HEIDELBERGISCHE
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LITERATUR. -
HEIDELBERG,
MOHR & ZIMMER
1808-72
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Deidelbergifde
Fahrbücher
Litteratur.
Sechſter Jahrgang.
Erſte Hälfte
Januar bis Juny.
Heidelberg,
De» Mohr und Zimmer.
1813
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No. 1. Heidelbergiſche 1813.
Jahrbuͤcher der Litteratun
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Correspondance litteraire philosophique et eritique addressde
aA un souverain d’Allemagne depuis 1770. jusqu’en
Par le baron de Grimm et par Diderot. V. Voll.
Paris. F. Buisson rue Gilles Coeur No, 10. 1812. 8:
Dien Wert gehört zu ber Rs von Wetten, welche wir
derfih und verwerflid an fih, der Vergeſſenheit übergeben
werden follten, und welche daher nur ehtiweder wegen des
Eindruds, den fle auf ihre Zeit machen oder doch leicht machen
fönnen, oder weil fi) in ihnen die Entartung ihres Zeitalterg
darſtellt, eine ernfthaftere Beurtheilung verdienen können. Wir
geftehn, daß uns nur: das Auffehn, welches es erſt in Frank⸗
reich, beſonders in Paris, dann bey allen Dilettanten der
Haupftſtaͤdte Europas, endlich in der ganzen eleganten Welt
erregt hat, zu einer ausfuͤhrlichern Anzeige deſſelben be—
ſtimmte. Wir trennen in dieſer Anzeige die beyden erſtern
Baͤnde, welche den Zeitraum von bis 1778 umfaſſen,
von den drey letztern.
Rec. iſt nicht geſonnen, den Antheil Diderots, der waͤh—
rend Grimms oͤfterer Abweſenheit von Paris den Bericht fort⸗
ſetzte, von Grimms Arbeit zu ſcheiden, weil bepde damals felt ein
und zwanzig Jahren genau befannt waren, oder wie die ganze
Philoſophen Geſellſchaft als Eine Perſon angeſehn werden
koͤnnen, und Rec. uͤberdies nicht geſonnen iſt, wie Hr. Amar
im Moniteur, auf das Urtheil des Einen oder des Andern, da
oft beyde frivol ſind, zu provociren, ſondern nur hie und da
einzelnes herauszuheben, was zur Kenntniſß der Zeiten, Mäns
ner, Schriften, die es betrifft, etwas beytragen kann, befgns
Ders, wo wir entweder etwas hinzufeßen, die andere Seite
der Sadıe zeigen, oder den Verfaſſer und feine Abfichten ſelbſt
betrachten können. Diefem Werke, welches wir als Gelehrte den
frivoten Cirkeln, in deren Ton es abgefaßt iſt, uͤberlaſſen würden,
1
2 Correspondance du Baron de Grimm.
ſollte man alfo wie feinem Verf. nur das quiescat nachrufen.
Da der Verf. feinen Lohn, den Zutritt zu den Großen, den
Baron, den Minifter dahin hat, fo follte die Leichtigkeit und
Dreiftigkeit feines Tons, durd den cr fid) geltend machte, der
Vergefienheit übergeben werden, wenn nicht das Werk ein
neues Dentmahl des Tons der Menfchen und Bejellfchaften
wäre, welche ganz Europa umgeſchaffen, die Religion und den
Stauden aus den Herzen getrieben, die Sitten durch late
Moral, frivole Scherze, elenden Wiß untergraben, und dem
Lafter durch Nede und That die Worte und den Schleyer der
Tugend gegeben haben. Man liest hier genau das Reſultat
und den Widerhall der Unterhaltungen bey Hollbah, det
Epinay, der Geoffein (wir ſcheuen ung Madame Meder, die,
ob man gleid) bey ihr foupirte, gut und edel war, zu nennen)
u. a., wo die Weiber den Ton angaben, und Religion, Staat,
Erziehung, Theater, Wiffenfhaft, ohne Ernſt umd Anftand
beurtheilten, und alfo jeder, um nit Pedant zu ſeyn und
lächerlich zu werden, einftimmen mußte, ja, wo es genug
wor, einen guten Koch zu haben, um auch die Litteratur zu
beherrfchen. Matärlih war ed, daß dies in Frankreih und
durch die Abgoͤtterey, die unfere Fuͤrſten mit den Philoſophen
trieben, auch in ganz Europa herrfchend werden mußte. In
Frankreich hielt fih der Ton hicht, weil bald hernach die Res
volution alles änderte; bey und aber, in Rußland, Schweden,
Polen und endlich fonar in England ward gerade dadurch, daß
Frankreich) die Leute von gutem Ton ausfpie, die heillofe Sitte
immer herrfchender. Die Herausgeber der Correfpondenz hät
ten übrigens ohne Nachtheil des Lefers, wie felbft der Parifer -
Lobredner Grimme geiteht, die Hälfte des Buchs weglaffen
tönnen, fo abwechfelnd auch fein Inhalt iſt. Bald find es
Neuigkeiten des Tags, bald Schaufpiel, bald der Hof (nur
behutfam), bald die Angelegenheiten der Philojophen übers
haupt, über die enticheidend abgefprochen wird. Der Ton iſt
nicht bloß leicht, fondern leichtfertig und für die Bibelfprache,
für die Spradye der Kirche, die man zu den fihändlichfien Er
zählungen braucht, hätten die vornehmen Leute, an die die -
Berichte gerichtet find, fo viel Achtung haben follen, daß ihnen
ihr Mißbrauch mißfallen hätte, Man lernt vecht, wie man
*
Correspondanee du Baron de Orimm. 3°
äbfichtlih Alles leicht macht, wie man uͤber Alles hinausſchluͤpft,
und dem ernften Miantt eine Makel,” oder, was noch ſchlimmer
iſt, eine Lächerlichkeit anfprägt, um die Billigung ber Thoren
zum Pröfeflein der Weisheit zu machen: Wie wäre auch fonft
der Ar. Grimm, der Nichts geleifter hat, fobald zum Baron
von Grimm geworden ! Man muß nämlic, wiffen, daß Grimm,
nachdem mah feine erften Verſuche in Deutfchland übel aufger
nommen, fih nah Paris begeben hatte, wo ihn Ktüpfel, der
hernach Hofmeifter des Erbpringen von Gotha wurde, "unter
dem Titel eines Vorlefers (1749) annahm. In dieſem bes
ſchraͤnkten Verhaͤltniß machte Nouffeau feine Bekanntſchaft,
und fagt ( Confessions livre VIII. ed. Genes. 8. 178g.
‚Vol. 31. pag. 165): „Es war ein junger Menfh, Namens
Grimm, der dem Erbpringen als Vorleſer diente, bis er eine
andre Stelle fände, und fein ganger dürftiger Aufzug zeigte,
daß er nöthig habe, Eine zu finden.“ Dachte doch damals dei
arme Jean Jacques nicht, daß der Grimm um 1770, fo von
obenher und fo bitter haͤmiſch Über ihm ſchreiben würde! mie
bier I. ©. 129 — ıdı und I, ©. 187. 188 gefchieht, wobey
man freylich in der letzten Stelle den ſeinen Mann nicht vers
kennen kann, der ſich wohl bewußt bleibt, daß bey den Leuten,
deren Gunſt er ſucht, Rouffeau doch zu hoch fteht, als dafi er:
ihn ernftlich angreifen dürfe, ihn alſo nur lächerlich macht,
um mitleidig auf ihn herabzuſehen, und wenn nicht als der
Größere, doch als der Weiſere, mit dem ſich beffer leben läfit,
der beffer zu gebrauchen iſt, zu erſcheinen. Er führt nämlich
I: ©. 187 den Brief an, dem NRouffeau fhrieb, um zu der
Statue, die man Voltaire errichten wollte, feinen Beytrag zu
liefern, und der, wie alle feine leßten Briefe den Vers pau-
vres aveugles qu& nous sommes etc. zur Ueberſchrift hatte
(da Grimm die Sache nur berührt, fo erinnern wir daran, -
daß NRouffeau diefen Vers annahm, , feit er fih ver. Hume ges
taͤuſcht glaubte: Die Erzählung ift in dem berühmten Briefe
an Hume ſelbſt. Oeuvres de Rousseau ed. 4to. Tom. XII.
p. 557 — 566): Grimm mwißelt zuerft I. &. 188 über den
Vers, jund ſagt, Rouſſeau feße ihn Über feine Briefe, wie
die Nonnen ihr vivat Jesus; als ein Scußmittel gegen das
Beheren. Dann macht er ihm ein Kompliment,-daß er wieder
4 Correspondance du Baron de Grimm.
nach Paris kommen und da leben wolle, unter der Bedingung,
nicht zu ſchreiben, cette dernière clause, fagt Grimm, ne
s’accorde guère avec nos inter&ts. Aber bald zeigt ſich wies
der die wahre Gefinnung: „fein Brief, heißt es, wäre ein
Meifterftüf, wenn er es hätte übers Herz bringen können,
nur dies Mal, ohne weitere Confequenz, "fein platted qua-
train daheim zu laffen.“ Boshafter ift, was er ©. 229 be;
richtet, daß Nouffeau feine Therefe in flagranti ertappt habe,
und dergleichen fchöne Sachen mehr. Dabey thut er fo vors
nehm, daß es ihm nicht der Mühe werth ift, den Namen des
Schloſſes in der Dauphine‘, wo ſich Rouſſeau aufhielt, richtig
zu nennen. Er nennt es Bourbeille, es heißt aber Bourgoin.
Da flieht man, was es mit den Freundfchaften der Welt für
Bewandtniß hat, thut doh Grimm, als ob er den Mann
nicht vecht fenne!l und doch hatte er ihn aufgefordert, den
Sautier zu widerlegen; man fennt ja Nouffean’s Brief an
Stimm, wo er, indem er fagt, daß er Gautier nicht mwiders
legen wolle, es mit vieler Kunft thut. Es war derfelbe Roufs
feau, der (Oeuvr. edit. 8vo. Tom. XXXI. p. 209) jagt:
„Diderot har zahllofe Bekanntfchaften, Grimm, ein Fremder
und Heuangelommner, mußte Beianntfchaften machen, es war
mir herzlich lieb, daß ich fie ihm verfchaffen konnte.“ Dann
rehnet NRouffeau die VBelanntfchaften her, die er ihm vers
fchaffte; aber Grimm ward Hofmeifter des Grafen von Schom—
kerg, er ward Freund der Philofophen, da ſah er auf Rouffeau
herab. Man vergleiche das zote Buch der Konfeffionen. Daß
man aber in der Gejellihaft die Schwäche der Menſchen, die
nicht höher ſtehn, als die Sefellihaft, richtig auffaſſe, bewei⸗
fet Grimms Urtheil über den Prinzen von Ligne, mit deffen
Schriften man uns neulich hat beſchenken wollen, und die auf
allen Seiten das Urtheil zu beftätigen Veranlaſſung geben.
Grimm führt naͤmlich ©. 229 — 25ı einen Brief des Prinzen
on, worin diefer Nouffeau einen Aufenthalt auf feinen Güs
tern anbietet, und kündigt ihn mis diefen Worten an: „Der
Prinz von Ligne hat einige Tage, nachdem er Rouſſeau bes
fucht hatte, ihm den Brief, welchen ich hier einruͤcke, gefchries
ben; aber er hat fein Glück in Paris gemacht, weil man
ihn zu gefünftelt gefunden hat, und pretention a lesprit
EZ yes
Correspondance du Baron de Grimm. 5
est une maladie, dont on ne releve pas en ce pays-ci.
Diefe Urtheile und Anecdoten des Tags würden wir am lieds
ften aus der Eorreipondeny nehmen, wenn wir nicht geſtehn
müßten, daß wir den Baron Grimm zu oft auf dem Wege
der Unmwahrheit gefunden. 3. B. J. S. 53 heißt es, daß
Demoifelle Arnoud, eine Schaufpielerin, die man damald in
Maris unter dem Namen Sophie kannte, der Elairon, als
diefe fagte, der König fey Herr ihres Lebens und Vermögens,
nicht ihrer Ehre, geantwortet habe: Sie haben Recht, Made—
moifel, wo Nichts ift, hat der König fein Recht verloren.
Aber der neufte Lebendbefchreiber der Clairon erzählt gewiß
richriger, da er auch mit den memoires Ecrits par elle même
(wo fie natürlich des Wiges feldft nicht gedenft) beffer übers
einftimmt. Als Mad. Clairon, heißt’ ed dort, bey der Vor—
ftellung der Belagerung von Calais das Publicum fo ihändlich
geäfft, und der König einen exempt de police zu ihr ſchickte,
um fie nah Fort l'Eveque zu transportiren, traf dieſer eine
ſehr angefehene Parifer Dame ben ihr. Diefe hielt den Arreft
der Clairon für ein Märtyrertfum, und nahm fie alſo in
ihrem einfigigen Wagen auf den. Schoos, 309 mit ihr, wie
im Triumph, durd) Paris, um fie an den Ort ihres Arrefis
zu bringen, und der exempt mufite ſich gegenfiber feßen, da
er feine Arreftantin nicht aus den Augen laffen wollte. Dem
exempt legt er nun auch den Wit in den Mund, der fih
auch bejfer für ihn, als für Mad. Arnoud paßt. Derſelbe
Fall ift mit Henauft und Zurfauben. Hätte ſich Grimm dars
auf beſchraͤnkt, den Präfidenten zu tadeln, daß er, nicht zus
frieden, eine vortreffliche Weberficht der Geichichte von Frankreich
geichrieben zu Haben, auch Theäterdichter habe feyn wollen, fo
möchte 7.3 gut feyn, daß er aber den abrege, von dem er
nichts verfteht, auch beurtheilt und den Präfidenten verfpottet,
das verdrieft ung, weil wir fchon unwillig find, daß Duclos
memoires secrets fo manche Anecdoten durch ihre Auctos
rität in’ die beften Gefchichtbücher gebracht haben, die ung
durchaus nicht fiher fiheinen. Grimm fagt I. &. 36: . „Der
gute Praͤſident, veih, artig, .liebenswärdia in der Geſellſchaft,
führt einen guten Tifh, und hat alfo ganz Frankreich bey fei,
‚nen Soupers, er hat auch eine Rolle in der Litteratur fpielen
6 -Correspondance du Baron .de Grimm.
wollen, und es ift ihm gelungen, wenigftens auf eine Zeitlang.
Sein abrege chronologique de l’'histoire de France ift dag
gepriefenfte Buch diefes Jahrhunderts, hätte es ein armer
Teufel im Dachſtuͤbchen geſchrieben, unfere Bewundrer hätten
kaum einen Blick vol Verachtung darauf geworfen.“ Kennt
doh unfer Grimm -die Leute, mit denen er zu thun hat, und
lebt vecyt gut, darum erwarb er fi aud einen Namen durch
Zeitung tragen. Das Unrecht gegen Hénault vollendet. er S.
550 —354, wo er ihm eine giftige Leichenrede hätt, bey wels
cher Selegenheit er auch die Madame Deffant, die wir aus
‚ihrer Cokreſpondenz, von der wir vielleicht ein ander Mat
reden, als eine Feindin der Philofophen kennen, ausftellen
fann. Vitterer ſchmaͤht er fie noch Tom. IV. p. 275. 274.
Wie es ſich mit der an beyden Stellen erzähften Anecdote
verhalte, wollen wir nicht unterfuhen; da fie an fid elend
find, und die eine fih ale Dichtung anfündigt. Was Zurlau—
ben angeht, fo war. er befanntlic den Philofophen nicht ges
mwogen; (daß Joh. von Müller feine Tafeln oft anführt in der
Schweizergeſchichte allein in der Abſicht, um ihm oder der Familie
ein Compliment zu machen, vermuthen wir;) aber wie in aller Welt
fann Grimm fo Höhnifch über tables genealogiques fprechen,
als er I. ©. 147 thut, wo er von Compifation ſpricht, und
doch flatt Schöpflin, Schoepffen fchreibt. Diefe Angriffe find
um defto empfindlicher, da fie nicht, wie die Bitterfeiten auf
Mouffeau dadurch erträglicher. werden, daß der Verf. an ans
dern Stellen ſich ſelbſt vergißt, um nur die Sache zu betrachten.
Von den Stellen, die Rouffeau im 3 — 5. Band angehen,
befonders über den Tod Nouffeau’s weiter unten; jetzt nur,
um dod auch Gutes von Grimm zu fagen, erwähnen wir der
Stelle Tom. II. &. 477: „Sindeffen Rouffeau ſein Leben
damit hinbringt, Muſik zu copiven, und, wie idy meine, nur
daran denkt, fih dem Andenken der Menfchen zu entziehen,
fteht immer, bald unter den Pfaffen, bald unter den Schoͤn—
geiftern einer auf, der feine Werke Fritifire.“ Nun fpricht ex
- von la Harpe, der damals in den Cirkeln etwas vorgeleſen
hatte, worin er Rouſſeau gegen Voltaire ſehr herabſetzte, und
ſchließt: Es iſt Rouſſeau's Schickſal, von Leuten widerlegt
zu werden, die ihn nicht haben verſtehen wollen, oder nicht
Correspondance du Baron de Grimm. F
verſtehen koͤnnen. Aber wir kommen auf die Dinge zuruͤck,
wo Grimm, wie ein Blinder von der Farbe, urtheilt, weil
de Öuignes und Anquetil du Perron Theil IL ©. 116 und
117 und ©. 151 — 154 auf eben die Weife, als Henault und
Zurlauben im. erften Theil, nur bey weitem noch vornehmer
und unmiffender beleidigt werben. Das Geſchwaͤtz über de
Guignes erwähnen wir nicht, d’Anquetils jugendliche Ynbes
fonnenheit und Eitelfeit mochte er geißeln; aber wer berechtigt
ihn, feinen vornehmen Leuten ©. 132 zu fagen: „Es if
einleuchtend, daß das fein Leben unnüs und unarbeitfam vers
tieren heißt, wenn man ans Ende der Welt geht, um eine |
Sammlung von Dummpeiten zu holen.“ Ganz; in feiner
Sphäre ift aber Grimm, wie fein Freund, wenn er ung I.
S. 1485 — ı60 die Geſchichte der Unruhen erzählt, die bey
Hofe entflanden, als die Nachricht ſich verbreitet hatte, daß
der König, um dem Haufe Lothringen eine befondere Ehre zu
erweifen, auf Bitten des Defterreichifchen Hofes der Tochter
des Grafen von Brionne, Schweſter des Prinzen von PLanıs
befc, erlaubt Habe, auf dem bal pare gleich nach den. Prinzen
von Geblät eine Menuet zu tanzen. Grimm rüdt die Vor—
fielung, die die Pair dagegen einreichten, und die der Bis
ſchof von Noyon zuerſt unterfihrieb und hernac übergab, gang
ein, und man muß alierdings die Franzoſen bedauern, daß
das Lächerlihmwerden folder Foͤrmlichkeiten zum Fall ihres
Reichs beytrug. Eben fo intereffant zur Kenntniß des Kleinen
neben dem Großen, ift Theil II. ©. 251 die Anecdote von
der Schaufpielerin Chantilly, welche Favart, Opern und Lieders
dichter, dem Marſchall von Sachen, während es Maſtricht bela⸗
gerte, entführte, diejen in Verzweiflung fegte, jene heyrathete,
das Opfer einer lettre. de cacher wurde, wo es denn ©. 23a
heißt: die beyden Eheleute geben fih in ihr. Schickfah, das
fie nicht ändern Eonnten, weil der König die lettre. de cachet
zugeftanden hatte, und die Heine Chantilly war zugleih das
Weib Favarts und Geliebte: Morigens von Sachſen. Am
widerlichſten ift und der Gedanke, daß diefes Buch auf allen
Toiletten fich findet, darum, weil mit der Sprache der Bibel,
der Kiche und der Moral der fhändlichfte Spott getrieben
wird, und die frivolften Dinge ernftlih, mie die ernften
8 Gorrespondance du Baron de Grimm.
frivol behandelt werden. Liederlichkeit ift ein Scherz und Re—
ligion befigen ein DVerbrehen. Nur einige Beyſpiele Th. J.
&. 158 bey Gelegenheit der Vorftellung Über den Menuer der
Lorhringer heiße es: „Wenn ich, beharrend in der Ketzerey und
in der Unmwiffenheit der geoffenbarten Wahrheiten über diefen
wichtigen Punct, das Unglück hätte, Über die Vorftellung des
‚ Adels bloß nach den Regeln der gefunden Vernunft zu urthei⸗
fen, fo würde ich behaupten, daß der Verf. der Bittſchrift
nicht einmal den Stand der Frage gefannt hat.“ Eben fo,
wenn es von den Deconomiften heißt I. &. 45: „Die gang
befondere Webereinftimmung des Geiftes diefer Secte mit dem
Geiſte der Chriftenfecte bey ihrem Urfprunge koͤnnte uns über
ihre fchnelle Ausbreitung beunruhigen, fönnte uns fürchten
laſſen, Geſchmack und Vernunft möhten unter den Mehlhaus
- fen, die in Flugichriften aufgehäuft werden, indeß dag Lands
volk kein Brot hat, erſtickt werden, und dies wäre in der
That gerechte Strafe unferer firafbaren Gfleichgültigkeit, aber
gluͤcklicherweiſe fteht gefchrieden, daß die Pforten der Plattheit
die heilige Stadt Ferney nicht überwältigen werden.“ Dazu
feße man den empdrenden Ton über die Galanterieen alias
ni’3, mit dem Grimm befonders verbunden war, I. ©. ıı
und 2ı. Endlich im zweyten Theile S. 275. 276, wo die
Rede von einer Geſchichte von Siam ift, die ein gewiffer
Turpin aus den Papieren eines Miffionairs zufammengetvagen
hatte, die aber der Miffionair nicht billigte und durch ein
arröt du conseil unterdruͤcken ließ, „als irrig, fo heißt es
nun bey Grimm, verfälfht und feldft etwas gottlos, was ihr
denn wohl einigen Abſatz verfchaffen könnte.“ Daß fie ed mit
der practiihen Moral in andern Dingen nit genauer nah—
men, fieht man aus den Gräueln, die Grimm auf Peliffon
mwälzt, und worin er auch Ruͤlhiere, nur darum), weil er mit
Peliſſon Freundfchaft hielt, verwicelte. Th. I. ©. 170 — 179
erzählt er die Bemühungen, die Diderot und andre anwandten,
um die DVorftellung des homme dangereux von Peliſſon zu
hindern. Wir wollen nur eine Stelle des Briefs, den Dides
vor deshalb an den Herrn von Sartines, Molizenlieutenant,
fchrieb, anführen, um zu zeigen, daß fih diefe Parifer als
Eehrer der Welt betrachteten. Wie konnte es auch anders!
—
Correspondance du Baron de Grimm., 9
nennt doch Friedrich II. (Correspondance avec d’Alembert
ed. 178g. s. 1. Tom. IV. p. ı20 et 132) d’Alembert bald
den neuen Protagoras, bald den neuen Anaragoras die Fries
drich freylich beyde gleich gut kennen mochte. „EB gebührt
mir nicht (fagt Diderot I. ©. 176), Ihnen, gnädiger Herr,
einen Rath zu geben, können Sie aber bewirken, daß man
nicht fage, man habe zwey Mal mit Ihrer Erlaubniß öffents
lich diejenigen Ihrer Mitbürger verhöhnt, die man in allen
Theilen von Europa in Ehren hält, deren Werke man nahe
und ferne verfchlingt, die die Ausländer herbeyrufen und bes
lohnen, die man immer anfuͤhren wird, die der Ruhm des
Franzoͤſiſchen Volks auch dann noch ſeyn werden, wenn Sie
nicht mehr ſind; die endlich, welche kein Reiſender zu beſuchen
verſaͤumt, wenn er hier iſt, und aus deren Bekanntſchaft er
ſich nach ſeiner Ruͤckkehr ins Vaterland eine Ehre macht; wenn
Sie das koͤnnen, gnaͤdiger Herr, ſo glaube ich, handeln Sie
klug u. ſ. w.“ Sn dem halb drohenden, halb prahlenden
Tone geht es noch eine Zeitlang fort: es wuͤrkte. Das Stuͤck
ward nicht gegeben; doc) bedeckt Grimm Peliffon mit Schimpfs
reden. Aber Peliffon ließ das Stuͤck, worin die Wuth der
Leute gegen alle beftehende Sitte dargeftellt war, in Genf
drucken, dafür zieht er fih Th. II. S. 19— 25 einen neuen
ſchrecklichen Sturm zu, der am beften zeigt, daß es den Leus
ten doch nicht fo unwichtig war, als fie ung wollen glauben
machen, wenn Peliſſon uͤber ſie herfiel. Wie reizbar das Phi—⸗
ioſophengeſchlecht, gleichwie bey uns auch, war, und wie eine
Verletzung ſie aller Beſinnung beraubte, davon finden ſich hier
viele Beyſpiele, nur eins. Die Encyclopädie wurde bekannt—
lich durch Subdfeription zum Druck gebracht, mo dann die
Freunde der Parthey fein Geld fparten, um das Werk zu fürs
dern. (Th. IV. ©. 359 ſteht, daß die Marfife von Ferte
Imbault, die Tochter der Geoffrin, kurz vor dem Tode ihrer
Mutter die Rechnungen derſelben durchſah, und fand, daß
ſie uͤber hunderttauſend Thaler aufgewendet habe, pour sou-
tenir 1’ Encyclopedie et ses dependances. ) Le Breton, heißt
es I. ©. 563, premier imprimeur ordinaire du roi, und
Briaffon waren, nachdem drey andere, welche Antheil daran
hatten, geftorben waren, einzige Verleger der Encyelopädie
40 Correspondance du Baron de Grimm.
geworden. Diderot erhielt für jeden der 17 Bände Tert 2500
Livres, und noch 20000 auf einmal, Sieben Bände waren
bis Ende 1770 abgedruckt, die feisten zehn ſollte le Breton
erft gang aborudfen, und dann all: zehn zugleich an die Subs
feribenten abliefern laffen, damit nicht die Regierung die Un—
terneymung hindere oder aufhalte, weil man es dahin gebracht
hatte, daß fie ignorirte, dab in der größten Parifer Druckerey
funfzig Arbeiter fih damit befhäftigten, den Druck der Encps
clopädie zu vollenden. So drudte man denn alle Artikel fo
ab, wie die Schrififteller fie gelieferte Hatten, und Dideros
feste nad) der letzten Reviſion unter jeden Bogen den Befehl
zum Abdruck. Dann aber machte fih der Torrector und Druk
ker noch einmal darüber her und flrichen alle zu freven Stellen,
alle Ausbrüche des Philoiopheneifers, kurz, Alles weg, wos
von fie glaubten, daß [es die Aufmerkfarfeit der Regierung
erregen könnte, und flellten dann den Zufammenhang, fo gut
fie konnten, wieder her, „Der Druck des Werks, fagt Grimm
&. 566, war faft beendiat, als Diderot einen feiner längften
Artife: vom Buchſtaben S braudte, und ihn ganz verftüms
melt fand. Er war wie angedonnert, in dem Augenblick lag
der Sräuel des Buchdruckers offen vor ihm; er fah feine und.
feiner Mitarbeiter befie Artikel durch, und fand faft überall
diefelbe Unordnung, diefelben Epuren des unvernünftigen
Mörders, der Alles verheert hatte. Die Entdeckung fegte ihn
in einen Zufland von Naferey und Verzweiflung, den id) nie
vergejfen werde. Ich war auf dem Lande, er fhickte mie
einen Boten, um mich mit der unglaublichen Gewaltthat bes
kannt zu machen, und mid nad Paris zurück zu rufen, um
mit mir wegen des Entſchluſſes, "den er zu nehmen hätte, zu
Berathfihlagen.“ Nun fchilderr Grimm, Diderots fchredliche
Verzweiflung, und ruͤckt S. 368 — 576 zwey Briefe ein, die.
er an fe Breton ſchrieb, welche hinreichend beweifen, daß er
fih) in einer Art von Raſerey befand. Jetzt wollen wir noch
ein Benfpiel anführen, um zu beweifen, daß Grimm (den,
wir durchaus nicht ein mauvais sujet nennen wollen, obgleich
uns die Art, wie man ihn neulich im Morgenblatt No. gg.
dagegen hat vertheidigen wollen, ganz und gar nicht genügt )
ſich der Philofophen und des Tons der Converfation zu bes
Correspondance du Baron de Grimm. 44
dienen weiß, um mit Königen, Fürften, Höfen fi in Bers
bindung zu bringen, und diefe Verbindung durch diefe Blätter
zu unterhalten. Um die Zeit nämlich, in welche diefe beyden ers
ſten Bände fallen, hatte Brimm die Bekanntſchaft des Königs
von Preußen auf einer Reife gemacht, bey der ihm d'Alem⸗
berts und feiner andern Parifer Freunde Briefe überall die
Höfe öffneten, wo dann fein Ton dag Weitere that. Sn der -
Correfpondeng Friedrichs mit d'Alembert ift es der 4äte, den
Grimm zuruͤckbrachte, und im Adten heift es ( Oeuvres de
Frederic 1769. Tom IV. p. 114. Der Brief ift vom 16.
Nov. 1769): „Es freut mih, daß id Heren Grimm habe
fennen lernen, Es ift ein Mann von Kopf und philofophis
fhem Geift, deffen Gedaͤchtniß voll fchöner Kenntniffe if. Er
bat Ihnen unmöglich hinreichend fagen können, mie fehr ich
Sie fhyäge, und Antheil an Allem nehme, was Sie angeht.“
Dafür maht Grimm denn hier tiefe Buͤcklinge über den Brief,
den ihm Friedrich fehrieb, odgleich er (I. 328 — 350) eigents
ih Nichts fagt, als daß er ihn glücklich fchäge, in Paris zu
leben. Friedrich und Katharina wußten, wer damals am-laus °
seften in Europa ſchrie, wer am meiſten gehört ward; fie
wandten fih dahin. Auh I. S. 155 — 160 rüdt er das
mandement ein, das Friedrich verfaßte, um d’Argend aus der
Provence wegzufchreken, und ihn wieder nah Potsdam zu
befommen; wir würden diefe Seite lieber nicht an Friedrich
fehen. Es freut ung aber, die Madame Necker mitten unter
dem Haufen in andern Gefühlen zu finden, als ihre Abends
gäfte. Dies beweifer nicht bloß Th. II. S, 513 — 515 der
Brief Voltair's an fie, wo e8 ©. 514 fpißig heißt: „Ih
erfahre, daß Sie feit einiger Zeit mit Madame Deffant in
Verbindung ftehen. Ich gratuliere Ihnen beyden dazu. Sch
wollte gerne der Dritte feyn, ich Bin aber ein zu Unwuͤrdiger
u. f. w.“ fondern auch Grimms eigne Erklärung I. ©. 352:
Hypatia Necker lebt unter lauter Syſtematikern, fie ift aber
doch fromm nad) ihrer Weife.. Sie wäre gerne reine und
aufrichtige Neformirte, oder Socinianerin, oder Deiflin; aber
um Etwas zu feyn, entſchließt fie fih, ſich Über Nichts her⸗
auszulaffen. Gewiß klug von einer Frau, die den Wiß der
Leute liebte, ohne ihren Srundfägen zu huldigen. Man wird
En
12 Correspondance du B:von de Grimm.
‘gerne hören, mie fie zu den SKenntniffen fam; mag es ihe
Verlobter, dag war Gibbon, wie er in der Schweiz war, ers
zählen, ob wir gleich nicht gerne die Seite des Geſchichtſchrei⸗
bers, welcher mehr den Franzofen als den Engländern angehört,
herausheben. „Ihre Mutter, heißt eg (Memoires de Gib-
bon, traduits de l’Anglais. 2 Vol. 8. Paris an V. de la
republique. Tom. T. p. 105), war eine der Religion wegen
geflüchtere Franzöfin von guter Familie, die Herr Curchod,
Pfarrer in einem Meinen Drt, Erafii, im Pays de Vaud, an
der Gränge der Franche Comte, geheyrathet hatte. In der
Einfamteit feines Dorfs gab der Vater der Tochter eine kittes
rarifche und fogar eine gelehrte Erzichung, und Verſtand und
Schönheit der Mademoifelle Eurchod, die oft nah Laufanne
fam, erregten allgemeines Anfiehn. Die Erzählungen von
einem folhen Wunder erregten and meine (Gibbons) Auf
merfjamfeit. Sch fah, ich liedte fie. Ach fand fie gelehrt ohne
Medanterey, lebhaft in der Unterhaltung, vein in ihren Ger
fühlen, elegant in ihren Manieren.“ Sept erzählt er, daß
er ihren Eltern feine Neigung offenbart Habe, daß er in Craſſi in
Laufanne als ihr Verlobter erfihien — und fie in England
vergaß. Die Entſchuldigung find die kalten Worte, die er
Rouſſeau's Briefe, den wir anführen werden, und den er
fannte, entgegenfeßt: „ic feufjte als Liebhaber, ich gehorchte
als Sohn.“ Man Höre Rouſſeau ( Oeuvres ed. 4to. Tom.
XVI. p. 60): Sie geben mir einen Auftrag für Madame
Curchod, den idy fchlecht ausrichten werde, eben weil ich fie
achte x. Die Kälte des Hrn. Eibbon macht, daß ich nichts
Gutes von ihm halte, ich Habe fein Buch gelefen (er meint
das Franzöfiiche, das Gibbon fchrieb, Essai sur l’etude de.
la litterature ), er haſcht nad) Wis, und wird ‚gefünfteft.
Ar. Sibbon ift mein Mann nicht, ich glaube nicht, daß er
der Mann der Mad, Curchod if. Mer ihren Werth nicht
‚fühle, iſt ihrer nicht würdig; aber mer ihn hat fühlen fönnen,
und fih von ihr losreißt, ift ein Menfh, den man verachten
muß. Sie, weiß nicht, was fie will (fie liebte aljo. doch den
etwas unfdrmlichen Engländer ), der Menfh thut ihr mehr
Dienfte, als ihr eignes Herz. Ich will taufend Mal lieber,
daß er fie arm und frey unter ung laſſe, als daß er fie uns
Correspondance du Baron de Grimm. 43
gluͤcklich und reich mie nach England nehme. "Sin Mahrheit,
ih wuͤnſche, Hr. Gibbon fäme nicht wieder. Ich wollte mir.
das verheelen, aber ich kann nicht; ich wollte es gut machen,
aber ich werde alles verderben.“ Damals lebte nämlih Mas
demoifelle Curchod, deren Vater geftorben war, in Genf, und
nährte fi) und ihre Mutter dadurch), daß fie junge Frauen—
zimmer unterrichtete. Meder fah fie hier und heyrathete fie,
— und Sibbon erfhien hernah in ihren Cirkeln in Paris,
Eine intereffante Anecdote bringe noch Grimm J. ©. 449 über
Srebillon bey, wo der Schluß fo haͤmiſch und falfh ift, als
das Urtheil über Erebillon richtig, welches Grimm I. S. 446 —
445 fällt. „Man weiß, fagt Grimm, daß ein Frauenzimmer
von angefehener Familie (Miß Strafford) von Crebillons
Sopha fo gerührt ward, und fih eine fo große Borftellung
vom Verf. madhte, day fie ausdrädlih, um ihn zu fehn, nad)
Maris reilete, und als fie, fich ‚verfihere hatte, daß fie das
Stück ihres Helden machen könne, ihn ing Seheim heyrathete,
und ihm zu Gefallen ihrem Waterlande, ihrem Namen und
ihrer Familie .entfagte. Kerr von Crebillon bat, viele Jahre
mit ihr in Paris fehr, in. der Stille gelebt, aber in großer
Eintracht. Erft nach dem Tode der Heldin hat man die nähern
Unftände der romanhaften Heyrath erfahren; da fiebt man,
wie alles in. der Welt Zufall iſt. Der Verf. einer feichtfertigen
Schnurre flößt einer vornehmen Dame eine ‚Leiderichaft‘ ein,
daß fie übers Meer geht und ihn aufſucht, und der Liebhaber,
der neuen. Heloiſe, der Treufte aller Liebenden muß feine!
Magd heyrarhen!“ Das Feste ift elend;. die. Damen. riffen.
fih) genug um NRouffeau, der. Übrigens ja fchon über 40 war,
und Grimm befonderd, mußte das ja am Tiih und im Bett.
der Frau d’Epinay, wo er zu Kaufe war, am beften erfahren.
fönnen. Zur Geſchichte der Zeit finder 'fih Hier wenig; nur,
merke man auf die Scenen -in der Academie I. ©. 490 — 96,
wo der Abbe! Voiſenon den Bifhof von Senlis in einer oͤf—
fentlichen Rede perfiffllirt, wo die Theilung der Meynungen
fo weit geht und führt, fefe IL &. 278— 87, um zu erftaus
nen, daß die Negierung aus diefen Bewegungen, welche die
Hauptfiadt theilten, nicht erfannte, wohin es kommen könne. |
Die drey letztern, Bände der Grimmſchen Correfpondenz
umfaffen die Zeit vom Januar 1774 bis October 1782; es
fehle, doch ohne daß wir ed bedauern möchten, das ganze Jahr
1779. Das Merkwärdigfte in diefen Bänden iſt die ans dem
TSagesberichten fo deutliche Agitation der ganzen Volksmaſſe
(das Vorfptel der Revolution ), welche fich in den Streitigkeiten
der Academie, der Advocaten und Gerichtshöfe, der Schau
fpielee und ihrer Vorgeſetzten, der Philofophen, der Frommen,
4A Correspondance du Baron de Grimm.
der Romanſchreiber, Tänzer und Muflter erfennen läßt, alle
ſchließen fich getreulih an einander, und ihre mit unglaublicher
Erbitterang getriebenen Händel, die duch ſolche Verichterftatz
ter, als Grimm, gang Europa intereffirten, hatten eine Wichs
tigkeit, die fie vorher nie gehabt hatten, und auch fo leicht
nicht wieder erhalten werden. Da die Parifer Welt für alle
Höfe und Hauprftädte die Schule des Tons war, und Alles,
was von daher fam, verfihlungen ward, fo mufte dies natürs
lich zurück wirken; die Schaufpieler, Dichter, Belletriſten
u. f. w. handelten nicht für Paris, fie hielten die ganze Eus
topäifhe Menſchheit für ihr Publicum; ihre Streitigkeiten
werden alfo der MWeltgefchichte wichtig, weil ſich Demagogen
für die evolution dadurch "bildeten, und die Köpfe erhißt
iviırden. Es wäre zu weitläufig und unintereffant, diefes durch
alle Schaufpiel s und Procefgejchichten, welche in diefem Theile
vorkommen, duchzuführen, wir wollen nur Einiges ausher
ben. Vol. IV. ©. 215 erfcheine Hr. de Vismes zum erften
Mal an der Spige der Oper, welche freylich nicht Oper, fons
dern Academie royale de Musique heift. (Man erinnert
fih wohl, daß Rouſſeau feinen Sct. Preux, oeuvres de
Rousseau à Neuchatel chez Fauche ı775. 8. Tom, IV.
p- 421 fagen läßt: die Oper befteht hier nicht, wie an ans;
dern Orten, aus einer Anzahl Menfhen, die man dafür bes
zahle, daß fie fih vor andern Leuten fehen laffen. Freylich
find es Leute, die das Publicum bezahlt, und die ſich fehen
laffen; aber das Alles fieht gleich ganz ‚anders aus, da es eine
königliche Academie der Muſik it, eine Art von Gerichtshof,
der in feiner eignen Sache inapellabel entjcheidet, fonft aber
eben feinen Anfpruh auf Gerechtigkeit oder Treue macht.)
Man wird fih ſchon nad diefem nicht fehr wundern, daß
Grimm den hoher Herrfhaften fo genaue Nachricht gibt, wie
de Vismes bisher auf die Umftände, auf einmal angenommene
Grundfäge, auf hergebrachte Gebraͤuche, feine Ruͤckſicht ge
nommen, wie er der Turgot der Oper fey, worauf dann ©.
355 — 571 die elenden Streitigkeiten folgen, an denen der
Hof Theil nimmt, die den König lebhaft intereffiren, die ein
Marfhall von Frankreih, der Herzog von Duras, beylegen
muß, von derien endlih Grimm &. 571 ſagt: „Gewiß tft,
daß diefe Sache bey unfern Soupers mehr den Gegenitand
der Unterhaltung ausmachte, als der Ruin unfers Handels,
die Eroberung von Pondicherh und die ungluͤckliche Expedition
nah St. Lucie.“ Man vergleiche dies mit dem, was ein
anderer Augenzeuge, durchaus Hofmann, der bekannte Baron
von Beſenval, Senerallieutenant und Schweizeroberſter über
diefe Eirkel jagt; Memoires Ecrits par lui möme & Paris
Correspondance du Baron de Grimm. 415
1805. Vol. IV. 8. im öten Th. ©. 328 — 557, und man
wird fit) Über Manches weniger verwundern. Bey Grimm
heißt es Vol. IV. ©. 368: Man ſprach au Coucher du roi
von diejen Zänferenen der Operngöttinnen mit ihrem Director.
„Es ift ihre Schuld, meine Herren, fagte der junge König
zu feinen Kofleuten; wenn Sie fie weniger lied hätten, wärs
den fie weniger ungezogen feyn.“ Wie ſehr fie das Letzte was
ren, ficht man gleich auf derfelden Seite: „Der Minifter
will, daß ich tanzen foll, fagte Mademoifele Grimard, er
mag ſich Häten, daß ich ihm nicht fpringen laffe.“ Der große
Veftris hatte dem Hrn. Vismes eines Tags recht ungezogen
geantwortet; diejer fagte: „Aber Hr. DVeftris, wiffen Sie
auch, mit wen Sie reden? — Mit wen ich rede? mit dem
Pachter meines Talents.“ — Mod eins. Sein Sohn weis
gert ſich fchlechterdings, des Waters Rolle in der Armida zu
nehmen, wird alſo auf das Fort 'Eveque gebracht. „Geh, ruft
ihm da fein Vater mit Pathos zu, geh, mein Sohn, dies iſt
der fchönfte Tag deines Lebens, Nimm meinen Wagen ; fodere
das Zımmer meines Freundes, des Königs von Wohlen, idy
werde Alles bezahlen.“ Dazu gehört Tom. V. ©, 214 — 216,
wo der Hof fih in Brunoy aufhält und Actricen der Franz.
Eomddie mitgenommen hat, um fi durd) E chaufpiele zu uns
erhalten Welche Fiivolttät, daß der maitre des menus
laisirs, Defentelles, auf eine bloße Aeußerung des Königs,
aß er die ungedrucdkten Stuͤcke des Dichters Bolle zu ſehn
mwünfche, diefem Zimmer und Pult aufbrechen läßt. Freylich
fand man die Stüde nicht, und mufte den Dichter auf dem
Rande darum .erfuchen laffen; aber dies ift für ung gleichgels
tend. Bey eben viefer Gelegenheit hatten die Herren des Hofs
fit) erlaubt, alle Theaterdamen mitten im Ankleiden entführen
zu laffen, damit ein großer Herr den roues feines Gelichters
eine Dame, deren Tugend er mit taufend Louisd'or hatte faus
fen wollen, und hernach für zwenhundert befommen, im Ne
glige‘ zeige. Hieher glauben wir am beften rechnen zu können,
was ©. 175 — 176 über eine anſtoͤßige Gefchichte ſteht, die
der Marie Antoinerte Gefühl für Schiceflichkeit eben nicht im
guten Lichte zeige. Grimm, als Hofmann, erzähle nur, wie
der Graf von Artois, des Königs Bruder, der Herzogin von
Bourbon einen Stoß ins Geficht gibt, und fih mit dem Her⸗
zoge von Bourbon darüber duellirt, er ift daben ganz auf
Seiten Bourbons, und freut fid) Über die Auszeichnung, die
ihm dae Publicum im Theater gab, da es. Artois und die
Königin kalt empfing, hat aub nur 4 Zeiten darüber. Um
aber die Geſchichte in ihrer ganzen Frivolität zu kennen, muß
man Beſenval vergleihen. Diefer, bier ganz in feinem We—
16 Correspondance du Baron de Grimm.
fen, in der gangen Wichtigkeit eines Hofmanng, Freund des
Grafen v. Artois, breitet ſich über das Talent, daß er dabey bes
wies, weit aus, und enthüllt das elende Wefen der Leute, ohne
es zu wollen. Memoires de Besenval Tom. I. p. 282 — 599;
‚Man denke faft hundert Seiten! und doch ift das richtig.
Mir fönnen ung, weil das Buch vielleicht nicht jedem zur Hand
it, nicht enthalten, den Schluß herzufegen, der zu for
miſch Eläglich iſt, um nicht zu gefallen, S. 5328. Apres l'heu-
reuse issue d’un Ev@nement qui d’abord avoit si mal tourné
pour Mr. le comte d’Artois, et qui avoit tant embarasse
et afflig€ le roi et la reine, a * la part, que j'avois
eue A cette heureuse issue, je a naturellement m'at-
tendre à quelque temoignage de satisfaction. Non seu-
lement ni le roi, ni la reine, ni qui que ce füt, ne
m’en ouyrit la bouche; mais m&äme dans le monde
!’honneur en rejaillit sur le chevalier de Crussol (er
fhreibe E***, meint aber diefen ), soit qu’il l’eüt coute
plus a son avantage qu'elle ne l’etoit dans le fönd, soit
que tout ce qu’il en dit et le silence que je gardai sur
cet objet, ainsi que je le fais toujours sur ce qui me
regarde fit tourner les yeux de son côté! il en eut pres-,
1 tout l’honneur, et jen’en tirai que celui d’Etre content
e moi; ce qui me suffhira toujours.. Edeles Selbſtbewußt⸗
feyn! — Wir kehrten zu Grimm zuruͤck, um aus feinem Werke,
als wuͤrdiges Seitenſtuͤck zu dem Ebengefagten die Gefchichte
der Sängerin Laguere hier mitzutheilen. Sie hatte als gemeine
Diene die edle Laufbahn begonnen, damals eben den Prinzen von
Bouillon in einem halben Jahre ruiniert, und das Vermögen eine
der reichiten Generalpähter, Haudry de Soucy, erichöpft.
Sie follte Vi ©. 244 in der Iphigenia fingen, war aber
während des erften Acts fo betrunken, daß fie hin und herz
taumelte, und nur flammelte. Im Zwifchenact wendet mar
alle Mittel an, um fie nüchtern zu machen, und es geht bejfer;
auh das wird dem König erzählt! „Nun, fagt er dem Mis
nifter, und fie ift in Arreſt?“ Jetzt ward fie verhaftet. Ald
fie aber zwey Tage hernad den Anfang ihrer Rolle:
O jour fatal que je voulois envain
Ne pa5 eompter parmi ceux de ma vie, |
mit Emphafe fpriche, geräth das Pudlicum außer fih vor Ent
jücen, hört gar nicht auf, zu Elatfchen, und der Hof laͤßt ihr
am Ende des erften Acts ihre Befreyung vom Arreft ankuͤndi—
gen. Soll man moch Etwas hinzujeßen ?
C Der Beſchluß folgt. )
— ——
No. 2. Heidelbergiſche 1813.
Jahrbuͤcher der Litteratur.
— ͥ 2
Correspondance littéraire philosophique et critique addressee
A un Souverain d’Allemagne par le baron de Grimm
etpar Diderot.
(Beſchluß der in No, 4. abgebrochenen Recenſion.)
Veane, fein letzter Aufenthalt in Paris, und Alles, was
fi darauf bezieht, nimmt einen großen Theil der drey letztern
Bände ein, welches die Herausgeber aber als bekannt hätten
weglaffen follen. Die Grabſchrift, die Rouſſeau Voltaire'n ges
feßt hat, ift befannt, die einer Dame von Lauſanne IV. ©.
355 verdiente es zu feyn: Ci git l’enfant gäte du monde
qu’il gäta. Wie feicht Abrigens Grimm ift, fobald es über
alltägliches Gefhwäsß hinausgeht, fieht man aus dem Hin—
und Herreden Über Montaigne III. S. 108. ferner über
Sprachen, Schriftfteller, Voltaire und Corneille. III: &. 118
u. fe In demjelben Bande fieht man auh S. 215—226,
wie die Academie in eine Art von Theater ausgeartet war,
wo man nach dem Deyfall einer gemifchten Verſammlung (IV.
S. 560 u. f.) haſchte, und wo man beflatfcht und nicht bes
Hatiht wurde, fo daß ſelbſt Grimm gefteht, die Zuhörer der
Academie beftänden faft aus lauter Weibern und jungen Laffen.
Diele Leute regierten alfo die Litteratur, und Urtheile, wie fie
Grimm II S. 216 — 206 fällt, mußten dann allerdings
nody ausgezeichnet feyn, fo wenig wir auch begreifen, wie
man fich dergleichen von Paris aus konnte zufchicken laffen.
Waren doch Madame Deffant und andere ald Drakel der Litteratur
angefehen (IV. S. 862), mar dody Zutritt zu gemiffen Ges
ſellſchaften das Ziel der Schriftſteller! Wie glücklich find wir
Deutihe Gelehrte, daß es dahin bey uns nie kommen fann t
Nie wird bey ung die Wiffenfhaft zum Zeitvertreib, die Kunſt
zum Spiel herabfinfen, eher vergehen! Sind doch die Vor—
lefungen der wandernden Gelehrten, die Declamatorien, alle
Zwitteranftalten bald lächerlich geworden und aus der Mode
a
418 Correspondance du Baron de Grimin.
gefommen. Naiv ift Grimms Geftändnig IV. &. 39. Nach—
dem er dort über feine Freunde, die Philofophen, geklagt har,
fo feßt er hinzu: „Unordnung und Anarchie, die unter dei
philofophifchen Parthey feit dem Tode der Mademoifelle l'Eſpi—
naffe und feit der Unthätigkeit der Madame Geoffrin geherrfcht
haben, bemweijen, wie viele Uebel die weile Regierung der
Damen verhütet hat, wie viel Stürme zerftreut, und befonders,
wie viel Lächerlichkeiten verhütet worden. Nie würden wir unter
ihrer ehrwuͤrdigen Leitung die Scenen aefehen haben, zu denen
der Krieg Über die Mufit Anlaß gab.“ Welche Stüßen ber
Philoſophie, ein paar eitle- Weiber! Man darf ſich aber nicht
wundern, daß die fchaamlofefte Sittenverderbniß überall Heraus
leuchtet, da der Beſte unter den Göttern der Zeit, Jean Jae—⸗
ques, in feinen Confeffions fo ſchoͤne Grundſaͤtze zeigt, in der
Heloife lehrte, und dem Emil, in der Erziehung am Ideal,
ein fo tröftlihes Ende gibt, daß Grimm Recht Hat, wenn er
ironisch ausruft: „Wenn Sean Jacques in den Abentheuern
Eduard Bomſtons die Weiber, welche honett die Ehe brechen,
etwas zu hart behandelt Hat, fo hat er das in feiner Forts
feßung des Emil.gewiß wieder gut gemacht. Dean kann nicht
intereffanter die Ehe brechen, als Sophie thut.“ Freylich muß
man, wenn Grimm von Nouffeau fpriht, auf feiner Hut
feyn ; denn man: vergleiche nur einmal Tom. II. S. 266 die
Sefchichte, wie St. Fargeaun’s Hund Rouſſeau'n umrennt, mit
derfelben Befchichte in den Confeſſions! Doch bringe er ein
günftiges Urtheil Condorcet's über Jean Jacques ben, das wir
gern unterfchreiben würden, wenn es nicht einfeitig wäre.
„Dieſer berühmte Mann, heifit es, dem das Talent, andere
von dem zu Überzeugen, was er haben wollte, daß fie glauben
follten, angebohren war, hat die Wahrheiten, die er für nüß:
lich hielt, auch populär zu machen gewußt. Sind die Körper
der Kinder nicht mehr in Schnürbräfte geichraubt, wird ihr
Verſtand nicht zu früh mit Worfchriften überladen, entgehen
fie mweniaftens in den erfien Jahren dem Zwange und def
Dienftbarkeit, fo verdanfen fie dies Rouſſean. Darum trug
aud) eine Frau von vielem Gefühl darauf an, daß nian ihm
eine Statue errichte, die von Kindern gekroͤnt würde. — —
Er hat in unfern jungen Leuten den Enthufiasmus für die
Correspondance du Baron de Grimm. 19
Tugend wieder erweckt, der ihnen fo nöthig warl, um: ihn den
heftigen ‚Leidenfchaften entgegen zu feßen. ‚Das find die Ans
fprühe, die er an die Dankdarkeit der Menfchen hat. Unter
den neuern Pbilofophen ift er einer von denen, diersam meis
fin auf die Gemüther gewirkt haben, weil er das Tälent
beſaß, die Seele der Lefer fo zu lenken, wie die Alten Redner
(und hätte er fagen follen Sophiften) die Seelen ihrer Zus
hoͤrer lenkten: Aber auch Rouſſeau Hatte gegen die Philofophen
gefündigt, und für alle Sünden ift Vergebung bey Grimm,
nur die Sophiften muß man nicht necken. Weil er das« thut,
fommt ein elender Schriftfteller, de Querlon, zu der Ehre, den
Torrefpondenten denunciirt zu werden. Dieſer Menſch Hatte
nämlih Noten zu Montaigne’s Reifen gemacht, die auch recht
gern in alten Kaften auf dem Schloſſe Montaigne’s, das das
mals dem Grafen Segur de fa Roquette gehörte, wo ſie der
Canonicus Prunis (III. 94) triumphirend fand, hätten faulen
mögen. Wem fällt bey ſolchen Gelegenheiten nicht ein, daß
Paliffot doch Recht hat, wenn er gleich ſelbſt nicht beſſer iſt,
zu fagen (Oeuvres dc Palissot. a Liège 1777 in den: Phi»
losophes act, II, Tom. p. 189):
Ces grands mots imposans d’erreur, de fanatisme;
De persecution, vieridroient A son secours.
C’est un ressort use qui reussit toujours.
Wie fehr durch die Furcht gefhimpft, . oder lächerlich. gemacht
ju werden, die arigefehenften Perfonen ded Reichs in ‚Furcht
gehalten wurden, fieht man recht in dem Proceffe Raynal’s,
wie er ( Tom. V. ©. 306 u. fg.) die histoire philosophique
des etablissemens etc. unter feinem Namen hatte dyucken
faffen, nnd deshalb eingezogen werden follte. Er hatte, heißt
es bier (V. 308), jet allen Näcfichten entfagt, und, ja,
man erftaune, daß eine Nation fo tief finfen kann: „Indeß
bezahle er (Raynal) feine Mitarbeiter ‚gut, und, die einzige
Bedingung , die er macht, iſt: daß, wenn fie die Geiſtlichen
und die chriftliche Religion herabſetzen und ſchmaͤhen, ſie dem
Theismüs Ionen, weil die Brundfäge des ihm. entgegenges
feßten Syſtems, die ſich in der erſten Ausgabe faͤnden viele
rechtliche Leute in Enaland und Deutſchland (alſo nicht in
Frantreich) empört haͤtten.“ Wie ieer muͤſſen einem jeden
20 Correspondance du Baron de Grimm.
bann alle Klagen über Verfolgung erfcheinen, mie ficht man
fo deutlich, wer eigentlich verfolgte. Um dies beffer zu zeigen,
wollen wir uns eines Briefs von Voltaire bedienen, der nicht
leicht jedem in. die Hand fallen möchte. (Er fieht Oeuvres
de Palissot Tom. VI. p. 395) „Sie haben, fagt dort Vols
taire zu Paliſſot, die vechte Saite gefchlagen, mein Herr, ich
Habe Freret, den jüngern Crebillon, Diderot, ins Gefängnif
werfen fehen; ich habe gejehn, wie faft alle andre verfolgt
wurden. Der Abbe‘ de Pondes, wie Arius von den Athanas
fianern behandelt, Helvetius eben fo graufam unterdrückt,
Tercier feines Amts, Marmontel feines Vermoͤgens beraubt,
und Bret, fein Cenfor, der ihn durchgelaffen, in die aͤußerſte
Armuth verfunten.“ Mer follte nicht erfchrecfen, wenn er fo Etwas
tiefe, und nun vergleiche man die Mote Paliſſots &. 395 —
3595, die'wir unfern Lefern nachzulefen Überlaffen, und fehe,
wie fogar Nichts daran iſt; und doch bringe Paliffor ‚Facta
vor, nice Worte, Wir bleiben nur bey Rouffeau ftehen, den
Voltaire, der ihn verfolgt, zu den Verfolgten rechnet. „Sean
Jacques Rouffeau, fagt er auf derfelden Seite, der den Wiſ—
fenichaften nüßtlich feyn konnte, ward ihr Feind aus lächerlichem
Stolze, und ıhre Schmach durch eine fürchterlihe Aufführung.“
Das ift noch gelind, es ift in einem Briefe; wir haben andre
Stellen. In der Vorrede zum Leben Peters des Großen ſchilt
er ihn visionnaire, fpricht von einem je ne sais quel con-
trat social ou insocial, nennt ihn am Ende einen Gaſſen—
buben ( man höre: c'est une etrange manie que celle d’un
polisson qui parle en maitre aux souverains et qui pré-
dit infailliblement la chute prochaine des empires du
fond dü tonneau, oüı il pröche et qu'il croit avoir ap-
partenu autrefois à Diog&ne). Ja, er ruft ſelbſt den weltlis
chen Arm’ gegen ihn an, und droht ihm damit (vergl. das
Dictionnaire philosophique, Amsterd, Rey. 178g. article
Pierre le Grand et Jean Jacques Rousseau, Tom, VII.
p. 138 — 144). Diefer Eifer fanatifher Sophiften hat dann
viel Aehnlidyes mit der Sentimentalirät liederlicher Schauſpie⸗
ler. Tom. III. S. 61 u. f. ſollen die Schaufpieler auf gewoͤhn⸗
liche Weiſe das Publicum gruͤßen, da nimmt die Deschamp
mit liebenswuͤrdiger Maiverät (S. 64) den Schauſpieler
Correspondance du Baron de Grimm. 21
Elairval bey der Hand. (man weiß, was Clairval, Eailfot u. a.
den Damen waren) und fagt laut: „Kommen Sie Clairval,
Sie wiſſen den Damen ſo gut den Hof zu machen, Sie
muͤſſen Sie begruͤßen.“ Das Publicum klatſcht. Dann fuͤhrt
Grimm eine Herzogin redend ein, daß uns bey der Art, wie
er mit feinen Herrſchaften ſpricht, eine Stelle aus Duclos
einfiel. Memoirs secrets Tom. I. p: 897: Ein ſcherzen⸗
der Ton deckte am Hofe (des Regenten) alle Sittenlofigs
keiten; und dies hat fi in der großen Welt erhalten.“ Dazu
paßt denn auch vortvefflich die Erziehung, von der bier Proͤb⸗
hen vorkommen. Man kennt das Verhaͤltniß, in dem Mas
dame de Genlis mit dem Herzog von Orleans ftand. Tom. V.
S. 156 erzähle Grimm, wie man. der Genlis in Berch ein
Feſt gibt, wobey die Kinder, die fie erziehen follte, die kaum
zwey Jahr alt waren, fagen mäffen: Die Eines. Maman,
Genlis, ces deux noms lä — sont lä (aufs Herz deutend ).
Die Andre: Et tous deux font dire de möme — jaime,
und das Duo hatte der Unter s Gouverneur der beyden Brüder
der Prinzeffinnen erfunden! Etwas Aehnliches ift- doch aufs
falender bey Madame Necker, wenn man nicht Hrn. Meckers
Borliebe für feine Tochter, die jegige Madame Staël Hol
fein, derem ganzer Lebenslauf in diefer Geſchichte liegt, kennte.
Tom. IV. ©. 290 macht fie als zwoͤlfjaͤhriges Mädchen Co—
mödien, und befonders eine unter dem Titel: Les inconve-
niens de la vie de Paris, von der Grimm fagt: qui n'est
pas seulement fort etonnante pour son äge mais qui a
paru m&me fort supedrieure & tous ses modäles. Die Cons
plets von Marmontel bey der Genefung ihres Vaters hätte.
fie immer fingen mögen, wenn nur nicht die gelehrten Herren,
die bey der Mutter fpeifeten, der Tochter im eilften Sjahre fo
viel Weihrauch gefireut hätten. So wie der Madame Staif
Bildung aus diefen Anecdoten einleuchtet, fo wirft der Auszug,
den Grimm, IV. &. 105 —ı90, aus den benden Lobreden,
die der Abt Morellee und Thomas, und dem Briefe, den
" d’Alembert gleich nad dem Tode der Madame Geoffrin über
fie herausgab, ein Licht auf den Charakter diefer Frau. Uns
hat an ihr am werigften gefallen, was am einer andern Stelle
bey Grimm vorkommt, daß ihr Mann unter ven. philofophis
22 Correspondance du Baron de Grimm.
ſchen Schreyern an der Ede des Tiſches einen Platz erhielt,
doch fo,.daß er nur eine ftumme Perfon machte. Wir wollen
fie übrigens, da viel Gutes von ihr geſagt wird, das freplich
fehr affectire ausfieht, weder anklagen, noch vertheidigen, der
Verftändige wird aus einer Mote Srimms Tom. IV. S. 116
leicht fein Urtheil Über ihre Wichtigkeit und die ganze Tendenz
ihres Handelns bilden: „Das gegen Madame Geoffrin eins
genommene Publicum glaubte, fie habe die Gelehrten und
Künftler (d. h. Schauipieler ) nur darum in ihr Haus gezo—
gen, um die Leute von Stande dadurch anzuloden. Gewiß
iſt wenigſtens, daß fie fchon feit geraumer Zeit eine ziemliche
Langeweile in der Gejellihaft unferer Litteratoren empfand,
und mit ihren Kabßbalgereyen unzufrieden war; noch gemilfer
ift, day Niemand auf die allgemeine Meynung höhern Werth
fegte,, den Wechſel derfelben beijer faßte, und ihm mit mehr
Biegſamkeit folgte, Als Helverius fein Buch de Vesprit bes
kannt gemacht hatte, fagte er feinen Freunden: „Mir wollen
fehn, wie Madame Geoffrin mich aufnehmen wird’, wenn ich
dies Thermometer der oͤffentlichen Meynung befragt habe,
kann ich genau miffen, welches Gluͤck mein Werft macht.*
Dies iſt zugleich hinreichend, um zu zeigen, wie gefaͤhrlich die
Dilettanten den Gelehrten ſind; das fuͤhlte Diderot auch ſehr
gut, und er ſagt es in der III. S. 269 eingeruͤckten Schrift:
Resultat d’une conversation sur les egards qu’on doit aux
zangs et aux dignites de la société. S. 275 heift es:
„Er (der Gelehrte) wird die Gefellfhaft von Seinesgleihen
jedermann vorziehen: denn, in ihr kann er feine Kenntniß
erweitern, und ihr Lob allein Bann ihm ſchmeichelhaft ſeyn;
er wird fie der Gefellihaft der Vornehmen vorziehen, bey des
nen er zum Erfaß feines Zeitverlufts nur Lafter gewinnen fann.
Er ift bey ihnen wie ein Seiltaͤnzer zwifchen Miedersrächtigkeit
und Hochmuth. Die Miederträchtigkeit beugt das Knie, der
Hochmuth wirft den Kopf in den Nacken; der mürdige Mann
träge ihn gerade." Treffen fih doch manchmal die heterogens
fien Geifter auf einen Gedanken, bier fpriche Diderot mie
Mouffeau, im jener Mote über die Seoffrin Grimm wie ber
ärgfte Antiphiloſoph, und: Tom. IH. ©. aßı treffen wir den
leichten und leichtfertigen Galiani mit unferm langſamen aͤcht⸗
Correspondance du Baron de Grimm. 23
profaifhen Meiners auf einem Gedanken. Dort heift es in
dem Briefe an Madame d’Epinay: Ainsi la perfectibilite
n’est pas un don fait & l’homme en general mais & la
seule race blanche et barbue, Par alliance la race haza-
nee et barbue , la race bazande non barbue et la race
noire ont gagne quelque chose. Iſt das nidyt du Meiners
tout pur? Dod ift noch ein Unterſchied; in Meiners fhwars
gen Brauen wohnte nur kalter Ernft; Galiani verfieht Spaß.
Politiſche und literariſche Notizen finden fi) wenige
brauchbare oder zuverläffige. Was der Prinz Eduard angeht,
den die mehrften unferer Lefer wohl aus Voitäire’s sidcle de
Louis quinze fennen, fo fcheint es uns nicht vecht glaudlich,
was Tom. V. ©. 52 erzähle wird, daß er, wie er aus der
Baftille entlaffen worden, fi drey Jahre bey der Martife
von Waffe zu St. Joſeph in der Vorftade St. Germain auf;
gehalten, um die Prinzeffin von Tallmont, in die er verliebt
war, und mit der er fih doch balate, zu fehen. Ein mau-
vais sujet, mie Eduard, wäre wohl dazu im Stande gewefen,
das hätte aber doch D’Angerville oder wer fonft Werfaffer der
vie privee de Louis quinze (& Londres 1781. Littleton.
4 Vol. 8.) feyu mag, erfahren; Hier heißt es aber ausdruͤck⸗
(ih Vol. II. &. 301: „Man ließ ihn drey Tage in Verhaft,
dann brachte man ihn an den pont Beauvoisin, und dies
nahm ihm alle Luft, nad) Frankreich zurück zu kehren,“ und
doch intereffirte den Verf. die Sache: denn in den Beylagen
findet man alle Vaudevilles, die bey der Gelegenheit circnliks
ten. Die Anecdoten, weiche Grimm V. ©. 45 u. fg. über die
du Barry beybringt, hätten die Herausgeber ganz weglaſſen
follen, da fie in der vie privee Tom. IV. ſchon benust fin»,
Mir waren begierig durch Grimm, der doch in Paris tehte,
über den Verf. diefer aus ganz verfchiedenen Büchern mit den
Worten der Verf. zufammengeftoppelten Geſchichte etwas zu
finden; aber er erwähnt ihrer zwar V. &. 256, mirft aber
nicht einmal dem Verf. vor, daß er aus einem fo bekannten
Buche, als Voltaire's siecle de Louis quinze fo fehr lange
Stellen wörtlich einruͤckt. Wahrſcheinlich war es d'Angerville
( Correspondance litteraire secrète No; 10 et 11. und
woher? Don umferm Müller von Itzehoe, Geſchichte ber
24 Correspondance du Baron de Grimm.
Waldheime zweytem Theil &. 255), andre halten aber doch
auch den Mouffle de Georgeville dafür, und dies ift nicht
ganz unbedeugend, da doch einige Nachrichten diefes Werks
aus keinen andern Quellen bekannt find. Gut ausges
wählt ift aus Milloes Memoires de Noailles der Brief der
Prinzgeffin des Urſins, wo fie (III. ©. 418 — 419) ihre
erite Lane bey Philipp V. und seiner Gemahlin beicreidt.
Wie tröftete fie fi bald! Gut ift der Artikel über Dorat
V. ©. 161 — 171; wer Dorat kennen und beurtheilen will,
darf ihm nicht Überfehen, fo wenig als zur Ehre von fa Harpe
die Anecdote ©. 10—ı2, wo Dorats Serretair, der gegen
diefen erbittert wre, und Geld noͤthig hatte, ihm, dem Args
ften Feinde Dorats, Papiere anbietet, deren Bekanntmachung
Dorat verderben mußten, er fih diefe Papiere verihafft, und
fie Dorat ausliefert. Nührend ift die Geſchichte des Dichters
Gilbert, der V. S. 22a in feiner Armuth erft wahnfinnig
wird, dann im Wahnfinn feinen Stubenſchluͤſſel verfchluckt,
und ins Hötel Dieu gebraht wird, wo er noch vierzehn
Tage oder drey Mochen fein Leben hinfchleppt, als feine letzte
Arbeit aber dieje Verſe eines Pfalms hinterläßt :
Au banquet de la vie infortund convive,
J’apparus un jour et je meurs;
Je meurs, et sur ma tombe oü lentement j’arrive
Nul ne viendra vogser des pleurs.
Es ift über Grimme Sphäre, wenn er Buffons epoques de
- Ja nature deurtheilt, und der Wis ift fhaal, wenn er V.
S. 175 über das Sleihnif der Rakete und Flintenkugel, wels
ches Buffon Euler'n entgegen 'feßte, fagt: „Sch habe Herrn
Buffon fagen hören, Kerr Euler hätte fih bey der Rakete
(man denke an die Bedeutung une fusde) beruhigt. Es wäre
unfhiclih, fchmwieriger zu feyn, als Ar. Euler.“ Wir hätten
erwartet, er hätte Hrn. Buffons lange Phrafen angegriffen,
das gehörte vor fein forum. Was den Wis Grimme angeht,
fo fagt Buffon ſelbſt ( histoire naturelle edit. 8vo. Paris
1769. Tom. T. p. 243 ) von feiner Hypotheſe: „Sch hätte
ein dickes Buch fchreiben fönnen, wie Burnets und Whiſtons
Buch ift, wenn ich die Ideen, welche das Syſtem, von dem
ich fo eben geredet habe, ausmahen, ausführen und ihnen
Correspondance du Baron de Grimm. 235
ein geometrifches Anſehn hätte .geben mollen; aber ich denke,
daß Hypotheſen, fo wahrfcheinlich fie auch immer feyn mögen,
nicht mit fo vielem Aufiehn dürfen behandelt werden, weil dies
wie Marktfchrenerey ausfieht.“ Wir fchliefen mit einer Bes
merkung über Diderots Declamation gegen die Sjefuiten, unb
für Dlavides. In Beziehung auf die Erftern wird es jedem
intereffant ſeyn, den neuſten DVertheidiger der Jeſuiten, Hrn.
Hofprediger Stark in Darmftadt, im Triumph der Philofophie
des achtzehnten Jahrhunderts (Germantown. Nofenblatt zwey
Bände von 671 und 634 &, 1805) im erften Bande im
fehzehnten und ficbzehnten Kapitel zu vergleihen mit Diderot
in Tom. V. &. 588 u. fgg.. Man fieht zugleich, wie die
Meynung ſchwankt; vor zehn Jahren fchrieen alle wie Diderot,
und jeßt hat auh Joh. von Müller, Allgem. Gefchichte dritter
Band ©. 22 — 27, fih für die Jeſuiten erfläre, und in der
That haben die maltres de la terre, an welche Diderot S. 340
apoftrophirt, nicht wohl gethan, dem Aufruf fo ohne weiteres
zu folgen. Die Geſchichte des Dlavides V. S. 340 bis zu
Ende des Buchs ift auch eine leere Declamation, und man
muß deshalb eine Stelle aus Bourgoing tableau de l’Espagne
‚moderne, troisitme edition. Paris 1803. 8. Tom. I. p.
569 — 381 vergleihen, wo die Gefchichte genau erzählt iſt.
Es heift am Schluß: „Dlavides wurde in ein Klofter gefteckt,
beklagte ſich aber, daß feine Gefundheit dort litte, erhielt alfo
Erfaubniß, nad Eatalonien zu reifen, um die Bäder zu ges
brauchen. Er wußte dort feine Wächter, die wohl abſichtlich
nicht genau Acht gaben, zu täufchen, und entwifchte nad)
Frankreich, wo er als Märtvrer der Sjntoleranz aufgenommen
ward, Bey feinem erften Auftritt ward er von den Philofos
phen gefucht, durd die. Saftfreundfchaft getröftet, und von
Dichtern geprieien. Im Jahr 1797 (fo heißt es Bourgoing
S. 380 ) fchmiihelte fih Dlavides wohl nicht, fein Vaterland
wieder zw fehen, wo man ihn als einen Profcribirten hehan—
delt hatte, und aus dem er ald Flühtling entfommen war;
aber das Alter, das Ungluͤck, große Beyſpiele, hatten ihn zu
der Religion zurücgebraht, deren Verachtung man ihm Schuld
gegeben. Micht bloß fagte er frey und offen, daß er dem
Chritenehum anhange, fondern er hatte auch feine Mufße dazu
PR
26 Macbeth von J. C. Fick.
angewendet, die Vertheidigung deſſelben zu führen, und dies
bewies in Spanien, wie es dort bekannt wurde, binreichend,
daß er fi) aufrichtig bekehret. Er erfchien 1798 wieder in
Madrid, wo er zwanzig Jahr vorher als Ketzer war beftraft
worden. Aber Ehrgeiz wie Groll waren in feiner Seele ers
tofchen, er begab ſich nach Andalufieen, wo er bey einer Wer
mwandtin. in der Stille lebte. nn |
Ca. « I.
Macbeth, Tragedy by Shakespeare (Shakspeare) with german
notes by D. John Christian Fick. Erlangen, printed for
C, C. F. Breuning. 1812,
Bon dem Abdrucke einer einzelnen Shaffpearifhen Tras
gödie, mie der gegenwärtige, erwartet man zum mindeften
einen kritiihen Tert, und in den Anmerkungen eine Auswahl
folher, die für beffimmt gedachte Lefer zwiihen dem zu viel
und zu wenig grade das enthalten, was zur Erläuterung und
Aufhellung des Stücdes nothwendig if. Herr Fick hat diefe
billigen Erwartungen nicht erfüll. Er gibe ung einen überaus
‚fchlehten Tert, und. unter diefem fo willtührlich hingeftreute,
unbedeutende, oft falfıhe und. von Unkunde der Englifchen wie
der Deutſchen Sprache zeugende Anmerkungen, daß wir fein
Bedenken tragen, ihn einen Stämper zu nennen. Wir
wollen unfer Urtheil mit einigen Beyſpielen belegen. S. 3
ſagt der verwundete Krieger vom Macdonmwald (Macdonel
fchreibe Ar. F. nach eigener Willtühr) :
And Fortune, on his damned quarrel smiling
Shew’d like a rebel’s whore.
Daß fo zu lefen ift, beweiſ't Steewens unmwiderfprehlih aus
dem Holinshed; gleihwohl behaͤlt Hr, F. das finnlofe
quarry, Wildbrett, bey. — ©. 14:
— — — — — only J have left to say,
More is thy due than more than all can pay. .
More than all maht Einen Begriff aus (wie in Arioſt's
fhöner Zeile :
Michel, piü che mortal, Angel divino.),
und bezeichnet aͤcht Shakſpeariſch den denkbar größten Reich—
tum auf Erden:
Sieh mich ald Schuldner an
zur mehr, ald mehr denn alles zahlen kann.
Davon ahndete Ar. F. nichts, indem er fillihweigend More
is thy due, ‚even more etc. an die Stelle feste. Gleich
darauf ifl:
Machetb von J. ©. Fick. 7
safe toward your love and honour
die richtige Lesart, in der, wie Blackſtone zeiat, "auf das
befannte Sauf la foy que jeo doy a nostre seignor le
roy angefpielt wird. Sr. 3. gibt das längft verabſchiedete
hef’d. — S. 32: a
— — — no; this my hand will rather
The multitudinous seas incarnadine
‚Making the green — One red.
Diefe Pesart empfiehlt fih durch die Wortftellung, als die eins
zig wahre. Was Hr. 8. gewollt har mit!
Making the green , One red — —
begreifen wir nicht. S. 75 lieftt Ar. F.:
His title is affear’d |
und erflärt: „Sein Recht ift abgeihrect,“ Wahrſchein⸗
lich wollte er afeard geben; aber dagegen iſt der Zufammens
hang. Mec, lieſ't mit den befferen Kommentatoren affeerd,
Sein (Macbeths) Titel ift geborgen. — ©. 2b:
— — — '—- -— Now o’er the one half world
Nature seems dead, and wicked dreams abuse
The curtain’d sleep; now witchoraft celebrates. —
Das ſchoͤne sleep wollten einige Englifhe Kunftrichter in slee-
er verwandeln ; je matter, je beſſer, denkt unjer Herausgeber
nd folgt ihnen.
Die Heinen Anmerkungen unter dem Text gehören zu dem
Schlechteſten, was uns im diefer Art bekannt iſt. Bald fcheint
es, der Herausgeber habe fih die erften Anfänger als feine
Lefer gedacht, bald wieder, als glaube er, die fchwerften Sa⸗
hen für befannt vorausießen zu dürfen. Nirgends ift ein fefter
Sefichtspunct, überall Leerheit, Seichtigkeit, Ungruͤndlichkeit.
Wenn wir holily durh „heilig, auf eine geredte
Weiſe“ erklärt finden, hurly — burly durch „Geraͤuſch,
auf die Schlacht fid beziehend,“ what thou art
promis’d durd „was dit verheifen tft,“ thou antici-
at’st durd „du fommft zuvor, greifft ein,“ birthdom
* „Geburtsrecht“ u. ſ. w., ſo glauben wir, er wolle
Kindern das ABC eintrichtern. Sehn wir dagegen, daß er
flillſchweigend voruͤbergeht bey Stellen, wie: but screw your
courage to the sticking place, oder ©. 33: he should
have old turning the key u. a., fo follte man meinen, er
habe fein Buch für vecht unterrichtete Lefer beftimmt. Aber das
wahre der Sache ift wohl, er fehmieg, wo er nichts wußte.
Diefer Fall tritt ein S. 15:
The rest is labour, which is not usd for you.
%
28 Macbeth von J. C. Kid.
S. 57: to countenance their horror, &. 56: Impostors
to true fear, ©. 81: of many worthy fellows, that
were out; ©. 65: the powers above
Put zu their instruments, Receive what cheer you may;
The night is long, that never finds the day u, f. w.
Daß wir Herrn 5. mit folben Vorausſetzungen nicht zu nahe
treten, beweilen Anmerkungen, wie folgende: ©. 18: un«
sex me here „entſchlechtet mich, wandelt mid
um;“ ©. 22: if the assassination
Could tramel up the consequence, and catch
With its surcease succefs.
‚„Menn der Mord in fich feldft enden , den regelmäßigen Lauf
von Folgen zurüd halten, . und fein Gelingen den Stillftand
fibern fönnte;“ S. 11: that trusted home, „diejes flarke
Vertraun“ (sic); S. 25: wassel, Lebermäßigfeit, Auss
———— im Trinken; S. 20: coigne of vantage, vors
heilhaft berausftehender Theil;“ weird sisters, „beherte
Schweftern“ ſtatt Zaudberfchweftern, Schickſalsſchweſtern. —
©. 59. In:
‚ Augurs and understood relations have
By maggot - pies and choughs and rooks brougt forth
The secret’st man of blood. |
wird Augurs durh Wahrjager, maggot-pies duch Mas
denelftern erflärt, über die understood relations dagegen
fein Wort geſagt. S. 81: shardborne beetle ift ihm „ein
Käfer in Holzriifen erzeugt;“ S. 55: at first and
last, „dem erften bis dem lebtem“ (welches Deutſch!)
ftatt einmal für allemal. Manchmal fcheint dem Her—
ausgeber das Rechte vorgefchweht zu haben; aber die Sprache
wollte nicht folgen, wie &. ı2;
. My tlıought, whose murder yet is but fantastical ,
Shakes so my single state of man , that function
ls smother’d in surmise and nothing is,
| But what is not. |
„Mein Gedanke, deffen Mord nur noch phantaftifch iſt, er⸗
fchirtert fo meinen einzelnen Zuftand des Menfchen, daß die
Lebensthätigkeit in der Einbildung eritickt wird, und (etwas
anderes) für mic) nichts ift, was nicht if.“ So ©. 73:
To fright you thus, methinks, I am too Savage
To do worse to you, were fell cruelty,
Which is too. nigh your Person.
wo die zweyte Zeile umfchrieben wird: „Noch fchlechter hans
delte ich gegen euch, wenn ich euch und eure Kinder morden
ließ (ließe), ohne euch zu warnen. — Von Sprachfehlern
Winzer de daemonologia N. T. 29
haben die ausgehobenen Stellen ſchon Proben geliefert. &. 85
heißt es außerdem: „Sie glaubt, fie fpräche mit ihrem
Gemahl.“
Wir ſind es muͤde, den Augeiasſtall auszufegen; drum,
nur noch die Bitte an den Herrn F., er wolie ſich aufraffen,
und diefer verungluͤckten Ausgabe einmal eine gute nachfolgen
laſſen, die wir Ipben können.
D. A. E.
Die Inauguraldiſſertation des Herrn D. Winzer in, Wittenberg,
die er am 30. Jul. 1812 vertheidigt hat, fuͤhrt den Titel:
De Daemonologia in sacris Novi Testamenti libris proposita
Commentatio prima. Viteberg. literis Graefßsleri. 57 ©.: 4.
Eine fleifige von grändlihem feften Forſchungsgeiſt und
nicht gemeiner Gelehrſamkeit und Belefenheit zeugende Arbeit,
welche gu den fchöniten Erwartungen vom Verf. berechtigt. Sie
lehrt ung einen Theologen fennen, der im Ausland darum
wenig befanne ift, weil feine Befcheidenheit und die firengen
Anfoderungen,, die er an fih macht, ihn abgehalten zu haben
fcheinen, fih, einige kleine akademiſche Schriften abgerechnet,
als Schriftfteller zu zeigen. In diefer Differtation hat er ung
nur einen Meinen Theil der ausführlichen Unterſuchung -über
die neuteſtamentliche Dämonologie vorgelegt, das Prooͤmium
und das erfte Kapitel von der Eriftenz und den- Namen der
Dämonen ; aber auch diefes iſt fo erefflih und wichtig, daß
wir gern etwas dabey verweilen.
Der Berf. geht aus von den Hauptfäken der Emanationgs _
lehre und Dämonologie der Indier, Perſer und anderer Völker
und der. Aehnlihkeit der lektern mit der Dämonoloaie des N.
T. Denn wie dort das Neich des Böfen und ded Guten eins
ander entgegengefeßt werde, fo im N. T. der Satan dem-
guten Geiſt, der fih mie Chriftus vereinigt und fein Reich dem
von Chriftus zu ftiftenden Reich‘ Gottes; was wohl niemand
leugnen kann , der das M. T: mit biftorifhem Sinn betrachtet
Hat. Hierauf erfiäre ſich der Verf. Über die verichiedenen Meys
nungen neuerer Gelehrten über die Dämonoloaie, ihre hiftorifche
und philofophiihe Nichtigkeit und ihren dogmatiichen Werth.
Diejenigen, welche die moralifche Nothwendigkeit des Satans
vertheidigt,, oder deffen Eriftenz geleugnet, weiſ't er ab mit
der Bemerkung, daß aus philofophiihen Gründen ‚weder ger
leugnet, noch behauptet werden fönne, daß ein Teufel eriftive
oder gedacht werden könne oder muͤſſe. Hierbey möchte er. aber
doch der Phitofophie zu. wenig einräumen. Darüber, was man
I
80 Winzer de daemonologia N. T.
wiffen oder denken kann, gibt die Philofophie die allergemiffefte
Auskunft, und bliebe man daben ftehen, fafite man dies nur
feft ins Auge, fo würde alles Schwanken und Träumen in der
Philoſophie ein Ende haben. Es läßt ſich lelcht zeigen, daß
man einen Teufel nicht denken koͤnne, ohne die reine Idee der
Gottheit aufzugeben. Auch die Meynung derer, welche ans
enommen, ah ſich Jeſus und die Apoftel im Wortrag diefer
Behre accommodirt haben, verwirft der Verf. Sefus habe die
Lehre vom Teufel nicht etwa bloß in Neden an das Wolf und
in Sefprähen mit den Pharifäern, wo er xar' AvyIpmnow
hätte fnrechen können, vorgetragen, fondern bey jeder Gelegens
heit, ohne äußere Veranlaffung, im vertrauten Geſpraͤche mie
feinen Sängern. Für denjenigen, welcher den fumbolifchen,
bitdlihen Geiſt des Alterthums kennt, liegt darin noch immer
fein enticheidender Beweis gegen die Accommodationstheorie;
Jeſus mußte, um als Volkslehrer zu wirken, die Meinungen,
weiche feiner Sache nicht Hinderli und jhädlich waren, nicht
nur ftehen laffen,, fondern fogar pofitiv gebrauchen, fo wie er
fi der Sprache feiner Zeitgenoffen bedienen mufte. Hätte er
die Lehre vom Teufel widerlegen wollen, fo hätte er Zeit und
Kraft auf eine Mebenfache aufgewandt, und die Hauptſache
aus der Acht gelaffen. Konnte er die hohe Beftimmung feiner
Sendung beflimmter und deutlicher ausdrüden, als dadurch,
daß er fagte, er ſey gefommen, die Werke des Teufels zu zerftören ?
Die Idee des Teufels war die hoͤchſte Abftraction des Boͤſen,
welche die Zeitgenoffen Jeſu fih machen konnten. Eine Unters
fuhung daräber, wie Sefus fih über dieſe Vorſtellungen
erhob, wäre wohl nicht überfläffig gemeien. Er, der mitten
inne zwiſchen den beyden Sekten der Juden, oder eigents
lich &ber ihnen fand, mußte gewiß die Nichtigkeit der pha:
rifäifhen Vorftellungen durhfchauen, zumal da fie im A. T.
nur nebenbey und in fpätern Büchern vorfommen., Sodann
hat der Verf. die Frage mit keinem Worte berührt, ob auch
die Relationen der Evangelien fo ganz, auch dem Buchſtaben
nah, auf Treue und Glauben anzunehmen feyen. Wir wollen
mit diefem allen die Accommodationstheorie nicht ſtreng vertheis
digen, fondern wir wünfchten nur den Verf. vorſichtiger in
dieſem Stuͤck zu mahen. &o fcheint er nicht genug Vorſicht
in Anwendung der Stelle Joh. 16, 7. 8, ı1. gebraucht zu has
ben, aus welcher er beweiſ't, daß Jeſus die Satanslehre Feines:
wegs unter die Beftandtheile jener Lehre gezählt habe, welche
nur auf einige Zeit Sültigkeit haben follten, fondern unter die
wichtigften , von melden die Apoftel nach feinem Tode mittelft
des heil. Geiftes die Werächter feiner Religion Überzeugen Volk
fen: Was folge aber hieraus ? etwa, daß die Lehre vom Teufel ein
Winzer de daemonologia N. T. 31
Hauptbeſtandtheil der chriftlichen Religion fey ? oder nur, daß
fo wie Jeſus fi der Sprache und Begriffe feiner Zeitgenoffen:
bediente, es auch die Anpoftel fo machen follten und mufiten ?
Der Verf. zieht nun aus feinen Behauptungen den Schluß,
daß die Dämonologie zum Wefen des. Chriſtenthums gehöre.:
Hier raͤcht fich die verjhmähte Philofophie fehr ftart an dem
Verf., der ganz allein der Hiſtorie fih ergeben zu haben fcheint.
Es kommt alles darauf an, was man unter Chriftenehum
verſteht. Der Verf, ſcheint alles darunter zu begreifen,
was die Apoflel irgend gedachte und geglaubt haben. Kr
faßt alle hiſtoriſchen Materialien zufammen, wie fie vorliegen,
nach einer äußern Beziehung, nah der Beziehung auf bie
Merfonen der erften Lehrer des Chriſtenthums. In dieſem Sinne
wollen wir nicht leugnen, daß die Dämonofogie zum Chriftens
thum gehöre. Sollen wir ader wirklich glanben, daß der Sas
tan noch jetzt die Menfchen befiße, fie frank mache, ausgetries.
ben werden koͤnne u. f. w.? Mach dem Verf., wenn er cons:
fequent verfährr, ift dies ein wefentliches Stück des Chriſtenthums.
Wir follen aber im Ehriftenehum nur die Religion fuchen, und dem
teligidöfen Glauben gehört die Lehre von dem Teufel nicht an,
fondern nur der Denkart der Zeit; fie ift ein mythologiſches Theo;
rem, das uns über etwas verftändigen will, welches bloß und
allein dem Gefühl angehört, nämlich über den Widerſtreit des:
Boͤſen und Guten. Sonach müäffen wir, um zu beftimmen,
was Chriſtenthum fey, von einer dee, von einer innern
Diziehung, ausgehen, wobey Übrigens ein fireng hiſtoriſches
Berfahren obwalten kann. Wir beftimmen nur, was mir in
der Sefchichte fuchen wollen; mie fie uns aber dies liefere,
dürfen wir nicht willkuͤhrlich beſſimmen. So wer für die Ges
fhichte der. Philoſophie nicht bloß Materialien zufammenraffen,
fondern Licht und Ordnung in fie bringen will, muß von der
Idee der Philofophie ausgehen, und in jedem philofophifchen
Syſtem den lebendigen Punct aufiuhen, durd welchen es in
die Entwickelungsgefchichte der Philoſophie gehört. Daher ges
hört in eine Acht pragmatifche Geſchichte der Philofophie nicht
alles, was irgend ein Philofoph gelehrt, fondern nur dag,
was er eigentlich philofophire har. Diefer Grundfag führt noch
vieles Andere mit fih, mas der Verf. auch nicht anerkennt.
Mir müffen, wenn wir das rein Neligiöfe in der Lehre des
NM. T. ſüchen, Inhalt und Form unterfcheiden. Der Inhalt
gehört der Neligion an, aber nicht durchaus die Form, dann ges
hört auch leßtere nicht zum Chriſtenthum, fondern nur gu feis
ner Erfcheinung in der damaligen Zeit. Jedoch wir brechen von
Diefen Betrachtungen ab, und machen nod) ein Paar von den
—
32 Winzer de daemonologia N. T.
Bemerkungen namhaft, womit der Verf. die Lifte der Namen
der Dämonen und Teufel begleitet.
Genaue Prüfung verdicht, was er vom Antichrift fagt.
Er verwirft die-collective Erkiärung Schleusners u.a. In
den Stellen ı oh. 2, 18.22. 4, 5. 2. Joh. 7. finder er einen
Antichrift,, von andern Gegnern des Chriſtenthums verſchieden,
und gleihfam ihr Oberhaupt. (Wie aber der Verf: in dieſen
Stellen die collective Bedeutung üÜberfehen könne, begreifen wir
kaum, da es 1. Joh. 2, 22. ausdrücklich heit, der Antichriit fey
derjenige, welcher Chriftum verleugne, und Cap. 4, 3. der Geift
des Antichrifts jey fihon in der Melt. Moch deutlicher tritt das
Collective hervor 2. oh. 7., wo die moAAoi nAavoı ganz aus—
drücklich der Antichrift genannt werden. Anders ift es freylich
Eap. 2, ıd., wo der Antichrift und die Antichriften unterfchieden
werden. Uns fcheint der Verf. diefes Briefs die Lehre vom Antis
chrift die er allerdings vorausfeßt, zu deuten und auf feine Weife
auszulegen.) Sicherer und beftimmter ift vom Antichrift, wiewohl
nicht namentlich, die Rede im 2. Br. an die Theſſ. Eigenthuͤmlich
ift die Anficht, die der Verf. von diefer Lehre hat; er hält den
Antichrift für das oppositum des Elias, womit er fih auf Theo-
doret. Epit. divin. decret. c. 25. p. 302 ſtuͤtzt. Allein dieſe
Dppofition kann wohl ſchwerlich als durchgreifend und fundamens
tal angefehen werden, da nach den Evangelien Johannes der Täus
fer Elias iſt. — Der Verf. glaubt einen Unterfihied zwiſchen den
Wörtern 6 aaravas und ö dıaBoAog zu finden, nach den Stellen
Apot. 5, 8. 20, 15., wo 6 Iavarog und 6 kdng unterichieden
werden. In der erften Stelle fönnen nicht mir Eihhorn ö
“dns von der Scyaar der Schatten verftanden werden, da in der
leisten 6 &dng von oi vexpoi deutlich unterſchieden werden ;
man könne in der letztern Stelle aber auch nicht unter 6 «dng
und ö Savarog die Unterwelt und den Tod verfichen, da’
fie nah B. 14: beyde in den Schwefelpfuhl geworfen werden,
welches betanntlich die Strafe des Satang fen. Der Apokatpptis
fer wiffe demnad) von zwey Fürften der Unterwelt, und es
laͤßt fih vermuthen, daß unter dem Savaroz der Satan, unter
dem «öng aber der Teufel verflanden werde, womit das Evang.
des Nikodemus zuſammenſtimme, wo der Satan und der Hades
unterjchieden, und jener der Tod, der. Todesfürft uns aͤhn—
lich, diefer aber bald der FÄrft der Hölle, bald Beelzebub,
bald Teufel genannt, und gefagt. werde, daß erfterer von Chris
ſtus der Gewalt des letztern Ävergeben werde. Eine Vermuthung,
die allerdings der Pruͤfung werth ift, aber zu nichts Gewiſſem
und Bedeutendem führen möchte. — Wir jehen mit Verlangen
der Vollendung diejer Arbeit entgegen. *
W. WV.
No 3. Heidelbergifäe 1813.
Jahrbuͤcher der Litteratur.
Hebräisch - Deutsches Handwörterbuch über die Schriften des
Alten Testaments mit Einschlufs der geographischen Nah-
‘ men und der chaldäischen Wörter beym Daniel und Esra;
Ausgearbeitet von D. Wilhelm Gesenius,, ord. Prof. d.
Theol. zu Halle. Zweyter Theil; enthaltend ‘die Buch-
staben -- n, das Verzeichnifs der Personennahmen und
den analytishen Theil. Leipzig 1812. bey Vogel.
D. gänftige Urtheil, das wir uͤber den erſten Theil dieſes
Woͤrterbuchs gefaͤllt Haben (Jahrb. 18011. Jan.), Hat ung ein
zweyjaͤhriges Studium vollkommen bewaͤhrt; und dieſer zweyte
Theil verdient es nicht weniger. Auch hier liegen uns die Re—
ſultate einer Wortforſchung vor, die ſich auf Benutzung aller
Vorarbeiten, auf durchdachte und wiederholte Leſung des A; T.;
Vergleihung der Pärallelftellen und Beobachtung des Spradyz
gebrauchs und auf verftändige Zurdthegiehung der verwandten
Dialecte gründet, und. mit einem Fleiß, einer Umſicht und
Praͤciſion angeſtellt iſt, welhe wahre Hochachtung abnöthigen.
Man wird wenige ſchwlerige Stellen des A. T. finden, uͤber
welche der Verf. nicht, fo weit es die Graͤnzen der Lexicogra—
phie verftatten, ein reiflich erwogenes Urcheil niedergelegt hätte.
Faſt überall begegnet er dem forfchenden Lefer des A. T. als
ein bedachtſam zurechtweifender Rathgeber. Es tft nicht zu
berechnen, welchen Nutzen diefes Wörterbuch für das Studium
der Hebräifhen Sprahe und die Erklärung des A. T. Haben
wird. Miche nur Wird dadurch der bisherigen ſchwankenden,
willkuͤhrlichen Speahforfhung und Erklärung des A. T. ein
Ziel geſetztz es hat nun uud der junge Thedlog ein erleichs
terndes, ermunterndes Hälfsmittel, duch das er in das. fonft
fo abfchreefende Studium der Hebräifchen Sprache ohne Schwies
tigkeit eingeführt wird.
Sin der Vorrede zu diefem zwehten Thelle gibt der Verf—
die von ihm befolgeen Principien der Hebraͤiſchen Sprachfor⸗
9
34 Geſenius Hebr. Deut. Handworterb. über d. Schr, dz. A. T.
ſchung an. Da ihn der Raum hierbey nur zu ſehr beſchraͤnkte,
ſo waͤre zu wuͤnſchen geweſen, daß der Verf. eine eigene
Abhandlung daruͤber abgeſondert herausgegeben haͤtte. Doch
ſind wir ihm auch fuͤr dieſe kurzen Andeutungen, welche durch
den Gebrauch des Woͤrterbuchs ſelbſt ihr hinlaͤngliches Licht er—
halten, unſern Dank ſchuldig, und es war allerdings in ans
derer Hinficht vortheilhafter, die Principien, mac welchen
das Merk gearbeitet worden, dieſen feldft vorzufegen Sie
dienen zugleich dazu, das Eigenthümliche, was der Verf. hat,
zu überjehen, daher wir fie * dieſer Anzeige m Stunde
legen: wollen,
1. Wir haben fhon bey der Anzeige des erften Theiles
bemerkt, daß ein KHauptverdienft des Verf. darin befteht, die
Öfters von den Auslegern und Lericographen verkannte Wahrs
heit geltend gemaht zu baden, daß die KHebräifhe Sprache
eben fo, wie jede einzelne Mundart eines ausgebreiteten
Sprachftammes, ihre Provinzialismen oder Idiome,
d. h. ihre eigenthümlichen Wörter und Wortbedeutungen habe,
die fih in feinem verwandten Dialecte finden. Zwar konnten
eine Menge ſolcher Provinzialismen dem Zweifel gar nicht
unterliegen, da ihre Bedeutungen zu fehr gefichert find; aber
in einzelnen Fällen hat man wirklich gewagt, eine aus vielen
Stellen als Hebraͤiſch erweislihe Bedeutung zu bezweifeln oder
zu verwerfen. Mit fcheinbarem Nechte that man dies, wenn
ein Wort im Hebräifchen feltener, die Beſtimmung feines
Gebrauchs wenigſtens nicht augenfälig und unbefireitbar ift,
und wenn obenein die andern Dialecte eine Bedentung haben,
deren Anwendbarkeit nicht geradehin verwerflih ſcheint. Auch
find ſolche Fälle ſehr fchwierig, und nur ein richtiges Gefühl für
das Schieflihe und den Zufammenhang, eine glücklich gefun—
dene Parallele, die Einftimmung der Verſionen u. ſ. w. koͤn⸗
nen hier zu der Alebereinſtimmung führen, 05 dıe Bedeutung
eine provinzielle oder die von den verwandten Dialeiten dar—
gebotene fey. Der Verf. hat ſich bey mehrern folhen Wörtern,
ungeachtet der möglichen und gewöhnlichen Wergleihung der
Dialecte, mit Necht bloß von dem Zufammenhange, der Anas
legie und den Verfionen feiten laffen, und hierin die Erwars
Befenius Hebr. Deut, Handmwörterb, über d, Shrd. A. T. 35
tung des Rec. vollkommen befriedigt, 3. ©. DNY Büffel,
nit: Gazelle; AMY ſchweben, wanfen, fhwans
fen; — no. 1. ferire; moin Weisheit, und: Heil.
Yan ruhen und opp: Nude flören, aufregen, 2»
vorübergehen (vgl. TIODN Thapsacus, wobey eine ber
ruͤhmte Fuhrt Über den Euphrat ) insbef. [honend vor—
übergehen, ſchonen, welche Artikel mufterhaft ausgears
beiter find. Von andern auf diefe Art behandelten Wörtern
hatte Rec. bisher eine andere Meynung, iſt aber vom Verf.
eines andern belehrt worden. MMEYIN nahmen wir fonft mit
Rofenmüller u. a. in den Stellen Pf. 95, 4. Hiob oe,
25. in der Bedeutung: Höhe, Haufe; der Verf. aber in der
Bedeutung von Y’I Erwerb, Beſitz, Schatz, welde ſich
näher an den Hebräifhen Sprachgebrauch anfchließt, und das
her den Vorzug verdient. Zwar ift ihr in der erften Stelle der
Parallelismus nicht günftig, deflo mehr aber in der zweyten.
Die Bedeutung von D’DIED Tränfrinnen geben wie
gern gegen die uns fehon früher nicht verwerflich gefchienene :
stäbula, Hurden (von NEW posuit). auf. Richtig zieht
auch der Verf. von air)» ef. 5, 24. die Bedentung gekr aͤ u—
felte Arbeit, Locken vor andern vor, da fie durch die Oppo—
fition mit Kahlheit gefodert wird. Sn Aniehung des Wortes
2 Hiob 6, 25. 1. Kön. 2,8. Hiob 16, 3., von welchem
der Verf. die in den Altern Wörterbüchern herrſchende Bedeu—
tung heftig, Eräftig feyn, wieder geltend gemacht hat,
find wir nod zweifelhaft. Wenn man in der erfien Stelle die
Verwechſelung mit yoo annähme, in den andern aber die
Bedentung fränfen gelten ließe, fo wäre es unftreitig eins
facher, ob eg gleich fehwierig ift, das part. Niph. y\2
active für fränfend zu nehmen.
