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Full text of "Heidelbergische Jahrbücher der Literatur. Heidelberg, Mohr & Zimmer 180872"

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HEIDELBERGISCHE 
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LITERATUR. - 
HEIDELBERG, 


MOHR & ZIMMER 
1808-72 


















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Deidelbergifde 
Fahrbücher 


Litteratur. 


Sechſter Jahrgang. 
Erſte Hälfte 


Januar bis Juny. 


Heidelberg, 
De» Mohr und Zimmer. 
1813 


60246-R 








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No. 1. Heidelbergiſche 1813. 
Jahrbuͤcher der Litteratun 


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Correspondance litteraire philosophique et eritique addressde 
aA un souverain d’Allemagne depuis 1770. jusqu’en 
Par le baron de Grimm et par Diderot. V. Voll. 
Paris. F. Buisson rue Gilles Coeur No, 10. 1812. 8: 


Dien Wert gehört zu ber Rs von Wetten, welche wir 
derfih und verwerflid an fih, der Vergeſſenheit übergeben 
werden follten, und welche daher nur ehtiweder wegen des 
Eindruds, den fle auf ihre Zeit machen oder doch leicht machen 
fönnen, oder weil fi) in ihnen die Entartung ihres Zeitalterg 
darſtellt, eine ernfthaftere Beurtheilung verdienen können. Wir 
geftehn, daß uns nur: das Auffehn, welches es erſt in Frank⸗ 
reich, beſonders in Paris, dann bey allen Dilettanten der 
Haupftſtaͤdte Europas, endlich in der ganzen eleganten Welt 
erregt hat, zu einer ausfuͤhrlichern Anzeige deſſelben be— 
ſtimmte. Wir trennen in dieſer Anzeige die beyden erſtern 
Baͤnde, welche den Zeitraum von bis 1778 umfaſſen, 
von den drey letztern. 

Rec. iſt nicht geſonnen, den Antheil Diderots, der waͤh— 
rend Grimms oͤfterer Abweſenheit von Paris den Bericht fort⸗ 
ſetzte, von Grimms Arbeit zu ſcheiden, weil bepde damals felt ein 
und zwanzig Jahren genau befannt waren, oder wie die ganze 
Philoſophen Geſellſchaft als Eine Perſon angeſehn werden 
koͤnnen, und Rec. uͤberdies nicht geſonnen iſt, wie Hr. Amar 
im Moniteur, auf das Urtheil des Einen oder des Andern, da 
oft beyde frivol ſind, zu provociren, ſondern nur hie und da 
einzelnes herauszuheben, was zur Kenntniſß der Zeiten, Mäns 
ner, Schriften, die es betrifft, etwas beytragen kann, befgns 
Ders, wo wir entweder etwas hinzufeßen, die andere Seite 
der Sadıe zeigen, oder den Verfaſſer und feine Abfichten ſelbſt 
betrachten können. Diefem Werke, welches wir als Gelehrte den 
frivoten Cirkeln, in deren Ton es abgefaßt iſt, uͤberlaſſen würden, 

1 


2 Correspondance du Baron de Grimm. 


ſollte man alfo wie feinem Verf. nur das quiescat nachrufen. 
Da der Verf. feinen Lohn, den Zutritt zu den Großen, den 
Baron, den Minifter dahin hat, fo follte die Leichtigkeit und 
Dreiftigkeit feines Tons, durd den cr fid) geltend machte, der 
Vergefienheit übergeben werden, wenn nicht das Werk ein 
neues Dentmahl des Tons der Menfchen und Bejellfchaften 
wäre, welche ganz Europa umgeſchaffen, die Religion und den 
Stauden aus den Herzen getrieben, die Sitten durch late 
Moral, frivole Scherze, elenden Wiß untergraben, und dem 
Lafter durch Nede und That die Worte und den Schleyer der 
Tugend gegeben haben. Man liest hier genau das Reſultat 
und den Widerhall der Unterhaltungen bey Hollbah, det 
Epinay, der Geoffein (wir ſcheuen ung Madame Meder, die, 
ob man gleid) bey ihr foupirte, gut und edel war, zu nennen) 
u. a., wo die Weiber den Ton angaben, und Religion, Staat, 
Erziehung, Theater, Wiffenfhaft, ohne Ernſt umd Anftand 
beurtheilten, und alfo jeder, um nit Pedant zu ſeyn und 
lächerlich zu werden, einftimmen mußte, ja, wo es genug 
wor, einen guten Koch zu haben, um auch die Litteratur zu 
beherrfchen. Matärlih war ed, daß dies in Frankreih und 
durch die Abgoͤtterey, die unfere Fuͤrſten mit den Philoſophen 
trieben, auch in ganz Europa herrfchend werden mußte. In 
Frankreich hielt fih der Ton hicht, weil bald hernach die Res 
volution alles änderte; bey und aber, in Rußland, Schweden, 
Polen und endlich fonar in England ward gerade dadurch, daß 
Frankreich) die Leute von gutem Ton ausfpie, die heillofe Sitte 
immer herrfchender. Die Herausgeber der Correfpondenz hät 
ten übrigens ohne Nachtheil des Lefers, wie felbft der Parifer - 
Lobredner Grimme geiteht, die Hälfte des Buchs weglaffen 
tönnen, fo abwechfelnd auch fein Inhalt iſt. Bald find es 
Neuigkeiten des Tags, bald Schaufpiel, bald der Hof (nur 
behutfam), bald die Angelegenheiten der Philojophen übers 
haupt, über die enticheidend abgefprochen wird. Der Ton iſt 
nicht bloß leicht, fondern leichtfertig und für die Bibelfprache, 
für die Spradye der Kirche, die man zu den fihändlichfien Er 
zählungen braucht, hätten die vornehmen Leute, an die die - 
Berichte gerichtet find, fo viel Achtung haben follen, daß ihnen 
ihr Mißbrauch mißfallen hätte, Man lernt vecht, wie man 


* 


Correspondanee du Baron de Orimm. 3° 


äbfichtlih Alles leicht macht, wie man uͤber Alles hinausſchluͤpft, 
und dem ernften Miantt eine Makel,” oder, was noch ſchlimmer 
iſt, eine Lächerlichkeit anfprägt, um die Billigung ber Thoren 
zum Pröfeflein der Weisheit zu machen: Wie wäre auch fonft 
der Ar. Grimm, der Nichts geleifter hat, fobald zum Baron 
von Grimm geworden ! Man muß nämlic, wiffen, daß Grimm, 
nachdem mah feine erften Verſuche in Deutfchland übel aufger 
nommen, fih nah Paris begeben hatte, wo ihn Ktüpfel, der 
hernach Hofmeifter des Erbpringen von Gotha wurde, "unter 
dem Titel eines Vorlefers (1749) annahm. In dieſem bes 
ſchraͤnkten Verhaͤltniß machte Nouffeau feine Bekanntſchaft, 
und fagt ( Confessions livre VIII. ed. Genes. 8. 178g. 
‚Vol. 31. pag. 165): „Es war ein junger Menfh, Namens 
Grimm, der dem Erbpringen als Vorleſer diente, bis er eine 
andre Stelle fände, und fein ganger dürftiger Aufzug zeigte, 
daß er nöthig habe, Eine zu finden.“ Dachte doch damals dei 
arme Jean Jacques nicht, daß der Grimm um 1770, fo von 
obenher und fo bitter haͤmiſch Über ihm ſchreiben würde! mie 
bier I. ©. 129 — ıdı und I, ©. 187. 188 gefchieht, wobey 
man freylich in der letzten Stelle den ſeinen Mann nicht vers 
kennen kann, der ſich wohl bewußt bleibt, daß bey den Leuten, 
deren Gunſt er ſucht, Rouffeau doch zu hoch fteht, als dafi er: 
ihn ernftlich angreifen dürfe, ihn alſo nur lächerlich macht, 
um mitleidig auf ihn herabzuſehen, und wenn nicht als der 
Größere, doch als der Weiſere, mit dem ſich beffer leben läfit, 
der beffer zu gebrauchen iſt, zu erſcheinen. Er führt nämlich 
I: ©. 187 den Brief an, dem NRouffeau fhrieb, um zu der 
Statue, die man Voltaire errichten wollte, feinen Beytrag zu 
liefern, und der, wie alle feine leßten Briefe den Vers pau- 
vres aveugles qu& nous sommes etc. zur Ueberſchrift hatte 
(da Grimm die Sache nur berührt, fo erinnern wir daran, - 
daß NRouffeau diefen Vers annahm, , feit er fih ver. Hume ges 
taͤuſcht glaubte: Die Erzählung ift in dem berühmten Briefe 
an Hume ſelbſt. Oeuvres de Rousseau ed. 4to. Tom. XII. 
p. 557 — 566): Grimm mwißelt zuerft I. &. 188 über den 
Vers, jund ſagt, Rouſſeau feße ihn Über feine Briefe, wie 
die Nonnen ihr vivat Jesus; als ein Scußmittel gegen das 
Beheren. Dann macht er ihm ein Kompliment,-daß er wieder 


4 Correspondance du Baron de Grimm. 


nach Paris kommen und da leben wolle, unter der Bedingung, 
nicht zu ſchreiben, cette dernière clause, fagt Grimm, ne 
s’accorde guère avec nos inter&ts. Aber bald zeigt ſich wies 
der die wahre Gefinnung: „fein Brief, heißt es, wäre ein 
Meifterftüf, wenn er es hätte übers Herz bringen können, 
nur dies Mal, ohne weitere Confequenz, "fein platted qua- 
train daheim zu laffen.“ Boshafter ift, was er ©. 229 be; 
richtet, daß Nouffeau feine Therefe in flagranti ertappt habe, 
und dergleichen fchöne Sachen mehr. Dabey thut er fo vors 
nehm, daß es ihm nicht der Mühe werth ift, den Namen des 
Schloſſes in der Dauphine‘, wo ſich Rouſſeau aufhielt, richtig 
zu nennen. Er nennt es Bourbeille, es heißt aber Bourgoin. 
Da flieht man, was es mit den Freundfchaften der Welt für 
Bewandtniß hat, thut doh Grimm, als ob er den Mann 
nicht vecht fenne!l und doch hatte er ihn aufgefordert, den 
Sautier zu widerlegen; man fennt ja Nouffean’s Brief an 
Stimm, wo er, indem er fagt, daß er Gautier nicht mwiders 
legen wolle, es mit vieler Kunft thut. Es war derfelbe Roufs 
feau, der (Oeuvr. edit. 8vo. Tom. XXXI. p. 209) jagt: 
„Diderot har zahllofe Bekanntfchaften, Grimm, ein Fremder 
und Heuangelommner, mußte Beianntfchaften machen, es war 
mir herzlich lieb, daß ich fie ihm verfchaffen konnte.“ Dann 
rehnet NRouffeau die VBelanntfchaften her, die er ihm vers 
fchaffte; aber Grimm ward Hofmeifter des Grafen von Schom— 
kerg, er ward Freund der Philofophen, da ſah er auf Rouffeau 
herab. Man vergleiche das zote Buch der Konfeffionen. Daß 
man aber in der Gejellihaft die Schwäche der Menſchen, die 
nicht höher ſtehn, als die Sefellihaft, richtig auffaſſe, bewei⸗ 
fet Grimms Urtheil über den Prinzen von Ligne, mit deffen 
Schriften man uns neulich hat beſchenken wollen, und die auf 
allen Seiten das Urtheil zu beftätigen Veranlaſſung geben. 
Grimm führt naͤmlich ©. 229 — 25ı einen Brief des Prinzen 
on, worin diefer Nouffeau einen Aufenthalt auf feinen Güs 
tern anbietet, und kündigt ihn mis diefen Worten an: „Der 
Prinz von Ligne hat einige Tage, nachdem er Rouſſeau bes 
fucht hatte, ihm den Brief, welchen ich hier einruͤcke, gefchries 
ben; aber er hat fein Glück in Paris gemacht, weil man 
ihn zu gefünftelt gefunden hat, und pretention a lesprit 


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Correspondance du Baron de Grimm. 5 


est une maladie, dont on ne releve pas en ce pays-ci. 
Diefe Urtheile und Anecdoten des Tags würden wir am lieds 
ften aus der Eorreipondeny nehmen, wenn wir nicht geſtehn 
müßten, daß wir den Baron Grimm zu oft auf dem Wege 
der Unmwahrheit gefunden. 3. B. J. S. 53 heißt es, daß 
Demoifelle Arnoud, eine Schaufpielerin, die man damald in 
Maris unter dem Namen Sophie kannte, der Elairon, als 
diefe fagte, der König fey Herr ihres Lebens und Vermögens, 
nicht ihrer Ehre, geantwortet habe: Sie haben Recht, Made— 
moifel, wo Nichts ift, hat der König fein Recht verloren. 
Aber der neufte Lebendbefchreiber der Clairon erzählt gewiß 
richriger, da er auch mit den memoires Ecrits par elle même 
(wo fie natürlich des Wiges feldft nicht gedenft) beffer übers 
einftimmt. Als Mad. Clairon, heißt’ ed dort, bey der Vor— 
ftellung der Belagerung von Calais das Publicum fo ihändlich 
geäfft, und der König einen exempt de police zu ihr ſchickte, 
um fie nah Fort l'Eveque zu transportiren, traf dieſer eine 
ſehr angefehene Parifer Dame ben ihr. Diefe hielt den Arreft 
der Clairon für ein Märtyrertfum, und nahm fie alſo in 
ihrem einfigigen Wagen auf den. Schoos, 309 mit ihr, wie 
im Triumph, durd) Paris, um fie an den Ort ihres Arrefis 
zu bringen, und der exempt mufite ſich gegenfiber feßen, da 
er feine Arreftantin nicht aus den Augen laffen wollte. Dem 
exempt legt er nun auch den Wit in den Mund, der fih 
auch bejfer für ihn, als für Mad. Arnoud paßt. Derſelbe 
Fall ift mit Henauft und Zurfauben. Hätte ſich Grimm dars 
auf beſchraͤnkt, den Präfidenten zu tadeln, daß er, nicht zus 
frieden, eine vortreffliche Weberficht der Geichichte von Frankreich 
geichrieben zu Haben, auch Theäterdichter habe feyn wollen, fo 
möchte 7.3 gut feyn, daß er aber den abrege, von dem er 
nichts verfteht, auch beurtheilt und den Präfidenten verfpottet, 
das verdrieft ung, weil wir fchon unwillig find, daß Duclos 
memoires secrets fo manche Anecdoten durch ihre Auctos 
rität in’ die beften Gefchichtbücher gebracht haben, die ung 
durchaus nicht fiher fiheinen. Grimm fagt I. &. 36: . „Der 
gute Praͤſident, veih, artig, .liebenswärdia in der Geſellſchaft, 
führt einen guten Tifh, und hat alfo ganz Frankreich bey fei, 
‚nen Soupers, er hat auch eine Rolle in der Litteratur fpielen 


6 -Correspondance du Baron .de Grimm. 


wollen, und es ift ihm gelungen, wenigftens auf eine Zeitlang. 
Sein abrege chronologique de l’'histoire de France ift dag 
gepriefenfte Buch diefes Jahrhunderts, hätte es ein armer 
Teufel im Dachſtuͤbchen geſchrieben, unfere Bewundrer hätten 
kaum einen Blick vol Verachtung darauf geworfen.“ Kennt 
doh unfer Grimm -die Leute, mit denen er zu thun hat, und 
lebt vecyt gut, darum erwarb er fi aud einen Namen durch 
Zeitung tragen. Das Unrecht gegen Hénault vollendet. er S. 
550 —354, wo er ihm eine giftige Leichenrede hätt, bey wels 
cher Selegenheit er auch die Madame Deffant, die wir aus 
‚ihrer Cokreſpondenz, von der wir vielleicht ein ander Mat 
reden, als eine Feindin der Philofophen kennen, ausftellen 
fann. Vitterer ſchmaͤht er fie noch Tom. IV. p. 275. 274. 
Wie es ſich mit der an beyden Stellen erzähften Anecdote 
verhalte, wollen wir nicht unterfuhen; da fie an fid elend 
find, und die eine fih ale Dichtung anfündigt. Was Zurlau— 
ben angeht, fo war. er befanntlic den Philofophen nicht ges 
mwogen; (daß Joh. von Müller feine Tafeln oft anführt in der 

Schweizergeſchichte allein in der Abſicht, um ihm oder der Familie 
ein Compliment zu machen, vermuthen wir;) aber wie in aller Welt 
fann Grimm fo Höhnifch über tables genealogiques fprechen, 

als er I. ©. 147 thut, wo er von Compifation ſpricht, und 

doch flatt Schöpflin, Schoepffen fchreibt. Diefe Angriffe find 
um defto empfindlicher, da fie nicht, wie die Bitterfeiten auf 
Mouffeau dadurch erträglicher. werden, daß der Verf. an ans 
dern Stellen ſich ſelbſt vergißt, um nur die Sache zu betrachten. 
Von den Stellen, die Rouffeau im 3 — 5. Band angehen, 
befonders über den Tod Nouffeau’s weiter unten; jetzt nur, 
um dod auch Gutes von Grimm zu fagen, erwähnen wir der 
Stelle Tom. II. &. 477: „Sindeffen Rouffeau ſein Leben 
damit hinbringt, Muſik zu copiven, und, wie idy meine, nur 
daran denkt, fih dem Andenken der Menfchen zu entziehen, 
fteht immer, bald unter den Pfaffen, bald unter den Schoͤn— 
geiftern einer auf, der feine Werke Fritifire.“ Nun fpricht ex 
- von la Harpe, der damals in den Cirkeln etwas vorgeleſen 
hatte, worin er Rouſſeau gegen Voltaire ſehr herabſetzte, und 
ſchließt: Es iſt Rouſſeau's Schickſal, von Leuten widerlegt 
zu werden, die ihn nicht haben verſtehen wollen, oder nicht 


Correspondance du Baron de Grimm. F 


verſtehen koͤnnen. Aber wir kommen auf die Dinge zuruͤck, 
wo Grimm, wie ein Blinder von der Farbe, urtheilt, weil 
de Öuignes und Anquetil du Perron Theil IL ©. 116 und 
117 und ©. 151 — 154 auf eben die Weife, als Henault und 
Zurlauben im. erften Theil, nur bey weitem noch vornehmer 
und unmiffender beleidigt werben. Das Geſchwaͤtz über de 
Guignes erwähnen wir nicht, d’Anquetils jugendliche Ynbes 
fonnenheit und Eitelfeit mochte er geißeln; aber wer berechtigt 
ihn, feinen vornehmen Leuten ©. 132 zu fagen: „Es if 
einleuchtend, daß das fein Leben unnüs und unarbeitfam vers 
tieren heißt, wenn man ans Ende der Welt geht, um eine | 
Sammlung von Dummpeiten zu holen.“ Ganz; in feiner 
Sphäre ift aber Grimm, wie fein Freund, wenn er ung I. 
S. 1485 — ı60 die Geſchichte der Unruhen erzählt, die bey 
Hofe entflanden, als die Nachricht ſich verbreitet hatte, daß 
der König, um dem Haufe Lothringen eine befondere Ehre zu 
erweifen, auf Bitten des Defterreichifchen Hofes der Tochter 
des Grafen von Brionne, Schweſter des Prinzen von PLanıs 
befc, erlaubt Habe, auf dem bal pare gleich nach den. Prinzen 
von Geblät eine Menuet zu tanzen. Grimm rüdt die Vor— 
fielung, die die Pair dagegen einreichten, und die der Bis 
ſchof von Noyon zuerſt unterfihrieb und hernac übergab, gang 
ein, und man muß alierdings die Franzoſen bedauern, daß 
das Lächerlihmwerden folder Foͤrmlichkeiten zum Fall ihres 
Reichs beytrug. Eben fo intereffant zur Kenntniß des Kleinen 
neben dem Großen, ift Theil II. ©. 251 die Anecdote von 
der Schaufpielerin Chantilly, welche Favart, Opern und Lieders 
dichter, dem Marſchall von Sachen, während es Maſtricht bela⸗ 
gerte, entführte, diejen in Verzweiflung fegte, jene heyrathete, 
das Opfer einer lettre. de cacher wurde, wo es denn ©. 23a 
heißt: die beyden Eheleute geben fih in ihr. Schickfah, das 
fie nicht ändern Eonnten, weil der König die lettre. de cachet 
zugeftanden hatte, und die Heine Chantilly war zugleih das 
Weib Favarts und Geliebte: Morigens von Sachſen. Am 
widerlichſten ift und der Gedanke, daß diefes Buch auf allen 
Toiletten fich findet, darum, weil mit der Sprache der Bibel, 
der Kiche und der Moral der fhändlichfte Spott getrieben 
wird, und die frivolften Dinge ernftlih, mie die ernften 


8 Gorrespondance du Baron de Grimm. 


frivol behandelt werden. Liederlichkeit ift ein Scherz und Re— 
ligion befigen ein DVerbrehen. Nur einige Beyſpiele Th. J. 
&. 158 bey Gelegenheit der Vorftellung Über den Menuer der 
Lorhringer heiße es: „Wenn ich, beharrend in der Ketzerey und 
in der Unmwiffenheit der geoffenbarten Wahrheiten über diefen 
wichtigen Punct, das Unglück hätte, Über die Vorftellung des 
‚ Adels bloß nach den Regeln der gefunden Vernunft zu urthei⸗ 
fen, fo würde ich behaupten, daß der Verf. der Bittſchrift 
nicht einmal den Stand der Frage gefannt hat.“ Eben fo, 
wenn es von den Deconomiften heißt I. &. 45: „Die gang 
befondere Webereinftimmung des Geiftes diefer Secte mit dem 
Geiſte der Chriftenfecte bey ihrem Urfprunge koͤnnte uns über 
ihre fchnelle Ausbreitung beunruhigen, fönnte uns fürchten 
laſſen, Geſchmack und Vernunft möhten unter den Mehlhaus 
- fen, die in Flugichriften aufgehäuft werden, indeß dag Lands 
volk kein Brot hat, erſtickt werden, und dies wäre in der 
That gerechte Strafe unferer firafbaren Gfleichgültigkeit, aber 
gluͤcklicherweiſe fteht gefchrieden, daß die Pforten der Plattheit 
die heilige Stadt Ferney nicht überwältigen werden.“ Dazu 
feße man den empdrenden Ton über die Galanterieen alias 
ni’3, mit dem Grimm befonders verbunden war, I. ©. ıı 
und 2ı. Endlich im zweyten Theile S. 275. 276, wo die 
Rede von einer Geſchichte von Siam ift, die ein gewiffer 
Turpin aus den Papieren eines Miffionairs zufammengetvagen 
hatte, die aber der Miffionair nicht billigte und durch ein 
arröt du conseil unterdruͤcken ließ, „als irrig, fo heißt es 
nun bey Grimm, verfälfht und feldft etwas gottlos, was ihr 
denn wohl einigen Abſatz verfchaffen könnte.“ Daß fie ed mit 
der practiihen Moral in andern Dingen nit genauer nah— 
men, fieht man aus den Gräueln, die Grimm auf Peliffon 
mwälzt, und worin er auch Ruͤlhiere, nur darum), weil er mit 
Peliſſon Freundfchaft hielt, verwicelte. Th. I. ©. 170 — 179 
erzählt er die Bemühungen, die Diderot und andre anwandten, 
um die DVorftellung des homme dangereux von Peliſſon zu 
hindern. Wir wollen nur eine Stelle des Briefs, den Dides 
vor deshalb an den Herrn von Sartines, Molizenlieutenant, 
fchrieb, anführen, um zu zeigen, daß fih diefe Parifer als 
Eehrer der Welt betrachteten. Wie konnte es auch anders! 


— 


Correspondance du Baron de Grimm., 9 


nennt doch Friedrich II. (Correspondance avec d’Alembert 
ed. 178g. s. 1. Tom. IV. p. ı20 et 132) d’Alembert bald 
den neuen Protagoras, bald den neuen Anaragoras die Fries 
drich freylich beyde gleich gut kennen mochte. „EB gebührt 
mir nicht (fagt Diderot I. ©. 176), Ihnen, gnädiger Herr, 
einen Rath zu geben, können Sie aber bewirken, daß man 
nicht fage, man habe zwey Mal mit Ihrer Erlaubniß öffents 
lich diejenigen Ihrer Mitbürger verhöhnt, die man in allen 
Theilen von Europa in Ehren hält, deren Werke man nahe 
und ferne verfchlingt, die die Ausländer herbeyrufen und bes 
lohnen, die man immer anfuͤhren wird, die der Ruhm des 
Franzoͤſiſchen Volks auch dann noch ſeyn werden, wenn Sie 
nicht mehr ſind; die endlich, welche kein Reiſender zu beſuchen 
verſaͤumt, wenn er hier iſt, und aus deren Bekanntſchaft er 
ſich nach ſeiner Ruͤckkehr ins Vaterland eine Ehre macht; wenn 
Sie das koͤnnen, gnaͤdiger Herr, ſo glaube ich, handeln Sie 
klug u. ſ. w.“ Sn dem halb drohenden, halb prahlenden 
Tone geht es noch eine Zeitlang fort: es wuͤrkte. Das Stuͤck 
ward nicht gegeben; doc) bedeckt Grimm Peliffon mit Schimpfs 
reden. Aber Peliffon ließ das Stuͤck, worin die Wuth der 
Leute gegen alle beftehende Sitte dargeftellt war, in Genf 
drucken, dafür zieht er fih Th. II. S. 19— 25 einen neuen 
ſchrecklichen Sturm zu, der am beften zeigt, daß es den Leus 
ten doch nicht fo unwichtig war, als fie ung wollen glauben 
machen, wenn Peliſſon uͤber ſie herfiel. Wie reizbar das Phi—⸗ 
ioſophengeſchlecht, gleichwie bey uns auch, war, und wie eine 
Verletzung ſie aller Beſinnung beraubte, davon finden ſich hier 
viele Beyſpiele, nur eins. Die Encyclopädie wurde bekannt— 
lich durch Subdfeription zum Druck gebracht, mo dann die 
Freunde der Parthey fein Geld fparten, um das Werk zu fürs 
dern. (Th. IV. ©. 359 ſteht, daß die Marfife von Ferte 
Imbault, die Tochter der Geoffrin, kurz vor dem Tode ihrer 
Mutter die Rechnungen derſelben durchſah, und fand, daß 
ſie uͤber hunderttauſend Thaler aufgewendet habe, pour sou- 
tenir 1’ Encyclopedie et ses dependances. ) Le Breton, heißt 
es I. ©. 563, premier imprimeur ordinaire du roi, und 
Briaffon waren, nachdem drey andere, welche Antheil daran 
hatten, geftorben waren, einzige Verleger der Encyelopädie 


40 Correspondance du Baron de Grimm. 


geworden. Diderot erhielt für jeden der 17 Bände Tert 2500 
Livres, und noch 20000 auf einmal, Sieben Bände waren 
bis Ende 1770 abgedruckt, die feisten zehn ſollte le Breton 
erft gang aborudfen, und dann all: zehn zugleich an die Subs 
feribenten abliefern laffen, damit nicht die Regierung die Un— 
terneymung hindere oder aufhalte, weil man es dahin gebracht 
hatte, daß fie ignorirte, dab in der größten Parifer Druckerey 
funfzig Arbeiter fih damit befhäftigten, den Druck der Encps 
clopädie zu vollenden. So drudte man denn alle Artikel fo 
ab, wie die Schrififteller fie gelieferte Hatten, und Dideros 
feste nad) der letzten Reviſion unter jeden Bogen den Befehl 
zum Abdruck. Dann aber machte fih der Torrector und Druk 
ker noch einmal darüber her und flrichen alle zu freven Stellen, 
alle Ausbrüche des Philoiopheneifers, kurz, Alles weg, wos 
von fie glaubten, daß [es die Aufmerkfarfeit der Regierung 
erregen könnte, und flellten dann den Zufammenhang, fo gut 
fie konnten, wieder her, „Der Druck des Werks, fagt Grimm 
&. 566, war faft beendiat, als Diderot einen feiner längften 
Artife: vom Buchſtaben S braudte, und ihn ganz verftüms 
melt fand. Er war wie angedonnert, in dem Augenblick lag 
der Sräuel des Buchdruckers offen vor ihm; er fah feine und. 
feiner Mitarbeiter befie Artikel durch, und fand faft überall 
diefelbe Unordnung, diefelben Epuren des unvernünftigen 
Mörders, der Alles verheert hatte. Die Entdeckung fegte ihn 
in einen Zufland von Naferey und Verzweiflung, den id) nie 
vergejfen werde. Ich war auf dem Lande, er fhickte mie 
einen Boten, um mich mit der unglaublichen Gewaltthat bes 
kannt zu machen, und mid nad Paris zurück zu rufen, um 
mit mir wegen des Entſchluſſes, "den er zu nehmen hätte, zu 
Berathfihlagen.“ Nun fchilderr Grimm, Diderots fchredliche 
Verzweiflung, und ruͤckt S. 368 — 576 zwey Briefe ein, die. 
er an fe Breton ſchrieb, welche hinreichend beweifen, daß er 
fih) in einer Art von Raſerey befand. Jetzt wollen wir noch 
ein Benfpiel anführen, um zu beweifen, daß Grimm (den, 
wir durchaus nicht ein mauvais sujet nennen wollen, obgleich 
uns die Art, wie man ihn neulich im Morgenblatt No. gg. 
dagegen hat vertheidigen wollen, ganz und gar nicht genügt ) 
ſich der Philofophen und des Tons der Converfation zu bes 


Correspondance du Baron de Grimm. 44 


dienen weiß, um mit Königen, Fürften, Höfen fi in Bers 
bindung zu bringen, und diefe Verbindung durch diefe Blätter 
zu unterhalten. Um die Zeit nämlich, in welche diefe beyden ers 
ſten Bände fallen, hatte Brimm die Bekanntſchaft des Königs 
von Preußen auf einer Reife gemacht, bey der ihm d'Alem⸗ 
berts und feiner andern Parifer Freunde Briefe überall die 
Höfe öffneten, wo dann fein Ton dag Weitere that. Sn der - 
Correfpondeng Friedrichs mit d'Alembert ift es der 4äte, den 
Grimm zuruͤckbrachte, und im Adten heift es ( Oeuvres de 
Frederic 1769. Tom IV. p. 114. Der Brief ift vom 16. 
Nov. 1769): „Es freut mih, daß id Heren Grimm habe 
fennen lernen, Es ift ein Mann von Kopf und philofophis 
fhem Geift, deffen Gedaͤchtniß voll fchöner Kenntniffe if. Er 
bat Ihnen unmöglich hinreichend fagen können, mie fehr ich 
Sie fhyäge, und Antheil an Allem nehme, was Sie angeht.“ 
Dafür maht Grimm denn hier tiefe Buͤcklinge über den Brief, 
den ihm Friedrich fehrieb, odgleich er (I. 328 — 350) eigents 
ih Nichts fagt, als daß er ihn glücklich fchäge, in Paris zu 
leben. Friedrich und Katharina wußten, wer damals am-laus ° 
seften in Europa ſchrie, wer am meiſten gehört ward; fie 
wandten fih dahin. Auh I. S. 155 — 160 rüdt er das 
mandement ein, das Friedrich verfaßte, um d’Argend aus der 
Provence wegzufchreken, und ihn wieder nah Potsdam zu 
befommen; wir würden diefe Seite lieber nicht an Friedrich 
fehen. Es freut ung aber, die Madame Necker mitten unter 
dem Haufen in andern Gefühlen zu finden, als ihre Abends 
gäfte. Dies beweifer nicht bloß Th. II. S, 513 — 515 der 
Brief Voltair's an fie, wo e8 ©. 514 fpißig heißt: „Ih 
erfahre, daß Sie feit einiger Zeit mit Madame Deffant in 
Verbindung ftehen. Ich gratuliere Ihnen beyden dazu. Sch 
wollte gerne der Dritte feyn, ich Bin aber ein zu Unwuͤrdiger 
u. f. w.“ fondern auch Grimms eigne Erklärung I. ©. 352: 
Hypatia Necker lebt unter lauter Syſtematikern, fie ift aber 
doch fromm nad) ihrer Weife.. Sie wäre gerne reine und 
aufrichtige Neformirte, oder Socinianerin, oder Deiflin; aber 
um Etwas zu feyn, entſchließt fie fih, ſich Über Nichts her⸗ 
auszulaffen. Gewiß klug von einer Frau, die den Wiß der 
Leute liebte, ohne ihren Srundfägen zu huldigen. Man wird 


En 


12 Correspondance du B:von de Grimm. 


‘gerne hören, mie fie zu den SKenntniffen fam; mag es ihe 
Verlobter, dag war Gibbon, wie er in der Schweiz war, ers 
zählen, ob wir gleich nicht gerne die Seite des Geſchichtſchrei⸗ 
bers, welcher mehr den Franzofen als den Engländern angehört, 
herausheben. „Ihre Mutter, heißt eg (Memoires de Gib- 
bon, traduits de l’Anglais. 2 Vol. 8. Paris an V. de la 
republique. Tom. T. p. 105), war eine der Religion wegen 
geflüchtere Franzöfin von guter Familie, die Herr Curchod, 
Pfarrer in einem Meinen Drt, Erafii, im Pays de Vaud, an 
der Gränge der Franche Comte, geheyrathet hatte. In der 
Einfamteit feines Dorfs gab der Vater der Tochter eine kittes 
rarifche und fogar eine gelehrte Erzichung, und Verſtand und 
Schönheit der Mademoifelle Eurchod, die oft nah Laufanne 
fam, erregten allgemeines Anfiehn. Die Erzählungen von 
einem folhen Wunder erregten and meine (Gibbons) Auf 
merfjamfeit. Sch fah, ich liedte fie. Ach fand fie gelehrt ohne 
Medanterey, lebhaft in der Unterhaltung, vein in ihren Ger 
fühlen, elegant in ihren Manieren.“ Sept erzählt er, daß 
er ihren Eltern feine Neigung offenbart Habe, daß er in Craſſi in 
Laufanne als ihr Verlobter erfihien — und fie in England 
vergaß. Die Entſchuldigung find die kalten Worte, die er 
Rouſſeau's Briefe, den wir anführen werden, und den er 
fannte, entgegenfeßt: „ic feufjte als Liebhaber, ich gehorchte 
als Sohn.“ Man Höre Rouſſeau ( Oeuvres ed. 4to. Tom. 
XVI. p. 60): Sie geben mir einen Auftrag für Madame 
Curchod, den idy fchlecht ausrichten werde, eben weil ich fie 
achte x. Die Kälte des Hrn. Eibbon macht, daß ich nichts 
Gutes von ihm halte, ich Habe fein Buch gelefen (er meint 
das Franzöfiiche, das Gibbon fchrieb, Essai sur l’etude de. 
la litterature ), er haſcht nad) Wis, und wird ‚gefünfteft. 
Ar. Sibbon ift mein Mann nicht, ich glaube nicht, daß er 
der Mann der Mad, Curchod if. Mer ihren Werth nicht 
‚fühle, iſt ihrer nicht würdig; aber mer ihn hat fühlen fönnen, 
und fih von ihr losreißt, ift ein Menfh, den man verachten 
muß. Sie, weiß nicht, was fie will (fie liebte aljo. doch den 
etwas unfdrmlichen Engländer ), der Menfh thut ihr mehr 
Dienfte, als ihr eignes Herz. Ich will taufend Mal lieber, 
daß er fie arm und frey unter ung laſſe, als daß er fie uns 


Correspondance du Baron de Grimm. 43 


gluͤcklich und reich mie nach England nehme. "Sin Mahrheit, 
ih wuͤnſche, Hr. Gibbon fäme nicht wieder. Ich wollte mir. 
das verheelen, aber ich kann nicht; ich wollte es gut machen, 
aber ich werde alles verderben.“ Damals lebte nämlih Mas 
demoifelle Curchod, deren Vater geftorben war, in Genf, und 
nährte fi) und ihre Mutter dadurch), daß fie junge Frauen— 
zimmer unterrichtete. Meder fah fie hier und heyrathete fie, 
— und Sibbon erfhien hernah in ihren Cirkeln in Paris, 
Eine intereffante Anecdote bringe noch Grimm J. ©. 449 über 
Srebillon bey, wo der Schluß fo haͤmiſch und falfh ift, als 
das Urtheil über Erebillon richtig, welches Grimm I. S. 446 — 
445 fällt. „Man weiß, fagt Grimm, daß ein Frauenzimmer 
von angefehener Familie (Miß Strafford) von Crebillons 
Sopha fo gerührt ward, und fih eine fo große Borftellung 
vom Verf. madhte, day fie ausdrädlih, um ihn zu fehn, nad) 
Maris reilete, und als fie, fich ‚verfihere hatte, daß fie das 
Stück ihres Helden machen könne, ihn ing Seheim heyrathete, 
und ihm zu Gefallen ihrem Waterlande, ihrem Namen und 
ihrer Familie .entfagte. Kerr von Crebillon bat, viele Jahre 
mit ihr in Paris fehr, in. der Stille gelebt, aber in großer 
Eintracht. Erft nach dem Tode der Heldin hat man die nähern 
Unftände der romanhaften Heyrath erfahren; da fiebt man, 
wie alles in. der Welt Zufall iſt. Der Verf. einer feichtfertigen 
Schnurre flößt einer vornehmen Dame eine ‚Leiderichaft‘ ein, 
daß fie übers Meer geht und ihn aufſucht, und der Liebhaber, 
der neuen. Heloiſe, der Treufte aller Liebenden muß feine! 
Magd heyrarhen!“ Das Feste ift elend;. die. Damen. riffen. 
fih) genug um NRouffeau, der. Übrigens ja fchon über 40 war, 
und Grimm befonderd, mußte das ja am Tiih und im Bett. 
der Frau d’Epinay, wo er zu Kaufe war, am beften erfahren. 
fönnen. Zur Geſchichte der Zeit finder 'fih Hier wenig; nur, 
merke man auf die Scenen -in der Academie I. ©. 490 — 96, 
wo der Abbe! Voiſenon den Bifhof von Senlis in einer oͤf— 
fentlichen Rede perfiffllirt, wo die Theilung der Meynungen 
fo weit geht und führt, fefe IL &. 278— 87, um zu erftaus 
nen, daß die Negierung aus diefen Bewegungen, welche die 
Hauptfiadt theilten, nicht erfannte, wohin es kommen könne. | 

Die drey letztern, Bände der Grimmſchen Correfpondenz 
umfaffen die Zeit vom Januar 1774 bis October 1782; es 
fehle, doch ohne daß wir ed bedauern möchten, das ganze Jahr 
1779. Das Merkwärdigfte in diefen Bänden iſt die ans dem 
TSagesberichten fo deutliche Agitation der ganzen Volksmaſſe 
(das Vorfptel der Revolution ), welche fich in den Streitigkeiten 
der Academie, der Advocaten und Gerichtshöfe, der Schau 
fpielee und ihrer Vorgeſetzten, der Philofophen, der Frommen, 


4A Correspondance du Baron de Grimm. 


der Romanſchreiber, Tänzer und Muflter erfennen läßt, alle 
ſchließen fich getreulih an einander, und ihre mit unglaublicher 
Erbitterang getriebenen Händel, die duch ſolche Verichterftatz 
ter, als Grimm, gang Europa intereffirten, hatten eine Wichs 
tigkeit, die fie vorher nie gehabt hatten, und auch fo leicht 
nicht wieder erhalten werden. Da die Parifer Welt für alle 
Höfe und Hauprftädte die Schule des Tons war, und Alles, 
was von daher fam, verfihlungen ward, fo mufte dies natürs 
lich zurück wirken; die Schaufpieler, Dichter, Belletriſten 
u. f. w. handelten nicht für Paris, fie hielten die ganze Eus 
topäifhe Menſchheit für ihr Publicum; ihre Streitigkeiten 
werden alfo der MWeltgefchichte wichtig, weil ſich Demagogen 
für die evolution dadurch "bildeten, und die Köpfe erhißt 
iviırden. Es wäre zu weitläufig und unintereffant, diefes durch 
alle Schaufpiel s und Procefgejchichten, welche in diefem Theile 
vorkommen, duchzuführen, wir wollen nur Einiges ausher 
ben. Vol. IV. ©. 215 erfcheine Hr. de Vismes zum erften 
Mal an der Spige der Oper, welche freylich nicht Oper, fons 
dern Academie royale de Musique heift. (Man erinnert 
fih wohl, daß Rouſſeau feinen Sct. Preux, oeuvres de 
Rousseau à Neuchatel chez Fauche ı775. 8. Tom, IV. 
p- 421 fagen läßt: die Oper befteht hier nicht, wie an ans; 
dern Orten, aus einer Anzahl Menfhen, die man dafür bes 
zahle, daß fie fih vor andern Leuten fehen laffen. Freylich 
find es Leute, die das Publicum bezahlt, und die ſich fehen 
laffen; aber das Alles fieht gleich ganz ‚anders aus, da es eine 
königliche Academie der Muſik it, eine Art von Gerichtshof, 
der in feiner eignen Sache inapellabel entjcheidet, fonft aber 
eben feinen Anfpruh auf Gerechtigkeit oder Treue macht.) 
Man wird fih ſchon nad diefem nicht fehr wundern, daß 
Grimm den hoher Herrfhaften fo genaue Nachricht gibt, wie 
de Vismes bisher auf die Umftände, auf einmal angenommene 
Grundfäge, auf hergebrachte Gebraͤuche, feine Ruͤckſicht ge 
nommen, wie er der Turgot der Oper fey, worauf dann ©. 
355 — 571 die elenden Streitigkeiten folgen, an denen der 
Hof Theil nimmt, die den König lebhaft intereffiren, die ein 
Marfhall von Frankreih, der Herzog von Duras, beylegen 
muß, von derien endlih Grimm &. 571 ſagt: „Gewiß tft, 
daß diefe Sache bey unfern Soupers mehr den Gegenitand 
der Unterhaltung ausmachte, als der Ruin unfers Handels, 
die Eroberung von Pondicherh und die ungluͤckliche Expedition 
nah St. Lucie.“ Man vergleiche dies mit dem, was ein 
anderer Augenzeuge, durchaus Hofmann, der bekannte Baron 
von Beſenval, Senerallieutenant und Schweizeroberſter über 
diefe Eirkel jagt; Memoires Ecrits par lui möme & Paris 


Correspondance du Baron de Grimm. 415 


1805. Vol. IV. 8. im öten Th. ©. 328 — 557, und man 
wird fit) Über Manches weniger verwundern. Bey Grimm 
heißt es Vol. IV. ©. 368: Man ſprach au Coucher du roi 
von diejen Zänferenen der Operngöttinnen mit ihrem Director. 
„Es ift ihre Schuld, meine Herren, fagte der junge König 
zu feinen Kofleuten; wenn Sie fie weniger lied hätten, wärs 
den fie weniger ungezogen feyn.“ Wie ſehr fie das Letzte was 
ren, ficht man gleich auf derfelden Seite: „Der Minifter 
will, daß ich tanzen foll, fagte Mademoifele Grimard, er 
mag ſich Häten, daß ich ihm nicht fpringen laffe.“ Der große 
Veftris hatte dem Hrn. Vismes eines Tags recht ungezogen 
geantwortet; diejer fagte: „Aber Hr. DVeftris, wiffen Sie 
auch, mit wen Sie reden? — Mit wen ich rede? mit dem 
Pachter meines Talents.“ — Mod eins. Sein Sohn weis 
gert ſich fchlechterdings, des Waters Rolle in der Armida zu 
nehmen, wird alſo auf das Fort 'Eveque gebracht. „Geh, ruft 
ihm da fein Vater mit Pathos zu, geh, mein Sohn, dies iſt 
der fchönfte Tag deines Lebens, Nimm meinen Wagen ; fodere 
das Zımmer meines Freundes, des Königs von Wohlen, idy 
werde Alles bezahlen.“ Dazu gehört Tom. V. ©, 214 — 216, 
wo der Hof fih in Brunoy aufhält und Actricen der Franz. 
Eomddie mitgenommen hat, um fi durd) E chaufpiele zu uns 
erhalten Welche Fiivolttät, daß der maitre des menus 

laisirs, Defentelles, auf eine bloße Aeußerung des Königs, 
aß er die ungedrucdkten Stuͤcke des Dichters Bolle zu ſehn 
mwünfche, diefem Zimmer und Pult aufbrechen läßt. Freylich 
fand man die Stüde nicht, und mufte den Dichter auf dem 
Rande darum .erfuchen laffen; aber dies ift für ung gleichgels 
tend. Bey eben viefer Gelegenheit hatten die Herren des Hofs 
fit) erlaubt, alle Theaterdamen mitten im Ankleiden entführen 
zu laffen, damit ein großer Herr den roues feines Gelichters 
eine Dame, deren Tugend er mit taufend Louisd'or hatte faus 
fen wollen, und hernach für zwenhundert befommen, im Ne 
glige‘ zeige. Hieher glauben wir am beften rechnen zu können, 
was ©. 175 — 176 über eine anſtoͤßige Gefchichte ſteht, die 
der Marie Antoinerte Gefühl für Schiceflichkeit eben nicht im 
guten Lichte zeige. Grimm, als Hofmann, erzähle nur, wie 
der Graf von Artois, des Königs Bruder, der Herzogin von 
Bourbon einen Stoß ins Geficht gibt, und fih mit dem Her⸗ 
zoge von Bourbon darüber duellirt, er ift daben ganz auf 
Seiten Bourbons, und freut fid) Über die Auszeichnung, die 
ihm dae Publicum im Theater gab, da es. Artois und die 
Königin kalt empfing, hat aub nur 4 Zeiten darüber. Um 
aber die Geſchichte in ihrer ganzen Frivolität zu kennen, muß 
man Beſenval vergleihen. Diefer, bier ganz in feinem We— 


16 Correspondance du Baron de Grimm. 


fen, in der gangen Wichtigkeit eines Hofmanng, Freund des 
Grafen v. Artois, breitet ſich über das Talent, daß er dabey bes 
wies, weit aus, und enthüllt das elende Wefen der Leute, ohne 
es zu wollen. Memoires de Besenval Tom. I. p. 282 — 599; 
‚Man denke faft hundert Seiten! und doch ift das richtig. 
Mir fönnen ung, weil das Buch vielleicht nicht jedem zur Hand 
it, nicht enthalten, den Schluß herzufegen, der zu for 
miſch Eläglich iſt, um nicht zu gefallen, S. 5328. Apres l'heu- 
reuse issue d’un Ev@nement qui d’abord avoit si mal tourné 
pour Mr. le comte d’Artois, et qui avoit tant embarasse 
et afflig€ le roi et la reine, a * la part, que j'avois 
eue A cette heureuse issue, je a naturellement m'at- 
tendre à quelque temoignage de satisfaction. Non seu- 
lement ni le roi, ni la reine, ni qui que ce füt, ne 
m’en ouyrit la bouche; mais m&äme dans le monde 
!’honneur en rejaillit sur le chevalier de Crussol (er 
fhreibe E***, meint aber diefen ), soit qu’il l’eüt coute 
plus a son avantage qu'elle ne l’etoit dans le fönd, soit 
que tout ce qu’il en dit et le silence que je gardai sur 
cet objet, ainsi que je le fais toujours sur ce qui me 
regarde fit tourner les yeux de son côté! il en eut pres-, 
1 tout l’honneur, et jen’en tirai que celui d’Etre content 

e moi; ce qui me suffhira toujours.. Edeles Selbſtbewußt⸗ 
feyn! — Wir kehrten zu Grimm zuruͤck, um aus feinem Werke, 
als wuͤrdiges Seitenſtuͤck zu dem Ebengefagten die Gefchichte 
der Sängerin Laguere hier mitzutheilen. Sie hatte als gemeine 
Diene die edle Laufbahn begonnen, damals eben den Prinzen von 
Bouillon in einem halben Jahre ruiniert, und das Vermögen eine 
der reichiten Generalpähter, Haudry de Soucy, erichöpft. 
Sie follte Vi ©. 244 in der Iphigenia fingen, war aber 
während des erften Acts fo betrunken, daß fie hin und herz 
taumelte, und nur flammelte. Im Zwifchenact wendet mar 
alle Mittel an, um fie nüchtern zu machen, und es geht bejfer; 
auh das wird dem König erzählt! „Nun, fagt er dem Mis 
nifter, und fie ift in Arreſt?“ Jetzt ward fie verhaftet. Ald 
fie aber zwey Tage hernad den Anfang ihrer Rolle: 

O jour fatal que je voulois envain 
Ne pa5 eompter parmi ceux de ma vie, | 

mit Emphafe fpriche, geräth das Pudlicum außer fih vor Ent 
jücen, hört gar nicht auf, zu Elatfchen, und der Hof laͤßt ihr 
am Ende des erften Acts ihre Befreyung vom Arreft ankuͤndi— 
gen. Soll man moch Etwas hinzujeßen ? 


C Der Beſchluß folgt. ) 
— —— 


No. 2. Heidelbergiſche 1813. 
Jahrbuͤcher der Litteratur. 


— ͥ 2 


Correspondance littéraire philosophique et critique addressee 
A un Souverain d’Allemagne par le baron de Grimm 
etpar Diderot. 

(Beſchluß der in No, 4. abgebrochenen Recenſion.) 


Veane, fein letzter Aufenthalt in Paris, und Alles, was 
fi darauf bezieht, nimmt einen großen Theil der drey letztern 
Bände ein, welches die Herausgeber aber als bekannt hätten 
weglaffen follen. Die Grabſchrift, die Rouſſeau Voltaire'n ges 
feßt hat, ift befannt, die einer Dame von Lauſanne IV. ©. 
355 verdiente es zu feyn: Ci git l’enfant gäte du monde 
qu’il gäta. Wie feicht Abrigens Grimm ift, fobald es über 
alltägliches Gefhwäsß hinausgeht, fieht man aus dem Hin— 
und Herreden Über Montaigne III. S. 108. ferner über 
Sprachen, Schriftfteller, Voltaire und Corneille. III: &. 118 
u. fe In demjelben Bande fieht man auh S. 215—226, 
wie die Academie in eine Art von Theater ausgeartet war, 
wo man nach dem Deyfall einer gemifchten Verſammlung (IV. 
S. 560 u. f.) haſchte, und wo man beflatfcht und nicht bes 
Hatiht wurde, fo daß ſelbſt Grimm gefteht, die Zuhörer der 
Academie beftänden faft aus lauter Weibern und jungen Laffen. 
Diele Leute regierten alfo die Litteratur, und Urtheile, wie fie 
Grimm II S. 216 — 206 fällt, mußten dann allerdings 
nody ausgezeichnet feyn, fo wenig wir auch begreifen, wie 
man fich dergleichen von Paris aus konnte zufchicken laffen. 
Waren doch Madame Deffant und andere ald Drakel der Litteratur 
angefehen (IV. S. 862), mar dody Zutritt zu gemiffen Ges 
ſellſchaften das Ziel der Schriftſteller! Wie glücklich find wir 
Deutihe Gelehrte, daß es dahin bey uns nie kommen fann t 
Nie wird bey ung die Wiffenfhaft zum Zeitvertreib, die Kunſt 
zum Spiel herabfinfen, eher vergehen! Sind doch die Vor— 
lefungen der wandernden Gelehrten, die Declamatorien, alle 
Zwitteranftalten bald lächerlich geworden und aus der Mode 
a 


418 Correspondance du Baron de Grimin. 


gefommen. Naiv ift Grimms Geftändnig IV. &. 39. Nach— 
dem er dort über feine Freunde, die Philofophen, geklagt har, 
fo feßt er hinzu: „Unordnung und Anarchie, die unter dei 
philofophifchen Parthey feit dem Tode der Mademoifelle l'Eſpi— 
naffe und feit der Unthätigkeit der Madame Geoffrin geherrfcht 
haben, bemweijen, wie viele Uebel die weile Regierung der 
Damen verhütet hat, wie viel Stürme zerftreut, und befonders, 
wie viel Lächerlichkeiten verhütet worden. Nie würden wir unter 
ihrer ehrwuͤrdigen Leitung die Scenen aefehen haben, zu denen 
der Krieg Über die Mufit Anlaß gab.“ Welche Stüßen ber 
Philoſophie, ein paar eitle- Weiber! Man darf ſich aber nicht 
wundern, daß die fchaamlofefte Sittenverderbniß überall Heraus 
leuchtet, da der Beſte unter den Göttern der Zeit, Jean Jae—⸗ 
ques, in feinen Confeffions fo ſchoͤne Grundſaͤtze zeigt, in der 
Heloife lehrte, und dem Emil, in der Erziehung am Ideal, 
ein fo tröftlihes Ende gibt, daß Grimm Recht Hat, wenn er 
ironisch ausruft: „Wenn Sean Jacques in den Abentheuern 
Eduard Bomſtons die Weiber, welche honett die Ehe brechen, 
etwas zu hart behandelt Hat, fo hat er das in feiner Forts 
feßung des Emil.gewiß wieder gut gemacht. Dean kann nicht 
intereffanter die Ehe brechen, als Sophie thut.“ Freylich muß 
man, wenn Grimm von Nouffeau fpriht, auf feiner Hut 
feyn ; denn man: vergleiche nur einmal Tom. II. S. 266 die 
Sefchichte, wie St. Fargeaun’s Hund Rouſſeau'n umrennt, mit 
derfelben Befchichte in den Confeſſions! Doch bringe er ein 
günftiges Urtheil Condorcet's über Jean Jacques ben, das wir 
gern unterfchreiben würden, wenn es nicht einfeitig wäre. 
„Dieſer berühmte Mann, heifit es, dem das Talent, andere 
von dem zu Überzeugen, was er haben wollte, daß fie glauben 
follten, angebohren war, hat die Wahrheiten, die er für nüß: 
lich hielt, auch populär zu machen gewußt. Sind die Körper 
der Kinder nicht mehr in Schnürbräfte geichraubt, wird ihr 
Verſtand nicht zu früh mit Worfchriften überladen, entgehen 
fie mweniaftens in den erfien Jahren dem Zwange und def 
Dienftbarkeit, fo verdanfen fie dies Rouſſean. Darum trug 
aud) eine Frau von vielem Gefühl darauf an, daß nian ihm 
eine Statue errichte, die von Kindern gekroͤnt würde. — — 
Er hat in unfern jungen Leuten den Enthufiasmus für die 


Correspondance du Baron de Grimm. 19 


Tugend wieder erweckt, der ihnen fo nöthig warl, um: ihn den 
heftigen ‚Leidenfchaften entgegen zu feßen. ‚Das find die Ans 
fprühe, die er an die Dankdarkeit der Menfchen hat. Unter 
den neuern Pbilofophen ift er einer von denen,  diersam meis 
fin auf die Gemüther gewirkt haben, weil er das Tälent 
beſaß, die Seele der Lefer fo zu lenken, wie die Alten Redner 
(und hätte er fagen follen Sophiften) die Seelen ihrer Zus 
hoͤrer lenkten: Aber auch Rouſſeau Hatte gegen die Philofophen 
gefündigt, und für alle Sünden ift Vergebung bey Grimm, 
nur die Sophiften muß man nicht necken. Weil er das« thut, 
fommt ein elender Schriftfteller, de Querlon, zu der Ehre, den 
Torrefpondenten denunciirt zu werden. Dieſer Menſch Hatte 
nämlih Noten zu Montaigne’s Reifen gemacht, die auch recht 
gern in alten Kaften auf dem Schloſſe Montaigne’s, das das 
mals dem Grafen Segur de fa Roquette gehörte, wo ſie der 
Canonicus Prunis (III. 94) triumphirend fand, hätten faulen 
mögen. Wem fällt bey ſolchen Gelegenheiten nicht ein, daß 
Paliffot doch Recht hat, wenn er gleich ſelbſt nicht beſſer iſt, 
zu fagen (Oeuvres dc Palissot. a Liège 1777 in den: Phi» 
losophes act, II, Tom. p. 189): 


Ces grands mots imposans d’erreur, de fanatisme; 
De persecution, vieridroient A son secours. 
C’est un ressort use qui reussit toujours. 


Wie fehr durch die Furcht gefhimpft, . oder lächerlich. gemacht 
ju werden, die arigefehenften Perfonen ded Reichs in ‚Furcht 
gehalten wurden, fieht man recht in dem Proceffe Raynal’s, 
wie er ( Tom. V. ©. 306 u. fg.) die histoire philosophique 
des etablissemens etc. unter feinem Namen hatte dyucken 
faffen, nnd deshalb eingezogen werden follte. Er hatte, heißt 
es bier (V. 308), jet allen Näcfichten entfagt, und, ja, 
man erftaune, daß eine Nation fo tief finfen kann: „Indeß 
bezahle er (Raynal) feine Mitarbeiter ‚gut, und, die einzige 
Bedingung , die er macht, iſt: daß, wenn fie die Geiſtlichen 
und die chriftliche Religion herabſetzen und ſchmaͤhen, ſie dem 
Theismüs Ionen, weil die Brundfäge des ihm. entgegenges 
feßten Syſtems, die ſich in der erſten Ausgabe faͤnden viele 
rechtliche Leute in Enaland und Deutſchland (alſo nicht in 
Frantreich) empört haͤtten.“ Wie ieer muͤſſen einem jeden 


20 Correspondance du Baron de Grimm. 


bann alle Klagen über Verfolgung erfcheinen, mie ficht man 
fo deutlich, wer eigentlich verfolgte. Um dies beffer zu zeigen, 
wollen wir uns eines Briefs von Voltaire bedienen, der nicht 
leicht jedem in. die Hand fallen möchte. (Er fieht Oeuvres 
de Palissot Tom. VI. p. 395) „Sie haben, fagt dort Vols 
taire zu Paliſſot, die vechte Saite gefchlagen, mein Herr, ich 
Habe Freret, den jüngern Crebillon, Diderot, ins Gefängnif 
werfen fehen; ich habe gejehn, wie faft alle andre verfolgt 
wurden. Der Abbe‘ de Pondes, wie Arius von den Athanas 
fianern behandelt, Helvetius eben fo graufam unterdrückt, 
Tercier feines Amts, Marmontel feines Vermoͤgens beraubt, 
und Bret, fein Cenfor, der ihn durchgelaffen, in die aͤußerſte 
Armuth verfunten.“ Mer follte nicht erfchrecfen, wenn er fo Etwas 
tiefe, und nun vergleiche man die Mote Paliſſots &. 395 — 
3595, die'wir unfern Lefern nachzulefen Überlaffen, und fehe, 
wie fogar Nichts daran iſt; und doch bringe Paliffor ‚Facta 
vor, nice Worte, Wir bleiben nur bey Rouffeau ftehen, den 
Voltaire, der ihn verfolgt, zu den Verfolgten rechnet. „Sean 
Jacques Rouffeau, fagt er auf derfelden Seite, der den Wiſ— 
fenichaften nüßtlich feyn konnte, ward ihr Feind aus lächerlichem 
Stolze, und ıhre Schmach durch eine fürchterlihe Aufführung.“ 
Das ift noch gelind, es ift in einem Briefe; wir haben andre 
Stellen. In der Vorrede zum Leben Peters des Großen ſchilt 
er ihn visionnaire, fpricht von einem je ne sais quel con- 
trat social ou insocial, nennt ihn am Ende einen Gaſſen— 
buben ( man höre: c'est une etrange manie que celle d’un 
polisson qui parle en maitre aux souverains et qui pré- 
dit infailliblement la chute prochaine des empires du 
fond dü tonneau, oüı il pröche et qu'il croit avoir ap- 
partenu autrefois à Diog&ne). Ja, er ruft ſelbſt den weltlis 
chen Arm’ gegen ihn an, und droht ihm damit (vergl. das 
Dictionnaire philosophique, Amsterd, Rey. 178g. article 
Pierre le Grand et Jean Jacques Rousseau, Tom, VII. 
p. 138 — 144). Diefer Eifer fanatifher Sophiften hat dann 
viel Aehnlidyes mit der Sentimentalirät liederlicher Schauſpie⸗ 
ler. Tom. III. S. 61 u. f. ſollen die Schaufpieler auf gewoͤhn⸗ 
liche Weiſe das Publicum gruͤßen, da nimmt die Deschamp 
mit liebenswuͤrdiger Maiverät (S. 64) den Schauſpieler 


Correspondance du Baron de Grimm. 21 


Elairval bey der Hand. (man weiß, was Clairval, Eailfot u. a. 
den Damen waren) und fagt laut: „Kommen Sie Clairval, 
Sie wiſſen den Damen ſo gut den Hof zu machen, Sie 
muͤſſen Sie begruͤßen.“ Das Publicum klatſcht. Dann fuͤhrt 
Grimm eine Herzogin redend ein, daß uns bey der Art, wie 
er mit feinen Herrſchaften ſpricht, eine Stelle aus Duclos 
einfiel. Memoirs secrets Tom. I. p: 897: Ein ſcherzen⸗ 
der Ton deckte am Hofe (des Regenten) alle Sittenlofigs 
keiten; und dies hat fi in der großen Welt erhalten.“ Dazu 
paßt denn auch vortvefflich die Erziehung, von der bier Proͤb⸗ 
hen vorkommen. Man kennt das Verhaͤltniß, in dem Mas 
dame de Genlis mit dem Herzog von Orleans ftand. Tom. V. 
S. 156 erzähle Grimm, wie man. der Genlis in Berch ein 
Feſt gibt, wobey die Kinder, die fie erziehen follte, die kaum 
zwey Jahr alt waren, fagen mäffen: Die Eines. Maman, 
Genlis, ces deux noms lä — sont lä (aufs Herz deutend ). 
Die Andre: Et tous deux font dire de möme — jaime, 
und das Duo hatte der Unter s Gouverneur der beyden Brüder 
der Prinzeffinnen erfunden! Etwas Aehnliches ift- doch aufs 
falender bey Madame Necker, wenn man nicht Hrn. Meckers 
Borliebe für feine Tochter, die jegige Madame Staël Hol 
fein, derem ganzer Lebenslauf in diefer Geſchichte liegt, kennte. 
Tom. IV. ©. 290 macht fie als zwoͤlfjaͤhriges Mädchen Co— 
mödien, und befonders eine unter dem Titel: Les inconve- 
niens de la vie de Paris, von der Grimm fagt: qui n'est 
pas seulement fort etonnante pour son äge mais qui a 
paru m&me fort supedrieure & tous ses modäles. Die Cons 
plets von Marmontel bey der Genefung ihres Vaters hätte. 
fie immer fingen mögen, wenn nur nicht die gelehrten Herren, 
die bey der Mutter fpeifeten, der Tochter im eilften Sjahre fo 
viel Weihrauch gefireut hätten. So wie der Madame Staif 
Bildung aus diefen Anecdoten einleuchtet, fo wirft der Auszug, 
den Grimm, IV. &. 105 —ı90, aus den benden Lobreden, 
die der Abt Morellee und Thomas, und dem Briefe, den 
" d’Alembert gleich nad dem Tode der Madame Geoffrin über 
fie herausgab, ein Licht auf den Charakter diefer Frau. Uns 
hat an ihr am werigften gefallen, was am einer andern Stelle 
bey Grimm vorkommt, daß ihr Mann unter ven. philofophis 


22 Correspondance du Baron de Grimm. 


ſchen Schreyern an der Ede des Tiſches einen Platz erhielt, 
doch fo,.daß er nur eine ftumme Perfon machte. Wir wollen 
fie übrigens, da viel Gutes von ihr geſagt wird, das freplich 
fehr affectire ausfieht, weder anklagen, noch vertheidigen, der 
Verftändige wird aus einer Mote Srimms Tom. IV. S. 116 
leicht fein Urtheil Über ihre Wichtigkeit und die ganze Tendenz 
ihres Handelns bilden: „Das gegen Madame Geoffrin eins 
genommene Publicum glaubte, fie habe die Gelehrten und 
Künftler (d. h. Schauipieler ) nur darum in ihr Haus gezo— 
gen, um die Leute von Stande dadurch anzuloden. Gewiß 
iſt wenigſtens, daß fie fchon feit geraumer Zeit eine ziemliche 
Langeweile in der Gejellihaft unferer Litteratoren empfand, 
und mit ihren Kabßbalgereyen unzufrieden war; noch gemilfer 
ift, day Niemand auf die allgemeine Meynung höhern Werth 
fegte,, den Wechſel derfelben beijer faßte, und ihm mit mehr 
Biegſamkeit folgte, Als Helverius fein Buch de Vesprit bes 
kannt gemacht hatte, fagte er feinen Freunden: „Mir wollen 
fehn, wie Madame Geoffrin mich aufnehmen wird’, wenn ich 
dies Thermometer der oͤffentlichen Meynung befragt habe, 
kann ich genau miffen, welches Gluͤck mein Werft macht.* 
Dies iſt zugleich hinreichend, um zu zeigen, wie gefaͤhrlich die 
Dilettanten den Gelehrten ſind; das fuͤhlte Diderot auch ſehr 
gut, und er ſagt es in der III. S. 269 eingeruͤckten Schrift: 
Resultat d’une conversation sur les egards qu’on doit aux 
zangs et aux dignites de la société. S. 275 heift es: 
„Er (der Gelehrte) wird die Gefellfhaft von Seinesgleihen 
jedermann vorziehen: denn, in ihr kann er feine Kenntniß 
erweitern, und ihr Lob allein Bann ihm ſchmeichelhaft ſeyn; 
er wird fie der Gefellihaft der Vornehmen vorziehen, bey des 
nen er zum Erfaß feines Zeitverlufts nur Lafter gewinnen fann. 
Er ift bey ihnen wie ein Seiltaͤnzer zwifchen Miedersrächtigkeit 
und Hochmuth. Die Miederträchtigkeit beugt das Knie, der 
Hochmuth wirft den Kopf in den Nacken; der mürdige Mann 
träge ihn gerade." Treffen fih doch manchmal die heterogens 
fien Geifter auf einen Gedanken, bier fpriche Diderot mie 
Mouffeau, im jener Mote über die Seoffrin Grimm wie ber 
ärgfte Antiphiloſoph, und: Tom. IH. ©. aßı treffen wir den 
leichten und leichtfertigen Galiani mit unferm langſamen aͤcht⸗ 


Correspondance du Baron de Grimm. 23 


profaifhen Meiners auf einem Gedanken. Dort heift es in 
dem Briefe an Madame d’Epinay: Ainsi la perfectibilite 
n’est pas un don fait & l’homme en general mais & la 
seule race blanche et barbue, Par alliance la race haza- 
nee et barbue , la race bazande non barbue et la race 
noire ont gagne quelque chose. Iſt das nidyt du Meiners 
tout pur? Dod ift noch ein Unterſchied; in Meiners fhwars 
gen Brauen wohnte nur kalter Ernft; Galiani verfieht Spaß. 

Politiſche und literariſche Notizen finden fi) wenige 
brauchbare oder zuverläffige. Was der Prinz Eduard angeht, 
den die mehrften unferer Lefer wohl aus Voitäire’s sidcle de 
Louis quinze fennen, fo fcheint es uns nicht vecht glaudlich, 
was Tom. V. ©. 52 erzähle wird, daß er, wie er aus der 
Baftille entlaffen worden, fi drey Jahre bey der Martife 
von Waffe zu St. Joſeph in der Vorftade St. Germain auf; 
gehalten, um die Prinzeffin von Tallmont, in die er verliebt 
war, und mit der er fih doch balate, zu fehen. Ein mau- 
vais sujet, mie Eduard, wäre wohl dazu im Stande gewefen, 
das hätte aber doch D’Angerville oder wer fonft Werfaffer der 
vie privee de Louis quinze (& Londres 1781. Littleton. 
4 Vol. 8.) feyu mag, erfahren; Hier heißt es aber ausdruͤck⸗ 
(ih Vol. II. &. 301: „Man ließ ihn drey Tage in Verhaft, 
dann brachte man ihn an den pont Beauvoisin, und dies 
nahm ihm alle Luft, nad) Frankreich zurück zu kehren,“ und 
doch intereffirte den Verf. die Sache: denn in den Beylagen 
findet man alle Vaudevilles, die bey der Gelegenheit circnliks 
ten. Die Anecdoten, weiche Grimm V. ©. 45 u. fg. über die 
du Barry beybringt, hätten die Herausgeber ganz weglaſſen 
follen, da fie in der vie privee Tom. IV. ſchon benust fin», 
Mir waren begierig durch Grimm, der doch in Paris tehte, 
über den Verf. diefer aus ganz verfchiedenen Büchern mit den 
Worten der Verf. zufammengeftoppelten Geſchichte etwas zu 
finden; aber er erwähnt ihrer zwar V. &. 256, mirft aber 
nicht einmal dem Verf. vor, daß er aus einem fo bekannten 
Buche, als Voltaire's siecle de Louis quinze fo fehr lange 
Stellen wörtlich einruͤckt. Wahrſcheinlich war es d'Angerville 
( Correspondance litteraire secrète No; 10 et 11. und 


woher? Don umferm Müller von Itzehoe, Geſchichte ber 


24 Correspondance du Baron de Grimm. 


Waldheime zweytem Theil &. 255), andre halten aber doch 
auch den Mouffle de Georgeville dafür, und dies ift nicht 
ganz unbedeugend, da doch einige Nachrichten diefes Werks 
aus keinen andern Quellen bekannt find. Gut ausges 
wählt ift aus Milloes Memoires de Noailles der Brief der 
Prinzgeffin des Urſins, wo fie (III. ©. 418 — 419) ihre 
erite Lane bey Philipp V. und seiner Gemahlin beicreidt. 
Wie tröftete fie fi bald! Gut ift der Artikel über Dorat 
V. ©. 161 — 171; wer Dorat kennen und beurtheilen will, 
darf ihm nicht Überfehen, fo wenig als zur Ehre von fa Harpe 
die Anecdote ©. 10—ı2, wo Dorats Serretair, der gegen 
diefen erbittert wre, und Geld noͤthig hatte, ihm, dem Args 
ften Feinde Dorats, Papiere anbietet, deren Bekanntmachung 
Dorat verderben mußten, er fih diefe Papiere verihafft, und 
fie Dorat ausliefert. Nührend ift die Geſchichte des Dichters 
Gilbert, der V. S. 22a in feiner Armuth erft wahnfinnig 
wird, dann im Wahnfinn feinen Stubenſchluͤſſel verfchluckt, 
und ins Hötel Dieu gebraht wird, wo er noch vierzehn 
Tage oder drey Mochen fein Leben hinfchleppt, als feine letzte 
Arbeit aber dieje Verſe eines Pfalms hinterläßt : 

Au banquet de la vie infortund convive, 

J’apparus un jour et je meurs; 

Je meurs, et sur ma tombe oü lentement j’arrive 

Nul ne viendra vogser des pleurs. 
Es ift über Grimme Sphäre, wenn er Buffons epoques de 
- Ja nature deurtheilt, und der Wis ift fhaal, wenn er V. 
S. 175 über das Sleihnif der Rakete und Flintenkugel, wels 
ches Buffon Euler'n entgegen 'feßte, fagt: „Sch habe Herrn 
Buffon fagen hören, Kerr Euler hätte fih bey der Rakete 
(man denke an die Bedeutung une fusde) beruhigt. Es wäre 
unfhiclih, fchmwieriger zu feyn, als Ar. Euler.“ Wir hätten 
erwartet, er hätte Hrn. Buffons lange Phrafen angegriffen, 
das gehörte vor fein forum. Was den Wis Grimme angeht, 
fo fagt Buffon ſelbſt ( histoire naturelle edit. 8vo. Paris 
1769. Tom. T. p. 243 ) von feiner Hypotheſe: „Sch hätte 
ein dickes Buch fchreiben fönnen, wie Burnets und Whiſtons 
Buch ift, wenn ich die Ideen, welche das Syſtem, von dem 
ich fo eben geredet habe, ausmahen, ausführen und ihnen 


Correspondance du Baron de Grimm. 235 


ein geometrifches Anſehn hätte .geben mollen; aber ich denke, 
daß Hypotheſen, fo wahrfcheinlich fie auch immer feyn mögen, 
nicht mit fo vielem Aufiehn dürfen behandelt werden, weil dies 
wie Marktfchrenerey ausfieht.“ Wir fchliefen mit einer Bes 
merkung über Diderots Declamation gegen die Sjefuiten, unb 
für Dlavides. In Beziehung auf die Erftern wird es jedem 
intereffant ſeyn, den neuſten DVertheidiger der Jeſuiten, Hrn. 
Hofprediger Stark in Darmftadt, im Triumph der Philofophie 
des achtzehnten Jahrhunderts (Germantown. Nofenblatt zwey 
Bände von 671 und 634 &, 1805) im erften Bande im 


fehzehnten und ficbzehnten Kapitel zu vergleihen mit Diderot 


in Tom. V. &. 588 u. fgg.. Man fieht zugleich, wie die 
Meynung ſchwankt; vor zehn Jahren fchrieen alle wie Diderot, 
und jeßt hat auh Joh. von Müller, Allgem. Gefchichte dritter 
Band ©. 22 — 27, fih für die Jeſuiten erfläre, und in der 
That haben die maltres de la terre, an welche Diderot S. 340 
apoftrophirt, nicht wohl gethan, dem Aufruf fo ohne weiteres 
zu folgen. Die Geſchichte des Dlavides V. S. 340 bis zu 
Ende des Buchs ift auch eine leere Declamation, und man 
muß deshalb eine Stelle aus Bourgoing tableau de l’Espagne 
‚moderne, troisitme edition. Paris 1803. 8. Tom. I. p. 
569 — 381 vergleihen, wo die Gefchichte genau erzählt iſt. 
Es heift am Schluß: „Dlavides wurde in ein Klofter gefteckt, 
beklagte ſich aber, daß feine Gefundheit dort litte, erhielt alfo 
Erfaubniß, nad Eatalonien zu reifen, um die Bäder zu ges 
brauchen. Er wußte dort feine Wächter, die wohl abſichtlich 
nicht genau Acht gaben, zu täufchen, und entwifchte nad) 
Frankreich, wo er als Märtvrer der Sjntoleranz aufgenommen 
ward, Bey feinem erften Auftritt ward er von den Philofos 
phen gefucht, durd die. Saftfreundfchaft getröftet, und von 
Dichtern geprieien. Im Jahr 1797 (fo heißt es Bourgoing 
S. 380 ) fchmiihelte fih Dlavides wohl nicht, fein Vaterland 
wieder zw fehen, wo man ihn als einen Profcribirten hehan— 
delt hatte, und aus dem er ald Flühtling entfommen war; 
aber das Alter, das Ungluͤck, große Beyſpiele, hatten ihn zu 
der Religion zurücgebraht, deren Verachtung man ihm Schuld 
gegeben. Micht bloß fagte er frey und offen, daß er dem 


Chritenehum anhange, fondern er hatte auch feine Mufße dazu 


PR 


26 Macbeth von J. C. Fick. 


angewendet, die Vertheidigung deſſelben zu führen, und dies 
bewies in Spanien, wie es dort bekannt wurde, binreichend, 
daß er fi) aufrichtig bekehret. Er erfchien 1798 wieder in 
Madrid, wo er zwanzig Jahr vorher als Ketzer war beftraft 
worden. Aber Ehrgeiz wie Groll waren in feiner Seele ers 
tofchen, er begab ſich nach Andalufieen, wo er bey einer Wer 
mwandtin. in der Stille lebte. nn | 
Ca. « I. 





Macbeth, Tragedy by Shakespeare (Shakspeare) with german 
notes by D. John Christian Fick. Erlangen, printed for 
C, C. F. Breuning. 1812, 


Bon dem Abdrucke einer einzelnen Shaffpearifhen Tras 
gödie, mie der gegenwärtige, erwartet man zum mindeften 
einen kritiihen Tert, und in den Anmerkungen eine Auswahl 
folher, die für beffimmt gedachte Lefer zwiihen dem zu viel 
und zu wenig grade das enthalten, was zur Erläuterung und 
Aufhellung des Stücdes nothwendig if. Herr Fick hat diefe 
billigen Erwartungen nicht erfüll. Er gibe ung einen überaus 
‚fchlehten Tert, und. unter diefem fo willtührlich hingeftreute, 
unbedeutende, oft falfıhe und. von Unkunde der Englifchen wie 
der Deutſchen Sprache zeugende Anmerkungen, daß wir fein 
Bedenken tragen, ihn einen Stämper zu nennen. Wir 
wollen unfer Urtheil mit einigen Beyſpielen belegen. S. 3 
ſagt der verwundete Krieger vom Macdonmwald (Macdonel 
fchreibe Ar. F. nach eigener Willtühr) : 

And Fortune, on his damned quarrel smiling 

Shew’d like a rebel’s whore. 

Daß fo zu lefen ift, beweiſ't Steewens unmwiderfprehlih aus 
dem Holinshed; gleihwohl behaͤlt Hr, F. das finnlofe 
quarry, Wildbrett, bey. — ©. 14: 

— — — — — only J have left to say, 

More is thy due than more than all can pay. . 
More than all maht Einen Begriff aus (wie in Arioſt's 
fhöner Zeile : 

Michel, piü che mortal, Angel divino.), 
und bezeichnet aͤcht Shakſpeariſch den denkbar größten Reich— 
tum auf Erden: 

Sieh mich ald Schuldner an 
zur mehr, ald mehr denn alles zahlen kann. 
Davon ahndete Ar. F. nichts, indem er fillihweigend More 
is thy due, ‚even more etc. an die Stelle feste. Gleich 
darauf ifl: 


Machetb von J. ©. Fick. 7 


safe toward your love and honour 
die richtige Lesart, in der, wie Blackſtone zeiat, "auf das 
befannte Sauf la foy que jeo doy a nostre seignor le 
roy angefpielt wird. Sr. 3. gibt das längft verabſchiedete 
hef’d. — S. 32: a 
— — — no; this my hand will rather 
The multitudinous seas incarnadine 
‚Making the green — One red. 
Diefe Pesart empfiehlt fih durch die Wortftellung, als die eins 
zig wahre. Was Hr. 8. gewollt har mit! 
Making the green , One red — — 
begreifen wir nicht. S. 75 lieftt Ar. F.: 
His title is affear’d | 
und erflärt: „Sein Recht ift abgeihrect,“ Wahrſchein⸗ 
lich wollte er afeard geben; aber dagegen iſt der Zufammens 
hang. Mec, lieſ't mit den befferen Kommentatoren affeerd, 
Sein (Macbeths) Titel ift geborgen. — ©. 2b: 
— — — '—- -— Now o’er the one half world 
Nature seems dead, and wicked dreams abuse 
The curtain’d sleep; now witchoraft celebrates. — 
Das ſchoͤne sleep wollten einige Englifhe Kunftrichter in slee- 
er verwandeln ; je matter, je beſſer, denkt unjer Herausgeber 
nd folgt ihnen. 

Die Heinen Anmerkungen unter dem Text gehören zu dem 
Schlechteſten, was uns im diefer Art bekannt iſt. Bald fcheint 
es, der Herausgeber habe fih die erften Anfänger als feine 
Lefer gedacht, bald wieder, als glaube er, die fchwerften Sa⸗ 
hen für befannt vorausießen zu dürfen. Nirgends ift ein fefter 
Sefichtspunct, überall Leerheit, Seichtigkeit, Ungruͤndlichkeit. 
Wenn wir holily durh „heilig, auf eine geredte 
Weiſe“ erklärt finden, hurly — burly durch „Geraͤuſch, 
auf die Schlacht fid beziehend,“ what thou art 
promis’d durd „was dit verheifen tft,“ thou antici- 

at’st durd „du fommft zuvor, greifft ein,“ birthdom 
* „Geburtsrecht“ u. ſ. w., ſo glauben wir, er wolle 
Kindern das ABC eintrichtern. Sehn wir dagegen, daß er 
flillſchweigend voruͤbergeht bey Stellen, wie: but screw your 
courage to the sticking place, oder ©. 33: he should 
have old turning the key u. a., fo follte man meinen, er 
habe fein Buch für vecht unterrichtete Lefer beftimmt. Aber das 
wahre der Sache ift wohl, er fehmieg, wo er nichts wußte. 
Diefer Fall tritt ein S. 15: 

The rest is labour, which is not usd for you. 


% 


28 Macbeth von J. C. Kid. 


S. 57: to countenance their horror, &. 56: Impostors 
to true fear, ©. 81: of many worthy fellows, that 
were out; ©. 65: the powers above 
Put zu their instruments, Receive what cheer you may; 
The night is long, that never finds the day u, f. w. 
Daß wir Herrn 5. mit folben Vorausſetzungen nicht zu nahe 
treten, beweilen Anmerkungen, wie folgende: ©. 18: un« 
sex me here „entſchlechtet mich, wandelt mid 
um;“ ©. 22: if the assassination 
Could tramel up the consequence, and catch 
With its surcease succefs. 


‚„Menn der Mord in fich feldft enden , den regelmäßigen Lauf 
von Folgen zurüd halten, . und fein Gelingen den Stillftand 
fibern fönnte;“ S. 11: that trusted home, „diejes flarke 
Vertraun“ (sic); S. 25: wassel, Lebermäßigfeit, Auss 
———— im Trinken; S. 20: coigne of vantage, vors 
heilhaft berausftehender Theil;“ weird sisters, „beherte 
Schweftern“ ſtatt Zaudberfchweftern, Schickſalsſchweſtern. — 
©. 59. In: 

‚ Augurs and understood relations have 

By maggot - pies and choughs and rooks brougt forth 
The secret’st man of blood. | 
wird Augurs durh Wahrjager, maggot-pies duch Mas 
denelftern erflärt, über die understood relations dagegen 
fein Wort geſagt. S. 81: shardborne beetle ift ihm „ein 
Käfer in Holzriifen erzeugt;“ S. 55: at first and 
last, „dem erften bis dem lebtem“ (welches Deutſch!) 
ftatt einmal für allemal. Manchmal fcheint dem Her— 
ausgeber das Rechte vorgefchweht zu haben; aber die Sprache 
wollte nicht folgen, wie &. ı2; 
. My tlıought, whose murder yet is but fantastical , 

Shakes so my single state of man , that function 

ls smother’d in surmise and nothing is, 
| But what is not. | 
„Mein Gedanke, deffen Mord nur noch phantaftifch iſt, er⸗ 
fchirtert fo meinen einzelnen Zuftand des Menfchen, daß die 
Lebensthätigkeit in der Einbildung eritickt wird, und (etwas 
anderes) für mic) nichts ift, was nicht if.“ So ©. 73: 

To fright you thus, methinks, I am too Savage 

To do worse to you, were fell cruelty, 

Which is too. nigh your Person. 
wo die zweyte Zeile umfchrieben wird: „Noch fchlechter hans 
delte ich gegen euch, wenn ich euch und eure Kinder morden 
ließ (ließe), ohne euch zu warnen. — Von Sprachfehlern 


Winzer de daemonologia N. T. 29 


haben die ausgehobenen Stellen ſchon Proben geliefert. &. 85 
heißt es außerdem: „Sie glaubt, fie fpräche mit ihrem 
Gemahl.“ 

Wir ſind es muͤde, den Augeiasſtall auszufegen; drum, 
nur noch die Bitte an den Herrn F., er wolie ſich aufraffen, 
und diefer verungluͤckten Ausgabe einmal eine gute nachfolgen 
laſſen, die wir Ipben können. 

D. A. E. 





Die Inauguraldiſſertation des Herrn D. Winzer in, Wittenberg, 
die er am 30. Jul. 1812 vertheidigt hat, fuͤhrt den Titel: 

De Daemonologia in sacris Novi Testamenti libris proposita 
Commentatio prima. Viteberg. literis Graefßsleri. 57 ©.: 4. 

Eine fleifige von grändlihem feften Forſchungsgeiſt und 
nicht gemeiner Gelehrſamkeit und Belefenheit zeugende Arbeit, 
welche gu den fchöniten Erwartungen vom Verf. berechtigt. Sie 
lehrt ung einen Theologen fennen, der im Ausland darum 
wenig befanne ift, weil feine Befcheidenheit und die firengen 
Anfoderungen,, die er an fih macht, ihn abgehalten zu haben 
fcheinen, fih, einige kleine akademiſche Schriften abgerechnet, 
als Schriftfteller zu zeigen. In diefer Differtation hat er ung 
nur einen Meinen Theil der ausführlichen Unterſuchung -über 
die neuteſtamentliche Dämonologie vorgelegt, das Prooͤmium 
und das erfte Kapitel von der Eriftenz und den- Namen der 
Dämonen ; aber auch diefes iſt fo erefflih und wichtig, daß 
wir gern etwas dabey verweilen. 

Der Berf. geht aus von den Hauptfäken der Emanationgs _ 
lehre und Dämonologie der Indier, Perſer und anderer Völker 
und der. Aehnlihkeit der lektern mit der Dämonoloaie des N. 
T. Denn wie dort das Neich des Böfen und ded Guten eins 
ander entgegengefeßt werde, fo im N. T. der Satan dem- 
guten Geiſt, der fih mie Chriftus vereinigt und fein Reich dem 
von Chriftus zu ftiftenden Reich‘ Gottes; was wohl niemand 
leugnen kann , der das M. T: mit biftorifhem Sinn betrachtet 
Hat. Hierauf erfiäre ſich der Verf. Über die verichiedenen Meys 
nungen neuerer Gelehrten über die Dämonoloaie, ihre hiftorifche 
und philofophiihe Nichtigkeit und ihren dogmatiichen Werth. 
Diejenigen, welche die moralifche Nothwendigkeit des Satans 
vertheidigt,, oder deffen Eriftenz geleugnet, weiſ't er ab mit 
der Bemerkung, daß aus philofophiihen Gründen ‚weder ger 
leugnet, noch behauptet werden fönne, daß ein Teufel eriftive 
oder gedacht werden könne oder muͤſſe. Hierbey möchte er. aber 
doch der Phitofophie zu. wenig einräumen. Darüber, was man 


I 


80 Winzer de daemonologia N. T. 


wiffen oder denken kann, gibt die Philofophie die allergemiffefte 
Auskunft, und bliebe man daben ftehen, fafite man dies nur 
feft ins Auge, fo würde alles Schwanken und Träumen in der 
Philoſophie ein Ende haben. Es läßt ſich lelcht zeigen, daß 
man einen Teufel nicht denken koͤnne, ohne die reine Idee der 
Gottheit aufzugeben. Auch die Meynung derer, welche ans 
enommen, ah ſich Jeſus und die Apoftel im Wortrag diefer 
Behre accommodirt haben, verwirft der Verf. Sefus habe die 
Lehre vom Teufel nicht etwa bloß in Neden an das Wolf und 
in Sefprähen mit den Pharifäern, wo er xar' AvyIpmnow 
hätte fnrechen können, vorgetragen, fondern bey jeder Gelegens 
heit, ohne äußere Veranlaffung, im vertrauten Geſpraͤche mie 
feinen Sängern. Für denjenigen, welcher den fumbolifchen, 
bitdlihen Geiſt des Alterthums kennt, liegt darin noch immer 
fein enticheidender Beweis gegen die Accommodationstheorie; 
Jeſus mußte, um als Volkslehrer zu wirken, die Meinungen, 
weiche feiner Sache nicht Hinderli und jhädlich waren, nicht 
nur ftehen laffen,, fondern fogar pofitiv gebrauchen, fo wie er 
fi der Sprache feiner Zeitgenoffen bedienen mufte. Hätte er 
die Lehre vom Teufel widerlegen wollen, fo hätte er Zeit und 
Kraft auf eine Mebenfache aufgewandt, und die Hauptſache 
aus der Acht gelaffen. Konnte er die hohe Beftimmung feiner 
Sendung beflimmter und deutlicher ausdrüden, als dadurch, 
daß er fagte, er ſey gefommen, die Werke des Teufels zu zerftören ? 
Die Idee des Teufels war die hoͤchſte Abftraction des Boͤſen, 
welche die Zeitgenoffen Jeſu fih machen konnten. Eine Unters 
fuhung daräber, wie Sefus fih über dieſe Vorſtellungen 
erhob, wäre wohl nicht überfläffig gemeien. Er, der mitten 
inne zwiſchen den beyden Sekten der Juden, oder eigents 
lich &ber ihnen fand, mußte gewiß die Nichtigkeit der pha: 
rifäifhen Vorftellungen durhfchauen, zumal da fie im A. T. 
nur nebenbey und in fpätern Büchern vorfommen., Sodann 
hat der Verf. die Frage mit keinem Worte berührt, ob auch 
die Relationen der Evangelien fo ganz, auch dem Buchſtaben 
nah, auf Treue und Glauben anzunehmen feyen. Wir wollen 
mit diefem allen die Accommodationstheorie nicht ſtreng vertheis 
digen, fondern wir wünfchten nur den Verf. vorſichtiger in 
dieſem Stuͤck zu mahen. &o fcheint er nicht genug Vorſicht 
in Anwendung der Stelle Joh. 16, 7. 8, ı1. gebraucht zu has 
ben, aus welcher er beweiſ't, daß Jeſus die Satanslehre Feines: 
wegs unter die Beftandtheile jener Lehre gezählt habe, welche 
nur auf einige Zeit Sültigkeit haben follten, fondern unter die 
wichtigften , von melden die Apoftel nach feinem Tode mittelft 
des heil. Geiftes die Werächter feiner Religion Überzeugen Volk 
fen: Was folge aber hieraus ? etwa, daß die Lehre vom Teufel ein 


Winzer de daemonologia N. T. 31 


Hauptbeſtandtheil der chriftlichen Religion fey ? oder nur, daß 
fo wie Jeſus fi der Sprache und Begriffe feiner Zeitgenoffen: 


bediente, es auch die Anpoftel fo machen follten und mufiten ? 
Der Verf. zieht nun aus feinen Behauptungen den Schluß, 
daß die Dämonologie zum Wefen des. Chriſtenthums gehöre.: 
Hier raͤcht fich die verjhmähte Philofophie fehr ftart an dem 
Verf., der ganz allein der Hiſtorie fih ergeben zu haben fcheint. 
Es kommt alles darauf an, was man unter Chriftenehum 
verſteht. Der Verf, ſcheint alles darunter zu begreifen, 
was die Apoflel irgend gedachte und geglaubt haben. Kr 
faßt alle hiſtoriſchen Materialien zufammen, wie fie vorliegen, 
nach einer äußern Beziehung, nah der Beziehung auf bie 
Merfonen der erften Lehrer des Chriſtenthums. In dieſem Sinne 
wollen wir nicht leugnen, daß die Dämonofogie zum Chriftens 


thum gehöre. Sollen wir ader wirklich glanben, daß der Sas 
tan noch jetzt die Menfchen befiße, fie frank mache, ausgetries. 
ben werden koͤnne u. f. w.? Mach dem Verf., wenn er cons: 


fequent verfährr, ift dies ein wefentliches Stück des Chriſtenthums. 
Wir follen aber im Ehriftenehum nur die Religion fuchen, und dem 
teligidöfen Glauben gehört die Lehre von dem Teufel nicht an, 
fondern nur der Denkart der Zeit; fie ift ein mythologiſches Theo; 
rem, das uns über etwas verftändigen will, welches bloß und 


allein dem Gefühl angehört, nämlich über den Widerſtreit des: 


Boͤſen und Guten. Sonach müäffen wir, um zu beftimmen, 
was Chriſtenthum fey, von einer dee, von einer innern 
Diziehung, ausgehen, wobey Übrigens ein fireng hiſtoriſches 
Berfahren obwalten kann. Wir beftimmen nur, was mir in 
der Sefchichte fuchen wollen; mie fie uns aber dies liefere, 
dürfen wir nicht willkuͤhrlich beſſimmen. So wer für die Ges 
fhichte der. Philoſophie nicht bloß Materialien zufammenraffen, 
fondern Licht und Ordnung in fie bringen will, muß von der 
Idee der Philofophie ausgehen, und in jedem philofophifchen 
Syſtem den lebendigen Punct aufiuhen, durd welchen es in 
die Entwickelungsgefchichte der Philoſophie gehört. Daher ges 
hört in eine Acht pragmatifche Geſchichte der Philofophie nicht 
alles, was irgend ein Philofoph gelehrt, fondern nur dag, 
was er eigentlich philofophire har. Diefer Grundfag führt noch 
vieles Andere mit fih, mas der Verf. auch nicht anerkennt. 
Mir müffen, wenn wir das rein Neligiöfe in der Lehre des 
NM. T. ſüchen, Inhalt und Form unterfcheiden. Der Inhalt 
gehört der Neligion an, aber nicht durchaus die Form, dann ges 
hört auch leßtere nicht zum Chriſtenthum, fondern nur gu feis 
ner Erfcheinung in der damaligen Zeit. Jedoch wir brechen von 
Diefen Betrachtungen ab, und machen nod) ein Paar von den 


— 


32 Winzer de daemonologia N. T. 


Bemerkungen namhaft, womit der Verf. die Lifte der Namen 
der Dämonen und Teufel begleitet. 

Genaue Prüfung verdicht, was er vom Antichrift fagt. 
Er verwirft die-collective Erkiärung Schleusners u.a. In 
den Stellen ı oh. 2, 18.22. 4, 5. 2. Joh. 7. finder er einen 
Antichrift,, von andern Gegnern des Chriſtenthums verſchieden, 
und gleihfam ihr Oberhaupt. (Wie aber der Verf: in dieſen 
Stellen die collective Bedeutung üÜberfehen könne, begreifen wir 
kaum, da es 1. Joh. 2, 22. ausdrücklich heit, der Antichriit fey 
derjenige, welcher Chriftum verleugne, und Cap. 4, 3. der Geift 
des Antichrifts jey fihon in der Melt. Moch deutlicher tritt das 
Collective hervor 2. oh. 7., wo die moAAoi nAavoı ganz aus— 
drücklich der Antichrift genannt werden. Anders ift es freylich 
Eap. 2, ıd., wo der Antichrift und die Antichriften unterfchieden 
werden. Uns fcheint der Verf. diefes Briefs die Lehre vom Antis 
chrift die er allerdings vorausfeßt, zu deuten und auf feine Weife 
auszulegen.) Sicherer und beftimmter ift vom Antichrift, wiewohl 
nicht namentlich, die Rede im 2. Br. an die Theſſ. Eigenthuͤmlich 
ift die Anficht, die der Verf. von diefer Lehre hat; er hält den 
Antichrift für das oppositum des Elias, womit er fih auf Theo- 
doret. Epit. divin. decret. c. 25. p. 302 ſtuͤtzt. Allein dieſe 
Dppofition kann wohl ſchwerlich als durchgreifend und fundamens 
tal angefehen werden, da nach den Evangelien Johannes der Täus 
fer Elias iſt. — Der Verf. glaubt einen Unterfihied zwiſchen den 
Wörtern 6 aaravas und ö dıaBoAog zu finden, nach den Stellen 
Apot. 5, 8. 20, 15., wo 6 Iavarog und 6 kdng unterichieden 
werden. In der erften Stelle fönnen nicht mir Eihhorn ö 
“dns von der Scyaar der Schatten verftanden werden, da in der 
leisten 6 &dng von oi vexpoi deutlich unterſchieden werden ; 
man könne in der letztern Stelle aber auch nicht unter 6 «dng 
und ö Savarog die Unterwelt und den Tod verfichen, da’ 
fie nah B. 14: beyde in den Schwefelpfuhl geworfen werden, 
welches betanntlich die Strafe des Satang fen. Der Apokatpptis 
fer wiffe demnad) von zwey Fürften der Unterwelt, und es 
laͤßt fih vermuthen, daß unter dem Savaroz der Satan, unter 
dem «öng aber der Teufel verflanden werde, womit das Evang. 
des Nikodemus zuſammenſtimme, wo der Satan und der Hades 
unterjchieden, und jener der Tod, der. Todesfürft uns aͤhn— 
lich, diefer aber bald der FÄrft der Hölle, bald Beelzebub, 
bald Teufel genannt, und gefagt. werde, daß erfterer von Chris 
ſtus der Gewalt des letztern Ävergeben werde. Eine Vermuthung, 
die allerdings der Pruͤfung werth ift, aber zu nichts Gewiſſem 
und Bedeutendem führen möchte. — Wir jehen mit Verlangen 
der Vollendung diejer Arbeit entgegen. * 

W. WV. 





No 3. Heidelbergifäe 1813. 
Jahrbuͤcher der Litteratur. 





Hebräisch - Deutsches Handwörterbuch über die Schriften des 

Alten Testaments mit Einschlufs der geographischen Nah- 

‘ men und der chaldäischen Wörter beym Daniel und Esra; 

Ausgearbeitet von D. Wilhelm Gesenius,, ord. Prof. d. 

Theol. zu Halle. Zweyter Theil; enthaltend ‘die Buch- 

staben -- n, das Verzeichnifs der Personennahmen und 
den analytishen Theil. Leipzig 1812. bey Vogel. 


D. gänftige Urtheil, das wir uͤber den erſten Theil dieſes 
Woͤrterbuchs gefaͤllt Haben (Jahrb. 18011. Jan.), Hat ung ein 
zweyjaͤhriges Studium vollkommen bewaͤhrt; und dieſer zweyte 
Theil verdient es nicht weniger. Auch hier liegen uns die Re— 
ſultate einer Wortforſchung vor, die ſich auf Benutzung aller 
Vorarbeiten, auf durchdachte und wiederholte Leſung des A; T.; 
Vergleihung der Pärallelftellen und Beobachtung des Spradyz 
gebrauchs und auf verftändige Zurdthegiehung der verwandten 
Dialecte gründet, und. mit einem Fleiß, einer Umſicht und 
Praͤciſion angeſtellt iſt, welhe wahre Hochachtung abnöthigen. 
Man wird wenige ſchwlerige Stellen des A. T. finden, uͤber 
welche der Verf. nicht, fo weit es die Graͤnzen der Lexicogra— 
phie verftatten, ein reiflich erwogenes Urcheil niedergelegt hätte. 
Faſt überall begegnet er dem forfchenden Lefer des A. T. als 
ein bedachtſam zurechtweifender Rathgeber. Es tft nicht zu 
berechnen, welchen Nutzen diefes Wörterbuch für das Studium 
der Hebräifhen Sprahe und die Erklärung des A. T. Haben 
wird. Miche nur Wird dadurch der bisherigen ſchwankenden, 
willkuͤhrlichen Speahforfhung und Erklärung des A. T. ein 
Ziel geſetztz es hat nun uud der junge Thedlog ein erleichs 
terndes, ermunterndes Hälfsmittel, duch das er in das. fonft 
fo abfchreefende Studium der Hebräifchen Sprache ohne Schwies 
tigkeit eingeführt wird. 

Sin der Vorrede zu diefem zwehten Thelle gibt der Verf— 
die von ihm befolgeen Principien der Hebraͤiſchen Sprachfor⸗ 

9 


34 Geſenius Hebr. Deut. Handworterb. über d. Schr, dz. A. T. 


ſchung an. Da ihn der Raum hierbey nur zu ſehr beſchraͤnkte, 
ſo waͤre zu wuͤnſchen geweſen, daß der Verf. eine eigene 
Abhandlung daruͤber abgeſondert herausgegeben haͤtte. Doch 
ſind wir ihm auch fuͤr dieſe kurzen Andeutungen, welche durch 
den Gebrauch des Woͤrterbuchs ſelbſt ihr hinlaͤngliches Licht er— 
halten, unſern Dank ſchuldig, und es war allerdings in ans 
derer Hinficht vortheilhafter, die Principien, mac welchen 
das Merk gearbeitet worden, dieſen feldft vorzufegen Sie 
dienen zugleich dazu, das Eigenthümliche, was der Verf. hat, 
zu überjehen, daher wir fie * dieſer Anzeige m Stunde 
legen: wollen, 

1. Wir haben fhon bey der Anzeige des erften Theiles 
bemerkt, daß ein KHauptverdienft des Verf. darin befteht, die 
Öfters von den Auslegern und Lericographen verkannte Wahrs 
heit geltend gemaht zu baden, daß die KHebräifhe Sprache 
eben fo, wie jede einzelne Mundart eines ausgebreiteten 
Sprachftammes, ihre Provinzialismen oder Idiome, 
d. h. ihre eigenthümlichen Wörter und Wortbedeutungen habe, 
die fih in feinem verwandten Dialecte finden. Zwar konnten 
eine Menge ſolcher Provinzialismen dem Zweifel gar nicht 
unterliegen, da ihre Bedeutungen zu fehr gefichert find; aber 
in einzelnen Fällen hat man wirklich gewagt, eine aus vielen 
Stellen als Hebraͤiſch erweislihe Bedeutung zu bezweifeln oder 
zu verwerfen. Mit fcheinbarem Nechte that man dies, wenn 
ein Wort im Hebräifchen feltener, die Beſtimmung feines 
Gebrauchs wenigſtens nicht augenfälig und unbefireitbar ift, 
und wenn obenein die andern Dialecte eine Bedentung haben, 
deren Anwendbarkeit nicht geradehin verwerflih ſcheint. Auch 
find ſolche Fälle ſehr fchwierig, und nur ein richtiges Gefühl für 
das Schieflihe und den Zufammenhang, eine glücklich gefun— 
dene Parallele, die Einftimmung der Verſionen u. ſ. w. koͤn⸗ 
nen hier zu der Alebereinſtimmung führen, 05 dıe Bedeutung 
eine provinzielle oder die von den verwandten Dialeiten dar— 
gebotene fey. Der Verf. hat ſich bey mehrern folhen Wörtern, 
ungeachtet der möglichen und gewöhnlichen Wergleihung der 
Dialecte, mit Necht bloß von dem Zufammenhange, der Anas 
legie und den Verfionen feiten laffen, und hierin die Erwars 


Befenius Hebr. Deut, Handmwörterb, über d, Shrd. A. T. 35 


tung des Rec. vollkommen befriedigt, 3. ©. DNY Büffel, 
nit: Gazelle; AMY ſchweben, wanfen, fhwans 
fen; — no. 1. ferire; moin Weisheit, und: Heil. 
Yan ruhen und opp: Nude flören, aufregen, 2» 
vorübergehen (vgl. TIODN Thapsacus, wobey eine ber 
ruͤhmte Fuhrt Über den Euphrat ) insbef. [honend vor— 
übergehen, ſchonen, welche Artikel mufterhaft ausgears 
beiter find. Von andern auf diefe Art behandelten Wörtern 
hatte Rec. bisher eine andere Meynung, iſt aber vom Verf. 
eines andern belehrt worden. MMEYIN nahmen wir fonft mit 


Rofenmüller u. a. in den Stellen Pf. 95, 4. Hiob oe, 
25. in der Bedeutung: Höhe, Haufe; der Verf. aber in der 
Bedeutung von Y’I Erwerb, Beſitz, Schatz, welde ſich 
näher an den Hebräifhen Sprachgebrauch anfchließt, und das 
her den Vorzug verdient. Zwar ift ihr in der erften Stelle der 
Parallelismus nicht günftig, deflo mehr aber in der zweyten. 
Die Bedeutung von D’DIED Tränfrinnen geben wie 
gern gegen die uns fehon früher nicht verwerflich gefchienene : 
stäbula, Hurden (von NEW posuit). auf. Richtig zieht 
auch der Verf. von air)» ef. 5, 24. die Bedentung gekr aͤ u— 
felte Arbeit, Locken vor andern vor, da fie durch die Oppo— 
fition mit Kahlheit gefodert wird. Sn Aniehung des Wortes 
2 Hiob 6, 25. 1. Kön. 2,8. Hiob 16, 3., von welchem 
der Verf. die in den Altern Wörterbüchern herrſchende Bedeu— 
tung heftig, Eräftig feyn, wieder geltend gemacht hat, 
find wir nod zweifelhaft. Wenn man in der erfien Stelle die 
Verwechſelung mit yoo annähme, in den andern aber die 


Bedentung fränfen gelten ließe, fo wäre es unftreitig eins 
facher, ob eg gleich fehwierig ift, das part. Niph. y\2 
active für fränfend zu nehmen. 

2. Daf der Verf. dem Mißbrauch der Vergleichung des 
Arabifhen Dialects geftenert habe, if ebenfalls von ung ſchon 
bemerkt worden, und wird faft durch jede Eeite feines Werks 
beurkundet. Hier rägt ev befonders zwey Arten diefes Mißs 


36 Geſenius Hebr. Deut. Handwörterb, über d. Schr. d. A. T. 


brauchs: a) daß man- bey mehreren befannten und herrfchenden 
Hebräifhen Stammmörtern das dem Buchflaben nach entipres 
chende Arabifhe Stammwort verglichen, und deffen Bedeutung, 
To gut es gehen wollte, mit der Hebräifhen in Verbindung 
gefeßt, oder gar als Grundbedeutung derfelben aufgeftellt hat; 
b) daß man bey einem fonft Häufig vorfommenden Hebräifchen 
orte an einer einzelnen Stelle eine Bedeutung aus dem 
Arabiſchen angewandt bat, die mit dem fonftigen Gebrauche 
deffelben in feiner Verbindung ſteht. Es kann dies nur zw 
läffig feyn in Fällen, wo der Context gebieterifch eine andere 
als die gewöhnliche Bedeutung fodert, deren aber es fehr we— 
nige geben wird. in Beyſpiel der vom Verf, geübten Vor— 
ſicht in diefen Fällen bietet fih im Artikel Y’D) dar, wo er 
in der Stelle Ser. 13, 8. die unpaffend fcheinende Bedeutung 
Stadt mit der aus dem Arabiichen entlehnten Schrecken 
vder dgl. genau abwaͤgt. Gefallen hat uns hierbey die Ans 
nahme eines Zeugma, wodurd die Anwendung der gewöhntis 
chen Bedeutung noch leichter wird, wiewohl der Gebrauch des 
Sin der Bedeutung und zwar dem Sjeremia befonders eigen ift. 
Die Anwendbarkeit der gewwoͤhnlichen Bedeutung fcheint ung hier 
das Uebergewicht zu haben ; denn das Fließende der Conftruction 
fann bey einem Schriftfteller, wie Sjeremia, eine feltene uns 
hebräifhe Bedeutung wenig empfehlen. — Biel zuläffiger 
wird’ hingegen die Bedeutung aus dem Arabifchen dann, wenn 
fie mit der Hebräifhen verwandt iſt (4. ©. ar gehen, 
auch f. v. a Cx⸗ untergehen), wie wohl auch hier 
von der gewoͤhnlichen Hebraͤiſchen Bedeutung nicht ohne Noth 
abzumweihen ift (f. den Artikel YO und PI). Dagegen 
hat der Verf. die ‚Vergleihung des Arabifhen einige Male 
treffend benutzt, wo fie nicht genug anerkannt war, 3. DB. bey 
7)9 IV. wollen 1. Mof. 27, 40. (wobey uns aber nicht 
gefallen will, daß als Bedeutung des Hiphil Pf. 35, 3. und 
bes Subſt. 2 umbherirren angegeben wird, da uns 
lagen allein paffend ſcheint. Womit zufammenhängt, daß 
der Verf, in jener Stelle das paralleie DI nad dem Arab. 


—R ebenfalls fuͤrumherirren nimmt, da es doch Mich. 2, 10. 


Geſenius Hebr. Deut. Handwoͤrterb. über d. Schr. d. A. T. 37 


offenbar mit nen eins iſt, was auch in der Stelle des 
Pialms wegen des parallelen B. ı8., mo 17 vorkommt, 
der Fall zu ſeyn ſcheint. ) | 
3. Ein Hauptverdienft des Verf. if, daß er die etwas 
vernachlaͤſſigte Vergleichung der aramäiichen Dialecte mit Gluͤck 
benußt hat, wovon wir jchon aus dem erfien Theile ‚Proben 
gegeben Haben. Vortrefflich iſt auf dieſe Weiſe 9 no. II. 
Gefallen haben, wuͤnſchen, Begehren, als vers 
wandte mit TEN, erläutert, wodurd die vielgedeutete Phrafe 


FI MY studium in ane ihre einzig richtige Bedeutung ers 
hält. Vortrefflich iſt duch das Chald. die Bedeutung von 
DOV 2. Sam. 6, 6. gefihert, u. a. m. Was uno bes 


trifft, das der Verf. nah dem Syr. für leeren Platz 
nimmt, fo dachte Rec. immer an die von WII treiben abs 
geleitete Bedeutung Trift, Weidplas, die er auch jetzt 
noch nicht ganz aufgeben kann. Denn dieſes Verbum kann 
nicht urſpruͤnglich wegtreiben, ausleeren geheißen haben, 
wie der Gebrauch deſſelben vom aufgeregten Meere Jeſ. 57,20. 
und das abgeleitete Subft. un Erzeugniß beweij’t. Dann 


wäre jenes Wort ſynonym mit em ‚ mit dem es auch gleiche 
Form hat. 


Daß das. Talmudifche und Rabbiniſche ein nicht zu ver 
werfendes Huͤlfsmittel der Hebraͤiſchen Wortforſchung ſey, iſt 
wohl ſeit Michaelis von mehrern wieder erkannt "worden. 
Dieſer Dialect enthaͤlt unſtreitig vieles aus dem Leben der Hebräis, 
fhen Sprache herübergepflanztes, und foweit ihn Rec. fennt, 
möchte er behaupten, daß fih in ihm vorzüglich die Sprache 
des gemeinen Lebens erhalten habe. (So fcheine uns dag 
pron, rel. W alt zu feyn, nur aber zur Sprache des gemeinen 
Lebens gehört zu Haben.) 

4. Verhaͤltnißmaͤßig zu wenig benußt waren vor dem Verf. 
die Dialecte in Mücficht auf die Analogie der Bedens 
tungen, d. ft. auf die ähnliche Modification eines und deffels 
- ben Begriffs unter verfihiedenen Wörtern. Zu fehr bedacht 
anf die Vergleihung der Dinlecte unter denfelben Buchftaben 


⁊* 


33 Geſenius Hebr. Deut. Handiwörterd, über d. Schr. d. A. A. 


verfäumte man häufig die DVergleihung der gleichbedeutenden 
oder finnverwandten Wörter in den andern Dialecten, die eine 
Menge treiflicher Erläuterungen und Beftätigungen , aud) neue 
Auftlärungen für Bedeutung und Conftruction an die Hand 
geben. In diefer Benutzung der Diatecte befteht ebenfalls ein 
Hauptvorzug diefes Mörterbuchs. Beſonders lieb war ung die 


DVergleihung des Arab. 83 mentitus est arcus für die Ers 
läuterung der Phrafe 77) — die andere fuͤr ſchlaffer 
Bogen geuommen haben; das Chald. my Pa..Aph. em: 
pfangen, zur Beftätigung des —EX Biob 21, 10. u. a. m. 


Eine nicht minder reichhaltige und bey weitem nicht hin— 
laͤnglich genutzte Quelle iſt ferner die analoge Wendung und 
Modification der Bedeutungen in den ſinnverwaͤndten Wörtern 
der Höbräifchen Sprache ſelbſt. Faft genügend erläutert ift auf 
dieje Weiſe DR, in-der durch die Verss. befiätigten Bedeu— 


tung aufheben für etwag, und yon ı. Sam. 14, 47. 
fiegen, u a. m. 


5. Ueber Verwechfelung und Verſetzung der Buchſtaben 
in verwandten Wörtern, fowohl in den verfihiedenen Dialerten 
als in der Hebräiihen Sprache felbft, Hat der Verf. einen 
Reichthum von treffenden zum Theil eigenen Bemerkungen zu 
fammengeftellt, wohin befonders die jedem Buchſtaben des 
Alphabets vorangeftellten Artikel gehören. Er tritt bier der 
Einjeitigkeit derer entgegen, welche die Verwechslung nur nad) 
durchgehenden Negeln und bey den zunächft ſich entiprechenden 
Buchſtaben (wie W und (w) gelten laffen wollen, und nimmt 
fie auch bey entferntern Buchſtaben an (z. B. in 777 und 
ni — ohne doch in Willkuͤhr und Geſetzloſigkeit auszu— 
ſchweifen. Treffend bemerkt iſt auch die Verwandtſchaft zwi⸗— 
ſchen gewiſſen Claſſen von verbis anom. und defect., wie 
N27, 197, 191, pP 1, 74%; YI1% u. a. m. ( Wie 
die Verba der leiten Art ihre Formen austauſchen, ift in der 
Vorrede zum erften Theile bemerkt. Es gehört dahin auch die 
Bemerkung, welche die Aufnahme in eine zufünftig: neue Ber 


Geſenius Hebr, Deut. Handwoͤrterb. über d. Schr. d. A. T. 39 


erbeitung der Vaterſchen Grammatik verdient, daf Da‘? 


von D2? und DPYT von D7? entiehnt ift.) 

Bir laffen num noch einige zerftreute Bemerkungen folgen, 
theils zur Beftätigung, theils zur Berichtigung mancher Artikel. 
Die gewöhnliche Erklärung von —* ER blöde, matte 


Augen habend hat der Verf. treffiich erläutert, und beſtaͤ⸗ 
tigt durch die Bemerkung, daß die DOrtentalen feurige lebhafte 
Augen für einen vorzügliden Theil der Schönheit halten. — 
or Sef. 53, 9. hat Rec. längft für fononmym von yo 

genommen. Denkt man fih, daß diefes Stuͤck im Babylonis 
fihen Exil gefchrieben ift, wo die reihen mächtigen Chaldaͤer 
die Unterdruͤcker der Hebräer waren, fo erklärt ſich dieſer 
Sprachgebrauch noch leiher. — Ein fhöner Verſuch iſt es, 
nmny) Spr. 27, 6. von any beten abzuleiten, fo daß es 
erbeten, d. 5. erzwungen hieße. Rec. hat das Wort 
immer auf No. 2. bezogen und für reichlich genommen, wo— 
durch kein uͤbler Gegenfaß entfteht: gutgemeint find die 
Schläge des Freundes, reihlidh die Käffe des 
Feindes Kine bekannte Volkserfahrung fagt: mer freund: 
lich iſt, iſt falih. DI) Sam. 14, 24. gehört wohl zur Ber 
deutung treiben, und heißt: abgetrieben. — Fein ifl 
die Bemerkung, daß YS von gel”) verfchieden fey, und 
mehr zerfhlagen, zerfchmettern x. als zerbrechen 
heiße, fo wie, das. TED nicht bie Seberden, fondern ben 
Lane der Wehklage bezeichne. — Sehr ingenids ift. die Erz 
Härung des ſchwierigen Dyz Jeſ. 18, 0. durch fchnell, 
welche Bedeutung aus der erſten ſcharf fließt, nach der Anas 
logie von M- — di. 84, 6. nimmt. der Verf. non trop. 
und elliptifih für Wege Gottes. Ob eine folche Ellipſe 
wohl moͤglich iſt? — 2 AN 1. Mof. 5, 1. und Habak. 2, 6., 

deſſen Bedeutung bekanntlich nicht leicht iſt, hat der Verf. gar, 
nicht angegeben. In der lebten Stelle fcheint es ung bloß 
Verflärtung von >5 in der Bedeutung: ja! zu feyn, und in 
der erften Ffommt es vielleicht unferm fo — denn nahe. — 


40 Gefenius Hebr. Deut: Handwoͤrterb. über d. Schr. d. A. T. 


Hab. 2, 4. ift die Verbindung des Verbi NY? mit DEUN 
* a Ir 


in der Bedeutung ausgefprodhen, befannt.werden 
nicht bemerkt. — Bon DN fehle die Bedeutung profecto, 
welche Spr. 3, 34. Jeſ. 2g.. 16. nicht wohl zu läugnen tif; 
wenigftens hätten die Stellen bemerkt werden ſollen; fo auch 
die Bedeutung postquam oder quia Jeſ. 55, 10. — Die 
Conftruction von non mit 6 Hab. 2, 14. iſt vergeffen. — 
Wie der Verf. PT Pf. 2, 7. genommen mwiffen will, ift nicht 


bemerkt; eben fo wenig wie ebendafelbft NBD ſtehe. — Das | 


gut. von ZN ift nicht 28, fondern IN. — Warum 


... +. 
.".. 


’ zu2 
vergleicht der Verf. mit 1712 das Arab. AFH den plur, 


su 3 
fract., und nicht das Wort Per ſelbſt? — MI Jel. 48,6. 


hätte wegen feines befondern Gebrauchs bemerkt werden follen, 
heiße es nun Bundesftifter oder Verfündiger der 


Berheißungen — Dsiv Pred. 3, 11. iſt nicht erläutert. | 


Uns fheint es in der Bedeutung des neutefl. xoogos, win» 
zu fichen. — Durd) einen Druckfehler ſteht ſtatt IN, TIN- 


( Hierbey bemerken wir zugleih noch, daß ©. 596 Ep. 2. 
3.17 v. u. Jeſ. flatt Fer. ſteht; ©. 77ı Sp. 1.2.15 v. o. 
250 flat s10N; S. a7ı Sp. 2.3. 15 v. u. Pf. 17, 5. 
ftatt Pf. 7, 125.5 ©. 386 Sp. 2. 3. 26 v. o. Süden flatt 
Weften.) Ben DII Becher fehlt die, Angabe, daß es 
foem. if. — Das Wort Pan fehle, und ift auch in den 


nd 
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- Nachträgen nicht bemerkt. — Das ſchwierige rn Zac. 3,7. * 


iſt nicht erläutert. — Von in) fehlt die Bedeutung Flehen 


Zah. 12, 19, — Die Erfäaterung von TI NI 1. Mofa 


“1, 
tb, 
Arlır 


1 


50, 14. vorhanden haben wir vergebens gefucht. — Deka; 
Gebranch ven NIT Pſ. 90, ı2. iſt Übergangen. — Die, " 


Ellipſe, mit welcher AO? Pi. 115, 14. fieht, hätte auch ber 


merkt werden follen. — I in der Bedeutung mie Pf. 57, 20. 
39, 7. fehl. — Bey pr follte” die Stelle Jef. 56, 10, an⸗ 


de 


ung 


Unſ 


CR 


Gefenius Hebr. Deut. Handwörterb. über d. Schr. d. A. T. 4 


geführt feyn, wo man die gewöhnliche Bedeutung in Zweifel ges 
jogen hat, die ung jedoch beybehalten werden zu müffen fcheint. — 
Das Bittwörtchen 92 will der Verf. für eine Zufammenziehung 


aus v2 Bitte nehmen ; ung hat fid immer die X Vergleichung 
des Rheinlaͤndiſchen Mein! dargeboten. — Ueber vn 
Zeph. 3, 17., wo es wahrfcheinlih vergnuͤgt feyn bedeutet, 
iſſt nichts angemerkt. Ob es nöthig ift, 9) Zeph. 3, 18. auf 
mi abfondern zurüdzuführen, da es Klagl. 1, 4. ber 
ſtimmt in der Bedeutung traurend vorkommt, und da das 
folgende To recht gut entfernt beißen kann? — Die Ber 
deutung von 772 vereiteln, welche der Verf. Jer. 19, 7. 
anwenden will, ſcheint nicht einmal in den Zuſammenhang zu 
paſſen. Wir finden in dieſer Stelle den haͤufig vorkommenden 
Gedanken, daß Jehova Juda rathlos, verlegen, verwirrt mas 
hen wolle, den Rath ausleeren iſt alſo ganz ſchicklich 
geſagt, wie es fonft heiße; der Nach ift verloren, verihwuns 
den, Ser. 4,9. — 122 unverftändlich (von der Sprache) 
Ezech. 3, 5. fehlt. — Zur. Erklärung des > 7 Spr. 11, 2ı. 


ı6, 5. wendet der Verf. das Syr. NTNZ NN an; allein: 
deffen Bedeutung vicissim, unum post alterum paßt hier 
nicht, auch ift der Unterſchied des verfhichenen Praefix wohl 
nicht gleichgültig. Der Zufammenhang fodert etwas wie nims 
mermehdr, faßte man nun die Bedeutung von Hand zu 
Hand, d. i. von Geſchlecht zu Geſchlecht oder dgl., fo wäre 
man nicht weit davon entfernt. — Der pleonaftifhe oder 
affirmative Gebraudh von DI, befonders in den Spruͤchwoͤr— 
tern ( 14, 20. 17, 26. ı9, 2. 20, 11.), hätte wohl bemerkt 
zu werden verbient. — Die. eigenthämliche Bedeutung von 
FIN 1. Kön. 18,7. Schreden, Furcht, Argwohn fehl 
ebenfallde. — Weber die Form —* in Beziehung auf Pf- 
6, 3. ift nichts bemerkt. — Der Name Zophar iſt vergeffen. 

Die archaͤologiſchen, hiſtoriſchen und andern zur Sach— 
erklaͤrung gehoͤrigen Artikel ſind in der Regel reichhaltig, und 
mit Umſicht und treffendem Urtheil gearbeitet. Man findet da 
in der Kuͤrze die Reſultate tiefer und weitlaͤufiger Forſchungen 


42 Gefenius Hebr. Deut, Handwörterb, Über d. Schr. d. A. T. 


zuſammengedraͤngt. Vortrefflich ift der. Artikel aY durch 
Zufammenftellang aller Stellen, wo bdiefer Name vorkommt, 
will der Verf. wahrfcheinlih mahen, daß diefer Name nie 
abfolut von den Israeliten gebraucht werde, fondern immer 
nur velativ, im Gegenfas mit andern Völkern. Hieraus 
ſchließt er, daß ihnen dieſer Name von andern Voͤlkern, be— 
ſonders von den Cananitern, ertheilt wordern ſey, und unters 
fügt damit‘ die gewoͤhnliche Etymologie von IV. Ganz 
Aberzeugend iſt diefe Argumentation für uns nicht gemefen. 
Zuvoͤrderſt ſcheint uns jener velative Gebrauch des Namens 
nicht ganz entfchieden zu feyn; die Stellen ı. Sam. id, 3,7. 
find dagegen, wo Ebräer in einer Kundmachung Sauls an 
das Wolf vorfommt, und dann im. Parallelismug mit Is— 
tael. Aber auch diefen Gebrauch zugegeben, fo folgt daraus 
nicht die behauptete Entſtehung dieſes Namens, fondern nur 
dies, daß es der eigentlihe Volksname mar, während 
Israel und Söhne Israel der genealogifhe Ehrenname 
war. Diefer Volksname konnte nun allerdings auf die Weife 
entftehen , wie der Verf. annimmt, aber auh auf andere 
Weiſe. - Die Hypotheſe (wenn wir uns recht erinnern, fo hat 
fie Wahl vorgetragen‘, daß die Namen der drey KHaupts 
zweige des ſemitiſchen Stammes 7 vr DIN und 72 ur⸗ 


ſpruͤnglich eins ſeyen, hat uns immer ſehr einleuchtend geſchienen. 
Gegen die Vergleichbarkeit dieſer Namen unter ſich iſt wohl 
nichts einzuwenden. Auf jeden Fall iſt es richtig, was der 
Verf. bemerkt, daß der angebliche Stammvater 2 nur eine 


mythiſche Perſon ſey, fo wie WII, DIIND u. a. — Die 
Artikel ww, Kın>L DB, 27 find vortrefflich gearbei⸗ 


tet. Was das erſtere betrifft, ſo hatte der Rec. ſchon laͤngſt der 
Wink von Geddes zu 2. Mof. 14, 7. auf die von den LXX 
angenommene Bedeutung Wagenkaͤmpfer zurädgeführt, 
und er iſt jeßt darüber fo entfchieden, wie man es über ders 
gleichen unfichere Gegenftände feyn kann. Allein in die Stellen 
2. Sam. 23, 8. ı. Chron. 11, 21. 12, 18. gehört das Wort 
wahrfcheinlich nicht, und ift nur durch Mißverftändniß der 
alten Adfchreiber und Maforetden Hineingefommen, wie denn 


Sefenins Hebr. Deut. Handwörterb. über d. Schr. d. A. T. 43 


in den Stellen der Chronik das Ketib auch anders tiefe. Es 
fann in diefen Stellen nur die Rede feyn von drey und von 
drevßig Helden, die gleihjam einen Drden von drey und 
dreyßig Nittern und ihren Dbern bildeten. 2. Sam. 93, 5, 
it daher ſtatt eV zu lefen entweder mit dem Keri in 


V. ıB. mobon oder mit dem Ketib in ı. Chron. ıı, 11. 


wider. — Im Yet. 799 Hat der Verf. mit Recht die 


ſchiefe Ableitung von YIW herumftreifen abgewiefen, welche 
nur von denen erfonnen war, welche das vorausgefeßte Alter 
des Buchs Hiob vertheidigen wollten. — nimm nach den 


nn * Tang. die Bilder des Thierkreifes, wos 
mit N —* Wohnung trefflich uͤbereinſtimmt. — wdð⸗ 


Nachtgeſpenſt durch das Zeugniß der Rabbinen und my— 
thelogifhe Parallelen trefflich erläuterte. — nean purpurs 


blau, gründlich erwiefen und mit den nöthigen Zeugniffen 
belegt, — Lex nimmt der Verf. für den Namen eines 
Dämons befonders wegen des Gegenfaßes mit Jehova in ®. 8. 
Dagegen firäube fi unfer Gefühl, und die Anficht , ‚die wir 
vom ganzen Hebraismus haben, laͤßt niche zu, Dämonologie 
in der Neligionslehre, zumal in der orthodoren, durch den 
Gefeßgeber oder die Prieſter fanctionirten, vor dem Babylos 
niſchen Epil anzunehmen. Dan müßte dann menigfteng die 
Abfaffung des geſetzlichen Aufſatzes 3. Moi. 16. tiefer herabs 
feßen , als fonft der Charakter des Pentateuchs fodert. Jedoch 
wir drehen ab, und empfehlen jedem, dem es um gründliches 
Studium der Hebräiichen Sprache zu thun iſt, die Benutzung 


diefes vortrefflichen Woͤrterbuchs. 
W. W. 





Ueber den Kaiſer Julianus und fein Zeitalter. Ein hiſtoriſches Ges 
maͤlde von Auguſt Neander, außerord. Prof. der Theol. zu 
Heidelberg. Leipzig, bey Friedrich Perthes aus Hamburg 1812. 
172 ©. gr. 8 
Schon im vorigen Yahrgange (N. 57. S. 905) if eine 

Schrift über den Kaifer Julian Geurtheilt worden, welche für 


Ah A, Neander über den Kaiſer Zulian, 


die Würdigung diefes merfwärdigen Mannes einen eigenthuͤm⸗ 
lihen Weg nimmt. Die vorliegende Bearbeitung deffelben 
Stoffs wird allen angenehm ſeyn, welche eine billige , unbefans 
gene, hiftorifche Wuͤrdigung eines auch in feiner Verirrung großen 
Mannes zu fhäßen wiffen. Man wird leihter zu dem Ges 
danken kommen, daß Julian zu "vortheilhaft gefchildert, „daß 
fein Heidenthum zu fehr idealifire worden, als daß ihm Uns 
recht von Hrn. N. wiederfahren ſey. Da die Geſetze unfrer Zeits 
fchrift ung eine eigentliche VBeurtheilung diefes Werks, als eines 
intändifihen, nicht erlauben, fo können wir bloß durd die Aus— 
hebung den characteriftifhen Ideen und die Darftellung des 
Ganges der Unterſuchung unfre Leſer auf feine - Wichtigkeit 
aufmerffam machen und die darin herrfihenden Anfihten bes 
zeichnen. Es zerfällt in vier Abfchnitte, 

Abſchnitt ı. Das. Ehriftenehum im Verhältniffe zu dem 
Zeitalter, in das feine Erſcheinung und Ausbreitung fiel (S. 
ı — 70). Die Griechiſche Philofophie endigte ihren erften 
Lauf mit dem Scepticismus dig gegen feinen eignen Dogmas 
tismus gerichteten, zum Bewußtſeyn feiner grund s ımd boden= 
loſen Unficherheit gelangenden Verftandes ( unterfchicden von 
dem Scepticismus der beginnenden Philojophie, Anm. 1.). 
* Eben dadurch wurden aber wiederum objective Neligionsformen 
dem denfenden. menfchlihen Geifte wichtig; und es erhob fid) 
von der Einen Seite ein heftiger Kampf gegen das jenen Fors. 
men entgegengefeßte Chriſtenthum, von der andern erregte das 
erwachte Beduͤrfniß einer belebenden Religion Empfänglichkeie 
für das Chriſtenthum. Aug dem herrſchenden Unglauben ging 
aber der Aberglaube hervor, „der nichts anders ift, als das 
Gefühl der. verlohrnen Verwandtſchaft mit Gott in dem Ins 
nern des Menſchen, dem Lebendigen“ (S. 13). Auch von diefer- 
Seite mußte. jenes Zeitalter vom Chriſtenthum ſtark ergriffen 
werden, welches verfündigte, daß der Name Chriſti mit dem 
Glauben verbunden von der Herrfchaft des Höfen befreye, und 
die Wurzel des Aberglaubeng vernichtete, indem es das Herz 
und den Geift von der fihtbaren finnlihen Welt zu dem lebens 
digen Bott erhob und an die ungertrennliche Gemeinfchaft, in 
welche der menjchliche Geift durch Chriſtum mit Gott gekommen 
war, erinnerte, Hiernach wird gezeigt, wie durch den herr⸗ 


> 


A. Neander über den Kaifer Zullan. 45 


fhenden Scepticismus der Platonismus und der philofophifche 
und religidje Eklekticismus (als deffen Nepräfentant Piutarch 
betrachtet werden kann ) den beffern . und cdlern Menfchen 
empfohlen wurde, wie die verfeinerte Abftraction und die dem 
Anthropomorphismus aͤngſtlich meidende Verallgemeinerung bie 
Sehnfuht nach individnellem veligidfen Leben und veligidfer 
Gemeinſchaft reagirend hervorrief, und dadurdr Liebe zu dem 
Polytheismus und Haß gegen den Monotheismus als vers 
meintlihe todte zum Atheismus führende Verftandesabftraction 
entitand, dann wie ein verfeinerter Polytheismus mit geiftigen Res 
ligiensideen wohl beftehen. koͤnne. ( Die eigentliche Wurzel des 
Polytheismus iſt mehr practisch als theoretifh, nur die dee 
einer allgemeinen oder befondern Theokratie konnte den. Polys 
theismus practifch vernichten, Anm. 6.) Diefe Unterfuchung 
führt zu der Auszeichnung des Charakteriftifhen im CHriftens 
thum als geoffendarter Religion im Gegenfaß gegen ‘jenen 
Neoplatonismns und die bisherige Denfart und Weltanficht 
überhaupt. (Das Chriftenthum, an keine befondre bürgerliche 
Sefelihafte gebunden und den Charakter Feiner befondern Nas 
tionalität tragend, mar die Neligion der Menfchheit, etwas 
noch nie gedachtes und gehörtes, und trat in ein ganz anderes 
Verhältnig zu dem Leben der Menihen als die bisherigen 
Religionen, indem es dag zeitliche Leben nur als Mittel für 
de unfihtbare Welt darftellte, lehrte daher eine viel höhere 
und volltlommnere Moral, fihten aber den Heiden eben dadurch 
die Liebe zum Vaterlande zu unterdräden, u. f. w.) Daher. 
erhob fih zwar ein heftiger Kampf gegen das Chriftenchum, 
aber gerade diefer Gegenjaß eröffnete ihm wieder die Gemüs 
“ ther. Die reine Offendarung fland gegenüber dem fchwanfens 
den Eklekticismus, die göttlich s menschliche Religion der alle 
Beſchraͤnkung verachtenden Contemplation. Auch diefes war dem 
Ehriftenehum förderlich, daß es als eine über alle fichtbare 
Formen erhabene, und zwar feine glänzende Ideale der Phantafie 
aber aufmunternde Mufter der Tugend im Wirken und Leiden 
darbietende Weltreligion dem menjchlichen Geſchlechte in einer 
Zeit der Auflöfung und fittlihen und politifhen Erfchlaffung 
dargeboten wurde. (Mannigfaltige Wendungen des Eklekticis— 
mus im Kampfe oder in der Berührung mit dem Chriftenthum ; 
die eigentlich charakterifiifchen Lehren- des lebtern geben am 
meiften DVeranlaffung zu fremdartigen Mifchungen ; Eeften, 
‚Gnofticismus. Anm. 6. fgd.) 

Abſchnitt 2. Weber Julians Erziehung und Bildung 
bis zu feiner Vefteigung des Kaiſerthrons. S. 7ı — 102. 
Schon in der Jugendzeit Julians offenbarte fih fein tiefes 
und zugleich Hochjirebendes Gemuͤth im Segenfaß mit feiner 


i 


aß A. Neander über den Kaifer Juliam 


damaligen beſchraͤnkten und drückenden Lage. Er war damals 
voll ungeheuchelten Eifers und inniger Märme für das Chris 
ſtenthum, und verabjcheute das Heidenthum. Mach feiner 
Zuräctunft aus Cappadocien nah Konftantinopel fam er in 
die Schule des Pacedämontichen Suriften Nikokles, deffen phis 
loſophiſch allegorifche Auslegung der Dichter des Griechiſchen 
Alterthums Julians feurige Phantafie und feinen nach dem 
Verborgenen forichenden Geiſt noch mehr erregte, Da die das 
Goͤttliche in Knechtsgeftalt ankündigende Religion fein das 
Außerordentlihe und ©längende fuchende Gemuͤth nicht ans 
fprach, fo bewirkte feit feiner Verſetzung nach Nicomedien der 
Umgang mit den dortigen Neuplatonitern und die Befannt 
fehaft mit den Lehren des Fibanius feine Hinwendung zum 
Heidenthum um defto. gewiffer, je mehr feine chriftlihen Leh— 
rer ſich bemuͤht hatten, ihn von aller Verbindung mit den 
- Meuplatonikern fern zu halten. Nicht ohne Einfluß waren die auf - 


Sultan begogenen Weiffagungen unter den: Heiden von eınem 


Manne,, der den Stauden an die Götter des Alterthums und 
ihre Verehrung wieder herzuftellen und dann Über das Romi— 
She Neich zu herrſchen beftimme fey. Die Weberzeugung von 
einer foihen Beftimmung ward in Sjulian fowohl Much fein 
inneres als fein Äußeres Leben genaͤhrt. Mir machen noch auf 
die Charafteriftif der verichitedenen Nenplatonifer, welche auf 
den Kaiſer Inlian wirkten, aufmerkſam (Bgl. Anm. g. ©. 89). 

Abſchnitt 3. Ueber Sultans religidje und philofophifche 
Anſicht Überhaupt, feine daraus hervorgehende Anliht vom 
Chriſtenthume und die Mittel, durch welche er feine religidien 
Ideen als Kaifer zu realifiren fuhte. ©. 105 — 144. Die 
allgemeinen aus dem erften Abichniet Kervorgehenden Reſultate 
werden hicr auf den individuellen Eklekticismus des Kaiſers 
Julianus und deffen Verhältnig zum Chriſtenthum angewandt, 
Durch das chriftlihe Princip Überhaupt, nicht durch das bes 
fondre katholiſche, wurde Julian vom Chriſtenthum entfernt. 
Dey ihm war Kunft, Wiffenihaft, Staat, feloft der Krieg 
mit der Neligion wirfchmolzgen, daher gendate ihm das Ans 
fpruchelofe, demüthige, zu dem jenfeirs des irdifchen Lebens 
liegenden hinweiſende Chriſtenthum nicht. Aus dem Cynismus 
Julian's, der fih dem Chriſtenthum fcheinbar fehr näherre, aber 
ſich doc fehr von demſelben entfernte, werden feine Verſuche, 
eine neue Kirche zu gründen, abacleıtet. 

Abſchnitt 4. Meber den Zuitand der chriftlichen Kirche 
zur Zeit des Kaifers Julian und fein Verfahren acaen dies 
jelbe. ©. 149 — 170. Zuerft von dem Verderbniß der Kirche 
in ihrem Innern durch die Vermifchung mit dem Metrlichen, 
welches fie zu bekämpfen aufhörte. Even dadurch bildere fich 


A. Neander über den Kaiſer Julian. - a7 


eine Reaction in der Kirche, welche. fih vornehmlich in dem 
Unruhen der Donatiften zeigte, ‚die hauptſaͤchlich das Ders 
derdniß der Kirche durch ihre Vermifhung des Weltlichen bes 
fämpften, dann aber auch zugleich durch ihre Aeuferungen 
über chriftlihe Frenheit Mißverftändniffe veranlaßten, die 
in Hinfiht ihrer Natur und ihrer Wirkungen fehr ähnlich denen 
waren, durch welche die Bauernunruhen zur. Zeit der Nefors 
mation hervorgebraht murden. Um das Verfahren Julian’s 
gegen die Chriften nicht ungerecht zu beurtheilen, muß beionders 
das Verhältniß der legtern zu den Heiden feit dem Religionskriege 
zwifchen Conſtantinus und Licinius beachtet werden. Der 
Uebermuth der Chriſten entzündere bey den Heiden Rachſucht, 
und bewirkte, nachdem durch Julian das Heidenthum wieder 
auf den Thron gebracht worden, furchtbare Verfolgung, an 
welcher der Kaifer felbft feinen.directen Antheil hatte. Denn 
Slaubenszwang und Verfolgung waren weder den politifchen, 
noch den individuellen veligiöfen und philofophifhen Srunds 
fügen Julian's angemefien. Mancher bürgerlichen Vortheile 
mußte er die Chriſten berauben, weil jene. nach feiner Anfiche 
mit der Religion enge verfnüpft waren. Aus diejem Geſichts⸗ 
punct wird das Geſetz beurtheilt, welches den Chriften das 
Recht, Öffentliche Schulen der Rhetorik und Pitteratur zu hals 
ten, nahm ( obgleich allen Sjünglingen, aud) den Chriftlichen, 
erlaubt blieb, folhe Schulen zu beſuchen). Gleichwohl, fo 
fehr Sjulian das Tumultuariſche und die Unduldſamkeit haßte, 
fo fehr. beförderte er indirect- Me Verfolgungen wider die 
Ehriften, weil er. in feiner religidien Schwärmerey für das 
Heidenthum ſich esnicht erlaubte, die Chriftenverfolger zu ftrafen. 
Berfchiedenheit in feinem Betragen gegen die chriftliche Geiſt⸗ 
lichkeit und gegen die übrigen Ehriften, und Entwicelung der 
Urfachen diefer Verſchiedenheit. Manche einzelne den Grund— 
fägen Julian's wideriprechende Handlungen, 3. B. einzelne 
VBerfolgungen, werden aus Widerjprüchen in feiner Gemüthsart, 
deren er felbft fih nicht unbemufie war, aus Aufwallunaen der 
Peidenfchaft erflärt. Seine farkaftifchen Aeußerungen über das 
Chriſtenthum, Wirkungen augenblicklicher Laune, fchadeten ihm 
fhon in jeinem Zeitalter und bemirften ungerechte Beurtheis 
fung feiner Grundſaͤtze. Am deutlichften offenbarte füh feine 
Idee, das ihm vorfchwebende Bild des Alterthums unter vers 
Anderten Zeiten und Sitten wieder ins Leben zuräckzubringen, 
bey feinem lebten Aufenthalt zu Antiochien, vor der Eröffnung 
des Perfifhen Kriegs, in welchem Julian (im 32. Jahre feis 
nes Lebens ) „ald Martyrer für eine ihn beſeelende Idee, die 
Barbaren, die Perfer, zu demüthigen,“ fiel. 


48 2. Bendavid über die Relig. der Hebr. v. Moſes. 


Wir müffen noch bemerken, daß alle hier angedeuteten 
Entwicelungen durchaus mit Belegen ſorgfaͤltig unterftäßt find, 
und daß die ausführlichern Anmerkungen am Ende jedes Abs 
ſchnitts mande lehrreihe Erdrterungen über die philofophifche 
und religiöfe Denkart Julians und feiner Zeit enthalten. 

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e 2 er a 





Ueber die Religion der Ebräer vor Mofed. Von Lazaärus 8 ens 
david. Berlin, bey Juliud Eduard Hitzig. 1812. IV, sı ©. 8. 


Daß die Verſchiedenheit der Namen Gottes im A. T. 
beſonders der Geneſis, El, Elohim, Jehovah u. f w., nicht 
zufällig fenn tönne, fondern auf einem tieferen Grunde beruhen 
müffe,, vielleicht auf. der Verſchiedenheit veligiöier Anſichten 
verfchiedener veligidöfen Schulen, ift längft bemerkte worden; 
Herr Vendavid macht nun in diefer Heinen Schrift einen Vers 
fuch, aus diefen Namen den Fortfchritt der religidfen Bildung 
des Juͤdiſchen Volks abzuleiten, dem man mit Ausnahme der 
gezwungenen Etymologieen, wenn man es nicht fehr firenge 
nehmen will, das triviale Rob zugeftiehen fann: Se non & 
vero etc, Er nimmt an, die Araypter, denen das Juͤdiſche 
Volk feine rveligidie Bildung verdanfe, hätten drey Grade eis 
nes Cultus, der nicht mehr Gößendienfi gewefen ſey, gefannt, 
Dualismus, Zebao:h Emus (Dienſt des Heers der Marurkräfte), 
Spiritualismug oder TIheismus. Der Hebräifche Stamm habe 
Bis zu Joſeph's Zeiten ſich noch nicht Über die beyden evftern 
oder niedern diefer Stufen erhoben. Laban und fein Gefchlecht 
feyen Dualiſten geweſen (in den Theraphim DIS von MN 


und Y’N, Stiere des Zorns, findet auh Sr. B. den Scras 
pis); Adraham und fein Geſchlecht Zebaothiften. Der Name 
Schaddat, der Bebrüftere, welcher diefe Anfiche bezeichnet 
(von TI die Bruft, wovon au I’IW Dämonen), bedeute 


eben fo die hypoftafirte Natur im Zebasthismus als die Iſis 
der Aegypter. In dem Namen Elohim, wodurch Naturkraͤfte 
bezeichnet worden (von — die Kiaft, z. B. 2 B. M.XV, 
11), findet der Verf. -eine ſichere Spur des Polytheismus. 
Durch Mofes erhielt endlich das Juͤdiſche Volk die hoͤchſte 
Weihe, es wurde zu der fpiritmalifitichen oder, theifttichen Ans 
ſicht erbosen, welche durch die Namen Jehovah und Ei eljon 
ausgedrückt wird, 


No. 4.  deiderlbersifhe ° 4843, 
Jahrbücher der Litteratur. 
IRRE ERNEST 


4) Johannes Müller oder Plan im Leben, hebst Plan im Le— 
sen, und von den Grenzen weiblicher Bildung. Drey 
Reden von D. Karl Morgenstern, Russisch Kaiserli 
Hofrath , ord. Prof. d, Beredsamkeit und altclass. Philolo- 
gie, der Aesthetik und der Gesch. der Literatur u. Kunst 
an der Kaiserl. Universität zu Dorpat eic. Leipzig bey 
Göschen 1805. VIu. 1228. 4 «(zf.) 

2) Memoria Joannis de Müller viri summi in consesau so- 
cietatis Regiae sc, Gottingensis inter desideria lugentium 
celebrata, interprete Ch. G. Heyne. Die X. Juni 

. MDCCCIX. Göttingen bey Dieterih. 12 S. 4. 

3) Memoriam Joann,s Mülleri... Civibus commendat Aca- 
demia Frid. Halensis. Halle im Waifenhaud 1409. 32 ©. 4. 

4) Johann von Müller der Hiftorifer. Von U. 9. 8, Heeren. 
Virtus clara aeternaque habetur. Sallust. £eipsig bey 
Goͤſchen. 92 ©. 8. (8 gr.) | 

5) Johann von Müller von Karl Ludwig von Woltmann. 
Berlin b. Higig 1810. VIII. 316. LXXI ©. 8 (ı Thir. aıgr.) 

6) Lobſchrift auf Johann von Muffer den Geſchichtſchreiber. Geleſen 
in der 8. Akademie der Willenfhaften zu Münden am 29ten 
Mai 1811 von Friedrih Roth, D. K. Baieriſchem Ober: 
finanzrathe und Mirgliede der Akademie. Suiztad ben Seidif 
1811. 46 S. 8 (24 fr.) Ä 


Weser ſehr wenige Deutſche Schriftſteller ift fo viel gefchries 
ben worden, wie über Johannes Müller: und wenn fi 
hieraus zwar nicht mit völliger Sicherheit ſchließen läßt, daß 
dieſer ernfte und gelehrte Hiftorifer ein fehr großes, für ihn 
fih lebhaft intereffivendes Publicum gehabt habe (man: möchte 
wuͤnſchen, daß zur Ehre der vaterländifchen Denfart und det 
altkraͤftigen litteraͤriſchen Geiſtes unſerer Zeitgenoſſen ſo etwas 
daraus gefolgert werden koͤnnte); fo ſcheint doch faft keinem 
Zweifel unterworfen, daß der Mann, über deffen litteräriiche 
Bildung, Eigenehämlichkeie und Wirkſaͤmkeit mehrere Schrifts 
| 4 | 


50 Schriften uber Johannes Miller, 


ſteller, zum Theil vom erftien Rang, ihre Stimme abzugeben 
fid) berufen fühlten, mannigfaltigen, vielfeitigen und reichen 
Stoff zur Betrachtung dargeboten haben muͤſſe; ein ſolcher 
Menich gleicht einer herrlichen Gegend, in welcher jeder aufs 
merkſame und gemüthlihe Beobachter etwas findet, das ihm 
zufagt, deren gelungenfle Schilderung fie nicht erfchöpft, 
und die nad) vielen mahlerifhen Befchreibungen nch immer 
neue Seiten darbietet, von denen fie mit Theilnahme und 
Liebe aufgefaßt und dargefiellt werden kann. So fcheint Jo— 
hannes Müller feinem Vaterlande, der einfah großen 
Schweiz, nicht unähnlich zu feyn, welche unzähligemal und 
vortrefflich beichrieben dem für die ſtets neue Herrlichkeit. der 
Natur empfänglichen Gemüthe neue Anfichten und freygebig 
Iohnende Veranlaffung zu fruchtbaren Betrachtungen offenbart. 

Sn J. M,ift der Menfch, der Gelehrte, der Hiftoriker, 
der Politiker und der Gefchäftsmann merfwärdig, und fo wie 
diefe verfihiedenartigen Beziehungen, unter welden er an fich 
und in der Erfcheinungswels betrachtet werden kann, oft in 
einander fließen, und ohne gemwaltthätige Verletzung der nur 
in ihrer WVerfihmelzung beftehenden Wahrheit, keine fcharf 
abfiheidende Trennung zulaffen ; fo dürfte oft eine willkuͤhrliche 
Verbindung, oder richtiger Vermiſchung der Geſichtspuncte, 
aus denen ſein Weſen, Denken und Wirken angeſehen werden 
kann, der gerechten Würdigung feines Verdienſtes unvermeidli— 
chen Eintrag gethan haben. Daß er durch feltene Ausdauer 
angefirengten Fleißes eine bewundernswerthe Fülle gelehrter 
Kenntniffe fih erworben habe, darüber find Alle einverftanden; 
bloß Mathematik und Natarwiffenfchäften fheinen ihm fremd 
geblieben zu feyn, und aus feiner, durch genetifche Bildung 
und frühe feſte Richtung des Geifles erflärbaren Abneigung 
gegen die erflere machte er feldft kein Geheimniß; dagegen 
war philologifhe und theologifhe Erudition, Staatswiffens 
fihaft, Rechtskenntniß, Geſchmack und Kunftgefühl auf dag 
glücklichfte in ihm vereinigt; er hatte eine Beleſenheit, mie 
fie feit Saumaife und Leibniß nicht häufig gefunden 
ward, eine nie befriedigte, nie erfchlaffende MWißbegierde, eis 
nen immer jugendlich s frifchen Eifer für die Fortbildung ſeines 
Geiſtes und für die Erweiterung feiner Kenneniffe. Als Menfch 


Schriften uber Johannes Müller, 51 
tritt ee in einer Liebentwärdigfeit hervor, welche in diefem 
Grade Auferft wenigen Gelehrten und Schriftftellern zugeftans 
den werden kann; die ihm einwohnende Milde und Welchheit, 
die in feine ganze Natur innig und unzertrenntich verwebte 
Humanität, die vein kindliche Hingebung an jedes fich freund; 
lich antündigende Gute, die warme Herzlihe Theilnahme au 
Anderer Freude und Kummer, dad immer rege Streben zu 
beglücken und zu helfen, die unter Beinen Umſtaͤnden erkaltende 
Treue, faft fhwärmerifhe Anhänglichkeit an dem Kreife feiner 
Lieben, die von erfter Kindheit an bis zur Gruft fi gleich 
bleibende Pietät, die Verföhnlichkeit gegen Feinde, die Zarts 
heit in gefellfhaftlichen Verhaͤltniſſen, wer mag fie verfennen 
oder mißdeuten, als wenn alles Menſchliche Tand und Thors 
heit it? — Und wie war der gegen feine Mitmenfchen fo 
nachfihtige Mann fireng gegen fih ſelbſt? wie that er ſich 
nie Genäge? wie war er duchdrungen von Pflihtgefühl? 
wie befeelte ihn Kraft, aus Meligiofität, aus lebendigen 
Glauben an Vorfehung und Würde der Menfchheit entquol⸗ 
len? — Für alles diefes Liegen die Beweiſe öffentlich in fe . 
nem, nicht für das Publicum beftimmten, nad feinem Tode 
befannt gemachten Briefwechfel vor; wer fehen will, kann 
fehen; einer beurtheilenden Anzeige der Müller’ihen Werte 
darf Hier nicht vorgegriffen werden ; es ift genug, im Allges 
meinen Auf diefes Urkundenbuch zum Leben und Charakter 
eines edlen Menfchen aufmerkſam gemacht zn haben. 
Das, was der Schriftfteller als Mensch ift, darf bey der 
Schaͤtzung des Hiſtorikers nicht unbeachtet gelaffen werden. 
Diplomatiſch genau und zur entfchiedenen Bereicherung der 
äußeren Wiſſenſchaft fammeln, ann der fleißige Gefehrte; 
die Materialien lichtvoll zu ordnen, Ereigniffe und Vegeben: 
heiten in ihrem Zufammenhange und Erfolge anſchaulich le— 
bendig in fhöner Sprache darzuftellen, und treffende Bemer— 
tungen nnd Urtheile einzuflechten, vermag der kunfterfahrne 
und geübte Schrififteller. Aber das Streben nach einem höhe: 
ren Ziele, der Alles durchdringende Wille, Mitwelt und Nach— 
kommen zum Edlen und Großen, Guten und Wahren zu 
beftimmen , ganze Geſchlechter zu begeiftern für Necht und Tus 
gend, die Gemuͤther mis heiligen Entſchließungen zu befruchten; 


52 Schriften über Johannes Miller, 


diefes Streben, diefer Wille wohnt nur in’ einem heiligen 
Gemuͤth, das mehr Hat als Wiffenfchaft und Kunft, das von 
der Allmacht unaasiprechlicher Ahndungen beherrfcht wird. 
Solch ein Geift bricht in Müllers hiftorifchen Darftellungen 
durch, und fordert faut und dringend auf, an den inneren 
Menſchen des Schrififtellers zu denten, der als Hiftoriter bes 
urtheilt werden fol. Es Bleibt daher lobenswereh, wenn zur 
Mürdigung eines folhen Gefchichtfchreiberg ein ganz anderer 
Maßſtab gebraucht wird, als bey unzähligen andern, äußerlich‘ 
verwandten Schriftftelleen gewöhnlich iſt; es erjcheint ganz in 
der Ordnung, wenn der Charakter des Hiſtorikers nicht iſolirt, 
fondern vielmehr in feiner natürlichen und allein zur wahrhafs 
ten Vollftändigkeit und Einheit der Anfiht führenden Verbin— 
‚dung mit dem Charakter des Menfchen dargeftellt wird; 0b 


ſich gleich ein richtiges Neiultat unter nicht ausgefprochenen, . 


fondern nur in ihren Wirfungen angedeuteten Borausfehungen 
auffaffen und darlegen laͤßt; und auf feinen Fall ift eine wis 
drige Analyfe (die nicht einmal fo unwahr zu feyn braucht, 
wie die von Woltmann’iche iſt, um verwerflih zu ſeyn) 
aller und jeder menfhliher Verhältniffe erforderlich, wenn 
eine fo preiswürdige, durch fromme Achtung für N er⸗ 
zeugte Abſicht erreicht werden foll. 

J. v. M. verdiente alſo die Ehre, welche ihm in No. ı. 
widerfährt; in feinem inneren, wiffenfchaftlichen Leben herrſcht 
zufammenhängenbder fefter Plan; in feinen Studien und Grund— 
fäten finder ſich eine mit ehrwärdigem männlichen Ernfte durch— 
geführte Conſequenz, weiche fo einfach ift, daß fie von Allen 
erfannt und von fehr Vielen als Richtſchnur angenommen und 
befolgt werden kann; die eigenen Belenntniffe in Briefen und 
die Refultate feiner Beftrebungen, unvergänglihe Denkmäler 
Deutfchen Fleifes, vaterländifhen Sinnes, litterärifh ver 
edelter Nationalität und tief begründeter Frömmigkeit, liefern 
den Beweis; und Hr Morgenftern hat diefe reichhaltigen 
Materialien zu einer anfchaulihen Darftellung des mufterhaft 
Verdienftlihen im Selbftbilden, Fortfchreiten und Bewahren 
des Geiftes, mit Umficht zu finden und mit Befonnenheit und 
vednerifher Klarheit zu benußen und zu verarbeiten gewußt. 
Jedoch irrt er darin, daß er die Muͤllerſche Planmaͤßigkeit 


| 


Schriften über Johannes Müller, 83 


anf das Außere Leben des ſich einer höheren. Führung vers 
trauensvoll hingebenden und feine Wünfche und Abfihten unter 
dem unerfchätterlichen Glauben an diefelbe gefangen nehmens 
den, auch in diefer Hinficht feltenen und von befchränften, für 
folhen Gottesſinn unempfänglihen Egoiſten mißverflandenen 
Mannes ausgedehnt hat. immer bleibe diefe erfte Rede, mit 
den ihr beygegeben reichhaltigen und finnvollen Anmerkungen, 
ein ihäßbarer Beytrag zur genauern Kenntniß und richtigern 
Würdigung des menfchlihen und Kitterärifchen Charakters und 
der eigenrhümlichen Werdienfte des größten Hiftorikers, welchen 
Deutſchland bis auf den heutigen Tag befeffen hat. Die Sprache 
des Redners ift förnig, blühend und edel; nur ein einziges 
Mal ©. 30 fällt fie durch die faft burleste Parenthefe: „ich 
wette, er reiſ't noch einmal nad) London !“ aus ihrer Mürde ; 
und in einigen Anmerkungen iſt das DBeftreben, den Ton und 
die Manier zu müllerifiven, allzufihtbar. — Die zweyte Rede 
über Plan im Lefen ift dem Geiſte und Zwecke nad mit 
der erfien nah verwandt. Sie gehet von der Betrachtung des 
möglichen Mißbrauches ‚großer Bücherfammlungen. aus, und 
Hr. M: erlaubt fih (S. 62) eine Anipielung auf Göttingen, 
welche um fo fchiefliher hätte unterdrückt werden follen, weil 
er feld fie für ungerecht erklärt, wie fie es wirklid if. Das 
gegen find die Warnungen gegen Bielleferey oder Leſewuth 
ganz an ihrer Stelle, und mögen in vielen Städten Deutſch— 
lands dringenderes Beduͤrfniß feyn, und mehr Beherzigung 
erheifchen als in Dorpat. Eben fo gerecht find die Klagen 
über die Verkehrtheit, welche das fefeluftige Publicum Deutfchs 
lands in der Wahl der Bücher beweijet, und über die empds 
rende Vernachlaͤßigung feiner Claſſiker, welche fi daffelbe zu 
Schulden kommen läßt. Die Hauptfumme aller Weisheit im 
Leſen wird für fludivende Juͤnglinge darin zufammengefaßt ı 
„Lies außer den Schrififtellern, die du deines gegenwärtigen oder 
künftigen Berufs halber lefen mußt, nur die claffifchen !* Unter 
Klaffitern werden diejenigen: verftanden, welche vein menfihliches 
Sjntereffe haben, indem fie den urfprünglihen Menfchenfinn 
für das Wahre, das Gute, das Schöne unmittelbar, und 
nicht jeden befonders, fondern den dreyfachen Sinn zugleid) 
beihäftigen,, den Menfchen im Menfchen aus eigenem, höhern 


5A Schriften über Johannes Muller, 


Leben zu Höherm Leben bilden. In den Feldern ber Poeſie, 
Beredſamkeit, Gefhichte und Philofophie müffen fie geſucht 
werden. Daß unter unfern Deutfchen Elaffitern weder Utz, 
noch Ramler, weder Gerftenberg, noch I. N.’ GöH 
und Claudius, daß von Romanen s Verfaffern nicht einmal 
J. T. Hermes und F. H. Jakobi genannt find, fällt auf; 
Garve hat bey den Philofophen einen Platz gefunden; wenn 
and) das Lefen der Humoriſten ( &. 80) dem fpäteren Leben 
vorbehalten wird, fo hätten felbft für  diefes Hippel und 
Sean Paul eine Ehrenmeldung verdient. Die Winke über 
Folge und Methode im Leſen find vortrefflih, und verrathen 
eben fo viel Erfahrung als Gefl malt und Gef. — Die 
dritte Rede von den Grenzen weibliher Bildung 
ift bey Eröffnung der kaiſ. Töchterfchufe zu Wyborg d. 9. Aug. 
1805 gehalten worden. &ie verbreitet fih über weiblichen 
Deruf und weiblihe Bildung, und enthält viel Angemeffenes 
und Durchdachtes, wie es von einem folhen Be erwartet 
werden kann, 

No. 2. ift der Ausdruck dankbarer — an die 
Wohlthaten, welche die Goͤttingiſche Societaͤt ihrem Mitgliede 
zu verdanken hatte; wirklich war fie ihm ihre Fortdauer fchuls 

dig (S. 4), obgleich ec. bezweiflen möchte, daß die Eriftenz 
einer fo geachteten gelehrten Geſellſchaft unter einer liberalen 
and für Kunft und Wiffenfchaft fi fo günftig Außernden Res 
gierung auch nur Einen Augenblick gefährdet geweſen ſeyn 
koͤnne; gewiß haben Mißvwerftändniffe und Irrungen über 
Drganifationg s Formen Zögerungen und daher Beſorgniſſe vers 
anlaßt. Doc) bleibt damit dem für alles Litterarifhe, und 
befonders für Goͤttingens Wohi eifrig thaͤtigen Müller das 
undeftrittene Verdienſt (S. 9), die zur Unterhaltung der 
Geſellſchaft erforderlihen Summen gefihert, für MWiedererftats 
tung deffen, mas durch dringende Zeitumftände entzogen worden 
war, geforgt, und die zur Fortdauer der Gelehrten Anzeigen 
und der Commentationen nöthigen Ausgaben gedeckt zu haben ; 
auch bewirkte er die, fpäterhin zum Landesgefeke erhobene, 
Senfurfreyheit. Daß der Redner (S. 5) lauter Klagen ers 
wähnt, melche von Mehreren über Müllers Gefhäftsfühs 
zung erhoben wurden, ift Jedem, der mit der Lage der Dinge 


Schriften über Johannes Muͤller. 8 


m Jahr 1808 nicht ganz unbekannt iſt, fehr begkeiflich; die 
Studien s Angelegenheiten befanden ſich in einem ungeheuren 
Chaos, und es ließ ſich kaum ein in denfelben entfichendes 
Syſtem ahnden ; der Bald Screden, bald Freude erregenden 
Gerüchte und Vermuthungen gab es eine Legion ; die zudrings 
lichen Forderungen und Gefuche waren ohne Maaf und Ziel; 
Müller mit feinem Enthufiasmus für Wilfenfhaft und mit 
feinem weichen menfhenfreundlichen Herzen, das Allen helfen 
und jedem Beforgten Beruhigung verfchaffen wollte, that auf 
Einmal zu viel, und berückfihtigte mehr das Einzelne als das 
Ganze; feine Tröftungen , feine Aufmunterungen, feine Hoffs 
nungsäußerungen wurden als officiele Erklärungen angefehen, 
verbreitet und mit Nußanmendungen ausgeftattet; in den ers 
ften vier Wochen feiner Öffentlihen Wirkſamkeit mußten fchon 
viele Unzufriedene entfiehen, denen nichts raſch und ihrem 
Egoismus "gemäß genug ging. Dem Charakter, dem Geifte und 
Willen Müllers läßt der feit der erften jugendlichen Entwickelung 
mit ihm befannte ehrwürdige nunmehr feldft verewigte Heyne 
(©. ı0f.) volle Gerechtigkeit angedeihen; es ift ein gehalt 
volles Wort, was er als Nefultat über ihn ausſpricht: „non 
diffitendum est, nostris hisce temporibus hominibusque 
eum nec natum fuisse nec nasci debuisse ; alieno itaque 
tempore, nec suo nec nostro, eum vixisse,“ 

No. 3. Der geiftreihe Humaniſt Hr. Prof. Schuͤtz 
bleibt in feiner, im. Namen der Univerfität Halle verfaßiten, 
durch Roͤmiſche Eleganz und durch Gedankenreichthum ausge; 
zeichneten Denkſchrift bey dem hiſtoriſchen Verdienſte Müllers 
ſtehen, und ſtellt das Bild feiner geiftigen Bildung und Wirk 
ſamkeit ald Mufter auf, dem &tudirende nachſtreben follen. 
Deutfchland, fo reich an vortrefflihen Schriftſtellern aller Art, 
ift arm an großen Hiftoris.ın, und freylich wird, um ale 
Geſchichtſchreiber ſich auszuzeichnen, ein feltener Verein gelehr⸗ 
ter Kenntniſſe und ſittlicher und aͤſthetiſcher Eigenſchaften er— 
fordert; nicht zu gedenken der ſtark eingreifenden aͤußeren 
Verhaͤltniſſe, unter welchen ein im ſtrengeren Sinn gutes 
hiſtoriſches Werk allein gedeihen kann; ſeit wann herrſchet 
eigentlich Publicitaͤt? ſeit wann Willfaͤhrigkeit der Regierungen, 
Archiye zu oͤffnen, und das, was daraus muͤhſam gewonnen 


56 Schriften über Johannes Müller, 


ift, bekannk machen zu- laffen ? und wie befchränfte fih ſolche 
Millfährigkeie oft durch aͤngſtliche Nückfichten auf fteiffinnig feftges 
haltene Rechtsformalitaͤten, oder auf vermeintlich nachtheilige 
Volksaufklaͤrung, oder auf Befchädigung des ſogenannten Fas 
milienglanzes ? und mo war Nationalfinn ? wie fparfam wurde 
ſchriftſtelleriſches Kunſttalent in unfern gelehrten Erziehungs: 
anftalten geweckt, gepflegt und zu einiger Reife gebracht ? Es 
ift noch immer merkwürdig, daß Deutichland in dem letzten 
Wiertheile des achtzehnten Jahrhunderts fo viele gute Hiſtoviker 
hervorgebracht hat, welche zwar nicht mit den großen Alten 
und mit den durch ihre Verfaffung gehobenen Britten um den 
Kranz buhlen können, aber doch nur von einigen Stalienern 
ber jhönen Zeit und von wenigen Spaniern ubertroffen wers 
den! „IIlud accedit, fagt der Verf. S. 7 fehr richtig, cur 
hoc minus mirabile debeat ‚videri, quod quum historia 
nec institui possit, nisi praeparato otio, nec exiguo tem- 
‘pore absolvi, nostris hominibus ad ista studia natis et 
factis, aut raro, aut numquam wacatio publici muneris, 
isque otii fructus concedatur, quem Humio et Gib- 
bono aliisque eorum similibus scimus contigisse. Prae- 
stantissimi enim Germaniae historici, vel rei puhlicae 
administratione vel institutione juventutis academicae sic 
detinentur, ut miraculi instar sit, eos horis subsicivis 
‘ tantum, quantum in hoc arte elaborarint, praestitisse, 
nedum ut iis vitio vertendum sit, eos Opus institutuma 
vel inchoatum reliquisse, vel si ad finem perduxerint, 
non Omnes summae perfeetionis numeros explevisse,. Ita- 
que nec Möserum nostrum historiam ÖOsnabrugensem, 
nec Sprengelium Britanniae, nec Schillerum hi- 
storiam defectionis Belgarum ahbsolvere potuisse, dolen- 
dum potius est quam admirand .n; ac tanto majore cum 
laude praedicandum Schlözeros nostros, Herderos, 
Plankios, Schröckhios, Heerenios (Schmid- 
tios, Spittleros) longis operibus iisque elegantissir 
mis, quum tot aliis negotiis districti essent, perficiendis 
pares fuisse.“ Auh Johannes Müller konnte nur unter 
vielfachen Lebensmühen, Geſchaͤftszerſtreuungen und läftigen 
Unterbrechungen, fein Hauptwerk, die Geſchichte der Schweize⸗ 


Schriften üder Johanneq Müller sr 


riſchen Eidsgenoſſenſchaft bearbeiten, : Es war herkuliſcher Fleiß 
erforderlich „ um die überall zerfireuten Materialien und Moris 
zen zufammen zu bringen, und es lag in dem. durch Locals 
und Staatsverhältniffe zerfiäckelten Stoffe eine eigenthuͤmliche 
Schwierigkeit der Darftellung, welche nur varerländifches Ins 
tereffe zu überwinden vermochte. Der Höhere didaktiſche Zweck, 
welcher diejer Unternehmung zu Grunde lag, wird S. ıı 
genügend angedeutet und das Verfahren des Gefchichtichreiberg 
volljiändig gerechtfertigt. Auf feine mufterhafte Treue, MWahrs 
heitsliebe und Uupartheylichfeit wird auſmerkſam gemacht, ohne 
die Milde zu verichweigen, welche ſich in feinem Urtheil über 
das Tadeinswerthe offenbart, und wovon die Charakteriſtik 
KR. Ludwig XI. als iprechendes Benfpiel in koͤſtlicher Fateinis 
fher Ueberſetzung (S. 15 f.) aufgeführt wird. Das Verdienfts 
liche in der Decongmie des ganzen Werks, in der genauen und 
mahlerifhen Angabe des Schauplakes, in der anichaulichen 
Darftellung der Denkart und der Bitten verfloffener Jahr—⸗ 
hunderte, in der Befchreibung der Eclachten, in der 
Entwidelung der Verfaffung und Verwaltung der einzelnen 
Staaten, in der Beziehung des Einzelnen auf das Ganze, in 
dem univerfalhiftorifchen Blicke, kurz Alles, was. an diejem 
Mieifterwerke dem forgfältigen und kunfterfahrnen Beobachter 
zufage, wird bündig und mit anfchauliher Klarheit angedeutet 
und hervorgehoben. Auch über Heine Gebrechen und Mängel, 
über die Fülle der Citate, über die oft fremdartige und ums 
gleihe Sprache erklärt fih Hr. ©. eben fo gereht und uns. 
partheyiſch freymuͤthig, als mit feinem, kritifchen Blicke und 
ächt antitem Kunftfinn. Dean trennt fid ungern von einer 
materiell und formell fo vollendeten Schrift, und nur in ber 
VBorausjekung, daß diefe Bogen, mehr ald andere academifche 
Selegenheitsichriften, in das größere Publicum durch Buchs 
handel gebraht worden find, hat Nec. der Verſuchung Wis 
derftand geleifter, mehrere herrliche Stellen den Lefern wörtlich 
mitzutheilen. | 

No. 4. Einer der Erſten unferer Deutfchen Hiftoriker, 
ber gelehrte, jcharfiinnige,, geiftvolle Heeren erachtete es ers 
fprießlidy für Die angemeffene Bildung künftiger Hiſtoriker, an 
Joh. Müller zu zeigen, welchen Weg fie zu betreten und 


58 Schriften über Johannes Müller. 


zu verfolgen haben, um die Forderungen und Pflichten guter 
Hiſtoriker kennen und erfüllen zu lernen. „Was Müller der 
Wiſſenſchaft wurde, das ward er ganz durch feine Liebe für 
fi. — — Bein Enthufiasmus für die Gefchichte ging aus 
dem febendigften Gefühl ihrer Würde hervor. Sie war ihm 
die erfte der MWiffenfchaften, die Aufbewahrerin alles Großen 
und Herrlihen, die Heroldin und zugleich ‚die Bildnerin der 
Staatsmänner und Helden.“ Wir übergehen das nun fattfam 
Bekannte aus Müller’s Leben, welches über feine Bildung 
zum Hiſtoriker Aufſchluß gibt, und verweilen bey demjenigen, 
was die Individualität feines hiftorifchen Charakters näher bes 
zeichnet und entwickelt. In der Gefchichte der Schweiz, für 
die er ſich beflimmte, war des Allgemeinen wenig (S. 22), 
des Defondern viel; das Studium mußte alfo von dem Eins 
zelnen ausgehen; und fo bildete die Befchaffenheit des Stoffes, 
welcher zu bearbeiten war, den Gefhihtforfher; feinem 
Genie blieb es vorbehalten, ſich von Erforfchung des Einzelnen 
zur Anficht des Allgemeinen zu erheben; wer mit dem Allges 
meinen beginnt, erbaut ein Gebäude ohne Grund. Die Def 
fentlichkeit der Schweizerifhen Verhandlungen, die zahlreichen 
Nachrichten darüber in gleichzeitigen Chroniken und die Menge 
der vorhandenen Urkunden eröffneten dem Forfchungsfleiße 
ein unermeßliches Feld. Für die Trockenheit folher Studien 
entſchaͤdigte ſich Müller im Umgange mit hochgebildeten, 
geiftvollen Männern und durch Fectüre der Alten und mobders 
nen Claffiter ; er arbeitete an der Cultur des practifchen polis 
tifhen Sinnes, ohne welchen keines Hiſtorikers Bemühungen 
Fruchtbarkeit für das wirkliche Leben gewinnen. können, und 
an Vervolllommnung des fchriftlichen Vortrags. Won wohls 
thätiger Wirkung war, daß er veranlaßt wurde, univerfals 
Hiftorifhe Vorlefungen in Genf zu halten; durch fie ward er 
auf manche Lücken in feinen Kenntniffen aufmerfiam, er durchs 
dachte den Gegenſtand, worüber er Andere orientiren follte, 
mit anfchaulicherer Klarheit, er wurde von der engen Verbins 
dung, worin das Einzelne mit dem Ganzen fleht, auf das 
febendigfte überzeugt, und fie zeichneten ihm den Gang feiner 
Forfhungen für das ganze Leben vor. — Seine Schmweizers 
gefchichte gibt den Maaßſtab, nach weichem fein hiſtoriſches 


Schriften: über Johannes Miller. 659 


Berdienft gewürdigt: werden muß. Er hatte (S. 60) eine 
reine und fefte Anficht von dem Weſen der Geſchichte; fie war - 
ihm treue Erzählerin des. Gefchehenen. Er feßte den Ger 
fchichtfchreiber nie Über den Geſchichtforſcher; er hat diefen nie 
über jenen vergeffen; und diefe Bewahrung des richtigen Vers 
haͤltniſſes zwifchen beyden ift die Grundbedingung zu einem 
großen Hiſtoriker. Wahrheitsiiebe war dag oberfie Geiek, 
dem er in feinen hiftorifhen Beſtrebungen huldigte; er wollte 
nichts fagen, was er nicht felbft ( ©. 64) als wahr erfannt 
hatte: Sein Werk fteht als Mufter tiefer und gründlicher 
Forfhung für die Nachwelt dat! — In Anjehung der Coms 
pofition. waren einfahe Hinderniſſe zu befeitigen; nur Ein 
Hauptpunct fonnte feftgehalten werden: Entſtehen und Bes 
fiehen der Verfaffung, Begründung und Erhaltung der Freys 
heit; hieraus ergaben fih Zufammenhang und Pragmatismug; 
Alles wurde durch inneres Band, durch vaterländifchen Geiſt 
zufammengehaften. Doch erklärt der Verf. die Anordnung des 
zerſtuͤckelten Stoffes (S. 70) für die minder glänzende Seite 
des: Werts. Es bleibt hiedoch das größte Lob des Geſchicht—⸗ 
fchreibers in diefer Ruͤckſicht, daß er, dur einfache chronolor 
gifche Anordnung, der Natur. folgte, ohne dem Stoffe Gewalt 
anzuthun. Die angiehende Kraft der. Schweizergeichicdhte bes 
ruht auf dem Tebendigem Intereſſe, womit der Verf. an bie 
Bearbeitung des Stoffes ging, und welches aus dem tiefen 
Studium. feines Segenftandes fich immer dauerhder und fräftis 
gar entwickelte. Müller hatte eine heitere Anficht der Welt, 
einen lebendigen Sinn für Freyheit und für politifche Größe; 
er wurde unterftüßt von einer beweglichen Imagination, die 
er aber immer beherrſchte. Müllers Styl wird (©. 89) 
mit Recht ein veredelter Chronitenftyl genannt, — „Müller 
fhrieb (S. ge) einen Theil der Deurfhen Geſchichte; in 
Deutſcher Zunge und mit Deutfhem Gemuͤthe. Alle edle 
Grundzüge des Deutfhen Charakters, reiner Wahrheitsfinn, 
Freyheitsliebe mit Ordnung, tiefes und inniges Gefühl für 
allee Herriihe und Große fprechen fi laut darin aus. So 
ſteht es da, ein Mationalwert im höheren Sinn; eine Deut: 
ſche Eiche auf Deutfhem Boden. Laut und dankbar nahm 
es — ſelbſt mitten in ihren Verirrungen über das Mefen der 


60 Schriften über Johannes Müller. 


Sefhichte, gleihfam fich ſelbſt widerfprechend — die Mitwels 
auf; daß die kommenden Gefhlechter es nicht vergeffen, das 
für hat der Gefchichtfchreiber geforge!* — Nur fo viel aus 
diefer gehaltreihen Schrift; mer fie noch nicht gelefen hat, 
möge dadurch gereizt werden, fih an ihr zu laben; und mer 
fih fhon früher des Genuſſes erfreut hat, möge dankbar an 
die frohen Stunden erinnert werden, welche fie ihm gewährte. 
Sie und die gleich näher zu beichreibende Lobjchrift von Roth, 
Planck's und Heeren’s Schriften über Spittler ( möchte 
uns auch vecht bald Noth’s Denkmal auf diefen mitgerheilt 
werden!), verbunden mit dem BVruchſtuͤcke aus Schloͤzer's 
Autobiographie und Joh. Müllers Briefe an Bonftetten 
und an feinen Bruder, find die befte und fruchtbarfte practis 
he Anleitung zum hiftorifhen Studium, welche dem zum 
Defferen aufftrebenden Deutſchen Süngling zu feiner gedeihlis 
chen, nur aus eigenem Wollen erzeugten Selbftbildung "zum 
rechten hiftorifchen Studium empfohlen werden kann. Ä 

No. 5. Wenn es. eine ausführlihe Kritit der von 
Woltmann'ſchen Schrift gäfte, fo würde fih Rec. aus 
Edel vor der lojen Speiſe feyerlih davon losgefagt haben; 
es thut aber eine mit vollftändiger Beweisführung ausgeftattete 
Darlegung der WVermwerflichkeit diefer nur ihrem Verf. ungüns 
fligen Schrift Gottlob nicht mehr noͤthig, da der Unwille 
darüber von vielen durch Geift und Kraft des Gemuͤths her— 
vorftechenden und ihe Stimmrecht beurtundenden rechtlichen 
und guten Männern wiederholt laut ausgefprohen, und das 
Publicum, wenn es des bedurfte, genugſam gewarnt worden 
iſt. Mag Kunftneid, dem auch beifere Naturen unterworfen 
find, mag Schulhaß, wie er einft den Anti: Ariftoreliter Pes 
ter Ramus blutig verfolgte, gereist und zum Bien vers 
ſuchet haben; immer iſt fchwer zu begreifen, daß Hr. v. W. 
in dem von ihm doch gewiß ans Erfahrung fo hoch berechnes 
ten Umgang mit MWeibern nicht fo viel Feinfinnigkeit und 
richtigen Tact erworben haben follte, um das Gemeine und 
DVerächtliche eines folhen Verfahrens fogleich zu fühlen und 
den erftien Gedanken dazu als Ausgeburt eines unglücklichen 
Augenblicke, fi) ſelbſt bloß durch bisweilige Erinnerung daran 
ſtrafend, zu unterdräden. Was in aller Melt konnte ihn zu 


Schriften über Johannes Müller, 61 


dieſem Schritte bewegen, zu dem litterarifchen Banditenflreiche, 
feinem angeblichen, eben wortlos gewordenen ‚Freunde meuchz 
leriſch das Köftlihfte zu vauden, was Sterbliche hienieden 
haben und verlieren können ? und Zwar zu rauben mit ver: 
fuͤßenden und die leidenjhaftlihe Gewaltthaͤtigkeit bedeckenden 
Lobſpruͤchen und unter der Hülle fogenannten. freyen Kraft: 
eifers- für, Wahrhzit und Gerechtigkeit? Beym Himmel, wag 
tonnte ihn beſtimmen zu einem ſolchen, ſchon nad) den Kegeln 
alltäglicher Kiugheit unverzeihlichen und, nad) den ewigen Ges- 
fegen innerer Serechtigkeit in der Weltregierung, unausbleibs 
liche Setbftrahe drohenden Schritte? — Wollte man Ken. 
v. W. Arges mit Argem vergelten, fo fünnte er leicht mit 
vieler Wahrfcheinlichkeit bezüchtigt werden, daß ihn noch etwas 
Unedleres, als bloß armfelige und Mitleiden erregende Eitels 
keit, angetrieben babe, fo zu handeln; daß es ihm nicht bloß 
darum zu thun geweien fey, feinen Mamen durch einen ger 
fenerten weniger beeinträchtigt zu fehen; daß er- vielmehr darz 
auf ausgegangen fey, im Preußifchen Staate, mit deffen, 
Drganifarion er fih vielleicht nicht bloß ſchriftſtelleriſch beichäfs, 
tigen wollte, in dem Staate, wo es damals zum Tone der. 
fogenannten guten Geſellſchaft gehörte, den vermeintlich. ab; 
truͤnnigen Müller herabzuſetzen und zu verleumden, ſich patrio⸗ 
tiſch wichtig zu machen, indem er mit Einem Dauptflveiche den 
von mehreren Seiten vergeblich angegriffenen Ruhm des vers 
haften Apoftaten zu Boden ſtrecke. Und wenn es dies nicht 
war, was ihn tried; ift es nicht unbefchreiblich Hein, nicht ers 
tragen zu können, daß der Mitbewerber um biftorifchen Ruhm, 
von Franzöjifhen Feldherren und Staatsmännern gekannt und 
geachtet war, vom Kaifer Mapoleon durch eine lange Audienz 
ausgezeichnet, bald nachher zu einer Minifterftelle berufen 
wurde ? und wenn dem, auch fpäterhin in feiner nächften Ums 
gebung wenig beachteten Hrn. von eh Itmann diefes wehe 
that, war es nicht Beinlihe Nahe, die Manen des Worgezor 
genen nur zu feiner Demüthigung mehr Befannten und ge: 
ehrten zu Ihmähen? — Die erbittertfte Feindfchaft hätte kein 
wirffameres Mittel, dem Herrn v. W. zu fihaden, erfin- 
den können, als er felbft erfunden und angewendet hat. 
. Möge ihn die allgemeine Syndignation zur Selbſterkenntniß 
führen! — Bon feinem Bude fein Wort; denn es wäre, 
als träte man mit ihm felbft gegen ihn in Bündnifi, wenn 
der Inhalt deffelden erneuert und durch Widerlegungen und 
Derichtigungen in feiner ganzen Haͤßlichkeit verjüngt würde, 

| No. 6. ift einer der vorzäglichiten Auffäße, welche die 
ganze Deutfche Litteratur in diejer Gattung aufzumeifen hat, 
der Redner Überläßt der _ Nachwelt, den von. allen Rückfichten 


62 Schriften über Johannes Mütter, 


unabhängigen Rang zu beftimmen, der Müller'n als Ge⸗ 
lehrten und beſonders als Hiſtoriker gebührt; er ſelbſt verweilt 
dabey, daß es dieſem Schriftſteller zu beſonderem Lobe, ja 
zum Ruhme gereichen muͤſſe, in ſolcher Zeit ein ſolcher Mann 
geweſen zu ſeyn, und daß ſein Werk, obwohl ein Werk auf 
immer, noch beſonderen Werth für feine Zeit und wegen der— 
felden habe: Es erhöhee Müllers Ruhm und dient zur 
richtigen Schäßung feines Verdienftes die Erwägung, daß er 
nie unabhängig leben konnte, immer einen großen Theil feiner 
* Zeit den Geichäften aufopfern mußte, und fünfmal feinen 
Wohnſitz veränderte „Wie viel mehr (S. 6) würde die 
Melt von ihm zu erwarten gehabt haben, wenn das Glüd 
ihm die Freyheit und die Muße, überhaupt aber die heite⸗ 
ten VBerhältniffe gegönnt hätte, deren fih die großen 
Alten gemeiniglih und feldft die beften unter den Neueren ers 
freuten.“ — As Hiftoriter wird M. zuerft von Seite dei 
Forſchung betrachtet; diefe nimmt, außer Fleiß und Scharffinn, 
alle Tugenden des bewegteften Lebens in Anipruh (S. 7); 
„den Muth nämlih, um bis an die Enden des Wiffens vors 
zudeingen, unbetretene Wege zu verfuchen; des Muthes 
Schweſter, die Beharrlichkeit, bey unerwarteter Schwierigkeit 
und noch oft unbelohnter Bemuͤhung; die Mäfßigung, die, 
immer den Zweck vorhaltend, weiſe befhränft und dor reizen» 
den Ausihweifangen bewahrt; die Ueberlegung, welche dad 
Mefentlihe nicht nur bezeichnet, fondern es aufiuchen und 
entdecken lehrt; ja die Gerechtigkeit, die Haß und Vorliebé 
entfernt, die Wahrheit allein ehrt, und die Aufmerkſamkeit 
‚auf alles nach dem rechten Maaße vertheilt.“ Mit erfahrner 
Einficht fchildert der Verf. den Gebrauch, welchen M. von alten 
Jahrbuͤchern, von gleichzeitigen Schriften, „weil dag Gepräge 
der Zeit an ihnen iſt,“ und von Urkunden gemacht hat; durch 
Kenntniß des Schauplages gewann feine Forſchung anſchaulicheé 
Lebendigkeit; auch Harte fie den Vorzug der Selbſtſtaͤndigkeit 
und tief eingreifender Vollfiändigkeit; und vor allen andern 
fpricht fih in ihr ein reines, ſtarkes, ficheres Gefühl der 
Wahrheit aus (©. ı1). „Sn dem Zeitalter des Übermüthis 
gen Wißes, und noch, che große Erfahrungen die Schwaͤche 
diefes Herrſchers dargethan, hat er den Glauben, deſſen Wer? 
bannung felöft zur Glaubenslehre geworden war, in die Ges 
ſchichtforſchung wieder eingeführt und ihm fein Gebiet neben 
dem Zweifel angewielen. Alfo erhält bey ihm das Ungewoͤhn— 
liche, das fonft kein Necht erlangen konnte, einen maͤchtigen 
Fuͤrſprecher, und wird nie darum, weil es ungewöhnlich ift, 
verworfen. Er verachtet die Gaben der Sage nicht; Wahrs 
ſcheinlichteit und ſelbſt Gewißheit fucht er daraus zu ziehen, 


Schriften über Fobannes Mütter, 63 


und gelingt das minder, fo behält auch die. dunkel bleibende 
Erſcheinung dennoch ihre Stelle.“ Diefe ausgezeichnete Ge: 
ſchicklichkeit zur Forſchung verdankte M. hauptſaͤchlich der aus 
den Quellen ſelbſterworbenen Erkenntniß der Welcgeſchichte, 
deren nach ſeinem Tode bekannt gemachte Darſtellung, eine 
nicht vollendete Jugendarbeit, das einzige Werk iſt, welches 
Deutſchland dem beruͤhmten Gemälde Boſſuct's entgegen 
Halten kann. Die Geſchichten Schweizeriſcher Eidgenoſſenſchaft 
find „die That der Geſchichtſchreibung“ Joh. v. Muͤllers; 
der Geiſt und Charakter dieſes Werks wird S. 17 fg. treffend 
dargeftellt; die "überall vorberrjchende Wahrheitsliebe, das 
milde Wohlwollen, die kraftvolle Heiterkeit neben männlichem 
Ernſte, die unwandeldare Achtung für Recht und Sittlichkeir, 
die ſich immer gleiche Mäßigung der Gerechtigkeit im Urtheile 
über Handlungen und deren Urheber, die innige Religiofität, 
kurz Alles, was Eigenthuͤmlichkeit diefes Gefchichtfchreibers ger 
nannt werden kann, wird ausgehoben und in feinem richtigen 
Verhältniffe zum Ganzen lichtvoll und kräftig, mit wohlthuers 
den, eben fo einfachen als tiefen Reflexionen begleitet, darges 
ftellt. Dann erwähnt der Redner ( ©. 26 fg.) der politischen 
Flugſchriften Müllers und beklaget ihre Erfolgloſigkeit (&. 
27). „Belt den Sehern in Sfrael bis auf Demofthenes, und 
von Machiavelli bis auf Joh. v. Muͤller Haben viele mit aus; 
nehmender Geiftestraft und erhabener Beredſamkeit die Sa 
brechen ihrer Zeit gezeigt, zur Beſſerung ermahnt und, wenn 
fie nicht erfolgte, unabiwendbarem Untergang geweiffagt ; jedoch, 
alle ohne Audnahme, ‚vergebens. Sie riefen alle den ‚Beift 
zu der ihm zuftehenden Herrfchaft uͤber das Fleifch; aber feine 
Rede, nur Gewalt: kann ihn befreyen. Wo die Verblendung 
eintritt, Vorläuferin des Verderbens, deren. Sendung die Als 
ten einer feindfeligen Gottheit zufchrieben, da kann vielleicht 
noch ein Held, raſch handelnd und die‘ Menge fortreißend, 
erretten, nicht mehr der, Nachdenken und Erkennen fordernde, 
Redner. Dennoch find die Arbeiten folcher Männer hoͤchſt 
verdienftlih; einmal als Denkmal ‚chrenhaften Widerflandes 
gegen das Hinſinken ihres Zeitaflers ; dann aber, weil große 
Geſinnungen, an einem großen Oegenftande geübte, anziehend 
für alle Zeiten bleiben, und felbft durch Belehrung anderer 
Geſchlechter in gang anderen Lagen, eine Wirkjamfeit, die 
‘ihnen in dem Augenblick ihres Erfcheinens nicht befchieden war, 
erlangen Lönnen.“ Wir hoffen mie Zuverfiht, daß der wärs 
dige Bruder des großen Hiſtorikers alle während des Franz. 
Revolutionskriegs von J. M. verfaßte Tagesfchriften in die 
Sammlung feiner Schriften unverändert aufnehmen und 


64 Schriften über Johannes Müller: 


einer beſſeren Nachwelt zur Erbauung. erhalten wird; es find 
Meifterftäde der Beredfamkeit, und was Hr. R. gu ihren 
Ruhme fagt (S. 28), ift mit dem Urtheile aller Unbefanger 
nen volllommen übereinftimmend. — Was weiter über M's 
Eompofition bemerft wird-(&. 32 fg.), zeichner fih fo ſehr 
durch, tiefeingreifende Wahrheit und Angemeffenheit aus, daß 
es durch einen Auszug nur verlieren koͤnnte; ed muß gang ge 
fejen und follte bejonders von denen beherzigt werden‘; welche 
ihre idealiftifhe Phantasmen der hiſtoriſchen Kunſt aufzudrin⸗ 
gen nicht müde werden. Auch M's Vortrag wird (S. 57 fg.) 
gerecht und erjchöpfend beurtheilt. Zuletzt einige Betrachtungen 
über des großen Hiſtorikers Schwähen, welche bey feinem 
' wohlbegrändeten vielfahen Verdienſte nicht verfchwiegen oder 
verfihleyert zu werden brauchen. Er hat bisweilen dem Slaus 
ben zu viel eingeräumt (S. 42) und fih, indem er das 
Entgegengefekte wird, dem Aberglauben nenähert, Er wird 
bisweilen von zu lebhafter Theilmahme hingeriffen.. Nicht im: 
mer mäßig genug ift fein Lob, und im Vergleichen moderner 
Männer mit den Männern des. Alterehums verläßt ihn bie 
und da kalte Beſonnenheit. Auch artet feine Umftaͤndlichkeit 
oft in Weitläuftigkeit aus, und in dem Anreiheh ‚Feiner Züge 
wird der Zufammenhang vermißt: fein Vortrag iſt ungleich 
und noch mehr feine Sprache. Aber dieſe Fehler finden im 
den mannidfachen Hinderniffen, mit welchen er fein Leben 
lang zu Fämpfen hatte, volle Entihuldigung. Unbeſtritten 
bleibe ihm. der herrliche Ruhm, ſich über. fein. Zeitalter ers 
hoben, und „jene mehr. bewunderte als eingefehene Kunſt 
der alten "Gefchichtichreiber-, unter den Deutſchen zuerfti gex 
Abt zu haben; in ihm erfcheint vor unjern Augen vie 
Macht, die Würde, die Hoheit, ja: die. Goͤttlichkeit der Ges 
fchichte.“ | 

Das Verdienſtliche in dem gelungenen Unternehmen, den 
größten Deutſchen Gefhichtichreiber von “allen ‚Seiten, nad) 
allen feinen Eigenthuͤmlichkeiten, in einer des Gegenſtandes 
würdigen Sprache und in einem dem Muͤllerſchen verbruͤ— 
derten Geifte, am richtigften und erfchöpfenditen charakterifire 
zu haben, wird die Ausführlichkeit diejer Anzeige rechtfertigen: 
Es ift ein zu feltener Genuß, welchen eine folhe Mede ges 
währt, alt daß —— Verweilen bey ihm mißbilligt werden 
koͤnnte. 

D. kLudwis Badler. 


. ( Die Anzeige von drey andern Echriften ader Johannes Müller folgt im 
nãchſten Stück.) 


— — — 


No. 5.. — 1813, 


zahrbacer der Litteratur. 


Wir fuͤgen zu der in No. 4. enthaltenen Beurtheilung 
son Schriften uͤber Johannes Müller noch die Anzeige von 
folgenden drey Reden deffelben Inhaltes Hinzu: 


4) Johann von Müller. Eine Gedächtnifsrede, gehalten im 
grofsen Universitäts - Hörsale den 14. Junius 1809 von D. 
Ludwig Wachler, Consistorialrath und Prof. in Mar- 
burg. Daselbst in der Academischen Buchhandlung 1809. 

70 8. 8. 

2) Rede zur Gedächtnißsfeyer Johann von Müller’s, gehalten. 

am 14. Junius 1509 im grofsen Auditorium zu Marburg 

von C. Rommel, Prof. zu Marburg (jetzt Prof. zu 

Charkow ). Märbärg , in Commission der Kriegerschen 

Buchhandlung. 238. 8. (3 gar.) 

3) Was Johannes Müller wefentlich war und und ferner feyn muͤſſe. 
Eine Vorleſung, gehalten am Gedächtnißtage feined Hingangsd am 
29. May 1810, im großen afademifhen Saale zu Aſchaffenburg 
von Dr. &. J. Windiſchmann, Großherz. Hofmed. und 
Prof. Winterthur, in der Steineriſchen Buchhandlung. 1811. 
36 S. 8. 


— 


N. beyden erftern Neden, an demfelden Tage nad) einander 
zu Marburg gehalten, rufen die redliche, wohlgemeinte Fürs 
forge ins Andenfen, welche die Marburger Univerfität, wie 
die Abrigen Weftphälifchen Univerfiräten, in einer den wiffens 
ſchaftlichen Anftalten ungünftigen Zeit von Sohannes Müller 
erfuhr; die erfte und dritte find zugleich Dentmale der freunds 
ſchaftlichen Werbindung ihrer Verfaſſer mit dem verewigten 
großen Mann. 

Herr E. R. Wachler benutzt in No. 1, die Schilderung 
des thätigen und wirfungsvollen Lebens und die Entwicklung 
der hiftorifchen WVerdienfte uniers Müller, um in feinen Zus 
hörern gute Vorſaͤtze, Nachahmung des Beyſpiels von Müller, 
einen Eifer für das Gute, für Recht und ea wie der 


- 


66 Schriften über Johannes Müller, 


Verewigte ihm hatte, Liebe der Freunde, wie die Liebe Mäk 
ter’s zu Bonſtetten, zu erweden. Wir heben folgende. Stelle 
aus, um die Darftellung und Gefinnung des Nedners zu be 
zeichnen: „Einen feften Lebensplan wollen wir faffen und 
ſtandhaft verfolgen, denn Müllers Beyſpiel lehrt uns, daß 
der Menic kann, mas er will. Sein ganzes Leben war ges 
ordnet, um einen vorgefeßten Zweck zu erreichen; er freute 
fih des herrlichen mühjamen Weges; Anftrengung war ihm 
Pflicht, und ohne fie wäre das Leben eine Laft ihm gewefen. 
Der Vorſatz und die Zuverficht, wirkſam zu werden, zum ges 
meinfamen Wohl, gab ihm mehr als alles andere Standhaf— 
tigkeit und Ruhe; Pflicht und Nuhmbegierde machten ihn 
jeder Verſuchung unüberwindlih. Ehrenftellen ſchlug er ang, 
zeitliche Vortheile verfchmähete er, weil er für nachkommende 
Geſchlechter arbeitete, weil er Völker unterrichten, Troft und 
Rath für die unterdruͤckte Menfchheit erfinden, Freyheit und 
Seifteserhebung in die fernflen Zeiten verfündigen wollte. 
Mer ein mwürdiges Ziel im Auge behält und entfchloffen vers 
folgt, wird Beſtand und Kraft ins Dafeyn bringen, und das 
durch dem Dafeyn Werth und Fruchtbarkeit verleihen.“ Sehr 
wohl hat uns die S. 24 angefiellte WVergleihung zwiſchen 
Müller und Tacitus gefallen. Weberhaupt wird niemand diefe 
Rede ohne Belehrung und innige Theilnahme lefen. Die zwölf 
Beylagen enthalten einige genauere Ausführungen von Lebens 
umftänden und Schickſalen Müller’s, welche in der Rede nur 
angedeutet find, Belege oder Erläuterungen zu einigen Be⸗ 
hauptungen aus feinen Briefen u. f. w.; endlich die Dede 
des Minifters Simeon an Miüller’d Grabe, und die Lateini- 
fhe Elegie des Herrn Prof. Mitfherlich zu Göttingen auf 
Müller, beyde aus dem Weftphälifhen Moniteur abgedruckt. 
Sin No. 2. herrſcht eine jugendliche DBegeifterung für 
Muͤller's Größe als Hiſtoriker und eine mwohlthuende Webers 
‚zeugung von der Neinheit und Trefflichkeit feines Charakters ; 
jedoch mißfallen Hat uns die zwar mwohlgemeinte, aber unpaßliche 
und unbeholfene Rüge gegen diejenigen, welhe Müller in 
den lebten Zeiten feines Lebens nicht als gefchickten und in 
allen Lagen gewandten Gefchäftsmann anerkennen wollten. 
Ein Lobredner Müllers als großen KHiftorikers und edeln 


Schriften über Johannes Müller, m 


Mannes follte ſolcher wirkfichen. oder vermeintlichen Schwächen, 
weiche außer den Grenzen feines Zwecks liegen, entweder nicht 
gedenken, oder auch) den Gegnern Gerechtigkeit widerfahren laſſen, 
mas freplich mit wenigen Worten und auf eine für. eine Ges 
dächtnifrede pafiende Weiſe nicht gefchehen konnte. Eben des—⸗ 
wegen meinen wir aber auch, daß dieſe Seite von dem Redner 
durchaus nicht Hätte berähre werden follen; zumal, da unfer 
großer Hiſtoriker ſelbſt wohl wußte, daß Feine menſchliche 
Größe volltommen ift, auch Müller feiner wahren Beftimr 
mung wohl bewußt, mit dem bitterfien Vorgefuͤhl ih dem 
Strudel der lebten Jahre feines Lebens einging und nur mit 
Unmuth darin blieb ( was niemand ohne Nährung, der unge 
rechte Richter Muͤller's nicht ohne dem verfannten Mann das 
zugefügte Unrecht abzubirten, in den Briefen des fiebten Theils 
von Muͤller's Werken wird lefen können ), endlih aud Hr: Rom 
mel doch am Ende zu Müllers Lobe in diefer Hinſicht nicht 
viel anders zu fagen weiß, Als daß vielleicht Umftände obge⸗ 
waltet, durch welche feine Wirkſamkeit als Geſchaͤftsmannes ber 
fehränkt worden, und niemand Muͤller's Pläne für fein Ges 
Ihäftsteben genau gekannt habe. Wäre Müller ein gewandter, 
gefeilter, ſtreng und ruͤckſichtlos durchfahrender Geſchaͤftsmann 
geweſen, fo wuͤrde er zwar nicht nur von rechtſchaffenen Mäns 
nern weniger verfanrit worden ſeyn, Sondern auch felbft der 
verborgenen Fehlern großer Männer nachſpaͤhenden Läfterungss 
fucht, und dem kurzſichtigen, nmeidifchen und liebloſen Verklei— 
nerungsfinn Ides litteräriichen Poͤbels und feiner Wortführer 
weniger Bloͤßen dargeboten haben. Aber er würde dann nicht 
der wohlwollende, die Sitten und Vorurtheile dev verjchiedenen 
Zeitalter des menſchlichen Geſchlechts mit Befcheidenheit, das 
Große jeder Art und Zeit anerffnnender Billigkeit und ſcho— 
nender Liebe beurtheilende Sefchichtichreiber geworden ſeyn, alt 
welchen ihn die Nachwelt noch Höher ſchaͤtzen wird, denn unjer 
Zeitalter. 

Defto angenehiner war ed ung, in No. 3. wieder bloß dein 
wiſſenſchaftlichen Wirkungstreis Muͤller's, auf welchem fein» 
Größe ruhte, feinen edein Charakter, fein tiefes religidfes Gy 
müch und feine redliche Liebe für Wahrheit und Recht, moraus 
des großen Mannes herrliche und erhebende Anſicht der Geſchichte 


8 Aus meineit Reben von Gothe. 


und feine belebende und erwaͤrmende Begeifterung für die Wiſſen⸗ 
ſchaft, für welche er lebte, hervorging, in einer anftändigen, pafı 
fenden, meiftens edeln Sprache gewürdigt und als Vorbild zur 
Nacheiferung aufgeftellt zu lefen. Die Auszüge aus den fchriftlis 
chen Mittheilungen M’s an den Verf. Über wichtige Intereſſen 
der Zeit und Wiffenfchaft geben noch diefer Nede einen eigens 
thuͤmlichen Werth, und dürfen nicht von denen Überfehen werden, 
welche ſich ein gerechtes und vollftändiges Urtheil Über den fo uns 
billig vertannten und gemwiflenlos gefchmähten Mann zu bilden 
wuͤnſchten. Wir wuͤrden mehrere Stellen diefer Rede hier auss 
heben, wenn’ wir ung nicht gedrungen fühlten, unfere Lefer zum 
Lefen diefer lehrreichen Betrachtungen aufzufordern. 
8, 


Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bon Göthe. Zwehter 
Theil. Was man in der Rugend wünfcht, hat man im Alter die 
Fülle. Tübingen in der J. G. Eottaifchen Buchhandlung. 1812, 
573 Sin Hl. 8. (S. Bahrg. 1812. No. 15.) 

Sechſtes Bud. Der junge Verfaffer figt noch in Liebes— 
gram auf feinem Zimmer. Beobachtungen, die man über 
fein Herz anftellt, und die er durchblickt, vermehren feinen 
Verdruß. Bald erhält er noch einen befondern Aufſeher als 
Stubennahbar,, jedoch in einem Manne, den er liebt und 
ſchaͤtzt, und dem er feine Gemuͤthslage ohne Rückhalt vertrauen 
kann. Diefer eröffnee ihm gegenfeitig den Ausgang und nähern 
Verhalt jenes verwicelten Handels, und indem er Gretchen 
 dabey das rähmlichfte Zengniß gibt, heilt er die verzweifelte 
Liebe des Juͤnglings durh Kränkung feines Ehrgeiges. „Ich 
" Sann es nicht läugnen, fagte Gretchen, daß ich ihn oft und 
gerne gefehen habe; aber ih Made ihn immer als ein Kind 
betrachtet, und meine Meigung zu ihm war wahrhaft 
ſchweſterlich.“ Won diefem Froſt gefältet, ermannt fid der 
Sjüngling aus einer Leidenichaft, welche feine Gefundheit unters 
grub; und während er fih nunmehr auf die Academie vorber 
reiten foll, ohne daß die Arbeit ihm ſchmecken will, fo geräth 
er durch feinen Freund, einen Schüler von Darjes, in das 
Studium oder vielmehr die Kritit der. Philoſophie. „Unſere 
wichtigfie Differenz war die, daß ich behauptete, eine abgejons 


Aus meinem. Leben: von Goͤthe. 69 


derte Philoſophie ſey nicht noͤthig, indem fie fihon in der 
Religion ‚und: Poefie. vollkommen enthalten fey: — Denn. da 
in der Poefie ein -gewiffer: Glaube: an das Unmögliche, in der 
Religion ;ein eben folder Glaube am das Unergruͤndliche flatt 
finden; muß : ſo fchienen mir die Philofophen in einer fehr 
üben Lage zu: ſeyn, die auf ihrem Felde beydes bemweifen und 
erklären: wollten.“ Mes. wünfcht diefes kindliche Urtheil, das 
eine. große Wahrheit fpiefend ausfpricht, manchem Weifen als - 
Heilmittel ‚gegen den dogmatiſchen philofophifchen Spieen vers 
ordnen zu, können, Wenn jedoch der Verf. fih als jungen 
Rrisiter am liebften mit der Geichichte feiner Wiſſenſchaft bes 
ſchaͤftigt, und affe Meynungen ehren kann’, ins Dunkel der 
älteften Griechiſchen Phüofophen nicht. einzubringen . vermag, 
Sokrates hochachtet und feine- Schüler ‚gering ſchaͤtzt, fo zieht 
er hierauf S. 14 eine Parallele, der er fo eben ihre Sentenz 
geiprochen hatte. Die Stoa Übrigens wird fein philofophifches 
Ideal. — Von hypochondriſchen Anwandlungen geplagt, vers 
tieft ſich der nun nicht mehr unbefangene junge G. am liebs 
ſten in die Schatten der Waͤlder, wohin ſein Freund ihm zu 
folgen genoͤthigt iſt, und verſenkt ſich wehmuͤthig in ihre Er— 
habenheit. Durch fruͤhen Umgang mit Malern gewöhnt, wie 
fie,. die Gegenſtaͤnde in Bezug auf. die. Kunſt anzuſehen, 
wird er hier Naturzeichner; ſeinem eigenen Urtheil nach ohne 
beſonderes Gluͤck, wenigſtens für die Ausführung des Einzel⸗ 
nen, das ihm als Dichter und Zeichner ſtets hinter der Wirs 
kung des Ganzen verſchwamm. Seine Skizzen werden ihm 
ſentimentales Erinnerungsbuch, ſeinem Vater ein Gegenſtand 
hegender Sorgfalt. Man geſtattet ihm weitere Wanderungen 
ins benachbarte Gebirg und die Rheingegend, von wo er mit 
aͤhnlicher unvollkommener Kunſtbeute wiederkehrt. Von dieſen 
Streifereyen werden wir mit dem jungen Dichter nach Haus 
zurückgezogen, ‚und lernen die fo reiche als ſehnſuchtsvolle Seele 
feiner damaligen ‚Lebensvertrauten, feiner würdigen Schweiter, 
nebſt ihrer Geſtalt, näher kennen; einer Freundin, in der ein 
edleres Verhältnig ihn zwar für Gretchen. entfihädigt, ‘aber die 
Kerzen der Geſchwiſter nur peinficher fpannt. Ein biederer 
junger Engländer bewirkt ‚einige Auflöfung, und mit ihm trer 
gen ‚wir bey ‚guter Jahrszeit in die muntere Jugendgeſellſchaft 


ro Aus meinem Leben von Goͤthe. 


aus beyden Geſchlechtern, welche ſich um das Geſchwiſterpaar 
ſammelt, ſich nach Wunſch und Loos zuſammenpaart, einen 
ungenannten beredten Capuziner zum Meiſter, und den wackern 
Freund Horn, der ſich unter andern im komiſchen Helden⸗ 
geſang verſucht, zum unentbehrlichen Liebling hat. — Goͤthe, 
bereits inſtitutionenfeſt, verfaͤllt auf Geſchichte der alten Litte⸗ 
ratur und. Encyclopaͤdismus durch die Werke von Geßner, 
Morhof und Bayle. Die alten Sprachen werden ihm immer 
aufs neue wichtig; doch vermag er ſich, aus Schwaͤche in den 
übrigen, nur an die Lateiniſche zu halten, worin er es, wie 
in nenern Sprachen, ' hauptfächlich durch Lefehbungen ohne 
Grammatik zur befondern Fertigkeit bringe. Der Michaeliszeit, 
wo die Academie bezogen werden fol, drängt ihn jugendliche 
Mißvergnügen mit feiner Heimath und Ahnung einerjfhönern 
Fremde entgegen. Mit diefer Empfindung verſchmelzt ſich — 
Rec. kennt ein genau ähnliches Benfpiel hievon — Widerwille 
gegen. die jurifiifche Beſtimmung, und der Entwurf. eines. 
geiſt- und .genufßreichern Lebensplans, in Gedanken auf. die 
foliden Studien des Aterthums gegründet, von gehöfften Fort 
fhritten in der Dichtkunſt erheitert, und durd, das Bild einer 
academifhen Lehrftelle begraͤnzt. Den Sohn verlangt: nad) 
Göttingen, der Vater beharrt auf Leipzig. Die Reiſe dahin 
wird mit Buchhändfer Fleifcher gemaht, und unter #inigen, 
theils komiſchen Abentheuern zurückgelegt. Leipzig zeigt dem 
erfreuten Ankoͤmmling das Gegenftüc der Frankfurter Meſſe, 
und gewährt ihm in der regelmäßigen Banart eine neue, an 
fi) wohlthaͤtige Eriheinung, worin er nur die gewohnten 
Wunder der Alterehämlichkeit vermißt. Zwiſchen den treuges 
fhilderten Verhältniffen der feingefitteten Univerfität, wo wir 
den Staatsrechtslehrer Hofr. Böhme und feine verfländige, 
möütterlich auf Goͤthen wirkende Gattin befuhen, ein Gemälde 
des vielverehrten Gellert erhalten, Morus und einige 
andre Männer im Voruͤbergang erblidden, daͤmmern trüblid) 
die innern Widerfprühe Aber Wahl der Beflimmung, und 
marcherley MWerlegenheiten gegen die vorgefundene Melt, ihren 
Geſchmack nnd ihre Urtheile, als Srundton hindurch; wobey 
fogar durch Gellert geſchreckt, ſcheu der Genius die Flügel 
einziehsz und gleihwie die Garderobe fih verwandelt, auch 


— 
en. 


Aus meinem Lehen von Goͤthe. Y 


das Gemuͤth ſich felder abitreifen will, und: vom: einem Teichten 
Anflug naturhiftorifcher Wiſſenswuͤrdigkeiten unterhaltend ans 
geregt, über feine liebſten Erzeugniffe ein rauchendes Autodafe‘ 
veranſtaltet. 
Siebentes Buch. Die Blicke auf Deutſche Litteratur, 
im vorigen. Buche mie Ruͤckſtcht auf den Dre gethan, erweitern 
fi hier einleitungsweife aufs Gange, und erſtrecken ſich abs 
wehleind bis: an den Schluß. Ein fehr wichtiges Stuͤrk aus 
der. Geſchichte unferer Poefie, vom Geſchichtſchreiber erlebt, 
mit Beziehung ‚auf ihn ſelbſt ergriffen‘, und nach langen Jah⸗ 
sen :poetifcher Erfahrung: mit. aller erworbenen durchdringenden 
Sachkenntniß . dargeftellt. Er fegt voraus, was ſchon im voris 
gen. Bud) beyläufig .befprochen war, nämlid das: damalige 
geoße Gewaͤſſer um den poetiſchen Parnaf, worin Gottſched 
— wie möchten ſagen, als ein edler Wallfifch tanzte. "Indem 
der Berf. den barocken , pedantifchen: Ton und Sprachausdruck 
jener Zeit in wenigen Worten gluͤcklich zufammengreift, und die 
Waſſerfluth aus deffen Gegenfag ableitet: fo beginnt er hiers 
auf die litterarifche Erzählung mit den beyden Muheftöhrerinnen, 
Satire: und. Kritik. Bey der erſtern werden Liskov und 
Rabener zufammen abgewogen, und lebterer nach Verdienſt 
belobt. Zn. der: Kritik erfcheint eine troftlofe' Anarchie, weil 
keiner die Conſtitution ahnet oder finden: kann. Gottſched's 
und Breitinger’s kritiſche Dichtkunſt zeigen ſich in ihrer 
Bloͤße, und die Verwirrung wird beklagt, in die ſich der 
Verf. und ſeine Geſellen durch den Abgang einer ſyſtematiſchen 
Lehre verſetzt ſehen. Ueberdies iſt Mangel an einem nationel⸗ 
len Gehalte der Poeſie, bey genugſam vorhandenen Talenten, 
. B. Sünther’s. — Unter dieſen Studien und Betrach— 
tungen wird G. durch den Beſuch feines Landemanns Joh. 
Beorg Schloffer uͤberraſcht, des ſtreng gefitteten, ernſten, 
gelehrt gebildeten, faͤhigen jungen Mannes und gewandten 
Schriftſtellers, deſſen kurzer Umgang bedeutend und unterrichs 
tend für ihn wird. Mit ihm werden Leipzigs große Namen 
beſucht, worunter der riefenhafte Gottſched eine ziemlich einzige 
Scene tiefert. Schloffers Anmefenheit veranlaßt einen Wechſel 
des täglichen Tifches, und hieburch kommt G. aufs neue mit 
tinwirtenden Menfhen in Berührung, und Gretchen erhaͤlt 


712 Aus meinem Leben von Goͤthe. 


‚on Anmnchen die erſte Nachfolgerin. — Aus dem breiten, 
waͤſſerigen Styl rettet ſich die Litteratur durch Beſtimmtheit 
and Kürze. Haller, Ramler,Leffing,; Wieland, 
Klopſtock, Gerſtenberg, Gleim, Geßner werden 
nach dern Charakter ihrer, damals neuaufgehenden, Erzeugniſſe 
gewuͤrdigt / und Die Flachheit der ſie beurtheilenden Kritik ges 
ruͤgt. Mit der, Sache des Geſchmacks verfloͤßt ſich die des 
denkenden Verſtandes, mittelſt Anbruchs einer philoſophiſchen 
Auftlaͤrung, die jedoch die Theologen zur fogenannten natuͤr⸗ 
fichen  Relinion. hinneigt, und jene mißverftandene Bibelkritik 
eingibt; an deren Nachwehen wir. noch zur Stunde leiden. 
Auf der andern Seite erhebt ſich der ehrwuͤrdige Bengel, 
und unter den Anhängern feines Syſtems Cruſius; während 
Ernefti mit den Seinigen die klare Gegenparthey bilden, 
zu der ſich auch der Verf. nicht ohne Warnungen ſeines beſſern 
Genius haͤlt. Verbeſſerung wird der Kanzelberedſamkeit und 
moraliſch⸗ theologiſchen Schriftſtellerey durch Jeruſatlem, 
Zolkitofer,. Spalding; der mediciniſchen Schreibart 
durch Haller, Unger, Zimmermann; der ſchwer heilba—⸗ 
ven juriſtiſchen durch v. Moſer und Puͤtter; dev populär 
philoſophiſchen durch Meu delſohn und Garve. Kleiſtis 
Bilderjagd laͤdt den Dichter zur Nachfolge ein, und gewoͤhnt 
ihn. im aͤußern Gegenſtaͤnden tiefere Bedeutung zu ſehen, wozu 
das launische Verhaͤltniß mit: Annchen die nähern: Anläffe Hew 
leiht. Friedrich der. Große und die Thaten- des. fießenjähr 
rigen Kriegs verſchaffen der Deurfchen Poeſie den . fehlenden 
‚Stoff und .eigentlihen Lebensgehalt. Gleims 'Kriegslieder, 
Ramlers Dden, vor allem Minnavon Barn heim. — 
„Habe ich, [hließt der Verf. ©. 165. ff. — und dieſe Stelke 
verdient wegen ihrer. charakteriftifhen Wichtigkeit ausführliche 
Mittheilung — habe ich durch diefe curforifchen: und defultoris 
fchen Bemerkungen ‚über Deutiche Litteratur meine Leer in 
einige Verwirrung gelebt, fo ift es mir gegläckt, eine Vorſtel⸗ 
lung von jenem chootifhen Zuftande zu geben, in welchem fid) 
mein armes Gehirn befand, als, im Conflict zweyer, für. das 
lirterarifche Vaterland fo bedeutenden Epochen, fo viel Neues 
auf mich eindrängte, ehe ich mich mit dem Alten. hatte abfins 
den können, fo wiel Altes fein. Recht noch über mich gelten 


Aus meinen Leben von Goͤthe. 73 


machte, da ich ſchon Urſache zu Haben glaubte, ihm völlig 
entfagen’ zu Dürfen. Welchen Weg ih einihlug, mich ang 
diefee: Noth, wenn auch nur Schritt vor Schritt, zu retten, 
will ich gegenwaͤrtig möglichft "Ju überliefern Suchen. Die 
‚weitfchweifige: Periode, in welche meine Jügendo gefallen war, 
Hatte ich treufleißig, in Gefellfchaft fo vieler wihidigen Männer, 
_ Surdygearbeitet:o4 Die mehrern Quarcbände Manuſeript, ‘die 
ich ‚meinem Water’ zuräßtieß ‚> konnten zum genugſamen Feng: 
niffe dienen ;Qundı welche Maſſe von Verſuchta Entwuͤrſen, 
bis zur Haͤlfte isgefuͤhrten Vorſaͤtzen, twakkintähr Aus’ Mißr 
muth als aus Ueberzeugung in Nauch’vaufgihtgen. Nun 
lernte ich durch Unterredung uͤberhaupt, durch Lehre, durch fo 
‚manche widerſtreitende Meynungbeſonders aber durch! meinen 
Tiſchgenoſſen, den Hofrath Pfeil das: Bedeuntende des Stoffs 
und das Conciſe der Behandlung mehr undemehr ſchaͤtzen, ohne 
mir jedoch klar machen zu koͤnnen, wo) jenes zw ſuchen und 
wie: diefes zu erreichen fey, Denn bey der großen Beſchraͤnkt⸗ 
heit‘ meines. Zuftandes, bey der Gleichguͤltigkeit der Geſellen, 
dem -Zuräckhatten der Lehrer/ der Abgeſondertheit gebildeter 
Einwohner, Gy ganz unbedeutenden Naturgegenſſaͤnden, war 
sch. gendthigt ‚> alles im- mir ſelbſt zu ſuchen. Verlangte ich 
nun zu meinen Bedichten eine wahre Unterlage, Empfindung 
‚oder Reflexion/ : fo mußte ich in’ mieinen Buſen - greifen; fors 
derte ich zu poetiſcher Darftellung'eine unmittelbare Ahfchauung 
des Gegenſtandes, der Begebenheit, fo durſte ich nicht aus 
dem RKreiſe heraustreten, der mich zu beruͤhren, mirein Im 
tereſſe einzufloͤßen geeignet wor.) Sn. dieſem Sinne ſchrieb ich 
zuerſt gewiſſe kleine Gedichte in Piededform oder freyerm Syl⸗ 
benimaaßz ſie entſpringen aus Reflexion, Handeln Wort? Ver— 
gangenen, und. nehmen meiſt eine epigrammatiſche Wendung: 
Und ſo begann diejenigreußtichtung, von der ich mein ganzes 
Leben uͤber nicht abweichen konnte, naͤmlich dasſenige, was 
mich serfreute, oder. quälte, oder ſonſt beſchaͤftigte, in ein Bild, 
ein Gedichtezu verwandeln , und darüber mit mir ſelbſt abzu⸗ 
ſchließen, um dfowohl:meine Begriffe von den außern Dingen 
zu berichtigen,’ als mich im. Innern deshalb: zu beruhigen: 
Die Gabe: hiezu war. wohl Niemand mörhiger als mir, den 
‚feine Natur immerfort aus einem Ertreme- ins andre warft 


a Mus meinem Leben von Böthe 


Allee was daher von mir bekannt geworden, find nur. Bruch 
flücke einer großen Konfeffion, welche vollfiändig zu machen 
diefes Büdylein ein gewagter Verſuch if.“ — Wir werden 
unten diefe Stelfe zu gewiſſen Reſultaten brauchen. . Annchen, 
von dem Dichter durch Eiferfucht gequält, geht für. ihn verlos 
ven; die aͤlteſte ‚feiner überbfiebenen dramatifchen Arbeiten: 
Die Laune des Verliebten, ' ift die poetifche Ausbeute 
dieſes Verhaͤltniſſes. Die duͤſtern Krümmen - und Irrgaͤnge 
der, buͤrgedlichen Geſellſchaft, ihre geheimen Gebrechen und 
Verbrechen Anadie er zum Theil ſelbſt als wohlthaͤtiger Theil⸗ 
nehmer verſlachten wird, fordern ihn zu mehrern Schauſpielen 
auf, von denen nur die Mitſchuldigen zur Vollendung 
kommen. Er tadelt ſich wegen: verſaͤumter theatraliſchen Mos 
tive, zu denen er in ſich die naͤchſte Anweiſung fand, naͤmlich 
der. gutmuͤthigen genialiſchen Streiche. — Seine Freundin 
Böhme ſtirbt. Bey Gelegenheit von Gellerts frommen Exs 
mahnungen kommt ein Wort über kirchliches Weſen vor, wor⸗ 
über wir nachher: ein andres zu; fprechen haben. Für. jeßt-nur 
fo viel daß unſye Anfihtensin der Recenſion des erfien Theils 
hier durchaus. befiätige werden, und daß G. unter: menis 
ger ‚weltlihen Umgebungen. der Zeiten, Orte und Mens. 
ſchen, ohne die große VBewegkichkeit feiner Name, und ohne 
die. alles’ verfchlingende Vorliebe für -die beluſtigende Seite der 
Kunſt, fruͤh und-bleibend von dem: Geiſte der Religion: anges 
faßt worden, wäre; obſchon wir jetzt von ihm vernehmen, daß 
er, ſobald er Leipzig: erreicht hatte, ſich won der. kickhlichen 
Verbindung: ganz ‚und gar loszumwinden ſuchte, Gellerts, Ex« 
mahnungen zur kirchlichen Erbauung ihm drücdend. wurden, 
und. ep. feine -religidfe Gewiffensangft. mit Kiche und Altar 
pöllig hinten ſich ließ. Noch etwas über Gellerts moralische 
Vorleſungen, und die Verunglimpfüngen ſeines Mamens bey 
der Leipziger: Welt. Aehnliche heraßwürdigende Urtheile über 
Friedrich II. vauben-dem Verf. mehr und mehr das angenehme 
Gefühl der Verehrung menfchlicher Vorzuͤge. Aber auch die 
Adhtung vor den richtenden Mitbärgern, und daneben der 
Glaube an das: Werdienft gleichzeitiger. Schriftftelfer,. ſinkt bey 
ihm durch einen neuen Freund , den poffielichen Tadler und 
eigenfinnigen Ziermeifter Behriſch. Für poetifhe Styluͤbun⸗ 


Aus meinem Leben von Goͤthe. 15 


gen tritt als Docent Profeſſor Elodius mit Gellerts Boll 
macht auf. Ein von Haus unſerm Dichter aufgetragenes 
Epithalamium für den Oheim; einen Frankfurter Rechtsge⸗ 
lehrten/ verſammelt, in Ermangelung muntererer Mittel, den 
ganzen Olymp; die Ruthe des Lehrers aber gibt dem Dichter 
Veranlaſſung, den himmlischen Plunder für immer bey Seite 
zu legen. "Dagegen wird, nicht ohne Einhauchung von Behriſch, 
auch Clodius für: feinen: fremden Wörterprunf: bezahlt, den er 
Namlern mit minderem Geift abgebörgt hatte; diefe erotifchen 
Purpurlaͤppchen werden dem Kuchenbaͤcker Hendel in den Kohl⸗ 
gaͤrten umgehaͤngt, deſſen Vortrefflichkeiten ein Alexandriniſches 
Wandgedicht in der Manier |ves Meiſters verherrliht. ‚Mer 
bon’ von Clodius erfcheint auf: der Bühne; ein "Prolog 
in Knittelverſen, Abends im Speifehaus aus dem Stegreif 
entworfen, wird: aus dem -Stegreif: von Freund Korn zum 
Beyfall der luſtigen Geſellſchaft aufgeführt; allein der Arlekin 
vermißt ſich zugleich, den Kuchenhymnus verlängert auf: den 
Medon anzuwenden; und die Publichtät, welche das Gedicht 
erſt dadurch erhaͤlt, Bringt die Sefellfchaft in: einen boͤſen Ger 
euch; der ſich bis mady Dresden verbreitet, und eine, jedoch) 
vortheilhafte Werfesung von Behrifh zur Folge hat. Hiedurch 
verliert &. einem feſten Halt für fein noch nicht feldftftändiges, 
unftätes Gemuͤth; feine Unzufriedenheit und Kämpfe mit der 
Außenwelt, und die Bemerkungen, die er uͤber fih Hören 
muß, machen ihn nach dem geheimen Schatz der Erfahrung 
luͤſtern, zu welchen ihm ſowohl Behriſch, als ein beurlaubter 

treiter aus dem ſiebenjaͤhrigen Krieg, der Feld und Hof 
kennt, bloß raͤthſelhafte Wege eroͤffnen, und ihn — gh⸗ 
ſchrecken dieſer Pandorenbuͤchſe nachzugehn. 

Achtes Buch! Das vorige iſt der Litteratur geweiht, 
gegenwaͤrtiges hauptſaͤchlich der zeichnenden Kunſt. Der fie 
benswuͤrdige Oe ſer auf der Pleißenburg iſt hier die erſte Figur; 
fein Kunſteharakter wird auf das treffendſte geſchildert, Gey⸗ 
fer als Stecher feiner nebelhaft anmuthigen Zeichnungen er) 
waͤhnt, und feine allegoriſche Laune durch Beyſpiele erlaͤutert. 
Der Verf. nebſt ſeinen Mitſchuͤlern gewinnt durch ihn mehr 
an Geſchmack als technifcher Fertigkeit, in welcher letztern @. , 
mit aus Mangel an Beharrlichkeit, es nie über den geſchickten 


. 76 Aus meinem Leben von Goͤthe. 


Dilettanten hinausbrachte. Das Leben der Maler: von d’ Ark 
genville wird ſtudirt, und unter Oeſers Führung vermittelt 
der großen Leipziger Sammlungen Einfiht von der Gefchichte 
der Kunft genommen: Die zeichnenden Kunſtwerke erwecken 
aber. den Verf. mehr zu poetiſchen; er macht Gedichte zu 
Kupfern: und Zeichnungen: Bey -Ea plus werden auch Deuts 
fhe VBerdienfte , die eines Chrifi.und Lippert, von Defern 
‚gerähmt, und auf feinen verehrten W un felmamn. andädhtig 
son der Kunſtjuͤngerſchaft hingeſchaut. Huber, Kreuchauf, 
Winkler und andre-Liebhaber-und Sammler: der Stadt. — 
„So mußte die Univerftät, wo ich die Zwecke meiner Fas 
milie, ja meine eigenen verſaͤumte, mid in demjenigen be⸗ 
gruͤnden, worin ich die größte Zufriedenheit - mieines. Lebens 

finden ſollte.“ — Gehnfuht nach Licht im den Begriffen der 
Kunft, . welches durch Leffings Lao bo om angezündet wird. 
Der Unterſchied der bildenden und Redekuͤnſte wird klar, und 
der fruchtbare Keim wahrer Aeſthetik iſt aufgegangen. Aber 
der Jungling begehrt mim: eine veichere: Anſchauung, und ent 
ſchließt ſich, heimlich und allein. Dresden zu befuhen Des 
Baters alte, Warnung vor den Spinnemeben der Gaſthoͤfe und 
die briefliche Nachricht von einem ehrlichen gentalifhen Dresds 
ner Schuſter, führen ihn: in des letztern Quartier. Die ftills 
ſchimmernde Gallerie und ihre: Runftwelt wird geöffnet, und 
von dem neuen Epopten mit. geiprächigem; Entzuͤcken durchwan 
dert. Der Sallerieinspector, "Rath: Riededl, empfänat dad 
verdiente Lob feiner Gefälligfeit, im welches auch der Rec ;— 
eiries :lingenannten Dank iſt ja wohl deu beſcheidenſte! — 
mit einzuſtimmen ſich verpflichtet fühlt. In einer Epiſode, 
der Myſtification eines Neulings, ſchluͤpft G. unaufgehalten 
durch die Spinnewebe heim, und uͤberlaͤßt die uͤbrigen gefluͤ⸗ 
gelten Inſecten ſammt der verfolgten Drohne ihrem Schickſal. 
Vom Zaubernebel der Kuuſt umhuͤllt, erblickt er in den Haͤus⸗ 
lichkeiten ſeines Wirths Niederlaͤndiſche Schildereyen, und 
ſcheidet als guter Freund von ihm, ohne ſich, wie natuͤrlich, 
in feiner hochſtrebenden, raſtloſen Sehnſucht mit dem behaglis 
chen: Handwerker identificiven ‘zu können. » Der- reichhaltige 
Davillon der: Antiken wird zur Verwunderung des Leferg, 
gleich den Übrigen Kofibarkeiten Dresdens, unbeſucht gelaffen, 


Aus meinem: Leben von Goͤthe. 17 


biefe Erſcheinung jedoch damit erflärt, daß der Verf. noch zu 
voll von dem undurchgruͤndeten Werth der Gemäldefammiung 
geweſen ſey, ‚und was er nicht als Natur anjehn, an die 
Stelle der Matur feßen, mit einem bekannten Segenftand vers 
gleihen könne, auf ihn nice wirkſam gemwefen ſey. Man 
ertennt hierin: allerdings den tiefiuchenden, zualeich freyen 
Süngling , dem. die nahliegende, friſche Bilderwelt mit ihrem 
Sarbenfpiel: mehr zufagt, Jals die kältere Schranke der Geftals 
tung mit mweife gedaͤmpftem Affect, zu deren Merftändniß ein 
gereiftes Auge, und zu deren Erklärung Gelehrſamkeit gehoͤrt. 
Hingegen wird no der Director von Hagedorn und feine 
Privatſammlung gefehen. Die Trümmern Dresdens werfen 
ven Stein der Zernichtung zwiſchen das anfpruchvolle Kunfts 
leben, und predigen auch bier Staub”und Aſche. Der Zurücs 
fehrende finder fih von Freunden umringt, die an feiner 
geheimnißvollen Reiſe und der Scufterherberge rathen, .in 
feinem Innern aber einen Zuwachs von Unruhe, unvermögend 
zu ordnen und ſich zuzueignen, was er gefehen hat. Dod 
ergreift ihn: wieder das Leben bey freundjchoftlichem Umgang 
und angemeffener Beichäftigung. Eine angenehme Verbindung 
knuͤpft er mit dem Brettkopfifchen Haus, in das er ung 
einführt, und-mit defjen Senoffen bekannt macht. Alles ſteht 
hier in Beziehung zur Kunft, wobey fih auch Druckerey und 
ſelbſtgeuͤbier Holzſchnitt einfchiebe, und vadirt und geäßt wird. 
Noh wird Weißen beſonders gedacht, ſammt dem Hilleri— 
fhen Opernſatz, Schieblers, Eſchlenburgs des Mitftudis 
zenden, und Zachariä des ‚vorübergehenden Tifchgenoffen ; 
ein größerer Durchreifender bleibt aus Sjugendgrille ungefehen, 
Leffing. In entfernter Kunftglorie erfcheint nod) immer 
Bintelmann,- und duch den edeln Fürften von Deffau, 
den er befuchen fol, wird Hoffnung, fie in der Nähe zu ers 
bliden; aber wie ein Donnerichlag fällt die Nachricht von 
Wintelmanns Ermordung darein. Und unjer Süngling feldft 
wird durch den Ausbruch einer lang vorbereiteten Krankheit, 
die fih durch hypochondriſche Zufälle. anfündigte, an den Rand 
des Grabes gebracht; ein Blutſturz wedt ihn aus dem Schlaf, 
das Signal eines. erft bedenklihen, dann langwierigen, veize 
baren Krankheitszuſtandes. Dem Arzt und den Freunden wird 


is Aus meinem Leben: don Goͤthe. 


mit warmem Danf unter anziehender Eharakterifivung gelobt 
Umftändlicher wird des gelehrten Langer erwähnt, des nady 
derigen Bibliothekars zu Wolfenbättel, damaligen. Nachfolgers 
von Behriſch in deffen Hofmeifterftelle. Er weiß die verbotene 
Bekanntſchaft mit ©. zu deſſen Wohl zu unterhalten, und das 
Vertrauen zwifchen beyden gelangt zu einer würdigen Innig— 
feit. „Es ift noch ein Tieferes, das fih aufiihließt, wenn 
das Verhältniß fih vollenden will, es find die veligidfen Ga 
finnungen, die Angelegenheiten des Herzens, die auf das Un— 
vergängfiche Bezug haben, und welche ſowohl den Grund einer 
Freundfchaft befeftigen,, als ihren Gipfel zieren.“ Wir würden 
diefe Stelle, und viele Ahnlihe, preifen, wenn fie eg nicht 
felber thäten. Ein neues Bruchſtuͤck der Neligionsgefchichte 
wird hier eingefihaltet. Langer, der fo glücklich ift, die Um 
entbehrlichkeit eines Mittlers zu kennen, predigt ihn dem, nad) 
himmlifchen Dingen begierigen, ohnehin in der Bibelreligion 
erzogenen Kranken gn feinem Troſt. — Nachdem noch ein 
Studententumult erlebt war, fährt der Verf., noch nicht her— 
geftelle, im Herbſt 1765 von Leipzig in die’ Heimath zuräd. 
Einige Mißklaͤnge des Waterhaufes werden laut, und der Sohn 
ift weniger als ehedem des Waters Freude, Die betruͤbte 
Mutter wendet fih von Herzen zum Chriftenthum, und findet 
hierin die trefflihfte Stüge an Fräulein von Klettenberg, 
die, wenn in der Vaterſtadt ihr Heiliger Werth verhalle, und 
außer derfelben ungefannt feyn follte, doc als Ideenbild in 
den Bekenntniſſen einer fhönen Seele fortlebt. 
Eben diefe greift den, mehr noch geiftig als körperlich, Kranten 
mit Fangerd Mittel an. „Meine Unruhe, meine Ungeduld, 
mein Streben, mein Suchen, Forſchen, Sinnen und Schwan: 
fen, legte fie auf ihre Weife aus, und verhehlte mir. ihre 
Uebergeugung nicht, das alles komme daher, weil ich keinen 
verföhnten Gott habe.“ "Auch der leibliche Arge und der Chis 
vurg find frommer Art; erfterer flieht Überdem im Nuf und in 
der Meynung , die Lniverfalargney oder doch ein Büchlein 
davon zu befiken. Auch Goͤthe wird Läftern nah dieſem [Les 
benswaffer, fiudirt im ftillen haͤuslichen Verein Wellings 
opus, Theophraftus Paracelfus, Bafilius VBalens 
tinus, und ſieht ſich wirklich einft durch des Arztes geheimes 


Mus meinem Leben von Goͤthe. 19 


Salz von einem gefaͤhrlichen Paroxysmus befreyt, und der 
Heilung entgegengefuͤhrt. Er ſelbſt beginnt hierauf die philos 
ſophiſche Handarbeit, wird auch unter andern Meiſter in Bes 
teitung des, Kiefeljafts, ohne jedoch der jungfräufichen Erde 
ihre aftrafifches Kind abzugewinnen. So aud durch einen 
Theil der Chemie. gewandert, befieht er fi in den von Leips 
zig heimgefchriebenen Briefen, die der Vater gefammelt und 
gehefter hatte. Wir finden hiebey verfchiedene Bemerkungen 
über ihn feldft und der das Ganze. Auch wird unter andern 
Liebhaberenen die Zeichentunft wieder vorgenommen, wobey ber 
Kirhenmaler Morgenftern in der Perfpective helfen muß, 
die ſchaͤdliche Wirfung des Aetzens entdecft, und endlih, im 
Unmuth üder fih and feine Arbeiten, vor der abermaligen 
Asreife aus dem väterlichen Haus eine zweyte Hauptverbren⸗ 
nung gehalten. — „Umftändlih genug if zwar ſchon ;die 
Erzählung von dem, was mich in diefen Tagen berührt, aufı 
geregt und befchäftige, allein ich muß demohngeachtet wieder 
zu jenem Intereſſe zurückkehren, das mir die übderfinnlichen 
Dinge eingeflößt- hatten, von denen ich ein für allemal, in fo 
fern es möglih wäre, mir einen Begriff zu bilden unters 
nahm.“ — Hier wird des Einfluffes von Arnolds Kirchens 
und SKeßergefchichte mit Liebe erwähnt, und- des Dichters 
damaliges myftifch sreligidfes Syſtem entwickelt. 

Neuntes Buch. Ein Fragment aus der allgemeinen Deutr 
fhen Bibliothek eröffnet das Buh, deutend auf die damalige 
Erfcheinung einer bequemern Kunftiehre, welche ald Hauptfache 
die Kenntniß der Meigungen und Leidenfhaften feßt, Der 
Süngling, von diefem ihm verwandten Gedanken erfreudigt, 
üser feinen. Zuftand und die heimgebrachten idealen Begriffe 
mit dem Vater geipannt, erfüllt gern des letztern Geheiß, im 
Fruͤhjahr die Academie Straßburg zur Vollendung feiner 
Studien und zur Promotion zu beziehen. Sm Gaſthaus abs. 
geſtiegen, eilt er fogleich den Münfter zu fehn, zu erfleigen, 
und das blühende Land zu Überfchauen, das ihn auf einige 
Zeit beherbergen fol. Die Tifchgefellfchaft, in die er empfohr 
len wird, bilder wieder eine kleine Welt für ihn, woraus 
wir die hervorfpringendften Figuren befchrieben erhalten: den 
jovialen Meyer von Lindau, den würdigen Tifhpräjidenten 


80 Yus meinem. Leben von Göthe, 


Ketnarius Salkmann (nie Salzmann), hernach nod) 
Andre. Duch Salkmann wird er zu einem juriftifchen Res 
petenten gebracht, der ihm das Zwerfmäßigfte gibt, ohne feis 
nem Berftande Stoff zur Selbfirhätigkeit zu gewähren. Ges 
z0gen von den Geſpraͤchen feiner groͤßtentheils  medicinifchen 
Tiſchgenoſſen, bahnt er fi) daher wiederum eigene Wege der 
Deihäftigung im Naturſtudium, höre Chemie und Anatomie. 
Indeſſen tritt der Zeitpunct ein, wo Marie Antoinette 
von Defterreih auf der Rheininſel bey Straßburg in -die 
Hände des Abgefandten ihres königlihen Gemahls übergeben 
wird. Sn dem dazu aufgefchlagenen Gebäude werden die 
nach Raphaels Cartonen. gewirkten. Tapeten für ©, ein Gegen; 
ſtand unerfärtficher Bewunderung.. : Die modernen Hauteliſſen 
des Hauptfaals jedoch enthalten die omindjeften Scenen aus 
Medeens Trauergejchichte, welhe den Schüler des allegorifchen 
Defer in Eifer feßen. Die junge Königin zieht in ihrem 
. Staswagen vorüber, und bey der Slumination der Stadt 
feffelt der brennende Gipfel des Münfters vorzüglich die Blicke. 
Mit der Nachricht von der Ankunft der Meuvermählten - in 
der Hauptfladt, erſchallt auch die von dem bekannten Un— 
- glück bey den KHochzeitsfeyerlichkeiten. Letztere gibt eine ges 
fährlihe Wendung einem Scherz, den ©. fih nach früherer 
Gewohnheit mit dem gutmäthigen Horn erlaubt, indem er an 
ihn nad Frankfurt einen Bericht von Verfailles datirt - einfens 
det, hierauf wirklidy eine kleine Reife macht, und durch fein 
Stilfhweigen in der Vaterſtadt die Beforgnif erregt, daß er 
mit umgelommen ſey. Salkmann wird. auch in fo fen Goͤ— 
thens Mentor, daß er ihn. in die Cirkel und Vergnügungsorte 
des frohen Straßburg einführt, wobey mancheriey Gefellfchafts 
liches vortommt. In der fortaefesten Schilderung der Speifer 
genoffen ift aud ein freundfchaftliches Capitel dem würdigen 
Jungs Stilling gewidmer; wobey ein Blick auf die wans 
derbare Bildung derjenigen frommen Menfchen: fällt, welchen 
dieſer merkwürdige Mann haupifächlid die feinige verdankte. 


(Der Beſchluß folat, ) 


7200 — 


No. 6. Heidelbersifhe _ 1813. 
dahrbuͤcher der Litteratur. 


A— — —— 





Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bon Göthe: 
CBeſchluß der in No. 5. abgebrochenen NRecenfion. ) 


Ey wird auch eines rechtlichen, treuen Wermittierd Lerſe 
gedacht, welcher im Goͤtz von Berlihingen einer Role den 
Namen leide. — Uebriggebliedene Neizbarkeit, in Widerwillen 
vor ſtarkem Schall, in leichtem Edel und Schwindel fih Außernd, 
wird durch ‚männliche Hebungen beficgt; auch außer der Anator 
mie noch das Clinicum und Entbindungscollegium gehdrt. Den 
innern Drang und Druck vollends abzuwaͤlzen, hilft der forts 
gefeßte Genuß: einer freyen, gefelligen, beweglichen Lebensart, 
iu deren Kreis auch die Urtheils- und Sprechfregheit über 
Hof und Öffentliche Segenftände gehört, ſo wie zu dieſen die 
Städtverfhönerung,, der Sturz der Jeſuiten und die Ungnade 
Rlindlinge. - Ein Ludwigsritter, auch ein: Tifchgefelle, dient 
Bier zum Eonverfationslericon, ungeachtet er das Unglück 
hat, Über die Abnahme feines Gedächeniffes äfters in Ver— 
zweiflung zu gerathen. Auf die Feine Comoͤdie, die der Verf. 
ihn fpielen läßt, folgt eine erhabene, tiefſchauende Kunſtanſicht 
von dem Muͤnſtergebaͤude, die denen vorzüglich zu em—⸗ 
dfehlen ift, welche bey viel Geſchmack an der fogenannten Cor 
thifhen Bauart fih den aͤſthetiſchen Grund ihrer Liebe zıf 
diefen väterlihen Denkmaͤlern nicht Har genug‘ gu entziffern 
wiſſen. Soll das Ungeheure, wenn es uns als Maffe ents 
gegentritt, nicht erſchrecken, foll es Hicht verwirren, wenn mir 
fein Einjelnes au erforſchen ſuchen: fo muß es eine unndtürs 
‚Ihe, ſcheinbar unmögliche Verbindung eingehn, es muß fi 
das Angenehme zugefellen.$ So wird denn diefer gefällige 
Coloß, das Wert Erwins von Steinbach, mit den feinften 
Wahrnehmungen zergliedert, “und eine Erklaͤrung des Motto 
unfers zweyten Theis: Wäs man in der — wuͤnſcht, 


s2 Aus meinem Leben von Goͤthe. 
hat man im Alter genug!“ in beſonderm Bezug auf dieſen 
Gegenſtand angehängt. "„Unfre Wuͤnſche find Vorgefuͤhle der 
Faͤhigkeiten, die in uns liegen, Vorboten desjenigen, was wir 
zu leiſten im Stande ſeyn werden. Was wir koͤnnen und 
moͤchten, ſtellt ſich unſerer Einbildungskraft außer uns und in 
der Zukunft dar; wir fuͤhlen eine Sehnſucht nach dem, was 
wir ſchon im Stillen beſitzen.“ Indem aber dieſe aͤchtpſhcho— 
logiſche Betrachtung, durch beſondre Erfahrungen unterſtuͤtzt, 
von der Beziehung der Dinge auf unſer Sch ausgeht, eriweis 
tert fie fih zur edein- Allgemeinheit. „Sehen -wir nun wähs 
vend unſers Lebensganges dasjenige von Andern -gefeiftet, wozu 
wie felöft früher einen Beruf fühlten, ihn aber, mit mandem 
Andern, aufgeben mußten: dann tritt das fchöne Gefühl: ein, 
daß die Menfchheit zuſammen erit der wahre. Menfch ift, und 
daß der Einzelne nur froh und. alüclih feyn kann, wenn er 
den Muth Hat, fih im Ganzen zu fühlen.“ Die Anwendung 
macht: fid). durch die Meigung und Aufmerkfamkeit, welche ©. 
in frühern Jahren jenen Bauwerken der viefenhaften Vorzeit 
widmete, und, nadhdem er fie aus den Augen. verloren, - in 
jeßiger Zeit dur) andre, namentlich Boifferee an deſſen 
Köllnifhem Dom, zur. Ausführung gelangen ſieht. Won ‚dies 
fen Werken der. Zeit ſchwingt fid der Verf. zu den, Künften 
des Augenblids, zu feinen Tanzäbungen, in denen ehedem: 
der Water felbft fein Lehrer war; jetzt wird ihm ein Franzöfis. 
fher Meifter, mit deffen beyden Töchtern fih eine Beine: 
Geſchichte anfpinnt, wo doppelte Zärtlichkeit vergeblich nad. 
Erwiederung feufjt, und, um das Romantifche vollftändig zu. 
machen, das Wunderbare in Geſtalt einer dee die. 
Schickſalsblaͤtter aufdeckt. | 
Zehntes Bud. Nach einem Eingang, worin wir ets 
was von der Straßburger Meifterfängerzunft glauben hören 
zu follen, aber das Verhaͤltniß des Deutſchen Dichters zur 
bärgerlihen Welt Hiftorifh und fein bemeffen finden, wird 
uns in Klopſtock's Perfon der Augenblic ;vergegenwärtigt, 
„wo das Dichtergenie fich feine Verhaͤltniſſe felber fhuf, un 
den Grund zu einer unabhängigen Würde legte.“ Der reine 
und hohe Sänger des Meflias und fein Wert werden. mit 
fharfen Linien umgsgen, und mit fohimmernden Farben übers 


Aus einen Leben von Goͤthe. 83 


ſtreut. Ihm gegenüber erfcheint fein warmer Freund Gleim, 
ſchwach an eigener Kunftwürde, groß ale Pflegevater fremden 
Verdienftes. Die Meinlihe Wichtigkeit, welche behde große 
Männer ihren frenndfchaftlihen Privarımfländen und den ges 
tingften ihrer Thaten beylegen, bringen Göthen und feine 
Altersgenoffen in Gefahr einer gleichen gegenfeitigen, befchränt: 
ten Verzärtelung. Hier tritt Aber als herkuliſcher Befämpfer 
eitler Selöfigefälligkeit Herder dazwiſchen, und fein dortiger 
folgereicher Umgang. Als Heifegefährte des Prinzen von 
Holftein » Eutin kommt der fhon duch Schriften berühmte 
Mann zu Straßburg an, und verweilt dafelöft als Leidender 
an einem Augenübel, deifen ſchmerzhafte Operation nicht allzu 
wohl gelindt. Die anziehende und abftoßende Kraft diefer 
tief eleftrifchen Natur, fein fanftes und beißendes Wefen, fein 
Achten und Verachten, feine weitgreifenden philofophifch s hiſto⸗ 
riſchen Forfchungen, die umfafende MWerbindung und Hohe 
Beziehung, worin er die Poefit erblickt, feine Liebe zu Has 
manns Schriften,‘ feine Geduld und Ungeduld im Leiden, 
feine hochtragiſche Ergebung in den ungluͤcklichen Ausgang der 
Eur, und fo manches Andre, bewegen Gäthens Herz und 
Gaben vielfeitig und heftig: Doch ſteht Herder litterarifche 
Undarmherzigkeit dem unbedingten Vertrauen im Wege, und 
die ſchon „Im Seifte ſich geftaltenden Bilder des Goͤtz vor 
Berlichingen und Fauft, fo wie die Cabbatiftit und ihr Zur 
gehoͤr (wozu doch aigh Herder ſich in früherer Zeit neigte!) 
bleiben ihm verheimlicht. Au ng » Stilling wird von 
Herdern angezogen und geehrt. Aus der Kranfenftube maheh 
wir in der andern Hälfte ded Buchs Ansflüge mit academis 
fhen Freunden ih das reich ausgeftattete Land von Elſaß und 
Lotheingen. Hier beginne ein gehaftwolles Reifetagbuch, durche 
aus charafteriftiih und reflerisnenreichz Zabern, Pfalzburg, 
Buchsweiler, die von der Saar benannten Städte und andre, 
mit Bau ind Straße, Berg und Wald, Fluß und Matte, 
Metallmerten und Steinkohlengruben, treten in klaren Um— 
tiffen vor ung, nebſt dem Kohlenphilofophen, auch dem brennen: 
den Berg, und allem Intereſſe der Berggegendeit, das Göthend 
nachherige Luft zu Sconomifchen und technifcheli Betrachtungen 
juerft, erregt: Allein ‚mit ©: in einer Sommernacht anf 


54 Aus meinem Leben. von. Göthe; 


einem einfam »höchgelegenen Jagdſchloß ahnden wir in dieſer 
feyerlihen Stille ein neues fanftes Abentheuer, weldes das 
‚Herz des jungen Helden bereits gefeflelt Hält. Wir eilen durch 
Zweybrücden, Bitſch, und andre fehenswürdige Puncte des 
Reviers gerade auf dafjelbe zus; muͤſſen aber zuerſt in der 
Wohnung des Landpriefters: von Wakefield einfprechen, und 
von Herdern ihn vorlefen hören, um -defto gefühlvoller und. 
überrafchter den Roman im Hauskreiſe des Pfarrers von 
Sefenheim verwirklicht zu fehen. Was aber der eigene 
ländliche Noman- des Verf, mit Friederiten enthält, jene. 
idylliſchen Auftritte, jene unfchuldigen Mummereven, die ein 
reines Verhältniß einfaffen, und das Poffenhafte durch uners 
wartete Verflehtungeh zum Sinn s und Geiftreichen, . durch 
Unbefangenheit und natürliches , treuherziges Gefellichaftswefen 
zum Liebenswärdigen fleigern, Ddiefer Inhalt verträgt feinen 
Auszug, Ein Mähren im Mährhen, die neue Melu— 
fine, bat ung der ef. am Schluffe nur genannt, und 
zuletzt noch Gall's merkwürdiges Urtheil über ihn gleichjam 
zur Vignette gegeben. 


