerftört, geändert werden, da ed dem Werden— 
können vorbergeht und Alles ift, was es fein kann . . . Unwahr ift es 
daher, daß vor dem Werdenfönnen Götter feien, die an dem Einen par: 
tieipiren, wie an einer Specied von Gottheit; ed wäre fonft eine Vielheit 
des ewigen göttlichen Weſens. Vergebliche Mühe machte ſich baher 
Proclus in ſeinen 6 Büchern über die Theologie des Plato, indem er 
and unfichern Conjecturen die Differenzen jener ewigen Götter und ihr 
Berhältnig zu Einem Gott der Götter zu ermitteln fuchte; denn es gibt 
nur Einen ewigen Gott, der für Alles vollfommen genügend ift und die 
ganze Welt regiert. Die Philoſophen feheinen alle ihre Betrachtungen 
über Gott, Götter, den Himmel und feine Bewegung, Fatum, Geifters 
welt, Ideen und die Natur nur vom Standpunfte diefer fichtbaren (sen- 
sibili) Welt und Dem, was zu ihrer Erhaltung nöthig ift, angeftellt zu 
baben, als ob dieſe irdiſche Welt die Krone aller Werke Gottes wäre. 
Ariſtoteles und Plato laffen Gott die Himmel leiten; die Himmel aber 
find nad ihnen nur um diefer fichtbaren Welt da, damit die Zeugungen 
und was zur Erhaltung der Erde gehört, durb Nahahmung der Him— 
melsbewegung erfolgen. Sie bedachten nicht, daß umählige Sterne, viel 
größer als dieſe bewohnte Erde, fo viele Geifter nicht bloß für diefe Erde 
geihaffen find, fondern, wie oben gefagt, zum Lobe ihres Echöpfers. 

Die verftändigfte Jagd auf diefem Felde haben diejenigen angeftellt, 
welde, wie Auguftin, die Einheit als eine fruchtbare (lebendige) er: 
fannt haben, welche die Gleichheit aus fich erzeugt, und die vereinis 
gende Liebe, die von der Einheit und Gleichheit ausgeht... . 


Dreinndzwanzigftes Kapitel. 
Siebentes Feld: Die Gleichheit. 


Die Bielheit bringt auch die Ungleichheit mit fih. Bon den vielen 
Dingen iſt Feines dem andern vollfommen gleih. Die Gleichheit, welche 
das ift, was fie fein kann, ift daher vor dem Andersfein und der Un— 
gleichheit und eben veßhalb ewig, wie die Einheit, aus der fie ewig 
hervorgeht. Die Gleichheit ift daher feiner Vervielfältigung fähig. Das 
Gute, Große, Wahre, Schöne ıc. find nicht Vielheiten, fondern ſich glei 
und ewig. Aus dem ungleichen PBarticipiren aller Dinge an der abfoluten 


288 


Gleichheit folgt der Sap: Alle Dinge flimmen unter fich überein und 
differiren zugleich (concordant pariter et differunt omnia). 


Vierundzwanzigftes, fünfundzwanzigftes und fehsundzwanzigites Kapitel, 
Achtes Feld: Die Verbindung. 


Mit der Bielheit und Manntgfaltigfeit it auch die Theilung gegeben, 
aber aller Theilung gebt die Verbindung (nexus) voraus, als ewige 
Untheilbarfeit, die aus der ewigen Einheit und deren Gleichheit ewig 
hervorgeht . . . . Obwohl die Einheit nicht die Gleichheit iſt und die 
Verbindung, jo ift doch Die Gleichheit und Verbindung nicht etwas An 
dered als die Einheit, da fie das Nichtandersfein find, das dem Andere 
fein vorhergeht. Alles und Jedes ift ein Nachbild diefer Trinität... 
die Einheit ift die Bindung (constructio) des flüchtigen Seins; die 
Gleichheit ift die Oeftaltung (formatio) des Gebundenen, die Verbindung 
(nexus) ift die Verfnüpfung ded Geeinten und Geftalteten. Die Ber 
bindung gebt als zujammenhaltendes Princip durch die ganze Schöpfung; 
fie verbindet Seele und Leib, fie bindet mit einem geiftigen Bande den 
Geift an die Weisheit und bewirkt dadurch die Erfenntniß und die wahr 
Gluͤckſeligkeit. 

Die Philoſophen haben dieſes Princip der Verbindung zumeiſt nicht 
erkannt und deßhalb auch die wahre Weisheit nicht erreicht .... 


Siebenundzwanzigftes, achtundzwanzigſtes und neunundzwanzigſtes 
Kapitel. 


Neuntes Feld: Die Idee (terminus). 


Das der Verbindung zunächſt liegende Feld, welches ich das der 
Idee ) nenne, iſt voll der erſehnten Beute, überaus groß und unbegrent. 
Es hat weder Anfang noch Ende, wohl aber hat es die Anfänge, Mitte 
und Ende alles Beftimmbaren (terminabilium) in fi, gleichſam die Wurzel 
der Allmacht, indem fie in ihrer Kraft Alles begreift (eontinet), aus 
Alles aus fih entfaltet und begrenzt. Die Beftimmtheit (terminus), 
welde Alles ift, was fein fann, ift vor jeder Beftimmtheit der Dinge, 
die werden fünnen. Sie ift die unbegrenzte Beftimmtheit des Werben 
könnens felbft, die Alles, was werben fan, determinirt vorher in ſich 


u — — — an 


1) So muß nach der folgenden Grlänterung die Aufſchrift „terminus“ gefaht 
werben. 


289 


faßt. Es ift alfo die Beftimmtheit aller Dinge und aller Wiffenfchaften. 
Wer anders aber fegt Grenze und Beftimmtheit als der Geift (mens) und 
die Weisheit? Der Geift, wie Anaragoras ſehr richtig fah, begrenzt 
(determinat) und unterſcheidet die verworrene Möglichkeit, und bewegt 
alle Dinge, daß fie zu dem von ihm den Dingen beftimmten Ziele ges 
langen. Die Weisheit ) hat die Urbilder der Dinge gebildet (exem- 
plaria rerum definivit), die Ideen (rerum rationes), die in ihr präs 
erifliren, nach welchen (secundum quas) die göttlihe Weisheit Alles 
vorherbeftimmt oder vorherbegrenzt und hervorgebracht hat (praedestinavit 
sen praedeterminavit produxitque). Was find alfo diefe Ideen Anderes, 
ald die Beflimmtheiten (termini), die Allem Beftimmtheit geben? Gewiß 
it, daß für fie alle der göttliche Geift das Beftimmende (terminus) ift. 
Er hat fie rationell in fih auf das Vollkommenſte determinirt, und fie 
find feine wirkſa men (validae) und vollfommenen Ideen, außer in- 
joweit fie am göttlihen Geiſte participiren, wodurd fie das find, 
was fie find. Die Verfchiedenheit der Ideen entſteht nur aus diefer 
verihiedenen PBarticipation. Wenn Du vor das Werdenkönnen hinſchauſt 
und nah menſchlicher Weile denfit, Gott habe von Ewigfeit den Gedanfen 
gefaßt, er wolle ſchaffen, fo war offenbar, da noch nichts gefchaffen war, 
weder Himmel noch Erde noch Engel ıc., alles dieſes nicht mehr erfchaff- 
bar, ald Anderes, was mit diefem gar nichts gemein hat und das wir 
und gar nicht vorftellen fönnen. Gott beftimmte nun (determinavit) 
in feinem Begriffe, daß er gerade diefe Schöpfung, die wir 
ſehen, erfchaffen wolle. Durch die Selbftbeftiimmung des götts 
liden Geiſtes (ex determinatione mentis in se ipsa) hat alfo Alles 
kine Beftimmtheit, fo oder fo au fein, erhalten. Nach diefer ewigen Idee 
(conceptus) hat Gott das erfchaffene Werdenfönnen determinirt zum Werben 
diefer Welt und ihrer Theile. Das Werdenkönnen ift nicht vag und uns 
beftimmt, fondern zu dem Ziel und mit der Beftimmtheit, diefe Welt zu wers 
den und nichtd Anderes, erihaffen. Die Idee alfo, auch das geiftige Wort 
(verbum mentale) oder die Weisheit genannt, ift die Beftimmtheit, die feine 
Beſtimmtheit, Grenze, hat. Bor dem göttlichen Geifte ging fein anderer Geift 
voraus, der Ihn zum Erſchaffen diefer Welt beftinnmte; der ewige göttliche 
Geiſt hat, mit vollfommener Freiheit, zu fhaffen oder nicht zu ſchaffen, 
jo oder anders, feine Allmacht in ſich felbft nah feinem Willen 
von Ewigfeit determinirtt.... Es ift far, daß die göttliche Weisheit 
in diefem Felde verborgen ift und durch eifriged Jagen gefunden wird. 
Denn fie ift e8, „die dem Meere und feften Lande, Sonne, Mond und 





1) Haeo bezieht fi nach dem ganzen Zufammenhange nicht auf mens, fonbern 
auf das grammatifch mäher flehende sapientia. 
Sharpff, Nic, v. Gufa. 19 


290 


Sternen und ihrer Bewegung die Grenzen gefegt und ihr Geſetz jeglicher 
Creatur gegeben hat, das diefe nicht überfchreiten kann“, wodurch Alles 
in beftimmtem Maaß, Gewicht und Zahl ſich bewegt; ohne dieſes Geſetz 
wäre überall nichts ald Verwirrung. 

Unfer Geift ift ein Abbild des göttlichen Geiftes; er ift daher das 
Prineip, nicht der Dinge, fondern nur feiner geiftigen Thätigfeiten, die er 
beterminirt; er faßt alles begrifflidh (notionaliter), nicht weſenheitlich, in 
fih. Das Weſen der Dinge findet er daher nicht in ſich; ſelbſt feine 
eigene MWefenheit erfennt der Geift nicht, fondern nur das Bild von ihr; 
da er denft, weiß er, daß er ein denfendes Weſen if. Die Aehnlichkeit 
der Dinge ift in ihm, daher wird er ein Drt der Begriffe (locus 
speeierum) genannt. Die Wefenheit der Dinge ift vor den Begriffen 
von ihr, diefe find alfo erft nach ven Dingen.... 


Dreißigftes, einumddreißigftes und zweinnddreifigites Kapitel, 
Zehntes Feld: Die Ordnung. ‘) 


Dionyfius, fharffinniger als alle andern Philofophen, jagt in dem 
Kapitel von der Weisheit: Vielleicht ſagen wir richtig, daß wir Gott 
aus feiner Natur und Mefenheit nicht erfennen (denn dieſe ift und gan 
unbefannt und überfteigt alle Verſtandes- und Sinnenerfenntnig), wohl 
aber aus der überaus treffliden Ordnung aller Geſchöpfe, 
die fein Werk tft und ein Ausdruck und Abbild feiner göttlichen Ideen. 
Wir erheben und zu Dem, der alles übertrifft, ſyſtematiſch durch gänglice 
Privation und dur Betrachtung Gottes ald der Urſache von Allem. 
Daher wird in Allem und außer Allem (seorsum ab omnibus) Gott 
erfannt, durch Wiffen und durch Nichtwiffen (per scientiam et ignora- 
tionem noscitur Deus)... In Allem ift er Alles und in Keinem nicte, 
aus Allem wird er von Allen erfannt und aus Keinem von Niemand 
(in omnibus omnia est et in nibilo nihil; et ex omnibus omnibus n08- 
citar, et ex nullo nemini). Indem Gott der Schöpfer von Allem if, 
der Alles ftets in Einklang bringt (omnia concordans), als die Urſache 
einer unauflöslichen Einheit, der das Ende des Erſten verknüpft mit dem 
Anfange des Zweiten und fo einen Einklang im ganzen Univerjum und 
Eine ſchöne Harmonie hervorbringt, ift er der Urheber der Ordnung, durch 
welche auch Ruhe, Friede und Selbſtgenüge in allen Creaturen entſteht, 


1) Nach den folgenden Erläuterungen iſt unter dieſem Felde bie tosmologiſche 
Gotteserkenntniß zu verſtehen, womit bie f. g. via negativa und positird 
fowie via causalitatis in ber Erfenntniß Gottes in Berbindung fleht. 


291 


Indem jedes mit der Stellung zufrieden tft, im die es für bie Ordnung bes 
Ganzen in das Ganze, wie 3. B. Fuß und Auge in den Körper 
eingefügt ift. 

Da Alles, was aus dem MWerdenfönnen wirflih werben foll, bie 
Ordnung vorandfegt, welche alled das ift, was fein fann, fo ift bie 
Ordnung ewig. Wäre fie erfchaffen, fo wären die Dinge durch die 
Ordnung aus dem Möglichen zur Wirklichfeit gelangt und ed wäre bie 
Ordnung dagemwelen, bevor fie war, was unmöglib if. Sie hat alfo 
feinen Anfang und fein Ende. Was kann aber die Ordnung im ein- 
fachſten Principe oder Dinge anders fein, als dieſes Princip felbft? ſowohl 
das Princip ohne Princip, ald auch das Princip aus dem Principe und 
das aus beiden hervorgehende Princip. Ohne dieſes kann die Ordnung 
im Principe nicht fein, da e8 zum Wefen der Ordnung gehört, Anfang 
(prineipium), Mitte und Ende zu fein. Werden diefe in dem einfachften 
und oberften Principe negirt, fo wird aud die Ordnung negirt, obne 
welche nichts übrig bleibt, da die Welt ohne Ordnung und Schönheit 
nicht beftehen fann. Denn wie follte das Sein ohne Ordnung aus dem 
Seinfönnen in die Wirklicfeit gelangen? Wenn im Princip feine Ord— 
nung it, woher follte dad durch das Princip Gefeßte Ordnung haben? 

Ju dem durh das Princip Geſetzten ift (Cabbildlib) das Princip 
ohne Princip — die Wefenheit (essentia), dad Princip aus dem 
Prindip — die Kraft, das Princip, das aus Beiden hervorgeht — 
de Wirfjamfeit (operatio). Diefe drei finden fih in Allem, auf daß 
Alles an der göttlichen Ordnung participire. Die Welt ift geordnet in 
geiftige8, lebendiges und Teblofed Sein; das bürgerliche und 
Familienleben, Kunft und Wiffenfchaft haben ihre Ordnung, nur ein 
geordnetes Wiſſen hat Erfolg und Fortfhritt, und eine geordnete Rede 
maht Eindrud; Ordnung fommt dem Gedächtniſſe zu Hülfe; kurz: die 
Ordnung ift ein Wiederfchein der Weisheit (relucentia sapientiae orda), 
die ohne Ordnung nicht mit Erfolg wirffam wäre. Ordnung ift das 
Band des Univerfum (copula universi). Durch fie ift der Menſch als 
Mierocosmus an die Spige der Sinnenwelt und an die umterfte Stufe 
der intelligiblen Welt geftellt, am den Horizont der Zeit und Ewigfeit, 
beide Welten in fich werbindend, indem er an jeder participir. In noch 
großartigerer Weife verbindet die Menſchheit Jeſu Ehrifti die niedere 
Natur nicht nur mit der höhern, geiftigen, fondern mit Gott dem 
Schöpfer felbft und der ewigen Unfterblichkeit, wenn wir durch Glaube 
und Liebe ihm, dem Mittler, gleichgeftaltet werden. 

Was ift ſchöner als die wunderbare Ordnung der Wiedergeburt? Ich 
habe im Bisherigen Einiges Über die Felder der zu erjagenden Weisheit 

19 * 


292 


geſprochen, aber dort, in der Ordnung der Wiedergeburt, hat die incar- 
nirte Weisheit den Weg zu ihr durch ihr eigenes Beiſpiel geoffenbart. 

Wir ftreben nah Weisheit, um unfterblic zu fein; da uns aber 
feine Weisheit vor den Schreden des Todes bewahrt, fo wird das die 
wahre Weisheit fein, durch welde die Nothwendigkeit des Sterben in 
die Kraft, zu leben und in den fihern Weg zur Auferftehung umgewandelt 
wird, was nur mit der Kraft Jeſu und Nahahmung feines Beiſpiels 
möglih ift. Hierauf müſſen wir aljo den größten Eifer verwenden, 
hier allein ift fichere Jagd, der Erfolg zuverläffig — der Befig der Un— 
fterblichfeit. | 


Dreinnddreißigftes Kapitel. 
Ueber die Bedeutung ded Wortes. 


Die Philofophen Haben oft auf die Bedeutung (vis) eines Mortes 
große Rüdficht genommen, als ob das Wort das präcife Bild (fguratio) 
des Gegenftandes wäre. Allein die Worte, die der erfte Menſch aus 
Reflerion des Verſtandes den Dingen gab, find feine präcife Bezeichnung; 
denn der Begriff ift nicht das Weſen der Sache. Hätte Jemand den 
Namen für das Weſen einer Sache, dann würde er Alles richtig benennen 
und befäße die vollfommenfte Kenntnig von Allem. In dem fubftantiellen 
Weſen der Dinge liegt alfo fein Widerftreit (dissensio), fondern in den 
Morten, die nach verſchiedenen Geſichtspunkten (rationibus) den Dingen 
gegeben werden und in den verfhiedenen Bildern (configuratione) von 
den Dingen, wie Plato in feinen Briefen an den Tyrannen Dionyſius 
fehr ſchön ausführt. Dionyfius Arcopagita will daher, man folle mehr 
auf den Sinn, ald auf die Bedeutung der Worte fehen. Niemand 
bemühte ſich vifriger, die Wortbedeutung aufzuſuchen, als Ariftoteles, der 
in der Definition, welche ihm die MWorterflärung ift, das Licht der Er 
fenntniß fand. In der Erfenntniß der menfhlihen Dinge mag dies der 
Fall fein, weßhalb die Kenntniß, welde fib auf die Wortbedeutung 
ftügt, dom Menfchen, als feiner Natur angemeffen, fehr geläufig ifl. In 
der Erforfhung der göttlihen Weisheit aber muß man menfhlihe Aus 
drüde, wie fie dem Menſchen zugefchrieben werden, von Gott negiren. 
So bezeihnet das Mort Leben, das alles Lebende umfaßt, nit das 
Weſen Gottes, welder die Urſache alles Lebens iſt. Auch auf die 
Unterfheidung der verfchiehenen Bedeutungen der Worte muß man, wie 
ſchon der hi. Thomas aufmerfjam gemacht hat, forgfältig adten...- 
Dadurd werden viele Differenzen der Schriftfteller in Einklang gebradt. 

Diefe meine Forſchung nach der unausſprechlichen Weisheit, welde 
älter ift ald alles Namengeben, bewegt fi mehr im Stillfhweigen und 


293 


Schauen, als im vielen Neben und Hören. Sie fegt voraus, daß die 
menschlichen Worte, deren fie fid bedient, nicht präcis find, feine Engels— 
und Gottedworte; fie gebraucht fie, da fie anders feinen Begriff ausdrüden 
fann, wenn fie die Ewigkeit durd fie bezeichnen will, die freilich Feines 
von den Dingen ift, um derentwillen die Worte gebildet find, fondern Die 
Urjahe von ihnen, und ein Wort nicht von dDiefer Zeit (verbumque 
nullius temporis). 


Bierunddreißigftes, fünfunddreigigites und ſechsunddreißigſtes Kapitel, 
Ueber die gefangene Beute. 


Nahdem ih nun die zehn Felder durchpürſcht habe, erübrigt mir 
noch, die gefangene Beute zu fammeln. Eine große Jagd habe ich 
angeftellt, um große Beute zu erlangen. Nicht mit irgend etwas Gros 
bem, das größer fein Fonnte, zufrieden, habe ich die Urfache der 
Größe, die nicht mehr größer fein fann, aufgefucht. Könnte jene Urfache 
größer fein, fo würde fie durch das von ihr Berurfachte größer. So 
wäre dad Spätere vor dem früheren. Nothwendig muß daher die 
Urfahe der Größe das fein, was fein kann. Die Größe (das abfolut 
Größte) geht fomit vem Werdenfönnen vorher, da fein Anderes werden 
fann, wenn ed alles das ift, was fein fann. Die Größe tft fomit bie 
Ewigkeit, die feinen Anfang und fein Ende hat, da fie nicht geworden 
it, weil vor allem Gewordenen das Werdenkönnen ift, welchem die 
Größe vorangeht, Da dies von Gott im Verhältniß zu allen Geſchöpfen 
oben im Felde vom Lobe Gotted nachgewieſen ift, jo wenden wir nun 
den Begriff der Größe auf das Sinnlihe und Vernünftige, dann auch 
auf das Lobenswerthe an, um zu fehen, ob wir jene (die Größe) nicht, 
ki ed dem Sinne, fei ed der Bernunft, als gewonnene Beute aufweien 
fönnen. Zu dem Ende ziehe ich die Linie a—b, und fage: die Linie 
ab ift groß, weil fie größer als ihre Hälfte iſt; fie kann noch größer 
werden durch ihre Verlängerung. Sie wird aber nie die Größe werden, 
da diefe ift, was fein kann. Würde die Linie fo groß, daß fie nicht 
größer werden fönnte, fo wäre fie, was fein kann; fie wäre nicht 
geworden, fondern ewig, dem Werdenkönnen vorhergehend, und fie wäre 
nicht eine Linie, fondern die ewige Größe. Ich fehe daher: da Alles, 
was größer werden kann, nah dem Werdenfönnen ift, fo wird es nie 
das, was jein kann. Weil aber die Größe das ift, was fein kann, fo 
fann fie nicht größer und Fleiner werden; fie ift aljo von allem Großen 
und Kleinen die höchfte Urſache; fie ift alles Große und Kleine und 
hugleich feines von Allen, da alles Große und Kleine nad dem Werden⸗ 


294 


fönnen ift, das ihnen vorangeht. Da nun Oberfläche, Körper, Zahl, Sinn, 
Vernunft, Himmel, Sein und alles Erſchaffene nicht ohne Größe ift, fo 
ift in ihnen allen das Seinfönnen (Possest) — fo nenne ih die Größe — 
das, was fie find und Keines von Allen... 

Da ich ferner fehe, das Gute fei etwas Großes und fönne immer 
beffer werden, weil ein Gutes beſſer ift ald ein anderes, fo jagen wir 
folgerichtig: da das Gute, das fo gut iſt, daß ed nicht mehr beſſer wer 
den kann, das Seinfönnen felbit ift, jo iſt es die Urſache der Größe. 
Das Nämlihe gilt vom Schönen, Wahren, Weijen, kurz von allen zehn 
lobenswerthen Eigenſchaften. In gleicher Weife ift das Große, Schön, 
das fo gut, ſchön ac. ift, daß es nicht mehr befjer, fchöner ac. fein Fann, 
die Urſache der Güte, der Schönheit x. Es ift alfo das Seinfönnen die 
Urſache der Güte, Größe, Schönheit, Wahrheit, Weisheit, Freude, Volk 
fommenheit, Klarheit, Gleichheit und Seligfeit (sufficientiae). Der Höbe 
punft des Werdenfönnens von je neun diefer Eigenfchaften zeigt und jeded 
mal dad Seinfönnen ald die Urſache des je zehnten (terminus ipsius 
posse fieri novem ipsorum ostendit Possest causam decimi). “Denn der 
Höhepunkt des MWerdenfönnend der Größe, der Güte, Schönheit, Wahr 
heit 2. zeigt das Seinfönnen als die Urjfahe der Größe. Der Höhe 
punft des MWerdenfönnend der Güte, der Größe, Schönheit, Wahrheit x. 
zeigt dad Seinkönnen als Urfahe der Güte. (Im Seinfönnen haben 
alle Eigenfhaften ihre höchſte Urſache und Einheit und find unter fid 
Eins.) Da ich alfo das Seinfönnen als die Urfache aller lobenswertben 
Eigenfhaften erfenne, und diefe alle dur Theilnahme an dem Lobe lv 
benswerth find, jo nenne ic das Seinfönnen das Lob, weldes das if, 
was fein Fann, weil es Quelle und Urfache alles Kobenswerthen ift. So 
fagt der große Prophet Mofes im feinem Lobgefang: „Gott ift mein 
Lob“. Da ih fonad Gott als die wefentlihe Urſache alles Lobend 
werthen erkenne, fo fehe ih auch mit Dionyfius, daß die Wefenheiten 
und Subftanzen von Allem, was geworden ift oder werden fann, burd 
Theilnahme an dem Lobenswerthen das find, was fie find. 

Das ift es alfo, was ih durd meine Jagd erbeutet habe: 
mein Gott ift in allem Lobenswerthen lobenswerth, nicht ald 
participire er an dem Lobe, fondern ald das abjolute Lob, das in ſich 
felbft Iobenswerth und die Urſache alles Kobenswerthen iſt. Er ift daher 
vor und über (prior atque major) allem Lobenswerthen, denn er If der 
Höhepunft (terminus) und das Seinfönnen alled Lobenswerthen. alle 
Werke Gottes find lobenswerth, weil fie durch Theilnahme an dem 
Lobenswerthen, in welchem Gott ald Urſache gelobt wird, erfhaffen find. 
Ich weiß aud, daß mein Gott größer ift, als alles Lob und durd fein 
Lob gebührend gelobt werden kann. Und Allen, die ba verſuchen, ihn 


295 


mehr und mehr zu loben, offenbart er fich felbft, daß fie ihn erfennen 
ald lobendwerth, glorreih und über Alles erhöht. Diefe loben ihn dann 
nicht bloß in feiner Güte, in der er fi Allen mittheilt, in der Größe, 
die er Allen verleiht, in der Schönheit, die er Allen fpendet, im der 
Wahrheit, die feinem Weſen fehlt, in der Weisheit, die Alles 
ordnet, in der Freude, in der Alles in fich felig ift, in der Vollkom— 
menheit, deren fihb Alles rühmt, in der Klarheit, die Alles er 
belt, in der Gleichheit, die Alles läutert, in der Selbftgenüge, in 
der Alles feine Ruhe und fein Genügen findet, oder in Anderem, was 
Folge des Barticipirend an der Gottheit ift, jonden den Gott der 
Götter felbft in Zion loben fie, indem fie in der Offenbarung feines 
lihtes ihn anſchauen. 


Siebenunddreißigites Kapitel. 
Grflärung (de declaratione). 


Ih will nun das ſchon oft Gefagte wiederholen, weil es das Wejen 
unferer ganzen Jagd ausmacht. Es heißt: Da das Gewordene dem 
Werdenfönnen nadfolgt, fo ift ed nie fo geworden, daß das Werben: 
fönnen in ihm ganz und gar feine Grenze gefunden hätte (quod posse 
fieri sit in eo penitus terminatum). Denn das Werdenfönnen ift zwar, 
jofern es in Wirklichkeit tritt, aber nicht fchlechthin begrenzt. So ift in 
Plato zwar dad Menfchwerdenfönnen begrenzt, aber nicht vollftändig, 
jondern nur das Platoniſchſein; es bleiben noch andere, fogar vollfommes 
nere Seinsweifen übrig. Aber auch in Plato ift das Menſchwerdenkönnen 
nicht an feiner Grenze angelangt. Denn der Menſch kann Mufifer, Geo— 
meter, Mechanifer werden, was Plato nicht war. Das Werdenfönnen 
wird fomit fchlechthin nur durch das Seinkönnen, als fein Princip und 
Ende begrenzt. So hat die Zahl ihre Grenze (terminus) in der Monas, 
die ihr Princip und Ende if. In Wirflichfeit (actu) findet das Wers 
denfönnen in der Welt feine volle VBerwirflihung (terminatur), da es in 
Wirklichkeit nichts Volllommeneres und Größeres als fie gibt. Das Ge, 
wordene ift immer etwas Singuläred und feiner Vervielfältigung fähig, 
wie jedes Individuum, aber es ift nicht immer ungerftörlich, es ſei denn 
ein Erfted. Was nämlih eine Nachahmung des Erften ift, ift, da es 
dad, was es ift, durch SBarticipiren am Erften ift, zerftörlib; denn es 
fann an dem unzerftörlichen fingulären Sein des Erften, das feine Ver— 
vielfältigung zuläßt, nicht participiren. Daß aber die Grften (prima), 
deren Sein nicht von dem Barticipiren eines vorhin Gewordenen abhängt, 
ungerftörlich find, hat feinen Grund darin, weil das Werdenfönnen 


296 


in ihnen fpecififch beterminirt if. Daher ift das vernünftig Erfenn- 
bare, das Himmlifhe ungerftörlid, wie die vernünftigen Naturen, Sonne, 
Mond und Sterne. Daß Sonne, Mond und Sterne die erften Geſchöpfe 
find (prima facta), fagt Moſes deutlih in der Schöpfungsgeſchichte: 
fie feien von Gott gemacht, um beftändig zu leuchten. Immer und 
ohne Aufhören ift der fihtbaren Welt, wenn fie feinen Mangel haben foll, 
ihre Sichtbarkeit nothwendig. Was aljo gemadt ift, um zu leuchten, 
muß immer fo bleiben. Sie find fomit nicht nad einem vorher Gewor: 
denen gemacht, durch deſſen Participation fie find, was fie find. So bat 
denn das Sonne-, Monds und Sternewerden in den Individuen, bie wir 
jehen, feinen Höhepunft erreicht, dagegen find die Individuen der fin 
lihen Natur Nahahmung, Abbilder der geiftigen Urbilver, wie Diony: 
ſius jagt. Da nun das Sinnliche das Geiftige nicht präcis nachahmen 
fann, jo participirt ed auf eine veränderliche und zeitliche Weife an Dem, 
was immerwährend ift und ift daher felbft nicht immerwährend (perpetuum). 


Achtunddreißigſtes Kapitel, 
Recapitulatlon. 


Um durd Recapituliren meinen Gedanken noch deutlicher darzulegen, 
füge ich Folgendes bei. 

Es ift ausgemacht, daß das Werdenkönnen fih auf etwas bezieht, 
was demfelben vorhergeht. Weil es dem Werdenkönnen vorhergeht, kann 
es felbft nicht werden. Es ift auch nicht geworden, da nichts geworben 
ift, wa® nicht werden fonnte. Das Gewordene folgt alfo dem Werben 
fönnen. Da nun das, worauf fih das Wervenfönnen bezieht, was feine 
Vorausſetzung ift, ihm vorhergeht, fo ift e8 nothwendig ewig. Da dad 
Ewige nicht werben fann, fo muß es wenigftend nichts Anderes als dad 
fein, was im Werdenfönnen ponirt wird. (Unde cum aeternum non pos- 
sit fieri, necesse erit quod saltem aeternum non sit aliud ab eo, quod 
in posse fieri affirmatur.) Das Ewige ift fomit nichts Anderes, ald 
alles Das, was wird, obgleich es felbft nicht wird. (Aeternum igitur 
non est aliud ab omni eo, quod fit, licet non fiat.) Es iſt fomit 
Princip und Ende des Werdenkönnens. Was alfo geworden ift, ift Darı 
ftellung des feinem Werden unterworfenen Ewigen (hinc quod factum 
est, infactibilis aeterni est repraesentatio). Hieraus erhellt, daß das 
Werdenkönnen der Welt ſich auf das Urbild der Welt (mundum arche- 
typum) im ewigen Geifte Gottes bezieht. Da die Ewigfeit feine Ber 
vielfabung und Vermehrung zuläßt und Feine Möglichkeit andeutet (ne 
aliquam possibilitatem significans), da fie dem Werbenfönnen vworherged' 


297 


jo ift fie weder durch die Vernunft noch den Sinn erkennbar, nicht voll 
fändig barftellbar (nee plene repraesentabilis), nicht durch die Einbil« 
dung zu erfaffen (imaginabilis) und geftattet feine Affimilation (nec assi- 
milabilis). In legter Inſtanz (ultimate) findet daher das Werdenkönnen 
feinen Höhepunft nicht in etwa® (non terminatur in aliquo), das ihm 
nahfolgt, fondern fein Ziel und Höhepunft (terminus) geht ihm vorber. 
Ih fehe daher, daß Alles, was werden kann, nur jenes einfache Urbild 
bat, das nichts Anderes ift (non est aliud ab — —) ald Alles, was 
werden fann, da ed die Wirklichkeit aller Möglichkeit ift (actus omnis 
posse). Da ed die Wirflichfeit aller Möglichkeit ift und nichts Anderes 
fein fann, weder größer noch Heiner, noch anders, noch in anderer Weile, 
jo iſt es nichts Anderes als irgend etwas (non aliud ab aliquo), nicht 
größer oder fleiner ald irgend etwas, nicht anders, nicht in anderer Weiſe. 
Es ijt fomit von Allem, was ift, lebt und denkt, die Urfache, das Urbild, 
dad Maaß, die Art und Weife und die Ordnung. Nichts in Allem und 
allen Einzelnen gibt ed, das nicht aus ihm als feiner Urfache ift und 
hervorgeht. Und weil Alles nur die NRepräfentation von ihm ift, fo ift 
Alles ihm zugewandt, von Allem wird ed erfehnt, gepriefen, gelobt, vers 
berrlicht und angerufen. Es ift der unbefhränfte Ziels und Höhe: 
yunft von Allem (termious interminus). 

Alles, was ich auf diefe Weife erfenne, und fo, wie ich es erfenne, 
ht in Worten genügend auszubrüden vermag, kann ich in feinem fürs 
ern Ausdrude zufammenfaflen, als den: Der Höhepunft des Wer: 
denfönnens von Allem ift: Allesmachenkönnen (terminus posse 
feri omnia est posse facere omnia), gleichwie der Höhepunkt des deter— 
minirten Werdenkönnens das determinirte Machenfönnen if. So ift der 
Höhepunkt des Warmwerdenfönnens das Warmmacenfönnen. Das Feuer, 
der Ziels und Höhepunkt des Warmwerdenkönnens, fann warm maden; 
der Ziele und Höhepunkt des Bollfommenwerbenfönnens ift das Bolls 
Iommenmachen. Es ift daher das von Allen Erjehnte, weil es der Ziels 
und Höhepunkt alles Erfehnenswerthen ift, die Urfache aller Sehnſucht. 
Da demnach der Ziel- und Höhepunft alles Werdenfönnens allmächtig ift, 
Alles machen kann, fo fann er aud das Werdenfönnen maden. 
So ift er der Höhepunkt von Dem, deſſen Princip er ift, und dad Wers 
denfönnen äft nicht vor dem Allmächtigen, gleichwie in allem Gewordenen 
das Werdenfönnen zuerft gefehen wird, fowohl das Werdenkönnen ſchlecht⸗ 
bin (simplieiter), deffen Anfang und Ende der Allmächtige ift, ald das 
toncrete MWerdenkönnen von Diefem und Senem. Diefe Determina- 
tion des Werdenkönnens geht von dem Schöpfer aus, ber in 
feiner Allmacht allein zu beftimmen hat, daß das Werdenkönnen fo oder 
lo werde. Und weil das Werdenkönnen nur dur den Allmächtigen de— 


298 


terminirt wird, fo ift jede Determination des Werdenkönnens in Dem, 
was wird, nicht eine Determination ded Merdenfönnend von der Art, 
daß der Allmächtige nicht machen fünnte, was er will; indem aber ein- 
mal dad Werdenkönnen fingulär auf diefes Einzelnweſen eingefchränft 
wird (contracta ad hoc), bildet es des fo Gewordenen Natur und 
Subſtanz. | 


Nennunddreißigſtes Kapitel. 
Schlupf. ') 


Da nichts geworben ift, was nicht werben fonnte und nichts fich felbit 
machen kann, fo folgt, daß es ein dreifahes Können gibt: Maden 
fünnen, Werdenfönnen und Gewordenjeinfönnen (posse fac- 
tum). Bor dem Gewordenfeinfönnen ift das Werdenfönnen, vor dem 
Werdenkönnen dad Macdenfönnen, Princip und Höhepunkt des Werden: 
könnens iſt das Machenfönnen; das Gewordenfeinfönnen ift durch dad 
Machenfünnen aus dem Werbenfönnen geworden. Da das Machenfön 
nen vor dem Werdenkönnen ift, fo ift ed weder geworden, nod 
fann ed ein Anderes werden. Es ift fomit Alles, was fein fann, 
Es kann alfo nicht größer fein, und dies nennen wir das Größte, nod 
Fleiner, und died nennen wir das Kleinfte;z auch kann es nicht ein Ande— 
red fein. Es ift alfo die bewirfende, geftaltende und zum Ziele führende 
Urfahe von Allen, da e8 Ziels und Höhepunft und Ende des Werben 
fünnend und fomit auch des Geworbenfeinfönnens if. Indem Maden: 
fönnen ift fomit Alles, was werden fann und was geworben ift, zum 
Voraus (prioriter) enthalten. Das Werdenfönnen dagegen ift in 
Allem, was geworden ift, das, was ed geworben iſt; denn nichts ift in 
Wirklichkeit geworden, außer was werden Fonnte, nur ift es in einer an 
dern Sinnesweife, in unvollfonmenerem Sein ald Potenz, in vollfomme 
nerem als Wirklichkeit. Werdenkönnen und Gewordenfeinfönnen find ſo— 
mit wejentlid (in essentia) nicht verfchieden, aber dad Machenfönnen 
ift, obwohl es fein Anderes ift, doch als Urſache der Wefenheit 
nicht die Wefenheit ſelbſt, denn die Weienheit ift das von ihm Ber 
urfachte. Da aber das Werdenfönnen nicht das Gewordenfeinfönnen ift, 
fo ift das Werdenkönnen nicht aus dem MWervenfönnen geworden, fondern 
vor dem Wervenfönnen ift nichts ald das Macenfönnen. Aus Nichts 
ift daher, wie man gewöhnlid fagt, das Werdenfönnen gewor- 
den. Daher fagen wir, dem Macdenfönnen gehe nichts vorher, nicht aber 

4) Diefes dritte Schlußwort ber legten bebeutenderen philofophifchen Schrift 


Cuſa's beweist fein unermübliches Streben, das Syſtem in dem wichtigften Theile, ber 
Lehre von dem Verhaͤlmiß Gottes zur Welt, zum feften Abfchluffe zu bringen. 


299 


dem Werdenfönnen. Da alfo das Werdenfönnen aus Nichts 
durh das Machenkönnen hervorgebradt, nicht geworden iſt, 
fo fagen wir, es fei erfhaffen. (De nihilo igitur posse fieri cum 
sit per posse facere productum et non factum, creatum dicimus.) Da 
wir nun das abjolute Machenkönnen den Allmäctigen nennen, jo fagen 
wir, der Allmächtige fei ewig, nicht geworden, nicht erſchaffen, der nicht 
zu Richt oder anderd werden kann, als er ift, weil er vor dem Nichts 
und dem Werdenfönnen if. Wir verneinen auch Alles von ihm, was 
die Sprache ald Namen in fih bat, weil dieſe erft dem Werdenfönnen 
folgen. Der Name ſetzt das Werdenfönnen, d. i. Etwas, dad benannt 
werden fann, voraus. Auch hat das Werdenfönnen feinen Ziel- und 
Höhepunkt nur im. Machenfönnen; eben deßhalb wird es nie zu Nichte 
werden (non annihilabitur); denn wäre Legteres, jo fünnte ed werden; 
wie folkte alfo das MWervdenfönnen zu Nichts werden? Es ift jomit im— 
merdauernd (perpetuum), da ed einen Anfang hat und nicht zu Nichte 
werden kann, fondern fein Ziels und Höhepunkt auch jein Anfang ift. 
Da nun aber von Demjenigen, was werden fann, Einiges das Erfte, 
Anderes nah dem Erjten ift und dieſes nahahmt, jo ift jenes Erfte 
(prima), da fein Werdenkönnen Wirflichfeit und complet ift, wie das 
Verdenfönnen jelbft, immerdauernd. Im den dem Grften nachfolgenden 
Dingen ift das Werdenfönnen nicht compfet und vollkommen, fondern nur 
Nachahmung des Completen; daher find dieſe nicht immerdauernd, fondern 
ahmen diefed nur nad; fie find daher unbeftändig und zeitlih ..... . 

Hiemit glaube id nun den unvollfommenen und nicht vollftändig ges 
läuterten Begriff meiner Jagd, jo weit ed mir möglih war, dargelegt 
»ju haben. Sch unterwerfe Alles dem Urtheile eines Geiftes, der befler, 
ald ich, in dieſe Tiefen eindringt. 


Sichtung (Kritik) des Alchoran. 


(De cribratione Alchoran.) 


Pins II., dem oberften Heiligen Vater der ganzen hriftlichen Kirche 
gewidmet, 


Empfange, heiliger Vater! dieſes Buch, das Dein unterthänigfter 
Diener im Eifer für den Glauben verfaßt hat. Wenn Du nad dem 
Vorgange des dreimal heiligen Papft Leo, der die neftorianifche Häreft 
mit apoſtoliſchem Geifte, engelgleihem Berftande und gottbegeifterten Wors 
ten darniederwarf, die mahomedaniſche Secte, die aus jener entftanden if, 
in demfelben Geifte, mit gleiher Ginfiht und Beredtfamfeit als irrig 
und verwerflich darlegft, fo möge Dir diefe meine Schrift das nöthige Ma 
terial zum fchnellen Gebraudhe zur Hand geben! Deinem Urtheile, der 
Du der Erfte im Episcopat des Glaubens bift, unterwerfe ich mein Bud 
und Alles, was ich geichrieben habe oder noch fchreiben werde, ja mid 
ſelbſt, wie e8 einem Chriften geziemt, ganz und gar, mit dem Borfape, 
in feinem Stüde je von Deinem apoftolifchen Throne abzuweichen. 


-Borwort. 


Ich gab mir die größte Mühe, das Geſetzbuch der Araber zu ver 
ftehen, das id nach der Ueberfegung des Abts Peter von Elugny zu 
Bafel befaß, ſammt der (aufgezeichneten) Disputation jener zwei vor: 
nehmen Araber, von denen der Eine, ein Genoſſe Mahomeds, den Ans 
dern auf feine Seite zu ziehen fuchte, welcher, gebildeter und von Anfehen 
unter den Arabern, zeigte, man müſſe vielmehr am hriftlihen Glauben, 
dem er fehr eifrig huldigte, fefthalten. Dabei waren noch einige ander 
Schriften über die Abftammung Mahomeds und über feine 12 Nachfolger 
in der Regierung, fodann über feine Lehren, gegen 100 Unterfuchungen. 
Sch ließ das Buch bei Meifter Johann von Segovia zurüd und reist 
nah Gonftantinopel, wo ich bei den Minoriten, die beim hl. Kreuz wob- 
nen, einen Alchoran in arabifcher Sprache fand, den mir diefe Brüder in 
einigen Punkten, fo gut fie fonnten, erflärten. In Pera, im Convent der 


301 


Dominikaner, fand ich eine Ueberfegung, ganz wie die, welche ih in Bafel 
zurückließ. Ich erfundigte mich, ob ein Griehe gegen diefe Albernheiten 
geihrieben habe und erfuhr, daß nur Johannes Damascenus, der kurz 
nah der Entftehung diefer Secte lebte, einiges Wenige, wad man noch 
hat, gefchrieben habe. Es war damals ein Kaufmann, Balthafar de 
Luparis, in der Nähe von Gonftantinopel. Als diefer mein eifriges Nach— 
forichen vernahm, fagte er mir, daß der Gelehrtefte und Angefehenfte unter 
den Türken, der in Pera heimlih im Evangelium des hl. Johannes un- 
terrichtet wurde, mit 12 angefehenen Männern zum PBapft zu reifen und 
fih vollftändig unterrichten zu laffen beabfichtige, wenn ich ihnen heimlich 
für das Geleite ſorgte. Ich erfuhr durch den Bericht der Brüder, daß 
dem jo fei und gab ihnen das gewünfchte Geleite. Weil jener angefehene 
Türfe die Aufficht über die Spitäler hatte, wollte er dieſe vifitiren und 
fh dann zulegt heimlich an den Ort begeben, wo das Schiff zur Ueber 
fahrt nah Rom fie erwartete. Allein die Peſt raffte ihn während der 
Vifitation hinweg. Herr Balthafar, der jetzt als Kriegemann zu Bos 
logna fih aufhält, fagte mir oft, daß alle ihre Gelehrte eine große Liebe 
zum Evangelium haben und es ihrem Gefegbuche vorziehen. Ich munterte 
endlih den Bruder Dionyfius den arthäufer auf, gegen den Alchoran zu 
ſchteiben. Er that es und ſchickte fein umfaffendes Buch dem Papfte 
Nicolaus (dem fünften). Später ſah ich zu Rom die Echrift des Bru— 
derd Ricold aus dem Predigerorben, der dad Arabifche in Baldach (Bagdad) 
fudirte und am meiften Beifall fand. Ich fah noch andere Fatholifche 
Schriften von Brüdern über diefe Materie, befonders die des hl. Thomas 
über die Vernunftgründe des Glaubens (de rationibus fidei) an den 
Eantor von Antiohia, jüngft die Schrift des hochwürdigſten Cardinals von 
Et, Sixtus, der die Härefien und Irrthümer Mahomeds mit einleuchten- 
den Gründen widerlegt. Meine Tendenz geht dahin, aud aus 
dem Alchoran die Wahrheit des Evangeliums nachzuweiſen. 
(Ego ingenium applicui, ut etiam ex Alchoran Evangelium verum 
ostenderem). Zu dem Ende ſchicke ich einen Furzen Vorbegriff voraus. 

Wir wiffen, daß in ung ein Streben ligt, deffen Beweggrund (ratio) 
und Ziel das Gute iſt . . .. Weil unfer Geift nicht dieſes Gute felbft 
it, wornach er ftrebt, fo liegt es nicht in ihm, er kennt e& nicht, wohl 
aber firebt er, es zu ergreifen. .... Da wir wiflen, daß nichts von uns 
krer Vernunft erfaßt werde, was nicht durd den Einn in fie eingeht 
(der Blinde hat feine Kenntniß von der Farbe), fo willen wir, daß jenes 
Out niht aus der Region der finnlihen Welt ift und daß unfer Geift 
in diefer Welt nicht zur Ruhe gelangt. Würde indeß die fihtbare Welt 
unferm Geift nicht zur Erlangung feines Zieles behülflich fein, fo wären 
wir umfonft in diefer Welt. Der Weg, den wir in diefer Welt zurüd- 


302 


zulegen haben, um uns zum Erlangen des erfehnten Gutes zu befähigen, 
muß gleichfalls ein guter fein. Da es jedoch viele Wege geben 
fann, welde gut fheinen, jo entftebt Zweifel darüber, wel— 
bed der wahre und vollfommene Weg ift, der und zuverläffig 
zur@rfenntniß des Guten hinführt. Diefes Gut nennen wir Gott, 
um und zu verjtehen, wenn wir davon reden. Mofes hat einen folden 
Weg beichrieben, aber nicht Alle haben ihn eingefchlagen und verftanden. 
Ehriftus hat ihm aufgehellt und vervollfommnet, allein Viele find un 
gläubig geblieben. Mahomed hat diefen Weg, damit ihn auch all 
Götzendiener betreten möchten, bequemer zu machen gefucht, ward jedod 
vom böfen Geifte irre geführt. Dies die merfwürbigften Befchreibungen 
des genannten Weges, wiewohl ed noch andere von Philofophen und Pro; 
pheten gibt. Alle gehen davon aus, das oft erwähnte Gut fei das größte 
und daher. nur Eines, welches fie den Einen Gott nennen. Sie nennen 
ihre Beichreibungen gut, weil diefelben wirklich oder vermeintlich von die 
fem guten Gotte geoffenbart find. Es ift num aber Far: Da fein Menid 
für fih (purus homo) ®ott begreifen fann, fo haben wir feine Ge 
wißheit, daß ein purer Menfh uns den Weg zu einem ibm 
unbefannten Ziele zeigen fann. Wenn weder Mofes noch Maho— 
med während ihred Lebens auf Erden das genannte Gut geſehen haben, 
(Bott hat noch fein Menſch gejehen), wie können fie dann Andern den 
Weg zu ihm zeigen? Gefegt auch, fie hätten einige ihnen amvertrauft 
Worte (immissos sermones) veröffentlicht, welche Gott und den Weg 
zu ihm bezeichneten oder verfinnbilveten, fo hätten Doch weder fie noch ein 
anderer Menſch dieſe Worte erflären (exponere) fünnen. Könnte ein 
Menich diefen Weg offenbaren, fo müßte er der größte aller Menden 
fein, wie died alle Nationen vom Mefftas zugeben. Wäre dieſer Menſch 
nicht die allwiſſende göttliche Weisheit ſelbſt, durch die Gott Alles wirket, 
fo könnte er nicht offenbaren, was ihm felbft unbekannt ift. Jeſus aber, 
der Sohn der Jungfrau Maria, der Chriftus (Gefalbte), den Moſes und 
die Propheten vorausgefagt haben, fam und hat jenen Weg, da er Alk 
wußte, aufs Deutlichfte gezeigt, wie ed Mahomed felbft bezeugl. 
Wer Ehriftus und feinen Wegen folgt, fommt zum Ergreifen des eriehw 
ten Guted. Wenn alfo Mahomed in einem Punkte von Ehriftut 
abweicht, fo muß dies entweder von Unmwiffenbeit, in der er 
Chriſtus nicht gefannt und verftanden hat, oder von böfer 
Abſicht herrühren, indem er die Menfchen nicht zu dem Ziele der Ruhe 
hinführen wollte, zu welchem Chriſtus den Weg gezeigt hat, ſondern ins 
dem er unter dem Vorwand jenes Zieles nur feine VBerherr 
lichung ſuchte. Daß wir Beides annehmen müffen, wird eine Ber 
gleihung des Geſetzes Ehrifti mit dem Geſetze Mahomed® 


303 


jeigen. Wir werben baher daran fefthalten müflen, daß die Unwiſ— 
ſenheit die Urfahe des Irrthums und der Bosheit fei. Niemand, der 
Chriſtus kennt, ſtimmt mit ihm nicht überein oder entzieht ihm etwas von 
kiner Ehre. 

Meine Abficht Ift, unter Borausfehung des Evangeliums 
Ehrifti, das Bub Mahomeds zu fihten und zu zeigen, daß 
ih aud in diefem Buche alles Das finde, wodurd das Evan- 
gelium, wenn ed diejed Zeugniffes bedürfte, ausnehmend 
beftätigt würde; daß aber, wo diejes Bud vom Evangelium 
abweicht, diefes aus der Unwiſſenheit Mahomeds und in 
Folge hievon aus verfehrter Abfiht desjelben entftanden fei, 
indem Ehriftus nicht feine Ehre, fondern die feines Vaters 
und das Heil der Menſchen, Mohamed nicht Gottes Ehre und 
das Heil der Menden, fondern feine Ehre ſuchte. 


Zweites Borwort, 
(Ueber die Entſtehung des Alchoran, im DVerhältniffe zum Neftorlanismus.) 


Der vornehme chriftlibe Araber, von dem ich oben ſprach, gibt an, 
der aus feinem Klofter audgeitoßene Mönch Sergius ſei nah Mecha 
(Mekka) gefommen, wo er zwei Völker: Gögendiener und Juden ange 
noffen habe; er habe hier den chriſtlichen Glauben nad der Lehre des 
Reftorius gepredigt, um feine neftorianischen Brüder ſich wieder zu vers 
jöhnen, wie er denn alle Gößendiener zum Glauben befehrt habe. Dars 
unter war auch Mahomed, der vom Götzendienſte befehrt als neftorianis 
ſcher Ehrift geftorben if. Allein drei ganz verſchmitzte Juden ſchloſſen ſich 
an Mahomed an, um ihn vom Chriftenthum abwendig zu maden; fie 
gaben ihm verfchiedene fchlimme Rathſchlaͤge. Als nun nah dem Tode 
Mahomed alle zu feinem (dem neftorianifch schriftlichen) Glauben übers 
gingen, machten fi diefe Juden an Hali's Sohn, Habitalir, weldem 
Mahomed feine Schriften (collectiones) überlaffen hatte, und beredeten ihn, 
er möchte auh wie Mahomed ald Prophet auftreten; fie thaten nad 
Willführ am Bude Mahomeds davon und dazu. Mahomen fcheint an- 
fangs durch Sergius einen feften Grund im chriftliden Glauben erhalten 
zu haben® und die Juden vermocten ihn von diefem Wege nicht abzus 
dringen. Um jedoch ihr Möglichites zu thun, machten fie ſolche Zufäge, 
da Mahomed als Stifter einer eigenen Secte erfdien, Die dem alten 
Zeftamente nicht minder ald dem Evangelium Glauben ſchenke. Sergius 
batte e8 (wie der oben erwähnte Gewährdmann berichtet) bei ihm vers 
mocht, daß er im Nichoran die Ehriften, namentlich die Ordensmänner 
und Briefter, ald größere Freunde, ald die Juden bezeichnete. Gleihwohl 


304 


verfpottete er fpäter, von den Juden verleitet, die Ehriften, weil diefe ihre 
Prälaten und Päpfte an Gotted Statt verehrten. Das fommt daher, 
weil die Ehriften fie mit einem Namen bezeichnen, mit welchem nur Gott 
bezeichnet wird, nämlich Herr, ein Name der nur Gott gebührt. Denn im 
Erodus fteht: der Herr ift Gott. Es erwähnt auch Mahomed einmal die 
zehn Namen Gottes, unter welchen au der Name 972° ifl, welcher Herr 
bedeutet; ein unausfprechlicher Name wird durd 972° bezeichnet, gelelen 
und ausgedrüdt. Daher wird im Alchoran nur Bott, auch nicht Ehriftus 
und Maria diefer Name beigelegt. Weil nun die Ehriften Chriftus den 
Herrn Jeſus und Maria die Herrin (domina) nennen, fo follen fie fie 
deßhalb an Gottes Statt verehren. Wie er fih hütet, Niemand außer 
Gott den Namen Herr zu geben, fo hütet er fih auch, Gott den Namen 
Vater zu geben; er verfteht unter Gott den, der Alles macht, was er 
will, daher eignet ihm nicht der Act der Zeugung (generationis). Wenn 
Mahomen von den Chriften günftig fpricht, fo verfteht er darunter die 
weiß Gekleideten (fo nennt er feine Schüler) und die Neftorianer, deren 
Irrthum er nicht einfah, während er feine andern Chriſten kannte. Neftos 
rius nahm das ganze Evangelium an, in Chriftus einen Leib, Seele 
und Gottheit, nur in der Art der Vereinigung irrte er. Er gab zu, daß 
Leib und Seele in einer natürlichen Einigung zu einem wahren Menicen 
(in Ehriftus) verbunden feien, diefer Menfch aber fei mit der Gottheit 
durch die Gnade geeint, nicht durch die allgemeine Gnade, welde alle 
Guten mit Gott vereint, fondern durch die Fülle der Gnade, durch welde 
Gott und der Menfh Zefus nur Einen Willen baben, um welder 
ganz ausnehmenden (excellentissimam) Gnade Willen von Chriftus In 
Wahrheit gefagt wurde, er fei der Sohn Gottes. Er gab aber nicht 
zu, daß Maria die Mutter Gottes fei, weil, was Chriftus von jeiner 
Mutter annahm, nicht Gott zufommt (non convenit Deo). So meintt 
er, die menſchliche Natur fei in Ehriftus vergöttliht worden deificatam 
esse). Da aber das Evangelium fagt: dad Wort Gottes iſt Fleiſch ge 
worden, nicht: das Fleiſch ift das Wort Gottes geworden, fo verwarf 
die Kirche jene Auslegung im dritten und vierten allgemeinen Concil und 
gab der Mutter Jeſu den Namen Heöroxog, Gottesgebärerin. Die Ne 
ftorianer Iehren die ewige Zeugung (des Sohnes aus dem Vater). Da— 
her ſcheint es, Mahomed habe nichts gegen die heiligfte Dfeifaltigkeit 
fchreiben, fondern nur die Wahrheit der Götter verwerfen wollen. Hätte 
Jemand Mahomed gefragt: in welder Geftalt würde Gott an die Men 
fhen einen Gefandten, der mehr als ein Engel ift, gefendet haben? er 
hätte gewiß geantwortet: einem Engel und einem Wefen, das mehr ale 
ein Engel ift, würde er die menſchliche Geftalt gegeben haben. Run 
ſchicte er aber nach Mahomed ſelbſt Ehriftus, den er das Wort Gotted 


305 


und den Sohn Mariä nennt. Da nun das Wort Gottes nothwendig ders 
jelben Natur ift wie Gott (denn Alles, was Gottes ift, ift Gott — omnia 
enim Dei Deus sunt — wegen feiner einfachften Natur), fo hat Gott, 
wenn er den höchſten Geſandten fenden wollte, fein Wort gefendet, über 
welches hinaus es feinen größern Gefandten gibt. Weil er ihn an die 
Menfhen fandte, jo follte er die reinfte (mundissimam) menſchliche Natur 
annehmen, was in Maria der Jungfrau ſich vollzog, wie man öfter im 
Alchoran leſen kann. Es wird alfo nit ſchwer fein, im Alchos 
ran die Wahrheit des Evangeliums zu finden, obwohl Ma- 
hbomed felbft vom wahren Verſtändniſſe desfelben weit ent» 
fernt war. 

Nicht zu überjehen it au, daß die Kapitel der Sanımlung im ger 
nannten Geſetzbuche der Araber nicht ein zuſammenhängendes Ganzes bilden ; 
jedes bildet ein Ganzes für ſich. Es ift ein -eigenthümlicher Rythmus 
oder metrifches Gedicht (carmen bene mensuratum — die Guren). Der 
Gompilator legte das größte Gewicht darauf, durch glänzende Darftellung 
zu feffeln, zur Bewunderung binzureißen und fo feine Echriften als gött- 
lihe Eingebung erjcheinen zu lafien. Man wird mir daher verzeihen, 
daß ih micht immer eine rechte Ordnung einzuhalten jcheine, wenn ich 
den Inhalt des überaus confufen Buchs beiprece. 


Erſtes Dud. 


1 


Ueber den Alchoran, und daß der wahre Gott nidt der Ur 
heber desfelben fei. 


Dad Geſetzbuch der Araber hat den Namen Alchoran, weldes: 
„Sammlung der Gebote” und Alfurfam, weldes die „Eintheilung in 
Kapitel” bedeutet. Es hat auch noch andere Namen. inige Erflärer 
fügen, es habe im Driente eine andere Eintheilung, ald in den abend: 
ländiihen Gegenden. Die Occidentalen fagen, ed enthalte nad dem vors 
ausgehenden Gebete, weldes „die Mutter ded Buchs’ genannt wird, 
123 Azoren (Suren) oder Kapitel. Nach den Drientalen geht die erfte 
Aore bis: Soretamram, welches das fünfte Kapitel in der fpanifchen 
Ausgabe iſt. Ich habe das Bud, wie man es in Epanien in lateinijicher 
Ueberſetzung hat, gelefen; nad) diefer Ueberfegung citire ich. 

Sqarpff, Nic. v. Gufa. 20 


306 


Dieſes Buch fcheint apofryph zu fein. Nah einigen Arabern bat 
ed Muhamed, ein Araber aus dem Gefchlehte Ismael, verfaßt. Nah 
Andern behauptete Mahomed, es ſei durch fünf Männer vom Himmel 
herabgefommen. Wieder Andere laffen nah dem Tode Mahomers vier 
verſchiedene und ſich widerfprehende Alchorane durd vier Gegner, deren 
Namen fie angeben, verfaßt werden, Einige jagen, der jegt gebräuchliche 
Atchoran fei von Merba, einem Eohne Elheken's verfaßt, die andern Al 
chorane habe er verbrannt. Elgag, ein angefehener Mann, foll 85 Sen 
tenzen aus dem Buche genommen und eben jo viele andere am deren 
Stelle gefegt haben. In der Ehronif Mahomeds und der ihm folgenden 
Ghalifen Iefen wir, Gomar, der zweite Ehalife nah Mahomed, habe Gr 
bete in allen Tempeln für den Monat Remadam angeordnet, der Alchoran 
folle in diefem Monate ganz durdhgelefen werden. Ihm folgte Dobiner, 
der mit Hülfe Anderer zuerft ven vollftändigen Alchoran gefammelt bat. 
Hieraus erhellt, daß, wenn gleih Mahomed einige Gebote aus dem alten 
Teftamente und dem Evangelium gelammelt bat, welche Gebote Gottes 
oder Alchoran genannt wurden, das Bud in feiner Vollſtändigkeit dod 
erft nach dem Tode Mahomeds zufammengeftellt wurde. 

Das Buch fügt im erften Kapitel: „Jeder Gegner Gabriels, der 
dieſes Buch deinem Herzen durd den Schöpfer anvertraut, — — dus 
Buch ift Fraft göttlihen Befehls deinen Händen anvertraut” x. ıc. Diet 
Worte findet man ald angeblihe Worte Gottes fehr oft im Bude; 
nach ihnen fol nur Bott der Schöpfer der Verfaſſer des 
Buchs jein 

Allein nah den gelehrten Arabern und der wahren Geſchichte, nad 
dem Buche ſelbſt und feinem Namen ift ed eine Sammlung einiger Bor: 
ichriften, die in feiner Weife dem wahren Gotte zugejchrieben werden 
fann. Woher follte er fammeln, der die Weisheit felbft ift? Eine Samm- 
lung, die nur allmählich in der Zeit entftehen kann, kann nie Gott zus 
fommen, deſſen Wirken über aller Zeit, ohne ein Nacheinander if. Wem 
fann fie allein zugetheilt werden, ald einem Menſchen, der aus verfchiedenen 
Schriften eine Sammlung macht und dem Gefammelten einen beliebigen 
Namen gibt? Daher fagen einige verftindige Bertheidiger des Buchs, 
die Sammlung fei eine menſchliche, fie fei aber eine vertraulide Ein 
gebung Gottes mittelit ded Engeld Gabriel (intimationem vero Dei per 
Gabrielem esse). Das Legtere fann aber unmöglib wahr fein. Denn 
das Buch enthält Dinge, die wegen ihrer Schändlichfeit, Ungerechtigkeit, 
Erlogenbeit und ihrer Widerfprühe Gott ohne Gottesläfterung nicht zu— 
geichrieben werden fünnen. Gin Anderer ald der wahre Gott muß der 
Urheber fein; es fann nur der Gott diefer Welt fein. Grit 
ed, der die Ungläubigen verblendet, daß das Licht des Evangeliums der 


307 


Glorie Ehriftt, ver das Abbild des unfichtbaren Gottes iſt, fie nicht bes 
ſcheine. Da ihnen das Evangelium verborgen bleibt, find fie verloren, 
wie der Apoftel an die Korinther ſchreibt. Diefer faliche Gott, der Fürft 
diefer Welt, der Lügner von Anfang an, hat durch einen feiner Engel, 
der die Gejtalt des Lichts und vielleicht den Namen Gabrield ange: 
nommen hat, hat durch Mahomed, den er ald einen Gögendiener, Ders 
ehrer der Benus (Wolluft) und aller Weltfreuden biezu am tauglichten 
fand, fowie durch deſſen Nachfolger den lügenhaften Alchoran gefammelt 
und hat dem Sammler häretiſche Ehriften und verkehrte Juden als pafjende 
Rathgeber beigejellt. Dahin gehören der Neftorianer Sergius, der Jar 
cobite Baheira, die Juden Fineed, Abdia, mit Namen Salon, ſpäter 
Abdalla genannt, was die wahre arabifhe Geſchichte nachweist. Wie: 
wohl dad Bud viele Zeugniffe zum Lobe des alten und neuen Teftaments, 
ded Abraham, Moſes, vorzügli Jeſu Ehrifti, des Sohnes der Jungfrau 
Maria zu enthalten jcheint, fo muß mau doch, da es dieſem Allem, wenn 
man auf einen wahren und heiljamen Endzwed hinſieht, widerſpricht (wie 
fih nachher zeigen wird), annehmen, diefes Lob fei mehr zum Täufcen 
geipendet worden, 


2. 
Was enthält der Alchoran nah den Robrednern dejfelben? 


Die Anhänger Mahomeds jagen, der Alchoran fei in guter Abficht 
geihrieben, er enthalte, wie Mahomed, ein Waife, Gögendiener, arm, des 
Geſetzes und der Schrift ganz unfundig, der nur die arabifche Volksſprache 
verftand und viele Weiber hatte, von Gott Gnade erlangt habe, reich, 
hochherzig (magni cordis), gewandt im Verftändniß fchwieriger Dinge 
und berühmt geworden fei. Gott felbft hat ihm zum Lehrer des unges 
bildeten arabiſchen Volkes aufgeftellt, ald feinen Gejandten und Propheten, 
jedoch ohne offenfundige Wunderfraft. Er follte die Araber vom Irrthum 
des Göpendienftes zum wahren Leben führen. Gott offenbarte ihm, er 
ſolle den Glauben Abrahams, des Gerechten, der fib vom Götzendienſte 
wegfehrte und den Einen Gott und Schöpfer des Als anbetete, annehmen 
und auch feine Araber hiezu vermögen, jedoch ohne allen Zwang, er ſolle 
Gott verkünden als den Einzigen Schöpfer und Negenten der Welt, der 
alles Gute verleiht, allmächtig, Herr des Lebens und des Todes, weile, 
unförperlich, unbegreiflih, unbegrenzt, gnädig und barmherzig, voll Ers 
barmen gegen alle Gläubige, die ihn anbeten und anrufen. Am Tage 
des Ihredlihen Weltgerichtes, des Weltendes, wird er die Todten mit der 
Leichtigkeit, mit der er den Menfchen erfchuf, auferweden, Gute und Böje 
beiden; den Gläubigen wird er nad ihren Verdienften ein ewiged Pa- 


radies aller Genüffe, Erfüllung aller Wünfche und das befte Leben, den 
20° 


308 


Ungläubigen und Böfen nad ihrem Mißverdienfte (demerita) die Gehenna 
und ewige Strafe geben. Das Bud Alchoran fei vom Himmel herab- 
gefommen; die Mutter und das Fundament defielben fei der vornenan 
ftehende Glaube an Einen Gott und an das Gelangen Aller vor fein 
ſchreckliches Gericht. Das Uebrige im Buche feien theild Beweile für 
jenen Glauben, theild Geſetze, melde pie gläubigen Araber zu beob- 
achten haben, wenn fie in der Gnade Gottes verharren und einft den 
Lohn im Paradiefe erlangen wollen. Alle Anhänger dieſes Glaubens 
heißen Muffilmannen, d. i. Männer des rechten Glaubens (sanae fidei), 
fie mögen Menfchen, Engel oder Dämonen fein. Diefer Glaube fei zur 
Seligfeit nothwendig, alle Bropheten ftimmen in ihm überein. Gott habe 
allen Völfern auch einheimiſche Boten (nativos nuncios) gefendet, welde 
fie über den Glauben und die Gebote belehrt hätten.... Wenn daher durd 
diefe verfchiedenen Boten Gottes bei den verfchiedenen Wölfern neben der 
Einheit des Glaubens verfhiedene Ritus und Gefege ſich finden, fo fönne 
dies fein Hinderniß bilden, von dem gütignen und gerechten Richter den 
gebührenden Lohn zu erlangen. Als Bropheten und Boten Gottes, denen 
man Glauben jhuldig war, zählt Mahomed auf: Abraham, Jemael, 
Sfaat, Jakob, Moſes, Ehriftus und mehrere Andere. 


3. 
Was enthält der Alchoran nad dem Urtheile der 
Verſtändigen? 


Wer von den Arabern und Chriſten durch die Gnade Gottes Voll⸗ 
fommenheit erlangt hat, weiß wohl, daß der Alchoran unter dem Vorwande 
der Bertilgung des Gögendienfted lehrt, Ehriftus fei weder der Sohn 
Gottes, noch fei er gefreugigt worden. Died fcheint die Haupttendenz des 
ganzen Buchs zu fein. Denn nur diefer Glaube befiegt den Teufel und 
die Welt, nur diefer Glaube vermag das unfterblihe Leben im geiftigen 
und unzerſtörlichen Himmelreihe zu verleihen. Durd Aufhebung dieied 
Glaubens ſucht Satan das Evangelium ganz auszurotten, wie wir dent 
leider fahen, daß ſchon viele chriftliche Reiche vom wahren Glauben Chriſti 
abgefallen find und das arabifche Gefeg angenommen haben. Wir willen 
jevoh fowohl aus dem Evangelium ald aus dem Alchoran, daß Maho—⸗ 
med nicht dad UWebergewicht erlangen könne; Ehriftus wird zulept 
fiegen. Viele Chriften unter arabijchen Fürften dienen Chriftus nur um 
jo treuer, und unzählige Ehriften find wieder zurückgekehrt. Viele Araber 
geben fih nur aus Furcht vor dem Schwerte für Anhänger jenes Olaus 
bend aus; in der Todesftunde befennen fie fih als Chriften; zulept 
werden died Alle thun. 


309 


4. 


Mo der Alchoran der heiligen Schrift widerfpridht, verdient 
er feinen Glauben. 

Ein Gelehrter macht darauf aufmerffam, Mahomed, der außer der 
arabifchen feine Sprache verftand, nicht leſen und fchreiben fonnte, müffe 
Juden und Ehriften an der Hand gehabt haben, welde ihm auf Arabiſch 
den Inhalt des alten Teftaments und Evangeliums angaben.... Als man 
ibm aber diefe Belehrung durch Andere vorhielt, fiel er auf fein Angeficht 
nieder, feine Hände und Füße zogen ſich framphaft zufammen und feine 
Genoſſen bededten ihn mit ihren Gewändern. Als er wieder zu fich fam, 
ſagte er: Gott hat es zugelaffen euch zu ftrafen wegen diefer eurer Rede. 
Er las eine Sentenz aus der Sure Eluael, d. i. die Palme, welche beißt: 
„Wir wiffen, daß fie fagen werden: ed wird ihn einer in perſtiſcher 
Sprache unterrihten.” Das Nrabifche ift aber die Mutterfprache des 
Perſiſchen . . Daher ſprach er: wie fann man fagen, jene belehrten mic, 
von denen der Eine ein Perſer, der Andere ein Hebräer iſt? worauf 
man ihm erwiederte: ift ed möglih, daß fie in ihrer Eprade mit dir 
reden und dir erklären, und du im deiner Sprahe Alles richtig ftellft? 
Darauf wußte er feine Antwort. Siehe, Mahomed ift von Berfchiedenen 
belehrt worden! Da zur Zeit als Mahomed auftrat (624 nad Ehriftus 
unter Kaifer Heraflius) bereits viele Härefien aufgetaucht und auf Synoden 
verworfen waren, fo ift es wahrfcheinlich, daß zu ihm Mehrere kamen, 
welhe den reinen Sinn der heiligen Schrift mit den Neuerungen ihrer 
minder wahren Anfichten, das alte Teftament mit Talmudifhen Sagen, 
das lautere Evangelium mit apofrypben Büchern vermiſcht hatten und num, 
wie e8 ihnen gutdünkte, dem Mahomed berichteten. Daher und aus der 
poetiichen Schreibart fei ed gefommen, daß das Geſchichtliche im 
Alchoran felten mit dem Gefhichtliden des alten Teftaments 
und Evangeliums übereinftimmt. Hiegegen führt freilich Mahomed 
iu feiner Rechtfertigung an, er fei mur von Gott belehrt, und fagt im 
25. Kapitel: „Wenn ein Wort mit einem andern vertaufcht ift, fo jagen 
die Ungläubigen fogleib: du bift ein Lügner, da du fo fehr in den Worten 
ſchwankeſt. Das verftehen fie aber nicht; denn Gott felbft und der heilige 
Geiſt haben diefes ganz wahre Buch verfaßt.“ Allein diefe erdichtete und 
lügenhafte Entjhuldigung genügt nicht, um das Schwanfen des Verfaffers 
ju verbergen (quia libri compositor varius reperiatur), was von dem 
wahren und unveränderlihen Gotte ausgefagt, Blasphemie wäre. So 
jagt der Alchoran, die Jungfrau Maria, die Mutter Jeſu, fei die 
Schweſter Aarons und die Tochter Amrams. Gewiß hat der, welder 
Died Mahomed angab, geirrt und das Wahre nicht gewußt, da Maria, 


310 


die Tochter Amrams, die Schwefter Moſis und Aaron's, vor mehr als 
1000 Zahren geftorben ift, während nad demfelben Alchoran Maria, die 
glorreihe Mutter Zefu zur Zeit des Zacharias, des Vaters Johannes 
des Täufers lebte. Gin Bub mit folden Irrthümern fann nicht ein 
MWerf Gottes fein. Nach der Erzählung in Kapitel 35 kam Mofes zu 
Pharao und diefer fagt, er habe ihn im feinem Haufe ermährt. Allein 
jener Pharao, welcher Moſes ernährt hatte, war, ald Moſes nad 
Aegypten zurückkehrte, längft geftorben. Erod. 4. Mofes war 40 Jahre 
in Madian, und während diefer Zeit ftarb jener. Man kann alfo den 
Inhalt des Nlchoran nicht als Gottes Wort anfehen, wenn er mit 
frühern, durch Gott überlieferten und durch den Alchoran felbft angenom- 
menen Schriften nicht harmonirt. 


5. 

Das Evangelium hat den Borzug vor dem Alchoran. 

Im fünften Kapitel des Alchoran heißt es: „der gütige und barm- 
herzige Gott, der lebendige und höchfte, außer weldyem es Feinen andern 
gibt, ift es, der zuerft das alte Teftament, nachher dad Evangelium als 
rechten Weg den Menfchen gegeben bat, zulegt das wahrhaftige Bud Als 
furfam zu Befräftigung eures Geſetzes von Oben euch mitgetheilt hat. 
Diefes Buch enthält einige feitftehende und umwiderleglihe Worte“ ıc, x. 
Eiche, wie alted Teftament und Evangelium die rechten Wege genannt 
werden und der Alchoran felbft dies beſtätigt! . . . Wo diefer alfo mit 
jenen Beiden nicht übereinftiimmt, muß man fich auf Seite der letztern 
ftellen. Zu beachten ift ferner Kap. 12, wo es heißt, Gott habe den 
Juden erklärt: „Chriftus ift ver Sohn Mariens, welchem ih das Evan 
gelium anvertraut, welches das Licht und die Kraft des alten Teftaments, 
der rechte Weg der Gottesfürdhtigen iſt; zur Erfüllung eures Geſetzes habe 
ih ihn geſendet.“ Anderswo nennt er dad Evangelium hellleuchtend 
(lucidum), einmal fogar glanzvoll (splendidissimum). Wenn dem fo if, 
fo findet fih im Alchoran nihts, was zur Seligfeit notb 
wendig ift, über das hinaus, was das Evangelium enthält; 
was nah dem Alchoran zur Eeligfeit nothwendig ift, ift dem Evangelium 
conform. Gin frommer, der arabifhen Sprache mächtiger Mann, der in 
Baldach (Bagdad) den Alchoran ftudierte, fagt, in dem Kapitel „Elmeide* 
ftehe: „Wir haben den Fußftapfen der Menfhen dur Jeſus, den Sohn 
Martens, der überaus wahrheitsliebend ift, eine beftimmte Richtung und 
ihm das Evangelium gegeben, das eine Richtſchnur, ein Licht und offen 
bare Wahrheit ift.” Daraus erhellt, daß der Alchoran die Araber an 
das Evangelium weile. Denn es ſteht im Alchoran: „Man foll wiſſen, 
daß die Gefegesmänner die Vollfommenheit feines Gefeges oder Glaubens 


311 


erreichen, außer bie des alten Teſtaments und Evangeliums; fie ſollen daher 
den Geboten diefes von Bott gegebenen Buches gehorchen“. Dies kann 
nur von den Juden und Arabern, welche die Männer des Geſetzes find, 
gemeint fein. Im 70. Kap. wird erwähnt: „Alle Guten follen Gott 
dienen, wie ed Jeſus Chriftus, der Eohn Mariens, gelehrt hat“. Wenn 
alfo Die guten Ehriften diefen Geboten des Alchoran nachkommen, fo vers 
dienen fie gewiß von den Berehrern des Alchoran feinen Tadel. 


6. 


Das Evangelium ift das Verſtändniß (lux) der Wahrheit des 
Alchoran. 


Es läßt fih vom Aldoran nicht jagen, er fei in fich genügend und 

der rechte Meg, außer fofern das Evangelium in ihm enthalten iſt; nur 
Das im Alchoran fann das Berftindniß der Wahrheit und des rechten 
Weges genannt werden, was mit dem Evangelium übereinftimmt. Der 
Verfaffer des Alchoran war über das Evangelium nicht im Ungewiflen; 
er führt zufammenhängende Stüde aus demfelben an, 3. B. wie, ale 
Ehriftus die Parabeln erklärte, Einige von ihm weggingen, von dem Ge: 
treideforn, von dem Blindgebornen ıc. Da das Evangelium mehrere hun: 
dert Jahre vor Mabomet der Welt befannt geworden und bi heute un. 
verändert geblieben ift, fo muß man fih wundern, daß die Araber nicht zum 
Verftändniß des Alchoran das Evangelium lefen und ftudieren, wie denn auch 
viele Gcbildete unter ihnen heimlih dem Evangelium die größte Verehrung 
erweilen, da fie ohne dasſelbe nichts Gutes aus dem Alchoran entnehmen 
können. Würden aber die heiligen und wahren Bücher ded Evangeliums 
Öffentlich gelefen, fo würde das Falſche des Alchoran aldbald entvedt 
werden... . Das Schöne, Wahre und Herrliche, das ſich im 
Alchoran befindet, ift ein Strahl ausdem Sonnenglanze des 
Evangeliums (si quid pulchri, veri et clari in Alchoran reperitur, 
necesse est, quod sit radius lucidissimi Evangelii). Das ficht man erft 
ein, wenn man nach Refung des Gvangeliums fih an den Alchoran macht. 
Woher hat diefer die Weltverachtung, den Vorzug des fünftigen Lebens, 
Ueberzeugung von der Gerechtigkeit und den Werken der Barmherzigkeit, 
Liebe Gottes und des Nächſten, Aufopferung des Vermögens, ja ſelbſt 
der Seele für Gott? Woher hat er den Glauben, ſterben für Gott ſei 
ewiges Leben? Woher haben Liebe zur Tugend, Verbot des Wuchers, 
Mordes, Meineides, der Hurerei, der Begierde nach fremdem Gute im 

Alchoran ihren Glanz erborgt, wenn nicht durch die Vollkommenheit des 

Evangeliums? Warum wird Vieles, was der Alchoran dem Einnengenuffe 

verheißt, als Werk der Finfterniß, als häßlich und gering felbft von ara- 

biſchen Gebildeten betrachtet, als weil es zu den Verheißungen des Evan— 


312 


geliums durbaus nicht ftimmen will? Die Sonne des Evangeliums 
leuchtet aus dem Alchoran heraus, felbft gegen die Abficht des Urhebers, 
für die, welche den Geift Ehrifti haben, freilich nicht für den jchlüpfrigen 
Mahomed und jene Antichriften, welche diefe Welt der fünftigen vorziehen 
und nichts für gut halten, was nicht ihre Begierden befriedigt. Sie 
meinen, Gott, der Urheber des Alchoran, genehmige ihre verdorbenen 
Gelüfte und beachten nit, daß nichts wahr ift, was dem Evangelium 
widerftreitet. 


T. 


Die ſchöne Sprache beweist nicht, daß der Alchoran ein Werk 
Gottes ſei. 

Niemand darf ſich durch die Behauptung berücken laſſen, der Alchoran 
könne nicht von Menſchen, nicht von Dämonen, ſondern wegen ſeiner 
ausnehmend ſchönen Sprache nur von Gott herrühren. Geſetzt auch, 
Mahomed habe dieſe Gabe gehabt und man ſchließe daraus, das But 
fei ein Geſchenk Gottes, fo folgt daraus keineswegs, daß Alles, was in 
ihm fteht, das Wort Gottes fei, der wahrhaft und fih gleichbleibend if. 
Nun Shwanft aber der Alchoran, wie wir gejchen haben, in feinen Ans 
gaben über das alte Teftament und Evangelium. Daß aber fchöne Wort: 
ftellung noch nicht auf die Wahrheit des Gefagten fehließen läßt, erhellt 
aus dem dritten Kapitel des Alchoran, wo zu leſen ift: „Süßtönend: 
Worte, die mit dem Herzen nicht übereinftimmen, rufen Gott, den Her 
zendfundigen ald Zeugen an, und da fie dem Redenden Verderben, dem 
Volfe Schande bringen, fo mögen fie mit den Strafen im Abgrunde der 
Schenna gezüchtigt werden.” Wollten wir zugeben, die Abficht des Al: 
choran fei, wie feine Anhänger fagen, Gott dem Schöpfer, Ehriftus und 
den Propheten nicht nur nichts zu entziehen, fondern vielmehr deren Ehre 
zu erhöhen und zu befräftigen — wovon freilich der Alchoran an vielen 
Stellen das Gegentheil enthält, — dann freilich könnte die Lectüre des 
Alchoran einigen Nugen gewähren. Liest man das Leben Mohameds 
im Alchoran, jo ſieht man fogleih, es fei durch göttliche Zulaffung def 
halb gefchrieben, damit erhelle, e8 halte mit Chriſtus, Mofes und andern 
Propheten feinen Vergleich aus, viel weniger habe «8 einen Vorzug. 


8. 
Die Verehrer Ehrifti werden (auch nad dem Alchoran) allen 
Andern vorgezogen. 
Der Alchoran gibt zu, daß die Verehrer Chrifti allen Andern vor 
gezogen werden, da Chriſtus über allen noch fo heiligen Propheten ſtehe. 
Der Gott des Alchoran fagt Kap. 4: „Während ich einen der Propheten 


313 


über den andern erhoben und mit einigen berfelben felbft gefprochen habe, 
jo habe ich Ehriftus, dem Sohne Martens, meine eigene Seele verliehen, 
und ihm dadurch Kraft und Macht vor allen andern gegeben.” Wenn 
wir alfo alle von Gott uns gefchidten Propheten hören und ihnen folgen 
müffen, fo gilt dieß in vorzüglichem Grade von Ehriftus. Ein andersmal jagt 
der Alchoran, Chriftus habe gefagt: Denen, die Gott fürchten, follen wir 
folgen; denn durch Anbetung meines und eures Gottes fehreitet ihr auf ber 
rehten Bahn. An einer andern Stelle heißt es: „die und verliehene gött— 
liche Wahrheit zeigt dem Wanderer den rechten Weg, deſſen Betretung 
die Seligkeit, deffen Verlaffen Nachtheil bringt.“ Die göttlihe Wahrheit 
it aber durch Chriftus im Evangelium offenbar geworden.... Dann 
wieder: „Alle Guten dienen Gott, wie Jeſus, der Sohn Mariä, und aufs 
fordert, wenn er die Männer mit weißen Kleidern fragt: wer wird mir 
beiftehen, indem er mir nachfolgt? worauf jene antworteten: „Wir.“ Einige 
der Söhne Iſraels glaubten, die wir weit über die ungläubig Geblies 
benen erheben. 

Wir haben nun hinlänglic aus dem Alchoran gezeigt, man müffe viels 
mehr Chriftus als Mahomed, dem Evangelium ald dem Alchoran folgen. 


9, 

Mit Unrecht nennt der Alchoran die Ehriften Ungläubige. 

Da du, Verfaffer des Alchoran, nur eine Vielheit von Göttern vers 
wirft, warum nennft du die Chriften, welche an Chriſtus ald den Sohn 
Gottes glauben, Ungläubige? Sagt nicht der Alchoran, nachdem er wie 
derholt verneint, daß Gott einen Eohn habe, im 32. Kapitel: „Gott hat 
nicht einen andern Gott zum Sohne oder Genoſſen angenommen“, wo— 
mit er ſelbſt zugibt, die Chriften feten nicht ungläubig, wenn fie fagen, 
Chriftus, der Eohn Gottes fei nicht ein anderer Gott. Soferne näm— 
lich Genoſſenſchaft, Sohnſchaft der Ehre Gottes nichts entzieht, will der 
Achoran Gott, der die abfolnte Vollkommenheit ift, nichts entziehen; nur 
loferne jene Worte vom Sohne Gottes einen andern Gott bedeuten wür— 
den, entziehen fie — nad) dem Alchoran — Gott dem Schöpfer feine Ehre, 
weil er fie mit einem andern Gott zu theilen hat. Gott der Schöpfer 
bleibt nicht Gott, wenn ihm nicht alle Ehre zufommt. Mehrere Götter 
find fo viel als — fein Gott, da jeder von ihnen der höchftmöglichen Ehre 
entbehren würde. Chriften und Juden erheben hiegegen feinen Wivers 
hrud. Wenn aber der Alchoran fagt, Mahomed fei zu den götzendiene— 
riſchen Arabern gefandt, um fe zur Anbetung Eines Gottes zu führen, 
warum verfolgt er die Chriften, die weder Araber find, noch an mehrere 
Götter glauben? Die Ehriften verdienen gewiß feinen Tadel, wenn fe den 
Schöpfer der Welt Vater nennen. Der Alchoran hat aud im Grunde 





314 


hiegegen nichts zu erinnern, es fcheint ihm nur ungereimt, daß die Menfhen 
ſich Kinder Gottes (filios Dei) nennen; denn er fagt Kapitel 12: „Wenn 
ihr Juden und Ehriften die geliebten Kinder Gottes feid, warum beftraft er 
euch, wenn ihr fündiget? Gewiß feid ihr alfo nicht mehr als andere 
Leute.“ Er ſcheint vorauszufegen, als wäre die Kindſchaft eine Gleih- 
heit der Subftanz (consubstantialitas). Will man dies nicht jagen, Te 
hat er nichts einzuwenden. Da im alten Teftamente und Evangelium 
nirgends fteht, Ehriftus oder fonft Jemand werde in dem Sinne Sohn 
Gottes genannt, ald wäre er ein anderer Gott, ald Gott der Vater und 
Schöpfer, jo braucht auch fein Chrift die Behauptung des Alchoran zu 
widerlegen, Gott fünne feinen Sohn annehmen, weder von einem Weibe, 
noch durch Annahme des vornehmften Geichöpfes ald Sohn. Die Ereatur 
fann nie gleiher Natur mit dem Schöpfer fein. Wenn aber der 
Alchoran negirt, Ehriftus fei der Sohn Gottes, jo frage ih dich, Sklave 
des Alchoran (subditum libro Alchoran): Warum foll der Meſſias nit 
Sohn Gottes fein, da er in dem von dir felbft gutgeheißenen Evangelium 
fehr oft jo genannt wird? Vielleicht fagft du mit dem Alchoran, Ehriftus, 
von Gott zur Rechenſchaft gefordert, daß er fib Gott genannt, habe 
dies beharrlih geläugnet. Wir wundern und weniger hierüber, als dar 
über, daß Mahomed dabei zugegen war, der doc, wie er felbft fagt, den 
unfichtbaren Gott nie gefehen hat, über den wir daher nur lachen können. 
Wußte Gott die Wahrheit nicht und traute er Chriftus eine Sünde 
(falsum) zu? Und wenn er die Wahrheit fannte, fo wußte er fie erft, 
nachdem Ebriftus fich entjchuldigt hatte! Sagt nicht ver Alchoran, Chriftus 
werde wiederfommen und im fünftigen Gerichte Rechenſchaft von allen feinen 
Thaten ablegen? Wie reimt fih damit die Behauptung, diefe Rechenſchaft 
fei ſchon erfolgt? Hören wir nody das Geſpräch im Alchoran, Kapitel 13: 
Gott jagt: „Jeſus, Sohn Mariä, du beredeft die Menſchen, fie follten 
an Gotted Statt did und deine Mutter ald Götter annehmen und ver 
ehren. Jeſus antwortet: Gott behüte, daß ich etwas wider die Wahr: 
heit rede; was ich gefprocden habe, weißt du, der du die Geheimnifle 
aller Herzen durchſchaueſt; du durchdringſt Die Geheimniffe meines Her 
zens, ich aber ſehe nicht in dein Herz. Du weißt, daß ich den Mens 
ben nur deine Gebote mitgetheilt habe: fie follen dich als meinen und 
ihren Gott anbeten. Sept, da du mich von ihnen zu dir erhöhet haft, 
magft du der Richter über mich fein. Gott ſpricht: der Tag des Gerichts 
naht heran. Sch komme nun für die, die mir gefolgt find; ed wird ihnen 
zum größten Bortheile fein, ein Paradies lieblich dur Ströme von Waſſer 
will ich ihnen geben; denn ich bin der allmächtige Gott, der über Himmel 
und Erde gebietet.” Diefe Etelle enthält nichts gegen die göttlihe Sohn 
ſchaft Ehrifti. Daß diefer je die Menfchen gelehrt babe, ihn und feine 


315 


Mutter an Gottes Statt zu verehren, fagt weder dad Evangelium, nod 
glauben es die Ehriften. Jeſus kam mur, um Gott feinem Water die 
Ehre zu geben, feine Ehre fuchte er niemals. 


10. 
68 wird deutlich gelehrt, Chriftus fei der Sohn Gottes. 

Es könnte ein Araber fagen: wenn Chrifius Gott geweien wäre, 
fo hätte er auf die Worte der Juden: „bu machft dich zu Gott, da bu 
doch ein Menſch biſt“ nicht fih damit entfchuldigt, daß im Geſetze die— 
ienigen Götter genannt werden, au welde das Wort des Herrn ergan- 
gen fei, fondern hätte fich deutlich andgedrüdt. Wir jagen hierauf: er 
bat fich deutlich ausgefprochen, denn er fagte: „Wenn die Schrift jene 
Götter nennt, an welche das Wort des Herrn ergangen iſt, und die 
Schrift nicht aufgehoben werden kann, warum faget ihr zu Dem, den der 
Vater geheiligt und in die Welt geſchickt hat, er läftere Gott, weil ich 
fagte: ih bin der Sohn Gottes? Wenn ich nicht die Werke meines 
Vaters thue, fo glaubet mir nicht; thue ich fie aber und ihr wollet mir 
nicht glauben, fo glaubet wenigftens den Werfen, damit ihr einfehet und 
glanbet, daß der Water in mir ift, und ich in dem Vater.” Weld eine 
dentlihe Sprade! es ift allo Feine Läfterung, daß er fih Sohn Gottes 
nannte, er hat fich fomit ftilljchweigend als Bott befannt, Denn wenn 
die, welche die Worte Gottes faffen, Götter genannt werden, fo begeht 
gewiß der, welchen der Bater ald Water von Ewigfeit geheiligt und in 
der Zeit in die Welt gefandt hat, feine Läfterung, wenn er fib Sohn 
Botted nennt. Denn der Vater ald Vater zeugt und beiligt nur ven 
Sohn; diefer ift ald ſolcher gleihewig mit dem Vater. Died beweilen 
die Werfe, die fein Menſch vor ihm vollbracht hat. Wäre nicht der Vater 
der Schöpfer in Ehriftus, wie hätte diefer dann feine Werfe vollbracht? 
Er war alfo die Wefenheit (essentia) des Vaters, die Alles wirfet in 
Chriftus. Iſt aber Gott der Vater wefentlich (essentialiter) in Ehriftus, 
ſo ift diefer der Sohn des Vaters, weil von gleicher Wefenheit. 


11. 

Chriſtus nennt ſich nicht Gott, fondern Sohn Gottes, 

Nah dem chriftlichen Glauben ift der allmächtige Vater Gott der 
Schöpfer, und Ehriftus neunt diefen Gott feinen Vater. Denn er fagt 
in den Juden: „Mein Bater ift es, der mich verherrlicht, von dem ihr 
laget, daß er euer Gott fei.“ Chriſtus nennt fich bier nicht Gott, weil er 
ſonſt ſich feinen Vater genannt hätte. Gr nennt fih aber den Sohn 
Gottes, weil er Den immer Vater nennt, den die Juden Gott nannten. 
Ehriftus ift alfo der Sohn Gottes des Vaters, nicht Gott Vater; er ift der 


316 


wahre Sohn Gottes des Vaters, daher auch gleichen Weſens mit dem Vater, 
wierohl fein anderer Gott, ald der Vater. Durch den Sohn erihaft 
Gott Alles. Der Alchoran nimmt dies im Allgemeinen an (approbat) 
und widerfpricht nicht im Befondern, wie aus dem Folgenden erhellen win. 


12. 


Das Lob Ehrifti im Alchoran und der Nachweis feiner 
Gottheit. 


Es fteht nämlich im Alchoran, Jeſus Ehriftus fei der Eohn der 
Zungfrau Maria, mit folgenden Worten: „O Maria, herrlicher, reiner 
und fchöner als alle Weiber und Männer! Dir wird die höchft erfrew 
liche Botihaft im Worte Gottes, welches Jeſus Chriftus heißt, der das 
Urbild aller Völfer im diefer und der zufünftigen Welt, ein höchſt weiler 
und trefflicher Mann ift, vom Schöpfer des Univerfums gefendet. Yen 
antwortete: O Gott, da ich einen Mann nicht kenne, wie fol ich einen 
Sohn haben? Die Engel antworten: Gott ift nichts ummöglid; er 
wirfet Alles, wie er will. Gr wird deinen Sohn, der mit göttlicer 
Kraft ausgerüftet fommt, im Geſetzbuche, in der Lehrweisheit, im (alten) 
Teftamente und Evangelium unterrichten. Blinde und Stumme wird er 
heilen, Ausfägige wird er reinigen, Todte unter Mitwirkung des Schöpferd 
auferweden. Das alte Teftament wird er betätigen und ausrufen: Ihr 
Gottesfürchtigen folget mir! Gott ift mein und Euer Herr; wer ihn an 
betet, wandelt auf dem rechten Wege.“ An einer andern Stelle: „Jeſus, 
der Sohn Mariens, ift Gottes Gefandter, deffen Geift und das vom 
Himmel an Marta gefandte Wort." Er ift alfo derſelben Natur wie 
Gott, der ihn fendetz; denn Gott umd fein Wort find nicht zwei Götter, 
fondern derſelbe einfachfte Gott. So find alfo der fendende Gott und 
das gefendete Wort derfelben göttlichen Natur. Da aber ber ſendende 
Gott nicht fich felbft fendet, noch auch einen andern Gott, fo kann der 
Sendende nicht der Gefendete noch der fendende Gott ein anderer, ale 
der gefendete fein. 


13. 
Es ift leicht zu beweifen, das Chriftus, das Wort Gotteé, 
deifen Sohn it. 

Ausgemacht ift es dem Alchoran, daß durd das Wort Gottes Alles 
erfhaffen if. Somit ft das Wort Gottes felbft unerfhaffen, ewig. Es 
ift alfo Fein finnlihes Wort, fondern fogar noch mehr, ald ein geifliget. 
Das geiftige Wort, durch welches der Geift Alles bewirkt, ift der geiftige 
Begriff. Wenn der Geift nicht in feinen Begriff ſchaut, kann er nichts 
ſchaffen. So ſchaut ver Baumeiſter in den Begriff des Hauſes, dad ı 


317 


bauen will. Diefer Begriff wird Wort genannt; wie das Äußere Wort 
von dem innern geiftigen Worte erzeugt wird, fo der Begriff von dem 
Beifte. Die geiftige Natur formirt und reformirt Allee durd 
ihr Wort. Der Baumeifter formirt durh das Wort das Haus, und 
wenn diefed baufällig wird, fo reformirt er e8 durch dasjelbe Wort. So 
formirt und reformirt Bott durh das Wort, died Wort wird 
auch Weisheit genannt; denn Gott wirft Alles durd die Weisheit. Der 
Alchoran jagt nun: „Ehriftus, der mit göttlichen Kräften fommt, ſpricht: 
Eiche, ih bin da mit Weisheit, Eure Etreitigfeiten zu ſchlichten; folgt 
mir nah und fürdtet Gott!” Der Alchoran nennt alfo, was er vorhin 
das Mort nannte, jet göttliche Kraft und Weisheit. Doch, warum 
neunt er den Sohn lieber Wort, ald Sohn? Vielleicht um allen Anlaß 
zu Gögendienft Solchen zu benehmen, welde eine geiftige Sohnſchaft nicht 
zu fallen vermocdten. Es ift auch in der That eine unpaffende Aus- 
dvrudsweife: Gott hat einen Sohn. Denn da Gott alles das ift, was 
er hat, jo könnte es fo viel heißen, ald: Gott der Vater fei der Sohn. 
Wie dem fei, der Alchoran hatte nicht die Abficht, dem Evangelium und 
dem Zeugniß ded Johannes des Täufers zu widerjpredhen, den er einen 
Befräftiger der Behauptung, Chriſtus fei der eingeborene Sohn Gottes, 
nennt, Er fcheint aljo nur darin von den Ehriften abzumweichen, daß er 
Den dad Wort Gotted und den Sohn Mariend nennt, den die Ehriften 
Chriſtus nennen. 


14. 
Ein Einwurf aus dem Alchoran und die Löfung deffelben. 


Man Fönnte einwenden: fteht nicht im Alchoran: „Sehr Viele haben 
in lügnerifher Weife behauptet, Gott habe einen Sohn.” Wider 
ſpricht dies nicht dem Evangelium? Ich fage hierauf: der Alchoran er- 
Härt ſich felbft, denn er fügt bei: „Hat Gott alfo angefangen, die Söhne 
mehr zu lieben?" Was faget ihr hierauf, die ihr ein fo kurzes Gedächtniß 
habt? Wenn ihr für eure Behauptung einen feften Grund habet, fo leget 
euer Buch vor! — Daß Gott feinen Sohn nach menſchlicher Weife habe, 
widerjpricht dem Evangelium nicht, da Gott ein Geift ift, der nicht Fleiſch 
und Bein hat. Daß aber Chriſtus der eingeborne Sohn Gottes ift, da- 
für fönnen wir die Beweife aus dem Evangelium beibringen und werden 
als wahrhaftig erfunden werden. — Berner könnte man einwenden: fagt 
nit die vorlegte Azore: „Beharrlich belehre fie, es fei Ein Gott, un- 
förperlich, der weder zeugt, noch gezeugt ift, und nichts feines Gleichen 
hat.“ Wir erwiedern: diefe Azore hat die Tendenz, Gott die Ehre zu 
geben, nicht aber, der Ehre Ehrifti etwas zu entziehen. Da unförpers 
liher Gott und Gottheit identiſche Begriffe find, fo widerfpricht dieſe 


318 


Azore dem Evangelium nicht, da die Gottheit als folche nicht zeugend und 
gezeugt ift und Feine andere ihr gleiche Gottheit hat, wohl aber zeugt der 
Vater den Eohn von gleicher Wejenheit (quando respicis in Deitatem, 
nullaın vides generationem; cum respicis in Deum, vides ipsam). Daf 
Gott — Pater genannt werde, liest man deutlich im alten Teftamente, 
den Pſalmen und dem Evangelium, nirgends aber ift die Gottheit Vater 
genannt. Kommt es Gott zu, Vater genannt zu werden, fo fft es nit 
unzufömmlih für Gott, daß auch von einem Gott Sohn gefproden wirt, 
da ein Vater nicht gedacht werden fann ohne einen Sohn. Wenn da 
her aucd jene Azore zunächft, was die Hauptabficht des ganzen Buchs if, 
die Mehrheit der Götter ausſchließen fol, fo fann fie doch aud im wah— 
ren Sinn ded Evangeliumd geduldet werden, nämlich: Gott habe weder 
gezeugt, noch fei er gezgeugt worden. Denn die ewige Zeugung im gött— 
lihen Wefen ift nie eine bloß vergangene gewefen, fondern Gott, der 
ewige Bater, zeugt Gott den ewigen Sohn, den Gott von gleicher Gott 
heit, den ewigen von gleicher Ewigfeit (Deus pater aeternus generat 
Deum filium aeternum eadem deitate Deum, eadem aeternitate aeternum). 


15. 
Jeſus ift als Meſſias der wahre Sohn Gottes. 


Wenn der Alchoran Jeſum den Meſſias d. i. Ehriftus nennt, jo 
gibt er von ihm Alles zu, was die Propheten vor Ehriftus fagen. Der 
Prophet Miche as ſagt: „Du Bethlehem Ephrata, du Feine unter den 
Städten Juda's. Bon dir wird für mich ausgehen der Herricher in Iſtael, 
fein Ausgang ift von Anfang an von den Tagen der Ewigkeit.“ Dieler 
Prophet redet von der Zeugung (generatio) ded Meſſias, die ihm theild 
eine zeitliche, in Bethlehem, theild eine ewige ift. Bon Anfang der Welt 
an iſt geweifjagt, Gott werde den Meſſias ald Heiland in die Welt 
fenden. Es ift alfo ausgemacht, daß der Meſſias vor der Welt Grin 
dung iſt, wie Ehriftus von ſich in den Worten bezeugt: „Verherrliche 
mich, Vater! mit der Herrlichkeit, die ih vor der Welt Gründung hatte”. 
Dieſer Mefftad, der, weil der oberfte und größte Erlöfer, ald Sohn Gottes 
erwartet wurde, war alfo ein Anderer, als der Water, der ihn fandte. 
Er war aber zugleich gleicher Natur mit dem Water, vor aller Greatur, 
denn er war, ald noch Feine andere Natur außer der göttlichen da war. 
Daher jagt der Prophet Jeſaias: Gott felbft wird fommen und und er: 
löfen. Dann werden die Augen der Blinden und die Ohren. der Tauben 
fih öffnen. Der Prophet Baruch fah den Meifias als Gott und als 
Meisheit Gottes kommen und mit den Menſchen verkehren... So 
lange die Propheten den Meffias im Geifte fahen und feine Ankunft 
vorausfagten, haben fie ihn nie als ein Geichöpf gefehen, fondern ale 


319 


göttliche Kraft und Macht. Und wie fie gefehen und geglaubt haben, fo 
ift ed geſchehen: Derfelbe, den fie in der Ewigfeit im Geifte geſchaut haben 
(und fein anderer) tft in der Zeit erſchienen. .. Der Alchoran will 
nicht weniger von Chriſtus ausfagen, ald das Evangelium und die Pro- 
pheten. Wenn er jagt, Chriftus ſei als der höchfte Bote Gottes mit der 
Kraft Gottes erfchienen, fo jagt er dad Größte von ihm; denn wie ift 
der Gefandte fühig, die Macht des ihn fendenden Gottes zu faffen, wenn 
er nicht der abjolut Höchſte (summus, quo major esse nequit) iſt? Wie 
kann er eine pure Greatur fein, wenn Gott einen Bollfommenern und Reinern 
ald ihn nicht erſchaffen kann? Wie fann er eine Macht haben, die nicht 
die abjolut größte ift durch die Mittheilung der Fülle der göttlihen Macht ? 


16. 


Chriſtus iſt als Wort und Gefandter des höchſten Gottes — 
Sohn Gotteß, 

Es war alfo das Wort, das in der Jungfrau Maria die menich- 
ide Natur angenommen bat, das allmädhtige Wort des allmächtigen 
Vaters, welches alle Creatur nicht zu faffen im Stande if. Mit Recht 
ihreibt ihm daher der Alchoran Weisheit und Lehramt zu und lehrt ganz 
trefflich, Chriſtus Habe der Welt bewiefen, daß er mit göttlicher Macht 
gefommen fei und als Gefandter Gottes, dem Gott Alles in feine Hand 
gelegt, Alles vermag, was die Menſchen von Gott erflehen. Zu dem 
Ende zählt der Alchoran im Allgemeinen als Wunder Ehrifti auf: Hei— 
lung unheilbarer Krankheiten und Auferweckung von Zodten; auch habe 
Chriftus Vögel aus Koth gebildet und fie durch Anhauchen belebt, als 
wollte der Alchoran damit fagen, nichts von dem habe gefehlt, was wir 
Gott zufchreiben. So lehrt Mahomed auch, Chriſtus babe aus ber 
Erde (aus dem Grab?) im Namen feines Vaters Japhet, den Sohn 
des Nos, erwedt, damit er die Thaten feines Vaters Nos erzähle. 
Dieſe Wunderthaten find, wie der Alchoran fchließen läßt, veröffentlicht, um 
Glauben zu erwecken. Denn da fein Befandter Gottes, der purer Menfch 
ft, der Art ift, daß man ihm nothwendig glauben muß, da Gott einen 
noch glaubwürdigern erfchaffen könnte, fo können wir nur dem unbedingt 
glauben, der als gleicher Natur mit Gott auch gleich wahrhaftig ift... 


17, 
Jeugniffe des NAlchoran beweifen, Ehriftuß fei der 
Sohn Gottes, 
Man fönnte fragen: was will der Alchoran mit der Behauptung, 
der göttliche Geift fei für Chriftus, den Sohn Mariens, als unterftügen- 
der Zeuge aufgetreten? Daß der bl. Geift für Chriftus Zeugniß gegeben, 


320 


bezeugt Johannes, der Sohn des Zacharias, wenn es im Evangelium 
heißt: „Ih ſah den Geift herabfommen wie eine Taube vom Himmel 
und über Jefus ruhen, und ich kannte ihm nicht. Der mid aber geſendet 
hat, mit Waffer zu taufen, hat mir gefagt: über wen Du den Geiſt 
herabfommen und bleiben ftehft, der ift es, der mit dem hi. Geiſte tauft. 
Ich ſah ihn und habe Zeugniß gegeben, daß diefer der Sohn Gottes ift.* 
Wie bei Ehriftus hat der hf. Geift auch in allen Apojteln und andern Heili- 
gen Zeugniß abgelegt, daß Jeſus ift Chriftus, der Sohn Gottes. Welche 
Hülfe er in der Empfänguiß der heiligen Jungfrau und in Allen, die ihn als die 
Bürgschaft der Verheißungen Ehrifti aufnehmen, geleiftet, und wie er die 
Gläubigen in das Verftändniß der Lehre Ehrifti eingeführt, das willen 
Alle, die das Evangelium und die Echriften der Heiligen forgfältig leſen. 
Zu beachten ift nun, wie fehr der Alchoran Johannes, den Sohn dis 
Zacharias, preist als einen durchaus glaubwürdigen Mann; er nennt 
ihn einen guten Mann, der in der Jungfräulichfeit verharrte, einen großen 
Propheten, der das Wort Gottes befräftigte, und in gleicher Weife führt 
er dad Zeugniß des bi. Geiftes an. Alles dies ließ der barmberzige 
Gott in den Alchoran aufnehmen, um die Verſtändigen zu den Zeug 
niffen der Wahrheit hinzulenfen, um Chrifto nichts zu entziehen, wenn 
auch (wegen des niedrigen finnlihen Standpunftes des Volkes, weld:d 
die geiftige und göttlihe Natur Ehrifti nicht zu faffen im Stande iſt), nicht 
offen von ihm gejagt wird, er fei der Sohn Gottes. Es ſchien daher vorſich⸗ 
tiger, nur negativ zu lehren, Ehriftus, der Sohn Mariens, fei nicht der Sohn 
Gottes, da er als folder fürperlih und fihtbar war. Daß er aber 
göttlihe Kraft und Macht hat, die nur der Glaube fieht, wie die Wun— 
der beweifen, konnte auch der Alchoran nicht läugnen. 


18, 


Wie die Worte des Aldhoran zu verftehen feien, Chriftus 
fei der Geift, die Seele Gottes. 

Warum jagt der Aldhoran: Chriſtus ift der Geift Gottes? und au 
derswo: Gott hat ihm feine eigene Seele verliehen (Deus ipsi animam 
suam proprie contulit)? Ich erwivere: der Alchoran nimmt Seele und 
Geift oft gleichbedeutend; ich verftche darunter das geiftige Reben, wel 
ches die Weisheit iſt. Gott verlich ihm eine gnädige und mitleidige 
Seele, d. i. das Leben im eigentlichen Sinne. So fagt Chriſtus jelbit: 
„Wie der Vater das Leben in fih hat, fo hat er dem Sohne gegeben, 
das Leben in fih zu haben.” Wie alfo der leibliche Vater fein leibliches 
Leben im eigentlichen Sinne dem Sohne gibt, daß er im fich felbft lebt, 
fo hat Gott fein Leben Chriftus gegeben. Diefe Einheit der Lebendnalur 
Gottes des Vaters und Ehrifti drüdt der Alchoran durch die Eine Seele 


321 


Beider aus. Mie der Vater lebendig machen fann, wen er will, fo bat 
er auch dem Eohne gegeben, lebendig zu machen wen er will. “Daher 
wird jened Leben Geift Gotted genannt, da jede Bewegung aus verbors 
gener Urjache Geift genannt wird. Mit Recht fagt daher der Aldhoran, 
Ehriftus habe von fih im Evangelium gefagt: „Ich bin das Leben und 
die Auferftehbung“; anderswo: „Die Worte die ich geredet habe, find 
Geift und Leben.” Denn der Geift Ehrifti ift der gute Geift, der zum 
guten und unfterblihen Leben, welches Gott ift, hinführt. Der Geift 
des Teufels aber ift der böſe Geift, der zum ewigen Tode hintreibt. 


19, 

Wie die Worte des Alchoran au verftehben feien, 
Chriftus fei ein guter, ja vortreffliber Mann und das 
Urbild (faciem) aller Bölfer. 

Was bedeuten die Worte des Alchoran, Ehriftus fei cin guter, ja 
vortrefflicher Mann und das Urbild aller WVölfer in diefer und ber zu 
fünftigen Welt? Wir antworten: der Alchoran erhebt die Jungfrau 
Maria über alle Männer und Weiber, und mit Recht, weil fie die 
Mutter Ehrifti, des Sohnes Gottes if. Nun ift aber unftreitig Chriſtus 
über feine Mutter erhöht (exaltatus). Er ift aljo der Beſte, weil er 
nicht befjer jein fan... Zwifchen ihm und Gott fann nichts dazwilchen 
liegen, er it die Güte ſelbſt. Chriftus ift daher gut durch erjchaffene 
Büte, welche nicht die Güte felbft ift, foferne er Menſch war, dancben 
aber ift er auch gut in unerſchaffener Güte, weldes die Güte felbft ift, 
da er der abjolut Gute ift, ver feiner Zunahme in der Güte fähig ift. — 
Dur den Ausdrud: Chriftus ift das Urbild aller Völker, wird Chriftus 
ald derjenige bezeichnet, von weldem der Prophet Daniel fagt: Schön 
an Geftalt vor allen Menſchenſöhnen, ift Anmuth über deine Lippen aus— 
gegoſſen; daher preist dih Gott in Ewigkeit. Wo findet fih der Aus- 
drud der Schönheit, außer im Antlige? Mas ift ſchöner, als ein Bild 
aller Tugenden? Was ift Ehriftus anderd nach dem Propheten David, 
ald der Herr der Tugenden, der König aller Herrlichkeit, Klarheit und 
Schönheit? Daber ift er der Sohn Gottes, an welchem der Water das 
größte Mohlgefallen hat und ift gefalbt vor allen feinen Genoſſen. 
Daher jagt Mahomed, die Volltommenen fichen am Tage des Gerichts 
in der Natur Adams und in der Geftalt Jeſu Ehrifti von den Todten 
af. Die Geftalt Chriſti ift die Vollendung der Wollendeten. Daher 
it ed GChriftus, durch den die Vollendeten gerichtet werden; feine Geſtalt 
ift die allein dem unfterblichen Leben angemeffene. Die ihm ähnlich find, 
geben ein im die Freude des Herrn. Daher wiederholt der Alchoran öfter, 
die Geftalt der Einen (der Gerechten) fei am Tage des — weiß 

Scharpff, Mic, v. Cuſa. 


322 


und glänzend, die der Andern (der Ungläubigen und Böſen) ſei ſchwarz. Um 
mich kurz zu fallen: Ehriftus ift alles das, was in allen Völkern der 
Gegenwart und Zukunft nah Recht und Wahrheit Lob verdient. Er ift das 
ſchöne Urbild Aller, in welchem alle Völker ruhen und gepriefen werben. 


20. 


Digreffion zur Beranfhaulidung im Gebiete des 
Ueberfinnliden. 

Der Alchoran nennt Ehriftus Ruhella (vom hebrätichen m"), 
was Einige Hauch Gottes, Andere Geift Gottes, Andere Wort Gotted, 
wieder Andere Seele Gottes überfegen. Wie man es überfegen mag, 
nothwendig ift damit Gott gemeint, wie aus dem Vorhergehenden er 
heilt. Mir fcheint die Deutung: Wort Gottes, nämlih das geiftige 
Wort, das wir auch Begriff, Idee nennen, weil fie mit dem heiligen 
Evangelium übereinftimmt, den Vorzug zu verdienen. Damit nun weni 
ger Gebildete durch ein conereted Beilpiel den Vater, dad Wort und den 
Geift einigermaßen, wenn aud in weiter Ferne, erfennen, fo mögen fie die 
Glasbereitung fih vorftellen. Sie ift dad Werf der Jutelligenz. An 
eine eijerne Röhre läßt man eine geeignete Quantität des Glasftoffes ſich 
anhängen, bläst in fie und madt fo ein Glas nad Belieben. Das 
Blaſen wirft Innerhalb des Glasſtoffes und bildet ihn, Dies hat Achıw 
lichfeit mit dem Wirken der Natur. Beachte in dem Blafen Zweierlei: 
das Meußere, die wahrnehmbare Luft aus dem Munde des Künftlerd, 
innerlihd — feinen Berftand, denn er hat eine beftimmte Abſicht bei feinem 
Blafen, — ven Begriff, das (geiftige) Wort. Diefed Wort wird von 
dem Geifte erzeugt, der fih in ihm entfaltet. WBom Geifte und feinem 
Begriffe (Wort) geht dann die Bewegung aus, welche in der That 
ſich vollendet. So geht nun auch von dem Scöpfer mittelft des Worts 
durch göttlihe Bewegung oder den Geift Alles ind Dafein hervor. Zu 
beachten ift, daß Gott den Elias, 3. Könige, Kap. 16, belehrte, er jel 
nicht im Sturmwinde, der die Berge umſtürzt, micht im euer, das auf 
die Bewegung folgt, fondern im faniten Säufeln, das auf das Feuer 
folgt. Das heißt, er fei ein feinerer Geift, ald jeder auch der feinfte 
Geift, d. i. ohne Einnahme eines beftimmten Raumes, wie der Geift in 
ver Sprache; fein Accidens, fondern die Eubftanz, die alle Subftanz er 
ſchafft. — Dies ſei gefagt, damit die weniger gebildeten Anhänger des 
Alchoran ihren Geift zum Geiftigen erheben, und erwägen, daß der Geift 
Gott in Allem nahahmen fol, daß das Subftantielle, das nur durd den 
Geift erfaßt wird, dem Accidens weit vorzuziehen fei, da das Accidens kein 
Sein (esse), fondern nur ein Dabeifein (adesse) hat, und daß wir In 
der Schule der göttlichen Dingen lernen follen, die göttliche Zeugung niet 


323 


mit der irbiichen, die Freuden des ewigen Lebens, nach denen wir trachten, 
nicht mit den Freuden der Welt in Vergleichung zu bringen, auf daß fie 


fih vom Alchoran zum fichern, geiftigen und göttlichen Evangelium Ehriftt 
binwenden. 


Bweites Dud. 


1. 


Bon der myftifhen Theologie, nah welder Gott unaußs 
ſprechlich if. 

Ich jchreite jegt zur Erklärung der Dreieinigfeit, die wir in der Gottheit 
anbeten, und zeige, daß der Alchoran, richtig ausgelegt, der Dreicinigfeit, 
wie wir Chriften fie nah dem Evangelium glauben, nicht widerſpreche. — 
Es könnte vielleicht ein Araber jagen: wir, die wir den Alchoran als 
Wort Gottes verehren, und den Glauben an Einen Gett, den Echöpfer 
des Als, der ohne Theilnehmer, Genoſſen, PVielheit, ohne einen Eohn 
oder Söhne ift und ohne Jegliches feines Gleichen, während die Chrijten 
von einer Bielheit Gottes des Waters, Gotted des Eohnes, und Gottes 
des hl. Geiſtes reden, widerfprehen dem Evangelium nicht, daher ziehen 
die Mufelmannen mit Recht den Alchoran dem Evangelium vor. Die 
Ehalifen in Bagdad, wo die hohe Schule diefer Sefte ift, verbieten, daß 
man über Evangelium und Philofophie Worlefungen halte. Denn fie 
hatten die Erfahrung gemacht, daß diejenigen, welde das Evangelium 
Audierten, Chriſten geworden, daß ein chriftgewordener Chalife das Kreuz 
ſteis heimlich auf feiner Bruft getragen habe, und die Philofophen den 
Achoran verlachen. 

Im 11. Kap. des Alchoran wird Ehriftus genannt Jeſus, der Eohn 
Martens, Gottes Gefandter und Geift, das Wort, das Marien vom 
Himmel gefandt wurde, Wer alfo an Gott und diefen feinen Gefandten 
glaubt, fage nicht, es feien drei Götter, da nur Ein Gott ift, der feinen 
Sohn Hat, deffen Allmacht Alles im Himmel und auf Erden unterworfen 
iſt. Chriſtus ſelbſt und die der Gottheit nächſten Engel werden am 
wenigften läugnen, daß fie Gott unterworfen find. Wir antworten bier- 
auf: das Evangelium verwirft nicht nur alle Vielheit der Götter, fondern 
eillärt diefelbe für geradezu unmöglih. Niemand bezweifelt, daß Gott 
das Princip und der Urgrund von Allem if. Wie fann die Biel 
heit Princip fein, da vor ihr die Einheit oder Einzigfeit (singularitas) 

21* 


324 


ift, die als reines Princip nothwendig ewig ift, weil fie der Anfang, 
nicht das Angefangene ift (quia principium et non prineipiatum)? Jenes 
Urprineip kann nun betrachtet werden ohne Rüdfiht auf das durch dasſelbe 
Begründete (prineipiata), fo daß es nicht mehr Prineip, ald nicht Princiy 
ift. Nah dieſer Betrachtung ift es ſchlechthin unendlich und unbegrenit, 
unbegreiflich, unausſprechlich. Ueber alle Sinnen» und Vernunftserkenut— 
niß erhaben, ift e8 weder Eines noch dreifach, weder gut noch weile, 
weder Vater, noch Sohn, no hi. Geiſt. Es ift den Augen aller Weifen 
verborgen, von feiner Greatur, nur von fi ſelbſt erfannt... Daber 
bewundern und verehren wir ed nur mit Stillichweigen. Won diefem 
unendlichen Gott fpriht der Alchoran 29. Kap.: „Das Ende bieler 
Welt oder den Tag ded Gerichts, der feine Lüge iſt, erwartend, erkenne 
nur den Gott, der feine Grenze bat, aufer dem fein anderer Gott iſt;“ 
und Kap. 64: „Jedes Weltwefen hat feine Grenze, nur die Geſtalt 
des großen und gütigen Gottes iſt unbegrenzt. — Wer leugnet dies?“ 


2. 


Bon der affirmativen Theologie, nach welder Gott dreifad 
und Einer ift. 

Wir finden, daß diefe fihtbare Welt, da fie anders fein könnte, ald 
fie ift, nicht durch fich felbft ift, fonft wäre fie geweien, che fie war. 
Da fie anders fein könnte, größer, Kleiner ꝛc., und ihre Größe eine begrenzte 
it, jo ift fie offenbar dur ein Älteres Prineip das, was fie iftz dieſes 
hat fie jo und nicht anders gemacht. Da dieſes Princip von feinem an 
dern genöthigt fein fonnte, weil Eein anderes vor ihm war, fo hatte und 
bat es die freie Wahl, zu fchaffen und nicht zu fchaffen, wie der Geiſt 
frei ift im feiner Thätigfeit. Wie diefer in fih einen Begriff von dem 
bildet, was er fhafft, jo hat auch Gott in einer göttlihen Kunft oder 
Wiffenihaft das, was er wirfet. Ebenſo hat er das, was er wirft, 
auch in feinem Willen. Wie würde ein Maler ein Gemälde verfertigen, 
wenn er nicht in feinem Geifte die Vorftellung ded Gemäldes hätte? 
Wie fünnte er ed ausführen, wenn er nicht die Keuntniß der Malerei 
hätte, und wenn er nicht wollte? Der Wille ift aber nicht die Kennt 
niß und die Vorftellung oder das geiftige Bild; dagegen was im Geiſte 
(als geiftiges Bild) ift, ift auch in der Kenntniß und im Willen, und 
zwar nicht jedesmal in anderer Weife, fonft wäre ed nicht Eine voll 
fommene Ihätigfeit.... 


325 


| 3. 
Aus der Thätigfeit unferer geiftigen Natur erfennen wir 
die Thätigfeit der göttlihen. 

Diefe edle Beichaffenheit hat unfere geiftige Natur von ihrem 
Schöpfer: wie diefer ald Schöpfer die wirflihen Dinge hervorbringt, To 
der Geift, fein Abbild, durch Denken die Bilder der wirfliben Dinge. 
Gottes Schaffen ift ein Segen von Mefen (creare est essentiare), 
Denken ift Alfimiliren. Da num der Schöpfer vor Allem ein Bild von 
dem hat, was er fchafft, es verfteht zu fchaffen und Schaffen wihl, fo 
it der Eine Schöpfer des AU nothwendig dreieinig, deſſen Bild in 
unferm Geifte, der Eined im MWefen und dreifah in feiner MWirffamfeit 
it, ſich abſpiegelt. So iſt Gott: Vater, Sohn und hl. Geiſt. 
Wegen diefer Trinität nennt Moſes Gott am Anfange der Geneſis im 
Plural: EOrsdR und fagt: „Laffet und den Menfhen machen,” wies 
wohl er anderswo wieder fagt: „Ich bin Gott der Eiferer.* So fagt 
auh im Alchoran Gott: „Wir haben die Menſchen aus vergänglicher 
feuchter Maffe erfchaffen,” und anderswo: „Den Himmel und alles 
Himmlische haben wir nach unſerm Belieben erfchaffen,” wiewohl ed an 
einer andern Stelle heißt: „Sage meinem Volke, ih bin der barnıherzige 
Bott." — Mie Mofes und Mahomed durch den Ausdruck der Mehrzahl 
in dem Edaffen und Wirfen Gotted nicht eine Mehrheit von Göttern 
anerfennen wollten, fo wollen die Ehriften um der Dreieinigfeit willen 
niht vom Glauben an Einen Gott und Schöpfer ablaffen. 


4. 


Vie wir uns von der Fruchtbarfeit unferer geiftigen Natur 
jur Fruchtbarkeit der göttliben Natur erheben. 


Um Did mittelft einer finnlihen Anſchauung zur Fruchtbarfeit des 
Beiftes und von diefem zur Fruchtbarkeit der göttliben Natur zu erheben, 
erwaͤge, daß die unzähligen Städte, Tempel, Schlöffer und Gebäude, 
Gemälde und andere Kunftgegenftände, Sprachen, Künfte und Wiffen: 
haften, füße Harmonien, geordnete Staaten und unzähliges Andere das 
Werk des einfahen, von Gott un gegebenen, unſichtbaren Geiftes find. 
Cie wären nicht fein Werf, wenn fie nicht in höherer Weife zuvor geiftig 
(iveal) in ihm eriftirten.. So erfheint Dir der Geiſt ald ein wahres 
Wunder. Erhebe Dih nun vom Geifte zu feinem und aller Dinge 
Schöpfer, um feine göttliche Fruchtbarkeit zu erfennen, da die Intelligenzen, 
die Himmel, die Sterne, Sonne, Mond, die Elemente, das Werk des 
einfahften und fruchtbarften Echöpfers find. Die Schoöpfung ift das 
Eihtbarwerden Deffen, was immer und ewig in feinem Geifte Er felbft 


326 


war, in feiner Kunft oder Weisheit immer und ewig Er felbft war, im 
Wohlgefallen feines Willens ewig Er felbft, der gepriefene Gott, war. 
Er zeigt die Schäge feiner Herrlichkeit aus reiner Güte, vwole ein reicher 
Geiſt die Schäge feiner Einfiht zur Offenbarung feiner Herrlichkeit fund 
gibt und mittheilt. So hat auch Gott der einfachfte, der unausſprechlich 
reihe, ſchöne und in fih felige, alle liht» und ideenreihen (formis 
plenas) Intelligenzen, alle heilleuchtenden Sterne, alle lebenden Weſen, 
alle füßen Gerüche und Düfte, alle ſchönen Blumen xX. erihaffen. 


5. 
Analogie (manuductio) aus den Weltwefen zur Erfenntniß 
Gottes ald des Dreieinigen. 


Da Mahomed in feinem Glauben an Gott, den Schöpfer des AI, 
von demfelben nothwendig ausfagt, wad die Ehriften über die Dreifal— 
tigfeit defjelben glauben, fo fage ich, damit jeder Araber fih in feinem 
Glauben zur göttlihen Fruchtbarkeit, Geburt und Liebe erheben 
fann, daß diefe Welt ohne Fruchtbarkeit, Geburt und Liebe nicht beftchen 
fannz fie müßte nothwendig zergehen (deficere). Durch jene drei ift fie 
Eine Welt. Fruchtbarkeit, Geburt und Liebe find nicht — jedes eine 
andere Welt, fondern fie find zufammen Eine und diefelbe Welt, fo daß 
nichts von der Welt ohne fie ift (sic sunt unius mundi, ut nihil mundi 
sit sine illis). An der Fruchtbarkeit, Geburt und Liebe participiren aber 
die Engel engelmäßig, die Menſchen menschlich, die Thiere thierifch, die 
Vegetabilien vegetabilifh, die Mineralien mineraliih, die Himmel bimm: 
liſch, die Sonne fonnenartig, die Geifter geiftig, jedes in feiner Weile. 
Woher hat es nun die Welt, daß fie nothwendig fo dreieinig als Eine 
ift, außer von ihrem Schöpfer? Wenn alfo die Welt ohne diefe Trinität 
weder ihre Natur hätte, noch ihre natürliche Vervollkommnung, nod den 
Segen vom Schöpfer, wenn die Dreieinigfeit in der dreieinigen Einheit 
ihred Weſens ſich abipiegelt, wie follte der Schöpfer die Vollkommenheit 
nicht haben, die er doch allen Wefen verleiht, auf daß fie möglichft vol: 
fommen feien? Gott ift alfo dreieinig, der die Welt dreieinig ald 
fein Ebenbild erfhaffen bat. Die Fruchtbarkeit ift der Vater, die 
Geburt diefer Fruchtbarkeit ift der Sohn, die Liebe ift die Verbindung 
Beider — der hl. Geiſt. 


6. 
Analogie von der Trinität des Geifted zu ber ber 
Gottheit. 
Um in der Gott ähnlichen Greatur fein Bild zu erfennen, wollen 
wir die geifiige Natur betrachten. Wie viele Theorien über die Wahr 


327 


heit hat die Fruchtbarfeit des Geiſtes jchon gefhaffen? Wie viel geiftiger 
Genuß ift daraus entftanden, wie viele Beratung der Weltfreuden? In 
der geiftigen Natur ift eine Fruchtbarkeit, die aus fih dad Wort oder den 
Begriff erzeugt; aus Beiden geht die Umarmung oder der Wille hervor. 
So wenig man das licht, was man nicht weiß, jo gewiß erzeugt der 
Geift und die Erfenntnig den Willen, das Streben. Dies führt und 
wieder zum dreieinigen Gott. Gott ift nicht unfundig feiner ſelbſt. Er- 
fennt er fih, fo erzeugt er auh das Wort oder den Begriff von ſich 
jelbft, und beide find in Liebe verbunden. Das Wort ift von der 
Selbfterfenntniß Gottes verfchieden und doch nicht anderer Weſenheit. ... 


7. 
Analogie aus dem Wefen.der Liebe. 


Damit alle Vernünftigen einfehen, daß wir, die wir an bie 
Trinität glauben, vernünftig verfahren, wollen wir durd ein anderes 
Beifpiel zu demfelben Ergebniffe gelangen. Jedermann fieht ein, vaß 
die Liebe zum Beftande der Welt durchaus nothwendig iſt; ohne fie 
fönnte die Welt nicht beftehen. In allen lebenden und in den geiftig 
lebenden Weſen, in Allem, was ein Fürfichfein hat, findet ſich die Liebe, 
in jedem auf feine Weile; können wir die Liebe Gott abfpreden, welcher 
der Schöpfer der Liebe ift? Sagen wir alſo, Gott habe Liebe, fo ift er, 
was er hat, er ift das Weſen der Liebe. Weil aber die Liebe einet, fo 
gehört die Einheit zum Weſen der Liebe. Die Liebe erzeugt aber 
aub die Gleichheit ihrer felbft, die Liebe, weßhalb man jagt: willft 
du geliebt fein, fo liche. Aus Beidem geht ihr Band, die verbindende 
Liebe hervor. Die Liebe ift die Berbindung ded Vaters und des 
Sohnes, von welchen fie ausgeht. Die Einheit ift vor der Vielheit, die 
Gleichheit vor der Ungleichheit, die Verbindung vor der Trennuung, fomit 
ewig. Mehrere Emwigfeiten kann es aber nicht geben, daher ift die Drei- 
einigfeit Eine Ewigfeit. 


8. 
Erflärung (declaratio) der heiligen Dreieinigfeit. 


Es ift nun Far, daß, wer nicht einfieht, daß das Richtandersfein 
nicht das Identiſche ift und das Nichtidentifche nicht ein Andersjein, auch 
nicht faſſen kann, daß die Einheit, Gleichheit und ihre Verbindung Dasfelbe 
in der Wefenheit, aber nicht Dasfelbe unter ſich betrachtet find. Daher 
begreifen fie die Trinität in der Gottheit nicht, außer in drei Göttern. 
Chriftus hat uns aber belehrt, daß Gott der Bater lebendig made und 
daß auch der Geift, der von Beiden ausgeht, lebendig made, wie man 
im Evangelium des h. Johannes leſen kann. Deßhalb find aber nicht 


328 


drei Leben gebende und drei belebende Götter. Wer dies nicht begreift, 
hat offenbar feinen vollfommenen Begriff von dem vollfommenflen Gott, 
fondern man erdichtet ſich einen Gott, der nicht der allerglüdfeligfte if, 
feine Natur und Wefenheit hat (innaturalem), unfruchtbar ift, der Süßig— 
feit der Liebe ald Bater, Sohn und Verbindung Beider und der vollen 
Entfaltung der Fruchtbarfeit entbehrt. Man beachtet nicht, daß Gott 
dur Jeſaias gefagt hat: „Sollte ich, der ich Andere gebären laſſe, ſelbſt 
nicht gebären? der ich Andern die Zeugungsfähigfeit gebe, folle unfradt- 
bar fein?” — Die Araber fünnen den Propheten Jeſaias nicht ver 
werfen, da im Nichoran fein Prophet verworfen, fondern alle ange 
nommen werden. 


9. 


Ein wenn auch nur entfernt ähnliches Bild der heiligen 
Dreieinigkeit. 


Bis wir in dieſen Dingen eine Geiſtesgewandtheit haben, müſſen 
wir zu einem Bilde (aenigma) unſere Zuflucht nehmen. 

Ich ſah zwiſchen runden Ufern ein großes Wafler, ohne Zus und 
Abfluß eines andern Waſſers, immer von gleiher Quantität und ringsum 
fruchtiragende Bäume, Saatfelver und Wiefen ; das Randvolf, das hier 
wohnte, fonnte dad Waſſer nicht genug loben ald das befte, dad es gebe. 
Ich wunderte mich, daß es ſich nicht verminderte, nicht austrodnete und 
nicht fumpfig wurde, da doch fein Büchlein einen Zufluß brachte. Ich 
trat näher und bei forgfältiger Unterfuhung fand ib, im der Mitte fei 
eine Duelle, die aus einer Strömung, die vom Gentrum zu fommen 
ſchien, berrühre, und dachte: das ift wohl der Grund, warum fich dieſes 
Waſſer nie vermindert, während e8 doch der ganzen Umgebung Vegeta— 
tion bereitet. Wiewohl es an den Ufern bin ftagnirt (ſtille fteht), fo 
ernenert es ſich doch beftändig, weil es aus einer Quelle hervorkömmt. 
Das Waffer war alfo Quelle, Fluß (Strömung) und Stagnation (ftilles 
Wafjer) und zwar gleibmäßig, weil es das Eine nicht mehr, als das 
Andere war. Im ftillftehenden Wafler fah ich die Strömung und die 
Duelle, dob war die Quelle nicht die Strömung nod das Stillftchende, 
die Strömung nicht die Duelle noch das Stillſtehende, das Stillſtehende 
nicht Die Duelle no die Strömung. Ich begriff Died aber erft, als id 
geiftig die Quelle aus fi die Strömung hervorbringen ſah. Beide diffe— 
riren aljo wie der Erzeuger und das Erzeugte, wie Vater und Sohn. 
So kaun aub das Etrififtehende nicht der Fluß oder die Duelle fein, 
aus welden es hervorgeht. Ich ſprach bei mir: die Duelle tft die Eins 
heit, die Strömung — die Gleichheit, das Stillſtehende die Verbindung 
beiver, Erhebe ih mid von diefem Bilde ind Gebiet des Ewigen, fo 


329 


begreife ich es als das Dreicinige. Im Alchoran fteht, alles Lebende 
fi aus dem Wafler. Wenn num jenes Waſſer feiner ganzen Umgebung 
Vegetation verleiht, wie viel mehr gibt der Schöpfer dieſes Waſſers allen 
Greaturen Alles, ohne Verminderung feiner felbft! 


10, 
Analogie aus drei PBerfonen. 

Die Menjchheit und der (einzelne) Menſch find nicht identiſch, wohl 
aber Gott und die Gottheit. Es gibt weder mehrere Gottheiten, noch 
mehrere Götter. In der Menfchheit find nur drei Perſonen: ich, du, er, 
die gleich find im Menſchſein. Woher hätten fie dies, wenn nicht aud) 
Gott dreifach in den Perſonen, einfach in der Wefenheit wäre? Gott 
fann fagen: ich bin Gott, du bift Gott, er ift Gott von gleicher Gotts 
beit. Diefe drei Perfonen find aber nicht drei Götter, fondern nur Ein 
Bott. — 


11. 
Die Araber müjfen nothwendig die Dreieinigfeit befennen, 


Wenn die Araber nicht freiwillig die Trinität im Göttlichen zugeben, 
jo wird ihnen aus dem Alchoran, den fie doch für ein Buch der Wahr 
beit halten, nachgewieſen, daß Gott einen Genoffen habe. Dort ſpricht 
Gott zu Mahomed: „Dir, der du Geſetz und Schrift nicht fannteft, 
ſchickten wir unfern Geift und verfhafften dir dadurch Erleuchtung.“ 
Dann wieder: „Der gepriefene und ganz gerechte Geift hat dein Herz 
durhörungen, daß du mit ihm ausgerüftet die Araber zurechtweifeft.* 
Chriftus nennt er befanmtlich Zefus, den Sohn Mariens, den Gefundten 
Gottes, und deſſen Geift das Wort, das Marien vom Himmel gefandt 
wurde. Ferner: „Gott und fein gepriefener Geift haben dieſen Alchoran ' 
verfaßt.” Da nun der Geift Gottes feine Ereatur genammt werden kann 
md der gefendete Geift nicht durch fich jelbft gefendet ift, jo muß man, 
wenn man nicht jagt, er fei die dritte Perſon in der Gottheit, vom Vater 
und Sohn gefendet (weil er in der Mehrzahl von den Sendenden fprict), 
nothwendig mehrere Götter annehmen (mas doch ganz gegen die Tendenz 
des Alchoran if). Auch das Wort Gottes kann feine Greatur fein; denn 
durch das Wort Gottes iſt Alles erſchaffen worden. Das Wort Gottes 
it alfo Gott. Iſt es Gott und doch nicht die zweite Perſon, der Sohn, 
ſo fommt man wieder auf mehrere Götter, das Wort Gottes ift ein 
Genofje Gottes (particeps Deo). Die Araber müffen alfo an die 
Trinität glauben, fonft find fie Ungläubige. 