2. Daf der Verf. dem Mißbrauch der Vergleichung des
Arabifhen Dialects geftenert habe, if ebenfalls von ung ſchon
bemerkt worden, und wird faft durch jede Eeite feines Werks
beurkundet. Hier rägt ev befonders zwey Arten diefes Mißs
36 Geſenius Hebr. Deut. Handwörterb, über d. Schr. d. A. T.
brauchs: a) daß man- bey mehreren befannten und herrfchenden
Hebräifhen Stammmörtern das dem Buchflaben nach entipres
chende Arabifhe Stammwort verglichen, und deffen Bedeutung,
To gut es gehen wollte, mit der Hebräifhen in Verbindung
gefeßt, oder gar als Grundbedeutung derfelben aufgeftellt hat;
b) daß man bey einem fonft Häufig vorfommenden Hebräifchen
orte an einer einzelnen Stelle eine Bedeutung aus dem
Arabiſchen angewandt bat, die mit dem fonftigen Gebrauche
deffelben in feiner Verbindung ſteht. Es kann dies nur zw
läffig feyn in Fällen, wo der Context gebieterifch eine andere
als die gewöhnliche Bedeutung fodert, deren aber es fehr we—
nige geben wird. in Beyſpiel der vom Verf, geübten Vor—
ſicht in diefen Fällen bietet fih im Artikel Y’D) dar, wo er
in der Stelle Ser. 13, 8. die unpaffend fcheinende Bedeutung
Stadt mit der aus dem Arabiichen entlehnten Schrecken
vder dgl. genau abwaͤgt. Gefallen hat uns hierbey die Ans
nahme eines Zeugma, wodurd die Anwendung der gewöhntis
chen Bedeutung noch leichter wird, wiewohl der Gebrauch des
Sin der Bedeutung und zwar dem Sjeremia befonders eigen ift.
Die Anwendbarkeit der gewwoͤhnlichen Bedeutung fcheint ung hier
das Uebergewicht zu haben ; denn das Fließende der Conftruction
fann bey einem Schriftfteller, wie Sjeremia, eine feltene uns
hebräifhe Bedeutung wenig empfehlen. — Biel zuläffiger
wird’ hingegen die Bedeutung aus dem Arabifchen dann, wenn
fie mit der Hebräifhen verwandt iſt (4. ©. ar gehen,
auch f. v. a Cx⸗ untergehen), wie wohl auch hier
von der gewoͤhnlichen Hebraͤiſchen Bedeutung nicht ohne Noth
abzumweihen ift (f. den Artikel YO und PI). Dagegen
hat der Verf. die ‚Vergleihung des Arabifhen einige Male
treffend benutzt, wo fie nicht genug anerkannt war, 3. DB. bey
7)9 IV. wollen 1. Mof. 27, 40. (wobey uns aber nicht
gefallen will, daß als Bedeutung des Hiphil Pf. 35, 3. und
bes Subſt. 2 umbherirren angegeben wird, da uns
lagen allein paffend ſcheint. Womit zufammenhängt, daß
der Verf, in jener Stelle das paralleie DI nad dem Arab.
—R ebenfalls fuͤrumherirren nimmt, da es doch Mich. 2, 10.
Geſenius Hebr. Deut. Handwoͤrterb. über d. Schr. d. A. T. 37
offenbar mit nen eins iſt, was auch in der Stelle des
Pialms wegen des parallelen B. ı8., mo 17 vorkommt,
der Fall zu ſeyn ſcheint. ) |
3. Ein Hauptverdienft des Verf. if, daß er die etwas
vernachlaͤſſigte Vergleichung der aramäiichen Dialecte mit Gluͤck
benußt hat, wovon wir jchon aus dem erfien Theile ‚Proben
gegeben Haben. Vortrefflich iſt auf dieſe Weiſe 9 no. II.
Gefallen haben, wuͤnſchen, Begehren, als vers
wandte mit TEN, erläutert, wodurd die vielgedeutete Phrafe
FI MY studium in ane ihre einzig richtige Bedeutung ers
hält. Vortrefflich iſt duch das Chald. die Bedeutung von
DOV 2. Sam. 6, 6. gefihert, u. a. m. Was uno bes
trifft, das der Verf. nah dem Syr. für leeren Platz
nimmt, fo dachte Rec. immer an die von WII treiben abs
geleitete Bedeutung Trift, Weidplas, die er auch jetzt
noch nicht ganz aufgeben kann. Denn dieſes Verbum kann
nicht urſpruͤnglich wegtreiben, ausleeren geheißen haben,
wie der Gebrauch deſſelben vom aufgeregten Meere Jeſ. 57,20.
und das abgeleitete Subft. un Erzeugniß beweij’t. Dann
wäre jenes Wort ſynonym mit em ‚ mit dem es auch gleiche
Form hat.
Daß das. Talmudifche und Rabbiniſche ein nicht zu ver
werfendes Huͤlfsmittel der Hebraͤiſchen Wortforſchung ſey, iſt
wohl ſeit Michaelis von mehrern wieder erkannt "worden.
Dieſer Dialect enthaͤlt unſtreitig vieles aus dem Leben der Hebräis,
fhen Sprache herübergepflanztes, und foweit ihn Rec. fennt,
möchte er behaupten, daß fih in ihm vorzüglich die Sprache
des gemeinen Lebens erhalten habe. (So fcheine uns dag
pron, rel. W alt zu feyn, nur aber zur Sprache des gemeinen
Lebens gehört zu Haben.)
4. Verhaͤltnißmaͤßig zu wenig benußt waren vor dem Verf.
die Dialecte in Mücficht auf die Analogie der Bedens
tungen, d. ft. auf die ähnliche Modification eines und deffels
- ben Begriffs unter verfihiedenen Wörtern. Zu fehr bedacht
anf die Vergleihung der Dinlecte unter denfelben Buchftaben
⁊*
33 Geſenius Hebr. Deut. Handiwörterd, über d. Schr. d. A. A.
verfäumte man häufig die DVergleihung der gleichbedeutenden
oder finnverwandten Wörter in den andern Dialecten, die eine
Menge treiflicher Erläuterungen und Beftätigungen , aud) neue
Auftlärungen für Bedeutung und Conftruction an die Hand
geben. In diefer Benutzung der Diatecte befteht ebenfalls ein
Hauptvorzug diefes Mörterbuchs. Beſonders lieb war ung die
DVergleihung des Arab. 83 mentitus est arcus für die Ers
läuterung der Phrafe 77) — die andere fuͤr ſchlaffer
Bogen geuommen haben; das Chald. my Pa..Aph. em:
pfangen, zur Beftätigung des —EX Biob 21, 10. u. a. m.
Eine nicht minder reichhaltige und bey weitem nicht hin—
laͤnglich genutzte Quelle iſt ferner die analoge Wendung und
Modification der Bedeutungen in den ſinnverwaͤndten Wörtern
der Höbräifchen Sprache ſelbſt. Faft genügend erläutert ift auf
dieje Weiſe DR, in-der durch die Verss. befiätigten Bedeu—
tung aufheben für etwag, und yon ı. Sam. 14, 47.
fiegen, u a. m.
5. Ueber Verwechfelung und Verſetzung der Buchſtaben
in verwandten Wörtern, fowohl in den verfihiedenen Dialerten
als in der Hebräiihen Sprache felbft, Hat der Verf. einen
Reichthum von treffenden zum Theil eigenen Bemerkungen zu
fammengeftellt, wohin befonders die jedem Buchſtaben des
Alphabets vorangeftellten Artikel gehören. Er tritt bier der
Einjeitigkeit derer entgegen, welche die Verwechslung nur nad)
durchgehenden Negeln und bey den zunächft ſich entiprechenden
Buchſtaben (wie W und (w) gelten laffen wollen, und nimmt
fie auch bey entferntern Buchſtaben an (z. B. in 777 und
ni — ohne doch in Willkuͤhr und Geſetzloſigkeit auszu—
ſchweifen. Treffend bemerkt iſt auch die Verwandtſchaft zwi⸗—
ſchen gewiſſen Claſſen von verbis anom. und defect., wie
N27, 197, 191, pP 1, 74%; YI1% u. a. m. ( Wie
die Verba der leiten Art ihre Formen austauſchen, ift in der
Vorrede zum erften Theile bemerkt. Es gehört dahin auch die
Bemerkung, welche die Aufnahme in eine zufünftig: neue Ber
Geſenius Hebr, Deut. Handwoͤrterb. über d. Schr. d. A. T. 39
erbeitung der Vaterſchen Grammatik verdient, daf Da‘?
von D2? und DPYT von D7? entiehnt ift.)
Bir laffen num noch einige zerftreute Bemerkungen folgen,
theils zur Beftätigung, theils zur Berichtigung mancher Artikel.
Die gewöhnliche Erklärung von —* ER blöde, matte
Augen habend hat der Verf. treffiich erläutert, und beſtaͤ⸗
tigt durch die Bemerkung, daß die DOrtentalen feurige lebhafte
Augen für einen vorzügliden Theil der Schönheit halten. —
or Sef. 53, 9. hat Rec. längft für fononmym von yo
genommen. Denkt man fih, daß diefes Stuͤck im Babylonis
fihen Exil gefchrieben ift, wo die reihen mächtigen Chaldaͤer
die Unterdruͤcker der Hebräer waren, fo erklärt ſich dieſer
Sprachgebrauch noch leiher. — Ein fhöner Verſuch iſt es,
nmny) Spr. 27, 6. von any beten abzuleiten, fo daß es
erbeten, d. 5. erzwungen hieße. Rec. hat das Wort
immer auf No. 2. bezogen und für reichlich genommen, wo—
durch kein uͤbler Gegenfaß entfteht: gutgemeint find die
Schläge des Freundes, reihlidh die Käffe des
Feindes Kine bekannte Volkserfahrung fagt: mer freund:
lich iſt, iſt falih. DI) Sam. 14, 24. gehört wohl zur Ber
deutung treiben, und heißt: abgetrieben. — Fein ifl
die Bemerkung, daß YS von gel”) verfchieden fey, und
mehr zerfhlagen, zerfchmettern x. als zerbrechen
heiße, fo wie, das. TED nicht bie Seberden, fondern ben
Lane der Wehklage bezeichne. — Sehr ingenids ift. die Erz
Härung des ſchwierigen Dyz Jeſ. 18, 0. durch fchnell,
welche Bedeutung aus der erſten ſcharf fließt, nach der Anas
logie von M- — di. 84, 6. nimmt. der Verf. non trop.
und elliptifih für Wege Gottes. Ob eine folche Ellipſe
wohl moͤglich iſt? — 2 AN 1. Mof. 5, 1. und Habak. 2, 6.,
deſſen Bedeutung bekanntlich nicht leicht iſt, hat der Verf. gar,
nicht angegeben. In der lebten Stelle fcheint es ung bloß
Verflärtung von >5 in der Bedeutung: ja! zu feyn, und in
der erften Ffommt es vielleicht unferm fo — denn nahe. —
40 Gefenius Hebr. Deut: Handwoͤrterb. über d. Schr. d. A. T.
Hab. 2, 4. ift die Verbindung des Verbi NY? mit DEUN
* a Ir
in der Bedeutung ausgefprodhen, befannt.werden
nicht bemerkt. — Bon DN fehle die Bedeutung profecto,
welche Spr. 3, 34. Jeſ. 2g.. 16. nicht wohl zu läugnen tif;
wenigftens hätten die Stellen bemerkt werden ſollen; fo auch
die Bedeutung postquam oder quia Jeſ. 55, 10. — Die
Conftruction von non mit 6 Hab. 2, 14. iſt vergeffen. —
Wie der Verf. PT Pf. 2, 7. genommen mwiffen will, ift nicht
bemerkt; eben fo wenig wie ebendafelbft NBD ſtehe. — Das |
gut. von ZN ift nicht 28, fondern IN. — Warum
... +.
."..
’ zu2
vergleicht der Verf. mit 1712 das Arab. AFH den plur,
su 3
fract., und nicht das Wort Per ſelbſt? — MI Jel. 48,6.
hätte wegen feines befondern Gebrauchs bemerkt werden follen,
heiße es nun Bundesftifter oder Verfündiger der
Berheißungen — Dsiv Pred. 3, 11. iſt nicht erläutert. |
Uns fheint es in der Bedeutung des neutefl. xoogos, win»
zu fichen. — Durd) einen Druckfehler ſteht ſtatt IN, TIN-
( Hierbey bemerken wir zugleih noch, daß ©. 596 Ep. 2.
3.17 v. u. Jeſ. flatt Fer. ſteht; ©. 77ı Sp. 1.2.15 v. o.
250 flat s10N; S. a7ı Sp. 2.3. 15 v. u. Pf. 17, 5.
ftatt Pf. 7, 125.5 ©. 386 Sp. 2. 3. 26 v. o. Süden flatt
Weften.) Ben DII Becher fehlt die, Angabe, daß es
foem. if. — Das Wort Pan fehle, und ift auch in den
nd
ud
Mm
li
I
. ’
th»
Li
- Nachträgen nicht bemerkt. — Das ſchwierige rn Zac. 3,7. *
iſt nicht erläutert. — Von in) fehlt die Bedeutung Flehen
Zah. 12, 19, — Die Erfäaterung von TI NI 1. Mofa
“1,
tb,
Arlır
1
50, 14. vorhanden haben wir vergebens gefucht. — Deka;
Gebranch ven NIT Pſ. 90, ı2. iſt Übergangen. — Die, "
Ellipſe, mit welcher AO? Pi. 115, 14. fieht, hätte auch ber
merkt werden follen. — I in der Bedeutung mie Pf. 57, 20.
39, 7. fehl. — Bey pr follte” die Stelle Jef. 56, 10, an⸗
de
ung
Unſ
CR
Gefenius Hebr. Deut. Handwörterb. über d. Schr. d. A. T. 4
geführt feyn, wo man die gewöhnliche Bedeutung in Zweifel ges
jogen hat, die ung jedoch beybehalten werden zu müffen fcheint. —
Das Bittwörtchen 92 will der Verf. für eine Zufammenziehung
aus v2 Bitte nehmen ; ung hat fid immer die X Vergleichung
des Rheinlaͤndiſchen Mein! dargeboten. — Ueber vn
Zeph. 3, 17., wo es wahrfcheinlih vergnuͤgt feyn bedeutet,
iſſt nichts angemerkt. Ob es nöthig ift, 9) Zeph. 3, 18. auf
mi abfondern zurüdzuführen, da es Klagl. 1, 4. ber
ſtimmt in der Bedeutung traurend vorkommt, und da das
folgende To recht gut entfernt beißen kann? — Die Ber
deutung von 772 vereiteln, welche der Verf. Jer. 19, 7.
anwenden will, ſcheint nicht einmal in den Zuſammenhang zu
paſſen. Wir finden in dieſer Stelle den haͤufig vorkommenden
Gedanken, daß Jehova Juda rathlos, verlegen, verwirrt mas
hen wolle, den Rath ausleeren iſt alſo ganz ſchicklich
geſagt, wie es fonft heiße; der Nach ift verloren, verihwuns
den, Ser. 4,9. — 122 unverftändlich (von der Sprache)
Ezech. 3, 5. fehlt. — Zur. Erklärung des > 7 Spr. 11, 2ı.
ı6, 5. wendet der Verf. das Syr. NTNZ NN an; allein:
deffen Bedeutung vicissim, unum post alterum paßt hier
nicht, auch ift der Unterſchied des verfhichenen Praefix wohl
nicht gleichgültig. Der Zufammenhang fodert etwas wie nims
mermehdr, faßte man nun die Bedeutung von Hand zu
Hand, d. i. von Geſchlecht zu Geſchlecht oder dgl., fo wäre
man nicht weit davon entfernt. — Der pleonaftifhe oder
affirmative Gebraudh von DI, befonders in den Spruͤchwoͤr—
tern ( 14, 20. 17, 26. ı9, 2. 20, 11.), hätte wohl bemerkt
zu werden verbient. — Die. eigenthämliche Bedeutung von
FIN 1. Kön. 18,7. Schreden, Furcht, Argwohn fehl
ebenfallde. — Weber die Form —* in Beziehung auf Pf-
6, 3. ift nichts bemerkt. — Der Name Zophar iſt vergeffen.
Die archaͤologiſchen, hiſtoriſchen und andern zur Sach—
erklaͤrung gehoͤrigen Artikel ſind in der Regel reichhaltig, und
mit Umſicht und treffendem Urtheil gearbeitet. Man findet da
in der Kuͤrze die Reſultate tiefer und weitlaͤufiger Forſchungen
42 Gefenius Hebr. Deut, Handwörterb, Über d. Schr. d. A. T.
zuſammengedraͤngt. Vortrefflich ift der. Artikel aY durch
Zufammenftellang aller Stellen, wo bdiefer Name vorkommt,
will der Verf. wahrfcheinlih mahen, daß diefer Name nie
abfolut von den Israeliten gebraucht werde, fondern immer
nur velativ, im Gegenfas mit andern Völkern. Hieraus
ſchließt er, daß ihnen dieſer Name von andern Voͤlkern, be—
ſonders von den Cananitern, ertheilt wordern ſey, und unters
fügt damit‘ die gewoͤhnliche Etymologie von IV. Ganz
Aberzeugend iſt diefe Argumentation für uns nicht gemefen.
Zuvoͤrderſt ſcheint uns jener velative Gebrauch des Namens
nicht ganz entfchieden zu feyn; die Stellen ı. Sam. id, 3,7.
find dagegen, wo Ebräer in einer Kundmachung Sauls an
das Wolf vorfommt, und dann im. Parallelismug mit Is—
tael. Aber auch diefen Gebrauch zugegeben, fo folgt daraus
nicht die behauptete Entſtehung dieſes Namens, fondern nur
dies, daß es der eigentlihe Volksname mar, während
Israel und Söhne Israel der genealogifhe Ehrenname
war. Diefer Volksname konnte nun allerdings auf die Weife
entftehen , wie der Verf. annimmt, aber auh auf andere
Weiſe. - Die Hypotheſe (wenn wir uns recht erinnern, fo hat
fie Wahl vorgetragen‘, daß die Namen der drey KHaupts
zweige des ſemitiſchen Stammes 7 vr DIN und 72 ur⸗
ſpruͤnglich eins ſeyen, hat uns immer ſehr einleuchtend geſchienen.
Gegen die Vergleichbarkeit dieſer Namen unter ſich iſt wohl
nichts einzuwenden. Auf jeden Fall iſt es richtig, was der
Verf. bemerkt, daß der angebliche Stammvater 2 nur eine
mythiſche Perſon ſey, fo wie WII, DIIND u. a. — Die
Artikel ww, Kın>L DB, 27 find vortrefflich gearbei⸗
tet. Was das erſtere betrifft, ſo hatte der Rec. ſchon laͤngſt der
Wink von Geddes zu 2. Mof. 14, 7. auf die von den LXX
angenommene Bedeutung Wagenkaͤmpfer zurädgeführt,
und er iſt jeßt darüber fo entfchieden, wie man es über ders
gleichen unfichere Gegenftände feyn kann. Allein in die Stellen
2. Sam. 23, 8. ı. Chron. 11, 21. 12, 18. gehört das Wort
wahrfcheinlich nicht, und ift nur durch Mißverftändniß der
alten Adfchreiber und Maforetden Hineingefommen, wie denn
Sefenins Hebr. Deut. Handwörterb. über d. Schr. d. A. T. 43
in den Stellen der Chronik das Ketib auch anders tiefe. Es
fann in diefen Stellen nur die Rede feyn von drey und von
drevßig Helden, die gleihjam einen Drden von drey und
dreyßig Nittern und ihren Dbern bildeten. 2. Sam. 93, 5,
it daher ſtatt eV zu lefen entweder mit dem Keri in
V. ıB. mobon oder mit dem Ketib in ı. Chron. ıı, 11.
wider. — Im Yet. 799 Hat der Verf. mit Recht die
ſchiefe Ableitung von YIW herumftreifen abgewiefen, welche
nur von denen erfonnen war, welche das vorausgefeßte Alter
des Buchs Hiob vertheidigen wollten. — nimm nach den
nn * Tang. die Bilder des Thierkreifes, wos
mit N —* Wohnung trefflich uͤbereinſtimmt. — wdð⸗
Nachtgeſpenſt durch das Zeugniß der Rabbinen und my—
thelogifhe Parallelen trefflich erläuterte. — nean purpurs
blau, gründlich erwiefen und mit den nöthigen Zeugniffen
belegt, — Lex nimmt der Verf. für den Namen eines
Dämons befonders wegen des Gegenfaßes mit Jehova in ®. 8.
Dagegen firäube fi unfer Gefühl, und die Anficht , ‚die wir
vom ganzen Hebraismus haben, laͤßt niche zu, Dämonologie
in der Neligionslehre, zumal in der orthodoren, durch den
Gefeßgeber oder die Prieſter fanctionirten, vor dem Babylos
niſchen Epil anzunehmen. Dan müßte dann menigfteng die
Abfaffung des geſetzlichen Aufſatzes 3. Moi. 16. tiefer herabs
feßen , als fonft der Charakter des Pentateuchs fodert. Jedoch
wir drehen ab, und empfehlen jedem, dem es um gründliches
Studium der Hebräiichen Sprache zu thun iſt, die Benutzung
diefes vortrefflichen Woͤrterbuchs.
W. W.
Ueber den Kaiſer Julianus und fein Zeitalter. Ein hiſtoriſches Ges
maͤlde von Auguſt Neander, außerord. Prof. der Theol. zu
Heidelberg. Leipzig, bey Friedrich Perthes aus Hamburg 1812.
172 ©. gr. 8
Schon im vorigen Yahrgange (N. 57. S. 905) if eine
Schrift über den Kaifer Julian Geurtheilt worden, welche für
Ah A, Neander über den Kaiſer Zulian,
die Würdigung diefes merfwärdigen Mannes einen eigenthuͤm⸗
lihen Weg nimmt. Die vorliegende Bearbeitung deffelben
Stoffs wird allen angenehm ſeyn, welche eine billige , unbefans
gene, hiftorifche Wuͤrdigung eines auch in feiner Verirrung großen
Mannes zu fhäßen wiffen. Man wird leihter zu dem Ges
danken kommen, daß Julian zu "vortheilhaft gefchildert, „daß
fein Heidenthum zu fehr idealifire worden, als daß ihm Uns
recht von Hrn. N. wiederfahren ſey. Da die Geſetze unfrer Zeits
fchrift ung eine eigentliche VBeurtheilung diefes Werks, als eines
intändifihen, nicht erlauben, fo können wir bloß durd die Aus—
hebung den characteriftifhen Ideen und die Darftellung des
Ganges der Unterſuchung unfre Leſer auf feine - Wichtigkeit
aufmerffam machen und die darin herrfihenden Anfihten bes
zeichnen. Es zerfällt in vier Abfchnitte,
Abſchnitt ı. Das. Ehriftenehum im Verhältniffe zu dem
Zeitalter, in das feine Erſcheinung und Ausbreitung fiel (S.
ı — 70). Die Griechiſche Philofophie endigte ihren erften
Lauf mit dem Scepticismus dig gegen feinen eignen Dogmas
tismus gerichteten, zum Bewußtſeyn feiner grund s ımd boden=
loſen Unficherheit gelangenden Verftandes ( unterfchicden von
dem Scepticismus der beginnenden Philojophie, Anm. 1.).
* Eben dadurch wurden aber wiederum objective Neligionsformen
dem denfenden. menfchlihen Geifte wichtig; und es erhob fid)
von der Einen Seite ein heftiger Kampf gegen das jenen Fors.
men entgegengefeßte Chriſtenthum, von der andern erregte das
erwachte Beduͤrfniß einer belebenden Religion Empfänglichkeie
für das Chriſtenthum. Aug dem herrſchenden Unglauben ging
aber der Aberglaube hervor, „der nichts anders ift, als das
Gefühl der. verlohrnen Verwandtſchaft mit Gott in dem Ins
nern des Menſchen, dem Lebendigen“ (S. 13). Auch von diefer-
Seite mußte. jenes Zeitalter vom Chriſtenthum ſtark ergriffen
werden, welches verfündigte, daß der Name Chriſti mit dem
Glauben verbunden von der Herrfchaft des Höfen befreye, und
die Wurzel des Aberglaubeng vernichtete, indem es das Herz
und den Geift von der fihtbaren finnlihen Welt zu dem lebens
digen Bott erhob und an die ungertrennliche Gemeinfchaft, in
welche der menjchliche Geift durch Chriſtum mit Gott gekommen
war, erinnerte, Hiernach wird gezeigt, wie durch den herr⸗
>
A. Neander über den Kaifer Zullan. 45
fhenden Scepticismus der Platonismus und der philofophifche
und religidje Eklekticismus (als deffen Nepräfentant Piutarch
betrachtet werden kann ) den beffern . und cdlern Menfchen
empfohlen wurde, wie die verfeinerte Abftraction und die dem
Anthropomorphismus aͤngſtlich meidende Verallgemeinerung bie
Sehnfuht nach individnellem veligidfen Leben und veligidfer
Gemeinſchaft reagirend hervorrief, und dadurdr Liebe zu dem
Polytheismus und Haß gegen den Monotheismus als vers
meintlihe todte zum Atheismus führende Verftandesabftraction
entitand, dann wie ein verfeinerter Polytheismus mit geiftigen Res
ligiensideen wohl beftehen. koͤnne. ( Die eigentliche Wurzel des
Polytheismus iſt mehr practisch als theoretifh, nur die dee
einer allgemeinen oder befondern Theokratie konnte den. Polys
theismus practifch vernichten, Anm. 6.) Diefe Unterfuchung
führt zu der Auszeichnung des Charakteriftifhen im CHriftens
thum als geoffendarter Religion im Gegenfaß gegen ‘jenen
Neoplatonismns und die bisherige Denfart und Weltanficht
überhaupt. (Das Chriftenthum, an keine befondre bürgerliche
Sefelihafte gebunden und den Charakter Feiner befondern Nas
tionalität tragend, mar die Neligion der Menfchheit, etwas
noch nie gedachtes und gehörtes, und trat in ein ganz anderes
Verhältnig zu dem Leben der Menihen als die bisherigen
Religionen, indem es dag zeitliche Leben nur als Mittel für
de unfihtbare Welt darftellte, lehrte daher eine viel höhere
und volltlommnere Moral, fihten aber den Heiden eben dadurch
die Liebe zum Vaterlande zu unterdräden, u. f. w.) Daher.
erhob fih zwar ein heftiger Kampf gegen das Chriftenchum,
aber gerade diefer Gegenjaß eröffnete ihm wieder die Gemüs
“ ther. Die reine Offendarung fland gegenüber dem fchwanfens
den Eklekticismus, die göttlich s menschliche Religion der alle
Beſchraͤnkung verachtenden Contemplation. Auch diefes war dem
Ehriftenehum förderlich, daß es als eine über alle fichtbare
Formen erhabene, und zwar feine glänzende Ideale der Phantafie
aber aufmunternde Mufter der Tugend im Wirken und Leiden
darbietende Weltreligion dem menjchlichen Geſchlechte in einer
Zeit der Auflöfung und fittlihen und politifhen Erfchlaffung
dargeboten wurde. (Mannigfaltige Wendungen des Eklekticis—
mus im Kampfe oder in der Berührung mit dem Chriftenthum ;
die eigentlich charakterifiifchen Lehren- des lebtern geben am
meiften DVeranlaffung zu fremdartigen Mifchungen ; Eeften,
‚Gnofticismus. Anm. 6. fgd.)
Abſchnitt 2. Weber Julians Erziehung und Bildung
bis zu feiner Vefteigung des Kaiſerthrons. S. 7ı — 102.
Schon in der Jugendzeit Julians offenbarte fih fein tiefes
und zugleich Hochjirebendes Gemuͤth im Segenfaß mit feiner
i
aß A. Neander über den Kaifer Juliam
damaligen beſchraͤnkten und drückenden Lage. Er war damals
voll ungeheuchelten Eifers und inniger Märme für das Chris
ſtenthum, und verabjcheute das Heidenthum. Mach feiner
Zuräctunft aus Cappadocien nah Konftantinopel fam er in
die Schule des Pacedämontichen Suriften Nikokles, deffen phis
loſophiſch allegorifche Auslegung der Dichter des Griechiſchen
Alterthums Julians feurige Phantafie und feinen nach dem
Verborgenen forichenden Geiſt noch mehr erregte, Da die das
Goͤttliche in Knechtsgeftalt ankündigende Religion fein das
Außerordentlihe und ©längende fuchende Gemuͤth nicht ans
fprach, fo bewirkte feit feiner Verſetzung nach Nicomedien der
Umgang mit den dortigen Neuplatonitern und die Befannt
fehaft mit den Lehren des Fibanius feine Hinwendung zum
Heidenthum um defto. gewiffer, je mehr feine chriftlihen Leh—
rer ſich bemuͤht hatten, ihn von aller Verbindung mit den
- Meuplatonikern fern zu halten. Nicht ohne Einfluß waren die auf -
Sultan begogenen Weiffagungen unter den: Heiden von eınem
Manne,, der den Stauden an die Götter des Alterthums und
ihre Verehrung wieder herzuftellen und dann Über das Romi—
She Neich zu herrſchen beftimme fey. Die Weberzeugung von
einer foihen Beftimmung ward in Sjulian fowohl Much fein
inneres als fein Äußeres Leben genaͤhrt. Mir machen noch auf
die Charafteriftif der verichitedenen Nenplatonifer, welche auf
den Kaiſer Inlian wirkten, aufmerkſam (Bgl. Anm. g. ©. 89).
Abſchnitt 3. Ueber Sultans religidje und philofophifche
Anſicht Überhaupt, feine daraus hervorgehende Anliht vom
Chriſtenthume und die Mittel, durch welche er feine religidien
Ideen als Kaifer zu realifiren fuhte. ©. 105 — 144. Die
allgemeinen aus dem erften Abichniet Kervorgehenden Reſultate
werden hicr auf den individuellen Eklekticismus des Kaiſers
Julianus und deffen Verhältnig zum Chriſtenthum angewandt,
Durch das chriftlihe Princip Überhaupt, nicht durch das bes
fondre katholiſche, wurde Julian vom Chriſtenthum entfernt.
Dey ihm war Kunft, Wiffenihaft, Staat, feloft der Krieg
mit der Neligion wirfchmolzgen, daher gendate ihm das Ans
fpruchelofe, demüthige, zu dem jenfeirs des irdifchen Lebens
liegenden hinweiſende Chriſtenthum nicht. Aus dem Cynismus
Julian's, der fih dem Chriſtenthum fcheinbar fehr näherre, aber
ſich doc fehr von demſelben entfernte, werden feine Verſuche,
eine neue Kirche zu gründen, abacleıtet.
Abſchnitt 4. Meber den Zuitand der chriftlichen Kirche
zur Zeit des Kaifers Julian und fein Verfahren acaen dies
jelbe. ©. 149 — 170. Zuerft von dem Verderbniß der Kirche
in ihrem Innern durch die Vermifchung mit dem Metrlichen,
welches fie zu bekämpfen aufhörte. Even dadurch bildere fich
A. Neander über den Kaiſer Julian. - a7
eine Reaction in der Kirche, welche. fih vornehmlich in dem
Unruhen der Donatiften zeigte, ‚die hauptſaͤchlich das Ders
derdniß der Kirche durch ihre Vermifhung des Weltlichen bes
fämpften, dann aber auch zugleich durch ihre Aeuferungen
über chriftlihe Frenheit Mißverftändniffe veranlaßten, die
in Hinfiht ihrer Natur und ihrer Wirkungen fehr ähnlich denen
waren, durch welche die Bauernunruhen zur. Zeit der Nefors
mation hervorgebraht murden. Um das Verfahren Julian’s
gegen die Chriften nicht ungerecht zu beurtheilen, muß beionders
das Verhältniß der legtern zu den Heiden feit dem Religionskriege
zwifchen Conſtantinus und Licinius beachtet werden. Der
Uebermuth der Chriſten entzündere bey den Heiden Rachſucht,
und bewirkte, nachdem durch Julian das Heidenthum wieder
auf den Thron gebracht worden, furchtbare Verfolgung, an
welcher der Kaifer felbft feinen.directen Antheil hatte. Denn
Slaubenszwang und Verfolgung waren weder den politifchen,
noch den individuellen veligiöfen und philofophifhen Srunds
fügen Julian's angemefien. Mancher bürgerlichen Vortheile
mußte er die Chriſten berauben, weil jene. nach feiner Anfiche
mit der Religion enge verfnüpft waren. Aus diejem Geſichts⸗
punct wird das Geſetz beurtheilt, welches den Chriften das
Recht, Öffentliche Schulen der Rhetorik und Pitteratur zu hals
ten, nahm ( obgleich allen Sjünglingen, aud) den Chriftlichen,
erlaubt blieb, folhe Schulen zu beſuchen). Gleichwohl, fo
fehr Sjulian das Tumultuariſche und die Unduldſamkeit haßte,
fo fehr. beförderte er indirect- Me Verfolgungen wider die
Ehriften, weil er. in feiner religidien Schwärmerey für das
Heidenthum ſich esnicht erlaubte, die Chriftenverfolger zu ftrafen.
Berfchiedenheit in feinem Betragen gegen die chriftliche Geiſt⸗
lichkeit und gegen die übrigen Ehriften, und Entwicelung der
Urfachen diefer Verſchiedenheit. Manche einzelne den Grund—
fägen Julian's wideriprechende Handlungen, 3. B. einzelne
VBerfolgungen, werden aus Widerjprüchen in feiner Gemüthsart,
deren er felbft fih nicht unbemufie war, aus Aufwallunaen der
Peidenfchaft erflärt. Seine farkaftifchen Aeußerungen über das
Chriſtenthum, Wirkungen augenblicklicher Laune, fchadeten ihm
fhon in jeinem Zeitalter und bemirften ungerechte Beurtheis
fung feiner Grundſaͤtze. Am deutlichften offenbarte füh feine
Idee, das ihm vorfchwebende Bild des Alterthums unter vers
Anderten Zeiten und Sitten wieder ins Leben zuräckzubringen,
bey feinem lebten Aufenthalt zu Antiochien, vor der Eröffnung
des Perfifhen Kriegs, in welchem Julian (im 32. Jahre feis
nes Lebens ) „ald Martyrer für eine ihn beſeelende Idee, die
Barbaren, die Perfer, zu demüthigen,“ fiel.
48 2. Bendavid über die Relig. der Hebr. v. Moſes.
Wir müffen noch bemerken, daß alle hier angedeuteten
Entwicelungen durchaus mit Belegen ſorgfaͤltig unterftäßt find,
und daß die ausführlichern Anmerkungen am Ende jedes Abs
ſchnitts mande lehrreihe Erdrterungen über die philofophifche
und religiöfe Denkart Julians und feiner Zeit enthalten.
’ Wr
e 2 er a
Ueber die Religion der Ebräer vor Mofed. Von Lazaärus 8 ens
david. Berlin, bey Juliud Eduard Hitzig. 1812. IV, sı ©. 8.
Daß die Verſchiedenheit der Namen Gottes im A. T.
beſonders der Geneſis, El, Elohim, Jehovah u. f w., nicht
zufällig fenn tönne, fondern auf einem tieferen Grunde beruhen
müffe,, vielleicht auf. der Verſchiedenheit veligiöier Anſichten
verfchiedener veligidöfen Schulen, ift längft bemerkte worden;
Herr Vendavid macht nun in diefer Heinen Schrift einen Vers
fuch, aus diefen Namen den Fortfchritt der religidfen Bildung
des Juͤdiſchen Volks abzuleiten, dem man mit Ausnahme der
gezwungenen Etymologieen, wenn man es nicht fehr firenge
nehmen will, das triviale Rob zugeftiehen fann: Se non &
vero etc, Er nimmt an, die Araypter, denen das Juͤdiſche
Volk feine rveligidie Bildung verdanfe, hätten drey Grade eis
nes Cultus, der nicht mehr Gößendienfi gewefen ſey, gefannt,
Dualismus, Zebao:h Emus (Dienſt des Heers der Marurkräfte),
Spiritualismug oder TIheismus. Der Hebräifche Stamm habe
Bis zu Joſeph's Zeiten ſich noch nicht Über die beyden evftern
oder niedern diefer Stufen erhoben. Laban und fein Gefchlecht
feyen Dualiſten geweſen (in den Theraphim DIS von MN
und Y’N, Stiere des Zorns, findet auh Sr. B. den Scras
pis); Adraham und fein Geſchlecht Zebaothiften. Der Name
Schaddat, der Bebrüftere, welcher diefe Anfiche bezeichnet
(von TI die Bruft, wovon au I’IW Dämonen), bedeute
eben fo die hypoftafirte Natur im Zebasthismus als die Iſis
der Aegypter. In dem Namen Elohim, wodurch Naturkraͤfte
bezeichnet worden (von — die Kiaft, z. B. 2 B. M.XV,
11), findet der Verf. -eine ſichere Spur des Polytheismus.
Durch Mofes erhielt endlich das Juͤdiſche Volk die hoͤchſte
Weihe, es wurde zu der fpiritmalifitichen oder, theifttichen Ans
ſicht erbosen, welche durch die Namen Jehovah und Ei eljon
ausgedrückt wird,
No. 4. deiderlbersifhe ° 4843,
Jahrbücher der Litteratur.
IRRE ERNEST
4) Johannes Müller oder Plan im Leben, hebst Plan im Le—
sen, und von den Grenzen weiblicher Bildung. Drey
Reden von D. Karl Morgenstern, Russisch Kaiserli
Hofrath , ord. Prof. d, Beredsamkeit und altclass. Philolo-
gie, der Aesthetik und der Gesch. der Literatur u. Kunst
an der Kaiserl. Universität zu Dorpat eic. Leipzig bey
Göschen 1805. VIu. 1228. 4 «(zf.)
2) Memoria Joannis de Müller viri summi in consesau so-
cietatis Regiae sc, Gottingensis inter desideria lugentium
celebrata, interprete Ch. G. Heyne. Die X. Juni
. MDCCCIX. Göttingen bey Dieterih. 12 S. 4.
3) Memoriam Joann,s Mülleri... Civibus commendat Aca-
demia Frid. Halensis. Halle im Waifenhaud 1409. 32 ©. 4.
4) Johann von Müller der Hiftorifer. Von U. 9. 8, Heeren.
Virtus clara aeternaque habetur. Sallust. £eipsig bey
Goͤſchen. 92 ©. 8. (8 gr.) |
5) Johann von Müller von Karl Ludwig von Woltmann.
Berlin b. Higig 1810. VIII. 316. LXXI ©. 8 (ı Thir. aıgr.)
6) Lobſchrift auf Johann von Muffer den Geſchichtſchreiber. Geleſen
in der 8. Akademie der Willenfhaften zu Münden am 29ten
Mai 1811 von Friedrih Roth, D. K. Baieriſchem Ober:
finanzrathe und Mirgliede der Akademie. Suiztad ben Seidif
1811. 46 S. 8 (24 fr.) Ä
Weser ſehr wenige Deutſche Schriftſteller ift fo viel gefchries
ben worden, wie über Johannes Müller: und wenn fi
hieraus zwar nicht mit völliger Sicherheit ſchließen läßt, daß
dieſer ernfte und gelehrte Hiftorifer ein fehr großes, für ihn
fih lebhaft intereffivendes Publicum gehabt habe (man: möchte
wuͤnſchen, daß zur Ehre der vaterländifchen Denfart und det
altkraͤftigen litteraͤriſchen Geiſtes unſerer Zeitgenoſſen ſo etwas
daraus gefolgert werden koͤnnte); fo ſcheint doch faft keinem
Zweifel unterworfen, daß der Mann, über deffen litteräriiche
Bildung, Eigenehämlichkeie und Wirkſaͤmkeit mehrere Schrifts
| 4 |
50 Schriften uber Johannes Miller,
ſteller, zum Theil vom erftien Rang, ihre Stimme abzugeben
fid) berufen fühlten, mannigfaltigen, vielfeitigen und reichen
Stoff zur Betrachtung dargeboten haben muͤſſe; ein ſolcher
Menich gleicht einer herrlichen Gegend, in welcher jeder aufs
merkſame und gemüthlihe Beobachter etwas findet, das ihm
zufagt, deren gelungenfle Schilderung fie nicht erfchöpft,
und die nad) vielen mahlerifhen Befchreibungen nch immer
neue Seiten darbietet, von denen fie mit Theilnahme und
Liebe aufgefaßt und dargefiellt werden kann. So fcheint Jo—
hannes Müller feinem Vaterlande, der einfah großen
Schweiz, nicht unähnlich zu feyn, welche unzähligemal und
vortrefflich beichrieben dem für die ſtets neue Herrlichkeit. der
Natur empfänglichen Gemüthe neue Anfichten und freygebig
Iohnende Veranlaffung zu fruchtbaren Betrachtungen offenbart.
Sn J. M,ift der Menfch, der Gelehrte, der Hiftoriker,
der Politiker und der Gefchäftsmann merfwärdig, und fo wie
diefe verfihiedenartigen Beziehungen, unter welden er an fich
und in der Erfcheinungswels betrachtet werden kann, oft in
einander fließen, und ohne gemwaltthätige Verletzung der nur
in ihrer WVerfihmelzung beftehenden Wahrheit, keine fcharf
abfiheidende Trennung zulaffen ; fo dürfte oft eine willkuͤhrliche
Verbindung, oder richtiger Vermiſchung der Geſichtspuncte,
aus denen ſein Weſen, Denken und Wirken angeſehen werden
kann, der gerechten Würdigung feines Verdienſtes unvermeidli—
chen Eintrag gethan haben. Daß er durch feltene Ausdauer
angefirengten Fleißes eine bewundernswerthe Fülle gelehrter
Kenntniffe fih erworben habe, darüber find Alle einverftanden;
bloß Mathematik und Natarwiffenfchäften fheinen ihm fremd
geblieben zu feyn, und aus feiner, durch genetifche Bildung
und frühe feſte Richtung des Geifles erflärbaren Abneigung
gegen die erflere machte er feldft kein Geheimniß; dagegen
war philologifhe und theologifhe Erudition, Staatswiffens
fihaft, Rechtskenntniß, Geſchmack und Kunftgefühl auf dag
glücklichfte in ihm vereinigt; er hatte eine Beleſenheit, mie
fie feit Saumaife und Leibniß nicht häufig gefunden
ward, eine nie befriedigte, nie erfchlaffende MWißbegierde, eis
nen immer jugendlich s frifchen Eifer für die Fortbildung ſeines
Geiſtes und für die Erweiterung feiner Kenneniffe. Als Menfch
Schriften uber Johannes Müller, 51
tritt ee in einer Liebentwärdigfeit hervor, welche in diefem
Grade Auferft wenigen Gelehrten und Schriftftellern zugeftans
den werden kann; die ihm einwohnende Milde und Welchheit,
die in feine ganze Natur innig und unzertrenntich verwebte
Humanität, die vein kindliche Hingebung an jedes fich freund;
lich antündigende Gute, die warme Herzlihe Theilnahme au
Anderer Freude und Kummer, dad immer rege Streben zu
beglücken und zu helfen, die unter Beinen Umſtaͤnden erkaltende
Treue, faft fhwärmerifhe Anhänglichkeit an dem Kreife feiner
Lieben, die von erfter Kindheit an bis zur Gruft fi gleich
bleibende Pietät, die Verföhnlichkeit gegen Feinde, die Zarts
heit in gefellfhaftlichen Verhaͤltniſſen, wer mag fie verfennen
oder mißdeuten, als wenn alles Menſchliche Tand und Thors
heit it? — Und wie war der gegen feine Mitmenfchen fo
nachfihtige Mann fireng gegen fih ſelbſt? wie that er ſich
nie Genäge? wie war er duchdrungen von Pflihtgefühl?
wie befeelte ihn Kraft, aus Meligiofität, aus lebendigen
Glauben an Vorfehung und Würde der Menfchheit entquol⸗
len? — Für alles diefes Liegen die Beweiſe öffentlich in fe .
nem, nicht für das Publicum beftimmten, nad feinem Tode
befannt gemachten Briefwechfel vor; wer fehen will, kann
fehen; einer beurtheilenden Anzeige der Müller’ihen Werte
darf Hier nicht vorgegriffen werden ; es ift genug, im Allges
meinen Auf diefes Urkundenbuch zum Leben und Charakter
eines edlen Menfchen aufmerkſam gemacht zn haben.
Das, was der Schriftfteller als Mensch ift, darf bey der
Schaͤtzung des Hiſtorikers nicht unbeachtet gelaffen werden.
Diplomatiſch genau und zur entfchiedenen Bereicherung der
äußeren Wiſſenſchaft fammeln, ann der fleißige Gefehrte;
die Materialien lichtvoll zu ordnen, Ereigniffe und Vegeben:
heiten in ihrem Zufammenhange und Erfolge anſchaulich le—
bendig in fhöner Sprache darzuftellen, und treffende Bemer—
tungen nnd Urtheile einzuflechten, vermag der kunfterfahrne
und geübte Schrififteller. Aber das Streben nach einem höhe:
ren Ziele, der Alles durchdringende Wille, Mitwelt und Nach—
kommen zum Edlen und Großen, Guten und Wahren zu
beftimmen , ganze Geſchlechter zu begeiftern für Necht und Tus
gend, die Gemuͤther mis heiligen Entſchließungen zu befruchten;
52 Schriften über Johannes Miller,
diefes Streben, diefer Wille wohnt nur in’ einem heiligen
Gemuͤth, das mehr Hat als Wiffenfchaft und Kunft, das von
der Allmacht unaasiprechlicher Ahndungen beherrfcht wird.
Solch ein Geift bricht in Müllers hiftorifchen Darftellungen
durch, und fordert faut und dringend auf, an den inneren
Menſchen des Schrififtellers zu denten, der als Hiftoriter bes
urtheilt werden fol. Es Bleibt daher lobenswereh, wenn zur
Mürdigung eines folhen Gefchichtfchreiberg ein ganz anderer
Maßſtab gebraucht wird, als bey unzähligen andern, äußerlich‘
verwandten Schriftftelleen gewöhnlich iſt; es erjcheint ganz in
der Ordnung, wenn der Charakter des Hiſtorikers nicht iſolirt,
fondern vielmehr in feiner natürlichen und allein zur wahrhafs
ten Vollftändigkeit und Einheit der Anfiht führenden Verbin—
‚dung mit dem Charakter des Menfchen dargeftellt wird; 0b
ſich gleich ein richtiges Neiultat unter nicht ausgefprochenen, .
fondern nur in ihren Wirfungen angedeuteten Borausfehungen
auffaffen und darlegen laͤßt; und auf feinen Fall ift eine wis
drige Analyfe (die nicht einmal fo unwahr zu feyn braucht,
wie die von Woltmann’iche iſt, um verwerflih zu ſeyn)
aller und jeder menfhliher Verhältniffe erforderlich, wenn
eine fo preiswürdige, durch fromme Achtung für N er⸗
zeugte Abſicht erreicht werden foll.
J. v. M. verdiente alſo die Ehre, welche ihm in No. ı.
widerfährt; in feinem inneren, wiffenfchaftlichen Leben herrſcht
zufammenhängenbder fefter Plan; in feinen Studien und Grund—
fäten finder ſich eine mit ehrwärdigem männlichen Ernfte durch—
geführte Conſequenz, weiche fo einfach ift, daß fie von Allen
erfannt und von fehr Vielen als Richtſchnur angenommen und
befolgt werden kann; die eigenen Belenntniffe in Briefen und
die Refultate feiner Beftrebungen, unvergänglihe Denkmäler
Deutfchen Fleifes, vaterländifhen Sinnes, litterärifh ver
edelter Nationalität und tief begründeter Frömmigkeit, liefern
den Beweis; und Hr Morgenftern hat diefe reichhaltigen
Materialien zu einer anfchaulihen Darftellung des mufterhaft
Verdienftlihen im Selbftbilden, Fortfchreiten und Bewahren
des Geiftes, mit Umficht zu finden und mit Befonnenheit und
vednerifher Klarheit zu benußen und zu verarbeiten gewußt.
Jedoch irrt er darin, daß er die Muͤllerſche Planmaͤßigkeit
|
Schriften über Johannes Müller, 83
anf das Außere Leben des ſich einer höheren. Führung vers
trauensvoll hingebenden und feine Wünfche und Abfihten unter
dem unerfchätterlichen Glauben an diefelbe gefangen nehmens
den, auch in diefer Hinficht feltenen und von befchränften, für
folhen Gottesſinn unempfänglihen Egoiſten mißverflandenen
Mannes ausgedehnt hat. immer bleibe diefe erfte Rede, mit
den ihr beygegeben reichhaltigen und finnvollen Anmerkungen,
ein ihäßbarer Beytrag zur genauern Kenntniß und richtigern
Würdigung des menfchlihen und Kitterärifchen Charakters und
der eigenrhümlichen Werdienfte des größten Hiftorikers, welchen
Deutſchland bis auf den heutigen Tag befeffen hat. Die Sprache
des Redners ift förnig, blühend und edel; nur ein einziges
Mal ©. 30 fällt fie durch die faft burleste Parenthefe: „ich
wette, er reiſ't noch einmal nad) London !“ aus ihrer Mürde ;
und in einigen Anmerkungen iſt das DBeftreben, den Ton und
die Manier zu müllerifiven, allzufihtbar. — Die zweyte Rede
über Plan im Lefen ift dem Geiſte und Zwecke nad mit
der erfien nah verwandt. Sie gehet von der Betrachtung des
möglichen Mißbrauches ‚großer Bücherfammlungen. aus, und
Hr. M: erlaubt fih (S. 62) eine Anipielung auf Göttingen,
welche um fo fchiefliher hätte unterdrückt werden follen, weil
er feld fie für ungerecht erklärt, wie fie es wirklid if. Das
gegen find die Warnungen gegen Bielleferey oder Leſewuth
ganz an ihrer Stelle, und mögen in vielen Städten Deutſch—
lands dringenderes Beduͤrfniß feyn, und mehr Beherzigung
erheifchen als in Dorpat. Eben fo gerecht find die Klagen
über die Verkehrtheit, welche das fefeluftige Publicum Deutfchs
lands in der Wahl der Bücher beweijet, und über die empds
rende Vernachlaͤßigung feiner Claſſiker, welche fi daffelbe zu
Schulden kommen läßt. Die Hauptfumme aller Weisheit im
Leſen wird für fludivende Juͤnglinge darin zufammengefaßt ı
„Lies außer den Schrififtellern, die du deines gegenwärtigen oder
künftigen Berufs halber lefen mußt, nur die claffifchen !* Unter
Klaffitern werden diejenigen: verftanden, welche vein menfihliches
Sjntereffe haben, indem fie den urfprünglihen Menfchenfinn
für das Wahre, das Gute, das Schöne unmittelbar, und
nicht jeden befonders, fondern den dreyfachen Sinn zugleid)
beihäftigen,, den Menfchen im Menfchen aus eigenem, höhern
5A Schriften über Johannes Muller,
Leben zu Höherm Leben bilden. In den Feldern ber Poeſie,
Beredſamkeit, Gefhichte und Philofophie müffen fie geſucht
werden. Daß unter unfern Deutfchen Elaffitern weder Utz,
noch Ramler, weder Gerftenberg, noch I. N.’ GöH
und Claudius, daß von Romanen s Verfaffern nicht einmal
J. T. Hermes und F. H. Jakobi genannt find, fällt auf;
Garve hat bey den Philofophen einen Platz gefunden; wenn
and) das Lefen der Humoriſten ( &. 80) dem fpäteren Leben
vorbehalten wird, fo hätten felbft für diefes Hippel und
Sean Paul eine Ehrenmeldung verdient. Die Winke über
Folge und Methode im Leſen find vortrefflih, und verrathen
eben fo viel Erfahrung als Gefl malt und Gef. — Die
dritte Rede von den Grenzen weibliher Bildung
ift bey Eröffnung der kaiſ. Töchterfchufe zu Wyborg d. 9. Aug.
1805 gehalten worden. &ie verbreitet fih über weiblichen
Deruf und weiblihe Bildung, und enthält viel Angemeffenes
und Durchdachtes, wie es von einem folhen Be erwartet
werden kann,
No. 2. ift der Ausdruck dankbarer — an die
Wohlthaten, welche die Goͤttingiſche Societaͤt ihrem Mitgliede
zu verdanken hatte; wirklich war fie ihm ihre Fortdauer fchuls
dig (S. 4), obgleich ec. bezweiflen möchte, daß die Eriftenz
einer fo geachteten gelehrten Geſellſchaft unter einer liberalen
and für Kunft und Wiffenfchaft fi fo günftig Außernden Res
gierung auch nur Einen Augenblick gefährdet geweſen ſeyn
koͤnne; gewiß haben Mißvwerftändniffe und Irrungen über
Drganifationg s Formen Zögerungen und daher Beſorgniſſe vers
anlaßt. Doc) bleibt damit dem für alles Litterarifhe, und
befonders für Goͤttingens Wohi eifrig thaͤtigen Müller das
undeftrittene Verdienſt (S. 9), die zur Unterhaltung der
Geſellſchaft erforderlihen Summen gefihert, für MWiedererftats
tung deffen, mas durch dringende Zeitumftände entzogen worden
war, geforgt, und die zur Fortdauer der Gelehrten Anzeigen
und der Commentationen nöthigen Ausgaben gedeckt zu haben ;
auch bewirkte er die, fpäterhin zum Landesgefeke erhobene,
Senfurfreyheit. Daß der Redner (S. 5) lauter Klagen ers
wähnt, melche von Mehreren über Müllers Gefhäftsfühs
zung erhoben wurden, ift Jedem, der mit der Lage der Dinge
Schriften über Johannes Muͤller. 8
m Jahr 1808 nicht ganz unbekannt iſt, fehr begkeiflich; die
Studien s Angelegenheiten befanden ſich in einem ungeheuren
Chaos, und es ließ ſich kaum ein in denfelben entfichendes
Syſtem ahnden ; der Bald Screden, bald Freude erregenden
Gerüchte und Vermuthungen gab es eine Legion ; die zudrings
lichen Forderungen und Gefuche waren ohne Maaf und Ziel;
Müller mit feinem Enthufiasmus für Wilfenfhaft und mit
feinem weichen menfhenfreundlichen Herzen, das Allen helfen
und jedem Beforgten Beruhigung verfchaffen wollte, that auf
Einmal zu viel, und berückfihtigte mehr das Einzelne als das
Ganze; feine Tröftungen , feine Aufmunterungen, feine Hoffs
nungsäußerungen wurden als officiele Erklärungen angefehen,
verbreitet und mit Nußanmendungen ausgeftattet; in den ers
ften vier Wochen feiner Öffentlihen Wirkſamkeit mußten fchon
viele Unzufriedene entfiehen, denen nichts raſch und ihrem
Egoismus "gemäß genug ging. Dem Charakter, dem Geifte und
Willen Müllers läßt der feit der erften jugendlichen Entwickelung
mit ihm befannte ehrwürdige nunmehr feldft verewigte Heyne
(©. ı0f.) volle Gerechtigkeit angedeihen; es ift ein gehalt
volles Wort, was er als Nefultat über ihn ausſpricht: „non
diffitendum est, nostris hisce temporibus hominibusque
eum nec natum fuisse nec nasci debuisse ; alieno itaque
tempore, nec suo nec nostro, eum vixisse,“
No. 3. Der geiftreihe Humaniſt Hr. Prof. Schuͤtz
bleibt in feiner, im. Namen der Univerfität Halle verfaßiten,
durch Roͤmiſche Eleganz und durch Gedankenreichthum ausge;
zeichneten Denkſchrift bey dem hiſtoriſchen Verdienſte Müllers
ſtehen, und ſtellt das Bild feiner geiftigen Bildung und Wirk
ſamkeit ald Mufter auf, dem &tudirende nachſtreben follen.
Deutfchland, fo reich an vortrefflihen Schriftſtellern aller Art,
ift arm an großen Hiftoris.ın, und freylich wird, um ale
Geſchichtſchreiber ſich auszuzeichnen, ein feltener Verein gelehr⸗
ter Kenntniſſe und ſittlicher und aͤſthetiſcher Eigenſchaften er—
fordert; nicht zu gedenken der ſtark eingreifenden aͤußeren
Verhaͤltniſſe, unter welchen ein im ſtrengeren Sinn gutes
hiſtoriſches Werk allein gedeihen kann; ſeit wann herrſchet
eigentlich Publicitaͤt? ſeit wann Willfaͤhrigkeit der Regierungen,
Archiye zu oͤffnen, und das, was daraus muͤhſam gewonnen
56 Schriften über Johannes Müller,
ift, bekannk machen zu- laffen ? und wie befchränfte fih ſolche
Millfährigkeie oft durch aͤngſtliche Nückfichten auf fteiffinnig feftges
haltene Rechtsformalitaͤten, oder auf vermeintlich nachtheilige
Volksaufklaͤrung, oder auf Befchädigung des ſogenannten Fas
milienglanzes ? und mo war Nationalfinn ? wie fparfam wurde
ſchriftſtelleriſches Kunſttalent in unfern gelehrten Erziehungs:
anftalten geweckt, gepflegt und zu einiger Reife gebracht ? Es
ift noch immer merkwürdig, daß Deutichland in dem letzten
Wiertheile des achtzehnten Jahrhunderts fo viele gute Hiſtoviker
hervorgebracht hat, welche zwar nicht mit den großen Alten
und mit den durch ihre Verfaffung gehobenen Britten um den
Kranz buhlen können, aber doch nur von einigen Stalienern
ber jhönen Zeit und von wenigen Spaniern ubertroffen wers
den! „IIlud accedit, fagt der Verf. S. 7 fehr richtig, cur
hoc minus mirabile debeat ‚videri, quod quum historia
nec institui possit, nisi praeparato otio, nec exiguo tem-
‘pore absolvi, nostris hominibus ad ista studia natis et
factis, aut raro, aut numquam wacatio publici muneris,
isque otii fructus concedatur, quem Humio et Gib-
bono aliisque eorum similibus scimus contigisse. Prae-
stantissimi enim Germaniae historici, vel rei puhlicae
administratione vel institutione juventutis academicae sic
detinentur, ut miraculi instar sit, eos horis subsicivis
‘ tantum, quantum in hoc arte elaborarint, praestitisse,
nedum ut iis vitio vertendum sit, eos Opus institutuma
vel inchoatum reliquisse, vel si ad finem perduxerint,
non Omnes summae perfeetionis numeros explevisse,. Ita-
que nec Möserum nostrum historiam ÖOsnabrugensem,
nec Sprengelium Britanniae, nec Schillerum hi-
storiam defectionis Belgarum ahbsolvere potuisse, dolen-
dum potius est quam admirand .n; ac tanto majore cum
laude praedicandum Schlözeros nostros, Herderos,
Plankios, Schröckhios, Heerenios (Schmid-
tios, Spittleros) longis operibus iisque elegantissir
mis, quum tot aliis negotiis districti essent, perficiendis
pares fuisse.“ Auh Johannes Müller konnte nur unter
vielfachen Lebensmühen, Geſchaͤftszerſtreuungen und läftigen
Unterbrechungen, fein Hauptwerk, die Geſchichte der Schweize⸗
Schriften üder Johanneq Müller sr
riſchen Eidsgenoſſenſchaft bearbeiten, : Es war herkuliſcher Fleiß
erforderlich „ um die überall zerfireuten Materialien und Moris
zen zufammen zu bringen, und es lag in dem. durch Locals
und Staatsverhältniffe zerfiäckelten Stoffe eine eigenthuͤmliche
Schwierigkeit der Darftellung, welche nur varerländifches Ins
tereffe zu überwinden vermochte. Der Höhere didaktiſche Zweck,
welcher diejer Unternehmung zu Grunde lag, wird S. ıı
genügend angedeutet und das Verfahren des Gefchichtichreiberg
volljiändig gerechtfertigt. Auf feine mufterhafte Treue, MWahrs
heitsliebe und Uupartheylichfeit wird auſmerkſam gemacht, ohne
die Milde zu verichweigen, welche ſich in feinem Urtheil über
das Tadeinswerthe offenbart, und wovon die Charakteriſtik
KR. Ludwig XI. als iprechendes Benfpiel in koͤſtlicher Fateinis
fher Ueberſetzung (S. 15 f.) aufgeführt wird. Das Verdienfts
liche in der Decongmie des ganzen Werks, in der genauen und
mahlerifhen Angabe des Schauplakes, in der anichaulichen
Darftellung der Denkart und der Bitten verfloffener Jahr—⸗
hunderte, in der Befchreibung der Eclachten, in der
Entwidelung der Verfaffung und Verwaltung der einzelnen
Staaten, in der Beziehung des Einzelnen auf das Ganze, in
dem univerfalhiftorifchen Blicke, kurz Alles, was. an diejem
Mieifterwerke dem forgfältigen und kunfterfahrnen Beobachter
zufage, wird bündig und mit anfchauliher Klarheit angedeutet
und hervorgehoben. Auch über Heine Gebrechen und Mängel,
über die Fülle der Citate, über die oft fremdartige und ums
gleihe Sprache erklärt fih Hr. ©. eben fo gereht und uns.
partheyiſch freymuͤthig, als mit feinem, kritifchen Blicke und
ächt antitem Kunftfinn. Dean trennt fid ungern von einer
materiell und formell fo vollendeten Schrift, und nur in ber
VBorausjekung, daß diefe Bogen, mehr ald andere academifche
Selegenheitsichriften, in das größere Publicum durch Buchs
handel gebraht worden find, hat Nec. der Verſuchung Wis
derftand geleifter, mehrere herrliche Stellen den Lefern wörtlich
mitzutheilen. |
No. 4. Einer der Erſten unferer Deutfchen Hiftoriker,
ber gelehrte, jcharfiinnige,, geiftvolle Heeren erachtete es ers
fprießlidy für Die angemeffene Bildung künftiger Hiſtoriker, an
Joh. Müller zu zeigen, welchen Weg fie zu betreten und
58 Schriften über Johannes Müller.
zu verfolgen haben, um die Forderungen und Pflichten guter
Hiſtoriker kennen und erfüllen zu lernen. „Was Müller der
Wiſſenſchaft wurde, das ward er ganz durch feine Liebe für
fi. — — Bein Enthufiasmus für die Gefchichte ging aus
dem febendigften Gefühl ihrer Würde hervor. Sie war ihm
die erfte der MWiffenfchaften, die Aufbewahrerin alles Großen
und Herrlihen, die Heroldin und zugleich ‚die Bildnerin der
Staatsmänner und Helden.“ Wir übergehen das nun fattfam
Bekannte aus Müller’s Leben, welches über feine Bildung
zum Hiſtoriker Aufſchluß gibt, und verweilen bey demjenigen,
was die Individualität feines hiftorifchen Charakters näher bes
zeichnet und entwickelt. In der Gefchichte der Schweiz, für
die er ſich beflimmte, war des Allgemeinen wenig (S. 22),
des Defondern viel; das Studium mußte alfo von dem Eins
zelnen ausgehen; und fo bildete die Befchaffenheit des Stoffes,
welcher zu bearbeiten war, den Gefhihtforfher; feinem
Genie blieb es vorbehalten, ſich von Erforfchung des Einzelnen
zur Anficht des Allgemeinen zu erheben; wer mit dem Allges
meinen beginnt, erbaut ein Gebäude ohne Grund. Die Def
fentlichkeit der Schweizerifhen Verhandlungen, die zahlreichen
Nachrichten darüber in gleichzeitigen Chroniken und die Menge
der vorhandenen Urkunden eröffneten dem Forfchungsfleiße
ein unermeßliches Feld. Für die Trockenheit folher Studien
entſchaͤdigte ſich Müller im Umgange mit hochgebildeten,
geiftvollen Männern und durch Fectüre der Alten und mobders
nen Claffiter ; er arbeitete an der Cultur des practifchen polis
tifhen Sinnes, ohne welchen keines Hiſtorikers Bemühungen
Fruchtbarkeit für das wirkliche Leben gewinnen. können, und
an Vervolllommnung des fchriftlichen Vortrags. Won wohls
thätiger Wirkung war, daß er veranlaßt wurde, univerfals
Hiftorifhe Vorlefungen in Genf zu halten; durch fie ward er
auf manche Lücken in feinen Kenntniffen aufmerfiam, er durchs
dachte den Gegenſtand, worüber er Andere orientiren follte,
mit anfchaulicherer Klarheit, er wurde von der engen Verbins
dung, worin das Einzelne mit dem Ganzen fleht, auf das
febendigfte überzeugt, und fie zeichneten ihm den Gang feiner
Forfhungen für das ganze Leben vor. — Seine Schmweizers
gefchichte gibt den Maaßſtab, nach weichem fein hiſtoriſches
Schriften: über Johannes Miller. 659
Berdienft gewürdigt: werden muß. Er hatte (S. 60) eine
reine und fefte Anficht von dem Weſen der Geſchichte; fie war -
ihm treue Erzählerin des. Gefchehenen. Er feßte den Ger
fchichtfchreiber nie Über den Geſchichtforſcher; er hat diefen nie
über jenen vergeffen; und diefe Bewahrung des richtigen Vers
haͤltniſſes zwifchen beyden ift die Grundbedingung zu einem
großen Hiſtoriker. Wahrheitsiiebe war dag oberfie Geiek,
dem er in feinen hiftorifhen Beſtrebungen huldigte; er wollte
nichts fagen, was er nicht felbft ( ©. 64) als wahr erfannt
hatte: Sein Werk fteht als Mufter tiefer und gründlicher
Forfhung für die Nachwelt dat! — In Anjehung der Coms
pofition. waren einfahe Hinderniſſe zu befeitigen; nur Ein
Hauptpunct fonnte feftgehalten werden: Entſtehen und Bes
fiehen der Verfaffung, Begründung und Erhaltung der Freys
heit; hieraus ergaben fih Zufammenhang und Pragmatismug;
Alles wurde durch inneres Band, durch vaterländifchen Geiſt
zufammengehaften. Doch erklärt der Verf. die Anordnung des
zerſtuͤckelten Stoffes (S. 70) für die minder glänzende Seite
des: Werts. Es bleibt hiedoch das größte Lob des Geſchicht—⸗
fchreibers in diefer Ruͤckſicht, daß er, dur einfache chronolor
gifche Anordnung, der Natur. folgte, ohne dem Stoffe Gewalt
anzuthun. Die angiehende Kraft der. Schweizergeichicdhte bes
ruht auf dem Tebendigem Intereſſe, womit der Verf. an bie
Bearbeitung des Stoffes ging, und welches aus dem tiefen
Studium. feines Segenftandes fich immer dauerhder und fräftis
gar entwickelte. Müller hatte eine heitere Anficht der Welt,
einen lebendigen Sinn für Freyheit und für politifche Größe;
er wurde unterftüßt von einer beweglichen Imagination, die
er aber immer beherrſchte. Müllers Styl wird (©. 89)
mit Recht ein veredelter Chronitenftyl genannt, — „Müller
fhrieb (S. ge) einen Theil der Deurfhen Geſchichte; in
Deutſcher Zunge und mit Deutfhem Gemuͤthe. Alle edle
Grundzüge des Deutfhen Charakters, reiner Wahrheitsfinn,
Freyheitsliebe mit Ordnung, tiefes und inniges Gefühl für
allee Herriihe und Große fprechen fi laut darin aus. So
ſteht es da, ein Mationalwert im höheren Sinn; eine Deut:
ſche Eiche auf Deutfhem Boden. Laut und dankbar nahm
es — ſelbſt mitten in ihren Verirrungen über das Mefen der
60 Schriften über Johannes Müller.
Sefhichte, gleihfam fich ſelbſt widerfprechend — die Mitwels
auf; daß die kommenden Gefhlechter es nicht vergeffen, das
für hat der Gefchichtfchreiber geforge!* — Nur fo viel aus
diefer gehaltreihen Schrift; mer fie noch nicht gelefen hat,
möge dadurch gereizt werden, fih an ihr zu laben; und mer
fih fhon früher des Genuſſes erfreut hat, möge dankbar an
die frohen Stunden erinnert werden, welche fie ihm gewährte.
Sie und die gleich näher zu beichreibende Lobjchrift von Roth,
Planck's und Heeren’s Schriften über Spittler ( möchte
uns auch vecht bald Noth’s Denkmal auf diefen mitgerheilt
werden!), verbunden mit dem BVruchſtuͤcke aus Schloͤzer's
Autobiographie und Joh. Müllers Briefe an Bonftetten
und an feinen Bruder, find die befte und fruchtbarfte practis
he Anleitung zum hiftorifhen Studium, welche dem zum
Defferen aufftrebenden Deutſchen Süngling zu feiner gedeihlis
chen, nur aus eigenem Wollen erzeugten Selbftbildung "zum
rechten hiftorifchen Studium empfohlen werden kann. Ä
No. 5. Wenn es. eine ausführlihe Kritit der von
Woltmann'ſchen Schrift gäfte, fo würde fih Rec. aus
Edel vor der lojen Speiſe feyerlih davon losgefagt haben;
es thut aber eine mit vollftändiger Beweisführung ausgeftattete
Darlegung der WVermwerflichkeit diefer nur ihrem Verf. ungüns
fligen Schrift Gottlob nicht mehr noͤthig, da der Unwille
darüber von vielen durch Geift und Kraft des Gemuͤths her—
vorftechenden und ihe Stimmrecht beurtundenden rechtlichen
und guten Männern wiederholt laut ausgefprohen, und das
Publicum, wenn es des bedurfte, genugſam gewarnt worden
iſt. Mag Kunftneid, dem auch beifere Naturen unterworfen
find, mag Schulhaß, wie er einft den Anti: Ariftoreliter Pes
ter Ramus blutig verfolgte, gereist und zum Bien vers
ſuchet haben; immer iſt fchwer zu begreifen, daß Hr. v. W.
in dem von ihm doch gewiß ans Erfahrung fo hoch berechnes
ten Umgang mit MWeibern nicht fo viel Feinfinnigkeit und
richtigen Tact erworben haben follte, um das Gemeine und
DVerächtliche eines folhen Verfahrens fogleich zu fühlen und
den erftien Gedanken dazu als Ausgeburt eines unglücklichen
Augenblicke, fi) ſelbſt bloß durch bisweilige Erinnerung daran
ſtrafend, zu unterdräden. Was in aller Melt konnte ihn zu
Schriften über Johannes Müller, 61
dieſem Schritte bewegen, zu dem litterarifchen Banditenflreiche,
feinem angeblichen, eben wortlos gewordenen ‚Freunde meuchz
leriſch das Köftlihfte zu vauden, was Sterbliche hienieden
haben und verlieren können ? und Zwar zu rauben mit ver:
fuͤßenden und die leidenjhaftlihe Gewaltthaͤtigkeit bedeckenden
Lobſpruͤchen und unter der Hülle fogenannten. freyen Kraft:
eifers- für, Wahrhzit und Gerechtigkeit? Beym Himmel, wag
tonnte ihn beſtimmen zu einem ſolchen, ſchon nad) den Kegeln
alltäglicher Kiugheit unverzeihlichen und, nad) den ewigen Ges-
fegen innerer Serechtigkeit in der Weltregierung, unausbleibs
liche Setbftrahe drohenden Schritte? — Wollte man Ken.
v. W. Arges mit Argem vergelten, fo fünnte er leicht mit
vieler Wahrfcheinlichkeit bezüchtigt werden, daß ihn noch etwas
Unedleres, als bloß armfelige und Mitleiden erregende Eitels
keit, angetrieben babe, fo zu handeln; daß es ihm nicht bloß
darum zu thun geweien fey, feinen Mamen durch einen ger
fenerten weniger beeinträchtigt zu fehen; daß er- vielmehr darz
auf ausgegangen fey, im Preußifchen Staate, mit deffen,
Drganifarion er fih vielleicht nicht bloß ſchriftſtelleriſch beichäfs,
tigen wollte, in dem Staate, wo es damals zum Tone der.
fogenannten guten Geſellſchaft gehörte, den vermeintlich. ab;
truͤnnigen Müller herabzuſetzen und zu verleumden, ſich patrio⸗
tiſch wichtig zu machen, indem er mit Einem Dauptflveiche den
von mehreren Seiten vergeblich angegriffenen Ruhm des vers
haften Apoftaten zu Boden ſtrecke. Und wenn es dies nicht
war, was ihn tried; ift es nicht unbefchreiblich Hein, nicht ers
tragen zu können, daß der Mitbewerber um biftorifchen Ruhm,
von Franzöjifhen Feldherren und Staatsmännern gekannt und
geachtet war, vom Kaifer Mapoleon durch eine lange Audienz
ausgezeichnet, bald nachher zu einer Minifterftelle berufen
wurde ? und wenn dem, auch fpäterhin in feiner nächften Ums
gebung wenig beachteten Hrn. von eh Itmann diefes wehe
that, war es nicht Beinlihe Nahe, die Manen des Worgezor
genen nur zu feiner Demüthigung mehr Befannten und ge:
ehrten zu Ihmähen? — Die erbittertfte Feindfchaft hätte kein
wirffameres Mittel, dem Herrn v. W. zu fihaden, erfin-
den können, als er felbft erfunden und angewendet hat.
. Möge ihn die allgemeine Syndignation zur Selbſterkenntniß
führen! — Bon feinem Bude fein Wort; denn es wäre,
als träte man mit ihm felbft gegen ihn in Bündnifi, wenn
der Inhalt deffelden erneuert und durch Widerlegungen und
Derichtigungen in feiner ganzen Haͤßlichkeit verjüngt würde,
| No. 6. ift einer der vorzäglichiten Auffäße, welche die
ganze Deutfche Litteratur in diejer Gattung aufzumeifen hat,
der Redner Überläßt der _ Nachwelt, den von. allen Rückfichten
62 Schriften über Johannes Mütter,
unabhängigen Rang zu beftimmen, der Müller'n als Ge⸗
lehrten und beſonders als Hiſtoriker gebührt; er ſelbſt verweilt
dabey, daß es dieſem Schriftſteller zu beſonderem Lobe, ja
zum Ruhme gereichen muͤſſe, in ſolcher Zeit ein ſolcher Mann
geweſen zu ſeyn, und daß ſein Werk, obwohl ein Werk auf
immer, noch beſonderen Werth für feine Zeit und wegen der—
felden habe: Es erhöhee Müllers Ruhm und dient zur
richtigen Schäßung feines Verdienftes die Erwägung, daß er
nie unabhängig leben konnte, immer einen großen Theil feiner
* Zeit den Geichäften aufopfern mußte, und fünfmal feinen
Wohnſitz veränderte „Wie viel mehr (S. 6) würde die
Melt von ihm zu erwarten gehabt haben, wenn das Glüd
ihm die Freyheit und die Muße, überhaupt aber die heite⸗
ten VBerhältniffe gegönnt hätte, deren fih die großen
Alten gemeiniglih und feldft die beften unter den Neueren ers
freuten.“ — As Hiftoriter wird M. zuerft von Seite dei
Forſchung betrachtet; diefe nimmt, außer Fleiß und Scharffinn,
alle Tugenden des bewegteften Lebens in Anipruh (S. 7);
„den Muth nämlih, um bis an die Enden des Wiffens vors
zudeingen, unbetretene Wege zu verfuchen; des Muthes
Schweſter, die Beharrlichkeit, bey unerwarteter Schwierigkeit
und noch oft unbelohnter Bemuͤhung; die Mäfßigung, die,
immer den Zweck vorhaltend, weiſe befhränft und dor reizen»
den Ausihweifangen bewahrt; die Ueberlegung, welche dad
Mefentlihe nicht nur bezeichnet, fondern es aufiuchen und
entdecken lehrt; ja die Gerechtigkeit, die Haß und Vorliebé
entfernt, die Wahrheit allein ehrt, und die Aufmerkſamkeit
‚auf alles nach dem rechten Maaße vertheilt.“ Mit erfahrner
Einficht fchildert der Verf. den Gebrauch, welchen M. von alten
Jahrbuͤchern, von gleichzeitigen Schriften, „weil dag Gepräge
der Zeit an ihnen iſt,“ und von Urkunden gemacht hat; durch
Kenntniß des Schauplages gewann feine Forſchung anſchaulicheé
Lebendigkeit; auch Harte fie den Vorzug der Selbſtſtaͤndigkeit
und tief eingreifender Vollfiändigkeit; und vor allen andern
fpricht fih in ihr ein reines, ſtarkes, ficheres Gefühl der
Wahrheit aus (©. ı1). „Sn dem Zeitalter des Übermüthis
gen Wißes, und noch, che große Erfahrungen die Schwaͤche
diefes Herrſchers dargethan, hat er den Glauben, deſſen Wer?
bannung felöft zur Glaubenslehre geworden war, in die Ges
ſchichtforſchung wieder eingeführt und ihm fein Gebiet neben
dem Zweifel angewielen. Alfo erhält bey ihm das Ungewoͤhn—
liche, das fonft kein Necht erlangen konnte, einen maͤchtigen
Fuͤrſprecher, und wird nie darum, weil es ungewöhnlich ift,
verworfen. Er verachtet die Gaben der Sage nicht; Wahrs
ſcheinlichteit und ſelbſt Gewißheit fucht er daraus zu ziehen,
Schriften über Fobannes Mütter, 63
und gelingt das minder, fo behält auch die. dunkel bleibende
Erſcheinung dennoch ihre Stelle.“ Diefe ausgezeichnete Ge:
ſchicklichkeit zur Forſchung verdankte M. hauptſaͤchlich der aus
den Quellen ſelbſterworbenen Erkenntniß der Welcgeſchichte,
deren nach ſeinem Tode bekannt gemachte Darſtellung, eine
nicht vollendete Jugendarbeit, das einzige Werk iſt, welches
Deutſchland dem beruͤhmten Gemälde Boſſuct's entgegen
Halten kann. Die Geſchichten Schweizeriſcher Eidgenoſſenſchaft
find „die That der Geſchichtſchreibung“ Joh. v. Muͤllers;
der Geiſt und Charakter dieſes Werks wird S. 17 fg. treffend
dargeftellt; die "überall vorberrjchende Wahrheitsliebe, das
milde Wohlwollen, die kraftvolle Heiterkeit neben männlichem
Ernſte, die unwandeldare Achtung für Recht und Sittlichkeir,
die ſich immer gleiche Mäßigung der Gerechtigkeit im Urtheile
über Handlungen und deren Urheber, die innige Religiofität,
kurz Alles, was Eigenthuͤmlichkeit diefes Gefchichtfchreibers ger
nannt werden kann, wird ausgehoben und in feinem richtigen
Verhältniffe zum Ganzen lichtvoll und kräftig, mit wohlthuers
den, eben fo einfachen als tiefen Reflexionen begleitet, darges
ftellt. Dann erwähnt der Redner ( ©. 26 fg.) der politischen
Flugſchriften Müllers und beklaget ihre Erfolgloſigkeit (&.
27). „Belt den Sehern in Sfrael bis auf Demofthenes, und
von Machiavelli bis auf Joh. v. Muͤller Haben viele mit aus;
nehmender Geiftestraft und erhabener Beredſamkeit die Sa
brechen ihrer Zeit gezeigt, zur Beſſerung ermahnt und, wenn
fie nicht erfolgte, unabiwendbarem Untergang geweiffagt ; jedoch,
alle ohne Audnahme, ‚vergebens. Sie riefen alle den ‚Beift
zu der ihm zuftehenden Herrfchaft uͤber das Fleifch; aber feine
Rede, nur Gewalt: kann ihn befreyen. Wo die Verblendung
eintritt, Vorläuferin des Verderbens, deren. Sendung die Als
ten einer feindfeligen Gottheit zufchrieben, da kann vielleicht
noch ein Held, raſch handelnd und die‘ Menge fortreißend,
erretten, nicht mehr der, Nachdenken und Erkennen fordernde,
Redner. Dennoch find die Arbeiten folcher Männer hoͤchſt
verdienftlih; einmal als Denkmal ‚chrenhaften Widerflandes
gegen das Hinſinken ihres Zeitaflers ; dann aber, weil große
Geſinnungen, an einem großen Oegenftande geübte, anziehend
für alle Zeiten bleiben, und felbft durch Belehrung anderer
Geſchlechter in gang anderen Lagen, eine Wirkjamfeit, die
‘ihnen in dem Augenblick ihres Erfcheinens nicht befchieden war,
erlangen Lönnen.“ Wir hoffen mie Zuverfiht, daß der wärs
dige Bruder des großen Hiſtorikers alle während des Franz.
Revolutionskriegs von J. M. verfaßte Tagesfchriften in die
Sammlung feiner Schriften unverändert aufnehmen und
64 Schriften über Johannes Müller:
einer beſſeren Nachwelt zur Erbauung. erhalten wird; es find
Meifterftäde der Beredfamkeit, und was Hr. R. gu ihren
Ruhme fagt (S. 28), ift mit dem Urtheile aller Unbefanger
nen volllommen übereinftimmend. — Was weiter über M's
Eompofition bemerft wird-(&. 32 fg.), zeichner fih fo ſehr
durch, tiefeingreifende Wahrheit und Angemeffenheit aus, daß
es durch einen Auszug nur verlieren koͤnnte; ed muß gang ge
fejen und follte bejonders von denen beherzigt werden‘; welche
ihre idealiftifhe Phantasmen der hiſtoriſchen Kunſt aufzudrin⸗
gen nicht müde werden. Auch M's Vortrag wird (S. 57 fg.)
gerecht und erjchöpfend beurtheilt. Zuletzt einige Betrachtungen
über des großen Hiſtorikers Schwähen, welche bey feinem
' wohlbegrändeten vielfahen Verdienſte nicht verfchwiegen oder
verfihleyert zu werden brauchen. Er hat bisweilen dem Slaus
ben zu viel eingeräumt (S. 42) und fih, indem er das
Entgegengefekte wird, dem Aberglauben nenähert, Er wird
bisweilen von zu lebhafter Theilmahme hingeriffen.. Nicht im:
mer mäßig genug ift fein Lob, und im Vergleichen moderner
Männer mit den Männern des. Alterehums verläßt ihn bie
und da kalte Beſonnenheit. Auch artet feine Umftaͤndlichkeit
oft in Weitläuftigkeit aus, und in dem Anreiheh ‚Feiner Züge
wird der Zufammenhang vermißt: fein Vortrag iſt ungleich
und noch mehr feine Sprache. Aber dieſe Fehler finden im
den mannidfachen Hinderniffen, mit welchen er fein Leben
lang zu Fämpfen hatte, volle Entihuldigung. Unbeſtritten
bleibe ihm. der herrliche Ruhm, ſich über. fein. Zeitalter ers
hoben, und „jene mehr. bewunderte als eingefehene Kunſt
der alten "Gefchichtichreiber-, unter den Deutſchen zuerfti gex
Abt zu haben; in ihm erfcheint vor unjern Augen vie
Macht, die Würde, die Hoheit, ja: die. Goͤttlichkeit der Ges
fchichte.“ |
Das Verdienſtliche in dem gelungenen Unternehmen, den
größten Deutſchen Gefhichtichreiber von “allen ‚Seiten, nad)
allen feinen Eigenthuͤmlichkeiten, in einer des Gegenſtandes
würdigen Sprache und in einem dem Muͤllerſchen verbruͤ—
derten Geifte, am richtigften und erfchöpfenditen charakterifire
zu haben, wird die Ausführlichkeit diejer Anzeige rechtfertigen:
Es ift ein zu feltener Genuß, welchen eine folhe Mede ges
währt, alt daß —— Verweilen bey ihm mißbilligt werden
koͤnnte.
D. kLudwis Badler.
. ( Die Anzeige von drey andern Echriften ader Johannes Müller folgt im
nãchſten Stück.)
— — —
No. 5.. — 1813,
zahrbacer der Litteratur.
Wir fuͤgen zu der in No. 4. enthaltenen Beurtheilung
son Schriften uͤber Johannes Müller noch die Anzeige von
folgenden drey Reden deffelben Inhaltes Hinzu:
4) Johann von Müller. Eine Gedächtnifsrede, gehalten im
grofsen Universitäts - Hörsale den 14. Junius 1809 von D.
Ludwig Wachler, Consistorialrath und Prof. in Mar-
burg. Daselbst in der Academischen Buchhandlung 1809.
70 8. 8.
2) Rede zur Gedächtnißsfeyer Johann von Müller’s, gehalten.
am 14. Junius 1509 im grofsen Auditorium zu Marburg
von C. Rommel, Prof. zu Marburg (jetzt Prof. zu
Charkow ). Märbärg , in Commission der Kriegerschen
Buchhandlung. 238. 8. (3 gar.)
3) Was Johannes Müller wefentlich war und und ferner feyn muͤſſe.
Eine Vorleſung, gehalten am Gedächtnißtage feined Hingangsd am
29. May 1810, im großen afademifhen Saale zu Aſchaffenburg
von Dr. &. J. Windiſchmann, Großherz. Hofmed. und
Prof. Winterthur, in der Steineriſchen Buchhandlung. 1811.
36 S. 8.
—
N. beyden erftern Neden, an demfelden Tage nad) einander
zu Marburg gehalten, rufen die redliche, wohlgemeinte Fürs
forge ins Andenfen, welche die Marburger Univerfität, wie
die Abrigen Weftphälifchen Univerfiräten, in einer den wiffens
ſchaftlichen Anftalten ungünftigen Zeit von Sohannes Müller
erfuhr; die erfte und dritte find zugleich Dentmale der freunds
ſchaftlichen Werbindung ihrer Verfaſſer mit dem verewigten
großen Mann.
Herr E. R. Wachler benutzt in No. 1, die Schilderung
des thätigen und wirfungsvollen Lebens und die Entwicklung
der hiftorifchen WVerdienfte uniers Müller, um in feinen Zus
hörern gute Vorſaͤtze, Nachahmung des Beyſpiels von Müller,
einen Eifer für das Gute, für Recht und ea wie der
-
66 Schriften über Johannes Müller,
Verewigte ihm hatte, Liebe der Freunde, wie die Liebe Mäk
ter’s zu Bonſtetten, zu erweden. Wir heben folgende. Stelle
aus, um die Darftellung und Gefinnung des Nedners zu be
zeichnen: „Einen feften Lebensplan wollen wir faffen und
ſtandhaft verfolgen, denn Müllers Beyſpiel lehrt uns, daß
der Menic kann, mas er will. Sein ganzes Leben war ges
ordnet, um einen vorgefeßten Zweck zu erreichen; er freute
fih des herrlichen mühjamen Weges; Anftrengung war ihm
Pflicht, und ohne fie wäre das Leben eine Laft ihm gewefen.
Der Vorſatz und die Zuverficht, wirkſam zu werden, zum ges
meinfamen Wohl, gab ihm mehr als alles andere Standhaf—
tigkeit und Ruhe; Pflicht und Nuhmbegierde machten ihn
jeder Verſuchung unüberwindlih. Ehrenftellen ſchlug er ang,
zeitliche Vortheile verfchmähete er, weil er für nachkommende
Geſchlechter arbeitete, weil er Völker unterrichten, Troft und
Rath für die unterdruͤckte Menfchheit erfinden, Freyheit und
Seifteserhebung in die fernflen Zeiten verfündigen wollte.
Mer ein mwürdiges Ziel im Auge behält und entfchloffen vers
folgt, wird Beſtand und Kraft ins Dafeyn bringen, und das
durch dem Dafeyn Werth und Fruchtbarkeit verleihen.“ Sehr
wohl hat uns die S. 24 angefiellte WVergleihung zwiſchen
Müller und Tacitus gefallen. Weberhaupt wird niemand diefe
Rede ohne Belehrung und innige Theilnahme lefen. Die zwölf
Beylagen enthalten einige genauere Ausführungen von Lebens
umftänden und Schickſalen Müller’s, welche in der Rede nur
angedeutet find, Belege oder Erläuterungen zu einigen Be⸗
hauptungen aus feinen Briefen u. f. w.; endlich die Dede
des Minifters Simeon an Miüller’d Grabe, und die Lateini-
fhe Elegie des Herrn Prof. Mitfherlich zu Göttingen auf
Müller, beyde aus dem Weftphälifhen Moniteur abgedruckt.
Sin No. 2. herrſcht eine jugendliche DBegeifterung für
Muͤller's Größe als Hiſtoriker und eine mwohlthuende Webers
‚zeugung von der Neinheit und Trefflichkeit feines Charakters ;
jedoch mißfallen Hat uns die zwar mwohlgemeinte, aber unpaßliche
und unbeholfene Rüge gegen diejenigen, welhe Müller in
den lebten Zeiten feines Lebens nicht als gefchickten und in
allen Lagen gewandten Gefchäftsmann anerkennen wollten.
Ein Lobredner Müllers als großen KHiftorikers und edeln
Schriften über Johannes Müller, m
Mannes follte ſolcher wirkfichen. oder vermeintlichen Schwächen,
weiche außer den Grenzen feines Zwecks liegen, entweder nicht
gedenken, oder auch) den Gegnern Gerechtigkeit widerfahren laſſen,
mas freplich mit wenigen Worten und auf eine für. eine Ges
dächtnifrede pafiende Weiſe nicht gefchehen konnte. Eben des—⸗
wegen meinen wir aber auch, daß dieſe Seite von dem Redner
durchaus nicht Hätte berähre werden follen; zumal, da unfer
großer Hiſtoriker ſelbſt wohl wußte, daß Feine menſchliche
Größe volltommen ift, auch Müller feiner wahren Beftimr
mung wohl bewußt, mit dem bitterfien Vorgefuͤhl ih dem
Strudel der lebten Jahre feines Lebens einging und nur mit
Unmuth darin blieb ( was niemand ohne Nährung, der unge
rechte Richter Muͤller's nicht ohne dem verfannten Mann das
zugefügte Unrecht abzubirten, in den Briefen des fiebten Theils
von Muͤller's Werken wird lefen können ), endlih aud Hr: Rom
mel doch am Ende zu Müllers Lobe in diefer Hinſicht nicht
viel anders zu fagen weiß, Als daß vielleicht Umftände obge⸗
waltet, durch welche feine Wirkſamkeit als Geſchaͤftsmannes ber
fehränkt worden, und niemand Muͤller's Pläne für fein Ges
Ihäftsteben genau gekannt habe. Wäre Müller ein gewandter,
gefeilter, ſtreng und ruͤckſichtlos durchfahrender Geſchaͤftsmann
geweſen, fo wuͤrde er zwar nicht nur von rechtſchaffenen Mäns
nern weniger verfanrit worden ſeyn, Sondern auch felbft der
verborgenen Fehlern großer Männer nachſpaͤhenden Läfterungss
fucht, und dem kurzſichtigen, nmeidifchen und liebloſen Verklei—
nerungsfinn Ides litteräriichen Poͤbels und feiner Wortführer
weniger Bloͤßen dargeboten haben. Aber er würde dann nicht
der wohlwollende, die Sitten und Vorurtheile dev verjchiedenen
Zeitalter des menſchlichen Geſchlechts mit Befcheidenheit, das
Große jeder Art und Zeit anerffnnender Billigkeit und ſcho—
nender Liebe beurtheilende Sefchichtichreiber geworden ſeyn, alt
welchen ihn die Nachwelt noch Höher ſchaͤtzen wird, denn unjer
Zeitalter.
Defto angenehiner war ed ung, in No. 3. wieder bloß dein
wiſſenſchaftlichen Wirkungstreis Muͤller's, auf welchem fein»
Größe ruhte, feinen edein Charakter, fein tiefes religidfes Gy
müch und feine redliche Liebe für Wahrheit und Recht, moraus
des großen Mannes herrliche und erhebende Anſicht der Geſchichte
8 Aus meineit Reben von Gothe.
und feine belebende und erwaͤrmende Begeifterung für die Wiſſen⸗
ſchaft, für welche er lebte, hervorging, in einer anftändigen, pafı
fenden, meiftens edeln Sprache gewürdigt und als Vorbild zur
Nacheiferung aufgeftellt zu lefen. Die Auszüge aus den fchriftlis
chen Mittheilungen M’s an den Verf. Über wichtige Intereſſen
der Zeit und Wiffenfchaft geben noch diefer Nede einen eigens
thuͤmlichen Werth, und dürfen nicht von denen Überfehen werden,
welche ſich ein gerechtes und vollftändiges Urtheil Über den fo uns
billig vertannten und gemwiflenlos gefchmähten Mann zu bilden
wuͤnſchten. Wir wuͤrden mehrere Stellen diefer Rede hier auss
heben, wenn’ wir ung nicht gedrungen fühlten, unfere Lefer zum
Lefen diefer lehrreichen Betrachtungen aufzufordern.
8,
Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bon Göthe. Zwehter
Theil. Was man in der Rugend wünfcht, hat man im Alter die
Fülle. Tübingen in der J. G. Eottaifchen Buchhandlung. 1812,
573 Sin Hl. 8. (S. Bahrg. 1812. No. 15.)
Sechſtes Bud. Der junge Verfaffer figt noch in Liebes—
gram auf feinem Zimmer. Beobachtungen, die man über
fein Herz anftellt, und die er durchblickt, vermehren feinen
Verdruß. Bald erhält er noch einen befondern Aufſeher als
Stubennahbar,, jedoch in einem Manne, den er liebt und
ſchaͤtzt, und dem er feine Gemuͤthslage ohne Rückhalt vertrauen
kann. Diefer eröffnee ihm gegenfeitig den Ausgang und nähern
Verhalt jenes verwicelten Handels, und indem er Gretchen
dabey das rähmlichfte Zengniß gibt, heilt er die verzweifelte
Liebe des Juͤnglings durh Kränkung feines Ehrgeiges. „Ich
" Sann es nicht läugnen, fagte Gretchen, daß ich ihn oft und
gerne gefehen habe; aber ih Made ihn immer als ein Kind
betrachtet, und meine Meigung zu ihm war wahrhaft
ſchweſterlich.“ Won diefem Froſt gefältet, ermannt fid der
Sjüngling aus einer Leidenichaft, welche feine Gefundheit unters
grub; und während er fih nunmehr auf die Academie vorber
reiten foll, ohne daß die Arbeit ihm ſchmecken will, fo geräth
er durch feinen Freund, einen Schüler von Darjes, in das
Studium oder vielmehr die Kritit der. Philoſophie. „Unſere
wichtigfie Differenz war die, daß ich behauptete, eine abgejons
Aus meinem. Leben: von Goͤthe. 69
derte Philoſophie ſey nicht noͤthig, indem fie fihon in der
Religion ‚und: Poefie. vollkommen enthalten fey: — Denn. da
in der Poefie ein -gewiffer: Glaube: an das Unmögliche, in der
Religion ;ein eben folder Glaube am das Unergruͤndliche flatt
finden; muß : ſo fchienen mir die Philofophen in einer fehr
üben Lage zu: ſeyn, die auf ihrem Felde beydes bemweifen und
erklären: wollten.“ Mes. wünfcht diefes kindliche Urtheil, das
eine. große Wahrheit fpiefend ausfpricht, manchem Weifen als -
Heilmittel ‚gegen den dogmatiſchen philofophifchen Spieen vers
ordnen zu, können, Wenn jedoch der Verf. fih als jungen
Rrisiter am liebften mit der Geichichte feiner Wiſſenſchaft bes
ſchaͤftigt, und affe Meynungen ehren kann’, ins Dunkel der
älteften Griechiſchen Phüofophen nicht. einzubringen . vermag,
Sokrates hochachtet und feine- Schüler ‚gering ſchaͤtzt, fo zieht
er hierauf S. 14 eine Parallele, der er fo eben ihre Sentenz
geiprochen hatte. Die Stoa Übrigens wird fein philofophifches
Ideal. — Von hypochondriſchen Anwandlungen geplagt, vers
tieft ſich der nun nicht mehr unbefangene junge G. am liebs
ſten in die Schatten der Waͤlder, wohin ſein Freund ihm zu
folgen genoͤthigt iſt, und verſenkt ſich wehmuͤthig in ihre Er—
habenheit. Durch fruͤhen Umgang mit Malern gewöhnt, wie
fie,. die Gegenſtaͤnde in Bezug auf. die. Kunſt anzuſehen,
wird er hier Naturzeichner; ſeinem eigenen Urtheil nach ohne
beſonderes Gluͤck, wenigſtens für die Ausführung des Einzel⸗
nen, das ihm als Dichter und Zeichner ſtets hinter der Wirs
kung des Ganzen verſchwamm. Seine Skizzen werden ihm
ſentimentales Erinnerungsbuch, ſeinem Vater ein Gegenſtand
hegender Sorgfalt. Man geſtattet ihm weitere Wanderungen
ins benachbarte Gebirg und die Rheingegend, von wo er mit
aͤhnlicher unvollkommener Kunſtbeute wiederkehrt. Von dieſen
Streifereyen werden wir mit dem jungen Dichter nach Haus
zurückgezogen, ‚und lernen die fo reiche als ſehnſuchtsvolle Seele
feiner damaligen ‚Lebensvertrauten, feiner würdigen Schweiter,
nebſt ihrer Geſtalt, näher kennen; einer Freundin, in der ein
edleres Verhältnig ihn zwar für Gretchen. entfihädigt, ‘aber die
Kerzen der Geſchwiſter nur peinficher fpannt. Ein biederer
junger Engländer bewirkt ‚einige Auflöfung, und mit ihm trer
gen ‚wir bey ‚guter Jahrszeit in die muntere Jugendgeſellſchaft
ro Aus meinem Leben von Goͤthe.
aus beyden Geſchlechtern, welche ſich um das Geſchwiſterpaar
ſammelt, ſich nach Wunſch und Loos zuſammenpaart, einen
ungenannten beredten Capuziner zum Meiſter, und den wackern
Freund Horn, der ſich unter andern im komiſchen Helden⸗
geſang verſucht, zum unentbehrlichen Liebling hat. — Goͤthe,
bereits inſtitutionenfeſt, verfaͤllt auf Geſchichte der alten Litte⸗
ratur und. Encyclopaͤdismus durch die Werke von Geßner,
Morhof und Bayle. Die alten Sprachen werden ihm immer
aufs neue wichtig; doch vermag er ſich, aus Schwaͤche in den
übrigen, nur an die Lateiniſche zu halten, worin er es, wie
in nenern Sprachen, ' hauptfächlich durch Lefehbungen ohne
Grammatik zur befondern Fertigkeit bringe. Der Michaeliszeit,
wo die Academie bezogen werden fol, drängt ihn jugendliche
Mißvergnügen mit feiner Heimath und Ahnung einerjfhönern
Fremde entgegen. Mit diefer Empfindung verſchmelzt ſich —
Rec. kennt ein genau ähnliches Benfpiel hievon — Widerwille
gegen. die jurifiifche Beſtimmung, und der Entwurf. eines.
geiſt- und .genufßreichern Lebensplans, in Gedanken auf. die
foliden Studien des Aterthums gegründet, von gehöfften Fort
fhritten in der Dichtkunſt erheitert, und durd, das Bild einer
academifhen Lehrftelle begraͤnzt. Den Sohn verlangt: nad)
Göttingen, der Vater beharrt auf Leipzig. Die Reiſe dahin
wird mit Buchhändfer Fleifcher gemaht, und unter #inigen,
theils komiſchen Abentheuern zurückgelegt. Leipzig zeigt dem
erfreuten Ankoͤmmling das Gegenftüc der Frankfurter Meſſe,
und gewährt ihm in der regelmäßigen Banart eine neue, an
fi) wohlthaͤtige Eriheinung, worin er nur die gewohnten
Wunder der Alterehämlichkeit vermißt. Zwiſchen den treuges
fhilderten Verhältniffen der feingefitteten Univerfität, wo wir
den Staatsrechtslehrer Hofr. Böhme und feine verfländige,
möütterlich auf Goͤthen wirkende Gattin befuhen, ein Gemälde
des vielverehrten Gellert erhalten, Morus und einige
andre Männer im Voruͤbergang erblidden, daͤmmern trüblid)
die innern Widerfprühe Aber Wahl der Beflimmung, und
marcherley MWerlegenheiten gegen die vorgefundene Melt, ihren
Geſchmack nnd ihre Urtheile, als Srundton hindurch; wobey
fogar durch Gellert geſchreckt, ſcheu der Genius die Flügel
einziehsz und gleihwie die Garderobe fih verwandelt, auch
—
en.