Das Urtheil, welches wir über diefen neuen Band zu 
fprehen uns aufgefordert finden, iſt dreyfach. 

Erfiens, das Buch felbft als Kunft s und Leſewerk bes 
treffend, fo erhäft es ſich durchaus. in dem angefähgenen Tom 
und Gang, wie bey Goͤthens bejonnener Meiterſchaft auch zu 
vermutben ift. Es zeigt ſicheimmer jene wohlberechnete Ans 
lage, die das innere. Leben des Helden und die KHauptieite 
feiner Biographie als Künftlers im Auge behält, und wodurch 
unter anfcheinender Nachlaͤſſigkeit auch aus der Gefchichte ein 
poetifches Ganze wird, von contraftivenden Epifoden gehoben. 
Es zeigt fich jenes. gelingende Beſtreben, Kleines und Großes 
mit Wahrheit und Verſtand zu befeelen, und eine Herrſchaft 
über die Gegenftände auszuüben, vermöge deren fie felber fichts 
bar vor ung zu treten, und den Erzähler-zu bedecken gegwuns 
gen find. - Wenn er gleich ftets von- fih reden muß, fo fehen 
wir ihn doc nur, fofern er ſich ſelbſt pfychofogifches und kuͤnſt⸗ 
Ferifches Object ;wird. Hiermit verbindet fih innigft das uns 
geihminkee,  Heitre Kolorit, welches. den Malereyen Leinen 


Aus meinem Leben von Goͤthe. 85 
emfarbigen Schimmer, fondern den dutchfichtigen Glanz eines 
erhöhenden Glaſes leiht. Es kommt "hinzu in den veifern 
Fahren deg Dichters eine-.unglaub@che Sprahgewalt, die -® 
Fruht der Uebung und eines. Temperagients , dag Zwang und ° 
Schwäche leichtlich fühle, verſtoͤßt und zu befiegerf"weifi. Durch 
dieies gemeinjame Zufammenmwirfen fo elger fhönen Kun « 
fräfte wird jede Zeile anziehend, lebendig Und fehön, und jede 
Seite erhält von der ausgebildeten Erfahrung und Beobach— 
tung des vielgewandten Mannes einen lehrreichen Inhalt, fy eo 
ed, daß er das Gehehene in einen Brennpunct zufammens i 
fafe, oder feinen Blick in die ©egenwart, in die mannigs 
fahen Lagen, Verihlingungen, Schwierigkeiten, Vorzüge und 
Aufgaben des aͤußern Lebens, der Wiffenfchaften und. Künfte, 
in das Negen und Weben der Meiguagen und Beftrebungen 
des menichlichen Herzens und Geiftes verfenfe! Auch wo man 
feines Syſtems nicht ift, wird ihm die Gerechtigkeit widerfahs 
ren, daß er nicht leicht etwas ungepräft befpreche, und weniges 
ohne eine Seite hervorzuziehen, die entweder eine Beftätigung 
des Seldftgeglaubten, oder eine intereffante Neuheit, mwenigs 
ſtens eine Aufhellung: und Bindung des Begriffs darbietet. 

Es mag auch der Worte noch fo viel geben in. diefen fünf 
Büchern, und es mag manches an Kurzweil gewöhnte, trockene 
Herz hin und wieder einige - Breite fuͤhten: ſo geftehen wir, 
‚die wie gar feine uͤberfluͤſſſge Muße befiken, . durchaus anges 
nehm unterhalten worden zu feyn. Es iſt da feine Fläche, 
welche nicht wenigftens zierliche Heiden: fhmücdten,. und es 
- find vielmehr Planifhe Gründe, wo im: gewundenen Weg 
fi) Landfchaft an Landichaft- reiht, und manche langhingeſtreckte 
Beilhenfaat unfer Auge in Verwunderung feßt: . Was diefen 
Band befonders wichtig macht für den ganzen Kreis der Kuͤnſt⸗ 
ler und Litteratoren, find die umfpannenden ; hiftorifchen Ans 
deutungen aus der: Gefchichte. ihres Fachs; die Umriſſe der 
Begebenheiten und die Menfchengemälde, Hier fpricht der 
Betrachter des: von ihm erlebten, lang in Gedanken getrager 
nen, woran er fih gemeffen, gefpiegelt, gebilder hat, wovon 
er einen Auszug, mit feinem Talent verfchmolgen, in fich. wies 
vderlegte, und was er num erſt mit den eigenften Namen. zu 
bezeichnen fähig geworden iſt. Hier ift vieles ung vorgerufen, - 


86 Aus meinem Leoben von Goͤthe. 


was mir längft fannten, und nie fo tief begriffen, ſo rein 
beleuchteten ; vieles auch fo ausgedruͤckt; 
— — — 2 daß ſich ein Jeder © | a 
ua getraut, nd gar viel ſchwitzen, umfonf fih bemuͤhn 
J wird, 
s — wagend. 


Und wenn der ee Theil ſich In Eindlihem Gewuͤhl faft nur 
frohfinnig dahinfpielte, und eine bunte Europaͤiſche Welt, ohne 
ihre Großheit und Bedeutung zu verfieren, fih um den Kna— 
ben wie aus geöffneten Bilderkaͤſtchen ng von den Glaͤſern 
einer Zauberlaterne aufregte: ſo empfinder hier der. Pejer - dag 
firttich mertwürdigere Treiben und Wallen des Juͤnglingsal⸗ 
terd; die tiefer aufflammenden Anſpruͤche und Fähigkeiten; 
den ſchwankenden Gang des nad wirdiger Beſtimmung ſich 
fehnenden Neulings; den Sturm eines friihen Herzens, 
welchem alles bedeutend ift, und. nichts genügt; das bald mehr 
will, bald zu wiel findet; das in den Feffein der Menfchlichs 
keit umhergegogen wird, wohin es nicht mag, und ringt, mos 
bin es nicht darf; das fi und die Welt verkennt, vergöttert 
und verachtet ; kurz das tragiiche Epos und die epiſche Tragddie 
eines febendluftigen, und doch immer mit fih und dem Leben 
entziwepten poetifhen Gemuͤths, deſſen Urbilder, verfchieden 
abgeftuft und geeigenfchafter, in der Wirklichkeit eines fultivirs 
ten Zeitalters umherſchwaͤrmen, und die feiden und Freuden 
deffelben, doch die erfien vorzäglih, fo lange mehren helfen, 
bis der irre Geift zum Bewußtſeyn zu kommen anfängt. Denn 
zur gründlichen «Ruhe gelangen, ach! die allerwenigfien, weil 
fie den einzigen Weg: verihmähen. 

Zweytens. ‚Der Dichter entwickelt Hier fein eignes poe⸗ 
tifches Maturel, die Form feines Genies, in feinen GSelbfts 
beihauungen,, in den Wirkungen der Dinge auf ihn, und in 
der Schilderung feiner Geiftesverfuhe und Gewohnheiten. 


Man erlaube uns ein Paar befannte Schulausdruͤcke zu ges 
brauchen, weil die Sache damit am leichteften abgethan wird. 


Goͤthe iſt eigentlih Iyrifcher Menfh won der ernftern und 
‚weitumblickenden Art. Er ift aber dabey hoͤchſt merturialifch, 
d. i. aller Geſtalten fähig, fie mit klarem Leben aufzunehmen 
und wiederzugeben geſchickt. Die von Kindheit auf ihn ums 


Aus. meinem: Leben von Goͤthe 87 


gebende Fuͤlle und Mannigfaltigkeit von wiſſenſchaftlichen, kuͤnſt⸗ 
leriſchen und geſellſchaftlichen Einfluͤſſen, zwang ihn vollends 
dies letztere zu werden, wenn es nicht in ſeiner gluͤcklichen 
Natur, feiner Offenheit und Empfaͤnglichkeit, Seiner bewegli⸗ 
hen Phantafie fchon lag. Er. ift zum Tragifchen vorzüglich 
geneigt; aber fein rein entfchiedener Tragiker. Er ift fo wes 
nig allein zum fomifchen. als allein zum epifchen Dichter gebos 
ren, Das Plaftifche feiner Werke ift ihm weniger. natärlih 
(fonft wäre er vermuthlih auch ein großer Zeichner geworden ), 
als vielmehr duch frühe Bildung eingeimpft und durch Kunfts 
umgang forterhalten, und fonnte vermöge feiner gefühlvollen 
lyriſchen Lebendigkeit, verbunden mit männlihern Bemerkungen 
über den Unterſchied der Künfte, nie fleif und ſtarr bey ihm, 
nie zum Fehler, fondern nur zur Tugend werden ; und daher, 
nämlid von Inrifcher Sänftigung und Herz, kommt es, daß 
wir darin flets das Zarte und Innige an ihm bewundern, 
und zwar frey von matter Tändeley und Suͤßlichkeit, welchen 
fein tragifcher Ernſt und männlicher Verſtand widerſtrebte. 
Keineswegs find alle feine, Werke, groß und Hein, von gleicher 
poetifchen Kraft; es wäre. eine mwunderliche Forderung; aber 
er verläugnes fih felten. Mir find nicht der Meynung, daß 
in einer Kunft, welche unter allen die wandelbarften Mittel 
und Werkzeuge hat, ein vorzuͤglicher Kuͤnſtler nicht quch viel 
Alltaͤgliches hervorbringen könne. . Der Verirrungen in der 
Wahl der Stoffe. nicht zu gedenken. Auch bat mancher Dich: 
ter flärtere und größere Szdeen ausgefprohen, als er; aber 
kaum einer hat, bey fo. viel Originalität und origineller Ders 
arbeitung des Empfangenen, fo allgemein zum Herzen geredet, 


ohne ſich im mindeften falſcher Huͤlfsmittel zu bedienen. Denn . | 


Goͤthens Kunft ift aͤußerſt ächt und gründlih. Da, wo feine 
Vorwürfe zu mißbiligen find,. erweckt er eben deswegen um. 
fo größern Verdruß: denn er fchlägt Damit unmittelbar an den 
innern Sinn; und da diefer die veinften Anforderungen macht, 
fo mag er feiner Shönen Kunft faum glauben, daß fie ſich 
willig dazu hergegeben habe. Seine Beobachtungsgabe, welche 
allem einen Spiegel darhält, worin es fi) fangen muß, gehört. 
zu den größten, ausführlihiten. Daher feine ausnehmende 
Wahrheit; duch die Mache der Sprache das Treffende, durch 


88 Aus meinem: Leben von Goͤthe. 


tragifhe Wuͤrde dag Ergreifende. Sein Liebliches ift auserles 
fen; feine Schauer find weniger gewaltig, als durchdringend. 
Denn fie find empfunden und beobachtet. Bekanntſchaft mit 
‚allen Ständen und Menichen, Wiffenihaften, Künften, Ber 
ftrebungen und Träumen der Menchheit bey einem außeror⸗ 
dentlichen Gedaͤchtniß, hat ihm zu allgemeiner Empfänglichkeit 
eine Allgemeinheit von Materialien angeeignet, in deren Vers 
‚trieb und Ausftreuung er fich gefällt, er überall ſelbſt und doch 
wieder wahrhaft die Sache if. Umgang mit der vornehmern 
Welt hat ihm Überdem, was man Welt in beſſerm Sinne 
nennt, gegeben. Mangel an Ausdauer in einzelnen Studien 
Hat fein vielfeitiges Wefen nur noch vermehrt, oder vielmehr 
begründet, indem er fi einen entichädigenden Auszug von 
allem für feine innere Kunftwerkitätte verfchaffte, nnd nur in 
Einer Kunft_ ein volles Ausharren bewies. Alles aber hat er, 
ächtiyrifh, mit feiner Individualität veralichen, aus ihr hers 
ausgefehen, ohne Schaden für das Object, weil ihr nichts 
fremd war. Denn das wahre Dichtergenie ift ein Hellſichtiger, 
der eine Heine Welt in ſich trägt, und ahndet, mas ihm nie 
gezeigt worden iſt. Goͤthens munteres Behagen an der Aufens 
welt und feine Wandelbarkeit in deren Liebhaberey find epiſche 
Elemente; fein launiger Muthwillen ift die Wurzel des Komis 
fhen. Man vergleihe mit dem bisher Gefagten das oben 
gelieferte Ercerpt von S. 165 ff., und was er ferner ©. 176 
fagt: „Denn da uns das Herz immer näher liegt, als ber 
Geift, und uns dann zu fchaffen maht, menn dieſer fich wohl 
zu helfen weiß: fo waren mir die Angelegenheiten des KHers 
zens immer als die wichtigften erfihienen. Ich ermüdere nicht, 
über Ftäcrigkeit der Neigungen, Wandelbarkeit des menfchlis 
hen Weſens, fistlihe Sinnlichkeit, und über alles das Hohe 
und Tiefe nachzudenken, deffen Verknüpfung in unierer Natur 
als Raͤthſel des Menichentebens betrachtet werden fann. Auch 
bier fuchte ih das, mas mid quälte, in einem Lied, einem 
Epigramm , in irgend einem Neim loszuwerden, die, weil fie 
fid) auf die eigenften Gefühle und auf die befonderften Um— 
ftände bezogen, kaum Jemand anderes intereffiren konnten, als 
mic ſelbſt.“ Endlich üder das Didaktifche und Epifche in ihm, 
als värerliche und mütterliche Erbſtuͤcke, äußert er fih ©. 571 


Aus meinem Leben von Goͤthe. 89 


alfo: „Mir war von meinem Water eine gewiſſe lehrhafte 
Nedfeligfeit angeerbt; von meiner Mutter die Gabe, alleg, 
was die Einbildungskraft hervorbringen, faſſen fann, heiter 
und kraͤftig darzuftellen, befannte Mährchen aufzufrijchen, ans 
dere zu erfinden und zu erzählen, ja im Erzählen zu erfinden.“ 
— Wie aber das Zufammenftröhmen unendlich vieler Bildungss 
mittel uns in Erſtaunen feßt, welche fih unferm Dichter von 
Kleinem auf theils zubrängten, theils neugierig von ihm ers 
griffen wurden ; wie dadurch das abergläubifche Nühmen von 
einer beduͤrfnißloſen Wunderkraft des Genies zu Schanden 
wird, obſchon fie eine große Wahrheit, nur nach Umftänden, 
und nicht in diefem Zeitalter ift, wo uͤberdem der Dichter fo 
viel Bildung erwerben, als Talent befigen mmfte: fo wun— 
dern wir ung zugleich über die unglaubliche Weichheit, Bil— 
dungsfähigkeit, Beſtimmbarkeit, Veraͤnderlichkeit und Neigung 
zum Verirren an dieſem ſo kraͤftigen Manne, deren Grund 
jedoch eben in jener allempfaͤnglichen Art zu ſuchen iſt, welche 
wir nicht beſſer als mit dem Namen der Merkurialitaät 
zju benennen wijfen. Der Inhaber diefer Natur wird zwar 
nie ſich jeldft ‚verlieren, wenn er fich ‚behalten will, und immer 
wieder auf klare Puncte fommen, die ihm Freude und Ehre 
bringen; kann aber auch nie fertig werden, und’ fällt fogar 
öfters zurück, wenn er nicht mit hefdenhafter Ermannung und 
Unterwerfung aller niedern Reize lediglih dem Sonnenpuncte 
zueilt, wo allein Friede und ewiges Genuͤgen iſt. Denn wo 
der Geiſt feinen Urfprung findet, ift allein keine‘ Schwärmes 
vey ; fondern mo er nicht zur dauerhaften Rade fonmen kann. 
Und hier-treffen wir 

Drittens auf den ſittlichen und religiſen heit diefeg 
Werks; wobey wir mit unfern Aeaßerungen in der erften Mes 
cenfion bloß zufrieden zu ſeyn Urſache haben. Gern übers 
fehen wir, da wir nicht mürrifh und lieblos richten wollen, 
fondern loben das Lobenswärdige, und prüfen und unterfchets 
den, als Zugehör des jugendlichen Sinnes, und ald Momente 
der dichterifhen Laufbahn, diefes und jenes Erotifhe. Nur 
fofern es einladend iſt, verdient dergleichen Unterdruͤckung; 
wir haben auf der andern Seite nichts dagegen, daß ber 
Dichter fo ehrlich if, fih und zu geben wie er war, Alebers *- 


90 Aus meinem Leben von Goͤthe. 


Haupt zeige er fih allerwärts als der Grade, Rechtliche, - Un— 
partheyifhe gegen ſich und. Andre, als. der wahrheitliebende 
Mann. Und niemand wird die edeln moraliihen Marimen 
verkennen, die der Verf. auch in diefem Buche niedergelegt 
hat. Was aber die religidfen Stellen betrifft, fo kommen fie 
zum Verwundern und zum Vergnuͤgen aller gründlichen Ge; 
müther fo Häufig vor, daß man zuweilen glaubt, die Leben 
beichreibung eines angehenden Sottesgelehrten zu lefen, Ber 
ftätigung genug für unfre Behauptung, daR dem Merf. das 
KHöhfte der Dinge auch das Wichtigiie, und die Beruͤckſichti⸗ 
gung dieſes menfhlihen Grundtriebs ein ganz eigenes Bas 
duͤrfniß ift und bleibt; mit welchem wir ihn gleihwohl, da 
wir vieles dahin gehörige an ihm ehren und lieben, mit nids 
ten alles gutheißen, auch noch jeßt in unentfhiedenem Kampf 
erbliden, Wenn nun der Biograph diefem Theil feiner Les 
bensdefchreibung feldft fo große Aufmerkfamkeit widmet, was 
ift billiger, als daß wir ihm folgen -und ein Gleiches thun ? 
Unftreitig wird er, der Freund folgerechter Lnterhaltungen 
Über ehrwuͤrdige Gegenftände, es ung am wenigften zum Tas 
del anrechnen, jund wird, wenn er diefes lief, unſrer Bitte 
Gehoͤr geben, uns nad Gelegenheit ferner chen fo frepgebig 
mit demjenigen zu beichenten, was den Zug unfrer innigften 
Neigung zu feinem Herzen ausmacht. Goͤthe hatte dag Gluͤck 
in einer durchaus chriftlihen,, an Gottes Wort und Erlöfungs 
werk haftenden Zeit des proteftantifichen Deutſchlands geboren 
und aufergogen zu werden, wo auch die Abfonderung von der 
kirchlichen Gemeinfhaft nur wiederum aus religisien Beweg—⸗ 
gründen entfprang, welche noch einen größern Eifer, als dev 
gemeine war, bezeugten. Noch als er Leipzig mit Kleifchern 
und deſſen geiftreicher Gattin bezog, und fie Abends in Auer⸗ 
ftädt mit einem vornehmen Ehepaar zufammentrafen (5.68), 
verrichten diefe einander fremde Menihen aus dem gelehrten 
und höhern Stand gemeinfhaftlic ein flilles Tifchgebet. Man 
bemerfe, wie viel diefer eine Sittenzug im Vergleich mit 
unjern Gewohnheiten fagt, wo man den Welternährer um fo 
gewiſſer vergißt, als man fih ſcheut, Findlih zu zeigen, daß 
man feiner gedenke. Goͤthe zeichnet uns beyläufig jene Zeit, 
. ihren Ton, ihre Spaltungen, ihre Fortfehritte und Abſchweit 


Aus meinem Leben von Goͤthe. 91 


fungen , quf eine dankenswuͤrdige Weife; wer Eännte ſich dies 
fer Dinge fo vorurtheilsfeey erinnern wollen, und fie fo richtig 
nennen, wie ev? Aber die ungemeine Beweglichkeit und Ges 
flaltbarfeit feines Geiſtes, die bey viel ernſtlichem Willen au) 
mancher bloßen Wahrfcheinlicdkeit gern ein haltbares Intereſſe 
abgewinnt, die durchdringend und fchöpferifh auch aus dem 
Wahn Acchtes zu fcheiden, und zum behaltenswerthen Stoff 
umzuarbeiten aufgelegt iſt; Burg, diefe ehrliche dichterifche Tole⸗ 
tanz, mit ungerbrochener, nur verfeinerter Sinnlichkeit vereinigt, 
und von den noͤthigen Kenntniffen nicht Überall umfchräntt, 
hat Goͤthens Glauben an das Ueberirdifche, und fein Streben 
darnach, auf den Wellen des Zeitlaufs mit hinabgetragen, und 
ihn der Verirrungen des letztern theilhaftig gemacht. Daher 
denn der nothwendige Widerfpruch in dem, mas Göthens 
Herz und Gemüth von göttlihen Dingen fpridht, und was 
feine Eritifch gemachte Vernunft an den Tag gibt. Fr ift. bald 
geiftlich, bald weltlih, bald fromm, - bald leichtfertig, und 
zeigt unter fo manchen vollendeten Fähigkeiten hier eine faft 
verwilderte. Wenn er ©. 14 fagt: „Des Sc:rates Schüler 
fehienen mir große Achnlichkeit mit den Apofteln zu haben, 
die fih nad des Meifters Tode fogleich entzweyten, und offens 
bar jeder nur eine befchränfte Sinnesart für, das Rechte ers 
fannte“ — fo möchte man fragen: wo jenes Apokryphon 
aufgezeichnet fey ? und wo fih bier die Beſchraͤnktheit offens 
bare? — — Der Verf. traut in folhen Fällen zu ſehr feis 
nem guten Gedaͤchtniß, wo doc tägliches Wiederlefen faum 
der Sache genug: hut. Es läßt ſich mit gemilderter Beziehung 
auf unfern Schriftfieller anwenden, was er ©. 137 von einem 
andern fagt: „Mat verzieh dem Autor, wenn er das, was 
man für wahr und ehrwärdig hielt, mit Spott verfolgte, um 
fo eher, ala er dadurch zu erkennen gab, daß es ihm ſelbſt 
immerfort zu ſchaffen made“ — Und diefe innere 
Gaͤhrung ift Heilig, und ehrwürdiger, ald die abgefchloffenfte 
Kritik, die fertig zu feyn meint, und nur ſich ſelbſt von- der 
Wahrheit abgeichlomen hat. Den großen Weg des Unheil, 
den die proteftantifhe — nicht Confeſſion, fondern gelehrte 
Theofogie nahm, geihnet G. S. 144 ff.: „Auf diefem Wege 
mußten die Theologen fi zu der fogenannten natürlichen Res 


92 | Aus meinem’ Leben von Goͤthe. 


ligion hinneigen, und wenn zur Sprache kam, in wiefern das 
Licht der Natur ung in der Erkenntniß Gottes, der Verbeſſe—⸗ 
rung und Veredlung unferer feldft zu fördern hinreichend fey, 
fo wagte man gewöhnlich ſich zu deffen Gunften ohne viel 
Bedenken zu entfcheiden, Aus jenem Mäfigkeitsprincip gab 
man fodann fämmtlichen pofitiven Religionen gleiche Nechte, 
wodurch denn’ eine mit der andern gleichgältig und unficher 
wurde. Uebrigens ließ man denn doch aber alles beftehen, 
und weil die Bibel fo voller Gehalt ift, daß fie mehr ale 
jedes andre Buh Stoff zum Nachdenken und Gelegenheit zu 
Betrachtungen über die menfhlihen Dinge darbieter: fo konnte 
fie durchaus nad) wie vor bey allen Kanzelreden und fonftigen 
religiöfen Verhandlungen zum runde gelegt werden. Allein 
diefem Werke fand — noch ein eigenes Schickſal bevor * 
0. ſ. w. Indem er hier der. Angriffe gegen die Inſpiration 
gedenft, fährt er von der Bibel fort: „Ah für meine Pers 
fon. hatte fie dieb und werth: . denn faſt ihr allein war ich 
meine fittlihe Bildung ſchuldig, und die Begebenheiten, die 
Lehren, die Symbole, die Steichniffe, alles hatte fich tief bey 
mir eingedräct, und war auf eine oder die andre Weiſe wirks 
fan geweien. Mir mißfielen daher die ungerechten, ſpoͤttlichen 
und verdrehenden Angriffe“ u. ſ. w. Wer wird nicht aufs 
merfen auf dieſes vortrefflihe Geſtaͤndniß des Derfafferg ? 
Gern möchte man es wie eine einfame holde Blume ausheben, 
und auf einem freyen Beete retten, damit es nicht vom Uns 
fraut der Meynungen erſtickt werde. — Doch bier fchließt 
fid) ein . merfwärdiger Umſtand an, für deffen Beleuchtung 
kaum ein fchiefliherer Naum zu finden wäre, als der Verf. 
ung erdjfnet. Unſre Zeit, voll des drängenden ewigen Bes 
dürfniffes, hungrig und durſtig nach Heil, zumal unter den 
jermalmenden Schlägen des äußern Geſchicks, aber von übers 
gemaltiger Sinnlichkeit an Augen, Ohren und allen Sliedern 
gebunden, eilt, nad) einer Ausleerung, welche fle wider Geſchichte 
und Menfchenverftand für. Proteftantismus ausgibt, in ihren 
Gebilderen mächtig dem fogenannten Katholicismug zu, d. i. 
einem Kirchenthum, weldes um fo mehr wahre Chriften und 
fromme Pehrer in feinem Schoofe trägt, als fein Gebiet weit 
reicht, aber aus der Einfalt der erften Kirche und ihren Wunder— 
fräften zur überbunten Form, welche den Abgang der le&tern 
vergeffen machen follte, in Römifchem Style fih verartete, 
Kein aͤcht-chriſtliches Mitglied diejer Konfelfion, die jeßt auf 
ungleich befferm Weg iſt, wird unfre Worte der Härte beichuls 
digen; und wir fchweinen vorjäßlich von jenen Mifbräuchen, 
ohne die eine Meformation, - welche wieder aufs Mefentliche 
trieb, nie. zum Ausbruch gereize worden wäre. Der Grund 


Aus meinem Leben von Goͤthe. 93 


jener Erfcheinung liegt nahe. Der gute Sjüngling und junge 
Mann ift immer religiös. Vollherzig, mit allem phantaftis 
fhen Zauber der fihönen Künfte am Gemüth aufgebilder, mit 
aller. Reizbarkeit: des Tags ‚begabte, ohne Menfchentennenif, 
ohne geübte Unterfcheidungsfraft, ohne zureichende. Gelehrſam— 
keit, zu unfräftig und irr, um mit dem Geiſte der Wahrheit 
felöft eine unmittelbare Befreundung zu wagen, tritt er im die 
Welt; er fieht feinen innern Menfchen von den ihm etwa zus 
nächit flehenden Lehrern, die auch Proteftanten zu feyn glauben, 
verlaffen; fie geben ihm Zweifel für Wahrheit, Nichts für 
Alles; eine fichliche -Außenfeite, die ihm unerwecklich fcheinr, 
kommt hinzu; er gibt fih die Zeit. nicht, beffere Leititerne zu 
fuhen, und glaubt nichts Übrig zu haben, als daß,er, um 
das peinigende Raͤthſel feines Herzens zur Auflöfung zu brins 
gen, wie er irrig fpricht, in den Schooß der. Kirche, zurück 
tehrt. Der Gang älterer Menſchen ift dem ähnlicdy ; wielleiche 
fehnen fie. fih nur noch etwas mehr nah Sichtbarkeit der 
Kirche und Semeinichaft der Slaubigen. Wohl geſchieht eg, 
daß, je redlicher der Uebergegangene es meint, er defto ges 
wiffer endlich auf die Wahrheit felber trifft; durch eine finns 
lihe Krümme, die er wählte, wird er von der Snäde, die 
ihn wählt, zum Ueberſinnlichen geführt, das in jenem fichts 
baren Gefaͤß wie in allen behalten iſt. Vielleicht noch eigens: 
finnig aus menjchlicher Schaam, feinen überfläfftgen Schritt 
zu vertheidigen, iſt er doch forehin weder petrifch,. noch paus 
ih, noch apolliſch; ſondern er ift ein Chriſt geworden — 
miraturque novas frondes et non sua poma. Die.gejignete 
Toleranz, welche die Liebe auch in Abſicht auf die wohlthätige 
Verſchiedenheit aͤußerer Konfeifionen für das erfte Gebot erklärt, 
kommt ihm zu Statten, daß fein. frommer Mißgriff weiter 
feine uͤble Folgen für ihn hat. Aber er hat bey dem allen ein 
böfes Beyſpiel von der Methode gegeben, wie man das Uns 
wefentliche für das Weſentliche ergreift, und lot Nachfolger, 
welche auf gleihe Weiſe durch die fleinerne Thür und die 
. Gewölbe eines andern Hauſes am leichteften in. jene freye 
Regionen glauben gelangen zu können, wo Gott, im Beift 
und in der Wahrheit angebeter, felber der. Tempel ift. Und 
in dieien Ton ſtimmt auch Söthe, der finnreiche Deuter des 
Wahren und. Halbwahren, nachdem .er anderwärts der Ders 
nunftkritik gehuldige, wenigſtens erklärungsweife ein, und 
empfiehlt &. 178 ff. von Seiten menſchlichen Beduͤrfniſſes und 
finnliher Vernaͤherung des Weberfinnlihen dasjenige, wovon 
fi) eben fo leicht die zwecfwidrige Seite hiftorisch und pſycho— 
logifch hervorwenden ließe. Er hebt die Sacramente, ale 
weientliche Theile des Kirchenthums, in ihrem begeifternden 


94 Aus meinem Leben von Goͤthe. 


fittfichen Einfluß hervor, und entfcheidet: -der Proteftant habe 
zu wenig Sacramente. Sindeffen hat Niemand als der Miß— 
verftand irgend einer chriftlihen Kirche alle und jede Sacral 
mente — man muß aber wohl, nah Sprache und Erkenntniß, 
wiffen, was diefes Wort fagen will — und vornehmlich die 
Mahrheit ftreitig gemacht, daß die uns in Chrifto gegebene 
Religion ein großes Sacrament tft, das fi in unzählige andre 
zergliedert, und dem wahren Ehriften aus allen Confeſſionen 
durch fein ganzes Weſen, Thun, Denten, Empfinden und 
Leiten hindurch, feine unendlihen, ewig lebenden Kräfte und 
Adfichten mitteilt. Allein dteje innere Neligion des Herzens 
tann von dem Augenblick an, und in all denjenigen Stücken, 
fih mit der äußern Kirche nicht mehr als volltommen Eins 
aniehn (ſ. ©. 1801), wo fie Verfall und Mifbräuhe mahrs 
nimmt (in mwelher Kirche es auch fey ) und fih unvermögend 
fuͤhlt, ihr reines Ideal von Kirchenthum in die Wirklichkeit 
herauszupſtanzen. Sie ertraͤgt alsdann mit goͤttlicher Duldung 
das unvollkommene Mittel, das auch ihr zur erſten irdiſchen 
Stufe einer himmliſchen Geſinnung wurde, und bleibt im 
Aeußern, wo ihr Menſch geboren iſt. Sie ſucht, wo es ans 
geht, an jenem Mittel zu beffern, zu veredeln, damit es leich— 
ter, kraͤftiger, fchöner vermittie, und gebraucht allerdings zur 
Erwerfung des Herzens aud die Neize der Phantafie, die um 
ausſprechlich wichtig für die Religion iſt; erwartet aber die 
ganze Erfüllung diefes ihres Wunfhes nur von einer Zeit, wo 
dag Unſichtbare fih von felbft ins Sichtbare herauskehren zwi⸗ 
fhen dem Widerftrebendften Friede und aller Fehde ein Ende 
feyn wird. Inzwiſchen ſucht fie der innern Sacramente, ohne 
Verwerfung der äußern, in ſtets wachfender Staͤrke theilhaftig 
zu werden. Sie läßt fih mit Waffer und Blut von dem 
taufen, der da kommt mit MWoffer und Blut, und einen 
Brunn aufthut, welcher in das ewige Leben quillt; fie erhätt 
"Die Firmung des wahrheitzengenden Geiftes; fie genießt dad 
wahre Brod vom Himmel gefommen, nicht ohne das bußfers 
tige Herz in täglicher Beichte dem Allwiffenden zu öffnen; fie 
fchließt eine bräurliche Ehe mit dem Erhabenften, den Himmel 
und Erde hat, von weldher das geheime Verhaͤltniß der Ger 
fhlechter ein beiliges Sinnbild iſt; fie empfängt die Weihe 
eines koͤniglichen Priefterfiandes, und das Del der Barmher— 
zigkeit aud) in die Wunde des Todes. Sollten wir hier nicht 
eins ſeyn mit dem, was ©. ahndete, ohne ee unter dem poes 
tifhen Duft erreihen zu können? Sollten wir hier nicht mit 
dem wahren Katholicismus volltommen eins feyn, und er mit 
‚uns? Aber follte des Dichters eigener Mißgriff ihm nicht 
offenbar werden, wenn er z. B. die willkuͤhrliche Erklärung 


Aus meinem Leben von Goͤthe. 95 


wieder Lief't, die er der Feyer des heil. Abendmahls in der 
rimifch s katholiſchen Kirche aufzwingt (S. 185)? „So — 
niet er hin, die Hoſtie zu empfangen; und daf ja das Ges 
heimniß diefes hohen Acts noch gefteigert werde, fieht er den 
Kelch nur in der Ferne, es i: fein gemeines Effen und Trins 
ten, was befriedigt, es ift eine Kimmelsipeife, die nach himm⸗ 
lihem Tranke durftig macht.“ Iſt wohl diefe ferne Allegorie 
eine Pirchliche Lehre? Uns duͤnkt, die Katholiken lehren, wer 
den Leib empfange, efıpfange auch das Blut; Einige behaups 
ten fogar, die eingeftaltige Ertheilung fey nur ein Zufälligeg, 
das die leichtefte Abänderung vertrage. Daß es ein Späteres 
it, wiffen wir ja wohl fämmtlih. — Wenn ferner der Verf. 
bey Gelegenheit feiner hermetiihen Jugendſtudien fih ein cabs 
baliſtiſch- myſtiſches Religionsſyſtem erbaut, das von Mechte 
wegen den Anſpruch machen muß, durchgreifend, allgätig, und 
mit allen möglichen wahren Syftemen Eins gu feyn — denn 
es fann überall nur Ein wahres Syſtem höherer Wahrheit 
geben — to hat derfelve hiebey vieles fehr fchön gefehen, noch 
fhöner gefagt; aber wir wiſſen nicht, ob in dielem Syſtem, 
felbft als abgejonderter Erſcheinung, ihm alles unbedingt zuge— 
ftanden werden möge. Daß dem Lucifer als Erftgefchaffenen 
von nun an die ganze Schoͤpfungskraft Übertragen morden, 
und von ihm alles Übrige Seyn auegehn folte, und daß er 
feine unendliche Thätigkeit bewieſen, indem er die fammtlichen 
Engel erfchaffen habe (©. 331) — das har unfe:s Wiſſens 
fein rechter Cabbalift oder Theoſoph jemals behuupter; er würde 
ein folches Verlangen für den Hochmuth Pucifers erklärt haben. 
Vortrefflich aber fpricht der Verf. etwas vorher, wo er zu 
Fangers Umgang einleitet ©. 2gı, unten: „Die chriftlide 
Keligion ſchwankte zwiſchen ihrem eigenen Hiſtoriſchpoſitiven 
und einem reinen Deismus, der, auf Sittlichkeit gegründet, 
wiederum die Moral begründen follte. Die Verſchiedenheit der 
Charaktere und Denkweiſen zeigte fih hier in unendlichen Abs 
flufungen, beſonders da noch ein Hauptunserfchied mit einwirkte, 
indem die Frage entftand, wie viel Antheil die Vernunft, wie 
viel die Empfindung an folhen Weberzeugungen haben koͤnne 
und dürfe. Die leohafteften und geiftreihften Männer erwies 
fen fih in diefem Pal als Schmetterlinge, welche ganz uneins 
gedenf ihres Naupenftandes die Puppenhälle wegwerfen, in 
der fie zu ihrer organiſchen Vollkommenheit gedichen find. 
Andere, treuer und befcheidener gefinnt, fonnte man den Blur 
men vergleihen, die, ob fie fih gleich zur fchönften Bluͤthe 
entfalten, fih do von der Wurzel, von dem Mutterftamme 
nicht losreißen, ja vielmehr durch diefen Familienzufammens 
Hang die gewuͤnſchte Frucht erſt zur Reife bringen.“ Märe 


96 Aus meinem Leben :von Goͤthe. 


nun der Charakter des Verf, nicht in diefem Stuͤck jederzeit 
eben fo ſchwankend als gierig geweien: fo würde das glühende 
Sintereffe feines Herzens ſich nothwendig unter den vielen, auch 
koͤrperlichen Aufforderungen zur Uebergabe und zur Beftändigs 
keit im ‚Exgriffenen, in, die Zufriedenheit des Beſitzes und 
fteigenden- Wachsehum aufgelöft haben. Dagegen ift es merk 
würdig, mie nach den heiligen Stunden, mit fangern am 
Rande der Verweſung gefeyert, eben diefer Kranke, noch Frank, 
der Meifterin Klettenderg wieder fo viel Vergebliches zu thun 
geben kann. Indeſſen erklärt fih die Sache durch das Des 
kenntniß S. 505. „Nun hatte ih von Jugend auf geglaubt, 
‚mit meinem Gott gang gut zu fliehen, ja ic) bildete mir, nad) 
Mancherley Erfahrungen, wohl ein, daß er gegen mid fogar 
im Reſt ftehen fönne, und ich war fühn genug zu glauben, 
daß ich ihm einiges zu verzeihen hätte. Diefer Duͤnkel grüns 
dete fih auf meinem unendlich guten Willen, dem er, wie 
mir ſchien, beffer hätte zu Huͤlfe kommen jollen. Es läßt fid 
denken, wie oft tch und meine Freundin hierüber in Streit 
gerierhen, der fih doc immer auf die freundlichfte Weile und 
mandımal, wie meine Anterhaltung mit dem alten Rector, 
damit endigte: daß ic) ein närrifcher Burfihe fey, dem man 
manches nahfehn müfe“ Mir. vergeffen hiebey nicht, das 
Geweſene vom Sebigen hiftorifch zu unterfcheiden, und haben 
ung auch über dag Letztere ſchon mehrfach geäußert. Gleicher— 
weile wird nach dem trefflichen Umriß des Klopſtockiſchen Meis 
ſias ein gleichſam enticuldigendes Wort angehängt, wobey 
wir gern den Vorwurf übernehmen möhten, es lieblos au 
das Doama zu deuten (&. 451). „Der bimmlifche Friede, 
welchen Klopſtock bey Conception und Ausführung diefes Ges 
dichtes empfunden, theilt fid) noch jeßt einem Jeden mit, der 
die erften zehn Geſaͤnge lieſ'ſt, ohne die Forderungen bey ſich 
laut werden zu laffen, auf die eine fortruͤckende Bildung nicht 
gerne Verzicht thut.“ Wenigſtens ift die Bemerkung zwendeus 
tig. Denn was das Artiftifche betrifft, fo wollen wir dem Verf. 
nicht widerfprehen. Die geiftliche Bildung aber muß, wie er 
felber anderwärts will, als Blume der Wurzel entfleigen, ohne 
fihh von ihr zu trennen; fo wählt fie — fort, und 
bringt Blumen und Früchte ohne Zahl. Sie muß, ohne eine 
Umſchraͤnkung zu vertragen, weil fie unendlih-ift, der Dils 
dung jener fich felbft bildenden Menfchen im Weſentlichen 
gleich fepn, deren der Verf. ©. 380, 3dr mit Achtung err 
wähnt, und die unflveitig das beſte Theil erwählt haben, 


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W 


No. 7. Heidelbergifhe - 1813. 
Jahrbuͤcher der Litteratur. 


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Lehrbuch der civififtifhen Litterairgefchichte, vom Profeffor Nitter 
Hugo in Göttingen. Berlin, bei Auguft Mplius 1812. XIL 
und 427 ©. 8. | | 

Auh unter dem Titel : 

Lehrbuch eines civiliſtiſchen Eurfus, vom Profefor Ritter Hugo in 
Göttingen. Sechster Band, welcher die civiliſtiſche Litterairges 
fhichte enthält. Berlin, bei Auguſt Mplius. 1812. 


GG verdient Here Prof. Ritter Hugo den Danf aller 
gelehrten Civiliſten für fein Unternehmen, die civiliffifche Kits 
terärgefchichte zu bearbeiterf, und feine Anfichten und PBemers 
füngen über einen ſo wichtigen, und das Rechtsſtudium felbft 
fo vortheilhaft unterſtuͤtzenden, Zweig der Civilrechtsgelehrſam⸗ 
feit, auch den Gelehrten außerhalb Goͤttingen mitzutheilen. 
Jede Ericheinung diefer Art muß befonders in unfern Tagen 
für den Verehrer des Nömifhen Rechts erfreulich feyn, eines 
Rechts, das, feiner innern Wortrefflichkeit wegen, auch bey 
allen Mängeln, die es, wie jede andere menichliche Geſetz⸗— 
gebung, bat, noch immer allen Stürmen getroßt hat, und 
gang gewiß ewig troßen wird. Mec. ift lebhaft Überzeugt, daß 
feine Macht im Stande ift, die Nömifhe Geſetzgebung auf 
immer, und mit der Wurzel ansznrotten. Wird man fie, ans 
gereizt von Männern, die Einfluß auf die MWerfaffungen der 
Staaten, aber entweder die Kraft, oder den Willen nicht haben, 
tief in ihre Geheimniſſe einzudringen, auch noch fo lebhaft 
verfolgen, fo wird doch dieſe Verfolgung nie von langer Dauer 
feyn. Das große Närhiel wird immer diejes bleiben, eine 
beffere Gefeßgebung an die Stelle der Nömiihen zu feßen. 
Nie wırd es an Männern fehlen welche unpartheviiche Ders 
gleihungen,, in Zeiten, wo der Geift der Neuerung fich bereits 


gelegt hat, anftellen werden ; und das Mefultat dierer Operation 


wird dem Nömifchen Rechte immer nur neue Anhänger und 
| Y 


98 Lehrbuch der civiliſt. Litteräraefchichte v, Br. R. Hugo. 


Verehrer verfihaffen. Bey weitem die meiften, mwichtigften und 
am tiefften liegenden Wahrheiten Hat die Roͤmiſche Geſetzge⸗ 
bung aufgededt, Wahrheiten, die unveränderlich und ewig 
find, und eben darum die Grundlage jeder Geſetzgebung feyn 
und bleiben müffen. Schon in diefer Hinfiche muß diefe Ge— 
feßgebung alfo immer, in den Augen aller Vernünftigen, eben 
fo angefehen werden, wie jeder gebildete Gelehrte die Claſſiker 
des Alterthums anfieht, als bleibendes Denkmal der Kraft des 
menfchlichen Geiftes, als Inbegriff der Erfahrungen von Jahr— 
taufenden, und als erhabenes Mujter für alle Zeiten. Wo tft 
eine Geſetzgebung, die, in Hinficht auf die ungeheuere Summe 
der mwichtigften Wahrheiten, welche man in ber NRömifchen 
Gefeßgebung finder, fih auch nur von weiten mit diefer meffen 
fönnte, und nicht, in ihren glängendften Parthieen, eben diefe 
als Auelle und Mufter anerkennen muͤßte? Taufend Erfah— 
rungen haben bewieſen, daß, wenn, jemand eine Sache, die 
bereits aufs Beſte ausgeführt worden ift, von Neuem darftellen 
und verändern will, er nichts Vorzägliches hervorbringen könne; 

und eine Sache, die nicht hoͤher emporſteigen kann, faͤllt ihrer 
Ratur nad) zuruͤck. Die großen Wahrheiten gehen nicht ins 
Unendliche. Sind ſie einmal entdeckt und Beſitz in genommen, 
ſo haben wir keine andere Parthey zu ergreifen, als dieſe, 
uns aus ihrem Beſitze nicht verdrängen zu laſſen. Keine neuere 
Gefekaebung darf es wagen, an den ©rundwahrheiten des 
Roͤmiſchen Rechts zu rütteln; thut fie es doch, To trägt fie 
den Keim ihrer eigenen Zerftörung in fih. Diefes haben auch 
die neuelten Gefeßgeber jeher wohl eingefehen ; und eben des— 
wegen haben fie ihre Werke auf dem unerfchätterlihen Roͤmi— 
fhen Boden weislid aufgeführt. Die füßen Hoffnungen der 
vielen Verächter des Römischen Rechts, die in deffen Gcheims 
niffe nicht eingeweiht find, wurden durch diefelbe Gefeßgedung 
vereitelt, von der fie die Erfüllung ihrer Münfche erwarteten, 
und noch neuerlich konnte man, bey Antündigung der Ele- 
ments du droit civil Romain, selon l’ordre des Institutes 
de Justinien, par J. G. Heineccius, traduits en Fran- 
cais par J. F. Berthelot, die merfwürdige Stelle lejen: 
„Le droit civil Romain |vient de recevoir du Gouverne- 
ment hommage, que lui avoient rendu tous les gou- 


Lehrbuch der vifift, Litterärgefchichte d. Pr. R. Hugo. 99 


vernements Eclaires. On l’enseignera specialement dans 
nos eEcoles; ce sera ehcore pour nous la raison 
ecrite, et le principe, ou le TRVSLSPPemEnE 
du Code civil*des Frangais.“ 

Was Heren, Prof. R. Hugo’s Arkeit felbft betrifft, fo 
geben wir hier Rechenſchaft yon dem Eindrucke, den bieie auf 
ung gemacht hat, und wir geben unfere Gruͤnde an. Sind 
diefe für Andere nicht Überzeugend, fo wollen wir gerne glaus 
ben, daß unfer Urtheil nicht richtig if. Mehr kann von keis 
nem Kritifer gefordert werden. | 

Bon einem Gelehrten, der, wie Hr. R. Hugo, wahre 
und unmwiderfprechlid;e Verdienſte um die Roͤmiſche Nechteges 
lehrſamkeit und Litterärgeichichte ſchon laͤngſt ſich erworben hat, 
der vieljähriger Rechtslehrer in Göttingen ift, und der, wie 
er in der Vorrede felbft jagt, ſchon fo oft und fo fange über 
die crwiliftifche Ritterärgeichichte Collegien gelefen bat, laͤßt es 
fih) (chen in Voraus erwarten, daß man in einem Lehrbuche 
der civiliſtiſchen Litteraͤrgeſchichte von ihm nicht' nur keine Tri— 
vialitaͤten, ſondern ſehr viele ſchoͤne und treffliche Bemerkun— 
gen, die ihm theils feine Lectuͤre, theils fein eigenes Nach— 
denken darbieten mußten, antreffen werde. Diele Erwartung 
hat auch der Verf. nicht getäufcht. Er Hat, mit Benußung 
der beften Schriften, manche Irrthuͤmer berichtiget, viele 
wiffenswerthe Dinge, die man in andern Lehrbuͤchern der civilift. 
Pitterärgefchichte nicht findet, vorgetragen, und befonders, was 
feine Arbeit von den Arbeiten feiner Vorgänger untericheidet, 
auf manche Veränderungen in dem Geifte des Studiums nnd 
in der Verfaffung der Lehranftalten aufmerffom gemacht. Und 
wenn gleich auch, mit Benugung des Buches des berühmten 
Doctor der Sorbonne, Sean de Paunoy, de Scholis 
celebrioribus à Carolo Magno exstructis, der Antiquitates 
academicae von Hermann Conring, mit Goebels ge 
Iehrten Noten, wovon die befte Ausgabe duch Heumann 
zu Göttingen 1759. 4. beforgt wurde; ferner der großen 
Menge von Schriftiielleen, welche die Geſchichte einzelner 
Univerfitäten in Europa geichrieben haben, und vorzüglich der 
Schriften der Rechtsgelehrten der verfloffenen Jahrhunderte 
felbft ; endlich der vielen groͤßern und kleinern Werke, welche 


l 


400 Lehrbuch der civiliſt. Litterärgefchichte v. Pr. R. Hugo. 


in dem Catalogus Biblioth. Bunauianae Tomo I. Vol. I, 
p- 917 sq. in diefer Beziehung angeführt find, die Bemer— 
tungen des Verf. unendlich reicher hätten ausfallen können : 
fo kann doch Alles. nicht auf einmal gefhehen, und der Verf. 
wird fpäter diefe Lücken felbft auszufüllen wiſſen. 

Auch findet man bey ihm weit mehr Schriftſteller anges 
führe, als bey Herrn Haubold; aber aud bey ihm fehle 
noch eine ungeheure Menge guter und vorzüglicher Eiviliften, 
die mit eben fo viel, und oft mit nod mehr Recht, als ans 
dere von ihm angeführte, eine Stelle in feinem Buche hätten 
anfprechen können; wobey nicht zu leugnen ift, daß Hr. Daus 
Hold oft eine beffere Auswahl getroffen hat. Hr. Hugo 
nimmt in feine. civiliftifche Litterärgefhichte eine Menge Juris 
fien auf, die Ar. Haubold aus guten Gründen niht aufs 
nahm ; und Rec. vergifit, bey diefer Behauptung, nicht, daß 
Letzterer Institutiones juris romani litterariae, erfterer 
aber ein Lehrbuch der civiliſtiſchen Litterärgefchichte fchreis 
ben wollte. Nimmt der Verf. das Wort: civiliftifch ganz 
allgemein!, und bloß im Gegenfage von Staatsrecht, fo 
hat er viel zu wenig, nimmt er es aber eingeſchraͤnkter, fo 
hat er viel zu viel Schrifiiteller in fein Lehrbuch aufgenommen. 
Sa auch im erfien Falle gehören Daniel Paräus ($. 206.) 
mit feiner Lehre von dem Widerſtande gegen die Obrigkeit, 
Regner Sirtin ($. 211.) mit feinem Buche über die 
Regalien, Rümmelin mit feinem Bude über die goldne 
Dulle ($.214.), Johann Hortleder mit feiner Schrift 
über den Schmaltaldifhen «Krieg ($. 216.), Melchior 
Gol daſt mit feinen Folianten ($. 216.), Londorp mit 
feinen Acta publica zur Geſchichte des dreyhigjährigen Kries 
ge8 ($. 216.), Theodor Graswinkel mir feinen Vindi- 
ciae maris liberi ($. 220.), Georg Buchanan mit fei- 
nem Jus regni apud Scotos ($. 228,), der Jeſuit oh. 
Mariana mit feinem Buche de rege et regis institutione 
($. 2354.), der Kardinal Bellarmin, als vedlicher Verfech— 
ter der Nechte des Pabites ($. 256.), Arumäug, Daniel 
Otto, Reinking, Hippolithus a Lapide, Lampas 
dius, Klock mit ihren ſtaatsrechtlichen Schriften (F. 269.), 
die im $. 278. angeführten Staatsrechtslehrer, der Stadt— 


Lehrbuch der civiliſt. Litterärgefchichte v. Pr, R. Hugo. 101 


ſchreiber Kuͤnig mit feinem zwölf Folianten ſtarken Reichs— 
archiv (F. 304.), und noch viele andere von dem Verf. 
genannte Schriftfteller offenbar nicht in die Litteratur des Cis 
vilrechte, fondern in die des Völker s oder Staatsrechts. Auch 
dat der Verf. in fein Lehrbuch gute, mittelmäßige und fchlechte 
Schrifefteller unter einander aufgenommen ; ja man findet darin 
felöt einen Perrus Rebuffus, Rebhahn, Ungepaur, 
Zaunfdhliffer, die Hommel (Litteratura juris $. 145.) 
mit volllommenem Rechte unter die Plebejer rechnet, und 
‚wovon der erfte auh von Dumolin (Sur la Coütume de 
Paris Tit. I. n. 106.) mißhandele wird. Wenn Rec. alle 
Schriftſteller anführen wollte, die der Verf. in feinem Buche 
vergeffen hat, und die dod) eine ehrenvolle Stelle darin ans 
fprechen könnten, fo müßte er jehr viele Seiten mit bloßen 
Namen anfhillen. Inzwiſchen will er nur diejenigen nennen, 
die ihm zunächft einfallen. Er vermiße nämlich ungerne fols 
gende Namen, die er, ohne chronologifhe Ordnung, anführt: 
EX Rupertus, der gelehrte Philologe und Geſchichts⸗ 
forſcher in Altorf, der fuͤr die Rechtsgeſchichte mehr leiſtete, 
als die meiſten Juriſten vor ibm; Diodor Tuldenus, 
Profeſſor in Löwen; Paulus Picus, Alciati's Lehrer, 
der, wie Letzterer, den Responsis der Italieniſchen Nechtss 
gelehrten den Krieg angekuͤndiget hat; Tiberius Decia— 
nus, der die Responsa gegen jene heftigen Angriffe, in einem 
merfwärdigen Buche, vertheidigre; Sylveſter und Peter 
Aldobrandini; Clarus Sylvius; Richard Vitus; 
Joſeph Eyrillo, Profeffor in Neapel; die beyden Payen 
von Avignon; die Portugiefiihen Zuriften Pet. Barboſa, 
Arins Pinellus, Emanuel Acofta, Caldus Pe; 
reyra; den Staliener Jultus Clarus, einſt ein gefeyers 
ter Name; den Niederländer Koh. a Someren; den Spas 
nier Pich ardus, der den größten Snftitutionen » Commentar 
ſchrieb, uͤbrigens die kindiſche Schwachheit hatte, fi von Ans 
dern die Vorrede zu feinen Büchern ſchreiben zu laffen; die 
Franzoſen Joh. Copus und Per Coftalius, aus dem 
XVI Sahrhundere, wovon Erſterer fhon im Sahte 1555 ein 
fehr gutes Buch de fructibus fchrieb, und Letzterer von Die 
In, die nach ihm kamen, geplündert wurde, Ipho, als der 


402 Lehrbuch der civiliſt. Litterärgefchichte v. Pr. R. Hugo. 


einzige unter die Heiligen verfeßte Juriſt; die beyden Dänen, 
Per. Scavenius und Nicolaus Cragius (in der 
Ausgabe feiner Annales Danici von 1739 findet man Nachs 
richten von feinem Leben); Naoul Fournier, der Sohn 
des Suillaume, defjen rerum quotidianarum libri VI, 
auch ın Otto's Thesaurus ſtehen; Berenger Fernand, 
Profeifor in Touloufe, einjt das Orakel der Franzoͤſiſchen 
Practiter; Pet. Loriotus, einft Profefor in Bourges, 
Valence und Leipzig; Koh. Majoretus, von Toulouſe, und 
Prof Tor dafelbft, bekannt durch feinen Commentar über die 
Inſtitutionen; der Spanier Pet. de Valafco et Medis 
vıltla der ein Buch fchrieb: Rixae et implacabiles con- 
certationes Cajı et Proculi, aliorumque veterum juris 
auctorum. Salamanticae 1625. 4.5 Stephanus Bodeusg, 
der einen guten Snftitutionen s Commentar fchrieb, der 1559 
zu Paris bey Nivelle in Fol. erfchienen if; Nicol. Bur— 
gundus von Eaghien, zuerft Advofat in Gent, dann Pros 
fefor in Ingolſtadt, zuletzt Nath bes Gerichtshofes von Bras 
bant, durch mehrere gute Schriften befannt; Joh. Buteon, 
aus der Dauphine', deffen mathematifch juridifche Schriften 
zu Lyon 15599, in 4. herausgefommen find; SGac. Caimus, 
von Modena, Profeffor in Padua, durch feinen Folianten 
Variae lucubrationes. Patavii 1654. fehr berühmt; die Mies 
derländer C. D. Boeckelen und Paul. Bufius, an 
welhen leßtern Lipſius einen merkwirdigen Brief gefchries 
ben hat (Lipsii Epistolae p. m. 142.); Julius a Beyma; 
Hen. Brouwer; der Roͤmiſche Preofeffor Duni, durch 
feinen Streit mit J. H. Böhmer, und duch fein, Buch 
über den Urfprung und Fortgang der bürgerlichen Verfaſſung 
in Rom; der Meapolitaner F. A. Grimaldi durch fein ffehr 
gutes Buch de Successionibus legitimis berähmt; Pet. 
Sranc. Linglois, von Befancon, durch feinen Commentar 
üser die 50 Decisiones. Antwerpiae ı622. fol. befannt. 
€: war Advokat in Beſançon; vier Jahre vor ihm, nämlich 
1613, lieg Merille feinen Commentar über. die 50 Deci- 
siones zu Pourges drucken; aber Linglois fannte ihn nicht; 
tvenigftens fagt er in der Praefat. ad lectorem, daß er von 
allen Interpreten feinen kenne, der die do Decisiones „sigil- 


er 


Lehrbuch der civiliſt. Litterärgefchichte u. Pr, R. Hugo, 403 


latim et ex professo“ commentitt habe. Da aud anzuneh; 
men ift, daß Linglois mehrere Jahre an feinem. Werte 
gearbeitet habe; da er, in der Dedication an die Spaniſche 
Snfantin, Iſabella Clara Eugenia, felbft bemerkt, daß 
fein Werk lange bey ihm verborgen geweſen fey, und da man 
auch aus dem Werke felbft deutlich ſieht, daß der Verfaſſer 
Merilleis- Werk weder gekannt, noch benutzt habe, fo muͤſſen 
wir annehmen, daß beyde Gelehrte zu gleicher Zeit auf dens 
felden Gedanken gefommen f.yen, and’ keiner von dem Andern 
etwas gewußt habe; was bey allen intereffanten Materien 
immer zu wünjchen wäre. Wilhelm van der Muelen, 
befannt durch feinen Commentar über Grotius Merk, und 
durch feine Exercitationes in tit. D. de just. et jur. et 
‚historiam Pomponii de origine juris, ſollte gar nicht fehlen. 
oh. Ferrarıyd, mit dem Beynamen Montanus, ein 
Heſſe, Rath und der erſte Profeſſor der Jurisprudenz, und 
‚der erſte Rector bey der im Jahre 1607 errichteten Univerfirät 
in Marburg, :ift dem Rec. um fo merfwärdiger, weil er, 
außer Zafe, aus der erfien Hälfte des XVI. Jahrhunderts 
Feigen Deutfhen Juriſten fennt, der fo gut, fo kurz, fo ele— 
gang und. ſo frey von den haͤßlichen Fehlern der Bartoliſten 
gefchrieben. hätte. Seine adnotationes in. IV. institutionum 
libros, und fein Commentarius ad tit, D. de regulis juris 
zeichnen fi) beionders aus. Jene kamen zuerſt in Marburg 
1552 und 1536 heraus, und wurden fogleih in Paris ap. 
Simonem Colinaeum 1533. 8. und: in, &yon 1552, und fpäs 
ter wieder 1537 und 1544 nachgedruckt; dieſer erſchien zuerſt 
in Marburg 1536, und wurde fogleih. in Lyon 15357 und 
fpäter 1546 wieder aufgelegt. Won jenen befist Rec. felbft 
die Parifer Ausgabe von 1555, und von diefem die. Lyoner 
von 1557, was er deswegen anführt, weil er diefe Ausgaben 
weder bey Lipenius, noch ſonſt irgendwo angezeigt findet. 
Ferrarius hatte in feiner Jugend die Gottesgelehrſamkeit, 
die Medicin und die Rechte fiudire, bey welchem letztern Fache 
er blieb. Charles Dumolin, der in der Regel von den 
Deutſchen Zuriften feiner Zeit fehr machtheilig ſprach, nannte. 
der Ferrarius einen „vir excussi judicii.“ Er farb ein 
Jahr vor Duaren,,ıdöd, und gehört in dem Lehrbuche des 


” \ 


404 Lehrbuch der civiliſt. Litterärgefchichte v. Pr. R. Hugo. 


Verf. in den $. 211., wo er den Neihen der dort angeführten 
Marburaer Suriften in doppelter Hinfiche, einmal als fruͤhzei⸗ 
tiger treffliher Deutſcher Nechtegeiehrter, und dann als ver 
erfte Profeffor der Jurisprudenz auf der im Jahr 1507 neu: 
errichteten Univerſitat Marburg (G. A. Hartmann D. qua 
“Academia praesens Marburgensis eadem cum anno 1527 
instituta ostenditur. Marb. 1758.) mit allem Rechte führen 
follte. — Dem Franzoſen Louis Malquyt, deffen zu 
Paris 1626 herausgekommenes ſchoͤnes Buch: Vera non si- 
‚mulata letorum philosophia, Gund ling hundert Jahre 
ſpaͤter zu Halle wieder neu auflegen ließ, haͤtte auch eine 
Stelle?in des Verf. Lehrbuche gebuͤhrt. — Aus dem XVI. 
Jahrhundert waͤren auch noch die Niederlaͤnder Jacques 
Typot, Pet. Peckius und Pierre Corneille de 
Brederode (unter dem Namen Brederodius befannt) ans 
zuführen geweien. Typot, gebürtig von Dieftem, einer 
Stadt in Brabant, ſtudirte die Rechte in Sjtalien, ging nad 
MWirzburg, von da nah Schweden, wo ihn Gluͤck und Urs 
:gläd trafen, von-da (1595) an Kaifers Rudolph IT. Hof, 
der ihn zu feinem KHiftoriograpfen machte; + zu Prag 1602. 
Schriften: Historia Gothorum ; de Monarchia; de Salute 
'Reipublicae; de Justo, sive de legibus ete. — Peck's 
theoretiſch practifche Schriften Über mehrere wichtige Materien 
‚des Civilrechts waren immer fehr gefchäßt, auch erhielt der 
Verf. eine ehrenvolle Stelle in der zu Paris erfchienenen Aca- 
demie des Sciences et des arts; und Brederode's The- 
'saurus Sententiarum, von Modius bereichert, war ſtets 
der treue Achates der Practiker. Die Staliener Mafcard, 
Mantica, Merlinugs, Negufantius, TQTurrerug, 
Sahinäus, welcher letztere auch in Ingolſtadt Profeffor 
war, Vizzanius aus Bologna, dürfen in des Verf.‘ Lehrs 
buche um fo weniger fehlen, da fie Über mehrere Materien 
Hauptbücher gefchrieben haben. Ventura Coecus, Pros 
feffor in Bologna, hat eine Catalexis in L.2. D. de Orig. 
jur. Bononiae 1563. 4. gefhrieben. Von dem Neapolitaner 
.S$acobus-Gallus haben wir: Clariores juris Caesarei 
apices. Neapoli 1629. 4., und Brentmann ertheilt dies 
ſem Rechtsgelehrten die größten Lobfprühe (Diss. de republ. 


PN 


Lehrbuch der eivilift. -Litterärgefchichte v. Pr. R. Hugo. 105 


Amaljhitor. $. 37.) Nicolo Tortorelli, von #09 
gia, Advokat in Meapel, berühmt durch fein Buch: Deglı 
antichi Giureconsulti Romani. In Napoli 1756. 4. iſt aud) 
vergeffen, und fogar fein Landsmann Siuftiniani hat ihn 
überfehen. Alexander Turamini, aus Siena, ift um 
fo merfwürdiger, weil’ er fih vom Anfange an zur guten 
Schule des Connan, Duaren, Baron, Doneau, 
Biglius, Cujas hielt, und niche mit dem Strome feiner 
Zeit fchwimmen wollte, wo. man es dem Marianus So— 
cinus, nah Pasquier, zum Merdienfte anrechnete, daß 
er nicht ſoviel Zeit mit: den ſchoͤnen Wilfenichaften verdorben 
habe, als Alciatus. Noch ein Jahr vor fernem Tode, der 
1605 erfolgte, ftritt er. in Ferrara, im einer Rede, mit bes - 
wunderswuͤrdiger Offenherzigkeit für-die Franzdiiihe Schule, 
gegen die DBartoliften feines Landes. In feinen Schriften 
‚vergleicht und flelle er immer das pofitive mit dem Naturs 
rechte zufammen. Du Bosquet, der Herausgeber des Pfeks 
Ans, Karl Ruinus, Alziati’s Lehrer, der fih oft bitter 
beflagte, daß die Nichter fo Häufig gegen feine responsa fpräs 
hen, Arn. Joh. Corvtnus und fein Sohn Arnoldug, 
Francois de Roye, Vinc. Cabot, Franc Davydars 
gente, Joh. Superior, Joh. Brechaͤus, H. C. 
Campanus, Profeſſor in Dole, Pet. Belojus, Claude 
David, Padilla, Nic Fernandez de Caſtro, Jae. 
de la Lande, Franc. de Petris, D. Laurentiusa 
Santajana et de Buftillo, ©. Proufteau, Pet. 
Joh. und Claude Chifflet, Puga et Feyoo, Aeze— 
ma, Ajala, Apellanus, Det. Durgius, Gabr. 
Catianus, oh. Chr. Chriſtius, Chriſtoph. Coles 
rus, Jac. Conftantindus, Caͤſar Cofta, Ant. Suib. 
Eoftanus, Hieron. Elenus, Ferandus Adduens 
fie, Marius Arcas, Antoning fefcurius, Sam. 
Sermat, Joh. Filleau, Bal. Guil. Forfter, Gab. 
de Saft, Franc Marfius Gordonius, Hieron. 
Groslot, Ed. Heuryfon, Conſtantius Landus, 
Detlevus Langebeck, Beorg Lopez Madera, Pet. 
Martrefius, Marcus Vetranius Maurus, Mieto, 
Thomas Papillon, Per. Perrenon, Pet. Noncerusg, 


406 Lebebuch der civiliſt. Litterärgefehichte v. Br. R. Hugo. 


Gilbertus Regius, Chr. Riccius, Tuſſanus de 
la Rue, Eman. Soaretz a Ribeira, Joh. Solors 
zanus, Joh. Steck, Nic. Sudorius, Pet. Tronchin, 
Gabriel Vallius, Lud. Vitalis, Franc. Zoanetti, 
alle dieſe und noch eine große Menge anderer ſehr verdienter 
Rechtsgelehrter hat der Verf. in ſeinem Buche nicht angefuͤhrt, 
und doch gehoͤren ſie um ſo mehr hinein, da ſie nicht nur in 
vielen Puncten das Civilrecht vortrefflich aufgeklaͤrr und mehr 
Verdienſte um daſſelbe haben, als eine Menge anderer von 
dem Verf. genannten Juriſten, ſondern auch, weil der Verf. 
in ſein Buch auch ſogar Rechtsgelehrte aufgenommen hat, von 
deren Werken gar nichts zu uns gekommen iſt, wie Arnold 
Duferrier, Franz Roaldes, und in gewiſſer Art auch 
Aegid Perrot ($. 173. ). Der wißbegierige Rechtsgelehrte, 
der ſich auch nur uͤber die Zeit, wo ein Schriftſteller lebte und 
ſtarb, uͤber ſein Vaterland u d. bey Hrn. H. Raths erholen 
will, wird alfo nur gar zu oft: das Buch unbefriedigte wieder 
ans den Händen legen, und bey Andern feine Zuflucht fuchen 
muͤſſen. Diele verdiente Mechtsgelehrte find auch von dem 
Berf. nur zufällig und gelegenheitlic angeführt,. ohne 
daß man nur das Mindefte von. ihrem Leben, nicht einmal 
den Todestag erfährt. Diefes ift z. B. der Fall bey Zac. 
Curtius ($ 191.), Ren. Bottereau ($. duı.), Dass 
Pratejus ($. ı66 ) und vielen Andern. 

Ein Hauptpunct, worin Hrn. R. H. Lehrbuch dem Das 
boldihen, nıh Rec. Miynung nachſteht, ift diejer, daß Sr. 
H. meiftens ein bloßes Namensverzeichniß liefert, ohne: einge _ 
nur kurze Schilderung. der Verdienſte, und, was dod) bey 
einer Litterärgefihichte. eine unerlaßlihe Bedingung zu feyn 
fcheint, ohne Anführung der beften Schriftfteller, ben denen 
wan über jeden angeführten Nechtsgelehrten weitere Aufichläffe 
befommen kann. Diejen fohäßenswerrhen Vorzug dis Haus 
boldfhen Buches haben alle Kenner nach Verdienſt gewuͤrdiget, 
und er iſt für die künftige Bearbeitung der civiliftifchen Litte— 
rärgefchichte wichtiger, als man glaubt. Hr. Haubold if 
der erfte Rechtsgelehrte in Deutichland, der die eleganten 
Schriftftellee der civiliſtiſchen Lirterärgefchichte des Syn; und 
Auslands zu diefem Zwede vortrefflich benutzt, und ſich eben 


x 


Lehrbuch der cibiliſt. Litteraͤrgeſchichte v. Pr. R. Hugo. 107 


dadurch ein bleibendes Denkmal geſtiftet hat; denn feiner ſei⸗ 
"ner Vorgänger hat die fchöne Fitteratur des Auslands, an der 
fein Buch jo reich iſt, in diefer Hinſicht fo wie er gekannt 
und angewendet. Dies ift das große Verdienſt des Herrn 
Haubold, das ihm ewig bleiben wird, und wofür ihm alle 
Kenner, die eine folche fchmwierige Arbeit zu fchäßen wiſſen, 
ſtets dankbar ſeyn und bleiben werden. Hr. Hugo hat eine 
Menge Rechtsgelehrte in ſeinem Buche, die Hr. Daubokd 
nicht hat... Hätte Hr. Hugo nur wenigftens bey diefen dag 
ſchoͤne Verfahren des Hrn. Hau bold nahgeahmt, von deffen 
Vorzuͤgen er ſelbſt uͤberzeugt iſt, da er, in ſeinem Regiſter, 
bey jedem Juriſten, der bey Hrn. Haubold ſteht, immer 
auf das Werk defjelben verweiſ't. Bey lüterärhiftoriichen Wers 
fen bleibt, .. und muß die. Litteratur die Hauptſache bleiben, 
und durch, Litteratur allein kann ihnm ein bleibender Werth 
verjchafft werden. Die geregelte, abgemeffene, befcheidene, 
redliche, klare und geſchmackvolle Gelehrſamkeit, die Jeder— 
mann befriedigen und geſallen, und für den Urheber einnehs 
men muß, und jener, \o zu fagen, gelehrte Takt, der jede 
falſche Bewegung oder Ausweichung verhindert, und in der 
Gelehrſamkeit eben das, was in der Muſik das Ohr iſt, eine 
Sache, die man nur haben, nicht fernen fann, iſt ein weites 
ver Vorzug des Hauboldichen Buches. Ar. Haubold ſchildert 
immer kurz und bündig den Hauptcharakter des Schriftſtellars 
und ſeiner Schriften, Hr. Hugo thut es verhaͤltnißmaͤßig 
ſelten, und ſehr oft werden, wo es geſchieht, minder wichtige 
Sachen angeführt, wo wichtigere berührt, werden konnten. 
Sm 9. 416. geſteht der Verf. felbft, daß er bey. den Jetzt⸗ 
lebenden „ein fo trocknes Verzeichniß“ geliefert habe; Dieſes 
will Rec. nicht tadeln; denn nur die Nachwelt kann die Ver⸗ 
dienſte und den Ruhm der Gelehrten beſtimmen; aber dann 
kann es auch gewiß nicht bedenklich ſeyn, wie der Verf. in 
der Vorrede (S. VIII) meint, die Jetztlebenden wie die 
Verſtorbenen aufzunehmen, „und dann iſt auch die Gegenwart 
für den Schriftſteller nicht die Bundeslade, — 
berührt werden ſoll (ſ. Vorrede S. VIII). Mit 
ſchoͤnem und lobenswuͤrdigen Fleiße fährt Hr. — im⸗ 

mer ſehr genau die Buͤchertitel uns. die beſten Ausgaben an; 


108 Lehrbuch der eivilift. Litterärgefchithte v. Pr. N. Hugo. 


Hr. Hugo hat in feinem ganzen Buche nicht einen einzigens 
ordnungsmäßigen Buͤchertitel, und er fcheint fih diefe Nach— 
läßigkeit, die man auch in feinen übrigen Schriften, mit 
Ausnahme feines Index edit. font. Corp. jur. civ., bemerkt, 
zum Geſetze gemacht zu haben. In keinem Werke ift die 
tumultuarifche Anführung der Schriftiteller zu loben, aber in 
einem litterärhiftorifchen Werke ift fie befonders unangenehm. 
Man muß bey Hrn. H. Buche immer wieder andere Bücher 
bey der Hand haben, um nur die Titel zu willen. Es ift ung 
gewöhnlich, daß wir Sachen, die uns ganz geläufig und gar 
zu bekannt find, fo kurz als möglich, und ſelbſt mit Nach— 
laͤßigkeit anführen; aber man muß nicht übertreiben; denn 
kein Kenner laͤßt fih täufhen, und er glaube nicht mehr, als 
er glauben kann, und fein Urtheil nimmt fehr oft die entges 
gengeſetzte Nichtung. Vom $. 24. big zum $. 37. liej’t man 
nichts, als Nimen, und man befommt feinen Titel zu lefen ; 
man muß, wenn man genauer feyn will, immer fchon bier 
fogleih andere Büher zu Rathe ziehen, um nur den Titel 
beftimmt zu erfahren. Und fo geht es durdy das ganze Bud 
fort! Wielches die beffere, die neuere Ausgabe eines Buches 
fen, 06 es auch in einer gröfern Sammlung, und in welder 
ſtehe, davon erhält man nie Nach icht. Aber bey Hrn. Haus 
bold findet man es immer; und die Kenner, denen ihre 
Zee wereh ift, willen es zu ſchätzen, weun es auch Übrigens 
durchzus nicht Schwer für fie feyn koͤnnte, die Sache mit Auf— 
_ wand von Zeit felbft zu finden. Hr. R. Hugo fagt zwar, daf 
er recht fühle, daß er zum eigentlichen Litterator verdorben ſey 
(I. Borreve 8. X); allein Rec. glaubt, daß er fih hier Uns 
recht thue, und daß er, durch feinen index edit. font. Corp. 
jur. civ., fich ats genauen und muͤhſam-⸗fleißigen Litteratdr 
fo ſehr legitimirt Habe, daß, wenn er diefes in andern Schrif— 
ten niche iſt, man nichts anderes glauden kann, als daß er 
es hier nicht feyn wolle. | 
Einem weiten Vorwurfe kann auch diefes Lehrbuch fchwers 
lih entgehen,  nämlih dem, daß es die Bücher, aus 
denen es feine Sahen nimmt und nehmen muß, faft nie, 
oder da nicht nennt, wo es fie nennen ſollte. So wie 
das ansfhweifende Anhäufen der Schriftfteller, ein  ficheres 


Lehrbuch der cibviliſt. Litterärgefchichte v. Br. N: Hugo. 109 


Zeichen des verdorbenen Geſchmackes ift, eben fo iſt die Kargs 
heit der Gelehrſamkeit eine der vornehmften Urſachen des Vers 
falles der Wiffenichaften; und fo wie jeder von natürlichem 
Verftande geleitete Selehtte bey Leſung von Schriften, weiche 
mit langweiligen Kitaten üÜberladen ‚find, einen unerträge 
lihen Edel empfindet, eben fo endet auf der andern Seite 
auch der Lefer, der fid gern unterrichten möchte, und jene 
Schriften liej’e, worin man, unter dem Deckmantel eines 
philofophifhen Styls, unverfländliche und räthfelhafte Sachen 
findet, gewöhnlich das Buch, ohne viel mehr zu mwiffen, als 
er zuvor wußte, und ohne einmal zu wiffen, wo er fih nad 
befferer Belehrung hinzumenden habe. Wenn man die ges 
fhäßteften Schriftiteller aller Nationen, einen Rapin, Bofs 
fuet, Ferfelon, Fleury, Mabillon, Dupkn, Rols 
fin, Dubos, einen Abve Racine, Barthelemp, 
Montesquieu, DBayle, Muratori, Mazzuchelli, 
DBeccaria, Filangieri, Bandini, einen Hume, Ros 
bertfon und Gibbon, in ihren verfhiedenen Werten, 
aus der Heiligen und profanen Gelehrſamkeit, ohne allen 
Nachtheil für die Gleihförmigkeit und Fläjfigkeit ihres Styls, 
zur rechten Zeit und am rechten Drte, die Schriftfteller zu 
Beftätigung und Erläuterung ihrer Gedanken anführen, den 
Studirenden die Bahn zu jenen reinen Quellen der Litteratur 
und aller gründlichen Wiffenichaft Öffnen und erleichtern, und 
auf diefe Art mehr Mannigfaltigkeit und Reichthum in ihre 
Schriften bringen ſieht: fo haben wir in dieſen berühmten 
Namen nicht nur für immer ehrwärdige Mufter der Wachs 
ahmung, fondern wenn auch der Eine oder Andere diefe großen 
Männer in vie Elaffe der Pedanten ftellen wollte, fo wird 
doch ganz gewiß der größte Theil der guten Gelehrten mit der 
Belegung dieſes Titels zufrieden feyn, und ganz gen den 
Werth des philofophifchen Beiftes der unfruchtbaren Dunkelheit 
aller jenes Schriftfteller überlaffen, welche die pofitiven Wils 
fenichaften gern nah Art der metaphufifhen und mathematis 
fhen Aufgaben behandeln möchten. Glaubt derjenige, welcher 
in poficiven Wiffenfchaften keine Schrififteller citwe, feinen 
Leſern glauben machen zu können, daß er nur.aus den Quellen 
felbft, und aus feinem eigenen Kopfe Alles ſchoͤpfe, fo irtt er 


® 


410 Lehrbuch der cibiliſt. Kitterärgefchichte v. Pr. R. Hugo. 


gewiß ſehr; nur Unwiſſende wird er uͤberreden koͤnnen, den 
Kenner nie. Dieſer weiß zu gut, wie man ſtudirt, und wie 
jeder ſtudiren muß; und je mehr Verſtand er einem Schrifts 
fteller zutraut, deflo weniger fann er aud von ihm glauben, 
daß er ſich, aus eitler Anmafung, von felbft und ohne Grund 
und North, um einige Jahrhunderte, und in die Kindheit der 
Wiſſenſchaft zurückgeftellt, und daf er diejenigen großen Mäns 
ner unbenußt gelaffen habe, welche längft vor ihm eben dieſe 
Quellen mit fo viel Kraft, Umfaffung, Scharfiinn und Gluͤck 
bearbeitet Haben, daß ihm felbft, im Wergleihung mit dem, 
was diefe geleiftet Haben, nur noch jehr wenig zu thun übrig 
bfeiden kann. Warum follte man fi alfo den Schein von 
etwas geben wollen, das, wenn es Wahrheit wäre, uns, flatt 
Ruhm und Ehre, nur gerechten Tadel zuziehen könnte, und 
der größte Fehler wäre, den man begehen fönnte? Die großen 
Choryphaͤen der. ciwiliftifchen Gelehrfamkeit haben ſchon laͤngſt 
bey weiten das Meifte und Wıchtigfte entdeckt; und das Ver: 
dienft der. Neuern befteht meiftens nur darin, daß fie unter 
den verichiedenen Meynungen und Theorieen über irgend einen 
Segenftand eine auswählen, und hoͤchſtens mit einigen neuen 
Gründen, die felbft Übrigens ihnen meifteng wieder von den 
Yeltern an die Hand gegeven werden, unterftügen ‚und, „beräs 
tigen. . Alle civiliſtiſchen Schriften, welche in unjern "Tagen 
herausgefommen find, und weldhe man für die beiten der 
neuern Zeit hält, beurfunden die Wahrheit diefes Satzes nur 
allzu fehr. In Lehrbüchern über eine Wiſſenſchaft vollends 
kann der Natur der Sache nad nur der bey weitem kleinſte 
und unbedeutendfte Theil in neuen Dogmen beftehen, und die 
Kürze, zu der die Compendien verpflichtet find, macht jchon 
an und für fih Vieles dunkel. Warum will man aljo nicht 
redlich diejenigen nennen, die ung bey dem Schreiben umjerer 
Buͤcher geleiter, und aus denen wir das Beſte darin genoms 
men haben? Warum wollen wir nicht die furgen und dunkeln 
Saͤtze unferer Compendien durd fchuldige Anführung der 

Schriftſteller aufhellen, aus denen wir geichöpft haben, da es 
fein fihereres, -unfehibareres und für jeden Pefer angenehmeres 
tes Auftlärungsmitrel, ais eben dieſes, geben kann, wodurch 
diefer zugleich auf dem fürzeften Wege in den Stand geliebt 
wird, ein richtiges Urtheil über den Werth oder Unwerth eines 
vorgetragenen Satzes zu fällen? Warum will man dem wis 
begierigen Leſer gefliffentlih Dielen angenehmen Dienft verias 
gen, wodurd er, ohne daß das Buch um mehr als einige 
Vogen härker würde, über jeden wichtigen Saß, der ben ans 
dern Schriftftellern vollitändig mit allen Gründen und unendlich 
befjer entwickelte ift, als er in dem kurzen Paragraphen des 


% 


Lehrbuch der eivifift, Litterärgefchlähte v. Pr. RN. Hugo. 111 


engen Compendinms entwickelt werden fonnte, den beften 
Commentar zur nähern Auffiärung , zur beffern Prüfung, zum 
richtigern Urtheile und zur larften Ueberzeugung erhalten 
würde? Kat der Lehrer und Schriftfteller diefe jchönen Zwecke 
nicht, fo ift es ihm bey feinen Büchern mehr um fich ſelbſt, 
ats um die Lefer, zu thun; und er muß bey diefen norhwens 
dig in den Verdacht fallen, daß er ihnen gefliffentiih die 
Meittel, feine Säge richtig zu verfiehen und zu beurcheilen, 
entziehe; daß es ihm Frende mahe, wenn fie fih üver feine 
&äße in nuce, die er aus der vollftändigen Ausführung eines 
nicht genannten berühmten Schriftftellers extrahirt und räthiels 
haft hingeworfen hat, Säße, die mit Anführung dieſes Schrifts 
fiellers ſehr leicht zu verftehen wären, ohne Anführung deffelben 
aber, wie meiftene alle Ertrafte, entweder unverfländlich, oder 
wenigſtens zweydeutig find, die. armen Köpfe zerbrechen; daß 
er, durch Verſchweigung feiner Quellen, fich einen verfchanzs 
ten Hinterhalt machen wolle, um über diejenigen, die ihn 
angreifen, und feine geheimen Bertheidigungsmirtel nicht ken— 
nen, immer mie Vortheil herfallen und ihre Angriffe zuruͤck— 
fhlagen zu fönnen, und daß er uͤberhaupt mehr fcheinen wolle, 
als er wirklich ift.. Der wahre Gelehrte muß fogar den Schein 
meiden, als wolle er feinen berühmten Vorgängern den Ruhm 
ihrer Entdeckungen rauben, und er ehrt ihr Andenken am 
‚Ihönften dann, wenn er beym Vortrage wichtiger Wahrheiten 
fie als die Entdecker derfelben nennt. Ulrih Huber lobt 
es mit Neht an Lyklama, feinem Sandsmanne, daß er 
„alienissimus à more hujus, seculi nimium frequente et 
pudendo, describendi alıenas et pro suis audacter ven- 
ditandi- cogitationes“ geiwefen fey; und Gebauer fagt 
ſehr- fhön ( Narratio de Henrico Brenckmanno p. 95): 
„Sedulo sane cavi, ne prudens sciensque vel unam 
voculam Brenckmannianae industriae et laudi subtrahe- 
rem.“ 
Auch ift es auf jeden Fall eine nicht fehr delifate Fordes 
rung, wenn ein Schriftfteller, fen er, wer er wolle, von dem 
lefenden Publitum verlanat, dan es feinen Saͤtzen, ohne allen 
Beweis, gleichſam als Orakelſpruͤchen, blindlings glauben und 
tranen fol. jeder Schriftiteller ift fchuldig, den fcharfiinnigen 
feier, der immer“die ficherften Denkmäler aufiucht, um das 
Selefene anzunehmen und zu glauben, auf dem fürzeften Wege 
in den Stand zu feßen, fid) nach feiner Wahl davon uͤberzeu— 
gen zu können, ohne ſich bey den bloßen Worten und Ders 
fiherungen des Schriftftellers beruhigen zu muͤſſen, der, wie 
jeder Menfch, Irrthuͤmern aller Art ausgeſetzt bleibt, mifivers 
fehen- und hafardiren kann, was er will. Niemand kann 


“ 


412. Lehrbuch der eivilift, Litterärgefchichte v. Pr. R. Hugo. 


verlangen, daß man ihm aufs Wort glaube, und jeder, der 
zuhdrt, kann verlangen, daß der, welcher ſpricht, das, was 
er vortraͤgt, beweiſe. Dieſer Beweis kann nun entweder ſo 
geführt werden, daß man die Gruͤnde für einen Satz ſelbſt, 
oder daß man die Schriftfteller anführt, bey denen die Gründe 
bereits entwickelt find. Jener Beweis Ichicke fih für ausfühes 
lichere Abhandlungen, diefer für Compendien. Mer weder dag 
Eine, noch das Andere thut, erlaubt fih eine wicht zu. rechts 
fertigende Anmaßung, erichwert ohne Moth den Lefern ihre 
Arbeit, bringt fie um ihre edle Zeit, welche fie beffer anwens 
den fönnten, vermindert und vernichtet feinen Credit bey ihnen, 
und macht fie am Ende fo verdriefilich und ärgerlih, daß fie 
entweder feine Bücher ungelefen ganz ‚auf die Seite legen, 
oder nur mit dem größten Widermillen lefen, ihnen eine nur 
geringe Aufmerkfamfeit ſchenken, und die Zeit und den Augens - 
blick nicht erwarten fünnen, mo fie wieder getrennt von ihnen 
find, und fih wieder einem vedlichern, vegelmäßigern und ihre 
Wißbegierde mehr befriedigenden Schriftfteller überlaffen föns 
nen. Wenn man von der doppelfinnigen Pythia oft getäufche 
wurde, jo verläßt man ihren Tempel gern; man horcht nicht 
mehr auf ihre zweydeutigen Ausjprüche, und . geht wieder in 
die Afademie ! 

Auch tadelt es der Verf. ſelbſt (6. 248.) an Domat, 
daß diefer,, in feinem Werke, weder D’Efpeiffes, noch ir— 
gend einen andern Autor, nenne: 

— Video meliora ptoboque, deteriora sequor. — 

Einem mweitern Vorwurfe wird diejes Lehrbuch auch wohl 
ſchwerlich entgehen können, ‚einem Vorwurfe, der auch die 
übrigen Schriften des Verf. trifft, und der die Schreibart, 
die Manier und den Ton deffelven angeht. Der Styl deg 
Verf. liebt das Einfache, Matürtiche und Fliefende nicht, er 
weicht von dem gewöhnlichen Etple der Altern und neuern 
Klaifiter und auch unferer beften juriftifhen Schriftfteller ab, 
erhält den Lejer immer in einer unangenehmen ©pannung, 
ermüder ihn, macht ihn flers unzufrieden mir fih ſelbſt, laͤßt 
ihn ohne Beſchwerlichkeit von einer &telle zur andern nicht 
fortruͤcken, neckt und haͤlt ihn überall in feinem Gange auf, 
bringt ihn um viele Zeit, martert ihn ohne Moth, uͤberlaͤßt 
fih nicht felten, ftatt zu unterfuchen, einem minder beichwerlis 
chen Pyrrhonismus, geht immer nur auf das Ungewoͤhnliche, 
Auffallende, Pikante, auf das Mäthfelhafte ın Sache und 
Worten ans, fucht immer nur, fo zu lagen, die Quinteffenzen 
auf, und wird dadurch geziert, gezwungen und dunkel. 

Die Fortiegung folgt, ) 


— — — 


No. 8. SHeidelbersifhe 1813. 
Jahrbuͤcher der Litteratur, 


LICTICT SET ET rn Too ve n„„„.„.„„.„” rs 


Lehrbuch der civiliftifchen Litteraͤrgeſ chichte vom Prof. Ritter Hugo 
in Göttingen. 


C Sortfegung der in No. 7, abacbrochenen Recenſion.) 


RR... ift überzeugt, daß gerade der Verf. am menigften nds 
thig hätte, feine Bücher mit diefem unädhten Schmucke einer 
falihen Gelehrſamkeit aufzupußen, zu dem gewöhnlih nur 
diejenigen ihre Zuflucht nehmen, die zu arm find, um in 
einem foliden Aufzuge erfcheinen zu fönnen. Der Verf. hat 
zu viele Realitäten, als daß er nöthig hätte, nach Mitteln zu 
greifen, die tief unter feinen Talenten ſtehen. Auch weiß Rec., 
daß feldft die waͤrmſten Verehrer des Verf. diefed zu allen 
Zeiten lebhaft an ihm getadelt Hafen; und gewiß hat er fi 
fhon längft mehr damit gefchadet, als er glaubt. Man fchiebe 
ihm Motive unter, die Nec. nicht für wahr Hält, die aber, 
wenn fie es mären, nicht ehrenvoll für ihn ſeyn koͤnnten. 
Würde der Verf. in einem weniger gefuchten und weniger duns 
fein Style fchreiben, und würde er zu rechter Zeit und am 
rechten Drte die Quellen anführen, aus denen er fchöpft, ger 
wiß er würde feine glücklichen litterärifchen Erfolge nad der 
Anzahl feiner Werke zählen. Die Schriften. des Verf, fo 
wie fie find, find alle nur entweder für feine Zuhörer, denen 
er, im mündlichen Vortrage, die Raͤthſel derfelben geloͤſ't hat, 
oder für diejenigen, welde die Quellen kennen, und die Büs 
her befißen, aus denen er fhöpft, oder endlich für diejenigen, 
welche eine Materie ex professo ftudiren und das kleinſte 
Detail derfelben kennen, verftändlich; für alle Andere bleiben 
fie dunfel und beſchwerlich, weil man faft feinen einzigen Pas 
tagraphen fließend wegleien kann. Daher fommt es aud, daß 
felbft mehrere fehr gelehrte Profefforen des Civilrechts . in 
Deutfhland, die Rec. kennt, kein einziges Buch des Verf, 
befigen, ja nicht einmal leſen wollen; und, bey diefer Stims 
8 


444 Lehrbuch der civiliſt. Sitterärgefchichte v. Pr. R. Hugo. 


mung, läßt fi vielleicht nicht ohne Grund prophezeihen, daß 
die Werke des Derf., fo wie fie find, kein hohes Alter erreis 
chen, und daß hoͤchſtens ein anderer lichtvollerer Gelehrter 
fpäterhin das Beſte daraus nehmen, und in einem deutlihern, 
fließendern und angenehmern Style, unter Anführung der 
Duellen und Schriftfteller, welche benußt wurden, vortragen 
werde. 

Ein Scriftfteller und Lehrer kann feinem Publitum, das 
fih nicht bloß mit ihm allein zu beichäftigen hat, nicht zumus 
then, fo vieie Zeit auf die Enthällung feiner Raͤthſel zu vers 
fehwenden ; er ift fchuldig, fo klar als möglich zu fihreiben, fo 
Bar, daß ihn, wie Johann Campegius von Bologna, 
ein Juriſt des XV. Sahrhunderts, und Jaſon's Zeitgenoffe, 
zu fagen pflegte, Selbft die Signoranten verftehen können. Sehr 
mertwürdig ift auch die, wohl etwas zu flarfe Sprache, welche 
der große, ſchon bejahrte Cujas nur fünf Zahre vor feinem 
Tode, im Jahr 1585, in einer Rede, die er zu Vourged 
hielt, gegen die dunkeln Profefforen führte: „Idem quoque, 
fagte er, in doctore nostro requiro, ut nihil unquam tra- 
dat obscure in jure, et ut tradat patefacta ratione, clare 
et perspicue. Quo enim mihi juris interpres, nisi sit 
in eo, quod in ‚poöta Aristoteles exigit, ut res palam 
ante oculos ponat, et in bono lumine ? Quid enim 0x0- 
zeıwot illi Heraclito similes, nil nisi cruces atque tor- 
menta? Quid item turpius, quam id ipsum 
esse obscurum, quodin eum solum adhibetur 
usum, ne sint cetera obscura? Ab his nebulis 
nebulonibusque dicti sunt procul dubio nodi juris, dicta 
legum aenigmata!“ Unſere Nachbarn jenfeits des Rheins 
baben uns fihon oft genug, wegen unierer gelehrten Duntels 
beit, ausgelacht, und fhon im XVI. Sahrhundert tadelten fie 
es an ihrem hohverehrten Landsmann Dumolin, daß er 
feinen Styl nah den der Deutſchen Schriftfteller gebildet 
babe, — „qui rendent leurs Ecrits obscurs et quelquefois 
meme inintelligibles,, pour y vouloir affecter une trop 
grande Erudition.“ 

Gibbon und Spittler fiheinen auf die Screibart 
des Verf. entjcheidenden Einfluß gehabt zu baden; in Den 


Lehrbuch der eivilift. Litterärgefchichte v. Pr. R. Hugo. 415 


Schriften diefer: beyden Gelehrten fiheint man das Modell des 
Styls des Verf. zu erfennen. Aber jede Nahahmung bleibe 
immer binter dem Original zuräd, und kann zwar die Fehler, 
aber r die Tugenden deſſelben erreihen; und dann ift 
Spitrler fein Gibbon, und felbft Gibbon wird, eben 
feines gefuchten und minder einfahen Styles wegen, einem 
Hume und Robertſon mit Recht nachgeſetzt. Diefe bepden 
großen Schriftſteller ſind auch gedrängt und reichhaltig; aber 
fie find zugleich fo Mar und durhfihtig, und führen die Duels 
len, woraus fie fchöpfen,. immer fo redlih an, daß fie dem 
Lefer nichts zu wänichen übrig laffen. Der Verf. fcheint feis 
nen Styl auf den in Deutichland wenigftens feit einiger Zeit 
ziemlich gemeinen Geiſt des Jahrhunderts berechnet zu haben. 
Denn leider hat fid) der. Mipfticismus in unfern Tagen ſelbſt 
in die ſchoͤne Fitteratur eingefhlichen, und es ift wirklich fo 
weit gefommen, daß von vielen Idioten, welche ihren Ge— 
ſchmack durch die Elaffiter der alten und neuen Zeit noch nicht 
firirt haben, diejenigen über die Adyfel angefehen und verladht 
werden, welche nicht dunkel und unverfländlich ſchreiben; aber 
Nec. freut fih wenigſtens, daß er die. myfliihen Echriften 
immer für die Peft der Litteratur gehalten Hat, und er findet 
eine tröftende Beruhigung in dem Glauben, daß der Ges 
ſchmack für das dunkle Andeuten ein Rauſch fey, der nicht 
lange dauert, und deffen man fich fehämt, fobald er voräfer iſt. 
Der Verf. wird ohne Zweifel fagen, er fupplire und helle 
in dem Collegium Alles auf, und feine Lehrbücher feyen nur 
für feine Zuhörer beſtimmt, für welche es fogar vielleicht beffer 
fey, wenn ihnen die Sachen im Buche felbft nicht ganz faßlich 
dargeftellt werden, um fie an ein fchärferes Nachdenken und 
an eine flraffere Spannung der Seelenkräfte bey der Nepetis 
tion anzuhalten und gleichſam dazu zu zwingen. Allein abges 
rechnet, daß diefes Motiv immer den Schein hätte, ald wäre 
es dem Grundſatze nicht vorausgegangen, fo glaubt Rec., daß 
ein Buch, das auf die Leipziger Meffe kommt, auch für das 
übrige Publikum gefchrieben, und nicht bloß für die Studens 
ten in Göttingen beftimme ift. Sodann fieht er nicht ein, 
warum man auch den Studenten das ohnehin fehon ſchwere 
Nechtsftudium nicht auf jede Art zu erleichtern trachten follte. 


416 Lehtbuch der eivifift* Litterärgefchichte dv. Pr. R. Hugo. 

Wenn man ihnen die Sachen auch noch fo Mar vorträgt, fo 
Bleiben doch immer noch nur zu viele Schwierigkeiten und uns 
üderfteigtiche Kinderniffe, in eitier fo verwickelten und fo viele 
Kenntniſſe vorausſetzenden Wiſſenſchaft, für fie übrig, an denen 
fie ihre Kraft und ihren Scharffinn genug üben können. Der 
ralentvolle und fleifige Zuhörer bedarf keiner kuͤnſtlich herbey— 
geführten Schwierigkeiten, mm nachzudenken und feine Seelens 
krafte anjufpannen, und man, beraubt ihn unnöthigerweife 
einer Zeit, die er nuͤtzlicher anwenden könnte; und der minder 
"fähige und minder fleißige Student wird eher von dem foliden 
Studium des Rechts verſcheucht, wenn er feine einer immer⸗ 
währenden Spannung unfähigen Geiftesfräfte unaufhoͤrlich und 
auch da anftrengen foll, wo man Ihm die Anftrengung erfpa⸗ 
ven könnte. Auch waren die beften Compendienfchreißer der 
Altern und heuern Zeit, und feldft die Vorgänger des Verf. 
"uf der Univerfität zu Göttingen, nie der Meynung, daß man 
in den Lehrbuͤchern und Compendien die Schwierigkeiten ges 
Niſſentlich vermehren ſoll, um die Aufmerkſamkeit und das 
Nachdenken der Zuhörer zu fhärfen. Alle ihre Schriften dies 
fer Art find fo Mar und faßlich als mönlih, und an den 
Compendien von Georg Ludwig Böhmer wird gerade 
dieſe Klarheit in den Begriffen und Worten mit dem größten 
Rechte hauprfächtich gepriefen. Der Verf. ſelbſt ertheilt ($. 
378.) diefen Böhmerfchen Compendien ihr gebührendes Lob, 
"und doch wie weit find nicht die Lehrbücher des Verf. von der 
edeln und fchönen Einfalt derfelben entfernt ?_ Iſt einmal der 
richtige und kuͤrzeſte Weg entdeckt, warum will man dieſen 
nicht auch einjchlagen, und warum foll man einen längern und 
langweiligern fuhen, nur um einen bejondern zu Haben? 
Boͤhmer's Pehrmerhode ift die befte, weil fie in der Matur 
der Sache liegt, von Maren Begriffen ausgeht," diefe, ohne 
alle gelehrte Umichweife , deutlich und heil entwickelt, weiter 
verfolgt, darans wichtige nnd durchfihtige Wahrheiten zieht, 
die fr jeden Verſtand zugänglich find, und diefe immer ent 
weder mit Geiepftellen für minder fhwierige Säße, oder mit 
Schriftitelfern für diejenigen Säke belegt, . die zwar aud in 
den Geſetzen liegen, aber ohne Hälfe derer, weldhe ihre Muße 
und ihren Scharffinn auf die Erklärung derſelben verwendet 


Lehrbuch: der civiliſt. Litterärgefchichte v. Pr, R Hugo. 417 


haben, nicht fo leicht won allen Lefern begriffen werden känns 
ten. Eben deswegen wurde und wird über Boͤhmer's Comu 
pendien auf allen Univerficäten gelefen, eben deswegen werden 
diefe von allen Verſtaͤndigen, ohne irgend eine Ausnahme, 
hochgeſchaͤtzt; und man fann mit Gewißheit behaupten, daß 
fie diejes gluͤckliche Schickſal nicht gehabt hätten, wenn ihr 
würdiger DVerfaffer fie nah Art des Hrn. R. Hugo gefchries 
ben haͤtte. 

Soviel im Allgemeinen über das vorfiegende Buch. Rec. 
will nun, theils zu Beſtaͤtigung diejer allgemeinen Betrach— 
tungen mit einzelnen Beyſpielen, theild zu Derichtigung und 
Eriäuterung, theils zum Lobe mander einzelnen Saͤtze des 
Werf., auch etwas in das Detail der. 420 $$. gehen, aus des 
nen das Lehrbuch beiteht. j 

In der Einfeitung, die aus 41 66. beſteht, trägt der 
Verf. mehrere Sachen vor, die man in den bisherigen Lehrs 
büchern der civiliſtiſchen Litterärgefchichte nicht findet, die Man: 
dem zum Theil unbedeutend jcheinen können, die es aber in 
der That nicht find. Dergleichen Kleinigkeiten werden oft im 
Studium jelbft fehr bedeutend, und man muß fie, wenn man 
gut forttommen will, eben fo gut wiffen, als die wichtigſten 
Saͤtze. Im $. 3. fpricht der Verf. von den Familiennamen 
‚mehrerer Civiliften, die man gewöhnlid nur unter ihrem Las 
teinifchen Namen kennt. Man koͤnnte, flatt der angeführten, 
viele andere Beyſpiele geben, wo es noch ſchwerer iſt, aus 
dem Lateinischen den Familiennamen, oder umgefehrt, herauss 
zubringen. So hieß 5. Bd. Antonius Bengeus — Bens 
gy, Aegidins Hortenfins hieß Desjardins, Celſus 
Hugo Diffurug hieß De’coufu, Joh. Galli Hief Le 
Coq; und fehr wahrfcheinlic, vermuthet der Verf. an einem 
andern Drte (Civiliſt. Magazin III. Bd. 4. Heft. S. 440), 
dag Adrianns Pulväus in feinem WVaterlande Poudreur 
‚geheißen habe. S. 3 Mote ı) fragt der Verf: Mie hieß 
Gutherius?, Erſt im $. 245. ©. 227 fteht die Antwort? 
Bonttiere, mit der Bemerkung, daß bdiefer Mame erft 
fpät von Bayle aufgedeckt worden fey. Verſchiedener ift wohl 
noch fein Name gefchrieben worden; Goutier, Suthier, 
Sutieres, Soutitre, Gouthier Guthierres, 


418 Lehrbuch der civiliſt. Litterärgefchichte v. Pr. R. Hugo, 


Guthierre, Gouthierre. Diefe-d verfchiedene Namen ges 
ben ihm feine Sandeleute felöft. Der Verf. ſchreibt aber den Nas 
men doch nicht richtig, und wie ihn Bayle (Dictionnaire 
bistorique et critique, Tome ‘II. Edit. Amstel. 1740, p. 
Bıı. col. 1. note 114.) angibt; denn Bayle fchreibt Gous 
tiere, der Verf. hingegen Gouttiere. Auch in den Let- 
tres choisies de Mr. Bayle, Tom. II. Roterd. 1714. p. 709 
fteht folgende Bemerkung: „J'ai rencontre depuis peu dans 
T’Histoire de Bresse de Guichenon le nom fran- 
gois de cet Ecrivain. C'est Goutiere, Il etoit grand 
Humaniste, et illustroit ‘par la plusieurs passages du 
droit,“ S. 5 Note 6. fragt der Verf.: Welcher Name ift 
der mwichtigfte bey Viglius Zuichemus ab Ayta Frisius ? 
Er läßt diefe Frage unbeantwortet, aber da er ihn gewöhnlich 
Zuihem nennt (f. das Negifter S. 427 $. 4. $. 110. 
Note 3, $. 112. $. 101. Note 8. $. 124. Mote 1. $. 195. im 
Terte und in der Mote 1. $. 148. Mote ı.), fo fcheint er dies 
fen für den wichtigern zu halten. Dieſes ift aber nicht richtig; 
denn der wichtigere und der Familienname ift ab Aytta, meil 
der Vater des Viglius fich bloß Folcardus ab Aytta, ohne 
‘den Beyfaß Zuichemus. nannte. Biglius war alfo ber 
Vorname, ab Aytta der Familienname, Zuithemus ift ein 
DBeyfak von dem Drte Zuihem, wo, nah Martiniere, 
Viglius gebohren, und der, nad Andern, zugleidy ein alt 
vaͤterliches Famtliengut war; und Frifius wurde er von der 
Provinz Friesland genannt, worin Zuihem lieg. Martis 
niere nennt ihn daher richtig, nad feinem Bors und Zunas 
men, nur Viglius ab Aytta. Auch fein Landsmann, Ulrich 
Huber, hält den Namen ab Ayta für den wichtigern und 
Familtennamen (Opera minora et rariora. Trajecti ad 
Rhenum 17/6. 4. p. 126) und den Beyſatz Zuichemus nur 
für einen Beyſatz, der den Geburtsort beftimmen fol; fo wie 
er an demfelben Orte und in derfelben Linie den Joachim 
Hopper Snecanus, von feinem Geburtsorte Sneek, nennt. 
Die Sefhichtfchreiber übrigens, wie Bentivoglio, Wats 
fon und Andere, nennen ihn gewöhnlich nur mit feinem Vor— 
namen Viglius, mie aber nennen fie ihn Zuichemus. So 
wenig man bey Rofredus den Beyſatz Beneventanus, bey 


Lehrbuch der civiliſt. Litterärgefchichte v. Pr. R. Hugo. 119 


Pet. Gregorius ‘den Beyfak Tholofanus, bey Theodos 
sus Adamäus den Beyfak Sualembergius, ‚bey Hopper 
den Beyſatz Snecanus für den wichtigern Namen halten kann, 
eben fo weniz darf man auch den Beynamen Zuichemus bey 
Viglius ab Aytta für den mwichtigern halten. — Daß 
auch die Vermoͤgensumſtaͤnde nicht felten auf die litterarifche 
Wirkſamkeit Einfluß haben, wie der Verf. $. 5. bemerkt, ift 
nur allzuwahr. Alciati wollte das ganze Corpus juris gloffis 
ren; aber der Krieg fchmälerte feine Einkünfte; er mußte 
advociren und Gutachten ftellen, und fo unterblieb diefe nuͤtz⸗ 
lihe Arbeit (f. Alciati Epistola Francisco à Turnone in- 
scripta opp. Tom. J. praefixa p. 2). Die Armuth iſt eine 
Krankheit, von der die Gelehrten felten geheilt werden; auch 
die Juriſten konnten dem bekannten Joh. Pierio Wales 
riano manden Beytrag zu feinem Bude: de infelicitate 
litteratorum liefern. — In dem Sage, daß die Aenderung 
der Srundjäge der Schriftfteller oft fehr bemerkenswerth fey, 
($. 10.) lieferte wohl in neuern Zeiten der Baron von Fonts 
Heim das merfwärdigite und auffallendfie Beyiptel. — Wenn 
der Bf. ©. 8 6. 13. Mote 3. ſagt, Sehr oft werde Fattos 
rini ſtatt Sarti unrichtigerweife genannt, fo iſt hiebey zu 
bemerken, daß man eigentlih bey dem Werke: de claris 
Archigymnasii Bononiensis Professoribus beyde, Sarti 
und Fattorini, zugleih nennen follte; denn der erftere 
ſtarb, ehe er auch nur den erftien Theil vollendet hatte, und 
der leßtere mußte audy in diejem eben deswegen noch an fehr 
vielen Orten nahhelfen. Uebrigens nennt der Verf. ( ©. 33 
Note 5.) felbft den Fattorini flatt Sarti. 

Schr richtig fängt der Verf. im $. 3g. eine eigene Periode 
in juriftifher Hinfihe mit Polizian an, ungeachtet Coras 
(Miscellanea ) behauptet, er habe von dem Roͤmiſchen Rechte 
nichts verflanden, und ungeachtet auh Alciatus mit einer 
gemachten Gefhichte deffen Ignoranz, als Nechtsverftändiger, 
glaubwürdig mahen wollte. — Mon $. 42. bis $. 88. bes 
nußte der Verf. beynahe immer Sarti’s und Fattorini’g 
bereits angeführtes Wert, ohne es Übrigens viel zu nennen. 
Man fieht überall, daß es der Verf. emfig fludirt, und faſt 
allein zum Grunde gelegt hat. Diefes Werk iſt als der befte 


420 Lehrbuch der cibiliſt. Litteraͤrgeſchichte v. Pr, R. Hugo. 

Commentar zu den fragmentarifchen und oft dunkeln Stellen 
des Buches anzuſehen. Wo vom $. 42. bis $. 80, eine Stelle 
raͤthſelhaft iſt, da darf man nur dieſes Merk nachſchlagen; 

man findet da immer dasjenige hell und deutlich vorgetragen, 
was in dem Buche des Verf. dunfel if. Sarti's und 
Fartorini’s Merk geht aber nur bis zu Dinus Mugel— 
lanus, alio bis zum $. 88. des Lehrbuches. Von hier an 
muß fodann Tiraboſchi zu Hülfe genommen werden. S. 16 
$. 31. fpricht der Verf. von Diplovataccius md Pans 
zirolfus. Es ift am fich ganz gleichgältig, ob man einen 
Schriftſteller mit feinem vaterlaͤndiſchen oder mit feinem Pateis 
nifhen Namen nennt; aber da der Verf. in der Regel immer 
das erftere thut, fo erfordert es die Gleichförmigkeit, daß es 
überall gefchehe. Deswegen follte Diplovatazzi, Pans 
zirolli, Alciati (©. ı6 und ©. 106), Sigone, Gem 
tilt (S. 30 und 128. ©. 164. 190. 191), Ferretti, nidt 
Ferret (©. 102), Pietro Vettori, flatt Petrus 
Victorius (S. 127 $. 140.), Aldo Manuzio (S. 127 
$. 141.), Matheo de Afflitto (S. 90 $. 113,), Ays 
mar du NRival, flat Aymar NRivallius (S. 146 
8. 166.), Baron, flatt Baro (&. 178), Cafaubon, 
ſtatt Cafaubonus ($. 194.), Broe flatt Broeus (©. 
229), Giuſephe Tofcano Mandatorizgo, flatt Tofs 
cani Mandatorizzi (S. 535 6. 349.), Gentien 
Hervet, ſtatt Gentianus Hervetus (S. 120), Bone 
oder Bouerry, ſtatt Boerius (S. 108), Rouſard, ſtatt 
Ruſſard (S. 158), Roncagallo, ſtatt Ronchegal— 
lus (S. 91), Juſtel und Voel, ſtatt Juſtellus und 
Voellus (8.256) u. ſ. w. in dem Lehrbuche ſtehen. — 
Gegen $. 46. Note 2. ©. 31 iſt zu bemerken, daß ſchon vor 
Mosheim und Spittler, und ſogar gleich unmittelbar 
nad) Erfheinung des beruͤchtigten Buches des Alex. Macs 
chia velli, im J. 1726 dieſes in Italien ſelbſt große Wi— 
derſacher gefunden Habe, und daß, auf Macchiavelli's 
Bitte, der Doctor Giuſeppe Pozzi di Jacopo, ein 
munterer und ſpaßhafter Mann, eine nicht ernſtlich gemeinte 
Vertheidigung des Calendarium verfaßt habe. Fantuzzi 
kannte wohl ſchwerlich Spittlers Abhandlung, wenigſtens 


Lehrbuch der: civiliſt. Litteraͤrgeſchichte v. Pr. N. Hugo, 121 


gitirt ser fie nirgends. — Wenn der Verf. (S. 31 More 3.) 
bemerkt: „Von dem Anfarae des zweyten Bandes des MWers 
tes: ‘de claris archigymnasii Bononiensis professoribus, 
ift nichts in den Buchhandel gekommen; es eriffive aver mes 
nigftens ein Eremplar davon in Deutfchland,“ fo weiß Ree. 
nicht, wozu diefe Bemerkung nüßen foll, und warum der 
Verf. nicht lieber geradezu gefagt hat, wo es exiſtirt. Diefes 
ift gerade, als wie oft Leute fagen: Ich weiß eine Meuigkeit, 
aber ich fage fie nicht! Lieber nichts ale fo geſagt! Warum 
die Neugier Anderer vergeblidy reizen? Warum eine Sache 
als wichtig behandeln, die es nicht ift, und die man, ohne 
alles Nachdenken, bloß hiſtoriſch, entweder durch Leien, oder 
mündlihe Tradition, erfährt? Diefe Bemerkung des Verf. 
erinnert an den casus unus des $. 2. I, de Actionib., wor⸗ 
über fi ſchon fo viele Gelehrte die Köpfe zerbrochen Haben, 
und wegen deffen dem Tribonian fihon fo viele Vorwürfe 
gemacht worden find. — Gegen S. 56 Note 5. ift zu benters 
ten, daß Fattorini und Sarti von der Gefchichte mit 
den zu Amaffi von den Pifanertt gefundenen und von Lothar II. 
. beitätigten Pandekten doch deutlich genug ſprechen, indem biefe 
gleich auf der 2. Seite $. 5. eine fabula genamnt wird. — 
Der $. 48. ift in einem hoͤchſt befchwerlihen Style: abgefaßt; 
ec. glaubt nicht, daß irgend Jemand, dem diefer $. vorges 
lefen wird, feinen Inhalte würde faffen köͤnnen. — Bey $. 56. 
Note ı. ©. 45 hätte Sarti Tom. I. p. 52. $. 10. ange: 
führe werden follen; denn fo, wie die Note fteht, muͤſſen 
diejenigen, welhe Sarti’s Werk-nicht kennen, glauben, der 
Verf. habe diefe Entdecfung gemacht. Alkein auch Sarti ift 
nicht der erfte Entdecker; denn fhon Duck (de auctorit. jur. 
civ. p. m. 359. et 360.) hat eben fo interpungirt; und auch 
Terraſſon (Histoire de la jurisprudence romaine p. 429) 
bemerkte, daß Selden den Rogerins mit dem Vaca— 
rius verwechfele. — Im $. 56. bemerkt der Verf., daß das 
Compendinm des Bararius-äber das Roͤmiſche Recht nicht 
bewiejen ſey. Sarti tft zwar - allerdings ( Tom. J. p. 54) 
dagegen ; aber feine Gründe find nicht flarf genng, um den 
Glauben an das Chronicon Normannicum zu vermichten. 
Das Breviarium, oder die Excerpti de codice et digestis 


422 Lehrbuch der eivilift, Litterärgefchichte v. Pr. R. Hugo. 


novem libri, wovon die Normannifche Chronik fpricht, ext 
flirten gang gewii, was auch Sarti dagegen fagen und für 
Zweifel und Hypotheſen erheben mag. Dec. beruft fih, und 
zwar, foviel ihm bekannt ift, zuerft auf ein Dokument, das 
‚alle diefe Zweifel auf einmal vernichtet, nämlich auf die Man- 
. tissa de libro rarissimo, Bibliotheca Ant, Augustini, Tar- 
waconensis Antistitis, die ®ebauers Narratio de Hen. 
Brenckmanno. Goettingae 1764. 4. angehängt if. In dies 
fer Mantissa fteht (©. 197 Nro. 380.) folgendes Buch, als 
‚in der Bibliotheca manuscripta latina A. Augustini befinds 
dich: „Incerti auctoris breviarium, sive excerpta ex enu- 
-cleato jure Digestorum et Codicis, pauperibus Anglicis 
destinata, ac novem libris comprehensa. Regulae juris. 
Liber in membranis annor. CD. forma folii.“ Diefes ift 
nun ganz zuverläifig daffelbe Buch, von dem die Normannifche 
‚Chronik fpriht. Wenn nun ihre Angabe von der Exiſtenz defs 
felben richtig ift, warum follte die Angabe von dem Verfaſſer 
deffelben weniger glaubwürdig feyn? And wenn, in der Bi- 
bliotheca .manuscripta A. Augustini, ‚der dort befindliche 
Koder auf ein Alter von 400 Sahren, im Jahre 1566, wo 
dieſe Mantissa zu Tarragona gedruckt wurde, gefhägt worden 
iſt, fo. fällt. deffen Werfertigung gerade in das Jahrhundert 
‚und in die Zeiten, wo Bacarius, nah der Normannifchen 
Chronik, lebte; und alfo wird eben dadurch die Angabe diefer 
Chronik, auch in Adfiht auf den Verf. des Breviarium, noch 
weiter beftätiget. — Die Bemerkung, welche der Verf. im 
6. 63. gegen die große Menge von Zuhörern des Albericus 
macht, hat feinen hinreihenden Grund, weil nah Odofres 
dus, die Scholae S. Ambrosii, in denen Albericus lag, 
ampla conclavia prope $. Ambrosii ecclesiam waren, 
ubi ab antiquiori tempore populi Bononiensis conventus ha- 
beri solebant, et à magistratihus urbanis jus dicehatur, 
antequam Bulgari aedes ad id fuerint delectae (Sarti 
et Fattorini Tom. I. P. J. p.62 q. 2.). — Bey Azo 
($. 68.) wäre auch noch zu bemerken geweien, daß zu feinen 
Zeiten die fogenannten Concurrentes oder Antagonistae ents 
fanden find, von denen wir in den Schriften der Altern Ita— 
lienifchen Szuriften fo vieles lefen,. die fo oft den Metteifer, 


x 


Lehrbuch der civiliſt. Litterärgefchichte v. Pr. R. Hugo, 123 


Neid, Haß und: Sturz berühmter Profeſſoren verurfachten, 
diefen recht eigentlich zur Qual und zum Aerger beygegeben 
waren, ihren Fleiß und Eifer immer in der unangenehmften 
Spannung erhielten, und ihnen Sehr oft ihr langes, Anfehen, 
ihren alten Ruhm, ihre Ruhe, Ehre, und das ganze Gluͤck 
ihres Lebens raubten. Ein folder Concurrens mufite mit dem 
Profeffor in derfelden Stunde und Über denfelben Text lefen. 
Nach der Lertion trat er mit. ihm auf den öffentlihen Kampf 
plag , in Gegenwart aller Zuhörer von beyden Theilen,. und 
diſputirte mit ihm über die in der Lection abgehandelten Artis 
fel und Streitfragen. _ Hier fuchte er nun mit allen Stadeln 
feines Scharfſinns und Witzes auf den Profeffor zu ſtechen, 
diefem eine tödtliche Wunde um die andere beyzubringen, ihn, 
mit allen Runfigriffen der Dialectif, aus der Fafung zu brins 
gen und in die Enge zu treiben, mit feltenen Terten zu übers 
raſchen, mit- ganzen Colonnen von, Authoritäten zu belagern, 
fur, mit allen. Waffen der höhern und niederern Seelenfräfte, 
der ſchwerern und leichtern Gelehrſamkeit, ſelbſt der Arglift 
und Chikane, gegen ihn Sturm zu laufen, und ihn dem Ges 
fpötte, dem Gelächter und der Verachtung eines jugendlihen 
und muthwilligen Nuditortums preis zu geben. Dieſe Difpus 
tationen waren gelehrte Haken, zu denen ſich aydy der wuͤr⸗ 
digfte und gravitätifchhte Profeſſor primarius, zur großen 
Beluftigung des jungen juriftifhen. Anfluges, nolens volens 
hergeben, und wobey er fid ſehr häufig proftituiren laffen 
mußte. Die muthigern Concurrenten erlaubten fi nicht felten 
die ausfchweifende Freyheit, Terte zu erdichten und herabzus 
fefen , die nirgends eriftirten, nur um den Primarius in eine 
augenbfickliche Stockung zu bringen, und die ehrerbietigen 
. Schüler ermangelten in folchen kritiſchen Augenblicken nicht, 
ihren Lehrer aus vollen Haͤlſen auszuladıen. ‚Die rudigften 
nnd gelaffenften Primarii, melde, nad ihrem Naturell, nur 
zu einem ftillen und fanft hinfließenden Leben Hang hatten, 
mufiten fih Gewalt anthun, aus den Schranken ihrer Natur 
mit Gewalt hervorbrehen, ihren Tharafter verleugnen, ſich 
mit dem größten Widerwillen in das ganze Meer von Labalen, 
Kniffen und Chifanen fiärgen, in dem der unruhige Kopf, 
wie in feinem Elemente, lebt, und, bey den fanftefien Ges 


124 Lehrbuch der civiliſt. Litterärgefchichte u. Pr. R. Hugo. 


mütheanlagen, fi troß den händelfüchtigften und zänkifchften 
Menichen, troß den tollften Brauſekoͤpfen, benehmen. Sie 
mußten fih erniedrigen, Partheyen unter den Studenten zu 
bilden, und diefe felbft mit Gelde auf ihre Seite zu ziehen 
traten. Dev Sieger wurde meiftens von den Studenten, 
wie im Triumphe, nach Kaufe begleitet. Diefe Sitte wurde 
von Italien auch nad Frankreich verpflanzt, und Bartolus 
(ad L. ı. $. divus etc, n. ı2. D. de var. et extraord. 
cogn.) fpricht von einem folchen gelehrten Kampfe, der zu 
Toulouſe zwiihen dem Profeſſor primarius, Guilielmus 
a Sunio, und feinem Concurrens, BDeltrandus de 
Monte Faventino, nah dem Jahre 13540 Statt hatte, 
Aber in Italien hielt fich diefe Sitte weit länger. Sehr oft 
endigten fich diefe gelehrten Fehden mit Injurien von beyden 
Seiten, manchmal fogar mis Thätlichkeiten. Den Carolus 
Ruinus, der doch fchon vorher einen ehrenvollen Kanıpf mit 
dem gefltrchteten Jaſon in Padua beftanden hatte, jagte 
einmal fein Concurrens, Franciscus Parmenſis, bloß 
durch ein fanftes Lächeln, fo ſehr in die Hitze, daß er in den 
Heftigften Zorn ausbrach, und fih allen Ausfchweifungen einer 
gügellofen Rede ohne Scheu uͤberließ. So wie fih gemeinigs 
lich die Unverfhämtheit des Lebens unvermerkt aud) den Mers 
ten der Schrififteller mittheilt, fo waren oft auch die Schriften 
jener Zeiten der Abdruck jener mnanftändigen Kämpfe. Mans 
cher Primarius, der in der Difputation von feinem: im Ganzen 
minder geſchickten Coneurrens, durch einen gluͤcklichen Einfall, 
oder einen liſtigen Kunftgriff, in. die Enge getrieben wurde, 
ſuchte ſich nachher, in einer Schrift, zu rächen, umd die vers 
biffene Wuth gegen feinen Gegner auszulaffen.” Ganz gewiß 
waren die Machtheile diefer Sitte größer als die Mortheile: 
eben deswegen kam fie auch allmählig außer Gebrand. — Su 
die zweyte Periode von Irnerius bis Accurſius gehören 
auh noch Jacobus Colombinus, der berühmte Feudift, 
der Engländer Stephan Langton, der Frangfe Guy 
Foucaut, nahher Pabſt Clemens IV., und der, durch 
mehrere gefhäßte Schriften bekannte, Pabft Innozenz IV. 
— Bon $. 75. bis 85. ſtehen fehr gute allgemeine Betrachtuns 
gen Über die dritte Periode, von Accurfius bis Bartolus, 


Lehrbuch der civiliſt. Litterärgefcehichte v. Pr, R. Huge, 125 


meiftens aus Sarti’s und Fattorini’s Werke genommen. 
Diefe Periode zeigt uns herumirrende Profeiforen , welche ans 
fehnlihe Summen , aus den Beyträgen ihrer Schüler, ziehen. 
Die Iuftige Stelle des Odofredus (S. 56 Not: 2.) if 
aus Sarti T. J. P. I. p. 150 Mote a) entlehnt. Wenn der 
Verf. hier behauptet ($. 75. Mote2.), das Verhaͤltniß zwis 
fhen lectio ordinaria uno extraordinaria, in der ‚dritten 
Meriode, fen jet nicht mehr ins Klare zu feßen, und es jey 
wohl .nicht dasjenige, wie nachher zwifchen einem Publicum 
und Privatcollegium geweſen, fo ift Rec. nicht diefer Meys 
nung, weil es ſich beſtimmt bemweifen läßt, daß, auch in der 
‚dritten Periode, lectio ordinaria und extraordinaria ſich 
bloß dadurch unterſchieden, daß diefe von den Zuhörern bezahlt 
werden mußte, jene ‚hingegen nicht. Schon die Stelle des 
Ddofredms, weihe Sarti und aus diefem der Verf. (S. 
56 Mote 2.) anführen, leidet fchlechterdings keine andere Erz 
klaͤrung; aber noch viel deutlicher erklärt -fih derfelbe Odos 
fredws hierüber an einem andern Dvte, nämlidy in Pro&mio 
Pandect. in princ. n. ı1. Was den Zweifel betrifft, den der 
Verf. hierbey äußert, daß nämlich ‚die Lehrer keine Gehalte 
hatten, fo wußten ſich die: Profefforen recht gut und fchlau zu 
heifen; denn von Irnerius an, dem feine Nachfolger recht 
gerne folgten, lafen die Profeffoven der Irneriusſchen ‚Schule 
Öffentlich und umfonft nur über das Digestum vetus und den 
Codex; die andern und zwar die bey weitem michtigeren 
Theile, mimlich das infortiatum und novum, erklaͤrten -fie 
privatim und gegen Bezahlung. Diefes fagt Odofredus 
ausdruͤcklich Comment, ad L. ult. D. de divort. num, ult, 
und es ift bekannt, daß dieſer Nechtsgelehrte den Urſprung 
und die Befchaffenheit der Irneriusſchen Schule, deren IeKter 
Sproͤßling er felbft war, am beften von Allen kannte, und 
daß wir beynahe Alles, was wir von ihr wiffen, nur durch 
ihn wiffen. Auf diefe Art zwangen die Profefforen ihre Schuͤ— 
fer auf indirecte Weiſe, ihre Privatcollegien zu beſuchen, und 
jeder Student war: genöthtget, dem Profeffor ‚eben fo gut. zu 
opfern, als wenn er publice gar nicht .gelefen hätte. Denn 
weicher Schäler Hätte nur einen Theil, mit Hiutanfeßung der 
zwey andern Theile der fo Hoch verehrten ‚Digeften, ‚hören 


126 Lehrbuch der civiliſt. Litterärgefchichte v. Pr. R; Hugo. 


mollen? Und was lag dem Profeffor daran, wenn er für das 
Privatcollegium recht gut bezahlt war, was, mie wir wiffen, 
geihah, ob er für das Publicum Über das vetus etwas oder 
nichts erhielt? Er war für das letzte ſchon in dem erſten, 
wo nicht dem Namen, doch der Sache nah bezahlt. Wer 
weiß, ob nicht aus bloßem Eigennuß die Eintheilung und Abs 
fonderung in Digestum vetus, infortiatum et novum fo 
lange und fo religiös beybehalten worden ift. Auch wiſſen wir 
nicht, ob die Profefforen der Seneriusfhen Schule, fo lange 
fie feine Gehalte vom Staate hatten, nicht wenigftens andere 
Vortheile genoffen, die fie mit einem Publicum, das fie ums 
fonft laſen, gerne vergalten. Auf jeden Fall fanden fie in 
dem großen Anfehen und der Ehre, die von ihrer Stelle auf 
fie ſelbſt zurücfiel, verbunden mit dem Rechte, auch Pris 
vatcollegien”zu lefen, und, mit diefen, den Beuteln der tus 
denten zuzufeßen,, eine veichliche Entfchädigung daflr. Das 
Infortiatum mußte ihnen befonders ein wichtiger und Lieber 
Name feyn, weil er die Grenze bezeichnete, wo fie, auf dem 
großen Wege der Digeften, anfingen, auf Rechnung der Stus 
denten zu reifen. Wenn Ddofredus, in feiner Antändis 
gung, drollig genug fagte: Extraordinarie non credo legere, 
quia Scholares non sunt boni pagatores, fo war dieſes 
eine weder ernſtlich abgefaßte, noch ernftlich gemeinte Diohung, 
bey der er darauf rechnen fonnte, daß fie ihre Wirkung nicht 
verfehlen, daß die Studenten in fih gehen, und, um feines 
Unterrichts nicht beraubt zu werden, das Honorar entweder 
anticipiven, oder den nefchäßten Lehrer wenigftens volltommen 
fiher ftellen würden. Non credo legere ift weit weniger als: 
non legam ; jenes ift, fo zu fagen, eine Ernladung zu Pers 
fuaforien ; und welche Periuaforien die ficherften jenen, gab 
O dofredus durd, fein angeführte Motiv deutlih zu ertens 
nen. Hätte er aber auch feine Drohung ausgeführt, fo wiſſen 
wir ja nit, ob er nicht in LUmfländen war, die ihm wohl 
erlaubten, sine folche Probe zu machen, oder ob er nicht auf 
irgend eine andere Art eben fo viel, als durd ein privatum 
verdienen konnte. — Bey der dritten Periode hätte auch bes 
merft werden können, daß fchon in diefen Zeiten die Subeilis 
täten und Neuerungen die Manier waren, wodurch fih ein 


Lehrbuch der civiliſt. Litteraͤrgeſchichte u, Pr. R. Hugo. 127 


Mrofeffor vor dem andern auszugeichnen fuchte, daß diefe Herrn 
mit einander oft auf eine nicht fehr wuͤrdige Art wetteiferten, 
ja daß fie fih manchmal feldft fo weit vergaßen , ihre Körfäle 
aud mit ihren Bedienten anzufüllen. — Daß Accurfius, 
wie der Verf., der gemeinen Meynung gemäß, im $. 83. bes 
haupter, ſich fpär zur Nechtsgelehrfamkeit gewendet habe, iſt 
nicht nur fehr unmwahrfcheinlih, fondern auch beſtimmt unrichs 
tig, und durch zwey glaubwuͤrdige und ſehr alte Schriftſteller 
des XIV. Jahrhunderts, naͤmlich den Philippus Villa— 
nius und Domenicus Bandini, widerlegt. Sarti 
hat, aus einem handſchriftlichen Codex der Barberiniſchen 
Bibliothek, einen Auszug aus dem Villanius (Tom. J. 
P.2. p. 202.), und, aus einer Waticanifhen Handichrift, 
einen Auszug aus Bandini (T.I. P.2. p. 205.) gegeben, 
welche diefes außer Zweifel fegen; und er felbft, auf diefe 
großen Authoritäten gefläßt, und die gemeine und unwahrs 
fheinlihe Meynung für eine Fabel ertlärend, fagt- bes 
fimmt (T. J. P. ı. p. 137 et 158. $. V.) von Accurfius: 
„A prima aetate literis se dedit, et mira temporis brevi- 
tate artes liberales didictt, Mox ad jus civile se con- 
tulit in tenera adhuc aetate, à quo Studio nnnquam 
deinceps discessit.“ — Cynus von Piftoja ($. 88.) ift 
ein als Rechtsgelehrter und Dichter gleich merkwuͤrdiger Mann. 
Noch vor Docaccio, nämlih zu Dante’s Zeiten, fchrieb 
‚er Gedichte, welche verdienten, feldft von Petrarca, ber 
ihn gleihfam als feinen Lehrer anfah, gelobt zu werden. Er 
lebte, ftudirte und lehrte zu Bologna die Rechtsgelehrſamkeit, 
und wurde in Rom Benfiger Ludwigs von Savoyen, der das 
ſelbſt Senator und gleichfam Stellvertreter des Kaifers Heinrich 
VII. war. Der $. 88. ift ein auffallendes Beyſpiel eines ges 
fuhten und abſichtlich dunkeln Styls. „Linus aus Piftoja, 
über deffen Verhältnig zu Perrarca und Boccaz bey Panzirof 
(Panzirolli ) ein hoͤchſt unhiftorifches Gemählde, und feitdem 
nod ein Betrug von Doni vorfommt. Er ftarb 1356 oder 
1541.“ So lauter der ganze Artikel von Cynus. Was 
fann ein folher Artikel in der Seele des denfenden Leſers zus 
rücklaffen ? Wozu diefe gefliffentlihe Unverſtaͤndlichkeit! Warum 
follen fich die Lofer ohne alle Noch die Köpfe zerbrechen ? Wo 


4128 Lehrbuch der eivilift, Litteraͤrgeſchichte v. Br R. Hug 


ſollen fie erfahren, in was Don i's Betrug beſtand? Warum 
ſollen fie eine Sache errathen, die der Verf. kurz vorher viel 
leicht ſelbſt nicht wußte? Warum verweiſ't der Verf. nicht 
redlich auf Tiraboſchi (Tom. V. p. 265), woraus er die 
ganze Sache genommen hat? — In der Mote ı. zum $. 88. 
kommt fogleich wieder ‚ein ganz ähnliches Manoeuvre vor. Dieie 
Mote lautet wörtlich fo: „Er (Linus) wird pft bey einer 
Stelle aus Cajus angeführt, die er aber von Jacobus a 
Ravanmis hatte, und diejer Hatte fie wahrſcheinlich nur aus 
Boethius.“ Mas joll abermal diefes Raͤthſel von Anmers 
kung? Warum will der Verf. abermal die guten Lefer rathen, 
und im gangen Cajus fuchen laffen, wo er fie doch nur mit 
zwey Worten auf die, fonft nur mit der größten Mühe zu 
findende, Stelle verweifen konnte? Warum gibt er ſich die 
Miene des Urhebers diefer fehr richtigen Bemerkung ? Warum 
fagt .er nicht. vedlich, daß fie einzig und allein dem. gelehrten 
Schulting angehört, aus dem er fie genommen hat ? 
Wie weit befcheidener, anfpruchslofer, redlicher, deutlicher, 
Schöner, und fogar noc weit kürzer ſagt hier. der vortreffliche 
KHaubold (Institut. jur. rom, litter. $. 24. nota c.): 
„De Cajo ex Cino restituto vid. Ant. Schultingius Ipd. 
Antej. p. 54?“ Mit diefen wenigen Worten weiß Jeder fos 
gleich Beſcheid; Jeder weiß fogleich, wo er fid weiter unters 
richten kann, während die Leier des Pehrbuches des Verf. mit 
unerträglihem Zeitaufwande alle die vielen Moten zu Cajus 
durchblättern muͤſſen, um eine zwar richtige, aber nit fehr 
wichtige Bemerkung zu finden. Offenbar hat auh nur die 
Hauboldihe Mote den Verf. zu der feinigen veranlaßt; 
aber, weil er die Bemerkungen Anderer nie mit ihren Worten 
wieder zurück gibt, und weil fein Styl das Matürliche nicht 
liebt, fo häflte er die fhöne Einfalt der Hauboldfchen Mote 
in eine gefuchte Dunfelheit, wobey man nidht umhin kann, 
ftet8 an das Duintiliantihe: „qui, ut aliquid novi afferre 
videantur, etiam meliora mutant“ zu denken. — 


(Die Fortiegung folgt, ) 


— Henn 


No.: 9. Heidelbergiſche 1813. 
Jahrbuͤcher der Litteratur. 


Du“ 





Lehrbuch der civiliſtiſchen Litteraͤrgeſchichte vom Prof. Ritter Hugo 
in Göttingen. 
( Sortiegung der in No. 8. abgebrochenen Kecenfion, ) 


J. die dritte Periode gehoͤren auch noch Oldradus de 
Ponte, Schuͤler des Dinus, Guilielmus de Manda— 
got, Verfaſſer des VI. Buches der Dekretalen, und die fünf 
Profefforen zu Touloufe, Jatobus de Arenis, Suiliels 
mus de Montelauduno, Gencelinug, Lucas de 
Penna, Suilielmus de Cuneo. — In der Charakter 
riftit der vierten Periode, von Bartolus bis auf Polis 
zian ($.91.), hätte vorzüglich bemerkt werden follen, daß, 
neben der Dämmerung in der alten Litteratur, in diefer Periode, 
zugleich jene eckelhaften dialectifchen Streitigkeiten, Unterfcheis 
dungen und Weitfhiweifigkeiten, und kurz alles das, was die 
fhönen Beifter an die Thüre des Tempels des Gefhmades 
verweifen,_aufgefommen find, und zum großen Schaden des 
gründlichen Studiums des Roͤmiſchen Rechts, nur allzulange 
die ſchoͤne Wiſſenſchaft diefes Nechts verunftaltet urd verwirrt 
haben. Der Urfprung jener unzähligen und unnügen Fragen, 
welche die Schule befchäftigten, die Wiffenichaft zu einer uns 
fruchtbaren Cafuiftit herabwärdigten, und jene unermeßlichen 
Bände hervorbradten, welche fie in den folgenden Zeiten fo 
verächtlich gemacht Haben, muß vorzüglich in diefer Periode 
gefucht werden. Wielleiht könnte man behaupten, daß Mangel 
und Ueberfluß an Büchern zugleich zur Weitläufigkeit der Werte 
der fcholaftijchen Juriſten diefer Periode beytragen konnte. 
Diefe traten auf die Schaubühne der gelehrten Welt, um zu 
einer Zeit, wo die Bücher, in Vergleichung mit den fpätern 
Zeiten, noch felten waren, eine allzubedeutende Rolle zu ſpie⸗ 
len. Sie glaubten Alles ſagen zu muͤſſen, weil die meiſten 
Leſer, die keine oder nur ſehr wenige Buͤcher hatten, Alles 
9 


430 Lehrbuch der eivilift. Litteraͤrgeſchichte v. Pr. R. Hugo. 


neu war; fie wollten als Vielwiſſer, Entdecker und fcharffinnige 
Dialectiter angefehen ſeyn, fie beſaßſen das große Geheimniß 
nicht, nur das Wichtige auszuheben, fie fagten zuviel, und 
wurden fade, ſchwuͤlſtig und eckelhaft. In Vergleihung mit 
den frühern Zeiten hingegen, und namentlich in Wergleichung 
mit dem Zeitalter von Irner ius bis Accurfius, waren 
nun fchon fehr viele Bücher ihrer Vorgänger in ihren Händen, 
und, mit diefen, bereits eine Menge controverfer Rechtsſaͤtze 
und Mennungen der Doctoren im Umlaufe. Diefe gaben 
ihnen Selegendeit zu langwierigen Unterfuhungen und zu wies 
der neuen Mepnungen, die fie eben fo breit, und mit eben 
den langweiligen Umſchweifen darlegten, durch die fie dazu 
getommen find. Wenn die Schrififteller der frühern Periode 
nur felten und mit wenigen Worten Andere citirten, fo fing 
jest fhon Bartolus an, Authoritäten mit reicherer Hand 
auszuftrenen, und feine Machfolger wußten bald kein Ziel und 
Maß mehr zu ‚beobachten, fie führten ganze Laftwägen von 
Allegaten herbey, und verfchangten die gemeinften und unbes 
deutendften Pläßge mit einer ungeheuern Wagenburg von Citas 
ten. Sie erflärten nunmehr nicht fowohl die Geſetze, als 
vielmehr bloß die Meynungen ihrer Vorgänger; die Geſetze 
waren von der Laſt der Meynungen unruͤhmlich niedergedrückt, 
und von dem dichten Staube bededt, den die Schule und die 
Heerden von Meynungen der Doctoren erregt hatten. — Die 
Mote 1. zu $. 94: (©. 75) ift abermal auf geſuchte Art duns 
tel. Sie lauter fo: „Auch gegen Laurentius Valla fol 
die Lex quinque pedum (c. 5. C. 3. 39.), die ſchon viel 
früher bey Abelard (wahrfcheinlic einer Verwechfelung mit 
Bailardus) vorkommt, gebraucht worden feyn. Er babe 
fi) darauf berufen, mander Surift verfiche die Ufucapion 
nach den XII Tafeln nit.“ Was follen die Lefer mit diefer 
Mote, die fie nicht verftehen können? Warum gefiel es dem 
Verf. nicht, ihnen eine unnöthige und unnuͤtze Mühe durch 
ein Meines Eitat von einer Linie, etwa nur duch: Alcıat 
de 5. ped. praescript. liber. n. ı. et 77. (In opp. T. III. 
p- 596 et 605) zu erfparen, und, zum richtigen Verſtande 
der Parentheſe, Sarti Tom. I. P. 1. p. 49. $. 1. anzuführ 
ven, aus dem dieſe genommen it? Warum der Verf. im 


Lehrbuch der civiliſt. Litterärgefchichte v. Br. N. Hugo. 131 


. 100. Note 3. (S. 79) den fo "verdienten Hom mel bes 
wegen uͤber die Achſel anſehen will, weil er kurz uͤber den 
theologifch » juridiſchen Proceß des Bartolus geſprochen hat, 
weiß Rec. ſich nicht zu erklaͤren. Dieſer Proceß iſt eine fo 
auffallende und aͤrgerliche Erſcheinung in der gelehrten Weit, 
daß man noch jetzt mit dem wahren Motiv des Verf. nicht 
recht im Reinen iſt, daß man nicht weiß, ob man ihn als 
die Wirkung einer ausfchweifenden oder zerruͤtteten Einbildungs⸗ 
kraft, oder der Spätterey und Srreligion des Verf. anfehen 
fol, und dag man nicht begreift, wie ein Schriftfteller des 
XIV. Sahıhunderts es wagen durfte, ein fo unanftändiges 
Buch zu fehreiben, worin, die ehrwürdigften Namen mißbraucht 
und dem Teufel entgegen ‚geftelle. werden, um den Lefern den 
Civilproceß zu erklaͤren; morin Maria heidnifhe Gefege 
citirt, um das menfchlihe Geſchlecht gegen: die Angriffe des 
Satans zu verwahren, und worin gegen die gemeinften Ber 
griffe ſo ſehr augeſtoßen war, daß der boͤſe Feind erft im 
Jahre 1511 zur ewigen Verdammniß verurtheilt wurde. Wenn 
ſehr berühmte Gelehrte, ein Bayle, Marchand, und auch 
der Advokat Terraſſon, nebſt noch vielen Andern, noch 
von Niemand daruͤber getadelt wurden, daß ſie weitlaͤufige 
und umſtaͤndliche Unterſuchungen hieruͤber angeſtellt haben, ſo 
wird man dem verdienten Hommel wohl auch eine kleine 
Octavſeite verzeihen, die er dieſem Gegenſtande gewidmet hat. 
— Die Anmerkung über Baldus ($. 101.), daß das Geld, 
welches diefer Juriſt mie Fideicommiffen verdient haben fol, 
noch neuerlich zu Anfpielungen auf Suriften gebraucht worden 
fey, muß abermal für alle diejenigen dunfel bleiben, welchen 
die Schrift, woraus diefer Übrigens ganz unwichtige Umftand 
entlehnt ift, zufälligerweife nicht zu Gefichte kam. Mander 
Profeſſor, der über des Verf. Lehrbuch leſen wollte, müßte, 
wenn er auf diefe Stelle fäme, und von feinen Schuͤlern des 
fragt. würde, wo jene Anfpielungen gemacht worden ſeyen, 
ohne weitere Umftände verfiummen, und feine ganz nicht ums 
rühmliche Ignoranz geſtehen. Auch gehört fo ‚eine Anmerkung 
gewiß nicht in einen $. eines Lehrbuches der cioiliftifchen Lirres 
tärgefchichte; Hr. Haubold würde fie, nach feinem feinen 
gelehrten Taste, ganz gewiß niche einmal nur In einer rote 


432 Lehrbuch der eiviliſt. Litterärgefchichte v. Pr. R. Hugo. 


‚aufgenommen haben. — Baldus muß übrigens am Lefen 
‚and an dem: Profefforg s Leben eine Freude wie keiner gehabt 
haben ; denn er; fagte (in Pro&m. Dig. $. Itayue etc. n. 9.): 
Legumſdoctores in omni loco et omni tempore felices 
sank. in ber Panziroktt war nicht dieſer Meynung; denn 
ser feßte unmittelbar dahinter: „Quod an verum sit, ipse 
widerit "Sm $. 103, ſagt der Verf. von Chriftophos 
rus de Caſtighione: „Er wird als ein Neuerer genannt, 
‚aber worim beſtand dies?“ Die Antwort iſt: Darin, daß 
ver, nad) einer Menge unruͤhmlicher Juriſten, welche die Meys 
‚nungen und: Erklärungen ihrer Vorgaͤnger Höher als die Geſetze 
ſelbſt fhästen, nur jene fudirten und diefe vernachläffigten, 
‚ und, was die nothwendige Folge dovon war, die falicheften 
und thörichften. Säße derfelben ohne Prüfung annahmen, von 
Hand zu Hand weiter gaben, und felbft in die Praxis eins 
führten, wieder der erſte und hauptfächlichfte Doctor war, der, 
‚mit Hintanſetzung jener albernen, gemeinen und hochverehrten 
"Meynungen, ſich bloß wieder an die Geſetze ſelbſt hielt, diefe 
nad ihrem wahren Sinne und aus andern Geſetzen zu erflä- 
ren fuchte‘, keine erdichtete, fondern nur folhe Grundſaͤtze zu 
Entſcheidung ſchwieriger Rechtsfragen anmwendete, welche in 
den Geſetzen ſelbſt gegruͤndet waren, alle jene divinatoriſchen 
Diſtinetionen, Limitationen, Ampliationen und Ausnahmen 
von der Regel, wovon es in den Schriften ſeiner Vorgaͤnger 
wirmmelte, aus den ſeinigen verbannte, eben darum den ge: 
meinen Mepnungen der Suriften vor ihm, bey jeder Gelegens 
heit, den Krieg anfündigte, und, weil er viel Scarffinn 
beſaß, dafür eine Menge neuer Meynungen und neuer Spißs 
findigfeiten aufftellte, die vor ihm Feiner auf die Bahn gebracht 
‚hatte. Weil er glücklicherweife, an Raphael Fulgofius, 
Raphael Cumanus und Paulus de Caftro, drey 
berühmte Schüler hatte, die auf der neuen Dahn ihres Meis 
fters mie Gluͤck fortwanderten, und wovon die beyden erftern 
von Jaſon (ad L. ı. D. de pact.) öffentlich beſchuldiget 
werden, daß fie die Schriften ihres Lehrers unter fich getheilt, 
und feine Entdeckungen unrechtmäßigerweife ſich zugeeignet 
haben, ſo mufte auch noch der Glanz der Schüler, was 
immer der Fall ift, auf den Lehrer Strahlen zuruͤckwerfen; 


Lehrbuch der civiliſt. Litterärgefchichte u: Pr, R. Hugo. 133 


fo tonnten felöft die Neuerungen feinee Schüler, befonders: 
wenn Jaſon's Beihuldigung. richtig war, als fein eigenes: 
Werk angefehen, und fo verdiente er mit Recht, ein Neuere: 
genannt zu werden. Ohne Zweifel hat diefe. nämliche Stelle des 
Sajon, der nicht lange nah Caftiglione lebte, den fpäs 
tern Juriſten hauptſaͤchlich Anlaß gegeben, diefen Rechtsgelehr⸗ 
ten einen Neuerer zu nennen, ohne ſeine Schriften ſelbſt zu 
kennen. Sie lautet wörtlih fo: „Contrariam opinionem 
et quidem probabiliter tenuerunt subtiles moderni, Ra- 
phael Fulgosius et Raphael CGomensis, et ante eos fuit 
opinio subtilitatum principis, D. Christophori de 
Castiglione, eorum praeceptoris, cujus novas opinio- 
nes saepe sibi adscribunt.“ Jaſon muͤſſen wir, ſowohl 
wegen des Zeitalters, in dem er lebte, als wegen feiner eiges 
nen Fähigkeiten, für einen competenten Michter in diejem | 
Streite halten, und, auf feine*Treue und Glauben, darf nun 
Caftiglione, von allen Zuriften und für alle Zeiten, eim 
Neuerer genannt werden, oder ed gibt wenig hiftorifche 
Wahrheiten mehr in der Welt. — Wenn der Verf. im $. 109. 
von Raphael Fulgofi. und Raphael Raimondi, 
oder da Como fpriht, und nicht das gewöhnlichere Fulgo- 
sius, Comensis, Raimundus wählt, fo harmonirt es nicht 
recht, wenn er nicht auh Bartolo, Baldo, Minucci, 
Accorfo, Saliceto, Donamict, Bonifazio de 
Bonoconfiglio, Bulgaro, Calderini, Dacio, 
Robortelli, u f. w. ſchreibt. — Bey Jaſon ($. 108.) 
wäre befonders auch zu bemerken geweien, daß er, felbft nad) 
Alciatus Urtheil, etiam in literis Jatinis longe praestans 
war. Ein poffirlihes Schaufpiel muß es geweſen feyn, als 
er im J. 1499 zu Pavia vor dem König Ludwig XII. vor 
fünf Eardindlen und einer großen Menge anderer ausgezeichs 
neter Perfonen, in einem Kleide von Soldftoff las, und die 
wichtige Thefis, gegen mehrere Antagoniften, vertheidigte, daß 
die Ritterwuͤrde, welche Jemand wegen Tapferkeit im Kriege 
von feinem Fürften erhafte, auch auf die Kinder uͤbergehe. — 
Die Note 3. zum $. 107. hätte abermal mit dem Schriftfteller 
belegt werden follen, aus welchem fie genommen if. — Bey 
$. 212. Mote 2. iſt zu bemerken, daß die Klagen der Practiter 


434, Lehrbuch der eivilift, Litterärgefchichte v. Pr. R. Hugo. 


und Barbaren gegen die Humaniſten zu allen Zeiten gehört 
worden find, ja daf jene auch noch in uniern Tagen. wenigs 
ſtens im Stillen über diefe feufzen. Wie könnte es auch anders 
ſeyn? Keiner will im Alter geftehen, was er in der Jugend 
vergebens erlernt hat, Jeder fieht durch feine eigene Brille, 
und die Eigenliebe der Menfchen geht fo weit, das fie feldft 
die Tugenden, die fie nicht befigen, an Andern eher für Feh— 
ler zu halten, als fih eigene Mängel einzugeftehen geneigt 
find. — Wenn der Verf. im $. 115. von Marcus Mans 
tua fagt: „Er farb 1582, und wenn er wirklicd, über go 
Jahre alt wurde, fo konnte er freylic den Gojährigen Ceras 
als einen ziemlich jungen Mann fchildern“ und dabey wieder, 
nach feiner Gewohnheit, weder den Autor nennt, aus dem er 
das gojährige Alter des Mantun erfuhr, noch den Schrifts 
ftellee, bey welchen Zweifel über fein und des Ceras Alter 
erhoben worden find : fo ift dies abermal eine, die Manier 
des Verf. ganz charafterifirende, Affectation, die um fo mehr 
zu tadeln ift, weil fie auch in der allereinfachften und unwich— 
tigftien Sache von der Welt, wobey es fih der Mühe niche 
verlohnt, nur eine Minute Zeit zu verlieren, nach Dunfelheis 
ten und Räthfeln haſcht. Denn kein Profeffor ift hier im 
Stande, den status controversiae Mar einzufehen, wenn er 
nicht vorher, mit unnuͤtzem Aufwand von Zeit und Mühe, 
dem Autor nachgefpürt hat, aus dem die Bemerkung genoms 
men ift; und einer Menge Lefer, welche die Quellen des Verf. 
nit kennen oder nicht befisen, muß die Sache ftets ein Raͤth—⸗ 
fel bleiben, das fie nie loͤſen können. Es iſt undegreiflich, 
wie der Verf. in dergleihen Dingen etwas fuchen mag, wozu 
auch nicht die geringfte Kunft erfordert wird, und womit ihm 
jeder gelehrte Juriſt, wenn er wollte, und nicht von einem 
rihtigern Sinne geleitet wäre, nicht hundert s fondern taufends 
weife aufwarten, und ihn in die größte Werlegenheit jeßen 
Pönnte. Was würde denn der Verf. dazu fagen, wenn er 
3. B. Säße der Art in einem Buche finden würde: „Daß bie 
berühmten Römer, welche den Pflug nah dem Commando— 
ftabe führten, deswegen fein fo großes Lob verdienen, zeigt 
vortrefih Bongainville“ „Daß die erdichteten Hiftorien 
darum Romane genennt werden, weil die Roͤmiſche Geſchichte 


Lehrbuch der civil. Litterärgefchichte v. Pr. R. Hugo: 135 


die Geſchichte aller übrigen Nationen an großen Keldenthaten 
fehr weit übertraf, hat Dod well bewiefen.“ „Daß ein keu— 
ſches Indiſches Frauengimmer um feinen andern jPreis, als 
um einen Elephanten, zu einer Ausfchweifung gebracht werden 
könne, bat ein berühmter Griechiſcher Geſchicht— 
fhreiber behauptet.“ „Daß das Roͤmiſche Recht in Italien 
nie ganz außer Gebrauch gefommen fey, hat am beften und 
mit vielen Documenten ein Staliener in der erften 
Hälfte des ıd. Jahrhunderts bewiefen.“ „Eine pes 
riodifche Zeitfhrife, die in Frankreich gefhrieben 
wurde, erzählt eine fo großmüthige, außerordentliche und 
rährende Handlung des Verfaffers des Esprit des Loix, daß 
ein gefühlvoller Lefer fih dabey der Thränen nicht enthalten 
kann.“ „Schon im J. 1558 ift in Poitiers ein Kompendium 
bes Civilrechts gefchrieben worden.“ „Der Buchhändler Roffi 
hat, in der Vorrede zu einem gefchäßten juriftifchen Werke, 
das im J. 1770 in Stalien in Lateinifher Sprahe zum 
zweytenmale gedruckt wurde, mit fehr guten Sründen die 
Nachtheile der Fideicommiffe aus einander geſetzt.“ Was 
würde der Verf. zu dergleichen Sachen fagen? Er made nur 
mit diefen Benfpielen, die Rec., fo wie fie ihm zunaͤchſt im 
die Feder kamen, miederfchrieb, feine Kleine Probe, und er 
wird finden, daß er auch nicht ein einziges dieſer 7 Raͤthſel 
loͤſen kann. Und fo wollte ihm Rec. täglih zu Hunderten 
aufgeben, und abfichtlid hat er in dieſer Kritik noch viele 
Sachen nicht mit Authoritäten belegt, die der Verf. nicht leicht 
wird finden können. Sin der Note 3. zu $. 118. (S. 99) 
hätte der: Verf. den Titel von Hommels biographiſchem 
Verzeichniffe anführen follen ; denn hundert Lefer werden nicht 
wiffen, daß feine Effigies Ictorum in indicem redactae 
darunter verftanden find, und gewiß zuerft in feiner Littera- 
tura juris vergeblich nachjuchen. UWebrigens haben auch ſchon 
Denis Simon und Taifand den Poliziano unter den 
Nechtsgelehrten aufgeführte. — Wenn der Verf, im. $. 195. 
behauptet, Alciat habe in feinem Leben wohl nie den Cu— 
jas nennen hören, fo zweifele Rec. fehr hieran, und er if 
vielmehr vom Gegentheile überzeuge. Cujas las zum erſten— 
male im Sahre 1547 Über die Snftitutionen, und er wurde 


436 Lehrbuch der civiliſt. Litterärgefchichte v. Pr. R. Hugo. 


fogfeich berühmt, man verſprach fich fogleich viel won ihm, und 
man bemwunderte vorzüglich die Klarheit feines Vortrages, die 
immer das Erbtheit der hellen Köpfe ift. Dieies fagt Pas: 
quier (Oeuvres T. II. p. 568), der zugleih bemerft, daß 
er feldft diefer erften Pection des großen Mannes angewohnt 
habe. Rec. befißt ferner ein feltenes, aber unbedeutendes 
Buch, nämlich die Epistolarum legalium , in quibus varii 
juris articuli continentur, libri tres von Johannes 
KRaymundus von Touloufe, die im J. 1549 zu Pyon in. 
herausgefommen find, worin Cujas in der Dedication, - die 
der Verf. an diefen richtete, fchon den ©. Auguft 1549 und 
fünf Jahre vorher, ehe Eujas etwas geichrieben hatte, vir 
doctissimus et decus hujus aetatis genannt wird. Da nun 
Alciat erft im J. 1550 in Pavia flarb, und da zwifchen 
Touloufe und den Univerfitäten in Dbers Stalien, durch die 
Studenten aus Frankreich, welche auf dieje gingen, ſtets eine 
Verbindung unterhalten wurde, fo ift es nicht wahrfcheinlich, 
dag Alciat, der gewiß nicht weniger, als die -Profefforen 
gewöhnlich, auf feine Kollegen auf anderen berühmten Unis 
verfitäten, und namentlich auf der berühmten Liniverfität eines 
Landes, in dem er feldft mehrere Jahre als Profeffor lebte, 
neugierig war, vom J. 1547 an bis 1550 nichts von einem 
Profeffor ſollte gehört Haben, der gleich bey Eröffnung feiner 
Öffentlichen gelehrren Laufbahn fih berühmt machte, und, was 
wohl zu merken ift, auf einer Liniverfität, wo damals nur die 
Sekte der Bartoliften und Barbaren die herrfchende war, dens 
felben Weg eingefchlagen, und diefelbe Lehrart zu der feinigen 
gemacht hatte, wodurch er felbft vor den meiften Juriſten fei: 
ner Zeit ſich fo vortheilhaft ausgezeichnet hat. Wenn der Verf, 
in den Zufäßen und Berichtigungen (S. 597) fich  verbeffern 
will, und bemerkt, daß es im $. 122. eine Verwechfelung des 
Todesjahres von Alciat mit den drey Andern fey, daß dieſer 
den Cujas wohl nie habe nennen hören, fo verfteht Ree. 
entweder diefe Erläuterung nicht, oder die Sache ift nicht richs 
tig. Denn aus der unridhtigen Angabe des Todesjahres 
des Alciat (1558), die man im $. 1922. findet, fonnte die 
Behauptung ges Verf. unmöglich entftehen, weil die richtige 
Angabe (J. 1650) diefe Behauptung noch weit eher vechts 


Lehrbuch der civiliſt. Litterärgefchichte:-v. Pr. R. Hugo. 137 


fertigen und mwahrfheinlich machen Fönnte. Haͤlt alfo der Verf. 
feine Behauptung: im $. ı22. in den "Berichtigungen und Zus 
fäsen ©. 397 felbft für unridtig, fo kann fie diefes nicht aus 
dem von ihm amgeführten , fondern fie muß es aus einem ans 
dern Grunde ſeyn. — Bey HG. 127. iſt zu bemerken, daß 
Boẽrius in der Gefchichte nicht fehr bewandert gewefen ſeyn 
muͤſſe; denn.er glaubte, die Longobarden feyen Könige gemes 
fen, welche aus Sardinien nady Sjtalien gefommen feyen. — 
Den $. 109. Mote 1. ift anzuführen, daß Maccioni’g 
Differtationen niht zu Pifa, fondern zu Livorno herausges 
tommen find. Selbſt die Dedication an den Marcheſe Don 
Michele Imperiali Simiana ift niht von Pifa, fons 
dern von Florenz aus gefhrieben.. — Bey Viglius im 
6. 131. Hat der Verf. auf das fchäßbare Werd von Papens 
drecht aufmerffam gemacht, deffen, fo wie feines Verfaſſers 
auh Weit (Praefat. ad Theophilum $. 30.) rühmtiche 
Erwähnung: thut, und das der Aufmerkjamkeit des Hrn. Haus 
bold entgangen if. — NRanconet ($. 154.) hieß Aimar 
de Nanconet. Mach des Präfidenten de Thon Behaups 
tung hat befonders Duaren aus de Ranconetl's zerſtreuten 
Papieren vieles fi) zugeeignet, und in feine Schriften übers 
getragen. — Viglius ($. 151.) ift auch deswegen merk 
würdig, weil er zuerft die Baſiliken angezeigt hat, wovon 
nahher Gentien Hervet zwey Bände, die er von Aguftin 
erhalten hatte, zu Paris. 1557 Fol. herausgegeben hat. — 
Ob der Perf. ©. 62 $. do. Note 1. wohl daran that, eine 
Englifhe Stelle aus Hume anzuführen, weiß Mer. nicht. 
Soviel ift gewiß, daß von den dermalen lebenden Juriſten 
faum der fechfte Theil diefe verfieht. — &. 125 Mote 5. gibt 
der Verf. gegen Ladvokat, Taifand und Hrn. Daubold, 
welche Amelbeuren als Loͤwenklau's Geburtsort nennen, 
Eovesfeld im Muͤnſterſchen an. Er kann Recht haben; aber 
es war abermal feine Schuldigkeit, feinen Grund und feine 
Duelle anzugeben, und, fo lange er diefes nicht hut, kann 
man ihm, auf fein blofes Wort, nicht glauben. — $. 140. 
Scaliger hieß im Frangöfifhen de L' Escale. — Bey 
6. 149. können die Schriften von Brunguell de jurispru- 
dentia per reformationem emendata, von Fried. Frifins 


133 Lehrbuch der civilift. Litterärgefchichte v. Pr. R. Hugo. 


de Ictis, qui reformationem Lutheri adjuvarunt, Lips. 
1750, und Heineccius de Ictis reformationi ecclesiae 
praeludentibus mit Wortheil benugt werden. — 6. 152. 
Denis Simon (Tom. I. p. 229) fagt von Didendorp: 
„Il passe sans contredit pour le premier Jurisconsulte 
d’Allemagne.“ Aber mit allem Rechte ift Terraffon (Hi- 
stoire de la jurisprudence romaine p. 588. ) dagegen. Sein 
fogenanntes Naturreiht, deſſen der Verf. als des für das Als 
tefte gehaltenen, erwähnt, iſt nichts als ein ganz mageres 
Skelet des Panbdertentitel® de jure nat. gent, et civ., das 
nur 24 Duodezfeiten zähle, und das mit nicht mehr Recht für 
ein Compendium des Naturrechts angefehen werden kann, als 
alle die vielen Kommentare der Nechtsgelehrten vor Didens. 
dorp über jenen Pandectentitel, von denen fogar die meiften 
diefen Titel weit vollftändiger und beffer, als diefer, erklärt 
haben. ec. befißt diefes unbedeutende Werkchen ſelbſt. — 
6. 158. Mynfinger ift auch darum ein nicht gewöhnlicher 
Mann, daß er, nachdem er fchon zu Dole und, unter Bis 
glius, zu Padua fiudire hatte, und bereits verheyrathet war, 
noch Schuͤler des Zafius wurde, und mit feiner Frau nach 
Freiburg ging, um unter diefem berühmten Nechtslehrer noch 
weiter zu fiudiren. Diefer Aufzug mit der Frau muß den 
andern Studenten eben fo angenehm. geweien feyn, als dem 
Zafius, für deffen Gelehrfamkeit er das größte Compliment 
war. — $. 161. Bey Hoppers ift zu bemerken, daß dieſer 
von Viglius das 30. — 42. Buch der Bafiliten ferhalten 
hatte, und daß Cujas diefe wieder von Foppers erhielt, 
der in Madrid als Chevalier 1576 geftorben if. — $. 162. 
Dem Räwärd gibt der Verf. das Jahr 1533 als Geburtss 
jahr, Sare ( Onomast. Tom. III. p. 394) und Ar. Haus 
bold nennen das J. 1534, und in dem Speculum Jacobo- 
rum. Lips. 1811. p. 11 wird das J. 1555 genannt. Welche 
Meynung ift nun von diefen dreyen die richtige? — $. 166. 
Wer Tiraqueau nur aus jeinen Schriften kennt, follte 
nicht glauben, daß dieſer Jurift in feinem Aeußern einer der 
größten Elegans feiner Zeit war. Es eriftirt ein Holzſchnitt 
von ihm, mo auf feinen Wangen mehrere Schönpfläfterchen 
angebracht find, womit der eitle Mann, nad) Art der Damen, 


Lehrbuch der civiliſt. Litterärgefchichte v, Pr. R. Hugo, 139 


die Schönheit feines Sefihtes heben und noch Höher fteigern 
wollte. Seine Schriften find zu mweitläufig; er ſchweift immer 
aus, und die Hauptfahen werden in Mebenfahen bey ihm 
erſaͤuft. — Pratejus, von dem im $. 166. die Rede ift, 
hieß im Frangöfifhen Pardour Duprat, nicht Prat. 
Seine Jurisprudentia media, die der gefhicte &. Rouille 
in Lyon 1561 herausgab, war, ehe Otto fie feinem Thefaus 
rus einverleidte, ein feltenes 'und. fehr gefuchtes Werl, — 
6.168. Eonnan hieß im Franzgöfifhen Francois Con— 
nan, Sieur de Coulon et de Rabeſtan. Bon 
Hotman, Duaren und Turamini werden feine Werke 
fehr Hoch gehalten, von Andern verachtet ; fo verfchieden find 
die Meynungen der Gelehrten! Der unpartheyifche Lefer, den 
feine Leidenfhaft Über die Linie treibt, wird in feinen Werken 
fehr viel Gutes, und manchmal felbft vortrefflihe Sachen fins 
den. — $. 175. Die Anmerkung gegen Roaldes, womit 
diefer ſehr gelehrte und zu feiner Zeit allgemein geſchaͤtzte 
Mann verkleinert werden fol, Hält Rec. für fehr Übel anges 
bracht, und ohne Zweifel wurde fie nur gemacht, um ein fa- 
cete dictum des Enjas an den Mann zu bringen, für das 
fouft fein ſchicklicherer Plaßfvorhanden war. Wenn der Verf. 
fo gewiß ift, daß Noaldes keiner der vier Eiviliften feines 
Vornamens ( Franciscus ) ift, von weldhen Cujas nur einen 
einzigen fhäßte, fo kann er diefe Gewißheit nicht aus eigener 
Uebergeugung und aus der Einfiht der Werke dieſes Nechtss 
gelehrten haben; denn bekanntlich haben wir kein einziges 
Wert von ihm, und, wie de Thou berichtet, gab er aud) 
nie eines heraue. Aber er kann fie auch nicht durch die Zeugs 
niffe feiner Zeitgenoffen vom Hörenfagen haben, weil bey diefen 
nur eine Stimme über feine großen Kenntniffe und Gelehrs 
famteit if. Cujas, Hotman und Pithou fehästen ihn 
fehr. Hoch. Der Lebtere debdicirte ihm fein Werk über die 
Weitgothifhen Geſetze; Cujas nannte ihn omnis antiquita- 
tis reconditae locupletem penus, und, was mehr als Alles 
für feine großen Kenntniffe beweiſ't, Cujas und Hotman, 
die ſich über die Erklärung der L. frater à fratre. D. de 
condict. indebit. nicht vereinigen fonnten, compromittirten, 
nah Zeiffier (additions sur. les Eloges des hommes 


- 


140 Lehrbuch der eivilift. Litterärgefchichte 9, Pr. R. Hugo. 


savans, tirds! de-Fhistoire de Mr. de Thou) auf feinen 
Ausſpruch; und aub Sainte Marthe (Gallorum doctrina 
ällustrium -elogia L. IL. p. 261) .ertheilt ihm die größten 
Lobſpruͤche. Woher will alſo der Verf: feine Gewißheit haben ? 
und welche Gegengründe will:.er vorbringen, wenn Rec. ber 
hauptet, daß es, aus den-angeführten Gründen, und namentlich 
aus der entfchiedenen Hochachtung, die Cujas für feine 
Kenntniffe hatte, fogar in ‚hohem Grade. wahrfiheinlich fey, 
daß gerade er von den vier ‚Franzen derjenige gemweien ſey, den 
Eujas hauptiählih und allein gefchäßt habe? — G. 177. 
Das Umftändlichfte und Wichtigfte, das Über Bourges ge 
fchrieben worden ift, und. zugleich: am meiften in ein inters 
effantes. Detail geht, find die kleinen Schriften von Nicolas 
Eatherinot, wovon die neuen Herausgeber der Bibliothek 
des P. Lelong ein Verzeichniß geben, das fih auf die Zahl 
von‘ı30 belauft, die größtentheils die Gefchichte und Geſetze 
von Berry zum Gegenftande haben, dabey aber höchft felten 
find. Für die Univerſitaͤt Bourges ift wohl unter dieſen dass 
jenige. Werkchen das intereffantefie, das den- Titel hat: Scho- 
Jatum Bituricarum inscriptio, das zu Bonrges im J. 1672 
in 4. berausgelommen ift. Diefe Schrift enthält ein Lob der 
Univerficät, und ein Verzeihniß der juriftifchen und mebdicinis 
fhen Profefforen, fo wie eine Menge intereffanter Dinge, die 
man fonft nirgends findet. Sin einem andern Werfhen: Le 
Calvinisme de Berry. Bourges, 1684. ſteht S. 4 bey dem 
5. 1553 folgende intereffante Stelle: „En ce. tems les pro- 
fesseurs de Bourges etoient. fort suspects..d’heresie, Voict 
leurs noms, avec leurs gages, par curiösite,. Francois 
Duaren 920 livres, Francois Balduin 350 livres, 
Hugues Doneau gdo livres, Nicolas Bouguier 
100 livres, Charles Girard ıÖdolivres, Jean Rabbi 
140 livres, Andre Levescat ı60 livres, Antoine 
Le Conte 45 livres, Henry Eduard (Es ſollte heißen 
Eduard Henry) Ecossois 45 livres. Cette proportion 
n'est ni geometrique ni arithmetique, mais burlesque; 
parceque le merite des uns et des autres n’etoit point 
encore assez connu.“ Eben. fo merkwuͤrdig ift folgende klei— 
nere Stelle, die kurz nad dem. 5. 1557 vorkommt: „On 


Lehrbuch. der civiliſt. Litterärgefchichte v. Pr. R. Hugo. 441 


disoit en ce tems des Äntecesseurs de Bourges: Donel- 
lus theologatur, Cujacius furatur (wahrſcheinlich Hatte 
diefes auf die Bafilifen Beziehung), Contius 'crapulatur, 
'Bouguerius feriatur.* Offenbar kommt, bey diefer Schils 
derung, Leconfe am fchlimmften weg, und das Schlimmfte 
für ihn iſt dabey dieſes, daß eine folhe Eigenichaft ohne hins 
reichenden Grund nicht leicht erdichtet wird. Dieſe zwey Stelr 
fen find auch in einem neuern Werke ercerpirt; aber Rec. 
nennt biefes nicht, um den Verf. gleichfalls eben fo fuchen zu 
laffen, wie er feine Leſer immer fuchen läßt. — Im $. 179. 
Note ı.- fagt der Verf. der Bugnerius, deffen Noufard, 
in der Dedication an L'Hopital erwähne, ſey ein ganz 
Unbetannter. - Er ift es nicht; es iſt derfelde Nicolas 
Bouguier, von dem Catherinot in den zwey eben lanıs 
geführten Stellen zweymal fpricht, den Alctat in feinem 
Emblema XI. mit feinem Bildniffe und fieben Lateiniſchen 
Diitichen, Anulus, im feinem Gedichte, Mit vier Herame; 
ten, und Duaren mit einer merkwürdigen Nede verewigte, 
die er den‘ .1ıd. December 1551 bey defien Aufnahme zum 
Profeffor- in Bourges hielt, an deren Ende er ihm große Lobs 
fprüche ertheil. Man darf ihn nicht mit Jean Bouguier 
verweihfeln, der Parlamentsrath in Paris war, und von weis 
chem ein Kecueil des Arrests vorhanden iſt, wovon die erſte 
Ansaabe im J. 1622 und die zweyte vermehrtere im J. 1629 
erfchienen if. Alciat und Anulus nennen den Bouguier 
auf Lateiniih Bugerius, Duaren hingegen Buguerius, 
Wenn Roufard Bugnerius fchrieb, fo ift dieſes entweder 
eine Eigenheit deſſelben, oder ein Druckfehler, und aus einem 
u wurde ein n gegen feine Abfiht. — Bey $. 181. bemerkt 
Rec., daß Leconte noch im Jahre 1566 in Bourges über 
die Sinftitutionen las. Dieſes weiß er aus einem- Exemplare 
der Änstitutiones juris civilis, Franc. Accursii glossis il- 
Justratae. Lugduni, apud Antonium Vincentium 1559. 8. 
das er beſitzt, das uriprünglich einem Denejhen Baron, Eus 
rich von Sickingen, gehörte, der im Jahr 1566 bey 
Leconte in Bourges über diejes Buch ein Collegium hörte, 
und in welches der Beſitzer vom Anfange bie zu Ende eine 
Menge Randnoten ſchrieb, die Leconte feinen Schuͤlern in 


442 Lehrbuch der civbiliſt. Litterärgefchichte v. Pr. R. Hugo. 


die Feder dictirte. Gleih im Provemium der Synftitutionen 
findet fich folgende NRandnote : „Praeceptor meus, Antonius 
Contius, in praelectione harum institutionum, in haec 
verba : Germanicus,. Alemanicus, Sequentia 
glossavit etc.“ Leconte las alfo über die gloffirten Inſti⸗ 
tutionen, und in dem Collegium erklaͤrte er ſeinen Schuͤlern 
den Tert und die Gloſſe. Wo er mit dieſer einverſtanden 
war, da. lobte er fie, wo er anderer Meynung war, entwickelte 
er feine Gründe kurz und gut, Die neuere Litteratum der 
Humaniſten fupplirte er immer, befonders aber benußte er, 
bey feinen Erklärungen der Geſetze, die Snftitutionen des 
Cajus, Ulpians Fragmente, des Paulus receptae sen- 
tentiae und den Theophilus Mon Schrififtelleen führe 
er häufig Alciat, Ferrarius, Dfldendorp, Baron 
und Andere an. Daß das Leſen Über den Tert und die Gloſſe 
auf die Art, wie Leconte las, unendlich lehrreicher und ums 
faffender feyn, und folidere Suriften bilden mußte, als wie 
heutzutage das Lefen über Compendien, wo man. oft das Wichs 
tigfte deffen ‚nicht erfährt, was man wiſſen follte, hält Rec. 
wenigftens für ausgemadt. — Im $. 181. Mote ı. fragt der 
Verf.: „Warum mahen die, welhe, nad der Analogie von 
Horaz und Properz, durhaus Eujaz fagen wollen, aus 
dem Lateinifhen Namen: Contius, nicht den Deutfchen: 
Conz?“ Dec. antwortet: weil es in Deutfchland viele gibt, 
die Conz heißen, aber keine Contiuffe find. Dies ift der 
einzig wahre, und zugleich ein fehr richtiges Gefühl für 
Schidlichkeit verrathende, Grund des Unterſchiedes. Würden 
die Namen: Horaz, Properz gemeine Deutfche Namen 
feyn, den unbedeutende oder wohl gar verächtlihe Menfchen 
führten, gewiß würde man jene berühmten Dichter des alten 
Roms in Deutichland nie fo genannt haben, wie man fie jeßt 
gemeiniglich nennt. Auch bemerkt Rec. noch weiter, daß es 
einem Deutfchen, der den Lateinifchen Namen Cujacius nicht 
frangöfiren, fondern germanifiren will, ohne allen 
Anftand, und mit demfelben Rechte erlaubt ift, Cujaz zu 
fagen,, mit dem man Horaz, Properz, Lufrez, Lab; 
tanz, Prudenz, Fulgenz, Aefop, Apoll, Herodot, 
Herodian, Hefivd, Homer, ſ. mw. ſagt. Auch kann 


Lehrbuch. der civiliſt. Litterärgefchichte v. Pr, R. Hugo. 4143 


der Verf. um fo weniger etwas dagegen einwenden, wenn er 
es auch gleich ſchon mehrmalen gethan hat, da er ja felbft im 
$. 88. $. gı. und ©. 70 Mote 3. aus dem Stalienifchen 
Boccaccio immer Boccaz madht, und hierzu durchaus 
nicht mehr Recht Hat, als die, welche Cujaz ſchreiben. — 
$. 187. Demodares, oder Mouchy ift aud ein in der 
Franzoͤſiſchen Polizey nicht unmwichtiger Name ; denn fein Eifer 
gegen die Calviniften trieb ihn fo weit, daß er, um dieſe aufs 
zuſuchen und aufzufpären,, geheime Miethlinge befoldete. Diefe 
wurden Moucharts, nah dem Namen ihres Herrn, ges 
nannt, und diefer Mame blieb in Frankreich bis jet den 
Polizeyfpionen. — Der $. 165. zeichnet ſich abermal durch 
eine geſuchte Dunkelheit aus; denn man weiß nicht, worauf 
fid) die Mote 1. bezieht, und der Verf. verweiſ't in diefer im 
Allgemeinen bloß auf Melanchton's loci communes, und 
überläßt es den Lefern, in diefen mit Zeit und Mühe zu fus 
hen, was er ſelbſt auf einem fürgern Wege in einem Schrifts 
ftellee gefunden hat, den er nit nennt. — $. 190. Bey 
Eujas fcheint der Verf. den Hauptcharafter uͤberſehen zu 
haben, der diefen großen und erften Civiliſten aller Zeiten 
vorzüglih auszeihnet. Denn wer follte es glauben, daß der 
unterfcheidende Charakter des Verf. von fo großen und zahls 
reichen Bänden feine erftaunliche Kürze iſt? Diefes Urtheil 
muß von allen denen befräftiget werden, welche feine Werke 
fiudiren werden. — Die Mote i. zu $. 240. ift auch wieder 
fo dunkel, daß nur wenige Lefer fie verfiehen werden. Es 
wird nämlich) von den beyden Doctoren der Sorbonne, Ars 
naud und Nicole simpliciter, und ohne das Bud) zit 
nennen, aus dem es genommen ift, geſagt: „Won ihnen 
fommt das „on“ her, weiches fih "auch bey ihrem Freunde 
Domat findet.“ Iſt diefes nicht wieder eine veche abfichtliche 
Duntelheit? Welches on kommt von den beyden Doctoren der 
Sorbonne her? Warum machte es der Verf. nicht mit zwey 
Wörthen deutliher ? Warum follen die Lefer nur immer 
rathen und fuchen? Es it ja doch auch dieſe Notiz wieder 
eine rein biftorifhe, die der Verf. nicht durch Nachdenken, 
fondern durch irgend ein Buch erfahren hat. Rec. hat, um 
ſich recht zu Überzeugen, ob diefe Dunkelheit nicht vielmehr 


- 


144 Lehrduch der civiliſt. Litterärgefchichte-v., Pr; R. Hugo. 


fubjectio als objectiv ſey, und ober dem Verf. nicht Unrecht 
thue, namentlicd, dieſe Note zwey fehr gelehrte Männer, und 
die zugleich große Letteratoren und fcharffinnige Koͤpfe find, 
lefen laſſen, und fie haben ihm erklärt, daß fie nicht mwiffen, 
was der Berf. damit wolle. Mer. glaubt aber, daß derfelbe 
das on für je meine, wo man nämlich fagt: On a fait, 
ftate: j’ai fait. Aber er gefteht, daß er feiner Sache nicht 
gewiß ift, und. daß er nicht darauf wetten möchte, daß er 
Hecht habe. — Was der Berf. im $. 245. über Francois 
Broe (ſo hieß er im Franzöfifhen ) bemerkt, ift ein Achter 
Dendant zu feiner oben angeführten Bemerkung über Roal⸗ 
des. Um etwas anzubringen, das er für ſpitzig hält, ift er 
hier, wie dort, ungerecht, und laͤßt fich zu fihiefen und unrichs 
tigen Urtheilen verfriten. Troß der Weraleichung ‚des Rechts 
mit einem Kleide oder einem Stäfe Geld, war Broe ein 
fehr gelehrter und fharfiinniger Mann, der einen der allers 
beften Commentare über die Sjnftitutionen fchrieb, unter die 
vorzäglichiten Sjuriften und Profefforen feiner Zeit mit Recht 
gerechnet wurde, und in denfelben zwey Abhandlungen, die 
der Berf. zu feiner Herabſetzung anführt, fo viele gute, aus— 
gefuchte und manchmal ſelbſt vortrefflihe Sachen vortrug, daß 
er gar wohl die Ausländer damit hätte, locfen können. Meers 
man, deffen gelehrte Urtheile doch gewiß mehr Gewicht haben, 
urtheilt auch ganz anders Über Broe Er ſagt von ihm: 
„Elegantissima sunt et argumenti valde singularis bina 
haec opuscula Franc. Bro&i (Analogia juris ad vestem, 
et Parallela legis et nummi), qui eruditissimo ad In- 
stitutiones Justiniani commentario inter celeberri- 
mos suae aetalis Ictos nomen adquisivit, 
quique omni boffrum literarum adparatu 
instructus fuit, ad illustrandam Jurispru- 
dentiam.“ Ein anderer berühmter Krititer aus Spanien 
fagt von ihm: „Maulta in Franc. Bro&i Commentario ex- 
ponuntur adcurate et erudite, et brevis totius juris 
Chronologica historia, quae praemittitur, legi mere- 
tur.“ 

ö (Der Beſchluß folgt. ) 


— — — 


No. 10. Heidelberaifhe 1813. 
Jahrbuͤcher der Litteratur. 





kehrbuch der eigen. gitterärgefchichte vom Prof, Nitter Hugo 
in Goͤttingen. 


EBeſchluß der in No. 9. abgebrochenen Recenſton.) 


J aber hat Rec. ſchon viele gefunden, die Broe 
gelobt, aber nod) feinen, der ihn herabzufeßen gefucht haͤtte; 
und er ſelbſt hat ſich ſchon fo oft, in feinem eigenen Studium, 
von der Vortrefflichkeit des Broeſchen Commentars über bie 
Inſtitutionen zu Überzeugen Gelegenheit gehabt, daf es ihm 
wehe that, ein fo ungerechtes Urtheil Über einen Mann zit 
lefen, den er felbft immer verehrt bat und verehren wird. 
Wo find denn die Männer, die heutzutage einen folhen Coms 
mentar gefchrieben hätten, oder fehreiben „Könnten? Und went 
heutzutage, auf vielen Univerfitäten des Zn s und Auslandeg, 
die Ausländer oft durch weit unbedeutendere. Schriften der 
Drofefforen gelockt werden, warum follten fie nicht auch durch 
Droe’s auf jeden Fall bedeutendere Werke haben gelockt wers 
den können? Was Broe, in jenen zwey Vergleichungen, 
vorträgt, zeugt offenbar von Gelehrfamteit und Kenntniffen 
mancher Art. Verraͤth er aber, in den Titeln jener Schriften, 
weniger Geſchmack, fo hat Forcadel für feine verfchiedenen 
Schriften noch weit gefchmacklofere und abentheuerlichere ges 
wählt, und doch nimmt der Verf. diefen in Schuß ($. 173.), 
während er den Broe herabfeßt, ohne Zweifel deswegen, 
weil die gemeine Stimme gegen Forcadel und für Broe 
iſt. — Menn Semand den $. 245. lieſ't, der Fabrot's 
Werke noch nicht aus eigener Einfiht kennt, fo muß er glaus - 
ben, dieſer gelehrte Mann habe faft feine Werdienfte um bie 
Rechtswiſſenſchaſt; denn alle feine Schriften werden nur ges 
tadelt, nichts wird an ihnen gelobt. Meerman, Rei, 
Otto, und alle, welche Fabror genau fennen, denken ans 
ders über diefen berühmsen Gelehrten; auch Peiresc, jener - 

10 


446 Lehrbuch der civiliſt. Kitterärgefchichte u. Pr. R. Hugo. 


berühmte Mäcen aller. Gelehrten von Verdienſt, fo mie der 
Präfident Du Vair, der Fabrot nad Paris zog und ihm 
einen Gehalt von’ 2000 Livres verfhaffte, fo wie alle Gelehrs 
ten feiner Zeit, waren ganz anderer Meynung. Beine tiefe 
Gelehrſamkeit und feine auferordentlihen Kenntniffe in dem 
Roͤmiſchen und Canonifchen Rechte waren allgemein anerkannt. 
Es ift wicht zu leugnen, daß man allen Fabrotihen Ausgaben 
fremder Werke viele und große Fehler vorwerfen kann, weil 
der gelehrte Mann zu arbeitiom war, und weil — pluribus 
intentus minor est ad singula sensus; allein deffen unge— 
achtet bleibt Fabrot immer ein großer Mann, und wir 
waͤren fehr zu beklagen, wenn wir feinen Theophilus, 
feine Bafllifen und feine Ausgabe von Cujas, bey allen Fehs 
fern, durch welche diefe Werke verunftaltee find, nicht hätten. 
Ein berühmter Krititer fagt von ihm: „Fabroti judicium 
fuit egregium, eruditio stupenda“ und Reitz, ein gewiß 
fehr competenter Richter, nennt ihn Magnus vir, mit der 
Bemerkung, daß er ihm diefen Namen nicht eipwvıxag, fons 
dern serio gebe, cum ob diffusam lectionem et eruditio« 
nem, tum ob juris rom. summam peritiam, nec contem- 
nendum judicii acumen, Fabrot's Namen wird ewig 
leben, fo lange die Roͤmiſche Nechtswiffenfchaft leben wird. 
Wenn viele Gelehrte, die vor und nad ihm gelebt haben, 
ſchon längft der Vergeffenheit übergeben feyn werden, wird 
fein unfterbliher Name den Rechtsgelehrten, Antiquaren, Ges 
fhichtfchreibern und Phitologen noch immer theuer feyn. — 
In der Note zum $. 249. hätte der Verf. fagen follen, wo 
der Parifer Profeifor Daragon feinen Beweis geführt habe; 
denn wie. viele werden in Deutfchland diefes erfahren können ? 
Daragon führte diefen Beweis in feinem Avertissement, 
das an der Spitze des „Droit public de la France, ouvrage 
posthume de l’Abbe Fleury, publié avec des notes par 
J. B. Daragon, professeur en l’Universite de Paris, Paris 
1769. 2. Vol. in 12,“ fieht. — $. 260. Sehr ohne Grund 
wird bier Hilligerd Buch über Doneau herabgefest. 
Wegen der reichen Litteratur, die Hilliger, mit dem größs 
ten Fleiße, aus den berühmteften Humaniſten feiner und ber 
Vorzeit, bey jedem wichtigen Satze angeführt hat, iſt fein 


Lehrbuch der civiliſt. Litteraͤrgeſchichte v. Pr. R. Hugo. 147 


Werk zu allen Zeiten in Deutſchland, Frankteich, Holland, 
Spanien, Portugal und Stalien nah Verdienſt gefchäßt wors 
den, und wird flets um fo mehr gefhäßt werden, weil man 
ſehr häufig ganze Stellen aus Werken darin excerpirt finder, 
die heutzutage fehr felten find. Nichtiger, als der Verf., ur 
theilt ein fharfiinniger Rritifer des Austandes über Hilfiger, 
wenn er von feinen Moten zu Doneau fagt: „Notata 
eruditissima, et selectae bibliothecae vicem 
praestare possunt“ und Vinnius, der fi, durch feine 
allgemein beliebten und gefchäßten quaestiones juris, ſo bes 
ruͤhmt machte, hat in diefen meiftens nur die Noten des 
Hilliger benußt, und oft nur abgefchrieben, ohne feinen 
Mann zu. nennen. Hievon fönnte Rec. viele Beweiſe geben. 
Daß Hilligers Styl in dem Auszuge ſelbſt ſchwerfaͤllig, 
eifern und dunkel ift, Bann nicht geleugnet werden. — Bey 
Schilter ($. 268.) iſt fein feltenes civiliſtiſches Buch: 
Herennius Modestinus. Argent. 1687. 4. vergeffen, das 
übrigens 24 Jahre Ipäter von Brentmanng Diatriba de 
Evrematicis. Lugd. Bat. 1711. 10. übertroffen worden iſt. — 
Wenn der Verf. im $. 275. bemerkt, daß man oft vergeffe, 
wie mannigfaltig Leibnig von Anfange an zur Nechtswiffens 
ſchaft gehörte, und wie erheblihe Bücher er aud) theils über die 
jurift. Methode, theils Über das Staatsrecht gefchrieben habe, fo 
weiß Rec. von foldhen, welche in der juriftifhen Litteratur auch 
nur ein wenig bewandert find, Miemand, der diefes vergäße. In 
allen gangbaren juriftifchen litterärgefchichtlichen und bibliographis 
fhen Büchern, bey Struv, Taifand, Terraffon, Doms 
mei, König, Nettelbladt, Lipen u. f. w. ſteht Leibnitz 
als Juriſt, und ſeine juriſtiſchen Schriften werden von mehreren 
von dieſen vollſtaͤndiger als von dem Verf. aufgezaͤhlt. Seine 
Nova metbodus discendae docendaeque jurisprudentiae 
ex artis didacticae principiis, die in neuern Zeiten in dem 
Thesaurus jurisprudentiae juvenilis. ‚Neapoli 1754 et 1756. 
2. Vol. 8. wieder abgedrucdt wurde, nennt übrigens Hom⸗ 
mel „juvenilis admodum, eaque philosopho, nedum Icto, 
adeo indigna. ut Christ. Wolfunm mirer, im ea iterum 
edenda operam perdidisse; und von feiner Ratio Corporis 
juris reconcinandi; nachdem er die Ordnung derfelben anges 


448 Lehrbuch der civiliſt. Litterärgefchichte u, Pr. R. Hugo. 


führe hatte, bemerkt er: „Praeclarus ordo, si Diis, placet!“ 
Diejenigen, welche Leibnis als Juriſten nicht kennen, wer: 
den aber ganz gewiß auch viele noch befanntere und berühmtere 
Suriften nicht kennen, als Leibnis if. — $.ado, Brums 
mer farb nicht im J. 1661, fondern im 5. 1668. Als er 
in- diefem Sahre von Paris nad Lyon reifen wollte, ertrank 
er in einem Fluffe. Sein Buch de lege Cincia kam zuerft 
in Paris in demmfelben Jahre heraus, in dem. er ertranf, und 
war dem berühmten Franzöfifhen Staatsminifter Colbert 
dedicirt. Er war fo glädlih, der Schüler des Reineſins 
zu feyn, der, duch Colbert's Verwendung, Ludwigs XIV. 
Freygebigkeit rühmen konnte. — $. 288. Difelius hat das 
Beſte in feinen Noten dem Aleander entwendet, and Reis , 
nold behauptet, daß er auch die Sollectaneen des Saumaife 
gepfündert habe, Demnah war er doc menigftens ein ges 
ſchickter Eorfar! — 6. 290. Die Bemerkung, daß unter 
Sriedeih Wilhelm kein Profeffor einer Preußifchen 
Univerfirät Erlaubniß erhielt, eine Stelle auswärts anzunehs 
men, als wenn allenfalls ein Paar recht große 
Grenadiere ſtatt feiner zu haben waren, hätte 
auch wieder Hr. Haubold gewiß nicht in ein Lehrbuch der 
civiliſtiſchen Lirterärgefchichte aufgenommen. — $. 287. und 
6.288. iſt Thom aſius fehr gut geſchildert, und feine Ders 
dienfte um die Rechtswiſſenſchaft find fehr richtig beurtheilt. — 
6. 296. Ludonici’s Schriften waren, nah Gundlings 
Behauptung, zu ihrer Zeit fo hochverehrt, dafs man fie ſelbſt 
den Werken des Cujas vorzog. So eigenfinnig, fonderbar 
und unbegreiflich ift oft das Schickſal der Schrififteller, aber 
auch Ludonici beweiſ't, daß das Gluͤck, wenn es nur eine 
Caprice für einen Schrififteller bat, nie zu lange bey ihm 
verweilt. — $. 297. Heineecius ift ohne Anftand derjenige 
Deutſche Juriſt, welcher im ganzen Auslande und in ganz 
Europa für den erſten und berühmteften gehalten wird, und 
Sec. glaubt auch, daß er diefen Muf verdiene, weil er keinen 
andern weiß, der ihn mit mehr Recht anfprechen koͤnnte. 
Heineccius, der fih «mit dem Lefen der beften juriftifchen 
Schriften genährt hatte, befonders mit dem ber Werke des 
Eujas, vereinigte, in feinen gelehrten Merten, nicht nur 


Lehrbuch der civiliſt. Litterärgefchichte u. Pr. R. Hugo, 149 


die wichtigften Beobachtungen derfelben,. fondern fügte auch 
meiftens feine eigenen Betrachtungen bey, die immer intem 
effant find. Die neuern Franzoͤſiſchen Nechtsgelehrten ſelbſt 
fagen, daß, nach den Werken des Cujas, die des Heinec— 
cins am nothwendigften feyen; und fie bemerken, daß man 
jene nicht fo fortlaufend lefen könne, wie diefe, weil Heis 
neccius darin alle Theile des Rechts auf die erften Elemente 
zuräckfähre, und deswegen, als ein wahrhaft claſſiſcher Schrifts 
fteller, gelefen und fludirt werden mäffe. In einem neuern 
Sranzöfiihen Werke wird Heineccius auteur clair, inge- 
nieux, profond et distingue dans toute l'Europe genannt, 
qui livre ä decouvert les secrets du droit romain, et re- 
vele A une dtude de six mois ce qu’on auroit cherche 
laborieusement pendant dix anndes, &ehr wahr ift aud, 
was Camus (Tom. I. p. 316) von ihm fagt: On pre- 
tend, qu’aujourdhui en Allemagne l'autorité d’Heineccius 
decroit un peu, parceque quelques jurisconsul- 
tes, qui sont venus apr&s'lui, ont fait mieux, 
en profitant de ses recherches. Ein deutlicher Beweis 
feiner Klarheit und Vorzüge liegt darin, daß Gibbon, bey 
dem 44; Kapitel feiner Sefhichte, ihn zum Führer mählte, 
and durch ihn beynahe allein in den Stand gefekt wurde, als 
Laye eine Abhandlung Über das Nömifhe Recht zu fchreiben, 
die jedem Civiliften Ehre mahen wuͤrde. Dies ift unflreitig 
das größte Lob, das man dem Heinecciug fagen kann. In 
Paris wird noch immer über ihn gelefen, und fein fpäteres 
Compendium.irgend eines andern Deutihen Suriften hat und 
wird ihn fobald verdrängen fönnen. — $. 325. Noodt hatte 
die Driginale der Roͤmiſchen Nechtswiffenichaft fleißig gelefen, 
fo wie die claffifhen Autoren des. Alterthums, mit deren Huͤlfe 
er jene aufhellte. Diefes bemerkt man an feinem reinen Style, 
der aber, weil er zu gedrängt ift, für alle diejenigen ſchwer 
zu verftehen ift, welche mit der &chreibart des Tacitus 
und Plinius nicht vertraut find. In feinem Buche: de 
jure summi. imperii et lege regia, das auch Barbayrac 
ins Franzoͤſiſche uͤberſetzt hat, fiellt er Grundſaͤtze eines auss 
ſchweifenden Republifaners auf, und man flößt nicht felten 
auf Stellen, über deren. Kühnheit man eıftaunt, und die des 


450 Lehrbuch der civiliſt. Litterärgefchichte v. Pr. R. Hugo. 


Heftigften Jacobiners mürdig wären. — $. 345. Für die 
Antiquitäten, welche beionders auch den gelehrten Juriſten ins 
tereffiren, tft hier vorzüglich zu bemerken Johann Arbuths 
not, wegen feines claifiihen Buches: Tabulae antiquorum 
nummorum, mensurarum et ponderum pretiique rerum 
venalium, dag Daniel Könia aus dem Englifchen ing 
Lateinifche Nberfeßt, und zu Utrecht im J. 1756 in 4. berauss 
gegeben hat. König hat aber geirrt, wenn er dieſes Werk 
dem Carl Arburhnot, dem Sohne des Johann, auf 
dem Titelblatte, zufhriedb. Der Vater, Johann, war der 
wahre Verfaffer, und überließ feinem Sohne, Carl, nur das 
Honorar des Buchhaͤndlers. Dffenherziger, als Arbuthnot, 
Hat noch fein Schriftfteller geftanden, daß es ihm, bey der 
Herausgabe feines. Buches, hauptfählih nur um das Honorar 
zu thun gewejen fey. Dad Merk erlebte zwey Auflagen in 
England. Zwiſchen der erften und zwenten gab der gelehrte 
D. Georges Hooper, Bilhof zu Bath und Welle, Uns 
terfuchungen Über die alten Maaße der Arhener, Römer und 
Juden in London ı72ı in 8. heraus. Arbuthnot felbft 
ertheile diefem Buche, in der zweyten Auflage feines Werkeg, 
die größten Lobſpruͤche; aber fein eigenes Buch ift doch das 
beffere und geſchaͤtztere. — $. 349. Das für den Syuriften 
wichtigfte Werk des fharffinnigen und mwißigen Abbate Gas 
gliani wären wohl feine „Srundfaße des Naturs und 
Voͤlkerrechts, aus den Schriften dee Freundes 
des Mäcenag gezogen,“ wenn fie gedruckt wären, was 
feider nicht der Fal if. Diefes Buch müßte um fo intereffans 
ter feyn, weil Niemand mehr, als Sagliani, den Horaz 
fiudirt und durchdrungen hatte, den er auch ine Franzoͤſiſche 
übderfeßte, welche Weberfekung aber auch noch ungedrudt iſt. 
Unter fo vielen ernfthaften Werken, die er nach und nach hers 
ausgab, fchrieb er auch im J. 1775 eine Oper: Il Socrate 
imaginaro, die von einem großen Tonießer in Muſik gelegt 
murde, und in der ganzen Welt befannt ifl. Diefe Oper war 
eine beißende Satyre auf einen damals nocd lebenden und 
functionirenden Meapolitanifchen Minifter, der Himmel und 
Hölle gegen diefes Werk des Witzes und der Tonfunft bewegte. 
Der eingebildete Sokrates durfte auch, auf Eäniglichen Befehl, 


Lehrbuch der civiliſt. Litterärgefchichte v. Pr. R. Hugo. 151 


eine Zeitlang nicht mehr gegeben werden ; allein das Publikum 
und der König: feldft Hatten eine fo große Freude daran, daß 
der Befehl bald wieder zurückgenommen wurde, und nun 
mußte der koͤnigliche Minifter es ſich gefallen laſſen, als eingebil— 
deter Sokrates, nolens volens die Bühne zum zweytenmale 
zu betreten, und ſich von einem zahlreichen und muthwilligen 
Publikum noch mehr ausfpotten zu laffen, als das erftemal. 
Sagliani flarb zu Neapel im J. 1787. Es wäre zu wüns 
fhen, daß fein Erbe, Herr Azzaroti, feine vielen koftbaren 
Manuferipte, die Sagliani feldft, in einem Briefe, an 
Madame d’Epinay in Paris, vom 15. Dezember 1770 aus 
Neapel fchrieb, aufzähle, und in deren Beſitze Herr Azza— 
roti fich Befindet, allgemein bekannt machte. — $. 352. Den 
hier angeführten Stalienifchen Rechtsgelehrten der lebten Per 
riode ſollten auch Mazzei, Mangieri, Arcafio, Fea, 
Ferrante, Pagano, und noch viele andere, beygegeben 
werden. Mazzei, geboren zu Paola in Calabrien im Jahr 
1709, mar berühmter Advofat in Rom, wo er 42 jahre 
febte, und 1788 farb. Er fchrieb drey gefchäßte Schriften : 
ı) De matrimonio conscientiae, vulgo nuncupato : acce- 
dit Diss. de matrimonio  personarum diversae religionis. 
Romae 1771. 2) De legitimo actionis spolii usu Com- 
mentarius. Romae 1775. 3) De aedilitiis actionibus libri 
tres. Romae 1786. 4. Mangieri, Profeffor in Meapel, 
gab Elementa juris civilis. Neapoli 1766. in zwey ftarfen 
Dctavbänden, und Praclectiones ad Pandectas. Neapoli 
1767. 1780. 1781. et 1782. in fünf Bänden in 8. heraus. 
Bon Arcafio, Profeffor in Turin, haben wir 8 Bände 
Commentarii jur. civilis. Augustae Taurinorum 1780. et 
ı7d9. 8. Fea ift durch feine Vindiciae et observationes 
juris. Romae ı782. 8. fo mie durch mehrere antiquarifche 
Schriften, Ferrante, ehemals Advokat, nunmehr Juſtiz— 
minifter in Neapel, durch fein Buch: della Legge Remmia, 
Napoli 1780. 8, berühmt. Joſeph Anton Bruni, Pro: 
feffor in Turin, ſchrieb einen flarfen und großen Quartband 
Dissertationes in jus civile. Augustae Taurimorum 1759. 
und der Neapolitaniſche Profeffor, Franz Saverio Bruno, 
ſechs ftarfe Octavbände Elementi del dritto civile, movon, 


153 Lehrbuch der civbiliſt. Litterärgefchichte v. Pr. R. Hugo. 


nad) dem Tode des Verfaffers, eine neue Auflage im J. 1804 
zu Meapel erichienen ift. Einer der berähmtsften Civiliſten 
der nenern Zeit, der als Schriftfteller und Lehrer, als feiner 
Theoretiker und geübter Practiker gleich gefbäst war, und 
der wohl von allen Eivitiften nicht nur von Stalien, fondern 
überhaupt von allen Ländern, in der neueften Zeit, dag Meifte 
geihrieben hat, ift der Neapalitaniſche Profeffor, Joſeph 
Pascale Cirillo, geboren 1709, T 1776. In den Jah—⸗ 
ven 1757. 1798. 1740. und 1742. gab er einen weitläufigen 
Commentar in vier Bänden in 4. uͤber die Inſtitutionen herz 
aus, den im Sjahre 1756 in zwey Dctavbände zufammenzog, 
welche er im J. 1785 von dem Abbate Bio. Selvaggi 
ins Statienifche Überjegt wurden. Im J. 1745 lieh er einen 
Nuartband Institutiones Canonicae, und zwey jahre früher, 
im Sahre 3745 hatte er Betrachtungen über Muratori’s 
Traftat: Dei diffetti della giurisprudenza romana druden 
laffen, die dem Marcheſe Tanucei dedicirt waren, Er fchrieb 
Kommentare de conditionibus et demonstrationibus, de 
legatis et fideicommissis, de vulgari et pupillari substitu- 
tione, de jure adcrescendi, de pactis et transactionibus, 
de rescindenda venditione, de donationibus, de jure fisci, 
die aber erft nad) feinem Tode von dem Profeffor des Erimis 
nalrehts, Don Michele Leggio im Jahr 1781 Herausges 
geben wurden. Er gab einen Codex legum Neapolitanarum 
in zwey Duartbänden, und der Advolat Domenico Dras 
cale in Meapel gab nach feinem Tode 1780 zwölf Quart— 
Bände Allegazioni di Giuseppe Pascale Cirillo heraus. 
Außerdem ließ er vom J. 1750 — 1754 fünf Reden, im 5. 
‚2779 und 1774 zwey Leichenreden drucken. Er gad die Vin- 
diciae secundum Cujacium adversus Nlerillium des Dos 
menico ®entile, mit einer gelehrten Vorrede, fo wie 
das Werk des Sirolamo Muzio Giuftonopolitano: 
Battaglie per la lingua Italianos, mit einer Vorrede und 
vielen Anmerkungen heraus. Cirillo war auch Dichter, Er 
fchrieb im %. 1738 La contesa delle Muse, im 5. 1740 
das Drama: Le nozze di Ercole e di Ebe. Eine Menge 
anderer Poeſieen von ihm find in andern Sammlungen zers 
fireut, die einen flarken Band geben würden. Sm J. 1744 


Lehrbuch der civiliſt. Litterärgefchichte v. Pr. R. Huge, 153 


gab er auch die Poefieen des Franz Lorezini, mit einer 
Vorrede und dem Leben diefes Dichters heraus. Er hinterließ 
noch viele juriftifche, antiquarifche, biftorifhe Abhandlungen 
und Comoͤdien, die noch ungedrudt find. — Der Abbate 
Antonio Genovefi, gleihfalls ein Neapolitaner, geboren 
im $. 1712, } 1769, ift als Theolog, kritifcher und Morals 
philofoph, als philofophiicher Juriſt und Staateötonom gleich 
berühmt. Durch feine Schriften und muͤndliche Lehren ward 
er der Vater der politifhen Delonomie in Stalin. Franz 
Mario Pagano, gleihfalld ein Meapolitaner, geboren in 
der Mitte des 16. Jahrhunderts, war der würdigfte Schüler 
des Genoveſi, Freund und PVertrauter von Grimaldi 
und Filangieri, und einer der vorgäglichfien Köpfe des 
neueften Italiens und der neueften Zeit. Nachdem er im 
25. jahre Advokat in Neapel geworden war, wurde er einige 
Jahre fpäter Profeffor des Kriminalrehts dafeldfl. Hier 
zeichnete er fich fogleid vor allen feinen übrigen Collegen aus. 
Sein Hörfaal war der bejudhtefte von allen, weil von feinem 
Catheder lihtvolle Grundfäße, erhabene und glänzınde Ges 
danken, neue und reihe Anfihten und meitgreifende Lehren 
floffen. Seine vielen Schüler trugen: diefe einleucdhtenden und 
wohlchätigen Srundfäge in die Säle der Richter, und bald 
wurde, in allen Tribundien, Pagano's Name eine ehr— 
wuͤrdige Authorität. Die erfie Frucht feiner philofophifchen 
Betrachtungen war fein Criminal Procefß, ein merk 
mwürdiges Buh, worin er die Reform eines Syſtems, voll 
der haͤßlichſten Mißbraͤuche, ausdahte, und Mittel an bie 
Hand gab, mie es einzurichten wäre, daß nicht die fehlerhafte 
Einrihtung der Gerichte mit der Beftrafung der Schuldigen 
auch den- Unfchuldigen aufopfere. Diefes Werk ift ein wuͤrdi— 
ger Pendant zu Deccaria’s berühmten Buche, und es ers 
hielt nicht nur die Lobſpruͤche der größten Gelehrten von 
Europa, fondern aud) von der Frangöfifchen Nationalverfamms 
lung eine ſehr ehrenvolle Erwähnung. Die, politifhen 
Verſuche, die auf diefes erſte Werk folgten, muͤſſen "jedem 
unbefongenen Lefer eine hohe dee von dem fchöpferifchen 
Geiſte des Berfaffers geben. Man muß darin den erhabenen 
Denker, den in der alten und neuen Litteratur vollendeten 


454 Lehrbuch der eivifift, Kitterärgefchichte v. Pr. R. Hugo. 


Gelehrten, und den großen Politiker bewundern, der würdig 
ift, neben Mackhiavelli zu fliehen. Dieſes Werk liefert 
ein SGemählde des Urfprungs, Fortgangs und Verfalls der 
menfchlihen Gefellihaften. Es ift eine einfache Gejchichte, 
aber nad) einer gang neuen Zeichnung; es ift nicht die Ges 
fhichte des Volkes von Athen, oder von Lacedämon, oder von 
Kom oder Carthago; es ift die Geſchichte des menfhlichen 
Geſchlechts. Diefes Werk ift zugleih in einem männlichen 
und kraftvollen Style geichrieben; es zeichnet fih nicht durch 
eine blumenreihe, fondern gründliche Beredſamkeit aus, die 
nicht in Worten, fondern in Sachen befteht; und die Blumen 
der PFitteratur find nicht blindlings und unordentlih, fondern 
mit Kunft und WVorfiht ausgeftreut. Diefer große Mann, 
zugleich einer der edelften Menfchen, farb einen unmwürdigen 
und gräßlichen Tod. In jener nicht fehr weit von uns ents 
fernten Zeit, wo über Neapel ein Trauerflor. gezogen war, 
wo Tod und Schrecken diefes fhöne Land verheerten, und 
wo fo viele beredte Zungen unter des Henkers Händen vers 
flummten, wurde auh Paaano, unfhuldig von einem Mies 
derträhhtigen angegeben, in einen Kerker gefchleppt, wo er 
dreyzehen Monate fehmachtete, und feine Abhandlung über das 
Schöne fchrieb, wieder befreyt, flühtig nah Rom und Mais 
fand, von dem Franzöflihen General, der Meapel eroberte, 
wieder zurückberufen, zum Mitgliede des proviforifchen Mes 
gierungsausschuffes ernannt, Verfaſſer der Konftitution der 
neuen Nepublit Neapel, abermals emgekerfert, zum Galgen 
verurtheilt, und den 6. October 1800 hingerichtet. — $. 354. 
Boltaire gab fih alle Mühe, des Präfidenten Henault’s 
Wert (Abrégé chronologique de l'histoire de France) 
vortrefflih zu finden; aber d'Alembert fand es nur nüklich 
und bequem. Die berähmt Madame du Deffand vers 
langte von D’Alembert, daß er, in dem Discous prelimi- 
naire zu feiner Encyclopädie, dieſes Buches des Präfidenten 
Henault erwähnen moͤchte. Aber DV’ Alembert bemerfte 
ihr, daß ihm diefes unmöglich fey, parceque dans un ou- 
vrage destine à celebrer les grands genies de la nation, 
et les ouvrages, qui ont veritablement contribu€ au pro- 
grès des lettres et des sciences, je ne dois pas parler de 


Lehrbuch der cibiliſt. Litteraͤrgeſchichte v. Br. R. Hugo. 158 


TAbrégé chronologique. C'est un onvrage utile, j'en 
conviens, et assez commode, mais voilä tout en verite; 
c'est la ce que les gens de lettres en pensent; c'est 1A 
ce que on en dira, quand le president ne sera plus 
(Oeuvres de ’Alembert Tome ı4. p. 321). — Auch 
von dem Baron von Grimm wird der Advokat oh. Mic. 
Moreau, wegen feiner Bibliotheque de Madame la Dau- 
phine, hart mitgenommen, in der ganz neu herausgefommes 
nen Correspondance litteraire, philosophique et critiquey, 
adressee A un souverain d’Allemagne depuis 1770 jusqu’en 
ı782 par le Baron de Grimm et par Diderot. Paris 
ı8ı2. (Tome I. p. 405 — 405). Dem Biographen dev 
beyden Pithon, dem Advokaten Grosley, geht es darin 
gleichfalls Fnicht beffr. Grimm ſagt von Grosley’s 
Keifebefchreibungen von England und Italien, daß fie enthals 
ten — observations triviales et bourgeoises, de froides 
et mauvaises plaisanteries, und nod weiter bemerkt er: 
„Lignorance a ses gradations, comme la science, Il y a 
des ignorances d’honnetes gens et des ignorances de la- 
quais. Üelles de Mr. Grosley sont de la m&me espece.“ 
— $. 557. Auch über die dconomiftifhen Philofophen macht 
fih Grimm in feiner Correfpondenz fehr oft luſtig. Im 
$. 365, verdienen auch Dlivier und Paftoret eine rühms 
liche Erwähnung Sean Dlivier ift durch feine Analysis 
philosophica civilis doctrinae. Romae 1777. 4. durd) feine 
Principes du droit civil romain, Paris 1786. 2. Tomes. d. 
fo wie durch fein Buch: Sur la reforme des loix civiles. 
Paris 1786. 2. Tomes. 8. und Paftoret durch feine, von 
der Academie des inscriptions et belles-lettres im Jahr 
1784 gekroͤnte Preisfhrift Aber die Frage: Quelle a ete 
Vinfluence des lois maritimes des Rhodiens sur la marine 
des Grecs et des Romains, et de l'influence de la marine 
sur la puissance de ces deux peuples. Paris 1784. durd) 
feinen: Moise consider comme legislateur et moraliste, 
Paris 1788. und durd feine, von der Franzoͤſiſchen Academie 
den 25. Auguft 1790 gekrönte Preisichrift: des lois penales. 
Paris 1790. 2. Vol. 8, fräymlich befannt. — $.5Bo. Von 
Selchow erhielt fhon im Jahr 1764 von dem Sjtaliener 


456 Lehrbuch der civiliſt. Litteraͤrgeſchichte v. Pr, R. Hugo. 


Migliorotto Maccioni ein großes Lob; er nannte ihn * 
„il dottissimo signor Cristiano de Selchow, celebre pro- 
‚ fessore di Gottiäga, ä cui molto devono gli studiosi 
della giurisprudenza, della quale € particolare ornamen- 
to.“ — Im $. 3ı2. Mote ı. gibt der Verf. eine intereffante 
und noch wenig bekannte Nachricht von dem berühmten Däs 
nifchen Etatsrathe Johann Jacob Mofer, aus den Par 
pieren des Kanzlers Zuftus Henning Böhmer in Halle, 
die vecht auffallend beweif’t, wie viele Widerwaͤrtigkeiten und 
Kraͤnkungen die größten und von der Nachwelt verehrteften 
Gelehrten in ihrem Leben erfahren, wie unrähmlih und ums 
ſcheinbar fie oft ihre gelehrte Laufbahn eröffnen, wie gerade 
ihr anfängliches Mißgeſchick, indem es ihren Ehrgeiz und 
Eifer reizt, ihr größtes Gluͤck wird, wie fie, mit einent feften 
Willen und großer Kraft ihr Ziel verfolgen, allmählig alle 
ihre Zeitgenoſſen Äberflügeln, und von der allein unpartheyifchen 
Nachwelt allein mit Ehrfurde genannt werden, während die 
Namen aller derer laͤngſt der Vergeſſenheit übergeben find, 
die bey ihren Lebzeiten vrühmlicher begonnen, aber unruͤhmlich 
geender, und vielleicht den Mann der Macwelt, in ihrem 
ehörichten Eigendänfel, tief unter fih geſetzt und verachtet 
haben. — $. 418. Bon dem großen Nußen der ſyſtematiſchen 
Vorträge im reinen Roͤmiſchen Rechte konnte fih Rec. 
nie Überzeugen ; und wenn er, mit Webergehung mehrerer 
wichtiger Gründe, die er anführen fönnte, nur’ von der ges 
genwärtigen Zeit, wo die fpflematifchen Vorträge an: der 
Tagesordnung find, in die Zeiten zurückblict, wo secundum 
erdinem institutionum, Pandectarum et Codicis gelefen 
wurde, ſo findet er nicht, daß jetzt aründlichere Juriſten, als 
ehemals, gebildet werden. Die großen Eiviliften der verfloffenen 
drey Jahrhunderte wurden nicht nach fyftematifchen Vorträgen 
gebildet, und. welche Nechtsgelehrte der neuern Zeiten, die 
darnach gebilder wurden, können wir ihnen an die Seite 
fielen? Rec. will damit durchaus die fpflematifchen Vorträge 
nicht verwerfen; er fhäßt fie vieimehr, wenn fie gut ausges 
dacht find, fehr Hoch, und glaubt, daß fie dem Verſtande des 
Verfaffers immer große Ehre machen; aber er glaube, daß 
man ihren Mugen gewöhnlih zu hoch tarire, und daß fie, 


Lehrbuch der civiliſt. Litterärgefchichte v. Br. R. Hugo” 157 


nah einer Erfahrung, die wenigftens fhon fo alt ift, daß 
man fih ein Urtheil erlauben darf, niche fähig ſeyen, gründs 
lihere und berähmtere Juriſten hervorzubringen, als die nicht 
ſyſtematiſchen, die ung die groͤßten Civiliften geliefert haben, 
die noch immer unerreicht geblieben find. Weberhaupt glaube 
Nec., daß die heutige Civilechtsgelehrfamkeit im Ganzen tief 
unter der ehemaligen Franzoͤſiſchen, in ihrer fchönften Periode, ' 
fiehe, und er ift, aus zwey Hauptgruͤnden, volllommen übers 
zeugt, daß jeme glänzende Periode nie wieder zurückkehren 
werde, Einmal ift in dieſer das Wichtigſte fchon entdeckt 
worden, und weil die wichtigen Wahrheiten nicht in das Uns 
endliche gehen, fo müflen die Nachkommenden Hinter den 
Vorhergehenden nothwendig weit zurücbleiben. Sodann muß 
gerade die Leichtigkeit der Erftern, ſich der Entdeckungen der 
Legtern zu bedienen, fie nachzuahmen, und von ihnen zu ent: 
lehnen, ein Hauptgrund feyn, warum die Spätern, in ihren 
Werken, unter den Zrühern bleiben. Diefe Bemerkung ift 
von großer Wichtigkeit, um von dem Vorzuge Nechenfchaft 
zu geben, den wir fo oft dem einen vor dem andern Schrifts 
fieller beyzulegen fhuldig find, und die Überdies noch die aufe 
fallende Erſcheinung erklärt, warum gerade diejenigen, welche 
mehrere und größere Vortheile, etwas zu lernen und fich aus 
zuzeichnen, zu befigen fcheinen, und auch in der That Befiken, 
gewöhnlich mit weniger Mugen fernen, und bey weiten nicht 
ſo beruͤhmt werden. Denn der gluͤckliche Erſolg iſt immer der 
Groͤße der uͤberwundenen Schwierigkeiten angemeſſen. 

Rec. bricht Hier den Faden dieſer vielleicht zu lang aus— 
gefponnenen Cririt mit Gewalt ab. Hochachtung fir die 
Talente und Kenntniffe des Verf., die er mit tief empfundener 
Wahrheit, und mit guter und großer Ueberzeugung, weit 
über feine eigenen, viel geringeren, feßt, Liebe für die Wiffen⸗ 
ſchaft ſelbſt, und, um“ ganz offenherzig zu ſeyn, auch ein 
wenig eigenes Intereſſe konnten ihn allein zu einem fo weit 
läufigen Discurfe verleiten. Einem Schriftfteller, für deſſen 
Verdienfte er weniger Hochachtung hätte, wuͤrde er nie ſo 
viele Seiten gewidmet haben. Die Liebe fuͤr die Wiſſenſchaft 
beſtimmte ihn, Maͤngel und Gebrechen zu ruͤgen, wodurch 
dieſe ſelbſt, wenigſtens nach ſeinem Glauben, verunſtaltet 


4158 Lehrbuch der civiliſt. Litterärgefchichte v. Br. R, Hugo: 


wird; und fein eigenes Intereſſe befteht darin, weil er nichts 
fo fehr wuͤnſcht, als die den Sachen nah hoͤchſt ſchaͤtzbaren 
Schriften des Verf. frey von jenen Mängeln lefen zu können. 
Diefe Mängel betreffen den Vortrag, die Schreibart, die 
Form, den Ton und die Manier, Dinge, die der Verf. Ans 
bern kann, fobald er nur will, und wobey nicht Rec. allein, 
fondern alle Verehrer der gelehrten Eigenfhaften des Verf. 
eine größere Negelmäßigkeie jehnlich wünfhen. Rec. tritt alfo, 
duch Ruͤgung diefer Mängel, nicht einmal den wahren Ver— 
dienften des Verf. zu nahe, weil jene nur auf die Form und 
nicht auf die Sache ſich beziehen, und weil es nur von dem 
Willen des Verf. abhängt, jene nah Belieben abzuändern. 
Thut er diefes nicht, fo ift Rec. lebhaft überzeugt, daß er für 
den größten Theil feiner Lefer unverftändlih bleiben, daß er 
fie ohne Noth um viele Zeit bringen, daß er fie mißmuthig 
und verdrießlich machen, und für feinen eigenen Ruhm bey- 
der unpartheyifhen Nachmelt am menigften ſorgen wird. Er 
fchließt mit folgender vortrefflichen &telle des eben fo vortreffs‘ 
d'Alembert: „L’obscurit@ est le plus grand vice de: 
V’elocution, soit quelle vienne du mauvais arrangement 
des mots, soit quelle vienne d’une trop grande briéveté. 
Comme on n’ecrit que pour se faire’ entendre, la pre- 
miere chose, à la quelle on doit songer, c'est d’£tre‘ 
clair. Il faut, dit Quintilien, non seulement qu’on 
puisse nous entendre, mais encore qu’on ne puisse pas 
ne pas nous entendre. La lumitre dans un e&crit doit 
&tre comme celle du soleil dans l’univers, laquelle ne 
demande point d’attention pour être vue.“ 


- Lehrbuch der gerichtlichen Medicin. Zum Behuf academi- 
scher Vorlesungen und zum Gebrauch für gerichtl. Aerzte 

und Rechtsgelehrte entworfen von Adolph Henke, der 

Arzneikunde und Wundarzneikunst Doctor, Professor der 

Medicin an der königl. bairıschen Universität zu Erlangen, 
der physikalisch ınedicinischen Societät daselbst zeitigen 

Secretair, und einiger gelehrten Gesellschaften in Teeutsch- 

land, Rufsland und der Schweiz Mitgliede. Berlin 1812. 
Bei Julius Eduard Hlitzig. X und 358 8. in 8. 


Lehrb. d. gerichtl. Arzneywiſſenſch. v Henle u. Wildberg. 159 


Handbuch der gerichtlichen Arzneiwissenschaft zur Grundlage 
bei academischen Vorlesungen und zum Gebrauche für 
ausübende gerichtliche ‘Aerzte von Dr. C. F. L. Wild- 
berg, herzogl. mecklenb. strel. Hofrathe, Stadt - und 

+. Districtsphysicus und practischem Arzte zu Neu-Strelitz, 
und mehrerer gelehrten Gesellschaften Mitgliede. Berlin 

bei W. Dieterici 1812. VII und 429 S. in 8. 

Die gerichtlihe Arzneywiſſenſchaft lehrt ung, wie wir die 
aus Beobachtung und Erfahrung hergeleiteten Grundfäge der 
Naturwiffenfchaft und der Heikunde zur Aufhellung und Ents 
fheidung zmweifelhafter Rechtsfragen anwenden follen, und ift 
in diefer Hinſicht feine in fih felbft gefchloffene Wilfenfchaft, 
fondern ihre Beſchaffenheit hängt von dem jedesmaligen Zus 
ftande der ihr zum Grunde liegenden Wiffenfchaften ad, und 
fie wird daher in eben dem Grade volllommener, als jene 
beyden Wiſſenſchaften ſelbſt an Wolltommenheit gewinnen. 
Diefe beyderley Wiffenfchaften aber gründen fi bloß auf Er— 
fahrung jund Beobachtung, und gewinnen von diefer Seite 
ihre fhäßbarften Bereicherungen, welche die fogenannten Bes 
reiherungen, Vermehrungen und Vollendungen derfelben auf 
dem Wege der Speculation weit hinter ſich zuräckhaffen; und 
in diefer Hinſicht ift es mamentlih für gerichtlihe Arzney⸗ 
wifjenichaft, welche dem feine fpeculative MWagefäse und Phras 
fen, fondern lauter pofitive Grundfäße fuchenden Nichter ben 
Entſcheidung gewiſſer Nechtsfäle an die Hand gehen foll, ein 
fehr erwuͤnſchter Vortheil, wenn Maturmwiffenfhaft und Heil— 
funde auf dem Wege der Empirie an Vollkommenheit gewins 
nen. Diefes gilt aber namentlid) von unfrem Zeitalter, wo, 
abgefehen von den mancherley ephemeren Syſtemen und fos 
genannten Philofophieen, die wie ein berrfchender Genius 
epidemicus auf die wiffenfchaftlichen Arbeiten mancher Naturs 
forfher und Aerzte einen unverfenndaren Einfluß äußern, 
demungeadhtet der Männer nicht wenige find, die, dem Eins- 
fiuffe jenes Genius epidemicus durch die Feftigkeit ihres 
Charakters widerftehend, auf dem zwar ſchweren, aber fegens 
vollen Wege der Erfahrung und Beobachtung der Summe 
unferer Kenntniffe im Fache der Naturwiffenfchaft und Heilkunde 
täglich neue Wahrheiten hinzufügen. Durch die mwohlthätigen 
Bemühungen diefer verdienfivollen Männer gewann feit einem 


160 Lehrb. d. gerichtl, Arzneywiſſenſch. v. Henke u. Wildberg. 


Jahrzehend fowohl Naturkunde, als auch Medicin fo mande 
Bereiherung ihrer Wahrheiten, und eine reichhaltige Quelle 
von DBereiherungen und Berichtigungen älterer Grundſaͤtze 
oͤffnete ſich hierdurch auch für die gerichtliche Arzneywiſſenſchaft; 
manche ihrer Lehrfäge erhielten hierdurch eine neue Berichti— 
gung, manche eine größere Feftigkeit, mandye, nunmehr ale 
irrige erfannt, wurden mit beffern richtigern vertaufcht. 

Diefe Bereicherung, Berichtigung und DVerbefferung unfer 
rer gerichtlichen Argneywiffenfchaft brachte nun auch das Beduͤrf⸗ 
niß nener Lehrbücher hervor, nachdem die feither gebräuchlichen 
Lehrbücher ‚derfelben der fih immer mehr ausbildenden Willens 
ſchaft nicht mehr gang anpafjend waren, und Meferent freut 
fi) in diefer Hinſicht hier zwey neue Lehrbücher der gerichtlis 
hen Arzneywiffenichaft nennen zu dürfey, welche, von den 
Händen zweyer fehr verdienfivollen Deutſchen Aerzte ung ger 
fchenft, in der Litteratur der in Deutichland gebornen und 
ausgebildeten Wiffenfchaft einen ehrenvollen Plaß einnehmen. 

Pevde Werte find als vollftändige Lehrbücher der gericht: 
fihen Arznenmiffenfhaft wegen der Ausführlichfeit und Reichs 
haltigkeit, womit die darin vorfommenden ©egenflände abges 
handelt find, feines kurzen Auszugs fähig, weswegen Referent 
fi) genöthigt fieht, nur einige allgemeine Bemerkungen über 
diefelben hier mitzutheilen. 

In beyden Werten find die neneften Entdeckungen und 
Erfahrungen im Fahe der Marurmwiffenihaft und Heilkunde 
mit großem Fleiße benußt, vie einzelnen Gegenfiände der 
gerichtlihen Arzneywiffenichaft gehörig deutlih und zweckmaͤßig 
von einander unterfchieden, die mancherley Wege zur Enticheis 
dung und Aufhpellung der dem gerichtlichen Arzte vorfommenden 
Fragen genau und lehrreich angegeben, die einzelnen Fälle, 
deren Erdrrerung Gegenſtand der gerichtlihen Arzneywiſſen— 
fhaft it und werden kann, ausführlich auseinandergeſetzt, 
und die Behandlung derfelden it mit hinreichender Deurlichs 
keit angezeige und mit der reichhaltigften Lıtteratur belegt. 
Ueberdies findet aud der Anfänger ın benden Merken niche 
nur eine zwar kurze, doch lehrreiche Darftellung der gefchichts 
lihen Momente dieſer Wiffenihaft, fondern zugleich eine hoͤchſt 
faßliche Einleitung, und man möchte fagen Einführung in dies 
felbe als einen Theil der geſammten Staatsarzneywiſſenſchaft. 

Referent glaube in dieien kurzen Bemerkungen die Vers 
dienfte zweyer Werke hinreichend ausgeiprocen zu haben, deren 
erfterem Überdies noch eine gewiffe Eleganz des Vortrags, letz⸗ 
terem ein ausführlihes Sachregiſter eigen iſt. 


iii — 


No. 11. Heidelbersifhe 4813. 
Jahrbuͤcher der Litteratur. 





Altdaͤniſche Heldenlieder, Balladen und Märchen uͤberſetzt von Wils 
helm Carl Grimm. Heidelberg, bey Mohr und Zimmer. 
1811. XL u. 545 ©, in 8. (5 fl.) 


IR. dem Entdecker einer wuͤſten Inſel, der durch einen 
Schiffbruch auf fie verfhlagen, viele Jahre auf ihr allein zu 
feben ſich genoͤthigt fieht, und nachdem er dur Schickfal oder 
Zufall einige Zeit von ihr entfernt, neugierig endlich wieder 
in die liebgewonnene Heimath zurückkehrt, und jest plößlich 
hier eine Hütte, oder ein Haus, dort einen fchimmernden 
Palaſt aufgeführt ſieht, freudig erſtaunt, dies Feine, fo lange 
öde gebliebene Land fo fchnell bevölkert, und auch von andern 
geihäst und angebaut zu fehn, fo angenehm und froh war 
die Verwunderung des Rec., als er durch vorliegendes Werk 
und die mannigfaltigen neueften Notizen, welche dafjelbe enthält 
lehrt wurde, wie das Fach der Nordifchen Fitteratur von mehreren, 
befonders von dem Verf. des gegenwärtigen Werks, mit einem 
fo fchönen Enthufiasmus ergriffen, und mit einem, nad} der 
Kürze der Zeit berechnet, kaum glaublihen Fleiße angebaut 
werde. Wie die Mahichrift beurkundet, fo find mir zu der 
zuverfichtlichften Hoffnung berechtigt, in Kurzem fogar bie 
Hauptwerke diefer Litteratur, namentlich die Edda und fämmts 
lihe Sagen nebft allen darin enthaltenen Liedern der Vor— 
zeit ( Werke, woran fo manche tiefgelehrte Kenner des Nor—⸗ 
dens manches Jahrzehend gearbeitet, und erft einen Bleinen 
Theil trog Eoftfpieliger Aufopferungen und Ermunterungen 
verftorbener und lebender Mäcens, eines A. Magnäus und 
Suhm, zu Tage gefördert haben) halbjährig paar und paars 
weife (wie fonder Mühe und Koften) vorgeführt zu fehn. 
Auch muß Nec. aufrichtig bekennen, daß die Freude, einen 
Wunſch, das alte Kjempe-Viſebog hier nicht nur vollftändig 
uͤberſetzt, fondern fogar mit philologifher Kritik behandelt, 


11 


162 Altdaͤniſche Heldenlieder von W. €. Grimm, 


mit Hiftorifchen Einleitungen und Erklärungen verfehen, und 
bald zu der Einen Sage den Schläffel, bald den Widerfpruch 
einer andern gehoben, bald Dunkelheiten der Geſchichte durch 
die Sage enträthielt, und im Ganzen einen fo reichen Zuwachs 
von poetifhem Stoffe uns angeeignet zu fehen, in dem evs 
ſten Augenblick die Pflicht der kritiſchen Prüfung unterdrückte, 
fo wie fie auch fchon durd die Einrichtung des ganzen Buches 
einigermaßen erfihwert war. 

Indeſſen hat bey fälterer Anficht diefer Bearbeitung und bey 
flühtiger Vergleihung der Driginale fid) bald gezeigt, daß der 
Kritik gleihwohl noch mandes, und zum Theil fehr ernftliches 
zu erinnern übrig. bleibt. 

Wir Haben daher die Anordnung und Weberfeßung der 
Kiempeviiier felbft, die Anficht des Verf. in feiner Morrede, 
und den Werth feines Commentars über einzelne Stüfe am 
Schluffe des Werkes einer umftändliheu Prüfung unterworfen, 
deren Nefultat folgendes ift. 

Da ein Nyerup, der fih fchon vor 27 Jahren in feis 
nen Fohkehange, die als zweytes Heft der Leuninger 
af Middel s Alderens Digtetunft zu Kopenhagen 
(1784. 8.) herausfamen, als kritifch slitterarifchen Kenner der 
Dänifchen Volkslieder beurkundet hat, in Verbindung mit 
einem Abrahamfon, dem Veteran der Dänifchen Aefthetiker, 
Sprachkenner und Alterthumsfreunde, deffen erfteren treffliche 
Anfiht feiner vaterländifchen Volkslieder längft aus feinen 
äftherifch s Pritifchen Bemerkungen über das Lied vom ſchoͤ— 
nen Midel in Sräters Bragur, 5. Band (Leipzig, 
bey Sräff, 1794), ©. 292 u. f. w. uns Deutfchen befannt 
geworden ift, und einem Rahbek, der in feinen früheiten 
jahren bereits unter den Dichtern des Daterlands genannt 
wurde, und durd feine Poetiſke Forfog ( Kiöbenhaun, 1794. 
‚. 8.) fi als Iyrifhen, und vorzuͤglich als Liederdichter ausge— 
jprochen, und ſowohl in feinen Danſke Tilhkuer, als in dem 
gemeinschaftlich mit Nyerup herausgegebenen Bidrag til den 
Danfte Digtetunfts KHiftorie, udedragne af Foreläsninger, 
holdne over dette Aomne, i Vintren 1798 — 1800. ved Pros 
feſſorerne Nyerup 09 Rahbek, (Beytrag zur Gefchichte der 
Däanifhen Dichtkunſt, als Auszug aus den, über diefen Gegens 


Altdaͤniſche Heldenlicder von W. €. Grimm, 463 


ffand:in den Wintern 1798. bis 1800. von den Profefforen 
Nyerup und Rahbet gehaltenen Vorleſungen) Kiöbenhavn 
(Copenhagen ) 1800. u. f. ſich als einen für alle Zweige der 
frühern und fpätern Dichtkunſt mie hohem Eifer hingegebenen 
Litterator ausgewieſen hat — eine kritiſche Ausgabe dieſer 
Kiempe Viſer oder vielmehr Danſke Viſer der gelehrten Welt 
verfprechen; fo ift es kaum begreiflich, wie Hr. Sr. eine folche littes 
räriich und Aftherifch : Britifche Ausgabe der alten Daͤniſchen Volks; 
lieder nicht lieber abwarten wollte (zumal da das Nonum prema- 
tur in annum wohl bey Feiner poetifchen Arbeit nörhiger 
ſcheint, als: bey einer folhen ), und ung feine Weberfegung 
aus einer fo unkritifhen, wie. diefe unftveitig iſt, zu geben 
vorzog. Wir nennen hier Hrn. Myerup zuerft, welcher nicht 
vielleicht (wie in diefen Jahrbuͤchern, 4. Jahrgang 4. Heft: 
Aprit,- ©. 569g gefage ift), fondern ganz gewiß. und fchon 
feit (anger Zeit zu einer Ausgabe fidy vorbereitet, indem aus 
Srärers Bragur 3. Band S. 311 durch Herren Profeffor 
Rahbeks Nachricht ſolches bereits feit 17 Jahren außer Zweis 
fel it; außerdem hat Here Prof. Nyerup, Bibliothekar der 
Föniglichen, und früher der Suhmifchen Bibliothek, dem daher 
ein Reichthum von Materialien feit vielen Jahren zu Gebote 
ftand, die Wahrheit dieſes Verſprechens bereits durch eine 
merfwürdige Probe (f. unjere Jahrb. 1811. Mr. 24.) ber 
gründet. Go. willig wir aud) zugefichen, was Herr Grimm 
©. 429— 431 behauptet, daß der Eratsrath Sram in einem 
autographum ber fönigl. Bibliothek, welches Hr. Nyerup 
ſchon in feiner Vorrede zu den obgedachten Levninger anges 
führe, und nur Kr. Grimm vollftändig. mitgetheilt hatte, zu 
hart urtheilt, wenn er die Kjempe Bier unter dem Titel: 
„diefer ganze Kram von Altenweiberzeug * abfertige, und 
Thomas Bartholin fie geradezu „putidissimas et triviales 
cantilenas nennt, omni prorsus Juce indignas, cum ne in- 
star quidem antiquitatis prae se ferant, ad colos (durd) 
einen Drucfehler fteht bey Hrn. Grimm color) aniles heri 
aut nudius tertius infelici vera compositae; — fo hat doch, 
was den kritifchen Werth diefer Syv. Wedelichen Ausgabe der 
Kiempe Viſer berriffe, ſelbſt ein Nyerup, den Ar. Grimm 


— 


164 Alidaͤniſche Heldenfieder von W. €. Grimm, 


‚gewiß nicht den Kun. Sram nnd Bartholin gleich ftellt, im 
feiner. VBorrede zu den Levninger udgivet af det Kongelige 
Bibliotheks Haandſkrifter, Ander Hefte, (S. 8 von Anfang 
der Vorrede an gezählt) folgendermaßen geurtheilt: „ Nimmt 
das Publitum diefe beyden Meinen Proben mit Beyfall auf, 
fo wird fid) vielleicht ein Sandwig oder Wandal dadurch zu 
einer neuen. vermehrten fritiichen Ausgabe des ganzen Kämpfers 
liederbuchs bewegen laffen, da es nicht. gerade unferer Litteratur 
zu beſonderer Ehre gereicht, daß diefe Monumente des Mittels 
olters bloß: in dieſer erbärmtichen,, unanfehnlichen, von Druck 
fehfern angefüllten, und ohne wahre Kritik veranflalteten 
Ausgaben, wie diejenigen find, die wir haben, zu lejen find, 
von Anders Sörenfen Wedels Ausgabe an, bis zu der neues 
fien, von Nicolaus Chriftian Hopffnern 1764. gedruckten 1* — 
Auch Suhm urtheilt nicht. glimpflicher Über dieſe zufammens 
geraffte Sammlung Daͤniſcher Volklieder (f. deffen gefammelte 
Schriften, S. 76, wo er fagt: „nah dem Inhalt der 
Niflunga Saga find unfre meiften Kjempeviſer gefchmieder, 
doch ‚mit dem Unterfchied , daß Sstalienifche und Deutfhe Bes 
gebenheiten darin fo vorgeftellt werden, als ob fie in unferm 
Morden gefchehen wären. jeder verftändige Pefer kann daraus 
leicht abmerten, mie wenig diefe Kjempevifer in unſrer Ges 
fhichte Hülfe Teiften, und wie fchlimm es ift, daß fo brave 
Männer, wie Wedel und Syv., fo viele Zeit und Mühe auf 
fie verwendet haben.“ 


Eben fo fchlimm, wenn nad ein Paar Jahren eine fris 
tifhe Ausgade der Kjempeviifer wird erfchienen feyn *), fagt 
man vielleicht, war es, daß Hr. Grimm auf die alte unfritis 
fihe fo viele Zeit und Mühe verwender hat. 


Unftreitig aber verdient eine folche Webertragung aud fo 
den Dank des Deutfchen Publitums, und wir find keineswegs 
gefonnen, Hrn. Grimm deswegen zu nahe zu treten. 

Es fragt ſich jeßt nur, wie Ar. Grimm diefes Unterneh— 
men ausgeführt hat. Unſers Erachtens gibt es haupttächlich 


*) &o eben leſen wir in Idunna und Hermode, daß dies bereit 
geſchehen ift, 


Atdänifche Heldenficder von W. C. Grimm, 165 


dreyerley Arten Ueberſetzungen, Eine, die bloß das Wort wiede® 
gibt, damit, wenn fie zur Seite flieht, man rede genau mer 
fen kann, cujus generis, numeri, casus u. f. w. oder cujus 
modi, temporis, personae es im Driginal ift, kurz, nad 
Art der Schüler » Erereitien in der firengen Syntaxi conve- 
nientiae, ine andere, die ſich nicht fowohl nach diefer grams 
matifhen Originalität, als nach dem Sinne richtet, und eine 
dritte, dev es bloß um den Geift zu thun if. Die zweyte 
naͤmlich will uns nicht in den einzelnen Worten der Sprache 
unterrichten, ſondern in den Gedanken, und die dritte nicht 
in der Form jedes einzelnen Gedanken, ſondern in der Wir— 
kung des Ganzen, die ſie auf gleiche oder doch auf aͤhnliche 
Weiſe hervorzubringen ſtrebt. 

Hrn. Grimms Ueberſetzungen gehoͤren weder in die erſte, 
noch in die dritte Claſſe, ſondern in die zweyte, doch ſtreifen 
ſie nicht ſelten an der erſtern, nie aber an der dritten. 

Tadeln iſt keine Kunſt, wendet jeder Schriftſteller, jeder 
Kuͤnſtler ein, mach du's beſſer. — Dieſe Einwendung gilt 
von jedem erſten Verſuche, und wir ſtreiten daher mit keiner 
dieſer Arten, wir nehmen fie vielmehr alle, eben als erſte Vers 
fühe und Vorarbeiten mit gebührendem Dante an. Allein es 
gibt unter der Anzahl diefer von Hrn. Grimm überfeßten 
Lieder doch einige, die fhon von Deutfchen - Schriftftellern 
Übertragen waren, und eine Vergleihung mit diefen feinen 
Vorarbeiten muß den Ausfhleg geben, ob fib Hr. Grimm 
befirebt hat, und ob es ihm geglückt ift, es beffer. zu machen 
oder nicht. 

Ein berähmteres Lied unter diefen Dänifchen Volksgeſaͤn— 
gen gibt es unter ung nicht, als die Jungfraun auf Elvershöh. 
Eeſt hat uns Gerſtenberg, dann Herder, dann Haug damit 
bekannt gemacht. 

Man hoͤre alſo: 


Gerſtenberg. 
(S. Briefe über die Merkwürdigkeiten der Litteratur 1. Sammlung, 
S. 110) 


Sch legte mein Haupt auf Elvers Höhe; meine Augenlieder 
fanfen: Da kamen zwo Sungfern, fich mit mir zu unterreden. 


166 Altdaͤniſche Heldenlieder von W. C. Grimm. 


Die Eine flreichelte meine weißen Baden, die Andere lifpelte 
mir ins Ohr: Steh auf, munterer Yüngling, und erhebe den Tanz! 

Steh’ auf, muntrer Jüngling, und erbebe den Tanz: Meine 
Sungfrauen follen die fchönften Lieder dir fingen. 

Die eine, fo reigend über alle ihres Gefchlechts, hub ein Lied 
an, der braufende Strom bielt inne, und floß nicht mehr, die Fleinen 
Fiſchchen, die in der Fluch ſchwammen, ſpielten mit ihren Berfols 
gern. 

Alle Heine Fiſchchen der Fluth ſpielten und hüpften; alle Heine 
Vögel des Waldes zwitfcherten durch die Thäler. 

Höre, du munterer Süngling, will du bey uns verweilen, fo 
wollen wir dich die Runen und Charakteren lehren. 

Sch will dich den Wären binden lehren, und der Drache, der- 
fi) auf Golde lagert, foll vor dir-weichen. 

Sie tanzten bin, fie tanzten ber auf der Höhe : aber der. Zünge 
ling faß, und flüßte fih auf feinem Schwerte. 

Höre, munterer Füngling, wenn du ung nicht antwortefi, fo 
wollen wir dir mit Schwert und Meffer das Herz aus dem Leibe 
reißen. i 
Da frähte der Hahn! zu meinem Glüde! Bch wäre font nie 
von Elvers» Höhe gekommen. 

Hedem jungen Dänen, der nach Hofe zieht, will ich rathen, 
niemals auf Elvers Höhe zu fchlummern. 

So überfegte Gerftenberg ſchon 1766, mithin vor 48 
Jahren, und man muß geſtehen, unerachtet die Ueberſetzung 
in Proſa abgefaßt iſt, und dem Ohre durch keine proſodiſche 
Kunſt ſchmeichelt, daß der lyriſche Schwung, der im Originale 
lebt, und das zauberhafte Colorit keineswegs dem Verf. ent— 
gangen iſt. 

Zwoͤlf Jahre darauf in des trefflichen Herders Volkslie— 
dern, Leipzig 1778., die mit Recht Stimmen der Voͤlker 
heißen, erfihien (1. Th. S. 152) eine neue Webertragung 
diejes Volkslieds, herzlich und fchön, aber auch holzfchnitts 
mäßig, wie man es von Herdern gewohnt if. Sie lautet 
alfo : 


Altdaniſche Heldenkieder von W. ©; Grimm. 467 


Elvershoͤh. 
ein Bauberlied. 
Däniſch. 


Ich legte mein Haupt auf Elvershöh, 
Mein' Augen begannen zu ſinken, 

Da kamen gegangen zwo Jungfrau'n ſchön, 
Die thäten mir lieblich winken. 


Die Eine, fie ſtrich mein weißes Kinn, 
Die zweyte Fifpelt ine Obr mir: 

Steh auf, du muntrer Jüngling! auf! 
Erbeb’, erbebe den Tanz bier ! 

Steh auf, du muntrer Süngling, auf! 
Erheb', erhebe ven Tanz bier! 

Meine Jungfrau'n fol’n dir Lieder fingen, 
Die fchönften Lieder zu hören. 

Die Eine begann zu fingen ein Lieb, 
Die Schönfte aller Schönen ; 

Der braufende Strom, er floß nicht mehr, 
Und horcht den füßen Tönen. 

Der braufende Strom, er flof nicht mehr, 
Stand fill und borchte fühlend, 

Die Fifchlein ſchwammen in heller Fluth, 
Mit ihren Feinden fpielend. 

Die Fiſchlein al’ in heller Fluth, 
Sie fcherzten auf und nieder, 

Die Böglein al’ im grünen Wald, 
Sie büpften , ziepten Lieder. 

„Hör an, du muntrer Büngling, hör' an, 
Mille du bier bey uns bleiben ? 

Wir wollen dich lehren das Runenbuch, 
Und Zaubereyen fchreiben. 

Sch will dich lehren, den wilden Bär 
Zu binden mit Wort und Zeichen; 

Der Drache, der rubt auf rothem Gold , 
Sol ſchnell dir flieh'n und weichen.“ 

Eie tanzten bin, fie tanzten ber ; 
Zu bublen ihr Herz begebrt , 

Der muntre Süngling, er faß das 
Geſtützet auf fein Schwert, 


168  Atdänifche Heldenlieder von W. €, Grimm. 


„Hör an, du muntrer Yüngling, bör an: 
Wille du nicht mit uns fprechen , 

So reißen wir dir, mit Meffer und Schwert, 
Das Herz aus, uns zu rächen.“ 

Und da, mein gutes, gutes Glück! 
Der Hahn fing an zu kräh'n. 

Sch wär font blieben auf Elvershöh, 
Bey Elvers Jungfrau'n fchön. 

Drum rarh ich jedem Züngling, 
Der zieht nach Hofe fein, 

Er feße fich nicht auf Elvers Höh, 
Allda zu fchlummern ein. 


So Herder! Uebrigens bemerkt er in dem Inhaltsver—⸗ 
zeichniß, daß der Zauber des Driginals unüaberfegbar fey. Es 
mag, aber daß wenigfiens ein ähnlicher Zauber hervorgebracht 
werden kann, fcheint uns Haug in feiner trefflihen Bearbei— 
tung deffelben Liedes (f. Epigrammen: und vermifchte Gedichte, 
2. Bd. Berlin 1805. S. 395) bewiefen zu haben, das zus 
gleih unter den Meifterftücen der Iprifchen Dichtkunſt nicht 
überfehen zu werden verdient: 


Elvershöh. 
Nach dem Dänifchen. 


Mich wollte füßer Schlaf 

Auf Elvershöh umfangen. 

Da famen lieblich und zart, 

Zwey Mädchen, nach Feenart 

Mehr fchwebend als gegangen. 

Die Eine ſchmückte mich 

Mit ihrem Myrtenkranze. 

Die zweyte lispelte traut 

Mit berzbefchleichendem Laut : 
„Mein Züngling! Auf zum Lange!“ 

Die Eine fpielte mir 

Mit fanfter Hand am Kinne, 

Die zweyte faßte mich frey, 

„Wohlauf, mein Tänzer! Herbey!“ 

Und fang ein Lied der Minne. 


Altdänifche Heldentieder von W. C. Grimm, 169 


Mit allen Sternen fchien 

Der blaſſe Mond zu laufchen. 
Kaum hauchte die Nachtigall; 

Der Strom bielt mitten im Fall, 

Der Sturn vergaß zu raufchen. 


O Wonnemelodie! 

Mit ihren Feinden fpielten 

Die Fiſche fo. wohlgemuth 

An monddurchfchimmerter Fluth, a 
Und Felfen, Bäume fühlten. 


Gelobe, muntrer Pant ! 

Uns Jungfrau'n dich zu. weiber. 
Hör unfern Gegenverfpruch : 
Dann lernft du das Runenbuch 
Und alle Saubereyen. 


Du follft den wilden Hr 

An feidnem Fädchen lenken, 
Solft Dracyenbezäbmer feyn, 
Und Gold und Edelgeflein, 
Worauf fie rub’n, verfchenfen. 


Sie buben lockend an 

Im Tanze fich zu dreben. 

Shr Blick und Wefen verklärt! 
Gelehnt auf’s ruhige Schwert , 
Kalt, fehweigend blieb. ic) fliehen. 


Komm , Schöner Züngling, fomm ! 

Du zögerſt? — Wir du fprechen ? 
Verachte nicht unfer Gebot , 

Sonft muß dein plößlicher Tod 

Uns, die Verſchmähten, rächen. 

Sie baten, zürnten, fchrien — 

Zwey Dolche blinften — Wehe! 

Gottlob! da Fräbte der Hahn. ä 
Sonſt wars um mein Leben gethan — 

O meidet Elvers Höhe! 