Es läßt fih auch fo beweifen: Ihr gebet zu, das Evangelium fel 
ein ganz Mares und wahres Bud. Im dieſem fteht nun, es fei Ein 


330 


Gott, Vater, Sohn und heiliger Geift. Hiegegen Fönnet ihr nicht ans 
führen, da das Evangelium von feiner geringern Auctorität ald der Al, 
choran ift, wie diefer felbft behauptet. 

So viel von der heiligen Dreieinigfeit. 


12. 

Ehriftus ift wahrhaft geftorben und gefrenzigt worden. 

Es bleiben nun noch einige nicht unerheblihe Abweichungen des 
Alchoran vom Evangelium zu erläutern übrig. 

Im 11. Kapitel des Alchoran flieht, Chriſtus ſei micht geftorben, 
fondern ein Chrifto ähnliches Subject hätten die Juden aufgehängt, 
Chriſtus aber nicht getödtet; der unergründbare, weile Gott habe ihn zu 
fih hinüberwandern laffen (transmigrare fecit), An ihn werben bie 
Männer des Geſetzes vor ihrem Tode glauben und in der Zufunft wird er 
als ihr Zeuge vor ihnen ftehen. Allein das Evangelium und alle Schriften 
der Schüler, die MWeltgefchichte lehrt einftimmig, Chriſtus fei nicht nur 
geftorben, fondern auch fo geftorben, wie es die Propheten voraudgefagt 
hatten. Da nun nad den Schriften der Späteren der Alchoran nicht fo 
verftanden werben fol, als widerfpreche er fih, da er dad Evangelium 
und die Propheten anerkennt, fo fragt es fih, was er mit dem Borer- 
wähnten fagen will. Suchen wir zuerft dad dem Evangelium Conforme 
auf, die Etelle: zulegt werde Ehriftus der Eine Hirt und die ganze Welt 
der Eine Schafftall desjelben fein. In Uebereinftimmung hiemit lehrt ver 
Alchoran, alle Männer des Geſetzes, des alten wie des neuen und des 
arabifchen, würden vor dem Tage des Gerichte an ihn wahrhaft glaus 
ben. Die ganze Tendenz des Alchoran ift der Glaube an Einen Gott. 
Somit trennt er in der Behauptung: alle Gefepeöverehrer werden an 
Ehriftus glauben, diefen von der Gottheit nicht, er erflärt ihn ſtillſchwei— 
gend für göttliber Natur. So fagt aud im Evangelium Ehriftus, wer 
an ihn glaube, glaube an den, der ihm gefendet. Sodann nehmen 
Evangelium und Alchoran im legten Gerichte den gleichen Richter und 
Zeugen an, der nach dem Evangelium Ehriftus if. Da aud der Alchoran 
dies ſtillſchweigend zugibt, wenn er Chriftus den Zeugen feiner Getreuen 
in der Zufunft nennt, fo erfennt er ihn auch ald den Richter an. Nah 
dem Alchoran ift aber nur Gott der Schöpfer der Richter. Der Menſch 
Chriſtus ift alfo als Richter auch Gott. Der Alchoran fagt im 45. Ka— 
pitel: „Gott, Schöpfer von Allem, du wirft mit den ermordeten Pro 
pheten dich nahen und Alles in der Mahrheit richten.“ Wenn Gott in 
Geſellſchaft der ermordeten Propheten richtet und Chriftus, der über allen 
Propheten fteht, im Gerichte nicht fehlt, fo iſt er alfo aud mach dem 
Alchoran im Gerichte der oberfte aller Propheten, die Wahrheit ſelbſt— 


331 


das wahrhaftige Wort Gottes, durch das Alles gerichtet wird, weßhalb 
das Evangelium mit Recht fagt, Gott der Vater habe das ganze Bericht 
dem Sohne übergeben, weil er auh Menſchenſohn if. Gemäß feiner 
menſchlichen Geftalt urtheilt er, daß die ihm ähnlichen Menſchen Kinder 
Gottes feien, wie er, und fo werden fie denn auch Kinder der Unfterbs 
lihfeit fein, daß dagegen die ihm Unähnlichen Kinder des ewigen Todes 
feien. Nach einer milden (pia) Auslegung hat der Alchoran diefe Ges 
heimnifje nur den Verftändigen (sapientibus) offenbaren wollen. Daher 
jagt er, er verfchweige fein Geheimniß; nur für die Verſtändigen fei er 
leibt, für die Andern fchwer zu verftehen. Die ungebildeten Araber, 
welche der Alchoran die fhlimmften unter allen Ungläubigen nennt, durfs 
ten nicht offen über jene Geheimnifje belehrt werden. Hätte Mahomed 
ihnen einfach das Evangelium gepredigt und fein befondered Geſetz geges 
ben, fo wären fie zum criftliben Geſetze übergegangen, das fie beinahe 
600 Zahre lang verworfen hatten. Er belehrte fie daher, fie ſeien Js— 
maeliten ımd ſtammten von Abraham; fowohl Juden ald Ehriften vers 
ehrten diefen Patriarchen und hätten feinen Glauben, durch ten er fo 
Großes von Gott in diefer und der andern Welt erlangt habe. Wenn 
die Heiden, welde Abraham nachfolgen, ihre Götzen verwerfen und entweder 
Mofis oder Ehrifti Gefeg annehmen, fo müßten fie, die aus Abraham 
ftammen, ſich um fo beſſer halten. Gott habe ihnen Mahomed als feinen 
Gefandten auserwählt, der weder Jude noch Ehrift gewefen, da er vor 
beiden gelebt. Er verwarf die Gögen und wandte fi zur Anbetung 
des wahren Gottes hin. So bradte Mahomed Viele zur WVerwerfung 
des Gögendienfted, wozu fie vorher das Evangelium nicht gebracht hatte, da 
die evangelifhe Vollkommenheit ihnen zu ſchwer ſchien. Auch lehrte ver 
Alchoran, daß diejenigen, welche den chriftlihen Glauben annehmen, aber 
die Gebote nicht halten, mehr als alle Andern Gott beleidigen und in 
der Hölle die größten Etrafen leiden. Daher verbarg ihnen Mahomed 
die Geheimniffe ded Evangeliums, von denen er glaubte, daß fie jpäter 
den Berftändigen befannt würden. So blieb ja auch das Evangelium 
am Anfange Bielen dunfel und unbefannt, bis es nah und nach befjer 
erfannt wurde. Wäre das nicht nützlich geweſen (nisi hoc expedivisset), 
jo hätte Chriftus zu dem Wolfe nicht in Gleichniffen geredet. 


13. 
Chriſti Kreuzigung ift feine Erhöhung und Verberrlihung. 
Menden wir und nun dem Myfterium des Todes Ehrifti zu, um zu 
erkennen, wie es wohl zu verftehen fei, Chriſtus ſei nicht am Kreuze ges 
forben. Fürs Erfte ift ausgemacht, ed flimme mit dem Evangelium 
überein, daß Ehriftus lebt. Lebt er und wird feine Wiederfunft erwartet, 


332 


um alle Männer des Geſetzes zu befehren, fo iſt Mar, daß die Ehriften, 
die fein Evangelium angenommen haben, Fein andered Evangelium ans 
nehmen werben, da jenes auch nach dem Alchoran vollfommen if. Wenn 
dagegen Andere Schriften folgen, weldye dem Evangelium widerfprecen, 
fo müflen fie diefe verwerfen und das Evangelium annehmen. Dann 
erft werben fie auf dem rechten Wege fein. Es ift daher ganz unge 
reimt, wenn die Araber die Verehrer des Evangeliums aus dem Grunde 
verfolgen, weil der Alchoran nad ihrer Auslegung mit dem Evangelium 
nicht übereinftimmt. In dieſer Verfolgung der Gläubigen und des im 
Alchoran ſelbſt gebilligten Evangeliums handeln fie vielmehr gegen den 
Alchoran. Bielleiht fagen fie: in dem Glauben, Chriſtus, das Wort 
Gottes, fei durch die treulofen Juden an's Kreuz geheftet worden, ſeien 
die Chriften nicht Chriften, fondern Gottesläfterer. Die Chriſten ant- 
worten hierauf: der erft gegen 600 Jahre nad dem Tode Ehrifti ver- 
faßte Alchoran beftätigt das Evangelium, das um die Zeit des Todes 
Ehrifti geichrieben wurde, und die Propheten, welche von dem Tode Ehrifli 
weifjagten, Chriſtus werde zu der Zeit fommen, in der er auch wirklich 
fam, er werde fo handeln, wie er handelte, fo fterben, wie er wirflid 
geftorben ift. Es verdient Beachtung, daß der Engel Gabriel dem Daniel 
offenbarte, nab 62 Wochen müſſe Ehriftus getödtet werden, wie man 
bei Daniel 9. Kapitel liest. Das hat alfo derfelbe Engel Gabriel ger 
offenbart, von welchem Mahomed fagt, er habe ihm den Alchoran mit 
getheilt. Wie reimt es fih nun, daß Gabriel auf Befehl Gottes dem 
Propheten den Tod Ehrifti vorausfagte und ihm nad Umfluß dieſer Zeit 
fagt, er ſei nicht geftorben, indem er Gott und fih zum Lügner madt? 
Erwäge auch, daß Ehriftus vor feinem Tode feinen Tod am Kreuze den 
Jüngern voraudfagte. Co behaupten es einftimmig die Geſchichtsbücher 
jener Zeit, fo haben alle Ehriften, Juden und Heiden vor Mahomed 
gegen 600 Jahre lang geglaubt. Man darf aljo wohl annehmen, daß 
man, wenn der Alchoran died verneint, dem Evangelium glauben muß, da 
jener feinen Grund für feine Behauptung beibringt. — Einige fagen, dem 
Berfaffer des Alchoran babe die Kreuzigung wohl eine Läfterung ge 
ſchienen, man dürfe fie von einem fo großen Propheten nicht annehmen, 
da fie ihm micht zur Ehre gereicht hätte. In diefem Falle bat er dad 
Myſterium ded Kreuzes Chriſti nicht verftanden. Die Kreuzigung Chrifti 
ift feine Erhöhung und Verherrlihung, die Rechtfertigung und das Leben 
der Chriſten und die Auferftehung aller Menſchen. Viele Könige und 
Fürften haben die Chriften wegen ihrer Verehrung eines Gefreuzigten 
verfpottet und verfolgt, wie Egeas in Achaia Andreas, den erflen Jünger 
Ghrifti, Andreas erflärte jenem, dies fei die Folge feiner Unfenntnif 
des Myſteriums des Todes Chriftt am Kreuze, den die Heiden nicht zu 


333 


fafjen vermöcten. Als der Apoftel Paulus vom Kreuze Chriſti prebigte, 
das den Juden ein Wergerniß, den weltweifen Griehen eine Thorheit 
war, ſchwieg er nicht, bis er das Geheimniß der Erlöfung den Ehriften 
enthüllt hatte. Hätte der Alchoran den Arabern die Kreuzigung Chrifti, 
ohne zugleih das Geheimniß aufzuſchließen, offen gelehrt, jo hätte er in 
ihrem Sinne Chriftus nicht verherrlicht. Nach einer mildern Auslegung 
wollte er wohl den jhmählihen Tod Ehrifti den Arabern verbergen und 
daber lehren, er lebe noch und werde wiederfommen. Er hätte aud) 
line Auferftehung vom Tode, vermöge der Gewalt, die er nach feiner 
Ausfage im Evangelium hatte, jein Leben hinzugeben und wieder zu 
nehmen, nicht lehren können, außer wenn er ihn nicht als einen bloßen 
Menſchen, jondern auch als Gott auffaßte, welches Lebtere aber nad) 
dem Alchoran mit der Einheit Gottes im Widerfpruh war. Auch paßte 
ed, wie ich fogleih zeigen werde, jonft nicht zu feinem Glauben, zu 
Ichren, Chriſtus fei bereit8 vom Tode auferftanden, weßhalb er vermuth- 
lich ſo geiproden hat. Er ſpricht indeß in einer Weile, daß die Vers 
ſtaͤndigen wohl zwiſchen den Zeilen lefen Celicere) fünnen, das Evange- 
lium habe das Wahre. 


14. 


Nah dem Alchoran hat Bott die Seele Ehrifti an fid 
gezogen, ihn aus dem Leibe wandern (transmigrare) 
laffen und zu [ih hinüber genommen. 

As die Ungläubigen mit Chriſtus treulos zu verfahren anfingen 
und ihn durd den Tod zu vertilgen trachteten, wurden fie nad dem Als 
choran hintergangen. Denn der Schöpfer redet dort Chriſtus aljo an: 
„Indem ich deine Seele an mich zog und erhöhte, habe ich dich von den 
Ungläubigen befreit." Dann anderdwo: „Gott ließ Chriftus aus deſſen 
keibe zu ihm auswandern.“ Und wieder: „Gott hat Chriſtus an fi 
angezogen (assumpsit)”. Die Chriften geben died Alles zu: denn als 
Jeſus nach dem Evangelium mit lauter Stimme am Kreuze zu feinem 
Vater rief, warum er ihn verlaffen habe und beifügte, er empfehle feinen 
Geift im feine Hände, den er unter diefem Rufen aufgab, da bewahrheitete 
ed ſich, daß Gott feine Seele an fi gezogen habe. Denn Seele und 
Geiſt find Ein und dasſelbe. In der Auferftehung erfüllte fih das Hins 
überwandern (transmigratio); denn fie war der Uebergang durch den Tod 
zum unfterblihen Leben. So ließ ihn Gott zu fih, der allein in der 
Unfterblichfeit wohnt (qui solus habitat immortalitatem), hinüberwandern, 
was die Chriften Peihah nennen, von welchem auch ver Alchoran redet. 
In der Himmelfahrt Chrifti vollzog fih fein Hinaufgenommenwerden 
(assumtio). — Nah Mahomed haben die Juden nicht Chriftus getödtet, 


334 


fondern einen Andern, der ihm ähnlih war, und nirgends erwähnt er ver 
Kreuzigung. Vielleicht wollte Mahomed alfo argumentiren: Chriftus lebt, 
alfo ift er durch die Juden nicht getödtet worden, denn wie fönnte er fonft 
leben, außer durch die Auferftehung ; diefe ift aber noch nicht erfolgt, 
fondern erfolgt erft in der Zufunft. Bor diefem Tage der Auferftehung 
muß Alles, was") Leben hat, feien es Engel oder Menſchen oder andere 
lebende Wefen, fterben, damit die allgemeine Auferftehfung und Wieder: 
funft (reditio) erfolgen fanı. Somit war Chriftus, der, wie audgemadt 
ift, lebt, nie getödtetz er wird jedoch einmal fterben und am Tage der 
Auferftehung auferftehen. Das ift der Glaube Mahomeds, der im Al: 
choran, wiewohl nur da und dort vorfommt. Gleichwohl fagt er Kap. 48: 
„Beim erften Poſaunenſchall verfällt Alles dem Tode, was nicht bie 
Rechte Gottes beihüßt, beim zweiten lebt alles wieder auf.” Tas ift 
wegen des Folgenden wohl zu merken. Mahomed lehrt auch, nur Gott 
fei der Auferweder der Todten; von den ſchon Auferwedten und den noch 
Aufzuerwedenden dürfe man nicht glauben, fie ſeien bereit von den Tod 
ten auferftanden. Sie müffen daher vor dem Tage der Auferftehung noch 
einmal fterben. Auch liegt nah ihm zwilhen dem Todestage und dem 
Tage der Auferftehung feine wahrnehmbare Zeit zwifhen inne. Wenn 
Abel, Adams Sohn, der erfte Geftorbene, auferfteht, fo wird er meinen, 
er fei nicht länger todt gewelen, ald derjenige, welder kurz vor dem 
Tage der Auferftehung ftirbt. Im 55. Kap. heißt ed: „Am Tage des 
Gerihtes, an welchem Jedem unfer Gebot offenbar wird, wird Jeder 
heranfommen, als hätten fie nur Eine Stunde eines Tages ſich verweilt.“ 
So auch Kap. 25 und an vielen andern Stellen. Die mittlere Zeit 
zwifchen dem Tode und der Auferftehung bringt er nicht in Anfchlag, ob— 
obwohl er fagt, daß diejenigen, die für Gott zu fterben ſcheinen, nicht 
wirflih fterben. So fagt au der Alchoran: „Niemand halte die aus 
Gehorfam gegen Gott Gefallenen für tobt, vielmehr für gefund und lebend.” 
Ein andersmal: „denen, die aus Gehorfam und LXiebe zu Gott in den 
Tod gehen, naht fi die göttliche Liebe und gewährt ihnen Freuden.” 
Und wieder: „die auf den Wegen Gottes fterben, darf man nicht für 
todt halten; erfreut von der Güte und Liebe Gottes leben fie bei Gott, 
harrend ihrer Hinterbliebenen, nichts fürchtend.“ Obwohl daher Mahomed 
fagt: „iede Seele (anima) wird den Tod foften”, fo folgt er doc dem 
Evangelium, welches fagt, man dürfe Die nicht fürchten, welche nur ben 
Körper, aber nicht die Seele tödten fünnen, wohl aber Den, der außer 
dem Leibe auch die Seele in die Hölle ftürzen kann; er folgt den Büchern 
der „Weisheit“, nach welchen die Gerechten, wenn fie auch in den Augen 


1) Im Terte: omuis, quo vitam habent, flatt omnia, quae v. h. 


335 


der Unverftändigen zu fterben fcheinen, dennoch leben und im Frieden find. 
Nichtsdeſtoweniger müffen die Seelen Solcher (nah dem Alchoran) fier- 
ben, damit fie bei der allgemeinen Auferftehung, welche er den Tag der 
Wahrheit nennt, auferftehen. Denn es beißt im Alchoran: „Am Tage 
ver Wahrheit, an welchem die Seelen und Engel auferftehen.“ Und in 
den Lehren an Abdalla: „An jenem Tage wird Gott dem Engel des Tor 
des befehlen, jede lebende Greatur zu tödten: alle Engel, Teufel, Mens 
ſchen, Vögel, Filche und Thiere des Waldes und Feldes. Alles ift todt, 
außer Gott." Er fügt bei: „Zulegt wird Adriel, der Todesengel, fi 
jelbft tödten.” Dann folgt die Auferftehung. „Raphael nimmt die Pos 
faune, die 500 Jahre fang ift, er fteht in Serufalem, bläst in fie und 
bläst alle ihm inzwifchen anvertrauten Seelen hinaus, die zu ihren Körs 
pen eilen.“ — Nach diejer Anficht ift ed gewiß, daß Chriſtus von den 
Juden feiner Seele nach nicht getödtet wurde; denn fie hätten ihn wegen 
keines Gehorfams gegen Gott getödtet, und ald Solcher darf er nicht für 
todt gehalten werden. Daß die Juden Ehriftus gefreuzigt haben, ift (nad) 
dem Alchoran) ganz irrig; was aber im Alchoran dabeifteht: „indem fie 
ih al8 die Urheber (auctores) feined Todes befennen, fühlen fie in 
ihrem Junern eine nicht geringe Bellommenheit (ambiguitatem), allein 
getötet haben fie ihn nicht,“ ift wohl zu beachten. Nach diefen Worten 
ibeint nicht geläugnet zu fein, daß die Juden nicht die Urheber des Tos 
des Ehrifti fein fönnten, wenn fie ihm auch nicht getödtet haben. Der 
Achoran läugnet alfo die Kreuzigung Chriſti nicht ganz und gar (in toto), 
die Pilatus, wenn auch nicht die Juden, vornehmen laffen fonnte, fo wie 
es im Evangelium fteht. 


15. 
Bon der Auferfiehung Jeſu Ehrifti. 

Daß Ehriftus ohne Leiden (expers malorum) geftorben und durch 
ine eigene Kraft lebendig auferftanden tft, fheint aus dem 28. Kay. 
des Alchoran flar hervorzugehen, wo Ehriftus unter Anderem alfo fpricht: 
„Bott hat mich als Einen, ver frei von Leiden ift, erfchaffen; über mir 
ruht die Hand Gottes (divina salus) am Tage meiner Geburt und 
meines Todes, aus welchem ich lebendig hervorgehe.” Dies ift ein wah- 
rd Wort über Ehriftus, den Sohnes Mariens, worüber jedoch Viele vers 
ſchiedener Anficht find. Beachte, daß von dem Tage ded Todes, nicht 
von dem der allgemeinen Auferftehung, die er anderewo auf Johannes, 
den Sohn des Zacharias, anwendet, die Rede if, wenn er fagt, die Hand 
Gottes ſei über Johannes am Tage feiner Geburt, des Todes und der 
Auferftchung. Sch verftehe daher jene Stelle jo, Chriftus fei vor der 
allgemeinen Auferfiehung geftorben und wieder auferftanden, wie es das 


336 


Evangelium lehrt. Es ift demnad nicht wahr, Chriftus und alles Lebende 
fterbe beim Schale der Poſaune oder durch den Todesengel Adriel, wie 
in der Lehre Mahomeds zu leſen if. Zur Berichtigung diefer Behaup 
tung wird daher Kap. 42. beigefegt: „Alles unterliegt dem ode, außer 
was die Hand Gottes beſchützt“. Wenn irgend Einer, fo ift Chriſtus 
dieſes Schutzes würdig; ja er felbft ift jene rechte Hand Gotted oder 
Macht, durch welche Gott Alles gemacht hat und noch macht. Bon Br 
lang ift auch, was man in der Chronif Mahomeds und feiner Nachfolger 
liest, Maria, die Mutter Jeſu, babe diefen fünf Jahre überlebt und 
54 Jahre gelebt. 

Doch faget mir, ihr Gejegesfundige der Araber! Wenn die für Gott 
Gefallenen nicht todt find, weil fie bei Gott leben, fo werben ihre Seelen 
getrennt vom Körper leben. Müſſen num ihre Seelen am Tage des 
Todes alles Lebenden fterben? Saget ihr: ja, fo erwiedere ich: wird 
nicht ein Freund Gottes, der auf den Wegen Gottes wandelt, wenn er 
an jenem Tage durch den Engel Gottes getödtet wird, ebenfowenig feiner 
Seele nad fterben, wie wenn er ſchon längft getöbtet worden wäre? Si 
dem fo, fo wird ein Solcher alfo der Seele nah am Tage ') der allge 
meinen Auferftehung nicht tobt fein, fomit auch nicht die früher für Gott 
Gefallenen, weil die ja in feiner ſchlimmen Lage fein werben. Die Seel 
aller Diefer wird daher nie fterben und auferftehen, wiewohl ber ganze 
Menſch, beftehend aus Seele und Leib, welcher todt war, auferftchen 
wird. Da e8 nicht angeht zu fagen, die todte und ganz erlofchene Seel 
des Eünderd werde von Gott wieder zum Leben erwedt, damit fie ewig 
in der Hölle brenne, fo ift offenbar die Lehre Ehrifti wahr, die Seck 
fönne nicht getödtet werden. Es muß daher die Etelle im Aichoran: 
„Alles ift todt außer Gott” im Verhältniß zu Gott verftanden werden, 
der allein in der Unfterblichfeit wohnt (inhabitat immortalitatem), durd 
welden alles Lebende infoferne lebt, inwieferne Gott ihm Leben verleiht. 
Gott verleiht aber der vernünftigen Seele die Freiheit, in Folge deren fie 
gerichtet wird, wenn fie den Irrthum der Wahrheit vorziehtz fie fann 
daher nicht untergehen, da fie dem göttlichen Gerichte unterworfen if 
(cum sit subjeetum divini judieii). Da die vernunftlofen lebenden Weſen 
nicht gerichtet werden fünnen, und es daher nicht nothwendig ift, daß fie 
zum Gerichte auferftchen, fo würden fie umfonft auferſtehen. Wie jollten 
fie auferwedt werden, da die vorige Seele doch nicht mehr in ihren Koͤr⸗ 
per zurückkehren würde, indem dieſelbe durch den Tod ganz erloſchen und 
zu Nichts geworden iſt? Und wie ſollte die reine geiſtige Natur, die 


1) Der Text hat: Non erit igitur ille secundum animam Dei generalis resür- 
rectionis mortuus. Statt Dei ift offenbar zu lefen: die. 


337 


aus Feiner vorhergegebenen Materie erfhaffen wird (cum creetur ex nulla 
praejacenti materia), wie jollte dieje auferftehen? Deßhalb haben Engel 
und Dämonen feine Auferftehung, da fie rein geiftige Naturen und bereits 
gerichtet find. Es müfjen auch nicht alle einft zu richtenden Weſen zu 
Gott, aus dem fie find, zurüdfehren, da es bei ihm fein Vergefien, feine 
Vergangenheit gibt. Somit müflen die Araber jene nicht mit dem Evans 
gelium harmonierenden Säge im Einne des criftliben Glaubens auffafjen. 
Nicht ohne guten Grund nennt der Alchoran das Evangelium oft ein 
ichr helles Licht und den rechten Weg. Unrichtig ift die Behauptung, 
Ehriftus werde noch einmal fterben und zulegt mit den Andern auferftchen; 
wahr ift nur, daß er von den Todten auferftanden ift. 


16. 
Das Myfterium der Geburt und des Todes Ehrifti. 


Um die Urſache des Kreuzestodes Chrifti einzufehen, müflen wir 
vorausſchicken, daß Gott Alles zur Offenbarung feiner Herrlichkeit ers 
ihaffen hat. Da ein unbefannter König in feiner Herrlichkeit ebenfos 
gut für feinen König, als für einen König gehalten wird und aller Ehre 
und Erweife feiner Güte entbehrt, fo wendet er alle feine Thätigfeit 
darauf, daß feine Macht und Herrlichkeit gejhaut und er als ein großer 
König erfannt, geehrt und verherrliht werde. Er gibt fih aber nur den 
mit Berftand Begabten zu erfennen. So hat au Gott geiftige Naturen, 
fähig, feine Herrlichkeit und Wahrheit zu erfennen, gefhaffen, um erfannt 
ju werden, und um bdiefer geiftigen Naturen willen die ganze unter ihnen 
ftehende Welt (cuncta inferiora). Um feiner felbft willen hat er Alles 
gewirkt, wie im 94. Kapitel des Alchoran fteht, er fei der Anfang und 
das Ende aller Dinge. Der Menfh, der unter den geiftigen Naturen 
die umterfte Stelle einnimmt, hat den Geift nur als Potenz (in potentia) 
und bedarf eines andern Actes, der ihn aus der Potenz zur Actualität 
bringt. Er ward ind Paradies gejegt, mit Unfchuld geziert (dotatus inno- 
centia), auf daß er unfchuldig, im Gehorſam gegen Gott lebend, durch 
Gottes Gnade zulegt zur Anfchauung der Herrlichkeit feines Gotted ger 
lange und zum Genuſſe verfelden. Weil aber der freie Menſch durd 
Ücherredung dcs Teufeld es vorzog, mehr durch Wiſſen (per scientiam), als 
durh Unschuld und Gehorfam fih zu erheben (ascendere), verweigerte er 
Gott den Gehorfam, um nah den Verheißungen des Teufeld aus fi 
Gutes und Böfes zu wiffen (ut secundum promissa diaboli esset per 
se sciens bonum et malum). Nach Berluft der Unfhuld wurde er aus 
dem Paradiefe verftoßen. Er, der vorher, wenn er ftandhaft blieb (si 
stetisset) beftändig hätte leben fönnen, wurde fterblih und unwiſſend 

Sqarpff, Nic. v. Cuſa. 22 


338 


(ignorans), Es war ihm nie mehr möglich, mit aller feiner Anftrengung 
zur Unfterblichfeit und Anfbauung der Herrlichkeit Gottes, die Fein Sterb— 
liher fhauen fann, zu gelangen. Es gab fein anderes Mittel, als 
wenn Der, welcher ihn zu diefem Zwede erfchuf, ihn aus Gnade wieder: 
fhuf (denuo gratiose reformaret). Zur Vorbereitung dieſer Wieder 
geburt (ad hanc reformationem aptandam) follte der Menſch an fid vie 
Probe maden (probatus est homo), ob er durch das natürliche, ihm ars 
erfhaffene Geſetz voranfchreiten fünme, Später fam das gefchriebene Geſch 
hinzu und erwedte in ihm die Hoffnung auf die Verheißungen Gotted, 
zuerft im Gebiete des Sinnlihen, dann in dem des Geiftigen. Don allen 
Propheten wurde der von Gott ald Erlöfer aller Menſchen zu fendende 
Meſſias als Fünftig erfcheinend vorausgefagt, welcher, mit der Kraft Gottes 
ausgerüftet, dad Volk Gotted vollftändig reformiren und erlöfen follte. 
Lange erwartet fam er endlich vom Himmel als höchfter Gefandter und 
Gottes Sohn in Menfchengeftalt, arm und unanfehnlid, der Sohn der 
armen Jungfrau Maria in die Welt und ward Jeſus Chriftus genannt, 
Seine göttlihe Kraft und Macht bewies er durch feine himmlische Lehre 
und göttlihe Wunderthaten, damit Jedermann fehe, in ihm wirke Gott 
der Vater, der ihn gefandt, und feine Worte feien Worte ded wahrhaftigen 
Gottes. Johannes, des Zacharias Sohn, legte von ihm das zuverläffigie 
Zeugniß ab. Er verfündete, was er bei feinem himmlischen Vater gejeben. 
Wer feine Worte aufnahm, erfuhr «8 in fih, daß er das wahrhafte 
Wort Gottes fei. Der geliebte Sohn Gottes gab Allen, welde an ihn 
ald den Sohn Gotted glaubten, die Macht, Kinder Gotted zu werben. 
Denn dahin ging al fein Streben, daß man an ihn als den Sohn 
und das Wort Gotted glaube (ut crederetur filius et verbum Dei); 
denn dann würden auch alle feine Lehren angenommen, feine Berheißungen 
über das fünftige Reich Gottes, Auferftehung der Todten und ewiges 
Leben zweifellod geglaubt und feine Gebote befolgt. Wer ſollte noch 
fündigen, wenu er von dem feinen Zweifel zulaffenden Worte Gottes 
weiß, die Sünde bringe den ewigen Tod? Wer follte nicht bis in ben 
Tod gehorfam fein, wenn er vom Worte Gottes erfährt, daß er für ben 
zeitlihen Tod von Gott, dem gerechten Vergelter, das ewige Leben 
erhalten werde? Wie fann der Menfh an den Berheißungen noch zweifeln, 
wenn fein Glaube ihm mit aller Beftimmtheit fagt, es feien Verheißungen 
Gottes? Jeſus fam in die Welt ohne jegliche Begierlichfeit des Fleiſches, 
nicht durch den Willen eined Mannes, dem Tode nicht unterworfen, ber 
wegen der wirklichen Sünde der Stammeltern und wegen der Erbſünde 
aller ihrer in ver Begierlichkeit des Fleifches erzeugten Nachkommen über 
Alle kommt, bei denen ed Gott zuläßt. Der fündenlofe Cinnocens) Jeſus 
war daher frei vom Tode, da er weder in Sünden geboren wurde, noch 


339 


je eine Sünde vollbracht hat. Ueber den himmlifhen Vater, deffen Reich 
und Glorie offenbarte er, was nur er, fein Anderer willen fonnte, da 
Niemand je den Water in diefer finnlihen Welt, in der er unfichtbar ift, 
geliehen hat; er offenbarte fih ald den Weg, die Wahrheit und das Xeben. 
Die Schrift legte er aus, weil fie von ihm ſprach (quoniam de ipso 
erant); durch Wort und That zeigte er, er fei der Arzt gegen alle Kranfs 
heiten ded Körpers und der Seele, auch gegen den Tod felbft. Er Ichrte, 
er jei der König und Meffias, doch fein Reich fei nicht von diefer Welt; 
dieſe Welt, dieſes Leben müſſe man für nichts halten, im Vergleiche zum 
ufünftigen. Nah vielen Zeichen und Wundern, durch die er zeigen wollte, 
man müfle diefed Leben für die Wahrheit und das unfterbliche Leben 
darangeben und Gott felbft bis zum fchmählichen Tode des Kreuzes ges 
borhen, ging er, der, wenn er wollte, unfterblic fein fonnte, in den 
Tod, indem er fo Gott, feinen Water, der es fo wollte, verherrlichte und 
durh feinen unfhuldigen Tod Allen, die ibn im Glauben annehmen und 
in fih ausgeftalten (ipsum inducentibus), das ewige Leben bei ihm 
verdiente. Der volljogene Tod des unichuldigen eingebornen Sohnes 
Gottes, den Diefer in feiner menfchlihen Natur erdulvete, hatte zu feinen 
Verdienfte die Befreiung aller durch den Satan, den Urheber des Todes, 
Öefangenen x. Im Tode Ehrifti ift jeder Gläubige, der ihm eingegliedert 
it (eidem incorporatus), gleichfalls geftorben und hat als Verdienſt das 
Leben. Alle mit dem Meſſias gefreuzigten und geftorbenen Chriftgläubigen 
haben ald Verdienft das ewige Leben in Ehriftus erlangt, Am dritten 
Tage fand er durch eigene Macht auf, denn er hatte Macht, fein Leben 
im Tode hinzugeben und ed in der Auferftehung wider zu nehmen, 
Seine Auferftehung ift e8, durd welche alle Menfchen, die mit ihm gleicher 
menfhliher Natur find, die in ihm dem unfterblihen Leben geeinet ift, 
auferftehen. Er ftand auf, um thatfächlih zu beweifen, man müffe an 
die Auferftehung der Todten glauben, die am Tage des Gerichts erfolgen 
werde. In feinem Tode fterben wir, in feiner Auferftcehung werden wir 
wieder erweckt; durdy ihm haben wir den Zugang zu Gott Vater, um ihn 
zu [hauen in feiner Herrlichkeit und mit ihm Jeſus Chriftus, feinen ewig 
gepriefenen Sohn. 

Aus diefer kurzen Darftellung erhellt, daß der ſchmähliche Kreuzestod 
Chrifti fehr große Gcheimniffe in ſich begreife, und ebenſo nothwendig für 
die Gläubigen als glerreich für Chriftus fei. Diefer farb, um feinen 
Vater zu verberrlihen, um zu zeigen, wie groß Der iſt, dem ver 
Meſſias mit Aufopferung feines Körpers, im ſchmählichſten und ſchmerz— 
lichſten Tode bis zur Grenze aller Schreden gehordte; wie groß das Er 


barmen dieſes Gottes ift, der allen Chriftusähnlichen wegen ihrer Ges 
22 * 


— — — — nn 


340 


meinſchaft mit dem Tode des Sohnes, mit dieſem ſeinem geliebten Sohne 
das Reich des ewigen Lebens zum Beſitze ertheilt. Der Tod Ehrifti 
verherrlihte aber auch Jeſum als den Sohn voll göttlicher Liebe, 
der nicht jo mitleldig, erbarmungsvoll und bereitwillig im Gehorden bis 
zum Tode gewefen wäre, wäre er nicht ganz volllommen und Gott gleih 
(Deiformis) geweien. Mit feinem Blute gab er von dem Vater dad 
Zeugniß, er fei über Alles zu lieben, feine Verehrung, die Befolgung 
feiner Gebote, die WVerherrlibung des fünftigen Lebens müfle bis zur 
Verachtung diefed elenden Lebens gehen. Chriftus zeigt, die Verheißungen 
feines Baterd und feine eigenen Vorherfagungen feien erfüllt, wahrhaftig 
fei der Vater und er felbft die Wahrheit desjelben. Alle Wiſſenſchaft, 
alle Geheimniffe der heiligen Schrift find durch ihn enthüllt. 

Das willen alle Kinder des Lichts, die Chriftus nachfolgen; den 
Söhnen der Finfterniß, den Kindern diefer Welt, denen der Geift Ehrii 
fehlt, bleibt eö ewig verborgen. 


17. 
Von der Fruhbt des Todes Chriſti. 

Ein eifriger Araber könnte fagen: wenn der Tod Ehrifti den Vater, 
den Schöpfer des Alls, verherrliht, fo iſt er allerdings machtvoll und 
rühmlih, und ed wäre mir erwünfcht, hierüber noch vollftändiger belehrt 
zu werden. Solchem Eifer will ich nad meinem geringen Vermögen ned 
Einiges mittheilen, damit Jeder die Wahrheit jener Behauptung einſehe. 

Es unterliegt feinem Zweifel, daß die Sünde eine Trennung mb 
ſchen Gott und dem Menſchen bewirfe, wie der Prophet fagt: „eur 
Sünden haben zwifhen euch und eurem Gott eine Trennung bewirkt,’ 
und David, ein Nahahmer Gottes, fagt: „die Sünder haſſe id.’ 
Diefe Sünde kann von der Abftammung herrühren, fo daß der in Ein 
den von feiner Mutter Empfangene in Unreinigfeit und Fleifhestu lebt, 
wie derfelde Prophet von feiner Abftammung ausfagt. Auf diefe Weile 
find wir Alle aus Adam von der Mutter nad dem Willen des Mann 
empfangen; Keiner hat die gottgefällige Reinheit, wie Hiob fagt: „Kam 
der Menſch gerecht fein im Vergleiche zu Gott, oder der vom Weib 
Geborene rein erfcheinen ?* Wir werden ald Kinder des Zorns mit dem 
Geifte der Begierlichkeit des Fleifches geboren, der nicht aus dem gelfis 
gen Himmelreiche unfered unförperlihen Gottes if. Aus der Geneigt 
heit zum Böfen, die wir von Kindheit an haben, erfahren wir, daß und 
nicht der gute Geift Gottes regiert, und zwar erfahren wir dies in und 
durch eine Gabe Gottes. Gott hat nämlich den Menfchen ſo geſchaffen, 
daß er beim Anblid eines Uebels erſchrickt, wie der Alchoran Kap. '9 
fagt. — Jeder von Adam auf dem Wege der Begierlichkeit Geborene if 


341 


alfo theild durch die Erbfünde, theils durch wirflihe Sünden von Gott 
getrennt, mit einziger Ausnahme von Ehriftus, der aud nad dem Zeug» 
niffe des Nlchoran von der Mutter und Jungfrau Maria, die nie ges 
fündigt hat, ohne Zuthun eines Mannes, ohne fleifchlie Luft, ganz rein 
geboren ift. Er tft Fein Sohn des Zornd, des Hafled und Abſcheues, 
fondern ganz rein; daher der Liebling Gottes unter Allen, die lebten oder 
noch leben werden. Nie beging er eine wirflihe Sünde, denn von ihm 
fieht gefchrieben: „er beging feine Sünde und fein Trug ging aus feinem 
Munde hervor.” Er war fomit von Gott nie getrennt, die göttliche 
Weisheit nahm ihn zur Einigung mit ſich an (in sui unionem assum- 
sit). Wie die Weisheit ein böfed Herz und einen der Sünde dienenden 
Körper verabfcheut, fo liebt fie eine reine Seele und einen von jeder fünd- 
lihen Befleckung reinen Körper; fie feiert mit einer foldhen Seele eine 
ewige Bermählung (sibi perpetuo foedere desponsat). Ghriftus ift der 
erfts und zugleich eingeborene Eohn des Königs der Tugenden, ded Kö— 
nigs der Herrlichkeit. Wenn nah Mofes Gott fagte: „mein erftgebore- 
ner Sohn ift Israel,“ fo ift ohne Widerrede Ehriftus in Jsrael der Erfte 
von Allen, weil er der Meffias iftz der Erftgeborene Gottes ift in die 
Welt gefandt, der zugleich der eingeborene Sohn Gottes ift, wie Ehriftus 
jelbft fagt: „wer nicht an mich glaubt, iſt fchon gerichtet, weil er nicht 
an den Namen des eingeborenen Sohned Gottes glaubt." Wenn Gott 
diefen feinen erſt- und eingeborenen Sohn für die Erlöfung der Welt hin- 
gegeben hat, fo hat er gewiß die Welt auf das Höchfte geliebt. Dies 
bezeugt das Evangelium mit den Worten: „So jehr hat Gott die Welt 
geliebt, daß er feinen eingeborenen Sohn dahin gab.” Sind wir alfe 
niht um einen theuren Preis erfauft, durch das Foftbare Blut des eins 
geborenen Sohnes, um Gott anzugehören, die wir worher dem Fürften 
der Finfterniß gehörten? Der Alchoran fagt, Adam habe dad Gebot 
Gottes nicht erfüllt und fei fo dem Recht des Todes verfallen (jus mor- 
tale subivit). In Folge der Sünde ded Stammvaterd verlor das ganze 
Menichengefchlecht die Unſchuld (innocentia), die allein im Himmelreiche 
eine Stätte findet; unterworfen dem Fürften diefer Welt, ward es auf 
ewig verdammt, der Anfhauung der Herrlichfeit Gottes beraubt zu fein, 
und dies ift der Tod der geiftigen Natur; es büßte feine Schuld im Tode 
des eingeborenen Sohnes, der für Alle, die ihn als Meſſias und Kö— 
nig des geiftigen Lebens aufnehmen, in den Tod ging. So haben Alle, 
die in feinem Tode geftorben find, Genugthuung geleiftet, und find von 
dem Sflavenjocdhe des Fürftend des Todes befreit. Der koſtbare Tod 
des Eingeborenen, den Gott mehr als alle Andern liebte, hat deßhalb 
volle Genüge geleiftet, weil e8 der Tod Deflen war, der den Schmerz 
des Todes aufhob (quia fuit mors praecidentis dolorem mortis), wie 


342 


der Prophet fagt: „ihn (den Schmerz) kennen alle Eterbenven nicht.“ 
Derfelde fagt: „er hat unfere Schmerzen getragen.“ Gehen wir auf den 
gläubigen Abraham, den Water des Glaubens, hin, auf die Größe feis 
ned Verdienſtes, da er feinen einziggeborenen Sohn Iſaak Gott zu lieh 
dem Tode weihen wollte, fo erfennen wir fogleih die Größe des Ber 
dienfted des Meſſias, der fih, Gott zu gefallen, für die Erlöfung ver 
Menihheit in den Tod hingab. Erkenne die unausfpredliche Liebe Got: 
tes, der feined Sohnes nicht ſchonte, fondern ihn für und Alle hingege 
ben hat! Berdiente er nicht, gleih Abraham, eine unzählbare Menge von 
Söhnen und Erben feines himmliſchen Reiches zu erlangen ? Und was 
verdiente Zeus, der eines fo Ihmählichen und ſchmerzlichen Todes ftarb, 
der alle Schmerzen der Eterbenden übertrifft? Weil er das Leben hingab, 
fo verdiente er gewiß Auferftehung von den Todten für ſich und feine 
dem Bater erworbenen Brüder, unter welden er gleihiam der Erfige 
borene ift, der an der Spige vieler Brüder fteht. Das Neich der geifts 
gen Himmel dürfen wir nicht wie eim irdiſches Reich betrachten, von 
welbem Jeder um fo weniger hat, je Mehrere daran Antheil baben; 
fondern da Er felbit ohne Verminderung (absque defectu) von Umzähli 
gen gefbaut und erfannt werden kann, fo fann das geiftige Reich Chrifi 
von unzähligen Geiftern und von Jedem folidarifh in Befig genommen 
werden (ipsum regnum intellectuale ab innumeris intellectibus potest 
a quolibet in solidum possideri). Geiftig ift das Leben der Auferftehen 
den, fo daß fie wiflen und fich deffen freuen, daß fie leben. Wäre eb 
eine Vergeltung des für Gott fterbenden Gläubigen, wenn er im Tod: 
bliebe oder nicht wüßte, daß er lebe? Lieber will der Menſch nicht fein, 
ald ohne allen Geift fein. Daher erfolgt die Auferftehung des Menſchen 
zum geiftigen Leben nur durch die Weisheit, die ein ſchmackhaftes Willen 
(sapida scientia) ift, welches empfindet und weiß, daß es lebt. Die 
Weisheit, an welcher alle geiftigen Naturen partieipiren, hat im Meſſias 
ihren Meifter (in Messia magisterium habet). Durd das Theilnehmen 
an diefer Meifterfchaft lebt ever, der in Chriftus auferfteht, weil dieſet 
die Auferſtehung und das Leben iſt. Daraus erhellt nun, wie viel das 
MWerf der Wiedergeburt (reformationis) ded Menſchengeſchlechts erhabener 
ift, ald das Werk feiner Erihaffung, und wie weife Alles bier geordnet 
if. Die Weisheit nun, welde Alles, fowohl was den Tod als die Aul 
erftehung Chriſti anbelangt, auf das Weifefte angeordnet hat, IR, obs 
wohl fie Ehriftus nie verlaffen hat, niemals geftorben, aud als Chriſtus 
gemäß feiner Menſchheit durch die Trennung der Seele und des Kömers 
ftarb. Auch iſt es feine andere Weisheit, welche den Menſchen Jeſub 
angenommen hat (assumsit) und durch welche Alles erſchaffen wurde (Der 
Alchoran ſcheint diefe die Seele Gottes zu nennen, wenn er fagt, M 


343 


Seelen der Menſchen participiren infoweit an der Seele Gottes, als bie 
Weisheit in ihnen wiederfcheint); allein die Seele Ehrifii war der Fülle 


: der Weisheit Gotted geeinet. Daher fagt der Alchoran, Gott habe im 


| eigentlichen Sinne feine Seele Ehriftus gegeben, und daß diefer fie vom 


Mutterleibe an gehabt habe, zeigt der Alchoran an mehreren Wundern, 


' Rab ihm ſprach Chriftus zu feiner Mutter im Momente der Geburt 
‚ Möftende Worte. Er vertheidigte feine Mutter an feinem Geburtstage 


-.a.on® - 


vor den Verwandten, welche gegen fie Argwohn hegten. Er unterhielt 
fh mit unmündigen Kindern ald wären ed Greife, und redete zu Lehm 


' gebilden, um Menfhen oder Vögel daraus zu macen. So behauptet 
Mahomed in feiner Lehre und im NAlchoran. Chriftus machte dur ein 
Wort den Blindgeborenen fehend, Ausfägige und andere Kranfe gefund, 
: brachte Todte ind Leben zurüd. Dieſes und mehrered Andere fann aus 
dem Evangelium und Alchoran entnommen werden, welcher legtere Ehriftus 
auch einen Weiſen nennt, indem er ihm den nämlichen Namen gibt, wie 


Gott, der fehr oft unbegreiflih und weiſe genannt wird. Gibt er alſo 
m, Chriſtus fei der abfolut Weije, wie auch Gott der Water, fo ift die 
Beisheit Gottes des Vaters feine andere, ald die Ehrifti, fondern Gott 
der Schöpfer wirft Alles durch feine Weisheit, welche Ehriftug if. Das 
it die unverwelflihe Weisheit, die jedem Geifte Leben gibt, der ohne die 
Weisheit todt iſt. Die Ergreifung derfelben ift der Endzwed bei Erſchaf— 


: fung der geiftigen Natur. Der Menſch kann fie ohne dem Mittler Chri- 
ſtus, in weldem die allen Menſchen gemeinfame menſchliche Natur der 


höchſten Weisheit in unauflöslicher Weife geeinet ift, in feiner menſch— 
lichen Natur für fih nicht erreichen. Chriſtus ift daher der Meifter, ver 


die Lehre und das belebende Wort für unfern Geift hat, der Enthüller 


aller Schäße der Gottheit, der Verlündiger (ostensor) ded Vaters, des 
Quells der Weisheit und Herrlichkeit. Dieſes Verkünden ift ein Auf— 
nehmen der Weisheit, das den Geiſt ewig belebt und Chriſtus, dem 
Sohme Gottes Ähnlih macht. Das ift die wahre Glüdfeligkeit, die ewige 
Herrihaft im Himmel, im höchſter Wonne. Diefe Verheißungen Chrifti 
haben für Alle, die ihn aufnehmen, volle Gewißheit. 


18. 
Vom Paradieſe. 

Ein Araber könnte jagen: die Aufſchlüſſe des Alchoran über das 
Paradies und die Verheißungen des Evangeliums gehen weit ausein- 
ander. Der Alchoran verheißt den Gläubigen und Anhängern des Ge— 
ſehes die Erfüllung aller Wünſche und fchildert diefe Wünfche ala ſolche, 
von welchen gewöhnlih die Wollüftigen erfüllt werden. Das Evange- 
lum aber verheißt nur eine geiftige Glückſeligkeit, beftehend in der geifti- 


344 


gen Anfhauung, Wiffenfhaft, Welsheit und Erkenntniß. Wir antwors 
ten hierauf: immer iſt e8 uns vorgefommen, zwifchen dem Paradiefe Ma: 
homeds und Ehrifti fei ein Unterfchied, wie zwiſchen Einnlidem und 
Geiftigem, oder zwiſchen Sichtbarem, das zeitlih, und dem Unficht- 
baren, das ewig iftz ein Verhältniß, das überhaupt zwiſchen Alchoran 
und Evangelium befteht. Einige geben indeß zur Entſchuldigung des Vers 
fafjerd des Alchoran an, er habe dadurch nur die ungebildeten Araber 
zum Glauben an den Einen Schöpfer beftimmen wollen: der ihnen das 
zeitliche Leben gegeben, werde ihnen auch im Senfeitd ein Leben, obne 
Mangel, viel beſſer als dieſes zeitliche, geben. Zu dem Ende babe er 
mebrere Gleichniffe, anfhauliche Bilder hievon gegeben, die er jedoch nict 
weiter ausführte, fondern den Verftändigen ald befannt überließ. Hätte 
er diefe Bilder nicht von dem finnlichen Leben genommen, um die Süßig— 
feit des zufünftigen Lebens zu fchildern, fo hätten die Araber die Sache 
nicht verftanden und wären dur ihnen unbefannte Verheißungen nict 
angetrieben worden. Er fagt nämlih 51. Kapitel: „die Gläubigen und 
die Milothätigen werden im Befige der fchönften Gegenden des Para 
diefes alle ihre Wünſche erfüllt ſehen; dies ift ihr größter Gewinn, dies 
ihre fhönfte Wonne.“ Er fcheint daher den Einen Gedanken ausſprechen 
zu wollen, daß Gott den Gläubigen, ihm Dienenden vergilt nad der 
Hoffnung und Sehnfucht des ihm Dienenden: für zeitlichen Dienft erlangt 
er Zeitlihes, für Ewiges — das Ewige, für Sinnengenuß — wieder 
Einnengenuß, für Geiſtiges wird ihm Geiſtiges zu Theil; denn 6. Ku 
pitel fagt er: „Gott, der alle Wünfche fennt und überaus reich (om- 
nium dives) ift, gibt denen, die Zeitliche fuchen, Zeitliches, die nad 
Himmliſchem ftreben, Himmliſches als höcftes Gut.“ Im 51. Kapitel 
fagt er: „Wer nach den Gütern diefer Welt ftrebt, dem geben wir fie, 
aber am Andern hat er feinen Antheil.“ Wenn er daher im 1. Kapitel 
fagt, die Guten gehen in das Paradies ein, wo fie herrliches Wafler, 
alle Arten von Dbft, verfchiedene Früchte, anftändige und faubere Frauen 
(decentissimas ac mundissimas mulieres) und alle® Gute ewig befigen 
werden, fo ift zu beachten, daß diefe legtern Worte: „und alles Yute 
werden fie ewig befigen“ nichts Anderes, als Gott bezeichnen. Gleich— 
wohl wiederholt er die finnlichen Verheißungen fehr oft und zulept, 64 
Kapitel, fagt er: „Alle Weifen follen alfo Gott fürchten, der allen Glaͤu— 
bigen Weisheit und Erfenntniß Gottes verleiht." Im 107. Kapitel jagt 
er: „Sie werden das Paradies bei Gott erlangen.” Achnliches Fommt 
oft vor, daß nämlich ewiges Leben, ewige Freude und Seligfeit die Der 
geltung fein werde. In den Rehrbegriffen (doctrinis) fagt er auch, vom 
ewigen Leben laſſe fih Fein Bild entwerfen. Schließlich ſcheint er alſo 
doch nicht dem Evangelium zu widerſprechen, wenn er ein Paradies für 


345 


die Geiftigen und Weiſen, Anfhauung Gottes und feiner Weisheit, d. 1. 
Ehrifti, behauptet. Daher nennt auch der Alchoran in andern Stellen 
die Bewohner der Hölle beraubt des Unterſcheidens (discretione) und ber 
Weisheit. Wieder an andern Etellen fagt er nah Aufzählung aller 
Dinge diefer Welt und feiner Verheißungen vom Paradiefe, die Güter 
des ewigen Lebens feien viel beffer, als all Diefes, weil dieſes Leben 
nichts fei im WVergleih zum ewigen. Wenn er im Bilde der Qualen 
eined materiellen Feuers die Strafe der Verdammten ſchildert, jo im 
Bilde des Waſſers und der Quellen das Leben der Seligen. Doch bes 
fhreibt er nicht die reine geiftige Seligfeit, wie Apicenna in feiner Metas 
phyſik ſelbſt zugibt. Obwohl diefer dem arabifchen Gelege (Glauben) anges 
hörte, fo fagt er doch, Mahomed jchildere nur eine finnlihe Glüdjeligs 
feit, die geiftige, die weit vortrefflicher fei, werde von dem Philofophen 
befier dargeftelt. Der Aichoran ſetze jedoch, wiewohl minder deutlich 
(minus extense) die vollfommene Glüdfeligfeit der Weiſen (Philofophen) 
in die Erfenntniß Gottes und defien Weisheit, welhe der Eohn Gottes 
if, wie auch das Evangelium lehrt: „die Welt vergeht mit ihrer Luft,“ 
die Dinge der zufünftigen Welt aber verhalten fih zu den Dingen diefer 
Welt, wie dad Ewige zum Vergänglihen. Die Kenntniß und Anfchauung 
Gottes des Vaters und feiner Weisheit ift eine unfterblihe Nahrung für 
den Geift, weil die Weisheit nie vergeht (est immarcescibilis), wie aus 
dem Buche der Weisheit zu erfchen ift. 


19. 
Snvective gegen den Alchoran. 


Bei der Lectüre ded Alchoran bemerfte ih, daß er fehr oft des 
furchtbaren Tages des legten Gerichts, des Paradiefed und der Hölle 
Erwähnung thut, in einer großen Mannigfaltigkeit von Gleihniffen, da 
fih das, was noch in feines Menfhen Sinn gefommen, nicht anders als 
auf dem Wege der Muthmaßung nab dem Sinnlichen und Eichtbaren, 
das ein Bild des Geiftigen ift, befchreiben läßt. Da auch das Himmels 
reich auf diefe Weile in verichiedenen Gleichniſſen im Evangelium und 
alten Teftamente gefchildert ift, fo fand jener Weg bei mir nad einer 
milden Auslegung Entihuldigung. Als ich aber im Alchoran von der 
Reufchheit der Jungfrau Maria, des Zohannes des Täuferd, von dem 
Lobe der Keufchheit überhaupt las, von dem Verbote des fleilchlichen Zus 
ſammenlebens in Tempeln, vom Gebote der Wafhungen nad) demfelben und 
dor dem Gebete, und daß die Reinheit Gott gefällig fei, daß die Guten 
Bott fchauen und bei ihm im Paradiefe find, daß Gott fie auf das 
Höchfte Tiebe und ihmen das Höchſte (maximum, d. 1. ſich felbft) als 
Lohn gebe, daß das Höchſte und Größte felbft die geiftige und ewige 


346 


Freude ift, da mußte ich ftaunen, wenn fo oft von Freudenmädchen und 
Ihren Brüften, vom tbierifhen Koncubinat im Paradiefe die Mede iſt, 
mit der Erklärung, 88. Kapitel, das fei die befte Vergeltung Gottes für 
die Gläubigen; das Schamgefühl hielt mich ab, jene ſchmutzigen Dinge 
zu leſen, Indem ich bei mir dachte: wenn Mahomed dieſes Buch voll Uns 
rath Gott zufchreibt oder es zwar felbft fchreibt, aber Gott die Urheber 
ſchaft beilegt, fo wundere ich mich, wie verftändige, keuſche und tugend— 
fame Araber, Mauren, Aegyptier, Perſer, Afrifaner und Türken, welde 
zu jenem Glauben gehören, Mahomed für einen Propheten halten, deſſen 
Leben Niemand nachfolgen kann, der nad dem Himmelreiche ftrebt, wo 
man nicht heirathet, fondern, wie Chriſtus Iehrte, den Engeln gleich if. 
So Schmusiges fpricht Niemand auf eine fo ſchmutzige Weife aus, ber 
nicht felbft voll folhen Schmutzes iftz aus der Füle des Herzens redet 
der Mund. Daß Jenes wahr fei, erhellt aus dem 42. Kapitel, wo er 
fagt, Gott habe die für Andere verbotene MWolluft, troß dem Merbote, 
welches am Ende des 7. Kapiteld fteht, ganz nach Belieben ihm (Mas 
homed) erlaubt; Gott habe befohlen, daß ein durch ihn (Mahomed) ge 
gebener Eidſchwur zum Zweck des Ehebruchs mit einer Ehriftin Maria 
aufgehoben werde. Hievon redet er im Eingange des 75. Kapiteld, im 
Gegenfage gegen das, was er an andern Stellen über die Verdammniß 
ber Ehebrecher und Meineidigen ausfpricht. Im 77. Kapitel fagt er felbt, 
Meineidige, die zu ihrer perfönlihen Rettung fchwören, feien verdammt. 
Warum fürchtet er fih nicht vor Blasphemie, wenn er von Gott ausjagt, 
er habe einen Eidſchwur befohlen, damit dadurch ein Ehebruch fortgejegt 
werde? Eine Beftätigung findet Obiges auch in Mehrerem, was er hin 
fichtlich der Weiber geftattete, wie z. B. 3. Kapitel: „Weiber, die euch 
unterworfen find, mögt ihr nach euren Verhältnifien (pro modo vestro), 
fo viele Ihr wollt, halten.“ 8. Kapitel: Er erlaubte jo viele Weiber, 
ald Jeder im ehelichen Reben halten fonnte und wollte, Im 9. Kapitel 
heißt es: „Diefed euch vom Himmel herab gegebene Buch verordnet ald 
erlaubt und geboten, daß ihr für euer Geld keuſche Weiber nehmet. Lebet 
mit ihnen, wie es euch beliebt, ohne Scheu und Scham!” Daß David 
und fpäter andere heilige Männer (des alten. Bundes) die Zahl der Wei- 
ber überfchritten, entſchuldigt Mahomed nicht, der vielmehr kraft feines Ge 
feßeö dies geftattete, was bisher bei allen Propheten und Gefepgebern 
unerhört war; ja, es ift Läfterung Gottes, ihm in den Mund legen, was 
er ganz und gar verabjhent. Ich erwog, daß ih im Alchotan laß, 
76. Kapitel, Gott habe alfo dem Mahomed befohlen: „Zeige dic wahr, 
haftig! Sage nichts Anderes, als du feieft mein Bote!“ Ebenſo nennt 
ihn Gott im Eingange des 77. Kapitel unter eidlicher Verficherung 
feinen Boten an die gößendienerifhen Araber. Im 27. Kapitel: „Richt 





347 


habe ich deiner Zunge geftattet, al8 daß bu den Gottesfürchtigen eine 
freudennolle Botfchaft, den Ungläubigen Buße und Bekehrung (castiga- 
men ineredulis) bringeſt.“ Im 32, Kapitel: „Sprich: mir ift nichts auf- 
getragen, als Gott allein anzubeten und feinen ihm Gleichen anuerfens 
nen. Ihm empfehle ich mich, zu ihm fehre ich wieder zurück.“ Iſt dies 
Wahrheit, warum hat es Mahomed nicht beobahtet ? Warum hat er Ans 
dern geboten, was ihm nicht geboten war? Warum nennt er fih im 
77. Kapttel den Bölkerapoftel, da er doch nad dem oben Gefagten nur 
ein Bote an die gögendienerifchen Araber war? Wenn du, Mahomer, 
dih in das bir nicht Aufgetragene durchaus nicht einzumifchen hatteft, 
fage mir, warum fpribft du dann doch gegen das Evangelium, gegen 
das Geſetz des alten und neuen Bundes, ald wäre dir died aufgetragen 
worden ? Wenn du fagft, deine Zunge habe feine andere Vollmacht, ald 
den Gottesfürctigen eine große Freudenbotfhaft, den Ungläubigen Buße 
und Bekehrung zu bringen, fo fchenft man hierin dir und Jedem, ber 
Solches behaupten würde, Glauben. Jeder fann Solches behaupten und 
verfünden, weil es eine Wahrheit ift und jede Wahrheit von dem wahrs 
haftigen Gott ſtammt. Was nimmft du dir aber heraus, von andern 
Dingen zu reden, da es dir Gott weder geboten, noch geftattet hat? 
Warum foll ih dir glauben, da du Gott nicht gehorcheft? Du wäreft zu 
entfhufpigen, wenn du nicht dem unveränderlichen Gott veränderliche Ge— 
finnung beilegteft, und fo als Gottesläfterer erfchieneft. Indeß der alls 
mächtige Gott wollte, daß allen jenen ſchmutzigen und nichti— 
gen Lehren, die den verftändigen Arabern felbft ein Abſcheu 
find, Einiges untermifht werde, aus dem der Lihtglang des 
Evangeliums fo bervorfhimmern follte, daß er fih für Ber: 
kändige, die ihn forgfältig auffudhen, durch fih felbft zu 
erfennen gibt. Das Licht ded Evangeliums leuchtet fo heile, daß ohne 
dasjelbe nichtd wahr und heil ift. Jedes Wort, fede Echrift, die des 
Lichtes entbehrt, welches fpricht: „ih bin das Licht der Welt, das jeden 
Menfhen erleuchtet, der in diefe Welt kommt; wer mir folget, wandelt 
nicht in der Finſterniß“ — ift finfter, ungeorbnet, dunfel, todtbringend, 
dem Geifte ein Abfchen, und nur der thierifchen Natur, die aus dleſer 
Welt it, mag fie ergöglich erfcheinen ! 


348 
Drittes Bud. 


1 


Der Alchoran hält zwar den Blauben an Einen Bott fett, 
fhmeichelt aber Allen, wiewohl er Ehriftus den 
Vorzug gibt. 

Der Leſer des Alchoran wird bemerken, daß dieſer unbefchabet des 
Glaubens: „es ift fein Gott außer Gott“ feinem andern Glauben ent 
gegenzutreten verſucht. Wo er auf Glaubensgegenfäge ftößt, ſchwankt 
(variat) er dergeftalt in feinem Glauben, daß Jeder in ihm etwas Anges 
nehmes findet, welcher Härefie oder Secte er auch angehören mag. So 
fagt er oft, daß zwiſchen dem Tode und der Auferftehung eines Jeden 
faum eine Stunde zwilchen inne liegt, damit man über den Zuftand ber 
Seelen vor dem Gerichte feine Beforgniß zu haben braucht. Gleichwohl 
flibt er wieder die Behauptung ein, Einige werben in der Zwiſchenzeit 
in eine anmuthige, quellenreiche Gegend verfegt, fo Ehriftus, die Jungfrau 
Maria und die für Gott gefallenen Gerechten (3. Kapitel), die nach ihm 
in Gott leben. Einige Seelen werden nah dem Alchoran (32. Kapitel) 
bis zum Tage ded Gerichts mit Feuer gequält, während er anderswo 
fagt, es befinden fih Feine Seelen im Paradiefe und in der Hölle vor 
der Endentiheidung des Weltrichters. Das ift Alles fo unbeftimmt ge 
fprochen, daß er die entgegengefegten Lehren der Häretifer und der Recht⸗ 
gläubigen über die Seelen der Geftorbenen vor dem Gerichte zu begünftis 
gen fcheint. So fucht er in allen Anfichten zu „machen“ (sic nititur in 
omnibus facere opinionibus). Vom Himmelreihe fpricht er nie, wohl 
aber ſehr oft vom Paradieſe, als meinte er ein irdiſches Paradies; der 
Gläubige werde nach dem Gerichte in den Ort, aus weldhem Adam ver 
trieben worden war, wieder eingefegt, um beftändig dort zu bleiben. Um 
jedoch nicht das Paradies der Chriften, das Himmelreich hintanzufegen, 
nimmt er an einem beftimmten Drte zwei Paradiefe an mit verfchiedenen 
Abſtufungen; im Paradiefe finde man dereinft, was die Ehriften in ihrem 
Himmelreihe zu befigen glauben, das ewige Leben. So fagt er 25. Kapitel: 
„Das Irdiſche vergeht fchnell, das Himmlifche niemals. Nach den beften 
Werfen wird Gott einem Jeden vergelten und das ewige Leben verleihen, 
ed ſei Mann oder Weib." Siehe, wie das ewige Leben das göttlide 
ift, das im Himmelreihe befteht und von den Chriſten erwartet wird! 


349 


So heißt es auch im 18. Kapitel: „Zulegt werden alle Beobachter der gött- 
lien Gebote volle und ewig dauernde Freude erlangen.“ Das fann nur 
bei Gott fein, der im Himmel wohnt. Im 26. Kapitel fagt er, die Guten 
gelangen ind Paradies, wo ihnen aus der göttlihen Subſtanz mitgetheilt 
wird. — So macht er ed in allen Stüden. Nach dem 25. Kapitel hat 
Gott zu ihm gefagt: „Diefed Buch habe ich dir aus feiner andern Urs 
ſache anvertraut, ald damit du den Menfchen ihre Widerſprüche aufs 
zeigeſt.“ Im gleichen Kapitel jagt er: „Ich habe did gefendet, damit 
du Abrahams Gejege folgeft, ohne abzumeichen, um fein Ungläubiger zu 
ein. Die Beobahtung des Sabbaths habe ich jedoch nicht geboten, weil 
bierüber ein Gegenfag und Meinungsverfchiedenheit beftand, worüber Gott, 
ver fünftige Richter, entjcheiden wird.” Anderswo gibt er Denen den Vors 
zug, welche den Propheten glauben und über fie nicht discutiren. So 
jagt er 4. Kapitel am Ende und 2. Kapitel: „Wer Gott und deflen 
Geſandten nicht gehorcht ımd über fie diecutirt, wer ſich der Partei, nicht 
dem Ganzen, das den rechten Weg verfolgt, anfchließt, über den werde 
ih, als über einen der Wahrheit ſelbſt nicht Glaubenden Unheil herein— 
breben laffen. Den Glaubenden aber, die nicht lange discutiren, wird 
ver barmhberzige Gott, der reih an Erbarmen ift, unermeßlichen Lohn 
verleihen.” Trog Gegenfag und Widerſpruch muß man aljo jedem Ges 
jandten Gottes glauben; Keines Anfiht darf man einzeln annehmen, die 
Entſcheidung, welche die richtige fei, muß man Gott am Tage des Ges 
tichtes überlaffen. Im diefer Weile fpricht er jehr oft; zweifelhafte Stels 
len im Geſehe und in den Propheten muß man auf den Tag des Ge— 
rihtes verſchieben; da er übrigens im 26. Kapitel jagt, der Alchoran fei 
wur nach und nach Schritt für Schritt erfchienen, fo jchidt er im 2. und 
3. Kapitel eine Erörterung über die Propheten voraus. In diefer wird 
Chriftus über alle andern geftell. Folglih muß man fich bei Zweifeln 
an Ehriftus halten, welcher fagte, er fei nicht gefommen, Gefeg und 
Propheten aufzuheben, fondern zu erfüllen; Gefeg und Propheten redeten 
von ihm. Da aljo Ehriftus das Ziel und der Abſchluß vom Gejeh und 
allen Propheten ift, die je aufgetreten oder noch auftreten werden, fo er» 
langt die Eröterung über alle Propheten in ihm ihren Abfchluß. 


2. 
Mahbomed fhwankt in feinem Denken und Handeln und 
hat Feine feften Lehrfäge hinterlaffen 
Daß Mahomed nicht der Erfte ift, gefteht er ſelbſt im 55. Kapitel: 
„Ih bin nicht der erfte Bote (Gottes) und weiß nicht, was ich oder 
Ihr thun ſollen. Doc will ich die göttlihen Aufträge erläutern, an die 
Ihr, obwohl fie bier fichen und viele gläubige Jöraeliten fie bezeugen, 


350 


nicht glaubet.“ — Weld ein Prophet ift demnach Mahomed, der nicht 
weiß, was er und Andere thun follen; er hält fib nur an frühere 
Gebote (Gottes), wobei er die Juden als Zeugen für fih anführt und 
behauptet, er erkläre nur die Älteren göttlichen Gebote. Er fagt, wer den 
Geboten Mofis folge, werde felig; dann verwirft er wieder alle Juden, 
weil fie an die Auferftehung nicht glauben und Ehriftus nicht anerkennen. 
Die Ehriften, welche Ehriftus folgen, fpricht er felig, an andern Stellen 
nennt er fo Juden ald Chriften, weil beide Gott einen Sohn zufcreiben, 
ungläubig, wiewohl es von den Juden nicht wahr ift, daß fie Gott 
einen Sohn geben. Alle Ungläubige find nah ihm verdammt. So im 
46. Kapitel: „Heft fteht das Wort Gottes über die Ungläubigen; fie 
werden ind ewige Feuer gehen.“ Allein im 51. Kapitel fagt er: „Die 
Ungläubigen wird Gott vielleicht alle verftoßen, vielleicht Vielen vers 
zeihen.* Sehr oft läßt er alle Seelen bei der Auferftehung in ihre 
Körper zurüdfehren. Im 18. Kapitel aber fagt er: „Den Sterbenden 
nimmt Gott in der Stunde des Todes, den Andern in der Stunde der 
Betäubung (hora sopitionis) die Seelen aus dem Leibe. Einigen gibt 
er fie wieder zu einer beftimmten Stunde, Andern niemals, Alles nad 
feinem Willen; Verftändige fönnen das nicht begreifen.” Nach andern Stel 
len ziehen die Engel die Seelen aus den Leibern heraus. Er läßt alfo die 
allgemeine Auferftehung, auf die er beinahe in jedem Kapitel zurüdkömmt, 
im Zweifel, wenn er behauptet, Einige erhalten ihre Seelen nie wieder. 
So bleibt bei ihm nichts Gewiffes übrig, ald der Sag: es ift Ein Gott, 
der Schöpfer des Univerfums. Nur der Glaube an Einen Gott if, 
wie er oft wiederholt, zur Seligfeit nothwendig. Am Ende zweifelt er 
auch an diefem Sape und faßt den notwendigen Glaubendinhalt in die 
Worte: „Es ift fein Gott außer Gott (non est Deus nisi Deus) 
und Mahomed tft fein Geſandter.“ Die Eeinigen fügen bei: fein 
großer Geſandte. Nun, Gott nennt fein Menſch Hein, da feine Größe 
feine Grenze hat. Auch nennt Niemand den Sag irrig: Gott ift Gott. 
Auch dem Gögendiener, der an mehrere Götter glaubt, ift es eine Wahr 
heit, daß Gott Bott ift, weil dies an und für fih Mar if. So hätte 
es nie einen Ungläubigen gegeben und wird nie einen geben, Wenn er 
beifügt: „und Mahomed ift fein Gefandter”, fo if dies in dem Sinn, 
daß er ein Bote der Wahrheit, d. i. einer an und für ſich ausgemadten 
Behauptung ift, nichts Großes; denn allezeit galt e8 won ihm und jedem 
Andern als wahr, der fei ein wahrer Bote, der Solches verkündet. Anders 
aber ift ed mit dem Glaubensfage: „und Mahomed ift fein Gefandter"; 
er fann unmöglich zur Seligkeit nothwendig fein. Denn es war eine 
Zeit, wo es ald ausgemachte Wahrheit galt: es ift fein Gott aufer Gott, 
aber ald eben fo große Unwahrheit: „Mahomed ift fein Geſandter“, ald 


351 


nämlich diefer noch nicht lebte. Wenn alfo damals Alle nur durch den 
Slauben: es ift fein Gott außer Gott — felig wurden, fo werben noth— 
wendig Alle zu allen Zeiten nur durch diefen Glauben felig. Aber auch 
zur Zeit Mahomeds war der Glaube: Mahomed ift fein Geſandter — 
nicht zur Seligfeit für Alle nothwendig, da er felbft fagt, er fei nur ein 
Befandter an die Araber und am feine Nation. Und aud die Araber 
waren nicht zum Glauben an ihn verpflichtet, da er micht mit folden 
Wundern und Tugenden auftrat, welde in ihm das Wort Gottes ers 
fennen ließen. Da er ohne Wunderkraft auftrat und ein Leben gemeiner 
Sünder führte, ein Gögendiener war und, wie Andere, der Venus huls 
digte, jo darf es und nicht wundern, wenn die Araber ihm entgegens 
hielten, er babe, durch einen der Götter beleidigt, um fih an ihm zu 
rächen, fich für den Gefandten des Einen Gotted ausgegeben, wie im 
20. Kapitel zu lefen if. Im 30. Kapitel bielten fie ihm entgegen, er jel 
ein ihnen ähnlicher Menſch, da er doch in der Kunft eined Magierd zu 
ihnen gefommen fei, deſſen Körperumfang aljo entweder ein Traumbild 
oder eine Ervichtung fei. Gegen Solches und Anderes, das fie aus feis 
nen eigenen Worten gegen ihn anführten, wußte er feine andere Entgegs 
nung, als die im 29. Kapitel: „Man fagt: wenn er mit göttliher Wuns 
derfraft ausgerüftet gefommen wäre; (dann würden wir ihm glauben). 
Habe ih nicht aus den frühern heil. Schriften Zeugniffe für mich beige: 
bracht?“ Siehe, er beruft fihb auf Evangelium und (altes) Teftament! 
dort jei von ihm die Reve. Im 70. Kapitel fagt er, Chriſtus habe 
vorausgefagt, nah ihm werde ein Gejandter Gottes fommen, Mahos 
med mit Namen, den fie fäljchlih den Großen nennen werden. So 
beichränft fi alfo das ganze Zeugniß darauf, Mahomed fei ein Ges 
jandter Gotted. Da dies ganz unwahr ift, fo ift Har, daß von allen 
feinen Behauptungen nichts als wahr übrig bleibt, ald der Sag: es if 
kin Gott außer Gott. 


3. 
Barum die an den Alchoran Ölaubenden felig werden. 
Das Schwert ift Lehrmeifter. 

Als Mahomed merkte, daß es bei ihm an Wahrheit fehle und die 
Rügen, die er dem ungebildeten und unwiſſenden Volke unter Berufung 
auf das alte Teftament und Evangelium anführte, nicht lange verborgen 
bleiben könnten, weder für die Chriften noch die Juden, da weder im 
alten noch neuen Teftamente Mahomeds Erwähnung gefchehe, fo wandte 
er ih den Waffen zu und ſprach zum Volfe: „Gott hat mir befohlen, 
die Völker mit dem Schwerte zu erobern, bis fie befennen: es ift Fein 
Bott außer Gott und ich bin fein Prophet. Legen fie dies Bekenntniß 


352 


ab, fo retten fie Leben und Vermögen.” Bon Schrecken erzitternd fügten 
fihh Viele und entgingen fo dem Blutbade und der Plünderung; fie 
hießen nun Gerettete (salvati) oder Mufelmannen. Zu beadten 
ift, daß er fih oft den einzigen einheimiſchen oder Landes» (nativum) 
Propheten der Araber nennt, welche vor ihm feinen Propheten hatten, 
Und doch läßt er im Kapitel von den Propheten Gott jagen: „wir 
haben did an die Gefammtheit der Wölfer gefendet,” wodurd er hier 
wie in andern Etellen Gott in Widerfpruch mit fich felbft ſetzt. Zuleht, 
nachdem er bereits einen großen Anhang gewonnen hatte, gab er den 
Slaubensartifel, er fei ein Gefandter Gottes, ganz auf uud ließ ver 
fünvden, wer fage: es ift fein Gott außer Gott, komme in's Paradies. 
Nah der arabijchen Ueberlieferung wollte Mahomed eigentlich fagen: wer 
glaubt, kommt ind Paradies, wenn er aud ein Hurer, Räuber oder 
ſonſtiger ſchwerer Sünder ift, weil der Glaube felig macht (quia 
fides salvaret). Er gab alfo auf Befchl feines Gottes das Prädicat 
eines göttlihen Gefandten auf; denn im 72. Kapitel heißt ed: „Um ale 
wahrhaftig zu erjbeinen, nenne did nur einen Geſandten!“ Da es nun 
aber der Abfiht Mahomeds nicht convenirte, bloß zu verfündigen: es if 
fein Gott außer Gott und Mahomed ift ein Gefandter, fo ließ er den 
letztern Eaß lieber ganz weg. So fpreden denn Solche, die ſich an ihn 
anſchließen wollen, nur dur die Erhebung eines Fingers den Glauben 
an Einen Gott aus und fagen, dies genüge. — So ift denn der legte 
Beweis von Allem, was im Alchoran ſteht — das Schwert! (Est 
igitur ultima resolutio probationis omnium, quae in Alchoran leguntur, 
gladius.) Denn jo fteht e8 im Kapitel von den. Propheten im Alchoran 
über Mahomed: „du haft Träume ausgefproden und Blasphemien anein— 
andergereiht, oder ift vielleicht dad Ganze ein Gedicht (vel forte poötizas). 
Zeige und doch deine Wunder, mie fie frühere Propheten verrichtet haben.“ 
Er antwortet hierauf: „Wir haben, fpricht Gott, Städte zerftört, welde 
nicht glaubten, und ihr würdet auch Wundern nicht glauben, fondern nur 
dem Schwerte.“ Gott habe es befohlen, man folle bei den Menſchen 
Gewalt gebrauchen (violentiam hominibus inferri). Co macht er Gott, 
von dem Mahomed doch fehr oft fchreibt, er habe folhen Zwang und 
Gewaltanwendung verboten, zu einem veränderlihen, ſchwankenden und 
füguerifhen Weſen, wovon weiter unten noch die Rede fein wird. 


353 


4. 
Der Gott des Alchoran Scheint der abfolute Gott zu fein; 
der Alchoran jpriht aber noh von einem andern Gott, 
welcher mit der Welt vermiſcht ift (rebus immersus). 


Run wollen wir unterfuchen, wer der Gott ded Alchoran fei. Der 
Gott Mahomeds jagt im 24. Kapitel: „Wir haben den Menſchen aus 
Erde und Koth (vorher war der Teufel aus zerftörendem Feuer erfhaffen) 
gebildet, ald ih den Engeln mittheilte, ich wolle den Menfchen aus Koth 
bilden und ihm einen Theil meiner Seele einhauchen.“ Im 26. Kapitel; 
„Auf die Frage: wem die Seele gehöre, jage: Gott, der dir nur ein 
geringes Maaß von Weisheit gegeben hat.“ Im 30. Kapitel: „Indem 
Gott feine Seele in den Leib Mariens eingehaucdt hat, hat er diefe und 
ihren Sohn zum Gegenftand eines offenbaren Wunders gemadt.“ 
31. Kapitel: „Gott hat den Menichen aus Koth gebildet und deſſen 
Nachkommen aus vergänglicher Feuchtigfeit und bat ihm aus feinem 
Geiſte eingehaudt.* Im 47. Kapitel: „Gott ſprach zu den Engeln, 
er wolle den Menſchen bilden. Nachdem derjelbe aufs Befte eingerichtet 
war, haben wir ihm aus unferm Geiſte eingehauct und auf unjern Bes 
fehl haben fih außer Beelzebub, der abfiel, alle Engel vor ihm gebeugt. 
Auf die Frage, warum er fi gegen Gott empöre und fi nicht demüthis 
gen wolle, ertviederte diefer: ich bin aus Feuer und beffer ald jener Koth.“ 
Im 26. Kapitel jagt Gott: „den Öläubigen, deren Werfe meinen Beifall 
haben, gebe ich dad Paradies, ich theile ihnen mit aus meiner göttlichen 
Eubftang, die keineswegs geringe iſt.“ Hieraus erhellt, daß der Gott 
des Alchoran noch von einem andern Gotte ſpricht. Denn er fagt: 
„Sage, fie (die Seele) fei Gottes, nicht: fie fei mein oder unſer.“ 
Wenn alfo der Gott, der im Alchoran redet, der Gott der Götter ift, und 
der Gott, von welchem er redet, ein anderer Gott ift, dem die Seelen ans 
gehören, der jeine Seele den Menſchen mittheilt und feine göttlihe Sub— 
fanz feinen Lieblingen, der feinen Geiſt in die Leiber der Schwangern 
einhaucht, fo ift der Gott des Alchoran abfolut und untheilbar, der Gott 
aber, von welchem dieſer redet, in die Dinge verfenft, theilbar, jomit 
fürperlih. Da nun nad dem Alchoran, 38. Kapitel, jeve Seele den Tod 
verfoften wird, und die Seele jened Gottes auch die Eeele Aller ift, fo 
ift diefer Gott jterblih. Es find alfo auch die Engel und Dämonen 
förperliche, und zwar feurige Naturen. Haben Gott und die Menſchen Eine 
Seele, fo auch die Engel, nah 45. Kapitel. Die Seele der Engel 
if die ihnen mitgetheilte Seele Gottes, diefer Gott if von der Na 
tur der Gefhöpfe — und alle vernünftigen Greaturen find 
von der Natur diefes Gottes, da in ihnen die Natur Gottes 

Scharpff, Ric. v. Gufa. 23 


354 


in concreter Form (contracta) if. Er ift das Bildungsprincip (forma) 
eines Seven, ein Theil des Zufammengefegten, der einem eben das 
Sein gibt. Er iſt nicht Gott der Schöpfer, der aus Nichts 
erfhafft, fondern er geftaltet Alles aus fih felbit: er 
ift die van oder die Materie. Aus feiner Seele bildet er 
Seelen, aus feinem Geifte Geifter, aus feinem Körper Körper, aus jeinem 
Sein Alles, was iſt, aus feinen Flügeln die Flügel der Engel, dem 
einen zwei, dem ander vier, wie der Alchoran von diefen Flügeln er 
zählt. Gehört aber die Seele Gott, dem einzigen und höchften Schöpfer 
und fpricht der Gott im Alchoran, welcher fagt, die Seele ift Gottes, 
von fi, d. 1. von dem einzigen Schöpfer des AN, dann fft feine Seele 
auch Gott, da Alles, was zum göttliben Wefen gehört, Gott ift (cum 
nihil sit Dei nisi Deus). Daher ift jede Greatur von geiftiger Kraft 
Gott und Greatur: Gott nach ihrem Geifte, Greatur nach ihrem Körper, 
in bypoftatiiher Einigung (Igitur omnis creatura formae intellectivae 
erit Deus et creatura: Deus secundum spiritum seu formam, et 
creatura secundum corpus in unione hypostatica). Und da Chriſtus 
die Seele Gottes nicht theilweile und annäherungsweife (non secundum 
portionem aliquam nec appropriate), fondern im eigentlichen Sinne 
(proprie) hat, jo ift er im eigentlichen Einne Gott und Greatur: voller 
(plenus) und vollfommener Gott und voller und volllommener Menſch. 
Das gilt wicht von den andern vernünftigen Naturen, weil in ihnen die 
Seele Gottes partiell, unvollfommen und uneigentlih if. Daher werben 
fie nicht im eigentlichen Sinne Gott und Greatur genannt, fondern nur 
uneigentlich könnten fte jo genannt werden, nur Chriſtus im eigentlichen 
Einne. Das muß Jeder zugeben, der den Alchoran annimmt. Chriſtus 
ift alfo die abfolute Vollfommenheit der geiftigen Greaturen, an deſſen 
Fülle alle theilnehmen. In dem Haupte Ehriftus liegt die Vollendung 
(perfectio) jeder Creatur, welche (Vollendung) nicht größer oder Eleiner fein 
fann, weil fie Alles ift, was fie fein fann, während fie in anderen Crea— 
turen einen Zuwads oder Abnahme zuläßt. Chriftus ift der Werth drd 
Goldes in reinem Golde, die andern geiftigen Naturen find der Werth 
des Goldes in andern Metallen, von welder das eine mehr, das andere 
weniger goldhaltig. ift. 


5. 
Der Gott des Alchoran erſcheint geringer als die Welt; 
er ift der Diener Mahomeds und deffen Begriff (servus Ma- 
homed atque ejus conceptus). | 
Wie flieht ed, wenn der Gott des Alchoran bei dem Herm des 
Drientd und ded Occidents fhwört? Daraus geht hervor, daß ber 


355 


Gott ded Alchoran einen andern Gott über fih, daß er den Herrn bes 
Drientd und Occidents ald den größern anerfennt. Es ift alfo nicht der 
höchſte und abjolute Gott, ja er fchwört bei dem Rohre, dem Feigen— 
baume, der Müde und anderen Geſchöpfen. Der Gott des alten Teftase 
ments und des Evangeliums Kat nie auf folde Weiſe gefchworen, fondern 
immer nur bei ſich felbft, da er feinen größern Gott kennt; er hat aud 
nicht die Art des Schwörens geändert, da er ein fich gleich bleibender 
Gott, ohne Veränderung, iſt. Da aber der Gott des Alchoran bei gerins 
gen Geſchöpfen fchwört, bald bei dieſen, bald bei jenen, fo ift er bei diefer 
feiner Unbeftändigfeit und feinem Schwanfen weniger ald jedes Geſchöpf. 
Denn die Bekräftigung einer Ausfage erfolgt durch einen, der wahrhaftiger 
und größer ift, bei dem man fchwört, der ald Zeuge für die Glaubwür—⸗ 
digfeit der Audfage angerufen wird. — Beachtet man das 42, Kapitel, 
fo ift der Gott des Alchoran der Diener (servus) Mahomeds. Er und 
die Engel beten für Mahomed. Diefer Gott redet, was Mahomed zu 
reden ſich jcheut, er iſt der Vermittler zwiichen ihm und Mahomeds 
Weibern, indem er der unreinen Luft desſelben dient, durch Dispenfion 
vom Eidſchwure, Geſetz und Verſprechen, um ihm gefäallig zu fein; Schande, 
Schuld und Eünde nimmt er auf fi, damit Mahomed nicht guten Ruf 
und Reputation verliere. Macht da nicht Mahomed Gott zu feinem 
Diener? Dies erhellt aus vielen Stellen. Wenn Mahomed im 48, Kas 
pitel jagt: „Gottes Gebot iſt cd, daß ich ihn mit reinem Herzen anrufe 
und in Beobachtung ded den Gläubigen gegebenen Geſetzes Allen vorans 
gehe, da ih fonft in großed Unglüd gerathe. Ich ahme daher Gott 
und feinem Geſetze ftandhaft nach;“ wenn er im 55. Kapitel von ſich 
fagt: „ih bin der Erfte der Gläubigen und der Gottergebenen;“ wie 
bereinigt ſich dies mit deiner Behauptung, du beobachteft Fein Gefch, 
keinen Eid, weil ed dir Gott verboten habe, der deinem unreinen Herzen, 
deiner Fleifchesluft den Vorrang vor Geſetz und Eid gegeben habe? Du 
wilt glauben machen, Gott habe dir Eolched geboten? Wie fannft du 
der Erfte der Gläubigen und Gottergebenen fein, der du an andern 
Stellen Moſes ald den Erften bezeichneſt? Du warft von Anfang ein 
Sünder und bift ed unaufhörlich geweſen; du ftarbit im Haufe eines 
deiner Weiber (unius mulieris tuae), nad unzähligem Blutvergießen, 
Plünderung, Unzucht und Unterdrüdung der Armen. Hat Gott dir ges 
boten, dem gerechten Abraham zu folgen, bift du, wie du felbft fagft, 
der Regte der Propheten, wie fannft du dann der Erfte der Gläubigen 
kein? — Der Gott des Alchoran ift alfo nicht jener große Gott, dem 
ide vernünftige Greatur glauben muß, weil er der Schöpfer von Allen 


it, fondern es ift dein Gott, der durch dich redet, was du denfit. Was 
23° 


356 


alfo im Alchoran Gott redet, es fei wahr oder falfch, ift nichts Anderes, 
als der Gedanke Mahomeds. Und da er Bieles fchrieb und fchreiben 
ließ, was er von Gergius und Baheira und ihm befreundeten Juden ger 
"hört und nicht verftanden hat, vielleiht auch die nicht, Die es ihm hinter: 
bracht haben, fo hat er felbft nicht Alles verftanden und nur Gott das Bers 
ſtäändniß des Alchoran zugefchrieben, der nah 82. Kapitel ihm eingeſchäͤrft 
hat, fleißig und eifrig auch des Nachts im Alchoran zu leſen, was freilid 
wieder der im Alchoran niedergelegten Behauptung widerfpricht, er ſei 
des Leſens und Schreibens unfundig gewefen. 


b. 


Mahomed verfolgt blindlings, gegen die Gebote Gottes, 
Chriſtus in den Chriſten. 

Sage mir ferner, Mahomed! Nachdem dir Gott fo oft befohlen 
hat, um des Gejeges willen feine Gewalt anzuwenden, jo 4. und 15. 8% 
pitel: „von den Ungläubigen laß ab, ohne ihnen Mebles oder Schmach 
zugufügen, wenn fie auch im Zorne oder aus Unwiſſenheit ſchlecht von 
Gott reden (jedem Wolfe gefallen feine Sitten); fehren fie zu Gott zus 
rüf, fo werden fie ihre Fehler deutlich durd die Gnade Gottes ſchon 
einſehen“; 18. Kapitel: „die Völker follen zum Glauben nicht gezwungen 
werden, weil ohne den Willen Gottes, der die Sünder in ihrem Sün— 
denfchmuge läßt (nisi Deo volente), Niemand glauben fann“; 56. Ku 
pitel: „Füge ihnen feine Gewalt durch Züchtigung zu, ſondern erfläre 
ihnen nur den Alchoran” und fo an vielen Stellen, — wie magjt du 
gegen deinen Gott, der dir died befohlen hat, dir herausnehmen, zu jagen, 
Gott habe dir befohlen, Ungläubige gefangen zu nehmen, zu morden und 
auszuplündern, zum Glauben zu zwingen oder einen Tribut zu entrichten? 
Gott fügft du damit ein großes Unrecht und große Schmach zu, in deſſen 
Augen ein erzwungener Dienft eine Sünde ift (Deo magnam facis in- 
juriam et contumeliam, apud quem coacta servitia vitia sunt). E 
will Anbeter, die aus freier Wahl ihm ergeben und gläubig find, Du 
fagft 19. Kapitel, Gott habe dir gefagt: „den ſich Widerfegenden fage: 
wie fie für das Ihrige, fo forge du für das Deinige,” aber er fagt 
nicht, du folleft ihnen Gewalt anthun. Anderswo ſagſt du, über die 
Entgeguungen der Juden, Chriften und Anderer, werde am Tage des Ge— 
richts entſchieden. An andern Stellen läßt du dic von Gott wegen 
deiner Frömmigkeit und Milde loben. Warum zeigft du dich aber that 
fächlih anders und ftrafit fo das Zeugniß Gottes Rügen? Warum fell 
du deinen Gott ebenfo oft im Widerfpruche mit fich felbft dar, als du 
deinen Sinn geändert haft? Im 25. Kapitel fagft du: „wer mit Bei⸗ 
behaltung feines Glaubens durh Gewalt und Zwang ungläubig ge 


357 


worden ift, aber Glauben und Geſetz in feinem Herzen bewahrt, ber 
wird nicht verdammt, fondern nur wer freiwillig abfällt.” Du weißt, 
daß die Ehriften den Glauben an Einen Gott haben, ohne einen andern 
Gott oder Genofjen Gotted. Cie find daher nach dir Gläubige. Wenn 
fie daher gleich gezwungen dir beizuftimmen fcheinen, im Herzen bleiben 
fie Ehriften und werden mit dir nicht verdammt werden. Warum bes 
fümpfeft du gleihwohl Chriftus in den Chriſten, indem du dieſe vers 
folgt, von denen du doch nicht Täugneft, daß fie durch ihr Geſetz ſelig 
werden? Die Chriften waren vor dir da und Ehriftus wird in feinen 
Gläubigen einen großen Theil diefer Welt auch ferner befigen, durch den 
ftandhaften, bis in den Tod gehenden Gehorfam unzähliger Märtyrer 
Gottes. Warum verfolgen aljo deine Anhänger Ehriftus, um ihm das 
Volk, dad er fih als eigen erworben hat, zu entreißen? Unſere Zuvers 
ſicht iſt das Evangelium, dem du nad fo vielen Beftätigungen desſelben 
Unrecht zufügeft, in welchem Chriftus fagt: „Selig find, die um der 
Gerechtigkeit willen Verfolgung leiden, ihrer ift dad Himmelreih. Selig 
jeid ihr, wenn euch die Menfchen ſchmähen und verfolgen und alles 
Ueble gegen euch jagen in Lügen, um meinetwillen. Freuet euch und 
frohlodet, groß ift der Lohn im Himmel. So haben fie die Propheten 
vor euch verfolgt.” Das ift unfer Troft in all unferer Noth und Bes 
drängniß, weil wir vom Tode ind ewige Leben gelangen. 


T. 

Mahomed glaubt, die Gegenwart Gottes nöthige (neces- 
sitare) zu Allem, was die Menſchen thun (ad omnia, quae 
aguntur). 

Sage mir weiter, Mahomed! Warum verfolgft du die Chriften? 
Wenn du fagft: wegen ihrer Sünden, fo fage mir: wenn du glaubft, 
dur Zwang künne Jemand dahin gebradt werden, daß er gut wird, 
warum fagft du dann im 9. Kapitel, Gott verzeihe Todfünden nicht, fons 
dern nur Fleinere? Und im 13. Kapitel ſteht: „Schlechte Menſchen wird 
Gott nicht auf den rechten Weg führen.“ Warum fagft du im 16. Kapitel, 
Gott habe gefagt: Wahrhaftig ift Gottes Wort, daß Ungläubige nie 
befehrt werden follen. Im 46. Kapitel: „Wer von Gott in Irrihum ger 
führt worden ift, wird nie auf den rechten Weg geführt werben“ (a Deo 
deductus in errorem nunquam dirigetur). Im 66. Kapitel: „Nichts für 
eure Seelen Schädliches werdet ihr auf Erben vollbringen, was nicht vor 
eurer Eribaffung von dem Alles wiſſenden Gotte aufgezeichnet war.“ 
Zeigen diefe Stellen nicht deutlich, du könneſt die Schlechten nicht auf 
den rechten Weg hinführen, da Gott felbft fie nicht dahin lenkt? Gleich— 
wohl fagft du oft, wie auch fonft, das gerade Gegentheil hievon. “Deine 


398 


Anhänger wiffen wohl, daß du meinft: Was der Menfh thut, thut er 
deßhalb, weil Gott ihm zum Voraus beftimmt hat, fo zu thun (quia sie 
Deus faciendum praenotavit), nicht bloß, weil Gott alles Zufünftige 
voraußfieht, fondern weil fein Vorausſehen nöthiget (sed quod prae- 
visio necessitet), ein Grundirrthum, der alle Geſetze und Gerichte, Be 
lohnungen und Etrafen aufbebt. Da Gott in der Ewigfeit Alles zugleich 
fieht, was in der Zeit nacheinander gefchieht, fo fieht er Geburt und Tod 
und den ganzen dazwiſchen liegenden Lebenslauf des Menſchen mit Einem 
Male, und diefed Sehen ift feine Nöthigung (et haec visio non neees- 
sitat). Wenn ich dich fallen fehe, fo fällſt du nicht, weil ich dich fallen 
fehe, fondern weil du füllt, fo ſehe ich dich fallen. Gott ſieht alle 
Alles, was der Menfh thutz indem er in der Ewigfeit Alles weiß, hält 
er ein gerechte Gericht nad den guten oder ſchlechten Thaten, die der 
Menſch in der Zeit vollbringt und für ihn ewig gegenwärtig find. — 
Sage mir audi: was foll der Gläubige thun, den du an den Alchoran 
verweifeft, da doch, wie du felbft fagft, Niemand außer Gott und den 
Meilen, die göttlibe Wiſſenſchaft befigen, vdenfelben verſteht? Davon 
fagft du wieder das Gegentheil, der Alchoran fei klar und leicht ver 
ſtändlich. Wer mag das faffeen? Go ift Alles von dir in Widerſprüche 
und Schwankungen eingehüllt, was auf das Argument, das du im 
9. Kapitel für den Alchoran aufftelft, hindeutet. Du fagft nämlid: 
„wäre er nicht ein Werf Gottes, fo würde er viele Widerfprüche entbal 
ten." Folglich kann er, da er ſich fo oft widerfpricht, nicht aus Gott fein. 


8. 
Das Ziel Mahomeds war feine Erhöhung. 

Du ſcheinſt mir, Mahomed! unter dem Vorwande der Religion nur 
nah Herrſchaft au ftreben; denn die ganze Entfheidung legſt du im das 
Ediwert, durch das Schwert hoffft du jedenfalls zum Tribut zu gelangen. 
Du lehrſt, Jeder könne nach feiner Religion (in sua lege) felig werben, 
Gott liebe die Standhaftigfeit ver Gläubigen, keineswegs aber die ſchwan— 
fenden Gemürher. Dann nimmft du das Schwert in die Hand, als 
wolleſt du Diejenigen zur Wahrheit hintreiben, die du zur Standbab 
tigfeit ermahnt haſt; allein du läffeft ihnen mur die Wahl, entweder ben 
Glauben zu wechſeln oder Tribut zu zahlen. Wer fiecht nicht ein, dab 
dad Ziel deiner Religion, der Eifer für dein Geſetz fein anderes if, 
als — Herrfhaft? Denn wer befriedigt Gott und dich durd einen 
Tribut? Du batteft feine andere Abficht, ald mittelft Gottes um 
der Religion mädtig zu werden. Nie haft du am die Wahr 
heit der vorgeblihen Gebote Gottes geglaubt, weil du fie micht befolgt 
haft. Laͤßt du nicht Gott im Alchoran fagen , die Chriften feien mehr 


359 


beine Freunde als die Juden? Und an andern Stellen verabfcheuft du 
die Verfolgung, welche Einige gegen die Ehriften begonnen haben, indem 
du ſagſt, Gott habe ihnen Stärfe verliehen (36. Kapitel). Anfangs 
wurden fie in einem benachbarten übelgefinnten Lande von den Heiden 
befiegt, nah 9 Jahren aber wurden fie mit Hilfe Gottes die Sieger. 
Hieraus erhellt, daß du nicht in Folge einiger feindfeligen Berhältniffe 
oder auf Grund deines Geſetzes die Ehriften verfolgt, fondern einzig aus 
Herrſchſucht ihnen Gewalt zugefügt und fo deinen Nachfolgern ein jehr 
ſchlechtes Beiſpiel hinterlaffen hafl. Denn aus derfelben Herrſchſucht vers 
folgen fie die Chriſten. Doch die Ehriften werden zulegt mit der Gnade 
Gottes ihre Ueberwinder befiegen. 


9 


Mahbomed nennt Chriſtus bald Gott und Menſchen, bald 
nur einen Menſchen; bald einen Gott in der Einzahl, bald 
in der Mehrzahl (modo singularem Deum, modo pluralem). 


Ueber Ehriftus fpricht fich der Alchoran oft in einer Weife aus, daf 
jener ald der göttliben Natur theilhaftig (consortem) erfheint. Er geht 
von dem Grundfage aus, Wunder feien Beweis der Gottheit (miracula 
divina esse). Nun aber habe Chriftus Wunder wie fein Anderer ver 
ribtet. Er gibt nicht nur Diejenigen Wunder an, die im Evangelium erzählt 
And, jondern aud ſolche, die in andern, apofryphen Schriften enthalten 
find, wie 3. DB. die Erfchaffung lebender Vögel aus Korh und Anderes, 
wad auf eine göttlihe Natur in Ehriftus fließen läßt, Der Befig der 
generellen Gewalt zu allen Arten von Wundern ift Beweis des Gött- 
lichen. (Habere enim generalem ompium miraculorum potestatem, 
diviaum est.) So bewies fih Jeſus ald Meffias, als Johannes vom 
Gefängniffe aus zwei feiner Schüler an ihn fandte, mit der Frage: bift 
du der Meſſias, der da kommen foll, oder follen wir auf einen andern 
warten? Jeſus antwortete: Gehet und faget dem Johannes, was ihr 
geiehen und gehört habt! Die Blinden fehen, die Lahmen gehen, die 
Ausfügigen werden rein, die Tauben hören, die Todten ftehen auf, den 
Armen wird das Evangelium verfündet, und felig ift, wer fih an mir 
wicht ärgert. Siehe, wie Jeſus dur Thaten ausfpricht, er jei der erwartete 
Meifias, von welchem Johannes, wenn er died Alles vernommen, nicht 
mehr zweifeln folle, er fei der Sohn Gottes, dem der heilige Geift am 
Jordan das Zeugniß gab. So ſucht auch der Alchoran Chriftus zur 
Gemeinſchaft (consortium) der göttliben Natur zu erheben, wenn er jagt, 
Chriſtus ftche über allen Propheten, wenn diefe auch noch fo fehr mit Gott 
dertraut und ihm ganz nahe waren. Nun aber liegt zwijchen Dem, der 
über den höchſten Propheten fteht, und der göttlichen Natur nichts zwifchen 


360 


inne, ba es Keinen geben kann, ber nod näher an Gott wäre. “Der 
Alchoran fagt ferner, Gott wohne in den guten Menfchen und nennt 
Ehriftus den NAilerbeften. Gott wohnt alfo ganz in ihm, auf das Poll 
fommenfte, mit feiner ganzen Fülle, fo daß die menfhlihe Natur mit der 
göttlichen, die in ihm wohnt, im höchſten Grade der Ginigung geeint ift, 
die wir eine hypoſtatiſche oder perfönliche nennen, wie im Menſchen ber 
Körper mit der Seele, wie die thierifbe Natur mit der gefftigen geeint 
if. Daher ift Ehriftus der Mittler zwiſchen der menſchlichen und gött 
lichen Natur. Wie es zwiſchen ihm und den Menfchen feine Vermittlung 
geben fann, wegen der Identität feiner menſchlichen Natur und ber aller 
Meniben, fo fann e8 auch zwifchen ihm und Gott feine Wermittlung 
geben wegen der Identität feiner göttliben Natur und der Gottes. Wir 
wohl jedoch der Alchoran über Chriftus Sätze aufftellt, aus welchen tie 
Verftändigen unfchwer das eben Grwähnte folgern können, fo fehwanft 
er doch auch hier wieder und Jehrt an andern Stellen, was einer Nega— 
tion feiner Gemeinſchaft mit der göttliben Natur gleich fickt. So wur 
nah ihm die Jungfrau Marta Chrifti wahre Mutter; Chriftus habe mit 
feiner Mutter menjchlihe Epeife und anderes Eßbare gemoffen (ipsum 
cum matre usum fuisse humanis cibis ete.), da er doch an andem 
Etellen behauptet, Gott effe nicht, Gott fei der Herr von Chriſtus und 
ftehe über ihm, Gott habe ihn und feine Mutter, wie andere Greaturen, 
wenn er gewollt, zu Nichte machen fünnen (annihilare); Chriftus fei werer 
Bott noch Eohn Gottes, fein Genoffe und Theilhaber (der göttlichen 
Natur). Seine Behauptungen ftehen mit den früheren in durchaus feinem 
Einflange. Sollen fie nicht an innerem Miderfpruche leiden, fo müſſen 
fie in dem oben angegebenen Sinne gefaßt werben: Chriſtus fei fein an 
derer Gott, fondern gleicher göttliber Natur mit dem Schöpfer der Welt. 
So wiederholt er über die Einheit Gottes beftändig, es fei nur Ein Gatt 
und Schöpfer; und doc redet die Gottheit im Alchoran im Werfe der 
Schöpfung und fonft fehr häufig in der Mehrzahl: Wir haben den Men 
hen gefhaffen. Soll diefe Einzahl und Mehrzahl fich nicht widerfpreden, 
fo muß fie im früher angegebenen Sinne verftanden werben, wornach die 
Dreiheit oder Mehrheit nicht als Pluralis zu nehmen ift, fondern ale 
Singularis, als Einheit; denn die Vielheit ift auch bei den Grammall 
fern nicht der Plural, weil der Singular die Einheit if. So ift auf 
bei den Theologen die Vielheit — die Ginheit der einfachſten göttlicen 
Natır. Es iſt daher Gott nur die finguläre und Eine Gottheit, tie 
wir früher kurz gezeigt haben. Das ſcheint auch der Alchoran am End 

des 32. Kapitel zu fagen, wenn er die Anrufung eines andern Gotte? 

mit den Worten verbietet: „Gott ift in fi allein feine volle Zahl“ 

(qnia apud Deum solum totus est illius numerus). 


361 


10. 
Deifpiele des beftändigen Shwanfend Mahomeds, 


Mahomed fagt im Kapitel von den fieben Schlafenden, Jeder könne in 
geheimen Dingen fügen, was ihm beliebt, er verdiene hierüber feinen Tadel. 
Daher hält er fib in der Anführung verfciedener, ja entgegengelegter 
Anfihten bald an diefe, bald an jene, Für geheim hält er aber Alles, 
worin die Propheten und deren Schriften nicht mit den von Gott geges 
benen Geboten übereinftimmen. Es ftimmen aber alle ‘Bropheten von 
Abraham bis auf ihn überein in dem Glauben an Einen Gott umd 
Schöpfer und Richter am Tage der Auferftehung, was er in die Worte 
wufammenfaßt: Es ift Fein Gott außer Gott, ein Glaube, ohne welchen 
Niemand felig werde. Wer dies einfach glaubt, und das durch einen 
Bropheien ihm gegebene Geſetz befolgt, wird das Paradies befigen; wer 
nicht glaubt, wird, wenn micht Gott, der reih an Erbarmen ift, ihm 
verzeiht, erwig verdammt. Glaubt er, beobadıtet aber das Beleg nicht 
und ift unbußfertig, fo wird er verdammt. Der Bußfertige aber erlangt 
im Augenblid des Todes Verzeibung. Das fcheint, wie oben gejagt, 
der Hauptgedanfe zu fein. Schwanfend fcheint er jedoh von Denen zu 
ſprechen, die von einem Gefege zu einem andern übergehen. Im 1. Kapitel 
heißt es: „Im Allgemeinen ift zu wiſſen, daß Jeder, der rectichaffen 
lebt, er fei Jude oder Heide, wenn er feine Religion verläßt und zu 
einer andern übergeht, Jeder, der Gott anbetet und gut handelt, uns 
zweifelhaft fich der Liebe Gottes erfreut. Jeder Sünder aber, der Schuld 
auf Schuld häufet, wird vom ewigen Feuer verbrannt.” Er jagt: Jeder 
(generell ), der von feiner Religion zu einer andern übergeht. Im 3. Kapitel 
aber fagt er: „Alle, die von deinem Geſetze abfallen, follen ohne Unter 
brechung von deinem Wolfe befriegt werden, bis fie womöglidy wieder zu 
deinem Geſetze befehrt werden. Wer dein Gefeg gegen ein anderes vers 
taufcht und in diefem verharrt, wird fchon hier und in der andern Welt ald 
ſchuldig des unauslöfhliben Feuers zu Grunde gehen.” Eiche, wie er 
bier jener generellen Behauptung entgegen von den Anhängern feines 
Geſetzes jagt, daß fie in einer andern Religion nicht felig werden. Im 
Widerſpruche hievon heißt ed 4. Kapitel „Um des Gefeges willen thue 
Niemand Gewalt an, da Gutes und Böses fich feldft offenbart. Wer 
niht an die Bögen, fondern an den Schöpfer glaubt, wer den Geboten 
des Weiſen und Allwiffenden, der allen feinen Verehrern gnädig ift, ge 
horcht, fommt von der Finfternif zum Lichte. Der Ungläubige wird vom 
ewigen Feuer gequält.” Diefe Stelle flimmt wieder mit jener erften übers 
ein, die ganz generell gehalten if. So fagt er im 5. Kapitel „Die an 
Gott glauben, und um Vergebung ihrer Sünden, um Befreiung von der 


362 


Dual des Feuers flehen, die Enthaltfamen und Wahrhaftigen, die Freunde 

» des Gebets und Almofend werden nah dem Zeugniffe Gottes, der Engel 
und aller Berftändigen, die an Einen unbegreifliden und weifen Gott 
und Schöpfer glauben, vor dem fein Geſetz (Religion) Beifall findet, 
fondern nur die gänzlihe Hingabe an ihn, die Freuden des Paradieſes 
genießen.“ Hier fpricht er wieder generell, wie im 1. Kapitel. Aehnlich im 
12. Kapitel Dagegen ganz anders im 37. Kapitel: „Du, der du das Bud 
Alchoran ganz unerwartet zugeiendet erhalten haft, follft von feinen Ge 
boten nicht abweichen, um nicht ungläubig oder ein Begünftiger der Uns 
gläubigen zu fein.“ Und 4. Kap.: „Gibt ed etwas Schlechtered, ale 
nah der Annahme unfrer Gebote von denfelben abzuweichen? Schon 
durch Moſes haben wir dieſes Buh den Söhnen Israels übergeben, 
defien Befolgung unfehlbar mit Gott verbindet.“ Hier ftelt er fein Bud 
ald Gottes Wort bin, fo daß Jeder dieſes Gejeg Gottes zu halten ver 
pflichtet ift, wenn er nicht ald Sünder gelten will. Da die Ehriften nad 
ihm mehr ald Andere im ihrem Gefege ſchwanken (legem variant), je 
benennt er fie oft mit dem Schimpfnamen Gefepesänderer (legem va- 
riantes). Nach jener Stelle darf weder ein Anhänger des (mohameda— 
nischen) Gefeges, noch ein Jude oder Ehrift ohne Sünde das einmal 
empfangene Gefeg (Religion) ändern. Denn er fagt, Gott liebe bie 
Getreuen, bei feinem Geſetze Beharrenden mehr ald Andere. Im 51. Kap. 
heißt es: „Wir lehren jegt die Gebote des Geſetzes und die Vorfchriften, 
die wir Nos, dir, Abraham, Moſes und Ehriftus geoffenbart haben. An 
diefen haltet feft, und widerfeget euch ihnen nicht!“ Damit fagt er offen, 
er wolle die den frühern Propheten geoffenbarten Gebote nicht beftreiten, 
jondern lehren. in andersmal fagt er, Ehriften und Juden feien un 
gläubig und allefammt verdammt. Wer mag and allem Dem etwas 
Feftes herausfinden? 


11. 
Gegen die Behauptung, das Gefeg des Alchorans fei das 
Geſetz Abrahams. 

Sage mir, Mahomed: der Glaube iſt doch wohl zur Seligkeit noth—⸗ 
wendig. Wenn du nun jagt, dir fei von Gott geoffenbart worden, 
dem Geſetze Abrahams zu folgen, ohne rechts oder links abzuweichen, um 
nicht als ungläubig erfunden zu werden, wie wagft du zu behaupten, 
das Gefeg des Alchoran fomme von Gott, da du Keinem beweifen fannfl, 
dag Abraham ein folhes Gefeg gegeben habe? Wenn Dir Gott dad 
Gefeg Abrahams zur Beobachtung gegeben hat, wenn das dem Moſes 
und das Ehriftus gegebene Gefeg in den göttlichen Schriften des alten 
und neuen Bundes, wie du fagft, enthalten find, fo weichen fie noth⸗ 


363 


wendig weder rechts noch links vom Gefege Abrahams ab. Wie fommft 
du nun au der Behauptung, dein Geſetz habe den Vorzug vor jenen ? 
Es gibt doch nicht zwei Geſetze des alten Teftamentsd und Evangeliumd, 
fondern nur Gin göttliches Geſetz, das Ehriftus nicht aufgelöst, ſondern 
erfüllt hat, indem er den Geift des Gefeges, der in dem Buchftaben ents 
halten und nicht erfaßt war, enthüllte. Weder das alte, noch das neue 
Teftament weicht vom Gehege Abrahams ab, fondern erflüärt, was dem 
Abraham geboten war, daß er nämlih vor Gott wandeln jolle, um 
vollfommen zu fein. Mofes zeigt nun, wie man vor Gott wandeln 
müſſe, Ehriftus, wie der nah Mofis Anweifung vor Gott Wandelnde 
zur Vollkommenheit, die dem Abraham geboten war, gelangen fünne. Es 
it alfo am Gefege Abrahams nichts mehr zu erläutern. Wie kann nun 
dein Geſetz, welches das Geſetz der Araber heißt, Abrahams Geſetz ger 
nannt werden, da es doch vom Evangelium abweibt? Du wirft doc 
nicht annehmen, Gott habe dir größere Kenntniß gegeben, als Chriſtus, 
den du felbft dir und allen Propheten vorzieheft! Du mußt alfo zus 
geben, es fei nur Ein Gefeh das des Abrahams, Moſes und Ehriftus, 
das feinen Anhängern das ewige Leben als hödften Lohn verheißt. Es 
fann nicht mehrere Bollfommenheiten (plura perfectissima) geben, da 
fonft jede noch vollfommener fein könnte. Es gibt aljo nur Einen volls 
fommenften Weg zum Einen vollfommenften Ziele, und es fann dies Fein 
anderer jein, ald der, den Ehriftus, der Allervollfommenfte, gewandelt 
it und gelehrt hat. Was maht Did fo jchwanfend und unſicher in 
Allem, als die Unkenntniß Ehrifi? Du ſagſt, Jeſus, der Eohn der 
Jungfrau Maria fei Ehriftus, und darin irrſt du nicht; was aber Chrir 
us ſei, iſt dir ganz unbekannt, Würdeſt du in feftem Glauben Chri— 
Rus als den wahren Eohn Gottes des Vaters und der Mutter Maria 
erfennen, fo würdeft du einfehen, daß das ewige Leben, welches die 
hoͤchſte heißerfehnte Glückſeligkeit ift, durch feinen Menſchen, außer in ihm 
erreichbar iſt; Gott würde in dir und du in Gott bleiben, du würdeft 
dich nicht in den Meinungen derer, welche Chriſtus nicht fennen, unficher 
bin und ber bewegen. Hätteft du doch die Wiſſenſchaften verftanden, 
und wenigftend nur den kleinen canonifhen Brief des Johannes des 
Evangeliften, jenes geliebten Züngers Ehrifti, ſtudiret! Du Hätteft das 
Schreiben des Alchoran aufgegeben, und hätteft in jenem Lichte der Wahrs 
beit Deine Ruhe gefunden. Warum wollte Gott, daf jene in weiße 
Kleider gehüllten Anhänger Ehrifti, zu demen der Gvangelift Johannes, 
der Liebling Ehrifti, der in der Zungfraufchaft verharrte, gehörte, fo oft 
im Alchoran mit den höchſten Lobſprüchen gepriefen werden, ald damit 
ihr Verehrer des Alchoran der Chriften Leben und Rehre erforfchet und 
aachahmet? So fuchet denn das Licht in dem angeführten Briefe, damit 


364 


ihe zu Chriftus, dem wahren Lichte, das jeden Menfchen erleuchtet, ges 
fanget, und ihr werdet einen Schag von Weisheit und Verſtändniß der 
ganzen hl. Schrift finden. 


12. 
Der Alchoran nennt Abraham fälfhlih einen Gögenanbeter. 
Angabe des wahren Sachverhalte. 

Ich ſuche jegt zu zeigen, daß das Evangelium und auf das Voll 
fommenfte das Gefeg Abrahams gegeben hat. Für's Erfte entziehen das 
Evangelium und feine Verehrer nichts der Ehre Abrahams, wie es ber 
Alchoran und feine Anhänger in der Behauptung thun, Abraham fei zu 
erft ein Gögenanbeter gewefen, der nach feiner Bekehrung feinen Water 
Thara wegen des Göhendienftes getadelt habe, worüber der Alchoran 
Vieles erzählt. Dies gereicht Abraham zur Schmah, wie man denn in 
der „Lehre Mahomeds“ liest, Abraham felbft erfläre fich wegen des 
Gögendienfts für einen unwürdigen Vermittler bei Gott. Mahomed hat 
Died nicht aus dem Texte des alten Teftamentd gefchöpft, fondern ein 
Jude hat es aus einer Gloffe zur Entfräftung des Einwurfs, den man 
hinfichtlih der Jahre Thara's und Abraham’s erhebt, erfonnen; die 
Ehriften nahmen es nicht als wahr an, und ebenfowenig der große 
jübifche Gefcichtfchreiber Joſephus. Daher iſt nicht zu glauben, daß 
Abraham, ald er aus dem Lande Ur in Chaldäa auszog, ein Gögens 
biener geweſen fei, oder fein Water oder der Großvater Nachor oder 
Heber, von welhem er und die Juden Hebräer hießen, oder Noe,- oder 
irgend ein anderer Vorfahre Abrahams. Auf Gottes Befehl zog Abra— 
ham fogleih aus dem Lande, von feinen Verwandten weg in das Land 
Canaan. Wegen diefes Gehorfams ſprach Gott: „Ich will dich zu einem 
großen Volfe maden, ich will dich fegnen, und deinen Namen verberr 
lichen, und du wirft gefegnet fein. Ich will fegnen die dich fegmen, ud 
verfluchen, die dir fluchen, ja in dir ſollen alle Völfer der Erde gefegnet 
fein.“ Berner: „Alles Land, das du fiehft, gebe ich dir und beinem 
Samen auf ewig; ich will deinen Samen wie Sand machen. Wenn 
Jemand vermag, den Staub der Erde zu zählen, fo wird er auch deinen 
Samen zählen können.“ Dann: „Fürdte dich nicht, ich bin dein Be 
ichüger und dein überaus großer Lohn.“ Wiederum: „Nicht dein Haud 
geborner wird dein Erbe fein, fondern der aus deinen Lenden hervor 
geht, den wirft du zum Erben haben. Blicke auf zum Himmel und 
zähle die Sterne, wenn du kannſt; fo wird dein Same fein. Abraham 
glaubte Gott und dies ward ihm zur Gerechtigkeit angerechnet.“ Dan: 
„Ich bin der allmächtige Gott, wandle vor mir und fei vollkommen. 
Ich will meinen Bund fchließen zwifchen mir und dir und dich fehr er 


365 


mehren.“ Da fiel Abraham auf fein Angeficht auf die Erde und Gott 
ſprach zu ihm: Sch bin und fchließe meinen Bund mit dir, du wirft der 
Pater vieler Völker fein. Du ſollſt von nun an nit mehr Abram, 
fondern Abraham heißen, weil ich dich zum Vater vieler Völker gemacht 
babe. Ich mache dich fehr fruchtbar und made dich zu Völfern, und 
Könige follen aus dir hervorgehen. Und ich errichte meinen Bund zwiſchen 
mir und dir und deinem Samen nad dir auf ihre Fünftigen Geſchlechter 
hin, ald einen ewigen Bund, dein Gott zu fein und deines Samend nad) 
dir.... Sarat dein Weib follft du nicht Sarai, fondern Sara nennen. 
Ih fegne fie, und gebe dir von ihr einen Sohn, den ich fegnen werde, 
er wird zu Nationen werden, und Könige der Völker werden aus ihm 
hervorgehen. Da fiel Abraham auf fein Angeficht, und lachte und ſprach 
In feinem Herzen: Glaubft du wohl, daß einem Hundertjährigen geboren 
wird, und daß Sara, die neunzigjährige, gebären wird? Und er ſprach 
um Herrn: Möge Ismael leben vor dir, den ich von der Magd Hagar 
erhalten habe auf das Verlangen und die Bitte der Sara. Und der 
Herr jprad zu Abraham: Sara, deine Frau, wird dir einen Sohn ges 
bären, und du folft feinen Namen Sfaaf nennen. Und ich will meinen 
Bund mit ihm errichten zu einem ewigen Bündniß und mit dem Samen 
nah ihm. Auch für Ismael erhörte ich dich. Siehe ich fegne ihn, ich 
mache ihn fruchtbar und vermehre ihn ſehr; zwölf Fürften fol er erzeus 
gen, und ich made ihn zu einem großen Volke. Und meinen Bund 
errihte ih mit Iſaak. . . . Darauf befchnitt Abraham, wie es ihm 
Gott befohlen hatte, fi und Jsmael, feinen Sohn von zwölf Jahren, 
und alles Männliche in jeinem Haufe... . Und es erſchien ihm der Herr 
im Thale Mambre; er faß an der Thüre feines Zeltes bei der Hige des 
Zaged. Und nachdem er ihm die Augen eröffnet hatte, erfchienen ihm 
drei Männer, die vor ihm ftanden. Als er fie erblicdte, lief er ihnen 
entgegen aus der Thüre des Zeltes, fiel nieder zur Erde und ſprach: 
Herr, wenn ich Gnade gefunden habe vor deinen Augen, fo gebe nicht 
vorüber am deinem Knechte; ich will ein wenig Waſſer bringen, und es 
offen eure Füße gewajchen werden; ruhet unter dem Baume. Ich will 
einen Biffen Brod vorfegen, und es ftärfe fi euer Herz; dann möget 
Ihr weiter gehen. Sie fpradyen: Thue, wie du gefagt haft... Sara 
empfing und gebar einen Sohn in ihrem Alter, um die Zeit, welche 
Gott vorhergefagt. Und Abraham nannte den Namen feined Sohnes, 
den ihm Sara geboren hatte, Iſaak. Er befchnitt ihn am achten Tage, 
wie ihm Gott befohlen hatte, als jener 100 Jahre alt war.... Und als 
Sara den Sohn der Hagar, der Negyptierin, mit ihrem Sohne Saat 
pielen fah, fprah fie zu Abraham: Vertreibe diefe Magd und ihren 
Sohn, denn der Sohn der Magd foll nicht Erbe fein mit meinem Sohne 


366 


Saat. Und es fprad Gott zu Abraham: Alles, was Sara bir fagt, 
gehordhe ihrer Stimme; denn nad Iſaak foll dein Samen genannt wer 
den. Doch auch den Eohn der Magd will ih zu einem großen Bolke 
macen, weil er dein Same ift..... Hierauf verfuchte Gott Abraham 
und Sprach: Nimm deinen einziggeborenen Sohn x. (folgt das Opfer 
Abrahams mit neuen Berheißungen, nah 1. Mof. 22,1 ff.) 


13. 

Ueber die dem gläubigen Abraham gegebene Verheißung. 
Abraham war der Bater vieler Völker, weil er Vater des Glaubens 
war; er glaubte Gott, und died ward ihm zur Gerechtigkeit angerechnet. 
Daher werden Alle, welde Gott glauben (Deo credentes), wie Abra— 
ham, dur den Glauben gerechtfertigt. Da Gott ihm um des Glaubens 
willen den Sohn Iſaak gab, der fonft nah dem Laufe der Natur dem 
66 (oben: 100) Jahre alten Abraham und der 90 Jahre alten und über 
dies unfruchtbaren Sara nicht geboren werben fonnte, jo jehen wir, daß 
wir durch den Glauben, über unfere fterblihe Natur hinaus, das erfehnte 
ewige Leben erlangen. Wir wünjhen Söhne zu haben, damit in ihnen 
unfere fterblihe und Hinfällige Natur neues Leben gewinne und wir 
in ihnen fortleben. Durh den Glauben fehen wir Abrahams, des Gr 
rechtfertigten, Berlangen erfüllt (per fidem videmus Abrahae desi- 
derium justificatum). Er verbiente die Erfüllung feines Werlangent 
durch Den, dem in feinen Augen nichts unmöglih war. Durch den 
Glauben erlangte er dad Leben in dem ihm von Gott gegebenen Sohne 
und fo in feinen Nachkommen für ewige Zeiten; denn Gott fpricht: dieled 
Land will ich deinem Samen auf ewige Zeiten geben. Es lebt alle 
Abraham in feinem ewig dauernden Samen, und wie lebt er? Nicht fleiid- 
lid (secundum carnem), wie in feinem Eohne Jémael, der ein Sohn 
des Fleifches, nicht der Verheißung war, fondern geiftig (secundum 
spiritum), wie der Geift des Glaubenden in den Verheißungen Gottes 
lebt. Es wird alfo der Bund Abrahams mit Gott, welcher Bund cwig 
fein fol, durch Iſaak fortgefept, nicht durch Jsmael. Alle Glaubenden 
find in Iſaak der Samen Abrahams. Söhne Abrahams find alfo Alk, 
welche Gott jo ſehr glauben, daß fie dur den Glauben gerechtfertigt 
werden. Daher fagte der Prophet: freue dich, Unfruchtbare, die du nich 
gebährft, brich in Freudentruf aus, die du Feine Kinder haft! Denn piele 
Söhne hat die Verlaffene, mehr als die, welde einen Mann hat. Dw 
her zeigt der der freien, wiewohl unfructbaren Sara verheißene Iſaal, 
daß alle gläubigen Heiden in dem Vater Abraham geſegnete Soöhne det 
Verheißung feien. Indem Gott dem Abraham eine überaus große Der 
mehrung feines Samens verſprach, in welchem alle Völker und alle Stämme 


367 


der Erde gefegnet werben follten, bezog er den Bund mit Abraham auf 
Chriftus, daß nämlich er, der Eine Echöpfer, ihr Gott fein wolle (utique 
de Christo locutus est pactum Dei et Abrahae, scilicet, quia unus ipse 
creator esset Deus eorum). Der Bund wurde genau beobadtet von 
allen Söhnen Abrahams, den Propheten, die über der Beobachtung jenes 
Bundes forgfältige Wache. hielten. - Zulegt mußte man zum größten aller 
Propheten kommen, in weldem jener Same fein höchſtes Wahsthum 
erfangte- und die Fülle des verheißenen Segens fi offenbart. Das ift 
Ehriftus, in welhem Abraham und alle Glaubenden ewig leben. Als 
daher die Jungfrau Maria nad der Empfängniß im Geifte frohlockte und 
ihre Seele Gott pried, ſprach fie: Er hat ſich Iſraels, feines Zöglings, 
angenommen, eingedenf feiner Barmherzigkeit; wie er zu unfern Vätern 
geiprochen, über Abraham und feine Nachkommen auf ewig. Aus diefem 
Lobgeſange wiſſen wir, Ehriftus fei der Zögling Israel, der "als Mann 
Gott fieht (Christum puerum esse Israel viram videntem Deum), nad) 
der dem Abraham und deflen Samen gegebenen Berheißung, Der Bros 
yhet Zacharias, der Vater Johannes des Täufers, fagte von Jeſus, er 
fi das Horn des Heils, aufgerichtet im Haufe Davids, d. i. Meſſias, 
ver Heiland, wie er durch den Mund der Heiligen geiproden, die von 
Anfang find, gemäß dem Eidfchwure, den er gefchworen unferem Bater 
Abraham, er werde ihn (den Erlöfer) und geben. Somit ift Ehriftus 
ver Sohn Abrahams, der verheißene Same, der ewige Eohn, in welchem 
alle Gläubigen ewig leben. Da alle gläubigen Stämme der Erde im 
Vater Abraham gefegnet find und er im feinem Sohne lebt, Jeſus, dem 
gefegneten Samen, fo leben Alle gefegnet in dem Vater und in dem 
gefegneten Sohne. Daher fagte Ehriftus zu den Juden, er wife wohl, 
daß fie Söhne Abrahams feien, nämlih nah dem Fleiſche. Weil aber 
dies zur wahren geiftigen Sohnſchaft nicht hinreichte, fo fegte er bei: 
„wenn ihr Söhne Abrahams jeid, fo thuet die Werke Abrahams”, wor 
mit er fie befehren wollte, das feien die wahren Söhne Abrahams, welche 
feine Werfe thun, gläubig find und Gott geboren. Er ſagte auch: 
Abraham wünfchte feinen Tag zu fehen; er fah ihn und freute fih, Er 
ſah alſo vor ſich Ehriftus und daß diefer ihm verheißen fei und aus feinen 
Nachlommen erftehen werde. Indem er diefen Tag der Ankunft fah, freute 
er ih. Im dieſer Anfhauung hatte er die Gewißheit, daß alles ihm Ver: 
heißene in Erfüllung gehe, und daß diefe Verheißungen ihm nicht bloß 
wegen des Geſetzes und der Befchneivdung, fondern wegen feines Glau- 
bens gemacht worden feien. Diefe anfangs verborgenen Geheimniffe find 
und durch Ehriftus und feine Jünger geoffenbart worden. 


368 


14, 


Der Bund Botted mit Abraham fließt die JZsmaeliten aus 
und fommt in dem Mittler Ehriftud zum Abfhluß (in Christo 
mediatore concluditur). 

Nun merfet auf, ihr Araber! und erfennet, daß ihr, Nachkommen 
Ismaels dem Fleifhe nah, nicht in dem Bunde Abrahams mit Gott, 
wie die Söhne der Verheißung aus Iſaak, mitbegriffen feid; ihr habet 
feinen Antheil an dem Erbe Abrahams, weil ihr Nachkommen der Magd 
Hagar und Feinde des Geiftes feid, wie das Fleiſch immer wider den 
Geiſt if. Ihr könnet nicht im Samen Abrahamd gefegnet fein, wenn 
ihr nicht geiftige Söhne Abrahams durd den Glauben ſeid. Nur dann 
fönnet ihr die Verheißung des Segens in Ehriftus, der das Ziel und die 
Vollendung der Verheißung ift, erlangen. Verſtehet es, der Glaube wird 
durch den Geift erfaßt und erlangt in Ehriftus, dem Leben, das unſterb⸗ 
liche und ewige Leben, da diefer ebenfo Menſchenſohn ald Sohn Gottes 
ift, der allein unfterblich ift. Zm erften Kapitel des Alchoran fteht, Abras 
ham habe alfo geberet: „O ©ott, erwede einen Sohn unfered Geſchlechts 
ald Bermittler und Propheten, der den Andern ihre Pflichten und deine 
Tugenden fchriftlih offenbare und fie fegne; denn du bift ja der erhabene 
Rehrer, der Alles weiß und hört.“ Siehe, wie er in diefem Gebete von 
Chriſtus, dem Mittler zwilchen Gott und dem Menfchen Abraham redet. 
Kein Anderer kann gemeint fein, da er von dem Propheten, der ein Sohn 
feines (Abrahams) Stammes ift, redet, nämlih Iſaak, den Gott deſſen 
Einziggebornen nannte. Diefer ift der Mittler zwiſchen Gott und dem 
Menſchen, weil er der Einzige ift, zwiſchen welchem und Gott Fein Ans 
derer ald Vermittler auftritt, da Ehriftus der allerhöchfte Prophet ift, der 
allein Gott den Vater befannt macht, weil er deffen Sohn ift, und die 
Gläubigen durch ſich als der oberfte Hohepriefter fegnet. Sehet mn, 
Araber! Wie feid ihr die Nahfommen Abrahams, da ihr an diefem Olaw 
ben nicht fefthaltet? Wie wandelt ihr vor Gott, um vollfommen zu fein, 
da ihr doc nicht Söhne der Verheißung in Ehrifto Jeſu ſeid? Forſchet 
nach und ihr werdet nicht finden, daß Gott je einen Geſandten oder Lehrer, 
Propheten oder Boten gefendet habe, der nicht die Verträge und Bünds 
niffe heilig hielt, welche Gott mit Abraham, Iſaak und Jakob geſchloſſen 
hat. Aus der Reihenfolge der Verehrer dieſer Bündniſſe waren Alk, 
denen Gott den Geift der Propheten gegeben bat, nicht aus der Genew 
logie Ismaels, mit dem Gott feinen Bund gefchloffen hat, da er, mit 
Ausſchließung desſelben, Iſaak erwählt hat, obwohl Abraham jenen fegr 
nete und feinen Samen vermehrte und zwölf Fürften aus demfelben ber 
vorgingen, fo daß er fowohl in diefem als dem zufünftigen Leben beRän 


369 


digen Segen erlangte. 2eget kein Gewicht darauf, wenn im 2. Kapitel 
ded Alchoran Ismael unter den Propheten nah Abraham und vor Iſaak 
geiegt, wenn er im 28. Kapitel Gefandter und Prophet genannt wird. 
Diefe Behauptung hat fein Zeugniß, weder im alten, noch neuen Tefta- 
mente für fich, fondern es ftcht von ihm zu lefen, daß der Engel der Has 
gar, ald fie mit Jömael [hwanger ging, vorausgefagt habe, er werde ein 
wilder Menſch werden, der feine Zelte gegen feine Brüder aufſtelle. Mas 
bomed fegte jenes in den Alchoran, um fib, da er ein Ismaelite war, 
als Nachfommen eined Prophetengefchlechtes darzuftellen und fo deſto 
leihter als Gefandter und Prophet bei den Arabern Eingang zu finden. 
Da es aber in diefem Stüde bei ihm fehlerhaft ausſah, fo zeigte er das 
durh nur, was von ihm zu halten jei. Im 46. Kapitel fagt er, Abra> 
ham habe zu Iſaak gejagt: „Mein Cohn, mir ift in einer Erſcheinung 
angefündigt worden, ich ſolle dich enthaupten; fage mir, was ift deine 
Meinung ?* Er antwortete: „Vollziehe den Befehl, mich wirft du ftandhaft 
finden, Alles zu leiden.“ Iſt dem fo, wie dort ftcht, fo verdiente aller: 
dingd Ifaaf, indem er Gott und feinem Water bis in den Tod gcehorfam 
war, Derjenige zu fein, den Gott berufen hat, ald den Eamen des Se— 
gend für alle Gläubige. Denn gewiß war Abrahams Glaube ſehr groß, 
da er im feften Glauben, daß Gott feinen Samen in Iſaak auf das 
Aeußerfte vermehren werde, unerachtet des Befehle, diefen Eohn ale 
Brandopfer Gott darzubringen, nit daran dachte, es gehe Died gegen 
die Verheißungen Gottes, fondern hoffte, Gott werde nur um fo mehr 
kin Verſprechen erfüllen, wenn er ihm in der Tödtung des Sohnes ges 
borhe, indem er wußte, es fei dem nichts ſchwer oder unmöglich, der 
Todte ganz leicht auferwedt. 


15. 


Nur ein Ehrift, der die Dreieinigfeit in der Einheit ans 
betet, fann ein Sohn Abrahums fein. 