Aus meinem Lehen von Goͤthe. Y
das Gemuͤth ſich felder abitreifen will, und: vom: einem Teichten
Anflug naturhiftorifcher Wiſſenswuͤrdigkeiten unterhaltend ans
geregt, über feine liebſten Erzeugniffe ein rauchendes Autodafe‘
veranſtaltet.
Siebentes Buch. Die Blicke auf Deutſche Litteratur,
im vorigen. Buche mie Ruͤckſtcht auf den Dre gethan, erweitern
fi hier einleitungsweife aufs Gange, und erſtrecken ſich abs
wehleind bis: an den Schluß. Ein fehr wichtiges Stuͤrk aus
der. Geſchichte unferer Poefie, vom Geſchichtſchreiber erlebt,
mit Beziehung ‚auf ihn ſelbſt ergriffen‘, und nach langen Jah⸗
sen :poetifcher Erfahrung: mit. aller erworbenen durchdringenden
Sachkenntniß . dargeftellt. Er fegt voraus, was ſchon im voris
gen. Bud) beyläufig .befprochen war, nämlid das: damalige
geoße Gewaͤſſer um den poetiſchen Parnaf, worin Gottſched
— wie möchten ſagen, als ein edler Wallfifch tanzte. "Indem
der Berf. den barocken , pedantifchen: Ton und Sprachausdruck
jener Zeit in wenigen Worten gluͤcklich zufammengreift, und die
Waſſerfluth aus deffen Gegenfag ableitet: fo beginnt er hiers
auf die litterarifche Erzählung mit den beyden Muheftöhrerinnen,
Satire: und. Kritik. Bey der erſtern werden Liskov und
Rabener zufammen abgewogen, und lebterer nach Verdienſt
belobt. Zn. der: Kritik erfcheint eine troftlofe' Anarchie, weil
keiner die Conſtitution ahnet oder finden: kann. Gottſched's
und Breitinger’s kritiſche Dichtkunſt zeigen ſich in ihrer
Bloͤße, und die Verwirrung wird beklagt, in die ſich der
Verf. und ſeine Geſellen durch den Abgang einer ſyſtematiſchen
Lehre verſetzt ſehen. Ueberdies iſt Mangel an einem nationel⸗
len Gehalte der Poeſie, bey genugſam vorhandenen Talenten,
. B. Sünther’s. — Unter dieſen Studien und Betrach—
tungen wird G. durch den Beſuch feines Landemanns Joh.
Beorg Schloffer uͤberraſcht, des ſtreng gefitteten, ernſten,
gelehrt gebildeten, faͤhigen jungen Mannes und gewandten
Schriftſtellers, deſſen kurzer Umgang bedeutend und unterrichs
tend für ihn wird. Mit ihm werden Leipzigs große Namen
beſucht, worunter der riefenhafte Gottſched eine ziemlich einzige
Scene tiefert. Schloffers Anmefenheit veranlaßt einen Wechſel
des täglichen Tifches, und hieburch kommt G. aufs neue mit
tinwirtenden Menfhen in Berührung, und Gretchen erhaͤlt
712 Aus meinem Leben von Goͤthe.
‚on Anmnchen die erſte Nachfolgerin. — Aus dem breiten,
waͤſſerigen Styl rettet ſich die Litteratur durch Beſtimmtheit
and Kürze. Haller, Ramler,Leffing,; Wieland,
Klopſtock, Gerſtenberg, Gleim, Geßner werden
nach dern Charakter ihrer, damals neuaufgehenden, Erzeugniſſe
gewuͤrdigt / und Die Flachheit der ſie beurtheilenden Kritik ges
ruͤgt. Mit der, Sache des Geſchmacks verfloͤßt ſich die des
denkenden Verſtandes, mittelſt Anbruchs einer philoſophiſchen
Auftlaͤrung, die jedoch die Theologen zur fogenannten natuͤr⸗
fichen Relinion. hinneigt, und jene mißverftandene Bibelkritik
eingibt; an deren Nachwehen wir. noch zur Stunde leiden.
Auf der andern Seite erhebt ſich der ehrwuͤrdige Bengel,
und unter den Anhängern feines Syſtems Cruſius; während
Ernefti mit den Seinigen die klare Gegenparthey bilden,
zu der ſich auch der Verf. nicht ohne Warnungen ſeines beſſern
Genius haͤlt. Verbeſſerung wird der Kanzelberedſamkeit und
moraliſch⸗ theologiſchen Schriftſtellerey durch Jeruſatlem,
Zolkitofer,. Spalding; der mediciniſchen Schreibart
durch Haller, Unger, Zimmermann; der ſchwer heilba—⸗
ven juriſtiſchen durch v. Moſer und Puͤtter; dev populär
philoſophiſchen durch Meu delſohn und Garve. Kleiſtis
Bilderjagd laͤdt den Dichter zur Nachfolge ein, und gewoͤhnt
ihn. im aͤußern Gegenſtaͤnden tiefere Bedeutung zu ſehen, wozu
das launische Verhaͤltniß mit: Annchen die nähern: Anläffe Hew
leiht. Friedrich der. Große und die Thaten- des. fießenjähr
rigen Kriegs verſchaffen der Deurfchen Poeſie den . fehlenden
‚Stoff und .eigentlihen Lebensgehalt. Gleims 'Kriegslieder,
Ramlers Dden, vor allem Minnavon Barn heim. —
„Habe ich, [hließt der Verf. ©. 165. ff. — und dieſe Stelke
verdient wegen ihrer. charakteriftifhen Wichtigkeit ausführliche
Mittheilung — habe ich durch diefe curforifchen: und defultoris
fchen Bemerkungen ‚über Deutiche Litteratur meine Leer in
einige Verwirrung gelebt, fo ift es mir gegläckt, eine Vorſtel⸗
lung von jenem chootifhen Zuftande zu geben, in welchem fid)
mein armes Gehirn befand, als, im Conflict zweyer, für. das
lirterarifche Vaterland fo bedeutenden Epochen, fo viel Neues
auf mich eindrängte, ehe ich mich mit dem Alten. hatte abfins
den können, fo wiel Altes fein. Recht noch über mich gelten
Aus meinen Leben von Goͤthe. 73
machte, da ich ſchon Urſache zu Haben glaubte, ihm völlig
entfagen’ zu Dürfen. Welchen Weg ih einihlug, mich ang
diefee: Noth, wenn auch nur Schritt vor Schritt, zu retten,
will ich gegenwaͤrtig möglichft "Ju überliefern Suchen. Die
‚weitfchweifige: Periode, in welche meine Jügendo gefallen war,
Hatte ich treufleißig, in Gefellfchaft fo vieler wihidigen Männer,
_ Surdygearbeitet:o4 Die mehrern Quarcbände Manuſeript, ‘die
ich ‚meinem Water’ zuräßtieß ‚> konnten zum genugſamen Feng:
niffe dienen ;Qundı welche Maſſe von Verſuchta Entwuͤrſen,
bis zur Haͤlfte isgefuͤhrten Vorſaͤtzen, twakkintähr Aus’ Mißr
muth als aus Ueberzeugung in Nauch’vaufgihtgen. Nun
lernte ich durch Unterredung uͤberhaupt, durch Lehre, durch fo
‚manche widerſtreitende Meynungbeſonders aber durch! meinen
Tiſchgenoſſen, den Hofrath Pfeil das: Bedeuntende des Stoffs
und das Conciſe der Behandlung mehr undemehr ſchaͤtzen, ohne
mir jedoch klar machen zu koͤnnen, wo) jenes zw ſuchen und
wie: diefes zu erreichen fey, Denn bey der großen Beſchraͤnkt⸗
heit‘ meines. Zuftandes, bey der Gleichguͤltigkeit der Geſellen,
dem -Zuräckhatten der Lehrer/ der Abgeſondertheit gebildeter
Einwohner, Gy ganz unbedeutenden Naturgegenſſaͤnden, war
sch. gendthigt ‚> alles im- mir ſelbſt zu ſuchen. Verlangte ich
nun zu meinen Bedichten eine wahre Unterlage, Empfindung
‚oder Reflexion/ : fo mußte ich in’ mieinen Buſen - greifen; fors
derte ich zu poetiſcher Darftellung'eine unmittelbare Ahfchauung
des Gegenſtandes, der Begebenheit, fo durſte ich nicht aus
dem RKreiſe heraustreten, der mich zu beruͤhren, mirein Im
tereſſe einzufloͤßen geeignet wor.) Sn. dieſem Sinne ſchrieb ich
zuerſt gewiſſe kleine Gedichte in Piededform oder freyerm Syl⸗
benimaaßz ſie entſpringen aus Reflexion, Handeln Wort? Ver—
gangenen, und. nehmen meiſt eine epigrammatiſche Wendung:
Und ſo begann diejenigreußtichtung, von der ich mein ganzes
Leben uͤber nicht abweichen konnte, naͤmlich dasſenige, was
mich serfreute, oder. quälte, oder ſonſt beſchaͤftigte, in ein Bild,
ein Gedichtezu verwandeln , und darüber mit mir ſelbſt abzu⸗
ſchließen, um dfowohl:meine Begriffe von den außern Dingen
zu berichtigen,’ als mich im. Innern deshalb: zu beruhigen:
Die Gabe: hiezu war. wohl Niemand mörhiger als mir, den
‚feine Natur immerfort aus einem Ertreme- ins andre warft
a Mus meinem Leben von Böthe
Allee was daher von mir bekannt geworden, find nur. Bruch
flücke einer großen Konfeffion, welche vollfiändig zu machen
diefes Büdylein ein gewagter Verſuch if.“ — Wir werden
unten diefe Stelfe zu gewiſſen Reſultaten brauchen. . Annchen,
von dem Dichter durch Eiferfucht gequält, geht für. ihn verlos
ven; die aͤlteſte ‚feiner überbfiebenen dramatifchen Arbeiten:
Die Laune des Verliebten, ' ift die poetifche Ausbeute
dieſes Verhaͤltniſſes. Die duͤſtern Krümmen - und Irrgaͤnge
der, buͤrgedlichen Geſellſchaft, ihre geheimen Gebrechen und
Verbrechen Anadie er zum Theil ſelbſt als wohlthaͤtiger Theil⸗
nehmer verſlachten wird, fordern ihn zu mehrern Schauſpielen
auf, von denen nur die Mitſchuldigen zur Vollendung
kommen. Er tadelt ſich wegen: verſaͤumter theatraliſchen Mos
tive, zu denen er in ſich die naͤchſte Anweiſung fand, naͤmlich
der. gutmuͤthigen genialiſchen Streiche. — Seine Freundin
Böhme ſtirbt. Bey Gelegenheit von Gellerts frommen Exs
mahnungen kommt ein Wort über kirchliches Weſen vor, wor⸗
über wir nachher: ein andres zu; fprechen haben. Für. jeßt-nur
fo viel daß unſye Anfihtensin der Recenſion des erfien Theils
hier durchaus. befiätige werden, und daß G. unter: menis
ger ‚weltlihen Umgebungen. der Zeiten, Orte und Mens.
ſchen, ohne die große VBewegkichkeit feiner Name, und ohne
die. alles’ verfchlingende Vorliebe für -die beluſtigende Seite der
Kunſt, fruͤh und-bleibend von dem: Geiſte der Religion: anges
faßt worden, wäre; obſchon wir jetzt von ihm vernehmen, daß
er, ſobald er Leipzig: erreicht hatte, ſich won der. kickhlichen
Verbindung: ganz ‚und gar loszumwinden ſuchte, Gellerts, Ex«
mahnungen zur kirchlichen Erbauung ihm drücdend. wurden,
und. ep. feine -religidfe Gewiffensangft. mit Kiche und Altar
pöllig hinten ſich ließ. Noch etwas über Gellerts moralische
Vorleſungen, und die Verunglimpfüngen ſeines Mamens bey
der Leipziger: Welt. Aehnliche heraßwürdigende Urtheile über
Friedrich II. vauben-dem Verf. mehr und mehr das angenehme
Gefühl der Verehrung menfchlicher Vorzuͤge. Aber auch die
Adhtung vor den richtenden Mitbärgern, und daneben der
Glaube an das: Werdienft gleichzeitiger. Schriftftelfer,. ſinkt bey
ihm durch einen neuen Freund , den poffielichen Tadler und
eigenfinnigen Ziermeifter Behriſch. Für poetifhe Styluͤbun⸗
Aus meinem Leben von Goͤthe. 15
gen tritt als Docent Profeſſor Elodius mit Gellerts Boll
macht auf. Ein von Haus unſerm Dichter aufgetragenes
Epithalamium für den Oheim; einen Frankfurter Rechtsge⸗
lehrten/ verſammelt, in Ermangelung muntererer Mittel, den
ganzen Olymp; die Ruthe des Lehrers aber gibt dem Dichter
Veranlaſſung, den himmlischen Plunder für immer bey Seite
zu legen. "Dagegen wird, nicht ohne Einhauchung von Behriſch,
auch Clodius für: feinen: fremden Wörterprunf: bezahlt, den er
Namlern mit minderem Geift abgebörgt hatte; diefe erotifchen
Purpurlaͤppchen werden dem Kuchenbaͤcker Hendel in den Kohl⸗
gaͤrten umgehaͤngt, deſſen Vortrefflichkeiten ein Alexandriniſches
Wandgedicht in der Manier |ves Meiſters verherrliht. ‚Mer
bon’ von Clodius erfcheint auf: der Bühne; ein "Prolog
in Knittelverſen, Abends im Speifehaus aus dem Stegreif
entworfen, wird: aus dem -Stegreif: von Freund Korn zum
Beyfall der luſtigen Geſellſchaft aufgeführt; allein der Arlekin
vermißt ſich zugleich, den Kuchenhymnus verlängert auf: den
Medon anzuwenden; und die Publichtät, welche das Gedicht
erſt dadurch erhaͤlt, Bringt die Sefellfchaft in: einen boͤſen Ger
euch; der ſich bis mady Dresden verbreitet, und eine, jedoch)
vortheilhafte Werfesung von Behrifh zur Folge hat. Hiedurch
verliert &. einem feſten Halt für fein noch nicht feldftftändiges,
unftätes Gemuͤth; feine Unzufriedenheit und Kämpfe mit der
Außenwelt, und die Bemerkungen, die er uͤber fih Hören
muß, machen ihn nach dem geheimen Schatz der Erfahrung
luͤſtern, zu welchen ihm ſowohl Behriſch, als ein beurlaubter
treiter aus dem ſiebenjaͤhrigen Krieg, der Feld und Hof
kennt, bloß raͤthſelhafte Wege eroͤffnen, und ihn — gh⸗
ſchrecken dieſer Pandorenbuͤchſe nachzugehn.
Achtes Buch! Das vorige iſt der Litteratur geweiht,
gegenwaͤrtiges hauptſaͤchlich der zeichnenden Kunſt. Der fie
benswuͤrdige Oe ſer auf der Pleißenburg iſt hier die erſte Figur;
fein Kunſteharakter wird auf das treffendſte geſchildert, Gey⸗
fer als Stecher feiner nebelhaft anmuthigen Zeichnungen er)
waͤhnt, und feine allegoriſche Laune durch Beyſpiele erlaͤutert.
Der Verf. nebſt ſeinen Mitſchuͤlern gewinnt durch ihn mehr
an Geſchmack als technifcher Fertigkeit, in welcher letztern @. ,
mit aus Mangel an Beharrlichkeit, es nie über den geſchickten
. 76 Aus meinem Leben von Goͤthe.
Dilettanten hinausbrachte. Das Leben der Maler: von d’ Ark
genville wird ſtudirt, und unter Oeſers Führung vermittelt
der großen Leipziger Sammlungen Einfiht von der Gefchichte
der Kunft genommen: Die zeichnenden Kunſtwerke erwecken
aber. den Verf. mehr zu poetiſchen; er macht Gedichte zu
Kupfern: und Zeichnungen: Bey -Ea plus werden auch Deuts
fhe VBerdienfte , die eines Chrifi.und Lippert, von Defern
‚gerähmt, und auf feinen verehrten W un felmamn. andädhtig
son der Kunſtjuͤngerſchaft hingeſchaut. Huber, Kreuchauf,
Winkler und andre-Liebhaber-und Sammler: der Stadt. —
„So mußte die Univerftät, wo ich die Zwecke meiner Fas
milie, ja meine eigenen verſaͤumte, mid in demjenigen be⸗
gruͤnden, worin ich die größte Zufriedenheit - mieines. Lebens
finden ſollte.“ — Gehnfuht nach Licht im den Begriffen der
Kunft, . welches durch Leffings Lao bo om angezündet wird.
Der Unterſchied der bildenden und Redekuͤnſte wird klar, und
der fruchtbare Keim wahrer Aeſthetik iſt aufgegangen. Aber
der Jungling begehrt mim: eine veichere: Anſchauung, und ent
ſchließt ſich, heimlich und allein. Dresden zu befuhen Des
Baters alte, Warnung vor den Spinnemeben der Gaſthoͤfe und
die briefliche Nachricht von einem ehrlichen gentalifhen Dresds
ner Schuſter, führen ihn: in des letztern Quartier. Die ftills
ſchimmernde Gallerie und ihre: Runftwelt wird geöffnet, und
von dem neuen Epopten mit. geiprächigem; Entzuͤcken durchwan
dert. Der Sallerieinspector, "Rath: Riededl, empfänat dad
verdiente Lob feiner Gefälligfeit, im welches auch der Rec ;—
eiries :lingenannten Dank iſt ja wohl deu beſcheidenſte! —
mit einzuſtimmen ſich verpflichtet fühlt. In einer Epiſode,
der Myſtification eines Neulings, ſchluͤpft G. unaufgehalten
durch die Spinnewebe heim, und uͤberlaͤßt die uͤbrigen gefluͤ⸗
gelten Inſecten ſammt der verfolgten Drohne ihrem Schickſal.
Vom Zaubernebel der Kuuſt umhuͤllt, erblickt er in den Haͤus⸗
lichkeiten ſeines Wirths Niederlaͤndiſche Schildereyen, und
ſcheidet als guter Freund von ihm, ohne ſich, wie natuͤrlich,
in feiner hochſtrebenden, raſtloſen Sehnſucht mit dem behaglis
chen: Handwerker identificiven ‘zu können. » Der- reichhaltige
Davillon der: Antiken wird zur Verwunderung des Leferg,
gleich den Übrigen Kofibarkeiten Dresdens, unbeſucht gelaffen,
Aus meinem: Leben von Goͤthe. 17
biefe Erſcheinung jedoch damit erflärt, daß der Verf. noch zu
voll von dem undurchgruͤndeten Werth der Gemäldefammiung
geweſen ſey, ‚und was er nicht als Natur anjehn, an die
Stelle der Matur feßen, mit einem bekannten Segenftand vers
gleihen könne, auf ihn nice wirkſam gemwefen ſey. Man
ertennt hierin: allerdings den tiefiuchenden, zualeich freyen
Süngling , dem. die nahliegende, friſche Bilderwelt mit ihrem
Sarbenfpiel: mehr zufagt, Jals die kältere Schranke der Geftals
tung mit mweife gedaͤmpftem Affect, zu deren Merftändniß ein
gereiftes Auge, und zu deren Erklärung Gelehrſamkeit gehoͤrt.
Hingegen wird no der Director von Hagedorn und feine
Privatſammlung gefehen. Die Trümmern Dresdens werfen
ven Stein der Zernichtung zwiſchen das anfpruchvolle Kunfts
leben, und predigen auch bier Staub”und Aſche. Der Zurücs
fehrende finder fih von Freunden umringt, die an feiner
geheimnißvollen Reiſe und der Scufterherberge rathen, .in
feinem Innern aber einen Zuwachs von Unruhe, unvermögend
zu ordnen und ſich zuzueignen, was er gefehen hat. Dod
ergreift ihn: wieder das Leben bey freundjchoftlichem Umgang
und angemeffener Beichäftigung. Eine angenehme Verbindung
knuͤpft er mit dem Brettkopfifchen Haus, in das er ung
einführt, und-mit defjen Senoffen bekannt macht. Alles ſteht
hier in Beziehung zur Kunft, wobey fih auch Druckerey und
ſelbſtgeuͤbier Holzſchnitt einfchiebe, und vadirt und geäßt wird.
Noh wird Weißen beſonders gedacht, ſammt dem Hilleri—
fhen Opernſatz, Schieblers, Eſchlenburgs des Mitftudis
zenden, und Zachariä des ‚vorübergehenden Tifchgenoffen ;
ein größerer Durchreifender bleibt aus Sjugendgrille ungefehen,
Leffing. In entfernter Kunftglorie erfcheint nod) immer
Bintelmann,- und duch den edeln Fürften von Deffau,
den er befuchen fol, wird Hoffnung, fie in der Nähe zu ers
bliden; aber wie ein Donnerichlag fällt die Nachricht von
Wintelmanns Ermordung darein. Und unjer Süngling feldft
wird durch den Ausbruch einer lang vorbereiteten Krankheit,
die fih durch hypochondriſche Zufälle. anfündigte, an den Rand
des Grabes gebracht; ein Blutſturz wedt ihn aus dem Schlaf,
das Signal eines. erft bedenklihen, dann langwierigen, veize
baren Krankheitszuſtandes. Dem Arzt und den Freunden wird
is Aus meinem Leben: don Goͤthe.
mit warmem Danf unter anziehender Eharakterifivung gelobt
Umftändlicher wird des gelehrten Langer erwähnt, des nady
derigen Bibliothekars zu Wolfenbättel, damaligen. Nachfolgers
von Behriſch in deffen Hofmeifterftelle. Er weiß die verbotene
Bekanntſchaft mit ©. zu deſſen Wohl zu unterhalten, und das
Vertrauen zwifchen beyden gelangt zu einer würdigen Innig—
feit. „Es ift noch ein Tieferes, das fih aufiihließt, wenn
das Verhältniß fih vollenden will, es find die veligidfen Ga
finnungen, die Angelegenheiten des Herzens, die auf das Un—
vergängfiche Bezug haben, und welche ſowohl den Grund einer
Freundfchaft befeftigen,, als ihren Gipfel zieren.“ Wir würden
diefe Stelle, und viele Ahnlihe, preifen, wenn fie eg nicht
felber thäten. Ein neues Bruchſtuͤck der Neligionsgefchichte
wird hier eingefihaltet. Langer, der fo glücklich ift, die Um
entbehrlichkeit eines Mittlers zu kennen, predigt ihn dem, nad)
himmlifchen Dingen begierigen, ohnehin in der Bibelreligion
erzogenen Kranken gn feinem Troſt. — Nachdem noch ein
Studententumult erlebt war, fährt der Verf., noch nicht her—
geftelle, im Herbſt 1765 von Leipzig in die’ Heimath zuräd.
Einige Mißklaͤnge des Waterhaufes werden laut, und der Sohn
ift weniger als ehedem des Waters Freude, Die betruͤbte
Mutter wendet fih von Herzen zum Chriftenthum, und findet
hierin die trefflihfte Stüge an Fräulein von Klettenberg,
die, wenn in der Vaterſtadt ihr Heiliger Werth verhalle, und
außer derfelben ungefannt feyn follte, doc als Ideenbild in
den Bekenntniſſen einer fhönen Seele fortlebt.
Eben diefe greift den, mehr noch geiftig als körperlich, Kranten
mit Fangerd Mittel an. „Meine Unruhe, meine Ungeduld,
mein Streben, mein Suchen, Forſchen, Sinnen und Schwan:
fen, legte fie auf ihre Weife aus, und verhehlte mir. ihre
Uebergeugung nicht, das alles komme daher, weil ich keinen
verföhnten Gott habe.“ "Auch der leibliche Arge und der Chis
vurg find frommer Art; erfterer flieht Überdem im Nuf und in
der Meynung , die Lniverfalargney oder doch ein Büchlein
davon zu befiken. Auch Goͤthe wird Läftern nah dieſem [Les
benswaffer, fiudirt im ftillen haͤuslichen Verein Wellings
opus, Theophraftus Paracelfus, Bafilius VBalens
tinus, und ſieht ſich wirklich einft durch des Arztes geheimes
Mus meinem Leben von Goͤthe. 19
Salz von einem gefaͤhrlichen Paroxysmus befreyt, und der
Heilung entgegengefuͤhrt. Er ſelbſt beginnt hierauf die philos
ſophiſche Handarbeit, wird auch unter andern Meiſter in Bes
teitung des, Kiefeljafts, ohne jedoch der jungfräufichen Erde
ihre aftrafifches Kind abzugewinnen. So aud durch einen
Theil der Chemie. gewandert, befieht er fi in den von Leips
zig heimgefchriebenen Briefen, die der Vater gefammelt und
gehefter hatte. Wir finden hiebey verfchiedene Bemerkungen
über ihn feldft und der das Ganze. Auch wird unter andern
Liebhaberenen die Zeichentunft wieder vorgenommen, wobey ber
Kirhenmaler Morgenftern in der Perfpective helfen muß,
die ſchaͤdliche Wirfung des Aetzens entdecft, und endlih, im
Unmuth üder fih and feine Arbeiten, vor der abermaligen
Asreife aus dem väterlichen Haus eine zweyte Hauptverbren⸗
nung gehalten. — „Umftändlih genug if zwar ſchon ;die
Erzählung von dem, was mich in diefen Tagen berührt, aufı
geregt und befchäftige, allein ich muß demohngeachtet wieder
zu jenem Intereſſe zurückkehren, das mir die übderfinnlichen
Dinge eingeflößt- hatten, von denen ich ein für allemal, in fo
fern es möglih wäre, mir einen Begriff zu bilden unters
nahm.“ — Hier wird des Einfluffes von Arnolds Kirchens
und SKeßergefchichte mit Liebe erwähnt, und- des Dichters
damaliges myftifch sreligidfes Syſtem entwickelt.
Neuntes Buch. Ein Fragment aus der allgemeinen Deutr
fhen Bibliothek eröffnet das Buh, deutend auf die damalige
Erfcheinung einer bequemern Kunftiehre, welche ald Hauptfache
die Kenntniß der Meigungen und Leidenfhaften feßt, Der
Süngling, von diefem ihm verwandten Gedanken erfreudigt,
üser feinen. Zuftand und die heimgebrachten idealen Begriffe
mit dem Vater geipannt, erfüllt gern des letztern Geheiß, im
Fruͤhjahr die Academie Straßburg zur Vollendung feiner
Studien und zur Promotion zu beziehen. Sm Gaſthaus abs.
geſtiegen, eilt er fogleich den Münfter zu fehn, zu erfleigen,
und das blühende Land zu Überfchauen, das ihn auf einige
Zeit beherbergen fol. Die Tifchgefellfchaft, in die er empfohr
len wird, bilder wieder eine kleine Welt für ihn, woraus
wir die hervorfpringendften Figuren befchrieben erhalten: den
jovialen Meyer von Lindau, den würdigen Tifhpräjidenten
80 Yus meinem. Leben von Göthe,
Ketnarius Salkmann (nie Salzmann), hernach nod)
Andre. Duch Salkmann wird er zu einem juriftifchen Res
petenten gebracht, der ihm das Zwerfmäßigfte gibt, ohne feis
nem Berftande Stoff zur Selbfirhätigkeit zu gewähren. Ges
z0gen von den Geſpraͤchen feiner groͤßtentheils medicinifchen
Tiſchgenoſſen, bahnt er fi) daher wiederum eigene Wege der
Deihäftigung im Naturſtudium, höre Chemie und Anatomie.
Indeſſen tritt der Zeitpunct ein, wo Marie Antoinette
von Defterreih auf der Rheininſel bey Straßburg in -die
Hände des Abgefandten ihres königlihen Gemahls übergeben
wird. Sn dem dazu aufgefchlagenen Gebäude werden die
nach Raphaels Cartonen. gewirkten. Tapeten für ©, ein Gegen;
ſtand unerfärtficher Bewunderung.. : Die modernen Hauteliſſen
des Hauptfaals jedoch enthalten die omindjeften Scenen aus
Medeens Trauergejchichte, welhe den Schüler des allegorifchen
Defer in Eifer feßen. Die junge Königin zieht in ihrem
. Staswagen vorüber, und bey der Slumination der Stadt
feffelt der brennende Gipfel des Münfters vorzüglich die Blicke.
Mit der Nachricht von der Ankunft der Meuvermählten - in
der Hauptfladt, erſchallt auch die von dem bekannten Un—
- glück bey den KHochzeitsfeyerlichkeiten. Letztere gibt eine ges
fährlihe Wendung einem Scherz, den ©. fih nach früherer
Gewohnheit mit dem gutmäthigen Horn erlaubt, indem er an
ihn nad Frankfurt einen Bericht von Verfailles datirt - einfens
det, hierauf wirklidy eine kleine Reife macht, und durch fein
Stilfhweigen in der Vaterſtadt die Beforgnif erregt, daß er
mit umgelommen ſey. Salkmann wird. auch in fo fen Goͤ—
thens Mentor, daß er ihn. in die Cirkel und Vergnügungsorte
des frohen Straßburg einführt, wobey mancheriey Gefellfchafts
liches vortommt. In der fortaefesten Schilderung der Speifer
genoffen ift aud ein freundfchaftliches Capitel dem würdigen
Jungs Stilling gewidmer; wobey ein Blick auf die wans
derbare Bildung derjenigen frommen Menfchen: fällt, welchen
dieſer merkwürdige Mann haupifächlid die feinige verdankte.
(Der Beſchluß folat, )
7200 —
No. 6. Heidelbersifhe _ 1813.
dahrbuͤcher der Litteratur.
A— — ——
Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. Bon Göthe:
CBeſchluß der in No. 5. abgebrochenen NRecenfion. )
Ey wird auch eines rechtlichen, treuen Wermittierd Lerſe
gedacht, welcher im Goͤtz von Berlihingen einer Role den
Namen leide. — Uebriggebliedene Neizbarkeit, in Widerwillen
vor ſtarkem Schall, in leichtem Edel und Schwindel fih Außernd,
wird durch ‚männliche Hebungen beficgt; auch außer der Anator
mie noch das Clinicum und Entbindungscollegium gehdrt. Den
innern Drang und Druck vollends abzuwaͤlzen, hilft der forts
gefeßte Genuß: einer freyen, gefelligen, beweglichen Lebensart,
iu deren Kreis auch die Urtheils- und Sprechfregheit über
Hof und Öffentliche Segenftände gehört, ſo wie zu dieſen die
Städtverfhönerung,, der Sturz der Jeſuiten und die Ungnade
Rlindlinge. - Ein Ludwigsritter, auch ein: Tifchgefelle, dient
Bier zum Eonverfationslericon, ungeachtet er das Unglück
hat, Über die Abnahme feines Gedächeniffes äfters in Ver—
zweiflung zu gerathen. Auf die Feine Comoͤdie, die der Verf.
ihn fpielen läßt, folgt eine erhabene, tiefſchauende Kunſtanſicht
von dem Muͤnſtergebaͤude, die denen vorzüglich zu em—⸗
dfehlen ift, welche bey viel Geſchmack an der fogenannten Cor
thifhen Bauart fih den aͤſthetiſchen Grund ihrer Liebe zıf
diefen väterlihen Denkmaͤlern nicht Har genug‘ gu entziffern
wiſſen. Soll das Ungeheure, wenn es uns als Maffe ents
gegentritt, nicht erſchrecken, foll es Hicht verwirren, wenn mir
fein Einjelnes au erforſchen ſuchen: fo muß es eine unndtürs
‚Ihe, ſcheinbar unmögliche Verbindung eingehn, es muß fi
das Angenehme zugefellen.$ So wird denn diefer gefällige
Coloß, das Wert Erwins von Steinbach, mit den feinften
Wahrnehmungen zergliedert, “und eine Erklaͤrung des Motto
unfers zweyten Theis: Wäs man in der — wuͤnſcht,
s2 Aus meinem Leben von Goͤthe.
hat man im Alter genug!“ in beſonderm Bezug auf dieſen
Gegenſtand angehängt. "„Unfre Wuͤnſche find Vorgefuͤhle der
Faͤhigkeiten, die in uns liegen, Vorboten desjenigen, was wir
zu leiſten im Stande ſeyn werden. Was wir koͤnnen und
moͤchten, ſtellt ſich unſerer Einbildungskraft außer uns und in
der Zukunft dar; wir fuͤhlen eine Sehnſucht nach dem, was
wir ſchon im Stillen beſitzen.“ Indem aber dieſe aͤchtpſhcho—
logiſche Betrachtung, durch beſondre Erfahrungen unterſtuͤtzt,
von der Beziehung der Dinge auf unſer Sch ausgeht, eriweis
tert fie fih zur edein- Allgemeinheit. „Sehen -wir nun wähs
vend unſers Lebensganges dasjenige von Andern -gefeiftet, wozu
wie felöft früher einen Beruf fühlten, ihn aber, mit mandem
Andern, aufgeben mußten: dann tritt das fchöne Gefühl: ein,
daß die Menfchheit zuſammen erit der wahre. Menfch ift, und
daß der Einzelne nur froh und. alüclih feyn kann, wenn er
den Muth Hat, fih im Ganzen zu fühlen.“ Die Anwendung
macht: fid). durch die Meigung und Aufmerkfamkeit, welche ©.
in frühern Jahren jenen Bauwerken der viefenhaften Vorzeit
widmete, und, nadhdem er fie aus den Augen. verloren, - in
jeßiger Zeit dur) andre, namentlich Boifferee an deſſen
Köllnifhem Dom, zur. Ausführung gelangen ſieht. Won ‚dies
fen Werken der. Zeit ſchwingt fid der Verf. zu den, Künften
des Augenblids, zu feinen Tanzäbungen, in denen ehedem:
der Water felbft fein Lehrer war; jetzt wird ihm ein Franzöfis.
fher Meifter, mit deffen beyden Töchtern fih eine Beine:
Geſchichte anfpinnt, wo doppelte Zärtlichkeit vergeblich nad.
Erwiederung feufjt, und, um das Romantifche vollftändig zu.
machen, das Wunderbare in Geſtalt einer dee die.
Schickſalsblaͤtter aufdeckt. |
Zehntes Bud. Nach einem Eingang, worin wir ets
was von der Straßburger Meifterfängerzunft glauben hören
zu follen, aber das Verhaͤltniß des Deutſchen Dichters zur
bärgerlihen Welt Hiftorifh und fein bemeffen finden, wird
uns in Klopſtock's Perfon der Augenblic ;vergegenwärtigt,
„wo das Dichtergenie fich feine Verhaͤltniſſe felber fhuf, un
den Grund zu einer unabhängigen Würde legte.“ Der reine
und hohe Sänger des Meflias und fein Wert werden. mit
fharfen Linien umgsgen, und mit fohimmernden Farben übers
Aus einen Leben von Goͤthe. 83
ſtreut. Ihm gegenüber erfcheint fein warmer Freund Gleim,
ſchwach an eigener Kunftwürde, groß ale Pflegevater fremden
Verdienftes. Die Meinlihe Wichtigkeit, welche behde große
Männer ihren frenndfchaftlihen Privarımfländen und den ges
tingften ihrer Thaten beylegen, bringen Göthen und feine
Altersgenoffen in Gefahr einer gleichen gegenfeitigen, befchränt:
ten Verzärtelung. Hier tritt Aber als herkuliſcher Befämpfer
eitler Selöfigefälligkeit Herder dazwiſchen, und fein dortiger
folgereicher Umgang. Als Heifegefährte des Prinzen von
Holftein » Eutin kommt der fhon duch Schriften berühmte
Mann zu Straßburg an, und verweilt dafelöft als Leidender
an einem Augenübel, deifen ſchmerzhafte Operation nicht allzu
wohl gelindt. Die anziehende und abftoßende Kraft diefer
tief eleftrifchen Natur, fein fanftes und beißendes Wefen, fein
Achten und Verachten, feine weitgreifenden philofophifch s hiſto⸗
riſchen Forfchungen, die umfafende MWerbindung und Hohe
Beziehung, worin er die Poefit erblickt, feine Liebe zu Has
manns Schriften,‘ feine Geduld und Ungeduld im Leiden,
feine hochtragiſche Ergebung in den ungluͤcklichen Ausgang der
Eur, und fo manches Andre, bewegen Gäthens Herz und
Gaben vielfeitig und heftig: Doch ſteht Herder litterarifche
Undarmherzigkeit dem unbedingten Vertrauen im Wege, und
die ſchon „Im Seifte ſich geftaltenden Bilder des Goͤtz vor
Berlichingen und Fauft, fo wie die Cabbatiftit und ihr Zur
gehoͤr (wozu doch aigh Herder ſich in früherer Zeit neigte!)
bleiben ihm verheimlicht. Au ng » Stilling wird von
Herdern angezogen und geehrt. Aus der Kranfenftube maheh
wir in der andern Hälfte ded Buchs Ansflüge mit academis
fhen Freunden ih das reich ausgeftattete Land von Elſaß und
Lotheingen. Hier beginne ein gehaftwolles Reifetagbuch, durche
aus charafteriftiih und reflerisnenreichz Zabern, Pfalzburg,
Buchsweiler, die von der Saar benannten Städte und andre,
mit Bau ind Straße, Berg und Wald, Fluß und Matte,
Metallmerten und Steinkohlengruben, treten in klaren Um—
tiffen vor ung, nebſt dem Kohlenphilofophen, auch dem brennen:
den Berg, und allem Intereſſe der Berggegendeit, das Göthend
nachherige Luft zu Sconomifchen und technifcheli Betrachtungen
juerft, erregt: Allein ‚mit ©: in einer Sommernacht anf
54 Aus meinem Leben. von. Göthe;
einem einfam »höchgelegenen Jagdſchloß ahnden wir in dieſer
feyerlihen Stille ein neues fanftes Abentheuer, weldes das
‚Herz des jungen Helden bereits gefeflelt Hält. Wir eilen durch
Zweybrücden, Bitſch, und andre fehenswürdige Puncte des
Reviers gerade auf dafjelbe zus; muͤſſen aber zuerſt in der
Wohnung des Landpriefters: von Wakefield einfprechen, und
von Herdern ihn vorlefen hören, um -defto gefühlvoller und.
überrafchter den Roman im Hauskreiſe des Pfarrers von
Sefenheim verwirklicht zu fehen. Was aber der eigene
ländliche Noman- des Verf, mit Friederiten enthält, jene.
idylliſchen Auftritte, jene unfchuldigen Mummereven, die ein
reines Verhältniß einfaffen, und das Poffenhafte durch uners
wartete Verflehtungeh zum Sinn s und Geiftreichen, . durch
Unbefangenheit und natürliches , treuherziges Gefellichaftswefen
zum Liebenswärdigen fleigern, Ddiefer Inhalt verträgt feinen
Auszug, Ein Mähren im Mährhen, die neue Melu—
fine, bat ung der ef. am Schluffe nur genannt, und
zuletzt noch Gall's merkwürdiges Urtheil über ihn gleichjam
zur Vignette gegeben.
Das Urtheil, welches wir über diefen neuen Band zu
fprehen uns aufgefordert finden, iſt dreyfach.
Erfiens, das Buch felbft als Kunft s und Leſewerk bes
treffend, fo erhäft es ſich durchaus. in dem angefähgenen Tom
und Gang, wie bey Goͤthens bejonnener Meiterſchaft auch zu
vermutben ift. Es zeigt ſicheimmer jene wohlberechnete Ans
lage, die das innere. Leben des Helden und die KHauptieite
feiner Biographie als Künftlers im Auge behält, und wodurch
unter anfcheinender Nachlaͤſſigkeit auch aus der Gefchichte ein
poetifches Ganze wird, von contraftivenden Epifoden gehoben.
Es zeigt fich jenes. gelingende Beſtreben, Kleines und Großes
mit Wahrheit und Verſtand zu befeelen, und eine Herrſchaft
über die Gegenftände auszuüben, vermöge deren fie felber fichts
bar vor ung zu treten, und den Erzähler-zu bedecken gegwuns
gen find. - Wenn er gleich ftets von- fih reden muß, fo fehen
wir ihn doc nur, fofern er ſich ſelbſt pfychofogifches und kuͤnſt⸗
Ferifches Object ;wird. Hiermit verbindet fih innigft das uns
geihminkee, Heitre Kolorit, welches. den Malereyen Leinen
Aus meinem Leben von Goͤthe. 85
emfarbigen Schimmer, fondern den dutchfichtigen Glanz eines
erhöhenden Glaſes leiht. Es kommt "hinzu in den veifern
Fahren deg Dichters eine-.unglaub@che Sprahgewalt, die -®
Fruht der Uebung und eines. Temperagients , dag Zwang und °
Schwäche leichtlich fühle, verſtoͤßt und zu befiegerf"weifi. Durch
dieies gemeinjame Zufammenmwirfen fo elger fhönen Kun «
fräfte wird jede Zeile anziehend, lebendig Und fehön, und jede
Seite erhält von der ausgebildeten Erfahrung und Beobach—
tung des vielgewandten Mannes einen lehrreichen Inhalt, fy eo
ed, daß er das Gehehene in einen Brennpunct zufammens i
fafe, oder feinen Blick in die ©egenwart, in die mannigs
fahen Lagen, Verihlingungen, Schwierigkeiten, Vorzüge und
Aufgaben des aͤußern Lebens, der Wiffenfchaften und. Künfte,
in das Negen und Weben der Meiguagen und Beftrebungen
des menichlichen Herzens und Geiftes verfenfe! Auch wo man
feines Syſtems nicht ift, wird ihm die Gerechtigkeit widerfahs
ren, daß er nicht leicht etwas ungepräft befpreche, und weniges
ohne eine Seite hervorzuziehen, die entweder eine Beftätigung
des Seldftgeglaubten, oder eine intereffante Neuheit, mwenigs
ſtens eine Aufhellung: und Bindung des Begriffs darbietet.
Es mag auch der Worte noch fo viel geben in. diefen fünf
Büchern, und es mag manches an Kurzweil gewöhnte, trockene
Herz hin und wieder einige - Breite fuͤhten: ſo geftehen wir,
‚die wie gar feine uͤberfluͤſſſge Muße befiken, . durchaus anges
nehm unterhalten worden zu feyn. Es iſt da feine Fläche,
welche nicht wenigftens zierliche Heiden: fhmücdten,. und es
- find vielmehr Planifhe Gründe, wo im: gewundenen Weg
fi) Landfchaft an Landichaft- reiht, und manche langhingeſtreckte
Beilhenfaat unfer Auge in Verwunderung feßt: . Was diefen
Band befonders wichtig macht für den ganzen Kreis der Kuͤnſt⸗
ler und Litteratoren, find die umfpannenden ; hiftorifchen Ans
deutungen aus der: Gefchichte. ihres Fachs; die Umriſſe der
Begebenheiten und die Menfchengemälde, Hier fpricht der
Betrachter des: von ihm erlebten, lang in Gedanken getrager
nen, woran er fih gemeffen, gefpiegelt, gebilder hat, wovon
er einen Auszug, mit feinem Talent verfchmolgen, in fich. wies
vderlegte, und was er num erſt mit den eigenften Namen. zu
bezeichnen fähig geworden iſt. Hier ift vieles ung vorgerufen, -
86 Aus meinem Leoben von Goͤthe.
was mir längft fannten, und nie fo tief begriffen, ſo rein
beleuchteten ; vieles auch fo ausgedruͤckt;
— — — 2 daß ſich ein Jeder © | a
ua getraut, nd gar viel ſchwitzen, umfonf fih bemuͤhn
J wird,
s — wagend.
Und wenn der ee Theil ſich In Eindlihem Gewuͤhl faft nur
frohfinnig dahinfpielte, und eine bunte Europaͤiſche Welt, ohne
ihre Großheit und Bedeutung zu verfieren, fih um den Kna—
ben wie aus geöffneten Bilderkaͤſtchen ng von den Glaͤſern
einer Zauberlaterne aufregte: ſo empfinder hier der. Pejer - dag
firttich mertwürdigere Treiben und Wallen des Juͤnglingsal⸗
terd; die tiefer aufflammenden Anſpruͤche und Fähigkeiten;
den ſchwankenden Gang des nad wirdiger Beſtimmung ſich
fehnenden Neulings; den Sturm eines friihen Herzens,
welchem alles bedeutend ift, und. nichts genügt; das bald mehr
will, bald zu wiel findet; das in den Feffein der Menfchlichs
keit umhergegogen wird, wohin es nicht mag, und ringt, mos
bin es nicht darf; das fi und die Welt verkennt, vergöttert
und verachtet ; kurz das tragiiche Epos und die epiſche Tragddie
eines febendluftigen, und doch immer mit fih und dem Leben
entziwepten poetifhen Gemuͤths, deſſen Urbilder, verfchieden
abgeftuft und geeigenfchafter, in der Wirklichkeit eines fultivirs
ten Zeitalters umherſchwaͤrmen, und die feiden und Freuden
deffelben, doch die erfien vorzäglih, fo lange mehren helfen,
bis der irre Geift zum Bewußtſeyn zu kommen anfängt. Denn
zur gründlichen «Ruhe gelangen, ach! die allerwenigfien, weil
fie den einzigen Weg: verihmähen.
Zweytens. ‚Der Dichter entwickelt Hier fein eignes poe⸗
tifches Maturel, die Form feines Genies, in feinen GSelbfts
beihauungen,, in den Wirkungen der Dinge auf ihn, und in
der Schilderung feiner Geiftesverfuhe und Gewohnheiten.
Man erlaube uns ein Paar befannte Schulausdruͤcke zu ges
brauchen, weil die Sache damit am leichteften abgethan wird.
Goͤthe iſt eigentlih Iyrifcher Menfh won der ernftern und
‚weitumblickenden Art. Er ift aber dabey hoͤchſt merturialifch,
d. i. aller Geſtalten fähig, fie mit klarem Leben aufzunehmen
und wiederzugeben geſchickt. Die von Kindheit auf ihn ums
Aus. meinem: Leben von Goͤthe 87
gebende Fuͤlle und Mannigfaltigkeit von wiſſenſchaftlichen, kuͤnſt⸗
leriſchen und geſellſchaftlichen Einfluͤſſen, zwang ihn vollends
dies letztere zu werden, wenn es nicht in ſeiner gluͤcklichen
Natur, feiner Offenheit und Empfaͤnglichkeit, Seiner bewegli⸗
hen Phantafie fchon lag. Er. ift zum Tragifchen vorzüglich
geneigt; aber fein rein entfchiedener Tragiker. Er ift fo wes
nig allein zum fomifchen. als allein zum epifchen Dichter gebos
ren, Das Plaftifche feiner Werke ift ihm weniger. natärlih
(fonft wäre er vermuthlih auch ein großer Zeichner geworden ),
als vielmehr duch frühe Bildung eingeimpft und durch Kunfts
umgang forterhalten, und fonnte vermöge feiner gefühlvollen
lyriſchen Lebendigkeit, verbunden mit männlihern Bemerkungen
über den Unterſchied der Künfte, nie fleif und ſtarr bey ihm,
nie zum Fehler, fondern nur zur Tugend werden ; und daher,
nämlid von Inrifcher Sänftigung und Herz, kommt es, daß
wir darin flets das Zarte und Innige an ihm bewundern,
und zwar frey von matter Tändeley und Suͤßlichkeit, welchen
fein tragifcher Ernſt und männlicher Verſtand widerſtrebte.
Keineswegs find alle feine, Werke, groß und Hein, von gleicher
poetifchen Kraft; es wäre. eine mwunderliche Forderung; aber
er verläugnes fih felten. Mir find nicht der Meynung, daß
in einer Kunft, welche unter allen die wandelbarften Mittel
und Werkzeuge hat, ein vorzuͤglicher Kuͤnſtler nicht quch viel
Alltaͤgliches hervorbringen könne. . Der Verirrungen in der
Wahl der Stoffe. nicht zu gedenken. Auch bat mancher Dich:
ter flärtere und größere Szdeen ausgefprohen, als er; aber
kaum einer hat, bey fo. viel Originalität und origineller Ders
arbeitung des Empfangenen, fo allgemein zum Herzen geredet,
ohne ſich im mindeften falſcher Huͤlfsmittel zu bedienen. Denn . |
Goͤthens Kunft ift aͤußerſt ächt und gründlih. Da, wo feine
Vorwürfe zu mißbiligen find,. erweckt er eben deswegen um.
fo größern Verdruß: denn er fchlägt Damit unmittelbar an den
innern Sinn; und da diefer die veinften Anforderungen macht,
fo mag er feiner Shönen Kunft faum glauben, daß fie ſich
willig dazu hergegeben habe. Seine Beobachtungsgabe, welche
allem einen Spiegel darhält, worin es fi) fangen muß, gehört.
zu den größten, ausführlihiten. Daher feine ausnehmende
Wahrheit; duch die Mache der Sprache das Treffende, durch
88 Aus meinem: Leben von Goͤthe.
tragifhe Wuͤrde dag Ergreifende. Sein Liebliches ift auserles
fen; feine Schauer find weniger gewaltig, als durchdringend.
Denn fie find empfunden und beobachtet. Bekanntſchaft mit
‚allen Ständen und Menichen, Wiffenihaften, Künften, Ber
ftrebungen und Träumen der Menchheit bey einem außeror⸗
dentlichen Gedaͤchtniß, hat ihm zu allgemeiner Empfänglichkeit
eine Allgemeinheit von Materialien angeeignet, in deren Vers
‚trieb und Ausftreuung er fich gefällt, er überall ſelbſt und doch
wieder wahrhaft die Sache if. Umgang mit der vornehmern
Welt hat ihm Überdem, was man Welt in beſſerm Sinne
nennt, gegeben. Mangel an Ausdauer in einzelnen Studien
Hat fein vielfeitiges Wefen nur noch vermehrt, oder vielmehr
begründet, indem er fi einen entichädigenden Auszug von
allem für feine innere Kunftwerkitätte verfchaffte, nnd nur in
Einer Kunft_ ein volles Ausharren bewies. Alles aber hat er,
ächtiyrifh, mit feiner Individualität veralichen, aus ihr hers
ausgefehen, ohne Schaden für das Object, weil ihr nichts
fremd war. Denn das wahre Dichtergenie ift ein Hellſichtiger,
der eine Heine Welt in ſich trägt, und ahndet, mas ihm nie
gezeigt worden iſt. Goͤthens munteres Behagen an der Aufens
welt und feine Wandelbarkeit in deren Liebhaberey find epiſche
Elemente; fein launiger Muthwillen ift die Wurzel des Komis
fhen. Man vergleihe mit dem bisher Gefagten das oben
gelieferte Ercerpt von S. 165 ff., und was er ferner ©. 176
fagt: „Denn da uns das Herz immer näher liegt, als ber
Geift, und uns dann zu fchaffen maht, menn dieſer fich wohl
zu helfen weiß: fo waren mir die Angelegenheiten des KHers
zens immer als die wichtigften erfihienen. Ich ermüdere nicht,
über Ftäcrigkeit der Neigungen, Wandelbarkeit des menfchlis
hen Weſens, fistlihe Sinnlichkeit, und über alles das Hohe
und Tiefe nachzudenken, deffen Verknüpfung in unierer Natur
als Raͤthſel des Menichentebens betrachtet werden fann. Auch
bier fuchte ih das, mas mid quälte, in einem Lied, einem
Epigramm , in irgend einem Neim loszuwerden, die, weil fie
fid) auf die eigenften Gefühle und auf die befonderften Um—
ftände bezogen, kaum Jemand anderes intereffiren konnten, als
mic ſelbſt.“ Endlich üder das Didaktifche und Epifche in ihm,
als värerliche und mütterliche Erbſtuͤcke, äußert er fih ©. 571
Aus meinem Leben von Goͤthe. 89
alfo: „Mir war von meinem Water eine gewiſſe lehrhafte
Nedfeligfeit angeerbt; von meiner Mutter die Gabe, alleg,
was die Einbildungskraft hervorbringen, faſſen fann, heiter
und kraͤftig darzuftellen, befannte Mährchen aufzufrijchen, ans
dere zu erfinden und zu erzählen, ja im Erzählen zu erfinden.“
— Wie aber das Zufammenftröhmen unendlich vieler Bildungss
mittel uns in Erſtaunen feßt, welche fih unferm Dichter von
Kleinem auf theils zubrängten, theils neugierig von ihm ers
griffen wurden ; wie dadurch das abergläubifche Nühmen von
einer beduͤrfnißloſen Wunderkraft des Genies zu Schanden
wird, obſchon fie eine große Wahrheit, nur nach Umftänden,
und nicht in diefem Zeitalter ift, wo uͤberdem der Dichter fo
viel Bildung erwerben, als Talent befigen mmfte: fo wun—
dern wir ung zugleich über die unglaubliche Weichheit, Bil—
dungsfähigkeit, Beſtimmbarkeit, Veraͤnderlichkeit und Neigung
zum Verirren an dieſem ſo kraͤftigen Manne, deren Grund
jedoch eben in jener allempfaͤnglichen Art zu ſuchen iſt, welche
wir nicht beſſer als mit dem Namen der Merkurialitaät
zju benennen wijfen. Der Inhaber diefer Natur wird zwar
nie ſich jeldft ‚verlieren, wenn er fich ‚behalten will, und immer
wieder auf klare Puncte fommen, die ihm Freude und Ehre
bringen; kann aber auch nie fertig werden, und’ fällt fogar
öfters zurück, wenn er nicht mit hefdenhafter Ermannung und
Unterwerfung aller niedern Reize lediglih dem Sonnenpuncte
zueilt, wo allein Friede und ewiges Genuͤgen iſt. Denn wo
der Geiſt feinen Urfprung findet, ift allein keine‘ Schwärmes
vey ; fondern mo er nicht zur dauerhaften Rade fonmen kann.
Und hier-treffen wir
Drittens auf den ſittlichen und religiſen heit diefeg
Werks; wobey wir mit unfern Aeaßerungen in der erften Mes
cenfion bloß zufrieden zu ſeyn Urſache haben. Gern übers
fehen wir, da wir nicht mürrifh und lieblos richten wollen,
fondern loben das Lobenswärdige, und prüfen und unterfchets
den, als Zugehör des jugendlichen Sinnes, und ald Momente
der dichterifhen Laufbahn, diefes und jenes Erotifhe. Nur
fofern es einladend iſt, verdient dergleichen Unterdruͤckung;
wir haben auf der andern Seite nichts dagegen, daß ber
Dichter fo ehrlich if, fih und zu geben wie er war, Alebers *-
90 Aus meinem Leben von Goͤthe.
Haupt zeige er fih allerwärts als der Grade, Rechtliche, - Un—
partheyifhe gegen ſich und. Andre, als. der wahrheitliebende
Mann. Und niemand wird die edeln moraliihen Marimen
verkennen, die der Verf. auch in diefem Buche niedergelegt
hat. Was aber die religidfen Stellen betrifft, fo kommen fie
zum Verwundern und zum Vergnuͤgen aller gründlichen Ge;
müther fo Häufig vor, daß man zuweilen glaubt, die Leben
beichreibung eines angehenden Sottesgelehrten zu lefen, Ber
ftätigung genug für unfre Behauptung, daR dem Merf. das
KHöhfte der Dinge auch das Wichtigiie, und die Beruͤckſichti⸗
gung dieſes menfhlihen Grundtriebs ein ganz eigenes Bas
duͤrfniß ift und bleibt; mit welchem wir ihn gleihwohl, da
wir vieles dahin gehörige an ihm ehren und lieben, mit nids
ten alles gutheißen, auch noch jeßt in unentfhiedenem Kampf
erbliden, Wenn nun der Biograph diefem Theil feiner Les
bensdefchreibung feldft fo große Aufmerkfamkeit widmet, was
ift billiger, als daß wir ihm folgen -und ein Gleiches thun ?
Unftreitig wird er, der Freund folgerechter Lnterhaltungen
Über ehrwuͤrdige Gegenftände, es ung am wenigften zum Tas
del anrechnen, jund wird, wenn er diefes lief, unſrer Bitte
Gehoͤr geben, uns nad Gelegenheit ferner chen fo frepgebig
mit demjenigen zu beichenten, was den Zug unfrer innigften
Neigung zu feinem Herzen ausmacht. Goͤthe hatte dag Gluͤck
in einer durchaus chriftlihen,, an Gottes Wort und Erlöfungs
werk haftenden Zeit des proteftantifichen Deutſchlands geboren
und aufergogen zu werden, wo auch die Abfonderung von der
kirchlichen Gemeinfhaft nur wiederum aus religisien Beweg—⸗
gründen entfprang, welche noch einen größern Eifer, als dev
gemeine war, bezeugten. Noch als er Leipzig mit Kleifchern
und deſſen geiftreicher Gattin bezog, und fie Abends in Auer⸗
ftädt mit einem vornehmen Ehepaar zufammentrafen (5.68),
verrichten diefe einander fremde Menihen aus dem gelehrten
und höhern Stand gemeinfhaftlic ein flilles Tifchgebet. Man
bemerfe, wie viel diefer eine Sittenzug im Vergleich mit
unjern Gewohnheiten fagt, wo man den Welternährer um fo
gewiſſer vergißt, als man fih ſcheut, Findlih zu zeigen, daß
man feiner gedenke. Goͤthe zeichnet uns beyläufig jene Zeit,
. ihren Ton, ihre Spaltungen, ihre Fortfehritte und Abſchweit
Aus meinem Leben von Goͤthe. 91
fungen , quf eine dankenswuͤrdige Weife; wer Eännte ſich dies
fer Dinge fo vorurtheilsfeey erinnern wollen, und fie fo richtig
nennen, wie ev? Aber die ungemeine Beweglichkeit und Ges
flaltbarfeit feines Geiſtes, die bey viel ernſtlichem Willen au)
mancher bloßen Wahrfcheinlicdkeit gern ein haltbares Intereſſe
abgewinnt, die durchdringend und fchöpferifh auch aus dem
Wahn Acchtes zu fcheiden, und zum behaltenswerthen Stoff
umzuarbeiten aufgelegt iſt; Burg, diefe ehrliche dichterifche Tole⸗
tanz, mit ungerbrochener, nur verfeinerter Sinnlichkeit vereinigt,
und von den noͤthigen Kenntniffen nicht Überall umfchräntt,
hat Goͤthens Glauben an das Ueberirdifche, und fein Streben
darnach, auf den Wellen des Zeitlaufs mit hinabgetragen, und
ihn der Verirrungen des letztern theilhaftig gemacht. Daher
denn der nothwendige Widerfpruch in dem, mas Göthens
Herz und Gemüth von göttlihen Dingen fpridht, und was
feine Eritifch gemachte Vernunft an den Tag gibt. Fr ift. bald
geiftlich, bald weltlih, bald fromm, - bald leichtfertig, und
zeigt unter fo manchen vollendeten Fähigkeiten hier eine faft
verwilderte. Wenn er ©. 14 fagt: „Des Sc:rates Schüler
fehienen mir große Achnlichkeit mit den Apofteln zu haben,
die fih nad des Meifters Tode fogleich entzweyten, und offens
bar jeder nur eine befchränfte Sinnesart für, das Rechte ers
fannte“ — fo möchte man fragen: wo jenes Apokryphon
aufgezeichnet fey ? und wo fih bier die Beſchraͤnktheit offens
bare? — — Der Verf. traut in folhen Fällen zu ſehr feis
nem guten Gedaͤchtniß, wo doc tägliches Wiederlefen faum
der Sache genug: hut. Es läßt ſich mit gemilderter Beziehung
auf unfern Schriftfieller anwenden, was er ©. 137 von einem
andern fagt: „Mat verzieh dem Autor, wenn er das, was
man für wahr und ehrwärdig hielt, mit Spott verfolgte, um
fo eher, ala er dadurch zu erkennen gab, daß es ihm ſelbſt
immerfort zu ſchaffen made“ — Und diefe innere
Gaͤhrung ift Heilig, und ehrwürdiger, ald die abgefchloffenfte
Kritik, die fertig zu feyn meint, und nur ſich ſelbſt von- der
Wahrheit abgeichlomen hat. Den großen Weg des Unheil,
den die proteftantifhe — nicht Confeſſion, fondern gelehrte
Theofogie nahm, geihnet G. S. 144 ff.: „Auf diefem Wege
mußten die Theologen fi zu der fogenannten natürlichen Res
92 | Aus meinem’ Leben von Goͤthe.
ligion hinneigen, und wenn zur Sprache kam, in wiefern das
Licht der Natur ung in der Erkenntniß Gottes, der Verbeſſe—⸗
rung und Veredlung unferer feldft zu fördern hinreichend fey,
fo wagte man gewöhnlich ſich zu deffen Gunften ohne viel
Bedenken zu entfcheiden, Aus jenem Mäfigkeitsprincip gab
man fodann fämmtlichen pofitiven Religionen gleiche Nechte,
wodurch denn’ eine mit der andern gleichgältig und unficher
wurde. Uebrigens ließ man denn doch aber alles beftehen,
und weil die Bibel fo voller Gehalt ift, daß fie mehr ale
jedes andre Buh Stoff zum Nachdenken und Gelegenheit zu
Betrachtungen über die menfhlihen Dinge darbieter: fo konnte
fie durchaus nad) wie vor bey allen Kanzelreden und fonftigen
religiöfen Verhandlungen zum runde gelegt werden. Allein
diefem Werke fand — noch ein eigenes Schickſal bevor *
0. ſ. w. Indem er hier der. Angriffe gegen die Inſpiration
gedenft, fährt er von der Bibel fort: „Ah für meine Pers
fon. hatte fie dieb und werth: . denn faſt ihr allein war ich
meine fittlihe Bildung ſchuldig, und die Begebenheiten, die
Lehren, die Symbole, die Steichniffe, alles hatte fich tief bey
mir eingedräct, und war auf eine oder die andre Weiſe wirks
fan geweien. Mir mißfielen daher die ungerechten, ſpoͤttlichen
und verdrehenden Angriffe“ u. ſ. w. Wer wird nicht aufs
merfen auf dieſes vortrefflihe Geſtaͤndniß des Derfafferg ?
Gern möchte man es wie eine einfame holde Blume ausheben,
und auf einem freyen Beete retten, damit es nicht vom Uns
fraut der Meynungen erſtickt werde. — Doch bier fchließt
fid) ein . merfwärdiger Umſtand an, für deffen Beleuchtung
kaum ein fchiefliherer Naum zu finden wäre, als der Verf.
ung erdjfnet. Unſre Zeit, voll des drängenden ewigen Bes
dürfniffes, hungrig und durſtig nach Heil, zumal unter den
jermalmenden Schlägen des äußern Geſchicks, aber von übers
gemaltiger Sinnlichkeit an Augen, Ohren und allen Sliedern
gebunden, eilt, nad) einer Ausleerung, welche fle wider Geſchichte
und Menfchenverftand für. Proteftantismus ausgibt, in ihren
Gebilderen mächtig dem fogenannten Katholicismug zu, d. i.
einem Kirchenthum, weldes um fo mehr wahre Chriften und
fromme Pehrer in feinem Schoofe trägt, als fein Gebiet weit
reicht, aber aus der Einfalt der erften Kirche und ihren Wunder—
fräften zur überbunten Form, welche den Abgang der le&tern
vergeffen machen follte, in Römifchem Style fih verartete,
Kein aͤcht-chriſtliches Mitglied diejer Konfelfion, die jeßt auf
ungleich befferm Weg iſt, wird unfre Worte der Härte beichuls
digen; und wir fchweinen vorjäßlich von jenen Mifbräuchen,
ohne die eine Meformation, - welche wieder aufs Mefentliche
trieb, nie. zum Ausbruch gereize worden wäre. Der Grund
Aus meinem Leben von Goͤthe. 93
jener Erfcheinung liegt nahe. Der gute Sjüngling und junge
Mann ift immer religiös. Vollherzig, mit allem phantaftis
fhen Zauber der fihönen Künfte am Gemüth aufgebilder, mit
aller. Reizbarkeit: des Tags ‚begabte, ohne Menfchentennenif,
ohne geübte Unterfcheidungsfraft, ohne zureichende. Gelehrſam—
keit, zu unfräftig und irr, um mit dem Geiſte der Wahrheit
felöft eine unmittelbare Befreundung zu wagen, tritt er im die
Welt; er fieht feinen innern Menfchen von den ihm etwa zus
nächit flehenden Lehrern, die auch Proteftanten zu feyn glauben,
verlaffen; fie geben ihm Zweifel für Wahrheit, Nichts für
Alles; eine fichliche -Außenfeite, die ihm unerwecklich fcheinr,
kommt hinzu; er gibt fih die Zeit. nicht, beffere Leititerne zu
fuhen, und glaubt nichts Übrig zu haben, als daß,er, um
das peinigende Raͤthſel feines Herzens zur Auflöfung zu brins
gen, wie er irrig fpricht, in den Schooß der. Kirche, zurück
tehrt. Der Gang älterer Menſchen ift dem ähnlicdy ; wielleiche
fehnen fie. fih nur noch etwas mehr nah Sichtbarkeit der
Kirche und Semeinichaft der Slaubigen. Wohl geſchieht eg,
daß, je redlicher der Uebergegangene es meint, er defto ges
wiffer endlich auf die Wahrheit felber trifft; durch eine finns
lihe Krümme, die er wählte, wird er von der Snäde, die
ihn wählt, zum Ueberſinnlichen geführt, das in jenem fichts
baren Gefaͤß wie in allen behalten iſt. Vielleicht noch eigens:
finnig aus menjchlicher Schaam, feinen überfläfftgen Schritt
zu vertheidigen, iſt er doch forehin weder petrifch,. noch paus
ih, noch apolliſch; ſondern er ift ein Chriſt geworden —
miraturque novas frondes et non sua poma. Die.gejignete
Toleranz, welche die Liebe auch in Abſicht auf die wohlthätige
Verſchiedenheit aͤußerer Konfeifionen für das erfte Gebot erklärt,
kommt ihm zu Statten, daß fein. frommer Mißgriff weiter
feine uͤble Folgen für ihn hat. Aber er hat bey dem allen ein
böfes Beyſpiel von der Methode gegeben, wie man das Uns
wefentliche für das Weſentliche ergreift, und lot Nachfolger,
welche auf gleihe Weiſe durch die fleinerne Thür und die
. Gewölbe eines andern Hauſes am leichteften in. jene freye
Regionen glauben gelangen zu können, wo Gott, im Beift
und in der Wahrheit angebeter, felber der. Tempel ift. Und
in dieien Ton ſtimmt auch Söthe, der finnreiche Deuter des
Wahren und. Halbwahren, nachdem .er anderwärts der Ders
nunftkritik gehuldige, wenigſtens erklärungsweife ein, und
empfiehlt &. 178 ff. von Seiten menſchlichen Beduͤrfniſſes und
finnliher Vernaͤherung des Weberfinnlihen dasjenige, wovon
fi) eben fo leicht die zwecfwidrige Seite hiftorisch und pſycho—
logifch hervorwenden ließe. Er hebt die Sacramente, ale
weientliche Theile des Kirchenthums, in ihrem begeifternden
94 Aus meinem Leben von Goͤthe.
fittfichen Einfluß hervor, und entfcheidet: -der Proteftant habe
zu wenig Sacramente. Sindeffen hat Niemand als der Miß—
verftand irgend einer chriftlihen Kirche alle und jede Sacral
mente — man muß aber wohl, nah Sprache und Erkenntniß,
wiffen, was diefes Wort fagen will — und vornehmlich die
Mahrheit ftreitig gemacht, daß die uns in Chrifto gegebene
Religion ein großes Sacrament tft, das fi in unzählige andre
zergliedert, und dem wahren Ehriften aus allen Confeſſionen
durch fein ganzes Weſen, Thun, Denten, Empfinden und
Leiten hindurch, feine unendlihen, ewig lebenden Kräfte und
Adfichten mitteilt. Allein dteje innere Neligion des Herzens
tann von dem Augenblick an, und in all denjenigen Stücken,
fih mit der äußern Kirche nicht mehr als volltommen Eins
aniehn (ſ. ©. 1801), wo fie Verfall und Mifbräuhe mahrs
nimmt (in mwelher Kirche es auch fey ) und fih unvermögend
fuͤhlt, ihr reines Ideal von Kirchenthum in die Wirklichkeit
herauszupſtanzen. Sie ertraͤgt alsdann mit goͤttlicher Duldung
das unvollkommene Mittel, das auch ihr zur erſten irdiſchen
Stufe einer himmliſchen Geſinnung wurde, und bleibt im
Aeußern, wo ihr Menſch geboren iſt. Sie ſucht, wo es ans
geht, an jenem Mittel zu beffern, zu veredeln, damit es leich—
ter, kraͤftiger, fchöner vermittie, und gebraucht allerdings zur
Erwerfung des Herzens aud die Neize der Phantafie, die um
ausſprechlich wichtig für die Religion iſt; erwartet aber die
ganze Erfüllung diefes ihres Wunfhes nur von einer Zeit, wo
dag Unſichtbare fih von felbft ins Sichtbare herauskehren zwi⸗
fhen dem Widerftrebendften Friede und aller Fehde ein Ende
feyn wird. Inzwiſchen ſucht fie der innern Sacramente, ohne
Verwerfung der äußern, in ſtets wachfender Staͤrke theilhaftig
zu werden. Sie läßt fih mit Waffer und Blut von dem
taufen, der da kommt mit MWoffer und Blut, und einen
Brunn aufthut, welcher in das ewige Leben quillt; fie erhätt
"Die Firmung des wahrheitzengenden Geiftes; fie genießt dad
wahre Brod vom Himmel gefommen, nicht ohne das bußfers
tige Herz in täglicher Beichte dem Allwiffenden zu öffnen; fie
fchließt eine bräurliche Ehe mit dem Erhabenften, den Himmel
und Erde hat, von weldher das geheime Verhaͤltniß der Ger
fhlechter ein beiliges Sinnbild iſt; fie empfängt die Weihe
eines koͤniglichen Priefterfiandes, und das Del der Barmher—
zigkeit aud) in die Wunde des Todes. Sollten wir hier nicht
eins ſeyn mit dem, was ©. ahndete, ohne ee unter dem poes
tifhen Duft erreihen zu können? Sollten wir hier nicht mit
dem wahren Katholicismus volltommen eins feyn, und er mit
‚uns? Aber follte des Dichters eigener Mißgriff ihm nicht
offenbar werden, wenn er z. B. die willkuͤhrliche Erklärung
Aus meinem Leben von Goͤthe. 95
wieder Lief't, die er der Feyer des heil. Abendmahls in der
rimifch s katholiſchen Kirche aufzwingt (S. 185)? „So —
niet er hin, die Hoſtie zu empfangen; und daf ja das Ges
heimniß diefes hohen Acts noch gefteigert werde, fieht er den
Kelch nur in der Ferne, es i: fein gemeines Effen und Trins
ten, was befriedigt, es ift eine Kimmelsipeife, die nach himm⸗
lihem Tranke durftig macht.“ Iſt wohl diefe ferne Allegorie
eine Pirchliche Lehre? Uns duͤnkt, die Katholiken lehren, wer
den Leib empfange, efıpfange auch das Blut; Einige behaups
ten fogar, die eingeftaltige Ertheilung fey nur ein Zufälligeg,
das die leichtefte Abänderung vertrage. Daß es ein Späteres
it, wiffen wir ja wohl fämmtlih. — Wenn ferner der Verf.
bey Gelegenheit feiner hermetiihen Jugendſtudien fih ein cabs
baliſtiſch- myſtiſches Religionsſyſtem erbaut, das von Mechte
wegen den Anſpruch machen muß, durchgreifend, allgätig, und
mit allen möglichen wahren Syftemen Eins gu feyn — denn
es fann überall nur Ein wahres Syſtem höherer Wahrheit
geben — to hat derfelve hiebey vieles fehr fchön gefehen, noch
fhöner gefagt; aber wir wiſſen nicht, ob in dielem Syſtem,
felbft als abgejonderter Erſcheinung, ihm alles unbedingt zuge—
ftanden werden möge. Daß dem Lucifer als Erftgefchaffenen
von nun an die ganze Schoͤpfungskraft Übertragen morden,
und von ihm alles Übrige Seyn auegehn folte, und daß er
feine unendliche Thätigkeit bewieſen, indem er die fammtlichen
Engel erfchaffen habe (©. 331) — das har unfe:s Wiſſens
fein rechter Cabbalift oder Theoſoph jemals behuupter; er würde
ein folches Verlangen für den Hochmuth Pucifers erklärt haben.
Vortrefflich aber fpricht der Verf. etwas vorher, wo er zu
Fangers Umgang einleitet ©. 2gı, unten: „Die chriftlide
Keligion ſchwankte zwiſchen ihrem eigenen Hiſtoriſchpoſitiven
und einem reinen Deismus, der, auf Sittlichkeit gegründet,
wiederum die Moral begründen follte. Die Verſchiedenheit der
Charaktere und Denkweiſen zeigte fih hier in unendlichen Abs
flufungen, beſonders da noch ein Hauptunserfchied mit einwirkte,
indem die Frage entftand, wie viel Antheil die Vernunft, wie
viel die Empfindung an folhen Weberzeugungen haben koͤnne
und dürfe. Die leohafteften und geiftreihften Männer erwies
fen fih in diefem Pal als Schmetterlinge, welche ganz uneins
gedenf ihres Naupenftandes die Puppenhälle wegwerfen, in
der fie zu ihrer organiſchen Vollkommenheit gedichen find.
Andere, treuer und befcheidener gefinnt, fonnte man den Blur
men vergleihen, die, ob fie fih gleich zur fchönften Bluͤthe
entfalten, fih do von der Wurzel, von dem Mutterftamme
nicht losreißen, ja vielmehr durch diefen Familienzufammens
Hang die gewuͤnſchte Frucht erſt zur Reife bringen.“ Märe
96 Aus meinem Leben :von Goͤthe.
nun der Charakter des Verf, nicht in diefem Stuͤck jederzeit
eben fo ſchwankend als gierig geweien: fo würde das glühende
Sintereffe feines Herzens ſich nothwendig unter den vielen, auch
koͤrperlichen Aufforderungen zur Uebergabe und zur Beftändigs
keit im ‚Exgriffenen, in, die Zufriedenheit des Beſitzes und
fteigenden- Wachsehum aufgelöft haben. Dagegen ift es merk
würdig, mie nach den heiligen Stunden, mit fangern am
Rande der Verweſung gefeyert, eben diefer Kranke, noch Frank,
der Meifterin Klettenderg wieder fo viel Vergebliches zu thun
geben kann. Indeſſen erklärt fih die Sache durch das Des
kenntniß S. 505. „Nun hatte ih von Jugend auf geglaubt,
‚mit meinem Gott gang gut zu fliehen, ja ic) bildete mir, nad)
Mancherley Erfahrungen, wohl ein, daß er gegen mid fogar
im Reſt ftehen fönne, und ich war fühn genug zu glauben,
daß ich ihm einiges zu verzeihen hätte. Diefer Duͤnkel grüns
dete fih auf meinem unendlich guten Willen, dem er, wie
mir ſchien, beffer hätte zu Huͤlfe kommen jollen. Es läßt fid
denken, wie oft tch und meine Freundin hierüber in Streit
gerierhen, der fih doc immer auf die freundlichfte Weile und
mandımal, wie meine Anterhaltung mit dem alten Rector,
damit endigte: daß ic) ein närrifcher Burfihe fey, dem man
manches nahfehn müfe“ Mir. vergeffen hiebey nicht, das
Geweſene vom Sebigen hiftorifch zu unterfcheiden, und haben
ung auch über dag Letztere ſchon mehrfach geäußert. Gleicher—
weile wird nach dem trefflichen Umriß des Klopſtockiſchen Meis
ſias ein gleichſam enticuldigendes Wort angehängt, wobey
wir gern den Vorwurf übernehmen möhten, es lieblos au
das Doama zu deuten (&. 451). „Der bimmlifche Friede,
welchen Klopſtock bey Conception und Ausführung diefes Ges
dichtes empfunden, theilt fid) noch jeßt einem Jeden mit, der
die erften zehn Geſaͤnge lieſ'ſt, ohne die Forderungen bey ſich
laut werden zu laffen, auf die eine fortruͤckende Bildung nicht
gerne Verzicht thut.“ Wenigſtens ift die Bemerkung zwendeus
tig. Denn was das Artiftifche betrifft, fo wollen wir dem Verf.
nicht widerfprehen. Die geiftliche Bildung aber muß, wie er
felber anderwärts will, als Blume der Wurzel entfleigen, ohne
fihh von ihr zu trennen; fo wählt fie — fort, und
bringt Blumen und Früchte ohne Zahl. Sie muß, ohne eine
Umſchraͤnkung zu vertragen, weil fie unendlih-ift, der Dils
dung jener fich felbft bildenden Menfchen im Weſentlichen
gleich fepn, deren der Verf. ©. 380, 3dr mit Achtung err
wähnt, und die unflveitig das beſte Theil erwählt haben,
. v a %
W
No. 7. Heidelbergifhe - 1813.
Jahrbuͤcher der Litteratur.
—ñ—ñi u }
Lehrbuch der civififtifhen Litterairgefchichte, vom Profeffor Nitter
Hugo in Göttingen. Berlin, bei Auguft Mplius 1812. XIL
und 427 ©. 8. | |
Auh unter dem Titel :
Lehrbuch eines civiliſtiſchen Eurfus, vom Profefor Ritter Hugo in
Göttingen. Sechster Band, welcher die civiliſtiſche Litterairges
fhichte enthält. Berlin, bei Auguſt Mplius. 1812.
GG verdient Here Prof. Ritter Hugo den Danf aller
gelehrten Civiliſten für fein Unternehmen, die civiliffifche Kits
terärgefchichte zu bearbeiterf, und feine Anfichten und PBemers
füngen über einen ſo wichtigen, und das Rechtsſtudium felbft
fo vortheilhaft unterſtuͤtzenden, Zweig der Civilrechtsgelehrſam⸗
feit, auch den Gelehrten außerhalb Goͤttingen mitzutheilen.
Jede Ericheinung diefer Art muß befonders in unfern Tagen
für den Verehrer des Nömifhen Rechts erfreulich feyn, eines
Rechts, das, feiner innern Wortrefflichkeit wegen, auch bey
allen Mängeln, die es, wie jede andere menichliche Geſetz⸗—
gebung, bat, noch immer allen Stürmen getroßt hat, und
gang gewiß ewig troßen wird. Mec. ift lebhaft Überzeugt, daß
feine Macht im Stande ift, die Nömifhe Geſetzgebung auf
immer, und mit der Wurzel ansznrotten. Wird man fie, ans
gereizt von Männern, die Einfluß auf die MWerfaffungen der
Staaten, aber entweder die Kraft, oder den Willen nicht haben,
tief in ihre Geheimniſſe einzudringen, auch noch fo lebhaft
verfolgen, fo wird doch dieſe Verfolgung nie von langer Dauer
feyn. Das große Närhiel wird immer diejes bleiben, eine
beffere Gefeßgebung an die Stelle der Nömiihen zu feßen.
Nie wırd es an Männern fehlen welche unpartheviiche Ders
gleihungen,, in Zeiten, wo der Geift der Neuerung fich bereits
gelegt hat, anftellen werden ; und das Mefultat dierer Operation
wird dem Nömifchen Rechte immer nur neue Anhänger und
| Y
98 Lehrbuch der civiliſt. Litteräraefchichte v, Br. R. Hugo.
Verehrer verfihaffen. Bey weitem die meiften, mwichtigften und
am tiefften liegenden Wahrheiten Hat die Roͤmiſche Geſetzge⸗
bung aufgededt, Wahrheiten, die unveränderlich und ewig
find, und eben darum die Grundlage jeder Geſetzgebung feyn
und bleiben müffen. Schon in diefer Hinfiche muß diefe Ge—
feßgebung alfo immer, in den Augen aller Vernünftigen, eben
fo angefehen werden, wie jeder gebildete Gelehrte die Claſſiker
des Alterthums anfieht, als bleibendes Denkmal der Kraft des
menfchlichen Geiftes, als Inbegriff der Erfahrungen von Jahr—
taufenden, und als erhabenes Mujter für alle Zeiten. Wo tft
eine Geſetzgebung, die, in Hinficht auf die ungeheuere Summe
der mwichtigften Wahrheiten, welche man in ber NRömifchen
Gefeßgebung finder, fih auch nur von weiten mit diefer meffen
fönnte, und nicht, in ihren glängendften Parthieen, eben diefe
als Auelle und Mufter anerkennen muͤßte? Taufend Erfah—
rungen haben bewieſen, daß, wenn, jemand eine Sache, die
bereits aufs Beſte ausgeführt worden ift, von Neuem darftellen
und verändern will, er nichts Vorzägliches hervorbringen könne;
und eine Sache, die nicht hoͤher emporſteigen kann, faͤllt ihrer
Ratur nad) zuruͤck. Die großen Wahrheiten gehen nicht ins
Unendliche. Sind ſie einmal entdeckt und Beſitz in genommen,
ſo haben wir keine andere Parthey zu ergreifen, als dieſe,
uns aus ihrem Beſitze nicht verdrängen zu laſſen. Keine neuere
Gefekaebung darf es wagen, an den ©rundwahrheiten des
Roͤmiſchen Rechts zu rütteln; thut fie es doch, To trägt fie
den Keim ihrer eigenen Zerftörung in fih. Diefes haben auch
die neuelten Gefeßgeber jeher wohl eingefehen ; und eben des—
wegen haben fie ihre Werke auf dem unerfchätterlihen Roͤmi—
fhen Boden weislid aufgeführt. Die füßen Hoffnungen der
vielen Verächter des Römischen Rechts, die in deffen Gcheims
niffe nicht eingeweiht find, wurden durch diefelbe Gefeßgedung
vereitelt, von der fie die Erfüllung ihrer Münfche erwarteten,
und noch neuerlich konnte man, bey Antündigung der Ele-
ments du droit civil Romain, selon l’ordre des Institutes
de Justinien, par J. G. Heineccius, traduits en Fran-
cais par J. F. Berthelot, die merfwürdige Stelle lejen:
„Le droit civil Romain |vient de recevoir du Gouverne-
ment hommage, que lui avoient rendu tous les gou-
Lehrbuch der vifift, Litterärgefchichte d. Pr. R. Hugo. 99
vernements Eclaires. On l’enseignera specialement dans
nos eEcoles; ce sera ehcore pour nous la raison
ecrite, et le principe, ou le TRVSLSPPemEnE
du Code civil*des Frangais.“
Was Heren, Prof. R. Hugo’s Arkeit felbft betrifft, fo
geben wir hier Rechenſchaft yon dem Eindrucke, den bieie auf
ung gemacht hat, und wir geben unfere Gruͤnde an. Sind
diefe für Andere nicht Überzeugend, fo wollen wir gerne glaus
ben, daß unfer Urtheil nicht richtig if. Mehr kann von keis
nem Kritifer gefordert werden. |
Bon einem Gelehrten, der, wie Hr. R. Hugo, wahre
und unmwiderfprechlid;e Verdienſte um die Roͤmiſche Nechteges
lehrſamkeit und Litterärgeichichte ſchon laͤngſt ſich erworben hat,
der vieljähriger Rechtslehrer in Göttingen ift, und der, wie
er in der Vorrede felbft jagt, ſchon fo oft und fo fange über
die crwiliftifche Ritterärgeichichte Collegien gelefen bat, laͤßt es
fih) (chen in Voraus erwarten, daß man in einem Lehrbuche
der civiliſtiſchen Litteraͤrgeſchichte von ihm nicht' nur keine Tri—
vialitaͤten, ſondern ſehr viele ſchoͤne und treffliche Bemerkun—
gen, die ihm theils feine Lectuͤre, theils fein eigenes Nach—
denken darbieten mußten, antreffen werde. Diele Erwartung
hat auch der Verf. nicht getäufcht. Er Hat, mit Benußung
der beften Schriften, manche Irrthuͤmer berichtiget, viele
wiffenswerthe Dinge, die man in andern Lehrbuͤchern der civilift.
Pitterärgefchichte nicht findet, vorgetragen, und befonders, was
feine Arbeit von den Arbeiten feiner Vorgänger untericheidet,
auf manche Veränderungen in dem Geifte des Studiums nnd
in der Verfaffung der Lehranftalten aufmerffom gemacht. Und
wenn gleich auch, mit Benugung des Buches des berühmten
Doctor der Sorbonne, Sean de Paunoy, de Scholis
celebrioribus à Carolo Magno exstructis, der Antiquitates
academicae von Hermann Conring, mit Goebels ge
Iehrten Noten, wovon die befte Ausgabe duch Heumann
zu Göttingen 1759. 4. beforgt wurde; ferner der großen
Menge von Schriftiielleen, welche die Geſchichte einzelner
Univerfitäten in Europa geichrieben haben, und vorzüglich der
Schriften der Rechtsgelehrten der verfloffenen Jahrhunderte
felbft ; endlich der vielen groͤßern und kleinern Werke, welche
l
400 Lehrbuch der civiliſt. Litterärgefchichte v. Pr. R. Hugo.
in dem Catalogus Biblioth. Bunauianae Tomo I. Vol. I,
p- 917 sq. in diefer Beziehung angeführt find, die Bemer—
tungen des Verf. unendlich reicher hätten ausfallen können :
fo kann doch Alles. nicht auf einmal gefhehen, und der Verf.
wird fpäter diefe Lücken felbft auszufüllen wiſſen.
Auch findet man bey ihm weit mehr Schriftſteller anges
führe, als bey Herrn Haubold; aber aud bey ihm fehle
noch eine ungeheure Menge guter und vorzüglicher Eiviliften,
die mit eben fo viel, und oft mit nod mehr Recht, als ans
dere von ihm angeführte, eine Stelle in feinem Buche hätten
anfprechen können; wobey nicht zu leugnen ift, daß Hr. Daus
Hold oft eine beffere Auswahl getroffen hat. Hr. Hugo
nimmt in feine. civiliftifche Litterärgefhichte eine Menge Juris
fien auf, die Ar. Haubold aus guten Gründen niht aufs
nahm ; und Rec. vergifit, bey diefer Behauptung, nicht, daß
Letzterer Institutiones juris romani litterariae, erfterer
aber ein Lehrbuch der civiliſtiſchen Litterärgefchichte fchreis
ben wollte. Nimmt der Verf. das Wort: civiliftifch ganz
allgemein!, und bloß im Gegenfage von Staatsrecht, fo
hat er viel zu wenig, nimmt er es aber eingeſchraͤnkter, fo
hat er viel zu viel Schrifiiteller in fein Lehrbuch aufgenommen.
Sa auch im erfien Falle gehören Daniel Paräus ($. 206.)
mit feiner Lehre von dem Widerſtande gegen die Obrigkeit,
Regner Sirtin ($. 211.) mit feinem Buche über die
Regalien, Rümmelin mit feinem Bude über die goldne
Dulle ($.214.), Johann Hortleder mit feiner Schrift
über den Schmaltaldifhen «Krieg ($. 216.), Melchior
Gol daſt mit feinen Folianten ($. 216.), Londorp mit
feinen Acta publica zur Geſchichte des dreyhigjährigen Kries
ge8 ($. 216.), Theodor Graswinkel mir feinen Vindi-
ciae maris liberi ($. 220.), Georg Buchanan mit fei-
nem Jus regni apud Scotos ($. 228,), der Jeſuit oh.
Mariana mit feinem Buche de rege et regis institutione
($. 2354.), der Kardinal Bellarmin, als vedlicher Verfech—
ter der Nechte des Pabites ($. 256.), Arumäug, Daniel
Otto, Reinking, Hippolithus a Lapide, Lampas
dius, Klock mit ihren ſtaatsrechtlichen Schriften (F. 269.),
die im $. 278. angeführten Staatsrechtslehrer, der Stadt—
Lehrbuch der civiliſt. Litterärgefchichte v. Pr, R. Hugo. 101
ſchreiber Kuͤnig mit feinem zwölf Folianten ſtarken Reichs—
archiv (F. 304.), und noch viele andere von dem Verf.
genannte Schriftfteller offenbar nicht in die Litteratur des Cis
vilrechte, fondern in die des Völker s oder Staatsrechts. Auch
dat der Verf. in fein Lehrbuch gute, mittelmäßige und fchlechte
Schrifefteller unter einander aufgenommen ; ja man findet darin
felöt einen Perrus Rebuffus, Rebhahn, Ungepaur,
Zaunfdhliffer, die Hommel (Litteratura juris $. 145.)
mit volllommenem Rechte unter die Plebejer rechnet, und
‚wovon der erfte auh von Dumolin (Sur la Coütume de
Paris Tit. I. n. 106.) mißhandele wird. Wenn Rec. alle
Schriftſteller anführen wollte, die der Verf. in feinem Buche
vergeffen hat, und die dod) eine ehrenvolle Stelle darin ans
fprechen könnten, fo müßte er jehr viele Seiten mit bloßen
Namen anfhillen. Inzwiſchen will er nur diejenigen nennen,
die ihm zunächft einfallen. Er vermiße nämlich ungerne fols
gende Namen, die er, ohne chronologifhe Ordnung, anführt:
EX Rupertus, der gelehrte Philologe und Geſchichts⸗
forſcher in Altorf, der fuͤr die Rechtsgeſchichte mehr leiſtete,
als die meiſten Juriſten vor ibm; Diodor Tuldenus,
Profeſſor in Löwen; Paulus Picus, Alciati's Lehrer,
der, wie Letzterer, den Responsis der Italieniſchen Nechtss
gelehrten den Krieg angekuͤndiget hat; Tiberius Decia—
nus, der die Responsa gegen jene heftigen Angriffe, in einem
merfwärdigen Buche, vertheidigre; Sylveſter und Peter
Aldobrandini; Clarus Sylvius; Richard Vitus;
Joſeph Eyrillo, Profeffor in Neapel; die beyden Payen
von Avignon; die Portugiefiihen Zuriften Pet. Barboſa,
Arins Pinellus, Emanuel Acofta, Caldus Pe;
reyra; den Staliener Jultus Clarus, einſt ein gefeyers
ter Name; den Niederländer Koh. a Someren; den Spas
nier Pich ardus, der den größten Snftitutionen » Commentar
ſchrieb, uͤbrigens die kindiſche Schwachheit hatte, fi von Ans
dern die Vorrede zu feinen Büchern ſchreiben zu laffen; die
Franzoſen Joh. Copus und Per Coftalius, aus dem
XVI Sahrhundere, wovon Erſterer fhon im Sahte 1555 ein
fehr gutes Buch de fructibus fchrieb, und Letzterer von Die
In, die nach ihm kamen, geplündert wurde, Ipho, als der
402 Lehrbuch der civiliſt. Litterärgefchichte v. Pr. R. Hugo.
einzige unter die Heiligen verfeßte Juriſt; die beyden Dänen,
Per. Scavenius und Nicolaus Cragius (in der
Ausgabe feiner Annales Danici von 1739 findet man Nachs
richten von feinem Leben); Naoul Fournier, der Sohn
des Suillaume, defjen rerum quotidianarum libri VI,
auch ın Otto's Thesaurus ſtehen; Berenger Fernand,
Profeifor in Touloufe, einjt das Orakel der Franzoͤſiſchen
Practiter; Pet. Loriotus, einft Profefor in Bourges,
Valence und Leipzig; Koh. Majoretus, von Toulouſe, und
Prof Tor dafelbft, bekannt durch feinen Commentar über die
Inſtitutionen; der Spanier Pet. de Valafco et Medis
vıltla der ein Buch fchrieb: Rixae et implacabiles con-
certationes Cajı et Proculi, aliorumque veterum juris
auctorum. Salamanticae 1625. 4.5 Stephanus Bodeusg,
der einen guten Snftitutionen s Commentar fchrieb, der 1559
zu Paris bey Nivelle in Fol. erfchienen if; Nicol. Bur—
gundus von Eaghien, zuerft Advofat in Gent, dann Pros
fefor in Ingolſtadt, zuletzt Nath bes Gerichtshofes von Bras
bant, durch mehrere gute Schriften befannt; Joh. Buteon,
aus der Dauphine', deffen mathematifch juridifche Schriften
zu Lyon 15599, in 4. herausgefommen find; SGac. Caimus,
von Modena, Profeffor in Padua, durch feinen Folianten
Variae lucubrationes. Patavii 1654. fehr berühmt; die Mies
derländer C. D. Boeckelen und Paul. Bufius, an
welhen leßtern Lipſius einen merkwirdigen Brief gefchries
ben hat (Lipsii Epistolae p. m. 142.); Julius a Beyma;
Hen. Brouwer; der Roͤmiſche Preofeffor Duni, durch
feinen Streit mit J. H. Böhmer, und duch fein, Buch
über den Urfprung und Fortgang der bürgerlichen Verfaſſung
in Rom; der Meapolitaner F. A. Grimaldi durch fein ffehr
gutes Buch de Successionibus legitimis berähmt; Pet.
Sranc. Linglois, von Befancon, durch feinen Commentar
üser die 50 Decisiones. Antwerpiae ı622. fol. befannt.
€: war Advokat in Beſançon; vier Jahre vor ihm, nämlich
1613, lieg Merille feinen Commentar über. die 50 Deci-
siones zu Pourges drucken; aber Linglois fannte ihn nicht;
tvenigftens fagt er in der Praefat. ad lectorem, daß er von
allen Interpreten feinen kenne, der die do Decisiones „sigil-
er
Lehrbuch der civiliſt. Litterärgefchichte u. Pr, R. Hugo, 403
latim et ex professo“ commentitt habe. Da aud anzuneh;
men ift, daß Linglois mehrere Jahre an feinem. Werte
gearbeitet habe; da er, in der Dedication an die Spaniſche
Snfantin, Iſabella Clara Eugenia, felbft bemerkt, daß
fein Werk lange bey ihm verborgen geweſen fey, und da man
auch aus dem Werke felbft deutlich ſieht, daß der Verfaſſer
Merilleis- Werk weder gekannt, noch benutzt habe, fo muͤſſen
wir annehmen, daß beyde Gelehrte zu gleicher Zeit auf dens
felden Gedanken gefommen f.yen, and’ keiner von dem Andern
etwas gewußt habe; was bey allen intereffanten Materien
immer zu wünjchen wäre. Wilhelm van der Muelen,
befannt durch feinen Commentar über Grotius Merk, und
durch feine Exercitationes in tit. D. de just. et jur. et
‚historiam Pomponii de origine juris, ſollte gar nicht fehlen.
oh. Ferrarıyd, mit dem Beynamen Montanus, ein
Heſſe, Rath und der erſte Profeſſor der Jurisprudenz, und
‚der erſte Rector bey der im Jahre 1607 errichteten Univerfirät
in Marburg, :ift dem Rec. um fo merfwärdiger, weil er,
außer Zafe, aus der erfien Hälfte des XVI. Jahrhunderts
Feigen Deutfhen Juriſten fennt, der fo gut, fo kurz, fo ele—
gang und. ſo frey von den haͤßlichen Fehlern der Bartoliſten
gefchrieben. hätte. Seine adnotationes in. IV. institutionum
libros, und fein Commentarius ad tit, D. de regulis juris
zeichnen fi) beionders aus. Jene kamen zuerſt in Marburg
1552 und 1536 heraus, und wurden fogleih in Paris ap.
Simonem Colinaeum 1533. 8. und: in, &yon 1552, und fpäs
ter wieder 1537 und 1544 nachgedruckt; dieſer erſchien zuerſt
in Marburg 1536, und wurde fogleih. in Lyon 15357 und
fpäter 1546 wieder aufgelegt. Won jenen befist Rec. felbft
die Parifer Ausgabe von 1555, und von diefem die. Lyoner
von 1557, was er deswegen anführt, weil er diefe Ausgaben
weder bey Lipenius, noch ſonſt irgendwo angezeigt findet.
Ferrarius hatte in feiner Jugend die Gottesgelehrſamkeit,
die Medicin und die Rechte fiudire, bey welchem letztern Fache
er blieb. Charles Dumolin, der in der Regel von den
Deutſchen Zuriften feiner Zeit fehr machtheilig ſprach, nannte.
der Ferrarius einen „vir excussi judicii.“ Er farb ein
Jahr vor Duaren,,ıdöd, und gehört in dem Lehrbuche des
” \
404 Lehrbuch der civiliſt. Litterärgefchichte v. Pr. R. Hugo.
Verf. in den $. 211., wo er den Neihen der dort angeführten
Marburaer Suriften in doppelter Hinfiche, einmal als fruͤhzei⸗
tiger treffliher Deutſcher Nechtegeiehrter, und dann als ver
erfte Profeffor der Jurisprudenz auf der im Jahr 1507 neu:
errichteten Univerſitat Marburg (G. A. Hartmann D. qua
“Academia praesens Marburgensis eadem cum anno 1527
instituta ostenditur. Marb. 1758.) mit allem Rechte führen
follte. — Dem Franzoſen Louis Malquyt, deffen zu
Paris 1626 herausgekommenes ſchoͤnes Buch: Vera non si-
‚mulata letorum philosophia, Gund ling hundert Jahre
ſpaͤter zu Halle wieder neu auflegen ließ, haͤtte auch eine
Stelle?in des Verf. Lehrbuche gebuͤhrt. — Aus dem XVI.
Jahrhundert waͤren auch noch die Niederlaͤnder Jacques
Typot, Pet. Peckius und Pierre Corneille de
Brederode (unter dem Namen Brederodius befannt) ans
zuführen geweien. Typot, gebürtig von Dieftem, einer
Stadt in Brabant, ſtudirte die Rechte in Sjtalien, ging nad
MWirzburg, von da nah Schweden, wo ihn Gluͤck und Urs
:gläd trafen, von-da (1595) an Kaifers Rudolph IT. Hof,
der ihn zu feinem KHiftoriograpfen machte; + zu Prag 1602.
Schriften: Historia Gothorum ; de Monarchia; de Salute
'Reipublicae; de Justo, sive de legibus ete. — Peck's
theoretiſch practifche Schriften Über mehrere wichtige Materien
‚des Civilrechts waren immer fehr gefchäßt, auch erhielt der
Verf. eine ehrenvolle Stelle in der zu Paris erfchienenen Aca-
demie des Sciences et des arts; und Brederode's The-
'saurus Sententiarum, von Modius bereichert, war ſtets
der treue Achates der Practiker. Die Staliener Mafcard,
Mantica, Merlinugs, Negufantius, TQTurrerug,
Sahinäus, welcher letztere auch in Ingolſtadt Profeffor
war, Vizzanius aus Bologna, dürfen in des Verf.‘ Lehrs
buche um fo weniger fehlen, da fie Über mehrere Materien
Hauptbücher gefchrieben haben. Ventura Coecus, Pros
feffor in Bologna, hat eine Catalexis in L.2. D. de Orig.
jur. Bononiae 1563. 4. gefhrieben. Von dem Neapolitaner
.S$acobus-Gallus haben wir: Clariores juris Caesarei
apices. Neapoli 1629. 4., und Brentmann ertheilt dies
ſem Rechtsgelehrten die größten Lobfprühe (Diss. de republ.