Welchen von diefen drey Vorgängern nun Hr. Grimm 


übertroffen habe, muß die Vergleichung mit v. eigenen 
Ueberſetzung zeigen. Hier iſt fi f e: 


470 Altdänifche Heldenlieder von W. ©. Grimm. 
Elfenhöh (©. a) 


Sc Tegte mein Haupt auf die Elfenhöb, meine Yugen begannen zu 
fhlafen, 


Da famen gegangen zwey Zungfraun heran, die wollten Rebe Ar gern 


mit mir haben. 
—— “ fie zuerſt — b 


Die ı eine itelcheli⸗ mir die weiße Wang, die andre ins Ohr thät mie 
flüflerm: 


„Du, fieh auf, fchön junger Knab, willt du dich zum Tanze rüften, 
Wach’ auf, Schön junger Sinab, wenn du zum Lanze willſt fpringen, 
Meine Sungfraun follen das lieblichile, das dich lüflet zu hören, vor⸗ 
fingen.“ 

Und über alle Weiber ſchnell, ein Lied hört’ ich eine beginnen ; 

Der reißende Strom fand fill dabey, der gewohnt war fonfl zu rinnen: 
Der reifende Strom fland fill dabey, der gewohnt war fonft zu rinnen : 
Mit ihren Floßen fpielten die Sifchlein Klein, die in den Fluthen 


fchwimmen. 
Mit ihren Schwänzlein fpielten fie, die feinen Fiſch in der Fluth 
alzumale, 
Die Böglein, die al in den Lüften find, begannen zu fingen im 
| Thale. 


Hör du, ſchön junger Anab, und wilt du bey ung bleiben, 

Da wollen wir dich Ichren Buch und Nune, dazu auch leſen und 
fchreiben.“ 

Sc will dich Iehren binden den Bär, das milde Schwein an der 
Eihe Stamm; 

Der Drache, der liegt anf vielem Gold, ſoll fliehen vor dir aus dem 
Zand. 

‚ Gie tanzten auf und fie tanzten ab, da in den Elfen Bug: 

Da faß der fchöne junge Anab , geſtützt auf fein Schwerte gut. 

„Hör du, ſchön junger Knah, willt du nicht mit uns reden, 

ol das Schwert und fcharfe Mefferlein dein Herz in Nube noch 

legen.“ 

. Hätte Gott nicht gemacht mein Glück fo gut, daß der Hahn fchwang 
die Fittich fofort, 

Gewiß wär ich blieben auf der Elfenhöh, bey den Elfen. Jungfrauen 
dort. 


Das will ich iedem guten Geſell, der zu Hof ausreitet, fagen: 
Er reite nicht nach der Elfenhöh, und lege fich da zu ſchlafen. 
Seitdem ich ſie zuerſt gefehn ! 


Altdänifche Heldenlieder von W. c. Grimm. 471 


Truͤgt unfer Gefühl, oder ift es in der Thar wahr, daß 
biefe neuefte Ueberſetzung nicht nur feinen Zauber an ſich trägt, 
er heiße, alterthuͤmllch, volks⸗ oder kunſtmaͤßig, fondern daß 
die Leſung derfelben fogar von demjenigen ‚Zauber, den wir 
aus den vorigen empfangen und aufgefaßt hatten, jede Spur, 
ertödtet ? | 

Nein! fo können, fo dürfen die ſchoͤnen Weberrefte des 
Nordens und Südens unferer geliebten Germanifchen Vorzeit 
nicht behandelt werden, oder es verfliegt ihr Geiſt, und ftatt 
zu.ihrer Empfehlung möchte eine fortgefekte Bearbeitung diefer 
Art vielmehr dazu beytragen , fie aufs neue einer undankbaren 
Vergeffenheit und ungerechten Verachtung zu überantworten. 

Hr. Srimm hat einen 58 ichönen und trefflihen Anfang 
gemacht, als daß es micht die heiligfte Pflicht der Kritik wäre, 
hier offen und gerade darzulegen, auf welchem Abwege derfelbe 
(vielleicht nur angeftecft von der Mode, vielleicht nur durch 
eine falihe Vorausſetzung verführt!) zum Schaden der Kunft, 
der Pitteratur, der Vorzeit und des guten Geſchmacks ſich bes 
finder. Jetzt ift es für ihn noch Zeit zuräd zu gehen, um 
mit dem Werdienft des großen Fleißes, einer ausgebreiteten 
Lectuͤre und einer forgfältigen hiftorifchen Forfchung auch das, 
Verdienft eines guten Schriftfiellers verbinden zu koͤnnen. 

Wir wollen daher unfern Tadel mit jedem nöthigen Bes 
weis unterftüßen, und hoffen diefes felbft für den Hrn. Verf. 
fo überzeugend zu machen, daß derjelbe in einer Mahl zwis 
(hen dem Beffern und Schlimmern bey einem neuen Verfuche, 
falls er auf unjre Bemerkungen Ruͤckſicht nehmen will, fi 
mehr. befinden kann, 

Erſtens bat Hr. Gr. zu einer großen Tortur des Ohrs, 
und vermuthlih um die Härten der Mitte defto leichter zu 
verftesfen, aus dieſen, im Driginal unſtreitig vierzeiligen Stros 
phen durchaus zwenzeilige gemacht, und meint noch uͤberdies 
daran fo recht gethan zu haben, daß er aus diefem offenbaren: 
Mißgriff, wie wir aus S. XXXV der Vorrede fehen, fogar 
eine Kunftregel für den Rhythmus der Dänifhen Volkslieder 
ableiten zu müffen glaubt. ec, der nun bald 30 Jahre das 
Volk in ſeinen ihm eigenen Gefängen beobachtet, mit Liebe 
beobachtet, oft mit wahrem Entzuͤcken in der Stille des Waldes 


172  Mtdänifche Heldenlieder von W. C. Grimm. 


oder der Naht ihm zunehört, und feldft in feiner jugend 
‚manches herzliche Lied aus inniger Seele mit gefungen bat, 
fonnte fi bey diefer ganz a priori gefaßten, aber eben darum 
auch ſehr verunglücdten Kunftreglung nicht enthalten, zu läs 
Hein! — So geht es dem Gelehrten am Pulte! 

Man höre Hrn. Sr. (1. c.): „Es finder fih nämlich 
in den Dänifchen Liedern nur ein zweyfacher Hauptrhythmus. 
Erftlih die Strophe, die aus zwey langen Zeilen befteht, die 
veimen, und wovon ‚jede fieben Bis zehn Hauptaccente hat, im 
der Mitte aber einen Abſchnitt. Der Rhythmus ift ganz Los 
zufammengehalten (was foll das heißen?), und bewegt fi 
in der größten Freyheit ꝛc. Späterhin wird fich dies Spibens 
maaß immer fefter gefeßt haben, wie es am ausgebildets 
fien (1!) erfcheint in der Eifenhöh ac. * 

„Zweytens die Strophe, die aus zwey kurzen Zeilen von 
vier bis ſechs Accenten befteht, die feinen Abichnitt Haben, 
reimen, männlich oder weiblich, und in mannigfachem dactilis 
fchen, trochäifchen und jambiihen Rhythmus abwechieln.“ 

Das Wahre an der Sade tft, die Strophen der zweyten 
Gattung find wirkliche Diftiha, 3. B. in dem Lied von des 
Königs Tochter in England (man fehe Kiempeviifer, (S. 450): 

6. > 
Dg ned | til bu | vet bungan | ger ben | 
“ Der föd | de hun | en fön | faa ven. | - 
T. 
Hun tog | det bar, | foöbte det | i lün | 
Dg lag | de de det | i forgyl | dte flrün. | 


8. 

Hun Tag | de derhos | viet falt | og lius, 

For det bav | de ey vä| ver il Guds Huus. ) 
Und wie man fieht, ohne im mindeften neue Kunftausdrücke 
für ihr Meteum erfinden zu ditefen, es find nichts anders als viers 
füßige Jamben, mit denen Anapäfte und Spondäen, ja wohl 
zuweilen auh ein Paeon quartus ( vv u — ), abmwechfeln, 
wobey es denn auf ein oder ein Paar kurzgebrauchter Längen 
dem, um die Negeln der Kunft, wie überall, nicht fehr vers 
legenen Wolke eben nicht ankommt. 3. B. in eben diefem Liede: 


Altdaͤuiſche Heldenfieder von W. €, Grimm. 4173 


i uvuvv— uv— u — 
4. Str. Det lid | de n at = I re tiv’ u | gers Aue: 


— v 
5. Str. Den Som * tagen o | ver fig fan | ben blaa, 


Dies ift das ganze Geheimniß von den vier bis ſechs Accen⸗ 
ten, wovon Hr. Gr. fpriht, und was eigentlich nicht an dem 
ft; denn unter den Accenten verfteht er nicht, mie etwa 
Klopſtock, den Nedeton, fondern jede lange, zwifchen den kurs 
zen fi) heraushebende Sylbe. Allein Hr. Gr. muß dergleichen 
Lieder nie von dem Wolke haben fingen hören; denn Die vierte 
und fünfte Strophe haben um deswillen, daß fie an Solben 
überfließen, darum nicht einen einzigen Vocalton der Melodie 
weiter, und Hr. Gr. ftellt ſich es gewiß ganz irrig vor, wenn 
er glaubt, daß die erfte Zeile der vierten Str. ſtatt aus vier, 
aus fünf oder gar ſechs Accenten (welches wie andern Füße 
heißen ) beftehe, und fo müffe gelefen werden : 

v— u- V- vuv- u-vu — 

Det lid | de fall | ar for | ve tiv | i m girs dag. 

Eben fo ift es mit den Liedern der erften Gattung. Sie 
find wirkliche Tetraſticha, nur daß der erfle und dritte Ders 
des Reims entbehren können. Schr viele diefer Lieder aber 
reimen auch den erflen und dritten Vers, wie z. B. ©. 483: 

De legte guldtavel ved breden bord (ausgefprochen bor) 

J glaede og lyſt med alde, 


De fruer tvende med aere flor, 
Saa underlig laegen mon falde 


Manchmal reimen fogar die zwey erften und zwey lebten Verſe 
mit einander, wie z. B. in dem Liede von der Königin Bern⸗ 
gerd S. 214: 
6. Hvor ffuf | Te vi | fan me | get Staal faa, 
Di fun | de baade Land | og Vand beſtaa: 
Min Fiaere Jomfru J fare i Mag, 
Dver | der vil el} ters kom meſtoer Klag. 


Wieder in andern find der erfte und dritte Vers bald gereimt, 
bald nicht gereimt, wie z. ®. in IV. 27. (nach dem Driginal 
sitirt) ©. 482: 
1. Str. De Rövere vilde fliele gan, 
Saa langt i fremmede lande (ausgeſpr. Tanne) 


174 Mitdänifche Heldenfiedver von W. E. Grimm, 


Saa tale de bort den Konges barn, 
Den Homfru bed Skion Anna. 

Hier veimen nur der zweyte und vierte Vers, wie auch in 
Str. 5. 5. 6. 7. 10. 15. 14—26., hingegen in. 2. 4. 8. 9. 
20; 21. dann wieder 27. u. |. w. reimen alle vier wechjelnd, 
fo daß man offenbar fieht, es iſt gar keine Regel in der Sache, 
(zumal da auch öfters der 2te und 4te Ders nur zur Morh 
reimen, wie 3. B. in dem angezonenen Liede Str. 3. fange 
and Konge. 4; flamme und haande. 6. fine und trolove u. 
f. w. ) fondern fediglich Zufall, Das Volt befümmert fi nur 
um die. Sache und den ſchnellen Ausdruck feines Gerählten, 
aber niht um den Reim. Es will zwar reimen, aber das 
muß kein Nachdenken often; gehts nicht fogleich, fo wird aud) 
geftelpert., fo gut man kann. Dies ift überall in allen Läns 
dern fo gleich, daß man es fogar für eins der fiherfien Kris 
terien des wirklihen Molksliedes annehmen kann. Wo alles 
nah den Regeln der firengen Kritik geht, das hat gewiß 
das Volk nicht gedichtet. | 

Zweytens aber hat er diefes Stolpern ſelbſt wirklich übers 
trieben. Es. gefällt uns an einem Frauenzimmer,. wenn fie 
bey einer gefühlvollen und überdies gebildeten Sprache doch 
an ihren orthographifchen oder Heinen grammatifchen Fehlern ihre 
Weiblichkeit verrärh; aber wenn ein Mann den Etyl und die 
Schreibart des Weibes nahahmen will, und fie beynahe in 
jedem Worte einen Fehler begehen läßt, dann ift es widerlich. 
Eben diefe Widerlichfeit empfanden wir an Hrn. Gr. Webers 
feßungen. Sie ftolpern zuviel, und wir finden diefes keines— 
wegs durch die Dänifhen Originale gerechtfertigt. | 

In dem gegenwärtigen Liede find unter ı2 Reimen niche 
weniger als fieben,, mithin mehr als die Hälfte nicht, und der 
achte durch ein bloßes Flickwort (fofort!) gereimt Dies 
heiße fih die Sache leicht machen, und fo ift denn wohl bes 
greiflih, wie man etwa in der nämlihen Sahresfrift, im 
welcher ein anderer Dichter, der das nonum prematur in 
annum vor Augen hat, faum Ein Lied zu befriedigender Vols 
lendung bringt, ihrer hundert auf einmal druckgerecht zu 
machen verfteht. Wir wollen den Beweis führen. Das Dis 
niſche fängt an: 


Altdaͤniſche Heldenlieder von W. C. Gtimu 475 


Zeg lagd mit Hovet til Elver Hy 
- Mine Dyne de finge en Dvale: 
Der tom gangen des toe Jomfruer frem, 
Som gierne vilde-med mig tale. 
Aber wie finge Hr. Grimm ? 
Ich Tegte mein Haupt auf die Elfenhöh, meine Augen begannen 
zu Schlafen, J J 

Da kamen gegangen zwey Zungfrau'n heran, die wollten Rede fo 

gern mit mir haben! 

Alſo ſchlafen und Haben muß fih zumal in einer fo 
freyen und weitfcyweifigen Umfchreidung des „tale“. (veden) 
dennoch reimen! Das heißt doc bey einem fo fchönen Liede, 
wie dieſes, den Lefer, von welcher Elaffe er auch fep, gleich 
im Anfang abfchreden. 

So reimt in der. zweyten Strophe der Däne: Dre und 
rpre gut, Kr. Gr. aber flüftern und. rüften. fchlecht.. In -der 
fünften der Däne: vinde und finde, Hr. Gr. rinnen und 
ſchwimmen. In der neunten der Däne: Ferd und Sverd, 
Hr. Sr. Zug und gut, ferner veden, legen, fagen, fchlafen 
u. f. w. Das fann doch unmöglich auch die. lieblichfien Däs 
nifhen Gedanken dem Deutfhen Ohre empfehlen. Und bie. 
Denfpiele davon find durch das ganze Buch zahllos. Man 
fhlage auf, wo man will, da reimt fih: herab und madıt, 
409 und mogt (le&teres Wort S. 247 verfiehen wir noch übers 
dies gar nicht), Wald und Schlaf, ſtark und Wald, lieb 
und Schild, auf und Braut (alles auf Einer. Seite!) oder 
Kifte und wußte, Leid und neun, Geſicht und mich, Noth 
und froh, alfo! und fol! (S. 337) Arm und Karn (Kats 
ven). — Doc genug! Weiteres Zeugnijfes bedarf es nicht. 

Drittens hat Hr. Gr. auch in Hinſicht des Rhythmus 
nicht immer die gefaͤllige Treue beobachtet. 

So ſingt der Daͤne in der fuͤnften Strophe: 

1 52 - 3 A 
v—u u — [bvu—lu — | 
De liden ſmaa Fiske i Floden fvam 

Hr. Grimm aber: 

1 2 3 4 5 


v-luv—-]u F, —. 
Mit ihren Floſſen ſpielten die Fiſchlein Hei 


476 Altdaͤniſche Heldenkieber von W. E. Grimm. 


und macht aus 4 fünf Füße, oder man müßte die zwey erſten 
als einen einzigen Fuß (vuuv—) annehmen, welches wieder 
zu gezwungen iſt. 

Eben fo in der achten Str. u. ſ. w. Sa, in Marft 
Stig’s erftem Lied (S. 382 Kjempeviifer, S. 222) hat Hr. 
Gr. beynahe ein ganz anderes Sylbenmaaß, wenigſtens ers 
tennt man das des Driginals keineswegs darin. 

WBiertens ift auch, bey aller Übrigen genauen Kenntniß der 
Dänifhen Sprache, die dem Hrn. Verf. gar nicht abzujprechen 
iſt, doch hie und da der Sinn fonderbar verfehle. So übers 
fegt er in eben diefem Liede Str. 4.: 


Den eene begundte en Viſe at quaende 
Saa faurt over-alle Quinde. 
Und über ale Weiber (hell 
Ein Lied hört’ ich eine beginnen. 

da doch das Wort faurt nicht ſchnell, fondern ſchoͤn Heißt, 
und nichts anders als das alte fagurt iſt; wie es denn Hr. Gr. 
ſelbſt kurz zuvor, fo wie auch anderwärts richtig durch ſchoͤn 
Aberſetzt. Wollte er hier eine Werbefjerung anbringen? So 
ift fie in der That nicht gerathen. Auch ift in der 10. Str. 
flatt dem hvaſſen Kniv (fcharfen Meffer ) die Naivirät mit 
dem fiharfen Mefferlein gewiß nicht zur rechten Zeit angebradt. 

Eben diefe Fehler, die hier an einem einzigen Liede ges 
zeigt find, herrſchen durch das ganze Bud, denn gleich bleibt 
fih Ar. Gr. allerdings. Nur einen einzigen haben mehrere 
der andern noch, der hier nicht anzubringen war, nämlich die 
fonderbare, und wenn wir es gerade herausfagen follen, die 
riachläffige Beybehaltung des Däntichen BB in eigenen Namen. 
Denn welcher Deutfhe wird Vonved anders als Fonfed auss 
fdrehen? Und hierin erkenne fih doc der Däne in feinem 
Wonwed gewiß nicht mehr. So fchreibt er Vidrich Verlands 
( Fidrich Ferlands) Sohn ftatt Widrick Werlandse, Sivard 
(Sifard) ſtatt Siward, Hvitting (Hfitting!) ſtatt Hwitting 
Danved (Danfed) ſtatt Danwed, Berner (Ferner) ©. 130, 
ftatt Werner; fogar ©. 502 Bifferlin, weldes beynahe wie 
Pfifferling klingt, ſtatt Wifferlin u. \. w. Lauter Umſtaͤnde, die 


den Genuß diefer Attdänifchen Reliquien mit Gewalt flören. 
(Die Sortiesung folgt, ) 





No. 12. » " Heidelbergifhe 1813. 
Jahrbücher der Litteratur, 


ne — — ET 





Altdaͤniſche Heldenlieder, Balladen und Märchen uͤberſetzt von Wil⸗ 
beim Carl Grimm. 
( Sortfegung der in No. 11. abgebrochenen Recenfion, ) | 


Us hat Herr Grimm in allem ı22 Lieder übers 
feßt, aus welher Menge, und der dabey noͤthigen Eile 
ſich allerdings alle obigen Erfcheinungen fehr- leicht begreifen 
laffen. | 

Deffen ungeachtet find es nicht alle. Denn der erfte Theil 
der Danſte Viſer enchält 26, der zweyte 55, der dritte 19 
(nebft zwey Zugaben), und der vierte,und lebte 100, mithin 
in allem 190, wiewohl ihre Zahl auf dem Titel zu 200 ans 
gegeben if. Es fehlen alfo in dem gegenwärtigen Werke noch 
68 Lieder. Hieruͤber erflärt fih zwar Hr. Gr. in der Vor— 
rede ©. XI mit einigem Grund, aber alle diefe 68 Lieder 
follen wohl nicht in die nämfiche Categorie, und da Hr. Gr. 
durchaus nirgends poetifh, fondern bloß wörtlich oder hoͤchſtens 
finngetreu überfegt, mithin uns feinen poetifchen Geruß bereits 
tet hat, fo wäre es wahrfcheinlich nicht Schade gewefen, wenn 
er ung in einem Werke, das doch einmal mehr für den Littes 
rator als den Lefer, der Vergnuͤgen verlangt, beſtimmt iſt, 
auch die Übrigen zum beften gegeben hätte. Allein auch der 
bloße Litterator und Forfcher wird ihm die Uebergehung des 
alten Biarfemäl, bey dem ſich ohnehin durch Wiederherftellung 
des wahren alten Geiftes aus dem Studium der immer noch 
bedeutenden Weberrefte des Urlieds ein großer kritiſcher Scharfs 
finn und das unzweydeutigſte Afthetifche Gefühl Hätte erproben 
laffen, nicht wohl vergeben. 

Zudem dat fih Hr. Sr. beynahe aller Nachmweifungen auf 
das Driginal Überhoben, womit wir keineswegs die neue Claffis 
fieirung dieſer Lieder in KHeldenlieder und Balladen tadeln, 
mit der aber die Nachweiſung gleichwohl vereinbar, und eben 

12 


178 Altdaͤniſche Heldenlisder: von W. C. Grimm, 


deswegen, weil die Ordnung des Originals nicht REN iſt, 
um fo unerlaͤßlicher war. 

Aber auch Sy v's hiſtoriſche Einleitungen zu jedem Liede 
ſind durch den Anhang, der einen hiſtoriſchen Excurſus uͤber 
das Ganze enthaͤlt, keineswegs erſetzt. Denn die Fabel der 
14 Heldenlieder zwar iſt vollſtaͤndig commentirt, aber von dem 
Ballaͤden und Maͤhrchen find ihrer 58 ohne Erklärung ge— 
blieben. 

An den Excurſen ſelbſt, die allerdings einen rühmlichen 

Beweis von des Hen. Verf. großer: Belefenheit und weitgreis 
fender Forſchung ablegen, fanden mir bey ruhiger Anficht 
hauptſaͤchlich viererley zum Voraus zu tadeln: die umdentfche 
Sprache, die unrichtige Schreibung fremder, befonders fans 
dinavifher Mamen , die Tanne trer Eirationen und die ans 
maßenden ‚Urtheile, 
So ſucht Ar. Gr. darin eine Driginatität, daß, er das 
Huͤlfsverbum auslaͤht, wo der Deurfche es durchaus nicht ents 
behren: ann, z. B. S. 440 „daß es. nur darauf anlam, ihre 
Dafeyn zu bemeifen, nicht dad fie begründer in der. Hiſtorie; 
— — — (was?) ©. 475 und gering ein. ? Waffen. verfchueis 
der ihn! S. 497 „weil fein Hals fo hart wie Stahl,“ „daß 
feine Falſchheit dabey! ( ©. 545) S. 498 in Höhle gewars 
fon“ ſtatt in eine Höhle m ſ. m. 

Mas iſt ferner Vaudlothing! Hedins fied, Glaͤſir val⸗ 
ler? Seit wann. ſagt man die Ingibiorgu von Lpfolum ? 
AR das erſtere Sfandinavif und das zweyte Deutſch? (8 
523 ) 
Wie Hr. Br. citiet, davon nur einige auffallende Bey—⸗ 
fpiele: Otto von Frepfingen (Lat, Otto Frisingensis) heißt 
bey ihm. Otto Friſingens! (|. S. 4952) Joh. Meffenius, Profi 
dev Beredſamkeit und der Rechte. zu Upfal, nachher koͤnigl. 
Aſſeſſer zu Stockholm, und zuletzt ı8 Jahre (Bis novem 
miser integros per annos!) in Gefangenihaft zu Cajanez 
hung, we er auch flarb, gab unter vielen gelehrten Werfen 
auch eine Schrift Über die fünf aͤlteſten und vornchmften 
Schwediſchen Handelsſtaͤdte Upſal, Sigtun, Stara. Bırka 
und Stockholm heraus, und nannte dieſe Schrift mit einer 
Griechiſchen Zufammenfeßung, die fi darauf bezog. Mun 


Audaniſche Heldenlieder von W. C. Grimm. 179 


füͤhrt Stephan Stephanius im ſeinen Notis uberioribus zum 
Faxo Grammaticus S. 166 gelegemslih folgendermaßen an: 
Prorsus igitur frustanea est opera Johannis Messenii, 
dum ia kbello quodam suo, quem Sveopenta protopolin 
etc. inscripsit, evincat etc, Auch Rec. befigt diefe Schrift 
eben fo wenig als Kr. Gr., und bat fie nie gefehen, vwermas 
thet aber doch, daß von dem offenbaren Accuſativ protopolin 
der. Nominativ pratopolis heißen muͤſſe. Allein Hr. Sr. 
findet nicht nöthig, daran etwas zu ändern, ſondern fchreibe 
gereulich nah: Joh. Meffenius in feiner Kleinen (?) Schrift 
Sveopenta protopolin! (das Druckfehlervergeihniß ſchweigt 
hievon. ) 

- Auf eine andere Art fonderbar citirt Hr. Gr &. 426 
Suhm II. 179. 185 und fo öfter. Wo foll der Lefer diefen 
zweyten Band von Suhm fuhen? Dec. befist die ſaͤmmtli⸗ 
hen Suhmifchen Werke, aber nur feine Eritifchen Vorarbeiten 
zur Nordiſchen Geſchichte laufen unter der Nummer 1 — 10., 
feine Hiftorie af Danmark ı 7. und feine Samlede Strifr 
te 1— 16 — Welche diefer drey Sammlungen meint Sr. 
Gr. damie? Das läßt fih nicht nur nicht errathen, fondern 
die Citation paßt nicht einmal, wo man auch nachfchlägt. Zus 
fälliger Weife ift nun vier Bogen weiter hinter ©. 4gı aber 
mald Suhm II. 2gı citirt, aber dazu Nord. Fabelzeit geſetzt. 
Und fomit laͤßt fih nun endlich feine Meynung errathen, aber 
auch nur errathen! Es hat nämlich Gräter befanntlih Suhms 
Hiſtorie af Danmark, wo nicht aufgefordert von dem ehrwärs 
digen Werf., doch mit feinem. Wiffen und feiner Billigung 
etwa ſechs Jahre nach feinem Tode in einer forgfältigen Vers 
dentihung unter dem Titel: Peter Friedrih von Suhm's 
Geſchichte der Dänen, Aus Liebe zu dem Studium derfelben 
und aus Ehrfurcht für ihren Verfaffer ins Drutfche Übertragen 
von Fried. Dav. Gräter, Leipzig 1804. dey Heinrich Gräff 
in ge. 8. herauszugeben angefangen. In dem, über Suhm, 
als Hiſtoriker, fih auf XLII Seiten verbreitenden Vorbericht 
modificire Gr. fein Urtheil über diefe Suhmifche Gefchichte 
dee Dänen, ©. XXVIL, „daß fie ein wahrer Nekrolog der 
Regierungen, ein drittes Buch der Könige, ein Speculum 
rögale fey, das, ohne je die Gefahr der Ungnade zu laufen, 


180 Altdaͤniſche Heldenlieder von W. C. Grimm. 


die Stelle eines treuen Minifters und eines freymüäthigen 
Staatsmannes vertrete* in Hinſicht der zwey erfien Bände, 
die bloß die Gefchichte der Fabelzeit enthalten, und feßt Hinzu: 
„es möge feyn, daß die Fabel in der Gefchichte, eben weil 
man da nur die ftrengfie Wahrheit erwarte, fo lehrreich nicht 
fen, als fie es in der Sphäre der Kunſt zu feyn pflege,“ allein 
fie feyen daram nicht minder fejenswerth; denn „fie enthalten 
eine möglichft ; volftändige und möglichft : hiftorifche Darftellung 
der Mordifhen Fabelzeit, und müßten in fo ferne fhon als 
der gelehrtefte Commentar Über das fabelhafte Altertum, und 
als ein reichhaltiger Anhang zu der, von Dichtern und Künfts 
lern noch lange nicht nach Werdienft gewuͤrdigten Goͤtterlehre 
des Mordens auch als ein abgefondertes Werk für die Lieb— 
haber und Forfcher der Mordifchen Vorzeit ein fehr fchäßbares 
Handbuch feyn,“ daher er ihnen (den zwey erfien Bänden 
von Suhms Dänifher Geſchichte) obigen Nebentitel ( Hiftos 
riſche Darftellung der Nordifhen Fabelzeit) ohne Zweifel mit 
Recht gegeben habe. Allein Gräter hat bisjeßt nicht mehr als den 
I. Bd. herausgegeben, und es ift alfo aud) jede Titation, die fi) 
bey diefem Werfe mit IL. fignirt, durchaus falfh. Denn wenn 
diefer Band gleih in der Verdeutichung in zwey Abtheiluns 
gen (weil die Verdeutſchung nicht in gr. 4., wie das Dänifche 
Driginal, fondern in 8. gedruckt wurde, mithin der Band zu 
dick geworden wäre) gefondert iſt, fo ſteht doc, auf jeder Abs 
theilung Erfter Band, und wer richtig und genau citiren will, 
fann und wird daher eine Seite der zweyten Abtheilung - nie 
Euhm II. 195, fondern entweder Suhms Geſchichte der Däs 
nen von Gräter I. 2. 195, oder Suhms hift. Darftellung -der 
Nord. Fabelzeit mit gleicher Signatur citiren. Dann erft 
weiß der Deutſche fowohl als der Mordifche Lefer, ’ woran 
er if. | 

Mas endlich die abfprechenden Urtheile betrifft, fo kann 
Rec. nicht umhin, hauptſaͤchlich zwey verächtlihe, aber wohl 
diefen Männern von Hrn. Gr. noch zur Zeit nicht gebührende 
Seitenblicke zu rügen. Der erfte betrifft den allgemein bes 
fannten, von jedem Liebhaber und Forfher des Mordiichen 
Alterthums ftndierten, und von allen, die ihn ftudiert haben, 
mit Dank und Hochachtung, die er auch wahrlich . verbiens, 


Altdaͤniſche Heldenkieder. von. W. C. Grimm. 481 


genannten Thomas Bartholin; aber Hr. Gr., der ihm ohne 
Zweifel, falls er ſein Buch durchſtudiert, und nicht bloß darin 
geblaͤttert hat, eben ſo vielen Dank ſchuldia iſt, kann nicht 
umhin, daſſelbe zum erſtenmal unter allen Daͤnen, Schweden, 
Islaͤndern, Englaͤndern und Deutſchen, die feiner gedenken, 
mit dem Namen eines geſchmacklos geſchriebenen Buches der 
Verachtung preis geben zu wollen. In jedem Falle iſt das 
Urtheil etwas ſchief; denn es kam wohl bey ſeinem Buche 
nicht ſo ſehr darauf an, in welchem Geſchmack, ſondern mit 
welcher Gruͤndlichkeit er ſeinen Satz de causis contemtae a 
Danis adhuc gentilibus mortis durchgefuͤhrt hat. 

Der zweyte betrifft den ehrwuͤrdigen Suhm. Mit welcher 
Einbildung mag wohl Hr. Gr. geſtraft ſeyn, um bey ſeinem 
erſten Auftreten im Fache der Nordiſchen Litteratur ſogleich 
auch den verdienteſten Manen aller Maͤcene und Alterehumss 
forſcher des Nordens mit ſolchem Uebermuthe entgegen zu 
treten? Denn Uebermuth iſt es doch in der That, wenn Hr. 
Gr., nachdem er fih auf Suhms Unterfuhungen überall’ ges 
füßt und berufen hat, &. 5og, da er das Dänifche Volkslied 
von Hafbur ( Habor, Hagbard ) und Sigmild mit der Ges 
fhichte diefer Liebenden aus dem Saro Grammaticus commen⸗ 
tiven: will, fich folgendermaßen erklärt; 

„Es folgt hier eine Ueberfegung davon, ein Auszug zung 
Theil, Auf Suhms Nordifhe Fabeeit, wo (I. 254—4ı) 
die Sage aus dem Saxo eingeräckt worden , konnte nicht vwers 
wieſen werden, weil er Sup) alles mit feinem matten 
Styl breit gemacht ꝛc.“ 

Abgeſehen davon, daß Suhm, in der ohne Zweifel richti⸗ 
gen Ueberzeugung, daß Saxo nicht als ein treuer Gefchicht: 
fchreiber berichtet, fondern alle Erzähiungen der Vorzeit mit 
feiner Phantafie aufgeſtutzt und erweitert hat, fich abſichtlich 
Muͤhe gab, wo möglich bloß den Hiftorifchen Kern aus diefen 
poetifchen Verfhönerungen herauszuholen, und in feiner Ges 
fhichte auf das WVerdienft eines Romanſchreibers Verzicht zu 
thun ; obgefehen davon, daß felbfi, wenn Suhms Styl in. 
feiner Geſchichte der kräftige und blühende, mie er in feinen 
fräheren Schriften war, nicht mehr ift, in welchem Falle es 
doch von einem Hrn. Gr. mit einiger Achtung zu bemerken 


482 Altdaͤmſche Heldenlieder von W. C. Grimm 


war, fo muͤſſen wit geſtehen, daß, wenn wir Suhms Erzuaͤh⸗ 
kung in Graͤters Verdeutſchung (denn darauf beruft ſich ja 
Dr. Gr durchaus, niemals auf das Original, das er au 
nicht gelefen zu Haben ſcheint) wor die Hand nehmen, diefer 
ihm angefchuldigte breite Styl neben- dem fihmalen Styl bes 
Hrn. Gr. fih gar nicht fo Übel ausnimmt, wie detfelbe feinen 


Leſern vorfpiegelt. 


RW Suhm's 
Dan. Geſch. von Gräter. 
4. Bd. 1. Abth. S. 236. 


Hin ibn daher deſto mehr zu 


ehren, wurde ihm ſeine Schlaf⸗ 


Hätte bey der abnigetochter ſelbſt 
angewieſen. 

Die beyden Glücklichen koſ⸗ 
ten nun, bezaubert von Liebe und 
Wolluſt, ungeſtört mit einander, 
und Hagbarth fragte feine gelichte 
Signe: 

„Was wirft du, wenn dein 
Vater mi) aufängt, und der 
Tod dann mein gemwifies Loos if, 
(denn ich erfchlag feine Söhne, 
und num halte ich auch dich, ſei⸗ 
nom Willen zu Sroß, in meine 
Arme gefchloffen ) was. wirft du 
dann, du meine einzige Freude, 
was wirft du dann thun? midy 
vergefien, wenn du mich verlierſt? 
dich einer andern Liebe bingeben? 


Signe erwiederte: Glaube, 
Geliebter, glaube, daß ich mit 
dir ſterben werde, wofern der häß⸗ 
liche Tod dich in den Hügel legt! 


Doch man vergleiche ſelbſt: 


Grimm's 
Altdän. Heldenlieder. 
S. 511. 


Dann, um ihn mehr zu ch» 
ren, ward ihm feite Schlaftehe 
in ihrem Wett gegeben. 


Da nun, in dem Genuß ge⸗ 
meinfchaftlicher Luſt, fragte Hager 
barth die Syane : 


Menn ich der Gefangene dei» 
nes Vaters werde, und einem 
traurigen Tod übergeben, wirſt 
du uneingedenf unfres Buͤndniſſes, 
deine Liebe einem Andern zuwen⸗ 
den? fo mir jened Schickſal ber 
gegnet, hoff' ich nicht, daß er 
verzeiht, Lüflend feine Söhne zu 
rächen ; denn ich babe deine Brü⸗ 
der getödter, und halte dich nun, 
ohne fein Wiſſen und gegen fei« 
nen Willen, in gemeinfamer Luſt 
umfangen. Sage, Herzliebſte, 
was wirft du dann thun, wann 
ich dich nicht mehr, mie fonfl, 
umarme ? 

Sygne antwortete: Glaube 
nicht, lieber Herr, daß ich Tieben 
möchte, wenn das Verderben über 
dich gekommen, oder meine Beit 


Alidäniſche Heldenlicder von W. €. Grimm 


Suhm. 


‚Sa, auf welcherley Art du ſtirbſt, 
fey es durch Krankheit, ſey es 


durchs Schwert, im Meer oder 


auf dem Lande, fo will ich Dir 
nachfolgen! jede andere Liebe iſt 
mir verhaßt, gemeinfchaftliche 
Bärtlichfeit bat ung verbunden, 
ein gemeinfchaftlicher Tod fol 
und vereinigen ! 

ı Deinen Tod werd’ ich felbit 
empfinden , und den nicht verlaf 
fen, den ich meiner Liebe wür⸗ 
dig geachtet ‚babe, den, det mit 
den erfien Kuß gab, der mic 


zum erfien Mal die Liebe lehrte! 


Kein Gelübde fol Heiliger feyn, 
sofern je ein Frauenmund Wahr: 
beit fprach. 


483 
Grimm. 


verlängeren, warn ein trauriger 
Tor dich in den Grabbügel g& 


führt! Welcher Tod Dich weg⸗ 


nimmt, Durch Krankheit / Schwert, 
in Meeres Abgrund, oder auf 
dem Felde, ich gelobe einen glei» 
chen zu flerben, daß, wie ine 
Brautbett, ein Tod ung vereini« 
ge! 

Deines Todes Bein werd auch 
ich fühlen, und den nicht dere 
laſſen, dert ich meiner Liebe werth 
geachtet, der zuerſt meines Mun⸗ 


des Kuͤſſe genoſſen, und meinen 


blühenden Leib. Keine Verheiſ⸗ 
fung foll gewiſſer ſeyn, wenn je 
eines Weibes Wort treu war. 


Wenn ung nicht alles truͤgt, fo iſt Suhms Sprache bie 


wahre Sprache der Liebe, 


und mithin der Natur; 


Herrn 


Grimm's aber ziemlich verkuͤnſtelt, und wenn wir dieſer Ver⸗ 
gleichung ein Quid tanto dignum ete. vorausgeſetzt häften, 
möchte wohl nun das Product feiner Berheißungen fehr mas 
ger ſeyn. 

Wenn nut aber Hr. Gr. weiter fortfährt, dem Saxo 
nachzuerzähfen, und am Ende gar es wagt, mit Hexametern 
und Pentametern zu fchließen, fo verwandelt fih in der That 
der gerechte Unwille über feine unbeſcheidene Art zu urteilen, 
in eine mildere Empfindung. 


Zum Beweiſe wählen wir hier die vier legten Zeilen: 


Daß dort Kiche mir aufblũh e) deg ich die ſichere Voffnung 
ſoll ein Hexameter ſeyn. 


| — 
und es wird mie gar bald Wolluſt gemäbren der Tod! 
Beid' die Welten fürwahr hoch — ſie immerdar preißen 


Eine Nuhe des Geifis, wie A der Lieb’ eine Treu. 


484 Altdauͤniſche Heldenlieder von W. C. Grimm. 


eich’ eine Eonftruction ! welch' eine Sprahe! Kaum wird 
man. fie, ohne feinen Saro zur Hand zu nehmen, enträthfeln 
Eönnen ! 

Wir fommen nun gu. den Ercurfionen ſelbſt. Dach einer 
allgemeinen Einleitung, worin Kr. Gr. die Erklärung der 
Heldenlieder als die Hauptſache diefes Anhangs angibt, bes 
merft er, daß die Abficht defielden fen, theils die Originals 
Einleitungen der Daͤniſchen Ausgabe zu jedem Liede. nicht vers 
loren gehen zu laffen, theils auch fie bald zu berichtigen, bald 
zu ergängen. Es ift feine Frage, daß. Hr. Gr. in diefer Bin: 
fiht groͤßtentheils Wort gehalten hat. Auch liefern feine Des 
merfungen in der That viel Neues und Wahres. 

Gleich feine erftien Bemerkungen über die drey Lieder von 
dem Verrath der Frau Grimilde an ihren Brüdern beftätigen 
diejes Lirtbeil, und geben einen Beweis, daß der Verf. ber 
reits den Inhalt des Heldenbuhe und der Nibelungen eben fo 
wie den Anhalt der Niflunga s, Wilkina⸗ und der Wolſunga- und 
Mornagefts s Saga, desgleichen auch des Anhangs der jüngern 
Edda einfiudire hat. Er behauptet, daß diefe Lieder mit den 
vier erften, d. h. mit dem Deurfchen Heldenepos, und der aus 
Deutihen Sagen entfiandenen Wilfina, aber keineswegs mit 
den rein snordifchen Vorftellungen der Wolſunga ıc. üdereins 
ſtimmen. ec. beſitzt zwar die meiften diefer Werke, hat aber 
jeßt nicht Muße, fie noch einmal durchzulefen. Er behält fich 
daher eine nähere Prüfung diefer Angabe, an der er jedoch 
im Ganzen nicht zweifelt, bevor. Soviel ift ihm noch von 
ehedem erinnerlich, daß er die gedachten Dänifchen Volkslieder 
ſelbſt einft für Sprößlinge der Deurfhen Sage hielt; wobey 
deſſen ungeachtet der Driginalität ihres Vortrags und Seyns 
nichts benommen iſt. | 

Wenn Hr. Gr. in der Note gegen den gelehrten Gram 
behauptet, daß der Norden den Reim nicht von den Deuts 
Shen gelernt habe, fo ſtimmt ihm Rec. volllommen bev. Das 
heidniſche Deutſchland hatte gewiß eben fo gut feine Alliteras 
tion als Skandinavien, und woher brachten fie wohl die Ans 
geljachfen als eben aus unſerm ‚Vaterland? — Sa, Prof. 
Graͤter hat fogar vor einigen Jahren die nicht unwahrfceins 
liche Hypotheſe in feinen Programmen hieruͤber anfgeftellt, dafi 


Alsdanifche Heldenlieder von W. C. Grimm. 186 


bie verloren geglaubte Profodie der alten Welt ebenfalls in 
nichts anders als in der Alliteration und damit verbundenen 
Vocalen-Correſpondenz moͤchte befanden haben, Allerdings 
hat fie aud die von Ken. Prof. Gley entdecdte und der taus 
fendjähriaen Wergeffenheit eniriffene Evangelien s Harmonie. 
Rec., dem der Entdecker feine erften Abfchriften des Toder zus 
fchiefte, freute fih ſehr, eine fchon früher darüber geaͤußerte 
Vermuthung damals fo vollfommen beftätige zu finden. Aber 
nicht bloß darin, auch in dem Weſſobrunner Fragment offens 
bart fid) das, dem Deutfhen Reim vorangegangene Gefeß der. 
Alliteration, und es freut ung, wenn Hr. Gr. bald den Bes 
weis gibt, daß auch in dem affeler Fragment von Kiltibrat. 
und Hathubrat das nämliche herrſche. 

Die zweyte Hauptexcurſion betrifft die Sage von ber 
Trojanifhen Abkunft der Franken. Mit befonderer Begierde 
las dies Rec. Gewiß es ift ein intereffantes Thema. Aber 
nach vielem gelehrten Aufwand hat der Kenner nichts Neues 
gelernt, und für den gänzlich ununterrichteten Lefer fehlt es 
dem Vortrag an logifher Ordnung und Klarheit der Darftels 
lung. Auch find damit die Meynungen Wendelin’d, Schilter’s, 
Eccard’s und Suhm’s keineswegs widerlegt. Es wäre ſchon 
genug, wenn diefe vier verfchiedenen Meynungen bier nur 
gründlich wären beleuchtet worden. Wenn ©. 452 nicht mit 
völliger Gewißheit behaupter wird, mas Meibom aus dem 
Magnum Chron. Belg. anführe, daß die Stadt Kanten am 
Rhein Hein Troja genannt werde, fo kann ec. aus dem vor 
ihm liegenden Chronicon verfihern , daß es mit diefer Anführ 
rung feine Nichtigkeit hat, nur mit dem Unterfchiede, daß er 
nicht Hago von Troja oder Trojanus, ſondern Trajanıs ges 
nannt wird. Die ganze Stelle fieht S. 65, und lautet fo: 
Isti duo fratres ( Theodericus, prim. com. Hollandiae, 
de Waltgerus ) habuerunt avunculum Hagononem Traja- 
num, qui in Troja minori (scilicet Xantis) habitavit etc; 
Auch die &. 555 und 436 aus dem Sigebertus Gemblacen- 
cãs angeführte Stelle finder fih umftändlih in dem Magn. 
Chron. Belg. S. 9 und 10 und fängt mit den, für Hrn. 
Srimms Behauptung fprechenden Worten an: Porro origi- 
nem Regni Francor. hanc esse novimus ex relatu fideli 


1356 Altdaͤniſche Heldentieder von W. C. Grimm, 


Majörum, wiewohl fi das freylich nicht Bloß auf mündliche, 
fondern auch) fchriftliche Weberlieferung immerhin beziehen ließe, 
Sn der Note **) ©. 440 fagt Hr. Gr.: „Diefe Sage 
(oben im Text aber iſt son keiner beflimmten Perfonen : Ges 
fchichte, ſondern nur davon die Rede, daß die Abkunft der 
Franken von den Trojanern eine allgemeine und fehr alte 
Volksſage geweſen fen) ift es, welche Meifter Biörn nad 
Morwegen gebracht; ungenau hat man dieſes bisher auf die 
Wilkina Saga bezogen, «8 gilt bloß von dieſer.“ Alfo dem 
Volksglauben einer Abkunft der Franten von den Trojanern 
hat Biden nah dem Norden gebracht? Wohl fhwerlih; es 
ſcheint, Hier ift Hr. Sr. feldft ungenaner (im Ausdruck, denn 
vermuthlich meinte er es anders) als feine Worgänger gewefen. 

Auf diefe zwey Hauptercarfionen folgen nun die erHlärens 
den Bemerkungen zu jedem einzeinen Liede. Da gegenwärtiäe 
Angeige die gewöhnliche Ausdehnung einer Kritik fchon jest 
vielleicht uͤberſchreitet, fo wollen wir uns nur auf weniges bes 
ſchraͤnken. 

S. 485. Das Hogna ſtatt Hogni oder Hogne. H. Gr. 
wird im Verfolg feiner Studien dieſes a verwerſen, weil eb 
weiblihe Form iſt, ob gleich Rec. weiß, und es feldft ehedem 
dem Dhre zu Gefallen brauchte, daß man allgemein Braga 
flatt Bragi oder Brage ſagt. 

©. 491. Daß der Name von Wittichs oder Widga’g 
Mutter wirklich in der Wölundars Auida vordomme, wie Hr. 
Gr. vermuthet, und daß es nicht Bodlild, ſondern Boͤdwild 
oder Baudwild heiße, hat ſich unterdeſſen theils aus Graͤters 
Ueberſetzung der Woͤlundar⸗Quida in Idunna nnd Her⸗ 
mode, theils aus dem herausgegebenen Texte des Co- 
dex Beg. von Herrn Hagen beſtaͤtigt, womit wir jedoch 
nicht Hrn. Gr., der num eine Abſchrift des Cod. felbft beſitzt, 
eine Meuigfeit fagen, fondern bloß den Befiser feiner Daͤni⸗ 
ſchen Heldenlieder zu einer Mote veranlaffen. 

S. 496 Hat uns der mordliche Tod nicht ſehr wefallen. 
Nehme doch der Hr. Verf. die Wahrheit and Richtigkeit dies 
fes Ausdrucks noch einmal auf die Wage. 

©. 508 ift citiet: (Huon de Bourdeam. Franz. Volles 
buch (?) ©. 29. 30). Moͤchte fih der Verf. doch mäher 


Altdaͤntſche Heldenlieder von W. C. Grimm. 187 


darüber erklären! Rec. kennt den Huon de Bourdeaux aus den 
Extraits des Romans de Chevallerie v- wird der naͤmliche 
Roman in Frankreich etwa, wie bey uns der gehörnte Sieg: 
fried und die Heymons s Kinder x. duch Krämer auf den 
Märkten, gedrucdt in diefem Jahr, verkauft? und verfteht 
Hr. Sr. einen ſolchen Abdruck darunter ? 

Was ©. 520 von der, zu einem MWolkslied gewordenen 
Thrymsquida gefage wird, iſt nicht unintereffant, aber wenn 
er am Schluffe bloß die Kjempevifer citirt, find wir nicht zus 
frieden. Die Citation erſetzt die Anführung von Syv's eiger 
nen, nn Worten nicht. 

S. 524 und 525 kommen drey Straphen aus der Her⸗ 
vararſaga vor. Man ſieht, daß ſich Hr. Gr. nicht an die 
Lateiniſche oder Schwediſche Ueberſetzung gehalten, ſondern 
aus dem Skandinaviſchen Originale ſelbſt hat uͤberſetzen wol 
len. Es iſt dieſe Probe in der That merkwuͤrdig, indem ſie 
als Beſtimmungspunct dient, in welch kurzer Zeig der Verf. 
und fein gelehrter Hr. Bender, Jacob Grimm, h der Skan⸗ 
dinavifchen Sprache durch eifernen Fleiß und enthufiaftifches 
Studium fo weit werden bemächtigt haben, daß fle im Stande 
find, das kühne Verſprechen am Schluffe diefes Werkes, die 
noch nicht entzifferten Lieder der Edda zu Überfegen, in wird 
liche Erfüllung zu bringen. Denn hier erfcheint menigftens 
Hr. W. Gr., der Herausgeber des beurtheilten Werkes, in 
der That noch als Anfänger in jener Sprache. Denn wenn 
man auch annimmt, daß er nicht, die kritiſche Ausgabe des 
Magnäanifhen Ynftituts, welches doch zu erwarten ift, zu 
Grunde gelegt Habe, in welhem Falle fich freylich noch mehr 
tere Fehler zeigen, fondern die Vereliſche (f. jene Sumtibus 
de Suhm, ©. 34. 36. 40. und Verel. ed, &. 70 und 71); 
fo geben doch die vier letzten Zeilen den —8 Sie heißen: 

Heim gief ec Erni 

Efſtum brader 

Sa mun af blodi 

Siuga minu. 
Der SU überfegt ; 

Shen Hora Drnen 

Wardar ing til ficef 


188 Altdaͤniſche Herdenlieder von W. C. Grimm. 


Mitt blodh thet röda 

Skall han och fuga. 
Kerr Grimm aber: 

| Dem Har geb’ ich 

Eine GSpeife; 

So audy mag er von meinem 

Blute jaugen. 
Man fieht unfhwer, daß es dem Driginale, und nicht ber 
Schwediſchen Ueberiegung nachgebildet ift, oder ſeyn fol; 
aber es fälle auch plößlih in die Augen, daß Ar. Gr. die 
beyden Ausdräde efltum und Sa’ mum nicht verftanden hat, 
nämlich damals, als er dies fchrieb. Daß er jekt in Verei— 
nigung feines Fleißes mit einem, zu gleicher That gerüfteren 
Bruder es nicht verftehen follte, zweifeln wir kaum. Es heißt: 

Senem Adler geb’ ich 

Die lete *) der Speifen : 

e; Der wird (fogar) von meinem 

Blute nun faugen ! 
Er Hielt das Skandinaviſche fa’ für fo! es heifit aber der, und 
er kannte mit das pronomen demonstrativum, fa’, fü, Pal, 
noch nicht. Wie es fcheint, ein wahrer Beweis, daß menigs 
ftens Ar. W. Gr. bey Herausgabe des gegenwärtigen Werkes 
(Dfterm. 1811.) erft die Standinavifhe Sprache zu lernen 
angfangen hat! Re” 
8.557 gu 87. Klage König Waldemar des II, dum bre- 
vis esse laboro , obscurus fio. Wer nicht die Gefihichte je— 
ner Zeit im Gedaͤchtniß hat, wird durch die räthielhafte Ers 
flärung des Hrn. Gr. ſtatt belehrt, vielmehr irre. Es fol 
eine Klage Waldemars des II. und doch über Waldemar den 
III. feyn! Das fiheint, dem erften Anblic nah, ein Widers 
fpruh, meil die Klage Waldemars auch zur North als Klage 
um Waldemar fönnte verftanden werden. Auch begreift man 
auf der Stelle niht, wie K. Waldemar der II. um feinen 
anſcheinenden Nachfolger, Waldemar den IIT., Klagen fann. 








*) Der auch, wie der Schwede überfebte, efllum zu erni gezogen, 
dem hochfliegenden Adler werd’ ich nun felbit zur Speiſe. 


Alidaͤniſche Heldenlieder von W. C. Grimm. 4189 


Es hätte daher Hr. Gr. die Original» Aufihrift in den Kjempes 
vifern IV. P. Nr. 45. ©. 567, wo ausdrädlic ſteht: König 
Waldemars des 11. Kiaggedicht Über feines Sohnes Tod nicht 
abkürgen, und zur Erläuterung, warum dieſer vor ihm geftors 
bene Sohn gleihmwohl die Negenten» Bezrihnung Waldemars 
des III. führt, anmerken follen, daß diejer Prinz bereits zum 

König gekrönt war, aber noch vor feinem Water flarb, wie 
das auch Nyerup zur Deutlichkeit bemerkt in dem 4. Bd. ſei⸗ 
ner. Stildring af Tilftanden i Danmark og Norge, ©. 259. 
Ueberhaupt kommt diefe Dunkelheit durch Kürze öfters vor, 
und man muß zumeilen in der That rathen. 

. ©. 54ı zu Nr. dg. Marſk Stig (oder Marſchall Stig) 
und feine Tochter wäre es nicht unintereffant gewefen, die 
Marmora Danica anzuziehen, wenn gleich die dortigen Data 
unerweislich, und die von Stigs Töchtern Dde und Ade, wie 
Nyerup fagt, wirklich apokryphifch find; denn wenn Marſk 
Stig fhon im J. 1298 flarb, konnten feine Töchter allerdings 
nicht erft 1460 begraben werden. 

Auch die Vorrede des Hın. Verf. kann man von Duntels 
heit nicht frey fprehen, und manches tft fo allgemein und 
abfprechend gejagt, daß man, wenn man fih nad Beweiſen 
und Thatſachen umfieht, in WVerlegenheit if. Wir wollen es 
nicht rügen, daß Kr. Gr. meint, es fey Zeit,. die Aufmerks 
famteit endlich aud) auf die Poeſie des Nordens zu lenken, 
welche doc ſchon längft durch Gerſtenberg, Denis, Herder 
und Gräter darauf gelenkt war. Wenn er aber behauptet, 
„daß es meiftens nur die Mythologie gewefen fey, die man 
aufgefucht Habe, oft nur, um ihr eine lingerechtigkeit anzus 
thun, und fih nad Beweiſen für eine Anfiht umzuſehen, die 
fie im Voraus für eine Nachahmung der Griechiſchen und 
Römifchen ausgab, und welche kritiſche hieß,“ fo verfiehen 
wir entweder nicht, was Hr. Gr. damit fagen will, oder es 
ift ein Vorwurf, der entweder micht gegruͤndet, oder hieher 
nicht paffend if. Denn unjers Wiffens ( abfirahirt von den 
Schrififtellern des Nordens ſelbſt) kennen wir in Deutfchland 
bis jeßt keinen, der fih ex professo mit der Erörterung und 
Darftellung der Nordifhen Mythologie beichäftige hätte, als 
Sräter. Diefer fiveitet aber fogar gegen Vergleichungen mis 


190 Altdaͤniſche Heldenlieder von W. C. Grimm. 


den Griechiſch⸗ Roͤmiſchen Mythen (ſ. deſſen Nord. Blumen, 
S. 67) erklaͤrt, daß ſie an vielen Verwirrungen und ſchiefen 
Vorſtellungen von den Gottheiten des Nordens ſchuld ſeyen, 
und macht dieſes Hinuͤbertragen mythiſcher Charaktere in die 
Fabelwelt des Nordens dem Engliſchen Dichter Sayns bey 
feiner Descent of Frea zu einem Hauptvorwurf (ſ. Bragur 
I. die kritiſche Machſchrift zu Freya’s Niederfahrt, S. 38 — 
40). Zielt aber Hr. Gr. damit auf Hrn. Mühe, fo hat dies 
fer Schwiftftefler freylich, feit er den Auftrag erhielt, die 
Schwediſche Geſchichte zu fihveißen, der allerdings eine gründs 
lihe Erörterung ihrer Fabel s und Heidenzeit vorangehen folkte, 
was aber wohl zu viel Vorſtudium und zu viele Zeit Eoftete, 
ed leichter und beſſer gefunden, lieber darüber abzufprechen, 
und. feitdem mancherley Data gefammelt, und mande Gründe 
hervorgeſucht, um die DOviginatirtät und die Würde der Nordi⸗ 
fhen Mythologie in Zweifel zu ftellen, oder, wo möglich, den 
Stauden daran für immer zu zernichten. Allein wenn auch 
Hr. Ruͤhs damit manden unerfahrenen, und in der Poefie 
und Mythologie des Nordens fo wie in der Kritit der Ges 
ſchichte gänzlich mmeingeweihten Lefer irre: führt, fo hat er die 
Kenner und die Unbefangenen wohl fchwerlich auf feiner Seite. 
Sogar fein Freund, der wahrheitliebende Johannes von Muͤl⸗ 
fer ift mit uns einerley Meynung hierüber. Man fehe feine 
Briefe aus Berlin, 18. Sept. 1807. in Johannes v. Müllers 
Werken, Tübingen bey Cotta, ıBı2. 7. Th. S. 305, und 
was er in: eben diefem Bande, S. 368 x. „von dem eitlen 
und fchädlichen Beſtreben der heutigen Litteratur, allem Alten 
durch Dezweiflung der Aechtheit fein Ehrmwärdiges zu nehmen, 
von dem Mißbrauch eines jeden Scheins zur Herunterbringung 
der alten Religion und ihrer Sefchichte, und von einer ge 
wiffen titanifchen Rohheit fagt, welche nur zevreißen, zerſtoͤren 
möchte. “ 

Wenn Ar. Sr. &. XIX behauptet, daß das Lied von 
Zord von Meeresburg nach dem alten Eddifhen Liede von 
Thrym, dem Niefonkönig (1. Gräters Nord. Blum, ©. 95 ff.) 
nicht bearbeiter ſey, fo ift Rec. volllommen damit einverftans 
ben; allein überhaupt, duͤnkt ihn, daß bey eigentlichen Volkes 
lledern won irgend einer Benrdeitung nach irgend einem Vorbild, 


Aitdaniſche Heldenlieder von W. C. Grimm. 19 


fo weit Rec. aus Zojähriger Beobachtung urtheilen kann, nicht 
die Rede ſeyn könne, befonders bey Erzählungen. Eine Abs 
fiht zu verändern liegt gewiß nicht zum Grunde. Gedaͤchtniß⸗ 
fehler find es meiftens, und dann, um im Gefang oder im 
Erzähfen nicht ftecfen zu bleiben, eigene Erfindung aus: Noth, 
die für das leider Vergeſſene fubftituire wird. Die Mutter 
oder die Amme hat als Kind erzählen hören, und die Haupt⸗ 
gefhichte im Gedaͤchtniß behalten. Man wird größer, und 
fümmert fih nicht mehr um die Ammenmährden. Indeſſen 
verfließe manches Jahr, bis man felbft als Mutter oder Amme 
dem Kind oder Pflegling zur Beſchwichtigung der Meugierde 
die alten Mährchen aus früher Erinnerung wieder zu erzählen 
hat. Bücher und Urkundsperfonen find nicht da, um fi 
Raths zu Erholen. Das Gedaͤchtniß allein ift der Codex mem- 
branaceus, Aber der hat Löcher: befommen. Man flict fie 
aus, fo gut man fann. Was liegt dem Kinde daran, wenn 
es nur unterhalten wird. Und fo läßt fih denn leicht erklären, 
wie aus Thor, dem Donnergotte, endlich durch viele Abm ınds 
lungen ein Nitter Tord von Meeresburg, aus dem Riefen 
Thrym ein Tölpel Graf, und aus dem liftigen Gott Locke ein 
förmliher Kammerdiener oder gar ein Bruder von Thor ges 
worden if. Es wäre intereffant, dies weiter zu vergleichen, 
allein genug. Hiezu kommt eine zweyte Urſache. Man glaube 
nicht, mie gefhwind fih Sprache und Geſchmack verändern. 
ec. fühle es in diefem Augenblick, und eben bey der Benrs 
theilung des gegenwärtigen Werks mit einer Art von Erftaunen, 
Es find nur fieben Jahre, daß er durch Meberfadenheit von 
Pflichten anderer Art der Litteratur entfagen mußte. Aber ale 
er nun zurückkehrte, was für eihe ganz neue Welt fland vor 
feinen Augen! Nicht fieben, dreyßig Jahre dauert es oft, 
bis diefelbe Perfon, die in ihrer Jugend der Amme horchte, 
nun ſelbſt die Erzählerin wird, dreyßig Jahre, bis die Muts 
ter, die in ihrer Kindheit fingen hörte, und mitfang, nun 
feldft ihr neugieriges Mädchen mit der Erinnerung ferner Tage 
ergößt. Manches Wort ift abgefommen, mander Reim veimt 
‚nicht mehr, oder wird von dem fchärferen Ohre nicht mehr 
geduldet. Es werden daher auh in diefer Hinſicht Abänder 
sungen beliebt. Beyde Wahrheiten koͤnnte Rec. mit einer 


192 Altddaͤniſche Heldenlicder von W. C. Grimm, 


Menge Beyſpiele belegen. Allein er will nur bey. einem eins 
zigen ftehen bleiben. Wir vergleihen das bekannte Sägerlied 
in zwey Abdrüden, welche faum 2o Fahre aus einander find: 
Es blies ein Jaͤger wohl in fein Horn (f. Herder von Deuts 
feher Art und Kunft, defien Volkslieder, Stimmen der Völker, 
und Gräters Bragur und Arnim’s Wunderhorn ). 

Schon in der dritten Strophe fangen beyde Abdruͤcke 
(NRecenfionen? Hr. Gr. bedient fi immer diefes vornehmen 
Ausdrucks bey folhen Fällen, und wir können nicht umhin, 
auch das gelegenheitlich zu ruͤgen. Verdienen denn wohl ſolche 
leichtfinnige Achtlofigkeiten des Volks, folhe willführlihe, oft 
verftand » und finnlofen Abänderungen einen Namen, welchen 
man den, mit hoher Gelehrſamkeit und Kritik bearbeiteten 
Tertausgaben eines Mertftein und Griesbach, eines Ernefti 
und Heyne zu geben pflegt?) — Abdräde alfo — ſchon in 
der dritten fangen fie an abzuweichen, auf folgende Art: 


— Er ſchwung ſein Hütchen wohl uͤber den Strauß 


Späterer. Der Häger ritt wohl durch einen grünen Buſch 


Fr. Es fptung ein fchwarzbraun Mädgen beraus 
Ep. Da fprang ein ſchwarzbauns Mägdlein heraus, 
Fr. Hob fa fa fa, dra, ra, ra, ra 
Sp. Denn Hopfafa, denn Vallerallera, ꝛc. 
5. Strophe. 
gr. Deine grofen Hunde, die thun mir nichts, 
ep. Deine großen Hunde, die beifen mir *) nicht, 
Fr. Sie wiffen meine hohe weite Sprünge noch nicht 


Sp. Sie fennen meine bonette Sprünge noch nicht. ꝛc. 


*) Dffenbar nur der Fehler eines Sächfifchen oder überhaupt Nörd⸗ 
lichen Setzers, der den Dativ und Accufativ in folchen Fällen 
nicht zu unterfcheiden wußte. 


(Der Beſchluß folgt, ) 


— — 


No. 13. Heideldergifhe 4843, 


Jahrbücher der Litteratur. 





Altdaͤniſche Heldenlieder, Balladen und Maͤrchen uͤberſegt von Wil⸗ 
heim Earl Grimm. 
EBeſchluß der in No. 12, abgebrochenen Recenfion, ) 


Du genug zur Probe. Die hohen weiten Sprünge, von 
denen fid) das fchlaffe Gedaͤchtniß nur noch des 50. erinnerte, 
und daraus honette! Sprünge machte, die großen Kunde, die . 
mir nicht beißen, ſtatt mir nichts thun, und der Jaͤger, der 
dur einen grünen Buſch reiten muß, flatt daß er fein Huͤt⸗ 
den wohl über. den Strauß. ſchwingt, dag freplich mit der 
Sefegen der Ideenaſſociation fhwer aus dem bloßen Gedaͤcht⸗ 
niß zu reſtituiren war, zumal da der Strauß ſelbſt ſchon ein 
Gedaͤchtnißfehler und eine Verbeſſerung um des Reims willen 
fuͤr das vermuthlich aͤltere Strauch zu ſeyn ſcheint, — diefe 
wenigen, aus einem unzweydeutigen Beyſpiel berausgehobenen 
Proben der allmähligen Abartung der Volkslieder von ihrer 
Urgeftalt deuten Elar genug auf den Weg hin, anf dem man 
weiter zu fchließen hat; und wenn Hr. Gr. überzeugt ift, daf 
die dee einer folchen Abänderung gar nicht voltsmäßig ſey! 
(S. XIX der Vorrede) fo iſt es offenbar, daß er dag Volt 
und ihre Lieder noch gar nicht aus eigener Erfahrung kennt, 
und leßtere bloß an dem Pulte zu ſtudiren angefangen hat. 
Es klingt freylich prächtig ( wiewohl dunfel), wenn Ar, 
Gr. auf der vorhergehenden Seite (S. XVII) fagt: „die 
Volkspoefie lebt gleihfam im Stand der Unfchutd,"fie ift nackt, 
ohne Schmuck, das Abbild Gottes an fi) tragend; die Kunft 
dat dag Bewußtſeyn empfangen, fie kann den Muth nicht 
mehr haben, ihren Gegenftand hinzuſtellen, wie er ift, fons 
dern er muß umkleidet werden. Es it darüber fein Streit, _ 
man muß es empfinden, aber diefe Kleidung ift es, die wir 
in den Gefängen der Edda finden, diefes Gemeffene, Kunde, 
Dadurch wird nicht gefagt, daß fie nicht ge fehr einfach ſeyn 
1 


ie 


194 : Altdaͤniſche Heldenlieder von W. €, Grimm. 


koͤnnen, noch wird uͤber den Rang zwiſchen bepden abgeurtheilt; 
wenn wir die Volkslieder wegen der Gewalt und der Wahr— 
heit lieben, mit welcher ſie das Leben und das Groͤßte des 
Lebens nah vor uns hinſtellen; ſo ſehen wir in den Kunſtge— 
ſaͤngen alle Kraͤfte der Menſchheit geſteigert, die Helden idealer 
und zu den Goͤttern geruͤckt!“ (Und nun zum Beweis eine 
Vergleichung der Thrymsquida mit dem Daͤniſchen Volkslied 
von dem Tord von Meeresburg!) 

Wahrlich ein großer Aufwand von (kannte Sedans 
fen, um einen verkehrten Schluß gu machen. Denn man darf 
nur die Thrymsquida in Gräters befannter Verdeutſchung 
in den NMofdifchen Blumen lefen, und dgnn diefen Tord von 
Meeressurg in gegenwärtigem Werke, wenn man fi übers 
zeugen will, daß in dem letztern nicht das Größte des Lebens 
vor uns hingeſtellt, noch weniger aber das Abbild Gottes darin 
erfenntlich, fondern daß es vielmehr von dem Göttlihen 
nicht bloß zu dem Menfchlihen, fondern zu einer wahrhaft 
pöbelhaften DVerunftaltung herabgeſunken if.” Das läßt fich 
auch begreifen, denn wenn man annimmt, daß das Eddifche 
Lied Höchftens in das achte Jahrhundert zurück zu datiren fey, 
(welches in Vergleichung mit den Liedern des Thiodolfs von 
Hwin, die doch zum Theil einen großen Theil Künftlichkeit 
mehr vetrathen, wohl nicht zu gewagt ift ) das Daͤniſche Volks 
lied aber in das ı6te Jahrhundert ſetzen, ſo liegt gerade ein 
Zeitraum von acht hundert Jahren mitten inne. Bedenkt man 
nun, wie in obigem Beyſpiel nicht bloß die hohen weiten 


- Sprünge in dem kurzen Zeitraum von 20 Jahren ſchon zu 


honetten Sprüngen geworden find, fondern man fih auch die 
Freyheit genommen hat, nicht bloß Ausdräce, fondern Um— 
fände zu verändern, und aus dem Huͤtchen fchwingen über 
den SR (hen ein Meiten durch den Bufch zu machen , fo 
laͤßt fih denn wohl auch begreiflich. finden, wie jin einem 40 
mal längeren Zeitraum nur einige Hauptſtriche des alten Ger 
mäldes geblieben, die fchönften Mittelgüge aber nebft dem 
ganzen antiten Colorit verwiſcht find. 

Nur ein Paar Züge zur Probe: 


Artdänifche Heldenlieder von W. C. Grimin, 195 
Codifhe Erzählung | 
nad) ‚Gräters ueberſetzung ©. 94, 

Hinweg flog Locke 

Das Federgewand raufchte, 

Bis er binausfam 

Aus der Götter Grenzen, 

Und bineintrat 

ns Niefenland. 

hey faß auf einem Hügel, . 

Der Niefen König! 

Er fchnürte den Hunden 

Das Goldband um, 

Und feinen Pferden 

Strich er die Mähne. 


SDhrym. 
Wie ſtehts bey den Göttern ? 
Wie ſtehts bey, den Geiſtern? 
Warum kommſt du allein 
Sns Rieſenland? 


Loche. 

Unheil bey den Göoͤttern! 
Unheil bey den Geiſtern! 
Haſt du des Donnerers 
Hammer verſteckt? 


—Sbrym. 

Ich habe des Donnerers 
Hammer verſteckt 
Acht Meilen unter der Erde! 
Niemand ſoll ihn 
Wieder erhalten, 
Bringt man mir nicht 
Freya zur Frau, 


Diefe züge haben ſich nun. in achthundert Jahren nach und 


nach in dem Daͤniſchen Volkslied nach Hrn. Grimms 
Ueberſetzung S. 142 auf folgende Art verantert und vers 


wifcht : 


496 Wtdäniiche Heldenkieder von W. C. Grimm, 


Das war Locke der Diener/ 
Der jetzte ſich ins Federkleid 
So flog er in das Norden Gebürg, 
Ueber das falzige Meer fo weit. 
Und mitten in dem Burghofe 
Da achfelt’ er fein Kleid, 
So ging er in den hoben Saal 
Vor den gariligen To Ipel ein. 
Wilfgmmen , Locke ‚du Diener ’ 
Willkommen, biſt du hüben ? 
Wie ſteht es auf der Meeresburg? 
Und wie ſtehts im Lande drüben? 
Wohl ſteht es auf. des Meeresburg, 
And wohl ſtehts im, Sande drüben. 
Tord bat verloren den Hammer fein, 
Drum bin ich kommen herüber. 
Tord feinen Hammer nicht wieder kriegt, 
Du kannſt die Wort ihm fagen, 
Fünf und funfzig Saden tief 
Liegt er in der Erde begraben. 
Tord ſeinen Hammer nicht wieder kriegt, 
Das ſag“ ich frey zu. Diez Zn 
Ihr gebt denn Zungfrau Schletarg 
Dit al’ Eurem Gutermit. 


Der fchöne Homeriſche Zug, wie der Rieſenkoͤnig, auf dem 
Huͤgel ſitzend, ſeinen Hunden mit eigener Hand das Gold— 
band umſchnuͤrt, und feinen Pferden die Maͤhnen ſtreicht, iſt 
hier bereits gaͤnzlich verloren gegangen. Eben ſo auch andere 
treffliche Stellen dieſer Art, wie Freya ob dem unwuͤrdigen 
Antrag erzuͤrnt, und alle Goͤtterwohnungen unter ihr erbeben, 
und das große blitzende Kleinod zerſpringt; wie dann die 
Felſen krachen, und flammend die Erde brannte, als Thor, 
der Sohn Odins, auf ſeinem Wagen nach Joͤtunheim fuhr! — 
Was kann man aber wohl einem Volkslied, deſſen altes, wahr⸗ 
haft fchönes und mit erhabenen Zuͤgen ausgeſtattetes Urbild 
man glücklicher Weiſe neben ſich hat, unter ſolchen Umſtaͤnden 
für einen Werth beylegen ? poetiſchen? keinen. Haͤtte es wirk— 
lich eigenen poetijchen Werth, fo wäre es wahrlid nur Zufall, 


Altdänifche Heldenlieder von W. C. Grimm. 607 


und wuͤrde dieſer Werth dem Werth des Urbildé Aberſteigen, 
ein Wunder! Um wie viel weniger noch laͤßt ſich ihnen ein 
hiſtoriſcher Werth beylegen ? Handgreiflich hat man es ja, 
daß aus dem Donnergott Thor ein Ritter Tord (oder Tor) 
von Meeresburg, aus dem Thurſenkoͤnig Theym ein Tolpel 
( Dän. Toffe, offenbar aus Thurs entftanden) Graf, und 
endlich aus der Göttin Freya eine Jungfrau Fridlefsburg ger 
worden ifl. Da fuhe man nun in der Gefhichte nad) diefer 
Fridlefsburg, und nach dem, Tölpel und: dem Tord! Alles 
Suchen und Forfchen ift vergeblich, und wohl kann es in dies 
fer Hinfiht einem ram, "und Suhm und Bartholin, die 
ſolche heilloſe Entftelungen der Geihichte und feldft der Älter 
fen Sagen in diefen Volksliedern gewahr würden, keineswegs 
verdacht werden, wenn fie dichn ganzen Kram, als annüß 
für die Geſchichte, keiner weitern Beachtung wuͤrdig halten zu 
muͤſſen glaubten. Ja, es laͤßt ſich kaum bergen, daß wohl 
auch die hierin enthaltenen Lieder von Grimhild ıc. zur Ev 
Härung und Würdigung der Eddifchen Lieder über diefe alten 
Heldenabenthener kein größeres Gewicht haben moͤgen, als das 
Volkslied von Torn zur Erklärung der: Thrymsquida, wiewohl 
eine Zuſammenſtelluug dieſer Art nichts deſto minder von hohem 
Intereſſe ſeyn kann. Abgeſehen indeſſen von allem hiſtori⸗ 
ſchen Werth, und denjenigen Stuͤcken, die noch: ſchwache 
Wiederklaͤnge aus den Tagen der grauen Vorzeit, auch eben 
deswegen keine von dem Volke urſpruͤnglich gedichtete, fons 
dern nur durch feinen Leichtſinn und ſeine Vetgeſſenheit vers 
dorbene und entſtellte Lieder find, fo haben doöch auch dieſe 
Wiederklaͤnge noch einen Werth, indem ſie iheils unwiderleg— 
liche Beurkundungen von der ehemaligen Exiſtenz eines Urbilds 
ſind, theils uns doch noch manche Ahndungen der urſpruͤngli⸗ 
hen Schoͤnheit und manche Haupftſtriche des gli durch 
Jahrhunderte heruͤber gererter haben. 

Auch in diefer Hinſicht verdient das Wert des Hrn. Gr., 
deffen Verdienſt um das Dänifche Kiempevifes / Bog durch alle 
tbisher vorgetragenen Einwendungen und Ruͤgen keineswegs 
kann geſchmaͤlert werden, in der Bibliothek jedes Forſchers 
der Vorzeit und jedes Freundes der Kunſt und des Schönen 
zu ſtehn. Er hat uns zierſt duch feine mit Fleiß, Sprach 


498 Chriſtl. Kirchengefchichte von -A. Michl. 


und Sachkenntniß gemachten Ueberſetzungen das Verſtaͤndniß 
deſſelben geöffnet, und uns zu ihrem Genuſſe vorbereitet. Das 
für gebährt. ihm der Dank feiner Zeitgenoſſen, und wird ihm 
hiemit auch von dem Rec. mit der REN ae 
liebe — 





Epriklice Kirchengeſchichte von Dr. Wiron Michl, Koͤn. Bayr. 
geiſtl. Rath und oͤffentl. Lehrer des Kirchenrechts und der Kirchen⸗ 
geſchichte zu Landshut. J. Bd. Zweyte verm. und verbeſſ. Aufl. 
München 1812. 556 u. XVI S. in 8. „Il. Bd. Zufäge zu erſten 

enthaltend. 1811. 440 ©. in ®. 


Man. muß ſich ſehr wundern, in der verbefferten | 


Auflage dieſes für. ein KHaupbllegium auf einer berühmten 
Univerfität beſtimmten Lehrbuchs noch. fo viele antihiftoris 
ſche Anſichten und andere unläugbare Fehler zu finden. 
Es: ift Rec. Pflicht, auf einige derfelben,, und. dadurch auf die 
Nothwendigkeit einer genauen Nevifion, die zum Theil eine wohls 
vorbereitete Umarbeitung werden müßte, aufmerkſam zu machen. 

Daß Jeſus zur geeigneten Zeit als Meifias erfchienen fey, 


— 


fol nah S. 2ı auch dadurch erwieſen ſeyn, daß die Juden. 


keinen Koͤnig aus ihrem Stamme mehr hatten, Antigonus aus 
den Maccabaͤern der legte, und Herodes ein Idumaͤer, ein 
Fremdling gewefen fey. Soll immer nody die Stelle, daß das 
Scepter nicht von Juda entwendet werde, auf den Meffias 
bezogen werden, fo iſt darin offenbar vom Stamm Juda, 
nicht von den Juden als Nation die Rede. Vom Stamm 
Juda aber war das Scepter fhon weggekommen, da.die Macs 
cabäer, in Sohannes Kyrcanus, Könige wurden. Denn dieſe 
waren vom Stamm Levi. Wäre alfo des Verf. Argumens 
tation über die Schicklichkeit der Erfcheinung des Meffias zum 
Grund zu legen, fo hätte diefer ungefähr 150 Jahre früher, 
ehe Johannes Hyrcanus, der Maccabäifche Levite, das Scep⸗—⸗ 
ter nahm , ‚auftreten müffen. Schon von dort an war wirklich 
das Scepter von Juda's Stamm entwendet. Der Hiſtoriker 
darf Chronologie und Gefchichte nicht nah der Dogmatif ums 
formen! 


Chriſtl. Kirchengefchichte von A. Michl. 199 


Die Erzählung von der chriſtl. Donnerlegion unter Ans 
toninus Pius verwirft S. 37, behauptet aber, Dio und meh; 
rere Auctoren, auch die Antoninifhe Säule zu Rom ftellen ihn, 
den Antonin, felbit, ald den Jupiter pluvius ‚dar. — 
Die Auctoren fagen hievon kein Wort. Auf der Säule ift ein 
Kegengott, aber nicht Antonin, als folcher, dargeftell. &. die 
Kupferabdräcde von diefer Säule, bey Fabretti. vol. Baum— 
garten Examen Miraculi legionis fulminatricis contra 
Woolstonum. Halae 1740. 4. 

Der Oſterſtreit wird &. 54 fo vorgetragen, als ob die 
Frage gewefen wäre, ob die Ehriften ihre Opferfeft am viers 
zehnten Monde ober am Sonntage nah dem viers 
zehnten Monde feyern follten. Aber, wie man an oder 
nah dem „vierzehnten Monde“ Oſtern halten fönne, 
wird niemand begreifen. Die Frage betrifft den viergehns 
ten nah dem Neumond. — Hier nennt der Verf. fihon 

die Roͤm. Biſchoͤfe Anicet, Victor, Stephan ıc. jedesmal 
Paͤbſte. Der Hiftoriker kann doch nichts daran Ändern, daß 
damald, 3. B. in Eyprians Briefen, der Roͤm. Bifhof noch 
feinen andern Titel hatte, als jeder angefehene episcopus. 

Sin der befannten Stelle des Juſtinus von der Euchariftie 
Apolog: I. $. 65. 66. erlaubt fi der Verf. das Wort opfern 
einzuichieben, movon im Terte keine Rede if. Hr. M. übers 
feßt: worauf wir Brod und Wein mit Waffer, opfern. Der 
Tert ſagt: Alsdann wird dem Vorſteher der Brüder 
Brod und ein Becher Waffer mit Wein gemifcht Dargereicht 
(rpooPp£perar, affertur, nicht offertur ). Der Lateinifche 

Fleury, welchen der Verf in der Note anführe, har für no- 
ripıov, Becher, fogar Vini et aquae sacrificium einge 
hoben. Sollen aber auch in unfern Zeiten nody"dergleichen 
piae fraudes f eßt werden ?Moch mehr: Juſtin fagt: 
Wir nehmen die, Euchariftie nicht als gemeines Brod, nicht 
als gemeinen Trank. Vielmehr, wie, durc einen Logos Gots 
tes, Jeſus Chriſtus, unfer Heiland, Fleiſch geworden ift, und 
Fleifh und Blur wegen (Tre) unfers Heild gehabt hat, fo, 
find wir auch gelehrt worden, daß die Nahrung, aus 
welcher unfer Fleifh und Blut nah der Umändes 
rung (der Verdauung) zara ueraßoA,v genährt werden, - 


200 Chriſtl. Kirchengefchichte von A. Dicht. 


wenn fie durch Gebet und das von ihm kommende Wort, 
Aoyos 6 map avroö, gefegnet ift, auch Fleiſch und Blut jenes 
fleifchgewordenen Jeſu ſey. So Juſtin. Der Verf. behauptet, 
Suftin flimme ganz genau mit der Lehre von der - Transfubs 
ftantiation überein. Und doh erklärt Zuflin, daß die Sym— 
bole der Euchariftie eine Nahrung feyen, durch welde 
unfer Fleifh und Blut durch Transmutation ges 
nährt werden. Auch glauben viele Kirchenväter,, daß eben 
diefelbe in den Leib der Ehriften verwandelte Nahrung diefem 
zur Auferftehung geichickt mache. Daran alio, daß die fubs 
ftantiele Eigenfchaft, jener Symbole, körperlich nahrhaft zu 
feyn aufhöre, dachte Juſtin noch nicht; er dachte vielmehr 
das Gegeutheil. Was thut aber Hr. M.? Er, der Kiftoris 
fer, laͤßt die Stelle: aus welcher — bis: genähret 
werden, ganz weg (©. 6ı), und fügt alsdann ſogleich bey, 
daß diefes fhäßbare Document fo genau mit der Lehre feiner 
Kirche übereinftimme; ungeachtet überdies Juſtin nit fagt, 
daß Brod und Wein Sefu Leib und Blut irgend werde, 
fondern daß die Symbole diefes jenen, weil Chriftus 
gefagt habe: dies ift mein Leib, iſt mein Blur! Juſtin 
hielt fih vorfihtig an Jeſu Wort, ohne irgend ausdeuten 
zu wollen, in wiefern und wodurd Brod und Mein in 
der Euchariftie Leib und Blut Chriſti fey. Soll denn nun 
eine Ausdeutung, welche notorifch erft im Mittelalter zur Kir⸗ 
chenlehre canonifirt worden ift, und welche felbft Gregor VIT. 
lange Anftand nahm, gegen VBerengar als Kirchenlchre auss 
zufprehen, — foll und darf eine folhe Auslegung den Hiſto⸗ 
riker auch in unfern Zeiten noch verleiten, in Leſebuͤchern für 
angehende Theologen die Texte des hefliggepriefenen Alterthums 
mit der Kirchendogmatit durch Auslaſſu n in Harmonie 
zu feßen und durch Einfchiebfel, wie —N. ſtatt dans 
bieten, umzuaͤndern? | 
Dagegen erlaube fih aber auh Hr. M. ( ©. 38) unfern 
fo partheylofen Leſſing unter die Feinde der chriftlis 
hen Religion zu rechnen. Auh wird, wo irgend von 
einer freymuͤthigen Unterfuchung die Nede ift, gewoͤhnlich die 
Andeutung gemacht, daß „der Proteftant Semler“ (S. 36) 
„die Proteftanten Ernefti, Lei, Herder x.“ (8.26) 


Chriſtl. Kirchengefchichte von A. Michl. 201 


dieſelbe gewagt Hätten. Allerdings iſt dies gerade proteſtan⸗ 
tiſch, ungebunden von irgend einer vorgefaßten Meynung oder 
Auctoritaͤt jede moͤgliche Hypotheſe in ihrer vollen Staͤrke, in 
ihrer größten Wahrſcheinlichkeit zu betrachten, weil fie, wenn 
ihe nicht ihr volles Recht angethan wird, nicht mit Wahrheitss 
finn geprüft, nicht entihieden angenommen oder. verworfen 
werden fann. Aber, um ihrer Meynungen willen, Terte dee 
Alterthums durh Auslaffungen und Einfhiebfel 
umzuwandeln, dies haben Leifing, Erneftt ıc. nicht ges 
wagt; dies zu wagen haben fie auch aus ihrem Proteftantismus 
feinen Anlaß genommen, feinen darin gefunden ! 

S. 62. „Die Taufe war anfangs nur von sem 
Bifhofe, weil die Firmung mit der Taufe verbunden 
war , jedoch mit deffen Erlaubniß auch von Prieſtern oder‘ 
Diakonen, und im Nothfall fogar. von Layen ertheilt.“ — 
Anfangs nur von dem Bifhofe? Und doch hatte felbft 
Korinth, da Clem. Romanus jenen Brief der Röm. Gemeinde 
(‚nicht eines Roͤm. Bifchofe ) an die Korinthiſche Gemeinde 
dahin ſchrieb, noch feinen über die Presbyters erhobenen, eins 
zelnen und eigentlichen Bifhof! Er nennt nur Emioxomong 
(im Plural) zul dıaxovovs,' fo daß [ihm Emioxono: und 
mpeoßorepo: noch Synonyma find. 

Aus Herders Adraſtea ı. St. ©. 123 werden ©. vi die 
energifhen Worte angeführt: „Im Chriſtenthum gibt es keis 
nen Klerus. Die Menichheit (die Geſammtheit aller Herzlis 
chen Verehrer Gottes ) ift der erwählte Theil Gottes, Fein 
ausfhließender Stand. Wertilge foll der Name, mie 
der Linbegriff, werden. Denn beyde find Mefte der Barbarey, 
den nüßlihften Ständen verädhtlih.“ Hr. M. findet dies uns 
begreiflih. Die Lehrer, fagt er, der Hiſtoriker, wurden bald 
Bifchöfe, bald Priefter genanne, und führe dabey Act. 20. 
V. ı7. und 2d. an. Was aber fagt die Beweisſtelle Hiftos 
riſch? Die Presbyters, die Aelteften , werden auch Epiöfopen, 
Aufſeher, genannt, weil fie, aber fie alle, und nicht Bloß 
Einer unter ihnen, diefes bey der - Gemeinde waren. Darf 
nun der Hiſtoriker angehende Theologen in die Meynung verfeßen, 
als ob Presbpter, senior, duch Priefter zu uͤberſetzen, 


202 Chriſtl. Kirchengefchichte von A. Michl. 


und mit iepevs, sacerdos, damals fynonym gewefen fey ? oder 
als ob der allen Presbyters gegebene Beyname, Episkopos, das 
mals den Begriff eines Biſchofs der fpätern Zeiten angedeutet 
habe. N 

S. 79 fagt: „Da die Protefianten den Röm. 
Primatgerne umgeworfen hätten, zugleich aber die 
deutlihen Dokumente (?) des Alterthums nicht - wegläugnen 
fonnten, kamen einige aus ihnen auf den verzweifelten 
Einfall: Petrus fey niemals zu Rom gewefen u. ſ. w. Die 
böfen Proteftanten! Aber der genaue und partheylofe Hiſtori—⸗ 
fer würde, ſtatt diefes polemifchen Tong, feinen angehenden 
Theologen vielmehr dies gefagt haben, daß die Proteftanten 
nicht ermweislicy finden, Petrus fey als Bifhof zu Rom ges 
weien ; daß, wenn fein apoftolifhes Dafeyn zu Nom 
den dortigen bifhäflihen Primat begründen follte, An, 
tiohien den Ähnlichen Anſpruch auf ein Primat gehabt hätte; 
daß überhaupt nicht gegen dag eigegtlihe Primat (wenn. 
Bifchöfe find, fo muß Einer der Erfte unter ihnen feyn!), 
fondern gegen das Supremat und die Dieromonardie 
des Bifchofs zu Rom proteftirt werde, wie nach dem Kinges 
ſtaͤndniß des Verf. ſelbſt (S. 55) der heilige Cyprian ſchon 
dagegen fräftiger, als wir es wiederholen möchten, fich erklärt 
hat. Hr. M. erflärt felbft die Iſidoriſchen Decrvetalien 
S. 62 für Erdichtungen; und wer fann hiſtoriſch längs 
nen, daß das Univerfal; Supremat und dann der Hiero— 
deſpotismus des Bonifacius VIII., welchen Frankreich 
ſchon unter Philipp dem Schoͤnen zu brechen anfing, rechtlich 
betrachtet, nur auf der Zeitmeynung ruhte, als ob jene De— 
crete uralte und aͤchte Kirchendocumente waͤren? Dieſe Praͤmiſſe 
iſt laͤngſt weggefallen; ſelbſt von allen ſachkundigen katholiſchen 
Gelehrten iſt die vornehmlich durch Proteſtanten enthuͤllte pia 
fraus, als ſolche, anerkannt; und dennoch ſollte das Reſultat 
micht zu bezweifeln, die Concluſion ohne Praͤmiſſe 
geltend ſeyn? Die katholiſche Kirche behauptet zu allen Zeiten 
die naͤmliche zu ſeyn. Sobald der Roͤmiſche Primat ſo be— 
ſtrachtet wird, wie ihn, nach allerdings deutlichen Documenten 
bes Alterthums, der heilige Biſchof Cyprian annahm, ſo iſt 


Chriſtl. Kirchengefchichte von A. Mihl. 203 


diefer Streit großentheils geendigt. Die Latholifche Kirche ſelbſt 
wenigſtens und jeder ihrer mweltlihen Regenten kann, fobald 

die Pieudo » Decretalien nidye nur an fih, fondern auch, mie 

natürlich, zugleih in ihren Folgen und Reſultaten, als dag, 

wofür fie anerkannt find, behandelt werden, mit Recht nicht 

in Verlegenheit feyn, wenn, zum Beyſpiel, rechtmäßig ges 

wählten Bifchöfen von einem Primat, welches nicht ein nebietens. 
des Supremat, nicht Univerfal »s Supremat ift, die Confirmation 

(was eigentlich bloß Anerfennung der Unität ſeyn fann) 

aus temporären Gründen verweigert wird. 

Dem Rec. mangelt die Zei die Parorame des Verf. 
weiter fort zu bemerfen. Von 8. Jultlan, dejfen richtigere 
Schilderung der Verf. aus Hrn. Prof. Neander's hiftos 
rifhem Gemälde über den R. Julianus und fein 
Zeitalter (Leipig 1840.) erfehen mag, fpringt er fogleich 
auf Muhammed, das heißt, vom: 3. 360 auf das J. 5gı. 
Welche Anordnung der Darfiellung! S. 124 verfihere, Mus 
hammeds merfwürdigfte Srundfäße aus dem Koran ausziehen 
zu wollen, und gibt fodann an: „Der verfprochene heilige Geift 
fey Muhammed fett, weil man in der Bibel nide 
Parakletus, fondern Periftitug (sic) lefen muͤſſe, 
welches Wort jo viel als berühmte heißt, und in. der Arab, 
Sprache durch das Wort Muhammed ausgedrückt wird.“ Mo 
Ründe dergleichen etwas im Koran? Auch das Mährchen von 
der fallenden Sucht bey Muhammed wird zweymal wier' 
derholt. ©. 125. 129, Mad) Muhammed geht der Verf. auf 
Donatiften, Arianer ꝛc. zuräd. Auch in Hinſicht der Sprache 
hat der Verf. nöthig , dem würdigen Ton getreuer zu bleiben. 
3. B. ©. 140. „Vom Singen kam es (bey Arius) bald 
zum Lärmen.“ &. 149. Priscilliaon wärmte die gnofiiihen 
Srundfäße wieder auf, S. 153 die Lehre des Pelagius zu 
verfleiftern S. 161. Man hörte nicht auf, an dem 
Hern Jeſus zu meiftern. Der II. Bond enthält theils 
eine weitere Ausführung einiger, Paragraphen des Lehrbuche, 
theils die Ergänzung mancher Materie, wie fie Hr. M. ohne 
Zweifel in, feinen Vorlefungen zu geben pflege. Die Behands 
lungsart ift die nämliche. Uebrigens füge Rec. auch mit Vers 


204 Mahn Comm. de Apostolis C J. 


gnägen die Erklärung ben, daß manche Materien hiſtoriſch 
richtiger, den Quellen entfprechender, bearbeitet find. 
| | H. E. ©. Paulus. 


Ern. Aug. Phil. Mahn, Wildunga - Waldecci, nunc ab Or- 
dinis theolog. Georgiae Augustae Repetentium Collegio, 
Comm. in qua ducibus quatuor Evangeliis Apostolorum- 
que scriptis distinguumur tempora et notantur viae, quibus 
Apostoli Jesu doctrinam divinam sensim sensimque melius 
perspekerint. I 151 ©. in gr. 4. 


Observationes exeget. ad difhciliora quaed. Vet. 'l', loca. Auct, 
E. A. Ph. Mahn. Goetting. b. Dietrich. 1512, 485 ©. 8, 


Die erfte diefer Schriften hat ı8og den Preis bey der 
theol. Facultät zu Göttingen erhalten. Durch die zweyte ers 
warb fih der Verf. die philofophiihe Doctorwärde und die 
Erlaubniß zu Vorlefungen. Beyde führen ihm unter die exe— 
getifch s gelehrte Theologen als einen Mann ein, welcher bey 
ſchoͤnen Sprachkenntniſſen und großem Fleiß, verbunden mit 
einer befcheidenen, aber nad Gruͤndlichkeit firebenden Prüs ' 
fungsgabe und einer unverktennbaren Empfänglichkeit für das 
Matürlih s Wahre und Practifche, die ihn auch zu einem 
Freunde Baco's gemacht zu haben fcheint, für das Fach der 
oriental. und biblifchen Studien duch vergleichende Darftels 
lung verfchiedener Anfihten und durch weitere Verbreitung 
der befferen Ideen ſich vorzüglich nüglih machen wird. Seine 
Arbeiten beweifen auch durch eine Fülle (bisweilen moͤchte 
man fagen, durch einen Ueberfluß) von Litteratur feine Ach: 
tuna gegen das fhon Vorhandene. Der Anfang alles eigenen 
Wiſſens ift die Kenntniß und Prüfung der Vorarbeiten. Der 
fiherfte Probierftein, ob ein angehender Gelehrter zu wahren 
Erfindungen in feinem Fach Talent habe, ift, wenn er in 
feinen Forfhungen. öfters mit den beften Vorgängern unge: 
ſucht zufammentriff. Man muß wuͤnſchen, daß dem Verf. 
feine jeßige Anftellung zu Caffel, als Profeffor am Lyceumt, 
die nöthige Muße und Gelegenheit zu Fortſetzung diefer Stus 
dien nicht beengen möge. Ä 


Mahn Comm. de Apostolis J. C. 205 


Die Peeisichrift geht aus von Zügen. des Plans, welchen 
Jeſus hatte, Bleibe aber doc allzu fehr bey dem bloß Reli— 
gids: Moralifhen ſtehen. Jeſus will ein Reich Gottes; er 
will es durch Lehren und muftermäßiges Setbfihandeln be; 
gründen; er verbietet fih und andern durhaus alle Gewalt. 
Nur was aus Weberzeugung kommt, iſt daurend! Aber doc 
will Sefus nicht, daß diefes Reich Gottes immer nur in eins 
zelnen und bloß innerlih fey. Die Weberzeugten follen auch 
zufammentreten, nach ihrer miorıs in Sefammtheit handeln, 
dadurdy an ihn als Oberhaupt, als einen durch Geiſt und 
Wahrheit, nie durch willtährlihe Gebote, wirffamen Negenten 
fih) anfchliefen, und wo möglich fid fo ausbreiten, daß feine 
Kirche ein Staat Gottes, ein Himmel auf Erden, fey. 

Die eigentlihe Abhandlung ftellt drey Saͤtze auf: ı. Die 
judaizivende Meynung der Apoftel von einem (mit wunder 
barer Gewalt ‚gegründeten ) irdiſchen Meffiasreih fey durch 
Jeſu Ermordung geihwächt, durch feine Auferftehung wieder 
erweckt worden ( Apg. ı, 6.). Endlich aber Haben fie ein . 
blog moralifhes (?), auf Erden beginnendeg, im Himmel 
(und auf der paradififch verwwandelten Erde?) fortdaurendes 
Sottesreich geglaubt: ©. Jeſu Abficht, welche die ganze Menfchs 
beit. umfaßte, haben, fie anfangs nie durchſchaut. 5. Endlich 
aber Chriſtenthum foom Mofaiihen Gefeß trennen und eine 
gefonderte Gefellihaft für ihre Religion bilden gelernt. Wie 
der Verf. diefe Säse zu erweijen ſuche, welche Meopdificatios 
nen dabey zu berädfichtigen feyn möchten, geht über den 
Kaum einer Recenfion. 

Aus der zweyten Schrift geben wir folgende Benfpiele. 
Der Verf. beftätige die Schnurreriihe Erklärung des : YIN9 


niyND Richt. 6, 0. Nah dem Arabiſchen 2 3 mweldes in 
die Höhe fireben bedeutet. Daher ei? Voltshäups 
ter. Auch Rec. pflege zu Überfeßen: Weil ſich Häupter 
unter Israel erhoben, weil das Volk freygefinnt fich gezeigt 
hat, dafür preifer SGehova! Auch Deut. 52, 42. finder fich 
die nämliche Bedeutung. (Exrod. 32, 25. aber erklärt fich aus 
einem ganz verjchisdenen Stammwort ẽ ausſchuͤtten, 


f 


206. Mahn Observat. ad diff. V. T. loca. 
leer, Eraftlos.mahen. Dazu fommt, daß Ep 


w,) 
etwas Begoffenes und ER den gileßenden 


Künftler bedeutet. Daher zugleich die Anfpielung auf das 
gegofiene Kalb. „Mofe fah das Vol, daß es wie aufs 
gegoffen war (profusum in scelus), weil Aharon es zum 
Gußbild, Fusile, gemacht hatte, zum Scheufal vor den 
Feinden.) Zu 11799 Richt. 5, 7. 21. vergleicht Hr. M. mit 


unterfcheiden, entfheiden, richten; vers 
fieht aber darunter nicht Nichter, fondern viros stre- 
nuos. (&s kann Überhaupt das, was ſich ausfondert, 
augzeihnet, vorzüglich iſt, bedeuten. Mol. TD UN 
Hab. 5, 14. caput eximiorum. Auch exdoyi iſt oft 
— ixkerroi. — Sef. ı7, 16. wird arm) als Subftantiv, 
aegritudo, von „on angenommen. Colleetio frugum erit 
in diem Inoostiriae, zu ef. 22, 2. wird bemerkt, 
daß on öfters nicht den Verwundeten, fondern den 


Krieger bedeuten müfe. Nicht. 20, 31. 2. Sam. S5, 18., 
wo auch die Alex. orparınraz feßte. Der Unterfchied ruht 


auf dem doppelten Cha > ift fidit, transfodit und per- 
fossus est, \> aber castra metatus, grassatus est, Mad) 


der Orundbedeutung solvit etiam ad commorandum, 
Letzteres Verbum bedeutet wohl einen der fih nieder; 
läßt, sarcinas solvens, Deswegen aber noch nit: miles. 


bar ift active transfossor — bellator, passive baum trans- 
fossus: Se. 25, 11. wird PP 8 überfeßt: ma- 
nibus adstrictis seu in pugnum compressis. DV fol in 
aeternum beddüten; welches Rec nicht zu erweifen wüßte. 
Prov. 7, 21. wird 2 mit of succus dulcis, fruetuum 


coctione inspissatus, verglichen: inclinavit cum dulcedine 
et lubricitate sermonis sui. Vergl. Pi. 55, ge. Zu Hohes. 
1, 2. Prov. 5, 19. 7, 18. beftätige der Verf. für 077 


die Bedeutung suavia,. Mahrfheinlich wäre 09717 und 
977 zu unterſcheiden. Letztetes it O0 lusit. Bu DWNZ 


De vi vocabuli «rioıs auct. G. Chr. Grimm. 207 


Hiob 5, 5. wird verglichen Lo recondidit, und als. Pars 
ticipium Hiphil uͤberſetzt: abscondentes secum aufe- 
runt. — — Habac. 2, 17. lhaͤlt Herr M. für die dritte 
foeminine Perfon des Deal, vergleicht si» insidiatus est, 
und überfeßt: et vastatio bestiarum, (quae) irrumpent. 
Chab. 3, 16. wird *3 vom heiligen Reigentanz er— 
klaͤrt: saliendo colam Jehovam. 


H. E. G. Paulus. 





De vi vocabuli *Tioig Rom. VIII, 19 seqq. qua simul locus 
.iste Paulinus explanatur. Auct. M, Gottlob Christ. 
Grimm, eccl. an Pole Longosalissam 
pastore. Lips. b. Breitkopf. 1812. S. in 8, 


Die Methode der eregetiihen Unterſuchung in diefer Fleis 
nen Schrift iſt fehr richtig. Der Verf. fuht duch die Präs 
dDicate den eigentlichen Sinn des vieldeutigen Subjects zu 
beftimmen, und zeigt daneben, gleihjfam im Vorbeygehen und 
ohne Anmafung, warum nach diefer Vergleichung der Prädis 
cate diefe und jene der font angenommenen Deutungen des 
Subjects nicht zuzugeben fey. Gerade durch eben dieje Uns 
terfuhungsmerhode aber fcheint auch des Verf. Erklärung auss 
geichloffen zu werden. Er deutet xrioıs, aus dem Gegenſatz 
gegen die erften Chriften, die „Erftlinge der Gottesiöhne* 
als Nichtehriſten, vergleiht Mark. ı6, r. znpvbaı Tb 
edayy. naon ra xrioe, Coloff. 1, 25. xnpvxdeis Ev man 
Ta xrioer TH ONO ToV OÖEarOV, und erinnert an x00uLog 
als Synonymon. Matth. 135, 18. 1. Joh. 5, 1. Die philos 
logiſche Mögtichkeie diefer Bedeutung ift nicht zu läugnen. 
Wie aber paßt fie in den Zufammenhang ? Vers ı9. mwird 
©. 64 fo umfchrieben: qui carent nomine atque jure filio- 
rum Dei futuraeque salutis promisso (= xtioıg ), sperant 
adeo expectantque conditionem heatam Dei Afiliis desti- 
natam et asservatam. Kann aber das Prädicat: fie hoffen 
und erwarten die Seligkeit der Ehriften, den Nihtchris 
ſten gugeichrieben werden ? Ein folches Erwarten würde den 
Stauden vorausfegen, daß die Chriſten gewiß felig werden. — 
Vers 2o. Non suo arbitrio (ut Christiani, qui mala cum 
christ, religionis professione conjuncta £&xodcıoı susce- 
pisse dici poterant) sed per Deum rerum omnium recto- 
rem malis submissi' sunt (©. 80), sed Vs. 21. S. 65 
sperat 7 xrtiorg, fore ut et ipsa, quamvis sit xtivıg 
i.e. quamvis fhiliorum Dei juribus careat, liberetur, 


208 Memoria C. G. Heynii auct. Heeren. 


Paulus: aber jagt nicht nur: liberetur, fondern auh sic iv 
&hevdepiav vis oöng Tov TExrvav Tod Ieod. Wie könnte 
bey Nichtcehriſten eine folhe Hoffnung der Befreyung vom 
Erdenelend angenommen werden, die fih irgend auf die 
Defreyung der Ehriften beziehe? an diele fih ans 
ſchließe? Der Apoftel: fonnte nicht vorausfeßen,, daß fie den 
‚Ehriften diefen Vorzug zufchrieben. — Uebrigens zeigt der 
Verf. fo viele Kenntniſſe, Darftellungsgabe, Gemwandtheit im 
Lateinifhen Ausdruck und Humanitaͤt in der Beurtheilung 
Anderer, daß man feine Klagen Über Entfernung von litteras 
rifhen Hülfsmitteln nicht ohne Theilnahme lefen kann, und 
ihm eine feinen Studien angemefjene Lage fehr wuͤnſchen muß. 


9. E. G. Paulus, 


Memoria Christiani Gottlob Hevnii commendata in consessu 
reg. Soeietatis Scient. ad d. XX1V. Oct. MDCCCKIL, ab 
Arn. Herm. Lud..Heeren. Gottingae typis Henriei 
Dieterich. 226. 4. 
Herr Heeren, von welchen die zahlreichen Freunde und 

Schuͤler Heyne's die verheißene ausführliche Biographie deffelben 
mit Sehnſucht erwarten , ſchildert hier nur vorläufig mit Ruhe 
und Klarheit, wie es eines Gefhichtichreibers würdig ift, die 
Verhältniffe des Verewigten zur Uuiverſitaͤt Göttingen, welche : 
ibm einen fehr großen Theil ihres Ruhms verdankt, beſon— 
ders aber feine Verhältniffe zu der mit der Univerfirät verbuns 
Denen Societaͤt der Wiſſenſchaften, ımd gibt einen Umrif von 
feinen großen litterarifchen Berdienften. Die hier mitgetheilten 
furzen Nachrichten von dem fruͤhern Leben Heyne's find zwar 
im Ganzen den Freunden deffelben ziemlich bekannt, fie erhal— 
ten aber doch einen eigenthümlichen Werth dadurch, daß der 
Verf. einen Aufiak von der eigenen Hand des Verfiorbenen 
über die Scickjale feiner Jugend benusgte, aus welchem S. 5 
folgende rührende Stelle mitgetheilt wird: „Ex omni mea 
juvenili aetate, si eam ınemoria apud me repeto, nibhil 
prorsus occurrit, quod jucundum memoratu foret. In 
summa egestate, in penuria omnium commodorum, quae 
vitam optabilem vel tolerabilem saltem reddunt, nil aliud 
expertus' sumy quam aliorum injurias ac oppressionem.* 
Sehr angenehm waren uns die Bemerkungen über Heyne's 
Verbindung mir Münchhaufen, welche auf die zahlreichen in 
dem Nachlaffe vorhandenen Briefe des berühmten Minifterg 
fi gründend, den uneigennäßigen Sinn Heyne's gegen frühers 
hin verbreitete Päfterungen des Meides und der Mißgunſt rechts 
fertigen. Auch was über feine Verhältniffe zu Winkelmann 
bemerkt wird, iſt fehr lefenswerth. | 


No. 14. Heideldergifäe 1813. 
Jahrbuͤcher der Litteratur. 


X — 


Das heilige Abendmahl, von Dr. Heinr. Stephani, K. Bayr. 
Kreisſchulrath (zu Anſpach) des Kön. St. Michael » Ordens 
Ehren - Ritter, und mehrerer gel, Gefellfch., Ditgliede. Mit 1. 
Kupfer. Landshut bey Krüll, 1814. 153 G. Be rn. 


Im Abfchied aus feinen Verhaͤltniſſen als Kreisſchulrath des 


Lechkreiſes richtet der Verf. an die katholiſche Geiſtlich— 


keit jenes Kreiſes, welche als Schulinſpectoren mit ihm in 
Verbindung geſtanden waren, dieſe fuͤr die Verbundung aller 


guten Menſchen, als Chriften‘, merkwuͤrdige Schrift mit den 


Worten: „Die Guten trennt weder Confeſſton noch Schickſal. 
Sie fuͤhlen ſich ewig als Mitglieder jener einzig wahren Kirche, 
der Unſichtbaren, verbunden. Hier nur erzieht uns dieſe in 
verſchiedenen Abtheilungen fuͤr ihr hoͤheres Reich.“ Eben dies 
fes rege Gefühl der Vereinigung aller Sutgefinnten herrſcht in 
der ganzen Darſtellung. Ungeachtet des Ber. Erklärung 

der Worte Jeſu beym Abendmahl von allen bisherigen abgeht, 
und feine Beurteilung der vielfachen Abweichungen von dem 
Vorbild der Stiftung, alle Confeffionen zu einem Höheren ur— 
fpränglihen Zweck mit Enthuſtasmus zuruͤckzuleiten ſtrebt, 
verfaͤllt er doch niemals in einen polemiſchen Ton. Wie er ſich 
ſelbſt charakteriſirt, daß jene feine Amtsbruͤder ihn als einen 
Mann kennen gelernt Hätten, der „nichts jo feurig münfche, 
als das Anfehen der Religion im der Melt wieder recht wirk 
ſam mahen,“ fo athmen auch dieſe fünf Auffäße den 
Geift der Wahrhaftigkeit und Liebe, in dem Beſtreben, durch 
Gründe zu Überzeugen, und zu Vefolgung der Veberzeugung 
durch lebhafte Darftelung-zu rühren. „Ale Syſteme von 
Serchämenmtaud unſre firhlichen, haben (S. 7) gewiſſe 
Centralpuncte, auf welchen ihre Haltbarkeit beruht. An dieſe 
ſetze man den Hebel freumüthiger Unterſuchung an, und ihre 
Maſſen werden zerſtiebend herabrollen und die Sonne der 

14 


210 .° Das heilige Abendmahl von 9. Stephani. 


Wahrheit nicht mehr hindern.“ — „Die von Jeſu anges 
fangene '(Eploffer 1, 24 25:) Erlöſung des Mens 
fhengefhledhrs kann (S. 9) nur dadurch zur Vollendung 
gebracht werden, wenn alle Lehren und Gebräuhe der chrifts 
lichen Kirche mit dem hohen Zweck der (Heiligung oder) Vers 
edlung immer mehr in Harmonie gefeßt werden.“ 

Nach diefen Grundideen erkennt der Verf. in der Feyer 
des Abendmahls die Abfiht einer fortwährenden Bundess 
erneurung herzlich wahrer Chriſten für zufammen 


wirkende Ausäbung und Vermwirklihung defien, was im 


Chriſtenthum das Meientliche iſt. Jeſu Worte: Dies ift der 
(gemeinfhaftliche) Keld des neuen Bundes! fcheinen ihn 
geleitet zu haben. Eben diefer Worte wegen ift auch fonft die Idee, 
die Symbole des. Abendmapls mit Bundesſymbolen zu vergleis 
chen, ſchon öfters aufgefaßt worden. Vgl. Worbs Ueber die 
Dundes s und Freundſchaftsſymbole der Morgenländer,. zur 
Erläuterung mehrerer bibl. Stellen. Sorau 1792. Der Verf. 
thut e8 auf eine in den Kauptgründen und in der Anwendung 
eigenthämliche Art. 

Faft alle Voͤlker traten mit ihren Göttern duch gefchlachs 
tete Ihiere in Verbindung, deren einen Theil man durch Feuer 
den Göttern gab, den andern aber die Menfchen in einem 
gottesdienftlihen Mahl verzehrten. So aß man in. Verbins 
dung mit den Goͤttern, aud noch zur Zeit des Urchriſtenthums 
(ı. Kor. 10, 11.). Auch die Israeliten hatten in folhen 
Dpfermahlen Verbindung mit dem Altar des Sjchovah (ebens 
daf. V. 18.), und der Apoftel feßt in jener ganzen Stelle das 
Mahl des Herrn in Aehnlichkeit mit jener die Gottheit und den 
Menſchen mit einander verbindenden heilig gehaltenen Mahlen. 


Befonders bey Bündniffen wurden unter manderley Modifis | 
cationen, welche der Verf. ausführlich angibt, Thiere zerfiüßs 
keit, ihr Vlut als Bundesblut gebraucht, wie ausdruͤcklich bey 


dem theokratiſchen VBerfaffungs und Jehovahs mit den 
Israeliten, Erod. 24, 8. vergl. 19, 1 —Mahas Bundesblut 


theils, auf die Seite der Gottheit hin, alio an den Altar, | 
verfprißt, theils aber in Becher gefüllt und auf die verbüudes. 
ten Menfhen, nachdem fie ihre Einwilligung in das Bundess 


gefeß gegeben hatten, geiprenge wurde. Alddann wurde mit 


Das heilige Abendmahl" von H. Stephan. 211 


dem Opferfleiſch und mit Wein, ſtatt des Bluts, ein Bunz 
desmahl gefeyert. Sogar wurde nicht ſelten ſelbſt etwas 
von dem Blute unter Wein gemiſcht, und auf dieſe ſchauer⸗ 
lichſte Weiſe die Verpflichtung zum Bunde auf Leben und Tod 
übernommen. Weber dieſe herzerſchuͤtternde Sitte gibt S. 20 
die ausdruckliche Bemerkung des Saluſt Bell. Catilin. 
c. 22. nicht nur Catilina, da er feine Verbundene verei— 
“det, humani corporis sanguinem vino permixtüm circum- 
tulisse, fo daß fie davon post exsecrationem alle etwas for 
fieten, fondern es fey auch, was die. Hauptſache ift, eben 
dieſes bey den feyerliben Weihungen Sitte ges 
wefen, „sicuti uf solemnibus sacris fieri' corisuevit.* 
Diefes letztere, als vorzüglich: merkwuͤrdig, hat der Verf. durch 
die ſprechende Abbildung einer ſchoͤnen Gemme verſinnlicht, 
unter welche eben jene Worte: sicuti.. consuevit geſetzt 
ſind, wahrſcheinlich um zu erinnern, daß hier — was ohnehin 
kein billiger Leſer der ganzen Schrift thun kann — nicht an das, 
was in Catilina's Handlung aufruͤhreriſches war, zu denken ſey, 
wo vielmehr auf die Allgemeinheit: jener befchriebenen 
heiligen Sitte ausdruͤcklich —— und ſie — — 
antiquariſch bewieſen werde. 
Dieſe allgemeinen Anſichten und Gefühle = — 
bey heiligen Bundesmahlen, wie fie beſonders auch aus Ilias 3, 
246 — 501. und Liv. ı, 24. vollftändig zu erkennen ſind, was 
ren, fchon feit Geneſ. K. 15. 8. 26.. 8. 31546 auch bey dem 
Suden. 2. Sam.3. 20. ı. Kön.ıı,.2d. Und da Zeſus beym 
Abendmahl den Keldy ausdruͤcklich einen Kelch des neuen 
Verfaffungsbundes nennt, ſo kann kein Zweifel feyn, daß er 
dabey an die alte Bundesverfaffung und deren Erodi 24. ers 
zählte Einweihung gedacht habe. Eine. ähnliche Confecras 
tion feines Berfaffungsbundes war .alfo ‘feine Abficht. - Wie 
aber fein Verfaffungsbund ſelbſt viel Humaner und univerfeller 
feun follte, als der noch im unvermeidlichen Particularismus 
von Mofe geftiftete, eben fo mufte auch in den Symbolen 
das particulariftiiche, das Pafchalamm, mweggelaffen nnd dages 
gen etwas allgemein Noͤthiges gebraucht werden. Dies war 
das bey dem Paſchamahl vorhandene Brod. Mofe hatte 
Fleiſch, ein gebratenes Lamm, zus Hauptſpeiſe des Pafchas 


\ 


h 


212 Das heilige Abendmahl. von 9. Stephani. 


mahls gemacht. Dies war ein Feſt ſinnlicher Freude uͤber 
finn liche Erloͤſung. Jeſu Bundesmahl folk aufs geiftige 
gerichtet, ſoll fo, wenig ſinnlich ſeyn, wie möglich. Moſe's 
Bundesipeife , das Lamm, wurde von den Juden der Pas 
ſchaleib, no» FA, odua Toö, raoya genannt. Einen 


ſolchen Paſchale ib Hatten fo eben die Tifchgerfoffen Jeſu 
nebft ihm: genoſſen. Noch lagen Biffen davon vor ihnen, weit 
das, Mahl mit: einem ſolchen Biffen von dem Paſchaleib ges 
ſchloſſen werden: mußte. : Hier nahm Jeſus einen Brodkuchen, 
fprach darüber: den gewöhnlichen Dank gegen Gott; zerbrach 
und gab ihn (nach Hrn. St. Erklärung) mit den. Morten : 
dies it mein Leib, nämlih mein Pafhaleib, — das, 
was ich, ftatt des Paſchaleibs zu nehmen verordne. Der Sinn 
wäre: dies; iſt meine Bundesipeife, das univerfellere, unents 
behrliche Symbol der (nicht mehr particulariftifhen, nicht 
bloß. natienellen).. Berbändung und Verbruͤderung aller Guts 
gefinnten. 

Allerdings. frappirt anfangs diefer Anlaß, mit .einemmal 
in. den. Worten Jeſu nichts »mehr von dem eigenen Leib und 
Blut deffelben zu finden. .Miteinemmal wäre das 0600 auf das 
ooua Tod naoya zu bejiehen. Aber, genauer, wiederholter, 
uneingenommen betrachtend, wird wenigftens die philologifche 
Worterklaͤrung nichts gegen die: Anſicht einwenden, daß Jeſus 
bey den: Worten; dies Brod it mein Leib, gerade diefes 
gedacht; haben fönne:.. das: alte owua Tod naoxa ift nicht 
mehr mein oue, Brod. fol. dagegen. mein odum (sc. 
Hau NAcxX@) ſeyn! Ferner t: das: alte levitiſche Schlachtopfer⸗ 
blut iſt nichee „ain“ Blut. In Zukunft foll diefer Wein mein 
Blut, das Blut des.neuen VBerfaffungsbundes 
ſeyn. Er. fagt ſogar ausdruͤcklich fogleih in den nächften 
Verſen bey Mateh. und Markus, daß er feinen Pafchamwein 
mehr trinke, daß er auf eine neue Weife Wein trinken werde. 
Das: bene tritt an die Stelle des Alten. &o fagte Er bey 
Soh. 4, 54. Meine Speife iſt, daß ich thue den Willen 
Gottes, und der Sinn iſt: flatt der Cpeifen, welche ihr 
beinget,, ift das Wirken. nad). Gottes Willen mir zur Nahrung. 
Entſcheiden könnte man Über die Auslegung, wenn wir bie: 


Das heilige Abendmahl Iron H. Stephani 218 


begleitenden Gebärden Jeſu mit haͤtten anſehen koͤnnen. Sah 
er bey dem Wort 05ud. auf das vorliegende oöua Tod rrd- 
Xa? Wer kann dies entfcheiden ? Aber auch bey der geiwöähn« 
lihen Erklärung ift es ebenfalls nur hinzugedacht, daß Jeſus 
bey den Worten ooua& wov auf feinen Leib gedeutet bber ger 
blickt Habe. Daß man fie fange fo verfund, beweiſ't nicht, 
daß man nicht lange geirrt haben könne. Denkt man fi 
febhaft an den Paſchatiſch Hin, wo Jeſus mit feinen Juͤngern 
noch lebend faß, fo hat es doch feine eigene Schwierigkeit, gu 
denken : er habe ihnen Brod hingegeben, welches, in irgend 
einem eigentlihen Sinn, fen — noch als ein Ganzes 
vor ihnen lebender — Leib feyn follte! 

Hr. St. vereinigt auch die Übrigen &tellen des N. T. 
mit feiner Erklärung. Man konnte fpäterhin die Symbole 
Brod und Wein oöum xpıoroö, alu xpıorod nennen, in 
fofern er felbit fie feinen Pafchaleib, fein Bundesblut ges 


nannt hatte. Wer einem jüdifchen Opfermahl, —R Mar, 


beywohnte, erflärte, wie 1. Kor. 10, 18. fagt, nah bamalis 
gen Begriffen fih für einen Theilnehmer an dem Altarz 
wer den gemweihten Becher, das gebrochene Brod ber Ehriften 
genoß, erklärte fich feldft eben fo (V. ı6.) für die Theils 
nahme an dem, was der Herr für feinen (Pafchas) Leib, 
für fein Bundesblut erflärt hatte, und dadurch für den Vor: 
faß, ein Tifchgenoffe des Herrn (V. 2ı.), ein Oaftfreund 
bey des Herrn Mahl, deinvov xvpıaxov (11, 20.), und 
ein DVerbündeter des Geiftigen Einen doua Jeſu, der Ges 
meinde, zu ſehn (10, 17.). Selbſt die lebte offenbar geiftig 
deutende Stelle fcheint zu zeigen, daß oou« im ganzen Con— 
terte nicht leiblid zu verftehen fen. ‘Eine coena dominica 
muß doch nicht ein Mahl feyn, wo dominus vel aliquid de 
domino comeditur; etwa wie Hamlet fagt, Act. IV. a sup- 
per, not where he eats, hut where he is eaten. Wer 
dann nah 1. Kor. 11, 2ı. lieblos und üppig bey einem fol 
hen Chriftenmahl fi bewies, wer alfo wnanftändig und uns 
würdig das vom Herrn eingefeßte Brod und Wein genof, der 
verſchuldete fih V. 27. gegen das, mas der Herr, flatt der 
Paſchaſymbole, feine Symbole, fein oöua x. ala genannt 


214 Das: heilige Abendmahl von H. Stephani. 


Hatte. Er behandelt das, was Jeſus fein asua genannt hat, 
nicht mit würdiger Auszeichnung, od dıaxpivov. B. 29. Da 
Jeſus felbft des Bluts noch befonders erwähnt, fo würde 
Er, kann man wohl hinzufegen, niht ooua, fondern cap 
Fleifh, dem Blut parallel geftellt haben (wie oh. 6, 54. 
55.), wenn er an fein eigen Fleifh und Blut gedacht hätte. 
Der Leib, wie auch im Streit über den Kelch oft bemerkt wurde, 
wuͤrde ſchon auch das Blut begreifen, wenn von einem bes 
lebten Leibe nach der gewöhnlichen Auslegung die Rede wäre. 

Rec. Hat fih noch die Einwendung gemadht, daß das- 
Paſchamahl an fih nicht ein Verbündungsmapl, viels 
mehr die Feflmahlzeit zur Erinnerung an die Erlöfung aus 
Aegypten war. Der VBerfaffungsbund der Israeliten entftand 
erft nach dem Auszug. Erod. 24. Allein, daß Jeſus an Feyer 
eines VBerfaffungsbundes dachte, bleibt durd feine 
eigene Andeutung : TO alua now, TO Tis xaıwväs dıadnxns, 
worin alle drey Evangelien harmoniren , entfchieden. Jeſus 
fonnte auch fhon auf Gottes Bund mit Abraham Geneſ. 17, 9. 
15, 18. zuruͤckſehen. Er vereinigt Erinnerungss und Vers 
bündungsfeyer. Aber für das eigentlihe, particuläre 
Erinnerungsfymbol, den Paſchaleib, fest Er ein allges 
meineres. Webrigens hat, wie auch S. 56 anzeigt, fchon 
Pfaff in feinen Institutionibus Theologiae dogm. et 
moralis (Ed. II. 1721. ) p. 6gı die Andeutung gemadt: 
Christus hoc sacramentum institut ad analogiam 
coenae Paschalıs... Et verba roöro dori ro voud 
'povex phrasiJudaica explicamus: Judaeis enim agnus 
Paschalis assus, atque in mensa positus olim dicebatur 
nos V OD corpus Paschatis. Nur die Anwens 
dung, welhe Hr. St. hievon maht, war für jene Zeit noch 
nicht möglich, nicht vorbereitet genug. 

Aber auch, wenn diefe Anwendung nicht Über die philolos 
giſche Möglichkeit hinaus erwiefen werden kann, bleibt 
doch, nad des Rec. Einfiht, alles das, was Hr. St. über 
die Deutungen der Abendmahlsworte ins Ilnbegreifliche, und 
dann über die practifch veredlende Anwendung dieſes eigens- 
thuͤmlichen Chriſtenmahls weiter folgen läßt, in gleichem Werth. 


Das peifige Abendmahl von H. Stephani. 215 


Seheimnißvolles kann nichts darin liegen , denn dies, wenn 
es eine Aufgabe für den Glauben feyn follte, müfte von Ser 
fus in beftimmten Worten zur Aufgabe, zur Olaubensprobe, 
gemacht feyn. Oder wußte etwa Jeſus weniger, als ein Cons 
cilium im Mittelälter und die fonftigen Verff. von Glaubens⸗ 
normen, die angemeffenften Worte für das, was man hier zu 
glauben habe. Das gewiß ausgefptochene ift, daß feine Hands 
lung auf einen neuen Verfaffungsbund fih beziehen 
follte. Daß es Erinnerungsmahl an Jeſu Aufopferung 
für eben diefen Bund werden mußte,- daß die Chriften, fo 
oft fie es als Chriften zuiammen aßen, in den bittern Gedans 
ten, in den hHergerfchätternden Ausruf ausbrehen mußten: 
Sie haben uns den Meifter erfhlagen! (ı. Kor. 
11. 26.) dies lag ohnehin in der Natur der Sache. Eben 
fo gewiß ift es, daß ‚Brod und Wein nie Symbole eines 
Sündopfers waren, daß felbft das Paichalamm zu den frohen 
Gluͤcksopfern, — ** nicht in die. Claſſe der Sünd s oder 
Schuldopfer gehörte, daß alfo auch bey dem dafür geſetzten 
Bundesmahl an alles eher, als an ein Opfer für Suͤn— 
den von den erſten Chriſten gedacht werden konnte, bie als 
gebohrne Juden mit der DOpfertbeorie von Kindheit auf 
beffer, als mancher Theologe, befannt waren. Selbſt der 
Apoftel Paulus hat nie von dem Mahl des Herrn eine Ans 
wendung diefer Art gemacht. Die Betrachtung, daß es Duns 
desmahl .fey, bleibe alfo auf jeden Fall. 

Miet fhönem Enthufiasmus ftellt es denn auch der Verf. 
als Verbrüderung für ein Gottesreich, für eine mit Gott hars 
monierende Weltordnung,, als Erneurung eines Bundesſchwurs 
für die Verbündung mit allen Outgefinnten, als das große 
Famitienmahl aller Gotteskinder unter dem Einen, ewigen, 
heiligen Vater, dar. Er eifert S. 95 darüber, daß es zum 
Mahl für die große Sünderzunft gemacht fey. „Wie 
‚wollet ihr den Menfhen je dahin bringen, den mühevollen 
Kampf für die Tugend zu beftehen, wenn ihr ihm ein äußes 
res Mittel anweiier, durch deffen Gebraudh er ohne innere 
Anftrengung den Tugendhafteften gleich geflellt werden könne?“ 
Er gibt liturgifhe Vorſchlaͤge darüber, Kleider feine 


216 Das heilige Abendmahl von H. Stephan, 


Anfiht auch in eine: Abendmaihlsrede ein, melde durchs 
aus zweckmäßig fheint, und. ‚verbindet damit paflende Ges 
fänge, melde den beften uns befannten nicht nachſtehen. — 
Alles diefes aber ift, wie es jeßt faft nicht anders ſeyn fann, 
auf die großen, gemifchten Verſammlungen in Kirchen beredys 
net. Hierdurch wird immer das Bundesmahl auf die bloßen 
Symbole eingefhräntt. Wie ganz anders mußte es in dei 
noch beffern Zeiten des Chriftenthums wirken, wenn vertraute 
EhHriftenverfammlungen wirklich ihre coena. zufammen aßen, 
als folche, die fich ihres Chriſtus freuten, nur ihn und feinen 
Bundeszweck, alles Wahre und ‚Sute, zum Tiſchgeſpraͤch 
machten, und endlih am Schluß eines foldhen aͤchten Chriftens 
mahls höher geftimme und zu mandıen guten Vorſaͤtzen neu 
erwärmt, ihren Jeſus ſelbſt ſich vergegenwärtigten, wie er 
einft, am leßten Abend feiner faum begonnenen Lebensbahn, 
des Verraths zum Tode gewiß, aber aud) gewiß feines Vor— 
faßes, daß der Steg des Guten nur durch Ueberzeugung, nicht 
durch Gewalt zu bewirken fey, die treubleibende Kleine 
Heerde, mie der alte königliche Prieſter Melchiſedek Geneſ. 
14, ıd. duch. Brod und. Wein zu einem Bundesmahl vers 
einigte, welches in der Folge eilf Saliläifhen Männern die 
Stärke gab, feine kurze Wirkfamkeit für den gebilderften Theil 
der Welt unverlöfchlidy fegensreich zu mahen. Auch die ifos 
lirte Fever des Bundesmahls in den Kirchen ift allerdings 
feinem heiligen Zweck fo nahe als möglich zu bringen. Es 
fheint aber doc unvermeidlich, daß fie nur wie ein Symbol 
der urfprünglihen Einrichtung bleibe. Die KHauptbedingung 
des Efferts wird allein in engeren Cirkeln denkbar feyn, wo 
wirkliche Chriftusfreunde als folche einen heiligen Abend feyern, 
wo der Mund von dem, wovon ihr Herz voll ift, vertraulich 
überfließt, und, gleihfam Kohle an Kohle gelegt, die Afche 
der Convenienzen weggehauht wird. Auch Jeſus erwartete 
das Meifte von kleinen Gejellihaften Gleihgefinnter; 
wo zwey oder drey folhe beyfammen wären, wollte er der 
Tiſchgenoſſe, der Inhalt ihrer Tifhreden, feyn. Daß alsdann 
alle dergleichen Kleinere Cirkel zu allgemeinen Zwecken des 
Bundes für alles Gute harmonieren und aus allen Kräften 
zufammen wirken, deswegen immer auch zugleich eine Kirche 
überhaupt bilden follten, ergibt fih aus der Natur der Sache. 
Geben uns doc die wirffamften der für ideale Zwecke vereins 
ten Verbräderungen eben dieſes Beyſpiel des Wirkens aus 
kleinen vertrauten Kreiſen in die vielfacher zuſammengeſetzte 


Geſammtheit.“ 
H. E. G. Paulus. 





Ueber Religionövereinigung von F. Stande. 217 


Weber Nelisionsvereinigung, Ein Wort er Brü und 
en Ertlärung As Betrag zur Gi — klar 
der chrifil. Kirche. Von Eried. Steudel, Diafonus zu Cant⸗ 
fladt Cjetzt zu Tübingen). Gtuttgart-bey Mezler. 1811. VALE 
und 223 ©. in 8. — 

Rec. will dieſe beſcheidene, aber ſtandhafte Proteſtation 
gegen Erregung eines neuen Unfriedens zwiſchen 
der katholiſchen und proteſtantiſchen Kirche, meiſt durch ſich 
ſelbſt, durch Auszüge ihrer eigenen Worte, charakteriſiren, da 
ſie ſehr vieles Wahre und Gute, nur bisweilen durch eine 
verwickelte Periodologie in etwas verdunkelt, darbietet. In 
Beziehung auf die „Friedensworte an die katholiſche und 
proteſtantiſche Kirche fuͤr ihre Wiedervereinigung“ (Sulzbach 
1810.) eine Schrift, welche jede Bitterkeit und Liebloſigkeit 
zu vermeiden vorgibt, will der Verf. ins Licht ſtellen, daß der 
Proteftant weiß, mas er glaube und warum er es glaubt, 
daß eben deswegen die Proteftanten feine Gründe 
haben, ſich als religidfe Geſellſchaft aufzulöfen 
und der katholiſchen beyzgutreten. Er wollte nidht 
einen andern irre maden in dem, was diefer glaubt, 
aber darlegen, daß der Proteftant feinen Grund habe, in dem, 
was er glaubt, fi irre machen zu laffen. | 

Die Frtedensworte wiederholen das befannte Wis 
fpiel, daß man entweder Katholik feyn, oder Deift 
werden muͤſſe. Wenn die Patholifche Kirche auch zugeftehe, 
daß in ihr zu einer gewiffen Zeit Mißbraͤuche flatt gefuns 
den haben, fo fey fie doch die aͤchte chriftl. Kirche, und ihr 
Spftem das einzig confequente chriftlihe. Hr. St. ift 
fo friedliebend, nicht fogleich zu fragen, ob es confequent fen, 
in einer unträglihen Lehranftalt Mißbraͤuche, felbft durd) 
den Repräfentanten der infalliblen Kirche autorifirte Mißbraͤuche 
(mie Ablaß um Geld ) jemals einzugeftehen? Wenn die Ges 
fhichte fo oft, fo unläugbar das Gegentheil von Infallibilitaͤt 
der Kirche documentirt, fo wird man eher zu einer andern 
Antichefe gedrungen : daß man entweder Proteftant oder Deift 
ſeyn muͤſſe! Die untruͤgliche Kirhe, melde den Dffens 
bahrungsglauben fihern fol, iſt gefchichtlih nicht zu finden. 
Er muß alio entweder rationell gefichert werden, oder 
müßte er gar nicht zu fihern feyn. Kr. St. erflärt daher 
mit ruhiger Beſtimmtheit: was die proteffantifhe Kirche 
ſey. Sie ift ihm eine, Sefellihaft, welche in Gegenftänden 
des religidfen Glaubens als entiheidend nur das Ans 
fehen der Bibel gelten lafien, von deren göttlihem Ur— 
fprunge der eigene freye Gebrauch der Bernunft 
fie überzeuge, und welche fie nur mit Huͤlfe ihrer eiges 
nen Bernunft erkläre. Durch dtefen genetifhen Begriff 


218 Ueber Religionsvereinigung von F. Steudel. 


der prdteftantifchen Kirche ift allerdings gezeigt, daß Proteftans 
tismus und Nationalismus nicht einander entgegen, fondern 
zugleich zu feßen find. Der Proteftantismus ift biblifcher 
Nationalismus Mur das, was nod) allzu vieldentig ift 
‘in des Verf. Ausdruck, daß der Proteftantismug in Hinſicht 
der Religion allein das Anfehen der Bibel gelten laſſe, for— 
dert noch genauere Beſtimmung. Die Bibel enthält vieles, 
was nicht zum Wefentlihen der Religion gehört, und auch 
das zur Netigion gehörige gibt fie in einer zur Vollkommenheit 
forefchreitenden Entwiciung. Das alte Teftament enthält auch 
- fhon Neligionsoffenbadrungen, die aus religidfer Begeiſterung 
entftundın. Im neuen Teftament aber fchreiten fie zur weites 
ren Vervolltommnung fort. Die proteftantifhe Kirche num, 
wenn fie deutlich erflärt, mag fie unter dem Anſehen der 
Bibel verftehe, erkennt aus vernünftigem Nachdenken, daß 
alles, was in der Bibel als wefentlihe Neligionswahrheit ges 
offenbahrt ift, das volllommenfte und zureichendfte unter allen 
Meligiongeinfihten ift, die als Offenbahrungen aus veligiöfere 
Begeifterung entftunden. Eben deswegen, aber muß diefe Kirche, 
auferdem daß fie bey Entdeckung des Uriprungs und des Worts 
finns diefer Offenbahrung die eigene Vernunft gebraucht, die 
nämliche das Göttliche fuchende Geiftestraft auch noch dazu ges 
brauchen, daß fie den übrigen, vielfahen Inhalt der Bibel 
von dem untericheide, was innerhalb der Bibel als wefentlicd)s 
religidfe Wahrheit aus beiliger Begeifterung ung in Lehren oder 
Denfpielen vorgehalten wird. Mie richtig unterfcheidet auch 
der äftherifch : philofophiiche Scharffinn Plank's (in feiner 
Einleitung in die theol. Wiffenih. fhon 1799.) Bibel und 
bibliſch⸗ geoffenbahrte Neligionswahrheit. Er erkennt es als 
„allgemeine Regel (IT. Th. ©. 404), daß die fuftematifche 
Theologie ihre Schriftbeweife nur aus folhen Stellen ziehen 
folle, von denen es gewiß if, daß fie eine Belehrung und 
zwar eine für alle Zeiten beffimmte Belehrung 
über Religionswahrheiten enthalten,“ mit (S. 405) 
der doppelten Bemerkung, daß „nicht in allem, was von 
Sefu und den Anofteln herrährt, ein dogmatiſcher Reli— 
gionsunterricht gefuche werden darf, daß man aber auf 
jedesmal fih sehe befiimmter Gründe bewußt feyn muͤſſe, 
wenn man fi in einem befondern Fall erlauben will, einem 
exegetiſch wahren Ausiprudy Ehrifti oder der Apoftel die dogs 
matifhe Wahrheit abzufprechen.* Wird diele genauere Ber 
flimmung , daß und in wiefern der Vernunftgebrauch des Pros 
teftantismus ſich nicht nur auf die Präaliminarien der Theclogie, 
auch nicht allein auf die Eregefe beziehe, fondern überdies 
auf den Inhalt der Dogmatik felbft, als eines Syſtems 


ueber Religionsvereinigung von F. Steudel. 219 


der wefentlichen Religionswahrheiten,, gewiffenhaft anzuwenden 
und confequent durchzuführen fen, vollftändig erwogen, fo ers 
heilt, daß Achter Proteftantismus jederzeit. biblifher Nas 
tionaligmus war und bleiben wird, mie aber in einen 
bloßen Deismus (in eine alle Dffenbahrungsauctorität laͤug— 
nende Neligionsphilofophie ) ausarten fann. Die Gottheit 
führe die Menfchen durch zwey Wege zu Religionseinſichten. 
Entweder iſt man, bey den vom Water der Geiſter veranftals 
teten Neranlaflungen zur Ueberzeugung, fih des eigenen Nachs 
denfens und aller Umftände bewußt, wodurch man die Einficht 
erreicht ; oder wird fie yi Andachtsvollen aus feinem inniaften 
Gefühl für das Heilig FReligidfe mit Begeifterung offenbar, 
d. h. ſo klar und wahr, daß er ſich feiner Wirkſamkeit dabey 
nicht bewußt iſt. &o lange die Gefchichte zeigt, daß Gott die 
Menichen auf diefen beyden Wegen zu ihrer religidfen Erziehung 
leitete, und fo lange es gewiß ift, daß befonders bey der Res 
figion Geift und Herz, Machdenfen und Gefühle vereinigt 
wirfen, einander beleben und berichtigen follen, eben fo 
lan wird fi die bibl. Offenbahrungslehre niht vom Nas 
tionalismus, und diefer fih nicht von dem Biblicismus 
trennen. Dieſes beydes aber wird Sefchichte und Menfchens 
fenntnif immer zeigen; mogegen es Irrationalismus 
wäre, als Glauben vorzufchreiben, daß aud etwas den aners 
fannten, unläugbaren Einfichten entgegengefeßtes dennoch Dffens 
bahrungsmwahrheit feyn könne. Und fo ſtimmt auch mit den 
Grundideen der Stifter des Proteftantismus jeder Protes 
ftant überein, welcher ſich zum biblifhen Rationalismus in 
obigem Sinn bekennt, weil auch Luther, Melanchthon ꝛc., 
was fie aus der Bibel als Aufgabe des religidfen Glaubens 
behaupteten, nur wegen der Vorausſetzung behauptet haben, 
daß; es dort als wefentlihe und andern unläugbaren Einfichten 
nicht entgegenftehende Neligionslehre vorfomme. Sind denn 
gleich die proteftantifchen Gelehrten noch nicht Über den ganzen 
Inhalt des biblifhen Nationalismus nad) jedem einzelnen Theil 
eregetifch und dogmatiich einig, fo ift dies doch nur eine ins 
nere Differenz, die bey fo verfchiedenen Stufen von Vor— 
fenntniffen und Einfichten bisher unvermeidlich, zugleich aber 
ein Zeichen des geiftigen Lebens und Selbftforfhens war. Der 
Unterfchied felbft befteht nur darin, daß der Fine mehrere, 
‚der Andere wenigere Säße geoffendbart findet, welche er zum 
Weſentlichen der Religionsbelehrung rechnen zu dürfen 
uͤberzeugt iſt. Dawider aber, daß irgend etwas, das in der 
Bibel nicht geoffenbart ift, durch irgend eine in Mens 
fhen fortdaurende Sjnfallibilität zur Religionswahrheit, oder 
auch nur zu einem abjolut nothwendigen veligisjen Ritus ers 


220 Ueber Religionsvereinigung von F. Steudel. 


hoben werden koͤnne, ſtimmen alle Proteſtanten nur deſto 
kraͤftiger zuſammen, wenn gleich ihr bibliſcher Rationalismus 
bey manchem weniger, bey andern vollſtaͤndiger durchgefuͤhrt 
und wiſſenſchaftlich ausgearbeitet erſcheint. Ueber die negie— 
rende Stellung des Proteſtantismus gibt es keine Differenz; 
aber auch der affirmirende Theil defjelden (denn der Vors 
wurf, daß der Proteftantismus wur nenierend fen, ift ohnes 
bin abermals ein bloßes Wortfpiel! ) zeigt fih in allen weients 
fihen Puncten weit mehr zufammenftimmend, als die Diffes 
tenzien es vermuthen laffen mögen, welche in der That nur 
das, was zur Einfleidung und unter temporären Begriffe 
u rechnen fey, betreffen. Und fo, tie diefer affirmirende 

heit des Proteftantismus für die Religion das Wichtigfte 
ift, eben fo bleibe der negierende, die Proteftation gegen 
allen Glaubenswang, für die Eultur der Menfhheit 
überhaupe hHöhft wichtig. „Nur dagegen (S. 82) fträubte 
fih unfer ganzes Wefen, wo das Sättlihe durch menichliche 
Zugabe entwärdigt, oder gar verdrängt werden follte.“ S. 134. 
„Selbſt die Täuihung in der Meynung, man dente ft, 
ift noch ehrenvoller und nährender für das Gute, als das der 
müthigende Wegmwerfen feiner feldft, womit man fi unfähig 
glaubt, auch feibft zu denfen,“ d. h. anflatt eines gebotenen 
Auctoritätsglaubens einen Ueberzeugungsglauben zu haben, wels 
cher allerdings ahtbare Auctoritäten auch vergleicht und be; 
nußt, eben deswegen aber z. B weder durch die rohen Producte 
des Mittelalters fih feſſeln läßt, noch ben einem Kirchenlehrer, 
welcher, wie Auguftinus, die Bibel nur lateinifch lefen konnte, 
richtige Eregefe und Anwendung fhwerer Stellen erwartet. — 
©. 155. „Wer jegt noch dem Ch iftenvolfe von einer uns 
trüglihen Lehranſtalt vorſpricht (die Friedensworte fpres 
chen nad) dem Modeton,, daß wenigftens das Volk eine 
folhe Religion bedürfe!), der muß, wenn er von dem 
vernünftigen Theile, felbft der Katholifen, gehört werden will, 
vorher vielleicht mehr als Einen Fotioband fchreiben, in dem 
er alle Data, welche die Gefchichte zu dem Beweis, daß fein 
Forum fein unträglihes if, an die Hand gibt, als 
unftatthaft widerlegt.“ 

Die Friedensworte tragen &. 321 darauf an, daf nicht 
mehr widrige Vorurtheile aufgewärmt, nicht, mehr 
feindfelige Zumuthbungen ausgeflreut werden 
follten. Dennod geben fie den Wink S. 258, daß die 
Idee einer unſichtbaren Kirche gegen bie Proteftanten Des 
forgniffe von Seiten des Staats verurfachen koͤnnten. Aber 
diese Kirche hat feine unfihtbare Obern, als Gott und Jeſus! 
Ehen diefe Friedensworte wiederholen auch gegen die Mefors 


— 


Weber Reltgionsversinigung von F. Steudel. 221 


mation die Vorwürfe von Luthers Leidenfchaftlichleit, und daß 
ein Mann, weicher dem gemeinen Mann von Freyheit, 
ben Fürften von Unabhängigkeit und Einziehung 
reicher Pfründen, den Klerikern von Aufhebung des 
Coelibats fprah, ‚fih wohl günftige Aufnahme habe vers 
fprehen können.“ Gang vorzäglih gut Hat Hr. St. das 
Hiftorifch s Unwahre diefer Puncte : gezeigt, mach diefem aber 
auc den wichtigen Unterfchied beyder Kirchen in Grunds 
fügen und einzelnen Dogmen treffend ausgezeichnet. 
S. 100, „Hat denn er (dev Verf; der Friedensworte) nichts 
gehört von Luthers treuer Vermahnung (1522) an :alle Chris 
fien, fih vor Aufruhr und Empörung zu hüten ? nichts von feis 
ner Schrift gegen die räuberifchen und mörderifhen Bauern ? ꝛc.“ 
„War es nicht noch 1530 bey den evangelifchen Fürften Gegens 
finnd einer veiflihen Veberlegung, „ob man- dem Kayfer mit 
gutem Gewiſſen Widerfland thun könne, wenn er gegen 
einen derfelben, um der Religion willen, Gewalt gebrauchen 
würde ?“ (Auch wie fehr Luther. feldft dem Krieg entgegen 
war, weil fein Heldenglaube, daß Gott feine Sache ſchuͤtze, 
unerfchütterlich blieb, ift befanne!) : Das Secularifiren aber 
war ohmehin nicht im Geifte der Neformatoren. Luther klagte 
darüber, daß ein Theil des Adels die Kloftergäter an fich 
reißen wolle ( Schrödh N. RG. I, 374), und der Churfürft 
von Sachen verordnete ( ©. 391) feluft, daß alle Einkünfte 
der geiftlihen Stellen und Kidfter genau berechnet werben folls 
ten, um Kirchen und Schulen zu verforgen, wozu er, wenn 
es nöthig ſey, noch Geld herzugeben fi erbot. Leider! aber 
mußte Hr. St. mehrmals anmerken, - wie fehr die Friedenss 
worte-von dem, was ihr Verf: aus Stellen, die er felbfi zur 
Hälfte citirte, richtiger willen mußte, geſchichtwidrig und 
vorfäßlich abweihen. Wer follte den Schluß für: möglich hal— 
teh, welchen er $. go macht, daß, weil die Reformation Re— 
ligions. » Uneinigkeiten verurfachte , fie alle Schuld der Barchos 
lomaͤusnaͤchte, angezündeter Scheiterhaufen u. dgl; trage... War 
ren nicht: die Scheiterhaufen länaft vor Luther und Huß — aus 
untrügliher Machtvollkommenheit — angezuͤndet? Mit Wärme 
fpricht Überhaupt &. 108 das Unlaͤugbare aus: „Nichts vom 
dem, was Luther (gegen den Katholicismus‘) als Irr— 
thum beftimmt verworfen. bat, hat. unterdeffenr 
ſich als Wahrheit beſtatigt, fondern die Macht. melde 
er heidenmäthig angriff und in Schranken zuruͤckgewieſen fehen 
wollte, ‚ward, wirklich dahin getrieben; feine Grundfäße 
im Ganzen find von Millionen als hoͤchſte Wohlthat erkannt, 
durch neue Stüßen gefihert, und durch weitere Beleuchtung 
noch mehr aufgehellt worden.“ &, 285, „Kein (auch nur 


222 Ueber Religionsvereinigung von F. Steudel 


hiſtoriſch?) aufgeklaͤrter Katholik kann laͤugnen, daß das Sys 
ſt em des Katholicismus, welches von Luther beſtritten 
wurde, die Aufklärung in gewiſſen Zweigen der Wiſſenſchaf⸗ 
ten (qußer der Philofophie vornehmlich im Staatsrecht, Kivs 
chenrecht ic. nicht begünftigen fann, weil feine Erifteng und 
die Heiligkeit —*8 durch fie gefaͤhrdet würde ... Darum 
lag Sranfreih von jeher im Kampfe mit dem Haupte der far 
tholifchen Kirche‘, und darum lag Kayſer Joſeph fo fehr im 
Kampfe mit der Hierarchie. » Es möchte ſchwer fallen, den 
Satz zu beſtreiten, daß, was innerhalb diefer Zeit für Aufr 
klaͤrung im Katholicismus gefhehen ift, Annäherung iſt zu den 
Grundfaͤtzen der proteftantifchen Kithe.“ Mer hat die Unaͤcht⸗ 
heit der Pieudodecretalien gezeigt, wer aber aud) von den Fols 
gen diefes nur im Mittelalter möglich gewefenen Products fi 
entfeffelt ? Die Friedensworte feldft geben S. 152 den Winf, 
daß „Rom nicht mehr in feiner alten Lage fey.“ 
Sie überfehen dabey die matärfiche Gegenfrage: ob die alte 
Lage mit der Infallibilitaͤt der Kirche Übereinfam oder nicht ? 
und das Dilemma : ob alſo dieje Infallibilitaͤt entweder jetzt 
oder damals als verlegt erfcheine? Sie zichen aus der vers 
änderten Lage Roms nur die Erwartung (St. ©: 85), daß 
„ale Opfer, die mit der Weſenheit des Chriſtenthums 
vereinbar find ‚ gebracht werden möchten.“ Mit der Weſen— 
heit des Shriftenthums ? Wer aber wird diefe beftlimmen ? 
Die Eregefe und Religionsphilofophie dev katholiſchen oder der 
proteftantifchen Kirche ? 

Der Berf. der Friedensworte fekt, wie er nicht anders 
kann, das 'erftere voraus. Denn Untrüglichkeit der Kirche und 
Mrimat des Roͤm. Bifhofs als „des görtlich autoriſirten Res 
präfentanten der unträglichen. Kirche“ feßt er 'felbft als die 
KHauptdivergenzpuncte (©. 146. 187). Die Wefenheit des 
Chriſtenthums wäre aljo nur auf jener Seite: Auch fein 
Bereinigungsplan komme daher, wie es immer bey zwey Theis 
len, movon der: Eine’ im Wefentlihen allein Recht zu haben 
glaubt, der Fall werden muß, darauf zuruͤck, daß, wenn ein 
Unionsentwurf. von beyden-Theilen gemacht, dem Pabft zur 
Genehmigung . vorgelegt, und von dieſem mancher aus den’ 
tirhlichen Einrichtungen fließende Anftoß gehoben wuͤrde, man 
von den Peroteftanten Machgiebigkeit erwarte, wo die 
Anftände einen Glaubens: und Dffenbahrungs's 
gegenftand betreffen.“ Die Proteftanten alfo müßten 
ihre Srundfäße, das Weſentliche ihrer chriftl. Webers 
zeugungen, der Katholicismus dagegen einige Ritus und 
äußere Verhältniffe aufopfern! Hr. St. hat gegen dieſes 
Opfern überhaupt mit großer Klarheit bemerkt, daß ſich dar⸗ 


ieber Neligionsvereinigung von F. Stendel, 223 


über, ob man von etwas Übergengt ſeyn molle oder nicht, gar 
nicht pacisciren laffe. Es ift Pflicht, alle möglihe Mittel zur 
Hebergeugung anzuwenden. Wer darf Pflichten aufopfern ? 
Welch ein Begriff von Wahrheit und Religiofirät, wenn diefe 
aus gegerifeitigem Accordiren hervorgehen follten ! Wegen des 
Primars zum Beyſpiel begehren die Friedensworte 4. 128. die 
Ueberzeugung: daß, weil Petrus von Jeſu einen Primat un—⸗ 
ten’ den Apoſteln gehabt habe, und in Rom geſtorben ſey, alſo 
fein Nachfolger zu Rom ihm auch im Primate folge.“ Ders 
gleichen Schluͤſſe wärden fodann gebotener Glaube feyn; gegen 
fie dürfte es dann feine Gegenfrage mehr geben: ob der Vor⸗ 
zug des Petrus nicht ausdruͤcklich auf individuelle Eigenſchaften 
deſſelben gegruͤndet wurde ? und ob ſich dieſe durch Jahrhun⸗ 
derte herab vermittelſt des Sitzens auf dem Stuhl des Petrus 
vererben laffen ?— Der vom Pabſt modificiete Vereinigungsplan 
fol, nach den Friedensworten, „durch dem Landesherrn von feis 
ner: wuͤnſchenswerthen Seite empfohlen, und dem Amte der 
Prediger Schuß, Unterftügung und befferes Einfommen verr 
fprochen werden. Wer aber die Augen gefliffentlich fchließt, der 
eignet fich nicht mehr zum Lehramte.“ Iſt es Geiſt des Chris 
ſtenthums, oder Folge der Erziehung unter einer an das Gebiete 
gewohnten Kirchenpolitik, welche bey Worfchlägen diefer Are 
den ‚Urheber .dreift genug machen fonnte, fie ungefheut vor 
das Publikum zu bringen ? Hr. St. faßt dies alles mit Recht 
in die Worte zufammen; es foll Glaubenszwang einges 
führe werden! S. ı20. 122. „So aber jemand (zum Predis 
ger) träte und ſpraͤche: Bruder! ich biete dir. Ehre und Ge⸗ 
winn; fomm, diene meimen-Zweden; da müßte er erwiedern? 
Es ſtehet geichrieben, du follft anbeten Gott, deinen Heren und 
ihm allein dienen. Und, wie fehr jener auf das Edle feiner 
Zwecke fi) berufen und durch Worte der Bruderliebe ihn ges 
winnen möchte, er müßte ihn, weil er durd) Anbtetung irdis 
ſcher Vortheile ihn zu gewinnen gehofft hatte, verachten. Und 
wen wir verachten, dem dienen wir nicht. Noch dienet der 
Edle dem, von dem er als der Verachtung werth behandelt 
wird.“ — Am meiſten wundern wir ung über den ( bräderlis 
hen?) Wink der Friedensworte ©. 95, daß Eigennuß vors 
zuͤglich bey proteftantifhen Geiſtlichen ſich einfchleiche, 
diefer aber und Stolz wider die Bereinigung fämpfe. Konnte 
der Friedensftifter nicht bedenken , daf fein Wink nur zur Vers 
gleihung zwiſchen den Vortheilen kathol. und proteftantifcher 
Kirhyenämter und zwiſchen den Ehrenftellen eines Cardinals, 
Biſchofs ıc. und eines proteftant. Conſiſtorialraths auffordere. 
Es ift nicht befannt, daß irgend bie proteftant. Kirche eine 
äußere Vereinigung mit der kathol. für Zeitbedärfnig Halten 


224 Ueber Religionsvereinigung von F. Steudel. 


Der Gedanke von St. ſcheint daher der natuͤrlichſte, diejenigen 
Katholiken, welche ein ſolches Zeitbeduͤrfniß einzufehen behaupten, 
darauf aufmerkſam zu machen, wie fie den umgewandten Ans 
trag, durch folhe Mittel Proteflanten zu werden, aufnehmen 
würde? Mas die Negierungen betrifft, fo können fie, wenn 
gleich der Name Primat nod fo milde klingt, doch nicht vers 
geffen, daß. er eigentlich ein dirigirendes Supremat in fi 
fehließe , welches nicht nur auf Glaubenseinheit, fondern auch 
auf viele weltliche Verhaͤltniſſe, wie Ehefcheidungen, Ehediss 
penfationen, Verheyrathung zwifchen Perfonen verfchiedener 
Kirchenconfe ion u. dgl. Einfluß habe, und, zwar nicht mehr fo, 
wie in. denmwgepriefenen Mittelalter, mit Tpronadfegung und 
Auflöfung des Unterthaneneydes, aber doch mit einer auch buͤr⸗ 
gerlich fchädlichen Ausfchließung aus der Kirche und von der 
Seligkeit drohen könne. Und wenn als ‚ein Hauptgrund zur 
SReligionsvereinigung dies angegeben wird, daß auch die kirchliche 
Geſellſchaft, nach dem Beyfpiel der Staaten, fidy zur Centras 
liſirung der Kräfte neige, fo wird der Staates und Geſchichts⸗ 
kundige die Reflexion nicht unterdruͤcken koͤnnen: daß diefer 
Grundſatz auf die Nothwendigkeit einer geiſtlichen Univerfals 
monarchie (vgl. S. 66) fuͤhren muͤßte, um ſo mehr als fuͤr 
jene ſchon einmal ein Verſuch im Großen gemacht worden iſt, 
und gegen den Mißbrauch concentrirter geiſtlicher Kraͤfte, welche 
unaufhoͤrlich auf Erziehung und Gewiſſen Einfluß haben, die 
weltliche Macht in der Continuation immer unterliegen muͤßte, 
wenn ſie nicht, durch Gewiſſensfreyheit und vorurtheilsfreye Gei⸗ 
ſtesbildung der Pluralitaͤt, ein gleichfalls geiſtiges Uebergewicht 
zu erhalten ſuchte. Dieſe wahren Beſchuͤtzerinnen der Staaten 
und aller Fortſchritte zum Guten aber ſcheinen ung zuzurufen: 
Wenn von Verbeſſerung im Religiöfen die Nede feyn fol, fo 
laßt uns nicht ins Mittelalter, nicht in jene frühere Zeit, mo 
Sinken und Zerfall des Roͤm. Reichs das Charakteriſtiſche ift, 
laßt, ung vielmehr zu Sjefus, zu Petrus und Paulus, laßt ung 
zum Urchriftenehum felbft immer mehr zurücfehren! Das Urs 
chriftenthum muß doch das ſeyn, was die vollefte Katholicität 
C Allgemeinheit) verdiente! Und auch: im Geiſte der proteftant. 
Reformatoren war, wie fihon der fo ruhig forfchende Schröckh. 
im II. Theil der. Neformationsgefhichte S. 800 urtheilt, die 
Wiederherſtellung desädhten (uralten), allein ges . 
meinnüßlihen Chriſtenthums das, was fie nach allen; 
Kräften wollten. Diefer Geiſt, diefe Tendenz führt zu dem Cen⸗— 
tralpunct zwangloſer, überzeugungstreuer Vereinigung; wo der 
Ddrigkeit, was der Dbrigfeit gebührt ( Sehoriam zum Staat 
wohl), Gott aber, was Gottes ift a in wahrer Geis 
ſtigkeit) gegeben wird. H. E. ©. —— 


iin 


No. 15. Heidelbergiſche 1813; 
Jahrbuͤcher der Litteratur. 


2 AA RA A AA Aa .. 


Kofegarten’s Dichtungen. Neue Auflage. Erfier Band 232 &. Zwei⸗ 
ter Band 227 S. Dritter Band 196 S, Vierter Band 231 ©, 
Breifsmalde , gedr. bey Eckhardt. 8. 


| 
Em achtungswerthen Theile des Deutſchen Publikums, 
welchem gemuͤthvolle, erhebende Dichtungen, dieſe ſchoͤnen 
Bluͤthen eines hoͤheren Daſeyns, zuſagen, und welches ſich 
nicht durch einige vorlaute Schreier des Tages, die ihm vor— 
demonſtriren wollen, was es für Poefie und Nicht-Poeſie 
halten fol, irre machen laffen, wird es erfreulich fenm, zu 
vernehmen, daß Hr. Kofegarten angefangen habe, feine 
bedeutendern Dichtungen zu fammeln, zu fihten und zu ords 
nen. Die bereits vor ung liegenden vier Bände beurkunden 
es zur Genäge, daß Hr. 8. — deffen Dichterberuf nur der 
Unverftand oder böfe Wille verfennen wird, und dem einft 
Herder und Schiller diefen Beruf willig zugeflanden — 
nur Gelaͤutertes geben wollte; denn überall ſtoͤßt man auf 
Beſſerungen und forgfältige Feile. Auch im Nückficht der Mes 
trik hat diefe Sammlung unftreitige Vorzuͤge vor allen bisheris 
gen Arbeiten unfers Dichters. Es kann Übrigens nicht die 
Abficht unfrer Anzeige ſeyn, die hier gelieferten Dichtungen, 
deren Werth größtentheils fihon entfhieden ift, beym Publi⸗ 
fum erft einführen zu wollen, fondern nur von diefer Ausgabe 
ber feßten Hand, mwodurh Hr. 8. fih „am NMande feiner 
dichtenden Laufbahn einen Dentftein zu fehen wuͤnſchte, wels 
her die Machbleibenden für eine Weile noch an den Ders 
Ihwundenen erinnern möchte,“ (S. V. d. Vorr.) wollch mir 
einen treuen und unparthenifhen Bericht abftatten. Was der 
Dichter in diefen vier erften Bänden gab, gehört mehr oder 
weniger dem Epos an; was er der Lyra anvertraute, werden 
die vier letzten Bände liefern, deren baldiger Erſcheinung wir 


mit Verlangen entgegen ſehen. 
15 


226 Dichtungen von Kofegartein 


Der erfie Band enthält die anmuchige ländliche Dich 
tung: Sukunde, in fünf Eflogen, die man auch nach 
Boffens Luife und Goͤthe's Herrmann und Dorothea mit 
Vergnügen leſen wird. Diefe idyllifche Darftellung fpricht das 
Gemuͤth dur edle Einfalt, Zartheit, malerifhe Scilderuns 
gen reigender Gegenden und eine kräftige und harmonifche 
Spradhe an. Das Ganze ift fehr gut gehalten, und nur fels 
ten thut das durhfchimmernde Städtifhe, Gelehrte oder zu 
Fleinlihe Detail mancher Befchreibung dem Pührenden und 
Maiven Abbruch. Bisweilen höre man aud) den Dichter 
zu fehr felbft in den Perfonen diefer Idyllen fprehen. Die 
meisten Charaktere treten indeffen lebendig hervor, nur den 
Liebhaber Jukundens lernt man zu wenig, und faft nur aus 
feinee Schwefter Thekla Schilderung, kennen. Das Vor— 
lefen der Stellen aus dem Plato und einige andere Pars 
tieen erinnern zu fehr an gelehrte Kenntniffe, die den Soyllens 
Menihen fremd ſeyn müffen. Der „Bediente, der zu Tiſch 
ud,“ ift auch nicht idyllenmaͤßig. Eben fo möchte man einige 
zu gemeine Ausdrüde, wie Unrath merfen, blühbender 
Kloß, Kloß des Feldes (für Erde gefest), fraheny 
der Rohrſtuhl, ungemöhnlihe Wortformen und Provins 
zialismen, wie: idele Wände, Gebreite dr Schwaden, 
lauterlih, u. f. w. wegwuͤnſchen. Bey aller Sorofalt, die 
Hr. K. auf den Versbau gewendet hat, laſſen fih doch noch 
manche Verſe nur ſchwer jpondiren, wie 3. Bd. ©. 43: 

„Welcher it fhön, vornehm, und ein Xiebhaber der Mädchen.“ 
Auch kann man wohl nicht fagen: „ein Kind, — das ihn 
fo cheuer gekofter.“ Das „theuer erfaufte Kind“ in der 
vorigen Auflage ift dem Genius der Deutihen Sprahe weit 
angemejfener. Abfud gefällt uns auch in einem Deutſchen Ges 
dichte nicht. „Sm gleichen Moment“ ift in der lebten Aus; 
Habe auch nicht gut durh „in felbigem Nu“ verändert 
worden. Und warum fehlt in allen Ausgaben die fünfte Bitte 
im Vaterunjer, da der Dichter fih doch fonft fo genau an 
die Worte der Schrift hat? — — Die bey weitem meis 
fien Veränderungen find jedoch wahre Werbefferungen. inter 
andern hieß es in der erften Ausgabe fonft (1. Efloge): 


Dichtungen von Kofegarten. | 27 


Über es ſenkte fich das düſtre Gemölf, vor dert Sonne 

Scheidendem Strahl mit Gold und Purpur befäunt. Don der 
See ber 

Haucht' erquickendes Kühl, und die Wetterfahne des Kirchthurms 

Dreht' in den Ofen ſich, die gewünfchte Heitre verfündend. 

Jetzt heißt ee: 

Aber das Wetter verzog. Das Gewölk fanf. Fern aus der See 
bee 

Haͤuchet' erguicdendes Kühl. Von des Oſtwind Athen gehoben, 

Naufchte das Meer; und golden und roth ging unter die Sonne, 


bisweilen ift der Grund der Veränderung nicht ganz klar. 
So ift in der Zueignung ber Ausdruck: begießen und 
ordnen in den fräfern Ausgaben jeßt in fäubern und 
wäffern verwandelt. Der „Sänger der hohen Sohanna * - 
(Schiller) heißt jetzt: „Der Sänger des Wilhelm 
Tell.“ Giüclih, und dem Zufammenhange attgemeffener, 
find dagegen die Worte der frähern Ausgaben, (5. Ekl.): 


Alfo ſprach fie. Schon eilte der Vater ein Mehrers zu frngeny 
Hs von Amalrich geführt; Jukunde nahe und Thekla, 
Jetzt fo verändert: | 
Alſo fprach fie, und ſchwieg. Auch der Pfarrherr ſchwieg, denn 
fo eben 
Nahten Fu kund' und Thekla, geführt vom edeln Amalr 
rich. 


Die trefffiche Stellt in der 1: El. von dem im Walde einges 
fhlafenen und aufgeweckten Kinde: 


Sanft fie fehüttelnd, ins Obr ihr raunend, den rofigen Mund ihr 
Dedend mit glühendem Kuß, gelang es mit Noth ihr, dem 
: Schlummer 
Sie zu entreißen. Es fchlug das Kind die trunfenen Augen 
äumend zum Himmel empor, erblidte die glänzenden Sterne 
Schauerte leif’, und bog fich zurüd zum Bujen der Pathin. 
Diefe zartempfundne Stelle ift mit Recht im der neuften Auss 
gabe unverändert geblieben. Kräfrig und wuͤrdevoll ift die 
Befchreibung des Gefangs der am Ufer des Meeres verfams 
melten Gemeinde: 


— Scholl der Gemeinde Geſang hinauf zum wolbenden Himmel 


228 Dichtungen von Koſegarten. 


! 


Bol, flark, prächtig, barmonifch; es fchol in den heiligen 
Ehorpfalm 
Laut die Poſaune des Meers und des Sturms vielfehlige Orgel. 


Vor s und Schlufgefang der Gemeinde und die Predigt des ' 
Pfarrers find des Dichters gleichfalls würdig; doch ift die den 
Fifchern und Huͤttenbewohnern beygelegte Kenntniß der Geſtirne, 
des „Sirius, Nigel und Yed, Azimeh, Antar, Arktur“ nicht 
wahrfheiniih. In der 5. El. finden fih S. 199 mehrere 
gluͤckliche Zufäße, die fich auch in der zweyten Ausgabe noch 
hicht fanden. In eben diefer Ekloge, worin der Pfarrer ei— 
nen gehadten. Traum erzählt, hieß es fonft: 
Liebe Tochter, das Wort, mas du im Scherze gefprochen , 
Führt mir ein Traumgeficht zurück vor die flaunende Seele, 
Das ich gefchaut heut Nacht, in der ſüßen Stunde der Frühe; 
Aber es war vermifcht bis jebt aus meinem Ge, 
müthe. 
Jetzt heißt es beſſer alſo; 
Liebe Tochter, das Wort, das Sie im Scherze geſprochen, 
Führt mir ein Traumgeſicht zurück vor die ſtaunende Seele, 
Das ich geſchaut heut Nacht in der ſüßen Stunde der Frühe; 
Aber es lag verhüllt bis jetzt in meiner Erinne— 
rung. 
Nur hat uns die Aenderung des traulichen Du in das hoͤfliche 
Sie in einer Idylle mißfallen. Noch ſtehe hier eine der ge— 
lungenſten Beſchreibungen aus der zweyten Ekloge: 


Lang ſchon ſtand betrachtend alſo der begeiſterte Lehrer, 

Anzuſtimmen gedacht' er ſo eben den preiſenden Frühpſalm, 

Siehe, da trat, wie die Frübe ſo friſch, wie der röthliche Mor⸗ 
gen 

Bluͤhend, zur Thür berein ſein erſtgebornes Mägdlein. 

Blumen, fo eben entblüht, von des Frübthaus Tropfen noch 
blinfend, 

Brachte die fromme Tochter dem biumenliebenden Ba er. 


Der zweyte Band enthaͤlt die Inſelfahrt, oder 
Aloyſius und Agnes; eine laͤndliche Dichtung in ſechs 
Eklogen, die, nach ihrem Inhalte: die Landung, die 
Betfahrt, die Irrfahrt, die Kreuzfahrt, die 
Nachtfahrt und die Heimfahrt uͤberſchrieben find. Ein 


Dichtungen von Kofegarten, 229 


gefuhlvoller Weihgefang: Unferer Königin, ſteht voran. 
Hier nur, zur Probe, zwey Strophen : 


Fern, wo die dunfle Fluth, dann laut, dann leiſe, 
Am Fuß der heiligen Arkona grollt , 

Erklang freywillig dir zu Lob und Preiße 
Der ſtimmreichen Lyra tönend Gold, 

Das Lied, das ich ihr abgelaufchet habe, 

Leg’ ich zu Füßen dir, als Opfergabe, 

Der Tochter Deutfchlands, traun! bleibt ewig theuer 
Der fügen Heimat traulicher Gefang. Ä 

Klingt doc des Franken und des Wälfchen Leyer 

So herzlich nicht, als Deutfcher Saiten Klang. 
Drum widm' ich Fühnlich dir, o Hochverehrte , 

Das fchlichte Lied, das mich die Mufe lehrte! 


Auch in diefer zweyten ländlichen Dichtung findet man Hen 
K. vertraute Bekanntſchaft mit der Natur, hohen Sinn fuͤr 
Religion und Vaterland, und kraͤftige, maleriſchſchoͤne, oft 
redner'ſche Darſtellungsgabe wieder. Aber auch hier ſchimmert 
überall der gebildete Gelehrte duch. Des Verf. beffernde 
Hand ift auc bey diefem. Gedichte nicht zu verfennen. - Tiefs 
gefühl und anziehend find die Mittheilungen der Schiffenden 
über das Meer, in der 1. Ekloge, ©. zo fa. Der 153. 2. 
ift in der neuen Ausgabe fehr glücklich verändert worden. In 
der zweyten Efloge kommt wieder eine Predigt vor, aber Ton 
und Beift find doch von der in der Jukunde vorfommenden 
verfchieden. Dieſe Predigt Hat einige ergreifende Stellen. 
Ruͤhrend ift die Schilderung des im Meer yerfinfenden Vaters 
Iſorens. Die Befchreibung des Bernfteinlandes in der dritten 
Ekloge hat trefflihe Stellen, wiewohl hie und da ein zu ge 
lehrtes Anſehen. Zu: den fchönern Stellen gehört folgende ; 

Aloyſius fand erflaunend die Wunder der Meeıwelt, 

Maaß mit prüfendem Blick des Abhangs graufige Tiefen, 

Schauete liebend fodann in die weite wogende Kerne, 

Trank des Atherifchen Stroms mit Woluft ; öffnete lechzend 

Stirn und Bruft dem erfrifchenden Hauch, der fern aus dem 

Abend, 
Kräufelnd das Meer, auffprang, das Haar ihm hab, und der 
Schläfen 


230 Dichtungen von Kofegarten. 


Brand fanftichmeichelnd ihm kühlte. Verllärter firalte das 
Aug' ibm, 

Und zum Unendlichen trug der Geilt des Unendlichen Anblid. 
S. 107 fg. hat fih der Dichter felbit einen lieblihen Kranz 
gewunden. Eine maleriihe Schilderung der untergehenden 
Sonne fommt S. 110 fg. vor. Die in der 1. Efloge mitges 
theilten Legenden wird man mit großer Theilnahme Ilefen. 
Nur wollen uns &, ı6ı die geihaarten Chöre nicht ges 
fallen; auch fonft fanden wir den Ausdruck gefhaart mehrs 
mals bey unierm Dichter. Das Wort gemweft fl. gewefen 
S. ı65 wünfdten wir auch hinweg. Warıım nicht ? 

— — — nie fromm fie mar, wie fireng’ und wie eifrig. 
Die Hymne an die Nacht in der 6. Ekloge ift in dem Seifte 
der Hymnen des Drpheus gedichte. So gelungen auch der 
größere Theil feyn dürfte, fo hat fie doch einzelne zu pretidfe 
Stellen, z. B. 

Nacht, Vertraute des Herzens, Auslegerin dunkler Orakel, 

BERN! Prophetin, Theurgin, Hieropbantin — 

Nicht, verſtoße mich, Mutter! nicht den, der nie um des 
| Lichtes 

Gaukel dir untreu ward — — 

— — — — Vunnig 
Einverleibe mich dir; und nimmer ende die Braut⸗ 
nacht! 

Zu den gelungenſten Stellen gehört in der 5. Ekloge die 
Schilderung der Zuſammenkunft des Aloyſius mit der Ags 
nes am Frühmorgen, nnd die Schilderung diefes Morgeng, 
in der 6. EM. die Befchreibung des Sturms un. ſ. w. Auch 
diefe Efiogen laſſen einen wohlthärigen Eindruck in der Seele 
zuruͤck. 
Der dritte Band enthält an, Sagen der tirch— 
lichen Vorzeit. Wenn wir gleich in der Bekanntmachung dieſer 
Legenden nicht das Hauptverdienſt des Hrn. K. ſetzen können, 
fo geftehen wir doch aufrichtig, daß wir die meiften mit Theil— 
nahme. und nicht wenige auch mit Nührung gelefen haben. 
Bey vielen diefer Legenden erinnert man fih der fchönen 
Worte, die einft Herder ausſprach; „Das Kreuz bar einft 


Dichtungen von Kofegarten, 231 


bon Völkern Ruhe gebracht; es ftillte Aufruhr, Fehden, Zwies 
traht, und gebot den Sottesfrieden. ... Das Grab 
war ihnen eine Ruhekammer, wo himmlifhe Geiſter das ers 
ftorbene Saamentorn zur Aufblüthe eines fünftigen ewigen 
Frühlings bewahrten.“ . . . „In der Verachtung fanden viefe 
Helden Ruhm, in der Verfolgung Gewinn, in der Mühe 
Lohn, in der Schwahheit Stärke.“ Einige von Hrn. 8. bes 
arbeitete Legenden nähern ſich jedoch zu fehr dem Tändelnden, 
und entiprehen dem von Herder angegebenen Ideale ſolcher 
Bearbeitungen nicht. Eine kurze Ueberſicht wird unfer Urtheil 
beſtaͤtigen. Auffallend war es uns, hier die Einladung 
wieder abgedruckt zu ſehen, die in der Inſelfahrt ſchon abge—⸗ 
druckt ſteht: „Bluͤhe Violen allein, u. ſ. w.“ Den Anfang 
der Legenden machte ein herrliches Gedicht: Die Auffahrt 
der Jungfrau. ©. 11 fg., worin uns nur der Ausdruck 
girren, von der fcheidenden Jungfrau gebrauht: „Laute 
der Sterne nur girrte fie noch mit jlammelnder Zunge“ ges 
ftörk Hat. Auch konnten wir den Bildern, worin der Sohn 
(Sefus) als Bräutigam der Mutter (Maria) vorgeftellt 
wird, Leinen rechten Geſchmack abgewinnen. Außerdem hat 
uns diefes Gediht hohen Genuß gewährt. In den fieben 
Freuden ©. 52 fg. hat ung die Reverenz, der volks 
tommene Ablaß und die Errettung aus ded Feges 
feuers Glut, nicht gefallen. Nah S. 56 konnte ein Ritter 
nichts lernen und behalten, als „zwey füße Wörthen: Ave 
Maria. Diefe waren fein Weidfpruh, fein Sehe und — 
fein Leibfluh —, und nah feinem Tode wuchs. eine Lilie 
aus feinem Grabe, worauf man deutlich und in goldenen 
Schriften auf jedem Blatt der Blume fefen konnte; Ave 
Maria... . Eines zu fehr fpielenden Inhalts ift auch das 
Unterpfand. ©. 58. In der Legende: die Tänzerin, 
©. 6ı fg. tanzt die nach Jo Bußtagen in den Himmel aufge— 
nommene Seele der Tänzerin: 

— „mit Sonn’ und Mond und Sternen, 

Mit den beil’gen Jungfraun, mit der hoben 

„ Bottesmutter , der Gebenedeiten, 
Immerdar den hochzeitlichen Reigen.“ 


232 Dichtungen von Koſegarten. 


Johannes auf Pathmos, ©. 66 fg. iſt eine geiftvolle 
Mahbildung einiger Stellen der Apokalypfe. (Den Ausdrucd 
die Sehe, für Sehkraft, müßten wir jedoch nicht zu 
“ rechtfertigen. ) So großes Vergnügen uns das Lieben und 
Leiden der heiligen Agnes im zweyten Bande diefer 
Kofegartenfhen Sammlung gewährte, fo wunderten wir ung 
doc nicht wenig, diefen ganzen Aufiaß im dritten Bande, 
S. 70— go nohmals abgedruckt zu fehen. Mur der heili— 
gen Agnes Brautlied, ©. gı, und die Trauung 
der heiligen Agnes, ©. 97, find hier hinzugekom— 
men. Die letzte hat recht eigentlich das Spielende mans 
cher Legende. Margaretha und der Drake, 
S. 100 fg. Diefe fchöne Legende gab einft Raphaeln die 
Idee zu einem feiner finnvollften, herrlichſten Gemälde. Kr. 
K. hat fie mir Geiſt bearbeitet... Die Legende: der Garten 
des Liebſten, ©. 108, flieht auch fchon im zweyten Bande 
diefer Sammlung abgedruckt, gehöre übrigens auch zu den 
Zartempfundenen. Die Jungfrau von Antiodia, ©, 
110 fg., und das Gebet der heiligen Scholaftifa, 
S. 118 fg., zeichnen fih ebenfalls durch Inhalt und Darftels 
lung aus. Minder bedeutend find: die Milch der heili— 
gen Brigitta, © 122. Der Ermel des heiligen 
Martinus, ©, 12d. Der Brunn des heiligen 
Gangolf, S. ı35ı. Das Amen der Steine, ©. 134. 
Der Sitz des heiligen Hilarius, ©. 136. Der 
Handfhuh der heiligen Kunigunde, ©. 128. Die 
Rabe des Eremiten, ©. 149. Mande find unbedeutende 
Anekdoten oder Dichtungen, an einen Spruch der Schriften 
angefnüpft, dergleichen man viele ähnliche im Talmud fin 
det, die an Sprüche des alten Teflaments angeknuͤpft werden. 
Einft betete die heilige Kunigunde vor dem Altare; es mar 
. aber gerade feine Zofe da, ihr den Handſchuh abzunehmen. 


— — doch Kunigunde 

Zog ihn aus, und warf ihn forglos von ſch. 

Eilig ſtahl durch eine Mauerritze 

Sich ein Sonnenſtral herein, und ſchwebend 

Hielt der Sonnenſtral der frommen Fürſten Handfchub, 
Bis fie dargebracht das fromme Opfer. 


Dichtungen von Kofegarten, 233 


Welchen Zweck haben wohl — Erzaͤhtungen? u. ift tie 
fromme Anwendung? 

Denn dem Herren nicht nur, auch feinen Heil’gen 

Dienen.mwillig Gottes .Efemente 1! 
Kadegunde, S. 179. Diefe Legende aus dem Leben der 
heiligen Eliſabeth iſt ſchoͤn erzähle. Einige Ältere Chreni— 
fen nennen das Mädchen Hildegundis. S. Leben der heil. 
Eliſabeth. (Zärih 1797.) ©. 119. 120. Das Geſicht des 
Arfeniug, ©. 145 fg. Die Kreaturenliebe des hei— 
ligen Franzistus, ©. 148. Des heiligen Frans 
zistus Sonnengefang, ©. 152. Diefe Legenden find 
gut erzähle, nur fälle der Anhalt der zweyten bisweilen ing 
Spielende, :und in der dritten ıft einigemal hart‘ gegen das 
Spibenmaaß gefehlt. So kommt folgende Zeile in einem 
durchaus jambiſchen Gedichte vor: 


Feuer, Waſſer, Luft und Erde. Luſtig iſt — 
Auch iſt das Hebraͤiſche Wort Hallelujah, wie faſt von allen 


Dichtern, die es gebrauchen, falſch fo feandirt: Haͤtlelujah. 
Zu den vorzuͤglichſten Stuͤcken dieſer Sammlung gehört: Die 
Brautnacht ber heiligen Cäcilia. S. 197 fg. Eben 
diefes Lob gebührt der darauf folgenden Legende : Die Jungs 
frau. von Nilomedia, ©. 165— a92. Dieles Stud ers 
fehien zuerft einzeln, Berlin 1808., und ſchildert auf eine 
rührende Art die ftandhafte Frömmigkeit einer edlen chrifilichen 
Jungfram Einfalt der Darftellung, ein frommes findliches 
Gemuͤth, Ernſt und Trayer, in harmoniſchen Trophäen das 
Herz aniprehend,, machen dieje Legende zu einer hächft ans 
‚ ziehenden Lectuͤre. Hier nur eine Stelle zur Probe: 
Maieftätifch Hand indeß und ruhig 

Suliane vor der Richtteibune , 

SHimmelan gewandt ihr klares Auge , 

Thränen bebten in den langen Wimpern, 

um die Lippen zudt ein leifes Sürnen, 

Holde Scham erböbete der Wangen 

Blaffes Roth. Ihr Haar, der Schling’ entglitten, 
Floß vollringelnd auf die Schultern nieder. 


Nur bey wenigen Stellen ſtießen wir an, z. B. ©. 174: 


34 Dichtungen von Kofegarten. 


Doch verbönend forah und Habſucht beuchelnd 

Sie, die Habfuchtfreyefte der Jungfrauen — 
Dergleihen kleine Flecken kommen jedoch bey fo großen anders 
weitigen Vorzuͤgen nicht in Betrachtung. Ar. R. bat ſich durch 
feine ſchoͤnen Darftellungen der Bluͤthen des Glaubens, ber 
Liebe, der Hoffnung, der Ergebung und des frommen Heldens 
finns den Dank aller fühlenden Herzen ermorden, und eine 
tebliche Dichtung: Die heiligen Zungfranen, an 
Irene, ©. ı93, beſchließt würdig diefe Sammlung von Bas 
gen der chriftlihen Vorzeit. 

Der vierte Band enthält Sagen der Vorwelt; 
rägiiche und .erfiihe Sagen. Zu den erften gehören drey Ges 
dichte: die Ralunken, das Fräulein von Jarmin 
und Nithogar und Wanda. Erinnerungen an alte kräfs 
tige Heldenftämme, gelungene Schilderungen der großen Nor— 
difhen Natur, mit eingeflochtenen Betrachtungen der KHinfäls 
ligkeit alles Irdiſchen und der Unvergänglichkeit des Wahren 
und Guten, dabey eine kräftige, volltönende, das Herz ers 
Hreifende Sprache geben diefen Darftellungen, worin ein dem 
Difian verwandter Geift wehet, hohes Intereſſe. Sie wurz 
den fihon bey ihrer erſten Erfiheinung. mit großem Beyfalle 
aufgenommen; wie fehr fie jedoch Hr. K. durch eine forgfäls 
tige Feile der Vollendung näher zu bringen gefucht habe, davon 
findet man. beynahe auf allen Blättern Beweife. Wenn der 
Dichter fonft begann : 

Ratord, fen mir gegrüßt im Schimmer der ſcheidenden Sonne! 

Lieblich webet der Schleier des Abends um deine Gefilde. 

Deine weißen Mauern find fanft geröthet. Die Dächer 

Feuer im Golde des finfenden Tags. Es dämmern fo fchaurig 

Deine fäufelnden Hain'. Es fpiegeln die Wangen des Himmels 

Sich in den Fluthen fp roſig, die deine Ferfe befpülen; 
eo heißt ed nun in der neueften Ausgabe: | 

Ratow, ſey mir gegrüßt im Schimmer der fcheidenden Sonne, 

Natow, wie birgit du fo fchön am Saum der ballenden Strand⸗ 

bucht ! 

Höchlich ergötzt mich, o Burg, dich zu fchaun im Schleier des 

Zwielicht! 
Deine Zinnen getaucht in des Spatroths flüſſiges Mattgold: 


2 


Dichtungen von Kofegarten. 235 


Brennend ber Fenſtern Kryſtall in der Blut des gefunferren 
Lichtballs! | 

Diftefchauernd die Gärten umber! blaudämmernd die Unböben, 

Welche die Welle beſpuͤhlt der leifegefräufelten Meerbucht! — 


Eine rührende KHerzensergießung des Dichters, beym Erwaͤh— 
nen der Warne f. S. 26. 27. In dem Gedichte: das 
Fräufein von Jarmin, ©. 51 fg., ftöße man fat auf 
j:der Seite auf die gelungenften Verbefferungen. Nur &. 67 
hat uns das überwachete Mägdlein, das fih in den« 
vorigen Ausgaben nicht fand, nicht gefallen wollen. Suͤßduf— 
send find die Blumen, die der Sänger Allwiil, ©. 84 fa. 
anf der gefallenen Edelwine Hügel fireut. Aus der dritten 
Sage: Rithogar und Wanda theilen wir, als Probe, 
den Schluß, nad den neueften Verbefferungen des Dichters, 
mit, und uͤberlaſſen die Vergleihung mit den frühern Ausgas 
ben unfern Leſern: 


Hügel des weißen Geſteins, der taufendiährigen Eiche 

Grauer Ernäbrer, du weckſt in des Sängers Seele die Wehe 
muth. 

Dämmerung wölkt ihm das Aug’, und ibm bebt die Thrän’ im 

| den Wimpern. 

Nimmer zu tröſten vermöcht' er fih; in müßiger Trauer 

Würd’ er vergehn, ihm würde die Harfe verfiummen für im⸗ 
mer; 

Raufchte die Leier Homers ibm nicht aus den ewigen Lorbern, 

Lispelte nicht aus verwitternden Eichen die Stimme von Cona;: 

„Alles vergeht! Es vergebt der Held und des Helden Denkmal. 

„Aber das Lied tönt fort, das warm aus der Bruſt an dag 
Herz fpricht. 

„Nimmer verballt der Gefang, den Phöbos weihet und Braga! * 


Die erfifhen Sagen find größtentheils aus fremden 
Gegenden auf Deutſchen Boden Herüber gepflanzt, und wir 
erinnern uns, mehrere derjelben in den von Hrn. KR. ehemals 
herausgegebenen Blumen gelefen zu haben, die ung aber 
jegßt nicht zur Hand find, um fie vergleichen zu köͤnnen. Man 
findet hier; Finan und Lorma. Ein Sefang des D fftan. 
(Frey bearbeitet.) Diefe drey Stüde: die Waffenmweibe, 
die verlornen Kinder nnd die wiedergefundenen 


236 Taſchenb. d. Sag. u. Leg. v. A. v. Helwig. u. B. v. Fouque. 


Kinder — ſind anziehend durch Inhalt und Darſtellung. 
Umad und fein Hund. Cine Epiſode eines groͤßern erfis 
ſchen Geſanges Des Barden Abſchied. Fla' Innis; 
die Inſel der Seligen. Ein reizendes Gemaͤlde! Die Kilda— 
Klage. Oſſian und Malvina. Oſſians letztes 
Lied. (Frey, im elegiſchen Sylbenmaaße, übertragen.) Der 
Schwangeſang. Theils in Jamben, theils im elegiſchen 
Sylbenmaaße uͤberſetzt. Zum Schluß ſtehe hier noch eine Probe 
aus dieſen Heldenſtimmen: 


Dumpf rings ſchweigen bie Felder, wo unſere Schlachten ge⸗ 
donnert; 
Aber es redet das Mahl, das uns die Helden gethürmt. 
Oſſian's Stimm' erſcholl. Frohlockend lauſchten die Väter. 
Komm denn, o Sänger, hinweg! Komm zu den Vätern, 
o Sohn! — 
Ki. 





Taſchenbuch der Sagen und Legenden, herausgegeben von Amalie 
von Helwig geb. v. Imhof und Fr. Baron de la Motte 
Fougque, Mit Kupfern, Berlin, in der Realihulbuchhandlung 
(1812.). 185 ©. 12. 


Lange Zeit wurden Legenden als Erzeugniſſe eines vers 
tehrten Sinnes und verkehrten Geſchmacks betradhtet; nicht 
felten wurden fie durch tändelnde Darftellungen, wobey man 
den Beift dem Spiele mit Bildern aufopferte, dem beſſeren 
Theile der Lefer widrig. Herder war einer der erften, wels 
cher auf die reinen Goldkörner, welche fi in dem Legendens . 
Staube finden, aufmerffam machte, die Züge von Einfalt, 
Würde und Schönheit hervorhob, die fih in vielen diefer 
Pirchlich s religiöfen Sagen finden, und fein Urtheil durch eigene 
geiftvolle Bearbeitungen rechtfertigt. Auch Kofegarten 
gab ung mehrere gelungene Legenden. Und welhem Gefühl: 
vollen follte nicht der herzliche, fromme Sinn mancher Legens 
den‘, wenn fie uns Glauben, Liebe, Hoffnung und Einkehr 
in ums ſelbſtmit rührender Einfalt empfehlen, angefprohen 
haben? Daß viele gegen hiftorifhe Wahrheit und gegen ädhte 
BSittenichre anſtoßen, und in's Tändelnde und Läppifche fallen, 


Tafchenb. d. Sag. u. Leg. v. A. v. Helwig u. B. v. Fouque. 237 


wird Fein Unbefangener laͤugnen. Deſto willkommener aber 
muß ung eine Auswahl des Beffern und eine geiftvolfe, den 
frommen Sinn der frühern Jahrhunderte zart auffaffende Bes 
arbeitung jener Sagen und Legenden feyn. 

Sin diefer Hinficht verdient die vorliegende Feine Samm— 
lung ein ausgezeichnetes Lob, und Rec. bekennt. aufrichtig , fie 
mit großem Intereſſe gelefen zu haben. Schon die vorausges 
ſchickten trefflichen Stangen ger Sr. v. H. erweden das güns 

ſtigſte Vorurtheil für dieie Sammlung, und beweifen, daß 
die edle Dichterin nicht einer eitlen Mode des Tages fröhnen 
wollte, fondern nad) einem höhern Ziel gefirebt und den ges 
läuterten Geift der Legenden und Sagen rein aufaefaßt habe. 
Wir können uns nicht enthalten, hier zwey Strophen aus dies 
fem ſchoͤnen Geſange, als Probe, mitzutheilen: 


Und , wie der Sonne voller Schimmer, 
Dem Blick' ein heißverzehrend Licht, 
Durch bunter Scheiben Farbenflimmer 
Dem fchwachen Aug’ fich milder bricht; 
So fenft det ew'gen Wahrheit Eorne 
Mir fchonend leif’ umhültem Strahl 
Den Blauben, reich an Abnungswonne, 
Mit Hoffnung in dies Erdenthal. 

Da reichen Engel Siegesfronen 

Dem Leidenden mit Himmelshuld , 

Da flebt der Dulder nicht um Schonen, 
Mur um Gehorſam und Geduld; 

Da bluͤh'n aus Wunden Himmelsrofen , 
Entbebrung macht die Seelen reich, 
Und durch der Keidenfchaften Tofen 
Schiwingt Friede feinen Balmenzweig. 


Stiftungsbrief, den Freunden; gleichfalls von Fr. 
v. 9. Die Veranlaffung zu diefen gefühlvollen Strophen gab 
ein trefflihes Bild der Maria mit dem Chriftusfinde, 
von Francesco Francia gemalt, das fih in der Samms 
lung der Herren Boifferee und Bertram zu Heidel— 
berg befindet, und das, als Titeltupfer, hier zum erftenmale 
geflohen erfcheinet. Der rührende Inhalt diefer Strophen 
wird jedes Gefühl anfprehen,; eine Stelle derfeiben, worin 


238 Tafchenb, d. Sag. u, Leg. v. A. v. Helwig u. B. v. Fouque. 


Troſt und Schmerz ſo hart mit einander verbunden ſind, klang 
tief in dem Innern des Rec. wieder. — — 

Wir gehen zu einer genauern Bezeichnung der einzelnen 
Sagen und Legenden dieſer Sammlung uͤber. Das Gebet 
der Heiligen Scholaſtika, Legende (von A. v. H.) Es 
war uns intereſſant, dieſe Legende, die auch Koſegarten 
bearbeitet hat, nach der doppelten Bearbeitung zu vergleichen; 
Hr. K. hat mehr einfach erzaͤhlt, Fr. v. H. hingegen das 
Ganze dichteriſch-freyer behandelt. Wir ſetzen die letzte Stro— 
phe, zur Vergleichung, hierher W 


Koſegarten. 
Nach dreyen Tagen ſtarb Schola⸗ 
ſtika 


Und in dem Augenblick, worin 
fie ſtarb, 

Sah Benediftus, einer Taube 
gleich, 

Zum Himmel ihre reine Seele 

ſchweben. 

Da ſchlug das Herz ihm. Eine 
Stimme ſprach: 

„Die Regel, Abt, iſt aller 
Ehre werth; 


Gleich einer Taube, 


A. v. H. 
Und nach drey Tagen ſieht er's 
ſchweben, 
himmel⸗ 
waärts — 
Es iſt der Bchwefter reines Leben) 
Gebrochen, — ſonder Angſt noch 
Schmerz: 
Und eine Stimme läßt ſich hören; 
Sn Harfentönen mild verflärt: 
„Werth iſt die Megel aller Ei» 


ren, 
Doch mehr noch ift die Liebe 
Werth!“ 


Doc, größre Ehre würdig if die 
Liebe!“ 


Die Hülfe der Heiligen Jungfrau, Legende (vo 
Fr. v. Fougue) Eine gut gehaltene Erzaͤhlung von der 
DVerirrung zweyer feinfinnigen Menfchen, eines Moͤnchs Als 
binus und einer Monne Berma, die ein Wunder der heil. 
Jungfrau und ihr eigener befferer Geift ſich ſelbſt miedergibr: 
Die kräftige, ſchoͤne Darftellung des ung als Dichter fehr wers 
then Verfaſſers entipriht dem anziehenden Inhalte. Einige 
Ausdrücde, die wir mit andern vertaufcht wuͤnſchten, wie: 
„Ich bin den Lebenden wieder gefhaart,“ oder Härten, 
wie wall’nd, werden an dem ſchoͤnen Ganzen faum bemerkt. 
Die Ruͤckkehr der Pförtnerin, Legende (von A. v. H.). 
Diefe anmutdig erzählte Legende, welche Sinnlichkett, Sünde, - 
Buße und Gnade ganz in der Denkart früher Jahrhunderte vers 
finnfiht, und, ale den geläuterten moraliich « reiigiöfen Sdeen 
unfrer Zeit nicht ganz entiprechend, vielleicht ein verſchiedenes 
Urtheil erfahren wird, die jedoch den bewahrten Sinn für das 
Höhere auch in einer Sünderin fehr gluͤcklich darſtellt, wird 
den Lefern des Tafchenbuchs noch aus dem Morgenblatte 


Taſchenb. d, Sag. u. Leg. v. A. v. Helwig u. B. v. Fouque. 239 


bekannt ſeyn, worin die Dichterin zuerſt ſie mittheilte. Hier 
findet man noch ein ſchoͤnes Kupfer als Beygabe. Adolfs— 
Eck, Sage (von A. v. H.). Noch führt eine Ruine bey 
Schwalbach diefen Namen, worauf fich dieie fehr qut erzählte 
Sage bezieht. Auch hierzu ein Kupfer. Der Sancı Eli; 
faberben s Brunnen, Legende (von A. v. H.). Diefe 
ſchoͤne Dichtung ,. worin vier fromme Mädchen fih an dem 
Elifabeth s Brunnen die Munderthaten dieier Heiligen erzählen, 
ftand zuerfi in dem Goͤttingiſchen Mufenalmanahe vom 
J. 1803, und wurde gleich anfangs mit verdientem Benfall 
aufgenommen. KHie und da iff der Ausdruck glücklich verbeſſert. 
Zwen treffiihe Kupfer, des Inhalts würdig, zieren diefe durch 
ihren Iprifch ; feyerlihen Ton anziehende Legende Sanct 
Georg und die Wittwe, Legende (von A. v. H.). Sn 
NRückjicht der Darftelluna, eine der gelungenften diefer Samms 
lung. Auch bey diefer Legende finder fih ein ſchoͤnes Kupfer, 
Der Siegeskranz, Legende von Fr. v. F. (In Profa). 
Wir rechnen diefes fchauerlich : anmuthige Nachtſtuͤck, worin 
Leben p Tod fo lieblich aneinander grängen, zu den vortreffs 
lihften Dichtungen des geiftvollen Verf. Eine zarte dee ift 
es, daß die Braut den entichlafenen Heldenjüngling mit dem 
Siegeskranze ſchmuͤckt. Möge ung der trefflihe Dichter, den 
fein Genius mit Zauberhand zu allen Sagen hinzieht, recht 
oft mit ähnlichen Gaben heſchenken! Das zu diefer Legende 
gehörige Kupfer ijt eines der gelungenften. Das Grab des 
heiligen Clemens, Legende (von A. v. H.). Rec. las 
diefe zarte Dichtung mit inniger Nührung und Thellnahme, 
und eine Strophe tönte tief in feinem Herzen wieder. Nach— 
dem das am Brabe des heil. Clemens wieder vom Tode ers 
weckte Kind zuerſt erwacht, fragt es feine freudig s ſtaunende 
Mutter : 

» Warum baft du mich werfen müflen ? 

So lieblih träumt ich feine Nacht! 

Wie fügen Schlummer ſtörſt du mir, 

Ach, nur ein Stündlein ruht’ ich hier I" 


Und dann folge diefe fchöne Strophe: 


So fiebt im Erdenfchmerz befangen 
Wohl manche Mutter bpffnungslos; 
Und ſtarrt mit traurigem Verlangen 
Hinab zum dunklen Erdenfchoof ; 
Indeß das Kindlein, wohlgeborgen 
Bor raubem Sturm und ſchwüler Glut 
Bis zu des em’gen Tages Morgen 

In Fühler Stile harmlos -rubt ; 


240 Taſchenb. d. Sag. u. Leg. v. A. v. Helwig u. B. v. Fonque. 


Den langen Schmerz, das kurze Glück 
Verſchläft's, wie einen Augenblick! 


Die Naht im Walde, eine dramatifhe Sage (von Fr. 
v. F.). Dies anziehende Nachtgemälde, deſſen Tendenz even 
fo edel als die Ausführung gelungen ift, rechnen wir gleichfalls 
zu den vorzäglihften Stücken der Sammlung, wenn wir gleich 
dem Siegesfrange noch den Vorzug vor diefem Stücke geben 
möchten. Auch dürfte manchem, die Belehrung Hagenulphs 
und Windrudeng zum Chriftenehume doch etwas zu fchnell 
von fhatten zu gehen fcheinen. Uebrigens ift die ganze Unters 
redung Karls des Grofen mit Windrude, durh bie 
darin herrſchenden aͤcht-menſchlichen Gefinnungen, hoͤchſt ans 
ziehend. Auch zu diefem Auffaße gehört ein Kupfer. Der 
Gang durdh Köln, Sage (von A. v. H.). Der Stoff 
diefes ſehr intereſſanten Aufſatzes ift aus alten Familien » Nach? 
richten des darin genannten Hauſes gezogen. Wir wollen den 
Inhalt deffelden, voll eigenthuͤmlicher Züge, durch eine fchlichte, 
den Geiſt jener fruͤhern Durch Zucht und religidien Sinn aus 
gezeichneten Zeit trefflich auffaffende Darftelluna gehößen, den 
Leſern nicht verrathen, geftchen aber, daß uns derjelbe ein 
reines Vergnügen gewährte, und mande Erinnerungen an die 
ung werthgewordene Stadt Köln wieder aufwecte. Den Ber 
ſchluß diefte Sammlung madt: Die Martins: Wand, 
Sage (von A. v. H.). Die befannte Sage von der Verirs 
rung des edlen Habsburgers K Marimiliang I. auf eine 
ungeheure Felfenhöhe und deffen wunderbarer Errettung wird 
hier einfach und lebendig erzählt, und diefe Erzählung, die 
einem blinden Sänger in den Mund gelegt wird, überraichte 
ung um fo angenehmer, da wir kurz vorher eine fehr geiftnolle 
Bearbeitung deffelben Stoffs von dem zu früh gefchiedenen 
Dichter H. J. v. Collin, unter der Aufihrift: Kaifer 
Mar, auf der Martinswand in Tyrol. 1493. in 
deifen Gedichte» Samınlung gelsfen hatten. Auch bey diejem 
letzten Auffaße findet fih ein Kupfer. Noch müffen wir des 
aeichmacvollen Aeußeren der von uns angezeigten Sagen und 
Legenden mit Ruhm erwähnen. Außer dem fchönen, ma 
Francesco Francia geſtochenen Titeltupfer find die übris 
gen acht Kupfer ſaͤmmtlich nah Zeichnungen Les geiftreichen 
Herrn Cornelius aus Düfjeldorf, jet in Nom, von Lips, 
Riſt and Bolt fauber geftohen. Auch der Umfchlag, Sas 
gen und Legenden ſymboliſch darftellend, tft geſchmackvoll. Die 
Bedeutung dieferr Symbole enthält ein vor dem Titelblaste 
fiehendes Sonett von Paul, Gr. v. H**, 
Ri, 
—— 


No. 16: —— ws 1813: 
Jahrbacher der eitteratur. 





Dlustrazione. d’uno Zodiaco orientale del Gubinetto delle me- 
_ daglie di $ua Maesta a Parigi, :Scoperto. recentemente 
presso le sponde del Tigre in. vicinanza dell’ antica, Babi- 
lonıa , monumento che serve ad illustrare la 'storia dell’ 
Astronomia ed altri punti interessanti dell’ Antichita, da 
Giuseppe'Hager. :Milano‘, dalla stamperia e fonderia 
di Gio. Giuseppe Destefanis a 8. Zeno, num. 534. 1311. 
63 ©. ‚gr. Fol. ohne die Vorrede und Dedisation, mit 4 oder 5 
Kupfertafeln. 


ll... diefem vielverfprechenden Titel lieferte der — Bi⸗ 
bliothekar Joſehh Hager in Mailand ein Prachtwerk zur 
Erklaͤrung des merkwuͤrdigen Denkmahles, woruͤber zu derſelben 
Zeit der verewiate Herr Domkapitular Friedrich Hugo von 
Dalberg einen Aufiag augarbeitete,, welchen er unter dem bes 
fcheidenen Titel: Weber das Altperfifche Monument 
von Takkesre, eine Muthmaßung (f. Goͤtting. gel, 
Anz. ı8ı2. St. 86. ©. 855 ff.) an die koͤnigl. Societaͤt der 
Wiff. in Göttingen einiandte. Jenes Dentmahl wurde zu 
Ende des vorigen Jahrhunderts, nad den Verfiherungen des 
Herrn Michaux (1. Millin’s Mag. encycl. VI annee. T. III. 
p. 86), am Ufer des Tigris unterhalb Bagdad unter den 
Ruinen eines großen Palaftes, melden man die Gärten ber 
Semiramis nennt, gefunden, und durch Kran. Michaux felbft 
in dag Antiken Kabinett der kaiſerl. Bibliothek zu Paris ges 
bracht. Die darauf gegrabenen Figuren und Inſchriften mit 
fogenannten Keilbuchftaben, welche man für einen Beweis feis - 
nes hohen Altertbums nahm veranlaßten den. Hrn, Millin zu 
einer Bekanntmachung defjfelben in. feinen Monumens anti- 
ques inedits. Tom. I. p. 585 —68 (Paris 1802. 4.) auf 
Planche VIll und IX, mit Bemerkungen von ihm ſelbſt und 
dem Hrn. de Sary. Beyde hielten den Stein für einen Perſt—⸗ 
fhen Talisman, um das boͤſe Prinsip zu binden, und feinem 
ı 


242 Illustr. d’uno Zodiaco,orientale da G. Hager. 


Einfluffe auf die Heiligen Gebäude, wozu der Stein gehörte, 
alle Kraft-zu nehmen: eine Idee, welche auch ber neuefte Ers 
Härer Ar. v. Dalberg auffaßte, und aus den Perſiſchen Reli— 
gionsbegriffen des Dualismus, des Kampfes zwifchen dem 
Suten und Böen, auf eine Weife zu erläutern fuchte, welche 
feinem Rec. in den Goͤtt. gel. Anz. viel Empfehlendes und 
Wahrfcheinliches zu haben fcheint. Derfelbe Rec. geſteht jes 
doch, daf jede Erflärung bloße Muthmaßung bleibe, bis die 
begleitende Schrift mit Sicherheit erflärt fey. Eben darin 
fand nun Hr. Abt Lichtenftein eine Art von Trauergejang, 
“welchen der oderfie Magier den Perfifhen oder Sabäifchen 
Grauen bey der Leichenfeyer zu Ehren der jüngftverlorenen Mäns 
ner, Brüder, oder andern Anverwandten, und den begleitenden 
Rlageweibern an einem feftlihen Tage vorzufefen hat. Darum 
bezog er die Abbildungen, worin Kr. Hager die Vorſtellung 
eines der älteften Thierkreiſe finder, auf die Öffentliche Trauer, 
welche man alljährlich zu Ehren der Verftorbenen mit heiligen 
Sebräuden zu begehen pflegte. S. Tentamen Palaeogra- 
phiae Assyrio - Persicae, auct. Lichtenstein p. 111 sqq. 
Beyder Meynungen erregten anfangs allgemeine Aufmerkfams 
keit, und fanden, wie jede bdreifte Behauptung der Gelehrten, 
welche ihre Erklärungen mit Velefenheit und verführerifchen 
Scheingründen zu unterfügen wiffen, ihre Lobredner: man 
fehe in Hinfiht des Hager'ſchen Werkes medicinifc) s chirurg. 
Zeitung vom 16. Map 1811. N. 39. und den Franz. Monis 
teuer 1611. N. 357. vom 3. Dec. Doch Hr. v. Dalberg bat 
beyde mit Hecht verworfen: denn die Deutung des Herrn 
Lichtenſtein verliere fhon durd die Bemerkung, daß er die 
Inſchriften, von welchen er ausging, von der verkehrten Seite 
las, alle Haltbarkeit; und mit einem Thierkreiie hat die ganze 
Darftellung weiter. feine Achnlichkeit, als daß Thierfiguren den 
Stein in einem Kreife zu umziehen fcheinen. Die Manier 
des Hrn. Hager in der Erläuterung eines folhen Denkmahles 
kenne man fhon aus frähern Werfen deffelben,, befonders auch 
aus der Dissertation on the newly discovered Babylonian 
Inscriptions by Joseph Hager ( London 1801. 4.), wors 
aus man in diefem Werke die Babylonifhen Backflein s Sins 
fihriften, Eylinder und Gemmen mit befondern Bemerkungen 


Illustr. d’uno Zodiaco orientale da G. Hager. 243 


daräber im ı2. Kapitel miderholt findet. Unterzeichneter enthält 
fih) daher alles Urtheils Über die Art, wie der Hr. Verf. feine 
Behauptungen zu begründen fucht. Da er den bier erläuters 
ten Stein Sowohl, als die zu Paris befindlichen Backſteine 
‚aus den Ruinen Babylons, welhe Millin im zwenten Bande 
der Monum. antiq. inedits N. XXIH. p. 265 — ayı ber 
kannt gemacht bat nicht bloß, wie Dr. Hager, aus unvolls 
tommenen und unzuverläffigen Darftellungen in KRupferftichen 
und Copien, ſondern aus ganz getrenen Abdruͤcken der Drigis 
nale fennt, melde früher der Hr. v. Dalberg beſaß, jetzt 
das Mufeum zu Frankfurt am Main aus deffen Verlaſſenſchaft 
aufbewahrt; fo ift es ihm mehr darum zu than, feine eigenen 
Beobachtungen, worauf ihn die genaue Betrachtung der Abs 
drücke führten, mit den Bemerfungen anderer Erläuterer dem 
gelehrten Publitum mitzutheilen, und zu gluͤcklichern Erläutes 
rungsverfuchen den Grund zu legen, als das Unwahrfcheinliche 
in den Kppothefen des Hrn. Verf., das Webereilte in feinen 
Schläffen, und das untritifhe Verfahren in den eingeftreuten 
Etymologicen zu zeigen, welches auch der größte Aufwand von 
Gelehrſamkeit dem befonnenen Forfcher nicht verbirgt. Mit 
Recht hält es der Rec, in den Str. gel. Anz. ıdı2. &t. 86. 


für wenig verdienftliih, die Erflärung eines fo dunteln Denk’ 


mahles im Einzelnen zu beftreiten, wenn man nichts Waährs 
fcheintiches an die &telle fehen fönne. 


Zwölf Kapitel machen den Inhalt des ganzen Werkes 


aus: das erfte Kapitel beginnt mit der Entdeckung des Steis 


nes und mit allgemeinen Bemerkungen über feine Vefchaffens 


heit und Bedeutung. Das zweyte Kapitel befchäftigt fich 
mit den darauf vorfommenden Figuren; das dritte betrachtet 


die eine Seite des Thierkreifes, das vierte befonders das 


fechste Zeichen deffelben, fo wie das fünfte die Wage, über 
deren Einführung in den Thierfreis fih das fehste Kapitel 
verbreitet. Das fiebente Kapitel, welches den erften Theil 
des Werkes fchließe, enthält Bemerkungen über die Aegyptiſchen 
Thierfreife, welche man in den neuern Zeiten in genaue Uns 
terjuhung gezogen hat. Sm zwenten Theile hebt das achte 
Kapitel mit den Winterzeihen an; dann geht der Hr, Verf. 
im neunten: Kapitel zu den. Morgenländifchen Thierkreifen 


über, und handelt im zehnten Kap. von den Perfifchen, Indi⸗ 


J 


r 


244 llustr. d’uno Zodiaco orientale da G. Hager. . 


(hen und chinefiihen, im eilften von dem Chaldäifchen 
Thierkreife, deffen Vorftelung er auf unferm Dentmahle fins 
det. Am Schluffe wird noch im zwölften Kapitel von dem 
Babylonifchen und Perfiihen Schriftzeihen in Keilform ges 
fpeochen. Won den Kupfertafeln, welche das. Werk zieren, 
fielt die erfte, nicht numerirte, den Stein in ‚natürlicher 
Größe in Aquatinta s Manier, die zweyte und dritte noch 
befonders die Figuren zu beyden Seiten des Steines, doch nur 
in mehr oder weniger unrichtigen Nachflihen von Hrn. Mils 
lin’s Tafeln, dar. Die vierte liefert einen Elagabal s Stein: 
nad einer Medaille des Kaifers diefes. Namens, weil der Hr. 
Verf. nach einer Nachricht Herodians V. 3., derzufolge der 
Elagabal, ein fehr großer Stein in Kegelform, unten abges 
rundet, ſchwarz von Farbe und ein Aerolith war, auch unfer: 
Denkmahl für einen Meteorftein erklärt. Die leute Tafel 
enthält die fchon erwähnten Proben von Babplonifcher Keil: 
ſchrift. Sch Übergehe die Bemerkungen über die verfhiedinen 
Thierkreiſe, womie Hr. Hager feinen Chaldäifhen Thierkreis 
in Harmonie zu bringen jucht, um deflo ausführlicher über 
das erläuterte Dentmahl zu reden.. 

Hr. Hager foheint den Stein viel zu hoch- in das Alters 
thum hinaufzuruͤcken, wenn er ihn wegen der Keilinſchriften 
für. den vermuthlich Älteften Thierkreis Hält, den wir in Eus 
ropa fennen. Der Goͤtt. Rec. bemerkt gang richtig, daß nicht 
jedes Denkmahl mit Keilfchrift fofort in die Zeit der Achämes 
niden hinaufgeräckt werden dürfe, da diefe alte Schriftart eben 
fo weit herab fortgefegt werden konnte, wie die Hieroglyphen⸗ 
fchrift auf dem Stein von Roſette. Der Drt, wo diefes 
Monument gefunden wurde, läßt fein fehr hohes 
Alter vermutben, man mäßte esdenn aus einer 
andern Stadt dahin gebradt glauben. Hr. de Sacy 
machte fihon die Bemerkung, daß der Platz, wo der Stein 
gefunden wurde, das alte Ktefiphon ſey, welches erfi die Pars 
ther ftiftegen, und bis ing „te Jahrh. nad C. ©. die Nefidenz 
der Perfifhen Könige blieb. Denn wenn man von Bagdad 
den Tigris hinab 4—5 geogr. Meilen füdoftwärtd reifet, fo 
koͤmmt man auf eine zu beyden Seiten des Fluffes mit Rui—⸗ 
nen weit umher bederfte Gegend, welche die Araber al Madain 


oo. 


Hlustr. d’uno Zodiaco orientäle da G. Hager. 245 


oder die zwey Städte nennen, Pietro della Valle viaggi I. 
Brief 17. Ives Neifen ©. 110. Unter diefen Trümmern hat 
fi) noch ein anfjehnliher Palaft von Backſteinen erhalten, der 
von feinem großen Gewölbe, weiches von DOften nad Weſten 
durch das ganze Gebäude in einer Tiefe von 160 Fuß, in 
einer Höhe von 106, und in einer Breite von 85 Fuß, ftatt 
der Hauptthuͤre läuft, bey den Morgenländern Tals Kesra 
oder Boden des Kosroes heißt. Diefer Palaft liegt auf der 
Dftfeite des Tigris, wie dad heutige Bagdad und das alte 
Ktefiphon, und Abulfeda Geogr. &. 259 macht dabey die Ber 
merkung, daß der Drt auf Perfiih noch immer Thaiſafun 
genannt werde. Die beyden Städte, melde der Name al 
Modain bezeichnet, find alfo Ktefiphon und Koche, nicht das 
2— 2 geogr. M. höher gelegene Seleucia auf der Weftfeite 
des Tigris: denn ein Schriftfteller-des Aten Jahrh., Grego— 
rius von Nanzianz (orat. IT. in Julian. p. 365), erzählt, 
dee Stadt Ktefiphon gegenüber liege Rohe, eine: andere mit 
diefer durch Matur und Kunft verbundene und nur durch ben 
Tigris getrennte Feftung , fo daß beyde Eine Stadt zu feyn 
fcheinen. Iſt aber diefes der Fall, fo darf das Alter unfers 
Steines nicht zu hoch hinauf gefekt werden: man müßte denn 
glauben, daß er zugleih mit den Materialien der Mauern 
Babylons, melde feit feinem Verfall duch Seleucia's Auf 
blühen zum Bau der Käufer, Paläfte und Städte in dieſen 
Gegenden verbraucht wurden und noch verbraucht werden, nad) 
Ktefiphon gefommen, und fo aus frähern Zeiten erhalten fey. 
Kteſiphon felbft wurde, wie Seleucia, yon den Macedoniern 
angelegt, daher es ſchun Polybius ( V, 45.) kennt: aber es 
war ein unbedeutender“ Fleden, bis die Parther Herren des 
ganzen Landes wurden, und Kteiiphon zum gewöhnlichen 
Winteraufenthalt wählten, mie Ekbatana zum Sommerſitze. 
Strab. XVI. ©. 1079. Unter Berus, dem Collegen Marks 
Aurels, nahm deffen General, weldher Seleucia vernichtete, 
auch Ktefiphon ein, und zerftörte die königliche Burg. Dio 
CGass. LXX, 2. Aber die Stadt beftand noch bis ind „te 
Sahrhundert, da fie das Eigenthum der Arabiſchen Chalifen 
wurde, und durch fie ihren Untergang fand. Bagdad, weldhes 
762 gegründet wurde, fcheint mehr aus feinen Trümmern als - 


246 Illusts; d’uno Zodiaco orientale da G. Hager. 


aus den Steinen des zu meit entlegenen Babylons erbaut zu 
feyn. Won dem großen Gewölbe, das fih von allen Gebäus 
den, mit weldhen einft die ganze Strede von Ei Madain 
bedeckt war, allein erhalten hat, gibt man einen. Perfiichen 
König Kosroes andere einen Europäifchen Fürften oder Caͤſar 
als Stifter an, und läßt es in der Zeit Suftinians, auch 
fruͤher oder fpäter, aus Babylonifhen Trümmern erbauen. 
Seine Roͤmiſche Bauart, wovon man fonft im Drient nichts 
Hehntiches finder, verräth einen Baumeifler aus den Zeiten der 
Noͤmiſchen Herrſchaft, fey es nun, daß wirklich ein Römifcher 
oder Sriechifher Monarch den Palaft -bauen ließ, oder daß 
ein Afiatiiher Fürft Europäifhe Bauleute dazu gebrauchte, 
wie Kambyſes zur Anlane von Suſa und Perfepolis Baumeis 
fter aus Aegnpten kommen ließ, Died. I. ©. 43.. Hr. Mans 
nert meint daher (Geogr. der Gr. und R. V, 2. ©. 404), 
daß Chosroes, der Sohn des Hormisdas, der zu Ende des 
fehsten Jahrhunderts durch innerlihe Unruhen auf einige. Zeit 
aus feinem Meiche vertrieben in Syrien lebte, und duch Uns 
terftügung der Römer wieder auf den Thron kam, den Pataft 
gebauet haben könne. Aus dem Angegebenen erhellet wenigs 
fiens fo viel, daß unfer Stein nicht weiter heradgerädt werden 
darf; doc fey der Stein, fo alt oder jung er wolle, die 
Keilinfhriften defferben find, gleich den Hierogips 
phen in der Nofettifhen Infchrift, eine aus Höherm Als 
terthume beybehaltene Schreibeweiſe, der-zufolge, 
wenn fie mit den fymbolifhen Abbildungen darkber in Ber 
ziehung ſteht, auch diefe nad) Altern Begriffen erläutert werden 
muͤſſen, wenn fie gleich in viel fpätern Zeiten in den Stein 
gegraben wurden. Fragen wir nun, Welches Volkes Begriffe 
auf diefem Steine zu fuhen feyn; fo widerſpricht fih Ar. 
Hager felbft, wenn er darum, weil der Stein in Babylonien 
gefunden fey, die Figuren für einen Chaldäifchen Thierkreis 
erflärt, die Sinfchriften aber, im Gegenſatze der Babyloniſchen 
Schreibeweife, als Perfiih charakterifict. Eines andern Wis 
derfpruches macht er ſich fchuldig, wenn er der Unmöglichkeit, 
die Idee eines Thierkreifes auf unferm Denkmahl durchzufuͤh— 
ven, mit der Bemerkung entgegen zu kommen fucht, daß die 
Chaldaͤer, gleich den Chinefen und Japanern, ihre eigenen 


Illustr. d’uno Zodiaco orientale da G. Hager. 47 


Zeichen und Bilder gehabt haben könnten, und gleichwohl aus 
Mangel beftimmter Nachrichten uͤber den Chaldäifhen Thier⸗ 
kreis die Lehrfäge und. Vorftellungen der Griechen, Aegyptier , 
Indier und ‚anderer Völker zu Huͤlfe ruft, um einzelne Figus 
ven des Steines daraus zu erklaͤren, und den Satz zu begrüns 
den, daß in Chaldaͤa oder Babplonien der ältefte Thierkreis, 
wie, die Älteften Spuren der Religionen und Sagen, der Wis 
fenfchaften- und Künfte, der Sitten und Gebräuche aller ges 
bildeten Völker, der Aegyptier, Griechen und Römer fowohl, 
wie der Chinefen, Indier und Perfer , zu finden feyen. Kr. 
Lichtenftein, welcher die Figuren mit einer fabäifchen Trauers 
Plage in Beziehung zu bringen fuchte, ift ebenfalls nicht frey 
von dem Vorwurfe, zu viel Fremdartiges unter einander ges 
mifche zu haben. Einen beſſern Weg fchlugen Hr. Millin, 
de Sacy und von Dalberg ein, welche fih durch dem Ort, we 
der Stein gefunden worden, berechtigt glaubten, ihn für einen 
auf den. Strom und die daran liegenden Gebäude ſich beziehens 
den Talisman zu halten, und nad) diefer Anſicht die Abbils 
dungen mit den Lehren der Perfifhen Religionsbuͤcher in 
Zufammenhang brachten: 

Die Vermuthung, daß ber. Stein ein Aerolith ſeyn könne, 
gründe Hr. Nager auf feine Geſtalt und Farbe. Diefe 
iſt ſchwarz auf der DOberflähe und grau im Bruche, jene ovals 
rund, doc ungleic, abgerundet, nad oben fpißiger, nad uns 
ten :bauchförmig gemunden , ungefähr doppelt fo breit als dick, 
und drepymal fo hoch. Kür einen Meteorflein wäre feine 
Gräfe fehr bedeutend: denn feine Höhe beträgt nah Hrn. 
Michaux's Angaben 48 Centimeter oder anderthalb Fuß, feine 
größte Breite 32 Centimeter oder einen Fuß, umd fein Ges 
wicht 22 Kilogramme oder 44 Pfund. Was aber mit jener 
Vermuthung ſtreitet, if ‚gerade das Wefentlihe, was Hr. 
Hager Überfah, feine Maffe. Hr. Mihaur erklärt den 
Stein für. diefelbe Steinart, woraus die Felfengebirge von 
Farſiſtan beſtehen; und Michaux's Vermuthung, daß er aus 
dem Innern von Perfien in die Gegend gebracht fey, wo die 
Natur dergleihen Steine nicht ergenuge, ift ein Grund mehr, 
in feinen Abbildungen und Inſchriften Perfiihen Geift zu 
fuhen. Hr. Michaux hielt den Stein für Bafalt, aber Kr. 


248 Illuste. d’uno Zodiaco orientale da G. Hager. 


Millin erklärt ihn’ geradezu für einen Marmor , wie ihn auch 
Hr. Hager immer. nennt. - Hr. v. Dalberg, weicher: als Schrift⸗ 
fteilee über dem . Meteorcultus der "Alten Hier vorzüglich eine 
Stimme hat,: beitreitet fchon die Vermuthung des Hrn. Has 
ger, daß. der Stein ein Aerolith fey, und Gemerkt, daß die 
chemiſche Analyſe ihn als einen ſchwarzen bituminsfen Mar—⸗ 
mor darftelle. Chäux carbonatde bituminiföre nah Hauy. 
So wenig die Natur Vabplonien mit dergleichen Steinen 
veriehen bat, ſo häufig findet man’ fie in jenen Gegenden. 
Hr. Beauchamp ließ in den Ruinen von Babylon einen ſchwar⸗ 
zen Stein ausgraben, welcher anfangs ein Gößenbitd zu feyn 
fhien, nad feiner Reinigung aber fidy als eine geſtaltloſe 
Maffe ohne, Inſchrift zeigte, wiewohl er Spuren des Meiffelg 
trug. Von derfelden Steinart fand er an mehreren: Stellen 
große Bloͤcke als Meberrefte mehreren Denkmaͤhler. Zu Bruffa, 
zwey Lieuen füddftlih von. Hellah in der Wuͤſte trifft man 
nah. Hrn. Beauchamp's Berichte ſchwarze Steine mit In— 
fchriften, fo wie in al Kadder, in noch weiterer Ferne, mars 
morne Statuen. Hr: Hager ſchließt aus dem Gebrauche des 
hoͤchſten Alterthums, die Götter unter. einfachen Steinen und 
Aerolithen zu verehren, beionders aber aus dem Gonnenbilde 
der Syrer zu Emeſa, daf der Stein als Aerolith der Sonne 
gewidmet, und daher die ſymboliſche Darftellung an feinem 
obern Theile eine Abbildung des Sonnenlaufes oder ein Thiers 
reis war. Dagegen bemerkte aber Hr. v. Dalberg ehr tref— 
fend , daß die Ehrfurht, die man gegen folhe heilige Steine 
hegte, das Einaraben von Figuren und Schrift ausihloß, wie 
es bey dem kegelförmigen Steine der paphifhen Venus umd 
bey dem nah Nom gebrachten Bilde der peſſinuntiſchen Rys 
bele der Fall war. Auch ſchreibt Herodian dem Sprifchen 
Elag ibal feine eingegrabene Figuren zu, fondern nur #Soyas 
'tıwog Boaxsiag al Tönovg, Meine Ecken und Grübchen, 
woraus man feinen himmlifchen Wrfprung erwies: uͤbrigens 
war er ein unbearbeiteter Stein ( @vepyaorog , nicht -xsrpo- 
rointos). Unfer Stein dagegen ift offenbar von 
Menſchen abgefchliffen, um auf den beuden flachen 
Seiten mit Figuren und Schrift, bedeckt zu werden: denn die 
Figuren find erhaben auf vertieftem Grunde, die Snfchriften 


IHusti. duno Zodiaco orientale da G. Hagen 249 


aber vertitfe: auf glattaefchlifferier » Fläche. Seine ſonberbare 
Geſtalt kann unfer Stein daher auch nicht, wie Hr. Millin 
meint, . dem Abfchleifen. des Tigerftromes ,  fondern muR fie 
irgend einem religiöfen Aberglauben zu verdanken haben. Doc 
hat. der Stein mehr die ©eftalt eines unförmtichen plattge— 
druͤckten Kegels, ale einer Pyramide, welche Kr: Millin, wie 
wir weiter unten ſehen werden, dark den Perſiſchen Eultus 
geheiligt glaube. Aus den bisherigen Angaben acht hervor, 
daß der Stein weder ein Aerolith, noch uralt, noch Chaldäis 
fhen Urfprungs fen; ob er der Sonne gewidmet, und: ein 
Thierkreis ſeyn könne, wird die nähere Betrachtung der alles 
ee Fiquren zeigen. 

Die- Figuren: erfüllen den ganzen obern ‚Theil des: Steines; 
am oberfien Ende durd) eine querüberliegende Schlange ges 
fchieden, welche den Stein: in feiner größten Breite umzieht; 
jedoch nehmen fie auf einer der beyden Hauptieiten des Steine 
ein doppeltes Feld und "doppelt fo viel Raum ein, als auf der 
andern Seite, Nur die obern Figurenreifen ſollen einen 
Thierfreis vorfiellen; die untere Figurenreihe der einen: Seite 
foll: den Sommer und Winter im. Allgemeinen bezeichnen. Die 
fchöne Jahreszeit oder: die Zeugungskraft der Sonne werde 
. durch den"aufrechtftehenden Phallus oder Lingam neben... dem 
Thiere mit: dem Widdermaule, der Winter durch die umge— 
fiörzte Pyramide oder den Sonnenſtrahl neben beim: Thiere 
mit: der Eberichnauge bezeichnet. Kr. Hager lieh ſich hier durch 
die falfche Darftellung der Millin’ichen Kupfertafeln verleiten * 
denn die beyden Thierfiguren des untern Feldes 
find ſich aufdem Steine ſelbſt vollfommen gleich; 
und haben mit dem Thiere des obern Feldes, 
welches Kr. "Hager: für das Zeichen: ‚des: Steinbocks oder bes 
Winterfolfiitiums erklärt, zwar nit die Geſtaltung, 
aber Doh das gemein, daß fteauf befondern Uns 
terlagem ruhen, die ihnen das Anfehen:vonbiofs 
fen Sphinrartigen Beſchützern der Altäre geben, 
durch welche ihr. Hinterthbeil verdedt wird: Die 
Bedeckung "des: Hintertheiles ſetzt dieſe Thierfigaren in dem 
Hintergrund, ſo daß nicht fie, ſondern die Altäre des 
Vordergrundes als der Haupttheil der alfegorifhen 


x 


250 Ilustr. d’uno Zodiaco orientale da G. Hager. 


Darfiellung zu betrachten find. Die befondern Unterlagen 
ſtellen diefe Thierfiguren als. bloße: Abbildungen plaftifcher 
Kunftwerke dar, welche man, gleich den Fabelthieren in Pers 
fepolis, ans den Beftandtheilen dreyer oder mehrerer Thiere 
jufammenfeßte, und unterfcheiden fie dadurch von den Thieren, 
womit die ganze entgegengefeßte Seite angefülle ift, fo, daß - 
fie nicht mir ihnen als Thierkreis in Verbindung geſetzt wers 
gen können. Das Thier in der Mitte des obern. Feldes ers 
fcheint als ein freyes, die beyden andern als gefeffelte 
Thiere: denn: jenes kniet nur auf dem rechten Worderbeine, 
und hat. das linke, aufgerichtet, zur Erde niedergeftellt ; die 
Vorderbeine der benten andern Thiere liegen. aber"auf den 
Unterlagen hingeſtreckt, und feinen, nad dem Gypsabdrucke 
zu urtheilen, zuiammengebunden zu feyn. Das erftie Thier 
Hat die Beftandrheile reiner Thiere mach Perfifhen: Religions 
begriffen , die Deine eines Stieres, den Kopf: eines Ererifchen 
Widders mit gewundenen Hoͤrnern umd einem. Ziegenbarte bey 
gefchloffenem Maule, den Hals behaart, den Leib gefiedert mit 
Meinen Flügeln auf dem Ruͤcken. Die beyden andern Thiere, 
die H. Hager auf eine unbegreiflihe Weiſe zu Krokodilen ums 
fhafft, vergleicht Hr. Lichtenftein nicht unpaffend mit gefchupps 
ten Hyaͤnen; doch erſcheint, die Loͤwentatzen abgerechnet, alles 
Uebrige fo zuſammengeſetzt, daß man kein Thier in’ der Nas 
tur von ähnlicher Bildung findet. Die kurzen, fpigigen Hörner 
ſtehen völlig fenkreht, wie bey der Antilope, welche man 
Klippfpringer nennt; zu beyden Seiten derfelben vertritt lok⸗ 
fenförmig gewundenes Haar, desgleichen auch hinten am gans 
zen Halfe Hinunter hängt, die Stelle der Ohren. Nah Kran, 
Lichtenftein foll dee Schmuck des Hauptes Leine Hörner vor 
ftellen, fondern eher ein ſymboliſches Emblem feyn, desgleichen 
auf den Aegyptifhen Dentmählern die Scheitel des Serapis 
ziert. Der Leib ift fchuppenförmig oder gefiedert, die Schnauze 
vorn gekruͤmmt, wie die eines, Ebers, aber mit einer weit 
herausftehenden, zweyfach gefpaltenen. Zunge. Hr. KHofrath 
Herren hat in feinen Ideen über die Politif, den Verkehr 
und den Handel der vornehmften Voͤlker der alten Welt ges 
zeigt, daß folche willtührliche Abänderungen in der Zufammens 
feßung einzelner Theile ganz in dem Geifte der Kunft des 


Ulastr.. d’ano Zodiaco orientale da :G. Hager. 254 


Perſiſchen Zeitalters waren. - Daß auch im Tempel des Belus 
dergleichen Abbildungen monftrdfer Thiergeftalten: aufgeftellt 
waren, ſagt Beroſus in- einer ‚mir. vom Hrn. Dr. $iorillo 
freundichaftlichft mitgetheilten Stelle, in excerptis Alex, 
Polybist.. ap. Syncellum Chronogr. p. 23 (Script. Byz. 
. T..V. ed. Venet. 1729. fol.), worüber Court de Gebelin 
Monde primitif. T. IV. (Histoire du Calendrier ) p. 482 
unter andern fagt, daß fie die EChaldäifche Theologie und Loss 
mogonie darftellen ſollten. Hätte Ktefias in feiner Beichreibung 
Indiſcher Wunderthiere nicht vieles übergangen, weil es denen 
unglaublich fiheinen würde, die es nicht gefehen hätten; fo 
würden wir vielleiht noch in feinen Fragmenten bdiefe Thiere 
erklärt finden, wie Hr. Heeren darin den Martichora, dem 
Sreif und das Einhorn fand. Am meiften-- würde auf fie die 
Beſchreibung goldhütender Greife paffen, Ctes. Ind. ı2, wo 
fie als vierfüßige Vögel von der Groͤße eines Wolfes, mit dem 
Deinen und Klauen eines Löwen, - mit rothen Federn auf der 
Bruſt, und ſchwarzen Federn auf den übrigen Theilen des 
Leibes, geichildert werden, wenn. diefen nicht Aelian H. Anım, 
IV, 26. den Kopf und Schnabel eines Adlers gäbe. Zwar 
erfcheint dies Wunderthier, deffen Dichtung fih über ganz 
Afien verbreitert hat, in verſchiedener Geftalt; dog. haben uns 
ſere Thiere zu wenig von einem Vogel, als daßeman fie mit 
dem Perfiihen Simurg oder Sirenk vergleihon könnte. Sie 
mit dem Hrn. v. Dalberg für Bilder guter Senien, Tafchters 
und Behrams, zu erklären, die bier, gleich. den Sphinxen 
in Aegypten als mächtige, wohlthätige Beſchuͤtzer der Gegend 
und Bewohner der Gebäude ruhen, verbietet die oben anges 
führte gefeſſelte Lage der Thiere. Hingegen das Thier im 
obern Felde, welches Kr. Millin mit einem Tragelaphos, 
Kr. Lichtenftein mit einer geflügelten Gazelle, Kr. Hager aber 
mit dem Steinbod vergleicht, ift nad) Ken. de Sach's glüdlicher 
Enträthielung, welcher auch Kr. v. Dalberg beyſtimmt, ein 
Symbol ‚des thätigften und wirkſamſten Izeds Behram, der 
nad dem Sjefhts Behram Zendav IL. fih unter allerley Thiers 
gefialten offenbart, unter. andern auch, nad Korde 8, unter 
der Seftalt eines — a reinen. Füßen und ku: 
Hoͤrnern. 


253 IMlustr. d’uno Zodiaco orientale da G. Hager. 


Nach Hrn. Hager ſtellt das obere Feld den Himmel, das 
untere die Erde vor: er irrt aber, wenn er die vier Altäre 
des obern Feldes für Thärme und Paläfte erflärt, melde ſich 
auf die zwoͤlf Sonnenftationen beziehen, die zwey des untern 
Feldes dagegen für Altäte des Feuerdienftes. Die Altäre 
des untern Feldes unterfheiden fih von den Als 
tären desobern Feldeg in nihts als in der bes 
deutungslofen Verzierung der Außenfeiten. Ale 
haben ein eckichtes Piedeftat und eine an den Seiten abge 
ründete Oberlage ; aber im obern Felde theilen vier Säulen 
den Schaft in drei gleiche, mit willtührlichen Schnörksin und 
Streichen verzierte, Felder ab, die Unterlage ift mit drey wel 
fenförmigen Strichen durchzogen, und bie DOberlage in fünf 
Felder mie Kreifen in ihrer Mitte abgetheilt; im untern Felde 
dagegen ift der Schaft in zwey Felder getheilt, die Unterlage 
nur mit zwey Schlangenlinien durchzogen, und die Dberlage 
in ſechs Vierecke gerfhnitten. Auf jedem Altare befins 
det fih aber ein dbefonderes Symbol: auf einem 
die Figur eines Hufeiſens oder vielmehr eines Griechifchen 
D in der hHentigen Uncialform, zu beyden Seiten unten 
gelorft, und ringsum durch drey Linien in vier Theile getheilt; 
auf dem andern ein langer und dünner „ gefchuppter oder ge 
fiederter Hald, der, weil der Kopf durd die Befhädigung des 
Steines verſchwunden if, einem’ Baumflamme aͤhnlich; auf 
dem dritten und vierten eine paraboliſch gefkältete Tafel mit 
einer Einfaffung von allen Seiten, und mit fechs aufwärts 
gehenden, in der Mitte zufammenlaufenden Adern durchzogen, 
auf dem fünften eine liegende, dreyeckichte Pyramide gleich 
einer Raͤucherkerze, deren Baſis im Verhaͤltniß ihrer Höhe 
nur gering iſt; auf dem fecheten endlich ein dreyecfichtes Tär 
felhen mit Einfaffung,, gleich den Kreuzen auf den Gräbern 
laͤndlicher Kicchhöfe auf einem kurzen Pfahle ruhend. Ju 
‚diefen Dingen, nidt in den Altären, melde 
Bloß zu Heiligen Untergeftellen für die Sym— 
Bote dienen, beruht die allegoriſche D.arftellung, 
zu deren - Enträthfelung ung noch die ficherleis 
tenden Vorkenntniſſe fehlen. Sonderbar deutet Hr. 
Hager die Hufeifengeftalt, weil fie einem Griechifchen 2 


Illustr. d’uno. Zodiaco orientale da G. Hager. 253 


ähnelt, auf das legte Zeichen im Thierkreife oder die Fiſche. 
Hr. v. Dalberg muß nur den Millin’ihen Kupferſtich, nicht 
den vortrefflihen Gypsabdruck, angefehen haben, als er die 
Verlegungen am Steine für leichte Umriffe von Regenwolken 
erflärte, welche aus dem flammenden Sterne Tafchter (Sirius) 
nad) dem darunterfiehenden Gebäude niederfahre, deſſen mit 
Schuppen bedeckter Hals vielleicht. Amordad, der Führer 
Tafchters, oder Mithra, aljo der mwohlthätige Genius der 
Wolfe ſey. Die parabolifhen Geſtalten der flahen Tafeln 
auf dem dritten nnd vierten Altave verleiteten den. Hrn. Hager, 
diefe für Ihärme anzufehen, und durch Millin’s - unvollloms 
mene Darftellung im Kupferflihe verführt, meint er, der eine. 
Thurm ftehe nur halb da, um amzudeuten, daß der Scorpion 
der andern Seite zu diefer, den Winter darftellenden Seite 
gehöre. Hr. Millin theilte die KRupfertafeln nad 
den beyden Hauptplatten des Gypsabdruckes ab, 
wobey die kleinen Seitenflüde ausfielen, und 
Daher aufder einen Kupfertafel der Schlangens 
fhwanz, die Hälfte der Sternfiguren am obern 
Rande des einen Altars mit feinem Symbole, 
fo wie die ausgeſtreckte Zunge des Thieres im 
unteren Felde, verloren ging, während auf der. andern- 
Kupfertafel die Schlange und der Wolf über die Gränglinien 
hinausgezeichnet wurden. Das Piedeſtal der Altäre, welches 
auf den Kupfertafeln nit ganz treu dargeftellt iſt, verbietet 
es, fie mie Hrn. Hager für Thuͤrme und Paläfte, oder mit 
Hrn. v. Dalberg für Tempel oder Luftfäle zu halten, wenn 
man aud in den Verzierungen des Schaftes Thüren und. Ars 
chitrave, und in den Verzierungen der Dberlage fogar Aehns 
lichkeit mit den Triglyphen und Melopen des Griechiſchen 
Gebaͤlkes finden möchte. Weit paffender und mit der Größe 
der dahinter ruhenden Thiere weit mehr im Verhältniß fiehend 
ertlärte Hr. Lichtenftein alles für Leichenmähler, deren Ems 
bleme fchwer zu erklären feyn. Mach Eubulus. bey. Porphyr. 
de Nymph. antro. Ed. Cantabr. p. 255 sq. heiligte Zorons 
fter eine Höhle als Bild der MWeltordnung duch Mithra ger 
baut und gefchäßt, worin nach abgemeffenen Entfernungen 
von einander Dinge lagın, welche Die Elemente und: Klimate 


254 AIllustr. d’uno Zodiaco orientale da G. Hager. 


abbilden follten. Dem ähnlich feheinen die Abbildungen der 
beyden Felder auf der einen Hauptſeite des. Steines zu feyn. 
Kr. v. Dalberg fand im untern Felde ein Opfer des Ormuzd 
angedeutet, und meinte, die liegende Pyramide fey die himm⸗ 
liſche Pflanze Kom, vielleicht ein aus dem Holze deſſelben 
oder aus Metall beftehendes Opfermeffer in dreyfeitiger Pyra— 
midalform, oder ein Werkzeug aus Holy zum Anmachen des 
Dpferfeuers durch Reiben; auch die aufrecht ſtehende Spitze 
auf dem andern Altar fey ein Meffer oder ein Blatt des Baus 
mes Hom. Ganz verichieden davon urtheilten Hr. Hager und 
Lichtenftein : nach jenem foll auf dem einen Altar eine Pyras' 
mide ald Symbol des Feuers ftehen, auf dem andern eine 
dreyfeitige Pyramide liegen, die einen Phallus oder Lingam 
darftelle; nach diefem foll auf dem andern Leichenmohle das 
Gegenftüd des Lingam, die Soni oder das Dreyeck der Venus 
Urania aufgerichtet feyn, ale Emblem der weiblichen Zeugung; 
auf dem Leichenmahle neben dem Strome liege eine Figur, 
welche durch die Zeit beichädiger fey, und falls man nad Ahns 
lichen Dentmählern beym Grafen Caylus fchließen dürfe, ur— 
fpränglich eine Mumie vorgeftellt habe, oder einen Leichnam 
in Leinwand gewickelt. - Allein nichts ift auf dem Originale 
volllommener und deutlicher dargeftellt , als grade dieſe liegende 
Pyramide; Dagegen die Poramidalfiguren am Schafte der 
Altäre nur auf Millin’s unvolltommenem Kupferftiche ericheis 
nen. Hr. Millin finder in’ diefen Ppramidalfiguren, welche 
auf dem Driginale bloße Vertiefungen in den Feldern zwiſchen 
den Säulen find, etwas Myſtiſches und Keligiöfee, den Grunds 
zug aller Keilfchrift als Symbol. der Sonne, deren Strahlen 
immer in koniſcher Geſtalt gezeichnet würden, und will dess’ 
halb auch das dreyeckichte Täfelhen auf dem leßten Altare für 
eine aufrechtſtehende Pyramide angeſehen“ wiffen. Umgekehrt 
findet Hr. Lichtenſtein darin das zweyte Element der zeugenden 
Dyos und der Keilſchrift, deren Grundzug der Pfeil oder 
maͤnnliche Mirrich ſey, welcher an der linken Saͤule dieſes 
Leichenmahles ſtehe, die Spitze in die Baſis geheftet, zur 
Andeutung des nach dem Tode und der Begraͤbniß durch neue 
Zeugung zu erneuenden Lebens. Man ſieht, zu welchen Mey— 
nungen ein unvollkommener Kupferſtich führen kann: der treue 


Ilustr. duno Zodiaco orientale da G. Hager. 255 


Abdrud des Driginales läßt weder einen Mirrich, noch eine 
Soni, noch einen Lingam oder Phallus Über und an den Als 
tären fehen. Eben fo wenig kann der Pfeil neben der Abbils 
dung zweyer fi vereinigenden Fläffe, wie Hr. Lichtenftein 
meint, der viermal geflägelte Mirrich feyn: es ift ein gewoͤhn⸗ 
licher Pfeil, auf beyden Seiten befiedert. Nah Hrn. Hager 
fielen die beyden Ströme zur Bezeichnung des Ortes, wo ber 
Stein ein Gegenftand der Verehrung: war, den Euphrat und 
Tigris vor, und der Pfeil ift Bezeichnung des letztern, weil 
im Neuperfiihen Tier fomohl einen Pfeil als den Tigerfirom 
bedeutet. Zwar findet fi der Pfeil auf der verkehrten Seite; 
aber was nicht zur Hypotheſe paßt, wird der Ungeſchicklichkeit 
des Bildners zugefchrieben.. Hr. Millin meint, der Pfeil könne 
den Lauf der Ströme bezeichnen, wie auf unfern hydrographi⸗ 
fhen Charten. Kr. de Sacy erklärt die Fläffe für eine Abbil⸗ 
dung des Waſſers überhaupt, oder des. Ferakh s Kand oder des 
Woorokeſche insbefondere, die ein Geſchenk des Tafchter find, 
und meint, der Pfeil könne Symbol des Tir feyn, welcher 
den Tafchter begleitet. Hr. Lichtenftein findet in dem zweyge⸗ 
fpaltenen Strome die Flüffe des Beldal, deren einer die uns 
fhuldigen Seelen in die. elpfifhen Fluren, der andere die 
Verächter. der Götter in den Tartarus führe. Hr. v. Dalberg 
endlich erfennt den Strom für die himmlifhe Quelle Ferakh⸗ 
Kand, und den Pfeil für Tafchters Pfeil oder ein Bild des 
Bliges und des himmliſchen Feuers; doch gibt er zu, daß 
beydes auch den Tiger bezeichnen koͤnne, deſſen Name einen 
Pfeil bedeute. Das Folgende wird aber zeigen, daß in 
dem auf feine Spige geftellten Pfeile fowohl, als in der 
querliegenden Schlange am obern Ende, nichts weiter als 
eine Begränzung der Figuren, wenn gleih eine fyms 
bolifhe Begränzung des Symboliſchen zu fus 
den fey. | 

Betrachtet man die Inſchriften, welche auf beyden Haupt⸗ 
feiten des Steines, in zwey von einander unabhängigen Cor 
lumnen, unter den figürlihen Abbildungen ftehen: To finder 
man die ganze Schrift von allen Seiten durch Linien einges 
faßt, die Columnen von ungleicher Länge auf der einen ‚Seite 


256 Jllustr. d’uno Zodiaco orientale da.G. Hager. 


durch eine, auf der andern durch zwey parallellanfende Pers 
pendichlar » Linien gefchieden, und jede Zeile: von der. andern 
durch Querlinien abgetheilt. Eben fo ſoll die Schlange nur 
die Figuren der beyden Hauptſeiten von einander . fdyeidenz 
Daher ihr Schwanz gerade fo weit herunter reicht, als die 
Figuren der, mit einer doppelten Figurenreihe bederften Seite. 
Was der Schlangenfhwan; auf der einen Seite des: untern 
Geldes bezweckt, leiſtet auf der andern der Pfeil. : Die 
beyden obern, Figurenreihen find nur auf emer Seite durch 
den Schlangenleib geſchieden; auf der andern Seite, wo 
der Pfeil die untere Figurenreihe begrängt, ſtoßen ſie ums 
mittelbar an einander. Allein -Die über einander liegenden 
Schnüre oder Bänder, welche zur untern. Begraͤnzung der 
Zigurenreihen dienen, , und ‚bey den feyerlihen Abbildungen 
die Stellen quer durchgezogener Linien vertreten, zeigen nebſt 
dem Schlangentopfe hinlänglih, daß die obern Figurenreihen 
beyder. Seiten des Steines von einander unabhängig find. 
Sin der unrichtigen Vorausſetzung, daß die Schiange den 
ganzen Stein-umgiehe, vergleihen Herr Hager und Lichtens 
ftein -diefelbe fehr unpaffend mit dem Vaſughi der Braminen 
oder mit dem Symbole der Zeit, der Schlange, welche ſich 
in den Schwanz beißt. Kerr Millin erkannte die Schlange 
nad) ihrer Geſtalt und Größe für eine Art der Nieienichlange, 
and verglich fie mit der Schlange des Corans, welche den Thron 
BSottes rings umgibt, was bier jedoch nicht der Fall if. 
Hr. de Sacy und von Dalberg glaubten in der Schlange den 
Aſchmogh (Asmodi) des Zendaveſta zu erteunen, welcher 
Dermuthung der Mangel der. beyden. Füße widerfpricht, die 
der Zendaveſta dem Aſchmogh zufchreibt. Die Abbildung 
fielle nichts als eine gewöhnlide Schlange 
dar, welde, da fie. die Figuren des Steines im zwey 
Theile theile, nah Herrn Hager andeuten foll , daß das 
Ssahr den erflen Begriffen der Voͤlker gemäß nur nah Som— 
mer und Winter verjchieden ſey, ‚den mE des — und 
der Finſterniß. 
(Der Beſchluß folgt.) 


— — — 


No: 47. Heldelbersifhe 1813. 
Jahrbuͤcher der Litteratur. 