Ganz vollflommen war alfo der Glaube Abrahams, deſſen Sohn 
Naak fein wahrer Nachfolger und Erbe war, der Typus jenes vollfoms 
menften Samens, des Meſſias, der feinem Water bis zum fchmählichiten 
Tode gehorfam war. Doch was ift noch weiter beachtenswerih? Gewiß, 
daß ein Midder ftatt des Iſaak geopfert wurde. Diefer Widder, den 
Abraham fand und ftatt feines Sohnes opferte, bedeutet die Darbringung 
Ehrifti als Opfer, der wahrhaft geopfert und getödtet wurde, damit ber 
Yäubige Iſaak und das ganze Geſchlecht der Gläubigen lebe. Iſaak 
alſo bedeutet Chriftus, wegen feiner Freudigfeit des Gehorſams bie in 
den Top, die allen wahren Gläubigen innewohnen muß. Der Widder 

SHarpff, Nic. v. Cuſa. 24 


370 


bedeutet Chriſtus, foferne dieſer das Opfer (holocaustum) iſt, der durd 
feinen Tod alle Kinder Gottes durch den vollendeten Glauben (per con- 
summatam fidem) erlööt und vom ewigen Tode befreit hat. In den „Lehren 
Mahomeds“ fteht, der Widder fei ohne Cfleifchlihe) Vermiſchung wie 
Ehriftus geboren. — Wenn du, Araber! die Sache richtig faſſeſt, jo war 
Abraham (wie der Alchoran an einer Stelle fagt), allerdings nicht vor 
Ehriftus, weßhalb der Alchoran Abraham feinen Chriſten nennt, wohl 
aber war Ehriftus, der Sohn Gottes, der gleihewig mit Gott dem 
Bater ift, vor ihm; denn im Evangelium fagt Ehriftus: „Bevor Abraham 
geboren ward, bin id.“ Diefer ſah alfo in prophetifchem Geifte, ver 
Meſſias, der Mittler und Heiland, werde einmal in die Welt fommen, 
ohne den weder er noch irgend Jemand Zugang zum Bater haben werde. 
Abraham war daher ein Ehrift, indem er hoffte, durch die Wermittelung 
Ehrifti unzweifelhaft das ewige Leben zu erlangen. Das ift der einzige 
und vollfommene Glaube Abrahams, der auch der Glaube Aller fein 
muß, die den reinen (sanam) Glauben haben und durch denfelben jelig 
werden wollen. Abraham fah drei Männer im Thale Mamre, fiel auf 
die Erde und betete an und fprab: „Herr, wenn id Gnade vor deinen ' 
Augen gefunden habe, fo gehe vor deinem Knechte nicht vorüber.“ Den 
Einen Herrn betete er in drei Perfonen an; das ift Die Am 
betung der Ehriftenz; wenn ihr an diefer nicht fefthaltet, jo ſeid ihr nict 
Nachkommen Abrahams. Wie glaubet ihr in den Fußftapfen des ger 
rechten Abraham zu wandeln, da ihr die Kinder Abrahams verfolget? 
Es iſt nur Ein Sohn Abrahams, der Erbe Aller, Jeſus Chriſtus, der 
Sohn der Jungfrau Maria, der Tochter Abrahams. Er, deffen Vorbild 
Iſaak ift, ift der wahre Erbe Aller, weil er zugleih der Sohn Gottes 
ift, wahrer Gott und der überaus große Lohn Abrahams. Gott gab 
dem Abraham den Sohn Iſaak, weil er glaubte, Gott fei wahrhaftig in 
den Verheißungen; wegen des Gehorfams aber, den er in der Dpferung 
des Sohnes bewies, gab er ihm zum Lohne Ehriftus, den König und 
Her von Allem. Ihr Araber glaubet aber nicht, daß Abraham für 
feine Gerectigfeit und Gehorfam einen folhen Lohn erlangt habe. 
Ihr glaubet alfo weniger von Abraham ald die Ehriften, die wahren 
Kinder Abrahams. Seid ihr feine getreuen Kinder Abrahams, fo fönnt 
ihr auch nicht Miterben Ehrifti, des Sohnes Abrahams fein. 


16. 
Die Araber fennen das Geſetz Abrahams nicht und ver 
folgen dasſelbe. 
Genügt für euch die Beſchneidung? erfüllet ihr damit das Geleh 
Abrahams? Die Beihneidung macht euch noch nicht zu Kindern Abras 


371 


hams, ber Gott glaubte, und das ward ihm zur Gerechtigkeit anges 
rechnet. Der Glaube Abrahams rechtfertigt. Abraham war gerecht, als 
er moch nicht beichnitten war; allein Gott, der Abraham, Iſaak und 
Jafob und deren Nachkommen zu feinem befondern Volke auserwählt hat, 
wollte den Bund, daß er ihr Gott jein wolle, durch die willige Annahme 
ver Beichneidung (in obedientia eircumeisionis) befräftigen laſſen; ein 
Bündniß, mit jedem Einzelnen dadurd geihloffen, daß er fein Blut aus 
Gehorſam gegen Gott vergoß, konnte nicht verläugnet werden, und wer 
von der Verehrung des von ihm angenommenen Gottes abfiel, follte das 
Zeichen feiner Treulofigfeit an feinem Körper tragen. Die Ehriften aber 
find in Ehriftus befchnitten, da fie durdh Glauben und Taufe den myftis 
ſchen Leib Chriſti bilden. In Chriftus bereits befchnitten, zeigen fie fich 
durh ihren Namen ald Gläubige Gottes vor aller Welt. Wenn die 
Beſchneidung das Sinnbild des Abfchneidens der fleifchliben Gelüfte ift, 
jo beweist euer Geſetz, daß es nicht das Geſetz Abrahams fei, da es 
die Gelüfte allgufreigebig geftattet. Die Befchneidung foll acht Tage 
nah der Geburt, wie ed bei Iſaak der Fall war, vorgenommen werben. 
Ihr aber haltet euch nicht an den Befehl Gottes, fondern nehmet fie erft 
im dreizehnten Jahre (weil in diefem Alter SJömael befchnitten war) vor, 
um Jsmaeliten zu fein. Ihr wifjet, daß Abraham, um feinen Bruder zu 
befreien, mit vollem Rechte zu den Waffen gegriffen, und dennoch fib von 
Raub und Plünderung und fremdem Gute nicht habe bereichern wollen. 
Ihr wollet durch ungerechte Angriffe und Plünderung reich werden und 
behauptet, es fei euch durch euer Geſetz erlaubt, das doch vom Gefche 
Abrahams nicht abweichen darf. Eure Lüge, died fei mit dem Gefſetze 
Abtahams im Einflange, ift eine Läfterung des Gottes Abrahams gegen 
Abraham. Euer Gefeg gibt Gott, deffen Eigenthum die Welt, ven 
fünften Theil der Beute. Wie lächerlich, wenn ihr fagt: Solches (Plüns 
derung ac.) gejhieht nur gegen die Ungläubigen. Iſt es nicht nad 
eurem Glauben ganz unbefannt, wer einen befjern Wandel führe, wenn 
gleih Jever glaubt, er fei der Beſſere? Nah dem Alchoran ließ Gott 
einem Jeden fein Belieben. Das und verborgene Innere eined Jeden 
gehört vor den Richter ded Verborgenen am Tage des Gerichted. Weifet 
nad, wo Abraham Solches gethan oder zu thun befohlen habe! da ihr 
nichts der Art auffinden könnt, fo faget ihr mit Unrecht, ihr befolget das 
Geſetz Abrahams. Wie oft ſagt euer Buch: wenn es Gott wollte, ſo 
hätten Alle freien Glauben und Gottesdienſt; allein er läßt den dermaligen 
Zuftand zu. Warum nehmet ihr euch heraus, eine andere Weltordnung 
ald Gott feftzuftellen, als weil ihr Gott mehr als alle Andern in gottes⸗ 
Üferiiher Weife zu eurem fündhaften Begehren mißbraucht? Ihr faget 
24° 


372 


vielleicht: wir zehnten wie Abraham; hat nicht Abraham dem Hohen 
priefter Melcifedeh Zehnten gegeben? Was verfinnbildete aber der König 
von Salem, der Priefter des höchſten Gottes, Anders ald den Meifias? 
David fagt dies von ihm, Gott habe gefagt (im 109. Palm): Du bift 
der Priefter auf ewig nad der Ordnung Melchiſedechs.“ Jeſus Chriftus 
jelbft legt den Palm im Evangelium auf diefe Weife aus. Gebet ihr 
Chriſtus, dem ewigen Priefter, Zehnten, jo ahmet ihr den Zehnten Abras 
hams nad; gebet ihr aber Chrifto feinen, fo feid ihr, wenn ihr ihm aud 
(ſonſt) gebet, nicht Nadhfommen Abrahams. Allein ihr verfolget Chriftus, 
ihr plündert ihn, ihr befämpfet ihn in feinen Gliedern; fomit thut ihr 
Abraham, als deffen Nachfolger ihr euch rühmet, Gewalt an. Möchtet 
ihr doch einfehen, daß das geheimnißvolle Brod und Wein, dad Opfer 
des ewigen Priefters, die himmliſche Tafel, auf ewig nähre! Dann würde 
ihr vollfommen einjehen, daß gleichwie die Subftanz von Brod und ein, 
die nicht lebendig ift, durch die Thätigfeit der (menſchlichen) Natur gereis 
nigt und durch die menfchlice Subftanz zur lebendigen Einigung mit ihr 
angenommen wird, weil die Subftanz der Nahrung in die Einigung mit 
der Eubftanz des durch fie Genährten übergeht, fo auch vie lebendig: 
Subſtanz ded Menihen durch die Thätigfeit des Wortes Gotted gereis 
nigt und in die Einigung mit diefem aufgenommen wird, um in einem 
höhern Leben, als vorher, nämlich im göttlihen und ewigen, zu leben. 
(tunc perfecte videretis, quod sicut substantia panis et vini, quae non 
est viva, opere naturae depuratur et assumitur per substantiam hu- 
manam in sui unionem vivam, quoniam substantia nutrimenti transit 
in unionem substantiae aliti: sic substantia viva hominis depuratur 
opere verbi Dei et demum assumitur in ejus unione, ut vivat vita 
altiori quam prius, scilicet divina et aeterna.) Hieraus fieht man, 
wie Ehriftus, das Wort Gottes und fein myftiicher Leib Ein unſterbliches 
und ewiges Leben mittelft der obengenannten Einigung leben. Doc diele 
ganz verborgenen Geheimniffe vermöget ihr nicht zu faffen, weil ihr an 
die perfonelle Einigung der menſchlichen und göttlihen Natur in Chriſtus 
nicht glaubet. Ihr fönnet die oben erwähnte Frucht nie koſten, weil ihr 
ohne Glauben und Hoffnung feid. 


17, 

Guter Rath an den Sultan, er folle befeblen, daß bie 
Jungfrau Maria ald Gottesgebärerin, Beoronog, verehrt 
und das Licht des Evangeliums angenommen werde 

Sultan von Babylon, Fürft eines großen Volkes! bevenfe, warum 
du behaupteft, dir fei die Bewachung des Glaubens der Araber anver: 
traut! Du wart einft Chriſt und haft, um zur Herrſchaft fähig zu fein, 


373 


den chriftlichen Glauben verläugnet. Du willſt Chriſtus nicht ganz vers 
läugnet haben, fondern nur weniger glauben, als vorher. Du glaubteft, 
er fei der wahre Sohn Gottes, dies glaubft du jeßt nach dem arabifchen 
Glauben micht mehr. Dagegen den Glauben an die Ginheit Gottes hältft 
du jegt noch wie früher feft. Du glaubteft, Maria, die Mutter Jefu Ehrifti, fei 
Beoroxos, Gottesgebaärerin; jetzt hältft du fie zwar für die Mutter Ehrifti, 
aber nicht für die Mutter Gottes. Du glaubieft, Ehriftus fei in Seru: 
jalem durch Pontius Pilatus zu unferm Heile gefreuzigt worden, du 
befuchteft fein Grab in Jeruſalem, du faheft die Zeichen von Dem, was 
in feiner Todesſtunde vorging, die Spalten der Felfen in Folge des Erds 
bebend; jetzt läugneft du feinen Tod und behaupteft, er lebe noch. Du 
jahft oft mit Andacht die Stätte feiner Geburt im Stalle zu Bethlehem; 
ht läugneſt du diefe Thatfache und fagft, unter einer Palme in einer 
einfamen Gegend fei Ehriftus geboren. Sonderbar! du bift nicht Sultan 
geworden, um die Ehre und Verherrlihung Chriftt und feiner Mutter, 
der Jungfrau Maria, zu vermindern; daß jene heiligen Orte die beftän- 
digen Denfmale der Kreuzigung und Geburt Jeſu, ein unumterbrochenes 
Zeugniß von mehr als taufend Jahren feien, gibit du zu, daß fie aber 
dib deines Unglaubens überführen, darüber errötheft du nicht. Einft 
glaubteft du, daß der Engel Gabriel von Gott zu der Jungfrau Maria 
nah Nazareth gefandt worden fei und ihr gemeldet habe, fie werde Jeſus, 
den Sohn Gottes, gebären. Jetzt glaubft du, Amram fei der Vater Mariens 
und folglich fie nicht jene Maria, von welder das Evangelium redet, 
welbe auf jene erfte Maria erft nach mehr als 1000 Jahren gefolgt ift. 
Sagft du, der Alchoran babe hierin geirrt, fo folgt, daß der Gabriel des 
Evangeliums wahrhaftig und der Gabriel des Alchoran ein Lügner ift. 
Bedenke doch: wenn Mahomed durch die ihm beiftehenden Juden getäufcht 
worden ift, welche ihm beibrahten, Maria, die Mutter Chrifti fei die 
Schweſter Aarons geweien, fo fonnten fie ihm auch in vielem Andern 
täuſchen, ba er von der Geſchichte gar nichts verftand. Die glorreiche 
Jungfrau Maria verlangt von dir, daß du ihr bie ihr von Gott vers 
liehene, von der dritten Synode unter Theodofius, von der vierten unter 
Nartianus feierlich ausgefprocene Ehre wiederherftelleft. Blicke hin auf 
jene ruhmvollen Kaifer Theodofins, Marttanus, Eonftantin und alle an— 
dern, welche die Ehre der Jungfrau und Mutter Ehrifti mit dem größten 
Eiſet zu erhöhen fich beftrebten. Bift du ein Fürft, fo bevenfe, deine 
Ehre erfordere ed, eben fo zu handeln, da did dazu das früher von bir 
belannte Evangelium verpflichtet, das du jegt durch die Annahme des 
Alchoran aufs Neue befräftigt und beftätigt haft. Dur fagft vielleicht: 
„Berne fei es von mir, daß ich der Jungfrau Maria nicht die gebührende 
Ühre geben wollte! fo verftehe ich den Alchoran nicht, weßbalb ich Alle, 


374 


welche die heilige Jungfrau läftern, mit dem Tode beftrafe. Allein es 
fehlt mir das Verftändniß über die Art der Geburt Jeſu aus der Jungs 
frau.” Ich antworte darauf: Die Art der Menſchwerdung des Wortes 
gebt über den menfhlichen Verftand; da aber das Evangelium jagt: dad 
Wort ift Fleiich geworden, jo mußt du dies glauben, wenn du anders 
dem Evangelium glaubft. Es genügt, wenn du an die Mutter Chrifti 
glaubft (si credis matrem Christi), welder Ehriftus das Wort ift, dad 
in Maria der Jungfrau Fleifh angenommen hat, in der Weife, wie dies 
Gott bewirkt hat. Wenn du daher den Befehl erläffelt, daß Alle in 
deinem ganzen Reihe dem Evangelium glauben, wie die Yegyptier, Afti— 
faner, Römer und Afiaten geglaubt und die hl. Jungfrau zur Zeit Ma: 
homeds, vor und nad ihm, wenigftend zum größeren Theile, verehrt haben, 
fo wird diefer Befehl gewiß Gott und Chriſtus und der unbefledten 
(intemeratae) Jungfrau angenehm fein, unzähligen Gemüthern Heil und 
Frieden, dir unfterbliches Xob und das ewige Leben verihaffen. Koms 
men muß die Zeit (wie oben aus dem Alchoran gezeigt ift), wo nur 
der Glaube Ehrifti befteht (Evenire debet tempus, ut supra die- 
tum est ex Alchoran, quo non erit nisi fides Christi). Mache du den 
Anfang zum Mebertritte und es folgen dir alle Fürften jener Secte! 
Dann wird man fagen: Siche, Gott hat Böjes zugelaffen, damit Gutes 
daraus hervorgehe. Der Glaube des Evangeliumd war allenthalben 
von den orientalifhen Götzendienern verachtet: da fam der arabiide 
Glaube (lex), ſcheinbar abgeneigt jenem beizuftimmen (quasi nolens con- 
sentire in ipsam), und führte die Araber zur Anbetung des Einen Gottes, 
jedoch mit heimliher Billigung ded Evangeliumd (approbato tamen ot- 
culte Evangelio). Sept gefiel e8 Gott, daß das fo beftätigte Evange 
lium, das jedoch noch mit vielen Albernheiten des Alchoran bededt ift, 
and Tageslicht hervorfomme. So werden Diejenigen vom arabiſchen 
Glauben zum Evangelium geführt werden, welche Anfangs den ftärkften 
MWiverftand Teifteten, zur Ehre des großen Gottes, des Königs der 
Könige, ded Schöpferd und Herrn der Welt. 


18. 
An den Chalifen von Bagdad, daß die Juden über Abraham 
im Alchoran (willführlihe) Zuſätze gemacht haben. 
Zuvörberft frage ich Deine Weisheit, der Du das Haupt der aru— 
bifhen Religionsgenoffenfchaft bift (qui praees legi Alchoran): glaubfl 
Du, daß Gott der Urheber des Alchoran ift oder nicht? Wo nicht, warum 
befichlft Du, daß man auf der Hochſchule zu Bagdad diefem Bude fo 
eifriges Etudium widme, das von fich ſelbſt falfches Zeugniß ablegt, da 
e8 behauptet, von Gott verfaßt zu fein, was Du doch nicht glaubt? 


375 


Glaubſt Du aber, daß das Bud Gotted Wort enthalte, wie kann es bes 
baupten, Gott habe. e8 dem Mahomeb durch Gabriel eingehändigt mit den 
Worten: „dieſes Buch Gabrield, das er deinem Herzen dur den Schöpfer 
nahe legt? ? Wie können diefe Worte Gott in den Mund gelegt werden, 
ver der Schöpfer it? Du weißt durch das Lefen des Buchs, daß ſich 
jehr häufig Dinge darin finden, die an und für fich beweifen, fie feien nicht 
Worte Gottes? Doch gefegt, Du glaubeft nun einmal, trog diefer und 
anderer Cinwürfe, Gott habe dad Buch zujammengeftellt, fo mußt Du 
auch den ganzen Inhalt für ganz wahr halten. Sage nun: wenn es im 
19. Kapitel heißt: „Ich, dem Gott den rechten und geraden Weg, den 
Weg des nicht ungläubigen Abrahamd öffnet und darbietet,” was vers 
fieht Du unter: Jh? Meinft Du Mahomen, fo find es nicht Worte 
Gottes umd verdienen feinen Glauben. Wenn Mahomen von fich felbft 
Zeugniß gibt, fo hat diefer Beweis feinen Werth. Da aber jene Worte 
im Alchoran ftehen, fo haft Du fie für Gottes Worte erflärt, was Beides 
fih nicht zufammenreimt. Sodann, fteht nicht im 6. Kapitel: „Schärfe 
den Andern ein, Gott habe wahrhaftig geboten, fie follten Abrahams 
Secte nachahmen, der fein Ungläubiger und kein Gößendiener war ?*” Hat 
Gott dies befohlen und darauf im 16. Kapitel dem Mahomed zuerft den 
Weg Abrahams geoffenbaret, wie reimt fich Beides und wie verträgt 
ih damit das im 6. Kapitel Gefagte, Abraham fei fein Ungläubiger 
und Fein Gögendiener gewefen, was er auch) in feinen „Lehren“ behauptet? 
Sage mir: da Mahomed 40 Jahre alt vom Gögendienfte durch den 
neftorianifchen Mönch Sergius, von dem er auch den Drdenshabit annahm, 
befehrt wurde und in diefem Glauben geftorben fein fol, wie fann es 
dann wahr fei, daß er das Geſetz Abrahams beobachtet habe? Wo 
liest man im Alchoran ein Gebot über die Beichneidung, oder daß Mas 
homed beichnitten war; nicht 8 Tage nad feiner Geburt, wie es für die 
Söhne Abrahams geboten war, nicht im 13. Jahre, wie Jsmael (denn 
damals war er noch Gögendiener), noch auch fpäter ward er befchnitten. 
Wohl aber war er als neftorianifher Chrift getauft. Denn die Neftos 
tianer halten am Evangelium feft und haben die Taufe. Es ift nicht 
wahrfcheinlich, daß Mahomed jene (obigen) Etellen in den Alchoran ges 
ſchtieben habe. Denn befanntlich enthält das 12. Kapitel und was vor 
jenen Kapiteln fteht, welche das Geſetz Abrahams dem Mahomed mit- 
getheilt werden laſſen, Lobſprüche auf das Evangelium; ebenfo enthält 
dad 4. Kapitel ein Rob auf Ehriftus, was von Mahomed herrühren kann, 
da er Chriſt war. Es iſt ausgemadt, daß er Ehriftus allen Propheten 
und den evangelifhen Glauben allen andern vorzieht. Daher ift es nicht 
wohl denkbar und wahricheinlih, daß er, nachdem er Chriſtus und das 
Evangelium verlaffen, durch Gott auf Abraham hingewieſen worden fei, 


376 


da die Chriften wiffen, daß die Beobachtung des Evangeliums die ganze 
Volfommenheit ded Glaubens und Geſetzes Abrahams in fich begreife. 
Wahrſcheinlich haben daher die Etelle über das Gefeg und den Weg 
Abrahams die Juden nah Mahomeds Tod in den Alchoran gefegt, in« 
dem die Sammlung Mahomeds, wie früher erwähnt, in ihren Händen 
fib befand. — Nun fiehft Du, Ehalife! daß ihr durch verſchmitzte, Alles 
verfehrende, gottesläfterlibe Juden getäufcht feid, welche den Alchoran bei 
Lebzeiten Mahomeds nie veröffentlicht haben, fo wie aub fein Inhalt nie 
Jemanden im Zufammenhange als Ein Ganzes mitgetheilt wurde. Nach 
dem Tode Mahomeds festen die Juden, die fih an Mahomed ange 
fhloffen und die Sammlung feiner Gebote ganz in ihrer Gewalt hatten, 
ehe fie diefe Eammlung dem Ali, dem fie nah Mahomeds Anweiſung 
übergeben werben follte, zuftellten, die Stellen über Abraham hinein, als 
defien Söhne die Juden ſich rühmen, fo wie noch mehreres Andere, was 
dann im Alchoran ftehen geblieben iſt. Da Du dies wohl weißt, fe 
faffe einen männlihen Entſchluß in der Furcht Gottes und ziehe die 
Wahrheit der Lüge vor. 


19. 
Demweis, daß Niemand ohne Ehriftus jelig werden fann. 


Bedenke ferner, dag Du Di Ehriftus und feinem Evangelium ohne 
Zweifel auh nah Mahomed unterwerfen mußt, wenn Du zum ewigen 
Leben gelangen willft, weil dies dem Menfchen ohne Ehriftus unmöglid 
ift. Um dies zu zeigen, fehicte ich voraus, daß aud nach dem Aldoran 
der Sterblihe dur feine Anftrengung und Uebung in der Tugend um 
fterblih werden fann. Könnte die fterblibe Natur ſich felbft unfterblid 
machen, fo fünnte fie auch ſich zu Gott maden, der allein durd feine 
Natur unfterblih ift, auch nah dem Alchoran. Kein Menfh kann bei 
dem größten Eifer folbe Werfe verrichten, um derentwillen er nach Redt 
und Verdienſt unfterblih würde. Da wir gleichwohl Alle nach Unfterd- 
lichfeit uns fehnen, fo gelangte Niemand zur höchſten Glüdjeligfeit, außer 
er erreiche die Unfterblichkeit, und es würde nicht genügen, fie ohne Vers 
dienſt zu befigen. Wer das Neich der Unfterblichkeit nicht als Erbe und 
Herr durd die Gerechtigkeit erlangt, ift noch nicht glüdlih. Der Bufall, 
der das, was er hat, aus Gnade hat, ift nicht glücklich, weil er ein 
Diener ift, fondern nur der Herr und Erbe. Wie ift es nun möglid, 
daß der Menſch zum Reiche des Himmels und der Unfterblichfeit fo ge 
lange, daß er König und Herr und Erbe dieſes Reiches fei, wenn ber 
Sterblibe die Unfterblichfeit nicht fo verdienen kann, daß fie ihm ald 
Verdienft gebührt (sic mereri non potest, quod ei debeatur)? mie 
das Leben des unvernünftigen Thieres durch Feine Webung ſich zum gel 


377 


figen und intelligenten Reben hinauf erheben fann, wiewohl das eine 
Thier mehr als das andere dur die Drefiur (doctrina) ded Menſchen 
zu einer WHehnlichkeit der Intelligenz auffteigen fann, ald das andere; 
doch wird es nie möglich fein, daß das Thier intelligent werde. — Gäbe 
es aber ein Thier, das der Belehrung in dem Grade fühlg wäre, daß 
ihm durch fortgefegte Uebung das Verftändniß der Dinge, die nur ber 
Menſch verfteht, aufginge und es died durch die That beweifen würde, fo 
wäre Died keineswegs ein reines brutum, fondern hätte einen Berftand, 
mit welchem die fpecifiih thieriſche Natur wie mit feiner Hypoftale ge 
einet wäre. Es fönnte daher, was ed in jener Wurzel, die ich Hypoftafe 
nenne, als Natur befaß (naturaliter habuit), in der angenommenen thie— 
riſchen Epecied durd entfpredende Uebung verdienen (potuit etiam in 
assumta specie brutali congruo mereri exereitio). Was vom Thiere und 
Menihen gilt, das muß auch vom Menfchen und der Gottheit (divini- 
tate), welche auch Unfterblichfeit genannt wird, gelten. Mag ein Menſch 
noch fo fehr der Unfterblichfeit oder Gott ähnlicher fein, ald ein Anderer, 
fo gelangt er doch nie durch feine noch jo eifrige Uebung, wenn er auch 
beftändig Heiliger wird, zur Gottheit oder Unfterblichkeit, Und glaubt 
auch einer dahin gelangt zu fein, fo muß feine Wurzel oder Hypo— 
fafe göttlich geweſen fein, fo daß er in der angenommenen Menfcheit 
durch eine entiprechende Tugendübung die Unfterblichfeit, die er in feiner 
Wurzel oder Hypoftafe fhon hatte, auch verdienen fonnte. Ihr zweifelt 
nad dem Alchoran nicht, es fünne ein Menſch durd Glauben und Werke 
verdienen, daß ihm durch den Urtheilsſpruch Gottes, des Richters, am 
Tage des legten Gerichtes das ewige Leben zuerkannt werde. Bei Chriftus 
fönnet ihr died alfo am allerwenigften bezweifeln, weil Keiner fittlich 
würbiger ald er war. hr müßt alfo zugeben, daß, weil Chriſtus ale 
ſterblicher Menſch, die Unfterblicfeit in der menfchlihen Natur fi vers 
dient hat, diefe menfhlihbe Natur in ihm zur Wurzel (wenn id 
fo fagen darf) und Hppoftafe die göttlihe Natur hatte. In 
keinem andern Menfhen war die menfchlihe Natur fo erhöht (elevata), 
daß ihre Hypoftafe die göttlihe war; denn er allein ift der Höchfte 
(altissimus). Es fonnte deßhalb und kann Fein anderer Menfch feiner 
menfhlihen Natur die Unfterblichfeit verdienen, nur Chriftus konnte es. 
Er verdiente daher die Unfterblichfeit Allen, die durch die gleiche menſch⸗ 
liche Natur ihm conform find. Nun begreifen wir, warum er in der dur 
den Engel Gabriel an die Jungfrau Maria ergangenen, im Evangelium 
aufgezeichneten Verkündigung — von Gott Jefus genannt wurde, weil 
et der Erlöfer if, der fein Volk erlöst, ebenfo, warum er Meſſias oder 
Helaldter König if. Zu feinem Reiche gehören Alle, die das ewige und 
unſterbliche Leben erlangen wollen. 


378 


20. 


Beweis, daß Ehriftus den Ehriften die Unſterblichkeit ver 
dient hat. 

Verſtehe, Chalife! daß Ehriftus diefes Neich der Unfterblichfeit durch 
die aus der Jungfrau angenommene menjhlide Natur verdient hat, weil 
er in der Wurzel oder Hupoftafe, der Natur nad) (per naturam) unſterblich 
war. ... Die menfhlihe Natur ift in ihm nicht dinzig und allein durch die 
Gnade der Einigung derfelben mit der göttlichen Hypoftafe, fondern aud 
dur die Tugendübung (ex exercitio virtutis) unfterblic geworden. Nach 
Ablegung der Sterblichkeit im Tode, den er aus Gehorfam gegen Gott 
erduldet, verdiente er unfterblich zu werben (meruit fieri amplius immor- 
talis). Es ift daher der Meifiad oder Ehriftus der König, vor allen 
feinen Genoſſen (prae consortibus) geſalbt, durh Natur und Verdienſt 
der König ded ewigen oder unfterblichen Lebens. Es ift dies fein Reid, 
ded Königs der Tugenden und der Chimmlifchen) Glorie; zu diefem feinem 
Reiche find Alle, Ungläubige und Gläubige, durch ihn berufen, um mit 
Ihm zu berrfhen; die feine Stimme hören und ihm nachfolgen, befigen 
die Unfterblichkeit. Du fichft hieraus deutlich, Chriftus fei der Mittler 
zwifchen Gott und den Menfchen und fein Menfch verdiene durd Glauben 
und Werfe das ewige Leben, außer dur ihn. Er ift der Erbe des un 
fterdlihen Reiches Gottes, in dem Gott allein wohnt, nad dem alle 
Menſchen fi fehnen. Er ift Erbe im jeder Weile, nad feiner Natur und 
nad) pofitiver Anordnung (secundum naturam et constitutionem). Als 
Erbe der Natur nah wird er der wahre Sohn Gottes genannt, denn 
der Sohn ift der natürliche Erbe, als Erbe nah pofitiver Anordnung 
heißt er Menfchenfohn, gejalbt vor feinen Genofjen. Die Anordnung ift 
aber eine doppelte: die eine, welde einfach von der Wahl des Anords 
nenden abhängt, die andere, die nicht nur von der Wahl des Anordnnenden, 
fondern von dem Verdienſte des Beorderten (constituti) abhängt. Wenn 
ein König, der einen Sohn und einen mächtigen Feind hat, verfündete, 
er werde denjenigen Krieger zu feinem Erben einfegen, der ihm den Feind 
befiege, und wenn nun der Sohn die Geftalt eined Kriegerd annähme 
und Sieger würde, fo wäre diefer in beider Hinfiht Erbe: dur Natur 
und pofitive Anordnung. So ift aud Chriftus der Erbe von Allem durd 
Natur und pofitive Anordnung. Denn er hat die menſchliche Knechts⸗ 
geftalt angenommen und den Fürften diefer Welt, den Feind Gottes ber 
fiegt, aus deſſen Hand er die gefangene menſchliche Natur befreit hat, 
die nach dem Ebenbilde Gottes und zu feiner Anſchauung erſchaffen iſt. 
Du fiehft alfo, Ehriftus ift der vollfommenfte Erbe Gottes, durch Natur 
und Verdienſt Gotted- und Menfhenfohn. Alle, die Chriftus ähnlich find, 


379 


find durch ihn Erben und Kinder Gottes und Miterben Chriſti. Die 
Erbichaft ift das Neich des ewigen Lebens, in weldem Gott der Vater 
in feiner Herrlichfeit gejchaut wird und Ghriftus, der Siegreihe, in ber 
Herrlichfeit Gottes des Vaters. Anders fann auch der Alchoran die 
Sache nicht verftehen, wie Du felbft in Deinem Haren Verftande einfiebit. 
Wenn Du darauf recht achteſt, fo fiehft Du, daß in Ehriftus nur Eine 
göttlihe Hypoftafe ift, in welcher die menſchliche Natur wurzelt (radicatur). 
Die Hypoftafe der göttlichen und unfterblihen Natur nimmt die menfchliche 
Natur an (humanam in se colligit naturam). Wegen diefer Hypo— 
ſtaſe ift Chriſtus Eine göttliche Perſon, obwohl er göttlihe und menſch— 
lihe Natur zugfeih hat. Durch communicatio idiomatum wird von ihm 
ausgefagt, was wir der göttlichen und menſchlichen Natur zugleich zuweiſen. 
Hierüber kannt Du, wenn es Dir beliebt, bei vielen gelehrten Ehriften 
binlänglicen Aufihluß erhalten. 


21. 
Nachweis der Aehnlichkeit zwifhen Adam und Chriftus. 


Da über die Art der Einigung der menfchlichen Natur mit der gött— 
liben Hypoftafe Viele feine rechte Vorftellung haben, weil diefe das nicht 
erreicht, was allen Verſtand überfteigt, fo will ich hierüber noch Einiges 
beifügen, damit du nicht auf Irrwege geratheft, wenn Du dem Neitorius 
oder Eutyches oder einem Andern, der feine richtigen Begriffe hat, folgeft. 

Zu einem richtigen Verftändniffe mußt Du wiffen, daß, wie im 
5. Kapitel des Alchoran ftcht, Jeſus eine gewiffe Aehnlichfeit mit Adam 
bat. Der Begriff hievon ift folgender: Adam wurde von Gott erfcaffen, 
um über die Thiere zu berrichen, er war König und Meffias der Thiere. 
In ihm war eine höhere Hypoftafe, als in den Thieren, die geiftige Natur, 
welche die thieriſche Natur in fi faßt und mit fich einige. Er war 
daher Eine Perſon, wiewohl von geiftiger und thierifcher Natur Da 
die Natur (natürliche Befchaffenheit) den Vorzug hat vor jedem Stufen- 
gang der Bervollfommmung, fo geht Gott Allem vorher, nicht der Zeit 
nah, da er nicht in der Zeit if, fondern feiner Natur nach, weil er 
vollfummener if. Gott ift daher Älter ald die Vernunft, die Vernunft 
Älter als die finnlihe oder thieriihe Natur, diefe Älter ald das Vegeta— 
biliſche. Ich fage Älter, nicht in Rückſicht auf die Zeit, fondern auf die 
Stufe, Würde und Volltommenheit. So hat nun in Adam bie geiftige 
Natur, Älter als die finnliche, diefe mit fich geeinet und er ift der König 
aller finnlichen lebenden Wefen geworden. . . So kann auch Ehriftus nad 
diefer Aehnlichkeit gefaßt werden als Meffias und König aller geiftigen 
Naturen, weil die göttlihe Natur, Älter ald die geiftige, diefe mit ſich 
geeinigt und zu göftliher Thätigfeit (ad operationes divinas) in Ber 


380 


wegung gefegt hat. Es ift jedoch mur eine theilwelfe Aehnlichfeit, nicht 
eine totale. Denn das geiftige Leben in Adam hat nicht nur mit fih 
das finnlihe Leben geeinet, fondern weil zwifchen dem geiftigen und finns 
lichen Leben ein gewiſſes Verhäftnig möglich ift, da jedes erſchaffen und 
befhränft ift, fo ift das geiftige Leben in diefer Einigung zum geftaltenden 
Princip (forma) geworden, welches das ihm geeinte finnlice Leben ges 
ftaltet und belebt (formans). Das göttlide Leben in Chriftus aber bat 
zwar die geiftige menfchliche Natur bypoftatifch mit ſich geeint, jedoch nicht 
als geftaltendes Princip (non formaliter), da zwiſchen dem göttlichen, 
ganz unbegrenzten Leben und dem geiftigen befchränften Fein Verhältniß 
befteht, wie ed doch nothwendig zwifchen der Geftalt und dem geftaltenden 
Princip beftehen muß. Da jedoch die Hypoftafe von unendlicher Kraft 
ift, fo verläßt fie die in fih aufgenommene Natur niemals; wie die Kraft 
des Magnetd das von feiner Hypoftafe angezogene Eifen nie verläßt und 
mittelſt des angezogenen Eiſens auch ein anderes anzieht, was ins Um 
endliche ginge, wenn feine Kraft eine unendliche wäre. Gleichwohl wird 
die Kraft des Maguets nicht das geftaltende Princip für das Eifen, fie 
geht nicht ind Eifen über, um Eiſen zu werben, fie ift feine Zufammen 
fegung mit dem Eifen, fo daß ein Drittes aus der Zufammenjegung 
Beider würde, fondern bei unvermifchtem Fortbeſtande beider Naturen 
(remanentibus naturis inconfusis) hängt fih das Eifen fo an die Kraft 
ded Magnetes an, daß es diejelbe nie verläßt, ed mag hinauf, hinunter 
oder auf die Seite bewegt werden. Im diefen wiewohl unvollfommenen 
Bildern erfaffe Ehriftus. Sodann: wie der irbifhe Adam jeden Men 
fen, der in dieſe fihtbare Melt kommt, in fich faßte, fo daß complicite 
alle Menſchen in ihm waren und von ihm die Möglichkeit erhielten, 
Menfhen für diefe Welt zu fein, fo find aud in Chriſtus, dem zweiten 
und himmliſchen Adam, alle zum unfterblihen Leben Präpdeftinirten, von 
dem fie Alles empfangen, um Bürger und Hausgenoſſen jenes unzer 
ftörliben himmlischen Reiches fein zu fünnen. Dies wirft Du auf das 
Klarfte und Deutlichfte einfehen, wenn Gott dir die Augen zum Lefen 
und Berftehen-des heiligen Evangeliums öffnet. Das verleihe Dir der 
gnädige und barmherzige Gott, dem Preis ſei in Ewigkeit! Amen. 


Üeber den Frieden oder die Webereinftimmung unter den 
Religionen. 


(De pace seu concordantia fidei.) 


1. 


Die Nachricht über die Graufamfeiten, welde der türfifhe Sultan 
jüngft bei Conftantinopel verübte, haben einen frommen Mann, der früher 
jene Gegenden gefehen hatte, vergeftalt ergriffen, daß er unter vielen 
Seufzern den Schöpfer bat, er möchte dod der außerordentlihen Vers 
folgung, die dort wegen der Verfchiedenheit der Glaubensbefenntniffe 
würhet, in feiner Gnade eine Grenze fegen. Da geſchah es, daß jenem 
frommen Manne nah einigen Tagen in Folge des täglich fortgefegten 
Nachdenkens eine Erfheinung zu Theil wurde, die ihn auf die Idee 
brachte, es könnte durch einen Verein einiger verftändiger Männer, welche 
von allen Verſchiedenheiten der Religionen auf der ganzen Erde eine ger 
naue Kenntniß haben, eine gewiffe Uebereinftimmung (concordantiam) in 
denjelben aufgefunden und fo ein beftändiger Religionsfrieve dur ein 
geeignetes, auf Wahrheit gegründeted Mittel bergeftellt werden. Damit 
nun jene Erſcheinung zur Kenntniß Derer, welche bei jenen wichtigen Er- 
eignifjen einzufchreiten haben, gelange, fo hat er diefelbe, fo gut das Ge⸗ 
daͤchtniß fie wiedergab, im Nachftehenden aufgezeichnet. 

Er ward auf eine Höhe geiftiger Betrachtung erhoben, wo unter 
Hingefchiedenen im hohen himmlischen Rathe unter dem Borfige des Alls 
mädtigen über diefe Sache folgende Berathung gepflogen wurde. 

Der König Himmeld und der Erde ſprach, traurige Botſchaften von 
den Seufzern Unterdrüdter feien aus dem Reiche der Welt zu ihm gelangt. 
Viele hätten um der Religion willen die Waffen gegen einander erhoben, 
eigenmäctig zwingen die Einen die Andern unter Androhung des Todes 
zur Abſchwörung eined lange Zeit geübten Glaubend. Sehr groß war 
die Zahl der Ueberbringer diefer Klagen aus dem ganzen Erdenrunde, 
welche der Himmelsfönig im Plenum den Heiligen vortragen ließ. Jene 
Botſchafter ſchienen alle den Himmelsbewohnern befannt zu fein, weil 
vom König des Univerfums felbft von Anfang an über die einzelnen 
Provinzen und Religionen eingefegt. Sie fahen nicht wie Menfchen aus, 
ſondern erfhienen als geiftige Kräfte Cintellectuales virtutes). Der 


382 


Dberfte von ihnen fprah im Namen Aller: Herr und König des Melt 
alls! was hat jede Greatur, das du ihr nicht gegeben haft? Den aus 
Etaub der Erde gebildeten Leib haft du mit einem vernünftigen Geifte 
belebt, auf daß in ihm das Bild deiner unfterblihen Macht wiederfceine. 
Einer hat fih zu einem großen Volfe vermehrt, welches die Oberfläche 
der Erde bewohnt. Und obwohl diefer vernünftige Geift, gepflanzt in 
Ervenftaub und umfangen von Schatten (absorptus in umbra), das Licht 
und den Anfang feiner Entftehung nicht zu fehen vermag, fo haft du ihm 
doch Alles noch dazu gegeben (concreasti), wodurd er, zum Staunen über 
das, was fein Auge fteht, angeregt, dad Auge des Geifted zu bir, dem 
Schöpfer des ANS erheben, mit dir in höchfter Liebe fich einen und fo 
reih an Verdienft (cum fructu) zu feinem Urfprunge zurüdfehren kann. 
Du weißt aber, o Herr! daß eine große Menge nicht ohne große Ber 
Ichievenheit fein fann, daß faft Alle ein mühleliges, fummer- und leidend 
volles Leben führen müfen und in knechtiſcher Unterwürfigfeit unter ihren 
Königen ftehen. Daher haben nur Wenige aus Allen fo viel Muße, 
daß fie im felbftftändiger, freier Entichließung zur Kenntniß ihrer jelbft 
gelangen: durch viele irdiſche Sorgen und Geſchäfte geftört, vermögen 
fie dich, den verborgenen Gott, nicht zu fuchen. Daher haft du deinem 
Volke Könige und Propheten gegeben, von denen die. Meiften im deinem 
Namen und Auftrage Gottesdienſt und Gefege angeordnet und das uns 
wiffende Volk belehrt haben. Dieje Gefege haben fie, ald hätteft du felbit 
von Angefiht zu Angefict zu ihnen geredet, angenommen und im jenen 
deinen Dienern haben fie deine Stimme vernommen, den verfchiedenen Nas 
tionen haft du verfchiedene Propheten und Lehrer zu verſchiedenen Zeiten ges 
fendet. Im Menſchenweſen liegt es nun, daß eine zur Natur gewordene lange 
Gewohnheit zulegt als Wahrheit feitgehalten wird. So entfteht nicht geringe 
Uneinigfeit, wenn jede religiöfe Genofjenjhaft ihren Glauben dem andern 
vorzieht. So eile denn du zu Hülfe, der allein helfen fann; denn um deinets 
willen, den fie allein verehren in dem, was Alle anbeten, beftcht diefer 
Mettftreit. Jeder erftrebt in dem, wornad er zu ftreben fcheint, nur dad 
But, das du biſt. Was will der Lebende, ald leben? was der Eeiende, 
als fein? Du alfo, der du der Spender des Seins und Lebens bift, bift 
ed, der in verfchievenen Religionen (ritibus) in verfchiedener Weife gefuct 
und mit verfchiedenen Namen benannt wird, weil du in deinem wahren 
Sein Allen unbefannt und unausſprechlich bif. Die Creatur kann von 
deiner Unendlichfeit fi feinen Begriff machen, weil zwiſchen Endlichem 
und Unendlichem feine Proportion befteht. Du fannft aber, allmädhtiger 
Bott! auf eine erfaßbare Weife dich jedem Geifte erkennbar offenbaren. 
So verbirg dich nicht länger, o Herr! fei gnädig und zeige dein Antlih, 
und Heil widerfährt allen Wölfern, welche ferner die Ader des Lebend 


383 


und ihre Süßigfeit, die fie noch zu wenig gefoftet haben, unmöglich vers 
laffen; denn Niemand verläßt dich, außer wer dich nicht Fennt. Ruben 
wird dann das Schwert und der Haß und alle Leiden, und Alle werben 
einfehen, daß in der WVerfchiedenheit der religiöfen Gebräuche nur Eine 
Religion iſt (cognoscent omnes, quod nonnisi una religio est in ri- 
tuum varietate). Kann diefe Verſchiedenheit der Gebräuche nicht aufge 
hoben werden oder frommt es nicht, foferne die Verſchiedenheit eine Er- 
böhung der Gotteöverehrung im Wetteifer der einzelnen Länder bewirft, 
ſo möge wenigftens, wie du Einer bift, Eine Religion und Eine Gotteds 
verehrung (unus latriae cultus) beftehen. Sei aljo verföhnlih, o Herr! 
dein Zorn ift Liebe und deine Gerechtigkeit Mitleid; erbarme dich deiner 
gebrehlihen Creatur! So flehen deine Bevollmächtigten, die du. deinem 
Volle zu Wächtern gefegt haft, in tieffter Demuth zu deiner Majeftät. 


2. 

Als nach diefer Bitte des Erzengeld alle Himmelsbürger fich vor 
dem höchften Könige verbeugten, fagte, der auf dem Throne faß, er habe 
den Menſchen frei gejchaffen, und dur die Freiheit die Fähigkeit der Ger 
meinihaft mit ihm gegeben. Weil aber ver tbierifche und irdiſche Menſch 
unter dem Fürſten der Finfterniß in Unwiffenheit gehalten wird, fo lange 
er in diefem finnlihen Leben wandelt und nicht nah dem geiftigen innern 
Menfhen, der in der Region feines Urfprungs ſich bewegt, fo habe er 
mit vieler Sorgfalt durd Propheten den Menfhen von feinem Srrwege 
wurüdgerufen. Und als endlih auch die Propheten den Fürft der Un— 
wiſſenheit vollftändig befiegen fonnten, habe er fein Wort, durch das er 
die Welt erfchaffen, gefendet, das die Menfchheit annahm, um auf diefem 
Wege den gelehrigen freien Menfchen zu erleuchten, auf daß er einfche, 
nit nah dem äußern, fondern nad dem innern Menfchen müſſe er 
wandeln, wenn er zur Güßigfeit des unfterblihen Lebens zu gelangen 
hoffen wolle. Indem das Wort die menſchliche Natur annahm, hat es 
dadurch der Wahrheit Zeugniß gegeben, daß der Menſch des ewigen Le 
bens fähig fei und daß das ewige Leben nur die Sehnfucht des innern 
Menfhen if. Was fonnte alfo noch gefchehen, das nicht gefchehen ift? 


3. 


Auf diefe Frage des Königs der Könige antwortete das Wort, das 
Sleifh geworden, das unter allen Himmeldbewohnern den oberften Rang 
einnimmt, alfo: Water der Erbarmung! alle deine Werke find ganz 
vollfommen und bebürfen feiner Ergänzung. Weil du aber von Anfang 
an den Menfhen frei erfchaffen wollteft und in diefer finnlichen Welt 
nichts feften Beſtand hat und nach dem Zeitgeifte die Anfichten und 


384 


Ihwanfenden Meinungen wechfeln wie auch die Sprachen und Auslegungen, 
fo bedarf die Menfchheit einer wiederholten Eichtung (visitatione), daf 
bie über dein Wort fo häufig ſich erhebenden Irrthümer ausgerottet werden 
und die Wahrheit ftets ungetrübt ftrahle. Da diefe nur Eine ift und jeder 
freie Geift fie nothwendig erfaffen muß, fo möge alle Verſchieden— 
heit der Religionen auf den Einen orthbodoren Glauben zw 
rüdgeführt werden! — Der König ftimmte bei. Alle Engel, die den 
Nationen und Sprachen vorftehen, wurden herbeigerufen und Jedem ders 
jelben befohlen, je Einen befonderd Berftändigen zum menjchgewordenen 
Morte herbeizuführen. Da erichienen alsbald vor dem Worte die ange 
fehenften Männer der Erde, wie in einer Efftafe hinweggerafft, die das 
Wort Gottes alſo anredete: Der Herr ded Himmeld und der Erde 
hat das Ecufzen der Ermordeten, der Gefeſſelten und Gefangenen gehört, 
die um der KReligionsverjchiedenheit willen leiden, und da Alle, welde 
diefe Verfolgung ausüben oder erbulden, nicht anders glauben, als ihr 
Seelenheil erfordere died und ed habe das Wohlgefallen ihres Schöpfers, 
fo hat fi der Herr feines Volkes erbarmt und genehmigt, daß alle 
Religionsverfhiedenheit in Folge allgemeiner Ueber 
einftimmung auf Eine Religion friedlich reducirt werde, 
die fortan unverleglic fein foll. Den Vollzug diefer Wufgabe 
übergibt er euch Auserwählten. Zur Beihülfe gibt er euch aus feiner 
Gurie Geifter der Engel, die euch befhügen und leiten. Als den pafjend 
ften Ort der Berfammlung bezeichnet er Jeruſalem. 


4. 


Nun fprad Einer, Älter als die Uebrigen, wie es fchien, ein Grleche: 
Lob und Preis unferm Gotte, ... der allein bewirken fann, daß die große 
Glaubensverfciedenheit zum gemeinfamen Frieden gebradt werde. Wir 
wünfchen jedoch belehrt zu werden, wie diefe Einheit durd uns hergeftellt 
werden fol. Denn jede Nation wird fhwerlih einen andern Glauben, 
ald den, welchen fie bisher mit ihrem eigenen Blute vertheidigt hat, au 
nehmen. Das Wort: Ihr werdet finden, daß derfelbe Glaube 
überall vorausgejegt wird. Ihr Alle feid doch Philojophen und 
fiebet die Weisheit. Setzet ihr alfo nicht Alle die Weisheit voraus? — 
Alle ftimmten bei und das Wort fprab: Es fann nur Eine Weisheit 
geben; gäbe es mehrere, jo müßten fie aus Einer herſtammen; denn vor 
aller Vielheit ift die Einheit. Jeder erführt in der Entfaltung derfelben 
ihre unendlibe Kraft. Der Grieche: Allerdings auf feinem andern 
Wege, als durd Staunen über die fihtbaren Werfe der Weisheit ger 
langen wir zur Liebe zu ihr... Dad Wort. Ihr feid auf ganz richtis 


385 


gem Wege zu unferm Ziele. Doc faget mir: umfaßt bie Eine 
Weisheit Alles, was fih nur audfpreden läßt? 


5. 


Der Italer antwortet: Ja, es gibt fein Wort außer der Weis- 
keit. Denn das Wort ded MWeifeften bewegt fih in der Weisheit und 
im Worte ift Weisheit und nichts ift außer ihr. Alles Unendlihe ums 
faßt die Weisheit. Das Wort. Wenn aljo der Eine jagt: Alles ift 
in der Weisheit erfchaffen, und der Andere: Alles ift im Worte er- 
Ihaffen, würden fie Dasfelbe oder Verfchiedenes fagen? Der Staler. 
Bei der Verſchiedenheit der Worte ift bier Einheit des Gedankens, denn 
das Wort des Schöpfers, in dem er Alles erfhuf, kann nur feine Weis: 
beit fein. Das Wort. Iſt alfo jene Weisheit Gott oder ein Geſchöpf? 
Der Italer. Weil Gott der Schöpfer Alles in der Weisheit erfchafft, 
jeift er nothwendig die Weisheit der erfchaffenen Weisheit 
(ipse est necessario sapientia creatae sapientiae). Das Wort. So 
it denn die Weisheit ewig, weil vor allem Erjchaffenen. Der Italer. 
Allerdings. ... Das Wort. Es kann aber nicht mehrere Gwigfeiten 
geben; die Weisheit ift alfo Gott, der Eine, einfache, ewige, der 
Anfang von Allem. Der Italer. Gewiß. Das Wort. Siehe, 
wie verſchiedene philofophifche Schulen in dem Belenntniffe Eines Gottes, 
oferne fie alle Liebhaber der Weisheit find, übereinftimmen. 


6. 

Nun begann der Araber: Nichts ift Harer und wahrer, ald Dies... 
Die Weisheit ift das Leben, die Nahrung, das Verlangen des Geifted. ... 
Das Wort. Es gibt alfo nur Eine Religion, nur Einen Euftus aller 
Vernünftigen (omnium intellectu vigentium), die bei aller Verſchiedenheit 
der Ritus vorausgefegt werden. Der Araber. Du bift die Weidheit, 
dad Wort Gottes; fage, wie die Verehrer mehrerer Götter mit dem 
Einen Gott der Philofophen übereinftimmen?... Das Wort. Alle Vers 
ebrer mehrerer Götter haben ſtets das Dafein der Gottheit vorausgefegt. 
Diefe beten fie in allen Göttern als in den an der Gottheit Participis 
tenden an. Wie ed ohne das Weißfein nichts Weißes, fo gibt es ohne 
die Gottheit Feine Götter... Wer von mehreren Göttern fpricht, meint 
Immer vorzugsweife Ein Princip von allen, wie mehrere Heiligen Einen 
Heiligen der Heiligen vorausfegen. Kein Bol hat je von feinen meh» 
teren Göttern einen jeden für das Urprincip und den Weltihöpfer ge 
halten. Der Araber. So ift es. Mehrere Urprincipe — iſt ein 
innerer Widerfprud. ... Das Wort. Gehen alfo alle Verehrer mehr 

ShHarpff, Rice. v. Cuſa. 25 





386 


rerer Götter von der Gottheit felbft aus, und verehren fie dieſe öffent 
ih, wie fie fie ftillfehweigend vorausfegen, fo ift der Streit gelöst. 
Der Araber. Das hat wohl feine Schwierigfeit, allein jedes Volt 
hält daran feft, daß durd feine Götterverehrung ihm helfende Fürbitte 
(suffragia) zu Theil werde, und daher fommt ed um feines eigenen 
Beitens willen immer wieder auf feine Gottheiten zurüd. Das Wort. 
Wenn das Volf über fein wahres Beſtes in dem angegebenen Sinne 
belehrt würde, fo würde es fein Heil gewiß lieber bei Dem fjuchen, der 
ihm das Sein gegeben hat, und felbft ver Heiland in unendlihem Maafe 
ift, ald bei Denen, welche aus fich nichts haben, was ihnen nicht vom 
Heilande felbft gegeben if. Wenn aber dad Volk zu Solchen, weld: 
allgemein für heilig gehalten wurden, weil fie gottähnlid (deiformiter) 
gelebt, in Krankheiten oder andern Nöthen feine Zuflucht nehmen würde, 
als zu Gott wohlgefülligen Fürfprechern und denfelben nur Verehrung 
erwiefe (eosdem dovAx« veneratione coleret), woferne ed nur dem Einen 
Gotte die Anbetung widmet (dummodo uni soli Deo omnem daret 
latriae cultum), fo wäre das fein Widerfprud mit der Einen Relis 
gion, und das Wolf würde ſich wohl gerne dabei beruhigen. 


T. 

Der Indier: Wie verhält es fid) aber mit den Gögen- Statuen 
und Bildern? Das Wort. Abbildungen, welde das veranidhaw 
fiben, was in der wahren Verehrung des Einen Gottes erlaubt ift, find 
nicht verwerflich; wenn fie aber von der Anbetung des Einen Gottes ab- 
lenken, als liege in den Bildfäulen felbft etwas Göttliches, fo find fie 
eine Täufhung, lenken von der Wahrheit ab, und müſſen daher zerftört 
werden. Der Indier. Es iſt fehwer, das Volf vom eingemurzelten 
Gögendienfte abzubringen, wegen der Orakelſprüche, welche dort ertheilt 
werden. Das Wort. Im der Regel werden diefe Orakelſprüche durch 
Vriefter fabricirt, welche fie dann für Ausſprüche der Gottheit ausgeben. 
... Daber find fie auch gewöhnlich mehrdeutig, damit fie nicht offen der 
Lüge beſchuldigt werden können, oder gänzlich falfch und fo nur zufälig 
manchmal wahr... . Nachdem diefer Trug ded Satans in vielen Gegen 
den aufgedeckt worden, haben beinahe alle Verftändigen den Gögendienft 
verworfen; und es wird nicht ſchwer werden, auch im Driente ihn au 
zurotten. Der Indier. Nachdem die verftändigen Römer, die Grieden 
und Araber ihre Gögenbilder zerftört haben, ift zu hoffen, daß auch die 
weifen Indier, zumal fie die Nothwendigkeit der Anbetung Eines Gotted 
einfehen, dem Beiſpiele Jener folgen werben. 

Doch über den dreieinigen Gott wird es fehr ſchwer fein, ein 
Eintracht herzuftellen, da Alle die Trinität ohne eine Dreiheit fih nicht 


387 


benfen können. Das Wort. Gott als Schöpfer ift dreieinig und Einer; 
ald unendlich weder dreifach noch Einer, noch irgend etwas von dem, 
was genannt werden fann. Da die Gotteöverehrer ihn ald den Urheber 
des Univerfumsd anbeten müſſen, in diefem fih aber Vielheit, Ungleich— 
beit und Trennung findet, und das Princip der Vielheit die Einheit, der 
Ungleichheit die Gleichheit, der Trennung die Verbindung ift, fo iſt Bott 
als die Einheit, Gleichheit und Verbindung aufjufaflen; jede von 
diefen muß vor der Zeit, alfo ewig fein, und da ed nicht mehrere Ewig- 
feiten gibt, fo ift diefe Dreifaltigkeit einig, fomit Gott dreieinig. 


8. 


Der Ehaldäier: Mögen das auch die Philofophen einigermaßen 
faffen, fo geht e6 doch über den Berftand des gemeinen Mannes. Denn 
jo viel ich verftehe, it e8 unmahr, daß drei Götter find, fondern Einer, 
der dreieinig iſt. Willſt du etwa fagen, diefer Eine fei in feiner Wir- 
kungsweiſe Cin virtute) dreieinig? Das Wort. Gott ift die abfolute 
Kraft (vis) aller Wirkfamfeit (omnium virtutum), weil er allmädhtig 
it. Da es nım nur Eine abfolute Wirkſamkeit gibt, welche die göttliche 
Weſenheit ift, fo heißt die Behauptung, dieſe Wirkſamkeit fei eine drei- 
einige, nichts Anderes, als Gott fei dreieinig. Doc faſſe diefe Wirk— 
jamfeit nicht im Gegenfage gegen die Realität auf, weil in Gott die 
Virffamkeit die Realität ſelbſt if. So wäre es denn nicht ungereimt 
zu fagen, die göttliche Allmacht habe in fih die Kraft (virtus) der 
Einheit, welche die Dinge ins Dafein fest (denn ein Ding iſt nur 
iniofern, ald e8 einig (una) ift), die Kraft der Gleichheit, welde 
alles Seiende geftaltet (denn wäre ein Ding mehr oder weniger, als 
das, was es ift, fo eriftirte e8 nicht), und die Kraft der Verbin 
dung, durch welche Alles zufammengehalten wird..... Diefe Einheit, 
Gleichheit und Verbindung find von einander unzertrennlich. Die Gleiche 
heit ift wefentlih Gleichheit der Einheit, die Verbindung ift die Verbins 
dung der Einheit und Gleichheit. Im der Dreieinigfeit ift daher fein 
efientieller Unterfchied, fondern nur eine verfchiedene Verhältnißbeftimmung 
(non in essentia, sed in ipsa relatione videtur, quomodo alia est 
unitas, alia aequalitas, alia connexio).... Der Ehaldäer. Id 
glaube, daß Niemand diefer Erläuterung widerfprehen fünne; daß aber 
Gott einen Sohn hat, einen Genoſſen der Gottheit, das beftreiten die 
Araber und Viele mit ihnen. Das Wort. Einige nennen die Einheit 
Bater, die Gleichheit Sohn und die Verbindung den hl. Geiſt, weil 
diefe Ausprüde, obwohl fie nicht eigentlich zu nehmen find, doch die 
Trinität paſſend bezeichnen. Die Natur des Vaters geht mit einer ges 

25° 


388 


wiſſen Wehnlichkeit in den Sohn über und verbindet beide in Liebe. 
Könnte man einfachere Ausprüde finden, fo wären fie noch pafjender etwa: 
Einheit, Diesheit Ciditas) und Diefelbigfeit Cidentitas). Dieſe Aus 
drüde ſcheinen die jo fruchtbare Einfachheit des Weſens noch befier iu 
bezeichnen. Auch in der Wefenheit der vernünftigen Seele ift eine frudt 
bare Einheit: Geift, Weisheit und Liebe oder Wille. Der Geilt 
erzeugt die Weisheit, aus beiden entfteht die Liebe oder der Milk. 
Jede Greatur trägt dad Abbild der unerfchaffenen göttlihen Dreieinigkeit 


an fid.... 


9, 

Hierauf jprah der Jude: Trefflih ift die hochgeprieſene Dreieinig- 
feit dargeftellt, die micht geläugnet werden fann. Denn ein Prophet bat 
fie und in aller Kürze geoffenbart, wenn er jagt, Gott habe gefragt, 
wie er felbft, der Anderen die Fruchtbarfeit der Fortpflanzung verleibt, 
unfruchtbar fein follte. Wiewuhl die Juden nichts von der Trinität willen 
wollen, weil fie diefelbe ald VBielheit nehmen, fo werden fie doch nad 
erlangter Einfibt, daß fie nur die Fruchtbarfeit der einfachſten Einheit 
ift, fehr gerne beiftimmen. Das Wort. Unfchwer werden aub die 
Araber und alle PBhilofophen hieraus einfehen, daß die Trinität läug 
nen jo viel heißt, als die göttliche Fruchtbarfeit und Schöpferfraft läugnen, 
und daß die Annahme der Trinität das Aufgeben der Vielheit und Ge 
nofjenjchaft (consocialitatem) der Götter if. Die Fruchtbarkeit, welche 
die Dreieinigfeit ift, hebt die Nothwendigkeit mehrerer Götter auf, welde 
mit einander das All erihaffen, da Eine unendliche Fruchtbarkeit zur 
Erihaffung alles Defien binreiht, was erihaffen werden kann. Viel 
beſſer werden die Araber die Wahrheit in diefem Sinne als nad ihrer 
Auffaffung begreifen, wenn fie fagen, Gott babe eine Wefenheit und ein 
Seele und nod beifügen, Gott habe ein Wort und einen Geift. Ben 
fagt man, Gott habe eine Seele, fo kann man diefe Seele nicht anders 
faffen, als fie fei die Vernunft oder das Wort, weldhes Gott it. Pers 
nunft und Wort ift Dasfelbe, und was ift denn der hi. Geift Gottes, 
als die Liebe, welche Gott ift? Bon Gott, dem infachften wird nichts 
ausgefagt, was nicht er ſelbſt ift: ift ed wahr, Gott habe ein Wort, Io 
iſt aud) wahr, daß das Wort Gott feiz iſt ed wahr, Gott habe einen 
Geift, jo ift aud wahr, daß der Geiſt Gott fei. Denn das Haben 
fommt nur uneigentlih Gott zu, der Alles if. Haben ift in Gott — 
Sein. Der Araber negirt daher nicht, Gott fei ein Geift, aus biefem 
werde das Wort oder die Weisheit erzeugt, und aus Beiden gebe der 
Geift oder die Liebe hervor. Died ift die oben erflärte und durd die 
Araber gelehrte Trinität, obwohl die Meiften von ihnen nicht bemerken, 


389 


daß fie an die Trinität glauben. Ihr Juden findet auch in euren Pros 
pheten: „Durch das Wort Gottes find die Himmel gefchaffen und dur 
jeinen Geift.” In dem Sinne, wie Araber und Juden die Trinität 
liugnen, muß fie gewiß von Allen negirt werden; in dem oben erläus 
terten Sinne aber muß fie nothwendig von Allen angenommen werben. 


10. 


Der Scythe: Kein Serupel fann mehr hinfichtlih der Ans 
betung der einfachſten Dreieinigfeit zurüdbleiben. Auch heutzutage beten 
fie Ale an, welche Götter verehren. Die Philoſophen fagen, Gott fei 
der Schöpfer beider Geſchlechter, er fei die Liebe. Sie wollen fo die 
fruchtbare Dreieinigfeit, fo gut fie es verftehen, erklären. Andere fagen, 
Bott, der über Alles erhaben, erzeuge aus fih die Vernunft, und nennen 
diefe Gott von Gott. Sie nennen Gott den Schöpfer, weil jedes Ges 
iböpf eine Urfache hat, warum es gerade Diefed und nichts Anderes ift. 
Sort ift alfo die. Eine unendliche Urfahe von Allem. Die Vernunft aber 
(Aöyos oder Wort) geht von dem Redenden aus. Wenn alfo der Als 
mädtige das Wort ausfpricht, fo tft Das real geworden, was im Worte 
ideal begriffen war. Sie fagen dann, an dritter Stelle gehe der Geift 
der Verbindung hervor, der Alles zur Einheit des Univerfums verbindet. 
Dies ift die MWeltfeele der Philofophen, durch welche jede Greatur ein les 
bendiges Glied des Univerfums if. Dies ift die Liebe Gottes, welcde 
dad ganze Univerfum durchdringt: die Verbindung aller Theile zu einem 
Ganzen, ohne welche es Feine Vervollkommnung gäbe, hat Gott zu ihrem 
Prineipe. — So fieht man, daß alle Philofophen irgend eine Seite 
der Trinität in der Einheit erfannt haben. Wenn fie daher die Erläus 
terung, bie wir nun vernommen haben, hören, fo werben fie fi freuen 
und Gott loben. 


11. 

Der Gallier: Bisweilen habe ih unter den Philofophen auch 
folgende Beweisführung erörtert gefunden: Die Ewigkeit ift entweder eine 
ungezeugte oder gezeugte (ingenita aut genita), oder weder ungezeugt, 
noch gezengt. Die ungezeugte wird vernünftiger Weife der allmächtige 
Vater genannt, die gezeugte dad Wort oder der Sohn, die weder unge 
wugte noch gezeugte die Liebe oder der hl. Geift, weil er von Beiden 
ausgeht. Er ift nicht ungezeugt, weil er nicht der Vater ift, nicht ges 
zeugt, weil er nicht der Sohn ift, fondern von Beiden ausgeht. Es ift 
alſo Eine Ewigkeit, und diefe ift dreifach und ganz einfadh. ine drei- 
einige Gottheit, ine dreieinige Wefenheit, Ein dreieiniges Leben, Eine 
dreieinige Macht (potentia), Eine dreieinige Wirkfamfeit (virtus). In 


390 


diefer Schule habe ich meine Fortfchritte gemacht, und was mir dunfel 
war, ift mir jegt als ſonnenklare Einficht verliehen. 

Der größte Gegenfag erhebt fib nur noch im Gebiete der Welt. 
Die Einen fagen, das Wort fei Fleifh geworden, um und 
Alle zu erlöfen, Andere lehren wieder Anderes. Wir müſſen daher be 
lehrt werden, wie wir aud in diefem Gegenfage die Uebereinftimmung 
auffinden. Das Wort. Mit der Aufbellung diefes Gegenftandes if 
der Apoftel Petrus beauftragt; höret ihn, er wird euch binlänglich über 
Alles, was euch noch dunkel ift, belehren. Petrus erfchien in ihrer Mitte 
und begann alſo: Petrus Alle Gegenfäge über die Menſchwerdung 
reduciren fih auf Folgendes: Fürs Erfte fagen Einige, das Wort 
Gottes fei nicht Gott. Diefer Einwurf ift fhon in dem Vorhergehenden 
binlänglich widerlegt, weil das Wort Gottes nothwendig Gott ift (cap. 9). 
... Wer aljo zugibt, das Wort Gottes fei Fleifch oder Menfch geworden, 
muß auch zugeben, jener Menſch, der das Wort Gottes genannt wir, 
fei auch Gott. 


12. 

Der Berfer: Betrus! wenn das Wort Gotted Gott ift, wie 
fann Gott, der unveränderlich ift, Nicht-Bott werden, — ein Menſch, der 
Schöpfer ein Gefhöpf? Wir läugnen dies beinahe Alle mit wenigen 
Ausnahmen in Europa. Auch Einige unter und, welche Ehriften genannt 
werden, ftinnmen in der Unmöglichkeit der Sache mit uns überein, daß 
das Unendlihe endlih, das Ewige zeitlich fein fol. Petrus. Dub 
das Ewige zeitlich fei, megire auch ih mit euch auf das Entſchiedendſte; 
da aber ihr Alle, die ihr am Gefege der Araber feithaltet, ſaget, Chriſtus 
fei das Wort Gottes, und dies ganz richtig faget, fo müſſet ihr ihn 
aud für Gott halten. Der Perſer. Wirgeben zu, er jet das Wort 
oder der Geift Gottes, weil Keiner unter allen jest oder früher Lebenden 
eine fo ausgezeichnete Kraft des Worts oder Geiſtes 
Gottes befaß; deswegen geben wir jedoch nicht zu, daß er Gott war, 
der feinen feines Gleihen (participem) hat. Um nicht in Vielheit ber 
Götter zu verfallen, halten wir ihn nicht für Gott, wiewohl für den 
Nähten an Gott. Petrus. Glaubet ihr eine menfchliche Natur in 
Chriſtus? Der Perfer. Allerdings, und zwar eine wahre menſchliche 
Natur. Petrus. Diefe Natur war als menfchlihe nicht göttlid. Und 
das gilt von Allem, was ihr an Chriftus in Folge feiner menſchlichen 
Natur wahrnehmer, dur welche er den Menſchen ähnlich war. In ibr 
fehet ihr nicht den Gott, fondern den Menſchen Ehriftus (non appre- 
hendistis Christum Deum sed hominem). Der PBerfer. Allerdings. 
Petrus. Hierin weicht Niemand von euch ab. Die menjclice Natur 


391 


war in Ehriftus die vollfommenfte, durch welche er wahrer Menfch und 
fterblihb wie alle Menjchen war; nad diefer Natur war er nicht das 
Wort Gottes. Sag mir alfo, wenn ihr ihn das Wort Gotted nennet, 
was wollet ihr damit jagen? Der Berfer. Wir meinen dabei nicht 
feine Natur, fondern die Gnade: er habe dieſe ausgezeichnete Gnade ers 
langt, weil Gott fein Wort in ihn gelegt hat. Petrus. Hat er nicht 
in andere Propheten in gleicher Weiſe fein Wort gelegt? Alle haben 
dur das Wort Gottes geredet, und waren Herolde des göttlichen Wortes. 
Der Perſer. So iſt ed; doch Chriftud mar der größte unter allen 
Propheten, daher wird er mehr als alle Propheten im eigentlichen Sinne 
dad Wort Gotted genannt. Mehrere Seudichreiben könnten für befons 
dere Gejchäfte und Provinzen das Wort eines Königs enthalten, aber 
nur Ein Sendfchreiben fünnte das Wort des Königs in fih faflen, durch 
welches das ganze Neich regiert wird, weil es ein Gefeß und Gebot 
enthält, dem Alle zu gehorchen haben. Petrus. Du fcheinft ein für 
unfern Zweck paſſendes Gleihniß gebracht zu haben; das Wort eines 
Königs, auf verſchiedene Papiere gefchrieben, verwandelt dieje Papiere 
nicht in andere Naturen, ihre Natur bleibt nah der Aufzeihnung des 
Wortes, wie fie zuvor war. So faget ihr aud, die menihlihe Natur 
ſei in Chriſtus geblieben. Der Berfer. Ja Betrud Nun gut. 
Doch beachte den Unterfchied zwiſchen einem Sendſchreiben und dem Erben 
des Reihe. Im Erben ded Reihe ift dad Wort ded Königs im eigents 
lihen Sinne lebendig, frei und uneingefchränft, in den Sendichreiben 
niht. Der Berjer. Sch gebe zu, wenn der König den Thronerben 
in das Reich ausjendet, fo bringt (portat) er dad Wort des Vaters 
lebendig und uneingefchränft. Petrus. Iſt nicht eigentlich der Thron; 
erbe das Wort und nicht ein Bote oder Commiſſär oder ein Sendſchreiben? 
Sind nit im Worte des Erben alle Worte der Boten und Sendichreiben 
enthalten? Und obwohl der Thronerbe nicht der Water, fondern der 
Sohn ift, fo iſt ihm die Königs-Natur doch nicht fremd, wegen deren 
Gleichheit er eben Thronerbe if. Der Perſer. Ich verftehe dag, 
aber der König und fein Sohn find eben zwei, defhalb geben wir nicht 
zu, daß Gott einen Sohn hat. Denn der Eohn wäre ein anderer Gott 
ald der Vater, wie der Sohn des Königs ein anderer Menſch als fein 
Vater if. Petrus Ganz richtig befämpfit Du die Achnlichfeit, fie 
üt feine wahre (propria), wenn Du auf die Subjecte (supposita) fiehft. 
Hebft Du aber die numerische Verfchiedenheit der Subjecte auf, und fiehft 
auf die Macht, welche in der königlichen Würde des Vaters und feines 
Sohnes, des Thronerben liegt, dann fiehft Du, daß die Königsmacht bie 
Eine im Vater und Sohne ift: im Vater ald in dem Ungezeugten, im 
Sohne als in dem ezeugten oder dem lebendigen Worte des Vaters. 


392 


Der Berfer Fahre weiter! Petrus. Gefept, ed gebe eine folde 
abfolute ungezeugte und gezeugte Königsmacht, und Die ungezeugte berufe 
zur Theilnahme an der Succelfion der gezeugten gleichen Natur (vocet 
ad societatem successionis connaturalis genitae) eine andere Natır 
(natura alienum), fo daß diefe andere Natur in Einheit (unione) mit 
der eigenen zugleih und ungetheilt das Reich befiget, treffen alsdann nicht 
die Suceeffion aus Natur und die aus Gnade oder durd Adoption in 
der Einen Erbfchaft zufammen? Der Berfer. Das iftHar. Petrus, 
So find aub in Einer Succeffion Eines Reiches Sohnſchaft und Adop 
tion verbunden; jedoch hat die Succeſſion der Adoption ihre Grundlage 
(suppositatur) nit in ſich, fonden in der Succefjion der 
Sohnſchaft. Es ift daher der Adoptiv-NRachfolger fein anderer, ald 
der natürliche, wiewohl der Adoptirte eine andere Natur ift, als der Sohn. 
MWäre der Adoptirte abgefondert (separatus) und nicht in gleicher Hypo-⸗ 
ftafe mit dem Sohne, wie könute er an der Succeffion der untbeil 
baren Erbihaft Theil nehmen? Daher müſſen wir fefthalten, in Ehris 
ſtus fei die menſchliche Natur mit dem Worte oder der göttlichen Natur 
vereinigt, fo jedoch, daß die menfchliche nicht in die göttliche übergeht, 
wohl aber fo unauflöslih an fie fi anfchließt (adhaeret eidem), daß 
fie nicht abgefondert in fi, fondern in der göttlichen befteht (sustentetur 
seu personetur), zu dem Zwede, daß die menſchliche Natur, berufen 
zum Erben des ewigen Lebens mit der göttlichen, in und durch dieſe bie 
Unfterblichfeit erreihen fann. Der Berfer Ih fafle das vollftändig. 
Doch veranihaulice das Geſagte noch durch ein anderes paflendes Bei- 
fpiel! Petrus Ganz präcife Gleichniſſe laſſen fih nicht erdicten, 
doch fiehel Die Weisheit in ſich — iſt fie ein Accidens oder Subftanz? 
Der Berfer. Sie tft Subftang, foferne fie in fih ift, Accidens, ſo— 
ferne fie in einem Andern vorfommt. Petrus. Alle Weisheit aller 
Weifen kommt von jener Weisheit, welche die Weisheit an fich ift, weil 
fie Gott if. Der Perſer. Das ift ſchon gezeigt. Petrus. Sf 
nit ein Menſch weiſer, ald der andere? Der Perſer. Gemiß. 
Petrus Der Weifere ift alfo näher an der Weisheit am fich, die bie 
abfulut größte ift, der weniger Weife ift entfernter von ihr. Der Berier. 
Ich gebe e8 zu. Petrus. Kein Menfh ift aber nah feiner menjd» 
lihen Natur fo weife, daß er nicht noch weifer fein könnte; zwoifchen der 
beichränften (contractam) menſchlichen Weisheit und der Weisheit an 
fih, die göttlih, die größte und unendlich ift, bleibt immer ein unends 
licher Abftand. Der Perſer. Auch das ift mir ganz Mar. Petrus. 
So ift es auch mit der abfoluten und der endlichen Meifterichaft; in jener 
ift die unendliche, in diefer nur eine endliche Kunſt. Gefegt nun, es 
habe ein Mensch in feinem Geifte eine ſolche Meiſterſchaft und Weisheit, 





393 


daß eine größere nicht mehr möglich ift, dann iſt fein Geift mit ber 
größten Weisheit an fich geeint, jo, daß eine größere Einigung 
nicht denfbar if. Würde nicht ein folder Geift durch die Kraft der mit 
ihm geeinten höchſten Weisheit und Meifterfchaft die göttliche Kraft 
(virtutem) erlangt haben? wäre nicht in diefem Menſchen die menjcliche 
geiftige Natur auf das Unmittelbarfte (immediatissime ) mit der göttlichen 
Natur oder dem Morte der ewigen Weisheit oder der allmächtigen Kunft 
geeinet? Der Perſer. Ich gebe ed ganz zu, allein diefe Einigung 
wäre doch Sade der Gnade. Petrus Wenn die Vereinigung der 
niedern Natur mit der göttlichen die größtmögliche wäre, dann wäre fie 
auch in einer Perſonal⸗Einheit mit ihr geeinetz denn jo lange jene nicht 
zu einer Perfonal- oder hypoſtatiſchen Einheit mit der göttlichen erhoben 
wäre, fünnte fie noch größer jein. Wird alfo die Einigung als die 
größte vorausgeſetzt, fo befteht die niedere nur im Anſchluß an die höhere 
(inferior in superiori adhaerendo subsistit), und das geſchieht nicht 
dur die Natur, fondern dur die Gnade. Allein zwilchen der größt— 
möglichften Gnade und der Natur befteht Feine Diftanz, fie ift mit diefer 
geeint (haec autem gratia maxima, quae major esse nequit, non distat 
a natura, sed cum illa unitur, — immediatissime terminatur in na- 
tura). Der Perſer. Sage mir, was Du willft: feitvem die menſch— 
lihe Natur durch die Gnade in jedem Menfchen zur Einigung mit der 
göttlichen erhoben werden kann, kann der Menfh Chriſtus nicht mit grö— 
berem Rechte Gott genannt werden, als jeder andere Heilige, wiewohl 
er unter allen Menfchen der Heiligfte war. Petrus. Würdeſt Du bes 
achten, daß nur in Chriftus die abfolut höchſte Hoheit, die größte Gnade, 
die micht mehr größer fein fann, die größte Heiligkeit gewefen fei, dann 
müßteft Du einfehen, daß diefe Hoheit, Helligkeit ic. nur Eine fein fann 
und daß die Hoheit ıc. jedes Propheten bei was immer für einem Grade 
derfelben in feinem Verhältniß ſtehe zu der abfolut größten Hoheit, 
Weisheit, Meifterfchaft ꝛc. Chriſti. Dies glauben auch die Araber felbft, 
wiewohl fie ſich deſſen micht Mar bewußt find, wenn fie fagen, Chriſtus 
allein fei der Höchfte in diefer und der zufünftigen Welt und das Wort 
Gottes. Nichts Anderes fagen die, welde glauben, Chriftus fei Gott 
und Menſch. Der Perſer. Wenn die Einigung, welde in dem Höch— 
ften nothwendig ift, gehörig ind Auge gefaßt wird, fo können die Araber 
vielleicht zur Annahme diefes Glaubens beftimmt werden, weil durch die— 
ſelbe die Einheit Gottes, auf welde wir das größte Gewicht legen, nicht 
im Mindeften alterirt, fondern feftgehalten wird. Doc fage mir, wie 
begreift es fih, daß die menfchlihe Natur nicht in ſich, fondern in der 
göttlichen durch Anſchluß an diefelbe hypoſtaſirt (adhaerendo supposite- 
tur)? Petrus Hier ein wiewohl nicht ganz zutreffendes Gleihniß! 


= 


394 


Der Magnet zieht das Eifen in die Höhe und an dem Magnete bängend 
beiteht die Natur des Eifens nicht in ihrer Natur der Schwere (fenit 
müßte e8 auf die Erde fallen), fondern in der Kraft des Magnets jchwebt 
ed in der Luft. Die Urfahe davon, daß die Natur des Eiſens zur 
Natur des Magnets inclinirt, it, weil das Eifen in fih eine Aehnlich— 
feit mit der Natur des Magnets hat, aus welder es feinen Urfprung 
erhalten haben fol. Wenn ſonach die menſchliche geiftige Natur ſich auf 
das Allerinnigfte an die geiftige Natur Gottes, von der fie das Sein 
erhalten hat, anſchließt (adhaeret), würde fie mit ihr ald dem Duell 
ihreö Lebens unaufhörlic verbunden fein. Der Perſer. Ich begreike. 
Petrus. Es gibt eine beträchtliche arabische Secte, welche lehrt, Chri⸗ 
tus babe Todte auferwedt, aus Koth Vögel gefhaffen und vieles An 
dere gethan, was Jeſus Ehriftus als Einen, der Macht hatte, darftellt. 
Dadurd fönnen fie um fo leichter überzeugt werben, weil fich nicht läug- 
nen läßt, daß er Jenes nur fraft der göttlihen Natur, weldyer bie 
menjhliche bypoftatiih (suppositaliter) geeint war, gethan habe. Der 
Perſer. Noch Bieled glauben die Araber von Ehriftus, was im „Als 
furcan“ aufgezeichnet iſt; fchwerer wird man die Juden zu diefem Glauben 
beftimmen, weil fie von Chriftus ausdrücklich nichts zugeben. Petrus. 
Sie haben auch alled Diefes in ihren Schriften über Chriftus (den Gr 
jalbten), allein am Wortlaute hängend, fommen fie nit zum Verſtaͤnd⸗ 
niffe. Doc diefer Widerftand der Juden hindert die Uebereinſtimmung 
nicht, denn fie find nur wenige und werden ja wohl nicht mit Waffen 
getöſe die ganze Welt in Verwirrung bringen (et turbare universum 
mundum armis non poterunt)! 


13. 

Der Syrer: Petrus! ich habe vorhin gehört, daß nach den gege 
benen Vorausſetzungen in jeder Secte die Uebereinftimmung hergeſtellt 
werden fann. Sage mir, wie läßt fi dies an diefem Artikel nachweijen? 
Petrus. Ich will es Dir zeigen; doch fage mir zuvor: ift nicht Gott 
allein ewig und unfterblih? Der Eyrer. Allerdings; denn Alles außer 
Gott Hat einen Anfang, fomit auch ein Ende. Petrus. Hält aber 
nicht beinahe jede Religion, die jüdiſche, chriftlihe, arabiſche und viele 
andern feſt, daß die menichlihe Natur eines jeden Menſchen nad dem 
Tode zum ewigen Leben auferftehen werde? Der Syrer. Allerdings. 
Petrus. Sie geben alfo alle zu, daß die menfhliche Natur mit der 
göttliben und unfterblihen geeint werden müſſe. Wie follte fonft bie 
menſchliche Ratur zur Unfterblichfeit übergehen, wenn fie nicht durd eine 
unauflöslihe Einigung fib an fie anfhlöße? Der Syrer. Das jegt 
der-Ölaube an Auferftchung nothwendig voraus Petrus. 


395 


ehrt dies der Glaube, fo muß die menſchliche Natur in einem Menſchen 
vorbildlich (prioriter) mit der göttlichen geeint fein, in Dem nämlid, 
welcher das Borbild (facies) aller Völker ift, der höchſte Mefltas und 
Chriſtus, wie Araber und Juden Ehriftus nennen. Er, nah dem Glau— 
ben Aller Gott am nächſten, wird derjenige fein, in welchem aller Men; 
ſchen Natur zum Boraud mit Gott geeint wird. Dadurch ift er der 
Erlöfer und Mittler Aller, in dem die Eine menſchliche Natur, durch 
welche alle Menfhen — Menſchen find, mit der göttlihen und unfterb» 
liben Natur geeint wird, auf daß fo alle Menſchen von gleiher Natur 
die Auferftehung von den Todten erlangen. Der Syrer. Ich jehe, daß 
nah Dir der Glaube an die Auferftehung der Todten die Einigung der 
menfchlichen Natur mit der göttlichen vorausſetzt, ohne welche diefer Glaube 
unmöglich wäre; dieſe Ginigung fichft Du in Chriftus vollzogen; dieſer 
Glaube fegt alfo ihn woraus. Petrus. Ganz richtig. Alle Verheißun— 
gen an die Juden haben im Glauben an den Meſſias oder Mittler ihre 
Befräftigung, durch welchen allein die Verheifungen des ewigen Lebens 
in Erfüllung gehen können. Der Syrer. Und wie fteht ed mit den 
andern Religionsfyftemen? Petrus. Ganz gleih. Alle Menjchen haben 
in ihrer menſchlichen Natur nur das Verlangen und die Hoffnung des 
ewigen Lebens; dazu haben fie Bußübungen und Opfer eingeführt, um 
fih in ihrer Natur diefem ewigen Leben beffer anzujchmiegen. Die Mens 
ſchen begehren die Glüdfeligfeit, welche das ewige Leben iſt, in Feiner 
andern, ald im der ihnen eignenden menſchlichen Natur; ber 
Menſch will nur Menſch fein, fein Engel oder eine andere Natur; er 
will aber ein glüdfeliger Menſch fein, der die höchſte Glückſeligkeit erreicht. 
Diefe Glückſeligkeit ift der Genuß oder die Einigung des menſchlichen Le— 
bens mit feiner Duelle, aus welder das Leben felbft ftrömt, und dieſe 
if das göttliche, unfterblihe Leben. Wie wäre aber dies dem Men: 
ben möglidh, wenn nicht in Einer Perſon die gemeinfame 
Menfhennatur zu diefer Einigung erhoben wäre, durd wels 
Gen ald den Mittler alle Menſchen das legte Ziel ihrer Sehn— 
ſucht erreihen fönnten? Diefer ift dann der Weg, weil er ein 
Menſch ift, durch melden jeder Menfh den Zugang zu Gott hat, dem 
Ziele all unferen Sehnens. Chriftus iſt alfo die Vorausſetzung Aller, 
welche die höchſte Gtücjeligfeit zu erlangen hoffen. Der Syrer. Das 
gefällt mir ausnehmend, Denn wenn der menfchliche Geift glaubt, er 
fünne eine ſolche Ginigung mit der Weisheit erreichen, daß er dadurch 
ewige Nahrung für fein Reben findet, fo fept er voraus, der Geift eines 
ganz erhabenen (altissimi) Menfchen babe jene Einigung in der erha- 
benften Weiſe (altissime) erreicht und fo das höchſte und erhabenfte Lehrs 
amt erlangt, mittelft deffen er auf ähnliche Weife einmal zur Weisheit 


396 


zu gelangen hofft. Würde er das nicht für möglich halten, fo würde er 
es auch an dem hervorragendften Menfchen nicht für möglich halten. Da 
ed num die Hoffnung Aller ift, einmal zur Glüdfeligfeit zu gelangen, auf 
welche jede Religion abzielt (hierin gibt ed feine Täufchung, weil dieſe 
Hoffnung durch ein anerfhaffenes Verlangen Allen gemeinfam ift und folge, 
richtig auch die Frucht diefer Hoffnung, die Religion, welche in gleicher 
Weiſe Allen angeboren ift), fo fehe ich, daß der Lehrmeiſter und Mittler, 
welcher im Befige der höchitmöglichen menfchlichen Bollfommenheit den 
Principat in der Menſchheit einnimmt, von Allen vorausgefegt werte. 
Indeß die Juden fagen vielleicht, diefer Fürft (priocipem) der menſchlichen 
Natur, in welchem alle Mängel aller Menfhen ausgeglichen find, ſei noch 
nicht geboren, fondern werde erft auf die Welt fommen. Petrus. Es 
genügt, daß fowohl Araber ald Chriften und Andere, die mit ihrem Blute 
Zeugniß abgelegt haben, fowohl aus dem, was die Propheten von ihm 
gejagt haben, als auch, was er felbft während feines Wandelns auf Er- 
den Uebermenſchliches vollbracht hat, bezeugen, er fei bereitd gefommen. 


14. 

Der Spanier. Ueber den Meffias, deſſen bereitd erfolgte Ankunft 
der größere Theil der Welt annimmt, fann vielleicht hinfichtlich feiner Or 
burt eine andere Schwierigfeit entftehen: Chriften und Araber glauben, 
er fei aus Maria der Jungfrau geboren, Andere halten dies für un 
möglih. Petrus. Ale, welche an die erfolgte Ankunft Chrifti glauben, 
lehren auch, er fei aus der Jungfrau geboren. Denn da er das Aeußerſte 
(ultimitas) in der Vollkommenheit der menſchlichen Natur und allein der 
Höchſte (solus altissimus) ift, von welchem Vater follte er der Sohn fein? 
Jeder erzeugende Vater befindet ſich durch die Unvollfommenheit feiner 
Natur in einem fo weiten Abftande von der höchſten Vollkommenheit, daß 
er dem Sohne nicht die abfolut höchſte Vollkommenheit mittheilen fan, 
die nur in Einem Menfchen möglich iftz es kann died nur der Dater, 
welcher der Schöpfer der Natur ift. Der Höchfte (altissimus) hat alfo nur 
den zum Water, von dem alle VBaterfchaft herftammt. Durch göttlice 
Kraft wird daher der Höchſte im Leibe der Jungfrau empfangen und in 
der Jungfrau vereinigte ſich die höchfte Fruchtbarkeit mit der Jungfräulich— 
feit. Chriſtus ift uns daher fo geboren, daß er mit allen Menſchen in 
der innigften Verbindung fteht (ut sit omnibus hominibus conjunctissi- 
mus). Er bat Den zum Vater, von welchem jedes Menſchen Water das 
Baterfein hat, und er hat Die zur Mutter, die mit feinem Menſchen 
fleifchlich wermählt war. So erblidt Jeder in der allernächften Verbindung 
mit Chriftus feine Natur in der höchſten Vollkommenheit. 


397 


15. 

Der Türfe. Es erübrigt nun noch eine nicht geringe Differenz. 
Die Ehriften jagen, Ehriftus fei durd die Juden gefreuzigt worden, Ans 
dere verneinen died. Petrus. Wenn Einige fagen, Ehriftus fei nicht 
gefreuzigt worben, fondern lebe noch und werde zur Zeit des Antichrifts 
wiederfonmen, fo verftehen fie das Myfterium feines Todes nicht. 
Sie laſſen ihn in fterblihem Fleifche wiederfommen, ald ob er in anderer 
Weiſe den Antichrift nicht befiegen fünnte. Die Verneinung feiner Kreus 
zigung fcheint aus Verehrung für Chriftus zu entftehen, als ob Leute, wie 
die Juden, feine Gewalt über ihn gehabt hätten. Beachte jedoch, daß jene 
Hiftorien, deren es viele gibt, und die Predigt der Apoftel, die für die 
Wahrheit geftorben find, mit Recht Glauben verdient, Chriftus fei wirk— 
lich geftorben. So haben es die Propheten von Chriſtus vorausgefagt, 
er müfle zum fchmählichften Tode verurtbeilt werden, und die ift ver 
Kreuzestod. Das tiefere Verftindniß liege im Folgenden. 

Ehriftus fam, von Gott dem Vater gefendet, um das Himmelreich 
zu verkünden; feine Lehre vom Himmelreihe fonnte nicht beſſer bewahr« 
beitet werden, ald durch das Zeugniß feines Bluted. Um alſo feinem 
Bater ganz gehorfam zu fein und für die von ihm verfündete Wahrheit 
alle Gewißheit darzubieten, ftarb er und zwar des ſchmählichſten Todes, 
damit fein Menſch ſich weigere, die Wahrheit anzunehmen, für deren Bes 
zeugung Ehriftus freiwillig in den Tod gegangen war. Er verfündete 
das Himmelreih, indem er lehrte, wie der Menſch, fühig für dieſes Reich, 
zu demfelben gelangen fünne, Um viejed Reiches willen muß man das 
Leben in diefer Welt, an dem Alle fo zäh fefthalten, für nichts achten, 
und, damit man wiſſe, daß jenes himmlifhe Reich das Reich der Wahr- 
beit ift, gab er für die Wahrheit fein irdiſches Leben bin, um jo auf das 
Volllommenfte das Himmelreih zu verkünden und die Welt von der Uns 
wiſſenheit zu befreien, in der fie biejes Leben dem zukünftigen vorzieht, 
und um fich zum Opfer für Biele hinzugeben, um, erhöht am Kreuze 
vor Aller Augen, Alle zum Glauben binzuziehen (attraheret ad creden- 
dum omnes), dad Evangelium zu verberrliben, die Schwachen zu ftärs 
fen, fih zum Löfegeld für Viele hinzugeben und Alles auf die beftmög- 
liche Weife eingurichten, auf daß die Menſchen den Glauben an die 
Erlöfung (fdem salvationis), die Hoffnung, derjelben theilhaftig zu 
werden und die Liebe in Erfüllung der Gebote Gottes erlangen. Wenn 
daher die Araber auf die Frucht des Todes Ehrifti hinfehen wollten, fos 
wie, daß es ihm, dem Gefandten Gottes, zukam, fich ſelbſt zum Opfer 
zu mahen, um den Willen feines Vaterd zu erfüllen, und daß es für 
Ehriftus nichts Ruhmvolleres gab, als für die Wahrheit in Gehorfam 


398 


des ſchmählichſten Todes zu fterben, fo würden fie Ehriftus nicht diefen 
Ruhm feines Kreuzes entziehen, durch welches er, der Größte dem Ge 
horſam wie der Natur nach (et obedientissimus et altissimus — vergl. 
über den legtern Begriff Kapitel 13), in die Herrlichfeit feines Vaters 
erhöht zu werden verdiente. Wenn ferner Chriftus lehrte, die Menſchen 
würden nad dem Tode in der Auferftehung Unfterblichfeit erlangen, wie 
fonnte er die Welt hierüber befier überzeugen, als durch feinen freiwilli— 
gen Tod, feine Auferftehung und Erſcheinen als Pebender? Dadurd hat 
die Welt die Äußerfte Gewißheit erlangt, daß fie die Auferfiehung und 
das Miederaufleben des am Kreuze geftorbenen Chriftus von Vielen bes 
zeugt hörte, welde ihn lebend fahen und ihr Leben ließen, um treue 
Zeugen feiner Auferftehung zu fein. Das tft alfo das vollflommenfte Evan 
gelium, welches Chriftus an fich felbft gelehrt hat, ein vollfommeneres 
fonnte ed nicht geben, aber ohne Tod ‘und Auferftehung fonnte es immers 
hin vollfommener fein. Wer daher glaubt, EChriftus, unfer Herr, habe 
auf das Vollfommenfte den Willen feines Vaters erfüllt, muß auc alles 
Das zugeben, ohne was fein Evangelium nicht das vollfommenfte war. 
— Beachte fodann, daß das Himmelreih bis auf Ehriftus Allen vers 
borgen war. Denn das ift eben das Evangelium Chrifti, jenes Allen 
unbefannte Reich zu verfünden, Es gab alfo feinen Glauben, feine Hof 
nung, das Himmelreih zu erlangen, Niemand fonnte es lieben, weil «6 
ganz unbefannt war, es war feine Möglichkeit, es zu erlangen, da bie 
menſchliche Natur noch nicht zu jener Höhe hinaufgehoben war, wo fie 
der göttlihen Natur theilhaftig (consors) wurde, Chriftus hat und das 
her auf jede Welle das Himmelreich eröffnet, auf welche es mur immer 
eröffnet werden fann. Doc eingehen kaun in daflelbe nur, wer das Neid 
diefer Welt im Tode aufgibt (deponit). Der Sterblihe muß die Sterb- 
‚ lichfeit niederlegen, d. i. die Möglichkeit ded Sterbend, was durd den 
Tod geihieht, dann kann er die Unfterblichfeit anziehen. Wenn baher 
Ehriftus als fterblicher Menſch nicht ftarb, fo legte er die Sterblichkeit 
niht ab und fonnte fo nicht in das Himmelreih eingehen. Wenn er, 
der Erftling (primitiae) und Erftgeborene aller Menfchen nicht das Him— 
melreich geöffnet bat, fo ift unfere Gott geeinte Natur noch nicht in dad 
Himmelreih eingeführt. Das Gegentheil hievon behaupten aber alle 
Menihen, welbe an das Himmelreih glauben; denn Alle glauben, daß 
wenigftens einige Heilige aus ihrer Religion die ewige Glückſeligkeit er 
reicht haben. Daher fegt der Glaube, daß es Heilige in der ewigen 
Glorie gebe, den Tod und die Himmelfahrt Chrifti voraus, 


399 


16. 


Der Deutfhe. Alles das ift ganz gut, allein Hinfichtlich der 
Glüdjeligfeit fehe ich nicht geringe Gegenfüge. Den Juden tft in 
ihrem Gelege nur Zeitliches verheißen, das in ſinnlichen Gütern befteht, 
die Araber haben in ihrem Gefege, das im Alchoran aufgeſchrieben ift, 
nur Berheißungen von fleifchlichen, aber ewig dauernden Genüflen. Das 
Evangelium verfpricht Aehnlichfeit mit den Engeln, welche nichts Fleiſch— 
lies an fih haben. Petrus. Laͤßt ſich eine Sehnfucht nah irgend Ets 
was diefer Welt denfen, die nicht abnimmt, fondern ſich beſtändig fteis 
gert? Der Deutfche. Alles Zeitliche vergeht, nur das Geiftige 
nit: efjen, trinfen, Wohlleben u. dgl. gefallen eine Zeit lang, dann 
nicht mehr, fie find etwas Unbeftändiges; wilfen aber und denfen, 
mit dem Auge des Beiftes die Wahrheit ſehen, madt immer 
Freude. Ge älter der Menſch wird, defto größere Freude gewähren 
fie ihm, je mehr er fi ihnen bingibt, defto mehr wird das Verlangen 
nah dem Befige der Wahrheit gefteiger. Petrus. Wenn aljo die 
Sehnſucht umd die Nahrung vderfelben eine immerdauernde fein fol, fo 
lann fie nicht zeitlich und finnlich fein; fondern eine Nahrung des geiftis 
gen Lebens. Wenn fi daher im Alchoran die BVerheifung eines Para— 
diejed befindet, mit Strömen von Wein und Honig, mit einer Menge 
von Mädchen und fchon in diefer Welt Viele diefe Dinge verabfcheuen, 
wie können dieſe glüdlich fein, wenn fie dort erlangen, was fie ſchon hier 
nicht wollten? Es heißt im Alchoran: „ſchöne ſchwarze Mädchen befinden 
Äh dort mit ganz weißen Augen ;* — allein fein Deutfcher, wenn er aud) 
den fleifchlichen Gelüften ergeben ift, würde fchon in dieſer Welt an ihnen 
Befallen finden. Diefe Dinge müffen daher bildlich verftanden werden. 
Denn an andern Stellen verbietet der Alchoran Concubinat in Kirchen 
oder Synagogen, Mofcheen (mesquitis) und alle andern fleiichliden Ge— 
nüffe; es iſt jedoch nicht anzunehmen, daß ihm die Mofcheen heiliger find, 
als dad Paradies. Wie können daher diefe Dinge hier in den Mofceen 
verboten werden, welde dort im Paradieſe eine Verheißung find ? Ans 
derdwo jagt er: „diefe Dinge finden ſich dort, weil dort die Erfüllung 
von Allem ift, was hier erfehnt wird.” Damit zeigt er binlänglid, was 
er damit fagen wolle, wenn er fagt, diefe Dinge finden fi dort. Denn 
wenn fie im vieler Welt erfehnt werden, in der Vorausjegung, daß in 
der andern Welt die gleiche Sehnſucht ift, jo müßten fie dort in erquis 
fer Weife und in Fülle gefunden werden. Nur in diefem Sinne Fonnte 
er jagen, jened Leben fei die Erfüllung alles Sehnens. Er wollte aud) 
dem ungebildeten Bolfe keine andern verborgenen Dinge offenbaren, fons 
dern nur eine finnlich höhere Glüdfeligkeit, damit nicht das Volk, welches 


400 


an den Dingen des Geifted feinen Geſchmack findet, die Verheißungen 
geringihäge. Das Hauptbeftreben des Geſetzgebers fcheint geweſen zu fein, 
das Volf vom Gögendienft abzuhalten, zu welchem Zwede er ſolche Bers 
heißungen machte. Allein er verwarf das Evangelium nicht, im Gegen 
theil er lobte es, indem er zu verftehen gab, die im Evangelium ver 
heißene Glüdjeligfeit fei nicht geringer, als jene finnliche. Die Berftäw 
digen und Weiſen unter den Arabern erfennen dies auch als die Wahr 
heit. Avicenna fagt, der geiftige Genuß des Anſchauens oder Genichens 
Gottes und der Wahrheit fei über allen Vergleich beffer, ald die im Ga 
ſetzbuche der Araber geichilderte Glückſeligkeit, und er ftand doch unter die 
fem Geſetze; dasjelbe jagen ihre andern Philofophen. Darin kann alio 
feine Schwierigkeit liegen, alle Religionen zu vereinigen. Man wird ia 
gen, jene Glüdjeligfeit gehe über Alles, was fi befchreiben oder aus— 
fprechen läßt, weil fie die Erfüllung jeder Sehnſucht und der Genuß des 
Guten an feiner Quelle, die Erlangung des unfterblihen Lebens if. 
Der Deutſche. Wie fteht e8 aber mit den Juden, welde die Verheißung 
des Himmelreichs nicht fallen, fondern nur die der zeitlichen Dinge? 
Petrus. Die Juden geben ſich für ihr Geſet und die Heilighaltung 
desjelben dem Tode hin. Würden fie nicht glauben, dadurch nad dem 
Tode die Glüdfeligfeit zu erlangen, daß fie den Eifer für das Geſetz dem 
Leben vorziehen, fo würden fte fih nicht in den Tod hingeben. Die Jw 
den fagen daher nicht, es gebe fein ewiged Leben und fie könnten es nicht 
erlangen (jonft würde Keiner von ihnen für das Geſetz fterben), allein fie 
erwarten die ewige Glüdfeligfeit nicht aus den Werken des Geſetzes, weil 
die Geſetze es nicht verheißen, fondern aus dem Glauben, und bieler 
fegt Ehriftus voraus, wie oben gezeigt ift. 


17. 


Der Tartar. Zu dem Vielen und mir bisher Unbefannten, wor» 
über fich viele fchlihte Tartaren, die Einen Gott über Alles verehren, ver 
wundern, gehört auch die Verſchiedenheit des Ritus bei Soldhen, die 
doch mit ihnen den Einen Gott verehren. Sie lachen darüber, daß einige 
Ghriften, alle Araber und Juden die Beſchneidung haben, Andere 
aufder Stirne ein Brandmal erhalten, Andere getauft find, 
In der Ehe befteht gleichfalls eine fehr große Verjchiedenheit: Einer hat 
nur Eine Frau, ein Anderer Eine ihm rechtlih angetraute Ehefrau mit 
mehreren Goneubinen , wieder ein Anderer hat mehrere legitime Frauen. 
In den Dpfern ift eine fo große Verfchievenheit des Ritus, daß fie 
fih nicht beichreiben läßt. Unter diefer großen Mannigfaltigfeit ſcheint 
das Opfer der Ehriften, wenn fie Brod und Wein opfern und fagen, es 
fei der Leib und das Blut Ehrifti und dieſes Opfer nach der Aufopferung 


401 


effen und trinken, um fo verabiheuungswürdiger, als fie Den verzehren, 
den fie anbeten. Wie in in diefen Dingen, die überdies nah Drt und 
Zeit verfchieden find, eine Ginigung zu Stande fommen foll, dad begreife 
id nit. Und fommt fie nicht zu Stande, fo hört die Verfolgung nicht 
auf. Denn die Verfchiedenheit erzeugt Trennung, Feindſchaft, Haß und 
Krieg. — Da begann Paulus, der Völferapoftel (doctor gentium), 
im Auftrage des Worts alfo: Man muß zeigen, daß nicht durch die 
Werke, fondern ven Ölauben das Heil dargeboten werde 
(praesentari). Abraham war der Glaubensvater aller Glaubenden, 
jeien e8 Ehriften, Araber oder Juden, er glaubte Gott (credidit Deo) 
und died wurde ihm zur Gerechtigfeit angerechnet; die Seele des Gerech— 
ten wird das ewige Leben erben. Iſt dies zugegeben, fo wird die Vers 
Ihiedenheit der Riten feine Störung maden, denn fie find als finnliche 
Zeihen der Wahrheit des Glaubens eingefegt und angenommen; die Zei— 
ben laſſen eine Veränderung zu, nicht aber das dadurch Bezeichnete. Der 
Zartar. Erfläre mir, wie der Glaube rechtfertigt (salvat). Paulus. 
Wenn Gott Etwas aus reiner Gnade und Barmherzigkeit verfpricht, muß 
man dann nicht ihm, der die Macht hat, Alles zu geben und der wahrhaftig 
it, glauben? Der Tartar. Gewiß, fintemal Niemand getäufcht wer- 
den kann, der ihm glaubt; wer ihm nicht glaubte, wäre unwürdig, eine 
Gnade vorn ihm zu erhalten. Paulus. Was rechtfertigt aljo Den, 
der die Gerechtigkeit erlangt? Der Tartar. Seine Berdienfte nicht, 
\onft wäre es nicht Gnade, fondern Schuldigfeit. Paulus. Ganz ride 
tig; allein gerade weil fein Menfch dur feine Werke vor Gott gerecht 
fertigt wird, fondern weil der Allmäctige durch feine Gnade, Wem er will, 
das gibt, was er will, jo muß man, um würdig zu fein, die Verheißung, 
welhe pure Gnade ift, zu erlangen, nothiwendig Gott glauben. Dadurch 
wird der Menfch gerechtfertigt, dadurch allein erlangt er die Verheißung, 
daß er Gott glaubt und hofft, daß das Wort Gottes in Erfüllung gebe. 
Der Tartar. Nachdem Gott verfprohen hat, ift es gerecht, daß das 
Verfpreben gehalten werde. Der Gott Glaubende wird alfo vielmehr 
durh die Verheißung (repromissionem), ald durd den Glauben geredits 
fertigt. Baulus. Gott, welder Abraham einen Samen verfproden 
hat, in welchem Alle gefegnet werden follten, hat Abraham gerechtfertigt, 
auf daß er die Verheißung erlange. Hätte aber Abraham Gott nicht 
geglaubt, fo hätte er weder die Rechtfertigung, noch die Verheißung ers 
langt. Der Tartar. Allerdings. Paulus. Der Glaube hat alfo 
dei Abraham bewirft, daß die Erfüllung der Verheißung eine gerechte 
war, die außerdem weber eine gerechte, noch eine vollzogene .(adimpleta) 
geiwefen wäre. Der Tartar. Was hat Gott verheißen? Paulus. 
SHarpff, Nie. v. Cuſa. 26 


402 


Gott verhieß dem Abraham, er werde ihm einen Nachkommen (semen) 
in Iſaak geben, in weldem alle Geſchlechter gepriefen werben follen. 
Diefe Verheißung wurde zu einer Zeit gegeben, wo ed nad dem ge 
wöhnlihen Laufe der Natur für Sara unmöglid war, noch zu empfan 
gen und zu gebären; weil er aber glaubte, erhielt er den Sohn Jiadf, 
Dann ftellte Gott Abraham in dem Gebote auf die Probe, den Sohn, 
in welchem die Verheißung eines Nachkommens in Erfüllung gegangen 
war, zu tödten und zu opfern. Abraham gehorchte, glaubte jedoch nichls— 
deftoweniger an bie fiber ſich erfüllende Verheifung, wenn der todte Sohn 
wieder ind Leben gerufen würbe. Seitdem nun Gott einen fo großen 
Glauben bei Abraham fand, wurde Abraham gerechtfertigt, und die Ber 
heißung in dem Einen Samen erfüllt, der von ihm im Iſaak ausging. 
Der Tartar. Welches tft diefer Same? Paulus. Chriftuß; 
denn alle Völfer erlangen in ihm den göttlichen Segen. Der Tartat. 
Und worin beftcht diefer Segen? Paulus. Der göttliche Segen if 
das Ziel unferer Schufucht, die Glückſeligkeit, das ewige Leben, über 
weldes Du vorhin das Hinlänglihe vernommen haft. Der Tartar. 
Meint Du alfo, Gott babe uns in Chriftus den Segen der ewigen 
Glüdjeligfeit verheißen? Paulus. Allerdings. Daher muß man Gott 
glauben, wie Abraham glaubte, auf daß der fo Glaubende mit dem gläw 
bigen Abraham gerechtfertigt werde, um in dem Einen Samen Abrahams, 
Ehriftus Jeſus, die Verheißung zu erlangen, welche der göttliche Segen 
ift, der alles Gute im fih begreift. Der Tartar. Meinft Du alio, 
jener Glaube allein rechtfertige zur Erlangung des ewigen Lebene 
(vis igitur, quod sola fides illa justificet ad perceptionem aeterna® 
vitae)? Paulus. NMlerdings. Der Tartar. Wie wirft Du aber 
den ſchlechten Tartaren das Verftändniß darüber auffchließen, daß fie es 
begreifen, Chriſtus fei es, in welchem fie die Glüdfeligkeit erreichen können? 
Paulus Du haft doch gehört, daß nit nur die Ehriften, fondern 
aud die Araber glauben, Chriſtus fei der Höchfte (altissimum) von Allen, 
welche je lebten oder noch leben werden und das Urbild (faciem) aller 
Völker. Wenn aljo in Einem Nachkommen alle Völker gefegnet find, fo 
fann dies nur Chriftus fein. Der Tartar. Welchen Beweis führſt 
Du an? Paulus. Das Zeugniß der Araber wie der Chriften, daß 
der Geift, der die Todten ind Leben ruft, der Geift Ehrifti if. Wem 
nun der befebende Geift in Chriftus if, welcher die Macht hat, Alle, die 
er will, zu beleben, fo ift er der Geift, ohne den fein Todter auferwedt 
wird und fein Geift ewig leben kann. Denn e8 wohnt in dem Geifte 
Chriſti die Fülle der Gottheit und Gnade, aus welcher Fülle alle zu Er 
löfenden die Gnade der Erlöfung erlangen. Der Tartar. Es freut 
mich, died von Dir, dem Apoftel der Heiden, zu vernehmen, weil es in 


403 


Verbindung mit dem vorhin Wernommenen für unfern Zweck genügt. 
Ih erfenne nun die Nothwendigfeit des Glaubens, ohne den Niemand 
felig wird. Doch — genügt der Glaube? Paulus Ohne Glauben 
it es unmöglih, Gott zu gefallen. Der Glaube muß aber ein 
lebendiger fein, ohne die Werfe ift er todt (oportet autem, quod 
fides sit formata, nam sine operibus est mortua). Der Tartar. 
Welches find diefe Werke? Paulus. Wer Gott glaubt, hält feine 
Gebote; wie fannft Du glauben, Gott fei Gott, wenn Du Di nicht 
beitrebft, feine Gebote zu erfüllen? Der Tartar. Nicht mehr als billig, 
daß die Gebote Gottes beobachtet werden. Doch die Juden fagen, fie 
hätten feine Gebote durch Mofes, die Araber — durch Mahomed, die 
Ehriften durch Jeſus; andere Nationen verehren vielleicht wieder befondere 
Propheten, durch welche fie die Gebote Gottes befommen haben wollen. 
Wie fommen wir da zu einer Uebereinftimmung? Paulus. Die götts 
lihen Gebote find ganz furz, Allen binlänglich befannt und allen Nationen 
gemeinfamz; ja, das Licht, das fie aufhellt, ift unferer vernünftigen Seele 
anerfhaffen. In uns felbft ſpricht Gott, daß wir ihn lieben follen, von 
dem wir das Leben haben, und daß wir Keinem etwas zufügen, außer 
was wir wünſchen, daß auch uns zugefügt werde. Die Liebe ift die Ers 
füllung des göttlichen Gefeges, alle Gefege reduciren fi auf dieſes Eine 
Geſetz. Der Tartar. Sch zweifle nicht, daß ſowohl der Glaube, als 
das Gefeg der Liebe von den Tartaren angenommen werben; doch wegen 
der verfchiedenen Riten bin ich im Zweifel, ich weiß nicht, wie fie die 
Beihneidung, über die fie lachen, annehmen follen, Paulus. Hinfict- 
ih der Seligfeit liegt an der Befchneidung nichts, denn fie macht nicht 
kelig; wer jedoch die Befchneldung zwar zur Seligfeit nicht für nothwendig 
hält, viefelbe jedoh an fih vernehmen läßt, um Abraham und deffen 
Nahfolgern auch hierin gleichförmiger zu fein, der wird deßhalb nicht ver, 
dammt, wenn er nur den Glauben hat. So war Ehriftus befchnitten 
und viele Ehriften wegen feiner, wie noch jetzt die Jacobiniſchen Aethios 
pier und Andere, ald wäre ed ein zur Seligfeit nothwendiged Sacrament. 
Dod wie fann der Friede unter den Gläubigen beftehen, wenn die Einen 
beſchnitten find, die Andern nicht und fo noch größerer Zweifel entfteht? 
Da der größere Theil der Menfchen nicht befchnitten ift, fo halte ich es 
für paffend, in Erwägung, daß die Beichneidung nicht mothwendig if, 
daß der Fleinere Theil fih um des Friedens willen dem größern, mit dem 
er im Glauben Eines ift, confornirt. Ja, wenn um bed Friedens willen 
der größere Theil fih an den Heinern anfchlöße und die Beichneidung 
annähme, follte er ed meiner Meinung nad thun, damit durch gegen» 


feitiges Sichanſchließen der Friede befeftigt werde. Würden fo die einen 
26° 


404 


Nationen von den Chriften den Glauben und bie Ehriften von andern 
um des Friedens willen die Befchneidung annehmen, fo würde der Friede 
mehr Befeftigung erlangen. Die Ausführung halte ich aber für fchwierig. 
Es mag daher genügen, den Frieden im Glauben und in dem Ges 
bote der Liebe zu befeftigen und den Ritus da wie dort zu dulden. 


18. 


Der Armenier. Wie fol man ed mit der Taufe halten, da es 
bei den Ehriften für ein zur Seligkeit nothwendiges Sacrament gehalten 
wird? Paulus Die Taufe ift das Sucrament des Glaubens. Wer 
glaubt, er Fönne durch Jeſus Ehriftus die Rechtfertigung erlangen, der 
glaubt auch, daß es durch ihn eine Abwaſchung der Sünden gebe. Diele 
Reinigung, die durh das Taufbad bezeichnet wird, wird jeder Gläubige 
offen an den Tag legen. Denn die Taufe ift nichts Anderes, ald das 
Bekenntniß jened Glaubens mittelft des facramentalifchen Zeichens. Es 
wäre fein Gläubiger, wer nicht feinen Glauben durch Wort und alle 
hiezu von Chriftus eingefegten äußern Zeichen offen befennen wollte, 
Es gibt ein ſolches Taufbad aus Ehrfurcht vor der Religion bei Hebräern 
und Arabern, denen es nicht ſchwer fallen wird, die von Chriſtus zum 
Befenntniß ded Glaubens angeordnete Taufe anzunehmen. Der Arme; 
nier. Die Annahme dieſes Sacramentes fcheint nothwendig, da ed zur 
Seligfeit nothwendig if. Paulus. Der Glaube ift nothwendig bei 
den Erwachſenen, die ohne dieſes Sacrament felig werden fünnen, wenn 
fie e8 nicht befommen fönnen. Können fie e8 aber befommen, fo können 
fie fih nicht Gläubige nennen, wenn fie fi nicht ald ſolche mittelft des 
Sacraments der Wiedergeburt zeigen wollen. Der Armenier. Wie 
ſteht es mit den feinen Kindern? Paulus. Sie werden fib um fo 
leichter dazu verftehen, die Kinder taufen zu laffen, als fie die Knäblein 
am achten Tage aus Religiofität befchneivden ließen; die Vertaufhung der 
Befchneidung mit der Taufe wird willfommen fein und man wird ihnen 
die Wahl laffen, ob fie fib mit der Taufe begnügen wollen, 


19, 


Der Böhme. Im allen bisher befprochenen Punkten vürfte es 
möglich fein, eine Uebereinftimmung zu finden, in den Opfern aber wird 
ed jehr große Schwierigfeit haben. Wir wiſſen, daß die Ehriften das 
Opfer von Brod und Wein im Sacramente der Gudariftie nidt 
Andern zu gefallen aufgeben fünnen, da dieſes Opfer von Chriftus eins 
gelegt ift; daß aber andere Nationen, welche nicht fo zu opfern pflegen, 
diefe Weife des Opferns annehmen, ift nicht leicht zu glauben; zumal da 
fie es für Unfinn Halten, an eine Verwandlung des Brodes in den Leib 


405 


und des Weines in das Blut Ehrifti zu glauben und nachher dad Sacras 
ment zu verfpeifen. Paulus. Das Sacrament der Euchariftie vers 
finnbildet (figurat) nichts Anderes, ald daß wir ans Gnade in Jeſu 
Ehrifto die Erquidung (refectionem) ded ewigen Lebens erlangen werben, 
wie wir in diefer Welt durch Brod und Wein erquicdt werden. Wenn 
wir alfo glauben, Ehriftus jei die Nahrung des Beifted, dann 
nehmen wir ihn unter den Geftalten, die den Körper fpeifen. 
(Quando igitur credimus Christam cibum mentis, tunc ipsum sumimus 
sub speciebus corpus cibantibus.) Und da wir in dem Glauben übers 
einfimmen müflen, daß wir die Nahrung des belebenden Geiſtes (eiba- 
tionem vitae spiritus) in Chriſtus erlangen, warum wollen wir diefen 
Glauben nicht in dem Sacramente der Euchariftie offen zeigen? Es tft 
ju erwarten, daß alle gläubigen Menfchen durd den Glauben ſchon in 
diefer Welt jene Speife verfoften wollen, die im andern Leben in Wahr: 
heit die Speife unfered Lebens fein wird. Der Böhme Wie wird 
man alle Völker von der Verwandlung der Subftanz des Brods 
in den Leib des Herrn überzeugen? Paulus. Der Gläubige weiß, 
daß das Wort Gottes in Jeſu Ehrifto und aus dieſer elenden Welt hin 
überführen wird bis zur Kindſchaft Gotted (transferet usque ad filiatio- 
nem Dei) und zum Befige des ewigen Lebens, weil Gott nichts unmög— 
ih if. Wenn wir das glauben und hoffen, dann zweifeln wir aud 
nicht, daß das Mort Gottes nad der Anordnung Chrifti das Brod in 
das Fleiſch (Ehrifti) verwandeln könne. Wenn die Natur dies bei den 
Thieren thut, wie follte dad Wort es nicht vermögen, durch welches Gott 
die Welt erfchaffen hat? Der Glaube nöthigt und, daran feftzuhalten. 
Denn wenn es möglid ift, daß wir Kinder Adams, die aus Erde find, 
umgeftaltet werden in Ehrifto Jeſu, dem Worte des unfterblichen Gottes, 
wenn wir dieſes glauben und die Frucht davon hoffen; wenn es möglich 
it, daß wir dereinft fein werden wie Jeſus, das Wort des Vaters, fo 
müflen wir in gleicher Weife an die Transfubftantiation des Brodes 
in das Fleilh und des Weines in das Blut glauben durch das nämliche 
Wort, durch welches Brod Brod ift und Wein Wein, Fleiſch Fleiſch und 
Blut Blut, und durd welches die Natur die Speife in das mit der Speife 
Verfehene umwandelt. Der Böhme. Diefe Verwandlung der Subftanz 
des Brodes wird ſchwer begriffen. Paulus. Durch den Glauben fehr 
liht! Denn nur durch den Geift (sola mente) ift died zu erfaflen 
(est attingibile), welder allein die Subftanz als Gaufalitär, nicht als 
Weſen betrachtet (quae sola substantiam intuetur quia est, non quid 
est); denn die Subftanz geht allem Accidens voraus. Da demnach die 
Subftang weder Qualität noch Quantität hat und fie allein verwandelt 
wird, fo daß nicht mehr die Subftanz des Brodes, fondern die des Flei- 


406 


fhes da ift, fo ift jene Verwandlung nur eine geiftige (spiritualis), weil 
ganz entfernt von Allem, was durch den Sinn erfaßbar if. Durch dieſe 
Verwandlung wird daher nicht die Quantität des Fleiſches vermehrt, nicht 
numerifch vervielfältigt. Daher ift ed nur die Eine Subftanz des Flei⸗ 
ches, in welde die Subftanz des Brodes verwandelt ift, wenn aud das 
Brod an verfhiedenen Orten dargebraht wird und mehrere Brode bei 
Einem heiligen Meßopfer vorgelegt werden. Der Böhme. Ich begreife 
nun diefe mir fehr werthe Lehre, daß dieſes Sacrament dad Sacrament 
der Speiſe des ewigen Lebens ift, durch welche Speiſung wir die Erb 
haft der Kinder Gottes in Jeſu Ehrifto erlangen, und daß eine Aehn— 
lichkeit bievon in dem Sacramente der Euchariftie liegt (et quomodo 
est similitudo hujus in sacramento isto eucharistiae), fowie daß died Ge⸗ 
heimniß nur durch den Geift erreicht (sola mente attingitur), durd 
den Glauben verfoftet und genoffen wird (fide degustatur et capitur). 
Wenn diefed Geheimniß nicht begriffen wird, fo rührt ed waher, weil 
Ungebildete vielleicht nicht nur einen Widerwillen haben, es zu glauben, 
fondern aud ein fo großes Sacrament zu empfangen. Paulus. Soweit 
dieſes Sacrament in finnlichen Zeichen befteht, ift es, wofern der Glaube 
da ift, nicht fo nothwendig, daß man ohne es nicht felig wird, denn jur 
Seligfeit genügt es zu glauben und auf diefe Weife (sic) das Brod des 
Lebens zu genießen. Daher ift auch über die Austheilung des Sacra— 
ments an das Volf: ob, wen und wie oft ed dem Volke ausgetheilt wer: 
den folle, fein zwingendes Geſetz (lex necessitatis) gegeben. Wenn Jemand, 
der Glauben hat, fih für unwürdig hält, zum Tifche des höchften Königs 
hinzuzutreten, jo ift diefe Demuth vielmehr zu loben. Hinfichtlid des 
Empfanges und des Ritus werden daher die Vorſteher der Kirche in 
jeder Religion das ihnen nah den Zeitumftänden geeignet Scheinende 
(allezeit unbefchadet ded Glaubens) anordnen fönnen, fo daß bei der Ber 
fhiedenheit der Ritus gleichwohl der Friede des Glaubens unverfehrt bleibt. 


20. 


Der Engländer Wie fteht es mit dem andern Sarramenten: 
Ehe, Priefterweihe, Birmung und legte Delung? Paulus. 
Man muß der menjhliden Schwachheit fehr oft Rechnung tragen, fo 
weit ed nicht gegen bie ewige Seligkeit anftößt. Eine eracte Eon; 
formität in allen Stüden fuhen, heißt vielmehr den Frieden 
ftören. Es ift jedoch zu hoffen, daß, was die Ehe und Prieſterweihe 
betrifft, eine Uebereinftimmung gefunden werde. Bei allen Nationen fcheint 
die Ehe durch ein Naturgefeg gewiffermaßen in der Art eingeführt, daß 
Einer Eine Frau habe; fo findet fih auch das Prieſterthum in allen 
Religionen. Hierin wird alfo eine Vereinigung um fo leichter jein und 


407 


es wird fih aud nad dem Urtheile aller Andern nachweiſen laſſen, baß 
die chriftliche Religion in beiden Sacramenten eine lobenswerthere Reinheit 
der Auffafjung fefthalte. Der Engländer Was ift Deine Anſicht 
über Faften, firhliche Aemter (officiis ecclesiasticis), Abftinenz von 
Speife und Trank, Gebetsformeln u. dgl.? Paulus Wo fid 
feine Uebereinftimmung in der Art und Weiſe finden läßt, laffe man bie 
Nationen (unbeihadet ded Glaubens und Friedens) bei ihren Andachten 
und Geremonien. Die Andacht gewinnt vielleicht fogar durch die Ver— 
jiedenheit, wenn jede Nation fi bemüht, ihren Gottesdienft durch Eifer 
und Sorgfalt- an Glanz zu erhöhen, um die andern darin zu übertreffen, 
und jo mehr Verdienft vor Gott, mehr Lob vor der Welt zu erlangen. — 


Nachdem alles Diefed mit den MWeifeften aus den Nationen durch— 
gelprochen war, wurden fehr viele Schriften von Solchen vorgelegt, welde 
über die alten Gebräuche geichrieben haben, deren es in jeder Sprade 
einige hervorragende gibt; 3. B. bei den Lateinern Marcus Varro, bei den 
Griechen Eufebius, welcher die verschiedenen Religionen zufammengeftellt 
hat, und noch viele Andere. Nah Durchgehung derfelben zeigte fih, daß 
alle Berfchiedenheit mehr im Ritus als in der Verehrung des Einen 
Gotted gelegen fei, von welchem fih aus der Vergleihung aller jener 
Werke ergab, daß er von Anfang an ftetd von Allen vorausgefegt und 
in allen Gottesbienften verehrt worden fei, wiewohl das fchlichte Volk, 
durh Die feindlihe Macht des Fürften der Finfterniß oft irre geführt, 
nicht immer verftand, was es that. 

So wurde denn nun im Himmel der Vernunft die Ein- 
trabt der Religionen befchloffen in der bisher angegebenen Weife 
(conelusa est igitur in coelo rationis concordia religionum). Der König 
der Könige befahl, die Weiſen follten in ihre Länder zurüdfehren und 
ihre Nationen zur Einheit des wahren Cultus bewegen; dienende Geifter 
ſollten ſie führen und ihnen beiftehen. Dann follten fie mit Vollmacht 
von Allen verfehen (cum plena omnium potestate) in Serufalem als 
dem gemeinfamen Mittelpunfte zufammenfommen und im Namen Aller 
Einen Glauben annehmen und über venfelben einen ewigen Frieden fdhlies 
fen, auf daß durch den Frieden der Schöpfer Aller verherrlicht werde, 
dem Preis und Ehre fei in Ewigkeit! Amen. 


1. 


Speciell 
Dogmatifh-Ethifdes. 


Digitized by Google 


Werth der Piteratur. 


Die Schrift ftammt aus der Kunft der geiftigen Natur, vermöge 
weldher ein Geift dem andern die Eingebung (inspirationem) des götts 
lichen Lichtftrahles zur Ehre Gottes und Vervollfommnung der vernünftigen 
Natur mittheilen kann. Die Schrift ift das Mittel, Gedanken befannt 
zu geben zur Belehrung der Gegenwärtigen und Abwefenden über bie 
Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Der Geift bedarf nämlich einer 
gewiſſen Erfahrung zu feiner Ausbildung, um die Fählgfeit zum Unters 
fuhen zu erlangen. Da man aus dem Samen nicht wiffen fann, was 
aus ihm werde, wenn nicht die Erfahrung aus der Vergangenheit mic 
hierüber belehrt (der Menfh kann die Zufunft nur durd die Kenntniß 
der Vergangenheit vorherwiffen), fo ift dem Menſchen Kenntniß der Ber 
gangenheit nothwendig. So hat Ptolemäus aus den Beobachtungen 
des Abraches und Timochores über die Bewegung der Planeten die Ges 
ſehe ihrer Bewegung in der Zufunft entvedt. Der Menih muß daher 
die Vergangenheit fennen, und die Beobachtungen aus langer Zeit, um 
fiherer über die Zukunft Schlüffe bilden zu können. Daher hatten bie 
erften Menfchen ein fo langes Leben, um aus langer Erfahrung von 
600 Jahren die Himmeldbewegung und Anderes zu unterfucen und ihre 
Erfahrung zum Gemeingute der Nachwelt zu machen. Gin Hülfsmittel 
hiezu ift die Schrift, durch welche fi) Zeitalter an Zeitalter anreiht, auf 
daß der Menſch im ihr wie in einem Spiegel die Vergangenheit erfenne 
und daraus Nugen ziehe; durch die Schrift fpricht der Todte mit dem 
Lebenden, der Abwefende mit dem Gegenwärtigen, — ein wahrhaft gött- 
liches Kunſtwerk, durch welches alle Jahrhunderte und Zeitalter, alle 
Gelehrten, die je gelebt, alle göttlichen Eingebungen und menfhliden Ers 
findungen der früheren Zeiten auch in der Gegenwart noch jedem Geifte 
m Gebote ftehen und zu deffen Ausbildung dienen. Zu unferer Belch- 
fung lebt der Geiſt des bi. Paulus in feinen Briefen, und belehrt und 
bildet und durch das Mittel der Schrift. (Exc. VII, 615, 616.) 


Summe der HI. Schrift. 


Wenn du recht in die hl. Schrift eindringft, fo findeft du nichts als: 
Gott, die Welt und Ehriftus, und daß Chriſtus es ift, durch den 
Gott die Welt mit ſich wieder verföhnt hat. Es gibt Feine andere Wiſ—⸗ 


412 


fenfhaft, als diefes Wiffen. Gott der Vater wollte, daß auch wir Men 
hen an feiner Herrlichfeit Theil haben. Welche größere Herrlichkeit Fann «4 
für die menfchlihe Natur geben, als daß in ihr ein Menfch fih fand, der der 
gepriefene Sohn Gottes ift, in dem Alles im Himmel und auf Erden 
gefegnet wird? Auch die Engel wären ohne das Wort Gottes ohne 
Leben. Die göttliche Vernunft, die das Wort Gottes ift, ift die Weis— 
heit, die jedem vernünftigen Gefchöpfe Nahrung gibt, und Gott offenbart 
die Schäge feiner Weisheit zu feiner Berherrlihung durch das Wort, 
dad alle vernünftigen Geifter ewig nähret. 
(Exc. VI, 524, vgl. Exc. VIII, 617.) 


Altes und neues Teitament, 


Das ift der Unterfhied zwifchen altem und neuen Tells 
mente: das neue ift Verftändniß (novum intelligit) und durch 
dieſes Wirken ald Verftändnig ift ed in der Freiheit. Niemand fanı 
von ſich fagen, er diene wie ein Knecht, wer thut, was ihm die Vernunft 
zu thun befichlt, wohl aber der, welcher aus Furcht vor Strafe ein Geht 
zu beobachten genöthigt wird, das er nicht verfteht, weil fi in demfelben 
einiged Geheime befindet, das ſich dem Auge des Verſtändniſſes entzieht 
und erft feiner Zeit geoffenbart, vorher aber nur wie in einem Raͤthſel 
(Bilde) erfannt wird. in folcher erfüllt Enechtifch, aus Furcht und Zwang, 
das Gefeß, wie ein Knabe unter dem Lehrmeifter, deſſen Zuchtruthe er 
fürchtet, mühfam die Elemente des Wiſſens erlernt und fih in der Gram⸗ 
matif übt, ohne jegt noch zu wiffen, wozu das diene. Kommt er aber 
in das reifere Alter, fo erfennt er den Nugen davon und ift nicht mehr 
ein Sklave der Grammatik, fondern handhabt frei den Geift, die Bedew 
tung der Worte, fümmert fib nicht um Worte, fondern um Gedanken, 
jagt nad Wahrheit und ruht erft, wann er diefe erjagt hat. So hat 
denn alle Anftrengung für Elementarfenntniffe ihr Ziel in der Wahrheit; 
hat man diefe erfaßt, fo bedarf es der Formen und Figuren nicht mehr. 
So verhält es fih auch mit Gefeg und Chriſtus, der die Wahrheit 
ift. Die Fülle fchließt das Theilweiſe aus, die Wahrheit das bloße 
Bild, der Geift den Buchſtaben, das Ziel das, was für ed angeordnet 
if. Die Wahrheit vollendet fih in uns in vier Stufen. Gleichwie 
Etwas in der weiten Ferne zuerft überhaupt als ein Gegenftand erſcheint, 
näher heranfommend als ein lebendes Wefen, noch näher als ein Men, 
der endlich in der nächften Nähe ald der, der er ift, ald Water oder Sohn 
x. erfannt wird, fo erfehien auch die Wahrheit vor der Periode des Gr 
feßes in der Ferne im verworrenen Sein in der Natur. Als ſodann ein 
Engel (Bote Gottes) das Geſetz gab (wie in der Apoſtelgeſchichte ſteht), 


413 


wurde die Wahrheit, nicht bloß als ein Gegenftand überhaupt, fondern 
ald etwas Lebendes enthüllt. Durch den Sohn Gottes wurde fie nod 
ſpecifiſcher, nämlih ald ein Menſch, geoffenbart. Es ift nun noch die 
vierte Stufe übrig, wo wir ohne Vermittelung eines Dffenbarenden fie 
felbft fehen und erfennen, wie fie if. Das ift die höchſte und legte 


Etufe: in ihr hat die vernünftige Seele ihr Ziel und ihre Ruhe. 
(Exc. V, 499.) 


Die Hl. Schrift. 


Die hi. Schrift übertrifft alle Wifjfenfhaften fhon durch die Art 
ihrer Darftellung, weil fie in einer und derjelben Darftellung eine That— 
ſache erzählt und zugleich ein Glaubensgeheimniß darlegt (dum narrat 
gestum, prodit mysterium). (Exec. I, 403.) 


Verſtändniß der Hl. Schrift. 


Das Liht muß die Erfenntniß leiten und erleuchten. Was beachtet 
nun Der, welcher ein Buch lefen will? Sieht er nicht vorher in fein Ges 
dihtniß, ehe er das Buh liest? Denn er liedt das im Buche, 
was er vorher in ſich fah und in dem Begriffe hatte, der aus dem 
Goädtnig hervorgeht. Das Gedächtniß erzeugt nämlich die Erkenntniß 
der Buchftaben und Wörter in einem innerlihen Begriffe, der vorher 
geihaut wird, ehe er im Buche gelefen wird. Denn durch die Kenntniß 
der Buchftaben gelangen wir zum Leſen; indem ich finnlih die Buchftaben 
ehe, gehe ich auf das Gedächtniß zurüd und erinnere mih an den ähn— 
lihen Buchftaben; wenn ich diefe Formen nicht im Gedächtniß habe, fo 
fann ih mir feinen Begriff bilden und nicht lefen. Soll alfo der Geift, 
der aus Gott ift und Vernunft heißt, in Güte, Gerechtigkeit, Wahrheit, 
voranfchreiten, fo müflen feine Augen auf das vernünftige Gedächtniß, 
das nicht einen finnlich erworbenen, fondern angebornen Inhalt hat, wos 
rin feine Wefenheit befteht, weil es Ebenbild Gottes ift, binfehen. Dort 
findet er das Licht der Güte, Gerechtigkeit und Wahrheit ald Naturgefeg, 
das die Augen erleuchtet, und er bildet fi über jene Dinge (Güte 20.) einen 
Begriff, na dem er jeinen Wandel einrichtet. Dieſes Licht iſt das er- 
leuchtende Wort Gottes, durch das wir Gutes und Böſes, Gerechtes und 
Ungerechte8 unterſcheiden. Von dieſer innerliben Anfhauung aus begibt 
fih num der Geift zu der hl. Schrift und fieht nun in ihrem Geifte und 
Buchſtaben das geiftig Vernünftige, das er in fih ſchaut im Lichte des in 
Ihm wohnenden (göttlihen) Wortes. Daher der Name Vernunft; denn 
diefe ift nur ein Abglanz des göttlichen Lichtes, das die abjolute Vernunft, 
das abfolute Licht if. Im diefem Lichte wandeln, heißt fi in Allem dem 


414 


Gebote der Vernunft unterwerfen. So fiehft du, daß das innere Wort 
erleuchtet und lehrt den Weg der Gerechtigkeit zum Ergreifen des wahren 
Lebend, das in der Erfenntniß deſſen befteht, der das Leben in fid if. 
Men daher diefes Wort belehrt, der wird, er mag nun in basfelbe 
eindringen oder mit demfelben an die Lefung der heiligen Schrift 
gehen, reihlihe Nahrung finden. (Exc. IX, 656.) 