PN
Lehrbuch der eivilift. -Litterärgefchichte v. Pr. R. Hugo. 105
Amaljhitor. $. 37.) Nicolo Tortorelli, von #09
gia, Advokat in Meapel, berühmt durch fein Buch: Deglı
antichi Giureconsulti Romani. In Napoli 1756. 4. iſt aud)
vergeffen, und fogar fein Landsmann Siuftiniani hat ihn
überfehen. Alexander Turamini, aus Siena, ift um
fo merfwürdiger, weil’ er fih vom Anfange an zur guten
Schule des Connan, Duaren, Baron, Doneau,
Biglius, Cujas hielt, und niche mit dem Strome feiner
Zeit fchwimmen wollte, wo. man es dem Marianus So—
cinus, nah Pasquier, zum Merdienfte anrechnete, daß
er nicht ſoviel Zeit mit: den ſchoͤnen Wilfenichaften verdorben
habe, als Alciatus. Noch ein Jahr vor fernem Tode, der
1605 erfolgte, ftritt er. in Ferrara, im einer Rede, mit bes -
wunderswuͤrdiger Offenherzigkeit für-die Franzdiiihe Schule,
gegen die DBartoliften feines Landes. In feinen Schriften
‚vergleicht und flelle er immer das pofitive mit dem Naturs
rechte zufammen. Du Bosquet, der Herausgeber des Pfeks
Ans, Karl Ruinus, Alziati’s Lehrer, der fih oft bitter
beflagte, daß die Nichter fo Häufig gegen feine responsa fpräs
hen, Arn. Joh. Corvtnus und fein Sohn Arnoldug,
Francois de Roye, Vinc. Cabot, Franc Davydars
gente, Joh. Superior, Joh. Brechaͤus, H. C.
Campanus, Profeſſor in Dole, Pet. Belojus, Claude
David, Padilla, Nic Fernandez de Caſtro, Jae.
de la Lande, Franc. de Petris, D. Laurentiusa
Santajana et de Buftillo, ©. Proufteau, Pet.
Joh. und Claude Chifflet, Puga et Feyoo, Aeze—
ma, Ajala, Apellanus, Det. Durgius, Gabr.
Catianus, oh. Chr. Chriſtius, Chriſtoph. Coles
rus, Jac. Conftantindus, Caͤſar Cofta, Ant. Suib.
Eoftanus, Hieron. Elenus, Ferandus Adduens
fie, Marius Arcas, Antoning fefcurius, Sam.
Sermat, Joh. Filleau, Bal. Guil. Forfter, Gab.
de Saft, Franc Marfius Gordonius, Hieron.
Groslot, Ed. Heuryfon, Conſtantius Landus,
Detlevus Langebeck, Beorg Lopez Madera, Pet.
Martrefius, Marcus Vetranius Maurus, Mieto,
Thomas Papillon, Per. Perrenon, Pet. Noncerusg,
406 Lebebuch der civiliſt. Litterärgefehichte v. Br. R. Hugo.
Gilbertus Regius, Chr. Riccius, Tuſſanus de
la Rue, Eman. Soaretz a Ribeira, Joh. Solors
zanus, Joh. Steck, Nic. Sudorius, Pet. Tronchin,
Gabriel Vallius, Lud. Vitalis, Franc. Zoanetti,
alle dieſe und noch eine große Menge anderer ſehr verdienter
Rechtsgelehrter hat der Verf. in ſeinem Buche nicht angefuͤhrt,
und doch gehoͤren ſie um ſo mehr hinein, da ſie nicht nur in
vielen Puncten das Civilrecht vortrefflich aufgeklaͤrr und mehr
Verdienſte um daſſelbe haben, als eine Menge anderer von
dem Verf. genannten Juriſten, ſondern auch, weil der Verf.
in ſein Buch auch ſogar Rechtsgelehrte aufgenommen hat, von
deren Werken gar nichts zu uns gekommen iſt, wie Arnold
Duferrier, Franz Roaldes, und in gewiſſer Art auch
Aegid Perrot ($. 173. ). Der wißbegierige Rechtsgelehrte,
der ſich auch nur uͤber die Zeit, wo ein Schriftſteller lebte und
ſtarb, uͤber ſein Vaterland u d. bey Hrn. H. Raths erholen
will, wird alfo nur gar zu oft: das Buch unbefriedigte wieder
ans den Händen legen, und bey Andern feine Zuflucht fuchen
muͤſſen. Diele verdiente Mechtsgelehrte find auch von dem
Berf. nur zufällig und gelegenheitlic angeführt,. ohne
daß man nur das Mindefte von. ihrem Leben, nicht einmal
den Todestag erfährt. Diefes ift z. B. der Fall bey Zac.
Curtius ($ 191.), Ren. Bottereau ($. duı.), Dass
Pratejus ($. ı66 ) und vielen Andern.
Ein Hauptpunct, worin Hrn. R. H. Lehrbuch dem Das
boldihen, nıh Rec. Miynung nachſteht, ift diejer, daß Sr.
H. meiftens ein bloßes Namensverzeichniß liefert, ohne: einge _
nur kurze Schilderung. der Verdienſte, und, was dod) bey
einer Litterärgefihichte. eine unerlaßlihe Bedingung zu feyn
fcheint, ohne Anführung der beften Schriftfteller, ben denen
wan über jeden angeführten Nechtsgelehrten weitere Aufichläffe
befommen kann. Diejen fohäßenswerrhen Vorzug dis Haus
boldfhen Buches haben alle Kenner nach Verdienſt gewuͤrdiget,
und er iſt für die künftige Bearbeitung der civiliftifchen Litte—
rärgefchichte wichtiger, als man glaubt. Hr. Haubold if
der erfte Rechtsgelehrte in Deutichland, der die eleganten
Schriftftellee der civiliſtiſchen Lirterärgefchichte des Syn; und
Auslands zu diefem Zwede vortrefflich benutzt, und ſich eben
x
Lehrbuch der cibiliſt. Litteraͤrgeſchichte v. Pr. R. Hugo. 107
dadurch ein bleibendes Denkmal geſtiftet hat; denn feiner ſei⸗
"ner Vorgänger hat die fchöne Fitteratur des Auslands, an der
fein Buch jo reich iſt, in diefer Hinſicht fo wie er gekannt
und angewendet. Dies ift das große Verdienſt des Herrn
Haubold, das ihm ewig bleiben wird, und wofür ihm alle
Kenner, die eine folche fchmwierige Arbeit zu fchäßen wiſſen,
ſtets dankbar ſeyn und bleiben werden. Hr. Hugo hat eine
Menge Rechtsgelehrte in ſeinem Buche, die Hr. Daubokd
nicht hat... Hätte Hr. Hugo nur wenigftens bey diefen dag
ſchoͤne Verfahren des Hrn. Hau bold nahgeahmt, von deffen
Vorzuͤgen er ſelbſt uͤberzeugt iſt, da er, in ſeinem Regiſter,
bey jedem Juriſten, der bey Hrn. Haubold ſteht, immer
auf das Werk defjelben verweiſ't. Bey lüterärhiftoriichen Wers
fen bleibt, .. und muß die. Litteratur die Hauptſache bleiben,
und durch, Litteratur allein kann ihnm ein bleibender Werth
verjchafft werden. Die geregelte, abgemeffene, befcheidene,
redliche, klare und geſchmackvolle Gelehrſamkeit, die Jeder—
mann befriedigen und geſallen, und für den Urheber einnehs
men muß, und jener, \o zu fagen, gelehrte Takt, der jede
falſche Bewegung oder Ausweichung verhindert, und in der
Gelehrſamkeit eben das, was in der Muſik das Ohr iſt, eine
Sache, die man nur haben, nicht fernen fann, iſt ein weites
ver Vorzug des Hauboldichen Buches. Ar. Haubold ſchildert
immer kurz und bündig den Hauptcharakter des Schriftſtellars
und ſeiner Schriften, Hr. Hugo thut es verhaͤltnißmaͤßig
ſelten, und ſehr oft werden, wo es geſchieht, minder wichtige
Sachen angeführt, wo wichtigere berührt, werden konnten.
Sm 9. 416. geſteht der Verf. felbft, daß er bey. den Jetzt⸗
lebenden „ein fo trocknes Verzeichniß“ geliefert habe; Dieſes
will Rec. nicht tadeln; denn nur die Nachwelt kann die Ver⸗
dienſte und den Ruhm der Gelehrten beſtimmen; aber dann
kann es auch gewiß nicht bedenklich ſeyn, wie der Verf. in
der Vorrede (S. VIII) meint, die Jetztlebenden wie die
Verſtorbenen aufzunehmen, „und dann iſt auch die Gegenwart
für den Schriftſteller nicht die Bundeslade, —
berührt werden ſoll (ſ. Vorrede S. VIII). Mit
ſchoͤnem und lobenswuͤrdigen Fleiße fährt Hr. — im⸗
mer ſehr genau die Buͤchertitel uns. die beſten Ausgaben an;
108 Lehrbuch der eivilift. Litterärgefchithte v. Pr. N. Hugo.
Hr. Hugo hat in feinem ganzen Buche nicht einen einzigens
ordnungsmäßigen Buͤchertitel, und er fcheint fih diefe Nach—
läßigkeit, die man auch in feinen übrigen Schriften, mit
Ausnahme feines Index edit. font. Corp. jur. civ., bemerkt,
zum Geſetze gemacht zu haben. In keinem Werke ift die
tumultuarifche Anführung der Schriftiteller zu loben, aber in
einem litterärhiftorifchen Werke ift fie befonders unangenehm.
Man muß bey Hrn. H. Buche immer wieder andere Bücher
bey der Hand haben, um nur die Titel zu willen. Es ift ung
gewöhnlich, daß wir Sachen, die uns ganz geläufig und gar
zu bekannt find, fo kurz als möglich, und ſelbſt mit Nach—
laͤßigkeit anführen; aber man muß nicht übertreiben; denn
kein Kenner laͤßt fih täufhen, und er glaube nicht mehr, als
er glauben kann, und fein Urtheil nimmt fehr oft die entges
gengeſetzte Nichtung. Vom $. 24. big zum $. 37. liej’t man
nichts, als Nimen, und man befommt feinen Titel zu lefen ;
man muß, wenn man genauer feyn will, immer fchon bier
fogleih andere Büher zu Rathe ziehen, um nur den Titel
beftimmt zu erfahren. Und fo geht es durdy das ganze Bud
fort! Wielches die beffere, die neuere Ausgabe eines Buches
fen, 06 es auch in einer gröfern Sammlung, und in welder
ſtehe, davon erhält man nie Nach icht. Aber bey Hrn. Haus
bold findet man es immer; und die Kenner, denen ihre
Zee wereh ift, willen es zu ſchätzen, weun es auch Übrigens
durchzus nicht Schwer für fie feyn koͤnnte, die Sache mit Auf—
_ wand von Zeit felbft zu finden. Hr. R. Hugo fagt zwar, daf
er recht fühle, daß er zum eigentlichen Litterator verdorben ſey
(I. Borreve 8. X); allein Rec. glaubt, daß er fih hier Uns
recht thue, und daß er, durch feinen index edit. font. Corp.
jur. civ., fich ats genauen und muͤhſam-⸗fleißigen Litteratdr
fo ſehr legitimirt Habe, daß, wenn er diefes in andern Schrif—
ten niche iſt, man nichts anderes glauden kann, als daß er
es hier nicht feyn wolle. |
Einem weiten Vorwurfe kann auch diefes Lehrbuch fchwers
lih entgehen, nämlih dem, daß es die Bücher, aus
denen es feine Sahen nimmt und nehmen muß, faft nie,
oder da nicht nennt, wo es fie nennen ſollte. So wie
das ansfhweifende Anhäufen der Schriftfteller, ein ficheres
Lehrbuch der cibviliſt. Litterärgefchichte v. Br. N: Hugo. 109
Zeichen des verdorbenen Geſchmackes ift, eben fo iſt die Kargs
heit der Gelehrſamkeit eine der vornehmften Urſachen des Vers
falles der Wiffenichaften; und fo wie jeder von natürlichem
Verftande geleitete Selehtte bey Leſung von Schriften, weiche
mit langweiligen Kitaten üÜberladen ‚find, einen unerträge
lihen Edel empfindet, eben fo endet auf der andern Seite
auch der Lefer, der fid gern unterrichten möchte, und jene
Schriften liej’e, worin man, unter dem Deckmantel eines
philofophifhen Styls, unverfländliche und räthfelhafte Sachen
findet, gewöhnlich das Buch, ohne viel mehr zu mwiffen, als
er zuvor wußte, und ohne einmal zu wiffen, wo er fih nad
befferer Belehrung hinzumenden habe. Wenn man die ges
fhäßteften Schriftiteller aller Nationen, einen Rapin, Bofs
fuet, Ferfelon, Fleury, Mabillon, Dupkn, Rols
fin, Dubos, einen Abve Racine, Barthelemp,
Montesquieu, DBayle, Muratori, Mazzuchelli,
DBeccaria, Filangieri, Bandini, einen Hume, Ros
bertfon und Gibbon, in ihren verfhiedenen Werten,
aus der Heiligen und profanen Gelehrſamkeit, ohne allen
Nachtheil für die Gleihförmigkeit und Fläjfigkeit ihres Styls,
zur rechten Zeit und am rechten Drte, die Schriftfteller zu
Beftätigung und Erläuterung ihrer Gedanken anführen, den
Studirenden die Bahn zu jenen reinen Quellen der Litteratur
und aller gründlichen Wiffenichaft Öffnen und erleichtern, und
auf diefe Art mehr Mannigfaltigkeit und Reichthum in ihre
Schriften bringen ſieht: fo haben wir in dieſen berühmten
Namen nicht nur für immer ehrwärdige Mufter der Wachs
ahmung, fondern wenn auch der Eine oder Andere diefe großen
Männer in vie Elaffe der Pedanten ftellen wollte, fo wird
doch ganz gewiß der größte Theil der guten Gelehrten mit der
Belegung dieſes Titels zufrieden feyn, und ganz gen den
Werth des philofophifchen Beiftes der unfruchtbaren Dunkelheit
aller jenes Schriftfteller überlaffen, welche die pofitiven Wils
fenichaften gern nah Art der metaphufifhen und mathematis
fhen Aufgaben behandeln möchten. Glaubt derjenige, welcher
in poficiven Wiffenfchaften keine Schrififteller citwe, feinen
Leſern glauben machen zu können, daß er nur.aus den Quellen
felbft, und aus feinem eigenen Kopfe Alles ſchoͤpfe, fo irtt er
®
410 Lehrbuch der cibiliſt. Kitterärgefchichte v. Pr. R. Hugo.
gewiß ſehr; nur Unwiſſende wird er uͤberreden koͤnnen, den
Kenner nie. Dieſer weiß zu gut, wie man ſtudirt, und wie
jeder ſtudiren muß; und je mehr Verſtand er einem Schrifts
fteller zutraut, deflo weniger fann er aud von ihm glauben,
daß er ſich, aus eitler Anmafung, von felbft und ohne Grund
und North, um einige Jahrhunderte, und in die Kindheit der
Wiſſenſchaft zurückgeftellt, und daf er diejenigen großen Mäns
ner unbenußt gelaffen habe, welche längft vor ihm eben dieſe
Quellen mit fo viel Kraft, Umfaffung, Scharfiinn und Gluͤck
bearbeitet Haben, daß ihm felbft, im Wergleihung mit dem,
was diefe geleiftet Haben, nur noch jehr wenig zu thun übrig
bfeiden kann. Warum follte man fi alfo den Schein von
etwas geben wollen, das, wenn es Wahrheit wäre, uns, flatt
Ruhm und Ehre, nur gerechten Tadel zuziehen könnte, und
der größte Fehler wäre, den man begehen fönnte? Die großen
Choryphaͤen der. ciwiliftifchen Gelehrfamkeit haben ſchon laͤngſt
bey weiten das Meifte und Wıchtigfte entdeckt; und das Ver:
dienft der. Neuern befteht meiftens nur darin, daß fie unter
den verichiedenen Meynungen und Theorieen über irgend einen
Segenftand eine auswählen, und hoͤchſtens mit einigen neuen
Gründen, die felbft Übrigens ihnen meifteng wieder von den
Yeltern an die Hand gegeven werden, unterftügen ‚und, „beräs
tigen. . Alle civiliſtiſchen Schriften, welche in unjern "Tagen
herausgefommen find, und weldhe man für die beiten der
neuern Zeit hält, beurfunden die Wahrheit diefes Satzes nur
allzu fehr. In Lehrbüchern über eine Wiſſenſchaft vollends
kann der Natur der Sache nad nur der bey weitem kleinſte
und unbedeutendfte Theil in neuen Dogmen beftehen, und die
Kürze, zu der die Compendien verpflichtet find, macht jchon
an und für fih Vieles dunkel. Warum will man aljo nicht
redlich diejenigen nennen, die ung bey dem Schreiben umjerer
Buͤcher geleiter, und aus denen wir das Beſte darin genoms
men haben? Warum wollen wir nicht die furgen und dunkeln
Saͤtze unferer Compendien durd fchuldige Anführung der
Schriftſteller aufhellen, aus denen wir geichöpft haben, da es
fein fihereres, -unfehibareres und für jeden Pefer angenehmeres
tes Auftlärungsmitrel, ais eben dieſes, geben kann, wodurch
diefer zugleich auf dem fürzeften Wege in den Stand geliebt
wird, ein richtiges Urtheil über den Werth oder Unwerth eines
vorgetragenen Satzes zu fällen? Warum will man dem wis
begierigen Leſer gefliffentlih Dielen angenehmen Dienft verias
gen, wodurd er, ohne daß das Buch um mehr als einige
Vogen härker würde, über jeden wichtigen Saß, der ben ans
dern Schriftftellern vollitändig mit allen Gründen und unendlich
befjer entwickelte ift, als er in dem kurzen Paragraphen des
%
Lehrbuch der eivifift, Litterärgefchlähte v. Pr. RN. Hugo. 111
engen Compendinms entwickelt werden fonnte, den beften
Commentar zur nähern Auffiärung , zur beffern Prüfung, zum
richtigern Urtheile und zur larften Ueberzeugung erhalten
würde? Kat der Lehrer und Schriftfteller diefe jchönen Zwecke
nicht, fo ift es ihm bey feinen Büchern mehr um fich ſelbſt,
ats um die Lefer, zu thun; und er muß bey diefen norhwens
dig in den Verdacht fallen, daß er ihnen gefliffentiih die
Meittel, feine Säge richtig zu verfiehen und zu beurcheilen,
entziehe; daß es ihm Frende mahe, wenn fie fih üver feine
&äße in nuce, die er aus der vollftändigen Ausführung eines
nicht genannten berühmten Schriftftellers extrahirt und räthiels
haft hingeworfen hat, Säße, die mit Anführung dieſes Schrifts
fiellers ſehr leicht zu verftehen wären, ohne Anführung deffelben
aber, wie meiftene alle Ertrafte, entweder unverfländlich, oder
wenigſtens zweydeutig find, die. armen Köpfe zerbrechen; daß
er, durch Verſchweigung feiner Quellen, fich einen verfchanzs
ten Hinterhalt machen wolle, um über diejenigen, die ihn
angreifen, und feine geheimen Bertheidigungsmirtel nicht ken—
nen, immer mie Vortheil herfallen und ihre Angriffe zuruͤck—
fhlagen zu fönnen, und daß er uͤberhaupt mehr fcheinen wolle,
als er wirklich ift.. Der wahre Gelehrte muß fogar den Schein
meiden, als wolle er feinen berühmten Vorgängern den Ruhm
ihrer Entdeckungen rauben, und er ehrt ihr Andenken am
‚Ihönften dann, wenn er beym Vortrage wichtiger Wahrheiten
fie als die Entdecker derfelben nennt. Ulrih Huber lobt
es mit Neht an Lyklama, feinem Sandsmanne, daß er
„alienissimus à more hujus, seculi nimium frequente et
pudendo, describendi alıenas et pro suis audacter ven-
ditandi- cogitationes“ geiwefen fey; und Gebauer fagt
ſehr- fhön ( Narratio de Henrico Brenckmanno p. 95):
„Sedulo sane cavi, ne prudens sciensque vel unam
voculam Brenckmannianae industriae et laudi subtrahe-
rem.“
Auch ift es auf jeden Fall eine nicht fehr delifate Fordes
rung, wenn ein Schriftfteller, fen er, wer er wolle, von dem
lefenden Publitum verlanat, dan es feinen Saͤtzen, ohne allen
Beweis, gleichſam als Orakelſpruͤchen, blindlings glauben und
tranen fol. jeder Schriftiteller ift fchuldig, den fcharfiinnigen
feier, der immer“die ficherften Denkmäler aufiucht, um das
Selefene anzunehmen und zu glauben, auf dem fürzeften Wege
in den Stand zu feßen, fid) nach feiner Wahl davon uͤberzeu—
gen zu können, ohne ſich bey den bloßen Worten und Ders
fiherungen des Schriftftellers beruhigen zu muͤſſen, der, wie
jeder Menfch, Irrthuͤmern aller Art ausgeſetzt bleibt, mifivers
fehen- und hafardiren kann, was er will. Niemand kann
“
412. Lehrbuch der eivilift, Litterärgefchichte v. Pr. R. Hugo.
verlangen, daß man ihm aufs Wort glaube, und jeder, der
zuhdrt, kann verlangen, daß der, welcher ſpricht, das, was
er vortraͤgt, beweiſe. Dieſer Beweis kann nun entweder ſo
geführt werden, daß man die Gruͤnde für einen Satz ſelbſt,
oder daß man die Schriftfteller anführt, bey denen die Gründe
bereits entwickelt find. Jener Beweis Ichicke fih für ausfühes
lichere Abhandlungen, diefer für Compendien. Mer weder dag
Eine, noch das Andere thut, erlaubt fih eine wicht zu. rechts
fertigende Anmaßung, erichwert ohne Moth den Lefern ihre
Arbeit, bringt fie um ihre edle Zeit, welche fie beffer anwens
den fönnten, vermindert und vernichtet feinen Credit bey ihnen,
und macht fie am Ende fo verdriefilich und ärgerlih, daß fie
entweder feine Bücher ungelefen ganz ‚auf die Seite legen,
oder nur mit dem größten Widermillen lefen, ihnen eine nur
geringe Aufmerkfamfeit ſchenken, und die Zeit und den Augens -
blick nicht erwarten fünnen, mo fie wieder getrennt von ihnen
find, und fih wieder einem vedlichern, vegelmäßigern und ihre
Wißbegierde mehr befriedigenden Schriftfteller überlaffen föns
nen. Wenn man von der doppelfinnigen Pythia oft getäufche
wurde, jo verläßt man ihren Tempel gern; man horcht nicht
mehr auf ihre zweydeutigen Ausjprüche, und . geht wieder in
die Afademie !
Auch tadelt es der Verf. ſelbſt (6. 248.) an Domat,
daß diefer,, in feinem Werke, weder D’Efpeiffes, noch ir—
gend einen andern Autor, nenne:
— Video meliora ptoboque, deteriora sequor. —
Einem mweitern Vorwurfe wird diejes Lehrbuch auch wohl
ſchwerlich entgehen können, ‚einem Vorwurfe, der auch die
übrigen Schriften des Verf. trifft, und der die Schreibart,
die Manier und den Ton deffelven angeht. Der Styl deg
Verf. liebt das Einfache, Matürtiche und Fliefende nicht, er
weicht von dem gewöhnlichen Etple der Altern und neuern
Klaifiter und auch unferer beften juriftifhen Schriftfteller ab,
erhält den Lejer immer in einer unangenehmen ©pannung,
ermüder ihn, macht ihn flers unzufrieden mir fih ſelbſt, laͤßt
ihn ohne Beſchwerlichkeit von einer &telle zur andern nicht
fortruͤcken, neckt und haͤlt ihn überall in feinem Gange auf,
bringt ihn um viele Zeit, martert ihn ohne Moth, uͤberlaͤßt
fih nicht felten, ftatt zu unterfuchen, einem minder beichwerlis
chen Pyrrhonismus, geht immer nur auf das Ungewoͤhnliche,
Auffallende, Pikante, auf das Mäthfelhafte ın Sache und
Worten ans, fucht immer nur, fo zu lagen, die Quinteffenzen
auf, und wird dadurch geziert, gezwungen und dunkel.
Die Fortiegung folgt, )
— — —
No. 8. SHeidelbersifhe 1813.
Jahrbuͤcher der Litteratur,
LICTICT SET ET rn Too ve n„„„.„.„„.„” rs
Lehrbuch der civiliftifchen Litteraͤrgeſ chichte vom Prof. Ritter Hugo
in Göttingen.
C Sortfegung der in No. 7, abacbrochenen Recenſion.)
RR... ift überzeugt, daß gerade der Verf. am menigften nds
thig hätte, feine Bücher mit diefem unädhten Schmucke einer
falihen Gelehrſamkeit aufzupußen, zu dem gewöhnlih nur
diejenigen ihre Zuflucht nehmen, die zu arm find, um in
einem foliden Aufzuge erfcheinen zu fönnen. Der Verf. hat
zu viele Realitäten, als daß er nöthig hätte, nach Mitteln zu
greifen, die tief unter feinen Talenten ſtehen. Auch weiß Rec.,
daß feldft die waͤrmſten Verehrer des Verf. diefed zu allen
Zeiten lebhaft an ihm getadelt Hafen; und gewiß hat er fi
fhon längft mehr damit gefchadet, als er glaubt. Man fchiebe
ihm Motive unter, die Nec. nicht für wahr Hält, die aber,
wenn fie es mären, nicht ehrenvoll für ihn ſeyn koͤnnten.
Würde der Verf. in einem weniger gefuchten und weniger duns
fein Style fchreiben, und würde er zu rechter Zeit und am
rechten Drte die Quellen anführen, aus denen er fchöpft, ger
wiß er würde feine glücklichen litterärifchen Erfolge nad der
Anzahl feiner Werke zählen. Die Schriften. des Verf, fo
wie fie find, find alle nur entweder für feine Zuhörer, denen
er, im mündlichen Vortrage, die Raͤthſel derfelben geloͤſ't hat,
oder für diejenigen, welde die Quellen kennen, und die Büs
her befißen, aus denen er fhöpft, oder endlich für diejenigen,
welche eine Materie ex professo ftudiren und das kleinſte
Detail derfelben kennen, verftändlich; für alle Andere bleiben
fie dunfel und beſchwerlich, weil man faft feinen einzigen Pas
tagraphen fließend wegleien kann. Daher fommt es aud, daß
felbft mehrere fehr gelehrte Profefforen des Civilrechts . in
Deutfhland, die Rec. kennt, kein einziges Buch des Verf,
befigen, ja nicht einmal leſen wollen; und, bey diefer Stims
8
444 Lehrbuch der civiliſt. Sitterärgefchichte v. Pr. R. Hugo.
mung, läßt fi vielleicht nicht ohne Grund prophezeihen, daß
die Werke des Derf., fo wie fie find, kein hohes Alter erreis
chen, und daß hoͤchſtens ein anderer lichtvollerer Gelehrter
fpäterhin das Beſte daraus nehmen, und in einem deutlihern,
fließendern und angenehmern Style, unter Anführung der
Duellen und Schriftfteller, welche benußt wurden, vortragen
werde.
Ein Scriftfteller und Lehrer kann feinem Publitum, das
fih nicht bloß mit ihm allein zu beichäftigen hat, nicht zumus
then, fo vieie Zeit auf die Enthällung feiner Raͤthſel zu vers
fehwenden ; er ift fchuldig, fo klar als möglich zu fihreiben, fo
Bar, daß ihn, wie Johann Campegius von Bologna,
ein Juriſt des XV. Sahrhunderts, und Jaſon's Zeitgenoffe,
zu fagen pflegte, Selbft die Signoranten verftehen können. Sehr
mertwürdig ift auch die, wohl etwas zu flarfe Sprache, welche
der große, ſchon bejahrte Cujas nur fünf Zahre vor feinem
Tode, im Jahr 1585, in einer Rede, die er zu Vourged
hielt, gegen die dunkeln Profefforen führte: „Idem quoque,
fagte er, in doctore nostro requiro, ut nihil unquam tra-
dat obscure in jure, et ut tradat patefacta ratione, clare
et perspicue. Quo enim mihi juris interpres, nisi sit
in eo, quod in ‚poöta Aristoteles exigit, ut res palam
ante oculos ponat, et in bono lumine ? Quid enim 0x0-
zeıwot illi Heraclito similes, nil nisi cruces atque tor-
menta? Quid item turpius, quam id ipsum
esse obscurum, quodin eum solum adhibetur
usum, ne sint cetera obscura? Ab his nebulis
nebulonibusque dicti sunt procul dubio nodi juris, dicta
legum aenigmata!“ Unſere Nachbarn jenfeits des Rheins
baben uns fihon oft genug, wegen unierer gelehrten Duntels
beit, ausgelacht, und fhon im XVI. Sahrhundert tadelten fie
es an ihrem hohverehrten Landsmann Dumolin, daß er
feinen Styl nah den der Deutſchen Schriftfteller gebildet
babe, — „qui rendent leurs Ecrits obscurs et quelquefois
meme inintelligibles,, pour y vouloir affecter une trop
grande Erudition.“
Gibbon und Spittler fiheinen auf die Screibart
des Verf. entjcheidenden Einfluß gehabt zu baden; in Den
Lehrbuch der eivilift. Litterärgefchichte v. Pr. R. Hugo. 415
Schriften diefer: beyden Gelehrten fiheint man das Modell des
Styls des Verf. zu erfennen. Aber jede Nahahmung bleibe
immer binter dem Original zuräd, und kann zwar die Fehler,
aber r die Tugenden deſſelben erreihen; und dann ift
Spitrler fein Gibbon, und felbft Gibbon wird, eben
feines gefuchten und minder einfahen Styles wegen, einem
Hume und Robertſon mit Recht nachgeſetzt. Diefe bepden
großen Schriftſteller ſind auch gedrängt und reichhaltig; aber
fie find zugleich fo Mar und durhfihtig, und führen die Duels
len, woraus fie fchöpfen,. immer fo redlih an, daß fie dem
Lefer nichts zu wänichen übrig laffen. Der Verf. fcheint feis
nen Styl auf den in Deutichland wenigftens feit einiger Zeit
ziemlich gemeinen Geiſt des Jahrhunderts berechnet zu haben.
Denn leider hat fid) der. Mipfticismus in unfern Tagen ſelbſt
in die ſchoͤne Fitteratur eingefhlichen, und es ift wirklich fo
weit gefommen, daß von vielen Idioten, welche ihren Ge—
ſchmack durch die Elaffiter der alten und neuen Zeit noch nicht
firirt haben, diejenigen über die Adyfel angefehen und verladht
werden, welche nicht dunkel und unverfländlich ſchreiben; aber
Nec. freut fih wenigſtens, daß er die. myfliihen Echriften
immer für die Peft der Litteratur gehalten Hat, und er findet
eine tröftende Beruhigung in dem Glauben, daß der Ges
ſchmack für das dunkle Andeuten ein Rauſch fey, der nicht
lange dauert, und deffen man fich fehämt, fobald er voräfer iſt.
Der Verf. wird ohne Zweifel fagen, er fupplire und helle
in dem Collegium Alles auf, und feine Lehrbücher feyen nur
für feine Zuhörer beſtimmt, für welche es fogar vielleicht beffer
fey, wenn ihnen die Sachen im Buche felbft nicht ganz faßlich
dargeftellt werden, um fie an ein fchärferes Nachdenken und
an eine flraffere Spannung der Seelenkräfte bey der Nepetis
tion anzuhalten und gleichſam dazu zu zwingen. Allein abges
rechnet, daß diefes Motiv immer den Schein hätte, ald wäre
es dem Grundſatze nicht vorausgegangen, fo glaubt Rec., daß
ein Buch, das auf die Leipziger Meffe kommt, auch für das
übrige Publikum gefchrieben, und nicht bloß für die Studens
ten in Göttingen beftimme ift. Sodann fieht er nicht ein,
warum man auch den Studenten das ohnehin fehon ſchwere
Nechtsftudium nicht auf jede Art zu erleichtern trachten follte.
416 Lehtbuch der eivifift* Litterärgefchichte dv. Pr. R. Hugo.
Wenn man ihnen die Sachen auch noch fo Mar vorträgt, fo
Bleiben doch immer noch nur zu viele Schwierigkeiten und uns
üderfteigtiche Kinderniffe, in eitier fo verwickelten und fo viele
Kenntniſſe vorausſetzenden Wiſſenſchaft, für fie übrig, an denen
fie ihre Kraft und ihren Scharffinn genug üben können. Der
ralentvolle und fleifige Zuhörer bedarf keiner kuͤnſtlich herbey—
geführten Schwierigkeiten, mm nachzudenken und feine Seelens
krafte anjufpannen, und man, beraubt ihn unnöthigerweife
einer Zeit, die er nuͤtzlicher anwenden könnte; und der minder
"fähige und minder fleißige Student wird eher von dem foliden
Studium des Rechts verſcheucht, wenn er feine einer immer⸗
währenden Spannung unfähigen Geiftesfräfte unaufhoͤrlich und
auch da anftrengen foll, wo man Ihm die Anftrengung erfpa⸗
ven könnte. Auch waren die beften Compendienfchreißer der
Altern und heuern Zeit, und feldft die Vorgänger des Verf.
"uf der Univerfität zu Göttingen, nie der Meynung, daß man
in den Lehrbuͤchern und Compendien die Schwierigkeiten ges
Niſſentlich vermehren ſoll, um die Aufmerkſamkeit und das
Nachdenken der Zuhörer zu fhärfen. Alle ihre Schriften dies
fer Art find fo Mar und faßlich als mönlih, und an den
Compendien von Georg Ludwig Böhmer wird gerade
dieſe Klarheit in den Begriffen und Worten mit dem größten
Rechte hauprfächtich gepriefen. Der Verf. ſelbſt ertheilt ($.
378.) diefen Böhmerfchen Compendien ihr gebührendes Lob,
"und doch wie weit find nicht die Lehrbücher des Verf. von der
edeln und fchönen Einfalt derfelben entfernt ?_ Iſt einmal der
richtige und kuͤrzeſte Weg entdeckt, warum will man dieſen
nicht auch einjchlagen, und warum foll man einen längern und
langweiligern fuhen, nur um einen bejondern zu Haben?
Boͤhmer's Pehrmerhode ift die befte, weil fie in der Matur
der Sache liegt, von Maren Begriffen ausgeht," diefe, ohne
alle gelehrte Umichweife , deutlich und heil entwickelt, weiter
verfolgt, darans wichtige nnd durchfihtige Wahrheiten zieht,
die fr jeden Verſtand zugänglich find, und diefe immer ent
weder mit Geiepftellen für minder fhwierige Säße, oder mit
Schriftitelfern für diejenigen Säke belegt, . die zwar aud in
den Geſetzen liegen, aber ohne Hälfe derer, weldhe ihre Muße
und ihren Scharffinn auf die Erklärung derſelben verwendet
Lehrbuch: der civiliſt. Litterärgefchichte v. Pr, R Hugo. 417
haben, nicht fo leicht won allen Lefern begriffen werden känns
ten. Eben deswegen wurde und wird über Boͤhmer's Comu
pendien auf allen Univerficäten gelefen, eben deswegen werden
diefe von allen Verſtaͤndigen, ohne irgend eine Ausnahme,
hochgeſchaͤtzt; und man fann mit Gewißheit behaupten, daß
fie diejes gluͤckliche Schickſal nicht gehabt hätten, wenn ihr
würdiger DVerfaffer fie nah Art des Hrn. R. Hugo gefchries
ben haͤtte.
Soviel im Allgemeinen über das vorfiegende Buch. Rec.
will nun, theils zu Beſtaͤtigung diejer allgemeinen Betrach—
tungen mit einzelnen Beyſpielen, theild zu Derichtigung und
Eriäuterung, theils zum Lobe mander einzelnen Saͤtze des
Werf., auch etwas in das Detail der. 420 $$. gehen, aus des
nen das Lehrbuch beiteht. j
In der Einfeitung, die aus 41 66. beſteht, trägt der
Verf. mehrere Sachen vor, die man in den bisherigen Lehrs
büchern der civiliſtiſchen Litterärgefchichte nicht findet, die Man:
dem zum Theil unbedeutend jcheinen können, die es aber in
der That nicht find. Dergleichen Kleinigkeiten werden oft im
Studium jelbft fehr bedeutend, und man muß fie, wenn man
gut forttommen will, eben fo gut wiffen, als die wichtigſten
Saͤtze. Im $. 3. fpricht der Verf. von den Familiennamen
‚mehrerer Civiliften, die man gewöhnlid nur unter ihrem Las
teinifchen Namen kennt. Man koͤnnte, flatt der angeführten,
viele andere Beyſpiele geben, wo es noch ſchwerer iſt, aus
dem Lateinischen den Familiennamen, oder umgefehrt, herauss
zubringen. So hieß 5. Bd. Antonius Bengeus — Bens
gy, Aegidins Hortenfins hieß Desjardins, Celſus
Hugo Diffurug hieß De’coufu, Joh. Galli Hief Le
Coq; und fehr wahrfcheinlic, vermuthet der Verf. an einem
andern Drte (Civiliſt. Magazin III. Bd. 4. Heft. S. 440),
dag Adrianns Pulväus in feinem WVaterlande Poudreur
‚geheißen habe. S. 3 Mote ı) fragt der Verf: Mie hieß
Gutherius?, Erſt im $. 245. ©. 227 fteht die Antwort?
Bonttiere, mit der Bemerkung, daß bdiefer Mame erft
fpät von Bayle aufgedeckt worden fey. Verſchiedener ift wohl
noch fein Name gefchrieben worden; Goutier, Suthier,
Sutieres, Soutitre, Gouthier Guthierres,
418 Lehrbuch der civiliſt. Litterärgefchichte v. Pr. R. Hugo,
Guthierre, Gouthierre. Diefe-d verfchiedene Namen ges
ben ihm feine Sandeleute felöft. Der Verf. ſchreibt aber den Nas
men doch nicht richtig, und wie ihn Bayle (Dictionnaire
bistorique et critique, Tome ‘II. Edit. Amstel. 1740, p.
Bıı. col. 1. note 114.) angibt; denn Bayle fchreibt Gous
tiere, der Verf. hingegen Gouttiere. Auch in den Let-
tres choisies de Mr. Bayle, Tom. II. Roterd. 1714. p. 709
fteht folgende Bemerkung: „J'ai rencontre depuis peu dans
T’Histoire de Bresse de Guichenon le nom fran-
gois de cet Ecrivain. C'est Goutiere, Il etoit grand
Humaniste, et illustroit ‘par la plusieurs passages du
droit,“ S. 5 Note 6. fragt der Verf.: Welcher Name ift
der mwichtigfte bey Viglius Zuichemus ab Ayta Frisius ?
Er läßt diefe Frage unbeantwortet, aber da er ihn gewöhnlich
Zuihem nennt (f. das Negifter S. 427 $. 4. $. 110.
Note 3, $. 112. $. 101. Note 8. $. 124. Mote 1. $. 195. im
Terte und in der Mote 1. $. 148. Mote ı.), fo fcheint er dies
fen für den wichtigern zu halten. Dieſes ift aber nicht richtig;
denn der wichtigere und der Familienname ift ab Aytta, meil
der Vater des Viglius fich bloß Folcardus ab Aytta, ohne
‘den Beyfaß Zuichemus. nannte. Biglius war alfo ber
Vorname, ab Aytta der Familienname, Zuithemus ift ein
DBeyfak von dem Drte Zuihem, wo, nah Martiniere,
Viglius gebohren, und der, nad Andern, zugleidy ein alt
vaͤterliches Famtliengut war; und Frifius wurde er von der
Provinz Friesland genannt, worin Zuihem lieg. Martis
niere nennt ihn daher richtig, nad feinem Bors und Zunas
men, nur Viglius ab Aytta. Auch fein Landsmann, Ulrich
Huber, hält den Namen ab Ayta für den wichtigern und
Familtennamen (Opera minora et rariora. Trajecti ad
Rhenum 17/6. 4. p. 126) und den Beyſatz Zuichemus nur
für einen Beyſatz, der den Geburtsort beftimmen fol; fo wie
er an demfelben Orte und in derfelben Linie den Joachim
Hopper Snecanus, von feinem Geburtsorte Sneek, nennt.
Die Sefhichtfchreiber übrigens, wie Bentivoglio, Wats
fon und Andere, nennen ihn gewöhnlich nur mit feinem Vor—
namen Viglius, mie aber nennen fie ihn Zuichemus. So
wenig man bey Rofredus den Beyſatz Beneventanus, bey
Lehrbuch der civiliſt. Litterärgefchichte v. Pr. R. Hugo. 119
Pet. Gregorius ‘den Beyfak Tholofanus, bey Theodos
sus Adamäus den Beyfak Sualembergius, ‚bey Hopper
den Beyſatz Snecanus für den wichtigern Namen halten kann,
eben fo weniz darf man auch den Beynamen Zuichemus bey
Viglius ab Aytta für den mwichtigern halten. — Daß
auch die Vermoͤgensumſtaͤnde nicht felten auf die litterarifche
Wirkſamkeit Einfluß haben, wie der Verf. $. 5. bemerkt, ift
nur allzuwahr. Alciati wollte das ganze Corpus juris gloffis
ren; aber der Krieg fchmälerte feine Einkünfte; er mußte
advociren und Gutachten ftellen, und fo unterblieb diefe nuͤtz⸗
lihe Arbeit (f. Alciati Epistola Francisco à Turnone in-
scripta opp. Tom. J. praefixa p. 2). Die Armuth iſt eine
Krankheit, von der die Gelehrten felten geheilt werden; auch
die Juriſten konnten dem bekannten Joh. Pierio Wales
riano manden Beytrag zu feinem Bude: de infelicitate
litteratorum liefern. — In dem Sage, daß die Aenderung
der Srundjäge der Schriftfteller oft fehr bemerkenswerth fey,
($. 10.) lieferte wohl in neuern Zeiten der Baron von Fonts
Heim das merfwärdigite und auffallendfie Beyiptel. — Wenn
der Bf. ©. 8 6. 13. Mote 3. ſagt, Sehr oft werde Fattos
rini ſtatt Sarti unrichtigerweife genannt, fo iſt hiebey zu
bemerken, daß man eigentlih bey dem Werke: de claris
Archigymnasii Bononiensis Professoribus beyde, Sarti
und Fattorini, zugleih nennen follte; denn der erftere
ſtarb, ehe er auch nur den erftien Theil vollendet hatte, und
der leßtere mußte audy in diejem eben deswegen noch an fehr
vielen Orten nahhelfen. Uebrigens nennt der Verf. ( ©. 33
Note 5.) felbft den Fattorini flatt Sarti.
Schr richtig fängt der Verf. im $. 3g. eine eigene Periode
in juriftifher Hinfihe mit Polizian an, ungeachtet Coras
(Miscellanea ) behauptet, er habe von dem Roͤmiſchen Rechte
nichts verflanden, und ungeachtet auh Alciatus mit einer
gemachten Gefhichte deffen Ignoranz, als Nechtsverftändiger,
glaubwürdig mahen wollte. — Mon $. 42. bis $. 88. bes
nußte der Verf. beynahe immer Sarti’s und Fattorini’g
bereits angeführtes Wert, ohne es Übrigens viel zu nennen.
Man fieht überall, daß es der Verf. emfig fludirt, und faſt
allein zum Grunde gelegt hat. Diefes Werk iſt als der befte
420 Lehrbuch der cibiliſt. Litteraͤrgeſchichte v. Pr, R. Hugo.
Commentar zu den fragmentarifchen und oft dunkeln Stellen
des Buches anzuſehen. Wo vom $. 42. bis $. 80, eine Stelle
raͤthſelhaft iſt, da darf man nur dieſes Merk nachſchlagen;
man findet da immer dasjenige hell und deutlich vorgetragen,
was in dem Buche des Verf. dunfel if. Sarti's und
Fartorini’s Merk geht aber nur bis zu Dinus Mugel—
lanus, alio bis zum $. 88. des Lehrbuches. Von hier an
muß fodann Tiraboſchi zu Hülfe genommen werden. S. 16
$. 31. fpricht der Verf. von Diplovataccius md Pans
zirolfus. Es ift am fich ganz gleichgältig, ob man einen
Schriftſteller mit feinem vaterlaͤndiſchen oder mit feinem Pateis
nifhen Namen nennt; aber da der Verf. in der Regel immer
das erftere thut, fo erfordert es die Gleichförmigkeit, daß es
überall gefchehe. Deswegen follte Diplovatazzi, Pans
zirolli, Alciati (©. ı6 und ©. 106), Sigone, Gem
tilt (S. 30 und 128. ©. 164. 190. 191), Ferretti, nidt
Ferret (©. 102), Pietro Vettori, flatt Petrus
Victorius (S. 127 $. 140.), Aldo Manuzio (S. 127
$. 141.), Matheo de Afflitto (S. 90 $. 113,), Ays
mar du NRival, flat Aymar NRivallius (S. 146
8. 166.), Baron, flatt Baro (&. 178), Cafaubon,
ſtatt Cafaubonus ($. 194.), Broe flatt Broeus (©.
229), Giuſephe Tofcano Mandatorizgo, flatt Tofs
cani Mandatorizzi (S. 535 6. 349.), Gentien
Hervet, ſtatt Gentianus Hervetus (S. 120), Bone
oder Bouerry, ſtatt Boerius (S. 108), Rouſard, ſtatt
Ruſſard (S. 158), Roncagallo, ſtatt Ronchegal—
lus (S. 91), Juſtel und Voel, ſtatt Juſtellus und
Voellus (8.256) u. ſ. w. in dem Lehrbuche ſtehen. —
Gegen $. 46. Note 2. ©. 31 iſt zu bemerken, daß ſchon vor
Mosheim und Spittler, und ſogar gleich unmittelbar
nad) Erfheinung des beruͤchtigten Buches des Alex. Macs
chia velli, im J. 1726 dieſes in Italien ſelbſt große Wi—
derſacher gefunden Habe, und daß, auf Macchiavelli's
Bitte, der Doctor Giuſeppe Pozzi di Jacopo, ein
munterer und ſpaßhafter Mann, eine nicht ernſtlich gemeinte
Vertheidigung des Calendarium verfaßt habe. Fantuzzi
kannte wohl ſchwerlich Spittlers Abhandlung, wenigſtens
Lehrbuch der: civiliſt. Litteraͤrgeſchichte v. Pr. N. Hugo, 121
gitirt ser fie nirgends. — Wenn der Verf. (S. 31 More 3.)
bemerkt: „Von dem Anfarae des zweyten Bandes des MWers
tes: ‘de claris archigymnasii Bononiensis professoribus,
ift nichts in den Buchhandel gekommen; es eriffive aver mes
nigftens ein Eremplar davon in Deutfchland,“ fo weiß Ree.
nicht, wozu diefe Bemerkung nüßen foll, und warum der
Verf. nicht lieber geradezu gefagt hat, wo es exiſtirt. Diefes
ift gerade, als wie oft Leute fagen: Ich weiß eine Meuigkeit,
aber ich fage fie nicht! Lieber nichts ale fo geſagt! Warum
die Neugier Anderer vergeblidy reizen? Warum eine Sache
als wichtig behandeln, die es nicht ift, und die man, ohne
alles Nachdenken, bloß hiſtoriſch, entweder durch Leien, oder
mündlihe Tradition, erfährt? Diefe Bemerkung des Verf.
erinnert an den casus unus des $. 2. I, de Actionib., wor⸗
über fi ſchon fo viele Gelehrte die Köpfe zerbrochen Haben,
und wegen deffen dem Tribonian fihon fo viele Vorwürfe
gemacht worden find. — Gegen S. 56 Note 5. ift zu benters
ten, daß Fattorini und Sarti von der Gefchichte mit
den zu Amaffi von den Pifanertt gefundenen und von Lothar II.
. beitätigten Pandekten doch deutlich genug ſprechen, indem biefe
gleich auf der 2. Seite $. 5. eine fabula genamnt wird. —
Der $. 48. ift in einem hoͤchſt befchwerlihen Style: abgefaßt;
ec. glaubt nicht, daß irgend Jemand, dem diefer $. vorges
lefen wird, feinen Inhalte würde faffen köͤnnen. — Bey $. 56.
Note ı. ©. 45 hätte Sarti Tom. I. p. 52. $. 10. ange:
führe werden follen; denn fo, wie die Note fteht, muͤſſen
diejenigen, welhe Sarti’s Werk-nicht kennen, glauben, der
Verf. habe diefe Entdecfung gemacht. Alkein auch Sarti ift
nicht der erfte Entdecker; denn fhon Duck (de auctorit. jur.
civ. p. m. 359. et 360.) hat eben fo interpungirt; und auch
Terraſſon (Histoire de la jurisprudence romaine p. 429)
bemerkte, daß Selden den Rogerins mit dem Vaca—
rius verwechfele. — Im $. 56. bemerkt der Verf., daß das
Compendinm des Bararius-äber das Roͤmiſche Recht nicht
bewiejen ſey. Sarti tft zwar - allerdings ( Tom. J. p. 54)
dagegen ; aber feine Gründe find nicht flarf genng, um den
Glauben an das Chronicon Normannicum zu vermichten.
Das Breviarium, oder die Excerpti de codice et digestis
422 Lehrbuch der eivilift, Litterärgefchichte v. Pr. R. Hugo.
novem libri, wovon die Normannifche Chronik fpricht, ext
flirten gang gewii, was auch Sarti dagegen fagen und für
Zweifel und Hypotheſen erheben mag. Dec. beruft fih, und
zwar, foviel ihm bekannt ift, zuerft auf ein Dokument, das
‚alle diefe Zweifel auf einmal vernichtet, nämlich auf die Man-
. tissa de libro rarissimo, Bibliotheca Ant, Augustini, Tar-
waconensis Antistitis, die ®ebauers Narratio de Hen.
Brenckmanno. Goettingae 1764. 4. angehängt if. In dies
fer Mantissa fteht (©. 197 Nro. 380.) folgendes Buch, als
‚in der Bibliotheca manuscripta latina A. Augustini befinds
dich: „Incerti auctoris breviarium, sive excerpta ex enu-
-cleato jure Digestorum et Codicis, pauperibus Anglicis
destinata, ac novem libris comprehensa. Regulae juris.
Liber in membranis annor. CD. forma folii.“ Diefes ift
nun ganz zuverläifig daffelbe Buch, von dem die Normannifche
‚Chronik fpriht. Wenn nun ihre Angabe von der Exiſtenz defs
felben richtig ift, warum follte die Angabe von dem Verfaſſer
deffelben weniger glaubwürdig feyn? And wenn, in der Bi-
bliotheca .manuscripta A. Augustini, ‚der dort befindliche
Koder auf ein Alter von 400 Sahren, im Jahre 1566, wo
dieſe Mantissa zu Tarragona gedruckt wurde, gefhägt worden
iſt, fo. fällt. deffen Werfertigung gerade in das Jahrhundert
‚und in die Zeiten, wo Bacarius, nah der Normannifchen
Chronik, lebte; und alfo wird eben dadurch die Angabe diefer
Chronik, auch in Adfiht auf den Verf. des Breviarium, noch
weiter beftätiget. — Die Bemerkung, welche der Verf. im
6. 63. gegen die große Menge von Zuhörern des Albericus
macht, hat feinen hinreihenden Grund, weil nah Odofres
dus, die Scholae S. Ambrosii, in denen Albericus lag,
ampla conclavia prope $. Ambrosii ecclesiam waren,
ubi ab antiquiori tempore populi Bononiensis conventus ha-
beri solebant, et à magistratihus urbanis jus dicehatur,
antequam Bulgari aedes ad id fuerint delectae (Sarti
et Fattorini Tom. I. P. J. p.62 q. 2.). — Bey Azo
($. 68.) wäre auch noch zu bemerken geweien, daß zu feinen
Zeiten die fogenannten Concurrentes oder Antagonistae ents
fanden find, von denen wir in den Schriften der Altern Ita—
lienifchen Szuriften fo vieles lefen,. die fo oft den Metteifer,
x
Lehrbuch der civiliſt. Litterärgefchichte v. Pr. R. Hugo, 123
Neid, Haß und: Sturz berühmter Profeſſoren verurfachten,
diefen recht eigentlich zur Qual und zum Aerger beygegeben
waren, ihren Fleiß und Eifer immer in der unangenehmften
Spannung erhielten, und ihnen Sehr oft ihr langes, Anfehen,
ihren alten Ruhm, ihre Ruhe, Ehre, und das ganze Gluͤck
ihres Lebens raubten. Ein folder Concurrens mufite mit dem
Profeffor in derfelden Stunde und Über denfelben Text lefen.
Nach der Lertion trat er mit. ihm auf den öffentlihen Kampf
plag , in Gegenwart aller Zuhörer von beyden Theilen,. und
diſputirte mit ihm über die in der Lection abgehandelten Artis
fel und Streitfragen. _ Hier fuchte er nun mit allen Stadeln
feines Scharfſinns und Witzes auf den Profeffor zu ſtechen,
diefem eine tödtliche Wunde um die andere beyzubringen, ihn,
mit allen Runfigriffen der Dialectif, aus der Fafung zu brins
gen und in die Enge zu treiben, mit feltenen Terten zu übers
raſchen, mit- ganzen Colonnen von, Authoritäten zu belagern,
fur, mit allen. Waffen der höhern und niederern Seelenfräfte,
der ſchwerern und leichtern Gelehrſamkeit, ſelbſt der Arglift
und Chikane, gegen ihn Sturm zu laufen, und ihn dem Ges
fpötte, dem Gelächter und der Verachtung eines jugendlihen
und muthwilligen Nuditortums preis zu geben. Dieſe Difpus
tationen waren gelehrte Haken, zu denen ſich aydy der wuͤr⸗
digfte und gravitätifchhte Profeſſor primarius, zur großen
Beluftigung des jungen juriftifhen. Anfluges, nolens volens
hergeben, und wobey er fid ſehr häufig proftituiren laffen
mußte. Die muthigern Concurrenten erlaubten fi nicht felten
die ausfchweifende Freyheit, Terte zu erdichten und herabzus
fefen , die nirgends eriftirten, nur um den Primarius in eine
augenbfickliche Stockung zu bringen, und die ehrerbietigen
. Schüler ermangelten in folchen kritiſchen Augenblicken nicht,
ihren Lehrer aus vollen Haͤlſen auszuladıen. ‚Die rudigften
nnd gelaffenften Primarii, melde, nad ihrem Naturell, nur
zu einem ftillen und fanft hinfließenden Leben Hang hatten,
mufiten fih Gewalt anthun, aus den Schranken ihrer Natur
mit Gewalt hervorbrehen, ihren Tharafter verleugnen, ſich
mit dem größten Widerwillen in das ganze Meer von Labalen,
Kniffen und Chifanen fiärgen, in dem der unruhige Kopf,
wie in feinem Elemente, lebt, und, bey den fanftefien Ges
124 Lehrbuch der civiliſt. Litterärgefchichte u. Pr. R. Hugo.
mütheanlagen, fi troß den händelfüchtigften und zänkifchften
Menichen, troß den tollften Brauſekoͤpfen, benehmen. Sie
mußten fih erniedrigen, Partheyen unter den Studenten zu
bilden, und diefe felbft mit Gelde auf ihre Seite zu ziehen
traten. Dev Sieger wurde meiftens von den Studenten,
wie im Triumphe, nach Kaufe begleitet. Diefe Sitte wurde
von Italien auch nad Frankreich verpflanzt, und Bartolus
(ad L. ı. $. divus etc, n. ı2. D. de var. et extraord.
cogn.) fpricht von einem folchen gelehrten Kampfe, der zu
Toulouſe zwiihen dem Profeſſor primarius, Guilielmus
a Sunio, und feinem Concurrens, BDeltrandus de
Monte Faventino, nah dem Jahre 13540 Statt hatte,
Aber in Italien hielt fich diefe Sitte weit länger. Sehr oft
endigten fich diefe gelehrten Fehden mit Injurien von beyden
Seiten, manchmal fogar mis Thätlichkeiten. Den Carolus
Ruinus, der doch fchon vorher einen ehrenvollen Kanıpf mit
dem gefltrchteten Jaſon in Padua beftanden hatte, jagte
einmal fein Concurrens, Franciscus Parmenſis, bloß
durch ein fanftes Lächeln, fo ſehr in die Hitze, daß er in den
Heftigften Zorn ausbrach, und fih allen Ausfchweifungen einer
gügellofen Rede ohne Scheu uͤberließ. So wie fih gemeinigs
lich die Unverfhämtheit des Lebens unvermerkt aud) den Mers
ten der Schrififteller mittheilt, fo waren oft auch die Schriften
jener Zeiten der Abdruck jener mnanftändigen Kämpfe. Mans
cher Primarius, der in der Difputation von feinem: im Ganzen
minder geſchickten Coneurrens, durch einen gluͤcklichen Einfall,
oder einen liſtigen Kunftgriff, in. die Enge getrieben wurde,
ſuchte ſich nachher, in einer Schrift, zu rächen, umd die vers
biffene Wuth gegen feinen Gegner auszulaffen.” Ganz gewiß
waren die Machtheile diefer Sitte größer als die Mortheile:
eben deswegen kam fie auch allmählig außer Gebrand. — Su
die zweyte Periode von Irnerius bis Accurſius gehören
auh noch Jacobus Colombinus, der berühmte Feudift,
der Engländer Stephan Langton, der Frangfe Guy
Foucaut, nahher Pabſt Clemens IV., und der, durch
mehrere gefhäßte Schriften bekannte, Pabft Innozenz IV.
— Bon $. 75. bis 85. ſtehen fehr gute allgemeine Betrachtuns
gen Über die dritte Periode, von Accurfius bis Bartolus,
Lehrbuch der civiliſt. Litterärgefcehichte v. Pr, R. Huge, 125
meiftens aus Sarti’s und Fattorini’s Werke genommen.
Diefe Periode zeigt uns herumirrende Profeiforen , welche ans
fehnlihe Summen , aus den Beyträgen ihrer Schüler, ziehen.
Die Iuftige Stelle des Odofredus (S. 56 Not: 2.) if
aus Sarti T. J. P. I. p. 150 Mote a) entlehnt. Wenn der
Verf. hier behauptet ($. 75. Mote2.), das Verhaͤltniß zwis
fhen lectio ordinaria uno extraordinaria, in der ‚dritten
Meriode, fen jet nicht mehr ins Klare zu feßen, und es jey
wohl .nicht dasjenige, wie nachher zwifchen einem Publicum
und Privatcollegium geweſen, fo ift Rec. nicht diefer Meys
nung, weil es ſich beſtimmt bemweifen läßt, daß, auch in der
‚dritten Periode, lectio ordinaria und extraordinaria ſich
bloß dadurch unterſchieden, daß diefe von den Zuhörern bezahlt
werden mußte, jene ‚hingegen nicht. Schon die Stelle des
Ddofredms, weihe Sarti und aus diefem der Verf. (S.
56 Mote 2.) anführen, leidet fchlechterdings keine andere Erz
klaͤrung; aber noch viel deutlicher erklärt -fih derfelbe Odos
fredws hierüber an einem andern Dvte, nämlidy in Pro&mio
Pandect. in princ. n. ı1. Was den Zweifel betrifft, den der
Verf. hierbey äußert, daß nämlich ‚die Lehrer keine Gehalte
hatten, fo wußten ſich die: Profefforen recht gut und fchlau zu
heifen; denn von Irnerius an, dem feine Nachfolger recht
gerne folgten, lafen die Profeffoven der Irneriusſchen ‚Schule
Öffentlich und umfonft nur über das Digestum vetus und den
Codex; die andern und zwar die bey weitem michtigeren
Theile, mimlich das infortiatum und novum, erklaͤrten -fie
privatim und gegen Bezahlung. Diefes fagt Odofredus
ausdruͤcklich Comment, ad L. ult. D. de divort. num, ult,
und es ift bekannt, daß dieſer Nechtsgelehrte den Urſprung
und die Befchaffenheit der Irneriusſchen Schule, deren IeKter
Sproͤßling er felbft war, am beften von Allen kannte, und
daß wir beynahe Alles, was wir von ihr wiffen, nur durch
ihn wiffen. Auf diefe Art zwangen die Profefforen ihre Schuͤ—
fer auf indirecte Weiſe, ihre Privatcollegien zu beſuchen, und
jeder Student war: genöthtget, dem Profeffor ‚eben fo gut. zu
opfern, als wenn er publice gar nicht .gelefen hätte. Denn
weicher Schäler Hätte nur einen Theil, mit Hiutanfeßung der
zwey andern Theile der fo Hoch verehrten ‚Digeften, ‚hören
126 Lehrbuch der civiliſt. Litterärgefchichte v. Pr. R; Hugo.
mollen? Und was lag dem Profeffor daran, wenn er für das
Privatcollegium recht gut bezahlt war, was, mie wir wiffen,
geihah, ob er für das Publicum Über das vetus etwas oder
nichts erhielt? Er war für das letzte ſchon in dem erſten,
wo nicht dem Namen, doch der Sache nah bezahlt. Wer
weiß, ob nicht aus bloßem Eigennuß die Eintheilung und Abs
fonderung in Digestum vetus, infortiatum et novum fo
lange und fo religiös beybehalten worden ift. Auch wiſſen wir
nicht, ob die Profefforen der Seneriusfhen Schule, fo lange
fie feine Gehalte vom Staate hatten, nicht wenigftens andere
Vortheile genoffen, die fie mit einem Publicum, das fie ums
fonft laſen, gerne vergalten. Auf jeden Fall fanden fie in
dem großen Anfehen und der Ehre, die von ihrer Stelle auf
fie ſelbſt zurücfiel, verbunden mit dem Rechte, auch Pris
vatcollegien”zu lefen, und, mit diefen, den Beuteln der tus
denten zuzufeßen,, eine veichliche Entfchädigung daflr. Das
Infortiatum mußte ihnen befonders ein wichtiger und Lieber
Name feyn, weil er die Grenze bezeichnete, wo fie, auf dem
großen Wege der Digeften, anfingen, auf Rechnung der Stus
denten zu reifen. Wenn Ddofredus, in feiner Antändis
gung, drollig genug fagte: Extraordinarie non credo legere,
quia Scholares non sunt boni pagatores, fo war dieſes
eine weder ernſtlich abgefaßte, noch ernftlich gemeinte Diohung,
bey der er darauf rechnen fonnte, daß fie ihre Wirkung nicht
verfehlen, daß die Studenten in fih gehen, und, um feines
Unterrichts nicht beraubt zu werden, das Honorar entweder
anticipiven, oder den nefchäßten Lehrer wenigftens volltommen
fiher ftellen würden. Non credo legere ift weit weniger als:
non legam ; jenes ift, fo zu fagen, eine Ernladung zu Pers
fuaforien ; und welche Periuaforien die ficherften jenen, gab
O dofredus durd, fein angeführte Motiv deutlih zu ertens
nen. Hätte er aber auch feine Drohung ausgeführt, fo wiſſen
wir ja nit, ob er nicht in LUmfländen war, die ihm wohl
erlaubten, sine folche Probe zu machen, oder ob er nicht auf
irgend eine andere Art eben fo viel, als durd ein privatum
verdienen konnte. — Bey der dritten Periode hätte auch bes
merft werden können, daß fchon in diefen Zeiten die Subeilis
täten und Neuerungen die Manier waren, wodurch fih ein
Lehrbuch der civiliſt. Litteraͤrgeſchichte u, Pr. R. Hugo. 127
Mrofeffor vor dem andern auszugeichnen fuchte, daß diefe Herrn
mit einander oft auf eine nicht fehr wuͤrdige Art wetteiferten,
ja daß fie fih manchmal feldft fo weit vergaßen , ihre Körfäle
aud mit ihren Bedienten anzufüllen. — Daß Accurfius,
wie der Verf., der gemeinen Meynung gemäß, im $. 83. bes
haupter, ſich fpär zur Nechtsgelehrfamkeit gewendet habe, iſt
nicht nur fehr unmwahrfcheinlih, fondern auch beſtimmt unrichs
tig, und durch zwey glaubwuͤrdige und ſehr alte Schriftſteller
des XIV. Jahrhunderts, naͤmlich den Philippus Villa—
nius und Domenicus Bandini, widerlegt. Sarti
hat, aus einem handſchriftlichen Codex der Barberiniſchen
Bibliothek, einen Auszug aus dem Villanius (Tom. J.
P.2. p. 202.), und, aus einer Waticanifhen Handichrift,
einen Auszug aus Bandini (T.I. P.2. p. 205.) gegeben,
welche diefes außer Zweifel fegen; und er felbft, auf diefe
großen Authoritäten gefläßt, und die gemeine und unwahrs
fheinlihe Meynung für eine Fabel ertlärend, fagt- bes
fimmt (T. J. P. ı. p. 137 et 158. $. V.) von Accurfius:
„A prima aetate literis se dedit, et mira temporis brevi-
tate artes liberales didictt, Mox ad jus civile se con-
tulit in tenera adhuc aetate, à quo Studio nnnquam
deinceps discessit.“ — Cynus von Piftoja ($. 88.) ift
ein als Rechtsgelehrter und Dichter gleich merkwuͤrdiger Mann.
Noch vor Docaccio, nämlih zu Dante’s Zeiten, fchrieb
‚er Gedichte, welche verdienten, feldft von Petrarca, ber
ihn gleihfam als feinen Lehrer anfah, gelobt zu werden. Er
lebte, ftudirte und lehrte zu Bologna die Rechtsgelehrſamkeit,
und wurde in Rom Benfiger Ludwigs von Savoyen, der das
ſelbſt Senator und gleichfam Stellvertreter des Kaifers Heinrich
VII. war. Der $. 88. ift ein auffallendes Beyſpiel eines ges
fuhten und abſichtlich dunkeln Styls. „Linus aus Piftoja,
über deffen Verhältnig zu Perrarca und Boccaz bey Panzirof
(Panzirolli ) ein hoͤchſt unhiftorifches Gemählde, und feitdem
nod ein Betrug von Doni vorfommt. Er ftarb 1356 oder
1541.“ So lauter der ganze Artikel von Cynus. Was
fann ein folher Artikel in der Seele des denfenden Leſers zus
rücklaffen ? Wozu diefe gefliffentlihe Unverſtaͤndlichkeit! Warum
follen fich die Lofer ohne alle Noch die Köpfe zerbrechen ? Wo
4128 Lehrbuch der eivilift, Litteraͤrgeſchichte v. Br R. Hug
ſollen fie erfahren, in was Don i's Betrug beſtand? Warum
ſollen fie eine Sache errathen, die der Verf. kurz vorher viel
leicht ſelbſt nicht wußte? Warum verweiſ't der Verf. nicht
redlich auf Tiraboſchi (Tom. V. p. 265), woraus er die
ganze Sache genommen hat? — In der Mote ı. zum $. 88.
kommt fogleich wieder ‚ein ganz ähnliches Manoeuvre vor. Dieie
Mote lautet wörtlich fo: „Er (Linus) wird pft bey einer
Stelle aus Cajus angeführt, die er aber von Jacobus a
Ravanmis hatte, und diejer Hatte fie wahrſcheinlich nur aus
Boethius.“ Mas joll abermal diefes Raͤthſel von Anmers
kung? Warum will der Verf. abermal die guten Lefer rathen,
und im gangen Cajus fuchen laffen, wo er fie doch nur mit
zwey Worten auf die, fonft nur mit der größten Mühe zu
findende, Stelle verweifen konnte? Warum gibt er ſich die
Miene des Urhebers diefer fehr richtigen Bemerkung ? Warum
fagt .er nicht. vedlich, daß fie einzig und allein dem. gelehrten
Schulting angehört, aus dem er fie genommen hat ?
Wie weit befcheidener, anfpruchslofer, redlicher, deutlicher,
Schöner, und fogar noc weit kürzer ſagt hier. der vortreffliche
KHaubold (Institut. jur. rom, litter. $. 24. nota c.):
„De Cajo ex Cino restituto vid. Ant. Schultingius Ipd.
Antej. p. 54?“ Mit diefen wenigen Worten weiß Jeder fos
gleich Beſcheid; Jeder weiß fogleich, wo er fid weiter unters
richten kann, während die Leier des Pehrbuches des Verf. mit
unerträglihem Zeitaufwande alle die vielen Moten zu Cajus
durchblättern muͤſſen, um eine zwar richtige, aber nit fehr
wichtige Bemerkung zu finden. Offenbar hat auh nur die
Hauboldihe Mote den Verf. zu der feinigen veranlaßt;
aber, weil er die Bemerkungen Anderer nie mit ihren Worten
wieder zurück gibt, und weil fein Styl das Matürliche nicht
liebt, fo häflte er die fhöne Einfalt der Hauboldfchen Mote
in eine gefuchte Dunfelheit, wobey man nidht umhin kann,
ftet8 an das Duintiliantihe: „qui, ut aliquid novi afferre
videantur, etiam meliora mutant“ zu denken. —
(Die Fortiegung folgt, )
— Henn
No.: 9. Heidelbergiſche 1813.
Jahrbuͤcher der Litteratur.
Du“
Lehrbuch der civiliſtiſchen Litteraͤrgeſchichte vom Prof. Ritter Hugo
in Göttingen.
( Sortiegung der in No. 8. abgebrochenen Kecenfion, )
J. die dritte Periode gehoͤren auch noch Oldradus de
Ponte, Schuͤler des Dinus, Guilielmus de Manda—
got, Verfaſſer des VI. Buches der Dekretalen, und die fünf
Profefforen zu Touloufe, Jatobus de Arenis, Suiliels
mus de Montelauduno, Gencelinug, Lucas de
Penna, Suilielmus de Cuneo. — In der Charakter
riftit der vierten Periode, von Bartolus bis auf Polis
zian ($.91.), hätte vorzüglich bemerkt werden follen, daß,
neben der Dämmerung in der alten Litteratur, in diefer Periode,
zugleich jene eckelhaften dialectifchen Streitigkeiten, Unterfcheis
dungen und Weitfhiweifigkeiten, und kurz alles das, was die
fhönen Beifter an die Thüre des Tempels des Gefhmades
verweifen,_aufgefommen find, und zum großen Schaden des
gründlichen Studiums des Roͤmiſchen Rechts, nur allzulange
die ſchoͤne Wiſſenſchaft diefes Nechts verunftaltet urd verwirrt
haben. Der Urfprung jener unzähligen und unnügen Fragen,
welche die Schule befchäftigten, die Wiffenichaft zu einer uns
fruchtbaren Cafuiftit herabwärdigten, und jene unermeßlichen
Bände hervorbradten, welche fie in den folgenden Zeiten fo
verächtlich gemacht Haben, muß vorzüglich in diefer Periode
gefucht werden. Wielleiht könnte man behaupten, daß Mangel
und Ueberfluß an Büchern zugleich zur Weitläufigkeit der Werte
der fcholaftijchen Juriſten diefer Periode beytragen konnte.
Diefe traten auf die Schaubühne der gelehrten Welt, um zu
einer Zeit, wo die Bücher, in Vergleichung mit den fpätern
Zeiten, noch felten waren, eine allzubedeutende Rolle zu ſpie⸗
len. Sie glaubten Alles ſagen zu muͤſſen, weil die meiſten
Leſer, die keine oder nur ſehr wenige Buͤcher hatten, Alles
9
430 Lehrbuch der eivilift. Litteraͤrgeſchichte v. Pr. R. Hugo.
neu war; fie wollten als Vielwiſſer, Entdecker und fcharffinnige
Dialectiter angefehen ſeyn, fie beſaßſen das große Geheimniß
nicht, nur das Wichtige auszuheben, fie fagten zuviel, und
wurden fade, ſchwuͤlſtig und eckelhaft. In Vergleihung mit
den frühern Zeiten hingegen, und namentlich in Wergleichung
mit dem Zeitalter von Irner ius bis Accurfius, waren
nun fchon fehr viele Bücher ihrer Vorgänger in ihren Händen,
und, mit diefen, bereits eine Menge controverfer Rechtsſaͤtze
und Mennungen der Doctoren im Umlaufe. Diefe gaben
ihnen Selegendeit zu langwierigen Unterfuhungen und zu wies
der neuen Mepnungen, die fie eben fo breit, und mit eben
den langweiligen Umſchweifen darlegten, durch die fie dazu
getommen find. Wenn die Schrififteller der frühern Periode
nur felten und mit wenigen Worten Andere citirten, fo fing
jest fhon Bartolus an, Authoritäten mit reicherer Hand
auszuftrenen, und feine Machfolger wußten bald kein Ziel und
Maß mehr zu ‚beobachten, fie führten ganze Laftwägen von
Allegaten herbey, und verfchangten die gemeinften und unbes
deutendften Pläßge mit einer ungeheuern Wagenburg von Citas
ten. Sie erflärten nunmehr nicht fowohl die Geſetze, als
vielmehr bloß die Meynungen ihrer Vorgänger; die Geſetze
waren von der Laſt der Meynungen unruͤhmlich niedergedrückt,
und von dem dichten Staube bededt, den die Schule und die
Heerden von Meynungen der Doctoren erregt hatten. — Die
Mote 1. zu $. 94: (©. 75) ift abermal auf geſuchte Art duns
tel. Sie lauter fo: „Auch gegen Laurentius Valla fol
die Lex quinque pedum (c. 5. C. 3. 39.), die ſchon viel
früher bey Abelard (wahrfcheinlic einer Verwechfelung mit
Bailardus) vorkommt, gebraucht worden feyn. Er babe
fi) darauf berufen, mander Surift verfiche die Ufucapion
nach den XII Tafeln nit.“ Was follen die Lefer mit diefer
Mote, die fie nicht verftehen können? Warum gefiel es dem
Verf. nicht, ihnen eine unnöthige und unnuͤtze Mühe durch
ein Meines Eitat von einer Linie, etwa nur duch: Alcıat
de 5. ped. praescript. liber. n. ı. et 77. (In opp. T. III.
p- 596 et 605) zu erfparen, und, zum richtigen Verſtande
der Parentheſe, Sarti Tom. I. P. 1. p. 49. $. 1. anzuführ
ven, aus dem dieſe genommen it? Warum der Verf. im
Lehrbuch der civiliſt. Litterärgefchichte v. Br. N. Hugo. 131
. 100. Note 3. (S. 79) den fo "verdienten Hom mel bes
wegen uͤber die Achſel anſehen will, weil er kurz uͤber den
theologifch » juridiſchen Proceß des Bartolus geſprochen hat,
weiß Rec. ſich nicht zu erklaͤren. Dieſer Proceß iſt eine fo
auffallende und aͤrgerliche Erſcheinung in der gelehrten Weit,
daß man noch jetzt mit dem wahren Motiv des Verf. nicht
recht im Reinen iſt, daß man nicht weiß, ob man ihn als
die Wirkung einer ausfchweifenden oder zerruͤtteten Einbildungs⸗
kraft, oder der Spätterey und Srreligion des Verf. anfehen
fol, und dag man nicht begreift, wie ein Schriftfteller des
XIV. Sahıhunderts es wagen durfte, ein fo unanftändiges
Buch zu fehreiben, worin, die ehrwürdigften Namen mißbraucht
und dem Teufel entgegen ‚geftelle. werden, um den Lefern den
Civilproceß zu erklaͤren; morin Maria heidnifhe Gefege
citirt, um das menfchlihe Geſchlecht gegen: die Angriffe des
Satans zu verwahren, und worin gegen die gemeinften Ber
griffe ſo ſehr augeſtoßen war, daß der boͤſe Feind erft im
Jahre 1511 zur ewigen Verdammniß verurtheilt wurde. Wenn
ſehr berühmte Gelehrte, ein Bayle, Marchand, und auch
der Advokat Terraſſon, nebſt noch vielen Andern, noch
von Niemand daruͤber getadelt wurden, daß ſie weitlaͤufige
und umſtaͤndliche Unterſuchungen hieruͤber angeſtellt haben, ſo
wird man dem verdienten Hommel wohl auch eine kleine
Octavſeite verzeihen, die er dieſem Gegenſtande gewidmet hat.
— Die Anmerkung über Baldus ($. 101.), daß das Geld,
welches diefer Juriſt mie Fideicommiffen verdient haben fol,
noch neuerlich zu Anfpielungen auf Suriften gebraucht worden
fey, muß abermal für alle diejenigen dunfel bleiben, welchen
die Schrift, woraus diefer Übrigens ganz unwichtige Umftand
entlehnt ift, zufälligerweife nicht zu Gefichte kam. Mander
Profeſſor, der über des Verf. Lehrbuch leſen wollte, müßte,
wenn er auf diefe Stelle fäme, und von feinen Schuͤlern des
fragt. würde, wo jene Anfpielungen gemacht worden ſeyen,
ohne weitere Umftände verfiummen, und feine ganz nicht ums
rühmliche Ignoranz geſtehen. Auch gehört fo ‚eine Anmerkung
gewiß nicht in einen $. eines Lehrbuches der cioiliftifchen Lirres
tärgefchichte; Hr. Haubold würde fie, nach feinem feinen
gelehrten Taste, ganz gewiß niche einmal nur In einer rote
432 Lehrbuch der eiviliſt. Litterärgefchichte v. Pr. R. Hugo.
‚aufgenommen haben. — Baldus muß übrigens am Lefen
‚and an dem: Profefforg s Leben eine Freude wie keiner gehabt
haben ; denn er; fagte (in Pro&m. Dig. $. Itayue etc. n. 9.):
Legumſdoctores in omni loco et omni tempore felices
sank. in ber Panziroktt war nicht dieſer Meynung; denn
ser feßte unmittelbar dahinter: „Quod an verum sit, ipse
widerit "Sm $. 103, ſagt der Verf. von Chriftophos
rus de Caſtighione: „Er wird als ein Neuerer genannt,
‚aber worim beſtand dies?“ Die Antwort iſt: Darin, daß
ver, nad) einer Menge unruͤhmlicher Juriſten, welche die Meys
‚nungen und: Erklärungen ihrer Vorgaͤnger Höher als die Geſetze
ſelbſt fhästen, nur jene fudirten und diefe vernachläffigten,
‚ und, was die nothwendige Folge dovon war, die falicheften
und thörichften. Säße derfelben ohne Prüfung annahmen, von
Hand zu Hand weiter gaben, und felbft in die Praxis eins
führten, wieder der erſte und hauptfächlichfte Doctor war, der,
‚mit Hintanſetzung jener albernen, gemeinen und hochverehrten
"Meynungen, ſich bloß wieder an die Geſetze ſelbſt hielt, diefe
nad ihrem wahren Sinne und aus andern Geſetzen zu erflä-
ren fuchte‘, keine erdichtete, fondern nur folhe Grundſaͤtze zu
Entſcheidung ſchwieriger Rechtsfragen anmwendete, welche in
den Geſetzen ſelbſt gegruͤndet waren, alle jene divinatoriſchen
Diſtinetionen, Limitationen, Ampliationen und Ausnahmen
von der Regel, wovon es in den Schriften ſeiner Vorgaͤnger
wirmmelte, aus den ſeinigen verbannte, eben darum den ge:
meinen Mepnungen der Suriften vor ihm, bey jeder Gelegens
heit, den Krieg anfündigte, und, weil er viel Scarffinn
beſaß, dafür eine Menge neuer Meynungen und neuer Spißs
findigfeiten aufftellte, die vor ihm Feiner auf die Bahn gebracht
‚hatte. Weil er glücklicherweife, an Raphael Fulgofius,
Raphael Cumanus und Paulus de Caftro, drey
berühmte Schüler hatte, die auf der neuen Dahn ihres Meis
fters mie Gluͤck fortwanderten, und wovon die beyden erftern
von Jaſon (ad L. ı. D. de pact.) öffentlich beſchuldiget
werden, daß fie die Schriften ihres Lehrers unter fich getheilt,
und feine Entdeckungen unrechtmäßigerweife ſich zugeeignet
haben, ſo mufte auch noch der Glanz der Schüler, was
immer der Fall ift, auf den Lehrer Strahlen zuruͤckwerfen;
Lehrbuch der civiliſt. Litterärgefchichte u: Pr, R. Hugo. 133
fo tonnten felöft die Neuerungen feinee Schüler, befonders:
wenn Jaſon's Beihuldigung. richtig war, als fein eigenes:
Werk angefehen, und fo verdiente er mit Recht, ein Neuere:
genannt zu werden. Ohne Zweifel hat diefe. nämliche Stelle des
Sajon, der nicht lange nah Caftiglione lebte, den fpäs
tern Juriſten hauptſaͤchlich Anlaß gegeben, diefen Rechtsgelehr⸗
ten einen Neuerer zu nennen, ohne ſeine Schriften ſelbſt zu
kennen. Sie lautet wörtlih fo: „Contrariam opinionem
et quidem probabiliter tenuerunt subtiles moderni, Ra-
phael Fulgosius et Raphael CGomensis, et ante eos fuit
opinio subtilitatum principis, D. Christophori de
Castiglione, eorum praeceptoris, cujus novas opinio-
nes saepe sibi adscribunt.“ Jaſon muͤſſen wir, ſowohl
wegen des Zeitalters, in dem er lebte, als wegen feiner eiges
nen Fähigkeiten, für einen competenten Michter in diejem |
Streite halten, und, auf feine*Treue und Glauben, darf nun
Caftiglione, von allen Zuriften und für alle Zeiten, eim
Neuerer genannt werden, oder ed gibt wenig hiftorifche
Wahrheiten mehr in der Welt. — Wenn der Verf. im $. 109.
von Raphael Fulgofi. und Raphael Raimondi,
oder da Como fpriht, und nicht das gewöhnlichere Fulgo-
sius, Comensis, Raimundus wählt, fo harmonirt es nicht
recht, wenn er nicht auh Bartolo, Baldo, Minucci,
Accorfo, Saliceto, Donamict, Bonifazio de
Bonoconfiglio, Bulgaro, Calderini, Dacio,
Robortelli, u f. w. ſchreibt. — Bey Jaſon ($. 108.)
wäre befonders auch zu bemerken geweien, daß er, felbft nad)
Alciatus Urtheil, etiam in literis Jatinis longe praestans
war. Ein poffirlihes Schaufpiel muß es geweſen feyn, als
er im J. 1499 zu Pavia vor dem König Ludwig XII. vor
fünf Eardindlen und einer großen Menge anderer ausgezeichs
neter Perfonen, in einem Kleide von Soldftoff las, und die
wichtige Thefis, gegen mehrere Antagoniften, vertheidigte, daß
die Ritterwuͤrde, welche Jemand wegen Tapferkeit im Kriege
von feinem Fürften erhafte, auch auf die Kinder uͤbergehe. —
Die Note 3. zum $. 107. hätte abermal mit dem Schriftfteller
belegt werden follen, aus welchem fie genommen if. — Bey
$. 212. Mote 2. iſt zu bemerken, daß die Klagen der Practiter
434, Lehrbuch der eivilift, Litterärgefchichte v. Pr. R. Hugo.
und Barbaren gegen die Humaniſten zu allen Zeiten gehört
worden find, ja daf jene auch noch in uniern Tagen. wenigs
ſtens im Stillen über diefe feufzen. Wie könnte es auch anders
ſeyn? Keiner will im Alter geftehen, was er in der Jugend
vergebens erlernt hat, Jeder fieht durch feine eigene Brille,
und die Eigenliebe der Menfchen geht fo weit, das fie feldft
die Tugenden, die fie nicht befigen, an Andern eher für Feh—
ler zu halten, als fih eigene Mängel einzugeftehen geneigt
find. — Wenn der Verf. im $. 115. von Marcus Mans
tua fagt: „Er farb 1582, und wenn er wirklicd, über go
Jahre alt wurde, fo konnte er freylic den Gojährigen Ceras
als einen ziemlich jungen Mann fchildern“ und dabey wieder,
nach feiner Gewohnheit, weder den Autor nennt, aus dem er
das gojährige Alter des Mantun erfuhr, noch den Schrifts
ftellee, bey welchen Zweifel über fein und des Ceras Alter
erhoben worden find : fo ift dies abermal eine, die Manier
des Verf. ganz charafterifirende, Affectation, die um fo mehr
zu tadeln ift, weil fie auch in der allereinfachften und unwich—
tigftien Sache von der Welt, wobey es fih der Mühe niche
verlohnt, nur eine Minute Zeit zu verlieren, nach Dunfelheis
ten und Räthfeln haſcht. Denn kein Profeffor ift hier im
Stande, den status controversiae Mar einzufehen, wenn er
nicht vorher, mit unnuͤtzem Aufwand von Zeit und Mühe,
dem Autor nachgefpürt hat, aus dem die Bemerkung genoms
men ift; und einer Menge Lefer, welche die Quellen des Verf.
nit kennen oder nicht befisen, muß die Sache ftets ein Raͤth—⸗
fel bleiben, das fie nie loͤſen können. Es iſt undegreiflich,
wie der Verf. in dergleihen Dingen etwas fuchen mag, wozu
auch nicht die geringfte Kunft erfordert wird, und womit ihm
jeder gelehrte Juriſt, wenn er wollte, und nicht von einem
rihtigern Sinne geleitet wäre, nicht hundert s fondern taufends
weife aufwarten, und ihn in die größte Werlegenheit jeßen
Pönnte. Was würde denn der Verf. dazu fagen, wenn er
3. B. Säße der Art in einem Buche finden würde: „Daß bie
berühmten Römer, welche den Pflug nah dem Commando—
ftabe führten, deswegen fein fo großes Lob verdienen, zeigt
vortrefih Bongainville“ „Daß die erdichteten Hiftorien
darum Romane genennt werden, weil die Roͤmiſche Geſchichte
Lehrbuch der civil. Litterärgefchichte v. Pr. R. Hugo: 135
die Geſchichte aller übrigen Nationen an großen Keldenthaten
fehr weit übertraf, hat Dod well bewiefen.“ „Daß ein keu—
ſches Indiſches Frauengimmer um feinen andern jPreis, als
um einen Elephanten, zu einer Ausfchweifung gebracht werden
könne, bat ein berühmter Griechiſcher Geſchicht—
fhreiber behauptet.“ „Daß das Roͤmiſche Recht in Italien
nie ganz außer Gebrauch gefommen fey, hat am beften und
mit vielen Documenten ein Staliener in der erften
Hälfte des ıd. Jahrhunderts bewiefen.“ „Eine pes
riodifche Zeitfhrife, die in Frankreich gefhrieben
wurde, erzählt eine fo großmüthige, außerordentliche und
rährende Handlung des Verfaffers des Esprit des Loix, daß
ein gefühlvoller Lefer fih dabey der Thränen nicht enthalten
kann.“ „Schon im J. 1558 ift in Poitiers ein Kompendium
bes Civilrechts gefchrieben worden.“ „Der Buchhändler Roffi
hat, in der Vorrede zu einem gefchäßten juriftifchen Werke,
das im J. 1770 in Stalien in Lateinifher Sprahe zum
zweytenmale gedruckt wurde, mit fehr guten Sründen die
Nachtheile der Fideicommiffe aus einander geſetzt.“ Was
würde der Verf. zu dergleichen Sachen fagen? Er made nur
mit diefen Benfpielen, die Rec., fo wie fie ihm zunaͤchſt im
die Feder kamen, miederfchrieb, feine Kleine Probe, und er
wird finden, daß er auch nicht ein einziges dieſer 7 Raͤthſel
loͤſen kann. Und fo wollte ihm Rec. täglih zu Hunderten
aufgeben, und abfichtlid hat er in dieſer Kritik noch viele
Sachen nicht mit Authoritäten belegt, die der Verf. nicht leicht
wird finden können. Sin der Note 3. zu $. 118. (S. 99)
hätte der: Verf. den Titel von Hommels biographiſchem
Verzeichniffe anführen follen ; denn hundert Lefer werden nicht
wiffen, daß feine Effigies Ictorum in indicem redactae
darunter verftanden find, und gewiß zuerft in feiner Littera-
tura juris vergeblich nachjuchen. UWebrigens haben auch ſchon
Denis Simon und Taifand den Poliziano unter den
Nechtsgelehrten aufgeführte. — Wenn der Verf, im. $. 195.
behauptet, Alciat habe in feinem Leben wohl nie den Cu—
jas nennen hören, fo zweifele Rec. fehr hieran, und er if
vielmehr vom Gegentheile überzeuge. Cujas las zum erſten—
male im Sahre 1547 Über die Snftitutionen, und er wurde
436 Lehrbuch der civiliſt. Litterärgefchichte v. Pr. R. Hugo.
fogfeich berühmt, man verſprach fich fogleich viel won ihm, und
man bemwunderte vorzüglich die Klarheit feines Vortrages, die
immer das Erbtheit der hellen Köpfe ift. Dieies fagt Pas:
quier (Oeuvres T. II. p. 568), der zugleih bemerft, daß
er feldft diefer erften Pection des großen Mannes angewohnt
habe. Rec. befißt ferner ein feltenes, aber unbedeutendes
Buch, nämlich die Epistolarum legalium , in quibus varii
juris articuli continentur, libri tres von Johannes
KRaymundus von Touloufe, die im J. 1549 zu Pyon in.
herausgefommen find, worin Cujas in der Dedication, - die
der Verf. an diefen richtete, fchon den ©. Auguft 1549 und
fünf Jahre vorher, ehe Eujas etwas geichrieben hatte, vir
doctissimus et decus hujus aetatis genannt wird. Da nun
Alciat erft im J. 1550 in Pavia flarb, und da zwifchen
Touloufe und den Univerfitäten in Dbers Stalien, durch die
Studenten aus Frankreich, welche auf dieje gingen, ſtets eine
Verbindung unterhalten wurde, fo ift es nicht wahrfcheinlich,
dag Alciat, der gewiß nicht weniger, als die -Profefforen
gewöhnlich, auf feine Kollegen auf anderen berühmten Unis
verfitäten, und namentlich auf der berühmten Liniverfität eines
Landes, in dem er feldft mehrere Jahre als Profeffor lebte,
neugierig war, vom J. 1547 an bis 1550 nichts von einem
Profeffor ſollte gehört Haben, der gleich bey Eröffnung feiner
Öffentlichen gelehrren Laufbahn fih berühmt machte, und, was
wohl zu merken ift, auf einer Liniverfität, wo damals nur die
Sekte der Bartoliften und Barbaren die herrfchende war, dens
felben Weg eingefchlagen, und diefelbe Lehrart zu der feinigen
gemacht hatte, wodurch er felbft vor den meiften Juriſten fei:
ner Zeit ſich fo vortheilhaft ausgezeichnet hat. Wenn der Verf,
in den Zufäßen und Berichtigungen (S. 597) fich verbeffern
will, und bemerkt, daß es im $. 122. eine Verwechfelung des
Todesjahres von Alciat mit den drey Andern fey, daß dieſer
den Cujas wohl nie habe nennen hören, fo verfteht Ree.
entweder diefe Erläuterung nicht, oder die Sache ift nicht richs
tig. Denn aus der unridhtigen Angabe des Todesjahres
des Alciat (1558), die man im $. 1922. findet, fonnte die
Behauptung ges Verf. unmöglich entftehen, weil die richtige
Angabe (J. 1650) diefe Behauptung noch weit eher vechts
Lehrbuch der civiliſt. Litterärgefchichte:-v. Pr. R. Hugo. 137
fertigen und mwahrfheinlich machen Fönnte. Haͤlt alfo der Verf.
feine Behauptung: im $. ı22. in den "Berichtigungen und Zus
fäsen ©. 397 felbft für unridtig, fo kann fie diefes nicht aus
dem von ihm amgeführten , fondern fie muß es aus einem ans
dern Grunde ſeyn. — Bey HG. 127. iſt zu bemerken, daß
Boẽrius in der Gefchichte nicht fehr bewandert gewefen ſeyn
muͤſſe; denn.er glaubte, die Longobarden feyen Könige gemes
fen, welche aus Sardinien nady Sjtalien gefommen feyen. —
Den $. 109. Mote 1. ift anzuführen, daß Maccioni’g
Differtationen niht zu Pifa, fondern zu Livorno herausges
tommen find. Selbſt die Dedication an den Marcheſe Don
Michele Imperiali Simiana ift niht von Pifa, fons
dern von Florenz aus gefhrieben.. — Bey Viglius im
6. 131. Hat der Verf. auf das fchäßbare Werd von Papens
drecht aufmerffam gemacht, deffen, fo wie feines Verfaſſers
auh Weit (Praefat. ad Theophilum $. 30.) rühmtiche
Erwähnung: thut, und das der Aufmerkjamkeit des Hrn. Haus
bold entgangen if. — NRanconet ($. 154.) hieß Aimar
de Nanconet. Mach des Präfidenten de Thon Behaups
tung hat befonders Duaren aus de Ranconetl's zerſtreuten
Papieren vieles fi) zugeeignet, und in feine Schriften übers
getragen. — Viglius ($. 151.) ift auch deswegen merk
würdig, weil er zuerft die Baſiliken angezeigt hat, wovon
nahher Gentien Hervet zwey Bände, die er von Aguftin
erhalten hatte, zu Paris. 1557 Fol. herausgegeben hat. —
Ob der Perf. ©. 62 $. do. Note 1. wohl daran that, eine
Englifhe Stelle aus Hume anzuführen, weiß Mer. nicht.
Soviel ift gewiß, daß von den dermalen lebenden Juriſten
faum der fechfte Theil diefe verfieht. — &. 125 Mote 5. gibt
der Verf. gegen Ladvokat, Taifand und Hrn. Daubold,
welche Amelbeuren als Loͤwenklau's Geburtsort nennen,
Eovesfeld im Muͤnſterſchen an. Er kann Recht haben; aber
es war abermal feine Schuldigkeit, feinen Grund und feine
Duelle anzugeben, und, fo lange er diefes nicht hut, kann
man ihm, auf fein blofes Wort, nicht glauben. — $. 140.
Scaliger hieß im Frangöfifhen de L' Escale. — Bey
6. 149. können die Schriften von Brunguell de jurispru-
dentia per reformationem emendata, von Fried. Frifins
133 Lehrbuch der civilift. Litterärgefchichte v. Pr. R. Hugo.
de Ictis, qui reformationem Lutheri adjuvarunt, Lips.
1750, und Heineccius de Ictis reformationi ecclesiae
praeludentibus mit Wortheil benugt werden. — 6. 152.
Denis Simon (Tom. I. p. 229) fagt von Didendorp:
„Il passe sans contredit pour le premier Jurisconsulte
d’Allemagne.“ Aber mit allem Rechte ift Terraffon (Hi-
stoire de la jurisprudence romaine p. 588. ) dagegen. Sein
fogenanntes Naturreiht, deſſen der Verf. als des für das Als
tefte gehaltenen, erwähnt, iſt nichts als ein ganz mageres
Skelet des Panbdertentitel® de jure nat. gent, et civ., das
nur 24 Duodezfeiten zähle, und das mit nicht mehr Recht für
ein Compendium des Naturrechts angefehen werden kann, als
alle die vielen Kommentare der Nechtsgelehrten vor Didens.
dorp über jenen Pandectentitel, von denen fogar die meiften
diefen Titel weit vollftändiger und beffer, als diefer, erklärt
haben. ec. befißt diefes unbedeutende Werkchen ſelbſt. —
6. 158. Mynfinger ift auch darum ein nicht gewöhnlicher
Mann, daß er, nachdem er fchon zu Dole und, unter Bis
glius, zu Padua fiudire hatte, und bereits verheyrathet war,
noch Schuͤler des Zafius wurde, und mit feiner Frau nach
Freiburg ging, um unter diefem berühmten Nechtslehrer noch
weiter zu fiudiren. Diefer Aufzug mit der Frau muß den
andern Studenten eben fo angenehm. geweien feyn, als dem
Zafius, für deffen Gelehrfamkeit er das größte Compliment
war. — $. 161. Bey Hoppers ift zu bemerken, daß dieſer
von Viglius das 30. — 42. Buch der Bafiliten ferhalten
hatte, und daß Cujas diefe wieder von Foppers erhielt,
der in Madrid als Chevalier 1576 geftorben if. — $. 162.
Dem Räwärd gibt der Verf. das Jahr 1533 als Geburtss
jahr, Sare ( Onomast. Tom. III. p. 394) und Ar. Haus
bold nennen das J. 1534, und in dem Speculum Jacobo-
rum. Lips. 1811. p. 11 wird das J. 1555 genannt. Welche
Meynung ift nun von diefen dreyen die richtige? — $. 166.
Wer Tiraqueau nur aus jeinen Schriften kennt, follte
nicht glauben, daß dieſer Jurift in feinem Aeußern einer der
größten Elegans feiner Zeit war. Es eriftirt ein Holzſchnitt
von ihm, mo auf feinen Wangen mehrere Schönpfläfterchen
angebracht find, womit der eitle Mann, nad) Art der Damen,
Lehrbuch der civiliſt. Litterärgefchichte v, Pr. R. Hugo, 139
die Schönheit feines Sefihtes heben und noch Höher fteigern
wollte. Seine Schriften find zu mweitläufig; er ſchweift immer
aus, und die Hauptfahen werden in Mebenfahen bey ihm
erſaͤuft. — Pratejus, von dem im $. 166. die Rede ift,
hieß im Frangöfifhen Pardour Duprat, nicht Prat.
Seine Jurisprudentia media, die der gefhicte &. Rouille
in Lyon 1561 herausgab, war, ehe Otto fie feinem Thefaus
rus einverleidte, ein feltenes 'und. fehr gefuchtes Werl, —
6.168. Eonnan hieß im Franzgöfifhen Francois Con—
nan, Sieur de Coulon et de Rabeſtan. Bon
Hotman, Duaren und Turamini werden feine Werke
fehr Hoch gehalten, von Andern verachtet ; fo verfchieden find
die Meynungen der Gelehrten! Der unpartheyifche Lefer, den
feine Leidenfhaft Über die Linie treibt, wird in feinen Werken
fehr viel Gutes, und manchmal felbft vortrefflihe Sachen fins
den. — $. 175. Die Anmerkung gegen Roaldes, womit
diefer ſehr gelehrte und zu feiner Zeit allgemein geſchaͤtzte
Mann verkleinert werden fol, Hält Rec. für fehr Übel anges
bracht, und ohne Zweifel wurde fie nur gemacht, um ein fa-
cete dictum des Enjas an den Mann zu bringen, für das
fouft fein ſchicklicherer Plaßfvorhanden war. Wenn der Verf.
fo gewiß ift, daß Noaldes keiner der vier Eiviliften feines
Vornamens ( Franciscus ) ift, von weldhen Cujas nur einen
einzigen fhäßte, fo kann er diefe Gewißheit nicht aus eigener
Uebergeugung und aus der Einfiht der Werke dieſes Nechtss
gelehrten haben; denn bekanntlich haben wir kein einziges
Wert von ihm, und, wie de Thou berichtet, gab er aud)
nie eines heraue. Aber er kann fie auch nicht durch die Zeugs
niffe feiner Zeitgenoffen vom Hörenfagen haben, weil bey diefen
nur eine Stimme über feine großen Kenntniffe und Gelehrs
famteit if. Cujas, Hotman und Pithou fehästen ihn
fehr. Hoch. Der Lebtere debdicirte ihm fein Werk über die
Weitgothifhen Geſetze; Cujas nannte ihn omnis antiquita-
tis reconditae locupletem penus, und, was mehr als Alles
für feine großen Kenntniffe beweiſ't, Cujas und Hotman,
die ſich über die Erklärung der L. frater à fratre. D. de
condict. indebit. nicht vereinigen fonnten, compromittirten,
nah Zeiffier (additions sur. les Eloges des hommes
-
140 Lehrbuch der eivilift. Litterärgefchichte 9, Pr. R. Hugo.
savans, tirds! de-Fhistoire de Mr. de Thou) auf feinen
Ausſpruch; und aub Sainte Marthe (Gallorum doctrina
ällustrium -elogia L. IL. p. 261) .ertheilt ihm die größten
Lobſpruͤche. Woher will alſo der Verf: feine Gewißheit haben ?
und welche Gegengründe will:.er vorbringen, wenn Rec. ber
hauptet, daß es, aus den-angeführten Gründen, und namentlich
aus der entfchiedenen Hochachtung, die Cujas für feine
Kenntniffe hatte, fogar in ‚hohem Grade. wahrfiheinlich fey,
daß gerade er von den vier ‚Franzen derjenige gemweien ſey, den
Eujas hauptiählih und allein gefchäßt habe? — G. 177.