— —— — — — 


Illusſtraꝛione — Zodiaco orientale del Gahigetto delle me 
daglie di Sua Maestä a Parigi, da Giusep pe Hager. | 
Beſchluß der in No. „16. abgebrochenen Recenfion. ) 


RE welche Seite des Steines als die 
erfte gelte, fo geht aus der Lage der oben angeführten 
Schnüre oder Bänder, wovon freylih die Kupferſtiche nicht 
die mindefte Anveutung geben, offenbar hervor, daß die mit 
gedopvelter Figurenreihe bedeckte Seite die erfte ſey, was zus 
gleich auch die Richtung des Schlangentopfes mit zweyfach ges 
ſpaltener Zunge andeutet. Die leßtere Andeutung hat auch Hr. 
Hager aufgefaßt, nur begeht er, um feinen Thlerkreis mit 
einem Widderaͤhnligen Thiere zu beginnen, den Fehler, die 
letzte Figur zur erften gu machen, und umgekehrt, da doch 
ſchon die Köpfe aller Thierfiguren die entgegengeſetzte Richtung 
von der Linken zur Rechten verrathen. Kr. Millin folgte dies 
fer Richtung, welche auch die Inſchriften zeigen, betrachtete 
aber die TIhiere der Kehrfeite früher, als die Segenftände, der 
doppelten Figurenreihe. Hr. Lichtenſtein traf zuerſt hierin die 
wahre Ordnung, indem er Millin's IX. Kupfertafel der VIIT, 
vorarigehen lieh, und erflärte ganz richtig die Figuren von der 
Linken zur Rechten. Doc ließ er fi dadurch nicht bewegen, 
auch die’ Infchriften in gleicher Nichtung zu lefen, weil dars 
aus, daß die Thiergeftalten fämmtlih zur Rechten "blicken, 
eben ſo wenig die Richtung der Schrift folge, als man auf 
Münzen immer diefeibe Richtung der Thiere oder Menfchens 
koͤpfe mit der Inſchrift finde. Zwar verfannte er nicht, daß 
die Inſchrift zuweilen Über die Gränzlinie zur Nechten hinauss 
gehe; aber er erklärte dies lieber für Schnörkel der Anfanges 
buchftaben und überflüffige Züge, fo wie den gleichen Anfang 
mehrerer Zeilen für gereimte Endungen, ungeachtet fich jene 
Schnoͤrkel nur in der erfien Zeile finden, dagegen aber won " 

17 


258 Ilustr. d’uno Zodiaco orientale da G. Hager. 


der linksſtehenden Tolumne in die zur Rechten fo eingreifen, 
daß offenbar’ die rechte Kolumne ſpaͤter gefchrieben warb als 
die linke. Weil die Thiergeftalten der Kehrfeite den Altären, 
weiche Hr. v. Dalberg für Gebäude hält, zugekehrt find; fo 
bezeichnen fie ihm boͤſe Genien oder Divs, welche fich ‚verbuns 
"den haben, den Tempeln oder Paläften auf der andern Seite 
verberblich gu werden. Allein erftlic gehören ‚die beyden Voͤ— 
gel, wenn man fie auch für Raubvoͤgel halten wollte, zu den 
reinen Thieren; zweytens irrte er darin, wenn er fich die 
Charfefters als anrücdend zum Kampfe gegen die Wohnungen 
des Lichted dachte. Damider ftreitet nit nur der Umfiand, 
daß die Charfefters das Ende der Figurenreihe bilden, und 
alfo eher ab s als vorwärts ziehen; fondern aud die ruhige 
"Page der meiſten von ihnen, und die Richtung der fhüßgenden 
Thiere nad) derfelden Seite, wohin die Charfefters gewandt 
find. Hr. Hager verfährt gerade umgekehre, indem er fi, 
wie die Sonne im Thierkreife, den Richtungen der Thiere 
entgegen bewegt, und vom Schlangenkopfe beginnend, das 
jenige Seite des Winters oder der Finfterniß nennt, was dem 
"Hin. v. Dalberg die Lichrfeite fcheint. 

Machen wir mit diejer Seite den Anfang, wie es ve 
Bildner durch die Lage der zur Bafis der Figuren dienenden 
Schnur unverkennbar bezeichnet hat; fo fehen wir oben der 
Schlange zunähft drey fheibenförmige Schilder, 
wovon das erfte, beſchaͤdigte, nichts als eine unabgefcliffene, 
rohe Maffe darſtellt. Die beyden andern find durch vierſtrah— 
lige Sterne mit einem Knopfe in dev Mitte vergiert, wovon 
der eine zwifchen fämmtlihen Strahlen ausgehende Fichtflams 
men zeigt, der andere, auf einem gleichen vierftrahligen Sterne 
ruhend, wie ein Etern von acht Strahlen erfcheint. Herr 
Millin Hält diefe runden Schilder für Höfe, welche die Sterne 
umgeben ; allein auf dem erften, ziemlich dien Schilde Hat, 
fo viel man noch fehen kann, nie ein Stern geftanden. Dr. 
Fichtenftein meint, die drey Sterne ftellen die Deichfel des 
Magens am Morppole vor, als Symbol der Sabäifchen Trias, 
dreyer Dbergötter im Morgenländiichen &terndienfl. Allein 
die Schilder haben ein drenfaches Anfehen, und ftellen entwes 
ber drey Arten von Sternen, oder daffelbe Geſtirn in dreyerlep 


Illustr. d'uno Zodiaco orientale da G. Hager. 259 


Beziehungen vor, als rohe und . ungebildete Maſſe oder wer⸗ 
dendes Geſtirn, halbvollendet mit ausſprühenden Flammen, 
und im vollem Lichte ſtrahlend. Fri Hager deutet, die rohe 
Maffe ganz; ÄBergehend, den einen Stern zum Thron des Pas 
radieſes mir vier. Strömen, und den andern zum Symbole 
der finfteren Naht, ſtatt daß Hr. v. Dalderg den flammenden 
Stern mit Hin. de Saehy für den Taſchter erklärt, der dürch 
fein Licht die Divs vertreibt. Taſchter wird wenigſtens im 
Jeſcht⸗Taſchter Zendav. II. durchaus als ein Stern u dicht 
und Glanzblitzes geſchildert, und im’ Gten Corde mie Behram 
(dem Planeten Mars) zuſammengeſtelle, welchen Hr. de Sacy 
auch unter den Sternen des obern Feldes vermuthet, wid er 
ihn: in dem unter ihm ruhenden Thierbilde fand. Daß’ auch 
in einer der Thiergeſtalten Taſchter verborgen fey, ſcheint Hr 
de Sach minder gluͤcklich zu vermuthen: denn koͤrperlich erſcheint 
dieſer Jzed nur in dreyfacher Geſtalt, mit dem Koͤrper eines 
ıdjährigen Junglings, glängend und lichtweiß, oder -eines 
Stieres mit bligenden "Augen: und goldenen Hoͤrnern, oder 
tines Heldentoffes mit goldenen fleifen "Ohren und goldenem 
hochgetragenen Schweife: Ä 

‚Betrachten wir die Figuren-der Kehrfeite, fo ift 
das erſte Thier ein Skorpion, nad Ken. Lichtenftein ein Bild 
des Todes; das zweyte Ein Falke oder Nabe. mit Papageyens 
fchnabel auf einem beiondern Geſtelle, welches bloß da zu ſeyn 
fcheine, um der Vogel oberhalb der Skorpionsicheeren "in den 
leeren Raum zu bringen; das dritte ein Huhn, nah Hrn. 
Hager eine der Iſis geweihte Gans: oder eine -Taube. Hi. 
de Sacy hält den einen Vogel für den Kehrkas oder Eoroſch, den 
andern für den -Bufrafhmodad oder Perodereſch; dagegen Hr. 
Lichtenſtein den erfteri für eine behaubte Lerche auf dem Seichens | 
mahle ( dmı Soußidiog xopvdadkis) ertlärt, welche auf den 
Gräbern einfam zu figen pflege, Der andere Vogel fey nicht 
Didus Linn., wie Sr. Milfin vermuthe, fondern ein Nabe 
oder der Eorofch, weichen noch jetzt die Brahminen als ein 
Emblem der adgeichiedenen Seelen betrachteten. Wenn ſchon 
bey dieſen Thierfiguren die Meynungen ſo verſchieden find, fo 
laſſen ſich die beyden zunaͤchſt folgenden monſtroͤſen Thierges 
ſtalten noch weniger beſtimmen, weil ſie nicht naturhiſtoriſch, 


⸗ 
— 


2690 Ulustr. d’uno, Zodiaco. orientale. da..G; Hager: 


ſondern idealiſch oder magifh, nah Perſiſcher Sitte, darges 
fiellt find. Mur das läßt fih wohl mit Gewißheit behaupten, 
daß fie. feine: Bilder des ‚Thierkreifes waren. Bie- gleichen 
zweyen Schlangemteibern mit verſchiedenen Köpfen : „der Kopf 
des erften fcheint behaart, des gweyten befiedert, und doch hat 
der. erſte ben: Schnabel eines Raubvogels mit. einem Kamme 
und / Zaͤhnerachen, der zwepte den weitgeoͤffneten Zaͤhnerachen 
eines Saͤugethieres mit; langen geſpitzten Ohren, die Hr. 
Millin und Hager fuͤr Hörner halten. Kr, Lichtenſtein findet 
in den beyden Schlangen die Zeichen fuͤr die Planeten Mars 
und. Saturn, oder Merkur. und ‚Venus, - und: deutet; fie. als 
Kedu und Rahu, zarodaıımv -und ayadodaiumv.. Die 
fchmebende Figur; welche. den ‚ganzen Kaum über dem Huhne 
einnimmt, erklärt er. für, eine myſtiſche Muſchel oder einen 
Hyſterolith, das: natuͤrliche Idiom des Lingam ;. Hager für 
einen heiligen Machen, das Schiff der ‚Sfis oder der Jungfrau 
zur ‚Bezeichnung : des Lichtreiches. und Sommer ; Solftitiums, 
wie, der Steinbock quf der andern, Seite das Winter : Sptftis 
tium bezeichne. Hr. v. Dalberg bemerkt dagegen, was <auch 
bey mehreren andern Deutungen erinnert werden kann, daß das 
Sfiss Schiff als ein rein-aͤghptiſches Bild nicht wohl in einen 
Cyclus Chaldaͤiſcher Mythen paſſe. Den Beſchluß? macht ein 
ſitzender Schakal; nach Hrn. Lichtenſtein ein Hund, der Sura, 
welcher den Mithra begleitet, und bey den. Parſen den Le— 
benshauch der Sterbenden auffängt, oder -aud ein Wolf als 
Zeichen des Planeten, Merkur, und als Begleiter: der "Seelen 
zur Unterwelt und wieder zur Oberwelt; nad. Kun. Hager 
fogar der Widder, oder den Vorſtellungen der Parfen gemäß; 
das Lamm als. erfies Sternbild im Thierkreife. Für die, welche 
das Thier mehr einem Wolfe als Lamme oder Widder ähnlich 
finden, bemerkt Hager, um feine dee von einem- Thierkreife 
nicht aufgeben zu muͤſſen, daß die Brahminen ftatt des Wids 
ders ebenfalls ein Thier ihrer Gegend. hätten, welches einem 
Hunde, Wolfe oder Suche gleiche, und daß nah Makrobius 
die Sonne auc unter dem Bilde eines Wolfes verchre ſey. 
Beydes beruhet auf nichtigen Gründen: denn nach den Asiatie 
Researches (f. Sen. U 8. 3. 1812. No. 231.) kennen die 
Drahminen allerdings den Widder, nur haben fie auch andere 


llhöstr. d’uno'Zodiaco"orientaäle da G. Mager. 26t- 


Zeichen und Wilder, die Mondsdtter zu beſtimmen; und bey 
"Homer bezeichnet das Wort Nvraßas,'weldes' zu der HGehaups 
tung des Mafrodius Anlaß gab, nicht das Jahr, wie man 
gewöhnlich glaubt, ſondern den Mondeswechſel oder den Mons 
bestauf von einem Neumonde zum andern,” Worauf nod) Mor 
der Lateinifche Name Luna für’ Lucina hinweiſer. — 
So wenig Grund nach obigem des Verf. Deutungen der 
Figuren haben, eben fo grundlos iſt fein Urtheilluſber die 
Babylonifhe Keilfhrifti Hr Hager ' behauptet näm: 
lich, daß zwar die Perſiſche Keilſchtift eine Richtung von der 
Linken zur Rechten habe, -die Babylonifche aber perpendichlar 
abwärts nach Ehinefifcher Schreibeiveife, fo daß’ die "Colninne 
gar Rechten den Anfang mache. Zu diefer Behauptung vers 
anfaßten ihn die bekannten Infchriften auf den Backſteinen 
und Eylindern, melche er fo hält, daß feine Behauptung mit 
der von mir eriviefenen Zeichenfolge völlig zuſammenſtimmt. 
Denn dieſelben Inſchriften, welche in horizontaler Richtung 
von der Linken zur Rechten geleſen werden, laufen, als per⸗ 
pendiculare Columnen betrachtet, von der Rechten zur Linken, 
und umgekehrt. Damit man jedoch ſich uͤberzeuge, daß Hrn. 
Hagers Meynung eben fo wenig Grund habe, als Chardin's 
Ahnlihe Behauptung in Anfehung der Perfepofitanifchen Ins 
fihriften an den Fenftern im Patafte des: Darius; fo bemerke 
ich, daß die große Londoner Inſchrift in zehen Columnen, 
moräber ich meine Bemerkungen im Intelligenzblatt der Jen, 
4. 2. 3. 1804. No. 101. befannt gemadht ‚habe, auf deren 
erfter Columne fih der Inhalt fämmtlicher bie jetzt bekannten 
Backſteine in kleinen Variationen wieder findet, eben fo uns 
widerfprehlich eine Horizontale Nichtung von der Linken zur 
Rechten hat, als die Inſchrift desjenigen Steines, von wel— 
chem hier die Rede iſt. Das Unzuverlaͤſſige eines Kupferſtiches 
zeigt ſich in den Inſchriften dieſes Steines ſowohl, als in den 
allegoriſchen Abbildungen; doch hat fie: Hr. Millin "mit der 
möglichften Treue geliefert. Weniger richtig iſt der Nachſtich 
bey Hager, wiewohl auch diefer treuer genannt werden kann, 
als Millin’s Abbildungen der Babyloniſchen? Backſtein/In⸗ 
ſchriften, zu deren Leſung oder Copirung nach den Driginalen 
ſelbſt, wegen: ihrer rohen Maſſe und der vielen beſchäbigten 


262. Wlustr; :d’uno Zodiaoo orientale da. G. Hager, 


Stellen, ein in diefer Schriftart vielfach geuͤbtes Auge gehört. 
Sich habe die verſchiedenen Bruchftücke aller befannten Back⸗ 
fteine zufammengeftellt, und fo durch Zufammenhaltung aller 
Enatifhen und Franzoͤſiſchen Abbildungen gegen neun, in 
ihrem Inhalte wenig verfchiedene Inſchriften herausgebracht, 
zu dıren Bekanntmachung in treuen Kupferftichen ich bis jeßt 
noch feine Gelegenheit fand, Ueber . den Charakter der LKeils 
fchrift. auf unferm Steine habe ich fchon in dem .Anhange zum 
erften Theile von Heeren's Ideen uͤber die Politit, den Vers 
kehr und den Handel der vornehmſten Völker der alten Welt 
meine Bemerkungen mitgetheilt; bier finde nur noch folgendes 
Wenige Raum. Der Stein ift an mehreren Stellen befchäs 
digt, wodurch einzelne Lücken, befonders einzelner Keile, in 
der. Inſchrift entſtehen; hiervon verfchieden find aber die mit 
Fleiß. gelaſſenen Lücken der Inſchrift in den meiften Zeilen, 
welche daher zu rühren fcheinen, weil man nur eine beftimmte 
Zeichenreihe in: jede Zeile bringen, aber aucd keine Luͤcke am 
Ende der Zeilen laffen wollte. Wan dehnte daher bey Kleis 
nern Zeichenreihen die Keile, ruͤckte die Schriftzeichen feldft 
weiter aus einander, oder ſchrieb auch nur das lebte Zeichen 
ans Ende der Zeile, indem man den übrigen Raum unausı 
gefüllt ließ. Bey größern Zeichenreihen ruͤckte man die Zeichen 
niche nur näher zuſammen, und zeichnete fie fo Klein als mög: 
ih, fondern man erlaubte fih auch, über die Gränzlinie der 
Zeilen hinauszugehen. Das letztere ift jedoh in der erften 
Columne, d. h. den darüberfiehenden Figuren zufolge zur 
Linken der mit einer doppelten Figurenreihe bedeckten Geite, 
nie der Fall; vielmehr enthält bey einer Wiederholung deffels 
ben Sinhalts die ıgte Zeile zwey Zeichen mehr als die ı6te, 
weihe man zu Anfang der ı7ten Zeile feßte. Aus diejem 
Grunde kann man die Scheu, eine Zeichenreihe zu unterbres 
hen, nicht wohl für eine Folge der Anterpunction halten, fo 
daß jedes einzelne Zeichen ein ganzes Wort bezeichnete, Zur 
eine Wortſchrift ift- Überhaupt die MVerfchiedendeit der Zeichen 
zu gering „und. die Wiederkehr, ja feldft unmittelbare Wieders 
holung gleicher Zeichen zu häufig, als daß man bier feine 
Buchſtaben s..oder.. wenigſtens Sylbenſchrift vermuthen follte: 
Foͤr letztere ſcheint das Aeußerſtcomplicirte mancher Zeichen, 


‚Illustr. d’uno Zodiaco orientale da G. Hager. 263 


die am Ende der Zeilen iſolirt fliehen, zu fprechen ; wenigſtens 
it die MWerfhiedenheit der Zeichen zu groß, als daß man an. 
eine ganz einfache Buchſtabenſchrift denken könnte, wenn man 
auch noch fo viel Confonanten und Wocalgeihen ins Alphabet 
aufnehmen wollte, Entweder muß man aljo eine große Menge 
von Zeichen als Abkürzungen ganzer Wörter betrachten, wie 
es in der MPerfepolitanifchen Keilſchriſt mit dem - Königstitel 
der Fall ift; oder annehmen, daß in der Babylonifchen Keils 
fhrift die Vocale mit den Confonanten zu einem einzigen Zei— 
hen verbunden zu werden pflegen. Die dadurch entfiehende 
Menge der Zeichen hindert die Weherfiht, und alfo aud die 
Entzifferung ſehr; weniger hindern die befhädigten Stellen 
der Inſchrift, da fie ſich meiftens durch Zufammenhaltung gleis 
her Stellen ergänzen laffen. So find in der erfien Kolumne 
gerade da, wo der Stein am meiften. gelitten bat, die gie 
und zote Zeile mit der ııten und ıaten bis auf ‚die beyden 
Schlußzeichen der gten und zıten- Zeile fich völlig gleich. Man 
muß bey folhen Vergleichungen aber aͤußerſt vorfichtig verfabs 
ren, da zuweilen bey der Zufammenftimmung aller Zeihen.eins 
zeine darunter verjchieden find, die vielleicht auf verſchiedene 
Flerionen deuten. So 5. B., um bey ber erfien Columne 
fiehen zu bleiben, die 5te Zeile gleicht der ten bis auf das 
ste Zeichen, welches auf die beyden gleichen folgt; aber nıd 
dem ten Zeichen ift die MVerfchiedenheit bedeutend, wenn gleich 
die Heine Verfchiedenheit im dritten Zeidden vom Ende, , weis 
es mit den eben erwähnten beyden gleichen Zeichen fühcreins 
flimmt , nur ein Verſehen des Bildners ſcheint. Nimmt man 
Wiederholungen einzelner Zeichenreihen für Wörter an, fo 
töj’e fich die ganze Inſchrift in Wörter von 2 — 5 und mehr 
Zeichen auf, die meiftens oͤfter wiederkehren, längere Zeichens 
veihen wohl 4, fürzere gar 8 mal. In Hru. Lichtenſteins 
Erflärung wird man felten dergleichen Wiederholungen anf 
gleiche Weife erflärt finden; eine Folge der unbefchreiblichen 
Willkuͤhr, mit welcher ein Drittheil der Keile für uͤberfluͤſſig 
erklärt, ganze Zeichen, ja Wörter ausgelaffen, andere dagegen 
eingefchalter, Keile mit Winkeln, und Winkel mit Keilen fo 
vertauſcht jind, daß man die Sinfchrift des Steines in der . 
Enträrhfelung niche wieder zu finden weiß. Die bald hänfigere, 


564 Illästr. d’uno Zodiaco- orientale da G. Hager. 


Bald ſeltenere Wiederholung’ ganzer Zeilen fowohl, als Meines 
rer Zeichenreihen‘; vielleicht auch die Heilige Schen, mit wels 
cher man eine beſtimmte Zeichenreihe in jede Zeile : brachte, 
verbunden mit den allegoriſchen Abbildungen darüber ; läßt 
üuͤbrigens vielmehr. einen religidfen , als’ hiftorifchen-, politiſchen 
oder wilfenfchaftlihen Inhalt vermuthen. Syft vielleicht bie 
Jauſchrift ein feyerlich gefchriebener Toavid oder Taviß-?-- eine 
heilige Gebetform zur Abwendung aller Uebel des Leibes und’ 
der Seele, und überhaupt aller Anfälle böfer Genien , welche 
nur ein Moden’ oder ’Priefter fchreiben durfte. &. Zendav. IT. 
Seichts Sade's N, LXX— LXXVII. Dergleihen Toavids 
enthalten jeßt gewöhnlich die Formel in Pehlewi: „Sch Binde 
dieſe Uebel durch Feuers Kraft und. Feuers» Schönheit, und 
Macht des: glänzenden Feridun Athvians, durch der Irr- und 
Standfterne Kraft u. ſ. f.“, und werden vorzäglih am Tage 
Espendarmad. das Monats Espendarmad (den ı5. Tag des 
legten .Monates im Sahre ): ausgefertige, und den Parfen 
verkauft, um die Dews aus ihren Käufern zu vertreiben, oder‘ 
fie wenigftens zu binden, daß ſie nicht fchaden fönnen. Se 
Zendav. III. Gebraͤuche der Parfen $. X. Man feyert diefen 
Tag noch ‚wie man ihn ſchon zur Zeit des Agathias beging, 
welcher Hist. II. p. 59 davon alfo ſchreibt: Eopeiw TE TO- 
cov melsone TNV TOV xaRdV Aeyoubony Gvaipecrıv TEAoÖ- 
ow, &v n Tov TE bonerov nkeiora xal Tov Air dunv 
dndoa -dypım xal Ephuovoun xardxrteivovreg vois Ma- 
yoıg rpogdyovoıd, Vomep 86 Emideikıv edoeßeiag u. f. w. 
Es Bleibe jedem feine Meynung frey, aber große Velehrung 
in aftronomifhen und hiſtoriſchen Kenntniffen erwarte Nies 
mand von der völligen Enträrhfelung. Hoffnung zu diefer iſt 
jedoch, ſobald die Sprache der Inſchrift Pehlewi iſt, da 
neuern Nachrichten zufolge W. Ouſeley unter andern Merk— 
wuͤrdigkeiten des Orients auch ein Dun s Wotterbach mie⸗ 
mn > ſoll. 

Grotefend.“ 


dd 





| in" 
Capita Theologiae Jadaeorum dogmaticae e »Flavii 'Josephi 
scriptis collecta. Accessit T&P£PY0P super Josephi ‘de 


Capita Theologiae Jud. dogm. auct. Bretschneider. 265 


Jesu Christo testimonio. Auctore Carolo Gottlieb 
Bretschneider, Theol. D. et Annaemont. Superintänd: 
Lipsiae 1812. ap. Joh. Ambr. Barthium. 66 ©. in 5, 


Sofephus hatte im Sinn, über juͤdiſche Religons— 
lehren in vier Büchern gu fchreiben. Archäol. co, 11. vgl. 
mie I, 1.2. Leider! iſt diefe Arbeit nicht auf uns‘ gefommen. 
Sie. würde zwar, da alle Schriften des J. apologerifch für die 
Juden find, nicht unpartheyiſch, ‘dennoch aber für die Kennts 
niß vom Zeitalter des Urchriſtenthums ſehr belehrend ſeyn. 
Der gelehrte Verf. der „Dogmatik der apokryph. Schriften 
des alten Teſtaments“ (Leipzig 1805.) macht ſich daher ein 
wahres Verdienſt, indem er aus ben übrig gebliebenen Wers 
ten des jüdifchen Prieſters und Geihichefchreibers die yerftreus 
ten für die Dogmengefihichte merfwürdigen -Stellen in einem 
gefälligen Lateiniſchen Vortrag nad dem Anhalt -ordnet-, und 
die meiften zugleich mit den Morten. des Driginals felbft ans 
führe. Die Ausführung iſt gedrängt, genau, meift anf Achte 
Hirtorifche Auslegungskunſt gegründet. Wir erlauben ung einige 
bey der Durchfüht aufgefällene Bemerkungen. 

' Contra Apion: I, 8. erklärt bekanntlich, daß die Hebr. 
Schriften feit Artaxerxes Zee nicht fo glaubwuͤrdig feven, als 
die vorhergeganaenen, weil Die genaue Succeffion der 
Propheten nicht geweſen fey. Ara To un yevcodai 
Thv To npodnTov Aarpıßf dıadoynv. Der Verf. deutet 
diee davon, daß, nach der alten Meynung, der Geift, wel 
“her den einen Propheten getrieben hatte, übergegangen ſeh 
auf den andern. (So begehrte Eliſa doppelt -fo viel Antheil 
an Elia's Geift, als ein 'anderer !erhalten möchte. a. Kön. 
2, 9.) Das Beywort: gemaue Succeſſion, ſcheint aber doch 
mehr darauf-zu gehn, daß, fo lange die Prophetenchdre dauers 
ten, der Vorſteher feinen Nachfolger wählte, den er auch” ſalbte, 
1. Könv hg, 16. Hierdurch wurde die Surceffion ampıBas 
eine gemane. Uebrigens zeigt die Stelle, daß auch Hofes 
phus dtedFörtpflangung ‚(und eben damit die den Mationaks 
zwecken gemäße Medaction) "der Nationalgeſchichte unter die 
Gefchäfte "dert Prophetenchoͤre oder Schulen rechnete. Unter 
den: Maffabäern wartete man, ob je wieder ein: ſo 'genam 
autoriſirter Prophet aufftchen würde, ı. Makkab. 14, 41. 


2366 Capita Theolögiae Jud. dogm. auct. Bretschneider. 


Contra. Apion. J. 2. ‚$. 22. wird Gott befchrieben als wop- 
Paiv TE xai ueredog Auiv apavsorxıros. Er fey in Hin 
fiht dee Geſtalt und Größe für uns durchaus unfichtbar, 
Hr. DB. aber will, woepn fey hier ſynonym mit odcia. 
&v noopn Aeoõ ündoxav Phil. 2, 6. möge eben daher erklärt 
werden. Dies ift offenbar unrihtig. Syn; weicher Sprache 
könnte das innere, das Weſen, odoia, durch einerley Wort 
mit dem Aeußern, der Geftalt, bezeichnet werden ?_ Auch fagt 
ber Contert bey Joſephus: keine Materie tauge zu einem 
Dild von Gott, keine Kunft vermöge ihn nachzubilden. 
Beziehen fih Materie, ©An, und Kunft auf das Wefen? Eine 
vichtigere Parallele foigt in der Note 77. veanvioxov uoppi.— 

Wir faſſen mehrere Bemerkungen über das, was bag 
Dogma vom Shidfal nah dem Tode betrifft, ale 
einen der merkwuͤrdigſten Puncte in der Dogmengefchichte zus 
fammen. Daß Sjofephus, der Phariider, in mehreren dogs 
matifchen Vorftellungen befonders in diefer Nückficht von den 
Phariſaͤern abgewichen fey , davon haben die von dem Verf. 
angeführten Beyſpiele den Rec. nicht überzeugt. Im 7. Bud 
vom jüd. Krieg 8.6, 3. ©. 981 fagt Joſ., die fogenanns 
sen Dämonten feyen Setiter böfer Menfhen, wels 
ce die Lebenden anfallen, und die, welche nicht Huͤlfe 
( duch die Wurzel Baaras und Salomoniſche Incantationen 
nad) Archaͤol. 8, a. ©. 257) erhalten, tödten. Nun behaups 
teten die Pharifäer: „alle Seelen hätten eine unfterbliche 
Kraft; unter der Erde aber (ömö xSvros, im Hades) haben 
fie Strafen oder Belohnungen, je nachdem fie im Leben Tu— 
gend oder Bosheit geübt haben, zu erwarten; und für den 
einen Theil. komme. hinzu ewige Kerkerſchaft (elpyuor 
Aidıov npooriIeodar), für den. andern Theil aber die 
Leichtigkeit, wieder (in einem Körper) aufzuleben." paora- 
vnv voö avaßıoöv. Arhäol. ıd, 1. 3. Da hier den böfen 
Menfchengeiftern von den Pharifäern eine ewige Einkers 
kerung zur Strafe gemacht. werde, fo fchließt der Verf. 
S. 52. Sofephus feldft, weicher diefe Seelen noch auf. der 
Erde als Dämonien auf die Menfchen wirfen laſſe, muͤſſe 
hierin von. der Pharifäifchen WVorftellungsart abgewichen ſeyn. 
Allein die ewige: Einkerkerung der Voͤſen wurde, wie die 


Capita Theologiae Jud. dogm. auct, Bretschneider.: 267 


körperlihe Wiederbelebungrder Guten , nicht als etwas fogleich 
nad dem Kommen in den Scheol erfolgendes angenommen ; 
vielmehr war jene ein hinzukommendes Hebel, weiches 
J. nicht ohne Urſache durch ein meoaridgoda: bezeichnet. 
Die Dämonien konnten nod fo lange, bis die Einferferung 
hinzukam, als Urſaͤcher menſchlicher Krankheiten hier oben von 
Joſephus gedachte werden, ohne daß er von feinem 
Pharifäismusahwic. Ferner ließen die Pharifder, zum 
wenigften, gewiß die Seelen der. Guten in einen andern 
Körper Äbergchen, ueraßaivsıv eis Erepov ooua, und 
dadurch die Erleichterung genießen, daß fie aus dem Schattens 
land wieder aufleben, ovaßıoöv. Darüber bemerkt 
&. 52 Quamquam in N. T. Act. 23, 6 — 8. Pharisaei 
mortuorum resurrectionem expectasse dicuntur, 
ad eam te zö avaßıoöv et TO ueraßaiveıw dıc Exspov 
oöua@ referri non possunt, Non.enim dicit Jos. 
eotfpora mortua vitae olim restitutum iri, sed animas 
redituras esse in vitam; non scribit, animas eig TO aödro 
oöua sed eig Erspo» esse transituras; non contendit, hoc 
simul, una die, esse eventurum, sed animas habere fao- 
zoVYnv hoc faciendi, pendere igitur hoc ab animabus ip- 
sis, veniam hanc illis esse datam, während die böfen Sees 
len im Hades gefefjelt bleiben.“ Dem Rec, feheint das, was 
Joſ. als pharifäiihes Dogma angibt, mit der Anzeige des 
N. T. nicht in Widerſpruch gefekt werden zu mäflen. Wer 
fagt: die Seele geht über in einen andern Körper, der 
(äugnet nicht, daß diefer andere Körper fih zum vorigen, 
‚wie. ein nvevuarırzdv zum Wvxıxov, wie eine neue dem 
geiftigeren Zuftand augemeſſene Truhe zum Saamenkorn 
(a1. Kor. 16, 43. 44.) verhalten, alfo ein auferfiandener feyn 
möge, Die paotavn Foö avaßıoov aber iſt fchwerlich von 
einer den Seelen der Guten überlaffenen Frepheit, 
wieder törperlih aufzuleben, wann fie mollten, zu deuten. 
Vielmehr iſt wohl dies der Sinn: Wenn die böfen Seelen 
einft den Zu ſatz (zu ihren vorigen Strafen) erhalten, ewig 
eingekerkert zu jeyn, fo erhalten die guten dagegen die 
Leichtigkeit, von dem Öden Scheol befreyt, als körperlich 
neubelebte forzuwirken. Ohne Körper nämlih war, nad der 


68° Capita Theologiae Jud-dogm. auct. Bretschneider. 


Vorſtellung —— ————— tn‘ vol Gefühl m Freude 
— Leis u Br 

"Wohin aber, dachte man denn, vob die Seelen der Guten 
— dem Tode hinkommen? und wohin ſollten ſie, mit dem 
neuen Koͤrper vereinigt, uͤbergehen? Der Eſſener antwors 
tete: die Seele der Guten geht — ohne Koͤrper — ſogleich 
im einen Torrocg Oixelos, in einen Ort, der (kuͤnftig) ihre 
Heimath iſt, in das jenſeits des Oceans liegende Elyſium oder 
Paradies (vergl. Luk. 25, 45. ) In dieſem Sinn ſpricht 
(B. 7. vom juͤd. Kr. 8, 7.) der S. 54. 55 angeführte Elea⸗ 
zar; und auch bier, um dies im Vorbeygehen zu ' bemerken, 
geht alio ZJeſephus, welcher den Eleazar, zu Maffada in der 
Naͤhe dern Eſſeniſchen Wohnungen, als einen Effener ſpre—⸗ 
chen läßt, nicht von dem Pharifäismus ab. Der Sadducäer 
Raiſonnement ließ die Seelen mit den Körpern vergehen. 
Zaddovxaiorz. tag Yoxas 6 Aoyos ovvasarigeı  Tös 0% 
pacı. Archaͤol. 18, 1.4. Der Pharifäer ließ alle Seelen 
zuerſt in» den Scheol gehen. Dort, zuS’ ddov (melde Phrafis 
— ind xDowös ©. Si nicht bloß, wie ©. 53 angibt, post 
mortem, fondern beflimmt: in Hade, in sede inferorum, 
bedeutet ) find Strafen und Belohnungen, alfo eine Abfondes 
rung der Böjen von den Guten (ein anderer Aufenhalt für 
Abraham und Lazarus, ein anderer für. den reichen SPraffer, 
gut, 16, 20.). Doc fehweben oft jene, wie ſchon nachgewie— 
fen iſt, als Dämonien noch auf der Erde. (Diefe fürchten 
nur, zu frühe wieder in den Abgrund getrieben zu wer— 
den. . Luk. 8, 31.) Späterhin werden die Höfen in dem 
Scheol confinirt, eipyum didıy, die Guten aber in.den 
Himmel verfest Wenn Jofephus in einer Ermahnungss 
rede gegen den Selbftmord diefes Ichtere, ohne des Hades zu 
gedenken, ausipricht („&Kpa obx lore, örı.. . zudapai xui 
isenrooı Yovxal merovoı , X6p0v obpavod Anyodcaı Myın- 
warov, Evdev dx nepırponig aimvav dAyvoıs ndhıy üv- 
seyoixidovraı owwaoıw“ von Jud. Kr. 3, 8. 5.), fo weicht ' 
er auch darin vom Pharifäismne. nicht ab. Er nennt nur 
das 'eingreifendfte Motiv, die einige Werfegung in des Him— 
mels Reinheit, ohne laͤugnen zu wollen, daß die guten Seelen 
zunaͤchſt nach dem Tode, in. dem Hades, und zwar'in dem 


Capita Theolögiae Jud» dogm. auet. Brets@hneider. (269 


paradiſiſchen Theil deſſelben, eintreffen. Daßnalsdann bey der 
Wiederverſetzung in, Koͤrper nicht anhimmliſche, aͤtheriſche, 
ſondern an reine, aber irdiſche Koͤrper zu denken ıfey , welche 
fie relicto coelo bewohnen, ſollten, ſolgert zwar dr. Dr. aus 
dem Woͤrtcheu Eder. von dorther. Dies waͤre dann aber 
eine Verſchlimmerung ihres Zuſtandes, welche ihnen keine My⸗ 
thologie andichten konnte Der Sinn muß alſo vielmehr dieſer ſeyn, 
daß die Seelen der Guten, wenn ſie einſt⸗in den heiligſten Ort 
des Himmels verſetzt werden, von dort her (oder auch: dess 
wegen) nach manchem Zeitenwechſel auch wieder mit 
reinen Koͤrpern verſehen werden. Mach der Vorausſetzung, daß die 
Seele ohne Koͤrper nicht lebhaft genug empfinde, wurde ohne 
‚Zweifel dieſes neue Einwohnen in Reuſchen (unleidenſchaftli⸗ 
chen) Koͤrpern als eine, Erhoͤhung dev Seligkeit betrachtet und 
dabey leicht angenommen, da ſodann der Selige ‚Überall, im 
bimmel und auf Erden, fortzuleben vermöges 01. 1 
Nach all diefem ſcheint ee, daß zwiſchen deu dogmatifchen 
Vorflehungen des. Volks; „der, Phariſaͤer, und. Des. Zojephus 
ſelbſt fein bedeutender Unterſchied zu denken ſey. 
‚Ueber, die. Mech heit der helannten „Stelle, des; %. von 
Jeſue Acchäol. 28, 34,3. 8, 624,1, P9hiQp, Yert- SO. Ggð 
fimmt „Dr Br, mit; Houteville, ( Erwieſene Wahrheit der chr. 
Religion 2749. S. 275-911) Überein,, Dargus,, daß Zus 
fin und andere Apologeten, Tertullian ,„, Drigeneg jene, Stelle 
gar nicht. benußt. haben ‚ folge nicht, daß fie nicht da geweſen 
ſeh. Schon Euſebius habe fie, und fo alle Kandichriften. Der 
Anhalt. ſey paffend, wenn man nur bedenfe, daß in den Wors 
ten; 6 XKoworog odrog Av, der. Name Chriſtus nicht dogmas 
tisch zu verfichen fey,, Sondern als Beyname: „diefer war 
iger: Chriftus,“ naͤmlich ‚der Urheber der Chriftianer, oͤ he- 
youevosg Xgıorös. Die bey Joſephus am menigften zu 
erwartenden Worte: Tav Seiov —B TAOTa  x&L 
Add kopia Sayuagıa wepl abrTod EIpNKöTav, feven nur 
fo, ‚wierdie Chriſten fih auszudruͤcken pflegten, ausgedruͤckt. 
Rec. ift der Meynung: Die Apologeten und befonders Dris 
genes, welcher ctra Cels. I, 47. S. 106 der. Würzb. Ausg. 
die minder bedeutenden Stellen von Sjohannes dem Täufer 
und Jacobus, ale adeApös ’Inooö roö Acyouevov Äpıorow 


270 Capita Theologiae Jud. dogm. auet. Bretschneider, 


ausdruͤcklich benußt, würden auch diefe vollffändigere Stelle 
nicht Übergangen baden, wenn fie damals fo vortheils 
Haft gelautet Hätte, wie jest: Joſephus Aber müßte 
dem Chriſtenthum aͤußerſt guͤnſtig geweſen feyn, wenn fie fo, 
wie jeßt, gelamtet härte; . ind doch weiſ't Drigeries von ihm, 
daß er Kriorov War To ’Inooö ©; Xpiorh und (nad 
Commentar in Matth.) 'Inooöv Außv od Karadrbauevog 
elycat Xpıorov: Woher hätte Drigenesd dies vermuthen ki 
nen, wenn Sof. fih fo, wie man jeßt lief’e, erklärt Hätte. 
Wenn die mildernde Deutungen des. Verf. gelten follten, fo 
würde ö-Xpıorög odrog Evowidero ftatt 3» gefchrieben, und 
bey Tv Beiov npopnrav; ein a; Paciy bengefügt feyn 
muͤſſen. Bis gegen die Zeit des Eufebius Hin muß alfo wohl 
die Stelle ſelbſt in einzelnen, aber leicht veränderfihen, Wors 
ten, gegen die Chriften ungünftiger gelatitet haben. Wie 
konnte of. die Anhänger Chrifti als „das Wahre mit 
Vergnügen annehmend * « AAnIn Adovi Sexouevovug ſchil— 
dern und doch ſelbſt Jude bleiben ? Vermuthlich ſchrieb er 
=’ AiDn (vom Sing. MAdns), und charakeerifirtes fie 
als Leute, welche andere Sitten gerne annehmen, rebus 
novis intentk Eher hat er Sjejus einen orpopög oder or- 
oTpoBog Avap, einen tevolutionäten Mann, gu 
nannt als einen oopos. Zwifchen®Drigenes und Euſebius 
Zeit aber fchrieben chriftl. Abſchreiber voßos und TaAndH: 
Unfere Handfchriften zeigen uns natürlich Peine Frühere Lefer 
art. Das folgende: moAdovg IL zul EMAnvızodg dnnya- 
yero: 6 Xpiorög oüros Av} würde ohnehin etwas untrichtiges 
enthalten, da nicht Jeſus felbft viele Sräciffirende an ſich zog. 
Ich denke, in diefer Stelle fen eine unrichtige Wortabthei⸗— 
lung, und feße Ennyaye zo" „ö Xp. odros w*d.i.ab er. ah 
viele Heiden führte her bey, inducebat, jenes: „der 
Meffias war dieſer!“ Diefer Sprachgebrauch des zo ifl 
nicht nur bey Luk. 22, 57., fondern auch 1. Kor. 4, 6., und 
bey Joſephus ſelbſt, jüd. Kr. 7, 9. 2. in’ Aadndm JE To, ri 
Poovei. Jener Aufruf, jenes Loſungswort der Chriften: Der 
Meſſias war diefer! iſt — dem 'Idod de 6 Xpiwro;! 
m 24, 23. 


Capita Theologiae Jud. dogm. auct. Bretschneider. 271 


Durch diefe, faft unmerklihe, Aenderungen fcheint fih der 
Text fo, wie ihn Sjofephus gefchrieben haben kann, wie for 
dann die Apologeten und Drigenes ihn nicht anyuführen Urs 
fache hatten, wie aber bald daranf die jeßige Tertform aus 
jenem gebildet werden mochte, entdecken und tiederherftellen 
ju laffen. Auch die einzige, noch übrige Wendung, welde 
von Joſephus nicht erwartet werden koͤnnte, ſcheint fich zu ers 
Hören, wenn man darin eine Parentheie vorausjeßt. Er fagt: 
„Auh nachdem Pilatus Jeſus mit dem Creuze beſtraft hatte, 
00x Inadoayro oiye TOÖTov Gyamioavres (Ebayn yap 
adrois, Teienv Exav Hukpav, mulıv dHV) Toy Ieiov mpO- 

9, Tadra za Ark uvpia Savudoıa Tepi AUTO 
tlpnxorav 5 d. i. ließen die, weiche ihn zuvor geliebt Hatten, 
(denn er erſchien ihnen, als er den dritten Tag erreicht hatte, 
wieder lebend !) nicht ab von den göttlichen Propheten, _ 
als folhen, welche dieſes und taufend andere Wunderdinge von 
ihm gefage haben ſollten. IlaveoTaı wird oft mit dem 
Genitiv conſtruirt, wie naveodaı ris Edwdis u. dgl. m. 
Daß ein Gekreuzigter nad) einiger Zeit doch wieder hergeftelle 
werden fönne, mochte Sof. nach der Erfahrung, welche er in 
feiner Vita S. 1031 felbft erzähle, für glaubfich halten. ei- 
enxörov kann in dieler Conftruction auch fubjunctive Bedeu: 
tung haben. Moc deutlicher wäre dies, wenn angenommen 
würde, daß vor radra ausgefallen ſey oc, welches nach der 
Endigung des Worts wpopnrov fehr leicht möglich wäre. 

Im Ganzen hat dieje Heine Schrift ihre Aufgabe ruͤhm— 
lich geloͤſſt. Eine noch fchwerere wäre übrig; auch aus 
Dhilo die Aerandriniich jüdifhe Dogmengefdichte mit aͤhn— 
fiher phitologiicher Gruͤndlichkeit darzuftellen. Möchte der ges 
lehrte Verf. auch dieſe Arbeit unternehmen und dafür eben 
fo viel feinen Sinn für Allegorie und veligidfe Poefie, als 
Sprachkenntniß und biftorijhe Forſchungsgabe, verwenden. - 


2. & © Paulus. 





Rerifon deutfcher Dichter und Profaiften. Herausgegeben von Karl 
Heinrich Zördene. Sechſter Band. Leipzig, in der Weid⸗ 
mannischen Buchhandlung. 1811. Vi und 910 ©, in ar. 8. 


Bey der Anzeige diefes dicken Bandes können wir uns kurz 
faſſen. Er enthaͤlt nichts als Zufäge, Berichtigungen und Sups 
plemente von ſehr verfchiedenem Umfang und Gehalte. Manche 
find dem Litterator fhäßbar, andre aber find auch ſehr unbe— 
deutend,, und wenn Hr. J. fortfahren wird, mit fo weniger 
Strenge „und fo leichter Hingebung aufzunehmen, was ihm 


272 Lexikon Deuticher Dichter u. Brofatiten v. K. H. Joͤrdens. 


vorfommt, und fogar manche einzelne Schriften mweitläuftig zu 
excerpiren, fo ift das Ende diefes Werkes, deſſen gute Seiten 
wir bey der Anzeige der frühern Bände gewiß nicht‘ verfannt; 
fondern offen dargelegt haben, kaum abzufehen. Man findet 
hier ganze weitläuftige Stellen aus andern allgemein befannten 
Büchern in extenso wieder abgedruckt, ſo daß manchmal drey 
bis vier Urtheile über Einen Mann bunt neben einander ftehen. 
Auch iſt jedes einzelne Gedichtchen, welches in eine andere 
Eammlung wieder aufgenommen wurde, namentlich verzeichnet. 
Meben manchen unbeveutenden Artifein kommen aud recht in} 
vor, wie Joh. Georg Hamann, Wilh. Heinfe, 
HM. 8. Lenz, Abrahbamvon Sancta Clara, 5, 
Ehr. Kraufenck u.a. m Bon Sophie Brentanp 
wuͤnſchte man dagegen mehr zu lejen, als man hier &. 586 fa, 
findet. Die Supplemente liefern, von ©. 609 an, zum Theil 
ausführliche — uͤber Ulrich von Hutten, Martin 
£urher (von ©. 654 — 7851), J. N. Meinhard,, ©, 
Schatz, Fr v Koͤpken (ein fehr ſorgfaͤltig ausgearbeiteter 
Artikel), Joh. Joach. Eihenburg. (Unnoͤthiger Weife 
ift Hier S. 777 — 782 der ganze Inhalt der Eſchenburgſchen 
Bepipielfamm! ung angegeben! Solche weitlaͤuftige Negifter, 
die man haͤufig ben Hrn. J. antrifft, vertheuern nur dag Werk. 
So it auch S. 765 fo. Das ganze Handbuch der claſſiſchen 
Litteratur, und e 787 fa. auch die Schrift. Über W. Sha⸗ 
Nespeare excerpirt worden, wobey man ſogar Shakes⸗ 
peare's Leben im Auszuge findet! Uebrigens find Efchens 
burgs zahlreiche Schriften hier mit großem Fleiße zuſammen 
getragen.) J. 8. F. Manſo. (Zum Theil von Hrn. M. ſelbſt 
mitgetheilte Nachrichten.) 8. H. Hepndenreih. (Warum 
wird der fo außerordentlich gerühmte Lehrer Heydenreichs 
S. 819 nicht aud genannt? Sonſt find die Notizen von H. 
Leben und Schriften ſehr ausführlih.) Karı Philipp Moos 
riß. (Hier wird unter andern auch ein Auszug aus der im 
Schlichtegrollſchen Nekrologe befindlichen — zu fireng anatomis 
renden — Biographie Moritzens mitgetheil.) Den Ber 
ſchluß diefes Bandes machen fehr ausführlihe biographifche 
und litterärtfche Machrichten von Karl Lud w. Fernomw. — 
So fehr wir eine Fortießung des angezeigten Werkes wuͤn— 
fhen, fo können wir doch auch unfern Wunſch nicht bergen, 
daß Hr. 5. künftig das Weberflüffige ausfıhließen, und bey 
der Auswahl der zu bearbeitenden Artikel — was im erfien 
größern Theile diefes Bandes nicht immer gefchehen ift — 
flrenger feyn moͤge, ſonſt muß dies Werk zu einer ungeheuren 
Anzahl von Bänden anwachſen. — 
Li. 


—— — -. 


No. 18. Heidelbergiſche 1813. 
Jahrbuͤcher der Litteratur. 





4) Themis, oder Beyträge zur Gefengebung von D. Paul Sobann 
Anfelm Feuerbach. Landshut bey Krül 1812. XIV und 
323 ©. 3. 


2) Betrachtungen über das Befchwornen » Gericht von dem ſelben. 
Landshut bey Krüll 1813, VI und 2426, 8, 


Das Feuerbach, den, als er noch dem Catheder anges 
hörte, und als er durch theoretifche Schriften zu belehren fuchte, 
feine Talente, feine claffifche Bildung, fein heller, Harer Vers 
fand, fein tiefeindringender Scarfjinn und feine Herrliche 
Darftellungsgabe in fo kurzer Zeit zu einem Lieblings s Schrifts 
ftellee des Deutfhen, juriftifhen, Publicums erhoben, nun, 
als Staatsmann, feine Achtung gegen das ihn achtende Pus 
blicum dadurch bekundet, daß er ihm in den angezeigten Schrifs 
ten eine Auswahl intereffanter, duch feinen jeßigen Beruf 
veranlaßter Ausarbeitungen mittheilt, und dadurch ihm gewiſ— 
fermaßen NRechenfchaft über fein Thun und Wirken in feinem 
jetzigen Verhältniffe ablegt, — das ift in der That eine ers 

freulihe Ericheinung! Da das Publicum ihn auch in dieſen 
Ausarbeitungen finden wird, wie es ihn fannte, fo wird der 
Beyfall, mit weichem diefe Geſchenke ohne Zweifel aufgenoms 
men werden, Hrn. Feuerbach hoffentlich veranlaffen, daß 
er fein, auf. diefen Fall in der Vorrede von N. ı. gegebenes 
Verfprehen, die Themis fortzufeßen, vecht bald erfüllen und 
dadurch fich eben fo große Werdienfte um das Fach der Legis— 
lation erwerben wird, ald er fih bisher um das Fach der Sur 
risprudenz erworben hat. Für den Rec. wird dadurch die 
Erfheinung diefer Schriften um fo erfreulicher, denn er ift 
mehr, als irgend einer, davon überzeugt, daß in keinem Fache 
die Deutſche Lirteratur fo wenig, wie in dem der Legislation, 
fih mit der Litteratur des Auslands zu vergleichen vermöge, 
und daß gerade in dem jeßigen Zeitpunct es wahrhaft Noch 
18 


274 Themis u. Betracht. uͤber d. Geſchw. Gericht v. Feuerbach, 


thue, die Richtung auf diefen, Bisher, aus ſehr natürlichen 
Gründen, vernachläßigten Gegenftand den. denfenden Köpfen 
der Nation nahe zu legen, damit auch in diefem Puncte dem 
Deutſchen Namen die Ehre zu Theil werde, welche ihm ges 
buͤhrt. 

N. 1. enthält acht Abhandlungen. J. Betrachtungen 
über den Geiſt des Code Napoleon und deſſen 
Verhältniß zur Geſetzgebung und Verfaſſung 
Dentfher Staaten überhaupt und Baierns ins 
befondere. Der Berf. entwicelt hier, wie die Gefekges 
bung des Code auf den Hauptideen einer volllommenen, 
allgemeinen bürgerlihen Freyheit der Perfonen, einer volls 
kommenen Gleichheit der Gefege für alle Bürger des“ Staats, 
einer mödalihft volllommenen Freyheit des Eigenthums und 
einer abfoluten Selbftftändigkeit und Unabhängigkeit des Staats 
von der Kirche in allen bürgerlichen Dingen, als auf ihren 
eigentlihen Kauptfäulen ruhe, und wie dieſe Geſetzgebung 
eine der Franzoͤſiſchen im Weſentlichen ähnliche Verfaſſung des 
Staats, des Öffentlichen Dienftes und insbefondere der Juſtitz⸗ 
verfaſſung als eine von ihr unabtrennliche Vorausſetzung bes 
trachte. Er entwicdelt, wie fih in allen diefen Grundideen 
und Vorausſetzungen dieſe Geſetzgebung in einem wahren 
MWiderfireite mit den Grundideen und den Vorausfeßungen der 
Deutſchen Gefeßgebung im Allgemeinen, und insbefondere ider 
Baieriſchen, befinde, und mie daher ein Staat, welcher den 
Eode Napoleon aufnehmen wolle, ohne ihn in allen diefen 
Beziehungen zu modificiven, und daducd in feinem innerften 
Lebensprincip zu vernichten , ſich nothwendig ‘in -allen diefen 
Beziehungen zu einem volllommenen neuen Leben umgeſtalten 
muͤſſe. 

Fuͤr denjenigen, welcher bisher an der Behandlung der 
vielfaͤltig ventilirten Frage: über *ie Aufnahme des Code Nas 
poleon in Deutfhen Staaten Antheil genommen bat, enthält 
Diefe Ausarbeitung in der Sache nichts Neues, aber auch eis 
nem folden wird dennoch Feuerbachs Darfiellung wohl’ 
befannter Gedanken Intereſſe abgewinnen, und er wird dabey 
auf manche intereffante Mebenerörterung floßen, weiche gerade 
nicht zu dem allgemein Bekannten gerechnet werden dürfte, wie 


Themis n. Betracht. über d. Geſchw. Gericht v. Feuerbach. 275 


„B. die Erörterung Über den Geift des, gewoͤhnlich fo fehr 
verfannten neuen, Franzöflichen Adelsinftituts. Webrigens muß 
man bey diejer Abhandlung nicht Überfehen, daß fie fhon im 
Jahre 1808 gefchrieben wurde. Wenn man hieran denkt, fo 
gewährt es ein eigenes Intereſſe, den Verf. fchon zu einer 
Zeit auf dem einzig richtigen Wege zu finden, wo die Lebers 
jeugung von der Nichtigkeit dieſes Weges wahrlich noch nicht 
als Gemeingut betrachtet werden fonnte. 

Da Hier der Drr nicht ift, Über die wichtige Frage, welche 
den Segenftand bdiefer Abhandlung Bilder, zu debattiren, und 
da der Rec. Überhaupt, aus mehreren Gründen, an äffentlis 
hen Debatten über diefen Gegenſtand keinen Antheil nehmen 
mag, fo unterläftt er es, dasjenige vorzutragen, was er fonft 
wohl bey einzelnen Aeußerungen des geihäßten Verfaſſers zw 
erinnern haben möchte, und er unterläßt es daher auh, ſich 
über mande wichtige Mebenäußerung zu erklären, 3. DB. über 
die: daß dem Erbadel die Hofämter für immer vorbehals 
ten bleiben follten, — eine Aeußerung, welche diejenigen wohl 
ſchwerlich unterfchreiben dürften, die nicht von der Morhwens 
digkeit einer bürgerlichen Herrſchaft dee Erbadels, wohl aber 
son dem hoch bedeutenden Einfluffe der Hofämter in dem Les 
ben, wie es ift, überzeugt find. Gewuͤnſcht hätte aber Rec., 
daß der Verf. die Frage einer genaueren Prüfung würdig ges 
funden hätte: ob es nicht für einen gegebenen Staat, welchen 
Nachbarfchaft und Politik mit Frankreich verbinden, ſelbſt 
dann noch von Intereſſe feyn könne, den C. N. aufzunehmen, 
wenn er ſich auch nicht Überall, in Anfehung der Grundideen 
und der Verfaffung, Frankreich affimiliven will, und wenn er 
auch demnach den C. N. auf eine Modificationg ; Retorte brins 
gen müßte, wobey ſich der größte Theil feines eigenthämlichen 
Seiftes verflächtigen dürfte? Rec. glaubt diefes aus mehreren 
Gründen ; wovon der paradogefte wohl der feyn mag, daß er 
es für eing der größten Webel hält, welches Deutfchland,, in 
feiner jeßigen Verfaſſung, treffen könnte, wenn jeder Bunddss 
flaat auf den Gedanken käme, ſich ein eigenes bürgerlichts 
Geſetzbuch zu Tchaffen, welches etwas anders, als einen für 
die Localitaͤt modificiiten C. N., darftellen follte, 


276 Themis u. Betracht. über d. Geſchw. Gericht v. Feuerbach, 


I. Ueber die Rechtskraft und Vollſtreckung 
eines von einem auswärtigen Gerichte gefprode, 
nen Erkenntniffes. Diefe intereffante Abhandlung, welche 
in einem Zeitpuncte, wo die dem Art. 14. des C. N. zum 
Grunde liegende engherzige , völferrechtlihe Marime ſich mans 
chem Staate empfehlen fünnte, als ein wahres Wort zu feiner 
Zeit betrachtet werden kann, ift ein fchäßbares expose des 
motifs zu der nahahmungswärdigen königl. Baieriſchen Vers 
ordnung vom 2, Jun. 1811 Über den bezeichneten Gegenftand. 
Es thut in unfern Zeiten wahrhaft wohl, wenn man einen 
Staatsmann von der Idee einer Voͤlkergemeinſchaft unter all: 
gemeinen Geſetzen des Rechts, und nihe von Marimen aus— 
gehen fieht, welche an die Chinefiihe Mauer erinnern. Rec. 
ift mit dem Verf. fowohl in dem Grundſatze, als auch in den 
nothiwendigen Modificationen deffelden einverftanden, nicht 
aber eben fo mit allen Ausführungen des Detaild. So tft 
‚zwar Nec. ganz der Meynung des Verf., daß man im Aus 
lande gegen den dafeldft einen Ausländer beklagt habenden 
Sinländer erlaffene Wrtheile als vollſtreckbar betrachten folle, 
aber er kann nicht einräumen, daß diejes ſchon daraus, daß 
man den linterthanen geftatte, im Auslande eine Klage zu 
erheben, mit Nothwendigkeit folge, und er kann dem Verf. 
nicht beyſtimmen, wenn er fagt: „ich kenne nur das Dis 
lemma : ensweder den auswärtigen Erkenntniffen Vollftreckbars 
keit zu geftatten, oder alle Klagen: dieffeitiger Unterthanen vor 
auswärtigen Gerichten zu verbieten, und demnach den Art. 
14. des C. N. geltend zu machen.“ Gerade der Art. 14. des 
C. N. beweif’t, daß des Verf. Dilemma nicht nothwendig if, 
denn bdiefer Art, ift zwar auf die Vorausfeßung der Unvoll— 
ftrecfbarkeit auswärtiger Sentenzen in Frankreich, aber keines 
wegs auf ein Verbot der im Auslande zu erhebenden Klagen 
geftägt. Ein folhes Verbot exiſtirt in Frankreich nicht, und 
würde auch in einem Falle, wo dir zu belangende Ausländer 
nur im Auslande Güter befist, hoͤchſt thoͤrigt ſeyn. In einem 
foihen Falle Überläße man es in Frankreih dem Franzofen, 
in dem Auslande alle Huͤlfe zu fuhen, welche er daſelbſt fins 
den fann, und man bdenft, in dem Auslande werde mn fchon, 
durch auferlegte genügende Cautionen pro reconventione et 


Themis n. Betracht. uͤber d. Geſchw. Gericht v. Feuerbach. 277 


expensis, dafür forgen, daß es auch den ‚möglichen Verur⸗ 
theilungen des Klägers nicht an Vollſtreckbarkeit fehle. — So 
iſt Rec. zwar daruͤber noch im Zweifel, ob ſich die Staaten 
gegenſeitig eine Univerſalitaͤt des Concursproceſſes vermoͤge alls 
gemeiner Regel zugeben, oder ob fie eine ſolche Univerſalitaͤt 
nur auf befondere Staatsverträge gründen follen; aber dans 
über iſt er nicht im Zweifel, daß der allgemeine Gantgerichtes 
fland fremder Staaten nicht, wie der Verf. ©. 119 meint, 
das Refultat einer Webereinfunft in einzelnen Fällen 
werden dürfe, denn auch völferrechtlihe Marimen dürfen, 
wenn nicht jura quaesita verleßt werden follen, nur für fols 
gende Fälle, feineswegs für den einzelnen, jetzt zu beurtheis 
lenden Fall verändert werden. — So kann endlich Rec. unter 
den Gründen, warum es für die Vollſtreckung des auswärtis 
gen Urtheils eines inländifhen: placet oder pareatis bedürfe, 
den zweyten nicht gelten laffen, welcher aus der möglichen 
Faͤhrdung wohl begründeter Hypothekenrechte durch die Huͤlfs⸗ 
vollſtreckungen in die Subſtanz unbeweglicher Güter abgeleitet 
wird. Wäre nur diefer Grund, jo würde Rec. ohne Bedens 
een die Vollſtreckung, ohne pareatis, geftatten, denn gegen 
diefe Gefahren muß die Erecutionsordnung, nicht dag pareatis, 
fhüßen. 

III. Ueber den Wilddiebftahl. Diefe Abhands 
lung ift ein expose des motifs der befannten fänigl. Baieris 
fhen Verordnung vom g. Aug. 1806. Der firenge Tadel, 
welchen biefe Verordnung erfahren müffen, veranlafte den. 
Berf. zu diefer Herausgabe ihrer Beweggründe. Was ein 
verftändiger Mann zur Rechtfertigung eines folhen Geſetzes 
fagen kann, das hat er wirklich geſagt, Rec. gefteht aber 
offenherzig, daß er fi dennoch mit dem Geiſte diefer Ver— 
ordnung nicht auszuföhnen vermag, und er glaubt, daß der 
größere Theil des dentenden Publicums mit ihm in gleichem 
Galle feyn werde. 

„Wer erweislich mit einem Jagdgewehre Wild angefchofs 
fen, oder erlegt hat, fol, er habe das Thier in feinen Nutzen 
verwendet, oder nicht, folgendermaßen beftraft werden : 

2. Wenn er eine angefeffene, oder im Staatsdienfte ans 
geftellte Perfon, oder ein Sagdbefiger ift, mit einer Geldſtrafe 


278 Themis u. Betracht. über d. Geſchw. Bericht v. Feuerbach, 


von 50 — 100 fl., außer dem Erſatze, dem Verlufte des Ges 
wehrs und der im $. 18. dem Denuncianten zugefagten Ber 
Iohnung von 100 fl., wurde die Handlung aber in einem 
Parke, Thiergarten, oder eingefriedigten Waldung begangen, 
fo foll an die Stelle der Geldftrafe ı — zjährige Gefängnißs 
ſtrafe treten. Im Wiederholungsfalle foll dort an die Stelle 
der Seldftrafe 1 — 2jährige Zuchthausſtrafe, Hier aber an bie 
Stelle der Gefängnißftvafe eine Zuchthausftrafe bis zu 3 Jah— 
ren treten. | | 

79. Dieſe letztern Strafen follen fchon das erſtemal eintres 

ten, went die Handlung von einer andern, als den sub n. ı, 

genannten Perfonen begangen murde.“ | 

Rec. will hier nicht den Mangel des Verhältniffes rügen, . 
welchen jeder darin entderfen wird. Daß eine Perſon aus 
2. 2. wegen der MWilderey in einer eingefriedigten Waldung 
nur etwa um 1% härter geftraft wird, als wegen einer Wildes 
rey an andern Drten, während bey einer Perfon aus n. 1. 
in jenem Falle beynahe eine ıofad Härtere Strafe eintrifft, 
wenn man nämlih, nah $. 10., 10 fl. zu 8 Tage Gefängniß 
anſchlaͤgt. Der Geiſt des ganzen Geſetzes ift es vielmehr, 
welhem Rec. den Krieg erklären möchte. 

Im Allgemeinen nämlid erfheint es Rec. ein Fehk 
griff, wenn man die MWilderey aus dem Sefichtspuncte der 
Diebſtaͤhle ergreifen will. Die Handlung des Diebes erfcheint 
jedem ald niederträchtig, dic des Milderers im Allgemeis 
nen nicht. Rec. erklärt fi diefes daraus, daß, einige Aus 
nahmsfälle abgerechnet, welche denn fehr wohl in einem 
eigenen Geſetze behandelt werden körmten, der animus Jucri- 
faciendi, welcher den Diebſtahl charakterifirt, bey der Wildes 
rey entweder gar nicht, oder doch nicht im eigentlihen Sinn 
vorhanden ifl. Die Yagd s Liebhaberey, welche befanntlih, 
zumal in jüngeren Sjahren, fo leicht in „Jagd s Paffion übers 
geht, und welche, da fie aus dem Intereſſe an der Herrſchaft 
der Kunft Über die Natur hervorgeht, nicht auf unedler Quelle 
ruht, ift der Regel nach die Ergeugerin diefer Unordnungen. 
Sie ift es, die den hitzigen Jaͤger Über feine Gränze hinaus 
führt, und Eingriffe in fremde Nechte bey Menſchen erzeugt, 
welche, unvermögend, ſich felbft eine Jagd zu pachten, fehr 


Themis u. Betracht. über d. Geſchw. Gericht v. Feuerbach, 2y3 


gerne ihre Kunft ohne Eigennutz üben würden, wenn ihnen 
nur ein Sjagdberechtigter diefes geftatten wollte. Gerade darum 
erſcheint es Rec. als ein befonderer Fehlgriff, wenn der Verf. 
die Wilderey mit Jagdgewehr aud nur ‚in irgend einem 
Puncte mit dem bewaffneten Diebftahle zu vergleichen vermag. 
Eher möchte Rec. einen ganz entgegengefeßten Geſichtspunct 
vertheidigen. Ihm icheint es, als ob von den Entichuldigungss 
gründen, welhe dem hißigen, das vielleiht angefchoffene 
Wild Über die Graͤnze verfolgenden Jaͤger zur Seite fliehen, 
feiner für die Handlung desjenigen fpräche, welcher mit Netzen 
u. dgl. das Wild in fremder Bahn zu fangen fucht, denn hier 
if fhon eher animus lucrifaciendi und fhmugiger Calcul, 
welchen man dort nicht zu erkennen vermag. 

Freylich kann die Flinte auf eine für die Entdeckenden 
gefährliche Weile mißbraucht werden, und es fehle nicht an 
traurigen Beyſpielen, wo es geihah. Aber worin, fragt Rec., 
liegt hiervon der wahre und enticheidende Grund ? In euren 
harten, unmenfchlichen Geſetzen, möchte er antworten. Es ift 
nämlich die natürliche Folge unverhältnißmäßig. firenger Strafs 
geſetze, daß Alles confpirirt, um fie zw umgehen, big auf den 
Kichter zu, welcher fie handhaben fol. Wer könnte es aud) 
einem Nichter. verdenfen, wenn er fich fcheut, einem jungen 
Menfchen, der zum erftenmale in feinem Leven eine Wachtel 
in fremdem Jagdbezirke ihoß, zu 1 — jährigen Zuchthauſe 
und zur Zahlung von 100 fl. an den Denuncianten zu verurs 
heilen ?_ Und felbft den Denuncianten werden diefe 100 fl. 
wie ein Blutgeld drädfen, und er wird vor feines Gleichen 
darum als mit einer levis notae macula behaftet erfcheinen, 
weil er aus Eigennuß einem gemißbilligten Gefege einem. 
Menichen zum Opfer bradte. So werden denn die zu hartem _ 
Geſetze nur felten angewendet werden, und ans der dadurch 
gefteigerten Hoffnung , ungeftraft dem Vergnügen opfern zu 
tönnen, wird fih die Zahl der Kontraventionen gegen. das 
Geſetz vermehren. Nun aber führt das Ungluͤck für den Cons 
travenienten den Momente der Entdedung berbey! Da fieht 
nun die entehrende Strafe mit ihrem ganzen fheußlihen Ges 
folge vor feiner Seele. Er muß die Entdeckung verhindern, 
und fo wird er peinlicher Verbrecher, um nicht als peinlicher 


280 Tpemis u. Betracht. über d. Geſchw. Gericht v. Feuerbach. 


Verbrecher behandelt zu werden. Selbſt ;die erlaubte Pfäns 
dung der Flinte, welche wohl nicht minder, wie die fämmtlis 
hen Privat » Pfändungen, wenigftens gegen nicht unbefannte 
Perſonen, abgeichaft zu werden verdiente, iſt nicht felten die 
Veranlaſſung der aus der Wilderey fich entwickelnden größeren 
Verbrechen, denn die unnöthiger Weife ausgeuͤbte Privass 
Gewalt empört leicht felbft denjenigen, der millig ſich der oͤf⸗— 
fentlihen Strafe feiner Fehler unterwerfen würde. 
Doch Rec. kann hier diefen Gegenſtand nidyt weiter ver: 
folgen, er glaubt aber, daß geringere, und zwar, der Negel 
nah, Seldftrafen, weit beftimmter der Wilderey entgegenwir; 
fen werden, als ſelbſt die Todesftrafe, denn diefe wird nicht 
ausgeuͤbt werden, wohl aber jene, wenn fie fo gewählt fint, 
daß fie, bey einem dem Volke gegen die Wildfhäden garans 
tirten Schuße, die Öffentliche Meynung für fih gewinnen, und 
fhwerlih wird man in einem Rande, welches fich einer folchen 
milden Strafgefeßgebung erfreut, und welches in der Regel 
feine Privats Pfändungen kennt, von gefährlihen Wilds 
dieben hören, ſchwerlich wird es in einem folhen Lande Leute 
geben, welche die Wilddieberey als Nahrungszweig treiben, 
denn in ihm wird fih nicht die Gewohnheit der Milddieberey 
erzeugen, welche nur auf der lange ungeſtraft fortgefesten 
Betreibung diefes Handwerks wurzelt. 

IV. Weber die Beftehung der Staatsbeamten. 
Ein expose des motifs der koͤnigl. Baierifhen Verordnung 
vom 9. Sun. 1807 über den bezeichneten Gegenftand. Sjeder 
wird daffelbe mit Sintereffe lefen, und den berrlihen Ausfühs 
rungen dee Verf. über die zu erhaltende Heiligkeit und Unbe— 
fleciheit des Staatsdienftes und Über die traurigen Folgen 
einer gutmäthigen Schonung der das Heiligfte Herabwärdigens 
den Staatsbeamten gewiß mit Weberzeugung benftimmen. O6 
daffelbe von dem Vorſchlage des Verf. gelte, daß man den, 
Staatsdiener und den Beftechenden ſich gegenfeitig gemiffers 
maßen zu Wächtern beftellen, und zwifhen beyden ein heiljas 
mes Miftrauen dadurh gründen folle, daß man auf der 
einen Seite dem Staatsdiener die Anzeige eines. jeden Ber 
ftehungsfalls bey Strafe anbefehlen, und fein beſchwornes 
Zeugniß, wenn es. nur durch irgend einen Vermuthungsgrund 


Themis u. Betracht. über d. Gefchw. Gericht v. Feuerbach. 281 


unterüßt werde, zu vollem Beweife erheben, auf der ans 
dern Seite aber dem Beftechenden, für den Fall der von 
ihm zuerft gefchehenen Denunciation, Straflofigkeit, Wieder- 
erlangung feines Geſchenks und eine Belohnung von der Hälfte 
der von dem Beftochenen verwicelten Geldbuße verheißen folle, 
— darüber möchte Rec. nicht fo geradezu entfcheiden. In— 
genids ift der Gedanke gewiß, auch fuͤrchtet Rec. eine 
Nachtheile von dem letteren Theile des Vorſchlags, abe die 
Erhebung des beſchwornen Zeugniffes des &taatsbeamten zu 
vollem Beweife fcheint ihm zu bedenflih zu feyn, und dem 
Staatsbeamten, welcher, der Regel nah, nur in Hinſicht feis 
ner Kenntniffe und Fähigkeiten, nicht aber in Hinſicht feines 
Charakters, Prüfungen beftanden hat, einen zu großen Spiels 
raum zur Befriedigung unedler Neigungen darzubieten, indem 
er, bey der Realifirung dieſes Geſetzesvorſchlags, keineswegs 
bloß, wie der Verf. meint, das zu erwirken vermag, daß fein 
Fein» dem Fiscus in den doppelten Erſatz des angeblich dars 
gebotenen Geſchenks verurtheilt werde, fondern es vielmehr 
ihm anheim gegeben ift, vermittelt Fluger Benutzung eines 
fcheinbaren Umſtandes, die bürgerliche Ehre feines Feindes zu 
brandmarken, was unendlich viel mehr ift, und was die Rach— 
fucht öfters wohl gerne durch eigene bedeutende Aufopferungen 
zu erfaufen verſucht feyn dürfte. 

V. Weber die Aufhebung der Folter. Eine Abhands 
(ung , welche auch derjenige, der über den Gegenſtand derfels 
ben fhon lange mit fih feldft einig ift, doch mit wahrem 
Intereſſe lefen wird, meil fie eine vortreffliche hiſtoriſche Zus 
fammenftellung, und über dir Aufhebung der Folter in Defters 
reich felbft bisher unbefannte Motigen enthält, welche der Verf. 
aus einem handfchriftlihen Auffage des ú— — 
Sonnenfels entlehnt hat. 

VI. Ueber die Coltifion verſchiedener in dem— 
ſelben Staatsgebiete geltender Strafgeſetzge⸗ 
bungen. In Baiern herrſchen nicht mehr als fuͤnf, an 
Geiſt und Inhalt verſchiedene Strafgeſetzgebungen, — ein 
Zuſtand, welcher es gewiß fuͤr Baiern ganz beſonders wuͤn— 
ſchenswerth machen muß, daß ſeine Hoffnung auf die Erſchei— 
nung des neuen Strafgeſetzbuchs baid in Erfuͤllung gehen moͤge. 


232 Themis u. Betracht. über.d. Geſchw. Gericht v. Feuerbach. 


Daß ſich aus dieſem traurigen Zuftande vielfahe Kollifionen 
und aus diefen Anfragen der Gerihte erzeugen mußten, war 
natürlich. Den Anfragen dieſer Art verdankt dieſe Auhands 
lung ıhren Uriprung. Der Verf. enticheidet dafür, daß ein 
Baieriſcher Unterthan nah den Geſetzen feines Domicils und, 
wenn er in verjchiedenen Diftricten domiciliüirt fey, nad) der 
milderen Be beftraft werden folle, Da die geduldete . 
DVerfihiedenheit der Geſetzgebungen in einem Reiche nur. das 

durch einen vernünftigen Sinn erhalten fann, daß man ans 
nimmt, der Gefeßgeber habe die verichiedene Mationalität der 
ihm unterworfenen Voͤlker einer bejonderen Beruͤckſichtigung 
würdig gehalten, So if dieſe Entſcheidung gewiß die einzig 
richtige, und es ift gewiß eben fo richtig, daß in Anſehung 
der nicht in Baiern Domiciliirten, für welche diefer Geſichts— 
punct nicht enticheidet, die Geſetzgebung des Orts, wo das 
Verbrechen begangen worden ift, zus alleinigen Morm für die 
richterlichen Urtheile erhoben wird. Es gibt noch andere Staas 
ten in Deutſchland, in welchen diefe fihöne Abhandlung von 
der Geſetzgebung einftweilen zum Mufter gewonnen zu werden 
verdiente. 

VI. Sotlen die Criminalprozeßkoſten vors 
gehen der. Entfihädigungsforderung des Belei— 
digten? Der Verf. entfheider, mit Ausnahme der Koften, 
welche auf Wiedererlangung und Erhaltung der entwendeten 
Sache verwendet wurden, fehr richtig für die verneinende Bes 
antwortung. 

VII. Entwurf eines Staatsvertrags über 
die gegenfeitigen Berihtsverhältniife zweyer 
benahbarten Staaten. Dieſer Entwurf ift auf die 
richtigen vwölterrechtlihen Grundſaͤtze, welhe in der zweyten 
Abhandlung aufgeftellt worden find, geflüßt, und geht in dag 
nähere Detail aller derjenigen Fragen. ein, über welche in 
Anfehung der Serichtsverhättniffe Collifionen entftehen können. 
Im Ganzen kann diefer Entwurf recht wohl zum Mufter für 
ähnliche Regulative unter andern Staaten empfohlen werden, 
obgleih Rec. damit nicht fagen will, daß nicht in einzelnen 
Puncten manches auch wohl anders beftimmt werden könne. 
So ift z. B. die Frage: ob die Erbfchaftsllage in Anfehung 


Themis u. Betracht, uͤber d. Geſchw. Bericht v. Feuerbach. 283 


der in ;den verfchiedenen Staaten gelegenen Immobilien 
zu theilen fey ? in dem $. 15. bejabend entfchieden und gewiß 
fehr richtig, wenn man auch nur in einem der contrahirenden 
Staaten von dem, nah Rec. Meynung, vorzäglicheren Grunds 
fage aufgeht, daß die Immobilien nah den Geſetzen des 
Dris, wo fie gelegen find, vererbt würden. Wenn aber der 
Staatsvertrag zwifchen Staaten geichloffen wärde, welche beyde 
von dem Nechtsjage ausgehen, daß auch in die Immobilien 
nad) den Geſetzen des Wohnorts des Erblaffere geerbt werde, 
fo würde aller folide Grund zu der wahrhaft läftigen Theilung 
der Erbichaftsllage Hinwegfallen, und es würde alsdann viel 
vorzäglicher feyn, wenn dieſe Saaten gegenfeitig die auss 
fließende Competenz des Gerichtsftands des Wohnorts des 
Erblaffers für diefe Klage, welche ohnehin gewiffermaßen ges 
miſchter Natur ift, anerfennten. 


N. 2. ift zwar urfpränglich auch durch die Amtsarbeiten 


des Verf. veranlaßt worden, und eben darum ſchien es dem 
Rec. zweckmaͤßig, die Anzeige diefer Schrift mit der Anzeige 
der in der Themis enthaltenen Berufsarbeiten des Verf. zu 
verbinden; da aber hier dem Verf. fein amtliher Vortrag 
nur als Beranlaffung zu einer freyen, wiflenfhaftlihen Bears 
beitung des hoch wichtigen Gegenftands der Gefchwornen s Ges 
richte gedient hat, und da diefe Behandlung als-eine wahrhaft 
erichöpfende betrachtet werden kann, fo hatte er allerdings ſehr 
gute Gründe, fie, als ein eigenes und feldftftändiges Werk, 
dem Publicum zu Übergeben, und dadurch auch für das In—⸗ 
tereffe derjenigen zu forgen, welche zwar wohl der Gegenftand 
diefes Werks, nicht aber gerade eine Sammlung von Arbeiten 
für die Geſetzgebung überhaupt intereffiren ſollte. So beſchei⸗ 
den auch der Verf. bemerkt, daß er feinen eigentlichen Plan, 
den Gegenftand der Gejhmwornen s Gerichte, in hiftorifcher, 
politifcher und criminalrechtliher Hinſicht, ganz vollſtaͤndig zu 
behandeln, nicht habe ausführen können, und daf daher, wie 
auch der Titel ankündige, feine Abfiche vor der Hand nur 

darauf gehe, Betrachtungen Über diefes Thema zu liefern, 
fo ift doch in diefen. Betrachtungen wirklich eine fo vollftändige 
und, ec. darf diefes Hinzufügen, eine fo meifterhafte Bes 
handlung des Gegenſtands enthalten, daß folgenden Bearbeitern 


284 Themis u. Betracht. über d. Geſchw. Gericht v. Feuerbach. 


ſchwerlich in einer anderen, als etwa in der hiſtoriſchen Hinſicht, 
eine fruchtbare Nachleſe verftattet ſeyn dürfte. 

Eine folhe Behandlung durfte nun ein Gegenftand allers. 
dings in Anspruch nehmen, welcher, neben dem hohen ns 
tereſſe, welches ein Inſtitut an fid) verdient, das von dem 
freyen Engländer als einer der Hauptpfeiler feiner conflitutios 
nellen Freyheit betrachtet wird, dadurch für Dentfchland, im 
Diefee Periode der Erifis für die Gefeßgebungen, nothwendig 
an Sintereffe gewinnen muß, daß die Jury, von Frankreich 
aus, nun auch jhon für manche Deutfchen Länder das Recht 
eines Eingevürgerten erlangt hat, und daß daher in einem 
jeden Deutfhen Staate, wo diefes zwar noch nicht gefchehen, 
aber denn doch aud die wuͤnſchenswerthe Neform des bisheris 
gen Deutſchen Criminalweſens nicht mehr zu umgehen ift, es 
"wahrhaft an der Zeit fcheint, die Frage: ob man dem Fremd— 
linge die Graͤnze fließen, oder ihn auch bey "fich freundlich 
willtommen heißen folle? einer ernfllihen und gründlichen 
Prüfung zu unterwerfen. 

Das: nil admirari war zwar auh in Anfehung diefes 
Gegenſtands den Deutichen fehr nahe gelegt worden, als fie 
fahen, daß, bey der neuen Criminalgefeßgebungsreform in 
Frankreich, fich faft die allgemeine Stimme: gegen die Beybe— 
Haltung der Geihmwornen » Gerichte erflärte, und daß, ohne 
den perfönlichen Einfluß des Kaifers, welcher dieſes Inſtitut 
mit einer wahren Vorliebe behandelt, feine Beybehaltung wohl 
ſchwerlich würde befchloffen worden feyn; indefjen genügen die 
Franzoͤſiſchen Acten zu einer vollkommen erichöpfenden Prüfung 
der großen Frage allerdings nicht, weil die Gegner der Ges 
ſchwornen- Gerichte fih faft gang auf die Erfahrungsbeweife 
beſchraͤnkten, in weichen ſich die Vermwerflichkeit der revolutio— 
nären Jurys freylich auf eine Höhft traurige Weiſe zur Ges 
nüge documentire hätte, bey welchen es aber doch immer noch 
Höchft zweifelhaft blieb, ob man daraus wirklich gegen das 
Inſtitut ſelbſt etwas folgern könne, oder ob nicht vielmehr 
alle Schuld auf die unzweckmaͤßige Einrichtung deffelden in 
dem revolutionären Frankreich falle. Es war daher eine tiefere 
Prüfung der. Sahe durch die Franzdiiihen MWorarbeiten keis 
neswegs unnöthig gemacht worden, und der Verf. verdient 


Temis u. Betracht. über d. Geſchw. Gericht v. Feuerbach. 255 


wahrhaft den Dank des Publicums, daß er fih diefer Prüs 
fung in der Art, wie er es gethan hat, unterzog. 

Die in den drey leuten Betrachtungen enthaltene Ausfuͤh⸗ 
rung, daß die Gefhmwornen s» Gerichte in criminalrechtiicher 
Hinſicht, d. h. als Mittel für eine richtige, partheylofe, der 
Unihuld ungefährliche, und doc die Schuld nicht beainftigende 
Ausuͤbung der Kriminalgerechtigkeit, bey weitem an Werth 
hinter gehörig organifirten, aus inamoviblen Richtern zufams 
mengeſetzten Collegien zuruͤckſtehen, und daß alle theils vorges 
fhlagenen,, theils neuerdings in Franfreih in Anwendung 
gebrachten Werbefferungsverfuhe durchaus unvermögend feyen, 
fie zu einem gleihen Werthe zu erheben, — darf mit Recht 
eine volllommen gelungene, keinem Zweifel Raum laffende 
genannt werden. Dem Rec., welcher immer dieſe Anficht 
hatte, ift, durch die Lectuͤre diefer vortrefflihen Ausführung, 
gar manches, was er bisher mehr dunkel ahndete, als fi 
deutlich dachte, volllommen flar und deutlich, es ift ihm das 
durch feine eigene Anſicht erft zu einer volltommenen Lebers 
zeugung erhoben worden, und er glaubt, verfichern zu können, 
daß es den mehrften Lefern eben fo eraehen, und daß in Zus 
funft über diefen Punct fchmwerlich mehr eine der 
Meynungen flatt finden werde. 

Sn politifher Kinficht dagegen, d. h. als Theil der 
Staatsverfaffung eines Volks und als Mittel, die Freyheit 
der Nation gegen die Eigenmacht Weniger zu fihern, findet 
der Verf., in den erfieren Betrachtungen, das Inſtitut der 
Sefhwornen s Gerichte mit dem inneren Geiſte einer, wenn 
auch nur theilweifen Democratie fo innig verbunden, daß im 
folhen Verfaffungen man fehr wohl, wie es in England ge— 
ſchieht, annehmen tönne, die criminalrehtlihen Nachtheile 
des Juſtituts koͤnnten gegen feine politifche Worzäglichkeit, ja 
gewiffermaßen Nothwendigkeit nicht in Anſchlag gebracht wer⸗ 
den. Nichte fo in reinen, wenn gleich conftitutionellen Mos 
narhieen! Als Schußmittel einer politifhen Freyheit, 
welche es hier nicht give, kann in diefen Merfaffungen das 
Inftitue der Jury nicht gedacht werden, es würde daher hier 
nur als Schußmittel der bärgerlihen Freyheit ergriffen 
werden können, wozu ihm denn auch der Verf. zwar die Taugs 


286 Themis m. Betracht. über d. Geſchw. Gericht. v. Feuerbach. 


lichkeit nicht abfpricht, wohl aber behaupter, daß ihm keine 
vorzuͤglichere Tauglichkeit für diefen Zweck, als den criminals 
rechtlich vorzägliheren Richter s Collegien, zugefchrieben werden 
koͤnne. In diefem Reſultate: daß duch wohl organifirte Ges 
richtshöfe die perfönliche Freyheit nicht mehr gefährder und 
niche weniger gefihert werde, als durch Geſchworne, wird 
jeder aufmerkfame Lefer der Schrift gerne mit dem Verf. übers 
einftimmen, wenn glei) Viele, mit dem Rec., Anftand hebs 
men werden, das Näfonnement des Verf. zu unterfchreiben, 
durch welches er aus der Möglichkeit, daß der Souverän ſich 
über die Schranken der Eonftitution hinwegſetzen könne, die 
Sragilicät eines in den Geſchwornen geſuchten Schußmittels 
der bürgerlichen Freyheit deducirt. Diefes gange Räfonnement 
würde eben fo gut gebraucht werden können, um das in wohl 
organifirten Collegien von Richtern, welche die Conftitution 
für inamovibel erflärt, geſuchte Schugmittelider Freyheit für 
eine morfhe Stüße zu erklären, und eben darum wird dieſes 
ganze Näfonnement volltommen durch die herrliche Ausführung 
des Verf., am Ende der zweyten Betrachtung, widerlegt, im 
welcher die Gründe, warum aud) reine Monarchieen eine ger 
nügende Garantie für die Erhaltung conftitutioneller Einricyrs 
tungen gewähren, mit Kraft und Salbung zufammengeftellt 
find. 
Wenn nun in reinen Monarchieen das Snftitut der Ger 
ſchwornen feinen politifhen Worzug hat, wer könnte dann, 
bey feinen unbeftreitbaren criminalrechtlichen Nachtheilen, auch 
nur verfucht werden, zwiſchen ihm und dem Inſtitute er 
srganifirter Serichtshöfe zu wählen? 


Schabkäfllein des rheinifchen Hausfreundes von J. B. Hebel. Für 
bingen in der Cottaifhen Buchhandlung. 1811. 296 ©. 8, . 


Diefes Schagfäftlein wird fchon fo weit und breit gelefen 
feyn, daß unfere Anzeige zu fpät kommt. Indeß ſchadet dies 
fes nicht; denn was lobenswerth ift, foll man immer loben 
und rühmen. Und Hiezu haben wir Grund und Wrfache. 


Schatzkaͤſtlein des rhein. Hausfreundes von J. P. Hebel, 287 


Denn wir haben dieſes Buͤchlein (ſo nennen wir es mit dem 
Verfaſſer, wegen ſeines Inhalts und Zwecks, denn nach 
feinem Umfange kann es wohl ein Buch heißen) Kindern 
und auch VBauersleuten zu leſen gegeben, und fie haben «8 
fehr gerähmt , und gewänfht, daß mehr folhe Bücher feyn 
möhten. Der Hausfreund weiß aber auch recht luftia und 
anmuthig zu reden und zu erzählen. Wer fih an feinen Alles 
mannifhen Gedichten erfreut hat, erkennt auch in dieſem 
Schapkäftlein feinen Dann wieder. Man fiehet, wie er oft 
unter dem Volke gewefen, und dem gemeinen Mann ins 
Herz und in die Augen und auf den Mund geſchaut hat, 
und doc; dabey ein feiner Mann ift, der zu nehmen und zu 
geben weiß. Sonſt ſtanden diefe Leſeſtuͤcke in dem Badi— 
ſchen Landkalender, gleichſam um die Zeit zu kuͤrzen und zu 
würzen, wie fie denn in einem Kalender fo duͤrre und langs 
weilig dafteht, oder Einem zugezählee wird, daß man das 
bey einer Würze und eines Labfals ungern entbehrt. Da 
hat nun der Hausfreund alleriey aus feinem Schatz hervors 
geholt, Altes und Meues, und bat es dazu gar nett und 
luſtig aufgeftußt, fo daß es Herz und Sinnen leichtli vers 
frenet, auch manche gute und fchäne Lehre und Warnung 
giebt, wie es dem Hausfreunde geziemet und wohl anftehet. 
Er nimmt gleich anfangs einen hohen Flug, und wagt fi 
unter das. Weltgebäude und zwiſchen die Sonnen und Pla— 
neten, aber fo hoch er auch ſchwebt, man erkennt doch ims 
mer den alten Hausfreund, und er ftellt fih niemals unges 
baͤhrdig und hochmuͤthig, und weiß von den Sternen und 
ihrem Weſen fo deutlih zu reden, als ob er fie felber ges 
macht, oder doch wenigftens unter Auffihe Hätte. Man er— 
kennt leicht, daß er lange Zeit muß den Kalender regiert 
haben. Indeß bleibe er nicht lange oben, und kommt bald 
wieder herunter, aber wenn ed ihm gemäthlich und dem Les 
fer Heilfam ift, ſieht man ihn wieder in der Höhe bey dem 
Sternen. Denn läßt er fi hernieder, mo es ihm beliebt, 
im Morgenlande zwiſchen Türken und Arabern, oder in eis 
nem Gemäje » Garten zwifchen Raupen und Kohipflanzen, in 
einer Schule, wo er rechnet, oder in einer Schenke, wo er 


288 Schapkäfttein: des rhein. Hausfreundes von J. P. Hebel. 


erzählt, . was ihm in den Sinn kommt, und den Zuhörer 
mehr erfreut, als fein Schöpplein. Es mus Einen dauern, 
wie der Hausfreund den Kopf und die Hände fo voll bat, 
und man fürcdter, er möchte fih todt reifen und erzählen, 
ehe das Buch zu Ende if. Da iſt's denn eine große Freude, 
gleich im Anfange zu vernehmen, daß der Hausfreund auch 
zwey Gehälfen befommt, naͤmlich den Adjunct und die Ads 
junctin, feine Schwiegermutter. Der Adjunct muß auch fos 
gleich eine Standrede im Gemäfe » Garten feiner Schwieger: 
mutter halten, und der Hausfreund fann nun wieder Athem 
(höpfen, und fo loͤſen fie fi einander ab, und bringen 
das Buch glücklich und lebendig zu Ende, und werden hof 
ſentlich noc lange fortfahren, Kalender zu machen. Der 
Adjunct hat auch noch eine befondere Gefchicklichkeit, die der 
Geſellſchaft bey dem trocdnen Kalender machen, gut zu flatten 
kommt. Nämlich er verfieht die Kunft auf dem Blatt zu 
pfeifen, und dadurd dem. Hausfreund fo in Begeifterung zu 
feßen, daß diefer fogleich in feiner Weife ein Liedlein- begins 
net, wie 3. E.: Der lieb Gott hat zum Frühlig afeit: Gang, 
det im Wuͤrmli au fei Tiſch u. f. w. Mer hieraus nun 
das Schapfäftiein noch nicht kennt, mags felber: lefen, und 
das wird ihn nicht gereuen. Vor allen le’ es, wer mit dem 
Bolt viel zu thun hat, und das Volk lieb hat. Auch kann 
man es dem Volle und gemeinen Mann, der etwas leſen 
will, in die Hand geben, damit er fih in trockner Zeit daran 
erluftige. Denn ein froher Muth ift doch das halbe Leben. 
Kinderledrer und Schulmeifter können auch Nutzen daraus 
ziehen.  Abfchreiben wollen wir michts daraus ; denn dag 
ganze Büchlein hat ung gefallen, und wir wiffen nicht, was 
wir daraus wählen follen. Auch iſt's gedruckt wohlfeiler, als 
wenn man’s abfchreiben wollte. Wir wünfhen dem Lalenders 
machenden Kleeblatt am Oberrhein, daß fie noch lange mit 
den Sahreszeiten und Monden fortgehn und Allerley aus ihrem 
Schatz hervorlangen mögen. 
| EUR. 


ne — 


No. 19. Heidelbergiſche 1813. 
Jahrbuͤcher der Litteratur. 


Plutarchi Chaeronensis Vitae Timoleontis, Gracchorum et 
Bruti, Animadversionibus instruxit Fridericus Wil- 
helmus Fabrici, Darmstadiensis. Lipsiae, sumtibus 
E. B. Schwickerti. MDCCCXII: 1806. 8 


Her Fabrici Hat nach feiner Werfiherung aus keinem am 
dern Grunde diefe Biographieen aus den übrigen zur Bears 
beitung gewählt, als weil er vorzuͤgliches Wohlaefallen an 
ihnen gefunden Eirigen Einfluß mag indeß wohl auf feine 
Wahl die Bredow’ihe Sammlung gehabt haben, und da diefe 
in mehreren Schulen mit gutem Nutzen eingeführt ift, fo hätte 
er immer auch den Philopomen, den fie mehr hat, mit neh— 
men mögen. Dach dem, was der Herausgeber hier geliefert 
hat, fcheint er ein junger Philolog von guten Anlagen, von 
fhäßbarer Belejenheit und von vieler Liebe für fein Studinm. 
Er wird es darum nicht Übel deuten, wenn wir ihn zuwörderft 
im Allgemeinen auf einige fleine Unarten aufmerfiam machen, 
ducch die er manchem feiner Lejer die Bekanntſchaft mit fi 
etwas verleiden wird. Was foll 3. B. das befchwerliche Ans 
häufen von Citaten in Fällen, die keiner langen Sjnduction 
von Benfpielen bedürfen, ja bey ganz triviellen Dingen. Die 
Zeiten von Klo& und Coniorten find, Gott fey Dank, vors 
über. So werden S. 117 zu dem bekannten Gebrauch des 
E50» nicht weniger als fieben Stellen und fieben -Philologen 
aufgerufen ; die Bedeutung von Creyxrocç wird ©. 74 mit 
ı2 Citaten belegt. Und fo öfters, wo nicht felten das Eine 
Citat die andern überflüffig macht, da fie darin ſtecken. So 
forgfältig aber der Heransgeber in der Negel andre zu citiren 
pflegt, fo ſchlecht fih feluft, 3. B. ©. ıg ceterum vide in- 
fra Was foll das? vide quae monuimus ad Gratchos; 
jam alibi hanc rem tetigi ©, 17. 57. 122. ıdı und ©. 16 


19 


290 Plutarchi Chaeron. Vitae Timol. ed. Fabrici. 


gar: sic Jam supra in Tib, Graich, c. I. habuimus, was 
erft folgt. Ein feltfames Verſehen. Gegentheils vermifie man 
hin und wieder. fremde Citate, 3. DB. bey der Note S. 89 zu 
maidoy undEv dapepovras, die ihrer Subſtanz nah aus 
Wyttenbach zu Phaed. ©. ıd2; ©. 11 zu dvaxakunenpıor, 
die aus Weffeling zu Diod. I. ©. 351; S. 55 zu wixpas 
npoPaoEwnS, die aus Coray entlehnt if. S. g verfidert er 
durch mehr als fiebzig Stellen gegen Hermann (ad Viger. 
©. 760) beweiſen zu können, daß Am; Te auch ohne 
xar ſtehen könne, führt aber feine einzige an, 

Nicht minder ftöhren in fo furzen, ja kargen Erfläruns 
gen des Textes die vielen gelegentlihen Emendationen und 
Erläuterungen fremder Schriftfteller , die wir nöd), zumal bey 
einem angehenden philologiihen Schriftſteller, entfchuldigen 
wollten, wenn fie nicht zu oft mit faft lächerlicher Gewaltthaͤ⸗ 
tigkeit durch zwey, drey Mittelglieder, oder nur durch die 
Nachbarſchaft des Buches, des Capitels 1c. herbeygezogen wuͤr⸗ 
den. Man ſehe ©. 24 zu dıagepew, ©. 51 zu PBovo, 
©. 59 zu zaracrnuarızda, S. 65 zu lınapeiv, ©. 119 
zu ond yrpos u. f. w. In der Eile diefer gelegentlichen Ob— 
fervationen gefchieht auch wohl ein fchwer zu verantwortendes 
Unrecht, wie ©. 58, wo man lieſ't, daß Wyttenbach (ep. 
crit, ad Ruhn. J, 14.) die füße Gefpannfchaft der Mufen 
und Grazien im Euripides nicht zu finden gewußt habe. Diefe 
Unwiffenheit muß fortdauern, denn er hat auch an der Spitze 
ſeiner Polymathie der angenehmen Syzygie den wuͤthen⸗ 
den Herkules zum Begleiter zu geben, noch immer nicht 
für dienlich erachtet. — Die ©. 33 getadelte Bemerkung 
von Zzſchucke gehört nicht zu Eutropius, ſondern zu Florus 
I, o..5.- 

Einen wahren Abſcheu hegen mir unfrer Seits gegen bie 
Sormel, die ungefähr fo lautet: Hoc jam dudum conjece- 
ram, postea vidi in idem incidisse. — Diefe zweydeutige 
und erbettelte Anmaßung eines Prioritätsrechtes finden wir 
zu unferm Leidwejen auch hier, z. B. S. 49. 74. 112. 120, 
und mit einer eigenen Beſcheidenheit widerlich verſetzt S. 166. 
Endlich koͤnnen wir unſer Mißfallen uͤber die auffallend Hay 


Plutärchi Chaeron; Vitae Timol. ed. Fabrici. 291 


figen Wiederholungen nicht bergen. Won aAveıw wird &. 87 
und S. 135 gehandelt, und doc follte fhon zu Timol. c. 14. 
die Rede davon feyn, von Bodv ©. 3g und ©. ı?=, von 
zois Bovkouzvors, ©. 29 und ©. 48° mit demfelben. Citat, 
von and ©. 83 und ©. 117, von Aımapeiv 8.65 und S. 
122 mit demfelben Citat, von aAAoxorosg ®&. gı und ©. 
158, von ro xadoduevov ©. 44 und ©. 95, wovon doch 
fhen zu Timol. c. 9. oder c. 18. hätte gefprochen werden 
follen, von eis uövog ©. ı7. 73. 81. gg und 1482. Das 
alles zeugt mehr oder weniger won Eilfertigkeit und von In— 
discretion gegen Lefer und Käufer. Denn darüber, daß häus 
fig lange Anmerkungen von Henricus Stephanus, Palmeriug, 
Mofes du Soul, Coray, Bredow wörtlich eingeruͤckt find, 
wollen wir grade nicht rechten, wiewohl dies unſers Erachtens 
auf dem Titel nicht unbemerkt bleiben ſollte. Die eignen 
Anmerkungen des Herausgebers verbreiten ſich weder uͤber die 
Kritik des ganzen Textes, denn es iſt im Durchſchnitt der 
Reiskiſche, noch uͤber alle Schwierigkeiten der Interpretation; 
es find nur beliebige und bisweilen nur zufällige Erlaͤuterun— 
gen einzelner Hiftorifcher oder grammatifher Dinge, oft nur 
einer Partikel, einer Conftruction, wobey das Triviale nicht 
immer vermieden if. Alles, was man fonft bey einer Auss 
gabe, zumal für Schulen, zu erwarten pflegt, KEinleitungen, 
Inhaltsanzeigen, Negifter wird hier vermißt, fo daß, mas 
wirklich zum Verftändniß des Autors gehört und gereicht, ſich 
auf wenige Blätter zufammenfaffen ließ. Daß aucd Hier 
firengeren Anfoderungen nicht durchaus Genuͤge gefchehen, wols 
len wir an einigen Bepfpielen zeigen. 

Zu Tim. c. 4. wird (aber erft bey Brutus c. I. ©, 125) 
anedsıdev für Avideıdev vorgeſchlagen. Daß das lektere 
auch richtig fen, ſieht man aus Caesar. c. 57. Unarov d’a- 
yadsıEaz &avrov. Tim. c. 8. ©. 11 foll nad der Meynung. 
des Verf. Plutarch bey der Mythe vom Raube der Prosers 
pina vielleiht an den Euphorton gedacht haben, nad dem 
Scoliaften des Euripives Phöniss. V. 688, bey ihm ift ja 
nicht von Sicilien, fondern von Theden die Mede.. Cher 
möchte man die Stelle auf Pindar. Nem. I, 17. vergl. ben 


292 Plutarchi Chaeron, Vitae Timol. ed. Fabrici. 


Scholiaften ad h. J., beygiehen, wenn nicht die Sage älter. 
wäre, als unire fchriftlihen Dentmähler. C. ı2. ©. 17 zu 
’Adosbov, „qui (quis) praeter Plutarchum hujus dei 
mentionem fecerit, equidem non memini,* Erinnert er 
fi nicht des Aelian de nat. an. L. XI. c. 20. Auch 
fommt der Gott auf Siciliihen Münzen vor, Cf. Eckhel: 
Doctrin. num. I. S. ı90 und S. 224. Ueber das vorbes 
deutende Schwißen der Bildfäulen ©. 18 war ftatt der vagen 
Anführung des Cicero Weffeling zu Diod. XVII. 10. zu citis 
ven. 0. 13. zal nv aoryv Aadeldiv xal yovalnc. Das 
für ‚will der Herausgeber lefen: Trv adroo adsAphV x. y. 
Sehr ungluͤcklich; dann würde ja fie, die zugleich Schwefter 
und Gemahlin war, zu zwey Perfonen. Die Lateiner drücken 
fih eben fo aus: Curt, II. 5. illum florem juventae, illam 
vim animi, eundem regem et commilitonem divelli a se. 
Bey dem Philistus c. 15. &. 22. bedurfte es bey der Ans 
führung von Bredows Note auch einer Berichtigung deffelben. 
Man begreift nicht, da ja Philiſtus nicht als Zeitgenoffe dies 
fer Begebenheiten von Plutarch dargeftellt wird, warum er 
nad) Bredow ein. fo hohes Alter von 70 — 80 Jahren fol 
erreicht haben. Allerdings ift es kein anderer, als der fo 
häufig erwähnte Syrakuſiſche Gejchichtfchreiber. Man vergleiche 
A. F. Näke Schedae criticae. Halae 18120., der ©. 27 
eine gelchrte Anmerkung über unfre Stelle macht, fich aber 
irrt, wenn er eine andere Stelle des Plutarch ei mocoß. 
oA. c. 1. 65 Tıc eime Auovvoio auf denfelben Philiſtus 
bezogen wiffen will, Die Mote von Weffeling zu Diod. I. 
©. 644 war ihm nicht gegenwärtig. — Bey den Worten 
26. ©. 57 Töv Emioparss voooövra deiodanı Toörov 
Tod oeAivov iſt zwar die Vulgata mit Recht beysehalten und 
durch Paralleiftellen . beftätiget, aber nicht erwähnt worden, 
daß diefe Wiederholung des Pronomen, wie auch) Weiske 
de pleonasmis S. -6 andentet, jedesmal mit einer aewiffen 
Bedeutfamkeit verbunden fey. Fehlte hier das Tourov, fo 
fhiene es, als wenn auch die. Worte Tov enıopaldg vo- 
codvra zum Sprichwort gehörten. Das Sprichwort lautete 
aber ; oörTog deitaı Toö oehivov, das andre ift Erklärung. 


Plutärchi Chäeron. Vitae Timol. ed. Fabrici. 293 


Aehnlich fchi.be der Deutfche das Pronomen ee Schiller in 
den Krau.chen des Ibykus: 


Zum guten Zeichen nehm ich euch, 
Dein Loos, es if dem euren gleich. 


Ueber jenes Sprichwort felbft wird man auf Interprett. ad 
Callimach. T. I. p. 282 ed. Ernesti verwiefen, und findet 
dort nichts, als unfre Stelle. Beſſeres würde der Heraus— 
geber finden in I,aurent. Beger. Exam. quorundam dubio- 
rum Berolin. 1604. p. 9 sq. und über den anderweitigen 
Gebrauch des Eppih bey Voß zu Virgil. Ecl. VI. v. 68. 
Beylaͤufig gälte es hier die Frage, ob Schiller in jener anges 
führten Ballade nicht einen Anachronismus begangen, .daß er 
den Fichtenfrang zum Siegeszeichen der Iſthmiſchen Spiele 
macht. — In demſelben Capitel lieft man &. 38 zu den 
Worten cv 6 ur. raoig Övväıv Ebepe dıanenapuevov dieſe 
Note: Videtur hic ante oculos hahbuisse verba Hesiodi 
Epya x. nu. 187. ed. Br. Wer? der Autor doch nicht, denn 
diefer bedient fid) ganz gewöhnlicher Medensarten, die er gar 
nicht Umgang haben könnte, alfo — wohl der Adler, daß 
einem das Bonmot eines berühmten Gelehrten benfallen könnte, 
der bey dem ſcheuen Pferde in Tacit. Annal, I. 66. die muͤnd⸗ 
fihe Bemerkung machte, es habe den Ejel in der Anabafıe 
(II. @. 10.) vor Augen gehabt. Sollte einmal citire 
werden, würde Il. XII 200, 218. XII. 821. noch bezüglis 
cher geweſen ſeyn. 

Befremdend iſt es, daß die Emendation des Dacier Ie- 
cas für ‘Iepas c. 30. S. 44 darum für unſtatthaft erklärt 
wird, weil das xaAovuevas dabey fiehe. „Nam quid opus 
erat, ut hoc adjungeretur, si locus nominaretur, qui in 
nomine nihil haberet, quod ut verba ai xalovuevar 
subjungerentur, requireret, Alſo müßte Achradine c. ıÖ. 
auch falſch feyn, und es müßte Überall, wo das fogenanntie 
dabey fteht, in dem Namen etwas Befonderes oder Der 
deutendes liegen. Vergleiche doch der Herausgeber feine Citate. 
Daß in demfelben Capitel noch das Verworrene AmoAoyov- 
uivn⸗ę ch Tıuohionrog edrvxi mit Bredows Anmerkung 


394 Plutarchi Chaeron. Vitae Timol. ed. Fabrici. 


gedeckt wird, nimmt ung ebenfalls Wunder. So viel ließe 
fid) dagegen erinnern; bier nur das Eine, daß dixn: dann. in 
zwey Bedeutungen einmal als Strafe zu drsrideuivns und 
hernach als Gerechtigkeit zu AnoAoyovusvns genommen wer— 
den müßte; daher auch der Ueberfeßer genöthiget worden iſt, 
mit einem Worte wie Strafgerechtigkeit ein Abkommen zu 
treffen. Warum nicht adrois ÖuoAoyovusvas mit den Bands 
fhriften und Koran? Eben fo hätte c. 36. das Fragment 
des Sophofles unangetaftet, und Reiske feine Conjectur Tode - 
für Toöde nicht eingeräumt werden follen. Die Conftruction 
mit dem Genitiv, wenn man unter demfelden, wie natürlich, 
ein leidendes Object verftehr, ift ganz in der Ordnung; ein 
Dativ würde ja ein bethätigtes Subjest — hier ein an einem 
dritten theilnehmendes — bdarftellen. Uebrigens muß man 
nad) dem Geſetze des Zufammenhangs roöde neutraliter nehr 
men, was Bredow in der Weberfegung verfehlt hat. Zur der 
gleich darauf zwiichen dem Mahler Dionyfius und Nicomachus 
gezogenen Parallele erhalten wir ein kahles Eitat aus Junius 
Cat. Artif. Der Herausgeber hätte. ſich hier beſonders über 
die fchwierige Bedeutung des technifhen Wortes Tovos erffäs 
ven jollen. Stoff würde ihm dazu Hrgedorn in den Betrach— 
tungen über die Mahlerey S. 689 ff., und noch mehr ein 
neuerer hypotheſenreicher Schriftfteller Grund Gefhichte der 
Mahlerey II. 529 ff. gegeben haben, 

Tib. Graichus c. 13. oð nap&v odrog non praesens 
ille. Hoc ut nonnulla alia apud Plutarchum, Latinis- 
mum redolet. Da fönnte man non praesens ille mit gleis 
chem Fug für einen Gräcismus hatten. S. Matthiaͤ Griech. 
Grammatik $. 471. Dagegen iſt c. 16. eis iv Gyopa» 
“xtaßas, wobey fleht: sic Latini etiam in forum des- 
cendere dicunt eine wörtliche Ueberfeßung des Lateinijchen ; 
der Grieche pflegt das Umgefehrte zu ſetzen. 

Bey der verworrenen Materie von den Verhältniffen der 
Nitterichaft zu den Gerichten C, Gracch. c. 5, war ftatt der 
ungeordneten Citate und ftatt des Rualdus auf Heeren's vors 
trefflihe Gefhichte der Revolution der Griechen (Kleine hift. 
Schrift 1. Th.) als auf den beſten Commentar zu dieſen bey: 


Plutarchi Chaeron. Vitae Timol. ed. Fabrici. 295 


den Lebensbefihreibungen zu verweifen. Aus jenem Capitel ließ 
ſich der kleine Irrthum berichtigen, den Heeren S. 235 hat, 
als 05 fih Graichus von der Curie zu dem Comitium gewandt 
habe; er wandte fih von dem Comitium und der Curie zu 
dem Forum... Die Anmerkung über os ©. 11, das als Präs 
pofition nie zu unbelebten Dingen gefeßt werde, leidet Bes 
vichtigung. Cf. Valckenaer ad Thom. Mag. in epp. "Ruhnken, 
ad J. H. Ernesti ed, Tittmann. ıdıg. p. 186. Weser bie 
Abftammung des Marcus Brutus von dem alten Sjunius zu 
Brutus c, J. p. 114 wäre noch der vortrefflihe Ercurs von 
Eckhel Doctrina num. P. Il. Vol. VI. p. 20 sg. nadzus 
tragen. C. 45. p. 170 oög Bpiyas hvöuage zu den von 
Sturz de dialect. Maced. p. 3ı citirten Stellen fann man 
noch Cic. orat. 48. Curt. VI. ı1. und Heyne ad Virg. 
Ecl. VI. arg. hinzufügen. — Der Vorfhlag c. 51. p. 178 
Anis für Hdıxas wäre an fih nicht uneben, wenn ndıxag 
aunerklärlih wäre, und nicht vielmehr die fchöne finnvolle Bes 
deutung .hätte, die vornehmlich, Walckenär zu den Adoniazusen 
p- 328 syq. auseinander „gelegt Hat. Man verbinde nur 
NDırdg mit aPodpa und einer und nicht, wie Bredow ges 
than zu haben fcheint, mit ueıdıaoas. — 

Wir wollen in diefen Berihtigungen nicht fortfahren, 
fondern nun noch pflihtmäßig und gern hinzufegen, daß mir 
auch auf recht gute und treffende Bemerkungen geftoßen find, 
wovon nur die zu EAmidog roradeng yevöucevov Tim, c. 3, 
p- 35. Die Conjectur wapayaoyai für mapadoyai Tin. c. ꝗ. 
p- 11. Die Nahweifung über Xpvoov Edeifay Tim. c. 11. 
p- 16. über ueyav mögeodaı c. ıd..p. 41. — Die Beftäs 
tigung von Stepanus Vermuthung xarexdace zu dem Phae- 
don. c. 66. gegen Wyttenbach S. d. — Die Ableitung von 
Aeapyos ©. 28, von Aros, dem aͤoliſchen narv, hätte hier 
erwähnt werden mögen. — 

Der Verf. iſt gefonnen, wenn dieſe erftie Probe. nicht 
‚mißfallen, eine zweyte Bearbeitung einiger andern Plutardis 
fhen Biographieen folgen zu lagen. Da feine Thaͤtigkeit we—⸗ 
der des Geiſtes, noch der Kenniniffe ermangelt, fo wird es 
nur auf feinen ernſten Willen anfommen, um etwas Tüchtis 


296 Dentfehe Ornithologie von Belfer 16. 


ges künftig zu leiften. Wir mwünfchen ihm dazu, fo wie gu 
feiner (laut der Vorrede) unternommenen Reife nad) Frank 
reich von Herzen Gluͤck. 





Deutfche Drnithologie oder Naturgefchichte aller Vögel Deutfchlande 
in naturgetrenen Abbildungen und Befchreibungen herausgegeben 
von Dr. Beffer- Lihrbammer, C. W. Bekker um 
Lembie. XxXltes Heft. Darmiladt 1811. im Verlage der 
Herausgeber. 


Mit Vergnügen zeigen wir die Fortiekung dieſes jedem 
Freunde der vaterlämdiichen Maturgefchichte befannten Werkes 
“an, das, ‚der jesigen drücenden Verhättniffe ohngeachtet, im 
gleicher Schönheit und zu ſo geringem Preife fortgefegt wird, 
daß auch der minder begüterte Freund der DOrnithologie daran 
Theil nehmen fann. Es ift daher vorzüglich geeignet, Aufs 
klaͤrung in der Deutſchen Voͤgelkunde zu verbreiten, und die 
Verehrer diefer fhönen Wiffenichaft zu vermehren. Rec., der ' 
dieſes Merk, feit es erichien, fchäßte und empfahl, wuͤnſcht 
daher deffen möglichfte Wervolllomninung, und erfucht die 
"Herausgeber, dieſem Wunfche nachftehende Bemerkungen zus 
zuſchreiben. 

Dieſes Heft enthaͤlt die Naturgeſchichte des Steinadlers 
und des Schleyerkauzes; von jeder Art ſind drey Abbildungen 
geliefert. 

Nichts erleichtert mehr das Studium der Naturgeſchichte 
als richtige und kurze Kennzeichen der Art; es iſt daher vor— 
zuͤglich in einem Werke, mie das Vorliegende, hierauf Ruͤck⸗— 
ſicht zu nehmen, da es hauptſaͤchlich für Leſer beſtimmt iſt, 
die keine wiſſenſchaftliche Naturforſcher ſind. Allein wir haben 
bisher auch in dieſem Werke ſo wie uͤberhaupt in den Schrif— 
gen der Neueren, die Bechſteiniſchen, Meyerſchen und Wolfi— 
ſchen nicht ausgenommen, die Vernachlaͤßigung dieſes fo wich— 
tigen Theils des ornithologiſchen Studiums bemerken muͤſſen, 
da doch keine gruͤndlichen Fortſchritte zu hoffen ſind, ſo lange 
nicht hier zuerſt die Unbeſtimmtheit entfernt wird. 


Deutfche Drnithologie von Belfer ꝛe. 297 


Unter der Aufihrift: Kennzeichen der Art werden 
bier in zwanzig. (1) Zeiten befondere Kennzeihen vom alten 
Männchen, dem ganz (?) alten Weibchen, dem alten Weib— 
chen, und dem jungen Männchen vor dem dritten Lebensjahre 
geliefert. Linne' wuͤrde ob folher Arts Kennzgeihen in Erftaus 
nen gerathen feyn, und feinen Ausipruh: Horrenda sunt 
nomina specifica veterum sesquipedalia quae descriptio- 
nes loco differentiarum sistunt, dahin abgeändert haben, 
daß den Neueren Hierin der Vorzug gebühre. 

Wir find zwar in der Drnithologie noch nicht fo weit, 
von allen Deutfchen Vögeln Art: Kennzgeihen liefern zu können, 
und muͤſſen uns daher öfters mit Beſchreibungen behelfen, ins 
deffen ift dies mit dem Steinadler der Fall nit. Seine bis 
auf die Zehen befiederten Beine unterfcheiden ihn ſchon von 
allen Deutichen Adlern bis auf Aquila naevia Brissonii und 
Aquila imperialis Leisleri, es waren daher nur noch Merk 
mahle aufjufuchen, weldhe ihn von Ddiefen beyden trennen. 
on Aquila imperialis ift der Steinadler durch jeinen abges 
rundeten Schwanz, und die nicht über denielben hinausragenden 
Schwingen, von Aquila naevia durch feine Größe hinlänglich 
unterfchieden , indem der NRheinadler nur die Größe des rauh— 
füßigen Buffords Hat, der Steinadler alfo einige Schuhe 
mehr in der Breite mift. Das Arts Kennzeihen des Steins 
adlers läßt ſich demnach kurz und beſtimmt auf folgende Weife 
angeben. x 

Steinadler (Aquila fulva Meyeri). Die Beine 
bis auf die Zehen befiedert; die Schwingen nicht über den 
abgerundeten Schwanz hinausragend; fieben Fuß breit. 

Außer der Unfoͤrmlichkeit, woran die von den Heraus— 
gebern aufgeftellten Art: Kennzeichen leiden, Haben fie einen 
zweyten noch weientlicheren Fehler, indem fie nicht die ganze 
Art umfaffen, denn der alte Vogel, welchen Linne‘ unter dem 
Namen Falco Chrysadtos — Goldadler — beſchrieb, ift 
nicht darin enthalten. Die drey hier gelieferten Abbildungen, 
wovon zwey die Unterfchrift Goldadler führen, haben fammts 
(ich weiße Schwanswurzeln, fie gehören daher ‚alle zu Falco 
fulvus Linnei, und feiner: zu Falco Chrysadtos, indem die 


298 Deutſche Ornithologie von Bekker ic. 


wefentlihen Kennzeichen, die afchgrauen Bänder, fehlen. Wir 
fehen daher keinen Grund, warum diefe Steinadler im uns 
volllommenen Febderfleide Aqua fulva Bekkeri find genannt 
worden, da ja ſchon Brifjon fie unter dem Namen Aquila 
fusca beichrieben hat, und fie zu Aquila 'fulva Meyeri ges 
hören, der befanntlih den Gold s und Steinadler vereinigte 
und ihm diefen Damen gab. Wenn alſo Bechſtein feinen 
Goldadler ausftreichen fol, wie hier verlangt wird, fo muß 
dies aus andern Gründen gefchehen, denn der Bechfteinifche 
Soldadler ift einerley mit dem Linneifchen,. von dieſem ift 
aber in der ganzen Befchreibung nicht die Rede, es feheint 
daher, daß ihn die Derausgeber nicht gefannt haben. 

Bechſtein und andre Naturforfcher haben zwar längft vers 
muthet, daß der Goldadler mit dem Steinadler zu einer Art 
gehörte, Meyer hat dafür. den Beweis geliefert, indem er 
nicht nur die Erfahrungen.anderer noch lebenden Naturforfcher 
hierüber, fondern gud feine eigenen mittheilte, woraus fich 
denn ergibt, daß_der Linneifche Falco fulvus gegen das fies 
bente Jahr feines Alters in den Falco Chrysa&tos Linnei 
übergeht. S. Wetterauer Annalen 1. B. 1.9. ©. 139 —ı43, 
Bechſtein Hat Hierauf auch im dritten Theile feines Tafchens 

buches bemerkt, daß nach Angabe der Meueren der Goldadler 
ausgemerzt werden müffe. Es befremdete uns daher fehr, im 
diefem „Hefte die Meyerifhe Abhandlung weder angeführt, 
noch benußt zu finden, und wir muͤſſen es den Herausgebern 
überlaffen, wegen diefer Vernachläßigung der Wiffenfchaft 
Entſchuldigungsgruͤnde vorzubringen, da wir nicht einfehen, 
“ wie dies zu entfchuldigen ſey. Wir bedaucın, daß durd) dies 
fen Fehler die Irrthuͤmer, welche ber diefe Adlerart herrſch— 
ten, noch bey Dielen werden erhalten werden, um fo mehr, 
da neuerlich auch Naumann den unverzeihlihen Verſtoß gegen 
die Wiffenfchaft beging, und den alten und jungen Steins 
adler als zwey verſchiedene Arten aufitellte. 

Da fih nad der in diefem Hefte enthaltenen Angabe in 
der Großherzoglichen Menagerie ein febender Steinadler bes 
findet, fo wünfhen wir, daß die Herausgeber für deffen Er— 
Haltung beforgt ſeyn und von ihm, wenn er fih in den 


Zwey Predigten von C. 2, Nitzſch. | 299 


ginneifhen Goldadler wird umgewandelt Haben, in einem der 
folgenden Hefte eine Abbildung, fo wie die hier unterlaffenen 
Bericktigungen nachliefern möchten. | 

Die Abbildungen der Schlevereufen ftellen Mann, Weib 
und jungen Vogel vor. Wir erhielten oft ım Frühjahr alte 
Männchen, die aber ftets viel heller wie das hier abgebildere 
gezeichnet waren. Diefe Eule liebt fo fehr die Wohnungen 
der Menfhen, daf man fie fat den Hausthieren beyzählen 
Tann; unrichtig ift es aber, daß man fie vergebens in Wäls 
dern fuche, wie hier angeführt wird, Rec. hat fie öfters in 
hohlen Bäumen auf den Eyern gefangen; die auch immer 
reinweiß waren. 

In Ruͤckſicht der Kupfer möffen wir noch bemerfen, daß 
die Abdildungen ber Adler vortrefflich ausgeführt find; die 
Eulen find nicht ganz fo gut gerathen. 

. Wir wünfhen, daß die Herausgeber diefes in der That 
fhäßensmwerthe Werk fihneller, wie in der leßteren Zeit ges 
ſchehen ift, fortfegen, und die hier gemachten Bemerkungen 
zu deffen Vervolllommnung benußen mögen. 


Zwey Predigten bey der Ruͤckkehr der Pfarrgemeinde zu Wittenberg 
aus der dafigen Schloßfirche in die Stadtficche gehalten, von 
D. C. £ Nitzſch, der Theol. Prof. des Conſiſt. Beyf. Pfarrer 
und Superint. zu Wittenb. des Witt. Kreifes Generalfuy. Wit 
tenberg bey Seibt, 1812, 64 ©, 


Obgleich nur zwey Predigten, doch ausgezeichnet genug, 
um fih vor ganzen Bänden dem Publicum zu empfehlen. 
Wie die Zueignung des Verf. an feinen nun verewigten Freund 
Heinhard ein fchönes perfönliches Verhaͤltniß darlegt, fo zeis 
gen diefe Kanzelreden, daß fie mit den erhabenen Muftern 
unjrer Zeit, mit den Reinhardſchen, befreunder find, aber 
ihren eignen Charakter frey behaupten. Durch den ganz fpes 
ciellen Gegenſtand erhalten fie noch einen eignen Werth wegen 
des Inhalts und der mufterhaften Behandlung. 


300 Zwey Predigten von C. 2. Nitzſch. 


In der erften Predige nimmt die Gemeinde mit ihrem 
Pfarrer von dem Ort Abfchied, wo fie fih -feit den Kriegs 
ſtoͤrungen 1807 verfammeln mußten, von der Schloßkirche, 
welche ſchon durch das Auge auf die großen Maͤnner der Re— 
formation erinnerte. Der Redner, nicht vorbeylaſſend das 
Intereſſe der Zeit und des Orts, redet, nach einem kurzen 
hiſtoriſchen Eingang, nach Hebr. 18, 7. von den dankbaren 
Erinnerungen, mit denen die Gemeinde aus dieſem Gottes— 
hauſe fcheider; es find Erinnerungen, ı. an den Stifter uns 
fers Glaubens, 2. an die Miederherftellee dieſes Glaubens, 
3. an die dortige hohe Schule. Er fpriht kurz und Mar, 
rednerifh und einfah; nicht, wie Viele wollen, immer nur 
durch den Verftand zum Herzen, und noch weniger, wie eine 
neuere Mode wollte, durch den Linverfiand zum Gemuͤthe. 
Keine der Perioden fieht aus, als gehörte fie zu irgend einer 
moralifchen Abhandlung, fondern jede gehört grade zu dieſer 
Predigt. Mur durfte immer bey ihren Vorzuͤgen der Bes 
- flimmtheit und Helligkeit das Kolorit etwas wärmer feyn. 
Wie viel beffer aber Einfachheit und Kürze ergreift, als jeder 
beliebte Wortdienft, das ſehe man ©. is folg. in der fo 
treffenden Hindeutung auf die vier berühmten Bildniffe, welche 
diefe Kirche zieren, auf die „zwey fürftlichen Brüder“ ( Fries 
drich der Weife und Johann der Veftändige) „und auf die 
zwey gelehrten Freunde“ (Luther und Melanchthon). Wo 
diefe vor den Augen ftanden, da bedurfte es grade nur 
diefe wenigen Morte, um mit frommen Gedanken die Hers 
zen zu erfüllen. — Gegen das Schlußgebet möchten wir ers 
innern, daß es mehr zu ald aus den Herzen der Zuhörer 
fprehe, und darum auch) etwas zu lang fey. Doch komme 
bey fo was das meifte auf den Vortrag an. 

Von der zweyten Predigt läße ſich dafelbe rähmen, was 
von der erften. Da man nur felten noch, und nicht ohne 
"Grund, Predigten allgemeinen Inhalts lefen (und hören) 
mag, fo find folche fpecielle Reden nicht bloß für den Zuhörer, 
fondern fiir das theologifhe Publicum fehr fehäßbar. Solche, 
fagen wir. Diefe wurde am Menjahrstage ıdıa bey der 
Einweihung der wiederhergefiellten Pfarrkirche zu W. gehalten 


Zwey Predigten von C. 2. Nitzſch. 301 


der Phil. 4, 4., und das Thema war: Die Freude in dem 
Horn, durch melde wie ihm dieſes Haus weihen follen 
(Rec. hätte es in einen einfahen Satz zufammengegogen ); 
1. ihre Quellen, 2. ihre Wirkungen. Der erfte Theil zeige 
die Liebe und Achtung für die gemeinfchaftlihe Andaht der 
Ehriften als die Quelle, und, der zweytes Danfgefühle, fromme 
Enticyloffenheit eines jeden zur eignen Seelforge, Eifer im 
Öffentlichen Bekenntniſſe Chriſtt, Sorgfalt gegen jede Entheis 
ligung des gemweihten Hauſes, fromme Wünfhe und Hoffnun— 
gen als die Wirkung. Auch diefe Predigt ſchließt mit einem 
Gebete, dem wir nur einen Ton tieferer Andacht münfcten, 
wodurch denn einige flörcnde Ausdrücde weggefallen wären. 
Dod das find Heine Mängel, und Nec. ſcheut ſich nicht, diefe 
beyden Predigten unter die Mufter in diefer Gattung zu 
feßen. Der Lefer legt fie gewiß nicht ohne eine angenehme 
Erbauung aus der Hand und freut fich dankbar der belehrens 
den. Zugabe in den Hinten angefügten Anmerkungen. Doch 
etwas hätte Rec. zur Vollendung der zweyten diefer Kanzels 
reden gewuͤnſcht. Die Zuhörer werden gegen die Machläffigs 
keit im Kirchenbefuchen gewarnt, und es wird nur von dems 
jenigen Grunde dieſes Webels gefprochen, der in dem Zuhörer 
liegt: aber ift das nicht bloß die Hälfte deſſen, wovou zu 
ſprechen war? Und wer hatte mehr innern und aͤußern Bes 
ruf, auch bier ein Wort den künftigen Geiftlihen an das 
Herz zu legen, als diefer ehrwürdige und verdienftvolle Lehrer 
auf der Kanzel und auf dem Katheder? Doch wollen wir 
nicht zu. viel tadeln, denn er fonnte Gründe Haben, warum 
er hier grade davon ſchwieg. Dafür fehe man folgendes 
lieber bloß als eine gelegenheitliche Herzensergießung des 
Rec. an. 

Oft genug Hört man jest die Klage, daß die Kirchen 
verlaffen ſtehn; man hört fie meift von dem Prediger, aber 
wo wird der Zuhörer dagegen vernommen? Diefer nämlidy 
will nicht alles das Moralifirende oder Dogmatifirende, oder 
Myfticifirende, nicht homiletiſche Künfteleyen hören: dafür, 
kann er in vielen Blättern und Büchern fi beſſer unterhals 
ten, oder auch in guten Geſellſchaften, oder auch etwa vor 


302 Zwey Predigten von C. 8; Nitzſch. 


dem Theater. . Predige nur der Seiftlihe als ein wahrhafter 
Geiftlihe das Evangelium, und die Kirchen werden fich” wie 
der füllen. Wie diefes gefchehen folle, tft freylich nicht fo 
bald beantwortet: es gehört dazu nicht nur eine völline Ders 
beffetung ( Sinnesänderung möchten wir fie nennen) unſrer 
Homiletik, fondern aud) ein neues Leben in der Religion und 
in dem ihr geweiheten Stande. Die Predigt ift das Haupt— 
ſtuͤck im proteftantifhen Eultus, und ihr zunähft fommt der 
Kirhengefang. Aber was würden Luther und Melanchthon 
fagen, wenn fie fo hier und da in die Kirchen träten, wo 
man fih wohl viel auf die Lorbeeren einbildet, welche diefe 
Männer errungen haben, aber fan Leben ihres Geiftes vers 
fpüren läßt. Sie zogen die Zuhörer herein: jetzt predigt man 
fie hinaus. Wie würde Luthers Ohr bey dem unmufikalifchen 
Sefange hinaudeilen, und uns hart angehen, daß fo viele 
Kirhen nicht einmal einen Chor aufitellen fönnen, der Ein 
vefte Burg ꝛc. oder eins der Lieder fingen könnte, deren Ger 
fang fchen feiner Lehre die Herzen gewann; und daß wir fo 
wenig den Choral zu fhäßen willen, der doch bekanntlich den 
Kunfttenner auch den fchönften DOperngefang kann vergeffen 
machen ? Wie würde Melanchthon es beflagen, daß die Quin— 
tilianifche Rhetorik, die er in der Homiletik beybehalten , faſt 
fo wenig chriftlichen Geift aufgenommen, oder die Kraft der 
Keformatoren behalten, als die Schuläbungen. der Sophiften 
noch etwas vom Geiſte eines Eicero oder Demofihenes hatten ? 
— Doch es ift Hier nicht der Ort, davon weiter zu reden, 
aber es ift die Zeit, daß die Sache laut zur Sprache komme. 
Her. Hätte gewünfht, von Hrn. N. fchon in jenen Predigten 
einige Worte darüber zu hören, denn fie find der Srätte würs 
dig, wo fie gehalten worden; und fo wuͤnſcht Nec. noch, daß 
der Hr. Verf. bey. andern erfreulichen Werantaffungen feine 
Beredſamkeit auch im jener 2% den Jungen Theologen 


nuͤtzlich mache. 
S. 


Catalogus Bibliothecae numerosae, ab inclyti nominis Viro 
Hieron. Guil, Ebnero ab Eschenbach rel. olim conlectae, 


4 


Catalogus Bibliothecae ed. G. C. Ranner. 303 


nunc Norimbergäe a die II. mens. Angusti a. 1813. publ. 
auctionis lege divendendae. Quem in hunc ordinem rede- 
git, his litterarii maximam partem generis notationibus 
instruxit, bac pracfaeiofe auxit Godofr. Christoph. 
Ranner. Vol. I, Norimb. a. 1812. ıyp. Bieling, XLVI 
380 S. 8. 

Die Aufhebung der Familien-Fideicommiſſe, 
eines in vielen Fallen wohlthaͤtigen Mittels zur Erhaltung des 
Familien s Wohtftands, deffen mögliche Gebrecheir vielleicht eher 
eine Verbefferung von der geictgeberiichen Klugheit, als eine 
ſchnell zerſtoͤrende Auflöjung hätten fordern mögen, veranlaßt, 
nach dem Gang uniers — das Geſammelte leicht zerſtreuenden, 
Das Hleuvereinigte mit unfiherer Mühe erhalienden — Zeits 
geiftes, auch den Verkauf diefes feit 1701 gefammelten berühms 
ten Litteratur » Borrachs, zu deffen. Fortießung und Erhaltung 
mehrere der vorzuͤglichſten patriotifchen und wiffenfchaftliebens 
den Nürndergiichen Samilien, die von Imhoffiſche, von 
Tucheriſche, von Halleriſche, von Welſeriſche, 
von Loͤffelholziſche u. a. auf mancherley Weiſe zuſam— 
mengewirkt haben. Derägefchickte Verf. des Catalogs, welcher 
durch Genauigkeit der Notizen und durch litterär s Hifforifche 
Bemerkungen ihn der öffentlihen Anzeige und der Aufbewahs 
rung für Bücherfreunde werth gemacht hat, überliefert in der 
Vorrede, welche ſehr narärlih von dem Horaziſchen: pro- 
priae telluris herum natura neque illum, nec’ me, nec 
quemquam statuit — sed cedet in usum nunc mihi, 
nunc alii (Satyr. @, 2.) beginnt, das Lebensgedaͤchtniß des 
Stifters der Bibliothek, der, geb. 1675, ſich vornehmlich 
duch Reiſen im Holland, Sztalien, Böhmen, Mähren, 
Schleſien und Deutſchland bildete, das vor andern von Kies 
ronimus Ebner einft ( 1525) begründete Aegtdianifhe Gyms 
nafium zu Nürnberg und die vaterländifche im Stillen wirk— 
fam gemwejene Univerfität Altorf als Eurator feit 1718 wohlthäs 
tig beforgte, eben deswegen auch um fo mehr einen anfehns 
lihen Vorrath litterariicher Huͤlfemittel zufammen brachte, 
‚endlich aber im 7gten Lebensjahre 1752 als kapferliher Ges - 
beimer Rath und Närnbergifcher Duumvir flarb. Um die 


304 Catalogus Bibliothecae ed. G. C. Ranner. 


Kenntnif der Sammlung haben fih Hirſſch, Ser, Hers 
zer, von Murr und der noch lebende gelehrte Diakonus 
Ledermüller verdient gemacht. Die Manufcripte find 
vornehmlich durch des unermüdeten von Murr Memorabi- 
lia Bibliothecarum Norimbergensiam P. II. (1788) be 
fannter geworden. Der jebige Catalog bietet nun zum Vers 
fauf an: A. Manuferipte. Drey bibliſch-hebraͤiſche, befannt 
durch Nagels Differtationen von 1749 und 1769, ein Rabbin. 
von Maimonides, einen durch Schönleben 1738 befchriebenen 
Cod. gr. Novi Testam. membr. Saec. XII. ı7 Lateiniſch⸗ 
Bibliſche, 37 Arabifche und Türkifhe, ein Perfiihes. Die 
neueren Deutfchen und Lateiniihen Manuſcripte, welche meift 
Reiſen, Geſchichte, Diplomatik, ftädtifche Nechtstunde und 
Landrechte betreffen, gehen von No. 56. bis 379. Die Mas 
nujccripte von claffifiihen Autoren. vollends bis No. 400. Fin 
Terenz cum schol, Sec. Xl oder XII. fcheint no nicht bes 
nußt. Nah den Manuferipten folgen B. 45 Libri impressi 
Seculi XV, sine notatione annı. Von No. 446. big 
648. libri Sec.XV. impressi cum nota-tione anni, von 
da an, bis No. 1794. imfpressa bis zum Jahr 1550. Diefe 
Nummern enthalten, weil meiftens mehrere Piecen zufams 
men gebunden fin), vier Taufende von Sincunabeln und 
ähnlichen für die Reformationszeit merkwürdigen gleichs 
"zeitigen Druden. Die Beihaffenheit der vorhandenen 
Eremptlareift getreu angezeigt, faſt bey jeder Rarität werden 
bibliographifche Fundgruden nachgewiefen, wo der Geihmad 
der Liebhavder durch mehrere Motizen gereist und befriedigt 
werden fann ; bisweilen gibt es jogar ein incognitum, wels 
ches zu Panzers Annales typograph. nachzutragen iſt. Möge 
denn auch diefe Sammiung erfahren, was der. in den Alten 
wohlgeuͤbte Berfaffer des Catalogs aus Lucrez tröftliches ans 
führt : dissolvin Natura; neque ad nihilum interimit res, 
Haud penitus pereunt, quaecunque ( perisse) videntur, 
quando aliud ex alio reficit Natura. 


H. €. ©. Paulus, 
— — — 


No. 20...  Heidelbergifße 4813. 
Jahrbuͤcher der Litteratur. 





Plattdeutſche Gedichte nach dem Willen des Verfaſſers herausgegeben 
von Bornemann. Berlin, gedruckt bey Georg Decker. 
1810. 8; | 


Mara eine befondere Aufmerkſamkeit auf alles, was nicht fos 
wohl den gebildeten Theil der Mation , ald vielmehr die ganze 
Nation angeht, iſt uns diefe Sammlung Plattdeutfcher Gedichte 
zugeführt worden. Nun wende man uns nicht ein, daß das 
Plattdeutſche doh nur Sprache eines Meineren Theile ber 
Deutihen Nation fey, genug e8 begreift noch mehrere Millios 
nen Deutfche; diefe Singewelt ift alfo immer nody viel zahl 
reicher, als die gebildete Maffe der lefenden Nation, auc hat 
diefer Plattdeutfhe Theil der Nation manche Eigenthümlichkeit, 
berührt das Innenmeer, die Oftfee, wohnt an großen Strös 
men, und würde in diefer 'manniafaltig anregenden Berühs 
rung ficher viel eigenthämliche Poefieen bewahrt haben, wenn 
ihm, nicht Sebürge fehlten, weswegen er von dem Wechfel 
der Kriege viel vafcher und verheerender zu aller Zeit ergriffen. 
ward, und fid, inzwifhen von der Ausbildung der Hochs 
deuefchen Mundart fo weit Äbertroffen fah, daß er für Staat 
und Kirche jene annahm, und die Plattdeutſche Mundart 
nur für den vertraulichen hHäuslihen Kreis bewahrt. Dies 
fer Häucliche Kreis wäre es alfo, fammt der Kiugheit in der 
Berührung mit der höheren anders vedenden Welt, die dem 
Plattdeutſchen Wolfe nochwendig wurde, zugleih Spott über 
diefe höheren Kreife, die freylich Hinter der freyen Zutraulich. 
keit in mancherley zuruͤckblieben, während fie fich fehr übers 
legen mwähnten. Das wäre uns hauptſaͤchlich nächft manchem 
guten Scherz noch im Munde des Plattdeutſch redenden Vol— 
fes übrig; Ältere Heldenfage ift faft ganz verſtummt, fpätere 
Kriegstieder find Hochdeutſch, Ältere Kinderfagen finden fich 
nur noch in verftechten Winkeln, neuere find meift aus den 
Fe 20 


306 Altdeutfche Gedichte von Bornemann. 


Hochdeutſchen entlehnt, Überall hat faft die Aufflärerey die 
Spärbählen des Volks zerfählagen und die Mappernden Keller 
unter dem Vorwande Meggenommen, es fey alte verrufene 
Münze. Und doch, wie Haman fo fchön fagt, beſteht in 
Bildern der ganze Schatz menfhliher Erkenntniß. Auch in 
Diefen Bildern der Volkspoeſie lag ein fo vollftändiges Syſtem, 
als fie noch beyſammen waren, wie irgend ein neuerer Philos 
ſoph fih nur träumen laffen mag, ſey es, daß er fein Stu 
dium mit dem Worte Erfahren, oder, mit dem Worte DO fr 
fenbaren angefangen bat. 

Aus dem Befagten wird der Inhalt Hager Gedichte den 
Leſern erflärlicher werden, die, wenn auch nicht eigentlich volks⸗ 
mäfig, doc deuflih aus einer wahren Berührung mit dem 
Molke hervorgegangen find. Wir fehen nämlich aud hier, was 
eben als Charakter des Plattdeutſchen angegeben worden, haͤus⸗ 
liche Luſt, S. 18. 24, Klugheit gegen hoͤhere Kreiſe, Spott 
daruͤber, insbeſondere uͤber Gelehrte (S. 9. 125. 100. 107), 
Scherz wie in den meiſten uͤbrigen; manche Züge darin find 
uͤcht volksmaͤßig aufgefaßt, und doch glauben wir, daß bdiefe 
Lieder fih eher ald Sprachſcherz in den gebildeten Hochdeutſchen 
Lefe » Kreifen verbreiten würden, wenn gute Meiodieen fich 
dazu färden, als daß ſie je zum Volkliede des Plattdeutſch 
redenden Volkes werden koͤnnten. Der Grund davon liegt nahe, 
der Verf. weiß das Plattdeutſche der Mark Brandenburg ſo 
gut, wie Voß den Niederſaͤchſiſchen und Hebel den Badiſchen 
Volksdialect kannten, aber er lebt eben ſo wenig darin, wie 
jene; es iſt in allen dreyen ein freundliches Verſetzen in die 
Sprache der aͤrmeren Klaſſe, aber alle drey tragen noch eine 
andere Bildung in ſich, die ſich nicht in dem Einzelnen mit 
dem Volke verbinden ließ, die erſt eine ganze Nation durchs 
laufen muß, ehe fie gang volfsmäßig wird. Wir geftehen, 
daß in Hebel diefe Differenz mehr ausgeglichen ift, aber ſchon 
die Mehl Sriehifher Sylbenmaße in manchen feiner Gedichte, 
insbefondere aber das Verweilen bey Dingen, die dem Bor: 
nehmen zu erfahren fehr lieb find, die aber dem Wolke, meil 
es davon umgeben ift, allzubefannt find, zeigen, dafi es Doch mehr 
ein Herauf Äcken des Volksmaͤßigen zum Genuffe der höheren 
Erände, als Lieder für das Wolf find. Offenbar ift fein Schatz 


Atdeutfche Gedichte von Bornemann. 307 


fäftfein des rheinischen Hausfreundes, ob es gleich in keinem 
Dialekte gefchrieben, voltsmäßiger als die Alemanntfchen Se 
dichte. Um den Unterfchied an einem der hier in der Samms 
fung mitgetheilten Gedichte im Beyſpiel zu , fo wählen 
wir die Bauernhochzeit S. 18. 


— I» 
Juchhay Hochtiet! 
Hochtiet is huͤt 
Kieckt de ſchmucke Brut maal an, 
Un den drallen Bruͤggamsmann, 
Wie ſe ſick ſo herzig ſchnuͤtern 
Un mit Fuͤer Ogen kluͤtern! 
Schnuͤtert, kluͤtert friſch drup in 
Bruͤtlüd muͤtten hitzig fin. 
Juchhad Juchhaideldey, 
Juchhap. 


2 
Juchhay u. ſ. w. 
Hei wie de Trumpeten ſchalln, 
Un de Pulver Buͤſſen knalln, 
Alle Klocken trekt de Koͤſter, 
Ingeſegnet haͤt de Preſter, 
Hans un Gretn biede tru, 
Hand un Gret fin Mann un Fru. Juchhay. 


3 
Juchhap u. f. m. 
Schlagd den brange fe ſchons herbie 
. Den fapteafen Herfe Brie. 
Stief mir Sandel Äberzudert,' 
Daͤt där Herz im Liewe pudert; 
Ut de Müler pieperlings 
Loͤpt Dir Waater rechts und links. u. f. w. 

Wir fühlen gleih, der Dichter ift von der Herrlichkeit dies 
fee Hirſe nicht mitergriffen, die Hochzeitfreude wird ihm zum 
Spott. Aehnlich finge Schmidt bey der Bauernhochzeit von 
dem glänzenden Daumen der Braut beym Schweinebraten als 
Spott, und dieſes Vornehmſeyn hinderte ihn, Volksdichter zu 
werden, ungeachtet mancher glücklichen Anlage. Auch die Platts 
deutſchen Hochzeitlieder in der Iuftigen Geſellſchaſt von Peter 


308 Altdeutſche Gedichte von Bornemann. 


de Memel, Zippel Zerbft 1695. ©, 269 und 977 find nur ein 
Scherz des. Befferunterrichteten,, der ſich über das Ausflaffiren 
der Braut, Über das viele Nöthigen beym Eſſen luſtig macht. 
Wirkliche Hochzeitlieder des Volkes machen fit) niht über die 
Hochzeit, fondern mit der Hochzeit Iuftig. Zum Benfpieh 
führen wir aus einer mündlichen Mittheilung folgendes in Poms 
mern häufig gefungene Mochzeitlied an: 


De Hochtit. 
Küferü feggt unfe Hahn, 
Upt Srieen mull he riden, 
- Blanfe Sporen fnallt he an, 
Enn Degen an de Siden ; 
As he vor. Ufermünde famm, 
War feden fine Lüde ? 

„De Koh ftund vor dem Für, 
„Dat Kalf lag in de Werge, 
„De Hund de haart de Votter, 
„De Katt de lit de Schöttel, 
„De Scharpenvever fegt dat Huß', 
„De Multworm dregt dat Mult ut; 
„He drag dat woll vor ene Schün, 
„Da döfchten dre Kappunen in, 
„Döfchten dat fhöne Hawer Eaff 

„Dar bruuden fe ſtark Bier aff: 
„Dat Bier namm enen Sud 
„To'n Gäbel ut dem Hus; 
Gaͤſter mit dem fangen Schwanz 
„Deed mit de Brut den Voͤrdanz, 
„Sparling dar gar lürte Ding 
„Gaff de Brut den Troring, 
„Adbar mit de langen Knaken 
„Wull de Brut dat Bedd upmafen.“ 


Wie voltsmäßig dies Lied aber feyn muß, und die hochherrs 
lihe Unordnung einer Hochzeit ausdruͤckt, beweif’t, daß wir 
ed aus einem andern Munde derfelden Gegend folgender Ge— 
ftalt verändert erhalten : 


Ick meet enn Leed, 
Dat ’neemand meet, 
Dat leert id von de ohle Magret, 


Alideutſche Gedichte von Bornemanı. 309 


As if na Runfen keem, 
Da ſchale id minen Wunner feen, 
De Kart de Eneer de Botter, 
De Hund de wufh de Schöttel, 
De Fledermus de feegt dat Huus 
De Müf de dragen dad Mult beruft 
Achter unfe Schüne, 
Dar ftunden tmee Kaphüne, 
De enn de ſchlag den Hamer af, 
De andre brour dat Beer daraf, 
De Kukuk up den Zune 
Verſoop fif in den Schume 
De Hene up den Nefte 
Derfoop fif in de Geſte 
De Hane up den Wimen 
De ſchall bynah befhmimen. 


Wir fehen aus den beyden wohl nicht volltändig erhaltenen 
Volksliedern den Unterſchied deutlih; fo wenig der Soldat 
fein Erercitium in Liedern abfingen mag, fo wenig der Bauer 
den ruhigen Verlauf feiner Beichäftigungen und das Einzelne 
feiner Lebengfefte, er möchte nur die Gefinuung des Gefühls 
darfiellen, was ihn dabey anmwandelt. Anders aber begehren 
es höhere Stände, und diefe haben billige Rechte, und mie 
können ihnen diefe Lieder aufrichtig empfehlen, die manches 
recht wahr, manches recht kraͤftig ausiprechen; mancher Einfall 
ift gut, und Ein Pied (des verlorenen Hundes Todtenfeyer) hat 
wirklich einen rährenden Effect, als ob es recht von Kerzen 
gelungen wäre, Wir wünfıhen vom Verf. bald mehr zu lefen, 
vielleicht gelingt es ihm, einmal alles Höhere abzufchätteln 
und ganz in der ©efinnung des Volkes zu fingen; in jedem 
Fall ift es eine angenehme Abwechfelung, fih in die: Eigens 
thämlichkeiten einer andern wenig geichriebenen Mundart vers 
feßst zu fehen ; die aber den Dialect in verfhiedenen Gegenden 
gehört haben, werden die Werfchiedenheit in demfelben nicht 
ohne Verwunderung fehen, während die Schriftfprache des 
Hochdeutſchen fih immer mehr feit ftellt, und von der lebenden 
Deweglichkeit einer freyen Mundart entfernt. | 


310 Klopftoc und feine Freunde von Klamer Schmidt. 


Klopstock und seine Freunde. Briefwechsel der Familie Klop- 
stock unter sich, und zwischen’ dieser Familie, Gleim, 
Schmidt, Fanny, Meta und andern Freunden. Aus Gleims 
brieflichem Nachlasse herausgeg. von Klamer Schniidt. 
Halberstadt, 1810. im Rureau für Litteratur und Kunst. 


LXIV und gig ©. II. Band 396 ©. 8. 

Der erfte der hier mitgetheilten 176 Briefe ift vom g. May 
1750, der lebte vom 5. Febr. 1803. Wie Klopftocd, der 
firenge Richter deffen, was er gejchrieden hatte, der felbft feine 
1787 und 17088 entworfene hiſtoriſche Bruchſtuͤcke über den fies 
benjährigen Krieg, Friedrihs Schlahten und Heldenthaten, 
in der Folge den Flammen übergab, die Bekanntmachung dies 
fer Briefſammlung, wenn er fie erlebt hätte, aufgenommen 
Haben würde, läßt fi erraten. Sicher hätte er wenigſtens 
darüber gezürnt, daß die Auswahl nicht firenger gemacht ift. 
Die meiften Briefe des erſten Bandes, befonders die des 
‚zedfeligen Schmidt, floßen durch ihren tändelnden, füßen 
und mwißelnden Ton zuruͤck. Selbſt die von Klopſtock find 
großentheils feines Namens niche wuͤrdig. Die Klopftods 
Sulzers und Schultheiß’fhe Beſchreibuug ihrer Schweis 
gerreife, die mehrere Bogen einnimmt, erinnert lebhaft daran, 
daß nicht jeder Humor ein Sterne'ſcher ift, und bey dem 
von S. 319 bis 351 fortgehenden gevierten Briefe, durd 
deffen Veranftaltung Schmidt einen Dank verdient zu haben 
glaubt, bedauert man, aud den Namen Ramler zu finden. 
Doh der zweyte Band entihädige für die leeren Garben des 
erfien. Schmidt ſchweigt feit dem 11. April 1756, die übris 
gen Freunde aber haben inzwifchen das Leben auch von der 
ernfiern Seite kennen gelernt, und unterhalten fih nun über 
mancherley Gegenfiände fo, daß man fie gern hoͤrt. Beſon— 
ders liefert diefer Band von Klopftod, von feinen beyden 
Sattinnen und von Gleim mehrere der Aufbewahrung mürs 
dige Briefe. F 

Zur Lebensgeſchichte des großen Dichters und ſeiner Freunde 
ſpendet zwar die vorliegende Briefſammlung nicht "viel; doch iſt 
fie nicht arm an mancherley Notizen, wovon hier Einiges folgt. 

Bd. I. ©. 35 erfahren wir, daß 1750 Jeruſalem in 
BSraunfhwiy Klopfto bey fih Haben wollte, Hingegen 


Klopſtock und feine Freunde von Klamer Schmidt. Sit 


Sack, der Hofprediger in Berlin, der Meynung war, daß 
die Stelle nicht für ihn ſey, und Dagegen einen Plan hatte, 
daß RI. zwey Jahre in Berlin mit Zufriedenheit und als voͤl⸗ 
liger Herr feiner Stunden leben follte. Aber noch in dem 
nämlihen jahre wurde er (nah S. ı80) auf Bernftorffg, 
der in Paris auf Klopſtock (wie der lebte Markgraf von 
Ansbah in Rom auf feinen Uz) aufmerkſam gemacht worden 
war, und Moltke's Empfehlung, von dem Könige von 
Dänemark mit einem Gehalte von 400 Thalern ( 100 Thlr. 
auf ©. 127 iſt ohne Zweifel ein Druckfehler), wozu in der 
Folge (nah ©. 278) noh andre PVernünftigungen kamen, 
nah Kopenhagen berufen, um die Meifiade zu vollenden. 
Ruͤhrend ift S. 132 und an mehrern andern Stellen der Auss 
druck von Ki. Liebe zn Fanny Schmidt, welche diefe durch 
alte Inempfindlichkeit erwiederte. Der Todesgeiang, welchen 
Schmidt ©. 141 dem Dänijchen Könige Reaner Lods 
brok zuichreibe, foll vielmehr, der Weberlieferung zufolge, von 
der Königin Aslauga gedihter fern. Was S. 194 fg. Über 
Mifbraud) des Witzes und deffen Folgen gefagt ift, mag, da 
diefe Krankheit immer gewöhnticher wird, als Warnungstafel 
hier ſtehen: „Wie haben Sie doch die Achnlichkeit, die ih 
zwifshen der Schwierigkeit, einem Maͤdchen im Arioft, und 
zwiichen der, Ihnen zu trauen, angab, fo fehr nah dem 
MWortverftande nehmen können? Sie wilfen ja, daß man es 
bey einem’ Einfalfe, den der Urheber für witzig hält, eben 
nicht übel nehmen muß, wenn etwas zu viel oder zu wenig 
gefagt if. Warum follte man menigftens in einem Anfalle 
von Witz nicht eden fo viel Nachſicht fodern können, al in 
einem Naufche, da man in jenem feiner Zunge eben fo wenig 
mächtig ift, als in dieſem? Es ift mir aber gleihwohl nichts 
verdrießlicher, als daß ih Sie durd einen Fehler von dieſer 
Art beleidigt Habe, vor dem man mid fihon fo oft gewarnt 
hat. Der Henker hole doch alle Einfälle und alles Traveſtiren! 
Sins künftige will ih die Luft zu beyden ynter die gandplas 
gen mit zählen. Ich glaube Überhaupt fall, daß von jenem 
Sriehifhen Spötter an, der fih durch einen Scherz über die 
Einäugigkeit feines Königs um den Kopf gebraht, bis auf 
mich, mehr Leute durch den Wis umgelommen find, ale durch 


312 Klopſtock und feine Freunde von Klamer Schmidt. 


den Krieg.“ S. 255 fpriht Kl. zum erfienmale von Meta 
Moller aus Hamburg, die nachher, ald Gattin, das Glück 
. feines Lebens machte. &. 292 hält der Sänger des Meſſias 
feine Beſtimmung ſich ia diefen Worten vor: „Sie war: 
Vielen die Menſchlichkeit desjenigen, der unvergangner Anbes 
tung und MNachahmung würdig iſt, zu zeigen. Dein’ Herz 
mußte deswegen völlig won die entwickelt werden. Wehmuth 
und Thränen mußten es ausbilden. And wenn du zugleich 
hiebey zeigteſt, daß die tiefe Unterwerfung und Anbetung der 
Vorſicht theurer find, als- eine Gtäckieligkeit, deren Dauer dir 
fo unbekannt war, fo ift für dich Lohn da“ Der ©. 315 
erwähnte Bramine inspire ift eine von Lescalier ver; 
faßte Ueberfeßung aus dem Englifchen des Buchhaͤndlers Dods⸗ 
ley. Nah S. 542 rief Voltaire, da ihm eine Dame die 
beften Stellen aus Haller überfeßte, einmal über dag andre 
aus: „Ah que cela est pitoyable!* Walhalda (ridtis 
ger: Walhalla) bezeichnet nicht, wie &. 396 gefagt wird, 

die Hölle der Celten, fondern den Palaft der im Kampfe 
gefallenen Helden, Die &. 409 geäußerte Vermuthung, daf 
der Brief N. XLVI. nicht in Klopſtock's Hände gefommen 
feyn werde, wird durch die im nächfifolgenden ———— 
Beziehungen auf denſelben unwahrſcheinlich. 

Bd. II. ©. 103 erzähle Kl. eine ſchoͤne Anekdote von * 
Enthuſiasmus, womit Hamburg's Buͤrger den liebenswuͤrdigen 
Koͤnig Friedrich V. von Daͤnemark bey ſeiner Ankunft in 
ihrer Stadt empfingen: „Der Koͤnig, der von Allen aufrichs 
tig geliebt wird, die ihn fehn, hat, bey feinem KHierjeyn, von 
Neirem erfahren, wie füR es ift, fo menfchlich zu feyn, ale 
er if. Er kam nach Hamburg, um die vornehmften Strafen 
der Stadt zu befehn. Die Leute drängten ſich fo fehr zu ihm, 
daß feine Garde mehrentheils hundert und mehr Schritte von 
ihm entfernt blieb. Die wenigften von diefen Leuten waren 
feine Unterthanen ; gleihwohl konnte fein Pferd kaum fort. 
Er mußte oft völlig fillpalteh. Sein Läufer, der fih unter 
den Hals des Pferdes retirirt Hatte, wurde beynahe erftickt. 
Die Leute faßten das Pferd, faßten zuweilen gar den Steig⸗ 
buͤgel und die Fuͤße des Königs an; fahen ihn unaufhörlich an, 
riefen ihm unaufhoͤrlich zu: Vater! König! Vivat! Hurrah! — 


Klopſtock und feine. Freunde von Klamer Schmidt, 313 


Komm bald wieder, Water! — und taufend andre Sachen 
würden immer fort gerufen. Der König, der alles fah, Allen 
dankte, und oft denen verbot, die das Wolf abhalten mollten, 
feßte feinen Hut beynahe nicht auf; rogleih ein flarkes Ge; 
witter mit Regen fam.“ S. 169 macht Gleim auf ein Be 
dürfniß unſrer fchönen Pitteratur aufmerkſam, welchem big 
jeßt noch nicht abgeholfen iſt: „Unſre Deutfhen haben einen Ads 
difon, der fie mit der Naſe auf die Schönheiten im Meſſias 
ſtoͤßt, fo noͤthig, als die Engländer. Ich las diefe Tage in 
Addifon ; und im Lefen dacht’ ich, wie viel Schönheiten im 
Meſſias wären, die Klopftoc weit über Milton festen.“ S. 
‚284 äußert fih Kl. über Pindar’s Oden und Grillo's 
Verdeutſchung bderfelben’alfo: „Will Herr Grillo den gans 
zen Pindar uͤberſetzen? Mich deucht, er fohte nur die fchöns 
ften Oden wählen. Wenn auh Pindar immer fhön wäre, fo 
ift es doch unmöglih, daß er uns für feine Materien fo ins 
tereffirt,, als wir es geweſen ſeyn wuͤrden, wenn wir Griechen 
wären. Herrn Grillo's Ueberſetzung gefälle mir von vielen 
Seiten; von andern aber nicht. Er iſt zu getreu und zu Pins 
darifch in den Berfwärtern; und ich weiß nicht, ob er dithy— 
rambiſche Verſe oder Profa hat machen wollen. Ich fage 
Hrn. Stille ohne Einkleidung meine Meynung, und dag kommt 
daher, weil ich die Ausführung feines Unternehmens wuͤnſche.“ 
Die elendeftlen Romane finden ihre Verleger; Grillo konnte, 
wie S. 580 bemerkt ift, zu feiner Ueberſetzung des Pindar, 
woran er faft ein ganzes Leben gearbeitet hatte, und von weis 
cher auch Hr. Klamer Schmidt mit Berfall ſpricht, kei— 
nen Verleger finden. Nur die Ueberſetzung der eilften Olyms 
pifhen Ode fift im Goͤttingiſchen Mufenalmanad 
1772. ©. 205 abgedruft. Von Mengs fommen ©. 188 
folgende Notizen vor: „Er hat Spanien gar nicht lieb; al 
fein die anfehnliche Penfion, die fehstaufend Thaler ſchwer 
Geld beträgt, wobey das Logis frey ift, und ihm Maulthiere 
auf königliche Koften gehalten werden, die Ausficht, daß die 
‚Hälfte diefer Penfion ‚für feine Frau fortdauern wird, „wenn 
er vor ihr firbe, werden ihn fowohl, als feine Frau, unges 
achtet fie beyde lieber in Rom oder in Dresden wären, dens 
noch in Madrid erhalten, und es ift gewiß, daß er nirgends 


314 Klopſtock und feine Freunde von Klamer Schmidt. 


fo viele Vortheife zufammen Haben wird. Dabey hat er. bie 
Freyheit, noch fonft zu malen, was er etwa malen will, die 
er vorher nicht Hatte, und die ihm nicht ;wenig einbringt.“ 
Die ©. ıdg erwähnte Weberfeßung einiger Fragmente aus 
Homer von Klopftod’s Bruder, von welcher Hr. Kla— 
mer Schmidt (Bi. ı. S. XLVIIL) fagt, daß er in kei— 
nem feiner Handbücher habe finden können, ob und wo jfie 
gedruckt fey ? fieht in Patzke's Wochenſchrift: Der Greis, 
Th. g. St. 107. und 114. Zwar ift dort der Ueberſetzer nicht 
angegeben; aber Degen, in feiner Litteramr der Deutfchen 
Weberiegungen der Griechen, Bd. ı. S. 385 nennt Klop⸗ 
ſtock's Bruder, und citire dabey: Allg. Deutfhe Biblio 
chef, Bd. 3. St. 2. (ohne Zweifel die Berliner Kritiß, 
von welcher der Leberfeßer, in der oben angeführten Stelle, 
beftimmte Nachricht zu erhalten wuͤnſchte). &. 196 und ı97 
geben Kl. Aeußerungen Über Gerftenberg’s Ugolino und 
über feine eigne Hermanns Schlacht. „Gerſtenberg 
bat einen Ugolino gemadht, der trifflich, und, mich daͤucht, 
nicht zu ſchrecklich iſt. Ich habe das Meine Verdienſt dabey, 
ihn aufgemuntert zu haben. — Hermanns Schlacht, 
«in Bardiet für die Schautähne, liegt auch zum Drude few 
tig. Weil ih mit ihnen eben fo ſchwatze, fo fann ich Ihnen 
wohl davon fagen, daß ich fie ein wenig lieb habe, und daß 
fie fehr vaterländiich ift, und weil mir’s mit diefem Vaterläns 
difchen fehr von Herzen gegangen iſt, und ih mich dabey wer 
der auf einen Eritiihen Dreyfuß, noh Vierfuß binfeßte, und 
nad) Kerausbringung des viellehrenden Satzes: Ein Mationals 
gedicht intereffirt die Mation, die es angeht! gefihrieben habe; 
fo denke ich, dal; jenes Baterländifche wieder zu Herzen gehen 
fol.“ Sn Gräter’s Bragur, Bd. 6. Abth. 2. ©. 25ı war 
die Frage aufgeworfen: wie es komme, daß Klopſtock in 
folgender Stelle der 1747 gedichteten Ode, Wingolf: 

„Willſt du zu Strophen werden, o Haingefang ? 

Wullſt du gefeglod, Oſſian's Schmwunge gleid, 

Gleich Ullers Tanz auf Meerfroftalle, 

Grey aus der Seele des Dichterd ſchweben?“ 


D ffian’s ſchon gedenke, von deffen Weberreften doc, erft 1760 


Klopſtock und feine Freunde von Klamer Schmidt. 315 


-Macpherfon die erfien Proben dem Publicum mitgetheilt 
habe ? Hierauf wurde in der Dberdeutfchen Litteraturzeitung 
2809. Nr. 142. geantwortet, daß, da von Kl. Oden die erſte 
Ausgabe erft 1771 herausgekommen, die Stelle in der 1747 
gedichteten Dde, wo Oſſian's Name vorkommt, vermuthlich 
erft nach der Erfiheinung der Macpherſon'ſchen Samms 
lung zugefegt oder umyearbeitet worden fey. Diefe Vermus 
thung wird nun durch dasjenige beftätigt, was Kl. ©. 198 in 
einem Briefe an Gleim vom ıg. Dec. 1767 fchreibs: „Und 
meine Oden, die Sie fonft fo lieb zu haben pflegten, wers 
den auch bald entweder gedrudt oder in Manufcript zu ihnen 
tommen. Wo Mythologie vorkommt, da ift es celtifche, oder 
die Mythologie unfrer Vorfahren. Die lange Ode an meine 
Freunde ift daher, was die Ausbildung anbetrifft, jeßt gang 
anders. Sie heiße Wingolf (ift der Tempel der Freunds 
ſchaft; — Sie haben doch Mallets Auszug aus der Edda ges 
lefen ? —).“ Daß RI. erfi duch Macpherfon den Kales 
donifhen Sänger enden lernte, laͤßt fih daraus ſchließen, 
weil ee ©. 214 Macpherfon den Nitter des Barden 
Dfftan nennt. Das Honorar, weldhes Ri. von Hemmerde 
in Halle für feine Meffiade erhielt, war, nah S. 209, zwölf 
Thaler in Louisd’or für den Bogen, die Einleitung mitgezähft. 
Kaifer Joſeph beehrte ihn (S. 220) mit einer golden, 
mit Brillanten umgedenen Medaille. Von Angelika Kaufs 
mann fohreißt Kl. ©. aad fg. „Sch bin feit Kurzem in eine 
Deutfihe Malerin in London, Angelita Kaufmann, beys 
nahe verliebt. Sie hat einen Briefwechfel mit mir angefangen, 
und will mir fchicken einen Kopf Dffiens nad) ihrer Phantafie, 
ihr Portrait und ein Gemälde aus dem Meſſias. Außer dem 
allen will fie mich auch in Kupfer ſtechen. Wie ſtark dieſes 
junge fhmwarzäugige Mädchen in der Kunft iſt, werden Sie 
fehen, wenn ih Ihnen fage, daß ihr die Herren Großbritans 
nier funſzig Guineen für ein Portrait bezahlen.“ Eben ber ° 
Brief, von welhem Kl. (S. 230) an Gleim- fhreibt: 
» Verbrennen Sie diefen, damit er der ‚Gefahr, verlegt zu 
werden, fchlechterdings nicht ausgefeßt fen,“ kommt jeßt, durch 
die Druckerpreſſe vervielfältige, vor die Augen des ganzen 


u 


316 Alopſtock und feine Freunde von Klamer Schmidt. 


Deutſch lefenden Publicums! Um auch den Aerzten etwas aus 
diefer Brieffammlung zum Beften zu geben, ftehe hier, was 
Ki. ©. 238 fchreibt: „Schlagen Sie doh Pfutſch vor, daß 
er ihr viel China gibt. Wenn er es gut finder, fo will ich 
ihm China, und rechte gute, ſchicken. China können Sie auch 
einnehmen, liebfter Gleim! anftatt Brunnen und andre Trank 
fein zu trinken. Ich Habe fie, bey Gelegenheit des Fiebers, 
fo lieb gewonnen, daß ich ihr auch bey allen andern Veran— 
laffungen zufpreche, und mit gutem Erfolg. Ich bin eben fein 
Einnehmer; alfo laffen Sie ſich meine Empfehlung nur im— 
mer empfohlen feyn. Statt der China manchmal Auaffla und 
viel Bewegung: dies ift Alles, worauf ih mich in Abſicht 
auf die Medicin einlaffe : | | 


„Chinare, Quassiare , ensuita ex $patiare: 
Et dignus, dignus es intrare 
In nostro docto corpore !“ 


S. 266. Ki. Urtheils Über Gleims rothes Buh: „She 
rothes Buch hat mir feine Meine Freude gemacht. Es hat 
fehr viel Neues in Sahe und Ausführung ; nur etliche Iyrifche 
Wiederholungen wuͤnſchte ich heraus, und hier und da eine 
Heine Härte,“ Wenn der Hr. Herausgeber diefer Briefſamm— 
(was Rec, von dem gemüthvolen Manne gern glaubt) durch 
die Bekanntmachung derjelben Niemand beleidigen wollte, fo 
laͤßt fih’s nur als eine derjenigen Erfcheinungen, 
quas aut incuria fudit, 
Aut humana parum cavit natura, | 


erflären, daß er gleihwohl &. adı in einem Briefe von 
Gleim an Kt. die Stelle fiehen ließ: „Claudius if 
Matthias Claudius. — Bey folhen Borfällen kommt man 
auf den Gedanken, er zwinge fih zu feinem launigen Charaks 
ter. Sagen Sie dem Unhold kein Wort mehr darüber * S. 
315 flieht Kl. Urtheil über Füger: „Fuͤger in Wien (er 
üft aber kein Wiener) Hat mir vortreffliche Zeichnungen zum 
Mefflas geſchickt. Er ift leider! unfer größter Maler; leider, 
fage ih, weil er meine fehr geliebte Angelika übertrifft.“ 
(Nahrichten aus Wien zufolge werden jest Fuͤg er's Zeich⸗ 


Klopſtock und feine Freunde von Klamer Schmidt. 317 


nungen zur Meffiade, von Leibold für den Grafen von 
Fries, und von Hohn für Meermann’s Hollaͤndiſche 
Ueberſetzung des unfterblihen Gedichts, in Kupfer geftodhen.) 
&, 326. Ri. Yeußerung über Melfon: „Ih Habe Nelion 
tennen gelernt; er ift ohne alle Anfprüche, oder (da ich. von 
ihm rede, muß ich mich anders ausdräden) er läßt ſich nie 
zu Anſpruͤchen herunter. Er hat eine vielleicht ſehr /ſchwer zu 
malende Heiterkeit, die zumeilen ein. wenig läcelnd wird.“ 
Geleim gibt unterm 3. Auguft 1801 von der Kerftellung feis 
nes Gefihts S. 351 foigende Nachricht: „Da ich, feit eints 
ger Zeit, nicht mehr vecht fehen, und weder lefen, noch fchreis 
ben konnte, fo Habe ich mir das eine Auge geftern operiren 
laſſen, nämlich das linfe. Mein Großneffe, der Prof. Himly 
in Braunſchweig, hat es mir operirt, fo ſchnell, als fchonend 
und gluͤcklich! — Ich befinde mid, nad) der Operation, ſehr 
wohl, und wuͤnſche fehnfuchtsvoll, meinen Klopfto im neuen 
Lichte wieder zu fehn, ehe ich ihn im ewigen umarme. Sch 
habe, bey.der Operation, nur zweymal gefeufzt. aus Langers 
weile. Nicht wahr? das heiß’ ich einen Preußifchen Grena— 
dier ?* Aber am 13. Dec. deffelben Jahrs ſchreibt er (©. 
358): „Die Hoffnung ift nicht erfüllt. Das mit einem Spieß 
durhmühlte Auge fieht noch nichts, als meine nod immer 
dummen Uebel, das andre nur fo viel, daß ich im Zimmer 
auf und nieder gehen kann. Seit der Operation hatt’ ich kei⸗— 
nen guten Tag, und hundert und drey und dreyfig fchlaflofe 
Nähte. Mein Zuftand ift trauriger, als ein Klopſtock ihn 
befchreiben könnte. Die Langeweile plagt mic entſetzlich. In 
einer Stadt, in welcher drey Lateinifhe Schulen find und ein 
Schulmeifter s Seminarium, hab’ ich feinen guten Vorleſer 
auffinden innen.“ Der biedre Sänger verlor. nah und nad 
fein Geſicht ganz. Am ıd. Febr, 1805, 24 Tage vor feines 
Klopſtock's Ende, welchem er noch am 24. Sjanuar hatte 
Schreiben laffen: „Ich fterbe, lieber Klopſtock! — Als_ ein 
Sterbender ſag' ih: in diefem Leben haben wir für und mit 
einander nicht genug gelebt; in jenem wollen wir’s nachholen,“ 
führte der Genius mit der geſenkten Fackel ihn in die Woh— 
nungen des Lichts hinüber. 


v ⁊ 
7. 


318 Herda von J. ©. Baht. 


Durch die, unter dem Titel: „Etwas über die Freunde 
und Freundinnen, von denen bier Briefe vorkommen ‚“ dem 
Briefwechſel vorausgefchieften, meift biographifhen, Notizen 
and die zur Erläuterung einzelner Stellen der Briefe beyge: 
fügten. Anmerkungen hat der Hr. Herausgeber ſich Anſpruͤche 
auf den Dank der Pefer esworben. Nur Folgendes finden wir 
bey letztern zu bemerken: daß, wie &. 379 gefagt wird, erft 
durch Sam. Gotth. Lang e's odaifhe Werfuhe die Deutfchen 
mit reimlofen Dichtungen bekannt worden feyen, ift nicht ohne 
Einfhräntung richtig ; ſchon früher machten v. Sedendorf, 
Bodmer und Sottfhed, ja bereits im fechzehnten Jahr— 
hunderte Fifhart und Gesner, reimlofe Verſe. Der ©. 
381 erwähnte Prediger Alberti flarb zu Hamburg. Der 
eigentliche Titel der S. 380 angeführten Lieder, deren Ertrag 
Sleim für Mihaelis Schweftern befiimmte, ift: es 
dichte nah den Minnefängern. 


Hada, Erzählungen und Gemälde aus der teutfchen Vorzeit für 
Freunde ‚der vaterländifhen Geſchichte. Von G. ©. Pahl. 
-Zwepter Band. Freyburg und Konftanz, in der Herderfchen Bud» 
handlung. 1812. 320 ©. 8. 


( Zortfegung der im Jahrg. 1812 No. 73. befindlichen Necenfion. ) 


Alle diefe Vorzüge, melhe Nec. von dem erften Bande 
diefee Werks gerühmt hat, gereihen auch dem zweyten zur 
Empfehlung. Es wird alfo genug fepn, den inhalt deffelben 
fürzlich anzugeben, der in folgenden Auffägen befteht: Die 
Römer und die Germanen. Die im erfien Bande ans 
Hefangene Erzählung der unaufhörlihen Fehden zwifchen dem 
„größten und maͤchtigſten aller Reiche, welche die Annalen des 
menfchlihen Gefchlechts uns nennen, — dem Weihe, das in 
der Zeit feiner Bluͤte alle civilifirten Länder der Welt umfafte; 
— dem an militärifcher Bildung und Stärke vielleicht feines 
der fruͤhern und ver jpätern glich — außer dem es einft nir: 
gende eine wiffenfhaftliche Kultur gab, und in dem allcs fih 
vereinigt fand, was Genie und Geſchmack bervorzubringen 
und zu bilden vermochten, — das in der Weltgeſchichte ewig 


Herda von J. G. Pahl. 319 


als einer der großen Mittelpunete ſteht, aus dem die Schick⸗ 
fale der meiften Voͤlker ſich entwickeln, oder in dem fie fich 
fließen, — das reiher war, als fonft irgend eines an hel⸗ 
denmuͤthigen, patriotifchen, kraftvollen und felbfiftändigen Mäns 
nern,“ und den „Horden Germaniens, die Gott aus ‚ihrem 
Wildniffen hervorgerufen hatte, auf daß fie felbft, und durch 
fie die andern Nationen wiedergebohren würden ‚“ ift bier bis 
zum Untergange des Abendländifchen Reichs der Roumer Forts 
geführt. Ä 
‚Wie das Reich und das Haus Karls des Grofs 
fen unterging. „Es waren — fo ſchließt dieſer Aufſatz — 
in dem Geſchlechte der Karolinger die ‚großen Eigenfchaften 
und die Tugenden der Wäter erlofhen, darum mußte es um 
tergehen ; und fo wiederholten die Annalen diefes Gefchlechtes 
diefelde Lehre, ‚die Überhaupt das Nefultat aller Gefchichte ift, 
daß, was Geift und Muth geſchaffen, nur fo lange beftehe, 
als Geiſt und Muth es erhalten!“ Die Stadt Ulm im 
Sürftenfriege im Jahre 1552. (Eingefandt.) ©. 193, 
wo die Quellen diefer Erzählung angeführt find, hat der 
Setzer aus Schertlins Leben einen Schertliosleben 
gemacht. Nah ©. 149 ließ K. Kart V. unter andern Gnas 
denbegeugungen, wodurch -er feine Zufriedenheit mie der bes 
mwährten Treue der ‘Ulmer zu erkennen geben wollte, den Wai— 
fentnaben im Ulm eine Mahlzeit und — ein Bad zubereiten. 
Die Walbfahrt nah Hohenftaufen.. Auch Nec. Hat 
dieſe Wallfahrt gemacht, und erinnert fih mit nie erlöfchens 
dem Vergnügen des jeden Ausdruck Übertreffenden Gennffeg, 
welchen fie ihm gewährte. Was Herr Pahl in feiner Nas 
tionalchronif der Deutfhen 1805. ©. 38. und 
2806. St. 15. über ven Staufen und uͤber Por gefagt hat, 
iſt hier weiter ausgeführt. Auf eine mit Kraft und Geiſt 
geichriebene Einleitung, worin die Werdienfte der edlen Fürs 
ften, die auf dem Staufen vormals ihren Wohnſitz hatten, 
gefeyert werden, folgen eine der Natur durchaus getreue Schils 
derung der Anſicht diefes intereffanten Bergs und feiner Ums 
gebungen, Motizen von Gruͤat, Hohenrechberg und Hohen— 
ftaufen, ein treiflih ausgeführtes Gemaͤhlde der großen und 


320 Herda von J. ©. Pahl. 


fhönen Ausfiht, die der Gipfel des Staufen beherrfcht, Nach 
richten: von der jetzt bis auf eine kleine Ruine verfchwundenen 
Raiferburg,, die ‚er trug, vom Wäjcherfchlößlein und vom 
Buren, vom Klofter Loch und von. feier fowohl durch die 
Srabftätte und Bildniſſe fo vieler Prinzen und PDrinzeifinnen 
aus dem Staufenfhen Haufe, als durch die Wöllwart’fche 
Todtenhalle merkwürdigen Kirche. Das S. 185 erwähnte 
Bild des unglädlihen Konradin von Schwaben, nebſt 
der WVorftellung feiner Hinrichtung, ift auch vor dem zwey— 
ten Hefte von Preſcher's Alts Germanien nachgeftochen. 
"Sprüche und Anekdoten der Alten Aus Zincs 
gref’s fcharfiinnigen, Mugen Sprüchen der Deutfchen (Straßs 
burg ‘1649. ) genommen, woraus. Here Pahl fihon in feiner 
Nationalehronik der Deutfhen 1803. St. 42. mehr 
rere Proben Altdeutihen Witzes mirgerheilt Hatte. Kato und 
Caͤſar fanden es ihrer nicht unwuͤrdig, die Apophehegmen 
berühmter Römer zu fammeln. Welcher Deutfhe würde eine 
mit Geſchmack bearbeitete Sammlung Deutſcher Sprüce, 
wozu es an Materialien keineswegs fehle, niche mit Dank 
aufnefmen? Nudolf von Habfpurg und Dtto far 
von. Böhmen. Enthält eine Schilderung ihrer Kämpfe 
gegen einander, und zugleich den Beweis, :wie gut Rudolf 
die Kunft verfiand, Mavors Toben durch Hymenaͤus Bande 
zu befänrtigen. Die Grafen von Babenberg. Sn 
diefem Auflage, einem Anhange zu dem vorigen, wird das 
Merfwürdigfte aus der Gejchichte der Eräftigften Männer des 
feit 1246 erlofchenen, durch große Gluͤck⸗ und Unglücksfälle 
denkwuͤrdigen, und durd) einen ununterbrochen fi forterbens 
“den Heldenmuth verherrlichten Geichlechts der Babenberge 
erzählt. Blike auf Lindau. ' Grofentheils aus des 
Verfaſſers Chronik der Deutfhen 1608. St. 21. ger 
nommen, mit einigen Zufägen. Auf dem Titelkupfer iſt die 
veizende Lage der Stadt dargefiellt. . 


— — — — 


No.941.  HBeidelbersifhde 4813. 
Jahrbuͤcher der Litteratur.“ 


u ee A— * *2 *— GA AA AL ANA 


. Les Ruines de Port - Royal des Champs, „en 1809, annde sd- 
culaire de la destruation de ce monastere. Par M. Gre- 
goire, ancien Ev&que de Blois, Scnateur etc. Nouvelle 
Edition, considerablement augmentee. A Paris, chez 

_ Levacher, Libraire etc. 1809, 175 ©. 8. 


Diese kleine Schrift dat eine mehrfahe Wichtigkeit, theils 
als Zufammenftellung vieler wichtigen Motigen für die Ger 
fhichte des Streites zwifhen den Sanfeniften und Molinis 
ſten, eines Streites, welcher zu vielen Ereigniffen unfrer 
Zeit in bedeutender noch nicht volllommen gewürdigter Bezie—⸗ 
bung fieht, theils als Beytrag zu der Kenntniß der jebigen 
Lage und Sefinnung der Sjanieniften, endlich als ein merks 
würdiges Dentmahl des frommen und religidfen Sinnes ihres 
ehrwuͤrbigen Verfaſſers. Wir dürfen wohl annehmen, daß 
diefelbe Sefinnung, welche hier ausgefprochen wird, noch jeßt 
die Sefinnung des größten Theils der Parthey fey, zu wels 
her der Verf. fih ohne Hehl bekennt, und welche fih immer 
von ihres Gegnern durh Strenge der Srundfäße und Sitten 
und Puͤnktlichkeit in Erfüllung der Pflichten der Religion und 
Andacht auszeichnete, was auch felbft die Gegner nicht abzus 
leugnen vermochten,, und daher nur als Heuceley und Pharis 
fäismus verdächtig zu machen fuhren. Wer hatte aber den 
Sefuiten die Macht verliehen, die im Herzen verborgenen 
Motive der Handlungen gu erforfchen ? 

Die Zerftörung des Beruhardinens Klofters Ports Royal 
des Champs, weiche der Verf. in Erinnerung bringt, war 
allein die Wirkung des Partheyhaffes der Jeſuiten. Diefes 
Monnen: Klofter im Jahr 1204 in einem fchönen Thal, drey 
Myriameter von Paris, Ein Myriameter von Verfailles und 
ein halbes Myriameter von Chevreufe gegründet, zeichnete fich 
zu der Zeit der Entfiehung des Janfeniftifhen Streites, währ 

21 


322 Lesruinesd. Port-Royal d, Champs p.M. Gregoire. 


rend das in ber Hauprftadt, in der Vorftadt St, Jaques im J. 
1625 gegründete Monnen » Klofter Ports Royal (im Gegenfaß 
gegen das erftere, Port- Royal de Paris genannt) zu dem 
loren und bequemen Srundfäßen der Franzoͤſiſchen Sefuis 
ten fi bekannte, durch feine Strenge aus. Die gelehrten 
Männer, welche in einer abgefonderten Wohnung, les Gran- 
ges genannt, in der Mähe des erſtern Kilofters wohnten, von 
denfelben Srundfägen der Strenge befeelt, ein Pascal, Sacy, 
Dufoffe, Hamon, Nicole und andre widmeten fih in der Zus. 
ruͤckgezogenheit emfig den Studien, und erwarben fi durch 
thre Schriften, befonders durch ihre Bücher für den Unter— 
richt der Jugend, Verdienſte, welche nur Meid und Mißgunſt 
zu ſchmaͤlern wagen können. Die wichtigſten und verdienteſten 
Männer Frankreichs, mie ein Boileau Despreaur und viele 
andere zählten ſich Öffentlich zu ihren Freunden, und der Trar 
giker Racine fchrieb ſelbſt die Gefchichte diefes Kiofters, welche 
außer ihm von zehn oder eilf Geſchichtſchreibern, unter ihnen 
auch von Mademoifelle Poulain, bearbeitet worden ift. Diefes 
große Anfehn von PortsRoyal, verbunden mit der Anhängs 
lichkeit der Ports Royaliften an den Lehren des Janſenius, 
war fchon Hinreihend, um die Gegenparthey zu fanatifcher 
Zerftörungsmwurh zu reizen. Der Poligey s Lieutenant d’Argens 
fon, eifriger Freund der Sefuiten, erhielt den Auftrag, bie 
Rache an den unglücklichen ſchwachen Nonnen von Port : Royal 
zu üben, welche, fo lange die Geſchichte nicht verfiummt, das 
Andenken der Sefuitifhen Parthey jener Zeit verunehren wird. 
Mit dreyhundert - Mann 309 d’Argenfon in der Naht vom 
28, auf den 29. Dt. 1709 aus Paris aus, und fchloß das 
Klofter ein, wo niemand als 2a meiftens alte und gebrechliche 
Nonnen fi) fanden, nur zue Unterwerfung unter die Gewalt 
gerüftet. Jene Anftalten follten nur dazu dienen, um bey dem 
Publikum diefe tyrannifhe Mafregel durch den Schein einer 
Empdrung im Klofter zu entfchuldigen. Während der Terze, 
welhe die Nonnen unter dem Geber für fih und ihre Verfol⸗ 
ger feyerten, wurden fie von dem Chor ihrer Kirche hinweg⸗ 
geriffen, indem man ihnen faum Zeit ließ, das mindefle mie 
fi) zu nehmen, wiewohl fie fih ohne Murren in ihr Schickſal 
fügten. Getrennt wurden fie in verfchiedene Städte und Kiös- 


% 


Les ruines d. Port-Royal d. Champs p. M. Gregoire. . 323 


fter verwiefen, und felbft bis in den Tod von der Wuth ihrer 
Geinde verfolgt. Der Biſchof Berthier von Blois z. B. vers. 
fagte der Priorin, weldhe in feine Stadt verwiejen war, die 
Sacramente und das katholiſche Begraͤbniß, weil fie fih weis 
gerte durch die Unterfehrift einer Erklärung den Grundiäßen 
gu entfagen, weiche ihr Gewiffen für die richtigen erkannte. 
Im folgenden Jahre 1710 wurden. die Kloftergebäude mit eis 
ner Wuth zerfiört, die nur gegen eine rebelliiche &tadt oder 
einen verruchten Ort hätte angewandt werden mögen, und die noch 
vorhandenen Einkünfte dem leichtfinnigen Kiofter Port: Royal in 
Paris geſchenkt. Miet vieler Wärme fchildert der ehrwuͤrdige 
Verf. die Frömmigkeit der Nonnen und die Achte chriftliche 
Sefinnung, fo wie die litterärifchen Verdienſte der Gelehrten 
von Ports Royal; und vertheidige fie gegen ihre Verlaͤumder, 
doch ohne den heftigen. und erbitterten Ton zu billigen, 
welhen auch die. Port ; Noyaliften hernach, befonders in den 
Nouvelles ecclesiastiques, gegen ihre Verfolger führten. 
Niemand, zu welher Parthey er fih auch bekennen möge, 
wird ohne Ruͤhrung das leute Kapitel lefen, welches: Senti« 
ments religieux que doit inspirer l’Annde s£culaire de la 
destruction de Port-Royal des Champs, überfchrieben ift. 
Es wird feine, Wirkung nicht verfehlen,, befonders auf bie 
frommen ®emüther derer, weldhe, wie hier erzähle wird, haͤu⸗ 
fig nah) dem Thal von Ports Royal mwallfahrten, um über 
diefen Trümmern, gleih wie die Kinder Israels Über den 
Auinen von Serufalem, zu weinen, einige Gefänge an dem 
Drte, welcher die Wüfle genannt wird, zu fingen, und da, 
wo die Kirche ehemals fand, zu beten und ein Mittagsmahl 
einzunehmen. Wir fegen den Schluß des Wertes hierher : 
„En adressant des voeux A l’Eternel, qui pourrait- oublier 
* desastres d’une Eglise autrefois le modèle de la chré- 
tiente! Ont-ils donc conjur€ sa ruine, ces pasteurs quiy 
sourds à la voix de la piet€ et de la patrie, perpetuent 
les divisions ? sont-ils dans les decrets du ciel, les cou⸗ 
pables instrumens de sa vengeance? Un grand homme 
nous avertit que la religion, voyageuse sur la terre, ne 
demande que la libert€ du passage. Des contrees, oà 
elle fut jadis florissante , sont couvertes actuellement des 


324 Beimiffer’s Denkmaͤhler der Kirche 2: h. Kreuz in Innsbr. 


ten&bres de l'erreur et’ de Tinhdelite. Quel que soit le 
sort que nous reserve la justice olı Ja misericorde divine, _ 
restons inviolablement unis à cette église catholique, qui, 
traversant les äges, Eleve sa tête radieuse au milieu des 
sectes qu’elle voit successivement s’elever, s’ecrouler au« 
tour d’elle, et qui, appuyde sur les promesses de son 
divin fondateur, marche & la consommation des siecles.* 





Denfmähler der Kunft und des Alterthums in der Kirche zum heiligen 
Kreuz zu Innebrud. Junsbruck, in der Wagnerfhen Buchhands 
fung 1812. X und 108 ©.. 8. (Mit 26 Kupferftichen ) 

Diefe kleine intereffante Schrift, als deren Verfaſſer Kerr 
Dr. Gottfried Primiffer zu Innsbruck ( bekannt durch 
mehre fleißige Beyträge zu dem Tiroler Sammer) fich unter 
der Vorrede nennt, foll der Anfang einer Befchreibung aller 
Denktwürdigkeiten der Stadt Innsbruck und ihrer Umgebungen 
feyn, welche die Wagnerfche Buchhandlung dafeldft nad und 
nach in der Form von Almanachen ‚herauszugeben denkt. Sie 
ift in fünf Abfchnitte gerheilt, wovon der erſte einen Abriß 
von der Geſchichte der Kreuzkirche zu Innsbruck gibt, der zweyte 
und dritte die Beichreibung des Denkmahls von Maximilian! 
enthalten, der vierte von andern Merkwürdigkeiten der Kirche 
(dem Alterblatt von Auerbad von Wien, dem Grabmahl der 
Gräfin Honorata Piccolomini w ſ. w.), endlich der fünfte 
von der fildernen Kapelle Handelt, welche von dem Erzherzog 
Ferdinand, dem zweyten Sohn des Kaifers Ferdinand J. er— 
bauet und mit der Kreuzkirche verbunden, ihren Namen von 
einem filbernen Bilde der Mutter Gottes empfangen hat, und 
die Srabmähler ihres Stifterd und feiner Gemahlin, Philips 
pine Welfer, enthält. Fünf merfwürdige Beylagen find zuge 
geben. Das aͤußerſt bedeutende Denkmahl Marimilians I. in 
der Kreuzkirche zu Innsbruck iſt den Gelehrten zwar ſchon 
durch die Monumenta austriaca befannt, aber es verdiente 
auch der Kennmiß und Aufmerkfamkeit des größern Publikums 
noch mehr empfohlen zu werden, als es durch die wenigen 
Keifenden gefchehen konnte, welche feiner erwähnen. Die Kirche, 
jo wie jenes Denkmahl, ift eine Stiftung des Kaifers Ferdi 








Primiſſer's Denkmaͤhler der Kirche 3. b. Kreuz in Innsbr. 325 


nand I.; diefer erfüllte damit einen Plan feines Vorfahren, 
weldyer fich feldft in den legten Sjahren feines Lebens mit der 
Errichtung feines Srabmahls zu Innsbruck befchäftigte, und 
mehrere der Statuen gießen ließ, welche jekt das Grabmahl 
zieren. Sein Leihnam wurde daher nur vorläufig zu Neu— 
ftadt beygeſetzt, und follte nad) feinem Wunjche, fobald das 
Annsbrucker Grabmahl vollendet wäre, dahin gebracht werden. 
Diefer Wunih des Kaifers wurde nicht erfüllt, und das fchöne 
Innsbrucker Grabmahl biied nur Kenotaphion. Das Mon . 
ment erhebt fih in der Mitte der Kirche auf drey Stufen von " 
roth und weiß; gefprengtem Marmor, 6 Fuß 2 Zoll in ber 
Höhe, 13 Fuß in der Länge und 7 Fuß 3 Zoll in der Breite. 
Die oberfte der drey Stufen des Podiums oder der Baſis ziert 
eine Einfaffung von Metall, Waffen aller Art und Trophäen _ 
darftellend. Die Decke oder der Aufiak des Grabmahls befteht 
aus drey Abftufungen aus viehfärbigem Marmor, 2 Fuß 2 Zoll 
hoch. Oben knieet Marimilian in betender Stellung und 
vollem kaiferlihen Ornat. Diefe fhöne Statue von Erz wurde 
durch Ludwig del Duca g:,offen, welcher für feine Arbeit eine 
Belohnung von 450 Kronen erhielt. An den vier Ecfen der 
mittlern Stufe figen die Genien der vier Cardinaltugenden. 
Die vier Seiten des Maufoleums werden durch fehszehn Pfeis 
ler von feinem jhwarzen Marmor in Felder getheilt, welche 
in doppelter Reihe, acht Marmortafeln an jeder [ber beyden 
fangen Seiten und vier am jeder der beyden kurzen, zuſammen 
vier und zwanzig Marmortafeln enthalten. Auf diejen find 
in halberhobener Arbeit die merfwärdigften Eriegerifhen Thaten, 
die erfte Wermählung nnd die Krönung des Raifers Maris 
milian und verjchledene andre wichtige Ereigniffe in dem 
Defterreichifchen Haufe zur Zeit Marimilians dargeftelle. Merk; 
würdig find auf diejen Darficllungen die Achnlichkeit der Ges 
fihtszüge des Kaifers und die Bezeichnung der verfchiedenen Abs 
fufungen feines Alters. Ein Theil diefer Darfteffungen tft zufolge 
der Dehauptung des Freyheren Sof. v. Ceschi in feiner hands 
fhriftl. Befchreibung von Innsbruck (1776), melde von 
Heren Pr, benußt wurde, der Marimilianifhen Ehren s und " 
Triumphpforte nachgebildet, welche von Albrecht Dürer anges 
fangen und von Hanns Birkmair fortgefert, niemals vollſtaͤn⸗ 


326 Primiſſer's Denkmaͤhler der Kirche 3. h. Kreuz in Innsbr. 


dig zur Kenntniß des Publikums gekommen iſt. Es werden 
im Anhange zu dieſer Schrift die Inſchriften der Marmortafeln 
mit den Vorſchriften zu dieſen Darſtellungen in Lateiniſcher 
Sprache mitgetheilt, in welchen Einmal die porta honoris aus— 
druͤcklich genannt, viermal darauf mit den Worten: „maneat 
pictura antiqua,“ verwiefen wird. Vier diefer Tafeln find 
durch die Brüder Bernhard und Arnold Abel, Bild 
bauer aus Cölln am Rhein, verfertigt, die Äbrigen und vors 
züglichern durh Alexander Colin von Meheln. Das 
Ganze wurde nach einer von dem letztern Künftler eingehaues 
nen Inſchrift im J. 1566 vollendet, Die beyden erftern Künfts 
fer, welhe vom J. 1561 bis 1565 zu Innsbruck arbeiteten, 
erhielten contractmäßig für die Arbeit einer jeden Tafel 240. 
Pfund Pfenninge oder fo viele Gulden; die Unfoften für die 
Herbeyſchaffung des Marmors und alle Übrigen Beduͤrfniſſe 
mußten vom Kaiſer beftritten werden. Da der Marmor des 
Thales Ridnaun im Landgerichte Sterzing theils wegen 
der Farbe, theils wegen der geringern Feinheit des Korns zur 
Dearbeitung der Tafeln nicht tauglich gefunden wurde, fo reis 
ten die Brüder Abel auf Befehl des KRaifers felbft nach Genua, 
und holten daher den für alle 24 Tafeln erforderlichen carras 
rifhen Marmor, wovon die Koften auf 758 Gulden: fi bes 
liefen. Zu allen gröbern Arbeiten, als Gefimfen, Kapitälen, 
&tufen u. f. mw. wurde aber Sterzinger Marmor genommen, 
wovon der Wiener Centner etwas mehr ald 2o Kreuzer koftete, 
Bon dem Kuͤnſtler Alerander Colin, der am 17. Aug. 1612 
farb, und feiner Familie, fo wie auch von feinem Grabmahl 
zu Innsbruck, wird eine genaue Machricht gegeben. Die Zeicdhr 
nungen zu den Grabbildern wurden durch einen Maler zu 
Prag verfertige, über deffen Saͤumigkeit fih Colin in einem 
im Anhange mitgetheilten Schreiben an die Landesregierung 
beklagt. Da der Name diefes Malers nicht genannt wird, ſo 
bringt der Verf. in einer Anmerkung in Erinnerung, daß um 
diefe Zeit Jakob Beiffenegger, K. Ferdinands I. Kofmaler, 
lebte. Aus diefem Schreiben, fo wie aus einem andern ebens 
falls hier mitgetheilten Briefe geht hervor, daß niche Kolin 
allein die Basreliefs ausarbeitete, fondern die Arbeiten großens 
theils unter feiner Auffüht von Sefellen, welche ey’ anf feine 


Primiſſers Denkmaͤher der Kirche 3. h. Kreuz in Innsobr. 327 


Koften aus den Niederlanden mitgebracht hatte, verrichten lieh. 
Eine große Merkwürdigkeit diefes Grabmahls find noch die 
28 Boloffalen Statuen von Bronze, weldhe in zwey Neihen 
nad der Länge des Schiffs der Kirche das Grab des Kaifers 
‚umgeben, und theild Heroen des Mittelatters ( König Artus, 
König Chlodwig, den Oſtgothen Theodorih, Gottfried von 
Bouillon), meiftens aber Ahnen und Verwandte des Kaifers 
Marimitian darftellen. Aus einem DVerzeichniffe, welches uns 
ter Lit. D. im Anhange abgedruckt ift, erfieht man, daß 37 
Statuen das Grabmahl zieren follten. Won den neun fehlens 
den Statuen wurden fünf gar nicht gegoffen, von einer fcheint 
es bloß bey der Form geblieben zu feyn, drey andere, melde 
wirklich vollendet wurden, find verloren oder wieder. einges 
fhmolzen worden. In eben diefem Entwurfe wird dem Kais 
fer vorgefchlagen, die Namen eines Theild der Statuen zu äns 
dern. So foll z. B. Gottfried von Bouillon in Albertum 
militem Ducem Austrie patruum, Dietrid von Bern in 
Albertum Ducem Austrie, Propatrui fillium umgetauft wers 
den, was aber von dem Kaifer Ferdinand nicht genehmigt zu 
feyn fcheint. Auch die vorhandenen Statuen find nicht ganz 
vollftändig ; denn es fehlen vielen der männlichen Bilder die 
Schilder mit den Wappen; ben weiblichen die Kerzen. Alles 
dieſes foll nach einer Nachricht des Herrn von Teschi nebft eis 
nigen Piedeftalen und Schwertern zuerſt in das Franciscaners 
Klofter von der Kreuzliche, und nad) deffen Aufhebung in das 
Schloß Amras, wo fie vielleiht noch fih finden, gebracht 
worden feyn. Sie find der Sage nad) von Gregorn Loͤff— 
ler gegoffen, nad der Behauptung des Herrn von Ceschi 
aber gehören einige wenige den Stüdgießern Lendenſtreich 
und den beuden Brüdern Godl ( Stephan und Melchior) au. 
Das ganze Monument ift von einem durch einen Böhmifchen 
Scchloſſer fehr fünftlich gearbeiteten eifernen Gitter umfihloffen, 
an welchem die Wappen aller Reiche und Länder, die Mar in 
feinem Titel geführt, an der Zahl 36, fich finden. Nicht ohne 
Verdienft find auch dte 25 Meinen aus Erz gegoffenen Sta— 
“ten, welche vorn am Chor der Kirche über drey Schwibbo— 
gen oder dem KHauptgefimfe in einer Linie fichend von ber 
Höhe auf des Kaifers Grab herabfehen, und Heilige männtis 


325 Primiſſer's Denfmähler d. Kirche 3.5. Kreuz in Innsbr. 


chen und weiblichen Gefchlehts von königlichem, herzoglichem 
und graͤflichem Stamm, meiftens Deflerreihifher Verwandt— 
fchaft, varftellen. Die Nachrichten, welche aud) über die oben 
genannten Gießkuͤnſtler gegeben worden, find des Dankes werth. 
Da die Brüder Godl, Bildgiefer zu Mülein, wie es fcheint, 
Fremde waren, fo foll Stephan Godl nad) dem Befehl des für die 
Fortbildung feiner Unterthanen in deu Künften ernftlich bes 
badıten K. Ferdinand, damals noch Erzherzog, als ihm im 
Jahr 1529 fein Dienftgeld um 5o fl. gebeffert wird: „vns 
vnnd fonnft niemands, mit feiner kunſt und arbait gewertig 
fein, vnnd fein Werkſtatt mit gueten knechten vnnd Sjüngern 
verfehen, vnnd infonders Jünger aufnemmen vnnd halten, die 


vnnſers Lande der Srafıhaft Tirol fein, vnnd diefelben das 


Hanndwerch der Notjchmiederey trewlich fernen vnnd vnnder 
weifen.“ 

So fehr_der verdienftlihe Fleiß des Herrn Dr. Primiffer 
in diefer Befchreibung zu loben ift, fo vielen Tadel verdienen 
die ungefchieften Hände, welche äußerft fchlecht und elend die 
beyliegenden Kupfertafeln geäßt haben. Wenn ung nicht die 
in der Iconologia Austriaca mitgetheilten 17 Figuren von 
den erwähnten 24 kolofjalen Statuen und die in der Tapho- 
graphia Austriaca. befindlichen Abbildungen der Basrelifs mit 
Achtung und Ehrfurcht für das befchriebene Monument erfüllt 
hätten, fo würden die hier gegebenen Abbildungen die entges 
gengejegte Wirkung hervorgebracht haben. Die Verlagshand— 
lung würde beffer ehun, den Fortießungen keine Abkildungen 
hinzufügen, als fie durch ſolche Zerrbilder zu verunftalten, 





Bruckſtuͤcke einer Geſchaͤfſtsreiſe durch Schleſien, unternommen in den 
Sahren 1810, 11, 12, von D. Joh. Guftav Büfhbing, 
Fönigl. Archivar zu Breslau. Erfter Band, mir einem Anhange, 
worin vermifchte Auffäge, Schlefien betreffend. Breölau, bey 
Wilhelm Bortl. Korn. 1813. (8 ©. Titel, Vorrede und In— 
haltöverzeihniß unpaginirt.) 533 ©. 8. 


Das Werk enthält vornehmlich die Nefultate der letzten 
Neife, welhe der Verf. unternahm, um die Bibliotheken und 
Archive der aufgehobenen Schleſiſchen Klöffer zu unterfuchen, 


« 


Bruchſtuͤcke einer Gefchäftsreife d. Schiefien v. Buͤſching. 329 


und aus ihnen auszuwählen, was für die Centralanftalten in 
Breslau wichtig und nuͤtzlich ſeyn konnte. Zugleich wurde aud) 
auf die Weberbleibjel der. Kunft Rücficht genommen, und obs 
fhon in keinem Lande, die Kunitwerke durch Brand, Krieg 
und Fanatismus fo häufige Zerfiörung getroffen hat, als in 
Schiefien, fo wurde gleihwohl, wie der im Anhang mitges 
theilte zum Theil ſchon durch: Fr. Schlegel Deutfhes Mufeum 
bekannte Aufſatz ung belehrt, eine nicht unbedeutende Anzahl 
von alten auf Holz und Goldgrund gemahlten Gemälden, eis 
nige ſelbſt aus dem 14. Sjahrhundert, zufammengebracht ; bie 
meiften vorgefundenen Gemälde waren aber von Willmann, 
der im J. 16350 zu Königsberg in Preußen geboren, fich nad) 
Nemnrandt und Rubens gebildet hatte und nad) dem J. 1660 
fit in Breslau niederließ, oder aus feiner Schule; von Wills 
mannfıhen Gemälden find über 150 zuſammengebracht worden. 
Wir wuͤnſchen, daß der Verf. die angefangenen Unterfuchuns 
gen ser die Schleſiſche Kunft und Schleſiſche Künftler weiter 
verfolgen möge. Außerdem enthält diefe Neifebefchreibung nicht 
bloß Nachrichten von den Bibliotheken und Arhiven, von 
welchen wenige eine fehr bedeutende Ausbeute gaben, fondern 
außer Beſchreibungen von merkwürdigen Gegenden, welche der 
Verf. bere iſ'te, allerley Nachrichten uͤber in Sclefien aufbewahrte 
alte Sagen, Legenden und Überhaupt alles, was fich auf die Norzeit 
bezieht, wär es ih von dem Eifer des Verf. für das Deutfche Alters 
thum erwarten läßt. Auch einige merkwürdige Urkunden werden 
mitgetheife, unter andern eine Urkunde des Herzogs von Wallens 
- fein mit deſſen eigner bier abgebildeter Unterfchrift. Niemand 
wird ohne Vergnügen die Beichreibung des Zobtenberges bey 
Breslau und dag intereffante Journal von der erften Reiſe des 
Verf, auf die Schneekoppe und zu den Quellen der Eibe lefen. 
Ein Auszug aus diefem Werke würde bey. den vielen einzelnen 
zerſtreuten Motizen, die Wichtigkeit feines Inhaltes nur ums 
voltommen datftellen, und ift ohnehin nicht noͤthig bey einem 
Werke, das wir zu weit verbreiteter Kenntnißnahme zu 
empfehlen wünfchen. Darum möge hier nur noch bemerkt 
werden, daß in dem Anhange eine fehr forgfältige litteräs 
riſche und bibliographifche Nachricht Über die Legenden der heit. 
Hedwig, befonders Über eine noch unbekannte Deutſche Hands 


330 Idunna u. Hermbde und Odina u. Teutona v. Bräter. 


fchrift des Lebens diefer Heiligen mit Federgeihnungen (von wels 
chen ein Theil gang mit der berühmten Hedwigstafel in der 
Kirche St. Bernhardi zu Breslau übereinflimmt), und ein 
Lobfpruch der weitberähmten kaiſerlichen und koͤniglichen Haupt⸗ 
fladt Breslau in Schlefien von dem fonft unbefannten Elias 
‚Freudenberg (gefreytem Meifter des Deutſchen Meiftergefanges 
und Liebhaber der Deutſchen Poeterey), in 7Bo Verſen, fich bes 
finden. Diefer Lobſpruch ift in einem naiven Handwerksbur⸗— 
fhenton, alfo zwar nicht von hohem poetifhen Werth, weichen 
Hr. B. ihm auch nicht beymißt, aber doch als Denkmahl feis 
ner Zeit merkwuͤrdig. Don Handfchriften für die Altdeutfche 
Litteratur boten die Schlefiihen Bibliotheken fonft nichts dar, 
als eine unvollftändige Handfchrift des Wilhelm von Defters 
reich, welche in der Bibliothek der Ritterakademie zu — 
gefunden wurde (S. 499). 





Idunna und Hermode. Eine Alterthumszeitung. Herausgegeben von 
F. D. Graͤter. Erſter Jahrgang. Breslau, gedruckt und im 
Verlage der Stadt» und Univerſitaͤts-Buchdruckerey bey Graß 
und Barth. 1812. 52 Nummern, ohne den aus 23 ‚Nummern 
beftehenden Anzeiger. Mit Kupfern, Holzſchnitten, Mufikbeplas 
gen und zwey Negiftern. 

Ddina und Teutona. Ein neues literarifched Magazin der teutfchen 
und nordifhen Vorzeit. Bon $. D. Bräter. Erſter Band. 
Breslau, 1812. bey Earl Friedrich Barth. Mit einer den Thor 
voritellenden Titelvignette. 


Auch mit den Titeln : 
Braga und Hermode oder neues Magazin für die vaterländifchen Als 
| terthümer der Sprache, Kunſt und Suten. Herausgegeben von 
F. D. Graͤter. Fuͤnfter Band. Und 
Bragur. Ein literariſches Magazin der Teutſchen und Nordiſchen Vor: 
zeit. Herausgegeben von 5. D, Gräter. Achter Band. 


Nach einer von allen Freunden der Deutfchen und Nor— 
difhen Alterthumskunde beklagten Paufe von zehn jahren 
kehrt Ar. Rector und Prof. Graͤter, um feine eignen Worte 
zu brauchen, „in die Gefilde unfrer Götter und Helden, ums 
ferer Ahnen aus der Ritterzeit und den denkwuͤrdigen Jahr—⸗ 





Idunna u, Hermode und Odina u. Tentöna v. Gräter. 331 


hunderten der Erfindung der Buchdruderkunft, der Rirchens 
verbeſſerung umd der ihr gefolgten mächtigen Kämpfe“ zuruͤck. 
Im Sept, 1811 fündigte er eine eigene Alterthumszeitung an, 
unter dem Namen Idunna und Kermode, wovon wöchentlich 
vor der Hand ein halber Bogen ericheinn und deren Beſtim— 
mung ſeyn follte, nicht allein die auf das Fah der Deutſchen 
und Nordiſchen Vorzeit fih beziehenden Nachrichten und Neuigs 
keiten, nebit ausführlichen Krititen der in demfelben feit dem 
Aufanae des neunzgehnten Jahrhunderts erfchienenen Schriften, 
zu liefern, fondern and die Anfichten des Hrn. Herausgebers 
in Betreff des Prachtwerks über die Mordifche Mythologie, 


welches er, in Verbindung mit trefflichen Künftlern, erſcheinen 


zu laſſen willens iſt, ſo wie die Auffoderungen an Kuͤnſtler, 
den merkwuͤrdigſten Theil des Briefwechſels mit ihnen, und 
die Schilderung der gu der Ausführung oder den Umgebungen 
ihrer Darftellungen erfoderlihen Sitten, Gemwohnheits s und 
Kunſtalterthuͤmer mirzutheilen. Kaum waren von. diefer Zeis 
tung die erften Stuͤcke in den Händen des Publiftums, als 
Hr. Gräter noch ein zweytes Werk für das Deuriche und Nors 
difche Alterthum ankuͤndigte. Eine Fortiekung feines mit alls 
gemeinem Benfall aufgenommenen litterariihen Magazins der 
Deutſchen und Nordiihen Vorzeit, welches feinen erſten Nas 
men Bragur in der Folge mit Braga und Hermode vertaufchte, 
follte, unter dem Titel Odina und Tentona, nad einem vers 
änderten Plane erfcheinen, und abwechſelnd in Nordifcher und 
Altdeutſcher Litteratur theils in noch nicht urbar gemachten 
Feldern der Vorzeit die erften Schritte in Deutſchland zu ihrer 
Bearbeitung thun, theils zerſtreut und einzeln gedruckte Auf 
fäße, die eine gleiche oder ähnliche Arfiht haben, fammeln, 
in jedem Bande eine zuvor nie gedruckte, und für die Littes 
ratur und Sprache wichtige Handſchrift zuerft vollftändig bes 
fannt machen, und zuleßt, two es Zeit und Raum geftatten, 
theils die in Bragur noch nicht vollendeten Aufiäße ergangen, 
theils durch antikritiſche Nachholungen die Angriffe auf den 
einen und den andern entweder abmeifen, oder doch beleuchten. 

Wir haben nun den vollftändigen erften Jahrgang von 
Idunna und Hermode und den erfien Band von Ddina und 
Teutona vor uns liegen, und können nach dieſen Proben vers 


\ 


332 Idunna u. Hermode und Odina m, Teutona v. Bräter. 


fihern, daß Herr Nector Gräter fein gegebenes Wort mit 
Ehren geloͤf't hat. Wie reich an intereffanten Aufiägen beyde 
Werke find, wird eine kurze Weberfiht der wichtigſten unter 
denſelben bewähren. | 

Sn Zdunna ung Hermode rechnen wir gleich anfangs dahin - 
die durch mehrere Stuͤcke fortlaufende Vorlefung des Hrn. Her⸗ 
ausgebers Über die Königsreife der Barden und Sfalden, mit 
den von ihm gedichteten Chören der Barden vor der Her— 
mannsfchlaht, die an Begeifterung Klopſtock's Schöpfungen 
gleichſtehn, an Kunft fie übertreffen, Ein fehl fhäßbarer Arc 
titel, gleihfalls von Hrn. Gr. heriührend, find der Altdeut⸗ 
fche chriftliche Almanad) auf das Jahr 1812. und der von ihm 
erflärte chriftliche Runenktalender, fo wie er auf fieben in dem 
Naturalienkabinette des Waifenhaufes zu Halle an der Saale 
aufbewahrten buchenen Staͤben eingefihnitten iſt, indem an 
jenen, ncben den mandherley Benennungen der Monate und 
Wochentage, den Heiligens und xhriftlihen Feftgagen und dem 
Deutſchen Cifioian, ein mit forgfältiger Mühe zufammenges 
tragenes Verzeichniß der chriftlihen Volksſeſte und Gebräude, 
des Deutſchen Volksaberglaubens und der von den Deutfchen 
Volksfeften eines jeden Monats handelnden Schriften und Aufs 
fägen fih anreidt. Voll intereffanter Notizen find die Send: 
ſchreiben über die Altershämtlichkeiten der Schlefifchen Köfter, 
worin Hr. Heinze, Mitarbeiter an der Centralbibliothet zu 
Breslau (der nämliche, der aud in der Beforgung diefer Zeis 
tuna Hrn. Graͤter fo thätig unterſtuͤtzt), von den alterthuͤmli— 
chen Entderfungen und Merkwürdigkeiten feiner mit Hrn. D. 
Buͤſching gemachten Reiſe durch die aufgehobenen Kiöfter Nies 
derfihlefiens ausfuͤhrliche Kunde gibt, und welche durch den 
ganzen Jahrgang fortlaufen. Die Actenſtuͤcke, das Prachtwert 
über die Nordiſche Goͤtterlehre betreifend, enthalten Hrn. Gr, 
Aufruf an die Meifter der bildenden Kunft im Sins und Auss 
ande, die Mordifche Mythologie in einer Reihe meifterhafter 
Darfellungen der Nachwelt zu überlicfern, mit dem Verzeich— 
niffe der darzuftellenden Scenen und Charaktere, und Auszüge 
aus dem Briefwechſel über die Darftellung der Nordiſchen 
Gottheit. Eine Probe einer noch unbekannten Deutiihen Webers 
ſetzung der Pfaimen aus dem Karolingifchen Zeitalter, die von 


Idunna u. Hermode und Odina u. Teutona v. Bräter. 333 


der etwa gleichzeitigen Notkerſchen Weberfegung und Umfchreis 
bung gänzlich verfchieden ift, hat Hr. Prof. v. d. Hagen, 
‚ der fie von Ken. Legationsrath v. Diez in Berlin zur Bes 
fanntmahung in diefer Zeitung erhalten hatte, mitgetheilt. 
Hrn. Gr. Ueberfegungen des Liedes von dem Finnifhen KRös 
nigsfohne Wölunder und des Brotta s Sangs erregen zwey— 
faches Intereſſe in einer Periode, in welcher fo viele wuͤrdige 
Gelehrte die Edda zum Gegenftande ihter Beſchaͤftigung ers 
tohren Haben. Hr. Prof. Preſcher gibt eine Abbildung und 
Erflärung der Schriftzeihen an dem aften Nörherthurm im 
Roththale der Grafſchaft Limpurg, die er für Etruskiſche hält, 
und worüber er fih nachher, in fetnem Altgermanien, H. 1. 
S. 5— 44 noch ausführlicher geäußert hat. "Die Suppligque 
der gemeinen: Frauen im Tochterhaus zu Nürnberg Anno 1498 
beweif’t zwar allerdings, mas fie beweifen ſoll; daß es näms 
lich auch im alten Deutſchland privifegirte Werdelle gab. Aber 
auch noch früher und an andern Drten, außer Nürnberg, 
eriftirten dergleichen. Sie wurden öfters fogar zu Lehen ges 
geben, wie z. B. von dem Bifchofe von Würzburg den ges 
fürfteten Grafen von Henneberg, und fhon 1442 befihmwerte 
fich der Ergbifchof Dieterich von Mainz Über die Bürger zu 
Mainz, daß fie ihm Abbruch gethan an geiftlichen und melte 
lichen Rechten — — an ben ehelichen und auch denen gemeis 
nen Frauen und Töchtern — — an der Bulerey. Nan fehe 
Knorre's rechtl. Abhandlungen und Gutachten, &. 108. Für 
Sprahforfher und Litteratoren find. das Frenkisgaz Morgans 
Lioth, das auch durch Schönheit und Fülle der Gedanken fi 
auszeichnet, die Nachricht von alten bibliſchen Gloſſarien, 
v. d. Hagen’s Konjectur Über den Verfaſſer des Nihelungens 
‚Liedes und Docen über eine Sammlung alter Gedichte, fo 
wie für die Sittengefchichte des Mittelalters der. Bund der 
Trinker, merkwürdig. Auch Haug's gluͤckliche Nachbildungen 
mehrerer lieblichen Dichtungen des Mittelalters verdienen eine 
ruͤhmliche Erwähnung. Der Anzeiger, wovon im Jahr ıdız 
23 Nummern erſchienen find, enthält eine ma intereffanter 
Motigen und Anfragen. 

Der erfte Band von Odina und — gibt, unter den 
fuͤnf Rubriken: Dichtungen, Unterſuchungen und litterariſche 


334 Idunna u. Hermode und Odina u. Teutona v. Graͤter. 


Aufſaͤtze, Sammlung und genauer Wiederabdruck ſeltener His 
ſtoriſcher und epiſcher Altdeutſcher Volkslieder, Handſchriften 
und antikritiſche Nachholungen, gleichfalls lauter Artikel, von 
denen jeder ſeines Platzes wuͤrdig iſt. Vorzuͤgliche Aufmerk— 
ſamkeit verdienen: des Herausgebers Programm über eine 
von ihm mit Gluͤck verfuchte Griechifhe Nachbildung in 
Homeriſcher Sprache und Verſen der in feinen Gedichten, S. 
205 — 242, erzählten Shirners Fahrt; Möller’s Preisfhrift 
über die von der Univerfität zu Kopenhagen 1800 ausgeſetzte 
Preisfrage: Ob die Einführung der Nordiſchen Mythologie 
ftatt der Griechifchen für die fchöne Litteratur des Mordens 
zuträglih wäre? welche Frage Möller fehr richtig dahin bes 
antwortet, daß die Einführung und der allgemeinere Gebrauch 
der alten Nordifhen Mythologie, wegen ihrer Neuheit und 
wegen des größern Intereſſe und vaterländifhen Mitgefühls, 
welches fie erregẽ, allerdings für die ſchoͤne Litteratur des 
Nordens fehr nuͤtzlich wäre, daben aber die Griechiſche feines 
wegs verbannt werden foll, und nur nicht die eine mit der 
andern vermifcht werden dürfe; das von dem Hrn. Kerauss 
geber verfaßte, zur großen Bequemlichkeit der Beſitzer der 
Schönings Thorlacifhen Ausgabe der Heimskringla gereichende 
Mergeichniß aller in den zwey erften Bänden derielben vorkoms 
menden Sfalden und Sfaldenlieder ; ebendeffelben Programm 
über das Alter und den Urfprung des Deutſchen Königstiteld, 
der nach diefen Unterſuchungen zwifchen das fünfte und fechste 
Sahrhundert zu feßen iſt; Leon’s Weberfeßungen von zehn 
_ Minnelievern aus der Maneffifhen Sammlung in unfre heu⸗ 
tige Deutfche Sprache, nebſt einem beherzigenswerrhen Vor⸗— 
berichte Äber die Foderungen, die an folhe Nachbildungen zw 
machen find; Helga: Duida Haddingia Scata, von Hrn. Gr. 
nad einer ihm verftatteten Abfchrife aus dem Vidaliniſchen 
Coder der Edda mitgetheilt, und mit einer Lateinifchen Webers 
feßung und Erläuterungen verfehen; und bie erfle entdedie 
Handſchrift des Reinecke Fuchs in Flammaͤndiſcher Sprade, 
nebft einer als Einleitung vorausgefchiekten Gefhichte der Corn⸗ 
burger Bibliothek, worin diefe — gefunden wurde, 
und Ihrer Merkwürdigkeiten. 


Narrenbuch von Fr. H. v. d. Hagen. 335 


Gewiß wird jeder Freund der Alterthumskunde fih mit: 
der Auffoderung vereinigen, die ſchon vor 19 Jahren Fülles 
born an den Hrn. Herausgeber ergehen ließ : 

Laß ferner Braga’! Ruhm den Söhnen Teur's erfchallen, 
Und mächtig, mie in der. Walfpren Gang, 

Das alte Volk der Wanen und Adgarden, 

Vor unferm Blick vorübergehn, 

Und der vergeffnen Vorwelt Barden _ 

Mit ihren Liedern auferftehn ! 





Narrenbuch. Herautgegeben durch Friedrih Heinrich von der 
Hagen. Halle, in der Rengerfcen en: ıgı1, VI 
und 541 ©. 8. 


Bey der gegenwärtigen Lage der — und des Buchs 
handels, da die Geſchaͤfte deſſelben beynahe gaͤnzlich ſtocken, 
muß es auffallen, daß ein Buch, wie das vorliegende, einen 
Verleger gefunden, und ein Gelehrter, der ſchon manchen 
edlen Stein aus den Schachten der Deutſchen Vorzeit mit 
Liebe und Treue zu Tage gefoͤrdert hat, demſelben ſeine Zeit 
und Mühe zum Opfer bringen mogte. Hr. Prof. v. d. Has 
gen erklärt in der Vorrede die vier Dichtungen, die er bier 
in erneuerter Geſtalt vorführe, für die trefflichften und ergößs 
lichften in ihrer Art, und fage zum Schluſſe: „Gelingt es 
mir, wie id wuͤnſche und. hoffe, diefen unverwäftlihen alten 
Volksdichtungen wieder allgemeinen Eingang zu erwerben: fo 
wird. ein zweytes Bändchen noch einige derſelben nahbringen.“ 
Wir möchten aber gerne fragen: Was wird damit gewonnen, 
wenn Schwaͤnke und Poffen (mitunter auch Zoten), die nur 
vor dreyhundert Sahren das Zwergfell erfchättern konnten, 
von nueem aufgewärfnt werden? wenn. man die niedrige 
Volksklaſſe, nahdem endlich in unfern Tagen ihre mwenigftens - 
einiges Gefuͤhl für das Schickliche beygebracht worden ift, 
durch Bücher, mie das vor uns liegende (welches fie aber 
ohnedem fchwerlih kaufen und leſen wird), wieder auf die 
Stufe Hinunterzudräden fuht, auf welcher fie vor einigen 
Jahrhunderten ſtand? Sicher würde von allen den Narren, 


8 


336 Narrenbuch von Fr. 9. v. d. Hagen. 


deren facetine hier zum Velen gegeben werden, jeßt feiner 
um 80000 Rthlr. angefchlagen werden, mie folches mit dem. 
Sädhfifhen Hofnarren Claus, den in der Erbtheilung jeder 
der erbenden Fürften gern haben wollte, der Fall gewefen 
feyn fol. Das war aber auch ein Mann, bey weldhem, 
nach des bekannten Theologen Dieterich Verfiherung, „die 
Hochweiſeſten und Werfiändisften Hätten in die Schule geführe 
werden können.“ Auh Nom hatte im Zuftande der Rohheit 
feine Fescenninen, aber Horaz, der in einem gebildeten Zeits 
alter lebte, läßt da, wo er. das Bild des Dichters zeichnet, 
(Epist. II. ı, 190. sqqg.) aud den Zug micht fehlen : 


Torquet ab obscoenis jam nunc sermonibus aurem. 


Sollte dem Volksdichter allein erlaubt ſeyn, das Gegentheil 
zu thun? Indem wir uns hierüber auf die Entfcheidung 
eines jeden Linbefangenen berufen, bemerken wir noh, daß 
im Narrenbuche nachfolgende Stüde erneut find! 1. Ges 
fhihte der Schildbüärger, oder das Lalenbud. 
(Die erfte Ausgabe erfhien 159.) I. Salomon und 
Markolf. (Daben ift die von Member zu Nürnberg, 
wahrſcheinlich um 1560, gedrudte Ausgabe zu Grunde gelegt; 
zugezogen aber find die aus der aͤlteſten befannten Stellen, die 
frühern poetifhen Bearbeitungen und die Lateinifche Urfchrift. ) 
Il. Der Pfarrherr vom Kalenberg (Bey bdiefer 
Geſchichte, die ſchon im Jahr 1400 vorhanden geweſen feyn 
ſoll, ift die Ausgabe von 1620 benugt.) IV. Peter. Leu, 
- oder der andere Kalenberger,: duch Achilles Ja— 
fon Widmann von Hall. (Nah den Ausgaben von 1560 
und 1620.) 

Der Anhang gibt ausführliche Litterarnotigen Über die 
vorſtehenden Gefchichten , und bewährt von neuem die Sründs 
lichkeit, womit Hr. Prof. v. d. Hagen bey feinen Forfchuns 
gen zu Werke geht. Mur Schade, daß mit diefem Reich— 
thume von Kenntniffen kein dantenswertheres Werk ausgeftattet 
worden ift! 


No. 22. Seidelbergifche 1813. 
Jahrbuͤcher der Litteratur.“ 


za. a.nnn ana 252** 88**—7 * 


Die beyden aͤlteſten deutſchen Gedichte aus dem achten Jahrhundert: 
das Lied von Hildebrand und Hadubrand und. dad Weißenbrun—⸗ 
ner Gebet zum erftenmal in ihrem Metrum dargeftellt und her« 
ausgegeben durch die Brüder Grimm. Caſſel bey Thurneiſen. 
1812. 


2 EEE wenn mir im Schatten alter Wälder gehen, bes 
gibt es ſich, daß etwa zufällig der Baumfranz an einer Stelle 
nad) der Sonnenfeite auseinandergeht, und ein Fidhtftrahl nun 
eine weite, lichtbeglängte Ferne in das befchattete Auge bringt, 
die ein Schritt aufgethan, und ein Folgender verdeckten wird. 
Unaufgehalten fcheint der Sonnenblic durch unfer Auge in die 
Seele, und auch ihre Höhen und Tiefen werden hell beleuchs 
tet, und zwey Fernen, die in Raum und Zeit, find in eine 
vertraute Mähe auf uns angeruͤckt. Auch dem Wandrer durch 
die Mache alter Sjahrhunderte werden folche Lichrblicke wohl 
— wenig Töne oder Züge können bisweilen ein Jahr⸗ 
taujend ihm bedeuten, ein Pergamentblatt in den rechten Brenns 
punct himeingeftellt, faßt das Bild einer ganzen verganges 
nen Welt Oder mehrerer Himmelszeichen. Zweyen folder Spies 
gel vieler Menfchenalter, wohl früher fchon bekannt, aber 
angelaufen und getrübt, und wie es mit koſtbaren Sinftrumens 
ten auf den Sternwarten zu gehen pflegt, ungebrauht und 
beftäubt Bloß als Gegenflände der Neugierde aufbewahrt, has 
ben’ die Herausgeber Helle und Geficht wieder gegeben, und 
funftverftändig den Einen gegen den Himmel, gegen die Erde 
ben Andern aufgerichtet, und nun erſt ift die Koftbarkeit der 
lihtftarfen tief in die Zeit eindringenden Werkzeuge Mar ges 
worden vor aller Welt. Die Eafler Handichrift des Hilde— 
brand und der Anfang des Weißendrunner Gebetes find die 
einzigen Ueberrefte der alten einheimifchen Germaniſchen Mythe 
in einheimiſcher Mundart aufgefaßt. Noch gtuͤnt wie vor der 
EEE | Be 


3335 Die benden ält. Deut, Gedichte a. d. 8, Jahrh. v. Grimm, 


Miftel auf den Eichen vom goldnen Meffer unberuͤhrt, aber 
jener mythiſche Wandervogel mit leuchtendem Gefieder hat 
längft den Herchniſchen Wald verlaſſen, noch tönt durch die 
Edda fein Gefang und durch dieje Blätter, aber auch aus dem 
Norden ift der Vogel längft wieder weggegogen, auf jener 
Eisinfel zwifhen Morgen und Mitternaht hat man feiner 
Schmwungfedern noch gefunden, und damit die alte Heldenfabel 
aufgefchrieben, und nur die ſuͤdliche Nachtigall ift noch in unfern 
Wäldern laut. Wie in und, den Nachkommen, nocd das alte 
Leben lebt, ob es gleich in andern Formen ausgeſchlagen, ſo 
ift allerdings im Großen und im Ganzen aud die Maffe der 
Ideen in Poefie, minder in der Mythe bis auf uns gekom— 
men, aber die- alten Formen, freylih das Sterblichſte von 
Allem, find mit den Zeiten hingegangen. Nur dieſe beyden 
Greiſe find von allen Gefchlechtern, die mit ihnen und zuvor 
gelebt, bis zu diefem Tage hinaufgefommen; fie haben noch 
die Miene, und die Form und das Weſen ihrer Zeit, und wie 
jene Juͤnglinge, die fo viele Jahrhunderte im Berg durch— 
fchliefen, bis die Münzen, die fie mitgenommen, zu Schau 
ſtuͤcken wurden, das Vaterhaus nicht fanden, und die Sprache 
der Mitbürger nicht verftanden und nicht verfianden wurden, 
fo auch reden diefe Deutſch, das taufend Deutſche micht. vers 
ſtehen, von hochberuͤhmten Helden, die taufend ihrer Entel 
nicht mehr kennen. Die Herausgeber, indem fie die alten ehr; 
würdigen Geftalten in die neue Welt eingeführt, mußten das 
Her ihnen zu Dollmetichern dienen, und die gruͤndliche Treue, 
mit der fie ihrem Geſchaͤfte fih unterzogen, iſt das erfte Vers 
dienft, das fie um diefe Fremdlinge in der eignen Heymath 
ſich erworben. Allerdings haben Eckhard und Reinwald 
recht gute Vorarbeiten geliefert, welche die neuen Bearbeiter 
auch dankbar anerkennen, aber das Erſchoͤpfende, durch das 
Beherrſchen aller verwandten Sprachformen erſt moͤglich ge⸗ 
macht, haben fie hinzugethan, und das Gute zum VBeſſern, 
ja ganz nahe zum Velten Hingeführt, das etwa noch durch 
neuere Hiftorifhe Urkunden erreicht werden mag. Mir wiſſen 
daher zur gegebnen Erklärung des Tertes nichts Sonderliches 
beyzufuͤgen; das Wenige, was uns bey genauerer Betrachtung 
vorgefommen, fügen wir hier mit kurzen Worten bey. 


/ 2% 


Die beyden Alt. Deut. Gedichte a. d. 8. Jahrh. v. Grimm, 339 


In der erften Zeile „sih urhettun aenon muotiny“ fich vers 
heifhen, betheuern, geloben noch in der hiefigen Landesmunds 
art; bey aenon muotin mögten wir doc die alte Erklärung 
eines Muthes, eines Sinnes vorziehen, die vielfahe Zahl läßt 
ſich allenfalls noch in heutiger Sprachform „einmüthiglichen “ 
geben. „Untar heriuntuem“ bey Jfipes.non. Sevilla : „infaene 
haerduom,“ dux effectus est, alſo Heerthum, Heerfahrt. 
Bey „Sunu Faterungo“ dachten wir zuerft an Edelingon, 
Srilingon, befanntlih in den Saͤchſiſchen Mundarten Edels 
geborne, Freygeborne: in Gothiſcher Form wird das i zum u, 
und nun Niflungon, Mebelgeborne, Aumlungon, Amelunger, 
Aumlas Geborne, die Abkoͤmmlinge des Urſtiers, Ulfungon 
oder Woͤlfunger, Wolfgeborne, Enkel der liſtigen Locke u. ſ. w. 
Sunu Faterungo mwärde dann freylich etwas ſeltſam tautolo— 
giſch, aber doch wohl der alten Sprache nicht zuwider: Sohn 
Vatergeborner, und die ganze Stelle alſo nach unſrer Anſicht: 
Die Sage erzaͤhlt, daß gelobten eines Sinnes Hiltebracht und 
Hathubrant Heerfahrt, Sohn Vaters Abkoͤmmling. In der 
dritten Zeile „garutun“s mit gerben uͤberſetzt, iſt und zuwider 
in epiſcher Dichtung, garawas, garawa, garawomes, gart, 
garoti, gigarotin, gigarwa, find haͤufig bey Otfried vors 
kommende Formen von derſelben Wurzel gar abgeleitet, wos 
von gareiten,, bereiten, und allerdings aud) gerben, aber doch 
wohl nur als eigenthümlicher technifcher Ausdrud. Iſi dors 
Ueberfeßer hat C. V. $. 7. „chigarwan zi chinifti,“ reparari 
ad veniam, wobey an gerben nicht zu denken, noch weniger 
in der Stelle am Eingange „Dhuo ir. himilo garwida, dhar 
war ih“ als er den Himmel bereitete, da war ich. „ Ubar 
Inga“ erinnert uns an die Rhinga, Fürften, Vornehme 
des Rhabanus, fo daß die Stelle alsdann gelefen würde 
„Helden vor den Erften, wenn fie zum Sampfe vitten “ was 
die allzu kuͤhne Conftruction, welche die andere Lesart fodert, 
unnöthig machen würde. Darum mus wohl aud der Vers 
der Helga Quida: „Siss mundu Helgi hringom rada“ nidt 
mit Gräter „Nimis-sero o Helgi annulis imperabis, 
fondern vielmehr proceribus imperabis überfegt werden. Bey 
„fohem uuortum * mögte ein LUnterfchied eintreten zwiſchen 
fouum, few, wenigund fohem wechfelnd, vielfach, mancherled, ſo 


340. Die beyden Alt. Deut. Gedichte a. d. 8. Jahrh. v. Grimm, 


bey Otfried: „Fehemo muate -uble jo guate“ variabili ani- 
mo, malo bonove, mo das wenig nicht wohl paffen will, 
Bey „en“ leitet der untere Hacken auf die Vermuthung, daf 
es auch Ahne heißen könnte; „dreuuet“ Dreyfadengewand, 
will uns nicht wohl zu Sinne, wir werfen auf gerademwöht 
die Vermuthung hin, daß es auch driwerbe, dreyfach heißen 
koͤnnte, fo daß gelefen würde: wenn du mir Einen. (oder 
Ahn) anfageft, ich geb dirs dreymal wieder, oder made 
dirs zu Gefallen dreymal wett. Das gleich Folgende Lönnte 
auch verfianden Werden, allem Volke, jedem Kind im. Königs 
reich bin ic) befannt. „Frote“ Fret im hiefigen Landesdias 
lect ausdrücdend eine herbe Kräftigkeit, ferah bey Otfried und 
fonft meift Leben, daher „ferahes frotoro“ eigentlid) lebens— 
Bräftiger. Daß die Ueberjehung der Herausgeber „arbeo laosa 
heraet“ (eruelosan man, König Rother 2907) durch erbenlor 
fes Hausgeräthe richtig, und an die Herat dabey nicht zu 
gedenken ift, tönnen wir aus Dietrihs Flucht zu den 
Hunnen beftätigen. "Helce fchlägt darin dem Vogt von 
Bern vor, eine Frau aus ihrer Kunne zu freyen, ihrer 
Schwefter Kind, Frau Herrat genannt, die fehöneft, die nun 
lebendig -ifi. Dietrich verfammelt feine Freunde im Rath, und 
Hildebrandt raͤth ihm eifrig diefen Vorſchlag anzunehmen, 
aber nur aus allgemeinen Gründen, um die Freundfchaft mit 
dem Hunnenkoͤnig dauernder zu mahen; von eigner &ipps 
[haft mit der Braut, oder daß er fie zu Haus zurückgelaffen, 
wird nichts darin erwähnt. Die Hochzeit wird wirklich aus 
gerichtet, und der Berner erhält Siebenbürgen zug Morgens 
gabe. Daffelbe Gedicht veranlafit uns, im gleich Folgenden 
nicht zu leſen „feit Dietrichs meines Vettern Elend fih an— 
hub,“ fondern vielmehr, wie fih weiter unten vechtfertigen 
wird: „feit Dietrich zu darben begann um meines Vaters 
willen,“ faterero für Vater, hereron minon, meinen Her 
ren, finder fich öfter bey Defried. Bey „ummettiri“ mögten 
wir doh unmaͤchtig vorziehen, er (Dietrih) war fo freunds 
verlaßner Mann, und Dttafern nicht gewachſen. Mir dem 
Folgenden würden wir einen neuen Sinn anheben: „Bis da, wo 
Dietrich zu darben begann, war er (KHiltebrand ) immer at 
Volles Spitze.“ Bey „Welaga (Welaganu, Oifried) nu wal- 


Die beyden Alt. Deut, Gedichte a. d. 3. Jahrh. v. Grimm. 341 


tant Got“ wird Mar, daß die feltfame Phrafe im König 
Mother „daz weiz der waldindiger (anderwärts maldendinger ) 
Sort“ falſch gelefen ift für: daz weiz der waltende her Got. 
Sin banun nigifastan, fönnte hanun auch ban, fan die Ban— 
ner heißen, Die Banner fliegen laffen heißt zum Streite ziehen, 
das Banner binden, die Waffen niederlegen. 

Die Unterfuhung über Sprahe und Alter der KHandfchrift 
iſt vortrefflih geführte, nur kann leider folhen Forihungen 
nur allzu wenig fichere hifterifhe Grundlage ‚gegeben werden, 
weil man bey den feltnen noch übrigen Dentmahlen beynahe 
nichts weiß über Zeit und Ort ihrer Entftehung. Es ift gewiß, 
daß, fo wie die Deutiche Nation in drey Hauptſtaͤmme zer⸗ 
fiel, den Gothiſchen, den Sueviſchen oder Oberdeutſchen, und 
den Fränfifchen oder Miederdeütichen, fo auch allerdings die 
Sprache in drey Idiome Auseinandergehen mußte. Aber gerade 
in jener früheren Zeit mußte das Allgemeine des Geſammtbe— 
griffes noch fehr hinter dem Befondern einzelner Formirung 
zurüdbleiben. Denn das ift der Charakter alter Zeit und des 
früheren Naturlebens, daß die größte Mannigfaltigkeit von 
Formen fih darin hervorthut, die zwar alle einfach und eins 
fältig , aber in diefer einfahen Einfale mit der fchärfften Eis 
genthuͤmlichkeit ausgeprägt find. Erſt im Laufe der Zeiten 
fammelt fih das Nähftverwandte, allmählig auch das Fernere; 
Das Band eines Sefammtbegriffes fängt an 'wie eine Wahls 
verwandtfchaft fie zu umfchliefen; das Gemeinfame nimmt zır, 
und muß immer mehr Überwiegend werden, mie das Beſon—⸗ 
dere aufgerieben wird’; zuletzt, wenn alle Eigenthämfichkeiten 
der Grundformen ausgeglihen und mehr oder weniger ausgez 
fogen find, ſtehen einige große Maſſen oder gar nur Eıne da, 
die in ihrer Kugeleünde alle Typen und Geſtalten bezwungen 
Hält. So ift es um die gefellichaftlichen Verhäleniffe in Deutichs 
fand beichaffer gewefen, und fo find die verfchiednen großen 
Sprahftämme erwachfen, die. jeßt auf Europäifcher Erde fies 
hen. jedes der vielen hundert Völker, die nach und nad 
Deutſchland umhegte, waren eben fo viele verichiedne Perſo— 
nen, jede in ganz abgefchloffener Eigenthämtlichkeit, die als 
foihe auch vor. allem fih geltend machte. Darum. kämpften 
und firitten fie häufig mie einander, ob fie gleich alle als 


342 Die beuden Alt, Dent. Gedichte a. d. 8, Jahrh. v. Grimm, 


Blutsverwandte an der Sprache fih erfannten; nur affmählig 
arbeitete jene dreyfache Bundsgenoffenfhaft aus dem Streit 
der Elemente. ſich heraus. So ift es aud mit der Sprache 
vom Belondern zum Allgemeinen vorgeichritten; im Anfang 
hatte gewiß jedes Wolf feine eigene fiharf beftimmte, von allen 
Andern abweichende, und doch wieder mit allen Andern zus 
fammenhängende Mundart; ganz fpät erft fann man von Obers 
und Niederdeutſchem Dialect, den äufierfien nach Berichlinaung 
aller andern allein zurückbleibenden Gegenfäßen reden. Darum 
weicht jede der noch Übrigen Urkunden der früheren Jahrhun— 
derte im Sprahbau und Woͤrterformen von der Andern ab, 
wie Ihre geklagt; und darum muß jede fcharf betrachtet wie 
die Gegenmwärtide aus Ober: und NMiederdeurfher Mundart ges 
mischt erfcheinen. Wir find mit den Verfaſſern einverfianden, 
daß die Caffeler Handihrift in dem Klofter von Fulda gefchries 
ben worden, alle äußern Merkmale fiheinen dahin übereinzus 
flimmen, daß fie etwa der Zeit, wo Rhabanus dor Abr war, 
angehört. Diefer kräftige, geiftreihe Mann war nebft Als 
enin, Claudius, Johannes Scotus, Schuͤler des ehrwuͤrdigen 
Beda, und während der Erſte die Franzoͤſiſche Schule in Pas 
vis, der Andere die Italieniſche in Pavia gründete, ftiftete er 
in jener Abtey die Niederdeutſche, während jene von St. 
Gallen als die Dherdeutiche angefehen werden kann. In Fulda 
waren 270 Mönche unter feiner Obhut verfammelt; Philos 
ſoph, Dichter, Redner , Aſtronom, Chroniſt, der Griechiſchen 
and Hebräiihen Sprache fundig, hielt er unter Jenen offene 
Schule, ſelbſt nahdem er ihr Abt geworden; in allen veligids 
fen und weltlihen Wiffenfchaften wurde dort unterrichtet , von 
allen Seiten ſtroͤmten Lehrlinge Hinzu; gelehrte Pflanzſchulen 
wurden von da aus wetteifernd in vielen Klöftern gegründet: 
‚die Abtey war eine wahre chrifttihe Druidenichule, ein heller 
Lichtpunce in dem damals fehr verwilderten Mocden, und als 
foiher von Völkern und Fürften geehrt. Unter jenem gelchts 
ten Vorftand und feinem Nachfolger Strabus ftand die Stif— 
tung in ihrem hoͤchſten Glanze, und was an Denfmalen von 
ihr ausgegangen, wird fo ziemlich ihrem Jahrhundert anges 
hören, 150 Jahre fpäter waren die Mönche fhon üppig und 
liederlih geworden, - und der Kayſer Heinrich nahm ihnen 


* 


Die binden aͤlt, Deut. Gedichte a. d. 8. Jahrh. v. Grimm. 343 


darum einen Theil ihrer Befigungen weg, und legte fie Aerme⸗ 
gen zu. Es war aber Otfried der Ueberſetzer der Evangelien 
von diefer Fräntifhen Schule ausgegangen; wenn wir aber 
dies fein Werk mit unferem Fragment vergfeihen, feine ges 
fhmeidige Sprache die runde, ja oft zierliche Form, die fiharfe 
Herrihaft der darin waltenden Tegel im Gegenfaße mit der 
ungelenten Gliederung, dem vollen aber ungeidhmeidigen nicht 
fehr mufifaliihen Ton des Andern, dann muͤſſen mir uns 
überzeugen, daß Beyde unmöglich zu derfelben Zeit abgefaßt 
ſeyn können, fo viel man aud auf die Gewandheit des Dich— 
ters und den Umftand, daß er eine kunftgerehte Grammatik 
vor fih hatte, rechnen will. Vielmehr ift die Sprache des 
Gedichtes aͤlter, als irgend eines der bisher bekannt gemachten 
kieineren Fragmente, das alte Vaterunſer, das Freher her— 
ausgegeben, etwa ausgenommen, das im Sprachbau und in‘ 
den MWortformen unter allen jenem einzigen Ueberreſte am 
nähften koͤmmt. War alfo die Handihrift um jene Zeit wirks 
fich in Fulda gefchrieben , dann hatte der Schreiber zuverläßig 
ein älteres Original vor ſich, das er wenig oder gar nicht Ans 
derte. Man vergleiche aber nun mit DOtfrieds Bibel, Notkers 
zweyhundert Jahre jüngeren Pſalter, und man wird den Uns 
terichied in der Spradye bey weitem geringer, als die zwifchen 
dem Erften und unſerm Fragmente finden, fo daß die Ans 
nahme ,. jenes Driginal fey zwey Jahrhunderte älter ale Rha— 
banus keineswegs übertrieben fcheint. Aber wir haben Gründe, 
auch felbſt dies aͤltere Blatt nicht für die Urſchrift anzuerfens 
nen. Es ift nämlich die Fabel des Gedichtes eine Gothiſche, 
die Sprache aber eine der Fräntifhen Mundarten. Nun galt 
allerdings die Fabel des Heldenbuches aud im Frankenlande, 
aber fie ging dort keineswegs in Gothifhen Formen um; fie 
mar vielmehr als eine Einheimifhe aufgenommen, es waren 
Fraͤnkiſche Helden, Fraͤnkiſche Mamen und Fraͤnkiſche Thaten, 
oft gegen den feindlichen Gothiſchen Stamm ausgeuͤbt, wie 
jene der Burgundionen, die dann beſungen wurden. Ganz 
gewiß hatten die Fraͤnkiſchen Stämme ihr eigenes Heldenbuch, 
und das gegenwaͤrtige Gedicht war keineswegs ein Theil von 
ihm, es war von einer Gothiſchen Urſchrift Übertragen wor—⸗ 
den. Da die Dichtung in ihren Lebensaltern füh gewöhnlich 


344 Die beyden äft, Deut. Gedichte a. d. 8. Jahrh. v. Grimm, 


an die Zeiten glängender Negierungen und eines mohlgegrüns 

deten allgemeinen Wohlftandes zu knuͤpfen pflege, fo fann man 
überhaupt die Zeit Theodorichs als die. Sammlung und Auf 
faffung jener Gothiſchen Gefänge vielleicht auch zum Theil 
ihrer Umbildung in die chriftlihe Form mit Wahrfcheinlichkeit 
annehmen. In diefe Sammlung war denn auch das Caffeler 
Fragment aufgenommen, nnd mwahrfcheinlich in den Runen des 
Wifilas gefihrieden. Auf dieie Vermuthung haben uns die noch 
vorhandenen Spuren jener Schrift im Tept geleitet. Wie 
nämlich die Herausgeber im Weifenbrunner Gebet das Runen: 
hagel gar wohl erkannt, fo finden wir hier aufer dem W des 
Uifilas noch Thor oder Thus, fo Häufig auch in den Man 
feripten der Edda vorfommend, anfangs durch den Querſtrich 
durch das D bezeichnet, tiefer hinein durch das linksgeſchwaͤnzte 
d, beydes den Lispellaut andeutend. Der Haken abwärts am 
e in den Worten en, seo, enigeru, lettun findet ſich gleich 
falls Häufig in der Edda, um ae zu bezeichnen, 3. ©. * 


reidr, Süreida, und wie hier seo, fo wird dort se moru 
J y 


vada der traurige See mit demfelben Haken bezeichnet. Die 
Eircumflere endlich Über zenon se, erhinal, hewun, alfo 
alle auf e jcheinen das Eir der» Runenfchrift auszudrücden und 
anzudeuten, daß ö, oe und ör gelefen werden muͤſſe. 