Die Taufe des Johannes hatte die Geſtalt eines reinigenden Waflers, 
allein der Geiſt hatte fih noch nicht darein ergoffen, um bie Eecle zu 
reinigen. Das kalte Wafjer nimmt die eingedrungenen Flecken nicht hin 
weg, wenn ed gleich diefelben oberflächlich wegzumwiichen ſcheint. Kommt 
aber die Wärme durch Feuer hinzu, fo reinigt das fo erwärmte Waſſer 
auch die tiefer eingedrungenen Fleden eines Kleides. Der Geift Jeſu iſt 
die Gnade, die aus feiner Fülle auf die, welde glauben und durd dad 
Sacrament ded Glaubens, d. i. die Taufe, zeigen, daß fie an eine Reini 
gung (dur die Gnade) glauben, übergeht. So ift denn auch die Schrift 
des alten Bundes ein Leib, dem Ehriftus durch fein Wort den Geift ge 
geben hat. Er hat uns dur das Wort feiner Lehre, in das er feinen 
Geiſt eingehaucht hat, die Schrift erfchlofjen. Gibt demnach er und nicht 
feinen Geift, jo wird die Schrift nicht verftanden, fo daß. fie belebt und 
in unferm Geifte Wohlgefallen erwedt. | (Exc. VII, 563.) 





Niemand verfteht die Schrift eined Andern, wenn er nicht zur Abd 
ſicht (intentio) des Schreibenden vordringt. Will er aber diejes, um 
zum Verftändniffe zu gelangen, fo muß feine Intention und die des Schrei 
benden, oder der Beide bewegende Geift Einer und derfelbe fein. Wer 
alfo nicht denfelben Geift wie Jeſus hat, kommt nicht zum Verſtändniſſe 
und Genufle des Evangeliums. (Exc. VII, 581.) 


Berherrlihung Gottes — das Ziel aller feiner Werke. 


Siehe, wie Gott das Ziel aller feiner Werfe tft! Er heilige, um 
geheiliget, er belehrt, um erfannt, er verherrliht, um verherrlicht, er 
liebt, um geliebt zu werden. Daher werden die Gott Liebenden geliebt, 
die Erfennenden erfannt, die MWeifen mit Weisheit erfüllt (sapientes sa- 
piuntur), die Gott nicht Kennenden nicht gefannt, die ihn Sgnorirenden 
ignorirt. 

Du fragft mih, warum verlangt er unfere Heiligung® Ich ſage: 
weil er eim Licht ift, in dem feine Finſterniß if, ein geiftiges, wernünftiged 
Licht. Wie nämlih das finnlihe Licht um fo beſſer if, je edler es M 


415 


und fi gemäß der Natur feiner WVortrefflichfeit um fo weiter verbreitet, 
fo ift e8 auch mit dem geiftigen Lichte, der Geift will begriffen und er- 
kannt fein. Wie ein mächtiger König, wenn er in feiner königlichen 
Herrlichkeit nicht erfannt wird, nicht mehr König ift, als ein jeder Pris 
vatmann, weßhalb die föniglihe Würde in ihrer Herrlichfeit erfannt fein 
will, fo verhält e& fichb auch mit dem Geifte, der der König der Könige ift. 
Denn was in jedem Regierenden regiert, ift die Vernunft. Sie will das 
ber erfannt fein, und um fo mehr, je vortrefflicher fie ift, wie wir an den 
Shriften der Gelchrten fahen. So hat denn die weltichaffende Vernunft 
(eonditor intellectus), da fie unendlich gut ift, in dem Beftreben erfannt 
zu werden, weil fie die unendliche Vernunft ift, Alles erſchaffen, auf daß 
fie in ihrer Herrlichkeit erfannt oder geihaut und geheiliget werde, wie bie 
Eonne einen hellen Anblid gewährt, damit fie in ihrer Herrlichkeit geſchaut 
und gepriefen werde. Weil alfo Gott geheiliget fein will, deßhalb ift 
Alles da, was er erſchaffen hat. Er will, was er will, weil er Gott ift. 
Du fragft mid: da die Heiligkeit die Gottähnlichfeit (Deiformitas) ift, 
wie wird fie erworben? Ich ſage: durch die Ehriftusähnlichfeit (in Christi- 
formitate); denn da und Gott unbekannt ift, jo hat er, um ung zur Gotts 
Ähnlichkeit heranzuziehen, feinen Sohn in unfere Natur gefandt. Da vdiefer 
Menſch ift, fo haben wir einen Zugang zu ihm. Indem er unfere fterbs 
lie, von jeder Sünde freie (ab omni vitio separatam) Natur angenoms 
men hat, wiflen wir, daß wir, wenn wir von Sünde frei und erhalten, 
ihn anziehen fönnen, und wie er Menfchenfohn geworden, wir Söhne 
Gotted werden. Dann find wir rein, wenn wir von Sünde frei find. 
Keine Sünde haben heißt heilig und unbefledt fein, und dies find wir, 
wenn wir den Geift Ehrifti haben, der nicht von diefer Welt if. Würe 
er von diefer Welt, jo würde die Welt ihn und er die Welt lieben. — 
Du fragft: Woran erfennt man dieſen Geift? Ich fage: an der Armuth 
in der Welt des Fleiſches, die Reichthum ift in der Welt des Geiftes. 
Nichts von diefer Welt ald Eigenthum befigen, ift die Armuth im Geifte. 
Ihn befledt Feine Liebe zum Ruhme, zeitlihen Gütern oder fleiſchlichen 
Genüſſen. Die Welt ift ihm ein Schiff, in dem er dad Meer durd)s 
fegelt, um fehnell und unverfehrt in den Hafen zu gelangen. Das ift das 
Zeichen, daß der Geiſt, der nicht ohme den Zug der Liebe ift, fich der Liebe 
der ewigen Güter zugewandt habe. Da wir das Verlangen haben, in 
Gott überzugehen (in Deum transire), fo ftrebt Jever, nad Kräften Gott 
ähnlih zu werben. Da nun aber Gott ald Geift nur durch den Geift 
erreiht Cadiri) werden kann, unfer Geift aber, der Vernunft und Willends 
kraft hat, micht durch die Vernunft in Gott übergehen fann, weil Gott 
alle Vernunft überfleigt, und nicht durch den Willen oder die Liebe, weil 
das Unerfannte nicht geliebt wird, fo ift Har, daß er micht durch fich, 


416 


folglich nur durch einen Mittler zum Uebergehen in Gott gelangen fann, 
Gott der Vater zieht durch Vermittlung des Mittlers unfern Geift an fih, 
wie das Erfehnte den Sehnenden. Indem der Geift das Wort und die 
Lehre Jeſu aufnimmt und im fi bewahrt, fo liebt er Chriftus als den 
Sohn Gotted und in diefem den Vater und der Vater liebt ihn durd 
die Liebe ded Sohnes. Gott ift die Liebe, die durch Liebe erkannt und 
durch Erkennen geliebt wird. So geht der Geift in Gott ein in der Ein 
heit der oben genannten zwei Kräfte, (Exc. X, 679. 680.) 


Yefus, das Ziel der Weltihöpfung. 


Der Sohn Gottes, vor aller Zeit vorherbeftimmt, das Menſchenge⸗ 
ſchlecht zu erlöfen, hat den Namen Jeſus auf dem Wege der Präbeftina 
tion aus dem Munde Gottes erhalten. Wenn ein Golpfhmid, der eine 
Mafle Goldes in der Hand hat, gefragt würde, was er damit mad, 
und antwortete, einen Kelch wolle er maden, fo würde der Kelch dieſen 
Namen erhalten, wenn er auch noch nicht zu fehen ift, weil der Kinftler 
den Kelch bereitd in feinem Geiſte ficht. Doch wie? Wenn der Künfller, 
noch bevor irgend ein bildfamer Stoff, aus dem ein Kelch verfertigt werben 
könnte, vorhanden ift, zuerft eine Metallader aufjuhte und zu dem Zwechke 
reinigte, um einen Kelch zu verfertigen, würde er nicht auf die Frage, was 
er in allen diefen Vorarbeiten bezwede, mit Recht antworten, er mache 

“einen Kelch, wenn gleich eine mehrfahe und ftufenmäßige Zubereitung des 
Stoffes vorhergeht? Was follen wir nun von dem allmächtigen Künftler 
fagen, der nicht aus etwas Anderem Gold fucht, fondern Alles aus Nichts 
fhafft: Himmel, Erde und was in ihnen ift? Würde er auf die Frage: 
warum er Alles erfchaffe, fagen, er erichaffe Alle wegen Jeſus, fo würde 
er richtig antworten. Jeſus iſt jened Gemach des ganzen Weltgebäudes, 
in welchem wie in einem großen Balafte der Sohn des Königs rubet, 
(Non est Jesus nisi camera illa totias aedificii, in quo ut in magno 
palatio filius regis requiescit.) Das Wort Gottes heilt. „Er fandte 
(fagt er) fein Wort aus und heilte fie.* Die vernünftige Greatur if 
der PBalaft, der Menſch das Gemach, das auch der Endzweck des Palafted 
ift, in welches der Heiland herabzufteigen befchloffen hat, um dort Woh—⸗ 
nung zu nehmen. Jenes Gemach ift das Reste, was zubereitet wird, 
wiewohl Alles um deffentwillen da ift; das Ziel des Gemachs ift die Ruhe 
des Wortes. Es hat fomit Gott, der um feiner felbft willen Alles ge 
ſchaffen hat, Alles zu dem Zwede erfhaffen, vamit Jeſus fei, der dad 
Ziel und der Endpunft (ultimitas) der Schöpfung ift. So ift Jeſus vor 
Allem, durd ihn und für ihn ift Alles, er tft das Ziel und die Ruhe 
des ſchaffenden Schöpfers und aller erfhaffenen Geſchöpfe, der Erfigeborne 


417 


vor aller Ereatur, das Alpha und Dmega. Als daher nah Abfluß der 
Zeit, in der Fülle der Zeit Derjenige in der fihtbaren Welt zeitlich ge- 
boren wurde, der ewig ift, ald Der fam, ver fih nie bewegt, ald Der 
an einem beftimmten Drte geboren wurde, der in feinen Raum einges 
fhloffen werden fann, der in Ewigkeit immer gezeugt wird, nahm er 
diejen Namen: Jeſus, Erlöfer mit in unfere Natur. So ift Jeſus oder 
die Erlöjung in der menſchlichen Natur geboren, die bis zu feiner Ankunft 
ftetö der Verdammniß unterworfen war. (Exc. V, 502.) 


Lehre von den Engeln. 


Drdnung ift der Wiederfchein des Göttlihen. Alle Vielheit it und 
befteht dur Ordnung, denn die Vielheit ift der Abfall (cadit ab..) von 
dem Einen und Seienden; jeded Ding ift nur infoweit, ald es Eines if. 
Das Biele, zur Einheit geordnet, hat dadurch fein Beftehen, während 
es in fih, als Vieles, nicht beftehen fann. Die Ordnung fordert aber 
Proportion und Harmonie. Die firdlihe Ordnung, die von Einem aus 
in Viele übergeht, hängt von der göttlichen Hierardie ab (der Ordnung 
der Engel), deren Abbild fte ift. 

Wie gelangen wir aber zu einiger Kenntniß des Weſens der Engel 
(„quid est‘ angelorum) oder der geiftigen Subftanzgen (substantiarum 
intellectualium)? Denfe dir das alfo: 

Alle Nationen lehren einftimmig das Dafein der Engel, zuerſt bie 
heil. Bücher der Bibel, die allen andern Büchern vorhergehen. Abraham 
ging allen griehifchen Schriftftellern vorher, Mofes ift älter als Plato 
und Sofrated. Die Philofophen reden von Intelligenzen (de intel- 
ligentiis), welche Moſes Engel nennt, indem fie davon ausgingen, Alles 
entftehe (nasci) durch die Bewegung des Himmels. Das Leben ſtammt 
aber nicht von den Himmeldförpern, denn die Körperfraft bezieht fih nur 
auf den Körper. Jenes Etwas alfo, das dem Körper die Lebensbewegung 
verleiht, iſt nicht aus der Körperwelt, fondern aus dem Beweger des 
Himmel® (ex motore coeli). Wie alfo die Bewegung der Körper aus 
der Himmelsbewegung, fo fommt die Rebensbewegung aus dem Beweger 
des Himmeld. Da aber die Lebensbewegung eine Bewegung mit einem 
beflimmten Endzwede ift, jo ftammt fie von der Intelligenz, die nach einem 
beftimmten Ziele hin bewegt. Sntelligenzen find alfo die bewegenden Kräfte 
der Welten (motrices orbium). Der Zobiafus ift der Ort, unter dem 
fih die Planeten bewegen. Der Zodiafus iſt auch der Lebenskreis (vi- 
talis) genannt worden (Zon = vita). Es gibt aljo fo viele Intelligen- 
zen, ald es gefonderte Bewegungen am Himmel gibt. Wenn jeder Stern 
feine befondere Bewegung hat, fo hätte er demnach auch feinen befonderen 

Scharpff, Nie. v. Cuſa. 27 


418 


Beweger ober feine befondere Intelligenz. . . . . Der Engel ift eine ab» 
abgefonderte (nicht mit Körperlichem verbundene, fomit reine) geiftige 
Subflanz. In jeder fpecifiihen Bewegung. jehen wir inflang; die 
Species der Pferde ift Eine und alle Pferde erlangen Eine und dieſelbe 
fpecifiiche Bewegung. Daher hat diefe Species eine Intelligenz zu ihrem 
Vorſtande, welche einheitlich die ganze Sphäre der Species bewegt. An 
diefer einheitlichen Bewegung der Species erfennen wir die bewegende 
Intelligenz; fonft wäre es nicht Eine Species, Kraft und Thätigkeit, 
Jede Species, die ein untheilbared Ganzes ausmacht, ift ein Himmel, 
dem eine Intelligenz oder Engel vorfteht, der gleichſam der Gott in die 
fem feinem Neiche if. Jeder Menſch ift gleihfam eine Species für ſich, 
wegen feiner Bervollfommnung. Hermes fchreibt an Aesculap, die Menſch 
heit fei die Gattung, die Menfchen die Arten. Da wir fehen, daß bie 
menfchliche Seele, ohne die der Menſch nicht Menſch ift, nicht durd Fort 
pflanzung (non ex traduce), fondern im jedem Menſchen durch ben 
Schöpfer (ex creante), der der Schöpfer der Arten ift, entftehe, fo finden 
wir, daß auch der vernünftigen Bewegung des Menfchen eine Intelligen 
vorftche. Denn die Bewegung, die aus unferem Geifte ausgeht, der ſich 
in einem der Sünde unterworfenen Körper befindet (quae est in corpore 
subdito peccatis), würde, wäre fie nicht von einer abgefonderten Intelli- 
genz geleitet, nur den körperlichen Trieben folgen. So aber fteht ımd 
der Engel zur Seite, der und die Bewegung nah Dben gibt, daß wir 
verlangen, was ber vernünftigen Natur geziemt, und der ganzen geiftigen 
Bewegung die Richtung nah dem Ewigen gibt. Cine andere ift die 
Bewegung der thieriihen Natur, der das Irdiſche gefällt; dieſe Bewegung 
ift injpirirt vom Fürften der Finſterniß. Das ift nun eben der Kampf in 
und, in dem wir Vernunft und Einne entgegengefegten Fürften, bie ſich 
unaufhörlich befämpfen, untergeordnet finden. 

Auch das Geſetz wird durch die Engel vollgogen. Jede Art in 
der Natur hat ihre befondern Geſetze; der der Art vorftehende Engel 
leitet fie nad diefem Geſetze. Das Geſetz ift auch der Geift Gotted 
oder Die göttlihe Vorſehung; der Engel ift der Verkündiger oder 
Vollſtrecker diefed Geſetzes. Wenn in einem Sendſchreiben die Stimme 
ded Kailerd, in der Stimme das Wort, im Worte der Geiſt, der bie 
Untergebenen über die Abfiht des Kaiferd unterweifet, zu dem Unterthanen 
gelangt, fo fann ein ſolches Schreiben ein Bote oder Engel genannt wers 
den; dad Wort und der Geift im Worte ift der gemäß dem Willen ber 
göttlichen Vorfehung bewegende Geiſt. Der Engel ift es daher, durd 
den Gott Alles, was er will, anfündigt oder anordnet; der Engel iſt der 
Träger (gerulus) des ewigen, göttlichen Geſetzes und Willens, der Boll: 
firedfer der göttlichen Anordnung. Gott der Geiſt ift in jedem Engel; 


419 


der Engel ift die Aufnahme (receptio) ber Abficht Gottes. Der Engel 
it demnad das lebendige geiftige Gefegbuc, das lebendige Papier, auf 
dem die Schrift des göttlichen Willens aufgezeichnet ift, ein intelligenter 
Geſandte an die Ereatur, auf daß fie, die in den Geiſt des unfichtbaren 
Gottes nicht hineinfchauen fann, mittelft eines äußern Zeichens das Ber: 
ſtaͤndniß der göttlichen Abfichten erhalte (ut... mediante signaculo re- 
eipiat illuminationem intentionis). 

Ih fage dies zugleich mit Bezug auf die Namen der Engel, welde 
Bezeichnungen ihrer Aemter ald dienſtthuender Geifter find. Der eine 
Engel heißt Michael, der andere Gabriel, der dritte Raphael, ver 
vierte Uriel, nad ihren Verrichtungen, weil fie je nad) der Bedeutung 
des Worts göttliche Gaben uns vermitteln. Wie an dem Hofe eines 
Königs die Dienftthuenden ihre Namen haben, fo enden die Namen aller 
Engel auf el, (b8 heißt Gott), weil fie die Diener des Königs der 
Gerechtigkeit find. Indeffen an fich, nicht als Diener Gottes betrachtet, 
find und jene Geifter ganz unbefannt. Wir kennen Jemand aus feinem 
Dienfte, ohne diefen kennen wir ihn nicht. Die geiftige Natur wird nur 
nad Ihrer Aehnlichkeit (mit ihrem Urbilve, Gott) erkannt, wie man die 
durch die Einwirkung des Sonnenlichts erzeugten Dinge aus ihrer grös 
Bern oder geringern Aufnahme des Sonnenftrabls erfemnt...... &o 
erkennen wir auch aus dem Einfluffe der geiftigen Sonne jene edlen, gei⸗ 
figen, nad Gott geftalteten Naturen, gleich als lebendige, leuchtende 
Spiegel und lebendige Abbilder Gottes. ... Die göttliche Intelligenz 
wird theils ſeraphiſch, theils cherubifch, theils thronifch x. 
aufgefaßt (capitur). Gleichwie aus der verfchiedenen Aufnahme und 
Brechung des Lichts neun Ordnungen der Farben entftehen, fo gibt es 
auh meun Chöre der Engel... . Das Evangelium fagt: „die Engel 
der Gläubigen fehen das Angeficht des Baterd im Himmel.” Sie find 
daher wie reine Augen des Herzens. Wie ein Spiegel, der nicht rein iſt, 
aufhört, der Wirkfamfeit nah Spiegel zu fein, fo ficht aud das Auge 
nichts, wenn es nicht rein iſt. Die Engel find daher ganz reine geiftige 
Augen. Wie dad Auge am Anblide des fihtbaren Schönen feine Freude 
hat, fo fucht die geiftige Natur dur ihre geiftige Anfhanung den Schö- 
pfer ihrer geiftigen Form zu fehen, der das Schönfte ift und in dem fie 
ihre Ruhe findet. Durch das Angeficht kennen wir die Menihen. Das 
Angeſicht des Vaters der geiftigen Natur fehen, heißt die Duelle ihres 
lebend erkennen. Jede Vernunft ftrebt die Urſache von Allem, Gott, 
zu erfennen; ihn erfafen, ift das füßefte Ergögen. Allein ihn zu ſehen 
IR nur möglich durch die Offenbarung des Sohnes Gottes, weil nur ber 
Sohn den Vater kennt, alle Andern erfennen ihn nur durch die Dffens 
barung ded Sohnes. Denn der Vater ift , wie der Sohn fagt, im Ber 

27* 


420 


borgenen. Der Mittler aller vernünftigen Getfter iſt das Wort oder der 
Sohn Gottes; durch ihn erlangen Alle das Ziel ihrer Echnfucht, die 
höchſte Glüdjeligfeit. 

Die Engel verdienten im Kampfe für Chriftus im Siege befeftigt 
und in der Gnade beftärft zu werden, weil fie die Ehre Gottes ihrem 
Leben vorzogen; daß fie aber fiegten, fam aus dem Berdienfte des Blut: 
vergießensd Ehrifti. Denn Chriſtus verdiente e8, daß Diejenigen, welde 
für feine Ehre bid in den Tod kämpfen, vom Satan nicht beſiegt werden, 
fondern ihn befiegen, weil Ehriftus ſelbſt ihn befiegt hat und Ehrifti Gr 
walt ihn überragt. In Chrifti Kraft wird der Drade befiegt. Die 
Kraft Ehrifti aber ift, gehorfam zu fein bid in den Tod und nicht das 
Seinige, fondern Gotted Ehre zu fuhen. So fam denn dad Verdienfl 
Ehriftt den Engeln von Anfang an zu Hülfe (subvenit), wie aud den 
heiligen Vätern, die feiner Ankunft im Bleifche vorangegangen. Wie ein 
treuer und beglaubigter Bürge einen Schuldner augenblicklich befreit, in 
dem er die Schuld auf fih nimmt, wenn er gleich erft fpäter zu einer 
vorherbeftimmten Zeit wirklich Genugthuung Teiftet, fo ift es aud bei 
Ehriftus. Beachte daher, daß das Wort Gottes oder die Gewalt Ehrifti, 
die das ganze Reich der feligen Geifter umfaffende Gewalt ift (potesta- 
tem Christi esse imperialem virtutem spirituum beatorum ). 

(Exc. VIU, 603—605.) 


Urfprung der Seele. 


Iſt die Seele aus der Wefenheit (essentia) Gottes? 

Gott Schafft und wirft nicht durch ein Accidens, da died auf ihm ald 
den Einfachften feine Anwendung findet; er wirft nicht wie das Feuer 
durch Wärme, fondern er wirft ald erwärmende Wärme gemäß feiner 
Weſenheit. Allein er theilt fich nicht auf dem Wege der Verendlichung 
(via contractionis) mit, da er einfach und fein Theilnehmen an fich, Feine 
Vermiſchung mit feinem Weſen zuläßt, wie der Sonnenftrahl durch feinen 
Schmug verunreinigt werden kann. Es bleibt alfo Gott abfolut und 
ſchafft durd feinen Willen, wie der König nad feinem Willen die 
Dfficialen ernennt umd nach einem unveränderlichen Gefege Alles bewegt. 
Indem er den Officialen und Rectoren das Sein gibt, drüdt er durd 
feinen Willen die Aehnlichkeit mit feiner Herrſchaft den Nectoren auf, ſo 
daß fie an dem Abbilve feiner Herrſchaft participiren, während das Ur 
bild der Herrfchaft unparticipirt in ihm bleibt. Wenn ein Sigill fein 
Bild in Wachs eindrüdt, fo find die Buchftaben im Wachſe nicht aus 
der Wefenheit der Buchftaben des Sigills, die Feine Mittheilung Cihred 
Wefens) zulaffen, fondern find Abbilder der wefentlichen Buchftaben. Gott 


421 


drüdt die Bilder (die Aehnlichkeit) feiner Speen (suarum rationum) ber vers 
nünftigen Ratur ein und theilt fich auf diefe Weife ihr mit. Beachte, daß 
die Aehnlichfeit der Umendlichfeit Gottes, fofern nämlich Gott die in Wirk; 
famfeit (actu) unendliche Kraft ift, in der Weiſe im Geifte gefunden wird, 
in welder die Aehnlichfeit der Unendlichkeit eben dieſer Kraft fähig if, 
gleihfam die Achnlichfeit der Ewigfeit, welde lautere Wirffamfeit zumal 
it (quae est tota simul actu). Daher ift die Möglichkeit, immer mehr 
und mehr zu erfennen ohne Ende, die Achnlichkeit der ewigen Weisheit. 
Hieraus folgere, daß unfer Geift das lebendige Abbild des Schöpfers ift, 
das fi dem Schöpfer ohne Ende immer mehr gleichgeftaltet, daher der 
Belehrung fähig ift. (Exc. X, 679.) 


Die Seele von Natur eine Chriftin, 


Das Wort Gottes gab und eine Achnlichfeit feiner felbft. Da es der 
köyos oder die Vernunft ift, jo wollte ed in dem vernünftigen Geifte 
wiederfcheinen. Es legte in ihn das Verlangen nah Wahrheit, das Ber: 
langen nach Leben und gab ihm das ewige Geſetz, durch welches er zur 
Wahrheit und zum Leben gelangen fann. Ehriftus ift das Wort, welches 
die Wahrheit, dad Leben und der Weg if. Es ift alfo unfer Verlangen 
nah Wahrheit ein Verlangen nad Ehriftus, das Verlangen nah dem 
Leben ift ein Verlangen nah Ehriftus. Wir fragen, auf weldem Wege 
wir dahin gelangen; Chriftus ift der Weg, weil Gott die Liebe if. Die 
Liebe ift der Weg zum wahren Leben. Wir Alle fühlen es, daß die 
Grundzüge von allem Diefem in unfere Vernunft gelegt find (Omnes haec 
in ratione nostra characterizata sentimus), denn es gibt Niemand, der 
fein Verlangen nah Wahrheit habe, Niemand, der nicht die Unfterblich- 
feit wünfchte, Niemand, der nicht liebte. Allein in dieſer Welt wiſſen 
wir nicht, was Wahrheit ift, Leben, Weg, Geſetz oder Liebe, Deßhalb 
tam Ehriftus in diefe Welt, um und Alles diefes zu zeigen. 

(Exc. III, 404.) 


Urſprüngliche Unſchuld, Verluſt derjelben. 


Ein unſchuldiger Knabe fündigt nicht und iſt ohne Sorge wegen 
keines Lebens. Woher er das leibliche Leben hat, von daher wird er 
auch genährt. Die Mutter, die ihm geboren, nährt ihn aud an ihrem 
Leibe. Wenn er aber zur Erfenntnig des Guten und Böfen gelangt ift, 
wird er feinem eigenen Urtheile überlaffen; er lebt nun ſchon in. Sorge 
und bebaut die Erde. Die Unſchuld hatte alfo dieſes Vorrecht (erat sic 
privilegiata). Bon Gott allein nämlich erhielten unfere Eltern das Leben, 
und hätte die Unfchuld fortgedauert, fo hätten fie ohne Sorge gelebt; 


422 


denn wer ihnen das Leben gab, hätte auch aus fich, wie an feinen eige— 
nen Brüften, ben Geiſt, den er ihnen eingehaudt, belebt. Und fo wäre 
aus der Unfterblichfeit felbft dem Geifte das Leben mitgetheilt worden; 
Himmel und Erde und was in ihnen ift, hätten im Dienfte des Menſchen 
biefem alle Bedürfniffe feines Körpers zu einem vergnügten Leben gereicht, 
Aber unfere Eltern, vollfommen geboren, hatten die Vollmacht, bie 
Unſchuld, welde mit der vollfommenen Vernunft Eined war (quae cum 
perfecta ratione concurrebat), zu verlaffen und zum Gebrauch des Ber: 
ftandes fi hinzuwenden und fo fich felbft zu regieren. So lange näm- 
lich ein Kind fih nicht felbft regieren fann, überlaffen e8 die Eltern nicht 
fi felbft, fondern forgen für dasjelbe. Unfere Voreltern hatten die Boll 
macht, wie unverftändige und unfchuldige Kinder unter der Leitung des 
Schöpferd oder des Worted oder der ewigen Vernunft zu verbleiben, ober 
fih durd ihren eigenen Verſtand zu regieren. Da fie nun fich felbft ge 
fielen, verachteten fie die Reitung Gottes und wurden eitel und arm, wie 
die Parabel vom verlornen Sohne ganz trefflih zeigt. Jeſus fam ald 
Lehrer in die Welt, um zu zeigen, daß man den thörichten Hochmuth, der 
von diefer Welt ift, ablegen und zur Demuth und Sclichtheit der Um 
ſchuld zurüdfehren müffe, auf daß fo der Menich zu dem Regenten, ber 
allein für Soldes Sorge trägt, zurüdfehre. Obwohl der verſchwenderiſche 
Sohn fih der Leitung feines Vaters entzog, fo wurde er doch, nachdem 
er im fich gegangen (reversus ad cor) und ſich verdemüthigt, wieder auf 
genommen und ihm bie frühere Liebe und Gnade wieder zugewandt (reci- 
pitur denuo cum priori stola). (Exc. VI, 517.) 


Sünde. 


Ob Gott in deiner Seele als in feinem heiligen Tempel wohne, 
fannft du daran erfennen, wenn du frei von Sünden bif. Dann wohnt 
Gott in dir. Die Eünde verurfacht dreierlei Uebel in der Seele: fie 
wird durch fie verdunfelt (obumbratur), befledt (maculatur), be 
trübt (contristatur). Gleichwie die Braut, die den Bräutigam verloren 
bat, ſich ſchwarz kleidet, nicht wafcht, fondern ſchmutzig und traurig if, 
fo geht es der Seele beim Verlufte ihres Bräutigams durd die Sünde, 
welche das Eheband in Folge ebebrecherifcher Liebe auflöst. Kommt aber 
der Bräutigam wieder, fo hört jenes Alles auf. Empfindet die Seele in 
fih das klare Licht der göttlichen Gnade, die pas Gewiſſen dergeftalt er- 
heilt, daß du deine Sünden einzufehen vermagft, die du ohne dieſes Licht 
nicht faheft, dann ift Gott wieder da. (Exc. V, 505.) 


423 


Die Sünde ift wie die Fäulniß im Obſt. Diefe benimmt Farbe, 
Werth, Gefhmad und Geruch. So nimmt au die Sünde dem Leben 
feine Zierde (decorem vitae), dem guten Rufe den Wohlgerud, ver 
Gnade ihren Werth, der (fünftigen) Herrlichkeit ihren Wohlgefhmad 
(saporem gloriae). Die Sünde ift wie eine Wunde im Körper; fo 
fange diefe noch neu iſt, läßt fie ſich berühren und drüden, nad drei 
Tagen ſchon ſchwerer. So ift ed auch bei den Sündern. Es find aud) 
bier drei Tage: VBollführung (perpetratio), Gewohnheit, Berftodtheit 
(obstinatio); dann läßt fih die Sünde nicht mehr anfaflen; nad dem 
Worte in den Proverbien: Wenn der Sünder tief in die Sünde gerathen 
it, fo veracdtet er. Die Bosheit verhärtet ihn und er haft Den, der 
ihn zurechtweifet. (Exec. I, 399.) 


Das Böfe, fein Willen durch Gott, fein Urſprung nicht aus Gott, 


Einige jagen: daß Gott dad Gute kenne, geben wir zu, weil er die 
Güte ift, von dem alles Gute fommt. Da aber das Böfe nichts ift, 
fo wäre es beffer, zu jagen, er wifle es nicht, ald daß er es weiß, Es 
ſcheint demnach, daß Gott das Böfe nicht weiß. Ich behaupte aber, 
daß Gott das Gute und Böfe fenne (weil er fonft nicht vollfommen er 
fennete) , wie dad Auge Licht und Finfterniß erfennt; denn er erfennete 
dad Licht nicht vollfommen, wenn er nicht aud die Finfterniß kennete. 
Der Maler erkennt fein Gemälde, auch wenn einer dasfelbe mit ſchmutzi⸗ 
ger Farbe befudelt. Gott hat durch feine allmächtige Hand alle Crea— 
turen gemalt und feine Aehnlichkeit in den ſchönſten Farben Allen aufge 
drüdt. Der Teufel aber befledt diefes Gemälde. Das weiß Gott, wie 
der Maler e8 weiß, wenn fein Gemälde verunftaltet wird, wie Gott es 
wußte, daß der böfe Feind nah dem guten Samen Unfraut ausfäete. 
So wird aud das Böſe, obwohl e8 der Sache nad nidts ift, 
doch erfannt. Gott erkennt das zufünftige Böſe; ich fage: das zufüuftige, 
nah unferm Standpunkte, denn fein Erkennen, das über der Zeit ift, ift 
weder ein vergangened noch eim zufünftiges. Es könnte aber jemand ein- 
wenden, Gott habe den Menfchen ſchwach, hülfsbevürftig erfchaffen, fo 
daß wegen diefer feiner Mangelhaftigkeit ein Arzt nöthig ift. Ich fage: 
Gott hat feinen Mangel oder Schwäche erfhaffen; wohl aber, 
wenn ein folder in Folge der Freiheit des Menfhen eintreten 
ſollte, ſich die Heilung vorbehalten, damit nicht der durch ſeine Schuld 
ſchwache Menſch ganz erſchlaffe; wie der Vater dem verſchwenderiſchen 
Sohne nur einen Theil feines Erbes gab und den andern für den Fall, 
daß der Sohn verarme, aufbewahrte. (Exc. IX, 646—647.) 


424 


Warum Gott die Sünde zulieh. 


Die Frage: warım ließ Gott Adam, unfern Stammvater, fündigen 
und und Alle in Folge feiner Sünde fterben ? löst ſich im Hinblid auf 
das Wort Ehrifti an den Blindgebornen, daß in feiner Heilung fid die 
Herrlichkeit Gottes offenbaren ſollte. Daß ed Gott zuließ, daß Adam in 
Eünde gerieth, das rührte nicht von feiner Sünde her, fondern damit die 
Herrlichkeit Gotted offenbar würde, denn obgleih Gott an der Sünde, 
beren Entftehen er verhinderte, Fein Gefallen hatte, jo weiß er doch 
auch aus dem Böfen Gutes hervorzubringen (elicere). Das läßt ſich 
von allen zur Seligfeit Präpeftinirten fagen, von denen man weiß, daß 
fie Sünder gewejen. 

Die heilige Schrift faßt Alles unter die Sünde, damit den Gläubis 
gen die Verheißung aus dem Glauben zu Theil werde. 

Gott wollte feine Herrlichkeit in feinem Sohne offenbaren, damit, 
wie durch Einen Menſchen der Tod in die Welt fam, fo dur Ehriftus 
Jeſus das Leben in Alle füme. Der Sohn verberrliht den Vater, indem 
er die Schäge ber Herrlichfeit des Vaters aufzeigt und mittheilt, der Vater 
verberrlicht den Sohn, weil er dur ihn Das ewige Leben verleiht. Gott 
ließ es daher zu, daß Alle der Gnade bedurften, um den Reichthum feiner 
Gnaden in Jeſus zu zeigen, dem er ald der Quelle (ut fonti) die Fülle 
der Gnaden zumwied (contulit). Gott ließ zu, daß wir Alle unvollkom⸗ 
men (defectuosos) feien, um fih ald den Vollkommenſten zu erweilen, 
der Alles in Ehriftus erfüllt und vollendet, 

(Exc. VI, 523. cf. VI, 541.) 


Sündenfall im Verhältnig zu Gott. 


Gott gab dem Menfhen eine Gnade (donum), durch die er von 
Tod und Schwäche frei fein konnte. Aber er beraubte fich derfelben 
dur feinen eigenen Willen und gab fih, mit Verſchmähung ber Gabe 
Gottes, in den Tod hin. Gott verurtheilt ihn zum ewigen Tode, nicht 
wegen der Natur, die er gab, fondern wegen der Schuld, der fich der 
Menih unterwarf; denn Gott will den Tod ded Sünders, die Berbam- 
mung nicht aus dem Grunde der Sünde oder der Verdammung, d. b. 
niht um der Verbammung als folder willen (non sub ratione peccati 
vel damnationis), fondern um der Gerechtigkeit willen (sub ratione justi). 

(Exec. VII, 575.) 





425 


Gewiffen, Sünde, Todfünde. 


Wir haben in und einen erfennenden Geift, der aus der Wahrheit 
ſtammt und und belehrt, wenn wir etwas Tadelnswerthes, gegen das 
ewige Geſetz, gethan haben; unfer Herz, nämlich das erfennende (cor 
nostrum scilicet intelleetuale), tadelt und. Da aber Gott größer ift 
ald unfer Herz, weil er die Duelle des Lichtes der Erkenntniß ift, durch 
den unfere Seele die Erfenntnißfraft erlangt hat, fo fennt er unfer ganzes 
Innere. Wir fühlen ed alfo in und, ob wir vor Gott tadelnswerth 
feien oder nicht, und indem wir diefes erkennen, erforfdhen wir unfer Ins 
nered; macht und unfer Innered feine Vorwürfe, fo haben wir gute 
Zuverfiht (fduciam). Da Niemand Reue haben fann, es table ihn 
denn fein Inneres, fo erhellt, daß die Neue über die Sünde aus dem 
Lichte der göttlichen Erkenntniß entſpringt. Macht uns das Innere feine 
Vorwürfe, fo fehen wir daraus, daß wir im Lichte der Wahrheit wan- 
deln. Die Sünde ift demnach das Vleberfchreiten der Gebote des Lichts, 
das Nichtverrichten von Werfen des Lichts, die Gott gefallen, weil er 
ſelbſt das Licht und die Wahrheit ift. Die Sünde ift ein Kämpfen wider 
das Licht der Erfenntnif (peccatum est in lumen intelligentiae offendere). 
Das lehrt Ehriftus: „Wäre ich nicht gefommen und hätte ich nicht zu 
ihnen geredet, fo hätten fie feine Sünde, fo aber haben fie feine Ents 
ſchuldigung.“ Das Licht der Erfenntnif, das wir in Achnlichfeit des götts 
lichen Lichtes befigen, ift das Licht der Vernunft; es ift ver Vernunft 
von Natur aus gegeben, ohne welches unfere Vernunft nicht vollfom- 
men iſt. In diefem Lichte erfennen wir die Gebote (quae legis sunt), daß 
man Gott den Geber des Lebens und in Gott den Nächften lieben müffe, 
wie wir geliebt fein wollen. Allein wir erfennen in diefem Lichte noch 
nit die Macht des Geiftes, welde iſt die Einigung besfelben mit 
der reinen Wahrheit, worin die höchfte Glüdfeligfeit befteht. Darum 
fam Ehriftus, deſſen vernünftige Erfenntnif (rationalis intelligentia) mit 
der höchſten göttlichen Wahrheit jo vereinigt ift, wie der Glanz mit dem 
Sonnenſtrahle, und befehrte uns, wie wir die Kindfchaft (Aliatio) Gottes 
erlangen können. Diejes Licht ift das Licht der Gnade, das unfere 
Erfenntniß durch den Glauben an Jeſus Ehriftus erlangt.... Wer 
daher Chriſtus nicht aufnimmt, wenn er gleich das Licht der Vernunft 
mu haben fdheint, durch welches er erkennt, daß man Gott anbeten und 
den Nächften lieben müſſe, der bleibt in der Finſterniß der Unwiſſenheit, 
weil er nicht das Licht der Gnade aufnimmt, das den Geift zur Kinds 
ſchaft Gottes erhebt Ein Solder mag treiben, was er will, er 
wird nie zur Ruhe der geiftigen Erkenntniß, die im Erfaſſen der Wahr. 
beit an fi (veritatis uti est) befteht, gelangen können; benn bei dem 


426 


natürlichen Lichte iſt jeder menfchliche Geift unfähig für das Schauen der 
Wahrheit. Diefe Unfähigkeit findet ihre Ergänzung einzig in 
dem fleifhgewordenen Worte. Wer allo das Licht des Glaubens, 
der Kindfchaft Gottes, ſich nicht erworben hat, in dem bleibt die Sünde, 
weil er die höchſte Glüdfeligfeit, die er nicht glaubt und hofft, nicht er 
langen kann. Daraus geht flar.hervor, daß wir dann eine Todfünde 
begehen, wenn wir bie Gebote des Lichtes der Erfenntniß übertreten 
(quando mandata luminis intelligentiae transgredimur). “Denn biejed 
Licht belehrt und, man müſſe die rechte Ordnung fefthalten, welde ver 
langt, daß das unveränderlihe Gut dem veränderlichen, das Sittlichgute 
dem Nüslichen, Gottes Wille unferm Willen, die Vernunft der Sinnlid- 
feit vorgezogen werde. Die Berkehrung diefer Ordnung ift, da fie mit 
dem Lichte der Erfenntniß nicht übereinftimmen fann (quoniam in ipsum 
lumen intelligentiae nequit consentire), die "Sünde- der MWegfehr von 
dem Leben, mithin Todfünde. Wenn man daher gewöhnlich fagt, die 
Zuftimmung der Vernunft (eonsensum rationis) made die Todfünde 
aus, in der Verfehrung der rechten Ordnung, fo ift died nach dem chen 
Gefagten richtig aufzufaffen, daß man nämlich fage, die Vernunft ftimme 
dann überein, wenn fie unterliegt. Denn ald Bernunft ftimmet fie nie 
überein, wohl aber überwiegt der Geift der Finfterniß, der Welt und 
ded Fleiſches, mag aud die Vernunft Widerfpruch erheben. Weil jedoch 
die Vernunft durch ihren Widerfprud (ratio reclamans) flegen fann, 
wiewohl ihr eine gewiffe Gewalt angethban wird, fo wirb das Sichge⸗ 
fangengeben (captivitas) ihr angerechnet. Wenn fie fo unterliegt, lo 
geräth fie in eine um jo größere Knechtſchaft unter ben Geift der Finfter 
niß, je freier die Kraft des Widerftandes in ihr zuvor gewefen; gleihwie 
die Nachläffigfeit eines Kirchenobern eine Todſünde ift, wenn er einen 
Untergebenen von einer großen Sünde fern halten kann und es nicht 
thut. Jene Bewegungen des Geiſtes der Finfterniß heißen Verfuhun 
genz fie verfuchen vielmehr, als daß fie der Vernunft Gewalt anthun, 
deren Macht fih über Alles erftredt, was zu diefer Welt und deren 
Fürften gehört. Der Verfuchung unterliegen ift daher ſchimpflich für Den, 
der fiegen kann. In den erften Bewegungen, die noch nicht dem Urtheile 
der Vernunft vorgehalten werden, liegt feine Leberfchreitung; wenn aber 
der Widerftrebende geftattet, daß die Sinnlichkeit zuftimme, fo erhält die 
Ordnung der Gerechtigkeit einen Riß und es entfteht die Sünde. Zu 
weilen entfteht eine Störung dieſer Ordnung, jedoch ohne Verfehrung der 
Gerechtigkeit, weil nicht ein veränderliched Gut einem unveränderlichen 
vorgezogen wird. Dies ift eine Sünde, welde Berzeihung ver 
dient, weil von folder Sünde bei der Gebrechlichkeit unferer Natur 
faum Jemand frei fein fann. Die Todſünde macht die Seele, wie eine 


427 


unheilbare Krankheit, für allegeit unfähig, eine Braut Ehrifti zu fein, bie 
ohne alle Mafel fein muß. Die läßlihe Sünde macht die Seele nur 
vorübergehend hiezu unfähig, bis fie gereinigt if. Es ift daher mit der 
Sünde wie mit der Kräge, deren ed verfchiedene Arten gibt: einige find 
ſchnell zu heilen, andere fchlummern längere Zeit (quaedam morpheaticae), 
wieder andere haben Achnlichkeit mit dem Ausfage. (Exc. II, 427.) 


Der Tenfel und feine Verfuhungen. 


Sp oft in dir ein Verlangen nad dem entfleht, was nicht aus dem 
Reihe der Wahrheit ift, jo nimm dich vor dem Verſucher in Acht; denn 
er pflegt fih den Menfchen zu nahen, wenn fie fi in ein foldes Ber- 
langen einlaffen. Sei daher vorfichtig bei allen Reizen diefer Welt, wenn 
du auch nichts minder ſittlich Gutes dabei bemerfft; es kann die Schlange 
im Grafe verborgen fein. 

Der Satan war ungewiß, ob es (in der Wüſte) der Sohn Gottes 
jet, wiewohl er wußte, daß derſelbe Hunger hatte. Darüber war er alfo 
nit ungewiß, daß der Sohn Gottes Menſchenſohn fein und Hunger 
gleih einem Menſchen haben könne. Weil aber der Gottmenfch hungern 
und einen Stein in Brod verwandeln fann, um ihn zu cflen, jo wollte 
er aus der vorzunehmenden Verwandlung der Naturen (ded Stein in 
Brod) fih Gewißheit verfhaffen. Beachte, wie der Verfucher argumens 
fit! „Wenn du der Sohn Gottes bift, fo befehl, daß dieſe Steine Brod 
werden.” Denn auf das Wort des Sohnes Gottes. hört Alles, ja felbft 
die Todten hören feine Stimme... Er redet nicht an Ohren von Außen 
ber, fondern ald die innerſte Kraft der Wefenheit. Die Wunder ber 
Verwandlung find die Werke des Sohnes Gottes. Erfolgen fie durch 
einen Menſchen, fo glauben wir an ihn als den Sohn Gottes. Daher 
werden die Heiligen, die erweislih Wunder, erhaben über die Natur, 
verrihtet haben, unter die Söhne und Heiligen Gottes gezählt, wenn fie 
anders als gläubig erfunden worden. Beachte hier, wie ein Geift, der 
nad der Kindſchaft CAiliatio) Gottes trachtet, wenn er fih fo viel als 
möglich hiezu geeigenfchaftet hat, den Verſucher zu fürchten hat, der ihn 
durh Wunder verfucht. 


Fall des Teufels, 


Der Teufel liebt ed, dem Höchſten ähnlich (similis) zu gelten; das 
if die Sünde, in der er von Anfang an verharrt. Denn nieverfallen 
md anbeten fchließt das Bekenntniß der höchften Ehrfurcht, die nur dem 
Merhöchften gebührt, in fih. Weiler nicht der Höchfte fein fonnte, wollte 
er demfelben ähnlich fein. Weil aber auch das nicht möglich war, da 


428 


jene Achnlichkeit des Höchften, die abfolute Gleichheit felbft, nur Bott if, 
fo fiel er, der bi zum Unmöglihen hinauffteigen wollte, im die Region 
der Unähnlichkeit. Und nun hört er im biefer Region nicht auf, bie 
Menſchen zu überreden, ihn als den Allerhöcften zu verehren, wiewoehl 
er ed nicht iſt; wie der Heuchler auf jede Weife durch alle möglichen 
Zeichen und Winfe zu überreden fucht, daß man ihn als heilig verchre, 
was er doch nicht iſt, ja er beweist gerade durch diefed fein Benehmen, 
daß er es nicht fei, er verräth und. verurtheilt fich felbft ald Betrüger. 
(Exc, V, 484.) 


Wirkungen des Teufels, 


Die Kraft des böfen Feindes ift wie die Kraft des rauhen Norbwins 
des, der durch fein Wehen kalt und gefrieren macht, tödtet und ftarr madt. 
Er fann nur überwunden werden durch ben Geift der Liebe oder Wärme, 
die Sonne der Gerechtigkeit, die Eis und Schnee auflöst und das Unbe 
wegliche beweglich, lebendig und flüffig macht. Dazu erfchien der Sohn 
Gottes, um die Werfe des Teufeld zu vernichten. (Exc. VII, 567.) 


Einfluß der Dämonen, 


Ueber die Wejen, welche feine Vernunft (intellectus) haben, ba 
der Dämon Gewalt. Daher kann der Dämon auf unfere geiftige Natur 
nicht eindringen (illabi). Denn was der Dümon feflelt, das feflelt a 
dur fich felbft und durd fein Eindringen (per suum illapsum), wit 


— die Kälte durch ihr Einfallen das Waſſer gefrieren oder das Lab die 


Mil gerinnen macht. So war die Zunge des Stummen bei Mark. 
7. Kapitel gefeffelt und ed wurde dad Band feiner Zunge gelöft. Allein 
in den vernünftigen Geift fann außer dem Worte Gottes nichts eindringen 
(illabi), weil er Gott ähnlich ift, welder ein Geift ift, und zwiſchen 
Gott und dem Geifte ift Feine vermittelnde Natur. Zwifchen der Wahr 
heit und dem Geiſte kann es feine dazwifchenliegende (media) Natur 
geben. Gott ift die Wahrheit; die Wahrheit wird im Geifte erfaßt. 
Nur Gott alfo dringt Cillabitur) in die geiftige Natur ein. Wie die 
Kälte dad Wafler, das fie feffelt, in Befig nimmt, fo nimmt das Leben 
der Wahrheit durch ihr geiftiges Eindringen die Seele in Befig. Der 
Begriff der Freude erfreut, eine große Freude noch mehr, die ewige Freude 
ewig, die abfolute Freude abforbirt und ganz. Died empfinden Die, 
welche in die Freude ihres Herm eingehen. Wenn der böfe Geift per 
aceidens gefrieren macht, fo macht der gute Geift wieder flüffig. Daber 
jagt die Braut: „Meine Seele ift flüffig geworden, wie mein Geliebter 
zu mir geredet hat,“ (Exe. V, 474.) 


429 


Die Erlöfung der Welt nur durch göttliche Vermittlung möglich. 


Ehriftus mußte leiden, weil er auf andere Weife der Wahrheit das 
größte Zeugniß nicht geben Fonnte. Denn er war dazu geboren, der 
Wahrheit Zeugniß zu geben. Anſelm wirft die Frage auf, ob eine Noths 
wendigfeit ed forderte, daß der Höchfte fih fo ſehr erniedrigte, und der 
Almähtige ſolchem Leiden fih unterzog, und antwortet darauf: Alle 
Nothwendigfeit und Unmöglichkeit unterliegt feinem Willen: was er will, 
muß fein, was er nicht will, fann unmöglich fein. Somit hat er allein 
durch feinen MWillen, der allezeit gut ift, aljo allein durch feine Güte die 
Erlöfung bewirkt. Die menſchliche Natur mußte eigentlih Alles thun, 
wad nothiwendig war, damit fie zu dem wieder hergeftellt werde, um 
deſſentwillen fie erfhaffen war. Allein weder fie, noch Alles, was nicht 
Gott ift, reichte dazu bin. Denn der Menſch wird zu feiner urfprünglichen 
Beftimmung nur dann hergeftellt, wenn er zur Aehnlichkeit mit den Engeln, 
in welchen feine Sünde ift, emporgehoben wird, was unmöglich ift, wenn 
ihm nicht alle Sünden nachgelaffen werden, und dies erfolgt nur durch 
eine volftändige Genugthuung, weldhe der Art fein muß, duß der 
Sünder oder Jemand an feiner Statt Gott etwas von dem Seinigen 
gibt, das er (zu geben) nicht fhuldig ift (quod debitum non sit), und 
das Alles übertrifft, was nicht Gott if. Denn wenn Sündigen heißt 
Gott beleidigen, und der Menfch dies nicht thun fol, auch wenn Alles, 
was nicht Gott if, zu Grunde gienge, fo fordert unftreitig die unveräns 
derlihe Wahrheit und die flare Vernunft, daß der Sünder Gott für die 
diefem entzogene Ehre etwas gebe, was größer ift, ald das, um deffents 
wien er ihn wicht beleidigen durfte (reddat Deo... . aliquid majus, quam 
sit hoc, pro quo illum exhonorare non debuit). Da dieſes die menfch- 
Ihe Natur allein nicht geben fonnte, und diefelbe ohne gebührende Ges 
nugthuung nicht verföhnt werden konnte, fo fam die Güte Gottes zu 
Hülfe, damit die Gerechtigkeit Gottes nicht in feinem Reiche die Sünde 
ald etwas Ungeordnetes befteben laffe.e Der Sohn Gottes nahm die 
menſchliche Natur in feiner Berfon an, damit in diefer Perſon der Menſch 
Gott wäre, welcher befigt, was nicht nur alle Weſenheit, die nicht Gott 
ft, fondern auch alle Leiftung, die der Sünder zu entrichten hat, weit 
übertrifft (ut in ea persona esset homo Deus, qui haberet, quod 
Superaret non solum omnem essentiam, quae Deus non est, sed etiam 
omne debitum, quod peccatores solvere debent). Da er (der Gotts 
menſch) nichts für fich zu leiften hatte, fo that er es für Andere; denn 
daB Lehen des Menſchen ift foftbarer als Alles, was nicht Gott ift, und 
übertrifft jegliche Keiftung (omne debitum). Wenn fein Tod alle Menge 
und Größe der Sünden, die fih nur denfen laffen, übertrifft, fo ift Mar, 


430 


daß fein Leben mehr Gutes in fi hat, als alle Sünden Böfes. Diefes 
Leben gab Derjenige, der nicht in Folge einer Schuld fterben mußte, 
weil er fein Sünder war, freiwillig als fein Gigenthum (de suo) zur 
Ehre ded Vaters hin, indem er ed ſich um der Gerechtigkeit willen neh: 
men ließ, um Allen ein Beifpiel zu geben, man dürfe die Gerechtigkeit 
felbft bei Verluft des Lebens nicht aufgeben. Anders ift es bei dem 
aus Adam ftammenden Menfchen, defien ganzes Streben vermöge feines 
natürlichen Urfprungs auf Erhaltung biefes zeitlichen Lebens gerichtet if, 
Das Kind diefer Welt weiß von feinem Berlangen nah dem, was ber 
Gegenſatz zu diefer Welt ift, wie das Auge nicht nach den Gegenftänden 
des Gehörs ein Verlangen hat, ed will nur gut fehen. Die Sehnſucht 
nach diefer Welt zieht den Menfchen dahin, bienieden feine Ruhe zu ſuchen. 
Weil der Menſch nicht wußte, daß er die Fähigkeit für das andere Leben 
babe, fo Fonnte auch fein Verlangen nad demfelben in ihm entftehen. 
Der Menſch war von feiner Geburt an unwiſſend, allein er follte weile 
werden und das höchſte Ziel erreihen. Da nahm die Weisheit die menid 
lihe Natur an, Chriftus, die Weisheit Gottes, wurde Gottmenſch und 
unfere Weisheit, damit wir in ihm die Sehnfucht nach der andern Welt 
empfänden. Da aber unfere gebrechlihe Natur fich nicht nad Oben au 
fhwingen fonnte, wenn nicht das irdifche Verlangen in ihr ertödtet if, 
fo finden wir in Ehriftus die Füle und Vollkommenheit, die alle unfer 
Mängel ergänzt (plenitudo, replens omnes defectus nostros). In Ihm, 
der fam, um alle unfere Mängel zu ergänzen (adimplere), müſſen wir 
aljo die Läuterung aller finnlihen Begierden finden. Diefe Läuterung 
erfolgt durch eine finnliche Strafe... Wer durch Ehriftus auf dem rechten 
Wege fi zu Gott hinmwendet, kann das Ziel erreichen; wer ſich von ihm 
’ wendet, verliert das Ziel der Erlöfung. 

(Exec. III, 418. 419.) 


Bedürfniß einer objectiven fubftantiellen Weisheit. 


Wenn Plato um des Wiſſens willen die Welt durchwandert und 
überall einen Lehrmeiſter gefucht, wenn er Archytas aufgefucht hat, und 
ebenfo Andere, die gewiß alle nur die Incarnation der Weisheit gejudt 
haben, fo wird in allen L2ehrmeiftern diefe Incarnation der Weisheit gr 
fucht. Wäre fie daher nicht in irgend Einem incarnirt, d. i., gäbe es nicht 
einen Menfchen, der fo weife ift, daß eine höhere Weisheit nicht möglid 
ift, welche die Weisheit in ihrer Wefenheit ift, fo fuchten wir vergeb⸗ 
lich alle rn auf, wenn die Weisheit in Keinem gefunden werden 
könnte. (Exc. IX., 632.) 


431 


Chriftus, der Erlöfer. Bedingung der Aufnahme feines Geiftes in uns. 


Je mehr der Geift fib des Adels feiner Abfunft bewußt ift, defto 
mehr fühlt er feine Gebundenheit durch die Schranfen der endlichen Natur, 
fo wie das Unvermögen, fi felbft von der Natur zu befreien, und zur 
Ergreifung ded ewigen Lebens, das in feinem Urfprung oder Echöpfer 
ruht, fih zu erheben. Der edle Geift ſehnt ſich daher nad etwas, deſſen 
Erfaſſung jedoch über alle feine Kraft geht, und er feufit, daß er, was 
er fo fehr verlangt, nicht ergreifen fan. Da nun die Sehnfuht nad 
der Erfaffung des ewigen und unfterblihen Lebens allen edlen vernünftis 
gen Geiftern, die nämlich ihr Leben geiftig zu leben wünſchen, einges 
pflangt ift, fo erhellt hieraus, daß der, welder aus feiner Gnade das 
edle Streben nad Unfterblichkeit gegeben hat, dieſes beige Echnen nicht 
ohne die Hoffnung der Erfüllung gab; denn fonft würde diefe Gabe zur 
Dual, was Gott, dem beften Vater, nicht zufommt, der nur Gutes fpens 
det, Daher lehren denn auch alle Propheten, und felbft die Wetjen der 
Heiden, im Gefühle, daß fie nicht aus fich felbft dad Verlangen ihres 
Geifted befriedigen fönnen, und im Elaren Bewußtiein, daß ihnen diejes 
Verlangen nicht umfonft innewohne, daß der, welcher dem Geifte dieſes 
Berlangen gab, auch die Gnade, es zu erreichen, geben werde. Diele 
Gnade aber, die Ergänzung der unvollfommenen Natur wird nothiwendig 
In Einem ald Gnade der ewigen Zeugung erfcheinen, dur welden fie 
dann al8 Gnade der Wiedergeburt auf Alle übergeht. (Haec autem 
gratia, quae est suppletio defectuum naturae, necessario erit in aliquo 
gratia generationis, per quem gratia regenerationis in omnes veniet.) 
Ohne Zweifel würde: Jeder, der die Kunft zu beleben verftünde, ewig 
leben, weil er beftändig den Tod, vor dem er einen fo großen Ab- 
ſcheu hat, von fih abwehrte. Daher wünfchten die Alten, daß die Kunft 
des unfterblichen Lebens, nach welcher Alle fich fehnen, durd die Gnade 
der Zeugung Einem anerfchaffen würde, der dann diefelbe jedem vernünfs 
tigen Geifte mittheilen könnte. Das unfterblihe Reben aber ift Gott, und 
die Kunft dieſes Lebens die Weisheit oder der Sohn Gottes. Diefer 
if daher der Erlöfer, der uns neu fohafft, durch das Licht der 
Weisheit oder der unfterblihen Kunft, um unfer höchſtes Verlangen zu 
erreichen. Jeſus jagt: der Kleinſte im Himmelreich fei größer, als Jo— 
hannes; denn jener ift wahrhaft wiedergeboren zum unfterblichen Leben; 
Johannes aber nur im Glauben; denn er glaubte, daß der allgemein er- 
wartete Erretter fommen werde, und daß er durd ihm die Wiedergeburt 
erhalten werde, die er jedoch in der Wirklichkeit noch nicht erlangt hatte; 
denn Niemand fann jenes Leben in der That erreihen, wenn nicht das 
finnliche Leben erftorben it. Der Glaube führt daher vom fterblichen 


432 


Leben zum unfterblihen; er ift ber Weg zum Uebergang aus der Gnade 
der Geburt in dieſer Welt zur Gnade der Wiedergeburt in der andern 
Welt. Johannes vergleicht in der Offenbarung das Wiffen des creatür 
lihen Lebens mit dem Monde, die Weisheit der Wiedergeburt mit der 
Eonne, und zwar defhalb, weil die Sonne das Werk ver höchften Weis 
heit ift, da in der Sonne das erleuchtende Licht und die belebende Wärme 
oder Liebe vereinigt if. So coincidirt auch im der Weisheit das Willen 
mit der Liebe. Denn fie iſt ein fchmadhaftes Wiſſen. Mit Recht be 
trachtet ſich der verftändige Geift mehr als tobt, denn als lebend, weil 
er in allen feinen Kräften feine Lebensbewegung findet, fondern vielmehr 
eine vom Leben entfernte traurige, die in Erfenntniß des Ewigen traum 
ähnlih, dagegen fehr gewandt im Srdifchen if. Endlich weiß er ſich 
nicht ald frei und als arm im Geifte, welche Armuth des Geiſtes allen 
Reichthum in ſich ſchließt. Dagegen findet er in fich den eigenen Willen 
mächtig, der ihn ganz beherrfcht und er ſchätzt fich im Beſitze desſelben 
für reich, da doch in diefem Reichthum die größte Mangelhaftigkeit ift, weil 
Gotted Wille da fehlt, wo der eigene herrict. 

Diefe Mangelhaftigkeit des Geiftes fann nur durch Ehriftus geheilt 
werden; er, der die Blindheit der Unwiſſenheit hinwegnehmen fann, if 
der Rebensfpender; denn der Tod des Geiftes ift die Unwiſſenheit, feine 
Freude das Wifien. Daher erhält das Auge das Geficht, oder der Geil 
die Einfiht, durch die unendlihe Weisheit; der Hinfende die Bewegung, 
d. h. die rechte Richtung zum Ewigen, ohne zu hinken, d. h. ohne der 
Sinnlichkeit fib hinzugeben, durch die unendliche Gerechtigkeit; der Geil 
die Heilung von der Anſteckung aus Fleiſchesluſt durch den göttlichen Ant. 
Es erfolgt die Herftellung des Gehörs zur glaubensvollen Aufnahme des 
Wortes Gottes im Geifte dur die unendlihe Kunftz die Erwedung dei 
erftorbenen Geiftes durch den. Schöpfer; die Entfernung des Eigenwillene 
und Aneignung des göttlihen Willens, fo daß im Geifte nur die Liebe 
Gottes ift, nur durch den Erlöfer Aller. Daher wird der Geift mit Recht 
glüclich gepriefen, der ſich nicht daran ftößt, fo wunderbare Eigenſchaften 
am Menfhen zu fehen, fondern Gott die Ehre gibt und nicht der Magie 
oder dem Geifte des Irrthums, und feinen Augenblid zweifelt, daß, wer 
ſolches verrichtet, der Sohn des lebendigen Gottes feiz denn er findet den 
Meifiad und weicht nicht von ihm, weil er weiß, daß er Worte dei 
ewigen Lebens habe; gleihwie Petrus glüdlih war, der, nachdem er von 
Chriſtus Erlöfung erlangt, arm am Geifte, überall das ewige Reich ver 
fündete; denn jene Umwandlung des unmiffenden Fifcherd zum größten 
Theologen und Menfchenfifher legte auch die göttliche Weisheit Ehrift 
an den Tag, welde dieſe erftaunliche und wunderbare Umänderung be 
wirkte. Daß aber jene Mängel in geiftiger Beziehung verftanden werden, 


433 

erhellt aus vielen Stellen der Schrift, wo von Blindheit des Herzens, 
von blinden Führern der Blinden, von den Befehlen Jeſu an den tauben 
und ſtummen Geift, von den Todten, die ihre Todten begraben, die Rede 
if, Daher find alle jene verſchiedenen lörperlichen Mängel geiftig gefaßt 
— Ein und derfelbe Mangel. Wo dad Schen zugleih ein Hören ift, 
da ift die Blindheit auch Taubheit; wo Sehen zugleich Leben ift, da ift 
Blindheit auch Tod; wo die Begierde Bewegung ift, da die Schwäche 
ein Hinfen. Wie daher Ehriftus die Blinden, Etummen und Tauben 
dur fein Wort heilte, fo erfolgt aud die vollftändige Heilung mit dem 
Beifte der Weisheit, mit dem Geifte Sefu. 

Um aber diefen Ehrifto Ähnlichen Geift zu erhalten, muß Alles, was 
in der Welt Ehrifto vorherging, auch im Menſchen als einer Welt im 
Kleinen vorhergehen. Zuerft ift er daher Adam, dann fteigt er auf, bis 
er Noe wird, auf daß er in der Arche gerettet werde; dann werde er ein 
treuer Abraham, dann Iſaak, Jakob, dann wandere er nach Aegypten. 
Hierauf folge der Zug durh das rothe Meer uud die Wüfte, unter 
Moſes; auf daß er durch Joſua in das Heilige Land geführt werde, und 
in der heiligen Stadt Jerufalem fein Geift erftarfe, fo daß er gelehrt 
und tüchtig fei zur Weiffagung, zur Leitung und Opferung als Keiter und 
Priefter, und in ihm ein feuriger Geift wohne, wie in Eliad und Johan» 
ned, und er fo endlich den Geift der tiefften Demuth und reinften Frudt- 
barfeit, wie Maria, erlange, in weldhem er dann, von der Gnade des 
Höhften überfchattet, jenes Licht aufnehmen kann, welches das Irdiſche 
ind Himmlifche verwandelt — den Geift Jeſu. So ift dann fein Geift 
geläutert, Indem er den ganzen alten Bund, Gefeg und Propheten, geiftig 
in ſich durchlebt. Zu beachten ift, daß Geſetz und Propheten ihre Grenze 
In Johannes haben; denn diefer offenbart im fürzeften Ausdrucke alle 
Geheimniffe des Geſetzes und der Propheten; er iſt der länternde Bote, 
der vor dem Angefichte Gotted des Erlöferd vorhergeht. Es ruft der 
Geift des großen Propheten Johannes: ein Jeder thue Buße, der felig 
werden und das Reich des ewigen Lebens erlangen will, denn das Him— 
melreich ift nahe. Es muß fih alfo unfer Geift, um himmliſch zu wers 
den, durd MAbftreifen des Irdiſchen reinigen. 

Dann wird er fähig für das Sonnenlicht, für die Sonne der Ges 
tehtigfeit, deren Licht von den gereinigten Sternen, fo wie ed an fi ift, 
unverlierbar aufgenommen wird. Nehmen wir Chriſti Wort, das alle 
Wahrheit in fich begreift, in diefer Weife im Glauben auf, dann werden 
wir erfennen, daß Gott wahrhaftig ift, und daß wir in ihm Alles erlangen 
können, weil er die Fülle der Gnade ift, aus welcher Fülle uns alles 
Mangelnde zufließt und das Aehnlihwerden mit Chriftus und möglid 

SHarpff, Nie. v. Gufa, 28 


434 


wird. Wir fehen dann: ihm anhängen, heißt mit der höchften Güte 
verbunden fein; in ihn allein jegen wir dann unfere Hoffnung, da er 
allein mächtig, liebevoll und barmherzig it. Durch diefe Untenweifung 
Sohannes ded Täuferd wird unfer Geift der Kraft des Elias gleichge⸗ 
ftaltet, feurig und läuternd mit Zerftörung alles Defien, was im Feuer 
zerftört werden fol, jo daß er fähig ift, das himmlifche Licht der ewigen 
Weisheit aufzunehmen. (Exc. VII, 560—562.) 


Jeſus. 


Gott iſt Erretter, Jeſus die Errettung (salvatio); Gott iſt wahr 
haflig, Jeſus die Wahrheit Gottes; Gott iſt barmherzig, Jeſus ſeine 
Barmherzigkeit; Gott iſt gütig, Jeſus ſeine Güte; Gott iſt weiſe, Jeſus 
feine Weisheit; Gott iſt allmächtig, Jeſus feine Kraft und Allmacht; 
Gott ift Schöpfer, Jeſus feine Schöpfung (ereatio ejus); Gott ift Xehrer, 
Jeſus fein Lehramt; wie wenn einer ein Buch Plato's zeigte, das deſſen 
ganzen Lehrbegriff enthielte. Kurz: in Jeſus hat die menfchliche Natur 
alled erlangt, was fie verlangt und was wir Gott zufchreiben. Sie 
verlangt Glückſeligkeit, welche Gott iſt; diefe hat fie in Ehriftus erlangt, 
weil er Gott erfaßt (apprehendit). Und Jeſus hat fie nicht wur für 
fih, jondern kann fie auch mittheilen. Adam erhielt die lebendige 
Seele dur die Vernunft, welche die Glückſeligkeit diefer Welt ift, in dem 
Bild der ewigen; aber er erhielt fie nicht fo, daß er fie ſollte mittheilen 
fönnen, weil er die Vernunft nur für fich erhielt, wohl aber erhielt er 
den thierifhen Menfchen zur Mittheilung, weil er feine Natur annahm, 
nicht aber nahm er jo das Bild Gottes oder der Weisheit an. Chriſtus 
aber, der zweite Adam, nahm die Natur oder das Wefen der Weisheit 
ſelbſt an, nicht ein nicht mittheilbares bloßes Abbild; daher wird er zum 
belebenden Beift für Alle, die ihn aufnehmen. (Exe. IX, 627.) 


Die Bolllommenheit Chrifti. 


In Chriftus erſchien Alles als Totalität und Einheit, was in allen 
Heiligen getrennt und partiell ſich zeigt. Im der Heiligfeit des Lebens 
dien Johannes der Täufer in ihm wieder erftanden zu fein. Andere 
glaubten, im ihm fei der Geift des Elias, Andere fahen in ihm den Geift 
des Jeremias oder eines andern Propheten. Erkenne hieraus, daß der 
Geiſt Chriſti die Tugenden aller Heiligen in ſich begriffen habe. 

(Exc. V, 499.) 


435 


Chriftus, ein Magnet. 


Ehriftus ift die Magnetnadel, die den Schiffern beim Sturme 
den rechten Weg zeigt (Exc. VII, 566). Ohne diefe Magnetnadel würs 
den wir in bie Finfterniß der Unwiſſenheit gerathen und den Hafen des 
Heild nicht erreichen. Die Magnetnadel bleibt feſt in ihrer Richtung, wie 
auch das Meer tobe. So ift Ehriftus das Licht, das in der Finfterni 
leuchtet. Der Geift Ehrijti zieht, weil Chriftus der Sohn Gottes ift, 
jeden vernünftigen Geift an fih, wie der Name Plato's Schüler herbei 
jog, denen der Philofoph die Weisheit mittheilte, oder wie der Mag— 
net das Eiſen anzieht, dem er die Anziehungskraft mittheilt, fo daß das 
von ihm Angezogene in der Gemeinſchaft mit ihm wieder anderes Eifen 
anzieht. So werben viele eijernen Ringe, wie zu einer Kette verbunden, 
durch die freie Anziehungsfraft des Magnets, gleihlam wie durd die 
Gnade desjelben nah Dben gezogen, ungehemmt durch die Schwerkraft, 
die nad dem Erdencentrum zieht. Die über den erften Ring audgegofiene 
Magnetfraft bewirkt, daß das Unterſte des erften Rings das Oberfte des 
weiten an fich zieht m. f. . So ift ed durch die wunderbare Macht 
Gottes geordnet, daß das Unterfte der obern Sphäre mit dem Oberften 
der untern verbunden if. Das Wort Gottes reinigt das Eifen, daß 
es fühlg zur Aufnahme der Magnetfraft wird. Die Anziehungsfraft ift 
der heilige Geiſt. Die Kraft des Magnets wächſt dur feine Verbin- 
dung mit einer größern Quantität Eiſen; fo auch die Kirche dur bie 
Bereinigung Bieler mit Chriftus. (Exec. VII, 563.) 


Maria, frei von der Erbfünde, 


Es dient zum Lobe Gotted und der Jungfrau und Mutter Maria, 
daß fie, aus welder das Leben Fleifh annehmen follte, zu feiner Zeit 
unter der Herrſchaft des Urhebers des Tores war. Die Jungfrau bes 
durfte feines Befreiers, der fie von dem Urtbeilöfprucde freifprad, der in 
Folge der fleifhlihen Luft (ex voluptate carnis) über Adam und deſſen 
Nahlommen ergangen war. Nie unterlag fie demfelben, weil das Er- 
barmen zum Boraus der ausderwählten Mutter der Barmherzigkeit zu 
Hülfe fam. Wer ald ein Freier empfangen und geboren wird, bedarf 
feines Befreierd won der Sklaverei, in der er fih nie befunden. Die 
heilige Jungfrau hatte nämlih an Chriftus einen Vorausbefreier (prae- 
liberatorem), wie alle Anvdern einen Befreier und Nachbefreier (postlibe- 
ratorem). Sie allein wurde feit dem Kalle Adams nicht ermangelnd 
fondern voll der urfprünglichen Gerechtigkeit, wie Eva, ja noch weit mehr, 
erihaffen, gleichwie Chriſtus feiner menjhlihen Natur nach in der ganzen 

j 28 * 


436 


Fülle der Gerechtigkeit (in noch weit höherem Grade ald Adam) erihaffen 
wurde. Nur der ausderwählten Mutter Gotted war es gegeben, daß fie 
vom Anfang ihres Seins an nicht unter der Knechtfchaft des böfen Fein 
des irgend einen Fehler hatte (quod . . deficere nequivit), daß fie alio 
bei der Erſchaffung ihrer vernünftigen Seele im Körper und bei dem Schei⸗ 
den derfelben aus dem Körper nie in der Gewalt des böfen Feindes war. 
Bon der glorreihften Jungfrau allein findet man alfo nie, daß fie ber 
Erbſünde unterworfen gewefen. Ihre erfchaffene Seele entbehrte in ihrem 
dunkeln Körper aus Adam nie des Lichtes des Lebens, welches vielmehr 
ohne Verzug auf das Neichlichfte bei ihrer Erfhaffung zugegen war 
(creationi coafluit). Maria ift nicht ausgeftrihen aus dem Bude des 
Todes, des Fürften des Todes, weil fie nie in dasfelbe eingeſchrieben 
war, fie war vielmehr nad ewiger Borherbeftimmung fchon vor ihrer 
Empfängniß ind Buch des Lebens eingefchrieben. (Exec. VII, 616.) 


Unbefledte Empfängniß Maria's. 


Jener Same durfte nicht auf dem Wege der Begierlichkeit des Flei⸗ 
ſechs aus der Potenz in Wirklichkeit geſetzt werden, wenn er anders gan 
gereinigt (purgatissimum) fein ſollte. Denn die aus der Sünde entftan 
dene Begierlichkeit inhärirt dem aus Begierlichkeit entftandenen Samen 
dergeftalt, daß jener Same die Begierlichkeit in dem aus ihm Erzeugten 
nicht ablegt. 

Die Fruchtbarkeit in der Jungfräulichkeit ift die größte. Eine Frau 
ift fruchtbarer, ald die andere. Jene aber, welche ohne einen Mann 
aus ſich felbft Fruchtbarkeit entfalten kann, ift über Alle gepriefen. 

Eva hieß die Mutter der Lebenden, gemäß ihrer Empfängniß aus 
Adam. Maria heißt die Mutter der Erleuchteten und MWiedergeborenen 
wegen ihrer Empfängniß aus dem heiligen Geifte. Eva hat uns geboren 
als irdiſche Gefchöpfe diefer Welt, Maria als himmliſche. Wir Ale 
werden geiſtig wiedergeboren durch den Geiſt und Marla, fo daß mir 
Brüder und Miterben Jefu werden. Maria ift die Kirche. 

Die glorreibe Jungfrau empfing durch den Glauben ihren Sohn. 
Diefe Zeugung ift ähnlich der göttlichen Zeugung, wo die Fruchtbarkeit 
des Vaters jo groß ift, daß die Fruchtbarkeit aus ſich ſelbſt zeuget. So 
ift die Fruchtbarkeit in der Jungfrau, weil- fie Mutter und Jungfram, 
Samen Abrahams ohne männlihen Samen. 

Gleichwie Eva in Adam war, und aus dieſem ohne Samen bie 
Mutter der Lebenden entftand, fo aus Marta Chriftus. Maria war 
nämlich jene Mutter, die den Mann — Chriftus — umgab. Und wie 
Eva die erfte, fo wird Maria die zweite Mutter der Lebenden genannt. 


437. 


Denn Maria erhielt ihren Namen von dem zweiten Adam, d. i. dem 
Manne (vir = mar, mas, wovon masculum), den fie umgab, wie bie 
erfte aus Adam virago hieß. Beachte hier Folgendes: Gin Waizenforn 
wird mehrmals in die Erde ausgefäet, um in einem guten Erdreiche ſich 
mehr und mehr zu veredeln, bis es zulegt die höchfte Veredlung erreicht hat. 
Diefed Waizenforn ift der Same Abrahams, das befte Erdreich ift der 
Leib der heiligen Jungfrau; durch die Kraft des heiligen Geiftes wird nun 
dieſes Waizenbrod in den Leib Chriſti verwandelt, wie es durch den 
Priefter am Altare verwandelt wird... ... Mie Ehriftus der zweite Adam, 
fe it Maria die zweite Eva, die Mutter aller aus dem Glauben Lebenden, 
deren Bater Ehriftus if. Wunderbar ift e8, daß der Sohn Bater, 
Chriftus der Vater, Maria die Mutter ift, in welcher Chriſtus der 
Bater ift, wie in Adam, dem Bater, die Mutter Eva var. Diefe Ge- 
nerationen verhalten fih im umgekehrter Weile zu einander, wie Himmel 
und Erde; die eine ift himmlifch, die andere irdiſch. (Exc. V, 480.) 


Adams Ungehorfam, Chrifti Gehorfam. 


Chriſtus ift der Töpfer, der aus einer ungehorfamen Seele ein Foft« 
bares Gefäß macht, in dem das Manna, d. i. das Wort Gottes, das 
nur eine gehorfame Seele aufnimmt, aufbewahrt wird. Ä 

Der erite Menich fiel, weil er Menfh war und Gott fein wollte, 
mit Bewußtſein vom Gehorfam ab und fuchte in dem Reizenden der 
Frucht des Baumes die Nahrung für die Erfenntniß des Guten und 
Vöſen, fand aber den Tod. Die Lüge wurde fein Bildungsprincip 
(mendacium magisterium formandi accepit), der Menfch unterwarf fi 
ihm und erhielt fo die Geftalt des Irrthums. Der von Hochmuth ans 
gefüllte Thon wurde nun fpröde und unbildfam, hart wie falted Wade, 
und fügte ſich nicht dem Siegel der Ewigkeit. Er fonnte nur durd ein 
geifliges Feuer erweicht werden, aber in diefer Welt fand es fi nicht. 
Da fam Ehriftus und erniedrigte ſich in Knechtögeftalt bis zur Leerheit 
und zum Breifein von aller eitlen, nichtigen Form, wie der Thon ift, 
wenn er geformt wird, um zu Allem gefügig zu fein. Denn der Thon 
muß ganz formlos werden, um jedem Befehle des Töpfers gehorcen zu 
innen. So wurde Chriftus; er entäußerte fih, fo daß in ihm weber 
Geſtalt noch Reben blieb; durchs Kreuz oder den Baum des Todes ging 
er in die Herrlichkeit ded Vaters. Adam fand durch die Frucht des 
Baumes der Erkenntniß — Unwiffenheit und Tod, Chriſtus durch den 
Baum des Todes das Leben. Gewiß ift durch Chriftus die menſchliche 
Natur, der Thon aus Adam, das ftarre Wachs durch die Wärme des 
himmlischen Feuers, welches die Liebe ift, aus der Starrheit aufgelöft 


438 


und dem Willen Gottes gefügig worden. Je fügfamer nun die Seele 
für den verevelnden Eindrud des göttlichen Lebensprincips geworben iſt, 
defto heller ftrahlt fie die Herrlichkeit Gottes zurüd, Denn es wird aus 
ihr durch göttliche Kunft, entiprechend ihrer Fähigfeit, ein lebendiges Ge⸗ 
fäß, aus welchem zuvor alle irdiſchen Begierden entfernt find; fie wird 
mit dem Thaue der Gnade angefüllt, fo daß fie fih durch bie Sonne 
der Gerechtigkeit in die Höhe hebt, wie ein ausgehöhltes, mit Than an 
gefüllte und durch Wachs verfchloffenes Ei durch die Sonne in die Höhe 
gezogen wird. 

Wir, die Bervohner diefer Welt, haben eine der Umbildung fähige 
Seele, gleih ald wäre fie ein geiftiges Wachs, die fich ihren Begierden 
oder von ihr felbft beliebten Formen gleich geftaltet. Da fie die göttlichen 
Formen, die himmliſch und ewig dauernd find, nicht fennt, fo bilvet fie 
fih nicht nach diefen, fondern nad) den zeitlichen, Die ihr nicht geben fün- 
nen, was fie nicht haben. Wenn fie fih aber in Einfalt dem Töpfer 
unterwirft, der die Herzen Aller gebildet und ihnen fein Siegel aufge 
prüft hat, dann gewinnt fie durd das Wort Gottes eine himmlifche und 
unfterblihe Geftalt, die nicht von diefer Welt ift, eine Geftalt, die fie, 
ehe fie diefelbe erhalten, nicht gefannt hat und die Niemand Fennt, ehe 
er fie empfängt, Nah dem Empfange derfelben erkennt fie, daß fie ſich 
nah dem Worte Gottes, dem fie gehordt, geftalte. So lange die Seele 
ſich nad dem geftaltet, was fie liebt, fo lange fie fih lebt und fomit 
fi) mac ſich geftaltet, während fie doch aus fih Sein und Leben nidt 
hat, fo lange liebt fie fih micht, indem fie fi lebt. Wenn fie aber 
Gott liebt, von dem fie Sein und Leben hat, deſſen Ebenbilv fie if, 
wenn fie fib nicht liebt, um jenen defto mehr zu lieben, dann liebt fie 
fih. Keine Seele kann aber Gott lieben, in der nicht die Geftalt Ehrifli 
ift, der allein und durch Wort und Beifpiel belehrt, wie wir Gott fichen 
fönnen, nämlih in der Nahahmung der Geftalt Ehrifti. Wenn wir das 
her in und wahrnehmen, was wir an Ehriftus wahrnehmen (id quod 
in Christo credimus), den Gehorfam bis zum Tode, dann geftaltet fid 
Ehriftus in und und wir gewinnen die Geftalt des Sohnes Gottes, durch 
die wir zur Herrlichfeit ded Vaters gelangen. Wie empfinden wir Chri⸗ 
ſtus am Kreuze in und? Wer, wie Der, der am Pfahle des Kreuzes 
hing, nicht das Gegenwärtige im Auge hat, nit an. feine Neigungen 
benft, nicht von Sorgen und Aengften für den morgigen Tag gequält, 
nicht von Begierden aufgeregt, von feinem Stolze, Neid und Haffe erfült 
wird, ſondern glaubt, daß, jo lange er noch athmet, für ihn alle Ele 
mente nur Mangelhaftes haben; wer, wie Chriftus, dorthin den Blid ſei⸗ 
ned Innern richtet, wohin zu gelangen er zuverfichtlich hofft, fiche! mer 
fo mit dem gefreuzigten Chriftus geftimmt ift, der ift mit ihm gefreugigt; 


439 


frei nicht nur von Sünden, fondern felbft von den Elementen biefer Welt, 
bat er feine Augen feit dahin gerichtet, wohin er jeden Augenblick zu 
wandern hofft. Ein Solcher gehorcht vollfommen, das ift der vollendete 
Gehorfam. (Exc. X, 660.) 


Das Berdienft Chrifti dur feinen Tod. 


Ehriftus wußte Alles (fein ganzes Leiden) voraus, damit fo fein 
Leiden und Tod ein vollfommener (consummata) würde, der alle Bitter 
keit des Todes in höchfter Intenfität in fih faßte, wodurch folgerichtig 
auch fein Verdienſt ein vollfommenes, für Alle genugthuendes werben follte. 
Denn die Bergeltung für die Bitterfeit des Todes ift das Leben. Wenn 
der flar voraudgefehene bittere Tod alle Strafe aller Sterbenden in fi 
faßt, fo warb aud die Belohnung Allen zu Theil, denen das Werbienft 
gewendet wird. Beachte das Mpyfterium, daß defhalb der Erlöfer noth— 
wendig Gott und Menſch fein mußte: Gott, damit von dem furchtbaren 
Todesleiden nichts ihm verborgen bliebe; Menfch, damit er fterben konnte. 
So ift der Tod Chriſti das hinreichende Verdienſt des Lebens für Alle, 
die durch ihren ) Tod das ewige Leben von Gott verdienen fönnen. (Et 
sic mors Christi esset sufficiens meritum vitae omnibus, qui per mortem 
suam vitam aeternam a Deo mereri possent.) Die Frage, ob Gott 
den Menschen auf einem andern Wege erlöfen fonnte, kann in folgender 
Weiſe gelöst werden. Das ewige Leben, das durch Verdienſt in Befig 
genommen werben muß, damit nichts zur vollen Glüdfeligfeit fehle, da 
derjenige Befig angenehmer ift, der in Folge von Verdienſt wie eine 
ſchuldige Gebühr erworben wird, fonnte nicht anders, ald ed Gott an— 
geordnet hatte, erworben werden. Indem er nun anoronete, daß Ehriftus 
fterben folle, fo mußte diefer fterben und fo in feine Herrlichkeit eingehen, 
wie er jeine Schüler vor feinem Tode und am Tage der Auferftehung auf 
dem Wege nad Emmaus belehrt hatte. Denn fo wurde er unfere Rechts 
fertigung (nostra justificatio), fo daß die Gemeinſchaft (communicatio) 
feines Verdienſtes durch feine Gnade unfere Gerechtigkeit geworden iſt. 
Nun können wir zu Gott unferem Vater fagen, er möge uns das Reich 
des Lebens geben, das durch das Verbienft unfers Chriftus und als unfer 
Eigenthum gebührt (per meritum Christi nostri nobis debitum tanquam 
nostrum). Das halte ich für das höchfte Myfterium des Kreuzes, denn 
Ih glaube, daß Ehriftus das Reich durch fein Verdienft befige. Und Die: 
jenigen, denen er fein Verdienſt aus Gnade mittheilt (communicat), 


1) Das „suam“, wie ed grammatifch geboten ift, auf qui bezogen, würde auds 
trüden, was Nicolaus von Gufa an mehreren Stellen hervorhebt, daß Diejenigen, welche am 
Verdienfte Antheil Haben wollen, gleichfalls ſich ſelbſt ertöbten müſſen. (Exc. IX, ©. 655.) 





440. 


befigen es in gleicher Weiſe durch die Gnade der Mittheilung (ex gratia 
communionis) und durch das Verdienſt des Leidens Chriſti. Im jedem 
Erlösten concurrirt daher Gnade und Gerechtigkeit (concurrit gratia cum 
justitia), wie wenn der Papft ein beneficium verleiht, fo thut er dies 
aus der Fülle der Gnade; denn er fann es verleihen oder nidt. Wem 
er es aber verleiht, der befigt es Eraft eines rechtlichen Titeld (justo titulo). 
Beachte hiebei noch: nur Chrifti Tod fonnte das ewige Reben verdienen, 
weil der vollfommenfte Tod ( consummata mors) das unfterblihe Reben ver: 
dient. Alle andern Martyrer verdienen dur ihren Tod nicht das ewige 
Leben, weil jeder andere Tod hinter dem größten (volllommenen), der 
allein das größte, d. i. ewige Leben verdient, in unendlichem Abs 
ftande zurückbleibt. Wohl aber beweist der Tod der Martyrer, daß fie 
Chriſtus ähnlich (christiformes) find, ſich im Stande der Gott wohl- 
gefällig macenden Gnade befinden und deßhalb, durd das Verdlenſt des 
Todes Ehrifti, das aus Gnade ihnen mitgetheilt ward, gerechtfertigt und 
geheiligt find. — Noch könnte man fragen: wenn der Tod Ehrifti Alles vers 
berrlicht, wie beweist er, daß Jeſus, der Menfchenfohn, Sohn Gottes fei? 
Ich fage, wie mich ein gefeierter älterer Erflärdr der Briefe des Paulus 
— jeined Namens fann ich mich bis jegt nicht erinnern — belehrt: der 
Tod Chrifti zeigt, daß er Sohn Gottes ift, weil er für feine Feinde ge 
ftorben ift, fo wie, um in und mit dem Zeugniffe feines Blutes die Worte 
des Lebens zu befräftigen. Da Gott die abfolute Güte ift, fo wird Der 
jenige, der fo gut ift, daß er fogar für das Heil feiner Feinde ftirbt, da 
ed eine größere Güte nicht geben kann, mit Recht der Sohn der Güte, 
welche Gott felbft ift, genannt. Chriftus felbft fagt: „eine größere Liebe 
kann Niemand haben, ald wer fein Leben für feine Feinde hingibt.“ Diele 
abfolute größte Güte ift alfo göttlih. So beweifen die aus der größten 
Liebe hervorgehenden Werke, daß der Geift Chrifti göttlich if. Daber 
vergilt ein chriftliher Geift, da er der Geiſt Chriſti ift, nicht Böſes mit 
Böfem, fondern Böfes mit Gutem, Haß mit Liebe. Mit Recht tadelte 
Ehriftus feine Jünger, die mit Feuer vom Himmel herab eine Unbild 
rächen wollten, mit den Worten: „Ihr wiſſet nicht, weß Geiftes ihr ſeid.“ 
Begreife demnach, daß der Tod Ehrifti für feine Feinde ein Beweis dar 
für ift, er fei der Sohn Gottes. (Exc. IX, 647.) 


Nechtfertigung. 


Jeder Sünder ift ein Knecht der Eünde. Der Knecht aber fann 
ſich nicht felbft aus der Knechtichaft befreien. Wenn die Werfe des Gr 
feges und feine Handlungen ihn rechtfertigten, fo könnte er fich ſelbſt redt- 
fertigen. Das ift aber unmöglih, ja ein Wiverfprud. Denn mie ed 


441. 


ein Widerſpruch ift, daß Jemand ſich felbft erfhaffen kann — er wäre ja, 
bevor er wäre —, fo ift ed auch bei der Rechtfertigung. Wer fi ſelbſt 
rechtfertigen Fönnte, wäre gerecht, bevor er gerecht iſt. Daß daher ber 
Ungerechte gerecht wird, fann nicht durch die Gerechtigkeit des Ungerech⸗ 
ten oder Die gerechten Werke des Ungerechten, fondern nur durch die Ges 
rehtigfeit des Gerechten erfolgen, der nur durch die Gnade gerecht madıt, 
wen er will. Es gibt aber mur Eine und nur eines Einzigen Gere» 
tigkeit. - Dies ift die Gerechtigkeit des Einen Mittler, der nothwendig 
Gott und Menih if. Diefer will nur das Gerechte. Weil er durch 
Gnade rechtfertigen will und was er will, dad Gerechte ift, fo ift es ge 
recht, daß Der wirklich gerechtfertigt werde, den er rechtfertigen will. Das 
mit diefer fein Wille die rechtfertigende Gerechtigfeit fei, wurde er jelbft 
unfere Gererhtigkeit, indem er fich felbft hingab. So brachte er auf ewig 
unfere Heiligung zu Stande. Gott jegte ihn zum gnaͤdigen Vermittler 
(propitistorem) durh den Glauben in deffen Blute, zur Offenbarung 
keiner Gerechtigkeit. Die Gnade, durch die wir gerettet werben, ift Ge⸗ 
rehtigkeit. Alles alfo, was durch Mofes auf göttlichen Befehl in Bezug 
auf Rechtfertigung gejchrieben und angeordnet wurde, follte uns anbeuten, 
daß durch Tod und Beiprengung mit Blut, d. i. durch Gemeinſchaft des 
Todes die Rechtfertigung und Heiligung, die der Seele das Leben geben, 
zu geſchehen habe. ... 

Die volllommene Blutbefprengung erfolgte durch den Hohepriefter, 
der allein Einmal im Jahre in das Allerheiligfte eintrat. Dadurch wurde 
angedeutet, daß die Alles vollendende (consummatrix) Salbung und Hin- 
gabe, die in der Vergießung des Blutes ihr Höchfted erreicht, nur durch 
den ſchlechthin größten KHohepriefter erfolgen fünne. Der Umlauf eines 
Sonnenjahrs verhält fih zur immenwährenden Dauer, wie der zeitliche 
Hohepriefter zum oberften Hohepriefter. 

Ale zeitlichen Hoheprieſter affittiren Gott nicht innerhalb des Vor⸗ 
hangs, wo das Allerheiligfte ift, fondern gehen jährlich einmal ein und 
aus. Unſer Hohepriefter aber affiftirt Gott im himmlischen Allerheiligften 
ehne Unterlaß, und fleht immer für und, weil er unfer Hohepriefter ift. 
Wie das Licht in der Sonne immer der Klarheit affiftiirt und nie von 
ihr weicht, fo affiitirt Ehriftus, die Sonne der Gerechtigkeit, immer ber 
Klarheit des ewigen Vaters. 

Die Sonnenjahre gehen dahin und mit ihnen die Hohepriefter. Die 
Sonne aber, aus deren Fülle Alle Licht und Leben fchöpfen, bleibt ewig. 
Er ift der wahre Hobepriefter, weil er alle hohepriefterlichen Berrichtungen 
in höchfter Vollkommenheit zumal ausgeübt hat. Er fpricht von der Schuld 
frei und erläßt fie, ohne Genugthuung (sine satisfactione). Er gießt 
die Gnade ein, ohne äußeres Vehikel (sine instrumentis); er erlangt Ver: 


442 


zeihung, ohne ein Hinderniß. Kein anderer Hohepriefter kann die Schuld 
nacdlaffen. Der Papſt fann die Erbfünde nicht ohne die Taufe, eine 
Todfünde nicht ohne dad Sacrament der Buße nadlaffen; denn die Kunft 
vermag nichts, ohne Beihülfe der Natur. Die Natur felbft aber vermag 
nichts ohne die Hülfe (adjutorio) Gottes, der die Materie erfchaffen und 
ihr ihre Wirkfamfeit gegeben hat. So vermag denn der Papft nichts 
ohne die Sacramente, die Sacramente nichts ohne Gott. Gott aber kann 
Alles ohne alles Andere... . 

Paulus fagt, ein anderer fei der äußere, ein anderer der innere Menit, 
ein anderer der alte, ein anderer der neue Menfh. Der äußere Menſch 
ift fihtbar, der innere unſichtbar. Der alte Menich ift zweifach, ver alte 
ift feelifch, der neue geiftig, der alte ift nach dem alten Adam, der nei 
nah dem neuen Adam — Ehriftus. Paulus nimmt eine dreifache Be 
wegung der vernünftigen Seele an: das Leben der Natur, des geſchrie— 
benen Geſetzes und der Gnade. Einige find nämlich der Natur nad 
fi ſelbſt Beleg: die Natur treibt und bewegt fie, daß fie erfahren, wo 
das Leben ihrer Seele zu finden if. Andere werden durch das Gebet 
des Gefeges, andere durd das Gebot des Wortes Gottes dahin gebradt. 
Genau genommen kann alle Lebensbewegung der vernünftigen Seele mır 
aus dem Worte Gottes fommen. Denn die Seele hört entweder, mie 
Gott in ihr redet und diefes Reden ift das Gewiſſen, das billigt ober 
tadelt. So ſpricht Gott zu ihr mittelft der Vernunft. Eine andere Sprache 
fpriht das Wort Gottes durch menfchliche Worte, wie durch den Geſeh— 
geber Mofes und die Propheten. Wieder eine andere ſpricht Gott durd 
Das eigene Wort, durch das menſchgewordene Wort. Das erfte Wort 
ift in die Natur eingefchrieben, das zweite ift in Gefep und Propheten, 
das dritte im Evangelium enthalten. Das erfte ift wie der Sim, das 
zweite der Verftand, das dritte der Geiſt. Das erfte Wort, wenn es 
auch Gutes zu und redet, macht doch nicht felig (non salvat). Das 
Heil Liegt nicht in der Natur, fondern übertrifft fie. In feines Menſchen 
Sinn ift es je gelommen, was den Menfchen glüdfelig macht. Das Auge 
fieht es nicht, das Ohr hört es nicht, was glüdjelig macht. Das zweite 
bringt gleichfalls nicht die Seligfeit; denn die Werfe des Geſetzes redt- 
fertigen nicht. Wer außerhalb der Gerechtigkeit ſteht, kann fich micht felbf 
rechtfertigen. Könnte er durch Werke gerechtfertigt werden, fo fönnte er 
fih felbft rechtfertigen. Nur das dritte rechtfertigt, denn die Gnade Gottes 
wirft hier ein (influit), mittelft deren der Menfch Über feine Natur hinaus 
glaubt und hofft; und weil Gott getreu ift, wird er das Ziel erreicen. 
Das erfte und zweite Wort dienen dem dritten, wie der Stun dem Ber 
ftande, dieſer der Vernunft. 

Der im innern Menfchen gepflanzte Baum des Lebens kann aus ih 


443 


bie Lebensfrucht nicht hervorbringen, wenn er nicht bie Einwirkung ber 
Sonne der Gerechtigkeit, der ewigen Weisheit, in fih aufnimmt. 
(Exc, VI, 515. 516.) 


Die Redtfertigung ein Werl Gottes. 


Der Schöpfer ift auch der Nechtfertiger. Denn gleihwie die Ers 
bebung des Nichts zum ein ein Werf der Allmacht ift, fo ift auch die 
Berfegung des Eünderd in den Zuftand der Rechtfertigung das Wert 
feiner geringern Kraft. Denn nur die unendliche Güte fann dies bewir- 
fen, da feine befchränfte Kraft es vermag. Denn wie will ein Todter 
fich felbft in’8 Leben erweden, wenn die Kraft des Lebens in ihm fehlt? 
So fann auch die Gottlofigfeit Cimpietas) fi nicht felbft zur Gerechtig— 
fit erheben, da in dem Gottlofen die Gerechtigkeit ganz erlofchen ift. “Dies 
wird allo das Werk Desjelben fein, der aud das Etwas aus dem Nichts 
und aus dem Tode in’d Leben bringt. (Exc. III, 426.) 


Die Höllenfahrt Chrifti. 


Die Anſchauung (visio) ded Todes im Wege der unmittelbaren Er- 
fahrung (via cognoscentiae) ift die vollfommenfte Strafe. Da nun der 
Tod Chrifti ein vollfommener war, weil er durd eigene Erfahrung den 
Tod jah, den zu dulden er frei gewählt hatte, fo ftieg die Seele Ehrifti 
in die Unterwelt (ad inferna) hinab, wo die Anfhauung des Todes ift, 
Denn der Tod wird Unterwelt (infernus) genannt und ift aus der unteren 
Unterwelt losſsgelaſſen (liberata est ex inferno inferiori). Die untere 
oder tiefere Unterwelt ift da, wo man den Tod anſchaut. Als Gott 
Ehriftus auferweckte, entriß er ihn, wie wir im der Apoftelgefchichte lefen, 
aus der untern Unterwelt, nachdem er ihn von den Qualen der Unterwelt 
befreit (solutis doloribus inferni), weßhalb der Prophet fagt: „Er ließ 
meine Seele nicht in der Unterwelt.” Das Leiden Ehrifti, das größte, 
das fich denfen läßt, war wie das der Verdammten, die nicht noch mehr 
verdammt werden fönnen, d. i. bis zur Strafe der Hölle (usque ad poe- 
nam infernalen). Im Ramen Ehrifti jagt der Prophet: „Die Qualen 
der Hölle haben mich umgeben, du haft aber meine Seele aus der 
Hölle herausgeführt.* Er ift es allein, der durd einen folchen Tod in 
ine Herrlichkeit einging. Die Strafe an den Sinnen (poenam sensus) 
wollte er ähnlich den Verdammten in der Hölle dulden zur Verherrfihung 
leines Vaters, um zu zeigen, man müſſe ihm bis zur Äußerften Qual 
(usque ad extremum supplicium) gehorden. Das heißt Gott auf jede 
mögliche Weife und zu unferer Rechtfertigung preifen und verherrlichen, 


444 


wie Chriftus gethan hat. Wir Sünder haben in ihm die mit Redt 
verdienten Höllenftrafen bezahlt (exsolvimus), jo daß wir zur Auferftehung 
des Rebend gelangen. Die aber Ehrifto nicht angehören, bleiben im Tode, 
weil fie nicht mit Chriftus auferftehen und werden den ewigen Tod fehen. 
Und dieſes Sehen des Todes ift der zweite Tod. Das Anfchauen be 
Todes in alle Ewigfeit ift nichts Anderes, ald das Sein im Tode auf 
dem Wege der eigenen Erfahrung, von welchem man nie befreit wir. 
Die Wahrheit befreit und von folbem Tode. Daher ift dad Anſchauen 
der Wahrheit das Sein im unverlierbaren und unfterblichen Leben. Daber 
ſagt Ehriftus, in der Erfenntniß Gottes und feiner, der fih die Wahr 
heit nennt, beftehe dad ewige Leben. (Exc. X, 659.) 


Prüdeftination. 


Chriſtus, vom Vater gefendet, wußte, welchen der Vater e8 gegeben 
hat, zu glauben. Hierin liegt eine tiefe Auffaffung der Prädeſtination. 
Da aber das Gehen mit dem Kommen coincidirt, fo daß ed Jenem vom 
Vater gegeben ift, der durch Glauben zum Sohne fommt, fo fann Niemand 
zweifeln, daß es ihm gegeben fei. Indeſſen wird Jeder, ſoviel an ihm 
ift, das Kommen befchleunigen '), denn das Glauben ift Niemand unmög— 
ih. Das Geben des Vaters fehlt alfo Keinem, der fib ihm nahet, 
wie dad euer die Natur hat, warm zu machen, und fein Geben (donum) 
darin befteht, alles Kalte zu erwärmen, fo daß nichts warm wird, außer 
durd feine Gabe. Was fih daher dem Feuer nahet, erlangt dieſe Gabe 
der Erwärmung; nichts geht derjelben verluftig, außer Demjenigen, das 
fih nit nahe. Daher ermahnt und die Schrift, uns Gott zu nahen, 
damit wir erleuchtet werden. „Kommet, heißt es, zu mir Alle, die ibr 
nach mir Verlangen habt und ihr werdet von mir erfüllt werden.“ Jenet 
nun, der weiß, was im Menfchen ift, dem das Leben des Menfchen bis 
zu defien Ende gegenwärtig if, weiß aud, ob der Einzelne ſich nahe oder 
nicht, fo daß er in Folge hiervon fieht, ob die Gabe Gottes gegeben ill, 
oder nicht. Er hat von Anfang an, in Einem Momente, der alle Zeil 
und die ganze Lebensdauer des Menichen in fih faßt, gewußt, ob und 
wer glaube. Das Leben des Menfchen verlauft nicht gemäß dieſem 
Wiffen, als gehe dieſes Wiffen, welches unfehlbar ift, dem Lebenslauf 
vorher. Das Wiffen folgt auch nicht dem Lebenslaufe erft nad, ald ent 
ftünde ed erft nach und nad aus dem Lebenslaufe, fondern ohne Vorher und 
Nachher verläuft das Wiffen zugleich mit dem Lebenslaufs, 


4) Statt accelerarit im Terte bürfte wohl dem Zufammenhange angemeffen fein: 
accelerabit, scil. quisque. 


445 


obwohl der Lebenslauf gemäß ber Einrichtung diefer Welt in einer bes 
ftimmten Zeit fih bewegt, während jenes Wiffen als über diefe Welt 
erhaben, aud über alter Zeit ift... In Wahrheit fonnte daher Ehriftus 
zu feinen Apofteln jagen: „Gleichwie ihr Zwölfe deßwegen, weil ich eud) 
auserwählt habe, nicht alle fo jeid, wie ich ed von euch wünſchte, da Eis 
ner von euch ein Teufel (diabolus) ift, jo daß meine Wahl ed euch nicht 
benommen hat, nad eurem freien Willen anders zu handeln, als fo, wozu 
ih euch erwählt habe, fo darf auf der andern Seite Niemand glauben, er 
fönne nicht zu mir fommen, wegen meines Vorherwiflens. Denn wie die 
Wahl den freien Willen nicht aufhebt, fo aud nicht mein Vorherwiſſen, 
obwohl es wahr if, daß ohne die Gabe des Vaters Niemand zu mir 
fommen fann. (Exc. IV, 450.) 


Der HL. Geift — das Feuer der Liebe. 


Das Feuer, aus welchem die göttliche Blamme hervorfommt, ift der 
Geift, der auch die Liebe genannt wird. Und wie das Feuer in einer 
unverzehrbaren Materie nicht aufhört, zu erwärmen, jo hört aud der 
bl. Geift nie auf, lebendige Freude, die Alamme der Liebe in der ver: 
nünftigen Seele zu entzünden, wenn diefe der Vereinigung mit ihm fähig 
und ungerftörlid ift. Der Apoftel nennt das Herz die Seele feldft, wenn 
er fagt: „Die Liebe Gottes ift in unfere Herzen audgegoffen durd den 
bl. Geift, der und gegeben ift.“ Das Herz wird hier genannt, weil e6 
das Gentrum ded Lebens if. So heißt der heilige Geift die Liebe, ob» 
wohl die Liebe vom bi. Geifte ftammt und in den Mittelpunkt unferes 
Lebens ausftrömt, wie dad Herz Seele genannt wird, obfhon von der 
Seele die Spendung des Herzlebens (vitae cordialis) ausgeht. Was 
die Einheit der Geifter bewirft und erhält, ift die Liebe. Der Geiſt 
Jeſu alfo ift es, in welchem vie Gläubigen Eines find, der Geift Gottes, 
die Liebe. Wie im menschlichen Leibe verſchiedene Glieder find, die für 
fh fein Leben oder Beftehen haben, fondern nur in Einheit mit dem den 
Körper belebenden Geifte leben, jedes in feiner Sphäre; fo find im gei— 
Rigen Körper Augen, Ohren, Sprache ıc. auf geiftige Welle, wie gewiſſe 
Kräfte oder Potenzen des Geiſtes Jeſu, geordnet zur Einheit im Geifte, 
aus welchem alle Kräfte ftrömen. Daher find alle Gläubigen verbunden, 
daß fie mittelft der Kirche oder des myftifchen Körpers Ehrifti vom 
Beifte des Lebens Jeſu Leben erlangen. (Exc. VII, 586.) 


Die Gaben des hl. Geiftes. 


Zweifach ift Gott in der Ereatur: dur feine Wefenheit, Gegenwart 
und Macht, und in diefem Sinne ift er überall; oder auf dem Gnaden— 


446 


wege (gratuite) und geiftig, durch Verleihung der Gaben der Gnade, und 
in diefem Sinne ift er bier (sie est hic; ohne Zweifel von der Eenbung 
des hi. Geiſtes zu verftehen). Denn er kommt ‚mit einem Gefchenfe. 
Die Liebe Gottes, heißt ed, ift audgegoffen in unfere Herzen durch den 
hf. Geift, der und gegeben ift. Durch die umfonft verliehene Gnade 
(per gratiam gratis datam) wird Niemand felig, wohl aber durd bie 
wohlgefällig macdende Gnade (per gratiam gratum facientem), nämlid 
die Liebe, weil wir ohne den bi. Geift nicht felig werden. „Wen 
ich die Liebe nicht habe, fo bin ich nichts.” Diele Liebe verbindet die 
Seele dur füße Zumeigung mit Gott und wird die genußreice (fruc- 
tivus amor) Liebe genannt. GSiegebietet über alle Kräfte der Seele und 
des Körpers, daß fie dem Geliebten überall und allezeit dienen. Sie 
heißt auch Die Liebe der göttlichen Begierlichfeit (amor divinae concupis- 
centiae), weil fie Gott zu dienen begehrt und ift als folde die werk 
thätige, praftifhe Liebe. ine andere Stufe derfelben iſt bie, in 
welcher fie die Seele antreibt, daß der Geliebte vor Allen gelicht, gelodt 
und gepriefen werde. Daraus fließt. die Liebe zum Nächten... Der 
hl. Geiſt fommt zur Heiligung, weil er heilig it. Die Sendung de 
hl. Geiſtes ift das Hervorgehen der Liebe aus dem Vater und Sohn 
auf das Gefchöpf zur Heiligung des Gefchöpfes. Nur die vernünftige 
Natur ift diefer Heiligung fähig, weil fie allein Gott durch Vernunft 
und Wilen faflen kann. Die Heiligung ift nicht® Anderes, als die 
Gott wohlgefällig machende Gnade oder die Liebe, die der hl. Geift durd 
fein Kommen und eingießt. Sie entfteht zuerft durch Nachdenfen über 
die Sünden, durch Furdt vor dem ftrengen Gerichte und der Straft, 
und iſt als folche noch knechtiſche Furcht und der Anfang der Weisheit. 
Dann folgt das Erwägen der vom Schöpfer erhaltenen Gutthaten und 
das Erröthen darüber, ihn beleidigt zu haben, und nun madt ber 
hl. Geift ven Anfang mit feinem Eingehen in den Geift des Menſchen. 
Erwägt alsdann der Menfh nicht feine Berfon, nicht die Strafe, 
fondern die Ehre Gottes, dann wird die Liebe die eined Kindes Gottes 
(Alialis) und died ift die erfte Gabe (donum primum)! Der Stun 
des Menfchen wird jeht religiös (pia) und auf eine edle Weiſe wohl 
gefinnt Cliberaliter benevola); er beftrebt fih, Gott Alles, mas er 
ihm gegeben, zu vergelten, und den Nächſten um Gottes willen zu lieben 
und ihm alles Diitgefühl zu fchenten. Dies iſt die zweite Gabe 
Weil aber hiezu Unterfheidung nothwendig ift, fommt die Gabe ber 
Wiffenfhaft (scientiae) hinzu, die übernatürlibe Unterſcheidung in 
dem, was zu thun iftz weil das MWiderftreben der Verſuchungen niet 
fehlt, folgt die Gabe der Stärke; danıı die Gabe des Rathes, um 
eifrig zu vollziehen, was der Geift befchloffen hat. Dies find bie Gaben 


447 


für das active Leben. Nun folgt die Gabe des Berftandes (in- 
tellectus) für dad contemplative Leben, durch welde wir die wuns- 
derbare Macht Gottes, feine wunderbaren Werfe und fein Gefeg erfen- 
nen. Dann die Gabe der Weisheit, um zu verfoften, wie lieblich der 
Herr if, 

Mit einigen Gaben des hi. Geiftes wird die Gott wohlgefällig 
madende Gnade nicht verliehen, wie die knechtiſche Furcht und der lebloſe 
(informis) Glaube. Mit andern wird fie nicht immer verliehen, wie die 
Gabe der Spracen, der Wunder, der Weifjagung. In andern wird fie 
immer verliehen, ja fie find die wahre Heiligung des Geſchöpfes, fo die 
Liebe, welde den Menfhen Gott angenehm macht, und das iſt eben 
Heligmaben. Durd die Eingießung der Liebe wird daher der hi. Geift 
verliehen, denn fie ift die Tugend aller Tugenden, deren belebendes Priucip, 
das ihnen den Werth des Verdienſtes gibt. Nur die Xiebe fcheidet 
zwiſchen Kindern Gottes und des Ververbend. Ein aus häufigen Hands 
lungen erworbener Seelenzuftand vermag die Liebe nicht zu erfegen, denn 
menfhlihe Uebung vermag mit al ihrer Anftrengung den Menſchen nicht 
ju jeinem höchſten Ziele zu führen; nur die Liebe treibt im übernatürlicher 
Weife den Geiſt fowohl hienieden, als in feinem Baterlande. Eie ift ein 
von Bott durb den bl. Geift eingegofjener habitus, und unter den 
erſchaffenen Gaben die vortrefflihfte, ja gewiffermaßen ein Theilnehmen 
an der ungeichaffenen Gabe, dem hi. Geifte ſelbſt, von dem fie un— 
mittelbar. in den Geift und zwar zunähft in den Willen ausftrömt; fie 
belebt alle Kräfte der Seele und gibt ihnen die Richtung zu Gott. Wie 
ver bi. Geift das unauflöslihe Band ift, in weldem der Vater und der 
Sohn fih und uns lieben, fo ift die Liebe das Band, dur das wir in 
järtliher Zuneigung mit Gott verbunden und mit dem Nächten in Gott 
gleihfam verfittet werden (das heißt: Gott bleibt in und und wir in 
Got), nicht wie das fittlihe Verhältniß der Freundſchaft, 
das um des fittlih Guten, Angenehmen und Nüglichen willen zum Zwecke 
des bürgerlihen Zufammenlebens die Menjchen verbindet, fondern jene 
it die höchſte Liebe im feligen Zuſammenleben mit Gott. 

Die Liebe hat ihre Ordnung. Zuerſt erhebt fie. fih über ſich in 
Gott um feiner felbft willen. Wer Gott nur befennt, wenn er ihm eine 
Wohlthat erweist, liebt mehr fih als Gott und fteht außerhalb der Liebe. 
Zweitens bewegt fie fih im ſich, indem fie ſich als einen Genoffen der 
Glorie Gottes liebt. Drittens bewegt fie fi auf das, was neben ihr 
il, — den Nächſten ald den Genoſſen der Seligkeit. Wer den Nächften 
niht wegen Gott, fondern wegen feiner ſelbſt liebt, fteht nicht in der 
Liebe. Viertens bewegt fie fi auf das, was unter ihr (infra se) ift, 
auf den eigenen Leib, um ihn zu nähren, zu leiten, zu Fafteien, auf daß 


448 


er ein Genoſſe der Glüdfeligkeit werde. Keine Liebe ift es, das eigene 
Fleiſch in finnlicher Luft zu lieben. 

Da die Liebe das Leben der Seele ift, fo ift jede Sünde, die gegen 
die Liebe ift, Todfünde. Die Beratung bewirkt die Todfünde, weil fie 
der Liebe widerftreitet. Im weitern Sinne ift daher jede Sünde eine 
Sünde wider den hi. Geift.... 

Wie müflen wir und vorbereiten, damit uns der hl. Geift zu 
Theil werde? 

Da der bi. Geift eine Kraft Gottes ift, fo wird er nur einem Geiſie 
zu Theil werden, der mit Tugend ausgerüſtet iftz; denn die Tugend wer 
trägt ſich nicht mit einem bloßen Scheinleben oder einem fündhaften Leben. 
Ein guter Geift muß feine Richtung nah dem Einen, Wahren und Guten 
haben. Er muß fih nah dem Ginen hin bewegen, der das Sein jelbh 
ift, d. i. nad dem Bater, nah dem Wahren, das ift der Sohn, nad 
dem Guten, das ift der bi. Geiſt. In einem Solchen kann der Vater, 
der Sohn und der hi. Geift wohnen. Wer Gott Allem, was in de 
Melt, die in vielfaher Trennung begriffen ift und im Argen liegt, vor 
zieht, der hat die Richtung zum Vater. Wer die Wahrheit Allem vor 
zieht, der nimmt aus dem Truge und der Täufchung diefer Welt die 
Richtung zu dem Sohne Wer das Gute in feiner Reinheit ausermählt, 
verläßt allen Schein des Guten in diefer Welt und nimmt die Richtung 
zu dem bi. Geiſte. Wer feinem Geifte durch foldhe Bewegung eine feſte 
Richtung gibt, flößt Ihm einen heiligen Eifer ein. Der ganze Menit 
wird diefen Eifer haben, wenn der Geift feine finnlihe Bervegung außer 
halb diefem Wege auffommen läßt, fondern den Körper durch Zügel und 
Eporen bändiget. Ein Solder ſchmückt fein Haus mit Klugheit, Stark 
muth, Gerechtigkeit, Selbftbeherrichung, fo daß in ihm die theologiſchen 
Tugenden wohnen fönnen: Glaube, Hoffnung und Liebe. Sodann muß 
er beachten, daß die Worte Ehrifti Geift und Leben find. Er muß an 
ihnen fefthalten, über fie nachdenken und erwägen, daß, wenn bie finn 
liche Gegenwart nicht an ihm vorüberzieht, er micht im Geiſte leben fann; 
er muß beten, bitten und anflopfen; wer anflopft, dem wird von der 
Güte, Die in's Berborgene ficht, geöffnet werden. Das Haus werk 
forgfältig vorbereitet, gereinigt von Sünden der Unreinigfeit, denn der 
Geiſt ift nicht ein Schwein; das Thierifche werde abgelegt, denn di 
thierifche Menſch vernimmt nicht, was des Geiftes ift. So wenig Wafır 
und Feuer fi) vertragen, fo wenig fleifchliche und geiftige Genüfle Nas 
der Reinigung muß das Haus mit verfchiedenen Gemälden heiliger Br 
trachtungen geziert werden. Durch inftändiges Gebet muß der Bi. Geiſt 
eingeladen werden; denn er iſt nicht wie ein Poſſenreißer, der uneinge 
laden zur Hochzeit geht, Die Apoftel beteten für ſich und für Anden. 


449 


Der Einladung folgt er ſchnell. „Ih bat, fagt der Weife, und es 
wurde mir der rechte Sinn gegeben. Ich rief zu Gott, und es fam zu 
mir der Geiſt der Weisheit." Zur rechten Zeit müfjen wir ihn anrufen, 
nicht erft in den legten Tagen unfered Lebens. 

(Exc. II, 420. 423.) 


Die Kirhe ald Organismus, 


Jede Vielheit fchließt fib in harmoniſcher Ordnung zu einer Ein- 
heit zufammen. So find viele Stimmen zu Giner Harmonte, viele Glieder 
ju Einem Leibe verbunden. Der Geift, der das innere Band iſt, einet 
die Glieder, daß fie geeint einen Leib darftellen; die Glieder find noth- 
wendig verſchieden, damit fie mittelft der PBroportion, in welder die Vers 
Ibiedenen zu einander ftehen, harmonisch geeint werden können. Der bes 
lebende Geift einigt den ganzen lebensfähigen Leib mach feiner innern 
Seite und mittelft ded Ganzen alle Theile und Glieder. Aus dem Gans 
jen empfängt jedes Glied die Ordnung feined Lebens. Und wie jedes 
aus dem Ganzen empfängt, fo hat ed auch wicder eine Beziehung zum 
Ganzen. Das Auge empfängt von der Seele mittelft ded Körperd das 
Reben, das im Sehen befteht, und erfreut fich diefed Lebens. Diejes 
Echen betrifft num aber nicht bloß das Auge, jondern den ganzen Men: 
iben, darum flieht das Auge nicht bloß für ſich, fondern auch für Hände 
und Füße Weil alle Glieder zur Herftellung der Harmonie, welche 
Menih heißt, geordnet find, fo ift jedes Glied zufrieden mit feinem Orte, 
Duantität, Dualität und Ihätigfeit, weil ed nicht überflüffig, fondern zur 
Herftellung der Harmonie, weldhe Menfch heißt, geeignet iſt. 

So ift es auch mit der Kirche, dem myſtiſchen Leibe Ehrifti, in wel— 
ber der Geift Ehrifti, d. i. die heiligende Liebe weht, deren Subject die 
vernünftige Seele ift. Diefe belebt den Körper, während fie jelbit vom 
Geiſte Ehrifti belebt wird; der Geift ift das Wort des Lebens, bie 
vernünftige Seele ift dad Prieftertbum, der Leib das gläubige 
Volk. Die Seele empfängt aus dem Worte Zefu den Geift des Lebend. 
Das Wort ift unter dem Buchſtaben ded ewigen Evangeliums verborgen, 
erquickt die Seele und theilt fih dem Leibe mit. Die Eine Seele tft im 
Priefterthum, im den verſchiedenen Gliedern desfelben verihieden. Da 
Alles, was von Gott kommt, wohlgeorbnet ift, fo ift Petrus der 
Lehrmeiſter (magister), dem der Vater das ganze Geheimniß des 
Glaubens gesffenbart hat; er muß daher die Brüder ftärfen und nimmt 
den Stuhl ein, an den die Wahrheit gefmüpft ift (cui veritas alligata 
est). Die Biſchöfe nehmen die Stelle der Apoftel, die Pfarrer (plebani) 

Sharpff, Nic. v. Cuſa. 29 


450 


die Stelle der Jünger (discipulorum) ein. So geftaltet fi Alles zur 
Ordnung und Einheit in der Kirche... Die Kirche empfüngt dad Wort 
des Lebens aus der Echrift, weil ihre Ausſprüche (eloquia) ihr anvers 
traut find, und dad Wort des Lebens will, daß wir erforjchen follen, 
was von ihm herrührt. Der Geift ift alfo die göttliche Schriſt, in wel- 
cher der Geift des Lebens unter dem todten Buchitaben verborgen if, 
wie die Lehre vom PBaradiefe, vom Ader des Herm, vom Weinberge 
und wahren Weinſtocke, vom Brunnen lebendigen Waſſers, das vom 
Libanon herabfließt, von den lebenden Thieren, den Sternen ded Himmels 
und den Früchten der Erde und von Allem, was und vom Einnlicen 
auf das umfichtbare Leben hinweist. Der Hirt führt durd die Thüre, 
d. i. Chriſtus, die Seelen zur Waide; beim Eins und Ausgehen finden 
fie Waide. Beim Eintritte in die Welt findet der Menſch Waide, indem 
er im activen Leben Ehriftus nachfolgt und beim Austritte aus der Welt, 
indem er Ghriftus auf dem Wege der Eontemplation nadfolgt. Alles 
das iſt von Gott zu umferer Heiligung angeordnet; denn das ift der 
Mille Gotted, unfere Heiligung zum dereinftigen Anſchauen feiner lorie, 
die nur den Heiligen fichtbar ift, da nichts Unreines in jened Reich eins 
gehen kann, wo unfer König in feiner Glorie thronet. 
(Exc. VII, 575 f.) 


Die Kirche und die verfhiedenen Geiftesrichtungen. 


Die Kirche ift zu betrachten ald Ein Körper, der Eine Seele hat, 
und Einen Geiſt — die Seele, in der der Geift der Weisheit ift, ift zu 
betrachten, wie der menſchliche Körper in der Angemeffenheit zu feiner 
Seele. Wie Eine Seele im Meuſchen ift, die fib durch den ganzen 
Körper ausbreitet und in jedem Theile ded Körpers auf andere Weile 
aufgenommen wird, jo breitet fi der Geift der Weisheit durch Die vers 
nünftige Seele der Kirche, die er erleuchtet, nah allen Theilen aus, wir 
aber immer wieder anderd aufgenommen. Es vereinigt jomit der Geiſt 
Jeſu, der durh das Wort in die Seele der Kirche fi einjenft, Wiele 
auf particulare Weile zur Einheit des göttlichen Lebens, wie die Serle 
viele Glieder des Körpers zur Einheit des finnlichen Lebens verbindet; 
die Ausdehnung desjelben ift eine Einigung. Anders aber wird ber 
Geiſt des göttlichen Lebens oder der ewigen Meisheit im Worte Gottes 
in der Seele des Petrus, anders in der Seele des Paulus und je 
anders in jedem Einzelnen erfaßt; doch einet das göttliche Leben fie ale, 
fo daß alle Seelen im Geifte Eine Seele find, wie alle Schüler Plato’d 
im platonifhen Syfteme vereinigt find, wenn gleih Memnon dasſelbe 
anders auffaßt, als Eriton. (Exc. VII, 577.) 


451 


Wir erlangen das chriſtliche Leben, die geiftige Wiedergeburt durch 
Vermittlung der Kirche, 


Um zu begreifen, daß Jerufalem unfere Mutter ift, bemerfe Folgendes: 
Wie Maria die Mutter Chrifti ift, des Menfchenfohnes, fo die Kirche 
unfere Mutter, auf daß wir Kinder Gotted feien. Chriftus, der von 
Ewigkeit der Sohn Gotted oder das Wort war, ift wiedergeboren aus 
dem Schooße Mariend, um in Menfchengeftalt Menfcenfohn zu fein. 
So werden wir, die wir in der Menfchheit als Menſchenſöhne geboren 
werden, durch den Schooß der Mutter Kirche wiedergeboren, auf daß wir 
neu geichaffen werden aus Gott. Dieſes Geborenwerden tft aber ein 
geiftiged, weil die Braut, die Kirche, in Einheit des Geiftes, vereint mit 
Ehriftus, ihrem Bräutigam, und geiftig new gebiert; denn die fatholifche 
Kirhe empfängt uns aus dem fie überfchattenden bi. Geifte, aus der 
Kraft des Allerhöchften, jo daß der von ihr Empfangene ein Kind Gots 
tes iſt. Wenn daher dein Geift neu geboren werben foll, d. h. wenn er 
Ehriftum anziehen will, fo muß er in den Schooß der Kirche aufgenom«- 
men jein, welche Fleiſch vom Fleiſche Ehrifti und Gebein von feinem Ges 
beine iſt. Died kann aber nur dur die ummandelnde Kraft des Geiſtes 
geihehen, der die Liebe ift, des heiligen Geiſtes. Durd die heilige 
Liebe alfo geht der Geift in eine neue Empfängniß über, um neu ges 
boren zu werden. Der Glaube muß aber der Liebe vorbergehen, denn 
der vernünftige Geift fann nur auf vernünftige Weile durch die Liebe 
umgeftaltet werden. Zu ganz Unbefanntem führt uns die Liebe nicht hin. 
Daher wird er durch die Liebe nur zu Dem geführt, was er ald liebend« 
würdig glaubt. Durch den Glauben alfo wird unfer Geift im Schooß der 
Kirche empfangen, auf daß er als Kind Gottes neu geboren werde, 
dv. b. der Glaube, daß Ehriftus der Sohn Gottes ſei und daß in ihm 
der Geift des Menſchen die Kindfchaft Gottes erlangen fünne. Daher 
eint diefer in der Kirche verfündete Glaube die Gläubigen unter 
einander, welche Glieder Ehrifti durch den Glauben find, und legt und 
in feinen Schooß, d. h. in den Schooß der Kirche, welcher der Leib Ehrifti 
ift, im welchem Leibe ein Geift ift, welchem fich der unfrige unterwirft 
und durch Liebe allmählich vermählt, fo daß er immermehr in ihn umges 
ſtaltet wird, bis wir nach diefem irdiſchen Leben wiedergeboren werden 
in dem nad) Chriſtus umgeftalteten Geifte und jo die Kindſchaft Gottes 
erlangen. (Exe. IV, 453.) 


29 * 


.—rnt - 


ee 


— rn EEE Be u — 


452 


Ueber die drei Stände in der Rirde. 


Wie fih die Heiligen im Himmel an der Anfchauung Gottes weiden, 
fo die Heiligen der Kirche an der Anhörung des Worts. Im Himmel 
ift alles gemein und einer theilt mit dem andern, das Verdienſt ded Einen 
vermehrt die Freunde Aller. So war es im Stand der Natur vor dem 
Gefege, fo in der erften Kirche und fo jegt im einigen Drden. Im 
Himmel heirathet Keiner, Alle find ganz rein, keuſch; fo auch im Drvend 
leben (in religione). Im Himmel bieten ſich Alle Gott zu einem vol, 
fommenen Opfer dar, fo im Orden dur den Gehorfam, indem fie Gott 
ihren eigenen Willen übergeben. Im Himmel gehorchen die Bürger frei 
willig, freudig und beharrlich dem göttlichen Befehle, fo in dem Orden 
dem Abte. Der Gehorfam bezieht fi entweder auf Borjchriften, ober 
Rathſchlage, oder Gleichheit der Gefinnung, wie Paulus jagt: was willi 
du, daß ich thue? Ohne Murren muß man gehorchen, denn unter Murren 
und Schreien fuhren die Teufel auf den Befehl Jeſu aus. Himmliih 
und heiter muß der Gehorfam fein, dann erfreut er den Prälaten, en 
leichtert die Arbeit und gewährt Ruhe des Gewiſſens. Auch muß er 
anhaltend fein, daher fagt Bernhard: - Ehriftus verlor dad Leben, um 
nit den Gehorſam zu verlieren. In der chriftliben Religion gibt es 
aber drei verjchiedene Stände, den der Laien, der Elerifer und Mönde. 
In jedem derfelben übrigens muß das Leben unter Gehorſam ge 
lebt werden; denn Chriftus unfer Meifter ward feinem Vater gehorjam, 
da er ſprach: micht wie. ich will, jondern wie du, und zwar bis zum 
Tode. So müflen Alle gehorfam fein, aber größer muß doch der Ge— 
horſam im geiftlihen Stande fein, noch größer der der Mönde. Im 
eriten Stande find jene drei Stüde auch wefentlih, aber die Keufchbeit 
iſt nicht fo ſtreng (laxa), weil die Begierlichfeit des Fleiſches erlaubt 
wird, wenn fie nicht bis zur Ausgelaffenheit geht. Daher tft die Ebe 
bier erlaubt, weil fie fi noch viesfeitd der Grenze der Ausſchweifung 
und Hurerei bewegt. So ift auch Armuth in diefem Stande, wenn .einer 
bloß das Seinige befigt, ohne fremdes Gut fih anzumaßen. Bei dem 
Geiftlihen muß die Keufchheit ſchon ftrenger fein, weil hier auch die Ehe 
nicht erlaubt if. So kann er auch nicht etwas fein Eigenthun nennen, 
obſchon er von den Dingen, welche der Kirche gehören, Gebrauch maden 
und fie befonders verwenden darf. In dem Mönchſtande aber wird weber 
Ehe, noch Gebraud von Gütern mit deren Verwaltung geftattet, ſondern 
nur Ginem, der vorfteht und verwaltet. — Wir wollen nun bei dem 
Laienftand ſtehen bleiben und zuerft erwägen, daß Jeder Chriftus, dem 
Haupte der Religion und deſſen Stellvertretern Gehorſam ſchuldig if. 
Chriſtus Hat und nämlich das evangelifche Gefeg binterlaffen, und Wächter 


453 


bedfelben am feiner Statt eingefeßt; wer jenes verkündet und nicht feine 
eigenen Worte redet, der ift von Chriſtus gefandt. Im Gvangelium ift 
aber das Wort des Sohnes Gottes enthalten; wer daher die Worte 
des Evangeliumd verfündet, der muß ganz wie Ehriftus angehört werden. 
Die Worte des Biſchofs (pontificis) find die Worte Gottes des Vaters, 
und dur jeinen Sohn verfündet umd durch die Bilchöfe wieder vorge- 
tragen. Diefen muß man daher gehorhen. Beharrlicher Ungehorfam 
Ihlieget von der chriftlihen Religion aus, iſt heidnifh und fatanifh und 
das Verbrechen des Götzendienſtes. Wie Gott, alfo muß man den Bors 
ihriften der Kirche gehorhen, und beharrlich Ungehorfame müfjen abge: 
jondert und außer der Gemeinfchaft mit den Uebrigen gebracht werben, 
ald Glieder, die wegen ihrer Fäulniß von dem myftifchen Körper Chrifti 
losgetrennt find. Das wiſſet alfo, meine Lieben! wenn ihr nicht euren 
Vorgeſetzten gehorcht, fo feld ihr nicht aus der Kirche, in welcher die 
Vinde- und Löfegewalt ift, und wenn ihr nicht glaubet, daß eure Borges 
fegten die Stelle Ehrifti einnehmen, fo fünnet ihr nie die Nadlaffung 
eurer Elinden: erlangen, noch Losſprechung und Indulgenz, die aus dem 
biihöflihen Stuhle ausfließen. Denn wer wicht glaubt, hofft nicht und 
wer nicht glaubt und nicht hofft, erlangt nicht. — Es ſei daher Jeder 
vereint mit feinem Borfteher und Präfaten; in diefem verehre er Ehriftus 
umd nehme feine Worte ald die Worte Ehrifti an! Dann bringt er 
durch diefen Gehorſam ſich felbft Gott zum Opfer, bis zur Ertödtung 
des freien Willens, dieweil nicht er lebt, fondern Ehriftus in ihm, 
defien Willen, vom Prieſter ihm ausgedrüdt, er ohne Murren gehordt. 
Thuft du aljo das und bift du dem von Gott dir Vorgefegten in Allem 
gehorfam, dann wirft du durch die Hände des Vorgeſetzten zum ewigen 
Reiche geleitet und du brauchſt beim ftrengen Gerichte von nichts Anderm 
Rechenschaft zu geben, ald vom Gehorſam. Wenn du dann fagft: Herr! 
ih babe dir in den mir Vorgefegten gehorcht, fo genügt dir dies zu deinem 
Heile, auch wenn dein Vorgeſetzter über die Laften, die er auf deine 
Schultern gelegt, über feine Vorfchriften und Losſprechungen Gott Rechen⸗ 
haft geben muß. Du fannft durch den Gehorfam gegen den von der Kirdye 
gebuldeten Borgefegten nicht getäufcht werden, wenn er auch gegen dad 
Recht dir Befehle gab; denn dir fommt es nicht zw, zu urtheilen, ob 
feine Befehle ungerecht waren, und du darfſt nicht ungehorfam fein, wenn 
er dir ungerecht fcheint; denn dad wäre fein Gehorfam, wenn es im deiner 
Willkühr ftünde, über, den Befehl des Biſchofs zu urtheilen, od man ihm 
gehorchen müfe. Die Kirche präfumirt von dem Befehle, er fei ein ges 
rechter; wenn du ihm gehorchſt, wird dein Lohn groß fein. Der nicht 
raifonirende (irrationalis) Gehorfam alfo ift der volllommene. Siehſt du 
alfo, daß dein Bifchof mit Jemanden feinen Umgang habe (non commu- 


454 


nicare), jo habe auch du feinen Umgang mit ihm. Sieh, wie fehr Die 
fündigen, welde den Bifchof herabzufegen fuchen und Böſes gegen den 
Stellvertreter Ehrifti reden, befonders in ſolchen Saden, wo jener ald 
Biſchof handelt. (Exec. VI, 546—547.) 


Die Euchariſtie. 


Da Ehriftus das belebende Leben ift, und unfer Leben nicht ohne 
Speije erhalten werden kann, fo ift er, wie der Geber, fo auch der Er- 
halter des Lebens — das Brod ded Lebens. Als Brod oder Speile 
des Lebens kann er aber nur durh den Glauben erfaßt werden, denn 
das Belebende ift der Geift. Woher aber und wohin diefer wehe, famı 
man nad der Lehre Chrifti nicht wiffen. Durch das Wiffen kann er 
mithin nicht erreicht werden. Weil wir aber doch zum Geift ded Lebens 
gelangen müffen, wenn wir das Leben erlangen wollen, und dies durd 
das Wiſſen nicht geſchehen fann, fo muß es durd jene Kraft geichehen, 
welche über dem Wiffen ift, — durch den Glauben. 