Das Umftändlichfte und Wichtigfte, das Über Bourges ge
fchrieben worden ift, und. zugleich: am meiften in ein inters
effantes. Detail geht, find die kleinen Schriften von Nicolas
Eatherinot, wovon die neuen Herausgeber der Bibliothek
des P. Lelong ein Verzeichniß geben, das fih auf die Zahl
von‘ı30 belauft, die größtentheils die Gefchichte und Geſetze
von Berry zum Gegenftande haben, dabey aber höchft felten
find. Für die Univerſitaͤt Bourges ift wohl unter dieſen dass
jenige. Werkchen das intereffantefie, das den- Titel hat: Scho-
Jatum Bituricarum inscriptio, das zu Bonrges im J. 1672
in 4. berausgelommen ift. Diefe Schrift enthält ein Lob der
Univerficät, und ein Verzeihniß der juriftifchen und mebdicinis
fhen Profefforen, fo wie eine Menge intereffanter Dinge, die
man fonft nirgends findet. Sin einem andern Werfhen: Le
Calvinisme de Berry. Bourges, 1684. ſteht S. 4 bey dem
5. 1553 folgende intereffante Stelle: „En ce. tems les pro-
fesseurs de Bourges etoient. fort suspects..d’heresie, Voict
leurs noms, avec leurs gages, par curiösite,. Francois
Duaren 920 livres, Francois Balduin 350 livres,
Hugues Doneau gdo livres, Nicolas Bouguier
100 livres, Charles Girard ıÖdolivres, Jean Rabbi
140 livres, Andre Levescat ı60 livres, Antoine
Le Conte 45 livres, Henry Eduard (Es ſollte heißen
Eduard Henry) Ecossois 45 livres. Cette proportion
n'est ni geometrique ni arithmetique, mais burlesque;
parceque le merite des uns et des autres n’etoit point
encore assez connu.“ Eben. fo merkwuͤrdig ift folgende klei—
nere Stelle, die kurz nad dem. 5. 1557 vorkommt: „On
Lehrbuch. der civiliſt. Litterärgefchichte v. Pr. R. Hugo. 441
disoit en ce tems des Äntecesseurs de Bourges: Donel-
lus theologatur, Cujacius furatur (wahrſcheinlich Hatte
diefes auf die Bafilifen Beziehung), Contius 'crapulatur,
'Bouguerius feriatur.* Offenbar kommt, bey diefer Schils
derung, Leconfe am fchlimmften weg, und das Schlimmfte
für ihn iſt dabey dieſes, daß eine folhe Eigenichaft ohne hins
reichenden Grund nicht leicht erdichtet wird. Dieſe zwey Stelr
fen find auch in einem neuern Werke ercerpirt; aber Rec.
nennt biefes nicht, um den Verf. gleichfalls eben fo fuchen zu
laffen, wie er feine Leſer immer fuchen läßt. — Im $. 179.
Note ı.- fagt der Verf. der Bugnerius, deffen Noufard,
in der Dedication an L'Hopital erwähne, ſey ein ganz
Unbetannter. - Er ift es nicht; es iſt derfelde Nicolas
Bouguier, von dem Catherinot in den zwey eben lanıs
geführten Stellen zweymal fpricht, den Alctat in feinem
Emblema XI. mit feinem Bildniffe und fieben Lateiniſchen
Diitichen, Anulus, im feinem Gedichte, Mit vier Herame;
ten, und Duaren mit einer merkwürdigen Nede verewigte,
die er den‘ .1ıd. December 1551 bey defien Aufnahme zum
Profeffor- in Bourges hielt, an deren Ende er ihm große Lobs
fprüche ertheil. Man darf ihn nicht mit Jean Bouguier
verweihfeln, der Parlamentsrath in Paris war, und von weis
chem ein Kecueil des Arrests vorhanden iſt, wovon die erſte
Ansaabe im J. 1622 und die zweyte vermehrtere im J. 1629
erfchienen if. Alciat und Anulus nennen den Bouguier
auf Lateiniih Bugerius, Duaren hingegen Buguerius,
Wenn Roufard Bugnerius fchrieb, fo ift dieſes entweder
eine Eigenheit deſſelben, oder ein Druckfehler, und aus einem
u wurde ein n gegen feine Abfiht. — Bey $. 181. bemerkt
Rec., daß Leconte noch im Jahre 1566 in Bourges über
die Sinftitutionen las. Dieſes weiß er aus einem- Exemplare
der Änstitutiones juris civilis, Franc. Accursii glossis il-
Justratae. Lugduni, apud Antonium Vincentium 1559. 8.
das er beſitzt, das uriprünglich einem Denejhen Baron, Eus
rich von Sickingen, gehörte, der im Jahr 1566 bey
Leconte in Bourges über diejes Buch ein Collegium hörte,
und in welches der Beſitzer vom Anfange bie zu Ende eine
Menge Randnoten ſchrieb, die Leconte feinen Schuͤlern in
442 Lehrbuch der civbiliſt. Litterärgefchichte v. Pr. R. Hugo.
die Feder dictirte. Gleih im Provemium der Synftitutionen
findet fich folgende NRandnote : „Praeceptor meus, Antonius
Contius, in praelectione harum institutionum, in haec
verba : Germanicus,. Alemanicus, Sequentia
glossavit etc.“ Leconte las alfo über die gloffirten Inſti⸗
tutionen, und in dem Collegium erklaͤrte er ſeinen Schuͤlern
den Tert und die Gloſſe. Wo er mit dieſer einverſtanden
war, da. lobte er fie, wo er anderer Meynung war, entwickelte
er feine Gründe kurz und gut, Die neuere Litteratum der
Humaniſten fupplirte er immer, befonders aber benußte er,
bey feinen Erklärungen der Geſetze, die Snftitutionen des
Cajus, Ulpians Fragmente, des Paulus receptae sen-
tentiae und den Theophilus Mon Schrififtelleen führe
er häufig Alciat, Ferrarius, Dfldendorp, Baron
und Andere an. Daß das Leſen Über den Tert und die Gloſſe
auf die Art, wie Leconte las, unendlich lehrreicher und ums
faffender feyn, und folidere Suriften bilden mußte, als wie
heutzutage das Lefen über Compendien, wo man. oft das Wichs
tigfte deffen ‚nicht erfährt, was man wiſſen follte, hält Rec.
wenigftens für ausgemadt. — Im $. 181. Mote ı. fragt der
Verf.: „Warum mahen die, welhe, nad der Analogie von
Horaz und Properz, durhaus Eujaz fagen wollen, aus
dem Lateinifhen Namen: Contius, nicht den Deutfchen:
Conz?“ Dec. antwortet: weil es in Deutfchland viele gibt,
die Conz heißen, aber keine Contiuffe find. Dies ift der
einzig wahre, und zugleich ein fehr richtiges Gefühl für
Schidlichkeit verrathende, Grund des Unterſchiedes. Würden
die Namen: Horaz, Properz gemeine Deutfche Namen
feyn, den unbedeutende oder wohl gar verächtlihe Menfchen
führten, gewiß würde man jene berühmten Dichter des alten
Roms in Deutichland nie fo genannt haben, wie man fie jeßt
gemeiniglich nennt. Auch bemerkt Rec. noch weiter, daß es
einem Deutfchen, der den Lateinifchen Namen Cujacius nicht
frangöfiren, fondern germanifiren will, ohne allen
Anftand, und mit demfelben Rechte erlaubt ift, Cujaz zu
fagen,, mit dem man Horaz, Properz, Lufrez, Lab;
tanz, Prudenz, Fulgenz, Aefop, Apoll, Herodot,
Herodian, Hefivd, Homer, ſ. mw. ſagt. Auch kann
Lehrbuch. der civiliſt. Litterärgefchichte v. Pr, R. Hugo. 4143
der Verf. um fo weniger etwas dagegen einwenden, wenn er
es auch gleich ſchon mehrmalen gethan hat, da er ja felbft im
$. 88. $. gı. und ©. 70 Mote 3. aus dem Stalienifchen
Boccaccio immer Boccaz madht, und hierzu durchaus
nicht mehr Recht Hat, als die, welche Cujaz ſchreiben. —
$. 187. Demodares, oder Mouchy ift aud ein in der
Franzoͤſiſchen Polizey nicht unmwichtiger Name ; denn fein Eifer
gegen die Calviniften trieb ihn fo weit, daß er, um dieſe aufs
zuſuchen und aufzufpären,, geheime Miethlinge befoldete. Diefe
wurden Moucharts, nah dem Namen ihres Herrn, ges
nannt, und diefer Mame blieb in Frankreich bis jet den
Polizeyfpionen. — Der $. 165. zeichnet ſich abermal durch
eine geſuchte Dunkelheit aus; denn man weiß nicht, worauf
fid) die Mote 1. bezieht, und der Verf. verweiſ't in diefer im
Allgemeinen bloß auf Melanchton's loci communes, und
überläßt es den Lefern, in diefen mit Zeit und Mühe zu fus
hen, was er ſelbſt auf einem fürgern Wege in einem Schrifts
ftellee gefunden hat, den er nit nennt. — $. 190. Bey
Eujas fcheint der Verf. den Hauptcharafter uͤberſehen zu
haben, der diefen großen und erften Civiliſten aller Zeiten
vorzüglih auszeihnet. Denn wer follte es glauben, daß der
unterfcheidende Charakter des Verf. von fo großen und zahls
reichen Bänden feine erftaunliche Kürze iſt? Diefes Urtheil
muß von allen denen befräftiget werden, welche feine Werke
fiudiren werden. — Die Mote i. zu $. 240. ift auch wieder
fo dunkel, daß nur wenige Lefer fie verfiehen werden. Es
wird nämlich) von den beyden Doctoren der Sorbonne, Ars
naud und Nicole simpliciter, und ohne das Bud) zit
nennen, aus dem es genommen ift, geſagt: „Won ihnen
fommt das „on“ her, weiches fih "auch bey ihrem Freunde
Domat findet.“ Iſt diefes nicht wieder eine veche abfichtliche
Duntelheit? Welches on kommt von den beyden Doctoren der
Sorbonne her? Warum machte es der Verf. nicht mit zwey
Wörthen deutliher ? Warum follen die Lefer nur immer
rathen und fuchen? Es it ja doch auch dieſe Notiz wieder
eine rein biftorifhe, die der Verf. nicht durch Nachdenken,
fondern durch irgend ein Buch erfahren hat. Rec. hat, um
ſich recht zu Überzeugen, ob diefe Dunkelheit nicht vielmehr
-
144 Lehrduch der civiliſt. Litterärgefchichte-v., Pr; R. Hugo.
fubjectio als objectiv ſey, und ober dem Verf. nicht Unrecht
thue, namentlicd, dieſe Note zwey fehr gelehrte Männer, und
die zugleich große Letteratoren und fcharffinnige Koͤpfe find,
lefen laſſen, und fie haben ihm erklärt, daß fie nicht mwiffen,
was der Berf. damit wolle. Mer. glaubt aber, daß derfelbe
das on für je meine, wo man nämlich fagt: On a fait,
ftate: j’ai fait. Aber er gefteht, daß er feiner Sache nicht
gewiß ift, und. daß er nicht darauf wetten möchte, daß er
Hecht habe. — Was der Berf. im $. 245. über Francois
Broe (ſo hieß er im Franzöfifhen ) bemerkt, ift ein Achter
Dendant zu feiner oben angeführten Bemerkung über Roal⸗
des. Um etwas anzubringen, das er für ſpitzig hält, ift er
hier, wie dort, ungerecht, und laͤßt fich zu fihiefen und unrichs
tigen Urtheilen verfriten. Troß der Weraleichung ‚des Rechts
mit einem Kleide oder einem Stäfe Geld, war Broe ein
fehr gelehrter und fharfiinniger Mann, der einen der allers
beften Commentare über die Sjnftitutionen fchrieb, unter die
vorzäglichiten Sjuriften und Profefforen feiner Zeit mit Recht
gerechnet wurde, und in denfelben zwey Abhandlungen, die
der Berf. zu feiner Herabſetzung anführt, fo viele gute, aus—
gefuchte und manchmal ſelbſt vortrefflihe Sachen vortrug, daß
er gar wohl die Ausländer damit hätte, locfen können. Meers
man, deffen gelehrte Urtheile doch gewiß mehr Gewicht haben,
urtheilt auch ganz anders Über Broe Er ſagt von ihm:
„Elegantissima sunt et argumenti valde singularis bina
haec opuscula Franc. Bro&i (Analogia juris ad vestem,
et Parallela legis et nummi), qui eruditissimo ad In-
stitutiones Justiniani commentario inter celeberri-
mos suae aetalis Ictos nomen adquisivit,
quique omni boffrum literarum adparatu
instructus fuit, ad illustrandam Jurispru-
dentiam.“ Ein anderer berühmter Krititer aus Spanien
fagt von ihm: „Maulta in Franc. Bro&i Commentario ex-
ponuntur adcurate et erudite, et brevis totius juris
Chronologica historia, quae praemittitur, legi mere-
tur.“
ö (Der Beſchluß folgt. )
— — —
No. 10. Heidelberaifhe 1813.
Jahrbuͤcher der Litteratur.
kehrbuch der eigen. gitterärgefchichte vom Prof, Nitter Hugo
in Goͤttingen.
EBeſchluß der in No. 9. abgebrochenen Recenſton.)
J aber hat Rec. ſchon viele gefunden, die Broe
gelobt, aber nod) feinen, der ihn herabzufeßen gefucht haͤtte;
und er ſelbſt hat ſich ſchon fo oft, in feinem eigenen Studium,
von der Vortrefflichkeit des Broeſchen Commentars über bie
Inſtitutionen zu Überzeugen Gelegenheit gehabt, daf es ihm
wehe that, ein fo ungerechtes Urtheil Über einen Mann zit
lefen, den er felbft immer verehrt bat und verehren wird.
Wo find denn die Männer, die heutzutage einen folhen Coms
mentar gefchrieben hätten, oder fehreiben „Könnten? Und went
heutzutage, auf vielen Univerfitäten des Zn s und Auslandeg,
die Ausländer oft durch weit unbedeutendere. Schriften der
Drofefforen gelockt werden, warum follten fie nicht auch durch
Droe’s auf jeden Fall bedeutendere Werke haben gelockt wers
den können? Was Broe, in jenen zwey Vergleichungen,
vorträgt, zeugt offenbar von Gelehrfamteit und Kenntniffen
mancher Art. Verraͤth er aber, in den Titeln jener Schriften,
weniger Geſchmack, fo hat Forcadel für feine verfchiedenen
Schriften noch weit gefchmacklofere und abentheuerlichere ges
wählt, und doch nimmt der Verf. diefen in Schuß ($. 173.),
während er den Broe herabfeßt, ohne Zweifel deswegen,
weil die gemeine Stimme gegen Forcadel und für Broe
iſt. — Menn Semand den $. 245. lieſ't, der Fabrot's
Werke noch nicht aus eigener Einfiht kennt, fo muß er glaus -
ben, dieſer gelehrte Mann habe faft feine Werdienfte um bie
Rechtswiſſenſchaſt; denn alle feine Schriften werden nur ges
tadelt, nichts wird an ihnen gelobt. Meerman, Rei,
Otto, und alle, welche Fabror genau fennen, denken ans
ders über diefen berühmsen Gelehrten; auch Peiresc, jener -
10
446 Lehrbuch der civiliſt. Kitterärgefchichte u. Pr. R. Hugo.
berühmte Mäcen aller. Gelehrten von Verdienſt, fo mie der
Präfident Du Vair, der Fabrot nad Paris zog und ihm
einen Gehalt von’ 2000 Livres verfhaffte, fo wie alle Gelehrs
ten feiner Zeit, waren ganz anderer Meynung. Beine tiefe
Gelehrſamkeit und feine auferordentlihen Kenntniffe in dem
Roͤmiſchen und Canonifchen Rechte waren allgemein anerkannt.
Es ift wicht zu leugnen, daß man allen Fabrotihen Ausgaben
fremder Werke viele und große Fehler vorwerfen kann, weil
der gelehrte Mann zu arbeitiom war, und weil — pluribus
intentus minor est ad singula sensus; allein deffen unge—
achtet bleibt Fabrot immer ein großer Mann, und wir
waͤren fehr zu beklagen, wenn wir feinen Theophilus,
feine Bafllifen und feine Ausgabe von Cujas, bey allen Fehs
fern, durch welche diefe Werke verunftaltee find, nicht hätten.
Ein berühmter Krititer fagt von ihm: „Fabroti judicium
fuit egregium, eruditio stupenda“ und Reitz, ein gewiß
fehr competenter Richter, nennt ihn Magnus vir, mit der
Bemerkung, daß er ihm diefen Namen nicht eipwvıxag, fons
dern serio gebe, cum ob diffusam lectionem et eruditio«
nem, tum ob juris rom. summam peritiam, nec contem-
nendum judicii acumen, Fabrot's Namen wird ewig
leben, fo lange die Roͤmiſche Nechtswiffenfchaft leben wird.
Wenn viele Gelehrte, die vor und nad ihm gelebt haben,
ſchon längft der Vergeffenheit übergeben feyn werden, wird
fein unfterbliher Name den Rechtsgelehrten, Antiquaren, Ges
fhichtfchreibern und Phitologen noch immer theuer feyn. —
In der Note zum $. 249. hätte der Verf. fagen follen, wo
der Parifer Profeifor Daragon feinen Beweis geführt habe;
denn wie. viele werden in Deutfchland diefes erfahren können ?
Daragon führte diefen Beweis in feinem Avertissement,
das an der Spitze des „Droit public de la France, ouvrage
posthume de l’Abbe Fleury, publié avec des notes par
J. B. Daragon, professeur en l’Universite de Paris, Paris
1769. 2. Vol. in 12,“ fieht. — $. 260. Sehr ohne Grund
wird bier Hilligerd Buch über Doneau herabgefest.
Wegen der reichen Litteratur, die Hilliger, mit dem größs
ten Fleiße, aus den berühmteften Humaniſten feiner und ber
Vorzeit, bey jedem wichtigen Satze angeführt hat, iſt fein
Lehrbuch der civiliſt. Litteraͤrgeſchichte v. Pr. R. Hugo. 147
Werk zu allen Zeiten in Deutſchland, Frankteich, Holland,
Spanien, Portugal und Stalien nah Verdienſt gefchäßt wors
den, und wird flets um fo mehr gefhäßt werden, weil man
ſehr häufig ganze Stellen aus Werken darin excerpirt finder,
die heutzutage fehr felten find. Nichtiger, als der Verf., ur
theilt ein fharfiinniger Rritifer des Austandes über Hilfiger,
wenn er von feinen Moten zu Doneau fagt: „Notata
eruditissima, et selectae bibliothecae vicem
praestare possunt“ und Vinnius, der fi, durch feine
allgemein beliebten und gefchäßten quaestiones juris, ſo bes
ruͤhmt machte, hat in diefen meiftens nur die Noten des
Hilliger benußt, und oft nur abgefchrieben, ohne feinen
Mann zu. nennen. Hievon fönnte Rec. viele Beweiſe geben.
Daß Hilligers Styl in dem Auszuge ſelbſt ſchwerfaͤllig,
eifern und dunkel ift, Bann nicht geleugnet werden. — Bey
Schilter ($. 268.) iſt fein feltenes civiliſtiſches Buch:
Herennius Modestinus. Argent. 1687. 4. vergeffen, das
übrigens 24 Jahre Ipäter von Brentmanng Diatriba de
Evrematicis. Lugd. Bat. 1711. 10. übertroffen worden iſt. —
Wenn der Verf. im $. 275. bemerkt, daß man oft vergeffe,
wie mannigfaltig Leibnig von Anfange an zur Nechtswiffens
ſchaft gehörte, und wie erheblihe Bücher er aud) theils über die
jurift. Methode, theils Über das Staatsrecht gefchrieben habe, fo
weiß Rec. von foldhen, welche in der juriftifhen Litteratur auch
nur ein wenig bewandert find, Miemand, der diefes vergäße. In
allen gangbaren juriftifchen litterärgefchichtlichen und bibliographis
fhen Büchern, bey Struv, Taifand, Terraffon, Doms
mei, König, Nettelbladt, Lipen u. f. w. ſteht Leibnitz
als Juriſt, und ſeine juriſtiſchen Schriften werden von mehreren
von dieſen vollſtaͤndiger als von dem Verf. aufgezaͤhlt. Seine
Nova metbodus discendae docendaeque jurisprudentiae
ex artis didacticae principiis, die in neuern Zeiten in dem
Thesaurus jurisprudentiae juvenilis. ‚Neapoli 1754 et 1756.
2. Vol. 8. wieder abgedrucdt wurde, nennt übrigens Hom⸗
mel „juvenilis admodum, eaque philosopho, nedum Icto,
adeo indigna. ut Christ. Wolfunm mirer, im ea iterum
edenda operam perdidisse; und von feiner Ratio Corporis
juris reconcinandi; nachdem er die Ordnung derfelben anges
448 Lehrbuch der civiliſt. Litterärgefchichte u, Pr. R. Hugo.
führe hatte, bemerkt er: „Praeclarus ordo, si Diis, placet!“
Diejenigen, welche Leibnis als Juriſten nicht kennen, wer:
den aber ganz gewiß auch viele noch befanntere und berühmtere
Suriften nicht kennen, als Leibnis if. — $.ado, Brums
mer farb nicht im J. 1661, fondern im 5. 1668. Als er
in- diefem Sahre von Paris nad Lyon reifen wollte, ertrank
er in einem Fluffe. Sein Buch de lege Cincia kam zuerft
in Paris in demmfelben Jahre heraus, in dem. er ertranf, und
war dem berühmten Franzöfifhen Staatsminifter Colbert
dedicirt. Er war fo glädlih, der Schüler des Reineſins
zu feyn, der, duch Colbert's Verwendung, Ludwigs XIV.
Freygebigkeit rühmen konnte. — $. 288. Difelius hat das
Beſte in feinen Noten dem Aleander entwendet, and Reis ,
nold behauptet, daß er auch die Sollectaneen des Saumaife
gepfündert habe, Demnah war er doc menigftens ein ges
ſchickter Eorfar! — 6. 290. Die Bemerkung, daß unter
Sriedeih Wilhelm kein Profeffor einer Preußifchen
Univerfirät Erlaubniß erhielt, eine Stelle auswärts anzunehs
men, als wenn allenfalls ein Paar recht große
Grenadiere ſtatt feiner zu haben waren, hätte
auch wieder Hr. Haubold gewiß nicht in ein Lehrbuch der
civiliſtiſchen Lirterärgefchichte aufgenommen. — $. 287. und
6.288. iſt Thom aſius fehr gut geſchildert, und feine Ders
dienfte um die Rechtswiſſenſchaft find fehr richtig beurtheilt. —
6. 296. Ludonici’s Schriften waren, nah Gundlings
Behauptung, zu ihrer Zeit fo hochverehrt, dafs man fie ſelbſt
den Werken des Cujas vorzog. So eigenfinnig, fonderbar
und unbegreiflich ift oft das Schickſal der Schrififteller, aber
auch Ludonici beweiſ't, daß das Gluͤck, wenn es nur eine
Caprice für einen Schrififteller bat, nie zu lange bey ihm
verweilt. — $. 297. Heineecius ift ohne Anftand derjenige
Deutſche Juriſt, welcher im ganzen Auslande und in ganz
Europa für den erſten und berühmteften gehalten wird, und
Sec. glaubt auch, daß er diefen Muf verdiene, weil er keinen
andern weiß, der ihn mit mehr Recht anfprechen koͤnnte.
Heineccius, der fih «mit dem Lefen der beften juriftifchen
Schriften genährt hatte, befonders mit dem ber Werke des
Eujas, vereinigte, in feinen gelehrten Merten, nicht nur
Lehrbuch der civiliſt. Litterärgefchichte u. Pr. R. Hugo, 149
die wichtigften Beobachtungen derfelben,. fondern fügte auch
meiftens feine eigenen Betrachtungen bey, die immer intem
effant find. Die neuern Franzoͤſiſchen Nechtsgelehrten ſelbſt
fagen, daß, nach den Werken des Cujas, die des Heinec—
cins am nothwendigften feyen; und fie bemerken, daß man
jene nicht fo fortlaufend lefen könne, wie diefe, weil Heis
neccius darin alle Theile des Rechts auf die erften Elemente
zuräckfähre, und deswegen, als ein wahrhaft claſſiſcher Schrifts
fteller, gelefen und fludirt werden mäffe. In einem neuern
Sranzöfiihen Werke wird Heineccius auteur clair, inge-
nieux, profond et distingue dans toute l'Europe genannt,
qui livre ä decouvert les secrets du droit romain, et re-
vele A une dtude de six mois ce qu’on auroit cherche
laborieusement pendant dix anndes, &ehr wahr ift aud,
was Camus (Tom. I. p. 316) von ihm fagt: On pre-
tend, qu’aujourdhui en Allemagne l'autorité d’Heineccius
decroit un peu, parceque quelques jurisconsul-
tes, qui sont venus apr&s'lui, ont fait mieux,
en profitant de ses recherches. Ein deutlicher Beweis
feiner Klarheit und Vorzüge liegt darin, daß Gibbon, bey
dem 44; Kapitel feiner Sefhichte, ihn zum Führer mählte,
and durch ihn beynahe allein in den Stand gefekt wurde, als
Laye eine Abhandlung Über das Nömifhe Recht zu fchreiben,
die jedem Civiliften Ehre mahen wuͤrde. Dies ift unflreitig
das größte Lob, das man dem Heinecciug fagen kann. In
Paris wird noch immer über ihn gelefen, und fein fpäteres
Compendium.irgend eines andern Deutihen Suriften hat und
wird ihn fobald verdrängen fönnen. — $. 325. Noodt hatte
die Driginale der Roͤmiſchen Nechtswiffenichaft fleißig gelefen,
fo wie die claffifhen Autoren des. Alterthums, mit deren Huͤlfe
er jene aufhellte. Diefes bemerkt man an feinem reinen Style,
der aber, weil er zu gedrängt ift, für alle diejenigen ſchwer
zu verftehen ift, welche mit der &chreibart des Tacitus
und Plinius nicht vertraut find. In feinem Buche: de
jure summi. imperii et lege regia, das auch Barbayrac
ins Franzoͤſiſche uͤberſetzt hat, fiellt er Grundſaͤtze eines auss
ſchweifenden Republifaners auf, und man flößt nicht felten
auf Stellen, über deren. Kühnheit man eıftaunt, und die des
450 Lehrbuch der civiliſt. Litterärgefchichte v. Pr. R. Hugo.
Heftigften Jacobiners mürdig wären. — $. 345. Für die
Antiquitäten, welche beionders auch den gelehrten Juriſten ins
tereffiren, tft hier vorzüglich zu bemerken Johann Arbuths
not, wegen feines claifiihen Buches: Tabulae antiquorum
nummorum, mensurarum et ponderum pretiique rerum
venalium, dag Daniel Könia aus dem Englifchen ing
Lateinifche Nberfeßt, und zu Utrecht im J. 1756 in 4. berauss
gegeben hat. König hat aber geirrt, wenn er dieſes Werk
dem Carl Arburhnot, dem Sohne des Johann, auf
dem Titelblatte, zufhriedb. Der Vater, Johann, war der
wahre Verfaffer, und überließ feinem Sohne, Carl, nur das
Honorar des Buchhaͤndlers. Dffenherziger, als Arbuthnot,
Hat noch fein Schriftfteller geftanden, daß es ihm, bey der
Herausgabe feines. Buches, hauptfählih nur um das Honorar
zu thun gewejen fey. Dad Merk erlebte zwey Auflagen in
England. Zwiſchen der erften und zwenten gab der gelehrte
D. Georges Hooper, Bilhof zu Bath und Welle, Uns
terfuchungen Über die alten Maaße der Arhener, Römer und
Juden in London ı72ı in 8. heraus. Arbuthnot felbft
ertheile diefem Buche, in der zweyten Auflage feines Werkeg,
die größten Lobſpruͤche; aber fein eigenes Buch ift doch das
beffere und geſchaͤtztere. — $. 349. Das für den Syuriften
wichtigfte Werk des fharffinnigen und mwißigen Abbate Gas
gliani wären wohl feine „Srundfaße des Naturs und
Voͤlkerrechts, aus den Schriften dee Freundes
des Mäcenag gezogen,“ wenn fie gedruckt wären, was
feider nicht der Fal if. Diefes Buch müßte um fo intereffans
ter feyn, weil Niemand mehr, als Sagliani, den Horaz
fiudirt und durchdrungen hatte, den er auch ine Franzoͤſiſche
übderfeßte, welche Weberfekung aber auch noch ungedrudt iſt.
Unter fo vielen ernfthaften Werken, die er nach und nach hers
ausgab, fchrieb er auch im J. 1775 eine Oper: Il Socrate
imaginaro, die von einem großen Tonießer in Muſik gelegt
murde, und in der ganzen Welt befannt ifl. Diefe Oper war
eine beißende Satyre auf einen damals nocd lebenden und
functionirenden Meapolitanifchen Minifter, der Himmel und
Hölle gegen diefes Werk des Witzes und der Tonfunft bewegte.
Der eingebildete Sokrates durfte auch, auf Eäniglichen Befehl,
Lehrbuch der civiliſt. Litterärgefchichte v. Pr. R. Hugo. 151
eine Zeitlang nicht mehr gegeben werden ; allein das Publikum
und der König: feldft Hatten eine fo große Freude daran, daß
der Befehl bald wieder zurückgenommen wurde, und nun
mußte der koͤnigliche Minifter es ſich gefallen laſſen, als eingebil—
deter Sokrates, nolens volens die Bühne zum zweytenmale
zu betreten, und ſich von einem zahlreichen und muthwilligen
Publikum noch mehr ausfpotten zu laffen, als das erftemal.
Sagliani flarb zu Neapel im J. 1787. Es wäre zu wüns
fhen, daß fein Erbe, Herr Azzaroti, feine vielen koftbaren
Manuferipte, die Sagliani feldft, in einem Briefe, an
Madame d’Epinay in Paris, vom 15. Dezember 1770 aus
Neapel fchrieb, aufzähle, und in deren Beſitze Herr Azza—
roti fich Befindet, allgemein bekannt machte. — $. 352. Den
hier angeführten Stalienifchen Rechtsgelehrten der lebten Per
riode ſollten auch Mazzei, Mangieri, Arcafio, Fea,
Ferrante, Pagano, und noch viele andere, beygegeben
werden. Mazzei, geboren zu Paola in Calabrien im Jahr
1709, mar berühmter Advofat in Rom, wo er 42 jahre
febte, und 1788 farb. Er fchrieb drey gefchäßte Schriften :
ı) De matrimonio conscientiae, vulgo nuncupato : acce-
dit Diss. de matrimonio personarum diversae religionis.
Romae 1771. 2) De legitimo actionis spolii usu Com-
mentarius. Romae 1775. 3) De aedilitiis actionibus libri
tres. Romae 1786. 4. Mangieri, Profeffor in Meapel,
gab Elementa juris civilis. Neapoli 1766. in zwey ftarfen
Dctavbänden, und Praclectiones ad Pandectas. Neapoli
1767. 1780. 1781. et 1782. in fünf Bänden in 8. heraus.
Bon Arcafio, Profeffor in Turin, haben wir 8 Bände
Commentarii jur. civilis. Augustae Taurinorum 1780. et
ı7d9. 8. Fea ift durch feine Vindiciae et observationes
juris. Romae ı782. 8. fo mie durch mehrere antiquarifche
Schriften, Ferrante, ehemals Advokat, nunmehr Juſtiz—
minifter in Neapel, durch fein Buch: della Legge Remmia,
Napoli 1780. 8, berühmt. Joſeph Anton Bruni, Pro:
feffor in Turin, ſchrieb einen flarfen und großen Quartband
Dissertationes in jus civile. Augustae Taurimorum 1759.
und der Neapolitaniſche Profeffor, Franz Saverio Bruno,
ſechs ftarfe Octavbände Elementi del dritto civile, movon,
153 Lehrbuch der civbiliſt. Litterärgefchichte v. Pr. R. Hugo.
nad) dem Tode des Verfaffers, eine neue Auflage im J. 1804
zu Meapel erichienen ift. Einer der berähmtsften Civiliſten
der nenern Zeit, der als Schriftfteller und Lehrer, als feiner
Theoretiker und geübter Practiker gleich gefbäst war, und
der wohl von allen Eivitiften nicht nur von Stalien, fondern
überhaupt von allen Ländern, in der neueften Zeit, dag Meifte
geihrieben hat, ift der Neapalitaniſche Profeffor, Joſeph
Pascale Cirillo, geboren 1709, T 1776. In den Jah—⸗
ven 1757. 1798. 1740. und 1742. gab er einen weitläufigen
Commentar in vier Bänden in 4. uͤber die Inſtitutionen herz
aus, den im Sjahre 1756 in zwey Dctavbände zufammenzog,
welche er im J. 1785 von dem Abbate Bio. Selvaggi
ins Statienifche Überjegt wurden. Im J. 1745 lieh er einen
Nuartband Institutiones Canonicae, und zwey jahre früher,
im Sahre 3745 hatte er Betrachtungen über Muratori’s
Traftat: Dei diffetti della giurisprudenza romana druden
laffen, die dem Marcheſe Tanucei dedicirt waren, Er fchrieb
Kommentare de conditionibus et demonstrationibus, de
legatis et fideicommissis, de vulgari et pupillari substitu-
tione, de jure adcrescendi, de pactis et transactionibus,
de rescindenda venditione, de donationibus, de jure fisci,
die aber erft nad) feinem Tode von dem Profeffor des Erimis
nalrehts, Don Michele Leggio im Jahr 1781 Herausges
geben wurden. Er gab einen Codex legum Neapolitanarum
in zwey Duartbänden, und der Advolat Domenico Dras
cale in Meapel gab nach feinem Tode 1780 zwölf Quart—
Bände Allegazioni di Giuseppe Pascale Cirillo heraus.
Außerdem ließ er vom J. 1750 — 1754 fünf Reden, im 5.
‚2779 und 1774 zwey Leichenreden drucken. Er gad die Vin-
diciae secundum Cujacium adversus Nlerillium des Dos
menico ®entile, mit einer gelehrten Vorrede, fo wie
das Werk des Sirolamo Muzio Giuftonopolitano:
Battaglie per la lingua Italianos, mit einer Vorrede und
vielen Anmerkungen heraus. Cirillo war auch Dichter, Er
fchrieb im %. 1738 La contesa delle Muse, im 5. 1740
das Drama: Le nozze di Ercole e di Ebe. Eine Menge
anderer Poeſieen von ihm find in andern Sammlungen zers
fireut, die einen flarken Band geben würden. Sm J. 1744
Lehrbuch der civiliſt. Litterärgefchichte v. Pr. R. Huge, 153
gab er auch die Poefieen des Franz Lorezini, mit einer
Vorrede und dem Leben diefes Dichters heraus. Er hinterließ
noch viele juriftifche, antiquarifche, biftorifhe Abhandlungen
und Comoͤdien, die noch ungedrudt find. — Der Abbate
Antonio Genovefi, gleihfalls ein Neapolitaner, geboren
im $. 1712, } 1769, ift als Theolog, kritifcher und Morals
philofoph, als philofophiicher Juriſt und Staateötonom gleich
berühmt. Durch feine Schriften und muͤndliche Lehren ward
er der Vater der politifhen Delonomie in Stalin. Franz
Mario Pagano, gleihfalld ein Meapolitaner, geboren in
der Mitte des 16. Jahrhunderts, war der würdigfte Schüler
des Genoveſi, Freund und PVertrauter von Grimaldi
und Filangieri, und einer der vorgäglichfien Köpfe des
neueften Italiens und der neueften Zeit. Nachdem er im
25. jahre Advokat in Neapel geworden war, wurde er einige
Jahre fpäter Profeffor des Kriminalrehts dafeldfl. Hier
zeichnete er fich fogleid vor allen feinen übrigen Collegen aus.
Sein Hörfaal war der bejudhtefte von allen, weil von feinem
Catheder lihtvolle Grundfäße, erhabene und glänzınde Ges
danken, neue und reihe Anfihten und meitgreifende Lehren
floffen. Seine vielen Schüler trugen: diefe einleucdhtenden und
wohlchätigen Srundfäge in die Säle der Richter, und bald
wurde, in allen Tribundien, Pagano's Name eine ehr—
wuͤrdige Authorität. Die erfie Frucht feiner philofophifchen
Betrachtungen war fein Criminal Procefß, ein merk
mwürdiges Buh, worin er die Reform eines Syſtems, voll
der haͤßlichſten Mißbraͤuche, ausdahte, und Mittel an bie
Hand gab, mie es einzurichten wäre, daß nicht die fehlerhafte
Einrihtung der Gerichte mit der Beftrafung der Schuldigen
auch den- Unfchuldigen aufopfere. Diefes Werk ift ein wuͤrdi—
ger Pendant zu Deccaria’s berühmten Buche, und es ers
hielt nicht nur die Lobſpruͤche der größten Gelehrten von
Europa, fondern aud) von der Frangöfifchen Nationalverfamms
lung eine ſehr ehrenvolle Erwähnung. Die, politifhen
Verſuche, die auf diefes erſte Werk folgten, muͤſſen "jedem
unbefongenen Lefer eine hohe dee von dem fchöpferifchen
Geiſte des Berfaffers geben. Man muß darin den erhabenen
Denker, den in der alten und neuen Litteratur vollendeten
454 Lehrbuch der eivifift, Kitterärgefchichte v. Pr. R. Hugo.
Gelehrten, und den großen Politiker bewundern, der würdig
ift, neben Mackhiavelli zu fliehen. Dieſes Werk liefert
ein SGemählde des Urfprungs, Fortgangs und Verfalls der
menfchlihen Gefellihaften. Es ift eine einfache Gejchichte,
aber nad) einer gang neuen Zeichnung; es ift nicht die Ges
fhichte des Volkes von Athen, oder von Lacedämon, oder von
Kom oder Carthago; es ift die Geſchichte des menfhlichen
Geſchlechts. Diefes Werk ift zugleih in einem männlichen
und kraftvollen Style geichrieben; es zeichnet fih nicht durch
eine blumenreihe, fondern gründliche Beredſamkeit aus, die
nicht in Worten, fondern in Sachen befteht; und die Blumen
der PFitteratur find nicht blindlings und unordentlih, fondern
mit Kunft und WVorfiht ausgeftreut. Diefer große Mann,
zugleich einer der edelften Menfchen, farb einen unmwürdigen
und gräßlichen Tod. In jener nicht fehr weit von uns ents
fernten Zeit, wo über Neapel ein Trauerflor. gezogen war,
wo Tod und Schrecken diefes fhöne Land verheerten, und
wo fo viele beredte Zungen unter des Henkers Händen vers
flummten, wurde auh Paaano, unfhuldig von einem Mies
derträhhtigen angegeben, in einen Kerker gefchleppt, wo er
dreyzehen Monate fehmachtete, und feine Abhandlung über das
Schöne fchrieb, wieder befreyt, flühtig nah Rom und Mais
fand, von dem Franzöflihen General, der Meapel eroberte,
wieder zurückberufen, zum Mitgliede des proviforifchen Mes
gierungsausschuffes ernannt, Verfaſſer der Konftitution der
neuen Nepublit Neapel, abermals emgekerfert, zum Galgen
verurtheilt, und den 6. October 1800 hingerichtet. — $. 354.
Boltaire gab fih alle Mühe, des Präfidenten Henault’s
Wert (Abrégé chronologique de l'histoire de France)
vortrefflih zu finden; aber d'Alembert fand es nur nüklich
und bequem. Die berähmt Madame du Deffand vers
langte von D’Alembert, daß er, in dem Discous prelimi-
naire zu feiner Encyclopädie, dieſes Buches des Präfidenten
Henault erwähnen moͤchte. Aber DV’ Alembert bemerfte
ihr, daß ihm diefes unmöglich fey, parceque dans un ou-
vrage destine à celebrer les grands genies de la nation,
et les ouvrages, qui ont veritablement contribu€ au pro-
grès des lettres et des sciences, je ne dois pas parler de
Lehrbuch der cibiliſt. Litteraͤrgeſchichte v. Br. R. Hugo. 158
TAbrégé chronologique. C'est un onvrage utile, j'en
conviens, et assez commode, mais voilä tout en verite;
c'est la ce que les gens de lettres en pensent; c'est 1A
ce que on en dira, quand le president ne sera plus
(Oeuvres de ’Alembert Tome ı4. p. 321). — Auch
von dem Baron von Grimm wird der Advokat oh. Mic.
Moreau, wegen feiner Bibliotheque de Madame la Dau-
phine, hart mitgenommen, in der ganz neu herausgefommes
nen Correspondance litteraire, philosophique et critiquey,
adressee A un souverain d’Allemagne depuis 1770 jusqu’en
ı782 par le Baron de Grimm et par Diderot. Paris
ı8ı2. (Tome I. p. 405 — 405). Dem Biographen dev
beyden Pithon, dem Advokaten Grosley, geht es darin
gleichfalls Fnicht beffr. Grimm ſagt von Grosley’s
Keifebefchreibungen von England und Italien, daß fie enthals
ten — observations triviales et bourgeoises, de froides
et mauvaises plaisanteries, und nod weiter bemerkt er:
„Lignorance a ses gradations, comme la science, Il y a
des ignorances d’honnetes gens et des ignorances de la-
quais. Üelles de Mr. Grosley sont de la m&me espece.“
— $. 557. Auch über die dconomiftifhen Philofophen macht
fih Grimm in feiner Correfpondenz fehr oft luſtig. Im
$. 365, verdienen auch Dlivier und Paftoret eine rühms
liche Erwähnung Sean Dlivier ift durch feine Analysis
philosophica civilis doctrinae. Romae 1777. 4. durd) feine
Principes du droit civil romain, Paris 1786. 2. Tomes. d.
fo wie durch fein Buch: Sur la reforme des loix civiles.
Paris 1786. 2. Tomes. 8. und Paftoret durch feine, von
der Academie des inscriptions et belles-lettres im Jahr
1784 gekroͤnte Preisfhrift Aber die Frage: Quelle a ete
Vinfluence des lois maritimes des Rhodiens sur la marine
des Grecs et des Romains, et de l'influence de la marine
sur la puissance de ces deux peuples. Paris 1784. durd)
feinen: Moise consider comme legislateur et moraliste,
Paris 1788. und durd feine, von der Franzoͤſiſchen Academie
den 25. Auguft 1790 gekrönte Preisichrift: des lois penales.
Paris 1790. 2. Vol. 8, fräymlich befannt. — $.5Bo. Von
Selchow erhielt fhon im Jahr 1764 von dem Sjtaliener
456 Lehrbuch der civiliſt. Litteraͤrgeſchichte v. Pr, R. Hugo.
Migliorotto Maccioni ein großes Lob; er nannte ihn *
„il dottissimo signor Cristiano de Selchow, celebre pro-
‚ fessore di Gottiäga, ä cui molto devono gli studiosi
della giurisprudenza, della quale € particolare ornamen-
to.“ — Im $. 3ı2. Mote ı. gibt der Verf. eine intereffante
und noch wenig bekannte Nachricht von dem berühmten Däs
nifchen Etatsrathe Johann Jacob Mofer, aus den Par
pieren des Kanzlers Zuftus Henning Böhmer in Halle,
die vecht auffallend beweif’t, wie viele Widerwaͤrtigkeiten und
Kraͤnkungen die größten und von der Nachwelt verehrteften
Gelehrten in ihrem Leben erfahren, wie unrähmlih und ums
ſcheinbar fie oft ihre gelehrte Laufbahn eröffnen, wie gerade
ihr anfängliches Mißgeſchick, indem es ihren Ehrgeiz und
Eifer reizt, ihr größtes Gluͤck wird, wie fie, mit einent feften
Willen und großer Kraft ihr Ziel verfolgen, allmählig alle
ihre Zeitgenoſſen Äberflügeln, und von der allein unpartheyifchen
Nachwelt allein mit Ehrfurde genannt werden, während die
Namen aller derer laͤngſt der Vergeſſenheit übergeben find,
die bey ihren Lebzeiten vrühmlicher begonnen, aber unruͤhmlich
geender, und vielleicht den Mann der Macwelt, in ihrem
ehörichten Eigendänfel, tief unter fih geſetzt und verachtet
haben. — $. 418. Bon dem großen Nußen der ſyſtematiſchen
Vorträge im reinen Roͤmiſchen Rechte konnte fih Rec.
nie Überzeugen ; und wenn er, mit Webergehung mehrerer
wichtiger Gründe, die er anführen fönnte, nur’ von der ges
genwärtigen Zeit, wo die fpflematifchen Vorträge an: der
Tagesordnung find, in die Zeiten zurückblict, wo secundum
erdinem institutionum, Pandectarum et Codicis gelefen
wurde, ſo findet er nicht, daß jetzt aründlichere Juriſten, als
ehemals, gebildet werden. Die großen Eiviliften der verfloffenen
drey Jahrhunderte wurden nicht nach fyftematifchen Vorträgen
gebildet, und. welche Nechtsgelehrte der neuern Zeiten, die
darnach gebilder wurden, können wir ihnen an die Seite
fielen? Rec. will damit durchaus die fpflematifchen Vorträge
nicht verwerfen; er fhäßt fie vieimehr, wenn fie gut ausges
dacht find, fehr Hoch, und glaubt, daß fie dem Verſtande des
Verfaffers immer große Ehre machen; aber er glaube, daß
man ihren Mugen gewöhnlih zu hoch tarire, und daß fie,
Lehrbuch der civiliſt. Litterärgefchichte v. Br. R. Hugo” 157
nah einer Erfahrung, die wenigftens fhon fo alt ift, daß
man fih ein Urtheil erlauben darf, niche fähig ſeyen, gründs
lihere und berähmtere Juriſten hervorzubringen, als die nicht
ſyſtematiſchen, die ung die groͤßten Civiliften geliefert haben,
die noch immer unerreicht geblieben find. Weberhaupt glaube
Nec., daß die heutige Civilechtsgelehrfamkeit im Ganzen tief
unter der ehemaligen Franzoͤſiſchen, in ihrer fchönften Periode, '
fiehe, und er ift, aus zwey Hauptgruͤnden, volllommen übers
zeugt, daß jeme glänzende Periode nie wieder zurückkehren
werde, Einmal ift in dieſer das Wichtigſte fchon entdeckt
worden, und weil die wichtigen Wahrheiten nicht in das Uns
endliche gehen, fo müflen die Nachkommenden Hinter den
Vorhergehenden nothwendig weit zurücbleiben. Sodann muß
gerade die Leichtigkeit der Erftern, ſich der Entdeckungen der
Legtern zu bedienen, fie nachzuahmen, und von ihnen zu ent:
lehnen, ein Hauptgrund feyn, warum die Spätern, in ihren
Werken, unter den Zrühern bleiben. Diefe Bemerkung ift
von großer Wichtigkeit, um von dem Vorzuge Nechenfchaft
zu geben, den wir fo oft dem einen vor dem andern Schrifts
fieller beyzulegen fhuldig find, und die Überdies noch die aufe
fallende Erſcheinung erklärt, warum gerade diejenigen, welche
mehrere und größere Vortheile, etwas zu lernen und fich aus
zuzeichnen, zu befigen fcheinen, und auch in der That Befiken,
gewöhnlich mit weniger Mugen fernen, und bey weiten nicht
ſo beruͤhmt werden. Denn der gluͤckliche Erſolg iſt immer der
Groͤße der uͤberwundenen Schwierigkeiten angemeſſen.
Rec. bricht Hier den Faden dieſer vielleicht zu lang aus—
gefponnenen Cririt mit Gewalt ab. Hochachtung fir die
Talente und Kenntniffe des Verf., die er mit tief empfundener
Wahrheit, und mit guter und großer Ueberzeugung, weit
über feine eigenen, viel geringeren, feßt, Liebe für die Wiffen⸗
ſchaft ſelbſt, und, um“ ganz offenherzig zu ſeyn, auch ein
wenig eigenes Intereſſe konnten ihn allein zu einem fo weit
läufigen Discurfe verleiten. Einem Schriftfteller, für deſſen
Verdienfte er weniger Hochachtung hätte, wuͤrde er nie ſo
viele Seiten gewidmet haben. Die Liebe fuͤr die Wiſſenſchaft
beſtimmte ihn, Maͤngel und Gebrechen zu ruͤgen, wodurch
dieſe ſelbſt, wenigſtens nach ſeinem Glauben, verunſtaltet
4158 Lehrbuch der civiliſt. Litterärgefchichte v. Br. R, Hugo:
wird; und fein eigenes Intereſſe befteht darin, weil er nichts
fo fehr wuͤnſcht, als die den Sachen nah hoͤchſt ſchaͤtzbaren
Schriften des Verf. frey von jenen Mängeln lefen zu können.
Diefe Mängel betreffen den Vortrag, die Schreibart, die
Form, den Ton und die Manier, Dinge, die der Verf. Ans
bern kann, fobald er nur will, und wobey nicht Rec. allein,
fondern alle Verehrer der gelehrten Eigenfhaften des Verf.
eine größere Negelmäßigkeie jehnlich wünfhen. Rec. tritt alfo,
duch Ruͤgung diefer Mängel, nicht einmal den wahren Ver—
dienften des Verf. zu nahe, weil jene nur auf die Form und
nicht auf die Sache ſich beziehen, und weil es nur von dem
Willen des Verf. abhängt, jene nah Belieben abzuändern.
Thut er diefes nicht, fo ift Rec. lebhaft überzeugt, daß er für
den größten Theil feiner Lefer unverftändlih bleiben, daß er
fie ohne Noth um viele Zeit bringen, daß er fie mißmuthig
und verdrießlich machen, und für feinen eigenen Ruhm bey-
der unpartheyifhen Nachmelt am menigften ſorgen wird. Er
fchließt mit folgender vortrefflichen &telle des eben fo vortreffs‘
d'Alembert: „L’obscurit@ est le plus grand vice de:
V’elocution, soit quelle vienne du mauvais arrangement
des mots, soit quelle vienne d’une trop grande briéveté.
Comme on n’ecrit que pour se faire’ entendre, la pre-
miere chose, à la quelle on doit songer, c'est d’£tre‘
clair. Il faut, dit Quintilien, non seulement qu’on
puisse nous entendre, mais encore qu’on ne puisse pas
ne pas nous entendre. La lumitre dans un e&crit doit
&tre comme celle du soleil dans l’univers, laquelle ne
demande point d’attention pour être vue.“
- Lehrbuch der gerichtlichen Medicin. Zum Behuf academi-
scher Vorlesungen und zum Gebrauch für gerichtl. Aerzte
und Rechtsgelehrte entworfen von Adolph Henke, der
Arzneikunde und Wundarzneikunst Doctor, Professor der
Medicin an der königl. bairıschen Universität zu Erlangen,
der physikalisch ınedicinischen Societät daselbst zeitigen
Secretair, und einiger gelehrten Gesellschaften in Teeutsch-
land, Rufsland und der Schweiz Mitgliede. Berlin 1812.
Bei Julius Eduard Hlitzig. X und 358 8. in 8.
Lehrb. d. gerichtl. Arzneywiſſenſch. v Henle u. Wildberg. 159
Handbuch der gerichtlichen Arzneiwissenschaft zur Grundlage
bei academischen Vorlesungen und zum Gebrauche für
ausübende gerichtliche ‘Aerzte von Dr. C. F. L. Wild-
berg, herzogl. mecklenb. strel. Hofrathe, Stadt - und
+. Districtsphysicus und practischem Arzte zu Neu-Strelitz,
und mehrerer gelehrten Gesellschaften Mitgliede. Berlin
bei W. Dieterici 1812. VII und 429 S. in 8.
Die gerichtlihe Arzneywiſſenſchaft lehrt ung, wie wir die
aus Beobachtung und Erfahrung hergeleiteten Grundfäge der
Naturwiffenfchaft und der Heikunde zur Aufhellung und Ents
fheidung zmweifelhafter Rechtsfragen anwenden follen, und ift
in diefer Hinſicht feine in fih felbft gefchloffene Wilfenfchaft,
fondern ihre Beſchaffenheit hängt von dem jedesmaligen Zus
ftande der ihr zum Grunde liegenden Wiffenfchaften ad, und
fie wird daher in eben dem Grade volllommener, als jene
beyden Wiſſenſchaften ſelbſt an Wolltommenheit gewinnen.
Diefe beyderley Wiffenfchaften aber gründen fi bloß auf Er—
fahrung jund Beobachtung, und gewinnen von diefer Seite
ihre fhäßbarften Bereicherungen, welche die fogenannten Bes
reiherungen, Vermehrungen und Vollendungen derfelben auf
dem Wege der Speculation weit hinter ſich zuräckhaffen; und
in diefer Hinſicht ift es mamentlih für gerichtlihe Arzney⸗
wifjenichaft, welche dem feine fpeculative MWagefäse und Phras
fen, fondern lauter pofitive Grundfäße fuchenden Nichter ben
Entſcheidung gewiſſer Nechtsfäle an die Hand gehen foll, ein
fehr erwuͤnſchter Vortheil, wenn Maturmwiffenfhaft und Heil—
funde auf dem Wege der Empirie an Vollkommenheit gewins
nen. Diefes gilt aber namentlid) von unfrem Zeitalter, wo,
abgefehen von den mancherley ephemeren Syſtemen und fos
genannten Philofophieen, die wie ein berrfchender Genius
epidemicus auf die wiffenfchaftlichen Arbeiten mancher Naturs
forfher und Aerzte einen unverfenndaren Einfluß äußern,
demungeadhtet der Männer nicht wenige find, die, dem Eins-
fiuffe jenes Genius epidemicus durch die Feftigkeit ihres
Charakters widerftehend, auf dem zwar ſchweren, aber fegens
vollen Wege der Erfahrung und Beobachtung der Summe
unferer Kenntniffe im Fache der Naturwiffenfchaft und Heilkunde
täglich neue Wahrheiten hinzufügen. Durch die mwohlthätigen
Bemühungen diefer verdienfivollen Männer gewann feit einem
160 Lehrb. d. gerichtl, Arzneywiſſenſch. v. Henke u. Wildberg.
Jahrzehend fowohl Naturkunde, als auch Medicin fo mande
Bereiherung ihrer Wahrheiten, und eine reichhaltige Quelle
von DBereiherungen und Berichtigungen älterer Grundſaͤtze
oͤffnete ſich hierdurch auch für die gerichtliche Arzneywiſſenſchaft;
manche ihrer Lehrfäge erhielten hierdurch eine neue Berichti—
gung, manche eine größere Feftigkeit, mandye, nunmehr ale
irrige erfannt, wurden mit beffern richtigern vertaufcht.
Diefe Bereicherung, Berichtigung und DVerbefferung unfer
rer gerichtlichen Argneywiffenfchaft brachte nun auch das Beduͤrf⸗
niß nener Lehrbücher hervor, nachdem die feither gebräuchlichen
Lehrbücher ‚derfelben der fih immer mehr ausbildenden Willens
ſchaft nicht mehr gang anpafjend waren, und Meferent freut
fi) in diefer Hinſicht hier zwey neue Lehrbücher der gerichtlis
hen Arzneywiffenichaft nennen zu dürfey, welche, von den
Händen zweyer fehr verdienfivollen Deutſchen Aerzte ung ger
fchenft, in der Litteratur der in Deutichland gebornen und
ausgebildeten Wiffenfchaft einen ehrenvollen Plaß einnehmen.
Pevde Werte find als vollftändige Lehrbücher der gericht:
fihen Arznenmiffenfhaft wegen der Ausführlichfeit und Reichs
haltigkeit, womit die darin vorfommenden ©egenflände abges
handelt find, feines kurzen Auszugs fähig, weswegen Referent
fi) genöthigt fieht, nur einige allgemeine Bemerkungen über
diefelben hier mitzutheilen.
In beyden Werten find die neneften Entdeckungen und
Erfahrungen im Fahe der Marurmwiffenihaft und Heilkunde
mit großem Fleiße benußt, vie einzelnen Gegenfiände der
gerichtlihen Arzneywiffenichaft gehörig deutlih und zweckmaͤßig
von einander unterfchieden, die mancherley Wege zur Enticheis
dung und Aufhpellung der dem gerichtlichen Arzte vorfommenden
Fragen genau und lehrreich angegeben, die einzelnen Fälle,
deren Erdrrerung Gegenſtand der gerichtlihen Arzneywiſſen—
fhaft it und werden kann, ausführlich auseinandergeſetzt,
und die Behandlung derfelden it mit hinreichender Deurlichs
keit angezeige und mit der reichhaltigften Lıtteratur belegt.
Ueberdies findet aud der Anfänger ın benden Merken niche
nur eine zwar kurze, doch lehrreiche Darftellung der gefchichts
lihen Momente dieſer Wiffenihaft, fondern zugleich eine hoͤchſt
faßliche Einleitung, und man möchte fagen Einführung in dies
felbe als einen Theil der geſammten Staatsarzneywiſſenſchaft.
Referent glaube in dieien kurzen Bemerkungen die Vers
dienfte zweyer Werke hinreichend ausgeiprocen zu haben, deren
erfterem Überdies noch eine gewiffe Eleganz des Vortrags, letz⸗
terem ein ausführlihes Sachregiſter eigen iſt.
iii —
No. 11. Heidelbersifhe 4813.
Jahrbuͤcher der Litteratur.
Altdaͤniſche Heldenlieder, Balladen und Märchen uͤberſetzt von Wils
helm Carl Grimm. Heidelberg, bey Mohr und Zimmer.
1811. XL u. 545 ©, in 8. (5 fl.)
IR. dem Entdecker einer wuͤſten Inſel, der durch einen
Schiffbruch auf fie verfhlagen, viele Jahre auf ihr allein zu
feben ſich genoͤthigt fieht, und nachdem er dur Schickfal oder
Zufall einige Zeit von ihr entfernt, neugierig endlich wieder
in die liebgewonnene Heimath zurückkehrt, und jest plößlich
hier eine Hütte, oder ein Haus, dort einen fchimmernden
Palaſt aufgeführt ſieht, freudig erſtaunt, dies Feine, fo lange
öde gebliebene Land fo fchnell bevölkert, und auch von andern
geihäst und angebaut zu fehn, fo angenehm und froh war
die Verwunderung des Rec., als er durch vorliegendes Werk
und die mannigfaltigen neueften Notizen, welche dafjelbe enthält
lehrt wurde, wie das Fach der Nordifchen Fitteratur von mehreren,
befonders von dem Verf. des gegenwärtigen Werks, mit einem
fo fchönen Enthufiasmus ergriffen, und mit einem, nad} der
Kürze der Zeit berechnet, kaum glaublihen Fleiße angebaut
werde. Wie die Mahichrift beurkundet, fo find mir zu der
zuverfichtlichften Hoffnung berechtigt, in Kurzem fogar bie
Hauptwerke diefer Litteratur, namentlich die Edda und fämmts
lihe Sagen nebft allen darin enthaltenen Liedern der Vor—
zeit ( Werke, woran fo manche tiefgelehrte Kenner des Nor—⸗
dens manches Jahrzehend gearbeitet, und erft einen Bleinen
Theil trog Eoftfpieliger Aufopferungen und Ermunterungen
verftorbener und lebender Mäcens, eines A. Magnäus und
Suhm, zu Tage gefördert haben) halbjährig paar und paars
weife (wie fonder Mühe und Koften) vorgeführt zu fehn.
Auch muß Nec. aufrichtig bekennen, daß die Freude, einen
Wunſch, das alte Kjempe-Viſebog hier nicht nur vollftändig
uͤberſetzt, fondern fogar mit philologifher Kritik behandelt,
11
162 Altdaͤniſche Heldenlieder von W. €. Grimm,
mit Hiftorifchen Einleitungen und Erklärungen verfehen, und
bald zu der Einen Sage den Schläffel, bald den Widerfpruch
einer andern gehoben, bald Dunkelheiten der Geſchichte durch
die Sage enträthielt, und im Ganzen einen fo reichen Zuwachs
von poetifhem Stoffe uns angeeignet zu fehen, in dem evs
ſten Augenblick die Pflicht der kritiſchen Prüfung unterdrückte,
fo wie fie auch fchon durd die Einrichtung des ganzen Buches
einigermaßen erfihwert war.
Indeſſen hat bey fälterer Anficht diefer Bearbeitung und bey
flühtiger Vergleihung der Driginale fid) bald gezeigt, daß der
Kritik gleihwohl noch mandes, und zum Theil fehr ernftliches
zu erinnern übrig. bleibt.
Wir Haben daher die Anordnung und Weberfeßung der
Kiempeviiier felbft, die Anficht des Verf. in feiner Morrede,
und den Werth feines Commentars über einzelne Stüfe am
Schluffe des Werkes einer umftändliheu Prüfung unterworfen,
deren Nefultat folgendes ift.
Da ein Nyerup, der fih fchon vor 27 Jahren in feis
nen Fohkehange, die als zweytes Heft der Leuninger
af Middel s Alderens Digtetunft zu Kopenhagen
(1784. 8.) herausfamen, als kritifch slitterarifchen Kenner der
Dänifchen Volkslieder beurkundet hat, in Verbindung mit
einem Abrahamfon, dem Veteran der Dänifchen Aefthetiker,
Sprachkenner und Alterthumsfreunde, deffen erfteren treffliche
Anfiht feiner vaterländifchen Volkslieder längft aus feinen
äftherifch s Pritifchen Bemerkungen über das Lied vom ſchoͤ—
nen Midel in Sräters Bragur, 5. Band (Leipzig,
bey Sräff, 1794), ©. 292 u. f. w. uns Deutfchen befannt
geworden ift, und einem Rahbek, der in feinen früheiten
jahren bereits unter den Dichtern des Daterlands genannt
wurde, und durd feine Poetiſke Forfog ( Kiöbenhaun, 1794.
‚. 8.) fi als Iyrifhen, und vorzuͤglich als Liederdichter ausge—
jprochen, und ſowohl in feinen Danſke Tilhkuer, als in dem
gemeinschaftlich mit Nyerup herausgegebenen Bidrag til den
Danfte Digtetunfts KHiftorie, udedragne af Foreläsninger,
holdne over dette Aomne, i Vintren 1798 — 1800. ved Pros
feſſorerne Nyerup 09 Rahbek, (Beytrag zur Gefchichte der
Däanifhen Dichtkunſt, als Auszug aus den, über diefen Gegens
Altdaͤniſche Heldenlicder von W. €. Grimm, 463
ffand:in den Wintern 1798. bis 1800. von den Profefforen
Nyerup und Rahbet gehaltenen Vorleſungen) Kiöbenhavn
(Copenhagen ) 1800. u. f. ſich als einen für alle Zweige der
frühern und fpätern Dichtkunſt mie hohem Eifer hingegebenen
Litterator ausgewieſen hat — eine kritiſche Ausgabe dieſer
Kiempe Viſer oder vielmehr Danſke Viſer der gelehrten Welt
verfprechen; fo ift es kaum begreiflich, wie Hr. Sr. eine folche littes
räriich und Aftherifch : Britifche Ausgabe der alten Daͤniſchen Volks;
lieder nicht lieber abwarten wollte (zumal da das Nonum prema-
tur in annum wohl bey Feiner poetifchen Arbeit nörhiger
ſcheint, als: bey einer folhen ), und ung feine Weberfegung
aus einer fo unkritifhen, wie. diefe unftveitig iſt, zu geben
vorzog. Wir nennen hier Hrn. Myerup zuerft, welcher nicht
vielleicht (wie in diefen Jahrbuͤchern, 4. Jahrgang 4. Heft:
Aprit,- ©. 569g gefage ift), fondern ganz gewiß. und fchon
feit (anger Zeit zu einer Ausgabe fidy vorbereitet, indem aus
Srärers Bragur 3. Band S. 311 durch Herren Profeffor
Rahbeks Nachricht ſolches bereits feit 17 Jahren außer Zweis
fel it; außerdem hat Here Prof. Nyerup, Bibliothekar der
Föniglichen, und früher der Suhmifchen Bibliothek, dem daher
ein Reichthum von Materialien feit vielen Jahren zu Gebote
ftand, die Wahrheit dieſes Verſprechens bereits durch eine
merfwürdige Probe (f. unjere Jahrb. 1811. Mr. 24.) ber
gründet. Go. willig wir aud) zugefichen, was Herr Grimm
©. 429— 431 behauptet, daß der Eratsrath Sram in einem
autographum ber fönigl. Bibliothek, welches Hr. Nyerup
ſchon in feiner Vorrede zu den obgedachten Levninger anges
führe, und nur Kr. Grimm vollftändig. mitgetheilt hatte, zu
hart urtheilt, wenn er die Kjempe Bier unter dem Titel:
„diefer ganze Kram von Altenweiberzeug * abfertige, und
Thomas Bartholin fie geradezu „putidissimas et triviales
cantilenas nennt, omni prorsus Juce indignas, cum ne in-
star quidem antiquitatis prae se ferant, ad colos (durd)
einen Drucfehler fteht bey Hrn. Grimm color) aniles heri
aut nudius tertius infelici vera compositae; — fo hat doch,
was den kritifchen Werth diefer Syv. Wedelichen Ausgabe der
Kiempe Viſer berriffe, ſelbſt ein Nyerup, den Ar. Grimm
—
164 Alidaͤniſche Heldenfieder von W. €. Grimm,
‚gewiß nicht den Kun. Sram nnd Bartholin gleich ftellt, im
feiner. VBorrede zu den Levninger udgivet af det Kongelige
Bibliotheks Haandſkrifter, Ander Hefte, (S. 8 von Anfang
der Vorrede an gezählt) folgendermaßen geurtheilt: „ Nimmt
das Publitum diefe beyden Meinen Proben mit Beyfall auf,
fo wird fid) vielleicht ein Sandwig oder Wandal dadurch zu
einer neuen. vermehrten fritiichen Ausgabe des ganzen Kämpfers
liederbuchs bewegen laffen, da es nicht. gerade unferer Litteratur
zu beſonderer Ehre gereicht, daß diefe Monumente des Mittels
olters bloß: in dieſer erbärmtichen,, unanfehnlichen, von Druck
fehfern angefüllten, und ohne wahre Kritik veranflalteten
Ausgaben, wie diejenigen find, die wir haben, zu lejen find,
von Anders Sörenfen Wedels Ausgabe an, bis zu der neues
fien, von Nicolaus Chriftian Hopffnern 1764. gedruckten 1* —
Auch Suhm urtheilt nicht. glimpflicher Über dieſe zufammens
geraffte Sammlung Daͤniſcher Volklieder (f. deffen gefammelte
Schriften, S. 76, wo er fagt: „nah dem Inhalt der
Niflunga Saga find unfre meiften Kjempeviſer gefchmieder,
doch ‚mit dem Unterfchied , daß Sstalienifche und Deutfhe Bes
gebenheiten darin fo vorgeftellt werden, als ob fie in unferm
Morden gefchehen wären. jeder verftändige Pefer kann daraus
leicht abmerten, mie wenig diefe Kjempevifer in unſrer Ges
fhichte Hülfe Teiften, und wie fchlimm es ift, daß fo brave
Männer, wie Wedel und Syv., fo viele Zeit und Mühe auf
fie verwendet haben.“
Eben fo fchlimm, wenn nad ein Paar Jahren eine fris
tifhe Ausgade der Kjempeviifer wird erfchienen feyn *), fagt
man vielleicht, war es, daß Hr. Grimm auf die alte unfritis
fihe fo viele Zeit und Mühe verwender hat.
Unftreitig aber verdient eine folche Webertragung aud fo
den Dank des Deutfchen Publitums, und wir find keineswegs
gefonnen, Hrn. Grimm deswegen zu nahe zu treten.
Es fragt ſich jeßt nur, wie Ar. Grimm diefes Unterneh—
men ausgeführt hat. Unſers Erachtens gibt es haupttächlich
*) &o eben leſen wir in Idunna und Hermode, daß dies bereit
geſchehen ift,
Atdänifche Heldenficder von W. C. Grimm, 165
dreyerley Arten Ueberſetzungen, Eine, die bloß das Wort wiede®
gibt, damit, wenn fie zur Seite flieht, man rede genau mer
fen kann, cujus generis, numeri, casus u. f. w. oder cujus
modi, temporis, personae es im Driginal ift, kurz, nad
Art der Schüler » Erereitien in der firengen Syntaxi conve-
nientiae, ine andere, die ſich nicht fowohl nach diefer grams
matifhen Originalität, als nach dem Sinne richtet, und eine
dritte, dev es bloß um den Geift zu thun if. Die zweyte
naͤmlich will uns nicht in den einzelnen Worten der Sprache
unterrichten, ſondern in den Gedanken, und die dritte nicht
in der Form jedes einzelnen Gedanken, ſondern in der Wir—
kung des Ganzen, die ſie auf gleiche oder doch auf aͤhnliche
Weiſe hervorzubringen ſtrebt.
Hrn. Grimms Ueberſetzungen gehoͤren weder in die erſte,
noch in die dritte Claſſe, ſondern in die zweyte, doch ſtreifen
ſie nicht ſelten an der erſtern, nie aber an der dritten.
Tadeln iſt keine Kunſt, wendet jeder Schriftſteller, jeder
Kuͤnſtler ein, mach du's beſſer. — Dieſe Einwendung gilt
von jedem erſten Verſuche, und wir ſtreiten daher mit keiner
dieſer Arten, wir nehmen fie vielmehr alle, eben als erſte Vers
fühe und Vorarbeiten mit gebührendem Dante an. Allein es
gibt unter der Anzahl diefer von Hrn. Grimm überfeßten
Lieder doch einige, die fhon von Deutfchen - Schriftftellern
Übertragen waren, und eine Vergleihung mit diefen feinen
Vorarbeiten muß den Ausfhleg geben, ob fib Hr. Grimm
befirebt hat, und ob es ihm geglückt ift, es beffer. zu machen
oder nicht.
Ein berähmteres Lied unter diefen Dänifchen Volksgeſaͤn—
gen gibt es unter ung nicht, als die Jungfraun auf Elvershöh.
Eeſt hat uns Gerſtenberg, dann Herder, dann Haug damit
bekannt gemacht.
Man hoͤre alſo:
Gerſtenberg.
(S. Briefe über die Merkwürdigkeiten der Litteratur 1. Sammlung,
S. 110)
Sch legte mein Haupt auf Elvers Höhe; meine Augenlieder
fanfen: Da kamen zwo Sungfern, fich mit mir zu unterreden.
166 Altdaͤniſche Heldenlieder von W. C. Grimm.
Die Eine flreichelte meine weißen Baden, die Andere lifpelte
mir ins Ohr: Steh auf, munterer Yüngling, und erhebe den Tanz!
Steh’ auf, muntrer Jüngling, und erbebe den Tanz: Meine
Sungfrauen follen die fchönften Lieder dir fingen.
Die eine, fo reigend über alle ihres Gefchlechts, hub ein Lied
an, der braufende Strom bielt inne, und floß nicht mehr, die Fleinen
Fiſchchen, die in der Fluch ſchwammen, ſpielten mit ihren Berfols
gern.
Alle Heine Fiſchchen der Fluth ſpielten und hüpften; alle Heine
Vögel des Waldes zwitfcherten durch die Thäler.
Höre, du munterer Süngling, will du bey uns verweilen, fo
wollen wir dich die Runen und Charakteren lehren.
Sch will dich den Wären binden lehren, und der Drache, der-
fi) auf Golde lagert, foll vor dir-weichen.
Sie tanzten bin, fie tanzten ber auf der Höhe : aber der. Zünge
ling faß, und flüßte fih auf feinem Schwerte.
Höre, munterer Füngling, wenn du ung nicht antwortefi, fo
wollen wir dir mit Schwert und Meffer das Herz aus dem Leibe
reißen. i
Da frähte der Hahn! zu meinem Glüde! Bch wäre font nie
von Elvers» Höhe gekommen.
Hedem jungen Dänen, der nach Hofe zieht, will ich rathen,
niemals auf Elvers Höhe zu fchlummern.
So überfegte Gerftenberg ſchon 1766, mithin vor 48
Jahren, und man muß geſtehen, unerachtet die Ueberſetzung
in Proſa abgefaßt iſt, und dem Ohre durch keine proſodiſche
Kunſt ſchmeichelt, daß der lyriſche Schwung, der im Originale
lebt, und das zauberhafte Colorit keineswegs dem Verf. ent—
gangen iſt.
Zwoͤlf Jahre darauf in des trefflichen Herders Volkslie—
dern, Leipzig 1778., die mit Recht Stimmen der Voͤlker
heißen, erfihien (1. Th. S. 152) eine neue Webertragung
diejes Volkslieds, herzlich und fchön, aber auch holzfchnitts
mäßig, wie man es von Herdern gewohnt if. Sie lautet
alfo :
Altdaniſche Heldenkieder von W. ©; Grimm. 467
Elvershoͤh.
ein Bauberlied.
Däniſch.
Ich legte mein Haupt auf Elvershöh,
Mein' Augen begannen zu ſinken,
Da kamen gegangen zwo Jungfrau'n ſchön,
Die thäten mir lieblich winken.
Die Eine, fie ſtrich mein weißes Kinn,
Die zweyte Fifpelt ine Obr mir:
Steh auf, du muntrer Jüngling! auf!
Erbeb’, erbebe den Tanz bier !
Steh auf, du muntrer Süngling, auf!
Erheb', erhebe ven Tanz bier!
Meine Jungfrau'n fol’n dir Lieder fingen,
Die fchönften Lieder zu hören.
Die Eine begann zu fingen ein Lieb,
Die Schönfte aller Schönen ;
Der braufende Strom, er floß nicht mehr,
Und horcht den füßen Tönen.
Der braufende Strom, er flof nicht mehr,
Stand fill und borchte fühlend,
Die Fifchlein ſchwammen in heller Fluth,
Mit ihren Feinden fpielend.
Die Fiſchlein al’ in heller Fluth,
Sie fcherzten auf und nieder,
Die Böglein al’ im grünen Wald,
Sie büpften , ziepten Lieder.
„Hör an, du muntrer Büngling, hör' an,
Mille du bier bey uns bleiben ?
Wir wollen dich lehren das Runenbuch,
Und Zaubereyen fchreiben.
Sch will dich lehren, den wilden Bär
Zu binden mit Wort und Zeichen;
Der Drache, der rubt auf rothem Gold ,
Sol ſchnell dir flieh'n und weichen.“
Eie tanzten bin, fie tanzten ber ;
Zu bublen ihr Herz begebrt ,
Der muntre Süngling, er faß das
Geſtützet auf fein Schwert,
168 Atdänifche Heldenlieder von W. €, Grimm.
„Hör an, du muntrer Yüngling, bör an:
Wille du nicht mit uns fprechen ,
So reißen wir dir, mit Meffer und Schwert,
Das Herz aus, uns zu rächen.“
Und da, mein gutes, gutes Glück!
Der Hahn fing an zu kräh'n.
Sch wär font blieben auf Elvershöh,
Bey Elvers Jungfrau'n fchön.
Drum rarh ich jedem Züngling,
Der zieht nach Hofe fein,
Er feße fich nicht auf Elvers Höh,
Allda zu fchlummern ein.
So Herder! Uebrigens bemerkt er in dem Inhaltsver—⸗
zeichniß, daß der Zauber des Driginals unüaberfegbar fey. Es
mag, aber daß wenigfiens ein ähnlicher Zauber hervorgebracht
werden kann, fcheint uns Haug in feiner trefflihen Bearbei—
tung deffelben Liedes (f. Epigrammen: und vermifchte Gedichte,
2. Bd. Berlin 1805. S. 395) bewiefen zu haben, das zus
gleih unter den Meifterftücen der Iprifchen Dichtkunſt nicht
überfehen zu werden verdient:
Elvershöh.
Nach dem Dänifchen.
Mich wollte füßer Schlaf
Auf Elvershöh umfangen.
Da famen lieblich und zart,
Zwey Mädchen, nach Feenart
Mehr fchwebend als gegangen.
Die Eine ſchmückte mich
Mit ihrem Myrtenkranze.
Die zweyte lispelte traut
Mit berzbefchleichendem Laut :
„Mein Züngling! Auf zum Lange!“
Die Eine fpielte mir
Mit fanfter Hand am Kinne,
Die zweyte faßte mich frey,
„Wohlauf, mein Tänzer! Herbey!“
Und fang ein Lied der Minne.
Altdänifche Heldentieder von W. C. Grimm, 169
Mit allen Sternen fchien
Der blaſſe Mond zu laufchen.
Kaum hauchte die Nachtigall;
Der Strom bielt mitten im Fall,
Der Sturn vergaß zu raufchen.
O Wonnemelodie!
Mit ihren Feinden fpielten
Die Fiſche fo. wohlgemuth
An monddurchfchimmerter Fluth, a
Und Felfen, Bäume fühlten.
Gelobe, muntrer Pant !
Uns Jungfrau'n dich zu. weiber.
Hör unfern Gegenverfpruch :
Dann lernft du das Runenbuch
Und alle Saubereyen.
Du follft den wilden Hr
An feidnem Fädchen lenken,
Solft Dracyenbezäbmer feyn,
Und Gold und Edelgeflein,
Worauf fie rub’n, verfchenfen.
Sie buben lockend an
Im Tanze fich zu dreben.
Shr Blick und Wefen verklärt!
Gelehnt auf’s ruhige Schwert ,
Kalt, fehweigend blieb. ic) fliehen.
Komm , Schöner Züngling, fomm !
Du zögerſt? — Wir du fprechen ?
Verachte nicht unfer Gebot ,
Sonft muß dein plößlicher Tod
Uns, die Verſchmähten, rächen.
Sie baten, zürnten, fchrien —
Zwey Dolche blinften — Wehe!
Gottlob! da Fräbte der Hahn. ä
Sonſt wars um mein Leben gethan —
O meidet Elvers Höhe!
Welchen von diefen drey Vorgängern nun Hr. Grimm
übertroffen habe, muß die Vergleichung mit v. eigenen
Ueberſetzung zeigen. Hier iſt fi f e:
470 Altdänifche Heldenlieder von W. ©. Grimm.
Elfenhöh (©. a)
Sc Tegte mein Haupt auf die Elfenhöb, meine Yugen begannen zu
fhlafen,
Da famen gegangen zwey Zungfraun heran, die wollten Rebe Ar gern
mit mir haben.
—— “ fie zuerſt — b
Die ı eine itelcheli⸗ mir die weiße Wang, die andre ins Ohr thät mie
flüflerm:
„Du, fieh auf, fchön junger Knab, willt du dich zum Tanze rüften,
Wach’ auf, Schön junger Sinab, wenn du zum Lanze willſt fpringen,
Meine Sungfraun follen das lieblichile, das dich lüflet zu hören, vor⸗
fingen.“
Und über alle Weiber ſchnell, ein Lied hört’ ich eine beginnen ;
Der reißende Strom fand fill dabey, der gewohnt war fonfl zu rinnen:
Der reifende Strom fland fill dabey, der gewohnt war fonft zu rinnen :
Mit ihren Floßen fpielten die Sifchlein Klein, die in den Fluthen
fchwimmen.
Mit ihren Schwänzlein fpielten fie, die feinen Fiſch in der Fluth
alzumale,
Die Böglein, die al in den Lüften find, begannen zu fingen im
| Thale.
Hör du, ſchön junger Anab, und wilt du bey ung bleiben,
Da wollen wir dich Ichren Buch und Nune, dazu auch leſen und
fchreiben.“
Sc will dich Iehren binden den Bär, das milde Schwein an der
Eihe Stamm;
Der Drache, der liegt anf vielem Gold, ſoll fliehen vor dir aus dem
Zand.
‚ Gie tanzten auf und fie tanzten ab, da in den Elfen Bug:
Da faß der fchöne junge Anab , geſtützt auf fein Schwerte gut.
„Hör du, ſchön junger Knah, willt du nicht mit uns reden,
ol das Schwert und fcharfe Mefferlein dein Herz in Nube noch
legen.“
. Hätte Gott nicht gemacht mein Glück fo gut, daß der Hahn fchwang
die Fittich fofort,
Gewiß wär ich blieben auf der Elfenhöh, bey den Elfen. Jungfrauen
dort.
Das will ich iedem guten Geſell, der zu Hof ausreitet, fagen:
Er reite nicht nach der Elfenhöh, und lege fich da zu ſchlafen.
Seitdem ich ſie zuerſt gefehn !
Altdänifche Heldenlieder von W. c. Grimm. 471
Truͤgt unfer Gefühl, oder ift es in der Thar wahr, daß
biefe neuefte Ueberſetzung nicht nur feinen Zauber an ſich trägt,
er heiße, alterthuͤmllch, volks⸗ oder kunſtmaͤßig, fondern daß
die Leſung derfelben fogar von demjenigen ‚Zauber, den wir
aus den vorigen empfangen und aufgefaßt hatten, jede Spur,
ertödtet ? |
Nein! fo können, fo dürfen die ſchoͤnen Weberrefte des
Nordens und Südens unferer geliebten Germanifchen Vorzeit
nicht behandelt werden, oder es verfliegt ihr Geiſt, und ftatt
zu.ihrer Empfehlung möchte eine fortgefekte Bearbeitung diefer
Art vielmehr dazu beytragen , fie aufs neue einer undankbaren
Vergeffenheit und ungerechten Verachtung zu überantworten.
Hr. Srimm hat einen 58 ichönen und trefflihen Anfang
gemacht, als daß es micht die heiligfte Pflicht der Kritik wäre,
hier offen und gerade darzulegen, auf welchem Abwege derfelbe
(vielleicht nur angeftecft von der Mode, vielleicht nur durch
eine falihe Vorausſetzung verführt!) zum Schaden der Kunft,
der Pitteratur, der Vorzeit und des guten Geſchmacks ſich bes
finder. Jetzt ift es für ihn noch Zeit zuräd zu gehen, um
mit dem Werdienft des großen Fleißes, einer ausgebreiteten
Lectuͤre und einer forgfältigen hiftorifchen Forfchung auch das,
Verdienft eines guten Schriftfiellers verbinden zu koͤnnen.
Wir wollen daher unfern Tadel mit jedem nöthigen Bes
weis unterftüßen, und hoffen diefes felbft für den Hrn. Verf.
fo überzeugend zu machen, daß derjelbe in einer Mahl zwis
(hen dem Beffern und Schlimmern bey einem neuen Verfuche,
falls er auf unjre Bemerkungen Ruͤckſicht nehmen will, fi
mehr. befinden kann,
Erſtens bat Hr. Gr. zu einer großen Tortur des Ohrs,
und vermuthlih um die Härten der Mitte defto leichter zu
verftesfen, aus dieſen, im Driginal unſtreitig vierzeiligen Stros
phen durchaus zwenzeilige gemacht, und meint noch uͤberdies
daran fo recht gethan zu haben, daß er aus diefem offenbaren:
Mißgriff, wie wir aus S. XXXV der Vorrede fehen, fogar
eine Kunftregel für den Rhythmus der Dänifhen Volkslieder
ableiten zu müffen glaubt. ec, der nun bald 30 Jahre das
Volk in ſeinen ihm eigenen Gefängen beobachtet, mit Liebe
beobachtet, oft mit wahrem Entzuͤcken in der Stille des Waldes
172 Mtdänifche Heldenlieder von W. C. Grimm.
oder der Naht ihm zunehört, und feldft in feiner jugend
‚manches herzliche Lied aus inniger Seele mit gefungen bat,
fonnte fi bey diefer ganz a priori gefaßten, aber eben darum
auch ſehr verunglücdten Kunftreglung nicht enthalten, zu läs
Hein! — So geht es dem Gelehrten am Pulte!
Man höre Hrn. Sr. (1. c.): „Es finder fih nämlich
in den Dänifchen Liedern nur ein zweyfacher Hauptrhythmus.
Erftlih die Strophe, die aus zwey langen Zeilen befteht, die
veimen, und wovon ‚jede fieben Bis zehn Hauptaccente hat, im
der Mitte aber einen Abſchnitt. Der Rhythmus ift ganz Los
zufammengehalten (was foll das heißen?), und bewegt fi
in der größten Freyheit ꝛc. Späterhin wird fich dies Spibens
maaß immer fefter gefeßt haben, wie es am ausgebildets
fien (1!) erfcheint in der Eifenhöh ac. *
„Zweytens die Strophe, die aus zwey kurzen Zeilen von
vier bis ſechs Accenten befteht, die feinen Abichnitt Haben,
reimen, männlich oder weiblich, und in mannigfachem dactilis
fchen, trochäifchen und jambiihen Rhythmus abwechieln.“
Das Wahre an der Sade tft, die Strophen der zweyten
Gattung find wirkliche Diftiha, 3. B. in dem Lied von des
Königs Tochter in England (man fehe Kiempeviifer, (S. 450):
6. >
Dg ned | til bu | vet bungan | ger ben |
“ Der föd | de hun | en fön | faa ven. | -
T.
Hun tog | det bar, | foöbte det | i lün |
Dg lag | de de det | i forgyl | dte flrün. |
8.
Hun Tag | de derhos | viet falt | og lius,
For det bav | de ey vä| ver il Guds Huus. )
Und wie man fieht, ohne im mindeften neue Kunftausdrücke
für ihr Meteum erfinden zu ditefen, es find nichts anders als viers
füßige Jamben, mit denen Anapäfte und Spondäen, ja wohl
zuweilen auh ein Paeon quartus ( vv u — ), abmwechfeln,
wobey es denn auf ein oder ein Paar kurzgebrauchter Längen
dem, um die Negeln der Kunft, wie überall, nicht fehr vers
legenen Wolke eben nicht ankommt. 3. B. in eben diefem Liede:
Altdaͤuiſche Heldenfieder von W. €, Grimm. 4173
i uvuvv— uv— u —
4. Str. Det lid | de n at = I re tiv’ u | gers Aue:
— v
5. Str. Den Som * tagen o | ver fig fan | ben blaa,
Dies ift das ganze Geheimniß von den vier bis ſechs Accen⸗
ten, wovon Hr. Gr. fpriht, und was eigentlich nicht an dem
ft; denn unter den Accenten verfteht er nicht, mie etwa
Klopſtock, den Nedeton, fondern jede lange, zwifchen den kurs
zen fi) heraushebende Sylbe. Allein Hr. Gr. muß dergleichen
Lieder nie von dem Wolke haben fingen hören; denn Die vierte
und fünfte Strophe haben um deswillen, daß fie an Solben
überfließen, darum nicht einen einzigen Vocalton der Melodie
weiter, und Hr. Gr. ftellt ſich es gewiß ganz irrig vor, wenn
er glaubt, daß die erfte Zeile der vierten Str. ſtatt aus vier,
aus fünf oder gar ſechs Accenten (welches wie andern Füße
heißen ) beftehe, und fo müffe gelefen werden :
v— u- V- vuv- u-vu —
Det lid | de fall | ar for | ve tiv | i m girs dag.
Eben fo ift es mit den Liedern der erften Gattung. Sie
find wirkliche Tetraſticha, nur daß der erfle und dritte Ders
des Reims entbehren können. Schr viele diefer Lieder aber
reimen auch den erflen und dritten Vers, wie z. B. ©. 483:
De legte guldtavel ved breden bord (ausgefprochen bor)
J glaede og lyſt med alde,
De fruer tvende med aere flor,
Saa underlig laegen mon falde
Manchmal reimen fogar die zwey erften und zwey lebten Verſe
mit einander, wie z. B. in dem Liede von der Königin Bern⸗
gerd S. 214:
6. Hvor ffuf | Te vi | fan me | get Staal faa,
Di fun | de baade Land | og Vand beſtaa:
Min Fiaere Jomfru J fare i Mag,
Dver | der vil el} ters kom meſtoer Klag.
Wieder in andern find der erfte und dritte Vers bald gereimt,
bald nicht gereimt, wie z. ®. in IV. 27. (nach dem Driginal
sitirt) ©. 482:
1. Str. De Rövere vilde fliele gan,
Saa langt i fremmede lande (ausgeſpr. Tanne)
174 Mitdänifche Heldenfiedver von W. E. Grimm,
Saa tale de bort den Konges barn,
Den Homfru bed Skion Anna.
Hier veimen nur der zweyte und vierte Vers, wie auch in
Str. 5. 5. 6. 7. 10. 15. 14—26., hingegen in. 2. 4. 8. 9.
20; 21. dann wieder 27. u. |. w. reimen alle vier wechjelnd,
fo daß man offenbar fieht, es iſt gar keine Regel in der Sache,
(zumal da auch öfters der 2te und 4te Ders nur zur Morh
reimen, wie 3. B. in dem angezonenen Liede Str. 3. fange
and Konge. 4; flamme und haande. 6. fine und trolove u.
f. w. ) fondern fediglich Zufall, Das Volt befümmert fi nur
um die. Sache und den ſchnellen Ausdruck feines Gerählten,
aber niht um den Reim. Es will zwar reimen, aber das
muß kein Nachdenken often; gehts nicht fogleich, fo wird aud)
geftelpert., fo gut man kann. Dies ift überall in allen Läns
dern fo gleich, daß man es fogar für eins der fiherfien Kris
terien des wirklihen Molksliedes annehmen kann. Wo alles
nah den Regeln der firengen Kritik geht, das hat gewiß
das Volk nicht gedichtet. |
Zweytens aber hat er diefes Stolpern ſelbſt wirklich übers
trieben. Es. gefällt uns an einem Frauenzimmer,. wenn fie
bey einer gefühlvollen und überdies gebildeten Sprache doch
an ihren orthographifchen oder Heinen grammatifchen Fehlern ihre
Weiblichkeit verrärh; aber wenn ein Mann den Etyl und die
Schreibart des Weibes nahahmen will, und fie beynahe in
jedem Worte einen Fehler begehen läßt, dann ift es widerlich.
Eben diefe Widerlichfeit empfanden wir an Hrn. Gr. Webers
feßungen. Sie ftolpern zuviel, und wir finden diefes keines—
wegs durch die Dänifhen Originale gerechtfertigt. |
In dem gegenwärtigen Liede find unter ı2 Reimen niche
weniger als fieben,, mithin mehr als die Hälfte nicht, und der
achte durch ein bloßes Flickwort (fofort!) gereimt Dies
heiße fih die Sache leicht machen, und fo ift denn wohl bes
greiflih, wie man etwa in der nämlihen Sahresfrift, im
welcher ein anderer Dichter, der das nonum prematur in
annum vor Augen hat, faum Ein Lied zu befriedigender Vols
lendung bringt, ihrer hundert auf einmal druckgerecht zu
machen verfteht. Wir wollen den Beweis führen. Das Dis
niſche fängt an:
Altdaͤniſche Heldenlieder von W. C. Gtimu 475
Zeg lagd mit Hovet til Elver Hy
- Mine Dyne de finge en Dvale:
Der tom gangen des toe Jomfruer frem,
Som gierne vilde-med mig tale.
Aber wie finge Hr. Grimm ?
Ich Tegte mein Haupt auf die Elfenhöh, meine Augen begannen
zu Schlafen, J J
Da kamen gegangen zwey Zungfrau'n heran, die wollten Rede fo
gern mit mir haben!
Alſo ſchlafen und Haben muß fih zumal in einer fo
freyen und weitfcyweifigen Umfchreidung des „tale“. (veden)
dennoch reimen! Das heißt doc bey einem fo fchönen Liede,
wie dieſes, den Lefer, von welcher Elaffe er auch fep, gleich
im Anfang abfchreden.
So reimt in der. zweyten Strophe der Däne: Dre und
rpre gut, Kr. Gr. aber flüftern und. rüften. fchlecht.. In -der
fünften der Däne: vinde und finde, Hr. Gr. rinnen und
ſchwimmen. In der neunten der Däne: Ferd und Sverd,
Hr. Sr. Zug und gut, ferner veden, legen, fagen, fchlafen
u. f. w. Das fann doch unmöglich auch die. lieblichfien Däs
nifhen Gedanken dem Deutfhen Ohre empfehlen. Und bie.
Denfpiele davon find durch das ganze Buch zahllos. Man
fhlage auf, wo man will, da reimt fih: herab und madıt,
409 und mogt (le&teres Wort S. 247 verfiehen wir noch übers
dies gar nicht), Wald und Schlaf, ſtark und Wald, lieb
und Schild, auf und Braut (alles auf Einer. Seite!) oder
Kifte und wußte, Leid und neun, Geſicht und mich, Noth
und froh, alfo! und fol! (S. 337) Arm und Karn (Kats
ven). — Doc genug! Weiteres Zeugnijfes bedarf es nicht.
Drittens hat Hr. Gr. auch in Hinſicht des Rhythmus
nicht immer die gefaͤllige Treue beobachtet.
So ſingt der Daͤne in der fuͤnften Strophe:
1 52 - 3 A
v—u u — [bvu—lu — |
De liden ſmaa Fiske i Floden fvam
Hr. Grimm aber:
1 2 3 4 5
v-luv—-]u F, —.
Mit ihren Floſſen ſpielten die Fiſchlein Hei
476 Altdaͤniſche Heldenkieber von W. E. Grimm.
und macht aus 4 fünf Füße, oder man müßte die zwey erſten
als einen einzigen Fuß (vuuv—) annehmen, welches wieder
zu gezwungen iſt.
Eben fo in der achten Str. u. ſ. w. Sa, in Marft
Stig’s erftem Lied (S. 382 Kjempeviifer, S. 222) hat Hr.
Gr. beynahe ein ganz anderes Sylbenmaaß, wenigſtens ers
tennt man das des Driginals keineswegs darin.
WBiertens ift auch, bey aller Übrigen genauen Kenntniß der
Dänifhen Sprache, die dem Hrn. Verf. gar nicht abzujprechen
iſt, doch hie und da der Sinn fonderbar verfehle. So übers
fegt er in eben diefem Liede Str. 4.:
Den eene begundte en Viſe at quaende
Saa faurt over-alle Quinde.
Und über ale Weiber (hell
Ein Lied hört’ ich eine beginnen.
da doch das Wort faurt nicht ſchnell, fondern ſchoͤn Heißt,
und nichts anders als das alte fagurt iſt; wie es denn Hr. Gr.
ſelbſt kurz zuvor, fo wie auch anderwärts richtig durch ſchoͤn
Aberſetzt. Wollte er hier eine Werbefjerung anbringen? So
ift fie in der That nicht gerathen. Auch ift in der 10. Str.
flatt dem hvaſſen Kniv (fcharfen Meffer ) die Naivirät mit
dem fiharfen Mefferlein gewiß nicht zur rechten Zeit angebradt.
Eben diefe Fehler, die hier an einem einzigen Liede ges
zeigt find, herrſchen durch das ganze Bud, denn gleich bleibt
fih Ar. Gr. allerdings. Nur einen einzigen haben mehrere
der andern noch, der hier nicht anzubringen war, nämlich die
fonderbare, und wenn wir es gerade herausfagen follen, die
riachläffige Beybehaltung des Däntichen BB in eigenen Namen.
Denn welcher Deutfhe wird Vonved anders als Fonfed auss
fdrehen? Und hierin erkenne fih doc der Däne in feinem
Wonwed gewiß nicht mehr. So fchreibt er Vidrich Verlands
( Fidrich Ferlands) Sohn ftatt Widrick Werlandse, Sivard
(Sifard) ſtatt Siward, Hvitting (Hfitting!) ſtatt Hwitting
Danved (Danfed) ſtatt Danwed, Berner (Ferner) ©. 130,
ftatt Werner; fogar ©. 502 Bifferlin, weldes beynahe wie
Pfifferling klingt, ſtatt Wifferlin u. \. w. Lauter Umſtaͤnde, die
den Genuß diefer Attdänifchen Reliquien mit Gewalt flören.
(Die Sortiesung folgt, )
No. 12. » " Heidelbergifhe 1813.
Jahrbücher der Litteratur,
ne — — ET
Altdaͤniſche Heldenlieder, Balladen und Märchen uͤberſetzt von Wil⸗
beim Carl Grimm.
( Sortfegung der in No. 11. abgebrochenen Recenfion, ) |
Us hat Herr Grimm in allem ı22 Lieder übers
feßt, aus welher Menge, und der dabey noͤthigen Eile
ſich allerdings alle obigen Erfcheinungen fehr- leicht begreifen
laffen. |
Deffen ungeachtet find es nicht alle. Denn der erfte Theil
der Danſte Viſer enchält 26, der zweyte 55, der dritte 19
(nebft zwey Zugaben), und der vierte,und lebte 100, mithin
in allem 190, wiewohl ihre Zahl auf dem Titel zu 200 ans
gegeben if. Es fehlen alfo in dem gegenwärtigen Werke noch
68 Lieder. Hieruͤber erflärt fih zwar Hr. Gr. in der Vor—
rede ©. XI mit einigem Grund, aber alle diefe 68 Lieder
follen wohl nicht in die nämfiche Categorie, und da Hr. Gr.
durchaus nirgends poetifh, fondern bloß wörtlich oder hoͤchſtens
finngetreu überfegt, mithin uns feinen poetifchen Geruß bereits
tet hat, fo wäre es wahrfcheinlich nicht Schade gewefen, wenn
er ung in einem Werke, das doch einmal mehr für den Littes
rator als den Lefer, der Vergnuͤgen verlangt, beſtimmt iſt,
auch die Übrigen zum beften gegeben hätte. Allein auch der
bloße Litterator und Forfcher wird ihm die Uebergehung des
alten Biarfemäl, bey dem ſich ohnehin durch Wiederherftellung
des wahren alten Geiftes aus dem Studium der immer noch
bedeutenden Weberrefte des Urlieds ein großer kritiſcher Scharfs
finn und das unzweydeutigſte Afthetifche Gefühl Hätte erproben
laffen, nicht wohl vergeben.
Zudem dat fih Hr. Sr. beynahe aller Nachmweifungen auf
das Driginal Überhoben, womit wir keineswegs die neue Claffis
fieirung dieſer Lieder in KHeldenlieder und Balladen tadeln,
mit der aber die Nachweiſung gleichwohl vereinbar, und eben
12
178 Altdaͤniſche Heldenlisder: von W. C. Grimm,
deswegen, weil die Ordnung des Originals nicht REN iſt,
um fo unerlaͤßlicher war.
Aber auch Sy v's hiſtoriſche Einleitungen zu jedem Liede
ſind durch den Anhang, der einen hiſtoriſchen Excurſus uͤber
das Ganze enthaͤlt, keineswegs erſetzt. Denn die Fabel der
14 Heldenlieder zwar iſt vollſtaͤndig commentirt, aber von dem
Ballaͤden und Maͤhrchen find ihrer 58 ohne Erklärung ge—
blieben.