Ein weiteres großes Verdienſt der Herausgeber ift die 
Entdeckung der Altiteration in beyden Fragmenten, und die 
Nachweiſung, wie fie in gebundner Mede abgefaßt. Der Vo— 
cal ift das natärlihe Element der Sprache, der Confonant das 
Techniſche; jener wird wie das Leben nicht gelernt, dieſer kann 
in fertiger Ausſprache durch Uebung allein erworben werden. 
Bey allen raſchen, ruͤhrigen, ſtrebſamen, kriegeriſchen Voͤlkern 
und epiſchen Naturen bey Nordlaͤndern, Berg⸗ und Wouͤſten⸗ 
bewohnern iſt die Sprache reich an Mitlautern und kunſtrei— 
chen Verknuͤpfungen dieſer Elemente in ſcharfer Zeichnung ohne 
ſonderliche Färbung. Bey Andern, die mehr lyriſch im Leben 
und im Gefühle füh bewegen, daß der gefpannte Muskel 
fih loͤſit und in innener Fülle runder, herrſcht auch die Muſik 
des Vocales vor, es find Brufts und Herzenſprachen, wie jene 
Ringerſyrachen. Der Nordifchen Kehle aber mußte nun auch 


Die beyden aͤlt. Deut, Gedichte a. d. 3. Jahrh. v. Grimm. 345 


das Mordifhe Ohr zugebilder ſeyn, und am regften der Har—⸗ 
monie jener ſtark bezeichneten Spradylaute fi Öffnen, fo zu 
reden mehr dem funfireihen Einklang der Sjnftrumentalbegleis - 
tung, als dem inwohnenden Geſange. Das hat ohne Zweifel 
die Deutſchen und Celtifhen Voͤlkerſchaften auf die Alliterarion 
geführt, ein Keldengefang in ihr iſt ein Waffentanz, mworin 
die Ringe der Ruͤſtung klingen, bie Ranzen gegen einander 
faufen, und und Schwertichläge von den Wölbungen der Schilder 
widertönen, während Liebesgirren nur im weichen Liftchen mils 
derer Sprachen ſich articuliren kann. Aſſonanz und Konjonang 
find wie Naturlaut und Kunftlaut, jene läuft am Belbftlauter 
fort, die andere am Mitlauter, jene ift eben feldftlautend und 
die andere mitlautend, indem fie wahrfcheinlih im Vortrage 
den frey fchweifenden Ton auf eigne Weiſe band und begränzte. 
Für den, der die Dinge ohne Fünftlid gemachte Befangenheit 
nimmt, wie fie fi ihm geben, ift es ſchon zum Voraus ges 
wiß gewefen, daß eine Ericheinung, die fo tief im Geifte des 
Volkes und der Sprache ihre Wurzeln Ychlägt, weder von 
einem beionderen Stamme ausgegangen, noch auf einen engen 
Winkel in ihrer Verbreitung ſich beſchraͤnkt. Inzwiſchen war 
es nothiwendig für diejenigen, die in der Gefchichte nichts ohne 
den biblifhen Augenſchein gelten»loffen, ohne dabey zu gedens 
ten, daß er dem gerrübten Auge doch wieder nur zum Scheine 
werde, und bey denen felbft Gott fein Daieyn durd) gehörige 
Ermweife in logifher Form legitimiren muß, Hier wieder eins 
maf urkundlich zu bemweifen, daß die Geſchichte ihre großen 
Gelege hat, wie der Himmelsbau, und daß alles, was aus 
ihnen auf die rechte Weife hergeleitet wird, durch die Beob— 
achtung da wie dort nimmer Lügen geftraft werden kann. Das 
Eaffeler Fragment beweiſ't fchlagend, daß die Alliteration, die 
Bisher für das Angelſaͤchſi iſche erwieſen war, über die ganze 
Niederdeutſch Fraͤnkiſche Poeſſe, und wenn unfere Ableitung 
richtig iſt, über die Gothiſche fih verbreitete, und das Weißen⸗ 
brunner Gebet vollendet diefen Beweis aud) für die Oberdeut— 
fche oder Sueviiche, der dies Fragment, wie faum zu zweifeln, 
angehört. Wo an feltnen Stellen die Alliteration auszugehen 
ſcheint, ift es wohl durdy die Lebertragung der Urfchrift im 
fremde Mundart durch der Sache nicht ſonderlich kundige 


346 Die beuden Alt. Deut. Gedichte a. d. 5. Jahrh. v. Grimm, 


Mönche eingeihlihen. Die Dichtungen aber nun auf dieſe 
Weiſe in ihrer urſpruͤnglichen Form wieder hergeſtellt, laſſen 
uns einen tiefen Blick in das Weſen der einheimiſchen Poeſie 
thun. Sie reihen nahe in die Zeit von Chilperichs Grab 
hinein, und wie das, was man dort gefunden, Bienen, Sie— 
gelringe, Schwert, Meſſer, Pferderuͤſtung, Stierbilder uns 
einen plaſtiſch anſchaulichen Begriff von den aͤußerlichen For 
men des damaligen. Lebens geben, fo führen ung diefe Lebers 
bleidfel vecht in die Mitte, des dichtenden Geiftes jener Zeit 
hinein, „nd wenn wir die Töne, die in den Merken des 
Mittelalters und des Nordens, fo wie in ung feldft von jener 
Zeit noch dunkel nachklingen, um die gewichtigen Worte, in 
denen diefe Nunen fprechen, fammeln, dann ‚mögen wir den 
Torfo-in-unferer-Anfhauung-mitgiemticher Sicherheit ergaͤn⸗ 
gen md uns ein ganz angemeffenes Bild von dem Weſen 
jener uralten Dichterfchule machen, etwa wie wir die Altgries 
chiſchen Philoſophenſchulen: ja gleichfalls aus wenigen übrigen 
Fragmenten und dem Geifte des Ganzen gar wohl zu deuten 
vermögen. Nur über die Vortragsweife dieſer Werke laͤßt fi 
fehwer aufs Meine fommen, wahrjcheinlich gefchah es ſchwebend 
zwifhen Sage und Lied in einer Art von Necitatif mit Be⸗ 
gleitung irgend eines lautenartigen Inſtrumentes, fo daß die 
Betonung immer auf die alliterirenden Sylben fiel, eine Art, 
wie fie wohl auch die ‚früheren Rhapſoden und die fpäteren 
Conteurg verfchieden von den Liederfängern haben mogten. 
Aber gewiß ift, daß auf. foiche Unterlage die ganze fpätere 
Moefie gegründet war. Das Caſſeler und das Weißenbrunner 
Manufeript verhalten fich genau zu einander, wie der herois 
fche und der mythiſche Theil der Edda, denn auch wir glauben 
mit den Herausgebern, daß der Eingang der Letztern einer 
Art von Deutfcher Voluspa angehört. te ganze Dichtung 
des Volkes war in einem folhen Mythen- und Heldenbuche 
niedergelegt; das Wenige, was wie im Gebete das Chriftens 
thum vom Erften nicht etwa zu fid) hinuͤberziehen mogte, wurde 
verworfen und ging verloren, auf das Andere aber wurde im 
Werfolge die ganze Dichtung des Mittelalters aufgeſetzt. Wir 
haben am König Rother noch eine treffliche Urkunde zum Bes 
fege diefes Zufammenhanges der fpäteren Zeit mit jenen fruͤhen 
* 


\ 


Die beyden Alt. Deut, Gedichte a. d.8. Jahrh. v. Grimm. 347 


Sahrhunderten, Gerade wie das Kaffeler Fragment aufgeloͤſ't 
aus Altdeutichem Lied in die Wilfinafage des dreyzehnten Jahr⸗ 
Hunderts eingegangen, und dann durch die verſchiednen Umars 
beitungen des Hildebrandliedes bis auf ung gefommen, fo findet 
ſich aud) Rother als ein ſolches Lied in jener Soge, zugleich 
aber nuch früher noch als Epos fchon vom Norden nah Stas 
fien und Griechenland hinabgetragen. Der Dfanteir der Wils 
kinaſage iſt die Mordifchdeutiche Geftalt des füdlih Oftgorhifchen 
Rothers, und Beyden liegt gerade ein folches altes Gedicht, 
wie das Fuldaer zum Grunde, aus dem es fih in allmählige 
Fortbildung heraus entwickelt hat. Daß dem fo fen, beweifen 
außer den noh da und dort durchbrechenden riefenmäßigen 
Umeiffen der früheren Zeichnung, die mancheeley alten Worts 
formen, die auch fchon v. d. Hagen aufgefallen, volgodisy 
trorande, sprachan, gesamenot, gecirot und viele Andere, 
alles große Werkſtuͤcke eines andern Baues in diefen nur vers 
mauert. Der Versabtheilung muͤſſen wir durchgängig unferen 
Beyfall geben, und es ift ung intereffant geweſen, zu vernchs 
men, wie die Herausgeber gegen die Drehung ber Edda in 
kleine Verſe fih erklären, Allerdings läßt fih wohl "Manches 
zu ihrer Nehrfertigung bepbringen. Das Griechiſche vollendete 
Epos wie die Mibelungen und auf gleicher Höhe ftehende Dichs 
tungen aller Völker gehen allerdings im feyerlihen Schritte 
mit langem Schleppkleid, aber es ift keineswegs damit ents 
ſchieden, daß aud) die alten Rhapfoden fo feyerlich gefungen. 
Der Athemzug der Begeifterung iſt tief, aber kurz; wo die 
Dichtung noch fo nahe und fcheitelreht Über dem "Leben ficht, 
erſcheint aud) Ausdruck und That in einem runden engerfüüten 
Augenblicke; erft wenn das heiße Gewitter. vorübergezogen, 
fehen wir zuerſt das Feuer zuden, und die reflectivende Didys 
tung dann in einem langen Donnerzuge nachroflen; ganz zus 
letzt in zahmer gebildeter Zeit ſteht fie.ohne Zuf ud Schlag 
ein biafes Wetterleuchten am fernen Himmel, und die Wolfe 
Täße fich erfühlend das Feuer in langfamen Hellen austropfen! 
Die alte Sage ift, fo fcheint es, kurz und eilig wie die Hie— 
roglyphenſprache, fie. hat viel zu fagen, und wenig Zeit und 
Worte, der Stein, die Rede foll fo viel ald möglih Gedans 
ten in wenig Zügen faffenz; fie noch ©efährtin ber Heldenzeit 


348 Die beyden Alt. Deut. Gedichte a. d. 8. Jahrh. v. Grimm. 


und felöft Heldenjungfrau verhält fih zur fpäteren Nacherinnes 
rung wie fchrotende Schwertesfhärfe zum hellen Stahlipiegel 
‚auf feiner Flähe. Darum ift wohl auch die enge Versabthei— 
lung, wenn fie ein Irrthum ift, ein fehr alter, denn offenbar 
ift der welſche kurze epifche Vers, von Morden herab, wie der 
Alerandriner von Süden heraufgelommen , daus jenem dadurch 
hervorgegangen, daß man. die Alliteration bloß mit dem Keime 
verwechielte, :und mit dem Sylbenmaße leichter nahm, und 
gerade das gibt zurücwirkend auf dag Vorbild diefem einen 
flüchtigen, leichtfertigen Anftrih, der fih mit feinem ernften, 
bedeutfamen innern Charakter gar nicht wohl vertragen will. 
Unter der Rubrik: Zufammenhang mit dem ganzen Fabelr 
kreis, haben dis Herausgeber vortrefflich nach ihrer Weile wie 
Seologen eine Erzader, fo das Werk in feiner Lagerung in 
dem großen poetifhen Gebuͤrgzuge dargeftellt, und fo erſt recht 
feine große biftorifche Wichtigkeit herausgehoben. Wir find 
im Stande, aus der Naticanifhen Handſchrift No. 3ı4. Dies 
trichs Flucht zu den Hunnen, die Fabel, in die das Fragment 
eingreift, in etwas zu ergänzen. Der alte Amelunch erzeugte 
mit einer Sattin, aus Kerlingen geboren, drey Söhne wohl 
gethan, mworunter der ältefte Diether, dann Ermrich fo der uns 
getreueft war, der je von Mutter ward geboren, zulegt Diets 
mar. Der Bater theilt unter die Söhne fein Land, fo daß 
dem Erfigebornen Bifah und Beyerlant, dem Ermrih Puls 
len, Galaber und Wernhers Mark, dem Süngften endlich 
Lamparten alles gar, Roͤmiſch Ere und DOfterlant, Foriul und 
das Juntal zufällt. Alle drey gewinnen Kinder, Ermridy eis 
nen Sohn, Friederich genannt, Diether die beyden Marlunge, 
die Ermrich fieng und ohn' Schulde hing. Dietmar endlich, 
der Bern gebaut, nahm des Königs Defau Tochter, und ges 
wann mit ihe zwey ſchoͤne Kind, Dither und den Bernere, dee 
mit maniger Mannheit alle die Wunder hat bereit, davon 
man finget und ſeit; Hildebrand erzog die Söhne, die der 
Vater fterbend dem Ermrich befohlen. Diefem aber rvathen 
Sibich und NRibeftein, daß er mit Dietrich ein Gleiches thue, 
wie mit den Harlungen, während er ihn zu fih lade, unter 
dem Vorwand, daß er nad dem heiligen Grabe walle, um 


Die beyden Alt. Deut, Gedichte a. d. 8. Jahrh. v. Grimm. 349 


den Tod der beyden Sjünglinge zu büßen. Der Lngetreue 
ſendet Randolt von Anton mit dem Auftrage nady Bern, dies 
. fer aber ſtatt ihn in die Schlinge zu ziehen, warnt ihn vtels 
mehr vor der Werrätherey. Wie Ermrich feine Tücke entdeckt 
ſieht, gebietet er eine Heerfahrt, wie größere niht ward ges 
fehen auf römifh Erd. Er ruͤckt mit mehr als 80000 in das 
Herzogthum zu Spolet und heifit das Land oͤde legen mit 
Raub und Brand, bis an Meylan. Aber aud Dietrich hat 
ſich gerüfter, ihn zu empfangen, unter dem Rufe Aht Sches 
velin (oder Schavolin) Berne, Ahet volir Berne! (Acht 
fhau wohl in Bern, achtet wohl ihr Berner?) überfällt er 
Nachts den Feind; Ermrihs Sohn, Friedrich, wird mit 1800 
“ gefangen, und 26000 liegen vom KHeere’erichlagen. Nach der 
Schlacht aber grämt ſich Dietrich fehr, daß er nicht Gutes ges 
nug befige, um feine tapfern Freunde gu belohnen. Da fpricht | 
Bertram von Polen, Here ihe folle nit Sorge han, ich gieb 
euch Gutes .alfo viel, mit Treuen ich das gerne thun will, 
500 Saummere in Polen, da ih zu Kaufe bin. Dietrich 
nimmt das Anerbieten an, und nad) dem Golde werden ge 
fendet Hildeprant, Sigebrant, Wolffhart, Helmfhart, Ams 
lant von Bart, Sindolt, Ditleip von Steyer und mit ihnen 
Bertram. Aber ihre Reife war alles Ungluͤcks Anfang, waͤh— 
rend die Boten hochgemutet freichen mit dem Gute, legt Erms 
rich ihnen einen Hinterhalt, und als man das Gold führen 
follte gegen Bern herauf, durch Sfterich wird es genommen, 
und die Nitter werden gefangen vor Ermric geführt zu Mans 
tauwen in die Stadt. Und der Ungetreue fpricht ‘zu ihnen; 
will Dietrich löjen euer Leben, er muß mir fürwar geben als 
les mas er je gewann, art und Meylan, Bern und Raben, 
Polen und Hifterih, Lamparten und römiich Erde muß er 
mir alles laffen, alles muß mein eigen wefen, oder ich laß 
euch nicht geneien. Der Bernere, wie er die Rede vernimmt, 
ſpricht: und waren mein alle Reich, die wollt ich ehe alle lan, 
dann meine getreuen lieben Mann, die Neihe ich eh alle 
verhur, ehe dann ich fie alfo verlur. Er fendet einen Boten 
an Ermeneih, daß er ihm feinen Entihluß anfündige, und 
diefer zieht vergnüge mit einem Heere gegen Bern. Mit 


350 Die beyden Alt, Deut, Gedichte a. d. 8, Jahrh. v. Grimm. 


Kräften fie lagen, Raubes fie pflogen, und thaten Schaden 
ſtark allum durch die Mark, das Land fie anzunden, fie nas 
men was fie funden, Rauch ging Über Land, der flarfe Woſt 
und Brand, Rauch Über Dern. Hervortreten Jubart, Ecke— 
wart, Efkenat, deren waren drey und vierzig Mann, die 
But, Weid und Kind liefen um den von Bern. Dietrich 
seht hinaus mit Geleit vor Ermrih, mit naffen Augen trüde 
und roth ; das Haupt er darnieder bot Ermrich auf die Füße. 
Er ſpricht: gedenfe Vetter fühle, daß ich bin deines Bruders 
Kind, daß meine Sinne noch kranke find, nu thu an mir die 
Ehre, ich will nimmer mehre wider dein Hulde icht begehn, 
noch deines Zornes abgeftehn. Lange ſchweigt Ermrich, zuletzt 
ffriht ev erbarmungslos: gibt man mir heute Bern nicht, fo 
glaub mir, daß dir gefchicht weh von meinen Handen. Syn 
allen den Landen, die je Land find genannt, wo did) begreifer 
mein Hand, da wiget nicht dir alles Gold roth, begreiff ich 
dich fo Gift du todt. Dietrich bittet zulekt bloß um Bern, der 
Ungetreue aber erwicedert, nu laß dir feyn von mir gach, oder 
ich heiß dich fangen und auf einen Baum bangen, den nädıs 
ften den ich finde. Zuletzt noch fagt er, um ihn zu kraͤnken, 
er muͤſſe zu Fuße mit den Seinen abziehen. Mehr als tau— 
fend Frauen aus der Stadt, Frau lite an ihrer Spige, gehen 
hinaus ins Lager, und legen Fürbitte um den Fürften ein, fie 
werden aber zornig angefahren; eylet suh von mir wenden, 
oder ich heiß euch fchänden. Kin fährt nun Dietrich gegen 
Hunnenland mit den Seinen, am 2dten Tage koͤmmt er mit 
Genoffen in die Stadt Gran, und kehrt bsy einem Kaufmann, 
des Könige Palaſt gegenuͤber, ein. Bald hält die Königin 
Helche ihren Einzug mit Rüdiger, und verfhämt birgt der 
Held fih) hinter den Pinen, Nüdiger aber erkennt und bewills 
kommt ihn und ſchenkt ihm, als er fein Ungluͤck erfahren, 
800 Mark Auch ben der Königin führt er ihn ein, und auch 
fie, nachdem fie ihn wohl bewirthet, verehrt ihm zwöif Saums 
märe mit Gut. Bald auch koͤmmt der KHunnenfürft mit feis 
nen Nittern von Etzelburg, auch er nimmt ſich des Geächteten 
an, ımd fagt ihm ı2000 Mann gu, Hüdiger 11000, und 
Andere nad) Vermögen. Bald erhält Dietrich auch Machricht 


Die beyden Alt. Deut. Gedichte 0. d. 8. Jahrh. v. Grimm. - 351 


von Amelot, wie er Bern wieder gewonnen durch Ueberfall, 
und nun zieht er aus gegen roͤmiſch Weich mit feinen Mannen. 
Am zwölften Tage koͤmmt er vor Bern an, Tidag gewinnt 
ihm Meylan, um ihn fammeln . fih wieder feine Freunde. 
Da macht auch Ermrich fi auf, um Meylan zu belagern, 
Dietrich aber bereitet einen Ueberfall, Wolffhart redet zw feiner 
Schar: mu freut euh Helden gut, wir follen in Mannes 
Blut heute waten bis Über die Sporen, wir follen alfo fchafs 
fen, daß Layen und Pfaffen von diefer freyfen Märe fagen. 
Sie ſtoßen bald auf den fihergemahten Feind, da ward ein 
Darruden, da hub fih ein Zucden, die fcharfen Seren mit 
Handen zufammen fie gerannten, der Dunft aus ihrem Leibe 
rauch, gleich in dem Sebaren gleich als ob ein Wald wäre 
gezündet an mit Feuer. Wolffhart fchreit abermals auf: ift 
unter ung jemand er fey Herr oder Fürfte, den von Kerzen 
dürfte, der leg fi nieder und trink das Blut, und fecht aber 
als ein Held gut. Ermrich wird gefchlagen und in Ravenna 
eingefchloffen, auf Sibech und Nibefteins Rath aber entweicht 
er in der Nacht nach Bolonie. Navenna wird übergeben, 
und von Dietrich dem ungetreuen Wittige ühergeben, fo wie 
Meylarn dem Todas, Bern dem Elfan, Gart dem Amlolt. 
Dann reitet der Bernere mit den Hunnen gu Ebel, ihm 
koͤmmt fein Bruder Dierher in Freude entgegen, Buhurt und 
Hochzeit mit der Herat. Bald aber fommen wieder Boten 
von Amlolt hergeeilt, um zu verfündigen, wie Wittige Nas 
ben verrathen, und wie Ermrich alle in der Stadt erjchlagen, 
taufend Frauuen enthaupter und fechshundert, Kind gehentt, 
und. wie er mit. einem Heere von 200000 läge im Herzogs 
thum von Spolet, denn er hat das Harlunge Gold, davon 
er noch lange gibt guten Cold. Da gebietet Esel eine Heer— 
- fahre nah Sran über acht Wochen, Frau Helche fender 48, 
Saummäre mit Golde roch voraus nach Bern. Bald fams 
melt fid) ein Heer von 150000 um Dietrih, und damit fährt 
er Hin durch Sandes gegen Yſterich, unterwegs unterwerfen 
fi) ihm wieder Polere die Reihen, und geben hundert Kas 
ftellan : bey Padaume wird Ermrihs Sohn Friedrich gefchlas 
gen, Wolffhart faͤngt Sibechs Sohn Saben, und er wird 


352 Die beyden Alt. Deut. Gedichte a. d. 5. Jahrh. v. Grimm, 


vor den Mauern gehenft. Das Heer zieht weiter gegen Nas 
ben, die Frauen: werden begraben mit großem Leid, und es 
geht nun nach Bolonie, wo Ermrich liegt. Am Reine (keiner 
Fluß bey Bologna) lagern beyde Heere, der Feind wird ums 
gangen durh die eine Hälfte des Hunnenheeres, Dietrich 
ſelbſt macht den Angriff, Feuer flog freislih aus Helmen und 
fiählernee Wat, Ermrihs Heer wird duchbrohen. Am. 
Morgen koͤmmt noch König Günther mit den ſtarken Burgos 
- nismann gegen die Sieger geritten, alle auf flofgen Kaftellan 
mit Eijen wohl bedecket. Erſt wird nun ein Sturm geftritten, 
der härteft der da je geſchah, als ob taufend Schmiede wären 
niit KHämmern Über Ambos gerhan, Dietrich und Günther, 
Toller von Alzan und Molffdart kommen zufammen mit 
Wehr, Schaar nah Schaar wird aufgerieben, am Mittag 
gelagen alle Günthersmannen todt bis auf Se, der König, 
ſelbſt wird flüchtig , Feld, Blumen und Gras, alles rinnt 
von Blute, man fieht die Guͤſſe hinabgehn, .als von dem Res 
gen thut ein Bach, wohl eine deutfche Raſte weit alles mit Tods. 
ten voll lag. Ermrich verlor alle die gar, die er hatt ges. 
bracht in den Streit, der Seinen lebt niemand mehr wann 
1100 Mann ; Nibeftein wird errannt und von Ekkewart ers 
fchlagen, nur 200 kommen mit Ermrih, Sibig, Wittige und 
Heinze nah Bolonie. Es folgt die Klage und das Begraben 
der Todten, Ruhe der Streitmüden bis zum achtzehnten Tage, 
dann fährt Dietrich wieder zu den Hunnen nad) Etzelburg, 
und wird freundlich empfangen, Helche klagt in ihrem Muthe, 
die edeln Neden gute, und wer auf dem Wall verfchied. Hies 
mit endet fih das Lied, das zwar in der alten’ Form reichen 
Stoff zu einer fhönen Quida bot, bier aber in fpäterer meir 
fteriängerifcher Breite und Vermeichtheit nur von fehr mittels 
mäßiigem poetifhem Verdienſt erfcheint, aber fehr wohl die 
Hiftorifche Compofition jenes Dichtungskreifes zu erläutern und 
aufzuklären dient. 


(Der Beſchluß folgt, ) 


[nenn 


No. 23. Heidelbergiſche 1813. 
Jahrbücher der Litteratur. 





Die beyden Äfteften — Gedichte aus dem achten Jahrhundert 
herausgegeben durch die Brüder Grimm. 


( Beichlufi der in No. 22. abgebröchenen Recenfion, ) 


Wa die bey dieſer Gelegenheit von den Verfaſſern ent⸗ 
wicelten, ſehr wohl begründeten Ideen über Dietrich von Bern, 
Ermrich, Sibih, die Wölfinger und verwandte Gegenftände 
betrifft, fo werden wir an einem andern Drte Gelegenheit has 
ben, ung weiter darüber zu verbreiten; hier bemerken wir nur, 
daß ſchon der Abt Conrad von Lichtenau, Verfaſſer der Urfpers 
ger Chronik am Anfange des dreyzehnten Jahrhunderts, über 
den Zwieipalt der Poefie und Gefchichte in der Dietrichsfage 
nachgrübelte, und zu einem ähnlichen Nefultat wie die DVerff. 
gelangte, wobey ihm Aber freylich die wahre Erfenntniß des 
Weſens der Heldenpoefie nicht angemuthet werden darf. Wir 
führen die in mancher Beziehung merkwürdige Stelle hier aus 
feinem Buche, Basler Ausgabe ©. 111 an: „Nah Ers 
mwägung aller biefer Umftände mag jeder, dem irgend einige 
Weberlegungstraft beywohnt, enticheiden, was davon zu halten, 
daß nicht bloß in gemeiner Dichtung und. in Wolksgefängen 
aufgenommen, fondern fogar in einigen Chroniken gefchrieben 
ift, wie Ermenreich zur Zeit Martians über alle Gothen ges 
Herrfcht, und den Dietrich Dietmar Sohn, feinen Wetter, 
auf Anftiften des Odoacer, gleichfalls, wie fie fagen, als 
Vetter ihm verwandt, von Merona vertrieben, und ihn » 
gezwungen, beym Hunnenkoͤnig Attila Zuflucht zu fuhen, da 
doch Jornandes ausdrücklich erzähle, Hermenreich, der Gothens 
könig, habe zur Zeit des Valens und Valentinians über viele 
Könige geherrfcht, und fey von zwey Brüdern Sarus und Ams 
mius, die, wie ich Hlaube, jene find, die gemeinhin (vulgariter) 
Sarelo und Hamidiecd genannt werden, verwundet worden, 
und dann beym erften Vorbrechen der Hunnen aus den maͤoti⸗ 
23 


354 Die beyden aͤlt. Deut. Gedichte a. d. 5. Jahrh. v. Grimm. 


fhen Suͤmpfen unter Valamber theils-an der Wunde, theilg 
aus Verdruß über diefen Einbruch geftorben,, Attila aber habe 
fiebenzig Jahre fpäter in den Catalaunijchen, Feldern -geftritten, 
und fen unter Martian und Balentinian geftorben. Dann erft 
Habe unter Leo Theoderih, Dietmar Sohn, den Odoacer Ko⸗ 
nig der Rugier und Turcilinguer in vielen Treffen geſchlagen 
und die Herrſchaft Italiens erlangt. Darum mag eine auf 
. merffame Betrachtung diefer Thatſachen wohl entſcheiden, wie 
es doch möglich fenyn moͤgte, daß Ermenreih den Theoderich 
Sohn des Dietmar zum Attila entweihen mahen, da er doc) 
keineswegs fein Zeitgenoffe war. Jornandes hat alfo entweder 
falfh berichtet, oder der gemeine Glauben trügt, oder ein ans 
derer Ermenreich und ein anderer Theoderich find als Zeitges 
noſſen dem Attila beyzulegen, durch welche alddann der Widers 
ſpruch ausgeglichen werden mag. Denn jener Ermenreid, farb 
lange vor Attila, Theoderich aber. wurde nach feinem Tode, 
oder um die Zeit deffelden geboren im fünften Geſchlechte von 
Vuldulf, Bruder Ermenreihs, beyde Söhne Achiulfs, abs 
ſtammend, defien Enkel Eutharit, indem er die Amalafuenta, 
Theoderichs Tochter, zur Gattin nahm, beyde Linien wieder 
miteinander verband. Dietmar feinem Vater aber werden feine 
anderen Brüder beygeleat ald Vualamar und Vintimar, wo— 
von der Erfte zur Zeit Attilas lebend nad) defien Tode feiner 
Herrfchaft fih unterwarf, und ohne Nachkommen ſterbend ſei— 
nem Bruder Dietmar die Regierung überließ, der andere aber 
einen gleichnamigen Sohn hatte, der-nady des Waters Tode 
Italien verließ, und nah Gallien ging.“ Man fieht, diefe 
Chroniken lejen, wenn der Abt vecht gefehen, gerade wie das 
Caffeler Fragment, wie es fcheint, anders als die Wilkinaſage, 
die doch ganz auf den Liedern derfelben Zeit ruht; Dietrich 
flieft vor Odakers Neid nah Hunnenland, und diefer Odaker 
iſt nicht Ermenrich, fondern Sibih oder Saben. Alles ber 
weiſ't, wie vielfältige Geftalten die Fabel durchgelaufen, gleich 
zeitig bey vielen Voͤlkern und nacheinander in vielen Zeiten, 
den Letzten iſt alles zulegt in ein Bild verwachſen, wie ein 
Baum in den Knospen viel taufend Pflanzen trägt, deren 
jede verfchieden von der Andern, und die doch eins find in 
ihrer Natur und in ihrem Mutterftamme. So auch find alle 


Die beyden aͤlt. Deut, Gedichte a. d.8. Jahrh. v. Grimm. 355 


diefe Helden Dietrich und Hiltebrand und Odaker und Ermens 
veich und Attila blühende Bäume, die viele Laͤnder mit ihrem 
Geyweige. überfchatten., und durch fange Jahrhunderte immer 
diefelben und. immer Andere grünen. Alles das ift in der 
Schrift fehr gut entwickelt, und dabey noch recht fharffinnig 
auf die Verknuͤpfung der Dichtung durh Sibich mit der alten 
Fuchsfabel nachgewieſen. Was den gleichfalls angedeuteten Zus 
fammenhang des Hiltebrand mit dem Odyſſeus betrifft, fügen 
wir nur noch aus der Trojanifchen Gefhichte des Dictie von 
Ereta, die man, mie alle Werke diefer Art, auch achtlos vers 
worfen, während fie ein Neugriechiſches Erzeugniß der frühes 
fien Zeit ohne Zweifel auf alten Sagen und jeßt verlornen 
Urkunden ruht, daß auch Ulyſſes mit dem eignen Sohne Thes 
lagon, den er- mit der Circe erzeugt, in Achala vor feiner 
Burg kämpfte, ohngeachtet ihn ein Traum gewarnt, und daß 
der Juͤngling unwiffend den Water mit der eignen Lanze, die 
er auf ihn hingeſchleudert, tödtet. 

Wir mäffen den. Bemerkungen ein Ziel feßen, welche, die 
intereffante Schrift in uns geweckt. Wir loben zuleßt noch) 
einmal das Ganze um die treue Gründlichkeit, um die. fchöne 
Liebe zu der Sache, um die durchgängige innere Tüchtigkeit, 
um die wohlbewahrte darin herrſchende Geiſtigkeit. 

Goͤrres. 





Erinnerungen von Friedrich von Matthisson. Erster 
Band. Zürich, bey Orell, Fuesli und Comp, 1810. X u. 
413&. Zw.Bd. 418 ©. gr. 8. (Mit einigen niedf. Vignetten.) 


; Die angiehende Darftellungsart des Verf. ift fhon aus 
feinen früher erfchienenen Briefen befannt. Die Vorzüge, welche 
jene Sammlung auszeichneten, — ein heller Blick im Auffafe 
fen der Begenftände, ein guter : Beobachtungsgeift,, weifer 
Gleichmuth und milder Ton in der Beurtheilung, metrifche 
fhöne Darftellungen und ein fehr gebildeter, bluͤhender Vor⸗ 
trag — zeichnen aud) diefe Erinnerungen, und zwar in einem 
noch höheren Grade, aus. Nur dürfte der Vortrag hier und 
da für Profa vielleicht zu blumenreich feyn, und manden Schil— 
derungen fcheine fat bloß das Sylbenmaß zu fehlen, um 


356 Erinnerungen von Fr. v. Matthiſſon. 


materifche Poefie zu feyn. Mehrere der im Jahre 1795, und 
im J. ı802 in einer neuen Auflage, erichienenen Briefe des 
Kern v. M. find, ihrem weſentlichen Inhalte nah, wiewohl 
in einer andern Ordnung, mit den fünf in diefem erften Bande 
vortommenden Auffäßen verwebt; allein Überall wird man die 
beffernde und feilende Hand des Verf. gewahr. Manches 
Minderbedentende , desgleichen die Ankündigung der Pünftigen 
Erfcheinung von Büchern, die damals, als die Briefe heransı 
famen, -längft erichienen waren, wie Gerſtenbergs Mincene, 
Klopſtocks Tod Hermanns u. a. blieb diesmal weg. Einige— 
mal werden jedoh auch hier noch Werke als künftig erfcheis 
nend angefündigt, die wenigftens zur Zeit der Herausgabe 
diefer Erinnerungen (1810) allgemein, als längft er— 
fhienen, bekannt find. &o wird, um nur ein Beyſpiel ans 
zuführen, S. 375 bey Aug. Rode bemerft, „wir hätten in 
Kurzem einen verdeutfhten Vitruv von ihm gu erwar— 
ten.“ Diefer Vitruv ift aber fhon 1796 zu Leipzig in zwey 
Bänden in 4. erfchienen, und da Hr. v. M. fich nicht fireng 
an die-Zeitfolge bindet, und Erinnerungen auge frühen und 
fpäten Sjahren an einander reihet, fo hätte diefe Motiz ent 
meder anders geftellt oder doch nicht ohne eine Anmerkung ges 
geben werden follen. — Drey andre Bände werden noch auf 
diefen erftien folgen, und diefe Sammlung, die gewiß viele 
theilnehmende Lefer finden wird, befchließen. 

Wir gehen'zu. den einzelnen Aufläßen des erften Bandes 
über. I. Der große Bernhardsberg S. ı — ı6. 
Diefe fehr anziehende Befchreibung las man fchon mit Wer: 
gnügen in dem erften Theile der Briefe; bier aber find die 
Materien noch beffer, als dort, geordnet, und die ganze Dars 
fiellung zeigt von der glüdlihen Feile des nad) immer größerer 
Vollendung ſtrebenden Verfaffere. 

II, Die Selfentuppe von Mayenne. ©. 17 —5n. 
Auch diefe [höne Schilderung. kennt man fihon aus dem ıd. 
Briefe der erften Auflage. Außer mehreren glücklichen Der 
befferungen im Ausdrucke und einigen paffenden Auslaffungen, 
findet man hier auch ein finnvolles Gediht: Die Alpen: 
Hirten; — wiederum abgedruckt in der neueften Sammlung 
der Matthiſſon ſchen Gedichte &. 211. 


Erinnerungen von Fr. v. Matthiſſon. 357 


III. Darkellungen aus Frankreich: in drey-Abs 
fchnitten. S. 31 — ı54. Merkwürdige Züge aus dem Natios 
nals Charakter der Franzofen, Nachrichten von ihrem Theater, 
Beſchreibungen intereffanter Kunſtwerke und Alterthuͤmer, und 
lebendige Schilderungen reizender Gegenden wechjeln hier aufs 
angenehmfte mit einander ab. Uebrigens las man. die meiften 
der hier mitgetheilten Bemerkungen det Verf. über Lyon, 
Avignon, Vaucluͤſe, Cette, Niemes, Montpellier u. .f. w. 
fhon in feinen Briefen. Aber auch hier fHößt man auf mande 
gluͤckliche Verbeſſerung in der Darftellung. Eine der trefflichs 
fien Schilderungen, die des Hafens bey Cette, — möge hier 
als Probe der Darftellungsart des Verf. fiehen: „Ein fris 
fher Seewind ( heißt es ©. 155) fühlte die Wärme dee 
Abends. Die Matrofen ſchwammen zwiſchen den Schiffen im 
Hafen, und die Fiiher fangen in ihren ‚Barfen. Sch flieg 
hinter der Petersihange hinab, und warf mich in die fauen 
Fluthen. Mit der Wonne wird vielleicht felten gebadet. Die 
Geſchwader der Karthager, Syrakufer und Nömer gingen vor 
meinem Geifte vorüber, die großen Schatten der Scipionen 
über den Waffern, und Blagende Stimmen der Heldenvoͤlker 
fhollen, aus ihren fernen Grüften, über die unermeßliche 
Meeresflähe, melde fie vormals herrfhend ummwohnten. Ich 
ging nachher noch lange auf dem Mole ſpatzieren. Allmälig 
verftummte das Getuͤmmel des Hafens, und man hörte nur 
noch von Zeit zu Zeit in den Schiffen das dumpfige Läuten 
der Betglocke. Lange fihon hatte die Flamme des Pharus ger 
lenchtet, als ih in den Gaſthof zurückkehrte. Goldene Bilder 
aus Athen, Milet und Lesbos wirkten fi in meine Träume‘; 
die freundlichen Geſtirne, unter deren Einflüffen die glüclichen 
Suͤdlaͤnder, durch Überfchwengliche Fülle des feimenden und: 
- feuchtenden Lebens, in ewiger Frühlingsjugend frohlocken, fcheis 
nen einladend niederzufchmweben,, und der entförperte Himmels; 
chor ihrer felgen Bewohner fang in leiſen Geiſtertoͤnen: 
Hoffe freudig, Hoffe muthvoll, Pſyche, bis zur Morgenröthe 
der losgebundenen Schwingen! Koffnung ift die Blüthe des 
Gluͤcks!“ — — 

IV. Feyer des Wiederfehens aufdem Schloffe 
Bodmer © 155 — 178. . Ein Beſuch bey dem Dichter 


3 


358 Erinnerungen von Fr. v. Matthiſſon. 


v. Salis, aus dem 8. Briefe des zweyten Theil der Briefe 
fhon befannt. Aus einem andern Briefe jener Sammlung 
iſt auch ein Beſuch des Herrn v. Salis bey Herrn v. Mats 
thiffon eingerädt. ©. 169. ı60 wird dem edlen Ulrich von 
Hutten ein verbientes Todtenopfer gebracht. Außer einigen 
gluͤcklichen Verbefferungen im Ausdrude, ſtoͤßt man in diefem 
Auffage auch auf einige, gelungene, neu binzugefommene 
Stellen. 

V. Baterländifhe Beſuche. S. 179 — 413. Auch 
diefe Nachrichten las man größtentheils fchon ehemals in ‚den 
Briefen des Verf. mit Vergnügen; nur mit dem Unterſchiede, 
daß man die aus verfchiedenen jahren und von verfchiedenen 
Reiſen herrährenden Notizen hier in ein Ganzes concentrirt, 
und mit mandhem angenehmen Zufaße bereichert findet. Mans 
des, was nur die Empfänger der Briefe intereffiren konnte, 
ift Hier weggeblieben. Die Bemerkungen des Verf. erftrecken 
ſich über Konftanz, Mörsburg, Memmingen, Ulm, Stuttgart, 
Heidelberg, Mannheim, Frankfurt am Main, Marburg u. 
f. w. Außer der Erwähnung einiger Marburger Gelehrten, fins 
det man auch eine kurze Befchreibung des befannten Monu; 
ments der heil. Elifaberh in der dafigen gochifch » prächtigen 
Elifaberh » Kirche. Der trefflihen, über fünf Alräre diefer Kirche 
befindlichen und größtentheils von Albreht Dürer herrührende 
Gemälde und Schnigarbeiten finder man jedoch nit erwähnt. 
Auffallend aber war es uns, hier ein Urtheil des Verf. wies 
der abgedrudt zu finden, das uns fchon ehemals, als unkuͤnſt— 
leriſch, in den Briefen mißfallen hatte. Nachdem nämlich 
Hr. v. M. das merkwürdige und in feiner Art einzige Mos 
nument der heil. Eliſabeth — deffen auh Hr. Fiorillo in 
feinen Beinen Schriften, als eines intereffanten Products aus 
der leuten Hälfte des dreyzehnten Jahrhunderts, erwähnt — 
befchrieben hat, fügt er folgendes hinzu: „Kein Menfchen, 
freund wird den frommen Wunſch unterdrüden können, diefe, 
den Aufihließer ausgenommen, feinen Sterblihen zu Nuß und 
Frommen gereichende Gold s und Silbermaſſe, aus dem oͤden 
Gewölbe befreyt, und, zum Beften wohlchätiger Stiftungen, _ 
unter dem Prägftocfe der Münze zu ſehen; beionders in eis 
nem Lande, wo fo viele Wittwen und Waijen, deren verkaufte 


Erinnerungen von Fr. v. Matthiſſon. 359 


Männer und Väter in Amerika modern, die Igerechteften Ans 
fprühe auf Entſchaͤdigungen haben, welche nicht allzu tief une 
ter ihrem Derlufte find.“ (Kann man wohl gebliebene Gatten 
und Väter auf irgend eine Art mit Geld bezahlen?) „Der 
Geiſt der heiligen Eliiaberh felbft würde ſich dieſer Verwand⸗ 
fung freuen: denn fie war eine großherzige Frau, die auf 
jeden Seufzer lauſchte, um ihm zu flillen, und mad) jeder 
Thraͤne forfchte, um fie zu trocdnen.“ Macher wird Diefes 
Kunftwert noch einmal, eben fo unfänftlerifh, ein todser 
Mammon genannt. Was würde aus dem intereffanteften Kunfts 
werten der Vorzeit werden, wenn man faufmänniid nur den 
größeren Nußen berechnen wollte, den fie, in Geld verwan— 
delt, gewähren würden ? Könnte man nicht, eben fo konfes 
quent, aud rathen, die trefflihen Altargemälde und Schnitze 
arbeiten von Albrecht Dürer, welche diefe Kirche zieren, 
an die Meiftbiererden zu ‚verkaufen, und von dem geldf’ten 
Kapital Allınofen auszutheilen, oder fromme Stiftungen zu 
gründen? Weberdies bedachte Hr. v. M. nicht, wenn er von 
„ Wittwen und Wailen redet, deren verkaufte Männer und 
Väter in Amerika moderten,“ daß dem ehemaligen Regenten 
von Heſſen weder die Eliſabeth⸗KArche, noch deren -Schäße 
angehörten, fondern ein Eigenthum des erſt feit: Kurzem auf; 
gehobenen Deutihen Ordens waren , der mit dem Amerikanis 
fhen Kriege nichts zu jchaffen hatte! Und gab und gibt «es 
nicht, und wird es nicht in allen künftigen Zeiten Kriege ge— 
ben, woran auswärtige Hülfstruppen Antzeil nehmen müffen, 
ohne daß der einzelne Bürger oder Krieger ſich lebhaft für die 
Sache intereffiren follte, um deswillen er kämpfen, dulden 
oder fallen muß? Es ift vielmehr Sache der jedegmaligen 
Landesregierung, darauf bedacht zu feyn, die Wittwen und 
Waifen der Sebliebenen und die Kinder der Verftämmelten, 
fo wie diefe Ungluͤcklichen ſelbſt, aus der Staatskaſſe zu vers 
forgen ,„ ohne deshalb ehrwuͤrdige Kunſtdenkmale in Plingende 
Münze zu verwandeln! — Uebrigens hat auh Hr. v. M. 
den Geldwerth des Monuments viel zu. hoch. angefchlagen. 
Vielleicht finder fih der würdige und unbefangene Verf., nad) 
einer genauern Prüfung unferer Anfiht, bewogen, bdiefelbe 
auch zu der feinigen zu machen. — Leber Göttingen und 


360 Erinnerungen von Fr, v. Matthiſſon. 


mehrere dortige Gelehrte ſagt Kr. v. M. viel Intereſſantes. 
Sin den Briefen ging er von da gleih nah Hamburg über. 
Hier aber ift erſt noch Manches aus dem 5. Briefe des ı. Bos. 
über Hannover, Herrnhaufen, Dearienwerder u. f. w. einges 
ruͤckt. Bey Hamburg ift wieder in Eins zufammeng:fhmoizen, 
was Hr. v. M. ehemals im ı. Br. des 1. Bos. und im 16. 
Dr. des 2. Bos (mac der erften Aufl. der Briefe) in den 
verfchiedenen Sjahren 1785 und 1794 beobachtet und aufges 
fhrieben hatte, Bon Klopitod, dem Schaufpielr Schröder 
und dem Dichter Claudius kommt hier noch mancher inters 
eifanter Zug ‚vor, wovon die Brief: Sammlung des Verf. 
nichts enthielt. Dann geht es über Lüneburg, Braunfhweig, 
Krakau bey Magdeburg ( wo eine rührende Szene des Wieders 
fehens vorkommt), Halberſtadt, wo man auf mehrere anges 
nehme Zufäße ſtoͤßt, — die Spiegelberge, Wernigerode — 
und hierauf folgt eine furze, gefühlvolle Schilderung der herr⸗ 
fihen Sarten s Anlagen zu Wörlig, mit ein Paar neuen Zus 
fägen und Wendungen. &o hieß es 5. B. fonft in den Briefen, 
Bd. 2. ©. 186: „Du haft die intereffanteften Länder unſers 
Welttheils gefehen, lieber Bonſtetten! und befonders in 
Italien, Frantreih und England, jede dir erreihbare Blume 
des Schönen, Großen und Nüslichen gebrochen: aber dennod 
würde, bey der Reife durch das Fuͤrſtenthum Deſſau, frohes 
Erftaunen fi) deiner Seele bemädtigen“ u. ſ. w. In den 
Erinnerungen, ©. 377, wird dies alles, mit wenig vers 
änderten Worten, von Forfter gefagt: „Frohes Erftaunen 
bemächtigte fi) der fhönen und großen Seele Geora Fors 
ſters, welcher den Erdball umfergelt, und in den intereffans 
teften Ländern unfers Welteheils jede nur irgend erreichbare 
Blume des Großen, Schönen und Nuͤtzlichen gebrochen hatte, 
bey den reigenden Anfichten des Fürftenehums Deffau* u. f. w. 
Seite 379 fg. kommt ein Zufag über Wörlig vom J. 1801 
vor, worin der Verf. einige Anfihten und Aeußerungen eines 
Ungenannten in einer Anmerkung zu des Hrn. v. Bonftetr 
ten Aufſatz über die Sartentunft — insbefondere was den 
MWohnpalaft zu Wörliß betrifft — berichtigt. Bey Weimar 
verweilt der Verf. mis Liebe, und erzähle manches Erfreuliche 


Erinnerungen von Fr. v. Matthiſſon. 361 


von Wieland, Herder, v. Knebelu.a. Bey Herder 
ift auch von der fünftigen: Herausgabe der (fchon im J. 1796 
erihienenen.) Deutfchen Bearbeitung der fchönften Poefieen des 
Jakob Balde die Rede. Bey Knebel hingegen heißt es: 
„er habe vom Properz eine das Urbild ehrende Kopie vols 
lendet.“ Diefe Ueberfeßung erfchien aber erft 1798. Indeſſen 
tönnte die Ueberſetzung wirklich ſchon im J. 2794, wo Ar. 
v. M. in Weimar war, vollendet geweſen, aber erft 4 Jahre 
fpäter erfchienen fun. S. 395 fg. wird Knebels, aus 
Herders Adraften bekannten, Beſuchs bey dem trefflihen 
Didter Joh. Niklas Goͤtz zu Winterburg erwähnt und des 
günftigen Urtheils gedaht, melhes Friedrich der Große 
über die Mädcheniniel diefes Dichters fäle.. Mufäus und 
Bode erhalten ein verdientes Todtenopfer. Daß Albrecht 
Dürer auch Schriftſteller war, und ein Bud von der menfchs 
lichen Proportion und" Porträtmalerey ſchrieb, ift doch fo uns 
befannt nicht, als Hr. v. M. ©. 411 vermuthet. Mit der 
Ankunft des Hrn. v. M. in der Gartenwohnung des Hrn. 
v. Bonftetten, unweit Bern, fchließt diefer erſte Band der 
Erinnerungen. 

Nach diefer ausführlichen Anzeige des erſten Bandes beus 
ten wir noch kürzlich den Inhalt des zweyten an, deſſen 
Inhalt nicht weniger anziehend, als der des erften, if. Wir 
finden hier folgende Aufiäge; VI. Seefahrt nah Kopen— 
bagen. 1794 (S. 1 — 54). Zwar größtentheils ſchon aus 
dem 2. Bande der Matthiſſon'ſchen Briefe befannt, hier aber 
verbeffert und mit einigen intereffanten Zufägen vermehrt. 
VII, Wanderung nad dem Stodhome, an J. ©. 
v. Salis. 1794 (8. 55— 76). Gleichfalls aus dem legten 
der Briefe des 2. Bandes befannt, bier aber verbeffert und 
vermehrt. Unter andern "Hefet man die fchöne poetifhe Ers 
gießung ©. 75 hier zum erfienmale. VII. Die borromäis 
fhen Inſeln. 1796 (8. 77—95). Erfcheine hier zum 
erftenmate. Leider! aber erfährt man, einige artige Anekdoten 
und gefühlvolle Aeußerungen über die reizend ⸗ fchöne Gegend 
abgerechnet, nicht viel von den Inſeln und deren Befchaffens 
heit. IX. Reife von Laufanne nach Aofta. adoı 


362 . Erinnerungen von Fr, v. Matthiſſon. 


(8. 99 — 204). Ein reihhaltiger intereffanter Auffag! Eis 
niges ift zwar au fhon aus dem 1. Bd. der Briefe befannt. 
Man finder aber auch hier manchen erfreulihen Zufag. Ans 
ziehend find unter andern- die Nachrichten von Gibbon, 
Chandler, Sorani, Alfieri, des DVerfaffers 
Herzensergießung über feine Freundichaft mit dem edlen Bons 
fietten, u. a m. X. Acht Tage in Paris. An den 
Fürften von Anhalt Deffau. 1805 (S. 207 — 274). Ein 
neuer Aufiaß. Der Verf. hat feinen kurzen Aufenthalt in der 
merkwuͤrdigen Kaiferftadt fehr gut zu benußen gewußt. XL 
Acht Tage in den Alpen. An den Erbprinzen von Meck— 
lenburg⸗Strelitz. 1804 (S. 277 — 354). Diefer Aufſatz ift 
einer der anziehenditen. diefes Bandes; reich an fhönen Schil—⸗ 
derungen und intereffanten Anekdoten, aber keines Anszugs 
fähig. Eben fo fchön ift der XII. Aufſatz: Wallfahre nad 
der großen Karthaufe bey Grenoble An J. ©. 
v. Salis. ıdod (S. 557 — 418). Wir können uns nidt 
enthalten, folgende Stelle aus diefem letzten Auffaße herher 
zu feßen: — — „Treok dem feurigen. Weine von Afti, blieb 
mein Gemüth beym Hinblicke nah dem verhängnißvollen 
Schlachtfelde von Marengo, nur ernften und däflern Betrach— 
tungen hingegeben. Mir war, als fliege, gleich einem Geifte 
Oſſians, der Schatten des Biederften der Keerführer aller 
Zeitalter und Nationen, des tapfeın Defair, dem Partheys 
wuth und Nottengeift bis zur Erbitterung verhaßt, Pflichtge— 
fühl und Ehre bis zur Anbetung heilig waren, und welchen 
fogar die Völker am Nilftrome dur den Namen des gerechten 
Sultans ehren, hinter den fchirmförmigen Wipfeln der Pinien 
zürnend empor, und fordern mich auf, fein leßtes, nur wer 
nigen befanntes Heldenwort in das Gedädhtniß der ihm Ger 
vechtigfeit gewährenden Mitwelt zu vrägen. Sch verdanfe es 
einem edlen Krieger, den ich im Sahre 1803 von Straßburg 
nach) Paris begleitete, und in deffen Armen Defair den bes 
neidenswerthften aller Tode farb. Die fhöne Tirade, welche 
die Zeirblätter ihm in den Mund jlegen, und der nur das 
Alerandrinifche Versmaaſt mangelt, um ganz theatralifch zu 
feyn , gehört auf die Lippen eines Salliihen Roscius; aber 
jo gefucht und ſtudirt fpricht kein Feldherr, dem die eifige 


2. F. Huber's fammtl, Werfe, 363 


Hand des Todes ſchon an das Herz greift. Er denkt nicht an 
die Stimmfammlung der Nachmelt zu feiner. Apotheofe, fons 
dern nur an den entiheidenden Moment der großen Gegen— 
wart: „Von neuem kann der Sieg fhwanfen, wird bein 
Tod ruchtbar vor der Zeit.“ Schnell, wie die Kugel, die ihn 
traf, ſchlug in feine Seele diefe Vorftellung ein, und ſprach 
fih, mit erhabenem Lafonismus, in feinen leßten Worten aus: 
„Stille davon!“ (N’en dites rien!) | 

Auch das Aeußere diefes Buchs ift geſchmackvoll, und jes 
der Aufjag mit einer niedlihen Vignette gegiert. Möge der 
würdige Matthiſſon und bald mit den beyden folgenden 


Bänden befchenten! — 
| Ki. 


£. 5. Huber’ fämtlihe Werke feir dem Jahre 1802. Zweiter Theil. 
Tübingen 1810. bey Cotta. 484 ©. (Der erfte Theil, welcer 
1806 erfchien, enihält Hubers Biographie und frühern Briefe.) 


Durd den Tod des waceren Huber haben nicht bloß defs 
fen nähere Freunde einen bedeutenden Verluſt erlitten, fondern 
auch die ganze gebildete Lefewelt, vermißt durch ihn einen 
Schrififteller, der fih dur eine gewiſſe aͤſthetiſche Nechtlichs 
feit und Seradheit auf eine erfreuliche Weiſe bemerkbar ges 
macht hatte. H. ermangelte freylih der eigentlih gelehrten 
Bildung, fein Geift war nicht genährt durd) das Studium 
der Aiten, nicht mit Sicherheit ausgebildet durch Logik und 
Mhilofophie, und wir müffen ihm fogar einen bedeutenden 
Umfang und Tiefe des Beiftes abiprehen, doch wenn fi 
diefer Mangel durch irgend etwas erfeßen oder verhüllen läßt, 
fo konnte man in der That bey H. zuweilen in Werfuhung 
fommen, jene höheren Anfprüche zu vergeffen. Man fand bey 
ihm ein redliches, durch Leiden gejtärktes, liebevoll klares Ges 
muͤth, den eigentlihen Boden, auf dem allein die Poeſie 
fih erzeugen kann, die nie mit einem unreinen oder ſchwaͤch— 
lihen Kerzen fid) vertragen mag, man erfannte in ihm einen 
nicht gewöhnlichen combinatorifhen Scharffinn, einige gute 
leitende äfthetifche Anfihten, einen Styl, der anfangs freplich 
von einer gewiffen Mühfeligkeie erkälter, fih in den letzten 


364 8 F. Huber's ſaͤmmtl. Werke, 


Jahren zu mehrerer Freyheit hindurch arbeitete u. ſ. w. So 
iſt es denn als ein verdienſtliches Werk anzuerkennen, daß man 
uns eine Darſtellung ſeines anziehenden Lebens gegeben, und 
den Anfang gemacht hat, mehrere ſeiner zerſtreuten Schriften 
nebſt denen noch ungedruckten zu ſammeln. H. ſelbſt war ein 
guter aͤſthetiſcher Oeconom, und ließ gewöhnlich feine Aufſaͤtze 
und Erzaͤhlungen das Publikum zweymal leſen. Wir wollen 
ihm damit keinen beſonderen Vorwurf machen, ſondern uns 
gern erinnern, daß jede Schrift, die nicht werth iſt, mehrere 
Male geleſen zu werden, auch nicht verdiene, daß man ſie ein 
einziges Mal durchblaͤttere. Bey den meiſten Werken H's 
tritt der erſtere Fall wirklich ein. 

Ein nicht geringer Theil der vorliegenden Schrift enthaͤlt 
Kritiken aus der allg. Lit. Zeit., dem Freymuͤthigen u. ſ. w. 
( S. 105— 242) Wenn wir erwägen, daß mit Ausnahme 
einiger wenigen Beffern, in den achtziger, und. befonders im 
Anfange der neunziger Jahre, die äfthetifhe Kritik der Deuts 
fhen gar Praftlos und fchläfr,g betrieben wurde, indem damals 
die faft ausfchließlihe Hinneigung zu einer meift oberflächlichen 
Politik die Fortichritte in der Kritit der Künfte hemmte, fo 
werden wir mehrere der Huberfihen Necenfionen für fehr auss 
gezeichnet erklären muͤſſen. So ift z. B. die Kritik von Goes 
thes Schriften (vom jahre 1792, ebenfalld abgedruckt, in 
H's vermiihten Schriften, Berlin 1795.) das fruͤheſte gute, 
tlar anertennende Wort über den trefflichen Schriftfteller. Ihr 
gegenüber fteht, als entfchieden verfehlt, die Kritit von Klops 
ſtock's Hermann’s Schlacht, in welhes Wert H. nicht fonders 
lich fi zu finden wußte (&. 110 — 120). 

Noch mäfen wir Hier der Krititen der Soethifhen Na—⸗ 
törlihen Tochter, des ehedem gar fehr gepriejenen, von H. 
aber faft annihilirten Grafen Donamar u, f. w. mit gebübs 
rendem Lobe gedenken; vermißt haben wir die des Schlegels 
fhen Athenäums, der Romantifchen Dichtungen von Tieck, der 
Luna von Korn, des Alarcos u. f. w. Trifft H. in dieſen 
Mecenfionen zuweilen aud in das Blaue hinein, fo ift denn 
doch der Anftand, mit der er die Sache treibt, anziehend, 
und es ift deshalb zu wuͤnſchen, daß man in dem folgenden 
Theile fortfahre, uns die Krititen ſaͤmmtlich mitzutheilen, die 


8. 5. Huber's ſaͤmml. Werte, 365 


in den einzelnen Journalen und Zeitungen zerfireut, fo fchwer 
aufzuſuchen find, 

Wir erhalten ferner in diefem Bande Briefe, aus dem 
Anfange der neunziger Jahre, faſt gang politifchen Inhalts. 
Mir wollen dieje Briefe nicht recenfiren, da fie jeßt durchaus 
veraltet find, und eigentlih nie für den Druck beftimmt was 
ren; nur das wollen wir hier nicht verhehlen: Hätte H. den 
Tacitus gekannt, diefen ewigen Codex der Achten Politik, er 
würde jene Briefe ganz anders geichrieben haben, und von 
manden ichmerzlihen Täuichungen, die hinterher nicht auss 
bleiben konnten, frey geblieben feyn. 

Wir erhalten bier ferner Erzählungen („Das ein: 
fame Todesbert“ und „Weltfinn und Frömmigkeit“), denen 
die lebte Hand noch fehlt; doch vermiffen wir diefe leßte Hand 
nicht fonderlih, da fie doch nicht die Poefie würde haben hins 
ein zaubern können, die leider gaͤnzlich mangelt. Leider mäffen 
wir fogar noch hinzufügen, daß wir bier auch eine gewiffe 
Larität in der Anſicht des fittlihen Lebens wahrgenommen has 
ben, die durch einige fchimmernde Halb; Phitofophie fchlecht 
verhälle worden ift. Es ift uns um fo fchmerzlicher, Ddiefen 
Vorwurf hier niederlegen zu muͤſſen, da uns, wie wir durchs 
aus nicht verhehlen wollen, Huber als Menſch fehr theuer 
war, und aud die meiten feiner anderen Schriften von einem 
ähnlihen Vorwurf völlig frey bleiben. 

Endlih erhalten wir hier auch noh Bruchſtuͤcke von Schau 
fpielen. H. ſprach ſich feldft oftmals mit befcheidener Selbſt⸗ 
kenntniß das dramatifhe Talent ab, dennoch, trieb ihn oftmals 
eine unbefieglihe Meinung dazu bin, und er lieferte dann, 
was ein geiftreicher, aber unpoetifcher Schriftfteller liefern 
tann. — Der bier angefangene „Saffier“ ermangelt leider 
der tragifchen Kraft, der fortgeießte Deutiche Hausvater (von 
Gemmingen) wäre unferes Erachtens nichts weiter geworden, 
als ein mittelmäßiges Familiengemälde,-wie wir deren fchon 
zue Gnuͤge haben. Es ift fehr wahr, daß wir Deutfchen den 
tiefen und wahrhaft heiligen Sinn des Familienlebens rein 
und fräftig in unferem Herzen aufbewahren; doch eben fo vein 
und kraͤftig dargeftellt Haben wir dicfen Sinn wenigftens auf 
der Bühne noch niemals. Was dort in diefer Hinficht gegeben 
wurde, war meiftens nur Liebäugeley, oder Weichlichfeit oder 
engbrüftige Verzagtheit.. 

Am meiften dürfte zu bedauern feyn, daß das Meine ans 
gefangene Luftipiel „der Naufch von geftern“ micht vollendet 
worden ift, wir hätten in ihm ein fein gedachtes Diminutivs 
Drama erhalten, das, mit Liebe und Sorgfalt auf der Bühne 
dargeftellt, gewiß eine recht erfreuliche Stunde würde gewährt 


366 5.9 Bothe’s ‚antifgemeffene Gedichte. 


haben. — — Moͤge uns H's Andenken ftets theuer bleiben. 
Mas er wirklich erfivebt hat, fteht oft tief unter dem Ideal; 
doch was er wollte, mit ganzer Seele wollte, war rein und 
groß und herrlich. 

| in. 





5. H. Bothe's antifgemeffene Gedichte, eine Achtdeutfche Erfindung. 
Berlin und Stettin, bei Sr. Nicolai 1812. XXIV und 196 ©, 
fl. 8. 


„ Sriechifhe und Pateinifhe Negeln der Mortmeffung ans 
zunehmen , ift nicht partheyiiche Vorliebe für Griechen und Ras 
teiner, fo verzeihlich die hohe Bildung beyder Nationen auch 
eine folhe Vorliebe machen würde; es ift vielmehr die Webers 
zeugung, daß diefe Negeln nicht ſowohi die eines einzelnen 
Volkes, als der Natur ſelber ſind, oder mit andern Worten: 
daß Hellas, Roms Lehrerin, die in Rede ſtehende Kunſt auf 
ihre erſten Gruͤnde zuruͤckfuͤhrte, die in groͤßerem oder ei 
gerem Maaß auf alle Sprachen anwendbar find.“ 

Nach diefen Worten der Vorrede glaubte Nec. nichts ges 
wiffer, als die Gefeße der Deutfchen Metrit von Hrn Bothe 
‚eben fo mißkannt zu finden, wie ehemals von Conrad Gef 
ner, und fpäterhin von Claius, der in feiner Grammatica 
Germanicae Linguae Hexameter gibt, wie: 


— u — — — [nn — 
Ein Vogel hoch ſchwebet / der nicht ald andere lebet. 
und Sapphifche Zeilen, wie: 


Lobe mit Eymbeln, der ob allen Himmern 


Di mit Heif jieret , benedeyt, regieret. 


in denen die Römifche Syibenmeſſung unſerer widerſtrebenden 
Sprache mit Gewalt aufgedrungen iſt. Aber zu ſeinem Erſtau— 
nen fand er die Verſe in den Gedichten, bis auf einige, die 
fuͤr verungluͤckt gelten moͤgen, meiſt richtig gemeſſen. Herr 
Bothe ſpielt Uzens unſchuldiges Spiel, nur nicht voͤllig ſo 
unſchuldig, und gibt uns fuͤr antik gemeſſene Gedichte, was 
aͤcht Deutſch gemeſſene ſind, die nur zufaͤllig mit der alten 
Meſſung uͤbereinſtimmen. 3. B. 


Walle dahin muthvoll, du Geſegneter, in die Gefahren, 
Welche du ſollſt anfhaun und Bändigen! Hörft du den Anruf 
Der Drommete? Sie fagt : „Auf, auf, da Pie heilige Sahne 
„Wehe des Vaterlandd! auf, du den göttliche Geifter 


F. 9. Bothe’s antifgemefiene Gedichte, 367 


„Winfen hinauf, fih nad, die erhabene fonnige Ruhmbahn, 
„Dein’ Ahnheren! Durch Nacht und Sturm und Draden 
hinan fchmwebt 
„Steil der Weg: jedoch oben umher wohnt liebliche Klar: 
eit 


» Emiger Himmelöfterne.“ 


Wenn wir den Bleinköpfigen Anfang des dritten Werfes aus 
nehmen, und den Matthiſſonſchen Unpyrrhichius jedoch, fo 
iſt kein Verstakt, der ſich micht vertheidigen ließe (denn die 
paa: trochäifchen, von denen Himmels noch dazu „Sponda’s 
ſchwebenden Gang“ nahahmt, dulder der Deutihe Hexame— 
ter), und die meiften find fogar vorgäglih ſchͤn. Eben fo 
verhält es ſich durchgängig mit den Elegiſchen, Sapphiſchen, 
Asklepiadifchen und anderen Versmaßen diefer Sammlung. 

Aus ©. XXI der Vorrede fehen wir, daß Kr. Bothe, 
durch Tiedgens und Biefters Beyfall, und die Medaille 
des erhabenen Fürften Primas ermuntert, nocd weiter zu 
gehn gefonner ift. Hier erheiſcht die Necenientenpfliht, ihm 
ein warnendes Diftichon zugurufen, weiches ihm zugleich das 
Ziel, wohin er gelangen wird, vor Augen ftellen mag: 


Bothe, dein anntes Spibenmaß , dag du fo empfiehlſt 
Prüfe mit Ächt deutſchem Geiſte doch und kritiſchem! 
D. A. E. 





Archäofogie der Kirchendogmen von Joh. Ulrih Röder, Coburg 
im Meufel, Leſeinſtitut. 1812. VI und 266 ©. in 3. 


Mach der Vorrede hat der Verf. nah 35 Dienftjahren 

im 67. Sjahre feines Alters, als Director der herzogl. geh. 
Canzley, Canzler der Regierung und Praͤſes des Eonfiftoriums 
u Coburg, wegen Kränklichkeit feine Dimiffion genommen. 
us alter Liebe für das Studium der Theologie wendete er, 
bey wiederfehrender Ruhe und Kraft, feine Zeit auf biblische 
und claffiihe Philologie, Kirhengeihichte und andere theof. 
Huͤlfswiſſenſchaften. Gewohnt mit der Feder in der Hand zu 
leſen, notirte ev fich vieles. Einen Auszug daraus, nad) den . 
Artikeln der Dogmatik geordnet, gibt er als ein Greis von 
2 Jahren im gegenwärtigen Werke, welches vornehmlich durch 
Vergleichung jüdiliher und anderer Moltsmennungen und ges 
lehrter Dogmen die Entftefung mancher chriftliher Dogmen 
"oder dogmatiicher Formen freymüthig und oft fehr richtig bes 
feuchter. Sogleich anfangs werden die Hiftorijchen Belege anges 


’ 


368 Archäologie der Kirchendogmen von J. 1. Röder. 


geben, daß die erften Ehriften lange Juden blieben, nur 
mit dem Linterfchied , daß fie an Jeſus, als den gefommenen 
Meſſias und als Meformator des Judenthums gegen Pharifäiss 
mus und Sadducdismus, glaubig geworden waren (Apg. ‚21, 
20.), da Jeſus feldft, nach feiner göttlichen Lebensklugheit, 
nicht anders zerftören zu wollen, als durch Aufbauen des Beſſe—⸗ 
ren, nur das Geſetz zu vervolllommnen,, Matth. 5, 17., ne 
benbey aber noch -Dpfer und fogar Säge der. Traditionarıer 
(Matıh. 25, 2. 23.) zuzulaffen geneigt war, „bis alles ges 
fchehen ſeyn würde.“ ews ravra yernras. In der Stelle 
bey Sueton, wo Tiberius die Juden und similia sectantes 
aus Rom verweift, findet der Verf. die judaizirende Chriften, 
Bol. Apg. 18, 20. Wenn Juden und Griechen neben einander 
ftehen,, als zum ChHriftenehum gerufene, wie Röm. 2,9. 3, 9. 
1. Cor. ı, 20. ı0, 32., fo verfteht der Verf. unter den leßteren 
nur fogenannte Fromme oder Gottfuͤrchtende Apg. 13; 16. 17, 
2. 4., d. b. jüdifch gewordene. Von den Griechen ſeyen viele 


- feit den NRömerfriegen mit Perjeus, mit Korinth ꝛc. als Sclas 


a. 


ven verkauft, auh an Juden nach der Erlaubniß Rev. 25. 44. 
gefommen und Profelyten geworden ( Szofeph. ctra Apion. 
2, 5.), da, nad) Cicero und Juvenal, der hungrige Grieche 
alles zu thun fähig gewefen fey. Lnter den Bapßapoıs Röm. 
1,.14. verfieht der Verf. Juden zu Rom. Wie hätte Paulus 
geborne Römer damals Barbaren nennen dürfen? Bis nad 
der Zerftörung Sjerujalems feyen alfo meift nur Sjuden und 
Sfudengenoffen, Meifianer nah Jeſu Lehre — Chriftianer, 
geworden. (Doch haben unftreitig auh manche Heyden den 
Monotheismus aus herzlicher, oder philofophifcher Ueberzeugung 
angenommen.) Auf ähnlihe Weite hat der Verf. faft ben jes 
dem Artitel minder gemwöhnlihe Bemerkungen, welche die Prüs 
fung reizen und zugleich durch Gedrängtheit angenehm werden. 
Auch Philo, auch die Kabbala werden benußt, und Schriften, 
welche noc nicht zu vergeffen find, wie Gruners, Heilmanns 
Dogmatiten, in neues Andenken gebrahte. Wie felten ifts, 
daß befonders Männer, welche durch ihre Studien und Ges 
fchäfte gewöhnt werden koͤnnen, mie vieles andere, eben fo 
auch die ethiſche Welt, zu welcher die Theologie gehört, nad) 
dem Typus der äußeren Geſetzgebung, der politifhen Rechts— 
verträge, der. bürgerlihen Straf » und Genugthungstheorie zu 
betrachten , die reine Meigung in fih erhalten, vor allem, wo 
nicht den philofophifchen und pipchologiihen, doch den Hiftoris 
fhen Entftehungsgrund aufzufuchen und anzuerkennen! 
| H. E. ©. Paulus. 





No. 24. | Heidelbergifche 1813. 
Sahrbüder der Litteratur. 


Josephus et Carolus Wenzel de penitiori structura cerebri ho- 
minis et brutorum — cum quindecim Tabulis ductis in 
aere et totilem linearibus. — 'Tubingae apud Cottam. 
MDCCCKI. Borride ALV ©. 6 Zabellen und 354 Bogen. 
Fol. 


N. fhon in einem eigenen Prodromus vor drey Jahren 
diefem Werke vorangegangene Anfündigung, — ber. viel vers 
fprechende Titel — und ſelbſt auch das fplendide mit fo vielen 
Rupfertafeln ausgeräftete fo volumindfe Werk felbft, berechtigen 
in der That zu großen Erwartungen. u 

Mit diefen Hoffnungen erfüllt begann der Rec. die Durchs 
lefung diefes Werks, und nachdem er ſich muͤhſam durd dass 
felbe, wie durch eine fandige Steppe durchgewunden, foll er 
getreulich erzählen, mas er fand, und mas er über das 
Ganze urtheilt. Die Verf. beginnen ihr Werk mit der tabels 
larifchen Anſicht. Die Vergleihungen der Länge und Breite 
des großen und Meinen Gehirns bey Foetus, Kindern und Ers 
wachſenen männlichen und weiblichen Geſchlechts, wobey Rec. 
vorzüglich aufgefallen iff, daß das Gehirn eines 11, jährigen 
Knaben 5 Zoll Länge und 4 Zoll 3 Breite hatte, das eineg 
ſechsjaͤhrigen 6°’ Länge und 5’ 6 Breite, und das eines 
ausgewachfenen: Diannes von 26 jahren nur 5’ 10’’’ auf 
5” Breite maß. Das Meine Gehirn hatte an Kindern und 
Erwachſenen erftens a’ 6’ auf 4’ 3° Breite. Sollten 
dieſe Beobachtungen richtig ſeyn, woran Rec. jedoch ſehr zweis 
felt, fo wuͤrde wenigſtens Gall's Meynung dadurch ſehr mwiders 
legt, welcher naͤmlich behauptet, daß das kleine Gehirn in 
den Jahren der entwickelten Mannbarkeit ſo ſehr an Umfang 
zunähme. Eine zweyte Tafel enthält die Ausmeſſungen der 
Gehirne verichiedener Säugthiere und Vögel. Eine dritte Tas 
fel enthält das Gewicht des ganzen Gehirns und des großen 

J— ” 


370 Josephus et C. Wenzel de penitiori structura ete, 


und kleinen Gehirns an Menfchen von verfchiedenem Alter. 
Die vierte Tafel zeigt die Gewichte der Gehirne verſchiedener 
Säugthiere und Vögel. Eine fünfte Tafel die Zunahme des 
Sewichtes in einem Hähnchen vom Hten Tage der Bebrütung 
des Eyes bis zum 21. Tage nebft der Wergleihung des Ger 
wichtes des ganzen Körpers. Die fechste Tafel zeigt endlich 
bey Vergleihung der Lärge und Breite des Gehirns die Länge 
und Breite des vierten ( der Verf, fünften) Ventrikel an den 
Menfhen und den Thieren. 

Im $. I. handeln die Verf. mit einer laͤſtigen Weit 
fchweifigkeit von den Schleimkörperhen, welche auf der äußern 
Fläche der harten Hirnhaut neben dem langen Blutleiter lies 
gen, Und die man gewöhnlich Pachioniihe Drüfen nennt. 
Auf 17 Foliofeiten erfahren wir weiter nichts, als daß dieſe 
Körperchen nicht in ungebornen, aber wohl in Kindern vom 
erften Alter vorfommen, daß diefelben ſowohl über als unter 
der harten Hirnhaut fi erzeugen, im letzten Fall, menn fie 
größer werden, durch die harte Hirnhaut durchdringen, auf 
den Venenſtaͤmmen liegen, die an den Blutleiter andringen, 
gerinnbare Lymphe ſeyen, die verdickt werde, durch die Be 
mwegung des Hirns beym Athmen dur die Faſern der harten 
Hirnhaut durchgepreße werde u. f. m. Am Ende folgt das 
naive Geſtaͤndniß, „finem neque ullum habere neque ha- 
bere posse videntur.“ (!) Iſt wohl etwas im Organismus 
ohne Zweck? 

$. II. Vergleichung der allgemeinen Form der Behirne 
des Menfchen, der Säugthiere, Voͤgel und Fiſche. Aus dem 
‚Ganzen ift nichts zu entnehmen; es herrſcht Überall nur ein 
undeftimmter Ausdruc von lang, breit, rund, länglich u. ſ. w. 
Die Verf. hätten dabey mehr Achtung gegen das Publıkum 
zeigen follen, als daß fie Beobachtungen von erweichten und 
fauten Birnen beybringen. Wußten fie dent nicht, daß das 
Kirn des Störs immer wei, felbft an lebendigen, und faft 
wäfferig ift ? | 

$. III. Ueber die Windungen des Gehirns — ſehr fur 
wird diefe wichtige Sache abgethan. Und nur von der Sym 
metrie der Gehirnwindungen von dem Nichtdaſeyn derſelben 
an dem Gehirn der Haſen, Maͤuſe, Ratten, da doch derglei 


Jesephus et C. Wenzel de penitiori structura etc. 371 


hen Windungen am Heinen Gehirn ( Blätterbau ) gefunden . 
werden. Des Streites, den Gall veranlafte, ob die Hirnwin⸗ 
dungen zufammengefaltete Hirnmembrane feyen, wird gar 
nicht erwähnt, und Über diefe gewiß: fehr.intereffante Bildung, 
in welcher der Menich durd die Größen und Tiefen der Furs 
Ken fi fo fehr auszeichnet, gar feine Meynung geäußert. 

$.IV. Mikroskopiſche Unterfuchungen der Hirnſubſtanz. Nach 
Prochaska und della Torre (die weit wichtigeren Beobachtungen 
des Felice Fontana Sul Veleno della vipera feinen die Verf. 
nicht gefannt zu haben) und der Verf. eigenen Unterfuchungen, 
welche alle zum Ueberdruß weitſchweifig in 30 Observationi=- 
bus hererzähle werden, befteht die Hirniubftanz aus Kügelchen, 
weiche von einem. Zellgewebe, das die Form aller Organe ift, 
aufgenommen find. 

$. V. Bon ber Beſchaffenheit des gefrorenen Gehirns. 
Gennari war bekanntlich der erſte, welcher hieruͤber Verſuche 
angeſtellt hat. Die Verf. ziehen dieſes Buch auf 4 Foliofeiten 
woͤrtlich aus, daun folgen g einzeln erzählte Beobachtungen, 
woraus erheflt, daß fie das nämliche fahen, was Sennari ges 
fehen hat, nämlich Eisblätchen, Niffe und Lamellen der 
Hirnſubſtanz — aber dann behaupten fie. gegen Gennari, daf 
derfelbe geirrt habe zu fagen, eine folche Blaͤtterform fey der 
natürliche Bau des Gehirns, fondern fie glanben vielmehr, 
diefe Seftaltung fey eine Wirkung der Kälte. Es ift wirklich 
gu bedauern, daß die Verf. Hier, wo fie auf Wahrheiten gleichs 
fam mie Gewalt gedrängt werden , doch davon fich wieder abs 
wenden. Nec. hat viele Beobachtungen an gefrornen Gehirnen 
gemacht, und fi uͤberzeugt, daß diefe Blätthen, in melde 
die Hirnfubftang durchs Gefrieren zerfptingt, die elaentliche 
innere Hirnfaferung fey, welche wir auch durch das Erhärten 
des Gehirns in Weingeift und mineralifhen Säuren bemerfen: 
mit dem Unterfchied, daß hier die Fafern zufammenhangen, 
dort aber durch Riffe, die das Eis einnahm, getrennt erfcheinen. 

VI. Die Frage, ob die graue Subſtanz des Gehirns 
überall zufammenhange, wird mit mein beantwortet, und dies 
fes durch parallele, horizontale und perpendilulare Schnitte 
der Hirnmaffe erwiefen. Merkwuͤrdig ift der Schluß: Vero- 
similiter _itaque diversas singularum e@erebri partium 


372 Josephusfet’C.!Wenzel de'penitiori structura etc. 


functiones maxima saltem ex parte a cinerea, mutua au- 
tem singularum partium conjunctio totiusque. nexus a 
medullari cerebri substantia dependet. Gall's Meynung, 
gegen welde die neueren Hirnforſchungen die divefteften Bes 
weife liefern. 

$. VII. Die erſte Hirnhöhle in der mittleren Scheider 
wand im Menihen und Säugthiere. Diefer dreyeckige Raum 
wird, wie die Verf. richtig bemerken, durch die vom Boden 
der drephornigen Hirnhoͤhle herabfteigende und von einander 
etwas entfernte Marklamelle gebildet: Der Kanal, der von 
den vorderen Grübchen herabgehen foll, bis in den Boden der 
dritten Hirnhoͤhle und vor der vorderen Commiſſur ſich endts 
gen fol, eriftirt nicht nach des Rec: Unterfuchungen in durch 
Alkohol erhärteten Gehirnen, und ift gewiß durch die Schweine. 
borften, deren die Verf, fih bey ihren Unterſuchungen bedient 
haben, kuͤnſtlich durchgeſtoßen worden. 

$. VIII. Die Verf. handeln von dem Markhaͤutchen, 
weiches die innern Wände der Hirnhöhle Überzieht, und fehen 
‚mit Recht die taenia cerebri den margo intern. collicul 
opticor., die fimbria hippocampi für Fortfäße deffelben an — 
alles befannt und zu weitläufig vorgetragen, daß die taenia 
befonders in Älteren Subjecten hornartig erfcheint, das hänge 
nicht von einer verdickten Lyumphe ab, wie die Verf. glauben, 
jondern von einem höhern Grad der Oxydation des Mervens 
marks ſelbſt. 

$. IX, Bemerkungen über eine beſondere Eigenſchaft des 
Sefäßneges in den Seitenhoͤhlen.“ — Diefe Eıgenfchaft ift, - 
daß daffelbe oben breiter werde; als in der Tiefe der abfteis 
genden Hörner der Höhle — allein wiſſen denn die Verf. 
nicht, daß gerade da die Venen aus dem Innern des Hirns 
über das Corp. striatum und unter der taenia durchgehen, 
um fid in die membr. vasculosam zu verbreiten, wovon der 
plexus choroideus nur ein Theil ift, wiſſen fie nicht, daß 
die vena magna Galeni hier entfteht, die fi unter der hins 
teren Wulft des corp. callosi in das torcular verfenkt ? :Die 
Bläshen und Anſchwellungen des Gefäfineßes, über welche 
die Verf. mehrere bogenlange: Verhandlungen auf bewaffneten 


- 


Josephus et C. Wenzel de penitiori struotura etc. 373 


und unbewaffnetem Wege anftellten, find nur Wlutaderges 
ſchwuͤlſtchen oder Zellenbläschen. (7) 

X. Bemerkungen fiber Caldani's Beobachtungen und Vers, 
ſuche, die jenen Hirntheil ‚betreffen, in welchem die Marffafern 
vorzüglich ſich durchkreuzen. Galdani meinte, daß, wenn bey 
Apoplerien die: geftreiften Körper durch eine gerriffene Vene 
litten, alsdann eine Lähmung die entgegengefeßte Seite träfe, 
und auch umgekehrte, dab man bey einer Lähmung der einen 
Körperhälfte nad) Schlagflüffen allezeit ſchließen koͤnnte: der 
entgegengefeßte geftreifte Köryer fey affizirt. Das erſte geben 
die Verf. zu — das letzte leugnen fie, da aud jeder andere 
Druck auf das Gehirn eine Lähmung der Art bewirken fann. 
Die Verf. glauben, die einzige Durchkreugung der KHirnfafern 
fey zwifchen den Pyramidalkoͤrpern des verlängerten Marks, 
und fie wiffen nichts von der’ Einrichtung des corporis cal- 
tosi als desjenigen vorzüglihen Theils des Balkenſyſtems, in 
welchem die Hälfte der Hirnfafern von einer Seite zur ARE 
übergehen. 

XT. Ueber die Durchkreugung der Sehnerven. — 
ring behauptete im Allgenieinen, daß die Sehnerven an der 
WVereinigungsſtelle ſich durchkreuzten. Ackermann bewieß aus 
pathologiſchen Thatſachen, daß dieſe Durchkreuzung der Mers 
venfaſern an der beſagten Stelle nur theilweiſe geſchehe, und 
daß in Menſchen, welche alle Gegenſtaͤnde mit zwey Augen 
erreichen, die durchkreuzenden Fibern an Zahl denjenigen gleich 
ſeyen, welche auf der nämlichen Seite fortlaufen, in Thieren aber 
um fo mehr Fafern ſich durchkreuzten, je mehr durch die vorftehende 
"Schnauze die Augen von dem nämlichen Gefichtsfeld ;(boropter) 
abgeleitet würden. Die Verf. ſtimmen nun im Ganzen Ackermanns 
Meynung bey, glauben aber darin ein eigenes Verdienft zu haben, 
daß fie diefe theilweiſe Durchkreuzung an einigen Sehnerven felber 
durch ihre eigene Augen beobachtet Hätten. Rec. will ihnen 
dieſes WVerdienft nicht benehmen, glaube aber bemerken zu 
möffen, daß dergleichen Autopfien noch trügerifcher find, als 
die aus pathologifchen Erfcheinungen gezogenen Schlüffe, meil 
die Fafern der Wereinigungsftelle nicht bündelartig neben eins 
‚ander laufen, fondern, wie dieſes bey allen Nervenknoten der 
Tall iſt, ſich durchweben. 


374 .Josephus et C. Wenzel de penitiori steuctura etc. 


$. XI. Ueber die Verwachſung der Sehhuͤgel, wo dieſelbe 
ſich an ihrer inneren in den dritten Ventrikel herabfteigenden 
Wand berühren. Die Verf. haben gefunden, daß im Mens 
ſchen eine ſchwache Vereinigung zumeilen da tft, zuweilen auch 
fehlt — in den Saͤugthieren haben ſie dieſe Vereinigung alle— 
zeit und auch ſtaͤrker gefunden. Rec. haͤlt ſie fuͤr eine bloße 
Verwachſung der Lamelle, welche den Sehhuͤgel uͤberzieht, Reil 
nennt dieſelbe die Commissuram cerebri medianam, 

$. XIII. Der gerollte Wulſt in dem abſteigenden Korn 
ber Seitenhöhle ift ein grauer Cyrus, der aus der fossa Syl- 
vii fih in das Hirn heraufwinder, und iſt 'mit der lamina 
medullaris nach Außen überzogen, welche auch den Saum 
diefes Wulſtes bilder — alles dem BHBheDER: längft bekannte 
Dinge 

6. XIV. Eine bogenartige — Erhoͤhung gegen das 
hintere Horn des Seitenventrikels haben bie Verf. oft im 
Manſchen angetroffen, es ſchien ihnen auch Yon einem unters 
gelegten grauen Cyrus am hintern Hirnlobus zu entflehen, 
Auch Sömmerring fpricht davon Hirnlehre $. 34.’ 

$. XV. Zirbeldrüje — Sandhäufhen. Die Berf. haben 
die Zirbeldräfe im Menſchen meiftens weich und rundlid ans 
getroffen, im Thiere härter und laͤnglich. Mur in neun Fäls 
len von hundert war fie Hohl mit Waffer angefüllt, oder fehr 
groß, wie eine Wallnuß, und hart, Rec, hat diefen Körper 
einmal in einer Perfon, die an der WMutterwuth ſtarh, fehr 
groß und mit Waſſer angefuͤllt angetroffen. Die Groͤße der 
Zirbel richtet ſich nicht nach dem Alter. 

Das Sandhäufhen fanden die Verf. zuerſt im ſiebenten 
Jahre erſcheinen, vorher fahen fie aber fhon in neugebornen 
oder jüngern Kindern einen zähen Schleim an der Zirbeldräfe, 
Die Steinhen werden gewöhnlich. an drey Drten angetroffen, 
entweder auf der hintern Commiſſur oder zwifchen den Mark | 
ſchenkelchen der Zirbel im Grübchen, oder in der Subftang der 
Zirbel feldft. In einem Subjecte fanden die Verf; diefe Steine 
an allen drey Orten. — Unter den Mitrosfop fcheinen die 
Steinden meiftens rund, etwas poros, und vielleicht in eine 
feine Zellhaut eingehuͤllt. Die Verf. meinen, daß die Stein 
hen in ber Zirbel erzeugt, und von derſelben ausgeworfen 


Josephus et C. Wenzel de penitiori structura etc. 375 


würden. Das Dafeyn des Sandhäufchen gehört zum natärlis 
chen Zuftand. Es fehlt bey allen unterſuchten Säugthieren. 

’ $. XVI. Gräbchen in der ſylviſchen Wafferleitung. Im 
Menſchen haben die Verf. deren viere gefehen, welche conftant 
find, und alfo gum natärlihen Bau gehören. 

$. XVII, Blaue Stellen im Boden der vierten (der 
Verf. fünften) Hirnhoͤhle. Diefe entſtehen von Blutgefaͤßen, 
die, wenn man das Markhaͤutchen leife abzieht, unter dem 
Mikroskop wie rothe Punkte erfcheinen. Die Verf. äußern 
die Vermuthung, ob nicht hier, wo der Hoͤrnerve entfteht, 
diefe Stelle etwas dem ähnliches fey, mas bag feine Sefäßneg 
an dem Urfprunge des Riech⸗ und Sehnerven darftelle-? 

G. XVII, Die Markftreifen in der vierten Hirnhoͤhle. 
1) Die Verf, Haben die Marfftreifen in Foetus und Neuge— 
bornen nicht gefunden. 2) Nicht allegeit fammelten fich dieſe 
Markfäden zum Hörnerven, einige davon ſchienen früher zu 
verfhwinden. 3) Die Streifen von der einen Seite find 
nicht allezeit von jenen der andern Seite durch die Furche ge— 
trennt; viele gehen auch in einander über. 4) Diefe Marfftreis 
fen dringen tiefer in die Subſtanz des verlängerten Marks, 
und ftelfen ‚daher gleihfam Lamellen dar. 5) In den Säugs 
thieren find fie gar nicht augutreffen. Die Verf. fchließen dars 
aus, daß diefe Streifen nicht, wie Soͤmmerring und viele 
Anatomen glauben, die Urfpränge der Hörnerven find; was 
fie aber eigentlich find, fagen die Verf. nicht. (Rec. hält fie 
für die Commissurae der Hoͤrnerven, welche jeder Merve des 
Gehirns hat. Im Foetus iſt diefe Commissura noch nicht auss 
gebildet, und in dem Säugthiere geht diefelbe unter der Bruͤcke 
wie ein Ring von einem Hörnerven zum andern, wer die 
Pyramidalkoͤrper laufen darüber weg, 

$. XIX, Die grauen zum Körnerven schärigen Leiſtchen. 
Die Verf. glauben, daß dieſe Leiſtchen mit den Hoͤrnerven zus 
fammenhängen — Übrigens findet der Rec. hier fo was neues 
und iunerhörtes nicht, wie die Verf. meinen „in abstrusa 
ferimur studio novi et inauditorum,“ biefelden find ſchon 
mehreren Zergliederern befannt geweſen. 

$. XX. Einige Zellfäden‘, die an ben plexus choroideus 
in der vierten Hienhöhle gehen. Mer» kennt keinen plexus 


376 Josephus et C. Wenzel de penitiori structura etc. 


chöroideus in diefer Kirnhöhle! Das gefaltere Gefaͤßnetz liegt 
bloß in den Seitenhöhlen, und fleigt in die herabfteigenden 
Hoͤrner. Daſſelbe entfteht von der großen Vene, die fich in 
den Hintern Blutleiter ergießt, der durch das Tentorium ce- 
rebelli gebt, und fih unter den intern Wulft der großen 
Hirn s Commiffur und den Hintern Schenteln des fornix und 
corp. psalloideum durchzieht, den Marffegel, die Wierhägel 
und die Zirbel Überzieht. Diefe wichtigen Tharfahen haben 
die Verf. nirgendwo erwähnt. 

$. XXL Die vierte Hirnhöhle in Säugthieren. Diefelbe 
fen arößer als am Menſchen („gang natärlih! da eg die 
Höhle des verlängerten Marks ift, welches in den Thisren allen 
weit ftärfer als im Menjchen iſt *). 

‚ $. XXI Vergleichung der Höhlen des Gehirns in Men 
hen, Säugthieren, Vögeln und Fifchen. Das meifte ift nur 
Wiederholung des Gefagten, wobey noch zwey Ventrikel bey 
Vögel und Fiihen im Sehhuͤgel bemerkt werden. j 

$. XXI. Von dem Orte und der Weile, wie die Uns 
fpränge der Nerven mit ihren Hirnendigungen zuſammenkom— 
men, Die Verf, behaupten zuerft gegen Sömmerring, daf 
das Waffer der allgemeine Empfindungsplag und Verbindungss 
mittel aller Merven nicht fey, weil daſſelbe nicht allegeit jugegen, 
und wenn ed zugegen ſey, aus der nach erloicbener Pebenss 
wärme gefchehenen Verdichtung des Dunfies erzeugt werde — 
dann führen die Verf. eine Lifte auf von allen den Hirntheilen, 
welche in die Hirnhoͤhle ſich endigen, und nun führen fie die 
Merven auf, welche fi mit diefen Kirntheilen verbinden, und 
machen dann den Schluß, daß, mo nicht unmittelbar, doch 
‚mittelbar alle Nerven fih in die Hirnhoͤhle endigen. Und 
wenn es aljo ein Mittel gebe, welches tort die Hirnenden 
vereinigen Pönnte, fo ſeye diefes hierdurch als möglich bewies 
fen. Wirklich eine fonderbare Art des Beweiſes: die Tropens 
» länder von Amerika hängen mit dem Norden von Afien zus 
fammen, alio wachſen die Ananas in Kamtſchatka (1). 

$. XXIV. Bon dem Hirnanhang. Die Verf. haben alles 
zeit diefen problematifchen Körper aus zwey Lappen beftehend 
gefunden, einen größeren herzförmig eingefchnittenen, und einen 
Heinen ıunderen. Daß er in- Geiftesfrankheiten Meiner und, 


Josephus et:C. Wenzel de penitiori structura etc. 377 


wie diefelben in einer andern Schrift weitläunfig deducire haben, 
im Epileptifchen vereytert fey — darin flimmen des Rec. Bes 
obachtungen nicht mit jenen der Verf. Hverein, der dieſen 
Hirnanhang bey Epileptifhen. gefund, und weich aufgeloͤſ't bey 
ſolchen, im welchen ſonſt keine auffallende Spur von Hirns 
krankheit war, angetıpffen hat. 

Ueber den Trichter des Gehirns haben die Verf. duch 
Einfpräsungen gefärbter Flüffigkeiten ı2 experimenta anges 
ftelie, !die hier weitlaäͤufig mir allen Umftänden erzähle werden, 
woraus aber nichts weiter. hervorgeht, als daß der Trichter 
und der Hirnandang zellig ſey — die Richtung der Zellen 
aber mehr von unten herauf, als vom Hirn herab gegen den 
Hirnandang gingen. Was zu diefem Schluß berechtigt, fieht 
Dec. nicht ein; da im ganzen Koͤrper die Zellen ſich nad) allen 
Seiten hin Öffnen. — Im Alter und Krankheiten foll der 
Hirnanhang an Umfang abnehmen. In den meiften Säugs 
thieren ift derfelbe auch in Ruͤckſicht * das Hirn groͤßer als 
im Menſchen. 

$. XXV. Die Verf, bemerken hier die zahlreiche Menge 
der kleinen Arterien, welche an den Drten des Ausganges der 
vier erfien Mervenpaare bemerkt werden, nicht in der Gefäßs 
Haut, fondern die Marffafern durhbohrend. 

$. XXVI. Welche Theile des menfchlichen Gehirns am 
meiften vom gewöhnlihen Baue abweichen. Die Verf. zählen 
hierher die Windungen, den Wulſt am hintern Horn der Seis 
tenhoͤhle — die Markftreifen im vierten Ventrikel — bie 
Sommiffur der Sehhuͤgel und das Sandhaͤufchen. In Thies 
ren feyen die Hirnwindungen befländiger und fymmetrifcher. 
Mit Sall glauben die Verf. auch an den großen Einfluß der 
Hirnwindungen auf den Charakter der Individuen, welche 
nicht allein unftatthafte, fondern nie Meynung ſchon 
ſattſam widerlegt worden iſt. 

6. XXVII. Allgemeine Bemerkungen aber die Geſtalt der 
einzelnen Hirntheile in Menſchen und Thieren In dieſem $. 
finden ſich viele Widerſpruͤche und Unrichtigkeiten. 

1) ſagen ſie: erſt dann ſey das Hirn in allen Theilen 
vollendet, wenn der Menſch zu empfinden anfange — aber 
im erſten Lebensjahre kaͤmen erſt die Markſtreifen am Boden 


- 


378 Josephus et C. Wenzel de penitiori structura etc. 


des vierten. Ventrikels und im fiebenten Lebensjahr erft das 
Sandhaͤufchen zum Vorſchein — foll dann der Menſch erft 
im fiebenten Jahre empfinden I 

2). Die Theile, welhe im Menfihen erſt nach /der Geburt 


entſtehen, ſeyen im Thiere nicht da; „allein die Markfaͤden, 


welche die Commiſſur des Hoͤrnerven darſtellen, find allers 


dings in Thieren und weit ſtaͤrker da — ſie ziehen ſich aber 
nicht von oben durch den Ventrikel, ſondern unten und hinter 
der Bruͤcke, wie ein Markring herum.“ 

3) Die Thiere ſeyen daher ſchon früher zu ihren Verrich⸗ 
tungen reif, als der Menſch, weil ihr Gehirn eher vollendet 
fey — allein der Menſch Hat ja auch alles bis auf den. Mark 
fireifen, und das Sandhäufhen — foll denn diefes die Ur 
fache des menſchlichen Unvermögens in der Kindheit ſeyn, find 
denn die Verf. blind geweſen, als fie das große Ruͤckenmark 
der Thiere und die kleineren Hemisphaͤren fahen ? mußten fie 
nicht, daß das Ruͤckenmark das Organ der willführlichen Der 
wegung im Nervenſyſtem fey ? fahen fie nicht, daß diefes die 
Muskeln der Thiere weit, früher vollenden und erregen mußte, da 
alle Nervenchätigkeit bloß darauf verwendet wird, indem die im 


nern Seelenvermögen zurückbleiben, da hingegen im Menfchen 


alles auf die Ausbildung der Sinneshügel, und des in den 
Hemisphären enthaltenen Schenkel s und Balkenſyſtems vers 
wendet wird, wodurch die Ausbiloung der Organe der Bewe— 
gung zuruͤckbleibt ? 

4) Wie konnten die Verf. es wagen, ©. 247. niederjus 
freien: „Homo nonnisi sub septimum annum omnes 
illas animi facultates possidet, quas quidem imposterum 
identidem prodit, nova autem et essentiali nulla adau- 
get. — lllo anno cerebrum hominis et quoad - totum ef 
quoad singulas partes absolutum esse videtur.* Es war 
alfo fhon Raphael der große Mahler — Mozart der vollendete 
Mufiter , Newton der umfaffendfte Analytiter in feinem fiebens 
ten, Sabre ?!! 

5) Die Organe der höheren Serlenvermögen. fl find nad) 
des Verf, Ausipruch die Markftreifen im vierten Hirnhoͤhlen⸗ 
boden und das Sandhäufchen. Fragt man warum, ſo heißt 
es: „weil diefe Dinge allein der Menfch und nicht die Thiere 





Josephus et C. Wenzel de penitiori structura etc. 378 


haben.“ (Allein kennen die Verf. denn den innern Bau des 
Gehirns fo genau, dan fie diefes behaupten können ? es erhellt 
Diefes mwenigftens aus ihren Unterfuhungen nicht, und bonn 
ift dasjenige, was den Menfchen von den Thieren auszeichnet, 
etwas dem Gehirn derjelben abfolur fehlendes ? - Sind‘ nicht 
die Hirnvermoͤgen relativ? Wenn die Thiere mehr Mustels 
fräfte haden, haben fie nicht deswegen auc größere Marks 
fchentel und ein bey weitem größeres Ruͤckenmark — dagegen, 
wenn der Menfh an Verſtand und Mernunft u. f. m. weit 
über die Thiere hervorſteht — befißt derfelbe nicht daruin auch 
weit größere Hirnhemisphaͤren ? Es ift unbegreiflih, wie die 
Verf, ſolche Ungereimtheiten aufbringen konnten. 

Die XXVIIT— XXXIH. $$. enthalten nichts als weitläus 
fige, Erörterung und Anführungen einzelner Beobachtungen über 
die Ausmeffungen und Größen des großen und Meinen Ber 
hirns und verfchiedener Hirntheile in verſchiedenen Menichens 
altern und in verfchiedenen Thieren. Ferner über das Gewicht 
des großen und Meinen Gehirns, und endlich Über die allmaͤh⸗ 
fige Zunahme des Gewichtes am bebrüteten Huͤhnchen, welches 
alles die ‚von den Verf. ihrem Hirnwerk vorgefebten Tas 
hellen nicht im Refultat, fondern im Einzelnen ausdruͤcken. 

$. XXXIV. Betrahtung des Menichen: Gehirns in vers 
‘schiedenen Altern. 

a) Die harte Hirnhaut hänge im Foetus und Kindern 
feft am Schedel, und kann nicht getrennt werden, als durch 
Zerftücelung des Knochens; in Aelteren hänge fie oft feitjan. 
Man findet darim oft Verfnöcherungen u. |. wm. 

- b) Die Schleimhaut des Gehirns if in Embryonen 

allegeit durchfichtig, fie hänge aber mehr mit der Gefäßhaut 
gufammen, Bey Erwachfenen kommt fie oft undurchſichtiger 
und weißlich vor, dann iſt aber allezeit Lymphe in ihre Zellen 
ergoſſen. | 

c) Die Pachionifhen Körperchen werden in Embryonen 
nicht gefunden, weniger im Meugebornen vor dem fiebenten 
Jahre; häufiger in Alten und find krankhaften Urfprungs, 

d) Blaſenwuͤrmer. Die Verf. fanden in dem waſſerſuͤch⸗ 
tigen Gehirn einer alten Fran in Mayland 45 Waſſerblaſen 
fowoht anf der Oberfläche des Gehirns, als in der Subſtanz 


380 Josephus et C. Wenzel de penitiori structura etc. 


der Höhlen und dem verlängerten Marl. — Darunter war 
ein Blaſenwurm. Die Zeichen, melde die Verf. angeben, 
fcheinen jedoch diefes noch im Zweifel zu laffen. — 

e) Die Konfifteny des Hirns ift in Kindern weih, und 
hart in alten Leuten. Der Weingeift verhärter ed. Den Wein— 
geift und andere chemifhe Neagentien haben die Verf. nie, 
um den innern Bau des Gehirns zu erforfchen, angewendet, 
obgleich diefe Yet der Unterfuhung, welche in unfern Tagen 
fo fruchtbar ift, lange fchon bekannt war. 

f) Hirnſubſtanz. Unter dem Mikroskop befteht das Hirn 
des Foetus aus eben jo großen Kuͤgelchen, wie das des Er⸗ 
wachfenen. 

g) Hirnwindungen. Sie fangen an, ſch zu bilden im 
Zmonatlichen Embryo — die Furchen - find flaͤcher, je jünger 
das Subject if. Die Menge der Windungen hängt nicht vom 
Alter ad — Krankheiten diefes Organs find oft die Urſache, 
daß fie Meiner merden oder gar verfchwinden. 

h) raue und Markfubftang. In zarten Embryonen find 
diefe 2 Subftangen der Farbe nad) nicht von einander zu ums 
terfcheiden. In Neugebornen und jüngern Kindern ift oft die 
Markſubſtanz rörhlich ; in Alten ift die äußere Suͤbſtanz gelds 
lich, die innere bläufich. 

i) Die große Hirn⸗ Commiffur fey "im Foetus vor dem 
fiebenten Monat gefpalten, wachfe aber nach und nah von 
vorn nad) hinten zuſammen. Die Verf. fcheinen jedoch in 
diefe ihre Beobachtung feldft einen Zweifel zu feßen. | 

k) Der gerollte Wulſt zeige in EmbrHonen im Sinnen 
eine Höhle, welche nachher verfhwindet. 

1) Die geftreiften Körper find ſchon groß in Kindern, 
und im fiebenten Jahre nur um eine: Linie fchmäler als im 
Erwahfenen. Es fchiene den Verf, als wenn die geftveiften 
Körper und Sehhägel im Alter abnähmen. 

m) Die Sehhügel find im Foetus grau wie die geftreiften 
Körper — die Commiſſur, mwodurdh fie an ihrer inneren 
Wand verbunden find, haben die Verf. an einigen Foetus ans 
getroffen, an anderen nicht. 

n) Der Hornfireife Hat nur im Alter ein hornenes Ans 
fehen, in Kindern ift er gram oder blau. Mur bey Waſſer—⸗ 


Josephus et C. Wenzel de penitiori structura etc. 331 


ſuchten der Hirnhoͤhle bekommt derſelbe oͤfter ein hornartiges 
Anſehen. * 

0) Die Zirbel iſt bey Embryonen rund, linfenförmig, und 
aſchgrau. — 

p) Das Sandhaͤufchen wird in Embryonen. und Kindern 
vor dem fiebenten Lebensjahr nicht gefunden, ob man gleich 
früher ſchon einen zaͤhen klebrigen Schleim an der Stelle an⸗ 
trifft. 

g) Die Markſtreifen am Boden des — Ventrikels 
ſind im Embryo noch nicht zu ſehn, aber die grauen Leiſtchen 
fangen ſchon im. Smonatlihen Embryo ſichtbar zu werden an. 

r) Das kleine Gehirn ift im Ganzen weicher als das 
große Gehirn. Der graue Antheil ift größer in jenem als die 
Markſubſtanz. Die Windungen des Meinen Gehirns werden 
fhon im Smonatlihen Embryo fihtbar, und find im 7monats 
lichen aufs -deutlichfte zu unterfcheiden. Die beyden Hälften 
des Meinen. Gehirns liegen um fo näher an einander, je jüns 
ger die Subjecte find; im Alten fiehen fie weiter aus einander. 

s) Der Hirnknoten ift im Smonatlichen Foetus halb fo 
groß, als im neugebornen Kind, und in diefim halb fo groß, 
als in einem jährigen Kinde. Auch ift in jüngeren Qubjecs 
ten mehr graue als Markfubftang in dei-Telben. - 

Diefem Werke find 15 Kupfertafeln beygefügt, weiche 
verichiedene Hirnſtuͤcke gezeichnet darftellen. Ob nun gleich 
diefe Tafeln von Köts Meifterhand gezeichnet find, fo erhals 
ten fie doch darum wenig Werth, weil die vorgelegten Drigis 
nalien meiftens vergerrte, verzogene, bereits erweichte KHirns 
ſtuͤcke darftellten. Es ift ;diefes befonders bey Tafel IV. 
V. VII., vorzüglich aber bey Taf. VIII. zu fehen — dage— 
gen find, die Tafeln X. XI. XIII. zu loben, mo die ohnehin 
feftere Sehirnmaffe des vierten Ventrikels Peine weitere Präs 
paration bedurfte. — Die Vereinigungsftelle der Sehnerven 
auf Taf. XIV. if offenbar durch die aus einanderweichende 
Hirnmaſſe in die Breite gezogen, und nicht natürlich. 

Des Rec, Urtheil Über. diefes Werk ift Folgendes : 

Man kann den, ausharrenden und eifanen Fleiß nicht 
verfennen, welchen die Verf. auf diejes Werk verwendet has 
ben. Auch ſieht man den lobenswerthen Eifer und die große 


382 Jesephus et C. Wenzel de penitiöri Structura ete. 


MWahrheitsliebe, "nur das und nicht mehr zu fagen, ‚als was 
fie felbft geiehen haben, oder die Beobachtungen unmittelbar 
folgern laſſen. — Allein auf der andern Seite muf Rec. auch ber 
Wahrheit zur Steuer bekennen, daß diefes Hirnwerk, auf welches 
15 Jahre verwendet worden find, ganz und gar ohne ordnende 
Hirnthätigkeit gufammengeichrieben if. Die Sinne und Fins 
ger haben alles gerhan. Der ordnende Verſtand hat keinen 
Antheil an der Ausführung genommen; — deswegen erfahren 
wir bier auch nichts von der innern Hirnbildung, dem Lauf 
und der Ordnung der Kirnfaferungen, welche dody lange vor 
unſern Zeiten von Stenon Ridley, vorzäglic aber von Willis 
und Vieuſſens genauer gekannt waren. Wir Hören nur von 
Ausmeffungen und Gewichte, KHervorragungen, Höhlen, Streifs 
Linien — und biefes alles. ohne auch den äußern organifchen 
Zufammenhang zu berädfichtigen, den doc, jeder, auch der 
feichtefte Hirniehrer , beobachtet hat; alles, ohne auf ein Res 
fultat zu kommen, welches für die Phyſiologie oder Pathologie 
irgend eine Anwendung erlaubte. 

Mer. will ganz davon ſchweigen, daß von den neuern 
Zeraliederern das Gehirn fhon weit tiefer unterſucht war, als 
fie ihr Wert herausgaben. Schon im Jahre 1809 und 1810 
kannte man genau die innere Faferung des Gehirns, das 
Balken s und Schenkelſyſtem und den beyde vermittelnden Stabs 
franz. Man kannte die Fortfäge des Hörnerven zum Ruͤcken⸗ 
marf, der Sehnerven zu den Sehhügeln — den wahren Urs 
fprung des fünften Paares u, ſ. w. — Allein von allen diefen 
einer genaueren Forfhung und geſchickteren innern Präparation 
erfordernden Thatſachen erfährt man hier nichts. Aber haben 
die Verf. denn von außen an dem Gehirn etwas mehr gefehen, 
als die oberflählichften Profektoren bisher gewußt haben? Ich 
muß aud hier antworten: nichts von Belang! — Was fie 
hier gefunden haben, find drey Dinge, nämlich einige Gruͤb⸗ 
hen in der Spivifhen Wafferleitung, und einige blaue Fleck 
hen nnd Zellfäden an der Gefäßhaut in der vierten Hirnhöhle, 
wenn man dieje Kleinigkeiten für Entdeckungen will gelten 
laffen. — 

Dafür’ aber ift das Werk ganz entſetzlich weitläufig: bie 
ohnehin, ermattende Lektüre über Größe und Gewichte iſt Bis 


Josephus et C. Wenzel de penitiori structura etc. 383 | 


zum Ekel mwlederhoit , . außerdem daß diefes alles, welches 
hinreichend gewefen wäre, in Tabellen beygefügt iſt. Haͤtte 
das Werk daher den beicheidenen Titel an der Stirne de ce- 
rebri dimensionibus geführt, fo wollten wir es als eine fleifige 
Arbeit empfehlen, und nur bemerfen, daß das Ganze auf wes 
nige Bogen hätte reducire werden können. — Aber den ans 
mafienden Titel de penitiori cerebri structura fann Rec, eis 
neswegs gelten laſſen. Hier. um fo weniger, da nicht einmal 
die ganz oberflaͤchliche Hirnſtructur gehörig aufgedeckt if. Ich 
bin überzeugt, daß die Älteren: Willis, Wieuffens, und die 
neueren Hirnforfher, Neil und Gall, diefen flogen Titel vers 
abſcheuen würden, die doch wirklich angefangen haben, in das 
Sjunere des Hirnbaues einzudringen. Aber 0b es je in der 
Folge der Zeiten Zergliederer geben werde, melde von der 
penitiori structura des Gehirns werden reden koͤnnen, daran 
zweifelt Rec. gar fehr. — Rec. weiß wohl, daß die Verf. 
diefen Titel ihrer Werkes an Scarpas Werk: de penitiori 
ossium structura abgefehen haben — allein fie Härten nur 
bedenten follen, daß man eher in den Bau ter Knochenzellen, 
als der innern KHirngebilde eindringen kann. 

Zu der chaotiſch durcheinanderliegenden Sache koͤmmt num 
auch der langweilige und ſchleppende Styl, — weldjer nur in 
kurzen abgebrochenen Säßen daſteht. Die Sprache ift durchs 
aus fehlerhaft und fehr Abelklingend, in lauter Imperfecten: 
distinguebamus, relinquebamus, dissecabamus u. f. w. 
endigend. — Man fieht es fo ganz deutlidy, daß dies Gange 
aus dem Deurfhen ins Lateinifhe, und zwar durch mehrere 
ift Überfeße worden. Won dem Deutfch s Lateinifhen Tert des 
Werks unterfcheidet fih ganz befonders die Vorrede, welhe in 
einem unlateinifhen Bombaft gefchrieben ift, deſſen Sinn Rec. 
bey aller angewandten Mühe nicht hat entziffern können. — 





Reifen durch das füdfiche Deutfchland und. die Schmeig in den Jah— 
ren 1808 und 1809 mit Bemerkungen und Bepträgen jur Ges 
ſchichte des Tages von Gottlob Heine. Heinfe Erfter 
Band mis Kupfern. Leipzig, 1810. bey Dinrichd. 452 ©. in 8. 


— 


384 Reiſen durch das ſuͤdl. Deutſchland ꝛc. von Heinſe. 


Bon dem Verfaſſer erwartete man eine beſſere Beichreis 
bung feiner Reifen duch folche ınterejfante Theile von Deutfchs 
land. Was er ung jagt, ift zum Theil jo gemeiner Art und nod) dazu 
fo gemein gejagt, daß mancher Reifegefell, dem diefes Büch 
in die Hand fällt, denken wird, fo etwas hätte ich auch fchreis 
ben mwollen. Auf Naturichilderungen verzichtet er ganz, aus 
dem Grunde, weil ev ein kurzes Sefiht habe, als wenn die 
Schönheit der Natur und der Eindruck ihrer wunderfamen 
Bildung nur in der Ausſicht nicht in der Anfiche zu ſuchen 
wäre. Dennoch veripricht er eine Befchreibung vom Rheinfall. 
Es bleibt aber auch nur beym Verſprechen; an eine Schildes 
rung iſt nicht zu denken. Weit mehr fagt das beyliegende 
Kupfer, fo unmahleriich auc hier der Nheinfall genommen 
iſt. Daß er viele ſchöͤne Gegenden im Mebel fah, und durch 
ungünftige Zeit in der Hoffnung mancher Ausficht getäufche 
wurde, iſt dem zufolge nicht fehr zu bedauern. Er entichädigt 
dafür durch manches Verweilen im Innern, worauf Reifende 
durch fo vorzüglich fchöne Gegenden nicht immer zu achten 
pflegen. Man wird-mit Bafel, mit Zofingen, mit der Hel⸗ 
veriihen Gejellihaft, mit Augsburg, MNürrserg zc. durch ihn 
befannter, als durch andre Reiſende. Selbſt auf dem Pofts 
wagen, in den Safthöfen und Herrbergen wird man endlich 
wie zu Haufe durch feine fehr getreuen und oft ind Einzelne 
und Sjndividuelle gehende, Darftellungen. Er nutzt dem Reis 
fenden durch diefe Details, und erwirbt fi fogar um Derter 
und Gegenden, durch, die er reifete, dadurch ein Merdienft, 
daß er das vorhandene und das wänfchenswerthe Gute in 
Öffentlihen Einrichtungen und Anftalien mit umfchauender Vers 
gleihung aufitele und vieles auf diefe Weile zur Betrachtung 
bringt, was von den höheren Staatebehörden nicht uͤberſehn 
zu werden verdient. Wir rechnen darunter feine Bemerkungen 
über Wege und Strafen, über den Muͤnzfuß, über Meinlichs 
keit im Aeußern. der Städte, über Pofiwefen und Poſttaxen 
mit dem beherzenswürdigen Gedanken — 05 wohl ein Staat 
reich werden könne, der das erfte und einzige VBeförderungss 
mittel des Reichthums, den lebendigen Vertrieb im mechani— 
ſchen und geiftigen Verkehr gradehin zu Boden druͤckt — und 
vor allen feine Gedanken und Worfchläge, wie dem großen 
Ungluͤck der Erdverichättung an fo manchen gefährlichen Stels 
fen hoher Berggegenden durch vernünftige und billige Wegs 
raͤumung der natürlichen Veranlaſſungen vorzubauen märe. 


— n’o —— 


No. 25. - BES TLILSEIME 41813; 
Jahrbacher der Litteratur. 


ü —— —âûû—— 


Predigten von E. C. Walz, großherzogl. — Dakine 
diger ꝛe. Carlsruhe, in der Ch. Fr. Müllerfchen Buchhandlung. 
1813. 


2) Gottes Verehrungen, gehalten im Betſaal des eſtalozziſchen on⸗ 
ſtituts in Iferten, von K. U. Dreift, Cand. der Theol., Tin. 
Preußifbem Eleve und Gefanilehrer zu ferten. Erftet Heft. 
Nebſt einem Anhange über Peſtalozzis Anfichten von der Religion. 
Züri, bei Orel, Süßli und Comp. 1812. 


2 Reden über die chriſtliche Religion, von Johann Sdulze. Halle, 
bei Soimmelpfennig 1811, 


U. die Site des — nicht zu uͤbertreten, will Rec. 
die Predigten Nr. 1. bloß anzeigen ihren Charakter durch 
einige Stellen bezeichnen, und das Urthetl darüber dem Lefer 
überlaffen. Schöne, blühende Diktion und Frenmüthigfeit 
machen ihren Haupt: Charakter aus. Der Predigten find 26, 
mehrere Feftpredigren und mehrere andere, die "en wichtigen 
Angelegenheiten für das Land oder die großhe zoglihe Fa⸗ 
milie gehalten worden find,  _E'ne merkwürdige Predigt, nach 
dem Frieden, den Baden mit Frankreich gefchloffen , und wor 
durch deffen weile Regierung das Land geretter hatte: eine am 
Friedengfeft, 1600; eine bey dem ihnellen Tod des Erbprins ' 
zen von Baden; eine Trauerrede bey dem Tod der Prinzeſſin 
Marie von Baden, Gemahlin des, Herzogs Wilhelm von 
Braunfhmweig; eine Predigt bey der Feyer der Kurwuͤrde des 
verftorbenen Großherzogs und eine bey der Foyer einer Mier 
dergenefung deffelben, und bey der Wermählung des jeßıgen 
Großherzogs. Nun einige Stellen, die fowohl von der Dies 
tion, als von der veligidfen Denkart und von der Freymuͤthig⸗ 
keit des DBerf. zeunen. In der Predige am Friedensfeft heißt 
es: „Mie trauerte die Kirche tiefer, und nie ift das Chriftens 
thum mehr herabgewürdigt. worden, als in unfern Tagen, mo 
85 


386 : Predigten von Walz, Dreift und Schulte, 


fo viele Hände das herrliche Gebäude, das Chriſtus aufgeführt 
hat, zu zerreämmern fuhen. So wurde jener Ungluͤckliche am 
Wege, den ein edelmüthiger Samariter rettete, micht mis 
handelt, wie die Religion, deren heilige Quelle immer wehr 
getrübt ‚wird. Verwegene und gezwungene Deutungen und 
Auslegungen ihrer Lehren, tiefes Schweigen von der hohen 
Würde Jeſu, den man bis zu einem Menfhen herab 
lobt, umd ihm Ehre genug zu erweifen glaubt, wenn man 
von feinem Eifer, Andere zu beglüden, von feiner Leidens: 
ardie und Freudigkeit im Tode ſpricht; ermuͤdendes Gerede 
don Vollkommenheit und Tugend, bey dem man den Schar 
hen zu feinem Quell führt, aus dem er fih zur Tugend ſtaͤr⸗ 
fen, mit dem man feinen fummerbeladenen Sünder beruhigen, 
feinen Leidenden aufrichten und feinen &terbenden auf fein 
Ende froh mahen fann, und dann — mas leicht begreiflih 
ift, .beweinenswärdige Gleichguͤltigkeit gegen die heilige Schrift, 
die für Unzählige ein verfchloffenes (verächtliches? ) Bud) ift, 
und jeder feichten, wolluſtathmenden Lektüre aufgeopfert wird; 
muthwillige Scherze Über die ehrwuͤrdigſten Gegenftände, leere 
Tempel bey vollen Freudenhäufern, entheiligte Feite und ver 
loffene Altäve, an denen Chriſtus die Müden und Heilsbegie— 
rigen erwartet, um fie zu ergreifen; bemeii’t das Alles nicht 
unwiderſprechlich, daß wir nicht mit Gott find?“ In 
der Predigt über Matth.'8, 5— 11. über die Gteichheit der 
Hohen und Niedrigen, bey ihrer äuferen Ungleichheit, wird 
unser andern gefagt: „Wolle Ihr zuͤrnen, Mächtige der Eis 
"den, wenn Ihr an Einen Untergebenen Schwachheiten gewahrt 
werdet? Nahmt Ihr Engel in Eure Dienfte? Und muͤſſet 
She nicht auch beten: „Kerr, wer kann merken, wie oft er 
fehle? verzeih' uns auch die verborgenen Fehler!“ — „Wer 
unumfchränft gebietet, wie leicht kann der zur Herrſchſucht, — 
wen faum Einmal im Jahre widerfprochen wird, wie bald 
kann der zum Eigenfinn, — wer mit dienfifertigen, unterthaͤ⸗ 
nigen Sklaven feiner Leidenichaften, — dieſer Peſt der Fürs 
fien, umgeben ift, wie leicht kann der zum Stolz verleitet 
werden.“ Endlich ſtehe noch eine Stelle aus der Predigt über 
das befannte Gleichniß vom verlorenen Sohne hier. Der Verf. 
. bemerkt vorher, daß es auf die TIhränen des Wiederkehrenden 


Predigten von Walz, Dreit und Schule. 887 


nicht angekommen ſey, fondern-auf. das Wiederfehren. Be⸗ 
kehrung ‚“ - führe er nun fort, „ift fein Geſang nad) ‘einer 
unverändersen, traurigen Melodie, und bey ihr können die 
Gebete und Kämpfe nicht vorgefchrieben werden. Ein Menſch 
denkt und fühlt. nicht, wie der Andere. Dieſer klagt und jams 
mert laut; jener kehrt aefaßter und fliller um. Diefer : wirft 
ſich in dem Augenblick, wo ein wohlchätiges Licht ihm aufgeht, 
der Tugend in die Arme, und bey jenem fließen Stunden und 
Tage vorüber, bis fein Entſchluß veif wird : ich will mid, aufs 
‚machen und zu meinem Water gehen. Diefen made. fein: Kums 
mer beredt, und jener verfiummt nad dem Aurzen Seufzer: 
„fey mir Sünder gnädig!“ Dem Einen gelingt es, weinen 
zu können, und dem Andern blutet bey trodenem Auge das 
Herz, Aber bey Allen muß Aufrichtigkeit und Ernfi, Dauer 
in den Sefinnungen und Empfindungen feyn, bey Allen mäffen 
Thaten für die Befferung zeugen.“ Diefe Stellen nur zur 
Probe. Man wird ihrer viele von der nämlichen Art in der 
Predigtſammlung finden. 

Mr. 2. find nur fieben Predigten; aber fie find wichtiger, 
als manche große, bändereihe Predigtiammlungen. Vefonders 
Hat fih Rec. gefreut, wieder eınen jungeh Theologen zu trefr 
fen, der aͤchte Religioficät, Wärme dafür, und unverkennbaren 
Eifer, fie in feinen Zuhörern zu beleben, mit diefen Redner— 
talenten verbindet. Seine Freude ift noch größer, weil dieſe 
Predigten in einer Zeit erfcheinen, wo der heillofe Geift des 
Beſpekulirens, Bekritiſirens und Beſkeptiſirens, wenigſtens noch 
in manchen theologiſchen Zeitſchriften, ſpukt, deſſen Mitters 
nachtsſtunde freylich ſehr nahe iſt, weil man aber dafuͤr von 
einem Geiſt, oder vielmehr von hoch und geheimnißvoll tönens 
den Worten eines Myfticismus beräudt wird, der, wie Mehls 
thau, alle wahre Meligioficät in der Bluͤthe verdirbt. Mec. 
will einige fhöne Stellen ausheben, auf einige ganz vorzügs 
lihe Predigten verweilen, und dann einige Bemerkungen 
machen, die, wie er hofft, noch mehr von dem Sjntereffe zeus 
gen werden, ivomit er die kleine Sammlung geleien hat. &. 
54 trägt er eine große, aber nod lange nicht genug erfannte 
Wahrheit vor, auf welche die Befferungsmerhode des Ehriftins 
thums berechner if. „Es gibs eine- faljche Beſcheidenhelt, 


R 


% 


338 Predigten von Walz, Dreiſt und Schulze. 
unter welcher der heimliche Stolz fih gerne verbirgt; - eine 


krankhafte Muthloſigkeit, welche die Lebenskraft in fih kaum 


fühle, oder jene oben erwähnte Ueberihäßung alles Fremden, 
Dernahläfigung, Werachtung. des eigenen Weſens. Alle diefe 
find von Sohannes (dem Täufer) gleich ferne. Sin ihm ift 
die wahre Harmonie des Seldfigefühlse, Muth und Des 


muth; die Verbindung jener beyden Gegenfäße, welche in 


der Natur (?) wie in der Menihheit überall wiederfehren, 


aus deren Gleichgewicht allein die Nuhe, die, Seligkeit und 


das göttlihe Leben (jo wie wahre Sittlihkeit) geboren wers 
den.“ Und gleih S. 56 eine trefflihe Darftellung des Eräftis 


‚gen jugendlichen Sinnes, und eine Warnung, tür die Jugend 
'zugleih. „Die Jugend will fo viel für fih und aus fi, 


und um threr ſelbſt willen. Die Welt ift nen, die Anziehung 
ſtark, der Wunih glühend, die Erfahrung ſchwach, Gott und 
das Leben ein Raͤthſel. Hochgeſpannt find die Ahnungen und 
‚die Anfprühe, mädhtig die Triebe, die Sehnfuht nah Bes 
friedigung. Im KHochgefähl der Kraft glaubt der jugendliche 
Menſch fi beduͤrfnißlos, glaubt, daß in ihm fey die Macht 
zu walten und zu vollbringen, Alles aufs herrlichſte hinaus 
zuführen. Was’ Natur, Wiffenfhaft, Kunft, Liebe, Freunds 
fhaft darbieten, der jugendliche Menſch möchte es alles ergreis 
fen, in fi ziehen, und dann — ein König unter den Leibern 
und Geiftern, die mißrathene Seftalt der Welt ums 
geftalten.“ (Iſt es doch, als fähe man einen Pädagogen 
aus der neueften Schule vor fih, oder als habe man eine 
neue Schrift von Niederer gelefen!) Er beginnt den 
‚Kampf; aber das Leben befämnft ihn mächtiger. Es demuͤ— 
thigt, fodert hohe Entiagung,, und gewährt ihm im Reinſten, 
wo er Alles -fodern zu. können glaubt, in der Förderung feiner 
fittlichften, menfchenfreundlichften Unternehmungen, im Exfors 
fhen der Wahrheit u. f. mw. eine. Befriedigung. Auf dieſem 
Standpunct fühlt der Menih, das er felbft nichts ift, noch 
vermag; daß Bott der mächtige Herr der Welt ift, und daß 
der Menich nicht? kann und foll, als ihm dienen, feinen Wes 
gen nachfpüren und nahmandeln. — Hier knuͤpft fih das 
neue Band, das Bond der Wiederkehr des Menichen zu Gott. 
Religio, religatur homo Deo, (Gott gebe, daß auch dies 


+ 


» Predigten von Walz, Dreift und Schulze. 389 


die Geſchichte unferer anmaßenden,, Allwiffenheit und: Allmacht 
träumenden Sünglinge werden möge!) Ein fehr ſchoͤnes Bes; 
fenntniß it S. 100 ausgeſprochen, Über. das, was man im 
der Meinen Gemeinde des Inſtituts zu Sferten nicht ſuche 
und wolle, was man aber ſuche und wolle. Was der Verf. 
in den Worten zu ©. 106 fagt, wuͤnſcht Rec. von. ihm pfys 
chologiſch und bibliſch ausgeführt. Nah den Winken, die er 
bier gibt, wäre er beionders dazu geſchickt, und es wäre ein 
Wort geredet zu feiner Zeit. Ueberhaupt ift faft Alles aus der 
Seele des Rec. geichrieben, was Herr Dr. über die religidien 
Bildungsmittel in jedem Stand und in jeder Lage bemerkt, 
und wie es von ihm auf die Erzieher angemender wirt. Die 
dritte Predigt, über Johannes. den Täufer, ift faft gang 
nruftermäßig; auch dit vierte und fünfte hat viel Hoch— 
Neligidfes. Mur hätte der Verf. bey dem überreichen. Gebet 
Sein, Joh. 17., bleiben und nicht noch den Anfang’ der Leis 
densgefchichte hinzufügen Sollen. Die fech ste ift die trefflichfte, 
und wäre ganz zweckmaͤßig, wenn fie blos vor den Lehrern, 
und für Nie wäre gehalten worden, wovon, aber Ne. am 
Schluß — leider! — das Begentheil ſieht. Rec. wuͤnſcht fehr, 
daß bald eine Fortſetzung dief:r Predigten erfcheinen möge. 

Nah dem in ihnen herifhenden religidfen, alſo befcheides 
nen und findlihen Sinn, ift Rec. überzeugt, daß es der Verf. 
nicht mißiverftehen werde, wenn er ihm auch einige mißbillis 
gende Bemerkungen macht; am menigften, wenn er weiß, daß 
Mer. in den verfchiedenften und gemiſchteſten Gemeinden viele 
Sjahre lange Prediger, daß es ihm Ernſt war, das Innere 
feiner Zuhörer zu treffen, und daß er mancherley, auch miß⸗ 
rathene Verſuche gemacht hat. 

Außer einigen, jedoch nur ganz wenigen unſchicklichen 
Bildern, neben einer ſehr ſchoͤnen, kraͤftigen Sprache, z. B.: 
Gott iſt iefer als die Hölle, breiter als das Meer (S. 24), 
die Schöpfung gähnt; raſtlos waltet der Schöpfer (S. 6ı), 
bemerkt Rec. nur, daß das, was S. 66 gefagt wird::. „Fürs 
fen, die ſich Götter glauben, und Prinzen, ‚die wie Thiere 
deben, fühlen in deinem Genuſſe ( Natur) wieder den Seegen 
ihrer Menichheit, = dem wideriprehe, was ©. 64 mit Rede 
geſagt wurde: „Es iſt wunderbar, wie wenig fie (die Natur) 


390 Predigten von Walz, Dreift und Schulze. 


iſt dem, der“ ihrer unwerth, durch Leidenſchaft hingeriſſen, im: 
Unnatur verſunken, von Wahn und Duͤnkel geblendet, den 
Sinn, die Kebe für das Ganze verloren bat. Es iſt, als 
fräte fie verſchmaͤhend vor ihm zuruͤck, u. f. m.“ Befonders 
möchte üder Rec. auf zweyerley aufmerfiam machen, mas in 
unierer Zelt beſonders wichtig ift, und wofür ſich beſonders 
jeder junge Phediger zu huͤten hat. 

Bekanntlich werden in einer gewiſſen theologiſchen Schule 
die Bibelausdiucke, Gott Vater, Sohn, heiliger Geiſt, Ders 
föhnung, Wieddrgeburt, ja ſogar der nicht Biblische, ſondern 
bloß kirchliche: Dreyeinigkeit, und die allveiftändlihen: Leben 
und Tod, audygebraucht, aber in einem ganz andern Sinn, 
als fie Jeſus, Paulus, Johannes gebraucht haben. Das 
moͤchte immer ſeyn, wenn man fein Syſtem oder ſeine Hypo⸗ 
theſen mit dieſen Worten auszudruͤcken, für gut fände. Aber 
wenn man inſinuirt, oder geradezu behauptet, die Bibel 
verftche unter diefen Ausdrücen das, was man in jenen Res 
ligionephitofophieen darunter verſteht: fo gibt dies eine Ders 
wirrung, noch ärger als bey Kants moraliſcher Ynterpretas 
tion, bey der man doch wufite, daf es nur. moratifche Ans 
wendung ſeyn follte. Der Verf. hat fih. vor diefem Mißbrauch 
bibliſcher Ausdrücke fehr gehuͤtet, und die von ihm vorgetras 
genen Lehren find faft alle Achte, auf Gefchichte fih gründende 
Chriſtenthumslehren. Nur in der Erften Predigt, von der 
Wiedergeburt und Erneuerung im heiligen Geiſt, über Joh. 3, 
1—85. ift er in diefen, Mobefehler gefallen. Offenbar fpricht 
doch Jeſus in.diefer Stelle von etwas, was der Menſch ſelbſt 
zu feiner Umfhoffung hun fann (Waffer, Johannes Taufe, 
alfo Benukung der göttlichen Anftalten zu unferer Befferund); 
aber quch ‚von etwas, was er nicht thun, ſich ſelbſt nicht 
geben fann. (Geiſt.) Wenn ein Menſch nicht einmal vers 
fieht, wie der Geift auf ihn wirke (V. 8.), fo Mann er 
wohl nod weit weniger, ſelbſt und allein das wirken, 
was er felbft nicht begreift. In der angeführten Stelle: 
Ezech. 36, 06. or. wird auch nicht gefagt: verſchaffet Euch 
ein neues Herz und einen neuen Geiſt! fondern: „ih will 
Euch ein neues Herz und einen neuen Geiſt geben.“ Ohnehin 
kann man ja, befonders nach der Geiſtesausgießung, "nicht 


Predigten von Walz, Dreiſt und Schulze. 391 


mehr im Zweifel ſeyn, was Sefns -und feine Apoftel unter 
Geiſt verfiehen, nämlich eine. von Gott gegebene Kraft, das 
auszuführen, was man ausführen ſoll. Und doc fagt der 
Berf. S. 8: „Aus eigener Anftrengung foll der Menfd das 
Menfchliche. erlangen.“ — Das ft freylich an fih wahr. 
Aber er ſetzt hinzu: „Dies Menſchliche aber: gewinnt der 
Menſch, wenn er im wahren und vollen Sinn ein Ehrift wird, 
rein durch das Chriſtenthum, durch die Taufe. Und das foll 
auh das Wort fagen: „Es fey denn, daß Jemand von 
Meuem geboren werde x.“ Mein, es foll weis mehr fagen.! 
Sefus unterfheider ja Waifer (die Taufe) von dem 
Seift! Das Letzte war keine Waſſer- fondern eine Feuers 
zaufe, die aud der Täufer Johannes genau tinterfcheidet. 
(Luk. 5, 16.): Wird denn auch der Menih durch die Taufe, 
durch. das Chriſtenthum, alfo durch bloßes Annehmen des Chris 
ſtenthums fchon rein ?_ Aber was verfteht der Verf. unter dem 
Seit des Chriſtenthums, der feurige Liebe zu Gott, und hohe 
Berleugnung des Irdiſchen hervorbringen fol? Das thut doch 
wohl. die Taufe allein nicht? Weit richtiger drückt ſich der 
Verf. S. 35 Über diefen Geift aus, es fey „ein fortgefeßtes, 
ewiges (?) Wirken der Gottheit in der Menſchheit“* (wenig⸗ 
ſtens in. einzelnen Menfchen )“ eine edle, Heitige, durch ihn 
erregte und. erhaltene -Gefinnung.“ Bey diefer richtigen, 
biblifhen Anfiht möge er bleiben, und nicht übergehen zu der 
unrichtigen, unbibliihen von Niederer, in der Lenzburger 
Mede, der Geift Gottes fey „die in dem Menfhen inwoh— 
nende göttliche Ydee, duch ‚die er Bild Gottes und aller Res 
liagion einzig und allein empfänglih wird,“ die alfo in allen 
Menfchen ift, alfo nicht von Sjefus gelendet, am Pfingſt⸗ 
tag ausgegoffen und Menſchen verfprodhen zu mers 
den brauchie,. weil man ihnen fonft — Menſchheit geſendet, 
in fie.ergoffen und veriprochen hätte. 

Das Zweyte, worauf Rec. den Berf. aufmerkſam machen 
möchte, ift die in einem gemifchten Auditorium fo nöthige 
amd freylich fchwer zu erreichende Popularität. Er fagt in 
der. Vorrede, es feyen zwey Drittel Kinder, gegen Ein 
Drittel Erwachfener in der Werfammlung. Da nun Predigten 
bloß für Kinder nicht möglich feyen, fo habe er ſich insbefondere 


398 Predigten von Walz, Dreift und Schule, 


und vorherrfchend an die Lehrer gewendet, die Kinder ‘aber 
auch nicht vernadyläßigen wollen. Zugegeben für den Augen— 
blick, daß Predigten. bloß für Kinder unmdglidy ſeyen; fo 
hätte, wie der Nec. glaubt, der Werf. gerade das Gegentheil 
thun, er hätte ſich vorzüglid an die Schwaͤcheren, an die 
Kinder halten, freylih aber die Lehrer nicht vernachlaͤßigen 
folen. Bey Lehrern an einem: Erziehungsinftitut, wie befons 
ders das Peſtalozziſche ift, feßt man immer voraus, daß fie 
‚mit den Religionslehren ſchon bekannt: find, daß nur: erinnert, 
aufaefrifcht, neu belebt zu werden braudht, was fchon in dem 
‚Gemürh liegt. Gab ihnen der Nedner hin und wieder etwas 
zum Nachdenken, eine neue Anficht, ein Wort, eine Sentenz, 
‚die fo traf: fo war es fhon genug, und die Kinder verloren 
‚nichts dabey. Die Kinder aber mußte er in. unaufhörlicher 
Deihäftigung erhalten. Haben fie einmal die Aufmerkſamkeit 
verloren ; fo feſſelt man fie nicht leicht wieder. - Sie langweilen 
ſich, und nicts ift-verderblicher für Neligiofität, alfo unpäs 
dagogifcher, ald wenn man Kınder ſchon frühe durch Religionss 
vortraͤge langmweilt; die ganze Sache wird ihnen dann zumıder. 
Even darum würde auch Rec., wie Salzmann that, die 
Vortraͤge duch Gefang unterbrechen »laffen, was der Verf. 
noch befjer konnte, weil er zugleich Geſanglehrer iſt. Der 
lebendige Knabe und Juͤngling mag nicht gerne eine Stunde 
anthätig zuhören, fo wenig, wie das Boll. Er will: dabey 
auc thätig feyn. Iſt ja doch darauf die Peſtalozziſche Mes 
thode berechnet, und mit Recht! Bey den Gottesverehrungen 
Tann er aber nichts. Anders thun, als fingen, durch Gefang 
fortießen,, tiefer eindräcden, mas der Religionslehrer gefagt 
hat. Dies wirkt gewiß gut. Man fingt nicht bloß für Ans 
dere, fondern auch für fih, finge nicht bloß etwas ans ſich 
heraus, fondern auch etwas in ſich hinein. Die Pre 
digr Über. Johannes den Täufer und die lekte, vor der Sferter 
Gemeinde gehalten, zeigen übrigens, daß. der Verf. wohl po— 
pulär reden könne, obgleich die letzte, für eine fo gemiſchte 
Verſammlung, wegen des Anfangs und der darin herrfchenden, 
freylich ıchönen Buͤcherſprache noch nicht. populär genug iſt. 
Die Srellen uͤber Religion, aus Peſtalozzi's Schriften, 
find in Deutſchland meift bekannt, fo wie Peſtalozzi's Schriften; 


Predigten don Walz, Dreiſt und Schulze. 393 
and. Nec. weiß nicht ‚warum: Ari D. das Gegentheil behaup⸗ 
tet. Indeß iſt es: gut, ‚den Theil des Publikums, der; erwa- 
dtefe Schriften nicht kennt, oder noch an Peſtalozzi's retigidien 
Gefinnunger zweifelt, durch folche. Stellen davon zu Überzeus 
gen. Mur muß Rec. um diefes- Zwecks: willen wänfchen'; daß 
Auszüge aus Miederer meggelaffen "oder mit forafältıger: 
Auswaͤhl gebraucht würden, weil Manches darin eher eine ents 
gegengeichte Wirkung thun möchte. Wie kann 4. €. Nieder 
rer behaupten, Jeſus habe. „ein Werk auf die gange-"volls 
ſtaͤndige Entwickelung des menichlichen Geiſtes und Herzens 
gegruͤndet. ( S. 180) War denn "wohl -Geift und Herz bey 
den Fiſchern und Zoͤllnern, feinen: Schuͤſern, volbſtaͤndig 
entwickelt ? Mein; er entwickelte es erſt durch feine Lehre 
und ſein Beyſpiel. Uebrigens iſt es empoͤrend und ekelhaft, 
wenn M. auf ſeine gewoͤhnliche, abſprechende Art behauptet, 
Ibey ablem bisherigen Katechismusunterricht muͤſſe es uns 
vermeidlich dahin kommen, daß ſich das Kind unter Gott 
etwas denke, von Ihm etwas hoffe, fodere, erwarte, was 
der Wirklichkeit oder Moͤglichkett widerſpreche, und daß æxs 
dadurch in Zweifel oder practiſchen Unglauben ſtuͤrzen muͤſſe.* 
Ats ob N., der fo wenig ſah, alten: Katechismusunterricht 
fenntet Als ob durch keinen Katechismusunterricht, aͤchte 
chriſtliche Religioſitaͤt gewirkt worden waͤre! Rec. weiß viele 
hundert Beyſpiele vom Gegentheil. Solche, einen  unleidlis 
chen paͤdagogiſchen Papismus athmende Stellen laſſe Au D.: 
nur in Zukunft weg, wenn er Vorurtheile gegen ben. vellgidfer 
Geiſt im Peftat. Inſtitut verbannen will, 

Auch Nr. 3. iſt nur eine kleine, aus zehn Predigten ber 
ftehende Sammlung ; aber merkwärdig, mie die vorher ’anger 
zeigte, obgleich in einem andern Sinne So viel Gehalt 
und fo viel hochtönende Phrafen. ohne Gehalt, fo viel. Mare, 
warme, fräftige, und To viel unverjtändliche, kalte, matte 
Stellen. — freymuͤthig herausgeſagt — fo viel’ Sinn und. Uns 
finn bat. Rec. nicht leicht in einem großen Buche gefunden, 
als in diejem Heinen Büchlein: Und es ift, als 06 fih ‚mit 
jeder Predigt das: Verfiändliche , Warme, Kräftige, der Sinn 
verminderte ‚und: das Unverſtaͤndliche, Kalte, Matte vermehrte. 
Es war dem Rec., als ob, er in. Befellfchaft eines feurigen, 


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394, Predigten von Walz, Dreift und Schulze 


geiſtvollen Juͤnglings wäre; wo über das, Heiligfte geſprochen 
und. :zugleih Wein getrunten würde... Anfangs fpräche der 
Süngling mit- vielem Leben ,und vieler Wärme über Religion. 
Mit jedem Glaſe, das er weiter traͤnke, wuͤrde er eraltirter; 
es kaͤme fchon manchmal etwas. Unverſtaͤndliches, Widerfinnis 
ges, bis er endlich betrunken. würde ‚und Unfinn ſpraͤche. 

. Sn: den’ erften Predigten find wirklich ausgezeichnet ſchoͤne, 
kräftig :ausgedräcdte Stellen. &..149. wird. eine - Seite des 
Zeitgeiſts ſehr gut bezeichnet. S. 1597 werden: die Vorzuͤge 
des Chriſtenthums, in ſoferne es die Weiber wieder in ihre 
natuͤrliche Menſchenrechte einſetzt, kraͤftig dargeſtellt. Trefflich 
iſt 085 mas der Verf. Si 167 von der Mutterempfindung und 
Mutterſeligkeit ſagt. Durch das Kind offenbart ſich ihr die 
Fülle: der Gottheit, und des Himmels Klarheit umſtrahlt ihr 
heiteres Angeſicht. Mit dem Muttergefuͤhl endet die Einſeitig⸗ 
keit des Geſchlechts; dee wahre Beziehungspunct alles (ihres) 
Denkens und Handelns iſt gefunden. Das Weib tritt aus 
ihrem früheren, beichtänften ‚Kreife ‚in die ‚große Verkettung 
der Dinge, und wird eine: Priefterin der: Natur, ‚mit diefer 
duch Füße, unaufloͤsliche Bande auf ewig verbunden. — — 
Mütter: bewahren das große Geheimniß der Liebe in ihrem 
keuſchen Buſen. Denn in Morten daorftellen können und dürs 
fen fie nicht die Seligkeit; die fie durchgluͤht, das Unendliche, 
was fie ‚bewegt, und wenn ſich ihnen nud die Zunge loöͤſ'te, 
würden fie. Allen denen: Wahnſinn zu fprehen fcheinen, die 
nicht, ‚wie fie, das Hohe Gluͤck berühren, ein Ewiges zu ers 
zeugen (zu gebären ), und durd, diefes «den -Rranz der Uns 
ſterblichkeit zu erringen.“ In der ganzen Predigt fucht er 
Maria als die Sonne der. Frauen darzuftellen, und er fagt 
unter Andern von ihe (S. 172. 173): „Märia lebte nur 
in ihrem Kınde, und ihre Tage fcheinen ihr nur geſchenkt, 
um fie diejem zu weihen. Ihre Mutterwärme erlaubte ihr 
Beinen eigenrüchtigen Gedanken an.‘ fich ſelbſt, ſondern unbe— 
kuͤmmert um ihr eigenes Schickſal, begleitete ſie mit treuer, 
immer wacher Sorgfalt den geliebten Sohn, von der Wiege 
bis ans Grab (7). Ohne Zaudern verließ fie ihre Heimath, 
ihre Freundinnen. alles Theure und Liebe, und zog in einfas 
mer, gefahrvoller Flucht Aber Berg und Thal durch wülte, 


x 
% 


Predigten von Walz, Dreift und Schulze. 395 
traurige Steppen in ein fernes, unfreundliches Land, um vor 
der moͤrderiſchen Verfolgung eines blutduͤrſtigen, feigen Böfes 
wichts, dag Leben ihres’ Kindes zu ſichern. Und als der Lieb: 
ling ihrer Seele, von feinen Juͤngern verleugnet, von feinen 
Freunden verlaffen, fein großes Leben verblutete, fürchtete fie 
weder dies herzzerſchmetternde Schauſpiel, nod den unaus 
bfeiblihen Haß feiner Henker, fondern ftand mit dem Jünger, 
den er lieb hatte, unter feinem Kreuz, um and im Tode nicht 
von dem zu weichen, ohne welchen ihr das Leben gleichaltig 
war. : Denn die Mutterwärme hat eine wunderbar s ftärkende 
Gewalt und ftähle mit Much und Tapferkeit, felbit die, vers 
möge ihrer Natur, furchtſamen Frauen, fo daf fie troßdietend 
allen Qualen, unerihroden dem Tod ins Auge fehen, wenn 
es daB Wohl oder Wehe ihrer Lieblinge gilt: Daher vergeffen 
auch edle Frauen fters ſich felbft, und ihr Leben wird eine 
Folge von den Freudenklängen und den Trauertönen, in wels 
hen ſich das Herz ihrer Lieben bewegt. Und weil die Mutters 
wärme ſich nur durch großmüthige Entſagung auf eigenen 
(allen eigenen) Genuß, durch gänzlihe Entäußerung ihrer | 
ſelbſt genuͤgt, und weil fie flets in ihren Kinde nicht bloß 
diefes, fondern vielmehr die ganze Menfchheir kiebt ; fo gedeiht 
auch dur fie in einem folhen Herzen, am glädlichften, der 
Erde fchönfte Blüte, die Religion.“ Rec. müßte faft die ganze 
Predigt abfhreiben, wenn er alle gemüthliche,, gelungene und 
treffende Stellen darin Hier bemerklih machen wollte Maria 
wird darin als die Sonne (das Mufter ) der Frauen (befons 
ders der Mütter ) dargeftellt. Nur begreift man nicht, warum 
. er fie manchmal eine ewige Mutter nennt, und wöher er 
weiß, daß fie bald nad) Jeſus gen Himmel gefahren ſey. Die 
Bibel fagt kein Wort davon, | 

Die dritte Predigt ifb eine fchöne Anwendung des Muts 
terfinng, den alle Kirchen — wenigftens haben follten. 

Die fünfte dagegen’ ift bloß eine Deklamation — Rec. 
möchte faſt fagen, eine Capuzinade — 'gegen das Srdifche, 
Vergängliche, das Leben. Das ganze Leben ift ein Trauer— 
fpiel,, das Irdiſche ein graufamer, lifiger Feind, den wir ih 
unierem Körper tragen. Der leere Schein wird flatt des Wer 
ſens, die Schale flatt-des Kerns geliebt (S. 144). Math 


396 Predigten von Walz, Dreift und Schulze, 


hat darin den Schein der Wirklichkeit nur gelogen (&. 146). 
Das Leben ift eine, an Schmerzen und Qualen unerfchöpfliche 
Krankheit; Haß und Feindfhaft- begrüße den Neugebornen ti! 
©. 148 (aud die Mütter?) Das; Dafeyn ift eine Laft (S. 
355). Man bemühe- fi aber nicht, Ddiefe Paradorieen zu 
widerlegen; denn fie find fo arg, nicht gemeint. Wer die Muts 
texjeligkeit fo beichreibt, wie es der Verf. ganz wahr. &. 172. 
275 thut, wer mit folhem Jubel redet, ‚von der „Hand der 
ewigen Freundichaft, und von der heitern, ſtillen Seligkeit, 
weiche hervorfeimt aus dem ruhigen Anfchauen und Plaren 
Erkennen eines ſchoͤnen, eigenthümlihen. Wefens, als eines 
verwandten Gemürhs“ ( ©. 218); wer die „Schöne des Das 
feyns“ nennt, die felbft Jeſus freundlich angeblickt Haben fol 
(8. 1495), dem ift das Leben. nicht fo fehr zumider, wie er 
#8, um fein Thema auszuführen, manchmal behauptet, 

A er das fiheint dem Verf. voller Ernft zu ſeyn, daß der 
Menſch fich ſelbſt eridien müfe, und daß es die Bibel auch 
in diefem Sinne nehme. Er ertöfer fih, nah S. 226. 229g, 
wenn das, Gute in ihm, das Böfe (oder, was dem Merf. 
Eins, der Geiſt den. Körper ) überwindet, wenn er einen Ss 
zenden belehrt, einen Kiugenden tröftet, kurz: eine Handlung 
der MWohithärigkeit ausübt; ja fogar, wenn er, „in den Stuns 
bei: der. heiligen DBegeifterung,. an dem Bufen eines Tliebends 
geliebten Weſens, den Triumph über die Erde (doch fehr ir— 
diſch) fenert. (Eine folhe Selbfteriöjung mag wohl nicht viel 
Ueberwindung often! Hierher paßte die Erzählung in: der 
Lucinde: „Ih umarmte fie mit eben fo viel Wolluft als 
Religion.“ Kat hier auch der Beift den Körper überwuns 
den? Oder begehrt er ihn nur zu überwinden ? Iſt Hier auch 
eine Schlacht gegen das Irdiſche, mit Plirrenden,, ‚eifernen 
Ketten veriehene Heer, das den Gegner (den Geift) zu bes 
zwingen drobt?) Mag man dies in irgend einer Philofophie 
Erlöjung nennen; das, was die Bibel fo nennt, ift es nicht. 
Mach ihr kann ſich der Menſch nicht ſelbſt erloͤſen; ſie ſchreibt 
uͤberall dieſe Erloͤſung allein Jeſu zu. Was brauchte es auch 
der ganzen Anſtalt durch Jeſus, wenn ſich der Menſch ſelbſt 
erloͤſen koͤnnte? Nein; „wir werden ohne Verdienft ge⸗ 
ge Net durch die Erloͤſung, die durch Jeſus Chriſtus geſchehen 


Predigten von Walz, Dreift und Schutze; 397 


it“ (Roͤm 3, 24.)5 und es heiße mie Worten fpielen, oder 
Bibelworte in einem ganz andern, widerfprehenden Sinne 
nehmen , wenn man von Selbfterlöfung durch Handlungen der 
Wohithätigkeit, oder durch Freundichaftsgenuß redet; es heißt 
Bibelworte profaniren, wenn man ung verfihere, daß man 
fi am Buſen eines lebend s geliebten Weſens erlöfen könne. 
Unrihtig ift es auh, daß die Erloͤſung nah der Bibel 
.ftetig (anhaltend) fortfchreite, und fi bis zum. Tod wieder— 
Hole. Verſichert ja der Verf. ſelbſt, ©. 201, da Jeſus gefagt 
habe: es ift vollbracht, da fey „die Schlacht entichieden, und 
der alte Feind der Erde niedergeichmertert worden.“ And 
Paulus fagt (Ebr. 10, 14.), Selus habe mie Einem Opfer 
für die Ewigkeit vollendet, Alle die geheiligt oder erloͤſet 
werden jollten. Endlich ift es eben fo unbiblifch und unrich— 
tig, daß Jeſus das Erloͤſungswerk zuerſt an fich felrft voll 
bracht habe. Freylich hat Er fich felbft überwunden, eine 
Menge wohlthätiger Handlungen verrichtet u. f. w., aber das 
Heißt in der Bibel nihe: Erldiung. Jeſus, der nie füns 
digte, bedurfte keiner Erloͤſung von Sünden; und nur davon 
fol der Menich erlöfee werden, nicht vom Srdifchen, in das 
ihn Gott, aus weilen Abſichten, gelebt hat, aus dem ihn 
auch Sott allein, und nicht er fich felbft, wegnehmen darf. 
Freylich, in diefem Sinne ift es leicht, zu beweifen, was die 
achte Predigt beweiien fol, daß das Chriftenehum ewig dauren 
werde; denn immer werden wohlthätige Handlungen verrichtet, 
Freundſchaft genoffen werden; immer werden gute Menſchen 
ſich ſelbſt zu uͤberwinden ſuchen. 

Noch manche andere Verwirrungen der Begriffe und Wir 
derfpräce finden fih, 3. ®. S. 138, daß das, mas einen 
Anfang gehabt, auch verfinten oder ein Ende haben muͤſſe; 
‚ohne den Tod muͤſſe das Ewige in dem Menihen aufhören 
zu feyn. (Als 0b es,nun einen Anfang gehabt hätte, weil 
der Tod dazwifchen- kam!) Der Tod folle alles Periönliche 
von den Worten und Werfen der Menfchen trennen, ©. 143. 
(Wären es dann noch die Morte und Werke des Individuums ? 
Und find fie es nicht, mie können fie ihm zugerechnet wers 
den?) Wie ift die Behauptung mit dem zu vereinigen, was 
eine Seite vorher gefagt wird: „der Tod hat ihn (den Ge 


\ 


398 Bredigten von Walz, Dreift und. Schulze. 


fiebten,- Liebenswärdigen) nicht Euch, und Euch nicht ihm ent 
riffen, fondern nur die Scheidewand aufgehoben, fo daß Ihr 
jeßt einander näher treten und. Euch mit ungeflditer, inniger 
Liebe für die Ewigkeit umarmen koͤnnt.“ Mac dem Hauptſatz 
der zweyten Predigt, ſoll das Chriſtenthum die Religion des 
endlofen Kampfs feyn, und doch fagt der Verf. am Ende 
in den Berfen, die zu einem en für dag heilige Stab ein: 
zuladen feinen: 

Zieht: ind Feld zum — Siege 

Eurer Fahne nach. 

Daß er das Auffallende liebt, zeigt ſich beſonders am Ende 
dieſer Predigt, die mit den Worten ſchließt: 
| Kauft ein Schwerdt. 
und am Ende der fiebenten, die flatt: Amen, Wehe! Wehe! 
Wehe! ruft. 

Doch, das find nur Kleinigkeiten gegen bie Paradorieen, 
die in der Predigt vom Abendmahl ausgefprohen werden. 
„Der Weltenvater Hat menihlihe Bildung angenommen, in 
dem Sohne, damit dieier alle Jahrtauſende hindurch ſey und 
bleibe der jungfräulich reine Leib, worin das innere 
Element des Weltalls, der Vater, wohnt,“ (S. 287) 
„der Stein regt fihb und möchte Blume werden; 
die Pflange möchte, fich losreiiiend. von ihrem mütterfichen 
Boden, fich zu der höheren Ausbildungsftufe der Thiere ers 
heben“ u. f. w. (&. 290) Wenn man den Wein im Arends 
mahl getrunten hat, foll man von feiner Bärgtichkeit, feinem 
JIrrthum mehr wiffen; 28 joll keine Sünde, keinen 
Zwieipalt, kein Verderben mehr geven. Die leifeften 
Ahnungen des Boͤſen follen verfhwinden;, man foll 
verfnüpft werden mit allen hohen edlen Seelen früherer Jahr— 
Hunderte, und ihr gerechtes Zuͤrnen über das Gemeine ſoll 

ung ergreifen ; wir follen das Bürgerrecht in der Matur und 
Geſchichte erhalten; (was das wohl feyn mag, das wir noch 
nicht hätten?) das Abendmahl foll eine wahrbafte, emige, 
unauflöslihe Ehe mit der Natur feyn,“ S 300 —306) 
und wie die Phrafen weiter lauten. Und auf wen es nidt 
fo wirkt, der ift ein unwuͤrdiger Saft, lebendigstods, wahns 


Predigten von Walzy Dreiſt und Schule. - 399 


finnig x. (8: 308-310). Ob wohl die Apoflel wuͤrdige 
Säfte waren? frey von Irrthuͤmern waren fie wenigftens nicht. 
Was fagen endlich die Lefer. zu folgender Stelle (&. 294): 
„Ihr umarmer in jedem Menihen: Leib die fleifch s gewors 


— 


dene Gottheit, und Eure gläubige Seele empfindet in je⸗ 


dem Kuß von geliebten Lippen die Gnade des Erloͤſers. 
Endlich feyd Ihr würdig, audh in der einfamen Umarmung 
eines liebenden Weſens, das heiligfte Wunder der Natur 
durch und an Euch ſelbſt zu. erfahren, und knuͤpfend das 
Hochzeitlihe Band, in der hoͤchſten und folgereidhften 
That, Euch als ähte Priefter der Natur zu bewähren, die 
der Genuß des gefegneten Brods fo reinigte und ‚verflärte, 
daß Ihr verdiener, die Natur auch im der tiefften Mitte ihres 
Seyns zu erfaffen, und mit der Fülle der edelften 


Lebenskraft aufs. neue gu feyerm das Saframent ! 


der unendlihen Liebe.“ — So etwas wurde im neuns 
zehnten Jahrhundert, in Weimar, dffentlih von der Kanzel, 
vor einer vermiichten Verſammlung von Sjünglingen, Mäns 
nern, Sungfrauen und Weibern gepredigt, und follte für Chris 
ſtenthumslehre gelten!! — Kaum glaublih, wenn man «8 
nicht gedruckt läfe! Gchwerlid kann es ein fchrecklicher wars 
nendes Beyſpiel geben, wie der Mißbrauch der fogenannten 
Narurphilofophie, ‚und ihr Einmiſchen in das einfache Bibels 
Chriſtenthum, auch treffliche Köpfe zu Unſinn verleiten könne, 
- fo daß das Wort Paulus, Roͤm. ı, 22., an ihnen auf eine, 
jedem Menfchenverftand einleuchtende, Art erfüllt wird. Daß 


es eine folhe Warnungstafel werden möge, dad war die Urs. 


fahe, warum Rec. ſich mit diefer Heinen Sammlung fo lange 
befchäftigt Hat. 


Meber dad Alter. In Briefen an einen Freund. Nach dem Franzoͤſi— 
fden des Herrn J. H. Meifter bearbeitet von dem Verf. von 
Eugenia’d Briefen. Winterthur, in der Eteinerfhen Buchhands 
lung. 1810, 

Diefe dem alten würdigen Salomon Hirzel von dem deut 
ſchen Ueberſetzer, Keinrih Hirzel, Profeffor und Chorheren 
am großen Münfter zu Zurich geweihte Schrift ift ein wuͤrdiges 
Denkmahl der Achtung und Liebe eines jüngern Freundes, der 
dem Altern fich dadurch gefällig zeigen wil, daß er ihm das 


J 


400 ueber das Alter von dem Verf. von Eugenia's Briefen. 


Alter feld von einer intereſſanten Seite darſtellt. Dem Verf. 
diefer leſenswerthen Schrift, der dem Ueberſetzer einige Briefe, 
handich:iftlih mittheilte, die fih ım Frangdfiihen Driginale . 
nicht befinden, gereicht es zur Ehre, zu geftehen, daß er die 
bekannte Abhandlung des. Cicero Über den naͤmlichen Gegens 
ftand nicht eher, als nach Vollendung feiner. ‚Arbeit nachges' 
fehen und durchgeleien habe, Nur auf diefe Weife ift es möalich, 
neue Anfichten einer Sache zu gewinnen, die der Betrachtung 
um fo mürdiger tft, als fie Ihon das Nachdenken vieler .dens 
kenden Menichen vor uns beichäftiget hat. Syn der That ers 
hielten wir auf diefe Weife: einige Kapttel-in dem vorliegenden 
Werke, die weder von Cicero, nocd von andern find berührt 
worden, und das Ganze hat fi) dadurh in der Behandlung 
zu einem Driginale volltlommen geeignet. Wahr ift es. aber 
auch auf der andern Seite, mas der Verf. befcheiden zugibe, 
daß, wenn man nach dieier Lectäre den alten, Römer wieder 
zur Hand nimmt, man fid troß der weitern Umfaſſung des 
neuen Schriftftellers, und der unfern Anfihten und Bedürfs 
niffen weit angemehnern Behandlung des Gegenſtandes, doc) 
weit berubigter fühle nah dem Leien des Cicero, der auf der 
einen Seite die Schlagfchatten, die dem fihönen Helldunkel 
zur Unterftüßung dienen, welches einige dem Lichte abgewen— 
deren Theile des Bildes verlieblichen foll, weit beffer zu bes 
handeln verfteht und z. B. uns anf keine Weife zu bereden 
fucht, im Alter habe es mit dem Sterben feine Gefahr, oder: 
Geiſt und Kraft in feiner lebensreichen Erfcheinung , foaar im 
Beleite der Einbildunastraft, könne ſich zuweilen in den ſpaͤ— 
"teten Jahren, wo nicht lebendiger und flärfer, doch eben fo 
febbaft als in der Jugend erweiien. — Auf der andern Seite 
aber auch wieder aefliffentliih eine Menge von Vorſorglichkeiten 
und Verwahrungsmirteln gegen die wahrjcheinlihen Unbequems 
lichkeiten des Alters eben darum nicht verährt weil arade in 
dieier Zuräftung alle mißtrauifchen Bedenklichkeiten liegen, die, 
wenn man einen beruhigten und tröftlihen Bliek aufs Alter 
werfen will, weit von ans entfernt bleiben muͤſſen. Es mag 
in diefer Hinfihe wohl wahr ſeyn, was ein entfernter und 
doc) naher Seiftegverwandte in feinem Buche über practiiche 
Lebensweisheit uns zu bedenfen gibt: Michts ift mißlicher im 
Lehen, als bey feinen beſtimmten Beichäftiaungen. auf einen 
noch entfernten Punct bhinardeiten, den man immer im Arge 
behalten will, um nachher nicht zu bereuen, daß man keinen 
Vorbedacht darauf genommen habe. Thue in jevem Augens 
blicke, was recht ift, ſo wirt da auch für den Fall, der 
fünftig einmal eintreten kann, das rechtegethan haben, 


Tg 


No. 26. Heidelbergifche 48123. 
Jahrbücher der Litteratur. 





D. Philipp Joſeph Horſch, Großherzogl Wuͤrzb. Medizinak 
rath, öffentl. ordenti. Lehrer der allgemeinen Therapie, Heilmit⸗ 
tellehre und Klinik an der Julius: Univerfirät ze. Handbuch‘ der 
aligemeinen Therapie ald Leitfaden zu feinen Vorlefungen. Würze 
burg, bey Joſeph Stahel. 1811, VIII und 444 ©. 8 - . 


Be und Therapie,“ ſagt der Verf. diefes Handbus 

ches in der Vorrede, „önnen in ihrer wiffenfchaftlihen NWervolls 

fommnung nicht weiter fortichreiten, als durch Anatomie und 

Phyſiologie vorgearbeitet if. Sollen bloße Meynungen aus 

der Therapie verbannt, und foll fie vollftändig und der Sdee 

‚des Lebens entiprehend dargeftellt werden, fo muß fie fid les 
diglich an die Geſetze des Organismus halten, indem fie aus 

dieſem die Weile deducirt, wie die durch dag pathologifche Gefek 

gegebenen Veränderungen zur Normalität zurückzuführen feyen. 

Ueber diefen Segenftand habe er fih vor einigen jahren im 

erften Hefte feiner Minifhen Annalen ausführlich erklärt, und 

bier habe er den Verſuch gemaxht, die Therapie nach diefen 

Anſichten zu bearbeiten.“ Nimmt man nun zugleich auf jene 
Erklärung in den kliniſchen Annaten Rücklicht, wo unter ans 
deren (©. ı9) geſagt wird, daß die Drganonomie bisher der 
Therapie ganz fremd geblieben fey, oder nicht mehr als einen 
bloß mehaniihen Einfluß, d. h. (wie der Verf. jagt) für 
den Mechanismus mander Erklärungen, gehabt habe, daß die 
Therapie, beionders die allgemeine, als die eigentlich » ärztliche 
Theorie, ganz vernachläßigt ftehe, und daß die Sindifation für 
den Gebrauch diefer oder jener Methode aufzuftellen nichts heiße, 
als die Therapie ihädlihen Schubegriffen aufopfern, fo koͤnnte 
man bier eine gänzliche Neform der Therapie erwarten, und 
zu nicht. geringen Forderungen an den Verf. ſich berechtigt Hals 
ten, wenn man nicht an vielen unſerer neueren Aerzte eine 
ſolche Sprache und befondere auch Werfennung deifen, was 
| 26 - Ä | 


492 P. 3. Horſch Handbuch der allgem. Therapie, 


von den,. ihnen freylich oft wenig bekannten Vorgängern ge— 
feiftet worden iſt, fchon gewohnt wäre. Mit wie viel mehr 
Einſicht fowohl als Billigkeit hat fih nicht der um die allges 
meine Therapie wie um andere Theile der Medicin fo hoch— 
verdiente Hufeland in der Vorrede zu feiner allgemeinen 
Therapeutit ausgedrädt, indem er fagt: „Won jeher war es 
das Beſtreben felbftdenkender Aerzte, die Medicin, als Unter⸗ 
fuhung und Bearbeitung des lebenden Weſens, den Geſetzen 
des Lebens zu unterwerfen, ihre Regeln aus diefen Geſetzen 
abzuleiten, und fie fo, getrennt von den rein chemifchen und 
mechanifhen Naturwiffenfhaften, als eine eigenthuͤmliche ors 
ganifche oder Lebenswiffenshaft darzuftellen. Anverfennbar, 
nur in verfhiedenen Formen ausgedrückt, blickt diefe Tendenz 
aus den Schriften eines Baglivi, Stahl, Boerhaave, 
5. Hoffmann, Gaubius, Haller, Zimmermann, 
Eullen 2» hervor, und wer die Worte von, den Sachen, 
den Geift von der Form zu unterfheiden weiß, wird ſchon in 
ihnen die Keime und Grundzüge unſrer jeßigen verbefferten 
Theorie finden!“ u. f. w. 

So gerne wir aber wirkliche Fortfchritte der Wiſſenſchaſt 
anerkennen und anzeigen würden, fo haben wir doch bey forgs 
fältiger Prüfung diefer Schrift und Vergleichung derfelben mit 
ihren Vorgängern durchaus nicht finden können, daß der Verf, 
die Therapie durch Aufftellung neuer und wichtiger Grundfäße 
bereichert oder eine reelle WVerbefferung der. bisherigen Curme— 
thoden mitgerheilt habe. Jeder mit der Litteratur der allges 
meinen Therapie gehörig Vertraute wird bier die bekannten 
therapeutifchen Säge, nur oft in die neuere Schulfprache eins 
gekleidet und unter die jeßt bey vielen gewöhnlihen Rubriken 
der Neproduction, Irritabilitaͤt und Senfibilität (wiewohl nicht 
felten auf eine gezwungene Art) vertheilt finden. Wenn der 
Verf. aber auch nicht die Abficht gehabt hätte, der Willens 
ſchaft eine neue und verbefferte Geſtalt gu geben, fondern wenn 
er bloß das Bekannte in einem guten Compendium hätte dars 
ftellen wollen (was indeffen nad) feiner obigen Erklärung nicht 
anzunehmen iſt ), müffen wir wieder offen geftehen, daß mir 
ihm auch in diefer Hinſicht Feine befonderen Vorzüge einräumen 
- tönnen , indem in Anfehung der Anordnung und Ausführung 


B. J. Horſch Handbuch der allgem, Therapie. 403 


der einzelnen Gegenftände fo Manches zu erinnern ift, wovon 
wir nur Folgendes hier ausheben -wollen. | 

Ein Hauptfehler diefer Schrift, in fofern fie ein Coms 
pendium ſeyn ſoll, ift nach unferer Ueberzeugung der, daß fie 
feine ausgewählte Litteratur enthält. Es find (8. ı—e) 
nur die allgemeinen Schriften über Therapie angeführt worden, 
Dagegen die Litteratur der einzelnen therapeutifchen Materien 
durchaus fehlt. Aber ſelbſt jene allgemeine Pitteratur iſt fehe 
dürftig “und fehlerhaft angegeben. &o nennt ber Verf. 
unter den Alten nur den Hippofrates, Galenus und 
Alerander von Trälles. Letzterer gehört aber cher zur 
fpeciellen Therapie, und es mußten dagegen hier wenigſtens 
noch Celſus, Caelius, Aurelianus und andere Me— 
thodiker genannt werden. Auch haͤtten ſtatt mehrerer aͤlterer 
Compendien, die in einem Werke, was keine vollſtaͤndige Lits 
teratur enthalten foll, nicht angeführt zu werden brauchten, 
noch mande Werke, welche eigne Spiteme enthalten, als die 
von Paracelſus, von v. Helmont tc. angeführt werden 
muͤſſen. Außerdem fällt es befonders auf, daß der Verf. wähs 
rend fo mande unbedeutende Schriften von ihm genannt wors 
den find, - die. fchäßbaren Werke von Johann Juncker 
( Conspect. therap. general.), Hebenftreit (Palaeologia. 
therapiae), Afermann und Ploucguer ganz Übergans 
gen hat. ee 

Die $. 5. vortommenden phyſiologiſchen Vorbegriffe haͤt— 
ten wenigſtens kuͤrzer angegeben und groͤßtentheils, wie 3. B. 
das hier unnoͤthige Detail von der Inſalivation, Deglutition, 
Ehymification ꝛc., als ans der Phyſiologie bekannt vorausges 
feßt werden können. Uebrigens folge der Verf. hier ganz 
denen Phyfiologen ( Walther zc.), welche ale Srundfunctios 
nen Reproduction, Irritabilitaͤt und Senſibilitaͤt annehmen, 
bringt mit dieſen die Reſpiration und thieriſche Wärme unter - 
die Verrichtungen der Irritabilitaͤt, und gibt hiernach auch die 
von ihm fogenannte arterielle Stimmung (welche dem ents 
zündlichen Zuftande oder der Synocha entipricht) für eine 
Veränderung der irvitablen Organe aus, fo wie er auch die 
krankhaften Veränderungen der Temperatur unter die der Ar 
ritabilität bezieht... Ob indeffen die Reſpiration mit Recht bloß 


40% P. J. Horſch Handbuch der allgem. Therapie, 


unter die Verrichtungen der Sgrritabilität gebracht wird, möchte 
fehr zu bezweifeln feyn. Es können wenigſtens die dabey Statt 
findenden Aeußerungen der Srritabilität die Nichtigkeit jener 
Elafüfication nicht beweifen, indem die Srritabilitätss Aeußes 
tungen auch in anderen ohne Zweifel zur Reproduction bes 
flimmten Organen, 5. DB. dem Darmcanale, vorkommen (wie 
denn auch der Verf. ($. 115.) felbft fagt, daß diefe Function 
überall mit den übrigen verfhlungen fey). Und wenn man 
den Einfluß der Nefpiration auf die Blurbereitung beruͤckſich— 
tigt, und wenn das Blutipftem ohne Zweifel ein Hauptiyftem 
der Reproduction ift, muß jene Llaffification um fo einieitiger 
erfcheinen. Sehr willtührlih ift es auch, die ehierifche Wärme 
als’ eine Verrichtung der Srritabilität anzgufehen. Viel ange 
meffener haben überhaupt andere neuere. Phyſiologen die Vers 
richtungen in Verrichtungen des vegetativen und Verrichtungen 
des fenforiellen Lebens eingetheilt, wobey man dann die bey 
den einzelnen Verrichtungen hervorftechenden Aeußerungen der 
Irritabilitaͤt 2; doch wohl unterfcheiden kann. Aus allem dies 
ſem erhelfet nun aber auch, wie wenig es für fih hat, wenn 
die fogenannte arteriche Stimmung (der entzündliche Zufland 
oder die Synoha), die Fieber und Entzündungen bloß für 
Krankheiten der Sreitabilität erklärt. werden. 

Der erſte Abſchnitt Handelt von der Diagnoſe 
und Prognoſe. Bey der. Lehre von der fe&teren wird 
6. 250 fg. behauptet, daß es keine Heilungen gebe, wo bloß 
die natürliche Kraft des Organismus die Krankheit befiege, 
ohne daß zugleich aͤußere Einfläffe einwirkten, weil der Menſch 
ftets und norhwendig Außeren Einflüffen ausgefeßt fey. Frey— 
lich ift der Menfch immer äußeren Einflüffen, und oft aud) 
folhen, die. auf feine Krankheit einen günftigen Einfluß haben, 
ausgelegt. Es ift aber längft von Anderen mit Recht bemerkt 
worden, daß die Heilung dur die Matur allerdings aud in 
hoͤchſt fchlimmen Fällen bewirkt worden iſt, wo die Auferen 
Einflüffe wenigſtens fo wenig günftig waren, daß man ihnen 
feinesweges die Heilung zufchreiben konnte. — Bey der Mur 
taftaje foll nad) $. 262, feine Wanderung eines Stoffes anzu 
nehmen feyn, weil fie felbft bey Krankheiten Statt finden 
könne, bey welchen die Miihungsveränderungen fecundär oder 


R. J. Horfch Handbuch der allgem. Therapie 405 


son der Are fenen, daß fie nicht in die Wahrnehmung fallen. 
Allein dies beweif'e bloß, daß nicht jede Metaftafe materiell 
iſt, wie freylich längft Andere gezeigt haben. Die wichtigften 
für die materiellen Metaftafen angeführten. Beobachtungen und 
Gründe hat aber der Verf. gar nicht berüdfichtig. Wenn er 
insbefondere $. 266. fragt: Warum hat nicht das beftehende 
Fußgeſchwuͤr ein antagoniftifhes Organ zur. Krankheit hervor— 
gerufen und warum das zugebeilte? und wenn er dabey meint, 
dan hier bloß auf die Unterdruͤckung einer krankthaften Se 
und Ercretion zu fehen fey, fo fcheint ee die von den glaubs 
würdigften Beobachtern angeführten Fälle nicht . gefannt zu 
haben, wo ben Fufgefhwüren oder Geſchwuͤren der Arme ıc. 
Auswurf von Eiter aus den fonft durchaus nicht verleßten Lun—⸗ 
gen erfolgte, nad Befeitigung der Quelle des Eiters durch 
Imputation ꝛc. aber alsbald aufhörte, u. f. w. 

Der zweyte Abfchnire if Überfchrieben: Theorie 
der Heiltunft, und handelt von der Heilung überhaupt, 
dem Heilplane , den Eurregeln, Gründen der Eurregeln, Eurs 
methoden und Heilmitteln, und der Verpflegung der Kranken. 

Sin dem dritten Abfchnitte, welcher die Leberfchrift : 
Theorie der Heilung hat, und auch eine allgemeine 
Weberfchrift der Curmethoden und Heilmethoden enthält (wobey 
wohl Manches kürzer zu faffen und unter einfachere Geſichts⸗ 
puncte zu ftellen, Manches, zum Theil nachher noch näher zu 
berührende, zu berichtigen wäre), behauptet der Verf. mit 
Recht, daß die von vielen Maturphilofophen angegebene Abs 
sheilung der Heilmittel nah den letzten Stoffen, auf melde 
die Chemie zurückgehen kann, noch für bloß hypothetiſch zu 
halten und vor der Hand noch nicht in die Therapie einzufühs 
ren fey. Dagegen möchte bey ſeiner KEintheilung der Mittel 
($. 462 — 465.) auch Manches noch für unerwiefen und hoͤchſt 
hypothetiſch zu halten jeyn. Wodurch iſt es 5. B. erwieſen 
‚oder nur wahrfcheinlih gemacht, daß die Metalltalte bloß die 
Reſorbtion anfprechen? Aendern die Neutral- und Mittels 
falge, fo wie die Metallialze nur die Secretion um? Iſt die 
antiphlogiftifche Kraft des Salpeters ꝛc. hierdurch erklärt? 
(Nach $. 812. follen die Salze freylich auch die Thätigkeit der 
Arterien umfiimmen und den Faferftoff im Blute umändern, 


406 P. J. Horſch Handbuch der allgem. Therapie, 


woran der Verf. indeffen bey jener früheren Claſſification niche 
gedacht zu haben fcheint.) Können die adftringirenden Mittel 
und das Eifen, welde offenbar auch einen vorgäglichen Einfluß 
auf irritable Organe haben, Bloß als ſolche betrachtet werden, 
weiche die Alfimilation umändern ? u. f. mw. 

An dem vierten Abſchnitte, wo von ber Entfers 
nung Der Hinderniffe der Heilung gehandelt wird, 
hat der Verf. ſich feldft auf das Detail des Augziehens .frems 
der Körper aus dem Speifecanale, der Luftröhre x. der Bes 
handlung der Brühe, Knochenbruͤche, Eiterung, Geſchwuͤre zc. 
eingelaffen. Ob dies hier nöthig und am rechten Drte war, 
moͤchten wir fehr bezweifeln. Wollte man hier irgend aus— 
führlih und gruͤndlich ſeyn, fo würde ein großer Theil der 
Chirurgie und fpeciellen Therapie hierher gezogen werden müfs 
fen. Auch find offenbar viele von. diefen Gegenftänden nicht 
als bloße KHinderniffe der- Heilung, fondern als wirkliche 
Krankheiten zu betrahten und ſchon um deswillen an anderen 
Drten abzuhanveln. 

Bey dem fünften Abfhnitte, wo die ausleierende 
Methode nach der gewöhnlihen Ordnung abgehandelt wird, 
bemerfen wir unter andern Folgendes. Daß das. Lünftliche 
Erbrechen bey dem Keichhuften ganz contraindicire fey, wie 
6. 561. gefagt wird, möchte doc zu: ‚bezweifeln feyn, wenn 
auch dies Mittel von Manchen zu allgemein bey diefer Krank 
heit empfohlen worden if. — 6. 568. ift die Efelcur mit 
wirkliches Erbrechen erregenden Mitteln nicht Schicklich zufams 
mengeftelt worden. — Bey der Lehre von dem Blutentziehen 
hat der Verf. ($. 617..) mit‘ Recht bemerkt, daß. fehr viel 
von der Stelle abhänge, an welcher die Aderlaß ‚vorgenommen 
werde, aber dabey vergeſſen, fih näher darüber auszulaffen, 
‚wie es doch die Wichtigkeit diefes Gegenftandeg erforderte. 

Der fehere Abſchnitt hat: die Uederſchrift: Umäns 
derungen in den erftien Wegen und den Säften, 
und es werden darin abgehandelt die  Segengifte, Abforbtion 
und Einhälung fremder Stoffe, - die auflöfende, anfeuchtende, 
verdännende, ermweihende und austrocknende Methode, die 
Umänderung der Reforbtion und Secretion und die allgemeine 
Umänderung des Blutes und der Säfte. Daß aber jene Leber 


PB. J. Horſch Handbuch der allgem. Therapie. 407 


fcheift nicht paffend fey, indem manche diefer Methoden fich 
bekanntlich nicht bloß auf die erfien Wege und die Säfte bes 
ziehen , bedarf faum bemerkte zu werden. 

Der ſiebente Abſchnitt handelt von der Umändes 
rung der irritablen und fonfiblen Drygane Es 
ift darin befonders die fo wichtige antiphlogiftifhde Methode 
($.- 812.) gu dürftig dargeftellt, und es ift mancher dazu ges 
höriger wichtiger Mittel, als der Pflanzenfäuren, des Sauer - 
honiges ıc., der erfchlaffenden oder erweichenden Mittel, bier 
Kar nicht gedacht, auch nicht. die nach dem verfchiedenen Grade 
des entzündlichen Zuftandes erforderlihe Einrichtung jener Mes 
thode angegeben worden, welches Lestere doch für Anfänger . 
fehr wichtig if. — Die antagoniftiihe Methode wird auch) 
nicht fchicklich bloß unter der Rubrik: Umänderung der irris 
tablen und fenfiblen Organe, abgehandelt , da fie fih auch auf 
andere Theile beziehe, jwie der Verf.‘ ($. 871.) felbft bemerkt, 
und eben fo fragt es fih, ob es bloß bey diefer Methode der 
fhilihe Ort war, von dem thieriihen Magnetismus, der 
Electricität und dem Galvanismus zu handeln, da diefe doch 
wohl nicht bloß oder. vorzugsweife antagoniftifch wirken. Webris 
gens fann auch das Mähere von der Anwendung bdiefer und 
anderer hier abgehandelter Mittel der Arzneymittellehre, wenn 
‚man diefe nicht uͤberhaupt mit der Therapie verbinden will, 
überlaffen werden. 

Sm ahten Abfhnitte wird noch von der Reguli— 
rung der gewöhnlihen Lebenseinfläffe gehandelt. 
Hier vermiffen wir unter andern befonders bey dem über die 
Mahrungsmittel Gefagten eine genaue Verädfichtigung des 
Sinfiinctes oder befonderen Berlangens der Kranken zu gemwiffen 
"Dingen, $. 926. aber, wo von zwecmäßigen Bewegungen 
die Rede ift, die VBerüdfihtigung des Hochathmens, auf defs 
fen Wichtigkeit in neueren Zeiten befonders von Hensler 
aufmerffam gemacht worden ift. 

Webrigens ift der Druck diefer Schrift durch eine große 
Menge von Fehlern entſtellt worden. 
| Eonradi. 





408  Einchiridion Hermeneuticae auct. Jahn. 


Enchiridion Hermeneuticae generalis tabularum veteris et novi 

-  Foederis. Authore (auctore) Johanne Jahn, Philos, «t 
Theol. Doct. Eccles. metröpol. ad 8. Stephanum Viennae 
Canon. capit. Archiepisc. consistor'i consiliar. olım L. L. 
©. ©. Archaeol, bibl. introd. in V. T. et dogm. Prof Caes, 
Reg. P. et O. Viennae 1812. In libraria Camesina. VIII 
188 ©. in 8. 


Bereits vor acht jahren (1805) hatte Ar. D. Zahn, 
als er noch Profeffor der Drientaliihen Sprachen u. f. w. an 
der Univerfirät zu Wien war, ein Lehrbuch der allgemeinen 
Hermeneutit des A. und N. Teflaments völlig zum Drude 
ausgearbeitet, und die nahe Ericheinung deffelben Öffentlich ans 
gekuͤndigt. Indeſſen waren Umſtaͤnde eingetreten, welche die 
Herausgabe deſſelben verhinderten, wozu noch fam, daß Hr. 
D. Zahn im Jahr ,ı806 jeine Lehrftelle an der Univertität 
mit einer andern Beſtimmung vertaufchte. Er änderte daher 
fen Vorhaben, die Hermeneutik heranszugeben, und legte 
das Manufcript davon in feinen Pult zurück, um es bier 
feinem Schick ale zu uͤſerlaſſen. Allein es aelangten der Ans 
forderungen und Aufmunterungen, die Hermeneutik in den 
Dru zu geben, fo viele und fo bedeutende an ihn, daß 
er denielben nicht glaubte länger widerftehen zu dürfen. Er 
nahm das Manuscript wieder vor, fand aber bey Durchles 
fung deffelben, daß er es in derjenigen Geftaft, die er ihm 
ehemals gegeben hatte, nicht mehr könne erſcheinen Laffen. 
Dies bewog ihn, das Bud) gang umzuarbeiten, und daffelbe, da 
es vorher bloß zum Leitfaden bey Worlefungen dienen follte, 
jeßt fo einzurichten, daß es auch zum Privatgebrauche nüslich 
wäre. Und hierauf bezieht. ſich der Titel deffelben: Enchiri- 
dion. Um Wiederholungen zu vermeiden, faßte er darin die 
allgemeinen Regeln der Hermeneutif, melhe fowohl auf das 
A. als auf das N. Teſtament anwendbar find, zuſammen, 
und erläuterte fie, um das DVerftehen Derfelben zu erleichtern, 
mit zwecfmäßigen Beyſpielen, jedoch mehr aus dem A. als 
aus dem M. Teftamente. Auch einige auf die doamatifche 
Theologie ſich beziehende Berſpiele nıhm er auf, um zu zei— 
gen, wie wichtig die Hermeneutik für die übrigen theolog-jchen 
Wiffenfchaften fey. 


+ 


* Enchiridion: Hermeneuticae auct. Jahn. 409 


Die Einleitung, welche unter der Weberfchrift: Praelimi- 
naria Hermeneuticae, vorangeichreft ift, beftimme zuerft (9. 1.), 
was es heiße: einen Schriftfteller verftehen, und was alles 
zum Verſtaͤndniſſe deffelben erfordert werde, ‚mit befonderer 
Ruͤckſicht auf Schriften aus dem Alterthume, und unter dieien 
vorzüglich auf die heilige Schrift, wobey zugleich fehr richtig 
die Urſachen angegeben find, warum Schriftfteller aus dem 
Altertdume ſchwe er zu verftehen find, ale neuere Schriftfteller. 
Der Zweyte $. handelt vom Auslegen (interpretari ), wels 
dies nah Hrn. D. Zahn zerfällt in das Ueberfeßen ( ver- 
tere), und in das Erklären (enarrare), und von den Er— 
forderniffen einer guten Ueberſetzung und Erklärung , wovon 
bie letztere nach Ken. Jahn ſeyn muß 1) grammatiſch; 
2) hiſtoriſch; 3) hiſtoriſch theologiſch. Dagegen wird ſowohl 
die mythiſche, als auch die pſychologiſche und moraliſche Auss 
legung der Bibel in einer diefem $. angehängten Anmerkung 
verworfen. Werber die erftere mird folgendes Urtheil gefällt: 
‚interpretatio mythica, quae veritatem historicam facto- 
rum extraordinariorum V. et N. F. tollit, superstruitur 
analogiae aliarum gentium, quarum antiquior historia est 
mythologica , acsi Hebraicae genti nihıl esset privumy 
cum tamen nemo non videat, ei etiam alia quam plu- 
rima esse peculiaria. Allein ein Volt kann mehreres ihm 
- Eigenthämliches haben, wie denn wirklich faft jedes Volk feine 
Eigenthuͤmlichkeiten hat, und dabey doch darin mit andern 
Voͤlkern Übereinfommen,, daß feine früdere Gefhichte in Miys 
then gehälle ift, woraus es oft ſchwer ift, die eigentlichen his 
ftorifchen Facta, die dabey zum Grunde liegen, herauszufinden. 
Es laͤßt fih vielmehr fragen, fobald man fih micht an die 
Dogmatik bindet: da die Urgefchichte aller alten Voͤlker mys 
thiſch iſt, warum follte allein die Urgefchichte des Hebraͤiſchen 
Volkes nicht mythiſch ſeyn, von dem dies wegen feines hohen 
Alteredumes um fo mehr zu vermuthen ift? Herrn Jahns 
Urtheil über die pſychologiſche Erklärungsart überlaffen wir 
den Lefern feiner Hermeneutik felbft nachzuſehen. Der Ste 
und 4te $. handeln von der Natur, dem Nutzen und der 
Morhwendigkeit einer bibliſchen Hermeneutik, die in der Ans 
merkung zu $. 4. befonders gegen diejenigen Lehrer der katho⸗ 


410: Enchiridion Hermeneuticae auct. Jahn. 


liſchen Kirche in Schuß "genommen wird, welhe behaupten, 
man müffe fi wegen der vielen mit einander flreitenden Ers 
klaͤrungen der Bibel an die Tradition halten, wobey die rich— 
tige Bemerkung gemacht wird, menn dies gefchehen folle, fo 
bedürfe es, um audzumitteln, welches eigentlidy Achte Tradis 
tion fey, einer neuen patriftifchen Hermeneutik, da die Kirchens 
väter, die Aufbewahrer der Tradition, oft eben fo fhwer und 
öfters noch ſchwerer zu verftehen feyen, als die Bibel feldft, 
und dann möchte es noch mehrere verfhiedene Mennungen 
bierdey geben, als bey der Erklärung der Bibel. Bey der 
6. 5. gelieferten Geſchichte und Literatur der biblifhen Her— 
meneutif vermißte Rec. ungern Morus Acroases academicae 
super Hermeneutica N. T., herausgegeben von Eihftäde, 
und Keils vorzägliches Lehrbuch der Hermenentif des N. T. 
(Leipzig 1810.) nebft der nachher davon erfhienenen Lateinis 
fhhen Ueberſetzung. Won den fieben auf dieie Einleitung fols 
genden Kapiteln handelt das erfte von $. 6—ıB. de sensu. 
Herr D. Zahn unterfcheidet $. 6. notio, Begriff, und 
serisus, Sinn; jener komme einzelnen Wörtern zu, vdiefer 
gehe aus ganzen Süßen hervor, und ſey das gegenfeitige 
Verhältniß der Begriffe, welche ein Schriftftellee mit Worten 
bezeichnete. Einen Unterichied zwifchen sensus literae und 
sensus literalis erfennt Sr. D. Jahn nicht an, da nad 
der Matur der Lateinifhen Sprache bende Ausdruͤcke funonym 
feyen. Eben fo wird die Annahme von mehr als Einem budhs. 
fäblihen Sinne in der heil. Schrift $. 9. mit Recht beftrits 
ten, nur bey WBeiffagungen wird ein doppelter Sinn zugegeben, 
ein fubjectiver und dunkler, der dem Geiſte des Weiſſa— 
‚genden vorihwebte, und ein objectiver, den die Gottheit 
Bey ihrer Offenbarung durch Weiffagungen zum Zwecke hatte, 
und der erit in der Folge durch die Erfüllung der Weiffaguns 
gen vollftändig eingejehen wurde (qui a Deo revelante in- 
tendebatur, et demum complemento historiae pandebatur). 
Kichtig wird $. 10. bemerkt, daß vie erigetiihe Wahrheit 
eines Sinnes nicht mit deffen reeller und objectiver Wahrheit 
verwechſelt werden dürfe. In Beziehung auf diefe Bemerkung 
werden nun $. 12. gute Vorſchriften über das Verhalten des 
Eregeten bey Stellen, deren Sinn eregetifch wahr und richtig, 
aber fonft Schwierigkeiten unterworfen ift, gegeben, fo wie 
das, was 6. 7. und 8. über den Sprachgebraud als ein Mits 
tel, den wahren Sinn zu finden, -gefagt ift, viel Belehrendes 
enthaͤlt. Im 6. 14., welcher von dem mittelbaren oder fyms 
boliſchen (mpftifhen, typiſchen) Sinne handelt, wird die 
Eintheilung deffelden in einen allegorifhen, anagogis 
hen und tropologiſchen als undiblifh und unlogiſch 


Enchiridion Hermeneuticae auct. Jahn. - 411 


verworfen, jedoch wird $. 15. ein unmittelbarer Sinn zuges 
‚neben, und aus Stellen der heil. Schrift erwieien, und bie 
Kennzeichen deffelben $. ı6. angegeben, -Accommodationen in 
eregetifcher Kinficht werden $. 17. zugeftanden, aber auch nur 
in dieſer, nicht in dogmarıfher Hinſicht. Dies veranlafite 
Herın Zahn noch einmal anf die von Kant vorgefchlagene 
moraliihe Erklärung der heil. Schrift zurück zu fommen. über 
Lie er ſich F. 18. auf folgende Art äußert: per vagam, ar- 
bitrarianı et violentam tractationem hanc s. scripturae, 
quae nullis regulis .coercetur, quaecunque imaginationis 
somnia et portenta sacris- libris adfingi possent, et ipsa 
eorum auctoritas in gravissimum discrimen adduceretur. 
Doch geitatter Hr. Jahn dem. practiihen Religionslehrer, 
*an ſolche Stellen der heil. Schrift, welche an ſich nicht mos 
raliſchen Inhaltes find, einen moralifhen Sinn anzutnäpfen. 
Dies ſey immer geichehen, und könne. auch nicht eigentlicd) 
Ertlärung genannt werden. Das zweyte Kapitel, welches de 
contextu orationis, substrata materia, consilio authoris 
(fo fchreibe Hr. Jahn immer flatt auctoris), aliisque ad- 
junctis handelt, enthält nicht weniger näßlihe Belehrungen 
über dieſe Gegenftände. Zuerft wird $. ıg. der contextus 
eingetheilt in einen proximus, remotus und remotior, und 
eine jede diefer Arten von. Zufammenhang der Rede erklärt. 
Dann wird $. 20. die Beweiskraft des Contertes augeinanders 
geießt, und $. 2ı. die beftändige Vergleichung deſſelben ems 
pfohlen. Hierauf werden $. 22. Vorfchriften gegeben in Bes 
ziehung auf den Zufammenhang zweydeutiger und wichtigerer 
DBibelftellen, und von $. 23. bis 26. wird gezeigt, welche 
Ruͤckſicht der Erflärer auf den Zweck des Schrififtellers, auf 
die Veranlaffung zu feiner Schrift, auf den Gegenftand, wor 
mit er fich befchäftige, und auf die Übrigen Umſtaͤnde zu nehmen 
habe, welche hiebey in Betrachtung fommen. Das dritte Ka⸗ 
pitel gibt von $. 27. bis 32. Anweilung: Über den Gebraud 
und die Denußung der Parallelftellen bey der Erklärung der 
Heil. Schrift, wie diefelben aufzufinden, welche Vorſicht bey 
Vergleichung derfelben anzuwenden, ::und welche Fehler befons 
ders bey Vergleihung von Parallelftellen aus andern Schrift 
flellern zu vermeiden feyen. Dann wird unterfuht, was «8 
mit den in.dem M. T. angeführten Stellen des A. T. für 
eine Bewandtnif habe, und in wiefern die Analogie des Staus 
bens und der Lehre zur Erklärung. der heil. Schrift zu benutzen 
fey. In Beziehung auf Stellen aus Profanichriftftellern, 
welche häufig zur Erklärung biblifher Stellen angeführt wers 
den, fagt Hr. Jahn $. 50.: phrases aliarım linguarum, 
quae prorsus nullam habent cum linguis Biblicis et cum 


412 En£hiridion Hermenenticae auct. Jahn. 


rebus in Bibliis commemoratis connexionem, sensum sa- 
crae Scripturae — probare, sed duntaxat inter- 
dum aliquatenus illustrare possunt, Rec. fekt hinzu: da 
häufig die nämlihen Wörter und Phrafes in den Profans 
fchriftftellern eine ganz andere Bedeutung und einen ganz ans 
dern Sinn haben, ald in den Schriften des A. und N. 
Teftamentes, fo hat fih der Bibelerflärer um fo mehr zu hüs 
ten, ſich durch dergleihen aͤhnlich oder gleichlautende, aber 
etwas gang anders andeutende Wörter und Phrafes nicht irres 
Führen zu faffen, ein Fall, in dem ſich Häufig die Verfaſſer 
von logenannten animadversionibus ex auctoribus profanis 
‚ad illustrandos libros sacros befanden, Was die aus dem 
A. T. in dem M. T. citirten Stellen betrifft, fo gibt Herr 
"Hahn in $ 31. im Allgemeinen die Regel, sola illa V. F. 
loca, in N. F. allegata, censeri proprie explicata, I: ex 
quibus argumentum positivum et absolutum ad compro« 
bandam omnibus lectoribus vel auditoribus veritatem du“ 
eitur, et ji. quorum sensus in contextu orationis A. F. 
ex legibus interpretationis prorsus idem, etsi- fortasse 
minus sublimis, esse comperitur, Als eigentliche Paralleis 
ftellen täßt er jedoch keine aus dem A. T. in dem N. T. 
angeführten Stellen, und zwar mit Neht, gelten. Es kann 
aus ihrer Anführung hoͤchſtens erkannt werden, wie man fie 
zu den Zeiten des N. T. verfland, und welchen Sinn man 
ihnen beylegte, und das nicht einmal immer, da fo häufig 
Stellen des A. T. in dem N. T. auf ganz andere Gegen 
ſtaͤnde angewandt werden, al& diejenigen waren, von welchen 
fie eigentlich handeln. Daher auch Kr. Zahn alle die in 
dem N. T. angeführten altteftamentlihen Stellen, welche 
nicht unter den von ihm durd die eben angeführte Negel 
genauer beffimmten altteftamentlihen Stellen begriffen find, 
zu den eregetifhen Accommodationen zähle. Wenn noch außer 
dem $. 52. der Analogie des Glaubens und;der Lehre, wie 
diefe im Ganzen in der heil. Schrift und in den erften kirch— 
lichen Schrififtellern nad, den Apoiteln und Evangeliften ent: 
halten ift, nebft den ’Paralleiftellen, ein befonderes Gewicht 
beygelegt wird, fo geichieht dies keineswegs in der Abſicht, 
die Lehriäße ;der Kirche und der Dogmatit zur Regel und 
Richtſchnur der Erklärung der heil. Schrift zu machen, fon 
dern bloß in fofern fie der Erklärung dogmatiſcher Stelfen zur 
Beftätigung dient. Longe absumus, fagt in diefer Ruͤckſicht 
Hr. Jahn, ut. ad authoritatem ecclesiae catholicae,ide qua, 
ubi Hermeneuticam tractamus, sermo esse nequit, pro” 
vocemus, sed testimonium duntaxat antiquissimorum ec» 
elesiae doctorum de sensu locorum dogmaticorum urgemus. 


Enchiridion Hermeneuticae auct. Jahn. 413 


Daß Übrigens die Art und Weife, wie dogmarifhe Stellen 
von den erften Kirchenlehrern verftanden wurden, allein für 
den Eregeten fein Grund feyn dürfe, fie eben fo zu verftchen, 
wird gewiß jeder Lnbefangene gerne zugeben. Hr. Jahn 
felbft deutet darauf hin, wenn er den $. von der Analogie 
des Slaubens mit folgenden Worten ſchließt: In usu her- 
meneutico analogiae doctrinae duo extrema, utpote vitia 
aequalia, vitanda sunt: primum quidem, ne locis sacrae 
scripturae tribuatur sensus illi analogiae doctrinae oppo- 
situs; dein ne e contrario verbis sacrae scripturae, ut 
‚huic analogiae conformentur, vis inferatur, quod esset 
sacris libris inferre sensum, qui ex ipsis efferendus fuis- 
set. Nach diefen genauern Beftlimmungen des Gebrauces 
der Analogie des Glaubens bey der Erklärung der heil. Schrift 
wird fi) denfelben audy der Proteftant gerne gefallen laflen, 
und nichts Erhebliches dagegen einzuwenden haben, wenn er 
ihm auch gleich nicht das Gewicht beylegen follte, den ihm die 
katholiſche Kirche beyzulegen pflegte. Er wird wenigſtens von 
ihm feine Beſchraͤnkung der nöthigen Freyheit bey Unterfuhung 
und Feſtſetzung des Sinnes biblifher Stellen fürdhten, noch 
ſich durch ihm verleiten laffen, von den Übrigen Mitteln zur 
Erktärung der heil. Schrift nicht den gehörigen Gebrauch zu 
machen. Regeln Über die Erfennung und eregetifhe Behands 
lung der Tropen in der Bibel, wohin aud die Allegorien, 
Bilder, Sleichniffe und Fabeln gehören, gibt das vierte Kas 
pitel von $. 35. — 40. In dem fünften Kapitel, welches von 
$. 4ı. bis 46. von den Emphafen handelt, find die Kennzets 
hen, wodurd fi wahre Emphafen von erdichteten unterfceis 
den, vorzüglich gut angegeben ($. 44. und 45.). Das fechste 
Kapitel beichäftige fihb mit den in der Bibel vorfommenden 
anfcheinenden Widerfprühen, und der Art und Weile, fie zu 
heben (von $. 46. bis 55.). Da Herr Jahn von dem 
Srundfage ausgeht, daß die Bibel ein göttlich inipirirtes Buch 
fev,, fo ift es narärlich, daß er auch keine wirklichen Wider— 
fprüche darin darf Statt finden laffen. Er zeigte daher, wie 
die Widerfprähe in den bibliſchen Schriften mit Hülfe der 
Kritik oder der Hermeneutik zu heben ſeyen. Ungeachtet bey 
einem minder fireng dogmatifchen Begriffe von der Inſpiration 
der heil. Schrift daran gezmweifelt werden kann, daß fie fid 
auch auf die Vermeidung aller Wideriprähe in der Bibel ers 
fireeft habe, wenigſtens ſolcher, von welchen fein wefentlicher 
Theil der Religion abhängt, fo ift es gleihmwohl: die Pflicht 
des Eregeten , zu verfuchen, die wirklichen oder anjdeinenden 
MWiderfprühe zu heben, und des Hermeneuten, zu zeigen, wie 
dies am beften geſchehen könne. Die Anweifungen, welche Hr. 


414 Enchiridion Hermeneuticae auct. Jahn. 


Hahn dazu gibt, wird daher jeder eben fo nothwendig ale 
zweckmaͤßig finden. In dem fiebenten und legten. Kapitel, 
weiches von 6. 54—7ı. de audiendis et legendis interpre- 
tibus.et de exercitatione :hermeneutica handelt, werden 
zuerft Vorfchriften Über die von dem angehenden Eregeten ans 
zuftellenden Uebungen in der Erflärung der heil. Schrift ertheilt; 
dann folgt eine kurze Meberficht der vorzäglichften jüdifchen und 
chriftlihen Erktärer der Bibel aus der Altern und neuern Zeit, 
mit treffenden Bemerkungen über ihre Vorzüge und Mängel. 
Hierauf wird gezeigt, welcher Gebrauch von den vorhandenen 
Commentaren und Erflärungen- der-Bibel-zu machen fey. Ends 
lid werden angehenden Eregeten eigene Webungen im Inter— 
pretiren, fomwohl im Weberfegen, als auch im Erklären und 
Paraphrafiven und Analyfiren biblifcher Schriften als vorgüge 
lich näßlich empfohlen, um fich zu guten Eregeten zu bilden. 
Mad) diefer Inhaltsanzeige des vor uns liegenden neuen’ 
Handbuches der biblifhen Hermeneutik halten wir es für übers 
flärfig,, noch etwas zum Lobe und zur Empfehlung deffelben 
hinzuzufügen. Herr Kahn, der fon durch mehrere Schrifs 
ten feine aründlihe Gelehrſamkeit bewährte, und um das 
Bibelftudium ſich vorzuͤgliche Verdienſte erwarb, bat fi uns 
ſtreitig dur die Herausgabe jenes Handbuches ein neues Vers 
dienft erworben. Es ift eine erfreuliche Erfheinung, wenn 
Männer , wie Hr. Jahn in Wien und Hr. Hug in Frey 
burg, mit einander in der Beförderung gründlicher theolegiicher 
Kenntniffe unter Katholiten und Proteftanten wetteifern. Wenn 
auch die Jahniſche Hermeneutif nichts enthält, was nicht ſchon 
in mehrern von Proteftanten verfafiten Hermeneutiten, wo— 
hin die Hermeneutiten von Bauer, Meyer, Seiler und 
andern für das A. und N. Teftament, und die von Ernefti, 
Beck und Keil für das N. T. gehören‘, vorgetragen worden 
wäre, To ift doch unter den von Katholiken bisher verfaften 
Lehrbuͤchern der Hermeneutik keines demfelben gleidy zu ſetzen, 
und feldft der Proteftant. wird darin viele näßliche Vorſchrif— 
ten und treffende Winke finden. Es ift daher gewiß für uns 
fere Lefer keine unangenehme Nachricht, wenn wir ihnen die 
baldige Erfcheinung der ſchon vor mehrern Jahren von Kran. 
Sahn verfprochenen eregetifchen Abhandlungen Über dogmatis 
fhe Kauptftellen der Bibel, verbunden mit Erflärungen der 
im A. T. befindlicdyen Weiffagungen auf den Meſſias, ankuͤn— 
digen, wozu er am Schluffe feines hermeneutiihen Handbuches 
die gemiffe Hoffnung macht, fo wie ed, ungeachtet des trefftis 
hen Hebräifchen Wörterbuches von Gefenius, das wir nun 
befigen, zu bedauern ift, daß Hr. Jahn die Ausarbeitung 


\ 


| Ueber Spittler von Planck, Heeren und Hugo. 445 
eines ähnlichen, früher fhon von ihm angefangenen Hebraͤi⸗ 


ſchen Wörterbuches aufgegeben hat... 
r. 





1) Ueber Spittler ald Hiltorifer. Bon Dr. ©. 9: Pland. 
Göttingen, bey Vandenhoͤck und Rupredt. ı8ır. 58 ©. 8. 
2) Spittler. Von Heeren und Hugo, nebſt einigen Anmers 
fungen eined Ungenannten. Aus dem WBaterländifhen Mufeum, 
dem civiliftifhen Magazine und dem Morgenblarte zufammen abs 
gedrudt. Nebit einem Zac Simile. Berlin, bey Auguſt Mplius. 
1812. 64 ©. 8. 
Haben gleih an Spittlers Grabe nicht fo viele Stims 
men ſich zur Feyer feines Andenkens erhoben, wie bey dem 
Tode des ihm um furge Zeit vorangegangenen Sjohannes von 
Miller, an deffen Kenotaph Heyne, Wachler, Rommel, Schüg, 
Windiſchmann, Heeren und North ihre Kränge traurend heftes 
ten: fo hat doch ein fehr ehrenwerthes Kleeblatt in Göttingen 
den Manen-des vormaligen Kollegen und vieljährigen Freundes, 
durch die vor uns liegenden Aufjäße, ein fihönes Todtenopfer 
gebradht. | " 
An Nr. 1. fchildert die Hand eines Meifters in der hiftor 
rifhen Kunft, was Spittler als Hiſtoriker war, und wie 
er es geworden. Das Wefentliche diefer Darftellung befteht in 
folgenven Zügen: &p. fey der Hiſtoriker, der er war, dar 
durch geworden, daß er, bey fehr vortrefflichen natürlichen Ans - 
lagen, einem hoͤchſt fcharfen geiftigen Auge, einem eben fo feir 
nen Gefühle, und einem eben fo leichten Faffungss als gefuns 
den Beurtheilungsvermögen, zuerft mit dem gelehrten Forichen 
und Sammeln in dem weiten Gebiete der Geſchichte angefans _ 
gen, und zu gleicher Zeit einen großen Theil der Kraft feines 
Seiftes auf ein eifriges Studium der Philofophie in ihren 
Altern und neuern Formen verwendet habe. Syn allen feinen 
größern Werken finde der fachkundige Beurfheiler nichts mehr 
zu bewundern, als‘ das gläfliche Treffen, oder vielmehr die 
verftändige Auswahl des Stoffs, den er ſich zur Bearbeitung 
heraushob, und die fefte Enthaltfamfeit, womit er auf die 
Bearbeitung von diefem fich beichränkte. Ihm fey es vielleicht 
zuerſt gang Mar geworden, daß die Gedichte eines Staates 
noch etwas anders fey, als die Geſchichte feiner Negenten. 
Bey jeder hiſtoriſchen Arbeit habe er es fih zum Geſetze ges 
macht, fi zuerft ın den Beſitz des ganzen Stoffs zu feßen, 
der dabey zu bearbeiten war. An feinm frühen Entichluffe, 
fih zum gelehrten KHiftoriter zu bilden, habe wahrſcheinlich 
theils das damals in Stuttgart rege geweſene Intereſſe an Kors 
ſchungen über die vÄterländifhe Geſchichte, theils der Umgang 


416 Weber Spittfer von Planck, Heeren und Hugo, 


und das Beyipiel feines Lehrers Volz großen Aritheil gehabt. 
Bey der Theologie habe er damit angefangen, daß er fie his 
ſtoriſch ſtudirte, wovon fihb auch die Wirkung ſchon in den 
erftien Proben feiner Sihriftitellerey auf eine auszeichnende 
Meife gezeint habe. Sin jeder feiner hiftoriichen Arbeiten ſehe 
man den Gelehrten, dem kein Theil feiner Wiſſenſchaft, oder 
feine Provinz ihres unermeflihen Feldes ganz fremd und um 
befannt war. Sein Styl und feine Sprache habe bisweilen 
Anftoß erregt, wenn man mehrmals darin auf Ausdrücke oder 
BVeywoͤrter, die man nicht erwartet hatte, geſtoßen, .oder von 
Wendungen, auf die man nicht vorbereitet war, überrafcht 
worden fey ; aber für den unterrichteten Leſer habe fie dadurch 
defto mehr Belehrendes und Anziehendes erhalten, wobey fen 
Gedanke an Affectation bey ihm habe auffommen können, da 
er aus fo vielen andern Zeichen gewahr worden fen, daß &p. 
eher zu forglog, ale zu befümmert für feinen Styl geweſen. 
Da er meiftens forgfältiger, als noͤthig, und auch vielleicht 
ſorgfaͤltiger, als zuweilen gut geweſen, jeden Schein eines 
bloßen Auslegens von Pitteratur und Gelehrſamkeit vermieden 
have, fo finde man in mehreren feiner Schriften faft feine 
Eitate, fondern meifteng nur die hiftorifhen Hauptquellen für 
den behandelten Gegenftand, und für jeden Zeitraum, dur 
welche feine Geſchichte durchgeführt werden munite .. in Below 
derm angegeben. Doch davon ſey er in Ipätern Jahren etwas 
zurüdgefommen, und feine Vorrede zu einer ſpaͤtern Ausgabe 
feiner Kirchengefchichte laffe ſchließen, daß er jetzt wenigftens 
feinen angehenden Hiſtoriker von der Verpflichtung, feine 
Quellen und Autoritäten anzugeben, mehr dispenfirt, ja fih 
ſelbſt als erprobten Seichichtforfher nicht mehr davon dispens - 
fire Haben würde, wenn er noch eine def Arbeiten, zu denen 
er die Plane ſchon längft entworfen gehabt. hätte vollenden 
fönnen. Den größten Reiz habe für ihn das Entdecken und 
Aufgraben neuer Quellen für die Gefchichte gehabt. 

In Nr. 2. bat Ar. Prof. Hugo die Aufſaͤtze wodurch 
Hr. Prof. Heeren und er, theils im vaterländifchen Mus 
ſeum, theils im civrliftiihen Magazin, Spittler’s Andenken 
gefeyert haben, nebft den Anmerkungen eines. Ungenannten zu 
dem im Morgenblat ıdıı. Mr. 90. gı 99 — 99. befindlichen 
Abdrude des größten Theils der vögerahten Planck'ſchen 
Schrift Über Spirtler als Hiſtoriker, zuſammendrucken lajı 
fen, und dadurch das Publifum mit einer jhäßbaren Samm— 
lung von mandherley intereffanten Notizen üher Spitrler und 
feine vielfeitige Wirkſamkeit beſchenkt, die nicht bloß unterhält, 
— auch belehrt. 


— — — 


No. 27. : Heibelbersifhe . 4813, 
Jahrbücher der Litteratun 





— 








III DENE 


Nechtöfälle zur Erläuterung der Gerichtöverfaffung und Prozeßord⸗ 
nungen Weſtphalens. Herausgegeben von Dr. B. W. Pfeiffer, 
Subſtitut des koͤnigl. Generalprocureur's am Appellationshofe zu 
Caſſel. Erſter Band, drittes Stüf. Hannover, bey den Ger 
brüdern Hahn. XVI. ©, 201 — 516. Anhang ©; 83— 126. 


I, beeilen ung, diefe intereffante und lehrreiche Samms 
fung, deren frühere Hefte bereits in unfern Jahrbuͤchern (Jahrg. 
1811. ©. 241 — 252) mit verdientem Lobe angezeigt worden 
find, dem juriſtiſchen Publicum zur Kenntniß zu bringen. 
Auch das vorliegende dritte Heft, welches den erften Band be 
ſchließt, ſteht den früheren in keiner Hinfiht an Intereſſe nad, 
ja wir find geneigt, ihm einen eigenthämlichen Werth in. fos 
fern zuzuschreiben , als fih einige Abhandlungen deſſelben 
Cnämlidy die 20. und 21.) nicht bloß auf die Unterfuchung 
und Entwicelung einzelner abgefondert aufgegriffener proceffuas 
liſchen Puncte beziehen, fondern vielmehr die fyflematifche 
Darftellung und Erkiärung ganzer Nechtsmaterien zum Begens 
ftand haben, daher es denn auch kommt, daß diefes Heft, 
obwohl es ftärfer ausgefallen ift, wie die beyden vorhergehens 
den zufammengenommen, doch nur 7 Abhandlungen enthält, 
wogegen die beyden früheren Hefte zufammen ı5 Abhandlungen 
Darbieten. Jene 7 Abhandlungen. find von 186 Rechtsfaͤllen 
begleitet, mworunter jedoch die zahlreichen Auszüge, die der 
BVerf. aus den Urtheilen der Franzöfifchen fomohl, wie Weſt—⸗ 
pbälifchen Höheren Gerichtshöfen mittheilt, nicht mit begriffen . 
find. 

Die erfte Abhandlung (die ı6te der ganzen Sammlung, 
son ©. 201 — 232) führt den Grundfaß aus, daß der Fremde, 
wegen Verbindlichkeiten, die er gegen einen Weſtphalen übers 
nommen bat, vor den Berichten des Königreichs belangt wers - 
den kann, wenn er gleich kein Vermögen im Lande befist, und 

27 


117 Eu Rechtöfälle von B. W. Pfeiffer. 


wenn gleich die Verbindlichkeit noch vor Einführung des Gefeg: 
bachs Navoltohs“ eingeganach "würde, “Die Übrigen Fragen, 
zu denen der hier in Frage kommende Artikel 14. des C. N. 
wohl DVeranlaffung gegeben hat, namentlid in wiefern perföns 
liche Gegenwart des Fremden im Lande erfordert werde, oder 
in wiefern aud) andere als vertragsmäßige Verbindlichkeiten 
winter die Dispofition des vorangezogenen Artikels begriffen 
feyen ,; beruͤhrt der Verf. mit Recht nur vorübergehend, weil 
ruͤckſichtlich ihrer die Stimmen jetzt wohl nicht weiter getheilt 
feyn daͤrften. Auch die erſte der hier eigentlich in Unterſu— 
hung fommenden Fragen, die der Verf. aus ber Eigenthäms 
lichkeit der Franzoͤſiſchen und Weftphäliichen Gerichtsverfaffung 
fehr richtig bejaht, und die, wie der Verf. nachweiſ't, unter 
den Stanzöfifchen Nechtsgelehrten im Grunde nie als ftreitig 
ängefehen worden ift, dürfte jest feldjt unter den Deutichen 
Juriſten alb entſchieden angenommen werden. Der Caſſelſche 
Appellationsgerichtshof hat zwar in dem vom Verf. mitgetheil— 
ten abten Rechtsfalle die entgegengeſetzte Meynung anzenoms 
men, allein die hier aufgefuͤhrten Gruͤnde duͤrften wohl ſchwerlich 
jemanden Überzeugen, und es ift auch diefes Erkenntniß bereits 
burch den MWeftphätifchen Staatsrath caſſirt worden. Die zweyte 
oben erwaͤhnte Frage wird vom Verf. gleichfalls bejaht, und 
wir nehmen kein Bedenken, ihm hierin vollkommen beyzu— 
pflichten, zwar nicht aus dem Grunde (worauf auch der Verf. 
ſelbſt nicht ſein Hauptgewicht legt), weil die Competenz ſich 
jedesmal nach dem Zeitpuncte richte, wo der Rechtsſtreit bey 
dem Gerichte anhängig gemacht werde (denn hätte der Ges 
feßgeber wirklich beym Art. 14. die Anfiht gehabt, welche, 
wie der Werf. zeigt, die Franzoͤſ. Juriſten damit zu verbinden 
pflegen, ſo wuͤrde eben dadurch der obige Grundſatz vom Ge— 
ſetzgeber ſelbſt in dieſer Hinſicht eine Modification erlitten 
haben), wohl aber wegen der ſtaatsrechtlichen Ruͤckſichten, die 
diefem Art. ganz unbezweifelt zum Grunde liegen. Wir mer 
hen Hierbey zugleih auf die mufterhafte Ausführung dieſer 
Frage in dem vom Verf. mitgerheilten Erkenntniffe des Dis 
firietstribunals zu Rinteln aufmerffam, welches zwar durch 
das bereits erwähnte Erkenntniß des auch hierin die entgegens 
geſetzte Meynung adoptirenden Appellationshofes zu Eaffel aufs 


Nechtsfälle von B. W. Pfeiffer. 419 


gehoben wurde, indeſſen durch ein caffirendes Erfenntniß des 
Weltphälifhen Staatsrathes ruͤckſichtlich dee ihm ftatuirten 
Principes wieder hergeftellt worden iſt; aus der Franzoͤſiſchen 
Praxis theilt der Verf. ein Erkenntniß des Appellationshofes 
zu Trier mit, worin beyde Fragen gleichfalls bejahend entſchie⸗ 
den worden ſind. — Die Abhandlung unter Nr. XVII. (S. 
252 — 264) betrifft die ſehr ſchwierige Frage, nach welchen 
Grundſaͤtzen ſich die Competenz der Weſtphaͤliſchen Gerichte 
über Klagen zwiſchen Ausländern richte? Nachdem ber Verf, 
die verfchiedenen Anfihten der Franzöfifchen und Deutſchen 
Rechtsgelehrten über diefe Frage ducchgegangen hat, fo pflichs 
get er der Grolmanſchen oder vielmehr Locre'fhen Ans 
fiht bey, zufolge welcher lediglich die verfchiedene Eigenichaft 
des Geſetzes, vom welchem bie Enticheidung des in Frage 
fiehenden Rechtsſtreites abhängt, den Ausfchlag gibt. Der 
Verf. zeigt fehr deutlih, daß fich die ganze Sache Lediglich 
auf die Frage reducire, welchen Gefegen überhaupt ein Indi⸗ 
viduum unterworfen fey (ein Gefichtspunct , den wir ſchon in 
der erften Ausgabe des Zahariäfchen Kompendiums anger 
beutet gefunden haben), daß hierüber der Art. 3. des €. N. 
ausdrüdliche Beftimmungen aufftelle, und daß ruͤckſichtlich der 
perfönlihen Verbindlichfeiten der allgemeine Srundfaß, welcher 
den Kläger an den Gerichtsftand des Wohnfikes vermweife, ents 
fcheide ( wofür in dem unter Mr. 28. mitgetheilten Rechtsfalle 
ein Erkenntniß des Appellationshofes zu Paris und des kaiſerl. 
Caſſationshofes ſpricht), jedoch mit Beruͤcküchtigung der in den 
Art. 11. und 13. enthaltenen Modificationen (von denen die 
leßtere in dem unter Mr. 27. mitgetheilten Rechtsfalle zur 
Sprache fam, und von dem Appellattonshofe zu Paris anges 
wendet wurde). Die Klagen auf Privarfatisfaction wegen 
peinlicher oder poligeplicher Wergehungen beurtheilt der Berf., 
wie ung fheint, ganz richtig nach dem $. 1. Art. 3., ohne 
zu untericheiden, ob diefelben zugleich mit der accusatio oder 
erſt nad) derfelben angebracht find, fo wie auch die dinglichen 
Klagen wegen beweglicher Sachen ganz im Geift der Sranzds 
ſiſchen Legislation unter den $. 3. des Art. 3. rangirt werden. 
Dagegen verwirft er für Weſtphalen die Anwendbarkeit der 
Ausnahme, welche die Sranzöfiichen Juriſten hinſichtlich der 


420 Hechtöfälle von B. W. Pfeiffer. 


zwifchen Ausländern auf Meffen und Märkten eingegangenen 
Berbindlichkeiten von den bisher ausgeführten Grundſaͤtzen mas 
chen, weil diefe Ausnahme in Frankreich felber nicht auf dem 
€. N., fondern auf einer in feiner Hinſicht in jenem anges 
deuteten , von jeher befolgten practifhen Anficht berube. Der 
ggte von dem Appellationshofe zu Caſſel entichiedene Nechtsfall 
"enthält eine Anwendung des in Anfehung der Klagen auf Pris 
vatlatisfaction aus Poligey s oder peinlihen Vergehen ausge 
führten Grundfaßes, doch bemerken wir, daß der Gerichtshof 
in dem vierten Entfheidungsgrunde fih auch ausdrädtich mit 
darauf ftäßt, daß die hier angefteflte Klage, wenn fie gleich 
nur bewenlihe Sachen zum Gegenftand habe, dennoch nad) 
der Beſtimmung des $. 2. Art. 3. zu beurtheilen fey, welchem, 
wie wir gezeigt haben, die Anficht des Verf. widerſtreitet. 
Sin der Abhandlung XVIIL (©. 265— 277) unterfudt 
der Verf. die Frage, ob eine caffationsfähige Weberfchreitung 
der richterlihen Gewalt auch darin liege, daß ein Gericht nad) 
Willkuͤhr und ohne dur ein Gefeß dazu ermächtigt zu Senn, 
eine DVerurtdeilung ausiprehe ?- Diefe Unterfuchung fcheint 
durch den zu ihr gehörenden 30. Nechtsfall veranlaßt worden 
zu ſeyn, worin der Weftphäliihe Staatsrath ein friedensrich 
terliches Erkenntniß aus dem Grunde caffirte, weil es eine 
DVerurtheilung ohne ein dazu ermächtigendes Geſetz enthalte, 
mithin eine förmliche Weberfchreitung der richterlichen Gewalt 
involsire. Der Verf. bemerkt, daß in dem koͤnigl. Decrete 
vom 20. May ı8og die Weberfchreitung der richterlichen Ge 
mwalt und das Erkennen wider eine ausdrückliche geſetzliche 
Vorichrift als verfchiedene Caſſationsgruͤnde aufgeführt feven, 
welches in foferm wichtig fey, als das Rechtsmittel der Caffar 
tion nur aus dem erfieren Grunde gegen friedensgerichtlihe 
Erkenneniffe Statt finde. Hieraus dedueirt denn der Verf., 
daß, da das Erkennen wider ein ausdrückliches Geſetz feine 
Ueberichreitung der richterfichen Gewalt enthalte, dieſes im 
Ganzen noch viel weniger von dem Falle behauptet werden 
fönne, wenn ohne alle gefeklihe Beſtimmung erfannt fer. 
Das erwähnte Staatsraths-Erkenntniß fey daher nur auf den 
Fall zu befchränfen, wenn eine DVerurtheilung ohne alle gefedı 
liche Beſtimmung ausgefprochen ſey, weil Hier freylich nichts 


Nechtöfälle von B. W. Pfeiffer, 421 


anders als richterlihe Willtühr zum Grunde liege; aber ung 
fheint, daß, wenn der Verf. dies als richterlihe Willkuͤhr 
anfehen will, Ddiefe gewiß in einem nod höheren Grade da 
vorhanden fey, mo der Nichter mit Hintanſetzung eines aus⸗ 
druͤcklichen Geſetzes etwas anderes erkennt. 

XIX. (S. 278 —5301) Muß der, welcher gegen eine 
Ehefrau klagt, ſelbſt dafuͤr ſorgen, daß dieſelbe von ihrem 
Ehemanne autoriſirt werde, oder kann er, wenn dies unters 
bleibt, ein Contumacial Wrtheil gegen fie auswirken? Die 
Hier in Unterfuhung gezogene Frage ift bey dem gänzlichen 
Mangel beflimmter gefeßlicher Dispofitionen um fo intereffans 
ter, als die Fälle, weiche die Enticheidung derfelben nothmwens 
dig machen, der Matur der Sache nah nicht felten feyn 
koͤnnen. Der Verf. geht zuvoͤrderſt mehrere der bisher verfuchs 
ten Beantwortungen durch, und zeigt, daß diefetben theils dem 
Heavfichtigten Zweck nicht entiprechen, theils nicht aus gefeßlis 
hen Verfügungen gerechtfertige werden fünnen. Dies führt 
ihn auf den Grundſatz, daß die Entiheidung hier nun theils 
aus den mittelbaren Quellen des neuen Rechts, d. h. den flatts 
gehabten Öffentlichen Verhandlungen, theils aus der über diefen 
Gegenftand bereits firirten Franzoͤſiſchen jurisprudence herge— 
nommen werden könne, und ſo tritt er denn der durch beys 
nahe alle Franzoͤſiſche Rechtsgelehrten vertheidigten, durch die 
Franzöfifhe Praris fanctionirten und auch bereits durch die 
geihäßteften Deutihen Bearbeiter des neuen Prozeſſes adop⸗ 
tirten .Meynung bey, daß es nämlich lediglich die Sache des 
Klägers fen, für die Erfüllung derjenigen Bedingungen zu 
forgen, unter denen eine Ehefrau allein fih rechtlich gu vers 
theidigen im Stande ift, daß diefer mithin den Ehemann zur 
Ertheitung der Autorifation anffordern muͤſſe, dieſe aber als 
eine bloße Formalität im Weigerungsfalle des Ehemannes vom 
Gericht fofort zu fuppliren fey. Zur Erläuterung der in diefer 
Abhandlung aufeftellten Grundſaͤtze Hat der Verf. fünf Rechts—⸗ 
fälle mitgetheilt, wovon drey (Mr. 5ı. 33. 34.) aus ber 
Franzoͤſiſchen jurisprudence entlehnt find, die beyden Äbrigen 
Hingegen (Nr. 32. 35.) Erkenntniffe des Appellationshofes zu 
Caſſel enthalten, von denen bejonders das leßtere eine auffal 
lende Abweichung ‚von ben bier vorgetiagenen Grundfäßen 


* 


422 Rechtsfaͤlle von B. W. Pfeiffer. 


enthaͤlt, indem es von dem Geſichtspuncte ausgeht, daß es 
lediglich die Pflicht der verklagten Ehefrau ſey, für die Eu 
theilung der ihr nöthigen Autorilation Sorge zu tragen. 

XX. (©. 501 —442) Ueber die gefeßlihen Erforderniſſe 
der Appellationseinwendung und deren bey Strafe der Nichtigs 
feit zu beobachtende Foͤrmlichkeiten. Der Verf. liefert uns hier 
eine ausführliche, aus dem Geiſte der Geſetze geichöpfte und 
mit den Entfcheidungen der oberſten Gerichtshöfe verglichene 
Darftellung der angedeuteten Materie, für welche muͤhſame 
Arbeit das juriſtiſche Publicum dem Verf. deſto mehr Dank 
wiſſen muß, je einflußreicher und ſchaͤdlicher alle Mißgriffe in 
dieſem Puncte zu ſeyn pflegen, und je nuͤtzlicher daher in je— 
der Hinſicht die Kenntniß einer ſtaͤten und ſichern Praxis ſeyn 
muß. Der Verf. hat dieſe Abhandlung in zwey Abſchnitte 
eingetheilt. Die erſte, die von der geſetzlichen Friſt der Ap⸗ 
pellationscinwendung handelt, beſchaͤftigt ſich vorzuͤglich mit 
folgenden vier Fragen: 1) von der Dauer der Appellations— 
frift im Allgemeinen ; 2) von der Begründung des Laufes der 
Apvellationsfrift durch die Inſinuation des Erfenntniffes erſter 
Sinftanz. Hier folgt nun die ganze Lehre von den Erforden 
niffen, deren Beobachtung die Gültigkeit diefer Appellationgfrit 
vorausfest. Der Verf. kommt hier natärlih auch auf bie 
Frage, 06 bey diefer Inſinuation auch alle diejenigen Bor 
ſchriften bey Strafe der Michtigkeit zu beobachten ſeyen, Die 
die Art. 7. und 8. der Prozeßordnung für diel Inſinuation der 
Vorladungen vorſchreiben? Wir hätten gern gewuͤnſcht, daß 
es dem Verf. gefallen haͤtte, die verneinende Beantwortung 
dieſer Frage etwas ausfuͤhrlicher zu rechtfertigen, als es durch 
die mitgetheilten zwey Auszüge aus Erkenntniſſen des Caſſeler 
Appellationshofes geſchehen konnte. Denn wenn, wie leicht 
gezeigt werden kann, die Beſtimmungen der Art. 7 und d. 
unmittelbar aus dem Zweck der Inſinuation felber hergenom' 
men find, fo möchte es in der That fchwer feyn, Gründe auf 
zufinden, welche eine folhe Werfhiedenheit in dem einen um 
in dem andern Falle rechtfertigen könnten, zumal da es in dt 
Lehre von der Appellation keinen einzigen Artikel gibt, de 
fih mit den aͤußeren Formalitäten des Inſinuationsactes be—⸗ 
ſchaͤftigt, vielleicht weil man eben annahm, dieſen Punct til 


Nechtsfälle von B; W. Bfeiffer- 423 


für allemal in den Art. 7 und 8. erledigt zu- Haben. :-3): Mon 
der Berechnung der Appellationgfrift. Hier beſchaͤftigt firh der 
Verf. vorzüglich mit der Frage, ob die Beſtimmung des Art; 
955., daß im Fall der Entfernung der Parthey dev. Friſt für 
jede 3 Myriameter ein Tag hinzugefügt werden, ſolle, auch 
auf die Appellationsfcift anwendbar fey, und der Verf; vers 
neint fie, weil der Art. 995, nur den. Fall ;worr Augen habe, 
wo eine Parthey die andere vorlade oder zu etwas ‚auffordere, 
Iſt es aber auf der andern Seite nicht mertwärdig z. daß die 
duch den Aufenthalt außerhalb des ‚Königreichs: verur fachte 
Entfernung nach ausdrücklicher Befimmung des Art: B47; die 
Appellationgfeift verlängert? Diefer Artikel war freplich: noth⸗ 
wendig, weil ohne ausdrädliche Dispoſition die. Ausdehnung 
des Art 23. anf die. Appellationgfrift in feiner Hinſicht zu 
rechtfertigen gewefen wäre; für die Anwendung des Art. 953. 
bedurfte es aber keiner folhen ausdrädlihen Beſtimmung, 
weil diefer ganz am Ende der Proz. Ordn. unter der Rubrik 
allgemeine Berfügungen enthalten iſt, alſo ſchon durch 
feine Stellung den weiten Umfang feiner. Aumendborfeit ans 
deutet. Auch ift es nicht zu leugnen, dad diefer Artikel nicht 
bloß von dem delai general fixe& pour lesajgurne 
mens etc., fondern überhaupt auch von allm autres:actes 
faits 4 personne ou domicile redet. Wir. würden 
es daher gern gefehen haben, wenn fih der Verf. : fpeciell: mit 
der Frage befchäftigt hätte, mie die Appellationdeinmendung 
geſchehen muͤſſe, und wann diefelbe für interponirt: zu halten 
jey ? fann died.nur in dem, dem Appellaten zu: infinwivenden, 
Aste gefhehen, und muß diefe Synfinuation nothwendig inner 
Halb der vorgefchriebenen Appellationsfrift erfolgen, ſo iſt e# 
augenfällig, daß der Entfernte nicht der naͤmlichen Friſt ges 
nießt, wie derjenige, bey dem dieſe Entfernung nicht eintritt, 
und hat man diefer Entfernung,. wenn fie durch Aufenthalt 
außerhalb des Königreichs veranlaßt if, Einfluß auf die Aps 
pellationgfrift gegeben, fo. ift nicht abzufehen, warum dies nicht 
bey der, Entfernung im Königreich gleichfalls der Fall ſeyn 
fol, da doch dieſelbe nach Art. 953. fonft allgemein vom Ges 
feßgeber auch beruͤckſichtiget iſt. Uebrigens wendet man ja den 
Art. 955. auch in Anfehung der Ausichliefung des Infinuas 


424 Rechtsfaͤlle von B. W. Pfeiffer 


tionstages anf die Appellationgfrift an, -und gegen die: Bemer⸗ 
tung. des DVerf., daß dies in ber Natur der Sache liege, und 
fih aud ohne gefeßliche Dispofition ſchon von felbft verftehe, 
laͤßt fi immer wieder fragen, wozu denn jene fpecielle Des 
ſtimmung, wenn dies auch wirklich die Anſicht des Geſetzgebers 
gewefen wäre ? daher wir auch die Entiheidung des Appella 
tionshofes von Turin in dem vom Verf. angeführten Urtheile, 
wornad der Art. 1055. ( 953.) aud in KHinficht des Inſinua⸗ 
tionsrages nicht auf die Appellationsfrift anwendbar feyn fol, 
nicht anders als ſtreng confequent finden können. - Indeſſen ift 
die Praris der Franzöfiihen fowohl, wie der Weftphäliihen 
Serichtshöfe in diefer Hinſicht einmal entfchieden, ein Um 
ſtand, wodurch man fich vwielleiht- von einer theoretifchen Um 
terfahung der Frage dispenſirt glaubte. Mur bemerken mir 
nod) , daß die Gründe des Appellationshofes von Turin uns 
unter dieſen Umftänden mehr Gewicht zu verdienen fcheinen, 
als der Verf. ihnen einräumen will. 4) Bon ber KEigenidaft 
der Appellationsfrift als abfolutes fatale, oder in wiefern die 
Defention von Amtswegen berückfichtigt werden könne? Der 
Verf. - bezieht fih mit Recht in Hinfiht der ausführlichern 
Erxdrterung diefer ſehr wichtigen und außerordentlich beftrittenen 
Frage auf die gründlichen Ausführungen der Herren Hager 
mann und v. Stromberf; er felber tritt der verneinenden 
Meynung des lebteren Mechtsgelehrten bey, indem er fehr rich 
tig zeigt, daß der Hauptgrund des Hrn. Hagemann, wii 
nad) diefer die ganze Sache auf den Sefihtspunct der In— 
competenz zuräczuführen ſucht, hier nicht zugreifen kann, ohne 
die bisher mit diefem Ausdrud verbundenen Begriffe gänzlid 
zu verwirren. Die Praxis des Kaffelfhen Appellationshofts 
über diefe Frage hat fih noch nicht firire, indem zufolge der 
von dem Verf. mitgetheilten Auszüge aus den Erkenntniſſen 
diefes Gerichtshofes fogar eine und die nämlihe Section dei 
felben in verfchiedenen Fällen verfchieden erkannt hat. — Der 
zweyte Abſchnitt diefer Abhandlung beichäftigt ſich nun mit den 
Sörmlichkeiten der Appellationsanzgeige im Einzelnen, umd vor 
allen Dingen erörtert der Verf. hier die allgemeine Frage, 06 
bloß der. Art. 366. oder audh-der Art. 6. der Prog. Ordn. ald 
Duelle der Vorſchriften anzujehen fey, die bey Strafe det 


Nechtöfälle von B. W. Pfeiffer. 425 


Nichtigkeit bey der Appellationseinwendung beobachtet werden 
muͤſſen. Der Verf. entfcheidee für das erftere, weil, wenn 
. gleich der Art. 368. die für die Untergerichte vorgefchriebenen 
Regeln auch für anwendbar in der Appellationsinftan; erfläre, 
dies dennoch dur den Zufas im übrigen ausdrüdlih nur 
auf diejenigen Gegenftände befchräntt werde, worüber die Lehre 
von dem’ Appellationsverfahren nicht eigene Regeln aufftelle, 
wohin aber die Appellationsanzeige gehöre, ale deren Erforders 
niffe der Art. 356. einzeln aufzähle. Allein es ift ja natürlich, 
daß die Appellationsanzeige, wovon im erften Verfahren gar 
nicht die Rede feyn konnte, vermöge ihrer eigenthuͤmlichen 
Natur befondere Beftimmungen nöthig machte, die erft hier 
aufgeführte werden mußten; außer diefen follen denn aber die 
übrigen (les autres r&gles, wie fi vielleicht der 
Franzoͤſiſche Tert deutlicher ausdruͤckt) für die Untergerichte 
vorgejchriebenen Regeln in der Appellationsinftanz zur Anwen⸗ 
dung kommen. Wäre der Art. 568. dem Art. 356. unmittels 
bar als Nachſatz angehängt, fo würde die Sache noch weniger 
zweifelhaft ſeyn; dies konnte num freylich nicht gefchehen, weil 
man nicht nur die Anwendbarkeit der für die Klage vorgefchrier 
benen Regeln, Sondern auch aller übrigen Vorſchriften des 
untergerichtlichen Verfahrens, die nicht ſchon durch widerſpre— 
ende Beſtimmungen für das Appellationsverfahren von felber 
als unanwendbar dargeftellt find, auf die Appellationsinftanz 
damit ausdruͤcken wollte; allein es ſcheint uns, als ob diefer 
Artikel rücfichtlich jedes einzelnen Acts ald Anhang des dens 
felben betreffenden Artikele angefehen werden müffe.. Auch 
führt die der Erflärung des Verf. zum Grunde liegende Ans 
fiht etwas zu weit, wie er felber $. 15. bey der Frage von 
der Beichaffenheit der Infinuation und der Form ihrer Ber 
werfitelligung anzuerkennen fcheint. Der Verf. folgert, feiner 
Anfiht gemäß, daß die Angabe des Patents, die Unterichrift 
des Anmwalds zweyter Inſtanz und die Bezeichnung des Das 
ums mit Buchſtaben nicht noͤthig feyen. Die Praxis des 
Appellationshofes zu Caſſel war anfangs über diefe Frage ges 
theilt, indem die erfte Section nad der Anſicht des Verf., 
bie dritte aber für die entgegengefekte Meynung entichied; 
indeſſen iſt die letztere in fpäteren Erkenntniſſen auch der Mey; 


426 Rechtsfaͤlle von B. W. Pfeiffer, 


nung des Verf. beygetreten. Bey der hierauf folgenden Unter⸗ 
ſuchung, ob nämlich die im Art. 356. vorgeſchriebenen Erfot— 
derniffe bey Strafe der Michtigkeit zu beobadhten feyen, erkennt 
der Verf. es felder an, daß die: in diefem Artikel angedrohte 
Nullität nur die Form der Sinfinuation zum Gegenftand habe, 
dennoch erfahren wir, daß der Kajfeler Appellationshof von 
jeher unbedenklich angenommen. habe, daß die fämmtlichen 
Erforderniffe diefes Artikels bey Strafe der. Nichtigkeit zu bes 
obachten feyen; ein Verfahren, welches der Verf. zwar durd 
die nachtheiligen Folgen, welche die entgegengefegte ‚Erklärung 
haben würde, zu vechtfertigen fucht, das wir aber mit-der bey 
den früheren Fragen vom Gerichtshof beobachteten Scrupulos 
firät nicht zu vereinigen wiffen, und. wielleiht dürfte das der 
Matur der Sache nach ftets ſchwankende Princip der Zweds 
mäßigfeit, wornah der Verf. alle diejenigen Puncte, worüber 
der Art. 356. nichts Specielles beftimmt, beurtheilt wiffen 
will, nicht weniger nachtheilige Folgen haben, als vom Verf. 
vorher angegeben worden find. Der Verf, nimmt bierauf in 
den $$. 9— 26. die einzelnen im Art. 356. aufgeftellten re- 
quisita mit feiner gewohnten Gründlichkeit und Scharffinn 
buch, und belegt alle Srundfäge mit Auszügen aus Erfennts 
niffen fowohl der Franzoͤſiſchen, als der Weftphälifchen oberften 
Siricheshöfe. Es würde zu mweitläuftig werden, dem Berf. 
in diefer feiner Entwicfelung zu folgen; wir befchränfen und 
daher unr auf dasjenige, worüber uns befondere Bemerkungen 
aufgeftoßen find. In diefer Hinſicht find wir freylich völlig 
mit dem Verf. vinverfianden, wenn er bey der Unterſuchung 
der Frage, ob die für die Appellationsanzeige vorgefchriebene Vor— 
ladung bloß im Allgemeinen die gefegliche Frift andeuten dürfe, 
oder die Dauer derfelben fpeciell- angeben muͤſſe, fich gegen die 
allgemeine Praxis des Caſſeler Appellations s Gerichtshofes für 
die leßtere erklärt, und wir glauben, daß in dem unter Nr. 56. 
mitgetheilten Urtheile des Turiner Appellations s Gerichtshofes 
diefer fih durch die Gruͤndlichkeit feiner Entfheidungen durchs 
gehende fo fehr auszeichnende Gerichtshof alles erfchöpft habe, 
was für diefe leßtere Meynung gefagt werden kann; .allein 
unferer Meynung nach freiten diefe Gründe auch fo fehr gegen 
die vom. Gaffelee Appellationg / Gerichtshofe in Anfehung der 


Nechtöfälle von B. W. Pfeiffer. 427 


geſetzlich vorgefchriebenen Bezeichnung des Gerichtshofes, vor 
welchen die Vorladung. gefhieht, angenommene Praris, daß 
wir ung wundern, wie dies dem Verf. hot entgehen mögen, 
zumal da diefe Anwendung in dem erwähnten Turiner Erkennts 
niffe ausdräcdticdh hervorgehoben wird. Eben fo wenig fönnen 
wir mit dem Verf. übereinftiimmen, wenn er $. 20. ©. 890 
behaupten will, daß wefentliche Mängel der Abfchrift der Aps 
pellationsanzeige nicht in Betrachtung kommen können, wenn 
fie fih nur im Driginal nicht befinden; fein Grund, daß der 
Art. 8. die Strafe der Nichtigkeit auf die unterbliebene wörts 
liche Webereinftimmng nicht feftiege, läßt fich leicht dur die 
Bemerkung befeitigen, daß der Artikel die Zuſtellung der Abs 
fhrift der zu infinuirenden Schrift bey Strafe der Nichtigkeit 
vorſchreibt, daß aber dieſe Forderung für erfüllt nicht anges 
fehen werden kann, wenn die infinuirte Schrift in den wefents 
lihen Puncten von der zurückbehaltenen abweicht ; fie hört hier 
auf, dem Begriff einer Abfchrift zu entſprechen, die doch für 
den Appellaten immer Original feyn fol, und hinfichelich wel⸗ 
cher auch der ganze Zweck, warum das uriprüngliche Original 
beym Appellanten zurück bleibt, nur in fofern erreicht werden 
fann, als es mit der infinuirten Abfchrift treu Übereinftimmt. 
Zu einer Vergleihung der Abfchrift mit dem Driginal bey der 
Inſinuation ift aber der Appellat nicht verbunden, weil er fid) 
auf die gefeßliche Vorſchrift, daß ihm eine Abdfchrift zugeftellt 
werden folle, berufen kann. — . Die 6$. 21-— 27. enthalten 
die Entwicelung des Grundſatzes, daß die Inſinuation an 
den Appellaten in Perfon oder an feinem Wohnfiße geichehen 
müffe, und im $. 27. wird dann ein furges resume der ſaͤmmt⸗ 
dihen bey der Appellationsanzgeige theils wefentlichen, theils 
entbehrlichen Förmlichkeiten gegeben. Die Folgen der $$. aB. 
bis 35. enthalten die Entwickelung einiger allgemeinen Grunds 
fäße, die fih auf folgende drey Hauptpuncte reduciren laffen. 
2) Ueber den Einfluß der Nichtigfprehung einer Appellationgs 
anzeige auf die Befugniß zu appelliren; der Verf. verweißt 
Hier mit Recht auf die unter Mr. IL. diefer Sammlung ents 
haltene Unterſuchung diefer Frage. 2) Ueber die Fälle, in 
Denen auf wirklich vorhandene Nichtigkeiten dennoch nicht ers 
Pannt werden kann. Der Verf. ftellt als Princip den Grundfaß 


. 428 Nechisfälle von B. W. Pfeiffer. 


auf, daß dies nur unter der Vorausſetzung gefchehen koͤnne, 
daß von Seiten des Appellaten eine ausdruͤckliche oder ſtill— 
fhweigende Entfagung angenommen werden könne ; und hierauf 
geht er denn die einzelnen Handlungen durch, in denen eine 
ſolche ſtillſchweigende Entiagung enthalten ſey. Dahin rechnet 
er mit Recht die unterlaffene Nüge der Michtigkeit, eine ge 
hörig begründete contumacia, und alle Handlungen, die der 
Appellat zufolge der nichtigen Appellationsanzeige vornimmt, 
fofern darin eine nothwendige Anerkennung der mit Nichtigkeit 
betroffenen Handlung enthalten ift, 3. E. die Sinfinuation der 
Anmwaldsbeftellung nicht an. den Appellanten in Perſon, fon 
dern. an feinen auf eine michtige Weiſe beftellten Anwald, 
Sehr gezwungen fcheint es uns aber, wenn der Verf. $. 3o. 
auch den Fall mit unter die Categorie der Entfagung gu rans 
giren fucht, wenn der Appellat feine Behauptung der Hichtigs 
feit der Appellationsanzeige weder mit fpeciellen Thatumftänden 
belegt, noch auch den Beweis derſelben vorzulegen im Stande 
iſt; denn hier ift wenigftens rechtlih genommen der hier in 
Unterfuhung fiehende Fall, daß auf eine in der That vorhans 
dene Nichtigkeit dennoch nicht erkannt wird, gar nicht worhans 
den. 3) Weber die Anwendbarkeit der gefeglichen Förmtichkeiten 
der Appellationsangeige auf die in der Appellationsinftan; ans 
gebrachte Bitte um ein Verbot der vorläufigen Vollſtreckung 
und auf die Incidentappellation. In Hinſicht der letzteren 
wird diefe Anwendbarkeit mit Recht vom Verf. geleugnet, weil 
gerade der eigenthümliche Charakter der Sincidentappellation 
darin beftehe, daß fie kein felbftftändiges Rechtsmittel bilde. 
Ruͤckſichtlich der Bitte um ein Verbot der vorläufigen Rolk 
fireefung entwickelt. der Verf. zuvörderfi den hier zwiſchen dem 
Appellaten und Appellanten Statt findenden Unterſchied, und 
zeigt hieraus, daß die Frage eigentlih nur in Beziehung auf 
den le&teren zur Sprache kommen könne; indeffen leugnet er 
auch bier die fraaliche Anwendbarkeit, weil der Art. 359. nur 
eine Vorladung und die Mittheilung des Geſuchs an den Apr 
aten vorfihreibe, man alfo nichts mehreres und am wenig 
fien bey Strafe der Nichtigkeit fordern dürfe. 
XXI. (©. 447— 510.) Das Verfahren in. Ehefcheidungd 
fahen ıft ganz unabhängig von den Vorſchriften der bürgerlichen 


Nechtsfälle von B. W. Pfeiffer. 429 


Prozeßordnung, und erhaͤlt durch die Verfuͤgungen des Geſetz⸗ 
buchs Npoleons ſeine unabaͤnderliche Beſtimmung. Dieſe 
Ueberſchrift zeigt den Gegenſtand und den Zweck dieſer Abhand⸗ 
lung deutlich an. Der Verf. geht dabey von der Grundanſicht 
aus, daß das gerichtliche Verfahren bey Eheſcheidungen gar 
kein proceſſualiſches Verfahren genannt werden koͤnne, ſondern 
dem Verfahren bey Adoptionen und Interdictionen zu vergleis 
chen ſey, daß es alſo gemwiffermaßen als eine weſentlich noth⸗ 
wendige Form erſcheine, deren Beobachtung zur rechtlichen 
Begruͤndung einer Eheſcheidung eben ſo nothwendig ſey, wie 
zur guͤltigen Exiſtenz einer Schenkung oder hypothecariſchen 
Schuldverſchreibung die geſetzliche Mitwirkung von Notarien. 
Daher denn auch jeder Schritt ſtreng zu beobachten ſey, indem 
ſeine Hintanſetzung die Nichtigkeit des ganzen Verfahrens zur 
Folge habe. Der Verf. geht hierauf den Gang des Ehefcheis 
dungsverfahrens, in fofern aus beftimmten Urſachen geklagt 
wird, in feinen Hauptmomenten duch, und zeigt Schritt für 
Schritt durch ein fletes Rückblicken auf den gewöhnlichen pros 
ceffualifhen Gang die Eigenthämlichkeiten des erfteren, z. €. 
daß die unterlaffene Mitwirkung des ministere publique hier 
nicht etwa nah Art. 425. Nr. 8. der Proz. Drdn. die re- 
que&te civile begründen, fondern Überhaupt das ganze Verfahs 
ren nichtig machen würde, daf die Nothwendigkeit der Anwälde 
hier nicht eintrete, daß ein Erkenntniß über die Zulaͤſſigkeit 
der Ehefcheidungstlage immer wefentlih fey, wenn es gleich 
nah allgemeinen procefjualifchen Beflimmungen nur in fofern 
erfordert werde, als Einreden gegen die Zuläffigkeit vorgebracht 
feyen, daß ferner das Erkenntniß in der Hauptſache unmittels 
bar auf diefes Admiſſionserkenntniß folgen müffe,: ohne Zwir 
ſchenraum auch nur eines einzinen Tages, daß gegen das in 
der Hauptſache erfolgende interlocutorifhe Erkenntniß feine 
Berufung Statt finde, daß der in Gemaͤßheit deffelben unters. 
nommene Zeugenbeweis überall nicht an die Vorſchriften der 
Mroz. Drdn. gebunden fey, daß eine Entjagung auf die ge 
ſetzlich zuſtehenden Rechtsmittel von keiner Wirkung fey, daß 
das Rechtsmittel der Oppofition fi nur auf die in der Appels 
lationsinftanz ergangenen Contumatialerfenntniffe befchränfe zc. 
Alle diefe Srundfäge find mit Ausſpruͤchen der Franzoͤſiſchen 


430 Rechtöfälle von B. W. Pfeiffer, 


Serihtshöfe belegt worden, wovon der Verf. unter Nr. 57. 
bis 45. incl. mehrere in extenso mitgetheilt hat. 