Der Glaube, welcher das Leben des Geiſtes erfaflen ſoll, muß fieg- 
haft und fämpfend fein, und den Berftand dem Gehorfam gegen Ehriftus 
unterwürfig machen, um ein fieghafter Glaube und eine Tugend ( virtuosa) 
zu fein. Die Tugend wird nur durch ein ihr Entgegenftehendes vollfom- 
men. Daher muß jener Glaube, um tugendhaft und ftarf zu fein, Schwie— 
rigfeiten zu überwinden haben und um fo mehrere, je fiegreicher er jein 
fol. Soll er aber fo fräftig fein, daß er im Geifte das ewige Leben 
des Geiſtes erfaßt, jo muß er der allerfräftigfte und darum audb 
fiegreichfte fein. Es muß daher das zu überwindende Entgegenſtehende 
recht augenfällig hervortreten, und von der Art fein, daß ed durch fein 
Dafeln dem Glauben geradezu entgegentritt, wie die Gewißheit der finn 
lichen Anfhauung. Da nichts im Verſtande ift, was nicht vorher in der 
finnlihen Anfbauung war, fo beweist es die größte Stärfe des lau 
bend, den Berftand gefangen zu nehmen und Das zu glauben, wovon 
der Siun gerade das Gegentheil zeigt. Daher bietet ſich Chriſtus nur 
jenen Geiftern als Lebensſpeiſe dar, welche mit Befiegung der Sinnen 
erfenntniß im Glauben fi gefangen geben und zweifellos das für wahr 
halten, wovon der Sinn das Gegentheil ausfagt. Dies thun dieſe bloß 
deshalb, weil fie Den, den fie ald Menſchen fennen lernten, für den 
Sohn Gottes halten, und in Folge dieſes Glaubens glauben fie allen 
feinen Ausſprüchen und Lehren als Worten Gottes, bei dem nichts un— 
möglich if. Doch je unmöglicher etwas ift, deſto möglicher ift es für 
Gott zur Offenbarung feiner Allmacht und Herrlichkeit. Er lehrte, die 
evangeliihe Speife habe in fi die Lehre des Lebens, weil fie dad 


455 


Wort des ewigen Lebens ift und die Rechtfertigung, fo daß es 
Eine und Diefelbe Speife des Lebens tft: die des fleifhge- 
wordenen Wortes als frohe Botfhaft und des fleifhgewor- 
denen Wortes ald rechtfertigendes Opfer. Weil aber zum glaws 
bensvollen Erfaffen des Lebensbrodes jener Kampf gegen die finnliche 
Anſchauung für alle Zeit ftattfinden follte, auf daß diefe Nahrung, wie 
fie für Alle nothwendig ift, fo auch ſtets durch einen ganz ftarfen Glau— 
ben erfaßt werben fünnte, fo verſprach Chriftus bei feinem Scheiden von 
diefer Welt, er wolle mit uns fein bis zum Ende der Welt auf eine 
Reife, daß feine Gegenwart und zur Erlangung des ewigen Lebens bins 
führe. Da er num ſah, es fei zum Erfafien des Lebens am Geeignetiten, 
wenn er fih ald die Nahrung des geiftigen Lebens unter finnliche Ges 
falten, die eine feiblihe Nahrung find, alfo unter den Geftalten von 
Drod und Wein ebenio verberge, wie er bei feinem leiblihen Erfcheinen 
die wahre Nahrung des geiftigen Lebens in feinem von Brod und Wein 
genährten Leibe, d. i. im feinem Fleiſche und Blute verborgen trug, fo 
hinterließ er bei feinem Scheiden von der Welt uns ein Sacrament, 
in welchem er ſelbſt als geiftige Speife, unter den finnlichen Zeichen des 
Sacraments verborgen ift, gleichwie er bei feinem Herummwandeln auf 
Erden das Brod des Lebens in feinem Fleifhe und Blute verborgen trug, 
damit in jenen Speifen, in weldsen der fterbliche Leib eine vorübergehende 
Erquidung aus vergänglihem Manna erhält, auch der Geift dur den 
Ölauben die Nahrung eined unvergänglichen, vom Himmel berabfommenden 
Manna erhalte; fo daß der Glaube es ift, der durd feine Lebendigkeit 
den Geift in das lebendige Brod hineinbringt, auf daß der Geift in 
dem Leben lebt (ut fides sit quasi spiritum suo fervore in panem vivum 
injiciens, ut in vita vivat), gleichwie der Magen durch feine Kraft die 
Nahrung and dem vergänglichen Brode zu feiner Erquickung ſich aneignet. 
Wie num Jeſus vom Vater gefandt war, und als Lehrer im Worte des 
Lebens die Nahrung des Lebens darbot, und zugleich ſich felbft uns ale 
Speife hingab, fo fandte er wieder die Apoftel und Schüler und deren 
Nachfolger bis zum Ende der Welt aus, auf daß auch fie dur das 
Wort des Lebens die Lebensfpeife darböten, und ihn als Lebensfpeife in 
finnlicher Speife opferten und fpendeten (offerrent). So iſt au die Ber: 
fündigung des Evangeliums ebenfo ein Darreichen der Lebensfpeile wie bie 
Ausfpendung der Lebensipeife, und die Verfündigung iſt um fo vollfoms 
mener, je. fruchtbringender fie ift, und oft ift fie eine füße Darbringung 
des myſtiſchen Leibes Ehrifti (et saepe im ipsa est dulcissima oblatio 
mystici corporis Christi). 

Ih will nur noch die Urfache und Beranlaffung der Einfegung 
dieſes Sacramented berühren. Die eine ift die eben angegebene, daß 


456 


nämlich Chriftus fo bei uns fei, daß wir durch den Glauben die Nah— 
rung ded Lebend und aneignen (haurire) fünnen, d. i. daß wir, da er 
ald rechtfertigendes Opfer, das für das Leben der Welt dargebracht wurde, 
bei ung ift, in einer dem Sinne nicht zugänglichen Weiſe durch ftarfen 
. Glauben in Darbringung des wufihtbaren Opfers, das in fihtbaren Ge— 
ftalten enthalten ift, das Leben erlangen können. Wohl zu bemerken if 
aber noch die andere Urfache der Cinfegung. Ehriftus nahm nämlich 
Brod, dankte, brach es und gab es feinen Jünger mit den Morten: 
„Nehmet und eſſet, ‚das ift mein Leib, der für euch bingegeben wird; 
dies thut zu meinem Andenken!“ womit er fagen wollte, daß fein wahre 
Leib für fie bingeopfert werben follte, um ihnen das Leben zu geben, 
gleihwie das Brod, das er zu feinem Leibe machte, Eines und zugleich 
ein getheilte® war für einen Jeden, und ein Jeder dur den Genuß 
dedfelben Erquickung erhielt. Ebenfo beim Kelche. Wie demnach Ehriftus, 
das belebende Leben, den ganzen Körper der Gläubigen in der Einheit 
des Lebens einigt, fo daß er das Leben it, die Gläubigen der Leib; jo 
jegte er dieſes Sacrament ein, damit in ihm er felbft die Lebensſpeiſe, 
und die das Eine Brod Empfangenden auch Einen Leib Chriſti, 
aus Einem Lebendbrode erquidt, bildeten. | 

Zum Andenken daran, daß er, das Leben, für die Gläubigen ſich 
bingegeben, follte nach feinem Willen das Brod gefegnet und den Glaͤu⸗ 
bigen gefpendet werden. Für den Gläubigen ift es daher Pflicht, den Leib 
Chriſti zu genießen, der in dem Sacramente ded Brodes enthalten ifl, 
damit er dadurch befenne, daß er die Hingabe Ehrifti für ihm wohl in 
der Erinnerung babe, und zwar muß er ed thun in der Einheit mit dem 
myſtiſchen Körper Ehrifti, wodurch er am Brode der ‚Gläubigen und mit 
dem myſtiſchen Körper zugleih an der Verbindung mit Chriftus, dem man 
im Saeramente empfängt, Theil nimmt. Die Liebe des Nächften genügt 
nicht ohne die Liebe Gottes, denn der Gegenftand des Sacraments ift 
zum Heile nothwendig. Nothwendig ift daher die beftändige Verbindung 
mit dem Leibe Chrifti und mit dem Haupte Chriftus, ohne welches fein 
Leben möglib if. Sodann ift der Genuß dieſes Sacramentsd nothiwen 
dig als öffentliches Zeugniß, daß wir glauben, dieſe Eingliederung in 
Ehriftus fei zur Seligfeit nothwendig. (Exc. IV, 444.) 


Dem Stande diefed Lebens fommt es nicht zu, Chriſtus offen zu feben, 
wegen der Hülle des Geheimniffes und des Werbienfted des Glaubens. 
Es gibt feine andere geiftige gemeinfame und heilbringende Nahrung, ald 
den wahren Leib Ehrifti. Er muß daher wahrhaftig in dieſem 
Sacramente fein; es erfordert died die Vollfommenheit des Opfers ded 


457 


einigenden Sacramented und der erquidenden Wegzehrung, (melde das 
Sein im neuen Teftamente gibt, der geoffenbarten Gnade und der Wahr: 
baftigfeit Chriſti. Der wahre Leib Ehrifti kann nicht in Theile getheilt 
werden, denn Leib, Seele und Gottheit ift hier nur Ein einfaches Eacras 
ment (est enim ibi corpus, anima et Deus utrobique unum et simpli- 
cissimum Sacramentum). Der ganze Leib ift fo unter der ganzen Ges 
ftalt wie unter einem jeden Theile derfelben, die Geftalt mag ganz over 
getheilt fein. Demnach ift er in der Geftalt nicht begrenzt (circumseriptum), 
als nehme er einen Drt ein, oder habe eine beftimmte Lage (ut habeat 
situm) und fei durch einen menschlichen Einn wahrnehmbar; er ift viel 
mehr jedem Sinne verborgen, damit Glaube und Verdienſt Plag greifen. 
Die Aceiventien haben daher, damit der Leib Chrifti nicht erkannt werde, 
(ut non deprehendatur), die volle Thätigfeit, die fie auch vorher hatten, 
obwohl fie ohne ein Subject find (licet sint praeter subjeetum), fo lange 
fie den Leib Ehrifti in ſich (intra se) haben, d. h. fo lange fie in ihrer 
natürlichen Beſchaffenheit fortbeftehen und zum Genießen tauglich find. 

Erheben wir unfern Geift zu einiger Erwägung der wunderbaren 
Süfigfeit diefed heiligen Eacramented und fprechen wir: 

D Herr, wie groß ift die Süßigfeit deiner Güte, der du willſt, daß 
wir im Genuſſe der Lebensſpeiſe (in esu vitae) täglich deinen Tod vers 
finden! Was fonnteft du dem Menfchen, der durch Effen todt war, mehr 
geben, ald das Leben durd Eſſen (quid plus dare potuisti homini mor- 
tuo per esum, quam vitam per esum?) D Nahrung des Lebens, an's 
Kreuz geheftet! Mer fann dieſes große Geſchenk in feinem Geifte fafien, 
daß du Höchſter, Gütigiter, Evelfter! dich felbft zu Nahrung hingibft? Es 
beißt alles Maaß der Freigebigfeit und Liebe überfchreiten, wenn das 
Geſchenk dasſelbe iſt, was der Schenfende. Gibt es ein Volf, weldes 
feine Gottheit fih fo nahe weiß, wie du wahrer Gott und nahe bift, 
jwar unter einer andern Form, aber in der eigenen Welenheit? O Speife, 
die wahrhaft nährt, erquicdt und ftärft, nicht das Fleiſch, fondern die 
Seele. O edles Gedächtnißmal, der Tiefe des Herzens anzuvertrauen und 
jorgfältig im Gemüthe zu bewahren! Süßigfeit, Freude und Thränen 
vereinigen ſich in diefer Gedächtnißfeier. Weinen wir in heiliger Freude! 
Das Herz von unendliher Wonne durchſtrömt, träufelt füße Thränen durch 
die Augen. 

Erhebe ich mich, o Herr! zur Betrachtung diefes hohen Geheimnifjes, 
jo erfenne ich, daß das Licht meined Berftandes nichts vermag; bu bift 
ed, der allein Alles vermag. Die Neugierigen (euriosi) fragen nad Ur: 
ſachen, Vernunftgründen und Zeichen, ich nahe mich dir durch den Glauben. 
Iſt es ein Wunder, daß plöplich durch das Ausſprechen von Morten bie 
Verwandlung (transsubstantiatio) erfolgt? Verwandelt fih nicht durch 


458 


Wärme ein gewiſſer Same in lebende Thiere, die f. g. Seidenwürmer? 
Wird nidt die Schlange durch Morte bezaubert (incantatur) und ihr 
Gehör verhärtet, daß fie die Stimme der Zauberer nicht hört? Haft nict 
du, o Gott! mit Einem Worte Alles erfchaffen? „Er ſprach und es ward.” 
Iſt nicht Loth's Weib durch einen Blick in eine Salzfäule verwandelt 
worden? Berwandelt nicht gewiſſes Duellwaffer Holy in Stein, Eifen in 
Kupfer? Wer wollte fih über deine Allmaht wundern! Verwandelt nicht 
unjer Magen Fleifh und Blut, Brod und Wein in feine Natur? Bringt 
nicht der Glasverfertiger aus der Afche des Kiefelfteins ein ſchönes Glas 
hervor? Kommt nicht aus dem Anſchlagen des Feuerſteins plöglich Feuer 
hervor? Was iſt darüber zu wundern, daß du Gott und Menſch, nicht 
eingejchränft (non contractus) in der ganzen Quantität, in ber du am 
Kreuze hingft, im dieſem Sacramente zugegen bift? Iſt nicht in einem 
Heinen Senfforne eine große Kraft, ein großer Baum in der Potenz? 
Was bedarf ed des Wunderns, daß die Geftalten über ihre Natur hinaus 
ohne Eubject find (quod speeies super naturam sunt sine subjecto)? 
Das Vorbild, daß das Sacrament und verhüllt unter Geftalten gegeben 
werde, ift Jakob unter ber Geftalt Eſau's, wodurch Iſaak getäufct 
wurde. So werben auch hier alle Sinne getäuſcht: Geſicht, Geſchmad, 
Taſtſinn. Doch das Gehör Iſaaks ward nicht getäuſcht, weil er bie 
Stimme, die aus dem Innern fam, kannte. Co wird auch hier der 
Glaube nicht getäufht. Was ift ed wunderbar, mein Gott! daß Fleiſch 
und Blut in diefem Sacramente an verfchiedenen Orten und doch gam 
und vollflommen find (quid mirandum de hoc, quod sacramentaliter cor- 
pus et sanguis sunt in diversis locis integraliter)? Wird nicht die Eine 
Mede, die ich halte, ganz umd vollfommen von Mehreren zugleich gehört 
und verftanden? Ich weiß ja, daß Gott überall ift, der Menſch nur an 
Einer Stelle. Was Wunder, wenn der Gottmenfh in einer gewiſſen 
mittlern Weife nicht überall, aber nicht bloß an Einem Orte, jondern an 
mehreren zugleich ift? Kommt nit Eine Definition der Specied mehren 
Individuen zugleich zu? Iſt nicht das ganze Wort, dad von Ewigfeit und 
in Ewigkeit beim Vater ift, auch ganz in den Leib der Jungfrau herab» 
geftiegen? Er, der überall der Ganze und Eine ift, ift Fleiſch geworben, 
um die Menfchen zu fpeifen, verfelbe, der zugleich vollftändig beim Bater 
blieb, um die Epeife der Engel zu fein. Ebenfowenig wundere ich mid, 
Daß er ganz unter jedem Theile der getheilten Hoftie if. Wenn er näms 
lich ungetheilt an vielen Drten zugleih und doch ganz (totaliter) ift, fe 
ift auch der Eine und ganze Ehriftus unter jedem Theile der Hoftie. IM 
im Spiegel nicht ein Bild, das nur Eine Geftalt abbilvet? wird er aber 
zerbrochen, fo geben die Stüde die ganze Geftalt zugleich wieder. SM 
nicht in den homogenen Dingen 5. B. Waffer jever Theil wie das Gange? 


459 


Erhielt nicht von dem Manna, das in der Müfte herabfiel, auch wer 
mehr gefammelt hatte, nicht mehr, ald ein Anderer? Iſt nicht die Seele 
in einem fleinen Menſchen fo groß, als in einem großen, ganz im ganzen 
Menfchen und ganz in jedem Theile? Noch weniger wunderbar ift, daß 
diefer Leib, obwohl täglich genoſſen, ſich doch nicht vermindert, weil er 
nad der Auferftehung zur Unzerftörlichkeit verherrlicht iſt. Er wird nicht 
aufgelöst (corrumpitur), weil er fich nicht in die Natur des Genährten vers 
wandelt, im Gegentheile: wer diefe geiftige Speife genießt, wird durch Bes 
geifterung und Liebe (per mentis excessum et amorem) in fie verwandelt. 
Wird nicht, wenn auch viele Kerzen von eimem Lichte angezündet werben, 
doch das Licht nicht vermindert? Fließt nicht aus der Quelle Wafler, 
ohne daß jene abnimmt? Wie viel weniger wird der Duell des Erlöferd 
abnehmen? Was Wunder, daß diefes Sacrament dem Einen zur Seligs 
feit, dem Andern zum Gerichte wird? Zicht nicht aus derſelben Blume 
die Biene Honig, die Spinne Gift? Ein und Dasfelbe ift dem Einen 
eine Heilkraft, dem Andern der Tod. Schmilzt nit die Eine Sonne das 
Es und macht den Koth gefrieren? — Ich habe feinen Zweifel, o Herr! 
Gib, daß ich durch dieſes Sacrament dad Leben erlange, das du verheißen 
haft! O Herr! wenn man diefed Leben, das voll Elend, dem Tode nahe 
und in feinen Vergleich mit der Ewigfeit kommt, fo fehr liebt, wie viel 
mehr müſſen wir es lieben, in dir zu fein, dem ewigen Leben? Wohl 
denen, die würdig zu diefem Sacramente hinzutreten! Wehe den Unwür— 
digen! Aus dem Quell des Lebens trinfen fie den Tod, Wenn ich er 
wäge, o Herr! daß die Menſchen über den Freuden und Gemüffen dieſes 
vergänglichen Lebens, dich, das ewige Leben, verlieren, fo ſeufze und 
ütere ih. O der Verblendung, in der der größere Theil der Menfchen 
dir nur zum Scheine dient! Dahin ift die Wahrheit, fie ift überwältigt 
dur den falfchen Schein! O Prieſter, bedenfe dein Leben, bevenfe deine 
Gewalt, bedenke deine Worte und Handlungen, bedenfe die Würde deines 
Amtes ! (Exc. II, 396. 397.) 


Transfnbftantiation. 


Die Euchariſtie ift eine Speife für beide Seiten des Menſchen; fie 
nährt den Körper, wie ein im Magen verbautes Brod, und nährt den 
Geiſt, ald das im Glauben an den Sohn Gottes aufgenommene Wort. 
Denn das Wort, das in dem Glauben aufgenommen wird, es fei das 
Wort des Sohnes Gottes, ift ein nahrhaftes Brod, das alle Süßigfeit 
gewährt. Die nährende Kraft des Brodes ift aber principaliter von 
Bott, wie auch die Kraft des Wortes, das die Seele nährt, vom Worte 
Gottes oder der göttlihen Subftanz herrührt. Es ift nämlich in der 


460 


Eudariftie Eine Subftanz, aus der jene Kräfte herrühren, die man 
nicht die Subftanz des fihtbaren Brodes nennen fann, fondern die Sub 
tanz des Wortes. Dies beftätigt Ehriftus, ald er nach der Weile, 
in der Moſes von diefem Myſterium gefprochen hat, fagte: „nicht vom 
Brode allein Lebt der Menfh, fondern vom jedem Worte, das aus bem 
Munde Gotted geht." Denn wenn der Äußere Menfh von der Sub 
tanz des Brodes leben kann, fo fchlieft dies nicht aus, daß er von ber 
Subſtanz des Morted, das die Kraft des Brodes in ſich faßt, leben 
fann. Wenn man daher fagt, nicht nur Brod, fondern auch der Leib 
Chriſti fet in diefem Sacramente, fo beachtet man nicht, daß die Sub 
fang des Brodes zur Nahrung nicht nothwendig if, wenn. eine folde 
Subftanz vorhanden ift, welche die nährende Kraft in fid 
begreift. Die Kraft der niedern Subftanz ift in der der höhern. 
„Durd das Mort Gottes find die Himmel befeftigt worden und durd 
den Hauch feines Mundes all ihre Kraft." Die Eubftanz des Brodes 
muß im Belenntniffe dieſes Sarramentd (in confessione sacramenti) in 
die höhere Subſtanz Ehrifti hinübergenommen werben (transsumi), fonft 
wäre ed nicht das vollfommene Saerament, in welchem auf jede möglide 
Weife eine Transfubftantiation enthalten fein muß (in quo debet 
contineri omni possibili modo transsubstantiatio); dieſe findet wahrhaft 
ftatt, wenn unfere Natur in die gnadenreiche Kindſchaft Gottes übergeht. 
Ich fage nicht, daß die Natur vergeht (quod natura pereat), aber dab 
die Subftanz in eine höhere übergeht (transsumitur). So geht auch bier 
die Natur des Brodes, die im- Nahrunggeben befteht, nicht unter, aber 
die Subftang wird transfubftanzlirt, d. i. gebt in eine höhere Subftanz 
über. Das lehrt und der göttlibe Prophet David, wenn er fagt: 
„Das Geſetz des Herrn ift lauter, e6 verwandelt (convertens) die Her 
zen; dad Zeugniß Gottes ift getreu, es gibt Weisheit den Unmündigen.“ 
Was ift das lautere Gefep des Herm anders, ald das. Wort Gott? 
Diefes Geſetz, das Wort Gottes, geftaltet die Herzen um, wie die Weit 
heit den Geift ummandelt, indem fie ihn zur Weisheit hinüberzicht, und 
den Kindern (parvulis) diefer Bekehrung gibt es ein getreued Zeugniß. 
Das will heißen: in diefem Sacramente erlangen wir ein ſehr treue 
Zeugniß diefer Umwandlung (conversionis), wo die Subftanz des Bro 
des in die Subftanz des fleifchgewordenen Wortes umgewandelt wird 
(convertitur), was der präcifefte und Fräftigfte Beweis davon ift, daf 
unfere geiftige Natur, wenn fte gleich die menfchliche zu fein fcheint, durd 
das Wort Gottes in den Sohn Gottes und aus der Finfterniß der Uns 
fenntniß Gottes und der Mahrheit in die Anſchauung oder in's Licht 
verwandelt werben fünne. nr 

Hieraus erhellt, Ehriftus fei im Sacramente nicht räumlich (loca- 


461 


liter), aber mit den Accidenzien der Subftanz des Brodes (sed cum 
accidentibus substantiae panis), nicht als ob die Accivenzien in der 
Subftanz ded Brodes wären oder in der Kraft ihren Beſtand hätten, 
welhe aus der höhern Subftanz, ald das Brod ift, ausfließt. Die Sub» 
ftanz des Brodes, die in die Subftanz des Leibed Chrifti verwandelt ift, 
geht jedem Aceivend voraus (praevenit); fo bleiben die Accidenzien wie 
zuvor, allein die Subftanz ift verwandelt. Wie wenn ein Unwilfender 
ein Weifer, ein Laie ein Priefter, ein Sklave ein König wird; alle Acci— 
denzien bleiben, nur die Unwiffenheit wird in Weisheit ıc. verwandelt. 
Dies ift was immer für eine Bergleihung; beſſer wäre fie, wenn Un— 
wifienheit und Weisheit Subftangen wären. Berfteht e8 Jemand in dem 
Sinne, das Brod werde nicht transfubftangiirt, fondern nur mit einer 
edlen Subſtanz überfleidet (supervestiri), wie wir hoffen, mit dem 
Lichte der Glorie überffeivet zu werden, unbefchapdet unferer Subftanz, 
wie einige ältere Theologen die Sache aufgefaßt haben, welde fagten, 
nicht nur das Brod, fondern auch der Leib Ehrifti fei in dem Sarras 
mente, fo muß man auf die Bedeutung der Worte Acht haben. Sagt 
man, jenes Licht der Glorie fei ein Accivens, fo wird es jedenfalld edler 
(nobilius) fein, als die vorige Subſtanz. Wie Chriſtus von Judas fagt: 
beffer wäre e8 gewefen, er wäre nicht geboren, als verdammt, jo fage 
ih umgekehrt: beffer ift das Licht der Slorie ald die Subftanz der Scele 
(animae), und fo iſt der Unterfchied nicht bedeutend. Ich nenne Subs 
ſtanz das, als welches es nichts Beſſeres an einem Gegenftande gibt. 
Wenn du Jenes (Licht der Glorie) ein Accidens nennſt, weil es nach dem 
natürlichen Sein noch binzufommt, fo ift nur im Ausdrude eine Unterſchied. 

Aus dem Bisherigen folgt ferner, daß der Leib Ehrifti ohne 
quantitative Größe, fomit untheilbar und in jedem Theile der 
Hoftie vollfommen gegenwärtig ift. Unfer Gedächtniß ift nicht größer, 
ob es einen Berg oder ein Senfforn in fih aufnimmt, es ift ganz in 
Jedem, woran es fich erinnert, fo wie auch der Gegenftand, an den es 
fh erinnert, ganz im Gedächtniß ift. Wenn dad Gedächtniß zugleich 
und auf Einmal in Mehreren wäre, wie Ein Bild in vielen Augen ift, 
jo wäre die Vergleihung noch präctier. (Exc. VI, 522.) 


Bedingung des würdigen Empfauges des Abendmals. 


Die Eucariftie ift das Sacrament ded Worte, Wie dur die kör— 
perlihe Speife Nahrung des Leibes, fo erlangt man dur fie Nahrung 
ded Geiftes in dem Glauben, daß das Wort Gottes die Nahrung für 
dad Leben des vernünftigen Geiftes if. Wie kann nun Der ernftlich 
glauben, die Euchariftie fei das Sarrament des gnadenvoll nährenden 


462 


Wortes, der ed verfehmäht, die Stimme des Wortes felbft in feine Seele 
aufzunehmen? Er gleibt Dem, der durd das bloße Anjchauen der 
Schriften Plato's ein Platonifer werden will, ohne deſſen lebendige Rede 
hören zu wollen. Ich frage: wie wird dir die Eudhariftie ein lebendiges 
Brod, wenn du nicht durch das Wort felbft belehrt bift? Siebe, das 
lebendige Wort macht dir dad Brod des Abendmahls ſchmackhaft, wel 
ches nur dur die Erleuchtung des Worts eine Nahrung deiner Seele 
wird. Ohne das Wort bleibt dir jener liebliche Geſchmack verborgen und 
du fühlt nicht, daß es alle Erquicung in fich begreifet. Der Unwiſſende 
nimmt es mehr wie ein thierifcher, denn als ein geiftiger Menſch, weil 
der Geift nichts davon empfindet und nie empfinden wird, außer burd 
Belehrung. Wenn einem gebornen Blinden ein Brod mit der Aufforde⸗ 
rung gereicht würde: iß dieſes Brod und du wirft fehr ſchön und wohl 
geftaltet werden, fo würde der Blinde jenen Worten wenig Gehör der 
fen, weil er die Schönheit nicht fennt. Um die Größe des ihm ver 
heißenen Gefchenfes einzufehen, müßte man ihm vorher die Augen öffnen, 
und bei dem Anblicke mehrerer Schönheiten würde er dann im Glauben, 
daß er eine ſolche Schönheit erlangen werde, gierig effen. Aus fich jelbi 
aber fäme er nicht dahin, und ohne vorherige Erleuchtung würde er dad 
Brod ohne Freude über die ihm verfprodene Schönheit eſſen. So if 
denn die Erleuchtung des Wortes Allen nothwendig, welde mit Entzüden 
und innigem Verlaugen dad Abendmahl empfangen wollen. Sonft get 
man, wie leider! häufig gefchieht, Falt hinzu. (Exc. IX, 626.) 


Unfterblichfeit der Seele. 


Die Fähigkeit für Weisheit und LUnfterblichfeit erfehen wir darauf, 
weil der Geift fih zu Dem hinneigt, was ungerftörlich iſt, und es erfaßt 
wie wir ed an den SKünften ſehen; er faßt die unfterbliche Fähigkeit in 
fi, zu zählen und zu meffen. Das fönnte er nicht, hätte er micht ein 
Seele, welche fi aus dem particularen und zerftörlichen Erfahrung® 
mäßigen zu dem univerfellen Verftändniß desſelben erheben und fo id 
eine Kunft erwerben fann. (Hoc non posset facere, nisi haberet ani- 
mam, quae de particularibus corruptibilibus experimentis se posset ad 
universalem talium rationem convertere et ita artem acquirere.) Dil! 
Fähigkeit der Secle aber ift ein Beweis, daß fie nicht an das zerflör 
liche Inftrument des Körperd und an die Organe der Sinne gebunden 
iſt. Sie ift daher fähig für Wiffenfhaft und Künfte und Weisheit, 
Dinge, die von allem PBarticularen und Zerftörlidhen frei (separata) find. 
Die Seele ergeht (perit) deßhalb nicht, wenn auch der Körper zergedt 
da fie nicht von ihm abhängt, wie dad Sehen vom Auge, das aufhört 


463 


wenn dad Auge, an welches es gebunden war, zerftört if. Da bie 
Schfraft in der Seele bleibt, fo fönnte fie wieder ſehen, fobald das 
Auge wieder hergeftellt if. Wir erfennen auch in der Einbildungsfraft 
(imaginatio) eine höhere Art von Sinn, weil unjer Einbilden bei Abs 
weienheit eined Gegenftandes genauer (snbtilius imaginamur, quam senti- 
amus) ift, ald die Sinnenerkenntniß. Indeſſen irrt die Cinbildung oft, 
binfichtlih der Wahrheit, wie wenn wir uns einbilden, die Gegenfüßler 
fallen. Es gibt deßhalb eine genauere Kraft, welche die Einbildung corris 
girt — der Verftand, welcher uns fagt, jened Ballen wäre ein in vie 
Höhe Steigen des Schweren, woraus er fchließt, daß jene eben fo wenig 
fallen können, als wir in die Höhe fteigen. Allein auch der discurfive 
Verftand irrt fehr oft und hat fein Correctiv an der vernünftigen Ans 
ſchauung (visio intellectualis) wie in der Schrift „von der Brille” bes 
rührt if. Da unfere Seele (aus der geiftigen Anjchauung) ein Auge 
bat, mit welchem ed in das Princip, das allem Gegenfäglichen und for 
mit aller Zerftörbarfeit vorangeht, hineinſchaut, fo ift fie ungerftörlic. 
Denn das Zerftörlihe wird vom zerftörlihen Auge, das Zufammengefegte 
vom Zufammengefegten, dad Materiele vom Materiellen, das Aehnliche 
vom Aehnlichen erfaßt. So fann auch das Unzerflörlihe nur vom Uns 
zerftörlihen, das Einfache vom Einfahen, das SJmmaterielle vom Im— 
materiellen gefhaut werden. Hieraus fiebft du, daß die Vernunft (intel- 
lectum) einfach und ungerftörlich iftz denn fir ficht einfach und untheilbar 
dei jeder Art von Theilung das erfte Princip der Greaturen, und in ihm 
Alles, was eines Principe fähig ift (in ipso omnia prineipiabilia), wähs 
send jenes Princip nichts von allem durd es Entjtandenen iſt. Noch 
höher ald durch die vernünftige Natur ſchaut die Seele mittelft des 
Glaubens, nah der Lehre des Erlöjers, und dies ift das Höchſte, zu 
was der Geift erhoben werden fanı. Die Wunder bezeugen dem Gläus 
digen, daß der Geiſt in das ganze Gebiet des Glaubens, in Erkennen und 
Birken fortfchreiten fönne. (Et miracula sunt, quae attestantur medio 
fdei, intellectum ad omnia credibilia posse procedere et operari). 
Durh diefe Erwägung fehen wir deutlih, daß der Geift nicht finnlicher 
Art it (intellectum non esse sensum), da wir Vieles finnlih wahrnch- 
men, das wir nicht verftehen, und umgekehrt, fowie daß wir mit vers 
Ihloffenen Augen, und ohne zu hören, begreifen (intelligere) fönnen. So 
hat denn die Seele, joferne fie an den Körper gebunden ift, ſinnliche Ems 
pfindungen. (sentit); durch ihre Wefenheit aber, foferne fie in ſich ift, d. i. 
gelondert (separata) von der Belebung (animatio), Die fie dem Körper 
verleiht, iſt fie gewiffermaßer frei von particularer Befchränfung, [haut 
in die Prineipien des conereten Univerfumd (est quodammodo absoluta 


464 


a particulari contractione et intuetur in prineipia universalia contracta), 
und ift jo der Weisheit und Unſterblichkeit fähig. 

Wenn der Geift die finnlihe Erkenntnißkraft ind Auge faßt, fo findet 
er, daß diefelbe zwar, foferne fie von einem mangelhaften Organe ab 
hängt, mangelhaft ijt, nicht aber ald Seelenvermögen (ut est vis aniımae), 
weil fie nah Herftellung des Organs wieder fo gut wie früher (che 
dasjelbe franfhaft geworden) wahrnimmt, ohne daß eine neue Fähigkeit, 
ein neues Wahrnehmungsvermögen geichaffen worden wäre. Ebenjo ver 
hält es fih mit der Einbildungsfraft: bei einem minder guten Drgane 
find die Bilder der vernimftigen Seele minder lebendig; auf eine Zeit 
lang kann der Menfh, wenn das Organ gehemmt ift, das Gedädtnif 
verlieren, und dann wieder erhalten. Es bleibt aljo in der Seele die 
Gedächtnißkraft, wiewohl ihre Wirffamfeit ceſſirt, die fie ohne ein gr 
fundes Organ nicht ausüben kann. Wie der Schreibende ohme Fedet 
nicht ſchreiben kann, jo ift auch die Verftandesthätigfeit mangelhaft, wenn 
die Thätigkeit ded Organs leidet, obwohl jene im Geiſte fortbefteht. 
Während die Vernunft bei ihrer Aufhauung des vernünftig Erfennbaren 
feines finnlihen Organs bedarf, jo ift dagegen der Geift bei der Erkennt 
niß der finnliben Dinge an ein Organ gebunden, deßgleichen bei der 
Einbildung, da diefe finnliher Natur if. Auch der discurfive Verſtand 
bedarf, da er das denfend durchgeht, was er aus der Sinnenwelt ge 
fböpft hat, der Sinnenorgane, die das Mehr oder Weniger genau auf 
faffen und zum Gebraude geübt find. Nur bei der Anſchauung des ver, 
nünftig Erfennbaren (in visione intelligibilium), das durch feinen fin, 
liben Gegenftand zu firiren ift (quae non sunt in aliquo sensibili signi- 
bilia), weil feine Einfachheit und das Unconerete feiner abfoluten Natur 
über dad Gebiet der Sinnenwelt hinausgeht, bedarf der Geift fein Sinnen 
organ, fondern nur feine innere, der Natur des zu Erfennenden conformt 
Einfachheit. Diefe geiftige Anſchauung iſt daher in der Vernunft nict 
mangelhaft, und da fie von feinem Organe abhängt, fo fann nichts fie 
hindern, immer den Blick frei zu bewahren. Wenn das Auge und die 
Sehkraft der Seele Eines und dasfelbe wären, nämlich die Seele felbtt, 
jo würde dad Sehen nie durch Alter oder Mangelhaftigfeit des Auge 
eine Breinträhtigung erfahren. Die Vernunft fieht in die Gründe (intuetor 
in rationes) und urtheilt, welder Grund wahr, welcher für die Unfterb- 
lichfeit beweifend iſt, welcher nicht. Sie ficht alfo ihre Unfterblichkeit, in 
den fie einfieht, daß der eine Grund mehr zum Erfaffen derſelben dient, 
als der andere, daß fie in dem einen beftimmter wiederfcheine, ald in dem 
andern. Diefes Urtheil fönnte die Vernunft wicht fällen, wenn fie nidt 
ihre eigene Unfterblichfeit vollftändig erfennete. Die Vernunft erfennt (videt) 
fi alſo als unfterblich, indem fie einficht, daß fie durch feinen Verſtandes— 


465 


grund fo ans Licht geftellt werden fann, daß fie nicht noch präciier nadıs 
gewiefen werden könnte. Die Bernunft beurtheilt daher den Werth eines 
für fie geltend gemachten Grundes nah ihrer Anſchauung der Unfterblichs 
feit, und nicht umgekehrt die Unfterblichfeit aus dem angeführten Grunde. 
Und würde auch irgend ein Grund für die Unfterblichkeit beweifend fein, 
jo bliebe died doch ganz unerkannt, wenn nicht die Vernunft fo urtheilte, 
Die Vernunft fieht bei diefem ihrem Urtheile nicht bloß in die Beichaffens 
heit des Grundes, fondern in die Wahrheit felbft hinein, und eben indem 
fie die Uebereinftimmung mit ihr in dem angeführten Grunde findet, ſpricht 
fie das Urtheil aus, der Grund fei ein wahrer. Aus dieſer aflfeitigen 
genauen Erwägung ergibt fi, daß die Vernunft nicht in dem Verſtandes— 
grunde, ſondern in fich die ungerftörliche Natur ihrer Einfachheit fchaue. 
Dieje Kraft der Vernunft (virtus intelleetualis) rührt feineswegs 
von der Abjtammung ber (nequaquam est a generante), fonft würde fie 
die Natur und Beichaffenheit anderer Zuftände, die von Abftammung ber: 
rühren, annehmen. Wie das Auge ein natürliches Verhältniß zur Farbe, 
der Sinn zum Objecte hat, jo müßte man auch von der Vernunft fügen, 
fie ſei nicht frei im Wollen, Gedächtniß und Erfermen, fondern durch die 
Natur genöthigt, oder fünne durch einen andern Menſchen genöthigt wers 
den, während wir das Gegentheil hievon wahrnehmen: der Menſch ift 
frei in feinem Lieben, Wollen und Erkennen. Die Vernunft altert auch 
nicht wie der Einn, fie ift folglich nicht aus dem Bereihe des Sterb⸗ 
liben und Zerftörlihen. Wir fehen, daß Bejahrte, während ihre Sinne 
abnehmen, an Erfenntniß und Weisheit zunehmen. Ferner gelangt der 
Menſch in Dem, was er durch Abftammung hat, zu einer Grenze und zur 
"Ettigung; es fommt ein Zeitpunft, wo er nicht mehr fehen und hören 
mag, was er geichen und gehört hat. Nicht jo ift es bei dem Erfennen 
oder Wollen: immer will er, was er erfennt, beſſer erfennen, was er 
liebt, noch mehr lieben. Ja, die ganze Welt genügt ihm nicht, weil fie 
fein Verlangen nach Erfenntniß nicht ausfüllt, während ein einziges Ob: 
jet dem Sinne genügt. Nichts genügt alfo der Vernunft ald Gott, von 
dem der Menſch das Sein hat, defjen Ebenbild er ift. Denn das lebendige 
Abbild, Das geiftige Leben, kann weder in fi noch in etwas Auderem 
Ruhe finden, fondern nur in feinem Urbilde als in feinem Princip, Urs 
ſache und Wahrheit. Nührte die Seele von der Abitammung ber, fo 
wären alle ihre Verrichtungen naturnothwendig, fie Fönnte nichts Sitt— 
liches: Gerechtigkeit, Klugheit ıe. ausüben. Ein verftändiger Vater ers 
jeugt nicht wieder einen verftändigen Sohn, vermöge feiner Einſicht, und 
der Sohn iſt nicht naturnothwendig verftändig, fondern er hat von Gott 
den Geift, der einer unfterblichen Tugend fähig ift, weil er von dem ums 
Sharpff, Nie. v. Gufa, 30 


466 


fterblichen Vater herrührt. Wäre der Menfh von Natur aus eifrig fürs 
Gute, fo wäre died jeder Menfch, fo gut ald jeder Menſch fichtbar iſt. 
Die vernünftige Natur ift geiftig (spiritualis), daher nicht der Fortzeus 
gung fähig. Sonft wäre fie auch zerftörlih, wie wenn aus genofjenem 
Brode Fleiih wird, fo wird die Species des Brodes zerftört und daraus 
Fleiſch gebilvet. Allein die Species der geiftigen Natur kann nicht, wie 
die der förperlihen Natur, die ihr Subject und eine verſchiedener Species 
fähige Materie bat, zerftört werden. Der legte und bedeutendfte Grund 
dafür, daß die vernünftige Seele nicht von Abftammung herrührt, ift der: 
fie hat einen Endzweck, um defjentwillen fie da ift, und dieſer iſt höher, 
als bloß das belebende Princip im Menſchen zu fein; fie foll Gott er 
fennen und lieben. Die Vernunft ftammt fomit vom Schöpfer her. 
(Exc. X, 677—679. 


Unfterblichfeit. 


„Wer aus Gott ift, hört Gottes Wort.” Der Herr fpricht bier 
von der Seele, welche allein die Worte hören kann; die Ohren hören 
nur die Stimme. Wenn nun die Seele, welche die Worte hört, nur von 
dem Worte unmittelbar abſtammt, fo ift fte unfterblih und unzerſtörlich, 
wie wir fehen, daß Alles beftändig fortvauert, was unmittelbar von Gott 
erfhaffen ift: der Himmel, die Erde, die Elemente. Gott erjchafft durd 
fein Wort, fein Wort ift feine Kunft. Durch diefe Kunft erfchafft er bie 
der Kunft fühlge Seele. Die Seele, welde der Inbegriff der Kunſt 
felbft ift (quae est ipsa capacitas artis), mißt daher Alles: Zeit, Be 
wegung ıc. Sie ift daher nicht felbft zeitlich, weil fie über der Zeit ſteht 
(superponitur tempori), deren Maaß fie ift. Jeder Künftler bringt fein 
Werk auf die beftmögliche MWeife hervor. Co erihafft auch die unend— 
liche Allmacht ein Werk ohne Ende und Endlihes mit einem Ende. Was 
von Gott mittelft der endlihen Greatur, welche nichts Unendliches in ih 
haben fann, hervorgebracht wird, hat ein Ende, wie der Menſch, vom 
Menſchen gezeugt, fterblich iftz ebenfo die Gewächſe. in Geſchöpf, das 
Gott lieben, Gerechtigkeit, Wahrheit und alle unfterblihen Tugenden üben 
fan, kann auch von Gott umfterblich geliebt werden. Und da die Liebe 
ihr Wohlwollen nicht nur im guten Willen, fondern in thatlächlichem 
Beweiſe zeigen foll, die Guten aber in diefer Welt unterdrüdt leiden und 
ihnen nicht unfterbliches Wohlwollen bewiefen wird, fo muß es ihnen in 
der unvergänglichen Welt bewiefen werden. Denn die Gerechtigkeit Gottes 
erfordert Vergeltung. Wie kann fie aber Dem zu Theil werden, der den 
Tod um der Gerechtigkeit willen gewählt hat, wenn es durch den Tod 
mit ihm ganz aus wäre? Die Seele, eine geiftige Subftanz, die feinen 


467 


Gegenſatz bat, iſt im Körper wie in einem Gefängniffe oder wie ber 
Schiffsmann im Schiffe, und wird nicht zerftört, wenn auch das Gefäng— 
nis oder Schiff zerftört wird. Daher ſprach David: „Führe meine Seele 
aus ihrem Gefängniffe heraus, damit fie deinen Namen befenne.” Der 
Körper ift das Werkzeug der Eeele, wie der Hammer für die Kunft des 
Schmieds; mit dem Hammer geht die Kunft nicht zu Grunde, Dies 
beftätigt auch Ariftoteles, wenn er fagt: Hätte der Greid das Auge eines 
Jünglings, fo würde er fehen, wie ein Süngling, Die Brille ift ein 
Beweis, daß nicht die Seele, fondern nur das Drgan des Anges alterds 
ſcwach wird. Die Eeele ift im Körper, wie das Sonnenlicht in der 
Luft; verläßt ed auch die Luft, fo doch nicht die Sonne. Das vegetative 
Leben erlifcht nicht, fo wenig ald das Feuer in der Kohle, das fenfttive 
jo wenig, als das Feuer in der Kerze, das geiftige fo wenig, als der 
Sonnenftrahl im der Luft. Die Thätigkeit der Seele ſcheint nicht der 
Zeit unterworfen zu fein. Cine jede Sache wird dur ihr Wirken ers 
fanıt, das Wirfen von Zeitlibem ift ſelbſt zeitlich. Der zeitliche Körper 
Rirbt daher zeitlich; wer nach Rom gehen will, reist mehrere Tage. Das 
Wirken der Seele aber ift ohne Zeit, wie wir erfahren, wenn wir uns 
plöglich ber das Meer hinüber denken. Der Menfh ift in die Mitte 
gelegt zwifchen die höhere Natur der Engel und die niedere thierifche, 
Das Mittlere aber nimmt an der Natur beider andern Gebiete Antheil. 
Somit gehört er nach feinem vernünftigen Geifte der höhern, ungerftörs 
lichen Natur an. (Exe. V, 488. 489.) 


Die Vernunft (Cintellectus) it dad Auge (visus) der Seele. Die 
Seele lebt dort ewig, wo fie den Tod nicht fieht, d. i. in der Vernunft, 
Denn wenn die Vernunft, welde die Weisheit Gottes in fih hat, ihr 
Leben fieht oder erfennt, weil das Erkennen desjelben ihr Sein ift und 
erfennend fein fo viel heißt, als ewig lebend fein, fo ſieht fie den Tod 
in Ewigfeit nicht. Denn der Lebende ſieht als in fih lebend nichts als 
Leben und feineswegs den Tod, da der Tod nur die Beraubung dee 
lebens if. Sehen fann nur dem Lebenden zufommen. Somit ift der 
Tod dem Lebenden nicht fichtbar; wer Alles fieht, ſieht den Tod nicht, 
denn der Tod ift nichts von Allem. Die vernünftige Seele, die für bie 
Aufnahme des Wortes fähig ift, hat allein ein ungerftörliched Auge (visum), 
weil es ewig und unbegrenzt iſt, denn fie kann durch das ewige Wort 
genährt werden. Wie daher die finnlibe Sehfraft durd alles Sichtbare 
kin Ende finden kann (est infinibilis) (denn nie wird das Auge des 


Sehens fatt), fo wird aud die Schfraft des Geiftes nie jatt im Schauen 
30%. 


468 


der Wahrheit. Immer wird die Sehfraft geichärft und geftärft, was 
wir an und erfahren: je mehr wir in einer Wiffenfchaft Fortichritte ma- 
hen, defto fähiger find wir und defto mehr ſuchen wir immer weiter zu 
ſchreiten. Das ift ein Beweis der Ungzerftörlichfeit des Geiſtes. 

Die Juden beten zu Gott, er möge eingedenf der Verheigungen fein, 
die den Patriarchen gegeben wurden. Sind nun Patriarchen und Pro; 
pheten im Gedächtniß Gottes, der das Leben iſt, jo können fie nicht todt 
fein. Denn das Gedächtniß Gottes ift Gott, der das Leben ift; außer 
demfelben find Die, welche vor feinen Augen tobt find. Das Gedächtniß 
Gottes ift daher das Buch des Lebens; todt find Die, welche im Bude 
des Lebens audgeftrihen find. (Exec. V, 488.) 


Untergang der Welt. 


Wenn die Welt erneuert wird und eine andere Geftalt erhält, geht 
ihre Zerftörung vorher, wie wenn aus dem Ei das Junge hervorfommt. 
So aub, wenn der Menfh ein Kind Gottes werden joll, was er im 
Glauben der Potenz nad) ift, wie das Junge im Ei. — Aus dem Gleich— 
nifje vom Feigenbaum belehrt und Chriftus, daß das Reich Gottes im 
Vergleiche zu diefer Welt fih verhält wie der Sommer, nämlich ein frudt- 
reicher Sommer, zum Winter. Denn in dieſer Welt nehmen wir das 
Werden der Frucht im Glauben auf; im Sommer, d. i. in der andern 
Melt blühen wir und bringen Früchte durch die aufgenommene Beuchtigfeit. 
Wenn die Bäume Frucht tragen, ift cd Sommer. ©leihwie der Baum 
im Winter feine Frucht bringt, fondern in fih (Nahrung) aufnimmt, 
und feine Frucht an ihm wahrgenommen werden fann, fo wenig als eine 
Roſe an den Dornen und ed nicht möglidy jcheint, Daß aus dem trodenen, 
rauhen und unfheinbaren Holze im Sommer cine ſchöne Roſe mit Vege— 
tationdfraft hervorwachfe und föftlihen Wohlgeruch verbreite, fo geht aub 
der vom Menjhen im Glauben an Chriftus aufgenommene Fruchtfeim 
der Ehriftusähnlichfeit im andern Leben als Leben auf; allein die Unwiſ— 
fenden und Ungebildeten glauben es nicht. 

Zwei Dinge lehrt Ehriftus: wenn die fichtbare und zerftörliche Welt 
ihrem Ende zugeht, fo erfcheint das Zeichen der Erlöjung, wie wenn ber 
Winter feinem Ende zueilt, das Zeichen des fommenden Sommers auf 
geht. Dies verftehe ih fo, daß, wie die Zeichen der Zerftörung dem 
Untergange der Welt noch während jener Generation vorhergehen, je 
fommen auch die Zeichen des fih nahenden Reiches Gotted; es wird 
nämlid der Geift der Auserwählten und Gläubigen eine Stärfung erhalten 
(fortificabitur), weil die Anfunft Chrifti, ver am Tage des Gerichts ſicht⸗ 
bar fein. wird, in den Wolfen mit großer Macht und Herrlichkeit erfolgen 


u 


469 


wird, in jenen Molfen, welhe dahin eilen, wie die Wolfen, unter denen 
Ehriftus verborgen iſt. Dieſe Ankunft geht dem Untergange diefer Welt 
voraus, wie bier (in der heiligen Schrift) gefchrieben fteht. Denn es 
ſagt Chriftus: „Wahrlich, fage ich euch, diefes Geſchlecht wird nicht vers 
gehen, bis alled Das geſchieht,“ d. i. alle die vorher angegebenen Zeichen. 
An jenem Tage wird eim neuer Himmel und eine neue Erbe fein, 
und der Menichenfohn wird zu einer Erneuerung erfcheinen. Denn ber 
Menſch' wird ungerftörlih und unfterblich auferftehen, und doch eben der; 
jelbe fein, der jest fterblich ift. Er wird daher einen wahren Leib haben, 
aus wahren Elementen, wie früher gebildet, er wird die Augen haben, 
die er früher hatte, aber Alles wird die Unfterblichfeit anziehen. Wie 
der Menſch durch die Auferftehung erneuert wird, fo auch Alles, ohne was 
der Menſch gegenwärtig Chodie) nicht fein fann. Nun aber hat gegens 
wärtig das ganze Univerfum: Himmel, Erde und was in ihnen ift, auf 
dad Sein des Menfhen Einfluß. Ed muß daher auch alles Diefes, 
d. i. das ganze Univerfum, erneuert werben, wenn ber Menſch in bie 
Unfterblichfeit verfegt if. Wie alfo der Menfch vergehen wird (transibit), 
jo auch Himmel, Erde und Alles. Nur das Wort, durch welches Alles 
in's Sein hervorgegangen ift, wird nicht vergehen, denn durch dasjelbe 
wird Alles nen gemacht. (Exec. V, 493 f.) 


Auferftehung. 


Es könnte Jemand fagen: Da die Auferftehung eine allgemeine ift, 
jo fage, wie fie erfolgt. Ich antworte: die Art und Weife ift uns uns 
befannt, allein mit Einigen kann man fagen, im Menfchen fei eine förper- 
liche Natur, die aber viel Himmliſches (multum coelestialem) an ſich 
bat, wie in ihm ein Geift ift, der viel Göttliched (multum divinus) hat. 
Diefe himmliſche Natur nun, die man die Duinteffenz nennen fann, und 
die elementariiche Natur in fih als in der Einheit begreift, bleibt, wenn 
die Elementarftoffe auch zerftört find, (wie wenn Gold, das Blei mit fi 
vereinigt enthält, übrig bleibt, wenn auch das Blei aufgelöst if). Der 
Geift des Menſchen hat nun eine Hinneigung (inelinatur) zu jenem feinem 
himmliſchen Körper und wird am Ende der Weltbewegung mit ihr wieder 
vereint, fo daß das Gericht gehalten wird über den mit dem geiftigen, 
bimmlifhen und ungerftörlichen Körper vereinten Geift, was eben das 
Menſchenweſen ausmacht (in quibus consistit homo), und an dem Mens 
ſchen nach feinen Verdienften Himmelfahrt, oder nach feinem Mißverdienfte 
(pro demerito) Höllenfahrt vollzogen wird, (Exc. X, 672.) 


470 


Allgemeines Gericht. 


Die Urſache, warım ein allgemeines Gericht ift, iſt, weil ver 
allmädhtige, weile und barmberzige Gott auch gerecht ift. Wie wäre er 
Gott, wenn er nicht gerecht ift? „Gerecht ift der Herr, er liebt Gerechtig⸗ 
keit.“ Allmächtig bewies er fih in der Schöpfung, weile in der Anord— 
nung des Ganzen, barmberzig in der Erlöfung. Es ift nur mod übrig, 
daß er fih ald gerecht beweist. Da er nämlich gütig ift und die geiftige 
Natur mit Freiheit ausgeftattet hat, um feine Güte zu verfoften, jo er: 
fordert die Gerechtigfeit, daß über diefe geiftige Natur ein Urtheil gefällt 
werde, ob fie durch ihre Freiheit das Leben verdient babe, weldes in 
dem Genuffe des Schöpfers felbft befteht, oder nicht. Und da Derjenige 
ohne alle Entſchuldigung ift, der nicht im Werke fich barmberzig zeigt 
(denn wie will Derjenige, welcher nicht Mitleid mit dem Nächften gehabt 
hat, die Strenge der Gerechtigkeit mildern?), fo wird das ftrenge Gericht 
gegen Diejenigen ergehen, die in den Werfen der Barmherzigkeit fich lieb» 
[08 bewielen haben. Da vor dem Angeſichte jened Richters fein Menſch 
rein ift, fo haben wir nichts darzubringen, als die Werfe der Liebe, da: 
mit fie unfere Unreinigfeit zudeden. Wir können bei dem Mangel der: 
felben feine Entfhuldigung finden, denn im und felbft finden wir den 
Richter im Gerichte unferes Gewilfens, welches jagt, daß wir das dem 
Andern thun follen, was wir wollen, daß man und thue. In jenem 
gerechten Gerichte ift Alles klar und offen, und es fann über den Aus 
fpruch des Richters kein Bedenken geben, weil er nur über Dasjenige 
richtet, was vor unferem eigenen Gewiſſen unbeftrittenermaaßen als 
gerecht erfcheint (Non judicat nisi super iis, quae apud conseientias 
nostras sunt notorie justa). Es bedarf feines Advocaten, feines Ge 
richtsverfahrend, es find Feine Zeitfriften zur inleitung des Proceſſes 
nothwendig. In Einem Augenblif wird die Sache erledigt, Eine Een 
tenz iſt es, die ruft und verdammt, Zum Richter ift einzig Derjenige 
eingefeßt, der an und durch fich felbft Richter ift, Jeſus der Gottmenid; 
indem Alle ihn als den Richter anfchauen, fchauen fie in ihm ihren 
Urtheilsſpruch. Die ihm Gleichgeftalteten werden Kinder Gottes genannt 
werden, weil er felbft der Sohn Gottes ift, die ihm Unähnlichen werden 
dem ihm unähnliben Satan zugefellt werden, ver mun ihr Haupt und 
Fürft fein wird. (Exe. V, 511.) 





471 


Die Vortrefflichkeit der hriftlihen Sittenlehre, 


Die meiften Stifter von Religionen (legislatores) haben das ewige 
Dort in ihren Religionsfgftemen (leges)') auszudrüden fih bemüht, 
und die einzelnen Religionsiyfteme find gewiſſe Gedanken (quaedam 
loeutiones) des Wortes Gottes, der ewigen Vernunft, ?) 

Nur jenes Sittengefep ift gut, welches aus der Liebe hervorgeht; 
je mehr es Liebe enthält, deſto befler ift ed. Das Sittengefeg, das die 
volltommenfte unveränderliche und ewige Liebe felbit ift, iſt nicht von 
diefer Welt, weil es durch jeden vernünftigen Geift allezeit erfüllt werben 
kann. Er kann in ver Beobachtung desſelben leben. ... Glauben wir, 
Chriſtus fei der Sohn Gottes, fo zweifeln wir nicht im Mindeften, daß 
feine Worte die Worte Gottes des Vaters find, der ihn gefendet, fomit 
Worte der Wahrheit, fo daß Himmel und Erde vergehen, aber feine Worte 
nicht, fowie, daß Gott, der Spender des Lebens, und in feinem Sohne 
nur Leben und Worte ded ewigen Lebens gegeben hat. Im Glauben 
an Jeſus, den Sohn Gottes, haben wir den Glauben, der die Welt 
überwindet, der und die zuverfichtliche Gewißheit gibt, wir werben bie 
Verheißung des ewigen Lebens erlangen, wenn wir feine Gebote erfüllen. 
Und damit nicht die Menge der Gebote und die Erlangung ded Bers 
beißenen unmöglih made, jo haben wir nur Ein Gebot, die Liebe, 
das in erfter Linie fih auf Gott, im zweiter auf den Nächten bezieht. 
Eofern es fih auf den Nächten bezieht, bewegt es fid im Aehnlichkeit 
mit dem Gebote der Liebe Gottes. 

Daß aber Alles aus dem Glauben hervorgeht, erficht Jeder aus 
folgender Berradtung. Iſt der Glaube an Jeſus, den Sohn Gottes, 
groß und vollfommen, und nicht der mindefte Zweifel mehr vorhänden, 
wie denn die Apoftel und Märtyrer ihren Glauben durch ihr Blut bes 
zeugt haben, fo begeht der fo Glaubende aud Feine Sünde, denn er 
weiß mit voller Gewißheit, daß die Sünde, wenn fie Todfünde ift, den 
ewigen Tod herbeiführe. Der Glaubende jtirbt lieber den zeitlihen Tod, 
ald daß er eine Todſünde beginge. Alle Unbilden diejer Welt trägt er 
mit Freude in größter Geduld; denn er weiß, daß zweifellos das Wort 
Ehrifti feftfteht: „Freuet euch und frohlodet, die ihr Unrecht duldet, groß 
ift euer Lohn im Himmel’; er weiß, daß Die, welde in den Augen der 
tbörichten Welt zu fterben fchienen, in der himmliſchen Glorie leben. 
Der wahre Ehrift befiegt die Welt; die Armuth, die den Kindern dieſer 





1) lex beveutet bier im Zufammenhange — Glaubens: und Sittenfyftem, wie auch 
an vielen Stellen in: de cribrat. Alcoran. In dem obigen Nbfchnitte tritt jedoch mehr 
ber Begriff des auf dem Glauben rubenden Sittengefehes in dem Worte lex hervor. 

2) Der Grundgebanfe der Schrift: de pace fidei, 


472 


Welt läftig ift, ift den Söhnen des Lichtes willfommen. Denn die Ars 
muth diefer Welt bringt ihm die Schäge der andern Welt, nad der er 
eilet, um dort zu bleiben. Die Betrübniß in dieſer Welt bringt dem 
Glaubenden die Freuden der andern Welt, der Tod hienieden dort — das 
ervige Leben. Wie bewundernswerth ift die Kraft ded Glaubens, der 
in jedem Leiden Troſt findet. In diefer Erwägung ſpricht der Chtiſt: 
wer follte nicht Gott lieben, von dem wir einen 2ehrmeifter haben, ver 
und die von jeher verborgenen Geheimniffe enthüllt. hat? Wer wollte 
nicht diefen Lehrmeiſter lieben, ver und gelehrt hat, mit Einem Worte: 
es heißt Glaube, können wir zu Allem, auch was unfern Verftand übers 
fteigt, uns hinauf erheben und Alles glüdlich erreihen. Wer wollte den 
Lehrmeifter nicht lieben, der, da er und die Dinge des Glaubens nur 
durh das Hören mittheilen Fonnte, Fleiih annahm und fi unferer Nas 
tur gleichgeftellet hat, um und auf diefem Wege den Glauben zu. vers 
fünden und und aus dem zerftörlihen Leben ind ewige hinüberzuführen? 
Wer wollte nicht diefem Lehrmeifter buldigen, der, da er und die Wahr 
heit des Evangeliums nicht vor die Augen ftellen fonnte (quum non 
posset ad oculum ostendere), durch fichtbare Wunder und übernatürlice 
Werfe uns allen Zweifel benommen und zulegt und nod das allergrößte 
Zeugniß der Wahrheit gegeben bat, indem er im fchmählichiten Tode 
fein Leben für die Wahrheit hbingab?... In feinem Blute hat er und 
gereinigt, in jenem Opfer auf dem Altare des Kreuzes. 
(Exec. VI, 538. 539.) 


Die Gebote Gottes find Gebote der reinen Vernunft. 


Ohne allen Zweifel ift die abfolute Vernunft der König des Unis 
verfums, alles Seind und Lebens . . . . Chriſtus Jeſus iſt diefe incars 
nirte abjolute Vernunft. Er ift daher unfer König, wir feine Unter: 
thanen ... Wir find ihm daher nicht einen bloß relativen Gehorfam 
(non debemus obedire secundum quid, hoc est in eo, in quo nobis 
videtar) ſchuldig, jondern bis zum Tode, ja zum fchmählichften Kreuzed- 
tode. Wir willen jedoch, daß ein wahrer König nichts Böſes befichlt, 
jondern feine ganze Regierung zielt auf das Gute bin. Wenn daber 
aud etwas hart und ſchwer erfceint, jo lange es geichieht, aber füß in 
feinem Ende ift, jo zweifelt doch fein Menſch, daß das gefchehen müſſe, 
was die Vernunft gebietet. Die Gebote unfered Königs find die 
Gebote der unbefledten, unbejhränften, gerechten, wahren, guten, voll 
fommenen, fräftigen, weifen und allvorfehenden Vernunft: Den zu lieben, 
der dir Alled gegeben hat, was du haft, fammt der Fähigkeit, zu ergreis 
fen, was du willft: Leben oder Tod. Erſcheint er dir nicht als der Maͤch— 


473 


tigfte, Befte, Freigebigfte und Gerechtefte? Wer ift er? Er ift der Herr 
der Kräfte, der König der Herrlichkeit, der Vater und Urgrund alles 
Seins, Lebens und Denfens! Ich muß ihn daher mit ganzer und voller 
Kraft abfolut lieben, ihn den Urquell aller Tugenden, ver in fi 
liebenswürdig ift, von dem jede gute Gabe flammt. Zweitens, Niemand 
zweifelt, daß, wenn Gott unjere Liebe verdient, ihm nichts vorgezogen 
werden darf, Wer etwas der Wahrheit vorzieht (Gott ift die Wahr« 
heit) zieht etwas Gott vor. Ein Solcher handelt gegen fein eigenes 
vernünftiges Sein und gibt fich felbft in den Tod hin. — Ein andres 
Gebot der Bernunft ift: thue dem Andern, was du willft, daß man 
dir thue; befolgit du Dies, fo liebft du Gott und den Nächften. Wer 
wollte diefen VBernunftgeboten nicht gehorhen? Der Jude und Heide, der 
Vernunft hat, fann fie nicht in Abrede ftellen. Unfer König beftehlt nichts 
Anderes, ald das zu thun, durch deffen Unterlaffung du dich felbft notb- 
wendig verdammeſt. Er befichlt nichts Anderes, allein er fügt nod 
bei, was vor ihm Niemand wifjen fonnte, weil Niemand ein 
Ange hatte, um fiber den geftirnten Himmel hinaus zu fchauen oder Uns 
förperliche® zu fehen. Die Vernunft war in Allen eine bejhränfte 
mit beftimmten Maaße; Keines Vernunft reichte bid zum Ans 
fange ihrer felbftz wie wenn ein Mind nach feiner Geburt auf eine 
Inſel ausgefegt würde und bis zu den Jahren der Jugend über feinen 
Anfang nachdenken fellte, fo würde es ſchlechterdings nichts finden... - 
Daher fam Ehriftus und verfündete und vom Himmel den Anfang unfes 
res Geiſtes, deffen Ziel und Ende und das Leben im Reiche des Baters, 
und gab uns alle möglibe Bürgſchaft unfered Glaubens an ihn... . 
(Exc. III, 424.) 


Nachweis des freien Willens, 


Der Menſch bat einen Leib, der nicht aus fich lebt; denn wir jehen, 
daß der Leib Fein Leben hat, wenn ihm die Empfindung fehlt (quando 
non sentit). Er bat alfo das Leben aus der empfindenden Kraft (sen- 
sitiva virtus). Wir feben aber, daß diefe Kraft nad Richtungen, vie 
ihrem Wünſchen gerade entgegengefegt find, gelenft werde, wie zur Keufch- 
heit und Enthaltfamfeit. Demnach muß das eine höhere Kraft fein, der 
die Empfindung dient, und dies ift der freie Wille. Der freie Wille 
fann aber nur in der geiftigen Natur fein. Denn der Wille fegt Einſicht 
voraus, da er ein Wählen ift; das Wählen ift ein Vergleihen und Unters 
ſcheiden. (Exc. X, 680.) 


474 


Gnade. 


Zum Behnfe des fittlihen Fortichritts läßt Gott auf eine Zeitlang 
eine Verfuhung zu, allein zur rechten Zeit ift der Beiftand da, der, wenn 
er angefleht wird, aus der Berrängniß befreit, ja, er befreit nicht mur, 
fondern verherrlicht den Angefochtenen, weil er in der Verfuchung geſiegt 
hat. Ehriftus gibt den Siegeslohn Dem, in welchem er felbft geſiegt bat, 
denn Der, in dem er flegt, ift fein Getreuer, er wohnt daher in ihm mit 
feiner Gnade, Das MVerbleiben der Gnade des Herrn beruht auf der 
Treue feines Dienerd (Gratiae domini mansio est fidelitas servitoris). 
Der Herr fchreibt den Sieg, den er durch feine Kraft und Macht errungen 
hat, der Treue feines Dienerd zu. Die Treue erlangt daher den Preis, 
denn fie ift es, welche die ſtarkmachende Gnade an fich feflelt. Chriftus 
fagt: „Es genügt dir, Paulus! meine Gnade,“ denn die Natur genügt 
nicht. Nur die Gnade ift das Genügende (est sufficientia); fie enthält 
das Fehlende. So fann dem Diener eines Königs der Adel der Geburt, 
Tapferkeit, Klugheit und mehreres Anvere fehlen, was von einem fönig 
lichen Diener gefordert wird, allein wegen feiner Treue iſt er im der 
Gnade des Königs. Diefe Gnade des Königs genügt, fie ergänzt Alles, 
fie macht ihm adelig, tapfer, Hug in den Augen des Königs und das 
genügt ihm, in den Augen des Königs durch deſſen Gnade ohne Mangel 
dayuftehen. Die Gnade macht den Menſchen würdig, Adoptivfohn Gottes 
und fo auf das Höchfte, ald Erbe des Reiches Gottes, glücklich zu fein. 
Die Gnade Gottes ift das Princip (forma), das die ſchwache Natur zur 
Bolltommenheit bringt (perficiens). Die Fülle der Gnade in ihrem Fort 
jhritte zur Mittheilung an Alle ift Ehriftus (plenitudo gratiae profieien- 
tis ad communicandum omnibus est Christus), aus deffen Fülle Ale 
empfangen und vollfommen werben. Wie dem Paulus, fo genügt Allen 
diefe Gnade, die die abfolute Gnade ift, ohne vie Niemand Gott wohl 
gefällig fein fann, durch welche Alle Gott wohlgefällig werden, weil in 
dem wahren Sohne Gottes, deſſen Sohnfhaft alle Gnade in fi fahl 
(eomplicat). 

Seien wir alfo getreu, wie Paulus, und zeigen wir gleich ihm die 
Treue in jeglicher Bedrängniß, und wir werden hinreichende Gnade haben, 
durch die wir ihm ähnlich werden, in der Herrlichfeit Gottes des Waterd, 
der gepriefen ſei in Ewigfeit! (Exec. IX, 645.) 


Gnade, in und aufgenommen durd Liebe. 


Gott kann feiner Natur nah nicht in einem befchränften Raume 
fein. Allein die Gnade ift das Gleiche in Vielen. Die Gnade eined 


475 


Königs kann auf vielen feiner Diener zugleich ruhen und dies {ft fo viel, 
ald daß Viele in der Gnade ded Königs find. Daß Gott durch feine 
Gnade in vielen Heiligen ift, heißt fo viel als: viele Heilige find in der 
Gnade Gottes. „Wer in der Liebe bleibt, bleibt in Gott und Gott in 
ihm." Es ift eine Coincidenz: das Bleiben des Heiligen in Gott und 
Gottes in dem Heiligen. Da jedoh Gottes Gnade feine Güte und feine 
Welenbeit ift (cum Dei gratia sit bonitas ejus et sit essentia ejus), jo 
it Gott nirgends durch feine Gnade, wo er nicht ift durch feine Wefenheit, 
wiewohl Gott nicht in Allem, was ift, ald Gnade aufgenommen wird. 
Wohl aber würde Alles, was ift, micht fein, wenn im ihm nicht Gott 
wäre, der das Sein (entitas) alles Eeins iſt. . . Obwohl Gott nichts von 
AMem, was er gemacht bat, haffen kann, fo fann er doch das Eine _ 
mehr lieben, ald das Andere. In diefer Hinficht hat Gott eine Regel 
gegeben, nach. der wir wiffen, ob er uns liebt, und wir in feiner Gnade 
find, wenn er fagte: „Sch liebe, die mich lieben.“ Unſere vernünftige 
Natur, welcher von Gott die Fähigkeit gegeben ift, Gott zu faffen (capax 
Dei), ift der Tempel, in welchen Gott aufgenommen werden fann nad 
einer Barmherzigkeit und Liebe, wenn wir Gott lieben. Im feuer der 
geiftigen Liebe wird Gott aufgenommen, der die Liebe if. Die Liebe iſt 
etwas Edles und Freied. Unſere geiitige Natur muß daher edelgeſinnt 
und frei fein, um wahrhaft und auf edle Weife ihren Gott Tieben zu 
fünmen. Wird Gott wahrhaft geliebt, er, der die Liebe ift, fo muß er 
nothwendig in dem Liebenden fein. Mer einen förperlihen Gegenftand 
liebt, trägt denfelben im feiner Liebe; weil aber diefer Gegenftand nicht 
die Liebe ift, fo iſt er micht in dem Liebenden, obwohl der Liebende in 
fh die Liebe zu ihm trägt. Der Gegenftand iſt nur in feinem Bilde im 
Liebenden, nicht in der Mahrheitz nur Gott fit im der geiftigen Liebe 
wahrhaftig, weil nur Gott die Sättigung der Liebe if. Da das, wad 
außer Gott (praeter Deum) geliebt wird, nur im Bilde zu dem Liebenden 
gelangt, fo fann es nicht füttigen. Die geiftige Liebe findet außerhalb 
der Wahrheit feine Ruhe. Jene Schattenbilder und Scheingeftalten von 
göttliher Liebe bringen nur Dual und Leiden (Umbrae igitur illae et 
figurae charitatis divinae potius eruciant et passiones inferunt). Der 
Tempel Gottes iſt der von Liebe erfüllte vernünftige Geiſt. Wenn der 
Liebende das Bild des geliebten Gegenftandes in fih trägt, fo hat er ſich 
zur Aehnlichkeit mit demſelben umgeftaltet (hoc est se transformasse etc.) 
Lieben wir daher Niedriges, fo werden wir ind Niedrige umgeſtaltet. . .. . 
Wer daher Gott liebt, trägt fi in Gott über (in Deum transfertur), 
was nicht gefchehen kann, ohne daß fi Gott gewiffermaaßen auch in ihn 
überträgt (quod esse nequit, nisi Deus fuerit quodammodo translatus 
in ipsam, scil. mentem). Da Gott die Liebe ift, fo kann der Geift Gott 


476 


nicht erfennen, ohne ihn zu lieben. So fann es denn feine wahre Erfenntnif 
Gottes geben, wo nicht die Liebe if. Im jedem Sünder ift daher Uns 
fenntniß (ignorantia) Gottes. Affimiliren und Affimilirtwerden coin— 
eidiren im Geifte, wie Erkennen und Lieben. Ohne eine Sehnſucht erfennt 
der Geift nicht und ohne Erfenntniß liebt er niht. (Exec. V, 503.) 


Die Belehrung. 


Dbwohl die Todlünden eine ſolche Laft find, daß fie die fündige 
Seele ſchwerer machen, ald das ganze Gewicht der Erde, fo daß die 
Seele dadurch bis in die Hölle, zum Gentrum der Erdenfchwere herabge— 
drüdt wird, fo ift doch Jeſus barmherzig und fucht jede irrende Seele 
auf. Läßt fie fib von ihm fuchen und verbirgt fie ſich nicht vor dem 
Antlige ded Suchenden, dann ergänzt er felbft ihre Ohnmacht, fi in 
den Himmel zu erheben und auf feinen eigenen Schultern trägt er fe 
binauf in die Freude der Heiligen. 

Melde Strafe verdient der Verirrte, der fich nicht finden und bes 
fehren läßt! Seine Trauer wird mit Necht fo groß fein, ald groß die 
Freude im Himmel über feine Befehrung geweien wäre. Ewige Trauer 
und ewiged Elend ift alfo fein 2008, weil die Freude im Himmel 
ewig ift. 

Wenn ein Glied des Körpers das Leben verloren bat, z. B. die 
Hand verdorret ift, und dann das Leben wieder erhält, fo ift der ganze 
Menſch darüber erfreut. 

Der Auffindung einer verlormen Seele geht eine Umkehr (revolutio) 
des ganzen Haufe voraus. Bevor der Sünder fih ald Sünder be 
fennt und Reue empfindet, gebt eine große Veränderung In ihm vor und 
Alles, was im Haufe ift, muß fich verändern. In der wahren Buße 
erleidet die ganze Sinnlichkeit eine Umgeftaltung, alles Ergötzen des 
fletichlih gefinnten Haufes wird zernichtet, eine Art Todesfampf (quae- 
dam agonia) geht dem Sceiden von der Welt voraus, auf daß durd 
die Buße die Reinigung der Seele erfolge, die mit der ewigen Weisheit 
wieder verlobt werden fol, Wenn dann die Weisheit ihre geliebte Braut 
aus dem Rachen des Todes und Verderbens entriffen hat, jo ruft fie die 
Nachbarn zufammen, ſich mit ihr zu freuen. Das find die Kräfte der 
Engel, die der Weisheit zunächit find. So freuen fih denn alle ver 
nünftigen Geifter mit dem Worte Gottes, wenn Eine vernünftige Seele, 
die verloren war, durch die Weisheit wiedergewonnen wird. Den 
ohne einen Sieg über den Fürften diefer Welt ift dies micht möglid; 
daher freuen fich über diefen Sieg des Wortes, das die Waffen feines 
Feindes zerbriht und feine gefangene Braut befreit, alle Kämpfer 


477 


feined Heeres. Beachte dies, o Sünder! Siehe, wie did dein Schöpfer 
liebt, der über deine Errettung eine foldhe Freude hat, mit dem ſich audı 
alle heiligen, vernünftigen Geifter freuen! Auch deine Freude wird aljo 
groß und ewig fein, weil du fiehft, daß fih Gott und alle Heiligen um 
deinetwillen freuen. Dieje Freude Gotted und der Heiligen ift deine 
Freude. Mit ihnen allen wirft du dich mit Ehriftus, deinem Erlöfer, 
freuen, dem du, wie er es verdient, ewige Ehre und Verherrlichung 
erweileft. | ( Exc. VI, 543.) 


— — 


So weit der Himmel von der Erde ift, jo weit ift die Freude der 
Himmlifshen von der der Erdbewohner, und das Etreben Ehrifti, einen 
Sünder aufzuſuchen und zu befehren, von den Bemühungen eines Men: 
Ihen, fein verlornes Schaf wieder zu finden, verſchieden. 

Wenn die Todfünde auch noch fo ſchwer ift, fo daß fie die fündige 
Seele mehr befhwert, als jede Laft der Erde, und die Eeele bis zur 
Unterwelt, bis zum Mittelpunft der Schwere herabfinft, fo ift doch Jeſus 
jo gnädig, daß er jede verirrte Seele fucht. Und wenn fie fi finden 
läßt und ſich nicht jelbft vor dem Antlige des Suchenden verbirgt, jo er- 
gänzt er Jelbft ihre Ohnmacht, in den Himmel fib zu erheben und trägt 
fie auf feinen eigenen Schultern hinauf zur Freude der Heiligen. 

So groß wird die Strafe des Verirrten, der ſich nicht finden und 
befehren laſſen will, fo groß wird billig des Verftodten Betrübniß fein, 
ald groß Die Freude über feine Bekehrung im Himmel geweſen wäre. 
Ewige Trauer und ewiges Elend wird ihn treffen, weil auch die Freude 
im Himmel ewig if. Die Freude im Himmel wird vermehrt dur die 
Theilnahme an der Geſellſchaft der Heiligen und über neunundneunzig 
Gerechte entfteht Feine fo große Freude, als über die Befehrung eincs 
einzigen Sünderd; denn die Gerechten find immer Eines mit dem Vater, 
wie geliebte Söhne; und weil fie nicht tobt, jondern lebend find, fo ents 
fteht feine Freude über fie, als hätten fie neu aufgelebt. Wo aber Ein 
Glied des Körpers das Leben verloren hat, 3. B. die Hand verborrt 
it, da empfindet das ganze Leben des Menfchen, wenn jenes dem Leben 
wiedergegeben ift, Freude, und es ift, wie wenn das Leben, das verloren 
war, wieder gefunden worden wäre In allen andern Gliedern aber war 
dad Leben nie verloren, daher auch in ihnen feine Freude über ein wieder 
erneutes, fondern nur über die Erhaltung und Vermehrung des gewöhn— 
lihen Lebens. Die daher über große Sünden eine recht lebhafte Reue 
empfinden, erregen die Freude aller Bürger der triumphirenden Kirche, 
und je mehr wir die Freude der Heiligen erregen, eine deſto größere 
Freude erlangen wir felbft. Wenn wir und ſchon in diefer Welt bemühen, 


478 


Soldies zu thun, worüber fib Jedermann unter uns freut, fo laßt und 
noch viel eifriger Werke der Buße thun, über welche ſich die ganze himms 
liihe Verſammlung ewig freut! 

Mit einem Lichte wird die verlorene Seele gefucht; fie verbirgt fid, 
denn fie ſcheuet das Licht, weil die böfen Werke fich verbergen. Der 
Auffindung derfelben geht daher eine Umwälzung in dem ganzen Hauſt 
vorher. Bevor die fündige Seele fi als Sünderin befennet und Buße 
thut, geht eine große Veränderung vorher und Alles, was im Hauſe if, 
geräth nothiwendig in Bewegung; denn bei der wahren Neue beugen fid 
alle Sinne und jedes Vergnügen des fleifchlichen Haufes wird vernictet: 
der Scheidung von der Welt geht ein Kampf voraus, jo daß durd 
Buße eine Reinigung der Seele, die nun der ewigen Weisheit fich ver: 
lobt, erfolgt. Wenn daher die Weisheit ihre geliebte Braut dem Rachen 
ded Todes und ded Verderbend entriffen hat, fo ruft fie ihre Nachbam 
zur Mitfreude auf — die Eugel, die der Weisheit am nächſten ftehen. 
Es freuen fib alle vernünftigen Geifter mit dem Worte Gotted, wenn 
diefes eine verlorene vernünftige Seele durch Weisheit wieder gewinnt; 
denn dies ift ohne einen Sieg über den Fürften diefer Welt unmöglic. 
Daher müfjen fih über den Sieg ded Worts, wenn ed die Waffen ſei— 
ned Gegners zerbricht und die von diefem gefangen genommene Braut 
befreit, alle aus feinem Heere mitfreuen. Beachte nun, o Sünder, wie 
fi mit dem Worte Gotted bei deiner Befehrung alle Engel mitfreuen! 
Siehe, wie dich dein Schöpfer liebt, der fih über dein Wohl fo jebr 
freut und mit ihm alle vernünftigen Geiſter! Deine Freude wird alſo 
ewig und unendlich fein, weil du über did — Gott und alle Heiligen fih 
freuen fiehft und dieje ihre Freude wird auch deine Freude fein, weil du 
mit ihnen allen in Chriſtus dich freueft, dem du dadurch ewigen und nie 
welfenden Ruhm und Preis bereiteit. (Exec. VI, 542. 543.) 


Weg zur Lostrennung von der Sünde. 


Zuerft muß man in das Herz fich erheben (ascendendum est primo 
ad cor), für's Zweite in ein reined Herz, drittens in ein reines und 
von Liebe entzündetes Herz. 

In die Todfünde haft du dich durch dreifaches Herabfteigen vers 
widelt: dur die Wegwendung von Gott im Hocmuthe, dem formalen 
Grund der Eünde und Hinfcehr an die Greatur, durch Wohlgefallen an 
der Eünde, durch wirflihes Handeln gegen das Geſetz Gottes. Erhebe 
dih nun gleichfalls in dreifaher Stufe! Zuerft wende das Herz von den 
Greaturen weg und habe den feften Vorfag, wenn du aud taufendmal 
fterben müßteft, Gott zu dienen und dich nicht mehr den Greaturen zu 


479 


unterwerfen, mit Schmerz über die erfolgte Wegwendung von Gott. 
Diefe Stufe ift die Zerknirſchung (contritio): das harte Herz wird 
erweicht, zerknirſcht und ſchmilzt. Zweitens, weil du Gott im Hochmuthe 
verachtet haft, mußt du dich einem Menſchen, der an Gotted Statt die 
Löjegewalt hat, demüthig unterwerfen und ihm, als wäre er Chriftus, 
der Herr und Richter, in Demuth, Zerknirſchung und Schmerz deine 
Eünden befennen. Dann werden dir nach dem Maaße der Zerfnirs 
bung. und der ehrfurctsvollen Verdemüthigung deine Emden in der 
Beihte nachgelaffen. Drittens, wie du bisher deine Glieder dur die 
Sünden zu Werkzeugen ded Satans gemacht haft, fo mußt du fie nun 
zu Werkzeugen der ©erechtigfeit machen, in Helligung, auf daß du Ents 
gegengeſetztes durch Entgegengefegted heileſt und. Genugthuung leiſteſt. 
Dann biſt du in's Herz zurückgekehrt. (Exc. III, 405.) 


Wiedergeburt. 


Das Ei fommt vom Schöpfer, daraus wird ein Vogel, dann wächst 
diefer jo, daß er fliegen fan. So iſt ed auch mit unjerer geiftigen 
Natur. Wie Gott die Greatur aus dem Nichtſein zur Aehnlichkeit mit 
ich ruft, fo fammelt die geiftige Natur die Aehnlichfeit der Dinge in fich, 
um fib den Dingen ähnlich zu machen. Der menſchliche Geiſt, durch das 
Wort Gottes belehrt, erfaßt daher Gott, um fih ihm ähnlich zu macen 
und nimmt in der Wiedergeburt die göttliche Geftalt feines Scöpfers an, 
wie dad Ei zu einem Jungen (in pullum) wiedergeboren wird. Allein 
ed gelangt noch nicht zur Vollfommenheit, jondern wird erft durd eine 
lebengebende Bewegung vollendet, wie dad Junge aus dem Ei noch feine 
Federn hat, fondern erft allmählig zum Fliegen fähig und dem Vogel, 
aus dem es ftammt, Ähnlich wird. Im der Geſtalt eines fliegenden Vo— 
geld wurde der heil. Geift geiehen. Die fliegende Taube bezeichnet 
ſeht richtig die Einfachheit des heil, Geiſtes. Der Taube gleich wird 
unjer Geift immer geiftiger, um zulegt zu jener göttlichen Geftalt zu ges 
langen, aus der er durch Erfhaffung hervorgegangen iſt. Siehe, wie 
das Ei, deſſen Bewegung feiner Natur nah nach Unten geht, Icbendig 
wird. Nachdem es Nahrung zu fih genommen, erjtarft der Lebenägeift, 
ed erhält Federn, mittelft deren es fih erhebt, nach Dben bewegt und 
in die Höhe aufjhwingt. So wird unfere Seele, die nad der Natur 
des Fleiſches fih nach Unten neigt, wiedergeboren, wird lebendig, und 
wenn fie die Speiſe des geiftigen Lebens gefoftet, belommt fie die Fe 
dern der Liebe und der Betrachtung (contemplationis) und ſchwingt ſich 
in die Höhe. (Exc. X, 674.) 


480 


Wer Quellwafler trinkt, trinft nicht die Quelle ſelbſt; könnte er bie 
Duelle felbft trinfen, fo würde er nie mehr dürften, weil die lebendige 
Duelle in ihm wäre. Wer den Geift trinft, der trinft die voll fprus 
delnde Duelle, ein fi felbft unaufhörlich vermehrendes Woffer.... So 
wird auch die Kraft des Geiftes Chrifti, die den geiftigen Sohn erzeugt, 
zu einer geiftigen Quelle, die fih ewig lebendig aus fich felbft bewegt. 
Eie ift daher wie ein göttlicher, geiftiger Samen. Diefe geiftige Geburt 
wird Wiedergeburt genannt, weil unſere gelftige Natur noch einmal 
geboren werden muß. Gleichwie der Wiſſende noch einmal geboren if, 
weil der zuvor Unwiſſende (hinſichtlich des Wiſſens) ein anderer Menſch 
geworden ift, nicht ald 0b von Außen etwas Sichtbares in den innern 
Menſchen eingedrungen. wäre, fo wird unfer Geift wiedergeboren, wenn 
in ihn der Same Gottes oder der Wiſſenſchaft des Lebens kommt, nict 
durd Gindringen von irgend Etwas von Außen, fondern durch die Kraft 
des Allerhöcften, die unfern Geift überfchattet, ihn ummwandelt und nad 
fih umgeftaltet, wie ein ſchöner Gegenftand die Traurigfeit in Freude 
verwandelt und nad ſich umgeftaltet. Wie daher der Sohn Gottes, 
nod einmal geboren (denuo natus) durd die Kraft des Aller: 
böhften Menfhenfohn geworden ift, jo wird der Menſchen— 
fohn, wiedergeboren durd die Kraft des Allerhöchſten, Got: 
tesjohn.... Zit das höhere, göttliche Princip — der Glaube, im unfern 
Geift eingelenkt, jo wird es zu einer göttlichen Quelle, deren wahres und 
lebendiges Waſſer ewig fortjtrömt. Daher fagte Chriftus, daß aus Dem, 
der an ihn glaube, Ströme lebendigen Waflerd von Innen heraus ewig 
audftrömen. (Exc. X, 657.) 


Ser Chrift bringt ſich Gott zum Opfer. 


Mer ein lieber Sohn Gottes fein will, der muß nach der Weile 
Ehrifti handeln, er muß aus Liebe fih zum Dpfer machen und fich Gott 
ald ein wohlriebended Opfer darbingen. In der vollfommenen Liebe 
aber wandelt Der, in dem die Liebe ftarf wie der Tod ift, d. b. in dem 
nichts, was fein ift (nihil sui), fondern nur Chriftus lebt. In wem nur 
Chriſtus lebt, in dem lebt die Liebe Gottes und des Nächften. 

Der wahre Chrift macht feinen thieriihen Menſchen zu einem Opfer 
thiere; er ftredft über ihn aus die Hände der Kraft des Geifted als über 
die Sünde, gleihwie Moſes das Opferthier Sünde nennt; er tödtet dad 
Verlangen und die Freuden des thieriſchen Menfcen, anf daß nur Ehriftue 
in ihm lebt. Ein ſolches Gott dargebrachte Opfer, das wegen ber Lieb 
lichkeit ſeines Geruches Gott verlöhnt, ift friedebringend, wie das Opfer 
Ehrifti und den Frieden gebracht hat. 


481 


Wer in fih den Hochmuth ertödtet, der hat ein Opferlamm ges 
ſchlachtet. Wer den Zorn zu Boden wirft, fchlachtet einen Widder. Wer 
der finnlichen Luft entfagt, hat einen Bock, ein lüfterned Thier, getödtet. 
Wer unnüge Gedanfen aus fidy entfernt, der opfert Vögel. Gin jever 
Leid, der auf diefe Weiſe getödtet wird, iſt ein lebendiges Opferthier. 
Dann fönnen wir mit den Apoftel fagen: „Immer tragen wir die Wunds 
mahle Jeſu an unferm Leibe herum, damit auch das Leben Jeſu an und 
offenbar werde.” Denn find die Eünden am lebendigen Opferleibe aus» 
gerottet, fo iſt die geheiligte und gottgefällige Seele eine Wohnung des 
bl. Geiftes. Der Apoftel nennt dieſes Opfer einen vernünftigen Gehor— 
jam, weil ſich ein vernünftiger Grund davon angeben läßt; die Tödtung 
von Thieren zu Opfern hat feinen vernünftigen Grund. 

(Exc. IX, 655.) 


Glaube, objectiv. 


Der Herr fprah zu dem Weibe: „Dein Glaube hat dir geholfen, 
geh Hin im Frieden!” um die Menſchen dur diefe wunderbare Nahrung 
einer Lehre in der Ueberzeugung zu befeftigen, daß nur der Glaubende 
das Heil erlangen kann und daß der Glaube mit dem Erlöfer coincidirt, 
jo daß das Sade des Erlöfers ift, was Sache ded Glaubens ift (fides 
illa coineidit cum salvatore, ut id sit salvatoris, quod est fidei). 
Denn indem Ehriftus ſprach: „Deine Sünden find dir vergeben,” war 
er 28, der vergab, wie die Anweſenden richtig einfahen. Jetzt aber fagt 
er, der Glaube habe ihr geholfen. Somit war Chriſtus der Glaube, der 
ihr geholfen, er, der ihr die Sünden vergeben hat. Chriftus Hilft alfo nicht, 
man glaube denn, er fei der Erlöfer. Somit bewirft der Glaube, der 
ſich Chriſtus als dem Erlöfer naht, daß Ehriftus hilft, fo daß die Er- 
rettung (salvatio) Sache Ehrifti und des Glaubens ft, nit als 
weier Verfchiedenen, fo daß der Glaube ein Anderes und Ehriftus ein 
Anderes iſt, fondern in Coincidenz, fo daß Chriftus der Glaube ift, 
der felig macht. Der Geift, der den Glauben an Ehriftus hat, geht in 
die Einheit mit Chriftus über, fo daß die Operation des Seligmachens 
nicht Chriftus angehört ald Einem, der feparat von dem Geifte Deſſen iſt, 
der felig wird, noch auch dem Glauben ald einer Macht, melde nicht 
Ehriftus ift, fondern Einem und Demfelben, Chriftus dem Seligmacher 
und dem Glauben des Befeligten (sed sit unius, qui est Christus sal- 
vator et fides salvati). Wer auf diefe Weile das Heil erlangt, indem 
er durh den Glauben in Ehriftus und Ehriftus durch Ertheilen des Heils 
in ihm iſt, den heißt Chriftus mit Necht im Frieden binziehen, denn er 
it zu dem Ziele des Lebens gelangt, in weldem Ruhe ift, fo er, um 

Sharpff, Nic. v. Cuſa. 


482 


den Frieden zu fuchen, nicht weiter zu gehen braucht, fondern ſich inmitten 
des gefundenen Friedens befindet; wie wenn ein noch unwiſſender Scüler, 
der lange einen Lehrer fucht, wenn er dieſen gefunden, . im Frieden ift, 
wenn er gleich noch nicht dem Lehrer Ähnlich iftz er wandelt nach gefun, 
denem Lehrer im Frieden, indem er immer größere Fortfchritte macht. 
(Exec. III, 426.) 


Glaube. 


Gott hat unferm Beifte zwei Dinge verlichen: das Hörenfönnen 
von feinem Ruhme (in diefer Welt) und das Schauen desfelben (in 
der andern Welt). Weil aber das Hörenfönnen vom Reiche Gottes in 
und ift und weil, was wir hören, das Wort ift, fo fönnen wir dad 
Wort vom Reiche Gottes hören. Weil aber nur Gott zu und von feinem 
ihm allein befannten Reiche reden fann, fo hat ung Gott das Glauben: 
fönnen verliehen. Ohne dieſes Glaubenkönnen fönnten wir feinen Rubm 
nicht faffen. Ohne Glauben könnte und über die unfichtbare Herrlichfeit 
Gottes nichts geoffenbart werden. Daher hat und Gott das Glauben 
fönnen verliehen, um jo mittelft des Gehörd die Offenbarung zu faflen. 
Weil aber, wer nicht geneigt iſt Cnolens), nicht glaubt, fondern nur der 
zum Glauben Geneigte (volens), und der Wille frei ift, fo ſteht es in 
unferer Gewalt, glauben fönnen oder nit. Wählen wir das Glauben, 
fo unterwerfen wir und dem Morte, fowohl im Verftande, den wir ge 
fangen geben, ald im Willen. Das Glauben tft ein Denfen, mit unferer 
Zuftimmung verbunden (credere est cum assensione cogitare); denn im 
Glauben (in ipso credere) ftimmt unfer geiftige8 Auge dem &ehörten 
oder das Sehen dem Hören bei, wie ich in einem wahren Berichte über 
etwas Schönes, das ich nicht gefehen, über dasfelbe zuſtimmend denk 
(cogito de illa cum assensu). ber dad Glauben ift nicht eim reines 
Hören oder Sehen des Geiftes, fondern es fteht unter dem Schauen und 
über dem Hören; denn wir ftimmen nicht Allem bei, was wir hören 
und fehen nicht Alles, dem wir beiftimmen; glauben wir aber dem Ge— 
hörten, dann flimmen wir dem Nichtgefehenen bei. Daher kann jeder 
Geift, der nur ein wenig Verftand hat, glauben, weil dazu Fein Scharf 
blick (acutus visus) erfordert wird, fondern ein mäßiger Grad gemügt. 
Die Einfältigen find daher geeignet zum Glauben, denn fie haben ein 
bereitwilligeres Gehör. Wir machen die Erfahrung, daß die mehr zum 
Sehen Aufgelegten weniger geneigt zum Hören find, und umgefehrt. Jeder 
Schüler muß zuerft aufmerffam zuhören, dann das Gehörte forgfältig über: 
legen, um fchließlich in fi die Wahrheit des Gehörten zu ſchauen. Nur 
wer ganz ohne Verftand ift, kann nicht glauben, weil er nicht denfen und 


483 


nicht beiftimmen fann. Daher wird auch den Kleinen und Einfältigen 
das Reich Gottes verfündet, und ed muß, um die Offenbarung zu faflen, 
der Mann ein Kind und der Weile ein Thor werden, d. h. alle Weiss 
beit, die fi irgend welche Kenntniß vom Reiche Gotted anmaft, für 
Thorheit halten; denn mie ift in eined Menfchen Sinn etwas dem 
Reihe Gotted Achnliched gefommen. Er unterwirft fib dann dem Worte 
Gottes, um es zu fallen. (Exc. VI, 536.) 


Der Glaube geht über die Kraft der Natur. Dem Glaubenden 
iſt nichts unmöglid. Denn das Wort, durd das die Himmel erjchaffen 
find, wohnt in unferer Seele durch den Glauben, deſſen Belcbenves, 
woraus feine Wirffamfeit entjpringt, die Liebe ift. Nichts Anderes be: 
wirft das Heil, ald der Glaube an Chriſtus Jefus dur die werkthätige 
tiebe (Nihil aliud operatur salutem, nisi fides in Christo Jesu per 
charitatem operantem).... Da unfere Seele das lebendige Abbild der 
unendlichen Kraft Gottes ift, jo kann fie Gott gleichgeftaltet werden durch 
einen habitus der Gnade, der ihrer Natur verliehen wird (qui ad- 
ditur naturae suae), und diefer habitus ift das lebendige Licht des 
Glaubens. Der Glaube, der in ein demüthiged Gemüth fommt, ers 
bebt die Natur über ihre Grenze hinaus. Wie das Auge die Geftirne 
nur durh das von dieſen ausjtrahlende Licht erblidt, jo erfennen wir das 
Göttlihe nur im göttlichen Lichte, welhes der lebendige Glaube iſt. Der 
Glaube hat feine Wohnung nur in einem demüthigen Gemüthe; ver 
Stolze, Anmaßende glaubt nicht, wenn er nicht begreift, der Demüthige 
begreift nicht, wenn er nicht glaubt. Deßhalb find unfer Etammvater 
und der Lucifer gefallen, weil fie nicht aus Glauben und Gehorſam, fon- 
dern aus ihrem eigenen Wiſſen leben wollten. Die wahre Beichaffenheit des 
Ölaubens ift eine Gottähnlichkeit. Nun ift Gott dreieinig, fo alfo auch 
jene Beſchaffenheit. In derfelden fehen wir ein Princip, den Glauben, 
aus diefem geht die Hoffnung, aus beiven die Liebe hervor, wie aus 
dem Sonnenftrahle das Licht, aus diefem die Erleuchtung, aus beiden 
die Wärme. Der Glaube iſt aus’ dem Vater, die Hoffnung aus dem 
Sohne, die Liebe aus dem heiligen Geifte. Ze vollfommener der Glaube, 
deito vollfommener aud die Hoffnung und die Liebe. Jeſus lehrte den 
Glauben an den Vater, die Hoffnung auf ihn, die Liebe zum bl. Geift. 
Der Bater ift in und durch den Glauben, der Sohn durd die Hoffnung, 
der hl. Geift dur die Liebe. Chriftus hat und wiedergeboren zum 
Ölauben, und lebendige Hoffnung zu ihm felbit eingeflößt. Der Glaube 
iſt todt ohne die Liebe, wie der Körper ohne die Seele. Allein ohne 


die Hoffnung geht aus dem Glauben die Liebe nicht hervor. Wunders 
31 * 


484 


bar! Der Glaube belebt fi felbft und erzeugt aus fich die Hoffnung; 
ans beiden entiteht die Liebe, die das Leben des Glaubens ift. Die 
gläubige Seele lebt alfo ein unfterblice® Leben, weil fie den Duell des 
Lebens in fih hat. (Exc. V, 506 f.). 


Irdiſche Weisheit und Glaube, jedes in feinen Wirkungen, nach Paulus. 


Durch die Bhilofophie, die irdifhe Weisheit werden Diejenigen gu 
täufcht, welde in diefer Welt weife fein wollen. Der Apoftel Paulus 
nennt jene Weisheit eitlen Trug aus menichlichen Ueberlieferungen. Wenn 
gleich die menfchlihe Weisheit vieles Wahrfcheinliche lehrt, fo ift es doech 
eitel; denn es ftammt aus den Elementen diejer Welt, nicht aus Chris 
ftus, in welchem die Fülle der Gottheit feibhaftig wohnt Alles, was 
der Bater hat, hat er dem Sohne gegeben, indem er ihn in der Fülle 
der Gottheit zeugte; in ihm wohnt alfo die Fülle leibhaftig (corporaliter), 
denn er hat einen Leib angenommen, in weldem der vollfommene (plenus) 
Gott geblieben if. Wer alfo in ihm ift, der ift, wie der Apoftel jagt, 
aller Weisheit voll, weit mehr, ald es durch die Elemente der Welt 
möglich iſt; denn in Chriftus empfangen, die in ihm find, den Neid: 
thum der Gottheit (abundantiam divinitatis). Das ift der jchlicte 
Glaube (simplieitas fidei), an dem man nad der Lehre des Apoftels 
fefthalten fol. Alles Andere follen wir für nichts halten, bauptädlid 
jene menſchlichen Erfindungen, die durch die böfen Engel eingegeben find. 
Diefe Ueberlieferungen böfer Geifter find die Urſache des Götzendienſtes 
von ihnen rührt nämlich die Aftrologie ber, mittelft deren fie Die Mau 
hen zu Wahrfagungen verleiteten. Daraus entftanden dann die Götzen— 
bilver aus den verfchiedenen Conftellationen, was weiterhin dazu führte, 
Geifter mit ihren Einwirkungen, wie den Geift des Saturn und Jupiter 
an die Bildniffe zu bannen (alligandi spiritus influentiales), endlich dieſe 
Geifter dur eine nur Gott gebührende Verehrung für ſich zu gewinnen. 
So hat der böfe Geift eine Art von Religion, die von Gott hinweg 
führt und im welcher mur jener verehrt wird, eingeführt. Diefen Trug 
vernichtet nur die Religion Chrifi. Der Glaube, daß die Lehre Chrifti 
die Lehre des wahren Gotted und feines Sohnes iſt, zerftört jene Leber 
lieferungen, welche für Engellehren ausgegeben werden, und dedit fie ald 
das Werk der böfen Geifter auf, die durch Ehriftus ausgetrieben worden. 

Die Summe der Lehre des Paulus if demnach: was ben 
Menfhen von dem einfachen Glauben abzieht, wie die irdifche Weisheit, 
die Meinungen von einer Religion der Geifter ic. iſt verwerflich, denn 
es iſt nicht die gefunde Lehre. Den Herrn Jeſus Chriftus anziehen, 
beißt fih mit unvergänglihen Tugenden fhmüden, indem man die ver 


485 


gänglihen Begierden ertödtet, und Gerechtigkeit, Wahrheit und andere 
Tugenden übt; fie find die Glieder des innern Menſchen, der nad) Gott 
geihaffen ift, Tugenden, wie wir fie an dem Haupte Ehriftus antreffen. 
Eo nehmen wir die Geftalt Chrifti an, wir werden Chriſto gleih ges 
ftaltet, die Sünden fterben im Tode Chrifti, und wir ftehen auf in Chris 
tus. Denn wer die Geftalt Ehrifti annimmt, an dem geht Alles gleich« 
mäßig vor fib, was wir an Chriftus volljogen fehen. Die Taufe ift 
das Eacrament der Abwaſchung der Sünde oder des alten Menfchen und 
des Anziehend des neuen Menfchen Chrifti durch den Glauben. 

Das ift eine furzge Erinnerung an Paulus und feine Lehre, die er 
von Chriftus hatte, der durch ihm gefproden, der ihn zu feinem Ges 
jandten auserwählt hat, wie Paulus dur die Kraft des Wortes und 
der Wunder bewiefen hat. Laffet und nun Gott Danf fagen für das 
Gefagte, und ihn inftändig bitten, er möge und den Geift des Paulus 
mittheilen, zu unferm Heile und zu feiner ewigen Berherrlihung! 

(Exc. IX, 637.) 


Glauben und Wiſſen. 


Durch das Mort Gottes entfteht in uns Fein ſolches Wiſſen, wie 
wenn wir durch das Wort eines Menfchen unterrichtet werden; die Weis— 
beit, die aus dem Worte Gotted in uns entfteht, ift Shmadhaft (sa- 
pida) und belebend, ein wahres Ergöpen für die Eeele, weil fie ein 
Strahl aus dem Lichte ift, durch dad Alles, auch die Seele, gemacht if. Sie 
demüthigt und belebt. Menſchliches Willen erzeugt wohl auch Freude, 
aber feine belebende und vergöttlichende, fondern oft nur eine eitle und 
aufblähende Freude... Das Wort Gottes iſt ein göttliher Same, der 
im Ader der vernünftigen Seele Frucht bringt, wenn der Ader durch 
lebendigen Glauben gut zubereitet if. Es hat eine umgeftaltende Kraft. 
Wo diefer Glaube ift, da ift die Vernunft, der Adyos — die Auctorität, 
jomit volle Gewißheit. Wo aber noch Zweifel ift, da begnügt ſich die 
Seele nicht mit der Auctorität des Nedenden, fondern fragt nach dem 
Örunde (de causa inquirit). in foldes Wort wandelt da® Innere 
nit um, fondern der Zuhörer fucht vielmehr das Wort in fid 
umzuwandeln. Wenn feine Einfiht das Wort nit für wahr hält, 
jo verwirft er ed; er will nicht glauben, außer er fehe. Wenn er aber 
fieht, glaubt er nicht, denn der Glaube bezieht ſich auf die Dinge, bie 
man nicht fieht. Die Gewißheit des Glaubens feht voraus, das Wort 
ki Gottes Wort, da jeder Menſch lügenhaft if. CExc. VII, 568). 


486 


ie das Angenehme und Nuͤtzliche fib dem Willen von felbft nabe 
fegt und ihr Subject an und für fich zu einem Gegenſtande des Strebend 
macht, fo erweden Evidenz und Wahrheit aus ſich Glauben und Glaub 
würdigfeit. Es iſt daher in diefem Kalle Fein Verdienft und feine Tu 
gend, zu glauben, wohl aber, wenn das Unwahrſcheinliche, Nihtwbe 
weifende (improbabilia) dur die Tugend des Glaubenden geglaubt wir, 
ohne daß fih dad Geglaubte von ſelbſt nahe legt. Wie das Licht zum 
Gefichte, fo verhält fih das des Beweifes Fähige (probabile) zum Geiſe, 
das Angenehme und Nüpliche zum Willen. Wie das Finftere zum Gr 
fihte, fo verhält fih das Nichtzubeweifende zum Geifte. 

Die Wahrfcheinlichfeit (probabilitas) ift eine geringe und ſchwacht 
Erhellung dur Licht. Cie bewirkt daher Feine Feftigfeit, während die 
Evidenz der Wahrheit ftark in den Geift eindringt, darin haftet und Ge 
wißheit erzeugt. Daraus erhellt Klar, daß Unerwieſenes glauben ebenio 
eine Stärfe und Kraft des Geiftes erfordert, wie die Liebe zum Schoͤ— 
lihen und uns Läftigen von Stärfe und Kraft des Willens zeugt. E 
ift ein ftarfes Glaubenslicht erforderlih, wenn es die Rinfterniß vieler un 
erweisbaren (improbabilium) Dinge, die zum Glauben gehören, burd- 
dringen und fie erhellen fol. Daraus erhellt, daß der Glaube die erſte 
Gnade der Vernunft ift, durch welche fie mit Glorie umgeben wird (ves- 
titur), und ohne welche die Glorie nicht eintritt. Der ganze Menit 
muß religiös fein, wenn er zur Glorie gelangen will, vor Allem das 
Haupt, d. i. die Vernunft muß durd den Glauben religiög fein. 
Wie der Wille nothwendig gegen fich felbft ftreiten muß, wenn er zu 
Glorie gelangen will, fo wird es auch bei der Vernunft eben fo fein mil 
fen. Unter den Thätigkeiten des Geifted verurfacht nur das Glauben 
Miderftreit. Glauben, Vermuthen und Meinen gehen nur mit Gewalt 
in den Geiſt ein, er nimmt fie nicht mit freiem Willen auf; nicht fo dat 
Demonftrirte und Berwiefene, dem er mit Nothwendigfeit beiftimmt. Die 
Wiſſenſchaft ift ein Werf der freiwilligen Forſchung. Das Glauben (ere- 
dere), das Fundament der Religion, hat zu fümpfen mit dem Bisputiren, 
Abrathen, dem Gegentheile, der Unmwahrfceinlichfeit, welche Direct gegen 
den Berftand in die Echranfe tritt; wo der Verftandesgrund fehlt, ergän 
der Glaube (Credere .. habet contra se bellum disputativum, dissuasivum, 
contradicetorium, improbabilitatis, quae improbabiliter direete pugnat 
contra rationem, quia ubi ratio deficit, fides supplet). Jever Kampf muf 
aber mit Friegerifcher Tapferkeit geführt werden; ohne Tapferkeit gibt « 
feinen Sieg. Somit tft der Glaube eine Tugend. Jedem Menfchen glaubt 
man nur in Folge feines Ueberredens, Gott glaubt man ohne Zureden und 
Beweis, durch den Glauben. 

Darin ehrt der Gläubige Gott vor allem Andern, daß er ihm ſchnel⸗ 


487 


er glaubt. Der Berftand fucht wegen feiner Schwäche Stügpunfte und 
Vermittlung durch Beweiſe (fulcimenta et media probationum); er ftüßt 
fih auf fie wie auf einen Stod, indem er von einer Concluſion zur an- 
dern ſchreitet. Wer aber durch eigene Kraft (virtute propria) glaubt, 
bedarf der Stüge nicht und hat einen größern Glauben (et magis credit); 
wie der Liebende, der durd eigene innere Kraft liebt, eine größere Liebe 
zum Geliebten hat, ald wer in Folge Deſſen liebt, was er bei dem Ges 
lichten wahrnimmt; fonft wäre die Liebe eine auf fich felbft zurückkehrende, 
wenn er nur von dem Geliebten angereizt wäre. 

Der Berftand, der nad Beweiſen fucht, gleicht einem Werfäufer, ber 
ein Pfand verlangt und außerdem nicht glaubt. Ein folhes Pfand vers 
langt der Heide, ehe er glaubt. Der Ehrift aber, der weiß, daß das 
Pfand von Gott aus Mangel an Glaubensgeneigtheit verlangt werde, 
verlangt fein Pfand. Ein Stab madt den Kranken nicht gefund, fo auch 
nicht ein Pfand den Verftand, es macht ihn nicht redlich und eifrig. Baculi 
non sanant infirmum, sic nec pignora intellectum, quare nec probum 
et studiosum faciant.) Den Glauben darf man auch nicht durch Zeichen 
eritreben wie die Juden, nicht durch Wiſſenſchaft und Kunft, wie bie 
Griechen, fondern dur Tugend. ZJuverläffiger (certius) wird er auf 
dem Wege der Tugend, ald dem der Kunft erkannt. Die Kunft ift 
ein Gemälde, das eine Äußere Form zeigt, die Tugend ein Wohlgeruch 
und Wohlgeſchmack, der das Innere offenbart. Je näher das Licht der 
Sonne, defto reiner ift es; je entfernter und gebrochen, defto weniger heil. 
So fommt der Glaube von Gott, dem Lichte der Lichter, mittelft der Gnade 
herab, die Gegenftände des Beweiſes (probabilia) durch ein entferntes 
licht. Reiner tft daher das in gerader Richtung von Gott kommende Licht, 
ald das von den Greaturen reflectirte. „Iede gute Gabe, jedes vollfom- 
mene Gejchenf fommt von Dben, vom Bater der Lichter.” Die über: 
natürlichen Gaben find daher ftärfere, als die natürlichen, weil fie zur 
Seligfeit uns hinziehen. Es gibt fomit nichts Zuverläffigeres, als ben 
Glauben: der Glaube ift demnach die Gnade der göttlichen Freigebigfeit, 
des göttlichen Wohlwollens, er iſt ein durch Gnade erlangtes Gut (gra- 
tuitum bonum). Er ift zugleich eine Kraft, die aufrichtet, den Berftand 
ftärft (firmans intellectam), ihn auf ſich felbft ftehen (Cfaciens illum 
per se stare) und den rechten Weg wandeln (recte ambulare) macht, 
auf dem Wege der Heildwahrheit (salutaris veritatis), ohne Hülfe und 
Stüge eines Stodes, eine Kraft, welche ihn ſchützt gegen die Pfeile des 
Disputirens und ihm eine fefte Unterlage darbietet gegen die Angriffe und 
Stöße der Gegenfäge und Meinungen fo wie gegen den Einfluß ver eiges 
nen Schwäche und Unbeholfenheit. Der Glaube ift cin Licht, weldes 
das natürliche Licht der Sinne und felbft der Vernunft übertrifft, wie man 


488 


die8 am Eacramente des Altares ſieht, wo die Sinne durch den Glauben 
befiegt find und man Gott auf eine feiner würdige Weiſe, ohne jedes 
Pfand glaubt (Deo ereditur), wo ihm fraft ded Gehorfams geglaubt 
wird... . Raymund fagt: der Glaube ift eine gute Richtung Chabitus bonus) 
vermöge der Güte Gottes; durch den Glauben werben diejenigen objectis 
ven Mahrbeiten hergeftellt (restaurantur), welche der Geift nicht erreichen 
(attingere) fann. Umfaffender ift der Glaube des Ehriften von Gott, 
denn er glaubt an den dreieinigen Gott, an Menfchwerbung, Leiden, Aufs 
erftehung, Himmelfahrt, an die Herrſchaft Ehrifti über Alles, an die fieben 
Sacramente. Der Geift fann einen Habitus des Glaubend und ber 
Wiffenihaft haben, und zwar den Habitus des Glaubens, um den der 
Wiſſenſchaft zu erwerben, wie Jeſaias jagt: wenn ihr nicht glaubet, ſo 
werdet ihr nicht erfennen. 

Der Glaube ift eine Kraft, verbunden mit Gerechtigkeit; denn es 
ift gerecht, jene Wahrheiten von Gott zu glauben, welche die Vernunft nict 
erreichen fann. Der Glaube ift eine Richtung (habitus), in welcher der 
Katholif die einzelnen göttlihen Wahrheiten glaubt (credit distincte in 
divinis), damit er das Licht für die Vernunft vorbereite (ut praeparet 
lumen intellectui) und die Vernunft Far, nicht confus die Acte der göft 
lichen Wahrheiten erfenne: den Handelnden, dad zum Handeln Fähige 
(agibile) und die Handlung... Der Fatholifhe Glaube ift alfo ein 
Mittel für die Vernunft, daß fie befier erleuchtet fei, um die Höhe Gottes 
zu erreichen. (Exc. I, 383 —385.) 


Glaube und Wilfe, 


Der Glaube, durch den der ſterbliche Menfh die Gewißheit hat, daf 
er die Unfterblichfeit erlangen fönne, wird nur durch einen fchweren Kampf 
errungen; der Sieg, in weldem der Glaube den Berftand (rationem) 
befiegt, erfordert den größten Kampf. Indem Abraham glaubte, was 
der Berftand für unmöglich erklärte, fiegte er. So wenn der Menſch 
glaubt, er werde zum unfterblihen Leben auferftehen, was weder Berftand 
noch Erfahrung beftätigen, da vielmehr der Verftand ihm zu der entgegen 
gefegten Anficht Hinzieht, muß nothwendig der Verſtand erfterben und 
feine Klugheit weichen, der Hochmuth muß ſich demüthigen, die Anmaßung 
des Geiftes ertödtet werden, der Menih muß wie ein Thor und Sklave 
werden, der auf die Freiheit feines Verſtandes verzichtet und fich gefangen 
gibt. Das ift der größte Kampf, nicht gegen Fleifh und Blut, fondern 
gegen den anmaßenden, ftolen Geift, wo die Demuth den Stolz befiegt. 
Glaubenfönnen (posse ceredere) {ft daher die größte Kraft (maxima 


489 


animae nostrae virtus), fie übertrifft alle geiftige Kraft Cintelleetivam 
virtutem ), denn fie gehört in das Gebiet des Willend, fie entipringt 
aus der Freiheit des Willens. Die vernünftige Seele fann glauben 
oder nicht glauben, je nachdem fie will oder nicht, und das ift die größte 
Gabe (donum) Gottes. So herriht der Geift oder freie Wille durch 
den Glauben, den er annimmt (quam assumit), über den Berftand und 
bildet ihn nach feiner Geftalt (informat eum sua forma); denn er redet 
gebieterifch zu dem Verſtande (loquitur intelleetui imperative). Das ift 
ed, wad Einige fagten, der Glaube ftehe in der Speculation unter dem 
Gebote des Willens, weil er den Geift nur, wenn diefer durch Glau— 
ben eine beftimmte Geftalt gewonnen hat, zum Unterfcheiden fommen läßt 
(fidem esse in intellectu speculativo sub* imperio voluntatis, quia non 
sinit intellectum nisi habituatum fide discernere). Indeſſen faßt der 
Geift (intellectus) den Glauben, den er micht begreift, leicht auf, 
wenn der Mille durh den Glauben ihm das ald Gegenftand des Glaus 
bend (credenda) anfündigt, wa® wir hören, weil es ihm burd den 
Sohn Gotted oder das Wort Gotted geoffenbart if. Der Wille tft 
nämlich gleichfam das Gehör der Seele, wie die Vernunft (intel- 
lectus) das Gefiht. Was daher eine ftrebfame Seele als etwas Gu— 
td vernommen bat (quae anima zelosa ad bonum audivit), das meldet 
fie der Bernunft, damit dieſe fich felbft erfenne, weil das, was fie meldet, 
von der Art iſt, daß es nicht geliehen werden fann. Die Vernunft glaubt 
fi, indem fie das ihr Gemelvete für wahr hält (credit sibi vera esse 
nunciata) und erfaßt ed als Geſehenes, d. i. in der Gewißheit, ala hätte 
fie e8 gefehen. So ift der Glaube hinfichtlid der Vernunft die Coins 
eidenz von Eichtbarem und Unfichtbarem. Wenn der Wille dur einen 
beftimmten Glauben auf die Vernunft drüdt (Dum voluntas hac fide in- 
tellectum imprimit), daß nämlich Gott zu und durch die Propheten, zur 
legt dur den Sohn, der uns die Lehre von der Unfterblichfeit geoffens 
bart, geredet hat, fo nimmt die Vernunft feinen Anftand, dem Worte 
Gottes zu glauben (non dubitat, esse .. credendum). Das Berlangen 
der vernünftigen Seele nad Wiffen ift der Wille oder die Liebe zur Wahr- 
beit; kann die Seele nicht mittelft der Vernunft das Erfehnte aus eiger 
nen Kräften erreichen, fo glaubt fie dem Worte Gottes. Und fie glaubt 
niht an das Wort Gottes, weil fie begreift, fondern fie begreift, weil fie 
gaubt. Die göttliche Vernunft, die unferer vernünftigen Seele das Ver: 
langen nach Erfaffen der Unfterblichfeit gegeben hat, indem fie in dieſer 
Sehnſucht zu uns redet, gibt uns ein (inspirat), daß dieſe Sehnſucht 
nicht gegeben wäre, wenn die vernünftige Creatur es (den Gegenſtand 
der Sehnſucht) nicht erreichen könnte. Wer alſo die Sehnſucht gegeben 


490 


bat, ift auch im Stande, die Befriedigung ') derfelben zu geben. So wird 
die vernünftige Eeele zum Glauben beftimmt (ad fidem movetur), indem 
fie Das bei Gott für möglich glaubt, wovon fie die Art und Weife, wie 
es geichieht, nicht begreifen fann. So glaubt fie dem Morte Gottes, das 
den Gläubigen Glüdfeligfeit verheißt, und fie glaubt, daß Dasjenige, weldes 
verheißt, dad Wort Gottes fei. Sie nimmt das Wort Jeſu an als Wort 
Gottes, das allein versprechen fann, das ewige Leben, nad dem der Geiſt 
mehr ald nah allem Andern jeufzend fich fehnt, zu geben; fie nimmt 
Ehriftus ald den Lehrmeifter an, als das fleifhgewordene Wort Gottes, 
um durch dasſelbe glüdfelig zu werben. 

So erhellet, dur welchen Kampf wir zur wahren Tugend des Glau— 
bend gelangen. Nad dem erften Kampfe, in weldem die Eeele gläubig 
wird und Gott glaubt, find die übrigen Kämpfe nad Mafgabe der Größe 
des errungenen Glaubend. Denn was in jedem Kampfe ftegt, iſt der 
Glaube; ift der Glaube groß, fo unterliegen die Verfuchungen ſchnell; 
ift er Elein, ‚jo werden fie langfamer zurüdgedrängt. Haft du den feften 
Glauben, du werdeft durch Sieg über die Verfuhungen die Uniterblichfeit 
erlangen, fo verachteft du Alles, was dieſem zeitlichen Leben gefällt. Da 
alles Eichtbare, Sterblihe und Zeitliche zur Unfterblihfeit und ewigen 
Dauer nichts beiträgt, fo achteft du es gering und wie Auskehricht. So 
weit ed dich von der Erwartung ewiger Glückſeligkeit fern hält, mußt du 
ed wie Gift fliehen. In dieſem Kampfe haft du fein anderes Vorbild 
als Ehriftus, den Sieger über den Tod. Auf feinen Pfaden fiegft du 
gleih allen Heiligen, mit denen du die ewige Giegeöfrone zu erlangen 
hofft. Iſt aber dein Glaube Klein, unlebendig, fo droht dir täglich großer 
Kampf, nicht nur mit Dem, was die Sinne dir von Außen ald jchön, an 
genehm, ergöglich darftellen, fondern auch das Fleifh felbft fäümpft aufs 
Erbittertfte gegen den Geift und fehr oft unterliegft du; du verfällt in ein 
thieriſches Treiben, weil dir der Schild ded Glaubens fehlt, mit dem bu 
die Pfeile des finnlichen Lebens abhältſt. Der Lebenslauf des Chriften 
muß vol fefter und fiherer Hoffnung fein; jchwanft er, fo fehlt alle 
Sicherheit in Erreichung des Zieles. Wer im Vertrauen auf Jeſus nicht 
wanfet, wird in Wirklichkeit erlangen, was er zuverfichtlich hoffte; die 
Hoffnung läßt nicht zu Schanden werden. Wer Gott nicht vertragsmäßig, 
jondern im Vertrauen auf feine Gnade dient, der wird als eim guter 
und getreuer Knecht von dem überaus gnädigen Herrn eine Vergeltung 
erlangen, die nicht geringer iſt, als fie einer großen Treue aus der Hand 
des freigebigften und glorreihften Herm der Welt gebühret. 

(Exec. IX, 641—643.) 


4) fi. affectum muß es im Terte nothwenbig heißen: eflectum. 


491 


Hruchtbarfeit des Glaubens, Der Glaube ein inneres Erfahren, 


Die Fructbarfeit des Glaubens gelangte in der Jungfrau Maria 
auf ihre oberfte und höchfte Stufe. Maria ift das Vorbild davon, wie 
der Glaube Herrihaft ausübt und den Menfchen in dem Grade hinauf: 
hebt, fogar bis zur Gottähnlichkeit (usque in formam Dei), als er glaus 
ben fann. Im Abraham fand der Glaube feinen Höhepunft (termina- 
batur) in dem Gebähren der Unfruchtbaren, die ihm den von Gott, dem 
er glaubte, verheißenen Eohn gebar. In der Jungfrau Maria gelangte 
der Glaube zu feinem Höhepunfte in der Geburt ded Sohnes Gottes, 
dem fie glaubte. Eiche, wie fruchtbar jene unfruchtbare Mutter des 
Glaubens ift, aus deren Fruchtbarkeit alle Eöhne Joraels hervorgegangen 
find und noc hervorgehen, die jest und in Zufunft Gott ſehen, bier 
räthjelhaft, dort von Angefiht. In dem fchlichten Glauben (in sterili- 
tate fidei) ift eine größere Fruchtbarkeit, (ald in dem durch reichliche Ver: 
ftandesgründe vermittelten Erkennen). Wie die Empirifer unter den Aerzten 
lehren, fo haben einige Kräuter für Vertreibung der Cholera eine erftauns 
liche Wirfung, obwohl man die Gründe davon nicht einfieht, weil die 
Wirfung im einer verborgenen fpecififchen Eigenthümlichfeit verfelben liegt. 
Wer der Auctorität Deffen, der die Erfahrung gemacht hat, glaubt, findet, 
daß die Sache wahr ift, wiewohl ihn fein Berftandesgrund überzeugt 
bat. Bon dieſen Heilmitteln erfahren wir größere und untrüglichere 
Wirfungen, ald wenn die Phyſiker durch Kombinationen des Verſtandes 
eine Arznei zufammenfegen. So ift der Glaube, daß das fleifhgewor- 
dene Wort Gottes jede Erfblaffung der Seele heilt, und im derjelben 
eine Erneuerung ihrer Zugendfülle, d. i. Unfhuld, bewirkt und in dere 
jelben erhält, gleich einem erprobten Heilmittel, das diefe Wirfung ale 
Ipecififche Eigenthümlichfeit an fih bat. Wer dies glaubt, der wird durch 
Erfahrung ſich glüdlich fühlen. Diefes Fühlen ift ein Sehen, weldes 
eine größere Gewißheit ift, als die Schlüffe des Verftandes fie geben 
(quam ratiocinari). So ift alſo im fchlibten Glauben, dem dad Sehen 
(Erkennen) folgt, eine größere Fruchtbarfeit, ald in dem, was in Folge 
einer Fülle von Berftandesgründen behauptet wird (Ita patet, qund 
major est foecunditas in sterilitate ſidei, quam sequitur visio, quam 
in eo, quod multis rationibus foecundum asseritur). (Exc. X, 658.) 


Lebendiges Willen — Weisheit, 


Einige widmen fih der Mathematik, Andere der Arithmetif, Andere 
der Mufif, Andere der Philofophie und Theologie. Wer in der Grams 
matif nachforſcht, hätte gewiß eine fehr große Freude, wenn er Eine ganz 


492 


kurze Regel fände, durch die er in Einem Momente die ganze Grammatif 
noch weit beffer ald Priscian verftünde., So der Rhetorifer, wenn ihm 
ein kurzes Mort gegeben würde, durch das er mit Einemmale ein ungleich 
befferer Redner als Cicero würde. Diefe Vollfommenheit wäre die Speiſe 
des Lebens des Geifted, der gleichfam durch die Kunft der Allmacht das 
bin gelangte, wo der Wille mit der Macht coincidirt. Das Wiffen Gottes 
ift jenes, das der MWechjelbegriff feined Willens iſt (quae convertitur 
cum voluntate); ed weiß, was es will, und es ift ver Wechfelbegriff feiner 
Macht: es ift das wirflih, was es kann. An diefem Wiffen Theil 
haben, ift unfterblicher Genuß; es heißt Meisheit haben, nämlich eine 
Ihmadhafte und febendige Erkenntniß, welche Unfterblichfeit gewährt. 
Denn wer ein ſolches Wiffen hat, daß er weiß, was er wiſſen will, und 
das ift, was er weiß und fein will, der ift glüdfelig. (Exec. IX, 655.) 


Willen und Weisheit. 


Die vernünftige Seele hat einen Trieb in ſich nach Geiftigem, und 
dieſes Verlangen ift das Wiffen. Die Neigung zur Begierlichkeit im 
Sleifhlihen und die Neigung zur Wiffenfhaft im Gebiete des Vernünf— 
tigen liegt in und. Wie nun die Begierlichfeit des Fleiſches, binüberge 
leitet in das Sacrament der Ehe, ihre Heiligung und Ruhe findet, fo 
findet die Liebe zum Wiffen, binübergeleitet zur wahren VBermählung mit 
dem Bräutigam, ihre Ruhe. Eo lange der vernünftige Geift, getrennt 
von feinem wahren Bräutigam, jchranfenlo8 (illimitate) fib dem eitlen 
Wiffen (ad vanas artes) hingibt, fo findet er das, wozu das natürliche 
Verlangen ihn hintreibt, ebenfowenig, als wer mit jeder Dirne buhlt. Er 
muß daher zur WVermählung fchreiten und ſich nicht mit einer unbeftändi- 
gen, fondern der ewigen Weisheit verloben. (Exc. V, 473.) 


Die Piebe als virtus infusa. 


Keine Tugend reicht zur Erligfeit hin, wenn nicht Die eingegoffen: 
Tugend, d. i. die Liebe Hinzufommt. Wie die Klugheit das Princiy 
(forma) der menſchlichen Tugenden ift, fo gibt die Liebe den Tugenden 
das Gepräge göttlicher Tugenden, welches allein Gott mwohlgefällig if 
(format virtutes, ut sint formatae forma divina, quae solum est Deo 
accepta). (Exc. VIII, 607.) 


493 


Die Liebe. 


Die Liebe ift das belebende Princip aller Tugenden. Wer die 
wahre Liebe haben will, muß alle Burdt und unvollflommene Liebe 
aus fih verbannen; denn wer fürchtet, liebt noch nicht vollfommen; denn 
die Furcht jagt, daß der Liebende noch nicht um des Geliebten willen 
etwas zu verlieren bereit ift, nämlih die Anhänglichfeit an Das, 
was er nicht gerne verlöre. Aber die vollfommene Liebe liebt nur den 
Einen Geliebten; denn der liebt weniger, als er fann, der feine Liebe 
theilt und Verſchiedenes liebt. Die Liebe entfernt daher alle Furcht, 
außer derjenigen, den Geliebten zu, beleidigen. Und daher hat Der, wels 
ber Ehriftus wahrhaft liebt, feine Furt, etwas zu verlieren, weil er 
nihtd außer ihm und Alles wegen ihm liebt. Die Liebe, dad Band der 
Einheit und Eintracht, hält Alles zufammen, auf daß es das ift, was 
ed it. Die Welt wird, um Ein für fi beftehendes Ganzes zu fein, 
durh ein gewiſſes Band der Liebe, weldes Alles, was zu jener gehört, 
umfchlingt, azufammengehalten. Auch das finnliche Leben befteht nur 
durh Liebe; denn ein gewifler, der Seele und dem Körper gemeinfamer 
Geiſt (Nervengeift), der aus der Natur der Welt ift, fofern die Seele in 
den Körper, als deſſen belebende Kraft hinabfteigt, und aus der Natur 
des Körpers, fofern dieſer fih erhebt, um zur Aufnahme diefer Kraft 
empfänglich zu fein, diefer Geift ift das Liebesband (vinculum amorosum) 
zwiſchen beiden, denn die Seele verlangt, den Körper zu beleben, und 
der Körper liebt die Seele, ohne die er nicht beftünde. MWie jedes Ding 
in dad Nichts, in Tod und Zerftörung übergeht, ohne das zufammen» 
haltende Band der Liebe, jo hört der Körper zu leben auf, wenn ihm 
die Kraft jenes Geiftes fehlt, denn mit der natürliben Wärme hört auch 
jener Geift auf, der nicht ohne Wärme fein fann und fo entfteht der 
Tod. Und bemerfe hier, daß wie fi die Seele zum Körper, fo auch 
Gott zur Seele verhält; denn der Körper hat aus ſich Fein Leben, wenn 
es ihm nicht von der Seele gegeben wird. So wird aud das Leben 
unferer Seele, das fein Sein aus dem wahren Leben hat, unferer Seele 
durh das liebevolle Herabfteigen des wahren Lebens ertheilt, durch wels 
ches wir find, was wir find. Zuerſt alfo hat uns Gott geliebt, der 
feines feiner Geſchöpfe haſſen kann. Aber er gab und nicht nur ein 
Sein, wie feiner Eonne, die er über Gute und Böfe aufgehen läßt, 
jondern ein ſolches geiftiged Leben, durch welches fih unfer Geift empor« 
heben und mit der Duelle feines Lebens verbinden kann, wie der Körper 
mit der Seele, auf daß er durch das Leben der Seele lebe. Wie aber 
der Körper nur durch den warmen Geift, welder durch die beftändige 
Beihülfe des urfprünglich Feuchten, das durd die feuchte Nahrung ges 


494 


nährt wird, mit der Seele verbunden werden kann, jo unfer Geift mit 
feinem Leben nur dur die Wärme ver geiftigen Liebe. Die Liebe feielt 
daher unfern Geift jo zur Duelle des Lebend, daß er aufs Innigſte an 
fie gebunden ift, wie das Leben des Körpers an das Leben der Eeele. 
Nur die Liebe ift daher die Ergänzung, dur die wir im unferm Leben 
das geliebte Leben befigen. Die lebendige Vernunft ift felbft gemifler- 
maßen Liebe. Denn was ift das Leben, recht betradtet, anders, als 
Liebe oder Freude und Fröhlichkeit? Es ift Sache der Liebe, nie zu 
ruhen. Auch Freiheit ift die Liebe, denn frei bewegt fich die Xiebe wegen 
ihrer edlen Natur und kann nicht gezwungen werden. Unſer Geift ift 
frei und kann fi liebend nach oben oder unten wenden. Wendet ſich 
feine Liebe dem Unbeftändigen zu, fo haftet fie daran und verwandelt 
ſich in den Gegenftand ihrer Liebe. Ste wird daher an ihm auch haften, 
wenn fie diefen Körper verläßt. In Unbeftändigfeit, ohne Ruhe, Freude 
und Frieden wird der Menſch gequält fein, nad der Natur des geliebten 
Gegenftandes, in den er verwandelt worden iſt. Werlaflen wir alſo auf 
unjerer irdiſchen Wanderſchaft, was nur fcheinbar ergögt und wenden wir 
und zur Quelle der Liebe und des unveränderlichen Gutes, in der allein 
Ruhe zu finden if. Im Chriſtus haben wir Frieden, in der Welt Angit 
und Roth. (Exc. IV, 464, 465.) 


Etwas Wunderbares ift die Liebe, die fich in den Andern und den 
Andern in ſich ummwandelt. Die Liebe ift die Kraft des höchſten Geiſtes, 
welcher in den vernünftigen Geift eingehend und ihn erhebend über alle 
Natur dahin bringt, daß er feine Einheit vermehre und fein Andersjein 
identificiere. (Exc. VIII, 614.) 


Die Liebe im Verhältniß zum Erkennen und zur Freiheit. 


Set erkennen wir nur theilweife und unvollfommen, dann aber, jagt 
der Apoftel, werde ich erkennen, wie ich erfannt bin. Denn wer Gott 
liebt, der ift von ihm erfanntz je mehr er alfo liebt, defto mehr ift er er 
fannt. Und wie er daher durch die Liebe dem Liebenden erfannt ift, ſo 
erfennt’er auch (durch die Liebe den ihn Liebenden). Denn das Lieben 
ſchließt das Erkennen in fid. 