An den Excurſen ſelbſt, die allerdings einen rühmlichen
Beweis von des Hen. Verf. großer: Belefenheit und weitgreis
fender Forſchung ablegen, fanden mir bey ruhiger Anficht
hauptſaͤchlich viererley zum Voraus zu tadeln: die umdentfche
Sprache, die unrichtige Schreibung fremder, befonders fans
dinavifher Mamen , die Tanne trer Eirationen und die ans
maßenden ‚Urtheile,
So ſucht Ar. Gr. darin eine Driginatität, daß, er das
Huͤlfsverbum auslaͤht, wo der Deurfche es durchaus nicht ents
behren: ann, z. B. S. 440 „daß es. nur darauf anlam, ihre
Dafeyn zu bemeifen, nicht dad fie begründer in der. Hiſtorie;
— — — (was?) ©. 475 und gering ein. ? Waffen. verfchueis
der ihn! S. 497 „weil fein Hals fo hart wie Stahl,“ „daß
feine Falſchheit dabey! ( ©. 545) S. 498 in Höhle gewars
fon“ ſtatt in eine Höhle m ſ. m.
Mas iſt ferner Vaudlothing! Hedins fied, Glaͤſir val⸗
ler? Seit wann. ſagt man die Ingibiorgu von Lpfolum ?
AR das erſtere Sfandinavif und das zweyte Deutſch? (8
523 )
Wie Hr. Br. citiet, davon nur einige auffallende Bey—⸗
fpiele: Otto von Frepfingen (Lat, Otto Frisingensis) heißt
bey ihm. Otto Friſingens! (|. S. 4952) Joh. Meffenius, Profi
dev Beredſamkeit und der Rechte. zu Upfal, nachher koͤnigl.
Aſſeſſer zu Stockholm, und zuletzt ı8 Jahre (Bis novem
miser integros per annos!) in Gefangenihaft zu Cajanez
hung, we er auch flarb, gab unter vielen gelehrten Werfen
auch eine Schrift Über die fünf aͤlteſten und vornchmften
Schwediſchen Handelsſtaͤdte Upſal, Sigtun, Stara. Bırka
und Stockholm heraus, und nannte dieſe Schrift mit einer
Griechiſchen Zufammenfeßung, die fi darauf bezog. Mun
Audaniſche Heldenlieder von W. C. Grimm. 179
füͤhrt Stephan Stephanius im ſeinen Notis uberioribus zum
Faxo Grammaticus S. 166 gelegemslih folgendermaßen an:
Prorsus igitur frustanea est opera Johannis Messenii,
dum ia kbello quodam suo, quem Sveopenta protopolin
etc. inscripsit, evincat etc, Auch Rec. befigt diefe Schrift
eben fo wenig als Kr. Gr., und bat fie nie gefehen, vwermas
thet aber doch, daß von dem offenbaren Accuſativ protopolin
der. Nominativ pratopolis heißen muͤſſe. Allein Hr. Sr.
findet nicht nöthig, daran etwas zu ändern, ſondern fchreibe
gereulich nah: Joh. Meffenius in feiner Kleinen (?) Schrift
Sveopenta protopolin! (das Druckfehlervergeihniß ſchweigt
hievon. )
- Auf eine andere Art fonderbar citirt Hr. Gr &. 426
Suhm II. 179. 185 und fo öfter. Wo foll der Lefer diefen
zweyten Band von Suhm fuhen? Dec. befist die ſaͤmmtli⸗
hen Suhmifchen Werke, aber nur feine Eritifchen Vorarbeiten
zur Nordiſchen Geſchichte laufen unter der Nummer 1 — 10.,
feine Hiftorie af Danmark ı 7. und feine Samlede Strifr
te 1— 16 — Welche diefer drey Sammlungen meint Sr.
Gr. damie? Das läßt fih nicht nur nicht errathen, fondern
die Citation paßt nicht einmal, wo man auch nachfchlägt. Zus
fälliger Weife ift nun vier Bogen weiter hinter ©. 4gı aber
mald Suhm II. 2gı citirt, aber dazu Nord. Fabelzeit geſetzt.
Und fomit laͤßt fih nun endlich feine Meynung errathen, aber
auch nur errathen! Es hat nämlich Gräter befanntlih Suhms
Hiſtorie af Danmark, wo nicht aufgefordert von dem ehrwärs
digen Werf., doch mit feinem. Wiffen und feiner Billigung
etwa ſechs Jahre nach feinem Tode in einer forgfältigen Vers
dentihung unter dem Titel: Peter Friedrih von Suhm's
Geſchichte der Dänen, Aus Liebe zu dem Studium derfelben
und aus Ehrfurcht für ihren Verfaffer ins Drutfche Übertragen
von Fried. Dav. Gräter, Leipzig 1804. dey Heinrich Gräff
in ge. 8. herauszugeben angefangen. In dem, über Suhm,
als Hiſtoriker, fih auf XLII Seiten verbreitenden Vorbericht
modificire Gr. fein Urtheil über diefe Suhmifche Gefchichte
dee Dänen, ©. XXVIL, „daß fie ein wahrer Nekrolog der
Regierungen, ein drittes Buch der Könige, ein Speculum
rögale fey, das, ohne je die Gefahr der Ungnade zu laufen,
180 Altdaͤniſche Heldenlieder von W. C. Grimm.
die Stelle eines treuen Minifters und eines freymüäthigen
Staatsmannes vertrete* in Hinſicht der zwey erfien Bände,
die bloß die Gefchichte der Fabelzeit enthalten, und feßt Hinzu:
„es möge feyn, daß die Fabel in der Gefchichte, eben weil
man da nur die ftrengfie Wahrheit erwarte, fo lehrreich nicht
fen, als fie es in der Sphäre der Kunſt zu feyn pflege,“ allein
fie feyen daram nicht minder fejenswerth; denn „fie enthalten
eine möglichft ; volftändige und möglichft : hiftorifche Darftellung
der Mordifhen Fabelzeit, und müßten in fo ferne fhon als
der gelehrtefte Commentar Über das fabelhafte Altertum, und
als ein reichhaltiger Anhang zu der, von Dichtern und Künfts
lern noch lange nicht nach Werdienft gewuͤrdigten Goͤtterlehre
des Mordens auch als ein abgefondertes Werk für die Lieb—
haber und Forfcher der Mordifchen Vorzeit ein fehr fchäßbares
Handbuch feyn,“ daher er ihnen (den zwey erfien Bänden
von Suhms Dänifher Geſchichte) obigen Nebentitel ( Hiftos
riſche Darftellung der Nordifhen Fabelzeit) ohne Zweifel mit
Recht gegeben habe. Allein Gräter hat bisjeßt nicht mehr als den
I. Bd. herausgegeben, und es ift alfo aud) jede Titation, die fi)
bey diefem Werfe mit IL. fignirt, durchaus falfh. Denn wenn
diefer Band gleih in der Verdeutichung in zwey Abtheiluns
gen (weil die Verdeutſchung nicht in gr. 4., wie das Dänifche
Driginal, fondern in 8. gedruckt wurde, mithin der Band zu
dick geworden wäre) gefondert iſt, fo ſteht doc, auf jeder Abs
theilung Erfter Band, und wer richtig und genau citiren will,
fann und wird daher eine Seite der zweyten Abtheilung - nie
Euhm II. 195, fondern entweder Suhms Geſchichte der Däs
nen von Gräter I. 2. 195, oder Suhms hift. Darftellung -der
Nord. Fabelzeit mit gleicher Signatur citiren. Dann erft
weiß der Deutſche fowohl als der Mordifche Lefer, ’ woran
er if. |
Mas endlich die abfprechenden Urtheile betrifft, fo kann
Rec. nicht umhin, hauptſaͤchlich zwey verächtlihe, aber wohl
diefen Männern von Hrn. Gr. noch zur Zeit nicht gebührende
Seitenblicke zu rügen. Der erfte betrifft den allgemein bes
fannten, von jedem Liebhaber und Forfher des Mordiichen
Alterthums ftndierten, und von allen, die ihn ftudiert haben,
mit Dank und Hochachtung, die er auch wahrlich . verbiens,
Altdaͤniſche Heldenkieder. von. W. C. Grimm. 481
genannten Thomas Bartholin; aber Hr. Gr., der ihm ohne
Zweifel, falls er ſein Buch durchſtudiert, und nicht bloß darin
geblaͤttert hat, eben ſo vielen Dank ſchuldia iſt, kann nicht
umhin, daſſelbe zum erſtenmal unter allen Daͤnen, Schweden,
Islaͤndern, Englaͤndern und Deutſchen, die feiner gedenken,
mit dem Namen eines geſchmacklos geſchriebenen Buches der
Verachtung preis geben zu wollen. In jedem Falle iſt das
Urtheil etwas ſchief; denn es kam wohl bey ſeinem Buche
nicht ſo ſehr darauf an, in welchem Geſchmack, ſondern mit
welcher Gruͤndlichkeit er ſeinen Satz de causis contemtae a
Danis adhuc gentilibus mortis durchgefuͤhrt hat.
Der zweyte betrifft den ehrwuͤrdigen Suhm. Mit welcher
Einbildung mag wohl Hr. Gr. geſtraft ſeyn, um bey ſeinem
erſten Auftreten im Fache der Nordiſchen Litteratur ſogleich
auch den verdienteſten Manen aller Maͤcene und Alterehumss
forſcher des Nordens mit ſolchem Uebermuthe entgegen zu
treten? Denn Uebermuth iſt es doch in der That, wenn Hr.
Gr., nachdem er fih auf Suhms Unterfuhungen überall’ ges
füßt und berufen hat, &. 5og, da er das Dänifche Volkslied
von Hafbur ( Habor, Hagbard ) und Sigmild mit der Ges
fhichte diefer Liebenden aus dem Saro Grammaticus commen⸗
tiven: will, fich folgendermaßen erklärt;
„Es folgt hier eine Ueberfegung davon, ein Auszug zung
Theil, Auf Suhms Nordifhe Fabeeit, wo (I. 254—4ı)
die Sage aus dem Saxo eingeräckt worden , konnte nicht vwers
wieſen werden, weil er Sup) alles mit feinem matten
Styl breit gemacht ꝛc.“
Abgeſehen davon, daß Suhm, in der ohne Zweifel richti⸗
gen Ueberzeugung, daß Saxo nicht als ein treuer Gefchicht:
fchreiber berichtet, fondern alle Erzähiungen der Vorzeit mit
feiner Phantafie aufgeſtutzt und erweitert hat, fich abſichtlich
Muͤhe gab, wo möglich bloß den Hiftorifchen Kern aus diefen
poetifchen Verfhönerungen herauszuholen, und in feiner Ges
fhichte auf das WVerdienft eines Romanſchreibers Verzicht zu
thun ; obgefehen davon, daß felbfi, wenn Suhms Styl in.
feiner Geſchichte der kräftige und blühende, mie er in feinen
fräheren Schriften war, nicht mehr ift, in welchem Falle es
doch von einem Hrn. Gr. mit einiger Achtung zu bemerken
482 Altdaͤmſche Heldenlieder von W. C. Grimm
war, fo muͤſſen wit geſtehen, daß, wenn wir Suhms Erzuaͤh⸗
kung in Graͤters Verdeutſchung (denn darauf beruft ſich ja
Dr. Gr durchaus, niemals auf das Original, das er au
nicht gelefen zu Haben ſcheint) wor die Hand nehmen, diefer
ihm angefchuldigte breite Styl neben- dem fihmalen Styl bes
Hrn. Gr. fih gar nicht fo Übel ausnimmt, wie detfelbe feinen
Leſern vorfpiegelt.
RW Suhm's
Dan. Geſch. von Gräter.
4. Bd. 1. Abth. S. 236.
Hin ibn daher deſto mehr zu
ehren, wurde ihm ſeine Schlaf⸗
Hätte bey der abnigetochter ſelbſt
angewieſen.
Die beyden Glücklichen koſ⸗
ten nun, bezaubert von Liebe und
Wolluſt, ungeſtört mit einander,
und Hagbarth fragte feine gelichte
Signe:
„Was wirft du, wenn dein
Vater mi) aufängt, und der
Tod dann mein gemwifies Loos if,
(denn ich erfchlag feine Söhne,
und num halte ich auch dich, ſei⸗
nom Willen zu Sroß, in meine
Arme gefchloffen ) was. wirft du
dann, du meine einzige Freude,
was wirft du dann thun? midy
vergefien, wenn du mich verlierſt?
dich einer andern Liebe bingeben?
Signe erwiederte: Glaube,
Geliebter, glaube, daß ich mit
dir ſterben werde, wofern der häß⸗
liche Tod dich in den Hügel legt!
Doch man vergleiche ſelbſt:
Grimm's
Altdän. Heldenlieder.
S. 511.
Dann, um ihn mehr zu ch»
ren, ward ihm feite Schlaftehe
in ihrem Wett gegeben.
Da nun, in dem Genuß ge⸗
meinfchaftlicher Luſt, fragte Hager
barth die Syane :
Menn ich der Gefangene dei»
nes Vaters werde, und einem
traurigen Tod übergeben, wirſt
du uneingedenf unfres Buͤndniſſes,
deine Liebe einem Andern zuwen⸗
den? fo mir jened Schickſal ber
gegnet, hoff' ich nicht, daß er
verzeiht, Lüflend feine Söhne zu
rächen ; denn ich babe deine Brü⸗
der getödter, und halte dich nun,
ohne fein Wiſſen und gegen fei«
nen Willen, in gemeinfamer Luſt
umfangen. Sage, Herzliebſte,
was wirft du dann thun, wann
ich dich nicht mehr, mie fonfl,
umarme ?
Sygne antwortete: Glaube
nicht, lieber Herr, daß ich Tieben
möchte, wenn das Verderben über
dich gekommen, oder meine Beit
Alidäniſche Heldenlicder von W. €. Grimm
Suhm.
‚Sa, auf welcherley Art du ſtirbſt,
fey es durch Krankheit, ſey es
durchs Schwert, im Meer oder
auf dem Lande, fo will ich Dir
nachfolgen! jede andere Liebe iſt
mir verhaßt, gemeinfchaftliche
Bärtlichfeit bat ung verbunden,
ein gemeinfchaftlicher Tod fol
und vereinigen !
ı Deinen Tod werd’ ich felbit
empfinden , und den nicht verlaf
fen, den ich meiner Liebe wür⸗
dig geachtet ‚babe, den, det mit
den erfien Kuß gab, der mic
zum erfien Mal die Liebe lehrte!
Kein Gelübde fol Heiliger feyn,
sofern je ein Frauenmund Wahr:
beit fprach.
483
Grimm.
verlängeren, warn ein trauriger
Tor dich in den Grabbügel g&
führt! Welcher Tod Dich weg⸗
nimmt, Durch Krankheit / Schwert,
in Meeres Abgrund, oder auf
dem Felde, ich gelobe einen glei»
chen zu flerben, daß, wie ine
Brautbett, ein Tod ung vereini«
ge!
Deines Todes Bein werd auch
ich fühlen, und den nicht dere
laſſen, dert ich meiner Liebe werth
geachtet, der zuerſt meines Mun⸗
des Kuͤſſe genoſſen, und meinen
blühenden Leib. Keine Verheiſ⸗
fung foll gewiſſer ſeyn, wenn je
eines Weibes Wort treu war.
Wenn ung nicht alles truͤgt, fo iſt Suhms Sprache bie
wahre Sprache der Liebe,
und mithin der Natur;
Herrn
Grimm's aber ziemlich verkuͤnſtelt, und wenn wir dieſer Ver⸗
gleichung ein Quid tanto dignum ete. vorausgeſetzt häften,
möchte wohl nun das Product feiner Berheißungen fehr mas
ger ſeyn.
Wenn nut aber Hr. Gr. weiter fortfährt, dem Saxo
nachzuerzähfen, und am Ende gar es wagt, mit Hexametern
und Pentametern zu fchließen, fo verwandelt fih in der That
der gerechte Unwille über feine unbeſcheidene Art zu urteilen,
in eine mildere Empfindung.
Zum Beweiſe wählen wir hier die vier legten Zeilen:
Daß dort Kiche mir aufblũh e) deg ich die ſichere Voffnung
ſoll ein Hexameter ſeyn.
| —
und es wird mie gar bald Wolluſt gemäbren der Tod!
Beid' die Welten fürwahr hoch — ſie immerdar preißen
Eine Nuhe des Geifis, wie A der Lieb’ eine Treu.
484 Altdauͤniſche Heldenlieder von W. C. Grimm.
eich’ eine Eonftruction ! welch' eine Sprahe! Kaum wird
man. fie, ohne feinen Saro zur Hand zu nehmen, enträthfeln
Eönnen !
Wir fommen nun gu. den Ercurfionen ſelbſt. Dach einer
allgemeinen Einleitung, worin Kr. Gr. die Erklärung der
Heldenlieder als die Hauptſache diefes Anhangs angibt, bes
merft er, daß die Abficht defielden fen, theils die Originals
Einleitungen der Daͤniſchen Ausgabe zu jedem Liede. nicht vers
loren gehen zu laffen, theils auch fie bald zu berichtigen, bald
zu ergängen. Es ift feine Frage, daß. Hr. Gr. in diefer Bin:
fiht groͤßtentheils Wort gehalten hat. Auch liefern feine Des
merfungen in der That viel Neues und Wahres.
Gleich feine erftien Bemerkungen über die drey Lieder von
dem Verrath der Frau Grimilde an ihren Brüdern beftätigen
diejes Lirtbeil, und geben einen Beweis, daß der Verf. ber
reits den Inhalt des Heldenbuhe und der Nibelungen eben fo
wie den Anhalt der Niflunga s, Wilkina⸗ und der Wolſunga- und
Mornagefts s Saga, desgleichen auch des Anhangs der jüngern
Edda einfiudire hat. Er behauptet, daß diefe Lieder mit den
vier erften, d. h. mit dem Deurfchen Heldenepos, und der aus
Deutihen Sagen entfiandenen Wilfina, aber keineswegs mit
den rein snordifchen Vorftellungen der Wolſunga ıc. üdereins
ſtimmen. ec. beſitzt zwar die meiften diefer Werke, hat aber
jeßt nicht Muße, fie noch einmal durchzulefen. Er behält fich
daher eine nähere Prüfung diefer Angabe, an der er jedoch
im Ganzen nicht zweifelt, bevor. Soviel ift ihm noch von
ehedem erinnerlich, daß er die gedachten Dänifchen Volkslieder
ſelbſt einft für Sprößlinge der Deurfhen Sage hielt; wobey
deſſen ungeachtet der Driginalität ihres Vortrags und Seyns
nichts benommen iſt. |
Wenn Hr. Gr. in der Note gegen den gelehrten Gram
behauptet, daß der Norden den Reim nicht von den Deuts
Shen gelernt habe, fo ſtimmt ihm Rec. volllommen bev. Das
heidniſche Deutſchland hatte gewiß eben fo gut feine Alliteras
tion als Skandinavien, und woher brachten fie wohl die Ans
geljachfen als eben aus unſerm ‚Vaterland? — Sa, Prof.
Graͤter hat fogar vor einigen Jahren die nicht unwahrfceins
liche Hypotheſe in feinen Programmen hieruͤber anfgeftellt, dafi
Alsdanifche Heldenlieder von W. C. Grimm. 186
bie verloren geglaubte Profodie der alten Welt ebenfalls in
nichts anders als in der Alliteration und damit verbundenen
Vocalen-Correſpondenz moͤchte befanden haben, Allerdings
hat fie aud die von Ken. Prof. Gley entdecdte und der taus
fendjähriaen Wergeffenheit eniriffene Evangelien s Harmonie.
Rec., dem der Entdecker feine erften Abfchriften des Toder zus
fchiefte, freute fih ſehr, eine fchon früher darüber geaͤußerte
Vermuthung damals fo vollfommen beftätige zu finden. Aber
nicht bloß darin, auch in dem Weſſobrunner Fragment offens
bart fid) das, dem Deutfhen Reim vorangegangene Gefeß der.
Alliteration, und es freut ung, wenn Hr. Gr. bald den Bes
weis gibt, daß auch in dem affeler Fragment von Kiltibrat.
und Hathubrat das nämliche herrſche.
Die zweyte Hauptexcurſion betrifft die Sage von ber
Trojanifhen Abkunft der Franken. Mit befonderer Begierde
las dies Rec. Gewiß es ift ein intereffantes Thema. Aber
nach vielem gelehrten Aufwand hat der Kenner nichts Neues
gelernt, und für den gänzlich ununterrichteten Lefer fehlt es
dem Vortrag an logifher Ordnung und Klarheit der Darftels
lung. Auch find damit die Meynungen Wendelin’d, Schilter’s,
Eccard’s und Suhm’s keineswegs widerlegt. Es wäre ſchon
genug, wenn diefe vier verfchiedenen Meynungen bier nur
gründlich wären beleuchtet worden. Wenn ©. 452 nicht mit
völliger Gewißheit behaupter wird, mas Meibom aus dem
Magnum Chron. Belg. anführe, daß die Stadt Kanten am
Rhein Hein Troja genannt werde, fo kann ec. aus dem vor
ihm liegenden Chronicon verfihern , daß es mit diefer Anführ
rung feine Nichtigkeit hat, nur mit dem Unterfchiede, daß er
nicht Hago von Troja oder Trojanus, ſondern Trajanıs ges
nannt wird. Die ganze Stelle fieht S. 65, und lautet fo:
Isti duo fratres ( Theodericus, prim. com. Hollandiae,
de Waltgerus ) habuerunt avunculum Hagononem Traja-
num, qui in Troja minori (scilicet Xantis) habitavit etc;
Auch die &. 555 und 436 aus dem Sigebertus Gemblacen-
cãs angeführte Stelle finder fih umftändlih in dem Magn.
Chron. Belg. S. 9 und 10 und fängt mit den, für Hrn.
Srimms Behauptung fprechenden Worten an: Porro origi-
nem Regni Francor. hanc esse novimus ex relatu fideli
1356 Altdaͤniſche Heldentieder von W. C. Grimm,
Majörum, wiewohl fi das freylich nicht Bloß auf mündliche,
fondern auch) fchriftliche Weberlieferung immerhin beziehen ließe,
Sn der Note **) ©. 440 fagt Hr. Gr.: „Diefe Sage
(oben im Text aber iſt son keiner beflimmten Perfonen : Ges
fchichte, ſondern nur davon die Rede, daß die Abkunft der
Franken von den Trojanern eine allgemeine und fehr alte
Volksſage geweſen fen) ift es, welche Meifter Biörn nad
Morwegen gebracht; ungenau hat man dieſes bisher auf die
Wilkina Saga bezogen, «8 gilt bloß von dieſer.“ Alfo dem
Volksglauben einer Abkunft der Franten von den Trojanern
hat Biden nah dem Norden gebracht? Wohl fhwerlih; es
ſcheint, Hier ift Hr. Sr. feldft ungenaner (im Ausdruck, denn
vermuthlich meinte er es anders) als feine Worgänger gewefen.
Auf diefe zwey Hauptercarfionen folgen nun die erHlärens
den Bemerkungen zu jedem einzeinen Liede. Da gegenwärtiäe
Angeige die gewöhnliche Ausdehnung einer Kritik fchon jest
vielleicht uͤberſchreitet, fo wollen wir uns nur auf weniges bes
ſchraͤnken.
S. 485. Das Hogna ſtatt Hogni oder Hogne. H. Gr.
wird im Verfolg feiner Studien dieſes a verwerſen, weil eb
weiblihe Form iſt, ob gleich Rec. weiß, und es feldft ehedem
dem Dhre zu Gefallen brauchte, daß man allgemein Braga
flatt Bragi oder Brage ſagt.
©. 491. Daß der Name von Wittichs oder Widga’g
Mutter wirklich in der Wölundars Auida vordomme, wie Hr.
Gr. vermuthet, und daß es nicht Bodlild, ſondern Boͤdwild
oder Baudwild heiße, hat ſich unterdeſſen theils aus Graͤters
Ueberſetzung der Woͤlundar⸗Quida in Idunna nnd Her⸗
mode, theils aus dem herausgegebenen Texte des Co-
dex Beg. von Herrn Hagen beſtaͤtigt, womit wir jedoch
nicht Hrn. Gr., der num eine Abſchrift des Cod. felbft beſitzt,
eine Meuigfeit fagen, fondern bloß den Befiser feiner Daͤni⸗
ſchen Heldenlieder zu einer Mote veranlaffen.
S. 496 Hat uns der mordliche Tod nicht ſehr wefallen.
Nehme doch der Hr. Verf. die Wahrheit and Richtigkeit dies
fes Ausdrucks noch einmal auf die Wage.
©. 508 ift citiet: (Huon de Bourdeam. Franz. Volles
buch (?) ©. 29. 30). Moͤchte fih der Verf. doch mäher
Altdaͤntſche Heldenlieder von W. C. Grimm. 187
darüber erklären! Rec. kennt den Huon de Bourdeaux aus den
Extraits des Romans de Chevallerie v- wird der naͤmliche
Roman in Frankreich etwa, wie bey uns der gehörnte Sieg:
fried und die Heymons s Kinder x. duch Krämer auf den
Märkten, gedrucdt in diefem Jahr, verkauft? und verfteht
Hr. Sr. einen ſolchen Abdruck darunter ?
Was ©. 520 von der, zu einem MWolkslied gewordenen
Thrymsquida gefage wird, iſt nicht unintereffant, aber wenn
er am Schluffe bloß die Kjempevifer citirt, find wir nicht zus
frieden. Die Citation erſetzt die Anführung von Syv's eiger
nen, nn Worten nicht.
S. 524 und 525 kommen drey Straphen aus der Her⸗
vararſaga vor. Man ſieht, daß ſich Hr. Gr. nicht an die
Lateiniſche oder Schwediſche Ueberſetzung gehalten, ſondern
aus dem Skandinaviſchen Originale ſelbſt hat uͤberſetzen wol
len. Es iſt dieſe Probe in der That merkwuͤrdig, indem ſie
als Beſtimmungspunct dient, in welch kurzer Zeig der Verf.
und fein gelehrter Hr. Bender, Jacob Grimm, h der Skan⸗
dinavifchen Sprache durch eifernen Fleiß und enthufiaftifches
Studium fo weit werden bemächtigt haben, daß fle im Stande
find, das kühne Verſprechen am Schluffe diefes Werkes, die
noch nicht entzifferten Lieder der Edda zu Überfegen, in wird
liche Erfüllung zu bringen. Denn hier erfcheint menigftens
Hr. W. Gr., der Herausgeber des beurtheilten Werkes, in
der That noch als Anfänger in jener Sprache. Denn wenn
man auch annimmt, daß er nicht, die kritiſche Ausgabe des
Magnäanifhen Ynftituts, welches doch zu erwarten ift, zu
Grunde gelegt Habe, in welhem Falle fich freylich noch mehr
tere Fehler zeigen, fondern die Vereliſche (f. jene Sumtibus
de Suhm, ©. 34. 36. 40. und Verel. ed, &. 70 und 71);
fo geben doch die vier letzten Zeilen den —8 Sie heißen:
Heim gief ec Erni
Efſtum brader
Sa mun af blodi
Siuga minu.
Der SU überfegt ;
Shen Hora Drnen
Wardar ing til ficef
188 Altdaͤniſche Herdenlieder von W. C. Grimm.
Mitt blodh thet röda
Skall han och fuga.
Kerr Grimm aber:
| Dem Har geb’ ich
Eine GSpeife;
So audy mag er von meinem
Blute jaugen.
Man fieht unfhwer, daß es dem Driginale, und nicht ber
Schwediſchen Ueberiegung nachgebildet ift, oder ſeyn fol;
aber es fälle auch plößlih in die Augen, daß Ar. Gr. die
beyden Ausdräde efltum und Sa’ mum nicht verftanden hat,
nämlich damals, als er dies fchrieb. Daß er jekt in Verei—
nigung feines Fleißes mit einem, zu gleicher That gerüfteren
Bruder es nicht verftehen follte, zweifeln wir kaum. Es heißt:
Senem Adler geb’ ich
Die lete *) der Speifen :
e; Der wird (fogar) von meinem
Blute nun faugen !
Er Hielt das Skandinaviſche fa’ für fo! es heifit aber der, und
er kannte mit das pronomen demonstrativum, fa’, fü, Pal,
noch nicht. Wie es fcheint, ein wahrer Beweis, daß menigs
ftens Ar. W. Gr. bey Herausgabe des gegenwärtigen Werkes
(Dfterm. 1811.) erft die Standinavifhe Sprache zu lernen
angfangen hat! Re”
8.557 gu 87. Klage König Waldemar des II, dum bre-
vis esse laboro , obscurus fio. Wer nicht die Gefihichte je—
ner Zeit im Gedaͤchtniß hat, wird durch die räthielhafte Ers
flärung des Hrn. Gr. ſtatt belehrt, vielmehr irre. Es fol
eine Klage Waldemars des II. und doch über Waldemar den
III. feyn! Das fiheint, dem erften Anblic nah, ein Widers
fpruh, meil die Klage Waldemars auch zur North als Klage
um Waldemar fönnte verftanden werden. Auch begreift man
auf der Stelle niht, wie K. Waldemar der II. um feinen
anſcheinenden Nachfolger, Waldemar den IIT., Klagen fann.
*) Der auch, wie der Schwede überfebte, efllum zu erni gezogen,
dem hochfliegenden Adler werd’ ich nun felbit zur Speiſe.
Alidaͤniſche Heldenlieder von W. C. Grimm. 4189
Es hätte daher Hr. Gr. die Original» Aufihrift in den Kjempes
vifern IV. P. Nr. 45. ©. 567, wo ausdrädlic ſteht: König
Waldemars des 11. Kiaggedicht Über feines Sohnes Tod nicht
abkürgen, und zur Erläuterung, warum dieſer vor ihm geftors
bene Sohn gleihmwohl die Negenten» Bezrihnung Waldemars
des III. führt, anmerken follen, daß diejer Prinz bereits zum
König gekrönt war, aber noch vor feinem Water flarb, wie
das auch Nyerup zur Deutlichkeit bemerkt in dem 4. Bd. ſei⸗
ner. Stildring af Tilftanden i Danmark og Norge, ©. 259.
Ueberhaupt kommt diefe Dunkelheit durch Kürze öfters vor,
und man muß zumeilen in der That rathen.
. ©. 54ı zu Nr. dg. Marſk Stig (oder Marſchall Stig)
und feine Tochter wäre es nicht unintereffant gewefen, die
Marmora Danica anzuziehen, wenn gleich die dortigen Data
unerweislich, und die von Stigs Töchtern Dde und Ade, wie
Nyerup fagt, wirklich apokryphifch find; denn wenn Marſk
Stig fhon im J. 1298 flarb, konnten feine Töchter allerdings
nicht erft 1460 begraben werden.
Auch die Vorrede des Hın. Verf. kann man von Duntels
heit nicht frey fprehen, und manches tft fo allgemein und
abfprechend gejagt, daß man, wenn man fih nad Beweiſen
und Thatſachen umfieht, in WVerlegenheit if. Wir wollen es
nicht rügen, daß Kr. Gr. meint, es fey Zeit,. die Aufmerks
famteit endlich aud) auf die Poeſie des Nordens zu lenken,
welche doc ſchon längft durch Gerſtenberg, Denis, Herder
und Gräter darauf gelenkt war. Wenn er aber behauptet,
„daß es meiftens nur die Mythologie gewefen fey, die man
aufgefucht Habe, oft nur, um ihr eine lingerechtigkeit anzus
thun, und fih nad Beweiſen für eine Anfiht umzuſehen, die
fie im Voraus für eine Nachahmung der Griechiſchen und
Römifchen ausgab, und welche kritiſche hieß,“ fo verfiehen
wir entweder nicht, was Hr. Gr. damit fagen will, oder es
ift ein Vorwurf, der entweder micht gegruͤndet, oder hieher
nicht paffend if. Denn unjers Wiffens ( abfirahirt von den
Schrififtellern des Nordens ſelbſt) kennen wir in Deutfchland
bis jeßt keinen, der fih ex professo mit der Erörterung und
Darftellung der Nordifhen Mythologie beichäftige hätte, als
Sräter. Diefer fiveitet aber fogar gegen Vergleichungen mis
190 Altdaͤniſche Heldenlieder von W. C. Grimm.
den Griechiſch⸗ Roͤmiſchen Mythen (ſ. deſſen Nord. Blumen,
S. 67) erklaͤrt, daß ſie an vielen Verwirrungen und ſchiefen
Vorſtellungen von den Gottheiten des Nordens ſchuld ſeyen,
und macht dieſes Hinuͤbertragen mythiſcher Charaktere in die
Fabelwelt des Nordens dem Engliſchen Dichter Sayns bey
feiner Descent of Frea zu einem Hauptvorwurf (ſ. Bragur
I. die kritiſche Machſchrift zu Freya’s Niederfahrt, S. 38 —
40). Zielt aber Hr. Gr. damit auf Hrn. Mühe, fo hat dies
fer Schwiftftefler freylich, feit er den Auftrag erhielt, die
Schwediſche Geſchichte zu fihveißen, der allerdings eine gründs
lihe Erörterung ihrer Fabel s und Heidenzeit vorangehen folkte,
was aber wohl zu viel Vorſtudium und zu viele Zeit Eoftete,
ed leichter und beſſer gefunden, lieber darüber abzufprechen,
und. feitdem mancherley Data gefammelt, und mande Gründe
hervorgeſucht, um die DOviginatirtät und die Würde der Nordi⸗
fhen Mythologie in Zweifel zu ftellen, oder, wo möglich, den
Stauden daran für immer zu zernichten. Allein wenn auch
Hr. Ruͤhs damit manden unerfahrenen, und in der Poefie
und Mythologie des Nordens fo wie in der Kritit der Ges
ſchichte gänzlich mmeingeweihten Lefer irre: führt, fo hat er die
Kenner und die Unbefangenen wohl fchwerlich auf feiner Seite.
Sogar fein Freund, der wahrheitliebende Johannes von Muͤl⸗
fer ift mit uns einerley Meynung hierüber. Man fehe feine
Briefe aus Berlin, 18. Sept. 1807. in Johannes v. Müllers
Werken, Tübingen bey Cotta, ıBı2. 7. Th. S. 305, und
was er in: eben diefem Bande, S. 368 x. „von dem eitlen
und fchädlichen Beſtreben der heutigen Litteratur, allem Alten
durch Dezweiflung der Aechtheit fein Ehrmwärdiges zu nehmen,
von dem Mißbrauch eines jeden Scheins zur Herunterbringung
der alten Religion und ihrer Sefchichte, und von einer ge
wiffen titanifchen Rohheit fagt, welche nur zevreißen, zerſtoͤren
möchte. “
Wenn Ar. Sr. &. XIX behauptet, daß das Lied von
Zord von Meeresburg nach dem alten Eddifhen Liede von
Thrym, dem Niefonkönig (1. Gräters Nord. Blum, ©. 95 ff.)
nicht bearbeiter ſey, fo ift Rec. volllommen damit einverftans
ben; allein überhaupt, duͤnkt ihn, daß bey eigentlichen Volkes
lledern won irgend einer Benrdeitung nach irgend einem Vorbild,
Aitdaniſche Heldenlieder von W. C. Grimm. 19
fo weit Rec. aus Zojähriger Beobachtung urtheilen kann, nicht
die Rede ſeyn könne, befonders bey Erzählungen. Eine Abs
fiht zu verändern liegt gewiß nicht zum Grunde. Gedaͤchtniß⸗
fehler find es meiftens, und dann, um im Gefang oder im
Erzähfen nicht ftecfen zu bleiben, eigene Erfindung aus: Noth,
die für das leider Vergeſſene fubftituire wird. Die Mutter
oder die Amme hat als Kind erzählen hören, und die Haupt⸗
gefhichte im Gedaͤchtniß behalten. Man wird größer, und
fümmert fih nicht mehr um die Ammenmährden. Indeſſen
verfließe manches Jahr, bis man felbft als Mutter oder Amme
dem Kind oder Pflegling zur Beſchwichtigung der Meugierde
die alten Mährchen aus früher Erinnerung wieder zu erzählen
hat. Bücher und Urkundsperfonen find nicht da, um fi
Raths zu Erholen. Das Gedaͤchtniß allein ift der Codex mem-
branaceus, Aber der hat Löcher: befommen. Man flict fie
aus, fo gut man fann. Was liegt dem Kinde daran, wenn
es nur unterhalten wird. Und fo läßt fih denn leicht erklären,
wie aus Thor, dem Donnergotte, endlich durch viele Abm ınds
lungen ein Nitter Tord von Meeresburg, aus dem Riefen
Thrym ein Tölpel Graf, und aus dem liftigen Gott Locke ein
förmliher Kammerdiener oder gar ein Bruder von Thor ges
worden if. Es wäre intereffant, dies weiter zu vergleichen,
allein genug. Hiezu kommt eine zweyte Urſache. Man glaube
nicht, mie gefhwind fih Sprache und Geſchmack verändern.
ec. fühle es in diefem Augenblick, und eben bey der Benrs
theilung des gegenwärtigen Werks mit einer Art von Erftaunen,
Es find nur fieben Jahre, daß er durch Meberfadenheit von
Pflichten anderer Art der Litteratur entfagen mußte. Aber ale
er nun zurückkehrte, was für eihe ganz neue Welt fland vor
feinen Augen! Nicht fieben, dreyßig Jahre dauert es oft,
bis diefelbe Perfon, die in ihrer Jugend der Amme horchte,
nun ſelbſt die Erzählerin wird, dreyßig Jahre, bis die Muts
ter, die in ihrer Kindheit fingen hörte, und mitfang, nun
feldft ihr neugieriges Mädchen mit der Erinnerung ferner Tage
ergößt. Manches Wort ift abgefommen, mander Reim veimt
‚nicht mehr, oder wird von dem fchärferen Ohre nicht mehr
geduldet. Es werden daher auh in diefer Hinſicht Abänder
sungen beliebt. Beyde Wahrheiten koͤnnte Rec. mit einer
192 Altddaͤniſche Heldenlicder von W. C. Grimm,
Menge Beyſpiele belegen. Allein er will nur bey. einem eins
zigen ftehen bleiben. Wir vergleihen das bekannte Sägerlied
in zwey Abdrüden, welche faum 2o Fahre aus einander find:
Es blies ein Jaͤger wohl in fein Horn (f. Herder von Deuts
feher Art und Kunft, defien Volkslieder, Stimmen der Völker,
und Gräters Bragur und Arnim’s Wunderhorn ).
Schon in der dritten Strophe fangen beyde Abdruͤcke
(NRecenfionen? Hr. Gr. bedient fi immer diefes vornehmen
Ausdrucks bey folhen Fällen, und wir können nicht umhin,
auch das gelegenheitlich zu ruͤgen. Verdienen denn wohl ſolche
leichtfinnige Achtlofigkeiten des Volks, folhe willführlihe, oft
verftand » und finnlofen Abänderungen einen Namen, welchen
man den, mit hoher Gelehrſamkeit und Kritik bearbeiteten
Tertausgaben eines Mertftein und Griesbach, eines Ernefti
und Heyne zu geben pflegt?) — Abdräde alfo — ſchon in
der dritten fangen fie an abzuweichen, auf folgende Art:
— Er ſchwung ſein Hütchen wohl uͤber den Strauß
Späterer. Der Häger ritt wohl durch einen grünen Buſch
Fr. Es fptung ein fchwarzbraun Mädgen beraus
Ep. Da fprang ein ſchwarzbauns Mägdlein heraus,
Fr. Hob fa fa fa, dra, ra, ra, ra
Sp. Denn Hopfafa, denn Vallerallera, ꝛc.
5. Strophe.
gr. Deine grofen Hunde, die thun mir nichts,
ep. Deine großen Hunde, die beifen mir *) nicht,
Fr. Sie wiffen meine hohe weite Sprünge noch nicht
Sp. Sie fennen meine bonette Sprünge noch nicht. ꝛc.
*) Dffenbar nur der Fehler eines Sächfifchen oder überhaupt Nörd⸗
lichen Setzers, der den Dativ und Accufativ in folchen Fällen
nicht zu unterfcheiden wußte.
(Der Beſchluß folgt, )
— —
No. 13. Heideldergifhe 4843,
Jahrbücher der Litteratur.
Altdaͤniſche Heldenlieder, Balladen und Maͤrchen uͤberſegt von Wil⸗
heim Earl Grimm.
EBeſchluß der in No. 12, abgebrochenen Recenfion, )
Du genug zur Probe. Die hohen weiten Sprünge, von
denen fid) das fchlaffe Gedaͤchtniß nur noch des 50. erinnerte,
und daraus honette! Sprünge machte, die großen Kunde, die .
mir nicht beißen, ſtatt mir nichts thun, und der Jaͤger, der
dur einen grünen Buſch reiten muß, flatt daß er fein Huͤt⸗
den wohl über. den Strauß. ſchwingt, dag freplich mit der
Sefegen der Ideenaſſociation fhwer aus dem bloßen Gedaͤcht⸗
niß zu reſtituiren war, zumal da der Strauß ſelbſt ſchon ein
Gedaͤchtnißfehler und eine Verbeſſerung um des Reims willen
fuͤr das vermuthlich aͤltere Strauch zu ſeyn ſcheint, — diefe
wenigen, aus einem unzweydeutigen Beyſpiel berausgehobenen
Proben der allmähligen Abartung der Volkslieder von ihrer
Urgeftalt deuten Elar genug auf den Weg hin, anf dem man
weiter zu fchließen hat; und wenn Hr. Gr. überzeugt ift, daf
die dee einer folchen Abänderung gar nicht voltsmäßig ſey!
(S. XIX der Vorrede) fo iſt es offenbar, daß er dag Volt
und ihre Lieder noch gar nicht aus eigener Erfahrung kennt,
und leßtere bloß an dem Pulte zu ſtudiren angefangen hat.
Es klingt freylich prächtig ( wiewohl dunfel), wenn Ar,
Gr. auf der vorhergehenden Seite (S. XVII) fagt: „die
Volkspoefie lebt gleihfam im Stand der Unfchutd,"fie ift nackt,
ohne Schmuck, das Abbild Gottes an fi) tragend; die Kunft
dat dag Bewußtſeyn empfangen, fie kann den Muth nicht
mehr haben, ihren Gegenftand hinzuſtellen, wie er ift, fons
dern er muß umkleidet werden. Es it darüber fein Streit, _
man muß es empfinden, aber diefe Kleidung ift es, die wir
in den Gefängen der Edda finden, diefes Gemeffene, Kunde,
Dadurch wird nicht gefagt, daß fie nicht ge fehr einfach ſeyn
1
ie
194 : Altdaͤniſche Heldenlieder von W. €, Grimm.
koͤnnen, noch wird uͤber den Rang zwiſchen bepden abgeurtheilt;
wenn wir die Volkslieder wegen der Gewalt und der Wahr—
heit lieben, mit welcher ſie das Leben und das Groͤßte des
Lebens nah vor uns hinſtellen; ſo ſehen wir in den Kunſtge—
ſaͤngen alle Kraͤfte der Menſchheit geſteigert, die Helden idealer
und zu den Goͤttern geruͤckt!“ (Und nun zum Beweis eine
Vergleichung der Thrymsquida mit dem Daͤniſchen Volkslied
von dem Tord von Meeresburg!)
Wahrlich ein großer Aufwand von (kannte Sedans
fen, um einen verkehrten Schluß gu machen. Denn man darf
nur die Thrymsquida in Gräters befannter Verdeutſchung
in den NMofdifchen Blumen lefen, und dgnn diefen Tord von
Meeressurg in gegenwärtigem Werke, wenn man fi übers
zeugen will, daß in dem letztern nicht das Größte des Lebens
vor uns hingeſtellt, noch weniger aber das Abbild Gottes darin
erfenntlich, fondern daß es vielmehr von dem Göttlihen
nicht bloß zu dem Menfchlihen, fondern zu einer wahrhaft
pöbelhaften DVerunftaltung herabgeſunken if.” Das läßt fich
auch begreifen, denn wenn man annimmt, daß das Eddifche
Lied Höchftens in das achte Jahrhundert zurück zu datiren fey,
(welches in Vergleichung mit den Liedern des Thiodolfs von
Hwin, die doch zum Theil einen großen Theil Künftlichkeit
mehr vetrathen, wohl nicht zu gewagt ift ) das Daͤniſche Volks
lied aber in das ı6te Jahrhundert ſetzen, ſo liegt gerade ein
Zeitraum von acht hundert Jahren mitten inne. Bedenkt man
nun, wie in obigem Beyſpiel nicht bloß die hohen weiten
- Sprünge in dem kurzen Zeitraum von 20 Jahren ſchon zu
honetten Sprüngen geworden find, fondern man fih auch die
Freyheit genommen hat, nicht bloß Ausdräce, fondern Um—
fände zu verändern, und aus dem Huͤtchen fchwingen über
den SR (hen ein Meiten durch den Bufch zu machen , fo
laͤßt fih denn wohl auch begreiflich. finden, wie jin einem 40
mal längeren Zeitraum nur einige Hauptſtriche des alten Ger
mäldes geblieben, die fchönften Mittelgüge aber nebft dem
ganzen antiten Colorit verwiſcht find.
Nur ein Paar Züge zur Probe:
Artdänifche Heldenlieder von W. C. Grimin, 195
Codifhe Erzählung |
nad) ‚Gräters ueberſetzung ©. 94,
Hinweg flog Locke
Das Federgewand raufchte,
Bis er binausfam
Aus der Götter Grenzen,
Und bineintrat
ns Niefenland.
hey faß auf einem Hügel, .
Der Niefen König!
Er fchnürte den Hunden
Das Goldband um,
Und feinen Pferden
Strich er die Mähne.
SDhrym.
Wie ſtehts bey den Göttern ?
Wie ſtehts bey, den Geiſtern?
Warum kommſt du allein
Sns Rieſenland?
Loche.
Unheil bey den Göoͤttern!
Unheil bey den Geiſtern!
Haſt du des Donnerers
Hammer verſteckt?
—Sbrym.
Ich habe des Donnerers
Hammer verſteckt
Acht Meilen unter der Erde!
Niemand ſoll ihn
Wieder erhalten,
Bringt man mir nicht
Freya zur Frau,
Diefe züge haben ſich nun. in achthundert Jahren nach und
nach in dem Daͤniſchen Volkslied nach Hrn. Grimms
Ueberſetzung S. 142 auf folgende Art verantert und vers
wifcht :
496 Wtdäniiche Heldenkieder von W. C. Grimm,
Das war Locke der Diener/
Der jetzte ſich ins Federkleid
So flog er in das Norden Gebürg,
Ueber das falzige Meer fo weit.
Und mitten in dem Burghofe
Da achfelt’ er fein Kleid,
So ging er in den hoben Saal
Vor den gariligen To Ipel ein.
Wilfgmmen , Locke ‚du Diener ’
Willkommen, biſt du hüben ?
Wie ſteht es auf der Meeresburg?
Und wie ſtehts im Lande drüben?
Wohl ſteht es auf. des Meeresburg,
And wohl ſtehts im, Sande drüben.
Tord bat verloren den Hammer fein,
Drum bin ich kommen herüber.
Tord feinen Hammer nicht wieder kriegt,
Du kannſt die Wort ihm fagen,
Fünf und funfzig Saden tief
Liegt er in der Erde begraben.
Tord ſeinen Hammer nicht wieder kriegt,
Das ſag“ ich frey zu. Diez Zn
Ihr gebt denn Zungfrau Schletarg
Dit al’ Eurem Gutermit.
Der fchöne Homeriſche Zug, wie der Rieſenkoͤnig, auf dem
Huͤgel ſitzend, ſeinen Hunden mit eigener Hand das Gold—
band umſchnuͤrt, und feinen Pferden die Maͤhnen ſtreicht, iſt
hier bereits gaͤnzlich verloren gegangen. Eben ſo auch andere
treffliche Stellen dieſer Art, wie Freya ob dem unwuͤrdigen
Antrag erzuͤrnt, und alle Goͤtterwohnungen unter ihr erbeben,
und das große blitzende Kleinod zerſpringt; wie dann die
Felſen krachen, und flammend die Erde brannte, als Thor,
der Sohn Odins, auf ſeinem Wagen nach Joͤtunheim fuhr! —
Was kann man aber wohl einem Volkslied, deſſen altes, wahr⸗
haft fchönes und mit erhabenen Zuͤgen ausgeſtattetes Urbild
man glücklicher Weiſe neben ſich hat, unter ſolchen Umſtaͤnden
für einen Werth beylegen ? poetiſchen? keinen. Haͤtte es wirk—
lich eigenen poetijchen Werth, fo wäre es wahrlid nur Zufall,
Altdänifche Heldenlieder von W. C. Grimm. 607
und wuͤrde dieſer Werth dem Werth des Urbildé Aberſteigen,
ein Wunder! Um wie viel weniger noch laͤßt ſich ihnen ein
hiſtoriſcher Werth beylegen ? Handgreiflich hat man es ja,
daß aus dem Donnergott Thor ein Ritter Tord (oder Tor)
von Meeresburg, aus dem Thurſenkoͤnig Theym ein Tolpel
( Dän. Toffe, offenbar aus Thurs entftanden) Graf, und
endlich aus der Göttin Freya eine Jungfrau Fridlefsburg ger
worden ifl. Da fuhe man nun in der Gefhichte nad) diefer
Fridlefsburg, und nach dem, Tölpel und: dem Tord! Alles
Suchen und Forfchen ift vergeblich, und wohl kann es in dies
fer Hinfiht einem ram, "und Suhm und Bartholin, die
ſolche heilloſe Entftelungen der Geihichte und feldft der Älter
fen Sagen in diefen Volksliedern gewahr würden, keineswegs
verdacht werden, wenn fie dichn ganzen Kram, als annüß
für die Geſchichte, keiner weitern Beachtung wuͤrdig halten zu
muͤſſen glaubten. Ja, es laͤßt ſich kaum bergen, daß wohl
auch die hierin enthaltenen Lieder von Grimhild ıc. zur Ev
Härung und Würdigung der Eddifchen Lieder über diefe alten
Heldenabenthener kein größeres Gewicht haben moͤgen, als das
Volkslied von Torn zur Erklärung der: Thrymsquida, wiewohl
eine Zuſammenſtelluug dieſer Art nichts deſto minder von hohem
Intereſſe ſeyn kann. Abgeſehen indeſſen von allem hiſtori⸗
ſchen Werth, und denjenigen Stuͤcken, die noch: ſchwache
Wiederklaͤnge aus den Tagen der grauen Vorzeit, auch eben
deswegen keine von dem Volke urſpruͤnglich gedichtete, fons
dern nur durch feinen Leichtſinn und ſeine Vetgeſſenheit vers
dorbene und entſtellte Lieder find, fo haben doöch auch dieſe
Wiederklaͤnge noch einen Werth, indem ſie iheils unwiderleg—
liche Beurkundungen von der ehemaligen Exiſtenz eines Urbilds
ſind, theils uns doch noch manche Ahndungen der urſpruͤngli⸗
hen Schoͤnheit und manche Haupftſtriche des gli durch
Jahrhunderte heruͤber gererter haben.
Auch in diefer Hinſicht verdient das Wert des Hrn. Gr.,
deffen Verdienſt um das Dänifche Kiempevifes / Bog durch alle
tbisher vorgetragenen Einwendungen und Ruͤgen keineswegs
kann geſchmaͤlert werden, in der Bibliothek jedes Forſchers
der Vorzeit und jedes Freundes der Kunſt und des Schönen
zu ſtehn. Er hat uns zierſt duch feine mit Fleiß, Sprach
498 Chriſtl. Kirchengefchichte von -A. Michl.
und Sachkenntniß gemachten Ueberſetzungen das Verſtaͤndniß
deſſelben geöffnet, und uns zu ihrem Genuſſe vorbereitet. Das
für gebährt. ihm der Dank feiner Zeitgenoſſen, und wird ihm
hiemit auch von dem Rec. mit der REN ae
liebe —
Epriklice Kirchengeſchichte von Dr. Wiron Michl, Koͤn. Bayr.
geiſtl. Rath und oͤffentl. Lehrer des Kirchenrechts und der Kirchen⸗
geſchichte zu Landshut. J. Bd. Zweyte verm. und verbeſſ. Aufl.
München 1812. 556 u. XVI S. in 8. „Il. Bd. Zufäge zu erſten
enthaltend. 1811. 440 ©. in ®.
Man. muß ſich ſehr wundern, in der verbefferten |
Auflage dieſes für. ein KHaupbllegium auf einer berühmten
Univerfität beſtimmten Lehrbuchs noch. fo viele antihiftoris
ſche Anſichten und andere unläugbare Fehler zu finden.
Es: ift Rec. Pflicht, auf einige derfelben,, und. dadurch auf die
Nothwendigkeit einer genauen Nevifion, die zum Theil eine wohls
vorbereitete Umarbeitung werden müßte, aufmerkſam zu machen.
Daß Jeſus zur geeigneten Zeit als Meifias erfchienen fey,
—
fol nah S. 2ı auch dadurch erwieſen ſeyn, daß die Juden.
keinen Koͤnig aus ihrem Stamme mehr hatten, Antigonus aus
den Maccabaͤern der legte, und Herodes ein Idumaͤer, ein
Fremdling gewefen fey. Soll immer nody die Stelle, daß das
Scepter nicht von Juda entwendet werde, auf den Meffias
bezogen werden, fo iſt darin offenbar vom Stamm Juda,
nicht von den Juden als Nation die Rede. Vom Stamm
Juda aber war das Scepter fhon weggekommen, da.die Macs
cabäer, in Sohannes Kyrcanus, Könige wurden. Denn dieſe
waren vom Stamm Levi. Wäre alfo des Verf. Argumens
tation über die Schicklichkeit der Erfcheinung des Meffias zum
Grund zu legen, fo hätte diefer ungefähr 150 Jahre früher,
ehe Johannes Hyrcanus, der Maccabäifche Levite, das Scep⸗—⸗
ter nahm , ‚auftreten müffen. Schon von dort an war wirklich
das Scepter von Juda's Stamm entwendet. Der Hiſtoriker
darf Chronologie und Gefchichte nicht nah der Dogmatif ums
formen!
Chriſtl. Kirchengefchichte von A. Michl. 199
Die Erzählung von der chriſtl. Donnerlegion unter Ans
toninus Pius verwirft S. 37, behauptet aber, Dio und meh;
rere Auctoren, auch die Antoninifhe Säule zu Rom ftellen ihn,
den Antonin, felbit, ald den Jupiter pluvius ‚dar. —
Die Auctoren fagen hievon kein Wort. Auf der Säule ift ein
Kegengott, aber nicht Antonin, als folcher, dargeftell. &. die
Kupferabdräcde von diefer Säule, bey Fabretti. vol. Baum—
garten Examen Miraculi legionis fulminatricis contra
Woolstonum. Halae 1740. 4.
Der Oſterſtreit wird &. 54 fo vorgetragen, als ob die
Frage gewefen wäre, ob die Ehriften ihre Opferfeft am viers
zehnten Monde ober am Sonntage nah dem viers
zehnten Monde feyern follten. Aber, wie man an oder
nah dem „vierzehnten Monde“ Oſtern halten fönne,
wird niemand begreifen. Die Frage betrifft den viergehns
ten nah dem Neumond. — Hier nennt der Verf. fihon
die Roͤm. Biſchoͤfe Anicet, Victor, Stephan ıc. jedesmal
Paͤbſte. Der Hiftoriker kann doch nichts daran Ändern, daß
damald, 3. B. in Eyprians Briefen, der Roͤm. Bifhof noch
feinen andern Titel hatte, als jeder angefehene episcopus.
Sin der befannten Stelle des Juſtinus von der Euchariftie
Apolog: I. $. 65. 66. erlaubt fi der Verf. das Wort opfern
einzuichieben, movon im Terte keine Rede if. Hr. M. übers
feßt: worauf wir Brod und Wein mit Waffer, opfern. Der
Tert ſagt: Alsdann wird dem Vorſteher der Brüder
Brod und ein Becher Waffer mit Wein gemifcht Dargereicht
(rpooPp£perar, affertur, nicht offertur ). Der Lateinifche
Fleury, welchen der Verf in der Note anführe, har für no-
ripıov, Becher, fogar Vini et aquae sacrificium einge
hoben. Sollen aber auch in unfern Zeiten nody"dergleichen
piae fraudes f eßt werden ?Moch mehr: Juſtin fagt:
Wir nehmen die, Euchariftie nicht als gemeines Brod, nicht
als gemeinen Trank. Vielmehr, wie, durc einen Logos Gots
tes, Jeſus Chriſtus, unfer Heiland, Fleiſch geworden ift, und
Fleifh und Blur wegen (Tre) unfers Heild gehabt hat, fo,
find wir auch gelehrt worden, daß die Nahrung, aus
welcher unfer Fleifh und Blut nah der Umändes
rung (der Verdauung) zara ueraßoA,v genährt werden, -
200 Chriſtl. Kirchengefchichte von A. Dicht.
wenn fie durch Gebet und das von ihm kommende Wort,
Aoyos 6 map avroö, gefegnet ift, auch Fleiſch und Blut jenes
fleifchgewordenen Jeſu ſey. So Juſtin. Der Verf. behauptet,
Suftin flimme ganz genau mit der Lehre von der - Transfubs
ftantiation überein. Und doh erklärt Zuflin, daß die Sym—
bole der Euchariftie eine Nahrung feyen, durch welde
unfer Fleifh und Blut durch Transmutation ges
nährt werden. Auch glauben viele Kirchenväter,, daß eben
diefelbe in den Leib der Ehriften verwandelte Nahrung diefem
zur Auferftehung geichickt mache. Daran alio, daß die fubs
ftantiele Eigenfchaft, jener Symbole, körperlich nahrhaft zu
feyn aufhöre, dachte Juſtin noch nicht; er dachte vielmehr
das Gegeutheil. Was thut aber Hr. M.? Er, der Kiftoris
fer, laͤßt die Stelle: aus welcher — bis: genähret
werden, ganz weg (©. 6ı), und fügt alsdann ſogleich bey,
daß diefes fhäßbare Document fo genau mit der Lehre feiner
Kirche übereinftimme; ungeachtet überdies Juſtin nit fagt,
daß Brod und Wein Sefu Leib und Blut irgend werde,
fondern daß die Symbole diefes jenen, weil Chriftus
gefagt habe: dies ift mein Leib, iſt mein Blur! Juſtin
hielt fih vorfihtig an Jeſu Wort, ohne irgend ausdeuten
zu wollen, in wiefern und wodurd Brod und Mein in
der Euchariftie Leib und Blut Chriſti fey. Soll denn nun
eine Ausdeutung, welche notorifch erft im Mittelalter zur Kir⸗
chenlehre canonifirt worden ift, und welche felbft Gregor VIT.
lange Anftand nahm, gegen VBerengar als Kirchenlchre auss
zufprehen, — foll und darf eine folhe Auslegung den Hiſto⸗
riker auch in unfern Zeiten noch verleiten, in Leſebuͤchern für
angehende Theologen die Texte des hefliggepriefenen Alterthums
mit der Kirchendogmatit durch Auslaſſu n in Harmonie
zu feßen und durch Einfchiebfel, wie —N. ſtatt dans
bieten, umzuaͤndern? |
Dagegen erlaube fih aber auh Hr. M. ( ©. 38) unfern
fo partheylofen Leſſing unter die Feinde der chriftlis
hen Religion zu rechnen. Auh wird, wo irgend von
einer freymuͤthigen Unterfuchung die Nede ift, gewoͤhnlich die
Andeutung gemacht, daß „der Proteftant Semler“ (S. 36)
„die Proteftanten Ernefti, Lei, Herder x.“ (8.26)
Chriſtl. Kirchengefchichte von A. Michl. 201
dieſelbe gewagt Hätten. Allerdings iſt dies gerade proteſtan⸗
tiſch, ungebunden von irgend einer vorgefaßten Meynung oder
Auctoritaͤt jede moͤgliche Hypotheſe in ihrer vollen Staͤrke, in
ihrer größten Wahrſcheinlichkeit zu betrachten, weil fie, wenn
ihe nicht ihr volles Recht angethan wird, nicht mit Wahrheitss
finn geprüft, nicht entihieden angenommen oder. verworfen
werden fann. Aber, um ihrer Meynungen willen, Terte dee
Alterthums durh Auslaffungen und Einfhiebfel
umzuwandeln, dies haben Leifing, Erneftt ıc. nicht ges
wagt; dies zu wagen haben fie auch aus ihrem Proteftantismus
feinen Anlaß genommen, feinen darin gefunden !
S. 62. „Die Taufe war anfangs nur von sem
Bifhofe, weil die Firmung mit der Taufe verbunden
war , jedoch mit deffen Erlaubniß auch von Prieſtern oder‘
Diakonen, und im Nothfall fogar. von Layen ertheilt.“ —
Anfangs nur von dem Bifhofe? Und doch hatte felbft
Korinth, da Clem. Romanus jenen Brief der Röm. Gemeinde
(‚nicht eines Roͤm. Bifchofe ) an die Korinthiſche Gemeinde
dahin ſchrieb, noch feinen über die Presbyters erhobenen, eins
zelnen und eigentlichen Bifhof! Er nennt nur Emioxomong
(im Plural) zul dıaxovovs,' fo daß [ihm Emioxono: und
mpeoßorepo: noch Synonyma find.
Aus Herders Adraſtea ı. St. ©. 123 werden ©. vi die
energifhen Worte angeführt: „Im Chriſtenthum gibt es keis
nen Klerus. Die Menichheit (die Geſammtheit aller Herzlis
chen Verehrer Gottes ) ift der erwählte Theil Gottes, Fein
ausfhließender Stand. Wertilge foll der Name, mie
der Linbegriff, werden. Denn beyde find Mefte der Barbarey,
den nüßlihften Ständen verädhtlih.“ Hr. M. findet dies uns
begreiflih. Die Lehrer, fagt er, der Hiſtoriker, wurden bald
Bifchöfe, bald Priefter genanne, und führe dabey Act. 20.
V. ı7. und 2d. an. Was aber fagt die Beweisſtelle Hiftos
riſch? Die Presbyters, die Aelteften , werden auch Epiöfopen,
Aufſeher, genannt, weil fie, aber fie alle, und nicht Bloß
Einer unter ihnen, diefes bey der - Gemeinde waren. Darf
nun der Hiſtoriker angehende Theologen in die Meynung verfeßen,
als ob Presbpter, senior, duch Priefter zu uͤberſetzen,
202 Chriſtl. Kirchengefchichte von A. Michl.
und mit iepevs, sacerdos, damals fynonym gewefen fey ? oder
als ob der allen Presbyters gegebene Beyname, Episkopos, das
mals den Begriff eines Biſchofs der fpätern Zeiten angedeutet
habe. N
S. 79 fagt: „Da die Protefianten den Röm.
Primatgerne umgeworfen hätten, zugleich aber die
deutlihen Dokumente (?) des Alterthums nicht - wegläugnen
fonnten, kamen einige aus ihnen auf den verzweifelten
Einfall: Petrus fey niemals zu Rom gewefen u. ſ. w. Die
böfen Proteftanten! Aber der genaue und partheylofe Hiſtori—⸗
fer würde, ſtatt diefes polemifchen Tong, feinen angehenden
Theologen vielmehr dies gefagt haben, daß die Proteftanten
nicht ermweislicy finden, Petrus fey als Bifhof zu Rom ges
weien ; daß, wenn fein apoftolifhes Dafeyn zu Nom
den dortigen bifhäflihen Primat begründen follte, An,
tiohien den Ähnlichen Anſpruch auf ein Primat gehabt hätte;
daß überhaupt nicht gegen dag eigegtlihe Primat (wenn.
Bifchöfe find, fo muß Einer der Erfte unter ihnen feyn!),
fondern gegen das Supremat und die Dieromonardie
des Bifchofs zu Rom proteftirt werde, wie nach dem Kinges
ſtaͤndniß des Verf. ſelbſt (S. 55) der heilige Cyprian ſchon
dagegen fräftiger, als wir es wiederholen möchten, fich erklärt
hat. Hr. M. erflärt felbft die Iſidoriſchen Decrvetalien
S. 62 für Erdichtungen; und wer fann hiſtoriſch längs
nen, daß das Univerfal; Supremat und dann der Hiero—
deſpotismus des Bonifacius VIII., welchen Frankreich
ſchon unter Philipp dem Schoͤnen zu brechen anfing, rechtlich
betrachtet, nur auf der Zeitmeynung ruhte, als ob jene De—
crete uralte und aͤchte Kirchendocumente waͤren? Dieſe Praͤmiſſe
iſt laͤngſt weggefallen; ſelbſt von allen ſachkundigen katholiſchen
Gelehrten iſt die vornehmlich durch Proteſtanten enthuͤllte pia
fraus, als ſolche, anerkannt; und dennoch ſollte das Reſultat
micht zu bezweifeln, die Concluſion ohne Praͤmiſſe
geltend ſeyn? Die katholiſche Kirche behauptet zu allen Zeiten
die naͤmliche zu ſeyn. Sobald der Roͤmiſche Primat ſo be—
ſtrachtet wird, wie ihn, nach allerdings deutlichen Documenten
bes Alterthums, der heilige Biſchof Cyprian annahm, ſo iſt
Chriſtl. Kirchengefchichte von A. Mihl. 203
diefer Streit großentheils geendigt. Die Latholifche Kirche ſelbſt
wenigſtens und jeder ihrer mweltlihen Regenten kann, fobald
die Pieudo » Decretalien nidye nur an fih, fondern auch, mie
natürlich, zugleih in ihren Folgen und Reſultaten, als dag,
wofür fie anerkannt find, behandelt werden, mit Recht nicht
in Verlegenheit feyn, wenn, zum Beyſpiel, rechtmäßig ges
wählten Bifchöfen von einem Primat, welches nicht ein nebietens.
des Supremat, nicht Univerfal »s Supremat ift, die Confirmation
(was eigentlich bloß Anerfennung der Unität ſeyn fann)
aus temporären Gründen verweigert wird.
Dem Rec. mangelt die Zei die Parorame des Verf.
weiter fort zu bemerfen. Von 8. Jultlan, dejfen richtigere
Schilderung der Verf. aus Hrn. Prof. Neander's hiftos
rifhem Gemälde über den R. Julianus und fein
Zeitalter (Leipig 1840.) erfehen mag, fpringt er fogleich
auf Muhammed, das heißt, vom: 3. 360 auf das J. 5gı.
Welche Anordnung der Darfiellung! S. 124 verfihere, Mus
hammeds merfwürdigfte Srundfäße aus dem Koran ausziehen
zu wollen, und gibt fodann an: „Der verfprochene heilige Geift
fey Muhammed fett, weil man in der Bibel nide
Parakletus, fondern Periftitug (sic) lefen muͤſſe,
welches Wort jo viel als berühmte heißt, und in. der Arab,
Sprache durch das Wort Muhammed ausgedrückt wird.“ Mo
Ründe dergleichen etwas im Koran? Auch das Mährchen von
der fallenden Sucht bey Muhammed wird zweymal wier'
derholt. ©. 125. 129, Mad) Muhammed geht der Verf. auf
Donatiften, Arianer ꝛc. zuräd. Auch in Hinſicht der Sprache
hat der Verf. nöthig , dem würdigen Ton getreuer zu bleiben.
3. B. ©. 140. „Vom Singen kam es (bey Arius) bald
zum Lärmen.“ &. 149. Priscilliaon wärmte die gnofiiihen
Srundfäße wieder auf, S. 153 die Lehre des Pelagius zu
verfleiftern S. 161. Man hörte nicht auf, an dem
Hern Jeſus zu meiftern. Der II. Bond enthält theils
eine weitere Ausführung einiger, Paragraphen des Lehrbuche,
theils die Ergänzung mancher Materie, wie fie Hr. M. ohne
Zweifel in, feinen Vorlefungen zu geben pflege. Die Behands
lungsart ift die nämliche. Uebrigens füge Rec. auch mit Vers
204 Mahn Comm. de Apostolis C J.
gnägen die Erklärung ben, daß manche Materien hiſtoriſch
richtiger, den Quellen entfprechender, bearbeitet find.
| | H. E. ©. Paulus.
Ern. Aug. Phil. Mahn, Wildunga - Waldecci, nunc ab Or-
dinis theolog. Georgiae Augustae Repetentium Collegio,
Comm. in qua ducibus quatuor Evangeliis Apostolorum-
que scriptis distinguumur tempora et notantur viae, quibus
Apostoli Jesu doctrinam divinam sensim sensimque melius
perspekerint. I 151 ©. in gr. 4.
Observationes exeget. ad difhciliora quaed. Vet. 'l', loca. Auct,
E. A. Ph. Mahn. Goetting. b. Dietrich. 1512, 485 ©. 8,
Die erfte diefer Schriften hat ı8og den Preis bey der
theol. Facultät zu Göttingen erhalten. Durch die zweyte ers
warb fih der Verf. die philofophiihe Doctorwärde und die
Erlaubniß zu Vorlefungen. Beyde führen ihm unter die exe—
getifch s gelehrte Theologen als einen Mann ein, welcher bey
ſchoͤnen Sprachkenntniſſen und großem Fleiß, verbunden mit
einer befcheidenen, aber nad Gruͤndlichkeit firebenden Prüs '
fungsgabe und einer unverktennbaren Empfänglichkeit für das
Matürlih s Wahre und Practifche, die ihn auch zu einem
Freunde Baco's gemacht zu haben fcheint, für das Fach der
oriental. und biblifchen Studien duch vergleichende Darftels
lung verfchiedener Anfihten und durch weitere Verbreitung
der befferen Ideen ſich vorzüglich nüglih machen wird. Seine
Arbeiten beweifen auch durch eine Fülle (bisweilen moͤchte
man fagen, durch einen Ueberfluß) von Litteratur feine Ach:
tuna gegen das fhon Vorhandene. Der Anfang alles eigenen
Wiſſens ift die Kenntniß und Prüfung der Vorarbeiten. Der
fiherfte Probierftein, ob ein angehender Gelehrter zu wahren
Erfindungen in feinem Fach Talent habe, ift, wenn er in
feinen Forfhungen. öfters mit den beften Vorgängern unge:
ſucht zufammentriff. Man muß wuͤnſchen, daß dem Verf.
feine jeßige Anftellung zu Caffel, als Profeffor am Lyceumt,
die nöthige Muße und Gelegenheit zu Fortſetzung diefer Stus
dien nicht beengen möge. Ä
Mahn Comm. de Apostolis J. C. 205
Die Peeisichrift geht aus von Zügen. des Plans, welchen
Jeſus hatte, Bleibe aber doc allzu fehr bey dem bloß Reli—
gids: Moralifhen ſtehen. Jeſus will ein Reich Gottes; er
will es durch Lehren und muftermäßiges Setbfihandeln be;
gründen; er verbietet fih und andern durhaus alle Gewalt.
Nur was aus Weberzeugung kommt, iſt daurend! Aber doc
will Sefus nicht, daß diefes Reich Gottes immer nur in eins
zelnen und bloß innerlih fey. Die Weberzeugten follen auch
zufammentreten, nach ihrer miorıs in Sefammtheit handeln,
dadurdy an ihn als Oberhaupt, als einen durch Geiſt und
Wahrheit, nie durch willtährlihe Gebote, wirffamen Negenten
fih) anfchliefen, und wo möglich fid fo ausbreiten, daß feine
Kirche ein Staat Gottes, ein Himmel auf Erden, fey.
Die eigentlihe Abhandlung ftellt drey Saͤtze auf: ı. Die
judaizivende Meynung der Apoftel von einem (mit wunder
barer Gewalt ‚gegründeten ) irdiſchen Meffiasreih fey durch
Jeſu Ermordung geihwächt, durch feine Auferftehung wieder
erweckt worden ( Apg. ı, 6.). Endlich aber Haben fie ein .
blog moralifhes (?), auf Erden beginnendeg, im Himmel
(und auf der paradififch verwwandelten Erde?) fortdaurendes
Sottesreich geglaubt: ©. Jeſu Abficht, welche die ganze Menfchs
beit. umfaßte, haben, fie anfangs nie durchſchaut. 5. Endlich
aber Chriſtenthum foom Mofaiihen Gefeß trennen und eine
gefonderte Gefellihaft für ihre Religion bilden gelernt. Wie
der Verf. diefe Säse zu erweijen ſuche, welche Meopdificatios
nen dabey zu berädfichtigen feyn möchten, geht über den
Kaum einer Recenfion.
Aus der zweyten Schrift geben wir folgende Benfpiele.
Der Verf. beftätige die Schnurreriihe Erklärung des : YIN9
niyND Richt. 6, 0. Nah dem Arabiſchen 2 3 mweldes in
die Höhe fireben bedeutet. Daher ei? Voltshäups
ter. Auch Rec. pflege zu Überfeßen: Weil ſich Häupter
unter Israel erhoben, weil das Volk freygefinnt fich gezeigt
hat, dafür preifer SGehova! Auch Deut. 52, 42. finder fich
die nämliche Bedeutung. (Exrod. 32, 25. aber erklärt fich aus
einem ganz verjchisdenen Stammwort ẽ ausſchuͤtten,
f
206. Mahn Observat. ad diff. V. T. loca.
leer, Eraftlos.mahen. Dazu fommt, daß Ep
w,)
etwas Begoffenes und ER den gileßenden
Künftler bedeutet. Daher zugleich die Anfpielung auf das
gegofiene Kalb. „Mofe fah das Vol, daß es wie aufs
gegoffen war (profusum in scelus), weil Aharon es zum
Gußbild, Fusile, gemacht hatte, zum Scheufal vor den
Feinden.) Zu 11799 Richt. 5, 7. 21. vergleicht Hr. M. mit
unterfcheiden, entfheiden, richten; vers
fieht aber darunter nicht Nichter, fondern viros stre-
nuos. (&s kann Überhaupt das, was ſich ausfondert,
augzeihnet, vorzüglich iſt, bedeuten. Mol. TD UN
Hab. 5, 14. caput eximiorum. Auch exdoyi iſt oft
— ixkerroi. — Sef. ı7, 16. wird arm) als Subftantiv,
aegritudo, von „on angenommen. Colleetio frugum erit
in diem Inoostiriae, zu ef. 22, 2. wird bemerkt,
daß on öfters nicht den Verwundeten, fondern den
Krieger bedeuten müfe. Nicht. 20, 31. 2. Sam. S5, 18.,
wo auch die Alex. orparınraz feßte. Der Unterfchied ruht
auf dem doppelten Cha > ift fidit, transfodit und per-
fossus est, \> aber castra metatus, grassatus est, Mad)
der Orundbedeutung solvit etiam ad commorandum,
Letzteres Verbum bedeutet wohl einen der fih nieder;
läßt, sarcinas solvens, Deswegen aber noch nit: miles.
bar ift active transfossor — bellator, passive baum trans-
fossus: Se. 25, 11. wird PP 8 überfeßt: ma-
nibus adstrictis seu in pugnum compressis. DV fol in
aeternum beddüten; welches Rec nicht zu erweifen wüßte.
Prov. 7, 21. wird 2 mit of succus dulcis, fruetuum
coctione inspissatus, verglichen: inclinavit cum dulcedine
et lubricitate sermonis sui. Vergl. Pi. 55, ge. Zu Hohes.
1, 2. Prov. 5, 19. 7, 18. beftätige der Verf. für 077
die Bedeutung suavia,. Mahrfheinlich wäre 09717 und
977 zu unterſcheiden. Letztetes it O0 lusit. Bu DWNZ
De vi vocabuli «rioıs auct. G. Chr. Grimm. 207
Hiob 5, 5. wird verglichen Lo recondidit, und als. Pars
ticipium Hiphil uͤberſetzt: abscondentes secum aufe-
runt. — — Habac. 2, 17. lhaͤlt Herr M. für die dritte
foeminine Perfon des Deal, vergleicht si» insidiatus est,
und überfeßt: et vastatio bestiarum, (quae) irrumpent.
Chab. 3, 16. wird *3 vom heiligen Reigentanz er—
klaͤrt: saliendo colam Jehovam.
H. E. G. Paulus.
De vi vocabuli *Tioig Rom. VIII, 19 seqq. qua simul locus
.iste Paulinus explanatur. Auct. M, Gottlob Christ.
Grimm, eccl. an Pole Longosalissam
pastore. Lips. b. Breitkopf. 1812. S. in 8,
Die Methode der eregetiihen Unterſuchung in diefer Fleis
nen Schrift iſt fehr richtig. Der Verf. fuht duch die Präs
dDicate den eigentlichen Sinn des vieldeutigen Subjects zu
beftimmen, und zeigt daneben, gleihjfam im Vorbeygehen und
ohne Anmafung, warum nach diefer Vergleichung der Prädis
cate diefe und jene der font angenommenen Deutungen des
Subjects nicht zuzugeben fey. Gerade durch eben dieje Uns
terfuhungsmerhode aber fcheint auch des Verf. Erklärung auss
geichloffen zu werden. Er deutet xrioıs, aus dem Gegenſatz
gegen die erften Chriften, die „Erftlinge der Gottesiöhne*
als Nichtehriſten, vergleiht Mark. ı6, r. znpvbaı Tb
edayy. naon ra xrioe, Coloff. 1, 25. xnpvxdeis Ev man
Ta xrioer TH ONO ToV OÖEarOV, und erinnert an x00uLog
als Synonymon. Matth. 135, 18. 1. Joh. 5, 1. Die philos
logiſche Mögtichkeie diefer Bedeutung ift nicht zu läugnen.
Wie aber paßt fie in den Zufammenhang ? Vers ı9. mwird
©. 64 fo umfchrieben: qui carent nomine atque jure filio-
rum Dei futuraeque salutis promisso (= xtioıg ), sperant
adeo expectantque conditionem heatam Dei Afiliis desti-
natam et asservatam. Kann aber das Prädicat: fie hoffen
und erwarten die Seligkeit der Ehriften, den Nihtchris
ſten gugeichrieben werden ? Ein folches Erwarten würde den
Stauden vorausfegen, daß die Chriſten gewiß felig werden. —
Vers 2o. Non suo arbitrio (ut Christiani, qui mala cum
christ, religionis professione conjuncta £&xodcıoı susce-
pisse dici poterant) sed per Deum rerum omnium recto-
rem malis submissi' sunt (©. 80), sed Vs. 21. S. 65
sperat 7 xrtiorg, fore ut et ipsa, quamvis sit xtivıg
i.e. quamvis fhiliorum Dei juribus careat, liberetur,
208 Memoria C. G. Heynii auct. Heeren.
Paulus: aber jagt nicht nur: liberetur, fondern auh sic iv
&hevdepiav vis oöng Tov TExrvav Tod Ieod. Wie könnte
bey Nichtcehriſten eine folhe Hoffnung der Befreyung vom
Erdenelend angenommen werden, die fih irgend auf die
Defreyung der Ehriften beziehe? an diele fih ans
ſchließe? Der Apoftel: fonnte nicht vorausfeßen,, daß fie den
‚Ehriften diefen Vorzug zufchrieben. — Uebrigens zeigt der
Verf. fo viele Kenntniſſe, Darftellungsgabe, Gemwandtheit im
Lateinifhen Ausdruck und Humanitaͤt in der Beurtheilung
Anderer, daß man feine Klagen Über Entfernung von litteras
rifhen Hülfsmitteln nicht ohne Theilnahme lefen kann, und
ihm eine feinen Studien angemefjene Lage fehr wuͤnſchen muß.
9. E. G. Paulus,
Memoria Christiani Gottlob Hevnii commendata in consessu
reg. Soeietatis Scient. ad d. XX1V. Oct. MDCCCKIL, ab
Arn. Herm. Lud..Heeren. Gottingae typis Henriei
Dieterich. 226. 4.
Herr Heeren, von welchen die zahlreichen Freunde und
Schuͤler Heyne's die verheißene ausführliche Biographie deffelben
mit Sehnſucht erwarten , ſchildert hier nur vorläufig mit Ruhe
und Klarheit, wie es eines Gefhichtichreibers würdig ift, die
Verhältniffe des Verewigten zur Uuiverſitaͤt Göttingen, welche :
ibm einen fehr großen Theil ihres Ruhms verdankt, beſon—
ders aber feine Verhältniffe zu der mit der Univerfirät verbuns
Denen Societaͤt der Wiſſenſchaften, ımd gibt einen Umrif von
feinen großen litterarifchen Berdienften. Die hier mitgetheilten
furzen Nachrichten von dem fruͤhern Leben Heyne's find zwar
im Ganzen den Freunden deffelben ziemlich bekannt, fie erhal—
ten aber doch einen eigenthümlichen Werth dadurch, daß der
Verf. einen Aufiak von der eigenen Hand des Verfiorbenen
über die Scickjale feiner Jugend benusgte, aus welchem S. 5
folgende rührende Stelle mitgetheilt wird: „Ex omni mea
juvenili aetate, si eam ınemoria apud me repeto, nibhil
prorsus occurrit, quod jucundum memoratu foret. In
summa egestate, in penuria omnium commodorum, quae
vitam optabilem vel tolerabilem saltem reddunt, nil aliud
expertus' sumy quam aliorum injurias ac oppressionem.*
Sehr angenehm waren uns die Bemerkungen über Heyne's
Verbindung mir Münchhaufen, welche auf die zahlreichen in
dem Nachlaffe vorhandenen Briefe des berühmten Minifterg
fi gründend, den uneigennäßigen Sinn Heyne's gegen frühers
hin verbreitete Päfterungen des Meides und der Mißgunſt rechts
fertigen. Auch was über feine Verhältniffe zu Winkelmann
bemerkt wird, iſt fehr lefenswerth. |
No. 14. Heideldergifäe 1813.
Jahrbuͤcher der Litteratur.
X —
Das heilige Abendmahl, von Dr. Heinr. Stephani, K. Bayr.
Kreisſchulrath (zu Anſpach) des Kön. St. Michael » Ordens
Ehren - Ritter, und mehrerer gel, Gefellfch., Ditgliede. Mit 1.
Kupfer. Landshut bey Krüll, 1814. 153 G. Be rn.
Im Abfchied aus feinen Verhaͤltniſſen als Kreisſchulrath des
Lechkreiſes richtet der Verf. an die katholiſche Geiſtlich—
keit jenes Kreiſes, welche als Schulinſpectoren mit ihm in
Verbindung geſtanden waren, dieſe fuͤr die Verbundung aller
guten Menſchen, als Chriften‘, merkwuͤrdige Schrift mit den
Worten: „Die Guten trennt weder Confeſſton noch Schickſal.
Sie fuͤhlen ſich ewig als Mitglieder jener einzig wahren Kirche,
der Unſichtbaren, verbunden. Hier nur erzieht uns dieſe in
verſchiedenen Abtheilungen fuͤr ihr hoͤheres Reich.“ Eben dies
fes rege Gefühl der Vereinigung aller Sutgefinnten herrſcht in
der ganzen Darſtellung. Ungeachtet des Ber. Erklärung
der Worte Jeſu beym Abendmahl von allen bisherigen abgeht,
und feine Beurteilung der vielfachen Abweichungen von dem
Vorbild der Stiftung, alle Confeffionen zu einem Höheren ur—
fpränglihen Zweck mit Enthuſtasmus zuruͤckzuleiten ſtrebt,
verfaͤllt er doch niemals in einen polemiſchen Ton. Wie er ſich
ſelbſt charakteriſirt, daß jene feine Amtsbruͤder ihn als einen
Mann kennen gelernt Hätten, der „nichts jo feurig münfche,
als das Anfehen der Religion im der Melt wieder recht wirk
ſam mahen,“ fo athmen auch dieſe fünf Auffäße den
Geift der Wahrhaftigkeit und Liebe, in dem Beſtreben, durch
Gründe zu Überzeugen, und zu Vefolgung der Veberzeugung
durch lebhafte Darftelung-zu rühren. „Ale Syſteme von
Serchämenmtaud unſre firhlichen, haben (S. 7) gewiſſe
Centralpuncte, auf welchen ihre Haltbarkeit beruht. An dieſe
ſetze man den Hebel freumüthiger Unterſuchung an, und ihre
Maſſen werden zerſtiebend herabrollen und die Sonne der
14
210 .° Das heilige Abendmahl von 9. Stephani.
Wahrheit nicht mehr hindern.“ — „Die von Jeſu anges
fangene '(Eploffer 1, 24 25:) Erlöſung des Mens
fhengefhledhrs kann (S. 9) nur dadurch zur Vollendung
gebracht werden, wenn alle Lehren und Gebräuhe der chrifts
lichen Kirche mit dem hohen Zweck der (Heiligung oder) Vers
edlung immer mehr in Harmonie gefeßt werden.“
Nach diefen Grundideen erkennt der Verf. in der Feyer
des Abendmahls die Abfiht einer fortwährenden Bundess
erneurung herzlich wahrer Chriſten für zufammen
wirkende Ausäbung und Vermwirklihung defien, was im
Chriſtenthum das Meientliche iſt. Jeſu Worte: Dies ift der
(gemeinfhaftliche) Keld des neuen Bundes! fcheinen ihn
geleitet zu haben. Eben diefer Worte wegen ift auch fonft die Idee,
die Symbole des. Abendmapls mit Bundesſymbolen zu vergleis
chen, ſchon öfters aufgefaßt worden. Vgl. Worbs Ueber die
Dundes s und Freundſchaftsſymbole der Morgenländer,. zur
Erläuterung mehrerer bibl. Stellen. Sorau 1792. Der Verf.
thut e8 auf eine in den Kauptgründen und in der Anwendung
eigenthämliche Art.
Faft alle Voͤlker traten mit ihren Göttern duch gefchlachs
tete Ihiere in Verbindung, deren einen Theil man durch Feuer
den Göttern gab, den andern aber die Menfchen in einem
gottesdienftlihen Mahl verzehrten. So aß man in. Verbins
dung mit den Goͤttern, aud noch zur Zeit des Urchriſtenthums
(ı. Kor. 10, 11.). Auch die Israeliten hatten in folhen
Dpfermahlen Verbindung mit dem Altar des Sjchovah (ebens
daf. V. 18.), und der Apoftel feßt in jener ganzen Stelle das
Mahl des Herrn in Aehnlichkeit mit jener die Gottheit und den
Menſchen mit einander verbindenden heilig gehaltenen Mahlen.
Befonders bey Bündniffen wurden unter manderley Modifis |
cationen, welche der Verf. ausführlich angibt, Thiere zerfiüßs
keit, ihr Vlut als Bundesblut gebraucht, wie ausdruͤcklich bey
dem theokratiſchen VBerfaffungs und Jehovahs mit den
Israeliten, Erod. 24, 8. vergl. 19, 1 —Mahas Bundesblut
theils, auf die Seite der Gottheit hin, alio an den Altar, |
verfprißt, theils aber in Becher gefüllt und auf die verbüudes.
ten Menfhen, nachdem fie ihre Einwilligung in das Bundess
gefeß gegeben hatten, geiprenge wurde. Alddann wurde mit
Das heilige Abendmahl" von H. Stephan. 211
dem Opferfleiſch und mit Wein, ſtatt des Bluts, ein Bunz
desmahl gefeyert. Sogar wurde nicht ſelten ſelbſt etwas
von dem Blute unter Wein gemiſcht, und auf dieſe ſchauer⸗
lichſte Weiſe die Verpflichtung zum Bunde auf Leben und Tod
übernommen. Weber dieſe herzerſchuͤtternde Sitte gibt S. 20
die ausdruckliche Bemerkung des Saluſt Bell. Catilin.
c. 22. nicht nur Catilina, da er feine Verbundene verei—
“det, humani corporis sanguinem vino permixtüm circum-
tulisse, fo daß fie davon post exsecrationem alle etwas for
fieten, fondern es fey auch, was die. Hauptſache ift, eben
dieſes bey den feyerliben Weihungen Sitte ges
wefen, „sicuti uf solemnibus sacris fieri' corisuevit.*
Diefes letztere, als vorzüglich: merkwuͤrdig, hat der Verf. durch
die ſprechende Abbildung einer ſchoͤnen Gemme verſinnlicht,
unter welche eben jene Worte: sicuti.. consuevit geſetzt
ſind, wahrſcheinlich um zu erinnern, daß hier — was ohnehin
kein billiger Leſer der ganzen Schrift thun kann — nicht an das,
was in Catilina's Handlung aufruͤhreriſches war, zu denken ſey,
wo vielmehr auf die Allgemeinheit: jener befchriebenen
heiligen Sitte ausdruͤcklich —— und ſie — —
antiquariſch bewieſen werde.
Dieſe allgemeinen Anſichten und Gefühle = —
bey heiligen Bundesmahlen, wie fie beſonders auch aus Ilias 3,
246 — 501. und Liv. ı, 24. vollftändig zu erkennen ſind, was
ren, fchon feit Geneſ. K. 15. 8. 26.. 8. 31546 auch bey dem
Suden. 2. Sam.3. 20. ı. Kön.ıı,.2d. Und da Zeſus beym
Abendmahl den Keldy ausdruͤcklich einen Kelch des neuen
Verfaffungsbundes nennt, ſo kann kein Zweifel feyn, daß er
dabey an die alte Bundesverfaffung und deren Erodi 24. ers
zählte Einweihung gedacht habe. Eine. ähnliche Confecras
tion feines Berfaffungsbundes war .alfo ‘feine Abficht. - Wie
aber fein Verfaffungsbund ſelbſt viel Humaner und univerfeller
feun follte, als der noch im unvermeidlichen Particularismus
von Mofe geftiftete, eben fo mufte auch in den Symbolen
das particulariftiiche, das Pafchalamm, mweggelaffen nnd dages
gen etwas allgemein Noͤthiges gebraucht werden. Dies war
das bey dem Paſchamahl vorhandene Brod. Mofe hatte
Fleiſch, ein gebratenes Lamm, zus Hauptſpeiſe des Pafchas
\
h
212 Das heilige Abendmahl. von 9. Stephani.
mahls gemacht. Dies war ein Feſt ſinnlicher Freude uͤber
finn liche Erloͤſung. Jeſu Bundesmahl folk aufs geiftige
gerichtet, ſoll fo, wenig ſinnlich ſeyn, wie möglich. Moſe's
Bundesipeife , das Lamm, wurde von den Juden der Pas
ſchaleib, no» FA, odua Toö, raoya genannt. Einen
ſolchen Paſchale ib Hatten fo eben die Tifchgerfoffen Jeſu
nebft ihm: genoſſen. Noch lagen Biffen davon vor ihnen, weit
das, Mahl mit: einem ſolchen Biffen von dem Paſchaleib ges
ſchloſſen werden: mußte. : Hier nahm Jeſus einen Brodkuchen,
fprach darüber: den gewöhnlichen Dank gegen Gott; zerbrach
und gab ihn (nach Hrn. St. Erklärung) mit den. Morten :
dies it mein Leib, nämlih mein Pafhaleib, — das,
was ich, ftatt des Paſchaleibs zu nehmen verordne. Der Sinn
wäre: dies; iſt meine Bundesipeife, das univerfellere, unents
behrliche Symbol der (nicht mehr particulariftifhen, nicht
bloß. natienellen).. Berbändung und Verbruͤderung aller Guts
gefinnten.
Allerdings. frappirt anfangs diefer Anlaß, mit .einemmal
in. den. Worten Jeſu nichts »mehr von dem eigenen Leib und
Blut deffelben zu finden. .Miteinemmal wäre das 0600 auf das
ooua Tod naoya zu bejiehen. Aber, genauer, wiederholter,
uneingenommen betrachtend, wird wenigftens die philologifche
Worterklaͤrung nichts gegen die: Anſicht einwenden, daß Jeſus
bey den: Worten; dies Brod it mein Leib, gerade diefes
gedacht; haben fönne:.. das: alte owua Tod naoxa ift nicht
mehr mein oue, Brod. fol. dagegen. mein odum (sc.
Hau NAcxX@) ſeyn! Ferner t: das: alte levitiſche Schlachtopfer⸗
blut iſt nichee „ain“ Blut. In Zukunft foll diefer Wein mein
Blut, das Blut des.neuen VBerfaffungsbundes
ſeyn. Er. fagt ſogar ausdruͤcklich fogleih in den nächften
Verſen bey Mateh. und Markus, daß er feinen Pafchamwein
mehr trinke, daß er auf eine neue Weife Wein trinken werde.
Das: bene tritt an die Stelle des Alten. &o fagte Er bey
Soh. 4, 54. Meine Speife iſt, daß ich thue den Willen
Gottes, und der Sinn iſt: flatt der Cpeifen, welche ihr
beinget,, ift das Wirken. nad). Gottes Willen mir zur Nahrung.
Entſcheiden könnte man Über die Auslegung, wenn wir bie:
Das heilige Abendmahl Iron H. Stephani 218
begleitenden Gebärden Jeſu mit haͤtten anſehen koͤnnen. Sah
er bey dem Wort 05ud. auf das vorliegende oöua Tod rrd-
Xa? Wer kann dies entfcheiden ? Aber auch bey der geiwöähn«
lihen Erklärung ift es ebenfalls nur hinzugedacht, daß Jeſus
bey den Worten ooua& wov auf feinen Leib gedeutet bber ger
blickt Habe. Daß man fie fange fo verfund, beweiſ't nicht,
daß man nicht lange geirrt haben könne. Denkt man fi
febhaft an den Paſchatiſch Hin, wo Jeſus mit feinen Juͤngern
noch lebend faß, fo hat es doch feine eigene Schwierigkeit, gu
denken : er habe ihnen Brod hingegeben, welches, in irgend
einem eigentlihen Sinn, fen — noch als ein Ganzes
vor ihnen lebender — Leib feyn follte!
Hr. St. vereinigt auch die Übrigen &tellen des N. T.
mit feiner Erklärung. Man konnte fpäterhin die Symbole
Brod und Wein oöum xpıoroö, alu xpıorod nennen, in
fofern er felbit fie feinen Pafchaleib, fein Bundesblut ges
nannt hatte. Wer einem jüdifchen Opfermahl, —R Mar,
beywohnte, erflärte, wie 1. Kor. 10, 18. fagt, nah bamalis
gen Begriffen fih für einen Theilnehmer an dem Altarz
wer den gemweihten Becher, das gebrochene Brod ber Ehriften
genoß, erklärte fich feldft eben fo (V. ı6.) für die Theils
nahme an dem, was der Herr für feinen (Pafchas) Leib,
für fein Bundesblut erflärt hatte, und dadurch für den Vor:
faß, ein Tifchgenoffe des Herrn (V. 2ı.), ein Oaftfreund
bey des Herrn Mahl, deinvov xvpıaxov (11, 20.), und
ein DVerbündeter des Geiftigen Einen doua Jeſu, der Ges
meinde, zu ſehn (10, 17.). Selbſt die lebte offenbar geiftig
deutende Stelle fcheint zu zeigen, daß oou« im ganzen Con—
terte nicht leiblid zu verftehen fen. ‘Eine coena dominica
muß doch nicht ein Mahl feyn, wo dominus vel aliquid de
domino comeditur; etwa wie Hamlet fagt, Act. IV. a sup-
per, not where he eats, hut where he is eaten. Wer
dann nah 1. Kor. 11, 2ı. lieblos und üppig bey einem fol
hen Chriftenmahl fi bewies, wer alfo wnanftändig und uns
würdig das vom Herrn eingefeßte Brod und Wein genof, der
verſchuldete fih V. 27. gegen das, mas der Herr, flatt der
Paſchaſymbole, feine Symbole, fein oöua x. ala genannt
214 Das: heilige Abendmahl von H. Stephani.
Hatte. Er behandelt das, was Jeſus fein asua genannt hat,
nicht mit würdiger Auszeichnung, od dıaxpivov. B. 29. Da
Jeſus felbft des Bluts noch befonders erwähnt, fo würde
Er, kann man wohl hinzufegen, niht ooua, fondern cap
Fleifh, dem Blut parallel geftellt haben (wie oh. 6, 54.
55.), wenn er an fein eigen Fleifh und Blut gedacht hätte.
Der Leib, wie auch im Streit über den Kelch oft bemerkt wurde,
wuͤrde ſchon auch das Blut begreifen, wenn von einem bes
lebten Leibe nach der gewöhnlichen Auslegung die Rede wäre.
Rec. Hat fih noch die Einwendung gemadht, daß das-
Paſchamahl an fih nicht ein Verbündungsmapl, viels
mehr die Feflmahlzeit zur Erinnerung an die Erlöfung aus
Aegypten war. Der VBerfaffungsbund der Israeliten entftand
erft nach dem Auszug. Erod. 24. Allein, daß Jeſus an Feyer
eines VBerfaffungsbundes dachte, bleibt durd feine
eigene Andeutung : TO alua now, TO Tis xaıwväs dıadnxns,
worin alle drey Evangelien harmoniren , entfchieden. Jeſus
fonnte auch fhon auf Gottes Bund mit Abraham Geneſ. 17, 9.
15, 18. zuruͤckſehen. Er vereinigt Erinnerungss und Vers
bündungsfeyer. Aber für das eigentlihe, particuläre
Erinnerungsfymbol, den Paſchaleib, fest Er ein allges
meineres. Webrigens hat, wie auch S. 56 anzeigt, fchon
Pfaff in feinen Institutionibus Theologiae dogm. et
moralis (Ed. II. 1721. ) p. 6gı die Andeutung gemadt:
Christus hoc sacramentum institut ad analogiam
coenae Paschalıs... Et verba roöro dori ro voud
'povex phrasiJudaica explicamus: Judaeis enim agnus
Paschalis assus, atque in mensa positus olim dicebatur
nos V OD corpus Paschatis. Nur die Anwens
dung, welhe Hr. St. hievon maht, war für jene Zeit noch
nicht möglich, nicht vorbereitet genug.
Aber auch, wenn diefe Anwendung nicht Über die philolos
giſche Möglichkeit hinaus erwiefen werden kann, bleibt
doch, nad des Rec. Einfiht, alles das, was Hr. St. über
die Deutungen der Abendmahlsworte ins Ilnbegreifliche, und
dann über die practifch veredlende Anwendung dieſes eigens-
thuͤmlichen Chriſtenmahls weiter folgen läßt, in gleichem Werth.
Das peifige Abendmahl von H. Stephani. 215
Seheimnißvolles kann nichts darin liegen , denn dies, wenn
es eine Aufgabe für den Glauben feyn follte, müfte von Ser
fus in beftimmten Worten zur Aufgabe, zur Olaubensprobe,
gemacht feyn. Oder wußte etwa Jeſus weniger, als ein Cons
cilium im Mittelälter und die fonftigen Verff. von Glaubens⸗
normen, die angemeffenften Worte für das, was man hier zu
glauben habe. Das gewiß ausgefptochene ift, daß feine Hands
lung auf einen neuen Verfaffungsbund fih beziehen
follte. Daß es Erinnerungsmahl an Jeſu Aufopferung
für eben diefen Bund werden mußte,- daß die Chriften, fo
oft fie es als Chriften zuiammen aßen, in den bittern Gedans
ten, in den hHergerfchätternden Ausruf ausbrehen mußten:
Sie haben uns den Meifter erfhlagen! (ı. Kor.
11. 26.) dies lag ohnehin in der Natur der Sache. Eben
fo gewiß ift es, daß ‚Brod und Wein nie Symbole eines
Sündopfers waren, daß felbft das Paichalamm zu den frohen
Gluͤcksopfern, — ** nicht in die. Claſſe der Sünd s oder
Schuldopfer gehörte, daß alfo auch bey dem dafür geſetzten
Bundesmahl an alles eher, als an ein Opfer für Suͤn—
den von den erſten Chriſten gedacht werden konnte, bie als
gebohrne Juden mit der DOpfertbeorie von Kindheit auf
beffer, als mancher Theologe, befannt waren. Selbſt der
Apoftel Paulus hat nie von dem Mahl des Herrn eine Ans
wendung diefer Art gemacht. Die Betrachtung, daß es Duns
desmahl .fey, bleibe alfo auf jeden Fall.