XXU. (S. 510 — 516) Die gegenfeitige Aufhebung 
( Compeniation ) der Prozeßkoſten zwifchen Ehegatten und Vers 
wandten ift nicht fireng verboten, fondern der richterlihen Bes 
urtheilung uͤberlaſſen. Diefe Abhandlung enthält bloß eine 
Hechtfertigung. der Deutſchen Weberfekung des Art. 87. der 
Proz. Drdn., indem der Berf. zeigt, daß fie, wie der Frans 
zoͤſiſche Text, die Compenfation nicht unbedingt vorſchreibe, 
ſondern nur facultativ mache. 

Der Anhang enthält sub nr. IT. (©. BB 86) ein 
Schreiben des Kern Zuftigminifters über die Unanwendbarkeit 
der bürgerlihen Proz. Ordn. im Ehefcheidungsverfahren , und 
sub nr. III. (87— 118) gibt der Verf. nad einer geiwiffen 
Miaterienordnung Auszüge aus Erfenntniffen des fönigl. Staats 
vathes und des Caſſeler Appellationg » Gerichtshofes Über vers 
mifchte proceffualifhe Rechtsfragen. Den ganzen Band befchließt 
ein zweckmaͤßiges Sachregiſter. 


Handbuch zum ſyſtematiſchen Studium des neuſten römifchen: Privat: 
rechts nah den Grundſaͤtzen des Herrn Oberappellationsraths 
Güͤnther, von D. Ehriſtian Friedrich Gluͤck, Hofrath 
und öffentlichem ordentlichem Lehrer der Rechte auf der Friedrich— 
Aleranderd - Univerfität in Erlangen. Erfter Theil, melcer die 
Einleitung und die Litteratur des Quftinianeifhen Rechts enthält. 
Erlangen, bey 3. 3. Palm. 1812. VIIL und 370 ©. gr. % 
(1 Rthlr. 20 gr.) 

Auch unter dem Titel: 

Einleitung in dad Studium ded Römifchen — zur Berichti⸗ 
gung und Ergänzung des erſten Theils des Pandecten - — 
tars. 

Dieſes Handbuch enthaͤlt den Anfang eines Commentars 
über die Guͤnther'ſchen principia juris romani, welche der 
Verf. in feinen, jetzt fuftematiihen, WBorleiungen über bie 
Pandecten erläutert. Es geht Über die vier erften Bogen des 
Guͤnth ee'ſchen Lehrbuhs, und handelt alfo von den Quellen 
des Rechts im Allgemeinen, denen des Nömifchen und denen 


Handb. z. foftem. Studinmd.n. R. Privatrecht v. Grid. 431 


des heutigen Roͤmiſchen Privatrehts. Zugleich gibt es, nach 
Sünthers Beyſpiel, ein fehr reichhaltiges Verzeichniß der 
Ausgaben der Quellen und juriftifchen Schriftfteller. 

Nach der Abſicht des Verf. fol diefes Buch der Anfang 
eines Commentars feyn, der vorzüglich beſtimmt ift, feinen 
Zuhörern die Stelle eines nachzuichreibenden Hefts zu vertres 
ten. Betrachtet man bdaffelbe aus diefem Geſichtspuncte, fo 
daffen fi, unferer Meyuung nah, gar mande nicht unges 
gründete Erinnerungen dagegen machen. Schon die Nuͤtzlich⸗ 
keit folcher gedruckten Hefte an ſich ift fehr problematifh, da 
fie, ohne den mündlichen Vortrag zu erfegen oder überfläffig 
zu maden, fo leicht bey den Studierenden Unfleiß und Mans 
gel an Anfmerkfamteit erzeugen, und vielleicht laffen fie fi 
nur für die Inſtitutonen vertheidigen, mo fie dem Anfänger die 
ihm fo nöthige Vorbereitung zur Worlefung erft möglich mas 
chen oder doch weſentlich erleichtern, und auch hier nur, wenn 
fie nicht, wie die bisher erſchienenen, zugleich auf den unters 
richteten Leſer, fondern allein auf die Beduͤrfniſſe des Schuͤ— 
lers berechnet find. Will man aber auch folhe Commentare 
fiir die Pandecten gelten laffen, fo fcheine dem Rec. denn 
doc) diefer nicht hinlaͤnglich auf feine Beſtimmung berechnet, 
und fonach micht gang zweckmaͤßig zu feyn. Gar Manches iſt 
darin Aufgenommen, was in feine Vorlefung gehört, wie die 
ganze Litteratur (&. 509— 3570); gar Manches, weitläufig 
ausgeführt, was in Pandecten s Vorlefungen, wenn es nicht 
ganz Übergangen werden fol, doch hoͤchſtens nur berührt wers 
den kann, tie die äußere Nechtsgeichichte, welche einen fo 
geoßen Theit des Buches füllt. Andere Dinge find viel zu 
weitläufig abgehandelt, als daß dies für irgend eine Vorleſung 
zweckmaͤßig ſeyn Fönnte, 3. die Movellen: dagegen ift Mans 
ches auch für diejen Zweck niche Hinlänglich erörtert, wie die 
‚Lehre von der interpretation. 

Außer dem eben angggebenen Zwecke hat der Verf. noch 
den Nebenzweck, feinen Kommentar über Hellfeld in den bier 
abgehandelten Lehren zu ergänzen und zu berichtigen. Es ift 
gewiß ein Beweis von großer Unbefangenheit und fchöner 
Wahrheitsliebe, wenn ein Schriftfteller feine Begehungss und 
Unterlaffungsfünden wieder gut macht: und eben fo ficher ift 


4 


. 432 Handb. 4. ſyſtem. Studium d. n. R. Privatrechts v. Gluͤck. 


dies ſehr intereſſant und nuͤtzlich, wenn es, wie hier, von 
einem gelehrten und viel geleſenen Schriftſteller geſchieht. 
Deſſen ungeachtet koͤnnen wir auch dieſer Beſtimmung des 
hier angefangenen Commentars weder unſern Beyfall geben, 
noch in dieſer Ruͤckſicht ſeine Fortſetzung wänfhen, und dies 
um ſo weniger, als dadurch das ſchleunige Fortſchreiten des 
(häßbaren. Commentars über Hellfeld (der ſchon lange zu feis 
nem Vortheile die Eigenfchaft als gedructes Heft verlohren 
hat ) nothwendig erfchwert werden muß. Eine neue Darfiek 


Jung deffüägen Stoffes, bey welcher, wie dies hier gewöhnlich 


‚geishieht, fögar nur ſtillſchweigend gebeffert wird, gibt feine 
Ueberficht: der, geänderten Saͤtze und neuen Ausführungen, 
weiche man kaum durch forgfältiges Lefen und Wergleichung 
beyder Werke erfennen fann; wobey man denn mit Zeitvers 
luft ganz dajfelde oft zweymal zu leſen gendthige wird. Ein 
viel intereffanteres Sefchent würde uns der Verf. fiher mas 
chen, wenn. er fih entihließen könnte, die Mefultate feiner 
neuern Studien unter der Form von Verbefferungen und Zu 
fägen ung mitzutheilen. | 

Nach dem Bisherigen fcheint alfo das. vorliegende Merk 
feiner eigentlihen Beftimmung nad) feinen vorzäglihen Beyfall 
zu verdienen. Betrachtet man es nur an ſich, ohne diefe ſpe— 
ciellen Beziehungen, fo muß man dagegen fehr viel vortheils 
hafter davon urtheilen. Es hat nicht allein alle Vorzuͤge der 
G luͤck'ſchen Werke (die wohl als bekannt hier vorausgeſetzt 
werden können), fondern zeichnet fi) auch vor diefen, befons 
ders da, wo der Verf. fih auf pofitivem Grund und Boden 
befinde, noch fehr zu feinem Vortheile aus. Unrichtigkeiten 
und Webereilungen finden fi) dabey freylih auh (4. ®. ©. 
230 vergl. mit ©, 274): wir tragen jedoch billig Bedenken, 
durch Aufzählung derfelben diefe Anzeige zu vergrößern, um 
fo mehr, als dieſelbe im Allgemeinen gegen den Plan des 
Verf. gerichtet ift, und wir nicht gerne den ungegrändeten Ders 
dacht auf ung laden möchten, daß % unfere Abficht fey, die 
Verdienſte des Verf,, oder den Werth des Buches an ſich 
herabzuwuͤrdigen. 


No. 28. Heidelbergiſche 1813. 
Jahrbuͤcher der Litteratur. 


—— TIL — TFT RR AL ———— 








Carl Caspar Creve, Dr., grosherz. Frankf. geh. Rath, Pro- 
fessor der Zoonomie und besonderen Heilkunde an der 
medicinisch - chirurgischen Specialschule etc. Ueber den 
Chemisımus der Respiration. Frankfurt 1812, 68 G. in 4. 


Dir Schrift zeichnet ſich nicht durch neue, aber doch durch 
fonderbar zufammengefeßte ältere Anfichten aus.. Der Berf. 
hält zwar das Athemholen für einen Proceß der Verbrennung, 
aber einen folhen,, bey welchem fih das Licht nicht entwickelt, 
weil der Sauerftoff hier nicht an den Waſſerſtoff, der allein 
nah ihm einen Lichrgehalt hat, fondern an den Kohlenftoff 
fi) bindet. 

Der Verf. behauptet ferner, fih auf die DVerfuche von 
Berthollee und Allen und Pepys flüßend: das eingeathmete 
Sauerftoffgas zerfeße fih in den Lungen, und hange dem 
Kohlenftoff an. So werde nur Kohlenfäure erzeugte, aber es 
dringe kein Sauerftoffgas in das Blut, die NRöthe des Blutes 
hange alfo von dem Mangel an Kohlenſtoff ab; fo wie die 
Meizkraft des Blutes ihm urfprünglich zukomme, und durch die 
Anhäufung des Kohlenftoffs vermindert werde, wenn ihm 
der Sauerftoff den Kohlenftoff entziehe, fo werde es wieder 
reizfaͤhig. Endlich behauptet er, daß beym Athemholen auch 
‚die Stickluft zerfeßt und ein Theif davon zur Veredlung des 
Thierftoffes dem Blute anhinge. Was nun das erfte hier zu 
eroͤrternde Phönomen angeht, nämlich ob Sauerſtoffgas nur 
mit dem Kohlenftoff eine dunfle Verbrennung untergehe, fo 
ftreitet diefes gegen die Erfahrung. Denn ı) verbrennen die 
Metalle und ſelbſt das Waſſerſtoffgas, ohne Licht zu erzeugen, 
wenn die Verbrennung langfam und nad und nach geichieht, 
wie wir dieies felbft an den Drarhen der DBoltaifhen Säufe 
fehen, wenn diefe nur mit wenig Plattenpaaren gefchlofien. 
wird — und wie es bey jedem fich in der Luft orydirenden Metall 


und dem Ranzigwerden der Dele und des Fettes offenbar wird, 
ab 


434 Ueber den Chemismus der Reſpiration von Ereve, 


welches alles eine Nerbindung des Sauerftoffes mit dem Mafı 
fertoff und dem Metalle ift, welche als langfame Verbrennung 
kein Licht entmwickel. — 2) Dagegen verbrennen die nämlis 
chen Stoffe mit dem grelleften Lichte, wenn diefelben unter 
einer mit Sauerftoffgas gefüllten Glocke ſich entzünden und 
fchnell verbrennen. 

Wir lernen aus diefen Verſuchen zugleich, daß es das 
Sauerftoffgas ift, welches das Licht hergibt, weswegen ih 
auch diefen als den wahren Lichtträger bezeichnet habe. Die 
Holzkohle, die Wachs- und Talglichter, die Stahlfeder, ver 
brennen und fchmelzen hier mit dem hellften Lichte. 

Es folge daraus, daß aljo, ob ein Körper hell oder duns 
kel verbrenne, bloß allein davon abhange, ob er fehnell ode 
langfam fih mit der Bafis des Sauerftoffes verbinde — und 
06 bey dieſer Verbindung mehr oder weniger Lichtſtoff frey 
werde. Denn verdunftet er in materieller Huͤlle, fo erzeugt 
er nur Wärme, wird er gänzlich mit dichteren Stoffen vers 
bunden, oder was man fagt latent, wird auch dieje nicht ein 
mal am Thermometer gefpürt. 
| Die wichtige Frage, ob Sauerfioffgas bey dem Proceß 
des Athemholens ins Blut dringe, beantwortet der Verf. vor 
züglich nad) den Verfuchen von Allen und Pepys mit Nein — 
er glaubt daher, daß das Sauerftoffgas nur dazu diene, dem 
Blute feinen Kohlenftoff abzunehmen, und zwar in den Pun 
gen, und daß diefes fofort feine Nöthe und reizende Ligen 
fchaft wieder annehme, welche es durd den Kohlenftoff verloren 
gehabt hat, Allein diefe Annahme wird gar nicht durch Diele 
Verſuche erzwungen, denn dieje befagen weiter nichts, als daß 
bey jedem Athemzug ungefähr fo viel Sauerfloffgas weggehe, 
als kohlenfaures Gas der eingeathmeten Luft wieder beyger 
mischt werde — ob aber diefes kohlenfaure Gas in den Pungenzeli 
fen gebildet werde, oder ob es aus dem Blute felbft in die ein 
geathmete Luft uͤbergehe, und dafür eben fo viel Cubitzol 
Sauerftoffgas an das Blut übergehen und fich demfelben beyr 
miſchen, ıft dadurch keineswegs ausgemacht. 

Wenn wir alfo darthun Pönnen, daß dieſes letztere ge 
fhehe, nämlich daß in den Lungen wirklich nicht Kohlenſtoff 
an den Sauerfloff des Sauerftoffgafes trete, fondern wirklich 


I 


Ueber den Chemismus der Mefpiration von Ereve, 435 


fohlenfaure Lymphe an die auszuhauchende Luftmaſſe uͤbergehe, 
wenn wir ferner verweifen können, daß das Sauerſtoffgas 
wirklich noch in dem Zuftand der Erpanfion eines Theile feines 
Märmeftoffs beraubt ins Blut Übertritt, fo ftehen die Ders 
fuche des Berthollet, des Allen und Pepys richtig da, und 
doch ift es falih, daß die Kohlenfäure in den Lungen erzeugt 
wird. Daß aber in der Lumphe des Venenbluts und aud des 
ftagnirenden Arterienblutes nur kohlenfaure Lymphe feye, und 
nicht bloß kohlenftoffhaltige; dieſes zeigt ſich augenſcheinlich 
durh die chemiiche Analyfis, welche ung bey gelinderem Wärmes 
grad in dem Netortenhals eine große Menge Lohlenfauren 
Ammoniaf zeigt, und bey färkerem Feuer Kohlenjäure und 
gekohltes Waſſerſtoffgas entwickelt. — Ferner, daß das Sauers 
ftoffgas feldft aber in die Lungenzellen ins Blue tritt, diefes 
zeigen offenbar die mühfamen Verſuche, welhe ich über das 
Blut angeftellt, und die ich in meiner Antritts s Dijfertation 
pro loco in facultate obtinendo in Jena vertheidige habe. 
Sin den Adern der lebendigen Thiere, vorzüglich in den durchs 
fihtigen Adern des Netzes und des Gekroͤſes fieht man die 
Heinen Luftbläshen unter der Form von Kügelhen, melde 
durch das Kochen als Luft entweichen, das nämliche gefchieht, 
wenn das Blut gefhlagen wird. Die unter dem Recipienten 
der Luftpumpe gefammelte Luft verhält fih mit dem Phosphors 
Eudiometer geprüft als wahres Sauerſtoffgas, wobey alle 
Blutkuͤgelchen großentheils verfchwinden, und das Blut feine 
Soagulabilität verliert, welche allein von der Figirung der 
Sauerftoffgasbafis an den Eyweisſtoff herfömmt, und alſo 
hier um fo weniger ftatt finden fann, als die Sauerftoffluft 
durch das Kochen, Peitſchen, Schütteln ꝛc. wieder ausgetrieben 
wird. 

Was das wirffihe Eintreten des Sauerftoffgafes ins Blut 
noch mehr beftätige, ift die Bereitung eines fünftlihen Bluts, 
welche ung fhon Lavoifier gelehrt hat, und welches darin 
befteht, daß man etwas Eyweis mit Waffer mifcht, und dazu 
einige Srane phosphorfaures Eifen hinzufeßt, und das Ges 
miſch in einer Glasroͤhre fchättelt, wobey Sauerftoffgas abjors 
bire wird, und die Fläffigkeit ſich roͤhhet. Das Sauerfioffgas 
wird hier in dem Zuftand des Gas oxygene naissant, mie 


436 Weber den Chemismus der Nefpiration von Ereve. 


es Fourcroy nennt, der Flüffigkeit beygemiiht, und es ent 
fteht dadurch das phosphate de fer suroxygened avec exce&s 
de sa base, welches die Urſache der rothen Blutfarbe ift. 
Das nämliche geichieht auh am Oxygenpol einer Voltaiſchen 
Säule; bier tritt dag Gas oxygene naissant an die Lymphe 
und röthet fie, wie diefes ſchon mehrere Maturforfcher beobs 
achtet haben. 

Es gibt wohl .keine Thatfache der neueren Chemie und 
Phyſiologie, welche weniger beftreitbar wäre als dieſe, und 
es wundert den Dec. um fo mehr, warum Hr. GR. Ereve 
die Gründe für diefe Wahrheit, welche er in feiner phyfifchen 
Darftellung der: Febensträfte fchon vor 16 jahren dem gelehrs 
ten Publicum vorgelegt hat, fo wenig geachtet hat, daß er 
deren nicht einmal in feiner Schrift Erwähnung gethan hat. 
Es ift dieſes Überhaupt der Sinn des Zeitalterd, und leider 
die verwerflihe Sitte der Deutichen Gelehrten, daß fie die 
Erfindungen ihrer Landsleute entweder zu verläugnen oder hers 
abzufegen fuchen, und dagegen fremder Nationen Männer ers 
heben, ,: und als ihre Meifter anzufaunen fi nicht fchämen, 
die weit unter ihnen flchen. 

Diefe Verläugnung meiner Entdeckung fällt Hrn. Ereve 
vorzüglich zur Laſt, da er mein Buch bey Jeinem Entſtehen 
geleien,, und als Sjugendfreund in den Sahren, in welchen es 
erichien, öfters mit mir über phyfiologiihe Segenitände ſich 
unterhalten hat. Ach habe lieber einen offenbaren Widerſpruch 
als ſolche Verläugnung, es liegt darin eine gewiſſe Werachtung 
gegen den Verf., welhen man gegen andere große Männer 
des Auslandes nicht einmal nennen mag! 

Sch ſchweige darum auch hier, und fage nichts ſowohl 
von jenem allgemeinen Gejeß, vermöge welchem jener Träger 
:des Lichtes der Sauerftoff fih mit allen Stoffen der Erde ver: 
bindet, als von jenen folgereichen Wirkungen, welche dag mit 
Sauerftoff verfehene Blur auf das Gefäß und Mervenipftem 
hervorbringt, und wovon aud jene Stockung des Blutes her 
geleitet werden muß, welche in den Lungen entficht, wenn die 
Aefte des paris vagı find verlegt oder durhichnitten worden. — 
Unerfiärbar. find demjenigen die Ericheinungen, welche bey dier 
fen Nerjuchen von Dupuytren und Emmert vorfallen, welce 


Ueber den Chemismus der Nefpiration von Ereve. 437 


die Wechfelwirfung des Blutes auf diefen Nerven des Meinen 
Gehirns und umgekehrt nicht einfehen und verftehen kann. 

Der Verf. kommt endlich auf die Behauptung, . daß auch 
der Salpeterftoff der atmosphärifchen Luft fih aus dem Sticks 
gas entbinde, und bey dem Athemholen ins Blut Übergehe — 
allein da derfelbe für Diele feine Behauptung in dem Experi— 
mente feinen Beweis findet, weil die Nefultate der hierüber 
angeftellten Verſuche meiftens auf feine Ablorbtion des Stick 
gafes hindeuten, fo will er aus anderen Gründen, nämlich das 
durch, daß die Thiere eine fo große Menge Stickgas gebrauchen, 
um die thierifche Materie daraus zu bilden, und daß nicht 
umfonft bey weiten der größte Theil der atmosphärifchen Luft 
Stickgas fey, den Beweis hernehmen, daß diefe Aufnahme 
durch bie Lunge gefchehen mäffe. 

Allein der Verf. fieht nicht ein, mie fehr ek Hier gegen 
die erftien Grundſaͤtze einer wiffenihaftlichen Phofiologie vers 
ftöße — denn es find zwey polariih einander entgegengefeßte 
Syſteme, welche das Leben begründen; das eine diefer Sy— 
fieme ift das Prreumatifche, modurc das Licht unter der 'des 
potenzirten Geſtalt des Sauerftoffgafes in den Körper eingeführt 
wird; das find die Lungen. — Das andere ift das Splandınis 
fche Syſtem, wodurch die Erdeftoffe durch das ihnen beywoh— 
nende latente Licht veredelt zugebracht werden. Nun ift aber 
der Salpeterftoff das eigentliche wahrhaft thierifche Erdprincip, 
es ann daffelbe aljo eben jo wenig durch die Lunge eingeben, 
als die Luft durch die Eingeweide der Verdauung in den Körs 
per gebracht werden kann. Mir fönnen alfo eben fo wenig 
Stickgas im Athmen verzehren, als wir Sauerſtoffgas effen 
tönnen. Dieſes muß durch die Lunge, jenes durch den Darms 
tanal beyfommen. ‚ 

Fragt man nun aber, wie bey Thieren, die aus lauter 
Pflanzenftoffen ſich nähren, der Sticfjtoff werde, fo antworte 
ich durch eine viel wahrfcheinlichere Hypotheſe, daß dieſes 
durch eine Veredelung des Kohlenftoffs gefchehe, welcher den 
einheimifhen Stoffen des Thierförpers, vorzäglich den Speichel 
Magen : und Darmiäften beygemijcht, das Lichtprincip diejen 
raube und mit fich vereinige. So entſteht der Koblenftoff durch 
die Vegetation aus dem Hydrogen, welches in verfchiedenem Grade 


433 Weber den Chemismus der Nefpiration von Créve. 


ber Verdichtung und Austreibung des Lichtprincipse die Stoffe 
des Mineralreichs darftelle, von den kaliſchen Salzen und Evs 
den an bis zum dichteften Metalle, welcher Verwandlung die 
Desorydation der Laugenfalze und Davys wichtige Entdeckung des 
Potaſſium auf eine auffallende Weije Betätigung gibt. — Neh— 
men wir noch hinzu, daß diefer thierifche Stoff (Salpeterftoff) 
bey feiner Verbrennung in Kohlenfäure und Waffer zerfällt, 
wie diefes die Proceffe des Ausarhmens und der Hautdunftung 
zeigen; nehmen wir ferner, daß die ftärkeren chemifchen 
Reagentien durch Trennung und Wiederverbindung alle Stoffe 
des Pflanzen » und Mineralreihs liefern, indem fie in ihre 
unteren Stuffen zerfallen, und Kalien, Kalferde, Talkerde, 
Kiefelerde, Ammonium, Eifigiäure, Benzoeſaͤure, Zuckerfäure ir. 
— phosphorfaure Dele — Schwefel, Harze, ja Eifen liefern, 
fo ift wohl die bier vorgetragene Theorie, daß das Azot eine 
Veredelung des Erdftoffes zur Thierfubftang fey keineswegs mehr 
eine Hypotheſe zu nennen — und der Verf. hätte wohl beſſer 
gethan, fatt dem Prunk unbeftimmter Franzoͤſiſcher und Engs 
ländifcher Werfuche feinen alten Deutfhen Freund nicht zu vers 
läugnen. 
Adermann. 


Bruchftücde zur Menfchen » und Erziehungdfunde religiüfen Inhalts. 
Zweytes Heft. Frankfurt a. M. in der Andreaͤiſchen Buchhand: 
lung ıgıı. XXIV und 299 ©. Dritte Heft. Ebendaf. 1812. 
247 ©. Dierted Heft. Ebendaf. 1813. 352© 

Die beyden letztern Hefte haben noch den befondern Titel: 

Die Lehre von Bott. Ein Bruhitüf zur Vereinigung der beyden 


Soſteme, ded Glaubens ohne Wiffenfhaft, und des Wiffens ohne 
Glauben. 


Wir kennen fchon aus dem erften Hefte diefer Bruchftäde 
den Verf. als einen redlihen Wahrheitsforfcher und religioͤſen 
Selbſtdenker. Seinem Charakter getreu fucht er in diefen bey⸗ 
den Heften Überall auf jenen tieferen Punct hinzufuͤhren, von dem 
alle Religion und alle Beruhigung ausgeht, auf den Glauben. 
Das zweyte Heft hat befonders die religidfe Bildung der Ju— 
gend zum Zweck. Er legt den Katehismug der chrift 


Bruchſtuͤcke zur Menfchen» u. Ersiehungsf. rel, Inhalts. 439 


lihen Lehre von Hoffmann in Schmiedeberg (def; 
fen Werth auch in uniern Jahrb. 1810. ates H. 40. aners 
fannt worden ) zum Grunde, und empfiehlt den Vorſchlag 
deffelben, die rveligidien Lehren mehr, als ed in der letzteren 
Zeit geichehen, zur Sache des Gedächtniffes zn machen. Er 
preiße der bisherigen DBernachläßigung gegenüber mit guten 
Gründen die Eultur diefes Seelenvermögens an (wir erinnern 
ung hierbey an die trefflichen Lehren in Herbarts Pävdagos 
git über den Einfluß des Gedächtniffes auf den Charakter ). 
„Die Unfhuld,“ fagt ee ©. 7, „hat an dem Gedaͤchtniß 
einen Wächter, einen Stellvertreter, einen Beyſtand; der 
Gedaͤchtnißſtarke verliere nicht fo oft Gott aus den Augen, die 
Lehren der Wahrheit find ihm immer gegenwärtig, und wenn 
fein Wiffen auch das Auftommen fträfliher Gedanken und 
Selüfte nicht zu hindern im Stande ift, fo tritt es doch ihren 
Fortichritten in den Weg.“ Der Einwurf, daß es thöricht 
fey, Kinder Dinge auswendig lernen zu laffen, die ihr Vers 
ftand nicht begreift, wird dadurch widerlegt, daß die finnvols 
len Sprüche der Weifen doch erwas haben, was das kindliche 
Herz gar wohl verftehe; auch merde das, was in den Jahren 
der Kindheit nicht verftändlich ſey, es oft plößlich bey fpäterem 
Antäffen. Was unfer Verf. aus Hoffmann anführt, und felbft 
fagt, foll man billig zu Herzen nehmen. Auch ift das ſehr 
zu loben, daß er nachdrädlicd, gegen das Aufblähen des vers 
meintlihen Wiffens redet. Was nun Über alles diefes gefagt 
iſt, trägt allerdings zur Löfung der wichtigen Aufgabe bey, 
die Neligionslehren fo zu übergeben, dal fie mit dem ganzen 
Gemuͤthe empfangen und in einem feinen guten Herzen bes 
wahrt werden: aber uns fcheint doch noch mehr dazu nöthig 
zu feyn, namentlich ein folcher fiufenweifer Unterricht, worin 
kein Wort vortommen darf, das nicht von dem kindlichen Sinne _ 
verftanden wird. 

In dem Hoffmannfchen Katehismus find die Religions: 
lehren auf ein ganzes Jahr in 52 Wochen vertheilt. Unſer 
Derf. folgt diefem Gange und trägt.die Glaubens s und Bits 
tenlehren durch religiöfe Betrachtungen vielfeitig und erbaulid) 
vor. Der evangelifche Geift befeelt ihn. Er verweifer überall 
auf Selbſterkenntniß, Demuth und Ergreifung der höhern 


440 Bruchſtuͤcke zur Menfchen, u, Erziehungsk. ver, Inhalts. 


Kraft. Der Stufengang in diefen Betrachtungen ift eine gute 
dee, die Ausführung iſt nur nicht methodifch genug, da 
fhon bey den eriten tiefere Neflerionen vorfommen, und die 
leßteren grade nicht weiter eindringen, da auch Überhaupt nicht 
pſychologiſch genug die zugleich erwachfende Erkenntniß Gottes 
und Erfenntniß unfrer felbft entwickelt wird. Man tiefer dfi 
ters fromme und. fchöne Gedanken, mie etwa folgender if 
(8. 184): „Das Geber fol den Wünfhen Abbruch thun, 
den Durft des Herzens ftillen, nicht ihn vermehren — erken— 
nen follen wir, daß Gott Alles wohlgemacht, feinen Ruhm ver: 
fünden, nicht Klage führen.“ Mit den Gedanken eines Aus 
guftinus hat ſich der Verf. befonders befreundet. Im Gebraude 
der Bibelftellen wäre einiges zu tadeln. S. 170 werden die 
Worte Zefu Joh. 13, 27. (durch einen Druckfehler, deren 
ſich auch mande in den Namen finden, ſteht Joh. ı, 27.) 
in einem ganz andern Sinne angeführt, als fie Jeſus gu 
braucht; und 1. Joh. 4, 19. ift auch nicht im richtigen Sinne 
angewandt. 

Das dritte Heft enthält Selbftbetrachtungen. Die Gründe 
und Anfichten des Theismus und Naturalismus find da mit 
vieler Belefenheit und nad den neueften Bewegungen in de 
Philofophie zufammengeftellt; es fpricht da weniger ein ſchul⸗ 
gerechter Syſtematiker als ein gläubiges Gemuͤth, das aber 
noch Befeftigung in feinem Glauben fucht. Wer das Gewirre 
müde ift, das durch die Sophiftereyen alter und neuer Zeit 
ansgefponnen worden, den mögen dieſe Monologen anfpre 
hen und mit mandhem gläcdlichen Gedanken ftärken. Sie 
lehren jene Wifferey des Dünkels verachten, und weisen hin 
auf das Eine, was Noth ift; fie wiederhofen in vielfader 
Beziehung die heilige Wahrheit, daß jene Wiffenfchaft ſich 
nur zu fehr zeigt als Kind des menichlihen Stolges, und alio 
nur Unruhe mit fih bringt, daß dagegen der findliche. Sinn 
dahin führt, wo nur allein Wahrheit ift, zu Gott. Warum 
Hafhen wir nad den herumflatternden Meynungen wie nad 
Schmetterlingen (nah dem Gleihnif ©. 6), da wir dad 
Ewige nahe genug finden können, und es bey ung ſteht, an 
das feftzuhalten, was unerfchättertiche Ruhe gewährte? Gewiß 
liege dieſes in der religioͤſen Bildung. Die jeßige Generation 


Bruchſtuͤcke zur Drenfchen u. Erziehungsf. rel. Inhalts, 441 


muß durch die Abirrung ihrer Lehrer von dem Ewigwahren 
hart büßen; und man will durch ein ſolches ängftliches Haſchen 
nach Lehrmeynungen das Verlohrne wieder finden! Umſonſt! 
— Der wuͤrdige Verf. verdient Dank, daß er ſo mit ganzer 
Seele ſeinen Zeitgenoſſen ſagt, das einzige Rettungsmittel fuͤr 
ſie und ihre Kinder ſey die Religion. 

In dem vierten Hefte werden die philoſophiſchen Betrach⸗ 
tungen uͤber den Theismus und Naturalismus fortgeſetzt; eben⸗ 
falls weniger logiſch als gemuͤthlich. Wenn der Verf. z. B. 
ſagt: „Vernunft und Darenn find nicht ohne Bewußtſeyn 
denkbar — Bewußtſeyn, Dafeyn und Vernunft find Eins. 
Alles, was der Vernunft ermangelt, ift fo gut als nicht da;“ 
ſo koͤnnte man ihn eines argen Idealismus beſchuldigen, wo—⸗ 
von er indeſſen weit entfernt iſt; er will hier nicht reden, wie 
in einem ſtrengen Syſtem, ſondern zum Herzen. Und dieſes 
gewinnt uͤberall auch in dieſen Selbſtbetrachtungen, deren Ziel⸗ 
punct zuweilen in einem Satz buͤndig ausgeſprochen wird, wie 
z. B.: „So wie die Demuth von dem Menſchen ſcheidet, 
der Knecht dem Herrn gleich ſeyn will, iſt ſein guter Geiſt 
von ihm gewichen.“ Es find über den Glauben und die Gnade 
"Stellen in diefem Buche, die zu ihrem Lobe Auguftinifch heißen 
mögen, und würde von Glaube, Liebe und Hoffnung nur 
noch etwas mehr aus ihrem innern Weſen gefprodhen, das 
heißt freyer von den Reflexionen und der Sprache unferer Zeit 
und mehr in ungeträbtem Zuflande der Andacht, fo würden 
wir das Buch mandhen Schriften des Auguftinus unbedenklich 
gleich ſetzen. 

Die zweyte Abtheilung des vierten Hefts handelt von dem 
Naturalismus, und ſucht denſelben mit dem Theismus zu vers 
einigen. Aber weder die Angabe des Unterichieds von beyden, 
z. B.: „daß der Maturalift Gott in, der Theift Gott über 
die Natur feßt,“ noch die Sdentificirung, daß beyde doch 
daffelde meinten, wird die metaphyſiſche Speculution befriedis 
gen. Der hoͤchſte Begriff, worin fid) alles einigen foll, der 
vom Seyn, ift zwar in vielen Beziehungen aufgeftellt, und 
zwar oft parador, aber zum Verwundern uͤbereinſtimmend mit 
Ausfprächen mander alten Theologen und Scholaſtiker: allein 
follte die Sache auf diefem. metaphyſiſchen Wege ausgeführt 


* 


442 Bruchſtuͤcke zur Menfchen- u. Erziehungsk. rel, Inhalts. 


werden, ſo war eine durchgaͤngig logiſche und ſchulgerechte 
Behandlung noͤthig. Daß Gott erſt durch die Welt Daſeyn 
hat, aber die Welt durch Gott ihr Seyn, kann, ſo wie es 
hier vorgetragen wird, weder dem Glauben, noch dem Wiſſen 
ganz genuͤgen. Ueberhaupt ſcheint uns grade darin eine In— 
conſequenz zu liegen, daß durch das Begreifen der Glaube 
begruͤndet und empfohlen werden ſoll. Denn wer das Heil 
im Wiſſen ſucht, dem iſt und bleibe doch einmal der Begriff 
das Erfte. und wer es im Glauben ſucht, der kann nicht mehr 
diefen Glauben begründen wollen, fondern er hat nur bie 
darin gefundene unmittelbare Gewißheit in einzelnen Lehren 
zu. erponiren und klar zu machen. Er kann fchlechterdings keine 
Bereinigung beyder Spfteme erwarten; nur eine Kritik der 
Vernunft kann beyden gemein bleiben. Sonach finden wir 
bie veligidfe Seite des Buches als die beffere, und freuen 
uns, daß derfelbe Geiſt diefe Betrachtungen vom Anfang bie 
zu Ende unterhält. Es ift in der That erbaulich, in ein got 
tesglaubiges Gemuͤth zu blicken, das von Zweifeln und 2er 
irrungen des Zeitgeiftes angeftoßen, mit Ernft und vedlichem 
Denten Wahrheit fuht, und am Ende in feinem Glauben fih 
geftärkt fühlt. 


’ 


D. Car. Aug. Theoph. Keilii, Theol. dogm. in academia 
Lipsiensi Prof. P. ©. Eccles. cathedr. Misenens. Capitu- 
laris, Consistorii regii Lips. Assess. Elementa Hermeneu- 
tices Novi Testamenti latine reddita a Christ. Aug. 
Godofr. Emmerling, Past. apud Probstheyd. subsüt. 
societ, philolog. Lips. sodal. .Lipsiae MDCCCAT. impensis 
Fried. Chr. Guil. Vogelii. XXVI und 205 ©. gr. 8. 


Mir dürfen diefe Schrift bereits als befannt vorausfeken, 
denn fie ift bloß eine Weberfeßung des fihäßbaren ıBog er— 
fhienenen Keilfchen Lehrbuchs der Hermeneutik des N. T. 
Warum aber diefe Anderthalb Jahre früher in Deutſcher 
Sprache erfchienene Schrift jetzt Lateinifch erfcheint, dar 
über ertheilt die jegt neu hingugefommene Zueignungsfdrift 
an D. Johann van Voorft, Profeffor der Theologie zu 
Leyden, einigen Auffchluß. Es bezeugte nämlich Herr van 
Voorſt dem Verf. bald nach Erſcheinung feines Deutſchen 


D.Keilii Elementa Hermeneut. N. T. 443 


Lehrbuchs den Wunfch, daß er daffelbe, da es in einigen Puncten 
viel reichhaltiger fey, als Ernefti Interpres N. T., und andre 
Puncte genauer und den gegenwärtigen Bedürfniffen ange 
meſſener abhandle, gern bey feinen hermeneutifhen Vorleſun— 
gen zum runde legen möchte, welches aber nad) Holländifcher 
Sitte nicht gefhehen könnte, wenn nicht eine Lateinische Vers 
flon des Buchs eriftirte. Er fragte daher bey Hrn. D. Keil 
an, ob dieſer feldft eine Lateinifche Werfion veranftalten, oder 
ihm oder irgend einem andern Gelehrten die Veranſtaltung 
einer folhen Verſion überlaffen wollte. Der Verf., geneigt, 
jenen Stränden Gehör zu geben, und zugleich die größere Vers 
breitung und Nußbarkeit feines Lehrbuchs zu befördern, Tonnte 
ſich ſelbſt nicht zu einer Lateinifchen Ueberſetzung eines Buchs 
entichließen , das er, vorzüglich in Hinſicht auf den Deutſchen 
Buchhandel, Deutſch .abgefaßt hatte; aber eben fo wenig 
mochte er unbedingt diefe Arbeit einem Andern überlaffen. Er 
hielt es alfo für das Defte, einem jungen Gelehrten, Herrn 
Emmerling, der fihb fchon durch mehrere Beweife von 
Kenntniffen und Fleiß rühmlihft empfohlen hatte, diefe Arbeit 
fo, daß fie unter feiner eignen Leitung vorgenommen würde, 
zu übertragen ; worauf fie zu feiner Befriedigung vollendet ward. 
Billig Hiele er esnun, diefe Schrift in ihrer neuen Seftalt demjenis 
gen Gelehrten zu dediciren, der ihm auctor suasorque diefer 
Ueberfegung gewefen war. Bey diefer Gelegenheit bemerkt Hr. 8. 
noch, wie fehr ihn, befonders um einer Urfache willen, van 
Voorſt's günftiges Urtheil über fein hermeneutifches Lehrbuch 
erfreut habe. Da er nämlich gleich gu Anfang diefer Schrift 
erklärte, daß fie gang nach den Srundfägen der grammatifchs 
hiftorifchen Interpretation abgefaßt fey, und fie dennoch von 
Jenem mit Benfall aufgenommen ward: fo fchließt er mit 
Recht, daß der Kolländifche Gelehrte von diefer grammatiſch— 
biftorifhen Synterpretation des M. T. nicht weiter für die heis 
ligen Bücher oder für die Religion felbft Gefahr befürchte, 
wie er doch früher, als er fih über Ernefti’s Verdienft um 
die Auslegung des MN. T. vernehmen ließ, zu befürchten ſchien, 
indem er glaubte: es werde dadurd) die Meynung derer bes 
günftigt, welche annehmen, daß Sefus und feine Apoftel fi 
zu den Vollsmepnungen ihrer Zeitgenoffen accommobdirt haben. 


444 D. Keilii Elementa Hermeneut. N.T. 


Diefe Anerkennung der Vorzuͤglichkeit und Unverdächtigkeit der 
hier empfohlenen grammatifch : hiftorifhen Interpretationsme— 
thode erfreute den Hrn. Verf. um fo viel mehr, je beftimmter 
er darauf dringt, daß durch diefe Methode nicht etwa ein bloß 
möglicher Sinn, den eine Stelle der Schrift Haben könne, folle 
aufgefunden, fondern folle vielmehr gelehrt und erwieſen wers 
den, daß diefer Sinn, den man angebe, megen aller hiftoris 
fhen Argumente, die in Betrachtung kommen, der Stelle 
nothiwendig einen feyn müffe, und daß ein Schriftfteller, der 
fih fo ausdrückte, feinen andern, als diefen Sinn feinen fer 
fern habe mittheilen wollen ; je entichiedener cr aber auch zus 
gleich erklärt, daß es auf diefe Beſtimmung: welches der Sinn 
der vorliegenden Schrift fey und feyn müffe? ganz allein an 
komme; dagegen die Frage, mie wahr oder falfch, gefällig 
oder mißfällig, das Vorgetragene fey, den Ausleger als folden 
nicht befümmere. Zugleich aber bemerkt Ar. K., daß bey die 
fer Ausdehnung deffen, was die hiftorifche Sinterpretation zu 
leiften habe, dem Wunſch derjenigen Beurtheiler dieſes Lehr 
buche zu wenig habe Genuͤge geleiftet werden können, welde 
glaubten, daß alles, was zur hiftorifchen Interpretation gehört, 
lieber in Einem Kapitel zufammengefaft, als in mehreren 
Abfchnitten zerſtreut feyn dürfte; dagegen Er vielmehr in allen 
einzelnen Abichnitten diefer Anweiſung auf diefe Hiftorifche Sm 
terpretation habe Nückfiht nehmen müffen. Durch diefe Be 
merkung führe uns der Verf. zum Hauptinhalt feines Werks 
und zur Anordnung des Ganzen; welches wir aber übergehen, 
da diefe wohlgerathene Ueberjegung, einzelner hinzugefommener 
Notizen über die allerneufte Litteratur der beyden leßten Jahre 
abgerechnet, aufs genauefte mit dem ſchon befannten früher erichie: 
nenen in dieſen Jahrbuͤchern, Jahrgang ıBıo. Stuͤck 10. 
©. 145, von einem andern Necenfenten angezeigten Deuts 
fhen Lehrbuch zufammenftiimmmt : und da in andern oͤft 
fentlihen Beurtheilungen deffelben bereits Erinnerungen über 
die Anordnung der einzelnen Parthieen dieies Werks gemadit 
find, wogegen fih Hr. K. in der vorhin gedachten Bemerkung 
vertheidigt. Lieber heben wir, um den Geift diefes trefflichen, 
dur bändige Grundfäge, treffende Beyfpiele und reiche Litte 
ratur ausgezeichneten Lehrbuchs zu charakterifiven, Einiges von 
dem aus, was die Hauptſache bey diefer Anweiſung ausmadıt, 
nämlih, was die von unferm Verf. fo dringend empfohlene 
grammatifch + hiftorifche Interpretation betrifft. 

Gleich zu Anfang des erſten Hauptabſchnitts de recta 
cognitione sensus librorum N. T. p. 11. wird auf gehörige 
Beſtimmung und Auseinanderfegßung des Wefens diefer grams 
matifch s hiftorifchen Synterpretation vorbereitet. Es heißt näm 
lich: da den Sinn einer Nede oder Schrift erkennen nichts 








D.Keilii Elementa Hermeneut. N.T. 445 


anders ſey, als eben dasjenige dabey denken, was der Nedner 
oder Schriftfteller daben gedacht hat, und babey hat gedacht 
wiffen wollen, und ın welhem Fall man den richtigen Sinn 
derfelden gefaßt habe: fo fey die Erforfchung des Sinnes einer 
Meve oder Schrift offenbar eine hiftoriihe Unterfuhung, in 
welcher Ruͤckſicht die Erklärung eines Schriftftellers, namentlic) 
aub der Bücher des N. T., eine biftoriihe genannt werden 
tönne. Da aber diefer Sinn der Bäder des MN. T., welcher 
nur ein einziger feyn fönne, zunähft nothwendig aus den von 
ihren Verfaſſern jedesmal gebrauchten Worten erfannt werben 
möffe, indem diefe das Huͤlfsmittel eines Schriftftellers zur 
Bezeihnung feiner Begriffe und Worftellungen ſeyn: fo werde 
in fofern die Erklärung diefer Bücher eben fo, mie die jedes 
andern Schriftftellers, eine grammatifche feyn müffen. Aber 
freplich fey diefe grammatifhe Erklärung von jener hiftorifchen 
feineswegs verichieden, und könne daher auf feine Weiſe von 
ihr getrennt oder ihr entgegengeießt werden; vielmehr ſeyen 
beyde aufs genauefte mit einander verbunden. Die hiftorifhe 
tönne und dürfe nie eine andre als grammatifche ſeyn; dages 
gen aber folle und müffe auch die grammatijche immer eine 
Hiftoriihe feyn. (Verſchieden find beyde doch gemwiffermaßen, 
fofern die hiftorifche einen größern Umfang hat, als die grams 
matifhe; denn die leßtere befchäftigt fi) mit den Worten, des 
ren Form, Bedeutung, Modification und der Beziehung der 
verfchiedenen Wörter, die einen Satz, und der verfchiedenen 
Säße, die ein Ganzes bilden, zu einander. Die Erftere fucht 
den ganzen Ideenkreis des Schriftftellers nach allen feinen los 
calen, temporellen, individuellen Nückfihten und Beziehungen 
ins Auge zu faffen, wozu die grammatıfhhen Operationen nur 
den Weg bahnen mußten. Daher Rec. in feinen hermeneutis 
ſchen Vorträgen am liebften die grammatifche Sfnterpretation 
als die erfte, die hiftoriiche als die zwente Stufe der ächten 
ungertrennlich verbundenen grammatifch : hiftorifhen Auslegung 
dargeftelle Hat. Aberfreylich laͤßt fih auch fchon der Sinn mans 
ches einzelnen Worts, 3. B. Tiorıs, dıxauoobyn, bıöz Deod, 
ayıadeıv u. dgl. nicht ganz beftimmt auffaffen, ohne daf man 
Hiftorifch tiefer in die damaligen Sdeen und Beziehungen eins 
zugehen fucht; und in fofern iſt fehon die grammatiſche Erdrtes 
‚rung eines einzelnen Worts eine hiftorifche Unterfuhung; und 
die grammatifhe und hiſtoriſche interpretation ſtehen in der 
engften Verbindung, ja laufen in eins zufammen.) — Hierauf 
wird ©. 14 zur Vorzeichnung des ganzen Planes diefer Theorie 
Binzugefügt: weil aber der Sinn einer Schrift nicht immer 
einzig und allein aus den darin gebrauchten Worten erkannt 
werden. könne, fondern auch noch mehrere andre Umftände das 


* 


46  D.Keilii Elementa Hermeneut. N.T. 


bey in Betrahtung kommen: fo werde bey vollfiändiger Eu 
klaͤrung eines Schrififtellers auf folgende fünf Stuͤcke zu fehen 
feyn: daß man ı) die Bedeutung und den Sinn aller einzel 
nen in einer Schrift vorfommenden Worte und Redensarten 
tenne; 2) den Zujammenhang mehrerer mit einander verbuns 
denen Worte und Saͤtze, fo wie alle größern oder fleinern 
Theile der vorliegenden Schrift genau erforihe: 3) den. Sinn 
folder Stellen, in denen eine bildliche oder anderweitige be 
fondere Art des Vortrags herricht, richtig auffaffe; 4) auch alle 
die Mevenumftände kenne, welche auf die Beflimmung und ges 
nauere Erfenntnif des Sinnes einen Einfluß haben ; und endı 
lih 5) alles, was der Schriftſteller ſagt und vorträgt, nad) 
denjenigen Vorftellungen, die er nad) dem jedesmaligen Ges 
genftand feiner Rede hatte, richtig zu beſtimmen fuche. Es 
würde ung zu weit führen, Ddiefe einzelnen Puncte, welche 
Ar. 8. mit Recht in feiner nun folgenden Anmweifung zur 
vollftändigen Erforfhung des Sinnes der Bücher des NM. T. 
näher beleuchtet, weiter zu verfolgen. Mir können bloß darauf 
hinweifen, wie er theils jeden einzelnen der gedachten Puncte 
eben fo gelehrt, als bündig und einleuchtend, wenn gleich) 
überall, dem Zweck diefes Lehrbuchs gemäß, in einem fehr ges 
drängten Vortrage abzuhandelu ſucht, und befonders über die 
Erkenntniß der Bedeutungen einzelner Worte und Medensarten 
in befondern zu erflärenden Stellen des N. T. und die Bu 
flimmung ihres jedesmaligen Umfangs und Sinnes, wie über 
die richtige Erkenntniß des Zufammenhangs mehrerer mit ein 
ander verbundenen Worte und Saͤtze in den Büchern des N. 
T., fowohl des grammatifchen, als des topifhen Zufammen: 
hangs, ein ganz eigenthümliches Licht verbreitet, theils ſchon 
bey Bemerkung der Vorkenntniffe, die ein Ausleger des N. T. 
zur Erklärung defjelben mitbringen muß, auf forgfältige Ber 
obahtung und Unterfiheidung der Neligionsmeynungen der 
Juden, der eigenthüämlichen chriftlihen Neligionslehren, und 
endlich der Neligionsmeynungen der von der apoftolifchen Lehre 
fhon früh abweichenden und dem. Chriftenthum ſich widerfegens 
den Partheyen , aufs beflimmtefte dringt; vorgäglih aber um 
den für die hiftoriiche interpretation erheblichften Punct, die 
Erläuterung des jedeemaligen Inhalts einer Stelle nad den 
Morftelungen des zu erflärenden Schrififtellers und feiner ev 
fien Lefer betreffend, fih ein ausgezeichnetes Verdienft erworben 
hat. Man muß fih, wird hier $. 94. ©. 137 mır Richt gu 
fordert, von allen in der vorliegenden Schrift erwähnten oder 
auch nur berührten,, fowohl finnlichen als intellectuellen. Su 
genftänden eben diejelben Worftellungen zu verichaffen fuchen, 
die der Echrififteller davon hatte, und die feiner Seele bey 


D. Keilii Elementa Hermeneut. N. T. 447 


Abfaffung der zu erflärenden Schrift vorfhwebten. Um aber 
dies mir gluͤcklichem Erfolg zu können, muß der Ausleger nicht 
nur mit den Vorftellungen von den abgehandelten oder, auch 
bloß berührten Segenftänden, ſich vermittelft der dienlichen 
Huͤlfsmittel hinlänglicdy befannt gemacht haben, fondern nun 
auch diefe Kenntnif auf die dadin einfchlagenden Gegenftände 
richtig anwenden. Wie diefe Regel nun zu befolgen fey, ı) in 
Aniehung der Vorftellungen von finnlihen und der Erfahrung 
unterworfenen Dingen, 3. B. oreyn, zpaßBaros Mark. I, 4., 
mögen nun foldhe ausdrädtih erwähnt, oder mag bloß auf fie 
angefpielt fenn, 2) in Aniehung der Vorftellungen von intels 
lectuellen Dingen und vorzüglich Neligionsmeynungen, z. B. 
dıaßorog, oaraväs, fowohl in Stellen, wo nad) folchen 
Meynungen geredet und gefchrieben wird, als bey Stellen, in 
denen folhe Meynungen beftritten und widerlegt werden : fucht 
unier Verf. fo beftinmt, als es bey folhen fchwierigen Fragen 
möglich ift, zu lehren. So wird &. 144 f. wegen ber richtis 
gen Auffaffung der Borftellungen jener Zeit von intellecruellen 
Segenftänden , vorzüglich von Neligionsmeynungen, der Grunds 
ſatz aufgeftellt: fobald es einmal hiſtoriſch gewiß oder auch nur 
wahrſcheinlich fey, daß der zu erflärende Scriftfieller von eis 
ner Sache diefe oder jene Worftellung gehabt habe, jo müffe 
dieſelbe billig in allen auf bdiefelbe fih beziehenden Stellen 
(verftehe ſich: deffelden Schriftftellers! ) zum Grunde geleat, 
und das, was er Sage, darnach beſtimmt werden, befonders 
wenn die Stelle dadurch volllommen deutlich werde, und dag 
in demfelben Geſagte auch mit anderweitigen Aeußerungen des 
Schriftſtellers übereinfimme und in der genaueften Verbindung 
damıt fiehe, oder ſich wenigſtens nirgends Etwas finde, das 
der Annahme dieſer Vorftellung wideriprähe. Wenn hiernächft 
als ein ſehr Ihäßbares Hälfemittel, den Sinn einer Stelle 


nach den VBorftellungen des Scriftftellers gu beftimmen, ſowohl 


die Vergleichung anderer Parallelftellen deſſelben Schriftftellers, 
‚als die PVergleihung der Paralleiftellen der übrigen Scrifts 
fteller des N. T. empfohlen wird, fo wird zugleich, um jeden 
Mißbrauch diefer lebtern, nad der fonft angenommenen ana- 
logia scripturae, zu begegnen, ©. ı50 erinnert: Die Ermwäs 
gung deffen, was den anderweitig befannten Grundiägen und 
Meynungen der N. T. Schriftfteller gemäß oder nicht gemäß 
ift, könne bloß dazu angewandt werden, zu zeigen, daß dies 
oder jenes der Sinn einer Stelle nicht feyn könne; keineswegs 
aber möge fie dazu dienen, den Sinn einer Stelle felbft vers 
mittelft derfelben zu erkennen, weil daraus, daß ein Schrifts 
fteller diefes oder jenes gelagt haben koͤnnte, noch nicht folge, 
daß er es auch wirklich gefagt Habe. : Auch merden nod über 


u 
* 


Be 


445 D.Keilii Elementa Hermeneut. N.T. 


wirkliche oder fcheinbare Widerfpräche in den Büchern des N, 
T. und das Verhalten des Auslegens in Anſehung derſelben 
bedeutende Winke hinzugefügt. Doch tft mit allen diefen Ber 
merfungen und ©rundiäßen. weiche Hr. K. im erften Haupt 
theil feiner Theorie de recta cognitione sensus lıbrorum 
N. T. beygebradyt hat, das Ganze, mas zur Theorie der his 
ftorifchen interpretation gehört, noch nicht vollendet, fondern 
es muß auch aus dem zweyten Haupttheil de ratione, sensum 
librorum N. T. recte cognitum alios docendi noch Einiges 
hieher gezogen und hier ins Andenken gebracht werden. Bir 
begnügen ung jedod damit, bloß auf dasjenige, was der Verf, 
von $. 115. an Über die Nücfficht des Auslegers auf Stellen 
hiſtoriſchen Inhalts, befonders auf E zaͤhlungen von munder 
baren Begebenheiten, ferner auf Stellen doamatifchen und 
moralifchen Sjnhalts erinnert, aufmerffam zu machen, und jo 
wohl auf die große Behutſamkeit, als auf die Fiberalität de 
Principien unfers Verf. Hinzumweifen, wenn er bey Stellen 
hiftorischen Inhalts nicht bloß Auffaffung der Erzählungen nad) 
ihrem urfprünglihen Sinn, fondern auch Würdigung derjelben 
und ihrer Beihaffenbeit, und ſelbſt eine Erforichung ihre 
Duellen empfiehlt; wie dies vornehmlich bey Erzählungen wun 
derbarer Begebenheiten der Fall ift, wobey möglichfte Beſcheit 
denheit und Vorſicht in den Erklärungsveriuchen darüber mit 
Hecht aefodert wird; und wenn er bey Stellen dogmatiſchen 
und moralifhen Inhalts nicht bloß lehrt, fie im Geiſt jenes 
Zeitalters aufzufaffen, fondern auch auf Beachtung ihrer gan 
zen Belkhaffenheit, ihrer Quellen und ihrer Tendenz, recht 
ernftlich dringt, damit man lerne, das Allgemeingältige vom 
Localen, Temporellen und Sndividuellen gehörig zu fondern. 
Mir ſchließen mit dem aufrichtigen Wunſch, daß dieſe treffliche 
Theorie zur Leitung angehender nicht allein, ſondern auch ſchon 
geuͤbter Schriftforfcher auf die rechte Bahn der gründlichen 
und befcheidenen Acht Hiftorifchen Forihung, wobey man der 
Willkuͤhr felbfterwählter Deutungen einzelner Schriftftellen im 
neuen und neuften Geſchmack am fiherften entgeht, recht wir 
fam ſeyn möge; und wir flimmen volllommen in den Auf 
fpruch des würdigen Verf. S. XIII der Zueignungsichrift mit 
ein: Certissime mihi persuasum habeo, tum demum li- 
hrorum sacrorum interpretationi melius, quam hucusque 
factum est, consultum iri, ubi grammatico - hıstoricae 
illius interpretandi rationis praecepta, quae equidem hoc 
libello enarrare atque commendare din J omnihus 
non modo prohata fuerint, huicque rei unice apte judi- 
cata, sed in ıpsis etiam libris illis interpretandis diligen- 
ter olservata, — r. 
— — — 


No. 29. Seidelbergiſche 1813. 
Jahrbücher der Litteratur. 





Verſuch aus der harten und weichen Tonart jeder Stufe der diatonifch 
chromatiſchen Tonfeiter vermittelft des enharmonifhen Tonwech⸗ 
feld in Die Dur und Mol Tonart der übrigen Stufen auszuwei⸗ 
den. Bon 9. Eh. Koch. Rudolſt. Hof= Bud: und Kunft- 
bandlung. 1812. 16 Bogen Querquart. 


&... Sammlung und fehr ausführliche Mufterfarte von ens 
harmoniſchen Ausweichungsformeln, aus jedem Ton in jeden 
andern (die ganz gewoͤhnliche Ausweichung in die Dominante 
und Unterdominante ausgenommen), nuͤtzlich für den Minders 
geübten, um fih im Fall des BedäÄrfniffes daraus Mathe ers 
holen, ‚und das zu feinem Zwecke paffende Mufter copiren zu 
koͤnnen. 

Die Ausweichungéformeln, ſaͤmmtlich in Notenbeyſpielen 
von 2 bis 4 Tacten vierſtimmig auf zwey Notenlinien im G 
und F Schläffel ausgefchrieben, find unter folgendeu Rubriten 
geordnet: _ 

1. Abfchnitt. Ausweihung aus den harten Tonarten in 
andre Dur s Tonarten. 

2. Abſchn. Ausweihung aus den harten T. A. in bie 
Mol s Tonarten. 

5. Abſchn. Ausweihung aus den meihen T. A. in Duvs 
Tonarten. 

4. Abſchn. Ausweihung aus den weichen T. A. in Mol; 
Tonarten. 

5. Anhang. 

Der Verf. begnuͤgt fich aber nicht, von der Ausweihung . 
aus der Tonart Einer Stufe (z. B. den gewöhnlihen Nor⸗ 
mal: Tonarten C dur und A moll) nad allen ondern Durs 
und Mol: Tonarten, Mufter zu geben, fondern gibt Ausweis 
chungsmuſter aus allen Tonarten in alle andern, und über 
manchen diefer vielen Specialfälle finden fih fogar noch zwey 


29 


450 Verſuch aus der harten u. weichen Tonart ic. von Koch, 


verfchiedenartige Formeln angegeben, im Ganzen wohl über 
700 Formeln! 

Daß diefe große fo meit getriebene Ausführlichkeit, wie 
der Verf. in der Vorrede behauptet, ihren eignen Nutzen habe, 
will Rec. nicht widerſprechen; allein er ift überzeugt, daß das 
Merk dennody an Brauchbakeit und Faßlichkeit gewonnen has 
ben wuͤrde, mären die verfhiednen Formeln anders geordnet, 
und fämmtlidy auf Ausweichungen aus zwey Mormals Tonerten 
reducirt worden. 

Sucht man z. B. die verſchiednen unter vierzehn Nubris 
fen. des Werks zerftreuten Formeln zum Webergang aus einer 
harten Tonart in die.harte der zunächft darüber liegenden Tafte 
auf, fo. findee man: @ Formeln von C nah Cis, 2 von C 
— Des, ı von Cis—D. ı von Des nad D, 2 von D nad) 
Es, ı von Es nah E, ı von E nah F, ı von F nad Fis 
(warum feine nah Ges?7), 1 von Fis nah G, ı von G 
nah As, ı von As nah A, a von A nad B, 2 von B nad) 
H, ↄ von H nad C. | 

Alto 20 Formeln für 14 im Grunde doc, gleichartige Fälle, 
welche fih fämmtlih unter Eine Rubrik hätten fubfumiren lals 
fen: denn offenbar könnte doch eine Ausweichungsformel von 
C nah Cis als Mufter des Webergangs von F nad) Fis, von 
Des nah D, von Es nah E u. f. w. gelten. Es ift überall 
derjelbe Fall, nur auf eine andre Stufe transponirt, nnd in 
der That find denn aud) jene 20 Formeln bloße Transpofitios 
nen von ben vier erſten Blattſeiten; fo ift der Lebergang von 
F nad) Fis, ©. 8, eine bloße Transpofition des gleichen Falı 
les von C nah Cis, ©. ı, und der von G nad) As ©, 11 
eine pure Transpofition des Fall von C nad) Des. 

Ja, die Ausmweichungsformel um eine Heine halbe Stufe 
aufwärts von C nah Cis, könnte gar füglih auch auf die 
Fälle der Ausweichungen um einen großen halben Ton aufs 
wärts dienen, und es wäre nicht einmal fehr nöthig geweien, 
eine eigne Formel von C nah Cis und eine eigne von C nad) 
Des auszufchreiben, indem jeder auch nur irgend Geuͤbte gar 
leicht Diele in jene umichreiben wird, und umgefehrt. 

Denn ganz jo wie der Verf. S. ı von C nad Cis dur 
seht, even jo kann man mittelft bloßem Umſchreibens nad 


Verſuch aus der harten u. weichen Tonark ic. von Koch, 454 


Des dur gehen, und umgekehrt ift der S. ı befindliche Ueber⸗ 
gang von C nad) Des dur. 
7 6 br - " 
5 4 b5 b5 6 b7 
35353 2 | b5, b3 b4 b5 | b5 
GC, A,*G, bA | bG, bE, bA, bA | bD 
(eigentlich : | 
6 
bb5 
| | b3 
C, A, *G, bA | bG uf. mw.) 
leicht umzufchreiden in einem Uebergange von C nach Des dur: 
7 x 
5 *26 *5 *7 #6 *6 *5 
5 5 3 51*53 *5 *4 0 #3. *3 
C, A, *G,*G | F, *D, *G, *G il 6% 
Fa fogar die Mebergangsformel aus Cis dur nah Es duzs 
©. s: 
76 6 
*5 *5 — *5 *5 b7 
+3 *5 — #5 *8 b4 
*G | *C, *C, *H, C | bH; bH —. 


Ceigentlich: 
| — a 6 
*5 % — 55 5 6 
*»5 #5 — *5 5. ba | 
*G |*C, *C, *H, G | bH, u. ſ. w.) 
laͤßt fih auf die Hödhft einfache Formel aus C nad D: 
#6 *% 7 
3 335 4% 
G| C, C,H, bBH | A; A_ 


reduciren, und hätte ſich leicht aus ihr deriviren laſſen; und 
eben fo die Formel von Cis nah As, ©. 3; 


— 


452 Berfuch aus der harten m. weichen Tonart ⁊c. von Koch, 
*6 6 br 

5 — 5 4 5 6 h 

*3 — *3 *% b5 b364 HZ b5 

*C, *C, *D, bE | bD, bH, bE, bE | bA, 


(eigentlich 5 


*6 6 
5 bh5 b5 
+3 b5 


*C, *C, *D, bE | bD, uf. m.) 


(mo der enharmonifhe Webergang von Cis dur nad) Des dur 
fhon beym Schritte vom ten zum 4ten Akkord durch bloße 
Ruͤckung geſchehen ift, und dann erft eine Ote Mendung von 
Des nah As dur gefhieht) auf die ganz gewöhnliche Auswei 
dung in die Dominante: 
N | 
5 — 6 7 
3 — 5 — 5 nn 4 *3 
C,:C, D, D|IC, A, B, D|| ©. 
Das bisher Geſagte zeigt, wie manchfacher Abkürzung die 
Tabelle der Ausweichungen aus harten Tonarten nach andım 
Tonarten empfänglich gewefen wäre. | 
Aber nicht größere Kürze allein würde der Gewinn ein 
derartigen Anordnung geweien feyn. Wie vieles würde dad 
ohnehin fchon fo brauchbare und gemeinnüßige Werk noch 94 
mwonnen haben, wenn die verfchiednen unter verfchiednen Spt 
cial⸗Rubriken gerftreuten, aber zu einem und demfelben Zwid: 
dienenden Formeln alle in Eine Tabelle zufammengeftellt mir 
ven und zufammen überfchaut werden koͤnnten. Go .B. 
beftehen die vom Verf. gegebenen Formeln zu Webergängen it 
die Tonart der nächften halben oder Meinen Stufe aufwärk 
(die bloßen Transpofitionen nicht mitgezähle), aus den vi 
folgenden : | 


x 
*6 6 *5 6 9 *6 
I — 5 ar *4 *8 3 # 
1. 6, C, &, G | *F, *F, *G, *G | * 


x 
*6 *5 5 x6 “2 #5 
ce Ger Be SE 7 SE 7 GE Ye 3 Zu 
2. C, A, *6, *G|*F, *D, *G, +6 | *L 


Verſuch aus der harten und weichen Tonart ic. von Koch, 453 


b7 — * 
5 b5 6 br 
5359 7 2 b5 b5 b4 b5 b5 
3 G|C, A, *G, bA|b6G,bE, bA, bA|bD. 
bb — b7 
53 5 b7 ee b3 — b5 b5 b5 
4. G|C, H, bC, bh, bg|bD, bA, bD, 


Diefe, zu Erleichterung der Anwendung auf andere Fälle, 
aus Tonarten mit Kreuzen auch nod verwandelt und umge⸗ 
fehrieben in. Tonarten mit Been, und umgekehrt 


6 | 
bb5 bb6 5 6 by — 
5— 7 33 b4 o b5 b4 »5 6b66 
5. C,C, G, bbA|bG, bG, bA, bA|bD. 
6 | 
bb5 b5 b5 6 by 
3 3 7 b3 b3 b3 b4 b5 55 
6. C, A, *G, bA|bG, bE, bA, bA|bD, 
#6 *7 ud; 
5 *55 *5 6 *5 + 
35 3 7 3.33 #3. *4 *3 *5 
7. G |C, A, *G, *G]*F, *D, *6, *G |-*C. 


| *4 *6 — 2 BES 3, Bun 2 
5 5b, 353 *5 — *%3 *5 5 .- 
8. G|C, H, H, *a,-*F |*C, *G, C. 


würden (allenfalld in der Ordnung: ı, 2, 7, B, 3, 4, 5, 6) 
eine nicht nur volltändige Tabelle der Ausweihungsformeln 
für alle ähntıhe Fälle geben, woher fih dann leicht duch 
Blofie Transpofition Ausweihungen von C nad Des, von 
Cis nad D, von Des nah D, von D nad Es, von Es 
nah E; von E nad) F, von F nad) Fis oder Ges, von Fis 
oder Ges nah G, von G nad Gis oder As, von Gis oder 
As nah A, von A nad B, von B nad H oder Ges, von 
da nah C, und nad) Belieben auch in noch fremdartigere 


454 Verſuch aus der harten w, weichen Tonart etc. von Koch. 


Tonarten, z. B. von D nad Dis u. ſ. w. nachbilden ließen, 
ſondern es würde durch Zuſammenſtellung aller zu Gebote ſte— 
henden Formeln auf einem Plage dem Anfänger noch obens 
drein die weitere Weberficht gewährt, daß er, um mach der 
Tonart der näcft obern Tafte auszumeichen, unter den beys 
fammenftehenden Formeln die Mahl habe, und daß er über: 
Dies diefe Art von Modulationen nah Belieben in die Form 
entweder von Ausweichungen, um einen großen oder um einen 
Meinen halben Ton, ausführen und ſchreiben fönne, je nad 
dem die eine oder andre Form etwa eine allzuungewöhnliche 
Bezeichnung erfordern würde, oder je nahdem die eine oder 
andre den demnächft folgenden KHarmonieen am fchicklichften 
zufagt. 

Und wollte man dann, wie denn ber Verf. gethan Bat, 
und auch wirflih von reellem Nutzen ift, diefe Formeln. in 
Beziehung auf weiche Tonarten alle auch noch einmal befonders 
ausfchreiben, fo wäre gewiß alles gethan, was Ausführlichkeit 
mit Anſchaulichkeit und Wollftändigfeit verbunden, leiſten koͤn⸗ 
nen, und dabey koͤnnte das Werk doch noch allenfalls durch 
größere Manchfaltigkeit von Formeln, z. B. (um immer bp 
den oben ausgehobenen Fällen der Ausweichungen in die nädhft 
höhere Taſte zu bleiben ) 


6 *4 1 Be 7 *4 *4 


5 
55 St *5 BB *n — *5 
5 6 *6 *6 *7 946 *5 — *3 
C, H, C, a a|*G, *G, *6, *G | *C., 
oder : 

b7. by — 

7 b6 b5 6 55 — 

*2 *5 ba b3 b4 — 3 


u. dgl. bereichert werden. 


Uebrigens iſt der Satz überall rein und korrekt (Kleinig— 
keiten, wie z. B. S. Gi fünftes Beyſpiel, können ja uͤberſehen 
werden!) — das Aeußere der Auflage beweiſ't die Aufmerk— 
ſamkeit, welche die Verlagshandlung dem Werke des geſchaͤtz⸗ 
. sen Schriftftellers ſchuldig zu ſeyn geglaubt: doch iſt das kleine 


Taſchenb. f. Forft- u. Fandfreunde von R. v. Wildungen. 455 


Erraten-Verzeichniß nicht vollftändig. Vergl. ©. 61 vierte 
Formel. 
Mannheim. Gottfried Weber. 





Taſchenbuch für Forſt- und Jagdfreunde, für die Jahre 1809 — 1812 
von L. C. E. F. Ritter von Wildungen, koͤnigl. Weltphälis 
ſchem Conſervateur der Forſte und Gewaͤſſer des Werra-Depar⸗ 
tements u. ſ. w. 


Der Verf. beſchließt hiermit ſehr ehrenvoll die Herausgabe 
feines allgemein beliebten Taſchenbuchs, deſſen Fortſetzung bes 
tanntlich die Herren Laurop und Fiſcher übernommen haben, 
doch können wir dem Leſer zum Trofte fagen, daß Kerr von 
. Wildungen auch ferner thätig dafür feyn wird. 

Die Vorderfeite des Umichlags ziert eine Abbildung des 
Seweihes des befannten Sehsundfechzigers, die KHinterfeite 
des Umſchlags ein mißgeftaltetes Geweih, nach Müdinger, 
eben fo fiellt das Titeltupfer die Mißgeftalt eines Hirſches, 
fo wie die Vignette einen Rehbockskopf mit unfoͤrmlichem Haupt⸗ 
fhmud. vor. So lange unire Sjagdfreunde noch nicht einmal 
die Thiere Deutſchlands kennen, möchte es wohl zweckmaͤßiger 
ſeyn, ftatt der pathologifchen Segenftände, die ins Unendliche 
gehen, feltene Threre abbilden zu laffen. Aus denfelben Gräns 
den können wir auch nicht die Aobildung des Bläßhirfches bils 
ligen,, von dem der Herausgeber in der erften Abhandlung Nach—⸗ 
richt gibt, da ſolche Spielarten leicht beichrieben werden können. 
II. Das Murmelthier, von Herrn Hofrath Blumenbach, mebft 
Abbildung. Herr Blumenbach liefert in diefer gehaltwollen 
Abhandlung erft einen Auszug aus Stumpfs Werk, und trägt 
dann das nody Fehlende nad. Rec., der lange Zeit mehrere 
diefer Thiere lebend beſaß, kann als Nachtrag noch bemerken, 
daß die Murmelthiere wirkliche Raubthiere find, fie verfolgen 
und morden Thiere, die ihnen an Größe nicht viel nachſtehen, 
und zehren fie auf; auch Fifche freffen fie gern, fie fangen 
immer am Kopfe derfelben an, und laffen nichts wie die Flofs 
fen- übrig. Sie erwachen wie die Fledermäuie, wenn. firenge 
Kälte auf fie wirken kann, und Jaufen herum; bemühen fi 


456 Taſchenb. f. Forft- u. Fagdfreunde von R. v. Wildungen, 


aber dann einen mwärmeren Aufenthaltsort zu finden. Eine 
Erfcheinung , die bey beyden noch nicht befriedigend erklärt iſt. 
Herr. Blumenbad bemerkt, die WVorderzähne der Murmelthiere 
hätten die merkwuͤrdige Eigenfchaft, daß fie, wenn fie abgebrochen 
wärden, in Kurzem wieder zur gehörigen Länge nachwuͤchſen, 
dies haben wir bey andern Thieren, z. DB. bey den Mardern 
auch bemerkt, deren Zähne wir mit einer fcharfen Zange abs 
fprengten, und die demungeachtet Ihre gehörige Größe und 
Form wieder erhielten. III. Der bärtige Alpengeyeradier, vom 
Herausgeber, mit zwey Abbildungen, welche den alten und 
jungen Vogel darftellen. Eine ſehr gute Zufammenftellung des 
Bekannten aus der Naturgefchichte diefes merkwuͤrdigen Vogels. 
Die Abbildung des jungen Vogels ift ſehr ſchoͤn, es iſt eine 
Eopie aus dem Meyerifchen Taſchenbuch; die des alten Wogels 
iſt aber nicht fo gut ausgefallen, auch ift fie von einem ſchlecht 
ausgefippften Exemplare genommen. IV. Der große Bradı 
vogel, von Herrn Hofrath Merrem in Marburg, mit einer 
fhönen Abbildung. Eine fehr interefante Abhandlung. Bey 
den Unterfcheidungsfennzeihen der Gattungen Scolopax und 
Numenius find Lage, Form und Ränder der Naſenloͤcher vers 
geffen, die bey beyden Gattungen fehr verfchieden find. Auch 
möchten wir Herren Merrem nicht darin beuflimmen, daß 
Scolopax suborynata, pygmaea und alpina zu den Strands 
käufern gehörten. Die Tringa alpina hat’ den Schrifitellern 
fhon viele Mühe gemacht, noch in dem neueften Werke des 
Herrn Bechſteins kommt fie doppelt ald Numenius variabilis 
und als Tringa alpina vor; Buffons Abbildung pl. enl. 852 
bat zu dieſen VBerwirrungen Gelegenheit gegeben, indem der 
bier im Herbſtkleide abgebildete junge Woget mit einem gang 
geraden Schnabel begabt ift, ein Fall, der bey dem jungen 
Vogel diefer Art leicht eintritt, wenn man ihm beym Ausftopfen 
den Schnabel in der Mitte zufammenbindel. Der Numenius 
variabilis, oder die Tringa alpina, welches derielde Vogel 
if, bat einen fehr deutlich bogenförmig nah unten gefrämms 
ten Schnabel, und gehört dennoch nicht zu den Strandläufern. 
Herrn Bechſteins Numenius pygmaeus ıft feine eigne Art, 
fondern der junge Vogel von Numenius suborynata; deffen 
Numenius pusillus ift aber gleichfalls ein wirklicher Brady 


# 


— 


— 


Taſchenb. f. Forſt⸗ u. Jagdfreunde von R. v. Wildungen 457 


vogel. V. Der Goldregenpfeifer, mit einer Abbildung, von 
Herrn Hofrath Merrem. Der Goldregenpfeifer gehoͤrt zu den 
Voͤgeln, die zweymal im Jahre mauſern, und deren Sommers 
kleid fehr von dem verfchieden ift, das fie im Winter tragen: 
hier ift ein im. Maufern begriffener Vogel abgebildet. Beſſer 
würde es wohl geweſen feyn, wenn man winen folden Vogel, ‘ 
der bereits fein Hochzeitliches Kleid erhalten, gewählt hätte, 
denn wenn wir Vögel darftellen wollen, die fi im Webers 
gange aus einem Kleide ins andere befinden, fo. können wir 
fo viel verfchiedene Abbildungen liefern, als es Individuen gibt. 
Die Abbildung diefes Negenpfeifers ift nicht fo gut wie bie 
übrigen "gerathen,, befonders-fcheint der Schnabel eher einem 
Naben, als einem Choradrius anzugehören. Wenn der Kr. 
Verf. ſagt: gewöhnlih Hat er nur drey Zehen, doch -hat Kr. 
Profeſſor Schneider zu Frankfurt an der Oder eine kurze Hins 
terzehe mit einem Nagel bemerkt; fo müffen wir dagegen ers 
innern, daß dann Herr Prof. Schneider ‚einen jungen Vogel 
von Vanellus melanogastes vor fi gehabt habe, aber feinen 
Soldregenpfeifer, auch können wir Herrn Merrem nicht darin 
beyfiimmen, daß die Kiebize und Regenpfeifer zu vereinigen 
feyen, ob wir ihm gleidy einräumen mäffen, daß der Vanel- 
lus melanogastes ein wahrer Regenpfeifer iſt; wenn auch 
gleich alle neueren Schriftſteller ihn zu den Kiebigen zählen. 
VI. Beytraͤge zur Forſt- und Jagdchronik, vom Herausgeber. 
VII. Berfud einer Anleitung zum Aufiuhen und Erkennen 
der Forftpflangen und der bey uns einheimifhen wilden Thiere 
nad) den befannteften Eintheilungsmethoden für Anfänger, die 
ſich ſelbſt unterrichten wollen, von ©. F. D. aus dem Wintel: 
Zür den Anfänger eine nüßlihe Anleitung, die fi befonders 
durdy die Wärme empfiehlt, die der Verf. für feinen. Gegens 
fan empfindet, und durch das Öftere Hinweiſen auf das nie 
genug zu empfehlende Studium der Natur ſelbſt. Nur fiellt 
der Verf. das Beſtimmen der Naturförper feinen Schülern 
etwas zu leicht vor, denn felbft bey dem Benfpiel, das der 
Verf. von der gemeinen gelben Bachſtelze anfuͤhrt, würde ſich 
mande Schwierigkeit gezeigt haben, wenn es eine gelbe Bach⸗ 
ftelge im Jugendkleide gewefen wäre, die beſtimmt hätte werden 
folen. Denn da wir in der Drnithologie die Artkennzeichen 


458 Taſchenb. f. Forft- u. Jagdfreunde von R. v. Wildungen. 


faft durchaus von dem Farbenfleide zu nehmen gegwungen find, 
und dies nah Alter, Geſchlecht und Szahrszeit bey vielen Vo—⸗ 
geln -abändert, fo möchte ein richtiges ornithologiihes Syſtem 
wohl no lange zu den frommen Wünichen gehören, und dag 
um fo mehr, . da unfre Schriftfteller diefen Mangel noch nicht 
einmal zu fühlen fcheinen. VIII. Die MWolfsjagd, vom Kers 
ausgeber. Bon Bauern wird ein Wolf getrieben und erlegt, 
worüber -fih der Verf. komiſch beklagt. 1X. Etwas über die 
Flintenſteine, vom Herren Prof. ‚Wurzer in Marburg. Eine 
mit ‚vieler Laune gefchriebene intereffante Abhandlung. X. Auss 
zug aus einer feltenen alten Thronik, Sjagbbegebenheiten bes 
treffend. XT Warum wird das: Holz noch immer nicht wohls 
feiler, vom Herausgeber. Enthält fehr zu beherzigende Wahrs 
beiten. Der Hauptgrund liegt wohl darin, daß das Holz nicht 
wie die Krebsicheeren nachwaͤchſt. XI. Noch etwag über 
fürftiihe Zagdluft der Vorzeit, vom Herausgeber. XIII. Das 
mittlere Waldhuhn, vom Herausgeber. Mit Recht erklärt 
auch der Berf., der dieles Maldhuhn in der Sammlung des 
Herrn Hofrath Meyer zu Offenbach fahe, ſolches für eine 
eigne "Art; wie flimmen ihm nicht nur darin. bey, fondern 
find auch überzeugt, daß jeder Naturforſcher, der diefen Vogel 
in der Natur ſieht, ihm die Artrechte zugeſtehen werde, 
XIV, Lnverdienter Bannfluh. XV. Maturhiftoriihe Berich— 
tigung. Es ſeyen nicht Leoparden, fondern Unzen gemefen, 
deren fih Kaifer Leopold der Erſte bey der Jagd bediente. 
XVI. Der Senidfang. XVII. Nachleſe zur Forſt- und Jagd⸗ 
fitteratur der leßteren Sjahre. XVII. Neues Bedenken der 
eigentlihen Brunftzeit der Mehe. - Der Herausgeber nimmt 
mit Recht Anftand einer nicht hinlaͤnglich verbuͤrgten That— 
ſache, die gegen gruͤndliche Beobachtungen ſtreitet, Glauben 
beyzumeſſen. Wenn in der Naturgeſchichte ſolche Beobachtun⸗ 
gen, welche allen Verdacht einer Taͤuſchung tragen, fuͤr Er— 
fahrungen gelten ſollten, ſo wuͤrden wir nie aufs Reine darin 
kommen. XIX. Zirbelnuͤß⸗Erndte. XX. Anekdoten: XXI. 
Auszug aus einem Brief einer Ruſſiſchen Dame. XXII. Ges 
dichte. Das Yägerlied vom Herausgeber, und Morgenieufjer 
einer zärtlichen —— von — —— ſi — vor⸗ 
zuͤglich aus. 


Geognofifche Fragmente von K. v. Raumer. 459. 


Wir mänfhen, daß die nachfolgenden Jagdkalender fich 
als würdige Brüder an biefen leßtgebornen anreihen möchten. 





Geognoſtiſche Fragmente von Karl von Raumer. Mit einer- 
Karte. Nürnberg, bei 3. &..,Schraag. 1811. -VI und 78 ©. 
gr. 8. (54 fr.) 
Herr von Raumer bildete fih, wie wir aus dem Bors 

berichte zu diefem Büchlein fehen, in der trefflihen Schule des 
großen Werners zum Gebirgsforfcher, und legt ung in dies 
fen Fragmenten die Erftlinge feines litterariſchen Wirkens dar. 
Es find Beobachtungen, welche er uns als die Reſultate viers 
jähriger Arbeiten fennen lehrte, und. die von ihm in Gemeins 
fhaft mit den Herren v. Engelhardt und v. Pryyftas 
nowstiangeftellt wurden. Die zum Theil neuen Anfichten 
des DBerf. und die aus diefen entlehnten Schlußfolgen verdies 
nen, ungeachtet wir manden einen bloßen huporhetifhen Werth 
beyzumeffen vermögen, die Aufmerkfamkeit des geognoftifchen 
Publitums. Wenn wir nun zwar, und dies, wie. der Erfolg 
darthun wird, nicht ohne Grund, mit den Anfichten des Hrn. 
v. R. keineswegs: ganz Übereinguffimmen vermögen, fo find 
wir doc) weit entfernt, den Kenntniffen und den Talenten 
diefes jungen Schriftftellers nicht Gerechtigkeit mwiderfahren zu 
laffen, wir alauben vielmehr, daß fih die Wiffenfchaft noch 
mandyer gelungenen Arbeiteh von ihm -zu erfreuen haben wird, 
zumal wenn er es fi) angelegen ſeyn laͤßt, eine mehr plane 
und Mare Darftellung zu gewinnen. 

Mad diefen vorläufigen Bemerkungen menden wir unge 
wieder zu den vorliegenden geognoftifchen Fragmenten. . Zuerft, 
als allgemeine Ueberſicht, eine Anzeige des Inhaltes. 

Ueber die Spyenitformation, nah Beobachtungen im Saͤch— 
fiihen Erzgebirge. Zuerft beſtimmt der Verf. den beobachteten 
Landfirih, und handelt nun von dem Suͤdoͤſtlichen Theil defs 
ſelben, namentlih von der Gegend zwiſchen Königftein, Gott; 
lauden, Lungwis und Kaufe, fodann von dem mittleren 
Theile, insbefondere von der Gegend zwifchen Lungwitz, 
Grund, Loßen und Kaufhe, und endlich von dem nordwefts 
lihen Theile, nämlid von.der Gegend zwifchen Grund, Dis 


a60 Geognoflifche Fragmente von K. v. Raumer. 


bein Lauben und Lotzen. Hierauf folgen Betrachtungen über 
die Verbreitung des Syenits und Über das Verhältniß der 
Spyenitformation zur zwenten Porphyrformation und biefer 
Formation zur Schyieferformation der Urzeit, über das Ders 
haͤltniß des Syenits zum Webergangsgerirge und über ähnliche 
Verhältniffe in andern Gebirgen. welche denen im - öftlichen 
Erzgebirge analog ſcheinen, fo am Harze, im Thüringer Walds 
gebirge und im Gebirge an der Bergftraße. - Als befonderer 
Abſchnitt erfcheinen die Fragmente eines Aufiakes über die 
Flözgebirge. Hier ift die Rede vom rothen Todts Liegenden, 
von Heims Zwifchenlagern, vom Manpelftein und von. der 
Bildung der Konglomerate. Erläuternde Anmerkungen, welche 
als Noten: gleich unter dem Terte, auf den fie fi beziehen, 
ihren Pia hätten finden follen, befchließen das Ganze. 

Der beichränfte Raum diefer Blätter erlaubt uns nicht, 
die Beobachtungen des Hrn. v. R. im Detail zu verfolgen, 
nur bey zwenen, von demielben aufgeftellten Hypotheſen ges 
ftatten wir uns‘, ihrer vorzüglihen Wichtigkeit halber, zu vers 
mweilen. Die eine betrifft feine Anficht Über die Uebergangs— 
Formation;,. die andere macht uns mit feiner Meynung über 
die Natur des Sranites befannt, welcher den Brocken bildet. 

Im Öftlichen Theile des Sächfifhen Erzgebirges fand der 
Berf. mannigfaltige Derfchiedenheiten von Thonfchiefer , mit 
Lagern von Alaun » und Kiefelfchiefer, einem graumwadens 
ähnlichen Befteine, Kalkſtein, Porphyr und einer gneuss 
artigen Gebirgsart, an den, unmittelbar auf den Granit 
folgenden Gneus gleichförmig gelagert. An diefe reiht fi, 
mit jüngerem Granite und manchen anderen untergeordneten Las 
gern. ( Gneus, Porphyr u. f. mw.) verſchiedentlich abwechſelnd, 
Syenit. Auch hier bemerkt man gleichförmige Lagerung. Diefe 
Erſcheinung war für ung, ungeachtet fie mit manchen früheren 
Beobachtungen, auf welche man eine von obiger ganz verfchies 
dene Anficht des Pagerungs s Verhältniffes der Syenit » und 
Porphyr ; Formation zu denen des Älteren Urgebirges begründet 
hatte, dennody nicht fehr Befremdend, wohl aber erfiaunten 
wir über die Neiultate, bie Hr. v. R. daraus ziehen will, 
indem er S. 3ı jagt: „Wir fanden die Webergangs » Ges 
birgsarten nirgends in abweichender oder abweichender 


— 


Geognoſtiſche Fragmente von, K. v. Raumer. 461 


und übergreifender Lagerung auf den Urgebirgsarten, 
vielmehr Äberall, wo wir das gegenfeitige Verhältniß beyder 
‚beobachten konnten , fahen wir jene in gleichförmiger Lagerung 
‚auf diefe folgen. Da nun die gleihförmige Lagerung mehrerer 
‚Gebirgsarten auf einander, nah den Srundfäßen der Werneris 
fhen Geognoſie, die ununterbrocdhene Folge der Momente ihrer 
Dildung bemweil’t, fo freiten diefe Beoachtungen gegen die 
‚Trennung des Uebergangs ; Gebirges vom Urgebirge, und ges 
gen die Annahme zweyer befonderer Epochen ihrer Bildung.“ — 
Wir Härten folglich, nad des Verf. Behauptung, eine For 
‚mation weniger, indem die Ur s und Wevergangs : Gebirge 
einer und derfelben Bildungs: Periode angehören tollen. Ges 
‚gen diefe Anficht fkreitet indeffen fo viel, daß wir uns unmögs 
lich mit derfelben vereinigen können. Hr. v. R. betrachtet die 
zwiſchen dem Gneufe Älterer und dem Granite jüngerer Bils 
dung , und dem Syenite vorfommenden Lager als den anevs 
kannten Webergange : Gebirgslagern durchaus analog. Allein 
dieſer Satz fcheint ung feineswegs erwiefen. Weder der Kalkſtein 
noch die Grauwacke tragen dies für die Gebirge der Webers 
gangs: Periode fonft fo bezeichnende Merkmal — Berfteineruns 
gen. Es ift keine Rede von ähter Grauwacke, die fih hier 
findet, fondern nur von einem grauwadenähnlihen 
Geſtein. Der Kiefel s und der Alaunichiefer können feinen 
evidenten Beweis führen, denn wir treffen beyde im Urgebirge, 
als untergeordnete Lager des Urthonichieferds, und unter ähns 
lichen. Verhältniffen im Webergangsgebirge. Die beobachteten 
Lager s und gneusartigen Geſteine, welche fih, nad allen biss 
her befannt gewordenen Thatſachen, nicht mit dem Begriffe 
vom Webergangsgebirge vereinigen laffen, fcheinen uns, nebft 
dem: Sranite fpäterer Formation und dem Syenit, meit eher 
jüngfte Bildungen des Urgedirges zu jeyn. In feinem alle 
aber, angenommen felbft , daß der Verf. richtig gejehen und 
gefolgere hätte, können wir auf das einzelne und lokale Vor— 
tommen eine allgemeine Regel beg:ünden. Sm $ 8., wo 
von den Verhältniffen anderer Gegenden, welche denen im 
Öftlichen Erzgebirge beobachteten analog fcheinen, die Rede ift, 
fagt Hr. v. R., man habe bisher angenommen, das Ueber— 
gangsgebirge liege mantelförmig um den Granit des Brockens 


462 Geognoſtiſche Fragmente von K. v. Naumer. 


herum. Dieſer Annahme aber ſtehe das Fallen der Gebirgs— 
ſchichten entgegen, welche nicht, wie dies feyn müßte, wäre 
jener Satz gegründet, in W. weſtlich, in &. füdlih und in 
D. Öftlih, fondern, den von Lafino angeftellten Beobach—⸗ 
tungen zu Folge, wenige Fälle ausgenommen, allegeit nah ©. 
und ©. DO. fih ſenken. Das VHebergangs s ( Schiefer: ) Ges 
birge bilder demnad) feinen umlaufenden Schichtenmiantel um den 
Brocken, alsam ein heranstägendes Srundgebirge, der Granit 
beffimmt das Fallen nicht, wie dies ſeyn müßte, wenn er das 
Srundgebirge wäre, der Thonfchiefer fälle im Gegentheile im 
M. W. dem Granite wieder zu, und fonach bleibt, nach 
Hrn. v. R. Dafürhalten, nur die Alternative: den Granit 
des Brocdens für fehr mächtige Lager in den Schiefern anzu— 
fehen, oder als Übergreifend und abweichend auf dem Scies 
fergebirge. Uns ift nun zwar bis jeßt feine Stelle am Harze 
befannt geworden, wo ein vollkommen deutlihes Zus 
fallen des Thonfhiefers und der Grauwacke gefunden wors 
den wäre; allein gefeßt auch, daß dies gefchehen feye, fo 
wird man doch wohl zu Folgerungen der Art, wie Ar. v. M. 
fi) erlaubte, nicht eher fi) berschtigt glauben, als bis zugleich 
mit Gewißheit das Aufgelagertfeyn des Sranites auf dem 
Schiefer dargethan if. Ein weiterer Grund, melden ber 
Verf. für feine Hypotheſe aufführe, iſt die Gleichfoͤrmigkeit 
der Richtung der Schichten: Abfonderungen des ©ranites mit 
jenen der Grauwacke und des Thonſchiefers. Gegen dieſe 
Behauptung ſtreiten indeffen gleichfalls bewährte Beobachtun⸗ 
gen, welche wohl eine Adtheilung des Geanits in Bänke, aber 
durchaus feine Sleihförmigkeit der Nichtungen der Schichten 
wahrnehmen ließen. Mithin können wir auch den Satz, daß 
der Sranit des DBrodens ein mähtiges Lager 
im Thonfchiefers Gebirge fey, nicht für ermwielen bes 
trachten. 
L.CS. 


Memorabilien der Heilfunde, Staatsarzneiwiſſenſchaft und Thierheil⸗ 
funit. Herausgegeben von J. J. Kauf, Doctor der Arzneis 
kunſt, Magifter der Weltweißheit, Negierungs = und Medicinal- 


Memorabilien der Heilkunde: ie. von J. J. Kauſch. 463 


rathe bei der königl. preußifhen Lignigifhen Regierung von 
Schleſien, practifbem Arzte zu Lignig, Mitgliede der  gelehrten 
Befeltfchaften zu Erlangen, Erfurt und Bredlau. Erfted Bänds 
chen. Mit ı Kupfer. Zullibau, in der Darnmannifhen Buchs 
handlung. 1813. XXVI und 250 ©. in 8. 


Der fhon duch mehrere Werke rähmlichft bekannte Kr, 
Verf. eröffnet mit diefem erſten Bande eine in zwangloſen 
Heften nad und nad erfcheinende Bekanntmachung merkwuͤr⸗ 
diger, aus dem gefammten Gebiete der practiſchen Heilkunde 
berfiammender Beobachtungen und Erfahrungen, zu deren 
Sammlung ihm fein Amt als Pegierungs » und Medicinals 
rath der Löniglih Preußischen Lignigifhen Negierung von 
Schlefien die. trefflichfte Gelegenheit darbietet. Alles Merk 
würdige nämlich, was in den fechzehn Kreifen des Lignitziſchen 
Regierungs s Departements bey einer Menfchenzahl von mehr 
als ſechsmal hunderttaufend Seelen in allen Zweigen des Mes 
dicinalweiens aus den Händen von mehr als fiebenzig Aerzten 
und einigen hundert Wundärzten entweder durch die angeords 
neten Sanitätsberichte, oder auch auf andern Wegen zum 
Vorſchein kommt, gelangt zu feiner Wiffenfchaft, und feßt 
ihn auf folhe Weile bey dem ungemeinen Reichthum und der 
vielverfprehenden Ergiebigkeit diefer Duelle in den Stand, 
ung von Zeit zu Zeit eine Auswahl jener für unſere Kunft 
fo viel verfprehenden Schäße mitzutheilen, die dann bey der 
befannten Sachkenntniß des Herrn Verfaſſers uns eine reiche 
Aerndte an neuen und fhäßbaren Kenntniffen verfpricht, welche 
nad dem Verfprehen des Herrn Verf: noch durch anderweitige 
Aufſaͤtze Über Gegenflände der auf dem Titel ERROR Fächer 
vermehrt werden fol. 

Der Herr Verf. ift einer von den Männern, — zum 
Beſten der guten Sache dem in unſern Tagen einerſeits durch 
den roheſten Empirismus, andrerſeits durch ſublinie Specula— 
tion und ſinnloſen Myfticismus fo ſehr beleidigten Geiſte aͤcht 
rationeller Empirie, als dem einzig ſichern Wege aller Heils 
kunde, mit feftem Character treu geblieven find, und diefer 
Seift it von ihm auf fein Werk übergegangen, welchem ſo— 
mit reine Erfahrung und Beobachtung zum Grunde gelegt iſt, 


464 Memorabilien der Heilkunde ꝛc. von J. 3. Kauſch. 


von welchem alle bloß in die theoretische KHeiltunde einfchlas 
genden Gegenftände ausgefchloffen find, und welches mithin 
vorzugsmweije für den practiihen Heilkuͤnſtler geeignet iſt, dies 
fem aber wegen der Wichtigkeit der darin enthaltenen Aufı 
fäße und der edeln prunflofen deutlihen Einfachheit der Schreib 
art in jeder Nückficht empfohlen werden kann. 
Der vorliegende erfte Theil enchält folgende Aufſaͤtze: 
ı) Ein für unheilbar erflärter Beinfraß mit. hectifchem Fieber, 
bey welchem die Operation des Gliedes als einziger Ausweg 
erflärt worden, gluͤcklich ohne diefelbe geheilt. 2) Ein faft 
allgemeiner Beinfraß bey einem Mädchen, bey welchem das 
eine carioͤſe Schläffeldein ausgefhworen und von der Natur 
wieder erfeßt worden. 5) Gefchichte und Heilung eines Opis 
fihotonus. 4) Heilung einer Fractura cranii ohne Trepanas 
tion und ohne Wegnahme des abgebrochenen Knochenſtuͤcks. 
5) Erfahrungen über den Gebrauch des Arſeniks gegen Wech—⸗ 
felfieber. 6) Ueber die Wirkfamkeit der Flinsberger Minerals 
quelle in Schleſien. 7) Weber die vorzüglihe Wirkſamkeit 
der Arnicablumen bey einer Brufterfhärterung. 8) Eine Bruds 
pperation. 9) Leber eine Pfeubdoorganifation des Darmkanals. 
10) Geſchichte der Ninderpeft im Herbſte 18311. im Lignikis 
fhen Regierungsdepartement. 12) Ueber die Schädlichkeit des 
Waſſers der Eupfernen Dfentöpfe. 11) Krankengefchichte eines 
Wahnfinnigen, welcher zweymal duch Mercuriaipräparate ger 
hetie wurde. 13) Gutachten über einen gewiſſen Gemuͤths— 
zuftand bey einem Manne. ı4) Ein Todesfall auf eine fehr 
geringe Veranlaffung. 15) Ueber Frühlingsturen und einige 
herrfchende Fehler und Worurtheile bey Brunnen »s und Bader 
anftalten. 16) Aeußerſt merfwärdiger NWerlauf einer Milzbrands 
agizootie. 17) Ueber die Urfache und Maskirung cheumatifcher 
Krankheiten. 

An diefe größern Aufiäge fchließe fih noch eine kleine 
Sammlung practifher Miscellen von nicht minderer Wichtig: 
keit an. 





No. 30. Heidelbergiſche 1813. 
Jahrbuͤcher der Litteratur. 


1) Handbuch der Mineralogie von C. A. S. Hoffmann. Erſter 
Band. XXIV und 685 S. Zweyten Bandes erſte Abtheilung. 
382 ©. Freiberg, bei Craz und Gerlach. 1811 und 1812. 8, 

2) Dad Mineralreich. Ein Handbuh für die Hörer (3? !!) der 
Bhilofophie. Von Reginald Kneifl aus den frommen Schus 
fen, Profeffor der Zoofogie und Mineralogie an der K. K. The⸗ 
refianifchen Ritterafademie. Erfter Band. IV und 362. Zw. 

Band 327 ©. Wien, bei Geiftinger. 1811. 8. 

3) Handbuch der Mineralogie, Von Dr. J. W. Blanf, Großhers 
zoglichem geiftlibem Rathe und Profeffor der Philofophie und 
Naturgeſchichte. Würzburg, bei Nitribit. ı8ı1. 596 S. 8. 

4) Lehrbuch der Mineralogie mit Beziehung auf Technologie und Geo» - 
graphie („) für Schulen und den Brivatunterriht, von I. £ 
G. Meinecke. Halle, bei Hemmerde und Schwetſchke. 1808. 
XIV und 28 ©. 8 

5) Erfenntnißlehre der anorganifchen Naturkoͤrper. ‚Mit Hinficht auf: 
die neueften Entdefungen und Berichtigungen und mit ſteter Ans 
wendung auf das bürgerliche Leben. Für den Selbſtunterricht 
beatbeitet (,) nebft einem DVerfuche zu einer vergleichenden Mis 
nerälogie (,) von Dr. %. ©. Lenz, Bergrath und Profeffor 
der Mineralogie. Eriter Band und zmenten Bandes erfter Abe 
fhnitt. XII und 534 ©. Zwepyter Band, zweyter bid neunter 
Abſchnitt. 606 S. Gießen in Heffen, bei &, Müller. 1813, 

6) Lehrbuch der Mineralogie in Furzem Auszug .der neueren mineras 
logiſchen Syſteme, zum Gebrauch akademiſcher Vorlefungen und 
Errihrung mineralogifher Sammlungen (‚) von E. J. Ch, Es⸗ 
per. Erlangen bei Palm. 1810. VIII und 510 © 8. 


DH. Ausbeute der letzteren Meffen an mineralogifchen Hands 
zınd Lehrbühern war fo bedeutend, daß wir, bey dem bes 
Fchränften Maume diefer. Blätter, uns veranlaßt finden, die 
Anzeige mehrerer derfelben mit einander zu verbinden. . 

Unter den vorliegenden Schriften verdient ohne Zweifel 
NMr. 1. die meifte Aufmerkſamkeit. Hr. Hoffmann, Inſpec—⸗ 
£or bey der Freyberger Mineralien: Miederlage, und bekannt 

30 


466 Mineralogifche Handbücher von Hoffmann x. 


durch das feit 1805 eingegangene Dergmännifche Journal, 
deffen Mitherausgeber er war, vermißte bey der zahlreichen 
Menge mineralogifcher Lehrbücher eines, in welchem des vers 
dienſtvollen Werners Methode in ihrer ganzen Reinheit 
Bargeftellt würde, das keine Zufäße und Angaben aus anderen 
Merten (auf die der Verf. im Allgemeinen Leinen, oder nur 
einen fehr geringen Werth zu legen für guet finder) ent 
Hält, aus welchem alle fchwankende, nur nad einem fluͤch 
tigen Ueberblicke obenhin entworfene Beſtimmungen mit Soryı 
falt verbannt wären. Er übernahm das gewiß verdienſtlicht 
Merk, dieje Aufgabe zu Idfen, eine Sache, die, im Vorbey⸗ 
gehen gefagt , für ihn mit weniger Schwierigkeiten verknüpft 
war, als für jeden. andern Schriftfteller, da wir voransfegen 
därfen, daß der Verf. dem mittheilenden Werner, deſſen 
Dietate er benußte, feine zufammengetragenen Materialien 
ſtets zur prüfenden Durchſicht vorgelegt haben wird. Unter 
ſolchen Aufpicien leider es durchaus feinen Zweifel, daß Ar. 
H. etwas Gelungenes liefern konnte. Auch verfichert er, da 
er mit der angeftrengteften Mühe geftrebt Habe, um Wer: 
ners Angaben und Beftimmungen,, welche ſtets den Stempel 
der hoͤchſten Conſequenz und Genauigkeit tragen, und auf wir 
derholte forgfältige Beobachtungen fid gründen, rein und ge 
fihtee von allen fremdartigen Zufäßen zu erhalten, von dern 
Nichtigkeit er nicht volllommen überzeugt war, alles neu Kim 
zugefommene mit der firengften Kritik zu prüfen, und fid 
immer durch Autopfie von der Wahrheit aller von ihm aufge 
führten Beſtimmungen zu verfihern und nichts aufzunehmen, 
was hur in irgend einer Hinſicht zweifelhaft fchien. Mit der 
leßteren Behauptung ſteht freylih die unmittelbar darauf fül 
gende Acußerung in einigem Wideripruche, indem Kr. H. (4 
bedauert, daß er bey jenem Geſchaͤft fehr den Befis eine 
eigenen Sammlung vermißit habe und genoͤthiget gemejen fe, 
fi) theils mit feinen früheren Beobahtungen (alfo aus Mt 
Erinnerung ), theils mit dem nichts weniger als vollſtaͤndigen 
akademiſchen Cabinette zu begnügen, Dabey ruͤhmt er jedoch 
zugleich die Willfaͤhrigkeit der Beſitzer der verſchiedenen Fre 
berger Privatſommlungen, welche ihm den Gebrauch derſelben 
verſtattet. Sehr auffallend war es ung, daß Kr. H. gar 


Mineralogifche Handbücher von Hoffmann ı. 467 


nihts über Wer ner's trefflihe Sammlung fagt. Sollte ihm 
der Gebrauch derfelben (zumal zu diefem Zwecke, welcher doch 
nothwendig für den großen Mann Sintereffe haben mußte, da 
von richtiger Werbreitung feiner Anfichten die Rede ift) nicht 
frey geftanden haben? Hier müßten ſich dem Verf. die beften, 
ja mitunter vielleiht einzigen Mittel zu neuen Beobachtungen 
dargeboten haben. — Außer dem erwähnten Zwecke hatte der 
Verf. zugleich die Abficht, dem größern Publitum ein brauche 
bares Hülfsmittel zum Selbſtſtudium der Mineralogie in die 
Hände zu liefern: Was das le&tere betrifft, fo möchten wir 
‚faft zweifeln, daß, ben dem theuern Preife, den das Bud 
wegen der vielen noch folgenden Bände erhalten muß, daffelbe 
‚in viele Hände fommen werde. 

Der erfte Band des Hoffmannfhen Handbuches ums 
faßt übrigens, nad) einer allgemeinen Einleitung, die Kennzets 
‚chen s Lehre und die Grundfäße der oryktognoſtiſchen Eilaffificas 
tion und Momenclatur der Foffilien. Bey dem Abfchnitte 
von den regelmäßigen aͤußeren Geftalten finder fid) ein Anhang 
‚Über die Merhode Hauͤh's, über deffen Bezeichnungsart und 
Nomenclatur der Kryſtalle u. f. w. | 

Was den applicativen Theil der Oryktognoſie betrifft, fo 
bat Hr. H. die Gattungen fo auf einander folgen laffen, wie 
folhe von Hrn. Werner in dem neuefteften Enrwurfe feines 
Syſtems geordnet worden. Wir werden, mit Ruͤckſicht auf 
das ı805 bey Mayr in Salzburg erfchienene und darauf in 
Leonhard’s Tafhenbuh für die Mineralogie 5. Band ©. 
26: u. f. mit den damals neueften Veränderungen befannt ges 
machte Werner’ihe Syſtem, eine gedrängte Weberficht der 
wichtigften Aenderungen ausheben. 

Nah dem Augit folgs der Diopfid als Gattung, dann 
fommen Vefuvian, Groffular, Leuzit u. f. w. Der Automolit 
ift nad dem Pirop eingeordnet, an diefen reihen fich Zeilanit, 
Spinell u. f. w. Auf den Demanthſpath folgen Topas, os 
lieh, Euklas u. ſ. w. Der Beril und der fehörlartige Beril 
find nicht mehr Arten einer Gattung, fondern jeder macht 
eine eigene Gattung aus. Der Piftazit, welcher vordem feine 
Stelle zwifchen dem Augit und Veſuvian einnahm, erſcheint 
jegt nach dem Schörl, dann kommen Zoifit, Authophyllit Cin 


J 


465 Mineralogiſche Handbücher von Hoffmann ꝛc. 


zwey Arten, firahliger und blätteriger A. abgetheilt), Arts‘ 
nit u. ſ. w. Nach dem. Feuerfleine finden wir Krifopras, 
Plasma, Heliotrop, Kalzedon u. f. w. Die Gattung des 
Menitits ift in zwey Arten, brauner und grauer Menilit, ads 
getheilt. Der Fettftein ſteht zwiſchen Opaljaspis und Kabens 
auge, auf diefen folge eine neue Gattung, aferkiefel, nad 
Werner ein inniges Gemenge von Quarz und asbeftartigem 
Tremolithe, welches fih durh Farbe, Bruch, Bruchſtuͤcke, 
Brad. der Durchhfcheinenheit und den fagenaugenartigen Schein, 
fo wie durch die Schwere ganz vorzüglich charakterifiet. Hier⸗ 
auf Dbfidian u. f. m. Nah dem Lazulit folge Blaufparh, 
dann Andalufit, Feldipath (unter den Arten deſſelben bemers 
fen wir auch den glafigen Feldſpath). Der Wariolit macht 
‚eine Unterart des dichten Feldfpathes aus. Ferner Spodumen, 
Skapolith (in zwey Arten grauer und rother getheilt), Ich— 
thyophthalen ( Apophyllite), Majonit, Nephelin und :Eiss 
fpatd. Als Nachtrag folgen am Schluffe der erften Abtheilung 
des zwenten Bandes — fo weit ift das Merk bis jetzt erfchies 
nen — einige neue Gattungen des Kiefelgefhlechtes, Pyreneit 
(zwifchen Leuzit und Melanit), Kolophonit (zwifchen Alos 
droit und Sranat) und Lievrit (Yenit, zwifhen Schörl und 
Piſtazit), welhe von Werner in feinem letzten orpftognoftis 
fhen Lehrkurfe -1811Agı2 vorgetragen und in das Sofem aufs 
genommen murden. 

Hinfichtlich der genauen Einrichtung des applicativen Theis 
les felöft bemerfen wir, daß bey jeder Gattung zuerft die 
Etymologie der Benennung entwickelt ift, auf diefe folgt Die 
ausführlichere aͤußere Charakteriſtik, an deren Scluffe ftets 
eine fehr zweckmaͤßig verfaßte, gedrängte fummarifche Webers 
‚fiht der weſentlichſten und unterfcheidendften Kennzeichen jeder 
Gattung und Art zu finden ift, dann die phyſikaliſchen und 
shemiihen Merkmale, zuleßt allgemeine Bemerkungen über 
die geognoftiichen Verhältniffe der Fofiilien. Die geographis 
fchen Notizen und die litterärifhen Nachmeifungen find im 
Ganzen ziemlich fpärlich ausgefallen. Dagegen hat der Verf., 
was uns, .bey einem Handbuche, deffen Hauptzwed if, Wers 
ners Methode in ihrer ganzen Neinheit darzuftellen, durch— 
aus unzweckmaͤßig ſcheint, die Lehre von dem Gebrauche der 


Mineralogifche Handbücher von Hoffmann ꝛc. 469 


Foſſilien mit einer großen Ausführlichkeit behandelt. Webers 
haupt Tann, nach unferem Dafürhalten, bey einer mahrhaft 
foftematifchen Abteilung der Mineralogie, die dtonomifche 
Mineralogie eben fo wenig eine Stelle finden, als z. B. die 
Särtnerey in einem Lehrbuche der Botanik abgehandelt-werden 
darf. Die Lehre von dem Gebrauche der. Foſſilien gehoͤrt aus⸗ 
fiyließlih in das Gebiet der Technologie und Delonomie, und 
es fieht wahrhaft poffierlih aus, wenn man, wie 5. B. in 
dem vorliegenden Werke. &. 49 II. Bandes, einen. tabellaris 
fhen (?) Sebrauchszettel vom Quarze findet! Auch wiffen 
wir nicht, wie die Aenferung des Hrn. H. (Vorr. S. XIX), 
daß außer Völker's Handbuch der HÖkonomifch » technifchen 
Mineralogie kein anderes Werk eriftire, welches diefen Gegen: 
fand mit einiger Ausführlichkeit behandle, zu deuten ift. Aus 
welchem Grunde übergeht er Schmieders Lithurgik. Ein 
Buch, welches eben fo gut, wo micht beifer, ald Voͤlker's 
Handbuch ift, und in jedem Falle exiſtirt, denn es ift befannts 
lih im Sahre 1805 bey Cruſius in Leipgig gedrudt worden, 
Für Unkenntniß der mineralogifchen Litteratur dürfen wir jene 
Aeußerung wohl nicht gelten laffen, fie muß alfo Animofität 
gegen Schmieder fcheinen. | | 

So weit. unfere Anficht über Nr. ı., dem wir Übrigens 
ein gefhmackvolleres Aeußere wünfchten. 

Wir kommen nun zu den übrigen Schriften, bey welchen 
wir weniger zu verweilen geſonnen find, Fur 

Was Nr. 2. betrifft, fo iſt dies eine erbärmlihe, auf 
Löfchpapier abgedruckte Compilation, vor deren Ankauf - wir 
jeden Freund der mineralogifchen Litteratur hiermit beftens ges 
warnt haben wollen. Um nur Etwas zum Beleg des Gefags 
ten anzuführen, denn es wäre eine Verfchivendung von. Tinte 
und Papier, wollten wir über das Ganze ausführlich Handeln, 
entlehnen wir folgende Stelle aus der fehr dürftigen Vorrede. 
„Allein bey diefem Verſuche,“ fagt der Hr. Prof. Kneifl, 
„befonders da er zum Schulunterricht beftimme ift, kommt es 
auf ein feit gegründetes Syſtem an, weldhes wir bisher vers 
mißten — (man denke!) — und deſſen Mangel diefes Stu⸗ 
dium nicht wenig erſchwerte. Diefes Syſtem kann — meines 
Erachtens — ſo wie bey der Zoologie (??!!) — nur auf 


470  Mineralogifche Handbücher von Hoffmann 1c- 


auf inneren — alfo auch hier — bey Unorganifhen — nur 
auf chemiihen Grundfägen beruhen.“ — Welche Herrliche 
Foriſchritte muͤſſen die Hörer der Philofophie unter Herrn 
Kneifls einfihtevoller Leitung in der Mineralogie madyen ! 

Mr. 3. und 4. find, ihrer Mitteimäßigkeie ungeachtet, 
doch zum Unterricht in Schulen, zumal wenn der Lehrer ge 
hörig abs und zugugeben weiß, nicht gan, unbrauchbar. Nr. 6. 
ift, wie wir auch aus der Vorrede erfahren, nichts als ein 
Auszug aus der ſyſtematiſchen Weberfüht der Herren Leon: 
Hard, Merz und Kopp. | 

Beffer als die vorhergehenden und nah Nr. ı. unter den 
ben angeführten Lehrbüchern das vorzäglichfte, ift Nr. 5. die 
Erkenntnißlehre der anorganifhen Naturkoͤrper. Kr. Lenz, 
ber, feit einer Neihe von Jahren fhon, mit warmem (Eifer 
und einer lobenswerthen Regſamkeit für die Verbreitung des 
mineralogifhen Wiſſens wirft, und namentlich durch die Grüns 
dung der Societät zu Jena fih ein bleibendes Werdienft er 
worben bat, beftimmt dies Werk zunaͤchſt für feine Lehrſtunden. 
Das Wernerifhe Spftem liege dabey zum Grunde, und 
das Ganze foll aus fünf Bänden beftehen, wovon der erfte 
nad einer kurzen Einleitung den präparativen Theil, oder das 
Spftem der Auferen Kennzeichen, die Zirfon s und Kiefels 
Drdnung umfaht. Im zweyten Bande finden wir die übrigen 
Erd ; und Steinarten, nebft den Salgen und Inflammabilien 
abgehandelt und zugleich ein Megifter Über die beyden Wände, 
welches wohl zweckmaͤßiger den Beſchluß des gangen Werkes 
gemacht hätte, da die Einrihtung, welche der Verf. mählte, 
hingegen zu zweyfachem Nachſchlagen in vielen Fällen Antaf 
geben muß. Für den dritten Band find die Metalle, für den 
vierten die vergleichende Mineralogie und für den fünften bie 
Gebirgsarten beſtimmt. Wir werden feiner Zeit darauf zuruͤck 
fommen. 

L.C.Ss, 


Denfwurdigfeiten, Charafterzüge und Anekdoten aus ‚dem Leben der 
vorzüglichften deutſchen Dichter und Profailten. Herausgegeben 
von Karl Heinrih Joͤrdens. Erfier Band. XVI un 


Denkwuͤrdigkeiten ıc. von K. H. Joͤrdens. 474 


364 ©. Zweiter Band, VIII und 380 ©. Leipzig, bei Kummer. 

1812. 8 

Hr.  fah fih „bey der Bearbeitung des Leritons Deuts 
fher Dichter und Profaiften genöthige, alles, was nur über 
diefe Schriftfteller in biographifcher oder fitterarifcher Ruͤckſicht 
gefchrieben und ihm zugänglich war, durchzuleſen. Da konnte 
es, wie er fortfähre, nicht fehlen, Daß ihm auf diefem Wege 
manche intereffante Merkwuͤrdigkeit, mancher. trefflihe Charak⸗ 
terzug, manche angenehme und wißige Anekdote aus dem Les 
ben derfelben entgegen kam, deren Wiedererzählung ſich indeffen 
nicht für das Lexikon eignete; obwohl er auch da ıhon, um 
die Trockenheit der Lerilonds Lectüre aufzuheitern, ſich 
hin und wieder einiges-davon einzumifchen erlaubte. Es fchien 
ihm aber eine befondre Sammlung folder Denkwuͤrdigkeiten, 
Charakterzuͤge und Anekdoten für das gebildetere Publitum 
nicht ohne Anterhaltung und Nutzen zu feyn.“ 

Wir Haben einigemal des Lexikons Deurfcher Dichter und 
Profaiften in unſern Jahrbuͤchern nah Verdienſt erwähnt, bes 
dauern jedoch, Hier offenherzig gefichen zu müffen, daß wir 
mit dem Plane und der Ausführung diefer Denkwuͤrdigkeiten ıc. 
nicht fonderlih zufrieden feyn können. Kr. 3. fänat immer 
mehr an, zu fehr den bloßen Sammler ohne beftimmten Plan 
zu machen. Was ihm von einem nur einigermaßen befannten 
Manne in die Hände fällt, wird fogleich der einen oder ans 
dern Sammlung einverleibt, bald darauf finder er noch etwas 
anders, und dies gibt denn fogleich wieder Machträge, und fo 
iſt nicht eher ein Ende diefer Sammtungen abzufehen,, als bis 
der Verleger es feinem Intereſſe angemeffener findet, fie zu 
Schließen. Ein Werk, welches nur die trefflichfien Deutichen 
Dichter und Profaiften aufftellte, ihre KHauptlebensumftände 
erzählte, ihren Charakter fharf auffaßte und ihre Schriften 
mit Genauigkeit verzeichnete, und das fih auf eine Pleinere 
Anzahl von Bänden befhränfte, würde ung weit willkommener 
ſeyn, als diefe ganz ins Unbeflimmte gehende Doppelveihe von 
Bänden, mo des linbedentenden fo viel vorfommt und Wie; 
derhofungen ganz unvermeidlich find. Beym Schluß des gans 
zen Werkes möchte denn immer ein Supplementband folgen, 


472 Denkwuͤrdigkeiten ꝛe. von K. H. Joͤrdens. 


der ſich aber nur auf wichtige und bedeutende Nachtraͤge ers 
fireefen und alles zu fehr ans Kieinliche gränzende entfernen 
müßte. Wenn aud von einem ſolchen Werke nur alle zwey 
oder drey Jahre ein Band erichiene, fo würden die Lefer an 
Inhalt gewinnen, was fie allenfalls an Umfang einbüßten. 
Diefer Erinnerungen ungeachtet, leugnen wir nicht, daß 
auch das vorliegende Wert manchen intereffanten Charakterzug, 
manchen finns und geiftvollen Gedanken eines achtungswerthen 
Mannes aufbewahrt habe: nur kommt des Minderbedeutenden 
zu viel dazwiihen vor. Was Hrn, J. in Gedaͤchtnißſchriften, 
Journalen, Anefdoren : Sammlungen u. f. w. von einem bes 
kannt gewordenen Manne aufitieß, wird hier mitgetheilt, und 
auch einige Züge verdankt er fchriftlichen Mittheilungen. Schon 
die Namen der hier aufgeführten Perfonen laffen vermuthen, 
daß man auf manche intereffante Züge ſtoßen werde, und fo hat 
08 Rec. auch wirklid gefunden. Sm erfien Bande kommen 
folgende Artikel vor: Joh. Jak. Engel. Unter mehreren 
Anekdoten mag hier folgende fiehen: „Engel war einft bey 
dem verflordenen Fürften ©. zur Tafel geladen, Bey Tiiche 
Sam unter andern auch die Nede auf den berühmten Welt 
umſegler Cook, und daß er ben feinen Entdeefungsreiien fein 
Leben habe eindäßen muͤſſen. Engel führte darüber Baupts 
fahlih das Wort. Auf einmal fragte ihn der Fuͤrſt — um 
doch) auch ſich mit in den Discours zu mifhen — „kam Cook 
auf feiner erfien Reiſe um’s Leben, Herr Profeſſor?“ — 
„Ich glaube, ja!“ erwiederte Engel, „doch machte er fih 
nicht viel daraus, und trat bald die zweyte an.“ Salomon 
Geßner. Hier fommen einige nicht unintereffante Zäge vor, 
die Gef ners feinen Takt für das Lächerlihe und fein vors 
züglihes Talent zu komiſch « grotester Darſtellung bewähren, 
wovon er in jängern Jahren und in gefchloffenen Zirkeln bis— 
weilen Gebrauch machte. Joh. Sam. Papkte Abr. 
Gotth. Kaͤſtner. Gottl. Wild, Burmann. Von dies 
ſem armen, aber immer frohen Dichter werden ein Paar Ge— 
dichte in extenso eingeruͤckt. Joh. Chr. Roſt. Joh. 
Peter Uz. Gottl. Wilh. Rabener. Hier eine kleine 
Ane!dote von ihm. „N, hatte jemanden den Titel Hoc» 
wohlgeborner gegeben, und bekam Wohledler zuruͤck; 


s 


Denkwürdigkeiten ꝛc. von K. H. Joͤrdens. 473 


er gab ihm hierauf Wohlgeborner, und bekam Edler 
dafuͤr; auf ſein nunmehriges Geborner ſollte er verklagt 
werden, wußte aber ſeinen Correſpondenten zu bedeuten, daß 
ein Geborner einen Mann von Geburt anzeige, und ihn 
eben dadurch von allen unedlen, Geſchoͤpfen, die nicht geboren, 
ſondern geheckt, geworfen, gefaſelt, geſetzt, gebracht oder ges 
ſchuͤttelt wuͤrden, unterfcheide.“ Martin Luther. Wenn 
gleich die meiſten der hier aufgeſtellten Züge von Luther ſchon 
befannt find, . fo gewährt doch deren Zufammenftellung viel 
MVergnügen, und man lernt Luthern daraus auch als Mens 
ſchen hochſchaͤtzen. Sehr intereffant find auch des großen Res 
formators Aeußerungen über den Geift einer Achten Bibck 
Ueberfeßung, S. 149. 180, Man fieht daraus, daß Luther 
ängitlihe Syibenzählerey und fHlaviihe Wörter ; Webertragung 
von aͤchter Dolmetihung und Auffaffung des Geiſtes gar wohl 
zu .unterfcheiden wußte. Hier fiehe nur eine kräftige Stelle: 
„Wenn Chriftus ſpricht: Ex abuggantia cordis etc. und ich 
fol dolmetihen: Aus dem Ueberfliiß des Herzens redet der 
Mund; fage mir, ift das Deutich geredet? So wenig, als 
Meberfluß des Kachelofens, fondern alfo. redet die Mutter im 
Kaufe und der gemeine Mann auf dem. Markte, dem du auf 
das Maut fehen folk: Web das Herz voll ift ıc. Stem, da 
der Engel Marien grüßet, Maria voll Gnaden; wo redet der 
der Deutſche Mann fo? Er muß denken an ein Faß voll 
Bier, oder Beutel voll Geldes. Darum Hab’. ichs verdeutfcht: 
Du Holdfeliget Und Hätte ich das befte Deutſch follen 
nehmen, fo hätt ich alfo verdeutfchen mäffen: Gott grüße 
dich, du liebe Maria! Denn fo viel will der Engel fagen, 
und fo wirde er geredet haben, wenn er hätte wollen fie 
Deutſch gräßen" u. ſ. w. Ulrih von Hutten. Nur ein 
Paar fcherzhafte Anekdoten von diefem großen Manne! oh. 
With. Ludwig Gleim. Hier finder man viele intereffante 
Charakterzuͤge zufammengeilellt. Docd möchte man hie und da 
‚mehr Ordnung in der Zuiammenftellung wüänfhen. Nachdem 
fhon Gleims Leben als Hauslehrer, Secretär, feine vers 
traute Freundfhaft mit Kleift u. f. w. erwähnt morden ifl, 
folgen einige Züge aus feinem Univerfitätsieben. Anne Louiſe 
Karfhin. Ihr Leben wird, nad den vorhandenen Mates 






474 Denkwuͤrdigkeiten we. von K. H. Joͤrdens. 


rialien, ausfuͤhrlich erzähle. Ewald Chriſtian v. Kleifk 
Wenn gleich das Meiſte von dem hier Geſagten ſchon bekannt 
war, ſo lieſet man es doch immer wieder mit neuer Theil— 
nahme. Konrad Arnold Schmid. Nur ein Paar Zuͤge 
von Schmids Gutmuͤthigkeit. Ludw. Heinrich Chrphe 
Hoͤlty. Hier iſt, wie billig, Voſſens treffliche Biographie 
von Hoͤlty auf das treulichſte benutzt worden. Gottfried 
Auguſt Buͤrger. Die wichtigſten Lebensumſtaͤnde und Cha— 
rakterzuͤge von dieſem, von dem Rec. gekannten und geliebten 
herrlichen Balladen-Dichter find aus den bekannten Quellen 
recht gut zufammengeftellt, auch ift die letzte, ungluͤckliche Heis 
rathsgejchichte deſſelben ausführlih erzählt worden. Joh. 
Matth. Dreyer. Ein Paar Anekdoten von biefem nicht 
unmwichtigen Kopfe. Paul Melifiuns Nur ein Paar Worte 
Aber diefen, 1600 als Bibliothekar zu Heidelberg neftorbenen 
Dichter, der eigentlih Schede oder Schedius hie, und 
ein, nad den ee hen Veränderungen abgedruck— 
tes Gedicht deffelben. es hier darum gu thun mar, den 
Dichter in feiner ganzen Eigenthämlichkeit kennen zu lernen, 
fo hätte fchieflicher der unveränderte Driginaltert dieſes füßen 
Liedes, den man in der Sammlung der Zuͤrcheriſchen Streits 
fhriften zur -Werbefferung des Deutfhen Geſchmacks wider die 
Gottſchediſche Schule 5. Bd. 9. St. findet, mitgerheilt werden 
follen. 
Sm zwenten Bande fommen folgende Artikel vor: Gotts 
Hold Ephraim Leffing. Dean findet hier allerley, zum 
Theil recht inteveffante Nachrichten uͤber Leffing aneinander ges 
reiht. Manchmal fehlt jedoch der innere Zufammenhang; aud) 
MWiderfprähe finden ſich. So heilt e8 S. 8: „Leidenſchaft 
war feine Spielfucht gewiß nicht.“ (Der Ausdruck ift auch nicht 
gut gewählt.) „Man kann bloß fagen, daß er fih ohne rechten 
Spielgeift zumeilen in ein zu hohes Spiel einließ.“ Dagegen 
Heißt es ©. 05: „Sein liebftes Spiel war Farao, das feis 
nen ganzen Neiz vom hohen Gewinn zu haben fcheint, und er 
fpielte es mit ſtarker Leidenfhaft.“ „Leffing felhft fagte, 
daß er nicht mit dem Spiel fpiele, fondern mit dem Spiel 
keinen Scherz treibe.“ Mofes Mendelsfohn. Neues fand 
Rec. Hier nicht, aber alle hier gefammelten Charakterzuͤge ftellen 


Denkwärdigfeiten ı. von K. 9. Zördend. ATS 


ben lichenswürdigen Welfen in einem vortheilhaften Fichte dar. 
Smmanuel Kant. Herr J. fand bier viele Vorarbeit. 
Wag er hier aus den verfchiedenen Nachrichten zufammen reihte, 
macht uns den tiefen Denker auch als edlen Menfchen, wißts 
gen Kopf und geiftreihen Gefellihafter achtungswerth. Daß 
Kant, der fo hohen Sinn für Poefie hatte, auch feldft Verſe 
gemacht. habe, ift nicht fo allgemein bekannt. Wir räden das 
ber das von Hrn. J. S. 119 mitgetheilte, von Kant auf 
den im J. 1780 in Königsberg verftorbenen Kriegsrarh und 
Profeffor der R. D. 2’ Eftocg verfertigee Epigramm hier eins 


Der Weltlauf fchildert fich fo jedem Auge ab, 

Wie ihn der Spiegel malt, den die Natur ihm gab. 

Dem fcheintd ein Gaufelfpiel zum Lachen, dem zum Weinen, 
Der lebt nur zum Genuß, der andre nur zum Scheinen, 
Gleich blinde Thorheit gaft einander fpörtifch an. 

Wird eine Regel nur dem Herzen nicht entriffen:: 

Sey menfhlid, redlih, treu und ſchuldfrey im Gemiffen! 
(So lauter L Eftocg’d Lob!) das andre ift nur Spiel: 
Denn Menfh und meife feyn, ift Sterblichen zu viel! 


Sriedrih Gedike. Den größten Theil diefes Aufſatzes 
nehmen Briefe Gedike's an feine Geliebte ein, die nur nad) 
vielen Überwundenen Hinderniffen feine Gattin wurde. Chris 
ffian Friedrih Daniel Schubart. Manches von dem 
hier Mitgetheilten hat uns Here J. fchon mit denfelben 
Worten in feinem Leriton Deutfcher Dichter und Profaiften 
zum Velten gegeben. Solche Wiederholungen waren bey dem 
nicht ganz feften Plane des Verf. unvermeidiih. Georg 
Chriſtoph Lichtenberg. Auch in dieſen nicht uninters 
eſſanten Zuſammenſtellungen fehle es nicht an einzelnen Wieders 
holungen aus dem früheren Werke des Hın. 3. Die drey 
Wisipiele mit Wiß und fpiß finder man Sauch bier wieder 
abgedruct. Aber was der ganze wörtliche Abdruck des Gedichts 
auf die fhwimmenden Batterieen im 5. 1782 in diefer Thas 
rafteriftit fol, fehen wir nit ein. Manche mwißige Einfälle 
Lihtenbergs find dagegen ihrer Stelle wuͤrdig. Johann 
Karl Auguft Mufäus. Leber diefen wadern Mann möchte 
man gerne noch mehr lefen, als man hier findet. Ein ſchwa— 
ches Urtheil des Hrn. J. finder ſich S. 283: „Wenn mir 
auh der Phyſiognomik des fchwärmerifchen Lavater 
fonft nicht viel verdanken, fo ift das Verdienſt doch groß ger 
nug, die phyfiognomifchen Reifen (von Mufäus) 
veranlaßt zu Haben.“ Kenner haben Über Lavaters Werk: 
längft ein gang anderes Urtheil gefällt! Schön und herzlich 
find Herders Worte bey Mufäus Tode, ©. 280 — 292. 


176 Denfiwirdigkeiten 1. von K. H. Joͤrdens. 


Kart Philip Moris. Nah Hrn. J. Darftellung wurs 
den bey Mori die guten Eigenschaften von großen Schwach— 
heiten überwogen. Am unerbittlihiten hat wohl der jel. Lenz 
im Schlichtegrollſchen Nekrologe über diefen in mancher Hins 
ſicht merfwärdigen Mann und guten Kopf abgeurtheil. Mit 
Vergnügen lefen wir das hinten angehängte fchöne Sedichtchen 
von M. Die Stimme drinnen und der Fremdling 
draußen. Wer fo dichte, dem it warlich zartes Gefühl 
beihieden! Die Nahträge ©. 549g fg. enthalten noch Eis 
niges über Engel, Geßner (rüähmlihe Züge von Gefiner, 
dem Menfihen!), Käftner, Burmann, Luther und 
Gleim. | * 


Neue franzoͤſiſche Sprachlehre, zum praktiſchen Unterricht in Frage 
und Antwort geſtellt, in welcher alle Regeln auf die einfachite 
und deutlichſte Art erflärt und mit deutſchen, auf jede Regel an 
gewandten Uebungeſtuͤcken verſehen find, für Lehrer und Lernende, 
und auch für diejenigen, welche diefe Sprache ohne Lehrer erler» 
nen wollen, merhodiich abgefaßt von L. D. Lavés, Prof. Diefer 
Eprade am Weimar. Hofe. Weimar, bey Hoffinann. 1809, 
XXI und 455 ©. 8. 3. Auflage. 


Eine dreymalige Auflage ift allerdings ein bey der Beurs 
theilung eines Werkes zu mwürdigender Moment, ja man darf 
annehmen, daß ein folhes Wert im Allgemeinen den Beduͤrf— 
niffen in feiner Sphäre zuſage. Nichts defto weniger bleibt 
. der Kritik, diefer Mittlerin, melde vor allem die unmandels 
bare Wahrheit der Sache ins Auge faßt, natürlich auch. eine 
Stimme, und fie hat eben das Beſondere (des Beduͤrfniſſes 
3: B.) mit dem Allgemeinen | der Angemeffenheit und unges 
trübten Reinheit der Darfiellung) auszugleichen. So hier. Es 
ift weniger der. Gehalt an und für fih angeſehen, weicher in vors 
liegender Sprachlehre Eraänzungen, Berihtigungen, wenn 
auch bier und da fchärfere Beftimmung, forderte — der letz— 
tere thut jehr oft in dieſer Sphäre das unklare Schwanken 
zwiſchen der Eigenthämlichkeit der Deutichen und Franzoͤſiſchen 
Sprache Eintrag — als die Mangelhaftigkeit und der Unver— 
fland der Form, welche zum Theil auf derfelben Lnfihers 
heit beruht, mehr vergleihungsmweiie, als beſtimmt und an 
fid) darftellt, und fo tadelhaft wird. . Der Verf. nämlich bat 
die. dialogifhe Methode, in Frage und Antwort, als die ge— 
fhicktefte und unumgänglich nothwendige jeder andern vorgezos 
gen; er meint fogar, der Erfolg gebe hier einzig den Ausfihlag. 


Neue Frans. Sprachlehre von 2, D. Lands. 477 


Gleichwohl bemerkt er felbft in der Vorrede zur zweyten Aufı 
lage, daß einzelne Miderfacher aufgetreten feyen und geſagt 
haben, dieje Form fey nicht anftändig, fondern zu umftändfich 
und findifh. Hieraus, die Rechtmäßigkeit und Klarheit des 
Urtheils einftweilen bey Seite gefeßt, wäre mindeftens jo viel 
abzunehmen, daß die Methode entweder an fih, oder in dies 
fer ihrer Anwendung nicht allgemein für fo unumgänglich nds 
thig angefehen worden. Nun möchten wir zwar das Ans 
anftändige, Kindiihe, oder Umftändliche nicht fo unbedingt 
‚unterfchreiben, aber das Urtheil felbft Märer und beſtimmter 
aufgefaßt, hoffen wir zu zeigen, daß ihm allerdings Wahrheit 
zum Grunde liege, und daß die Widerfaher nur damit nicht 
aufs Reine gefommen waren. Das Weientlihe daran, um 
es kurz und beſtimmt auszufprechen, ift: daß Hr. Laves durchs . 
aus keinen Begriff von Sokratik und fofratiicher Methode hat, 
und daß demnach einerfeits eine vermeidliche Weitſchweifigkeit 
entfiehen mußte, andrerfeits aber mit diefer Zerfällung in Frage 
und Antwort mindeftens etwas Weberfläffiges, alio keinesweges 
unumgänglich Nöthiges,  gerhan wurde. Fürs erſte naͤmlich 
foll doc der Fragende hier meiftens der Schüler feyn (Fr. 18. 
iſt es frepylih, wie auch anderwärts, der Lehrer), der Ant 
wortende aber der Lehrer. - Gleichwohl, wenn wir auch die 
mangelhaftere Einfiht in Bau und Gliederung der Sprade- 
nicht ermähnen wollen, thut der Schüler hier Fragen an den: 
Lehrer , welche mindeftens eine Bekanntſchaft mit dem GMang— 
baren und Gegebenen der meiften Spracdlehren vorausjeßen, 
und man darf dreift behaupten, daß viele Schüler dergleichen, 
ragen gar nicht thun könnten, wenn fie nicht fchon Kenntniß 
hätten von dem, was eben geantwortet wird. Mithin wäre 
die Antwort von diefer Seite unnüß. Dazu find aber bie 
Fragen fo allgemein, die Antworten fo fang und weitidyweifig, 
fo aggregatmäßig auf Numern mit eingefchalteten Anmerkungen 
gebracht, daß entweder mehrere Fragen nöthig waren, oder 
die Antwort unverhältnißmäßig zur Frage, keinesweges faßlich 
und leicht Äberjehbar wurde. Diele unläugbaren Fehler nun, 
mag man fie betradhten, wie man wolle, Haben ihren Siß 
darin, daß der Verf. eben nur das pofitiv und didaktiſch aus— 
‘gefprochene, wie es fih font in den Grammatifen findet, aufs 
loͤſ'te in Frag’ und Antwort. Allein es fehle noch fehr viel, 
daß dies die Einfiche erleichtere, ermecfe, und daß dies übers 
haupt ſokratiſche Methode zu nennen fey. Sonſt wäre das 
Frag s und Antwortipiel, welches vor einiger Zeit in der Ges 
fellfhaft an der Tagsordnung war, fo gut Sokratiſche Methode 
zu nennen, wie das Fragen nach einem Logis, oder ein Ahns 


478 Neue Franz Sprachlehre von 2. D. Lands, 


tiches. Ueberlegt man aber, daß durch Frage und Antwort 
nur ein Urtheil in zwey Säge aus einander gelegt wird, daß 
eben durch diefe Auseinanderlegung und das Gegeneinanderhats 
gen zweyer etwas Fertiges und Uriprüngliches wiederum gelöfet, 
und daß es hiemit nicht ſowohl das Fertige, als vielmehr die 
"Handlung, wodurd es fertig wurde und zu Stande kam, gels 
ten muͤſſe: fo ergibt fich fogleich, daß es darauf ankomme, 
Benriffe zu bilden, indem man ihre Sliederung und ihr Forks 
fchreiten durch Entgegenfekung an etwas dem Lernenden ſchon 
Bekanntes antnüpfe, und dies immer unter die Einheit einer 
Höheren Spähre aufnehme, deren Verbältniß zum Uebrigen ſich 
von ſelbſt darlegt. Mithin wird der Fragende, der Lehrer, 
wie fih bier als nothwendig ermeifet, nicht der Schüler, eben 
ſowohl mehrere in Eine Sphäre gehörige Begriffe fragend zus 
fammenziehen, als, nöthigen Falls, wo die Gliederung vers 
wickelter ift,, fie aus einander halten, am Ende aber fie immer 
in Einen Brennpunct zufammen drängen müffen. Wie weit 
aber diefe Fragkunft von der hierin waltenden Methode vers 
fchieden ſey, gibt ſich überall fund, und es ift nicht nöthig, 
einzelne Stellen zum Beweis anzuführen. Es ift aber nicht 
zu ‚läugnen, daß ohne dieſes Frag: und Antwortſpiel vieles 
weit kürzer hätte ausfallen muͤſſen, 3. B. das Verzeichniß der 
Eonjugationen, 

Bey Erlernung einer Sprache den Nerftand mehr in Ans 
ſpruchnehmen, als das Gedaͤchtniß, ift gewiß der angemeffenfte 
und fÜherfte Weg, obwohl das Franzöflihe jeiner conventionels 
fen Natur gemäß an Anomalien kraͤnkelnd, wie gens (f. ©. 
Ba) diefe Behandlung minder geflatte. Aber auch dies wird 
hier nicht erreicht; denn der Gehalt der Antworten ift ſeinem 
Wefentlihen nad mehr für das leßtere, als für den erſten ges 
eignet. 

Dies nun, was bier gerügt worden, und mehr oder we— 
niger freylich alle Sprachlehren -drüdt, ausgenommen, ift die 
Brauchbarkeit und Genauigkeit der vorliegenden nicht in Zwei— 
fel zu ziehen; aber eben fo gewiß ift, daß dieſelbe bey der 
gewöhnlichen Methode, ja bey diefer noch weit eher, würde 
erreicht worden ſeyn, indem diefe wenigftens mit einer bündis 
gen Logik durhfommen fann, da hingegen jene einen weit 
freyern Gebrauch und ein viel kunflreicheres Spiel des Geiſtes 
vorausfeßt, weldhe eben Gewinn und Ausbeute einer tiefern 
philofophiihen Bildung find. Ob wir Hiemit Hrn. Lands 
uͤberzeugt haben, ſteht nicht zu beantworten; daß aber der Ers 
folg eben fo gut für die Abſchaffung diefer leeren und unnüßen 
Methode ftimmen könne und müjfe, ift gewiß. | 





Drey Programme von Anton, 479 


Vom Herrn Rector Anton zu Görlig find und drey Programme von 
den Jahren ı810, ıgıı, 1812 bekannt worden, melche die Erffä- 
zung einiger altteitamentlihen Stellen enthalten, und eine Anzeige 
verdienen. 


Das Programm von 1810 enthält eine Ueberſetzung von 
Habak. III. und eine neue Erklärung des 13. Verſes. Diefen 
Überfeßt er: nudasti eorum partes inferiores usque ad col- 
lum. Er nimmt 7/0) von den Untertheilen des Körpers, des 


ren Entblößung ein Bild der Schmach feyn fole, val. Nah. 
5,5. u. a St. Wir haben gegen biefe finnreihe Erklärung 
Folgendes. 1) Iſt es nicht wahricheinlih, daß TO? fo ges 


Braucht worden. Denn wenn es vom Untertheil des Alters 
vorkommt, fo ift es doh immer Grund, Grundlage. 
2) Das Bild. der Schamentblößung wird am häufigften von 
rauen gebraudt, oder weiblichen Perfonificationen. 3) Diefes 
Bild wäre nicht ſtark genug, da vorher fhon vom Zerfchmets 
tern des Hauptes die Rede ift. Zur Erläuterung unferer Webers 
feßung der Stelle: Grundveſten oufwählend mannss 
Hoc bemerken wir, daß wir NIX I ſprichwoͤrtlich genoms 


men haben in der Bedeutung fehr Hoc oder tief. Syn erftes 
rer, von Wafferfluthen, fteht es Sei. 8, 8. 30, 2B, Da aber 
hoch mit tief leichte verwechfele werden konnte, fo fcheint das 
Wort nicht unpaffend von der Tiefe des aufgewühlten Fundas 
ments genommen werden zu fönnen. 

Das Programm von ıdıı enthält. eine Ueberſetzung von 
Zeph. UI. und eine neue Erklärung des 18. Verſes. Sie ift 
diefe: Qui non laetantur diebus festis, eos collectos a vo- 
bis removebo;; vexillum huic urbi erit o probrium. Untere 
denen, welche wegen der Fefte trauern, verfteht er folhe, die 
ungern dadurch ihre Geſchaͤfte geftöre fahen, alfo Unheilige, 
Profane. Diefe, foll der Prophet fagen, werden aus Israei 
entfernt werden. Diefer Sinn ift dem Zufammenhang gar 
nicht unangemeffen. Wie aber der zweyte Satz in den Zufams 
menhang gezogen werden Pönne, war Nec. ein Raͤthſel, bis 
er die Erklärung des Verf. las. Nach ihm foll der Sinn feyn : 
vor den Ssraeliten her foll Schmach (für die Feinde) gehen. 
Mir geben den Lefern zu bedenken, ob diefe Erklärung das 
Verdienft der Leichtigkeit und Scicklihkeit Habe. Wir wollen 
nur unfere Ueberſetzung der Stelle, an weicher der Verf. ans 
geſtoſen, rechtfertigen und erläutern, 

Der erfte Saß: Die fern von der Verfammlung 
Tranernden ſamml' ich, bedarf feiner Erläuterung und 
Rechtfertigung; auch kann man mit Geſenius uͤberſetzen: 


480 Drey Programme von Anton. 


Die von der Gemeine ausgefhloffenen fammt* 
ih: im Ganzen wird der Sinn dadurch nicht geändert. Nun 
fchließen wir, gegen die gewöhnlihe Accentuation, das erfte 
Hemiſtiſch: diefe Freyheit hat uns Hr. Anton nicht miders 
ftritten, und fie fcheine hier nothwendig. Nun conflruiren wir: 
MEN I y MNOE CNON) Y7 Tan d- 6. fern follen 


von dir feyn diejenigen, die dir Lat find, Schmach. Sn 
—* iſt der den Hebraͤiſchen Dichtern gewoͤhnliche Perfonens 


wechſel. Wir brauchen nicht zu beweiſen, daß die dritte Pers 

ſon mit der zweyten u. f. 1. Häufig vertaufht wird. Den 
Text zu ändern ift ung nicht eingefallen. Gegen die Schicklich⸗ 
keit des Sinnes wendet der Verf. ein! es würde dann, was 
V. 19. folge, anticipire feyn. Allein wir brauchen wieder nicht 
u beweilen , daß die Aufeinanderfolge. der Gedanken in Ka 
raͤiſchen Dichtern nicht fireng regelmäßig: ift. 

Das Programm von 1812 enthält eine Verfion des @. Cap. 
von Micha und eine neue Erklärung von V. 6., die er fo 
faßt: Jam quidem ne (lacrymas) fundatis, (oraculum ) 
fundunt (i. e. vaticinantur). Sed quanquam propter illa 
(sc. ante dicta) non fundunt (lacrymas), tamen ignomi- 
nia (calamitas ignominiosa) non removebitur. Der Xerf. 


glaube im Gebrauch des Wortes FIT ein Wortſpiel zu fin 


den, fo daß es das erflemal in der Bedeutung meinen (die 
aber durch nichts als die Autorität der LXX beftätige ift ), das 
anderemal in der Bedeutung weiffagen ſtehe. Allein aufer 
der Schwierigkeit, daß jene Bedeutung des Worts nicht erwies 
fen ift, fo ſcheint die Erklärung, die wir in unferer Webers 
fegung vorgezogen haben, den Vortheil zu haben, daß fie mit 
V. 11. zufammenftimmt. Die falfhen Propheten Gehör ges 
benden KHebräer wollen nidhts von den wahren Propheten hören, 
weiche nur Ungluͤck weiffagen. Der Prophet aber antwortet: 
das hilft euch nichts, daß ihr diefe Weiſſagungen nicht hören 
wollt: das Ungläd kommt doch. Die Schwierigkeit, daß von 
den Angeredeten in der dritten Perfon geſprochen iſt, Hätte 
dem Verf. nicht fo groß vorfommen follen; auch Bier ift der 
Perſonenwechſel nicht ungewöhnlih. Uebrigens aber gefällt 
ung diefe Erklärung beffer als die Übrigen. — Wir fodern den, 
mit eregetifhen Kenntniffen und nit gemeiner Gemwandtheit 
ausgeruͤſteten Verf. auf, mehr für die Erklärung des A. T., 
befonders der fleinen Propheten zu thun, mit denen er vor 
züglich vertraut zu feyn fcheint. 


— — — — 


No. 91. * ——— 1813. 
Fahrbäder der gitteratur. 


menu — 


Zugabe zu den ſaͤmmtlichen Werfen des Wandsbecker Bothen; oder 
VIII. Theil, 1812. Auf Koften ded Verfaſſers. VIII u. 246 ©. 
ft. 8. . R 


Ba du wieder da, guter Bote, treuherziger Asmus? — 
Fuͤrwahr es iſt dem Leſer, als wenn er den Abendſtern ſaͤhe, 
den er vor einiger Zeit als Morgenftern begrüßt hat. Es if 
derfelbe Stern, aber etwas ernfihafter, fchwermäthiger, und 
dennoch ruhiger, tröftlicher, und immer fegentriefend. . Erft 
verfündigte er die Sonne, und fiehe, nun geht er ber Nacht 
voran. — 

Der brave Claudius verſchmaͤhte von jeher eitles Lob. 
Aber wenn ein Biedermann ihm begegnete auf ſeinem Boten⸗ 
gang, ihm die Hand druͤckte, und dankte fuͤr die gute Maͤhre, 
ſo war das Etwas, das man nicht von ſich zu ſtoßen pflegt. 
Und wenn wir ihm, waͤhrend er muͤde ausruht auf einem 
Stein am Wege, hinblickend Über das Vorwärts und Ruͤck⸗ 
mwärts, über die Heimath hienieden und Über die Heimath dort 
oben — wenn wir ung gelüften ließen, dem Sinnenden einen 
Kranz aufjufegen von Eichenlaub mit eingeflohtenen Paſſi onds 
blumen und glähenden Amaranten: follte er ihn ſpoͤttiſch weg⸗ 
fhleudern? Wir glauben nicht; denn thäten wirs, und könus 
ten wird, fo wäre es gerecht, und wäre ehrlicy gemeint. Wie 
thäten damit mehr für Andre als für ihn. 

Die Deutſche Litteratur verdankt dieſem Schriftfteller mehr, 
als feine große Beſcheidenheit erwartete, und als derjenige 
weiß, dem er bey dem beften Willen nicht zu nüßen ım Stande 
war. Seit vierzig Jahren wandelt er nun in feinem Dienft 
umher, beichleicht die großen Händel der Menichheit, als eis 
ner überfinnlichen Erfcheinung, beobachtet den „Zeitlauf ale 
einen Auswuchs der Emigkeit, und berichtet und weiſ't zurecht, 
daß man den rechten Weg nicht verfehlen möge. Er ſchritt 

5: 


482 Zugabe zu den Werfen des Wandsbecker Born 


der Zeit nach, weil er fie erleben mußte; er fchriet ihr woran, | 
weit er,:deg Landes kundig, ihre Krümmen wahrnahm. Clan 
dius wurde viel gebraucht, viel angeführt zu Scherz und Ernf, 
„viel, wiederholt und gefungen, ohne daß er je großen Ruhm 
in Tagblättern gehabt hätte, ohne daß man ihn jehr begriffen 
und wahrhaft benutzt hätte bey all feiner geiftreichen Popular 
"ritae: Zwar iſt die Sache erflärbar;, und hätte er nicht einen 
fo ſpitzen Stachel in feinem VBotenfto geführt, es hätte ihm 
von den gelehrten Wanderern Manches begeanen können. So 
aber ließ man ihn fammt feinem Freund Kain fo ziemlich fei 
ner Wege gehn, lachte fih fatt am Rieſen Goliath, über dın 
man auch wohl hätte weinen dürfen, und begnügte fih pu 
Hören, daß der Mann das Nheinweinlied gedichtet habe. 
Die HYumoriften find wie die gefegneten Winde, welde 

dte Luft fegen und reinigen. Sie fhnurren uns um Noſe und 
"Ohren, daß man faft verdriefilih wird; aber wenn fie eine 
Zeitlang geichnurrt und gepfiffen haben, und man fi mie 
befinnen kann, fo merft man, daß es zur Geſundheit der & 
bendigen gedient hat, und fihs nun noch eins fo friſch un 
frey achmet. Beſonders wenn fie nicht immerfort Spaß mı 
chen, weil der Menjch nicht gemacht ift, um immer geruft 
“und gefchättelt zu werden, und die Luft miche, wm immer in 
Unruhe gu ſchwanken, und die Schreiberey nicht, um immer 
fort zu lachen. Führt aber gar der Wind Urſtoffe des Leben | 
“aus Eden bey fih, und bläst einen uͤberirdiſchen Odem und in 
Mafe und Lungen, dreymal gefegnet ift er dann, und hat mehr 
denn bloß elementarifche Kraft oder feelifches Exregungsven 
mögen. Er kann dann auch ſchauerlich und zerftörend wirkt, 
‚weil er das Verwesliche angreift, und den Kampf des Lebens 
mit dem Tode rege macht; und darum entzieht man fid) ihm 
gern, und friecht in die Leimenhätte, und. fuche ihm zu mr 
fhlafen. Aber wer feine Heilfame Natur Fennt, feht fih ha 
ſelbſt in finfterer Naht aus, und läfit ihn auf der Aeolsharlt 
feines Gemuͤths heilige Accorde fchwingen. 

Zu diefer feltenen Claſſe bumoriftifcher Schriftſteller ge 
Höre Matthias Claudius. Won aujen einfältig und faft gemeit; 
alles laͤndlich, hausmachen Zeug, was er um und an ſich fi; 
ein trockenes Dorfgefiht mit dem gutmüthigen Schallepu 


Zugabe zu den Werken des Wandsbeder Boten, 483 


am .die Lippen; ein kerngefander Menfchenverftand,, welcher 
an' der fhimmernden Unvernunft und vornehmen Unart nie 
irre wird, und wenn er ihnen aus dem Wege gehen muß, 
den Hut figen läßt, oder doch weiß, wo er ihn wieder bins 
- feßt, wenn er ihn lüpfen mußte; ein Mann, furz und gut, 
fhleht und recht; aber dabey hoc umd tief, zart und fing; 
neckiſch ohne Galle, drollig ohne feiner Würde zu fchaden. 
Er hat auh Fremdes und Vornehmes genug :in feiner Taiche, 
das er hervorzieht, wenn man ihm verkennen. wollte, Aber 
wor allen Dingen bringt er euch immer ein volles warmes Herz, 
wenn er anfommt, das für Gott und feine Wahrheit, für 
König und Dprigkeit, für euh und alle Menfchen fihlägt; 
und er beiuftigt euch hauptfählih, um euch die freye Stims 
mung zu geben, die ihr haben müßt, wenn er euch etwas 
Heilſames lehren Soll, 

: Seine Ericheinung zielte von Anfang ber auf etwas uns 
gleich Wichtigeres, als Zwergfellserfhürterung. Und dabey 
blieb fie feſt. Nur daß er fein Aeußeres in der allmähligern 
Folge feiner Schriften mie feinen Lebendaltern und. mit der 
Melt etwas verwandelte, nach den Stimmungen und Zuftäns 
digfeiten jener, und nad) den Begebenheiten und Bedärfniffen 
dieſer. Anfänglich tritt er auf als ein junger Mann, vdeffen 
Gemuͤth durch eigene Leiden und den Anblick des Erdenjams 
mers das Gleichgewicht verloren hat; er fucht diefes wieder 
zu erringen, indem er fi mit Scherz und Muth gegen feine 
eigene Empfindlichkeit waffnet, fih das Vaterland und. die 
Häuslichkeit behagen läßt, in wichtigen wiffenfchaftlihen Wer— 
ten forſcht, die auf das Ganze der Menfchheit Bezug haben, 
und während er uns mie dem Allen unterhält, zugleich die 
Unreinen erichüttert, und die Neinen in beffere Welten trägt. 
Gleich vorn flellt er den Knochenmann zum Pförtner hin, daß 
man nicht weiß, was man dazu fagen foll, und weſſen man 
fih zu Freund Hain zu verfehen hat. Oft ſchwaͤrmt fein Blick 
im Mondfchein Über Gräbern, oder liebäugelt mit den Ster— 
nen, denen fein Herz näher als diefer Erde if. Ein inniges 
- Ahnen und Sehnen ins Senfeits bricht immer bey ihm durch 
die bizarrefte Laune hindurch, die oft nur wie eine Hilfe oder 
wie eine Enefchuldigung vor der guten Geſellſchaft ausficht s 


434 Zugabe zu den Werken des Wandsbecker Boreit. 


® und wenm dies eine Eigenheit aller guten Kumoriften iff, fo 
gebuͤhrt ihm gewiß vorzüglich das Lob dee Ungeſuchten und 
des Gehaltvollen feines durchbligenden Ernſtes. Seine haus 
monijche ‚Seele fcheint manchmal Klänge aus hoͤhern Sphären 
zu vernehmen, und will fie nachfingen in wehmuthsreichen 
Liedern, wie in dem befannten bey dem Grabe feines Vaters 
(»Sriede fey um dieſen Srabftein her“), einem der zärtfichs 
fien und zärteften, die in irgend einer Sprache gedichtet find; 
und wird dann wieder gerriffen von dem Schariwari der 
Außenwelt, den fie zur Entſchaͤdigung und jedermänniglichen 
Beſſerung in Poffen nachwirbelt. Als Nepräfentant der Deuts 
[hen Naivetaͤt gefällt er fi befonders in der Kinderfiube, in 
kindlichen ‚Feften — denn er ift: ſelbſt ein fehr liebensmwärdiges, 
fehr kluges Kind, ein großer Unmändiger — im Thun und 
Treiben des ehrlichen Landmanns, den er auch wohl. wiffents 
lich idealiſirt, um falſche Größe beſſer zu befhämen, und in 
Beichnung aller Charaktere, die zu den Söhnen und Töchtern 
dei Unihuld und Natur gehören. Weber diefem Allen abet 
ſchwebt der Geiſt der Religion, oder vielmehr des Chriſtenthums, 
und er auf deffen Fittigen. In ihm finder er den eigentlichen 
Erfag für jedes Kleine und Große, was die Welt ihm raubt 
und nicht gewähren fann. Won diefem Punct gehen: feine 
Gefühle, feine Betrachtungen aus, und kehren jedesmal dahin 
zurück. Er ift der Mittelpunct feiner Gelehrfamkeit und Phis 
fofophie, und der Präfftein, woran er die Lehren. feiner Zeits 
genoffen unterfucht. An ihm hält er unerfchätterfich ; und wie 
die Zeit fih neben ihm davon entfernt, fo eilt er in en’gegens 
gefeßter Richtung inniger in beffen Tiefen hinein ; wie fie uns 
geiftlicher wird, fo mird er aeiftlicher und erleuchteter. Zuerft 
lächelt er über die Gernweisheit der Vernunft, zuͤchtigt fie 
dann mit fcharfer Geißel, und je guthergiger er tft, deito wer 
niger fann er die Bitterkeit über die Mißleitung des Zeitalterg 
unterdräden. Denn er ift Menfchenfreund im höhern Sinn, 
und begehrt nicht fomohl der Menichheit finnliche Zufriedenheit, 
als ihr unfterbliches Heil. Als er fi aber mehr und mehr 
vereinzelt fieht in feinen Meynungen, und das Alter ihm den 
Murhmwillen gedämpft hat, fieht er noch da als ein fliller, 
ehrwuͤrdiger Wahrkzeitspriefter,, der deſſen, was er denkt und 


Zugabe zu den Werken des Wandsbecker Boten... 485 


glaubt, kein Hehl hat, gleihwie ers immer dachte, glaubte 
und nicht verläugnere. Er ſchaͤmt fih des „Geiſtes der Herr⸗ 
lichkeit“ nicht. Gegen Alles, was den Stempel der Natur 
und des Chriſtenthums an ſich trägt, gegen Alles, was nad 
oben firebt, wenn es auch den Meiften als bloße Schwärmerey 
erichiene, ift er nicht nur tolerant, fondern ehrt und beſchuͤtzt 
es auch; bleibt dagegen ber unverlöhnlichfte Feind alles Uns 
aͤchten und Erfünftelten, und verfolge mit gleich. graufamen 
Wiß die flahe Mode, die falfche Aufklärung in Kirche und 
Staat, die Pedanterey und die poetifhe Unſittlichkeit, die 
Schlucht und die unchriftliche Kinderzucht, die Geckerey und 
Suͤßlichkeit der Menfhen und der Schriftſteller. Michts kann 
fid) unähnlicher ſeyn am innerm Gehalt, als feine Poffe und 
die Poſſe der Spötter; und im Aeußern hat fie eine fo übers 
wiegende Kraft gegen diefe, daß man fie ungleich lieber mie 
Stillfhweigen bedeckt, als den Streit aufnimmt. „Ein neues 
Licht ift aufgegangen, Ein Licht fchier wie Carfunkelſtein!“ — 
Aber wo der reine Naturfinn. waltet, oder wo man ihm von. 
feinem Ertöfer fpricht, oder er ihn verherrlihen fann, und 
fhlicht und gerade von ihm .reden und. fingen, und mit dee 
anfpruchlofen Miene eines einfältigen Layen die fhöne Erfennts 
niß höherer Wahrheiten entfalten, die ihm geſchenkt ift: da 
ift fein Element, da fehen wir ihn oft in gerährtem und rühs 
vendem Ernft, und das Lahen, das feinem innern Menfchen 
fremd ift, ift bey Seite geworfen. Wenn er gleihmwohl zus 
weiten den aͤſthetiſchen Fehler begeht, in ernfthaften und. geifts 
lichen Gedichten allzu nativ zu ſeyn, fo gleicht er hierin, ohne 
es zu wollen, den Deutihen Altvordern;, denen in ihrer Poefie 
und zeichnenden Kunft fehr oft daffelbe begegnet ifl. Er ſteht 
mit den Fuͤßen feines Fleifches auf nordifhem Boden; und 
da ift ihm fo wohl bey feiner Genuͤgſamkeit und Selbftentäußes 
rung , da ift ihm fo wohl in den ‚kräftigen Winterfcenen, und 
in den Lüften des doppelt wonnigen Sommers, als ihm nur 
feyn kann; aber fein Athmen geht nach der ewigen Heimath, 
wo nicht Froft noch Hitze mehr if. Man ſieht Im fo .gany 
wie er ift, wenn er fingt: 
„Einfältiger Naturgenuß , 
Dhn’ Alfanz drum und dran, - 


486 Zugabe zu den Werken des Wandsbecker Boten.” 


Iſt Tieblich wie ein Licbeöfuß 
Bon einem - frommen Mann.“ 

— Was verfteht Er denn eigentlich unter Poeten ? — der 
Chan von Japan. Und Asmus antwortet: „Helle reine Kie⸗ 
felfteine, an die der fchöne Himmel, und: die fchöne Erde, und : 
die heilige Religion anichlagen, daß Funken herauzsfliegen.“ 
Und eine. Probe ‚geiftreicher Freymuͤthigkeit gibt er, wenn der 
Chan fragt: Aber mas hätte man denn davon, Fürft zu feyn ? 
und. Asmus antwortet: „Frage die Sonne, was fie‘ davon 

hat, Tag und Nahe um die Erde zu gehen.“ — Er vers 
ſpricht zwar nur. „ehrlih hausbacken Brod mit etwas Corian⸗ 
der;* aber. er befißt eine Intellectualitaͤt, einen fymbolis 
fhen Sinn und reinen Myſticismus, . die fich felbft in ‚feinen 
Scherzen äußern. Sehr wenige Mitarbeiter an unferer [hönen 
Litteratur haben Weisheit und Irrthum fo fharf zu untericheis 
den, menfchliches und görtlihes Wiffen, Gelehrſamkeit und 
überfinnliche Erkenntniß fo richtig zu würdigen gewußt als er. 
Iſt er niche in das Innerſte der Seheimniffe eingedrungen, 
die er hochachtet (wiewohl mande feiner Winke Manchem 
verdeckt bleiben möchten, es auch z. B. kaum eine gründlichere - 
Ausiegung gibt, als .die feinige über das Evangelium von der. 
Zinsmünze), fo muß ihn der, Seiftesverwandte wenigftens als 
einen trefflihen MWegweifer für die erften Ausflüge der Vers 
nunft bey jungen Seelen anerkennen, und jeine eiferne Bibels 
feftigfeie 1äße ihn nie fallen, und ihm nie mangeln an einem 
Suten, das fein demüthiger MWahrheitspurft begehrt. Das 
Kreuz iſt ihm recht zum Licht ausgefchlagen. — „Ih bin: 
fein Freund von neuen Meynungen, fagt er kurzweg, und 
halte feft am Wort.* Seine Briefe an Andres im 4. Theil 
find wahre Chriftuspredigten für Jung und Alt, Groß und. 
Klein. „Wer nicht an Chriftus alauben will, der muß fehen, 
wie er ohne ihn rathen fann. Ich und du fönnen das nid. 
Wir brauchen jemand, der ung hebe und halte, und ung die 
Hand unter den Kopf lege, wenn wir fterben follen ; und das 
kann ev Überfchwänglich nach dem, was von ihm gefchrieben 
ſteht, und wir wiſſen feinen, von dem wirs lieber hätten.“ — 
„Auch wo ich Effect gefehen Habe, fpricht er grundrichtig von 
der Erziehung (Th. V. ©. 95), da liegt: Religion zum 


Zugabe zu den Merken des Wandsbecker Boten.“ 467 


Grunde, die alte nämlich, - und fo wird Er es auch finden.“ 
— „Liebe Herren GSubfcridentent Ich bin nicht, was Salomo 
war, bin nicht König Über Israel, und ich beſcheide mich 
gerne, ‘daß mir feine Meisheit noch mehr als feine Krone ° 
fehlt; aber überzeugt bin ich lebendig, daß die Furcht Gottes 
die Duelle alles--Suten ſey, daß es da anfangen und fih da 
wieder endigen muͤſſe, und daß Alles, was fih nicht darauf 
gründet, und nicht damit- befteht, |: wie groß es auch ſcheine, 
doch nichts als Täufchung und Trug fey, und unfer Wohl nicht 
fördern möge, Aber Furcht Gottes und Furcht Gottes iſt zweyer⸗ 
fey“ — und diefes Zwepyerley, und den Unterſchied zwiſchen 
der menfhlihen Moral umd dem: neugebährenden heiligenden 
Glauben hat er befonders in feinen fpätern Schriften ins Licht 
zu feßen geſucht, gleihwie er auch zeigte, „daß: keineswegs 
da, wo die zwey Augen aufhören, die Schwärmerey angeht.“ 
— „Alſo: nicht der mehr ſieht als die Andern , -fondern der 
ſich mehr einbilder zu ſehen, als er wirklich ſieht, der iſt ein 
Schwaͤrmer.“ — „Das fann ich wohl begreifen, daß Ver— 
nunftgruͤnde dahin gehören , wo fie hingehören ; ‚aber das kann 
ich nicht begreifen, daß fie da hingehoͤren, wo fle nicht hins 
gehören.“ — „Die Religion saus der Vernunft verbeſſern, 
kommt mir eben fo vor, als wenn ich die Sonne ·nach meiner 
alten hoͤlzernen Hausuhr flellen wollte.“ 

Im Verlauf der Zeit‘, wo er; durch die öffentlichen Revo⸗ 
lutionen hindurchpilgerte, werden feine Schriften immer ernſter 
und religioſer; er Hafterfefter an dem, was ihm ewig blei⸗ 
ben, was der Menſchheit ewig frommen muß. In dem Ger 
fuͤht und Preis des alleinigen Heilandes, den er verehrt, und 
feiner Kraft, loͤst fidy ſein ganzes Reden, Sinnen und Wir 
ten auf. Zu dem Ende fäßt or fihs auch nicht verdrießen, 
die Spuren. wralter,, auf Ihn und das Bibelwort hinzeigender 
Weisheit in den Meligionen: der Völker zu verfölgen. Aber 
fern von der Bezauberung durch diefe. merfwärdigen Schatten, 
MHärt er fie vielmehr mit dem Lichte des Meifters auf, und 
führt fie auf: ihren Grund und: Urfprung  zuräc Im VIE 
Theil hat er fih. ganz ausdrüdlich Über die fchließliche Tendenz 
feiner Werte erflärt. Hinten im Valet ©. 316 fagt er: „Im 
diefem fiebenten und legten Theil: Habe ich des Ernſtes etwas 


468. Zugabe zu den Werken des. Wandsbecker Boten: 


mehr gethan, -und die Fahne etwas hoͤher aufgezogen, daß 
man am ‚Ende .fehe, von welcher ‚Seite die Luft, geht.“ Und 
S. VI der Ankündigung: „Der Menſch lebet nicht vom Brod 
- allein, das die Gelehrten einbrodenz fondern ihn hungert noch 
nad) etwas Anderm und Beffern, nah einem Wort, das duch 
den. Mund Gottes gehet. Und diefes Andre ‚und Beſſere, dies 
Wort, das uns auf der Zunge fhmwebt und wir. alle fuchen, 
ein Jeder auf feine Art, finde ich zu meiner großen Freude 
im Chriftenchum ‚wie es die Apoftel und unfre Vaͤter gelehrt 
haben. Sollte id damit zuräckhaften und hehlen, weil es bie 
und da nicht die Öffentliche -Meynung:ift, und berühmte und 
unberühmte Leute es beffer, wiſſen wollen und darüber fpotten ? 
Was kuͤmmert mich berühmt und .unberähmt, wo von ernſt⸗ 
haften Dingen die Rede iſt? Und was gehen Meynungen 
mich an, in Dingen, die nicht Meynung find, ſondern Sache; 
fraͤgt man auch den Nachbar, ob die Sonne ſcheint ? „Und 
die berühmten Leute, die ſich klug duͤnken, willen. zwar Mans 
ches beffer; aber es könnte doch. ſeyn, daß fie nicht. wuͤßten, 
mas fie am Chriftenehum haben ,; und wie gut. und wie. klug 
fie, und alle Menfchen, daraus: werden könnten, wenn ber 
Schiöffer fo viel nußte als. das. Schloß. Es ſteht nur Wenis 
gen an, dies: große Thema zu dociren;. aber auf feine Art und 
in allen Treuen aufmerffam darauf: zu mahen; ‚duch Ernſt 
‚and Scherz, durch gut und fchlecht, ſchwach und flart, und 
auf allerley Weiſe an das Beſſere und Unfichtbare zu erinnern; 
‚mit gutem Exempel vorzugehen und taliter qualiter durchs 
Factum zu zeigen, daß man — nicht ganz und gar. ein. gs 
. morant, nicht ohne allen Menſchenverſtand — und ein rechts 
glaubiger Ehrift feyn könne . . . das flieht einem ehrlichen und 
befheidnen Mann wohl an. Und das ift am Ende das Ge 
werbe , das ich als Bote den Menfchen zu beftellen habe, und 
Damit ich. bisher treuherzig herumgehe und: allenthalben an 
Thür und. Fenftern anklopfe.“ | 
€ Aus. diefem Gefihtspunct ift nun. auch der VIIl Band 
zu betrachten, den der Verf. als Zugabe — und wir wünfchen, 
es möge nur bie erfte und nicht zugleich die legte feyn — ſei⸗ 
nen Werken gegeben hat. In der Morrede ſagt er: „Mit 
Wort und Weife muͤſſen die Lefer ‚vorlieb nehmen. Man fann 


Zugabe zu den Werken des Wandsbecker Boten: 489. 


nicht dazu, daß. man nicht mehr. jung iſt, wenn man- alt iſt. 
Was aber den inhalt anlangt, der doch bey einer Schrift die 
Hauptſache ift, da meine ich Wort gehalten zu haben. Und - 
wenn einige Lefer etwas Anders erwartet haben, fo ift der 
Dote unihuldig. daran, ift auch unverlegen darüber... Ihn ges 
reuet feine Uebergeugung nicht, und er weiß, auch am Grabe, 
für ſich und feine Leſer nichts: Beffers,“ u. f. wm. Was num 
Wort und Weiſe anlangt, fo mäffen wir bezeugen, daß außer 
der größern Ernfthaftigkeit, auf die ja ein Jeder zuruͤckkom⸗ 
men muß, und die dem Verf. innerlich nie fremd: war, wie 
fein Alter, d. i. Altersihwäche, an ihm wahrnehmen konnten. 
Auch feine Poefle hat ihren Jugendreiz bey weitem nicht. eins 
gebuͤßt. Wir wünfhen ihm daher Glück zu einer Erfcheinung, 
die bey Männern feiner Art zwar nicht zu den ſeltenen, aber 
doch überall zu den erfreulichen gehört. Den Inhalt betreffend; 
fo verzeichnen ‚wir ihn Hier -mit einigen Bemerkungen. °) Das 
heilige Abendmahl. -Diefer Aufſatz fchließt ſich eigentlich 
an den 7. Brief an Andres: im: VI. Bande; :an, ‚Der Berfu 
fucht zu zeigen, daß es kein bloßes Gedaͤchtnißmahl, fondern 
ein geheimmißvolleer Genuß fey, durch welchen das verlorene 
Reben des inwendigen Menfhen wieder entzündet, ‚die Freyheit 
des Willens wiedergebraht und der Sünde Geſetz in den 
Gliedern getödter werden folle; als wozu alle Religionen und 
Philoſophieen nur Projecte, Vorfihläge und Wege feyen. Er 
belegt feine Lehre mit Schriftftellen, die er entwidelt, und 
feige ihre Mebereinftimmung mit der der Kicchenväter und Lus 
there. So viel. Belanntes hierin liegen mag, fo leiht die 
Hand des Verf. der Darftellung ihr eigenes Verdienſt; und 
denjenigen Lefern, deren Wrtheil die Sache vorgelegt zu wer— 
den vornehmlich beſtimmt ift, möchte er auch mandes Neue 
gefagt haben. Zum Schluß gibt er eine Stelle aus Luthers 
E:mahnung an den chriftlihen Adel Deutfher Nation, die 
dem Verf. gleichjam zur Sachbefähigung dient, und mo es 
am Ende heiße: „Einen Doctor der heiligen Schrift wird 
dir Niemand mahen, denn allein der heilige Geift im Hims 
mel; und der frage nicht nach rothen oder braunen SPareten, 
noch was des Prangens ift, auch nicht ob einer jung oder aft, 
Lay oder Pfaff, Mönch oder weltlih ſey.“ — Wir haben 


490° Zugabe zu den Werken des Wandsbecker Boten. 


bey oBiger Betrachtung nur fo viel zu erinnern, daß, wenn 
das heil. Abendmahl ein Gedaͤchtnißmahl heißt, einestheils 
diefe Eigenfhaft, dem Geheimniß unbefhader, fhon an fi 
nicht gelaͤugnet werden kann, anderntheils nach Luc. aa, 19. 
und 1. Cor.’ ir, 24. 25. bey der Einfeßung nothwendig vom 
Gedaͤchtniß die Rede geweſen feyn muß (mas der Verf. ©. 4 
beynahe zu bezweifeln ſcheint, obſchon er hauptfählich nur ber 
hauptet, daß nicht das Weſentliche diefes Mahls darin: beftehe), 
und endlich, was, die Erwähnung bey der Einfekung voraus 
geſetzt, das Wichtigfte ift, daß zwiſchen Gedaͤchtniß und Ges 
daͤchtniß eim großer Unterfchied tft, und das nach des: Verf. 
Behauptung vorgehende Geheimniß nur durch’ das Gedaͤchtniß 
möglich ſeyn dürfte, Uns weiter hieruͤber zu erklaͤren, ift hier 
der Det licht. 2) Impetus philosophicus. ' Heber den Ne— 
bei im Verſtand und Willen des Menfchen , und. die zu deffen 
Vertreibung bey verfchtedenen Völkern angeordneten Reinigungen. 
5) Hierauf folgt eine Anzahl Heiner Gedichte. An des Kö— 
nigs Seburtstag, den ad: Yanuar ıdır. Nah Zum 
Steg's Melodie des Neiterlieds im Wallenftein. Munter, vers 
ftändig,, bieder, Herzlich. — Hochzeitlied. — An O—o 
R—s Stra — P.. und C.. bey dem Begräbnif 
ihres J. — Auf einen Setbfimörder.  — Der 
Efel! Keins ohne das Gepräge von des Verf. Genie. Das 
leßte derſelben ift rärhfelhaft, wenn man nicht weiß, daß die 
Menfchen oft eine Eigenſchaft ausichließlih an ſich ſchaͤtzen, 

die fle nicht haben. Wir feßen das vorleßte hieher, weil e 

bey aller Einfachheit ein wichtiges Bedenken enthält, und bey 
der neuerlichen Menge von Selbſtmorden als ein Work zn feis 
ner Zeit erfcheint. Es hat das Motto: Videre verum, at« 
que uti res est dicere, und heift: 


Er glaubte fih und feine Noth - 
Zu löfen durch den ‚Tod. | 
Wie hat er fih betrogen! 
Hier ftand.er hinterm Buſch verftedt ; 
Dort fteht er bloß und unbedeht, 
Und Alles, was ihm hier gefchredt, 
ft mit ihm hingezogen. — 

Wie hat er ſich betrogen! 


Zugabe zu den Werten des Wandsbecker Boten, 491 


Ay Vorrede zum .& Band der Meberfeßung won . 


Fenelons Werten religidfen Inhalts. Enthält 
lehrreiche Nachrichten von dem Leben des frommen Erzbifchofg, ; 
befonders in Betreff feines Verhaͤltniſſes zu Boffuet und. zum 
Franzöfiihen Hofe — Vorrede zum dritten Band. 
5) Vom Baterslinfer. „Die Reden Ehrifti find ein 
Dorn, der nicht verloͤſcht. Wie :man aus ihm ſchoͤpft, 
fülle er fih wieder an, und. der folgende Sinn ift immer noch 
größer und herrlicher als der vorhergehende: So iſt es mit 
Allem, was aus feinem Munde gegangen if, mit feinen Spruͤ— 
chen, mit feinen ®leichniffenz ‚und fo ift es auch mit. dem. 
Vater-Unſer. Se länger man es betet, je mehr fieht man 
ein, wie wenig man es verficht, und wie werth es ift, vers. 
fianden und bedacht zu werben, um unbefannten Schäßen auf 
die Spur zu fommen.* Der Verf. macht auf dieſe Unbegrifs 
fenheiten. duch kurze Nahweifungen aufmerkſam, ‚denen. der 
Name hoher Ahnungen gebührt, micht ſolcher, wie etwa ein 
Dichter ſie von ſich ruͤhmt, ſondern wie ein Denker ſie klagend 
ausſpricht. 6) Morgengefpräh zwiſchen A und dem 
ESandidaten Dertram. Iſt metaphyſiſcher "Art, eröffnet 
Blicke in die Signatur der Dinge, ‚und uͤber den Weg, den 
die Vernunft durch den Achten. Realismus zu einem göttlichen 
Spealismus zu nehmen hat, und wie und duch wen der 
Menſch zu dem unfihtbaren Gott fommen fol. Die Geifter: 
der Dinge bilden fich felbft ihre Körper, je nachdem fie die 
Abfiht der Offenbarung Gottes in der Natur auszuführen. bes 
ſtimmt find, Nuͤtzlich für NMaturprediger und Gottespredis 
ger. Da ein Morgengefpräh kein ausführliher Tractat iſt, 
fo kann Rec. bey deffen concentrirtem, . famenreihem Gehalt‘ 
weder etwas daran vermiffen, noch tadeln. 7) Sterben 
und Auferfiehen. Lied. Die Enpdftrophe heißt: 

In uns ift zweyerley Ratur, 

Doch Ein Geſetz fuͤr beyde; 

Es geht durch Tod und Leiden nur 

Der Weg zur wahren Freude. 
8) Geburt und Wiedergeburt. Der Berf. zeigt auf 
das Ziel des Chriſtenthums, nämlich Chriftus in. ung — 
Es iſt ein ausgezeichnetes Ding um cin großes natärliches 


492 Zugabe zu den Werken des Wandsbecker Boten. 


Talent, weiches felber die Wiedergeburt 'erfahren hat; "wo der 
Reichthum von Fähigkeiten und angeeigneten Kenntniffen fid- 
durch die Nebel und Finfterniffe der untern Natur hindurch—⸗ 
gerungen bat, feine Fülle auf Einen Brennpunct der Liebe 
fommelt, und im Maren Licht auszulegen ſucht. Es ift in der 
Are, wie Rec. es ſich jeßo denkt, und es des Verf. Eigenheit 
geworden, verſchieden von einer noch höhern Erfheinung, und 
nur auf dem Wege dahin, und nur theilweife damit eins, 
Darum foll es aber zum Vermittler dienen für die, welchen 
jene nicht zufagt, oder micht begreiflidd werden ann. Aber: 
mals verfchieden von bevden iſt das gebildet feyn wollende Michts 
genie, das nicht einmal geboren Äft, um von irdifhen Dingen, 
viel weniger von himmlifchen zu veden, und nur durch die 
Wiedergeburt zugleich zur wirklichen und guten Geburt gelans 
gen kann. — Doch es ift bey dem Verf. nicht die Rede von 
der Wiedergeburt des Verſtandes, fondern ded ganzen Mens 
fhen. Er geht von der Wahrfcheinlichkeit der Lehre aus, melde 
zwey flrittige Principien der förperlihen Dinge (das thätige 
und leidende), die durch ein drittes vereinigt werden, annimmt, 
und aus der Art der Vereinigung und dem Mehr oder Menis 
ger der Principien die Verichiedenheit der Lörperlihen Dinge 
erklärt; übrigens aber ein Unreines anerkennt, das in dieſer 
Unterwelt dem Keinen anhängt, und feine Kräfte und Thätige 
keit hemmt und hindert. Wiedergeburt würde ſeyn, ſagt er, 
wenn die Natur die zwen in einem Körper vereinigten Prins 
cipien trennte, und, von dem ihnen anklebenden Unreinen bes- 
freyt, ‚wieder vereinigte. Dahin arbeitet fie auch unaufhörfich. 
Eben fo befteht die moraliihe Matur im Menfhen aus zwey 
Naturen, einer verftändigen und einer finnlihen, die 
ſtrittig und wider einander find. Die Quelle diefes Wider— 
fpruhs war.der Mißbrauch der anerichaffenen Freyheit; auch 
in den Mpthologieen der Völker erfcheint diefe Lehre. Die 
verftändige Natur, welche thätig feyn follte, ward nun leidend 
(daher der Name der Leidenjchaften ), und die finnliche, welche 
leidend feyn follte, thaͤtig; die eine kann nur auf Unkoſten 
ber andern zu Kräften fommen und die Oberhand gewinnen. 
Die finnliche Natur des Menfchen wird in ihn von ihres Steis 
en unmittelbar berührt; nicht fo die von ihr umjchloffene 


Zugade zu den Werken des Wandsbecker Boten. 493 


verftändige. Und doch fol diefe ihr Gleichartiges, nämlich die 
unfihtbare verftändige Welt und ihren Herrn, fuchen und fins 
den. Der Weg dahin geht dur die KMerzensreinigung, die 
Berihmähung des Sichtbaren, und den Slauben an unfichtbare 
Guͤter. Durch den Glauben fann der Menſch, mie die phy⸗ 
fiihe Natur, eine Krifis zu Wege bringen, und an feiner Reis 
nigung und Herftelung arbeiten. Aber fie vollenden und den 
Schaden beffern, fann er, ſich ſelbſt gelaffen, nicht. Er muß 
ſich aufgeben, und von neuem geboren werden aus Ste. Alds 
Dann ift die geringere Natur in ihm der beffern geopfert, bie 
zwey Naturen find nicht mehr wider einander, fondern einig 
und eins; der eigne Wille ift in ihm in den großen allgemeis 
nen Willen wieder eingegangen. 9) Brief an Andres. 
Handelt vom Glauben, und von dem demüthigen Sinn ders 
jenigen Leute, welhen in den Gefchtchten der Heil. Schrift 
Staubensftärfe zugeeignet wird. „Stolz, Selbſtſucht, Eigens 
düntel find dem Glauben zuwider ; er fann nicht hinein, weil 
das Faß fchon voll if.“ 10) Der Philofoph und die 
Sonne. Bortreffih., 12) Brief des Pythagoraͤers 
Lyfiasan den Hipparchus. Aus dem Griechiſchen. Das 
Gemeinmachen der Weisheit betreffend. ı2) Klage, aus dem 
Sahr 1799. Ein KyriesEleifon Aber die Revolutionszeit. 
15) Sprüche des Pythagorders Demophilus, aus 
Dem Griehifchen. 14) DOfterlied. Freudig. 15) Vom Ge 
wifien, in Briefen an Andres. Sieben an der Zahl. „Wenn 
wir auch über diefe Materie nicht viel Neues fchreiben und 
antworten können, fo kommt doc Alles, was wir und andre 
Menfhen davon wiſſen, bey der Gelegenheit in Umlauf und 
Bewegung.“ — „Alles Gemwiffen it Bewußtſeyn; aher alles 
Bewußtſeyn ift noch nicht Gewiſſen. Es gibt fein Gewiſſen 
ohne den Baum des Erkenntniſſes Gutes und Boͤſes. So 
kann man von einem Engel des Himmels nicht fagen, daß er 
Sewiffen habe: denn er fennt nur Ein Gefek, das Geſetz des 
Buten. Selbſt von Gott fann man es nicht fagen. — Mur 
der Menſch Hat zwey Geſetze in fi, eines, wie Paulus jagt, 
m Gemüt), und eines in den ©liedern; das eine: der im 
vendige Menſch oder das verftändige Geſetz, das in. fih 
nbeweglich ift, und Luft har an dem Undeweglichen, dem 


494 Zugabe zu den Werken des Wandsbecker Boten. 


Unſichtbaren, dem Unvergänglichen ; und das andre: das ſinn⸗ 
liche Geſetz, das in ſich beweglich iſt, und dem Beweglichen, 
dem. Sichtharen, dem Vergaͤnglichen anhaͤngt, und nichts vers 
nimmt vom Geiſte Gottes. Wie Feuer und Waſſer, fo lange 
‚fie in ihrer Natur bleiben, unverträglich find, fo find es..diefe 
zwey Geſetze im Menfchen. Und darum iſt der Menfdy ‚vom 
Weibe geboren innerlih im Streit — denn er foll Herr fern 
des finnlihen Gefeßes, und nicht Knecht. — . Das Bewußt—⸗ 
feyn diefer Knechtſchaft ift böfes Gewiſſen überhaupt. Gutes 
Gewiſſen ift Bewußtſeyn diefer Nichtknechtſchaft, und ‚liege im 
der Mitte zwifihen böfem Gewiffen und der Freyheit, oder. der 
Herftellung des Menfchen.“ Der afcetifche inhalt diefer Briefe 
iſt ſehr empfehlenswerth, beurtheilt. auch unter andern mit 
richtiger Duldung diejenigen, welche. den Außern Weg der: Her⸗ 
ftellung einfchlagen ; ohne zw vergeffen, daß derfelbe verdienftz 
füchtig und eingebildet machen kann, und das Beſte hierin 
unierm Wunfche. gegeben werden muß. — „Mit jenem Sinn 
im Herzen (naͤmlich das Gute und Hohe zu wänfhen,. das 
Boͤſe nicht zu wollen, nicht Knecht ſeyn, ſich feldft nicht leben 
zu wollen) und im Glauben an den Stiller unierd Haders 
kann der Menfh, ohne. bergeftellt zu feyn, ein gutes Gewiffen 
haben, und ruhig abwarten, daß ihm vom Himmel gegeben 
werde, was fih der Menich nicht nehmen Fann.“ 

Claudius iſt als religioͤſer Schriftfteller in feinem Alter, 
was freplih nur die Freunde feines Syſtems finden werden, 
wahrhaft veifer, gediegener, erbauliher und lehrhafter gemwors 
den. Aud daß feine. Polemik fih mehr in Doamatismus aufs 
geloͤſ't hat, ift in der Drdnung, und hat feinen Arbeiten keinen 

"Schaden gebracht. Ein jedes Ding hat feine. Zeit, und. er 
fheint hiebey die von ihm (S. 79) angeführte Lehre Fenes 
lons befolgt zu baden: „Man thue mehr für die Wahrbeit, 
wenn man erbaut, als wenn man für fie flreitet.“ Ihm nach— 
ahmend umgeht auch Rec., ohne bier auf Erbauung Aniprud) 
machen zu können, die Gegner deffen, was ihm an Asmus 
als das Groͤßte erfcheint, oder die an ihm fiheiden wollen, 
was unfheidbar ift, weil es fein und feiner Werke Eigenfted 
ausmacht. Noch weniger würde es nüßen, hier mit fhüchters 
ner Hand zwey Syſteme gleichachtend zu parallelifiven, von 


Zugabe zu den Werfen des Wandsbecker Voten, 496 


denen doch nur eins das rechte ſeyn kann. Iſt Rec. „par— 
theyiſch,“ ſo iſt er es nicht fuͤr den Mann, den er nie ge— 
ſehen, mit dem er nie Briefe oder Gruͤße getauſcht hat, ſondern 
für eine Sache, ohne die er fo wenig als Asmus und Ans 
dres vathen kann, Und zwar nachdem er: fie. mit allen ers 
forderlihen Mitteln unpartheyifch- geprüft Hat, und täglich zu 
prüfen im Stande ift. 

Wenn Vieles untergegangen ift, fo werden die Verdienſte 
eines Claudius bleiben; und wenn er nicht mehr hier iſt, 
ſo wird er ſich nicht ſchaͤmen, geſchrieben zu haben. Dafuͤr 
hat er den Pfoͤrtner hinzuſtellen gleich Anfangs nicht geſcheut. 
Und wenn du denn, frommer Greis, dieſes Urtheil fuͤr ein 
anſtaͤndiges Kraͤnzlein halten kannſt, ſo nimm es von unbe— 
kannter Hand freundlich hin, und haͤng es an dein Stuben— 
fenſter, damit, wenn dein letzter Erdentag hereinſcheint, er 
8 anſcheine, und verfläre, und das vergaͤngliche Laub, oder 
vielmehr den beffern Kranz, den du dir jelber. gewunden Haft, 
verwandle in eine unverwelllihe Krone der Gerechtigkeit. 

IMO, 








Abentheuer auf einer Reiſe in die andere Welt, von Heinrich Fiel— 
Ding, Esq. Aus dem Englifben. Leipzig, in Kommiffion bei 
Gnoblod. 1812. VIII und 255 ©. Mebft einem Anhange, 
XLVI ©. in 8. 
Wenn glei Fieldings Journey from this world to 

the next, wovon vorliegende Schrift eine mwohlgerachene 

-Meberfeßung gibt, den Übrigen Geiftesmerfen des berähmten 

Verf. nicht ganz gleich kommt, den feineren Geſchmack bis 

weiten nicht befriedigt. und manche einzelne Geſchichten zu weit 

ausfpinnt , fo fehlt es doch auch diefer Schrift nicht an Zügen 
ächter Laune und Satire, und fie kann einige Stunden recht 
angenehm unterhalten. Gleich der Anfang — der Zuftand 
des Verf. in den erſten Augenblicken nah feinem Tode — 
zeugt von Wit und Laune. Lefenswerth ift die Beſchreibung 
vom Palaſte des Todes, intereffane und mit Acht: fatirifchen 

Zügen durchwebt die Schilderung des Gerichts, weiches Minos 

üder die Seelen hält, die nah Eiyflum verlangen. Die 

Abentheuer, die dem Verf. in dem Haine der Seligen ber 

gegnen, find zum Theil von feltfamer Art. Orpheus fpielte 


406 Abentheuer auf einer Reife von H. Fielding. 

die Violine, und Sappho fang dazu. Die Madame Da: 
cier ſaß dem alten Homer auf dem Schooße. (1) Aber 
nur ein Engländer konnte dieſen ehrwuͤrdigen Sänger fragen 
laffen: „mo Bere Pope fey? er wäre begierig ihn gu fehen, 
denn er habe feine Ueberfeßung der Iliade mit faft eben fo 
geoßem Vergnügen gelefen, als er felbft andern durch das Dris 
ginat verfhafft zu haben glaube“ (©. 61). Nicht übel if 
es, was der Verf. S. 65 Shafefpear’n über eine bum 
tele und mißverftandene Stelle feiner &X tiften fagen Yäßt. 
Biele berühmte Perfonen aus der alten und neuen Zeit kom— 
men vor, Virgil, Livius, Milton, Cromweit, 
Alerander der Große, u. a. Zu feinem Erftaunen trifft 
er ach den Raifer Julian im Einfium an. Diefer erzaͤhlt 
ihn ſehr ausführlich, durch welche Mittel er hier Einlaß ers 
halten habe; er berichte ihm feine Schickfale bey feinen öftes 
ren Zuruͤckwanderungen auf der Erde, und wie er bald ein 
Sklave, batd ein Jude, General, reicher Erbe, Zimmermann, 
Stußer, Mind, Mufitant, Weiler, König, Hofnarr, Berk 
ler, Prinz, Staatsmann, Soldat, Schneider, Aldermanı, 
Poet, Ritter und Tanzmeiſter habe feyn mäffen; — mo das 
Ganze zwar zu weit ausgefponnen iſt im Einzelnen aber mans 
che fehr gelungene Parthieen vortommen, und manche bittere, 
aber beherzigungswerche Wahrheiten gefagt werden. Mach dem 
20. Kapitel, wo Julian feine Gefhichte zu Ende gebradt 
hat, fehlt, nad einer fhon ziemlich verbrauchten Fiktion, ein 
beträchtlicher Theil des Manuſcripts. Im MWerfolge erzählt 
Anna Boleyn ibre Lebensgefchichte ; es bleibt jedoch ſchwer, 
einzufehen, wie dieſe Erzählung mit dem Vorhergehenden ver 
bunden gewefen feyn fol. Der Anhang enthält einige, groͤß⸗ 
tentheils hiftorifche Anmerkungen des Ueberſetzers, zum Theil 
auch Berichtigungen, die dem größten Theile der Lefer nicht 
unwillkommen jeyn werden. S. XLII fa. ift noch der Brief 
der ungluͤcklichen Königin Anna Boleyn eingeruͤckt, den fie 
wenige Tage vor ihrem Tode an ihren Gemahl ſchrieb, den 
man nicht ohne Theilnahme lejen wird, und wovon Hume 
fagt, „er enthalte fo viel Natur und fo viel Schönes, daß 
er der Nachwelt unverändert mitgetheilt zu werden verdiene.“ 

| Si. 





No. 39. Seidelbergiſche 1813. 
Jahrbuͤcher der Litteratur. 





1) Neue Aufſchluͤſſe uͤber die Natur und Heilung des Scharlachfiebers, 
von Gottfried Chriſtian Reich, der AR. Dr. und Pros - 
feffor zu Berlin. Halle und Berlin, im Berlage ded Waifenhaus 
fed. 1810. XXVIII und 276 ©. in gr. 8. 


2) Gefchichte des Scharlachfieberd,, feiner Epidemieen und Heilmethos 
den, mit Rüdfiht auf Die neuerdingd !vorgefchlagene Anwendung 
der Abführmittel in demfelben, bearbeitet von Traugort Wilh. 
Guſt. Benedict, der AW. Dr. und praft. Arzt und Augen» 
arzt zu Chemnig in Sachfen Cjegt Profeffor zu Bredlau). Leip⸗ 
zig, bei Reclam. 1810. XXIV und aı2 ©. 


Das Scharlachfieber und feine Kur befchäftige feit einigen 
Jahren die Deutfchen Aerzte mehr als jemals, und wird jeßt 
faft ein flehender Artikel in unierer neueften practifchen Littes 
ratur. In der That ift die größere Aufmerkſamkeit, welche 
unfere Aerzte feit dem leßten Decennium dieſer nicht nur an 
ſich nod) fehr unaufgeflärten ,” fondern ohne Widerrede in den 
neueften Zeiten immer mehr von ihrem ehemaligen einfadyeren 
und fpecififch eigenthümlicheren Charakter abweichenden K:ıanks 
heit widmen, 4 ohne Grund. Duͤrfte man auch jetzt ſchon 
mit Gewißheit ſagen — was ſich nur erſt hoffen und wuͤnſchen 
läßt, — fie iſt auch nicht ohne Erfolg! Die Scharlachkrank— 
heit, welche noch in der letzten Haͤlfte des vorigen Jahrhun— 
derts in der Regel und in der Mehrzahl ihrer Epidemieen 
für eine ziemlich leichte und gefahrlofe Krankheit gelten konnte, 
und einen gutartigen Charakter hatte, insbefondre wenn fie 
nicht mit weißem und rothem Friefel verbunden war (was noch 
in jener Zeit in der Negel nicht der Fall war), erfcheint nun 
feit etwa 20 Jahren und darüber (und befonders auffallend in 
den fchten 10 Fahren) in der Regel als eine gefahrvolle Krank 
heit, die in vielen Fällen, ja in mehreren der neueften Epides 
mieen in den meiften Fällen einen bösartigen, infidienfen, 
32 


498 N. Auffchlüffe u. Geſch. d. Scharlachf. v. Reich u. Benediet. 


’ 
protensartigen, leicht, ſchnell, und oft unerwartet tödlichen 
Charakter. annimmt, und in. der Mehrzahl der Epidemieen eis 
nen gutartigen gefahrlofen Verlauf fat nur als Ausnahme aufs 
zeigt. Die Urfahen diefer auffallend zunehmenden Heftigkeit 
und Boͤsartigkeit dee Scharlachfiebers, und feiner neuerlich 
mehr als ehemals häufigen WVerbindung mit dem Frielel, zus 
gleich auch feiner neuerlich häufiger als fonft beobachteten Mer 
tafchematismen, fund der ihnen vorzäglich eigenen tödtlichen 
Hirnaffectionen aufjzufuhen, wäre gewiß eine eben fo mwürs 
dige Aufgabe für den Parhologen, als fie fchwierig ifl. Eben 
deswegen haben unfere neueften Schrififteller über diefe Kranks 
heit, deren nur allein in den legten fünf Sahren in Deutfchs 
fand über ein Dutzend aufgetreten find (große und Kleine zus 
fammengerechnet), es aud vermieden, fih in Unterfuhungen 
diefer Art tiefer einzulaffen, und*’haben fih lieber theils mit 
Empfehlungen oder Krititen neuer Kurmethoden, theils mie 
theoretifchen Unterfuhungen über die Natur, die Contagion, 
den Sitz ꝛc. des Scharlacheranthems, fein Verhältniß zu ans 
dern Eranthemen oder analogen Hautkrankheiten ꝛc. defchäftigt, 
ohne daß jedoch Bis auf diefe Stunde weder für das Eine, 
noch das Andere etwas Wefentliches und &Sicherleitendes ges 
mwonnen worden wäre. Auch die DBerfaffer der beyden vorlies 
genden Schriften bewegen fih, jeder mit viel Vertrauen auf 
feine Anfihten und Erfahrungen, in diefer Sphäre, jedoch 
mit einer wefentlihen DBerfchiedenheit ihrer enz, die bey 
dem Verf. der erften Schrift eine die Theorie wie die Theras 
pie der Scharlachkrankheit total reformirende, bey dem Verf. 
der zweyten Schrift eine pur practiiche, auf Empfehlung einer 
beftimmten arzneylihen Behandiungsart gerichtete, iſt; und 
Überhaupt mit dem Unterfchied, daß die erftere Schrift eine 
gewiffe Driginalirät und Meuheit der Anfiht und der Theorie 
mit einer unverfennbaren Schärfe des Nachdenkens und mit 
einem Reichthum practifcher Kenntniffe verbindet, die zweyte 
Schrift aber nur als eine — immerhin nicht verunglädte 
— Kopie eines frähern Mufters, und als ein Erftlingsverfuch 


eines auf feines Meifters Stab fih flüßenden Kunftjüngers 
auftritt, 


N. Aufſchluͤſſe u. Geſch. d. Scharlachf. v. Reich u. Benediet. 499 


Mr. 1. Der Verf. diefer Schrift bekennt fih, wie man 
aus feinen frühern Schriften weiß, zu der chemifhen Sekte 
der Aerzte. Ja er geht in der Anwendung bes reinen und, 
allgemeinen Chemismus auf den menfhlihen Körper, nad) feis 
nem gefunden wie nad, feinem kranken Zuftande, weiter als 
irgend einer der neuern Aerzte, felbft den entſchiedendſten unter 
den heutigen Jatrochemikern, Baumes, nicht ausgenommen, 
und läßt in dieſer Beziehung die alte chemifhe Schule des 
de le Boe Sylvius und feiner Anhänger weit hinter fich. 
Den Standpunct, auf welchen ſich der in feinen theoretifchen 
Prämiffen ziemlich weit ausholende Verf. ftelle, und von wels 
chem aus er feine Theorie des Scarlachfiebers geltend machen 
will, mögen folgende Säge hinreihend bezeichnen. „Es ift 
nur Schein, fagt er S. 5ı, daß die Lebenskraft Über die alls 
gemeinen phyfifchen Geſetze erhaben ift, und daß fle den les 
benden menſchlichen Körper ihrer Herrfchaft entrüct. — Bender 
Anwendung der phnfiihen und chemifchen Werhältniffe auf die 
Phänomene des menfhlichen Lebens fönnen wir der dynamiichen 
Erklärungen ganz überhoben ſey. — Die Irrthuͤmer der Aerzte 
und Phnfiter bey der Unterfuhung der duch die Materie der 
Körper ſich darftellenden Phänomene entipringen hauptſaͤchlich 
daraus, daß man zur Metaphyſik feine leßte Zuflucht nehmen 
zu muͤſſen glaubt, und demnad behauptet, daß jede Materie 
nur dur die Kraft wirffam ſey, die in ihr wohnt. — Dem 
Phyſiker kann es nicht darum zu thun feyn, zu willen, wie die 
Materie möglich geworden, wie fie entftanden ift, und woher 
fie ihre Kräfte befommen hat (!); alles dieſes ift und bleibe 
völlig unbegreiflih. Ihm kann es fhon genägen, zu wiffen, 
daß die Materie eriftirt, und daß fie nad gewiffen Geſetzen 
wirkt. Die Eriftenz der Materie ift alfo der Punct, von dem 
feine Unterfuchungen anheben. — Nicht die Kraft, fondern 
bloß die Materie wirkte, oder vielmehr die Kraft wirft nur in 
und mit der Materie, und Kraft und Materie zufammen 
bringen die Erfheinungen hervor, die fih dem Phyſiker dars 
bieten.“ S. 55. 54. (Welche Verwirrung der Begriffe! welche 
Widerſpruͤche! melches Meben s und - Auffereinanderfeben von 
Dingen oder Verhältniffen, die nur unter einem Sn s und 
Durcheinander möglih und denkbar find! Mein wahrhaftig, 


500 ° N. Auffchlüffe u. Gefch.d. Scharlachf. v. Reich u. Benedict. 


ſo wenig wir dem Verf. Scharfſinn abſprechen wollen, mit 
ſolcher Philoſophie wird er ſich nicht als Reformator der me⸗ 
Dieinifhen Theorie geltend machen, fo ſelbſtgefaͤllig er ſich auch 
Als einen folhen antündigt, wie wir gleih von ihm hören 
werden.) — „Sft denn die Kraft etwas anderes, als ein 
bloßer Begriff, der in unferem Verſtande gebildet worden ift? 
Warum will man denn zu einem bloßen Verftandesbegriff feine 
Zuflucht nehmen, um die Wirkfamkeit der Materie zu erkläs 
ren ꝛc.?* ©. 56. (Was ift denn das Atom? Der Berf. 
fühle wohl diefen Einwurf, aber er weiß ihm natärlih aus 
feinem Standpunct nicht zu begegnen. Er fagt bloß: „Mag 
immerhin diefes oder jenes chemifche Element urfprünglich nur 
ein ähnlicher Werftandesbegriff jeyn, — — — man wird doch 
nicht abzuläugnen vermögen, daß der Phyſiker vermittelft dies 
fer Elemente die Naturerfheinungen größtentheils fo gureichend 
und genugthuend erläutert, daß die daraus gebaute Erklärung 
beynahe auf matematifhe Gewißheit Anipruh mahen kann.“ 
Aber weiche Erflärung ? Hat irgend ein Phyſiker je vermocht, 
oder es auch nur je unternommen, eine vollftändige, d. h. dem 
zureichenden Grund und die gefammte Wefenheit eines Phäs 
nomens auffchließende Erklärung eines Phänomens einzig aus 
dem Sefichtspunct der Atomiftif zu geben? Oder wenn er Etwas 
diefer Art zu leiften verfuht und gewaͤhnt hatte, war er auch 
innerhalb den Graͤnzen einer ftrengen Atomiftit geblieben, oder 
war er nicht, wenn fchon ihm unbewuft, dabey zum Dynas 
miker geworden ? Und was foll man vollends zu der mathes 
matifhen Gewißheit der Erklärungen innerhalb dem engen 
Gebiet der Atomiſtik fagen?) — „Dhne die Materie 
würde man durchaus feine Kenntniß von der Kraft haben, und 
nur die Materie ift es, die folche äußere. Won dem erften 
Augenbli@ an, wo die Materie in der Form vorhanden ift, 
in der fie fi dem Auge unferer Sinne und unfers Verſtan— 
des (?) offenbart, war auch die Kraft fehon vorhanden, die 
wir ihr beymeffen. Nimmt man nun an, dafi die Kraft ets 
was ganz verfchiedenes ift, das erft fo zu fagen zu der Materie 
hinzukommt (mas jedoch nicht angenommen werden fann), fo 
bleive uns dennoch die letzte Urſache der Materie verborgen. 
Denn da fie aufs innigfie mit der Materie verbunden, und 


N. Aufſchluͤſſe u. Gefch.d. Scharlachf. v. Reich u. Benediet. 501 


folglich von diefer abhängig ift, fo kann fie nicht zugleich et⸗ 
was Unabhängiges feyn, was fie. doch feyn müßte, wenn fie 
die letzte Urſache der Materie wäre. — Es würde demnach 
ein Irrthum feyn, in der Kraft das fuchen zu wollen, was 
die Materie hervorgebracht Hat, weil diefe durch Raum und 
Zeit beſchraͤnkt, der Hypotheſe gemäß, die Kraft enthält, der 
das Höhere diefer Karegerien nicht unterworfen feyn follte.* 
©. 58 fo. — „Die Kraft ift bloß etwas Hypothetiſches, Eins 
gebildetes; die Materie muß daher als der Punct betrachtet 
werden, von welchem alle unfere Unterfuchungen über die Les: 
fahen der Phänomene anheben muͤſſen (!). — Gevraudt 
man alfo den Ausdruck Kraft, fo darf man nicht vergeffen, 
daß derielbe bloß unfere Unwiſſenheit über den lebten Grund 
der Dinge verbirgt, und daf er nur einen imaginären Werth 
befiget, den der Verſtand ihm leihet. Der Glaube an eine 
befondere Lebenskraft, als Princıp der Vitalität betrachtet, hat - 
daher feinen groͤßern Werth, als der Glaube an die Kraft 
der Materie Überhaupt. Diefe Lebenskraft, diefes Nichts 
in meinem Kopfe, diefe Form des Vorftellungsr 
vermoͤgens meines Geiftes (o weh!) kann unmöglich alle 
Wirfungen der objectiven Materie beftimmen, woraus der Drs 
ganismus zufammengefegt iſt. Die diefes behauptenden Phyfios 
logen verwechfeln das angeführte Nichts.mit dem -Wefen, das 
diefer bloß fudjectiven geiftigen Fähigkeit (naͤmlich dem Vor—⸗ 
ftellungsvermögen ihres Sehirnes) die objectiven Materialien 
zutommen läßt, woraus fie fubjectiv eine allgemeine Idee abs 
leiten, die dann den Damen Witalität oder Lebenskraft bes 
tommt“ S. 60 fg. (Ob fih wohl der Verf. unter: jenem 
„Weſen, das der bloß fubjectiven geiftigen Fähigkeit, das ſoll 
feyn dem Vorftellungsvermögen felbft, die objectiven Materias 
lien zutommen läßt,“ etwas nur halb Klares und Sinnhabens 
des denken fann?) — „Der erfte Schritt zu dem Zwecke der 
Kenntniß des lebenden Organismus ift gefhehen, wenn man 
der berfömmlichen Unterfheidung der Körper in belebte und 
unbelebte die richtige Bedeutung gibt, die fie als bloß formels 
ler Unterſchied der fhon vorhandenen Materie befommen muß.“ 
S. 62. — Dod) genug von diefen Verirrungen eines rohen 
Materialismus, zu dem man fich in dieſer Art nur mit kaum 


502 N. Aufichlüffe u. Gefch.d. Scharlachf. v. Reich u. Benediet. 


begreifliher Verläugnung feines Beobahtungs s und Inductions⸗ 
vermögens befennen kann. Man fieht, dafi der Verf. mit dem 
Spyftem der Atomiftif, das er predigen will, noch ſelbſt nicht 
im Klaren, und vollends in den Geiſt und das Weſen des 
dynamiſchen Syſtems, das er zu flürzen vermeint, nicht eins 
gedrungen if. Er wuͤrde fonft nicht mit leerem Schatten kaͤm⸗ 
pfen, und die Begriffe von Kraft und Lebenskraft in einer 
Dppofition gegen den der Materie aufftellen, in welcher fie 
fein Phyſiker unferer Zeit, er bekenne fih, zu welchem Sys 
ſtem er wolle, zu nehmen fi einfallen laffen wird. — Und 
dennoch tritt der Verf. nunmehr im zuverfihtlihen Gefühl 
feines Steges Über das dynamiſche Syſtem mit der Verſiche— 
rung auf (S. 65): „daß er dur die Behauptung, daß der 
lebende Organismus den allgemeinen phufifhen und chemifchen 
Geſetzen der jogenannten todten Matur unbedingt unterworfen 
fey, der Medicin eine gang andere Grundlage gegeben habe!“ — 

Zu welhem Zweck führe uns nun wohl der Verf. in die 
Höhen feiner Maturphilofophie? Um uns den Schläffel zu 
feiner neuen Theorie des Scharlachfiebers und feiner Heilung 
zu geben, und um die Grundlage zu bdiefer recht fiher und 
feft zu ſtellen, oder fie uns vielmehr in ihrer unerfchätterlichen 
Seftigkeit vor Augen zu legen. Nah Hrn. Reich befteht „die 
wahre Natur oder das Werfen des Scharlachfieberse in dem 
gänzlichen Abfterden oder Abblättern der gefammten äußeren 
Bedeckung des Körpers, und in der Wiedererzeugung eines 
neuen allgemeinen Weberzuges“ (&. 44), oder wie es S. 86 
beftimmter heißt, „in dem allgemeinen Abfterben der Dbers 
baut, und der Reproduction eines neuen allgemeinen Webergus 
ges unter dem alten.“ Das Scharlachfieber ift ihm daher eine 
allgemeine Haut s oder vielmehr KHäutungstrankheit, ohne daß - 
er jedoch damit behaupten will, daß fie zu der Kiaffe der Auss 
fchlags s oder anftecdenden Krankheiten gehöre (S. 45). Um 
dieſes nun aus einander zu feßen, beichäftigt er fih mit der 
Unterfuhung der Verrichtungen der Dberhaut im natürlichen, 
geiunden Zuftande, bey welcher Weranlaffung er dann zu jenen 
Exkurſen in das Gebiet der allgemeinen Maturlehre, und zu 
jenen Diatriben Über die Principien des Materialismus und 
des Dynamismus verleitet wird. : Daß wichtigſte Berhältnig, 


N. Aufſchluͤſſe u. Gefch. d. Siharlachf. v. Reich u. Benediet. 503 


in welchen die Dberhaut zu dem menfchlihen Körper und zu 
der aͤußern Atmosphäre fteht, oder in welchem fie als Vermitt⸗ 
ferin zwifchen beyden wirkt, iſt ihm das der Wärmeleitung ; 
zu dieſem kommt noch ein zweytes, dem erften fubordinirtes, 
nämlich, das der Verdunſtung; und die wefentlihfte Beſtim— 
mung der DOberhaut ift aljo nah Hrn. R. in ihrem natuͤrli⸗ 
chen Zuftand die, freyen Wärmeltoff und Ausdänftungsmaterie 
an die freye Luft abzugeben. Beyde Verrichtungen der DObers 
haut erfolgen aber, nah Hrn. R., nad beflimmten, allgemein 
phufiiben Sefegen, welche der m. Organismus ganz mit der 
äußern Natur gemein habe, und von welhen das erſte und 
oberfte (auf welches Hr. R. ein befonders großes Gewicht legt, 
und es zum höchften und allgemeinften Geſetz für die Körpers 
lehre, und fomit zum oberften Princip der Maturforfhung ers 
heben will) das Sefeß der Temperatur und das andere, aus 
diefem abgeleitete, das Geſetz der Werdunftung heißt. Die 
nähere Beftimmung und Anwendung des Temperaturgefeßes 
unternimmt der Verf. auf folgende Weife. (Wir müffen diefe 
Debuction des Verf. aus mehreren fehr zerfireut und getrennt 
von einander daliegenden Sägen zufammenlefen , fo wie übers 
haupt logifche Anordnung und Zufammenreihung der Hauptſaͤtze 
und ihrer Beweiſe in dem theoretifchen Theil diefes Werkes 
fehr vermißt wird.) „Die Temperatur jedes phyſiſchen Körs 
pers wird entweder durch die Entbindung oder das Freywerden 
des in der Subſtanz eines jeden gebunden geweſenen Wärmes 
fioffes, oder durch die Aufnahme des ihm von Außen her mits 
getheilten,, geleiteten, oder veflectirten Wärmeftoffs beflimmt. 
Finder alfo irgend eine conftante Differenz zwifhen der Tems 
peratur des lebenden Menfchen und der Temperatur irgend 
eines unbe’ebten Körpers ftatt, fo kann fi diefe Differenz 
doch nur auf die Duelle der verfchiedenen Temperaturen bes 
ziehen (&. 48). Der lebende Menſch, wie die atmosphärtiche 
Luft, find als phyſiſche Weſen dem allgemeinen Temperaturs 
geſetz gleih unbedingt unterworfen. Diefem Geſetz zufolge 
muͤſſen von zwey mit einander in Beruͤhrung flchenden Koͤr⸗ 
pern der waͤrmere dem kaͤltern ſeinen Ueberſchuß an freyem 
Waͤrmeſtoff fo lange mittheilen, bis nach einem andern Naturs 
gejege (?), nämlich dem der Dichtigkeit ihrer Subſtanz, ihre 


504 NR. Aufſchluͤſſe u. Gefch.d. Scherlachl. v. Reich u. Benedict. 


Temperatur gleich iſt. Wenn alſo die Temperatur des lebenden 
Menſchen und der atmosphaͤriſchen Luft von einander abwei— 
chen, fo muß der eine von ihnen dem andern fo viel von feis 
nem Webermaaf an freyem Wärmeftoff miteheilen, als Ddiefer 
aufnehmen kann. Nun iſt aber die Temperatur der freyen 
atmosphärifhen Luft an allen Orten des Erdbodens niemals 
Höher , fondern immer niedriger, als die des lebenden Mens 
fhen. (Dieſes ift eine offenhare und durch die befannteften 
Thatſachen nachzuweiſende Unrichtigkeit, wie Jeder wiffen muß, 
dem die genauen thermometrifhen Beobachtungen mehrerer 
Heifenden ꝛc. in den Sandwäften Lybiens und Nigritieng, auf 
den Maldivifchen Inſeln, in Java und andern gleichartigen 
Klimaten bekannt find. Der Verf. will fih zwar gegen die 
Kraft diefer Einwuͤrfe dadurch retten, daß er auf den Unter— 
fhied zwifchen der geleiteten, der zuräcdgemworfenen, und der 
ftrahlenden Wärme, und zwifchen dem wahren Maaß der ats 
mosphärifchen Wärme provocirt, und daraus folgert, daß in 
allen den Fällen, wo die Luftwärme größer , als die des Mens 
fhen gefunden wird, das Thermometer die wahre Temperatur 
ber freyen Luft gar nicht anzeigen könne. Allein, wenn auch 
jene Verhältniffe der Leitung, der Neflerion und der Strahlung 
allerdings für die temporäre und locale Erhöhung der atmoss 
phärifihen Temperatur mit in Betracht fommen, befindet ſich 
denn der menfchliche Körper nicht von diefer Luft mit dies 
fer, fein Wärmemaaß oft um mehrere Grade. überfieigenden, 
Temperatur umgeben ? Iſt es dann nicht einerley, aus wels 
hen Urfachen die den Menfhen umgebende atmosphärifche Luft 
wirklih wärmer ift, als der menfchlihe Körper? Und kann 
dann, wenn und weil dadurch jene Behauptung des Verf. vers 
-richtet wird, auch feine Folgerung gültig feyn?) „Es ift das 
ber, fchließt unfer Verf. dennoch friſchweg, abſolut nothwendig, 
daß der immer wärmere menfchliche Körper der immer kälteren 
atmosphärifchen Luft fo viel von feinem Weberfhuß an freyem 
MWärmeftoff mittheilt, als diefer davon aufnehmen fann.“ Oder, 
wie es ©. 69 heißt, „die Luft, als der kältere Körper, muß 
-dem Menfhen immer einen Antheil von dem Princip der 
- Wärme oder dem Märmeftoff entziehen, wodurch feine eigens 
‚thümliche Temperatur. beftimme wird.“ Wenn indeffen, hri 


N. Aufſchluͤſſe u. Sefch.d. Scharlachf. v. Reich u. Benedict. 505 


der Verf. fort, dieſe Entziehung der Wärme aus dem menfchs 
lihen Körper durch die Aufßere Luft, der Erfahrung zufolge, 
doch nicht bis zu dem Grade der völligen Ausgleichung der 
beyderfeitigen Temperaturen gefhieht, wenn im Gegentheil der 
lebende menfhliche Körper, beftändig diefelbe Temperatur von 
+ 28— 30 Graden Reaum. behält, fo ruͤhrt diefes bloß (!) 
davon her, daß durch die Verdauung dem lebenden Menfchen 
die Menge des freyen Wärmeftoffet wiedergegeben wird, welche 
die Atmosphäre ihm beftändig entzieht. Das Athemholen hat 
an diefer Erhaltung der conftanten Temperatur des Menfchen 
gar keinen Antheil. (So verfihert der Verf., ja er kann fich 
von feinem Erftaunen gar nicht erholen, daß Phnfiofogen und 
Aerzte vom erfien Rang eine aller Vernunft und Erfahrung fo 
widerfprechende Meynung haben unterfihreiben können. Wir, 
unfererfeits, finden es unbegreiflih, wie ein Arzt von Scharfs 
finn und Kenntniffen glauben kann, daß die drey hier dagegen 
angeführten, durchaus unhaltbaren Argumente auch nur einiges 
Gewicht haben können.) „Weit nefehle alfo (?), daß der 
Nutzen des Athemholens in der Erzeugung und Vermehrung 
der thierifhen Wärme beftehen könne, befteht er im Gegens 
theil offenbar in der beftändigen Verminderung diefer Wärme. 
(Wir werden dem Verf. für diefe wichtige Entdeckung und 
Bereicherung unferer Phyfiologie großen Dank fchuldig blei— 
ben!) — Die DOberhaut ift dazu beflimmt, der umgebenden 
immer fühleren Luft einen Theil des. freyen MWärmeftoffs mits 
zutheilen, der fih im Innern des Körpers entwidelt, oder, 
wie es S. 77 heißt, durch ihre Subſtanz hindurd den Wärmes 
ftoff entweichen zu laffen. (Warum und wodurd die Oberhaut 
diefe Beftimmung habe, ob etwa durch eine befondere DOrganis 

fation, und ob e8 eines befondern organifirten Weberzuges bes 
dürfe, um die Wärme aus dem Innern des Körpers durch ihr 
entweichen zu laffen? ob und aus welchen Gründen die Waͤrme 
nicht eben fo leicht aus einem Körper oder Theil ohne DObers 
haut, als aus einem mit Oberhaut, ob fie nicht eben fo leicht 
aus einer dicken Dberhaut als aus einer dünnen entweichen 
könne ? darüber geht der Verf. ganz ftillfichweigend weg. Und 
doch hätte er gerade diefe Puncte am genaueften erniren muͤſ— 
fen, weit fie die eigentlihen Wendepuncte feiner Theorie vom 


506 N. Auffchrüffe u. Geſch. d. Scharlachf. v. Reich u. Benediet. 


Scharlachfieber find oder ſeyn follten.) Man ſieht alfo (ſchließt 
der Verf.) leicht ein, daß dieſes um fo Beträchtlicher gefchehe, 
je feiner und zarter die Dberhaut ift, und fo umgekehrt. So 
lange die Dberhaut ihre natürlichen Verrichtungen erfüllt, wird 
die Entweihung des Wärmeftoffs durch fie begünftigt. Sobald 
aber der eigenthämliche Charakter des Scharlachfiebers ihr den 
Charakter der Vitalität nimmt, fo verdickt fie fih beträchtlich, 
und alsdann muß fie als dichterer Körper die Entweichung des 
im Innern entwicelten Wärmeftoffs weniger begänftigen, ob) 
gleid, fie verhaͤltnißmaͤßig weniger an Leitungsfähigkeit gewons 
nen hat. (Hier iſt der eigentliche Schläffel zu der neuen 
Lehre vom Scharlachfieber, und von dem Grunde der großen 
Wärmevermehrung während deffeldben. Das Folgende ift eis 
gentlih nur Kommentar dazu.) Außer diefer Function hat die 
Dberhaut noch eine andere gleich wichtige, nämlich die der 
Entweichung der Ausdünftungsmaterie, welche nach dem Geſetz 
ber Verduͤnſtung erfolge. Dieſe Ausdänftung, da fie zugleich 
dem Temperaturgefeß unterliegt, ‘würde nicht möglich feyn, 
wenn die den Körper umgebende Luft nicht eine fältere Tems 
peratur hätte, als der menfchlihe Körper, und dadurch eine 
größere Capacität für den Waͤrmeſtoff und für die gasartigen 
Stoffe der Ausdänftung bejäße. Es läßt fi) behaupten, daß 
bie Ausdänftung ſowohl durdy die Haut, als durch die Lungen 
auch im einer gemäßigten Lufttemperatur nad) Maafigabe des 
Unterfchiedes zwifchen den Temperaturen des Menfchen und der 
Atmosphäre vor fih gehen wird; und Sanctorius hatte 
ganz Unreht, wenn Er behauptete, daß die Kälte die Ausduͤn— 
fung unterdrädte (©. 80). Der durd die Haut entweichende 
Wärmeftoff entreißt nah dem Geſetz der Werdünftung, wovon 
die Ausdünftung des Organismus nur eine beiondere Modifis 
cation iſt, dem Körper einen Theil der Feuchtigkeiten, die 
darin fih im Umlauf befinden. Daſſelbe wuͤrde auch der Fall 
feyn, wenn die Temperatur des hygroſcopiſchen Körpers, der 
den Menſchen umgibt, die Temperatur des leßtern Überträfe: 
denn der freye Waͤrmeſtoff der Luft, der diefes Uebermaaß von 
atmosphärifcher Wärme hervorbrächte, würde immer eine ges 
wife Menge von thierifchen Feuchtigkeiten an ſich reißen, die 
ber hygroſcopiſchen Eapacität der Luft angemeffen wäre; und 


N. Anfichlüffe u. Gefch.d. Scharlachf, v. Reich n. Benedict. 507 


dieſe hygroſcopiſche Capacitaͤt ift der thermometrifchen Capacitaͤt 
vollkommen analog. (So Hält ſich alſo der Verf. ein Hinters 
thärhen offen, um doch ein allgemein kundiges Factum, näms 
lid) die Vermehrung der Hautausdänftung bey höherer Waͤrme⸗ 
teimperatur der Atmosphäre mir feiner Lehre in Einftimmung 
bringen zu können. Welchen Werth aber feine Deduction ders 
felben habe, mag leichtlih jeder Phyſiker ſelbſt beurtheilen.) 
Aus dem Geſetz der Verdänftung fließt alfo der unerfchätterliche 
Gruudfag, daß jemehr die Temperaturen zweyer einander bes 
rührenden hygroſcopiſchen Körper von einander abweidhen, der 
weniger feuchte und trockne Körper in defto höherem Grad das 
Beftreben äußern wird, fih mit der Feuchtigkeit des feuchteren 
Körpers fo lange zu färtigen, bis beyde gleichen Feuchtigkeits— 
Grad erhalten. Auf den Menfhen angewandt, folgt alfo, 
daß jemehr die Temperaturen des Menihen und der umgebens' 
den Luft von einander abweichen, aud die Werdünftung ber 
thierifhen Feuchtigkeiten um defto mehr zunehmen wird, und 
fo umgekehrt. (Es verftehe fih, daß der lebende Menſch hier 
als bloßes reines Hygroſcop betrachtet wird.) Sonach werden 
Sanctorius und die ihm folgten, ad absurdum verwiefen: 

In diefen Gefegen (fährt der Werf. weiter fort), in ers 
klaͤrende Verbindung gebracht mit der oben aufgeftellten Bes 
flimmung des Wefens oder der Matur des Scharlachfiebers, 
als eines allgemeinen Adfterbens der Dberhaut mit Reproducs 
tion einer neuen Dberhaut unter der alten, liegen nun bie 
wahren Principien der ganzen Symptomatologie des Scharlachs 
fiebers. Die Reproduction eines neuen Weberzuges unter dem 
alten muß durchaus vorher gefhehen, ehe das Abichälen des 
alten feinen Anfang nimmt. Da aber die Abfchuppung nicht 
überall gleichmäßig, fondern an einem Ort eher, an eis 
nem andern fpäter erfolgt, fo kann auch der Meproductiongs 
proceß nicht Überall gleichmäßig vor fi gehen. Die alte Obers 
haut wird während demfelben dichter, indem die lymphatiſche 
Ausdänftungsmaterie, welche Faferftoff (??), phosphorfaure 
und kohlenſaure Kalkerde mit fich führe, fi in dem Zwifchens 
taume zwifchen der alten und neuen Dberhaut anhäuft, hier 
vertrocnet, und fo die Poren verftopft. Staͤrkere Anheftung 
und Verwachſung (?) des alten und des neuen Ueberzuges find 


508 NR. Auffchlüffe u. Geſch.d. Scharlachf. v. Reich u. Benedict. 


die Folgen, und diefe Folgen erſchweren und verhindern wies 
derum die natürliche Hautausdünftung in dem Maafe, als die. 
Erhöhung der Temperatur der umgebenden Luft die Ausdüns. 
fung und Märmeentweichung vermindert. Wo diefes nun ber 
Fall ift, da roͤthen fi die organifchen Theile wegen der Ans 
bäufung des freyen Wärmeftoffs und der Ausdünftungsmaterie, 
Die NRöthe der Haut im Scharlachfieber ift ſomit nichts mehr 
und nichts weniger, als KHautröthe erhißter oder in einer zu 
warmen Stube ſich befindender Menfhen. Die von Sennert 
herrährende Annahme eines eigenen Scharlachgifts ift demnach 
eine leere chimärifche Hppothefe. (Man fieht ohne unfer Ers 
innern das Gezwungene und zugleich das Unhaltbare und ſich 
Widerfprechende in diefer Darftellung. Die Oberhaut foll dies 
nen, um den Wärmefloff, von dem der Verf. eine gar zu grob 
materielle Anfiche Hat, nebft der Ausdünftungsmaterie durchs. 
gehen zu laſſen. Durch die Verdichtung der alten ſich ablöfens 
den Dberhaut und durh vie Werftopfung der Poren foll aber 
dem Durchgang der Wärme ein Damm entgegengefeßt werden; 
durch die Vertrockung der Perfpirationsmaterie unter ihr fol 
fogar Verwachſung zwifhen ihre und der neuen Dberhaut ents 
fiehen. Und dennoch fchält fih die alte DOberhaut ab. Die 
neue Dberhaut erzeugt fih, wie der Verf. feldft faat, immer 
früher, als die Abihälung der alten anfängt. Was hindert 
aber dann, daß nicht der MWärmeftoff fo gut, und noch leichs 
ter, durch diefe neue Epidermis entweihe? Etwa die allents 
halben dur ihre -Ablöfung Deffnungen und Zwifchenräume 
darbietende alte Oberhaut (in fofern naͤmlich folhe Auswege 
für den palpablen Wärmeftoff des Verf. nothwendig feyn folls 
ten)? Dder der fi) nad) der neuen Entdedung des Verf. uns 
ter der alten Oberhaut anhäufende Faferftoff der Ausdänftungss 
materie? Und die Roͤthe des Schariachkranken foll blos von 
der Anhäufung des Wärmeftoffs herrühren, etwa wie die des 
rothglühenden Eifens? Welche Anfiht der thieriſchen Wärme, 
und des vitalen Entzündungsproceffes!) — 

Der Verf. geht nun zu der Unterfuhung der Urfache dies 
fer Haͤutung im Scharlah über. Er wirft erft die Frage auf, 
eb diefe Urſache in dem Einfluß der atmosphärifchen Luft liege. 
(bey welcher Gelegenheit er gegen die allgemein angenommene 


N. Auffchlüffen. Gefch. d. Scharlachf. v. Reich u. Benedict. 509 


Aufnahme von gemwiffen VBeftandtheilen der Atmosphäre, es fey 
Sauerftoff oder Stickſtoff ꝛc., in die Lunge beym Athemholen, 
als etwas Ungereimtes, zu Felde zieht, ohne übrigens einen 
andern Grund dagegen anzuführen, als: „es fey eine abfolute 
Unmöglichkeit, daß der Körper gleichzeitig (?) auf demfelben 
Weg etwas verliere, auf welchem er etwas empfange!); und 
ob insbefondere die Mord » und Mordoftwinde einen eigens 
thuͤmlich beftimmenden Einfluß auf die Erzeugung des Scharlach⸗ 
fiebers habe, wie er felbt Anfangs gemeint habe. Er verneint 
aber in Folge fpäterer Erfahrungen diefe Frage, wiewohl er 
den Einfluß von rauhen und fchneidenden Winden auf das 
Abfterben der Oberhaut nicht geradezu läugnen will. Daß aber 
von diefem allein oder aud) nur zunaͤchſt die Erzeugung des 
Scharlachfiebers herruͤhren folle, könne deshalb nicht angenoms 
men werden, weil fid erftlich nicht würde begreifen laffen, 
warum die Menfhen das Scharlachfieber in der Regel nur 
einmal befommen, weil ferner viele Menichen troß der Eins 
wirkung der falten Winde auf fie das Scharlachfieber doch nicht 
befommen, und weil Viele vom Scharlahfieber Jahre lang 
verjchone bleiben , die dody an Drten wohnen, wo alle Jahre 
die fchneidendften Mord : und Nordoftwinde wehen. Der Verf. 
findet es daher weit natürlicher, das Scharlachfieber als eine 
Metamorphofe der Oberhaut zu betrachten, welche derjenigen 
ganz analog fey, die fid, gewoͤhnlich zu gewiſſen Jahrszeiten 
bey allen (?) lebenden Organismen ereigne, nämlidy als eine 
Art Maufern oder Miedern, dem das Haͤren bey den Saͤug— 
thieren, und ein analoges Metamorphofiren der äußern Hülle 
bey den Amphibien, den Sinferten und Würmern (wirklich 
auch bey allen Thierarten diefer legten beyden Klaffen? auch 
bey den nur ein Jahr und kuͤrzer lebenden? das Verpuppen 
fol auch wohl hierunter gehören?) entfprehe. Der Menſch 
fey diefen Veränderungen fo, wie jedes andere Thier, unters 
worfen, wenn fie fhon bey ihm weniger in die Augen fprins- 
gen ; denn jedes Jahr fchäle er fih nach und nad über die 
ganze Dberflähe ab. (Und warum befommt denn nun der 
Menſch nicht jedes Jahr das Scharlachfieber ? fühlte der Vers 
faffer, wie fehr er feine Hypotheſe feldft im Augenblid des 
Aufbauens untergräbe? und daß Alles folgende, mas er über 


510 N. Auffchläffe u. Geſch. d. Scharlachf. v. Reich u. Benedict. 


das Periodifhe in den Veränderungen am Körper, als etwas 
nicht weiter zu Ergründendes, fagt, gar nicht geeignet ift, fie 
"zu retten, oder nur einigermaßen zu fügen?) Hier abermals, 
als vermeinte Folge der bisherigen Auseinanderfeßung (?), 
bie Behauptung, daß das Scharlachfieber von keinem eigens 
thuͤmlichen Gift in der Luft herrähre, und daraus zugleich dag 
Reſultat, dab das Scharlachfieber auch nicht anſteckend ſeyn 
koͤnne, eben weil fein eigenes Scharlachgift eriftire, und feine 
Eriftenz aud) nie werde bewiefen werden können. Anftedung 
tönne nur durd unmittelbare Berührung des Anſteckungsſtoffes, 
oder durch Einathmen der mit dem Anftecfunasftoffe geichwäns 
gerten Luft im eingefchloffenen Raume erfolgen. (Der Werf., 
der zwifchen Anftefung im engern Sinne, durch wirkliches 
Eontagium, und zwifchen epidemifch s atmosphärifcher Infection 
durch atmosphärifch verbreitete Miasmen zu wenig unterfceis 
det, beruft fih Hier auf einige Beobachtungen von Michtaus 
ſteckung des Scharlachfiebers in Familien, wo die Geſchwiſter 
mit dem Scharlachkranken im genaueften Umgang blieben. 
Jedem Arzte werden dergleichen Fälle vorgefommen ſeyn. Aber 
glaubt der Verf., mit diefen Fällen, die gar nicht zu den pas 
thologifchen Problemen gehören, wirklih die zahllofen Zäle 
von unzweifelhafter Anſteckung des Scharlachfiebers widerlegen: 
zu können?) 

Der Verf. berührt jeßt die Frage, warum die Menſchen 
gemwöhnlih nur einmal in ihrem Leben vom Scharfachfieber 
befallen werden. Das hic Rhodus, hic salta, mochte der 
Verf. wohl gefühlt Haben, denn an der Loͤſung diefer Frage 
mußte fi der Gehalt feiner Theorie wie an einem Probierftein 
zeigen. Allein zum größten Befremden des Lefers bleibt der 
Verf. bloß dabey fiehen, fie aufgeworfen zu haben, und madıt 
auch nicht einen Verſuch, fie zu beantworten. Er fhlüpfe über 
fie weg, als wenn gar nicht viel an ihr. gelegen wäre. Seine 
Lefer mögen felbft zufehen, wie fie mit dem Maufern fertig 
werden, und wie fie die jährliche Wiederholung deffelben mit 
dem einmaligen Erkrankten am Scharlachfieber reimen mögen! 
Heißt dies cine Theorie motiviren, duuch die man eine andere 
auf fiheren Thatſachen ruhende in den Staub treten will? — 
Die nicht felten vorfommende Vermehrung der Hautaue duͤr⸗ 


N. Aufſchluͤſe u. Geſch. d. Scharlachf. v. Reich u. Benedict. 514 


fung im Anfang des Scharlahs, bis zu ſtarken Schweißen, 
läugnet der Verf. nicht, aber er weiß fie auf eine neue Weiſe 
zu erflären, und mit feiner Theorie, der fie freylich ſtark zu 
widerfprehen fcheint, in Einklang zu bringen. Da, fagt er, 
die Erzeugung der neuen Oberhaut nicht auf einmal und gleichs 
mäßig vor fi geht, und da bey warmer Temperatur der Zins 
merluft der befchleunigte Umlauf und die Verflächtigung (ohne 
Wärmeentweihung?) der Säfte Folgen ber dur die aͤußere 
Märme verminderten oder unterdrücken Entweichung der freyen 
thieriihen Wärme ſeyn müffen, fo präcipitiren ſich die vers. 
fluͤchtigten Säfte auf der verhältnißmäßig tühleren Oberfläche 
des Körpers in Geſtalt von Schweißtröpfchen, weil der damit 
verbundene Wärmeftoff fchneller entweicht, indem er fi den 
umgebenden. fühleren, mehr oder minder dichteren Körpern 
mittheilt. (Alſo auch in derfelben warmen Zimmertemperatur, 
welche die Entweichung des Wärmeftoffs verhindert ? und aud) 
unter der warmen und fo fchlecht wärmeleitenden Federbetts 
decke? Welche vortrefflihe. Confequenz bier wie im Folgenden!) 
Daher fcheinen alle bedeckten Theile immer mehr zu fhwigen, 
als die unbedeckten (fcheinen fie nur diefes?); daher ſchwitzt 
man aud in der falten Luft bey flarfer Bewegung bloß an 
den bedeckten Theilen. — Von der befondern Beſchaffenheit 
der Oberhaut in einzelnen Individuen hängt großentheils die 
Verfchiedenheit der Erſcheinungen und des Verlaufes des Schars 
lache ab. Perſonen mit dicferer und fefterer Oberhaut erfrans 
fen deshalb (?) ftärker, als zärtere und fchwächlichere Mens 
‚Shen mit feinerer Oberhaut, weil bey jenen verhältnißmäßig 
nicht fo viel Wärme und Ausdänftungmaterie entweichen kann. 
— Die Heftigkeit oder Selindigkeit der Zufälle richter fich nach 
der Jahrszeit, und nach dem Verhalten, dem der Kranfe uns 
gerworfen wird. Se kälter die atmosphärifche Luft oder Wit— 
terung überhaupt iſt, defto unbedeutender muß auch die Krank 
beit feyn. Diefes iſt zwar, wie der Verf. felbft als Einwurf, 
den man ihm machen würde, anführt, der täglichen Erfahrung 
gerade zuwider, indem diefer zufolge das Scharlachfieber im Wins 
ter und Frühjahr weit gefährlicher und tödtliher ift, als im 
Herbſt; allein er ift demohngeachtet von der Nichtigkeit feiner 
Behauptung überzeugt, und hält die Erfahrung in diefem Fall nur 


512 N. Auffchlüffe u. Gefch. d. Scharlachf, v. Reich u. Benediet. 


für ſcheinbar wahr und trügerifh. Denn die größere Gefährs 
lichkeit und Tödtlichkeie des Scharlachs in der kaͤltern Jahrs— 
zeit kommt, nad) feiner Verfiherung, einzig und allein auf 
Rechnung des Üblen, d. h. des zu warmen Verhaltens, dem 
die Menfchen zufolge der falfchen Grundfäße der Aerzte unters 
worfen werden; weldhes er denn fehr anſchaulich nah dem 
Thermometer zu beflimmen weiß, wenn er fih fhon dabey 
genöthigt fieht, den Schweiß, der in einer hohen Zimmertems 
peratur ausbricht, und der freplich nach feiner Theorie dann 
gerade nicht entftehen follte, für einen bloß fcheinbaren Beweis 
von Vermehrung der Tranfpiration, für das Merk einer mes 
hanifhen Austreibung der in Dampfgeftalt verflüchtigten Säfte 
zu erklären. — 

Jetzt erft (S. 110) geht der Verf. zu der Beſchreibung 
des DVerlaufes des Scharlachfiebers Über, und unterfcheidet dies 
fes auf die gewöhnliche Weife in das einfache oder gutartige, 
und in das complicirte oder bösartige Scharlachfieber ; dag erftere 
nad) den bekannten drey Stadien. Wir können indeffen diefe 
Befchreibung um fo füglicher übergehen, da fie, wenn ſchon 
mit Genauigkeit und Treue entworfen, nur das Bekannte wies 
derholt. Man muß fid, gleich bey ihrem Anfang in der That 
wundern, daß das von dem Verf. getreulich bemerfte plößliche 
Erkrankten mit Fieberanfällen, das (mie er felbft fagt) bey den 
meiften Scharlachfranfen, bey anfcheinend volllommenften Ges 
fundheitszuftande eintritt, fo wie das charakteriftifihe Halswehe 
ihn nicht in dem Glauben an feine Theorie wankend gemacht 
hat. Man wird Übrigens von felbft erwarten, daß der Verf. 
auf die Periode der Abfchuppung feine meifte‘ Aufmerkfamteit 
gerichtet hat. Die nach den Beobachtungen einiger Schrifts 
fteller nicht felten flattfindende Erneuerung der Abfchuppung will 
der Verf. ale das Produkt eines zweyten gewiſſermaßen fünfts 
lich zu nennenden Scharlachfiebers, und zwar ald Folge eines 
allzu warmen Verhaltens während des primitiven Scharlachfies 
bers und hauptfächlich während der Reconvalescenz, betrachtet 
wiffen. Der Verf. verliert fih bier (©. 126 fg.) abermals 
in eine Diatribe über Kraft und Materie und über Phyſik 


und Metaphyſik. — 
phyſi (Der Beſchluß folgt.) 





No. 33. Heidelbergifhe 4813, 
Jahrbuͤcher der Litteratur, 


nn —— — — — ——— 
a 


s) Neue Aufſchluͤſſe über die Natur und Heilung bes Scharlachfiebers, 
von Gottfried Chriſtian Reich. 