Die Liebe (charitas) ift das belebende Princip und die Volllommen⸗ 
heit aller vernünftigen Handlungen oder Tugenden. Dur Liebe wird 
ein" Geift mit dem andern verbunden. Sie machte, daß die Apoftel Ein 
Hei und Eine Seele waren. Der vernünftige Geift tft frei, feine Frei 


495 


heit heißt Wille. Wenn daher der Wille durch Liebe an etwas gefeffelt 
wird, jo ift der Geift durch das Band der Liebe an das Geliebte ge— 
bunden. Wenn nun der Geift nicht an dieſes oder jenes finnliche umd 
zeitliche Liebenswürdige gefeflelt ift, fondern frei von aller endlihen Ger 
bumdenheit fih allein zur Liebe hinwendet, welche das Belebende in allem 
Liebenswürdigen ift, — zu Gott, fo bleibt er in der Einheit mit der uns 
zerftörlihen Freude. Der in der Liebe gewurzelte Geiſt bleibt daher frei 
und unabhängig von jeder endlichen Gebundenheit, weil mit feinem Gott, 
der die Liebe felbft ift, vereint, ohne an irgend ein Geichöpf gefeffelt zu 
fein, das aus fih nichts geben fann. Die Liebe ift daher die Verbin 
dung unjeres freien Geiftes mit dem belebenden Leben. (Exc. VII, 574.) 
Menn der Wille in freier Liebe Den wählt, von dem er die freie 
Wahl hat, fo vermehrt fi die Wahlfreiheit um fo mehr, je größer die 
Liebe if. Genau betrachtet ijt die Liebe zu Gott nicht wie die Liebe zu 
einem Geliebten, der von der Liebe felbit verfchieden ift, wo die Liebe und 
das Geliebte nicht coincidiren. Gott ift die Liebe; wer Gott liebt, liebt die 
Liebe. Wo nun die Liebe das Geliebte ift, bleibt die Seele frei, denn 
fie ift nicht an Died oder Jenes gebunden, fondern bleibt in der Liebe, 
welde allem einzelnen Liebenswürdigen ald Grund und Urſache vorangeht. 
(Exc. VII, 575.) 
Die nah Wiffen ftreben, lieben die Wahrheit, die fie fuchen. Wenn 
du aber das liebft, was du fuchft, liebft du etwas dir Unbefanntes und 
auch wieder nicht Unbefanntes, eben weil du es fuchft. Gott ift die Wahr- 
beit. Der Weg alfo, die Wiffenfhaft der Wahrheit oder der Erfenntniß 
Gottes zu erlangen, ift diefer, ihm zu nahen mit dem Geifte der Schn- 
jucht oder Liebe. Wenn man jagt, daß man nichts Unbekanntes liebt, fo 
wäre died wahr, wenn nicht Wahrheit und Güte coincidirten. Denn die 
Liebe, die Gott ift, wird, fo fehr fie geliebt wird, eben fo fehr au er 
fannt; fo viel erfehnt der Liebende, ald er liebt. Beachte bier die 
Coincidenz! (Exc. VII, 584.) 


Die Kraft der Piebe. 


Die Liebe ift ftarf wie der Tod. Wie dem Tode Alles unter dem 
Himmel unterworfen ift, fo auch der Liebe. Unauflöslibe Verbindungen 
müpfen fi dur die Liebe. So lobenswerth daher die rechte Liebe ift, 
jo tadelnswerth ift die verkehrte Liebe. Begierlichkeit, Zorn und alle Leis 
denihaften entfiehen aus dem Mangel der wahren Liebe. 

Jeſus fagte: „Niemand kann zu mir fommen, außer der Vater, der 
mich gefendet hat, ziehe ihn.“ Wodurch zieht ihn aber der Vater? Durd) 
Liebe, nach jenem Ausſpruche: „in ewiger Liebe habe ich dich geliebt; 


496 


darım hab’ ich aus Erbarmen dic an mich gezogen.“ Denn bie Liche 
ift eine geiftige Wärme, die Wärme aber hat eine eniwidelnde Kraft, wie 
wir ſehen, daß fie die Kraft des Samens unter der Erde anziehe umd 
ihn zum Keimen bringt, Sie löst das Schwere und zieht die Dünfte in 
die Höhe; das angezündete Holz fendet fogleich die Flamme in die Höhe. 
Eo löst die Liebe den Geift des Menſchen, den fie berührt, von aller 
Fleifchlichfeit ab und zieht ihn in die Höhe. (Exc. VI, 544.) 


Wirkffamfeit der Liebe, 


Blicken wir zum Himmel, fo jehen wir alle Kraft desſelben in der Sonne 
concentrirt; auf der Erde ift alle Kraft ded Mineralreichs im Golde ; in der 
Mitte von beiden fehen wir die wunderbare Kraft des Feuers. Ich fage 
nun, daß die Liebe in diefen drei finnlichen Körpern ihr Abbild finde und 
daß ihre Kraft in ihnen ſich abfpiegle. Wie das Sonnenlicht ale 
Sterne erleuchtet und zu fi hinwendet, weil in ihm der Duell alles Lichtes 
ift, fo verbreitet fich die Liebe über alle geiftigen Naturen, zieht fie an 
fi, daß fie an ihrer Natur, die das göttliche und unvergänglidhe Leben 
ift, Theil nehmen. Sie müflen aber in ihrem Innern die Sonnenftrablen 
aufnehmen, dann bleibt in ihnen feine Finfterniß. Der Mond, von irdi- 
fcher Natur, nimmt den Sonnenftrahl in feiner Tiefe nicht auf, er ift dw 
her nur auf der Oberfläche, welde der Sonne zugefehrt ift, erleuchtet, 
Sp nimmt auch unfere Scele, die ſich am Horizont der Zeit und Ewigkeit 
bewegt, den Geift der Liebe nur in der oberften Potenz, wo fie der Sonne 
der Gerechtigkeit zugewandt ift, auf, weil nur dieſe reine umd geglättete 
Oberfläche für den Lichtftrahl fähig iſt, nicht aber nimmt fie ihm auf in 
der Tiefe, in Fleiib und Blut; denn der thierifche Menſch faßt mic, 
was des Geiftes iſt. — Ohne den Einfluß der Sonne lebt nichts. Alles 
nimmt an der Lebensbewegung Antheil, die von der Bewegung der Sonne 
im Zodiacus oder Kreislaufe ded Lebens ausgeht. Eo find im Himmel 
der geiftigen Natur viele Kräfte, wie die Sterne am Firmamente, die 
alle von der Eonne der Gerechtigkeit ihr Licht haben, ohne welches fe 
ohne allen Glanz und Schönheit und feine Tugenden wären; denn ber 
Zugend darf Ordnung und Zierde nicht fehlen (virtus enim absque or- 
nato decore non est). Nur der Geift der Sonne der Gerechtigfeit bes 
wirft jenes göttliche Leben, welches die Kindſchaft Gotted genannt wird. 
Der Werth; des Goldes ift der Maaßſtab für den Werth aller an 
dern Metalle. So ift auch die Liebe der Maafftab des Werthes aller 
Tugenden: fo viel Liebe im ihnen ift, fo viel Werth haben fi. — Die 
Wirkſamkeit der Wärme, ohne die nichts lebt, ftammt aus dem Feuer, 
das Alles durchdringt und in ſich umgeftaltet. Was wir fehen, if 


497 


nicht reines Feuer, wohl aber feuerhaltig. So ift auch die Liebe an fi 
unerfennbar, aber fie liegt allen Tugenden zu Grunde, welde fie umge: 
ftaltet, reinigt und erneuert. Die Liebe ift wie der Stein des Gyges, 
der den Menichen unfichtbar macht; denn die Liebe dedt dad Schmutzige 
und Nadte zu, fie dedt eine Menge Sünden zu, jo daß fein Fleden ſich 
zeigt. Die Schwarze Kohle und das fchwarze Eifen find im Feuer nicht 
ſchwarz, fondern leuchtend; mur getrennt vom Feuer find fie wieder ſchwarz. 
Schon die Liebe diefer Welt dedt die Mängel zu, denn der Liebende fieht 
die Mängel des geliebten Gegenſtandes nicht, jo lange er liebt; fobald 
die Liche aufhört, fieht er fie. Aber die Liebe der Welt dedt die Mängel 
nicht wirklich zu, fondern verblendet nur und benimmt den richtigen Blick; 
denn der ſinnlich Liebende urtheilt nicht nach wahrer Einficht, fondern nad) 
der Leidenſchaft. (Exec. VII, 588—590.) 


Die Liebe im Verhältniſſe zu Glaube und Hoffnung. 


Der dur die Liebe ausgedehnte und weiter (capacior) gewordene 
Geift bleibt in diefer Erweiterung, wie wenn cine Quantität Goldes, 
ind Feuer geworfen, eine erweiterte Mafje bleibt. Diefe Erweiterung, 
die durh das Gießen entjtanden ft, bleibt, wenn das Gold an einen 
rubigen Plag gelegt wird, obwohl fie, fo lange der Fluß in Bewegung 
it, dur eine entgegenwirfende Kraft verloren werden fanı. So fann 
auch die Seele, die dur das Feuer der Liebe, durch Gießen d. i. Barm⸗ 
berzigfeit eine Erweiterung erhalten bat, diefe in diefer Welt durch ver 
ſchiedene Gegenfäge und Erfhütterungen verlieren. Wenn fie aber über 
diefer Welt in den Ort ihrer Ruhe gelangt ift, fo verliert fie die erlangte 
Erweiterung nie mehr, fondern fie bleibt ihr immer. Glaube aber und 
Hoffnung vergehen; fie find nur die Merfzeuge, durch welche jene Er— 
weiterung hergejtellt wird. Der Glaube ift der Dfen, der das zu ſchmel— 
jende Gold aufnimmt. Die Hoffnung ift dad Modell (dispositio) für 
die zu gießende Maſſe, in einem feften Behältniſſe. Iſt die Mafle ges 
goflen, fo kümmert man fi) weder um den Ofen, noch um das Modell. 
Die Kiebe aber, welche die Seele erweitert, erweitert fie für die Liebe 
oder Gnade Gotted. Denn die Liebe ift weit genug für die Liebe des 
Geliebten; die Gnade ift ein Geſchenk, das nur der wahrhaft Liebende 
erlangt. Wie die Liebe (amor) der Form fi öffnet, um die Form des 
Geliebten in fih aufzunehmen, und in Einheit mit ihm d. i. Gleichförmig— 
feit fich zu erfreuen, fo ift die Charitas die Liebe der Liebe, welche Gott ift 
(sie charitas est amor amoris, qui Deus est). Die Liebe fucht daher, 
was Gottes iſt, das Ewige: Wahrheit, Gerechtigkeit, nn x. Das 

Scharpff, Nie. v. Gufa. 


498 


Gold im Ofen fhmilzt nur dur das Blafen des Windes. So ſchmilzt 
auch die Seele nicht, wenn nicht der hl. Geiſt die Süßigkeit der Liebe 
ihr einhaucht. Der verborgene Gott wird und nicht lieblich und liebens— 
würdig, ed werde denn von und zuvor der liebliche Geruch empfunden, 
der von ihm uns mitgetheilt wird, Wie verborgened Obſt durch feinen 
Wohlgeruh unfer Verlangen nad demjelben erwedt, daß wir es wit 
Liebe auffuhen und als einen Genuß fürs Leben erfircben, jo fagte eine 
fromme Seele, fie eile nah dem fie feffelnden Wohlgeruche der Salben 
ihres Geliebten. Finden fi jene hohen Dinge, die Paulus aufzählt, 
in einem Menſchen ohne die Liebe, fo find fie nichts. Ohne die Liebe 
fann der geiftige Menſch ebenfowenig leben, ald das finnliche Leben ohne 
Wärme feine Lebensthätigfeit ausüben kann. (Exec. VII, 573.) 


Liebe und Willen. 


Die Natur Gottes ift für den endlichen Geiſt unbegreiflih; nur in 
Chriſtus wird er erkannt. Im ihm erfennen Gott auch die Heiligen. 
Mie die Königdwürde uur in ihrer Macht, diefe aber nur in ihrer Wirk: 
ſamkeit erfannt wird, jo auch die abfolute Größe mur im ihrem Morte 
und dem Geifte aus beiden. Diefed Wort aber wird nur durch den Geiſt 
erfaßt, der unfere Kraft ftärft, fo daß in unferem inneren Menſchen Chri— 
find dur den Glauben wohnt. So in der Liebe gegründet, fünnen wir 
mit allen Heiligen begreifen, welches die Länge und Breite, Höhe und 
Tiefe (Gottes) fei. Indem wir in lebendigem Glauben Ehriftus an 
ziehen, gelangen wir zur Ergreifung des Heild; denn das ift die Form 
der Heiligkeit: die Form Chriſti. Chriſtus Ähnlich find daher alle Heilige, 
die das Heil ergreifen. Beachte auch die folgenden Worte des Mpofteld: 
„zu erfennen auch die Alles übertreffende Miffenfchaft der Liebe Chriſti, 
um mit der ganzen Fülle Gottes erfüllt zu werden.” Die göttliche Wiffen- 
fchaft ift nämlich nicht ohne die Liebe. Der zweifellofe Glaube führt zur 
Liebe und durch Die Liebe zur Erfenntniß Gottes. Niemand kennt bie 
Liebe als der Liebende; je mehr er liebt, defto mehr erfaßt er die Liebe. 
Wie die Liebe immer wächst, jo auch ihre Erkemtniß. Die Liebe, die 
im Herzen wohnt, lehrt daher fich ſelbſt d. i. Gott erfennen. Die Liebe 
Chriſti Ichrt und die Wiflenfchaft der Liebe, durch die der Menſch mit 
der ganzen Fülle der Gottheit erfüllt wird. (Exec. IX, 641.) 

Wollte die- Weisheit nicht, fo würde fie (die das Beweglichfte und 
Schnellſte ift und Allem vorauseilt) wicht gefangen werden. Weil fie ſich 
fangen laffen will, jo muß fie durd Liebe gefangen werden, da fie 
durch Feine erichaffene Kraft oder Macht gefangen werden kann. Wenn 
daher die Weisheit wicht durch Liebe gewonnen Cplacata) ſich ſelbſt in 


499 


die Seele des Suchenden herabläßt, um fich fangen zu laffen, fo wird 
fie nicht erfaßt. Sie felbft aber tft e8, die fpricht: „Ich liebe, die mich 
lieben.” Dieſe Weije Fannten alle Jagd auf fie machenden Philofophen 
nicht; nur Chriſtus machte fie und befannt, indem er lehrte, daß ber 
Jäger, wenn er in Glaube, thätig in Liebe, fie verfolgt, Gnade findet 
in ihren Augen und fie ſich ihm hingibt. (Exc. VI, 552.) 


lieber die Liebe zu Gott und dem Nächſten. 


Die erfte und größte und wahre Liebe (dilectio) ift die Liebe zu 
Gott (charitas dei); die andere ift ihr Abbild und heißt Liebe des Näch— 
fen. Wenn die Liebe des Nächten nicht Abbild der Liebe Gottes ift, 
jo ift fie nicht vollfommen; denn nichts ift durch Theilnahme an dem Ab— 
bilde vollfommen, außer ſofern cd Abbild der abfoluten Vollfommenheit 
it; daher erfüllt die Nächftenliebe, fofern fie ähnlich ift der Liebe Gottes, 
den göttlihen Befehl; denn in ihr ift dad, was erfcheint, Achnlichkeit, 
aber der darunter verborgene Geift ift die Liebe, den jene Liebe im Abs 
bilde darftellt. Den Nächften lieben beißt Gott in feinem Abbilde lieben. 
Liebe ich einen Menfchen, der wie ih Gott zum Water hat, fo liebe ich 
in ihm den Bater. In der That find daher die wahren Werfe der 
Barmherzigkeit heilige Werke, weil fie aus reiner Nächftenliebe hervor— 
gehen, bei welchen Gott der Beweggrund if. Wer daher den Nädhften 
nit um Gottes, fondern um eines zeitlichen Vortheils willen liebt, der 
erfüllt da8 Gebot nicht, der ift nicht im der Liebe Gottes, fondern feiner 
jelbft, weil er nur fi im Nächften liebt. Durch Liebe gelangen 
wir zur Erfenntniß Gottes. Wir wiſſen aber, daß Gott die Liebe ift, 
und die Liebe des Nächten ihr Abbild. Dur die Liebe des Nächften 
gelangen wir wie durch Abbild und Gleihniß zur Erfenntniß Gottes. 

(Exc. VU, 588. 589. vgl. Exec. X,'658.) 


Ueber die Nachfolge Ehrifti. 


Ehriftus jagt, er gehe, wie von ihm gefchrieben fteht. Wir müſſen 
alfo eilen, mit ihm zu geben; denn er fommt vom Himmel und fann 
und allein zum Himmel führen. Wir müſſen alfo Eines mit ihm fein, 
weil er allein in den Himmel eingehen kann; er, der vom Himmel herab» 
fam, kehrte auch wieder in denfelben zurüd. Wir müſſen alfo gehen und 
Eines fein mit ihm. Wie das todte Fell, das du anziehft, mit dir zur 
Anfhauung des Königs gelangt, fo gehft du mit Chriſtus in den Him— 
mel ein, wen du mit ihm vereinigt bift. Aber du mußt noch mehr mit 
ihm verbunden fein (als bloß Außerlih). Du mußt ein Glied von ihm 

32% 


500 


fein. Wie der Sflave feinen Act eines freien Menfhen verrichten fan, 
wenn er nicht von der Sklaverei in die Freiheit verfegt ift, jo auch nict 
der Menfh, wenn er nicht von diefer Welt in das Reich Chrifti verjept 
it. Iſt aber der Menfb einmal wie vom ftürmifhen Meere in den 
ruhigen Hafen eingegangen, fo muß er weiter überlegen, wie er mit 
Ehriftus gehen fann. Im Chriſtus findet er Alles; er ift der Sohn vis 
Menſchen und der Bruder Aller, Man findet ihn auf gleiche Weile in 
jeglider Weile des menſchlichen Lebens: der Diener ald Diener, der 
Sflave ald Sklave, der Lehrer als Lehrer, der König als König. Alles 
ift in ibm; — aber was ift er in Allen? — Gewiß iſt, daß cr 
der Demuthövolle, der von Herzen Sanfte, der Gerechte und Friedfertige 
it. So aljo mußt du wandeln und fein Jod auf dich nehmen, weldes 
fanft und leicht ift. Lege darum ab die ſchwere Sündenlaft, welche den 
Lauf mit Chriftus hindert! Wollen wir alfo mit Chriftus wandeln, je 
müſſen wir darauf bedacht jein, wie wir heute gelefen und ihn haben 
handeln ſehen. Zuerft müſſen wir aus Egypten geheu und im rothen 
Meere abgewajchen werden und zwar gemäß dem Borgelefenen, was 
wohl zu erwägen ift, damit wir ohne Murren das Brod des Himmels 
erhalten. Nach der Abwaihung und Buße müffen wir danı dem Erlöfer 
entgegengehen und ihn in und aufnehmen; dann mit Paulus entzüdt 
werden über die Erkenntniß Chrifti und endlich durch Leiden Chrifto im 
Tode nachfolgen. (Exec. V, 469). 


Weber die Trennung von der Welt und die Freundſchaft mit Chriftus. 


Der Schüler (Scholasticus) trennt fih von der Welt und ſchließt 
fih an eine Zahl von Schülern an, fobald er hört, daß fein Lehrer ein 
Chriſt fei und die Welt verlaffen habe, mit allem Vertrauen Chrifto folge 
und alle. überflüfftge Sorge für das Kleiih aufgegeben habe. Wer Chris 
ftus nachfolgt, fucht das Himmelreich, welches das Leben des Geiſtes if, 
und dieſem Leben wird alles Andere beigegeben. Der Knabe braudt 
nicht darüber bejorgt zu fein, was er am fommenden Tage effe, wenn er 
einen Vater hat, welcher weiß, was fein Sohn bedarf und welder Alles 
in feiner Gewalt hat. Wenn der Menfch geiftig befcbäftigt ift, fo ift er, 
wenn gleich unter einer Schaar lebend, von der finnlichen Welt getrenut. 
Die das Evangelium des ewigen Reiches hören, haben diefe Welt ver- 
laffen; die aber unter Menfcen leben, hören und handeln von Dingen 
diefer Welt, und legen dadurch dem Geifte ein Hindernif; denn wie eine 
verdorbene Luft den Körper verderbt, verborbenes Waſſer den Wein, ver 
dorbenes Obſt das übrige Obſt und ein franfes Schaf die gefunde Heerde 
anſteckt, fo befledt diefe Welt, in der feine Wahrheit ift, den Geiſt, der 


4) 


501 


nur durch Wahrheit fein Leben ernährt. Der Geift der Finfterniß hält 
mittelft der Gemeinfhaft mit den weltliden Dingen jene zurüd, die zum 
Leben und zur Glücfeligkeit fich erheben wollen. Mit dem Sohne Got« 
ted dagegen fann man eine vollfommene Verbindung eingehen, weil er 
das Bild von Allem in fih trägt. Daher heißt er auch die Kunft des 
Vaters, vol der Bilder aller Dinge; denn er ift ein Spiegel ohne Flecken. 
Wir jehen, daß wenn eine Sache eine beftimmte Geftalt hat, fie nicht 
eine andere annimmt, der Spiegel aber, weil er feine hat, viele andere. 
So hat Gott als Geiſt nicht eine eigenthümliche Form eined Dinges 
und daher wahrhaft die Bilder von allen in fih. Mit ihm kann daher 
eine vollkommene und erfreulihe Gemeinſchaft und Freundſchaft ftattfinden, 
weil er für alle Menſchen paßt. Gott enthält Alles in fih, was man 
an einem Freunde ſucht. An diefem fucht man Weisheit zur Belchrung, 
Schönheit zur Erheiterung, Reichthum zur Unterftügung, Kraft zum 
Schutze, Adel und hohe Würde zur Erhöhung. Alles das findet ſich in 
ausgegeichnetem Grade in Chriftus. In ihm find alle Schäge der Weis— 
beit verborgen, er ift fehöner als die Sonne; denn feine Schönheit be— 
wundern Sonne und Mond; in feiner Rechten find Schäge und Ruhm, 
Niemand kann feinem Willen widerftehen, da er erhaben ift über alle 
Völker. Es gibt feine dauernde Verbindung und Freundfhaft, außer in 
Chriftus; denn jede Freundfchaft befteht wegen irgend eines Gute; es 
gibt aber Fein reined Gut, außer Gott; jedes andere ift gemilcht. 
(Exc. VL, 545.) 


Ehriftus vergilt nuſere Wohlthaten. 


Wunderbar ift die Lehre Ehrifti: willft du deinen Geiſt nähren, fo 
nähre den eines Andern. Mas du willit, daß man dir thue, das thue 
dem Andern. Sollte dir ein Anderer von Rechtswegen etwas Tleiften, 
was er jedoch nicht zu leiften im Stande ift, fo wird es dir der vergels 
tn, der die Gerechtigfeit felbft ift, Gott, welcher der Vergelter alles 
Guten ift, und nichts Gutes unvergoften läßt. Die Gerechtigfeit vergilt 
nicht unter Gebühr, da fie auf den Erfolg, nicht auf die That fieht (ad 
effectum, non ad hoc, quod ago, respieiens). Sie vergilt, wie es ihrer 
Erhabenheit gemäß tft, welche zugleih Güte, Mitleid und Freigebigfeit 
it, mit dem Hundertfahen, fie gibt für Zerftörliches Unzerſtörliches, für 
Hei Gold, für eine irdiſche Erquickung ewiges Leben. Wir Menfhen 
alle find in dem Einen Menfhen Chriſtus Brüder, welder der Sohn 
des Menfchen ift und dad Band der Vereinigung der menfhlihen Natur 
mit der göttlichen, der Schöpferin von Allem. Chriftus hebt allen tren— 
nenden Unterfcbied fo auf, daß der Barbar und der Ecythe in ihm nicht 


502 


verfchieden, fondern Brüder find. Erweiſe ich daher einem Bruder in 
Ehriftus Barmherzigkeit, fo erhalte ih in Chriſtus, welder die Fülle der 
Gnade ijt, gemäß feiner großen Barmherzigkeit, Vergeltung. Was der 
Nächte wegen feinem Unvermögen nicht vergelten fann, das vergilt der, 
in welchem unſer Nächfter ftarf ift, Chriftus, da in diefem feine menſch— 
liche Natur, welde die menfchlihe Natur Ehrifti ift, voll der Gnade und 
des Reichthums iſt; denn meine menfhlihe Natur it in Chriſtus mit 
ihrem Principe oder dem Worte, durch welches ih erſchaffen bin, vereint, 
und fo auch die eines jeden Menſchen. Was daher dem Geringften ge 
than wird, wird Chriſto gethau, da eines jeden, großen oder Heinen 
Menfhen Menfchheit in Ehriftus mit feinem Princip vereint iſt. Ein 
Jeder vergilt daher in Chriftus nicht wie in einem Andern, ſondern ald 
in feiner eigenen Menfchheit, welche mit dem Princip ihres Lebens ver- 
bunden ift. So vergilt denn die menjhlihe Natur (humanitas) verbun 
den mit dem Leben, göttliche Leben, da ich fie mir in einem beftimmten 
Menſchen zur Schulpnerin gemacht habe. Und es iſt Vergeltung dei 
Lebens; denn wenn die Menfchheit felbft in Ehriftus mit dem Leben ver 
eint ift, fo nimmt fie mich als einen Menſchen zur Genoſſenſchaft an, fo 
daß ich als Menſch in meiner Menfchheit, die in Jeſu Chriſto ift, die 
Theilnahme am göttlichen Leben, das mit der Menjchheit in Chriſtus ver 
eint ift, erlange. (Exc. IIl, 425.) 


Begriff und Bedingungen des wahren Gebets. 


Das lebendige Gebet ift da, wo die reine Vernunft ift, die 
das Wort des Geiftes iftz denn olme das Denfen (mens), das vom 
Gedanken (a memorando) feinen Namen hat, entfleht fein Gedanke. — 
Du denkſt das Leben, indem du den Begriff desfelben im Gedächtniß haft 
Wie könnteft du fonft den Gedanken desfelben hervorbringen? Aus dem 
Gedächtniß und dem Worte geht dann ein Trieb und Berlangen nad 
dem Gedanken hervor. Im Gebete prüdt fih daher der Geiſt 
der Sehnſucht in Worten aus: in Worte ausbrechen beißt die 
Fülle des Verlangens ausdrüden, Diefed Verlangen unſeres Geiſtes 
durhdringt den Himmel und gelangt bis zu den Ohren Gottes. Wer 
Erhörung finden will, muß wohl beachten, daß das Gebet alles Erichaffene 
übertrifft, wegen unfered vernünftigen Geiſtes, der (im Gebete) ſich ſelbſt 
fteigert, wie ein Feuer, das feine Kraft durch Bewegung erhöht. Wenn 
du die Sache recht beachteft, fo weicht dem Gebete die Natur, die Br 
wegung des Himmeld und jede Creatur. Es betete Elias und es regnet: 
nicht und Alles verdorrte. Er betete wieder und es regnete und bie 
Erde wurde fruchtbar. Er betete, und Fener, deſſen natürliche Be 


903 


wegung nach Dben geht, fiel vom Himmel herab. Stand nicht die 
Sonne in ihrer regelmäßigen Bewegung ftille, in Folge des Gebetes? 
Das Gebet hat alfo eine gewiffe Allmacht in ſich, nicht vermöge unfered 
Geiſtes, fondern jenes Geifted, welcher in dem unfrigen iftz denn aus 
der Bewegung ded Feuers entfteht die Sehnſucht. Es liegt in unferm 
Geifte eine gewiſſe Macht, den göttlichen Geift in fich zu denfen (conci- 
piendi), wenn anders unfer Geift in der gehörigen Verfaſſung if. Er 
begreift nämlich nicht ohne Glaube: was wir nicht glauben, das verwers 
fen und verachten wir. Der Glaube alfo, daß du von Gott erlangen 
fönneft, um was du bittet, muß vorausgehen. Du darfit 3. B, nicht 
meifeln, daß Gott Alles möglich fei und daß er alle Gute reichlich 
mittheil. Du bitteft und du erhält. Du mußt aber auch für fein 
Geſchenk empfänglich fein: du verlangft Erleuchtung und haft nicht die 
dihte Finfterniß in dir verſcheucht; du beteft um Keufhheit und gibft 
niht den Umgang mit unfeufchen Weibern und die Reizmittel der Wolluft 
auf; um Mitleid und bift doch micht mitleidig, fondern nmähreft Groll 
gegen deinen Nächten; um zeitliche nicht nothwendige Güter, und haft 
nicht den frommen Sinn zu ihrer guten Verwaltung; um - Ehrenftellen, 
aber es fehlt dir die Armuth des Geiſtes, wodurd jene für dich nur ein 
läftiger Dienft, für Andere eine Duelle ded Segend werden. Die Em: 
pfänglichkeit Deines -Geiftes für die Aufnahme des Geiftes Gottes, welcher 
die Liebe ift, befteht in dem Aehnlichwerden mit ihm; denn die Aehn— 
lichfeit verbindet. MWillft du den Geift der Wahrheit, fo mußt du bie 
Lüge haſſen, denn Unähnlichfeit trennt. So wird dein Geift fähig zur 
Aufnahme des guten Geiftes, wenn er Alles, was dieſem entgegen iſt, 
nicht nur nicht liebt, fondern verabfchent. (Exc. VII, 588.) 


Gebet ift Nöthigung Gottes. 


Satan verfucht und, damit wir verleitet werden, Gott zu verfuchen, 
wie es in den |. g. Rechtfertigungen der Unfchuld (purgationes) dur 
heißes Waſſer, glühendes Eifen, Zweikampf ıc. geichieht, die der Satan 
angibt, um die Menfchen zu täufchen.... Gott darf nicht verfucht wer: 
den, ed darf nicht feine Macht, Weisheit, Wahrheit auf die Probe und 
ſomit in Frage geftellt werden. 

Beten follen wir zu Gott, er möge unferer Bedrängniß, und zwar 
wenn es nicht auf natürlichem Wege ausreicht und menfhliche Hülfe nicht 
u Gebote fteht, auch fogar in wunderbarer Weife zu Hülfe fommen. 
Immer jedoch müſſen wir beifegen, wie Chriftus auf dem Delberge: 
Dein -Wilte geſchehe! Wiffe, daß Gott nicht durch Verſuchen, fondern durch 
Gebet genöthigt werden fol. Es fft dies eine Art von Goincidenz ber 


904 


Gegenfäge: Das Gebet wird Nöthigung (oratio fit coaetio). Gott 
wird durch das anhaltende Gebet genöthigt, wie das anhaltend bittente 
Weib vom Richter Rosfprehung erhielt. Wieviel das anhaltende Gebet 
eined Gläubigen vermöge, hat Chriftus an eben dieſem Weibe, der 
Apoſtel Jacobus am Beifpiel des Elias gezeigt. (Exec. IX, 649.) 


Belehrung über Anwendung des Vater unſer als Gebet im jedem 
Anliegen. 


Wenn die Kirche im Miffale oder Pontificale einige Gebetsformeln 
gegen Gewitter, verpeftete Luft u. dgl. feftgeftellt hat, müſſen wir dieſe 
Formeln beobachten. Wo fie aber nichts Specielles feftgefegt bat, müſſen 
wir die allgemeinen Gebete auf den befondern Zwed anwenden. Wo 
feine gut anwendbaren allgemeinen Gebetsformeln fid finden, da maden 
wir und mit Hülfe des Gebetes des Herrn felbft ein Gebet. Ein Jeder 
fennt das Gebet des Her, das Alles, was wir von Gott erbitten 
fönnen, in fich begreift, und fann es in frommer Abficht auf befondere 
Fälle anwenden, Willft du 3. B. eine den Früchten günftige Witterung, 
fo fagft du: Vater unfer! und fügft dann demüthig bei: „Herr, du heißeſt 
mid von dir das täglihe Brod bitten, und den allezeit nothwendigen 
Lebensunterhalt. Um diefen ‚nun als deine Gabe zu erhalten, nimm 
ungünftige Witterung, Hagel, unmäßigen Regen, allzugroße Kälte x. 
hinweg!" Wünſcheſt Du von Gott einen guten Biſchof, fo füngft du 
wieder an: Water unfer! und fügeft dann bei: „Weil du, o Gott! befiehlſt, 
daß wir alle Erquickuug des Lebens nur von dir verlangen und bie 
Weisheit oder dein Wort die Nahrung der Seele und das tägliche Brod 
des vernünftigen Geiftes ift, darum, o Gott! damit meine Seele genährt 
werden möge vom Wort des Lebens, gib und, o Gott! einen guten 
Biſchof, der verftändig ift und dich liebt, der und unaufhörlich und täglid 
nähre.” Willſt du andere Bevürfniffe von Gott dir erbitten, wie Geſund— 
heit, Frieden, Liebe u. dgl., fo fannft du unter dem Namen des Broded 
alles dieſes von Gott erbitten. (Exc. VI, 546.) 


Erflärung des Bater unſer. 


Je allgemeiner (commanior) eine Sache ift, deſto befier ift fie. So 
ift der Taftfinn beffer als jeder andere, weil ihn auch Diejenigen haben, 
die der andern Sinne entbehren; find alle andere Sinne zerftört, fo il 
doch noch Reben da; mit dem Taftfinn bört auch das Leben auf. So 
ift unter Sein, Leben, Denken das Eein das Allgemeinere und baber 
Beffere, denn Alles hat ein Verlangen zu fein. Das Gebet aber ill 


505 


no allgemeiner; *) denn das Sehen geſchieht durch die Augen, das Hören 
durh die Ohren, dad Denfen durch den Geift, dad Lieben durch den 
Affeet, das Beten aber durd vieles Alles. Denn das Wort Gottes 
hören heißt beten, das Himmlifche lieben, die Dfficien fingen, alles das 
it beten, gemäß jenem Sprude: „Der hört nicht auf zu beten, der nicht 
aufhört Gutes zu thun.“ Jeder hat feine befondern Pflichten, das Gebet 
it die Pflicht Aller. 

Das Gebet ift ftürfer als alle Gefchöpfe. Die Engel oder Intelli— 
genzen bewegen die MWeltförper, die Sonne und die Sterne. Das Gebet 
aber ift ftärfer, denn es hemmt diefe Bewegung, wie das Gebet Jofua’s 
die Sonne ftillftehen machte, Es ift ſtärker als die Einflüffe der Sterne, 
Härfer ald dad Leben, das ohne Nahrung nicht beftehen Fann, ber 
dad Gebet hat ohne Nahrung Tange Zeit Heilige am Leben erhalten, 
wie den Elias, Mofes u. A. Es ift ftärfer als jede Creatur, denn feine 
kann die Greatur in den Schöpfer verwandeln (transformare), das Gebet 
ded confecrirenden Prieſters kann ed. Es ift mehr ald Almojen und 
Baften; denn wer aud fein Almofen geben oder faften fann, kann doch 
beten, wenn auch nur im Herzen, wenn er ftumm ift oder den Todes» 
fampf kaͤmpfet, nach jenem Worte: „Mein Gebet ift beftändig vor dem 
Herrn.” 


Erklärung des Vater unfer, in Fragen und Antworten. 


. Warum lehrte unfer Lehrmeifter uns beten? 

. Wegen der audgezeichneten Kraft des Gebetes. 

. Warum hat er ein fo kurzes Gebet gemacht ? 

. Weil er der einzige Lehrmeifter ift. 

. Warum fängt es an mit: Vater, und nicht mit Gott oder 
Herr? 

. Weil der Vater nichts abſchlägt. 

. Was bedeutet: unfer? 

. Daß Jeder denfelben Vater anbete, daß wir uns ald Brüder 
befennen und Einen Gott verehren. 

. Mas bedeutet: der? 

. Daß Gott ganz unbeſchränkt ift (absolutus ab omnibus). 

. Maß bedeutet: du bift? 

. Daß er allein ift und daß das abfolute Sein das väterliche 
ift, aus dem Alles ftammt. 

. Mas bedeutet: in? 

. Daß er, der von Allem unbefchränft, in Allem ift. 


8) 
wa aan 


> 
eaean 


- 
= 9 





1) Es fcheint hier der Gontert mangelhaft zu fein und einige Zwifchengebanfen zu 
ehlen. 


ea a Pe 


oe: eo ec 


aa 


a 820 


zweaean [en 2 a em 


506 


. Was bedeutet: den Himmeln? 
. Daß, wer in den Himmeln ift, in Allem ift, weil die niedere 


Natur in der höhern ift. 


. Was bedentet: Bater unfer? 

. Daß wir einmüthig (unanimes) beten follen. 

. Mas bedeutet: der du bift? 

. Den Unterfchied zwifchen Gott dem Vater und einem — 


und veränderlichen Water. 


. Was bedeutet: in den Himmeln? 
. Daß der Vater eigentlih dort ift, wo es feine Weränderung 


gibt. 
Mas bedeutet: Vater unfer, der du bift in den Him: 
meln? 


. Daß wir und Alle im Gebete an Einen und denjelben wenden 


follen. 


. Warım hat er und beten gelehrt? 
. Damit wir befennen, daß wir Alles aus Gnade befigen. 


Erfte Bitte, 


. Warum heißt die erfte Bitte: geheiligt werde dein Name? 
. Weil darin die Erleuchtung unferes Geiftes liegt. 

. Was bedeutet: geheiligt werde? 

. Daß wir defwegen auf der Welt find, damit wir feine Herr 


lichfeit erfennen und er von und geheiligt (verherrlicht) 
werde. 


. Was bedeutet: Name? 
. Name ift die Kenntniß oder Offenbarung des Vaters, — der 


Sohn oder die Gleichheit. 


. Was. bedeutet: dein? 
. Der Name, der ded Vaters Name ift, ift der Sohn, in dem 


Sohne wird der Vater benannt, 


. Warum fagte er: geheiligt werde dein Name? 
. Weil die Heiligung in der Aufnahme des Vaters und Did 


Sohnes befteht. 
Zweite Bitte. 


. Warum fügte er die zweite Bitte über das Neich bei? 
. Auf die Kenntniß des Vaters und des Sohnes folgt Friede 


und Glückſeligkeit, und dies ift das Reich. 


. Warum fagte er: zu ung fomme? 
. Damit wir wiffen, e8 fei zukünftig und nicht won dieſer Welt, 


weil diefe den Gelft nicht faffen Fanır. 


. Mas bedeutet: Reich? 


10. 


11. 


12. 


= a 


— 2 


= 7 


wa um m 


507 


Ein Reich ift eine Einheit oder Verbindung; diefe fommt dem 
hl. Geifte zu. 


. Mad bedeutet: dein? 
. Daß man wiffe, e8 fei ewig und gleicher Subftanz (consub- 


stantiale) mit dem Water. 


. Warum fagte er: zu und komme dein Reich? 
„ Weil der Betende fir das Reich fähig ift, wie ber Körper 


lebensfähig, wenn die Seele hinzukommt. 
Dritte Bitte. 


. Warum fügte er die dritte Bitte bei: dein Wille geſchehe? 
. Weil die vorausgegangene Bitte nicht in Erfüllung geht, wenn 


nicht fein Mille gejchieht. 


. Was bedeutet: gefhehe? 
. Das „Geſchehe“ oder „Werde“ ift das Wort Gottes, wie z. B. 


„ed werde Licht”. 


. Was bedeutet: Wille? 

. &8 ift der heilige Geift. 

. Was bedeutet: dein? 

. Der hl. Geift ift aus dem Vater, als feinem Urquell, 

. Was bedeutet: dein Wille geihehe? 

‚ Die Allmaht Gottes. 

. Warum fegte er bei: wie im Himmel, fo aud auf Erden? 
. Weil im Himmel nur der Wille Gottes geſchieht. 

. Warum fagte er: wie? 

. Daß fih diefe Welt in der Aehnlichkeit mit der andern 


bewegen ſoll. 


.Was bedeutet: im? 
. Daß der Wille Gotted innerlicher als das Innerlichfte ift Gin- 


timior omni intimo). 


. Was bedeutet: im Himmel? 
. Er fagt nicht: „in den Himmeln“, damit wir einfehen, daß 


wir bitten, wie der Wille in unferm innern Menſchen redet, 
fo möge er vom äußern Menſchen vollzogen werben. 


. Mas bedeutet: auch? 
. Daß der Wille in dem Einen Menfhen Einer fei aus ber 


Verbindung zweier Naturen. 


. Was bedeutet: auf (in) ? 
. Daß diefer Wille in und ald die bewegende Natur fei, die 


von Innen heraus treibt. 


. Was bedeutet: Erden? 


Daß der Menfh aus Erde ift. 


508 
Vierte Bitte, 


1. 5. Warum fügte er die vierte Bitte bei: Unfer täglides 
Brod gib uns heute? 
A. Weil zur Erlangung des Erbetenen das Brod nothwendig if. 
2. F. Warım fagte er: Brod? 
A. Um das auszudrüden, was wir ald gemeinfam und notb- 
wendig erfennen. 
3. 5. Mus bedeutet: unfer? 
A. Weil wir für Alle bitten und es wird und gegeben. 
4. 8. Was bedeutet: täglich? 
U. Weil e8 immer nothwendig und immer zu erflehen ift. 
9. %. Was bedeutet: übernatürlich (supersubstantialem) ? ‘) 

U. Daß der Menſch nicht vom Brode allein lebt, fondern von 
jedem Worte, das aus dem Munde Gottes fommt, und did 
it das übernatürlihe Brod. 

6. 5. Was bedeutet: gib? 

A. Daß wir unfer Brod nicht anderd haben Fünnen, denn als 
ein Geſchenk; die es haben und nicht als Geſchenk, haben 
fremdes Gut genommen, wie die Wucherer, Diebe und 
Räuber. 

7. 5. Was bedeutet: uns? 
U. Daß wir in der Kirche find. 
8. 8. Was bedeutet: heute? 
U. Daß wir e8 immer und ohne Unterbrehung bedürfen, da es 
das Leben ift. ?) 
9. F. Was bedeutet: unfer täglihes Brod? 
U. Daß wir um ein andered nicht bitten folfen. 
10. 3. Was bedeutet: gib uns heute? 
A. Daß wir nicht Einmal, fondern zu jeder Zeit darum bitten follen. 
Fünfte Bitte. 
1. F. Warım folgt die fünfte Bitte: Und vergib und unfere 
Schulden? 
A. Weil die Vergebung der Sünden nur den in Chriftus Einge— 


gliederten zu Theil wird, der und die Vergebung der Sünden 
verdient hat. 
2. 5. Was bedeutet: und? 





1) Während es fcheint, ala fei bier in das Water unfer willführlich ein Wort eins 
geſchoben, das nicht in demfelben fteht, unterliegt es feinem Zweifel, daß nur die Faſ⸗ 
fung der Frage eine nicht ganz gelungene ift. Es hätte die Frage paflender etwa fo 
geftellt werben fünnen: Was hat „Brod“ noch für eine weitere Bedeutung ? 

2) Dies feheint fih auf das übernatürliche Brod zurüdzubezichen. 


12, 


= 


za sa sammen en m 


= 


mo 


= oa 


909 


. Weil Beides zugleih geſchieht, die Eingliederung in Chriftus 


und die Rechtfertigung. 


. Was bedeutet: vergib? 
. Weil die durh die Sünde gefeffelte Seele nur durch einen 


Stärfern befreit und erlöst werben kann. 
Was bedeutet: uns? (d. i. den in Chriſtus Eingegliederten.) 


. Daß es außerhalb der Kirche keine Sündenvergebung gibt. 

. Was bedeutet: Schulden? 

. Daß wir Alle Schuldner und der Geredhtigfeit Öottes verfallen find. 
.Was bedeutet: unfere? 

. Daß nichts unfer ift ald die Sünde; denn außer berfelben 


haben wir nichts, was nicht Gott gehört. 


. Warum ift beigefegt: wie? 
. Damit wir nichts Ungerechtes von Gott erbitten; denn wer 


bittet, daß ihm vergeben werde, und nicht vergibt, defien Bitten 
ift ein Widerſpruch. 


. Warum wird: auch beigejegt? 
. Damit die Wehnlichkeit der Beziehung mit Rüdficht auf die 


Gleichheit der Gerechtigkeit ausgedrückt werde. 


.Warum folgt: wir? | 
. Weil, wenn Einer in der Kirche beleidigt wird, Alle beleidigt 


werden; deßhalb muß die Vergebung dur Alle erfolgen. 


. Warum heißt ed: wir vergeben? 
. Unfer Vergeben ift ein Abbild der wahren Bergebung, wenn 


wir verzeihen und Gott die Beftrafung (vindictam) überlafien. 


. Was bedeutet: Schuldigern? 
. Daß wir denen vergeben, die und für zugefügtes Unrecht Genug— 


thuung leiften und überdieß körperlich gezüchtigt werden follten. 


- Mad bedeutet: unfern? 
. Weil fie und und einem Geben Genugthuung leiften und zum 


allgemeinen Beften geftraft werben follten. 
Sechste Bitte. 


. Warum heißt die feste Bitte: und führe und nidt im 


Verſuchung? 


.Weil wir nicht überſehen ſollen, wae beſonders nothwendig zu 


erbitten iſt. 


. Mas bedeutet: und? (dad Verbindungswort.) 
. Daß wir mir Demjenigen zu unſerm Beſten verbunden und 


vereinigt feien, von dem wir alle Hülfe erwarten. 


. Warum folgt: nicht? 
. Damit er dem Feinde alle Gewalt, uns zu ſchaden, nehme. 


= ge) aa 


wa BAER 2 00 za 


wann mam 


510 


. Was bedeutet: und nicht? 
. Daß er und nie von ihm, dem wir fett anbangen, getrennt 


werden laffe. 


. Warum fegen wir bei: uns? 
. Weil wir ſelbſt es find, die im Guten befeftigt, und gegen’ 


das Böſe geſchützt zu werden bebürfen. 


» Was bedeutet: führe ung? 
. Weil 08 Feine Fähigfeit, gut zu handeln, gibt, wenn er fie 


nicht gewährt, noch eine Macht der Berfuhung, wenn er fie 
nicht zuläßt. 


. Was bedeutet: in? 
. Duß in ihm Alles und er in Allem iſt; oben im Himmel un 


unten auf der Erde, und in allen Abgründen ift feine Madt. 


. Was bedeutet: in Verfuhung? 
. Ein vom Wolfe angegriffenes Schaf kann ſich nicht befreien 


und wenn ed auch vom Hirten befreit wird, fo wird es dod 
verwundet. So wird aud, wer der Verſuchung preisgegeben 
wird, vom böfen Feinde verwundet, wenn er auch, nachdem 
die Zulaffung vorüber, befreit wird, wie wir an Petrus, der 
der VBerfuhung überlaffen war, deutlich jehen. 

Siebente Bitte. 


. Welches ift die fiebente Bitte ? 

. Sondern erlöfe uns von dem Uebel. Amen. 

. Warum: fiebente? 

. Weil die Siebenzahl die Zahl der Ruhe und nach Entfernung 


alles Uebels Jeder im Guten feine Ruhe findet. 


. Was bedeutet: fondern erlöfe uns von dem Uebel 
. Daß und das Gute wie ein Licht befcheinen möge, denn dad 


Licht leuchtet nicht, fo lange nicht die Finfterniß entfernt iR, 
und das Gute geht mur denen Cirradiat) auf, die vom Uebel 
befreit find, 


. Warum folgt: fondern? 

. Weil man vom Böſen fit abfondern foll (adversandum). 

. Zu wen fagen wir: erlöfe uns? 

. Zu dem, der allein erlöfen fann, der ſprach: „ich verwunde und 


ich heile, und Niemand kann aus meiner Hand hinausfallen.“ 
Was bedeutet: uns? 


. Daß Alle für fih Gutes erfireben. 
. Warıım fagen wir: von? 


Weil der, von dem Alles, jedes Sein ift (est ens omue), das 
fi) fcheidet von dem Nichts und nicht Seienden. 


511 


8. F. Warım ſchließen wir die Bitte mit dem Worte: von dem 
Uebel? 

A. Weil wir alles Uebel ausſchließen und ausſcheiden müſſen, 
damit in uns alles Gute Frucht bringe. 

9. F. Warum ſchließen wir das ganze Gebet mit: Amen? 

A. Weil wir von Gott die Bekräftigung in allem Guten erflehen 
müſſen. Denn hat auch ein Weſen das Erbetene erhalten, 
ſo macht es doch geringe Fortſchritte, wenn es im Guten 
nicht befeſtigt (confirmatur) wird. 

10. 5. Warum ift das Amen das Leste in den Bitten? 

A. Weil: Gott felbft das Amen ift und die Befräftigung aller 
Bekräftigung. Wer daher am Schluſſe fagt: Amen, bittet 
Gott um die Erlangung des Ziele und um die Befräftigung 


von Allem. 
So befräftige uns denn in allem Guten Gott, der alles Gute über: 
trifft und alles Gute verleiht! Amen. (Exc. VI, 549—552.) 


Eine andere Erklärung des Vater unſer. 
Die auslegung über den pater nofter, von her nicolas von 
Euja, Gardinal und pifhoff zw Briren. 


Jeſus in einer allerdiemütigften menſchhait war wärer got, und alio 
waren feine wort und lere auch war, und überireffent dye anderen all; 
und darumb fo ift der pater nofter in ainer ainfeltigfeit der wort wer 
greiffend die höchft ler und weishalt. Wann gleich als die gothait in der 
menichhait Erifti verporgen lag, alſo ift all wegreifflibe weyshait vers 
vorgen in den ainfältigen worten der ler Grifti, die nyemants gar ges 
gründen mag auf difem ertreih. Ein yeglich menſch hat ein unergänflich 
ſpeis auf dieſer fichtigen Wellt in der verporgenen weishait goted unter 
den worten und finnlichen zaichen als der Fröften menjch wartend ift ainer 
ewigen ſpeis des obriften verftäntlihen Lebens offenbarung an (ohne) alle 
jaihen oder mittel der franfen fimlichait. Darum ift es, daß ein menſch 
mag nad der gnad goted ein Flarär und höcher verftäntnuß haben in den 
worten des pater nofterd, denn der ander, ald ainer Flarär augen hat 
dann der ander, die ſune an zefehen, und wiewol ein yeglicher in fainer 
ainfalt eine ſünderliche genügliche füßigfait in demfelben gepet haben mag, 
jo ift doch, daß got ainem ainen vortail wider den andern geben hat 
ainen yeglichen ze nüß, und darum lernet ainer den andern und ſy bes 
geren von einander zit lernen. 

Mein verftäntnuß des pater noſters zu diſer Zeit ift hie mad) ges 
Ihriben und getraw daß folich verftäntuiß fol in mir gemert und beflärt 


512 


werden von tag zu tag, ald ih aud in dir won got des begeren pin. 
Es ift ze willen daß ein gepet get nad) der wegirde und ber pegirlic 
will get nach dem hoffen, wann was der menfch nit hofft, des pegert er 
nicht; aber die hoffnung volgt dem glauben und verftäntmüß. Nyemanıd 
hofft, dad er nit geglaubt oder ways, und darum fo und das obrift gepet 
haben dye obrijten pegirde, hoffen und glauben; und das ift, daß du für 
dich fegen folt in dem pater nofter ze fuhen. Wann nun unfer verjtänt 
nüß ift genaigt die warhait ze wifjen, fo findeft du, was du glauben jollt 
in der warhait ye got und den creaturen, und wann du den glauben der 
warhait funden haft, durch den du erleucht wirdeft, warzu menſchlich 
weſen kömen mag zit feiner völfommenhait, fo hoffeſt du auch daryı x 
fümen, und wann du findet, daß jolich völfommenhait gut iſt, fo wegerel 
du derfelben, und piteft nad dem du dy felben verfteeft, und hoffeſt daf 
du darzu fommen mügft. Und aljo unfer verftäntniß zu der warhalt ge 
naygt findet ein erläuchtung in dem pater nofter ze wiſſen im aimem ftäten 
glauben, was dy warhait ſey: zu dem erften von dem anbeginn und ur 
fprung aller ding, von dem ausfluß aller ding von got, von dem mittel 
des widerfluß aller ding und von dem ende. Der urfprung ift die gälle 
liche natur in den worten: vater unfer der du da pift in den Him 
meln, geheiligt werbt dein nam, zü köm ung dein reich. De 
ausfluß in den worten: dein will gefheh als indem Himmel 
und in dererden. Das Frefitig mittel in den worten: unfer täg 
lid prot gib ung heut, vergib ung unfre ſchuld als wir tun 
unfern [huldigern, nit verlayt uns im weforung. Das ende 
in den worten: ſundern erlöd uns von übel. Amen. 

Der urfprung ift und aufgetan in ainem glauben in den worten: 
vater unfer; in dem hoffen der verftäntnüß in den worten: geheiligt 
werdet dein nam; in wegirt des guten in den worten: zu fom und 
dain rei. Der ausfluß der creaturen wirt und offenbar in feiner ons 
nung in den worten: dein will gefheh indem Himmel und in 
der erden. Unfer wandlung bye in der zeyt wil haben ein kreffligt 
ſpeis, und eine ringerung der ſchwären pürd, des, dardurch wir leyden 
bindernüß, ein ficher wegweid und eine befchirmung im weg. An die vier 
punkten fan nyemants wol gewandeln. Der erft punft ift in ben worten: 
unfer täglid prot gib uns heut, der ander in den worten: ver 
gib uns unſer ſchuld, der dritt in den worten: al8 wir tun unfert 
Ihuldigern, der viert in den worten: mit verlayt uns in Br 
forung. Das ende aller wandlung ift zu dem guten begriffen in ben 
worten: Sundern erlös uns von übel. amen. 

Die natur, die gnad und glorie und alles, das der menſch wegert 
zu wiſſen, wye des möglih iſt und auf difem erdreich in der ordnung, 


513 


ald die maifter von den höchften fynnen des begreiffen mögen, {ft alles 
je finden in difem heiligften gepet, darin nichts übrige, nichts ze wenig 
ift, nichts je ſchwär, michts ze leicht, nichts ge lang, nichts ze kurz, 
nichts am fach und rechte ordnung ift, da das erft das erfte foll feyn, 
das lezt das legte, warm ber Artifel: Water unfer, der du pift in den 
bimmeln mag fainen vor ym leyden, und der artifel: geheiligt werd dein 
nam get auß dem erjten, und der dritt aus dem zweyten vorgenannten. 
Der artifel: dein will werd, geet aus den, die vor ym gennt, und alfo 
pis an das ende, ein yedlicher in feiner ordnung. Diß aller heiligited und 
höchftes gepet leg ich mit dem fürzten alfo aus. 

Bater unfer. Ein vater ift ein natürlicher erfter und öbrifter urs 
fprung und ift allain ein anbeginnen aller unfer, des beweift dad wort: 
unſer; wann ains ift nit unfer, fundern unfer ift viel, aber vil 
haben ainen urfprung, als uns die zal des weit. Zehen oder zwanzig 
it mer dann ains und ift wil, aber deß zehen zehen find, oder zwanzig 
mwanzig find, des haben fy von ainem. Zehen ift nit anders, dann ains 
sehnmal, und darumb wär ains nicht, zehen möchten nit gefein, und alfo 
find zehen von ainem, umd haben von yn (ihnen) felber nichte, Sondern 
was ſy find, des iſt von ainem, und ift im ym nichts dann ains. Dar— 
umb jo fein wir alle, wie vil unfer fein, von ainem und feyn wir nichts 
von und, und was wir fein, des feyn wir in dem vater, an den wir 
nit jein mügen, und aljo haben wir wie all Greaturen von ainem vater 
und in ainem feyn, aus den worten: vater unſer. Darnach volgt: du 
vi. Da merk: ſeyt der vater ifl, So ift er das weſen aller ding, wann 
alle ding von ym und in ym find, und alfo ift got alles, das da in 
yedlichem ift, das da ift. 

Und darnach volgt: in den himeln. Durch die himel verftee ich 
die obriften creaturen, und aljo lerent mich dije ainfeltige wort, wie got 
der vater ift in allen Dingen, wann er ift in den bimeln. Die obriften 
treaturen das find die verftäntlichen naturen, die haben in frer frafft und 
macht die undriften als die bewegleich lebendig natur. Der paum hat in 
ym die untreft element; und das finlig leben der tier begreift yn ym 
des beweglich leben, und darumb wachſet und nympt zu das tyer ald 
der paum. Die vernünftig natur begreifft dye finnlihen, ald in den 
menfchen, und die verftändig himliſch natur begreift in yr die rebleich 
(rationalis) als in den engeln. Und darumb ift ain got der vater, in 
dem alle ding find im den hymeln. So ift er in allen, und ift ain 
got vater in vil himeln, und find vil himliſch naturen, in den ein ainig 
ainfeltig got vater ungetailt und unvermengt ift. Daraus du merkt wie 
diß ertreich der fonlichait ift vern von der erfäntniß gotes, wann er in 
den himeln ver obreften verftäntmüß ift, und bajelbs wirt un mit 

Sharpff, Nic. v. Gufa, 


914 


den augen ber verftäntlichen maturen, die wir auch in unſer felen haben; 
wann er eine obrefte geiftlihe natur ift, bie unſer ſynnliche und leipliche 
augen nit fehauen mügen. Und alſo merf, daß get der vater ift das 
weſen aller ding, und ift in yeblichenn alfo, als in allen und in fainem 
wejend, aber wegreifflih und merklih; fo if er in den bimeln ‚der ver 
ftäntlichen naturen. 

Seheiligt werdt dein name Gin nam ift ein kantnuß. Par 
dem namen haben wir underfchidfiche befanntnüß, und fo der nam je yaf 
bedeutt, dad da genannt wird, fo er ye rechter und warer iſt. Und 
darumb ein warhaftiger nam ift ein recht geleichnüß des genannten; un 
ift als ein begreifflih wort, das da fleußt aus macht der verftäntnüf. 
Alfo ift der nam got des vaterd ein obrift wort, gleich der verftäntlicen 
naturen des vaterd; ımd wann der nam allergleichift iſt dem water (und 
der obrift nam ift, der wicht warer, rechter und gleicher fein mag), ie 
mag der nam nicht mynner fein dann der vater. Warm wär er mynner, 
fo möcht (fönnt) er mer fein, denn er wär, und alſo wär er nit be 
obrift warhaftigfte nam. Seyt aber, daß er gleich dem water ift, fo ii 
er gleich got, als der vater. Aber got der vater iſt ein ainig urfprung 
aller ding, als oben gefhriben ftent; derumb muß der name, der dem 
vater gleich ift, derſelb ainig got fein, der der vater iſt; wye wol ber 
name der vater nicht ift, an (ſondern?) des vaterd name, ben wir um 
deßwillen, daß er ift von dem vater, als fein obriſte gleichnüß wennen 
mügen den fun. Nym ein gleihnüß in der finnlihen gepurt, da ber 
fun ift von dem vater. Kain fun auf difem ertreich ift feinem vater alle 
gleih, er möcht ym noch gleicher ſeyn. Alſo fain ding mag dem ande 
nymer fo gleich fein, ed möcht ym noch gleicher jeyn. Und wann mur 
die alleröbrift und warhaftigift gleihnüß ift allein des vaters jun oder 
name, darumb ift alle gleihnüß auf difem ertreich gemengt und vermildt 
mit ungleih und iſt gotes vaterd nam auf difem ertreich mit ze finder 
yn ettwe gleichem an große ungleichheit. Und wann num got nit erkannt 
mag werden anders, denn in feinem namen, fe it daß wir hoffen, daf 
wir derzu fommen mügen, daß wir In über unfer verftäntnüß bekennen, 
in dem daß got der vater und in feinem namen erleuchtet, daß wir in 
halligen. Wann wenn wir heiligen feinen namen, das fümpt and deu 
Licht, dad uns geben ift von dem Water, darin wir fehen feinen na 
men über all namen. Wann wir ben namen aljo fehen, dann jo beill 
gen wir in über alles, das da heilig, war und recht iſt; wann wir ſehen, 
wye der name der war nam iſt und der gerecht nam der obriften gleich⸗ 
nüß und der Spiegl der wayshait, darin got der vater allein geſehen 
und erfannt mag werden, und daß alles, das da genannt iſt im bim 
melreich und im ertreich hat kainen waren namen, am gepreften, abgang 


515 


und ungleihhait, aber anders ift es in bifem namen, und das’ darum 
fain ding mög erfannt werden in der warhait anderd dann in dem na— 
men. Alſo lernet und Chriſtus piten, daß der name geheiligt werb durd) 
und, darine begriffen ift die umergrünt lere zu kommen in die erfännts 
nüß goles, derzu wir nyt fommen mügen von und, fondern von gnaden 
gotes, die und heilige, daß wir auch heiligen mügen den namen der et 
kaͤnntnüß gotes über alle erfänntnüß. Und wenn alſo unfer verftäntnüß 
allein gotes namen heilige, und in feinen andern dingen luſt noch rue 
findet oder ſuchet, fo hat der menfch, des (was) er pitet von got in den 
worten: geheiligt werdt dein nam. 

Darnach volgt: Zu fom uns dein reich. Ein reich ift ein vor 
ainigung. Ein künigreich ift ein verainigung in einem fünig. Ein gotess 
reich iſt ein verainigung in got. Das gotliche reich ift die gotlich und 
obrift verainigung, die nicht mag mer geſein. Die verainigung des va- 
ter und des fund, der dem vater allergleichift ift, iſt die obrift verainis 
gung. Aus einem und feinem gleichen fümpt verainigung ald aus um 
gleih tailung, umd darumb jo fümpt aus einem und feinem allergleichiften 
die obrift ainigung. Die obrift ainigung, die nit mer mag fein, muß 
got fein; wann alles, des da ift, des es fein mag, des ift get; und 
was got nit ift, ded mag durch got anders fein, dann es ift. Aber 
got allain ift alles, des da gefein mag. Alfo ift die obrift verainigung 
got, den wir nennen den heiligen geift, der da. fümpt von ainen und jel- 
nem gleichen, das ift von dem vater und von dem fun. Alſo merkit du, 
daß des vaterd reich iſt die obrift verainigung, der heilig geift. Und 
darumb, wann der menjch erhebt wirt im die befanntnüß gotes in feinem 
namen, und aljo geliehen bat, de got allain der allerbegierlihift if 
und das oberft gut, fo findet er, daß got des reich ift aller wunne und 
freuden, und die lieb ift aller lieblichkeit, und daß allain in dem reich ift 
der heilig ewig frid und verainigfait ftätiflich, und deß außer dem reich 
It alle lieb vergänflic gemengt mit layd, und aller frid unftätiglich ger 
mengt mit unfrid und alle frewndtichaft und verainigung geprechenlich. 
Darumb fo fullen wir mit großer begird piten, daß des reih zu ums 
fom darin und nichts gepreften mag, fondern ewiglich fälig fein. Wir 
piten des, daß und des reich zuköm. Darin verfteen wir, daß wir 
glauben fullen, wie wol wir creatur fein und auf difem ertreich leben in 
vil gepreften und creatur beleiben müßen, daß und Doch das frivfam ums 
tötlih reich zufommen müg. Und alfo werden wir gelernet von Erifte, 
daß wir begreifflich fein, gotes kinder ze fein, und daß und gottes reich 
jufomen mag zu einer ewigen erbfchafft, und daß wir an und haben rin 
untötlihait, zu der gotes reich fomen mag. Wir werden and gelermet, 
daß unfer oberfte hoffnung fein joll zu befigen das reich ber — frew⸗ 


516 


den. Und indem, daß wir piten umb das reich, werben wir gelernt, daß 
und got des reich von gnaden geben mag, und daß wir fein recht, des 
zu fordern haben, wann wir fein ald von uns ſelbs finder des zomd 
und der zwitracht und der fünden, das ift der tailung, wann fündt Fimpt 
von - fündern, das ift tallen. Darumb fo jeind wir nit als von und 
felb8 geporen zu dem reich des fridend und verainigung, fondern allaiı 
von gnaden. In dem aber, daß criftus uns lernt got darumb zu piten, 
verfteen wir, daß got darumb gepeten wil werden, und daß feine guad 
uns das dann nit verzeihen wil. In dem aber, daß du gelemet yil 
zu fprehen: zu fom uns dein reich, darin merfeftu, daß gotes reich if 
zufünfftig nach difer vergänflien zeit, und daß deß reich difer welt, das 
nun ift, in dem wir num fein, umbegreifflih ift des reihs gotes, umd 
dag du gebullt haben folt in difer wellt und harren mit großer begin 
gotes reich nach difer welt; und alfo [chi dich in dem rei, da du nun 
ynnen pift, dich alfo got ze lieben und zu verainigen, daß dir gotes reid 
zufomen müg. Indem aber wir piten, daß fein reihb uns zukom, 
darin merfeftu, daß du zu gotes reich nit anders fümpft, dann daß dat 
reich gotes zu dir füm. Als unfer leib Fümpt nit anders zu dem leben, 
dann wann das leben der jel zu ym kümpt. 

Alfo haſtu des erft tayl des heiligen paternoftere in dem Fürsten, 
und verfteeft wol aus dem, daß die ler Criſti unzergründen ift. Nun 
merf noch aus den dreyen Artifeln, die ich dir alfo ausgelegt bat, mic 
du von difer wellt dich zu got keren ſollt. Du findeft zu dem erften auf 
difem ertreih vil dings, ftayn, tyer, paum x. Dernach fiehft du, das 
die vil ungleih find. in ftayn ift einem tyer ungleich, und ein tyer if 
einem paum ungleich, aljo daß kein ding dem andern gleich if. Darnach 
fiehft du, daß alle ding gefundert und getailt find, die flerne da oben, 
die erden hyn nieden, die fiſch in dem wafler, die vögel in der luft, um 
ift hie ains getailt von dem andern. Die drew ding merkt ein yedlich 
menſch wol auf difem ertreich, vil ungleich und gefündert, und an 
vil fümpt ungleich, und aus yn paiden kümpt gefundert oder geteilt. 
Wil du nun zu got fomen, merk den urfprung von vil, des ift ains. 
Seyt nun vil in ainem verainigt find als in yrem urfprung, fo fer dich 
von vil zu ainem: fo magit du ſprechen: vater unfer, der bu pift in 
den himeln. Darnach merk, wie ungleich gleich ift, des ift im got 
fun. Darumb fer dih von ungleihem und unrechtem zu dem gleiden 
und rechten, fo kereſt bu dich zu gotes fun, und magft wol piten: ge⸗ 
heiligt wert dein nam. Darnach merf, wie alle taylung und fürs 
derung verainigt ift, des ift in dem waren frid, das ift in dem beiligen 
geiſt. Darumb Fer dich von aller fünderung und tailung der ſünden, die 
da tailen zwiſchen dir und got und deinen nägften, das fey im zermen 


517 


oder haß zu der verainigung der lieb und des friedes; fo magft du wol 
piten: zufom uns dein reich. Und die weg find dir not und find 
auch genud. 

Dein willwerb als in dem bimel und in der erden, 
In difen worten werben wir gelerent, daß alle ding von got ausflieffent 
nad dem willen gotes und daß alle ding haben ires weſens fain ander 
fah, dann gotes willen. Daß der bimel himel ift und bie erd erd iſt, 
und ein menſch ein menich ift, das ift um anders nichts, dann daß got 
alio des wil. Darum in dein, werde und wille fließen alle dinge 
von dem vater in ir weien. Das ift nit anders, dann daß alle ding fein 
das alles, das fie fein, von ainem drimaltigen got, von dem vater, in 
jeinem wort, des ift der fun; mit feinem willen, das ift der heilig geift. 
Darumb merf, daß in den dreyen worten: dein will werd alle ding 
in iren ausfluß verzeichnet find; von got dem vater in den wort dain; 
von got dem fun in de wort: werde; von got dem heiligen geift in 
dem wort will; und als die drey wörter begeichnent die dryvaltigfait, 
und in den. worten bie heilig drivaltigkeit bedewtet wirbt. Alſo bat ein 
wblih ding, das da ift, eim pild goted und der heiligen dryvalt in ym, 
durh welche pilde das ding ift, wann fain ding nichts anders if, dann 
ald fern und als vil es gotes pild if. Merk mit fleiß diſe drew wort: 
dein will werd, die dir geben im der heiligen brivalt den ausfluß 
aller ding zu verfteen. Wann wildu wiffen, wye der menſch menſch ift 
worden, fo wirdeft du fie gelernt, daß du befenneft, daß kain ander ſach 
if, dann daß gotes des vaters will werden iſt. Alfo nym es in allen 
dingen. 
Darnach volgt: als in dem himel und in der erden. Das 
raus merkſt du die ordnung aller ding; wann alle ding, die got beſchaffen 
bat, find fie wenannt. Mit der ordnung ift fie genannt der himmel, bie 
erden und damit ein end. Da merf ein oberfte himliſche natur, die geift« 
lich if, ein undrifte yrdiſche natur, die leiplich ift, und ein mitteleiche natur 
von difen paiden verainigt, die da himliſch und irdifch ift, als die menfch- 
lich natur, die ob ir hat die himlifchen englifchen natur, und unter ir hat 
irdifhe natur, das ift alle natur der elementen. Daraus merfeft du, wie 
alle natur unter dem menfchen haben fain gemeinfchafft mit der himlifchen 
geiftligen natur, und daß darumb got, der in dem himel ift, durch ſy nit 
erfannt wird, merklicher wann fy fein aus der erben; bie ift ir aller ger 
maine mutter, und werben daraus erhaben bie andern element, und aus 
den elementen werden ftain und beweglich und finnlich natur erhaben; und 
wann die matur ift irbifch von der muter, fo ift ſy der himlifchen under, 
taͤnig. Aber die himliſch ift geiftlih und got gleicher und darumb ebler, 
wann in der verftäntlichen natur finden wir ein geiftlich weſen verfäntnüß 


518 


und willen. Das wefen ift genaigt zu der ewigfeit und untötlichait, bie 
verftäntnüß iſt genaigt zu der warheit, der will zu dem guten. Alſo findeft 
da, wie die himliſch geiftlih natur ift ein fchein gotes und der heiligen 
drivaltigfait; eim jchein gotes des vaters, der ewig ift in fr. untötlichfait; 
ein fchein des jun goted in der verftäntuuß in der warhait, die da er 
fheint im’ der verftäntuuß, durch die dy verftäntnuß hat den glanz ber 
wiffenhait zu der warhait; ein fchein des heiligen geifts yn dem willen, 
der von dem licht des heiligen geiſts anders nit pegerdt, denn das gut if. 
Alfo pegert der will nichts denm gut, wann gut fleußt von dem heiligen 
geiftz und hat des begeren zu dem guten von dem audfluß des heil. 
geifts, als auch die verftäntnuß zu fomen zu nichts andern denn zu wars 
hatt aus dem ausfluß von dem fun gotes genaigt ift. — Und alſo die menſch⸗ 
lich natur, verainigt von den himlifhen und irdiſchen naturen, findet in 
dem geift feiner felen die himlifh naigung zu der untötlichtait, zu ber 
warhait und zu dem guten über fich zu gotz umd im der irdiſchen finnlis 
chen natur findet ſy ain naigung unter fich zu dem vergänflichen, unmaren, 
fcheinenden gut; alfo daß die gefagt ungleich und wider einander fint. 
Darım lernet und Criſtus piten, daß der wil gote& werde in der erben 
als in dem himel, daß die ſinnlich fleiſchliche natur fich kere zu der ver 
ftäntlichen und weleibenden in der gehorfamfait verainigt. Das ift darumh, 
wann alfo (weil fo) ift der menſch ganz über fi in. dem himel feiner ver 
ftäntnuß, da got warnend ift im freyen wandeln. Und aus dem, daß wir 
ſolichs piten fein, befennen wir, daß wir won uns ſelbs franfer natur 
fein; und mügen an die gnad goted dem fleifch und ver finnlichait mit 
widerften, und aus irdifcher natur, mag ſy die himliſchen geſetzt, durch 
welch ſy der götliden ewigfait tailhaftig wird, mit empfahn am götlice 
genad, die doch got wiliglih geben will, wann wir mit ynnigkait piten 
feyn: dein will werd, ald in dem himel und in der erden. Alſo das um 
ander vil großer ler in den worten und won Grifto Iheſu geoffenbaret find, 
Unjer täglich prot gib uns hewt. 

Wyr haben vor gepeten, daß unfer irdifche Natur in die gehorſam 
käme ber gaiftlihen Himliichen naturen. Wann nu fölides umb gepreftu 
der naturen nicht gefhehn mag, wir haben dann ein fpeis, dye unß täg 
ih und am unterläß ſpeis und fterfe, und dieß ift, das Griftus ums 
fernet, daß wir got piten um die ſpeis des lebens, darburd wir gefpeift 
werden, frafft ze haben, und des todes und aller geprechenlichait ledig 
ze ſeyn. Wann num in und verainigt feyn zwo natur, ein himliſche umd 
ein irdiiche, fo piten wir um das nottürftig prot zu paiden naturen, das 
ift umb das himliſch prot, darin das himlifch untoblich Teben ift über alle 
feldftentigfait aller creaturen, als der evangelift Matheus fchreibt, und um 


519 


das prot aller motturfft, die und als heut, als in diſem finnlichen Leben 
täglich zufomen mag. 

Nun haben wir verftanden byevon, daß die verftäntlich geiftliche 
natur wirt mit der warhait und dem wort goted das ift mit dem ewigen 
goted fun, der die weisheit ift, untötlich geipeyfet. Darumb piten wir, 
daß das wort ein fpeid werde unjer menjchlichen natur. Nun muß ein 
ſpeis verainigt werden mit dem, der da geſpeyſ't wirbt, anderft fo ift es 
fein ſpeis, und darumb piten wir, daß die warhait oder das wort gotes 
unfer natur verainiget und gegeben werd, wann das ift das prot, in dem 
wir das umtötlich leben haben mügen, und ift unfer prot unfer natur; 
darımb piten wir, daß got und unfer prot geb das ift Shefum Eriftum 
in unfer herz des lebens geb als ein ſpeis des lebend; umd wirt unjer 
prot und gegeben zu einer ſpeis des lebend, wann wir Ihn in unferm 
bergen mit ganzem Glauben für ein fpeis des lebens empfahen; wann 
alio dann verainigt fich unſer leben in umjrer aignen menjclichen natur 
in Grifto, in welchem unfer natur dem götlihen leben untötlich verainiget 
it; und alfo fein wir dann gefpeyst in unferm brot, das und got aljo 
geben bat. 

Merk nu, wye dyſe wort: unſer täglich prot dir zu bem erften 
offenbaren, daß fölih unfer prot if, und darnach, daß es und zu dem 
leben not ift, und daß wir ein hoffen haben füllen, daß wir damit ges 
Ipeyst werben, und daß dad nyt, dann mit goted gnaden gefchehen mag, 
und daß got mit andacht und liebe darumb gepeten wil feyn, und dann 
geben wil — das alles beweilent und die wort des gepets. 

Da merf auch, was darzu gehört, daß der menfch das leben haben 
mög, wann es ift not, daß er Eriftum bat, der das bimlifch prot ift. 
Aber Eriftus wirt nyemant, wann dur den glauben, daß er jey das prot 
des lebend, und die hoffnung und lieb und eine gnabenreiche gabe gotes. 
Merf bye: ſeyt Erifius ein fpeis ift des lebens, fo vollbringt criftus im 
und und erftätt all geprechen, ald die ſpeis erfüllt die motturftz und das 
tumb jo ift Eriftus eine fpeis aller fpeis in aller volfomenhait, all ges 
preften zu erftatten; und aljo, was und geprist, es fey in dem weien, 
in der ‚gerechtigfeit, weishait oder warhait und in dem friv, der lieb oder 
guthait, das finden wir alles in diſem prot. Darauf beweyfen wir 
unfer begird zu dem prot, und unfer glauben und hoffnung und liebe 
werden gemeret. Alſo ift daß get und diß prot alle tag geben ift, und 
das iſt das obrift, heiligift ſacrament, daß wir mit großer lieb und 
andaht als die obrift und höchfte gutes gab in dieſem gepet begern 
und empfahen füllen, Nun verfteeft du wol, daß der menfch zu dem ewi⸗ 
gen umtötlichen  Ieben zu befogen oder begreiffen des oberft gut anders, 
dann in Erifto Ihefu, darinn all unfer gepreften erfüllt fein, nicht fomen 


520 


mag, Sondern daß wir alle in Im volfomen werben und im Im erfteen 
von dem tod und verainigt werden dem leben, wann er ift das Tebenbig 
prot, das über alle ſubſtanzien umd feldftftäntigfeit aller creaturen ift, und 
find in Im all creaturen in irer obriften volfomenheit, und er ift ber 
vorganf und das haupt aller hoffnung gottes, und find alle werf gote& in 
Im, und er fft ein anbeginne und urfprung, der ausfluß aller creaturen, 
und das mittel des widerfluß und das ende aller volkomenhait; wann bie 
menfhlih natur in ihr verainigt all creaturen die himliſchen und irbifchen, 
und die iſt in crifto goted fun verainigt. So iſt criftus das ende aller 
volfomenhait, wann er ift allain der höchſt. Daraus merfeft du, daf er 
nie ift ein fpeis, dye fich feret in unfer natur, als ein leiplich fpeis, wann 
er allain der obrift ift, Sundern er ift ein ſpeis des lebens, die uns im ſich 
verainigt, und in feinem leben und lebendig macht, als deine fel ift ein fpeis 
eines natürlichen lebens deinem leibe und allen deinen glidern, nit daß bie ſel 
fi fer in den leib und die leiblih natur an fi nem, ſundern daß bie 
fel verainigt in ir deinen leib und alle deine glieder. In ver verainigung 
jo lebt der leib in dem leben der fe. Da merf, daß alle creaturen, bie 
da zu dem ewigen leben fomen, find als glid eines leichnams criftiz in 
denen iſt das leben crifti allo, daß in Ihnen nit anders lebt dann criftus; 
und iſt das nicht anderft, dann daß die vernünfftigen creatur verainigt 
find in ainen leid, der in dem leben Grifti verainigt ift. 

Nu ſich eigentlich: Wildu daß Eriftus in dir leb, fo mußt du in 
Im verainigt fein; ald wolt dein finger, daß dein fel in im lebt, fo muß 
dein finger verainigt fein dem leib, und durch den Leib der fl. Wann 
ſcheideſt du den finger von der fel, dur daß du den finger von dem leib 
fcheideft, jo fchaideft du in von dem leben; und alfo fiehbft vu, daß bu 
verainigt mußt fein Erifto, folt du leben. Aber die werainigung mit Erifte 
mag nicht gefein, denn du feift in dem leib Erifti verainigt, das ift in 
ver heiligen fanung der friftenlichen fyrchen, und darumb pitet du: unfer 
täglich prot gib und hewt. In dem daß du fprihft: unfer, fo welennſt 
du, daß du der ſamung verainigt bit. In dem, daß du fpricft: prot 
befenuft du ein lebentige ſpeis, dardurch du wurdeft verainigt in Im. In 
dem daß du jprichft: gib und hewt, befenneft du, daß diſe ſpeis wir 
nit gegeben ainem, der da geſündert if, funder vil, bie da mit einander 
verainigt find. Darumb merk aus der ler Erifti, daß -dir der gelaub und 
facrament und al tugend nit helfen mügen, daß du au dem ewigen leben 
fömpft, du feyft dann ein glid des leichnams der glaubigen Grifti im einer 
verainigung. Du folt auch merken, wie du gelernet wirft alle tag an 
unterlaß zu piten, wenn gleich ald deiner fele einfluß den glidern deines 
leibes alzeit not ift, füllen deine gliver leben, alfo ift deiner fel algeit not 
diß Himlifh prot, und das merfeft du wol aus dem wort täglicd und 


521 


dem wort heut. Wann ift das prot täglich not, und piten wir, baß 
und dad prot, def wir täglich nottürftig fein, hewt geben werd, fo bes 
fennen wir aud, jeyt ed und zu allen tagen not ift, daß wir in alle tag 
darumb piten fullen, wann wir in der zeit diß finnlichen lebend als weg⸗ 
fertig wandrär zu dem bimlifchen leben bedurffen der ſpeis, an die wir 
nit zeitlicher leben mügen. Und alſo lernet und Eriftus, daß wir um 
das prot biten ſullen. Nu merf, daß Eriftus ift unfer prot, ald wir zu 
Im wandernd fein, und wird und-gegeben in feinem wefen, in feiner 
weishait und feiner güthait, nadhdem und nur dann möglich ift, in bifer 
wandlpären zeit zu empfahen. 

Wann nu dife unfre fleifchlihe augen im difer finnlichen wellt Eris 
ftum, der untötlih und nad der urftänd vom tod mit tötlichen augen 
unſichtiklich iſt, von feiner allerwefentlichen und unbegreifflihen geiftlichen 
farbhait wegen, von welder natur wegen Eriftus ein geiftlich jpeis ift 
unjrer fel: So ift, daß Erifind und unter der geftaltnuß des prots in 
bifer wandlung und gegeben wird, da wir In mit gejehen mügen mit den 
finnlihen augen, Eunder mit den augen des glaubens. Und alfo ift 
Eriftus warhaftig unter der geftaltnüß des prots in dem jacrament und ift 
alles das dadurch die finn anfehen, Ehoften, fchmeden oder riechen, we— 
greiffen mit den war leihnam Erifti, fundern die warzeichen oder facrament 
des leihnams, der da ift, und mit dem glauben der verftäntnüß allain ge- 
fehen wird. Das ift die obrift gab gotes zu unfer fpei und wandrärn 
gegeben, pis wir aus diſer wellt der finnlichait zu den himeln ver vers 
ftäntnüß fommen, da wir Eriftum nicht verbeft unter den facramenten und 
nit mit dem glauben, funder in der warhait, als er ift, ſchawen werben. 
Umb das prot piten wir und füllen ed empfahen mit ganzem glauben, 
alfergrößter hoffnung und mit voller lieb. In dem glauben follen wir 
Eriftum unter den facramenten warbaftig empfahen, daß er ganz und 
warhaftig fei unter aller geftaltnüß des protes in allen facramenten und 
taifen, als unfer fel unfichtigklich ift warhaftig und ganz in allen unfern 
glivern und in einem yedlichen; ald ein angefiht in vil augen, die das 
fehen, und ein wort in vil ören, die das hören, und ein funft in vil 
maiftern, die das fünnen, und ain warhalt in vil verftäntnüß, die fie 
merfen, und ald unfer fel nit wechet, wenn wir Flain fein und groß wer- 
den, funder der leib allain; daß auch alfo Eriftus nicht größer ift unter 
der geftaltnüß des großen oder des Flainen protes oder unter vil oder 
wenig facramenten. 

Wir füllen auch hoffen, daß wir von dem glauben kömen werben zu 
der warhait, und füllen alfo Griftum empfahn mit großer lieb, daß wir 
Im verainigt werben durch die lieb als unferm höchſten gut und Haile. 

In feiner weidhait wird und Criſtus gegeben in feiner lere; wann 


322 


in lere des maifters ligt die funft der maliterfhafft. Darumb fo finden 
wir Griftum in feiner fere, und des beweyfet und die ler des heiligen 
pater nofter, da Griftus innen ift, wann die fer Erifti ift vor aller weit 
hait vor aller tugend und nit zu verpeffern ald der maiſter. 

Nu merk in difen worten: unfer täglich prot gib uns hewt: 
Nachdem wir wandlpär fein, lernet uns Iheſus, daß wir unbeforgt füllen 
fein, wann got unfer notturfft uns zu difem leben geben will won tag 
zu tag, pis wir von hynnen kömen. Darımb füllen wir fainen fleyß 
haben yn girifait, vil pey -einander haben und befigen yn zeitlicait, 
wann aljo wären wir nit wandrär, jundern innwonär diß ertreichs, ober 
daß got nit wiße, was wir not haben, und und das in der zeit nit geben 
müg. Wir werden auch gelernet, daß wir von got nichts piten füllen, 
dann das täglich nottürftig prot, wann er wirt und anders nit erbören, 
und fümpt und die Über notturfft zu, daß uns die von got nit Fümpt als 
um unfer willen, jundern umb der notturfft willen, den armen und durfs 
tigen durch dich zu behelfen, auf daß du wiſſeſt, ald du got piteft umb 
das täglich prot, daß dann fölih prot, das got gibt, nit Dein allein, 
jondern unſer ift, das ift derer, die des nad dir bebürffen find, und 
ob du das prot, das du bein motturfft haft, nicht gemain macheſt den 
burfftigen, fo ift ein zaichen, daß du fölich prot mit umrecht nud zeitigfeit 
gefamet haft und unrecht befigeft, und got unwürdig pift, der bir und 
einem yedlichen notturfft beftellt zu geben, da du wider feinen willen ald 
ein ungetrewer diener den armen gotesfindern ir tail verhalfteft. Im diſet 
und andrer ler Grifti, in diſem heiligen pater nofter und den heil. evan— 
gelien gibt und got Griftum, ver der weg, bie warhait und. das leben 
iſt. Got gibt und auch ein fpeis unfrer waudiung in dem leben Erifti, 
darin wir in unfrer wandlung gefpeift werden, warn was ums notturfit 
it zu wandeln, das finden wir da. Iſt unfer wandlung gebrechenhafftig 
in hoffart, fo finden wir in der diemütigen wandlung Grifti ein fpeiß, 
wollen wir die vordern (fein), begeren und zu und nehmen, jo iſt diſe 
not und diſer gepreft der hoffart abgenommen, wann wir unſer leben 
fpiegeln in dem leben Erifi. So jehen wir, was und geprift und was 
wir tun föllen. Wollen wir wandeln zu Criſto in das ewig leben, ſo 
füllen wir uns fleyßen auf diefem ertreich zu wandeln ald Criſtus ge 
wandelt hat, und füllen umb unfer ſelbs hayl willen den weg nit ver 
fmähen, den Griftus got und menſch umb unfres hayl willen nad der 
menſchhait, in der er ung gleich ift, gewandert hat; und ob bu ald ganf 
den weg nit gehalten fanft oder magit, fo ift doch not, daß du dem weg 
in fölichem fleyß volgeft, daß du zu dem end, da Griftus ift, geraichen 
mügft. Läßt du aber den weg und fereft ym dem rud, fo piſt aus dem 
weg des lebens im dem weg des tods, und fümpft mit zu Grifte, Da 


523 


merf, wie du in deiner wandrung aus den werfen der wandrung Erifti 
gefpeist wirdeft; und ob du umb diſe fpeiß mit piteft noch empfaheſt, fo 
wird dir gepreiten das lebendig prot, und das ift, dad du aus dem vors 
gefhriben worten merken magft. 

. Und vergib und unſer ſchuld. 

Eriftus lernet uns, daß wir got piten fullen umb vergebung unfer 
fhuld. Darinn merken wir, daß wir all umb unfer natur wegen mit 
fchulden beftridet fein, und feyt nun, daß jederman nad der ler Grifti 
aljo piten joll, fo befennet auch ein jederman ſchuldig zu fein, und ift 
die fehuld unfer, wann fy ift unfer natur. Darumb ift fy gemain einem 
yebfichen, und ift got fain fach oder urfach unfer Schuld, wann ſy ift unfer, 
und darımb piten wir vergebung unfer fhuld. Daraus merk, daß got 
allain die fhuld, die wir wider ihn geborcht haben, vergibt, wann wir 
in innigflih piten jein. Da lern, daß du glauben jolt, daß got den 
jünder rechtfertigen mag und fein jchuld vergeben, und wir fain ſchuld, 
groß noch Flain, ausgenommen. Da merk auch, daß goted mächtigfeit 
ift fein parmberzigfeit, und durd feiner gnaden parmberzigfeit macht er 
aus dem ungercchten dem gerechten, als er durch feine allmächtigfeit macht 
and nichts ettwas und aus dem toden den lebendigen, aus einer natur 
die andere, aus wafjer wain nach feinem willen, wann fein will ift feine 
macht, und was er will, dad mag er thun und muß geichehen. Merk 
auch, daß kain Menſch verzweifeln fol an der parmberzigfeit gotes, fon» 
dern eine hofnung haben in ainer gangen ftätigfeit, daß got ym vergeb, 
wann Eriftus lernet dich piten vergebung der ſchuld; möcht dir aber nit 
vergeben werben, jo hätt dich Criſtus mit gelernet, daß du hoffen folteft 
vergebung und darumb piten. Du folt aud merfen, wie diß gebet 
anhebt mit ainem „und“, wann es fpriht: und vergib und. Das und 
ſtricket und pinnt diß gepet zu dem mächften vorgeſchriben: unfer täg— 
lich prot gib und hewt, und vergib und unfer jchuld, wann verges 
bung der ſchuld mag und nit werden an das prot; Sunder mit der vers 
ainigung in dem himlischen prot. Durch den glauben mügen wir piten 
vergebung der ſchuld, wann wir haben als von. und eine verfchulte und 
verfündigte natur, dye allain im Grifto gerainigt iſt; und alfo mag die 
gnad der rainigung von den jünden in unfer natur nit kömen, denn durch 
Griftum, der all unſer breften erfüllet und bezallt, doch ob wir in feiner 
lieb verainigt fein; alfo daß und die quittanzie und genugtuen unfrer 
fünden erlöfung dann werden mag, wann und Griftus mit feinem vers 
dienen verainigt ift, in dem wir al in unfrer natur genug getan haben, 
und aljo werden wir pilleih von got erböret. Merk aud, daß du piteft, 
vergib und unfer ſchuld, wann wer ba gejchaiden ift und gefündert von 
den andern und maynt für fi allein zu piten, und nit für die andern, 


524 


der mag nit fpreden: vergib uns, und darumb erwirbt er nicht; wann 
wir lernen bye, daß vergebung der fünden iſt in der ainträchtigfait der 
heil. famung der Griftenlichen kirchen, auffer welchen kirchen mag der 
glaub Erifti nyemands helfen, daß er von feinen ſchulden erlöst müg 
werden. 

Als wir tun unfern fhuldigern. 

In difem Heiligen pater nofter, darin alles, das und mot ift, zu 
einer ler begriffen ift, finden wir nit anders, das wir tun follen, dann 
in difen artifel, der da fteet: ald wir tuen unfern ſchuldigern. Darumb 
fo findet bye alle gefäg Erifti, die wir follen begreifen, das ift vers 
geben.. Eriftus lernet und, daß got und nit vergibt anders, dann wie 
wir vergeben. 

Da merk, daß Erifti Geſätz ift, daß du tueft andern, als du will 
dir getan haben. Das außweiſen die wort: vergib uns unſer ſchuld, 
ald wir vergeben unfern ſchuldigern. Bitet du aber got, daß cr 
dir vergeb, und vergidft du nit, jo verfageft du dir felber. Dein jchuls 
diger ift goted creatur, als du piſt, und got wil den von dir erledigt 
haben, als wol als dich dünft dich gut fein, daß got am dir tue ſölichs, 
dad du nit wilt tun an deym ſchuldiger. Wie pift du denn wirbig vor 
got das gut der vergebung ze empfahen, piſt du mit gut, das ſelb zu 
tuen. Merk wie ein vernünftiges und Flares gefüg das ift, das yeder⸗ 
mann pilleihen tuen muß und verfteet. Wer got pitet, daß er ym ver 
geb, und vergibt nit, und glaubt, daß fein gepet erhört werde, ber 
glaubt, daß got nit got fey, "und daß unrecht recht fen, und bös gut 
ſey. Wer aber glaubt, das Eriftus ung lernt, daß got vergeb, als wir 
vergeben, der hat einen rechten glauben zu got, daß er der gerecht umd 
peft got ſey, und mag der Menjch aus feinen werfen der vergebung hoffen, 
daß ym von got vergeben werd und mit lieb darumb piten. Daraus merf 
menſch, daß dir bye ein ainig weg wirt aufgetan, daburd du wiſſen 
magft, ob du von got erhöret werdeſt, umd gotedfind feyeft, das ift, ob 
du vergebeft deinen fchuldigern Härlaih und nicht tragft zu yn anders, 
dann lieb. 

So ift an zweifel, daß du ein gang getrawen magft haben, daß bu 
von got vergebung aller deiner fündt erworben haft und ein find des 
ewigen lebens feyft, wann dir geprift kain gefäg zu erfüllen, warn in 
der lieb deines nächſten, die in der vergebung der ſchuld in den werfen 
beweiſ't wird, tft die volfomenhait aller geſätz. 

Nicht verlayt uns in beforung. 

Hye werden wir gelernet, ob wir wol der gefäg ains erfüllt hätten 
und vergebung unfrer fünden erworben, fo fein wir Doch mit ficher, daß 
wir wefteen und nit fallen in die ſchuld durch das in laytten der Belo—⸗ 


525 


rung. Das ift, daß die heforung dann anhebt, wann wir der fünbt 
kedig fein und füllen glauben, daß wir behüttet mügen werden von got, 
daß wir befteen und nit fallen, und hoffen, daß wir deezu fomen mügen, 
und ded mit Innigkeit von got piten, und alfo ſprechen: mit layt un 
in beforung, als wollten wir fpreden: her, kain betrügnüß under einer 
geftaltnüß des guten im feiner beforung gewollt hab mich zu verlaytten, 
es ſey denn daß du ſölichs verhengeft, und yn dem daß alle Ding 
durd dein verhengnüß oder willen gejchehen, fo bit ih dich, nit zeuch 
ab die hannt deines ſchirms vor pöſer beforung, fo mag ich nit fallen; 
aber dur das abziehn deines ſchirmes layteft du mid) in beforung, als 
dife Eune durch daß ſy untergeet, giebtjye und die nadt, darin wir 
nit ſehen. 

Merk auch, wie wir wider in die fünd fallen, wann wir werden 
gelaytt von einer beforung eined fcheinenden gutes, das uns fürbradht 
wirdt yn der ſynulichait von der fihtigen welt, oder in der vernunft von 
den pöjen geiit, der verfehren iſt, die verftäntnüß von der warhait zu 
verlaptten; und wann wir zu got nit fliehn, daß er und behütt und bes 
fhirme, So werben wir verlaytt, bis wir in die beforung fümen, und 
die aufnehmen für gut. Alſo fein wir dann von got, der das obrift gut 
ift, gewallen in das betrogene ſcheinbar gut. Da haben wir Fainen ans 
dern weg nicht wider dann nad) der ler Grifti got zu piten, in aller bes 
forung, daß wir nit verlaytt werden, nad den worten des heiligen gepet®. 

Sunder erlöß uns von übel. 

Hye in diſen legten worten haben wir aus der ler Erifti daß wir 
in difer welt an dye böfen beforung nit fein, wann wir fein, da das 
übel ift. Bon dem piten wir erlöfung. Darinn befennen wir ain ander 
reich zu fein, da das übel nicht ift, funder allain das obrift warhafftig 
und ungemengt gut, und daß unſer erlöjung vom übel ift die erlöfung 
von difer fonnlichen fchalfhafftigen wetrogen wellt, und begeren der glory 
ded ewigen guts, darin wir allain erlöſ't mügen fein von allem übel, 
warn außerhalb der obriften glory ift Fain ftat des lauttern, unvergänf- 
lichen, ftäten gutes. Wir piten umb die Erlöjung. Darinn gelauben und 
erfennen wir, wie wol daß wir nu in dem leben der finnlichen wellt 
fein, und aus der anderd denn dur den tod nit fomen mügen, daß 
nad difem ſynnlichen tod wir ain weſen haben mügen in ainem- ftäten ewigen 
gut, und hoffen darzu zu fümen, und mit großer lieb fein wir piten und 
pegeren darzu zu fomen, wie wol biß an den ſynnlichen tod mit gefein 
mag. — Und darumb fo ift unfer fonnlichait im -diefem gepett in Die 
geiftlihait unfrer verftintnüß bezüdet; und der will goted als in dem 
himel unfrer verftäntnüß ift als in der ſynnlichen erden, wann der gang 
menſch iſt gang über fi in got befert yn begerung zu ſchayden und 


526 


erlöftt zu fein von diſem zeitlihen pöſen leben, auf daß er pei got, 
der das gut iſt umd davon got von dem guten genannt ift, in ewiglait 
fein müg. 

Merf bye: wer nit gerne fterben wollt des ſynnlichen tods, barumb 
dag er zu got käm und bittet erlöfung von übel, der erwirbt micts, 
wann er pitet wider fein herz; und wer bife pöfe wellt lieber hat dam 
got, der beleibt geichaiden von got und von dem guten und iſt im ewig— 
fait in dem übel, darauß er nimmer mer erlöf't mag werben. Und da 
rumb ift diß gepet des menſchen der recht umbefleft und ungemengt lieb 
tragend weg zu gotz wann wer da fegt got für fein zeitlich leben und 
für alles das geihaffen ift, und das got mit iſt; der bittet um bie ew 
löfung von diſem franden vergänflien leben, darumb daß er müg bey 
feinem allerliedften gut fein, an welches gut er mit begert zu leben, wann 
er veritet, daß er nicht enlebt anderd dann in der verainigung gotes, 
da ihn feine lieb Hinfürt und da er durd die lieb allain ift, wie wol 
er doch in diſer finnlihen wellt noch in feinem fleifchlichen temp! ge 
fangen ift. Der pitt mit andacht erlöfung, dem diß leben aljo laidet 
um der lieb willen, dye er zu got hat, daß Ihn bedunkt, wye er in 
ainem chnöden vinftern unraynen karcher gefangen fey, und wann er 
daraus wär, daß er zu einer ftäten, guten und obriften fremden zu feinem 
allerliebften füm, das er ollain begert. Der alſo ift in gotes lieb, und 
ift nach den pundten diß heiligen pater nofters darzu fomen, und findet 
funder got zu hören über alle artifel erlöfung von übel, das ift gebung 
des ewigen lebens, wann das ewig leben nit anders ift, dann das obrif, 
das wir begeren mügen, und wir mügen anders nit begeren, dann gut, 
das iſt got ſelber. 

Der mensch fpriht: D ber, feyt du mir mein ſchuld vergeben haft 
durch das himliſch prot, nit verlayt mich in beforung, nit laß mich lang 
in difer betrogenen welt weleiben, da ich unbefort nit fein mag und um 
verlayt wefteen an deinem ſchirme, Sunder erlöß mich her von allem 
übel, darzu du mir in deym Iheſu gerufen halt. 

Merk bye: will du wifjen, was die ewig frewd ſey, die fain menſch 
wegreiffen mag umb irer größ willen, fo findeft du, daß die ewig fremd, 
nit mag paß kürzer und klarär verftanden werden durch und, dann ald 
Eriftus bye und lernet, wanı die frewd ffterlöfung von dem übel. Wil 
du wiſſen, was die hell iſt; Griftus lernet dih, daß die Heil if eim 
eroige fänfnüß in dem übel. Erlöſung vom übel it die oberfte frewd, 
unerlöfung oder fänknüß im übel ift die maift betrübnüß und pein. Die 
obrift himliſch frewd iſt in dem gut, das got ift emiglich zu fein, ge 
fhaiden vom übel. Die größt helliſch pein ift, geihaiden fein von dem 
guten das got ift. Das reich, da nit dann gut oder got ift, haißet 


527 


das obrift reich, das himelreichz das reich, da mit dann pöß und übel 
it, haißt die hell, wann hell iſt unter oder Inder, und iſt die hell in 
ainer tallung, zwieträdt, unfrid, unwiſſen und vinfternüß. Darumb bie 
fürften der hell fürften der finfternüß oder tewfel halfen. Aber das reich 
der himel ift einträchtigfait, freud, frieve, lieb, weyßhait als gut umd 
Harhait. Darumb haißet der fürft des himelreichs erlöfer von allem übel, 
den wir piten und zu erlöjen von der belle und allem übel. Amen. 


Macht des fittlichen Wandels. 


Biel mächtiger ift die Predigt Deflen, der heilig it, ald Deffen, der 
in großen Würden fteht. Ich ſah, daß der Papft Martin zu Rom das 
Volf nicht dazu bewegen fonnte, einige Grmahnungen zu befolgen. Da 
berief er den Minoritenbruder -Bernhardin, der jetzt heiliggeſprochen ift; 
diefer brachte zumwege, was dem Bapfte nicht gelungen war. Dieſer 
Bruder pflegte, wie ih zu Papua felbft von ihm hörte, zu fagen, ein 
Prediger, der Feuer hat, könne auch aus erlofchenen Koblen ein Feuer 
anfachen. Ich gebe es zu von Solchen, die fich über Gott belehren lafjen 
ud dad Wort Gotted aufnehmen: „wer aus Gott ift, hört Gottes 
Wort." Schuee und Eis faſſen den Lichtitrahl nicht, fie werden erft 
warm, wann fie zu Waffer aufgelöst find. Co faßt auch die Seele im 
Zuftande thieriichen Lebens, wodurch fie ganz verhärtet und werbichtet 
wird, das Wort Gottes nicht auf. Sie muß zuvor erweicht werben, um 
den göttlichen Geiſt und das Einftrömen der Wärme, welde die Liebe 
if, zu faſſen. (Exe. IX, 634.) 


Der wahre Seelenpirt. 


Der Seelenbirt darf nicht auf fih binfehen, er thue nur, was Gott 
dem guten Hirten befiehlt, wenn er auch denfen müßte, er werde in die 
Hölle verftoßen. Denn wer eine folche Liebe hätte, der würde natürlich 
nicht verdammt, Der Gerechte in der Hölle hätte wicht die Strafe der 
Ungerechten zu dulden. Je mehr Liebe ein Seelenhirt hat, je bereitwilliger 
er ift, noch mehr für feine Heerde zu leiden, deſto größer iſt die Herr 
lichkeit, die er erlangen wird. Denkt er alſo nicht an fin Leben, wenn 
nur die ihm Anvertrauten leben, die gewiffermaßen fein myſtiſcher Leib 
find, fo wird er, je wahrer fi dieſes Letztere herausftellt, ein defto befs 
ſeres Leben haben; weil nicht nur er in den Seinigen lebt, fondern auch 
fie in ibm, der fein Leben ihnen bingegeben hat. Hat ein Haupt ſchwäch⸗ 
lihe Glieder, fo leidet cd Alles, damit die Glieder gejund werden. Aus 
der Geſundheit der Glieder, die durch fein Ringen uud Abmühen erlangt 


528 


worden ift, wird dann hinwieder Gefundheit und Leben ded Hauptes 
erhöht und dem Haupte wird für feine Traurigfeit und Leiden nur Freude 
zu Theil. Denn je mehr Jemand fein Leben and Liebe bingibt, deſto 
mehr erlangt er ed wieder. Denn je mehr er aus Liebe verliert, deſto 
größer ift feine Liebe. Je größer aber die Liebe, defto größer das Leben 
des Geiſtes, da die Liebe das Leben des vernünftigen Geiſtes if. Denn 
aus der Erfenntniß Gottes entfteht die Liebe, die eine ergöplihe Bewe 
gung, eine Freude über das Erfaſſen (Gottes) if. Wer Gott kennt, 
zweifelt nicht, man müfle ihm bis aufs Aeußerfte geboren und thut 
daher Alles aus Liebe. Wenn daher eine Handlung eine größere Liebe 
beweist, fo beweist fie auch ein größeres Leben im Geiſte. Während 
daher der Geift, der ſich der Außerften Demuth hingibt und fo viel er 
vermag, fih aus Liebe in Nichts auflöst, in Nichts zu vergehen jcheint, 
geht er in Wahrheit in ein vollfommeneres Sein über. (Exc. X, 668.) 


Der Prediger, 


Der Prediger ded Evangeliums muß ein ftarfmüthiger (fortis) und 
ernfter Dann fein, ohne Sünde, durdans wahrhaftig, denn er vertritt 
die Stelle Gottes. Die Gläubigen müffen fid bei Anhörung des Wortes 
Gottes gerade fo verhalten, wie bei dem Empfange der Eucariftie. 

Das Predigen fommt nicht wie das Gonfecriren allen Prieſtern zu; 
ed erfordert eine höhere Kraft (est altioris virtutis), und fommt den 
Erften in der Kirche Gottes, den Nachfolgern der Apoftel, zu, den Aus 
dern nur dann, wenn fie durch diefe gelendet werden. (Exc. V, 488.) 


Der Prediger und wie er anzuhören ift. 


Selten oder nie findet man an verfchiedenen oder auch an Einem 
Drte gleiche Bäder, und es fteht auch nicht in der Macht des Büäders, 
immer glei gutes Brod zu baden; das Gleiche gilt vom Prediger. Es 
ift auch unter ihnen, wie unter den Bädern, ein großer Unterſchied. Das 
find gute Prediger, die das Getreideforn, welches Ehriftus iſt, gut zu 
mahlen verftchen, vaß man bis zum Innerften und Reinften des MWaizens 
gelangt, und die dann verfchiedenes Brod zu baden willen, für die ver 
ſchiedenen Stände des Adels, des Mittelftandes und der unterm Klaſſe, 
und der Kirche diefe Brode zugleich darbieten, fo daß Jever nach feinem 
Stande Nahrung findet. Der Bäder fann nicht immer gleich gutes Brod 
machen, weil dies von der Gnade Gottes abhängt. Und ihr follt nicht 
darauf fehen, wer der Bäder ift, fondern auf dad Brod; denn wenn ihr 
nicht hungrig feid, jo werdet ihr das gute Brod nicht zu ſchätzen willen. 


529 


Wann ihr aber mit Appetit es foftet und das Brod anfehet, fo werbet 
ihr feine Schmadhaftigfeit erfennen. Wo ein Hungriger ein Brod bekom— 
men kann, fragt er nicht lange nah dem Bäder, wie fein Leben fei, 
welcher Nation. er angehöre, ob er rein ift oder nicht, fondern er achtet 
nur auf das Brod. Kann er fein Brod, das feinem Stande angemeffen 
it, befommen, wenn er 3. B. ein Adeliger ift, fo wird er au ein ans 
dered nehmen, weil er hungrig ift. Keiner alfo, meine Lieben! zeige, daß 
er nicht hungrig Äft, fondern nur, wenn ihr hungrig feid, werdet ihr 
reichlich gefegnet werben; feid ihr vollgefättigte Reiche, fo geht ihr leer 
aus. Die find nicht hungrig, die mit vieler Neugierde nach der Bes 
ſchaffenheit des Bäders oder Koches fragen, ehe fie eſſen, oder die das 
Brod nicht niedlich genug zubereitet finden und es daher nicht nehmen, 
oder denen an der Menge des Brodes eckelt; — hätten fie Hunger, fie 
würden die Menge nicht verachten, foudern fie zur allmäligen Erquidung 
aufbewahren; oder die aus der unterften Klaffe an Kleienbrod gewöhnt 
find und am feinften Waizenmehl Edel haben oder umgekehrt. Wenn fie 
warten können, bis der Bäder alle Brode aus dem Dfen herausgenommen 
hat, werden fie ſchon das Brod finden, an das fie nad) ihrem Stande 
gewöhnt find. Ich rathe euch indeß, Daß ihr lernet, edlerer Natur zu 
werden und mit edlerem Brode euch zu nähren. Denn der Menih fann 
ja fogar von dem Brode der Engel genießen, wenn er fich hiezu fähig 
macht. Beten wir alfo, daß der Bäder die Gnade erhalte, uns ein 
Brod, das alle Lieblichkeit in fich begreift, mitzutheilen! 
(Exc. IV, 465.) 


Der wahre Ordensmann. 


Der wahre Drdensmann geht in das Klofter, um nicht bintergangen 
zu werden und um Buße zu thun. Dem falſchen Ordensmann ift Alles 
ſchwer, dem wahren Alles leiht. Es iſt daher leicht zu erproben, wel⸗ 
ches die wahren und die falfchen DOrdensleute find. Der Gchorjam 
jeigt ed. Der wahre beftrebt fib auf das Eifrigfte, ven Befehlen der 
Dberen ebenfo, ald wären ed Befehle Gottes, zu gehorchen; er wird wie 
ein Raftthier, dem eine Laft aufgelegt wird; er fagt nie: es ijt genug, 
folange er nicht unter der Laft erliegt. Der falſche Ordensmann will 
im Orden weniger thun, als er in der Welt hätte thun müſſen; er meint, 
durh den Drden ſei er ein Herr, und dürfe fib dem Müpiggang und 
Wohlleden hingeben; denn deßwegen hat er den Namen eined Religiofen 
angenommen, um die fleifchlichen Begierden befier befriedigen zu können. 
Wird ihm etwas auferlegt, was hart ift und Bezähmung des Fleiſches 
bezweckt, fo vermag er fogleich feinen Widerwillen nicht zu verbergen. 

(Exc. V, 496.) 
34 


Scharpff, Nic, v. Cuſa. 


530 


Erziehung der Jünglinge. 


Man muß die Zünglinge in der Einſamkeit erziehen, damit ſie ſchlechte 
Geſpräche und Gefellichaften meiden. Zur unausgejegten Arbeit müſſen 
fie gewöhnt werden, damit fid der Körper an Anftrengung gemöhne, 
und nicht beim -Müßiggang das Lafter fich einchleiche. Eie dürfen feinen 
Schmaufereien und Trinfgelagen fih bingeben, und es darf feine Zeit 
geben, im der fie nicht etwas zu thun haben. Die Zeit ſelbſt muß fie 
antreiben und auffordern, jetzt Dieſes, jegt Jenes zu thun, zur beftimmten 
Stunde aufzuftehen, dann nach einer Betrachtung ein Gebet zu verrichten, 
fo an diefem und dem andern Tage, dann wieder anders an diefem und 
dem andern Tage und fo in fiebentägiger Abwechslung. Am Sonntage 
follen fie erwägen, was in der ganzen Woche Gutes oder Böſes getban, 
was unterlaffen wurde; das Verſäumte muß dann nachgeholt werden. 
Man muß fodann der Freunde, der lebenden wie der verftorbenen, ge 
denfen, dies jeden Tag vor dem Schlafengeben, worauf dann jedesmal 
für fie etwas zu beten oder in ihrem Namen zu thun if. Es muß eine 
Tagesordnung gegeben werden, auf daß alle Arbeit in rechter Ordnung 
verrichtet werde und der Teufel immer den ganzen Meufden bu 
ſchäftigt finde. (Exec. IV, 451.) 


Die Heiligen. 


Wie an glühenden Kohlen nur Feuer, und an bemabltem Tuche nur 
Farbe hervortritt (apparet), fo an den Heiligen nur Gott. 
(Exc. IX, 644.) 


Freundſchaft. 


Wie der Baum bei heftigem Winde durch die Wurzeln feftgehalten 
wird, fo der Menſch im Unglüde dur Freunde, die ihn tröften. 
(Exec. VI, 545.) 


Selbftverläugiung. 


Alles haben wir von Gott, nichts aus und. Wenn wir daher Alles 
verfaufen, fo find wir in Allem arm und befigen nichts, um jenen Einen 
Edelftein zu kaufen, in welchem wir alles Erfehnte befigen; wie wenn ein 
Schüler Alles verfaufte, um von einem Lehrmeifter, der alle Wiſſenſchaft 
befigt, die Eine Wifjenfchaft zu Faufen; oder wie wenn ein reicher Mann 
Alles zu Geld machte, um damit einen Ader zu kaufen, in welchem ein 
Schatz aller Reichthümer verborgen if. So muß, wer das Himmelteich 
faufen will, al feine Freiheit verfaufen und fich zum Sklaven (servum) 
Defien machen, von dem er den Evelftein oder den Ader mit dem Schaft 


531 


aufen will, Nichts wird ihm mehr übrig bleiben, Alles gehört dem 
Lchrmeifter oder dem verfaufenden Befiger. Lebit du, fo gehört dein 
Leben nicht dein, fondern deinem Herm, dem dur dich verfauft haft. Siehe 
da, wie du dur Berfaufen und Armwerden Reichthum, durch Abtödtung 
dad Leben erlangft. Willft du alfo die unfterblihe Wahrheit und das 
ewige Leben erlangen, fo müflen alle deine Glieder nur Werkzeuge der 
Wahrheit fein, deine Zunge darf nur Wahrheit reden, die Hand muß 
ohne Trug fein; fo Fuß und Auge, ohne Begierlichfeit nad fremden 
Gute. Erwäge, daß der Evelftein and dem Thau des Himmels entftcht, 
und durch Erfchütterung (conquassatione) edel und groß wird. So wurde 
die hl. Margaretha aus der Erfhütterung im Leiden edel und berühmt. 
(Exe. II, 378. 379.) 


Selbſtbeherrſchung. 


Der Menſch beſteht aus der vernünftigen und thieriſchen Natur, die 
eine ift oben, die andere unten; er ift gleichfam aus Feuer und Wajler; 
die feßtere ift dem Maffer, die erftere dem Feuer ähnlich. Dies find in 
der Natur Gegenfäge, allein durch die Einrichtung des Menſchen wird 
diefer Gegenfag vermindert: denn der Menſch ift die Bereinigung zweier 
Naturen, die verfhiedene Gefege und Bewegung haben. Dieſe Vereini— 
gung ift daher mit einem beftändigen Kampfe verbunden, Die Tugend, 
welche dieſen Kampf befänftigt, it die Geduld. ine Tugend ift fie, 
weil die Eeele den Körper liebt. Kann fie dem Körper in feinen Bes 
gierden nicht zu Gefallen fein, fondern widerfteht fie dem Körper, den fie 
doch liebt, um nicht, während fie feinem Verlangen huldigt, das vernünfs 
tige Leben zu verlieren, dann liebt ſie fib und leidet dabei (patienter se 
amat). Sie leidet nämlich, weil fie dem nicht beiftimmen kann, was fie 
liebt. Befiehlt daher die Vernunft, was beſchwerlich ift, und erträgt der 
Vollzieher des Gebotes diefe Beichwerde gutwillig und gibt fi hiebei 
viele Mühe, fo übt er die Tugend aus, durch welche der Menſch ſich 
jelbft beherrfcht; denn der Herr fagt: „in Geduld werdet ihr eure 
Seelen befigen.“ Nicht unpaffend fann man von dem Geduldigen fagen, 
er wife zu leiden; es coincidirt in der Geduld Traurigfeit und Tröftung, 
wie Ehriftus fagt, die Tranrigfeit der Heiligen verwandle ſich in Freude. 
Lüge im Dulden nicht ein angenehmer Troft, jo wäre es feine Tugend. 
Die Geduld ift eine edle Art zu fiegen; wer duldet, fiegt und fenbet die 
Pfeile feiner Feinde in ihre eigenen Herzen zurüd. Duldend befiegt er 
Beinde, Dämonen und fi ſelbſt. Cine geduldige Seele gleicht dem 
Salamander, der fih vom Feuer der Trübfal nähret, dem Strauß, der 
Eifen verfchludet, dem Golde, das in den Glühofen gelegt wird, um ed 


zu läutern. (Exe. VIII, 615.) 
34 * 


532 


Werth frommer Gelübde, 


Außer der befondern Form eines Sacraments ') kann der Gläubige 
fich feine eigene Form machen, in der Form des Gelübdes (ex voto). 
Wenn ich 3. B. von Jeſus Heil erlangen (salutem impetrare) will, 
fo fage ich bei mir felbft: Wenn ich zu dem Kreuze bintrete, an welchem 
fein Erbarmen fih und barftellt, cin Gebet verrichte und das Bild, wel: 
ches ihn finnlih darftellt, füffe, den ich in meinem Geifte zu erfafien das 
Verlangen habe, fo wird mir Heil zu Theil werben (salvabor). Diver 
wenn ich bei mir fprede: Den erften Armen, der mir begegnet, will ic 
wie Chriſtus anſehen, ich will ihm thun wie Chriftus, deſſen Perſon er 
darſtellt; ich will feine Füße wafchen und ihm Almofen geben, und ic 
werde ohne Zmeifel von Ehriftus Heil erlangen (non dubitandum, quin 
a Christo salvationem consequar). Wer diefed Gelübde demüthig er- 
füllt, wird ohne Zweifel Heil erlangen (assequetur salvationem), es fei 
denn, er bitte etwas wider dad Heil jeiner Seele, dann weiß er nict, 
was er bittet; wüßte er ed, fo würde er nicht in dieſer Weiſe bitten. 
Er wird ſomit nicht erlangen, was er in Unfenntniß feinem Heile zus 
wider bittet. Chriſtus ift der Heiland; eine Bitte, die wider das Heil 
ift, gewährt er nicht. (Exec. VIIL 612.) 


Verſchiedenheit des Lohns. 


Der Grund, warum die Lebtberufenen für geringe Arbeit fo große 
Gnade erhielten, ift, weil der Glaube durch die Liebe wirft. Jene Gläu: 
bigen, die auf die Güte und Gnade des Ependerd vertrauten, verrichteten 
was fie in furger Zeit arbeiteten, mit großer Liebe. Diele Intenfität 
ihrer warmen Liebe fiel fchwerer ins Gewicht, ald das ertenfiv Viele der 
Andern,, wie das Gold fchwerer wiegt, ald Kupfer. Denn die um ge 
dungenen Lohn arbeiteten, arbeiteten nicht aus Liebe zum Herrn, fie war 
nicht ihr Ziel; die Gläubigen aber thun Alles bis in den Tod um des 
Herrn willen, der die Güte und Liebe felbft ift, von dem fie daher den 
Lohn empfangen, der Denen zu Theil wird, welche die Güte lieben, denn 
er ift nichts ald Liebe und Güte. Mer die Liebe liebt (qui charitatem 
diligit), erwartet feinen andern Lohn; in der Liebe ift Liebe die Der 
geltung ; der Liebende ift der Liebe treu, der er dient, und was er thut, 





1) ubi non est propria forma alicujus sacramenti. Der Sinn fann nur fein: 
Wenn glei zur Erlangung des Heild die beflimmte Form der Sacramente pofitiv an: 
geordnet ift, fo fann doch auch durch Gelübde ein unfer Heil förderndes göttliches Wohl 
wollen erlangt werben, ohne daß damit gefagt ift, daß hiedurch eines der das Heil zw 
naͤchſt vermittelnden Sarramente erfegt werde. 


533 


thut er aus Liebe. — Warum fagt der Herr: „Ich will aber dieſem 
Letzten fo viel geben, als dir"? Deßhalb, weil er dem Einen, was ihm 
gebührt (quod suum est), nad erechtigfeit geben kann und dem Ans 
dern, was er will, aus Liebe. Den Liebenden gibt die Liebe ſich felbft, ° 
weil fie geliebt fein will, und nichts Anderes; darum gibt fie fih den 
Liebenden. — Warum fagt er: „So werden die Erften die Regten und 
die Legten die Erften fein”? Ich jage: Erhöhung fällt zufammen mit Er 
niedrigung, wie in Chriftus; darum warb er über Alle erhöht. In ver 
Erniedrigung ift Erhöhung, im Tode Auferſtehen. Das ift fo, weil die 
Liebe vordringt und den Siegespreid erhält. Haben gleich Viele vor ihr 
ven Lauf begonnen, jo hat doch nur fie eine getreue, lebhafte und aus— 
dauernde Bewegung, die nicht ermüdet, ſondern beftändig wächst. Wer 
mehr liebt, wird mehr erhalten. Es ift hier ein Kreislauf: aus Liebe 
wird er verfoften und durch Verkoſten wird er mehr in Liebe erglühen. 
(Exc. IX, 643.) 


Der Friede, 


Das Ende ift das Erfte und Letzte, wo die Abfiht Erfüllung ift. 
Hier fängft du an, den Frieden zu erfennen. Der Künftler, der um 
des Endzwecks willen wirft, hat den Endzweck in feiner Abficht und ftrengt 
fih an, das, was er beabfichtigt, in Stand zu bringen. So ift der 
Endzweck (finis) die Urfahe aller Urfahen; denn was das fchaffende 
(effciens) und geftaltende Princip (forma) verurjaden (causans), haben 
fie aud dem Endzwede. Wer nun ein folcher Künftler wäre, daß feine 
Abſicht zugleih der Vollzug wäre und durch jeinen denkenden Geift die 
gedachte Sache zumal ind Dafein gefegt würde, in dem würde « und o, 
Anfang und Ende coincidiren. Diefe in ihrem Weſen (in se) betrachtete 
Coincidenz ift der Friede der dbreicaufalen Einheit; das ſchaffende, 
geftaltende und fi ald Ziel fegende Cfinalis) Princip ift die Eine 
und dreifache Urfahe. Denn in dem fchaffenden Princip findeft 
du, wenn du die Sade recht betradhteft, auch das geitaltende und das 
fih als Ziel jegende, ebenjo indem geftaltenden Princip das jchaffende und 
das ſich als Ziel fegende, in diefem die beiden andern; gleichwie der Geift, 
indem er fi denkt, fchaffend, geftaltend und fich ald Ziel fegend ift, denn 
er ſchafft, bildet und erzielet nichts Anderes, als ſich felbft... Daher 
ift der Friede, der die Dreieinigfeit ift, wie der Prophet fagt, „feine 
Stätte und Wohnung auf dem Berge Zion“, d. i. in der Höhe der Spe— 
eulation. Es ift der Gott, den auch der Heide Ariftoteles, als die 
dreicaufale, zugleih aber Eine und einfachfte Urfache erfannte, ohne die 
nichts beftchen kann. Plato faßt in einem Briefe das dreicaufale 


534 


Princip ald die dreifache Art des Seins der Dinge in dem Einen, wie 
wenigftens die befler Unterrichteten ihn verftehen. 

Für jegt will ih mur das gefagt haben, der abfolute Friede fei es, 
“in weldem allein der dreieinige Gott gefunden wird; denn daß Gott 
der Friede ift, beißt fo viel, als daß er das dreieinige 
Princip ift. 

Ich fage nun: der göttliche Friede ift es, ohne den nichts beftehen Fann. 
Denn nothwendig müffen alle Kräfte, aus denen die Greaturen beſtehen, 
unter einander in Frieden verbunden fein, damit fie Ruhe und Beftand 
haben. Der Friede ift aber eine Einigung, der Friede einigt. Die Eis 
nigung erfolgt durch eine Vermittelung; diefe Vermittelung ift das, worin 
die Gegenfäge ihre Ruhe finden (in quo quietantur extrema). Der Friede 
fcheint daher die Verbindung (nexus) zu fein, dur welde Alles mit 
dem Centrum verbunden wird, daß es nicht auseinander fahre (ne de- 
fluant). Der Friedensftifter heißt Vermittler; denn in der Bewegung 
findet man nur Ruhe, und in der Zeit nur ein beftändiged Jetzt. Der 
reine Friede iſt nur der Friede an fi oder der göttlihe. Kein Ding 
fann des Friedens entbehren ; jedes Ding befteht nur infofern, fofern «8 
am Frieden participirt. Der Friede muß die Sehnfucht aller Wefen fein, 
weil ohne ihm nichts befteht. Der Friede ift die Bereinigung der Peris 
pherie mit dem Centrum, das Bentrum ift der Drt des Friedens und der 
Ruhe. Der Friede befteht in der Coincidenz der Gegenfäge; die Ber 
mittlung ift der Ort des Friedens. Die Subftanz befteht weder in dem 
Princip, weldes ihr dad Sein verleiht, noch in der Materie, dem Sub 
ftrate de Princips (in materia subjectiva), fondern im Gentrum der 
Verbindung, des Friedens und der Vermittlung beider. Feſte und bleis 
bende Wahrheit gibt ed nicht außer der Region des Friedens. Ohne 
friedliche Vermittelung, durch welche die ſichere (stabilis) Wahrheit er 
kannt wird, gibt e& feine Wiſſenſchaft. ) Denn indem der Geilt 
Vermittlung [der entgegengefepten Gedanken] fucht, fieht er im allen 
Stüden befier die Wahrheit (Nam mens dum utitur hoc pacis medio, 
in omnibus verius intuetur), Alle, welche mit feinem Geiſte über bie 
Mahrbeit gefchrieben haben, haben, fo präci® als fie es nur vwermochten, 
das Wahre der verſchiedenen Meinungen in friedliher Weiſe zu vermits 
teln geſucht (Omnes, qui de veritate eleganter scripserunt, quanto prae- 
eisius potuerunt, veritatem opinionum ad pacis medium reduxerunt). 
Ale Wiflenfchaften fcheinen demnach nur verfchiedene Weifen zu fein, um 


1) De medio pacis, per quod videtur stabilis veritas, non est scientia. Wenn 
der Tert hier nicht corrupt if, fo Fann der aus dem Zufammenhange fi Klar ergebende 
Sinn nur dadurch in der Ueberfegung ausgebrüdt werden, daß de negativ genommen 
wird — weg von...getrennt von x. 





535 


die Anfhanung des Friedens auszudrüden. Auch im Gebiete der Sittlich⸗ 
feit ift die Tugend die Vermittlung und der Friede. 

Der Friede ift der Himmel der Glüdjeligen, denn mit Recht fagt 
man: glüdlih, wer die Mitte inne hält (medium tenuere beati). Der 
Philoſoph forſcht nah BVielem, um durch dasjeldbe zur Wahrheit fih zu 
erheben. Viele Gegenfäge treten ihm entgegen, und fo lange er fi in 
Gegenjägen bewegt, ſieht er den Frieden noch nicht. Die Stätte der 
Wahrheit ift der Friede, der durch fein Raiſonnement ded Verftandes 
(aulla ratiocinatione) erlangt wird; nur über allen Gegenlägen, alle 
Sinnen» und VBerftandeserfenutniß überfteigend, wird er gefhaut. Sind 
nicht die Accidenzien in der Peripherie des Friedens? Der Friede ift das 
Gentrum, der Ort der Subftanz. An je dauernderem Frieden ein Ding 
participirt, deſto edlerer Art ift ed. Es gilt daher vom Frieden, was 
von dem Guten und dem Leben. Die Klugheit ift Friede und Leben. 
Die Weisheit des Geiſtes ift daher fein Friede uud fein Leben. Daher 
nennen wir das ewige Leben die ewige Ruhe. Die Bereinigung der 
Gottheit mit der Menfchheit ift ver höchſte Friede, denn fie ift die Ber- 
einigung des Friedens oder der ewigen Ruhe. Der abfolute Friede zieht 
Alles an fih und vereinigt Alles mit fih. Der Friede Gottes, ohne 
den nichts beftehen fann, ift mit Allen, aber nicht jeder Geift ift mit Gott, 
weil der freie Geift, nach freier Bewegung dem Frieden ſich nähern oder 
von ihm entfernen Fann, Mir werden ald Kinder des Zornes geboren, 
aber durch den Glauben an Chriſtus mit dem Water und Lirheber des 
Fliedens verföhnt. Für diefen Frieden Chrifti ift Alles von Anfang an 
zum Boraus zubereitet, fo daß Eine Welt ift und für Alles in ihr der 
Endzweck — Ehriftus. 

Der Ungehorfam des Menſchen hat den Frieden mit Gott gebrochen 
und den Widerſpruch erhoben, der bewirkt, daß das Einftrömen des gött- 
lien Geiftes in den menſchlichen aufhörte... Chriſtus fam, vereinigte 
fh mit der menfchliben Natur, umd es wurde Friede und der Einfluß 
der göttlichen Gnade wieder hergeftellt. (Exec, V, 497, 498.) 


Die wahre Freude. 


Die Freude wohnt im vernünftigen Geifte, in dem die Liebe ift, 
denn aus dem Feuer der Liebe kommt die Freude, denn fie ift ein Ergögen, 
das die Wärme der Liebe begleitet. Diefe Wärme ift der Seele gleich, 
ſam die Ausbreitung einer ihr zufagenden Begeifterung, die fie durd ben 
Einfluß des geliebten Gegenftandes, dem fie eine gaftlihe Wohnung in 
ſich bereitet, erwedt (qui calor est in anima quasi dilatatio ardoris sibi 
placentis, quem ex se exserit in virtute amati sui, in se hospitati). 


536 


In den Thieren ift eigentlich Feine Freude, obwohl fie ſich an dem ers 
gögen, was ihnen zufagt. Die Freude entfteht aus dem Bewußtfein ber 
Gegenwart des geliebten Gegenftandes; es ift, ald ob ſich die Seele 
erweitere, um das Geliebte, das fie fchon erfaßt hat, noch fefter zu um— 
faffen. Die Traurigfeit verengt (arctat), um dad dem Leben nicht Zuſa— 
gende auszuſtoßen, die Freude dehnt fih aus, um das dem Leben Zuſa— 
gende feftzuhalten. Der Traurige fließt die Augen und jchräuft den 
Blick ein; der Freudige öffnet und erweitert ihn, fein Auge ftrablt 
(laetus aperit visum, ampliat et magnificat). Die vermünftige Freüde 
ift ein gewifles Gefühl des Geiſtes, der feine Lebensfülle empfindet. 
Die Seele, von der Liebe berührt, erweidhet, wie das von der Mürme 
berührte Wachs. Diefe Berührung empfindet die Seele und diefes Ems 
pfinden ift ein Erweichtwerden. Ferner hat fie ein GErgögen, wie der 
durb Kälte Erftarrte, wenn er Wärme fühlt, die den Gliedern die lebens 
dige Biegfamkeit wieder gibt, Freude und Wohlbehagen empfindet. ') 
Das Wort des Heild, fleifchgeworden im Leibe der Jungfrau, redete 
durch den Mund der Gottedgebärerin (als Maria Eliſabeth befucte). 
Sohannes hörte es durh das Ohr feiner Mutter und freute fich über 
die Nähe des göttlichen Wortes. So wurde der Geift Jeſu, der durd 
den Mund der Apoftel frohe Botfchaft verfündete, von den Ohren folder 
gläubigen Seelen vernommen, welche für geiftige. Freude fähig waren. 
Auf das Mactgebot des Wortes ermweichten die Herzen und lösten ſich 
auf in Freude. Bemerfe die wunderbare Kraft des Worts! Es malt 
die Seele wie von einem tiefen Schlafe erwachen, es löst fie und befreit 
fie von dem Tode der Unwiſſenheit und Traurigkeit. Iſt es einmal die 
Signatur der Seele geworden (si hoc signatur in anima), jo gibt es 
ihr eine herzliche, innerlide Freudigfeit, weil e8 ihr das wahre und uns 
zerftörliche Leben bringt, da ed das Wort Gottes ift und das Licht des 
Lebens, welches die Finfterniß des Werftandes erleuchtet, im fich bat. 
Und welche Seele wird nicht zum Jubel bingeriffen, wenn fie die Quelle 
des Lebens in fih fühle? Wenn fih Die freuen, welche Beute unter fih 
vertheilen oder das Werlorne wieder erhalten, verborgene Schäße finden, 
oder das Augenlicht wieder erlangen, jo ift die Freude des Geiftes um 
endlich größer, der die Duelle des Lebens in fi findet, ein nie man 
gelndes Leben, die Weisheit, die Schöpferin von Allem, Dies ift der 
belebende Geift, der nothwendig Freude ſchafft, weil er der Geber un 
fterblicher Sreude iſt. Die Seele, deren Faffungsfraft unendlich ift, bfeibt 
immer leer, fo lange Der fehlt, der fie allein mit Freude erfüllen kann. 


1) In dem Texte: sieut qui ob frigus... . gaudet et delectatur; et loquitur yer- 
bum salutis etc. ſcheint ein ben Uebergang vermittelnder Gedanke zu fehlen. 


537 


„Ih bin gefättigt, wenn deine Herrlichkeit erſcheint.“ Won der ſinnlichen 
Freude leitet und der Herr durch Wergleihung zu der geiltigen. Nun 
it die finnliche Freude zeitlich, mangelhaft, vergänglich, trügerijh. Die 
geiftige, die unfichtbar ift, ift fomit ewig; denn das Unfichtbare ift ewig. 
Und Diefe Freude ijt nothwendig rein, denn die leere vergängliche Freude 
it mit vielem Widrigen verbunden und ihr Ende ift Trauer. Wie die 
Traurigkeit diefer Welt Grade hat, bis zur Traurigkeit des Todes, den 
der Berdammte in der Hölle erleidet, fo läßt auch die Freude ein Wachs— 
thum zu, und man fommt nicht zur vollen abfoluten geiftigen Freude, 
außer wenn der Geift im die Freude des unfterblichen Lebens eingeht. 
In diefer Welt iit alfo feine reine Freude, wie feine abiolut größte 
Traurigkeit. Wie es aber unter allen Werken des finnlichen Lebens für 
den Einn feine größere Freude gibt, als jene, Die der Menſch unter dem 
Gejege der Ehe empfindet, wenn er aud der Natur, die er von Adam 
bat, ein fi Aehnliches erzeugt und fo ein Leben hervorbringt, in dem 
fein Leben euthalten ift, jo kann es für den vernünftigen Geift feine 
größere Freude geben, als die, im welde der geiftige Menſch unter dem 
Geſetze Chriſti und der Kirche eingeht, wenn er aus der göttlihen Gnade, 
die er von dem Spender des geiftigen Lebens hat, aus fih ein nie ab» 
nehmendes Leben erzeugt, wie eine fi nicht verzehrende Kerze durd das 
ihr gegebene Feuer aus ſich Licht hervorbringt, das ihr Leben ift (eine 
ausgelöſchte Kerze ift todt) oder wie der Asbeſt, einmal angezündet, nie 
erlöiht. Dies ift Das Feuer, dad Chriftus in die Seelen fenft, vaß es 
brenne ; von diefem Feuer war die Seele ded Elias, Eliſäus und Jos 
hannes des Täufers entflammt, ver daher von Ehriftus eine brennende 
Leuchte genannt wird. Keine Freude kann gefichert fein, fie fei denn über 
allen Wedel erhaben. In dieſer Welt, wo Gegenſätze find, ift nichts 
gefiert. Nur die größte Freude, über die hinaus feine größere gedacht 
werden mag, iſt gefihert. Denn fie ift über allen Öegenfag erhaben und 
frei von aller Traurigkeit, wie der Himmel von aller Dunfelheit frei ift, 
weil die Sonne, die Urfadye des Lichts, dort immer ſcheint. So ift in 
der himmlifchen Freude die Urfacde der Freude, Gott, die Sonne der 
Gerechtigkeit, immer gegenwärtig, und die Wirfung hört nie auf, da die 
Urjache immer wirft. Das ift die wahre Freude, während die Freude 
diefer Welt nur (vorübergehende) Erſcheinung, nicht Wahrheit if. Wie 
trügerifch die Freude der Welt fei, erhellt aus ihrem Ende und den 
Strafen, die ihr folgen. Sie ift wie die Freude des Trinkers, auf welde 
verbummende Betrunfenheit folgt, oder wie die Freude des Turnierd und 
Tanzes, welche Ermüdung bis zur Entfräftung zur Folge hat, oder wie 
die Freude Derer, welche die erften noch fauren Trauben beim Beginne der 
Tafel effenund dadurch die Zähne abftumpfen, daß fie für jhmadhaftere 


538 


Speifen nicht mehr tauglich find. So find die Weltfreuden ein Hinder: 
niß für die Freuden des Geifted. Der Geſchmack an dieſen geht vers 
loren und bleibt, wenn nicht die Gnade Gottes noch zur richtigen Einſicht 
führt, ganz unerfannt. Daher lehrt uns das Geſetz Chrifti die Melt 
freuden fliehen, damit wir unbefledt durch diefelben die große Süßigfeit 
Gottes verfoften mögen. 