Miet fhönem Enthufiasmus ftellt es denn auch der Verf.
als Verbrüderung für ein Gottesreich, für eine mit Gott hars
monierende Weltordnung,, als Erneurung eines Bundesſchwurs
für die Verbündung mit allen Outgefinnten, als das große
Famitienmahl aller Gotteskinder unter dem Einen, ewigen,
heiligen Vater, dar. Er eifert S. 95 darüber, daß es zum
Mahl für die große Sünderzunft gemacht fey. „Wie
‚wollet ihr den Menfhen je dahin bringen, den mühevollen
Kampf für die Tugend zu beftehen, wenn ihr ihm ein äußes
res Mittel anweiier, durch deffen Gebraudh er ohne innere
Anftrengung den Tugendhafteften gleich geflellt werden könne?“
Er gibt liturgifhe Vorſchlaͤge darüber, Kleider feine
216 Das heilige Abendmahl von H. Stephan,
Anfiht auch in eine: Abendmaihlsrede ein, melde durchs
aus zweckmäßig fheint, und. ‚verbindet damit paflende Ges
fänge, melde den beften uns befannten nicht nachſtehen. —
Alles diefes aber ift, wie es jeßt faft nicht anders ſeyn fann,
auf die großen, gemifchten Verſammlungen in Kirchen beredys
net. Hierdurch wird immer das Bundesmahl auf die bloßen
Symbole eingefhräntt. Wie ganz anders mußte es in dei
noch beffern Zeiten des Chriftenthums wirken, wenn vertraute
EhHriftenverfammlungen wirklich ihre coena. zufammen aßen,
als folche, die fich ihres Chriſtus freuten, nur ihn und feinen
Bundeszweck, alles Wahre und ‚Sute, zum Tiſchgeſpraͤch
machten, und endlih am Schluß eines foldhen aͤchten Chriftens
mahls höher geftimme und zu mandıen guten Vorſaͤtzen neu
erwärmt, ihren Jeſus ſelbſt ſich vergegenwärtigten, wie er
einft, am leßten Abend feiner faum begonnenen Lebensbahn,
des Verraths zum Tode gewiß, aber aud) gewiß feines Vor—
faßes, daß der Steg des Guten nur durch Ueberzeugung, nicht
durch Gewalt zu bewirken fey, die treubleibende Kleine
Heerde, mie der alte königliche Prieſter Melchiſedek Geneſ.
14, ıd. duch. Brod und. Wein zu einem Bundesmahl vers
einigte, welches in der Folge eilf Saliläifhen Männern die
Stärke gab, feine kurze Wirkfamkeit für den gebilderften Theil
der Welt unverlöfchlidy fegensreich zu mahen. Auch die ifos
lirte Fever des Bundesmahls in den Kirchen ift allerdings
feinem heiligen Zweck fo nahe als möglich zu bringen. Es
fheint aber doc unvermeidlich, daß fie nur wie ein Symbol
der urfprünglihen Einrichtung bleibe. Die KHauptbedingung
des Efferts wird allein in engeren Cirkeln denkbar feyn, wo
wirkliche Chriftusfreunde als folche einen heiligen Abend feyern,
wo der Mund von dem, wovon ihr Herz voll ift, vertraulich
überfließt, und, gleihfam Kohle an Kohle gelegt, die Afche
der Convenienzen weggehauht wird. Auch Jeſus erwartete
das Meifte von kleinen Gejellihaften Gleihgefinnter;
wo zwey oder drey folhe beyfammen wären, wollte er der
Tiſchgenoſſe, der Inhalt ihrer Tifhreden, feyn. Daß alsdann
alle dergleichen Kleinere Cirkel zu allgemeinen Zwecken des
Bundes für alles Gute harmonieren und aus allen Kräften
zufammen wirken, deswegen immer auch zugleich eine Kirche
überhaupt bilden follten, ergibt fih aus der Natur der Sache.
Geben uns doc die wirffamften der für ideale Zwecke vereins
ten Verbräderungen eben dieſes Beyſpiel des Wirkens aus
kleinen vertrauten Kreiſen in die vielfacher zuſammengeſetzte
Geſammtheit.“
H. E. G. Paulus.
Ueber Religionövereinigung von F. Stande. 217
Weber Nelisionsvereinigung, Ein Wort er Brü und
en Ertlärung As Betrag zur Gi — klar
der chrifil. Kirche. Von Eried. Steudel, Diafonus zu Cant⸗
fladt Cjetzt zu Tübingen). Gtuttgart-bey Mezler. 1811. VALE
und 223 ©. in 8. —
Rec. will dieſe beſcheidene, aber ſtandhafte Proteſtation
gegen Erregung eines neuen Unfriedens zwiſchen
der katholiſchen und proteſtantiſchen Kirche, meiſt durch ſich
ſelbſt, durch Auszüge ihrer eigenen Worte, charakteriſiren, da
ſie ſehr vieles Wahre und Gute, nur bisweilen durch eine
verwickelte Periodologie in etwas verdunkelt, darbietet. In
Beziehung auf die „Friedensworte an die katholiſche und
proteſtantiſche Kirche fuͤr ihre Wiedervereinigung“ (Sulzbach
1810.) eine Schrift, welche jede Bitterkeit und Liebloſigkeit
zu vermeiden vorgibt, will der Verf. ins Licht ſtellen, daß der
Proteftant weiß, mas er glaube und warum er es glaubt,
daß eben deswegen die Proteftanten feine Gründe
haben, ſich als religidfe Geſellſchaft aufzulöfen
und der katholiſchen beyzgutreten. Er wollte nidht
einen andern irre maden in dem, was diefer glaubt,
aber darlegen, daß der Proteftant feinen Grund habe, in dem,
was er glaubt, fi irre machen zu laffen. |
Die Frtedensworte wiederholen das befannte Wis
fpiel, daß man entweder Katholik feyn, oder Deift
werden muͤſſe. Wenn die Patholifche Kirche auch zugeftehe,
daß in ihr zu einer gewiffen Zeit Mißbraͤuche flatt gefuns
den haben, fo fey fie doch die aͤchte chriftl. Kirche, und ihr
Spftem das einzig confequente chriftlihe. Hr. St. ift
fo friedliebend, nicht fogleich zu fragen, ob es confequent fen,
in einer unträglihen Lehranftalt Mißbraͤuche, felbft durd)
den Repräfentanten der infalliblen Kirche autorifirte Mißbraͤuche
(mie Ablaß um Geld ) jemals einzugeftehen? Wenn die Ges
fhichte fo oft, fo unläugbar das Gegentheil von Infallibilitaͤt
der Kirche documentirt, fo wird man eher zu einer andern
Antichefe gedrungen : daß man entweder Proteftant oder Deift
ſeyn muͤſſe! Die untruͤgliche Kirhe, melde den Dffens
bahrungsglauben fihern fol, iſt gefchichtlih nicht zu finden.
Er muß alio entweder rationell gefichert werden, oder
müßte er gar nicht zu fihern feyn. Kr. St. erflärt daher
mit ruhiger Beſtimmtheit: was die proteffantifhe Kirche
ſey. Sie ift ihm eine, Sefellihaft, welche in Gegenftänden
des religidfen Glaubens als entiheidend nur das Ans
fehen der Bibel gelten lafien, von deren göttlihem Ur—
fprunge der eigene freye Gebrauch der Bernunft
fie überzeuge, und welche fie nur mit Huͤlfe ihrer eiges
nen Bernunft erkläre. Durch dtefen genetifhen Begriff
218 Ueber Religionsvereinigung von F. Steudel.
der prdteftantifchen Kirche ift allerdings gezeigt, daß Proteftans
tismus und Nationalismus nicht einander entgegen, fondern
zugleich zu feßen find. Der Proteftantismus ift biblifcher
Nationalismus Mur das, was nod) allzu vieldentig ift
‘in des Verf. Ausdruck, daß der Proteftantismug in Hinſicht
der Religion allein das Anfehen der Bibel gelten laſſe, for—
dert noch genauere Beſtimmung. Die Bibel enthält vieles,
was nicht zum Wefentlihen der Religion gehört, und auch
das zur Netigion gehörige gibt fie in einer zur Vollkommenheit
forefchreitenden Entwiciung. Das alte Teftament enthält auch
- fhon Neligionsoffenbadrungen, die aus religidfer Begeiſterung
entftundın. Im neuen Teftament aber fchreiten fie zur weites
ren Vervolltommnung fort. Die proteftantifhe Kirche num,
wenn fie deutlich erflärt, mag fie unter dem Anſehen der
Bibel verftehe, erkennt aus vernünftigem Nachdenken, daß
alles, was in der Bibel als wefentlihe Neligionswahrheit ges
offenbahrt ift, das volllommenfte und zureichendfte unter allen
Meligiongeinfihten ift, die als Offenbahrungen aus veligiöfere
Begeifterung entftunden. Eben deswegen, aber muß diefe Kirche,
auferdem daß fie bey Entdeckung des Uriprungs und des Worts
finns diefer Offenbahrung die eigene Vernunft gebraucht, die
nämliche das Göttliche fuchende Geiftestraft auch noch dazu ges
brauchen, daß fie den übrigen, vielfahen Inhalt der Bibel
von dem untericheide, was innerhalb der Bibel als wefentlicd)s
religidfe Wahrheit aus beiliger Begeifterung ung in Lehren oder
Denfpielen vorgehalten wird. Mie richtig unterfcheidet auch
der äftherifch : philofophiiche Scharffinn Plank's (in feiner
Einleitung in die theol. Wiffenih. fhon 1799.) Bibel und
bibliſch⸗ geoffenbahrte Neligionswahrheit. Er erkennt es als
„allgemeine Regel (IT. Th. ©. 404), daß die fuftematifche
Theologie ihre Schriftbeweife nur aus folhen Stellen ziehen
folle, von denen es gewiß if, daß fie eine Belehrung und
zwar eine für alle Zeiten beffimmte Belehrung
über Religionswahrheiten enthalten,“ mit (S. 405)
der doppelten Bemerkung, daß „nicht in allem, was von
Sefu und den Anofteln herrährt, ein dogmatiſcher Reli—
gionsunterricht gefuche werden darf, daß man aber auf
jedesmal fih sehe befiimmter Gründe bewußt feyn muͤſſe,
wenn man fi in einem befondern Fall erlauben will, einem
exegetiſch wahren Ausiprudy Ehrifti oder der Apoftel die dogs
matifhe Wahrheit abzufprechen.* Wird diele genauere Ber
flimmung , daß und in wiefern der Vernunftgebrauch des Pros
teftantismus ſich nicht nur auf die Präaliminarien der Theclogie,
auch nicht allein auf die Eregefe beziehe, fondern überdies
auf den Inhalt der Dogmatik felbft, als eines Syſtems
ueber Religionsvereinigung von F. Steudel. 219
der wefentlichen Religionswahrheiten,, gewiffenhaft anzuwenden
und confequent durchzuführen fen, vollftändig erwogen, fo ers
heilt, daß Achter Proteftantismus jederzeit. biblifher Nas
tionaligmus war und bleiben wird, mie aber in einen
bloßen Deismus (in eine alle Dffenbahrungsauctorität laͤug—
nende Neligionsphilofophie ) ausarten fann. Die Gottheit
führe die Menfchen durch zwey Wege zu Religionseinſichten.
Entweder iſt man, bey den vom Water der Geiſter veranftals
teten Neranlaflungen zur Ueberzeugung, fih des eigenen Nachs
denfens und aller Umftände bewußt, wodurch man die Einficht
erreicht ; oder wird fie yi Andachtsvollen aus feinem inniaften
Gefühl für das Heilig FReligidfe mit Begeifterung offenbar,
d. h. ſo klar und wahr, daß er ſich feiner Wirkſamkeit dabey
nicht bewußt iſt. &o lange die Gefchichte zeigt, daß Gott die
Menichen auf diefen beyden Wegen zu ihrer religidfen Erziehung
leitete, und fo lange es gewiß ift, daß befonders bey der Res
figion Geift und Herz, Machdenfen und Gefühle vereinigt
wirfen, einander beleben und berichtigen follen, eben fo
lan wird fi die bibl. Offenbahrungslehre niht vom Nas
tionalismus, und diefer fih nicht von dem Biblicismus
trennen. Dieſes beydes aber wird Sefchichte und Menfchens
fenntnif immer zeigen; mogegen es Irrationalismus
wäre, als Glauben vorzufchreiben, daß aud etwas den aners
fannten, unläugbaren Einfichten entgegengefeßtes dennoch Dffens
bahrungsmwahrheit feyn könne. Und fo ſtimmt auch mit den
Grundideen der Stifter des Proteftantismus jeder Protes
ftant überein, welcher ſich zum biblifhen Rationalismus in
obigem Sinn bekennt, weil auch Luther, Melanchthon ꝛc.,
was fie aus der Bibel als Aufgabe des religidfen Glaubens
behaupteten, nur wegen der Vorausſetzung behauptet haben,
daß; es dort als wefentlihe und andern unläugbaren Einfichten
nicht entgegenftehende Neligionslehre vorfomme. Sind denn
gleich die proteftantifchen Gelehrten noch nicht Über den ganzen
Inhalt des biblifhen Nationalismus nad) jedem einzelnen Theil
eregetifch und dogmatiich einig, fo ift dies doch nur eine ins
nere Differenz, die bey fo verfchiedenen Stufen von Vor—
fenntniffen und Einfichten bisher unvermeidlich, zugleich aber
ein Zeichen des geiftigen Lebens und Selbftforfhens war. Der
Unterfchied felbft befteht nur darin, daß der Fine mehrere,
‚der Andere wenigere Säße geoffendbart findet, welche er zum
Weſentlichen der Religionsbelehrung rechnen zu dürfen
uͤberzeugt iſt. Dawider aber, daß irgend etwas, das in der
Bibel nicht geoffenbart ift, durch irgend eine in Mens
fhen fortdaurende Sjnfallibilität zur Religionswahrheit, oder
auch nur zu einem abjolut nothwendigen veligisjen Ritus ers
220 Ueber Religionsvereinigung von F. Steudel.
hoben werden koͤnne, ſtimmen alle Proteſtanten nur deſto
kraͤftiger zuſammen, wenn gleich ihr bibliſcher Rationalismus
bey manchem weniger, bey andern vollſtaͤndiger durchgefuͤhrt
und wiſſenſchaftlich ausgearbeitet erſcheint. Ueber die negie—
rende Stellung des Proteſtantismus gibt es keine Differenz;
aber auch der affirmirende Theil defjelden (denn der Vors
wurf, daß der Proteftantismus wur nenierend fen, ift ohnes
bin abermals ein bloßes Wortfpiel! ) zeigt fih in allen weients
fihen Puncten weit mehr zufammenftimmend, als die Diffes
tenzien es vermuthen laffen mögen, welche in der That nur
das, was zur Einfleidung und unter temporären Begriffe
u rechnen fey, betreffen. Und fo, tie diefer affirmirende
heit des Proteftantismus für die Religion das Wichtigfte
ift, eben fo bleibe der negierende, die Proteftation gegen
allen Glaubenswang, für die Eultur der Menfhheit
überhaupe hHöhft wichtig. „Nur dagegen (S. 82) fträubte
fih unfer ganzes Wefen, wo das Sättlihe durch menichliche
Zugabe entwärdigt, oder gar verdrängt werden follte.“ S. 134.
„Selbſt die Täuihung in der Meynung, man dente ft,
ift noch ehrenvoller und nährender für das Gute, als das der
müthigende Wegmwerfen feiner feldft, womit man fi unfähig
glaubt, auch feibft zu denfen,“ d. h. anflatt eines gebotenen
Auctoritätsglaubens einen Ueberzeugungsglauben zu haben, wels
cher allerdings ahtbare Auctoritäten auch vergleicht und be;
nußt, eben deswegen aber z. B weder durch die rohen Producte
des Mittelalters fih feſſeln läßt, noch ben einem Kirchenlehrer,
welcher, wie Auguftinus, die Bibel nur lateinifch lefen konnte,
richtige Eregefe und Anwendung fhwerer Stellen erwartet. —
©. 155. „Wer jegt noch dem Ch iftenvolfe von einer uns
trüglihen Lehranſtalt vorſpricht (die Friedensworte fpres
chen nad) dem Modeton,, daß wenigftens das Volk eine
folhe Religion bedürfe!), der muß, wenn er von dem
vernünftigen Theile, felbft der Katholifen, gehört werden will,
vorher vielleicht mehr als Einen Fotioband fchreiben, in dem
er alle Data, welche die Gefchichte zu dem Beweis, daß fein
Forum fein unträglihes if, an die Hand gibt, als
unftatthaft widerlegt.“
Die Friedensworte tragen &. 321 darauf an, daf nicht
mehr widrige Vorurtheile aufgewärmt, nicht, mehr
feindfelige Zumuthbungen ausgeflreut werden
follten. Dennod geben fie den Wink S. 258, daß die
Idee einer unſichtbaren Kirche gegen bie Proteftanten Des
forgniffe von Seiten des Staats verurfachen koͤnnten. Aber
diese Kirche hat feine unfihtbare Obern, als Gott und Jeſus!
Ehen diefe Friedensworte wiederholen auch gegen die Mefors
—
Weber Reltgionsversinigung von F. Steudel. 221
mation die Vorwürfe von Luthers Leidenfchaftlichleit, und daß
ein Mann, weicher dem gemeinen Mann von Freyheit,
ben Fürften von Unabhängigkeit und Einziehung
reicher Pfründen, den Klerikern von Aufhebung des
Coelibats fprah, ‚fih wohl günftige Aufnahme habe vers
fprehen können.“ Gang vorzäglih gut Hat Hr. St. das
Hiftorifch s Unwahre diefer Puncte : gezeigt, mach diefem aber
auc den wichtigen Unterfchied beyder Kirchen in Grunds
fügen und einzelnen Dogmen treffend ausgezeichnet.
S. 100, „Hat denn er (dev Verf; der Friedensworte) nichts
gehört von Luthers treuer Vermahnung (1522) an :alle Chris
fien, fih vor Aufruhr und Empörung zu hüten ? nichts von feis
ner Schrift gegen die räuberifchen und mörderifhen Bauern ? ꝛc.“
„War es nicht noch 1530 bey den evangelifchen Fürften Gegens
finnd einer veiflihen Veberlegung, „ob man- dem Kayfer mit
gutem Gewiſſen Widerfland thun könne, wenn er gegen
einen derfelben, um der Religion willen, Gewalt gebrauchen
würde ?“ (Auch wie fehr Luther. feldft dem Krieg entgegen
war, weil fein Heldenglaube, daß Gott feine Sache ſchuͤtze,
unerfchütterlich blieb, ift befanne!) : Das Secularifiren aber
war ohmehin nicht im Geifte der Neformatoren. Luther klagte
darüber, daß ein Theil des Adels die Kloftergäter an fich
reißen wolle ( Schrödh N. RG. I, 374), und der Churfürft
von Sachen verordnete ( ©. 391) feluft, daß alle Einkünfte
der geiftlihen Stellen und Kidfter genau berechnet werben folls
ten, um Kirchen und Schulen zu verforgen, wozu er, wenn
es nöthig ſey, noch Geld herzugeben fi erbot. Leider! aber
mußte Hr. St. mehrmals anmerken, - wie fehr die Friedenss
worte-von dem, was ihr Verf: aus Stellen, die er felbfi zur
Hälfte citirte, richtiger willen mußte, geſchichtwidrig und
vorfäßlich abweihen. Wer follte den Schluß für: möglich hal—
teh, welchen er $. go macht, daß, weil die Reformation Re—
ligions. » Uneinigkeiten verurfachte , fie alle Schuld der Barchos
lomaͤusnaͤchte, angezündeter Scheiterhaufen u. dgl; trage... War
ren nicht: die Scheiterhaufen länaft vor Luther und Huß — aus
untrügliher Machtvollkommenheit — angezuͤndet? Mit Wärme
fpricht Überhaupt &. 108 das Unlaͤugbare aus: „Nichts vom
dem, was Luther (gegen den Katholicismus‘) als Irr—
thum beftimmt verworfen. bat, hat. unterdeffenr
ſich als Wahrheit beſtatigt, fondern die Macht. melde
er heidenmäthig angriff und in Schranken zuruͤckgewieſen fehen
wollte, ‚ward, wirklich dahin getrieben; feine Grundfäße
im Ganzen find von Millionen als hoͤchſte Wohlthat erkannt,
durch neue Stüßen gefihert, und durch weitere Beleuchtung
noch mehr aufgehellt worden.“ &, 285, „Kein (auch nur
222 Ueber Religionsvereinigung von F. Steudel
hiſtoriſch?) aufgeklaͤrter Katholik kann laͤugnen, daß das Sys
ſt em des Katholicismus, welches von Luther beſtritten
wurde, die Aufklärung in gewiſſen Zweigen der Wiſſenſchaf⸗
ten (qußer der Philofophie vornehmlich im Staatsrecht, Kivs
chenrecht ic. nicht begünftigen fann, weil feine Erifteng und
die Heiligkeit —*8 durch fie gefaͤhrdet würde ... Darum
lag Sranfreih von jeher im Kampfe mit dem Haupte der far
tholifchen Kirche‘, und darum lag Kayſer Joſeph fo fehr im
Kampfe mit der Hierarchie. » Es möchte ſchwer fallen, den
Satz zu beſtreiten, daß, was innerhalb diefer Zeit für Aufr
klaͤrung im Katholicismus gefhehen ift, Annäherung iſt zu den
Grundfaͤtzen der proteftantifchen Kithe.“ Mer hat die Unaͤcht⸗
heit der Pieudodecretalien gezeigt, wer aber aud) von den Fols
gen diefes nur im Mittelalter möglich gewefenen Products fi
entfeffelt ? Die Friedensworte feldft geben S. 152 den Winf,
daß „Rom nicht mehr in feiner alten Lage fey.“
Sie überfehen dabey die matärfiche Gegenfrage: ob die alte
Lage mit der Infallibilitaͤt der Kirche Übereinfam oder nicht ?
und das Dilemma : ob alſo dieje Infallibilitaͤt entweder jetzt
oder damals als verlegt erfcheine? Sie zichen aus der vers
änderten Lage Roms nur die Erwartung (St. ©: 85), daß
„ale Opfer, die mit der Weſenheit des Chriſtenthums
vereinbar find ‚ gebracht werden möchten.“ Mit der Weſen—
heit des Shriftenthums ? Wer aber wird diefe beftlimmen ?
Die Eregefe und Religionsphilofophie dev katholiſchen oder der
proteftantifchen Kirche ?
Der Berf. der Friedensworte fekt, wie er nicht anders
kann, das 'erftere voraus. Denn Untrüglichkeit der Kirche und
Mrimat des Roͤm. Bifhofs als „des görtlich autoriſirten Res
präfentanten der unträglichen. Kirche“ feßt er 'felbft als die
KHauptdivergenzpuncte (©. 146. 187). Die Wefenheit des
Chriſtenthums wäre aljo nur auf jener Seite: Auch fein
Bereinigungsplan komme daher, wie es immer bey zwey Theis
len, movon der: Eine’ im Wefentlihen allein Recht zu haben
glaubt, der Fall werden muß, darauf zuruͤck, daß, wenn ein
Unionsentwurf. von beyden-Theilen gemacht, dem Pabft zur
Genehmigung . vorgelegt, und von dieſem mancher aus den’
tirhlichen Einrichtungen fließende Anftoß gehoben wuͤrde, man
von den Peroteftanten Machgiebigkeit erwarte, wo die
Anftände einen Glaubens: und Dffenbahrungs's
gegenftand betreffen.“ Die Proteftanten alfo müßten
ihre Srundfäße, das Weſentliche ihrer chriftl. Webers
zeugungen, der Katholicismus dagegen einige Ritus und
äußere Verhältniffe aufopfern! Hr. St. hat gegen dieſes
Opfern überhaupt mit großer Klarheit bemerkt, daß ſich dar⸗
ieber Neligionsvereinigung von F. Stendel, 223
über, ob man von etwas Übergengt ſeyn molle oder nicht, gar
nicht pacisciren laffe. Es ift Pflicht, alle möglihe Mittel zur
Hebergeugung anzuwenden. Wer darf Pflichten aufopfern ?
Welch ein Begriff von Wahrheit und Religiofirät, wenn diefe
aus gegerifeitigem Accordiren hervorgehen follten ! Wegen des
Primars zum Beyſpiel begehren die Friedensworte 4. 128. die
Ueberzeugung: daß, weil Petrus von Jeſu einen Primat un—⸗
ten’ den Apoſteln gehabt habe, und in Rom geſtorben ſey, alſo
fein Nachfolger zu Rom ihm auch im Primate folge.“ Ders
gleichen Schluͤſſe wärden fodann gebotener Glaube feyn; gegen
fie dürfte es dann feine Gegenfrage mehr geben: ob der Vor⸗
zug des Petrus nicht ausdruͤcklich auf individuelle Eigenſchaften
deſſelben gegruͤndet wurde ? und ob ſich dieſe durch Jahrhun⸗
derte herab vermittelſt des Sitzens auf dem Stuhl des Petrus
vererben laffen ?— Der vom Pabſt modificiete Vereinigungsplan
fol, nach den Friedensworten, „durch dem Landesherrn von feis
ner: wuͤnſchenswerthen Seite empfohlen, und dem Amte der
Prediger Schuß, Unterftügung und befferes Einfommen verr
fprochen werden. Wer aber die Augen gefliffentlich fchließt, der
eignet fich nicht mehr zum Lehramte.“ Iſt es Geiſt des Chris
ſtenthums, oder Folge der Erziehung unter einer an das Gebiete
gewohnten Kirchenpolitik, welche bey Worfchlägen diefer Are
den ‚Urheber .dreift genug machen fonnte, fie ungefheut vor
das Publikum zu bringen ? Hr. St. faßt dies alles mit Recht
in die Worte zufammen; es foll Glaubenszwang einges
führe werden! S. ı20. 122. „So aber jemand (zum Predis
ger) träte und ſpraͤche: Bruder! ich biete dir. Ehre und Ge⸗
winn; fomm, diene meimen-Zweden; da müßte er erwiedern?
Es ſtehet geichrieben, du follft anbeten Gott, deinen Heren und
ihm allein dienen. Und, wie fehr jener auf das Edle feiner
Zwecke fi) berufen und durch Worte der Bruderliebe ihn ges
winnen möchte, er müßte ihn, weil er durd) Anbtetung irdis
ſcher Vortheile ihn zu gewinnen gehofft hatte, verachten. Und
wen wir verachten, dem dienen wir nicht. Noch dienet der
Edle dem, von dem er als der Verachtung werth behandelt
wird.“ — Am meiſten wundern wir ung über den ( bräderlis
hen?) Wink der Friedensworte ©. 95, daß Eigennuß vors
zuͤglich bey proteftantifhen Geiſtlichen ſich einfchleiche,
diefer aber und Stolz wider die Bereinigung fämpfe. Konnte
der Friedensftifter nicht bedenken , daf fein Wink nur zur Vers
gleihung zwiſchen den Vortheilen kathol. und proteftantifcher
Kirhyenämter und zwiſchen den Ehrenftellen eines Cardinals,
Biſchofs ıc. und eines proteftant. Conſiſtorialraths auffordere.
Es ift nicht befannt, daß irgend bie proteftant. Kirche eine
äußere Vereinigung mit der kathol. für Zeitbedärfnig Halten
224 Ueber Religionsvereinigung von F. Steudel.
Der Gedanke von St. ſcheint daher der natuͤrlichſte, diejenigen
Katholiken, welche ein ſolches Zeitbeduͤrfniß einzufehen behaupten,
darauf aufmerkſam zu machen, wie fie den umgewandten Ans
trag, durch folhe Mittel Proteflanten zu werden, aufnehmen
würde? Mas die Negierungen betrifft, fo können fie, wenn
gleich der Name Primat nod fo milde klingt, doch nicht vers
geffen, daß. er eigentlich ein dirigirendes Supremat in fi
fehließe , welches nicht nur auf Glaubenseinheit, fondern auch
auf viele weltliche Verhaͤltniſſe, wie Ehefcheidungen, Ehediss
penfationen, Verheyrathung zwifchen Perfonen verfchiedener
Kirchenconfe ion u. dgl. Einfluß habe, und, zwar nicht mehr fo,
wie in. denmwgepriefenen Mittelalter, mit Tpronadfegung und
Auflöfung des Unterthaneneydes, aber doch mit einer auch buͤr⸗
gerlich fchädlichen Ausfchließung aus der Kirche und von der
Seligkeit drohen könne. Und wenn als ‚ein Hauptgrund zur
SReligionsvereinigung dies angegeben wird, daß auch die kirchliche
Geſellſchaft, nach dem Beyfpiel der Staaten, fidy zur Centras
liſirung der Kräfte neige, fo wird der Staates und Geſchichts⸗
kundige die Reflexion nicht unterdruͤcken koͤnnen: daß diefer
Grundſatz auf die Nothwendigkeit einer geiſtlichen Univerfals
monarchie (vgl. S. 66) fuͤhren muͤßte, um ſo mehr als fuͤr
jene ſchon einmal ein Verſuch im Großen gemacht worden iſt,
und gegen den Mißbrauch concentrirter geiſtlicher Kraͤfte, welche
unaufhoͤrlich auf Erziehung und Gewiſſen Einfluß haben, die
weltliche Macht in der Continuation immer unterliegen muͤßte,
wenn ſie nicht, durch Gewiſſensfreyheit und vorurtheilsfreye Gei⸗
ſtesbildung der Pluralitaͤt, ein gleichfalls geiſtiges Uebergewicht
zu erhalten ſuchte. Dieſe wahren Beſchuͤtzerinnen der Staaten
und aller Fortſchritte zum Guten aber ſcheinen ung zuzurufen:
Wenn von Verbeſſerung im Religiöfen die Nede feyn fol, fo
laßt uns nicht ins Mittelalter, nicht in jene frühere Zeit, mo
Sinken und Zerfall des Roͤm. Reichs das Charakteriſtiſche ift,
laßt, ung vielmehr zu Sjefus, zu Petrus und Paulus, laßt ung
zum Urchriftenehum felbft immer mehr zurücfehren! Das Urs
chriftenthum muß doch das ſeyn, was die vollefte Katholicität
C Allgemeinheit) verdiente! Und auch: im Geiſte der proteftant.
Reformatoren war, wie fihon der fo ruhig forfchende Schröckh.
im II. Theil der. Neformationsgefhichte S. 800 urtheilt, die
Wiederherſtellung desädhten (uralten), allein ges .
meinnüßlihen Chriſtenthums das, was fie nach allen;
Kräften wollten. Diefer Geiſt, diefe Tendenz führt zu dem Cen⸗—
tralpunct zwangloſer, überzeugungstreuer Vereinigung; wo der
Ddrigkeit, was der Dbrigfeit gebührt ( Sehoriam zum Staat
wohl), Gott aber, was Gottes ift a in wahrer Geis
ſtigkeit) gegeben wird. H. E. ©. ——
iin
No. 15. Heidelbergiſche 1813;
Jahrbuͤcher der Litteratur.
2 AA RA A AA Aa ..
Kofegarten’s Dichtungen. Neue Auflage. Erfier Band 232 &. Zwei⸗
ter Band 227 S. Dritter Band 196 S, Vierter Band 231 ©,
Breifsmalde , gedr. bey Eckhardt. 8.
|
Em achtungswerthen Theile des Deutſchen Publikums,
welchem gemuͤthvolle, erhebende Dichtungen, dieſe ſchoͤnen
Bluͤthen eines hoͤheren Daſeyns, zuſagen, und welches ſich
nicht durch einige vorlaute Schreier des Tages, die ihm vor—
demonſtriren wollen, was es für Poefie und Nicht-Poeſie
halten fol, irre machen laffen, wird es erfreulich fenm, zu
vernehmen, daß Hr. Kofegarten angefangen habe, feine
bedeutendern Dichtungen zu fammeln, zu fihten und zu ords
nen. Die bereits vor ung liegenden vier Bände beurkunden
es zur Genäge, daß Hr. 8. — deffen Dichterberuf nur der
Unverftand oder böfe Wille verfennen wird, und dem einft
Herder und Schiller diefen Beruf willig zugeflanden —
nur Gelaͤutertes geben wollte; denn überall ſtoͤßt man auf
Beſſerungen und forgfältige Feile. Auch im Nückficht der Mes
trik hat diefe Sammlung unftreitige Vorzuͤge vor allen bisheris
gen Arbeiten unfers Dichters. Es kann Übrigens nicht die
Abficht unfrer Anzeige ſeyn, die hier gelieferten Dichtungen,
deren Werth größtentheils fihon entfhieden ift, beym Publi⸗
fum erft einführen zu wollen, fondern nur von diefer Ausgabe
ber feßten Hand, mwodurh Hr. 8. fih „am NMande feiner
dichtenden Laufbahn einen Dentftein zu fehen wuͤnſchte, wels
her die Machbleibenden für eine Weile noch an den Ders
Ihwundenen erinnern möchte,“ (S. V. d. Vorr.) wollch mir
einen treuen und unparthenifhen Bericht abftatten. Was der
Dichter in diefen vier erften Bänden gab, gehört mehr oder
weniger dem Epos an; was er der Lyra anvertraute, werden
die vier letzten Bände liefern, deren baldiger Erſcheinung wir
mit Verlangen entgegen ſehen.
15
226 Dichtungen von Kofegartein
Der erfie Band enthält die anmuchige ländliche Dich
tung: Sukunde, in fünf Eflogen, die man auch nach
Boffens Luife und Goͤthe's Herrmann und Dorothea mit
Vergnügen leſen wird. Diefe idyllifche Darftellung fpricht das
Gemuͤth dur edle Einfalt, Zartheit, malerifhe Scilderuns
gen reigender Gegenden und eine kräftige und harmonifche
Spradhe an. Das Ganze ift fehr gut gehalten, und nur fels
ten thut das durhfchimmernde Städtifhe, Gelehrte oder zu
Fleinlihe Detail mancher Befchreibung dem Pührenden und
Maiven Abbruch. Bisweilen höre man aud) den Dichter
zu fehr felbft in den Perfonen diefer Idyllen fprehen. Die
meisten Charaktere treten indeffen lebendig hervor, nur den
Liebhaber Jukundens lernt man zu wenig, und faft nur aus
feinee Schwefter Thekla Schilderung, kennen. Das Vor—
lefen der Stellen aus dem Plato und einige andere Pars
tieen erinnern zu fehr an gelehrte Kenntniffe, die den Soyllens
Menihen fremd ſeyn müffen. Der „Bediente, der zu Tiſch
ud,“ ift auch nicht idyllenmaͤßig. Eben fo möchte man einige
zu gemeine Ausdrüde, wie Unrath merfen, blühbender
Kloß, Kloß des Feldes (für Erde gefest), fraheny
der Rohrſtuhl, ungemöhnlihe Wortformen und Provins
zialismen, wie: idele Wände, Gebreite dr Schwaden,
lauterlih, u. f. w. wegwuͤnſchen. Bey aller Sorofalt, die
Hr. K. auf den Versbau gewendet hat, laſſen fih doch noch
manche Verſe nur ſchwer jpondiren, wie 3. Bd. ©. 43:
„Welcher it fhön, vornehm, und ein Xiebhaber der Mädchen.“
Auch kann man wohl nicht fagen: „ein Kind, — das ihn
fo cheuer gekofter.“ Das „theuer erfaufte Kind“ in der
vorigen Auflage ift dem Genius der Deutihen Sprahe weit
angemejfener. Abfud gefällt uns auch in einem Deutſchen Ges
dichte nicht. „Sm gleichen Moment“ ift in der lebten Aus;
Habe auch nicht gut durh „in felbigem Nu“ verändert
worden. Und warum fehlt in allen Ausgaben die fünfte Bitte
im Vaterunjer, da der Dichter fih doch fonft fo genau an
die Worte der Schrift hat? — — Die bey weitem meis
fien Veränderungen find jedoch wahre Werbefferungen. inter
andern hieß es in der erften Ausgabe fonft (1. Efloge):
Dichtungen von Kofegarten. | 27
Über es ſenkte fich das düſtre Gemölf, vor dert Sonne
Scheidendem Strahl mit Gold und Purpur befäunt. Don der
See ber
Haucht' erquickendes Kühl, und die Wetterfahne des Kirchthurms
Dreht' in den Ofen ſich, die gewünfchte Heitre verfündend.
Jetzt heißt ee:
Aber das Wetter verzog. Das Gewölk fanf. Fern aus der See
bee
Haͤuchet' erguicdendes Kühl. Von des Oſtwind Athen gehoben,
Naufchte das Meer; und golden und roth ging unter die Sonne,
bisweilen ift der Grund der Veränderung nicht ganz klar.
So ift in der Zueignung ber Ausdruck: begießen und
ordnen in den fräfern Ausgaben jeßt in fäubern und
wäffern verwandelt. Der „Sänger der hohen Sohanna * -
(Schiller) heißt jetzt: „Der Sänger des Wilhelm
Tell.“ Giüclih, und dem Zufammenhange attgemeffener,
find dagegen die Worte der frähern Ausgaben, (5. Ekl.):
Alfo ſprach fie. Schon eilte der Vater ein Mehrers zu frngeny
Hs von Amalrich geführt; Jukunde nahe und Thekla,
Jetzt fo verändert: |
Alſo fprach fie, und ſchwieg. Auch der Pfarrherr ſchwieg, denn
fo eben
Nahten Fu kund' und Thekla, geführt vom edeln Amalr
rich.
Die trefffiche Stellt in der 1: El. von dem im Walde einges
fhlafenen und aufgeweckten Kinde:
Sanft fie fehüttelnd, ins Obr ihr raunend, den rofigen Mund ihr
Dedend mit glühendem Kuß, gelang es mit Noth ihr, dem
: Schlummer
Sie zu entreißen. Es fchlug das Kind die trunfenen Augen
äumend zum Himmel empor, erblidte die glänzenden Sterne
Schauerte leif’, und bog fich zurüd zum Bujen der Pathin.
Diefe zartempfundne Stelle ift mit Recht im der neuften Auss
gabe unverändert geblieben. Kräfrig und wuͤrdevoll ift die
Befchreibung des Gefangs der am Ufer des Meeres verfams
melten Gemeinde:
— Scholl der Gemeinde Geſang hinauf zum wolbenden Himmel
228 Dichtungen von Koſegarten.
!
Bol, flark, prächtig, barmonifch; es fchol in den heiligen
Ehorpfalm
Laut die Poſaune des Meers und des Sturms vielfehlige Orgel.
Vor s und Schlufgefang der Gemeinde und die Predigt des '
Pfarrers find des Dichters gleichfalls würdig; doch ift die den
Fifchern und Huͤttenbewohnern beygelegte Kenntniß der Geſtirne,
des „Sirius, Nigel und Yed, Azimeh, Antar, Arktur“ nicht
wahrfheiniih. In der 5. El. finden fih S. 199 mehrere
gluͤckliche Zufäße, die fich auch in der zweyten Ausgabe noch
hicht fanden. In eben diefer Ekloge, worin der Pfarrer ei—
nen gehadten. Traum erzählt, hieß es fonft:
Liebe Tochter, das Wort, mas du im Scherze gefprochen ,
Führt mir ein Traumgeficht zurück vor die flaunende Seele,
Das ich gefchaut heut Nacht, in der ſüßen Stunde der Frühe;
Aber es war vermifcht bis jebt aus meinem Ge,
müthe.
Jetzt heißt es beſſer alſo;
Liebe Tochter, das Wort, das Sie im Scherze geſprochen,
Führt mir ein Traumgeſicht zurück vor die ſtaunende Seele,
Das ich geſchaut heut Nacht in der ſüßen Stunde der Frühe;
Aber es lag verhüllt bis jetzt in meiner Erinne—
rung.
Nur hat uns die Aenderung des traulichen Du in das hoͤfliche
Sie in einer Idylle mißfallen. Noch ſtehe hier eine der ge—
lungenſten Beſchreibungen aus der zweyten Ekloge:
Lang ſchon ſtand betrachtend alſo der begeiſterte Lehrer,
Anzuſtimmen gedacht' er ſo eben den preiſenden Frühpſalm,
Siehe, da trat, wie die Frübe ſo friſch, wie der röthliche Mor⸗
gen
Bluͤhend, zur Thür berein ſein erſtgebornes Mägdlein.
Blumen, fo eben entblüht, von des Frübthaus Tropfen noch
blinfend,
Brachte die fromme Tochter dem biumenliebenden Ba er.
Der zweyte Band enthaͤlt die Inſelfahrt, oder
Aloyſius und Agnes; eine laͤndliche Dichtung in ſechs
Eklogen, die, nach ihrem Inhalte: die Landung, die
Betfahrt, die Irrfahrt, die Kreuzfahrt, die
Nachtfahrt und die Heimfahrt uͤberſchrieben find. Ein
Dichtungen von Kofegarten, 229
gefuhlvoller Weihgefang: Unferer Königin, ſteht voran.
Hier nur, zur Probe, zwey Strophen :
Fern, wo die dunfle Fluth, dann laut, dann leiſe,
Am Fuß der heiligen Arkona grollt ,
Erklang freywillig dir zu Lob und Preiße
Der ſtimmreichen Lyra tönend Gold,
Das Lied, das ich ihr abgelaufchet habe,
Leg’ ich zu Füßen dir, als Opfergabe,
Der Tochter Deutfchlands, traun! bleibt ewig theuer
Der fügen Heimat traulicher Gefang. Ä
Klingt doc des Franken und des Wälfchen Leyer
So herzlich nicht, als Deutfcher Saiten Klang.
Drum widm' ich Fühnlich dir, o Hochverehrte ,
Das fchlichte Lied, das mich die Mufe lehrte!
Auch in diefer zweyten ländlichen Dichtung findet man Hen
K. vertraute Bekanntſchaft mit der Natur, hohen Sinn fuͤr
Religion und Vaterland, und kraͤftige, maleriſchſchoͤne, oft
redner'ſche Darſtellungsgabe wieder. Aber auch hier ſchimmert
überall der gebildete Gelehrte duch. Des Verf. beffernde
Hand ift auc bey diefem. Gedichte nicht zu verfennen. - Tiefs
gefühl und anziehend find die Mittheilungen der Schiffenden
über das Meer, in der 1. Ekloge, ©. zo fa. Der 153. 2.
ift in der neuen Ausgabe fehr glücklich verändert worden. In
der zweyten Efloge kommt wieder eine Predigt vor, aber Ton
und Beift find doch von der in der Jukunde vorfommenden
verfchieden. Dieſe Predigt Hat einige ergreifende Stellen.
Ruͤhrend ift die Schilderung des im Meer yerfinfenden Vaters
Iſorens. Die Befchreibung des Bernfteinlandes in der dritten
Ekloge hat trefflihe Stellen, wiewohl hie und da ein zu ge
lehrtes Anſehen. Zu: den fchönern Stellen gehört folgende ;
Aloyſius fand erflaunend die Wunder der Meeıwelt,
Maaß mit prüfendem Blick des Abhangs graufige Tiefen,
Schauete liebend fodann in die weite wogende Kerne,
Trank des Atherifchen Stroms mit Woluft ; öffnete lechzend
Stirn und Bruft dem erfrifchenden Hauch, der fern aus dem
Abend,
Kräufelnd das Meer, auffprang, das Haar ihm hab, und der
Schläfen
230 Dichtungen von Kofegarten.
Brand fanftichmeichelnd ihm kühlte. Verllärter firalte das
Aug' ibm,
Und zum Unendlichen trug der Geilt des Unendlichen Anblid.
S. 107 fg. hat fih der Dichter felbit einen lieblihen Kranz
gewunden. Eine maleriihe Schilderung der untergehenden
Sonne fommt S. 110 fg. vor. Die in der 1. Efloge mitges
theilten Legenden wird man mit großer Theilnahme Ilefen.
Nur wollen uns &, ı6ı die geihaarten Chöre nicht ges
fallen; auch fonft fanden wir den Ausdruck gefhaart mehrs
mals bey unierm Dichter. Das Wort gemweft fl. gewefen
S. ı65 wünfdten wir auch hinweg. Warıım nicht ?
— — — nie fromm fie mar, wie fireng’ und wie eifrig.
Die Hymne an die Nacht in der 6. Ekloge ift in dem Seifte
der Hymnen des Drpheus gedichte. So gelungen auch der
größere Theil feyn dürfte, fo hat fie doch einzelne zu pretidfe
Stellen, z. B.
Nacht, Vertraute des Herzens, Auslegerin dunkler Orakel,
BERN! Prophetin, Theurgin, Hieropbantin —
Nicht, verſtoße mich, Mutter! nicht den, der nie um des
| Lichtes
Gaukel dir untreu ward — —
— — — — Vunnig
Einverleibe mich dir; und nimmer ende die Braut⸗
nacht!
Zu den gelungenſten Stellen gehört in der 5. Ekloge die
Schilderung der Zuſammenkunft des Aloyſius mit der Ags
nes am Frühmorgen, nnd die Schilderung diefes Morgeng,
in der 6. EM. die Befchreibung des Sturms un. ſ. w. Auch
diefe Efiogen laſſen einen wohlthärigen Eindruck in der Seele
zuruͤck.
Der dritte Band enthält an, Sagen der tirch—
lichen Vorzeit. Wenn wir gleich in der Bekanntmachung dieſer
Legenden nicht das Hauptverdienſt des Hrn. K. ſetzen können,
fo geftehen wir doch aufrichtig, daß wir die meiften mit Theil—
nahme. und nicht wenige auch mit Nührung gelefen haben.
Bey vielen diefer Legenden erinnert man fih der fchönen
Worte, die einft Herder ausſprach; „Das Kreuz bar einft
Dichtungen von Kofegarten, 231
bon Völkern Ruhe gebracht; es ftillte Aufruhr, Fehden, Zwies
traht, und gebot den Sottesfrieden. ... Das Grab
war ihnen eine Ruhekammer, wo himmlifhe Geiſter das ers
ftorbene Saamentorn zur Aufblüthe eines fünftigen ewigen
Frühlings bewahrten.“ . . . „In der Verachtung fanden viefe
Helden Ruhm, in der Verfolgung Gewinn, in der Mühe
Lohn, in der Schwahheit Stärke.“ Einige von Hrn. 8. bes
arbeitete Legenden nähern ſich jedoch zu fehr dem Tändelnden,
und entiprehen dem von Herder angegebenen Ideale ſolcher
Bearbeitungen nicht. Eine kurze Ueberſicht wird unfer Urtheil
beſtaͤtigen. Auffallend war es uns, hier die Einladung
wieder abgedruckt zu ſehen, die in der Inſelfahrt ſchon abge—⸗
druckt ſteht: „Bluͤhe Violen allein, u. ſ. w.“ Den Anfang
der Legenden machte ein herrliches Gedicht: Die Auffahrt
der Jungfrau. ©. 11 fg., worin uns nur der Ausdruck
girren, von der fcheidenden Jungfrau gebrauht: „Laute
der Sterne nur girrte fie noch mit jlammelnder Zunge“ ges
ftörk Hat. Auch konnten wir den Bildern, worin der Sohn
(Sefus) als Bräutigam der Mutter (Maria) vorgeftellt
wird, Leinen rechten Geſchmack abgewinnen. Außerdem hat
uns diefes Gediht hohen Genuß gewährt. In den fieben
Freuden ©. 52 fg. hat ung die Reverenz, der volks
tommene Ablaß und die Errettung aus ded Feges
feuers Glut, nicht gefallen. Nah S. 56 konnte ein Ritter
nichts lernen und behalten, als „zwey füße Wörthen: Ave
Maria. Diefe waren fein Weidfpruh, fein Sehe und —
fein Leibfluh —, und nah feinem Tode wuchs. eine Lilie
aus feinem Grabe, worauf man deutlich und in goldenen
Schriften auf jedem Blatt der Blume fefen konnte; Ave
Maria... . Eines zu fehr fpielenden Inhalts ift auch das
Unterpfand. ©. 58. In der Legende: die Tänzerin,
©. 6ı fg. tanzt die nach Jo Bußtagen in den Himmel aufge—
nommene Seele der Tänzerin:
— „mit Sonn’ und Mond und Sternen,
Mit den beil’gen Jungfraun, mit der hoben
„ Bottesmutter , der Gebenedeiten,
Immerdar den hochzeitlichen Reigen.“
232 Dichtungen von Koſegarten.
Johannes auf Pathmos, ©. 66 fg. iſt eine geiftvolle
Mahbildung einiger Stellen der Apokalypfe. (Den Ausdrucd
die Sehe, für Sehkraft, müßten wir jedoch nicht zu
“ rechtfertigen. ) So großes Vergnügen uns das Lieben und
Leiden der heiligen Agnes im zweyten Bande diefer
Kofegartenfhen Sammlung gewährte, fo wunderten wir ung
doc nicht wenig, diefen ganzen Aufiaß im dritten Bande,
S. 70— go nohmals abgedruckt zu fehen. Mur der heili—
gen Agnes Brautlied, ©. gı, und die Trauung
der heiligen Agnes, ©. 97, find hier hinzugekom—
men. Die letzte hat recht eigentlich das Spielende mans
cher Legende. Margaretha und der Drake,
S. 100 fg. Diefe fchöne Legende gab einft Raphaeln die
Idee zu einem feiner finnvollften, herrlichſten Gemälde. Kr.
K. hat fie mir Geiſt bearbeitet... Die Legende: der Garten
des Liebſten, ©. 108, flieht auch fchon im zweyten Bande
diefer Sammlung abgedruckt, gehöre übrigens auch zu den
Zartempfundenen. Die Jungfrau von Antiodia, ©,
110 fg., und das Gebet der heiligen Scholaftifa,
S. 118 fg., zeichnen fih ebenfalls durch Inhalt und Darftels
lung aus. Minder bedeutend find: die Milch der heili—
gen Brigitta, © 122. Der Ermel des heiligen
Martinus, ©, 12d. Der Brunn des heiligen
Gangolf, S. ı35ı. Das Amen der Steine, ©. 134.
Der Sitz des heiligen Hilarius, ©. 136. Der
Handfhuh der heiligen Kunigunde, ©. 128. Die
Rabe des Eremiten, ©. 149. Mande find unbedeutende
Anekdoten oder Dichtungen, an einen Spruch der Schriften
angefnüpft, dergleichen man viele ähnliche im Talmud fin
det, die an Sprüche des alten Teflaments angeknuͤpft werden.
Einft betete die heilige Kunigunde vor dem Altare; es mar
. aber gerade feine Zofe da, ihr den Handſchuh abzunehmen.
— — doch Kunigunde
Zog ihn aus, und warf ihn forglos von ſch.
Eilig ſtahl durch eine Mauerritze
Sich ein Sonnenſtral herein, und ſchwebend
Hielt der Sonnenſtral der frommen Fürſten Handfchub,
Bis fie dargebracht das fromme Opfer.
Dichtungen von Kofegarten, 233
Welchen Zweck haben wohl — Erzaͤhtungen? u. ift tie
fromme Anwendung?
Denn dem Herren nicht nur, auch feinen Heil’gen
Dienen.mwillig Gottes .Efemente 1!
Kadegunde, S. 179. Diefe Legende aus dem Leben der
heiligen Eliſabeth iſt ſchoͤn erzähle. Einige Ältere Chreni—
fen nennen das Mädchen Hildegundis. S. Leben der heil.
Eliſabeth. (Zärih 1797.) ©. 119. 120. Das Geſicht des
Arfeniug, ©. 145 fg. Die Kreaturenliebe des hei—
ligen Franzistus, ©. 148. Des heiligen Frans
zistus Sonnengefang, ©. 152. Diefe Legenden find
gut erzähle, nur fälle der Anhalt der zweyten bisweilen ing
Spielende, :und in der dritten ıft einigemal hart‘ gegen das
Spibenmaaß gefehlt. So kommt folgende Zeile in einem
durchaus jambiſchen Gedichte vor:
Feuer, Waſſer, Luft und Erde. Luſtig iſt —
Auch iſt das Hebraͤiſche Wort Hallelujah, wie faſt von allen
Dichtern, die es gebrauchen, falſch fo feandirt: Haͤtlelujah.
Zu den vorzuͤglichſten Stuͤcken dieſer Sammlung gehört: Die
Brautnacht ber heiligen Cäcilia. S. 197 fg. Eben
diefes Lob gebührt der darauf folgenden Legende : Die Jungs
frau. von Nilomedia, ©. 165— a92. Dieles Stud ers
fehien zuerft einzeln, Berlin 1808., und ſchildert auf eine
rührende Art die ftandhafte Frömmigkeit einer edlen chrifilichen
Jungfram Einfalt der Darftellung, ein frommes findliches
Gemuͤth, Ernſt und Trayer, in harmoniſchen Trophäen das
Herz aniprehend,, machen dieje Legende zu einer hächft ans
‚ ziehenden Lectuͤre. Hier nur eine Stelle zur Probe:
Maieftätifch Hand indeß und ruhig
Suliane vor der Richtteibune ,
SHimmelan gewandt ihr klares Auge ,
Thränen bebten in den langen Wimpern,
um die Lippen zudt ein leifes Sürnen,
Holde Scham erböbete der Wangen
Blaffes Roth. Ihr Haar, der Schling’ entglitten,
Floß vollringelnd auf die Schultern nieder.
Nur bey wenigen Stellen ſtießen wir an, z. B. ©. 174:
34 Dichtungen von Kofegarten.
Doch verbönend forah und Habſucht beuchelnd
Sie, die Habfuchtfreyefte der Jungfrauen —
Dergleihen kleine Flecken kommen jedoch bey fo großen anders
weitigen Vorzuͤgen nicht in Betrachtung. Ar. R. bat ſich durch
feine ſchoͤnen Darftellungen der Bluͤthen des Glaubens, ber
Liebe, der Hoffnung, der Ergebung und des frommen Heldens
finns den Dank aller fühlenden Herzen ermorden, und eine
tebliche Dichtung: Die heiligen Zungfranen, an
Irene, ©. ı93, beſchließt würdig diefe Sammlung von Bas
gen der chriftlihen Vorzeit.
Der vierte Band enthält Sagen der Vorwelt;
rägiiche und .erfiihe Sagen. Zu den erften gehören drey Ges
dichte: die Ralunken, das Fräulein von Jarmin
und Nithogar und Wanda. Erinnerungen an alte kräfs
tige Heldenftämme, gelungene Schilderungen der großen Nor—
difhen Natur, mit eingeflochtenen Betrachtungen der KHinfäls
ligkeit alles Irdiſchen und der Unvergänglichkeit des Wahren
und Guten, dabey eine kräftige, volltönende, das Herz ers
Hreifende Sprache geben diefen Darftellungen, worin ein dem
Difian verwandter Geift wehet, hohes Intereſſe. Sie wurz
den fihon bey ihrer erſten Erfiheinung. mit großem Beyfalle
aufgenommen; wie fehr fie jedoch Hr. K. durch eine forgfäls
tige Feile der Vollendung näher zu bringen gefucht habe, davon
findet man. beynahe auf allen Blättern Beweife. Wenn der
Dichter fonft begann :
Ratord, fen mir gegrüßt im Schimmer der ſcheidenden Sonne!
Lieblich webet der Schleier des Abends um deine Gefilde.
Deine weißen Mauern find fanft geröthet. Die Dächer
Feuer im Golde des finfenden Tags. Es dämmern fo fchaurig
Deine fäufelnden Hain'. Es fpiegeln die Wangen des Himmels
Sich in den Fluthen fp roſig, die deine Ferfe befpülen;
eo heißt ed nun in der neueften Ausgabe: |
Ratow, ſey mir gegrüßt im Schimmer der fcheidenden Sonne,
Natow, wie birgit du fo fchön am Saum der ballenden Strand⸗
bucht !
Höchlich ergötzt mich, o Burg, dich zu fchaun im Schleier des
Zwielicht!
Deine Zinnen getaucht in des Spatroths flüſſiges Mattgold:
2
Dichtungen von Kofegarten. 235
Brennend ber Fenſtern Kryſtall in der Blut des gefunferren
Lichtballs! |
Diftefchauernd die Gärten umber! blaudämmernd die Unböben,
Welche die Welle beſpuͤhlt der leifegefräufelten Meerbucht! —
Eine rührende KHerzensergießung des Dichters, beym Erwaͤh—
nen der Warne f. S. 26. 27. In dem Gedichte: das
Fräufein von Jarmin, ©. 51 fg., ftöße man fat auf
j:der Seite auf die gelungenften Verbefferungen. Nur &. 67
hat uns das überwachete Mägdlein, das fih in den«
vorigen Ausgaben nicht fand, nicht gefallen wollen. Suͤßduf—
send find die Blumen, die der Sänger Allwiil, ©. 84 fa.
anf der gefallenen Edelwine Hügel fireut. Aus der dritten
Sage: Rithogar und Wanda theilen wir, als Probe,
den Schluß, nad den neueften Verbefferungen des Dichters,
mit, und uͤberlaſſen die Vergleihung mit den frühern Ausgas
ben unfern Leſern:
Hügel des weißen Geſteins, der taufendiährigen Eiche
Grauer Ernäbrer, du weckſt in des Sängers Seele die Wehe
muth.
Dämmerung wölkt ihm das Aug’, und ibm bebt die Thrän’ im
| den Wimpern.
Nimmer zu tröſten vermöcht' er fih; in müßiger Trauer
Würd’ er vergehn, ihm würde die Harfe verfiummen für im⸗
mer;
Raufchte die Leier Homers ibm nicht aus den ewigen Lorbern,
Lispelte nicht aus verwitternden Eichen die Stimme von Cona;:
„Alles vergeht! Es vergebt der Held und des Helden Denkmal.
„Aber das Lied tönt fort, das warm aus der Bruſt an dag
Herz fpricht.
„Nimmer verballt der Gefang, den Phöbos weihet und Braga! *
Die erfifhen Sagen find größtentheils aus fremden
Gegenden auf Deutſchen Boden Herüber gepflanzt, und wir
erinnern uns, mehrere derjelben in den von Hrn. KR. ehemals
herausgegebenen Blumen gelefen zu haben, die ung aber
jegßt nicht zur Hand find, um fie vergleichen zu köͤnnen. Man
findet hier; Finan und Lorma. Ein Sefang des D fftan.
(Frey bearbeitet.) Diefe drey Stüde: die Waffenmweibe,
die verlornen Kinder nnd die wiedergefundenen
236 Taſchenb. d. Sag. u. Leg. v. A. v. Helwig. u. B. v. Fouque.
Kinder — ſind anziehend durch Inhalt und Darſtellung.
Umad und fein Hund. Cine Epiſode eines groͤßern erfis
ſchen Geſanges Des Barden Abſchied. Fla' Innis;
die Inſel der Seligen. Ein reizendes Gemaͤlde! Die Kilda—
Klage. Oſſian und Malvina. Oſſians letztes
Lied. (Frey, im elegiſchen Sylbenmaaße, übertragen.) Der
Schwangeſang. Theils in Jamben, theils im elegiſchen
Sylbenmaaße uͤberſetzt. Zum Schluß ſtehe hier noch eine Probe
aus dieſen Heldenſtimmen:
Dumpf rings ſchweigen bie Felder, wo unſere Schlachten ge⸗
donnert;
Aber es redet das Mahl, das uns die Helden gethürmt.
Oſſian's Stimm' erſcholl. Frohlockend lauſchten die Väter.
Komm denn, o Sänger, hinweg! Komm zu den Vätern,
o Sohn! —
Ki.
Taſchenbuch der Sagen und Legenden, herausgegeben von Amalie
von Helwig geb. v. Imhof und Fr. Baron de la Motte
Fougque, Mit Kupfern, Berlin, in der Realihulbuchhandlung
(1812.). 185 ©. 12.
Lange Zeit wurden Legenden als Erzeugniſſe eines vers
tehrten Sinnes und verkehrten Geſchmacks betradhtet; nicht
felten wurden fie durch tändelnde Darftellungen, wobey man
den Beift dem Spiele mit Bildern aufopferte, dem beſſeren
Theile der Lefer widrig. Herder war einer der erften, wels
cher auf die reinen Goldkörner, welche fi in dem Legendens .
Staube finden, aufmerffam machte, die Züge von Einfalt,
Würde und Schönheit hervorhob, die fih in vielen diefer
Pirchlich s religiöfen Sagen finden, und fein Urtheil durch eigene
geiftvolle Bearbeitungen rechtfertigt. Auch Kofegarten
gab ung mehrere gelungene Legenden. Und welhem Gefühl:
vollen follte nicht der herzliche, fromme Sinn mancher Legens
den‘, wenn fie uns Glauben, Liebe, Hoffnung und Einkehr
in ums ſelbſtmit rührender Einfalt empfehlen, angefprohen
haben? Daß viele gegen hiftorifhe Wahrheit und gegen ädhte
BSittenichre anſtoßen, und in's Tändelnde und Läppifche fallen,
Tafchenb. d. Sag. u. Leg. v. A. v. Helwig u. B. v. Fouque. 237
wird Fein Unbefangener laͤugnen. Deſto willkommener aber
muß ung eine Auswahl des Beffern und eine geiftvolfe, den
frommen Sinn der frühern Jahrhunderte zart auffaffende Bes
arbeitung jener Sagen und Legenden feyn.
Sin diefer Hinficht verdient die vorliegende Feine Samm—
lung ein ausgezeichnetes Lob, und Rec. bekennt. aufrichtig , fie
mit großem Intereſſe gelefen zu haben. Schon die vorausges
ſchickten trefflichen Stangen ger Sr. v. H. erweden das güns
ſtigſte Vorurtheil für dieie Sammlung, und beweifen, daß
die edle Dichterin nicht einer eitlen Mode des Tages fröhnen
wollte, fondern nad) einem höhern Ziel gefirebt und den ges
läuterten Geift der Legenden und Sagen rein aufaefaßt habe.
Wir können uns nicht enthalten, hier zwey Strophen aus dies
fem ſchoͤnen Geſange, als Probe, mitzutheilen:
Und , wie der Sonne voller Schimmer,
Dem Blick' ein heißverzehrend Licht,
Durch bunter Scheiben Farbenflimmer
Dem fchwachen Aug’ fich milder bricht;
So fenft det ew'gen Wahrheit Eorne
Mir fchonend leif’ umhültem Strahl
Den Blauben, reich an Abnungswonne,
Mit Hoffnung in dies Erdenthal.
Da reichen Engel Siegesfronen
Dem Leidenden mit Himmelshuld ,
Da flebt der Dulder nicht um Schonen,
Mur um Gehorſam und Geduld;
Da bluͤh'n aus Wunden Himmelsrofen ,
Entbebrung macht die Seelen reich,
Und durch der Keidenfchaften Tofen
Schiwingt Friede feinen Balmenzweig.
Stiftungsbrief, den Freunden; gleichfalls von Fr.
v. 9. Die Veranlaffung zu diefen gefühlvollen Strophen gab
ein trefflihes Bild der Maria mit dem Chriftusfinde,
von Francesco Francia gemalt, das fih in der Samms
lung der Herren Boifferee und Bertram zu Heidel—
berg befindet, und das, als Titeltupfer, hier zum erftenmale
geflohen erfcheinet. Der rührende Inhalt diefer Strophen
wird jedes Gefühl anfprehen,; eine Stelle derfeiben, worin
238 Tafchenb, d. Sag. u, Leg. v. A. v. Helwig u. B. v. Fouque.
Troſt und Schmerz ſo hart mit einander verbunden ſind, klang
tief in dem Innern des Rec. wieder. — —
Wir gehen zu einer genauern Bezeichnung der einzelnen
Sagen und Legenden dieſer Sammlung uͤber. Das Gebet
der Heiligen Scholaſtika, Legende (von A. v. H.) Es
war uns intereſſant, dieſe Legende, die auch Koſegarten
bearbeitet hat, nach der doppelten Bearbeitung zu vergleichen;
Hr. K. hat mehr einfach erzaͤhlt, Fr. v. H. hingegen das
Ganze dichteriſch-freyer behandelt. Wir ſetzen die letzte Stro—
phe, zur Vergleichung, hierher W
Koſegarten.
Nach dreyen Tagen ſtarb Schola⸗
ſtika
Und in dem Augenblick, worin
fie ſtarb,
Sah Benediftus, einer Taube
gleich,
Zum Himmel ihre reine Seele
ſchweben.
Da ſchlug das Herz ihm. Eine
Stimme ſprach:
„Die Regel, Abt, iſt aller
Ehre werth;
Gleich einer Taube,
A. v. H.
Und nach drey Tagen ſieht er's
ſchweben,
himmel⸗
waärts —
Es iſt der Bchwefter reines Leben)
Gebrochen, — ſonder Angſt noch
Schmerz:
Und eine Stimme läßt ſich hören;
Sn Harfentönen mild verflärt:
„Werth iſt die Megel aller Ei»
ren,
Doch mehr noch ift die Liebe
Werth!“
Doc, größre Ehre würdig if die
Liebe!“
Die Hülfe der Heiligen Jungfrau, Legende (vo
Fr. v. Fougue) Eine gut gehaltene Erzaͤhlung von der
DVerirrung zweyer feinfinnigen Menfchen, eines Moͤnchs Als
binus und einer Monne Berma, die ein Wunder der heil.
Jungfrau und ihr eigener befferer Geift ſich ſelbſt miedergibr:
Die kräftige, ſchoͤne Darftellung des ung als Dichter fehr wers
then Verfaſſers entipriht dem anziehenden Inhalte. Einige
Ausdrücde, die wir mit andern vertaufcht wuͤnſchten, wie:
„Ich bin den Lebenden wieder gefhaart,“ oder Härten,
wie wall’nd, werden an dem ſchoͤnen Ganzen faum bemerkt.
Die Ruͤckkehr der Pförtnerin, Legende (von A. v. H.).
Diefe anmutdig erzählte Legende, welche Sinnlichkett, Sünde, -
Buße und Gnade ganz in der Denkart früher Jahrhunderte vers
finnfiht, und, ale den geläuterten moraliich « reiigiöfen Sdeen
unfrer Zeit nicht ganz entiprechend, vielleicht ein verſchiedenes
Urtheil erfahren wird, die jedoch den bewahrten Sinn für das
Höhere auch in einer Sünderin fehr gluͤcklich darſtellt, wird
den Lefern des Tafchenbuchs noch aus dem Morgenblatte
Taſchenb. d, Sag. u. Leg. v. A. v. Helwig u. B. v. Fouque. 239
bekannt ſeyn, worin die Dichterin zuerſt ſie mittheilte. Hier
findet man noch ein ſchoͤnes Kupfer als Beygabe. Adolfs—
Eck, Sage (von A. v. H.). Noch führt eine Ruine bey
Schwalbach diefen Namen, worauf fich dieie fehr qut erzählte
Sage bezieht. Auch hierzu ein Kupfer. Der Sancı Eli;
faberben s Brunnen, Legende (von A. v. H.). Diefe
ſchoͤne Dichtung ,. worin vier fromme Mädchen fih an dem
Elifabeth s Brunnen die Munderthaten dieier Heiligen erzählen,
ftand zuerfi in dem Goͤttingiſchen Mufenalmanahe vom
J. 1803, und wurde gleich anfangs mit verdientem Benfall
aufgenommen. KHie und da iff der Ausdruck glücklich verbeſſert.
Zwen treffiihe Kupfer, des Inhalts würdig, zieren diefe durch
ihren Iprifch ; feyerlihen Ton anziehende Legende Sanct
Georg und die Wittwe, Legende (von A. v. H.). Sn
NRückjicht der Darftelluna, eine der gelungenften diefer Samms
lung. Auch bey diefer Legende finder fih ein ſchoͤnes Kupfer,
Der Siegeskranz, Legende von Fr. v. F. (In Profa).
Wir rechnen diefes fchauerlich : anmuthige Nachtſtuͤck, worin
Leben p Tod fo lieblich aneinander grängen, zu den vortreffs
lihften Dichtungen des geiftvollen Verf. Eine zarte dee ift
es, daß die Braut den entichlafenen Heldenjüngling mit dem
Siegeskranze ſchmuͤckt. Möge ung der trefflihe Dichter, den
fein Genius mit Zauberhand zu allen Sagen hinzieht, recht
oft mit ähnlichen Gaben heſchenken! Das zu diefer Legende
gehörige Kupfer ijt eines der gelungenften. Das Grab des
heiligen Clemens, Legende (von A. v. H.). Rec. las
diefe zarte Dichtung mit inniger Nührung und Thellnahme,
und eine Strophe tönte tief in feinem Herzen wieder. Nach—
dem das am Brabe des heil. Clemens wieder vom Tode ers
weckte Kind zuerſt erwacht, fragt es feine freudig s ſtaunende
Mutter :
» Warum baft du mich werfen müflen ?
So lieblih träumt ich feine Nacht!
Wie fügen Schlummer ſtörſt du mir,
Ach, nur ein Stündlein ruht’ ich hier I"
Und dann folge diefe fchöne Strophe:
So fiebt im Erdenfchmerz befangen
Wohl manche Mutter bpffnungslos;
Und ſtarrt mit traurigem Verlangen
Hinab zum dunklen Erdenfchoof ;
Indeß das Kindlein, wohlgeborgen
Bor raubem Sturm und ſchwüler Glut
Bis zu des em’gen Tages Morgen
In Fühler Stile harmlos -rubt ;
240 Taſchenb. d. Sag. u. Leg. v. A. v. Helwig u. B. v. Fonque.
Den langen Schmerz, das kurze Glück
Verſchläft's, wie einen Augenblick!
Die Naht im Walde, eine dramatifhe Sage (von Fr.
v. F.). Dies anziehende Nachtgemälde, deſſen Tendenz even
fo edel als die Ausführung gelungen ift, rechnen wir gleichfalls
zu den vorzäglihften Stücken der Sammlung, wenn wir gleich
dem Siegesfrange noch den Vorzug vor diefem Stücke geben
möchten. Auch dürfte manchem, die Belehrung Hagenulphs
und Windrudeng zum Chriftenehume doch etwas zu fchnell
von fhatten zu gehen fcheinen. Uebrigens ift die ganze Unters
redung Karls des Grofen mit Windrude, durh bie
darin herrſchenden aͤcht-menſchlichen Gefinnungen, hoͤchſt ans
ziehend. Auch zu diefem Auffaße gehört ein Kupfer. Der
Gang durdh Köln, Sage (von A. v. H.). Der Stoff
diefes ſehr intereſſanten Aufſatzes ift aus alten Familien » Nach?
richten des darin genannten Hauſes gezogen. Wir wollen den
Inhalt deffelden, voll eigenthuͤmlicher Züge, durch eine fchlichte,
den Geiſt jener fruͤhern Durch Zucht und religidien Sinn aus
gezeichneten Zeit trefflich auffaffende Darftelluna gehößen, den
Leſern nicht verrathen, geftchen aber, daß uns derjelbe ein
reines Vergnügen gewährte, und mande Erinnerungen an die
ung werthgewordene Stadt Köln wieder aufwecte. Den Ber
ſchluß diefte Sammlung madt: Die Martins: Wand,
Sage (von A. v. H.). Die befannte Sage von der Verirs
rung des edlen Habsburgers K Marimiliang I. auf eine
ungeheure Felfenhöhe und deffen wunderbarer Errettung wird
hier einfach und lebendig erzählt, und diefe Erzählung, die
einem blinden Sänger in den Mund gelegt wird, überraichte
ung um fo angenehmer, da wir kurz vorher eine fehr geiftnolle
Bearbeitung deffelben Stoffs von dem zu früh gefchiedenen
Dichter H. J. v. Collin, unter der Aufihrift: Kaifer
Mar, auf der Martinswand in Tyrol. 1493. in
deifen Gedichte» Samınlung gelsfen hatten. Auch bey diejem
letzten Auffaße findet fih ein Kupfer. Noch müffen wir des
aeichmacvollen Aeußeren der von uns angezeigten Sagen und
Legenden mit Ruhm erwähnen. Außer dem fchönen, ma
Francesco Francia geſtochenen Titeltupfer find die übris
gen acht Kupfer ſaͤmmtlich nah Zeichnungen Les geiftreichen
Herrn Cornelius aus Düfjeldorf, jet in Nom, von Lips,
Riſt and Bolt fauber geftohen. Auch der Umfchlag, Sas
gen und Legenden ſymboliſch darftellend, tft geſchmackvoll. Die
Bedeutung dieferr Symbole enthält ein vor dem Titelblaste
fiehendes Sonett von Paul, Gr. v. H**,
Ri,
——
No. 16: —— ws 1813:
Jahrbacher der eitteratur.
Dlustrazione. d’uno Zodiaco orientale del Gubinetto delle me-
_ daglie di $ua Maesta a Parigi, :Scoperto. recentemente
presso le sponde del Tigre in. vicinanza dell’ antica, Babi-
lonıa , monumento che serve ad illustrare la 'storia dell’
Astronomia ed altri punti interessanti dell’ Antichita, da
Giuseppe'Hager. :Milano‘, dalla stamperia e fonderia
di Gio. Giuseppe Destefanis a 8. Zeno, num. 534. 1311.
63 ©. ‚gr. Fol. ohne die Vorrede und Dedisation, mit 4 oder 5
Kupfertafeln.
ll... diefem vielverfprechenden Titel lieferte der — Bi⸗
bliothekar Joſehh Hager in Mailand ein Prachtwerk zur
Erklaͤrung des merkwuͤrdigen Denkmahles, woruͤber zu derſelben
Zeit der verewiate Herr Domkapitular Friedrich Hugo von
Dalberg einen Aufiag augarbeitete,, welchen er unter dem bes
fcheidenen Titel: Weber das Altperfifche Monument
von Takkesre, eine Muthmaßung (f. Goͤtting. gel,
Anz. ı8ı2. St. 86. ©. 855 ff.) an die koͤnigl. Societaͤt der
Wiff. in Göttingen einiandte. Jenes Dentmahl wurde zu
Ende des vorigen Jahrhunderts, nad den Verfiherungen des
Herrn Michaux (1. Millin’s Mag. encycl. VI annee. T. III.
p. 86), am Ufer des Tigris unterhalb Bagdad unter den
Ruinen eines großen Palaftes, melden man die Gärten ber
Semiramis nennt, gefunden, und durch Kran. Michaux felbft
in dag Antiken Kabinett der kaiſerl. Bibliothek zu Paris ges
bracht. Die darauf gegrabenen Figuren und Inſchriften mit
fogenannten Keilbuchftaben, welche man für einen Beweis feis -
nes hohen Altertbums nahm veranlaßten den. Hrn, Millin zu
einer Bekanntmachung defjfelben in. feinen Monumens anti-
ques inedits. Tom. I. p. 585 —68 (Paris 1802. 4.) auf
Planche VIll und IX, mit Bemerkungen von ihm ſelbſt und
dem Hrn. de Sary. Beyde hielten den Stein für einen Perſt—⸗
fhen Talisman, um das boͤſe Prinsip zu binden, und feinem
ı
242 Illustr. d’uno Zodiaco,orientale da G. Hager.
Einfluffe auf die Heiligen Gebäude, wozu der Stein gehörte,
alle Kraft-zu nehmen: eine Idee, welche auch ber neuefte Ers
Härer Ar. v. Dalberg auffaßte, und aus den Perſiſchen Reli—
gionsbegriffen des Dualismus, des Kampfes zwifchen dem
Suten und Böen, auf eine Weife zu erläutern fuchte, welche
feinem Rec. in den Goͤtt. gel. Anz. viel Empfehlendes und
Wahrfcheinliches zu haben fcheint. Derfelbe Rec. geſteht jes
doch, daf jede Erflärung bloße Muthmaßung bleibe, bis die
begleitende Schrift mit Sicherheit erflärt fey. Eben darin
fand nun Hr. Abt Lichtenftein eine Art von Trauergejang,
“welchen der oderfie Magier den Perfifhen oder Sabäifchen
Grauen bey der Leichenfeyer zu Ehren der jüngftverlorenen Mäns
ner, Brüder, oder andern Anverwandten, und den begleitenden
Rlageweibern an einem feftlihen Tage vorzufefen hat. Darum
bezog er die Abbildungen, worin Kr. Hager die Vorſtellung
eines der älteften Thierkreiſe finder, auf die Öffentliche Trauer,
welche man alljährlich zu Ehren der Verftorbenen mit heiligen
Sebräuden zu begehen pflegte. S. Tentamen Palaeogra-
phiae Assyrio - Persicae, auct. Lichtenstein p. 111 sqq.
Beyder Meynungen erregten anfangs allgemeine Aufmerkfams
keit, und fanden, wie jede bdreifte Behauptung der Gelehrten,
welche ihre Erklärungen mit Velefenheit und verführerifchen
Scheingründen zu unterfügen wiffen, ihre Lobredner: man
fehe in Hinfiht des Hager'ſchen Werkes medicinifc) s chirurg.
Zeitung vom 16. Map 1811. N. 39. und den Franz. Monis
teuer 1611. N. 357. vom 3. Dec. Doch Hr. v. Dalberg bat
beyde mit Hecht verworfen: denn die Deutung des Herrn
Lichtenſtein verliere fhon durd die Bemerkung, daß er die
Inſchriften, von welchen er ausging, von der verkehrten Seite
las, alle Haltbarkeit; und mit einem Thierkreiie hat die ganze
Darftellung weiter. feine Achnlichkeit, als daß Thierfiguren den
Stein in einem Kreife zu umziehen fcheinen. Die Manier
des Hrn. Hager in der Erläuterung eines folhen Denkmahles
kenne man fhon aus frähern Werfen deffelben,, befonders auch
aus der Dissertation on the newly discovered Babylonian
Inscriptions by Joseph Hager ( London 1801. 4.), wors
aus man in diefem Werke die Babylonifhen Backflein s Sins
fihriften, Eylinder und Gemmen mit befondern Bemerkungen
Illustr. d’uno Zodiaco orientale da G. Hager. 243
daräber im ı2. Kapitel miderholt findet. Unterzeichneter enthält
fih) daher alles Urtheils Über die Art, wie der Hr. Verf. feine
Behauptungen zu begründen fucht. Da er den bier erläuters
ten Stein Sowohl, als die zu Paris befindlichen Backſteine
‚aus den Ruinen Babylons, welhe Millin im zwenten Bande
der Monum. antiq. inedits N. XXIH. p. 265 — ayı ber
kannt gemacht bat nicht bloß, wie Dr. Hager, aus unvolls
tommenen und unzuverläffigen Darftellungen in KRupferftichen
und Copien, ſondern aus ganz getrenen Abdruͤcken der Drigis
nale fennt, melde früher der Hr. v. Dalberg beſaß, jetzt
das Mufeum zu Frankfurt am Main aus deffen Verlaſſenſchaft
aufbewahrt; fo ift es ihm mehr darum zu than, feine eigenen
Beobachtungen, worauf ihn die genaue Betrachtung der Abs
drücke führten, mit den Bemerfungen anderer Erläuterer dem
gelehrten Publitum mitzutheilen, und zu gluͤcklichern Erläutes
rungsverfuchen den Grund zu legen, als das Unwahrfcheinliche
in den Kppothefen des Hrn. Verf., das Webereilte in feinen
Schläffen, und das untritifhe Verfahren in den eingeftreuten
Etymologicen zu zeigen, welches auch der größte Aufwand von
Gelehrſamkeit dem befonnenen Forfcher nicht verbirgt. Mit
Recht hält es der Rec, in den Str. gel. Anz. ıdı2. &t. 86.
für wenig verdienftliih, die Erflärung eines fo dunteln Denk’
mahles im Einzelnen zu beftreiten, wenn man nichts Waährs
fcheintiches an die &telle fehen fönne.
Zwölf Kapitel machen den Inhalt des ganzen Werkes
aus: das erfte Kapitel beginnt mit der Entdeckung des Steis
nes und mit allgemeinen Bemerkungen über feine Vefchaffens
heit und Bedeutung. Das zweyte Kapitel befchäftigt fich
mit den darauf vorfommenden Figuren; das dritte betrachtet
die eine Seite des Thierkreifes, das vierte befonders das
fechste Zeichen deffelben, fo wie das fünfte die Wage, über
deren Einführung in den Thierfreis fih das fehste Kapitel
verbreitet. Das fiebente Kapitel, welches den erften Theil
des Werkes fchließe, enthält Bemerkungen über die Aegyptiſchen
Thierfreife, welche man in den neuern Zeiten in genaue Uns
terjuhung gezogen hat. Sm zwenten Theile hebt das achte
Kapitel mit den Winterzeihen an; dann geht der Hr, Verf.
im neunten: Kapitel zu den. Morgenländifchen Thierkreifen
über, und handelt im zehnten Kap. von den Perfifchen, Indi⸗
J
r
244 llustr. d’uno Zodiaco orientale da G. Hager. .
(hen und chinefiihen, im eilften von dem Chaldäifchen
Thierkreife, deffen Vorftelung er auf unferm Dentmahle fins
det. Am Schluffe wird noch im zwölften Kapitel von dem
Babylonifchen und Perfiihen Schriftzeihen in Keilform ges
fpeochen. Won den Kupfertafeln, welche das. Werk zieren,
fielt die erfte, nicht numerirte, den Stein in ‚natürlicher
Größe in Aquatinta s Manier, die zweyte und dritte noch
befonders die Figuren zu beyden Seiten des Steines, doch nur
in mehr oder weniger unrichtigen Nachflihen von Hrn. Mils
lin’s Tafeln, dar. Die vierte liefert einen Elagabal s Stein:
nad einer Medaille des Kaifers diefes. Namens, weil der Hr.
Verf. nach einer Nachricht Herodians V. 3., derzufolge der
Elagabal, ein fehr großer Stein in Kegelform, unten abges
rundet, ſchwarz von Farbe und ein Aerolith war, auch unfer:
Denkmahl für einen Meteorftein erklärt. Die leute Tafel
enthält die fchon erwähnten Proben von Babplonifcher Keil:
ſchrift. Sch Übergehe die Bemerkungen über die verfhiedinen
Thierkreiſe, womie Hr. Hager feinen Chaldäifhen Thierkreis
in Harmonie zu bringen jucht, um deflo ausführlicher über
das erläuterte Dentmahl zu reden..
Hr. Hager foheint den Stein viel zu hoch- in das Alters
thum hinaufzuruͤcken, wenn er ihn wegen der Keilinſchriften
für. den vermuthlich Älteften Thierkreis Hält, den wir in Eus
ropa fennen. Der Goͤtt. Rec. bemerkt gang richtig, daß nicht
jedes Denkmahl mit Keilfchrift fofort in die Zeit der Achämes
niden hinaufgeräckt werden dürfe, da diefe alte Schriftart eben
fo weit herab fortgefegt werden konnte, wie die Hieroglyphen⸗
fchrift auf dem Stein von Roſette. Der Drt, wo diefes
Monument gefunden wurde, läßt fein fehr hohes
Alter vermutben, man mäßte esdenn aus einer
andern Stadt dahin gebradt glauben. Hr. de Sacy
machte fihon die Bemerkung, daß der Platz, wo der Stein
gefunden wurde, das alte Ktefiphon ſey, welches erfi die Pars
ther ftiftegen, und bis ing „te Jahrh. nad C. ©. die Nefidenz
der Perfifhen Könige blieb. Denn wenn man von Bagdad
den Tigris hinab 4—5 geogr. Meilen füdoftwärtd reifet, fo
koͤmmt man auf eine zu beyden Seiten des Fluffes mit Rui—⸗
nen weit umher bederfte Gegend, welche die Araber al Madain
oo.
Hlustr. d’uno Zodiaco orientäle da G. Hager. 245
oder die zwey Städte nennen, Pietro della Valle viaggi I.
Brief 17. Ives Neifen ©. 110. Unter diefen Trümmern hat
fi) noch ein anfjehnliher Palaft von Backſteinen erhalten, der
von feinem großen Gewölbe, weiches von DOften nad Weſten
durch das ganze Gebäude in einer Tiefe von 160 Fuß, in
einer Höhe von 106, und in einer Breite von 85 Fuß, ftatt
der Hauptthuͤre läuft, bey den Morgenländern Tals Kesra
oder Boden des Kosroes heißt. Diefer Palaft liegt auf der
Dftfeite des Tigris, wie dad heutige Bagdad und das alte
Ktefiphon, und Abulfeda Geogr. &. 259 macht dabey die Ber
merkung, daß der Drt auf Perfiih noch immer Thaiſafun
genannt werde. Die beyden Städte, melde der Name al
Modain bezeichnet, find alfo Ktefiphon und Koche, nicht das
2— 2 geogr. M. höher gelegene Seleucia auf der Weftfeite
des Tigris: denn ein Schriftfteller-des Aten Jahrh., Grego—
rius von Nanzianz (orat. IT. in Julian. p. 365), erzählt,
dee Stadt Ktefiphon gegenüber liege Rohe, eine: andere mit
diefer durch Matur und Kunft verbundene und nur durch ben
Tigris getrennte Feftung , fo daß beyde Eine Stadt zu feyn
fcheinen. Iſt aber diefes der Fall, fo darf das Alter unfers
Steines nicht zu hoch hinauf gefekt werden: man müßte denn
glauben, daß er zugleih mit den Materialien der Mauern
Babylons, melde feit feinem Verfall duch Seleucia's Auf
blühen zum Bau der Käufer, Paläfte und Städte in dieſen
Gegenden verbraucht wurden und noch verbraucht werden, nad)
Ktefiphon gefommen, und fo aus frähern Zeiten erhalten fey.
Kteſiphon felbft wurde, wie Seleucia, yon den Macedoniern
angelegt, daher es ſchun Polybius ( V, 45.) kennt: aber es
war ein unbedeutender“ Fleden, bis die Parther Herren des
ganzen Landes wurden, und Kteiiphon zum gewöhnlichen
Winteraufenthalt wählten, mie Ekbatana zum Sommerſitze.
Strab. XVI. ©. 1079. Unter Berus, dem Collegen Marks
Aurels, nahm deffen General, weldher Seleucia vernichtete,
auch Ktefiphon ein, und zerftörte die königliche Burg. Dio
CGass. LXX, 2. Aber die Stadt beftand noch bis ind „te
Sahrhundert, da fie das Eigenthum der Arabiſchen Chalifen
wurde, und durch fie ihren Untergang fand. Bagdad, weldhes
762 gegründet wurde, fcheint mehr aus feinen Trümmern als -
246 Illusts; d’uno Zodiaco orientale da G. Hager.
aus den Steinen des zu meit entlegenen Babylons erbaut zu
feyn. Won dem großen Gewölbe, das fih von allen Gebäus
den, mit weldhen einft die ganze Strede von Ei Madain
bedeckt war, allein erhalten hat, gibt man einen. Perfiichen
König Kosroes andere einen Europäifchen Fürften oder Caͤſar
als Stifter an, und läßt es in der Zeit Suftinians, auch
fruͤher oder fpäter, aus Babylonifhen Trümmern erbauen.
Seine Roͤmiſche Bauart, wovon man fonft im Drient nichts
Hehntiches finder, verräth einen Baumeifler aus den Zeiten der
Noͤmiſchen Herrſchaft, fey es nun, daß wirklich ein Römifcher
oder Sriechifher Monarch den Palaft -bauen ließ, oder daß
ein Afiatiiher Fürft Europäifhe Bauleute dazu gebrauchte,
wie Kambyſes zur Anlane von Suſa und Perfepolis Baumeis
fter aus Aegnpten kommen ließ, Died. I. ©. 43.. Hr. Mans
nert meint daher (Geogr. der Gr. und R. V, 2. ©. 404),
daß Chosroes, der Sohn des Hormisdas, der zu Ende des
fehsten Jahrhunderts durch innerlihe Unruhen auf einige. Zeit
aus feinem Meiche vertrieben in Syrien lebte, und duch Uns
terftügung der Römer wieder auf den Thron kam, den Pataft
gebauet haben könne. Aus dem Angegebenen erhellet wenigs
fiens fo viel, daß unfer Stein nicht weiter heradgerädt werden
darf; doc fey der Stein, fo alt oder jung er wolle, die
Keilinfhriften defferben find, gleich den Hierogips
phen in der Nofettifhen Infchrift, eine aus Höherm Als
terthume beybehaltene Schreibeweiſe, der-zufolge,
wenn fie mit den fymbolifhen Abbildungen darkber in Ber
ziehung ſteht, auch diefe nad) Altern Begriffen erläutert werden
muͤſſen, wenn fie gleich in viel fpätern Zeiten in den Stein
gegraben wurden. Fragen wir nun, Welches Volkes Begriffe
auf diefem Steine zu fuhen feyn; fo widerſpricht fih Ar.
Hager felbft, wenn er darum, weil der Stein in Babylonien
gefunden fey, die Figuren für einen Chaldäifchen Thierkreis
erflärt, die Sinfchriften aber, im Gegenſatze der Babyloniſchen
Schreibeweife, als Perfiih charakterifict. Eines andern Wis
derfpruches macht er ſich fchuldig, wenn er der Unmöglichkeit,
die Idee eines Thierkreifes auf unferm Denkmahl durchzufuͤh—
ven, mit der Bemerkung entgegen zu kommen fucht, daß die
Chaldaͤer, gleich den Chinefen und Japanern, ihre eigenen
Illustr. d’uno Zodiaco orientale da G. Hager. 47
Zeichen und Bilder gehabt haben könnten, und gleichwohl aus
Mangel beftimmter Nachrichten uͤber den Chaldäifhen Thier⸗
kreis die Lehrfäge und. Vorftellungen der Griechen, Aegyptier ,
Indier und ‚anderer Völker zu Huͤlfe ruft, um einzelne Figus
ven des Steines daraus zu erklaͤren, und den Satz zu begrüns
den, daß in Chaldaͤa oder Babplonien der ältefte Thierkreis,
wie, die Älteften Spuren der Religionen und Sagen, der Wis
fenfchaften- und Künfte, der Sitten und Gebräuche aller ges
bildeten Völker, der Aegyptier, Griechen und Römer fowohl,
wie der Chinefen, Indier und Perfer , zu finden feyen. Kr.
Lichtenftein, welcher die Figuren mit einer fabäifchen Trauers
Plage in Beziehung zu bringen fuchte, ift ebenfalls nicht frey
von dem Vorwurfe, zu viel Fremdartiges unter einander ges
mifche zu haben. Einen beſſern Weg fchlugen Hr. Millin,
de Sacy und von Dalberg ein, welche fih durch dem Ort, we
der Stein gefunden worden, berechtigt glaubten, ihn für einen
auf den. Strom und die daran liegenden Gebäude ſich beziehens
den Talisman zu halten, und nad) diefer Anſicht die Abbils
dungen mit den Lehren der Perfifhen Religionsbuͤcher in
Zufammenhang brachten:
Die Vermuthung, daß ber. Stein ein Aerolith ſeyn könne,
gründe Hr. Nager auf feine Geſtalt und Farbe. Diefe
iſt ſchwarz auf der DOberflähe und grau im Bruche, jene ovals
rund, doc ungleic, abgerundet, nad oben fpißiger, nad uns
ten :bauchförmig gemunden , ungefähr doppelt fo breit als dick,
und drepymal fo hoch. Kür einen Meteorflein wäre feine
Gräfe fehr bedeutend: denn feine Höhe beträgt nah Hrn.
Michaux's Angaben 48 Centimeter oder anderthalb Fuß, feine
größte Breite 32 Centimeter oder einen Fuß, umd fein Ges
wicht 22 Kilogramme oder 44 Pfund. Was aber mit jener
Vermuthung ſtreitet, if ‚gerade das Wefentlihe, was Hr.
Hager Überfah, feine Maffe. Hr. Mihaur erklärt den
Stein für. diefelbe Steinart, woraus die Felfengebirge von
Farſiſtan beſtehen; und Michaux's Vermuthung, daß er aus
dem Innern von Perfien in die Gegend gebracht fey, wo die
Natur dergleihen Steine nicht ergenuge, ift ein Grund mehr,
in feinen Abbildungen und Inſchriften Perfiihen Geift zu
fuhen. Hr. Michaux hielt den Stein für Bafalt, aber Kr.
248 Illuste. d’uno Zodiaco orientale da G. Hager.
Millin erklärt ihn’ geradezu für einen Marmor , wie ihn auch
Hr. Hager immer. nennt. - Hr. v. Dalberg, weicher: als Schrift⸗
fteilee über dem . Meteorcultus der "Alten Hier vorzüglich eine
Stimme hat,: beitreitet fchon die Vermuthung des Hrn. Has
ger, daß. der Stein ein Aerolith fey, und Gemerkt, daß die
chemiſche Analyſe ihn als einen ſchwarzen bituminsfen Mar—⸗
mor darftelle. Chäux carbonatde bituminiföre nah Hauy.
So wenig die Natur Vabplonien mit dergleichen Steinen
veriehen bat, ſo häufig findet man’ fie in jenen Gegenden.
Hr. Beauchamp ließ in den Ruinen von Babylon einen ſchwar⸗
zen Stein ausgraben, welcher anfangs ein Gößenbitd zu feyn
fhien, nad feiner Reinigung aber fidy als eine geſtaltloſe
Maffe ohne, Inſchrift zeigte, wiewohl er Spuren des Meiffelg
trug. Von derfelden Steinart fand er an mehreren: Stellen
große Bloͤcke als Meberrefte mehreren Denkmaͤhler. Zu Bruffa,
zwey Lieuen füddftlih von. Hellah in der Wuͤſte trifft man
nah. Hrn. Beauchamp's Berichte ſchwarze Steine mit In—
fchriften, fo wie in al Kadder, in noch weiterer Ferne, mars
morne Statuen. Hr: Hager ſchließt aus dem Gebrauche des
hoͤchſten Alterthums, die Götter unter. einfachen Steinen und
Aerolithen zu verehren, beionders aber aus dem Gonnenbilde
der Syrer zu Emeſa, daf der Stein als Aerolith der Sonne
gewidmet, und daher die ſymboliſche Darftellung an feinem
obern Theile eine Abbildung des Sonnenlaufes oder ein Thiers
reis war. Dagegen bemerkte aber Hr. v. Dalberg ehr tref—
fend , daß die Ehrfurht, die man gegen folhe heilige Steine
hegte, das Einaraben von Figuren und Schrift ausihloß, wie
es bey dem kegelförmigen Steine der paphifhen Venus umd
bey dem nah Nom gebrachten Bilde der peſſinuntiſchen Rys
bele der Fall war. Auch ſchreibt Herodian dem Sprifchen
Elag ibal feine eingegrabene Figuren zu, fondern nur #Soyas
'tıwog Boaxsiag al Tönovg, Meine Ecken und Grübchen,
woraus man feinen himmlifchen Wrfprung erwies: uͤbrigens
war er ein unbearbeiteter Stein ( @vepyaorog , nicht -xsrpo-
rointos). Unfer Stein dagegen ift offenbar von
Menſchen abgefchliffen, um auf den beuden flachen
Seiten mit Figuren und Schrift, bedeckt zu werden: denn die
Figuren find erhaben auf vertieftem Grunde, die Snfchriften
IHusti. duno Zodiaco orientale da G. Hagen 249
aber vertitfe: auf glattaefchlifferier » Fläche. Seine ſonberbare
Geſtalt kann unfer Stein daher auch nicht, wie Hr. Millin
meint, . dem Abfchleifen. des Tigerftromes , fondern muR fie
irgend einem religiöfen Aberglauben zu verdanken haben. Doc
hat. der Stein mehr die ©eftalt eines unförmtichen plattge—
druͤckten Kegels, ale einer Pyramide, welche Kr: Millin, wie
wir weiter unten ſehen werden, dark den Perſiſchen Eultus
geheiligt glaube. Aus den bisherigen Angaben acht hervor,
daß der Stein weder ein Aerolith, noch uralt, noch Chaldäis
fhen Urfprungs fen; ob er der Sonne gewidmet, und: ein
Thierkreis ſeyn könne, wird die nähere Betrachtung der alles
ee Fiquren zeigen.
Die- Figuren: erfüllen den ganzen obern ‚Theil des: Steines;
am oberfien Ende durd) eine querüberliegende Schlange ges
fchieden, welche den Stein: in feiner größten Breite umzieht;
jedoch nehmen fie auf einer der beyden Hauptieiten des Steine
ein doppeltes Feld und "doppelt fo viel Raum ein, als auf der
andern Seite, Nur die obern Figurenreifen ſollen einen
Thierfreis vorfiellen; die untere Figurenreihe der einen: Seite
foll: den Sommer und Winter im. Allgemeinen bezeichnen. Die
fchöne Jahreszeit oder: die Zeugungskraft der Sonne werde
. durch den"aufrechtftehenden Phallus oder Lingam neben... dem
Thiere mit: dem Widdermaule, der Winter durch die umge—
fiörzte Pyramide oder den Sonnenſtrahl neben beim: Thiere
mit: der Eberichnauge bezeichnet. Kr. Hager lieh ſich hier durch
die falfche Darftellung der Millin’ichen Kupfertafeln verleiten *
denn die beyden Thierfiguren des untern Feldes
find ſich aufdem Steine ſelbſt vollfommen gleich;
und haben mit dem Thiere des obern Feldes,
welches Kr. "Hager: für das Zeichen: ‚des: Steinbocks oder bes
Winterfolfiitiums erklärt, zwar nit die Geſtaltung,
aber Doh das gemein, daß fteauf befondern Uns
terlagem ruhen, die ihnen das Anfehen:vonbiofs
fen Sphinrartigen Beſchützern der Altäre geben,
durch welche ihr. Hinterthbeil verdedt wird: Die
Bedeckung "des: Hintertheiles ſetzt dieſe Thierfigaren in dem
Hintergrund, ſo daß nicht fie, ſondern die Altäre des
Vordergrundes als der Haupttheil der alfegorifhen
x
250 Ilustr. d’uno Zodiaco orientale da G. Hager.
Darfiellung zu betrachten find. Die befondern Unterlagen
ſtellen diefe Thierfiguren als. bloße: Abbildungen plaftifcher
Kunftwerke dar, welche man, gleich den Fabelthieren in Pers
fepolis, ans den Beftandtheilen dreyer oder mehrerer Thiere
jufammenfeßte, und unterfcheiden fie dadurch von den Thieren,
womit die ganze entgegengefeßte Seite angefülle ift, fo, daß -
fie nicht mir ihnen als Thierkreis in Verbindung geſetzt wers
gen können. Das Thier in der Mitte des obern. Feldes ers
fcheint als ein freyes, die beyden andern als gefeffelte
Thiere: denn: jenes kniet nur auf dem rechten Worderbeine,
und hat. das linke, aufgerichtet, zur Erde niedergeftellt ; die
Vorderbeine der benten andern Thiere liegen. aber"auf den
Unterlagen hingeſtreckt, und feinen, nad dem Gypsabdrucke
zu urtheilen, zuiammengebunden zu feyn. Das erftie Thier
Hat die Beftandrheile reiner Thiere mach Perfifhen: Religions
begriffen , die Deine eines Stieres, den Kopf: eines Ererifchen
Widders mit gewundenen Hoͤrnern umd einem. Ziegenbarte bey
gefchloffenem Maule, den Hals behaart, den Leib gefiedert mit
Meinen Flügeln auf dem Ruͤcken. Die beyden andern Thiere,
die H. Hager auf eine unbegreiflihe Weiſe zu Krokodilen ums
fhafft, vergleicht Hr. Lichtenftein nicht unpaffend mit gefchupps
ten Hyaͤnen; doch erſcheint, die Loͤwentatzen abgerechnet, alles
Uebrige fo zuſammengeſetzt, daß man kein Thier in’ der Nas
tur von ähnlicher Bildung findet. Die kurzen, fpigigen Hörner
ſtehen völlig fenkreht, wie bey der Antilope, welche man
Klippfpringer nennt; zu beyden Seiten derfelben vertritt lok⸗
fenförmig gewundenes Haar, desgleichen auch hinten am gans
zen Halfe Hinunter hängt, die Stelle der Ohren. Nah Kran,
Lichtenftein foll dee Schmuck des Hauptes Leine Hörner vor
ftellen, fondern eher ein ſymboliſches Emblem feyn, desgleichen
auf den Aegyptifhen Dentmählern die Scheitel des Serapis
ziert. Der Leib ift fchuppenförmig oder gefiedert, die Schnauze
vorn gekruͤmmt, wie die eines, Ebers, aber mit einer weit
herausftehenden, zweyfach gefpaltenen. Zunge. Hr. KHofrath
Herren hat in feinen Ideen über die Politif, den Verkehr
und den Handel der vornehmften Voͤlker der alten Welt ges
zeigt, daß folche willtührliche Abänderungen in der Zufammens
feßung einzelner Theile ganz in dem Geifte der Kunft des
Ulastr.. d’ano Zodiaco orientale da :G. Hager. 254
Perſiſchen Zeitalters waren. - Daß auch im Tempel des Belus
dergleichen Abbildungen monftrdfer Thiergeftalten: aufgeftellt
waren, ſagt Beroſus in- einer ‚mir. vom Hrn. Dr. $iorillo
freundichaftlichft mitgetheilten Stelle, in excerptis Alex,
Polybist.. ap. Syncellum Chronogr. p. 23 (Script. Byz.