2) Geſchichte des Scharlachfiebers, von Traug. W. ©. Benediet. 
Beſchluß der in No. 32. abgebrochenen Recenſion. ) 


N, bösartige Scharlachfieber ift, nad dem Verf., keiness 
wege Folge einer angeblichen Boͤsartigkeit des vermeintlichen 
Scharlachgiftes. Er behält jene Unterfcheidung bloß aus Nachs 
giebigfeit bey, indem er volllommen uͤberzeugt ift, daß es nur 
eine einzige Art von Scarlachfieber gibt. Alle heftigeren und 
gefahrvolleren Zufälle in dtefem nur einftweilen von ihm zus 
gegebenen bösartigen Scharlachfieber werden auf Rechnung des 
im. Körper zurüdgehaltenen Wärmeftoffes geichrieben ; wobey 
die uͤbermaͤßig geheizten Zimmer, deren Temperatur in Nord⸗ 
beutihland, wenn des Verf. Verfiherung gegründet wäre, beps 
nahe 3%, Sahre lang derjenigen einer NRuifiihen Bad s oder 
Schwigftube nahe kommen müßte, beionders übel wegkommen. 
— Der Berf, geht hierauf zu der Betrachtung der Nachkrank— 
beiten über, unter welcher Rubrik er aber auch jolhe Symptome 
mit anfzählt, welche an ſich eigenthämliche und conftante Ber 
gleiter des Scharlachfiebers ſelbſt find, und nur bedingterweife 
aud als Nachkrankheiten nad) ‚geendigter Abfchuppung fich wies 
der erneuern koͤnnen, naͤmlich die Bräune, und dag. Fieber, 
über ‚welche beyde Erfheinungen und ihr Verhältniß zum Schars 
lachausichlag jedod der Verf. allzukurz weggeht. Beſonders 
haͤtte die fo häufig bey Scharlachepidemieen beobachtete Bräune 
ohne Scharlahausfchlag, Übrigens aber mit allen Symptomen 
"der epidemifchen Fieberkrankheit, nähere Erwägung verdient. 
Die übrigen von ihm. unter diefer Categorie betrachteten Zus 
faͤlle find: Geſchwulſt und chronifhes Anfchwellen der Hals— 
und Ohrendruͤſen, Entzündung und Vereiterung derfelben; 
(Hier leſen wir die merkwürdige Aeußerung des Verf.: „feits 
dem er die Maximen befolgt habe, die fih aus den phyſiſch— 
53 


514 N. Aufſchluͤſſe m. Gefch. d. Scharlachf, v. Reich u, Benediet, 


chemifchen Werhältniffen des Menden zur Außenwelt ergeben, 
ſey es ihm Mar geworden, daß alle Entzündungen nur leichte 
Uebel find, die fih binnen wenigen Tagen, oft binnen wenis 
gen Stunden heben laffen, ohne des großen antiphlogiftifchen 
Apparars zu bedürfen, zu welchem man gewöhnlich greift.“ ) 
wäfferige Geſchwulſt und Wafferfucht (welche gerade durd) 
fortgefeftes warmes Verhalten entftehen foll, indem dadurch 
Aufleben und endlihes Verwachfen der alten und ueuen Ober— 
haut, fomit Anhäufung der Ausdünftungsmaterie in dem Zells 
gewebe unter der neuen Dberhaut bewirkt werde. Die gar 
nicht feltene Wahrnehmung der ftärkiten Waſſergeſchwuͤlſte nach 
der ſtaͤrkſten Abſchuppung iſt der Verf. geneigt, für eine Täus 
fchung zu halten. ); Hautausſchlaͤge, Mervenbefchwerden (die 
niemals als Folge von Erfältung und einer von dieſer herges 
leiteten Unterdruͤckung der Hautausduͤnſtung feyn follen, indem 
durch die Kälte die Hautausdünftung vielmehr übermäßig vers 
mehrt werde; wovon aber diefe Nervenbeſchwerden herruͤhren, 
ſagt uns der Verf. nicht.); trockener und feuchter Huſten; 
Ausfluß aus den Ohren und andere Geſchwuͤre. Man ann 
ſich denken, daß der Verf. an diefen wie an den übrigen Nach⸗ 
krankheiten ein Scharlachgift einen Theil Haben läßt. — Die 
Prognofe muß natuͤrlich unter den Anfihten des Nerf. eine 
andere Geftalt gewinnen, als fie bey den übrigen Schriftftel: 
fern bisher gehabt hat. Der Verf. vermweilt ingbefondere bey 
Cappel's prognoftiihen Beobachtungen und Lehrfägen über 
das Scharlachfieber und über die Umftände, nad denen fid 
die Gefahr defjelden richtet; wobey begreifliher Weife der 
Verf. jede andere Gefahr beym Scharlachfieber, als die von 
zu warmem Verhalten entfichen foll, umd fo auch jede urs 
fpänglich gefährlichere und maligne Art von Scarlachfieber 
verwirft. Hier erfahren wir zuerft vom Verf., weiche Anfiht 
er von dem pyretologiſchen Werhältniß des Scharlachs Habe. 
„Das Abfterben der Oberhaut, ſagt er, erſchwert die Functios 
nen der Haut, macht aljo, daß mehr MWärmeftoff und Ans 
dünftungsmaterie im Körper zurüdbleibe, als geichehen follte, 
und bringt fo ein Fieber zumege, das dem intenfiven Grad 
diefer Störungen angemeffen ift, und dem Scharlachuͤbel noth⸗ 
wendig und durchgehends (1) den Charakter der Synocha aufs 


N. Aufſchluͤſſe u. Geſch.d. Scharlachf. v. Reich u. Venediet, 515 


druͤckt.“ Der typhoͤſe Zuſtand ſey immer nur ein confecutiver, 
und zwar nur die Folge des allmälig gunehmenden Uebermaaßes 
von Wärme und Ausdünftungsftoff im Innern des Körpers, 
und der dadurch gefteigerten chemiichen Wirkſamkeit diefer alls 
gemeinen chemifchen Auflöfungsmittel (auch die Ausdünftungss 
materie gehört aljo unter diefe? diefelbe, die fih bey verhins 
dertem Durchgang durch) die Oberhaut unter denfelben verdichten, 
eine Verwachſung der alten und neuen Oberhaut bewirken foll?), 
nad) ihren allgemeinen phyſiſchen Geſetzen. Der Typhus ift 
ihm demnach nichts anders als eine in ihrer Intenſitaͤt gefteis 
gerte Synoha. — Der Verf. nimmt hier wieder Anlaß zu 
einer Digreffion in fein Lieblingsthema, von dem Unterſchied 
zwifchen Kraft und Materie, und von dem Unwerth der dys 
namifhen Vorftellungen, die er hier nicht mehr und nicht wes 
niger als für eine metaphyſiſche Spielerey gelten laffen will, 
indem ja „nicht die Kräfte und igenfchaften gegenfeitig auf 
einander einwirken, fondern die Materie es ift, die alle die 
Erfheinungen hervorbringe, wovon wir die Kräfte und Er— 
feheinungen der Körper ableiten.“ Der Verf. hätte fein Buch 
viel geniefbarer und näßlicher gemaht, wenn er es von allen 
dergleichen Auswuͤchſen feiner Phyſik frey gelaffen hätte. — 
Segen Hahnemann behauptet der Verf. nicht nur, daß 
der Frifel beym Scharlach keine beiondere Art des Scharlachs 
fiebers bezeichne, und daß fomit Hahn. purpura maligna 
als eigene Species nicht gegründet ſey, fondern daß im Cchars 
lachfieber von keiner Boͤsartigkeit deffelben die Rede feyn könne, 
und eben fo wenig von einem Friefelausichlag oder Scharlachs 
friefel. Denn was man dafür ausgebe, fey ein erzwungenes 
Product, eine Erkünftelung des leidigen warmen Verhaltens, 
und habe bey dem bloßen fühlen Verhalten nicht das allermins 
Defte zu bedeuten. Den Beweis für diefe neue Erfahrung 
Bleibe aber der Verf. fchuldia. — Ueber das epidemijche Vers 
haͤltniß des Scharlachfiebers [hlüpft der Verf. am leifeften weg, 
der vielmehr er läße fih nirgends darauf ein, wodurch dieſe 
Krankheit fo häufig, ja gemeiniglich, den Character einer Epis 
yernie annehme. Natuͤrlich ift er deswegen davon ftille, weil 
ben dieſes epidemifche Herrfhen des Scharlachs fih mit der 
Hier unternommenen Läugnung eines eigenthämlichen Scharlachs 


516. Aufſchluͤſe u. Geſch. d. Scharlachf. v. Reich. Benediet, 


miasma's nicht wohl vertraͤgt, und auf andere Weiſe ſich nicht 
erklaͤren läßt. Beſonders wuͤrde der Verf. in Verlegenheit ges 
kommen ſeyn, nach feiner Theorie zu erklaͤren, wie das Schars 
lach fogar auch in mäßig warmen, ja fühlen Sommer s und 
Herbſtzeiten epidemifch herrichen, und noch dazu in der Mehrs 
heit ‚recht gefährlich herrfchen fann. — — 

Die Behandlung des Scharlachfiebers,. welche der Verf. 
nun empfiehlt, kann man ſich aus dem Bisherigen recht wohl 
vorftellen. Man wird es fih fchon denken, daß er nun den 
Triumph feiner neuen Lehre in der Anpreifung eines fühlen 
Regimen und einer fonftig kühlenden Behandlung feßen wird. 
Aber er geht hierin wirklich noch weiter, als die meiften feiner 
Pefer erwarten mögen. Denn er verlangt, man folle den 
Kranken in eine fo falte Temperatur bringen, als man ihm 
nur verfchaffen fann. Er ſelbſt laͤßt feine Scharlachkranken, 
in weld einem Zuftand fie fih auch befinden mögen, auch im 
ftrengen Winter in die Temperatur der Aufern Atmosphäre 
berſetzen, und gibt nie mehr zu, daß ein Krankenzimmer ger 
heizt wird. Er läßt es ohne Bedenken gefchehen, daß der 
Scharlachkranke außer dem Bette bleibe, ja fogar ausgehe, 
und der freyen Luft fih ausfege, Witterung und Jahrszeit 
mögen beichaffen fenn, wie fie wollen. Nie habe er die mins 
deften fchlimmen Folgen davon entfiehen fehen, wofern nur die 
Angehörigen des Kranken durch eine zuweilen eintretende unbes 
deutende Gefchwulft fich nicht verleiten ließen, denfelben wieder 
ins Bette oder in eine fehr warme Stube zu verweilen. Das 
gegen feyen Verminderung des Fiebers und fchnelle Beendigung 
der Krankheit binnen 5 — 4 ober hoͤchſtens 5 Tagen von Ers 
fcheinung der NRöthe an die wohlthätigen Folgen dieſes kalten 
Verhaltens. Es feyen ihm zwar dennoch einige Fälle. vorges 
fommen, wo die Krankheit auch bey einer fehr gemäßigten 
Stubentemperatur von + 12— 15° Reaum. trotz der anfängs 
lich anfcheinenden Gutartigkeit fchnell eine fehr bösartige Mens 
dung genommen habe, An diefer eingetretenen VBösartigkeit 
fey aber fchon diefe mäßig warme Temperatur, die überdies 
nur einmal in 24 Stunden erneuert wurde, Schuld gewes 
fen (71); und das ganze kalte Verhalten würde fie verhuͤtet 
haben. — Der Verf. erzähle hierbey die Gefchichte einer 


N. Aufſchluͤſſe u. Gefch.d. Scharlachf. v. Reich u. Benedict. 517 


ſechsjaͤhrigen Scharlachkranken, die durch ein ſtark geheiztes 
Zimmer und ein Glas ſtarken Weine ſchnell bis zum Deliri— 
ven und zu Convulfionen erkrankte, und die er durh Trans— 
portiren in ein faltes Zimmer, bey geöffneten Fenftern und - 
einer Kälte von — 2 Reaum. binnen wenigen Stunden außer 
alle Gefahr gefest habe, unter dem Erfolg der vollftändigiten 
Abfhuppung. Bey diefer Gelegenheit kommt er auch auf die 
(acht) Krankheitsgefchichten zurück, mit deren Erzählung er 
diefe Schrift eröffnet hatte, und von welchen die fechs eriteren, 
wegen des von dem Verf. damals noch befolgten herfömmlichen 
warmen Verhalten einen tödtlihen Ausgang gehabt, die beys 
den letzten aber, da in diefen die Kranken ungeachtet der groͤß— 
ten Erfältung dennoch genafen, dem Verf. die Augen geöffnet, 
und ihm das neue Licht aufgefteckt hatten. Seitdem hatten 
ihn auch noch viele andere Fälle von der Nichtigkeit feiner 
neuen Anfiht, und von der Wohlthätigkeit feiner neuen Ber 
Handlungsweife uͤberzeugt. Die Anwendung aller Übrigen bisr 
her gegen diefe Krankheit empfohlenen Mittel erfläre er für 
ganz Überfläffig, und will nur, um die Kranken umd ihre Ans 
gehörigen zufrieden zu flellen, die Verordnung irgend einer 
tühlenden Mixtur geftatten. Die heilfamen Wirkungen der 
Eurrie'fhen falten Begießungen, welche er allerdings feiner 
Theorie jehr günftig findet, will er bloß nah dem Temperas 
turgeſetz erflärt wiffen, und verwirft die dynamiſche Erfläs 
rungsmweife (durh Hebung des Krampfes in den äußerften 
Enden der arteriöfen Gefäße, vermittelt des Stimulus der 
Kälte), mwelhe Currie davon gab. Er wundert fih daher 
auh, wie Eurrie und Stannini durch den Gebrauch dies 
fer kalten Begiefungen nicht felbft auf des Verf. Entdeckungen 
über die Matur und die zweckmaͤßigſte Behandlungsart des 
Scharlachs geleitet wurden, und noch an das Erregungsinften, 
an Reiz, Errenbarkeit u. f. m. denken fonnten. Dabey bes 
merkt er aber noch, daß man diefe Eurrie'ihe Methode nicht 
ndthig habe, woferne man nur gleich vom Anfang das kalte 
Verhalten befolge, und daß jene Curr. Methode fogar dur) 
zu fchnelle und veichliche Entziehung des Wärmeftoffes mehr 
nachtheilig werden koͤnne. Den Gebrauch der warmen Bäbder 
im Scharlah verwirft der Verf. gänzlich. Ueber die Behands 


518 N. Auffchlüffe u. Geſch. d. Scharlachf, v. Reich u. Benedict. 


lung der Nachkrankheiten findet er nichts zu erinnern nöthig, 
weil diefe nur Folgen des ſchlechten Verhaltens feyen. Der 
Verf. ſchließt diefe Abhandlung mit einer kurzen refapitulivens 
den Zufammenftellung deffen, was auf die von ber Vlieſſinger 
Geſellſchaft der Wiff. vorgelegten Preisfragen (zu deren Bes 
antwortung eigentlich der Verf. diefe Schrift ausgearbeitet 
hatte) Bezug hat, und mit einem alphabetiſchen Verzeichniß 
der Schriftfteller Über. das Scharlachfieber. 

Wir haben es für Pflicht gehalten, bey der Anzeige diefer 
Reich'ſchen Schrift fo ausführlich zu feyn, weil die Tendenz 
derfeiben feine geringere ift, als die bisher allgemein. anges 
nommene Lehre von einem befondern der Scharladykrankheit zu 
Grunde liegenden atmosphärifchen, bald mehr bald weniger 
contagiöfen Miasma ganz zu vernichten, und die bisher im 
Ganzen berrfchend gemwefene Therapie diefer Krankheit völlig 
zu. reformiren. Es bedarf unferer Erinnerung nicht, daß diefe 
beabfichtigte Reform fih nicht auf die längft von allen guten 
Aerzten verlaffene heiße und erhigende Behandlung der Schar: 
lachkranken, fondern nur auf die jeßt ziemlich allgemeine Bes 
folgung eines gemäßigt warmen Verhaltens und eines mehr 
oder weniger antiphlogiftifch s diaphoretifchen Kurplans (im 
einfahen Scharlah) beziehen kann. Diefem ift freyli des 
Verf. Ealte, ja bis unter dem Gefrierpunct erkältende Behands 
lung .diefer. Krankheit und feine Entfernung aller übrigen ins 
neren Kurmittel immer noch fehr entgegengefegt. Menn mir 
aber auch, zugeben wollen, daß diefe Methode des Hrn. R. 
in den Fällen eines. gelinden und gutartigen Scharlachs, und 
bey Übrigen? gefunder und Eraftvoller Konftitution der Indivi— 
duen, öfters ohne allen Machtheil angewendet, ja daß fie uns 
ter beftiimmten Umftänden von Nußen für die Abkürzung des 
Krankheitsverlaufes feyn kann, fo werden wir darum doch 
nicht glauben, daß diefe Methode auch in den Fällen des böss 
artigen und glei vom Anfang an mit dem Charakter eines 
Synochus, oder aber eines Typhus, oder wenigftens mit ra— 
ſcher Tendenz zu diefem, eintretenden Scharlachs nüglih und 
angezeigt feyn werde. Wir werden fie vielmehr in diefen Fäls 
len, und überall, wo das — zuverläffig eriftirende und von 
bem Verf. nichts weniger als widerleste — Scharlachmiasma 


N. Aufſchluͤſſe u. Geſch. d. Scharlachf. v. Reich u. Benediet. 519 


vorzugsweiſe das innere Gefaͤßſyſtem, und noch mehr, wo er 
gleich vom Anfang das Hirn und das innere Viscerals Nerven, 
ſyſtem zu feinem Sitze macht, und wo mit dem Hautkrampf eine 
gewiffe Erſtarrung der peripherifhen Gefäß s und Mervenenden 
wahrnehmbar ift, für unpaffend und nachtheilig haften. Wir 
werden wenigftens fo lange die allgemeine und unbedingte 
Empfehlung der von dem Verf. angepriefenen Methode für ein 
dreiftes und durchaus nicht zu billigendes Unternehmen erklär 
ven‘, als nicht von dem Verf. felbft und von andern Aerzten, 
die feinem Beyſpiel folgen wollten, hinlänglihe und durchaus 
unzwepdentige Erfahrungsbemweife für die Nuͤtzlichkeit und Vors 
güglichkeit jener Methode auch im bösartigen Scharlah, und 
zur Verhütung der bedeutendern Nachkrankheiten, werden vors 
gelegt werden. Wir dürfen aucd nicht ohne Grund vermuthen, 
daß der Verf. damals, als er diefe Abhandlung ſchrieb, noch 
feine Gelegenheit hatte, feine Methode im bösartigen und 
typhoͤſen Scharlachfieber anzuwenden, und daß, wenn er foldhe 
Veranlaffung fpäterhin fand, er durch fie ganz andere Nefuls 
tate gefunden haben mag. Die Eurriefhen Begießungen, 
welche allerdings gerade im bösartigen Scharlah mit trodener 
frampftgter Haut und ſtark afficirtem Hirn fo große Heilkraft 
äußern koͤnnen, mird der Verf. feitdem, wenn er fih ihrer 
bediente, auch aus einem andern Geſichtspunct anzufehen ges 
dernt, uud in ihren Wirkungen nicht mehr, wie in obiger 
Schrift, einzig den für das thierifche Leben fo armfeligen und 
'beengenden Ausdruck des Teemperaturgefebes, fondern neben 
diefem und über ihm den höheren und einer wahren Biologie 
wuͤrdigeren des erregten organifch s lebenskräftigen Antagonismug 
erblickt Haben. — Ueber den theoretischen Werth bdiefer Abs 
Handlung brauchen wir, nad) dem, was hier unfern Fefern vor 
Augen liegt, fein Wort weiter zu fagen. Bedauern mäffen 
wir nur, daß ein Mann von fo vielfeitigen Kenntniffen, mit 
denen fi eine (auch in diefer Abhandlung beurfundete) reiche 
Belefenheit verbindet, fich auf folhe Abwege verirren, und 
fein befferes Wiffen in ſolche Feffeln der Einfeitigkeit fchmieden 
konnte. Und Hoffen dürfen wir von der, auch in diefer Schrift 
unverkennbaren, Wahrheitsliebe des Verf., daß er, fobald ihn 
Zeit und fortgefeßtes Machdenten und Beobachten von dem 


520 R. Aufſchluͤſſe u. Geſch. d. Scharlachf, v. Reich u. Benedict. 


Irrthum, in den er ſich verſtricken lich, uͤberzeugt haben wer⸗ 
den, das verbeſſernde Geſtaͤndniß deſſelben dem Publikum eben 
ſo offen vorlegen werde. 

Mr. 2. Ueber dieſe Schrift koͤnnen wir uns um ſo kuͤrzer 
foffen, da fie, von ihrem Verf. nody am Ende feines aka— 
demifhen Studienkurfes entworfen, und (laut der Vorrede) 
fhon im Jahr 1808 während feines Aufenthalts zu Mien zum 
Druck ausgearbeitet, nur mehr als ein Verſuch des Verf. zu 
betrachten ift, dem Publitum zu zeigen, daß er fih bie Ans 
fihten und Lehren feiner Lehrer und Vorbilder, und namentlich 
feines Haupt; Gewährsmanns, des Hrn. Stieglitz, wohl 
zu eigen gemacht habe. Das Ganze iſt ‚daher eigentlich nur. 
ein lobender Commentar zu der von Stiegliß und früher 
fhon von Hamilton empfohlenen darmausleerenden Kurs 
methode, welche er mit eigenen Erfahrungen, die er bey einer 
Scarlachepidemie in Leipzig im J. ı807 unter der Leitung 
feiner damaligen Lehrer (namentlid des Hrn. Dr. Sachße) 
zu machen Gelegenheit hatte, zu unterflüßen fucht, und womit 
er eine vergleichende Weberficht der von Andern befolgten Kur: 
methoden verbindet. Diefer leßtere Theil feiner Schrift, und 
die mit lobenswerthem Fleiß und auter Litteraturfenntniß uns 
ternommene Zufammenftellung mehrerer von andern Aerzten 
befchriebener Scharlachepidemieen (im dritten Abfchnitt) moͤchte 
wohl noch das Befte und Nuͤtzlichſte in diefer Schrift feyn. 
Zur nähern Kenntniß der Natur diefer Krankheit, und zur 
wahren Beförderung und Verbeſſerung ihrer Therapie dürfte 
fie fehr wenig beytragen. 

Das Werkchen zerfällt in drey Abdfchnitte. Der erfte hans 
delt die Gefhichte des Verlaufs der Krankheit ab. Hier er— 
wartet man eine genaue und zufammenhängende Geſchichte der 
Epidemie, welche der Verf. im J. 1807 zu Leipzig beobachtete, 
zu finden: aber flatt einer folhen, die allerdings verdienftlich 
gewefen wäre, findet man eine ziemlich rhapſodiſche und nicht 
zum Beſten geordnete Befchreibung des Scharlachfiebers übers 
Haupt, ohne daß der Verf. uns über den Genius, den Gang 
und die Übrigen in Beräckfihtigung kommenden Verhältniffe 
jener Leipziger Epidemie unterrichtet hätte. Nur vermurhen 

täßt er ung, daß dieſe Epidemie im Ganzen einen gutartigen 


R. Aufſchluͤſſe u. Geſch. d. Scharlachf. v. Reich u. Benedict. 521 


gelinden Charakter hatte. Dahin deutet wenigſtens die Ders 


ſichetung des Verf. in der Vorrede, daß er von beynahe funfs 
zig Kranken, die er zu jener Zeit theild unter des Hrn. Dr. 


Sachße's Leitung, theils allein behandelte, einen einzigen 


verloren habe, wenn er gleich diefes große Gluͤck lediglich der 
Anwendung der Abführmittel nah Stıieglib’s Methode zus 
fchreibt, und dabey bemerkt, daß das Scharlach damals auch 
oft ſehr bösartig geweien jey, und daß von andern Kranken, 
durch andere Aerzte auf eine entgegengeießte (?) Weiſe behans 
delt, Manche geftorben wären. Die Art, wie der. Verf. die 
Symptome des Scharlachs befchreibt, ift fo, daß man oft, ja 
allermeift nicht weiß, ob er von der von ihm beobachteten Epis 
demie, oder von der Krankheit überhaupt fpricht. Im $. 11. 
fpricht der Verf. von einem von ihm beobachteten Kranten, 
der nach wilden Delirien verfchied. Wie ift das mit feiner 
obigen Verficherung in ‚der DVorrede zu reimen? — In der 
Würdigung des f. g. Scharlacheranthemg folgt der Verf. gang 
Stiegligen, und hält es mir diefem im Allgemeinen für 
unwichtig und umentfcheidend, worin wir ihm im Ganzen, und 
den Fall des fchnellen Zuräcktretens abgerechnet, benpflichten 
muͤſſen, indem uns oft Fäle des bösartigftien Scarlachs vors 
gefommen find, wo der Kranke bey der lebhaftefien (nicht 
einmal dunkeln oder violetten ) Scharlachroͤthe, und feldft 
noch bey der volllommenften Abſchuppung ftarb. Die 
brandige Bräune, melde der Derfaffer unter den Zufällen 
des Scharlachfiebers aufführt, ſcheint doch nur ein fehr zufäls 
liger Begleiter deffelben zu feyn, und häufiger ohne daffelbe 
und vielmehr als eine für fih beftehende Krankheit vorgutoms 
men. — Die Abichuppung, welhe Hr. Reich als das Wes 
fen der Scharlachkrankheit betrachtet, wird vom Verf. rich— 
tiger als Folge derfelben, oder als eine durch die Krankheit 
bewirfte Reproduction der Hautorgane angefehen. Vermoͤge 
der Krankheit, fagt er, werden die Säfte nach der Dbers 
haut geleitet, und es entfieht nun beynahe derfelbe Proceß, 
wie wir ihn bey Thieren,. die ihre Haͤute oder Schalen abs 
werfen , oder ihre Haare oder Federn wechleln, in verſchiede— 
nen Zeitperioden wahrnehmen. (Diefe Analogie des Abfchälens _ 
im Scharlach mit dem Maufern und Häuten der Thiere hat 
auc ein anderer gleichzeitiger Leipziger Schriftfteller über das 
Scharlahfieber, Ar. Dehne, aufgeftelle, fih aber in der 
Art ihrer Darftellung noch mehr der Reich'ſchen Anfiht ges 
nähers, ald Hr. Benedict.) Durch diefe Hautbildung wird, 
nad) dem Verf., nicht nur eine neue Epidermis fammt einem 
neuen Malpighifchen Schleim » Meß erzeugt, fondern auch das 
Fell fol einige Veraͤnderungen erleiden, welche indeſſen der 


522 N. Aufſchluͤſſe u. Gefch.d. Scharlachf. v. Neich u. Benediet. 


Verf. nicht näher nachgewieſen hat. — Im zweyten Abfchnite 
entwickelt der Verf. die Heilmethode, und hält bier, wie fchon 
Hgefagt, der Stiegligß’fhen Methode eine enthufiaftifche Lobs 
rede. Zuerft fämpft er gegen die Anwendung der diaphoretis 
fhen Mittel, verfehlte aber dabey den rechten Streitpunct, ins 
dem er eigentlih nur gegen die erhigend fchweißitreibenden 
Mittel ( die doch Heutzutage Fein verftändiger Arzt mehr gegen 
das einfache und gutarfige Scharlady anwenden wird), und 
gegen die drtlihen rothmachenden und blafenziehenden Haut⸗ 
reize zu Felde zieht. Die legtern will er als die primär Dias 
phoretiichen, ja als die allein ſchweißtreibenden Mittel betrachtet, 
und die innerlichen flüchtig reigenden, als bloß fetundär wies 
tende, ganz aus der Zahl der ſchweißbefoͤrdernden ausgefchloffen 
wiffen (!). — Das warme Verhalten tadelt er ebenfalls, 
doch mit Mäfigung, und man flieht, daß er eigentlih nur 
gegen das mit Recht verwerflihe heiße Verhalten firgitet. Er 
führt aud ein Benipiel an, wo zwey erwachſene Scharlach— 
Franke wegen Armuth in einer fchlechten Dachkammer der durchs 
giehenden Luft ausgejeßt lagen (in welcher Jahrs zeit, fagt er 
nicht, doc läßt fih aus dem Webrigen errachen, daß es im 
Spätfommer oder Fruͤhherbſt gewefen fen), umd doch gar 
leiht davonfamen. Die Brechmittel findet er Doch nicht fo 
raͤthlich, wie Stiegliß; er unterlieh fie vielmehr allermeifl. 
Dagegen ruͤhmt er gar fehr die von Stiegliß empfohlenen 
falzigten Abführungen, aus Bitterſalz mit Oxymel, oder mo 
dann Durchfälle eintraten, den Salmiak. Hier fchaltet der 
Verf. von S. 58 — 64 einen Ercurfus ein, über die Natur 
und Berfchiedenheit der Abführungsmittel, den er eben fo fügs 
lih Hätte mweglaffen fönnen, da er das Bekannte weder bes 
ſtimmt und unterfcheidend genug, noch auch durchgehends mit 
der Erfahrung übereinftimmend darftell. Unter feinen drey 
Klaffen von Abführungsmitteln ift befonders die letzte (die 
fihenifirende und ſtaͤrkende), am fchlechteften gerathen, indem 
man bierunter z. ®. auch den Schwefel finde. — Dem 
Liqu. Mindereri, ber bier neben dem Kampher zu ftchen 
kommt, ift der Verf. nicht günftig. — Die Behandlung des 
typhoͤſen Scharlachs ift viel zu kurz abgefertigt. — Der dritte 
Abſchnitt, vein geſchichtlichen Inhalts , ift der befte. 


Mineralogische Studien von Leonhard und Selb. Erster 
Theil. Mit Kupfern und Karten. Nürnberg, 1812. Bei 
J. L. Schrag. IX und 3066 ©. 8. (2 fl. 45 fr.) 


Heren Geh. Rath Leonhard hatten fih zu dem mine 
ralogifhen Taſchenbuche, das er bekanntlich feit fieben Jahren 


Mineralogifche Studien von Leonhard und Sch. 523 


herausgibt, fo viele Materialien von fremder Hand dargebo— 
ten, daß er genöthigt war, feine eigenen Aufiäge zurück zu 
legen, um denen feiner verdienten Mitarbeiter in- der erwähns 
ten Zeitichrift eine Stelle einzuräumen. Damit er indeh je 
nen eigenen Abhandlungen — reich an neuen und intereffanten 
Beobachtungen — nit gänzlidy den Reiz der Neuheit entzog, 
unternahm er eine Herausgabe derfelben, gemeinfchaftlich mit 
Herrn Ober s Bergratb Selb, der als treffliher Naturforfcher 
hinreichend bekannt ift. So entftand diefes fehr empfehlengwerthe 
Merk, für deffen Bearbeitung ein jeder Mineralog den vers 
dienſtvollen DVerfaffern Dank wiffen wird. 

Das erfte Bändchen enthält nachſtehende Auffäse. I. Der 
blättrige Malahit, eine neue Artder Gattung 
dieses Namens, aufgeftellt von Leonhard. Die 
fes Minerat — welhem Hr. 2. mit guten Gründen feine 
Stelle unter der Gattung des Malachits und zwar als Art 
anmweist, die er auf den faferigen Malachit folgen laͤßt — fins 
det fi) zu NRheindbreitenbah, und wurde bisher aus Irrthum 
für blättriges Dlivenerz gehalten. Die hier mitgetheilte, mit 
Genauigkeit verfaßte Aufere Beſchreibung des Verf. wird durch 
eine von Buchholz unternommene chemifche Prüfung beftäs 
tig. — 11. Weber Arragon und Iglit und über 
die Bereinigung beyder Mineraltörper zu einer 
Gattung. Bon. Leonhard. Mac einigen vorausgefhickten 
allgemeinen Bemerkungen, in welchen der Verf. fehr richtig 
das nachtheilige Verfahren derjenigen Mineralogen rügt, welche 
es fih zur befondern Angelegenheit mahen, das Syſtem uns 
nöthig mir Gattungen und Arten zu vermehren, theilt er lit⸗ 
terärifche Machmweifungen tiber den Arragon und Iglit, fo wie 
über die bisher uͤblich geweſene Momenklatur und fuftematifche 
Anordnung beyder Foffilien mit, und geht endlich zur Charaks 
teriftit der Gattung des Arragons über. Diefe zerfällt nad 
2. in drey Arten. 1. Semeiner Arragon (das unter 
dem Mamen Arragon,, Arragonit, excentrifher Kalkftein bes 
Tannte Mineral). .2. Stängliher Arragon (der foger 
nannte Iglit und das auf dem Harze einbrechende, früherhin 
für fohlenfauren Strontian angefehene Mineral). 5. Dich— 
ter Arragon. Eine bisher unbekannte Act von Limburg im 
Breisgau. Außer den oryktognoſtiſchen Beſchreibungen enthält 
der. vorliegende Aufſatz noch mande fchäßbare Bemerkungen, 
zumal über das Vorkommen der verfchiedenen Arten des Arras 
gons in mehreren Gegenden, Über die Verhältniffe, unter wels 
chen er einbricht, und über die ihn begleitenden Foffilien. — 
II. Die baftartige Braunfohle, befhrieben von 
Leonhard. Diefe neue intereffante Art der Braunkohlen⸗ 


* 


524 Mineralogiſche Studien von Leonhard und Gelb, 


Sattung, welche Hr. 2. wegen ihrer täufchenden Achnlichkeit 
mit Daft fo benannt hat, findet fih zu Offenheim in der 
Wetterau, und foll, wenigftens zum Theil, von der Erle 
(alnus glutinosa ) und zwar von der Rinde herrühren. Rec., 
der die daſtartige Braunkohle aus Autopſie kennt, muß geſte— 
hen, daß fie ſich ſehr als neue Arc charakteriſirt. IV. Mis 
neralogifhe Motigen von Leonhard. Nicht minder 
reichhaltig. Sphene als Einfhluß ım Bergkrpftall aus dem 
Ehalomcher Gebirge der Dauphinee und einige Bemerkungen 
über diefes Mineral, wichtig für die Charakteriſtik deffelben. 
— Analzim aus Foffe. Vorkommen in einem bafaltifhen Mans 
delſteine, mit Zeolith ꝛc. — Melanit und Leuzit in Deutfchs 
land entdeckt (am Kaiferftuhl im Breisgau in einer etwas 
aufgelösten grünfteinartigen Gebirgsart). — Meue Kıyftals 
form des Sediegen s Wismurhs ( fechsjeitige Säule mit drey 
Flächen zugeipigt). — Anatafe vom St. Gotthard. — Koh— 
lenfaurer Strontian von Bräunsdorf bey Freyberg (— diefes 
Foſſil wurde von manchen Naturforfchern für Arragon gehals 
ten). — Unbekanntes Mineral in der Gegend von Schems 
niß gefunden. — V. Mineralogifhe Motigen von 
Selb. Sntereffant. Frequenz des Augits am Kaiferftuhl 
im Breisgau. — MUebergänge des Baſalts in Klingfteinpors 
phyr. — Kryſtallformen des Gediegen-Wismuths auf der 
Grube Sophia (Tetraeder, vierſeitige Tafel, Oktaeder, drey— 
ſeitige Doppelpyramide). — Ueber den Silbergehalt des 
Wismuth Silbererzes und deſſen Kryſtallgeſtalt. — Tafel— 
foͤrmige Kryſtalle von Bleyglanz. — VI. Ueber das in 
Ungarn entdeckte phosphorſaure Kupfer. Bon 
Leonhard. Der Fundort diefes in vierfeitigen Doppelppras 
miden phosphorfauren Kupfers ift Liberhen bey Neuſolf. Als 
Anhang einige chemifche Motizen von Buchholz, welche die 
Angaben des Verf. durch die Analyfe rechtfertigen. — VII. 
Defhreibung einer Suite von Gebirgsarten aus 
der Auvergne, von Leonhard. ‚Als Einleitung einige 
Iehrreiche Bemerkungen von Dolomieu und Buch über die 
Vulkane der Auvergne, aus dem Journal des mines und aus 
Buch's Reife entlehnt. Nun folgen die mit vieler Grändlichs 
keit entworfenen Befchreibungen ver Gebirgsarten,, deren Zahl 
fid) auf 7ı belauft. Die Sammlung bietet eine ziemlich volls 
ftändige Suite der Gebirgsarten diefes merkwürdigen Landes 
dar. Im Allgemeinen find Befchreibungen von: Gebirgsarten, 
ohne daß man Gelegenheit hat, die Erempfare felbft mit dem 
Terte vergleihen zu können, von keinem befondern Merthe; 
die vorliegenden machen indeß hier eine Ausnahme, indem fie 
als intereffante Belege beym Nachleſen der Schriften, welche 


Mineralogifche Studien von Leonhard und Selb, 525 


über die Auvergne erfchienen find, dienen können. Der Verf., 
welcher bekanntlich Anhänger des Neptuniemus ift, fcheint die 
Vulkanitaͤt der Auvergne. in Zweifel zu sieben. — VIII Cha 
rafteriftit der Gattung des Zeoliths und der 
verfhiedenen Dazu gehörigen Arten von Leons 
hard. Der Verf., welder unter der Gattung des Zeolithe 
Hauy’e Mefotyp und Stilbit begreift, theilt diefe Gattung 
in nacftehende Arten und Unterarten. a. Dichter Zeolith. 
b. Erdiger Zeolith. c. Faferiger Zeolith. d. Strahliger Zeor 
lieh. 1. Gemeiner flrahliger Zeolith. Prismatifch s ftrahliger 
Zeolith. e, Blärtriger Zeolith. 1. Gemeiner bfättr. Zeolith. 
2. Schälig:s biättr. Zeolith. 3. Körnig s blättr. Zeolith. Der 
Aufſatz leider feinen weitern Auszug, mas wird ihn aber nicht 
unbefriedigte durchleſen. — IX. Reife nah Dberftein 
durh-das Thalder Nahe, befhrieben von Leon— 
Hard. Betrifft eine an mineralogiichen Seltenheiten merfwürs 
dige Gegend, und die Abhandlung wird dadurch um fo anzies 
hender. Befonders bemerflih machen wir die Notizen über 
die Chabaſie und über den Kreuzftein, fo wie die angehängte 
Beſchreibung der Gebirgsarten und der orpktognoftifch s einfas 
hen Foffilien aus diefer Gegen. Die von Weftermapyr zu 
diefem Auflage gearbeiteten Kupfer find recht gut ausgefährt. 
Es find zwey Blätter; eine Anfiht von DOberftein und eine 
vom gefallenen Felfen. Aucd gehöre noch eine kleine petrogras 
phiihe Karte über das Thal der Nahe von Kreugnady nad) 
Dberftein hierher. — X. Reife nah Graubuͤndten 
und nad den dortigen Bergwerken von Reihenau 
in den Jahren ıdıo und ıdıı, von Selb. Mit einer 
Karte von Sraubündten. Ein gehattvoller Aufias, der viele aute 
geognoftifhe, mit Klarheit dargeftellte Beobachtungen liefert. 
Da der Raum feine ausführliche Anzeige erlaubt, fo begnügen 
wir uns, die Nubrifen der einzelnen Abfchnitte anzuführen. 
Donauefchingen. — Weg nad dem Bodenfee. — Ueberlingen. 
— Heiligenberg. — Lindau. — Bregenz. — Embs. — Weg 
nah Chur und Reichenau. — Reichenau mit feinen Bergwer— 
fen. — Neichenady bey Chur und Salis. — Dberland oder 
Ruviefer Revier. — Grube in DOberfaren. — Rheingrube. — 
Gruben St. Johann. — Andeffer: Grube. — Andefters Res 
vier ꝛc. — Pfefferss Bad. — XI. Ueber das neue Groͤn— 
ländifhe Mineral, Sodelit genannt. Bon Leon— 
hard. Der Befchreibung diefes neuen Mineralproducts liegt 
Thompſon's Abhandlung und eine Suite von Eremplaren 
des Zoffils, welche der Verf. befißt, zu Grunde. — XU. 
Nachtrag zur Abhandlung Mr. VI: Aus einem Briefe 
von Haüy an den Verf. — XII Bemerkungen über 





a? | ineralogifche Studien von Leonhard und Selb. 


den Allenit, ein neues Mineral aus Grönland. 
Kon Edonhard. Nach eignen Beobachtungen. 

Wir fehen der Fortiegung diefer, auch im Aeußern gefaͤlli⸗ 
gen Schrift, mit Verlangen entgegen. 


Die Palmen, aus dem Grundtexte metriſch überfegt, mit kurzen Ans 
merfungen, von Joh. Rud. Schärer, Prof. ded Bibelftus 
diums an der Akademie zu Bern. Bern, in der Walthard, 
Buch. 1812. XI und 259. 8. 


Die Weberfeßung wird in abgefesten Zeilen, nah einem 
freyen Rythmus gegeben, welcher meift dem jambifchen ſich näs 
hert, doch, wo der Tert entweder den Jambus nicht ausfüllen 
tann oder auch zuviel enthält, lieber kürzere Zeilen annimmt, 
als etwas zuießt, oder bisweilen längere fih erlaubt, wo nicht 
fchicklich abzubrechen iſt. Unftreitig eine gute Methode, um die erfte 
Pflicht des Ueberſetzers, treue Uebertragung des Textes, zu ers 
füllen und doch eine leichte poetifche Form zu erhalten. wobey 
die Monotonie des Jambus vermieden werden kann. Wenn nur 
der Rythmus nicht durch gefchraubte Wortverfegungen erzwuns 
gen und der hebr. Parallelismug der Versglieder nicht vernach— 
läßigt wird, auch, was die Hauptfache ift, man nicht nur den 
Wortfinn, fondern auch den Ton des Tertes — er ſey einfach 
moralifh und hiſtoriſch, oder fenerlih und erhaben s religiög, 
er fey kurz und gedrängt, oder fließend und fanft — genau zu 
halten und wiederzugeben firebt. Sm Ganzen hat Rec. die 
Weberfeßung , fomweit er fie genauer prüfte, brauchbar gefunden. 
Einige Bemerkungen dienen vielleicht zu WVerbefferungen, für. 
welche der Verf., nad) der Vorrede, ſehr empfaͤnglich iſt. Pſ. 
2, 2. wird uͤberſetzt: 

Verſchwoͤren ſich die Fuͤrſten, 

Dem Herrn und den Er weiht, entgegen. 
Die zweyte Zeile fcheint einzig um des Jambus willen undents 
li geworden zu feyn. Es wäre unentbehrlich zu feßen: und 
dem, den Er weihte. — Eben fo nöthig wäre es gerade hier, 
mon nicht zu umfchreiben, fondern durd) ein gleichbedeutens 


des Subftantivum auszudrücken. Auch das Apoftcophiren des 
weiht' ift hart. Weberhaupt aber paßt der Begriff weihen, 
einweihen, nicht. Diefes Wort feßt eine Heiligkeit der Hands 
lung, eine Verbindung mit dem Cultus voraus. Das Salben 
der Könige aber geichah nicht einmal, wie unſer Krönen öfters, 
im Tempel. Es wurde als Volksſache an ungemweihten oͤffent⸗ 
lichen Plaͤtzen (1. Koͤn. aꝛ, 32 — 54.) vollbracht. Auch im 


Die Pſalmen von J. R. Schärer. 527 


Deutſchen wird man nie bey einer Thronbeſteigung ſagen: Der 
neue König wird geweiht, ift eingeweiht worden. — Die Aufs 
fohriften, welche der Verf. jedem Pfalm vorfeßt, halten fich 
fehr an das Allgemeine, und dies mag, wo die Gründe indis 
vidueller Beziehungen nicht zu entwiceln find, das räthlichfte: 
feyn. Aber doch muß auch diefes Allgemeine der Zeit angemefs: 
fen feyn. Pf. XVI. fol von einem Ssraeliten reden, welcher 
Verfuhungen hatte, die wahre Religion zu verläugnen, denen 
er aber flandhaft widerſteht. Sind Vorausfesungen heidnis 
fher Proſelytenmacherey, welche vor den Zeiten der Griechiſchen 
Bachbarn nicht hiſtoriſch erweislich ift, nicht allzu modern? Es 
ſoll der Sinn ohne Zweifel aus V. 4. hervorgehen. | 
| „Sie aber, die von Gott zurüdgeeilt, 
Wird treffen Schmerz auf Schmer;. 
Nie werde ich von ihrem blutgen Opfer koſten, 
Noch folten ihre Namen meinen Mund befleden.“ 

Der Jambus hat hier zu allzu vielen Abweichungen vom Terte 
Anlaß gegeben. „Von Bott zuruͤckgeeilt?“ Der Text ſagt: 
die einem andern nadeilten Statt zurück müßte 
menigftens weggeeile fiehen. Vom Koften der Opfer ift gar 
nicht die Rede. Der Tert fagt: 

Sie mögen machen ihrer Gögen viel, 

Sie, melde einem andern Gott nacheiften. 

Nie will ih Blur zu ihren Opfertränfen gießen laſſen. 

Nie follen ihre Namen fommen über meine Lippen. 


D70 if etwas von Blut, du sang. Man goß etwas Blut 


in den Wein der Opfertränfe, wenn man fich verbündete. San- 
uinem vino permixtum circumtulisse Catilinam, ( fagt 

aluft, bell. Catilinar. c, 22.) inde, cum post exsecratio- 
nem omnes degustavissent, sicuti in solemnibus sacris 
fieri consuevit etc. Auch Alex. ab Alex. (Dier. Genial. L.) 
gibt an: Carmani, percussa faciei vena, profluentem cruo- 
rem vino miscere ac sibi invicem propinare in jungendis 
foederibus consueverunt, summum amicitiae foedus exi- 
stimantes, mutuum gustasse sanguinem (vgl. Stephani 
über das heil. Abendmahl. ıdıı. ©. 20). Der Berf. des 
Pſalms ſpricht alfo davon, daß er mit Gößendienern nidt in 
Buͤndniſſe treten wolle. 02 und 0) geht immer auf etwas 


Fluͤſſiges, hier auf Libationen und Getränke bey DOpfermahls 
zeiten. Wörtlich fagt der Terre; Mie will ich begießen laffen ihre 
Dpfertränte mit etwas Blut. Schwur man bey Buͤndniſſen, 
fo ſprach man der Sortheiten Namen feyerlih aus. Der Sinn 
ift demnach: Mit Heyden will ich nie Buͤndniſſe fchließen uns 


523 Die Palmen von J. R. Schäter. 


ter heydniſchen Ceremonieen von DOpfertränfen, die mah mit 
Blutstropfen miſcht, und mit Schwüren, mo man fi bey 
Goͤtzen, per Deorum nomina, betheuert. — Pf. 22, 4. klingt 
es fehr unpoetifch, und wie eine Zeile aus Gryphius, voll anı 
dächtig fcholaftiiher Terminologie, wenn Überfegt wird: Du 
bift der Pialmen Israels beliebter Gegenftand De 
Text ſagt mit Würde: 

Zu Und dennoch bift du heifig, 

Thronft unter Lobgefängen Israels. 


Bon eben diefem Pfalm jagt die Weberfchrife ohne meiteren 
Fingerzeig: er werde von den meiften älteren und einigen neuw 
ren Auslegern von Chriſto erflärt.. wegen der mwörtlichen Er 
füllung mehrerer Stellen an Ehrifto. Dennoc erklärt der Verf. 
felbft den V. 19. in der Mote davon, daß die Feinde fo fihe 
auf den Tod des Dulders rechnen, daß fie fchon ir Gedanken 
feine Habfeligkeiten unter fi theilen. V. 17. mird überfeßt: 
fie feffeln Hand’ und Füße mir. Diefe Bedeutung von IN) 


wüßte Rec. nicht zu erweifen. Der Verf. thut es vermuthlid 
in einem Commentar, den die Vorrede erwarten Läßt. Weber 
haupt bemerkt Rec. gerne, daß der Verf. in der Worrede einen 
richtigeren Blick Über die Pfalmen im Allgemeinen angiit. 
„Den Pialmen liegt nur die unvolllommnere Moſaiſche Religion 
zum Grunde, die ſich zur chriftlihen, wie die Dämmerung 
zum hellen Mittagslichte verhält. (2. Petr. ı, 19.) Dort it 
man gewiſſe entferntere Gegenftände entweder gar nicht, ot 
dunfel; einige fogar in einem falfchen Lichte oder im eint 
fremden Geſtalt.“ Der Commentar wird alfo wahrjdeinlid, 
weil der Verf. dort zugleich die Gründe hievon ausführen kant, 
geradezu erflären, daß ein Gedicht, worin einzelne Stellen 
ganz wörtlich von dem, was bey Jeſus gefchehen iſt, abi 
hen (wie ®. 2ı. Mein Leben reiten von dem Schwerdte), nid! 
von der Geichichte Jeſu handeln könne, dafi aber wohl aus ei⸗ 
nem folhen Gedicht einzelne Parallelftellen zur MWergleihung 
mit dem, was bey Jeſus gefchehen it, im M. T. als paralkl 
angeführt werden konnten, um, als Apologie der Sache Jeſt 
für Juden, zu erinnern, daß aͤhnliche Mifhandlungen aus 
fhon andere Fromme getroffen haben, und folglich ebenfal? 
bey dem Meifias nicht anitötiig und feiner Anerkennung nat 
theilig fenn dürften. Vornehmlich ift Rec. auf den Comment 
deswegen begierig, weil er darin diejenigen Erklärungen auf 
gezeichnet zu finden hofft, welche dem Verf. eigenthuͤmlich find, 
und welche jetzt nicht leicht herausgefunden und nad Gründe 
beurtheilt werden können. 
H. E. & Paulus. 





No. 34. Heidelbersifhe 1813. 
Jahrbuͤcher der Litteratun 


—— 











Frankfurtiſches Archiv für äftere deutſche Litteratur und Geſchichte. 
Herausgegeben von J. C. v. Fichard, genannt Baur v. Ep⸗ 
fened. (Erſter Theil) Mir Kupfern. Frankfurt am Main, in 
Kommiffion bey Gebhard und Körber ıgıı. 470 S. Zwepter 
Theil. Mit einem Kupfer. 1812. 411 ©. 8. 


| IR übergehen in der Anzeige diefer verdienftlihen Samms 
Aung die ausführlichen Pritifchen, oder vielmehr polemifchen Abs 
fchnitte beyder Theile, welche gegen Herrn Kirchner’s Geſchichte 
von Frankfurt am Main gerichter find, indem wir es uns zum 
SGurundſatz gemacht haben, uns nicht in den Streit zu mifchen, 
woelchen die Erfcheinung jenes Werkes unter den Frankfurtifchen 
Seeſchichtforſchern erregte hat. Wir find aber überzeugt, daß 
: Dr. Kirchner die meiften der Bemerkungen des Hrn. v. 5. 
x mit Dank angenommen hat; wir bemerken nur no, daß in 
" dem zwenten Theile der beffere und eines Geſchichtforſchers wuͤr⸗ 
Dige Ton der Kritik volltommen getroffen und gehalten mwors 
‚den if. | 
Die Geſchichte von Frankfurt am Main als einer der Als 
geften und bedeutendfien Städte in Deutfchland, iſt nicht von’ 
einem bloß lofalen Sintereffe, fondern in fofern die Einrichtuns 
gen , Berfaffungen, Geſetze einer folhen Stadt, wo aus allen 
Segenden von Deutfchland Nitter und Bürger fo oft bald zum 
Softage oder Reichstage, bald zu den Meffen, bald zu andern 
Fey erlichkeiten ſich verſammelten, und mit welcher der groͤßte Theil 
»ors Deutſchland ſchon ſeit undenklichen Zeiten in der genaues 
ters SDandelsverbindung fland, fid) anderen Städten zur Nach— 
ih meang empfahlen, von allgemeinem Intereſſe für ganz Deutfchs 
and- Dies Archiv beichränft ſich ohnehin nicht auf die fpecielle 
55 e ſch ichte Frankfurts, ſondern enthaͤlt auch, wie die folgende 
Iimzeige beweiſen wird, verſchiedene Mittheilungen von ſehr 
U g e meinem Intereſſe. Je weniger der Geiſt der gegenwaͤrti⸗ 
34 


530 Seanffurtifched Archiv von J. C. v. Fichard, 


gen Zeit zu folhen Sammlungen, wie die vorliegende, ſich 
hinneigt, um deſto mehr verdient der verdienftliche Eifer des 
Herrn v. Fichard gerechte und dankbare Anerkennung. 

Den erften Theil eröffnet eine Chronik, die Jahre ıdı2 
bis 1544 umfaffend, von einem der Vorfahren des Herausger 
bers , dem berühmten Rechtsgelehrten Johannes Fihard, 
weicher, wie er feldft hier berichtet, auf dem Reichstage zu Speyer 
im 3. 1641 vom Kaifer Carl V. zum faif. Pfalzgrafen ers 
nanne und für fih und feine Nachkommen in den Adelftand 
erhoben wurde, in einem meiftens fhönen Lateinifhen Styl 
gefchrieben. Sie enthält unter andern merkwürdige Nachrich⸗ 
ten uͤber die Fortſchritte der Reformation in Frankfurt und die 
Fehden der Fuͤrſten und des Adels, von welchen die benachbars 
ten Gegenden fo oft beunruhigt wurden, auch hie und da fin⸗ 
det ſich Erwaͤhnung der Welthaͤndel und Angelegenheiten des 
Deutſchen Reichs in der damaligen Zeit, z. B. der Tuͤrken⸗ 
kriege. Der Verf. nahm ſelbſt an den Unterhandlungen Ans 
theit, welche im 3. 1555 zur Beylegung dee Streites zwifchen 
dem Churfürften Albrecht von Maynz und dem Magiftrat von 
Frankfurt über die kirchlichen Veränderungen in Frankfurt, ges 
pflogen wurden; er wohnte als Deputirter feiner Vaterſtadt 
dem Tage zu Heidelberg bey, welchen der Churfürft Ludwig 
von der Pfalz ats Laiferlicher Subdelegirter in diefer Angeles 
genheit hielt, und befand fich unter den Abgeordneten, welche 
nach Kalle zu dem Churfürften von Maynz fich begaben, und 
vergebliche Wergleihsvorfchläge brachten. Befonders merkwuͤr⸗ 
dig iſt die Nachricht, daß der Angriff des Eleviihen Marſchalls 
Martin Roſſem (er heißt hier a Rolsheym ) auf Antwerpen 
und Löwen im 3. 1542 durch das falfche Gerücht vom Tode 
des Kaiſers Carl V. veranlaßt, von dem Marfchall zuerfi in 
eignem Mamen unternommen, und erft, als ihn das Glück bes 
günftigte, von dem Herzoge Wilhelm von Lleve gebilligt wor— 
den fey. Bey Pontius Heuterus (Rerum Belgicar. Lib. XI.) 
wird die Sage von dem Tode des Kaifers Carl als eine Ers 
findung erwähnt, welche Roſſem verbreitete, um die Mieders 
länder zu ſchrecken. Der Gefandte, durch welchen er die Stadt 
Antwerpen zur Webergabe an-die Könige von Frankreich und 
Dännemarkt auffordern ließ, erzählte nach dem Berichte des 


Sranffurtifches Archiv vom 3. C. v. Fichard. 531 


Heuterus, daß der Kaifer fhon von den Fifchen: verfchlungen 
ſey, erhielt aber zur Antwort, daß der Kaifer gleichwie der 
Prophet Jonas am dritten Tage ins Leben wiederfehren und 
fchneller zuruͤckkommen werde, als es die Könige wuͤnſchten. 
Der Name des Königs von Navarra, deffen Tochter der Hers 
zog Wilhelm zur Gemahlin erhalten follte, wird, ©. 70 viels 
leicht duch einen Schreibfehler Sakob genannt; es war bes 
tanntlih Johann d' Albret. II Gedichte Johann's von 
Soeſt, eines Hoffängers und Arzts. Won ıdoı und 
1504. S. 75— 139, nad einem Autograph des Sängers in 
dem Befiße des Herausgebers. Die beyden hier mitgerheilten 
Gedichte, ein-Lobfpruch auf die Stadt Frankfurt und die Les 
bensgefchichte des Sängers, find in der Art: gewöhnficher 
Meifterjänger , alfo Reimereyen ohne eigentliche Poefle, dafür 
aber find. fie angefüllt mit Zügen aus dem Leben und Treiben 
jener Zeit, befonders das letztere Gedicht. Es herrfchen darin 
eine muntere Laune und ein unfhuldiger Frohfinn. Johann von 
Soeft (geb. zu Unna 1445) war der. Sohn eines Steins 
metzen, feine Mutter zog mit ihm nad) feines Waters Tode 
nach Soeft, wo er „an Sant Patrocles Kyrhen“ Chorfhäter 
wurde. Seine ſchoͤne Stimme erregte die Aufmerkſamkeit eines 
fremden „Gocklers,“ der nah Soeſt kam; er läßt fih von 
diefem bereden, heimlich feine Mutter zu verlaffen und ihm 
zu folgen, wird aber fhon eine Meile von Soeſt bey dem 
Nonnenkloſter Himmelpforten von Soldnern aus Soeſt einges 
holt und zuruͤckgebracht. Mach einiger Zeit lerne ihn der Her— 
309 Johann I. von Kleve kennen, welchem er nah vielem 
Widerfpruh feiner Mutter als Hofjänger nah Cleve folgt. 
Durch die Gunft des Herzogs, der „anhub ihn Sufthen zu 
nennen ,“ und das üppige Leben an deffen Hofe wird er 
bald zu Uebermuth und mancherley Sünden verführt, von 
welchen er mit reumuͤthiger Geſinnung redet. Micht lange hers 
nach verleitet ihn fein unruhiger Sinn zu neuen Abentheuern. 
Von zwey Sängern aus England, („dy konten uffermoß wol 
ſynghen, faft meifterlih in allen Dingen“) welche an den Hof 
des Herzogs kommen, läßt er fich heimlich beſtricken, ihnen 
nachzugiehn; er wird beftelle zu Brügge in. den Niederlanden 
mie ihnen zufammenzutreffen. Es wird ihm fehr ſchwer von dem 


532 Franffurtifches Archiv von J. C. v. Fichard, 


Herzog feinen Abfchied zu erlangen; der Herzog, als Bitten 
den beliebten Sänger nicht zuruͤckzuhalten vermögen, läßt ihn 
fogar in einen Thurm fperren, und entläße ihm erft, als nichts 
feinen Sinn ändert, ja er fendet ihm noch einmal einen Bor 
een nah, um ihn zur Ruͤckkehr zu bereden, aber gleichfalls 
vergeblich. Johann von Soeft lernt von den Engländern ihre 
Kunft , fömmt dann noch einmal nach Cleve, finder den Her—⸗ 
zog nicht, nimmt feine zuräckgelaffenen Kleider, dient dann 
verfchiedenen Kirchen und weltlichen Herren als Sänger, und 
begibt fih endlich in feinem vier und zwanzigſten Lebensjahre 
an den Hof des Pfalggrafen Friedrich (des Siegreihen) zu 
Heidelberg, wo er fih ein Weib nimmt. Leider fehlen in der 
KHandfchrift mehrere Blätter, in welchen die Gefchichte feiner 
erften Ehe, fein Leben zu Heidelberg am Hofe des Pfalggras 
fen, fein Webergang zum Studium der Medicin, und feine 
Promotion zum Doctor der. Arzneykunſt erzähle werden. Die 
Erzählung fängt wieder an nad) dem Tode feiner erfien Fran; 
ein Traum (im J. 1494) made feinen Entfhluß, in den 
geiftlihen Stand zu treten, wanfen, und am andern Tage 
fieht er auf der Meckarbrücke die Jungfrau Margarethe Hecht, 
welhe mit ihrem Bruder Melcher Hecht und deffen Hausfrau 
Kattıyn, der Hechtin und ihren Kindern in den Hechtiſchen 
Sarten, Tarsbach genannt, geht. „Sy troghen by in ger 
meyn Eyn große Flafch, dy was voll Wein;*“ unfer Johann 
ſchließt ſich dieſer Gefellfhaft an, und merkt bald, daß Jungs 
frau Margarethe, „lang, ſwang, faft zuͤchtig von Geficht ,“ 
die im Traume ihm verheißene Ehefrau ſey. Auf eine fehr 
naive Weile erfpähet der Sänger auf dem Ruͤckwege in die 
Stadt die Gefinnung der Jungfrau gegen fih, und als ihre 
Aeußerung ihm Hoffnung gegeben, geneigtes Gehör zu finden, 
bittet er den Melcher Hecht, bey feiner Schwefter den vorläus 
figen Heyrathsantrag zu machen, und diefer bringt dem Doctor 
noch am Abende diefes Tages die erwänfchte Antwort. Unſer 
Doctor hat indeß in feinem Haufe im falten Thal „bereitet 
fon und fhon, Won Hechten eyn Eollacion Mit Fyghen, Rus 
hen, kleyn Raſyn, Auch ewen darzu fyenen Win, dann dy 
Tziit in der Faften was.“ Am andern Tage bringt Johann, 
nachdem er vorher die Meſſe gehört, felbft feine Werbung an, 


Franffurtifches Archiv von 3. €. v. Fichard. 533 


und überreicht feiner Braut „ein gulden Ringelein;* am Nach⸗ 
mittag läßt fih die Jungfrau in dem Haufe ihres Bräutigams 
ein Bad und eine feine Bewirthbung mit ihren Verwandten 
gefallen, um Pfingften ift die Hochzeit, zu welcher der Pfalzs 
graf (Philipp der Aufrichtige, nicht Ludwig der - Friedfertige, 
wie ©. ı3ı in der Anmerkung gefagt wird) Wildprett und 
Fiſch ſchenkte, auch das „KHarnefhhuß“ laͤßt der Pfalzgraf 
den Gaͤſten einräumen und Tiſche darein ſtellen; an „Gut 
Malvyfye ( Malvafier ) und Bayers Byr“ gebricht es nicht. 
Die Freude wird nur dadurch geftört, daß der Water der Braut, 
Hans Hecht, welcher feinem eignen Kind gehaß geworben, 
indem er feiner Tochter das von ihrem Altvater auf feinem 
Sterbebette ihr geſchenkte Erbtheil vorenthält, auf der Hochzeit 
nicht anmwefend feyn wil. Doctor Johann gibt nur Einen 
Tag der Hochzeit volle Statt, deswegen, weil nody fein volles 
Jahr feit dem Tode feiner erftien Hausfrau verflofien war. 
Dafür wurden am folgenden Tage die Bettler und Bettlerins 
nen mit Fleifh und Fiſch und Wein ſtattlich bewirthet „und 
moften dangen an eym Stab dy alten Wyber Betteler, beyd 
Sram und Man fprang Hin und her.“ Auch die Geſchichte 
des Proceffes mit Hans Hehe wird ausführlich erzählt. Eine 
Beleidigung des Marſchalls Hans von Drott, an der Hoftafel, 
bewegt hierauf unfern Doctor, weil ihm der Churfürft keine 
Genugthuung  verfchafft, Heidelberg zu verlaffen und nad 
Worms zu ziehen, wo er bleibt, bis der Bifhof Johann von 
Worms in feinen Streitigkeiten mit der Stadt den Seiftlichen 
auszuziehen gebietet: „Don wollt ich auch nyt lengher biyben, 
dan wenig gab Recepten fchryben.“ Er zog nad Oppenheim, 
nicht lange nachher aber nad Frankfurt, wo er in feinem 
Haufe „zum alten Korp“ auf dem Kornmarkt, dieſe Reime 
niederfchrieb. Johann von Soeft farb zu Frankfurt am 2. 
May 1506. III. Zwey Lieder über die Belagerung 
Frankfurts im J. 1552 (aus einer gleichzeitigen Hands 
fhrift), S. 140 — 155. Der Verf. war unter den fremden 
Truppen, welche für den Kaifer Earl V. die Stadt gegen den 
Ehurfürften Moritz von Sachſen und fein Heer vertheidigten ; 
wahrfheinlicd hatte er in Sacfenhaufen feinen Poſten, daher 
fein Hohn und Spott meiftens den Markgraf Albrecht von 


534 Frankfurtiſches Archiv von J. ©, v. Fichard. 


Brandenburg trifft, welcher vor Sachſenhauſen lag. TV. Tar 
felordnung der fremden die Meſſen zu Frankfurt 
beſuchenden Kaufleute. Am Mürnberger Hof errichtet 
(in der KHerbftmeffe ) 1556, beftätigt 1558, S. 154 — 162. 
Es wird von Kaufleuten aus Mürnberg, Ulm, Schwaͤbiſch 
Gemuͤndt, Augsburg. Breslau und andern Städten in alter 
buͤrgerlicher Treuherzigkeit eine Schmwägerfhaft errichtet, um 
während der Meffe gemeinfchaftlich zu ſpeiſen; gewiſſe Ger 
feße,, deren Webertretung mit Geld geahndet wird, entfernen 
alle Höfifche Keremonien. So wird ein Kreuzer erlegt von fols 
chen, welche einen ihrer Gejellen anders als Schwäher nennen, 
Oder gegen einen andern den Hut oder das Baret ruͤcken u. ſ. m. 
Die Unterfchriften der aufgenommenen Mitglieder gehen bis 
zum J. 1620, wo die Unruhen des dreyfigjährigen Krieges diefe 
geiellfchaftlihe Verbindung trennten. V. Suftav Adolph, 
König von Schweden, in Frankfurt am Main 
1651 und 1692, ©. 165 — 176. Aus der handichriftlichen 
Ehronif eines Frankfurter Bürgers, Caspar Kiefch, der Poll von 
Dewunderung und Ehrfurcht für Guftav Adolph, meiſtens nur 
die Feyerlichkeiten befchreibe, welche durch den Aufenthalt des 
Königs und der Königin und der Fürften, die ihnen die Auf, 
mwartung machten, veranlaßt, die Frankfurter wegen der fchlech: 
ten Meffen einigermaßen tröfteteen: „Don Perfon ift She 
Kön. May. fehr groß, di und ſtark, das feines gleichen nicht 
viel gefunden wirdt, fonderlih an Weißheit und Werftandt, 
die ihm Gott der allmächtig gegeben hat .... Die Königin 
ift auch ein fehr fchön Weibsbilt, von Perfon zart, einer Mits 
telmeffige Leng, fehr freundtlich und rediprädhig u. f. m.“ Ber 
fonders erfreut ift der gute ehrlihe Bürgersmann berichten zu 
fönnen, daß der König fih und der Königin in Braunfels 
von dem Doctor Tettelbah eine Predigt habe halten laffen, 
„dieweil man hat alhie gezmweifelt, ob der König calviniſch 
oder lutheriſch tft, aber es ift Ihr May. fo ein reiner und 
guter Evangelifcher als noch ein Chriften Menfch fein mag, 
der der Augsburgifhen Konfeffion zugethan ift, wie er auch 
für die Ehre Gottes freie und Erieg führe.“ VI Vertrag 
der Stadt Wezlar mit ihren Glaͤubigern von 1882, 
S. 177— 196. Eine fehr merkwürdige Urkunde. Die Burs 


Sranffurtifches Archiv von J. €, v. Fichard. 535 


germeifter, Schöffen, Rath und die Bürger gemeinlih, In—⸗ 
faffen, Beyſaſſen, reih und arm, der Stadt und Vorftadt zu 
Wezlar, im Trierer Bischum, fo wie aud die fieben Hands 
werker (Gewandmacher, Becker, Brauer, Schuhmirte (Schur 
fter), Fleiihhauer, Schmiede und Schneider, kommen mit 
den Gläubigern der Stadt, einigen Bürgern von Maynz, 
Worms, Frankfurt und Friedberg und dem Abte und Convente 
zu Arnsburg,, deren Forderungen zufammen 788481, Gulden 
und aht Schilling Heller betragen ,. überein, daß die Hälfte 
aller damaligen und künftigen Rente und Gefälle der Stadt 
Weslar, mit Ausnahme der Boden und Steuern, zur allmaͤh⸗ 
ligen Tilgung diefer Schuld angewendet werden fol. Es iſt 
allerdings ſehr auffallend, daß eine fo Heine Stadt als Wezlar 
eine in damaliger Zeit fo bedeutende Schulvenlaft auf fih las 
den konnte; aber es läßt uns auch auf die Wichtigkeit des 
Handels und Verkehrs und die Lebendigkeit der Betriebſamkeit 
fließen, welche damals in dieſen Gegenden herrfhten. Die 
Urkunde wird befonders dadurh wichtig, daß alle einzelnen 
Renten und Gefälle, deren Hälfte zur Tilgung der Schuld 
dienen fol, aufgezählt werden. Der Abdruck ift nah einem 
zu Frankfurt befindlihen Originale der Urkunde gemacht wor— 
den (fie wurde fechsmal ausgefertigt); die an diefem Driginale 
befindlichen fieben Zunftfiegel hat Hr. v. F., wegen der Sels 
tenheit ächter Zunftfienel, auf einer Kupfertafel abbilden laffen. 
VI. Sammlung von Urkunden zur Erläuterung 
der Geſchichte Frankfurts Erfte Lieferung ©. 
197 —2355. Die hier mitgetheilten fiebzehn fehr gut gemähls 
ten Urkunden find theils zuerft, theils richtiger als in frühern 
Abdrücen gegeben, einige nach Originalen, andre nach den 
beften Eopien, welche der Herausgeber fich verfchaffen konnte; 
jede Urkunde wird durd eine zweckmaͤßige Einleitung erläutert. 
Su N. X. werden im zweyten Theil S. Bı aus einer genauer 
vidimirten Copie einige Verbefferungen mit lobenswerther Ges 
wiffenhaftigkeit nachgetragen. 

Nicht minder reichhaltig ift der zweyte Band: I. Vita 
Johannis Fichardi, &. ı — 55. Ein rechtgläubiger frommer 
Mann der alten Zeit erzähle Hier fein Leben bis zum J. 1548. 
Sodann Fichard wurde am Vorabend vor &. Johannistag, 


536 Frankfurtiſches Archiv von 3. C. v. Fichard. 


Mittwohs den 23. Junius ıdı2, zwifchen 10 und 11 Uhe 
Vormittags, gebohren, erhielt den erften Unterricht in den 
Wiſſenſchaften von Lehrern, „welche beffer zu prügeln, d. t. 
Geift und Verfiand zu unterdrüden, als zu lehren verftanden 
(qui ad verberandum h. e. ad obtundendum ingenia 
longe quam ad docendum peritiores erant),“ und wurde von 
heftigem Widerwillen gegen alles Lernen ergriffen. Der fanrtere 
und zweckmaͤßigere Unterricht feines Vaters in der Lateintiſchen 
Sprache föhnte ihn wieder mit den MWiffenfchaften aus. Dann 
fam er in die Schule von St. Leonhard zu Frankfurt unter 
Johann Espach, machte bedeutende Fortfhritte in der Lateinis 
fhen Sprache und legte den Grund im Studium des Griechis 
fhen; zugleich Hatte er Lehrmeifter im Spiel der Laute. („Hoc 
vero tanto gratius nunc mihi est, quod invenio apud M. 
Ciceronem in Catone suo, Socratem senem jam fidibus 
didicisse, idque veteres olim solitos fuisse.*) Nachdem er 
von feinem dreyzehnten Sabre bis zum funfjehnten den Lnters 
richt des berühmten Jacob Micyllus, ‚damals zu Frankfurt, 
genoffen,, brachte ihn fein Water im J. 1608 auf die Univer⸗ 
fität Heidelberg, wo er zwey Jahre die Jurisprudenz vors 
nehmlich unter der Leitung von Conrad Dym oder Diem (hier 
Dhym genannt) und die Griechiſche Sprahe unter Simon 
Grynaeus ſtudirte. Außer diefen nennt er noch als feine Lehs 
rer in Heidelberg: D. Adam Wernher von Temar, D. Jo— 
hann Pavonius (durch einen Druckfehler oder Schreibfehler 
fteht Hier ©. ıı Panonius) und D. Paul Bautenbacher 
(hier nicht ganz richtig Bauttenbachus genannt) in der us 
risprudenz, und Sjohann Sinapius und Menrad Molther in 
den Humanioribus., Im J. 1530 begab er fih nah Freyburg 
im Dreisgau, um den Unterricht des berühmten Ulrich Zaſius 
zu benugen, mit welhem er bis zu deſſen Tode in beftändiger 
Verbindung blieb. Won diefem berühmten NRechtsgelehrten vos 
det Fichard mehrmals mit Bewunderung feiner Talente und 
inniger Verehrung feines liebenswürdigen trefflichen Characters. 
Auch mit dem indes nad) Bafel verfesten Simon Grynaeus 
unterhielt er die in Heidelberg angelnäpfte Verbindung und 
überfegte,, in feinem achtzehnten Jahre, da er diefen feinen 
. Lehrer in den Pfingfiferien 1550 befuchte, eine der Homilieen 


Brankfurtifches Archiv von J. C. v. Fichard. 537 


des Chryſoſtomus Über den Brief an die Roͤmer, welche Simon 
Grynaeus unter Fichard’s Namen mit feinen eignen Veberfeguns 
gen bey Frobenins in Baſel herausgab; als ihn im Herbſt 
deffeldben Jahres die in Freyburg ausgebrochene Pet zur Auss 
wanderung nad Baſel nöthigte, nahm er feine Wohnung bey 
dem Buchdrucker Cratander, in bdeffen Officin damals mehrere 
Werke des Galenus gedrucdt wurden, und lief fih von feinem 
Hauswirth bewegen, durch Ueberſetzung mehrerer Schriften von 
Galenus jene Unternehmung zu fördern. „Caeterum, feßt er aber 
hinzu, non semel ejus me facti poenituit, non possum 
enim non vereri, me suscepto operi neutiquam in ea 
aetate parem fuisse , annum enim tum agebam XVII.“ 
Sm J. 1532 nahm er auf das Zureden des Johannes SL 
hard den Doctorgrad zu Freyburg und begab fih in feine 
Vaterſtadt zuruͤck, wo er fehr bald die ehrenvolle und einträgs 
lihe Stelle eines Stadtadvocaten, mit der Verbindlichkeit, fünf 
Sjahre lang fie zu verfehen, übernahm. Moch ehe dieſe fünf 
Sahre verflofen waren, erwirkte er fih von dem Rath zu 
Frankfurt feine Entlaffung und unternahm eine Reife na 
Sjtalien, wozu ihn die Spötterey eines. Meiders vorzüglich ans 
trieb, weicher in einer Gefellihaft, wo des Johannes Fichard 
in Ehren gedacht wurde, fragte, wo Fichard denn fo vieles 
gelernt habe, als man von ihm rähme, und dann, um Lachen 
zu erregen, an den Fingern die Derter aufjählte, wo jener ges 
wefen fey. Er befuchte, während der ungluͤcklichen Erpedition 
des Kaiſers Earl des V. gegen Marfeille, die wichtigften Städte 
von Stalien, lernte die bedeutendfien Männer kennen, 3. B. 
Andreas Alciatus zu Pavia, und wurde von dem Reichskanzler 
Matthias Held fehr freundlich aufgenommen. Mad feiner 
Ruͤckkehr Ichnte er mehrere Anträge, auch einen Ruf nad 
Padua ab, und kehrte 1537 in feine vorige Stelle nad) Frans 
furt zuruͤck, wo er 1558 mit Elifabet Gruͤnbergern fih vers 
mäßlte („aureis illis compedibus, quas matrimonium vo- 
cant, alligatus“). II Gedichte auf Kurfärft Fries 
drih des Siegreihen von der Pfalz Fehde mit 
Baden und Württemberg 1462, ©. 54 — 69. Es wers 
den aus einer Handſchrift in dem Beſitze des Herausgebers, 
welche noch andre merfwärdige Gedichte enthält, drey Gefänge 


538 SFrankfurtifches Archiv von J. C. v. Fichard, 


eines bisher unbekannten (wahrſcheinlich Pfätzifhen) Dichters, 
welchen in den beyden leßtern Gedichten feinen Namen Gil— 
genichein ( Lilienfchein ) nennt, mitgetheilt. Das dritte Gedicht 
follte eigentlich zuerft geftellt feyn, da es nur die zwielpältige 
Wahl im Mainzer Erzftife und die Verbindung der Fürften 
wider den Churfürften Friedrich erzählt, alfo ohne Zweifel vor 
der Schlacht bev Seckenheim gefchrieben if. Die beyden ev 
fteen Gedichte preifen den Sieg des Ehurfürften bey Seckens 
heim, 1462. Sr. v. F. ſcheint das erfte Gedicht niche für 
ein Wert des Bilgenihein zu halten, weil diefer fich nicht in 
dem letztern Verſe deffelben, wie in den lebten Verfen der beys 
den andern Gedichte nennt; allein wir tragen kein Bedenken, 
auch jenes Gedicht dem Gilgenihein beyzulegen, theild wegen 
der volltommenen Gleichheit der Sprahe in allen dry Ges 
dichten, theils weil in den beyden erften Gedichten ganz dies 
felben Gedanken, diejelbe Spielerey mit dem Pfälziichen Loͤwen, 
diefelden Spötrereyen gegen die überwundenen Feinde, zum 
Theil diefelben Ausdrücke vorfommen. Bisher unbekannte His 
ſtoriſche Nachrichten Über jene berühmte Fehde finden fi in 
dieien Gedichten nicht, außer daß in dem erften Gedicht eines 
zu Durlach aufgeftellten Schmahgemähldes von dem Pfätzifchen 
Löwen gedacht wird: | 


„Gie fagten ,. der Lewe wer entflaffen, 

Darinn der Maler fere ift zu ftraffen; 

Der Clawen (Klauen) hat er an ime vergeffen,, 
Als er ine zu Turlach gemalet hat, 
Nah Liedmaß hat er ine nicht ußgemeffen. 


IH. Sammlung von Urkunden zur Erläuterung 
der Geſchichte Frankfurts. Zweyte Lieferung, S. 70 
— 118. Es werden neungehn durchaus merkwürdige Urkunden 
mitgetheilt. N. I. (vom Jahr 1195) gibt einen dankenswers 
then Beytrag zur Kenntniß der altdeutihen Sprache dur 
Erklärung des von den neuern ©loffatoren mißve flandenen 
Ausdrucks Urholz: „de arboribus, quae fructife-rae non- 
sunt, quae in vulgari Urholtz appellantur.“ IV, (Drey) 
Briefe, ©. 119-1355. Indem erften Lateinifch gefchriebenen 
Briefe vom Jahr 1522 bittet Ulrich von Hutten feinen Freund, den 


Franffurtifches Archiv von J. C. v. Fichard. 539 


Senator Philipp v. Fuͤrſtenberg zu Frankfurt, fein Geſuch bey dem 
Senat zu Frankfurt um die Vertreibung des eifrig katholiſchen 
Mredigers Peter Meyer aus der Stadt durch feine Fuͤrſprache 
zu unterflügen. Der zweyte Brief (vom J. 1526) ift in 
Deutiher Sprache von einet guten alten Mutter, Margarethe 
Hornginn, an ihren zu Wittenberg fiudirenden Sohn erfter 
Ehe, Sohann von Slauburg‘, gerichtet, fie bitter ihn nad 
Haus zu fommen, und Anna Knoblody , welche ihr Vater bald 
verändern (d. i. verheyrathen) werde, zur Hausfrau zu nehr 
men, indem Johann Knoblohs Hausfrau ihrem „ KHuswert “ 
befohlen habe, obgleich fih mehrere zur Tochter gemelder, fie 
dem Johann von Glauburg vor allen andern zu geben. Unter 
verfchiedenen andern Gründen, Wittenberg zu verlaffen, ftellt 
die gute alte Mutter ihrem Sohne auch Folgendes vor: „zom 
andern. warn du lang. ſtudyrſt und nit ein ußbund von eim 
Doctor bift, fo ift es dir nit ein heller nuß, ob du ſchon dars 
zu kemſt, das du reigirn folft, du wolſt dan by eim bern ein 
fhryber werden, das nit dim Stamm gemes if.“ Zuletzt ber 
klagt fie fih jeher darüber, daß ihre Tochter Margarethe: von 
ihrem Entſchluß, in ein Klofter zu gehen, troß aller Ueberre— 
dung nicht ablaffen wolle. In dem dritten Lateinifch ges 
fehriebenen Briefe vom %. 1556 meldet Hieronymus von Slaus 
burg aus Mailand auf feiner Nückreife von Pavia feinem mit 
Anna Knoblauch wirklich verheyratheten Altern Bruder Johann 
feine ehrenvolle Doctorpromotion zu Pavia und die Lobfpräche, 
die ihm fein Lehrer Alciat bey diefer Gelegenheit ertheilt, und 
danke zugleich feinem Bruder für die Mühe, die er fi geges 
ben, um für ihn um Lukretia Stalburger zu werben. V. Bars 
tholomäus Haller von Hallerftein, GSchultheiß zu 
Frankfurt am Main, durch die Fürbitte Katfer Carls V. (im 
J. 1549), ©: 134 — 144. immerhin merkwürdig , wenigs 
ſtens als ein Beyſpiel der aͤußern Achtung jener Zeit für Rechte 
und alte Gewohnheiten, feldft im Gefühl der Uebermacht. Kais 
fer Earl empfiehlt mit freundlicher Höflicher Bitte feinen treuen 
verdienten Rath den Frankfurtern zum Schultheiß, und vers 
fpriche ihnen, daß die Gewährung feiner Bitte „an ihren 
Frepheiten in allwes unabbruͤchlich und unnadhtheilig“ ſeyn 
ſolle. Freylich war eine folhe Bitte fo gut als ein Befehl. 


540 Franffurtifches Archiv von J. C. v. Fichard. 


Sieben auf diefe Angelegenheit fi beziehende Aktenſtuͤcke wer; 
den bier ( wahriheinlih um die harten Ausdruͤcke in Kirchner’s 
Geſchichte von Frankfurt, Th. II. &. 160 flillfchweigend zu 
berichtigen) mitgetheil. VI. Ordnung und Artikel eis 
ner ehrbarn Befellfihaft der Krämerfiuben in 
Frankfurt 1599 (nad dem Driginal abgedrudt), ©. 
145 — 170. Verfügungen über die Aufnahme und den Ausı 
tritt der Sefellen, über die Wahl der Vorſteher oder Burgs 
grafen, dann über die innere Drdnung, das Zehen, Spielen 
u. ſ. w. Verbote des Fluchens, gegenfeitigen Schimpfens und 
thätlicher Beleidigungen. Diefe Gefellfchaft erhielt fih bie 
zum Sahr 1616. VI. Johann David Wunderers 
(eines gebohrnen Straßburgers, welder hernach unter die Ges 
fhlechterfamilien von Frankfurt aufgenommen ward) Reifen 
nah Dännemarft, Rußland und Schweden, ıöög 
und 1590, ©. 169—255. Auch diefe Neifebefchreibung ift 
fehr merkwürdig, obgleich nicht daran zu zweifeln ift, daß der 
Verf. wenigftens von feiner Neife nach Lappland mehr erzählte, 
als er wirklich fah und erlebte, und überhaupt manches Märchen 
ſich aufheften ließ. Wir zweifeln fogar daran, ob er wirklich das 
äußere Ende von Lappland gefehen hat. Der Verf. reiste am 4. Spt. 
1588 von Straßburg über Heidelberg, Frankfurt, Caffel, Lüneburg, 
Hamburg und Lüber nah Roſtock, wo er fih als Student 
immatriculiren ließ. Um Pfingften 1589 unternahm er von 
Moftod aus eine Seefahrt nach Kopenhagen. Er befchreibt 
ausführlich die AInfel Hveen und die dortige Sternwarte des 
Ticho Brahe. Am 3.May 1590 von einer in feiner Zeit ungewoͤhn⸗ 
lichen Reiſeluſt ergriffen, trat er in Gefellfchaft feines Land 
manns Conrad Dafppodius feine Ruffifche Reiſe an. Die Fahrt 
ging Über Anklam, wo damals Herzog Boleslaus Hof hielt, 
nad Stettin, der Reſidenz des Herzogs Johann Friedrich von 
Pommern; dann Über Cöslin, Colberg und Stolpe nad) Dans 
zig, wovon ausführlich geredet wird. Ueber Mariendurg, 
Frauenderg und Braunsberg kam der Verf. nad Königsberg: 
Won dort nahm er den Weg Über Waldau, Petersporf, Oſter⸗ 
burg (Inſterburg) durch den Wald, Grautten genannt, zum 
Niemen, und kam durh Wildniffe nah Krafhy ( Kroli?), 
„der Hauptſtadt in Samoiten.“ Won diefem Lande und deffen 


Frankfurtiſches Archiv von J. E. v. Fichard, 541 


Einwohnern hoͤrte und glaubte unſer Wunderer manches Wunder. 
„Folgends, Heißt es S. S. 189, kamen wir in Samogitiam, 
durch dicke und große ungeheure Mildtnuſſen, in welchen zu 
unterfchiedtlid, zeitten am Ha = erſchreckliche Visiones und 
Geiſter geſehen worden; es vermeinen die Gelehrten, es komme 
daher, weill noch heutigs Tags viel Inwohner wie die Beſtien 
absque fide et religione ihr leben zubringen, und nicht als 
fein thier und andre Monstra serpentum adoriren , fondern 
auch weil fie auß teuffelifhen künften fih in Wölff und Ber 
ren geftaltt transmutiren und verftellen, alfo der Sathan fehr 
mächtig gefunden wirdt, wie fie dann in mancherley Beſtien 
geftaltt den durchreifenden erfcheinen,, auch diefelben, wie fie 
koͤnnen, in Wolfsgeftalt anfallen und niederlegen.“ Der Verf. 
fah zwar folhe Geftalten nicht, doch fcheint er zu meinen, daß 
der Teufel im Spiele gewefen fey, als er fi in diefen Wäls 
dern einmal verirrte. „Der Inwohner Statur ift groß, lang, 
und fcheußlich anzufehen, an Verſtand einfelttig und abgöttifch, 
ihre Kleidung ift gering von grob grawem tuch, tragen lange 
kittel ohn falten, oder lange beltz von wilden thierfellen, kleine 
Huettle uf die ungerifche formb, fchue von gefchlachten Baums 
rinden. Die Weiber befleiden fih noch geringer, dann der 
mehrer theil gehn Halb naket, tragen nur ein Seeg umb den 
Leib über ein Arell gefchlagen ſchier wie die Zigeuner, die flatts 
lichfte tragen beiß uff die art wie die Mann, und haben umb 
den Leib ein breit meffing fpange, uff dem Haupt ein runde 
Meſſine krohn, darinn fie daß Haar zufammenfaffen, glei 
einem Vogelneſt, brauden faft alle Mann und Weib feine 
bett. Die Vornehmften fo gleubig fein wollen, find Arrianifch, 
fonften die gemeinen Leuth finde ganz voll abgötterey und faſt 
heidnifch, fonderlich welche verfireuet in den wildnuffen wohs 
nen.“ Dann reiste der Wunderer über Mitau nad Riga, wo 
der Statthalter ihm und feinen Gefährten auf die Übergebenen 
Vorfchreiben, Paßbortten (passeports) nah der Willdaw 
(Wilna) und durch die Judenzoͤll in groß Litthauen gab. Sie 
begaben fih nun nad „der gewaltigen Stadt Wilna, der 
Hauptſtadt in ganz Litthuanien,“ wohl dreymal größer, denn 
Danzig. Eine merkwürdige Machricht finder fich Hier über die 
Tataren in Litthauen. Won Wilna ging die Reife nah Piess 


542 Frankfurtiſches Archiv von J. C. v. Fichard, 


kow, wo damals der Zar Feodor Iwanowitſch feinen Hof hielt. 
Auch von den Moskowiten urtheilt der Reiſende nicht beifer, 
ale von den Samojiten: feinde aber die Moßkowitter in 
gemein groß ſtark und ma uth, von Angeficht lang gebärs 
tet, und in moribus unzuͤchtig, faul und träg, jedoch werden 
die Leibeigenen mit fchwerer viehifcher Arbeit beladen, dann 
diefeiben ahn feyertagen nah verrichten ihren Gottesdienft alfs 
paldt wiederum zur arbeit genöttiget werden, und darbey rauch 
kleien, und wurkel Brodt effen mäffen“ (&. 208). Er ges 
fteht ihnen nicht einmal Priegerifche Tapferkeit zu: „Im Velde 
follen fie fih fehr gering erhaltten“. (S. 211). Bon Pleßkow 
aus wurden in Sefellihaft von 2ı Moßkowitiſchen Kaufleuten, 
welche mit Armeniern nah Indien reifen wollten, die fer 
des Don beiuht, dann reisten die beyden Straßburger in 
Geſellſchaft von fünf andern Mofßkowitifchen Kaufleuten nach 
Warthuß ( Wardoehuus in Lappland) „ein gewaltig Schloß 
und Seeftatt dem König in Schweden zuftendig, liegt an dem 
großen Oceano gegen Ißlandt, ift mit 300 Soldaten befeßt 
und das befte Grentzhauß wider die Moßkowitter und Tattas 
ven.“ Dort will unjer Wunderer den Hedkelberg auf Island 
brennen gejehen haben, was wohl nur ein Wundermann fehen’ , 
fonnte. „Don dannen zogen wir zu Schiff einer Scaffen uff 
dem Wartheufer fee gehn Jancopingen 17 meill. Alva faffen 
wir in ein Stockholmer fhiff, fuhren nah Schweden über 
meer“ (1). Sie famen bey Island vorbey, „mo fie wegen 
Sturm etliche fiundt lavirten,, folgendts wieder‘ bey gutem 
Winde für Alande über einer Inſel in wenig tagen nad) Stocs 
Holm , der Hauptſtadt in Schweden, an 218 meil von Sans 
copingen gelegen.“ Won Stockholm reiste der Verf. nad) Abo 
und über Narva nah Riga, wo er viel Ungemach auszuftehen 
hatte, weil er fih in den Streit der lutherifhen Pfarrer und 
Bürger mit den Jeſuiten und dem fatholifchen Stadtrath 
mifchte. Machdem er mit feinen Neifegefährten aus der Stadt 
verwiefen worden, beftiegen fie auf der Düna ein Boot und 
famen, ungeachtet der Nachftellungen von Seiten der Nigaer, 
zu einem Luͤbecker Schiff, das fie glädlih nah Travemünde 
brachte. Wunderer bejuchte noch einmal Roſtock, und kehrte 
dann über Guͤſtrow, Berlin, Leipgig, Bamberg, Nürnberg 
und Stuttgardt nad) Straßburg zurück, mo er am 26. Nov. 
2590 anfam. Faft über jede Stade und Gegend, die der 
Derf. durchreiste, finder fi) irgend eine merkwürdige Nach— 
richt. Die Namen find aber meiftens graufam verfiüämmelt und 
einige ganz unkenntlich. Sowohl diefe Reife des Wunderers als 
die Ordnung der Krämerzunft verdankt der Herausgeber der 
Mittheilung des Herrn D. Feyerlein. 







Sranffurtifches Archiv von J. C. v. Fichard, 543 


Außer diefen weitläuftiger angezeigten Auffägen und dem 
polemiichen Abfchnitt gegen Herrn Kirchner (unter VII.) 
enthält noch diefer zweyte Band: 1X. ein Verzeichniß der von 
auswärtigen Staaten und den Ehurfürften und Füärften des 
Deutfhen Reichs bey der ehemaligen Neichsftadt Frankfurt am 
Main accreditirten Gefandten, Nefidenten, Gefchäfteträger, dis 
plomatifchen Agenten und Confuls ( mit zwey Benlagen, einem 
Ereditiv des Königs Carls II. von England, von Coͤlln am 
Mhein 1654 datirt, und einem Creditiv des Königs Carl XI, 
von Schweden in deffen Namen von feiner Mutter und Vor— 
miünderin Hedwig Eleonora ausgeftellt), und X. einen Nach— 
trag zu den Bemerkungen gegen Herrn Kirchner: Über den 
Denfig des Schuitheißen bey dem ganzen Rathe. Die Kupfers 
tafel ftelle fünf Siegel ehemals in Frankfurt vorhandener Stifs 
ter und Klöfter dar. re 

Wir wünfchen,, daß diefe Anzeige die Aufmerkſamkeit der 
Freunde hiſtoriſcher Forfhungen auf diefe verdienftlihe Samms 
lung von Neuem lenken, und daß Hr. v. F. in der eifrigen Theils 
nahme des Publitumsg die verdiente Aufmunterung zur Fortfeßung 
feiner Mittheilungen erhalten möge. Bey dem jeßigen allgemeis 
nen Sintereffe für alte Deutfche Litteratur dürfen wir niche 
unbemerkt laſſen, daß außer andern Mitiheilungen, zu welchen 
der Herausgeber an verjchiedenen Stellen diefer beyden erften 


Theile Hoffnung macht, der dritte Theil, welcher im Laufe des 


Jahrs 1815 erjcheinen fol, die Gedichte eines bisher nur dem 


Mamen nad bekannten Minnefängers enthalten wird (Vor⸗—⸗ 
rede zum zweyten Theil). 


Etatif und Dynamik der Phyſik. Erfte Abhandlung, melche die 
wefentlihiten Eigenfchaften mineralifcher Körper behandelt, nad 
eigenen Anfichten bearbeitet von Gohann Leonhard Späth, 
Kön. Baier. Hofrathe und! Prof. der höhern Mathematik zu Müns 
chen. Nürnberg, b. Sjob. Ad. Stein. 1812. IV u. 120©. 8. (ıfl.) 
Der Verf. fühlte während feiner 2ıjährigen phnflcalifchen 
Vorleſungen das Beduͤrfniß, die Phänomene des mineralifchen 
Körpers, bey deren Erklärung fich feldft die neuere Phyſik bloß 
mit der Bilderfpradye behilft, nah dynamiſchen Geſetzen zu 
combiniren. Hieraus entftand ein Spftem, welches alle Zweige 
der Phyſik umfaßt, und wovon der Verf. hier zur Probe feine 
Anfichten über die Eonftruction und die Eigenfchaften des mis 
neraliſchen Körpers mittheilt. Seine Theorie Über die Attracs 
tion und Einfaugung, Über die Auflöjung mineralifcher Körper, 
aber die Mopdificationen des Lichts und der Märme, fo mie 
uͤber Electricitaͤt und Galvanismus follen fpäterhin nachfolgen. 


544 Statik und Dynamik der Phyſik von J. 2. Späth, 


Die Grundlage diefes neuen Syſtems concentrirt fih uns 
gefähr in folgenden Sägen. — Alle Körper beftehen aus Grunds 
ftoffen, die ihre Materie bilden. Sie find für unſere Anſchauung 
verichwindend, nach ihrer Größe urſpruͤnglich verfchieden und 
von verichiedenen Drdnungen, welche fi zu einander verhalten, 
wie Differentiale von verfchiedenen Potenzen. jeder Grunds 
ftoff der erſten Ordnung ift für fih ein Ganges und kann als 
folher in mehrere Stoffe höherer Ordnung zerlegt gedacht wers 
den. Eben fo bilder auch ein Grundſtoff der Höhern und hoͤch⸗ 
ſten Ordnung (das Feinfte in der Matur) eine Eınheit für fich. 
Diefe Grundſtoffe befigen eine gewiſſe angeftammte Härte, und 
find nad ihrer Form entweder rund, elliptiich, cplindrifch, 
fadenartig, prismatiſch-eckig, oder auch blätterförmig geftaltet. 
&ie find ſaͤmmtlich mit dem feinften unter allen erfchaffenen 
Stoffen getränter, welcher das Fortleitungsmittel eines andern 
im Raume allgemein verbreiteten SPrincips ift. Diefes Princip 
nennt der Verf. das Agens, jenen Stoff das Gluten, und aus 
beydem zufammen entfpringt ein allgemeines WVerbindungmittel 
der Srundfloffee Die Traͤnkung mit diefem Sluten und dem 
ihm beywohnenden Agens bildet die Urkraft eines Grundftoffs, 
vermöge welcher er ringsumher durch Anziehung wirft, die, in 
der Nähe ftärker, in der Entfernung ſchwaͤcher, auf der Grenze 
der Wirkungsweite verfchwinde. Wenn der Srundfloff von 
feiner Tränkung verliert, fo entweichet mit dem verlornen Glu— 
ten auch ein Theil des Agens, und die Urfraft wird vermins 
dert, verlöre er feine Traͤnkung gang und gar, fo würde er 
gang unthätig, in welchem Zuflande er um fo mehr firebt, 
feine natürliche Traͤnkung zu erlangen u. f. m. — 

Dies wenige wird hinlangen, um anzudeuten, welche wuns 
derlihe Art von Phantafieen des Verf. Phyſik bilden. Unſerer 
Seite müffen wir geftehen, daß ung in wenigen Schriften der 
neuern phofifchen Fitteratur eine fo arobsatomiftifhe Willkuͤhr⸗ 
lichkeit , gepaaret mit einer foliden Kenntniß älterer und neues 
rer Wahrheiten und dem fcharffinnigen Beſtreben, die. Naturs 
yhänomene dem aufgeftellten Spfteme anzupafien, vorgefommen 
iſt. Wir glauben aber nicht, daß fich des Verf. neue Lehre 
unter den Naturforfchern unferer Zeit Eingang und bedeutende 
Anhänger werde zu verichaffen wiſſen. Der Verf. mag von 
feiner, auf allzu hypothetiſche Borausfeßungen gebauten, coms 
plicirten Theorie innigft überzeugt feyn; allein dieſe Ueberzeu— 
gung wird nicht leicht ein Phyſiker von wiffenfhaftlihem Geifte 
mit ihm theilen. Den Zuſammenhang natürlicher Urfachen 
und Wırfungen durch fo milltührliche Hypotheſen deuten zu 
wollen, heiße nicht die Natur erforfchen, fondern ihre weife 
Deconomie beleidigen. 





No. 35. Seidelbergiſche 1813. 
Jahrbuͤcher der Litteratun 





Erfahrungen und Abhandlungen aus. dem Gebiete der Kranfheiten 
des weiblichen Geſchlechtes. Nebft Örundzügen einer Methoden: 
Ichre der Geburtshuͤlfe von Dr. Franz Earl Naegele, or 

bentlichem Profeffor der Arznepwiſſenſchaft zu Heidelberg... Mit 
vier Kupferrafeln. Mannheim ‚dep Tobias Löffler 1812, 451 ©, 
a. .- 


D. sahlreihen in neuern ‘Zeiten erfhienenen Schriften 
über Geburtshuͤlfe, das faft gleichzeitige Erfcheinen von ‚vier 
Lehrbuͤchern der Frauenzimmer + Krankheiten und mehrern ans. 
dern hierher gehörigen Schriften zeigen offenbar (heißt es S. 
IV der Vorrede), wie ſehr man das Beduͤrfniß fühle, 
diefe Partien des Gebietes der Heilkunſt zu cultiviren.“ 
Hierzu das einige beyzutragen, Dies ift es, was den 
Verfaſſer zur Herausgabe diefer Erfahrungen und Abhandluns. 
gen beftimmt has. Er theilt feine Anfichten und die Nefultate 
einer fünfzehnjährigen Erfahrung (als Phnfitue, als Lehrer 
der Geburtshuͤlſe und als Vorſteher einer der bedeutendften 
Entbindungsanftalten Deutſchlands) über mehrere, Aerzten, 
Wundärzten und Geburtshelfern in gleichem Maße intereffante 
Gegenftände mit. Nach den Geſetzen unferer Zeitfchrift, Föns 
nen wir aber bloß durch eine allgemeine Weberficht des Inhal⸗ 
tes und die Aushebung der charakteriſtiſchen Ideen unſere Leſer 
auf dieſes Werk aufmerkſam machen. A 

Die erfte Abhandlung (&. 1 — 264) enthält einen Ents 
wurf einer fpflematifhen Anordnung der Lehr— 
gegenftändeder Geburtshuͤlfe, woben des Verf. Streben 
dahin geht, eine möglichft fcharfe Dematkationg ı Linie zwifchen 
dem in den Lehrvortrag der Geburtshälfe Aufzunehmenden und 
dem zu ziehen, mas bey dem gehörig vorbereiteten Schüler 
mit Recht vorauszufehen ift, und überhaupt was nicht hinein 
gehört; ferner zu zeigen, in welcher Ordnung die einzelnen 
Materien vorgetragen werden mäffen, damit dev Anfänger in 

55 


646 Erfahr. u. Abb. d. Krankh. d. weibl. Gefchlechd v. Naegele. 


der tarzeſten Zeit zur möglichft gruͤndlichen Einſicht gelange. 
Die erſte Veranlaſſung zu dieſer Arbeit gab ihm (S. 7) ein 
vor fuͤnf Jahren erhaltener obrigkeitlicher Auftrag, Vorſchlaͤge 
zur Verbeſſerung des Geburtshuͤlſeweſens zu machen; und ba 
ihm die gründliche Werbefferung diefes Zweiges der Med. Ber 
faffung von einer zweckmaͤßigern Einrichtung des Unterrichtes 
und der Bildungsanftalten ausgehen zu müffen fchien, fo wen 
dete er hierauf vorerft feine vorgägliche Aufmerffamfeit. Die 
Arbeit wuchs ihm unter den Händen zu einem Umfange heran, 
die nicht in feinem uefprünglihen Vornehmen lag, und er 
glaubte. durch die Öffentliche Mittheilung derſelben nuͤtzlich ſeyn 
zu tönnen, beſonders durch Mebeneinanderftellung feiner Anſich 
gen mit der treflichen Nolde'ſchen Kritit, indem er vworzäglid 
auf diejenigen Puncte NRädfiht nahm, wo er verfenledem 
Meynung mit demfelben war. 

‚Da, wo von dem Umfange und Inhalt der Einleitung 
die Rede ift, Heiße es: unter Geburtshülfe feye dem Sinne 
des Wortes nad) offenbar nichts anderes zu verftehen, als die 
Huͤlfe, die beym Gebären geleiftet wird, und unter Geburts 
huͤlfekunſt, von andern unrichtig Entbindungsfunft genannt, 
die KRunft, jene Huͤlfe zweckmaͤßig zu leiften ;, in den Lehrvor 
trag der Geburtshuͤlfekunſt dürfe nichts aufgenommen werden, 
als die Regeln und Worfchriften, welche fih auf den Beyſtand, 
und die Hülfeleiftung bey der Geburt beziehen, und diejenigen 
Säße, auf welche fih jene Regeln zunaͤchſt ſtuͤtzen 3 es fen 
daher eben fo unrecht, Krankheiten der. Wöchnerinnen un) 
Neugebornen in den Lehrvortrag der Geburtshuͤlfe aufzuneh 
men, als den propädeutifchen Unterricht zu weit anszudehnen, 
und den Vortrag auch auf Unvorbereitete berechnen zu mol 
len, wodurch, wie der Verf. richtig zeigt, die Möglichkeit 
einer ſyſtematiſchen und gruͤndlichen Darſtellung aufgehoben 
wird. Ihrer Natur nach zerfallen alfo die Gegenſtaͤnde des 
Lehrvortrages der Seburtshälfetunft in die eigentlich Gu 
burtshälflihen, und die (näheren) propädeutifchen. Da 
aber das obſtetriziſche Verfahren feinem Zwecke und Weſen nad 
verfchieden ift nach der Befchaffenheit der Geburt, je nachdem 
diefe entweder A. Gefundheit gemäß vor fich geht, oder B. die 
Normalitaͤt diefer Function geftdrt, aufgehoben ift: fo zerfa | 


Erfahr. u. Abh.d. Kranlh. d. weibl. Gefchlechts v. Naegele. 547 


len offenbar die ſaͤmmtlichen Objecte des Lehrvortrags in vier 
Hauptrubriken: a. die Regeln fuͤr die Pflege und Beyſtand— 
leiſtung bey normalen Geburten, und b. ihre nähere Propäs 
deutik, die phyſiologiſchen Säße von der Schwangerfchaft und 
Geburt, c. die Hülfeleiftung bey Abnormitäten der Geburt, 
und d. die Pathologie diefer Function. Jene erft genannten 
Regeln, und die Hülfeleiftung bey Abnormitäten der Geburt, 
verhalten fih zu einander, wie Gefundheit » Erhaltungstunft 
( Diaetetica Hygieine) und Heiltunft (Therapie), deren 
Zweige fie find. — S. 35 — 44 und 197 — 130 zeigt der 
Verf. aus vielfältigen Gründen, daß es ſowohl in Hinſicht auf 
foftematifhe Ordnung, ale väcfihtlih des Lnterrichtes, uns 
gleich zweckmaͤßiger ſey, die Lehre von der Benftandleiftung 
bey normalen Geburten unmittelbar auf den phufiologifchen 
Theil folgen zu laffen, als fie erſt nad der Erpofition der pas 
thologifhen Werhältniffe des Geburtsaktes abzuhandeln, wie 
dies in den neueren Handbuͤchern (z. B. von v. Froriep, 
E. v. Siebold) und Schriften über Methodik der Geburts— 
hülfe geſchieht; am auffallendften feye es aber, fie bey denjes 
nigen,, die einen therapentiichen Theil annehmen (wie z. ©, 

Martens, Nolde und Joerg) in diefem anzutreffen, da 
fie doc ihrer Natur nah offenbar nidht dahin gehören. Das 
gegen hält er ( (S. 255— 257) für zweckmaͤßig, die Patholos 
gie und Therapie der bejondern Formen von Abnormität der 
Seburtsverrichtung nicht getrennt, ſondern vereint vorzutragen, 
wie dies ja auch in der Übrigen Heilkunde geſchehe; welchem 
nach es ihm zur Wermeidung der Ungleichheit in der Größe 
der Hauptabtheilungen nicht ungeeignet zu ſeyn ſcheint, das 
Ganze des Lehrvortrags in zwey Theile zu trennen, näms‘ 
lich: den phyfiologifch s Didätetifhen und den pathos 
gifhetherapeutifhen Theil. Die Ordnung, melde er 
bey der Angabe der Darftelungsweife der einzelnen Materias 
lien befolgt, ift folgende: zuerſt verbreitet er ſich über die 
Nothwendigkeit, den Zweck, Inhalt und Umfang der Cinleis 
tung (S. 11 — 46). | 

Die erfte Abeheilung des erfien Haupttheils, welche eine 

zu dem fpeciellen Bedürfniffe des Geburtshelfers befonders bes 
arbeisete Darftellung der Pöpflologie der Schwangerfchaft und 


548 Erfahr. u. Abh. d. Krankh. d. weibl, Geſchlechts v. Naegele. 


Geburt enthalten ſoll, zerfaͤllt in drey Abſchnitte, wovon der 
erſte von der Geburt und ihren Bedingungen uͤberhaupt han— 
delt, und, als Einleitung, in dieſe Abtheilung anzuſehen iſt. 
Obſchon der Inhalt dieſes Abſchnittes (heißt es S. 48) für 
ſich, hier als Poſtulat anzuſehen iſt, fo kann dem gehörig 
vorbereiteten Schuͤler doch Nichts unverſtaͤndlich vorkommen, 
oder zu irrigen Begriffen Anlaß geben. Ueberhaupt bemerkt 
der Verf., daß der Schuͤler ſich erſt im letzten, oder den beys 
den legten Jahren, feiner Studienzeit, auf die Erfernung der 
Geburtshuͤlfe legen folle, und daß der Vortrag, wenn er fys 
flematifch ſeyn foll, durchaus nur auf gehörig Worbereitete bes. 
rechnet werden könne. — Der zweyte Abſchnitt ift der Dars 
ftellung der in der Schwangerfchaft und bey der Geburt vors 
zuͤglich äntereffirten Partieen des muͤtterlichen Körpers und der 
Beſchreibung der Frucht gewidmet. Der Verf. führt die Gründe 
an, aus denen er es eben fo natürlich findet, Hier die Lehre 
von der Manualunterfuhung folgen zu laffen, als bey der Abs 
Handlung des Beckens die Art und Weiſe anzugebeu, feinen 
Kaum, deffen Richtung und feine Inclination zu bemeffen. — 
Der Zte Abſchnitt Handelt im erften Eapitel von den Erfcheis 
nungen und Zeichen der Schwangerfchaft, und im zmepten von 
der Beziehung der Schwangerſchaft auf die Bedingungen der 
Geburt, von der Art, wie diefe während jener vorbereitet wers 
den. — Der Ate, der normalen Geburt gewidmete, Abfchnitt 
zerfält ebenfalls in 2 Capitel, wovon das erfte die Erfcheinuns 
gen und den Verlauf, das andere die Bedingungen der nors 
malen Geburt darzuftellen hat. — Mehrere ausführliche, in 
diefem fowohl als in den vorigen Abfchnitten mitgetheilte Be— 
mertungen, über verfchiedene der wichtigern dahin gehörigen Ges. 
genftände müffen wir hier der Befchränktheit des Raumes wegen 
übergehen, z. B. das, was Über die Beziehung der Schwans 
gerfchaft auf die Geburt gefagt wird, Über den Verkehr zwifchen 
der Frucht und dem mütterlihen Körper, über die Modificas 
tionen diefes Verkehrs im Verlaufe der Schwangerfchaft, über 
die Bedingungen der Geburt überhaupt und der Mormafität 
Diefer Function insbefondere, über ihre Beziehung zu den übris. 
gen Lebensverrichtungen u. ſ. w. 


Erfahr. u. Abh. d. Krankh. d. weibl. Geſchiechts v. Naegele. 549 


Hierauf kommt der Verf. fuͤr die zweyte Abtheilung, auf 
das Verhalten ſowohl der Gebaͤrenden als der bey der Geburt 
Gegenwaͤrtigen fuͤr die normale Geburt zu ſprechen. 

In der erſten Abtheilung des zweyten Haupttheiles (des 
pathologiſch⸗ therapeutiſchen Theiles) ſollen die Abnormitaͤten 
der Geburt nach ihren Hauptverſchiedenheiten, oder die allges 
meinen Formen von Störung diefer Verrichtung nofologiich abs 
gehandelt, die Vorgänge, auf denen die Ruͤckkehr oder mögliche 
Annäherung zur Normalität berußet, ausgemittelt, hiernach 
die allgemeinen Regeln für das urverfahren beftimmt, und 
endlich die vorzüglichern der Geburtshälfe eigenthümlihen Ber 
handlungsarten ( methodus curandi obstetricia generalis ); 
die Application der Geburtszangen, die kuͤnſtliche Veränderung 
der Fruchtlage, die Lünftlihe Entbindung vermittelft bloßer 
Hände, die Entbindung auf fremdem Wege (Sectio caesarea) 
und die Perforation und Embryotomie ausführlih exponirt 
werden. ©. 208. „Mit diefen Operationsarten, ihrer Natur, 
Beftimmung, Wirkungsart und der Art, fie zu verrichten, muß 
bier der Schüler bekannt gemacht werden, wie auch mit ihren 
allgemeinen Anzeigen. Die Befonderheiten berfelden, ihre 
Modificationen, in fpeciellen Fällen, und ihre befondern Ans 
zeigen find Gegenftände der fpeciellen Therapie, und koͤnnen 
durchaus nur da gründlich und deutlich abgehandelt werben. 
— „Hier foll der practifche Unterricht, oder die Uebungen am 
Fantome, an Leichen u. f. w. beginnen, und neben dem theos 
‚vetifchen Unterrichte fortgefeßt werden. 

Sin der andern Abtheilung des zwepten Haupttheiles, welche 
‚die fpecielle Pathologie und Therapie der Geburt enthält, fols 
len die befondern Formen von Abnormität der Geburt nebfl 
ihren wichtigern und häufigern Complicationen, nad ihren 
Zeichen, Unterfheidungsmerfmalen, Urfachen, Wirkungen, Auss 
Hängen und Folgen dargeftellt,, die Eurregeln beftimmt und die 
‚Behandlungsarten angegeben werden, auf die in der übrigen 
Heilkunde allgemein angenommene Weiſe. 

S. 105 — 116 iſt ausführlich gezeigt, daß die Normalis 
‚tät der Geburt nicht allein auf der gegenfeitigen Proportion 
zwiſchen den beyden Hauptmomenten des Mechanismus der 
Geburt, nämlich dem activen und paffiven Moment (den auss 


550 Erfahr, u. Abh. d. Krankh. d. weibl, Geſchlechts v. Naegele. 


treibenden Kraͤften und der Frucht und den zum Durchgange 
derſelben beſtimmten Wegen) beruhet, ſondern auch (da alle 
Normalitaͤt des Mechanismus irgend einer Function immer 
eine relative iſt) auf dem Verhaͤltniſſe dieſer Proportion zu 
den organiſchen Functionen, die von dem Gebaͤrungsacte in— 
fluirt werden, und zu der Stimmung der Vitalität des uͤbri— 
gen individuellen Organismus überhaupt. Diefemnad ergeben 
fih) zwey KHauptgattungen von Abnormität der Geburt, je 
nachdem das eine, oder das andere der eben erwähnten Ver— 
Hältniffe fih von. dem Mormalzuftande entfernen: nämlich Abs 
normitäten der Geburt wegen fehlerhafter Befchaffenheit der 
ihren Mechanismus bedingenden Momente, und Abnormitäten 
der Geburt wegen normmidrigen Zuftandes des Übrigen Orgas 
nismus, in wiefern er von der Geburt influire wird. Was 
die weitere Eintheilung der erften Hauptgattung von Abnormis 
täten betrifft, fo müffen wir ung hier befchränken,, anzugeben, 
daß des Verf. Hauptaugenmerk darauf gerichtet war, die Eins 
theilung auf die weientlihen DVerfchiedenheiten zu gründen, die 
einzelnen Abnormitäten unter möglichft allgemeine Geſichts— 
puncte zu bringen, und jene nach jeder andern Eintheilungss 
weife unausweichlihen,, zahlreihen Unterabtheilüngen zu vers 
meiden, welche die Weberficht erfchweren, den Schüler aufer 
Stand fegen, dem Lehrer zu folgen und ihn verwirren, und 
welche fich zur Bearbeitung zum Zwecke einer fpeciellen Pathos 
logie und Therapie der Geburt durchaus nicht eignen. — Aus 
der Reflexion auf die Wirkungsart die Fehler der; eingelnen 
Momente, welche jene Hauptmomente des Mechanismus cons 
ftituiren, ergibt fi) aber offenbar, daß ihr Einfluß auf den 
Verlauf der Geburt fih darin vereinigt: denſelben entweder 
zu erichweren, oder in höherem Grade der Abnormität gänzlich 
zu unterbrehen, unmöglich zu mahen (eine bloße graduale 
Verſchiedenheit) oder ihn uͤbermaͤßig zu beichleunigen. Hier— 
durch iſt unter den Störungen der Mechanik der Geburt eine 
in Hinfiht auf ihre Urfahe und ihren Einfluß weſentliche 
KHauptverfchiedenheit gefeßt. Dieſe beyden Gattungen von Ads 
normität find aber für fich verfchieden,, je nachdem ihr Grund 
entweder in einem Fehler der austreibenden Kräfte, oder des 
diefen entgegenftehenden Objectes liegt, und im letzteren Falle 


Erfahr. u. Abh. d. Krankh. d. weibl. Gefchlechtd v. Naegele. 551 


nimmt Hr. N. die Verſchiedenheit der einzelnen Momente des 
Objects, als Motiv einer weitern Unterabtheilung, an. Dies 
ſem nach zerfaͤllt dann der ſpecielle pathologiich s therapentifche 
Theil in fo viele Kapitel, als befondere Formen von Abnormis 
täten angenommen werden, in denen unmittelbar auf die patholos 
gifhe Erpofltion die Heilanzeige und Behandlungsart angegeben 
werden. Ruͤckſichtlich der vom Verf. befolgten Leicht Überfehs 
baren Ordnung verweifen wir auf die Schrift felbft. 

So wie in der Abhandlung überhaupt das Streben des 
Verf. ouf confequente Mebeneinanderftellung der einzelnen Mas 
terialien, und auf Gruͤndlichkeit in der Darftellung gerichtet 
ift, ſo gehet feine Tendenz bey der Darftellung des pathologiichs 
eherapeutifchen Theiles dahin, diefen nach den in der übrigen 
Heiltunde, als zweckmaͤßig, angenommenen Principien ber 
Merhodologie zu ordnen. ©. 226 — 244 zeigt er ausführlich), 
warum er es für nothwendig halte, die fpeciellen therapentis 
fhen Säge der Geburtshuͤlfe nicht nach den Huͤlfsmitteln der 
Kunft (wie dies faft in allen neuern Lehrbuͤchern geichieht), 
fondern nach den wefentlihen Werfchiesenheiten der pathologis 
ſchen Verhältniffe zu ordnen. Mit Wärme zeigt er die Vor— 
theile auf, die aus diefer Darftellung, ſowohl für den Unterricht, 
als für die Bearbeitung der Difctplin feldft und die Ausübung 
hervorgehen. 

I. Bon einigen Fehlern der Menfttuation. 
Ein Fragment. In diefem Auflage, der (nad S. 327) als 
Einleitung in die weitere Bearbeitung dieſes Gegenſtandes, 
womit der Verf. beichäftige iſt, angefehen werden ſoll, theilt 
er feine Anficht von der Natur und Beftimmung der Mens 
firuation mit, verbreitet fih Hierauf Über die Beziehung diefer 
Gefchlechtsverrichtung auf das Conceptionsvermögen, ſowohl im 
gefunden, als kranken Zuftande, und, nachdem er bie Momente, 
durch welche der erſte Eintritt ſowohl, als das Verſiegen jener mo⸗ 
natlichen Blutausleerung im hoͤhern Lebensalter bedingt wird, dar⸗ 
geſtellt hat, gibt er die Gruͤnde an, aus denen er ſich berechtigt 
glaubt, anzunehmen: daß vor dem neunten Lebensjahre erfol⸗ 
gende Blutungen aus den weiblichen Genitalien nie, als das 
Product der Geſchlechtsverrichtung, die man Menſtruation 
nennt, anzuſehen feyen;. fo wie er auch geneigt iſt, Blutun—⸗ 


552: Erfahr. m. Abb; d. Krankh. d. weibl, Gefchlechts v. Naegele. 


gen in ben ſechziger, fiebenziger und Höhern Lebensjahren, 
obgleich fie mit den Tatamenien ähnliche Perioden beobachten, 
durchaus nicht für wirkliche Menftrnation gelten zu laffen. — 
Hierauf zeigt er, mie ſchwierig es ift, genaue und richtige 
Beobachtungen Über Gegenftände, wie der in Nede ftehende, 
zu erhalten, und wie leicht hier Täufhung möglich ſey. Er 
beleuchtet unter den fo oft wieder erzählten Beobachtungen, die 
die Möglichkeit der Menftruation von den erften Tagen nad 
der Geburt bis zum hoͤchſten Lebensalter beweiſen follen, dies 
jenigen, die eben gerade am häufigften citirt gefunden werden, 
und zeige, daß fie ihrer Beftimmung durchaus nicht entiprechen, 
Auffallend ift es ihm, die in Altern Schriften aufgezeichneten 
Geſchichten von Menftruation bey Kindern, von wunderbar 
fröher Gefchlechtsreife u. dgl., in den Schriften neuefter Zeit 
ohne Auswahl und Kritik wieder erzähle zu finden, und mit 
Recht wundert er fih Über die Leichtfertigkeit, womit man es 
über fih vermag, die Zahl jener Wundergefchichten durch neue 
vermehren zu wollen. — 

11. Sefhihte einer volltlommenen Atrefie 
(Atresia vag. perfecta) bis zum zwanzigſten Lebens 
jahr wegen verſchloſſenen Aymens, — Bey einem wohlges 
bauten, hädfihen, feit fehs Monaten verheyratheten Juden—⸗ 
weibe von 2o Sahren, von blühendem Ausfehen und übrigens 
geiunder Körperbeichaffenheit, ftellten, fih im ı4ten Sahre die 
‚g:wöhnlihen Worboten (molimina menstr.) und die die Mens 
firuation gewöhnlich begleitenden Erfcheinungen ein fammt den 
Übrigen ‚Zeichen der eintretenden Mannbarkeit. Mon diefer 
Epoche an kehrten jene Erjcheinungen alle. 4 Wochen wieder, 
wurden aber feit einem halben Jahre ( nämlich vor. Iinternehs 
mung der Operation) immer ſchmerzhafter, hielten länger am, 
‚fo daß die fhmerzlofen Zwiſchenraͤume oft nur 14 Tage dauers 
ten. Seit diefer Zeit nahm der Unterleib anfehnlich zu, der 
aber immer etwas aufgetriceben war: fo daß fie lange vorher 
fhon für Schwanger gehalten wurde, in welchen Wahn fie ends 
lich auch felöft gerieth.. Die Brüfte fhwollen an, die Brufts 
margen traten hervor, und es zeigten ſich aufier den erwähnten 
mehrere Erfheinungen der Schwangerfhaft.e Die Hebamme 
und mehrere um Kath gefragte Aerzte hielten den Zuftand für 


Erfahr. u. Abh. d. Krankh. d. weibl; Geſchlechts v. Naegele. 558 


graviditas extrauterina. Die Schmerzen im Unterleibe, das 
Ziehen im Kreuz und in den Schenkeln u. dgl. fliegen vier 
Wochen vor der unternommenen Operation aufs Acußerfte, und 
glihen nach der Schilderung der Pat. und der oft zugegen ges 
wejenen Hebamme , vollkommen den Geburtswehen. Bey der 
Unterfuhung. zeigte fi über den Schambeinen eine bewegliche, 
runde Gefchwulft von der Größe eines Mannskopfs, welche 
fih in die Höhe heben ließ, und nad der Entfernung der 
grojen Schamlefjen von einander, eine einer. Derbgefpannten 
Blaſe ähnliche Geſchwulſt, die von dem ausgedehnten, undurdhs 
loͤcherten Hymen herrährte. Ein Einfhnitt leerte gegen ı2 db 
5. Gewicht einer dunkelgefärdten, braunrotden, dicklichten, 
durchaus ‚geruchlofen . Flüffigkeit aus. Das fpäter nod Abs 
gegangene betrug gegen 3 db. Das Hymen war mehr als 
eine Linie dick, und derber, fefter, nach innen. ligamentöfer 
Structure. Bald nad) der. Dperation fühlte fih der Mutters 
mund auf die Art an, wie gleich nach der Geburt. (Ein Ums 
ftand, der verdient, vorzüglich von gerichtlichen Aerzten recht 
fehr behetzigt gu werden.) 

Hierauf beſchreibt Hr. M. einen ihm vor Kurgem im 
Heidelberger Gebärhaufe vorgefommenen Fall einer dur 
eine fremde Membran gänzlih verfhloffenen 
Mutterfheide (Atresia vaginalis perfecta) bey 
einer ®ebärenden. 

IV. Beſſchreibung zweyer Fälle, von Zuruͤck— 
beugung der ſchwangern Gebärmutter (retro- 
versio uteri) nebft einigen Bemerkungen über das Ver— 
fahren, die Gebärmutter in ihre gehörige Lage zurück zu bringen. 
Die den beyden Beobachtungen vorausgeſchickten Bemerkungen 
Beziehen ſich größtentheils auf die Merhode, den umgebeugten 
Uterus mittelft eines oder zwey Finger durch ben Maſtdarm zu 
reponiren, welcher in Deutfhland von Richt er zuerft vorges 
ichlagen wurde, und unter der Denennung des gewöhnlichen 
Handgriffes noch immer häufig in den Lehrbäcern. der Wunds 
irzneykunſt und Geburtshülfe angerathen wird. Diefen Hands 
griff verwirft Hr. N. gänzlich, und zeigt, daß er bey hoͤherm 
Srade von Umbeugung des Uterus, wo diefer in der Becken—⸗ 
zoͤhle wirklich befangen ift, der Repofition fonach ein bedeutens 


554 Erfahr. u. Abh. d. Krankh. d. weibl. Gefchlechtd v. Naegele. 


der Widerſtand entgegenſteht, durchaus unzulaͤnglich, und auch 
bey geringerm Grade des Uebels die Zuruͤckbringung durch die 
Scheide, jenem Handgriff bey weitem vorzuziehen ſeye. Alle 
Vorſchlaͤge, die Länge der Finger durch Inſtrumente und fünfts 
liche Vorrichtungen zu erfeken, verwirft er als zweckwidrig und 
‚gefährlich, zugleich weist er für feine Behauptung eigene und 
fremde Erfahrungen nah. Ausdrüclich fagt er S. 344, dieſe 
Bemerkung fey nicht nen, und ihre Beftimmung feye, die 
Aufmerkſamkeit nur allgemeiner auf etwas zwar Bekanntes, 
aber hoͤchſt Nüsliches und Wichtiges zu richten. — Die bevs 
‘den gefchilderten Fälle von volltlommener limbeugung der Ges 
baͤrmutter gehörten zu den ſchwierigern; und zwar befonders 
der erftere, welcher von dem Hausarzte verfannt und mehrere 
Tage mit frampfwidrigen Mitteln behandelt wurde. In beys 
den Fällen wurde vor der Ankunft des Verf. von zwey geſchick⸗ 
ten Wundärzten und Gebnrtshelfern die Nepofition durch den 
Maftdarm verfuht,. und dies Mandvre unter verfchiedenen 
Modificationen mehrere Male wiederholt, aber fruchtlos. Kr. 
N. reponirte die Gebärmutter leicht und aluͤcklich durch den 
von ihm beſchriebenen Handgriff. — Zur Ablaſſung des Harns 
vor der Operation lobt er ſehr den ganz einfachen Handgriff, 
nämlich durch mäßige Zuruͤckdruͤckung des Mutterhalfes, und 
verſichert, daß er ſich deffelden immer ; bisher mit erwuͤnſchtem 
Erfolge bedient habe. 

V. VBorfhläge zur curativen Behandlung der 
in die Mutterfheide Sich dffnenden Harnblafens 
fiftel, nebſt Beſchreibung und Abbildung einiger Sinftrumente. 
Das Uebel, zu deffen Heilung bier mehrere Curmethoden vors 
geſchlagen werden, ift die in die Mutterfiheide fich oͤffnende 
Fiftel der Harnblafe mit Verluſt der Subſtanz, und beionders 
der Fall, wo das Hebel nicht mehr neu iſt, wo die Raͤnder 
der Fiftelöffnung fchon vernarbt, calds find, — ein Webel, 
welches meift die Folge fchwerer, langwieriger Geburten, oder 
fchwieriger, fünftliher Entbindungen (defonders von ungefchickter 
Hand verrichter) ifl. Zieht man in Erwägung, daß dieſes 
Uebel entfchieden zu den größten phyſiſchen Gebrechen gehört, 
welches die daran Leidenden ſelbſt denen, die fie umgeben, uns 

erträglich macht; daß es Überdies nicht felten vortömmt; daß 


Erfahr. u. Abh. d. Krankh. d. weibl, Gefchlechts v. Naegele. 356 


es von den groͤßten Meiſtern in der Kunſt für unheilbar ges 
"halten wird, und daß man auch durch die beften der befannten 
DPaliativ Mittel nur fehr wenig, zur Minderung jener Bes. 
ſchwerden, beyzutragen vermag : fo find offenbar die Bemühuns 
gen zur Ausmittlung einer radicalen Eur derfelben lobenswerth, 
"und verdienen den Dank aller Kunftverwandten. Nachdem 
Hr. N. die zu demfelden Zwecke vorgefchlagenen Methoden 
von Hein van Roonhuyſe, Völters, Dick ſon und 
Deſailt bdeleuchter und ihre Unzulaͤnglichkeit dargethan bat, 
befchreibt er den Fall, wo er fein längft projectirtes Vorneh⸗ 
men zum erften Mal ausgeführt hat und zwar mit glücklichen? 
Erfolge. Zum Wundmachen der callöfen Ränder der Fiftelöffs 
nung bedient er fi außer der Sceere eines hierzu befonders 
verfertigten, am Griffe beweglichen, verborgenen Biſtouri's. 
Die Verfchläge zur Gegeneinander ; Annäherung ‚der Fiftelräns 
"der, damit fie fih vereinigen können, theilt er in der Ord⸗ 
nung mit, mie er fie nach einander projektirt und ausgeführt 
Hat. Weil ihm die Anbringung einer Naht in einer gemwiffen 
Höhe in der Mutterfiheide immer hoͤchſt fchwierig vorfam, fo 
fann er auf eine Vorrichtung, die Fiftelränder ohne Ligatur, 
in der gehörigen Naͤhe gegen einander bis zur Wereinigung, 
zu erhalten. Das Refultar war eine mit Stacheln verfehene 
Zange. — Mad) Verlauf von 41% Tagen nahm er fie -mit 
gluͤcklichem Erfolge wieder ab. — Der zweyte Vorſchlag befteht 
in Vereinigung der Fiftelränder durch eine Ligatur, nämlich 
duch die Umſtechung vermittelft einer !Madel (hinter deren 
"Spike fih ein mit einem Fadenbändchen durchzogenes Oehr 
befindet ) und Zuruͤckziehung derfelden. — Die dritte Methode 
befteht in der Vereinigung der beyden erwähnten. — Die 
Schwierigkeiten in der Ausführung, die leicht größer erfcheinen, 
als fie es wirklich find, werden (S. 395) fehr gemindert durch 
einig Uebung am Cadaver. — Die folgenden beyden Methos 
den kamen dem Verf. nad) den WVerfuchen, die er damit an 
Leichen angeftellt hat, weniger fchmwierig vor, als jene. Die 
eine diefer Methoden befteht in der Vereinigung durd) die ums 
wundene (oder umfchlungene) Naht, wozu er fih einer nad 
der Richtung der Beckenhoͤhle gebogenen Kornzange bedient, 
in welche eine Halbmondförmige chirurgifche Nadel mit einem 


556 Erfahr. u. Abh. d. Krankh. d. weißt. Gefchlechts v. Naegele. 


Spannhaken befeſtigt wird. Dieſe Nadel bleibt nach der Um— 
ſtechung in den Wundlefzen zuruͤck. Die Umwicklung und die | 
‚Herausnahme der Nadel ſowohl, als das Abnehmen der Ligu 
tur, geichieht auf: die nämliche Art, wie bey der Operation 
‚ber Hafenfcharte, nur mit dem Unterfihiede: daß man, um 
‚die Nadel herauszuziehen, diefelbe wieder, wie bey der Ein 
bringung, mit der Kornzange faßt. — Die andere Methote 
‚befteht in der Vereinigung durch Heften, wobey aber die Durch 
ſtechung der Fiftelränder von der innern Flähe der Harnblaſe 
aus gefhhieht. Die nad) ber Matur verfertigten Abbildungen 
‚der zweyten Kupfertafel zeigen die wirkliche Gebrauchsart jener 
Sinftrumente, die Art, fie einzubringen, ihre Lage in der aufı 
gefchnittenen Mutterfcheide u. f. w. — Zulegt fügt der Vf, 
noch die Befchreibung und Abbildung eines Katheters zu Ein 
fprigungen in, die Blafe, und zur Verhinderung des unmil 
‚türlichen Abflufes des Harnes bey. Wir flimmen dem Sf 
bey, wenn er am Schluffe S. 401 fagt: „Zum beften de 
Sache, deren Wichtigkeit fo Taut ſich ausfpricht, muß ich min 
ſchen: daß diejenigen, welche diefe VBorfchiäge einer äffentihen 
‚Beurtheilung wert halten mögen, die Sache wirklich an ir 
Natur präfen, bevor fie darüber aburtheilen. Der in Kt 
fiehende Gegenſtand gehört durchaus zu denjenigen, die Ih 
am Studierpufte nicht abthun laffen. Bey folchen Operatis 
nen ftoßen einem während der Arbeit Hinderniffe und Vortheile 
auf, auf die man am Schreibtiſche eben nicht immer fill. 
: Außer den erforderlichen Kenntniffen gehört dazu Gedult und 

- Beharrlichkeit im Verſuchen und warmer Eifer für die gult 
Sache.“ 

VI Beſchreibung einer hoͤchſt merk wuͤrdigtn 
‚und feltenen Mißſtaltung des Beckens, wegen webh— 
her der Kaiferfhnitt an einer zum fiebenten Male ſchwangern 
Merfon vorgenommen werden mußte, die vorher fünf Kinder 
glücklich. geboren hatte. Entfchieden iſt dieſes Becken unter alen, 
in geburtshälflicher Hinſicht befchriebenen deformen Becken, di 
am meiften mißftaltete, und der Umſtand, daß die Perf 
ſechsmal geboren hatte, und die außerordenzlih fhnellt 
Entſtehung diefer aͤußerſten Mißftaltung geben ihm offenbar | 
Anſpruch auf den Nang des merkwärdigften und felteften Pr 7 





Erfah. u. Abh. d. Krankb. d weibl. Geſchlechts v. Naegele. 357 


parates biefer Art, für deffen mitgetheilte genaue und’ deutliche 
Schilderung der Verf. den Dank feiner Berufsgenoffen vers 
dient. Der Fall ift Lürzlih folgender: Anna Chriftina 
Dienftähler, die Frau eines Zimmermanns zu Düne im’ 
Großherzogtum Berg, 56 Jahre alt, feit 13 Jahren verheys 
dathet, befand fih in den erften 6 Jahren ihres. Eheftandes 
vollfommen wohl, war von gefundem blühenden Ausfehen und 
gerade und mohlgebaut, einige Monathe nach ihrer vor 5 Jah⸗ 
ren erfolgten, fünften, glücklichen Niederkunft fing fie an, am 
rheumaliſcher und gichtifcher Affection, als Folge einer Verkaͤl⸗ 
tung, zu leiden. Unter öfterem Wechſel mit VBefferbefinden 
nahm das Uebel zu, und machte ihr das Gehen Auferft bes 
fhwerlih. 2 Sahre nachher gebar fie ein todtes Kind. Die 
Geburt war fehwierig, wurde jedoh durh die Naturkräftd 
vollendet; und die Hebamme, welche ihr beygeflanden, eine 
alte erfahrene Frau, verfiherte beftimme, daß die harten Gel 
burtscheile von aller Mißftaltung frey gewefen feyen. Hierauf 
nahm ihre Krankheit, die gichtiſche Affertion, wieder fo zu, 
daß fie nur mit vieler Mühe, und nicht ohne Stock gehen 
konnte, endlich, faft ein halbes Jahr zu Bette zubringen mußte; 
und, als fie wieder anfing zu gehen, ſchien das rechte Bein 
wie gelähmt zu feyn, und bey einiger Anftvengung fühlte fie in 
demfelben, fo wie in dem rechten Huͤftgelenke heftige Schmerr 
zen. — Im Anfange ihrer fiebenten und legten Schwangers 
ſchaft, welcher in den Frähling fiel, ungefähr 5 Wierteljahe 
nach der vorewähnten Niederkunft, fhienen ihre Kräfte und 
ihre Gefundheit wieder zu kehren. Zum Erflaunen ihrer Ber 
tannten fing fie wieder an, ihre Gartenarbeiten felbft zu vers 
richten, zu pflangen, zu graben, und befand fih fernerhin 
wohl, wie dies auch ihre Sefichtsfarbe zeigte; obſchon der cons 
tracte Zuftand ihres Körpers auch Außerlich fihtbar war. Der 
Ruͤckgrath war gekrümmt Die Hebamme, welche fie unters 
ſucht hatte, verfiherte, daß es außer dem Kaiferfchnitte Fein 
Mittel gebe, fie von ihrem Kinde zu befreyen. Daffelbe fand 
der zur Miederkunftszeit herzugerufene Geburtshelfer. Er vers 
richtete die Operation ganz nad den Negeln der Kunfl. Das 
Kind gab keine Zeichen des Lebens von füh; es hatte an beys 
den Seitenwandbeinen einen tiefen Eindrud, — Während der 


558 CErfahr. u. Abh. d. Krankh. d. weibl, Geſchlechts v. Naegele. 


Operation ereigneten ſich keine widrigen Zufaͤlle, und die erſten 
deey Tage nach derſelben, befand ſich die Patientin den Um— 
ſtaͤnden nad) uͤberhaupt wohl, einen Huſten abgerechnet, wels 
cher , neben dem Mangel an Aufmerkfamteit von Seiten des 
‚Chirurgen (meldhem die DBeforgung der Dperirten, wegen 
Krankheit des vorerwähnten Geburtshelfers, übertragen war ) 
die Schuld geweien, daß die Math den dritten Tag nad). der 
Dperation aufiprang. Ben vierten Tag flarb die Patientin. — 
Der Beichränteheit des Raumes wegen Übergehn wir hier bie 
angeführten, fonderbaren Umftände, welche diefen Fall zum 
Segenftand einer gerichtlichen Inquiſition machten, wozu der 
Verf., als Phyſikus, beauftragt wurde, und welche die Unter⸗ 
ſuchung der Leiche, die ſchon ſeit beynahe drey Monaten be⸗ 
erdigt war, nothwendig machte. 

Wir begnuͤgen uns, hier die Hauptzuͤge dieſer ganz — 
ordentlichen Mißſtaltung mitzutheilen. Die Wirbelſaͤule iſt ſo 
ſehr abwaͤrts gedraͤngt und die vordere Wand des Beckens 
aufwaͤrts geſchoben, daß der obere Rand der Schambeinfuge 
dem vorderen Rande der untern Gelenkflaͤche des dritten Len— 
denwirbelbeines gegenuͤberſteht. Die Darmbeine ſind wie ein 
Stuͤck ſtark gebogener oder zuſammengefalteter Pappe. zufams 
mengedruͤckt, und ihre innere Flaͤche bildet an beyden Seiten 
eine vom Darmbeinkamme zur ungenannten Linie hin ſcharf 
zulaufende Rinne. Eine, von einer der vordern und obern 
Darmbeinfpigen zur andern gezogene, gerade Linie, durchs 
fhneidet die obere Selentflähe des dritten Lendenwirbels etwas 
mehr nah Rückwärts, als in der Hälfte: fo daß alfo diefe 
Linie niht mit dem Mafftabe, fondern nur mit dem Zirkel 
genommen werden kann. Die Mißſtaltung der obern Deffs 
nung des (Meinen) Beckens ift von der Art, daß diefe Apers 
tur die Durchmeffer, welhe man gewöhnlich bey ihr annimmt, 
gar nicht Hat. Der Abftand des queren Altes des linken 
Schambeines von der ihm gegenüberftehenden Stelle des viers 
ten Lendenwirbelbeines beträgt 215 Linie, dielelbe Entfernung 
an der andern Seite 61, Linie. Wegen der Auswärtshiegung 
der Schambeinfuge, wodurch der hievon eingeichloffene, für 
die obere Apertur beftimmte Raum verloren geht, und wegen 
der Meigung der Lendenwirbelbeine, nad) der linken Seite hin 


ku 


Erfahr. u. Abh. d. Krank. d. weibl. Gefchlechts v. Naegele. 559 


kann für dem geraden. Durchmeffer des Eingangs fein anders 
ves Maß als der Durchmeſſer eines innerhalb dreyer Puncte 
gezogenen und auf der bepgefügten Abbildung bezeichneten 
Kreifes, fatuirt werden, welcher ungefähr 6 Linien meſſen 
würde. Der Querdurchmeffer des Beckeneinganges, der ebens 
falls nur mit dem Zirkel gemeffen werden kann, hält 5 Zoll. 
Die herabfteigenden Aefte der Schambeine und die herauffteis 
genden der Sißbeine find fehr ſtark einwärts gebogen, fo daß 
ihre hintern Flächen bepnahe gleichlaufend find. Die Schenkel 
des Schambogens convergiren in dem Maß, daß fie nah 
unten nur 5 Linien von einander abftehen. Die untere Apers 
tur laͤßt alfo die Annahme eines geraden Durchmeffers ebens 
falls nicht zu, indem der durch den Schambogen begränzte 
Kaum für diefelbe gänzlich verloren geht. Der Duerdurchmeifer 
der untern Apertur beträgt ı Zoll und g Linien. Das Kreugs 
bein ift jo fehr gekrümmt, oder vielmehr zufammengedrängt, 
daß feine ganze Hoͤhe nur ı6 Linien mift. Das Beden ift 
übrigens gehörig feft, hart und troden, und wiegt fammt den 
drey legten mit ihm verbundenen Sendenwirbelbeinen ı db und 
10 Ungen med. Gewicht. — Die beyden Abbildungen des 
Beckens in natärliher Größe, von Karchek geftochen, find 
vortrefflich gerathen, und gewähren mit Huͤlfe der Beſchrei⸗ 
bung des Verf. eine deutliche und gendue Vorſtellung von dies 
fer hoͤchſt merkwürdigen Mißftaltung. Die andere eben fo 
fleißig, als die erfte ausgeführte Kupfertafel gibt eine geomes 
trifche Anficht des Beckens von Oben. 

Um den Leſern die anzuftellenden Wergleihungen zu evs 
feichtern , führe der Verf. eine bedeutende Anzahl. von, darin 
dem feinigen ähnlichen, Fällen mit, daß die Mißftaltung des 
Beckens in fpätern Fahren, im erwachfenen Alter und zwar 
bey PDerfonen, die jchon geboren hatten, entftanden ift. Unter 
den hier befchriebenen, vorher nicht befannten, aber gleich 
merkwürdigen Fällen, bedauern wir hier vorzüglich den vom 
Verf. felbft beobachteten Fall des Raumes wegen nicht mitheis 
fen zu fönnen. 


Auffallend iſt die aufierordentliche Leichtigkeit des hoͤchtt 
merkwürdigen, deformen Beckens, deffen Pet. Frank ink 


feinen delect. opusc. med, Vol. V. p. 405 nur furz erwähnt, 
wovon aber Hr, N, eine dataillivte Beſchreibung gegeben har; 


560 Allgem. Repertorium der Mineralogie von Leonhard. 


welches nebft den drey Lendenwirbein nur 8 Ungen und 5 
Auenthen wiege. — Nicht als eigentlich Hierher gehoͤrend, 
fondern feiner äußerften Seltenheit wegen, fügt der Verf. noch 
die ihm von Baudelocque in einem Briefe mitgetheilte 
Beſchreibung eines hoͤchſt mißſtalteten Skelettes bey,  deffen 
Becken dieſer im erſten Bande feiner Anleitung zur Entbins 
dungstunft im Vorbeygehen erwähnt hat. — Am Schluffe 
legt er dem Urtheile der Sachkundigen eine Bemerkung vor, 
um durd die Erfahrungen anderer entweder beftätigt oder wis 
derlegt zu werden. Er fand nämlich an den bey weitem mes 
fen, ihm zu Geſicht gefommenen, durch vorhergegangene mehr 
oder weniger gleihmäßige Knochenerweichung deform gemordes 
nen Beden, die Verengerung des Beckeneinganges an dei 
linken Seite in Färferem Maße, ald an der rechten. 
Schon vor fünf und mehrern Jahren theilte er diefe Bemer⸗ 
tung mehreren berühmten Anatomen und Geburtshelfern mit, 
und erhielt durchgehende Beftätigung derſelben. Zum Belege 
führt er außer den Becken aus feiner eigenen Sammlung eine 
bedeutende Anzahl von andern befchriebener deformen Becken 
an, und theilt alsdann feine Meynung über die Urfache diefer 
Erfcheinung aus Gründen mit, deren Beherzigung wir des 
Sintereffe wegen, welches diefe Bemerkung in practifcher Hin⸗ 
fiht Hat, den Sachkundigen empfehlen, uns aber fowohl hier⸗ 
über, als über den Werth vieles ganzen, an Gegenfländen 
reichhaltigen Werkes, des Urtheiles nach den Geſetzen unferes 
Sinftitutes begeben. J. Fries. 


Allgemeines Repertorium der Mineralogie. Von C.C. Leon- 
hard, der W. W. Dr. grofsherzogl. Frankfurtischem 
General - Inspektor der Domänen etc, Erstes Quinquen- 
nium. Jahre 1806 — 1811. Frankfurt a..M. 1811. In der I 
C, Hermann’schen Buchhandlung. VIII und zı2 €. in 8. 
(2 fl. 30 fr.) ” 

Dieſe Nachweiſung alles Wiffenswürdigen in dem Gebiete 
der Mineralogie während der genannten Periode fchließe fich 
an das rähmlichft bekannte Tafchenbuch des Verfaffers an, Es 
find der Abfchnitte gehen. Die Bearbeitung ift mit Fleiß und 
Sorgfalt ausgeführt, und wir empfehlen, diefes Wert dem 
wiffenschaftlichen Mineralogen als jehr gutes Hülfsmittel, 





No: 36.  Heidelbersifhe:. 1813. 
Jahrbuͤcher der Litteratur. 


ù—— * —— — —— —*— — TUN UN 


Leitfaden der Entwickelung der philoſophiſchen Printipien des buͤrger⸗ 
lichen und peinlichen Rechts von Gottlob Ernſt Schulze 
Göttingen bei Joh. Friedrich Roͤwer. 1813. XXIII u. 430 ©. 8. 


D. Verf. nimmt an, daß es keine von der Ethik ſperifiſch 
verfchiedene, und davon den Principien und Nefultaten nach 
abweichende philofophifche Nechtsiehre gebe, fondern diefe nur 
nachzumeifen habe, welche befondre Beflimmungen die ſittlichen 
Geſetze für das Betragen der Menfchen gegen einander, durch) 
ihre Anwendung auf das Leben, und die mannichfaltigen Ders 
hältniffe der Mitglieder einer bürgerlichen Gefellihaft zu eins 
ander und zu der ganzen Gefellichaft erhalten. Diefer Anficht, 
und dem befondern Zwecke des Verf. bey diefem Werke gcmäß 
zerfällt das Buch (er befolgt‘eine andre Eintheilung) in fols 
gende Theile: I. Von der Idee des Sittlich Guten und den 
damit zufammenhängenden Begriffen : allgemeine practifdhe 
Philoſophie. II. Von der dee des Rechten, und dem Staate 
als Bedingung der vollendeten Humanitaͤt. IT. Nom bürgers 
lichen und peinlihen Rechte — als befondrem Dbjecte dieſer 
Schrift. 

I, Das Sittlich-Gute iſt etwas an ſich Schoönes, und 
wirft auf unverdorbene Menfhen‘, wie das Schöne in der 
Kunft auf Sinnvolle. Was die Kunftwerte im Gebiete des 
Schönen, das find die fittlihen ( practiichen ) Ideen im Mos 
ralifhen ; zu ihrer Aufftellung treibt die Vernunft; fie entſtehen 
durch Verediung der ſchon durch die Natur in den Menſchen 
gelegten Anlagen und Triebe, und Neinigung derfelben von 
allem Egoismus; ihr Prüfftein ift das Gewiſſen. Diefes vers 
ftärft die Wirkung der firtlichen Jdeen auf das Gemuͤth, dazu 
dient auch die Darftellung derfelsen als göttliches Gebot, die 
Erwartung von Belohnungen und Strafen , die Kirche. Sonſt 
gide es keine Nöchigung zu ihrer Anerkennung, fo wenig als 

56 


562 Leitfaden des bürger!, und pein!, Rechts von Schule, 


zur Anerkennung des Schönen. Damit flimmt Rec. (wenn er 
anders das zerftreut flehende richtig aufgefaßt hat) volltommen 
überein; nicht fo mit dem vom Verf. gegebenen Principe des 
Sittlih : Guten: es fromme der Wiffenichaft nicht; es ift kein 
allgemeiner Erfenntnifigrund des Guten. Dasjenige ift gut 
(fagt der Verf. ), „was nad den Einfihten der Vernunft dır 
dem Menichen möglichen Vortreiflichkeie in der Aeußerung feis 
ner Kräfte angemefien iſt.“ Welches iſt aber nun die dem 
Menfhen mögliche Vortiefflichkeit, welhe den Maaßſtab de 
Guten abgibt? . Das foll die Einfihe der Vernunft beftimmen. 
Has ift diefe? Das Vermögen praftifcher Ideen ($. 37.): 
und woran erkenne ich die Wahrheit einer practifchen de? 
Daran, daß fie mit den Ausiprüchen des Gewiſſens überein 
ſtimmt ($. 44. 1.) Das Princip verweiſet aljo die Frag, 
„ob etwas guet ſey?“ ganz an das Gewiffen : wozu dient & 
‚nun? Es hätte, um einen Erkenntnißgrund des Guten auf 
zufinden, aus der Vergleihung der Ausiprüche des Gewillen 
eine Regel, oder Marime die Allem zu Grunde liegen mil, 
wenn man nicht annehmen will, daß fi Wernunft und © 
wiffen widerfprechen) entwickelt werden muͤſſen; dieſe Reyl, 
nad) der das Gewiſſen, freylich nicht mie Elarem Bewußtlen, 


fpricht,, würde ein wahres und fruchtbares Princip abgegebn 
haben. Iſt es aber unmöglich, diefe Regel aufzufinden, 


hätte auch der Verf. von einem Principe gar nicht fpreden 
follen. Wir fahren in der Darftellung des Buches fort. 
Nur wer gut handelt, handelt wahrhaft frey, und mer 
liſche Freyheit iſt als die Faͤhigkeit der Vernunft zu denten, 
die Kraft, womit die Idee des Sittlich-Guten unſern Willen 
afficire, bis zu dem Grade zu fleigern, daß fie den Einfui 
aller finnlihen Begierden auf unfern Willen überwiegt. Zu 
Tugend gehören drey Dinge. Erkenntniß des Guten (dev din 
Menſchen in. allen Werhältniffen erreichbaren Wortreflihtet) 
Wollen des Guten um feiner felbft willen, Feftigkeit des Tr 
faßes in der Ausführung des ald Gut Erkannten. Koſtet 4 
einen Kampf gegen finnlihe Neigungen, um das Gute zu rw 
lifiven, fo nimmt es den Charalter als Pflicht an; fichen aber 
jene dem Intereſſe am Guten von ſelbſt nach, fo ift Lieber 
Guten vorhanden. Wenn das Gute nur in der That lieg 


Leitfaden des bürger!. und peinl. Nechtd von Schulse. 563 


ohne aus Hochſchaͤtzung und Liebe des Sittlichen zu entfpringen, 
dann ift nur Legalicät gegeben. Tugend ſchließt die Gluͤckſe— 
tigkeit nicht aus, fo wenig als die Pflicht alles Vergnügen: 
das Bewußtſeyn der Tugend (die innere Harmonie unfers 
Lebens und Gewiſſens) tit felbft Quelle eines neuen Vergnuͤ— 
gend. Das Lafter vielmehr zerftört gemöhnlih die Gluͤckſelig⸗ 
keit, und auch der verftändigfte Menfh, der nur nad dem 
Angenehmen ringe, wird den unangenehmen Folgen feiner 
Handlung nicht immer entgehen. Kine aus felbfiverfchuldeten 
Mangel an Erkenntniß des Guten, oder aus Mangel an Wil— 
lenskraft habituel gewordene Nichts Erfüllung der Pflicht ift 
Untugend; ein Handeln nah dem Grundfage, in Befriedts 
gung feines Egoismus fih um die Gebote der Pflicht nicht zu 
fümmern, Lafterhaftigkeit; diefes und jenes ift boͤs, die Lafters 
Haftigkeie mehr. — Diefe Grundiäge nun machen die allges 
meine practifhe Philofophie aus, die jedoch der Verf. nur in 
der befondern Beziehung auf bürgerlihes und peinlihes Recht 
ausgeführt hat. Die ſpecielle practiiche Philofophie enthält die 
Ethik, Potitit und das Wölkerrecht, je nahdem die Idee des 
Sittlih : Guten auf die Kräfte des einzelnen Menihen, oder 
die Thaͤtigkeit der Bürger im Staate, oder die Verhältniffe 
ganzer Staaten gegen einander angewendet, und gezeigt wird, 
wie jene Kräfte, TIhätigkeiten und Berhältniffe zu ordnen feyen, 
damit jeder Einzelne an fih, jeder Staat in fih, und die 
Völker in ihrer Wechſelwirkung die dee des Guten möglichft 
realifiren. Dazu koͤmmt noch die Pädagogik als die Lehre, 
wie die Kräfte des Menfchen von der erften Periode des Les 
bens an geübt werden müffen, damit er in den Sjahren der 
Mündigkeit fein Handeln durch Vernunft zu ordnen im Stande 
fey. Der Verf. beichränft fih auf Politik. 

II. Die Ideen der Achtung , des Wohlwollens und ber 
DBilligkeit gegen andre Menfhen machen die Elemente des 
Nechten aus. Die Idee der Achtung entipringt aus dem Bes 
mwußtieyn, daß der Menfch um feiner Vernünftigfeit willen 
nicht als bloßes Mittel für die Zwecke eines Andern exiſtire, 
und behandelt werden dürfe. &teigert fich die natürliche Theils 
nahme an den Freuden und Leiden Andrer bis zur Aufopfes* 
rung des eignen Wohlſeyns für fremdes, und erfirecft jie ſich 


564 Leitfaden des bürger!, und peinl. Nechts von Schulze, 


auf gleiche Weife auf das ganze menfchliche Gefchlecht, fo wird 
die Idee des Wohlmwollens lebendig. Meflen wir unfer Des 
tragen gegen andre nad) ihren individuellen Zuftänden und nach 
ihren Verhältniffen zu uns ab, fo handeln wir nach der dee 
der Billigkeit. Iſt diefe nad) der Idee der Billigkeit abgemefs 
fene Handlungsweiſe zugleich der allen Menihen fchuldigen 
Achtung entfprechend, fo iſt fie recht, oder enthält das Rechte. 
Das Rechte in dem Betragen gegen andre muß über dasjenige, 
was zu dem Recht eines Menſchen gehören fol, Aufichluß 
geben, das Subjectiv-Rechte Über das objective Necht, und 
der hoͤchſte Grund von diefem liegt darin, daß die Handlung, 
worauf es fi bezieht, durch die moralifhe Beſtimmung des 
Menſchen geboten ift (jedes Recht feßt eine Pflicht voraus, 
$. 129.). — Der Menfch hat alfo fein Necht „nicht Allmos 
fen zu geben,“ weil es. eine Pflicht ift, Allmofen zu geben; 
der Staat kann, daher Allmofen zu geben befehlen. Der Menſch 
bat alfo kein Recht „nicht zu heyrathen,“ weil, wenn bie 
Pflicht etwas über die Ehe ausfagte, fie felbe eher gebietet ; 
jeder Menſch kann aljo zum Heyrathen angehalten werden! 
Cvortrefflich für das onferiptions s Spflem!) Der reihe 
Släubiger hat alfo fein Recht, den armen, hoͤchſt beduͤrftigen 
Schuldner auszupfänden, da er ihn eher unterftüßen follte? 
In allen. diefen Fällen wird das Gefühl eines jeden Refers ges 
gen den Verf. feyn. Dadurch aber muß eine Theorie, die ſich 
auf eine Darlegung der dem menſchlichen natuͤrlichen Gefuͤhle 
ſtuͤtzt, hoͤchſt zweifelhaft werden. 

Ehe es Staaten gab, gab es Menſchen, die ſchon in eis 
ner Art gefellfchaftlicher Verbindung lebten, welde durch den 
ihnen einwohnenden Gefelligkeitstrieb, ferner durch den Ss 
fhlechtstrieb und deſſen befondere Einrichtung in unfrer Natur, 
endlich duch die vieljährige Abhängigkeit des Kindes von den 
Aeltern geftiftet wurde ( Familienverbindungen).. Meue Bes 
duͤrfniſſe, Vermehrung der Stämme, Verhaͤltniſſe zu andern 
Stämmen, Höhere Kultur, Erkenntniffe der Wortheile des cis 
vilifirten Lebens führte größere Gefellfchaften, Staaten herbey. 
Sjeder Menfhenftamm, der feine gemeinſchaftlichen Angelegens 
‚heiten aus eigner Machtvolllommenheit ordnet, und feiner 
| außer ihm gehorcht, iſt ſchon ein Staat: doch denkt man fich 


Leitfaden des buͤrgerl. und pein!. Rechts von Schulze. 565 


diefen gewöhnlich nur dann vollender, wenn in der Geſellſchaft 
auch eine Macht exiſtirt, welche die Mitglieder zu Handiungen 
verpflichtet, die auf das allgemeine Wohl (die Erreichung des 
geſellſchaftlichen Zwecks) Bezug haben. Die Entſtehung einer 
ſolchen Macht laͤßt ſich aber vernuͤnftiger Weiſe, da Menſchen 
keine Thiere ſind, nur aus einem uͤbereinſtimmenden Wollen 
aller Mitglieder der Geſellſchaft erklaͤen. Nach einer Idee 
der Vernunft beſtimmt iſt der Zweck des Staates kein andrer, 
als Beförderung. einer von Generation zu Generation fortges 
Henden, und der Vollendung fih immer mehr nähernden Ents- 
wicklung aller diefe Natur (?) ausgeichnenden Anlagen bey 
feinen Bürgern. Es ift unleugbar, daß der Menſch erft in 
Verbindung mit andern, im Staate das wird, was er feiner 
Matur nad werden kann und ſoll. So wie aber die Indivi— 
duen verfchieden find, fo auch die Nationen (durch die Natur 
des Landes, das fie bewohnen, Einfluß des Climas, und auss 
gezeichnete Menſchen, frühere Schickſale): und aus biefer- 
Verfchiedenheit entipringt es, daß die Ausführung des dem 
Staate mweientlihen Zweckes bey jedem Volke einen eignen Chas 
rafter, eine eigne Form erhält. Der Staat: befißt vermöge 
feiner Natur und Selbftftändigkeit die Befugniß, jedem Ans 
griff auf feine Exiſtenz und feinen Zweck Widerftand zu thun; 
daher das Recht, feinen Verordnungen durch Zwang Sehorfam 
zu verfchaffen. Wer das Neht hat, diefe Verordnungen zu 
geben, heilit das Oberhaupt ; als folches hat es in allen Dins 
gen der Regierung feinen höheren Über fih; alle andern Glie— 
der des Staates find Unterthanen. Die Gewalt des Souveräng 
iſt jedoch durch den Zweck des Staates beſchraͤnkt: er foll nur 
jene Mittel gebrauchen, die zu feiner Erreichung führen: wels 
yes diefe feyen, bleibe feinem Ermeffen allein uͤberlaſſen. Was 
die Stage Über die befte Staatsverfaffung betrifft, fo ift fie 
en aufgeworfen eigentlich feiner Beantwortung fähig. 
Gute nämlich, welches durch eine der verfchiedenen Staats⸗ 
verf lungen bewirkt werden kann, ift durch Denkart, Sitten, 
Ku; ,ır und Lage des Volkes bedingt, und fordert, um zu ges 
deihen, gleichfam wie jede Pflanze einen eignen Boden und 
ein befonderes Klima. Die durd) kein Staatsgefeß eingefchränkte 
Gewalt des Negenten aber ift nur ausnahmmweije gut ols ein 


566 Leitfaden des bürger!. und peinl. Rechts von Schule, 


Damm gegen den Ausbruc heftiger Leidenschaften; im Ganzen 
wird fie durch Vernichtung alles Eifers für büärgerlihe Tugend 
fhädlih. Die Stärke, Gelundheit, und darum äußere Macht 
eines Staates hänge ab von der Herrfchaft folcher Grundjäße, 
durch die eines jeden Bürgers Thätigkeit eine Richtung auf 
den gemeinfamen Zweck des bürgerlihen Vereins erhält, und 
der für die Verwirklichung diefes Zwecks feftgefchten Verfaſſung 
angemeffen ift. Die Staatsiehre felbft nach Verfchiedenheit der 
Principien, die feine Thätigkeit leiten müffen, zerfällt in die 
Staatsrechts » Lehre, Bürgerrechte ; Lehre, Staatshaushaltungss 
Lehre und Criminalrechts Lehre. Den zweyten und vierten 
Theil der Staatsiehre darzulegen, iſt Zwed des vorliegenden 
Bude. | 

III. Ale bürgerlihen Nechte beziehen ſich entweder auf die 
Verhältniffe des einzelnen Bürgers zur Totalität der Geiells 
ſchaft (das Öffentlihe Recht), oder zu andern einzelnen Vuͤr— 
gern ( Privatrecht). Da die dem Menfhen beywohnenden 
Triebe feine ihrer Natur mwiderfprechende Richtung erhalten 
fönnen, wenn in ihnen nichts feiner Natur miderfprechendes 
entfichen foll, und der Staat vermöge feiner Beftimmung den 
menfhlichen Fähigkeiten zum Guten einen befondern Wirkungss 
freis verftatten foll; fo made der Bürger mit Necht Aniprüce 
darauf, feine Kräfte naturgemäß entwickeln, aber auch das 
Leben im Staate zur Darftellung menſchlicher Vortrefflichkeit 
benußen zu dürfen. Diefe Anſpruͤche faffen ah auf folgende 
Titel zurückführen. 1) Das Recht auf buͤrgerliche Selbſt— 
ſtaͤndigkeit (Perſönlichkeit) d. h. das Recht des Bürs 
gers auf eine feiner Individualitaͤt angemeſſene Ausbildung der 
ihm beywohnenden Anlagen, auf die Benußung feiner Verbins 
dung mit dem Staate zu diefer Ausbildung, und auf den Ges 
brauch feiner ausgebildeten Kräfte zu jedem als gut erfanngen 
Zwecke, fobald er nichts dem allgemeinen Wohl des 
nachtheiliges enthält, worüber der Souverän zu urth | 
2) Zur bärgerlihen Gewiſſensfreyheit ‚gehört Das 
Recht, duch den Staat zu nichts verbindlic gemacht zu wers 
den, was nad) dem Urtheile des innern Richters Über unfer 
Thun und Laffen etwas Boͤſes ausmacht. 3) Durch das Recht 
auf Verdienſtlichkeit um den Staat iſt der Bürger ber 






Leitfaden des bürger!. und peinl. Rechts von Schulze. 567 


fügt ‚ ſich jede Art des DVerdienftes um den Staat, wozu ihn 
feine Kräfte und deren Ausbildung befähigen, zu erwerben, fo 
wie auch auf alle Belohnungen, wodurd Verdienſte ausges 
zeichnet werden, Anipruch zu machen. Dieſe drey Nechte mas 
chen die wefentlichen Beftandtheile der Bürgerlichkeit aus, die 
durch feine Form des Staates aufgehoben werden können, aber 
auch nur gefunden und mündigen Staatsgliedern (mit befons 
derer Ruͤckſicht auf den Unterfchied der Gefchlechter ) zuftehen. 
— Alle Privartrehte find entweder perfönliche oder dingliche, 
indem fie entweder in rechtmäßigen Anfprähen auf Beſtim—⸗ 
mung der äußern Thätigkeit einer Perfon, oder auf den Ges 
brauch äußerer d. h. vom menfihlihen Körper verſchiedenen 
Sachen beftehen. Alle perfönlihe Nechte (ausgenommen die 
aus den Familienverhältniffen entfpringen ) beruhen auf Ders 
trägen. Zur Möglichkeit des Verkehrs, und damit die natuts 
gemäße Einheit des aͤußern und inneren Menfchen nit aufges 
hoben werde, iſt Wahrhaftigkeit nothwendig; die Idee der 
Wahrhaftigkeit aber erfordert, ein gemachtes Verſprechen zu 
erfüllen, um fo mehr, als es inhuman ift, fruchtlofe Hoffs 
nungen zu erregen, oder einem andern durch eine erregte Er— 
mwartung Unkoften zu verurfahen. Jeder Vertrag feßt Webers 
einftimmung des Willens der Paziizenten voraus; ift feine 
ſolche Webereinftimmung möglih (wegen mangelnden Vermoͤ⸗ 
gens nad Abfihten zu handeln), fo iſt er nichtig, ferner, 
wenn die Willensvereinigung nicht wahr, fondern nur fcheinbar, 
d. h. durch einen weientlichen, Irrthum (in Morausfegungen, 
die allein. dem Vertrage fein Dafeyn gaben) veranlaft mar, 
oder durch -ungerehte Gewalt erzwungen, oder ‚nicht duch 
äußere Zeichen erklärt, das Verſprechen ein unbeftimmtes phys 
fiih oder moralifh unmögliches. Die aus gültigen Verträgen 
entipringende Verbindlichkeit, obgleich fie urfprüngfih nur eine 
innere (für das Gewiſſen) ift, kann der Staat in eine Zwangs— 
verbindlichkeit verwandeln, kraft feiner Verbindlichkeit und feis 
nem Nechte, auf ein den fittlichen Sjdeen angemefjenes Leben 
der Bürger zu wirken, gleihfam als ein Subftitut oder Ger 
bülfe des Vernunftzwangs, wodurch freylich nur Legalitaͤt bewirkt 
wird. — Auf den Familien beruht die Stärke der Staaten, 
die Familie bildet die Tugenden aus, nicht die Welt. Das 


568 Leitfaden des buͤrgerl. und peinl. Rechts von Schulze, 


Band der Familie macht die Ehe, ihr erftes Element ift der 
Geſchlechtstrieb, von feiner Veredlung hängt alles ab. Er 
wird veredelt duch den Sinn für Schönheit, durch die Ges 
fühle der Liebe und Verehrung gegen die moraliihen Vollkom⸗ 
menheiten einer Perfon andern Gefchlechts, dadurch, daß man 
die Erzeugung neuer Individuen (und nicht den Genuß) zum 
Hauptzwecke erhebt, und alle aus der Zeugung entipringende 
Pflichten mir Liebe übernimmt. Poliandrie hat Überall nur 
die Noth erzengt; Vielweiberey erzeugt häuslichen Deipotismug, 
und dadurch den Defpotismus im Staate; Monogamie ift dies 
jenige Form der Ehe, welche der Vernunft allein zufagt, und 
fobald hervortriet, als fih der Mann über den Zuftand der 
Roheit und Wildheit erhebt, in dem Stärke am meiften gilt, 
und dadurch das fhwächere Weib in Unterdrücdung lebt. Mit 
der Nechtsgleichheit ift Monogamie gegeben. Phnfiihe Reife, 
die der moralifhen zuvoreilt, hält freylicdy in manchen Gegen— 
den das weibliche Gefchlecht nieder, begünftige Wielweiberen, - 
doch ift fie auch in den Morgenländern mehr Sache der Uep— 
pigkeit der Meichen, als des Volks, nie der Bevölkerung zus 
traͤglich, und dem natärlichen Verhaͤltniſſe der Gefchlechter faum 
gemäß. Ausihweifungen des Geſchlechtstriebs untergraben die 
Sittlichkeit und dadurch den Staat; am verderblichften ift die 
Eorruption der Weiber, die nichts mehr bindet, wenn fie eins 
mal die Schranfen der Sittfamkeit und Keufhheit durchbrochen 
haben; und da in den Familien von ihnen fo vieles, die ganze 
erfte Erziehung der Kinder abhängt, wie muß dies auf den 
Staat wirten? Die Erhaltung der Sittenreinheit in den Fas 
milien fpricht gegen die Ehe naher Blutsverwandten. Mit 
Recht, auf daß ja nicht vergeffen werde, wie der Menfc den 
Geſchlechtetrieb nicht nad) Weife der Thiere befriedigen foll, 
ift die Abſchließung einer Ehe an Feyerlichkeiten gebunden (mo 
möglich veligidfe ) ; wider den Leichtſinn fchüßt das Erforderniß 
eines gewiffen Alters, die Einwilligung der eltern, oder des 
ten, bie ihre Stelle vertreten; die Liebe fordert eine aus— 
fchließende Verbindung auf Lebendlang. Nur wo Hinderniſſe 
eintreten, die es unmöglich machen, den Zweck der Ehe zu ers 
reihen, oder eine Collifion der ehelichen Pflichten mit andern 
unumgänglichen, fowohl gegen andre Menfchen, als gegen den 


Leitfaden des buͤrgerl. und peinl. Rechts von Schulze. 569 


Staat, da ift ein Verbot der Ehe, oder eine Trennung nicht 
gegen die Vernunft. Aber die Ehen zu erſchweren, oder ihre 
Trennung zu fehr zu erleichtern; beydes. führet zu Unſittlichkeit. 
Die lleberiegenheit des Mannes an Verſtand und Feftigkeit 
des Willens macht ihn zum natärlihen Oberhaupt der ehelis 
hen Sefellihaft, darum folgt die Frau dem Manne, auch im 
Wohnorte (denn beyde bilden nur ein gemeinfihaftliches Hauss 
weſen): im uͤbrigen find alle Rechte gleih; Gemeinfchaft der 
Güter fließt aus den Geſinnungen der Freundfchaft und Liebe, 
die das jhöne Band der Ehe bilden, Die Liebe und Zärtlihs 
keit, "welche die Natur ſchon in das Herz der Aeltern gegen 
die Kinder gelegt hat, von allem Egoismus geläutert, beftimme 
die Verbindlichkeit jener gegen diefe in Ruͤckſicht auf Erziehung 
(diefe gibt das Maaß der älterlichen Gewalt) und Ernährung; 
in beyden find die Nechte und Derbindlichkeiten des Mannes 
und des Weibes gleich. Die Stelle ber Aeltern bey verwaiss 
ten Kindern vertritt der Vormund; da bey ihm feine Alterliche 
Liebe vorausgeſetzt werden kann, ift feine Gewalt mehr zu bes 
fhränfen. Die Kinder find den eltern Dankbarkeit, und 
darum Gehorfam und Unterfiüßung fhuldig, wenn jene ihrer 
bedürftig find. Da von dem Zuftande der Familien fo viel 
abhängt, fo beftimmt der Staat mit Hecht die Verhättniffe 
zwifchen Aeltern und Kindern genauer, und fpricht fie als 
Zwangsrechte aus. Unehlih Geborne aller Anfpüche gegen den 
Vater berauben, ift Ungerechtigkeit. — Es gibt einen phyſi— 
fhen und moralifhen Befis ( Eigenthum ) äußerer Sachen. 
Sjener befteht in der mit dem Willen, fie zu gebrauchen, vers 
bundenen Einwirkung auf eine Sache, welche das Einwirken 
anderer Menſchen auf diefelbe ausichließt (es gibt alſo nur 
einen Befiß deffen , was ich am Leibe oder unter Schloß und 
Kiegel habe?) : vieler ift vorhanden, wenn ich jeden andern 
von dem Gebrauche einer gewiffen Sache auszufchließen berech— 
tigt bin. Die Entfiehung des Eigenthums wird veranlaßt 
durch das Verlangen des Menfchen nah äuferen Sachen, weil 
er ihrer zu feiner Erhaltung bedarf, und nah einem Fleck 
Erde zur Unterbringung feiner Perſon; er hält es für natürs 
lich, dasjenige, morauf er ‚feine Kräfte verwandt hat, aus 
ſchließend zu beſitzen; Sorge für die Zukunft, und Furcht vor 


570 Leitfaden des bürgerl, und pein!. Nechts von Schulze. 


möglihem Mangel bey vermehrtem Gefchleht macht es ihm 
wünfchenswerth, was er einmal inne hat, für immer zu bes 
halten (io lange fein Wille dazu fortdauert); und diefes 
Derlangen wird Necht durch die Mochwendigkeit, daß der 
Menſch von der äußern Natur unabhängig fey, und über fie 
herrſche, wenn er fich fietlih, ja überhaupt ausbilden foll. 
Was der Verf. von den Beſchraͤnkungen des Eigenthums, von 
der Vertheilung des Landeigenthbums, dem Buͤchernachdrucke, 
Decupation, Snteftaterbfolge, Teftamente, Verjährung fagt, 
erlaubt der Raum nicht quszuziehen. 

Vom Strafrechte lejen wir folgende Ableitung. Das ung 
von andern erwieſene Wohlwollen erregt Mohlgefallen, das 
uns erwiefene Uebelwollen dagegen Mißfallen. Jenes reizt] ung 
zur Dankbarkeit, diejes zum Widerfiande, der entweder auf 
Hemmung der fchädlichen Wirkfamkeit, oder Vertilgung der 
fhädlihen Folgen, oder Erfaß, oder Sicherheit für die Zu 
Zunft gerichter iſt. Diefe Sicherheit wird auch dadurch zu ev 
halten geſucht, daß wir dem Beleidiger ein ‚gleiches oder ähnliches 
Wehe zufügen, ale er uns verurjacht hat, gleihfam als ein 
nota bene, daß er ung nicht ungeftraft beleidigen könne, fons 
dern dadurch jeldft sein Uebel über fih bringe — Mit diefer 
Ableitung tft allerdings gezeigt, daß im Menfchen der Trieb 
liege, Uebles mit Ueblem zu vergelten, was Niemand leugnet ; 
die Frage ift aber nad) dem Nechte einer folchen Wiedervergels 
tung, oder (um mit dem Verf. zu fprehen) ob eine folche 
MWiedervergeltung mit dem &Subjectiv s Rechten, den practifchen 
Ideen übereinftimme ? „Denn der Menih hat. nur ein Necht 
auf dasjenige, was Beziehung auf feing fittlihe Beſtimmung 
und auf die Bedingungen der Erreichung einer foldhen Beftims 
mung hat.“ Ein folhes Verhältniß der Wiedervergeltung zur 
ſittlichen Beftimmung ift nirgendwo nachgewieſen. Zwar heißt 
es $. 249.: „Befonders wird durch die Wiedervergeltung der 
angethanenen und beabfichtigten Beleidigungen der Meigung 
hiezu eine Einfchränfung bereitet, ohne welche fie bald triums 
phirend werden, und die Menfchengattung ohne Schuß feyn 
würde.“ Hiernach wäre die Strafe recht, um den Untergang 
ber Menfchengattung zu verhüten; da fie aber gegen began— 
gene Beleidigungen feinen Schuß gewährt, fondern nur gegen 


Leitfaden des bürger!, und peinl. Rechts von Schulze. 571 


zukünftige, und gegen diefe nur durch Abſchreckung, fo fiele 
die Theorie des Verf. mit der fehr gründlich von ihm miders 
legten Abjchresfungss Theorie zufammen. Daffelbe trifft feine 
Ableitung des. dem Staate zuitehenden Rechts, die ihm auges 
thanene Beleidigung zu flrafen aus dem Rechte zur Gelbfters 
haltung, und alfo Seldftvertheidigung ($. 251.): denn gegen: 
das Geſchehene gibt es keine Vertheidigung mehr, nur gegen 
das Zukünftige, und dies nur durch Erregung der Furcht vor 
der Strafe, und wirklihe Strafezufügung (kurz Abſchreckung, 
wo nicht ewige Sefängnißs oder Lebens: Strafe recht ift, und 
dieſe Sicherheit gewährt). Im $. 250. heißt es endlich: „die 
MWiedervergeltung muͤſſe duch die Bernunft geleitet werden, 
und wenn fie gerecht ſeyn wolle, innerhalb der Graͤnzen einer 
gerechten Nothwehr bleiben “: damit ift aber nichts weiter ges 
zeigt, ald wenn die Mothwehr entichieden unrecht, keineswegs 
aber, daß fie überhaupt gerecht fey. ( Wenn dem Subject A 
das Prädicat Non. B nicht zukömmmt, fo folge nicht daraus, 
daß ihm das Prädicat B zukomme.) — Was die jBegriffe 
von Zurehnung, Vorſatz u. ſ. w. betrifft, fo flimme der Verf. 
im Wefentlihyen mit den gewöhnlichen Anfichten überein. _ Zus 
rechnung feßt voraus, daß Jemand freyer Urheber einer That 
habe feyn können; die Schuld ift defto größer, je weniger der 
finnlihen Regungen waren, die um Hecht zu handeln hätten 
überwunden werden muͤſſen (das möchte fih in concreto doch 
fhwer anwenden laffen!). Wenn ber Thäter Bewußtfeyn der 
in feiner That liegenden Pflichtwidrigkeit hat, fo. ift Vor— 
faß, fehlt jenes Bewußtſeyn, Fahrläffigkeit gegeben. Diefe 
kann entipringen aus Mangel an Aufmerffamkeit auf uniere 
Pflicht, oder die Folgen unfrer Handlung. Am lebten Falle 
iſt fie größer oder geringer, je nachdem die Folgen enweder 
nothwendige, oder gewöhnliche, oder ungewöhnliche waren. 
Der Grad der Einfiht und der Veurtheilungetraft, den der 
Thaͤter befaß, muß beräcfichtige werden. . Eine Uebelthat kann 
durch einen allein (Urheber) oder durch die vereinigte Kraft 
mehrerer ausgeführte werden (Gehuͤlfen — nad) der That Theil 
‚nehmer ). Wer durch eine vorfäßliche Uebelthat als Folge dews 
ſelben auch noch eine kulpofe begeht, leidet für beyde Strafe. 


572 Leitfaden des buͤrgerl. und peinl. Rechts von Schulze. 


Mit dem freyen Gebrauche der Geiſteskraͤfte, wenn er unvers 
ſchuldet ift, fälle audy ale Zurehnung weg. Was nicht den 
Zwecen des Staates entgegenwirkt, bloße Gedanken werden 
nicht geftraft. Alle Uebelthaten werden eingetheilt in Verbre— 
hen und Vergehen, je nachdem fie auf Zerftörung derjenigen 
Drdnung , wovon die Fortdauer und das individuelle Leben 
eines Staates abhängt, gerichtet find, oder nur das Wohlſeyn 
(nit das Seyn) des Staates in Gefahr bringen. ( Zerftört 
aber nicht allgemeine Unfittlichkeit einen Staat, und doch ift 
diefe, wenn fie fih in Handlungen ausfpricht, nur Vergehen, 
feldft nach dem Verf, und rechnet man nicht allgemein den 
Diebdftahl zum Verbrechen, der doch in geringem Grade die 
Eriftenz eines Staates nicht zerftört?) Die Strafwärdigkeit 
einer Uebelthat hängt ab von der Größe des Schadens, ber 
dem Staate ängefügt wird, und von der Größe der Schuld 
des Webelthäters in Anfehung der That; überhaupt von. der 
Größe der Gefährlichkeit eine Uebelthat für den Staat. Affec⸗ 
gen vermindern die Strafdarfeit, Leidenfchaften nie; auch liegt 
es in der Natur des Menfchen, weniger beleidigt zu feyn, 
wenn eine Handlung den beabſichtigten fchädlichen Effect nicht 
hatte, als wenn Schaden eintrat, Bey der Wahl der Straf 
übel kann man außer der Seldfterhaltung und Sicherheit auch 
nod) auf Befferung fehen; bey Ehrenftrafen ift befondere Vor— 
fiht anzuwenden; Todesftrafe it recht, weil Fälle eintreten 
können, wo fie zur Sicherheit (?) gegen den Verbrecher uns 
entbehrlich iſt; doch foll der Staat durch zwerfmäßige Gefängs 
niß s Anftalten darauf hinarbeiten, daß er fie entbehren könne. 
(Wir Haben alfo ein Recht, Menfchen todt zu fchlagen, weil 
wir ungeſchickt, oder nadhläßig find!) Das Begnadigungss 
recht wird gebilligt unter der Einfchränfung, daß dadurch des 
Staates Sicherheit gegen Wiederholung derfeldben oder Ahnlis 
cher Verbrechen nicht vermindert werde. (Mer will das im 
Voraus beflimmen?) 

Dies ift im Wefentlichen die Lehre des Verf., die Rec. 
fo viel möglich mit feinen Worten wiedergegeben hat. Der Les 
fer fann nun beurtheilen, ob die Unmöglichkeit der NRechtsphis 
loſophie als befonderer Wiffenfchaft erwiefen, und durch die 


Domitii Ulpiani fragmenta. 573 


Anfiht des Verf. die Miffenfchaft gefördert und mit neuen 
Nefultaten bereichert fey, oder nicht. 


Domitii Ulpiani fragmenta libri regularum singularis, uti videtur, 
vulgo XXIX tituli ex corpore Ulpiani. Denuo recensuit 
Gustavus Hugo, Berolini imp. Mylü 1811. VI und 
52 ©. 8 | 
Der berühmte Herausgeber hat auch durch diefe Arbeit 

feine vielen Verdienfte um gelehrtee und wiffenfhaftlihes Stus 

dium des Römifchen Rechts vermehrt. Schon das ift dankens 

werth, daß er, nachdem feine frühere Ausgabe (von 1788) 

vergriffen war, abermals Gelegenheit Hab, dieſes ſchaͤtzbare 

Büchlein für einen folhen geringen Preis anzufchaffen, daß 

von der Seite fein Hinderniß den darüber zu haltenden Wors 

leſungen und eignem Studium, welche den größten Nutzen 
gewähren müffen, im Wege fteht. Aber — wie ſich vom Hers 
audgeber, der bey jeder Ausgabe einer eignen Schrift fait ein 
neues Buch liefert, nicht anders erwarten ließ — auch das 
denuo recensuit fteht nicht müilfiig auf dem Titel, und fo 

Darf ſich auch die Kritik Ulpians Vortheile von dieſer Arbeit 

verfprehen. Worin das in diefer Beziehung Geleiſtete beftehe, 

gibt die kurze Vorrede (die ausführlichere der erſten Ausgabe 
iſt weggeblieben ) im Allgemeinen an, und ift bier prüfend 
näher darzulegen. | 

Ulpians Worte feldft lefen wir Hier mehr, mie fie ſchon 
früher gedruckt waren, als in der Ausgabe von 1788, in wels 
cher manche Eonjecturen Andrer und eigne etwas zu raſch aufs 
genommen find. (Manche der damaligen Lesarten vel incuria 
fuderat, vel nimium fere grammaticae studium emenda- 
verat heißt es in der Vorrede.) Hierher gehörige Aenderuns 
gen bemerkte Rec. in den erften 16 Titeln, die er genauer 
durchging, ohngefähr eben fo viele größtentheils beyfallswerthe. 

So ift 3. B. t. 2. $. 6. anftatt des von Schulting vorgefchlas 

genen der genauen consequutio temporum angemeffenere 

nolit !wieder das in den KHandfchriften vorfommende nollet 
geſetzt, ohnftreitig weil Ulpian in bdiefen Feinheiten nicht fo 


674 Domitii Ulpiani fragmenta. 


genau ift, daß man darauf mit Sicherheit eine Emendation 
bauen fönnte; t. 6. $. 2. ift anftatt des mit Meermann in 
der erſten Ausgabe geliebten constitutus Mieder das feltnere 
und doch auch paßliche institutus aufgenommen; t. 9. in der 
Ueberſchrift ift die von Schulting vorgefchlagene und von 
Meermann gebilligte Emendation de his quae in manu sint 
mit Recht verlaffen, und qui gefeßt, indem diefer Abfchnitt, 
von welhem wir nur ein auf die Frauen gehendes Bruchftück 
haben, hoͤchſt wahrfcheintich auh von Hausföhnen handelte; 
t. 11. $. 6. 8. 17 2. tft anftatt des Herausgebers eigner in 
die erfie Ausgabe aufgenommenen Emendation tutelam cedere, 
wieder die fchwierigere und fehr gute Lesart der Handfchriften 
tutela cedere gefeßt, u. f. fe. Nur in wenigen Fallen wuͤnſch⸗ 
ten wir die ältere Lesart zuruͤkk, als t. 7.9.4. wo es, mit 
den Handichriften, quasi per ignorantiam ohne ordentlichen 
Sinn heißt. Unſers Beduͤnkens war nach der Anfiht früherer 
Herausgeber entweder quasi zu fireichen, oder mit der erften Hu—⸗ 
go'ſchen Ausgabe, civem einzufhieben. So auch t. 17. $.5.4, 
wo Senatusconsulto Perziciano, Galvitiano- anftatt der vor 
Schulting vorgefchlagenen Persiciano Calvisiano der erften 
Ausgabe reftituiret find, da dod von einem. Pernicius und 
Calvitius fchwerlich etwas vorfommen wird. Auch vermißten 
wir in der jeßigen Ausgabe ungern die Ergänzungen von ein 
Paar Läden, welche zu Anfang des Buches und am Ende des 
ııten Titels hier fogar auf Autoricät einer Handſchrift vorge— 
fchlagen find, und welche menigftens in Noten hätten ftehen 
mögen. — Die vorher noch nie in den Tert aufgenommenen 
fesarten, welche nun hier vorfommen, 11 an der Zahl, weist 
die Vorrede nah, als aus Eujacius, P. Victorius *), Sa— 
vigny’s und des Herausgebers Emendationen entitanden. Wir 
finden darunter eine Eujacifhe t. 1. $. 11., eine, vielleicht fos 
gar 2 Schuftingifher. 20. $5., t.26. $.ı(?). Don 
den übrigen, die alfo theils dem Herausgeber, theils Savigny 


*) Handfchriftlihe Bemerfungen des Victoriud aus der Münchner 
Bibliothek theilte dem Herausgeber, äufolge der Vorrede, Sas 
vigny mit. 


Domitii Ulpiani fragmenta. 575 


oder Victorius angehören mögen, fcheint noch nichts gedruckt 
zu feyn. Es finden fi unter ihnen einige aͤußerſt ſinnreiche 
und vortrefflihe, denen auch der forgfältigfte- Herausgeber 
ſchwerlich je die ihnen hier ertheilte Stelle im Terte wieder 
entziehen wird; aber andern — möchte es bey einer neuen forgs 
fältigen Prüfung fo gehen müffen, wie es manchen der in die 
erfte Hugo’ihe Ausgabe aufgenommenen hier "ergangen ift. Zu 
der erften Elaffe rechnen wir t. 6. $. 13., wo für dote qlu a- 
driennio etc. mit einer faft unmerflichen Aenderung dote 
quae triennio etc. gefeßt und dadurdy der vorhin rechtss 
widrige und unbehälflihe Gab den. Rechten angemeffen und 
feicht ausgedrädt da ſteht; t. 20. $. 16., mo die Eujacifche 
Idee, das offenbar umrichtige Praetoriani der KHandfchriften 
in den Worten servus publicus Praetoriani parte dimidia 
testamenti faciendi habet jus fey aus PR. entflanden, das 
durch erft zu ihrer Vollkommenheit gebracht wird, daß es nicht 
(mir Cujacius), als Abbreviatur für populi Romani, fondern 
für pro genommen wird. Mun erft ift in den Worten weder 
etwas Weberfläffines, noch eine Härte, welches beydes, auch 
nad) Eujaceus Vorfchlage, bleibt. Richtig, wiewohl nicht ganz 
fo unzweifelhaft, fcheint dem Rec. auch, daß t. 25. $. 13. 
certae geftridhen iſt, welches leicht als Gloſſem ſich einfchleks 
chen konnte, den Satz aber hoͤchſt nüchtern macht; mie aud, 
daß t. 26. $. 2. anftatt der offenbar falfchen Lesart der Hands 
fchrift defunctus, wofür man defuncti und ex defuncto vors 
gefchlanen hat, das der Lesart der Handſchriften und dem 
Ulpianifchen Style befonders nahe fommende defuncto ges 
feßt ift. Noch eine fehr gute Lesart t. 11. $. 19. latinae für 
das gang unpaßliche Jatino lafen wir hier zuerſt. Der Her— 
ausgeber führt fie indeffen nicht unter dem Eigenthümlichen 
feiner Ausgabe auf. Mißbilligung fcheinen ung zu verdienen - 
folgende Aenderungen: daß t. 8. 9.5. dem Mamen Divi An- 
tonini, Pii Hinzugefügt wird, vermuthlich weil die angeführte 
Verordnung über Arrogation Unmündiger ohnftreitig von Ans 
toninus Piue ift, und wegen des gleich folgenden ähnlichen 
Hi das Pii von einem Abfchreiber Überfehen werden fonnte, 
Aber wird nicht auch Antoninus Pins öfter D. Antoninus ges 


576 Domitii Ulpiani fragmenta. 


nannte? Daß: diefes feldft von. Ulpian geſchieht, weist Wenck 
in feinem D. Pius diss. I. p. 14 aus mehren Stellen übers 
zeugend nad. Und paßt es denn wohl zu der kurzen diefem 
Büchlein angemeffenen Schreibart, beyde Namen Antoninus 
und Pius zu feßen? Hätte Ulpian Pius fchreiben wollen, er 
hätte ſchwerlich auch Antoninus gejeßt. T. 9. $- ı. wird aus 
convenit uxor an manum, convenitur in m. . gemacht, ohne 
daß wir irgend einen erheblichen Grund fehen. Im Gegens 
theile fcheint die Lesart der Handſchriften fliefender und alfo 
Ulpianifher. T. ıg. $. ıd. wird für si quidem, si quid 
geſetzt, was wohl einen etwas leichtern Fortichritt gibt: aber 
aud) si quidem paßt recht wohl, und fo möchte es an hinreis 
chender Urfache fehlen die Handfchriften zu verlaffen. T. 24. 
$. 11. (oder, wie es hier heißt, 12a.) werden die feltnern 
aber, wie Cujacius zeigte, von Sprach s Analogie nicht ent 
blößten Worte, die: vielleicht gar Kunftausdräcde waren, mi- 
nus pactis verbis mit den leiihtern m:inus aptis verbis 
vertaufcht. Mit viel mehr Grunde möchte man umgekehrt, 
fogar wenn die KHandfchriften aptis läfen, dieſes als erläuterns 
des Sloffem verwerfend,, pactis feßen. T. 26. $. 13. wird 
aus den Worten qui in liberorum, in weggelaſſen, vielleicht 
veranlaßt duch Schulting, in deſſen Jprud. Ante Just. dies 
felbe Lesart, wohl nur durch einen Druckfehler, in der Note 
vorkommt. Der Fortfhritt ift fo allerdings leichter: aber auch 
mit in iſt er nicht ſchwer, und aus jenem Grunde allein durfte 
‚wohl um fo viel weniger corrigire werden, da ſich fchwerlich 
wird nachweiſen laffen, wie in, wenn es nicht gleich Anfangs 
gefchrieben wurde, in den Tert gefommen feyn follte. (Bey 
diefer Gelegenheit ftehe hier eine Conjectur über t. 1. G. @o., 
wo das vel jus antiquum fchon zu vielen Emendationen 
Veranlaſſung gegeben: man laffe vel weg. Da die Abbrevias 
tur dafür 1 mit dem folgenden ı große Aehnlichkeit in den Hands 
fchriften hat, fo konnte fehr leicht durch einen Abfchreibefehler 
diefes den Sinn fiörende vel eingefchoben werden. ) 


(Der Beſchluß folgt.) 


— — — 


No. 37. Seidelbergiſche 1813. 
Jahrbuͤcher der Litteratur. 


Annan 





—*— N nr 


Domitii Ulpiani fragmenta libri regularum singularis, uti videtur, 
vulgo XXIX tituli ex corpore Ulpiani. Denuo recensujt 
Gustavus. Hugo. J 


GBeſchluß der in No. 36. abgebrochenen Kecenfion, ) 


Sein es vielleicht Einem und dem Anderh unfrer 2efer, 
daß das bisher Angeführte zu wenig ſey, als daf dadurch der 
eine neue: Recenſion anjeigende Zufaß auf dem Titel gerecht⸗ 
fertige werde: ſo wird er feine Anfiht wegen des Folgenden 
ändern. Mit großer Genauigkeit find durch die ganze Schrift 
die Leichtigkeit des Verſtehens befördernde Abtheilungen und 
Zeichen Hinzugefügt: Pumcte um Lücken anzuzeigen; Abſaͤtze, 
nicht wie bisher nach den Paragraphen (deren Zahlen indeffen 
hier natürlich auch beybehalten find), fondern da, wo bie 
Behandlung eines andern Segenftandes anfängt (3. B. im 
Prooem. und tit. 1. nad) $. 2. 3.4. 5, 9. 10. 11. 12. 15, 
16. 17. ı9: 25.); dieſe Abſaͤtze find durch Striche getrennt, 
da wo etwas behandelt wird, deſſen die Ueberſchrift gar niche 
erwähnt (5. B. tit. 2. nach $. 6. tit, 7. nach $. 1. 2. 5.); 
(dieſe Bedeutung der Strich hätte mögen in der Morrede ber 
merft werden) auch die Paragraphen find zweymal tit. 8. $.8. 
nad) 'adrogatoris, tit. 24. $. 11. nad) vindicationem, auf eine 
poßliche Weife noch weiter abgetheilt; nur ift die Bezeichnung 
der nunmehrigen doppelten Paragraphen $. 8, Ba: $. 11. 114 
ungewöhnlich und nicht gut, indem man, da a der erfte Buch— 
ftabe des Alphabetes iſt, bey $. 8a, $. 12 a nicht den zweyten, 
ſondern den erſten der mit 8, 11 bezeichneten 69. zu denken 
geneigt if: Warum iſt nicht, wie bey dergleichen bisher zu 
geichehen pflegte, der bisherige $. 8. jeßt $. Ba. der neue fol⸗ 
gende $. Eh. genannt? Luͤcken hatte man ſchon früher ange⸗ 
zeigt: aber hier iſt Einiges der Art hinzugekommen. So find 
nicht bloß am Ende tit, 1, $. 9. , fondern auch zu Anfang des 
37 


578. ° Domitii Ulpiani fragmenta. 


$. 10. Puncte geftellt, und dadurh, mas Meermann in den 
Noten bemerkte, zuerſt im Texte bezeichnet. Ferner ftehen zwis 
ſchen t.’ı@. und 13. Puncte, ohne daß bieher, auh nur in 
den Anmerkungen, auf die hier offenbar flatt findende Luͤcke 
hingewiefen wäre: Das Uebrige tft; fo viel ung befannt, gang 
neu, und, nad unferm Urtheile, fehr zweckmäßig angeordnet, 
A verdiente es. hier und, da mit Aehnlichem vermehrt zu wers 
„ Das, Zeichen einer Lücke vermiffen wir tit. 4. zwifchen 

* 1. und @., wenn nicht vielmehr der $. 2. gar nicht hier— 
her, fondern binter. tit. 5. $.7. gehört. Denn, mie könnte 
ſich wohl in einem Abfchnitte, der de his qui sui juris sunt 
handelt, unmittelbar ap; die, Erklärung], wer sui juris fen, die 
des; spuriorum, anfchließen, beſonders bey einer fo lichtvollen 
und, leicht. fortſchreitenden Schreibart, wie die Ulpianiſche iſt? 
Dann. aber laͤßt ſich der $. 2; wohl erklären, wenn etwa vor⸗ 
anfging, daß diejenigen, deren. Vaͤter noch leben, ohne. bes 
fanpre, Aufpebung, der. vÄterl, Gewalt, micht anders sui juris 
fenen, als wenn, fie. außer der. Ehe erzeugt. worden, wo fid) 
dann. die, Erklärung, der. spuriorum anfchließt. Wahrfcheinlis 
her möchte indeffen feyn, daß der $. 2. nur durch das Ver—⸗ 
fehen, eines, Abſchreibers hierher geſetzt if, indem ſich nicht 
wohl denken läfit, daß Ulpion auch hier von. unehelichen Kim 
dern gehandelt. habe, da dieſes tit. 5. $. 7. geſchieht. Am die 
letzten Worte, deffeiben, ideoque liberi in potestate ejus non 
hunt, sed, quasi..vulgo concepti, spurii sunt, ſchließt fich 
hoͤchſt narürlich.tit, 4. $. 2, an: Qui matre quidem. certa, 
Patze autesn. ingerto, nati sunt, spurii appellantur, Da 
fih, die. Verſetzung diefer Worte fehr leicht erfiären läßt, z. B. 
auf, die; Art, daß fie von einem Abfihreiber vergefien, dann 
an, den Nand, beygeſetzt feyen, und hierbey ein Verſehen flatt 
gefunden habe: fo. würden, wir fein Bedenken tragen, den 
Paragraphen an feine richtige. Stelle zu feßen. — Tit. 5. 
$. 2 — 7. follte einen eignen Abfag bilden, indem in dieſen 
Paragraphen, gleihfam in Parentheie, bey Gelegenheit der 
Entfteyung. der väterl. Gewalt die Erforderniffe einer rechts 
mäßigen Ehe, erläutert werden. Tit. 6. d. dotibus handelt: 
in den erfien 5 Paragraphen von Beflellung der Dos: und, 
ihren Arten, in den folgenden von der Zurüdfoderung und den. 


Domitii Ulpianı fragmenta. 679 


werfchiebenen dabey denkbaren Netentionen. Diefe leßten werdet 
paßlich durch Abſaͤtze unterfihieden: aber noch mehr hätte follen 
auch die höhere Abdtheilung, wo die Lehre von Zurückgabe der 
Dos anhebt, eben fo bezeichnet, d. i. mit $. 4. ein neuer 
Abſatz angefangen werden. Am Ende des $. 17. deffelben Tis 
tels follte eine Lücke angezeigt feyn: denn da die $. 14—ı7. 
abgehandelte Lehre von den impensis in rem dotalem durd) 
die allgemeine Angabe des $. g. retentiones fiunt .„.. auf 
propter impensas herbeygefuͤhrt find, fo laͤßt fih nicht wohl 
denken, daß Ulpian ganz davon geſchwiegen habe, wie in dies 
fer Beziehung retinive werde. Ein Stuͤck von dem, was hiers 
bin gehört, möchte der jebige tit. 7. $. 3. feyn, welcher von 
einer Cautionsleiftung redet, die der Mann verlangen fann, 
wenn er für die Frau fich verpflichtet oder etwas aufges 
wandte hat, befonders, da auch die obligatio pro uxore den 
impensis fehr nahe kommt; dieje Stelle aber da, we fie jetzt 
fteht, gar niche in den Zufammenhang paft, und Überhaupt 
im zten Titel viele Unordnung von den Abfchreibern angerichs 
get zu ſeyn fcheint. Die erften beyden Paragraphen deflelden, 
d. donationibus inter virum et uxorem, d, rebus amotis 
gehören nämlich offenbar nur zu einer Unterabtheiltung dee vos 
eigen Titels, als Ausführung der verfchiednen $. g. angedeus 
teten Retentionen, unter welchen auch vorkommt' propter res 
donatas, aut propter res amotas. Wie kann alfo damit ein 
neuer Titel angehen ? Außerdem fcheint hinter $. ı. eine Lücke 
zu ſeyn, indem doc auch bey der Schenkung unter Ehegatten 
von der Art der Netention etwas gefagt werden mußte. Diefe 
Luͤcke erſtreckt fih wahriheinlih auch Über Einiges, was von 
der rerum amotio geiagt wurde. Denn was wir lefen, daß 
auch eine Klage deswegen ftatt finde, fieht ganz aus als ein 
Anhang zu der eigentlihen Abhandlung von den rebus amo- 
tis, welche außer der Begriffsbeftimmung in diefem Zufammens 
bange befonders die desfallfige Netention betreffen mußte. Von 
6.3. war fhon vorhin die Rede. Erſt bey $.4. fängt etwas ganz 
Meues an, von der Causae probatio, als einer Entfiehungss 
art der väterl, Gewalt. Diefer Paragraph bildete wahrfcheins 
kih einen neuen Abfchnitt, erwa mit der Weberfhrift de iis 
quorum causa prohata est. Das Mefultat hiervon wuͤrde 


680 - Domitii Ulpiani fragmenta.: 


Rec. fo in den. Tert aufnehmen: daß t. 6. $. 17. hinter dem 
legten Worte ... gelebt; dann -in derfelben Reihe fortgefah⸗ 
ren wuͤrde: t. 7. 6. 3. Si maritus — tribunitia, darauf im 
einem neuen Abfaße, aber ohme Weberfchrift t. 7. $. ı. Inter 
honoretur ,..; wieder. in einem neuen Abſatze $. 2. .. ä 
Si maritus — tenebitur gedrudt, und endlid mit der obigen 
Ueberſchrift 9.4. gefeßt würde. &o könnte man, neben der 
beffern Ordnung, doc die Altern Titate verftehen. Auch vor 
den jeßigen Anfangsworten des tit. 15. follte das Zeichen einer 
Lücke ſtehen: denn nur unter der Vorausſetzung, daß Vieles 
voraufgegangen, läßt fih der jegige Inhalt (ein Paar Eher 
verbote) mit der Weberfchrift de coelibe, orbo, et solitario 
patre in Uebereinſtimmung bringen. 

Ganz mit großen Buchſtaben ſind außer den Worten der 
Geſetze, Formulare u. dgl., auch die Anfangsworte der Titel 
und andrer größern Abfchnitte gedruckt. Aber wozu foll das ? 
Wäre es nicht beffer, mas einigemale zufällig hiermit zujams 
mentrifft, fiets das Wort, welches den Kauptgegenftand eines 
Abſchnittes bezeichnet, wo es zum erſtenmale vorkommt, groß 
"zu drucken? Dadurch wuͤrde die Aufmerkſamkeit des Leſers 
um fo viel mehr auf den jedesmaligen Hauptgegenſtand hinge⸗ 
lenkt. 

Noch erwähnt die Vorrede einiger Aenderungen der In— 
terpunction. Bey der großen Wichtigkeit derfelben hätten wir 
gewünfcht, daß der Herausgeber eine durchgängige Aufmerkfams 
keit auch hierauf gelenkt hätte. Wir würden dann 3. B. nicht 
fo oft das zu unſrer jeßigen genauern Art nicht mehr Paffende 
finden , daß Colons gefeßt werden, two gar nicht die Abſicht 
ift, einen Nachfag, fondern ein Hauptglied deſſelben Satzes 
zu bejeihnen. Die Veränderungen, welche wir bemerften, 
find nicht immer Werbefferungen., So find tit. 1. $. 24. bie 
Worte aeque ut decem ex priori numero liberari possint 
— similiter ut ex antecedenti numero viginti quinque 
possint fieri liberi ohne alle Unterfheidungszeichen gedruckt. 
Beſſer ftänden hinter aeque und similiter, wie das einemal 
in der erſten Hugo'ſchen Ausgabe gefchehen war, Commas, 
indem das ut beydemale daß, nicht wie, bedeutet, und alſo 
eine neue Wendung der Rede anfängt. Das hingegen iſt eine 


Domitii Ulpiani fragmenta. 581: 


Verbeſſerung, daß nicht mehr Hinter numero ein Comma ges 
fest if. Denn wirklich aus der kleinern Zahl, die ja auch in 
der größern enthalten ift, werden die 10 oder 25 gerechnet, 
und danach findet der gleiche Fortgang der Nede ſtatt. Das 
Comma hinter numero würde ein gleiches vor ex erfodern, 
aber dadurd) einen unndthigen Einfchnitt der Rede hervorbrins 
gen, da keine bloße Beziehung auf eine frühere Zahl nds 
thig ift, wo aus der Zahl feldft etwas beflimme werden kann. 
Tit. 6. $. 10. ift fo gedruckt sextae retinentur ex dote, non 
plures tamen, quam tres sextae etc. &chulting und mit 
ihm die erfte Hugo'ſche Ausgabe lefen Hinter dote ein Punct, 
Meerman ein Colon, beydes mit darauf folgenden Beinen 
Buchſtaben, welches nad älterer Art zu interpungiren ganz 
richtig if. Die neuere foderte ein Semicolon. Das hier ges 
feste Comma ift offenbar nicht paßlich, da mit non eine fi 
auf das Ganze bezichende viel wichtigere Abtheilung „anfängt, 
als mit- quam und andern noch folgenden, bey denen die 
Commas mit Recht gefest find. — In demfelben Titel $. 13. 
flieht jeßt Hinter ita beffer ein Colon, als vormals ein Punct, 
da ein Nachſatz folge. Nur hätte nun aud) das naͤchſte propter 
mit kleinem Anfangsbuhftaben gedruckt werden follen. Nach 
diefem Colon ftört befonders das gleich folgende hinter reddit, 
indem damit nur ein neuer Theil des Nachſatzes, nicht ein 
abermaliger Nahfab anhebt. Ein GSemicolon hätte diefes 
‚gleich deutlich gemadt. Tit. 11. $. 4. ift hinter veluti mit 
Recht das Comma geftrichen, da‘, wenn man zum Bepfpiel 
gefagt hat, die Aufzählung der Beyſpiele durchaus Beine neue 
Wendung der Nede enthält. Auf die Rechtſchreibung der ein: 
zelnen Worte ift durchgängige große Aufmerfiamkeit gerichtet, 
und mehr Confequenz als in den vorigen Ausgaben bewirkt. 
Ob aber immer die ridhtigften Regeln confequent angewandt 
find, ift die Frage. Die Hauptänderungen in diefer Beziehung 
betreffen erfilich die firenge Beyhehaltung des ad in zufams 
mengefeßten Worten, indem 3. B. accedere, appellare durch— 
gängig in adcedere, adpellare verwandelt if. Allerdings 
mußte die abwechfelnde Schreibung folcher Worte in der frühern 
Ausgabe auf die eine oder andre Art in eine übereinftimmende 
verwandelt werden: aber Rec. möhte wuͤnſchen, daß nicht die 


5823 Domitii Ulpiani fragmenta. 


härtere, fondern die fanftere Ausſprache durchgängig den Vor⸗ 
zug erhalten hätte. Die andere Hauptänderung zeigt fich darin, 
daß manche große Anfangsbuchftaben jegt den Meinen haben 
Platz mahen muͤſſen, fo daß außer den erſten Worten ganzer 
Perioden faft einzig die Eigennamen oder davon abgeleiteten 
Adjective noch den großen Anfangsbuchitaben behalten haben. 
Diefer ohnftreitig richtige Grundſatz ift indeffen noch nicht gang 
confequent befolgt. So find zwar senatores, tribunitia (mit 
Recht) Mein, vber Senatus, Senatusconsultum, Princeps, 
Praetor, Praeses etc. groß gefchrieden. Lag bierbey etwa 
die — für die Ausgabe eines alten Schrififtellers wenig paſ— 
fende — dee jum Grunde, daf die vornehmen Beamten, 
Eorporationen und ihre Beſchluͤſſe geehrte werden follten, fo 
fieht man wieder nit, warum die senatores allein den klei— 
nen Buchſtaben befommen, und auch die leges, als Befchlüffe 
einer noch wichtigern Menfhenmenge, als der Senat, jener 
Ehre nicht theilhaftig werden. Mon der andern Seite weicht 
der Herausgeber , ohne daß wir den Grund dazu irgend ahnen 
tönnten, von der oben angegebenen Regel dadurch ab, daf er 
Latini mit Meinem Anfangsbuhftaben fchreibt, da doch ihr 
Drame eben fowohl von einem Eigennamen herkommt, als der 
Romani, Quirites etc. 

Don Druckfehlern fcheint der Abdruck fehr frey. Nee. 
bemerkte nur einen einzigen tit, 3. $. 5. 1. Viſillia für Visillia. 

So viel vom Texte, Leider kann über Anmerkungen nichts 
bingugejeßt werden , indem deren gar nicht vorfommen. Der 
Herausgeber hatte, durch Savigny unteritüßt,, eine bedeutende 
Anzahl Varianten gefammelt, die er, gerade weil ihrer zu viel 
für diefe Handausgabe feyen ( 200 Anmerkungen ), ganz wegs 
ließ: ein Entſchluß, der ihm felbft, wie er in der Morrede 
berichtet, nicht gang gefalle, Auch wir vermiffen ungern eine 
Auswahl der wichtigſten Varianten, nebſt kurzer Angabe 
ihrer Quelle, die, um das Büchlein mit Mugen zu lefen, 
von fo großem Werthe gewefen wäre. 





Srauendienft, oder; Geſchichte und Liebe des Nitterd und Sängers 
Ulrich von Lihtenſtein, von ihm ſelbſt beſchrieben. Nacb 


Frauendienſt von 2. Tieck. 583 
einer alten Handſchrift bearbeitet und herausgegeben von Lu bi 
Tieck. Gtuttzart und Kübingen, in der 3. ©. Eottäifchen 

Buchhandlung 1812. 

Man hat in England und anderwärts an alten Bildern 
verſchiedner Jahrhunderte die Bemerkung gemadt, wie Fami— 
lien, Städte, Nationen in der Phyſionomie der äußeren Fors 
men zu allen Zeiten im Ganzen ſich gleich geblieben, fo daß 
es fcheint, als ob der herrſchende Grundton jeglihen Woites 
im Berlaufe feiner Entwiclung nur dur alle die mitklingens 
den Töne umlaufe, und fo die Harmonie des Veyeinanders 
ſeyns fih in die fließende Aufeinanderfolge ausbreite. Diefe 
Seelenwanderung ift befonders und vor allem in der Kunft 
zu bemerfen, die Funken, die bey ihrem erften Aufblitzen jes 
der Nation zu Theil geworden, laufen mit dem Leben an ben 
Geſchlechtern wie an goldnen Ketten fort, auflnifternd bey 
jedem Ninge, obgleich in vielen Farben fpielend, doch immer 
dafielbe Feuer. Was daher je recht eigentlich in einem Molke 
gelegen und aus ihm hervorgedrungen,, welche dichterifche Ader 
je in ihm gefchlagen und geblutet, die kann nimmierniehr ganz 
in ihm verfiegen, fie hat ihre Fülle vielleicht durh Einwins 
dung in ein anderes Gefäß entladen, aber Nerv und Muskel 
treiben in ihr fort, und es wird derfelbe Lebensgeift abgefchies 
den. Immer braust auf gleiche Weile der Waſſerſturz ſchaͤu⸗ 
mend durch die Lüfte, immer fliehen an ihm diefelben Farbdens 
bogen, obgleich Luft und Licht und Waffertropfen immer andere 
und andere voräbereilen, und einzig der Fels unten immer 
derſelbe feht. So ift denn auch die Minnepoefle in ihrer 
Weife fo nationell, wie ber Pfälter der Hebräer, feineswegs 
aus dem Volt entwichen, das fie fo viele Jahrhunderte ger 
pflegt; während die ganze Pyrif des neueren Nomanes auf ihr 
ruhe, Hat fie ſelbſt in ihrer alten Einfalt ın den Herzen eine 
Stätte fih bewahre, und immer einen Mund gefunden, der 
das Wort für fie gerhan." Man kann Tieck gang eigentlich in 
feinen Beftrebungen und dem, was er geleifter, als den Mini 
nefänger diefer Zeit erfennen, als den, über welchen jent 
Ichneeweiße Taube fenfrecht ihren Strahl herabgeiendet, daß 
er unter allen Sprachen am geiäufigften jene alte Herzens 
fprache fpriht. Sein ganzes Weſen neigt ſich gegen jene Zeit, 


564 Sranendienft von 8. Tieck. 


in die er ſeine Wurzeln geſchlagen, und die wie eine Geiſter⸗ 
ſtimme aus ihm herausgeſprochen; gern und freudig wuͤrden 
jene zwoͤlf alten Meiſter, die den Geſang gegruͤndet, ihn als 
den Ihrigen erkennen, und den befteundeten Geiſt in Liebe 
verehren. Ja man moͤchte ſagen, er hat unter der Genoſſen⸗ 
ſchaft geſeſſen, und iſt der Letzte von dem ſchoͤnen Bunde noch 
geblieben, wie alle Chroniken von Johann de Mehun berich— 
ten,. daß er Carl den Großen und nah ihm noch vierthald 
Ssahrhunderte vor feinem Tod gefehen: ben jener leichte 
Spott, der luftige Wis und das milde Lächeln, das fo haͤu— 
fig feinen vedenden Mund zu oft nur das Auge umfpielt, wie 
das Alles ihn nebſt jener Richtung fo ganz eigenthuͤmlich be⸗ 
zeichnet, zeigt, wie der Minne Kind in ihm erwachſen, viel 
Zeit und Menſchenthun geſehen, und ſeine Strahlenpfeile ſchei⸗ 
telrecht durch den unter ihm ſtehenden Frühling ſchießt. Ihm 

kam es daher vor Allem zu, die alte vieltoͤnige, laͤngſt pers 
ſtummte Laute von neuem zu befaiten und den fchlafenden Wis 
derhall in ihr zu weten. Bodmer hatte die alten Lieder 
in ihrem Werthe zuerft erfannt, und fie in die Welt geworfen, 
die damals mit wichtigeren Dingen befchhäftigt, ihrer nicht achs 
tete. Da führte der ihnen fo nahe befreundete Dichter die 
Dergefnen von neuem in unfere Mitte ein, und wußte ihnen 
die Aufmerkjamkeit zu gewinnen. Mit treuer Liebe Hat er 
ihrer fid) angenommen, bis fie mit Fertigkeit die Sprache der 
Zeit geredet; alles hat er an ihnen gethan, was man einem 
erſten Verfuche ing Große hin immer anmuthen mag. Mun 
fie Luft und Liebe zur lautern Quelle felbft erregt, tauchen fie 
freudig in ihren Maren Wellen wieder unter. Sind die Deuts 
fehen einmal erſt bey einer Leberrafhung in den rechten Ges 
fihtspunct gebracht, und- zur ruhigen Befinnung gefommen, 
dann fann man die Fortbildung ruhig ihrem freyen ins Tiefe 
firebenden Sinne überlaffen. Seit jenem Anftoße ift die Minnes 
poefie in ihrer ganzen Würde anerkannt und geachtet worden, 
wie ein ungebundener verwatster Reim Hatte fie trauernd im 
der Nation geftanden, nun aber ift plößlih in vieler Bruft 
der Anklang erwacht, der fie bindet, und fie zieht nun wieder 
freudig in die Herzen ein. ine fchöne Jungfrau wandelt 
diefe Kunſt duch Blumen und den Klee fieben kryſtallene 


Frauendienſt von 2. Tieck. 686 


Bälle und mehr, jeder in eigner Farbe den Sonnenſchein bres 
hend, fängt fie mit gewandter zarter Hand, und wirft fie 
kunſtreich, daß bald diefer, bald jener auf und -niederfteigt, 
und fie bald paarweis, bald zu drey und drey und vier und 
vier einander fi begegnen, und bald diefes, bald jenes mit 
dem andern fich im Farbenfcheine gattet, und. der leichte. Tanz 
in immer andern und andern Figuren fidy verfchlingt. ng 
umſchrieben iſt der Kreis diefer Lyrik, aber in diefen Kreis 
find alle erfinnlihen Formen eingeichrieben, gerade wie bie 
Natur in wenige Elementen fo viele Kıyftalle und das Leben 
feine Blätter und Gebilde wirkt. Die ge oft fehnende, oft 
jauchzende Luft iſt die Poefie in diefer Kunft, das reine aͤther— 
helle Waſſer diefes Diamanten wird eben nur durd den äußern 
Schnitt in jenes fpielende Farbenmeer zerjeßt. Kines_ fehlte 
noch bisher, feit man dies erfannt, die Faſſung zu dem Edel⸗ 
ftein,, das Leben zu dem Liede. Weber Berg und Aue zieht 
hin dag luſtige Volt, an Kreugmegen und Madonnenbildern 
führe e8 feine Tänze auf; wir hören die Meife und den Ges 
fing, aber wir mödten auch die Neife kennen, und was die 
Eingebung des_einen Augenblicke mit der des Folgenden vers 
tnuͤpft. Das ift uns hier im Frauendienft gegeben, es find 
die Denkwuͤrdigle ten aus dem Leben eines_Minnefängers der 
guten Zeit, die uns hier aufgezeichnet find; was von epifcher 
Handlung feine Iyrifchen Vegeifterungen zufammenhielt, hat 
er uns erkläre, und damit erft ift das ganze Gemälde dieſer 
poetifhen Weltanichauung vor uns ausgebreitet. Gar wohl 
ſchickt fihs zu diefem Zwecke, daß der Herausgeber die zwis 
fhen den Liedern durdylaufende Poeſie in Profa aufgelöst, die 
ungebundne Rede gibt fo den Goldgrund, der die Farben des 
Lieds entzuͤndet, daß fie wie fhöne, grüne Sinfeln aus dem 
in Lichtwellen fchlagenden Meere heraufblähen. Zugleich mird 

dadurch das langweilige, breite glücklich vermieden, das die 
erzählenden Gedichte einer Zeit, die an dem kühlen, frifchen, 
aber farb » und geruchlofen Quellwaſſer heiteren Lebensgefühles 
ſich ergößte, für eine fpätere haben muß, die aus allen Eles 
menten fih ihr Labfal miſcht. Haͤufig murmeln die Worte 
diefer Erzählungen in unerjchöpfliher Geſpraͤchigkeit wie Wald— 
bäche ohne fonderlichen Gedankenaufwand dahin, aber die Zus 


Bi Frauendienſt von L. Tieck. 


Hörer ſpiegelten ſich, wie es ſcheint, fo vergnuͤgt, wie Gras, 
Krant und Baum und Stern in ihrem Silber, und waren 
nicht zu ermüden,, denn ihre Liebe ſprach fie daraus an. Sekt 
gieht die elegante Welt wohl auch hinaus zu ihnen, um eins 
Mal wieder die rechte Landluft zu genießen, fie trinkt in der 
Eurzeit das Waffer aus Bechern zur Stärkung der fchlaffen 
Fiber und lobt den Trunk gar fehr gegen jedermänniglid, 
ſollte fie aber ihres Herzens Gedanken reht unummunden fund 
geben, fie könnte nicht anders, als es für ein abominables 
Geſoͤff, eine fade Brühe erkiären, die ihr Reifen in den Därs 
men macht, zu welhäm offenherzigen Geftändniß fie denn auch 
die Sudelkoͤche, die ihr TheeEſſenzen und Kaffe» Surrogate 
ihrer Fabrik unaufhoͤrlich anrähmen , ‚aufs Befte animiren. 
Diefe Wellen find nun hier glücklich zur Conſiſtenz eines Ju— 
lepps verdidt, und auch fo mag er Vielen weit weniger ald 
Beit Webers Kraftbruͤhen munden , die aufichlagen wie 
Queckſilber im Magen, und den herrlihen Nachgeſchmack 
zuruͤcklaſſen. Jene aber, die in ihrer und aller Zeit nur auf 
die Laute des großen Spibengefpräches horchen, das tief im 
färmenden Tumulte der Sefchichte die Geifter diefer Zeiten 
balten, ohne zu merken auf das Saufen und Raſcheln der Tees 
ven Spreu, die der Wind umtreibt, werden gar wohl miffen, 
was fie daran Haben, ein Blatt aus der Weltgeſchichte des 
Herzens, wie deren in jedem Jahrhundert nur eines umge 
ſchlagen wird. Seit Ulrih von Lichtenftein hat die Erdare 
faum dem Aftronomen merklich in ihrer Stellung ſich geändert, 
das Leben aber und die Menſchenwelt hat eine gänzliche Um— 
waͤlzung ‘erfahren, kehrte er felbft zurück, er wuͤrde wohl die 
Meugierde der Stumpfften regen. Statt deffen hat er ein 
"Bud aus feinem Sarg gereicht, In, dem es treulich aufgeichries 
ben, wie ihm zu Muth geweien, und wie ihm feine Zeit ers 
fhienen ; wir follten denfen, daß es uns merfwüärdiger feyn 
müßte, als eines der fehs und dreyßig Paviangefchlechter zu 
beſchauen. Sein Gewerb ift Ritterthum im Minnedienft, von 
feühefter Jugend Hat er fih ihm ergeben, alte einfah fompos 
niete Bilder gehen an uns vorüber, ein runder voller Tenor 
fingt daraus in kunſtloſer Modulation hervor, anfangs nur in 
eingelnen Accorden fih verfuchend, dann zu einer zufammens 


Sranendienf: don 2. Lie 57 


gefeßteren Weile fortihreitend, ein zwlefaches Licht, eine dop⸗ 
pelte Liebe, morgendlicher und abendliher Sonnenfchein liege 
anf diefem Leben, zweymal bricht fein Uebermuth dithyram⸗ 
biſch in jenen feltfamen Heereszuͤgen aus, und Hier iſt er gang 
der edle Ritter aus der Mana, nur etwas truͤblicher, befons 
nener aber auch eigennuͤtziger, als der ſtolze choleriſche Spanier. 
Zudem gruͤnt um den Deutſchen Ritter noch die umgebende 
Welt in gleicher Sinnesart; ſtoͤßt er irgendwo in die Erde 
feinen Schaft, gleich ſteigt das Erdenblut in ihm von neuem 
auf, daß er ſich belaubt und umbiämt, während dem Andern 
der grüne Wald zu därren Schaften eingedorrt, Überall feine 
Spitzen entgegenftredt, und feinem begeifterten Ruf in ihn 
hinein nichts freundlicheres, als der -Bauerndialect des Knap⸗ 
pen entgegenfchallt. Es ift nichts in jenem feltfamen Zuge als 
Goͤttin Venus und in andern als Arthus, was uns veranlaſſen 
önnte, an feiner wirklichen Abhaltung zu zweifeln, vielmehr 
machen eine Menge ganz individueller Züge die Erzählung als 
Beſchreibung einer wirklichen Begebenheit ganz glaublih, und 
damit wird auf einmal die gängliche Umkehrung der Dinge 
feit feiner Zeit recht Mar. Er würde nicht Ritter nody Fürften 
finden, die in feinen Scherz eingriffen, leicht möchten Genss 
darmen den Vagabunden vielmehr aufgreifen, wenn er ohne 
Paͤſſe alfo reiste, und die Poligepbehörde würde ihm bedeuten, 
ſtatt der Poffen zu Frau und Kind heimzufehren. Gar wohl . 
indeffen ift der muthwillige Ernft und der ernfie Willmuth 
Diefer Zeiten zu begreifen, das ungefegnete Uebermaß, das 
wenige große Staaten jegt zur Unbehütflichfeit anſchwellt, war 
unter gar viele Theilnehmer bis zum Nitter herab in unabs 
Hängigem Wohlſtand vertheilt, allgemeine Kriege, wie bie 
religidfen, wurden nur durch gemeinfame VBegeifterung Hervors 
gebracht, und nie konnte der Wille von Wenigen die Welt 
von einem Ende zum andern in Aufruhr bringen, daß das 
wellenihlagende Meer in Jahrhunderten faum ausſchwankte, 
vielmehr wurden drtlihe Fehden auch fchnell vertragen, und 
die Ruhe im Ganzen ward minder anhaltend geftdrt. Nah 
kurzem Winter kam daher bald der Sonnenfhein der Freude 
wieder, und Ungemiiter erfrifchten nur die Luft, ohne den 
Charakter der fchnellfräftigen Zeit bleibend zu verderben. So 


‚588 Frauendienſt von 2. Tied, 


konnte der Weberfluß fih gar wohl anhäufen, "und - mitunter 
eine ans Drientalifhe grängende Pracht ausgelegt werden. Um 
indeffen nicht ungerecht die Zeiten zu beurtheilen, müßte man 
. genauer, deu Zuſtand des Landmanns in jenen Jahrhunderten 
kennen. - Wir follten denfen, der Ackerbau fey etwas fo ftes 
tigs, ſich ſtets gleichbleibendes, daß der Zuftand feiner Pfleger 
in allen Perioden fo ziemlich derfelbe geweien; bey dem Wech— 
fetderhältniß von Stade und Land müßte die Blüthe jener 
auch größeren Wohlftand der Bauern nach fid) ziehen. Vieler 
Hudel war nod nicht erfunden, ;unter dem Drucke litten nur 
Einzelne, die Mehrzahl war nad) dem treuherzigen, fo wenig 
abgefeinten Charakter der Zeit gewiß billig, Wirich felbft Aufert 
darüber durchaus rechtliche Sefinnungen, und daß man aufges 
fhrieben, wie die Bauern eines Drts in Fothringen allnächtlich 
die Fröfche im Sumpfe zum Stillfihweigen ſchrecken mußten, 
damit fie den Schlaf des Abtes im benachbarten Klofter nicht 
ftören möchten, beweist, daß man den Vorgang für Folge _ 
eines üppigen, frechen Uebermuths genommen. - Aber gefichert 
war die Ruhe und die Freude nicht auf Erden, wie fie es 
denn am wenigften noch in heutiger Stunde ift; nur wenn 
das Gethier fhläft, wagen die Schere und das Schöne ſich 
auf kurze Zeit hervor, bald aber Hört man wieder unten im 
Stalle wiehern und ftampfen und heulen mit Gebräll durch— 
fhoffen, und alles flieht eilig von dannen, wenn die gute 
Geiſterſtunde ausgefhlagen. &o folgt denn auch hier auf die 
. Greude bittres Leid, Klee und Geblüme wird zu Heu gemäht, 
und die fprudelnden Lebenswäffer werden in enge Banden fefts 
gefchlagen. “Gerade wie der Franzöfiihe Troubadur, Hugo 
Brunet, Mage auh Ulrich, ich Habe fchöne glückliche Zeis 
ten der reinen Minne gefehen, aber fie find verfchiwunden, 
aber alles ift verloren und dahin: fo muß alles Leben und alles 
Epos in die Klage enden, und der Erdgeift wird die Menſch— 
heit lagen, ift ihre wahnfinnige Geſchichte einft gejchloffen. 
Was weiter dies Buch fehr fchäßbar macht und andrerfeits 
auch wieder beweist, wie das darin befchriebene Leben wirklich 
gelebt worden, ift der Umftand, daß wir darin die vollftändige 
Liederſammlung eines Lyrikers befigen, - von den erſten Anfäns 
gen herauf, wo er nicht ſchreiben gefonnt, bis er allein von 


Frauendienſt von L. Tieck. 539 


ber Liebe begeiftert, eine fchöne vollendete Gewandheit ſich eis 
worden hat. Gleich das erſte Lied ift Liebeserffärung, hohe 
und niedere Minne wird befungen (3), ihre Nacht und Tag 
(2), Sommer und Winter (5), ihr Weh und ihre Freude (7), 
Klage um der Minne Haß, daß die Geliebte ferner ihre 
Minne (6); aber Sinne, Herz, Freude, Stete find das Band, 
damit ich fie Binde (8). Der May tröftet nicht den: Minner 
wunden, mweinend fieht das Herz mich an und fpricht, es fey 
viel. ungefund (9). Anrufung der Minne, daß fie ‚helfe für 
fehnende Noth (11), vafches Zwiegefpräch mit der Gerufenen, 
worin fie raͤth, daß es diene mit fletem Werthe, 'mit Liebe 
und Güte, mit veine Fuge, ohme alle arge Sitte (10). Fri—⸗ 
ſcher, fhmwebender, wirbeinder, ſchwingender Tanz in innerer 
Luft des Gemuͤthes, daß fie ihn fcheider von Leide die Liebe 
die Süße (12), denn Minne thut, wie der Maye thut (15). 
Versagen, daß allein noch der Freude Hoffnung bleibt (14), 
Erhörung, Seligkeit, Seelenjubel, Aufruf an Alle, daß fie 
dienen nach) der Minne Lohn, Arge und Unfug und Unſitt 
die wilde, geziemt nicht dem Helme, taugt nicht dem Schilde; 
das Schild if ein Dach, das nicht Schande kann deden, ein 
lebendiges, . herrlich gefchwungenes Lied (16), muthig daher 
trabend mie ein ſtolzer Kaftellan, Loblied reiner Weide zur 
Sommerszeit gemacht, wenn die Vögel fingen, und der fafts 
reiche Wald grüne Farbe trägt (17), falfhe Merker, gute 
Huth (18), Freudenlied, letztes Jauchzen, denn zur Unſtete 
und zur Untreue hat die Geliebte fi gewendet. Da Magt er 
gegen fie zu allen edein Frauen auf Raub und Mord, damit 
wenn jemand nod mit. Minne fiheiden wolle, ehe daß ein 
böfer Zorn ihn gegen fie befchwere (20). Leid, daß er feine 
Jahr alfo gar verdummet um ein Weib, die ihm nimmer eis 
nen Tag völltglih vergelten mag, ob fie gleich wahrlich gut 
gewefen, da fie ihn an fi bracht (21). Gegen die faljchen 
Weib, deren Willen fähre wie Aprillenwetter, daß nie Windes 
braut fo gefchwinde ward, fanfte Stille, fchnelle wieder Irrefahrt, 
darnad) Meyenfchein, alsbald will es wieder Winter feyn (23). 
Sehnen nad neuer Liebe, ein Leich mit hohen und ſchnellen 
Moten, Berlangen nad) fieter Weibe Dienfl. Mühmen der 


= | Frauendienſt von 2, Tieck. 


Weisesgüte, ob eine gleich unweiblich hat an ihm gethan (26). 
Eurer Frauen wegen will er vom Zorne gegen die lingetreue 
obftahn (2B). Alles fühle der Liebe Freuden in guter alter Weife 
- (29) jauchzender Neinen (50), neues Minnefpiel nach Volker 
lied gewordenen Thema „Herr fage mir was ift Minne, if 
es Woib oder if es Mann? ꝛc. mit. fcherghaftem Scluffe: 
Biſt dw mein fo: bin ich dein; — Herre! nein das: mag nicht 
ſeyn, feyd ihe euer fo bin ich mein (31), Im Dienft der 
neuen. Frauen, als der hohe Much ins Herz zurückkehrt, 
Trommerenruf an die Nitter, daß fie nah Minne werben uns 
ter Schildes Dad), mit Speeresrahen (41). Freudige Zur 
feiedendeit,, denn fie har ihre Weibheit wohl behuͤthet vor uns 
frauelicher That. Lieblihe Braune, Nofenröth roch, Schnees 
Weile hat ihr Leib (41). Bitte daß fie Haus ihm. leihe im 
ihres Herzens: Grund (44). Varianten der Wächterlieder (33 
und 42). Die Sonne neigt zum Untergang, Herzog Frieder 
rich iſt in. der. Schlacht geblieben, Rohheit und Raubfucht nimme 
überhand, Weh Über die gar Unguten (48), doc wird noch 
ein: Frauentanz gedichtet, zu fingen dem erlaubt, der mit Zuͤch⸗ 
tem. trägt der: Freuden Krang, und dem fein Much ficht von 
Werben: body, denn Trauern ift niemand gut (48). Schmäh: 
liche Sefangenihaft des Dichters, ringend mit den Möthen 
aber fingt er noch minnigliche Lied. Befreyung, Freude beym 
Biederfehen, Klage, daß Freude und Zucht ein Ende hat, 
Death an die Frauen, daß fie nur nach Zächten fireben, dent 
eines guten Weibes Herz ift einem Himmelreiche zu vergleichen, 
ihr Kuͤſſen iſt der Minne Roſe. Zuletzt das Schwanenlied, 
gut zu ſingen am heutigen Tag, als waͤr's dafuͤr gedichtet 
worden: 


Leute und Land die möchten mit Genaden feyn 

Nur zwey viel Fleine Worte Mein und Dein, 

Die regen große Wunder auf der Erde; 

Wie gehn fie aͤngſtende und wuͤthende überall, 

Und treiben all die Welt umme ald ein Ball, 

Ich mähne ihres Krieges nimmer Ende werde. 

Jedwede Hand und Zunge, 

Die meinen und meinen nichts ald Falſch und Aenderunge 


Frauendienſt von L. Tieck. 54 


Gelücke dad geht wunderliche auf und abe, 
Ed dummer den, dem ed zu viel geborget. 


Das ift die Herzenegeſchichte diefes Dichters, in ſchnellen Won 
ten eilig hin erzähle, wie es die ungeduldige, viel beſchaͤftigte 
Zeit verlangt. Tieck hat feiner) fih mit großer ſelbſtverlaͤug⸗ 
nender Liebe angenommen, und feine Sprahe im Durchgang 
ducch den, eignen. Mund hat fi verjuͤngt, und ift vollkommen 
und wohl verftändlid geworden, Uns feldft, die wir uns dur 
Yeraltete. Formen und Worte nit fidren laffen, vergnägt im 
diefen Liedern. mehr die alte Weile, aber das fagt nichts ges 
gen die Werdienftlichkeit des Unternehmens. Wo in den Gy 
dichten. des Mittelalters die Form nicht zur eigenchämlichen 
Vollendung vorgedrungen, da lieben wire mehr, fie in einer 
fhönen, gediegenen Proſa, wie etwa die des Fierabras 
ım Buch der Liebe, zu betrachten; fie ftreden fchon alle ums 
verkennbar nach der Srepheit des Nomans, und fchleppen 
nur noch aus Gewohnheit die Kette des Reimes und der Syl—⸗ 
bentheilung, Aber ganz entfchieden neigt fih im Liebe unfer 
Wohlgefallen nad der alterthämlichen ungefränkten Form, es 
ift etwas fo ganz Individuelles um diefe Liebestlagen und: dies 
fen Liebesjubel, daß auch Wort und Wendung und Form und 
alles ihm ganz eigenthämlich und ungertrennbar angehört. Jene 
Dichter hatten eine gang befondere Herzensſprache ſich gebilder, 
viel,Ton, Klang und Metall im Aeußern, von innen freye 
DBiegfamteit, Naivität und Leben und Natur, Alles wie nas 
tuͤrlich, ſowohl mit dem Inholte zufammenftimmend, daß man 
ſich bald gewöhnt, Beydes wie Leib und Seele zufammen zu 
Denken. Das it eigentlich fo mit der Lyrik aller Voͤlker, die 
ganz eigenthämlichen romantifchen Zauber der Englifchen 5. B 
Hat nod niemand ins Deutiche übertragen, wie man ihre fatr 
ten grünen Wiefen nicht in: die ing Deutſche uͤberſetzten Engs 
gifchen Gaͤrten hineinzaubern mochte. Darum auch waͤhrend 
Das Epos aller Voͤlker allmaͤhlig bey uns einheimiſch ſich an— 
fiedelt, haben wir gar wenig Lyriſches, was in gelungener 
wLeberfegung herübergefommen wäre. Indeſſen müffen wie 
Doc) auch wieder bekennen, daf während wir bey ung befanns 
sen alten Liedern kein Verlangen nach Vergnuͤgung tragen, 


#92  Bibliotheque francaise par J. B. Engelmann. 


diefe, deren Originale wir nicht kennen, uns doch durchaus 
ſehr wohl angeſprochen, und wir nirgendwo Anſtoß gefunden 
haben, waͤhrend wir uns mit Widerwillen von den meiften 
neugefottenen Minneliedern neuerer Kunftdrechsler abwenden, 
die aus den abgefallenen Spänen in der Werkftätte zur Ab— 
wechslung einmal ein gothiſches Muͤckenhaͤuschen zuſammenlei 
men, in Bas fie die weggefangenen Ideen eines alten Sängers 
einfperren und’ zu Tod ſich zappeln laffen. Nicht wie die 
hat Tieck gethan, der Dichter konnte nicht in beſſere Haͤnde 
fallen, und wir müffen ihm Dank wiffen, daß er ſo wohl 
und freu, an ihm ——— 
J. Goͤrres. 





Bibliotheque francaise pour la jeunesse. 


Auch unter dem Titel: 
Choix de lectures instructives et amusantes pour la jeunesse 
par J. B. Engelmann, 'Tome I. II. Heidelberg et Franc 
fort. 1813. 322 ©. — 


Wir zeigen dem paͤdagogiſchen Publicum mit Vergnoͤgen 
dieſes Wert an, weil wir die Beduͤrfniſſe einer ſolchen dw 
türe kennen, und das hier finden, mas man in vielen fol 
hen Sammlungen vergebiih fucht. Die Kenner der Frank 
fiihen Litteratur und Sprache halten die Aufſaͤtze geößtentheild 
zur Bildung in diefer Sprache geeignet, und haben nur hir 
und da einiges zu tadeln,, 3. B. in mehreren Aufſaͤtzen einen 
etwas gezierten Vortrag, was der Franzofe ampoule nennt, 
Der Pädagog erfreut fih auch der guten Auswahl; z. d 
das Leben Düvals wird hier der Jugend wieder erzählt, am 
deifen erhebenden Einfluß wir ung noch immer erinnern. Anh 
ift für Mannigfaltigkeit geforgt. | 

©. 





| 
| 


No. 3 38: Seidelbergifche "1813; 
Jahrbuͤcher der Litteratur 


BONES ERSTEN ARE 


Hd von Hutten, gegen Defideriud Erasmus, und Defid, Erasmus. 
gegen Ulrich Yon Be Zwey Streitſchriften aus dem’ ſechs⸗ 
zehnten Jahrhundert. Aus dem Latein. uͤberſetzt, mit den noͤthi⸗ 

gen hiftorifchen Notizen verfehen und beuriheilt von Dri Joh. 

Jak. Stolz, Bürger zu Züri (vorm. Paftor primar. zu: St 

‚, Martini und Prof. am Gymnaſ. zu Bremen). Aarau b. Sauer⸗ 
fänder. 1813. 282 ©, 9 


3. anſchaulichen Kenntniß des Charakters zweyer vorzüglich 
"bedeutender Männer aus: dem: Zeitalter der Reformation und 
zur. Vergegenwärtigung des damaligen Zeitgeiftes und Sittens: 
zuftandes überhaupt, kann nicht leicht durch ein Paar: kleine 
"Schriften mehr beygetragen werden, als durch die bier Übers: 
feßte und ertäuterte Ulrici ab- Hutten cum Erasmo 
Roterodamo;, presbytero, tleologo, Expostulatio 
C gedruckt in 4. zu Strasöurg bey Joh. Schott im Juny und 
July 1523.) und Die ihr ehtgegenwirkende Spongia Erasmi 
adv. aspergines Hutteni, oder Purgatio adv. Expostuls 
Hutteni (Bafel bey Frobenius in B. im September erfchienen): 
Sr. Dr. Stolz, defien Weberfegung des N. Teflas 
ments den Seift und Totaleindruck der Urſchrift fo: glücklich 
wiedergibt, hat fih, ohne vom Buchftaben ſich feffeln zu laſſen, 
Dem Sinn und Ton diefer beyden Auffäge in der Ueberſetzung 
eben fo gluͤcklich angeſchmiegt. Sie find Hier meift wie ein 
Driginal zu lefen, und werden doch, bey gehöriger Wergleis 
Hung, dem Terte fehr gemäß gefunden. Schon viefe Mühe 
par gewiß nicht leicht. Eine feine pfychologifche Liebhaberey 
naß den Weberfeßer, von welchem man gerne eigene Arbeiten 
iest, zur Ausdauer bey der Wiederbelebung dieſer alten: Geis 
Fesdentmale belebt Haben. Noch genuͤßbarer macht er fie durch 
urze hiſtoriſche Motigen über alle angeführte, großentheils aus 
er gewöhnlichen Geſchichte verfhwundene Perfonen; ned, mehr 
Ber dur sine wahrhaft pragmatifhe Einleitung, welche die 
58 


sr Mirich won Hutten gegen Defid. Erasmus, ; 


ganze Weranlafung des Streits, das Treiben und Bähren bee 
damaligen Mitwelt, den Einfluß davon auf die Eigenthuͤmlich⸗ 
feiten Huttens, vornehmlich aber die Gemuthsart des 
Erasmus, ‚mit dem anziehendſten pſychologiſchen Scharffns, 
und Billigkeitsgefähl entwickelt und ſchildert. (Nur auf den 
von Eppendorf, von welchem doch Erasmus gleich anfangs, 
fägt:, „qui quoties in hoc argumento mihi nominabitur, 
honoris causa nominabitur,“ fcheint Hr. ©t., weil er ihn 
in die Claſſe der — allerdings immer an den Pranger zu ſtel⸗ 
lenden — Zwiſchentraͤger hineindenkt, S. 265 in der Note 
mehr boͤſe Vermuthungen zu häufen, als ſich hiſtoriſch- pſycho⸗ 
logiſch beſtaͤtigen laſſen moͤchte!) Erasmus ſelbſt, welcher Hut⸗ 
tens Parrheſie, allein gehoͤrt, beynahe moraliſch todtſchlaͤgt, 
gewinnt durch, das erneuerte Gegeneinanderſtellen von. An Hape, 
und Apologie wieder, was ihm. die Gerechtigkeit nicht verſagen 
kann. "Er erfcheine in der That durch das, was er. von ſich 
in feiner Darſtellung unabfichtlidy: Tenndar macht, noch mehr 
gerechtfertigt, als ſelbſt durch das Abwifchen der ihm von- 2. 
angefprigten Flecken, wenn er gleich feinen „Schwamm“ doch 
zum Theit fo gebraucht, daß er auf einige Puncte eher einen: 
Firniß Hinzufprigen, als den Makel wegzureinigen fcheint, und. 
Dagegen bisweilen den Schwamm ſelbſt in Galle getaucht hat. 
Er erſcheint naͤmlich im Ganzen als ein fuͤr das Gute nicht 
weniger, als fuͤr ſeine individuelle Unabhaͤngigkeit und Geiſtes⸗ 
freyheit ſehr beſorgter, behutſamer, dennoch conſequenter ‚und, 
wie feine faſt allzu offene Erklärungen über viele. noch lebende 
Perſonen auf der Stelle beweiien, nicht allzu ängftliher Ges 
Ichreer. Auch über die verfänglichften Conflicte feiner Zeit ſagt 
er feine Herzensmeynung ohne Heftigkeit, doch fo freymäthig, 
als man es, vornehmlih im Gegenſatz gegen eine Streitfchrift, 
weiche ihn dem Haß beyder-Partheyen ohne Schonung preis 
geben wollte, kaum erwarten ſollte. Was er — nicht gegen Lu⸗ 
thers Sache, fondern — gegen das, was bey Luther Nebenſache, 
zum Theil: Partheyfache und Folge. des Widerfireits, zum Theil: 
auch Wirkung des Temperaments und- der nicht hHumaniftifchen, 
fondern moͤnchiſchen Bildung war, empfand ‚und dachte, iſt 
für unfere Zeitmepnungen vorzüglich wichtig, Mit dem, mas 
bep Luther das Weſentliche war, iſt Erasmus faſt in allen 


| nlrich von. Hutten gegen Defld. :Eradinit 595 


Stuͤcken Übereinftimmend. Wer könnte dieſes alles gedraͤngter 
darſtellen, als die Erasmiſche Schilderung ©. aıg „Es gibt, 
unter Luthers Freunden, einige Gelehrte, die nach meinen 
Urtheil gar keine üble Leute find. Sie billigen vieles, mas 
Luther lehrt. Sie wünfhen, daß die Macht des Pabſtes bes 
fchnitten werde. Sie mwünfhen ſtatt eines weltlichen 
Fuͤrſten [Lin welche .Lage. feit Alexander VI., Julius II. und 
Leo X. der päbftlihe Plan zur Dberherrfchaft über Italien 
fihtbar hineingeſtrebt hatte) einen: evangelifhen Lehrer; ftatt 
eines Tyrannen einen Water. Sie fähen es gerne, wenn bie 
Zifhe der Käufer und Berkäufer im Tempel - des 
Seren umgeworfen würden, wenn man die nmerträgfiche 
Unverfhämtheit der Ablafträmer, der geiftlis 
chen Quackſalber und Marktefhrepyer, der Difpens 
fationens und Bullens Fabricanten bändigen könnte, 
wenn von den firhlihden Gebraͤuchen manches wegfiele, 
und dagegen die wahre Frömmigkeit: mehr in Aufnahme käme. 
Ihr Verlangen geht dahin, daß die Kraft des Evangeliums, 
Das beynahe ganz aus der Mode gekommen iſt, wieder auflebe, 
daß: die Lehrfäße und Meynungen der Menfhen 
dem Anſehen des aöttlihen Wortes weichen. Sie möchten: es 
ſich verbieten, daß Befhlüffe von Facultäten die Kraft 
eines Gottesſpruchs hätten. Sie feufzen darüber, daß das 
Volt der Chriften mit menfhlihen Vorfhriften, ih 
Auswahl der Speiſen, in Anfehung der vielen Fefttage, 
der vorbehaltenen Semwiffensfällte, der Grade der 
Berwandtfihaft und der geiſtlichen Verwandts 
ſchaft beläflige- wird. Es wäre ihnen lieb, wenn einige 
menfhlidye Verfügungen dem allgemeinen Bes 
Ken nahftehen muͤßten, und, zum Beyſpiel, Leute, dieeins 
ander zu heyrathen wänfhen, mur darüber einverftanden feyn 
dürften. Sie fehnen ſich darnach, daß die allzu fehr verſtrick⸗ 
zen Gewiffen endlich einmal mehr Freyheit bekommen. Ste 
Hörten gerne: freymüthige, chriftlihe Predigten. 
Sie haͤtten gerne Bifchöfe, die in der That Bifhdfe, 
und nie, wie Heutzutage grofientheild, nur weltliche Fürften 
wären. Sie ſaͤhen gerne Kloſtergeiſtliche, die nach der Klos 
ſtertegel lebten, ſtatt daß jetzt nichte Weltlicheres ger 


596 Ulrich von Hutten gegen Defid. Eradındd 


funden wird, als ein Drdensbruder  Diefe find 
Luthern darum gewogen, weiler auf diefes ats 
kes mie Nahdrudfgedrungen Hat.“ - Ind mit diefen 
Männern war Erasmus großentheils längft übereinftimmig, und 
bekennt daffelbe auch ſogleich S. zoı. „Wenn ih mit diefen 
nicht gerade verbändet bin, fo bleibe doch zwifchen ung 
eine alte Freundfhaft veft, die durch das Band der Liebe 
zu den Wiffenfchaften zulammengehalten wird, und wir. brams 
hen darum nicht in allen Stücken mit einander Bon 
zuſtimmen.“ 

Unter allen den jest —— —— Stücen 
findet fih denn in-der That wenig oder nichts, womit Eras—⸗ 
mus nicht, eben aus Liebe zu den Wiſſenſchaften, von lange 
Her im Klaren war, Warum aber fimmte er denn nicht eben 
deswegen mit Luther ?. Er gibt darüber zwey Aufihläffe, ei⸗ 
nen fonderbaren: und einen, der: für ihn entfcheidend ſeyn 
mochte. Der fonderbare: findet fi ©. 244. „Für Luther und 
für Luthers Paradogen habe ich noch nicht Luft, in den Tod 
zu gehen. Hier ift nicht von Slaubensartiteln:die Rede, 
fondern "davon, ob die Herrſchaft des Roͤm. Pabfles von 
EHrifto abzuleiten fey? ob das Cardinals: Collegium ein we— 
fenslicher Theil ſey der chriftlihen Kirche? ob Chriftus Die 
Beichte eingeführt Habe? ob die Biſchoͤfe duch ihre MWers 
ordnungen zu einer Todfände verpflichten tönnen ? ob der 
freye Wille zur Seligkeit dienlich fey ? ob irgend ein Wert 
des Menihen gut genannt werden könne ? ob es angehe, die 
Meffe in einem ‚gewiffen Sinne ein Opfer zu nennen? 
Um folcher Lehrfäge willen, über die man in Schuldifpus 
tationen mandes für und wider auf die. Bahn zu bringen 
pflegt, getraute ih mir niht, wenn ih Richter 
wäre, jemand zum Tode zu verurtheilen, und eben 
fo wenig möchte ich deswegen in Lebensgefahr kommen.“ Eben 
fo. erflärt Erasmus S. 274. „In Anfehung aller von 
der Vorzeit uns überlieferten Glaubensartikeln 
ffimmen wir mit einander überein... und doc lafs 
fen wir.. alles andere liegen und: fchlagen ung mit einander 
darüber, ob die Würde des Roͤm. Pabſtes von Chrifto ab, 
zuleiten ſey ... Wohin wird es am Ende kommen, wenn die 


Wirich von Hutten gegen Deſid. Erasmns, 597 


Eine Parthey nichts als Unruhen, Zwifte und Schimpfs 
wörter, die Andere nichts als Cenſuren, Bullen und 
Scheiterhaufen: hat?“ Iſt es aber nicht fonderbar - und. 
faft unbegreiflihh, wie Erasmus glauben konnte, daß in: Luthers 
Sache nur von difputablen Schulfragen die Rede fey, da er. 
feloßt in der erften obigen Aufzählung fo vieler - Mißbräuche, 
welche mancher brave Gelehrte nebft Lurher abgeſtellt wuͤnſch⸗ 
te, ſo manden wichtigen Punct angeführt. hatte, an dem 
weit mehr Schaden oder Befferung bangen mußte, als an 
dem größten Theil des Symbolum Athanaſianum. Und: ger 
rade dieſe Puncte waren doch Luthers Hauptbefhwerden gegen 
den Römifchen Stuhl! Erasmus ſcheint wirklich. alles diefes 
Nothwendige, worin: er mit Luther uͤbereindam, nur. deswegen 
von Luthers Sache abzufondern, weil er felöft und fo.mancher 
Nedlihe, auch. ohne Lucher, es für Höhft nörhig hielt und ges 
halten hatte. Aber war darum eben das, was Erasmus alz 
die Sache (nicht. Luthers, fondern) des Evangeliums 
anfah und fo benannte, weniger auch in Luthers ‚ganzer Un⸗ 
ternehmung das Weſentliche? Ju der That konnte - Erasmus 
auch von dem, was er zu den bloßen Schulfragen rechnen 
wollte, mandes nur. deswegen ‚für fo unbedeutend, anfehen, 
meil er bloß die Saͤtze an fih, nicht aber die. Grundfäge 
davon in Betrachtung 309. Man mochte ruhig disputiren, ob 
die Auctoritaͤt des päbftl. Stuhls von Chrifte, oder von der 
Kirche fey, wenn nur nicht in-beyden Fällen die Idee 
poftulirt wurde, daß jene Auctorität menſchlicher Kirchenvors 
fieher in jedem Fall ein Recht enthalte, irrefragable Worfchrifs 
ten für Lehre und Leben der Ehriften im Namen Sein, der 
Apoftel und der „infallibfen“ Kirche zu geben, Diefes Prins 
etp :ift-es, worauf alle, Differenz ruht; und ein ſolches 
Princip, auf welches ſich die paͤbſtliche Machtvoll⸗ 
kommenheit viele tauſendmale als. auf ein ihr vom Himmeil 
verliehenes apoſtoliſches Vorrecht berufen hat, um für ihre 
Beftimmungen in der Kirche immer, im Staate aber au), fo 
oft: es thunlich ſchien, unbedingten Gehorſam zu fordern, konnte 
Erasmus nie. unter die bloße Schulfrage zählen... Mer an jes, 
nem Prineip nicht .feft hielt, konnte vielmehr nihe Römifchs 
katholiſch heißen. Das irrefragable Feſthalten aller Mike 
ae die Eraemus ſelbſt ruͤgt, woher anders entſtand es, 


598 Weich von Hutten gegen Defid. Erasmus. 


als weil nach jenem Princip der Roͤmiſche Stuhl nie zu 
geben konnte, einmal in einer Sache, die fih auf Neligion’ 
bezog, unrecht geurtheilt zu haben. Und wage pflegte nicht alles 
auf Religion bezogen zu werden ? Erasmus fagt freymuͤthig, 
daß er den mit ihm in Glaubensartikeln harmoniſchen Lurher 
sicht zum Tode verurtheilen könnte. Aber Hatte nicht jenes 
Princip bereits, feinen irrefragablen Folgerungen gemäß, Lu—⸗ 
thern in den Bann gethan und in die Achtserklaͤrung verftrickt? 
Erasmus war alfo von jenen Princip weientlicher differttirend; 
als von Luther felbft, indem er &. 275 mit Laune hinzuſetzt 
Iſt es denn etwas Großes, einen arnien Menſchen, der ohne 
Bin fterben würde, noch vorher in das Feuer zu werfen? Ihn 
belehren und Überzeugen, das ift etwas Großes! 
Nicht einmal das macht einen fonderlihen Eindrud, wenn 
man ihn zum Widerruf anhalten kann. Denn wer 
foird es anders auslegen, als: er habe lieber wollen ſcham— 
roth, als gebraten werden“ ( maluit erubescere, quam exu« 
rl). — Im Grunde geht nad) allem diefem die Erklärung 
des Erasmus eigentlich dahin, daß er mit dem, was auch 
Luther weſentlich beaßfichtigte, in feiner Webergeugung meiſt 
übereinflimmte, daß er aber nicht durch Luther diefe Ueber—⸗ 
jeugung hatte und fie nicht mit Luther vertheidigen wollte, 
weil — und dies war ohne Zweifel der eigentlihe Grund 
der Disharmonie! — Luthers durchgreifende Heftigkeit, ja 
man darf fagen, Luthers ganze Gemuͤthsart und Geiſtesbil⸗ 
dung mit dem, was in Erasmus gerade das Empfehlendfte 
war, im entfihiedenften Contraſt fiund und flehen mußte. Die 
oben berährte Bedruͤckungen der menſchlichen und chriſtlichen 
Ueberzeugungsfreyheit, jene die Immoralitaͤt beſoͤrdernde Diss 
penſationen und Indulgenzen, jenes weltliche Leben der Geijts 
lichkeit u. dgl. m. waren dem Humaniſten, Erasmus, zus 
wider, weil der Geſchmack, der Anftand, die liberale Denkart, 
auch die Sittlichkeit dadurd beleidigt wurden; für den velis 
giöfen Lurher war eben daffelbe alles ein Greuel, weil fein 
Slaubenseifer, fein Reſpect für das bibliſche Wort Gottes, 
fein Gefühl für practifhe Religiofitäe damit nicht beftehen 
konnte. Daraus entftund dant, was Erasmns als ein Matin, 
der Feiner Parthey zugethan feyn, aber beyder Wohl 


Ulrich von Huften gegen. Defid. Erabinus. 559 


wollte (&. 275), am wenigſten ertragen konnte, eine zum 
DPartheymachen, auch zu einfeitigen Behauptungen leicht vers 
leitende Heftigkeit. Was konnte Luther dagegen, daß er ale 
Auguftiner » Eremite moͤnchiſch erzogen war ? daß er nur durch 
die heftigften Anftrengungen, wo ein gewaltfam erregtes Wahr 
Yeitsgefühl den kraftvollen Geift drängt, fih aus dem Tiefiteh 
emporarbeiten mußte? daß er die milde Bildung durch dem 
Maren Sinn der Tlaſſiker nicht genoffen? nicht durch jene 
Uebungen im Snterpretiven, die Wielfeitigkeit der menſchlichen 
Begriffe leicht zu verfichen und zu ertragen gelernt hatte? „Pas 
ther, fagt Er. dagegen S. 235 recht dus Teinem Herzen hers 
aus, könnte deeymal und viermal mein Bruder feyn, und ih 
Pönnte feine ganze Lehre billigen; darum müßte ich aber doch 
immer feinen ungeheuren Starrfinn im Behaupten und fein 
heftiges - Schmähen, wozu er immer bereit iſt, gar fehr mißs 
billigen (non possem non vehementer improbare tantam 
in asseverando pervivaciam, tam acerbam ubi— 
que paratam maledicentiam). Auch kann ich mid 
immer nöd) nicht überzeugen, daß der Geiſt Chriſti, woruͤber 
an Milde nichts geht, in einem Herzen wohne, aus dem fo 
viel Bitterkeit herausſtroͤnt. Möchte mich doch meine Weis 
murhung hier taͤuſchen!“ Aehnliche Ziveifel Über den Geift 
Chriſti, 06 er in dem nie heftig bewegten, alſo nie begeiftert 
fcheinenden Erasmus wohne, hatte Lurher auch wider Er. ges 
Außer. Warum aljo Erasmus von Luther diffentirte, dies Idg 
meift in der Perſoͤnlichkeit, nicht in dem MWefentlichen der 
Unternehmung Luthers. Dagegen charakterifirt die Perföns 
lichkeit des Erasmus in Hinfihe auf diefe Sache ſich 
ſelbſt ebenfalls fo, daß gewiß nicht Quther Jallein, fondern wohl 
jeder Menſchenbeobachter und Gefchichtlenner mit derfelben mie 
zuſammentreffen möchte. Wie dort die Heftigkeit, fo führte Hier 
die Milde auf ein Extrem. Wer kann ohne Lächeln überdens 
ten, was ©. a72 als der lebte Vorſchlag der Erasmifchen 
Gutmuͤthigkeit? oder Klugheit ? ausgeſprochen iſt: „Was nad) 
Ueberzeugung des geledrreren Theils der Freunde des Evanger 
liams zur allgemeinen Wohlfahrt des Chriften: 
Holts und zur Ehre Chriſti etwas beyträgen Tann, das 
werde in geheimen Briefen dem Pabſte und dem 


600 - Ulrich von Hurten gegen Defd. Erasmus. 
Käifer angezeigt, "und man gehe dabey redlich, wie vr 


Gottes Angeſicht, zu. Werke.“ ; Das allerauffallendfte. dieſt 
Art hatten die. oefumenifchen Concilien zu. Eonftanz und u 


Baſel, ebendaffelde Hatte die Deutſche Keichsverfammlung duch 


300 Gravamina in Öffentlihen Urkunden auf die gefegmäßighe 


Weife im Laufe. von mehr als 100 Jahren, angezeigt. Und 


war denn. je vor Euther auch nur in den aͤußerlichen Mißbraͤuu 


Ken etwas Bedeutendes für die Dauer gebefert, war etwas 


Beſſerndes ſelbſt durch Concordate der Dentfchen Nation fe 


‚geftellt worden, ohne den offenbaren Erfolg, nur fo lange 
es unvermeidlich wäre, das Verſprochene fo wenig, wie möglid, 
zur Erfülung zu bringen ?: Und was konnte auch an dm 
ſchlimmen Folgerungen weſentlich gebeflert werden, da: bie 
Principien und Grundmeynungen, aus denen fr 
floffen, von Wiclef, Huß u. a. nicht einmal berührt werden 
durften? Freundliches Zureden, Bitten, jammern, Klıyn 
find ja wohl zu irgend einer Zeit die Mittel, eine. in Mad 
und Beſitz fichende Ufurpation zur willigen. Machgiebigkeit und 
Reſignation zu Senken? Wie fehr mufte dies Erasmus. fell 


oft:gefühlt haben, da.er S. 217 — man denke, zu melde 


Zeit! — folgendes freymäthige Bekenntniß nicht zuräkhilt: 
„Nicht einmal von dem Römifhen Stuhl habe ich je 
mals ungleich (inconstanter)- geredet. Deffen Tprannıy, 
Raubſucht und Übrige Lafter, worüber alle wohl 
denfende Menfhen ſchon ſeit langer.Zeit gemein 
fhaftlih klagen, habe ich; nie gebilligt. Den Ablaß 
verwerfe ich. nicht gang,“ ob ich gleich jene unverfhämtt 
Krämereyen immer verabfchent habe. Was. ich, von den 
kirchlichen Gebräuden halte, dag bezeugen meine Scrifi 
‚ten an vielen Stellen. Wo habe ich aber das kanoniſche Rech 
verdammt ? wo die päbftlihen. Verordnungen ? : [Ueber die Ent 
flehung der Pfeudodecretalen, auf. denen der größte Theil 
des Roͤmiſch⸗Kanoniſchen ‚Rechts ruht, wurde freplich die Kritil 
erſt durch) die Centuriatores Magdeburgicos uberweiſend!] . 