Die Freude in Gott ift immer neu, weil fie fih immer wieder 
holt, wie das Sonnenlicht, das Licht der Kerze, die riefelnde Quelle ims 
mer neu iſt, weil fie fich beftändig erneuert. Die himmlische Freude ift 
daher immer neu, ohne Mangel, ohne nadyzulaffen oder zu altern. Das 
Immerwährende darf nicht als ein Altwerden gedacht werden; denn «6 
geht nie in Vergangenheit oder Zufunft über, es ift ein beftindiges Heute, 
denn ed wird erzeugt, wie der Sohn Gottes, von dem der Prophet jagt: 
„Heute habe ich dich gezeugt.“ Das Heute geht nie in Vergangenheit 
oder Zufunft über, fondern ift immer neu. So ift es bei den Werfen 
Gottes, von welchen es heißt: „Siche, ih made Alles neu.” So ill 
dad Leben immer neu im Körper, weil die Ginwirfung der Seele eine 
continuirlihe ift. Die Neuheit ift, reiflih erwogen, über der Zeit und 
vor ihr, da auch die Zeit durch die Neuheit eine neue genannt wird. 
Jeder Zeitmoment ift neu, weil er feine Vergangenheit und Zufunft iſt. 
Und wie in der Zeit alles nen ift, fo auch in allem Erſchaffenen. Do 
ber ift Alles neu, fofern es in Wirklichkeit tritt. Die Neubeit ift daber 
dad Princip, welches in Allem das wirkliche Sein verleiht. Nur von 
Gott fommt diefe Neuheit, weil er der Schöpfer iſt; die Ereatur ift die 
ins Sein aufaenommene Neuheit (creatura est novitas sic recepta); 
indem Gott aus Nichts den Himmel neu jhuf, ift die auf dieſe Weile 
ind Sein aufgenommene Neuheit — Himmel geworden; ebenfo bei allen 
andern Gefhöpfen. Die Neuheit ift aber nicht in beftändigem Fluſſe, 
fondern fie ift die Ermeuung Eines und Desſelben (est circa idem inno- 
vatum), über den Begriff der Zeit hinaus. Wenn z. B. etwas durch 
Feuer fein Sein hätte, wie dus Gold, fo würde diefed bei Abwefenheit 
Des Feuers nicht fein, Dagegen bei Anweſenheit desfelben ftetd erneuert 
werden. Die Philoſophen, welhe fagen, das Sein müffe man bei der 
beftändigen Strömung der Zeit nicht anders denfen ald ein Werben, 
denfen fih das Sein nicht als etwas PVeftändiges, in irgend einem Zeit 
momente. Ich aber faffe das Sein als etwas Beftändiges, weil es mie 
altert, wie das Jegt der Zeit nie altert, fondern es wird dafjelbe Jeht 
erueuert, weil ed vom Schöpfer nicht mittelſt des Nacheinander der Zeit, 
fondern unmittelbar herrührt, nach der Zeit, welche nur die Entfaltung 
desjelben ift, wie die Zahl die Entfaltung der Einheit. Die Neubeit 
abfolut betrachtet, ift ewig; denn vor der Neuheit kann nichts fein ald 


539 


die Ewigkeit. Die Neuheit wird von der Ewigkeit erzeugt. Sie ift die 
ftetö neue Ewigfeit (novitas est nova aeternitas). Iſt die Ewigkeit der 
Anfang ohne Anfang, oder der allmächtige Vater, fo ift die Neuheit der 
Anfang vom Anfange oder der Sohn, der die ewige Neuheit ift, durch 
welche Alles erſchaffen iſt . . Die ewige Liebe geht aus beiden hervor 
ald heiliger Geift... Durch ihn werden daher die Herzen erneuert. 
Reinigung, Läuterung und was zur Neufchaffung gehört, gebt von ihm 
ad, Das Reih der Glüdjeligfeit tft daher die Freude 
im heiligen Geiſte. (Exec, VII, 618—620.) 


Das Schöne, 


Mit den geiftigen Sinnen, mit welhen wir nad Erlangung von 
Kenntniffen ausgehen, erreichen wir auch in gewifjer Weile das Schöne. 
Bir fagen, die Farbe, die Geftalt habe Schönheit, dasfelbe fagen wir 
von der Stimme und Sprade. Es erreichen alfo Gefiht und Gehör 
einigermaßen dad Schöne. Geruh, Geſchmack und was dem ZTaftfinn 
unterliegt, nennen wir nicht fchön, weil diefe Einne nicht jo an das Geis 
ſtige angrenzen; fie find rein thieriih. Es find nämlid alle Sinne durch 
ihre Bereinigung mit dem vernünftigen Geifte edler, als in den Thieren; 
die edlere Kraft veredelt auch das mit ihr Vereinte, wie das Sonnenlicht 
die Luft durchleuchtet. Die feineren Sinne find im einer innigeren Bers 
einigung mit der Vernunft. Daher wird das Gefiht durd eine fchöne 
Geftalt und Farbe, das Gehör durch eine fchöne Harmonie gefeffelt und 
dies ift im Menfchen Wahrheit, weil das Verſtändige, das in der Pros 
vortion feine Freude hat, in jenen Sinnen deutlicher wiederfcheint. Was 
daher wohlgeordnet und proportionirt ift, d. h. wo in der Vielheit die 
Einheit als Proportion oder Harmonie fih abipiegelt, das ift und anges 
nchm. Nach Dionyfius beftcht das Weſen des Schönen in dem Eins 
klange der Gegenſätze (Rationem autem pulchri consistere in quadam 
consonantia diversorum, Dionysius dicit.) Dionyfius handelt davon, 
daß gewiſſe göttliche MWirffamfeiten in die Greaturwelt heraustreten, wos 
dur diefe zur Aehnlichkeit mit Gott erhoben wird (sunt quaedam divinae 
processiones in creaturas, quibus perficiuntur in divinam assimilationem, 
cum procedant processione formali), da dieſes Heraustreten ein bilden- 
des und geftaltendes ift, wie aus der erften Wärme alles Warme entiteht. 
Das erfte Heraustreten, das in unſerem Geifte vor ſich geht, bezieht fich 
auf das Erfafien des Wahren. Das Wahre leuchtet alsdann auf, es 
zündet als etwas Gutes und nun erft erhebt fih das Verlangen nad) 
ihm (Prima autem processio, quae est in mente, est secundum appre- 
hensionem veri. Deinde illud verum excandescit et accenditur in ra- 


540 


tione boni, et sic demum movetur desiderium ad ipsum). Ber Bewe— 
gung des Verlangend muß nämlich ein doppeltes Erfaffen vorangeben: 
ein Erfaffen der theoretifhen Bernunft (intellectus speculativi), 
welches das abjolute Erfafien des Wahren felbft ift, und ein Erfaflen der 
praftiihen Vernunft Cintellectus practici), durch das Auffaflen des 
Wahren unter dem Gefichtspunfte des Guten ) (per apprehensionem ver 
in ratione boni). Nun erft entfteht die Schnfuht nad dem Guten. 
Gleichwie nämlih die Heilfunft in ihrem Wirken feinen Erfolg eriet, 
wenn fie nicht durch die Wirffamfeit der Natur unterftügt wird, jo fommt 
ed auch zu feiner Sehnſucht, wenn fie nicht durch das Erfaffen der Wahr 
heit ihre Richtung erhält. Dem Erfaflen des Wahren ald Wahren (in 
ratione veri) correfpondirt dad Hervorgehen des Lichtes; dem Erfafien 
des Wahren ald des Guten (in ratione boni) correfpondirt das Hemer 
gehen des Schönen; der Bewegung der Sehnfucht correipondirt das 
Hervorgehen des Liebenswürdigen (processio diligibilis). 

Das Schöne, das nad) Tullius durch feine innere Kraft und an fid 
zieht und durch feinen innern Werth fefjelt, faßt in feinem Weſen drei 
Stüde in fih: Erftend dad Glänzende der Geſtalt (splendorem formae), 
fei dieſe nun eine jubftantielle oder. accidentielle, das ſich über die propor⸗ 
tionirten und beitimmt begrenzten Theile eines Gegenftandes verbreitet, 
wie 3. B. ver Körper ſchön genannt wird durch die angemefjene Ver 
theilung der Farbe über proportionirte Glieder (ex resplendentia coloris, 
super membra proportionata). Zweitens: dad Erregen des Werlangens 
zum Schönen. Dies fommt dem Schönen zu, foferne es etwas Gute 
und ein Endzweck (Anis) if. Drittens: das Schöne fammelt Alles in 
eine Einheit (congregat omnia), und zwar fofern es cin geftaltende? 
Princip ift (et hoc dieitur ex parte formae), deſſen Abfpiegelung eben 
das Schöne bewirft. 

Die Schönheit an fi ift das, was durd feine Weſenheit die Ur 
ſache des Schönen ift und alle Schönheit bewirft. Das Schöne um 
fittlih Gute Chonestum) find bezüglich ihres Gegenftandes identifh (in 
ratione subjecti idem sunt), in ihrem Weſen aber verfihieden. Das 
Wefen des Schönen ald Univerfales befteht darin, daß fich ein geftaltended 
Princip in der Proportion der Beftandtheile oder in verfchiedenen Mate 
rien und Handlungen abjpiegelt; das Wefen des ſittlich Guten befteht 
darin, daß es das Verlangen nad fich erwedt. Schönheit und einzelne? 
Schöne find Eines in Gott. Die Schönheit in Gott ift die erft 
und höchſte, aus welder die Natur der Schönheit in allem einzelnen 


1) Gut ift (bonum) hier und im Folgenden im weiteren Sinne = bad ımd Zu⸗ 
ſagende, im Gegenſatze von Uebel genommen. 


541 


Schönen ausfließt. Sie iſt dad Princip (forma) alles Schönen; denn 
fie bewirft (facit) alles Schöne, wie die Weißheit alles Weiße (sicut 
albedo omnia alba). Die Wefenheit Gottes, welde Gott felbft ift, iſt 
die oberfte und erfte Schönheit. 

In allem Schönen ift Mebereinftimmung oder Proportion und Klarheit 
(elaritas): Uebereinſtimmung an dem einzelnen Subjecte (der Schönheit) 
(consonantia, ut subjectum), Klarheit, foferne das Schöne Wefenheit ift 
(elaritas, ut essentia). Die Tugend hat eine Klarheit in fi, vermöge 
welcher fie ſchön ift, wenn fie auch von Niemand erfannt wird; fie ift 
jedoch fo eingerichtet, daß fie mitſammt ihrer Klarheit erfannt wird. In 
diefem Sinne nannte Tullius das fittlihb Gute aud das Schöne. Vom 
Schönen als einzelnem Gegenftande (ratione subjecti) gilt, was vom 
Guten gefagt wird: Alles hat ein Verlangen nad dem Schönen (wie 
nad dem Guten). 

Zum MWefen ded Guten gehört, daß e8 Ziel der Echnfuct tft; 
denn nah dem, was gut ift, ftrebt Alles. Das fittlih Gute fügt zu 
dem Begriff ded Guten noch den der innern Kraft und Würde hinzu, 
mit der ed und anzieht. Das Schöne geht noch weiter, indem ed (das 
Gute) mit einem großen Glanze und Klarheit verbunden mit Proportion 
überffeivet (De ratione boni est, quod sit finis desiderii, movens ipsum 
ad se; nam ipsum est quod omnia appetunt. Honestum addit supra 
bonum, quod sua vi et dignitate nos trahat. Pulchrum ulterius 
supperaddit resplendentiam et claritatem quandam super quaedam 
proportionata). Der Schönheit fommt es daher, foferne fie Endzweck 
und ein Gut ift, zu, an fih zu fefleln; foferne fie bildendes Princip 
(forma) ift, zu jammeln und zu einigen (dem Princip kommt es eigentlich 
zu, zu jammeln, weil es vielfache Potenzen der Materie eint und in Eines 
zulammenfaßt). Eine Schönheit, die nur von Einem bildenden Principe 
abhängt, ift eine vollfommenere Schönheit, als diejenige, deren Schönheit 
von mehreren Prineipien bedingt iftz denn von je Wenigerem etwas feine 
Vollfommenheit erlangt, defto edler ift ed. Das Schöne, das mit dem 
Guten gleichbedeutend ift, iſt die Urſache aller Bewegungen der Geifter, 
da die Sehnſucht das Bewegende ift. Sehnſucht ift fo recht die Sade 
ded Geiſtes. Wenn dem Engel die Schönheit eines Gutes gezeigt wird, 
jo ftrebt er eifrigft, diefelbe zu offenbaren und dann fo fchnell als möglid) 
zum Genuffe derjelben zurüczufehren, um fo den Kreislauf abzuſchließen. 
Das Zeigen geſchieht im Centrum. Das Herabfteigen zum Offenbaren 
it eine geradlinige Bewegung zur Außerften Peripherie, im Wege ber 
Vorfehung. Die Rückkehr ift wie der Refler der Bewegung, fo daß in 
der Schönheit des Guten der Kreis ſich abfchließt. So theilt Der, dem 
ein Schag aufgezeigt wird, feine Freude fo ſchnell als möglich dem Freunde 


542 


mit, dann eilt er zurüd, um den Schag zu zählen ober zu genießen. €o 
bewegen fi die Engel freisförmig, in gerader und reflectirter Richtung 
(reflexe). Die Seelen bewegen fib in ebenfo vielfaher Bewegung. 
Wenn die Sonne die Sehfraft erhellt, daß fie mittelft derfelben die Karben 
fieht, So zieht fih die Sehfraft, wenn fie das Eonnenlicht fehen will, 
von allem Farbigen zurüf. So fteht auch die Seele, durd das Licht des 
Verftandes, das Particulare. WII fie in das Licht des Verftandes felbf 
bineinjehen, fo zieht fie fih von dem SBarticularen zurück und kehrt zu dem 
erften Lichte zurüd. Diefe Bewegung ift gleichfalls eine FEreisförmige, 
Denn die Sehfraft ift der Veritand, das Sonnenlicht iſt das Licht de 
in Thätigfeit begriffenen Verſtandes; das Erfennbare (intelligibilia) find 
die Farben. So geht die Bewegung von der Schönheit des Erften aus 
und ehrt zu diefem zurücd; denn mit der Kraft des göttlichen Lichtes, das 
in dem thätigen Verſtande fchimmert, bewirft der in Thätigfeit befindlice 
Verſtand Alles. Wenn daher der Verftand als Potenz (intellectus pos- 
sibilis) das Licht des thätigen Verftandes in fih aufnimmt und aus dem 
Barticularen zur Anſchauung feiner ſelbſt in fich zurüdfehrt, dann empfängt 
er von ihm, und was ihm wirkliches Sein gegeben bat, kehrt wieder in 
den erften (die Anregung gebenden) Berftand zurüd. 

Alle Bewegung der finnlihen Dinge geht aus dem Schönen in 
das Schöne zurüd, fo alle Progreifionen, Leben, Sinne, Seele, Natur, 
Kleined, Großes, Proportionen, Miſchungen, furz: Alles. Denn Alles, 
was ift, ift aus dem Schönen und Guten, im Schönen und Guten und 
wird in Schönes und Gutes verwandelt. Alles, was geſchieht, geicicht 
wegen ded Guten und Schönen, nah dieſem ſchaut Alles bin, von ihm, 
um feinetwillen und durch es wird Alled bewegt und zufammengehalten; 
in ihm iſt dad Princip für alle Nahahmung..... Alles ift auf über 
fubftantielle Weile (omnia supersubstantialiter) im Schönen und Guten, 
es ift der Anfang und das Ende von Allem. Für Alle ift das Srön 
und Gute ein Gegenftand der Sehnſucht, der Liebe und des Begehrend; 
durch dasfelbe und um feinetwillen liebt dad Niedere auf dem Wege der 
Umwandlung das Höhere, das Gleiche wie einen Bertrauten das Gleite, 
ſchließt ſich das Höhere in vorforgliher Liebe an das Niedere an. Jedes 
Weſen liebt fih in feinem Beftande und dem Beichloffenfein in fich felbi 
(et ipsa se amant singula suae ratione constantiae vel continentiae), 
was fie thun und wollen, das thun und wollen Alle aus Sehnſucht nad 
dem Schönen und Guten. Selbſt der Schöpfer von Allem liebt Allee, 
thut Alles, vollendet Alles, umfaßt Alles, verwandelt Alles nad der 
Größe feiner Güte, So lehrt der große Dionyfius Arcopagita, das ſei 
das Gute, was Alle anftreben und das abjolut Schöne, das mit ber 
Schönheit iventifh ift. Er nimmt befondere Arten des Schönen an, mad 


543 


er an dem Belfpiele von der Sonne nachweist. Vom finnfichen Lichte 
geht er zum geiftigen über und zeigt, wie jenes Licht in den geiftigen 
Naturen eben fo wirft, wie das Sonnenlicht in der finnlihen Natur. 
Die Abipiegelung des Schönen in der niederften Etufe erreichen 
wir mit den mehr geiftigen Sinnen, dem Gefiht und Gehör. Dadurch 
wird der Geiſt mit Bewunderung erfüllt und feine Kraft angeregt, in 
thätiger Weile dad Schöne geiftig zu erftreben, das der Sinn nur im 
allerfleinften Maaße erreicht, wie der, welder nur mit der Zungenfpige 
etwad Süßes verfoftet hat, dadurch beftimmt wird, ſich durch Dagjelbe 
zu erquiden. Denn Alles firebt nad dem Guten, das aud das Schöne 
ift, und wendet fich ihm zu, Jegliches nad feiner Natur: ald Sein, Leben 
oder Geift (amt essentialiter, aut vitaliter aut intellectualiter). Da 
nun die geiftige Natur an der Natur des Guten und Edönen geiftig 
participirt , weil dieſe ihr Prineip ift, jo fann fie nur unter dem Einflufje 
desjelben Nahrung und Leben erhalten. Im geiftigen Anfhauen und Ges 
wiegen ded Schönen und Guten befteht ihr Leben. Wir fehen, daß alle 
verftändige Weſen über das Schöne zu urtheilen vermögen; fie nennen 
diefen Kreis, dieſe Rofe, jenes Holz, jenen Gefang fhön. Hätte nun 
das Urtheilende, der Geift, nicht die Idee der Schönheit, die alle finns 
ide Schönheit in fi faßt, fo könnte er nicht zwiichen mehrerem Schönen 
urtheilen, und das Eine ſchön, das Andere noch fchöner nennen. Daber 
it der Geift eine gewiſſe univerfele Schönheit oder die Idee der einzelnen 
Arten des Schönen (species specierum), da diefe nur concerete Schön, 
heiten find. Wie das Feuer die Geftalt und den Begriff alles Warmen 
in fih faßt, fo iſt der Geiſt der Inbegriff aller geiftigen Ideen. Die 
geiltige Natur, die erſte Ausftrahlung ded Schönen (quae est prima pul- 
chri irradiatio ), joferne fie Ebenbild Gottes, der abfoluten Schönheit ift, 
faßt alles natürlibe Schöne, das fi in jeinen Gattungen im Univerfum 
entfaltet, vorbildlich (antecedenter) in ſich. Die abfolute Schönheit, 
welche Gott ift, entflammt fid durch ihre Selbftanihauung zur Liebe ihrer 
ſelbſt. Wie follte die Quelle alles Schönen, die von allem Schönen mit 
Rebt Vater genannt wird, die höchſte Schönheit fein, wenn fte fd ſelbſt 
nicht als jchön erfennete! Die unendliche Schönheit muß alſo nothwendig 
fih jelbft erfennen, Erkennt fie aber fi felbft, jo muß daraus unends 
libe Liebe entftehen. Siehe da die Dreieinigkeit in der Einheit 
des Weſens der Schönheit, wo der Quell der Schönheit die Selbſt— 
anſchauung der Schönheit erzeugt, aus denen dann die Liebe entfpringt! 
Unfer Auge fieht ſich nicht felbft, außer im Refler des Spiegeld, der 
Geift aber ficht Anderes nicht, bevor er nicht fich felbit ficht, denn erft 
dur fich ficht er Anderes. Wäre die Sehfraft, die im Auge ift, Geiſt, 
ſo würde fie zuerft fi und das Andere in fi fehen. Die vernünftige 


544 


Natur weiß, daß fie vernünftig ift, fonft wäre fie nicht vernünftig; vieles 
Wiffen heißt fich ſelbſt anſchauen. Dann erft fieht fie in ſich Anderes 
geiftig, vole der Sinn dad Sinnliche in fih auf finnlihe Weiſe erfaßt. 
Die lebendige Schönheit alfo, das göttliche und ewige Leben, fie, das 
Leben felbft, das Gott ift, wollte ihre Herrlichkeit, die das Princip aller 
Schönheit ift, offenbaren, und zwar darım, weil die Schönheit aud die 
Gitte ift, die Güte aber fich felbft mittbeilt, wie die Schönheit an fid 
feffelt. Um aljo ihre Herrlichkeit zu offenbaren, und an der Güte und 
Schönheit Antheil zu nehmen zu laffen, erfchuf fie die Welt. Die Schön 
heit zieht an. - Soweit aljo jedes aus dem Nichts durch die Schönheit 
angezogene Weſen aus dem Nichts der Schönheit fi nähert, inſoweit 
fommt ed aus dem Nichts zum Sein. Kein MWefen ift daher frei von 
Schönheit und Güte. Das Princip demnach, welches das Sein verleikt, 
ift fein anderes, als die Theilnahme an der Schönheit. Nach dem Grade 
der Aehnlichkeit mit der Schönheit geftalten fi die Gradunterſchiede der 
Dinge; dur die Schönheit des Accidens, die wir mittelft des Sinnes 
erfaffen, und die ſich wie in einer Verhüllung und Aeußerlichkeit der Fir 
guren vorfindet, fteigen wir auf zur Schönheit der Subftanz. Alles, mas 
ift, ift Werk der abfoluten Schönheit, nad der Aehnlichkeit mit ihr ge 
bildet. Diefed Bilden ift ein Anziehen. Im Reiche der Schönheit if 
alles ſchön, was ift und was fein fann. Die Schönheit ift das gan 
Sein alled Seienden, alled Lebenden, alles Vernünftigen. Denn in ber 
Einheit ift alle Zahl compflicite, in der Zahl alle Proportion und Ber 
mittlung, in der Proportion alle Harmonie, Drdnung und Einklang, 
fomit alle Schönheit, die in Ordnung, Proportion und Einklang fih abs 
fpiegelt. Nennen wir daher Gott den Einen, fo ift diefer Eine die über 
fubftantiele Einheit oder Schönheit, die alles Schöne im fich begreift. 
Nennen wir Gott dad Licht, in dem feine Finfterniß, jo ift dieſes Lidt 
nicht8 Anderes, als die Einheit. Gäbe es einen einfacheren Namen, 
welcher das Licht, das die Einheit ift, ald göttliches Attribut ausdrückt, 
fo faſſete diefer Name das ganze Wefen der Schönheit in fi, fomehl 
das Materiele der Schönheit: die Proportion, ald auch das Formelk: 
den Ecein (resplendentia), und zwar Jenes, weil ed Einheit, Dielet, 
weil es Licht ift. 

Die Kräfte der Himmel — was find fie Anderes, ald Schönheiten 
im Reiche Gottes? Eine Kraft ift infoweit groß, fo weit fie ſchön if. 
Das Gemeine (foeda) ift nicht vom Neid der Schönheit. Die fittliden 
Mißgeftaltungen (deformitates) der Seelen find eine Häßlichkeit (foedi- 
tates), welche die Schönheit der Seele entftellen (animarum pulchritu- 
dinem deformantes); fie ftammen nicht aus der Schönheit, weil aus der 
erften Schönheit nur Schönes und Gutes hervorgehen kann. Die Ent 


545 


ftelung rührt von dem aufnehmenden Gefchöpfe her, die Schönheit von 
dem bildenden Schöpfer (Deformitas ex recipientibus, decor a datore 
formae). 

Blickt das Auge zum Reiche der Schönheit auf, fo finder es, daß 
die Schönheit jedes einzelnen Schönen die Schönheit des andern nicht be- 
einträchtigt (non occupet), weil die Schönheit fein Quantum ift, nicht 
flein oder groß, fondern Kleines und Großes ift ſchön durd die Schön— 
beit. Betrachten wir die Schönheit eined Königreih8 oder der Hicrardie 
der ftreitenden Kirhe vom Standpunkte des Himmelreichs, ') fo jehen wir 
fie dort in ihrer Reinheit, erhaben über jede Beichränfung des Raumes 
oder der Zeit. Die Schönheit von Sachen, Dertern, Gegenden ıc. ift 
im Reiche der Schönheit geiftig und ewig. Die Echönheit der Unſchuld, 
Reinheit, Jugend, Männlichkeit, Keufchheit, Tapferkeit ꝛc. bilden nicht 
ein Gemengjel von Gemeinplägen (non sunt confusae provinciae), fonts 
dern fie find ſchön und wohlgeordnet im Himmelreihe. Bleibende 
Stätten voll Schönheit (mansiones pulchrae) find in diefem Reiche; fie 
werden die MWohnftätten für jene ſchönen Geifter, die mit dem Glanze 
der Tugend gefjhmüdt find. Jeder erhält die Stelle, die feiner Tugend 
entipricht. Die zwölf Stämme Isrtaels d. i. Derer, die Gott fchauen in 
Serujalem d. i. in der Anfhauung des Friedens, haben in dem Einen 
Reihe nah Stämmen abgejonderte Wohnfige, und waiden fih dort an 
der Schönheit, je nah der Schönheit ihrer Tugend. Der vernünftige 
Geiſt ftrebt im dieſer jchönen Welt (die daher xoouos genannt wird) 
nah der Schönheit der Tugenden, mit denen er den Schmud feiner nas 
türlihden Schönheit erhöht. Liebe ift das Ziel der Schönheit; die Schön 
heit will geliebt fein. Gott iſt die Schönheit feldft, er will alfo geliebt 
fein. Die aus fich felbft liebenswürdige Schönheit ift die Charitas; ohne 
fie wird alfo Niemand die abjolnte Schönheit fhauen. Unſer Streben 
wird es daher fein müſſen, daß wir von der Schönheit des Sinnlichen 
und zur Schönheit unſeres Geiftes erheben, welde alle finnlihe Schöns 
beit in fich faßt. Von der Betrachtung unferer Schönheit fteigen wir auf 
jur Bewunderung der Duelle der Schönheit, von der unfere Schönheit 
ein Abbild ift. Verlaſſen wir alles Häßliche, die Sünden, von denen 
unfer Geift felbft, das Gewiſſen, uns Zeugniß gibt, daß fie häßlich find, 
und ftreben wir mit der und innewohnenden Schönheit in beftändiger Liebe, 
dem Quell der Schönheit und gleich zu gejtalten. Denn die lebendige 
Heiftige Echönheit wird durch Erkenntniß ver abioluten Schönheit in uns 
beihreibliher Sehnſucht zu ihr hingezogen; je inniger die Sehnſucht, defto 
mehr mähert fie fi und wird mehr und mehr dem Urbilde ähnlich. Denn 

1) Nach dem Zufammenhange f. v. a, im idealen Neiche der Schönheit. 

Sharpff, Nie. v. Gufa. 35 


546 


die Sehnfucht oder Liebe verwandelt den Liebenden unaufhörlich zur Aehn— 
lichfeit mit dem Gegenftand feiner Liebe, und es naht zulegt die Etunde 
der Erhebung (in das himmlische Reich der Schönheit), im Zuge der Schön: 
heit oder der göttliben Glorie. Die Glorie ift nur im Himmelreich ver 
Schönheit (nam non est gloria nisi in regia pulchritudine). Sn der 
Glorie fein heißt in der Anſchauung der Schönheit fein und in Liebe mit 
ihr vereint. (Exc. VIII, 591—594.) 


Höchſte Glüdſeligkeit. 


Die Glückſeligkeit unſeres Geiſtes beſteht nicht im Wiſſen, da dieſes 
ein Mehr oder Weniger zuläßt. Was mehr oder weniger fein kann, 
macht nicht glüdlib; denn kann ed weniger fein, jo fann ed auch gam 
aufhören; faun es mehr fein, fo ift es nicht vollfommen. Die Glüd: 
jeligfeit aber ift nichts Unbeftimmtes (non est in ambiguo), fie ift das 
Ende der. Bollfommenbeit in der beftändigen Ewigfeit. So gewiß und 
demnad der Grad der höchſten Sinnenerkenntniß fehlt, fo lange wir eine 
Sache nicht gejehen haben, fo gewiß find wir zum Ziele unferer Schw 
fucht noch nicht gelangt, fo lange wir die Wahrheit nur wiffen, und wir 
‚fie nicht in jener Auſchauung fehen, welde die höchfte mit dem Genuſſe 
- verbundene Erfenntniß ift (ultima fruitiva cognitio). Die Glüdfeligkit 
befteht aljo in der geiftigen Anſchauung des Schöpfers der Welt. | 

Welches der Weg zu Erlangung diefes göttlichen Geiftes ſei, if 
klar: e8 ift das Evangelium, die frohe Botſchaft, nicht die Philoſophle, 
nicht die Logif oder Dialektif, nicht das Ueberreden aus Vernunftgründen 
(rationalis persuasio), fondern die Verkündigung ded Sohnes Gottes, 
die fi im der Kraft der Wunder bewährt hat. Durch diefe Anleitung 
gelangen wir zu dem Geifte, der und zur Glüdfeligfeit führt, auf jedem 
andern Wege nicht. Daher jagt Paulus, er thue alles Mögliche, um dei 
Evangeliums, in dem der Geift fich findet, der und zum Leben führt, 
theilhaftig zu werden. Wir müflen aljo unfern Lebenslauf fo einrichten, 
daß wir des Evangeliums theilhaftig werden. Dann find wir vwerficer, 
daß das Ergreifen der unfterblihen Krone und gelingen werde. 

(Exc. X, 681.) 


Wenn ich fage, das ewige Leben fei die Erfenntniß der Liebe und 
du auf die Erfenntniß allein hinfiehft, fo beftceht dir das ewige Leben in 
der Erfenntniß und ift fomit Sache der Vernunft. Siehft du aber auf 
die Liebe hin (charitatem), fo ruht dir das ewige Leben im Wilken, 
weil die Liebe als ſolche nur durd Liebe erfannt wird. Erhebſt du dich 


547 


aber zu jener Einfachheit, wo Erkennen und Lieben Eines ift, fo begreifft 
du, daß diefe beiden Potenzen der Seele, Erkennen und Lieben, in der 
höchſten Glückſeligkeit coincidiren. So viel die glüdjelige Seele liebt, fo 
viel erfennt fie und umgekehrt: fo viel fie erkennt, fo viel liebt fie, da 
die Glüdfeligkeit ihr von Dem zu Theil wird, in dem Grfennen und 
Lieben Eines ift und der, indem er die Seele beglüdt, im Erkennen fich 
nicht mehr ihr mittheilt, als im Lieben. Um dies noch deutlicher einzu: 
ſehen, erwäge, daß die vernünftige Seele in diefer Welt zwei verfchiedene 
Kräfte hat: durch die eine fammelt fie Alles im ſich, Dies ift die Vers 
nunft, die Alles in fi nimmt Cintellectus, intus seu in se legens 
omnia) oder Alles innerlich an fih bindet (seu omnia in se intus li- 
gans); dur die andere geht fie zu Allem aus fih hinaus und bindet 
fh an Alles, das ift der Wille oder die Liebe. Durch diefe einet fie 
fh mit Allem und bindet fih an Alles. Iſt fie glüdjelia, fo bat fie 
Gott, in dem fie Alles in fih bat. In ihm ift fie mit Allem vereint, 
und ed ift Dasfelbe, daß Alles in ihr und fie in Allem ift, weil fie 
Gott hat, in dem Alles und der in Allem ift. (Exc. X, 671.) 


35* 


I. 


Religiöſe Dialoge. 


Digitized by Google 











Weber die Verkündigung der glorreichiten Zungfran 
Maria. 
Ein frommes Gefpräd. 
Verfonen: Der Berfaffer, ein Chrift, Maria. 


In einem Geſpräche unterhielt fich ein frommer Chrift mit Marta 
am Fefte der Verfündigung derjelben. Um dieſes Feſt würdig zu feiern, 
ging er im fein Gemach, fniete auf den Boden, — befannte zuerſt feine 
Schuld unter vielem Weinen und Thränen, und dachte dann in inniger 
Demuth und heißem Berlangen darüber nah, wie er das merkwürdige 
Ereigniß dieſes Tages würdig feiern könne. Da fiel ihm ein, daß ihm 
das unmöglich fei, weil er ein Umwifiender war (idiota erat et iguo- 
rans). Endlich nahm er zum Gebete feine Zuflucht, auf daß er Weigheit 
erlange. Da erſchien ihm die glorreiche Jungfrau; erfchroden fiel er zu 
Boden; fie aber machte ibm Muth mit den Worten: Fürchte dich nicht, 
ih bin eine gnädige Mutter, die Mutter der Barmherzigkeit, veine Mutter 
md die Mutter aller Erben des Reiches und Miterben meines Sohnes! 
Sie berührte ihn mit ihrer Hand voll Gnade und Kraft. Er erhielt die 
Befinnung wieder; geftärft richtete er ſich fchüchtern ein wenig auf 
und ſprach: 

Der Chriſt. Entferne dib von mir, Mutter des Himmelsfönigs, 
denn ich bin ein Sünder, der Unreinfte aller Menfchen und dieſes ganze 
Haus ift unrein wegen meiner Sünden. 

Maria. Weil du dich als umrein erfennft, fo wird die Gnade dich 
nicht verlaffen und je mehr du deine Unreinigfeit erfennft, defto beffer er: 
fennft du dich ſelbſt. Ich bin die Mutter Aller, welche fich feldft fennen ; 
diefe find die von aller Weisheit erleuchteten Söhne und ich bin Maria, 
die Lichtfpenderin (illuminatrix). Ich nehme mit Jenen, welde fi 
ſelbſt kennen, am Lichte Theil. Darum fei getroft! Denn daß dir deine 
Sünden ein Gräuel find, ift ein Zeichen, daß du von mir heimgefucht zu 
werden verbieneft, die ich wie eine auserlefene Myrthe lieblihen Wohlgeruch 
mittheile. Wem feine Sünden ein Gegenftand des größten Abſcheues 
find, der iſt gefund, der hat einen gefunden Geruch, heifehende Augen, 
mit denen er feine Nichtigkeit erfennt; er verdient, daß ih, die Mutter 


552 _ 


der Schönen Liebe, mich ihm zeige und ihm wie eine Mutter liebe und 
pflege. Doc weil du aus vollem Herzen um die Gnade der Weisheit 
geflehet haft, um mein Keft würdig feiern zu fönnen, ſiehe! fo bin ic, 
die Mutter der Gnade, bereit, deinen Bitten zu willfahren. 

Der Ehrift erhob fihb nun ein wenig und redete die Mutter der 
Gnade aljo an: 

Der Chriſt. D Mutter der Gnade! dieweil du dich zu meiner 
wiedrigen Hütte herabzulaffen gewürdiget haft, fo follte ih dich wohl mit 
irgend einem Deiner würdigen Lobe und Gruße empfangen. Doch wer 
bin ih, um etwas zu fagen, was allen Werth überfteigt? wie fol ic 
dich preifen, Jungfrau, die den, welchen die Himmel nicht zu faflen ver 
mögen, in ihrem Schoße getragen hat? Du bift die Himmelsfönigin, 
die Murter der Engel und Menfchen, der Jubel der Propheten; dein 
Borzug- ift, Mutter Gottes und ded Menfchen zu fein. Was fol ih be— 
ginnen wenigftens nad meiner Schuldigfeit, denn nah Gebühr fann ic 
dir nichts erweiſen? Indeß beftreben will ich mich wenigitend, daß ic es 
an nichts fehlen laffe, um alled zu deiner Verehrung auszuführen. 

Maria. Der Allvater im Himmel, der dich und Alles erichaffen 
hat, wird dich belehren, wie du mich, ald die Mutter feines Sohnes, 
begrüßen follt. Mir kann nichts lieber fein, ald was Gott angeordnet 
hat. So bediene dich denn des Engeldgrußes, da menfchliches Lob zu 
ſchwach ift, zum Gruße für die Mutter Chrift, — Died hob den Muth 
des frommen Beters und er ſprach: 

Der Ehrif. Gegrüßt feieft du Maria, du bift voll der 
Gnade; der Herr ift mit dir. — Bei diefen Worten lächelte Marta 
in Freude und Entzüden den Beter an und fprad: 

Maria. Der Engel bradte mir diefen Gruß in wahrem Engel 
finn; und je mehr ich ihn in diefem Engelsfinne mir bringen höre, defte 
größer ift meine Freude darüber. Wenn ein frommes Gemüth mir diele 
hohe Gnade in die Erinnerung bringt, fo durdftrömt Freude mein Her. 

Der Ehrift. Sage mir dod, Maria, wie ich es dahin bringen 
fann, daß ich dich in diefem Engelöfinne grüße. 

Maria. Ein Engel ift ein vernünftiger Geiftz je geiftiger daher 
und je weniger fleiſchlich Jemand iſt, defto vernünftiger ift er, defte 
weniger zerftreut, defto mehr gefammelt und begeiftert, defto mehr engel 
gleih. Bedenke daher, indem du mich begrüßeft, daß du mich nie genug 
engelgleih begrüßt habeſt und ftrebe in beftändiger Wiederholung, mit 
innerer Begeifterung (interiori ferventia spiritus) mid zu grüßen, und 
du wirft Fortichritte machen. 

Der Berfaffer. Nun wiederholte der fromme Chriſt im lebendi⸗ 
gerem Gefühle den Gruß. Er fah wie Maria von größerer Freude ftrahlte, 


593 


tie blickte ihm noch liebreiher an und ſprach: Mein Sohn, fo bleibe und 
ih werde nie aufhören, wie eine Mutter dich zu nähren und zu pfles 
gen, auf daß du Theil habeft an dem Erbe der Söhne Gotted und der 
Miterben meines Sohnes. 

Der Ehrift. Es fcheint, Maria! daß mit diefem Gruße der Ans 
fang der Feier des heutigen Tages zu machen fei. 

Maria. Allerdings; denn er ift der Anfang aller meiner Befte. 

Der Ehrift. Fürs Erfte find mir die Worte des Lucad, des 
Beihreiberd deiner Geheimniffe (Lucas secretarius tuus), daß du bei 
dem Gruße erfchradeft, unklar; wenn du erjchradeft, warum freueft du 
dich jetzt? 

Maria. Als der Engel meine Unruhe aus Furt entfpringen 
ſah, jagte er: fürchte dich nicht, Maria! denn ich erſchrack nicht wie über 
eine unangenehme und mir mißfällige Sade: die Grhabenheit der Bots 
ihaft erfchredfte mich. Ich fürchtete mich nicht, weil ein Engel zu mir 
iprach, als über etwas ganz Neues (denn ed war mir nichts Neucd und 
ih erfchrad nicht vor dem Engel der Kraft und Stärke Gottes, mit dem 
ih längft vertraut war), fondern ich erfchrad, wie das Auge erfchridt, 
wenn der reine Lichtftrahl in es hineinfällt. Dem Gefichte ift nichts lieber 
als das Licht; aber vor einem allzuftarfen Lichte erfchridt es, fo daß es 
Thränen vergießt. 

Der Ehrift. Gebieterin! Warum dachteſt du nah, was das 
wohl für ein Gruß wäre? Du befaßeft doh alle Einfiht, nad dem 
Zeugniffe des Engels, der dich „voll der Gnade“ nannte, 

Maria. Ich dachte nicht nad, als verftünde ich Den Gruß nicht, 
und bat auch den Engel nicht um Aufichluß über denfelben, fondern ganz 
erftaunt, wie ich war, dachte ich nach, wie ein jo erhabener Gruß mir, 
der geringen Magd und Dienerin, vom Himmel zugefandt wurde. Würde 
nicht ein geringer Knecht, dem die frohe Nachricht eröffnet wird, daß er 
um Könige erwählt worvden fei, wegen der Größe der Erhöhung von 
Staunen ergriffen werden? würde nicht feine Secle ihre Sinnenthätigfeit 
aufgeben und fih zur Erwägung der wichtigen, ihr gewordenen Botſchaft 
in ſich zurüdziehen ? 

Der Chriſt. Mit Recht fonnteft du dich über den Gruß und 
jeine Beihaffenheit wundern; denn Gottes Macht brachte dir vom Himmel 
die Botſchaft in Engelds, nicht in Menfchenworten. Denn daß eine 
Jungfrau die Fülle der Gnade empfing, daß Gott mit ihr war und fie, 
obwohl Jungfrau, mit Fruchtbarkeit vor allen Weibern gejegnet wurde, 
died war etwas Neues, das Gott weit über allem Irdiſchen veranftaltete. 
Von der Erde Fam allen Erdbewohnern das Weh: vom Himmel das 
„Ave“, Won der Erde ftammen alle Söhne des Zorns, alle Rafterhaften 


554 


und mit Sünden Beladenen: vom Himmel die Fülle der Gnade. Bon 
der Erde Alle, die unter der Gewalt der Finfterniß find: vom Himmel 
der Herr Aller, der mit dir ift. Alle Jungfrauen (dich allein ausgenommen) 
entbehrten des Segens der Fruchtbarkeit; alle (dich allein ausgenommen) 
waren unter der Gewalt der Finfterniß, nicht als ob alle gefallen wären, 
fondern weil fie fallen Founten. Nicht über das Greigniß felbft alſo 
dürfen wir und wundern und nachdenken; wohl aber wünſchte ich darüber 
Aufſchluß, daß der Engel ſprach: „Fürchte did nicht, Maria! du hafl 
Gnade bei Gott gefunden.” Haft du, Maria! etwa Gott gebeten, daß 
an dir dieſes Wunder geſchehen möge? 

Maria. Nachdem einmal Gott, der vor aller Zeit ift, mich zur 
Mutter feines Sohnes auserwählt und mid nad feinem Erbarmen mit 
allem dem ausgefchmücdt hat, was der Mutter der Weisheit des Vatert 
ziemte, jo duldete er nicht, daß mir irgend eine feiner Gnaden und Se 
nungen fehlte. Gr gab mir daher Weisheit und Einficht weit über all 
Menfhen und Engel, da ih die Mutter der Weisheit, der Vernunft und 
des Wortes fein follte. Ich erfannte demnach, Gott habe in feiner Er 
barmung einen Samen verſprochen, in weldem alle Völker gejegnet 
würden. Sm welcher Zeit aber jenes dem Abraham eivlih gegebene Ver 
ſprechen in Erfüllung gehen würde, blieb, fo wie auch die Art der Erfüllung, 
mir und Allen verborgen. Ich fah das Elend des Volkes Gottes, dat 
ohne den verheifenen Samen die ewige Seligfeit nicht erlangen konnte. 
Ih bat Gott, er möchte Den ſchicken, den er ſchicken wollte. Und da 
biefer im Geifte mit mir war, fo war mein höchſtes Verlangen, daf 
er auch im Fleifche geiehen werde, damit er die Sünden der Welt bin 
wegnehme. Ich dachte: wie glüdlich ift doch die Mutter des Könige, 
defien Neich Fein Ende nimmt! wie edel, wie rein muß fie fein! D 
könnte ich fie fehen, fönnte ich ihre Dienerin, ihre Magd fein! Indem 
ich fo dachte und in mir nur Gott war, Über deſſen Ankunft ich nad— 
dachte, fiehe! da verfündete *) mir der Engel, es fei mir die Gnade ge 
worden, zu fehen das Heil meines Gottes. Und er fügte bei: „ſie he! 
du wirft empfangen und einen Sohn gebären und feinen 
Namen Jeſus nennen; diefer wird groß fein und.ein Sohn 
des Allerhöchſten genannt werden; denn Gott der Her! 
wird ihm den Thron Davids, feines Vaters geben; berw 
ſchen wird er im Haufe Jacob in Ewigfeit, und feine 
Reihes wird fein Ende fein.“ 

Der Ehrift. O weld überreihe Gnade haft du, glüdliche Jung 
frau! gefunden, daß es dir vergönnt war, aus deinem jungfräulichen Leibe 


1) Im Texte: anmuntiabit flatt annuntiavit, 


555 


geboren zu fehen, was du gewünſcht haſt. Du follteft die Mutter bes 
Kindes fein, die du doch nur wünſchteſt, die demüthige Magd feiner 
Mutter fein zu dürfen. Diefe Worte des Engels find die Erklärung des 
Grußes, über den du flaunteft. Als er nämlich dich Jungfrau die ges 
priefene unter allen Weibern nannte, mochteft du wohl, da er noch nicht 
beigefügt hatte, ') du, die Jungfrau, werdeft in deinem Leibe eis 
nen Sohm empfangen, über die Belchaffenheit dieſes Grußes nach— 
benfen. Er löste aber dein Bedenken, ald er beifügte, du werbeft einen 
Sohn empfangen. Sage nun, füße Jungfrau! warum fagte der Engel: 
„er wird groß fein und ein Sohn des Allerhöchſten ge 
nannt werden.“ 

Marta. Ich glaubte und dachte mir in meinem Geiſte den vers 
heißenen Meffias fo, wie der Engel ihn mir anfündigte, daß ih ihn 
empfangen werde; ich dachte ihn als ſchlechthin groß, nicht ald groß in 
Hinfiht auf eine befondere Gabe, 3. B. die Weisheit, wie Salomo große 
Meisheit unter den Königen Iſtaels befaß, auch nicht groß an Schönheit 
wie Abfalon, oder an Stärfe, wie Simjon, oder an prophetifcher Gabe, 
wie Elias u. f. w., fondern fchlechthin groß, in aller Größe der Boll 
fommenbeit und Gnade, als die Größe aller Größen (ut sit ipse 
magnitudo omnium magnorum). Ich dachte ihn ald den Sohn feines 
Andern als des Allerhöchften, wodurch er allein in diefer Weife groß fein 
fonnte. Ich dachte ihn alfo als den Urheber von Allem, als den höchften 
König, als Sohn des Allerhöchften, fo daß er herriche auf dem Throne 
Davids und im Haufe Jacobs in Ewigkeit und feines Reiches fein Ende 
fi. Denn fein Thron ift heiliger, ald der Davids, Fein Volk ift heiliger, 
ald das der zwölf Stämme Iſtaels, die im Haufe Jacobs find. Sein 
Reich ift daher Heiligkeit und Gerechtigfeit in Ewigfeit. Und weil ich 
das Alles eben fo überdachte, wie ed die Propheten von ihm vorberges 
jagt hatten, darum fügte der Engel, indem er mir Jeſus anfündigte, 
damit ich nicht bei diefem Namen mir einen gewöhnlichen Menſchen vors 
ftellte, da noch mehrere Menſchen diefen Namen batten, noch hinzu, der 
mir verfündigte Jefus fei micht ein Heiland (salvator) für befondere Fälle, 
wie Zofua im Kriege, oder Jefus Sirab im Rathgeben, fondern Der 
Heiland felbft (ipsa salutatio), der ald der Meffias von mir empfangen 
würde, 

Der Ehrifl. Sage mir, felige Jungfrau! warum erwiederteft du 
dem Engels: Wie foll das gefhehen, da ih feinen Mann 
erfenne? " 

Maria. Der Engel hatte mir gejagt, er follte der Sohn bed 





1) Im Terte fleht: adjecerant flatt adjecerat. 


556 


Allerhöchhften genannt und der Thron feines Vaters David ihm verliehen 
werden, er follte aljo fowohl eines Andern, als auch mein Cohn fein, 
die ich ihn in meinem Leibe tragen ſollte. Ich begriff daher micht, wie 
Died nach dem Gefege der Natur anders ald durch einen Mann gefchehen 
jollte. Und da ich feinen Mann erfannte, fragte ich, wie ich einem An 
dern einen Sohn gebären follte, ohne Verbindung mit demfelben. Darauf 
erwieberte der Engel, mich zufriedenftelend: der bi. Geift wird 
über dich fommen und die Kraft des Allerhbödften wird did 
überfchatten, daher wird das Heilige, das aus dir geboren 
wird, Sohn Gottes genannt werden. 

Der Ehrif. D Maria, Lichtipenderin! erläutere mir diefe tiefen 
Worte des göttlichen Herolds. 

Maria. Mein Ehrift! die Worte find far. Denn da der Engel 
mir fagen wollte, der Sohn des Allferhöchiten, den ich empfangen follte, 
fei, wenn gleich David fein Vater genannt wird, doch nur der Eohn 
Gottes und nicht eines, wenn auch noch fo hochftehenden Menſchen, fo 
erflärte er eben dadurch, die Art und Weile meines Empfangens gehe von 
der Kunft des Geiftes und der Kraft Gottes aus. Denn wenn ber 
Sohn eined Waters Sohn ift durd die im Weibe geugende Kraft des 
Baterd, fo iſt der der Sohn Gottes, bei deſſen Werben feine andere 
menschliche Kraft geftaltend wirkte (coextitit), als allein die Kraft Gottes. 
So wird denn aus dem bi. Beifte nur das Heilige und aus ver 
Kraft des allerhöcften Gottes des Vaters nur der Sohn Gottes empfangen. 
Da nun der bi. Geift die Liebe und die Verbindung ift, fo fit die 
Liebe, die der hi. Geiſt ift, über mich gefommen und hat in mir ges 
wirft und durch ihre Wirffamfeit hat die Kraft des Allerhöchften mid 
überfbattet, ald bringe mir der HI. Geift die Kraft oder das Wort 
Gottes. Indem das Wort Gottes in mir die menfhlihe Natur ange 
nommen hat, hat es mich ütberfchattet, weil die in mir verborgene Kraft 
Gottes ihr Licht durch eine fleifhlihe Hülle zugededt hat. Es hat fid 
alfo für mich die Kraft des Allerhöchſten überjchattet (obumbravit se 
mihi virtus altissimi), indem der Sohn Gottes fi) in mir verborgen 
hat (cum se condidit in me filius Dei). Wie der Laut das Wort des 
Geiſtes dem Gehöre zuführt und der Berftand des Hörers die Kraft 
(den Einn) des Wortes aufnimmt und in fi empfängt, wobei der Laut 
nur mitroirft, indem er überbringt, jedoch nicht felbft empfangen wird, fon 
dern das geiftige Wort, das den Geift des Menfchen überjchattet, auf 
daß es erfaßt werde: fo iſt im ähnlicher Weife die Kraft Gottes oder dad 
Wort dur den über mich Fommenden hl. Geift mir zugebracht und in 
mir Fleiſch geworden. 

Der Ehrift. Maria, meine gnädige Gebieterin! Lucas fchreibt, 


997 


der Engel habe noch beigefügt: „Und fiehe, Elifabeth, deine 
Verwandte, bat gleihfalls in ihrem Alter einen Sohn 
empfangen, und ſchon geht jie, die für unfrudtbar Gehal— 
tene, im fehsten Monate, denn bei Gott ift nichts unmög— 
ih." Warum, gütige Mutter! hat er dies beigefügt? Denn gewiß hat 
der Engel nur das Nothmwendigfte gejprochen, bejonders zu dir, der vers 
ftändigen auserwählten Braut Gottes. 

Maria. Der Engel wußte, daß ich feines feiner Worte hinfichtlich 
des Thatfüchlihen bezweifle, fondern blos die Art der Ausführung einer 
Sache, die vorher noch nie dageweſen. Da nun der fegenreiche Samen 
Abrahams, der der Vater des Samend geworden ift, weil er Gott (Deo) 
in Dem geglaubt hat, was nad dem Naturgefege und dem gewöhnlichen 
Gange nicht möglih war, nur von der gläubigften Seele empfangen werden 
fonnte, jo hat der Engel, damit, fo weit an ihm lag, die Befchleunigung 
der Empfängniß, die er aldbald vollzogen wünfchte, erfolge, eifrigft jene 
Worte beigefügt, die mich über die Art und Weiſe zufriedenjtellen ſollten. 
Denn bei Gott zu fragen, wie er wirfe, er, dem nichts unmöglich tft, ift 
unpaffend; denn was er will, muß fein und der entgegengefegte Gang 
der Natur ift fein Hinderniß. So führte er denn das Beilpiel der Vers 
wandten an. So hatte auch Sara einen feften Glauben, ald der Engel 
fie belehrte, für Gott fei nichts ſchwierig. Er, die reine Nothiwendigfeit, 
it nicht an eine Weile, fo oder fo zu verfahren, gebunden; denn von der 
Unvollfommenheit rührt es her, zu fragen, welde Art und Weiſe erfor- 
derlich ſei. Wo alfo Möglichkeit und Unmöglichkeit, die von diefer Welt 
find, wo die Art und Weife entfcheidet, nicht ftatt haben, fondern der reine 
Wille die abjolute Nothwendigfeit ift, da ift es überflüffig, über die Art 
und Weiſe nachzuforfhen, So wurde mir jeder Zweifel benommen. Und 
da nun in mir nichts mehr war, als ein ganz fefter Glaube, jo ſagte ich 
zuftimmend: „Siehe, ich bin die Magd des Herrn, mir ge 
hehe nah deinem Worte.“ Denn ih, die Magd des Herrn, 
wünfchte, es möchte gefchehen, was mir verfündet war, daß ich, die Magd 
des Herrn, die Mutter des Herru würde, 

Der Ehrif. O wunderbarer Verkehr! der Schöpfer des Menſchen— 
geſchlechts würdigt fih unter den Geſchöpfen aus feiner Magd geboren 
zu werden ! 

Maria. Der Herr und Schöpfer von Allem, vor den Zeiten ges 
zeugt, ') ift wieder von mir empfangen und würdigt ſich als Menſchen— 
fohn von mir geboren zu werden, wie der geborne Menfch (geiftig) noch 
einmal empfangen wird, damit er ald Kind Gottes wiedergeboren werde. 





1) natus ante saecula ift wohl im Sinne unferes Schriftftellers richtiger durch 
obige Meberfegung wiedergegeben. 


558 


Der Chriſt. D Glanz alles Lichtes der Erkenntniß! erfläre mir 
Died Deutlich ! 

Maria. Ich werde es dir nachher im geeigneten Zufammenhange 
erklären, ') wenn du mich inftändig bitteſt. Doch nun, als ich fo mit 
vollem Glauben wünjhte, das Mort des Engeld möchte fi erfüllen, 
empfieng ich in demfelben Momente in meinem Leibe den Sohn Gottes 
und der Engel fhied von mir, nachdem er feinen Auftrag vollzogen. 

Der Ehrift. Lucas erzählt, du habeft dich aufgemadht und ſeieſt 
eilends in dad Gebirgland in eine Stadt Juda's gegangen und habeft, 
ald du in des Zacharias Haus gefommen, Elifabeth begrüßt. 

Maria. Elifabeth war meine Verwandte, die den größten Propheten 
der Welt in ihrem Leibe trug. Da mir dies der Engel gemeldet hatte, je 
ſchien es, ald fende er mich damit zu ihr. Und wie ich zu meiner Freude 
von dem Engel erfuhr, fie habe empfangen, jo war es billig, daß auch fie 
zu ihrer Freude vernehme, ich fei ſcwwanger. Da ich jung war, ſchien es 
meine Pflicht zu fein, aldbald die ſchwangere bejahıte Verwandte zu be 
fuhen und ihr Dienfte zu leiften und wegen der erlangten Mutterfchaft 
nicht ſogleich die Pflibten einer Magd aufzugeben, jondern vielmehr die 
erlangte Würde durch die Demuth, durch die ih Gott gefallen hatte, zu 
erhöhen. Eo zog id denn über das Gebirge, eilends, wie Freunde eilen, 
die fih gegenfeitig einen Dienft erweifen wollen. Als ich in das Haus 
des Zacharias eintrat, grüßte ich mit aller möglichen Ehrerbietung und 
Zuneigung meine Berwandte Eliſabeth und wünſchte ihr Glüf, daß im 
vorgerüdten Alter eine fo wunderbare ausgezgeihnete Empfüngnig — 

Der Ehrift Ceinfallend) — der Vorläufer Johannes ihr Glüd 
erhöhen follte. 

Maria.) Mein Befuh bradte der bejahrten Mutter viele Freuden. 
Der Prophet Im Leibe der bejahrten Mutter merfte, daß in meinem Leibe 
fein Herr, defien Vorläufer er werden follte, zu ihm gekommen fei und 
indem das Kind im Leibe vom bi. Geifte erfüllt in Freude fih be 
wegte, ging diefe Freude auch auf die Mutter Elifabeth über, fo das 
fie mir zuvorfam ) im Belenntniffe Deffen, was fie durh mich erft er 
fahren follte. Denn mit lauter Stimme rief fie, angetrieben vom heiligen 
Geifte und über die Maaßen begeiftert: „Woher fommt mir das, 


1) explanando im Terte muß unflreitig explanabo heißen. 

2) Diefes Wort fehlt im Texte vor den Worten: et multa attulit bona ete. Dad 
„et“ läßt vermuthen, daß im Terte einige Worte fehlen. 

3) Der Tert hat: ut ipsa perveniret confitendo. Die folgenden Worte aber: quae 
me narrante audire debuit und der ganze Zufammenhang legen den Gebanfen nah, 
Glifabeth fei Maria im Bekenntniſſe, daß Leßtere die Mutter des Sohnes Gottes ſei, 
zuvorgefommen, weßhalb ich vermuthe, daß flatt perveniret — praeveniret zu leſen if. 


559 


baß die Mutter meines Herrn zu mir fommt?“ Cie befannte 
damit, daß ich die Mutter ihres Herrn fei, ein Befenntniß, das fie, wenn 
nicht erfüllt vom bl. Geiſte, unmöglich hätte ablegen fünnen. Da fie 
alt, ih jung und Jungfrau war, wie hätte fie auf einem andern Wege 
wiſſen fönnen, ich fei die Mutter ihred Herrn? Und ihr Kind, beftimmt 
zum Dienfte Jeſu, meined Herm, war es nicht durd cine wunderbare 
Fügung Gottes von ihr, der Bejahrten und Unfruchtbaren, aus dem ber 
jahrten Zacharias empfangen? Die Berwandte fügte beir „Siehe, 
wie der Laut deines Örußesin meine Ohren drang, ſprang 
vor Freude auf das Kind in meinem Leibe”. Sie bewies 
damit, daß nicht nur ihr Kind, fondern auch fie felbft vom hi. Geifte 
füllt war, da ihr Kind im Leibe aufhüpfte, und fie diefed empfand, was 
ohne Erfülltfein vom Geifte des Herm unmöglich geichehen konnte. Das 
mals wurde Johannes im Mutterleibe geheiligt, da er durch ein Zeichen 
weiffagte, der Erlöjer fei da, und er konnte num im Mutterleibe ver 
Prophet des Allerhöcften genannt werden, da er dur deſſen Ankunft 
den Geift fo großen Frohlodens erhalten hatte. Daher nannte mic) fo: 
gleih Eliſabeth, gleichfalls vom hl. Geifte erfüllt, die Gepriefene 
unter den Weibern, weil fie wußte, daß ih Jungfrau bin, und fagte 
diefe Worte nicht in Verbindung mit dem, was der Engel mir gefagt 
hatte: Gebenedeit ift die Frucht deines Leibes! Denn fie felbft war 
von demſelben bi. Geifte belehrt, vie Leibesfrucht, die ich trug, ſei 
jene gefegnete Frucht, die einft Gott veriprochen hatte und die ich endlich 
empfing. 

‚Der Ehrift. D heilige Elifaberh! Ich ſehe nun, daß die Mutter 
des Herrn zu dir gefommen ift, damit der Prophet in deinem Leibe, ins 
dem er in dir vor Freude aufiprang, die über Alle gepriefene Leibesfrucht 
weifjage. Und wie die Jungfrau alle Segnung, mehr als alle Weiber, 
erlangte, weil fie zugleich Jungfrau und Mutter war, fo fam ihr Eohn, 
gepriefen vor allen Söhnen, zu Johannes, um diefen zu feinem Herolde 
einzujegen; es fam Maria zu Eliſabeth, um zu hören, fie ſei die gejegnete 
Mutter einer fegensreihen Frucht. O weld ein Freudentag! Doc, 
glückliche Jungfrau! nach Lucas fügte Elifabeth die Worte bei: „Selig 
bit du, daß du geglaubt haft, es werde Alles an dir in Er 
füllung geben, wa® dir vom Herrn gefagt wurde“ Sage, 
Maria, warum fie diefes fagte. 

Maria. Ih trug zu diefem wunderbaren Geheimnifje nichts bei 
ald den Glauben. ) Und weil fih in mir fein anderer Grund biefer 
großen Gnade finden läßt, fo fagte Elifaberh mit Recht, dag ih nur 





1) fide im Texte muß heißen: fidem, 


560 


durh den Glauben diefed ganze Gefchenf Gottes erlangt habe. Auf 
welchem Wege fanı das Geſchöpf Etwas von Gott erlangen, ald durd 
den Glauben? Niemand kann etwas aus fih, aber Gott vermag Alles; 
er allein ift wahrhaftig und treu in feinen Verheißungen, denn er ift die 
Wahrheit. Da wir durch uns ſelbſt nicht gerecht werden fönnen, fo be 
fteht unfere ganze ©erechtigkeit in dem Glauben au Gott (credere Deo), 
welcher mächtig genug ift, alle feine Verfprechen zu erfüllen. Nur der 
Glaube befiegt diefe Welt und alle Gefepe der Natur. Wie fann Der 
getäufcht werden, welcher der Wahrheit glaubt, bei der nichts unmöglid 
oder fchwer ift ? 

Der Chriſt. Du fangeft aud einen Lobgefang, Maria! erkläre 
mir auch diefen noch, damit ich jo die Feier deines heutigen Feftes freudig 
vollende, 

Maria. Der Ausruf der Elifabeth, die mich wegen meined Glau— 
bens felig pried, ftimmte mich zu dem Gefange: „ES preifet meint 
Seele den Herrn.” Diefe Worte flogen aus meinem gotterfülten Her 
zen. Mein Herz brad im Uebermaße geiftiger Wonne in einen Loge 
fang aus, um den zu preifen, der fih mir, obwohl er der Höchſte war, 
zu feinem Sohne gab. „Und mein Getft, welcher das Leben der Seele 
ift, frohlodte nur im Gott, meinem Helfer“, denn der Geiſt if 
das Leben der Seele, er lebt das vollfommenfte Leben, welches Gott felht 
if. Das Leben des Geiſtes kann daher nur in Gott frohloden, welter 
fein Jubel, feine Liebe, fein Leben und fein Berlangen ift. 

Der Ehrift. Sage, Jungfrau! ift eim Unterfchied zwiſchen Gele 
und Geiſt? 

Maria. Die Seele befeelt und belebt den Körper; ihr gehören all 
Lebensthätigfeiten an, die man am Körper wahrnimmt. Die Seele bat 
übrigens die Kraft in fich, fih vom Körper weg und zu Gott hinzumen 
den; dann geht fie in den Geift (spiritum) über. Wie fih das Feut 
über dad Brennbare ausdehnt, um es in Feuer zu fegen, zu welchem Zwede 
ed ſich zu einer Pyramide von großer Kraft einigt, fo theilt fich die Seck, 
indem fie den Körper belebt, mit und fcheint nach dieſer Seite fehr körper 
licher Natur zu fein, wie das Feuer im Holge von ziemlich dichter (crassae) 
Natur zu fein Scheint. Trennt fi) aber die Seele vom Körper und re 
nigt fie fi, fo wird fie (resolvit se) zu einem ftarfen, nad Oben fr 
benden Geiſte, der der Geift der Liebe iſt. Diefer Geift ift die Schaͤtft 
(acuties) des Verſtandes und der Vernunft in der Seele. Da nun die 
Seele in der Sphäre des thieriſchen Lebens ſich durch die Sinnenotgant 
ausbreitet, in der Sphäre ded Verftanded aber ſchon höher und in de 
Vernunft noch geläuterter (purior) ift und nichts geliebt wird, wenn 


361 


nicht der Glaube vorhergeht, fo ift die Liebe die Echärfe der Vernunft 
oder des vernünftig erleuchteten Glaubens (fidei, quae est intellecta). 

Der Ehrifl. Fahre in der Erklärung deines Lobgefangs fort, 
weife Jungfrau! Warum frohlodte dein Geift in Gott deinem 
Helfer? 

Maria. Herab fah er auf feine geringe Magd. Darüber 
froblodte am meiften mein ®eift, daß der Herr auf die Niedrigfeit feiner 
Magd herabfah. Eine Magd, die fih als ſolche erfennt, iſt demüthig, 
denn fie erkennt ſich als nichtö weiter, denn was fie wirflih if. Eie 
verrichtet alle Geſchäfte einer Magd. Diele zielen aber alle dahin, ihrem 
Herrn zu gefallen. Und wenn der Herr die Niedrigfeit feiner Magd ans 
fieht und anädig aufnimmt, fo muß die Magd in der größten geiftigen 
Freude frohloden, denn fie bat, was fie gewünfcht. 

Der Chrift. Ich fehe aus deiner Belehrung, daß Gott nichts 
lieber ift, al8 Demuth; denn da er bei dir nicht auf deine unzähligen 
Vorzüge, die du Gnadenvolle hatteft, fondern auf deine Demuth fah und 
du al8 Jungfrau um der Demuth willen Mutter Gotted zu werden ges 
würdigt wurdeft, fo fehe ich, daß jedem Ehriften Demuth nothwendig iſt. 

Maria. Mit Recht; denn wie dem Herm als folbem Hoheit und 
Erhabenheit geziemt, fo dem Knechte ald ſolchem Demuth; jede Greatur 
it eine Dienerin, nur Gott ift der Herr. 

Der Chriſt. Eo lehre mid denn Demuth, glorreiche Jungfrau! 

Maria. Der Weg zu ihr ift Seldftfenntnig. Nur der Demüthige 
weiß es, daß er aus fich nichts ift und hat, fondern nur durd den, der 
ibm nah Wohlgefallen mittheilt, zu dem Zwecke, daß er ihm diene. 
Bedenke daher: je größere Güter du von deinem Herrn empfangen haft, 
defto ftrengere Rechenſchaft mußt du von deiner Verwaltung ablegen. 
Prüfe dich daher öfter, welchen Gebrauch du von dieſen Gaben gemadt 
baft, von deinem Leben, deinen Einnen, deinem Geiſte, von allem 
Uebrigen: von Dienerihaft, Weib und Kindern, von deinem Amte. Und 
bältft du num daran feft, daß du nie der Meinung geweſen, du babeft 
deine geringe Kraft genug geübt und die zu deiner Verherrlihung dir vers 
liehenen Gaben nah Pfliht angewandt, erfenneft du dich als unnügen 
Knecht; dann ift deine Demuth als die Demuth einer Magd dem Herrn 
angenehm; auf jene fieht er herab, die, fich felbft für nichts haltend, zu 
ihm fliehen. 

Der Ehrift. Maria, welches find die Zeichen der Demuth? 

Maria. Gelaffenheit (omnia aequo animo ferre); wer Unbilven 
geduldig erträgt, hält fih für nichts; er nimmt jede Unbild an, als wäre 
er fo gering, daß ihm gar feine Unbild angethan werden Fönnte, Krank 

Scharpff, Nie. v. Gufa. 36 


562 


heit erträgt er ebenfo wie Gefunphelt, Armuth wie Reichthum, geringe 
Gefchäfte verrichtet er fo freudig wie die wictigiten. Daher ift Uebung 
in Ertragung von Unbilden und in niedrigen Geſchäften eine ganz zwed— 
mäßige Uebung. in ganz befonderer Beweis der Demuth ift aber das, 
daß man Freude daran hat, erniedrigt und verachter zu werden; denn nun 
weicht von uns aller Schein der Demuth, der ſich bei dieſer Tugend oft 
für Wahrheit ausgibt. 

Der Ehrifl. Wie wird die Seele eine Magd des Herm? 

Maria. Auf die Demuth folgt Unterwürfigfeit in frommer Erge 
bung. Diefe ift eben die Bereitwilligfeit des Geifted im Dienfte dis 
Herrn: der Geift gibt fih Gott hin und weihet alle feine Kräfte und 
Vermögen zu einem lautern Gotteödienfte. Wenn fo die Sinnlicfet 
ohne Widerftreben der Vernunft gehorcht, dann feiert die Demuth unter 
Gottes Beiftand ihren Triumph in geiftiger Wonne und in einem lchens 
digen, durch alles Sinnliche nicht zu ftillenden Verlangen; denn die Liebe 
Gottes matt das harte Herz wei, veribafft ihm Genuß und Ergöpen 
und flößt ihm regen Eifer ein. Doch ganz befonderd dient die Seele 
Gott, wenn fie beftändig mehr zu dienen wünfcht, weil fie weiß, daß fe 
nie nah Gebühr gedient habe. 

Der Chriſt. Erfläre nun, glorreihe Jungfrau, weiter die Worte: 
„liebe, darum werden mid felig preifen alle Geſchlechter.“ 

Maria. Weil Gott auf die Nieprigkeit jeiner Magd fah, weil Große 
that an mir der Müchtige, indem er nad feiner unbeichränften Matt, 
welcher nichts widerftehen fan, mich zur Gotteögebährerin machte, darum 
werden alle Gefchlechter, nicht nur Elifabeth, mid preifen; alle find mein 
Geſchlechter (sunt omnes generationes), da ih die Mutter des Sohnes der 
Menſchen und Gottes bin. Darum erwählte er mich, die Jungfrau, damit 
er nicht der Sohn von Diefem oder Jenem, fondern univerfell der Men 
fhenjohn fei, gleihwie auch die Jungfrau, indem fie feinem beftimm- 
ten Manne angehört, die Möglichkeit hat, univerfell von einem Maune 
zu empfangen. Go ift die Geburt der Jungfrau der Menfchenjohn, nid! 
der Sohn von Diefem oder Jenem, der ihn „mein Sohn” nennen fönuk, 
fo daß er weniger oder anderd als jede mögliche andere Geburt wäre 
Jeſus hat denjelben Vater, den auch du haft, nämlich Gott, den Pater 
Aller. Jeſus ift daher auch der Bruder Aller, aber er ift der Erfigebomt 
des Vaters, und um fo wahrer, als er feinen andern Water im irgend 
einer Weile hat, wie wir. Zwar hatte auch Adam feinen andern Vater, 
ald Gott den Schöpfer, aber Adam war irdiih. Er war daher nicht der 
Menfhenfohn, weil er Adam, d. i. der Sroifche, beißt. Da aber Ielud 
der Menihenfohn ift und er dies nicht werden konnte, wenn nicht Adam 
Menſch geworden wäre; fo erhellet, daß Adam aus Erde ald Menid 


563 


geibaffen wurde, damit Jeſus aus einer Jungfrau, einer Tochter Adams, 
als Menſch geboren würde. Gleihwie daher Adam um Chrifti willen 
erihaffen wurde, fo auch wir Alle, die wir aus Adam find. hriftus 
it aber um fo erhabener ald Adam, je niedriger der irdiſche Anfang 
Adams war, welchem erft nachher der Geift des Lebens eingehaucht wurde, 
auf daß er Menſch würde. Nicht jo bei Jeſus: er war die Kraft des 
AMerhöchften, welche in der Jungfrau die menfhlibe Natur annahm, 
Adam ift alfo von der Erde, Ehriftus vom Himmel, wie es der Urfprung 
eines Jeden darthut. Chriftus ift daher die Ergänzung (complementum ) 
und dad Ziel aller Gefchlehter aus Adam. Darum preiſen mich felig 
alle Geſchlechter. — Noch füge ich bei, daß mein Sohn der Vater 
alles Segens if. Er macht Alle zu Söhnen Gottes. Alle Söhne 
Botted erlangen alfo in ihm Segen. Er ift daher die Wiedergeburt 
Aler und der Water der Wiedergeburt. Er ift au der Glaube Aller; 
denn er ift der Sohn Abrahame, in dem alle Gläubigen waren, und Alle, 
die glauben wie Abraham, erlangen Segen in deffen Sohne, welder ift 
Iefus. Chriftus. Daher nennt er feine Schüler und Die, fo den Willen 
feines Vaters thun, Mutter und Brüder. Er alfo ift der Sohn, wir 
feine Mutter und Brüder. 

Der Ehrift. So fei denn du, Königin der Barmherzigkeit! und eine 
wahre Mutter und dein gepriefener Sohn, wie durch feine Geburt fo 
auch durch feine Leitung auf allen unfern Wegen, ein barmberziger Vater! 

Der Berfaffer. Nach diefen Worten verfbwand die Königin der 
Barmherzigkeit und fcheidend erfüllte fie ihren frommen Diener mit aller 
Hoffnung, Glauben und Liebe. 


Huf den Eharfreitag. 


Der Glaubensartifel: „Gekreuziget für und unter Pontius 
Pilatus, geftorben und begraben“ ift der fünfte Glaubensartifel und 
wird dem heiligen Johannes zugefchrieben. Mit Recht hat er, der allein 
unter den Apofteln in den Leidenstagen Jeſu anweſend war, und Alles 
mit auſah, diefen Glaubensartifel dem apoftolifhen Glaubensbekenntniſſe 
beigefügt. Wir wollen daher eben diefen von Gott geliebten Apoftel herz 
li anreden mit der Bitte, und den Sinn und die Bedeutung diefer 
Worte zu erflären. Maria, die Mutter der Barmherzigkeit, ſei unfere 
Sachwalterin; fie rede in unferem Namen und die Antworten des Johannes 


auf ihre Fragen mögen und über das, was heute die Kirche feiert, bes 
36* 


964 


lehren. Laßt und alfo Maria in ehrfurchtsvollem Gebete um die Gewäh— 
rung unferer Bitte anrufen und fprehen: Du bift die Mutter, welde die 
Gottgebährerin genannt wird, die Mutter Gottes, die Gebährerin tes 
Wortes und du bift Menſch, weßhalb Jeſus von dir feinen Namen hat 
und fich oft zu deinem Lobe Menihenfohn nannte, den du bis zu feinem 
Begräbniß nicht verließeft. Du weißt, daß wir heute den Todestag deines 
Sohnes feiern und zu feiner Ehre ihn mit dem Auge des Geifted in dem 
Leiden, das er für unfere Erlöſung duldete, zu ſchauen wünſchen. Ueber 
nimm die Mühe, bejte Mutter! und frage deinen Johannes, damit diefer 
und Alles erfläre. 

“ Maria. Mohl verdient diefe Bitte ein williged Gehör. Denn 
eben das wünſche ich, daß die Liebe meines Sohnes, welche er befondersd 
darin zeigte, daß er fie feinem eigenen Leben vorzog, erfannt werde, 

Die Kirhe. Du weißt, Mutter der Güte, wie nothwendig für 
unfer Heil es ift, das Leben deines Eohnes, in deſſen Leben das Leben 
aller Lebenden begriffen ift, zu erfennen. Nur befürdten wir, es mödt 
die ung jo nöthige Erinnerung hieran in dir die Wunden deines Schmerzes 
erneuern. Wir wünfcten gern, was zu unferem Helle und frommt, aber 
wir möchten nicht, daß der bittere Echmerz des durddringenden Echwertet 
aufs Neue unferthalben dein jungfräuliches und zugleih mütterlides Her 
durchbohre. 

Maria. Freudenvoll ift das Andenken an den Schmerz für men 
Mutterherz, nachdem ich den Sohn lebend gefehen. Nicht Täftig find mir 
daher die Töne des Mitgefühls, die ihr Frommen hören lafjetz vielmehr 
freuen fie mich über Alles, da fie heute zu eurem Heile und zur Ehre 
meined Eohnes dienen. Durch die Gnade meine Sohnes ift meine Na 
tur von allen Leiden befreit (sum . . . impassibilis naturae); denn er, 
der durch feinen Tod der Natur, die er von mir erhielt, Freiheit von 
allen Leiden erwarb, macte auch meine Natur durch fich frei won Leiden. 
So Seid aud ihr, fo lange ihr dieſe fterblihe Natur nicht im Tode ableget, 
den Leiden unterworfen und könnet leiden mit meinem Sohne, durch deflen 
Leiden ihr, die ihr mit ihm leidet, aus dem fterblichen Leibe befreit, zur 
Achnlichkeit mit ihm auferftehen und eine von Leiden befreite Natur an 
nehmen werdet. Das wird der Tod meines Sohnes in euch wirfen, wenn 
ihr als leidend mit ihm erfunden werdet. 

Die Kirche. Wir fehen, Mutter der Güte! daß das Andenken an 
den Tod Jeſu, um mit ihm zu fterben, allen zur Erlangung der Freihelt 
von Leiden nothwendig. ift. 

Mutter. Ganz richtig! denn obwohl mein Eohn nur Einmal ge 
ftorben ift, fo will er doch, daß diefer fein fo bitterer Tod dem Geiſte 
der Gläubigen ſtets gegenwärtig fei, damit fie, mitfterbend mit ihm, ale 


565 


zeit dad Leben verdienen. Wer mit dem Sohne Gottes ftirbt, ber lebt 
mit ihm. Die Genoſſen feines Todes find auch Genoffen feines Troſtes. 
Kein Tod verdient das ewige Leben, außer der Tod des fündenlofen 
Chriftus, von ihm felbft dazu beftimmt, daß er Allen, die mit ihm fterben, 
Theilnahme am Leben verfhaffe. Das ewige Leben, welches ein geiftiges 
ift, belebt Alle, die an ihm Theil nehmen, wie die Gerechtigkeit alle ihre 
Anhänger gerecht macht, und allen verdienftlihen Werten Leben und Ge 
hmad gibt. Denn wie ohne Salz jegliche, auch noch fo Foftbare Epeife 
geihmadlos ift, jo hat mein Sohn, das Salz der Erbe, dem Tode fi 
geweiht, und ift fo das Salz, welches den Tod aller Martyrer falzt und 
ſchmackhaft macht. 

Die Kirche. Sag’ und doch, Mutter der Gnade! wie wir mit dem 
Erlöfer mitleiden und fterben follen. 

Maria. Bor Allem müßt ihr glauben, daß mein Sohn aud der 
Sohn Gottes fei, der dur feinen Tod Jedem, der ihm fi naht und 
durb feften Glauben die inniafte Gemeinfhaft mit ihm eingeht, das 
Leben erworben hat. Denn Alle, die durch ven ftärfiten Glauben mit 
Ihm verbunden find, gehen in die Einheit mit feinem Verdienft über, weil 
fie gläubige Glieder von ihm find; denn es freuen fich die Söhne über 
dad durch das Verdienft ihres Vaters Errungene. Der Glaube muß 
aber lauter (integra) und wahr fein bis zum Tode. Wenn der Eohn 
Gottes bis zum Tode getreu war und durd feinen Tod den Gläubigen 
Befreiung vom ewigen Tode verdient hat, fo geht billig fein Tod auf 
alle Befreite über (mors ejus omnibus liberatis imprimitur), fo daß fie 
dieſes ganz vortreffliche Merk des Glaubens mit innigfter Liebe in frohem 
Andenken behalten. Sie wünfhen daher, den Glauben an ihren Befreier 
auf alle mögliche Weife an den Tag zu legen und halten es für die 
größte Gnade, daß der Tod Chrifti zu feiner Ehre in ihnen ermeuert wird. 

Die Kirche. Das Leiden mit Chriftus muß alfo ein freudiges fein. 

Maria. Allerdings ift ein freimilliges nicht ohne Freude; zwar ift 
dad Fleiſch ſchwach, aber die Bereitwilligkeit des Geiſtes äußert fih in 
Freude. Im dem Leiden meines Sohnes traf die höchſte Freude des Geis 
ſtes mit dem tiefften Schmerz des Körpers zufammen. Der Wille des 
Fleiſches wollte nicht fterben, er fürchtete vielmehr den Tod mehr, als ihn 
je der Mille irgend eines andern Sterbenden fürchtete, weil er die Kennt: 
niß des Todes hatte. Der Wille des Geiftes dagegen hatte die größte 
Sehnſucht nach dem Tode, weil er wußte, daß er dadurch Gott und den 
Mitmenihen wohlgefalle; denn der Sinn, der von diefer Welt ift, findet 
in ihr feine Rube, der Geift aber, der aus dem Himmel ftammt, fann 
mr im Himmel feine Ruhe finden. Da der Geift, der dem Sinne das 
edle Princip des Lebens gibt, durch feine Trennung vom Körper den Tod 


566 


des Körpers verurfacht, weil er diefem feine Freude, das Leben entzieht, 
fo ift das Sinhenleben traurig, der Geift aber freut fich, der durch dielen 
Tod in fein Leben eingeht. Weil nun nur Diejenigen, in welchen der 
Beift des Sohnes Gottes, des Siegers über den Tod, ift, ſichet wiflen, 
daß ihr Geift vom Tode ind Leben übergehe, jo ift der Tod, mit Aus 
nahme Derer, welche eine Bürgichaft ihrer Gewißheit haben, für ale 
Andern etwas Bittered. 

Die Kirche. Mas führt und zur Erinnerung an den Tod Jelu? 

Maria. Ale Einribtungen der Kirche: Taufe, Abendmahl und 
die übrigen Sacramente, welde den Tod Ehrifti ald Verdienſt und Kraft 
in fih haben, Echriften, Gemälde, das Bildniß des Gefreuzigten in allen 
Kirchen, an Sceidewegen, in Bethäufern, die Leidendgefchichte und die 
lebendige Rede des Mredigerd, der irgend ein finnliches Bild auf die 
geiftigen Begriffe der Seele überträgt, wodurd er die Kraft ded Verdieuſtes 
Ghrifti einfhärft und die Seele zur Ehre des Erlöſers entflammt und 
Chriſtus ähnlich macht, fo daß ihr das Andenken an die Liebe des & 
freuzigten erfreulich ift. 

Die Kirhe. Damit nun in und diefed Andenken gemedt wert, 
predige uns, Johannes! und präge uns unter deiner Leitung das Bild is 
Gefreuzigten ein. Wir brennen vor Begierde, das Worts des Heilt 
zu bören. 

Maria. So rede denn, geliebter Johanned! 

Sobannesd. Gebiete, Mutter! was ich reden ſoll. 

Maria. Sprid zuerft von dem Geheimniffe des Kreuzes, damit 
die Erzählung anziehender werde! 

Johannes. Du haft mit wenigen Worten alle Geheimnife 
des Kreuzes berührt, befte Mutter! Weil du aber eine Wiederholung 
wünſcheſt, fo gehorhe ich willig. Leite du mich, Mutter des fleildge 
wordenen Wortes, und belle mir dad Dunkle auf! So wiſſet denn, ib 
Gläubigen! Doppelt ift das Neih der vernünftigen Natur, die allein 
regiert, weil fie den freien Willen bat. Das eine ift das Reich dieler 
Welt, das im Argen liegt, weil der böfe Feind ed beherrſcht; dad 
andere ift dad Himmelreih, das auf diefer Welt unbefannt war, um 
erft durch Chriftus verkündet worden if. In jenem ift dieſe Wil 
das Ziel aller Religion und Tugend; es iſt das zeitliche Leben; in 
diefem ift Gott das Ziel, und das Leben ft ein ewiges. In jenem 
wird nur Sinnlihe® und ſinnliche Genüffe verfprochen, in dieſem nur 
Geiftiges und geiftige Genüffe. Das vom Himmelreih kommende, fleiit‘ 
gewordene Wort hat geoffenbart, was der Welt gang unbefannt war, 
daß das Ziel und die Glüdjeligkeit des Geiftes nit in den Genüflen 
diefer Welt, fondern in den Freuden des himmlischen Paradieſes liege, 


567 


daß das Reich dieſer Welt in Vergleich mit dem himmlifchen gänzliche 
Knechtſchaft und Elend fei, weil diefe Welt und jenes Reich fih unters 
jheide wie Sichtbares und Unſichtbares, wie Zeitlihes und Ewiges. 
Das war etwas Neues und vorher Unerhörted für das ganze Menfchen- 
geſchlecht. Um es zu faſſen, fügte der göttliche Lehrer mehrere Ermah— 
nungen bei: man folle diefe Welt und was in ihr ift, nicht lieben, weil 
ihre Güter nur Scheingüter feien, ohne ale Wahrheit und ewige Dauer, 
die Güter des Himmelreiches dagegen feien ewig und wahr, und gewäh— 
ren eine ewige Freude und Glüdieligfeit. Weil die Welt die Botſchaft 
nicht faffen fonnte ald etwas Geiftiges, das fie nicht fah und hörte, fo 
wollte er aus Mitleid etwas feftießen, wodurch dieſelbe erfaßt würde. 
Gr lehrte daher, der Glaube umfafje Alles, er fei vom Himmel gefom- 
men und erzähle, was er dort bei feinem Vater gefehen habe, ihm müffe 
man glauben, weil er die Wahrheit fei, der Sohn oder dad Wort des 
Vaters. In Kraft und Macht erwies er ſich ald Gott, ald Sohn Gottes, 
durch Wunder, die über die menfchliche Kraft hinaus gehen. Er fagte: 
„wenn ihr mir nicht glaubet, fo glaubet den Werfen, die der Vater, der 
in mir ift und mich zu euch gefandt hat, zu eurem Heile wirket“; er 
lehrte, dem Glaubenden fei nichts unmöglich, denn wer Gott (Deo) glaube, 
fönne unmöglich getäufcht werden, da Gott wahrhaftig und getreu in feinen 
Berheißungen if. Daß er jelbft das Leben gebe, bewies er durch die 
Auferweckung von Todten, befonderd des Lazarus, wobei er verfprac, 
er werde Denen, die an ihn glauben, dad ewige Leben geben, da er das 
Wort Gottes fei, durch weldes Gott Alles im Himmel und auf Erden 
gemabt hat. Da er demnach die Kunft und Wiſſenſchaft des allmächti— 
gen Gottes ift, fo dürfen wir nicht zweifeln, daß er jened (meue) Leben in 
den Gläubigen hervorbringen fann. Er lehrte: wie das finnliche Leben durch 
die Aufuahme von Speis und Tranf, fo beiteht das geiftige Leben durch eine 
geiftige Nahrung — die Weisheit. Die Weisheit ift das Leben der Vernunft. 
Er ſelbſt nannte ſich diefe Weisheit oder das Wort des Alles belebenden 
Vaters. Das glüdfelige Leben befteht daher nach der Lehre Jeſu in der 
Erfenntniß Gotted und feines Wortes; nur das Wort, der Sohn ers 
fennt den Vater, und wem es der Eohn offenbart, gleihwie Niemand 
die Weisheit eines Gelehrten erfennt, außer deſſen geiftiger Gedanke oder 
Wort. Wenn dann diefer von dem Gelehrten gezeugte Gedanke oder 
Wort fih in einen finnlih wahrnehmbaren Laut einhüllt, fo offenbart 
diefer feinen Vater. Das ganze Streben Ehrifti ging dahin, den Men— 
hen vom finnlihen Vergnügen zum Koften jener Eüßigfeit, welche ber 
Geiſt im Erfafjen der belebenden Wahrheit empfindet, Hinzuführen; 
er ſchloß daher den Sinn der hl. Schrift auf, die unter dem Buch- 


968 


ftaben den Geift der Wahrheit verbirgt, der die unfterblibe Nahrung 
der Seele ift. Irrthum, der zum geiftigen Tode hinführt, entfteht (ans 
der bi. Schrift) nur für Die, welde bei der Oberflähe und Rinde 
ftehen bleiben; für das geiftige Verftändnig ift fie Wahrheit und Süßig— 
feit. Niemand fann von dem Irrthum, der in diefer Welt, fern von der 
Wahrheit herrfcht, befreit werben, ald durch die Aufnahme feines Wortes 
ald des Wortes ded Sohnes Gottes, der zur Erleuchtung der Finfternif 
dDiefer Welt von Gott gefandt if. Der Geift des Irrthums, der das 
Menfhengefhlecht gefangen hielt, der Geift der geiftigen Finfterniß kann 
nur dur das geiftige Licht des Wortes Gottes verbannt werden. Nur 
das Wort Gottes hat die Kraft, jenen Tod, der in der Verfinfterung 
des Geiftes befteht, dur die Offenbarung feiner felbft und des Vaters 
zu entfernen. Denn die Selbftoffenbarung des Lichted aus der Duelle 
der Wahrheit verfheucht aus der Vernunft die todbringende Finfterniß 
der Unwiffenheit, wie das Sonnenlicht die phyſiſche Finfterniß vertreibt. 
Der Unterihied ift nur der, daß die Erleuchtung, die den Geift belebt, 
bleibend ift, weil fie den Geift in fih verwandelt, wie die Weisheit oder 
das ſchmackhafte Wiffen die Seele, der fie eine ſchmackhafte Nahrung be 
reitet, in fi verwandelt, nicht bloß zeitlih, denn fie gibt der Seele 
eine Nahrung, die nicht vergeht. Durch die Kraft diefer Nahrung ge 
winnt der Geift immer mehr Stärfe und Leben, fie gewährt fomit Um 
fterblichfeit. Anders ift es bei der zeitlichen, finnlihen Nahrung, weß— 
halb die thieriſche Natur altert und zulegt ftirbt. Da aber die menſch— 
libe Natur wegen ihrer Beflediheit durch die Erbfünde und durch lange 
Gewohnheit zur Wertreibung des Geiſtes ded Irrthums aus feiner alten 
Gewohnheit nicht fühig ift, da fie der Gerechtigkeit ermangelt, weldye allein 
den Geift gerecht und für jene unfterblihe Seligfeit fähig macht, (in cin 
böjes Herz dringt der Geiſt der Weisheit nicht ein), fo ward Chriſtus, 
um feine Sendung vollfommen zu erfüllen, der Reiniger unferer Seelen 
durch das Verdienft feined Todes, damit er den fo Gereinigten die Gr 
meinjchaft mit feinem göttliden Leben mittheilen fonnte. Zur Erlangung 
diefer Reinigung, welde in der Abwaſchung der Sünden und geiftigen 
Flecken befteht, erklärte er e8 für nothwendig, daß der Geift fih aud bie 
zu vorbereite und fähig made. Diefe Vorbereitung befteht in feiner Nach⸗ 
ahmung, in der Betrachtung der Tugenden, welde Chriſtus durch fein 
Wort lehrte und dur die That übte, und in der Nachahmung berjelben, 
nämlih der Sanftmuth, Demuth, Geduld, Wahrheit, Barmberzigfeit, 
Friede, Glaube, Liebe, Gerechtigkeit und den übrigen Früchten des Geiſtes. 
Wenn jo Wille und Geiſt fih dem Willen Chrifti ähnlich macht, und 
dies in tugendhaften Werfen zeigt, dann bereitet er ſich zur Aufnahme 
des Verdienſtes der Erlöfung und zur Einheit mit dem Geifte des Lebens 


569 


Ehrifti vor. Die Tugenden der Abtödtung (virtutes mortales) machen 
dad Gemüth, in dem fie fich bleibend niederlaffen, zur Aufnahme des uns 
fterblihen Lebens fühle. Denn wenn der Geift zu einem foldhen Gehors 
fam gelangt, daß in ihm nur die Kraft und der Wille Gottes herrict, 
und der eigene Wille, der Wille des Fleiihes und diefer Welt ganz ers 
tödtet ift, dann ift er zum Leben des göttlichen Geiftes fähig. Wer fo 
zum Geifte gelangt, beobachtet die Gebote Gottes in Gottes⸗ und Nädhitens 
liebe, und zieht die Liebe Gottes und des Nächften feinem eigenen zeit 
lien Leben vor. Der göttliche Geift wohnt beftändig in ihm. Um diefe 
Beweile feiner Gottes- und Menfchenliebe an fich ſelbſt darzuthun, wählte 
er, der Unfchuldige, den Tod, um zu zeigen fowohl feine große Liebe zu 
Gott, da er aus Gehorfam gegen ihn fterben wollte, ald auch feine große 
Liebe zu den Menſchen, für deren Heil er blutete. So find denn alle 
göttlichen Geheimniffe in der Kreuzigung des unfchuldigen Ehriftus ents 
halten. So jehr muß man Gott mit aller Kraft der Seele lieben, daß 
man Alles, ja das Leben felbft zur Offenbarung feiner Herrlichkeit für 
nicht hält. So ſehr muß man das Seelenheil des Nebenmenſchen lieben, 
daß man den fchmäplichiten zeitlichen Tod gegen ein fo großes Gut für 
nichts halten fol. Der Tod des unfchuldigen Ehriftus erwarb das ewige 
Leben, und mit Recht, da er aus reiner Liebe zu Gott und den Menfchen, 
nicht um eine Sünde, von der er ganz frei war, abzubüßen, gelitten hat. 
AUS fein Leiden herannahete, erflärte er, daß er fich ſelbſt heilige oder 
opfere für feine Apoftel und alle Gläubigen, und daß der Fürft diefer 
Welt, der die Menfchen beherrfchte, hinausgeftoßen werde. 

Dffenbar follte nun werden die unendliche Liebe des Vaters, der den 
Menfhen erfhuf, um ihm feine Herrlichkeit zu zeigen und feines eigenen 
Sohnes nicht fchonte, fondern ihn für die Befreiung der Menfchheit da- 
bingab. Dffenbaren follte fih nun auch die unendliche Liebe des Sohnes, 
der fich felbft für die Menſchen dahingab und fich jo als den Sohn Gottes 
bewies. So ward dem Menfhenfohn Gewalt über das Leben gegeben, 
wegen des Verdienſts feiner Liebe in der Hingabe feines Lebens. In 
diefem Tode, der Wirkung reiner Liebe, wurde Chriſto das ewige Leben 
ald Berdienft gegeben, weldes alle förperlich und geiftig Todten, die durch 
Glauben und Tugend dazu fähig find, ewig beleben fannz wie wenn Gott 
Jemanden diefe fihtbare Sonne als Verdienſt gäbe, fo hätte diefer die 
Macht, jede finnliche, für Licht und Leben empfängliche Natur zu erleuch- 
ten und zu beleben. Chriftus hat alfo dus Leben des Geiftes in feiner 
Macht, ald rechtmäßiger Vefiger und Erbe des Reich des Lebens: er allein 
hat das Gefeg erfüllt, weldes das Leben verheißt, fowie auch Chriſtus 
jelbft im Geſetze verheißen war. Gott und den Nächten fo vollfommen, 
als das Geſetz es befichlt, lieben fonnte nur der Sohn Gottes, welder 


970 


den Vater und das ewige Leben erfennt. Daher ift der Meſſias im Ge⸗ 
fege verheißen und die Propheten verfündeten ihn; Chriſtus ift fomit 
der Beift des Geſetzes. Weil nun das Geſetz dem Beobachter desielben 
das Leben verfpricht, fo ift Chriftus Derjenige, dem das Reich des Lebens 
veriprocen if. Durch feinen Tod offenbarte Chriftus eine folche Lich 
Gotted und des Nächften, wie feine größere möglich war. Wie er jr 
mit alle nur mögliche Liebe in fih fchließt, fo auch alle Gefegeserfülung; 
er ift theilhaftig aller auf diefe gefegten Verheißungen. Er ift der Bräw 
tigam, der die Braut und alle geiftige Wonne hat. Wie daher kin 
Seele gerecht fein fann, ohne die gerechtmachende Gerechtigkeit, jo aus 
nicht Icbendig, ohne das belebende Leben. (Gerechtigkeit ift nichts Anderd 
als Belebung.) Chriftus ift durch das Verdienft feines Todes die ge 
rehtmadende Gerechtigkeit und das belebenve Leben aller Gläubigen, bie 
ChHriftus ähnlich find. Die daher im Lichte wandeln, wie er, dieje reinigt 
fein Blut von allen Sünden, fie find Fremde, für die er geftorben, für 
deren Heil er fih in den Tod hingegeben hat. 

Keiner kann durch feinen Tod fich felbft reinigen, weil Keiner fd 
felbft das Leben gegeben hat. Kein Todter fann fi felbft aufenweden, 
fein Heil bewirken und fih neufhaffen; denn fein todter Sünder hat e— 
was, wodurd er Das Leben verdiene. Niemand kann in Wahrheit von 
fih fagen, er fei ohne Sünde; wer es fagt, ift ein Lügner. Daher madı 
nur der Tod des unſchuldigen Ehriftus, der ſich felbit für und an's Kreu 
gegeben, Diejenigen, welche in ihm bleiben und wie er wandeln, geredit. 
In Chriftus belehrt uns die volllommene im Tode erprobte Xiebe, daß 
Die; fo in der Liebe bleiben und ihm nachfolgen, Söhne Gottes find, 
hier in der Hoffnung, nad dem Tode in der Wirflichfeit, weil wir ihm 
ähnlich fein werden. Die Geheimniffe des Todes Chriſti lehren un, 
daß die Gebote Gottes, nämlich die Liebe Gottes und die diefer ähnliche 
Liebe des Nächſten erfüllt werden müffen, wenn die Liebe vollfommen fen 
foll, und daß der, welcher fie befolgt, nicht weit vom Himmelreih enl 
fernt, fondern auf dem Wege dahin wandelt, weil er Chriſtus nachahmt, 
der zu dieſem Reiche führt. Niemand hat je das Geſetz, das in ver fick 
befteht, erfüllt, außer Chriftus, der nicht Fam, das Gejeg aufzuheben, 
fondern es zu erfüllen. Das ift alfo die vollfommene Liebe, die im To 
Ehrifti fich gezeigt hat; fie verbient das Reich des ewigen Lebens. Un 
da Niemand zu diefer vollfommenen Liebe fih erheben kann, da es Nie 
mand gibt, der etwas Gutes thut, das nicht durch etwas Beſſeres üben 
troffen würde, mit Ausnahme des Einen, Chriftus, fo ift er es allein 
der vollendet und ergänzt, was Allen fehlt: aud feiner Fülle em 
pfangen Alle, Und weil das Verdienft des Leidens das (ewige) Lebe 
mit feinen Schägen ift, darım werben dürch das Geheimniß ded Kreuze 


571 
nothwendig Alle gerettet, die gerettet werben. “Daher gab ich im apoftos 
lifhen Symbolum an, daß Chriftus für und gefreuzigt worven if. 

Maria. Sage nun, Johannes! wie das Leben in den Gläubigen, 
die meinem Sohne folgen, bleibt. 

Johannes. Das ewige Leben ift das Reich des Vaters, welches 
der Vater dem Sohne übergeben hat, es ift das lebendige Licht der Weis- 
heit oder die Liebe: wer im Sohne bleibt, bleibt in dem Lichte oder im 
Leben des Baterd, Die Verheißung lautet: „wer in der Liebe bleibt, 
der bleibt in Gott.” Wer in der lebendigen Kraft der Liebe Ehrifti bleibt, 
bleibt in Chriftus. Chriftus ift aber der Sohn des Vaters: wer in Ehriftus 
bleibt, ift alfo Sohn Gottes dur die Geftalt Chrifti, in der er bleibt. 
Er if daher auh im Vater, weil der Sohn im Vater, und der Bater 
it in ihm, weil der Bater im Sohne tft. Und das ift Dad ewige Leben. 
Wer den Sohn befennt, befennt aud den Vater; wer den Sohn läugnet, 
läugnet auch den Vater. Nur der lebendige Glaube aber ift jenes Bes 
fenntniß, welches das ewige Leben verſchafft; denn die Liebe, welche den 
Glauben belebt, ift die Liebe Ehrifti und ift allein als das belebende 
Princip vollfommen. 

So willen wir denn, um diefe Erörterung zu fchließen, daß der 
Sohn Gottes gekommen ift und Fleifh angenommen hat, für und ges 
forben und für uns auferftanden ift, daß er und zu fich genommen, und 
und den Sinn für die Erfenntniß ded wahren Gottes eröffnet hat, fo 
daß wir in feinem wahrhaften Eohne, Jeſus Chriftus, leben, welcher 
wahrer Gott ift und das ewige Leben. i 

Maria. Du baft nun, geliebter Johannes! die Urfache der Ans 
funft meines Sohnes im Fleifche binlänglich erörtert, daß fein Kreuzed- 
tod ihn verherrlicht, und daß er es ift, der im Gefege und den Prophes 
ten verheißen ift, in dem Alle gefegnet und belebt werden; daß er durch 
feinen Tod der Alles verföhnende und Alles vollendende Mittler ift, die 
Gerechtigkeit Sottes undderMenfden: die Gerechtigkeit Gottes 
des Vaters, denn alle feine Verheißungen find in ihm erfüllt; er bewies die 
Gerechtigkeit, Treue und Wahrhaftigkeit des Waters; die Gerechtigkeit der 
Menſchen, welche alle durch feine Gerechtigkeit gerecht find. Und dieſe 
Gerechtigkeit ift durch den Kreuzestod vollfommen ind Werk geſetzt (con- 
summata). Doch, wie er zu diefem Tode fam, wünſcht das gläubige 
Volf von Dir noch zu hören, Johannes! 

Johannes. Was ich fah und noch im Gedächtniß habe, will 
ih auf Deine Aufforderung, Mutter der Barmherzigkeit! erzählen. Ich 
befürchte aber fehr, meine Grzählung möchte fälter ald die Wärme 
der Liebe des leidenden Chriftus und ſchwächer als die Bosheit feiner Wis 


572 


derſacher — deinem lebhaften Wunſche und dem Heile des hörbegierigen 
Volkes nicht genügen, wenn nicht deine Liebe fie ergänzt. 

Maria. Ich ſtehe dir bei und unterftüge dich. 

Johannes Ich bitte nun vor Allem meine Zuhörer, feit zu 
glauben, daß Ehriftus, der Geſandte der Liebe, alles Vorberbeftimmte 
fo vollfommen ausgeführt bat, daß es nicht beffer hätte gefchehen Fönnen. 
War ed demnah die Abficht des Waters, daß der Sohn dur feinen 
Tod das Menichengefchlecht vom Tode befreie, fo unterzog fih der Sohn 
einem folden Tode, der durch die Heftigfeit ded Schmerzes die Todes 
ftrafe aller zu Befreienden in fi faßte, fo daß Jeder, der durch die Ueber— 
tretung des Gefeges oder den Ungehorfam mit Recht den Tod verdiente, 
im Tode Chriſti Genugthuung leiftete, wenn er aud die Höllenftrafen 
verdient hätte, Die Heftigfeit des Schmerzes Ehrifti, der unfere Schmerzen 
trug, dad Todesurtheil auf fih nahm und die Handidrift an's Kreuz 
heftete, war fo groß, daß nur die vollfommenfte Liebe, die nur der Sohn 
Gottes haben Fonnte, fie zu ertragen im Stande war. Jede erdenkliche 
Strafe ift daher Fleiner, als die Genugthuung leiftende Strafe, die Chri— 
ftu8 gelitten hat. Denn er fannte den Tod und alle Strafen Aller, die 
Strafe leiden können; feiner leiblichen Natur nach hatte er einen fo edlen 
Körper, daß diefer ftärfer, als jeder andere, das Leiden empfand. Er 
litt eine Art von Strafe, die die empfindlichfte, fhmählichfte und ſchimpf— 
lichſte war nach Ort und Zeit, fowie dur die Anwefenheit aller Derer, die 
zur Erhöhung des Schmerzes als Zufchauer verfammelt waren. Kurz: 
alles Mögliche vereinigte ib, um den Schmerz zu erhöhen, fo daß es 
ein vollendeter (consummata) Tod war: fein Mitleid, fein Erbarmen 
bei den Juden, bei ihren Dienern und den Henferöfnehten! Jeſaias 
hatte das Alles von ihm vorhergefagtz; er nennt ihn ven Mann der äus 
Berften Schmerzen, der da kennt unfere Schwäche, unfhuldig unfere Sün— 
den auf fih nimmt. Das mögen alfo die Zuhörer im Glauben feithalten, 
damit fie einfehen, daß die Größe der Strafe fich nicht in Worten ſchil— 
dern laffe; und wollte fie der Eine fo, der Andere anders bejchreiben, 
fo fehleten fie nicht darin, daß fie zu viel, fondern ſtets zu wenig da— 
rüber fagten. 

Marta. Ganz richtig, Johannes! Mie könnte mein Mitleiven 
über das Leiden meined Sohnes durch einen Andern gefcildert werden, 
da ich felbft es nicht fchildern konnte! Es genüge daher, daß Jeder 
nach feiner Verehrung und Liebe zu meinem Sohne fih eine dem bei 
tigften Leiden fo ſehr ald möglich entſprechende Vorftellung mache. Fahte 
nun fort! 

Sohannes. Beginnen wir alfo damit, daß die wunderbare Auf: 
erwedung des Lazarus durch Jeſus nahe bei Zerufalem, vier Tage nad 


973 


dem Tode, wobei Jeſus laut rief: „Lazarus, fomm heraus!“ die Juden 
dergeftalt beunrubigte, daß fie an die Tödtung Ehrifti dachten. Denn fie 
hatten wohl bemerft, daß Viele mit dem Glauben (vom Grabe) wegs 
gingen, Chriſtus fei der Sohn Gotted oder der Meſſias. Da fie ter 
Ueberzeugung nicht Raum geben fonnten, er fei Gott, fo ſchrieben fie Die 
Macht, die Chriftus bewies, der Magie und dem Teufel zu. Sie hielten 
nun einen Rath, in weldhem auf den Vortrag des Hoheprieſters Kaiphas, 
ed ſei gut, daß Ein Menſch für das Wolf fterbe, damit nit Alle zu 
Grunde gehen, der Beihluß gefaßt wurde, Chriſtus follte bei pafjender 
Gelegenheit in Zerufalem fterben, Siehe da das wunderbare Geheimniß! 
Chriſtus ſollte fterben, damit er verherrlicht würde, und verberrlicht in der 
Erhöhung am Kreuze Alled an fich ziehe! Die Juden aber, welde fein 
Andenken von der Erde vertilgen wollt:n, glaubten, der Rath des Kais 
phas fei ihrem Vorhaben fürderlih, und vollzogen ihn. Chriftus wollte 
fterben, allein in der Weile, daß er als ein Verurtheilter fterbe, weil, 
wenn der Gerechte ald ein Verurtheilter ftarb, der Satan alles Redt, 
das er ſich über die Kinder Adam's angemaßt, verlor; denn indem er 
gegen die Gerechtigfeit ſelbſt fündigte, verlor er allen Rechtsanſpruch, wie 
der Mißbrauch den Verluft des Privilegiums nad fih zieht. Chriftus 
ließ did Alles geſchehen, weil es feinem Vorhaben nicht entgegen war; 
im Gegentheile, es mußte fo fommen, damit er von Juden und Heiden 
Gott zum Dpfer für alles Volk dargebracht würde, wie Kaiphas geweil- 
jagt hatte, damit nicht das ganze Volk zu Grunde gehe. Wie wunders 
bar! Sie wollten von aller Täuſchung befreit fein, deßhalb opferten fie 
Chriftus, und fiehe! das Volk erlangte eben dadurd Befreiung von den 
Täuſchungen des Fürften diefer Welt. Der Satan täufchte ſich felbft: 
er leitete ed ein, daß Chriftus fterbe, damit er feine Herrihaft nicht 
verliere, und eben dadurch verlor er fte. 

Sodann ereignete fih ein anderer Vorfall, der Judas zum Verrathe 
beitimmte. Sechs Tage vor dem Ofterfefte war nämlich Jeſus nad Bes 
thanien gefommen. Als nun Lazarus mit ihm zu Tiihe faß und Mehr 
tere, um Lazarus zu fehen, gefommen waren, bradte Maria Magdalena 
eine foftbare Salbe von ächtem Nardenöle, zerbrach das Alabaftergefäß, in 
dem ed aufbewahrt war, und goß das Del über das Haupt Jeſu. Der 
Wohlgeruch verbreitete fih durdb das ganze Haus. Auf Antrieb des 
Judas drüdten nun die Jünger des Herrn ihren Unwillen über das Vers 
ſchwenden einer fo Foftbaren Salbe aus: fie hätte um einen hohen ‘Preis 
zum Beften der Armen verfauft werden können. So beredete fie Judas, 
damit die Jünger von den Armen redeten, wiewohl er an dieſe nicht 
dachte; er war ein Dieb und hätte von dem Erlöfe einen Theil für fi 
behalten (er führte nämlich den Beutel). Er berechnete, daß er als 


574 


zehnten Theil des ganzen (projectirten) Erlöfes (von 300 Denaren) 
dreißig Eilberlinge gewonnen hätte, und beichloß daher Ehriftus den 
Juden um diefe dreißig Silberlinge zu verfaufen. Mas Chriftus zur 
Rechtfertigung feined und der Magdalena Verfahrens fagte, ift euch wohl 
befannt. As nun am andern Tage Chriftus, als König und Hobe 
priefter fein Bolf zu befuchen, auf einer Efelin nach Serufalem fam, und 
die Jünger fammt den Schaaren ded Wolf und den Kindern der He 
räer ihm ald dem Sohne Gottes ihre Verehrung bezeuaten, nahlen fid 
die Pharijäer, unwillig hierüber, Ehriftus und verlangten von ihm, er 
möge feinen Jüngern und den Uebrigen dieſe Lobpreifungen verbieten. 
Ehriftus aber antwortete ihnen: „wenn diefe fehwiegen, fo würden die 
Steine fehreien.” Im Eifer für das Haus des Herrn vertrieb er nun 
die Wechsler aus dem Tempel, heilte viele Kranfe und fehrte nad Br 
thanien zurück. Died fteigerte den Haß der Schriftgelehrten und Phari— 
fäer gegen ihn. Als er am andern Tage früh Morgens in den Tempel 
zurüdfehrte, vwerfuchten fie ihn durch Herbeiführen der Ehebrecerin.‘) 
Den Apofteln, die ihm meldeten, es feien Heiden ) zum Feſte gekommen, 
die ihm zu fehen wünſchten, fagte er: die Stunde der Verherrlichung ſei 
da, der Vater im Himmel habe die bezeugt; er müſſe jetzt verhertlich 
werden, wobei er das Gleihnig vom Weizenforne gebraudte, dad, wenn 
es erftirbt, viele Krucht bringt. Wenn er von der Erde erhöht fein werde, 
werde er Alles an fich ziehen. Abends fehrte er wieder nach Bethanien 
zurüd. Das Haus des Lazarus und feiner Schweftern ftand nämlich am 
Fuße des Delbergs, 15 Stadien oder ungefähr 2 Meilen von Jeruſalem 
entfernt. 

Maria. Laß mich die Verherrlihung, von der mein Sohn ge 
ſprochen, den zuhörenden Heiden erklären! 

Was die Seele glüdjelig macht, ift die Weisheit oder das ſchmad— 
hafte Wiffen. Die höchfte Glückſeligkeit befteht daher in der Erkenntniß 
des Beten, d. i. Gottes und feines Gefandten, meines Sohnes. Herr 
lichkeit Celaritas) ift ein klares Erkennen, ein ſolches, das mit Lobprei- 
fung verbunden ift.?) Kenntniß Gottes und feines Sohnes, die zur Lob 
preifung antreibt, ift eben das, was Chriftus offenbaren wollte. Haupt 
fächlih hat er dies durch feinen Tod vollbracht, wo die Liebe, die Gott 
ift, jene Kenntniß Gottes offen dargelegt hat. Dort hat der Sohn den 
Bater verherrlicht, denn aus Gehorfam gegen ihn ift er geftorben, um 
der Vater hat den Sohn verherrlicht, der die große Kraft, in einen fol 


1) Die Begebenheit mit der Ehebrecherin fällt nach Joh. c. 8 in eine frühere Zeit. 

2) vgl. Joh. 12, 20. 

3) Im Texte iſt noch beigeſetzt: et dieitur gloria a claritate, was ſich im Deutſchen 
nicht gut wiedergeben laͤßt. 


575 


hen Tod aus Liebe zu gehen, nicht gehabt hätte, wäre er nicht der Sohn 
Gottes und der Liebe, die Gott iſt, gewefen! 

Die Kirbe. Dank fei dir, Jungfrau der Jungfrauen, die du 
gemäß deinem Namen Maria und erleuchtet haft! Erleuchte und weiter 
auch darüber, in wiefern das ewige Leben in der Erfenntniß beiteht. 

Maria. Die vernünftige Natur erfennt oder verfteht. Das Ver— 
ſtehen (intelligere) ift ein innerlices Lefen oder Eammeln (intelligere 
est intus legere seu colligere). Wenn die vernünftige Natur das Kör— 
perlie verfteht, fo fammelt fie die Körper nicht in fih, weil diefe nicht 
in den Geift eingehen (illabi spiritum) fünnen. Das Verftehen iſt Sache 
der geiftigen (spiritualis) Natur. So, wenn die Vernunft die Wärme 
verficht, fo wird fie deßhalb nicht warm; fie verändert fich dadurd nicht, 
wie fih der Sinn verändert, wenn er empfindet, weil fie das Körpers 
lihe nicht in fih jammelt; fondern fie macht fih ein Bild, eine Vor—⸗ 
ftelung nach Aehnlichfeit des Körperliben, und durch dieſe verfteht fie 
dad Körperlibe. Hingegen beim Verſtehen der göttliden Dinge, die 
geiftiger Natur (spiritualia) find und in die vernünftige Natur eindringen 
(illabi) können, hat fie diejelben in fi und fammelt fi. Daher vers 
teht die Vernunft die göttlihe Weisheit nicht dur Bilder oder Aehn— 
lihfeiten, fondern dur diefe felbft, weil fie die Weisheit in fi findet; 
hätte fie die Weisheit nicht in fi, fo könnte fie diefelbe nicht verftehen. 
Eben dadurch, daß fie verfteht, iſt fie weile. Das Gleiche gilt vom 
Leben, von der Liebe, von allen göttlichen Tugenden. Eben dadurch, 
dag die Vernunft das göttliche Leben erfennt, hat fie dieſes Leben in 
fh; indem fie das Leben verfteht, lebt fie. Sie hat alfo Gott in 
fih, indem fie ihnerkennt. Sie bat Chriſtus, indem fie 
die Wahrheit erfennt, denn er ift die Wahrheit. Sie hat 
die Liebe, die die lebendige göttlihe Wärme ift, indem fie die Liebe 
verfteht. Gott und feinen Sohn erfennen heißt fomit alles Wünſchens— 
werthe beſſer, als es fih denken läßt, in fih haben. Das ift die Glück— 
ſeligkeit; wer fie nicht befigt, fann fie nicht begreifen und verftehen. 

Die Kirche. Mit Recht heißeft du Maria die Mutter des Lichs 
tes, das die Gläubigen erleuchtet. 

Marta. Johannes möge nun feine Erzählung fortfegen. 

Johannes Am dritten Wocentage kehrte er wieder in den Tems 
pel zurüd, wo die Oberpriefter ihn fragten, aus welcher Macht er diefes 
thue. Indem er eine Gegenfrage an fie richtete, auf die fie micht ants 
worteten, ließ auch er ihre Brage unbeantwortet.) Er erzählte dann 
mehrere PBarabeln: von den zwei Söhnen, von denen der Eine dem Bes 


1) Matth. 21, 23—28. Marc, 11, 27—33. 


576 


fehle, In den Weinberg zu gehen, zwar mit Worten fich wlderſetzte, thats 
ſächlich aber Folge Teiftete, während der Andere entgegengefeht verfuhr,‘) 
dann die Parabel von den MWeingärtnern,?) durd die er fagen wolke, 
er wife wohl, daß fie den Sohn und Erben tödten wollen, um fein 
Erbe an fih zu ziehen. Jene begriffen aber nicht, daß durd den Tod 
des Sohned und Erben viele Miterben entftanden. Er fprad aud von 
den zum Hochzeitmahle Geladenen.”) Hierauf nahten ſich ihm die Pha— 
rijäer mit der Frage, ob die Römer von ihnen Tribut beziehen dürften. 
Er zeigte ihnen eine Münze und antwortete ihnen, fie follten fowohl 
Gottes, ald des Kaiferd Recht unverfehrt laffen. Dann erklärte er ihnen 
das größte Gebot und die Liebe des Nächſten; der Samariter ſei der 
Nächte geweien, womit er jagen wollte, der fei unter Allen der abjolut 
Nächte, der vom Tode der Seele befreit. Damit bezeichnete er fih al 
den (wahren) Samariter. Er gab auch Aufſchluß über Chriftus, den 
David feinen Herrn nennt. Sodann tadelte er die Phariſäer wegen fal 
fcher Lehre, Ehrgeiz, Graufamfeit, Heucelei, Habſucht und Hodmuth, 
Beim Hinausgehen aus dem Tempel fagte er zu ihnen: „Ahr werde 
mich nicht mehr fehen, bis man ruft: Gepriefen, der da fommt im Na 
men ded Herrn!” Als man ihn draußen auf den herrlichen Tempelbau 
aufmerffam machte, fagte er voraus, es werde ein Tag der Zeritörung 
fommen, an dem fein Stein auf dem andern bleiben wird. Auf der 
Rückkehr nah Berhanien fagte er zu den Apofteln: „Ihr wißt, daß nad 
zwei Tagen Dftern ift und der Menfchenfohn verrathen wird.“ *) 
(Exec. X, 660—667.) 


Dialog über die Auferftebung Chriſti. 


Damit wir die Süßigkeit diefes Geheimniffes (der Auferftehung) 
einigermaßen faffen und uns geiftig erweden, jo laßt uns in dieſer din 
mernden Morgenftunde des hohen Feſtes Maria Magdalena, die voll 
Trauer, Liebe und Mitleid ift, anreden und fprechen: 


1) Matth. 21, 28—31. 

2) Matıh. 21, 33 ff. 

3) Matth. 22, 1 ff. 

4) Der Dialog bricht bier im Terte ab, der und ſtatt eines paflenden Sälnfet 
nur noch die kritiſche Bemerfung gibt: „Obwohl andere Gefchichtsangaben von Pilatıt 
erzählen, er habe fich felbft entleibt, fo bemerft doch Tertullian in feinem Apologe 
ticus, er fei ein Chrift geworden und habe Tod, Auferftehung und Himmelfahrt Ehrift 
dem Tiberiud berichte. Die Worte Tertullians lauten: Pilatus, in feinem Inner 
Chriſt, erftattete dem damaligen Kaifer Tiberius einen Bericht über Chriftus.“ 





977 


Der Chriſt. Sag’ und Maria, warum haft du dich mit Maria 
(ded Joſephs) dem Grabe gegenüber gelegt? 

Maria. Den Schatz meines Herzens, den die Treulofen mir ent- 
zogen haben, wollte ih im Tode nicht verlaffen, ihn, den ich immer fo 
fehr liebte. So fegte ih mid denn, das traurigfte aller Weiber, voll 
Detrübniß nieder, um wenigftend den Ort zu fehen, in den fie meinen 
Geliebten verborgen. Ich durfte nicht näher binzutreten, daher fegte ich 
mid dem Grabe gegenüber. Wenigftend von ferne jollte die Sehnſucht 
nah meinem Erlöfer mich erquiden. Ich Unglücklichſte von Allen hatte 
fein Leben mehr in mir, da ich das Herz meines Geliebten, in dem 
mein Leben ruhte, von der Lanze durchbohrt ſah. Wie fonnte da noch 
irgend eine Kraft in mir übrig fein? Ich warf mich ermattet auf die 
Erde hin, daß der Reſt des Lebens mir genommen und ich begraben 
werde mit dem Geliebten, dieweil ich jeinem Leibe mid nicht nahen 
durfte, an den ich mich doch durch Bande der Liebe ungertrennlich gefeflelt 
hatte. Allein mein Geliebter rubte im Frieden, und ald der Sabbath 
nahte, fprad er, der in meinem Herzen nie geftorben war, ſondern um fo 
mehr lebte, weil er auch für mid, unter meinen Augen, geftorben war: 
Erhebe dich, eile, meine Freundin! Du ſiehſt den Ort meiner Beftattung 
von Wachen umgeben, du warteft umfonft, der Garten iſt verſchloſſen; 
werde jedoch nicht muthlos, du wirft mich nicht verlieren. Ich ſprach: 
D Herr! wel ein Trofteswort! Da ich den Duell des Lebens, dich, 
o Herr! mit einem großen Steine verfchloffen fehe, fo wird Niemand dic 
von binnen nehmen. Ich will alfo gehen, um, bevor der Sabbath es 
mir verbietet, Salben zu bereiten und den heiligen Leichnam mit Thränen 
zu benegen umd zu falben, wie ich es einft an dem Lebenden gethan. 
D Duell des Lebens, laß mich eine Lebenseſſenz (antidotum vitae) 
erfinden, um fie deinem Leichnam zu übergeben. Denn ich Arme bin 
dur mein erſtes Einfalben gewiffermaßen die VBeranlaffung deines Todes 
geworden, weil Judas durch diefelbe zum Verrathe gegen dich beftimmt 
wurde, Konnte mir ein ſchwereres Unglück widerfahren, als jene Stunde, 
in der du um meinetwillen durch den Verrat) des Judas dem Tode 
geweiht wurdeft, während ich von dir, dem Barmherzigen, erlöfet wurde? 
Der du Alles kannſt, laß mich eine Salbe erfinden, dieſer hier ent 
gegengefegt, auf daß wieder auflebe das Leben der Lebenden. Mit 
diefem Gedanken ſcheide ich von dir, ich ſcheide nur leiblich, nicht mit ver 
Seele, mit der ich mit dir begraben ruhe; ich ſcheide ſchnell, damit aud) 
die Wächter fcheiden. Wenn fie Niemand fehen, werden fie gleichfalls 
weggehen und ich fehre dann ſchnell zurüd. 

Der Ehrift. Sage, Maria, was thatejt du Be 

Scharpff, Nic. v. Cuſa. 


578 


Maria. Ich fammelte wirflih das Heilmittel einer wohlriechenden 
Salbe, meiner wahren Liebe, im hellen alabafternen Gefäße meines 
Herzens und fchloß fie feſt zu, auf daß fie nicht verdunſte, fondern im 
beftändig freifenden Feuer füßen Wohlgeruchs beffer verarbeitet werde, den 
ganzen Sabbath hindurch, nach Art meines im Grabe eingejchloflenen 
Geliebten, damit ih, wenn ich Gelegenheit fände, mich zu nahen, das 
warme Heilmittel dem verwundeten Körper plöglih aufgieße und mid 
mit meinem warmen Leben ganz über den Leichnam ausbreite, auf daß 
durd den Hauch des unfterblihen Lebens die Seele des Geliebten zurüds 
fehre und wiederbelebe feinen wohlriehenden ſchönen Leib, den ich mit 
meinem Herzen erwärmt und mit meinen Thränen benegt habe. Sobald 
daher der Sabbath vorüber war, fam ich fo fchnell als möglid (ie 
fchlief nicht, denn mein Herz wachte immer) allein herbei; ich fürdtete 
weder die Soldaten der Wache, noch erſchrack ih vor dem Galvarienberg, 
der durch die Leichname fhauervoll war, in der Finfterniß der Nadt. 
Ich trat in der Finfterniß mit der Salbe an das Grab und fprad dabei 
zu mir ſelbſt: O glüdjeliger Tag, wenn es mir gelänge, daß mel 
Beliebter unter meiner Umarmung erwacht! Was fol ich jagen, wenn 
ih angelommen bin? Mit David und den Propheten will ih ihn anreden. 
Er, der vom Himmel auf die Erde gefommen, wird ficher das Rufen 
der Väter hören: „Schicke, o Herr! den du fchiden willſt!“ Iſt das Wort 
zum Heile der Welt Fleifch geworden und auf das Weinen und Rufen 
Adams vom Himmel herabgefommen, fo wird e8 mir vielleicht möglid, 
durch füße Worte und demüthiges Flehen ihm, der mich liebt, zu bewegen, 
daß die mit der Gottheit geeinte Seele zu dem mit der Gottheit geeinten 
Körper zurücehre, nachdem er lange genug in der Unterwelt (Borbölk) 
fih aufgehalten, um auch dort zu tröften, und mit der höchften Selig 
feit, welche fie dort erlangt haben, zu erfreuen. Der unendlichen Gott 
heit, die mit Beiden vereint ift, wird dies noch viel leichter fein, ald die 
Menfhwerdung, wiewohl der Gottheit nichts unmöglich oder ſchwer if. 
Ich will ihm ins Gedächtniß zurüdrufen, daß er felbft durd den Pro 
pheten gefprochen hat: „Ich werde dich erhöhen, o Herr! weil du mid 
befannt haft bis ans Ende.” Damit fprict er wahrhaftig feine Auf 
erftehung aus. Ich will zu ihm fagen: Erhebe dich, du meine Herrlid- 
feit, erhebe dich, Lobgefang und Either! Zieh’ die Beute aus der Unter 
welt, erhebe dich, Licht meiner Augen! Und bift du um meinetwillen 
geftorben, o Herr! und würdigeſt dich nicht, mich zu erhören, fo blid 
doh Hin auf deine Mutter, deine Brüder, die Jünger und Apoftel und 
erhebe dich bei dem Seufzen und Elende diefer Armen! Wer zweifelt, daf 
von dir gefchrieben fteht: „ich erhebe mich in der Morgendämmerung.“ 
Darum bin ich vorausgeeilt, um dich aufzuweden, damit dein Hemor 


579 


gehen nad Oſee's Weiffagung vorbereitet fei wie die Morgenröthe, 
Ich dachte an Vieles, was ich ihm weinend fagen wollte, damit ich feine 
Liebe und Macht erwede und er wieder lebe; jagen wollte ich ihm, daß 
er es ift, der die Jugend des Adlers erneut, den Löwen das Junge 
durch Brüllen wieder erwecken und den Phönir aus der verbrannten Aſche 
neu aufleben läßt. Reden wollte ich mit ihm von Jonas, der aus dem 
Bauche des Wallfiſches unverfehrt hervorfam, von dem Samenforne, das 
in die Erde fiel und viele Frucht bradte, von dem Hirfche, der fein 
Geweih wieder erhält, von Samſon, der die Thore trug, von Joſeph, 
der aud dem Gefängniffe herausfam und Herr von ganz Aegypten wurde, 
Da trat ih Hinzu und ſah den Stein weggewält Wo gli ein 
Schmerz dem meinigen? AU mein Hoffen war vereitelt, denn ich glaubte, 
der Geliebte fei von den Treuloſen geraubt, Ich fand den nicht, den 
meine Seele ſuchte. Ih ſprach: D unglüdliches Weib! fo bift du denn, 
obwohl Finfterniß noch gelagert ift, doch zu fpät gefommen; fie famen 
dir zuvor, die den Herrn weggeſchleppt. O unverzeihliche Nadhläffigfeit, 
warum trennteft du dich von dem begrabenen Scabe, den nun ein 
Anderer audgräbt und dir entzieht? Während ich dies unter beftigem 
Schluch zen ſprach, merfte ich, ed könne mit mir nicht befjer werden, ich 
könne meinen entwendeten Chriſtus zu diefer Stunde nicht finden, weil 
ih ihm nicht auf die rechte Weile fuchte; denn noch lagerte in mir Die 
Finfterniß des Unglaubens an die Auferftehung, und die Schrift des alten 
und neuen Teſtaments gab mir noch nicht ihren vollen Aufihluß. Da 
eilte ich zu Petrus, dem Haupte der Apoftel und der ganzen Kirche, der 
Chriftus mehr ald die Anvern liebte, ob er mir etwa einen Rath im 
Suchen geben könne. Ich begab mid aud) zu Johannes, den Chriſtus 
mit befonderer Liebe umfaßte, ob ihm etwa Chriftus beim Abendmahle 
die Schrift des alten Bundes erfchloffen habe, daß ich mit deren Hülfe 
den Geliebten fünde. Siehe, da eilen plöglih Petrus und Johannes 
herbei, diefer ald der Jüngere dem Petrus voraus. Dod trat Petrus 
juerft ein, nach ihm Johannes; fie überzeugten fih, daß ich die Wahrheit 
geſprochen. Obwohl ihnen die Schrift erſchloſſen war, daß er auferftehen 
müffe, jo hatten fie doch noch Fein Verſtändniß. Als fie wieder fort 
gingen, blieb ih allein zurück, um durch Thränen mein Herz zu erleichs 
tem. Ich blieb außen ftehen, da ich innen den Geliebten nicht gefunden 
hatte. Als ich mich weinend wieder hinneigte, um das Grab zu fehen, 
ſah ih Engel an der Stelle, an welcher Joſeph und Nicodemus den 
Herrn hingelegt hatten, 

Der Chriſt. Als du num, Maria! hineinfhauteft und den Ort 
ſaheſt, wo dein Geliebter hingelegt worden war, ſag' und, was fagteft 


du dann? 
37* 


580 


Maria. Ih ſprach: Mein Gott! warum baft du mich am Ent 
verlaffen? Ich habe dich nie verlaffen. Sch wollte mit dir fterben, aber 
du wollteft nicht. Laß mid, o Herr! an deinen Grabe fterben, damit 
man mich wenigftend immer dort treffe, wo du gelegen haft. Ich blide, 
o Herr! rings umher, und ich finde Niemand, der mich tröftet! It 
fuche nicht Engel, fondern di, den Schöpfer der Engel. Warum jhidi 
du mir zum Trofte Geſchöpfe, da ih dich allein fuche, dich liebe? Gi 
ift unmöglich, daß du Die nicht liebeft, die dich lieben. Doc ift es Rich, 
o Herr! wenn du mich betrübeft? Ich ſuche micht ſchöne Geifter und 
Diener Gottes. 

Der Ehrif. Du Haft Engel gefehen, Maria; haft du aus 
Worte von ihnen gehört? 

Maria. AS ich mich liebend zum Grabe hinneigte, fah und hörte 
ih Engel. Sie ſprachen: Was weinft du, Weib? Wir willen, daß du 
Jeſus den Erlöfer ſuchſt, du ſuchſt jenen Nazarener, der fchöner um 
wohlgeftalteter ald alle Menfchenföhne, den die Juden fo ſchmählich miß— 
handelt haben; fie verhüllten fein lichtvolles Antlig, feine Tieben Augen, 
aus welchen der Strahl der göttlichen Weisheit hervorleuchtete. Felt 
banden fie feine Hände, ald wäre er ein Dieb und Straßenräuber, gabe 
ihm Mautffchellen, fpieen in fein heiliges Angefiht, krönten den König 
der Herrlichkeit mit einer Dormenfrone, geißelten ihn, daß weder Geftalt 
noh Ecönheit mehr in ihm war, überlieferten ihn mit Verbrechern zum 
ungerechten Tode. Suchſt du diefen, Maria? Ich erwiederte: Ja, eben 
diefen fuche ich, ihr Engel! ihn, meine Eeele, mein Leben, ihn, den Ber 
wundeten, den Todten fuche ich, ich fuche und finde ihn nirgends, Lie 
haben meinen Herrn weggenommen und ich weiß nicht, wohin fie Ihn 
gelegt haben. Indem ich rings umberfhaute, glaubte ich den Gärter 
zu fehen. Als diefer mich Unglüdliche, Troftlofe fragte: Was weinek 
du? antwortete ih: Herr, wenn du ihn genommen haft, fo ſag' mit 
wohin du ihn gelegt haft, damit ich hingehe und ihn hole. 

Der Chriſt. Maria, ald du rücdwärts den faheft, den du für 
den Gärtner hielteft, und in der ſyriſchen Landesfprache zu ihm fagtel: 
Herr! wenn du ihn genommen haft, fo ſag' es mir! glanbteft du, & 
werde dies verftehen? 

Maria. Ih Arme glaubte, jeder Lebende müfje meine große Bo— 
drängniß und Kummer wißen und fehen. 

Der Ehrift. Als er aber zu dir fagte: Weib, was weineft du? 
wo waren deine Ohren, daß fie deinen Herrn nicht kamten? 

Maria. Seine Geftalt (dispositio) war eine andere, als di 
frühere meines Herrn; er, der feiner Menfchheit nach jegt fo Vielet 


581 


gelitten, jah früher gang anders aus als damals, da er mir ald Gärtner 
erjbien. Auch ließ mid die große Sehnfucht nicht cher aufmerffam fein, 
als bis es ihm beliebte. Deßhalb jagte ih: Wenn du ihn weggenoms 
men haft, fo ſag' ed mir. 

Der Chriſt. Als er aber zu dir fagte: Maria! warum Ffannteft 
du ihn alsdann? 

Maria. Mein Geliebter ließ ein Licht des Troftes und der Gnade 
in mich einftrömen, daß ich Blinde jah und erfanute, daß der mid fenne, 
der mich beim Namen nannte.  Plöglih erleuchtete er mich mit feinem 
Strahle, daß ich den ſah, den ich blind längſt gefucht. Meine Begierde 
fteigerte fih nämlih im Suchen, da ich nicht finden konnte. Er ließ 
meine Sehnſucht zur Flamme werden, auf daß ich eifriger juchte und mit 
größerer Freude finden möge, Ich fiel nun auf die Erde und erfannte, 
es habe jo nad göttliher Anordnung fommen müſſen, daß das Fleiſch 
gewordene Wort, mein Herr, für dad Heil des Menſchengeſchlechts 
ftarb, in die Vorhölle hinabftieg und am dritten Tage mit verberrlichtem 
und umzerftörlichem Leibe gemäß der Schrift auferftand, und die zur 
Seligfeit Erlösten, von den Todten Auferwedten an Leib und Seele 
glückſelig machte, denen er als Hohepriefter, der die Himmel durchdringt, 
voranging. 

Der Ehrift. Maria, wie groß war ba deine Freude? 

Maria. Unendlih, als ic die Wonne meines Lebens unſterblich 
wußte, noch mehr, al8 ich den fiegreihen Triumphator über Tod und 
Hölle, mein einziged Berlangen, in feinem Leibe, in der Stole der 
Unfterblichfeit glänzen, mit Ehre und Herrlichkeit geſchmückt ſah. Da 
ſprach ich mit vollem Rechte: das ift der Tag, den der Herr gemacht hat, 
laßt und frohloden und fröhlich fein in ihm; denn an diefem Tage ift 
die volle Wieverherftelung des Menſchengeſchlechts erfolgt. O füßer, 
apoftolifher Auftrag! denn es gebot mir der Herr, den Wpofteln die 
Botſchaft zu bringen. Welche Gnade erwies er mir, daß ich diefe überaus 
frohe Kunde ihnen zuerft mittheilen durfte, in Folge deren fie das Allchıja 
durch alle Straßen Jeruſalems anftimmten. Ich erhielt nicht den Auf— 
trag, der glorreihen Jungfrau und Mutter die Botjchaft zu bringen, 
welche ohne Zweifel, wie fie einzig im Glauben mit Ehriftus begraben 
war, ſo, auch auferftand, und wie fie ungertrennlich in feitem Glauben 
und klarem Geifte dem Sohne im Tode verbunden blieb, jo auch in der 
Auferftehung. Sie wußte es daher ſelbſt und zwar mit. Recht, und fein 
anderer Bote als der Sohn felbft war würdig genug, diefe Freudenbots 
[haft mitzutheilen. Ich meldete fie, eilte da und dorthin, verkündete, 
entdeckte das Gefehene; allein mein Geliebter ließ die ungläubigen 


382 


(dura) Herzen der Jünger nod eine Zeit fang zweifeln, damit die 
Nachwelt der Auferftehung defto mehr Glauben jcenfe. 
(Exc. II, 405—408.) 


Dialog zwifchen Maria Magdalena und einem 
Ehriften. 


Ueber die Behehrung und die Stufen des neuen Lebens. 


Der Chriſt. Warım warfft du did, Maria! beim Eintreten in 
dad Zimmer weinend zu den Füßen des Herrn? 

Maria. Weil ih Gnade fuhe Krank fam ich zum Arzte, ohne 
den ich nicht gerettet werden kann, und ich durfte feine Füße küſſen und 
fie mit meinen Thränen beneßen. 

Der Chriſt. Wie bift du zu ihm bingetreten? 