„Ich denke doch, Hutten wird zugeben, , daß zu Rom eine 
chriſt liche Kirche ſey. Darum, weil es dort viele ſchlechte 
Chriſten gibt, if doch daſelbſt eine Kirche .. Ich halte auch dw 
für, daß dieſe Kirche rechtglaͤubig * Finden ſich Gottloſt 


Ulrich von Hutten gegen Defid. Erasmus. 601 


in ihr, fo hat die Kirche in der Gemeinfhaft der 
Erommen ihren Sis. (So harmonirte Er. auch mit Lus 
shers Idee von der unfihtbaren Kirche, als Gemeins 
{haft der Heiligen!) Diefer Kirche wird H. aber auch. einen 
Biſchof geben; er wird erlauben, daß er- Metropplitans 
rechte habe, da es fo ‚viele Erzbifchöfe in bdiefen Gegenden 
¶ Deutſchlands ıc.) gibt, die nie einen Apoftel gefehen haben 
and Rom den Petrus und Paulus fah, die ohne Widerſpruch 
die größten Apoftel waren. Mas: liege nun Ungereimtes darin, 
wenn man unter den -Metropolitanbifchöfen dem von Rom den 
erſten Rang -(primum locum ) einräumt. Denn daß ich 
die ungeheure Gewalt, welche ſich die Päbfte (duch 
apoftol. Zurisdiction uͤber die.ganze Kirche und durd eine Gottes 
Stelle vwertretende Legislation!) feit einigen Jahrhunderten ans 
maßten,, vertheidige, wird niemand von mir gehärt haben. 
Doch, Hutten kann einen heilloſen Pabft nicht vertragen ? 
Wir wuͤnſchen aber alle, daß der Pabſt ein Mann fep, ber 
verdiene, auf Petri Stuhl zu fisen. „Und wenn er es 
nicht verdient?“ So feße man ihn ab. Eben fo follte man 
auch alle Biſchoͤfe adfegen, die micht ihre Pflicht hun! — 
- „Aber die ärgfte Peftitenz für die Welt Lam feit vielen Jahr 
zen von Rom her!* Wollte Gott, man koͤnnte dies 
läugnen.. Inzwiſchen haben wir jegt einen Pabft (Hadrian 
VL),.der, wie ich alaube, aus allen Kräften daran arbeitet, 
diefen Stuhl und diefen Hof von feinem Schmuge zu reinigen.“ 
— &o offen erklärte fih der nach Temperament und Bildung 
Außer humane Erasmus. Ein wahrer Vortheil war es auch 
für ihn, daß er feine Spongia gerade unter Hadrian VL. zu 
gebrauchen hatte. Bedaͤchtlich feßt er dann aber doch Hinzu: „Und 
die Liebe iſts, nah Paulus, welche Alles hofft.“ — Den 1. Sept. 
3522. erklärte Hadrian VI, in feinem erfien Confiftorium zu 
Nom feine. WVorfäge zur Reform der päbftl. Curie; den 14. 
Sept: farb der das Beſſere wollende Nichts Staliäner unter 
dem Achſelzucken feiner weltfiugen neuen Umgebungen. Wie 
ſchlimm, wenn Reformen nur von der vorübergehenden Pers 
ſoͤnlichkeit abhangen und dabey die Grundmeynungen gegen fie 
feft bleiben follen, — Eben fo offen und wahr aber fagt Erasmus 
auch ©, 27% der andern Parthey: „Wenn mir unaufhörkich 


602 Ulrich von Hutten gegen Defid. Erasmus; 


darüber ftreiten, ob es gute Werke gebe, wird es dahin 
Fommen, daß wir in der That ohne gute Werke find, 
Dder wenn wir darüber hadern, ob der bloße Slaubk 
ohne Werke felig’mahe, wird es dahin kommen, daß wie 
ſowohl der Frucht des Glaubens als des Lohne für 
die guten Werte verluftig werden.“ Mur konnte diefen — 
wicht mir Eigennuß und Herrfchfucht gepaarten — Mißverſtaͤnd⸗ 
niffen viel leichter durch die faßlichfte Erklärung geholfen weis 
den : daß in jeder Handlung, in jedem Vorfag, der Entſchluß, 
der möglichften Ueberzeugung getreu zu wollen und zu wirfen, 
das Wefentlihe und der allein feligmadhende Glaube fen, weit 
Glaube zu aller Zeit nichts anderes, als ein thätiges 
VWertranen aufdienah Zeit und Umftänden dem 
Einzelnen möglihe Ueberzeugung if. Nöm. 4, 
ag — 25. 

Die angeführten Stellen bewähren nicht nur das Inhalts 
reiche diefer Schrift, fondern and) die gute Art der Ueberſetzung. 
Wohl jedem, welcher Apologien zu fchreiben nie gendchige iſt. 
Muß es aber feyn, fo ift dann der glücklich zu preifen, für 
welhen eine Selbfivertheidigung noch nah Jahrhunderten fo 
viel Gutes beweist, als die gegenwärtige für Erasmus, deren 
Bearbeitung ſelbſt auch ihrem Erneuerer noch fo viel Ehre macht 

Noch etliche Worte der Ermahnung von einen Mann, 
wie Erasmus war: „Man nennt die fhöne Wiſſenſchaften 
human; erft dann werden fle, was fie heißen, ſchoͤne, nüßs 
Kiche Wiffenfchaften (bonae literae) feyn, wenn fie ung u 
beffern Menfhen mahen und der Ehre Chriſti untergeordnet 
find. Sie find nicht darum in die Schulen eingeführte, um 
ältere Wiffenfchaften zu verdrängen, fondern um einen reinern 
amd bequemern Vortrag derfelben (aud) um den guten Geſchmack 
und practiſche Logik durch die Auslegungskunſt) zu befoͤrdern.8 
Viele, die den Sprachen und ſchoͤnen Wiſſenſchaften leiden 
ſchaftlich obliegen, wollen mit Ausſchließung andrer Studien 
nur ſie allein getrieben wiſſen. Dieſenigen hingegen, welche 
die alten Studien hartnaͤckig feſthalten, gehen damit um, die 
feinern Wiſſenſchaften gu. unterdruͤcken. Laſſet uns‘ eimehr 
unſre Gaben zuſammentragen, als daß wir dutch thoͤrichte 
Streitigkeiten. einander ſchwaͤchen · » Bey wechſeiſeltiger Eins 





Memoire sur. les“Samaritains par'Mr; de Sacy. 683 


tracht wird es keinem Theile fehlen. jeder von uns befleißige 
fi), an Wiederherftellung des Friedens und der Eintracht um 
ter den Chriſten zu arbeiten. Jetzt fehlt uns fogar „der Friede, 
den die Welt gibt“ . . Und den „Frieden Gottes“ haben wit 
auch nich bey fo großem Zwieſpalt der Meynungen, und da 
man nirgends aufrichtige Freundſchaft oder. brüderlihe Liebe 
antrifft, im Gegentheil alle Verhäleniffe durch einen verwuͤnſch⸗ 
gen Sauerteig in Zerrättung gerathen find. „Pessimo -fer- 
mento vitiata omnia, St cui placet.hoc seculum, fruatur.* 


Eee H. E. G. Paulus. 





Memoire sur Vetat actuel des Samaritains, lu à la Classe d'His?* 
toire et de Litterature andienne de J’Institut imperial de 
“France; par M. Silvestre de Sacy (Extrait du s2me 
Cabier des Annales des Voyages etc.). A Paris, chez Fr, 

. Buisson et chez 'Treuttel et Würz 1812, 71 S. 8. 


Diefe Heine intereffante Schrift ift nur der Vorläufer ch 
ner ausführlihern Arbeit über die Reſte der alten Samaritanter, 
von weldyen zu Maplufa (dem alten Sihem) und Jaffa, dei 
einzigen. Dertern von Paläftina, wo fie fih erhalten haben, 
noch im. Ganzen ohngefähr zweyhundert Perfonen beyderleh 
Geſchlechts, in dreyßig Familien getheilt, angetroffen werden. 
Je fiherer es fih erwarten läßt, daß nad einigen Menfchens 
altern auch diefer geringe Meft von der Erde vertilgt ſeyn wird, 
um defto verdienftlicher ift es, für die Mitwelt und Nachweſt 
ale Nachrichten uͤber dieſe merfwürdige Sekte zu - fammeln, 
welche noch zu erlangen find. Herr Stlvefire de Sacy, dem 
die Morgentändifche Litteratur ſchon fo vieles verdankt, erwirbt 
ſich auch das Verdienſt, unfre Kenntniß von diefer Sekte zur Volk 
fHändigkeit und Genauigkeit zw erweitern. Schon feit mehr als 
zwey Jahrhunderten haben verfhiedne der angefehenften Gelcher 
ten tn Deutſchland, Frankreich und England weder Mühe no 
Koften geſpart, um eine genaue Kenntniß von den Eigenthuͤm⸗ 
tichteiten fowohl der Lehre als der äußern Gebräudhe der Sa— 
maritaner ſich zu verfchaffen 5’ gleichwohl find noch viele Dums 
kelheiten geblieben, denn die Unwiſſenheit und day argwoͤhniſche 
Weſen ˖machen die Erkundigung fehwierig, fo wie auch die aͤußerſte 


-_ 


604 Mémoire sur les Samaritains par Mr. de Sacy. 


Behutſamkeit in.der Entwerfung der Fragen nothwendig ift. Zuerſt 
erhielt Robert Huntington, damals Prediger an der Englifchen 
Factorey zu Aleppo, um das Jahr 1671 einige Aufflärungen 
Aber ihren Sortesdienft und ihre Lehren dadurh, daß er fie 
in den Irrthum brachte, als 06 auch in England noch Samark 
tanifche Juden ſich fänden. Sin diefer Meynung wurden ſie 
durch feine Fertigkeit, die Samaritaniſche Schrift zu leſen, ſe 
beftärkt, daß fie ihm nicht nur einen Brief an ihre  vorgeblis 
hen Brüder, worin fie die Grundfäge ihrer Religion und be 
fonders die charakteriftiihen Werfchiedenheiten , wodurd fie fi 
von den Juden unterfcheiden, erklärten, fondern felbft ein 
Eremplar ihres Pentateuchs zur Beſtellung an diefelben übers 
gaben. Marfhall, damals Rector des Eollegiums zu Oxford, 
beantwortete diefen Brief, und dadurch ward eine Correfpons 
den; angelnäpft, welche mehrere Jahre fortgefegt wurde. Ver 
fchiedene diefer Briefe find durch die Bemühungen mehrerer 
Gelehrten, befonders des um die Samaritanifhe Litteratur. 
Hochverdienten Herrn Canzlers von Schnurrer zu Tübingen, 
dem Publitum bekannt geworden. Kerr Silveftre de Sacy 
gibt in diefer Schrift: sine vollftändige Weberficht der. verfchies 
denen Verſuche Europäifher Gelehrten, eine Correſpondenz mit 
den Samaritanern anzufnüpfen, feit Julius Scaliger , welcher 
zuerſt den Samaritanifchen Pentateuch der —— u 
Keifenden nach Paläftina empfahl. 

Die erfte Veranlaffung zu den Aufklärungen, welche die 
vorliegende Heine Schrift enthält, gab Herr Senator, Graf 
Eregoire, welder mit vaftlofer TIhätigkeit die Meynungen und 


Irrthuͤmer der jüdifhen und chriftlihen Sekten in ihren mans 


cherley Verzweigungen ans Licht zieht, damit die Wahrheit in 
defto fchönerem Glanze erfiheine. Auf feinen Antrag erhielten 


die Franzoͤſiſchen Konfuln zu Tripolis, Aleppo und Prolomats 


von dem Minifter der auswärtigen -Verhältniffe den Auftrag, 
über den gegenwärtigen Zuftand der Samaritaner und insbes 
fondte über ihre vorgeblich noch fortdaurenden Thieropfer auf 
dem Berge Sarizim genaue Erfundigung einguziehen. Unter 
den eingefommenen Nachrichten war die des Herrn Corancez, 
damals Conful zu Aleppo, jetzt Generals Conful- gu Bagdad 
und Correſpondent des kaiſ. Inſtituts, die ausfuͤhrlichſte. Herr 


J 


M&moire sur les-Samaritains par:Mr: de. Sacy. 606 


Corancez wandte fih außerdem mit einem Briefe und einer 
Reihe von Fragen unmittelbar an die Samaritaner in Naplufa, 
und erhielt auch fehr bald eine Beantwortung feiner Fragen 
von Salomoh) ben Tobiah, levitiſchem Priefter ar 1ar1,d.% 
Dberpriefter ) zu Sichem. Diefe Beantwortnng ift ſchon vom 
Herrn Grafen Gregoire in dem zweyten Theil. feiner Histoire 
des Sectes religieuses (welche aber von Herrn ©. de Sacy 
hier niht genannt wird), im Feanzoͤſiſcher, und von Herrn 
Canzler v. Schnurrer in dem.erfien Bande der Fundgruben des 
Drients in Deutfcher Leberjegung befannt gemaht worden. 
Da fie aber doc nicht volllommen befriedigte, fo entwarf Hr. 
©. de Sacy auf Anfuchen des Hın Grafen Gregoire aufs Neue 
eine Reihe von Fragen, welhe Hr. Michel Sabbag aus Sys 
rien in das Arabifche Überfeßte, zur Weberfendung an Hrn, 
Rouſſeau, den Nachfolger des Hrn. Corancez im Conſulat von 
Aleppo. Auch auf dieſe Fragen, in welchen alles zur Sprache 
gebracht war, was in den bisherigen Unterſuchungen angeregt 
worden, oder zweifelhaft ſchien, erfolgten aus Napluſa ſehr 
bald in vielen Stuͤcken genugthuende Antworten. Herr Sits 
veftre de Sach erwartet nur noch aus Aleppo durch den gedach⸗ 
ten Ken. Rouffeau einige Aufflärungen Über die Samaritaner, 
um alsdann. diefe ganze Correfpondenz mit dem Prieſter Gar 
lomoh durch Ueberſetzung und Anmerkungen erläutert, bekannt 
zu machen. Dieſe Schrift enthaͤlt vorlaͤufig nur einen Auszug 
daraus zur Erlaͤuterung der wichtigſten verhandelten Puncte. 
Soviel erhellt, außer vielen andern, nunmehr deutlich ſchon aus 
diefem Auszuge, daß die Samaritaner von dem Vorwurfe der 
Abgoͤtterey völlig freyzufprechen find; denn ſelbſt die oftmals bes 
fpeochene Taube als. Zierrath an dem Stabe der Rolle des Ges 
feßes ift nur eine Erdichtung, eben ſowohl als die vorgeblichen 
gewöhnlichen TIhieropfer auf dem Berge Garizim; ſelbſt das 
Dfteropfer. wird feit ohngefähr 25 Jahren nicht mehr auf diefem 
Berge, fondern in der Stade Napluſa gehalten, weil die Türs 
Ben nicht anders als gegen eine Abgabe den armen Samaritanern. 
. erlauben, den Berg zu befteigen. Dagegen ift es gewiß gewors 
den, daß die Samaritaner an die Unfterblichkeit der. Seele glaus 
ben, obgleich Salomoh ſich in Die Lehre von der Ewigkeit der Stras 
fen in der andern Welt, über welche er befragt worden, nicht 
einläßt, Ein Exemplar ihres Pentateuchs, das man von ihnen 





606 Memioire sur les’Samaritains’par! Mr; de Sapyi 


erbeten, verweigerten fie: Ihr begehrt, erwiederten fie; daß 


mir euch ein Exemplar der heiligen Thorah fenden follen; dat 
thun wir nicht, wofern ihr nicht, wie wir, zu denen gehört, 
welche diefes Geſetz halten (70) und deffen Gebete en 
füllen.“ Sn den festen Worten liegt eine Anipielung auf 
den Namen der Samaritaner, melden fie ſelbſt ſich geben; näm 
lich fie nennen fih nicht Samaritaner von INn2V, dem altın 
Mamen von Samarien, fondern Schomerim, DYWIT, di. 


ſolche, welche vorzugsweife das Geſetz bewahren. Sehr merk 
würdig ift die Sage bey den Samaritanern, daß vor fehk 
hundert Jahren (alfo zu den Zeiten der Kreuzzuͤge) viele ihre 
Volks aus Askalon und Täfarea in das Land der Franken gu 
führe worden. Wir finden einer folhen Wegführung zw 
von den Echriftftellern der Kreuzzuͤge nicht erwähnt, gar 
unwahrſcheinlich iſt fie aber nicht, theils weil oft nicht nur 
die bewaffneten Saraceniſchen Männer (mit welchen akt 
doch zuweilen Juden waren; z. B. Chaifa wurde von de 
Juden gemeinſchaftlich mit den Saracenen im Jahr 110 mi 
der die Kreuzfahrer vertheidigt, Alhert. Aq. Lib. VILS. 
ſondern auch andre Einwohner, beſonders die Juden mit 
Weibern und Kindern von den Kreuzfahrern, nach de 
Eroberung einer Muſelmaͤnniſchen Stadt, in die Gklavırt 
geführt wurden; theils weil die Juden im Abendlande mit vi 
hoͤhern Abgaben belegt wurden, alfo dem Ritter, der fl 
auf fein Gut im Materlande bringen ließ, fehr bedeuten 
Vermehrung feiner Einkünfte verfchafften. Die Gamarttaitt 
behaupten noch inebefondre, daß auch in Deutſchland (Ahr 
nas) fich viele Samaritaner finden, und berufen fi) auf ein 
Brief von diefen ihren Brüdern, der vor etwa hundert Jah 
ren ihnen jugeiandt, melde, daß die Zahl derſelben fih au 
127960 Köpfe belaufe. Herr de Sacy Hatte in feinem 
Schreiben die Samaritaner von dem Ungrund diefer Me 
nüng befehrt, und fie um die Mittheilung einer Abſchrift Wi 
Briefes, worauf ihre Irrthum beruhe, erſucht. Salomoh dv 
harrt in feiner Antwort feit bey feiner Meynung, und bemerkt 
anftatt die verlangte Abichrift des Briefes mitzutheilen, wit 
daß der Brief in eben derfelden Sprache gefchrieben fey, A 
fein Brief. Hr. de Sacy vermuchee mit vieler Wahrſchein 


Einige Worte uͤh d. Barte; d: Angtomie v. L. F. v. Srorien.: 607 


lichkeit, daß irgend ein Deutſcher Gelehrter den frommen Ber: 
trug, den ſich Huntington und Marſchall erlaubten, wieder— 
holt habe, um ſich gleichfalls genauere Nachrichten von den Sar 
maritanern zu verſchaffen. Die Mittheilung jenes Briefes, welche 
Hr. de Sacy noch durch Hrn. Rouſſeau zu erlangen hofft, wird 
dieſes Raͤthſel loͤſen. 


Einige MWörte über den Vorträg der Anatomie auf Univerfitäten. 
. Mebft einer neuen Darftellung des Gekroͤſes und der Netze als 
Fortſaͤthe des Bauchfells. Von Ludwig Friedrich von $ros 
rẽep/ des fin wuͤrt. Civilverdienſtordens Ritter, der Philofophie, 
Wexdicin und Chirurgie Doctor, ordentl. öffentl. Profeſſor, der 
Ahatomie, Chirurgie und, Geburtshuͤlfe an der koͤn. Univerſitaͤt zu 
Tübingen und Border der chirurgifhen und geburtshülflichen 
Abtheiſung des fon. Klinikums dafel ſt ꝛc. Mit zwey Kupfertas 
fein. Weimar im. Verlag des H. S. privil. Landes-dInduſtrie⸗ 
Comtoirs. 1812., 17 ©. in 4. 
In der Vorerinnerung bemerft der Verf., daß er nicht 
ohne äußere Veranlaſſung fi erlaubt habe, einige Bemerkun⸗ 
gen über die Methode. beym Vortrage der Anatomie voran zu 
Schicken, von welden. er wünfhen muͤſſe, daß man ihnen je 
feinen andern Zweck unterfhieben möge, als den: feine Aus 
ſichten über dieſen Gegenſtand anzudeuten. — Nachdem er 
beſtimmt bat, wäs der Vortrag der Anatomie -in Beziehung 
auf Phyfiologie ‚Chirurgie und gerichtliche A zneykunde zu lei⸗ 
fien habe, gibt er. die Gründe an, aus denen er. den analptis: 
fhen Weg (mie er ihn ©. 8 charakterifirt hat) bey dem: anar 
tomiſchen Unterriht auf Univerfitäten für zweckmaͤßiger, für 
gemeinnüßiger halte, als den ſynthetiſchen. Nichtig heißt es 
&. 7 von: dem. letztern: „Diefe Methode ift ohne allen Wis 
derſpruch für den Lehrer die angenehmfte, fie intereffire und: 
gefällt auch meiftens den Zuhörern, und dies um fo mehr, je 
meniger die den aufgeftellten. Säßen etwa. widerſprechen den 
Thatſachen einer befondern Aufmerkfamkeit gewürdigt werden. 
Dem. phyfiologifchen:, Studium, befonders aber dem phyſiologi⸗ 
fen Spfteme, welchem der Lehrer Huldiger, ift dieſe Methode 
ſehr förderlich, fie fann ſich aber auch in diefer: Hinficht von: 
einer gewiffen Einfeitigkeit nicht frey machen, und. feßt übers. 
dem voraus, daß alle Zuhörer. auf Yang gleicher. Stufe der 
Ausbildung fiehen (was wohl nur ſehr felten der Fall ſeyn 
möchte), und gleih im. Stande find, der Anficht des Lehrers 
zu folgen.. Für Chirurgie leifter diefe Methode gewiß nur wer 
nig, und dies Wenige mehr zufällig.“ — Wenn. der Berf. 
auch nichts dagegen. einzumenden hat, daß man bey den anas 
tomifchen. Vorträgen, wie gewoͤhnlich, mit der Anatomie den 
Anfang mache, fo hält er es doc für zweckmäßig ( damit der 
Anfänger mit Dingen, von denen dort häufig die Rede ift, 


508 Einige Worte uͤb. d. Vortr. d; Anatemie v. L. F. v. Froriep. 


keine irrigen Begriffe verbinde), in den erſten Stunden der 
Demonſtration einiges Allgemeine über Zellgeweb, Haͤute, 
Muskeln, Gefäße, Nerven ꝛq. vorzutragen, und die verſchie— 
dene Textur durch friſche Stuͤcke und beſonders verfertigte Praͤ⸗ 
parate zu verſinnlichen; ſo wie es wohl nachher ziemlich von 
der Willkuͤhr des Lehrers oder dem Zufluſſe der adaver abs: 
hängen dürfe, im weldher Ordnung die Vorträge auf einander 
folgen follen, womit es ſich aber bey Schriften über Anatomie 
anders verhalte u. f. w. 

MNach dieſen vorausgefchickten Bemerkungen über bie befte 
Art des Vortrags der Anatomie auf Lniverfitäten wodurch 
dieſes Studium den Phyfiologen wie dem Chirurgen gleich 
angenehm, faßlich und leicht gemacht werden könne, theilt ung 
der Verfaſſer die Beſchreibung zweyer verfchiedenen Durchs 
Schnitte der Bauchhoͤhle des Menihen mit, durch melde der 
unmittelbare Zufammenhang der allgemeinen Bauchhaut mit 
. den als Netze und Gekroͤſe bekannten Zortfeßungen derfelben, 
die Bildung und Entſtehung dieſer Fortfeßungen und der Urs 
fprung der verfchiedenen Blätter derfelben,,. fo wie: das Wers. 
haͤltniß des durch die Mebe gebildeten Sades zum allgemeinen 
Sacke des Bauchfells fehr deutlich aus einandergefegt iſt. | 
Die vom Verf. zur Darfiellung des Gekröfes and 
ber Netzze, als Fortfäße des Bauch fells, verfuchten 
Präparationen erleichtern allerdings die Löfung. der Aufgabe : 
der Demonftration des Bauchfells, und eigenen fi dazu, dem 
Anfänger fchneller und ficherer eine Blare Vorftellung von einer 
Diembran zu verfchaffen, die bald die Wände der Bauchhoͤhle 
uͤberzieht, bald die in der Hoͤhle eingeſchloſſenen Eingeweide 
umkleidet, bald dieſe als eine Bruͤcke verbindet, bald wieder 
frey flottirende Anhaͤngſel bilder, und doch einen überall ge— 
ſchloſſenen Sad ausmacht. — Die beyden Abbildungen, wor 
von die eine die Fläche eines Querdurchfchnittes des Unterleibeg: 
(deſſen einfchließende und eingefchloffene Theile zu der beabſicht 
tigten Darftellung befonders präparirt worden find), die andere 
bie Fläche eines Durchfchnittes der Länge nach barftelt, ent⸗ 
fprehen, wenn fie fhon der Verf. für flüchtig entworfen aus⸗ 
gibt, ihrem Zwecke. Eur 

Diefe Darftellungen würden nicht weniger, als jene Bemer⸗ 
tungen über den beym Vortrage der Anatomie einzuſchlagenden 
Weg das ruͤhmliche Streben des Verf.: den Unterricht zu ver⸗ 
beſſern und gemeinnuͤtziger zu machen, beurkunden, wenn dies 
nicht ein WVerdienft wäre, welches er fh, außer andern Arbeis: 
ten ähnlicher Art, vorzüglich durch fein, vor allen bisherigen 
fo vortheithaft fih auszeichnendes, Lehrbuch der Gehurtshäife 
ſchon erworben hat. | | 

—— — j . . RE: 


No. 39. Heidelbergifhe 41813. 
Jahrbuͤcher der Litteratur. 








Ueber die Vereinigung der beyden proteſtantiſchen Kirchenpartheyen in 
der Preußiſchen Monardie, von D. Fr. Sam. Gottfried 
Sad, koͤnigl. Preußiidem erften Hofprediger und Dberfonfiftos 
rialrath 20. Nebſt einem Gutachten über die Beförderung der 
Religiofirät. Berlin, 1812. bei Maurer. XIV u. 191 ©. 


&.. Heine, aber von mehreren Seiten fehr wichtige Schrift ! 
Der erſte veformirte Geiftliche in Deutſchland, der befonnene, 
würdige, von Miemand der. Neuerungsſucht zu bezüchtigende 
Oberconſiſtorialrath Sad thut Vorfehläge, wie fi) die bepden 
proteftantifchen Confeffionen vereinigen könnten, in einem fanfs 
ten, liebevollen, den Geift wahrer NReligiöfität fo fihtbar ath— 
menden Ton, daß er auch Andersdentende für fih gewinnen muß. 
Niemand wird fih mwundern, daß dieſe Vorfchläge jetzt ger 
fhehen, fondern vielmehr darüber, daß fie nicht ſchon längft 
geihehen und ausgeführe find. Bekanntlich bezeugte der das 
mals noch unbefangene Luther feine große Freude über die 
vorhabende Vereinigung, „Wenn diefe Concordie vollends bes 
feftige iſt,“ schrieb er an die Augsburgifhen Prediger, „will 
ih mit freudigen Thränen fingen: „Herr, nun läffeft du deis 
nen Diener in Frieden fahren! denn ich werde der Kirche den 
Frieden hinterlaffen, das ift, die Ehre Gottes, die Strafe des 
Teufels und Nahe an allen MWiderwärtigen und Feinden.“ 
(Plant, Geſch. der Entftehung des proteft. Lehrbegriffs. 3. ©. 
1. Th. ©. 3,3, Note 203.) Auh Bullinger und Deza 
mwünfchten diefe Wereinigung ( Struve Pfälsifhe Kirchens 
biftorie, S. 265). Calvin ermahnt in einem Brief an die 
Zürcher zur Mäßigung, obgleich kurz vorher die wuͤthende Schrift 
Luthers: „Kurzes Bekenntniß vom Abendmahl“ erſchienen 
war, die felbft von feinen waͤrmſten Anhängern mit &tills 
fhweigen und fühlbarem Widerwillen aufgenommen wurde. 
(Plant, 4. Th. S. 34, Note 35.) „Faft alle Edle, Fürften 
und Große zur Zeit der Reformation,“ fchreibt der geheime 


39 


610 Weber d. Vereinig. d. beyden pr. Kirchenparthenen v. Sad, 


Nath von Hofmann, (von Alpen, patriotifher Aufruf zur 
allgemeinen Vereinigung, Vorr. &. XVII. XVIIT. ) „arbeite: 
ten mit alfer Anftrengung an dieſer Vereinigung, und alle 
fanfte, friedfiebende Männer, Erasmus, Melanchthon, 
Detfolampad, Bucer, Hedio, Caffander, befonders 
aber Hugo Grotins in einer eigenen Schrift: Wunfch für 
den kirchlichen Frieden.“ Auch ift es befannt, daß diefer Ges 
:genftand (aber eine allgemeine kirchliche Wereinignng ) auf 
dem Neihetag zu Negensburg, 1541, zu Speier, 1544, zu 
Worms, 1545, und zu Augsburg, 1548, in Betrahtung ges 
zogen worden if. Die Bereinigung wäre auch, wenigſtens 
unter den Proteftanten, ſchon damals fiher zu Stande gefoms 
men, 'wenn Zwinglis und Oekolampads Briefe nidt 
eben im Druck erfhienen wären, und wenn nicht Bucer 
‘eine Worrede dazu gemacht hätte, in weldher er Defolams: 
pad feinen Vater und Lehrer nannte, und Zwingli wegen 
einiger freyen Ausdruͤcke über das Abendmahl ( Plant 3.8. 
1. Th. ©. 385) vertheidigte; wenn nicht die Amsdorfe den 
Churfürften fo gereizt hätten, daß er Luthern ſchrieb, er möge 
den Strasburgern in feinem Punct nachgeben, und wenn nicht 
Luther fo märrifh und reisbar worden wäre, daß ſelbſt feine 
Vertrauteften nicht mit ihm zurecht kommen konnten (Plant, 
4.8. ©. 30, Mote). Das geihah in einer Zeit, wo man 
die Vorftellungsarten noch für weit wichtiger bielt, wo die 
Lutheraner noch ein großes Gewicht auf ihre Anfiht von der 
Gegenwart Jeſu im Abendmahl, und die Neformirten auf 
ihre Philofophumenon von der Prädeftination legten. Wie viel 
mehr follte man es jeßt erwarten, da die meiften Iutherifchen 
und reformirten Theologen diefe Vorftellungsarten faft gan 
aufgegeben haben, und Alle in dem übereinftinmen, was der 
mwürdige Sack in feiner Vorrede (S. IX) fagt: „Wer von 
einer befondern Borftellungsart in Religionsſachen behauptet, 
fie berreffe nicht das Mefentliche des chriftlichen Glaubens, und 
rechtfertige nicht die Verſagung kirchliher Gemeinfchaft, der 
ift noch feineswegs ein Sindifferentift, dem Wahrheit und Irr— 
thum einen gleichen Werth oder Unwerth haben.“ Worftels 
Tungsarten und Wahrheit find fehr verfchieden. Die Wahrheit 
kann bey vielerley WVorftellungsarten beftehen. * 


Veber d. Bereinig. d. beyden pr. Kirchenpartheyen v. Sad, 611 


Sad bringt nun diefen Gegenftand der Vereinigung ber 
beyden proteftantifhen Kirchen wieder zur Sprache. Er ev; 
zähle zuerfi, was Preußens Regenten feit 150 Jahren gethan 
haben, um den Kirchenfrieden zu erhalten und zu fördern. 
Merkwuͤrdig ift im diefer Hinficht das, von 27 Perfonen uns 
terfchriebene, ganz den Geiſt des trefflihen Alphons Turres 
tin, ihres Haupts, athmende Schreiben der Genfer Theologen, 
an Friedrich T., worin fie diefe Wereinigung „une sainte 
rdunion ® nennen, „ qui est si juste en elle m&me, si con- 
forme aux maximes de ’Evangile, si utile pour l’inter&t 
commun de la religion protestante, si necessaire, pour 
nous garantir des entreprises (nicht des wahren Catholis 
cismus, fondern:) du papisme, qui ne cherche qu'à 
nous perdre les uns et les autres, enfin qui est souhaitde 
avec tant d’ardeur par tous les gens de bien, et qui ne 
sauroit manquer, si elle est une fois conclue, de contri- 
buer infiniment, à &tendre les bornes de notre sainte 
reformation“ (S. 95), und worauf der König antwortet: 
„Ganz ınsbefondre aber erfreut es mich, daß gerade Eure 
Kirche in diefem Betracht fih mir anfchließt, da fie durch das 
große, ehrenvolle Anfehen, deffen fie unter allen Evangelis 
fhen genieft, Ddiefem michtigen Geſchaͤft ein fo bedeutendes 
Gewicht mehr verleihen wird; und in der That, was könnte 
wohl für Euch ſelbſt würdigeres, und der Stelle, die Ihr in 
der reformirten Kirche einnehmet, irgend angemefjeneres ges 
ſchehen, als daß Ihr, die Ihr vormals mit der Fadel des 
Glaubens der evangelifchen Kirche voran ginge, ihr nun auch 
ein leuchtendes Beyſpiel chriftlihen Eifers und chriftlicher Milde 
vor Augen fiellet.“ Sad redet von den Bemühungen des 
großen Leibniz und des erftien Hofpredigers Jablonsky, 
mit dem Abt Molanus, um die Vereinigung der beyden 
Eonfeffionen, wozu der König durch mancherley WBeranftaltuns 
gen mitwirkte, und von den gleichen Grundſaͤtzen, die fein 
Nachfolger, Friedrih Wilhelm I., befolgte. Wie Neligiöfität 
unter Friedrich II. verfiel, und unter Friedrih Wilhelm IL, 
durch verkehrte Mittel wieder gehoben werden follte, wird kurz 
und mit vieler Klugheit berührt. Nun zeigt er, was die jeßige 
Megierung. zum Näherbringen der bepden proteftantifchen Kirs 


612 Weber d. Vereinig. d. beyden pr, Kirchenparthenen v. Sad. 


hen gethan habe. Es ward eine gemeinichhaftlihe Agende bes 
fhloffen, und Theologen von beyden proteftantifhen Konfeffios 
nen ihre Ausarbeitung aufgetragen. Die Aufieher über Prediger 
‚wurden mit einerley Namen, Superintendenten genarnt, und 
‘Einer oberen Behörde die Leitung und landesherrlihe Aufjiche 
über alle geiftliche Angelenenheiten bender -proteftantifhen Kies 
chen anvertraut. (Kerr Superine. Löffler in feiner Recen— 
ſion diefer Schrift, in dem Magazin für Prediger (VI. ©. 
1. St. &. 48), bemerft noch als die wichtige Veranftaltung, 
die Stiftung der Univerfität Berlin, und die veränderte Or 
ganilation der Univerfität zu Frankfurt an d. D. bey ihrer 
Verlegung nad) Breslau, bey denen es feine reformirte 
und keine (utherifhe, fondern eine proteſtantiſche 
theologiihe Fakultät gibt.) Indeß find die beyden Kircdyen 
noch nicht wirklich vereinigte, und der Verf. macht fich felbft den 
Zweifel, ob. diefe Wereinigung nach fo vielen vergeblichen Wer; 
ſuchen zu erwarten fey. Er finder aber die .Urfache des Miß— 
lingens in den Zeitumftänden und in dem Geiſt der damaligen 
Zeit, wo man nod) gewiffe Vorftellungsarten zur Seligkeit für 
wichtig, wo micht gar für unentbehrlich hielt, was jeßt der 
Fall gar nicht mehr ifl. Auch fey es ein ganz verkehrter Meg 
geweſen, eine Belenntnißformel aufzuflelen, unter ber jede 
Parthey ihre Anfichten habe verftecken können. Das Alles fey 
jeßt anders. Man fey überzeugt, daß es auf volle Ueberein— 
ſtimmung der Anfihten nicht anftomme. (Hat ja wohl jeder 
Selbſtdenker feine eigene!) Er gibt .alfo jetzt „Gemuͤthern 
voll warmer Anhänglichkeit an die evangslifhe Wahrheit — 
nicht jedem Syſtem zulählend, es harmonire mit der heilſa— 
men Lehre, oder es widerftreite ihr, aber duldiam gegen Alle, 
die den Grundftein des Gebäudes, auf welhen Chriſtus feine 
Kirche erbaut hat, nicht liſtig oder offenbar untergraben,“ 
vor Sort zu Überlegen, ob es nicht Pflicht fey, die Vers 
einigung der beyden proteftantiichen Kirchen nah Möglichkeit 
zu befördern? Er wirft daben drey Fragen auf. Die Erfte: 
Ob auch Vereinigung nothwendig fey? Er beantwortet 
fie aus guten Gründen mit Nein, zeigt aber, daß fie doch 
wünfchenswerth und vathfam fen. „Iſt der Friede gefchloffen,“ 
fagt er (S. 40), „fo muß er auc, öffentlich proclamirt werden. 





Veber d. Bereinig. d. beyden pr, Kirchenpartheyen v. Sad, 613 


Was foll der unterfcheidende Seftenname, wo feine Sekte mehr 
it? Wer die Trennung der beyden proteftantifhen Kirchen 
noch für nöchig Hält, muß gegen alle Erfahrung behaupten, 
daß in ihren Urtheilen über die fogenannten Unterfcheidungss 
fehren feine Aenderung vorgegangen, oder daß jetzt noch die 
lutheriſche Kirche an der Eintrahtsformel, und die reformirte 
an den Befchläffen der Dordrechtihen Synode fet hält.“ — 
„So lange diefer Unterfchied noch befteht, wird bey dem großen 
Haufen die dunkle Vorftellung nicht anszurotten feyn, als feyen 
die Neformirten wirklich einer andern Religion zugethan, als 
die Futheraner , und der Glaube der Einen Parthey dem Heil 
der Seele beförderlicher, als der Andern.“ — „Es wäre doch 
gut, wenn einem folhen, den Sektengeiſt heimlich nährenden 
Irethum nicht ferner Vorſchub gethan würde.“ — „Märe 
aber auch diefer verdammende Seftengeift erftorben, fo 
wäre doch die Fortdauer des Parthengeiftes nicht zu vers 
hüten, der auch bey ſolchen ftatt finder, denen es um Religion 
gar nicht zu thun ift, der duch Mortheil oder Rechte einer 
andern Parthey fo leicht aufgeregt wird, zu unzähliger Necke— 
rey Anlaß gibt, und jo gut, wie der fanatifche Neligiongeifer, 
die Gemüther mit bitterem Groll erfüllt“ (S. 44, 48). Fällt 
der firchliche Unterfchied zwifchen veformirt und lutheriſch 
weg, fo werden Eltern, Kinder und Gefhwifter in gemifchten 
Shen bey dem Religionsunterricht und bey der heiligften Hands 
lung des Öffentlichen Gottesdienſtes nicht von einander getrennt. 
< Eine fhöne Stelle aus der Schrift: Zwey unvorgreifliche 
Gutachten, in Sachen des proteftantifchen Kirchenweieng ıc. 
empfiehlt Rec. zum Nachlefen (S. 45), durd die gemeinfchafts 
liche Theilnahme der Familie an einer heiligen Handlung wird 
diefe Handlung den meiften Menichen erft recht heilig. Die 
dieſe Vereinigung zu hindern furhen, zerſtören alſo wirklid) 
wahre Neligidfirät in vielen Familien.) Mer. ſetzt Hinzu, daß 
fo viele aͤrmlich dotirte Pfarreyen und Schulen verbeffert, fo 
viele Prediger und Schullehrer von den druͤckendſten Nahrungs 
forgen befreyet, fo manche unfelige Streitigkeit über religioͤſe 
Kindererziehung befeitige, und fo mande harte, druͤckende, 
durch diefe Streitigkeiten norhmendig gewordene Verordrungen 
überfluͤſſig gemacht werden würden, wenn diefe Bereinigung 


614 Weber d. Bereinig. d. beyden pr. Kirchenpartheyen v. Sad. 


zu Stande kaͤme. Die andere Frage ift: Ob ſich nidt 
Schwierigkeiten und Nachtheile finden, welche es vathfam 
machen, die noch beftehende Trennung fortdauren zu laffen ? 
An Schwierigkeiten fehlt es bey feiner wichtigen Unternehmung, 
und die Schwierigkeitsgenies, die Trägen, die am Hergebrach— 
ten klebenden, finden fie leicht unüberwindlih: aber Hr. ©. 
hält fie miche dafür. Die Vereinigung, koͤnnte man jagen, 
werde nicht auf einmal und überall erfolgen; bier und da 
werden ſich aljo noch reformirte und lutheriſche Gemeinden 
finden ; man wird alfo drey proteftantifhe Kirchen ftatt Einer 
haben. Hr. ©. antwortet, die Vereinigten könnten feine neue 
Kirche genannt werden, fo wenig wie mande Mitglieder der 
VBrüdergemeinde aufhörten, veformirt oder Iutherifch zu fepn. 
(Auch werden die übrigen bald die Vortheile, wenigſtens die 
pefuniären der Vereinigung einfehen und nachfolgen.) Widtis 
ger (oder vielmehr allein wichtig) ift der Widerftand der 
Eiferer, befonders der Theologen, aus irrendem Gewiſſen, 
aus Eigenſinn, aus blinder Anhänglichleit an das Gewohnte, 
(aus idolofatrifher Schwärmerey für ihr Kirhenthum) aus 
Eigennutz, aus Heinen, unedlen NRücfichten auf mögliche Eins 
buße perfönlicher Vortheile. „Es ift gewiß, daß, wenn all, 
die das Lehramt in beyden Kirchen verwalten, die Sache bu 
günftigten, und ihren Gemeinden von der rechten Seite vor 
ftellten ; fo würde das Volk feinen Beyfall nicht verfagen“ 
(8.54). Ja wohl! Sa wohl! Es liege allein an den 
Predigern, wenn man ſich der heilfamen Vereinigung wider 
feßt, und mit Recht fagt Petrus de Allioco: (in Canon.: 
reform. eccles.) „Sicut de templo omne bonum egreditur, 
ita de templo omne malum procedit. Si enim sacerdo- 
tium integrum fuerit, tota ecclesia erit, si autem cor- 
ruptum fuerit, omnis fides et virtus marcida est. Sicut 
enim vides arborem pallentibus foliis, intelliges , quod 
vitium habeat in radice, sic, cum videris populum in- 
disciplinatum (renitentem), sine dubio agnosces, quod 
sacerdotium non sit sanum.“ Planf glaube, es fen noch 
nicht Alles veif zur Vereinigung. Das fey freplich der Fall in 
manchen Ländern Deutſchlands: aber im Preufifchen fey «s 
reife (Auch in mehreren Ländern Deutſchlandse, im Herzogs 


Ueber d. Vereinig. d. beyden pr. Kirchenparthenen v. Sad. 615. 


thum Deffau, in den meiften Gegenden des Badifchen Landes ıc.) 
Der Verf. der zwey unvorgreiflihen Gutachten habe den Vor— 
fchlag gethan, der Preufifche Staat folle erklären, es folle 
weder in religidfer, noch kirchlicher Hinficht für eine Verändes 
rung gehalten werden, wenn. Sjemand abwechielnd in beyden 
proteftantijihen Kirchen, oder in einer andern, wie bisher, 
fommunicirte. Dies feße aber ‚voraus, daß der Staat zu eis 
ner folhen Erklärung befugt fey, welches nur mit einer - 
Einfhränftung zugegeben werden könne. Naͤmlich der Staat 
fönne nur die Aufhebung des Unterihieds in bärgerliher 
Hinſicht erklären; die Kirche feldft müffe aber das Urtheil aus⸗ 
fprehen, daß fein Sruud der Trennung mehr vorhanden fey. 
(Rec. glaube nicht, daß der Staat, oder die Nepräfentanten, 
der Kirihe mit Bewilligung des Staats, durch eine folhe Ers 
Märung, ihre Nechte überfchreiten.. Es wird bloß erflärt, wie 
es die Nepräfentanten der Kirche und der Staat anjehen. 
jeder behält ja doch die Freyheit, bey feiner. Kirche zu bleis 
ben.) Eben fo erflärt er fih dagegen, daß der Staat die 
Kirchen mit Predigern, ohne Ruͤckſicht auf ihre Confeſſion bes 
feßen wolle. ( Mit Rechte, wenn eine futherifhe Kirche ims 
mer, oder ganz ohne Ruͤckſicht auf die Confeſſion mit reformir— 
ten, oder eine veformirte, eben fo, mit lutherifchen Predigern 
befeßt werden follte. Aber wenn etwa zwey Pfarrftellen zus 
fammengefhmolzen würden, die beyde fein Familie nähren 
fünnten, wenn man abwedhielte, nach einem reformirten Pfars 
ver immer wieder einen lutherifhen, und nach diefem wieder 
einen veformirten an die Gemeinde feste; follte das aud Eins 
griff in die Gewiffengfreyheit feyn ?) Nun maht Sr. ©. feine 
Vorfhläge, wie die Vereinigung zu Stand gebracht werden 
fönnte. Es muß 1) von, Ausgleichung der Werjchiedenheit in 
Dogmen und Vorftellungsarten nicht die Nede feyn. In den 
Lehrbuͤchern wären bloß biftorifch die verfihiedenen Anfichten 
von dem Abendmahl mit den Hauptgründen beyder Kirchen zu 
geben. Dann aber gleich zu jagen, daß es nicht darauf, fons 
dern worauf es ankomme. 2) Muß es nicht das Anfehen 
haben, als ob Ein Theil zu dem andern binäbergezogen wer— 
den folle. (In den Lehren ift dies ſehr leicht; fihwieriger in 
dem äußeren Ritus, befonders bey dem Abendmahl. Die 


616 Weber d. Bereinig. d. beyden pr. Kirchenpartheyen v. Sad, 


Neformirten haben recht, daß fie Brod geben und nicht Oblas 
ten, die nie und nirgends Speife find. Die Lutheraner Haben 
recht, daß fie die Worte bey dem Abendmahl brauden, die 
Jeſus felbft gebraucht Hat: aber ohne Zuſatz. Indeß wird 
ſich fein Theil Anfangs die Sitte des Andern aufdringen laffen, 
obgleich in manchen lutherifhen Kirchen Brod, und in mans 
chen reformirten eine Dblate”gegeben wird. Am beften, man 
läßt, wie in der Ansgariengemeinde in Bremen, Jedem die 
Wahl, was er nehmen will. Mit der Zeit wird ſich ſchon 
Einheit ergeben.) 5) Der Name: lutheriſch und refors 
mirt höre ganz auf, und die Kirche heißt die vereinigte 
evangelifhe Kirche. 4) Jede Einzelne befondere Kirche 
behält ihre Verfaſſung, ihre Vermögen, ihre Legate, ihre Ar— 
menkaſſe ıc. kurz: ihr ganzes Eigenthum. (Dies müßte feyers 
lich) zugefihere werden. Nur der Kirchenvorftand könnte nicht 
bleiben , fondern müjte aus beyden Confeffionen gewählt wers 
den.) 5) Auch der Ritus bliebe, nur bey dem Abennmahl wäre 
auf einen Ausweg zu denken. (Es wird fih Anfangs 
fhwerlich ein anderer, als der oben vorgefchlagene, finden 
laffen.) 6) Die gefeglihen und herfömmlidhen Jura stolae 
muͤßten bleiben; bey anderen Gemeinden, wo fie nicht üblich 
waren, müßten fie eingeführt werden. Indeß ift eine völlige 
Sleihförmigkeit nicht nöthig. (Das dädhte Rec. auch. Eins 
führung von Stolgebühren würde die Vereinigung nur gehäßig 
machen und erfchweren) 7) In der Verfaffung und Beſtim— 
mung der MWittwenfaffen ift nichts zu ändern. (Recht! Nur, 
wenn eine neue errichtet wird, fo ſey fie für beyde Kirchen 
gemeinfhaftlih, wie neulih im Großherzogthum Baden, wozu 
die Ältere, bloß für Iutheriihe Prediger beftimmte , freywillig 
4000 fl. geichenfte hat.) 8) Alle erktsmäßige Prediger s und 
Schullehrer » Befeldungen bleiben den Kirchen, wohin fie vors 
her gegeben wurden. ( Natürlich.) 

Ein Bereinigungsplan, etwa nad) diefen Grundſaͤtzen, foll 
den fämmtlichen proteftantifchen Eonfiftorialräthen und Super 
intendenten, durch die Leßteren auch allen Iutherifchen und 
reformirten Pfarrern mitgetheilt werden, um binnen drey Mos 
raten ſich darüber zu erklären, ob fie ihn genehmigen oder 
nicht. Wenn fünf Sechstheile dafür find; fo wird die 


in 


f 
en 


ueber d. Vereinig. d. beyden pr. Kirchenpartheyen v. Sack. 617 


Vereinigung als Beſchluß der proteſtantiſchen Kirche im Preußis 
fhen angenommen, und die Minorität müßte fih unterwerfen. 
Iſt mehr als ein Sechstheil gegen die Vereinigung; fo wird 
fie für verworfen erflärt. In der frohen Ausfihe, daß das 
Erftere geihehen werde, fchließe der edle Verf. auf eine 
rährende Art: „Käme mit Gottes Hülfe zu Stande, was 
feit mehr als zwenhundert Jahren viele würdige Chriften ges 
wuͤnſcht haben; hätte ſich wieder vereinigt, was fih nie hätte 
trennen follen: welch ein fchöner, herrlicher Tag in der Preußi—⸗ 
fhen Monarchie (und in jedem Lande, wo es gefhähe) würde 
der feyn, an welhem ein allgemeines Dant s und Concordtens 
feft, in allen Kirchen des Landes gefeyere wuͤrde! Mie würde 
wohl das heilige Bundesmahl der Chriſten mit innigeren Ems 
pfindungen der Bruderliche gefeyert, nie ein Tedeum mit reis 
nerer Freude und herzliherem Dank angeftimmt worden feyn, 
als an diefem dentwärdigen Tage; und gewiß, wenn dem 
Seligen im Himmel eine Kunde zutömmt von dem, mas auf 
der Erde gefhieht — diefes Tags würden ſich gemeinfhaftlich 
freuen Luther und Zwingli, Calvin und Melandton, 
und die großen, heiligen. Männer der Vorzeit alle, denen wir 
das Kleinod der Wahrheit und der Gewiffensfreyheit zu vers 
danken haben.“ 

ec. fühle und fpricht dies von ganzem Kerzen dem liebes 
vollen, von Konfeifionsgeift unangeftecften Manne nad. Und 
welcher gute Menſch wird es nicht? Nur kann er nicht bevs 
gen, daß ihm diefe Art der Ausführung nicht die bequemfte 
fheint. Freylich hat die obere kirchliche Behoͤrde nicht das 
Recht, eine Vereinigung der beyden Kirchen auszufprechen, 
obgleih, wie Kerr Sup. Löffler in feiner Anzeige bdiefer 
Schrift fhon bemerkt, die Ausfpräche der oberſten kirchlichen 
Behoͤrde nicht bloß als Ausſpruͤche des Staats, fondern als 
Ausiprüche der Repräfentanten der Kirche anzufehen find. Sie 
fönnte nicht einmal ohne Gewiffensgwang dem Einen Sch 
theil Wereinigung aufbringen, die er nicht will. Vorftellungss 
arten und Gebraͤuche, die in beyden Kirchen verfchieden find, 
für fo wichtig halten, daß man fib darum nicht vereinigen 
könnte, iſt freylich ein veligidfer. Irrthum. Aber ein folcher 


618 Leber d. Vereinig. d. beyden pr, Kirchenpnrtheyen ö, Sad, 


Irrthum ift auch eine veligidfe Meynung, und Über Meynuns 
gen hat Niemand Gewalt. Allein das Mittheilen an alle 
Prediger würde zu zahllofen Schwierigkeiten führen, wie die 
Erfahrung aud) den Rec. leider! nur zu oft gelehrt hat. Die 
wenigften Geiftlihen würden fih mit einem bloßen: Ja oder: 
Mein begnügen, fondern eine Menge Mopdificationen vor: 
fchlagen,, oder, wenn diefe nicht erlaube würden, ſchon des 
wegen gegen den ganzen Plan feyn, weil fie mit einem 
Theil deffelden nicht zufrieden wären, oder würden in ber 
Folge gegen deffen Ausführung wirfen, weil man auf ihre 
Modificationen, die ihnen fehr wichtig feyn müffen, und es 
ehrlih auch feyn können, keine Rüdjicht genommen hat. Wie 
wäre denn aber die, allerdings fehr wünihenswerthe Verei— 
nigung zu befördern? Der Staat foll dazu thun, wozu er 
das Recht hat, und die obere Kirchenbehörde, wozu fie berechs 
tige ift; der Staat Soll für beyde Kirchen Eine Kirchenobrigs 
keit beftellen, und Einen Vorfteher in einem Bezirk, jedoch 
daß Lurheriiche und Reformirte möglichft abwechfeln. Die 
oberfte kirchliche Behörde foll mit Genehmigung des Staats 
erflären, daß fie Vereinigung wünfhe, foll einerley Lirurgie, 
einerley Lehr⸗ und Schuibüher für beyde Confeffionen einfühs 
ren, foll ein wachfames Auge haben auf die Pfarrer, die der 
Vereinigung entgegenarbeiten, ohne daß man ein irrendes Ges 
wiffen ben ihnen vorausfegen kann, foll fie mit Ernft und 
Kraft darauf hinweifen, wei Geiſtes Kinder fie eigentlich feyn 
follten. Sie fol Schulen vereinigen, wenn diefe Vereinigung 
für das Ganze vortheilhaft ift, übrigens fi) aber an das Ges 
fchrey der Schwahen und der Schreyer nicht kehren. Sie 
foll jeder Gemeinde Bereinigung erlauden, wenn fie darum 
Hebeten wird, das Webrige aber der Vorfehung und der Zeit 
überlaffen, die fchon viel zu Stande gebraht hat, was Mens 
fhenmaht und Menfchenweisheit nicht zu Stande bringen 
tonnte. 

Das Gutachten über die Verbefferung des Religionszu— 
ftandes in den Föniglich Preußifchen Ländern würde eine eigene 
Recenſion erfodern, wozu hier der Raum fehlt. 

Ewald. 





Predigt von A. H. d’ Autel. 619 


Predigt am ı. Tan. 1813. ald am Gedaͤchtnißfeſte der von Wuͤrtem⸗ 
bergd Negenten angenommenen Königswürde, gehalten in der 
koͤnigl. Schloßfirche zu Stuttgart, von U. 9. d'Autel, 8. W. 
Dberconfiftoriafr. Hofpred. Kittter ded K. W. C. V. Ordens. 
Stuttgart bey Steinfopf. 1813. 


Mir ergreifen gerne die Gelegenheit, eine einzelne Predigt 
von fperiellem Inhalt anzuzeigen, um auf Vorzüge hinzuweifen, 
welche in den Werken der geiftlihen Beredſamkeit felten genug 
vorfommen. Die Hauptfache befteht bey ſolchen Predigten doch 
darin, daß der Gegenſtand in feiner beflimmteften Beziehung 
ergriffen und in eine religidje Sjoee hinaufgehoben werde. Hiers 
durch werden fie allgemein erbaulich. Wird diefe dee fo auss 
geführt, daß fie überall in der befondern Begebenheit hindurch— 
fheine, wie nämlich der Naturforfcher in jedem Gewaͤchſe die 
Sefeße der ewigen Weisheit betrachtet, fo fpricht der Nedner, 
wie feine Beſtimmung it, wahrhaft im Namen der Religion. 
Seine Worte find aus dem Herzen und in die Herzen geſpro— 
hen. Diefen Vorzuͤgen ſtimmt hier auch das zu, daß ung weder 
die Peridnlichkeit deffen, der redet, noch derjenigen, zu weh 
hen geredet wird, von der Andacht abzieht; es.ftört ung hier 
feine Unbefcheidenheit und feine Schmeicheley. Sonſt leider! 
der gewöhnliche Charakter der Selegenheitsreden. Die Sprache 
tft edel und ſchoͤn; fie hat durch den gehörigen Rhythmus ets 
was Nednerifches erhalten, das faft allen gedruckten Predigten 
fehlt, ohne doch in die Affectation einiger neueren Nedekünftes 
leyen gerathen zu feyn. Diefe wereinte Kraft der Sache und 
des Worts laͤßt fih fhon im Eingang, der ein Gebet ift, 
empfinden. Das Thema über Sei. Sir. 50, 24 — 26. heilt: 
Wir leben in einer bedeutungsvollen Zeit; die Partition, nad) 
welcher der Redner will, 1) diefe Wahrheit in religidfer Hins 
ficht darzuftellen, 2) ihren Troft, und 5) die hohen Verpflich— 
tungen, die fie uns lehrt, uns zu vergegenmärtigen ſuchen — 
würden wir durch einen kürzeren - Ausdruck geglaubt Haben 
deutlicher anzugeben, etwa: 1) wie fie der Fromme anfieht — 
2) wie er fih dabey tröftee — 3) wozu er fich entichließt. 
Wir ſetzen für unfre Lefer eine Stelle gegen den Schluß der 
Predigt Hierher. „Laßt uns nicht muthlos Magen, meine 
Chriften, daß unfer Leben in färmifche Zeiten des Kampfes 


620 Anfangsgr. der hoͤhern Analyfis von Bohnenberger. 


gefallen iſt. Wer, der da glaubt, daß fie in die höheren 
Diane der Weisheit Gottes gehörten zur Beglüdung der Mens 
fhen, wollte felöftfüchtig lieber fein Reben in träger Ruhe vers 
träumen, und der Nachwelt wünfchen der Stürme verheerendes 
Toben? Mein! laßt uns tragen mit Muth und Faffung, was 
uns im kurzen Pilgerleben der Vorfehung Weisheit zu tragen 
gibt, laßt uns fampfen für Ruhe und Frieden, und wenn auch 
wir des Kampfes fegensvolle Früchte nicht genießen, find es 
ja unfere Kinder und Kindesfinder, denen fie zum Genuſſe 
reifen, — wer wollte nicht gerne pflanzen für ihre Wohlfahrt, 
für ihren Frieden auch die flürmiihe Saat?“ Das ange— 
haͤngte Schtußgebeth finden wir ebenfalls fehr würdig. Der 
Eriös für die Schrift ift für die verwundeten vaterländifchen 
Krieger beſtimmt. . 


Anfangdgründe der höhern Analyſis. Von 9. ©. F. Bohnenber> 
ger, Profeffor zu Tübingen. Mit drey Kupfertafeln. Tuͤbingen, 
in der Eotta’fhen Buchhandlung. ı8ıı. VI und 352 ©. gr. 8. 
(3 fl. 36 fr.) 
Der Verf. diefer Anleitung zur Differential; und Inte⸗ 
gralrehnung iſt dem mathematifchen und phnyfiihen Publikum 
fhon laͤngſt als fcharffinniger Forfher im Gebiete der Größens 
lehre und Naturkunde bekannt. Seine bekannte Gruͤndlichkeit 
und Strenge finden wir auch hier wieder. Den erften Gruͤn— 
ben der höhern Arithmetik fehle es, nah dem Geftändniffe 
jedes fachverftändigen Eritifers, immer noh an jenem Grade 
geometrifcher Evidenz, welcher der hervorſtechende Charakı 
ter mathematifher Wahrheiten if. Daher bemühet fich der 
Verf. vorzüglich, diefe Baſis fireng zu begründen und faßlich 
darzuftellen. Da ung diefe Methode unter den bekannten beſ— 
fern Darftellungsweifen der Differential » und Integralrechnung 
eine vorzägliche Stelle einzunehmen fcheint, fo wollen wir fie 
den Lefern dieſer Blätter, wenigftens im Allgemeinen, zur 
nähern Kenntniß bringen. Der Verf. gründet feine Lehre auf 
die Grenzen der Verhältniffe der zufammengehörigen Werändes 
rungen oder Differenzen veränderliher Größen. Hierbey ents 
ſteht zwar die Schwierigkeit, daß das veränderliche Verhaͤltniß 


Anfangsgr. der böhern Analyfis von Bohnenberger, 621 


diefer Differengen einem gegebenen, von ber. Größe der Diffes 
renzen unabhängigen, WVerhältniffe während ihrer Wermindes 
rung nur näher rückt, ohne es jemals, wie Mein aud bie 
Differenzen genommen werden mögen, zu erreichen. Aber man 
kann , um diefem Einmwurfe zu begegnen, eine ‚der Differenzen 
nach Belieben annehmen und eine andere Größe fo beftimmen, 
daß das Verhaͤltniß dieſer zwey Größen dem Grengverhältnifl 
der zufammengehörigen Differenzen gleich wird. Diele fo bes 
fiimmten Größen, deren Verhaͤltniß von jenem der Differenzen 
beftändig verfchieden ift, bekommen eben deshalb auch einen 
eignen Namen, und heißen Differentiale. Bey biefer 
Unterfuchung ift es nicht nöthig, die Groͤßen, deren Verhaͤlt⸗ 
niß man betrachtet, verichwinden zu laffen, und es iſt genug, 
wenn man aus diefem veränderlihen NWerhältniffe ein conftantes 
ableiten fann, welches fo befchaffen ift, daß das veränderliche 
Verhältniß der Differenzen, durd die Werminderung der letze 
tern größer oder Meiner gemaht werden kann, ale jedes geges 
bene Verhaͤltniß, welches Meiner oder größer ift, als jenes 
conftante, je nachdem das Differengverhältniß mit den Diffes 
renzjen zugleich wächft, oder abnimmt. — Der Erponent des 
Differentialverhältniffes wird eine neue gegebene Function einer 
veränberlihen Größe feyn, deren Differenz man auf eine ähns 
lie Weife wird befiimmen, und aus welcher man das Diffes 
rentiafverhältniß diefer neuen Function wird ableiten koͤnnen, 
wodurh man auf die zweyten Differenzen kommt u. 
ſ. w. — Diefe kurze Darftellung charakterifirt den Stand⸗ 
punct, von welchem der Verf. bey Bearbeitung feines Merfs 
ausgegangen iſt. Obgleich durch dieſelbe noch nicht jeder Per 
bei verfcheucht zu feyn fcheint, womit die fchwierige Begrüns 
dung des Differentialcalculs bisher umzogen war, fo gewährt 
fie doch fiher eine Lichtvollere Einfihe in das Weſen diefer 
Zauberrechnung (wie wir fie in mehr als einer Hinſicht nennen 
möchten), ald wenn man die Differentiale wie unendlich Feine 
Größen betrachtet. Mit Recht bemerkt der Verf. ferner, daß 
feine Darfiellungsweife nur der Benennung nah von 
jener verfchieden ift, welcher fih La Strange in feiner Theo- 
rie des fonctions analitiques bedienet hat, worin jene 
Sunction , welche indeffen der Erponent des Differentialverhälts 


622 Anfangsgr. der hoͤhern Analyfis von Bohnenberger. 


niffes hieß, die erfte abgeleitete Function, der Erpor 
nent des zweyten Differentialverhältniffes aber die zwepte 
abgeleitete Function genannt wird. Daher müffen mir 
es billigen, daß der Verf. gleih zu Anfange feiner Schrift 
fhon den Begriff der Orenzverhältniffe zum Grunde gelegt 
hat, mit welhem diejenigen, welche die Schriften von Ar— 
himedes und Euclides fiudirt Haben, fihon früher bekannt 
geworden find. 

Nach diefen nöthigen Vorbemerkungen theilen wir eine 
kurze Inhalts Anzeige mit. Die Einleitung handelt ©. 1 — 
46 den binomiichen Lehrſatz und die erfien Vorbereitungs— 
gründe der Differentialrechnung in zwey Capiteln befriedigender, 
als gewöhnlich ab. Sin der Differentialrechnung ſelbſt werden 
S. 47 — 2352 in acht Capiteln die Differentiale der einfachen 
und zufammengefeßten Functionen einer veränderlichen Größe ; 
die Anwendungen des Taylorifhen Satzes auf Functionen 
mehrerer veränderlicher Größen; die größten und Hleinften 
Werthe gegebener Functionen ; die Tangenten frummer Linien, 
die Krümmungstkreife und Evoluten; die Quadraturen und 
Kectificationen krummer Pinten, nebft Berechnungen der Obers 
flächen und des Inhaltes runder Körper; endlich die Beſtim— 
mungen der Tangenten und Krümmungss Halbmeffer frummer 
Linien, ihre Duadratur, Angabe der DOberflähe und des In— 
halts runder Körper, wenn die DOrdinaten von einem Puncte 
ausgehen, mit vieler Ausführlichkeit gruͤndlich und faßlich dars 
geftellt. Es war uns hierbey fehr erfreulich zu bemerfen, daß 
der Berf. hierin fhon Anwendungen auf Quadraturen, Rectis 
ficationen und Gubaturen vorgetragen hat, da dies dem Ans 
fänger die aufgeftellten Säge der Theorie fehr erläutern und 
fein Muth durch dergleichen lehrreiche Anwendungen, wenn er 
durch den Kampf mit fchwierigern Lehren geſchwaͤcht feyn follte, 
wieder geftärft und erhoben wird. — Die Sntegralreds 
nung lehre mit gleiher Sründlichkeit in fieben Capiteln 
©. 255 — 352 die Integration vationaler und trrationaler 
Functionen einer veränderlichen Größe; die Integration der 
Kreis s und logarithmifhen, mie auch erponentiellen Functios 
nen; die Sjntegration durh Annäherung und jene der höhern 
Sintegrale ; endlich die Integration der Differentialgleihungen 
der erften Ordnung mit zwey veränderlihen Größen und jene 
der Differentialgleihungen der zweyten Ordnung. 

indem wir diejes Werk jedem Freunde der höhern Anas 
Iyfis beftens empfehlen, möchten wir den würdigen Verf. auf 
fodern, zum Behufe der allererften Anfänger eine kurze 
Anleitung zu diefem wichtigen Studium auszuarbeiten und bes 
kannt zu machen, weldhe als erſter Curſus bey dem Ums 


— 


Verſuch von E. C. W. Klöker. 623 


terrichte gebraucht werden könnte. Denn, nad) unferer Lebers 
zeugung, fehle es Hierzu an zweckmaͤßigen Schriften, und 
vielleicht werden Viele durch diefen Mangel von dem ernftern 
und tiefern Eindringen in diefes höhere Gebiet der Matheſis 
‚abgehalten. Des Verf. Gabe, fi bis zu dem Meulinge vers 
ſtaͤndlich herabzulaffen, die theoretiihen Lehren fogleich mit 
erläuternden practifhen Beyſpielen aufzuflären, und fo durch 
Anwendung der Theorie auf die Praris die Fortſchritte des 
Anfaͤngers gu erleichtern, verbärgen uns hier eine gewiß ſehr 
‚brauchbare Arbeit. Möchten wir unfern Wunſch erfüllt fehen ! 

Papier, Druck und Kupfertafeln verdienen Lob; aber eis 
nen unangenehmen Eindruck macht ein fehs Seiten großes 
Verzeichniß von Schreib s und Druckfehlern. 


An. 


Verſuch eined Beytrags zur Nevifion der Theorie vom Gewohnheit: 
recht. Don Carl Chriftian Wilhelm Kloͤtzer. Jena bep 
Maufe. 1813. XXIV und 310 ©, 8. 


Die vorliegende Schrift entwickelt ausführlih nah den 
Vorſchriften der Römifhen, Kanonifchen und Deutfhen Ges 
feße die Theorie des eigentlihen Gemwohnheitsrechtes, im Gans 
zen mit Webergehung der Lehre vom Beweiſe deſſelben. Als 
Anhang folgt eine Vergleichung des Cod. Maxim. Bavar. civ., 
des Preußifchen Geſetzbuchs und dee Code Napoleon, fo wie 
eine Reihe von Bemerkungen über den Werth des Inſtitutes, 
und die fogenannten Affınia deffelben, namentlich den Gerichtss 
gebrauch). 

Nec. hat die Schrift mit Vergnuͤgen gelefen, und glaubt 
diefelbe in vieler KHinficht empfehlen zu können. Denn der 
Scharffinn, die Sewandtheit und Eonfequenz des Verf. find 
'Eberall unverkennbar, auch verdient feine, nie unbefceiden 
werdende Selbftftändigkeit mit Achtung genannt zu werden. 
Damit ift aber freylich nicht gefagt,, daß es dem Verf. gelums 
gen fey, in diefer Lehre alles aufs Gewiſſe zu bringen. Denn 
"daran ift bey den wenigen unbeftimmten pofitiven Prämiffen 
wohl nie zu denken. Eben fo wenig enthält jene Empfehlung 
eine Dilligung aller einzelnen Anfichten des Verf. Denn über 
mandye Puncte kann Rec. dem Verf. durchaus nicht beyftims 
men, wie 4. B. in den Erdrterungen über die Länge der Zeit, 
und die Vielheit der Handlungen (©. 140 — 148. 164 — 172), 
wobey der Verf. alles auf den- „Begriff des gemeinen Lebeng “ 
ſtellt, mithin die Sache abermals ſich feldft überläße, indem 
hier grade die Frage davon ift, wie jener Begriff für die Ans 
wendung gehörig zu beflimmen feyn möchte. Eben fo wenig 


624 Berfuch von C. C. W. Rloͤtzer. 


koͤnnen wir die Auslegung der L. 52. &. ı. D. de LL. 
(S. 50— 65) billigen, in fofern der Verf, dabey immer von 
der Idee ausgeht, Julian habe für feine Zeit nicht mehr von 
republitanifcher Verfaſſung reden können. Denn das republis 
tanifhe Princip blieb bis auf Juſtinian immer anerkannt. 
Kürzlih Haben wir dies wieder aus Lydus de magistr. 
reipubl. Rom. A ı5 erfahren; aber auch fhon aus Theo- 
hilus I. 2. $. 4— 7. ergibt. fi daffelbe, vieler andern 
Delegftellen nicht zu —— Außerdem ließe ſich uͤber dies 
und jenes noch mancherley erinnern, z. B. uͤber die Auslegung 
des cap. ult. X. de cons., und das was der Verf. in Bes 
giehung auf den C. N. fagt. Allein die Beſchraͤnkung des 
Raums erlaubt uns an diefem Ort feine vollfiändige Prüfung 
alles Einzelnen. 
ur im Allgemeinen müffen wir nod) bemerken, daß der 
Verf. oft viel zu ausführlih war, und damit der von ihm 
beabfichtigten Klarheit gewiß mehr ſchadete, als nußte; fo 
wie, dal er weit mehr die beffere Litteratur hätte vergleichen 
follen. Nur etwa zehn neuere Schriftfteller find von ihm bes 
nutzt. Zwar entfchuldige er fi mit feiner Lage. Allein das 
darf man doch wohl unbedingt annehmen, dal Niemand ex 
professo über einen Gegenſtand des Civilrechts ſchreiben follte, 
bevor er füh nicht mit den Anfichten der Sloffatoren und der 
Claſſiker der Mittelgeit befannt gemacht hat. Endlich müffen 
wir den Verf. auch noch warnen, ſich in Anfehung der Sprade 
nicht einer gewiffen philojophifchen Zierererey zu überlaffen, 
wodurh die Klarheit nichts gewinnt, aber das gewöhnliche 
juriftifche Publikum unfehlbar abgefchredt wird. Als Beyſpiel 
eines Veranlaffungsgrundes jener Warnung führen wir nur 
folgende Stelle (S. 199 ) an: „der einfeitigen Pofition und 
Megation des Beliebens fteht entgegen die wechielieitige Pofis 
tion und Megation deflelben. Vermittelſt dieſer lebten wird 
dasjenige, was von Seiten desjenigen , der fein Belieben febt, 
als Pofition und Megation des Beliebens gefest wird, auch 
von Seiten des Eingefchränften, als beliebig, gefeßt, und in 
das Belieben deffelben aufgenommen ; der Wille alfo, welcher 
fid) unter der Form der einfeitigen Pofition und Megation des 
Beliebens, als entgegengefebt, darftellt, unter der Form der 
wechfelfeitigen Pofition und Megation des Beliebens vereinigt 
und identificirt.“ Solche Sachen fommen frenlich nicht fehr 
oft vor. Allein zur dringenden Warnung würde aud eine 
einzige Stelle diefer Art berechtigen, zumal jegt, wo in Deutſch⸗ 
land ein widernatärlicher Geſchmack ſelbſt unter guten Köpten 
immer mehr — findet. 


— 





Sntelligenzblatt 1813, 
/YV”°. ] 


ù—— ——— — —— ARE a AT —— 


Chronik der Univerſitaͤt Heidelberg. 


Von der philofophiſchen Facultaͤt iſt noch im vorige Jahre 
den Herren Profeſſoren der ſtaatswirthſchaftlichen Section, Rein 
hard, Seeger und Eſchen mayer die philofophifche Doktorwürde 
ertheilt worden. 


Am 22. November des vorigen Jahrs gefhah durch Se. Magni: 
ficen;_ den Herrn Brorector, Dberhofgerichts = Rath und Profeffor 
Dr. Gambösjäger, nad vorhergegangener Rede de usu juris 
Romani per Codicem Napoleoneum non sublato, die gemöhns 
liche jährliche Versheilung der afademifchen Preife an die Studiren- 
den, wie darüber in dem Programm, ald deffen Verfaſſer der Herr 
Prorector felbit fih auf dem Titel genannt hat (circa conditionem 
sey affırmativam seu negativam religionis ultimae voluntati in- 
sertam num pro adjecta aut non adjecta habendam, ex ana. 
logia juris examinatamı , 39 ©. 4.), ausführlihe Nachricht gegeben 
worden. Den theologifchen Preis erhielt Herr Wilhelm Hein: 
rib Elia Schwarz, Mitglied ded philologiſchen und paͤdagogi— 
fhen Seminariums, Sohn ded Herren Kirchenrath Schwarz; den 
juriſtiſchen mit befonderer Audzeichnung Herr Sriedrid Cropp 
aus Hamburg; einen philofophifgen Herr Wilhelm Friedrich 
Kind aus Emmendingen im Badiſchen. 


Die für dad naͤchſte Jahr aufgeftellten Fragen. find folgende : 

I. Bon der theologiſchen Facultaͤt: „Mysticismus, si quis est 
nostra aetate in rebus sacris, quoad capita Potiora de- 
scribatur , secundum rationem biblice et philosophice 
formandam dijudicetur, et cum variis Mysticismi generibus 
$superiorum temporum eomparetur.“ . 


II. Bon der juriftifhen Facultät: „De liberalitate conjugis 
binubi per articulum 1098. Codicis Napoleonei restricta.“ 


III. Bon der medicinifhen Facultät: „Iheoria sic dista 
Browniana, quae totam fere medicinam praeterlapso de- 
cennio subvertit, a quibusdam philosophis et peritis ex 


4) 


omni parte abolita, ab aliis adhuc integra servatur, alis 
limitata aut in peculiarem formam conversa , summun 
theoriae principinm complecti videtur. Quae cum ita sint, 
optatur, ut in prima parte commentationis metamorphose 
theoriae Brownianae praecise et succincte secundum mo. 
menta suae evolutionis enumerentur, eXplicentur, dijudicen- 
tur, et in secunda parte demonstretur, quae hujus theori« 
forma, veritati, eXperientiae et naturae consona, an me. 
dicinae fundamentum aut ejusdem pars censenda sit?“ 


IV. Don der ftaatöwirthfhaftlihen Section: „Quaeritr 
vectigal venalium (Xeccife) utrum universale pri 
ferendum sit, an particulare, quaenam commoda 
ferat atque incommoda, et qua imponendum et exigend« 
sit ratione ac modo.“ 


V. Bon der philofophifhen Facuftät folgende vier Fragen 


1. „Desideratur trapeti e regione Neuenhemii prope urben 
nostram siti (quod vocant Bergheimer Mühle) accura 
descriptio ac delineatio, nec non machinae effectus me- 
chanıcus, primum sola experientia „ deinde call 
ope, quem leges mechanicae suppeditant , investigandus. | 
Tum effectus, qui dato rotae, aquae impulsu circum- 
actae, rotationum numero respondeat, oeconomicus, 
qualem experientia suggerit , docendus , indeque gene- 
ralis deducenda est aequatio, qua datis viribus mecha- 
nicis olei, per singulas horas ope machinae similiter 
constructae colligendi , quantitas determinetur. Denique 
mercenariorum, quorum operam accedere oportet, re- 
spiciatur numerus, nec non materia igni alendo, »e 
comparatis sumtbus cum mercede , trapeti domino 
praestanda , lucrum , quod ex trapeto redeat , com- 
putetur.“ 


2. „Ut doctrinae de libero arbitrio fata in scholis veterum 
philosophorum brevius, in placitis nostratium vero, eX 
quo Kantii sententia innotuit, uberius enarrentur.“ 


3. „Ut exhibeantur, apteque disponantur, adscripta notation 
temporum, Ephori Cumaei fragmenta breviora, certe 
plurima: longiora, quae quidem apud Diodorum alios- 
que exstant, indicentur, fiatque judicium de ejus scripto* 
ris rebus, fide, arte et indole,“ 


4. „Ut Carminis egregii et antiqui de 8. Hannone, Archie- 
piscopo Coloniensi, quod Opitius, Schilterus, Bodme- 
rus et Hegewischius ediderunt , aetsa , quantum fieri 


3 


potest, definiatur , indoles et virtutes explicentur, textus 
apte disponatur, atque historica et crilica annotatione, 
denique versione in recentem sermonem vernaculum 
illustretur, ‘* 


E ‘ 4» 


Ynktundigung. 


Unter dem Titel: 
Cornelia, oder die deutſchen Abende, 


erfcheint mit dem Jahr 1813 eine Monatfchrift für Frauen, zu wel 
cber ſich eine Anzahl unfrer vorzuͤglichſten Schriftfteller mit den un 
terzeichneten Herausgebern vereinigt hat. Der Tahrgang, aus 12 
‚Monatheften beftehend,, Foftet durch das ganze Großherzogthum 6 fl. 
Die Hauprfpedition har dad Poſtamt in Heidelberg übernommen. Die 
Buchhandlungen wenden fih desfalld an die Mohr: und Zimmer: 
ſche Buchhandlung iu Heidelberg. 

— J. Rehfueß, Bibliothekar Sr. K. H. des 

Kronprinzen von Wuͤrtemberg. 
A. Schreiber, Profeſſor. 





Buchhändler - Anzeigen 


Zur Vermeidung von Collifionen macht Unterzeichneter befannt, 
daß von 
Charles Bell System of operative surgery foun- 
ded on the Basis of Anatomy. 2 Vol. gr. 8 
London 1808 —- 11. Mit Kupfern. 


welched einen Schag neuer Erfahrungen enthält, und den Stand» 
punft bezeichnet, auf dem die praftifhe Chirurgie jegt in England 
fteht, zur Dftermeffe 1813 eine deutfche Ueberfegung von Hrn. Dr. 
Kosmeli, herausgegeben und mit Vorrede 2c. verfehen, von Hrn. 
Hofrat und Profeffor Dr. E. 5. Gräfe, in feinem Verlage er 
feinen wird. Alle Buchhandlungen nehmen vorläufig Beſtellungen 
auf diefed wichtige Werf an. 
Berlin. J. € Higig, Buchhändler. 


Die Sonntagdftunde 


In dem reigenden Umfreife von einigen Stunden, nahe dem 
freundlichen Städtchen — i — in erwuͤnſchter, Doch nicht allzumeiter 
Entfernung von der Reſidenz — r — und der Handelsftadt und Aka: 
demie — e —, leben einige auögezeichnete Männer ein wirkliches 


A 

Leben in Stilfe und Natur. Sie find aus verfchiedenen Ständen , 
von verfchiedenem Alter, verfchiedenen Anlagen und Kräften: aber 
alle Eines Gotted und Eined Herzend, und dur die Gewalt geiftis 
ger Anziehung unzertrennlich vereiniat. Ale find Männer; Durch Lei: 
den nicht muthlos, dur Gluͤck nicht unbefonnen, durch Lectüre nicht 
abermigıg, durch den Reichthum ihred Wiffens nicht hochmüthig, find 
fie gang und rein, Yozu Die Natur fie beſtimmt hat. Das Feuer ihred 
Lebens iſt von der Zeit nicht verzehrt worden, weder Hof und Welt, 
noch die Wafferfahrten der Gemeinheit haben. ed hutzulöfchen ver: 
nıccht, Erfahrungen aller Urt haben es nur geläutert. Unfere Bun: 
desgenoſſen find chriftiih und fromm, aber fie find ed in heiterer 
Goͤttſeligkeit; auch fcheint e& ihnen etwas unmeife, in Dunkelheit zu 
ftraucheln, mo Das belle Sonnenlicht jeden Schritt ſichert, und dag 
Herz erquide. Sie fünnen beten aus der Tiefe zu Dem Gott in der 
Höhe; aber fie koͤnnen auch fderzen, Thorheiten befächeln und fie mit 
Witz betrafen. An dem heiligen Tage jeder Woche kommen fie in 
— i — zuſammen, um fich zu erheitern, über nüglihe Dinge fich zu 
beiehren, Geiſt und Gemüth zu erheben und zu beffern. Politik, 
xuxus und Theater find gaͤnzlich von ihrer Unterhaltung ausgeſchloſ— 
fen, weil fie den Eleinen Schaubühnen und dem großen Theater der 
Welt nicht nahe genug find, und mit ihnen in feiner Verbindung 
ftehn. Dagegen arbeiten fie unermüder in der Kunft ſtets heiter zu 
ſeyn, und wichtig it ihnen jeder Gegenftand, der zu ihrer und ihrer 
Familien Wohl etwas beptragen fann, er ſey irdifh oder himmliſch, 
aus dem Gebiete ded Hausweſens ‚oder der Beifteöfultur. 


Genoͤthigt durch Verhaͤltniſſe lebt ein Mitglied ded fonntäglichen 
Mereind wieder in der Handelöftadt , ein anderes in der Reſidenz; 
Doch find fi e von ihren Freunden nicht getrennt. Gegenfeitige Mit 
theilung verichönert ihnen noch immer ihre Sonntage. Aus bdiefen 
Mitheilungen wird ein Blatt entfiehen, unter dem Titel: die 
Sonntageftunde, meldet, wie man glaubt, unbefangenen Men: 
fhen und guten Familien, die noch nicht die hoͤchſte Vollendung ers 
reicht haben, die Feyer des Sonntags noch mehr heiligen und ver 
herrlichen wird. | 


Was eben angedeutet it, findet man noͤthig, noch deutlicher aus⸗ 
zufpreden: das Blatt ift befimmt für edle Gäfte, und 
nicht für die Meifterfchaft der Köche, auch nicht für die für 
genannte große Welt in der großen unendlichen Welt. 


Bon der Sonntagsftunde erfcheint regelmäßig jede Wode 
ein Bogen, auf Schreibpapier anftändig gedruckt, und zmar frühe 
genug, daß ed an dem Sonntage, für melden es beftimme ift, in 
den Händen der Leſer ſeyn Fann. Diefed Blatt würde viel von ſei⸗ 
nem Intereſſe verlieren, wenn man es in Journalgeſellſchaften —* 
festum leſen wollte, und es fällt in die Augen, daß ed feinen Zwed 


5 
am beften erreicht, mern es fich die Familien ſelbſt anfchaffen. Ded- 
halb ftelit auch der Verleger den Preis fo niedrig als möglih, und 
wird den ganzen Jahrgang für 3 Thlr. Voraus bezahlung überlaffen. 
Mer ed möcentlih zu erhalten mwünfhe, der beliebe ed bey dem 
nächften Voſtamte ſeines Orts oder bey der Leipziger Zeitungserpes 
dition, melde die Hauptverfendung übernommen hat, zu melden. 
Mer ed monatlich zu erhalten wuͤnſcht, der wende ſich an die nächfte 
Buchhandlung oder unmittelbar an mich felbft. 

Grimma im November 1812, 


G. J. Goͤſchen. 


ò—w“ — 


Neue Werke über die Civilgeſetzgebung Frankreichs. 


Unter dem einfachen Titel: De la competence des juges de 
paix , hat Herr Baron Henrion von Perſey, Bräfident des Caſſa— 
tionshofes, ein wahrhaft claffiiches Werf herausgegeben, wovon "die 
zweyte Auflage erfchienen ift, melde 25 Capitel mehr als die erfte 
"und außerdem viele Verbefferungen enthält; dieſes für Nichter, Kries 
densrichter, Advocaten, Sachwalter und Geſchäftsmaͤnner jeder Art 
fehr nuͤtzliche Buch ft von Hrn. Präfident Blanchard, ruͤhmlichſt 
befannten Leberfeger von Maleville’s Commentar, in die deutfche 
Sprache überfegt worden. Preid 8 Francd. 4 fl... 2 Rthlr. 8 ggr. 

Herr Baron Havard von Langlade, Faiferl. Rah bey dem 
Caſſationshofe und Mitglied der Commiſſion, welche bey dem Staats 
rathe in Streitfachen erfennt, hat eine Abhandlung über die Privis 
fegien und Hypotheken befannt gemacht und alle feit der Erſcheinung 
des Geſetzbuchs Napoleons über diefen wichtigen Gegenftand der Civil: 
Gefeggebung erfaffenen Geſetze, Faiferl. Decrete, Gutachten des 
Staatsraths und Urtheife des Caſſationshofes geſammelt; diefed Werf 
"bietet ein vollſtaͤndiges Geſetzbuch des Hypothekenweſens dar, und 
fiefert alle Verbeſſerungen, die darin feit 8 Jahren gemacht worden 
find; Hr. faiferl. Procurator Anton Keil, Derfaffer des gefchägten 
Handbuchs für Maire, Adjuncten , Polizey : Commiffäre ꝛc. hat 
ſolches jn die deutſche Sprache überſetzt; Preis 8 Francd. 4 fl. 
2 Rthlr. 8 agr. 

Man kann diefe Werfe in franzöfifher oder deutfher Sprache 
durch alle folide Buchhandinngen beziehen. 

Keilifche Buchhandlung in Köln. 


Ben derfelben Buchhandlung it die vierte Auflage des Gefeg- 
buchs Napoleons , Die dritte des Handlungsgeſetzbuchs und die 
zweyte des Criminalgeſetzbuchs erfhienen, Weberfegungen von Hrn. 
Daniels und Blanchard, welche befanntlich zu Folge des durch 
den 145. Artikel des Faiferl. Defrerd vom 4. Julius 1811 genehmigten 
Beſchluſſes der Regierungd : Commiffion in den nordifchen Departe: 
menten Sranfreich6 gurgebeißen worden find. 


— 


Progreffived Lefebuh für den Anfänger. 

So viel brauchbare und nüpliche Lefebücher für die Jugend auch 
unfre Zeit hervorgebracht hat, fo fehlt es. demohngeachtet an einem 
Elementarlefebuche , welched durchaus der Faͤhigkeit der Anfänger an- 
gepaßt wäre, und mit der Entwidelung des findlihen Geiſtes zu— 
gleich vom Leichteren zum Schwereren fortfchreite. 

Diefed wichtige und ſchwere Probfem fucht der Verfaſſer dieſes 
Leſebuches zu loͤſen. Es iſt in jeder Hinſicht progreſſiv, in Hinſicht 
der Wortbildung, Conſtruction und Periodenbaues ſowohl, als auch 
Inhalts der Leſeübungen. Jeder denkende Lehrer wird in dieſem 
Buche ein erfreuliches und gewünſchtes Hülfsmittel finden. 

Preis 36 Er, oder 8 ggr. ſaͤchſ. 

Gießen im Sept. 1812. 

Georg Friedrich Taſchée. 


In der Andreaͤiſchen Buchhandlung zu Frankfurt am Main 
iſt erſchienen: 
Archiv für das katholiſche Kirchen- und ——— 
vorzuͤglich in den rheiniſchen Bundesſtaaten. Drit— 
ten Bandes, erſtes Stuͤck, gr. 8. 16 gr. oder 1 fl. 12 fr. 


Inhalt. 
I. Materialien zur Geſchichte der Pfarrmatrikeln und Wuͤnſche über 
die Fünftige Einrichtung und Benugung derfelben. 
II. Ueber die Begebung der Pfarreien. 
III. Sormular zur Einfegnung der Ehe. 
IV. Materialien zu einer Geſchichte der Prozeffion mit dem heiligen 
Altaröfaframente. 


V. Können die penfionirten Stiftögeiftlihe zu Pfarreyen oder zu ans 
dern kirchlichen Geſchaͤften verwender und rechtlich angehalten 
werden ? 

VI. Ein Beytrag zur Frage: ob dad Vermögen einer, mit einem 
aufgebobenen Stift oder Klofter verbundenen Pfarrkirche, zugleich. 
an den entfchädigten Zürften übergeht ,„ dem Das Stift oder 
Klofter zugefallen iſt? 

VII. Der jetzige Zeitgeift in Beziehung auf die gelehrten un 
vorzüglich auf die Gymnafien. 

VIH. An die Redaktion des Archivs, über den Auffag im zten Bande, 
ten Stud: Unterfuhung über dag Weſen der Schwarzifchen 

y Erziehungslehre. 
Verordnungen , Recenfionen und Miszellen. 


Ankuͤndigung. 


Aufgemuntert durch die bisherigen ſchmeichelhaften Nachfragen, 
ſind die, ſeit vielen Jahren bekannten Muſici, Herren Korbmann, 
Vater und Sohn, geſinnet, ihre ſelbſt componirten Taͤnze in Druck 
herauszugeben, wann ſich dazu eine hinreichende Anzahl von Abon— 
nenten finden wird. , Alle. drey Monate wird ein Heft von zwoͤlf 
neuen Stufen, (Walzer, Allemands, Hopfer und Langaus) für das 
Pianoforte, zwey Floͤten und zwey Violinen, befonderd ‚geiegt er: 
ſcheinen, und mitunter auch neue Lieder mit Melodien. Die Abon— 
nenren bezahlen für 48 Stüdfe oder vier Hefte, für jedes Inſtru— 
ment 4 Schweizer: Sranfen (2 fi. a5 fr. im 24 fl. Fuß) bey der 
Lieferung des erften Heftd , für ein Jahr zum Voraus. Jeder Abon- 
nent ift höflich erfucht , ſich in franfırten Briefen beym Verleger 
J. % Burgdorfer zu Pfiltern in Bern ſelbſt oder bey einer der 
untengenannten Buchhandlungen zu melden, nebit feiner refp. Adreſſe 
auch Dad Inſtrument anzuzeigen , für welches er abonnirt. Die 
Tänze werden in fauber gefärbten Umfchlägen, mit Titel und In— 
haltsverzeichniß , gleihen Typen und auf gleichem Papier ericheinen , 
wie die Schweizer Kühreiben. Vorzuͤglich merden die Herausgeber 
trachten , durch Fleiß und Gefhmad in der Compofition dad Zus 
trauen ihrer reip. Gönner immer mehr zu verdienen. Dad Abon: 
nement ift um obgemeldten Preid bis zum 1. März 1813 offen, nad: 
her mırd der Preis Des Tahrgangd in vier Hefte zu fehd Schweizer 
Sranfen (4 fl. 8 fr. im 24 fl. Suß) feflgefent. Bern den 24. No— 
veniber 1812. | 


Auf diefe Sammlung nehmen auch Abonnements an: 


In Deutſchland: 
Herr C. G. Schmidt, Buchhändler in Leipzig. 
— Friedrich Campe in Nürnberg. 
— Andreäifhe Buchhandlung in Frankfurt a. M. 
— Mohr und Zimmer in Heidelberg. 


An der Schweiz auffer dem Verleger felbft: 
Herr Samuel Flick, Buchhändler in Baſel. 
— Huber et Comp. in St. Gallen. | 
— Hurterifhe Buchhandlung in Schaffhaufen. 
— Zaver Meyer, Buchdruder in Luzern. 
— Hs. Georg Naͤgeli et Comp. in Zürich. 
— Gauerländer, Buchhändler in Aarau. 
— GSteinerifhe Buchhandlung in Winterthur. 





Bekanntmachung an die Hhn. Seefforger und Schullehrer. 


Raftart. Ben dem Hofbuhdruder Sprinzing dahier ift fd 
eben erf&ienen und in allen guten Buchhandlungen , in Heidelberg 
bey Mohr und Zimmer, zu haben: 


Gefänge für die liebe Schul: Jugend; gefammelt und 
in Muſik gefegt von I. I. Efert, Hauptlehrer an der Mu: 
fterfchule in Raftadt. 9 fr. 

Dad dazu gehörige Mufifheft Eoftet gebunden 20 fr. 


Da die meilten, bi jet erfchiendnen Liederfammlungen für 
Kinder theild zu meitläuftig und Foftfpielig, theild auch in Hinficht 
auf ihre wenigen Melodien zu ſchwer find, fo hat man bey den vor- 
liegenden Gefängen eine zweckmaͤßige Auswahl aus den beften Lieder- 
ſammlungen getroffen, die Melodien mit möglichfter - Sorgfalt dazu 
fomponirt, und — nad dem Wunfche vieler £ehrer — mehrere die: 
fer Gefänge mit verſchiedenen fareinifchen Lettern gedrudt. 

Den 18. November 18124 


Bey Friedrich Jöſeph Ernft in Duedlinburg ift verfegt 
und in allen Buchhandlungen zu haben: 

Neues U B C-Buch für Kinder, welche auf eine fehr leichte Art 
buchſtabiren und fefen lernen wollen, mit illum. Küpfern, 3te 
Aufl. gebunden 14 gr. 

Neues A B EC: Spiel für Kinder in Futteral mit illum. Kupf. 8 gr. 

Geſangbuch für den öffentlichen Gotteödienft in der Didced Quedlin— 
burg, nebft Gebeten, revidirt und mit einer Dorrede- begleitet 
von Dr. 5. U. Hermed. 8. weiß Papier 12 gr. 

Namenſpiel zum Zeitvertreib und zur Erweckung des Nachdenfend , 
2te Aufl. in Couvert 4 9% 

Ünterhaltungen für die Jugend zur nüglichen Selbſtbeſchatigung und 
Belehrung. Neue Aufl. 8. 10 gr. 

Ziegenbeins, J. W. H., Leſebuch für Deutſchlands Töchter, zur 
Bildung des Geiſtes und Geſchmacks, zter Thl. 8. ı Thlr. 

Deſſen Blumenleſe aus Frankreichs vorzuͤglichſten Schriftſtellern für 
aa Töchter, nebſt Wörterbuche, zter uud legter Theil, 

22 gr. 





Drudfehlerangeige. 


&n No. 58. der H. Jahrb. ©. 925 3. 13 ftatt Mode lied Meden. 

— — 78. — — — 17240 — 18 fi. Dativ l. Ablativ. 

intel. Bf. 1812. No. 17, u. 1: ©. 133 3.28 flatt Brufthöhle lied 
Baudehoͤhle. 





Intelligenzblatt 1813. 
IV”. 77. 


RL DLR SL LI —— —— —— ————— —— ——— 


Chronit der Univerſitaͤt Heidelberg. 


err Prof. Nägele erhielt von phoſikaliſch-medieini— 
ſchen Soeietaät zu Erlangen dad Diplom als actives auswaͤrtiges 
Mitglied. 


Am 30. Dec. v. J. geſchah der jaͤhrliche Decanatswechſel. Das 

Decanat der theologiſchen Facultaͤt uͤbernahm Herr Geh. Kirchen⸗ 
rath Paulus, der juriſtiſchen Herr Hofrath Thibaut, der 
mediciniſchen Herr Profeſſor Nägele, der philoſophiſchen 
Herr Geh. Hofrath Langs dorf. Director der ſtaatswirthſchaftlichen 
Section wurde Herr Profeſſor Eſchenmayer. 


Herr Prof. Wilken wurde von der dritten Claſſe des kaiſer— 
lichen Inſtituts von Frankreich in deren Sigung am 19, Der. 
vor. J. zum Gorrefpondenten ernannt. 


Ehrenbezeugung und Beförderung. 


Herr Prof. Kaſt ner zu Halle erhielt von der medieiniſchen 
Faeultaͤt zu Gießen am 21. September vor. Jahres die Doctormürde. 


Seine Koͤnigl. Hoheit der Großherzog von Heſſen haben den bis⸗ 
herigen Großherzoglich Frankfurtiſchen Juſtizrath und Profeffor an 
der Rechtsſchule in Weplar, den ruͤhmlichſt befannten Eiviliften Egid 
von Loͤhr, zur fechdten ordentlichen Profeffur des Rechts an der Unie 
verfitär Gießen zu berufen, und demfelben indbefondere die Fächer 
der Rechtsgeſchichte, der Hermeneuti£ und der civiliſtiſchen Eregefe zu 
übertragen geruher. Der Herr von Loͤhr hat diefen Ruf angenommen, 
und wird mit dem Anfange ded Sommer: Scmefters dieſes Jahres 
feine Vorleſungen in Gießen beginnen. 


(2) 


10 


# 


Antwort des NRecenfenten 
auf die Antifritif des Hrn. Prof, D. Fr. Ruͤhs in der Halli 
fchen allgein. Lit. Zeit. 1812. No. 318. gegen die. Recenſion 
feines Buchs über die Edda in den ymas Jahrb. 1812, 
Det. No. 61, 62,. 


Ich verfpreche, aud großer Neigung zur Sache, mich darauf eine 
zulaffen, wenn Herr Prof. Ruͤhs in feiner zufünftigen Antwort auf 
meine Necenfion feined Buchs, mad weder diefed noch fein Ton, den 
er für fich behalten mag, verdient, wirflich etwas vorbringt, fey - 
ed auch dad geringfte, die gegenwärtige enthält gar nichtd und 
fingt blos um eine Note zu Hoch. Wielleicht geben indeffen noch Andere, 
welche von der Sache wiſſen, ihre Stimmen ab (die in der Leipziger 
Lit. Zeit.. 1812. Nr, 287. 288. flreitet offenbar nicht für Hrn. Ruͤhs), 
wie mar mir eben fchreibt, daß zwey Däniiche Gelehrte ſich die Mühe 
nehmen wollen, fein Buch zu beleuchten. Nur zweperley halt ich mir 
aus: erſtlich, daß er nicht fordert, ich, ſolle ſeine Worte anders neh⸗ 
men, als wie ſie einen Sinn geben, und ich nicht verbunden bin bey 
meinen Ausdruͤcken mich nach ſeinen Hypotheſen zu richten; wenn er 
J. B. fein Werk gut nennt, ich ſchlecht, fo meinen wir beyde ganz 
gewiß daffelbe, ohnbefchadet des großen Unterſchiedes unferer Worte, 
ebenfo meint er unter Islaͤndiſcher, ich Calt)nordifcher Poefie dDiefel: 
ben Monumente, von denen und derer Sprade die 
Rede if. > Zmentend, daß er mehr als ein Paar rothe Schuhe 


*) Für diejenigen, welche fih die Mühe nehmen mollen, herab« 
zuſehen, fteht hier noch eine vergleichende Tabelle: 


Herr Rühs, „der Forſcher,“ Der Kecenfent. 


(Antifritit ©. 851.) ©.662. Hr. R. behauptet, „die 

©. 115: „Die Jeländifhe Diht- Island ſce Dichttunſi habe eine Men: 

funft hat eine Menge von Würs ge, von Wörtern, die nicht in der ge⸗ 

tern, die nicht in der gewöhnlichen möhnfiden Caltnordifhen und 

Sprache, viel weniger in den übri- heutig Islaändiſchen) Spra— 

gen Dialeeten vorkommen; dieſe che, viel weniger in den übrigen 

Wörter find meiſtentheils Angel: Dialecten vorfommen, diefe Wörter 
nn. _ — i — J 850. ſepen meiſt Angelſaͤchſiſch.“ 

. 09. M⸗m es ſoget, LO WENH Nach meiner Anſicht ſind 

Hr. W. C. Grimm ſelbſt mich ver⸗ —— Denkmaͤler (die Edden, 

ſtanden, Scaldenlieder ꝛc) feine befondere 

Islaͤndiſche, fondern allgemein nor⸗ 

diſche Poeſie, dies habe ich klar aus⸗ 

edrückt, indem ich die „gewoͤhnliche 

prache*, worunter Hr. Ruͤhs offen⸗ 

bar die Islaͤndiſche verfteht, durch die 

altnordifhe und heutig Islaͤn— 


41 


mit zum Tanz bringt, und dann etwas beffered weiß, ald daß Straa 

(ſprich aus: Stro) nit Stroh, fondern Halm; ſpaed „nicht 

ann, fondern zart“ (tauſchen die Worte nur ihre Gtelle, fo macht 

die Antikritik ſchon den Unterfchied zwifchen beyden fichtbar genug), 
x - 








aber nun, da ed and Widerlegen 
gehn foll, ſchiebt er mir folgente 
unfinnige Stelle unter: 


difche erklärte (die legrere kam hinzu, 
meil fi befanntlih auf Island die 
altnordifhe Sprache mir geringen 
Abweichungen erhaftten), um nicht 
daffelbe zweymal hinter einander zu 
fagen, und weil es ſich von ſelbſt vers- 
ftand, ich auch überall von nordi⸗ 
fer Poefie ſprach, iſt vorher bey 
„Islaͤndiſcher Dichikunſt“ nicht auch 
in Parentheſe, d.h. altnor diſche 
* worden. Bey der Wider⸗ 

egünmg, daher, mo ich nicht mit 
dem Forſcher die nach allen Seiten 
unfinnige Hoporhefe von der freyen, 
unmittelbaren Erfindung der altnors 


diſchen Poefte-auf Island annehmen 


©. %5. es kommt bier 
Darauf an, zu bemeifen, 


daß eine große Anzahl. 


Wörter, die in der nordi— 
ſchen (ich fage: Islaͤndiſchen) 
Poeſie vorkommen, ſich 
weder in der nordiſchen 
(ich ſage: Islaͤndiſchen) Proſa, 
noch in einem andern Dia— 
lect der Germaniſchen 
(ic) fage: nordifhen) Sprache 
finden, fondern lediglich 
im Angelſaͤchſiſchen.“ 


wolite, mußte sch mich durchaus alfo 


auddruden : | 

S. 965. ed fommt bier nur Darauf 
an, zu heweiſen, daß eine große Ans 
zahl Wörter, ‚die in der nordifchen, 
(Zufag: verfteht fih nach dem obi⸗ 
gen von ſelbſt, bey Hrn: R. Islaͤm⸗ 
biſchen) Poeſie vorfommen, ſich 
weber in der nordiſchen (Zuſatz: 
verſteht ſich von ſelbſt bey Hrn, R. 
Jelandiſchen) Proſa, noch in 
einem andern Dialect der Germani⸗ 
ſchen Sprade (Zu ſatz, d. h. der 
nordiſchen und Deutſchen,, 
denn die letztere darf nicht ubergangen 
werden, faͤls der Satz dee Forſchers 
einigen Sinn haben full, wenn ſich 


im Angelfaͤchſiſchen nicht allein die: 


Wörter wiederfinden, fondern noch 
bey einem andern Glied der Familie, 
mie fann das Borgen dorther daraus 
efofgert werden ?) wiederfinden, 
andern fediglich im Angelfächfifchen. 
Anmerf. Daß ib meine Worte 
anführre, ift au daraus Flar, daß, 
ich fie nicht mit Haͤckchen bezeichnete, 
welches bey des Forſchers feinen ges 
fchehen ift. | 


Mer nun Luft hat, etmad Gemeined zu leſen, der ſehe in der 
Antikririf nach, wie der Forfcher weiter fpricht, über Verfaͤlſchung u. 


dergi. mehr; welche fo gewiß nicht da ift, als fie da if, wenn erg. B. 


angibt, ich halte feine Hypotheſe vom Angelfächfiichen Urfprung für 


12 


Sang nicht Gang, fondern Saug (welches Ichtere wahrſcheinlich 
wir alle drey: der Forſcher, der Eorrector und ich gewußt. haben, 
deſto Rrafbarer der zweyte, daß er ed har fliehen laffen , deſto piei 
der erſte, der es dem dritten zur Laſt legt,) heißt, und daß in eine 
nach dem Dänifchen (vor 4 Jahren oder länger aus Gefälligkeit ) 
überfegten Lied, dad ohne mein Wiffen dort abgedrudt worden, mies 
wohl ich nichts dagegen habe, eine abfichtliche Sreyheit unerlaubt ſey, 
—— uͤberſetzt er nach ſeinem Verſtand: 

legt ihn an ihre volle Bruſt 

Vogelſang iſt ihre Stimme 
und — iſt ihre Luſt, ſo kommt er zu jenem Poeten, der es vor 
allen zu ie hoffte , wenn er ſprach: 

Ich bin genannt der Hänsleln Stolz, 

und führ' einen Wagen mir Echeiter, 





die: Hauptidee, mährend ich fie nur: ald das einzige neue und eigens 
thämfiche angegeben: die Hauptfache ift das alte, von Schloͤtzer und 
Adelung ſchon übrig befannte, hier mit einer fhnarrenden Rede blos 
neu aufgefteift u. f. m. Uebrigens ift dem Rec. (will er zu feiner 
Schande befennen, aber wer fann eine fo gründliche Forſchung aus: 
feeren ?) doch noch ein neuer und eigenthümlicher Gedanfe entfchrüpft, 
auf den ihm der Leipziger Nec. erft wieder aufmerkffam gemacht. Thord 
Bilde fepte man täglich vier Brote und darnach im Verhäftniß Fleiſch 
vor; ald aber das Idol niedergeftärzt wurde, wimmelte das innere 
von Mäufen, Eidechfen und andern Thieren, „die“ fegt der Forſcher 
und mit Bedacht hinzu, „fich die Opferfpendungen vermuthlich zug: 
neten“ ©. p. 12 feines Werfs. Was ift wahrſcheinlicher als Diele 
Vermuthung! wie mögen fih die Thiere über die guten Biffen herge— 
macht haben, die man doch gewöhnlich zum Dpfer bringt! auch hierin 
zeigt fih dad Feine der dee auffallend. Hätte und dad Gluͤck ges 
lächelt und Hr. R. felber etwa den Hergang helauſchen und mir eigenen 
Augen den Betrug der unverfchänten Thiere entdecken koͤnnen, fo wäre 
alles unnüge Geſchwaͤtz über die Aechtheit der nordifhen Mprhotogie 
laͤngſt abgefchnirten. Denn Rec. muß ed nur geftehen, Daß er in 
einigen ſchwachen Minuten daran gedacht, ob der höfzerne Klotz, denn 
das Dpfer mar doch einmal fort, nicht etwa am Ende aus Uebermuth, 
oder wer weiß aus welchem andern Grund, Luft befommen, und fib 
auf irgend eine Art darüber erbarmt. Zu ded Rec. Entſchuldigung 
dient hoͤchſtens, daß das Holz doch unter gewiſſen Umſtaͤnden, kracht, 
knallt, als waͤr es ordentlich bey Leben und Verſtand (z. B. wann es 
verbrennt wird), und ſedann eine gewiſſe Ideenverbindung mit einem 
oben im Text hernach vorkommenden Vers, in welchem er den kunſt— 
reich verſteckten Reim entdeckt, in den zwey Zeilen, was einem ja wohl 
widerfaͤhrt, verwechſelt und dadurch aus dem Holz eine lebendige Per— 
fon bekommen. Aber wie wird das alles von jener fo ſcharfſinnigen 
und doch hoͤchſt einfachen Erklärung des Forſchers niedergefchlagen ! 


13 


Wo er if, will ich nicht verrathen, fonft trägt ihm Hr. Prof. Rühs, 
feiner. Forſchungen wegen , die Zeit Foften, die Ausarbeitung der Anti⸗ 
fritifen auf, und ic muß gegen vereinigten Scarffinn. £ampfen. 

Damit hab’ ih. auf das geantwortet (welches ich «Id Rec. dem 
Inſtitut ſchuldig bin, fonft würden mich die Paar Tropfen guter Tinte 
dauern, die ich daran menden müßte), was gewiß noch den meiften 
Schein har in der Antifritif; wer unfern Forſcher verfteht, weiß, daß 
ed ftarf auf die Sache eingeht, wie das übrige. Ich benuße dieſe Ger 
legenheit, einen wirflichen Sehler in meiner Ueberfegung, der Kaͤmpe⸗ 
Difer anzuzeigen, Staa naͤmlich im Lied von dem Helden Vonved 
D. 42. u. 46. heißt nicht (mie font) Riegel, fondern Schlehe, mas 
au in dem Zufammenhang einen beffern Sinn gibt; ich verdanfe 
Diefe Bemerkung meinem Bruder. 

Eaffel im Jannar 1813; Bw. C. Grimm. 








Un ; eige, 

die Leipziger Literatur. Scidass 

betreffen». 

Die Leipziger Literatur : Zeitung , welche fich der fteigenden Theils 
nahme des Publicumd erfreut, wird: auch im nächften Jahre auf gleiche 
Weiſe ununterbrochen fortgefegt. In allen Monaten diefed Jahrgangs 
find mehr Stuͤcke, als verfprochen wären, geliefert, und die bedeutend 
ten Werke ded In- und Auslanded angezeigt: und beurtheilt, in dem 
intelligenzblättern erhebliche literariſche Nachrichten und Beytraͤge ge⸗ 
liefert worden. Wenn Died zu feri Ermartungen berechtigt, fo wer: 
den die -Redaction. und der WVerlegef, Diefe Erwartungen zur erfüllen, 
mit Eifer beinuhr fen. 

Leipzig den ı2. November 1812. 

Die Redaction der Leipz. Lit. Zeitung. 


Buhhbandler- Anzeigen. 
So eben ift erfehienen : 

Dr. Yug. Gottl. Richter Brof. zu Göttingen) neue medi— 
einifbe und chirurgifce Bemerkungen (auch ald zr 
Band der Altern 1793 gedrudten). Aus einem hinterlaffenen Mas 
nufcript herausgegeben von Dr. G. A. Richter: 16 gr. 

und unter der Preffe ift: 

Die fpecielle Therapie von: Dr. Aug. Gottl. Richter 
(Prof. zu Göttingen). 4 Bände. Aus feinem Nachlaß von Dr. 
G. A. Richter 
Die zwey erften Bände werden die acuten, die zwey legten die 

chroniſchen Krankheiten enthalten. 

Die Er. Nicolaifhe Buchhandlung 
in Berlin und Stettin. 


— 


414 


Bey Webel in Zeit find zu haben: 
Briefe über den Rationalismud. 8. 1812. 1 Thlr. 12 ar. 

Dieſes gelehrte und gründlihe Werk eined geachteten Theologen 
fucht die fhmanfenden Urtheife zu berichtigen, die feit der Erfcheinung 
von Reinhards Gefkändniffen über befagten Gegenitand gefällt 
worden find. Außer diefem -Zeitinrereffe macht ed ſich aber auch durch 
feinen gediegenen und befonnenen Inhalt für jeden gefehrten Theologen 
unentbehrlich. Sey auch fein Dogmatifhed Syſtem, melched ed wolle, 
Feiner wird es * Achtung für den Verfaſſer aus der Hand legen. 


Ben Hemmerde und Schwetſche zu Halle if erfchienen und 
bey Mohr und Zimmer in Heidelberg zu haben : 


Ciceronis M. T. Epistolae ad Atticum etc. — ord. — 
cura C. G. Schützii. Tom. VItus et ult. &maj. ı Thlr. 12 gr. 
Eberd, Joh., theoret. und praft. Grammatik der Engliſchen Sprache. 
Vierte Auflage. ar. 8 16 gr. 
Evangelienbuch, dad, für Die Eonn= u. Feſttage des Jahrs. 12. 39t. 
Jacob’s, G. C., Taschenbuch zum täglichen Handgebrauch für 
Aerzte und Wundärzte auf das J. 1813. 8, geb. 20 gr. 
Kapßlers, A. D. ., Grundfäge der theoretifchen u. praft. nn 8. 
ı Thlr. 

Taſchenbuch, taͤgliches, fuͤr Landwirthe und Wirthſchaftsverwalter auf 
das Jahr 1813. Mit ı Kupf. 8. gebunden. ı8 gr. 
Zeitung, landmwirthfchaftliche, auf 1812. oder der praftifche Land= und 
Hauswirth. Herauögegeben | G. H. Schnee. 1or Jahrgang 

75 bis 128 Heft. 4.. Der Jahrgang 2 Thlr. 16 gr. 


Periodiſche Schriften. 

Don ded Hrn. Profefford u. Obermundarzted Dr. B. v. Siebold 
zu Würzburg Zeitſchrift: Chiron ift das erfte Stuͤck des III. Bandes 
nebft 3 Kupfertafeln erſchienen, und enthält theild fehr lehrreiche Auf: 
füge von Schreger in Erlangen, Walther in Landehut, Michae: 
lie in Marburg, Sander in Nordhaufen u.a. m., theild gründe 
fihe Auszüge aus mehrern intereffanten ausländifhen Söpriften über 
chirurgiſche Gegenflände. 

Um alle Collifion mit andern medicinifch- chirurg. Zeitfehriften zu 
vermeiden, fo wird hiermit zugleich befannt gemacht, Laß vom bald 
erfcheinenden zten Stüde des III. Bandes des Chiron an, ein aus—⸗ 
führfiher Auszug aus den 3 Bänden von den hoͤchſtwichtigen Me- 
moires de Chirurgie militaire et de campagnes de D. J.Larrey 
(& Paris 1812.) erſcheinen wird. 

Sulzbach den 30. November 1812. 

Seidel’ iR: Ran und Buchandiung. 


15 


In unferm ‚Verlage ift erfchienen : 


Sammlung feltener und auserlefener ebirurgifcer 
Beobahtungen und Erfahrungen deutfher Aerzte 
und Wundärzte. Herausgegeben von Dr. I. 3.0. Sie bold, 
ordentl. Profeffor der Chirurgie und chirurgifchen Klinik, und 

„ Dbermwundarzte des Tuliusfpitald zu Würzburg. Dritter Band 

. . mit 3 Kupfern. Preid 2 Rthlr. 12 gr. oder 4 fl. 30 fr. 


Wir wollen, um den Liebhabern die Anfchaffung diefed nüglichen 
Werkes zu erleichtern, den Ladenpreis der zwey erften Bände, welcher 
4 Rıhir. 12 gr. beträgt, bis zur Jubilare Meffe 1813 auf 3 Rthlr. 
er 5 fl. 24 Er. rhein. herabfegen, um welchen ed in jeder guten 
Buchhandlung wird zu haben feyn. 
Arnſtadt im November 1812. SEEN | 
Klügerfde Buchhandlung. 


Ben Hever und Ledfe in Darmftadt ift erfhienen: 
Annalen der. Forft- und Jagdwiſſenſchaft, herausgeg. von C. P. Lau⸗ 
rop. ar Band 48 Heft. 8. brod. 16 gr. oder ı fl. ı2 fr. 
Dahl, K., Hifter. topogr. ſtatiſt. Befchreibung des Fuͤrſtenthums 

Lorſch oder Kirchengefchichte des Oberrheingaud 2. Mit einem 

Urkundenbuche , Kupferftih und Steinabdruck. gr. 4. 
Krönde, C., Abhandlungen über ſtaatswirthſchaftliche Gegenftände, 

ır Theil. 8. 18 gr. oder ı fl. ı2 fr. 


Auch ift Dad fang ermartete \ 

Sach- und Namend:Kegifter zu Ereuzgerd Spmbolik 
der alten Voͤlker ꝛc. 

fertig geworden und an alle Buchhandlungen verfandt, wo die Beliger 

des Werks daffelbe zu fordern belieben. 


Bo Herrn Mohr und Zimmer, SHARE in Heidelberg, 
ift fo eben, angefommen und zu haben: 


Bildergeographie. Eine Darftellung aller Länder 
und Völker der Erde, 3r Bd. Amerifa und Auſtralien. 
Mit 19 illum. und fchmarzen Kupfern und 2 Karten. Leipzig, 
bep Gerhard Sleifcher d. Tüngern. gr.8. 1813. 2 Zhlr. ı2 gr. 


Der erfte und zweyte Band diefed angenehmen und nüglichen Leſe— 
buchd enthält Afien und Afrifa mit 42 Rupfern und Karıen. Der 
vierte und legte Band, weicher Europa beſchreiben wird, erſcheint im 
Februar 1813. 


— — 


16 


Ankuͤndigungen. 


Mit Anfang des Jahrs 1813 erſcheint in dem Verlage des Unter: 
jeichneten eine Zeitfchrift unter dem Titel : 


Altdeutfbe Wälder dur die Brüder Grimm. 


Sie hat den Zweck, dad Studium und den Geifr des Deurfchen 
Alterthums, deffen Werth jegt von mehr ald einer Seite fcheint aner: 
Fannt zu werden, beleben zu helfen. Es if dabey nicht. die Abficht, 
leichte Bemerkungen, trodne literarifhe Notizen, mit ein Paar irgend» 
wo aufgefundenen Zeilen, oder was am ſich geringfügig, mit einigen 
zur Unterhaltung zugerichteten Stüden zufammen zu werfen, fondern 
es follen allein Quellen, bedeutend in ihrem VBerhältniß zur Ges 
fhichte der Poefie, herrlich in ihrem unabhängigen Werth; Unter: 
fudungen über den Zufammenhang jener Dichtungen 
untereinander, melde Sorderungen an wiſſenſchaftliche Strenge 
und Gründlichfeit gern befriedigen möchten; Erläuterungen über 
den Deutſchen und nordifhen Heldenmythbuß derMNi: 
belungen; Mittheilungen aus nicht armen Sammlun: 
gen noch lebendiger Volksſage den Inhalt Diefed Werk 
ausmachen. Wie die Deutfchen Poefien jener Zeiten mit denen nor: 
difcher und füdlicher Völker in Verbindung geftanden, fo werden au 
die letztern nicht audgefchloffen feyn. Gluͤck und günftige Werhäftniffe 
haben den Herauögebern manches Schaͤtzbare aus den verfchiedenften 
Gegenden zugeführt, wovon fie hier mitzurheilen gedenfen. Möhren 
darum Sreunde ded Alterthums, feiner Sprache, Dichtung und Site 
‚ten, dieſes Unternehmen unterflügen, wozu wir fie hiermit einfaden. 

Was die äußere Einrichtung betrifft, fo wird alle Monat regel— 
mäßig ein Heft von 2% oder 3 Bogen verfendet werden, jedes zu 
8 Groſchen, jo daß der ganze Jahrgang 4 Thaler beträgt. Seds 
Hefte machen halbjährig einen Band (2 Thlr.), zu welchem man ſich 
verpflichtet. Alle guten Buchhandlungen nehmen Beſtellungen an. 


Thurneiſſen in Caſſel. 


— 


In unſerm Verlage erſcheint naͤchſtens ein Werk unter folgendem 
itel: 


—Ueber die Weiber Ein Verſuch von der Der: 
fafferin von Gufavs Verirrungen, 


Mohr und Simmern. 








Tntelligenzblatt 1813, 
/V”°. ZI. 


ù— —— 





WEILE RL WET Lv LS LAG SD. 
* 


Chronit der Univerfitäten. 


on der $requenz der beyden Univerfitäten Heidelberg und 
Srepburg im jegigen Winterfemefter, find Durch dad Großherzogl. 
Minifterium des Innern in dem Großherzogl. Badifhen Regierungs⸗ 
blatt vom 9. 1813. No. II. und IV. folgende vergleidhende Webers 
fihten befannt gemadt worden: | 

I. Univerfität Heidelberg: 1) Inländer: a. Theos 
flogen 20. b. Quriften 38. c. Mediciner 18. d. Kameraliften 14. 
e. Philologen s. Bufammen 9. 2) Ausländer: a. Theolos 
gen 25. b. Juriften 151. c. Mediciner 13. d. Kameraliften 29, 
e, Philologen 11. Zufammen 229. 

Die Gefammtzahl der dortigen Studirenden befteht alfo den eine 
jenen Fächern nach aus: 45 Theologen, 189 Juriften, 31 Medicinern, 
43 Kameraliſten, 16 Philologen, zuſammen 324. 

Hiernach ſtudiren allda in dem gegenwaͤrtigen Semeſter 13 aus⸗ 
laͤndiſche und 5 inlaͤndiſche Akademiker weniger als im vorigen hal⸗ 
‚ben Jahre. 


II. Univerſität Freyburg: I) Inländer: a. Theolo⸗ 
gen 42. b. Juriſten 37. c. Mediciner 14. d. Chirurgen 43. e. Apo⸗ 
thefer 1. f. Philofophen sı. Zufammen ı88. 2) Ausländer: 
a. Theologen 21. b. Quriften 6. c. Mediciner 28. d. Chirurgen 2. 
e. Thierärzte 5. f. Philofophen 7. Zufammen 69. 

Am Ganzen befinden fi alſo den einzelnen Fächern nad daſelbſt: 
63 Theologen, 43 Juriften, 42 Mediciner, 45 Chirurgen, ı Apotheker, 
5 Thierärzte, 58 Philofophen, Zufammen: 257. 

Hiernach Hat id im Verhaͤltniß zur Geſammtzahl des vorigen Se⸗ 
meſters, welches 266 Alademifer, worunter 195 Inländer und 7ı Aus⸗ 
länder, ergab, die Zahl der Studirenden in diefem Semefter. vermina' 
Dert um 9, im Verhaͤltniſſe der Inländer zu den Ausländern, die 
Zahl der erfiern vermindert um 7, die ber legtern gleichfals ver⸗ 
minbertum (3) 


18 n 


Beförderung und Ehrenbezeigung. 

Herr Prof. Neander zu Heidelberg hat den Ruf ald ordentlicher 
Profeffor der Theologie an der Univerfität Berlin erhalten und anges 
nommen und wird noch vor Dftern d. I. Dahin abgehen. 

Die Oberlauſitziſche Geſellſchaft der Wiſſenſchaften in Goͤrlitz bat 
unter Dem 29. Dcrober vorigen Jahrs den Profeifor Kaftner in Halle 
zu ihrem auswärtigen Mitgliede ernannt, und demfeiben dad Diplom 


zugeſchickt. 
Todesfälle 

Am 12. Januar d. I. ftarb zu Weimar Chriftoph Martin 
Wieland. 

Am 8. Febr. d. J. zu Königsberg der befannte Philolog K. G. A. 
Erfurde, Herausgeber des Sophofles, im zıften Jahre feined Alters, 
Er it der Verfaffer der Recenfion des Schügifchen Aeſchylus in diefen 
Jahrbuͤchern 1809. Philologie, Hiftorie u. f.w, Heft VI. ©. 278 flgd. 

Am ı7. Febr. d. J. zu Leipzig der Dberhofgerichtörarh und Pros 
feffor des peinlichen Rechts, Chriftian Daniel Erhard. 





Veberfebkungs- Anzeige. 

Bon den, vor einiger Zeit in Paris erfchienenen und mit vielens 
Beyfalle aufgenommenen „Particularites et observations sur les 
Ministres des finances de France les plus celebres, depuis 1660 
jasqu’en 1791 habe ich bereitd eine Deurfche Bearbeitung begonnen; 
welches ich hiermit zur Vermeidung jeded unangenehmen Zufams 


mentreffend anzeige, 
Shr. v. Fahnenberg. 


Buhhäandler - Anzeigen. 

Der philologifch : Eritifhe und hiſtoriſche Commen— 
tar über dad neue Teftament, in welchem der Griehifche Tert 
nad einer Recognition der Varianten, nterpunctionen und Abſchnitte, 
Dur Einleitungen, Inhaltdanzeigen und ununterbrocene Scolien, 
ald Grundlage des Urchriſtenthums bearbeitet it, von dem ©. K. R. 
w D. 9. €. ©. Paulus, ift dur zwey ftarfe Auflagen der erften 
3 Theile und des qren Theild iſte Abtheil. zu allgemein befannt und 
geihägt worden, daß ich nur hierdurch die Nachricht befannt machen 
will, daß ich den ganzen Vorrath dieſes Commentars Fäufli an. mich 
gebracht und ihn nun um den herabgefegten Preid von 9 Thirn. übers 
lafien fann, auch nad dieſem Verhaͤltniß des Preifed die einzelnen 
Theile, mit der Berfiherung ded Herrn Derfaffere, daß auch nächftend 
bie Sortfegung erſcheinen wird. Auch find für die Befiner der erften 


19 


Auflage die Zufäne ber zweyten fehr vermehrten Auflage apart gedrudt 
a 2 Thlr. bep mir und in alten Buchhandlungen zu haben. Eben fo 
D. ©. W. Meyer: Verſuch einer Hermeneutik des alten Teſtaments, 
2 Theile, 8. jetzt a 3 Thlr. 

Leipzig im December 1812. | J. 4. Barth. 


—— —7— 
So eben iſt fertig geworden und an alle Buchhandlungen verfandt: 


Erſch Handbuch der Deutſchen Literatur feit der Mitte 
ded achtzehnten Jahrhunderts bis auf die neueſte 
Zeit. Zweyten und letzten Bandes erſte Abtheilung, 
enthaltend die Literatur der Marhematif, Natur: und 
Gewerböfunde mit. Inbegriff der Kriegsfunf und aller 
Andern Künfte (mit Ausnahme der. fhönen). 

Der Preid des ganzen, auch aus 4 Abtheilungen beftehenden 
aten Bandes, der um das Doppelte fo ftarf werden dürfte, als der 
erite Band, ift 6 Rthlr., der Preis diefer einzelnen Abtheil. 2 Rthlr. 

geipzig im December 1812. 
| Kunſt und Indufrie: Comptoir von Amfterdam. 





Folgendes fehr intereffante Werk hat die Preffe verlaffen : 
Geſchichte der Litteratur der Griechen und Roͤmer von 

G. Ch. Fr. Moh nike, Conrector an der Schule zu Greifswald. 

Erſter Band. gr. 8. Greifswald 1813. 2 Thlr. 8 gr. 

Von den ſechs Zeitraͤumen, in welche die Geſchichte der Grie⸗ 

chiſchen Literatur, von ihrem Beginnen bis auf die Einnahme Conſtan⸗ 
tinopels durch die Tuͤrken im Jahr 1453 zerfällt, werden in diefem 
Bande die bepden erften Zeiträume, und von dem dritten, welcher 
von Sohons Gefehgebung bis auf Alexander den Großen geht, 
wird die poetifhe Literatur abgehandelt. | 

E: wird gebeten, in Der Vorrede ©. XXIX 3. 7 den unange⸗ 
nehmen Drudfehler 1662 in 1623 zu verbeffern, und ©. 483 2. 3 
Zaffius ſtatt Tafflus zu lefen. 

Bey dem Verleger obigen Buches iſt auch erſchienen: | 
Veber die Schutdverbindlidfeit als Objeet ded Pfand- 

rechts, nad Grundfägen des Roͤmiſchen Rechts, von Dr. Fr. 

Befterding. 8. Greifswald. gr. 
Greifswald 1812. Ernſt Mauritius. 


— — r — — 


Joh. El. Bode, Königl. Aſtronom zu Berlin x. Anleitung 
‚zur Kenntniß des geftirnten Himmels. Achte verbeſſ. 
Auflage mit 15 neu geſtochenen Kupfertafeln und einer allgemeinen 
Himmeldkarte nebſt Transparent. 5 Thlr. 


- 
> 


20 


welches treffliche Buch ſo lange gefehlt, hat unterzeichnete Handlung 
an ſich gekauft und iſt nun wieder in allen guten Buchhandlungen zu 


aben. 
Die Fr. Nicolaiſche Buchhandlung 
in Berlin und Stettin. 


Osnabrüuͤck, in der Crone'ſchen Buch- und Kunſthandlung 
iſt erſchienen und durch alle gute Buchhandlungen zu erhalten : 


Schönermarck, A., volltändige Anweiſung für Fran— 
zoͤſiſche Notarien, in Hinſicht ihrer Rechte, Pflichten, Ver—⸗ 
haͤltniſſe und Geſchaͤfte ꝛc. nebſt einem nothwendigen Anhange der 
Grundgeſetze des Franzoͤſiſchen Notariats in Fran zoͤſiſchem Text 
mit Deutſcher Ueberſetzung und mehreren Tabellen. Herausgegeben 
von Dr. R. C. Gittermann. gr. 8. Preis ı Thlr. 12 Ggr. 


‚Bey Herren Mohr und Zimmer in Heidelberg find folgende 
von berühmten Verfaſſern herausgegebene 


vollftändige Jahrgänge von Predigten über die Evangelien N 
Epifteln und freye Texte 


zu haben, die ſowohl den Herren Predigern ald jedem Freunde der 
Religion mit Recht empfohlen werden fünnen. 


Deillodterd, DB. 8., Predigten über die Sonn» Felt: und eier: 
täglichen Epifteln ded ganzen Jahres. 3 Bände. Zmepte verbefl. 
. Auflage. gr. 8. 1805 u. 1806, Preis 3 Rthlr. ı2 gr. 

— — Predigten über die Sonn: und Fefttäglichen Evangelien des 
ganzen Jahre. 2 Bände. gr. 8. 1810 u. 1811. Preid 3 Rthlr. 

— — Predigten über freye Terre auf ale Sonn: und Feſttage des 
Jahres. 2 Bände. gr. 8. 1799. Preis 2 Rihlr. 12 gr. 

Roſenmüllers, Dr. J.“G., Glaubend- und Sittenlehren. des 
vernunftmäßigen und thärigen Chriſtenthums, in Predigten über 
Die Sonn: und: Fefttagd» Evangelien des ganzen Jahre. 3 Theile, 
gr. 8. 1798 u. 1799. - Preid 4 Rthlr. 

— — Predigten über auderlefene Stellen der heil. Schrift für alle 
Sonn = und Fefttage ded Jahres. 3 Theile. gr. 8. ıgır. ( Diefe 
Predigten find bid zur Jubilate-Meſſe 1813 noch um den Pränus 
merationdpreid für 2 Rthlr. zu haben, hernach if der Ladenpreis 
4 Rthlr.) 

Cannabis, ©. Ch., Predigten zur Beförderung eined reinen und 
thätigen Chriſtenthums. 6 Bände. (Vier Bände davon enthalten 
zwey vollftändige Jahrgänge Predigten über die Evangelien; von 
denen auch jeder Jahrgang einzeln zu haben ifl. Die übrigen 
2 Bände find über freve Texte.) 8. 1797 — 1805. 7 Rthlr. 12 gr. 


21 

Sintenis, €. F., Erſte Poſtille oder Predigten über alle Evange⸗ 

lien der Sonn- und Feſttage des ganzen Jahres. gr. 8. Zerbſt, 

bey Fuͤchſel, 1798. Herabgeſetzter Preis 2 Rthlr. 12 gr. 

— — Z3wepte Poſtille oder Predigten über alle Epiſteln der Sonn⸗ 
und Feſttage des ganzen Jahres. gr. 8. Ebendaſ. 1799. 

Herabgefegter Preis 2 Rthlr. 12 gr. 

Welands, J. C., Predigten über die Evangelien auf alle Eonn« 

und Sefltage ded Jahres. 2 Theile. gr. 8. 1806. 2 Rthlr. 8 gr. 

Heinrichs, D. F., Predigten über die Vorfehung, nach Anleitung 

—aller Sonn: und Sefltagd : Evangelien. 3 Theile. gr. 8. 1811. 

Preis 3 Rıhir. 

Kraufe, SG. E., Predigten über die gewöhnlichen Sonn: und $eft: 

tags⸗ Evangelien. ar Jahrgang. ır und ar Theil. gr 8. 1808 

. und 1809. Preis 2 Rthlr. 

Bon diefem Jahrgang ift der 3te u. gte Theil noch nicht gedrudt.) 


Auch folgende Predigtfammlungen , die feinen Jahrgang ausmachen: 
Schuderoffs, 3., Predigten in der neueften Zeit gehalten. gr. 8. 
1810, Preis 2 Rthlr. 
Reinhardd, Dr. F. V., Benträge zur Schärfung des firtlichen 
Gefühle und der Aufmerkfiamfeit auf den Zuftand ded Herzens. 

In einigen Predigten. Zweyte Aufl. gr. 8. 1813. 1Rthlr. 8 gr. 
Loͤhrs, 3. 9. C., Auswahl einiger Predigten. Erfte Sammlung. 


ar. 8. 1806. Preis 16 ar. 
Goͤtz, ©. F., Predigten bep der Geier. des Aerndtefeſtes. 8. Neue 
Auflage. 1802. Preis ı Rıhir. 
— — SGredigten bey ——— ſowohl bey dem Antritte 
als bey dem Abſchiede. 8. 1797. Preis ı Rthlr. 8 gr. 
— — Ausführliche Belehrung über den Eidfhwur, in Predigten. 
8. 1798. Preis 16 gr. 


— — Predigten und Reden bey Trauungen. & 1799. 20 gr. 


— — * 


Ben Engelmann und Meder in Heidelberg find erſchienen, 
und in allen guten Buchhandlungen zu haben: 


Dümge, Dr.u. Prof., Symbolik altgermanischer Völker in 
einigen Rechtsgewohnheiten, gr. $, 24 ke, = 6 ggr. 
Hutten, Ulrich von, und einigen feiner Zeitgenoffen Gedichte. 
Herausgegeben von A. Schreiber. Mir Hurtend Portrait. gr. 8 
Weiß Drudpapier ı f. 30 fr. = ı Rthlr. 
Blau Drudvelin ı fl 48 fr. = ı Rihlr. 4 991, 
Raumer, Fr.a, CCI Emendationes in Lohmeieri et Gehhar- 
dii tabulas genealogicas dynastiarum Arabicarum et Turcia- 
rum accedunt XVIII Tabulae regens compositae. Addita 
est Epistola Frid. W'ilken ad auctorem. 4. 1. = 1&.ggr. 


4 


2 


Schreiber, A., Lebensbeſchreibung Karl Friedrichs, Broßherzogs 
von Baden. brod. 48 fr. = 12 gar. 
—_—— Miöcellen aud dem Gebiete der Gefchichte und Euftur. 8. broch. 
48 fr. = 12 ggr. 

—— Spätlinge, Erzählungen und Gedichte. Mit Kupf. 16. geb. 
ı fl. zo fr. = ı Rihlr. 

Spiele zur gefelligen Unterhaltung. 4. 40 fr. = 10 ggr. 
Systeme, le, federatif des angiens mis en parallöle avec celui 
des modernes. Par E. A. Zinserling. 8. 36 kr. = 9ggr. 
Zaire Ein Trauerfpiel nad Voltaire, von Dr. U. M. Wallenberg. 


Mit dem Franzoͤſiſchen Driginafe. 8. 1 fl. 20 fr. = 2u ggr. 
* * x 
Portrait des Geh. Hofrath May. 30 fr. — 8 gar. 


In Commiffion, 


Commersbuch, allgemeines. Mit geftoch. Titel und Vignette. Broch. 
1 fl. 30 fr. — ı Thlr. 





Koethe, Dr. $r. A. (Profeffor in Jena), zwey Vorleſungen über 
; Dr. Franz Volkmar Reinhardd Leben und Bildung. gr.'®8. 
Mit Reinhards fehr ähnlihem Bildniß nach Graff von Lips. 
geh. 12 gr. 
Dhne Bildniß geh. 8 gr, 
find fo eben bey mir erfchienen und entwerfen ein ſchmuckloſes, einfaches 
Bild diefed hochverdienten Mannes , dad Bild eined wahrhaft prote 
ſtantiſchen Theologen. Keiner feiner zahlreichen Verehrer und 
Sreunde wird fie ohne Befriedigung aud der Hand legen. 
Jena im Januar 1813. Friedrich Srommanı. 





Hudtwalcker, Dr. M.H., Ueber die öffentlichen und Pris 
vat- Schiedsrichter (Diaeteten) in Athen und den Pro- 
cefs vor denselben, gr. 8. 1812. ı Thir. 


Der gelehrte Verfaſſer dieſer intereffanten Schrift bewährt dur 
Diefelbe nach dem einftimmigen Urtheil der Kenner eine, in unfrer Zeit 
immer feltner werdende Bereinigung gelehrter Sprach: und antiquaris» 
fher Kenntniß mit juriftifher Gelehrfamfeit und Scarffinn. So 
erfcheint in ihm ein fehr glüdlicher Diaetete zur Beurtheilung und 
Dergleihung der vielen Streitigkeiten über diefen wichtigen Theil de& 
Artifhen Rechts, und diefe Abhandlung felbft verdient den ungetheilten 
Bepfall aller derer, die an diefen Unterfuchungen ein Intereſſe nehmen. 
Das fchöne Aeußere entſpricht dem innern Gehalt, 


Jena im Januar 1813, Friedrich Frommann. 


23 


In der Andreäifhen Buchhandlung zu Frankfurt am Main 
find folgende neue Bücher erfhignen: 

Brands, Jak., Verfuch eined Planes zur Organifation der Bürger 

und Landſchulen, mit befonderer Ruͤckſicht auf Induſtrieſchulen. 8. 

" ne . 1 fl. 24 fr. oder ı8 gr. 


Bruͤchſtuͤcke zur Menſchen- und Erziehungefunde , religiofen Inhalts. 


48 Stuͤck, die £ehre von Gott. 84 1 fl. 48 fr. oder ı Thlr. 
Greve, €. E., vom Chemismus der Refpiration. gr. 4. . fl. = fr. 
oder. 16.98 


Elementarbuch für den erſten Unterxicht in Volksſchulen. 8. 9 Er. od. 2 gr. 
Gemälde, hiftorifched, der Politik des Römifhen Hofes feit Dem Urs 
fprunge feiner weltlichen Macht bis zu unfern Zeiten. Mit vors 
zuͤglicher Hinficht auf die neueften Kirchenangelegenheiten. Aus d. . 
Sranzöfifchen, mit Bemerfungen. gr. 8- 54 fr: oder ı2 gr. 
Leinwand, über deffen Verfertigung in der Haudhaltung , eine Anleit. . 
für Hausfrauen und Töchter. 8. ı fl. ız fr: oder 16 gr. 
Schneiders , Eul., Gedichte. ste Auf. 8 _ 40 Er. oder 10 gt. 





Loefflers, Dr. I. $r. Chr., Magazin für Prediger. VII. Bd, 
1 Stud mit dem Bildniffe des Hrn. Oberkirchenrath u. Kabinetd« 
prediger Dr. £. Sr. Schmidt in München. gr. 8. 1813. 18 gr. 
Ein reichhaftiged Stuͤck, wie kaum eined dir vorsergehenden. 
Sür den Prediger anziehend: durch die drey Pediaten von Dr. 
Kochen über die Verwandiung im Tode und die Hoffnung des Wie- 
derfehend; durh Heydenreichs Predige über Kurherd Aufenthalt 
auf der Wartburg; durh Stolz Abfchiedöprediar in Bremen u. a. 
Sur den theoretifhen und practifhen Theologen merkwürdig durch des 
Herausgebers Abhandlung über die Entbehrlichfeit des Glaubens 
an eine unmittelbare Offenbarung, und durch feine Beurtheilung der | 
trefflichen Schrift ded Hofpredigerd Dr. Sad über die Vereinigung 
der beyden proteftantifhen Kirchenparteyen in der Preuß. Monarchie. 
Diefe einfache Anzeige wird hinreichen, den fi immer gleich blei— 
benden Werth diefed Journals zu bewähren. 
Jena im Januar 1813, Friedrich Frommann. 





sur Aerzte 
iſt das hoͤchſt intereſſante Werk: 

Anton Joſeph Teſta, Profeſſor in Bologna, uͤber die Krank⸗ 
heiten des Herzens, ein Auszug aus dem Italieniſchen mit 
Anmerkungen von Kurt Sprengel. Erſter Theil, welcher 
die drey erſten Bände der Urfchrift umfaßt, 

fo eben an alle Buchhandfungen verfandt, und in denfelben für 2 Chir. 


6 gr, zu erhalten, 
Gebauerſche Buchhandlung. 


2 


Ankündigung 
Unter dem Titel: ü 
D. Franz; Bolfmar Reinhard, nah feinem Leben und 

Wirfen dargeftelft. 
erfcheint in unferm Verlage noch vor der Dftermefle 1813 eine Schritt 
zum Andenken des Verewigten von dem Brofeffor Poͤlitz in Witten 
berg, Der Verfaffer wird zuerft in der Biographie das Aufere Leben, 
und in der Eharacteriftif das innere Leben deſſelben, feinen Eharacır 
und feine Grundfäge fchildern ; dann Reinhard ald Gelehrten, al 
atademifhen Lehrer, ald Kanzelredner, ald Mitglied 
der hoͤchſten geiftlihen Behörden, und ad Schriftſteller 
darftellen, und mit Kragmenten auf feinem Briefwechſel mit:ihm 
endigen, ganz nad dem Plane, mie Niemeyer Nöffeltd Leben jchrieb. 

Dad Werf dürfte gesun 36 — 40 Bogen gr. 8. ftarf werden, und 
wird daſſeibe in zwey Hälften, Die ih aber genau an einander folie 
Ben und einen Band bilden, brocirt ausgegeben werden. 

Der Ladenpreis wird gegen 2 Rthir. 12 gr. betragen, denjenigen 
Subferibenten aber, die fich verbindlich machen, beym Empfang der 
erften Hälfte ı Thlr. 8 gr. Sächf. zu bezahlen, wird Die zwepte Hilfe 
gratiö nachgeliefert werden. £ 

Man Fann in allen Buchhandlungen zu diefen Bedingungen fub: 
feribiren, 

Privat - Verfonen, welche fib unmittelbar an Die unterzeichnete 
Berlagshandlung direct nach Leipzig wenden, erhalten auf 6 Eremplare 
das 7te gratid, und werden daher alle Verehrer des veremigten Reins 
hards aufgefordert, im Kreife ihrer Freunde und Bekannten um Theil 
nehmer zur Unterzeichnung auf dad hier angefündigte Werk zu bemühen. 

Sollte die Unterzeichnung Den Hoffnungen der Verlagshandlung 
entſprechen, ſo wird auch noch ein wohlgetroffenes und ſorgfaͤltig geſto⸗ 
chenes Bildniß Reinhards der zweyten Hälfte gratis zugegeben werden. 

Die Namen der Subſcribenten werden dem Werke vorgedruckt. 

Leipzig den 10. December 1812. 


Kunſt und Induſtrie-Comptoir von Amſterdam. 








Druckfehler in den Jahrbuͤchern 1813, 
No. IV. ©. 5ı 3.9 lied treue flatt Treue 


— — — 73 — wem flat wenn 
— 59 — 12 — vielfade ſtatt einfache 
— 6 — 16 — mied far wird, | 


No.XIX.— 299, — ı — Gracch. fl, Graich. und fo nod) einige 


Male im Folgenden. 
— 19 — 2 von unten . Örachen ſt. Griechen. 


—— — — 





Intelligenzblatt 1813, 
N. IE. 





ur 


Chronit der Unmiverfität Heidelberg. 


m r. Sebruar d. J. ertheilte die medicinifche Sacuftät dem 
Herrn Georg Kühner aus Mannheim dad Diplom eined Doctors 
der Wundarzeney: und Hebammenfunft. 


Am 6. März d. J. erwarb fih Herr Dr. Jur. Sebalduß 
Brendel durch öffentliche Diöputation das Recht juriftifche Vorlefungen 
auf hiefiger Univerfität zu halten. Seine Differtation führt den Titel: 
Specimen publicum sistens jus successionis, tam ex’ clarissi- 
morum, populorum institutis, inter se comparatis, quam ex 
ipsius civitatis natura illustratum (gedrudt bey Gutmann). 26 ©. 4 


Dad Verzeichniß der Vorlefungen für dad naͤchſte Sommerfemefter 
wurde im März ausgegeben. Der Anfang der Vorlefungen ift unfehl⸗ 
bar am 28. April. Die angefündigten Vorleſungen find folgendes 


I., Gottesgelahrtheit. 

Enevelopädifche Ueberficht der Theologie: Sch. K. R.Paulus, 
zmal wöchentlich. 

Erklaͤrung des Buches Hiob: Prof. Wilken, 3mal woͤchentlich. 

Ausgewaͤhlte Stellen des alten Teſtaments, beſonders in grammas 
tiſcher Hinſicht: Prof. Lauter, 4mal woͤchentlich. 

Uebungen in der Erklaͤrung der Schriften des alexandriniſchen Dia⸗ 
lekts durch die Lectuͤre einiger altteſtamentlichen Apokryphen und eines 
Auszuges aus Philo, worauf Exegeſe des Briefes an die Hebräer 
folgen wird: 8.R. Schwarz, mwöcentlih smal. 

Fortſetzung ded eregetifhen Eurfus über dad neue Teftament, und 
zwar GErflärung der Apokalypſe, ded Evangeliums und der Briefe 
des Johannes, nebit den übrigen Earholifhen Briefen: Geh. K. N. 
Paulus, smal in der Woche. 

Kirchen: und Dogmengefhichte, erfter Theil, nach zu dictirenden 
Theſen: derfelbe, 3mal woͤchentlich. 4) 


26 


Geſchichte der proteftantifchen Theofogie feit Anfang des ı8tem 
Jahrhunderts: K.R. Schwarz, woͤchentlich ımal, öffentlich. 
Eymbolif, oder Darfiellung ded Kehrbegriffd der Reformatoren 
und der proteft. fpmbolifhen Bücher: derſelbe, woͤchentlich zmal. 
Fortfegung der Dogmatik: G. K. R. Daub, gmal wöchentlich. 
Prolegomena zur chriſtl. Ethik: derf. amal wöchentlich, öffentlich. 
Allgemeiner Theil der chriſtl. Ethik, nah Stäudlind Lehrbuchet 
derfelbe, 6mal wöchentlich 
Anthropologie in Bezug auf chriſtliche Ethik: derfelbe, 6mal.— 
Homiferif mit practifhen Uebungen: ER. Schwarz, amal. 


11. Rechtsgelahrtheit. 


Enc yelopaͤdie, Methodologie und Literatur des Nechtd, mit Vor⸗ 
weiſung der Schriften: Hofr. Weiſe, 6mal woͤchentlich. 

Encyclopaͤdie und Methodologie des Rechts, nach eigenen Saͤtzen: 
Doctor Muſſet, 2mal woͤchentlich. 

Naturrecht: Hofr. Zachariaäͤ, 4mal woͤchentlich. 

Naturrecht, allgemein es Staats- und Voͤlkerrecht, nach Dictaten: 
Hofr. Weiſe, amal wöchentlich, 

Ueber den gegenwärtigen Zuſtand des Naturrechts oder der Rechtb⸗ 
philoſophie: Doctor Brendel, ımal wöchentlich, öffentlich. 

‚Vergleichende Gefchichte der Verfaffung und Gefeggebung der bes 
rühmteften Bölfer, mit befonderer Rücdficht auf den Drient: dDerfelbe, 
nach eigenen Heften, 6mal wöchentlich. 

Geſchichte und Inftitutionen ded Römifchen Rechts, nah Bach 
hist. juris rom. und den legalen Snftitutionen : Hofr. Thibaut, 
6mal woͤchentlich Vormittags, und amal Nachmittags. 

Inſtitutionen, nah Hugo's Lehrbuche der Pandecten: Doctor 
Walch, 6mal woͤchentlich. 

Pandecten: Juſtizr. Heiſe, nach der neuen, auf Oſtern erfcheis 

nenden Audgabe feined Grundriffes: 6mal wöchentlich. 

Eregetifche Vorlefungen über ausgewählte Hauprftelfen ded Cor- 
pus jur, rom.: derſelbe, nad einem, der neuen Ausgabe feined 
Grundriffed angehängten Abdrude, zmal wöchentlich ‚, öffentlich. 

Eregeriihe Erläuterung der Chreflomathie von Hugo: Doctor 
Muffer, zumal wöchentlich. 

Hermeneutif und Kritik des Römifchen Rechts, nach eigenem Plane: 
Hofr. Thibaut, mal wöchentlich. 

Ueber Verjährung: derfelbe, zmal wöchentlich. 

Inſtitutionen ded Franzoͤſiſchen Civilrechts: Hofr. Zachariaͤ, 
taͤglich Vormittags und amal Nachmittags. 

Infitutionen des Sranzöfifhen Eivitrechtd, nach ber Ordnung des 
Eode Napoleon: Doctor Du Roi, täglich, 


27 


Die Gütergemeinfchaft nad dem Code Napoleon, mit Rüdficht 
auf das Bad. Landrecht: Oberhofgerihtör. Gambsjaͤger, zmal w. 

Erläuterung der Zufäße und Aenderungen, mit welchen der Code 
Napoleon ald Landrehr für dad Großherzogthum Baden befteht: 
Hofr. Baharid, öffentlih, Fortſetzung in einer noch zu beitinnmenden 
Stunde. 

Staatdrecht der Deutfhen Staaten, nebft einer Weberfiht bed 
Franzoͤſiſchen Staatsrechts, auch einer Einieitung in das allgemeine 
Staatsrecht: Hofrath Zahariä, smal wöchentlich. 

Staatsrecht des Franzöfifchen Reiche, nach eigenen Sägen: Staatd« 
und Kabinetsrath Klüber, amal öffentlich. 

Dölkerrecht der Europäiihen Staaten: derfelbe, nach eigenem 
Grundriffe, 5mal wöchentlich. 

Dölkerreht: Hofr. Zahariä, 2mal wöcentlid. 

Das proteftantifhe und kathol. Kirchenrecht, nah C. £. Böhmer: 
Oberhofgerichtsrath Gambsjaͤger, smal wöchentlich. 

£chenrecht, nah Böhmer: Staats⸗ u. K. R. Klüber, smal w. 

Criminalrecht, den allgem. Theif nad) eigenen Saͤtzen, den befon« 
dern nach Feuerbach, mit Rüdfiche auf das Badifhe Eriminafrecht: 
Hofe. Zach ar iaͤ, 4mal woͤchentlich. 

Criminalproceß, nach Feuerbach: derſelbe, amal wöchentlich. 

Criminalrecht, mit ſteter Hinweiſung auf Feuerbachs EUER ste 
Ausgabe: Docter Brendel, gmal wöchentlich. 

Theorie des Eivilproceffed , nach der gten Ausg. feines Lehrbuchs: 
Juſtizrath Martin, taͤglich. 

Die Lehre von dem Beweiſe in Civilſachen: derſelbe, ımal mw. 

Sranzöfifche Eivilproceßtheorie, nach eigenem Plane, mit beftändis 
ger Erläuterung des Code de Procedure: Doctor Muffer, tägl. 

Practicum: Zuftizrah Martin, smal. 

Relatorium, nach feiner Anleitung: der ſelbe, zmal wöchentlich. 

Ein Eraminatorium über dad Erbredt: D. 9. G. R.Gambs— 
jäger, amal wöchentlid. 

Eräminatorium über die Pandecten: Die Doctoren Muffer und 
Wald. 


III. Arzneygelahrtheit. 

Encyelopädie und Merhodofogie der Mediein: Profeffor Nägele 
nach Conradi, amal wöchentlich, 

Botanik, nach Zinne, Demonftration der in den botanifchen Gär: 
ten und der Gegend um Heidelberg wachfenden Pflanzen, in Verbin— 
dung mit botanifchen Ercurfionen: Prof. Schelver, täglich. 

Wiſſenſchaftliche und phyſiologiſche Botanik, Naturſyſtem des Ges 
waͤchsreichs und Geſchichte des Studiums: der ſelbe, öffentlich. 


38 


Phyſiologie des Menfchen: Geh: Hoft. Ackermann, zmal wm. 

Phyſiologie des Weibes, ald Einleisung in feine Vorleſungen? 
Prof. Nägele, 5mal. 

Materia medica: Prof. Schelver, wobey er zugleich die Zur 
Hörer nach feinen Sammlungen in der Außerlichen Kenntniß und Prüs 
fung der Arzneymittel üben wird, täglich. 

Specielle Naturgefchichte üblicher Heilmittel: Prof. Mai, tägl, 

Pharmaceutifche Erperimentalhemie na Hermbftädt: derf. tägl. 

Arznepmittellehre in Verbindung mit Receptirfunftz nach Loͤſeke: 
derſelbe, täglich. 

Algen, Pathologie und Therapie: Geh. R. Mai, a4mal woͤchentl. 

Specielle Pathologie und Therapie, mit beſonderer Beziehung auf 
Feld» und Lazarerhfrankheiten: Derfelbe, gmal. 

Ueber die Krankheiten der Srauenzimmer: Prof. Nägele, Imal. 

Sieberfehre: Geh. Hofe. Ackermann, nad feinem Handbuche 
(Epitome de cognosc. et curandis febribus ), 5mal. 

Chroniſche Krankheiten: derfelbe, mal. 

Eraminatorium mit Ausarbeitung fchriftlicher Eonfulationen: Geh. 
Rath Mai. | 

Allgemeine Chirurgie: Geh. Hofr. Adermann, täglich. 

Medicinifhe Chirurgie, nah Horn (Berlin 1803): Prof. Mofer, 
smal wöchentlich. 

Sppbhilitifhe Krankheiten, nah Dictaten: derfelbe, 4mal. 

Ehirurgifche Inftrumenten:, Bandagen = u. Mafchinenlehre, nach 
eigenen Heften: derfelbe, qmal. 

Unterricht im Bandagiren mit Uebungen an Leichnamen und Phans 
tomen, und Vorzeigung der dazu nöthigen Inftrumente: Prof. Winter. 

Geburtshuͤlfe mit pract. Uebungen im Gebärhaufe: Prof. Nägele, 
nach feinem Entmurfe einer fuftem. Darftellung der Geburtähülfe, smal. 

Geſchichte der Geburtöhülfe: derf. nah W. I. Schmitt, amal. 

Gerichtliche Arzneywiſſenſchaft, nach Wildberg: dDerfelbe, 3mal. 

Der Scheintod und dad Rettungdverfahren, nebſt Vorzeigung des 
dazu gehörigen Apparars: Prof. Mofer, zmal. 

Gefundpeitderhaltungsfehre, mit Ruͤckſicht auf die Gefahren, wel⸗ 
hen manıhe Berufsarbeiter auögefegt find: Geh. R. Mai, zmal. 

Kranfenpflege auf Naturfehre und Erfahrung gegründet, mit Vers 
fuchen im Eabinet der Experimentalphyſik unterſtuͤtzt: der ſelbe, tägf. 

Die poliflinifhen Mebungen werden von Geh. Hofr. Afermann 
täglich fortgeſetzt. 

Brof. Zipf wird diefen Sommer hindurch mit höchfter Genehmi« 
gung, wegen widriger Gefundheitäumftände, feine Vorlefungen ausfegen. 


2) 


IV. Staatswirtbfhaft. 


Encyelopaͤdie: Prof. Seeger, nach feinem gedrudten Plane, 
mal wöchentlich. 

A) Deconomifhe Faͤcher. 

Landmwirthicaft, in Verbindung mit der gefammten Zorftwiffens 
ſchaft: Oberforſtrath Gatterer, nah Beckmanns Lehrbuche, smaf. 

Die Lehre der Landwirthſchaft, mit Excurſionen auf benachbarte 
Landguͤter: Prof, Eſchen maper, 

Theoretiſche und practiſche Landwirthſchaft, nach eigener Anſicht, 
mit Beruͤckſichtigung von Thaers Grundſaͤtzen der rationellen Landwirths 
ſchaft: Ludwig Hout, Theorie 3mal, practiſche Uebungen auf Feld 
und Wieſe auf ſeinem Gute Neuburg, mit Vorzeigung und Einuͤbung 
der neueſten und nüglichften Werkzeuge, zmal woͤchentlich. i 

Forftbotanif: D.F.N. Gatterer, nah Wattherd £ehrbuche, amaf. 

Sorftbenugung u. Sorfttechnofogie: dDerfelbe, nad Laurop, 3mal. 

Anleitung zur Kenntniß und Cultur der landwirthſchaftlichen und 
Sorftgemächfe in hiefigem Großherzogl. Echloßgarten: derf. zmal, 

Forſtwiſſenſchaft: O. F. R. Grafv. Sponed, nad eigenem Plane, 
mit Befuchung der Wälder, 3mal wöchentlich. 

Sorftbotanif: der ſelbe, nach eig. Plane, mit Ercurfionen, Zmal; 

Gloßmwefen: derfelbe, nad Dietaten, amal. - 

Sorkdirections der ſelbe, nah Hartigd Lehrbuche, zmaf. 
“Sorftentomologie, derfelbe, nah Dictaten, zmal wöchentlich. 
‚Naturgefchichte aller jagdbaren Thiere: derfelbe, nah Blumen» 

bad und Bechſtein, ı:nter Vorzeigung ikuminirter Abbildungen, amal. 

Forſt- u. Jagdrecht: Prof. Efhenmayer, nach Dictaten, zmal. 

Technologie oder Fabrifenmwiffenfchaft: Oberforſtrath Gatterer, 
nach Beckmanns Lehrbuch, smal wöchentlich. 

Ueber die Handeldlehre: Prof. Reinhard, nah Bulk, amal. 
> rufen, Bruden» und Mühlenbau: Geh. Hofr. Langsdorf, 

al. | 
Ueberſicht der Grundbegriffe der Baufunft und ihrer Hulfdwiffens 
fhaften: Doctor Leger. 

Die Theorie der Baufunft für Fünftige Baumeifter: derfelbe, 
nach feinem Handbuche ( Theorie der Baukunſt, Sreyburg u. Conſtanz 
1811 ), 4mal wöchentlich. 

Die Landbaufunft für Kameraliften, Defonomen, Landwirthe und 
Baumeifter, in Verbindung mi der nöthigen Theorie: derfelbe, 
nach feinem Handbuch, und nach feinen, der landwirthfchaftlichen Baus 
kunſt befonderd gewidmeten Heften, Gmal wöchentlich, 


30 


B) Staatswiſſenſchaftliche Faͤcher. 
Staatswiſſenſchaft: Prof. Seeger, nach feinem Entwurfe der 
Staatswiſſenſchaft (Heidelberg 1810), 5mal woͤchentlich. 

Wichtige Materien aus der Staatswiſſenſchaft u. Staatsgeſchaͤften— 
fehre, in befonderer Ruͤckſicht auf Sinamggefhäfte , mit Eraminatorium 
und practifden Uebungen : derfelbe, smal wöchentlich. 

Staaröwiffenfhaft nah Dictaten: Prof. Wagner, smal. 

Finanzwiſſenſchaft: Hofkammerrath Semer, nach Sonnenfels, 
2mal woͤchentlich. 

Finanzwiſſenſchaft: Prof. Reinhard, nah Jung, 4mal. 

Polizeywiſſenſchaft: derfelbe, nah Jung, smal woͤcheutlich. 

Polisepmiffenfchaft in ihrem ganzen Umfange; Hofr. Erb, nad 
eigenem Entwurfe, in Berbindung mit Harld Polizegroiffenfchaft, smal. 
EStogatswirthſchaft und Finanzwiſſenſchaft, nad, Krugd Abriß der 
Staarsöfonomie: derfelbe, 6mal woͤchentlich. 

Theorie der Statiftif, mit Anwendung auf ein Paar auszuwaͤhlende 
Staaten: Hoffammerratb Semer, nah Schlöger und Zueder, ımal. 

Die Nationatöfonomie: dDerfelbe, nah Kraus Staatswirthſchaft, 
a4mal wöchentlich, 

Die Lehre der Staatswirthſchaft, oder der Staatsoͤkonomie und 
der Politik ihrer Gefeggebung: Prof. Eſchenmayer, nach Dictaten 
und feinem Einfeitungsprogramm , ald Leitfaden, 5mal wöchentlich. 

Staatsrechnungswiſſenſchaft: derf. nach eig. Lehrbuche, 4mal. 

Kameral: oder Gtaatööfonomiereht: der ſelbe, nach feinem 
Lehrbuche, 6mal. 


V. Zur philoſophiſchen Facultaͤt geboͤrige 
Lehrfaͤcher. 
A) Philoſophiſche Wiſſenſchaften. 

Logik u. Einleitung in das Studium der Philoſophie: Prof. Fries, 
nach Dictaten und feinem Syſteme der Logik, smal woͤchentlich. 
-  Spftem der gefammten deals: und Naturphilofophie, mit einer 
kurzen Gefchichte der Philofophie: Prof. Wagner, nad Dictaten, 
5mal woͤchentlich. 

Mathematiſche Philoſophie: derſ. nach feinem Lehrbuche, zmal. 

Kritik der Vernunft: Prof. ſries, nach feiner Kritik der Vers 
nunft und nach Dictaten, 5mal. 

Encpclopädie der practifchen ohiloſophiſchen Wiſſenſchaften: Hofr. 
Weiſe, nach feinem gedruckten Entwurfe, ımal, oͤffentlich. 

Naturrecht in Verbindung mit philoſoph. Politik: Prof. Fries, 
nach Dictaten, 5mal. 

Litter aͤrgeſchichte der philoſophiſchen Rechtẽwiſſenſchaften: Hoft. 
Weiſe, 2mal, öffentlich, 


81 


DB) Dhilologie und Alterthumskunde. 


a) Drientalifhe Philologie. . 

Anfangdgründe der hebräifhen Sprade: Prof. Lauter, nah 
Dater, in Verbindung mit Lebungen im Weberfegen und Analyfiren, 
amal wöchentlich). 

b) Alte claffifde Philologie 
6) Propädeutifher Unterricdt. 

Privatiſſima in der griechifchen und lateiniſchen Sprade: Prof. 
Kapfer und Dr. Wagemann. 

BD Humaniftifder Encluß, 
1) Erklärung der Elaffifer.. 

Plato's beyde Aleibiades und Gaſtmahl: Hofr. Creuzer, gmaf. 

Aeſchylod Agamemnon, Choephoren und Eumeniden: Prof. Voß, 
mmal wöchentlich. 

Horazend Satyren und Epiſteln: derſelbe, gmal. 

Erklärung der Bücher des Julius eifar de bello gallico: Prof. 
Dümge, smal. 

Die Elegieen des Propertius: Prof. — 3mal. 

Cicero's Briefe an den Atticus, mit Uebungen im Lateinſchreiben: 
derfelbe, mal, 

2) Wiffenfhaftfihde Borfefungen. 

Geſchichte der griechiſchen Litteratur und Geſchichte der Philologie: 
Hofr. Ereuzer, 6mal. 

Archäologie oder Theorie und Geſchichte der bildenden Kunft, mit 
Benugung von Nahbildungen und Antifen: derfelbe; qmal. 

Griechifche Litteraturgefchichte: Prof. Voß, 3mal. 

3) Im philologifhen Seminar 
wird Plotinus von den Mitgliedern, unter geitung des Hofe. Creuzer, 
nach dem Texte der von ihm edirten Bücher (IlAmrivov Adyos 
Heidelb. apud Mohrium et Zimmerum 4813,) foteinifch interpre« 
tirt, auch werden die Difputirubungen in derfelben Sprace fortgefeßt,. 
und Uebungen im Griechiſchſchreiben ferner veranftaltet. 

Die Troerinnen des Euripided : Prof. Voß, mal. 

4) Im pädagogifhen Seminar 
merden in diefem Semeſter Privatunterhaltungen und Uebungen bey 
dem Kirchenrathe Schwarz in fhiflihen Stunden ftatt finden. 
Y) Neuere Spraden. 

Sranzöfifche Sprache und Literatur mit Sprech : und Schreibuͤbun⸗ 
gen, Aufmerkffammachung auf die bedeutenden Fehler der Deutſchen 
gegen den. Geift der Franzoͤſiſchen Sprache, und auf mancherfey Franzöf. 
Medensarten und nachdrucksvolle Sprihmwörter: Prof. Sar, gmal. 


32 


Sranzöfifche Sprache: Lector Hoffmeifter. 

Engliſche Sprabe: Derfelbe. 

Italieniſche Sprache: dDerfelbe, 

Spaniſche Sprache, nebft Interpretation ded Don Quixote und der 
Schaufpiele ded Ealderon, nad der Norwichſchen Ausgabe: Prof. Voß. 


Se 0) Hiftorifhe Wiffenfhaften. 

Geſchichte der Litteratur, befonders der Deutichen Litteratur des 
Mittelalter: Prof. Wilken, mal, 

Geſchichte der Deutſchen, befonderd ihrer DVerfaffung und ihres 
Rechts, nach feinem Handbuche der Deutfhen Hiftorie: derf. mal. 

Allgemeine. Weltgefchichte ded Alterthumd, nach eigenem Plane, 
mit Derweifung auf Heerend Handbuch der Geſchichte der Staaten des 
Alterthums (zte Aufl. Göttingen 1810.): derfelbe, smal. 

Veberfiht der Geſchichte der Cultur und Bildung: Kirchenrath 
Schwarz, ımal, oͤffentlich. 

Allgemeine Gefchichte Deutfchlande : Prof. Dümge, nad Heine 
richs Handbuche der Deutſchen Reichsgeſchichte, 6mal. 

Statariſche Vorleſungen über Guntheri Ligurinus s. de rebus 
gestis Friderici I. Augusti: derſelbe, nach feiner neuen Ausgabe 
dieſes Dichterd 1 Heidelberg 1812.), smal. 

Derfelbe erbietet fich zu Privatiſſimis über beſondere Abtheiluns 
gen der Geſchichte Deutſchlands, mie auch über einen beliebigen Deut- 
ſchen oder Fraͤnkiſchen Schriftſteller des Mittelalters. 

Geſchichte der drey letzten Jahrhunderte, nach v, Martend Grunds 
riß einer diplomatiſchen Geſchichte der Europäifchen Staatshaͤndel: 
Dr. Wagemann, smal. 

Allgemeine Länder» und Voͤlkerkunde; nach eigenem Plane; der» 
felbe, täglich. 

Dipfomatif oder Urfundenfehre: Dberforftrath Gatterer, nah 
feines Vaters Lehrbuche, nebſt Benutzung ſeines eigenen diplomatiſchen 
Apparats, zmal. 


D) Mathematiſche Wiſſenſchaften. 


Arithmetik, vollſtaͤndig, mit umſtaͤndlicher Anwendung auf die 
ſchwierigern Faͤlle in Geſchaͤften des buͤrgerlichen Lebens, vorzüglich 
nach Anleitung ſeiner arithmetiſchen Abhandlungen: Geh. Hofrath 
Langsdorf, 5mal. 

Geometrie, mit beſtaͤndiger Ruͤckſicht auf die Geometrie der Gries 
den, nach feinen Anfangsgrunden und bepgefügten wichtigen Abändes 
rungen und Zufägen: derfelbe, qmal. 

Reine Mathematik oder Größenlehre und Geometrie, nach feinens 
Spfteme: Prof, Schweins, smal. 


$3 


Practiſche Geometrie, nach feinem Handbuche der Geodäfie: ders 
felbe,, 3mal Morgend, mit practifcypen Webungen auf dem Selde 
Abende. 

Trigonometrie,. nach feinen Anfangsgründen: Geh. Hofr. Langs⸗ 
dorf, zmal. 

Mathematiſche Analyſis mit der Differential: und Integrafrehnung, 
und den michtigften Lehren der höhern Geometrie: derf elbe, nad 
feinen Anfongsarinden und Dictaten, smal. 

Rechnungen für das Geſchaͤfisleben über Zins und Zinszins, über 
Mahricheinlichkeit und Anmendung derfelben auf Spiele, Lotterien, 
Geburt?: und Sterbeliften, Leibrenten, Tontinen und Wittwenfaffen t 
Prof. Schweins, nah feinem Handbuche über Zinszins und nach 
Dictaten, mal. 

Populaͤrer Vortrag über Maſchinen und Waſſerleitungen: Geh. 
Hofr. Langsdorf, 3mal. 

Grundſaͤtze der mechaniſchen und optiſchen Wiſſenſchaften, Statik, 
Mechanik, KEpdroflatif, Optik, Katoptrik und Dioptrik: Profeſſor 
Schweins, qmal. 

Derfelbe erbietet ſich zu Privatiſſimis in den übrigen Theilen * 
Mathematik. 


E) Naturfunde, 


Encpelopädie der Naturwiſſenſchaften: Prof. Fries. 

Experimentalphyſik, nach Kaſtners ——— und eigenem Con⸗ 
ſpeetus: Derfelbe, smal. 

Mineralogie und Geognofie, nah feinen Sammlungen : Drof. 
Schelver, qamal. 

Privatiffima über Die namlihen Gegenkände: derfelbe. 

Geſchichte der hermetiſchen Bhifofophie, Myſtik, Aftrofogie, Alchy⸗ 
mie und Magie: derſelbe, 3mal. 


F) Schöne Künfe. 


Die Grundfäge geometrifcher Zeichnung und ihre Anwendung zur 
optifchen Entwerfung und Beleuchtung der Gegenftände, nach eigenen 
Studien, mit Zuziehung von Weinbrennerd Handbuch der Zeichnungd« 
lehre (Tübingen ıg11.): Dr. Leger, mal. 


Die Grundſaͤtze perfpectivifcher Zeichnungen und ihre Anwendung 
für Architecten und Landfhaftämahler, nach eigenen Anfichten und 
Entdefungen, in Verbindung mit Uebungen nach der Natur: ders 
felbe, qmal. 


Architectoniſche Zeichnungsſuͤbungen, als Anwendung theoretifcher 
Borlefungen: Derfelbe, — 


* 5 


34 


Im Landfchaftzeichnen, dann im Zeichnen febender Figuren , befone 
ders der Thiere, nad guten Driginalen, mit der Anweiſung zup Come 
pofition: Zeichnungsfehrer Rottmann. 

Derfelbe giebt Unterricht im Landfchaftzeichnen nach der Natur, 

in alten Theilen der Zeichenfunft giebt Zeichennteifter Francken 
Unterricht. 

In der Vocals und Inftrumental: Muflf, theoretifch und practifch: 
Slapellmeifter Hoffmann. 

Auf der Violine, auf der Flöte, Elarinette und andern Blasin- 
Rrumenten: Mufifmeifter Schulz. 

Im Sefange, auf der Quitarre und Violine: Muſiklehrer Docetti. 

Auf der Harfe, Guitarre und Violine: Mufitmeifter Weippert. 

In der Reitfunft: die Stallmeifer famine und Wippermann. 

Sn der Fechtfunft: der Fechtmeifter Kaftrop. 

In der Zanzkunft: der Tanzmeifter Edeling. 

+ * * 

In der doppelten Buchhaltung für Defonomen und Kaufleute, in 
Berechnung von jeder Art von Wechfel- und Waarengefäften , und 
in dem damit verbundenen Briefmechiel in Deutfcher, Sranzöfiicher, 
Italieniſcher und Englifher Sprache, ertheilt Unterricht: Lector H offe 
meifter. 

Unterricht im Engliſchen Schönfchreiben , wie auch in der Rechen⸗ 
Funft nach der Faufmännifchen practifchen Kürze, in Einrichtung der 
Handlungsbücher aller Art,. nebſt Stellung der Conti correnti und 
Bacturen mit Englifher Großſchrift, in Fuͤhrung der Gorrefpondenz 
und -Wechfelgefchäfte, nah Büfch, endlich in der doppelten Buchhals 
zung nad der von Berghauß bearbeiteren Helwingfchen Anleitung, 
giebt Schreibmeifter Send. 


* * * 


Die zur Univerfität gehörigen Sammfungen von Naturafien und 
phnfifalifhen Apparaten, die im Großherzoglihen Schloßgarten ange: 
legten forft= und landwirthſchaftlichen Plantagen, die practifhen Me: 
dieinalanftalten, die beyden medicinifch » botanifchen Gärten, das ana— 
tomifche Theater und dad Entbindungsinititut, werden nicht nur bey 
den Borlefungen benugt, fondern koͤnnen auch, auf Anmelden bey den 
Vorſtehern derielben, von KReifenden außer den Vorleſungen gefehen 
werden. 

, Die Univerfitätöbibfiothef wird Mittwochs und Sonnabends Nach⸗ 

mittags von 2— 4Uhr, an den übrigen Wochentagen Vormittags von 
10 — 12 Uhr geöffnet. Ueber die bey dem Verleihen ftatt findenden 
. Bedingungen geben die gedrudten Bibliotheksgeſetze Auskunft. 

Ueber den fitlihen Zuftand der Studirenden wird dad Ephorat, 
in deffen Geſchaͤftskreis die Auffiche uber Die Sittlichfeit und: den Steig 


35 


der Academiker gehört, ſich mit ben Eltern und Vormündern in Eors 
refpondenz fegen. 

Ueber Wohnung und Koft giebt der Sommiffir, Univerfirtätäfpndis 
cud Hofgerichtsrath von Kleudgen Auskunft, und übernimmt Die 
dahin gehörigen Commiffionen. 


Todesfall. 


Am 13. März d. J. verlor unſere Univerſitaͤt Durch den Tod einet 
ihrer aͤlteſten Mitglieder, den Herrn Georg Adolph Succow, 
Großherzogl. Geh. Hofrath, Dr. der Medicin, Prof. der Phyſik und 
Chemie und Senior der ſtaatswirthſchaftlichen Section, im 63ften Jahre 
feines Alterd. 








Ein Brief Dr. Reinhards an den Pfarrer ©, Zimmer- 
mann in Großgerau. 


(Bormort. Als Freund der Wahrheit, felbft wenn fie ſchmerz⸗ 
lich ſeyn follte, und feft überzeuat, daß fie zuletzt jedesmal obfiegt, 
bin ich allen Antıkritifen und fiterarifchen Fehden abhold. Ich muß 
daher fogleich bitten, die gegenwärtige Bekanntmachung eined Briefed 
des ımfterblihen Dr. Reinhards ja nicht für eine Kriegderflärung gegen 
den Recenfenten meined homiletifhen Handbuchs (oder Dr. Reinhards 
Anfihten und Benugungen der Sonn = und Fefttagdevangelien) im 
erften Duartafhefte des von Hanftein und Wilmfen herausgegebenen 
fritifchen Journals zu halten. Auf Bitten des Verlegers entfchloß ic) 
mich za diefer Bekanntmachung blos darum, weil ed mir intereffant 
ſchien, mit jener NRecenfion auch dad Urtheil eined Reinhards zu vers 
gleihen, und weil diefer, wenige Wochen vor dem Tode dei großen 
Manned (am 5. Aug. 1812) gefchriebene Brief ein rührender Beweis 
von deffen feltener Befcheidenheit und von der Humanität ſeyn kann, 
mit welcher er felbft noch beym Vorgefühl eined nahen Todes fremde 
und mit ihm in gar Feiner Verbindung fiehende Männer behandelte. 
Ob nun Reinhard, der meiner Arbeit dad Zeugniß ded Fleißes, der 
Sorgfalt und der Ueberlegung ertheilt, oder ob jener Recenfent Recht 
hat, der übrigens meinen Hauptzwe nicht gefaßt, und die Vorrede, 
befonderd ©. VIII nicht gelefen zu haben fcheint, glaube ich mit getro⸗ 
ſter Zuverficht der Entſcheidung des literarifchen Publifums überlaffen 
zu dürfen. — Bimmermann.) 


Hochehrwürdiger Herr, 
Hochzuehrender Herr Paſtor. 


Das Handbuch, welches Ew. Hochehrw. zu bearbeiten angefangen 
haben, iſt ſchon vor einigen Wochen; der Brief hingegen: mit welchem 


36 


Sie ed beafeitet haben, erft vor einigen Tagen in meine Hände gekom 
men. Dieß zu meiner Entſchuldigung wegen meiner verfpäteten Antwort. 

Was dad Handbuch anlangt, fo ift der Fleiß, die Sorgfalt und 
Die Ueberlegung, mit melxber fie gearbeitet haben, nicht zu verfennen. 
Nun kann ich mich zwar von dem großen Nugen diefer Zufammenftels 
- Jung meiner Anfichten immer noch nicht recht überzeugen. Sie fann ed 
uaͤmlich zwar, wie ih ſchon in meinem früheren Schreiben bemerft 
habe, flar machen, daß fi die gemöhnfichen evangelifhen Perikopen 
aus fehr perſchiedenen Befichtenunften faffen faffen, und daß fih, wenn 
man auch oft über, fie fprechen muß, Doch immer etwas Nuͤtzliches über 
fie fagen läßt. Aber daran hat ja wohl Niemand im Ernite gezmweifelt; 
und daß ed den Erfindungdgeift der Prediger beleben follte, wenn ſie 
nun hier mit einem Blicke überfehen, mad ich aus jeder Perifope 
abgeleitet habe, läßt ſich kaum erwarten; eher möchte ed Manchen 
ängffih machen, und ihm die Mennung beybringen, ed merde fi) 
gar nichts Wichtiges aus einer fo behandelten Stelle weiter herauds 
bringen laſſen. Inzwiſchen kann ich es wohl dulden, daß man einer 
entgegengefegten Ueberzeugung fey; und fo wie Ihre Arbeit if, 
fannich.ihr meinen Bepfall nicht verfagen. Infonders 
heit billige ih ed, Daß Sieden Uebergang zum Haupts 
fag größtentheild wörtlich haben abdruden laffen, 
da dieß gerade die Hauptfadhe bey Ihrem Unternehmen feyn mußte. 
Die Unterabtheilungen Fonnten natürlich oft nicht enderd angezeigt 
merden, als mit einzelnen Worten. Es wird aber da freilich nicht au 
£euten fehlen , welche mit diefen Andeutungen nichts anzufanaen wiffen, 
weil fie in den Geiſt und Sinn ded Ganzen nicht eingedrungen find, 
Da Sie indeffen für denkende Prediger gefchrieben haben, ſo 
war diefe Kürze ganz an ihrem Orte. 

Laſſen doch Em, Hochehrw. Ihre Epiftelpredigten getroſt drucken. 
Es iſt kein geringes Vorurtheil fuͤr ihren Werth, daß Sie beym muͤnd⸗ 
lichen Vortrage Beyfall erhalten haben. Bekanntlich fehlt es auch noch 
immer an guten Epiſtelpredigten, man wird daher Ihre Arbeit gewiß 
mit Billigung aufnehmen. Möge Ihnen Gott zur Fortſetzung Ihrer 
Arbeiten Gefundheit und Heiterfeii des Geifted fchenfen, und Ihnen 
auch in Ihren äußerlichen Umftänden das Gluͤck mwiderfahren laffen, 
das hr redliches Streben nach dem Beſſeren verdient! 

Mit danfbarer Rührung erkenne ich die. Aeußerungen ded Wohle 
mollend, welches mir Em. auch in Ihrer neulichen Zufchrife zu 
erfennen gegeben haben. Bey ſolchen Umfländen ift es ihnen gewiß 
nicht gleichgultig, wenn ich die Nachricht noch beyfüge, dag ich ſchon 
mieder feit dem Monat Februar ein Kranker bin, der fein Zimmer 
hüten muß, und ganz außer Stand ift, die Pflichten feined Amts zu 
erfüllen. Auch find meine, Gefundheitdumftände wirklich fo mißlich/ 
daß fie leicht einen traurigen Ausgang nehmen koͤnnen. 

Mit wahrer Verehrung bin ih 10. , 
Reinhard. 


37 


Buchhaͤndler-Anzeigen. 


Gerſtenbergs vermiſchte Schriften, 
von ihm ſelbſt geſammelt und mit Verbeſſerungen und Zufägen heraus⸗ 
gegeben in 3 Bänden, 


kuͤndigen ſich als Ausgabe der letzten Hand, mit der Hoffnung einer 
guten Aufnahme hier vorläufig nur denen ihrer Leſer an, denen die 
Erneuerung einer alten Bekanntſchaft fhon allein darum willfommen 
feon möchte, weil fie alt if. Man ift bey einer ſolchen Ruͤckerinne— 
rung an die vergangenen Zeiten doc neugierig zu fehen, ob der alte 
Befannte noch eben derfelbe fen, der cr ehedem mar ob er mit dem 
Zeitalter fortgefchritten ſey? nebenher vielleicht auch, wie lange, nach 
dem ordentlichen Laufe der Deutfchen Litteratur, er ohngefähr wohl 
noch zu leben habe. Sollte aber zufälliger Weife das, vermutlich nur 
Eleine, Publicum diefer Auserwaͤhlten durch den Beptritt Anderer, 
denen etwa der Umftand in dieſer Anzeige auffiele, daß darin von einer 
Ausgabe der legten Hand die Rede ift, ohne daß ihnen von einer 
Ausgabe der erften Hand etwas zu Ohren oder zu Geſicht gefoms 
men: fich gleichfam von felbft erweitern: fo würde der Wunſch des 
Derfafferd doppelt, und verhäftnigmeife defto angenehmer, erfüllt‘ ſeyn. 


Bey einer Ausgabe der legten Hand pflegen allerley Schwierige 
feiten einzutreten, von denen folgende beyde Arten ſich wohl unftreitig 
am fchwerften uͤberwinden laſſen, denen aber gleihwohl, wenigftend in 
einem gewiffen möglichen Grade, erft nothwendig abgeholfen fepn muß, 
ehe ſich über den Erfolg mit einiger Wahrfcheinlichkeit urtheilen läßt. 
Die eine diefer Arten berrifft den Verfaffer, die zweyte fein Werk. 


Wenn ein Schriftftelter fich zur Nevifion feiner Geiſtesproducte in 
der Abficht entfchließe, um zum letztenmale die Hand daran zu legen, 
fo muß man natürlich vorausfegen, daß er in dem Alter ſey, wo feine 
reifere Beurtheilung zwar genug zu verbeſſern finden, er felbft aber 
zweifelhaft bleiben wird, ob er ſich noch den richtigen Tact zutrauen 
dürfe, dad Spätere mit dem Fruͤheren fo zu verfchmelzen, daß die 
Einheit und frifhe Farbe des Ganzen nicht Darunter leide? 

Und da er fich nicht verbergen fann, daß der Deutfche Gefchmad 
feit der Herausgabe feiner früheren, und felbft fpäteren Werke, ſich 
ganz andere Bahnen, ald die von ihm damals ‚betretenen waren, zu 
eröffnen gewußt har: nach welchem Maaßſtabe wird er fi, bey der 
Auswahl feiner Materialien und den Zufügen zu denfelben zu richten 
haben, um fich dem Zeitgenius an der einen Seite mit forgfältiger 
Unterfcheideing ded Beflern, an der andern Seite aber mit dem Vor—⸗ 
behalte, ut sibi constet, anfchließen zu koͤnnen? 


Es würde vergebend fepn, wenn ich , der Verfaffer, meinen Lefer 
hier zu erklären fuchte, wie ich ſowohl der einen als der andern dieſer 


38 


beyden-Schwierigfeiten-ausgervichen zu fepn glaube. Die einzige Probe, 
ob es mir damit gelungen ſey — und ſchon gleich der erfte Band, mo 
die beyden leßten Akte der Minona und der Schluß des Ugolino in 
einer durchaus veränderten Geftalt erfcheinen, muß darüber den Aufs 
ſchluß gebin — mird entweder die befriedigte oder Die unbefriedigte 
Kritif ded Lefers ſelbſt ſeyn. Wie aber Fünnte ich ihm darin durch das 
bioße Wort einer Ankündigung vorgreifen? 


Was ich etma noch fonft über diefe neue Ausgabe zu fagen hätte, 
mird Herr Hammerih, der Verleger, zweckmäßiger als ich hinzus 
fegen. 

Altona den 24. December 1312. | 

H. W. von Gerftenberg. 


Se feltener einem Derleger dad Vergnügen zu Theil wird, ein 
Buch. anzufindigen, dem fchon im Voraus durch den Namen feines 
Verfaſſers der Stempel ded Vollendeten und Klaffifhen aufgedrüdt 
it, und deffen. Erfcheinung feit einer langen Reihe von Jahren der 
Wunfc des ganzen gebildeten Publicumd war, um fo angenehmer war 
mir der Auftrag ded ehrwuͤrdigen Verfafferd, und feine Erlaubnif, 
dem Dbigen meinen Namen ald Verleger beyzufügen. 


Sm voraus eines glüdtichen Erfolgs und einer freudigen Aufnahme 
nicht nur von meinen Landöleuten, fondern von der ganzen Deutfchen 
Nation verfihert, würde ich diefe Unternehmung, felbit in unfern uns 
günftigen Zeiten, getroft wagen, auch ohne durch eine Subfeription 
geficherr zu fern, und ed mir zur Ehre fhägen, dadurch mitgemirft 
zu Haben, daß dem Verdienſte des DVerfafferd ein bleibended Andenken 
geftifter merder Ich wuͤnſche aber dadurch Veranlaſſung zu geben, 
einem Manne, den jeder, der die fchöne Litteratur Deutfchlands Fennt, 
mit Achtung nennt, der hohed Dichtergenie mit dem Talent des tiefen 
philofophifhen Forſchers auf eine feltene Weife in fich vereint, und 
jegt nahe am Greifenafter mit Jugendkraft nochmals die Feder ergreift, 
um früheren Arbeiten die Vollendung zu geben, und die Früchte viel: 
jähriger Studien zu fammeln und zu ordnen, dafür Danf und Der: 
ehrung zu bezeugen. Darum fordere ich alle Verehrer ded Schönen 
und Trefflichen auf, die Subſcription zu befoͤrdern. 


Der erſte Band wird enthalten: Ugolino, mit durckaus veräns 
derter Gataftrophe. — Minona, die zwey legten Akte neu, — ein 
Fragment aus der frühern Ausgabe der Minona, und Anmerkungen 
sur Geſchichte derfelben. 


39 


Der swente: Gedicht eines Stalden — Tändeleyen 
vermehrt, — Poetifhed Wäldchen, beftebend aus einzelnen Ger 
„Dichten und Liedern. 

Der dritte: Proſaiſche Auffäge, vermifchten Inhalts, 


So viel erlaubte mir der Herr Verfaſſer über den Inhalt zu fagen. 
Er glaubt, daß jeder Band an 24 Bogen flarf werden wird. Wegen 
Format und Schrift habe ich mir die neuefte Ausgabe von Thümmels 
Werfen, bey Böfchen, zum Mufler gewaͤhlt. Ä 


Eine Ausgabe auf fhönem Schreibpapier wird den Subferibenten 
4 Thaler in Golde oder 10 Marf 8 Schilling Courant, eine andere 
auf weißem Drudpapier 3 Rıhir. in Gold oder 8 Marf Cour. koſten; 
der nachherige Ladenpreis aber 25 pr. Cent höher fepn. Auf Velins 
papier werden nur fo viele gedrudt, als vorher beſtellt werden, und 
der Subferiptiondpreis ift 2 wichtige Holländifhe Ducaten. 


Alle Freunde Gerftenbergd, fo mie alle meine Freunde, und alle 
folide Buchhandlungen, merden erfuht, Subferibenten zu fammeln, 
und mir die Namen derfelben, die dem erften Bande vorgedrudt wer: 
den, deutlich gefchrieben, in der Zeipziger Dftermeffe, oder bis Ende 
Juny 1813 einzufenden. | 


Auf 8 Erempfare wird eins frey gegeben. 


Da die Handfchrift zum Abdruck bereit liegt, fo darf ich verfpres 
chen, daß alle 3 Bände, die nicht getrennt werden, Neujahr 1814 
abgeliefert werden Fönnen, doch koͤnnen die Subferibenten in meiner 
Nähe auch die Bände einzeln erhalten, wenn fie ed mwünfchen, nur 
machen fie fich gleich auf dad Ganze verbindlich. 


Mohr und Zimmer in Heidelberg nehmen Subfeription an. 


Altona den 3%, December 1812. 
J. 8 Hammerid. 


Die Verlagshandlung der Institutiones medicae von 
Eurt Sprengel hat bey der bedrängten Lage ded Deutfihen Buch: 
bandeld und bey den Schwierigfeiten der litterarifchen Conrmunication 
mit allen den Ländern, die jegt dem Sranzöfifhen Reiche einverleibt 
find, Bedenfen getragen, ſolche fo rafch fortfegen zu laſſen, als urs 
fprünglih im Blane lag. — Indeffen ift jegt der 3te Band unter der 
Preſſe, und wird diefer zu Ditern, fo wie der gte Band zu Michaelis 
erfcheinen. Beyde umfaffen die Inflitutionen der Parholngie vollſtaͤn⸗ 
Dig und nach den neueften Anfichten: 


40 


\ 


Um die Anfhafung diefed Werks zu erleichtern, erbietet fich die 
Verlagshanblung, bepde Bände, die im Ladenpreid 5 Thir. koſten 
werden, gegen 3 Thlr. Saͤchſ. abzulaffen, wenn ſolche bid zur oder in 
der Jubilate: Miffe vor oder beym Empfange des zten Banded (des 
erften der Barhologie, da jede Abtheilung einen doppelten Titel erhaͤlt) 
baar bezahlt werden. — Nach der Jubilate-Meſſe tritt der Laden» 
preid ein. 


Alle Buchhandlungen — in Heidelberg bie afad. Buchhandlung 
Mohr und Zimmer — merden Aufträge hierzu annehmen, da fie 
für ihre Bemuhung die bey Pränumerationd s Gefchäften gemöhnfiche 
Brovifion erhalten. Sollte man zu gleicher Zeit den ıftlen und. 2ten 
Theil (Institutiones Physiologiae ) mit verlangen, fo erhält man 
Diefe ebenfalld bis zur Jubilare: Meffe für 3 Thlr. Sähf. Der ıte 
und zte Theil machen übrigend eben fo, mie der 3te und gte Theil, 
ein befondere& Werf aus. 


£eipjig den ı. Gebr. 1813, 
Kunſt und Induſtrie-Comptoir von Amfterdam, 





So eben ift erfchienen und dur alle folide Buchhandlungen zu 
befommen : 


. Ars Cossae promota. Auctore M. Guilelmo Lud. Christmann, 
Pastore Thailfingae prope Tubingam , oct. maj. Reutlin- 
gae in officina libraria Mäckeniana. 1813, 


Der Derfaffer hat hier über die Unmöglichfeit einer allgemeinen 
furfoliden Wurzelform eine bemunderndmürdige Theorie gleihfam aus 
Nichts erſchaffen, und fie vollendet. Seine Schrift gehört der Ge 
ſchichte, der Wiffenfchaft an, und man erfennt Eulerd Geiſt in ihr. — 
Die berühmte Theorie der Gleichungen, über welcher die Analpften 
ded vorigen Jahrhundertö gleichfam ermüder find, ſcheint an ihrem 
Gränzftein zu feyn, und man fernt über das Ziel, dad und in Diefem 
heile ded menfchlichen Forſchens geftedt ift, fi beruhigen, wenn man 
die Widerfprüce und Unmöglichfeiten entdeden lernt. Der Verfaffer 
ſteckt uber jened algebraifde Phantom ein unerwartetes Licht in feiner 
Schrift auf, in welcher er glänzende Talente erprobt hat. 


Man finder dieſe Schrift auch bey den Herren Mohr und Zime 
mer in Heidelberg. 








Sntelligenzblatt 1813, 
| ZV®, 


— — TI WED I WE —— —— — — WI LT II UT TUN TE 


I 


Chronik der Univerfität Heidelberg. 


NM, 19, April übergab Herr Oberhofgerichtsratb Sam bsiäger dns 
" gBroreftorat an Herrn Brofeffor Fries. Das Programm, Modurch 
diefer Broreftoratswechfel angezeigt worden , hat Heren Brofefior Voß 
zum Derfafler und enthält Notas in Theocritum , 54 ©. 4. 


Herr Prof. Schreiber verließ am Ende des verfloffenen Winter⸗ 
Semeſters feine bisherige Lehrſtelle an biefiger Univerſität und trat zu 
Carlsruhe das ihm übertragene Amt eines Großherzoglich Badiſchen 
Hiſtoriographen am. 

i 





Julius-Univerſitaͤt zu Wuͤrzburg. 
Winter Semeſter 1812 — 1813. 


Zum Vrorektor für das nächſte Jahr wurde vor Anfang dieſes 
Winter⸗Semeſters Profeſſor Dr. Kleinſchrod abermals erwählt. 


Das Dekanat der theologiſchen Fakultät behielt nach den bes 
ſtehenden Geſetzen der neueſten Univerfitäts- Organifation der Senior , 
Regens und Brofeffor Dr. Lömwenbeim Zum Defan der juri- 

diſchen Fakultät wurde Profeffor Dr. Mebger, und zum Defan 
der medizinifchen Fakultät wurde Profefior Dr. Elias v. Sie» 
bold gewählt, Das Dekanat der pbilofophifchen Fafultät ver» 
blieb in den Händen des Profeſſors Dr. Andres. 


Am 4 December vor. 8. if von Seiten einer Großherzoglichen 
Zandesdireftion folgende Verordnung ; den Befuch fremder Univerfitde 
ten , Gymnaſien und anderer Studienanflalten betreffend ‚, durch dag 
großberzogliche Regierungsblatt (Ar. 29. v. 3.) erlaffen warden: 

Dem Bernebmen nach befuchen mehrere Söhne großhberzoglicher 
Unterthanen auswärtige Univerfitäten, Gymnaſien und andere Studien» 
anſtalten, obne hierzu die allerhöchſte Iandesherrlihe Erlaubniß nach» 
gefucht und erhalten zu haben; insbefondere fol dieſes der Fall auf 


(5) 


3) 


42 


Seiten folcher Individuen feyn , welche durch die im Sabre 1810 abs 
gefchloffenen Stanatsverträge neue Unterthanen des Großberzogtkums 
geworden find. 


Da nun der Befuch fremder Univerfitäten und Studienanflalten 
den ſchon früher beflandenen landesberrlichen Verordnungen entgegen, 
und divfen lebten im Allgemeinen eine gefebliche Anwendbarkeit” auf 
die neu angefallenen Gebietstheile verichafft worden if; fo wird mit 
allerböchfter Genehmigung Seiner Kaiferlid Königlichen Hoheit bier 
mit verordnet: 


1) Zeder Inlander, welcher fich den Wiflenfchaften widmet, iſt ver 
bunden ‚ die zu feiner literarifchen Ausbildung erforderlichen Stu⸗ 
dien au der vorgefchriebenen Art auf einem vaterländiihen Gym⸗ 
naflum und der großberzoglichen Univerfität zu Wurzburg geich- 
mäßig zu vollenden. Nur erit nach ordnungsmäßig zurückgelegten 

müerſttätsſtudien — und auf eine bierzu erhaltene befondere aller» 
böchite Bewilligung findet-der Beſuch einer auswärtigen Studien 

: anttalt Statt. | 

2) Sollten ganz befondere Gründe eintreten, welche für einzelne In⸗ 
dividuen den frühen Beſuch einer fremden Unwerfität erwünſch⸗ 
Jic) z und. fomir seine Difpenfation von der beitebenden allerhöchſten 
Unordnung nothwendig machen, fo bleibt ed. demielben unbenom⸗ 
men, die für fie fprechenden Gründe bey der großbergoglichen Kane 
desdirektion vorzutragen, um weitere Entfchließung zu gemärtigen. 

3) Bene Studierende, welche auf fremden Gymnafien, Univerfiräten 
oder. fonfigen Studienanitalten fich aufbalten , und eine befondere 
allerhöchſte Bewilligung bierzu nicht erhalten baben,. fünnen we 
der eine Befreyung von dem aftiven Militärdienſte — wenn fie 
bierzu durch ‚die Verlofung ‚einberufen werden , anſprechen, noch 
baben fie iemals fich einige. Hoffnung zu einer Verſorgung im In⸗ 
Iande zu machen, da auf die vorzulegenden Zeugniſſe auswärtiger 
Univerfitäten in vorkommenden Fallen feine Berückſichtigung ger 
nommen werden wird, wenn nicht zugleich die fpectell erhaltene 
allerhoͤchſte Erlaubniß hierzu nachgemwiefen werden wird. 

4) Wegen eintretenden befondern Rückſichten foll jedoch zufolge aus 
drücklicher allerhöchſter Entichließung diefe Verordnung auf jene, 
welche dermal fchon wirklich auf einer ausländifchen Lebranfialt 
ſich befinden, für den gegenwärtigen Winter: Semeiter Feine An 
wendung baben. | 


Schlüßlich 
6) wird ſämmtlichen Polizeybehörden aufgetragen, die betreffenden 
Aeltern und Vormünder von dieſer Verordnung in Kenntniß zu 
ſetzen, hiernächſt aber bey Aufnahme der Volksbeſchreibungen die 
Namen der entgegen handelnden Individuen beſonders vorzumer⸗ 
ten, fo mie auch bey Vornahme der Militärkonſeription den be» 


43 


treffenden Stellen die genauefle Vollziehung der in gegenmärtiger 
Verordnung enthaltenen Beſtimmungen auferlegt wird. - 


Auch in dieſem Jahre gerubeten Se. K. K. Hoheit der Erzber: 
309 Großherzog allergnädigit , aus Allerhöchſtihrer Privatbibliorbet die 
großberzogliche Unive ſitäts Bibliothet in zwey verfchiedenen Sendun⸗ 
gen mit einer großen Anzabl böchiinüßlicher Werke, befonders naturs 
hiſtoriſchen und geographiſch  biloriichen Inhaltes Au beichenfen, wor⸗ 
unter fich mehrere Prachtwerke z. B. des Grafen von Hoffmanns 
egg, und des Prof. Link „Zlore portugaise“ u. a. m. befinden. 


Se 8. K. Hoheit der Erzherzog Großherzog baben durch ein 
am 23. Februar erlafienes Nefeript dem bieligen botanifchen Zuſtitute 
eine andere und zweckmäßigere Verfaſſung zu geben gerubet. Dafielbe 
iſt num nicht mehr, wie bisher, dem Adminiſtrations ⸗· Rathe des Julius⸗ 
Hoſpitals, ſondern als Attribut der Univerſität, der Univerſitäts-Cu⸗ 
ratel untergeordnet. Zum Direktor deſſelben iſt der Profeſſor der Bo⸗ 
tanik, Dr. Heller, ernannt, und es wurde nebſt dem Gärtner zur 
Betreibung der Gefchäfte noch ein eigener Gehülfe, deſſen Aufnahme 
nach Vortrag des Direktors von der Univerfitätg» Curatel beſtimmt 
wird, aufgeſtellt. | 


Bon der afademifh-mufifalifhen Bildungsanflalt wur⸗ 
den in diefem Winter « Semerler unter der Direktion ihres Vorſtandes/ 
„des Brofeflors Fröhl ich zwey öffentliche Liebhaber⸗Concerte in dem 
dazu im vormaligen Domkapitelhaufe angewieienen und eingerichteten 
Saale aufgeführt. 


Zu ordentlichen Profefloren der erfien Klaſſe wurden mit dem 
damit verbundenen Gehalte die Profefloren Dr. Blümm, Dr. Ru» 
land und Dr. Schön allergnädigft befördert. Aufierdem wurden 
mit Beybehaltung ihrer Profeflur Brof. Dr. Geier zum Landesdirek⸗ 
tionsrathe bey der Rentkammer, Prof. Dr. Keinider zum Conſiſto⸗ 
rtalratbe, und Prof. Dr. Schmidtlein zum wirklichen Hofgerichts⸗ 
rathe allergnädigſt ernannt. 


Profeſſor Dr. Schön erhielt von Sr. königlichen Hoheit dem 
Großherzoge von Frankfurt und Furſt Primas, höchſtwelchem er feine 
neueften Schriften überfendet batte, eine huldvolle Antwort nebit der 
demfelben beygefügten goldenen Verdienſtmedaille. 

Profeſſor Dr. Spindler hielt in dieſem Winter⸗Semeſter mit 
beſonders dazu erhaltener allergnädigſter Erlaubniß Privatvorleſungen 
‚über den thieriſchen Magnetismus. 

Die medizinifche Doktorwürde erhielten nach vorausgegan⸗ 
gener Prüfung Pr. Karl Thurn aus Darmfladt.. Großherzoglich 
Heſſiſcher Staabschirurg / und der Studierende Hr. Richard Gerhar⸗ 
di ans Halver im Großhergogtbume Berg. 


44 


| Akademiker zählte man in biefem Winter» Semefker 282, 
und unter diefen 190 Inländer und 92 Ausländer. Bon Diefen 282 
Afademikern fludierten 27 Theologie, 59 Nechtsgelehrtheit, 60 Medizin, 
46 Chirurgie, 10. Pharmazie , und SO Bhilofophie. 


Don afademifchen Schriften erfchien aus der Univerſitatz⸗ 
Buchdruckerey als Differtation: Wilhelmi Wohn lich (Carls: 
ruhani) disseriatio anatomica de Aelice pomatia et aliquibus 
aliis huic affinibus animalibus e classe moluscorum gastero: 
podon. Cum tabula aenea. 1813. 46 Seiten in 4. 


Das Verzeichniß der Borlefungen auf der Zulius «Uni 
verfität für das Sommer » Semefler 1813 iſt bereits erfchienen. Da 
Anfang der Vorlefungen wurde darin auf den 26. April feſtgeſetzt 





Ehrenbezeugung. 


Se. Maj. der Kaiſer v. Oeſterreich, nach dem Beyſpiel Allerhoͤchſtder⸗ 
Ahnen ruhmwürdigen Andenkens, immer gewohnt, ausgezeichneten Ge⸗ 
lehrten Beweiſe von Huld und Gnade zu geben, haben dem Ritter 
Silveſtre de Sacy, als dem eriten Drientaliften Sranfreichs, eine 
mit Allerhöchſtdero Namenszug brillantirten Ning zugufenden gerukt, 
‚welcher demfelben durch den Borhfchaftsrath , Ritter v. Floret, im Nas 
men St. Majeſtät übergeben worden it. (Wiener Zeitung vom 2, 
April.) 





Etwas zur Vertheidigung meines Verſuchs: 11 eber das 
Princip des Strafrechts, gegen die Recen— 
fion im Zuly » Heftv. J. S. 683 ff. 


Ich felbit fühle, dag meinem Verſuche die Bolitändigfeit der 
Gedanfenfolge und die Klarheit der Entwicklung abgeht, welche eine 
vollendete Darflellung bezeichnet. Doc hoffe ich, wird der Vortrag 
mindefens fo vollſtändig und klar feyn, daß folgende Anſichten, melde 
die eigentliche Tendenz meiner Schrift andeuten , ihr Dafeyn entichul 
digen. 


4) Die Haupt-Frage, weldhe man, um eine Wiff enfchaft (chen 
nad) dem Wortverfiande ein auf Einheit gebrachtes Wiffen) zu be 
gründen, aufwirft , fann nicht den Sweck der Wiltenfchaft, fon, 
dern muß ihren Urſprung betreffen (Brincip). Der bödhik 
Zweck einer Wiffenfchaft ift zwar im der urfprünglichen Bedeutung 
derfelben enthalten. Aber dennoch iſt es unrichtig und führt ju 
irrigen Vorſtellungen, wenn man (klar oder dunfel) von dem Bes 
duͤrfniß eines feſten Princips geleitet, die Unterfuchung unmittelbar 


45 


auf den Zweck der Wiffenfchaft (mithin nicht auf das Beflimmende, 
fondern auf das Beſtimmte) richtet. Man glaubt dann leicht den 
Z3 weck ergriffen zu haben, wo man doch der Erfabrung nur dem 
nächnen Erfolg abgemerkt bat. Dadurch muß nothwendig die 
Wiſſenſchaft fchon im ihrer Anlage geſtört und in ihrer urfprüngli« 
chen Bedeutung herabgewürdigt werden. | 

2) Um die urfprüngliche Bedeutung einer Wiffenfchaft zu erforfchen, 
muß man an der Hand der Erfahrung bis zu den allgemeiniien Ges 
feßen des Seyns und Lebens hinauf» und von diefen wieder bis zu 
dem eigentbümlichen Charakter der in Frage genommenen Wiffen- 
ſchaft herunterſteigen. Nur durch die Zurückfuhrung des gefammten 
Mannichfaltigen auf Einheit kann die wefentliche Bedeutung des 
Einzelnen ausgemittelt werden, 

3) Die Ausmittelung eines Princips für die Strafrechtswiſſenſchaft 
ift, nach dem mas die leßtverfloffenen Jahrzehende, tbeils fur die 
praftifche Seite derfelben , tbeils für die logifche Verbindung ihrer 
einzelnen Theile geleitet haben, dringendes Bedürfniß der Ges 
genwart. 

4) Hieraus it klar, daß man, um die Natur des Rechts zu be 
ſtimmen, nicht fragen darf, wozu nüßt das Recht? (eine Frage, 
die eben fo unflatthaft wäre, als bey einer Unterfuchung über die 
menfchliche Natur, die Frage, wozu nüßt der Menſch?) fondern 
man bat das, was die Sprache: Recht nennt (nachdem man deflen 
Realität nachgemwielen) , fo aufzufaflen, mie es fich in ung darfiellt 
und den Strebyunft aus dem innerſten Weſen deffelben (dem In⸗ 
terefie für innere Gleichheit) zu firiren. Gleichmäßig ift das Wer 
fen des Staats zu erörtern, deſſen Dafeyn zunächſt durch das 
Bedürfniß, dem Nechte äußere Gültigkeit zu verfchaffen , bervorges 
rufen wird. Das Strafrecht iſt nur ein abgeleiteter Begriff, 
bey deſſen Bellimmung es daber blos nöthig iſt, die befondere Ber 
ziehung auszumitteln, welche ihm neben den generifchen Merkma—⸗ 

len des Rechts zufommt. Diele befondere Beziebung liegt in der 
Aufhebung derienigen Ungleichbeiten des Rechtszuſtands, welche, 
durch gewaltfame Störung des Beſitzſtandes (das 
einzig ausreichende Unterfcheidungsmerfmal zwifchen dem bürgerli« 
chen und peinlichen Nechte) , verurfacht worden, Gewalt im weis 
tem Sinn des Worts genommen. 

5) Demnach fann ſich die Wirffamkeit des Etrafrechts nur nach 
dem Brincip der Wiedervergeltung richten. Nach dem 
richtig. verfiandenen nämlich, wo man nicht etwa blos auf die 
Dualität der Verlebung Rüdficht nimmt, fondern diefe zurück⸗ 
führt anf die Quantität, worauf bey Ansgleichung einer Stö⸗ 
rung des Rechtszuſtandes Alles anfommt. 

6) Stellt man diefer Deduftion ohne fich auf das unabmweisbare: 
warum? einzulafien, den Eat gegenüber: Strafe kann als 


46 


Zwang, doch nur der Sicherheit wegen angewendet werden, I 
frage ich zuerſt, nie tommt diefe Erhaltung der Sicherheit (ein 
offenbar politifcher Zweck) mit dem Rechte in eine fo weſentliche 
Verbindung? Unſicherheit if freplich die Folge jeder widerrechtl 
chen Störung. Folgt denn aber darans, daß es Sache des Recht 
ſey, die geſtörte Sicherheit wiederderzuitellen? — Dann kann id 
fogar behaupten, daß der Anwendbarkeit der Abſchreckungstheoricen 
durch die Erfabrung widerfprochen ward, daß vielmehr diefe gan 
einig fen, mit dem, mas die Bernunft mit Nothwendigkeit gebi⸗ 
tet. Man nehme an, die Strafen feyen beitimmt, zumächt ar 
die Sinnlichkeit der Menichen zu wirken und die Vollziehung (nicht 
die ſtilſchweigende Genehmigung) der Verbrechen, durch Abfhre 
Kung zu bindern, würden dann nicht die fürchterlichiten Straf 
bie beiten jenn? Gleichwohl hat die Erfahrung gelehrt , daß man 
durch Strafen, die das Maaß der Gerechtigkeir überfchreiten, Katt 
die Sicherheit zu befeſtigen, gerade umgekehrt die Unſicherheit er 
nährt bar, indem man die an fich freye, gegen jede umgerechte 
Gewalt anſtrebende Menfchennatur dadurch recht eigentlich u Ber 
brechen reißt. Sollte uns dieie Wahrnehmung nicht überzeugen, 
daß es vergeblich fey, ſinnliche Triebe durch finnliche Hebel de 
fämpfen zu wollen, daß man vielmehr unmittelbar auf das Br 
mürb der Bürger mwirfen müffe, indem man es (durch die Stra 
ge der Wiedervergeltuug ) mit der Idee der Gerechtigkeit ju afül 
len fucht? — 


Diefe Anfichten find es, die vielleicht der Titerarifchen Eriten, 
meines Verſuchs gegen den Tadel des Hrn. Necenfenten das Wert tv 
den. und die ich (durch mancherley Zufälle und widrige Verbängnilt 
von einer frubern Erklärung abgebalten) bier andeuten zu fünnen ge 
glaubt babe, ohne den Meinungen der Yudividualität ungebübrlid 
nachzjugeben. Doch verlangen auch diefe ihr Recht in einer doppelt 
Bemerkung. | 


Die eine betrifft die Form des Vortrags, der doch im der Thet 
dadurch , dafi er als narurphilofophifch bezeichnet wird, noch nicht ver 
urtheilt ſeyn kann. Ich fullte meinen, in Dinficht auf Gegenhfände / 
bey denen der Verſtand nicht ausreicht, ſey es eine Bedingung di 
Bortrags, dad Gemüth durch eine lebendigere Darſtellung, , die allge 
meine Geſetze nicht blos abgeriffen hinſtellt, fondern im ihrer Verbin 
dung mit dem Ganzen zu ergreifen fucht, in Bewegung zu ſetzen u 
für den Gegenſtand zu erwärmen. Iſt es demnach wohl ein Tadel, 
wenn man neben dem Zugelländniffe natürlicher Redſeligkeit, 
die faſt zur Beredfamfeit geworden wäre, noch zu tt 
tennen giebt, diefe oder jene Stelle babe etwas trockner ausgedtüct 
‚werden fünnen ? 

Die andere Bemerkung bezieht ſich auf eine Aeußerung dei In. 
Recenfenten, über den Wertbe meines Buches, von einem höbern 


47 


Standpunft aus gewürdigt. Es foll, durch Einkleidung Tänaft bekann⸗ 
ter oder balbwahrer Säße in unpaflende Formen (wenn ich anders dig 
Bilderfprache des Hrn. Necenfenten richtig überſetze), ein leibhaftiges 
Bild unferer Seiten geworden ſeyn. Ich kenne die Anfichten nicht, 
welche der Hr. Necenfent von unferer Zeit genommen bat, Wären. fie 
Die meinigen, fo möchte Er das gefuchte Abbild unferes egorflifchen 
Seitalters viel eher in der Nüblichfeit-Theorieen finden, bey denen man 
felbiifüchtig nur das Nächſte in Anfchlag bringt; wären fie aber ver⸗ 
fchieden , fo wäre ein Streit über diefe Verfchiedenheit bier eben fo 
febr am unrechten Orte, als die lediglich auf individuelle Anficht ger 
gründete Bemerkung des Hrn. Necenfenten in einer Abhandlung ih 
einen wiffenfchaftlichen Gegenſtand. 

Leipzig, den 1. Hornung 1813, 

Dr. Guflav Hänfel. 


Da. — Antikritik durchaus nichts zur Widerlegung der 
vom RNezenſ. vorgebrachten Bemerkungen ſachdienliches enthält, fo ber 
gnügt er ſich, zu bezeugen, daß er ſie geleſen habe. Uebrigens wünſcht 
er dem Hrn. Verfaſſer recht herzlich, daß er bald von der Meynnng 
zurückkommen mörge „in Sachen der Lurisprudenz reiche der Ver— 
ftand nicht aus, fondern ſey vorzüglich das Gemüdth in Anfpruch 
zu nehmen. “ 

Der Rezenfent. 





Ankündigung. 


Iahrbücher der teutschen Medicin und Chirurä 
gie. Mit Zugabe des Neuesten und Besten aus 
der ausländischen medicinischen Literatur, 
herausgegeben von Dr. Chr. Fr. Harles., 


An die Stelle des bisher von Herrn Hofrath Harles (Ffeit 
4802, und anfänglich in Verbindung mit den Hrn. Etaatsratb Hur 
feland, Hofratb Schreger, und Hofratb Ritter) in 10 Bänden 
berausgegebenen Sournals der ausländifchen medicinifch » chirurgifchen 
Literatur, tritt mit dem Anfang des Hahres 1813 diefe meue Zeit 
fehrift, nach. einem viel umfaffenderen Blan, und ihrem größeren Theil 
nach der Aufnahme vorzüglich gebaltvoller Driginalabbandlungen deu te 
fcher erste und Wundärzte von entfchtedenem Verdienſt, ihrem Flew 
nern Theil nach der fortgefebten Mittberilung des Neueſten und. Wife 
fenswürdigiien aus der ausländifchen Medicin und Ebirurgie (More 
unter fünftig auch die Danifh- Schwedische begriffen feyn wird) 
gemidmet. 

Eine ausführlichere Anzeige des Planes und der Tendenz dieſer 
Zahrbücher, zu welchen ſich mehrere der trefflichſten Aerzte und Wund⸗ 


48 


ärzte Teutfchlands als Mitarbeiter mit dem Herausgeber vereinigt ha⸗ 
ben , ift in jeder guten Buchhandlung unentgeldlich zu haben. 

Diefe Habrbücher erfcheinen in zmey ungertrennlichen Ab» 
tbeilungen , die zufammen jährlich fechs Hefte ausmachen werden, 
und deren erfie und größere Abtheilung in jährlichen vier Heften, 
jedes zu 10 Bogen, die deutfchen Driginalabbandlungen, 
Die zweyte in jährlichen zwen Heften die ausländifchen Abhand— 
lungen und Nachrichten enthalten wird. Die Hefte der letzten Abtheis 
Iung erhalten auch , zum Behuf derienigen Käufer, welche das ältere 
Sournal (oder, feit 1810, die Annalen der ausländifchen medicinifch. 
chirurgiſchen Literatur) beſitzen, noch einen zweyten Zitel, als: Neue 
Annalen der ausländifchen Mediein und Chirurgie. 

Der erſte Jahrgang in 6 Heften , jedes zu 10 Bogen , Foflet 
4 Thlr. 20 gr., oder 7 fl. 36 fr., und man kann in allen foliden 
- Buchhandlungen, fo wie auch bey allen löbl. Poſtämtern und Zeitungs: 
erveditionen, die fich fonach mit Hhren Beilellungen an das hiefige Kö⸗ 
nigl. Oberpoflamt zu menden haben , darauf abonniren. 


ob. Leonh. Schrag. 


J Anzeige. 
Nachrichten aus C. G. Salzmanns Leben betreffend. 


unſtreitig iſt es der Wunſch ſehr vieler, die den würdigen Sılp 
mann verfönlich oder durch feine Schriften fannten , einige Nachtich⸗ 
ten über fein Xeben zu befißen. Er felbfi hatte fich vorgenommen, 
diefen Wunfch zu erfüllen, hatte aber, als er zu einem höhern Wirken 
abgerufen wurde, nur erſt wenige Bogen davon niedergefchrichen. 
Diefe findet man in dem 

Boten aus Thüringen, Vahrgang 1812, 
mwörtlich abgedruckt und das Fehlende von einem Manne hinzugefügt, 
Der feit vielen Jahren in der engſten Verbindung mit dem Verewigten 
Hand. Außer diefer Lebensbefchreibung, weldye 15 Bogen füllt , ent⸗ 
hält diefer Jahrgang aud) noch 
| die Geſchichte des Landrichters Pappel, 

welche der felige Salzmann im Manuferipte liegen hatte, und noch 
fur; vor feinem Ende für den Boten aus Thnringen , als ein Andenfen 
für die Leſer diefes Blattes, beſtimmte. Es wird darinne gezeigt: der 
große Werth eines feiten Vertrauens auf Bott, und des Belirebens 
feinen Willen zu erforfchen und ibm gemäß zu leben. 

Wer diefen Jahrgang des Boten aus Thüringen, de 
bereits ganz fertig iſt, zu befiken mwünfcht, erbält ihn durch jede Buche 
handlung, in Heidelberg bey Mohr u. Zimmer, für 20 Gr. (1 fl. do fr.) 

Buchhandlung der Erziebungsanfalt 
zu Schnepfenthal. 








Intelligenzblatt 1813, 





— 





— 


v 
Chronik der Univerſitaͤt Heidelberg. 
Entbindungsanftalt zu Heidelberg. 


Veberfiht der Borfälte vom Jahre 1812. 


om erften Jenner bis Ende Dezember 1812 zählten wir 178 Geburtds 
fälle, worunter 3 Zwillingegeburten vorfamen, mithin 181 Rinder ımd 
zwar 99 Knaben und 82 Mädchen. 

Bon diefen 178 Geburtefällen wurden ı2 durch Mithülfe der Kunſt 
beendigt, nämlich: 8 vermittelt der Kopfjange und 4 durch die Wen⸗ 
dung. | 

10 Finder famen todt zur Welt, von melden 7 vor der Geburt 

todt waren, mehr oder weniger auffallende Merfmahle von Faͤulniß 
geigten, und zum Theil unreif waren. Bon den übrigen drey war Eins 
fiebenmonatlich. 
2 Woͤchnerinnen ftarben , eine in der 3ten Woche an der Bruftwaf: 
ferfucht, mir welcher fibon behafter fie in dat Inſtitut aufgenommen 
wurde; die Andere den neunten Tag nach der Niederfunft am Kinds 
betifieber, welches vom Juny 1811 bis April 1812 in der Anflalt ges 
Herrfcht hat *). 


*) Eine audführlibe Schilderung diefed Falles, fo wie überhaupt 
des Kindbertfiebere, welches in der Anftalt geherrfcht, wovon 
ſich aber feir dem Aprıl Feine Spur mehr gezeigt hat, enthält 
die Ueberſicht der Vorfälle vom Jahre 1811 (m. f. dad ı1ote 
Heft der Heidelberger Jahrbücher der Litterarur 

v. Jahr 1812. ) worauf fich feferent ſonach, was die erwähnte 
Krankheit betrifft, bezieht. 


(6) 


50 


Art, Derlauf und Ausgang der Geburtsfaͤlle. 


J. 175 Kinder ſtellten ſich mit dem Kopfe voraus zur Geburt, 
und zwar 

A. in der gewoͤhnlichen fage . 2 2 2 2 2.2. . 173 
Don Diefen wurden 

ı) durch die Naturfräfte vollendet © 2 2 2 0 2 00. 165 

Ausgang: Tür fümmtlihe Mütter gluͤcklich. — 159 Kinder 
kamen lebendig zur Welt und 6 todt. Von dieſen war Eins ſieben⸗ 
monathlich; die übrigen 5 waren vor der Geburt todt, und zum Theil 
in hohen Grad von Fäulnig übergegangen und unausgetragen. 

2) Mit Bephulfe der Hopfjange 2 2 2 2 0 202 8 

>. a).Wegen. übergroßer. Schmerzhaftigfeit. der Wehen, anhaltenden 
Erbrechend und Außerft trägen Herganged der Geburt *). 

b) Wegen zu lange auöfegender, dabey aber Außerft ſchmerzhaften 
Wehen und dadurch übermäßig verzoͤgerten Geburt. 

Der Ausgang war in bepden Fällen glüdlich für Mutter und 
Kind. Im letzten Falle: wog das Kind, ein gefunder, ftarfer Knabe, 
9 Pfund. f a 

c) Wegen Enge des Bedfeneinganged. Die Streißende, eine fog. 
Erftgebärende, Fleim, mager, von. übelm Ausſehen, gelblidyter Ges 
fihröfarbe, 28 Fahre alt, menftruirte im ıgten Jahre zum erftenmale, 
Sn. ihrer Jugend litt fie an. Rhachitis. Sie hatte ſtark verbogene un: 
tere. Gliedmaßen , fog. Säbelbeine. Dad Beden war ſtark inklinirt, 
und die Conjugata betrug wiederholten Meffungen gemäß nicht über 3 
Zoll. Die Fruchtwaſſer floffen gleich mit der erften Eröffnung des Mute 
termundes ab,. deffen Ermeiterung trog der ziemlich ftarfen Wehen 
fo langfam gefhahe, daß fie nach 48 Stunden noch nicht 2 Zoll betrug, 
Der Kopf war durch dad Zufühlen ‚mis einem und. zwey Fingern kaum 

u erreichen. Den Dritten Tag am Morgen nahmen die Wehen an 

tärfe zu. Es bildete fich ein anfehnlicher Vorkopf. Der Kopf drang 
mit feinem hintern Segment in dem Maag in den Bedeneingang , daf 
er die Anwendung der Zange eben geſtattete. In diefem Stande be 





*) Verſteht ſich, — ſowohl für diefen, als aͤhnliche Säle — nad 
vorausgeſchickter Anwendung des der regelwidrigen Wirkſamkeit 
des Uterus u. d. gi. entfprechenden anderwaͤrtigen Verfahrens. 
Im allgemeinen ift noch zu erinnern: daß der Fall von un: 
gewoͤhnlicher Schmerzhaftigkeit der Wehen und befonder& der 
des Fortdauerns der Schmerzen im Unterleibe auch außer den 
Wehen — die Zeit hindurch, wo das Kindbertfieber im Gebaͤr⸗ 
haufe Herrfchend gemefen, häufiger, als font, beobachtet wurde; 
und daß man vorzüglich den legtern Umftand einigermaßen, als 
übelee Dmen, anzufehen, ſich beredtige, und zum Theil dep: 
falis häufiger zur Anwendung Fünftlicher Huͤlfe zu ſchreiten fi 


gemuͤßigt fand, 


851 


harrte er trotz den heftigſten Wehen unbeweglich. Die Geburt wurde 
vermittelſt der Kopfzange vollendet. Dad Kind, ein geſundes Maͤd— 
den, wog 7% Pfund. Geſund und wohl verlieh die Mutter mit ihm 
den ı2ten Tag die Anftalt. 

d) Wegen Eonvulfionen und feltener, Außerft unmirffamen und 
dabey hoͤchſt fchmerzhaften Wehen. — Die Kreißende litt, vor und bi 
au ihrer Niederfunft (die fih gegen 5 bis 6 Wochen zu frühe einftell» 
te), 14 Tage hindurch an häufigen Anfällen von Krämpfen und Con⸗ 
vulfionen mit gänzlichem Vertuft ded Bewußtſeyns. Dem erften Liefer 
Anfälle gingen 8 Tage hindurch Wehenähnliche Schmerzen im Unters 
feibe mit Auftreibung deſſelben und häufigen nach oben fich entleeren— 
den Blähungen voraus, und bey Gelegenheit, als diefe Schmerzen 
vorzüglich heftig waren, befam fie den erften Anfall. Die Anfälle ftells 
ten fich jeden Tag und oft mehrereMal im Tag und zur Nachtäzeit im 
verſchiedenem Grade ein, dauerten oft eine Viertel» nicht felten eine 
halbe Stunde und noch länger , und fingen immer mit heftigen , uns 
ausftehlihen Schmerzen im Unterleibe an. Diefer ſchwoll auf, der 
Uterus wurde hart, erhob ſich, trat hervor. Sie hatte dabey dad Ge⸗ 
fühl von fchmerzhaften Zufammenziehungen im Unterleibe. Von hiers 
aud verbreiteten fich die convulfivifhen Bewegungen über den übrigen 
Körper nach oben und unten, und bemwirften alddann bald beengtes, 
abgebrochenes , unordentliches, oft aͤußerſt befchleunigted Arhmen, bald 
Zuſammenſchnuͤrung ded Halſes, Erſtickungszufaͤlle, Erloͤſchen der Em⸗ 
pfindung und des Bewußtſeyns; Verdrehungen des Rumpfes und Die 
gewaltſamſten Bewegungen und Zuckungen der Gliedmaßen u. d. gl. 
Wie gewoͤhnlich, endigte der Anfall mit einem tiefen Schlafe, aus 
dem die Kranke mit einem großen Gefuͤhle von Erſchoͤpfung und Zer⸗ 
ſchlagenheit erwachte. — Die Erweiterung des Muttermundes geſchahe 
aͤußerſt langſam; die Wehen waren ſehr unwirkſam, und ſetzten oft 
eine und zwey Stunden gaͤnzlich aus, waren aber dabey hoͤchſt ſchmerz⸗ 
haft. Es ſtellten ſich unter der Geburtsarbeit mehrere Anfälle von 
Convulſionen mit gaͤnzlicher Abweſenheit des Bewußtſeyns ein u.ſ. m. 
Die Anwendung der wirkſamſten, Krampfwidrigen und anderer Mittel 
war ohne Erfolg. Vermittelſt der Zange ward ein 5Y, Pfund ſchwerer 
Knabe zur Welt gefördert, welcher anfänglich gehörig athmete und 
laut fchrie, bald aber in einen Zuftand von Aſphyxie verfiel, aus dem 
er jedoch in kurzer Zeit wieder zurüdgebracht wurde. Die Mutter wurde 
von dem Puerperalfieber befallen, genaß, und verließ gefund die u. 
ſtalt *). 

€) Wegen unmirffamer Wehen, Unvermögend, die Wehen zu — 
arbeiten und Blutfluſſes aus der Gebaͤrmutter. — Die Kreißende, eine 





*) Sr ausführliche Beſchreibung diefed merfmürdigen dalles ent⸗ 
ve t dad o. a. Heft der Heideiberger Jahrbücher der Litteratur. 
[1 125, 


52 


Außerft fchmächliche Perſon, fitt an Bruſtwaſſerſucht, als Folge eine 
Falten Sieberd, womit fie ſechs Monare fang behaftet war. Der Aus— 
gang war glüklich für dad Kind. Die Mutter ftarb in der dritten 
Woche an den Folgen jenes Uebels. 

£) Wegen Enge ded Beckeneinganges. Ausgang: zlucklich fuͤr 
Mutter Und Kind. 

g) Wegen Unzulänglichfeit der Wehen nebft überftarfer Ausbil 
‚dung der Kopfknochen. — Eine a8jährige, übrigens ziemlich gefunde 
Perſon, von mittlerer Größe, zum erftenmdfe ſchwanger, fam mit fels 
tenen, unbedeutenden Wehen in dad Gebärhaus. Den Tag vorher 
find ihr die Fruchtwaſſer unter fehr geringen Empfindungen im Unter« 
leibe abgegangen. Der faum einen halben Zoll geöffnete Muttermund 
mar fchwer zu erreihen. Den folgenden Tag mwenig DBeränderung; 
die Wehen felten, jedoch fehmerzhafter, aber faft ohne Wirfung auf 
den Muttermund. Den dritten Tag nahmen die Wehen an Schmerz« 
haftigkeit noch mehr zu, der Muttermund war einen Zoll weit aeöffe 
net; der Kopf ftand eben fo hoch. Kinreibungen, Einfprigungen in 
die Murterfcheide, Dampfbäder, Halbbaͤder u. d. gl. alled mar faft 
ohne Wirfung. - Den vierten Tag am Morgen fand man den Mutter: 
mund gegen 2 Zoll im Durchmeffer geöffner. Die Wehen nahmen die 
Nacht hindurh an Schmerzhaftigfeit fehr zu, an Wirffamfeit wenis 
ger. Der Kopf begann in etwas mit feinem hintern Segment in den 
Bedeneingang einzudringen, ohne die mindefte Hautfalte zu bilden 
Am Nachmittag war die Lage der Sache beynahe diefelbe. Die durch 
die fange Dauer der Geburtdarbeit, durch die fchmerzhaften Wehen 
und. die vielen fchlafiofen Nächte erfchöpfte Kreißende verlangte fehr 
nah Huͤlfe. Trog des hohen Kopfitanded ſchritt man zur Entbindung 
vermittelt der lepretfchen Zange. Die Durchführung des Kopfes durch 
den Bedeneingang und dur die Beckenhoͤhle war Außerft ſchwierig, 
erforderte Die größte Kräfte » AUnitrengung und dauerte beynahe eine 
Stunde. Das Kind, ein todter, ſtark ausgebildeter Knabe, mog 734 
Mund. An dem bedentend ſtarken Kopfe waren die Kopffnoden in 
dem Maße audgebilder, daß man fait Feine Spur von Fontenelle an 
demfelben fand. Während der Entbindung bemerkte man fein überein- 
ander Schieben der Kopfknochen. Dad Wochenbett war äußerft glüds 
li, ohne die gerinafte Erfpeinung von Uebelbefinden. — Gleich nad 
der Nisderfunft geftand die Entbundene einer vertrauten Sreundia, daß 
fie feit 24 Stunden fein Leben ded Kinded mehr verfpürt habe, wovon 
fie während der Geburt immer dad Gegentheil vorgab. — Diefe Per: 
fon war immer an fchlechte Nahrung gemöhnt, hatte befonderd die ganze 
Schwangerſchaft hindurh Mangel an Epluft, aß wenig und meift nur 
Vegetabilien, führte gegen ihre Gewohnheit die Schmangerfchaft hins 
Durch eine mehr figende Lebensart, und bewohnte eine kleine feuchte 
Stube. 

h) Wegen zu frühen Abgangs der Fruchtwaſſer und nicht gehoͤrig 
wirkſamer und ungemein fehmerzhafter Wehen, wobep die Schmerzen 


53 
im Unterfeibe.auch außer-den Wehen fomdauerten. — Die Kreißende, 
-eine gefunde Perfon von 27 Jahren ,. zum erftenmale fchwanger , erhielt 
ihre Menftruation 'erft in ihrem zwanzigſten Jahre. Der Abflug der 
Fruchtwaſſer erfofgte am Morgen ohne alled Gefühl von Wehen bey 
: kaum merfbarer Eröffnung ded Muttermundee. Am Nachmittag ftells 
ten fich die erften Wehen ein, die bid zur Nacht auf den dritten Tag 
zwar äußert ſchmerzhaft, aber wenig wirkſam und bald mehr, bald 
weniger heftig waren. Trotz ‚die Wehen den dritten Tag an Heftigkeit 
bedeutend zugenommen und häufiger geworden: fo beharrte Doc der 
Kopf über ſechs Stunden fait unbemeglih im WBedeneingange ohne 
wahenehmbares Mißverhäftniß jenes zu dieſem. Auch außer den Wer 
ben dauerten Die Schmerzen im Unterfeibe und Kreuz fort. Dampf 
bäder, Frampfftillende Einreibungen in den Unterleib, ähnliche Kly⸗ 
‚tiere u. d. gl. wurden fruchtlos angewandt. Durch bie Zange murde 
ein gefunder Knabe zur Welt geförderr. Ausgang: Den ıgten 
Tag nach der Entbindung verließ die Mutter ſammt dem Kinde gefund 
die Anfalt. 

B. In ungewöhnlicher Lage 2 2 2: 2 22 nen | 

ı) Die Stirn ftellte fib zur Geburt. — Der Bedeneingang mar 
durch Einwaͤrtsbiegung des queeren Afted des Schoßbeined in der linfen 
Seite etwad verengert, die Wehen lang audfegend und ungewöhnlich 
fchmerzhaft. Es zeigten fih Merkmale von Zufungen. Die Kreißende, 
ein reizbared, zu Krämpfen geneigtes Subjekt, litte fruͤher an Gicht. 
— Die Verſuche, dem Kopfe eine Lage zu geben, in der er hätte fün- 
nen geboren oder wenigftend durch die Naturfräfte in dem Maße in 
den Bedeneingang getrieben werden, daß die Entbindung vermirtelft 
der Zange füglic hätte unternommen werden fönnen, waren vergeblich. 
Die Geburt wurde dur die Wendung vollendet. — Der Erfolg 
war glücklich für die Mutter. Das Kind kam todt. 

2) Geſichts lage, die ſich fehr einer Haldlage näherte, mit nach 
vorn und rechts gerichteter Stirn. — Die Kreißende, eine übrigens 
gefunde Perfon von kleiner Statur, 30 Jahre alt, hatte ſchon zweymal 
geboren. Sie hatte einen überaud ſtark ausgedehnten Leib. Der Mut: 
termund ermeiterte fich ungemein langfam. Die Wehen folgten zwar in 
nicht zu großen Zmwifchenräumen auf einander, waren aber außerordent= 
Sich ſchmerzhaft, wirkten anfänglich wenig und fpäter gar nicht mehr auf 
den Muttermund. Man fchritt zur Wendung, unter welcher man die 
Nabelſchnur um den rechten Schenkel und die rehte Schulter gewidelt fand. 

Der Audgang war glüdlih für Mutter und Kind. Letzteres, 
ein Knabe, wog 10%, Pfund, war 22 Zoll lang, kam aſphyktiſch zur 
Welt, wurde jedoch fehr bald ermedt. 

IL. Steißlagen hatten wir » 2 2 2 0m 0. . 2% 

In beyden Fällen wurde die Geburr durch die Naturfräfte vollen» 
det. — Ausgang: im erften Falle glüdlich für Mutter und Kind, 
im zwepten war dad Kind unreif und faul. 


54 


HI. Sußlagen BE Re a N LE Be ER a 66 

Bepde betrafen Zwillingsfaͤlle, in denen fich der erſte Zwilling mit 
den Füßen, der andere mit dem Kopfe voraus zur Geburt ftellten. 
Bende Fälle wurden durch die Kräfte der Natur gluͤcklich für die Muͤt⸗ 
ter und Kinder (fammtlich Mädchen) beendigt. (Die dritte der vorge: 
fommenen Zmwillingdgeburten gab einen Knaben und ein Mädchen, wel 
che fih bevde mit dem Kopfe voraus zur Geburt fteliten. ) 

IV. Querlagen ereigneten Üb - . vo 00. 2 

A, Beckenlage — Die linfe Hüftgegend ftellte fich zur Geburt. 
Die Sruchtwafler waren den Tag vorher ohne voraudgegangene Ems 
pfindung von Wehen abgegangen. Die Verſuche, den Steiß einzulei- 
ten, waren vergeblid. Die Wehen waren fehr fchmerzhaft, und Die 
Schmerzen im Unterfeibe dauerten auch außer den Wehen noch fort. 
Der dem Muttermunde nahe gelegene linfe Fuß wurde herab gefördert, 
und die Geburt unter Mitwirfung der Natur ziemlich leicht und bald 
beendigt. Dad Kind, ein Mädchen, gab einige Spuren des Lebens 
von fih, mar aber troß aller angewandten Mühe nicht zu ermeden. Die 
‚ Mutter wurde den dritten Tag von dem (damald im Gebärhaufe herr: 
ſchenden) Kindberrfieber befallen *). 

B. Bruftlage. Beendigt dur die Wendung. 

Der Audgang war glüdlich für die Mutter. Das Kind war un: 
audgetragen und ftarf in Faͤulniß übergegangen. Die Mutter, melde 
mit der Luftfeuche behaftet war, hatte 6 Wochen vor ihrer Niederkunft 
eine heftige Gemürhöbemegung, die ihr mehrere Ohnmachten zugezogen, 
worauf fie feine Bewegung ded Kinded mehr verfpürte, die Brüftt 
welk wurden, und alle Zeichen vom Tode des letztern fich einftellten. 

 Bebärmutrerblurflüffe nach der Geburt Famen 3 vor. Sie wurden 
geſtillt durch Reibungen des Unterfeibed mit der Hand, Einfprigungen 
aus gleichen Theilen Eifig, Branntwein und Wafler und einige Gaben 
der Zimmteffenz. In einem alle war die Fünftlihe Löfung und Herr 
ausnahme der Plazenta durchaus nothmwendig. Der Erfolg war in 
ſaͤmmtlichen Faͤllen gluͤcklich. 

Im Winter 1811 in 1812 beſuchten 31 und im Sommer 1812 — 
22 Studierende die Anftalt. Ueber ihre Einrichtung und Benugung 
zur praftifchen Ausbildung angehender Beburtähelfer f. m. den Alma— 
nah der Univerfität Heidelberg auf das Jahr 1813, 
(Heidelberg by Engelmann.) 


eidelberg im Februar 1813. 
e B Dr. Nägele. 





*) M. ſ. das angeführte Heft der Heidelb. Jahrb. d. Litterat. ©. 130. 


— — — — 


65 


Beförderungen und Ehrenbezeigungen. 


Der befannte Mineralog Dr, Leonhard, feitheriger Kammer: 
rath zu Hanau, ift von Gr. 8. H. dem Großherzoge von Frankfurt zu 
deſſen Seheimenrarh und Ritter des Eoncordat = Ordend ernannt worden. 


(Eingefandt.) Se. Kön. Mai. v. Würtemberg haben allergnädigft ge⸗ 
ruhet, dem Rector und Prof. D. Graͤt er zu Halle auf die allerunterthäs 
nigfte Einfendung feiner neuften, von ihm herausgegebenen Werke, dem 
afterthümlihen Magazin, Odina und Teutona und der damit vers 
bundenen Alterthumszeitung Idunna und Hermode, zum Beweis 
der allerhoͤchſten mohlgefälligen Aufnahme, eine prächtige goldene Tas 
batiere, 20 £ouisd’or an Werth, zu überfenden, und Demfelben- die 
allerhoͤchſte Gefinnung durch ein eigenhändiged gnädiged Cabinets⸗ 
fchreiben ded Herrn Minifter-Staaröfecretärd, Srepherrn v. Vellnagel 
Ercellenz, zu erkennen geben zu laflen. | 


Todesfall 


Am ı2ten May 1813 Rarb zu Franffurt am Mayn an einem boͤs⸗ 
artigen Nervenfieber der hoffnungsvolle Arzt Dr. Chriſtian Fried— 
ri Baprhoffer, Privardocent an der dafigen medicinifch = hirurs 
giſchen Specialſchule, Verfaffer der erft kuͤrzlich erfchienenen „Bemerkun⸗ 
gen über dad epidemifche Kindbetterinnenfieber, Frankfurt 1812. 8. * 
im neun und zwanzigften Lebensſahre. Mit weit umfaffenden Kennt⸗ 
niffen und dem biederften, edelften Charakter verband er die anfpruche 
fofefte Beicheidenheit, und ed waren deswegen nur Wenige, die ihn 
und feinen Werth gehörig Fannten, doch dieſe Wenigen ſchaͤtzten und 
liebten ihn um fo mehr. 


Antikritik. 


Antwort in Bezug auf die Recenſion der Predigten in Nr. 26. 
der Heidelbergiſchen Jahrbücher der Litteratur von 1813, 


Der Recenfent meiner Reden über die hriftlide Reli» 
gion ( Heidelberger Jahrbücher 1813. ©. 399.) hat, um an mir ein 
hredlich warnendes Beyſpiel zu zeigen, aus der Rede über die Bes 
deutung ded Abendmahls eine Stelle ausgehoben, hinzufügend , daß 
1 etwas im neunzehnten Jahrhundert üöffentlih von der Kanzel ges 
procen worden. In der Vorrede ift mit dDeutlihen Worten gefagt, 
Daß die Rede über die Bedeutung ded Abendmahld, wie auch die zmepte 
Rede, weder jemals gehalten, noch zu dieſem Zwecke auögearbeitet wor: 
den. Diefed diene dem Recenſenten, der alfo nicht einmal die Vorrede 
geleſen, zur Nachricht und Beherzigung. | 

Ueber den Standpunft, von welchem aud der Recenfent mich bes 
urtheilen will, wie über die, ſchonungsloſe Weife, auf welche er , ohne 
nıich verftanden zu haben, über mich abfpricht , geziemt mir nicht mit 
ihm zu rechten, weil ich es unter meiner Würde halte, mit einem. 


56 


Manne Worte zu wechſeln, welcher, wenn ich nach feiner vorliegenden 
Schreiberey urteilen darf, zu befangen und zu vergaffe in fich ſelbſt 
iſt, als daß er eine fremde. Eigenchümtichkeit mit Rahe betrachten, mit 
Klarheit anffaffen, und im Zufammenhange daritellen fünnte. Das 
Lob , welches der gute Mann meiner Rede über die Maria gefpender, 
würde ich Au verdienen glauben und mit Danf von ihm annehmen, 
wenn ih ſchon das Mädchen und die Frau, wie fie ſeyn 
gr en, nach ihrem Werthe gewürdigt. Aber zu dieſer herkuliſchen 
ebert werde ich mich nicht eher gerüftet nlauben, als bie es mir 
möglich geworden, ſtatt des Weins der Alten, welcher mich bis jeßt 
egen alle Unbilden der Zeit gefräftigt, aus Kotzebue's Brunnen zehn 
Are hindurch Waſſer zu trinfen. Dann würde ih, mie der Necenf. 
chon rc von mir waͤhnt, betrunfen fepn, und wie er, den Wald 
vor den Bäumen fehen. Doc ich werde, damit Diefes nicht geichehe, 
nach allen, meinen Kräften wachen und beten. 
Dr. Johann Schulze. 


Antwort des Recenſenten. 


Id habe nicht nur die Vorrede des Verf., ſondern auch, wie die 
Recenſion zeigt, die Predigten ſelbſt gelefen; e& iſt mir aber entgangen, 
daß die Predigt über das Abendmahl, nicht wirklich achalten werden 
ſey. Man leſe alfo, fatt: „So etwas wurde im neunzehnten Jahr: 

undert, in Weimar oͤffentlich von der Kanzel, vor einer vermifchten 

erfammlung von Sünglingen, Männern, Sjungfrauen und Weihern 
epredigt“ — „So etwas wird im neunzehnten Jahrhundert, Juͤng⸗ 
ingen, Männern, Jungfrauen und Weibern öffentlich, in Reden über 
die Ehriftliche Religion, alfo, als Chriſtenthumslehre, dargeboten! !“ — 
und die Warnung vor folhen empörenYen Profanationen des Heiligen, 
bleibt gleich nothwendig. Ob ed indeß befier fen, wenn der Verf. im 
einer Predigt, Die er wirklich gehalten hat, (©. 229) behaup- 
tet, daß man auch „an dem Buſen eines fiebend » geliebten Weſens, 
den Triumph über die Erde feyernd, an ib, und der Welt, ein Werf 
Der Erlöfung (sic!) vollbringen fönne, weil. Erföfung, „Erz 
tödtung des Fleiſches“ (am Bufen eines geliebten Weſens!) ift; ob 
man die angeführren Stellen, auch nur meift verftehen könne; ob 
der gährende , beräubende Moft, bien der Verf. giebt, auch nur die min- 
deſte Aehnlichkeit mir dem reinen Wein der Alten habe; ob auch nur 
Ein Wort der Recenfion, in der fogenannten Antwort widerlegt ſey, 
und wie Koßebue oder die Kunfl, ein auted Mädchen zu, werden, 
mit Diefen Reden und ihrer Recenfion zufammenhängen: darüber mag 
dad Publifum entſcheiden, und hat wohl ſchon enrfchieden. 


Dtustehler: 
in der Recenfion von Grimms Dänifhen Heldenliedern, bie 
durch unleferlihe Handſchrift entftanden find, und die der Recenfent 
zu verbeflern bittet. 

©. 162 im 3. Abſatz 3.2 1. Folkeſange. 3. 16 Tilffuer, 3. ı9 Armne, 
S. 163 3. 3 ———— — &, 165 im 2. Abſatz 3. 3. 
mit feinem Diefer Art. ©. 177 ım 2. Abf. 3. 6 v. unten, I. Liebhaber 
und Forſcher. ©. 179. 3. ı I. führt fi. S. 180 3. 22 I. (vermurhlich, 
weil 2c.). ©. 188 3.20 ſtatt mit I. mithin. ©. 1903. 5. I. Sayers, 
2 11 Heldenzeit. S. 197 3. 20 ft. Zorn I. Zord Ein paar andere 

feinigfeiten wird der gelehrte Leſer teicht ſelbſt verbeſſern. 


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