Maria. Unerfchroden, weil ich des Arztes jehr bedurfte; ic trat 
bis zu den Füßen meined Herrn, dreifach mich verdemüthigend. Da id 
im Bereiche ter Sünder war, bemädhtigte ſich meiner Furcht vor ver 
Strafe; ich fah die ewige Belohnung und fing an zu lieben; ich enticlos 
mich, alles Glüf der Welt in Enthaltfamfeit zu verachten und im In 
glücke geduldig zu fein. So erftieg ich die erfte Stufe durch Weltverad- 


tung, die zweite durch Selbftverleugnung, die dritte dur die demuthövole 


Liebe zu Chriſtus. So fand ich, was ich fuchte, fiher und auf dem für 
zeften Wege; ich ließ meinen Thränen freien Lauf, um von Feuchtigkeit 
mich zu entleeren und das Feuer der Liebe, das Holz des Leidens un 
das Brandopfer des Gehorfams in mich aufzunehmen. Ich brachte eine 
foftbare, Schöne, wohlriecende Salbe; denn ich fuchte, was foftbarer ald 


alle Schäge, liebliher ald jeder Wohlgeruch, ſchöner als jede Schönheit 


war. Die Salbe war aus Nardenöl, weil ih, wie der Nardenbaum 
flein und wohlriehend ift, mich zu den Füßen meines Meifters erniedrigt, 
damit mein Nardenöl feinen Geruch verbreite. Ich krümmte mid vor 
feinen Füßen, um mich wieder aufzurichten; ich weinte Thränen der Jer 
knirſchung, als ich die erfte Stufe erftieg, um vor dem Anblide eines ſo 
großen Königed mic) zu reinigen. Ich weinte in Mitleid auf der zweiten 
Stufe, als ich mit der linderuden Salbe vor feinem Grabe ftand. I 
weinte auf der dritten Stufe, ald ich nach der Auferftehung den Erjehnten 
fand. Da wurde meine Seele in einem Thränenbade ganz erweicht. It 
weinte auf der erften Stufe, weil ich mich ald unreine Sünderin erfannt 
hatte, und meine Augen öffneten den Thränen einen Ausgang. IE 
weinte, weil ich mic, in diefes Leben eingebürgert. „Weh mir, daß mein 


583 


Eingebürgertfein verlängert iſt!“ Ich weinte, weil ich die Hölle fürdhtete. 
Bitterlich weinte ich in der Nacht, d. i. in dem fündhaften Zuftande, Ich 
weinte auf der zweiten Stufe, weil ich wußte, daß Ehriftus Fleiſch ge 
worden, um mich Unglüdliche zu erlöfen und dieſe Thränen waren meine 
Nahrung bei Tag und Nacht; ich weinte, weil ich das menſchliche Elend 
mitempfand, und aus Sehnjuht nah dem himmliſchen Vaterlande, An 
den Flüffen Babylons faß ich, zernichtete in mir die vergänglihe Weltluft 
und gedachte Ziond, des himmliſchen Baterlandes. 

Der Ehrift. Warum haft du, Marta! nicht längſt geweint und 
jo lange gezaudert ? 

Maria. Der Hochmuth erlaubte es mir nicht. Hohe Berge find 
oben troden, nur die Thäler find feucht. Eingetaucht in das Irdiſche 
war mein Herz verhärtetz mein Geift mit Sorgen für finnlihe Vergnügen 
befchäftigt und vertrodnet durch ihre Glut; ich war verrüdt und thörict. 
Eingefroren war durch die Menge der Sünden mein Herz bis auf diefen 
Tag, da es envarmte durd die Sonne der Gerechtigkeit, Chriſtus, meinen 
Herrn. Ich dachte an Anna, von der die Bücher der Könige erzählen, 
daß fie in Trübfal unter reichlihen Thränen zu Gott betete und erhört 
wurde. Sch erinnerte mid, daß Ezechias durch Thränen erhört worden. 
„Sch fah, heißt es, deine Thränen, und beilte dich.“ So wurden Tobias 
und Sara durch Thränen erhört, fo Judith und David. „Du warfeft 
auf meine Thränen deinen Blid.* So dachte ih, daß Gott, der durch 
nichts gezwungen werben kann, durch Thränen gezwungen werben fönne; 
darum trat ich Hinzu und weinte, 

Der Ehrift. Da deine Thränen reuevoll waren, Maria! fo zeige 
mir, wie ftarf und wie groß deine Reue war. 

Maria. Meine Reue war liebevoll und leidvoll (amorosus et 
dolorosus). Meine Sünden verabfheute und haßte ih, weil ih Gott 
beleidigt hatte, und ich haßte fie mit folder herzinniger Betrübniß, wie 
ich nie eine größere hatte oder haben konnte, Sie gli der Trauer über 
den Berluft des einzigen Sohnes, weil es die Trauer über den Verluſt 
der Seele war. Nichts betrübte mich auf der ganzen Welt fo fehr, als 
Gott beleidigt zu haben. Dieje Beleidigung erſchien mir, indem ich mic 
zu Gott erhob, den ich Über Alles zu lieben mir jet vorgenommen habe, 
als die größte unter allen, 

Der Chriſt. Und was erlangteft du, Maria? 

Maria. Nachlaß der Sünde, Mittheilung der Gnade und die 
Seligfeit und einen neuen Bräutigam erhielt ih. Die Gnade Gottes 
nahm, von meinen Thränen erweicht, die Häßlichkeit und Befledtheit 
meiner Seele hinweg, trug meine Schuld und Strafe, und fchuf mid zu 
einer neuen, ihr wohlgefälligen Braut. 


584 


Der Chriſt. O Maria, welche Gnade haft du gefunden, dieweil 
nicht nur Die Schuld, fondern auch die Strafe aller deiner Eünden auf 
gehoben ift, jo daß du von Höfe und Fegfeuer befreit, unmittelbar nur 
die Herrlichkeit zu erwarten haft. Wie groß ift deine Zerfnirichung! Kühn 
trateft du zu den Füßen des Gottmenfchen und füßteft fie. Warum dies? 

Maria. Ich füßte feine Füße auf der erften Stufe meines Hin 
auffteigend; ich küßte auf der zweiten die Hände zur Zeit, als er vom 
Kreuze herabgenommen wurde; auf der dritten füßte ich den Mund ber 
Betrachtung und Reue, in der Einfamfelt. Und jegt fchaue ich ihn gan 
von Angefiht zu Angefiht und vereinige mich mit ihm in feiner Herr 
lichkeit. In demüthiger Bekehrung küßte ich feine Füße, den rechten Fuß 
des Mitleids, hingeftredt Füßte ich ihn und der Herr reichte mir in innigs 
fter Freundfchaft den Fuß dar, der bis dahin fchredlich für mich war — 
den der Gerechtigkeit und Wahrheit. Da entzündete fih naturgemäß tief 
Liebe in mir, er wurde felbft mein Geliebter und goß Liebe und Gnade 
in mid. Gr ließ mir viele Sünden nah, weil ich viel geliebt; meine 
Seele war zuvor ganz befledt und roftig dur die Sünden, von welden 
fie das heftige Feuer der Liebe plöglich reinigte. Was in mir zuvor öde 
und leer war, bad wandte fich jeht der Verehrung Gottes zu: meine 
Augen wurden zum Thränengquell, um feine Füße zu wachen, die Haare 
trodneten ihn und mit der Salbe der Demuth und Zerfnirfhung ſalbie 
ih ihn, und ich, die ich eitel, elend und eine Sünderin war, wurde zur 
Braut Gotted umgefhaffen und die Liebe in mich gepflanzt, die feitdem 
in meinem Leben ohne Unterlaß Fräftig in die Höhe wächst. 

Der Chriſt. Warum fagte der Herr, du habeft viel geliebt? 

Maria. Weil das höcfte Gut eben darum, weil ed das höchſie 
ift, auch die größte Liebe verdient, weil man es wie das größte Gut am 
meiften genießen und ihm ganz anhängen muß durch Liebe und in ihm 
ruhen als in dem legten Ziele. 

Der Chriſt. Maria, wie entftand in dir die Liebe? 

Maria. Die Liebe Gotted ergoß ſich in mein Herz durd feinen 
bi. Geiſt; denn fie iſt das Werk des hf. Geiſtes. Eine Wohnung 
bereitete ih meinem Gotte und es wohnte in mir feine Huld und 
Gnade und zog mich zur Liebe zu ihm hin. Er entzündete mein Her, 
weckte meine fchlummernde Seele auf und erleuchtete meine Finfternif. 
Ich hatte den hl. Geift, durd den ich liebte und ohne den ich nict 
lieben fonnte; er allein erhob den Trieb meiner Seele zur Liebe Gottes, 
welcher Trieb ohne den heiligen Geift nur Begierde iſt. Durch Liebe 
wird die Seele zu dem Ziele geführt, nah dem fie ftrebt; ausgelöſcht 
war in mir alle Begierlichfeit, fo daß die Liebe wachfen konnte. Durch 
Liebe wurde meine Seele angetrieben, Gott zu genießen wegen feiner ſelbſi 


585 


und alles Andere wegen ihm. Die ich vordem von Begierlichfeit brannte, 
alle Dinge außer Gott wegen ihrer felbft und nicht wegen Gott zu ge: 
nießen, hing jezt zum Erftenmale durch den Kitt der Liebe an Gott allein, 
indem ich feinetwegen Alles verachtete. Weltliebe vertreibt die Liebe zu 
Gott und umgekehrt. Gott muß der in fich tragen, welder die Liebe 
haben will, denn Gott ift die Liebe. 

Der Chrift: Ich verftehe nun, daß Irdiſches fich nicht mit der 
Liebe zu Gott vertrage, fondern daß man ed ganz vergefien müſſe. Weil 
die Seele nicht ohne Liebe fein kann, fo ift fie unter die Geſchöpfe geſetzt, 
damit fie liebe, entweder nah Oben blidend, oder fih nad Unten bewe- 
gend. Da nun die Liebe zur Welt ſüß ift, was z0g did von ihr zurüd? 

Maria. Nachdem ich mit dem Auge des Geifted eingefehen, daß 
alles Erfchaffene eitel ift und alle Lieblichfeit, Freude, Macht und Ueber- 
fluß, kurz: Alles, was mich anzog, mich nicht fättige, weil es veränderlich 
tft; jo fand ich mich in Irrthum begriffen, wandte mich von Allem ab 
und fuchte nur Gott und fand Den, den ich liebte, in dem alle Fülle, in 
dem der innere Menſch alle Freude ohne finnlihen Beigeſchmack, alle 
Schönheit ohne Schminfe, alle Süßigfeit ohne beftimmte Qualität, Kuß 
und Umarmung ohne Berührung fühlt. 

Der Chriſt. Mas fühlteft du, Maria! auf der zweiten Etufe, 
als du die Hände Chrifti Füßteft, und am feinem Grabe weinteft, von 
der Liebe? 

Maria. Ed wuchs in mir die Kraft des Allerhöchften, ich gedachte 
der Wohlthaten meined Gottes und der Werfe feiner Hände, daß er mir 
Leben und einen Geift gegeben, für mich Menfch geworden und fich für mic) 
in den Tod hingegeben. Bor Allem aber hielt ich das feft im Gedächtniß 
und Gemüthe, daß mir mein Geliebter die Liebe gab, mit der ich ihn 
lieben fonnte, und daß er mit dem feiteften Bande mich an fi anjchloß. 
Da erweidhte mein Herz. Ich weinte bitter über mein vergangenes 
Leben, da meine finnlihen Begierden unheilvoll entbrannten und ich meinen 
Gott nicht erfannte. Ich weinte, daß ich fo viele Zeit verloren. Ich 
beweinte mich ald das unglüdlichfte Weib, weil ich Gott nicht erfannte 
und ihn beleidigte, und dadurch erftarfte die Liebe zu meinem Gotte. In—⸗ 
dem ich mich erhob zur Erkenntniß feined Weſens, jeiner Güte, Kraft, 
Wahrheit und Herrlichkeit und in der tiefiten Demuth mich ganz verachtete 
und die vielen Gaben Gottes, die ih, feine geringfte Greatur, befaß, 
überdachte, weinte ich aus unbefchreiblicher Freude, und fühlte die höchſte 
Süßigfeit darin, daß ih, die verworfenfte Greatur, mit ihm durch die 
Bande der LKiebe verbunden und jo geftärft war. Eo erftarfte in mir 
die Liebe endlich zur Vollkommenheit. Ich fühlte es: Gott ift die Liebe; 
denn ſeit die Liebe in mir war, liebte ih nur Gottes Willen und Ge- 


586 


bot, fein Gedanfe and Irdiſche drang in mein Herz; nur was Gott 
gefiel, gefiel auch mir; was er hafte, haßte auch ih. Num liebte ich 
Gott aus ganzer Seele und aus allen Kräften, denn durch die Liebe 
wohnte er in mir. 

Der Ehrift. Ich erkenne, Maria, daß die Liebe Gotted und 
nicht des Menfchen Werk ift, obwohl diefer das Gebot der Gottesliebe 
hat. Wenn er Died -gleidy nicht aus fich vermag, fo vermag er es doch 
infoferne, daß er nichts eben fo oder mehr als Gott liebt und auf alle 
möglihe Weife der Liebe ſich nähert und fie in fich befeftigt, obwohl nicht 
Jeder jenen hohen Grad der Liebe aus ganzem Herzen und Ge— 
müthe und aus allen Kräften erringt. Zeige daher, Tröfterin, den 
Weg zur Liebe! 

Maria. Habe ein zerfnirfchtes Herz und weihe dich Gott ganz 
und gar; er erfüllt jedes Gefchöpf mit Segen! Empfinde Schmerz; über 
das Begangene und faffe gute Vorfäge für die Zukunft! Höre fleifig 
das Wort Gottes, gleihwie auch ich Häufig zu den Füßen des Herm 
faß und feine Reden anhörte! Sei bereitwillig zu jedem guten Werke; 
denn die Liebe will nicht müßig fein. ‘Das find die Zeichen des erften 
Grades der Liebe. Der höhere Grad find eine ftrenge Gewiffend- 
erforjhung über alle Tod» und läßlihen Sünden, Schwädung der Ber 
gierlichkeit, Erwedung und Uebung des geiftigen Lebend. Wie das Leben 
des Körpers ſich in den äußern Sinnen bethätigt, fo das der Seele durd 
die Hebung der innern Sinne, durch ftrenge Pflichterfülung und Ber 
fündigung der göttlichen Wahrheiten, wie auch ich das Wort Gottes 
öffentlich verfündete, 

Der Chriſt. Sage nun, Marial die Zeichen des dritten Gra 
des der Liebe und des dritten Kuſſes. 

Maria. Ich ftarb für meinen Gott, Jeſus, täglich im Geifte, ge 
ftachelt von Liebe; die Welt gefiel mir wicht mehr, ich wünſchte aufge 
1ö8t zu werden und bei Chriſtus zu fein. Ich eilte in die Einöde, weil 
Nichts für mich einen Werth hatte, ich wünſchte für Gott oder den Näch— 
ften zur Ehre Gottes täglih zu fterben. Ich liebte meine Feinde und 
that ihnen Gutes um Gotted willen. Alle Leiden übernahm ich freudig 
und trug fie geduldig. Ich entfagte Alleın und folgte Ehrifto,; um 
den Geliebten nicht zu verlieren, fandte ich tiefe und innige Seufzer Des 
Herzens zu ihm. Hoch war mein Verlangen, denn ih wollte nur den 
Höchften. Wenn das Andenken an meinen Geliebten mein innerſtes Ge— 
müth berührte, dann fandte meine Liebe Seufzer, die Boten der Liebe 
aus. Meine Gedanken ruhten, weil, wo mein Schag, dort aud mein 
Her war. Ih ſchmachtete (languebam), weil ih mur den wünjchte, 
den ih noch nie fo hatte, wie ich ihm wünfchte. Die Liebe ift in ihrem 


587 


Beginne Neigung, in ihrem Fortfchreiten Inbrunft, in ihrer Vollendung 
feliges Genießen. Ich barrete ſehnſuchtsvoll, aufgelöst und bei Chriftus 
zu fein. Ich erhielt Flügel der erhabenften Betrabtung und das Manna 
himmliſcher Süßigfeit dreißig Jahre lang in der Wüſte. Siebenmal des 
Tages ward ich in Gott entzückt, mein Leib erhob ſich über die Erde, 
in lauter Sehnfucht, bei dem Geliebten zu fein. Ich hoffte zu fterben 
für den Geliebten und in dem Geliebten; denn nichts ift fchneller, ftärfer 
und durchdringender, al& dad Streben der Liebe nad dem geliebten 
Gegenſtande; fie ruht nicht, bis fie übernatürlich ihre ganze Tiefe durch— 
drungen, und in Liebe über ihre volle Totalität fih hinaus erhoben hat, 
obwohl ihr died unmöglich ift (quia suapte natura non quiescit amor, 
donec supernaturaliter penetraverit totam profunditatem et transierit 
amabilis totalitatem, quantum potest, licet intransibilem). Wird da- 
ber der Lauf der Liebe gehindert oder wie immer aufgehalten, fo geräth 
die ganze Seele in Unruhe und in einen niedrigen Zuftand des Harrend.. . 
Ich gerieth oft in ganz efftatifche Zuftände und war außer mir, weil ich 
wegen der innigen Liebe nicht mir, fondern nur dem Geliebten angehörte, 
dem id in fo glühender Liebe mich ergab, daß ich ganz außer mir Cin 
mentis excessu) nur bei dem Geliebten war. Denn wer vollfommen 
liebt, liebt nicht fich, jondern Gott, den er liebt und von dem er geführt, 
geleitet und belehrt wird. 

Der Ehrift. Als du, o Weib, mit den zwei Adlersflügeln der Liebe 
und der Erfenntniß in die Einöde der Betrachtung und Buße flogeft, 
und dort auf hohen Felfen dein Neft erbauteft und auf fteilen Felſen— 
riffen dich aufhielteft, was hatteft du Arme da bei dir? 

Maria. Arm war ich nicht; fiebenmal des Tages wurde ich mit 
Hülfe von Engeln zur Betrachtung Deſſen, den meine Seele liebte, ems 
porgehoben. Ich hatte geläntertes Gold, im Feuer gehärtetes Eiſen, 
wirzbhaften, füßen und ftarfen Wein, weil ich ftarf, verftändig und bes - 
harrlich liebte. Ich hatte Raubvögel, welche, nur wenn fie Beute hafchen, 
die Erde berühren. Ich hatte ein ungeheures Schiff, vom Wehen des 
hl. Geiftes geführt. Ich hatte einen Hammer ded Todes, mit dem ich 
das Fleiſch tödtete. Ich hatte eine Duelle und einen Brunnen lebendigen 
Waflers, welches der Temperatur der Welt ganz entgegen war; denn es 
war kalt im Sommer und warm im Winter, das Gefäß dazu hing an 
einem gut geflochtenen ftarfen Seile. Jh hatte einen edlen Jagdhund, der 
beim Spüren die Dornen nicht fühlt. Mein Haus war aus fetgebrannten 
Steinen; Wetter und Plagregen zerftörten ed nicht. Ich hatte frucht— 
tragende Bäume; fie trugen Früchte der Frömmigfeit, Blüthen der Eitts 
lichkeit, Blätter der Wahrheit. Ich Hatte ein hochzeitlihes Gewand, 


588 


wunderbar gewoben, von rother Farbe, Liebe verkündend, vom Feuer des 
hl. Geiſtes gewoben, roth durch das Blut Chriſti. 

Der Chriſt. Wenn du ſonſt nichts hatteſt, fo wareſt du doch 
noch ſehr arm, weil der Liebende nur im Geliebten Ruhe hat. 

Maria. Der Herr, der Bräutigam meiner Seele war ſtets bei mir; ich 
vereinigte mich mit ihm, und er ſchloß mich immer inniger an ſich durch die 
Bande der Liebe. Er reinigte mich durch das Feuer der Liebe, ſchmückte 
und erleuchtete mein Herz, damit der Allerhöchfte, mein Geliebter, in ihm 
wohne. Durch Feuer brannte er die vorherige Unreinigfeit aus, damit 
der Reinfte eine würdige Wohnung in mir finde. Ich überdachte die 
Schönheit meined Geliebten, ich erwog, daß Er, der Große, von mir 
geliebt fein wollte, der mich zuvor geliebt, ehe ich ihn Fannte. Da loderte 
die Flamme der Liebe mächtig auf, und dennody ſchmachtete id (langue- 
bam), weil ich ihn nicht fo, wie ich wünfchte, liebe. Aber diefes Schmachten 
erhöhte die Liebe. Und je mehr diefes Feuer der Liebe wuchs, defto jüßer 
umfaßte mid mit klarem Blicke in geiftiger Umarmung mein Bräutigam, 
und indem er mit feiner Liebe meine Seele tröften wollte, ſchlug er mir 
eine um fo größere Wunde der Liebe. Indem er mit dem Kuffe feines 
Mundes mich füßte, genoß ih Honig und Mil von feiner Zunge, Honig 
floß von feinen Lippen und erwedte in mir das Verlangen, ihn noch 
öfter und herzlicher zu küſſen. 

Der Chriſt. Maria! Da Engel, d. i. tiefinnige, erhabene und 
feurige Gefühle der Sehnfucht dich fiebenmal täglid von der Erde nad 
Dben, zu deinem Geliebten hin erhoben, fo fage mir, was waren Diele 
fo heftigen Gefühle? 

Maria. Nachdem ich mich ganz meinem Geliebten zugewandt hatte, 
fagte ich zu meiner Liebe, fie möchte mich auf irgend eine Stufe großer 
Liebe erheben. Die Liebe ſprach: Bedenke die Liebe deines Gelichten 
und die Natur derſelben, die ſich mit nichts vergleichen läßt, weil das 
Endliche Feine Vergleihung mit dem Unendlichen zuläßt. Bedenfe bie 
Verbindung der unendlichen und endlichen Liebe; denn es gibt Feine wuns 
derbarere, feine höhere Verbindung, als die des Geſchöpfes mit dem 
Schöpfer. Siehe! indem Verftand und Herz died in Liebe überdachten 
und im Gedächtniß bewahrten, erhob ich mich auf die erfte Stufe. Zu 
rüdgefehrt aus dieſer Erhebung war ich nicht zufrieden und fprach zur 
Liebe: erhebe mich noch höher, auf die zweite Stufe! Und die Liebe 
ſprach: Betrachte Alles unter dem Himmel im Vergleiche zu deinem 
Geliebten! Da erkannte ich in diefer Berradtung die Vergänglichkeit 
alles Irdiſchen, ich verfhmähte e8 und erhob mich‘) in Liebe zum Himm- 


1) Statt elerabor im Texte ift zu lefen: elevabar. 


989 


lichen auf die zweite Stufe, ich verachtete die Liebe des Irdiſchen und 
der Geichöpfe und liebte in allen Gefchöpfen ihn allein. Noh einmal 
bat ich die Liebe, fie möchte mid auf die dritte Stufe erheben. Und 
fie ſprach: Bedenke die Gwigfeit deines Geliebten, bedenfe, daß du 
ewig ihn ald deinen Geliebten befigen wirft; je feuriger du ihn liebft, 
defto feuriger wird dir fein Befig fein. Das hob mid. Es erftarfte 
in mir die Beharrlichkeit, fo daß ich beftändig in der Liebe wuchs. Und 
wieder erhob mich die Liebe in unauflöslicher Liebe, weil ih in feiner 
Zeit die Güte meines ©elichten, wie oft ich fie auch betrachtete, ergrüns 
den konnte. Miederholt bat ich die Liebe, mich höher hinauf zu heben. 
Und fie ſprach: Gott, dein Geliebter, ift der reinfte Geift, allmächtig, 
der Schöpfer aller Dinge. In um fo innigerer Umarmung erfaßt er den 
Liebenden, je geiftiger diefer geworden, und je mehr diefer für den Ges 
liebten gelitten, deſto reichliher vergilt es der Geliebte. Da hob fih 
mein Berlangen, Tosgetrennt von diefem fterblichen Leibe um des Ges 
liebten willen als Märtyrer gefrönt zu werden. Zum Sechstenmale bat 
ih die Liebe, mich höher hinauf in die Süßigfeit der Liebe zu erheben. 
Und fie Sprach zu mir: Fühleft du deinen Geliebten in dir? Ich ers 
wiederte: ja, aber nur wenig. Sie jagte: jo vermehre deine Liebe und 
Erfenntniß durch Erwägung der Beihaffenheit des Geliebten. Ich that 
es und flieg höher, aber meine Liebe war nicht gefättigt, denn je mehr 
ih emporftieg, defto unerſättlicher wuchs meine Liebe. Und als ich jo 
noch fehr ungefättigt hungerte, bat ich die Liebe, mich noch mehr zu dem 
Geliebten empor zu heben. Zum Siebentenmal erhob fie mich hoch hin; 
auf, und ald ich in großem Hunger gierig die Eüßigfeit des Geliebten 
verfoftete, wurde meine Sehnfucht zur feurigften Blamme und in demjels 
ben Grade wuchs mein Hunger. Da verwundete der Geliebte mein Herz 
mit dem Feuer feiner Liebe; ich fchmachtete, weil ich den Geliebten nicht 
ganz hatte, wie ich ed wünſchte. Da waren alle Sinne meines Leibed 
gefeffelt, denn die Seele war bei dem Geliebten, verlangend, er möchte 
die Wunde, die er ihr gefchlagen, heilen, denn unauflöslid ſei fie mit 
ihm verbunden. Nun kehrte die Seele wieder zu ihrer Thätigkeit zurüc 
und brachte in die Glieder wieder Bewegung, ohne jedoch von ihrem 
Geliebten zu weihen. Sie wollte feinen Troft annehmen, weil Alles 
für fie todt und nur der Geliebte, der fie verwundet, ihr Leben war. 
Diefe Liebe gleicht einem Dürftenden, der durch noch fo viel Nectar feinen 
Durft nicht ftillen, ja nur vergrößern und nie fatt würde, wenn er nicht 
allen Nectar der ganzen Welt trinfen würde. So ftieg ich täglich höher 
hinauf, und je mehr ich tranf, deſto mehr dürftete ih. Ich ging vers 
wundet in dem Dörfern und Fleden umber, um zu fterben aus Liebe; 
aber ich konnte nicht fterben. Je mehr ich durch die Liebe fterben wollte, 


590 


defto mehr wuchs die Liebe in mir. Ich bat die Liebe, daß fie mid 
lieber tödte, als durch fo viele Wunden verſchmachten laſſe. Mehr ald 
dreißig Jahre nährte mich fo die Liebe, bis ich emblich ermübdete. Sie 
dachte daran, mich zu erhören, weil ich ihr fo getreu gedient. Nun 
führte fie mich im Geifte durch die ganze Welt, damit ich fähe, wie mein 
Beliebter fo wenig in der Welt gefannt und geehrt it. Sie führte mid 
zu den Gögendienern, Läfterern, Uebermüthigen. Cie führte mich zu 
allen Gegenden der Welt, zu Kriegen, Epaltungen, Heuclern, Ehe— 
bredern, um fo großen Schmerz Über die Verunehrung, Geringachtung 
und Sünden gegen meinen Geliebten mich fühlen zu laffen, daß mid 
das Verlangen zu fterben quälte. Aber auch fo konnte ich nicht fterben. 
Die Liebe führte mich in die Hölle, um die vielen nah Gottes Bilde 
erichaffenen und ewig todten Seelen zu fehen und die verhältnigmäßig 
wenigen Seligen. Da ward ich ſehr betrübt, aber fterben konnte ich nicht. 
Nun fprah mein Freund zu mir: fo willt du denn durchaus im der 
Liebe fterben? Ich erwiderte: in dir allein zu leben ift mein einziges 
Verlangen. Da fprah mein Freund zur Liebe: führe ihre Seele ein in 
Jeruſalem! Und fie führte mich dahin; ich fah die hl. Stadt Jerufalem, 
und fo viele hf. Lieblinge Gottes; ich ſah die glorreihfte Jungfrau Mu 
ria mit zahllofen Freunden Gottes. Ich fah den ald Menjch geborenen 
und am Kreuze erhöhten Ehriftus. Und nun befiel mih Todesſchwäche, 
weil ich den gerechteften, beiten und füßeften Geliebten und Liebenden ie 
Ibimpflih am Kreuze hängen und dem Tode fhon nahe fah. Nas 
feinem Tode wurde er ind Grab gelegt. Zu diefem führte mich nun 
meine Führerin, die Liebe. Ih trat in das Grab: der Tod meines 
Geliebten traf mich mit dem Pfeile feiner Liebe, und fogleich ftard id 
mit meinem Geliebten in Liebe. Die Liebe begrub mich bei ihm. Plöp 
lich aber ftand mein Geliebter auf, und auch meine Seele, mit ihm ver: 
eint, lebte durdy den Odem feiner Unfterblicyfeit wieder auf, und er führt 
mich mit fich ind ewige Vaterland, wo ich meinen Geliebten jegt in volkr 
Sättigung ewig befige. Zu diefem feligen Genuß möge der wahre Galt 
und Menſch Jeſus Ehriftus alle die Seinen, die ihn wahrhaft und innig 
lieben (wo fie auch fein mögen) hinführen! Amen. 
(Exc. II, 398—403.) 


IV. 


Predigten. 


Mede bei Austheilung des hl. Abendmahls. 


Bon der Außenwelt find wir alle in das Gotteshaus eingetreten ; 
mit dem Glodenfchlage find wir alle bis zum Altare vorgegangen; alle 
haben wir dort Gott dem Vater das Opfer dargebraht, alle und in 
Ehriftus ihm geopfert; alle find wir zur Vereinigung mit ihm zugelaffen 
und mit dem Sacramente des Abenpmahld erquidt worden. Das thaten 
wir auf finnliche Weiſe durd Zeichen. Doch das Wunderbare, das diefe 
Zeichen bedeuten, wefjen Erinnerung fie und nahe legen, und weldes der 
Sinn und Geift jei, der unter ihnen verborgen liegt, das laßt und jetzt 
erwägen. Es iſt nichts Anderes, ald der Ausdruf unferes Glaubens. 
Wie wir Chriftus leiblich unter leiblihen Zeichen vom Altare hinweg— 
tragen, jo müflen wir ihn ohne Zeichen geiftig in unferem Geifte 
tragen. Der Geiſt, in welchem Chriſtus, das Licht der Welt, getra- 
gen wird, muß heilig fein, wie der Priefter, der das Siegeszeichen des 
Kampfes für Ehriftus trägt, weldes der Sieg des weltüberwindenden 
Slaubens if. Er muß leuchten, wie die brennenden Kerzen, in reiner 
Liebe umd geiftiger Freude. Denn wie das finnliche Leben nur in der 
Freude gerne wohnt, fo befteht auch das geiftige Leben nur in Liebe oder 
geiftiger Freude. Die Zeichen diefer Freude find Reinigfeit, Gefang, 
Hymnen, Berbrüderung, Anftand, Nachfolge in die Fußftapfen der An: 
bänger des Lammes. Beim Eintritt in die Kirche müſſen wir glauben, 
daß wir von der Außenwelt in den Himmel, in die heilige Wohnung 
Gottes und feine heiligfte Ordnung, voll des Wohlgeruchs frommer Ges 
bete in Freude und unter Glodengeläute eintreten bis zum Altare, d. h. 
bis zu Ehriftus felbft, welcher die Hoftie, der Altar und das Opfer ift; 
daß wir dort Gott dem Bater Ehriftus darbringen werden, der in und 
ft und uns in ihm, und daß Gott der Vater diefes Opfer annehmen 
und und in Jeſus Ehriftus an der Bereinigung mit ihm felbft Theil 
nehmen laſſen und mit dem ewigen Leben erquiden wird. Die Speife unferer 
Hoffnung aber müffen wir aus dem Andenken an die wunderbare Ein- 
fegung diefes Sarramentes nehmen. Diefed Sacrament ift durch Ehriftus 
fo angeordnet, daß das Brod in den Leib, und der Wein in das Blut 
Chriſti unter den finnlihen Geftalten zur geiftigen Nahrung 

Scharpff, Nie, v. Cuſa. 


. 594 


wird; und dies ift das größte aller Munder. Zwar find alle Werke 
Gottes wunderbar, und feines von allen ift, deffen genauere Betrachtung 
und nicht am Ende zur Bewunderung führte. Wie unfer Gott verborgen 
ift, fo hat er auch die Mefenheit und Natur aller feiner Werke unferem 
Auge verborgen, jo daß wir nichts an ſich zu erfennen im Stande fin. 
Ginige feiner Werke erregen ganz befonders die Bewunderung der Menſchen, 
3. B. wie der Same bei hinzufommender Wärme fchnell in Seidenwürmer 
verwandelt wird, wie die Frau des Loth plöglih in eine Säule verwans 
delt wurde, wie einige Waflerquellen Hol und Leder in Eteine, der 
Magen das Brod in Fleifch und den Wein in Blut verwandelt, wie aus 
Ale Glas, aus dem Anfclagen der Fenerfteine Feuer entfteht, wie ein 
Storh in einem Ei ift, wie in jedem Theile des Spiegeld die Welt fo 
ift, wie fie im ganzen Spiegel war, wie der Baum im Senfform und 
alle Menfchen in Adam enthalten find, wie der Magnet das Eiſen an- 
zieht und ihm die Schwerfraft nimmt, wie das nämlide Eichtbare in 
vielen Uugen und das nämlihe Hörbare in vielen Ohren ift, wie Eine 
thierifche und Eine menſchliche Natur in der Vielheit der Thiere und Men, 
hen ift und Eine Kerze unzählig viele andere, ohne fich zu vermindern, 
anzündet; wie aus Einer Blume die Biene Honig, die Epinne Gilt 
fanget, und die Eine Sonne dad Wachs weih, den Koth hart macht. 
Solcher Wunder find viele in der Welt, und in dir felbft entdedit du 
ähnliche: Eine Seele ift in dir, Die den Körper belebt, die gang im Ganzen 
und in jedem Theile desfelben ift, die im Auge fieht, im Ohre hört, im 
Magen verdaut. Aber das größte aller Wunder ift, daß die Greatur, 
nämlih das Brod in das Fleifch Ehrifti, alſo in den ganzen, Gottheit 
und Menfchheit lebendig vereinigenden Chriſtus, umd ebenfo der Wein in 
den ganzen Chriftus, nämlich in das Blut, und fomit in Folge hievon (con- 
comitanter) in den ganzen Chriftus verwandelt wird, fo daß fraft der vom 
Priefter mit beftimmter Intention ausgefprochenen Morte durh die Wirk 
famfeit Ehrifti eine Transfubftantiation des Brodes in das Fleifch Chriſti 
erfolgt, das nicht ohne Blut, Seele und Gottheit if. So wird in und 
durch die MWirffamfeit der Seele mittelft der Wärme des Magens das 
Brod in die Subftanz unferer Natur, d. i. in Kleifch, das in und nict 
ohne Blut und Leben befteht, verwandelt. Wie aber unjere Kraft nur 
nah dem Maaße unferes Körpers, in Verbindung mit der natürlicen 
Märme des Magens, im Stande ift, jene Thätigfeit vorzunehmen, näms 
lich lebloſes Brod in Leben zu verwandeln (in vitam transsubstantiandi), 
fo daß «8 lebendiges finnliches Fleiſch ift, fo liegt es allein in der Kraft 
Ehrifti, die die Fülle der Kraft ift von Allem, was an der Kraft partis 
cipirt, in der geiftigen Kraft alfo des Wortes Chrifti liegt es, die Sub: 
ftang des Brodes, — diefe Subftang abgefondert von aller Quantität 


595 


und Accidens gedacht — in das Fleiſch Ehrifti, dieſes gleichfalls in feiner 
reinen fubftantiellen Wahrheit gedacht, zu verwandeln, fo daß unter den 
Accidenzen der wahre Leib Chrifti ganz in der ganzen Hoftie und in 
jedem Theile derfelben entbalten if. Und gleichwie nur der Vernunft, 
welche die Subſtanz ihrer Accidenzen entfleidet, die reine Eubftanı, wie— 
wohl nicht im ihrem Anſich erreichbar ift, fo iſt auch diefes Myſterium 
nur dur den Glauben, der eine vernünftige Kraft ift (quae est virtus 
intellectualis), nicht durch Sinn oder Berftand erfaßbar. Das ift das 
wunderbare Saerament, welches und Nahrung gibt, auf daß wir feit und 
ftarf feien in der Hoffnung, die wir durch Ehriftus haben, verwandelt 
zu werben in ihm zur Kindſchaft (iliationem) Gotted. Denn wenn die Sub- 
ftanz des Brodes und Weines in den Leib und in das Blut Ehrifti durch 
Chriſtus mittelft des SPriefterö verwandelt werden kann, ohne daß die Um— 
wandlung Ehrifto einen Zuwachs oder der Genuß des Brodes ihm eine 
Verminderung zuzieht, fo haben wir in dieſer Nahrung die gegründetfte und 
ficherfte Hoffnung, daß unjere vergänglide Natur durch Ehriftus 
zur Aehnlichfeit mit Ehriftus umgeftaltet werden fönne, fo daß 
wir in Einheit mit ihm das ewige Leben erlangen. O wundervolle Speife, 
wie viel Wonne und Freude gießeft du in unfere Hoffnung! du führft 
und dahin, daß wir, durch dich gefräftiget, über jegliche Greatur ung er: 
heben und feine Befriedigung finden, außer in der Umgeftaltung zur Achns 
lichkeit mit Chriſtus — über jegliche Freude diefer Welt, über jegliche 
Schönheit des Himmels und der Erde und aller Dinge, die im ihnen find. - 
Was ift die Umwandlung ded Brodes in dich anders, ald die Umwand— 
fung Deiner in das Brod? denn wenn Du, o Herr! das Brod in deinen 
Leib ummwandelft, gibft du dann nicht dem Brode Leben? Was ift die 
Umwandlung ded Brodes in unfer Fleifh anders, als daß die Seele bes 
lebend in das Brod ſich niederläßt? Eo bift denn du, o Gott! meine 
Hoffnung, meine Stüge und Zuflucht, du die Speife, die Freude und das 
Brod meined Lebens! Zum Leben werden wir umgewandelt, nicht zu 
einem eben, weldhem etwas fehlt und mangelt, fondern zum geiftigen Leben 
(in vitam intellectualem), welches jedes finnliche und verftändige übertrifft, 
jede Wonne und Freude in fih hat. — So finde ich die Nahrung meiner 
Hoffnung in dem Andenfen an dieſes wunderbare Sacrament. Gott gab 
aber denen, die ihn fürchten, dieſe Speiſe auch zur Nahrung der Liebe. 

Unfer Herr liebte uns bis zum Tode und gab fein Leben Hin, 
damit wir das Leben hätten. Das Leben aber der Pilger diefer Welt 
wird durch Speife und Tranf erhalten Weil nun der Herr felbit den 
Umgang mit uns verlafjen follte, hinterließ er eine Erinnerung an feine 
Liebe, durch die er und in feinem Tode das Reben gab. Um daher Alles, 


was unbegrenzte Liebe erheijcht, aufs Vollfommenfte zu erfüllen, gab er 
38 * 


596 


feinen Schülern und Nachfolgern, die er bis and Ende d. 5. aufs Imnigfe 
liebte, die Macht, ihn in den vorzüglicften Nahrungsmitteln des Leben 
— im Waizenbrod und Mein gegemwärtig zu haben, damit fie in dem 
Genuß derfelben und in der facramentafifchen Gegenwart Ehrifti ein frohes 
Andenken an den Tod Chrifti hätten, und der Geiſt einfche, daß vie 
geiftige, und durch den Tod Ehrifti erworbene Belebung dur den gei— 
ftigen Genuß Chriſti bewahret werde und zur fehnlichften Ergreifung der 
Lebensipeife führe. Daher ift jene Speife der Liebe, das Andenfen ar 
jenes wunderbare Sacrament, der Beweis der größten Liebe. Weſſen Liche 
nicht durd ein Wohlwollen, über das «8 fein größeres gibt, erwedt und 
genährt wird, in dem fann fein Leben jenes Geiftes fein, der die Liche 
ift, denn es gibt teufliihe Salamander, die durch das Feuer nicht erwarmen. 

Damit daher ihr, die ihr grünes Holz und doc erftorbene Kohlen 
ſeid, vom Geiſte Gottes angefacht durd mich, den freilich ſehr unwürdigen 
Diener desfelben, die Speife der Liebe verfoften könnet, wollen wir ung bie 
Freigebigfeit und Güte des Schöpferd und unferes Herrn Jefu Ehrifti ver 
gegenwärtigen. 

Erinnern wir und zuerft an die natürliben Wohlthaten, durs 
die wir leben und find, dann an die übernatürlicen! 

Mürde Gott ald der Geber alles Guten geglaubt und anerkannt, 
wie könnte man noch ihn nicht lieben? ine todbringende Erftarnung it 
ed daher, wenn man an ihn glaubt, und ihn nicht liebt. Die Teukl 
glauben und zittern, aber fie lieben nicht. in teuflifcher Glaube if da 
her der Glaube ohne Liebe. Wer follte den nicht lieben, der und dad 
Auge gegeben bat? warum liebft du den nicht, der dir Sein und 
Leben gab? Was bift du, ald eine Menge und Fülle von Geſchenken 
Gottes? was haft du, das du nicht empfangen hätteft? Du bift nice, 
als ein von Wohlthaten Gottes brennender Feuerbüſchel; zählſt du die 
Gaben, die du empfangen haft, auf, fo findeft du eine Menge Badeln ver 
Liche. Ein Wunder ift es, wenn du da nicht erglüheft. Beachte, daß 
teuflifches Gift ſchon im dich geträufelt ift, weil alle Wärme in bir er 
faltet ift und erftarrt. So beftrebe dih denn, daß du nicht vorübergehend, 
fondern andauernd und bleibend erwarmeft. Wie? wenn ein großer 
König fein ganzes weit ausgebreiteted Neich fo anorbnete, daß Alle fit 
dir gefällig erwiefen, und Alles für dich zu einem heitern und glücklichen 
Leben eingerichtet wäre, und der König ſelbſt unabläffig dir beiftünde, 
dich beihüßte und bewahrte, dich zum Erben feines Reiches ernennete, ja 
nicht nur das Reich, fondern fich ſelbſt, wenn du es verlangen folltelt, 
dir zum Lohne darbrächte, müßteft du nicht diefen König mit Recht übt 
Alles und aus ganzem Herzen lieben? Siehe nun, was der Regent des 
Himmels und der Erde, dein Schöpfer, dir gegeben! Hat er nicht Alle 


597 


im Himmel und auf Erden zu deinem Dienfte angeordnet? Betrachte bie 
Erde! fie ift die Vorrathäfammer, aus welder dir Gott Nahrung und 
Kleidung, Wein und Brod, die Thiere: Schafe, Ochſen, Laftthiere zu 
deiner Ernährung, Kleidung, zu deinen Reifen hervorholt. Betradte das 
Waſſer! wie viele Dienfte leiftet e8 dir zu Fiſchfang, Waſchen, Schiffen 
und Unzähligem diefer Art! Betrachte die Luft, die da dient zum Athmen, 
zur Erfriihung und ald Wind zur Reinigung und zur Schifffahrt, als 
Molfen zum Regen, der die Erde befeuchtet. Was foll ich vom Feuer 
jagen, das und ein Schugmittel gegen Kälte und Blöße, und die Duelle 
von tauſend Vortheilen ift? was von der Sonne, diefer Leuchte des Tages 
für dich und die Thiere? Sie macht die Frucht reif, erwärmt die Luft, 
lockt die Keime hervor. Was von allen Sternen, welche alle fich beeilen, auf 
deine Natur erhaltend einzuwirfen? Was von den Engeln, den Beihügern 
und Bewahrern vor Unglüdsfällen, den Führern zum Guten? Was von 
den Heiligen, den Bermittlern und Fürſprechern bei Gott, ihrem Herm? 
Alles iſt um deinetwillen da, felbit die Hölle, um durch ihre Schreden 
did vom Böfen abzuhalten, und Denen, die fih gegen dich verfündigen, 
gerechte Strafe zu vergelten; die böfen Geifter find für dich da, damit du 
aus ihren Berfuhungen ald gefrönter Sieger hervorgeheft und in MWider- 
wöärtigfeiten als tapferer Sieger dich erprobeft. Alles ift zu deinem Beften. 

Und nun erhebe dich zu dem unendlichen Gefchenfe der Gnade, Die 
dich in Dem, der das Leben ift, zum Beige ded ewigen geiftigen Lebens 
berufen bat; der, damit du dieſes erlangen Fönneft, Menjch geworden ift, 
fih Allen unterworfen, dich belehrt und auf den rechten Weg geführet 
bat. Er zeigte dir die Wahrheit, indem er fie durch feinen Tod befräfs 
tigte, und durch viele Zeugen, welde in feinem Blute dir das Zeugniß 
der Wahrheit abgelegt haben. Und da er aus diefer Welt fcheiden wollte, 
da ermiedrigte er, der aus reiner Güte dich erſchuf, ſich bis zur Fleiſch— 
werdung und zum Tode, um dich aus reiner Liebe zu erhöhen, und hielt 
ed für feine größte Freude, bei dir zu fein bid zum Ende. Um fein 
Verſprechen in Bezug auf die Erlöfung zu erfüllen, fuhr er in glorreicher 
Seligfeit auf gen Himmel. Zugleich blieb er aber auch bei dir auf dieſer 
Welt, wo die Wahrheit nur im Bilde erreicht wird, auf die Weife, in 
welcher in diefer Welt allein eine Theilnahme an der Gemeinihaft mit 
ihm möglich ift, nämlich unter dem Bilde des Sacramentd, unter finns 
lihen Zeihen, damit du ihn dereinft im wahren Baterlande nah der 
Beichaffenheit ded Lebens jenes Reiches, fo wie er ift, genießen Fannft, 
in diefer Welt nach ihrer Beichaffenheit, in Geftalt und Bild, dort durd) 
Erfaffung desfelben, ald des Lebens, durch offene geiftige Anfhauung, 
d. h. durch dem reinen und Maren, von allem Bilde befreiten Geift der 
Wahrheit, welche begreifen fo viel ift, als mit ihr verbunden fein in 


598 


ewigem Leben; durch den Glauben alfo, durch jene Gabe, vermöge wel 
cher der Geiſt über fi felbit im Bilde die Wahrheit erreicht, vie unter 
den ®eftalten verborgen ift. Unfere Vernunft fieht in Brod und Wein 
nicht das Leben, nicht einmal das förperliche, fondern fie weiß mur, geleitet 
von der Natur, daß ed dort fei und genießt daher Brod und Wein zur 
Erquidung, und indem fie im Glauben Brod und Wein zur Stärkung 
des leiblihen Lebens genießt, findet fie diefe Stärfung da, wohin di 
Natur felbit fie geleitet hat, aber nicht in allem Andern, weil die Natur 
fie nicht dahin leitet. So fieht fie im Brode nicht das Leben des Hin: 
meld, aber durd die Gnade des Glaubens wird fie angeleitet, im jenem 
Brode die Erquidung des Geiſtes zu ſuchen und fo findet fie denn aud 
diejelbe. 

So nährt denn dieſes Sacrament unfere Liebe. Betrachten wir mit 
unferem Geifte das eben Angeführte, fo fehen wir Die unendliche Liebe 
Gottes, mit der er und zuvor geliebt hat und micht aufhört zu lichen, 
fondern ohne Unterlaß liebt, und nicht wegen etwas liebt, das ihm fehlt, 
und bei und ſich fände, da er die vollfommenfte, durchaus nichts entbeb 
rende Güte ift, und und auch micht liebt, um wieder geliebt zu werden, 
da er die Liebe ſelbſt iſt. Darum läßt auch feine Liebe nicht nach, wenn 
wir wegen Alters, Schwäche, Armuth oder Todesichreden von Ander 
verlaffen find; nein, immer gleich liebt er und, auch wenn wir fterben 
und Allen ein Abfchen find, hört er nicht auf und zu lieben; denn fein 
Sein ift Liebe und fein Sein ift fein Wirfen; wenn er daher ift, ſo 
liebt er auch. Weil er nun fo fehr uns liebt, fo ſchenkt er und ftet 
reichlib feine Gnade, wenn wir fie nur annehmen; immer üft er de 
Barmberzige, wenn wir um Barmherzigkeit bitten, immer unfere Zuflutt; 
unter den Geftalten des Sacraments nährt, ftärft und tröftet er und 
Alle ohne Unterſchied, Geſunde und Kranke, Könige und Knechte, Reit 
und Arme, Gelehrte und Ungelehrte, ftetS bemüht, durd das Machtwon 
feiner Liebe unfern Geift in feinen Geift der Liebe umzuwandeln, wie der 
Regent durch feinen Willen den Willen des Unterthanen, den er lieb bat, 
in den feinigen ummwandelt. Für diefe Umwandlung hat er das Sarıı 
ment der Liebe, in welchem er dur fein Wort die Subſtanz des Brote 
in feinen Leib ummandelt, und als das höchſte Deufmal eingelegt. 

Wer kann fih demnach vor feiner Liebe verbergen? Kein Geil, 
rürwahr! er fei denn von dem teuflifchen Ungeheuer dur unendliche Kält 
getödtet, ohne Empfindung und Bewegung wie das fetgefrorene Et, 
wird von ſolchem Lichtglanze nicht erleuchtet, von folder Glut nicht 1 
wärmt, von folder Liebe nicht entflammt, von fo lieblihem Weine nid! 
beraufcht, von fo föftlicher Speife nicht erquidt, von einem ſolchen Gute 
nicht zum Danfe gerührt. 


599 


So iſt denn das Andenken am dieſes Sacrament eine wunderbare 
Nahrung des Glaubens, weil der barmberzige Gott es eingelegt hat; 
eine noch wunderbarere Nahrung der Hoffnung, weil der erbarmende 
Gott in demfelben die Subftang des Brodes in fein Fleifh und die des 
Meines in fein Blut verwandelt, und die wunderbarfte Nahrung der 
Liebe, weil es der Gott Aller, der Schöpfer und reichlidhe Spender alles 
Guten zum Andenfen an die Licbe, mit der er und liebt, eingeſetzt hat. 
Nähren wollen wir und darum mit dieſer Lebensſpeiſe, damit wir ins 
eroige Leben umgewandelt werden, wo das Leben herricht ohne Tod in 
Ewigkeit. Amen. (Exc. IV, 446—449.) 


Der Beruf des Ebriften. 


Beachten wir, daß wir eine Münze find und unfere Natur ein Bild 
in fi trage, das ihr von der göttlihen Vernunft eingeprägt ift. Keine 
Minze entiteht, außer durch einen Verſtand, dem die Werkzeuge dienen ; 
fein Menjch entfteht, außer durch die Vernunft, welche Gott ift, dem die 
Intelligenzen (Engel) und (mittelft diefer) die Himmel dienen. Kein 
anderes als ihr eigenes Bild prägt die reine Vernunft und ein, durch 
das aucd wir vernünftige Weſen find. Wir haben alfo das Leben der 
Vernunft im Ebenbilde Gottes, welches wir nach Gerechtigkeit, wie nad 
dem Willen Ehrifti Gott geben müfjen, denn es ift das Ebenbild Gottes. 
Wir werden belehrt, daß wir der zeitlichen Welt ihren zeitlihen Tribut 
geben jollen, den Geift Gott, weil wir ihn von Gott haben, der Erde, 
was wir von Adam haben. Nicht follen wir den Geift der Welt geben; 
Diejenigen geben den Geift der Welt, welche die Vernunft der Sinnlichkeit 
bingeben, deren Gott ihr Bauch if. Die Vernunft darf den Sinnen 
nicht dienen, fie fol über fie herrſchen. Nur mit Maaß und Ziel (cum 
discretione) dürfen wir die Welt, z. B. die Nahrung, gebrauhen. Das 
ift die Gerechtigkeit, weldhe Jedem das Seine gibt; wer an ihr hält, ift 
auf dem Wege zum Frieden, der alle Sinne überfteigt. 

Durch eine are Nachweiſung des Namens löst fich jeder Zweifel... 
Es handelte fih um das Bributentrihten; da ed nun verjchiedene Arten 
desſelben geben kann, fo löste fih, wenn von der Entrictung durd Geld» 
münze die Rede ift, durch Vorzeigung einer Münze aus dem Bilpniffe 
und defjen Umſchrift jeglicher Zweifel. So wenn die Frage aufgeworfen 
wird, ob der Chriſt der Welt und ihrem Fürften dienen dürfe, ift aller 
Zweifel befeitigt, jo wie man die Münze und ihre Umſchrift aufweist. 


600 


Wir find nämlich die Münze Ehrifti, haben feine Geftalt und Umſchrift, 
wie der Name Ghrift beweist. Alfo nicht der Welt, fondern Chriftus 
gehören wir. Bift du ein Mönd und willft willen, ob es dir erlaubt 
fei, unter den Menfchen zu leben, wobei du einige Gebräuche (Mißbräuche) 
aus diefer Welt anführeft, wie die Juden zu ihren Gunften den Befehl 
des zeitlichen Fürften, d. i. des Kaiſers, anführen fonnten, fo iſt bie 
Frage alsbald gelöst, ſobald der Richter zu dir fagt: fage mir: was ift 
das Möndthbum? Bit du ein Ganonifer, fo haft du nad den Borjchriften 
der Väter und den Canones der Heiligen in aller Ehrbarfeit und Ge 
horſam zu leben und nicht von Perſonen und Sachen einen verkehrten 
Gebrauch zu mahen. Seid ihr Bürger einer Stadt, und fraget, wie 
ihr zu leben habt, fo fage ich: was bedeutet eine Stadt? Sie ift eine 
Einheit der Bürger; Einheit befteht aber in der Uebereinftimmung (con- 
cordantia), UWebereinftimmung ift die Harmonie von Berjchiedenem (wie 
bei einer Orgel oder Cither), wo Ein Glied dem andern dient und das 
höhere mit dem niedern leidet ..... 

Als die Frage über die Entrihbtung der Steuer an den Kaifer auf 
geworfen wurde, und die Juden durch Aufweiſung einer Münze, bie 
das Bildnif und den Namen des Kaiferd enthielt, überwielen waren, 
daß man dem Kalfer Steuer fchuldig fei, 309 der Herr daraus ben 
Schluß, dem Kaifer fei zu geben, was des Kaifers ift, und fügte bei: 
und Gott, was Gottes if. Denn wiewohl nidt ausdrücklich gefragt 
ward, ob wir auch Gott etwas fchuldig feien, jo lag doch dieſe Frage 
verftet in der andern. Denn die Juden meinten, ald Söhne Abrabams 
müßten fie frei fein und hätten feinem Menfchen Steuer zu entrichten; 
fie feien nad dem Gelege nur Gott als Untertbanen verpflichtet. Chriftus 
wollte ihnen nun aus dem Denar uachweifen, daß fie dem Kaiſer als 
ihrem Herrn, dem die Steuer auf Erden gebührt, aud Unterwerfung 
ſchuldig ſeien. Dadurch find fie jedoch nicht vom Gefege Gottes frei; denn 
ein anderer ift der bimmlifche Herrfder, dem man vor Allem gehorden 
muß, ein anderer der irdifche, dem man in der gebührenden Weife gleid- 
falls Gehorfam fhuldig if. Das Aceidentielle, das an der Münje 
war, Bildniß und Namen des Kaifers, bezog fih auf dieſe Welt; die 
Subftanz des Metalled gehörte Gott. Waren alſo die Juden wegen 
des Accidens zur Steuer für den Kaiſer in dem Aceidentiellen verpflichtet, 
fo waren fie Gott den Tribut im Subftantiellen fchuldig, weil wir nict 
bloß Aeußerliches und Acciventielles Gott zu geben ſchuldig find, fondern 
Alles, was wir von ihm haben, ift fein Eigenthum, unfer Sein, Leben 
und Denfen. Somit haben wir der Welt das Ihrige in der Meife zu 
geben, daß wir Gott nicht das Seinige entziehen. 

Wenn uns das pharifäifhe Unweſen befält, fei es des Hochmuths 


601 


oder der Heuchelei, und wir und vornehmen, der Wahrheit untreu zu 
werden, dann verfuchen wir Gott, der die Wahrheit if. Danı mögen 
wir und daran erinnern, daß Ghriftus fi die Münze zeigen ließ. Wir 
wollen dem Gefege Gottes nicht gehorchen, indem wir vorgeben, daß wir 
andere befiere Werfe verrichten, oder, daß wir zum Gehorfam gegen das 
Geſetz nicht verpflichtet feien. Sehen wir aber auf die Münze bin, fo 
finden wir, daß wir mit dem Ebenbilde Gotted und dem Namen Ehrifti 
geziert find, und fo können wir dem Gehorfam und der Gejegeserfüllung 
und nicht entziehen. Unſere Subftanz ift eine Münze Gottes, denn durch 
das Ebenbild Gottes find wir, was wir find; daher hat die Aehnlichkeit 
mit dem Sohne Gottes, dem Abbilde des lebendigen Gottes, in und ſich 
eingeprägt, durch Gott den Bater, der und dem Sohne ähnlich gebildet 
hat (configuravit filio). Nachdem wir durh die Sünde Knechte des 
Fürften diefer Welt geworden, fo ift unfer befledtes und durch angelegten Roft 
unfenntlich gewordenes Bild durch das wahre Abbild Gottes, den Sohn 
Gottes, gereinigt und wieder erneuert (reformata) worden. Er hat und 
erlöst und uns aus der Sklaverei der Sünde in fein Reich aufgenoms 
men, zu Erben Gottes und feinen Miterben, er hat uns die Umſchrift 
der Freiheit gegeben, durd die wir fein Gigentbum find... Das ift 
aljo die Münze, die wir aufzuweifen haben. Wir Männer fönnen uns 
nicht anders aufweiſen, denn ald eine Münze aus ächtem Golde, ihr 
Weiber, ald eine Münze reinen Silbers. Zeigen wir uns als folde, 
fo geben wir Gott, was Gottes ift und lafjen der Welt, was ihr 
gehört. Gerathen wir Männer in Berfuhung, fo mögen wir wohl 
erwägen, wie wir und vor dem Richterſtuhle Gottes darftellen follen. 
Sind wir nicht eine reine Münze lautern Goldes, die das reine Bildniß 
Gotted und den Namenszug Ehrifti unfered Erlöſers darjtellt, fo geben 
wir nicht Gott, was Gottes ift; wir werden darım auch nicht in feine 
ewigen und ungerftörliben Wohnungen aufgenommen, weil wir feine 
Münze aus reinem und äcten Golde find. Das Aechte duldet feine Bei: 
mifhung. Darum wenn du, o Sünder! entweder durch eine Beimifhung 
geringerer Metalle das lautere Gold verfälihet und das Ebenbild des 
Schöpfers in ein Ebenbild der Ereatur verwandelt, oder wenn du den 
Namenszug Ehrifti, des Erlöſers, verloren haft und dafür den Namen 
ded Fürften diefer Welt, dem du dich ergeben, führeft, fo hat deine 
Münze feinen Werth im Neiche Gottes, wo nichts Verfälfchtes, Schmußi- 
ged und Zerftörliched Eingang finde. Du fannft aber auch Gott nicht 
täufchen, denn er ift ein hellloverndes Feuer. Das Gold bewährt im 
Beuer feine Aechtheit. IM es Acht, fo beſteht es im Feuer und ſcheint 
fih in Feuer zu verwandeln; ift es unächt, fo wird es zu Rauch, fein 
Glanz verwandelt fih in Schwärze, fein Gehalt in Aſche. Naht dir 


602 


daher die Verſuchung, daß du mittelft der Münze Gottes mit dem Teufel 
Handel treiben willft (ut de numismate Dei mercimonia diaboli exer- 
ceas), wodurd die Münze an Werth verliert und das Bildniß zerftört 
wird, fo widerftehe, damit du dich nicht befledeft. Iſt aber das Bil 
niß deiner Münze befledt, fo lerne von den Münzmeiftern und Gold— 
ſchmieden, wie du die Fleden binwegfchaffen und den Glanz wieder 
erneuern magft. Erwärme die Münze im Feuer der Betrübniß deines 
Innern, jedoch nicht in einem Feuer, welches das Metall ganz auflöst, 
d. i. nicht in Verzweiflung. Aus dem erweichenden euer ftürze dich in 
das falzige und Agende Waſſer der Thränen und wiſche es ab mit den Hin 
den d. i. mit Werfen der Barmherzigkeit, und der Glanz der Münze wird 
wieberfehren, die Umfcrift des Teufeld wird zerftört und der Namenszug 
des Grlöjerd wird wieder hervortreten. Kehrt auch das Gewicht des 
Goldes dur diefe Reinigung micht wieder und leidet dasfelbe einigen 
Abmangel, fo wird doc die gereinigte Münze in ihrem Werthe, nad 
ihrem Gewichte, wieder angenommen. Iſt aber dad Gold felbfi durd 
eine fo große Reinigung im Feuer der Liebe geläutert, daß es einen 
Vorzug vor anderm Golde erhalten hat, dann ergänzt der reine Glanz 
den Werth des Gewichtes. Wenn daher gleich die verlorme Unſchuld 
unerſetzbar ift, fo fann dod der Werth des Goldes durch das Feuer dir 
Buße wiederhergeftellt werden, Beftrebe dich, daß deine Münze Gold 
bleibe und hoffe dann dur ihren Werth auf das Maaf ver (einftigen) 
Herrlichkeit! If dein Gold durch Geduld und durch dad Feuer der 
Trübfal beffer geworden, fo wirft vu gebüßrendermaßen wieder auf: 
genommen werden. Haft du fiegend über das Fleiſch die Jungfräulichkeit 
bewahrt, fo wirft du ein anderes Gold edler Kronen davontragen. Hall 
du ald Martyrer in großer Liebe dein Leben bingeopfert und ven Werth 
deines Goldes noch erhöht, jo wirft vu große Iufignien aus dem beten 
Golve empfangen und im die Wohnungen der fiegreihen Fürften auf 
genommen. 

Die Weiber, die einer Münze von Silber gleichen, mögen, was 
von der Goldmünze gefagt ift, gleichfalls beachten. Sie haben das 
gleiche Bild und Umfchrift, wie die Männer. Auch ift ihr Silber mit 
von geringerem Werthe, als das Gold, es iſt weißes Gold. Ein foldes 
foftbares Eilber ift von großer Reinheit; es ift ungerftörlich, ſolid, 
gewichthaltig, freundlich und füß. Haft du das Ebenbild in dir befledt, 
fo reinige es, nimm den Roſt vom Silber und ed wird ein reine 
Gefäß werden, wie vorhin hinfichtlich der Männer gefagt wurde. Olaube 
nicht, deine Münze gelte im Himmelreiche weniger als die goldene, denn 
der Werth von beiden ift gleich. Denn im Neiche Ehrifti gibt es feinen 
Unterfchied von Mann und Frau, wiewohl wenige Münzen, ſowohl gel: 


603 


bene als filberne, rein und unvermifcht find. Denn eine gute Münze: ift 
nicht ‚lange im Verkehre, ohne daß fie nicht fchlechter wird. Daraus 
entnimm, daß Wenige volllommen und Viele berufen find, und wie es 
faum möglih ift, daß der Menſch fich bei längerem Berfehre mit der 
Welt nicht beflede. Wir haben daher große und forgfältige Wacfam- 
Feit nöthig. Das Eilber ift weiß durch Schamhaftigkeit und Keufchheit, 
rein dur Unſchuld, wohlklingend durch angenehme Unterredung, dem 
Balſam ähnlich, dur Bewahrung des guten Rufes, dem Edelſteine am 
Werthe gleih, durch Hülfeleiftung bei den Nächften, durch Güte und 
Wohlthätigkeit. (Exc. VII, 607—610.) 


Scheinchriften und wahres Ehriftentbum. 


Eine gläubige Seele kann ſchwach (infirma) werden, und fo lange 
fie ih als ſchwach erkennt, lebt in ihr noch der Geift der Erfenntniß. 
Sie naht fih dem Worte Gottes, das in der bi. Schrift enthalten ift, 
und nimmt es mittelft eined pflegenden Arztes, der die Stelle 
Chriſti vertritt, als eine heilfame Arznei in fih auf. Das aufgenommene 
Wort der Wahrheit macht die Seele frei, wie das Wort der Mahrheit 
aus dem Munde des Lehrers den ungebildeten Verſtand von der Unwiſ— 
jenheit befreit, die ihm verdunfelt und in Finfterniß gefangen hält. Wie 
ein Kraut die förperlihe Schwäche nur mittelft der unfichtbaren Heilkraft, 
die unter ber fichtbaren Farbe und Geftalt verborgen ift, heilet, jo macht 
die Schrift die ſchwache Seele nicht durd ihren Einband (per corticem) 
oder die fihtbaren Buchftaben, fondern durch die unſichtbare Kraft frei, 
die unter dem Buchftaben verborgen if. Die Vernunft erfennt jene 
Kraft mittelft"ded Glaubens an Chriftus, wie der Arzt die Heilkraft 
eined Krautes mittelft des Glaubens an Hypofrates fennt, der ihn über 
jene Heilkraft belehrt hat. Das fcheint der Unterſchied zwifchen dem 
Evangelium und den übrigen hl. Schriften zu fein, daß legtere alle die 
Kraft der Weisheit oder des Wortes Gottes zu offenbaren fuchen, im 
Evangelium aber dad Wort Gottes fich ſelbſt offenbart. Wenn in einem 
Buche über eine Arznei eine Belehrung fteht, wie Diefe Arznei curirt und 
die Zubereitung der Arznei dir gezeigt wird, fo glaubſt Du, daß bie 
Heilfraft, die unter dem fichtbaren Präparate unfichtbar enthalten ift, eben 
das fei, was heil. Das trage nun auf Chriftus über Wenn die 
hl. Schrift, die von der Arznei für die Seele handelt, fagt, Ehriftus fei 
bie Arznei der Seele, fo verftehe diefed nur von der Kraft, Die umter 


604 


dem fichtbaren Körper verborgen ift, denn die Heilung ber umfichtbaren 
und ungerftörlihen Seele ift unförperlicher und ewiger Natur. Es if 
jene göttlihe Kraft Chrifti, welde die Seelen von Unwiſſenheit oder 
Blindheit befreit, welhe aus umviffenden Menjhen vangeliften, 
gefrümmte Seelen wieder gerade und gerecht machte und den Bejeflenen 
ihre Tobſucht benahm. 

Wir wollen nun nach Lefung ded Tertes ded Evangeliums und ber 
Epiftel etwas tiefer in das Verſtaͤndniß ded Evangeliums eindringen 
(Christum altius evangelizare). 

Die Seele eined Ehriften, der fib im Zuftande einer Todſünde bes 
findet, ift einer gemalten Statue von Ehriftus ähnlich. Eine ſolche Statue 
trägt den Namen Chrifti, allein fie hat Augen, ohne zu fehen, Ohren, 
ohne zu hören, Füße, ohne zu gehen. So ift aud die Seele im Zu 
ftande von Todfünden aller ihrer Sinne beraubt. Sie ficht nicht, weil 
fie Gott nicht fchen fann, den nur die anſchauen, welde reinen Herzens 
find, wie gefchrieben ftcht: „Selig die reinen Herzens find, fie werden 
Gott anſchauen.“ Sie hört nicht, denn fie verfhmäht es, das Wort 
Gottes zu hören. Sie riecht nicht, weil fie von dem MWohlgeruche Ehrifti 
nichts wiffen will. Sie hat feinen Geſchmack, denn fie will die Eüßigfeit 
des Wortes nicht verkoften. ie hat feinen Taftfinn, denn fie will das 
Mort des Lebens nicht betaften. Als unfer Erlöfer in die Welt Fam, 
fand er ein foldyed in Todſünden lebendes Menſchengeſchlecht vor, das 
durd alle Einne hin ſich mit leblofen Bilpfäulen vergleichen ließ. Alle, die 
nur dem Namen, nicht dem Geiſte nach Ehriften find, die Gott nicht im 
Beifte und in der Wahrheit aubeten, werden mit Recht mit Bilpfänlen 
Ehrifti verglichen, die Äußerlih ein Bild der leiblichen Geftalt Chrifti, 
aber im innern Menfchen, in dem wir Ehrijten fein follen, ohne Leben 
und Geiſt find. Nur diefer innere Menſch, der nie altert, fondern in 
aller Lebensdauer des Äußern Menſchen immer über die Zeit erhaben it, 
kaun Ehriftus ähnlich fein, zwar nicht präcis Ähnlich, was’ unmöglid if, 
aber doch in einer gewiſſen Nachfolge, die in Jedem eine andere ift, wie 
an dem unzerftörlihen Mefen der Menſchheit alle Menfchen, wiewohl 
Jeder in anderer Wetje, Theil nehmen. Es fann daher die Umgeſtaltung, 
durch welche ver Menfch im Geifte oder innern Menfchen fih umgeftaltet, 
immer, fo lange der Menſch Menfch ift, vor fi gehen. Denn wie der 
Herr, der Gottes Sohn ift, Knechtägeftalt annahm, jo nehmen die Knechte, 
die Kinder Adams, die Geftalt des Herrn in der Taufe an, wo fie ab 
gewafchen und mit dem heiligen Dele gejalbt werden, um Chriſtus ähnlich 
zu fein. Allein nicht Alle bewahren die empfangene Geftalt im Geifte: 
der Name bleibt, der Geift aber ift regungslos, das Leben ein fleiſchliches. 
Dies kommt daher, weil fie, was des Geiftes Gottes ift, durch dem fie 


605 


Chriften fein follten, nicht verftehen. Ihre chriftliche Bildung fommt bei 
einem gewiffen finnlihen Weſen zum Stilfftande, wie in der Vergleichung 
mit den Etatuen angedeutet ift, wo wir den Anblid einer äußeren Form 
und den Mangel des Geiftes wahrnehmen. Wenn wir rechte Umſchau 
halten, fo ift die ganze hriftliche Religion mit wenigen Ausnahmen zur 
bloßen Erſcheinung herabgefunfen, wie wir an vielen religiöfen Orden 
jehen, wo bei mehreren nur der Habit geblieben ift, nichts vom Geifte 
des Drbensftifterd. Unter jenen Bilpfäulen find einige von Gold, 
andere von Silber, oder Kupfer, Blei, Eifen, Stein, Holy, Thon ıc. 
Es gibt in der fichtbaren Kirche neun Ordnungen der Böfen, fo wie es 
in der Kirche neun Ordnungen der wahren Streiter Gottes gibt. Es 
gibt nämlih Namenchriften, welde ein ganz irdiſches (gestantes ima- 
ginem Christi terream), d. i. fleifchlibes und gemußfüctiges Bild 
Ehrifti an ſich tragen, deren Gott der Bauch ift. Wenn fie gleich Ehriften 
beißen, fo find fie doch Gögendiener. Denn foweit Ehriftus ihrem Bauche 
dient, joweit lieben fie ihn. Der Bauch ift alfo, wie der Apoftel ſagt, 
ihr Gott und ihr vermittelnder Chriftus. Dahin gehören Die, welche fich 
den Schein von Demuth und Aehnlichfeit mit Ehriftus geben, um auf 
diefem Wege ihre fleifchlichen Begierden zu befriedigen, wie das freund» 
liche Weib, von welchem Salomon fagt: „beſſer ift die Bosheit des 
Mannes, als ein freundliches Weib.“ ) Es weiß, daß die Tugend 
Beifall findet, daher nimmt e8 den Schein der Tugend oder Ehrifti an, 
um geliebt zu werden und ſich an Genüſſen zu ergögen. Es gehören 
hieher ferner die Ehriften, welche ein hölgernes Abbild Chriſti worftellen: 
fie trachten nad Gewinn und find voll Habfuht. Es gibt au?) fteis 
nerne Chriſten: hart, umerbittlic, ohne alles Mitleid, hartherzig; eiferne 
— die Geijigen (tenaces), bleierne — die Neidiſchen, zinnerne — bie 
Rollüftigen, fupferne — die Hochfahrenden, filberne — die bünfelhaften 
Vielwiffer (scioli), goldene — die Eitlen. Alle diefe lieben nur fich ſelbſt; 
fie find der Endzweck ihrer Religion, die Geftalt Ehrifti ift ihnen nur ein 
Mittel, um ihre Wünfche defto leichter zu befriedigen. Von ihnen Allen 
wird Ehriftus umbhergetragen, wie ein Bild, das betrügeriſche Ablaßfrämer, 
welche ein heiliges Kreuz und Reliquien um des Gewinnes willen zeigen, 
umbertragen. Gegen alle diefe ruft Ehriftus laut: Weh euch, ihr 
Heuchler! und warnt vor ihnen ald Solchen, die in Schafpelzen fommen 
und reißende Mölfe find. In ihnen Allen ift der innere Menſch göttlichen 
Geiftes baar, ihr Geift ift wolfsartig, der thieriſche Geift diefer Welt. 


1) Die Stelle ift aus Jeſus Sirach 42, 14; fie hat zu obigen Worten noch ben 
Beiſatz: „ — — ein Weib, das ihm Schimpf und Schande bringt.“ 
2) Statt enim bed Tertes ift etiam zu leſen. 


606 


Wie werden nun alle diefe Pfendochriften erfannt? Jeſus fagt: an 
ihren Früchten! Worte und Handlungen befunden den Geift des Menfcen. 
Niemand kann reden oder wirfen außer durch Bewegung, alle Bewegung 
aber geht von einem bewegenden Beifte aus. So offenbart das Aeufer 
den inuern Geift, das Auge ift der Bote des Herzens. Unziemliche Ber 
wegungen, unzüchtige Worte, unzüchtiger Blick beweifen, daß die Wolluſt 
den Geiſt beherrſche. Daß Chriſtus in uns lebe, erkennen wir, wenn ein 
ſo reger guter Geiſt uns beſeelt, daß wir die Sünde haſſen, und jede 
ſündhafte Regung uns ein Gräuel iſt. Paulus zählt die Früchte dieſes 
guten Geiſtes auf: Liebe, Freude, Friede, Geduld, Milde, Güte, Lang 
muth, Sanftmuth, Treue, Mäßigfeit, Enthaltfamkeit, Keuſchheit. Ehriftus 
ift nämlich das Leben oder die Tugend; Gerechtigkeit, Friede, Wahrheit 
und jeglibe Tugend ift In der Einen Tugend enthalten, welche der Geil 
des Lebens Chrifti genannt wird. In wem Chriſtus ift, in dem ift der 
Geift Gottes, der nur zum Ewigen, Unvergängliden und Himmliſchen 
hintreibtz und das ift dad wahre Leben. Denn die Wahrheit bleibt in 
ale Ewigkeit. Die Kraft jened Geifted, der zu den Tugenden, die 
ewig find, antreibt, ift daher der Duell des unfterblichen Lebende. Bes 
achte hiebei, daß das Wort Gotted diefen Geift, fomit den Quell bed 
Lebens in ſich enthält. Es löst unfern vernünftigen Geift, der ven 
Glauben in fib aufnimmt, von den fleifchlichen und Förperlichen Gelüften 
diefer Todeswelt los und zieht ihm im fein Lichtreih hinauf, auf daß er 
von der Kuehtichaft, in der er dem Tode d. i. den vergänglichen Be 
gierden diente, befreit neu auflebt zu einem göttlichen Leben. Wie der 
Körper durch die Seele, fo wird die Seele belebt, wenn fie den Geift 
des göttlichen Wortes in fih aufnimmt. Durch Anfchlug an den Geilt 
Ehrifti wird die Seele nad Ehriftus geftaltet (christiformis); denn fie 
geht in die Wereinigung mit der Kraft über, am die fie fih anſchließt. 
Sie wird Eines mit der Gerechtigkeit durch Anſchließen an fie (adhae- 
rendo), Eines mit der Liebe; und fo mit allen Tugenden. Die gerechte 
Seele ift alfo Eines mit dem Geiſte Ehrifti, der der Geift der Gerechtig⸗ 
feit ift. 

Es fünnte nun Jemand fragen: wenn Chriftus die Tugend ift, wird 
jeder Gerechte durch Chriſtus gerechtfertigt? Ich antworte: jeder Gerechte 
wird in Chriſtus durch die Gerechtigkeit, welche Chriftus ift, geredts 
fertigt. Es kann Jemand die Wahrheit reden, aber nicht in Chriſtus, 
wie der unreine Geift in den Befeflenen in Wahrheit fagte,. Jeſus ſei 
Ehriftus; allein er fagte es micht in Ehriftus, weil er Chriſti Geftalt 
nicht hatte, welche die Tugend aller Tugenden ift, er hatte nicht die Ge— 
rechtigfeit, Friedfertigfeit und die übrigen Tugenden Chriftl. Das Gleide 
läßt fih von Jemand fagen, der gerecht handelt, aber nicht in Ehriftus, 


607 


oder friedfertig ift, aber nicht in Chriftus. Es muß demnah der Ges 
rechte, der durch die Gercchtigfeit, welche Chriſtus ift, gerechtfertigt werden 
will, die Geftalt Chrifti annehmen (christiformem esse); er muß Ehriftus 
hinfihtlih aller Tugenden ſich felbft vorziehen und der Nachahmung 
Ehrifti mit allem Eifer fih bingeben, damit er Ehriftus ähnlich werde. 
Der Glaubende fann auf diefem Wege zur Kindfhaft Gottes gelangen, 
wenn er Ehriftus, an den er fonder Zweifel ald an den Höhepunft aller 
Tugend und zugleib den Sohn Gottes glaubt, nachahmt. Im jedem 
guten Werfe verehrt er Ehriftus; ihn allein ftrebt er nachzuahmen als die 
wahre Oerechtigkeit, die da gerecht maht und das Leben gibt. Wer aber 
nicht in diefer eben angegebenen Abficht die Werke eines Gerechten vers 
richtet, fondern nur, um für gerecht zu gelten, ohne es zu fein, der 
wird nicht gerechtfertigt, fo daß er ein Miterbe Ehrifti und Kind Gottes 
zu fein verdient. Es ift nicht die wahre Gerechtigfeit, weil nicht die Ges 
rechtigfeit in Chriſtus, der die Wahrheit ift. 

Man könnte ferner fragen: war nicht Adam auf den Weg der wahren 
Gerechtigkeit geftelt? Ich antworte: Allerdings, denn durch die Er 
ſchaffung und Ausftattung mit einem vernünftigen Geifte fand Adam in 
diefem Geifte das natürliche Gefeg, das ift, den Weg der Gerechtigkeit, 
welches Geſetz befagt, daß der erfannte Gott verehrt werden fol. Diefes 
Geſetz ſagte ihm aub, daß zwiſchen einem guten (mores bonos) und 
ſchlechten Leben ein Unterfhied fei und daß man ein gutes Leben führen 
müfje, nämlich einem Andern nicht zufügen, was man felbft nicht erleiden 
will. Auch ift jened Geſetz mittheilbar, weil der Menſch, fobald er es 
erfaßt hat, weiß, daß er ed auch den Eeinigen mittheilen müfe. Dieſes 
Geſetz der vernünftigen Natur ift der Weg der Gerechtigkeit und infofern 
(ita) das Wort Gottes oder Chriſtus, welder fagt, er fei der Meg; 
denn er ift der Weg ded Friedens und der Gerechtigkeit. In der Vers 
nunft ſteht daher dieſes Geſetz geichrieben, das ein Abbild des Wortes 
Gottes ift, gleichwie das auf eine Tafel gefchriebene Geſetz ein Abbild 
der Idee oder des Wortes des Geſetzgebers ift. Allein der Teufel, hinauss 
geitoßen durd das Mort Gottes, beneidete das Wort, indem er be 
fürchtete, es möchte über die vernünftige menfchliche Creatur zur Herr 
Ibaft gelangen. Dann füme es nämlich zur Herrſchaft, wenn der Menſch 
fih feinem Gebote unterwerfe. So beneidete er den Menſchen auch um 
dad Seelenheil, weil der Gehorfam gegen das Gebot das Leben des 
Geiftes war. Er fuchte daher den erften Menſchen, den Anfang der 
menjchlihen Fortpflanzung und in ihm alle Nachkommen unter fein Joch 
zu bringen, und zwar dadurch, daß er den Menſchen von der Beachtung 
jenes Naturgefeges abzog und ihn zur eifrigften Sorgfalt für das, was 
dieſe Welt bietet, in der der Menſch leiblich lebt, hinlenkte. So verführte 


608 


er den Menfchen, den er durch beftändige Anfechtungen bergeftalt in bie 


weltliben Begierden verftridte, daß er die Lehre oder das Mort Gottes 
oder das matürlihe Gefeg aus dem Gedächtniß verlor. So verlor ea 
den Weg der Gerechtigkeit durd Nichtbeachtung des göttlichen Gebotes. 
Die ganze Maffe der Menfchheit ift daher in Adam verdorben (corrupta); 
das Begehren des Menfcen ift vergiftet (infectum), fo daß er begieriger 
nah dem ift, was er fieht und was zeitlih ift, als nad dem Unſicht⸗ 
baren und Ewigen. Dies ift eine Art allgemeinen Gößendienftes, zu 
dem der Teufel überredet hat, denn ihm gehorchte der Menſch mehr als 
Gott. Die göttlihe Liebe wollte darauf das erlofhene natürliche Geſch 
oder den Weg der Gerechtigkeit durch ein geſchriebenes Gefeg wieder er 
neuern, und um nicht durch den Leichtjinn der Sünder ihr Ziel zu ver 
fehlen, verfündete fie zur Unterftügung (in adjutorium) des natürlichen 
Geſetzes durch Moſes das gefchriebene Gefeg. Allein der Teufel fand 
Gelegenheit, die Uebertretung auch dieſes Gefetes zu bewirfen. So war 
das Gejeh wegen der Hartherzigfeit der Menfchen nur ein Anlaß zu 
weiterem Sündigen. Denn die Menfchen, die ſchon eine fündhafte Gr 
wohnheit angenommen hatten, wurden zur Beobachtung des gejchriebenen 
Geſetzes noch träger. Auch lag in den Gefegeövorfcriften feine fo große 
Kraft, daß fie die Sünde aufzuheben und gerecht zu machen vermodten. 
Es blieb daher zulegt nichts Anderes übrig, ald daß das Gejeh bed 
Geiſtes oder das Wort Gottes erfhien, das in der menſchlichen Natur 
den Menſchen von der Herrichaft des Feindes der Wahrheit befreite, 
So lange dies nicht gefchah, blieb der Menſch unter der Botmäßigfeit des 
Teufeld und konnte fih nicht ſelbſt von diefer Sflaverei befreien und auf 
den Weg der Gerechtigfeit zurüdfehren. So fam denn das Wort Gotteb 
felbft, das in der Vernunft zu und redet, und nahm die menfchliche Natur 
an, im welder ed den Fürften diefer Welt befiegte. Denn es erſchien 
der Menfchenfohn, in dem die Kraft Gotted war, nicht auf dem Wege 
der Fortpflanzung aus Adam. Er war jo voll Kraft (virtute plenus), 
daß er nicht noch mehr Kraft haben konnte; er war die Tugend felbft, 
erhaben über alle Natur und Gnade — der Sieger fiber den Satan. 
Eines ift aber befonders zu beachten. Chriftus, in welchem oder vielmehr 
welcher das Wort Gottes, Geſetz des Lebend oder der Natur, oder dad 
Geſetz des vernünftigen Geifted war ohne alle Mafel und Sünde, in 
der höchften Reinheit und Vollendung, die feine Steigerung zulieh, Fam 
in der Aehnlichkeit mit andern fündhaften Menfhen. Da nun der Fürft 
diefer Welt von allen Nachkommen Adams, die ähnlih wie Adam ge— 
fündigt, ſich eine gewiſſe Unterwürfigfeit in Anſpruch nahm, da er bie 
Sünde ift, die jeden Sünder regiert, fo hatte der Satan von dem Mens 
hen, der von der Gerechtigkeit Gottes nicht ungerechter Weiſe verurtheilt 


609 


wird, weil er freiwillig fündigte, indem er fich freiwillig zum Knechte der 
Sünde und ded Toded oder des Teufeld machte, mit einem gewifjen 
Rechte Befig genommen (homo... ab ipso Satana non injuste possi- 
debatur). Indem aber der Teufel auch auf Ehriftus, der unter feinem 
Rechtstitel ihm untergeben war (qui ei nullo jure subfuit), feine Herre 
haft ausdehnte und die Ermordung Deſſen, der die Gerechtigkeit felbft 
war, ald wäre er ein Ungerechter und fein (des Teufels) Eigentbum, 
herbeiführte, jo beging er, durh Mißbrauch feiner Herrihaft, eine ſolche 
Sünde, daß er deßhalb mit Recht feine Herrihaft über Alle, die Ehriftus 
angehören, verlor (tunc peccatum tale Satan commisit abutendo im- 
perio suo, propter quod juste imperium in omnes, qui Christi sunt, 
perdidit). Chriſtus aber gehören Alle an, in welchen wahrhaft Chrifti 
Wille lebt, d. 1. die ihn ald den Sohn Gottes aufnehmen und ihm als 
ſolchem gehorden, und jo Theil haben am Verdienſte feined Todes, der 
Keinem zu Gute fommt, der nicht das Geſetz geiftig auffaßt (quae nulli 
profuit, qui legem spiritualiter non intellexit). Denn indem Gott feinen 
Sohn in der MHehnlichfeit des fündhaften Fleiſches (in similitudinem 
carnis peccati) fandte, hat er wegen der Sünde die Sünde im 
Fleiſche verurtheilt (de peccato damnavit peccatum in carne). 
Wegen der Sünde — die nämlich gegen ihn begangen wurde, hat 
er die Sünde verurtheilt, d. i. den Feind des Heild, auf daß bie 
Rechtfertigung des Naturgefeges, das fih an das geiftige Geſetz anſchließt, 
in und erfüllt werde, die wir nicht im Fleiſche, fondern im Geifte 
wandeln. 

Man könnte nun fagen: Hieraus ſcheint hervorzugehen, daß das Ges 
ſetz Mofis die Erneuerung ded Geſetzes der Natur if. Untwort: Das 
Geſetz Mofts ift dreifach; drei Gefege find in ihm enthalten: ein geiftiges 
Geſetz, dad Gefeg der Erneuerung und das Geremonialgefet. Dom gei— 
ftigen Gefege fprechen die Worte: „Höre Siracl, dein Gott ift Einer,“ 
was fih nur auf die Gottheit bezieht. Das Geſetz der Erneuerung ift 
jenes, welches das Gefeg der Natur erneuert und reformirt, weldes 
auh Das, was nicht für Sünde gehalten wurde, als Sünde erfennen 
läßt. Vieles wurde in Folge der entftandenen entgegengefegten Gewohn— 
heit nicht für Sünde gehalten, als ob fi Gott nicht darum befümmere, 
weil er die Uebertreter nicht beftrafte. Nun ift es aber durd das Geſetz 
ind Klare geftellt, indem es jagt, daß, wer etwa der augenblidlichen 
Strafe entgehe, doch dem fünftigen Gerichte nicht entgehen werde. Allein 
die Gerechtigkeit (gerechtmachende Gnade) Gottes, die mit anderm Namen 
auch feine Barmherzigkeit genannt wird, offenbarte fih zwar nicht ohne 
das geiftige Gefeg, wohl aber ohne das Strafgeieß (sine lege vindictae), 

Scharpff, Nie ». Cuſa. 39 


610 


d. 1. Geſetz der Erneuerung (innovationis) und das Geſetz des Eabbatt 
(Geremonialgefeg), indem ed mit diefen in feiner Verbindung ftand, weil 
die Gerechtigkeit Gotted Alle zu befreien befahl, welde das Strafgeich 
verurtheilte. &leihwohl wurde aud die Gerechtigkeit (rechtfertigende 
Gnade) Gotted vom Geſetze geoffenbart, weil Geſetz und Propheten die 
Anfunft Ehrifti vorausfagten. So fam denn Chriftus vom Water zu 
dem Zwede gefandt, damit Gott der Vater ald gerecht erfcheine, der fein 
gegebenes Wort hält, und damit der Sohn Diejenigen erlöfe, die der 
Pater ald Sünder lange Zeit in feiner Barmberzigfeil geſchont hatte 
(misericorditer sustinuit). Gott hatte beichloffen, Chriſtus ald gmädigen 
Vermittler (propitiatorem) zu fchiden, damit dur ihn dem Menſchenge— 
fchledhte Gnade widerfahre (ut per eum propitiaretur generi humano) in 
feinem Blute, d. i. in feinem Leiden und zwar durd den Glauben, weil 
die Glanbenden auf ihr Heil hoffen dürfen, wie das Beifpiel des Eis 
chers am Kreuze, der Sünderin Maria (Magdalena) und anderer Gercht, 
fertigten beweist, Man liest nicht, daß dieſe durd voransgegangene gute 
Werke gerechtfertigt worden, ſondern durd den [ebendigen Glauben (per 
fidem formatam). 

Du fragft: wer find jene Gläubigen, welde gerechtfertigt werden? 
Sch antworte: es find Die, welde in Chriftus find und von fleiichlichen 
Begierden fich nicht beherrfchen Taffen; fie fann die Verdammniß nicht 
treffen. In Ehriftus fein heißt aber, nad allen Tugenden ſtreben (om- 
nibus virtutibus insistere). Ehriftus ift die Tugend, der Satan die Sünde. 
Chriftus ift die Demuth, denn wenn die Tugend berannaht, muß der Hod- 
muth weichen und jener den Plag einräumen. Bleibt der Hochmutb, fo 
nimmt er die Stelle der Demuth ein, das Gleiche gilt von den übrigen 
Tugenden. Die Sünden müflen daher ausgerottet werden, damit bie 
Tugenden deren Etille einnehmen. Die Sünden find die Ganander, die 
aus dem Lande der Siraeliten nicht leicht zu vertreiben waren. Gott 
fonnte fie in Einem Augenblick vernichten, allein zur Prüfung der Kinder 
Iſraels und deren Uebung (in der Treue gegen Gott) wollte er es nidt. 
Und woher tft der Geift des Lebens oder der Wahrheit und der Geiſt 
des Todes oder des Irrthums? Der Geift des Lebens fucht fi eine 
Stätte in der vernünftigen Seele, indem er den Geift des Todes ver 
treibt, der diefelbe einnimmt und, ftarf dur alte Gewohnheit, fein Be 
fisthum kräftig vertheidigt. Chriftus aber, der Sieger über den Tod, 
jagt: „wenn ihr meine Worte befolget, fo werdet ihr die Wahrheit er- 
kennen und die Wahrheit wird euch frei machen.” Und der Apoftel fagt, 
der Geift des Lebens befreie, indem er zeigt, daß der Eohn und hi. Gilt 
eine und diejelbe Befreiung bewirfen. Im Glauben wird das Wort 
Gottes erfaßt und wenn es befolgt wird, wird es als Wahrheit erfannt. 


1 


611 


Die Wahrheit ift e8, die den Geift von der Sünde oder dem Tode des 
Geiſtes, d. i. Irrthum und Unwiffenheit befreit. Denn der Geift des 
Lebens, der der Geift der Wahrheit ift, fenft fih in die vernünftige Seele 
ein, wo die Wahrheit erfannt wird. 

Ih will nun noch fur; berühren, wie die Seele, in der Ghriftus 
nur gleich einem leblofen Biloniffe ift, gerechtfertigt und neubelebt wird. 

Ehriftus iſt um unferer Rechtfertigung willen auferftanden. Wenn 
nun Chriftus in uns iſt ald das Brod, das äußerlich die Geftalt Chrifti 
trägt und jo Ehriftus (in und, bei der heiligen Communion) auferfteht, 
weil ja dad Brod in den lebendigen Ehriftus verwandelt wird, dann ift 
in und die Rechtfertigung, das Leben, der Friede und jegliche Tugend. 
Chriſtus feiert dann zum Zwecke unferer Rechtfertigung in und feine Aufers 
ftehung, die wir durch feine Auferftehung gerechtfertigt werden. Siehe da, 
wie der Gläubige, in welchem Chriſtus auferfteht, vom Tode auferfteht. 
Das Zeichen hievon it das Sacrament der Eudariftie. Denn bier ift das 
geiftige Leben, das Leben jpendet und durch Glauben erfaßt wird. Hier 
wird der Glaube in einer Seele, welde tobt war, der Glaube, der an 
Chriſtus fefthält ohme lebendige Werfe (tenens scilicet Christum sine 
vivis operibus), ind Leben erwedt, jo daß er ein lebendiger Glaube 
ift. Diefe Auferwedung erfolgt durch die Auferftehung Chrifti (in une), 
der in und lebendig wird, Died gefhieht in der Weife, in der der Pries 
fter das Brod in Ehriftus verwandelt. Der Priefter reinigt fih nämlich 
dur die Beiht von der Topfünde und ruft die Barmherzigkeit Gottes 
an. Jeder Ehrift ift Priefter, indem er auf Ähnliche Weiſe verführt. Durch 
Gebet beim geheimnißvollen Opfer (mysticis orationibus) wird er es er— 
langen, daß Ehriftus die Seele, weldhe des vernünftigen und göttlichen Les 
bens entbehrte, in das Leben feines Geifted eben fo ummwandelt, wie ber 
Priefter am Altare durch Glauben und Ausfprechen der geheimnißvollen 
Worte (per fidem et mysticas preces) es erlangt, daß das wirkliche Brod 
In den lebendigen Leib Ehrifti verwandelt wird. Iſt dann Chriftus- im 
innern Menſchen in das Leben des Gelftes Ehrifti übergegangen, dann 
verleiht das unbefledte Lamm Ruhe und Frieden. Denn Chriftus ift der 
Friede, die Ruhe des Lebens, die und ewig beglüdt. Er jet gepriefen in 
Ewigfeit! Amen. (Exc. IX, 650—654.) 


39’ 


612 


Rede auf den Charfreitag. 


Damit das Volf zum Verſtändniß der Sade noch eine faßlichere 
Anleitung (manuductio) erhalte, mag eine Parabel (exemplum) vor 
ausgehen. 

Ein König hatte eine Adoptivtochter, welde dur einen Betrüger 
verführt und auf eine ferne Inſel gebradt wurde. Da der Verführer fie 
viele Jahre nad feinen Grundfägen auferzog, fo entftand im ihr eine 
gewiffe Liebe zu ihm. Der König ließ ſie durch feinen eingebornen Sohn 
überall auffuhen. Als diefer fie endlih in ihrer traurigen Einöde auf- 
fand, offenbarte er ihr ihre Herkunft und ihre Würde ald Adoptivtochter 
eines mächtigen Königs, fowie daß fie Miterbin mit ihm fei und daß er 
vom Vater gefandt fei, fie zurüdzuführen. Als fie nun über die Wahr 
heit dieſer Botſchaft vielfahe Fragen ftellte, konnte fie nicht leicht zu dem 
fihern Glauben, daß es ein befferes Vaterland gebe und fie die Königin 
desfelben werden folle, gebracht werden, wie fie auch davon nicht über 
zeugt werden fonnte, daß der Eohn des ewigen Vaters ohne einen Bater 
aus der Mutter auf natürlihem Wege geboren worden, nachdem er 
neun Monate in ihrem Leibe geruhet. Es ſchien ihr, daß der Verftand das 
nicht faffe, und daß man es deßhalb auch nicht glauben dürfe. Sie ver: 
warf daher lange Zeit Alles als Rüge, doch gelang ed dem Sohne end» 
lich durd viele Zeihen und Wunder fie zu einigem Glauben zu bringen. 
Allein ihr Verführer beredete fie auf alle Weife, nicht zu glauben. Da 
fie aber gleibwohl den Sohn öfterd anhörte und ihn fehr liebenswürdig 
fand, fo hielt fie am Glauben an ihn feit. Indem fie bemerkte, daß der 
Sohn fie auf das Feurigfte liebe, erwiederte fie diefe Liebe. Weil fie aber 
wohl wußte, daß fie durd den Aufenthalt in diefer Gegend und in der 
Geſellſchaft des Verführers ſich viele Mängel Cinfirmitates) zugezogen, 
die der Königsſohn wohl fannte, fo wünfchte fie zwar geliebt zu fein, 
befürchtete aber, fie könne wohl nie wahrhaft geliebt werden. Das ſchmerzte 
fie, und fie hörte nicht auf zu feufzen und zu weinen. Wiewohl der 
Sohn fie tröftete, fo glaubte fie doch, es fei nicht möglih, daß er fe 
liebe, da fie fo unmwürdig und fhwac geworden. Der Sohn, der nicht 
wollte, daß fte fo jehr niedergebeugt fei, dadıte nad, wie er fie tröften 
könne, und fand fein anderes Mittel, ald wenn er ihre Mängel annehme. 
So nahm er denn die Mängel des jungen Mädchens an, auf daß fie 
aus der Aehnlichfeit Muth faffe. Er traf nun Anftalt, nach dem Auf 
trage des Vaters fie in das Königreich zurüdzuführen. Als er fie num über 
die See führte, um ihr den Weg in das Reich feines Waters zu zeigen, 
jegte der Verführer nah, um fie zurüdzuhalten. Am Ufer, wo der Weg 


613 


in's Königreich begann, fam e8 zu einem heftigen Kampfe... Der Sohn 
bezwang den Verführer und feflelte ihn am nicht zu löfende eiferne Ketten. 
Mährend er aber gebunden wurde, wußte er liftiger Weiſe den Königs— 
john tödtlich zu verwunden, der bald darauf (nachdem der Berführer ges 
feflelt und ins Feuermeer geworfen war) an der Wunde ftarb. Als nun 
das Mädchen jah, daß der Königsſohn um ihretwillen geftorben, gelangte 
fie zur vollen Gewißheit, daß alle feine Worte, die er durch feinen Tod 
erhärtete, wahr feien. Sie blieb nun traurig an jener: Stelle, baute ſich 
an ver Todesftätte ein Häuschen, in dem fie die Waffen ded Sohnes 
aufbängte, auf daß fie nie des Geſponſes vergeffe, der fie bid in den 
Tod liebte. Indem fie aus Grund des Herzens zu Gott rief, ſprach fie: 
Mein Berlobter, der feiner Lüge fühig war, fagte mir, du feieft der 
König, der ihn gefandt hat, du fein Vater; einen andern Vater habe er 
nicht, als dich, o Gott! und in Nehnlicyfeit mit unferer Natur fei eine 
Jungfrau feine Mutter. Wenn du nun, o Gott! diefen deinen Sohn 
für mich haft fterben laffen, jo laß ihn auch für mich wieder leben, weil 
er mich umjonft aus der Einöde herausgeführt hat, wenn ich feinen Um— 
gang nicht genießen fann. Beftimmt durch die eigene Güte, durch Liebe 
zu dem Sohne und Mitleid gegen das gerettete Mädchen, erwedte der 
Pater den Sohn ind Leben. So wurde von dem Bater der Sohn aufs 
erwedt, dem jene Braut in Liebe zugethan ift, ſtets eingedenf feiner Treue 
bis in den Tod. Ihre Liebe findet Nahrung in der Erinnerung an jenen 
Tod, durch diefen höchften Grad der Treue bleibt fie unverfehrt und keuſch. 
Allein obgleih der Berlobte lebt, jo ift er doch bei dem Vater, Wie er 
jelbft aus dem Bater und der Jungfrau ftammt, jo erzeugt er aus der 
ihm verlobten Jungfrau, die er liebt, Miterben durch ven Geiſt feiner 
Liebe, den auch feine Werlobte hat, gleihwie er von dem Bater im 
Himmel durd den Geift der Liebe des Vaters in diefer Welt aus der 
Jungfrau gezeugt iſt. Seine Verlobte fendet ihm alle Tage ald Frucht 
ihres Leibes Miterben, durch melde fie ſelbſt allmählig zur Herrichaft 
hinauffteigt; fie ſchmückt fie nach der Waffenrüftung ihres Bräutigamsg, 
ihm ähnlich, auf daß fie defien Vater angenehm wären und in das Reid) 
des Sieges Zutritt erhielten, indem fie Waffen und Feldzeihen des Sie— 
gerd vorweilen. Beim Nahen ded Todes ftellt fie das Siegeszeichen vor 
das Angeficht ihrer Kinder und thut dies fo lange, bis die Zahl der 
Auserwählten voll if. Diefe Zahl verhält fib wie die Theile des Kör- 
pers der Braut, in dem der Geift des Bräutigams ift, fo daß Alles, 
was der Braut ift, dem Bräutigam gehört, und die Glieder der Braut 
in der Art der Braut gehören, daß fie mittelft der Braut, die ganz dem 
Bräutigam angehört, gleichfalls diefem zu eigen find. Das ift das Bild 
von Ehriftus und der Kirche, feiner Braut. 


614 


Aus diefer Parabel magft du, fromme Seele! die du die Braut 
Ehrifti bift, erfennen, daß dein Bräutigam, Gott und Menſch, vom Vater 
in diefe Welt gefandt wurde, um dir die Wahrheit deines Urſprungs zu 
enthüllen und dich zur Einfiht zu bringen, daß du in der Hand dee 
Verführers bift, um den Glauben dir zu erfchließen und die Sehnſucht 
nah dem Reich des Lebens, zu dem dir der König des Lebens die Kinds 
haft gegeben, zu erweden. Einſehen follft du, daß der Vater, um feine 
große Liebe gegen dich zu zeigen, den eingebornen Sohn felbft dir zum 
Bräutigam gegeben hat. Damit er dies fei und du ihn lieben Fannft, 
ließ er ibn aus der Jungfrau geboren werden und fchöner ald alle Mens 
fchenfinder werden. Er trug ihm auf, dich auf das Zärtlichfte zu lieben, 
und dur Liebe an fih zu feffeln, auf daß du, ihm machfolgend, zum 
Vater gelangefl. Der Sohn fam, in Allem dem Vater gehorfam, belchrte 
dih über die Wahrheit und über deine Auserwählung an Kindesitatt. 
Weil dir dad Glauben ſchwer fiel, fo ward er dein Arzt und liebreichiter 
Diener, auf daß du anfangeft, ihn zu lieben und dur wunderbare Kuren 
an ihn zu glauben. Mit vieler Schwierigkeit befiegte er dich, Daß du 
erfannteft, wie jehr er dich liebe. Du zweifelteft, ob es ihm Ernft fei, 
weil du dich durch die Genoffenfhaft mit Nichtswürdigem unwürdig, ein- 
Augig (unioculam) und ſchwach wußteft. Um daher feiner Liebe verfidert 
zu fein, nahm er zu deinem Troſte diefelden Schwächen (easdem infr- 
mitates) an. Als du von Liebe gefejfelt zu werden anfingeft, wollte der 
Sohn dem Vater gehorfam jein und am Bande der Liebe dih nah fid 
ziehen, wie es von dir geichrieben fteht: „Ziehe mich an dich!“ Er führte 
dich daher durch das reinigende Waſſer, durch welches die Feſſel der 
Liebe zu dieſer Inſelwelt gelöst wird. Allein der Verführer fegte dir 
nach, der böje Geift, voll Haß und Neid, und hielt dich zurüd, daß du 
deinem Bräutigam nicht folgen konnteſt; diefer, um feinem Vater gehorjam 
zu fein und dir durch die That zu zeigen, daß Alles wahr ſei, was er 
dir verfündet hat, griff jenen an, obmohl er wußte, daß er von dem 
trügerifchen und lügenhaften Fürften diefer Welt Vieles bis zum Tode 
am Kreuze leiden werde, und befiegte ihn fterbend, indem er fih für dic 
unter lautem Rufen und Weinen zum Opfer bradte. Dies Rufen bat 
der Himmel gehört, wie geſchrieben fteht: „ich hörte eine laute Stimme 
im Himmel, welche rief: jegt ift das Heil gefommen und die Kraft und 
das Reich unfered Gottes und die Macht feines Gefalbten, weil ber 
Anfläger unferer Brüder geftürzt it.” Darum, o chriftlide Seele! ver- 
härte dein Herz nicht, wenn du heute feine Stimme höreſt; denn für bie 
ruft er zum Vater und fein Gehorfam wird erhört. Beachte es wohl! 
für dich ging er in den Kampf, treu und ftandhaft kämpfte er, fiegend it 
er geftorben. Beachte wohl, wer dein Bräutigam ift, wie ſchön und 


615 


weife; im Andenfen an ihn müffen wir das Jahresgedächtniß feines Todes 
feiern. Unaufhörlich folft du feinen Tod in deinem Herzen erwägen; 
denn einen ſolchen Bräutigam findeft du fonft nirgends mehr. Siehe, wie 
keuſche Frauen ihre guten und geliebten Männer beweinen, während un- 
Feufche fie nach dem MWehflagen bald wieder vergefien. Erwede dich zum 
Mitleid, wenn du hörft, daß der Herr, dein ©eliebter leide! Welche 
treue Magd würde nicht, wenn fie ihre Edelfrau leiden fieht, auch zum 
Mitleiven bewegt? Enväge: wenn Chriftus, der für dich gefandt war, 
nur dur Leiden zum Vater zurüdfehren konnte, jo mußt mit Recht aud 
du leiden, um in das Haus oder Neih, zu dem du nicht geboren bilt, 
einzugehen. Welche Anmaßung wäre es, wenn, während der Herr durchs 
bohrt von töntlihen Wunden aus dem Kriege zurüdfehrt, jein Kriegs— 
knecht unverlegt gleichwohl mit ihm herrihen wollte! Durch Mitleiden 
werden wir mitherrfchen. Der Streiter Chrifti muß daher fein Fleiſch 
freuzigen, durch Ertödtung der fleifchlihen Begierden. Willft du, der du 
in diefer Welt krank bift, gefund werden, jo mußt du das faule Fleiſch 
ausſchneiden. Gin Räuber läßt fich lieber die Hand abhauen, als daß 
er das Leben felbft verliere; der Chriſt muß in allen Leiden Geduld 
haben und diefe nähren durch das Brod der Erinnerung an die Geduld 
Ehrifti, in Trübjal, Armuth,. Verachtung und andern um Ehrifti willen 
erduldeten Mishandlungen. (Exc. III, 414. 415.) 


Ueber Abtödtung. 


Niemand fteht zum Leben auf, ver nicht zuvor gefreuzigt if. Jede 
Handlung Chrifti ift zu unferer Belehrung, denn er ift der Weg und 
der 2ehrmeifter, der an ſich felbft und den Weg zur Herrlichkeit zeigt, 
wenn er jagt: „wie ich gethan, fo follet auch ihr thun.” Konnte nun 
Ehriftus nicht anders im feine Herrlichkeit eingehen, als nad voranger 
gangener Kreuzigung, fo werden auch wir nur auf dem Wege der Kreus 
zigung eingehen; denn er fagt: „wer mir nachfolgen will, verläugne 
fi felbft, er nehme fein Kreuz auf ſich und folge mir nah." Beachten 
wir, daß in und zwei entgegengefegte Befehlshaber find, der eine im 
Sleiihe, der andere im Geifte, welche gegeneinander Krieg führen, und 
daß die Bewältigung derjenigen Macht, die im Fleiſche befehligt, 
Kreuzigung it, wobei diejenige Macht fiegt, welche in der vernünftigen 
Seele gebietet, dann werben wir das Myſterium des Kreuzes verftchen, 
um zu erfennen, was wir zu thun haben. Paulus lehrt, der Äußere 


616 


oder alte Menfh müſſe durch den innern neuen, Chriftusähnlichen 
Menſchen and Kreuz geheftet werden, dort müſſe all fein Leben — die 
Begierlichfeit, getödtet werden, auf daß nur der neue, innere und himm— 
liſche Menſch lebe, der nah Gottes Sinn und Willen gerecht und wahrs- 
haftig iſt. Wer fo dem Fleiiche nach tobt ift, der wird in der Kraft, 
in der der gefreuzigte Chriſtus vom Tode auferftanden, gleichfalld aufer- 
fiehen. Die Begierlichfeit des Fleifhes alfo and Kreuz geheftet bändigen, 
durch Martern, Selbftpeinigung und Kafteiung, damit das Berlangen 
des Geiſtes Fein Hinderniß finde, das heißt den Körper freuzigen, in 
welchem die förperliche Begierlichfeit wohnt, die der Körper oder Inhalt 
der Sünde ift (quae est corpus seu continens peccatum). 

Das Leben iſt Liebe (sine amore non vivitur). Der Menih befteht 
aus einer doppelten Liebe (ex duobus amoribus componitur): aus der 
Liebe zum Sinnlihen oder Sichtbaren, und aus der Liebe zum Unficht- 
baren. Das Eichtbare ift zeitlih, das Unfihtbare ewig; die Sünden 
find zeitlich, die Tugenden ewig. Die Liebe zum Zeitlichen, die bis zum 
Haſſe oder Veradtung des Ewigen geht, ift fündhaft und ftammt aus 
der Begierlichfeit des Fleifches, aus dem alten Adam. Die Liebe zum 
Ewigen ift ftrebfam (studiosus) und flammt aus der Sehnfucht der 
geiftigen Natur, aus dem Himmel. Aus doppelter Sehnſucht befteht alfo 
der Menfh, und die Natur einer jeden ift zur Einheit der Perſon vers 
bunden. In diefer Verbindung bemüht fih das Weib d. i. die Begier- 
lichkeit des Fleifches, daß der Mann d. i. das Verlangen des Geiſtes, 
fih in Liebe an fie anfchließe und fie zum Ziele feines Verlangens mache, 
auf daß fein Verlangen ganz fleifchlih werde und fie über ihn berrice. 
Und weil fie in ganz familiärer Weife mit ihm zufammenwohnt, fo reizt 
fie ihn beftändig durch finnlide Schönheit und meiſtens fiegt der Wille 
des Fleiſches über den Geiſt, der gefreuziget wird. Das fonımt aus der 
Unwifjenheit, weil der Geift weder feinen Adel, noch die Gemeinheit des 
Fleiſches kennt; er kennt nicht Gott, das ewige Leben, nicht die Hölle, 
den ewigen Tod. So gelten ihm zeitlihe Genüffe für Glüchſeligkeit. 
Der Mann dient dem Weibe, weil er Allem aufbietet, der finnlihen Luft 
zu gefallen. 

Da kam Jeſus, deffen Geift allwiffend if, dem Lichte der göttlichen 
Weisheit geeintz er entfernte die alte Unwiffenheit, zeigte das ewige 
Leben des Geiftes, und daß die Freuden diefer Zeit fih zu den Freuden 
des ewigen Lebens verhalten, wie Zeit und Ewigkeit. Diefe gehen durch 
den ewigen Tod verloren, und die ewige Freude erreichen Diejenigen nicht, 
welche fie nicht lieben. Chriftus lehrte, wer dad ewige Leben erlangen 
wolle, müſſe Mann fein, und über die Frau, die Begierlichfeit des 
Fleiſches, herrichen, er müfje ihm nahahmen, und diefed Leben, dieſe 


617 


Melt mit allen ihren Freuden für nichts achten, um deſto fehnfuchtsvoller 
nah dem Himmel zu ringen, wo Alles ewig if. Wer jo handelt, nimmt 
fein Kreuz auf fih und folgt ihm nad. 

Allein Fein Menſch kann mit feiner eigenen Kraft, die er aus 
Adam hat, die Welt befiegen. Es muß daher die Unwiffenheit, dur 
die Alle gefallen find, dur den Glauben verdrängt werben. Der 
Glaube geht auf das Unfichtbare.. Das Ewige ift unfichtbar; nad dem 
ewigen Leben fönnen wir nur durch den Glauben ringen. Allein zu 
diefem Glauben fommen wir nur durch den Glauben alles Glaubens, 
und dieſer ift: daß unjer Lehrmeifter Jefus der Sohn Gottes und gefreuzigt 
worden if. Wird er ald Sohn Gottes geglaubt, fo verſchwindet alles 
Dunkle und Finftere des Mißtrauend aus unfern Herzen, da wir wiſſen: 
der Sohn Gottes ift wahrhaftig in Wort und Berheißung. Glauben 
wir, daß er gefreuzigt worden und fo in dad Reich des Vaters einge: 
gangen fei, fo zweifeln wir nicht, daß, wenn auch wir Ehriftus in ver 
Kreuzigung nachfolgen, wir ihm aud in fein Reich als Erben folgen 
werben. 

Zefus, der unendlich erbarmungsvolle Sohn des Vaters der Barm- 
herzigfeit, ging freiwillig für und in den Tod, um zu zeigen, wie ſehr er 
und liebe und wie übergroß fein Erbarmen fei. Gibt es eine größere 
Barmherzigkeit, als fi zur Erlöfung für die Gefangenen bingeben? am 
eigenen Leibe den Tod zu erleiden, den wir mit vollem Rechte ob des 
Verbrechens der beleidigten Majeftät, das unfer Stammvater gegen den 
Schöpfer begangen, zu erleiven hatten? Wir haben ihm aljo nothiwendig 
in der Barmherzigkeit nadhzuahmen, die wir thatfächlih denjenigen 
beweijen follen, für die er geftorben iſt. Iſt er für Alle geftorben, und 
hat er Allen dadurd feine große Liebe bewiefen, was will er anders, als 
daß aud wir um feinetwillen Allen Barmherzigfeit beweifen follen? 

(Exc. VII, 602.) 


Anrede an Canoniker, 
aus Veranlaſſung einer bevorſtehenden Viſttation. 


(Vom Jahre 1443.) 


Accepistis, in quo et statis, per quod et salvamini. 1. Cor. 15. 


Unfer Hohepriefter Jeſus Chriftus, der die Himmel durddrungen, 
hat in der Fatholifchen Kirche, feiner Braut, die er fi mit feinem Blute 
erworben hat, zur Auferbauung feines myſtiſchen Leibes und zu unjerm 


618 


Heile Biſchöfe hinterlaffen, die feine Stelle vertreten. Sie find die Nach— 
folger der Apoftel, von welchen Ehriftus fagt: „wer euch hört, hört mid) *; 
und: „wie mid der Water gefendet hat, fo fende ich euch.“ Nun ward 
aber Ehriftus gefandt, um zu fuchen und zu retten, was verloren war. 
Er befiehlt daher auch den Bifchöfen, feinen Stellvertretern, zu ſuchen 
und zu retten, was verloren if. Da nun dieſer unfer Bilchof, den ihr 
bier fehet, die gleiche Sendung von Ehriftus erhalten hat, jo war ed 
längit feine Ueberzeugung, er fei von Gott gefandt, um zu fuchen und zu 
retten, was verloren ift, fo wie daß Vernachläſſigung diefer Sendung 
von Seiten Deffen, der einmal dad Joch eines Bifhofs anf fih genom— 
men, nicht zu entichuldigen ſei. Allein viele Rüdfichten des öffentlichen 
Dienfted und feiner perfönlichen Stellung hinderten ihn bis jegt am der 
Ausführung feines Vorhabens. Da fih ihm aber jept eine günftige Ges 
legenheit darbietet, fo fommt er, damit nicht das Blut feiner Unterge- 
benen im ftrengen Gerichte Gotted von feinen Händen geforbert werde, 
nunmehr zu euch als zu Dienern Gottes, zu fuchen und zu retten, gemäß 
den Pflichten feines Amtes. Und da die Hirtenforgfalt in der Bifitation, 
diefe aber im Grmahnen, Predigen und Reformiren befteht, fo bat der 
hochwürdigſte Vater den Auftrag zur Ermahnung mir ertheilt, um fodann 
der Reihe na die übrigen Stüde der Bifitation auszuführen. Obwohl 
zu Schwach, ald daß ich eine den Zeitverhältniffen angemeffene ') Ermah— 
nung ertheilen könnte, bindet mich doch die Pflicht des Gehorfams. Und 
fo habe ih denn zum Vollzug des erhaltenen Auftrags jenes Wort des 
Völferapofteld ausgewählt, wenn er fagt: „Ihr habt (das Evangelium) 
angenommen, worin ihr auch verharret, wodurch ihr auch felig werdet.“ 

Paulus, der den Gorinthern das Evangelium verfündiget, daß fie 
durch den Tod Ehrifti frei geworden und durch feine Auferftehung neues 
Leben erhalten hätten, hatte vernommen, daß Einige ausgeftreut, e8 gebe 
feine Auferftehung der Todten, und fchreibt daher den Corinthern, er ſelbſt 
habe ihnen ja das Evangelium verfündigt und fie hätten ed angenommen. 
So habe auch ih euch, im Herrn geliebte Brüder! nichts Neues zu ver 
fünden, fondern nur das euch Allen längft Bekannte in Erinnerung. 
zu bringen. 

Unfere apoftoliihen Väter baben erwogen, daß in dem Evangelium 
Ehrifti Alles, was zum Leben und Heile gehört, wodurd jeder Menſch 
in Ehrifto Jeſu auferftehen und in ihm ewig leben kann, enthalten ift. 
Sie unterfhieden jedoch Einiges, was fo nothwendig zum Heile ift, 


1) „ex tempore congrue adhortari“ fünnte auch andeuten, der Befehl zum Pres 
digen fei fo unerwartet gegeben worden, daß er ohne forgfältigere Vorbereitung (ex 
tempore) zu reden genöthigt fei, worauf auch das Rolgende: ad verbum doctoris gen- 
tium pro expletione mandati conrolavi hinzubeuten fcheint. 


619 


daß man ohne dasfelbe nicht in ihm auferfiehen fann, und Anderes, was 
freiwillig darüber hinausgeht (alia supererogationis) und als höhere 
Vollkommenheit auch eine größere Seligfeit in Chriſto erwirbt. Dies 
fcheint auch Paulus fagen zu wollen, wenn er anführt, daß zuerft Chriſtus, 
dann Die, welche die Seinen find, jeder in feiner Ordnung, auferftehen 
werben. Die nun in einer höhern Stufenordnung in Ehriftus auferftehen, 
haben aub ſchon im diefem Leben eine höhere Vollkommenheit erreicht. 
Nachdem nämlich Ehriftus dargelegt hatte, Niemand könne ohne die Liebe 
Gottes und des Näcften ind Leben eingehen, fügt er bei: wer vollfom- 
men fein wolle, ver verfaufe Alles, gebe es den Armen und folge fo 
ihm nad! Anderswo fagt er: „Selig find die Armen im Geifte, denn 
ihrer ift das Himmelreih.* Da nun fi feldft abtödten nicht die Sadıe 
Aller, fondern nur Derer ift, die e8 faffen Fünnen, jo haben heilige und 
apoftoliihe Männer, die eifrig nad höherer Vollfommenheit trachteten, 
fih einige Regeln gegeben, die zur Bollfommenheit führen, ohne jedoch 
alle Ehriftgläubigen zu denfelben zu verpflichten, fondern nur Die, welche 
nach Bollfommenheit ftrebten. Die nun, welche diefe evangeliihe Lebends 
weife annahmen und diefe Regeln befolgten, hießen Ganonifer d. i. nad) 
einer Regel Lebenden. Und dies ift ed chen, was ich euch verfünde. Ihr 
feid zwar nicht Elerifer, deren 8008 unter den Gläubigen ift, Eigenthum 
Gottes zu fein, aber ihr ſeid Regularen oder Canoniker und habet euch 
als ſolche in ftrengerer Regel zum Gehorfam gegen Gott verpflichtet, nad 
der ihr nun zu leben verpflichtet feld, um das Heil im höheren Grade 
zu erlangen. Ihr habt aljo diefe Verpflichtung von anonifern auf euch 
genommen, darin follt ihr auch verharren, darin felig werden. Wer die 
Hand an den Pflug legt und zurüdihaut, taugt nicht fürs Himmelreich. 
Denn Jeder muß beharrlic und durddringend (perpenetrantem) in der 
Berufung, die er erhalten hat, fein, wenn er den Lohn erlangen will. 
Das heißt verharren und feft in dem erhaltenen Evangelium bleiben. Sit 
gleih ein Gelübde thun Sache der Freiheit, jo ift doch es halten, Sache 
der Pflicht (necessitatis). Früher ftand es euch frei, euch nicht an die 
Regeln der Heiligen zu halten; da ihr aber nun Ganonifer jeid, und 
diefe Regel erhalten habt, fo müßt ihr auch in dem verharren, was eure 
Seligfeit begründet. Nichts anderes bezwedt diefe Ermahnung und die 
darauf folgende Bifitation, ald daß ihr in Wahrheit feſt ftehet in Dem, 
was ihr erhalten habt, dañ ihr wirflib und ohne Selbfttäufhung nad) 
den Regeln der Heiligen lebet, daß ihr nicht mit den Lippen und nur 
Außerlih mit Worten euch Ganonifer nennt, während ihr innerlich (corde) 
von der Bedeutung des Wortes weit entfernt feld.) Ihr fehet doc, 


1) Vom Gingange bis hieher aus dem Manuferipte B, das hauptfählid Ser: 
monen enthält; das folgende ſteht Exc. III, 412, 413, 


620 


bag auch im Staate falfhes Gewicht verhaßt iſt und Schaden bringt. 
Mer fih für einen Bäder oder andern Gewerbsmann ausgibt und falfches 
Gewicht hat, indem er ftatt guten Waizenbrodes ein zum Schein bereis 
tetes jchlechtes verfauft, der dient dem Gemeinwefen nicht nur nicht, fon- 
dern er fchadet ihm fehr viel. Daher werden die Gewerbe vifitirt und 
(nöthigenfalls) reformirt. Wir lefen daher in den Befchlüflen ver hl. Con— 
cilien fehr oft, Jeder folle nad der Bereutung feines Namens leben: ber 
Mönd (monachus) fol nad) der Bedeutung feines Namens einzeln für 
fih und in Trauer leben (quasi unus solus et tristis) und feine Sünden 
beweinen; der Kanonifer ald ein Mann der Regel, der die Regeln 
der Heiligen auf fih genommen hat; der Biſchof fei ein Oberauffeber 
(quasi superintendens), der Presbyter lebe wie ein Senior, der Ans 
dern den Weg des Heiles zeigt. Ihr habt in eurem Stande eine be» 
ſonders hohe Aufgabe erhalten, indem ihr euch zu befondern Dienern Ehrifti 
gemacht habt, um Gott, der ein Geift iſt, im Geifte zu dienen. Diefe 
hohe Aufgabe liegt darin, daß ihr die Lebensweife von Heiligen gelobet, 
die diefer Welt entfagen, um fi ganz Gott zu weihen. Das Leben der 
Regularen muß von der Welt losgelöst fein, damit fie dad, wad Oben 
ift, verftehen. Glaubet nicht, es ſei zwifchen euch und den Mönden ein 
großer Unterfchied, denn Ein Gedanke leitete die Heiligen: Verzicht auf 
Eigenthum, Abtödtung des Fleiſches, Aufgeben des freien Willens — 
Trennung von der Welt, um Gott im Geifte zu dienen. Dies ift, wie 
ihr wiffet, das Weſentliche aller religiöfen Orden, denn darin liegt Das, 
wodurch wir der Welt abfterben. Die Welt ift Sleifchesluft, Augenluft, 
Hoffarth ded Lebens. Dieje drei müſſen überwunden werden. „Eine 
reine und undefledte Religion ift es, fi von der Befleckung diefer Welt 
frei bewahren.” Eben died und nichts Anderes wollen die Regeln der 
Väter; durch fie follen wir die Welt verlaffen und Gott dienen. Das 
ift eö, was ihr erhalten habt. Du fagft vielleiht: wir haben nicht jeme 
firenge Negel erhalten, wie die der Welt Abgeftorbenen, die man Möndye 
nennt, denn wir dürfen Eigenthum befigen und Anderes thun, was jenen 
nicht erfauft If. Ich antworte: Niemand fann in Abreve ftellen, daß 
wir religiöje Ganonifer fein müffen, wenn wir und auch in der Art und 
MWeife von den ftrengen Kegeln unterfcheiden. Denn wie alle religiöfen 
Orden in den genannten wefentlihen Punkten übereinftimmen, jo jedoch, 
daß der eine Orden ftrenger ald der andere ift, fo ruht auch die Regel 
der Ganonifer, wiewohl in ihrer Art und Weife larer, doch auf der Baſis 
des Ordensweſens (latitudinem religionis non egreditur). Iſt und das 
her gleich die Verwaltung ver kirchlichen Einkünfte, von denen wir leben, 
geftattet, fo haben wir doc über den Berarf an Nahrung und Kleidung 
fein Recht auf diefelben. Wir dürfen daher nicht verfchenfen, vermaden 


621 


und Anderes, was einem Gigenthümer erlaubt if. Es ift daher ein ges 
ringer Unterjchied zwifhen und und den im Gonvent lebenden Regularen 
(conventuales regulares), wo Einer die Verwaltung hat, da diefe Vers 
waltung einem jeden Einzelnen von uns unter feiner andern Verpflich— 
tung, als dort dem Einen geftattet iftz nur in mäßigem Befige und Stell» 
vertretung unterfbeiden wir und. Sodann iſt und zwar vor den hl. Weihen 
die Ehe geftattet; aber mit der Weihe übernehmen wir dad Gelübde der 
Keujchheit, gemäß den Regeln der Väter, Daß wir endlich den Obern Ges 
horſam geloben, ift für fib flar. Mir haben alfo die Regel von Orvend« 
männern angenommen, weil wir, abgefehen von dem Einkommen für Nah— 
rung und Kleidung, das Fleiſch ertödten und in Keufchheit und freiwillis 
gem Gehorfam Gott zu dienen uns verpflichtet haben, um felig zu werben. 
Das, meine Brüder! ift das Jod des Herrn, das ihr auf euch genom- 
men habt. 

Und nun, wie fönnt ihr in dem, was ihr auf euch genommen, vers 
barren? Ich fage: wenn ihr dem Herrn, dem ihr euch zu eigen gegeben, 
nad der Natur eben dieſes Herrn eifrig zu dienen euch beftrebt, Da 
Gott nichts von diefer Welt an ſich hat, weil fein Reich nicht von diefer 
Welt ift, fo müſſet auch ihr diefe Welt ganz verlaffen. Dann werdet 
ihr fein Reich in Seligfeit erlangen, wenn ihr arm im Geifte feld, und 
eine um fo höhere Stufe im Himmelreiche werdet ihr einnehmen, je mehr 
ihr dieje Welt verachtet. Wenn ihr aud) in der Fülle von Reihthum euer 
Herz nicht am denfelben hänget, wenn ihr die fleifchlichen Gelüfte ver- 
achtet, wenn ihr, fern von Hochmuth, in demüthiger Unterwerfung euch 
felbft verachtet, dann ftehet ihr feft in dem, was ihr empfangen habt. 
Wenn ihr bedenfet, daß Gott die Wahrheit ift, der da ſpricht: „Ih 
bin die Wahrheit”, nicht aber: ich bin das Herkömmliche (et non 
dixit: ego sum consuetudo), wenn ihr ihn in der Wahrheit anbetet, 
indem ihr die Wahrheit felbft umfafjet, dann fteht ihr feft in Dem, was 
ihr empfangen habt. Das Gleiche gilt von der Gerechtigkeit, Güte, Stand» 
haftigfeit, Starfmuth und Liebe. Gott ift die reinfte Tugend, und fein 
Sünder fann ibm dienen. Er ift die Liebe; wer alfo die Liebe nicht 
hat, fteht nicht feft in Dem, was er erhalten hat! So liebet denn eins 
ander, ihr feid ja Brüder in Chrifto, der die Liebe ift! Daran erfennet, 
daß ihr feit ftehet, wenn ihr einander liebet! Kein Zank und Streit ent 
zweie euch, ald wäret ihr noch fleifchlich gefinnt, nicht herrſche unter euch 
der Gdgendienft der Habfucht! Jeder erweije dem Andern, was er wünjcht, 
daß Andere ihm erweifen; denn ihr feid Brüder. Trage Jeder die Laft 
des Andern, Keiner richte über den Andern. Wenn ihr in diefen Tempel 
herauffommt, fo fommet nicht wie fich felbft rechtfertigende Pharifäer, 
fondern gedenket des gerechtfertigten Zöllners, und demüthigt euch vor dem 


622 


Angefichte Gottes! Seid nicht träge im Dienfte Deffen, dem ihr am biefer 
Stätte zu dienen gelobt habet, fondern regfam und eifrig, nicht mit dem 
Munde nur, fondern mit Herz und Seele, denn dein ganzes Wefen ver- 
langt Gott (te totum vult Deus). Wenn ihr darin feft ftehet, wie es 
Etreitern für Chriftus geziemt, dann verharret ihr in Dem, was ihr em 
pfangen habt, ihr fteiget von Tugend zu Tugend auf; aus dem Umgange 
mit Menſchen gelanget ihr in die Gemeinfhaft der Engel, aus der Blind» 
heit zum Eehen, aus der Umwiffenheit zur Miffenfchaft, aus dem Irdi— 
jchen zum Himmlifhen. Das ift das Feftiichen, das ein beftändiges Auf- 
wärtöfteigen ift. Ueber die Seligfeit, die den feſt Stehenden verheißen 
ift, fage ich nur dies Eine: das menschliche Herz vermag nicht zu faſſen 
die höchſte Seligfeit, die der Herr Denen verheißen hat, die ihn lieben. 
Denn was in Allem, was ift, am meiſten geliebt wird, ift das Sein 
jelbft; das Sein hat feinen größern Gegenfaß, ald das Nichtlein. Was 
von Allem, was lebt, am meiften geliebt wird, ift das Leben felbft, denn 
nichts iſt Schredlicher, al8 der Tod. Was der vernünftige Geift am meiſten 
liebt, ift das Erkennen, defien Tod die Unwiffenheit if. Wie das Sein 
des Lebens das Leben ift, fo ift das Sein der vernünftigen Naturen — 
das Eıkennen. In allen diefen Stüden nun wirft du in der ewigen Se 
ligfeit den höchften und ungerftörlihen Grad erlangen: im Sein die Ewigs 
feit des Seins, im Leben — die Unfterblichfeit des Lebens, im Erfennen 
das wahre und unmangelbafte Erfaffen der erſehnten Wahrheit. In der 
vernünftigen Anſchauung werden wir Gott fehen, wie er ift, und Jeſus 
Ehriftud unfern Herrn. Zu diefer feligen Anfhauung führe er uns, unfer 
Erlöjer, der gepriefen fei in alle Ewigkeit! Amen, 


Aus der Rede auf Mariä Himmelfahrt, 
gehalten zu Goblenz, 1432, während des Interbicte. 


„Nun ward eröffnet der Tempel Gottes im Himmel und fichtbar 
wurde die Bundeslade des Herrn im feinem Tempel, und es erfolgten 
Blige, Donner und großer Hagel. Es erſchien ein großes Zeichen am 
Himmel: ein Weib mit dem Pradtgewand der Sonne, unter ihren Fühßen 
der Mond und auf ihrem Haupte eine Krone von zwölf Sternen.“ 

(Apocal. 11, 19. 12, 1.) 

Diefe Worte werben von der Kirche, unferer Mutter, im Allgemeinen 
und fpeciell von dem vornehmften Gliede der Kirche, der glorreichen Jung 
frau Maria ausgelegt... Die Sonne d. i. die Kirche fteht mit ihren 


623 


Füßen auf dem Monde der irdifhen Unbeftändigfeit; auf ihrem Haupte 
d. i. in der Urkirhe hat fie eine Siegeskrone d. i. die Apoftel und Märtyrer. 

In unferer Zeit aber ift die Kirche wie die Füße über dem Monde. 
Die Füße find die Leidenftaften (affectiones), und wie die Füße immer 
auf der Erde find, fo ift auch die Leidenfchaft etwas Irdiſches. Die 
Morte: „über dem Monde“, der der Erde am nächſten ift, bedeuten alfo, 
daß die Kirche in unfern Tagen leider! fid auf der niederften Stufe, wie 
der Fuß, befindet und wenig Edles aufweist. Wiewohl fie das gleiche 
Leben hat, wie der ganze Körper, und von dem gleichen Geiſte belebt ift, 
fo ift fie do nicht angethan mit dem Sonnengewande der Gerechtigkeit, 
Verftändigfeit und Klarheit, fondern gehüllt in das Leder thierifcher Ges 
finnung und Unwiffenheit; fie wälzt fih im Kothe der Begierlichfeit und 
Ausihweifung, fie Flebt durch Habſucht an der Eide; fie iſt unbeftändig, 
vertraut auf den Mond, d. h. fie hat feine Natur, feine Unbeftändigfeit, 
feine Einflüffe, fein Sichannähern an die Eonne und feine Eklipſe, weil 
unfere Sünden fih Gott entgegenftellen. 

Wollen wir und daher retten und und in der Arche, der Kirche, refors 
miren, jo müfjen wir, die wir die Füße find, auf dem Wege des Rechts 
und der ©erechtigfeit wandeln und den bewegenden Einfluß edlerer Ge: 
fühle von Seiten Derjenigen aufnehmen, die über und ftehen und in Heis 
ligfeit und vorangegangen find. Wir müſſen unfere Mondsnatur in die 
Gemeinihaft mit dem Sonnenlihte fegen, auf daß fie durch diefe Gemein; 
ſchaft fih bis zum Vollmond der ewigen Glorie bewege. 

Weil man mit Vorfiht wandeln foll, jo muß man auch erwägen, 
wie wir wandeln follen. Nidt immer darf man in die Fußftapfen Ans 
derer treten, gleich jenem Affen, der die Augen ſchloß, weil fie auch der 
Dieb zugejchloffen hatte und deghalb um feine Denare fam. Man muß 
die Wege wohl unterfcheiden, damit wir nicht, indem wir zu flehen meinen, 
fallen. Der Zufall eröffnet oft verſchiedene Wege. Unfere Laufbahn jei 
der Weg der Gebote (Gottes) und ded Gehorſams. Die Schlüſſel— 
gewalt der Kirde, wenn fie auch ungerecht verfährt, darf nidt 
mißachtet werden; es ift jedenfalld verdienſtlich Cihr Folge zu leiften) 
und Strafe zieht ſich Der zu, der einen (ungerechten) Befehl gegeben hat. 
Iſt das, was der Vorgefegte gegen dich hat, feine gerechte Sache, jo ift 
dein Gehorfam dir nur um fo größeres Verdienft. Ueberdenke dein Leben 
und du wirft gewiß finden, daß du Fehler begangen, um derentwillen du 
Strafe verdienft. Betrachte nun diefe Vergehen ald die Urfache (ver 
jegigen Strafe). Beherzige das Heilfame des Gehorfams und fei nicht 
widerfpenftig! Betrachte das Beiſpiel der Geduld und des Gchorfams an 
Ehriftus, der gehorfam war bis zum Todel Er lehrte allezeit Gehorfam. 
„Auf dem Stuhle Mofis ıc.* Der Fluch Gottes kam auf das Mens 


624 


fchengefchlecht herab wegen des Ungehorfams, Genef. 3. „Verflucht fel 
die Erde um deinetwillen!“ Dagegen pries Chriſtus Simon felig wegen 
des Gehorſams: „Selig bift du Eimon Barjona ꝛc.“ Matth. 16. Seid 
alfo nicht ungehorfam! Der Gehorfam hat großen Gewinn bei Feiner 
Mühe. Er wird mit einem Handelsſchiffe verglihen, dad immer dabins 
fährt und Gewinne herbeiführt, indeß der Kaufmann ruhet, Sprichw. 31. 
Gott ruht in den Gehorfamen und Chriſtus ging nad Bethanien d. i. 
in das Haus des Gehorſams. Wo Gehorfam, da ift auch Liebe Gottes. 
Die Liebe Gottes macht den Menfchen tractabel und gehorfam, wie Feuer 
das Wachs. Wilft du erfennen, wer die Liebe Gottes habe, fo fieh nur 
auf feinen Gehorfam, denn „Gehorſam ift beffer ald Opfer.” 
(Aus der Sammlung von Predigten des Garbinals, im Manufcripte B.) 








Digitized by Google 


IN. 











⁊ 


* 
* 
* 
— 
Zn 
—