. T..V. ed. Venet. 1729. fol.), worüber Court de Gebelin
Monde primitif. T. IV. (Histoire du Calendrier ) p. 482
unter andern fagt, daß fie die EChaldäifche Theologie und Loss
mogonie darftellen ſollten. Hätte Ktefias in feiner Beichreibung
Indiſcher Wunderthiere nicht vieles übergangen, weil es denen
unglaublich fiheinen würde, die es nicht gefehen hätten; fo
würden wir vielleiht noch in feinen Fragmenten bdiefe Thiere
erklärt finden, wie Hr. Heeren darin den Martichora, dem
Sreif und das Einhorn fand. Am meiften-- würde auf fie die
Beſchreibung goldhütender Greife paffen, Ctes. Ind. ı2, wo
fie als vierfüßige Vögel von der Groͤße eines Wolfes, mit dem
Deinen und Klauen eines Löwen, - mit rothen Federn auf der
Bruſt, und ſchwarzen Federn auf den übrigen Theilen des
Leibes, geichildert werden, wenn. diefen nicht Aelian H. Anım,
IV, 26. den Kopf und Schnabel eines Adlers gäbe. Zwar
erfcheint dies Wunderthier, deffen Dichtung fih über ganz
Afien verbreitert hat, in verſchiedener Geftalt; dog. haben uns
ſere Thiere zu wenig von einem Vogel, als daßeman fie mit
dem Perfiihen Simurg oder Sirenk vergleihon könnte. Sie
mit dem Hrn. v. Dalberg für Bilder guter Senien, Tafchters
und Behrams, zu erklären, die bier, gleich. den Sphinxen
in Aegypten als mächtige, wohlthätige Beſchuͤtzer der Gegend
und Bewohner der Gebäude ruhen, verbietet die oben anges
führte gefeſſelte Lage der Thiere. Hingegen das Thier im
obern Felde, welches Kr. Millin mit einem Tragelaphos,
Kr. Lichtenftein mit einer geflügelten Gazelle, Kr. Hager aber
mit dem Steinbod vergleicht, ift nad) Ken. de Sach's glüdlicher
Enträthielung, welcher auch Kr. v. Dalberg beyſtimmt, ein
Symbol ‚des thätigften und wirkſamſten Izeds Behram, der
nad dem Sjefhts Behram Zendav IL. fih unter allerley Thiers
gefialten offenbart, unter. andern auch, nad Korde 8, unter
der Seftalt eines — a reinen. Füßen und ku:
Hoͤrnern.
253 IMlustr. d’uno Zodiaco orientale da G. Hager.
Nach Hrn. Hager ſtellt das obere Feld den Himmel, das
untere die Erde vor: er irrt aber, wenn er die vier Altäre
des obern Feldes für Thärme und Paläfte erflärt, melde ſich
auf die zwoͤlf Sonnenftationen beziehen, die zwey des untern
Feldes dagegen für Altäte des Feuerdienftes. Die Altäre
des untern Feldes unterfheiden fih von den Als
tären desobern Feldeg in nihts als in der bes
deutungslofen Verzierung der Außenfeiten. Ale
haben ein eckichtes Piedeftat und eine an den Seiten abge
ründete Oberlage ; aber im obern Felde theilen vier Säulen
den Schaft in drei gleiche, mit willtührlichen Schnörksin und
Streichen verzierte, Felder ab, die Unterlage ift mit drey wel
fenförmigen Strichen durchzogen, und bie DOberlage in fünf
Felder mie Kreifen in ihrer Mitte abgetheilt; im untern Felde
dagegen ift der Schaft in zwey Felder getheilt, die Unterlage
nur mit zwey Schlangenlinien durchzogen, und die Dberlage
in ſechs Vierecke gerfhnitten. Auf jedem Altare befins
det fih aber ein dbefonderes Symbol: auf einem
die Figur eines Hufeiſens oder vielmehr eines Griechifchen
D in der hHentigen Uncialform, zu beyden Seiten unten
gelorft, und ringsum durch drey Linien in vier Theile getheilt;
auf dem andern ein langer und dünner „ gefchuppter oder ge
fiederter Hald, der, weil der Kopf durd die Befhädigung des
Steines verſchwunden if, einem’ Baumflamme aͤhnlich; auf
dem dritten und vierten eine paraboliſch gefkältete Tafel mit
einer Einfaffung von allen Seiten, und mit fechs aufwärts
gehenden, in der Mitte zufammenlaufenden Adern durchzogen,
auf dem fünften eine liegende, dreyeckichte Pyramide gleich
einer Raͤucherkerze, deren Baſis im Verhaͤltniß ihrer Höhe
nur gering iſt; auf dem fecheten endlich ein dreyecfichtes Tär
felhen mit Einfaffung,, gleich den Kreuzen auf den Gräbern
laͤndlicher Kicchhöfe auf einem kurzen Pfahle ruhend. Ju
‚diefen Dingen, nidt in den Altären, melde
Bloß zu Heiligen Untergeftellen für die Sym—
Bote dienen, beruht die allegoriſche D.arftellung,
zu deren - Enträthfelung ung noch die ficherleis
tenden Vorkenntniſſe fehlen. Sonderbar deutet Hr.
Hager die Hufeifengeftalt, weil fie einem Griechifchen 2
Illustr. d’uno. Zodiaco orientale da G. Hager. 253
ähnelt, auf das legte Zeichen im Thierkreife oder die Fiſche.
Hr. v. Dalberg muß nur den Millin’ihen Kupferſtich, nicht
den vortrefflihen Gypsabdruck, angefehen haben, als er die
Verlegungen am Steine für leichte Umriffe von Regenwolken
erflärte, welche aus dem flammenden Sterne Tafchter (Sirius)
nad) dem darunterfiehenden Gebäude niederfahre, deſſen mit
Schuppen bedeckter Hals vielleicht. Amordad, der Führer
Tafchters, oder Mithra, aljo der mwohlthätige Genius der
Wolfe ſey. Die parabolifhen Geſtalten der flahen Tafeln
auf dem dritten nnd vierten Altave verleiteten den. Hrn. Hager,
diefe für Ihärme anzufehen, und durch Millin’s - unvollloms
mene Darftellung im Kupferflihe verführt, meint er, der eine.
Thurm ftehe nur halb da, um amzudeuten, daß der Scorpion
der andern Seite zu diefer, den Winter darftellenden Seite
gehöre. Hr. Millin theilte die KRupfertafeln nad
den beyden Hauptplatten des Gypsabdruckes ab,
wobey die kleinen Seitenflüde ausfielen, und
Daher aufder einen Kupfertafel der Schlangens
fhwanz, die Hälfte der Sternfiguren am obern
Rande des einen Altars mit feinem Symbole,
fo wie die ausgeſtreckte Zunge des Thieres im
unteren Felde, verloren ging, während auf der. andern-
Kupfertafel die Schlange und der Wolf über die Gränglinien
hinausgezeichnet wurden. Das Piedeſtal der Altäre, welches
auf den Kupfertafeln nit ganz treu dargeftellt iſt, verbietet
es, fie mie Hrn. Hager für Thuͤrme und Paläfte, oder mit
Hrn. v. Dalberg für Tempel oder Luftfäle zu halten, wenn
man aud in den Verzierungen des Schaftes Thüren und. Ars
chitrave, und in den Verzierungen der Dberlage fogar Aehns
lichkeit mit den Triglyphen und Melopen des Griechiſchen
Gebaͤlkes finden möchte. Weit paffender und mit der Größe
der dahinter ruhenden Thiere weit mehr im Verhältniß fiehend
ertlärte Hr. Lichtenftein alles für Leichenmähler, deren Ems
bleme fchwer zu erklären feyn. Mach Eubulus. bey. Porphyr.
de Nymph. antro. Ed. Cantabr. p. 255 sq. heiligte Zorons
fter eine Höhle als Bild der MWeltordnung duch Mithra ger
baut und gefchäßt, worin nach abgemeffenen Entfernungen
von einander Dinge lagın, welche Die Elemente und: Klimate
254 AIllustr. d’uno Zodiaco orientale da G. Hager.
abbilden follten. Dem ähnlich feheinen die Abbildungen der
beyden Felder auf der einen Hauptſeite des. Steines zu feyn.
Kr. v. Dalberg fand im untern Felde ein Opfer des Ormuzd
angedeutet, und meinte, die liegende Pyramide fey die himm⸗
liſche Pflanze Kom, vielleicht ein aus dem Holze deſſelben
oder aus Metall beftehendes Opfermeffer in dreyfeitiger Pyra—
midalform, oder ein Werkzeug aus Holy zum Anmachen des
Dpferfeuers durch Reiben; auch die aufrecht ſtehende Spitze
auf dem andern Altar fey ein Meffer oder ein Blatt des Baus
mes Hom. Ganz verichieden davon urtheilten Hr. Hager und
Lichtenftein : nach jenem foll auf dem einen Altar eine Pyras'
mide ald Symbol des Feuers ftehen, auf dem andern eine
dreyfeitige Pyramide liegen, die einen Phallus oder Lingam
darftelle; nach diefem foll auf dem andern Leichenmohle das
Gegenftüd des Lingam, die Soni oder das Dreyeck der Venus
Urania aufgerichtet feyn, ale Emblem der weiblichen Zeugung;
auf dem Leichenmahle neben dem Strome liege eine Figur,
welche durch die Zeit beichädiger fey, und falls man nad Ahns
lichen Dentmählern beym Grafen Caylus fchließen dürfe, ur—
fpränglich eine Mumie vorgeftellt habe, oder einen Leichnam
in Leinwand gewickelt. - Allein nichts ift auf dem Originale
volllommener und deutlicher dargeftellt , als grade dieſe liegende
Pyramide; Dagegen die Poramidalfiguren am Schafte der
Altäre nur auf Millin’s unvolltommenem Kupferftiche ericheis
nen. Hr. Millin finder in’ diefen Ppramidalfiguren, welche
auf dem Driginale bloße Vertiefungen in den Feldern zwiſchen
den Säulen find, etwas Myſtiſches und Keligiöfee, den Grunds
zug aller Keilfchrift als Symbol. der Sonne, deren Strahlen
immer in koniſcher Geſtalt gezeichnet würden, und will dess’
halb auch das dreyeckichte Täfelhen auf dem leßten Altare für
eine aufrechtſtehende Pyramide angeſehen“ wiffen. Umgekehrt
findet Hr. Lichtenſtein darin das zweyte Element der zeugenden
Dyos und der Keilſchrift, deren Grundzug der Pfeil oder
maͤnnliche Mirrich ſey, welcher an der linken Saͤule dieſes
Leichenmahles ſtehe, die Spitze in die Baſis geheftet, zur
Andeutung des nach dem Tode und der Begraͤbniß durch neue
Zeugung zu erneuenden Lebens. Man ſieht, zu welchen Mey—
nungen ein unvollkommener Kupferſtich führen kann: der treue
Ilustr. duno Zodiaco orientale da G. Hager. 255
Abdrud des Driginales läßt weder einen Mirrich, noch eine
Soni, noch einen Lingam oder Phallus Über und an den Als
tären fehen. Eben fo wenig kann der Pfeil neben der Abbils
dung zweyer fi vereinigenden Fläffe, wie Hr. Lichtenftein
meint, der viermal geflägelte Mirrich feyn: es ift ein gewoͤhn⸗
licher Pfeil, auf beyden Seiten befiedert. Nah Hrn. Hager
fielen die beyden Ströme zur Bezeichnung des Ortes, wo ber
Stein ein Gegenftand der Verehrung: war, den Euphrat und
Tigris vor, und der Pfeil ift Bezeichnung des letztern, weil
im Neuperfiihen Tier fomohl einen Pfeil als den Tigerfirom
bedeutet. Zwar findet fi der Pfeil auf der verkehrten Seite;
aber was nicht zur Hypotheſe paßt, wird der Ungeſchicklichkeit
des Bildners zugefchrieben.. Hr. Millin meint, der Pfeil könne
den Lauf der Ströme bezeichnen, wie auf unfern hydrographi⸗
fhen Charten. Kr. de Sacy erklärt die Fläffe für eine Abbil⸗
dung des Waſſers überhaupt, oder des. Ferakh s Kand oder des
Woorokeſche insbefondere, die ein Geſchenk des Tafchter find,
und meint, der Pfeil könne Symbol des Tir feyn, welcher
den Tafchter begleitet. Hr. Lichtenftein findet in dem zweyge⸗
fpaltenen Strome die Flüffe des Beldal, deren einer die uns
fhuldigen Seelen in die. elpfifhen Fluren, der andere die
Verächter. der Götter in den Tartarus führe. Hr. v. Dalberg
endlich erfennt den Strom für die himmlifhe Quelle Ferakh⸗
Kand, und den Pfeil für Tafchters Pfeil oder ein Bild des
Bliges und des himmliſchen Feuers; doch gibt er zu, daß
beydes auch den Tiger bezeichnen koͤnne, deſſen Name einen
Pfeil bedeute. Das Folgende wird aber zeigen, daß in
dem auf feine Spige geftellten Pfeile fowohl, als in der
querliegenden Schlange am obern Ende, nichts weiter als
eine Begränzung der Figuren, wenn gleih eine fyms
bolifhe Begränzung des Symboliſchen zu fus
den fey. |
Betrachtet man die Inſchriften, welche auf beyden Haupt⸗
feiten des Steines, in zwey von einander unabhängigen Cor
lumnen, unter den figürlihen Abbildungen ftehen: To finder
man die ganze Schrift von allen Seiten durch Linien einges
faßt, die Columnen von ungleicher Länge auf der einen ‚Seite
256 Jllustr. d’uno Zodiaco orientale da.G. Hager.
durch eine, auf der andern durch zwey parallellanfende Pers
pendichlar » Linien gefchieden, und jede Zeile: von der. andern
durch Querlinien abgetheilt. Eben fo ſoll die Schlange nur
die Figuren der beyden Hauptſeiten von einander . fdyeidenz
Daher ihr Schwanz gerade fo weit herunter reicht, als die
Figuren der, mit einer doppelten Figurenreihe bederften Seite.
Was der Schlangenfhwan; auf der einen Seite des: untern
Geldes bezweckt, leiſtet auf der andern der Pfeil. : Die
beyden obern, Figurenreihen find nur auf emer Seite durch
den Schlangenleib geſchieden; auf der andern Seite, wo
der Pfeil die untere Figurenreihe begrängt, ſtoßen ſie ums
mittelbar an einander. Allein -Die über einander liegenden
Schnüre oder Bänder, welche zur untern. Begraͤnzung der
Zigurenreihen dienen, , und ‚bey den feyerlihen Abbildungen
die Stellen quer durchgezogener Linien vertreten, zeigen nebſt
dem Schlangentopfe hinlänglih, daß die obern Figurenreihen
beyder. Seiten des Steines von einander unabhängig find.
Sin der unrichtigen Vorausſetzung, daß die Schiange den
ganzen Stein-umgiehe, vergleihen Herr Hager und Lichtens
ftein -diefelbe fehr unpaffend mit dem Vaſughi der Braminen
oder mit dem Symbole der Zeit, der Schlange, welche ſich
in den Schwanz beißt. Kerr Millin erkannte die Schlange
nad) ihrer Geſtalt und Größe für eine Art der Nieienichlange,
and verglich fie mit der Schlange des Corans, welche den Thron
BSottes rings umgibt, was bier jedoch nicht der Fall if.
Hr. de Sacy und von Dalberg glaubten in der Schlange den
Aſchmogh (Asmodi) des Zendaveſta zu erteunen, welcher
Dermuthung der Mangel der. beyden. Füße widerfpricht, die
der Zendaveſta dem Aſchmogh zufchreibt. Die Abbildung
fielle nichts als eine gewöhnlide Schlange
dar, welde, da fie. die Figuren des Steines im zwey
Theile theile, nah Herrn Hager andeuten foll , daß das
Ssahr den erflen Begriffen der Voͤlker gemäß nur nah Som—
mer und Winter verjchieden ſey, ‚den mE des — und
der Finſterniß.
(Der Beſchluß folgt.)
— — —
No: 47. Heldelbersifhe 1813.
Jahrbuͤcher der Litteratur.
— —— — — —
Illusſtraꝛione — Zodiaco orientale del Gahigetto delle me
daglie di Sua Maestä a Parigi, da Giusep pe Hager. |
Beſchluß der in No. „16. abgebrochenen Recenfion. )
RE welche Seite des Steines als die
erfte gelte, fo geht aus der Lage der oben angeführten
Schnüre oder Bänder, wovon freylih die Kupferſtiche nicht
die mindefte Anveutung geben, offenbar hervor, daß die mit
gedopvelter Figurenreihe bedeckte Seite die erfte ſey, was zus
gleich auch die Richtung des Schlangentopfes mit zweyfach ges
ſpaltener Zunge andeutet. Die leßtere Andeutung hat auch Hr.
Hager aufgefaßt, nur begeht er, um feinen Thlerkreis mit
einem Widderaͤhnligen Thiere zu beginnen, den Fehler, die
letzte Figur zur erften gu machen, und umgekehrt, da doch
ſchon die Köpfe aller Thierfiguren die entgegengeſetzte Richtung
von der Linken zur Rechten verrathen. Kr. Millin folgte dies
fer Richtung, welche auch die Inſchriften zeigen, betrachtete
aber die TIhiere der Kehrfeite früher, als die Segenftände, der
doppelten Figurenreihe. Hr. Lichtenſtein traf zuerſt hierin die
wahre Ordnung, indem er Millin's IX. Kupfertafel der VIIT,
vorarigehen lieh, und erflärte ganz richtig die Figuren von der
Linken zur Rechten. Doc ließ er fi dadurch nicht bewegen,
auch die’ Infchriften in gleicher Nichtung zu lefen, weil dars
aus, daß die Thiergeftalten fämmtlih zur Rechten "blicken,
eben ſo wenig die Richtung der Schrift folge, als man auf
Münzen immer diefeibe Richtung der Thiere oder Menfchens
koͤpfe mit der Inſchrift finde. Zwar verfannte er nicht, daß
die Inſchrift zuweilen Über die Gränzlinie zur Nechten hinauss
gehe; aber er erklärte dies lieber für Schnörkel der Anfanges
buchftaben und überflüffige Züge, fo wie den gleichen Anfang
mehrerer Zeilen für gereimte Endungen, ungeachtet fich jene
Schnoͤrkel nur in der erfien Zeile finden, dagegen aber won "
17
258 Ilustr. d’uno Zodiaco orientale da G. Hager.
der linksſtehenden Tolumne in die zur Rechten fo eingreifen,
daß offenbar’ die rechte Kolumne ſpaͤter gefchrieben warb als
die linke. Weil die Thiergeftalten der Kehrfeite den Altären,
weiche Hr. v. Dalberg für Gebäude hält, zugekehrt find; fo
bezeichnen fie ihm boͤſe Genien oder Divs, welche fich ‚verbuns
"den haben, den Tempeln oder Paläften auf der andern Seite
verberblich gu werden. Allein erftlic gehören ‚die beyden Voͤ—
gel, wenn man fie auch für Raubvoͤgel halten wollte, zu den
reinen Thieren; zweytens irrte er darin, wenn er fich die
Charfefters als anrücdend zum Kampfe gegen die Wohnungen
des Lichted dachte. Damider ftreitet nit nur der Umfiand,
daß die Charfefters das Ende der Figurenreihe bilden, und
alfo eher ab s als vorwärts ziehen; fondern aud die ruhige
"Page der meiſten von ihnen, und die Richtung der fhüßgenden
Thiere nad) derfelden Seite, wohin die Charfefters gewandt
find. Hr. Hager verfährt gerade umgekehre, indem er fi,
wie die Sonne im Thierkreife, den Richtungen der Thiere
entgegen bewegt, und vom Schlangenkopfe beginnend, das
jenige Seite des Winters oder der Finfterniß nennt, was dem
"Hin. v. Dalberg die Lichrfeite fcheint.
Machen wir mit diejer Seite den Anfang, wie es ve
Bildner durch die Lage der zur Bafis der Figuren dienenden
Schnur unverkennbar bezeichnet hat; fo fehen wir oben der
Schlange zunähft drey fheibenförmige Schilder,
wovon das erfte, beſchaͤdigte, nichts als eine unabgefcliffene,
rohe Maffe darſtellt. Die beyden andern find durch vierſtrah—
lige Sterne mit einem Knopfe in dev Mitte vergiert, wovon
der eine zwifchen fämmtlihen Strahlen ausgehende Fichtflams
men zeigt, der andere, auf einem gleichen vierftrahligen Sterne
ruhend, wie ein Etern von acht Strahlen erfcheint. Herr
Millin Hält diefe runden Schilder für Höfe, welche die Sterne
umgeben ; allein auf dem erften, ziemlich dien Schilde Hat,
fo viel man noch fehen kann, nie ein Stern geftanden. Dr.
Fichtenftein meint, die drey Sterne ftellen die Deichfel des
Magens am Morppole vor, als Symbol der Sabäifchen Trias,
dreyer Dbergötter im Morgenländiichen &terndienfl. Allein
die Schilder haben ein drenfaches Anfehen, und ftellen entwes
ber drey Arten von Sternen, oder daffelbe Geſtirn in dreyerlep
Illustr. d'uno Zodiaco orientale da G. Hager. 259
Beziehungen vor, als rohe und . ungebildete Maſſe oder wer⸗
dendes Geſtirn, halbvollendet mit ausſprühenden Flammen,
und im vollem Lichte ſtrahlend. Fri Hager deutet, die rohe
Maffe ganz; ÄBergehend, den einen Stern zum Thron des Pas
radieſes mir vier. Strömen, und den andern zum Symbole
der finfteren Naht, ſtatt daß Hr. v. Dalderg den flammenden
Stern mit Hin. de Saehy für den Taſchter erklärt, der dürch
fein Licht die Divs vertreibt. Taſchter wird wenigſtens im
Jeſcht⸗Taſchter Zendav. II. durchaus als ein Stern u dicht
und Glanzblitzes geſchildert, und im’ Gten Corde mie Behram
(dem Planeten Mars) zuſammengeſtelle, welchen Hr. de Sacy
auch unter den Sternen des obern Feldes vermuthet, wid er
ihn: in dem unter ihm ruhenden Thierbilde fand. Daß’ auch
in einer der Thiergeſtalten Taſchter verborgen fey, ſcheint Hr
de Sach minder gluͤcklich zu vermuthen: denn koͤrperlich erſcheint
dieſer Jzed nur in dreyfacher Geſtalt, mit dem Koͤrper eines
ıdjährigen Junglings, glängend und lichtweiß, oder -eines
Stieres mit bligenden "Augen: und goldenen Hoͤrnern, oder
tines Heldentoffes mit goldenen fleifen "Ohren und goldenem
hochgetragenen Schweife: Ä
‚Betrachten wir die Figuren-der Kehrfeite, fo ift
das erſte Thier ein Skorpion, nad Ken. Lichtenftein ein Bild
des Todes; das zweyte Ein Falke oder Nabe. mit Papageyens
fchnabel auf einem beiondern Geſtelle, welches bloß da zu ſeyn
fcheine, um der Vogel oberhalb der Skorpionsicheeren "in den
leeren Raum zu bringen; das dritte ein Huhn, nah Hrn.
Hager eine der Iſis geweihte Gans: oder eine -Taube. Hi.
de Sacy hält den einen Vogel für den Kehrkas oder Eoroſch, den
andern für den -Bufrafhmodad oder Perodereſch; dagegen Hr.
Lichtenſtein den erfteri für eine behaubte Lerche auf dem Seichens |
mahle ( dmı Soußidiog xopvdadkis) ertlärt, welche auf den
Gräbern einfam zu figen pflege, Der andere Vogel fey nicht
Didus Linn., wie Sr. Milfin vermuthe, fondern ein Nabe
oder der Eorofch, weichen noch jetzt die Brahminen als ein
Emblem der adgeichiedenen Seelen betrachteten. Wenn ſchon
bey dieſen Thierfiguren die Meynungen ſo verſchieden find, fo
laſſen ſich die beyden zunaͤchſt folgenden monſtroͤſen Thierges
ſtalten noch weniger beſtimmen, weil ſie nicht naturhiſtoriſch,
⸗
—
2690 Ulustr. d’uno, Zodiaco. orientale. da..G; Hager:
ſondern idealiſch oder magifh, nah Perſiſcher Sitte, darges
fiellt find. Mur das läßt fih wohl mit Gewißheit behaupten,
daß fie. feine: Bilder des ‚Thierkreifes waren. Bie- gleichen
zweyen Schlangemteibern mit verſchiedenen Köpfen : „der Kopf
des erften fcheint behaart, des gweyten befiedert, und doch hat
der. erſte ben: Schnabel eines Raubvogels mit. einem Kamme
und / Zaͤhnerachen, der zwepte den weitgeoͤffneten Zaͤhnerachen
eines Saͤugethieres mit; langen geſpitzten Ohren, die Hr.
Millin und Hager fuͤr Hörner halten. Kr, Lichtenſtein findet
in den beyden Schlangen die Zeichen fuͤr die Planeten Mars
und. Saturn, oder Merkur. und ‚Venus, - und: deutet; fie. als
Kedu und Rahu, zarodaıımv -und ayadodaiumv.. Die
fchmebende Figur; welche. den ‚ganzen Kaum über dem Huhne
einnimmt, erklärt er. für, eine myſtiſche Muſchel oder einen
Hyſterolith, das: natuͤrliche Idiom des Lingam ;. Hager für
einen heiligen Machen, das Schiff der ‚Sfis oder der Jungfrau
zur ‚Bezeichnung : des Lichtreiches. und Sommer ; Solftitiums,
wie, der Steinbock quf der andern, Seite das Winter : Sptftis
tium bezeichne. Hr. v. Dalberg bemerkt dagegen, was <auch
bey mehreren andern Deutungen erinnert werden kann, daß das
Sfiss Schiff als ein rein-aͤghptiſches Bild nicht wohl in einen
Cyclus Chaldaͤiſcher Mythen paſſe. Den Beſchluß? macht ein
ſitzender Schakal; nach Hrn. Lichtenſtein ein Hund, der Sura,
welcher den Mithra begleitet, und bey den. Parſen den Le—
benshauch der Sterbenden auffängt, oder -aud ein Wolf als
Zeichen des Planeten, Merkur, und als Begleiter: der "Seelen
zur Unterwelt und wieder zur Oberwelt; nad. Kun. Hager
fogar der Widder, oder den Vorſtellungen der Parfen gemäß;
das Lamm als. erfies Sternbild im Thierkreife. Für die, welche
das Thier mehr einem Wolfe als Lamme oder Widder ähnlich
finden, bemerkt Hager, um feine dee von einem- Thierkreife
nicht aufgeben zu muͤſſen, daß die Brahminen ftatt des Wids
ders ebenfalls ein Thier ihrer Gegend. hätten, welches einem
Hunde, Wolfe oder Suche gleiche, und daß nah Makrobius
die Sonne auc unter dem Bilde eines Wolfes verchre ſey.
Beydes beruhet auf nichtigen Gründen: denn nach den Asiatie
Researches (f. Sen. U 8. 3. 1812. No. 231.) kennen die
Drahminen allerdings den Widder, nur haben fie auch andere
llhöstr. d’uno'Zodiaco"orientaäle da G. Mager. 26t-
Zeichen und Wilder, die Mondsdtter zu beſtimmen; und bey
"Homer bezeichnet das Wort Nvraßas,'weldes' zu der HGehaups
tung des Mafrodius Anlaß gab, nicht das Jahr, wie man
gewöhnlich glaubt, ſondern den Mondeswechſel oder den Mons
bestauf von einem Neumonde zum andern,” Worauf nod) Mor
der Lateinifche Name Luna für’ Lucina hinweiſer. —
So wenig Grund nach obigem des Verf. Deutungen der
Figuren haben, eben fo grundlos iſt fein Urtheilluſber die
Babylonifhe Keilfhrifti Hr Hager ' behauptet näm:
lich, daß zwar die Perſiſche Keilſchtift eine Richtung von der
Linken zur Rechten habe, -die Babylonifche aber perpendichlar
abwärts nach Ehinefifcher Schreibeiveife, fo daß’ die "Colninne
gar Rechten den Anfang mache. Zu diefer Behauptung vers
anfaßten ihn die bekannten Infchriften auf den Backſteinen
und Eylindern, melche er fo hält, daß feine Behauptung mit
der von mir eriviefenen Zeichenfolge völlig zuſammenſtimmt.
Denn dieſelben Inſchriften, welche in horizontaler Richtung
von der Linken zur Rechten geleſen werden, laufen, als per⸗
pendiculare Columnen betrachtet, von der Rechten zur Linken,
und umgekehrt. Damit man jedoch ſich uͤberzeuge, daß Hrn.
Hagers Meynung eben fo wenig Grund habe, als Chardin's
Ahnlihe Behauptung in Anfehung der Perfepofitanifchen Ins
fihriften an den Fenftern im Patafte des: Darius; fo bemerke
ich, daß die große Londoner Inſchrift in zehen Columnen,
moräber ich meine Bemerkungen im Intelligenzblatt der Jen,
4. 2. 3. 1804. No. 101. befannt gemadht ‚habe, auf deren
erfter Columne fih der Inhalt fämmtlicher bie jetzt bekannten
Backſteine in kleinen Variationen wieder findet, eben fo uns
widerfprehlich eine Horizontale Nichtung von der Linken zur
Rechten hat, als die Inſchrift desjenigen Steines, von wel—
chem hier die Rede iſt. Das Unzuverlaͤſſige eines Kupferſtiches
zeigt ſich in den Inſchriften dieſes Steines ſowohl, als in den
allegoriſchen Abbildungen; doch hat fie: Hr. Millin "mit der
möglichften Treue geliefert. Weniger richtig iſt der Nachſtich
bey Hager, wiewohl auch diefer treuer genannt werden kann,
als Millin’s Abbildungen der Babyloniſchen? Backſtein/In⸗
ſchriften, zu deren Leſung oder Copirung nach den Driginalen
ſelbſt, wegen: ihrer rohen Maſſe und der vielen beſchäbigten
262. Wlustr; :d’uno Zodiaoo orientale da. G. Hager,
Stellen, ein in diefer Schriftart vielfach geuͤbtes Auge gehört.
Sich habe die verſchiedenen Bruchftücke aller befannten Back⸗
fteine zufammengeftellt, und fo durch Zufammenhaltung aller
Enatifhen und Franzoͤſiſchen Abbildungen gegen neun, in
ihrem Inhalte wenig verfchiedene Inſchriften herausgebracht,
zu dıren Bekanntmachung in treuen Kupferftichen ich bis jeßt
noch feine Gelegenheit fand, Ueber . den Charakter der LKeils
fchrift. auf unferm Steine habe ich fchon in dem .Anhange zum
erften Theile von Heeren's Ideen uͤber die Politit, den Vers
kehr und den Handel der vornehmſten Völker der alten Welt
meine Bemerkungen mitgetheilt; bier finde nur noch folgendes
Wenige Raum. Der Stein ift an mehreren Stellen befchäs
digt, wodurch einzelne Lücken, befonders einzelner Keile, in
der. Inſchrift entſtehen; hiervon verfchieden find aber die mit
Fleiß. gelaſſenen Lücken der Inſchrift in den meiften Zeilen,
welche daher zu rühren fcheinen, weil man nur eine beftimmte
Zeichenreihe in: jede Zeile bringen, aber aucd keine Luͤcke am
Ende der Zeilen laffen wollte. Wan dehnte daher bey Kleis
nern Zeichenreihen die Keile, ruͤckte die Schriftzeichen feldft
weiter aus einander, oder ſchrieb auch nur das lebte Zeichen
ans Ende der Zeile, indem man den übrigen Raum unausı
gefüllt ließ. Bey größern Zeichenreihen ruͤckte man die Zeichen
niche nur näher zuſammen, und zeichnete fie fo Klein als mög:
ih, fondern man erlaubte fih auch, über die Gränzlinie der
Zeilen hinauszugehen. Das letztere ift jedoh in der erften
Columne, d. h. den darüberfiehenden Figuren zufolge zur
Linken der mit einer doppelten Figurenreihe bedeckten Geite,
nie der Fall; vielmehr enthält bey einer Wiederholung deffels
ben Sinhalts die ıgte Zeile zwey Zeichen mehr als die ı6te,
weihe man zu Anfang der ı7ten Zeile feßte. Aus diejem
Grunde kann man die Scheu, eine Zeichenreihe zu unterbres
hen, nicht wohl für eine Folge der Anterpunction halten, fo
daß jedes einzelne Zeichen ein ganzes Wort bezeichnete, Zur
eine Wortſchrift ift- Überhaupt die MVerfchiedendeit der Zeichen
zu gering „und. die Wiederkehr, ja feldft unmittelbare Wieders
holung gleicher Zeichen zu häufig, als daß man bier feine
Buchſtaben s..oder.. wenigſtens Sylbenſchrift vermuthen follte:
Foͤr letztere ſcheint das Aeußerſtcomplicirte mancher Zeichen,
‚Illustr. d’uno Zodiaco orientale da G. Hager. 263
die am Ende der Zeilen iſolirt fliehen, zu fprechen ; wenigſtens
it die MWerfhiedenheit der Zeichen zu groß, als daß man an.
eine ganz einfache Buchſtabenſchrift denken könnte, wenn man
auch noch fo viel Confonanten und Wocalgeihen ins Alphabet
aufnehmen wollte, Entweder muß man aljo eine große Menge
von Zeichen als Abkürzungen ganzer Wörter betrachten, wie
es in der MPerfepolitanifchen Keilſchriſt mit dem - Königstitel
der Fall ift; oder annehmen, daß in der Babylonifchen Keils
fhrift die Vocale mit den Confonanten zu einem einzigen Zei—
hen verbunden zu werden pflegen. Die dadurch entfiehende
Menge der Zeichen hindert die Weherfiht, und alfo aud die
Entzifferung ſehr; weniger hindern die befhädigten Stellen
der Inſchrift, da fie ſich meiftens durch Zufammenhaltung gleis
her Stellen ergänzen laffen. So find in der erfien Kolumne
gerade da, wo der Stein am meiften. gelitten bat, die gie
und zote Zeile mit der ııten und ıaten bis auf ‚die beyden
Schlußzeichen der gten und zıten- Zeile fich völlig gleich. Man
muß bey folhen Vergleichungen aber aͤußerſt vorfichtig verfabs
ren, da zuweilen bey der Zufammenftimmung aller Zeihen.eins
zeine darunter verjchieden find, die vielleicht auf verſchiedene
Flerionen deuten. So 5. B., um bey ber erfien Columne
fiehen zu bleiben, die 5te Zeile gleicht der ten bis auf das
ste Zeichen, welches auf die beyden gleichen folgt; aber nıd
dem ten Zeichen ift die MVerfchiedenheit bedeutend, wenn gleich
die Heine Verfchiedenheit im dritten Zeidden vom Ende, , weis
es mit den eben erwähnten beyden gleichen Zeichen fühcreins
flimmt , nur ein Verſehen des Bildners ſcheint. Nimmt man
Wiederholungen einzelner Zeichenreihen für Wörter an, fo
töj’e fich die ganze Inſchrift in Wörter von 2 — 5 und mehr
Zeichen auf, die meiftens oͤfter wiederkehren, längere Zeichens
veihen wohl 4, fürzere gar 8 mal. In Hru. Lichtenſteins
Erflärung wird man felten dergleichen Wiederholungen anf
gleiche Weife erflärt finden; eine Folge der unbefchreiblichen
Willkuͤhr, mit welcher ein Drittheil der Keile für uͤberfluͤſſig
erklärt, ganze Zeichen, ja Wörter ausgelaffen, andere dagegen
eingefchalter, Keile mit Winkeln, und Winkel mit Keilen fo
vertauſcht jind, daß man die Sinfchrift des Steines in der .
Enträrhfelung niche wieder zu finden weiß. Die bald hänfigere,
564 Illästr. d’uno Zodiaco- orientale da G. Hager.
Bald ſeltenere Wiederholung’ ganzer Zeilen fowohl, als Meines
rer Zeichenreihen‘; vielleicht auch die Heilige Schen, mit wels
cher man eine beſtimmte Zeichenreihe in jede Zeile : brachte,
verbunden mit den allegoriſchen Abbildungen darüber ; läßt
üuͤbrigens vielmehr. einen religidfen , als’ hiftorifchen-, politiſchen
oder wilfenfchaftlihen Inhalt vermuthen. Syft vielleicht bie
Jauſchrift ein feyerlich gefchriebener Toavid oder Taviß-?-- eine
heilige Gebetform zur Abwendung aller Uebel des Leibes und’
der Seele, und überhaupt aller Anfälle böfer Genien , welche
nur ein Moden’ oder ’Priefter fchreiben durfte. &. Zendav. IT.
Seichts Sade's N, LXX— LXXVII. Dergleihen Toavids
enthalten jeßt gewöhnlich die Formel in Pehlewi: „Sch Binde
dieſe Uebel durch Feuers Kraft und. Feuers» Schönheit, und
Macht des: glänzenden Feridun Athvians, durch der Irr- und
Standfterne Kraft u. ſ. f.“, und werden vorzäglih am Tage
Espendarmad. das Monats Espendarmad (den ı5. Tag des
legten .Monates im Sahre ): ausgefertige, und den Parfen
verkauft, um die Dews aus ihren Käufern zu vertreiben, oder‘
fie wenigftens zu binden, daß ſie nicht fchaden fönnen. Se
Zendav. III. Gebraͤuche der Parfen $. X. Man feyert diefen
Tag noch ‚wie man ihn ſchon zur Zeit des Agathias beging,
welcher Hist. II. p. 59 davon alfo ſchreibt: Eopeiw TE TO-
cov melsone TNV TOV xaRdV Aeyoubony Gvaipecrıv TEAoÖ-
ow, &v n Tov TE bonerov nkeiora xal Tov Air dunv
dndoa -dypım xal Ephuovoun xardxrteivovreg vois Ma-
yoıg rpogdyovoıd, Vomep 86 Emideikıv edoeßeiag u. f. w.
Es Bleibe jedem feine Meynung frey, aber große Velehrung
in aftronomifhen und hiſtoriſchen Kenntniffen erwarte Nies
mand von der völligen Enträrhfelung. Hoffnung zu diefer iſt
jedoch, ſobald die Sprache der Inſchrift Pehlewi iſt, da
neuern Nachrichten zufolge W. Ouſeley unter andern Merk—
wuͤrdigkeiten des Orients auch ein Dun s Wotterbach mie⸗
mn > ſoll.
Grotefend.“
dd
| in"
Capita Theologiae Jadaeorum dogmaticae e »Flavii 'Josephi
scriptis collecta. Accessit T&P£PY0P super Josephi ‘de
Capita Theologiae Jud. dogm. auct. Bretschneider. 265
Jesu Christo testimonio. Auctore Carolo Gottlieb
Bretschneider, Theol. D. et Annaemont. Superintänd:
Lipsiae 1812. ap. Joh. Ambr. Barthium. 66 ©. in 5,
Sofephus hatte im Sinn, über juͤdiſche Religons—
lehren in vier Büchern gu fchreiben. Archäol. co, 11. vgl.
mie I, 1.2. Leider! iſt diefe Arbeit nicht auf uns‘ gefommen.
Sie. würde zwar, da alle Schriften des J. apologerifch für die
Juden find, nicht unpartheyiſch, ‘dennoch aber für die Kennts
niß vom Zeitalter des Urchriſtenthums ſehr belehrend ſeyn.
Der gelehrte Verf. der „Dogmatik der apokryph. Schriften
des alten Teſtaments“ (Leipzig 1805.) macht ſich daher ein
wahres Verdienſt, indem er aus ben übrig gebliebenen Wers
ten des jüdifchen Prieſters und Geihichefchreibers die yerftreus
ten für die Dogmengefihichte merfwürdigen -Stellen in einem
gefälligen Lateiniſchen Vortrag nad dem Anhalt -ordnet-, und
die meiften zugleich mit den Morten. des Driginals felbft ans
führe. Die Ausführung iſt gedrängt, genau, meift anf Achte
Hirtorifche Auslegungskunſt gegründet. Wir erlauben ung einige
bey der Durchfüht aufgefällene Bemerkungen.
' Contra Apion: I, 8. erklärt bekanntlich, daß die Hebr.
Schriften feit Artaxerxes Zee nicht fo glaubwuͤrdig feven, als
die vorhergeganaenen, weil Die genaue Succeffion der
Propheten nicht geweſen fey. Ara To un yevcodai
Thv To npodnTov Aarpıßf dıadoynv. Der Verf. deutet
diee davon, daß, nach der alten Meynung, der Geift, wel
“her den einen Propheten getrieben hatte, übergegangen ſeh
auf den andern. (So begehrte Eliſa doppelt -fo viel Antheil
an Elia's Geift, als ein 'anderer !erhalten möchte. a. Kön.
2, 9.) Das Beywort: gemaue Succeſſion, ſcheint aber doch
mehr darauf-zu gehn, daß, fo lange die Prophetenchdre dauers
ten, der Vorſteher feinen Nachfolger wählte, den er auch” ſalbte,
1. Könv hg, 16. Hierdurch wurde die Surceffion ampıBas
eine gemane. Uebrigens zeigt die Stelle, daß auch Hofes
phus dtedFörtpflangung ‚(und eben damit die den Mationaks
zwecken gemäße Medaction) "der Nationalgeſchichte unter die
Gefchäfte "dert Prophetenchoͤre oder Schulen rechnete. Unter
den: Maffabäern wartete man, ob je wieder ein: ſo 'genam
autoriſirter Prophet aufftchen würde, ı. Makkab. 14, 41.
2366 Capita Theolögiae Jud. dogm. auct. Bretschneider.
Contra. Apion. J. 2. ‚$. 22. wird Gott befchrieben als wop-
Paiv TE xai ueredog Auiv apavsorxıros. Er fey in Hin
fiht dee Geſtalt und Größe für uns durchaus unfichtbar,
Hr. DB. aber will, woepn fey hier ſynonym mit odcia.
&v noopn Aeoõ ündoxav Phil. 2, 6. möge eben daher erklärt
werden. Dies ift offenbar unrihtig. Syn; weicher Sprache
könnte das innere, das Weſen, odoia, durch einerley Wort
mit dem Aeußern, der Geftalt, bezeichnet werden ?_ Auch fagt
ber Contert bey Joſephus: keine Materie tauge zu einem
Dild von Gott, keine Kunft vermöge ihn nachzubilden.
Beziehen fih Materie, ©An, und Kunft auf das Wefen? Eine
vichtigere Parallele foigt in der Note 77. veanvioxov uoppi.—
Wir faſſen mehrere Bemerkungen über das, was bag
Dogma vom Shidfal nah dem Tode betrifft, ale
einen der merkwuͤrdigſten Puncte in der Dogmengefchichte zus
fammen. Daß Sjofephus, der Phariider, in mehreren dogs
matifchen Vorftellungen befonders in diefer Nückficht von den
Phariſaͤern abgewichen fey , davon haben die von dem Verf.
angeführten Beyſpiele den Rec. nicht überzeugt. Im 7. Bud
vom jüd. Krieg 8.6, 3. ©. 981 fagt Joſ., die fogenanns
sen Dämonten feyen Setiter böfer Menfhen, wels
ce die Lebenden anfallen, und die, welche nicht Huͤlfe
( duch die Wurzel Baaras und Salomoniſche Incantationen
nad) Archaͤol. 8, a. ©. 257) erhalten, tödten. Nun behaups
teten die Pharifäer: „alle Seelen hätten eine unfterbliche
Kraft; unter der Erde aber (ömö xSvros, im Hades) haben
fie Strafen oder Belohnungen, je nachdem fie im Leben Tu—
gend oder Bosheit geübt haben, zu erwarten; und für den
einen Theil. komme. hinzu ewige Kerkerſchaft (elpyuor
Aidıov npooriIeodar), für den. andern Theil aber die
Leichtigkeit, wieder (in einem Körper) aufzuleben." paora-
vnv voö avaßıoöv. Arhäol. ıd, 1. 3. Da hier den böfen
Menfchengeiftern von den Pharifäern eine ewige Einkers
kerung zur Strafe gemacht. werde, fo fchließt der Verf.
S. 52. Sofephus feldft, weicher diefe Seelen noch auf. der
Erde als Dämonien auf die Menfchen wirfen laſſe, muͤſſe
hierin von. der Pharifäifchen WVorftellungsart abgewichen ſeyn.
Allein die ewige: Einkerkerung der Voͤſen wurde, wie die
Capita Theologiae Jud. dogm. auct, Bretschneider.: 267
körperlihe Wiederbelebungrder Guten , nicht als etwas fogleich
nad dem Kommen in den Scheol erfolgendes angenommen ;
vielmehr war jene ein hinzukommendes Hebel, weiches
J. nicht ohne Urſache durch ein meoaridgoda: bezeichnet.
Die Dämonien konnten nod fo lange, bis die Einferferung
hinzukam, als Urſaͤcher menſchlicher Krankheiten hier oben von
Joſephus gedachte werden, ohne daß er von feinem
Pharifäismusahwic. Ferner ließen die Pharifder, zum
wenigften, gewiß die Seelen der. Guten in einen andern
Körper Äbergchen, ueraßaivsıv eis Erepov ooua, und
dadurch die Erleichterung genießen, daß fie aus dem Schattens
land wieder aufleben, ovaßıoöv. Darüber bemerkt
&. 52 Quamquam in N. T. Act. 23, 6 — 8. Pharisaei
mortuorum resurrectionem expectasse dicuntur,
ad eam te zö avaßıoöv et TO ueraßaiveıw dıc Exspov
oöua@ referri non possunt, Non.enim dicit Jos.
eotfpora mortua vitae olim restitutum iri, sed animas
redituras esse in vitam; non scribit, animas eig TO aödro
oöua sed eig Erspo» esse transituras; non contendit, hoc
simul, una die, esse eventurum, sed animas habere fao-
zoVYnv hoc faciendi, pendere igitur hoc ab animabus ip-
sis, veniam hanc illis esse datam, während die böfen Sees
len im Hades gefefjelt bleiben.“ Dem Rec, feheint das, was
Joſ. als pharifäiihes Dogma angibt, mit der Anzeige des
N. T. nicht in Widerſpruch gefekt werden zu mäflen. Wer
fagt: die Seele geht über in einen andern Körper, der
(äugnet nicht, daß diefer andere Körper fih zum vorigen,
‚wie. ein nvevuarırzdv zum Wvxıxov, wie eine neue dem
geiftigeren Zuftand augemeſſene Truhe zum Saamenkorn
(a1. Kor. 16, 43. 44.) verhalten, alfo ein auferfiandener feyn
möge, Die paotavn Foö avaßıoov aber iſt fchwerlich von
einer den Seelen der Guten überlaffenen Frepheit,
wieder törperlih aufzuleben, wann fie mollten, zu deuten.
Vielmehr iſt wohl dies der Sinn: Wenn die böfen Seelen
einft den Zu ſatz (zu ihren vorigen Strafen) erhalten, ewig
eingekerkert zu jeyn, fo erhalten die guten dagegen die
Leichtigkeit, von dem Öden Scheol befreyt, als körperlich
neubelebte forzuwirken. Ohne Körper nämlih war, nad der
68° Capita Theologiae Jud-dogm. auct. Bretschneider.
Vorſtellung —— ————— tn‘ vol Gefühl m Freude
— Leis u Br
"Wohin aber, dachte man denn, vob die Seelen der Guten
— dem Tode hinkommen? und wohin ſollten ſie, mit dem
neuen Koͤrper vereinigt, uͤbergehen? Der Eſſener antwors
tete: die Seele der Guten geht — ohne Koͤrper — ſogleich
im einen Torrocg Oixelos, in einen Ort, der (kuͤnftig) ihre
Heimath iſt, in das jenſeits des Oceans liegende Elyſium oder
Paradies (vergl. Luk. 25, 45. ) In dieſem Sinn ſpricht
(B. 7. vom juͤd. Kr. 8, 7.) der S. 54. 55 angeführte Elea⸗
zar; und auch bier, um dies im Vorbeygehen zu ' bemerken,
geht alio ZJeſephus, welcher den Eleazar, zu Maffada in der
Naͤhe dern Eſſeniſchen Wohnungen, als einen Effener ſpre—⸗
chen läßt, nicht von dem Pharifäismus ab. Der Sadducäer
Raiſonnement ließ die Seelen mit den Körpern vergehen.
Zaddovxaiorz. tag Yoxas 6 Aoyos ovvasarigeı Tös 0%
pacı. Archaͤol. 18, 1.4. Der Pharifäer ließ alle Seelen
zuerſt in» den Scheol gehen. Dort, zuS’ ddov (melde Phrafis
— ind xDowös ©. Si nicht bloß, wie ©. 53 angibt, post
mortem, fondern beflimmt: in Hade, in sede inferorum,
bedeutet ) find Strafen und Belohnungen, alfo eine Abfondes
rung der Böjen von den Guten (ein anderer Aufenhalt für
Abraham und Lazarus, ein anderer für. den reichen SPraffer,
gut, 16, 20.). Doc fehweben oft jene, wie ſchon nachgewie—
fen iſt, als Dämonien noch auf der Erde. (Diefe fürchten
nur, zu frühe wieder in den Abgrund getrieben zu wer—
den. . Luk. 8, 31.) Späterhin werden die Höfen in dem
Scheol confinirt, eipyum didıy, die Guten aber in.den
Himmel verfest Wenn Jofephus in einer Ermahnungss
rede gegen den Selbftmord diefes Ichtere, ohne des Hades zu
gedenken, ausipricht („&Kpa obx lore, örı.. . zudapai xui
isenrooı Yovxal merovoı , X6p0v obpavod Anyodcaı Myın-
warov, Evdev dx nepırponig aimvav dAyvoıs ndhıy üv-
seyoixidovraı owwaoıw“ von Jud. Kr. 3, 8. 5.), fo weicht '
er auch darin vom Pharifäismne. nicht ab. Er nennt nur
das 'eingreifendfte Motiv, die einige Werfegung in des Him—
mels Reinheit, ohne laͤugnen zu wollen, daß die guten Seelen
zunaͤchſt nach dem Tode, in. dem Hades, und zwar'in dem
Capita Theolögiae Jud» dogm. auet. Brets@hneider. (269
paradiſiſchen Theil deſſelben, eintreffen. Daßnalsdann bey der
Wiederverſetzung in, Koͤrper nicht anhimmliſche, aͤtheriſche,
ſondern an reine, aber irdiſche Koͤrper zu denken ıfey , welche
fie relicto coelo bewohnen, ſollten, ſolgert zwar dr. Dr. aus
dem Woͤrtcheu Eder. von dorther. Dies waͤre dann aber
eine Verſchlimmerung ihres Zuſtandes, welche ihnen keine My⸗
thologie andichten konnte Der Sinn muß alſo vielmehr dieſer ſeyn,
daß die Seelen der Guten, wenn ſie einſt⸗in den heiligſten Ort
des Himmels verſetzt werden, von dort her (oder auch: dess
wegen) nach manchem Zeitenwechſel auch wieder mit
reinen Koͤrpern verſehen werden. Mach der Vorausſetzung, daß die
Seele ohne Koͤrper nicht lebhaft genug empfinde, wurde ohne
‚Zweifel dieſes neue Einwohnen in Reuſchen (unleidenſchaftli⸗
chen) Koͤrpern als eine, Erhoͤhung dev Seligkeit betrachtet und
dabey leicht angenommen, da ſodann der Selige ‚Überall, im
bimmel und auf Erden, fortzuleben vermöges 01. 1
Nach all diefem ſcheint ee, daß zwiſchen deu dogmatifchen
Vorflehungen des. Volks; „der, Phariſaͤer, und. Des. Zojephus
ſelbſt fein bedeutender Unterſchied zu denken ſey.
‚Ueber, die. Mech heit der helannten „Stelle, des; %. von
Jeſue Acchäol. 28, 34,3. 8, 624,1, P9hiQp, Yert- SO. Ggð
fimmt „Dr Br, mit; Houteville, ( Erwieſene Wahrheit der chr.
Religion 2749. S. 275-911) Überein,, Dargus,, daß Zus
fin und andere Apologeten, Tertullian ,„, Drigeneg jene, Stelle
gar nicht. benußt. haben ‚ folge nicht, daß fie nicht da geweſen
ſeh. Schon Euſebius habe fie, und fo alle Kandichriften. Der
Anhalt. ſey paffend, wenn man nur bedenfe, daß in den Wors
ten; 6 XKoworog odrog Av, der. Name Chriſtus nicht dogmas
tisch zu verfichen fey,, Sondern als Beyname: „diefer war
iger: Chriftus,“ naͤmlich ‚der Urheber der Chriftianer, oͤ he-
youevosg Xgıorös. Die bey Joſephus am menigften zu
erwartenden Worte: Tav Seiov —B TAOTa x&L
Add kopia Sayuagıa wepl abrTod EIpNKöTav, feven nur
fo, ‚wierdie Chriſten fih auszudruͤcken pflegten, ausgedruͤckt.
Rec. ift der Meynung: Die Apologeten und befonders Dris
genes, welcher ctra Cels. I, 47. S. 106 der. Würzb. Ausg.
die minder bedeutenden Stellen von Sjohannes dem Täufer
und Jacobus, ale adeApös ’Inooö roö Acyouevov Äpıorow
270 Capita Theologiae Jud. dogm. auet. Bretschneider,
ausdruͤcklich benußt, würden auch diefe vollffändigere Stelle
nicht Übergangen baden, wenn fie damals fo vortheils
Haft gelautet Hätte, wie jest: Joſephus Aber müßte
dem Chriſtenthum aͤußerſt guͤnſtig geweſen feyn, wenn fie fo,
wie jeßt, gelamtet härte; . ind doch weiſ't Drigeries von ihm,
daß er Kriorov War To ’Inooö ©; Xpiorh und (nad
Commentar in Matth.) 'Inooöv Außv od Karadrbauevog
elycat Xpıorov: Woher hätte Drigenesd dies vermuthen ki
nen, wenn Sof. fih fo, wie man jeßt lief’e, erklärt Hätte.
Wenn die mildernde Deutungen des. Verf. gelten follten, fo
würde ö-Xpıorög odrog Evowidero ftatt 3» gefchrieben, und
bey Tv Beiov npopnrav; ein a; Paciy bengefügt feyn
muͤſſen. Bis gegen die Zeit des Eufebius Hin muß alfo wohl
die Stelle ſelbſt in einzelnen, aber leicht veränderfihen, Wors
ten, gegen die Chriften ungünftiger gelatitet haben. Wie
konnte of. die Anhänger Chrifti als „das Wahre mit
Vergnügen annehmend * « AAnIn Adovi Sexouevovug ſchil—
dern und doch ſelbſt Jude bleiben ? Vermuthlich ſchrieb er
=’ AiDn (vom Sing. MAdns), und charakeerifirtes fie
als Leute, welche andere Sitten gerne annehmen, rebus
novis intentk Eher hat er Sjejus einen orpopög oder or-
oTpoBog Avap, einen tevolutionäten Mann, gu
nannt als einen oopos. Zwifchen®Drigenes und Euſebius
Zeit aber fchrieben chriftl. Abſchreiber voßos und TaAndH:
Unfere Handfchriften zeigen uns natürlich Peine Frühere Lefer
art. Das folgende: moAdovg IL zul EMAnvızodg dnnya-
yero: 6 Xpiorög oüros Av} würde ohnehin etwas untrichtiges
enthalten, da nicht Jeſus felbft viele Sräciffirende an ſich zog.
Ich denke, in diefer Stelle fen eine unrichtige Wortabthei⸗—
lung, und feße Ennyaye zo" „ö Xp. odros w*d.i.ab er. ah
viele Heiden führte her bey, inducebat, jenes: „der
Meffias war dieſer!“ Diefer Sprachgebrauch des zo ifl
nicht nur bey Luk. 22, 57., fondern auch 1. Kor. 4, 6., und
bey Joſephus ſelbſt, jüd. Kr. 7, 9. 2. in’ Aadndm JE To, ri
Poovei. Jener Aufruf, jenes Loſungswort der Chriften: Der
Meſſias war diefer! iſt — dem 'Idod de 6 Xpiwro;!
m 24, 23.
Capita Theologiae Jud. dogm. auct. Bretschneider. 271
Durch diefe, faft unmerklihe, Aenderungen fcheint fih der
Text fo, wie ihn Sjofephus gefchrieben haben kann, wie for
dann die Apologeten und Drigenes ihn nicht anyuführen Urs
fache hatten, wie aber bald daranf die jeßige Tertform aus
jenem gebildet werden mochte, entdecken und tiederherftellen
ju laffen. Auch die einzige, noch übrige Wendung, welde
von Joſephus nicht erwartet werden koͤnnte, ſcheint fich zu ers
Hören, wenn man darin eine Parentheie vorausjeßt. Er fagt:
„Auh nachdem Pilatus Jeſus mit dem Creuze beſtraft hatte,
00x Inadoayro oiye TOÖTov Gyamioavres (Ebayn yap
adrois, Teienv Exav Hukpav, mulıv dHV) Toy Ieiov mpO-
9, Tadra za Ark uvpia Savudoıa Tepi AUTO
tlpnxorav 5 d. i. ließen die, weiche ihn zuvor geliebt Hatten,
(denn er erſchien ihnen, als er den dritten Tag erreicht hatte,
wieder lebend !) nicht ab von den göttlichen Propheten, _
als folhen, welche dieſes und taufend andere Wunderdinge von
ihm gefage haben ſollten. IlaveoTaı wird oft mit dem
Genitiv conſtruirt, wie naveodaı ris Edwdis u. dgl. m.
Daß ein Gekreuzigter nad) einiger Zeit doch wieder hergeftelle
werden fönne, mochte Sof. nach der Erfahrung, welche er in
feiner Vita S. 1031 felbft erzähle, für glaubfich halten. ei-
enxörov kann in dieler Conftruction auch fubjunctive Bedeu:
tung haben. Moc deutlicher wäre dies, wenn angenommen
würde, daß vor radra ausgefallen ſey oc, welches nach der
Endigung des Worts wpopnrov fehr leicht möglich wäre.
Im Ganzen hat dieje Heine Schrift ihre Aufgabe ruͤhm—
lich geloͤſſt. Eine noch fchwerere wäre übrig; auch aus
Dhilo die Aerandriniich jüdifhe Dogmengefdichte mit aͤhn—
fiher phitologiicher Gruͤndlichkeit darzuftellen. Möchte der ges
lehrte Verf. auch dieſe Arbeit unternehmen und dafür eben
fo viel feinen Sinn für Allegorie und veligidfe Poefie, als
Sprachkenntniß und biftorijhe Forſchungsgabe, verwenden. -
2. & © Paulus.
Rerifon deutfcher Dichter und Profaiften. Herausgegeben von Karl
Heinrich Zördene. Sechſter Band. Leipzig, in der Weid⸗
mannischen Buchhandlung. 1811. Vi und 910 ©, in ar. 8.
Bey der Anzeige diefes dicken Bandes können wir uns kurz
faſſen. Er enthaͤlt nichts als Zufäge, Berichtigungen und Sups
plemente von ſehr verfchiedenem Umfang und Gehalte. Manche
find dem Litterator fhäßbar, andre aber find auch ſehr unbe—
deutend,, und wenn Hr. J. fortfahren wird, mit fo weniger
Strenge „und fo leichter Hingebung aufzunehmen, was ihm
272 Lexikon Deuticher Dichter u. Brofatiten v. K. H. Joͤrdens.
vorfommt, und fogar manche einzelne Schriften mweitläuftig zu
excerpiren, fo ift das Ende diefes Werkes, deſſen gute Seiten
wir bey der Anzeige der frühern Bände gewiß nicht‘ verfannt;
fondern offen dargelegt haben, kaum abzufehen. Man findet
hier ganze weitläuftige Stellen aus andern allgemein befannten
Büchern in extenso wieder abgedruckt, ſo daß manchmal drey
bis vier Urtheile über Einen Mann bunt neben einander ftehen.
Auch iſt jedes einzelne Gedichtchen, welches in eine andere
Eammlung wieder aufgenommen wurde, namentlich verzeichnet.
Meben manchen unbeveutenden Artifein kommen aud recht in}
vor, wie Joh. Georg Hamann, Wilh. Heinfe,
HM. 8. Lenz, Abrahbamvon Sancta Clara, 5,
Ehr. Kraufenck u.a. m Bon Sophie Brentanp
wuͤnſchte man dagegen mehr zu lejen, als man hier &. 586 fa,
findet. Die Supplemente liefern, von ©. 609 an, zum Theil
ausführliche — uͤber Ulrich von Hutten, Martin
£urher (von ©. 654 — 7851), J. N. Meinhard,, ©,
Schatz, Fr v Koͤpken (ein fehr ſorgfaͤltig ausgearbeiteter
Artikel), Joh. Joach. Eihenburg. (Unnoͤthiger Weife
ift Hier S. 777 — 782 der ganze Inhalt der Eſchenburgſchen
Bepipielfamm! ung angegeben! Solche weitlaͤuftige Negifter,
die man haͤufig ben Hrn. J. antrifft, vertheuern nur dag Werk.
So it auch S. 765 fo. Das ganze Handbuch der claſſiſchen
Litteratur, und e 787 fa. auch die Schrift. Über W. Sha⸗
Nespeare excerpirt worden, wobey man ſogar Shakes⸗
peare's Leben im Auszuge findet! Uebrigens find Efchens
burgs zahlreiche Schriften hier mit großem Fleiße zuſammen
getragen.) J. 8. F. Manſo. (Zum Theil von Hrn. M. ſelbſt
mitgetheilte Nachrichten.) 8. H. Hepndenreih. (Warum
wird der fo außerordentlich gerühmte Lehrer Heydenreichs
S. 819 nicht aud genannt? Sonſt find die Notizen von H.
Leben und Schriften ſehr ausführlih.) Karı Philipp Moos
riß. (Hier wird unter andern auch ein Auszug aus der im
Schlichtegrollſchen Nekrologe befindlichen — zu fireng anatomis
renden — Biographie Moritzens mitgetheil.) Den Ber
ſchluß diefes Bandes machen fehr ausführlihe biographifche
und litterärtfche Machrichten von Karl Lud w. Fernomw. —
So fehr wir eine Fortießung des angezeigten Werkes wuͤn—
fhen, fo können wir doch auch unfern Wunſch nicht bergen,
daß Hr. 5. künftig das Weberflüffige ausfıhließen, und bey
der Auswahl der zu bearbeitenden Artikel — was im erfien
größern Theile diefes Bandes nicht immer gefchehen ift —
flrenger feyn moͤge, ſonſt muß dies Werk zu einer ungeheuren
Anzahl von Bänden anwachſen. —
Li.
—— — -.
No. 18. Heidelbergiſche 1813.
Jahrbuͤcher der Litteratur.
4) Themis, oder Beyträge zur Gefengebung von D. Paul Sobann
Anfelm Feuerbach. Landshut bey Krül 1812. XIV und
323 ©. 3.
2) Betrachtungen über das Befchwornen » Gericht von dem ſelben.
Landshut bey Krüll 1813, VI und 2426, 8,
Das Feuerbach, den, als er noch dem Catheder anges
hörte, und als er durch theoretifche Schriften zu belehren fuchte,
feine Talente, feine claffifche Bildung, fein heller, Harer Vers
fand, fein tiefeindringender Scarfjinn und feine Herrliche
Darftellungsgabe in fo kurzer Zeit zu einem Lieblings s Schrifts
ftellee des Deutfhen, juriftifhen, Publicums erhoben, nun,
als Staatsmann, feine Achtung gegen das ihn achtende Pus
blicum dadurch bekundet, daß er ihm in den angezeigten Schrifs
ten eine Auswahl intereffanter, duch feinen jeßigen Beruf
veranlaßter Ausarbeitungen mittheilt, und dadurch ihm gewiſ—
fermaßen NRechenfchaft über fein Thun und Wirken in feinem
jetzigen Verhältniffe ablegt, — das ift in der That eine ers
freulihe Ericheinung! Da das Publicum ihn auch in dieſen
Ausarbeitungen finden wird, wie es ihn fannte, fo wird der
Beyfall, mit weichem diefe Geſchenke ohne Zweifel aufgenoms
men werden, Hrn. Feuerbach hoffentlich veranlaffen, daß
er fein, auf. diefen Fall in der Vorrede von N. ı. gegebenes
Verfprehen, die Themis fortzufeßen, vecht bald erfüllen und
dadurch fich eben fo große Werdienfte um das Fach der Legis—
lation erwerben wird, ald er fih bisher um das Fach der Sur
risprudenz erworben hat. Für den Rec. wird dadurch die
Erfheinung diefer Schriften um fo erfreulicher, denn er ift
mehr, als irgend einer, davon überzeugt, daß in keinem Fache
die Deutſche Lirteratur fo wenig, wie in dem der Legislation,
fih mit der Litteratur des Auslands zu vergleichen vermöge,
und daß gerade in dem jeßigen Zeitpunct es wahrhaft Noch
18
274 Themis u. Betracht. uͤber d. Geſchw. Gericht v. Feuerbach,
thue, die Richtung auf diefen, Bisher, aus ſehr natürlichen
Gründen, vernachläßigten Gegenftand den. denfenden Köpfen
der Nation nahe zu legen, damit auch in diefem Puncte dem
Deutſchen Namen die Ehre zu Theil werde, welche ihm ges
buͤhrt.
N. 1. enthält acht Abhandlungen. J. Betrachtungen
über den Geiſt des Code Napoleon und deſſen
Verhältniß zur Geſetzgebung und Verfaſſung
Dentfher Staaten überhaupt und Baierns ins
befondere. Der Berf. entwicelt hier, wie die Gefekges
bung des Code auf den Hauptideen einer volllommenen,
allgemeinen bürgerlihen Freyheit der Perfonen, einer volls
kommenen Gleichheit der Gefege für alle Bürger des“ Staats,
einer mödalihft volllommenen Freyheit des Eigenthums und
einer abfoluten Selbftftändigkeit und Unabhängigkeit des Staats
von der Kirche in allen bürgerlichen Dingen, als auf ihren
eigentlihen Kauptfäulen ruhe, und wie dieſe Geſetzgebung
eine der Franzoͤſiſchen im Weſentlichen ähnliche Verfaſſung des
Staats, des Öffentlichen Dienftes und insbefondere der Juſtitz⸗
verfaſſung als eine von ihr unabtrennliche Vorausſetzung bes
trachte. Er entwicdelt, wie fih in allen diefen Grundideen
und Vorausſetzungen dieſe Geſetzgebung in einem wahren
MWiderfireite mit den Grundideen und den Vorausfeßungen der
Deutſchen Gefeßgebung im Allgemeinen, und insbefondere ider
Baieriſchen, befinde, und mie daher ein Staat, welcher den
Eode Napoleon aufnehmen wolle, ohne ihn in allen diefen
Beziehungen zu modificiven, und daducd in feinem innerften
Lebensprincip zu vernichten , ſich nothwendig ‘in -allen diefen
Beziehungen zu einem volllommenen neuen Leben umgeſtalten
muͤſſe.
Fuͤr denjenigen, welcher bisher an der Behandlung der
vielfaͤltig ventilirten Frage: über *ie Aufnahme des Code Nas
poleon in Deutfhen Staaten Antheil genommen bat, enthält
Diefe Ausarbeitung in der Sache nichts Neues, aber auch eis
nem folden wird dennoch Feuerbachs Darfiellung wohl’
befannter Gedanken Intereſſe abgewinnen, und er wird dabey
auf manche intereffante Mebenerörterung floßen, weiche gerade
nicht zu dem allgemein Bekannten gerechnet werden dürfte, wie
Themis n. Betracht. über d. Geſchw. Gericht v. Feuerbach. 275
„B. die Erörterung Über den Geift des, gewoͤhnlich fo fehr
verfannten neuen, Franzöflichen Adelsinftituts. Webrigens muß
man bey diejer Abhandlung nicht Überfehen, daß fie fhon im
Jahre 1808 gefchrieben wurde. Wenn man hieran denkt, fo
gewährt es ein eigenes Intereſſe, den Verf. fchon zu einer
Zeit auf dem einzig richtigen Wege zu finden, wo die Lebers
jeugung von der Nichtigkeit dieſes Weges wahrlich noch nicht
als Gemeingut betrachtet werden fonnte.
Da Hier der Drr nicht ift, Über die wichtige Frage, welche
den Segenftand bdiefer Abhandlung Bilder, zu debattiren, und
da der Rec. Überhaupt, aus mehreren Gründen, an äffentlis
hen Debatten über diefen Gegenſtand keinen Antheil nehmen
mag, fo unterläftt er es, dasjenige vorzutragen, was er fonft
wohl bey einzelnen Aeußerungen des geihäßten Verfaſſers zw
erinnern haben möchte, und er unterläßt es daher auh, ſich
über mande wichtige Mebenäußerung zu erklären, 3. DB. über
die: daß dem Erbadel die Hofämter für immer vorbehals
ten bleiben follten, — eine Aeußerung, welche diejenigen wohl
ſchwerlich unterfchreiben dürften, die nicht von der Morhwens
digkeit einer bürgerlichen Herrſchaft dee Erbadels, wohl aber
son dem hoch bedeutenden Einfluffe der Hofämter in dem Les
ben, wie es ift, überzeugt find. Gewuͤnſcht hätte aber Rec.,
daß der Verf. die Frage einer genaueren Prüfung würdig ges
funden hätte: ob es nicht für einen gegebenen Staat, welchen
Nachbarfchaft und Politik mit Frankreich verbinden, ſelbſt
dann noch von Intereſſe feyn könne, den C. N. aufzunehmen,
wenn er ſich auch nicht Überall, in Anfehung der Grundideen
und der Verfaffung, Frankreich affimiliven will, und wenn er
auch demnach den C. N. auf eine Modificationg ; Retorte brins
gen müßte, wobey ſich der größte Theil feines eigenthämlichen
Seiftes verflächtigen dürfte? Rec. glaubt diefes aus mehreren
Gründen ; wovon der paradogefte wohl der feyn mag, daß er
es für eing der größten Webel hält, welches Deutfchland,, in
feiner jeßigen Verfaſſung, treffen könnte, wenn jeder Bunddss
flaat auf den Gedanken käme, ſich ein eigenes bürgerlichts
Geſetzbuch zu Tchaffen, welches etwas anders, als einen für
die Localitaͤt modificiiten C. N., darftellen follte,
276 Themis u. Betracht. über d. Geſchw. Gericht v. Feuerbach,
I. Ueber die Rechtskraft und Vollſtreckung
eines von einem auswärtigen Gerichte gefprode,
nen Erkenntniffes. Diefe intereffante Abhandlung, welche
in einem Zeitpuncte, wo die dem Art. 14. des C. N. zum
Grunde liegende engherzige , völferrechtlihe Marime ſich mans
chem Staate empfehlen fünnte, als ein wahres Wort zu feiner
Zeit betrachtet werden kann, ift ein fchäßbares expose des
motifs zu der nahahmungswärdigen königl. Baieriſchen Vers
ordnung vom 2, Jun. 1811 Über den bezeichneten Gegenftand.
Es thut in unfern Zeiten wahrhaft wohl, wenn man einen
Staatsmann von der Idee einer Voͤlkergemeinſchaft unter all:
gemeinen Geſetzen des Rechts, und nihe von Marimen aus—
gehen fieht, welche an die Chinefiihe Mauer erinnern. Rec.
ift mit dem Verf. fowohl in dem Grundſatze, als auch in den
nothiwendigen Modificationen deffelden einverftanden, nicht
aber eben fo mit allen Ausführungen des Detaild. So tft
‚zwar Nec. ganz der Meynung des Verf., daß man im Aus
lande gegen den dafeldft einen Ausländer beklagt habenden
Sinländer erlaffene Wrtheile als vollſtreckbar betrachten folle,
aber er kann nicht einräumen, daß diejes ſchon daraus, daß
man den linterthanen geftatte, im Auslande eine Klage zu
erheben, mit Nothwendigkeit folge, und er kann dem Verf.
nicht beyſtimmen, wenn er fagt: „ich kenne nur das Dis
lemma : ensweder den auswärtigen Erkenntniffen Vollftreckbars
keit zu geftatten, oder alle Klagen: dieffeitiger Unterthanen vor
auswärtigen Gerichten zu verbieten, und demnach den Art.
14. des C. N. geltend zu machen.“ Gerade der Art. 14. des
C. N. beweif’t, daß des Verf. Dilemma nicht nothwendig if,
denn bdiefer Art, ift zwar auf die Vorausfeßung der Unvoll—
ftrecfbarkeit auswärtiger Sentenzen in Frankreich, aber keines
wegs auf ein Verbot der im Auslande zu erhebenden Klagen
geftägt. Ein folhes Verbot exiſtirt in Frankreich nicht, und
würde auch in einem Falle, wo dir zu belangende Ausländer
nur im Auslande Güter befist, hoͤchſt thoͤrigt ſeyn. In einem
foihen Falle Überläße man es in Frankreih dem Franzofen,
in dem Auslande alle Huͤlfe zu fuhen, welche er daſelbſt fins
den fann, und man bdenft, in dem Auslande werde mn fchon,
durch auferlegte genügende Cautionen pro reconventione et
Themis n. Betracht. uͤber d. Geſchw. Gericht v. Feuerbach. 277
expensis, dafür forgen, daß es auch den ‚möglichen Verur⸗
theilungen des Klägers nicht an Vollſtreckbarkeit fehle. — So
iſt Rec. zwar daruͤber noch im Zweifel, ob ſich die Staaten
gegenſeitig eine Univerſalitaͤt des Concursproceſſes vermoͤge alls
gemeiner Regel zugeben, oder ob fie eine ſolche Univerſalitaͤt
nur auf befondere Staatsverträge gründen follen; aber dans
über iſt er nicht im Zweifel, daß der allgemeine Gantgerichtes
fland fremder Staaten nicht, wie der Verf. ©. 119 meint,
das Refultat einer Webereinfunft in einzelnen Fällen
werden dürfe, denn auch völferrechtlihe Marimen dürfen,
wenn nicht jura quaesita verleßt werden follen, nur für fols
gende Fälle, feineswegs für den einzelnen, jetzt zu beurtheis
lenden Fall verändert werden. — So kann endlich Rec. unter
den Gründen, warum es für die Vollſtreckung des auswärtis
gen Urtheils eines inländifhen: placet oder pareatis bedürfe,
den zweyten nicht gelten laffen, welcher aus der möglichen
Faͤhrdung wohl begründeter Hypothekenrechte durch die Huͤlfs⸗
vollſtreckungen in die Subſtanz unbeweglicher Güter abgeleitet
wird. Wäre nur diefer Grund, jo würde Rec. ohne Bedens
een die Vollſtreckung, ohne pareatis, geftatten, denn gegen
diefe Gefahren muß die Erecutionsordnung, nicht dag pareatis,
fhüßen.
III. Ueber den Wilddiebftahl. Diefe Abhands
lung ift ein expose des motifs der befannten fänigl. Baieris
fhen Verordnung vom g. Aug. 1806. Der firenge Tadel,
welchen biefe Verordnung erfahren müffen, veranlafte den.
Berf. zu diefer Herausgabe ihrer Beweggründe. Was ein
verftändiger Mann zur Rechtfertigung eines folhen Geſetzes
fagen kann, das hat er wirklich geſagt, Rec. gefteht aber
offenherzig, daß er fi dennoch mit dem Geiſte diefer Ver—
ordnung nicht auszuföhnen vermag, und er glaubt, daß der
größere Theil des dentenden Publicums mit ihm in gleichem
Galle feyn werde.
„Wer erweislich mit einem Jagdgewehre Wild angefchofs
fen, oder erlegt hat, fol, er habe das Thier in feinen Nutzen
verwendet, oder nicht, folgendermaßen beftraft werden :
2. Wenn er eine angefeffene, oder im Staatsdienfte ans
geftellte Perfon, oder ein Sagdbefiger ift, mit einer Geldſtrafe
278 Themis u. Betracht. über d. Geſchw. Bericht v. Feuerbach,
von 50 — 100 fl., außer dem Erſatze, dem Verlufte des Ges
wehrs und der im $. 18. dem Denuncianten zugefagten Ber
Iohnung von 100 fl., wurde die Handlung aber in einem
Parke, Thiergarten, oder eingefriedigten Waldung begangen,
fo foll an die Stelle der Geldftrafe ı — zjährige Gefängnißs
ſtrafe treten. Im Wiederholungsfalle foll dort an die Stelle
der Seldftrafe 1 — 2jährige Zuchthausſtrafe, Hier aber an bie
Stelle der Gefängnißftvafe eine Zuchthausftrafe bis zu 3 Jah—
ren treten. | |
79. Dieſe letztern Strafen follen fchon das erſtemal eintres
ten, went die Handlung von einer andern, als den sub n. ı,
genannten Perfonen begangen murde.“ |
Rec. will hier nicht den Mangel des Verhältniffes rügen, .
welchen jeder darin entderfen wird. Daß eine Perſon aus
2. 2. wegen der MWilderey in einer eingefriedigten Waldung
nur etwa um 1% härter geftraft wird, als wegen einer Wildes
rey an andern Drten, während bey einer Perfon aus n. 1.
in jenem Falle beynahe eine ıofad Härtere Strafe eintrifft,
wenn man nämlih, nah $. 10., 10 fl. zu 8 Tage Gefängniß
anſchlaͤgt. Der Geiſt des ganzen Geſetzes ift es vielmehr,
welhem Rec. den Krieg erklären möchte.
Im Allgemeinen nämlid erfheint es Rec. ein Fehk
griff, wenn man die MWilderey aus dem Sefichtspuncte der
Diebſtaͤhle ergreifen will. Die Handlung des Diebes erfcheint
jedem ald niederträchtig, dic des Milderers im Allgemeis
nen nicht. Rec. erklärt fi diefes daraus, daß, einige Aus
nahmsfälle abgerechnet, welche denn fehr wohl in einem
eigenen Geſetze behandelt werden körmten, der animus Jucri-
faciendi, welcher den Diebſtahl charakterifirt, bey der Wildes
rey entweder gar nicht, oder doch nicht im eigentlihen Sinn
vorhanden ifl. Die Yagd s Liebhaberey, welche befanntlih,
zumal in jüngeren Sjahren, fo leicht in „Jagd s Paffion übers
geht, und welche, da fie aus dem Intereſſe an der Herrſchaft
der Kunft Über die Natur hervorgeht, nicht auf unedler Quelle
ruht, ift der Regel nach die Ergeugerin diefer Unordnungen.
Sie ift es, die den hitzigen Jaͤger Über feine Gränze hinaus
führt, und Eingriffe in fremde Nechte bey Menſchen erzeugt,
welche, unvermögend, ſich felbft eine Jagd zu pachten, fehr
Themis u. Betracht. über d. Geſchw. Gericht v. Feuerbach, 2y3
gerne ihre Kunft ohne Eigennutz üben würden, wenn ihnen
nur ein Sjagdberechtigter diefes geftatten wollte. Gerade darum
erſcheint es Rec. als ein befonderer Fehlgriff, wenn der Verf.
die Wilderey mit Jagdgewehr aud nur ‚in irgend einem
Puncte mit dem bewaffneten Diebftahle zu vergleichen vermag.
Eher möchte Rec. einen ganz entgegengefeßten Geſichtspunct
vertheidigen. Ihm icheint es, als ob von den Entichuldigungss
gründen, welhe dem hißigen, das vielleiht angefchoffene
Wild Über die Graͤnze verfolgenden Jaͤger zur Seite fliehen,
feiner für die Handlung desjenigen fpräche, welcher mit Netzen
u. dgl. das Wild in fremder Bahn zu fangen fucht, denn hier
if fhon eher animus lucrifaciendi und fhmugiger Calcul,
welchen man dort nicht zu erkennen vermag.
Freylich kann die Flinte auf eine für die Entdeckenden
gefährliche Weile mißbraucht werden, und es fehle nicht an
traurigen Beyſpielen, wo es geihah. Aber worin, fragt Rec.,
liegt hiervon der wahre und enticheidende Grund ? In euren
harten, unmenfchlichen Geſetzen, möchte er antworten. Es ift
nämlich die natürliche Folge unverhältnißmäßig. firenger Strafs
geſetze, daß Alles confpirirt, um fie zw umgehen, big auf den
Kichter zu, welcher fie handhaben fol. Wer könnte es aud)
einem Nichter. verdenfen, wenn er fich fcheut, einem jungen
Menfchen, der zum erftenmale in feinem Leven eine Wachtel
in fremdem Jagdbezirke ihoß, zu 1 — jährigen Zuchthauſe
und zur Zahlung von 100 fl. an den Denuncianten zu verurs
heilen ?_ Und felbft den Denuncianten werden diefe 100 fl.
wie ein Blutgeld drädfen, und er wird vor feines Gleichen
darum als mit einer levis notae macula behaftet erfcheinen,
weil er aus Eigennuß einem gemißbilligten Gefege einem.
Menichen zum Opfer bradte. So werden denn die zu hartem _
Geſetze nur felten angewendet werden, und ans der dadurch
gefteigerten Hoffnung , ungeftraft dem Vergnügen opfern zu
tönnen, wird fih die Zahl der Kontraventionen gegen. das
Geſetz vermehren. Nun aber führt das Ungluͤck für den Cons
travenienten den Momente der Entdedung berbey! Da fieht
nun die entehrende Strafe mit ihrem ganzen fheußlihen Ges
folge vor feiner Seele. Er muß die Entdeckung verhindern,
und fo wird er peinlicher Verbrecher, um nicht als peinlicher
280 Tpemis u. Betracht. über d. Geſchw. Gericht v. Feuerbach.
Verbrecher behandelt zu werden. Selbſt ;die erlaubte Pfäns
dung der Flinte, welche wohl nicht minder, wie die fämmtlis
hen Privat » Pfändungen, wenigftens gegen nicht unbefannte
Perſonen, abgeichaft zu werden verdiente, iſt nicht felten die
Veranlaſſung der aus der Wilderey fich entwickelnden größeren
Verbrechen, denn die unnöthiger Weife ausgeuͤbte Privass
Gewalt empört leicht felbft denjenigen, der millig ſich der oͤf⸗—
fentlihen Strafe feiner Fehler unterwerfen würde.
Doch Rec. kann hier diefen Gegenſtand nidyt weiter ver:
folgen, er glaubt aber, daß geringere, und zwar, der Negel
nah, Seldftrafen, weit beftimmter der Wilderey entgegenwir;
fen werden, als ſelbſt die Todesftrafe, denn diefe wird nicht
ausgeuͤbt werden, wohl aber jene, wenn fie fo gewählt fint,
daß fie, bey einem dem Volke gegen die Wildfhäden garans
tirten Schuße, die Öffentliche Meynung für fih gewinnen, und
fhwerlih wird man in einem Rande, welches fich einer folchen
milden Strafgefeßgebung erfreut, und welches in der Regel
feine Privats Pfändungen kennt, von gefährlihen Wilds
dieben hören, ſchwerlich wird es in einem folhen Lande Leute
geben, welche die Wilddieberey als Nahrungszweig treiben,
denn in ihm wird fih nicht die Gewohnheit der Milddieberey
erzeugen, welche nur auf der lange ungeſtraft fortgefesten
Betreibung diefes Handwerks wurzelt.
IV. Weber die Beftehung der Staatsbeamten.
Ein expose des motifs der koͤnigl. Baierifhen Verordnung
vom 9. Sun. 1807 über den bezeichneten Gegenftand. Sjeder
wird daffelbe mit Sintereffe lefen, und den berrlihen Ausfühs
rungen dee Verf. über die zu erhaltende Heiligkeit und Unbe—
fleciheit des Staatsdienftes und Über die traurigen Folgen
einer gutmäthigen Schonung der das Heiligfte Herabwärdigens
den Staatsbeamten gewiß mit Weberzeugung benftimmen. O6
daffelbe von dem Vorſchlage des Verf. gelte, daß man den,
Staatsdiener und den Beftechenden ſich gegenfeitig gemiffers
maßen zu Wächtern beftellen, und zwifhen beyden ein heiljas
mes Miftrauen dadurh gründen folle, daß man auf der
einen Seite dem Staatsdiener die Anzeige eines. jeden Ber
ftehungsfalls bey Strafe anbefehlen, und fein beſchwornes
Zeugniß, wenn es. nur durch irgend einen Vermuthungsgrund
Themis u. Betracht. über d. Gefchw. Gericht v. Feuerbach. 281
unterüßt werde, zu vollem Beweife erheben, auf der ans
dern Seite aber dem Beftechenden, für den Fall der von
ihm zuerft gefchehenen Denunciation, Straflofigkeit, Wieder-
erlangung feines Geſchenks und eine Belohnung von der Hälfte
der von dem Beftochenen verwicelten Geldbuße verheißen folle,
— darüber möchte Rec. nicht fo geradezu entfcheiden. In—
genids ift der Gedanke gewiß, auch fuͤrchtet Rec. eine
Nachtheile von dem letteren Theile des Vorſchlags, abe die
Erhebung des beſchwornen Zeugniffes des &taatsbeamten zu
vollem Beweife fcheint ihm zu bedenflih zu feyn, und dem
Staatsbeamten, welcher, der Regel nah, nur in Hinſicht feis
ner Kenntniffe und Fähigkeiten, nicht aber in Hinſicht feines
Charakters, Prüfungen beftanden hat, einen zu großen Spiels
raum zur Befriedigung unedler Neigungen darzubieten, indem
er, bey der Realifirung dieſes Geſetzesvorſchlags, keineswegs
bloß, wie der Verf. meint, das zu erwirken vermag, daß fein
Fein» dem Fiscus in den doppelten Erſatz des angeblich dars
gebotenen Geſchenks verurtheilt werde, fondern es vielmehr
ihm anheim gegeben ift, vermittelt Fluger Benutzung eines
fcheinbaren Umſtandes, die bürgerliche Ehre feines Feindes zu
brandmarken, was unendlich viel mehr ift, und was die Rach—
fucht öfters wohl gerne durch eigene bedeutende Aufopferungen
zu erfaufen verſucht feyn dürfte.
V. Weber die Aufhebung der Folter. Eine Abhands
(ung , welche auch derjenige, der über den Gegenſtand derfels
ben fhon lange mit fih feldft einig ift, doch mit wahrem
Intereſſe lefen wird, meil fie eine vortreffliche hiſtoriſche Zus
fammenftellung, und über dir Aufhebung der Folter in Defters
reich felbft bisher unbefannte Motigen enthält, welche der Verf.
aus einem handfchriftlihen Auffage des ú— —
Sonnenfels entlehnt hat.
VI. Ueber die Coltifion verſchiedener in dem—
ſelben Staatsgebiete geltender Strafgeſetzge⸗
bungen. In Baiern herrſchen nicht mehr als fuͤnf, an
Geiſt und Inhalt verſchiedene Strafgeſetzgebungen, — ein
Zuſtand, welcher es gewiß fuͤr Baiern ganz beſonders wuͤn—
ſchenswerth machen muß, daß ſeine Hoffnung auf die Erſchei—
nung des neuen Strafgeſetzbuchs baid in Erfuͤllung gehen moͤge.
232 Themis u. Betracht. über.d. Geſchw. Gericht v. Feuerbach.
Daß ſich aus dieſem traurigen Zuftande vielfahe Kollifionen
und aus diefen Anfragen der Gerihte erzeugen mußten, war
natürlich. Den Anfragen dieſer Art verdankt dieſe Auhands
lung ıhren Uriprung. Der Verf. enticheidet dafür, daß ein
Baieriſcher Unterthan nah den Geſetzen feines Domicils und,
wenn er in verjchiedenen Diftricten domiciliüirt fey, nad) der
milderen Be beftraft werden folle, Da die geduldete .
DVerfihiedenheit der Geſetzgebungen in einem Reiche nur. das
durch einen vernünftigen Sinn erhalten fann, daß man ans
nimmt, der Gefeßgeber habe die verichiedene Mationalität der
ihm unterworfenen Voͤlker einer bejonderen Beruͤckſichtigung
würdig gehalten, So if dieſe Entſcheidung gewiß die einzig
richtige, und es ift gewiß eben fo richtig, daß in Anſehung
der nicht in Baiern Domiciliirten, für welche diefer Geſichts—
punct nicht enticheidet, die Geſetzgebung des Orts, wo das
Verbrechen begangen worden ift, zus alleinigen Morm für die
richterlichen Urtheile erhoben wird. Es gibt noch andere Staas
ten in Deutſchland, in welchen diefe fihöne Abhandlung von
der Geſetzgebung einftweilen zum Mufter gewonnen zu werden
verdiente.
VI. Sotlen die Criminalprozeßkoſten vors
gehen der. Entfihädigungsforderung des Belei—
digten? Der Verf. entfheider, mit Ausnahme der Koften,
welche auf Wiedererlangung und Erhaltung der entwendeten
Sache verwendet wurden, fehr richtig für die verneinende Bes
antwortung.
VII. Entwurf eines Staatsvertrags über
die gegenfeitigen Berihtsverhältniife zweyer
benahbarten Staaten. Dieſer Entwurf ift auf die
richtigen vwölterrechtlihen Grundſaͤtze, welhe in der zweyten
Abhandlung aufgeftellt worden find, geflüßt, und geht in dag
nähere Detail aller derjenigen Fragen. ein, über welche in
Anfehung der Serichtsverhättniffe Collifionen entftehen können.
Im Ganzen kann diefer Entwurf recht wohl zum Mufter für
ähnliche Regulative unter andern Staaten empfohlen werden,
obgleih Rec. damit nicht fagen will, daß nicht in einzelnen
Puncten manches auch wohl anders beftimmt werden könne.
So ift z. B. die Frage: ob die Erbfchaftsllage in Anfehung
Themis u. Betracht, uͤber d. Geſchw. Bericht v. Feuerbach. 283
der in ;den verfchiedenen Staaten gelegenen Immobilien
zu theilen fey ? in dem $. 15. bejabend entfchieden und gewiß
fehr richtig, wenn man auch nur in einem der contrahirenden
Staaten von dem, nah Rec. Meynung, vorzäglicheren Grunds
fage aufgeht, daß die Immobilien nah den Geſetzen des
Dris, wo fie gelegen find, vererbt würden. Wenn aber der
Staatsvertrag zwifchen Staaten geichloffen wärde, welche beyde
von dem Nechtsjage ausgehen, daß auch in die Immobilien
nad) den Geſetzen des Wohnorts des Erblaffere geerbt werde,
fo würde aller folide Grund zu der wahrhaft läftigen Theilung
der Erbichaftsllage Hinwegfallen, und es würde alsdann viel
vorzäglicher feyn, wenn dieſe Saaten gegenfeitig die auss
fließende Competenz des Gerichtsftands des Wohnorts des
Erblaffers für diefe Klage, welche ohnehin gewiffermaßen ges
miſchter Natur ift, anerfennten.
N. 2. ift zwar urfpränglich auch durch die Amtsarbeiten
des Verf. veranlaßt worden, und eben darum ſchien es dem
Rec. zweckmaͤßig, die Anzeige diefer Schrift mit der Anzeige
der in der Themis enthaltenen Berufsarbeiten des Verf. zu
verbinden; da aber hier dem Verf. fein amtliher Vortrag
nur als Beranlaffung zu einer freyen, wiflenfhaftlihen Bears
beitung des hoch wichtigen Gegenftands der Gefchwornen s Ges
richte gedient hat, und da diefe Behandlung als-eine wahrhaft
erichöpfende betrachtet werden kann, fo hatte er allerdings ſehr
gute Gründe, fie, als ein eigenes und feldftftändiges Werk,
dem Publicum zu Übergeben, und dadurch auch für das In—⸗
tereffe derjenigen zu forgen, welche zwar wohl der Gegenftand
diefes Werks, nicht aber gerade eine Sammlung von Arbeiten
für die Geſetzgebung überhaupt intereffiren ſollte. So beſchei⸗
den auch der Verf. bemerkt, daß er feinen eigentlichen Plan,
den Gegenftand der Gejhmwornen s Gerichte, in hiftorifcher,
politifcher und criminalrechtliher Hinſicht, ganz vollſtaͤndig zu
behandeln, nicht habe ausführen können, und daf daher, wie
auch der Titel ankündige, feine Abfiche vor der Hand nur
darauf gehe, Betrachtungen Über diefes Thema zu liefern,
fo ift doch in diefen. Betrachtungen wirklich eine fo vollftändige
und, ec. darf diefes Hinzufügen, eine fo meifterhafte Bes
handlung des Gegenſtands enthalten, daß folgenden Bearbeitern
284 Themis u. Betracht. über d. Geſchw. Gericht v. Feuerbach.
ſchwerlich in einer anderen, als etwa in der hiſtoriſchen Hinſicht,
eine fruchtbare Nachleſe verftattet ſeyn dürfte.
Eine folhe Behandlung durfte nun ein Gegenftand allers.
dings in Anspruch nehmen, welcher, neben dem hohen ns
tereſſe, welches ein Inſtitut an fid) verdient, das von dem
freyen Engländer als einer der Hauptpfeiler feiner conflitutios
nellen Freyheit betrachtet wird, dadurch für Dentfchland, im
Diefee Periode der Erifis für die Gefeßgebungen, nothwendig
an Sintereffe gewinnen muß, daß die Jury, von Frankreich
aus, nun auch jhon für manche Deutfchen Länder das Recht
eines Eingevürgerten erlangt hat, und daß daher in einem
jeden Deutfhen Staate, wo diefes zwar noch nicht gefchehen,
aber denn doch aud die wuͤnſchenswerthe Neform des bisheris
gen Deutſchen Criminalweſens nicht mehr zu umgehen ift, es
"wahrhaft an der Zeit fcheint, die Frage: ob man dem Fremd—
linge die Graͤnze fließen, oder ihn auch bey "fich freundlich
willtommen heißen folle? einer ernfllihen und gründlichen
Prüfung zu unterwerfen.
Das: nil admirari war zwar auh in Anfehung diefes
Gegenſtands den Deutichen fehr nahe gelegt worden, als fie
fahen, daß, bey der neuen Criminalgefeßgebungsreform in
Frankreich, fich faft die allgemeine Stimme: gegen die Beybe—
Haltung der Geihmwornen » Gerichte erflärte, und daß, ohne
den perfönlichen Einfluß des Kaifers, welcher dieſes Inſtitut
mit einer wahren Vorliebe behandelt, feine Beybehaltung wohl
ſchwerlich würde befchloffen worden feyn; indefjen genügen die
Franzoͤſiſchen Acten zu einer vollkommen erichöpfenden Prüfung
der großen Frage allerdings nicht, weil die Gegner der Ges
ſchwornen- Gerichte fih faft gang auf die Erfahrungsbeweife
beſchraͤnkten, in weichen ſich die Vermwerflichkeit der revolutio—
nären Jurys freylich auf eine Höhft traurige Weiſe zur Ges
nüge documentire hätte, bey welchen es aber doch immer noch
Höchft zweifelhaft blieb, ob man daraus wirklich gegen das
Inſtitut ſelbſt etwas folgern könne, oder ob nicht vielmehr
alle Schuld auf die unzweckmaͤßige Einrichtung deffelden in
dem revolutionären Frankreich falle. Es war daher eine tiefere
Prüfung der. Sahe durch die Franzdiiihen MWorarbeiten keis
neswegs unnöthig gemacht worden, und der Verf. verdient
Temis u. Betracht. über d. Geſchw. Gericht v. Feuerbach. 255
wahrhaft den Dank des Publicums, daß er fih diefer Prüs
fung in der Art, wie er es gethan hat, unterzog.
Die in den drey leuten Betrachtungen enthaltene Ausfuͤh⸗
rung, daß die Gefhmwornen s» Gerichte in criminalrechtiicher
Hinſicht, d. h. als Mittel für eine richtige, partheylofe, der
Unihuld ungefährliche, und doc die Schuld nicht beainftigende
Ausuͤbung der Kriminalgerechtigkeit, bey weitem an Werth
hinter gehörig organifirten, aus inamoviblen Richtern zufams
mengeſetzten Collegien zuruͤckſtehen, und daß alle theils vorges
fhlagenen,, theils neuerdings in Franfreih in Anwendung
gebrachten Werbefferungsverfuhe durchaus unvermögend feyen,
fie zu einem gleihen Werthe zu erheben, — darf mit Recht
eine volllommen gelungene, keinem Zweifel Raum laffende
genannt werden. Dem Rec., welcher immer dieſe Anficht
hatte, ift, durch die Lectuͤre diefer vortrefflihen Ausführung,
gar manches, was er bisher mehr dunkel ahndete, als fi
deutlich dachte, volllommen flar und deutlich, es ift ihm das
durch feine eigene Anſicht erft zu einer volltommenen Lebers
zeugung erhoben worden, und er glaubt, verfichern zu können,
daß es den mehrften Lefern eben fo eraehen, und daß in Zus
funft über diefen Punct fchmwerlich mehr eine der
Meynungen flatt finden werde.
Sn politifher Kinficht dagegen, d. h. als Theil der
Staatsverfaffung eines Volks und als Mittel, die Freyheit
der Nation gegen die Eigenmacht Weniger zu fihern, findet
der Verf., in den erfieren Betrachtungen, das Inſtitut der
Sefhwornen s Gerichte mit dem inneren Geiſte einer, wenn
auch nur theilweifen Democratie fo innig verbunden, daß im
folhen Verfaffungen man fehr wohl, wie es in England ge—
ſchieht, annehmen tönne, die criminalrehtlihen Nachtheile
des Juſtituts koͤnnten gegen feine politifche Worzäglichkeit, ja
gewiffermaßen Nothwendigkeit nicht in Anſchlag gebracht wer⸗
den. Nichte fo in reinen, wenn gleich conftitutionellen Mos
narhieen! Als Schußmittel einer politifhen Freyheit,
welche es hier nicht give, kann in diefen Merfaffungen das
Inftitue der Jury nicht gedacht werden, es würde daher hier
nur als Schußmittel der bärgerlihen Freyheit ergriffen
werden können, wozu ihm denn auch der Verf. zwar die Taugs
286 Themis m. Betracht. über d. Geſchw. Gericht. v. Feuerbach.
lichkeit nicht abfpricht, wohl aber behaupter, daß ihm keine
vorzuͤglichere Tauglichkeit für diefen Zweck, als den criminals
rechtlich vorzägliheren Richter s Collegien, zugefchrieben werden
koͤnne. In diefem Reſultate: daß duch wohl organifirte Ges
richtshöfe die perfönliche Freyheit nicht mehr gefährder und
niche weniger gefihert werde, als durch Geſchworne, wird
jeder aufmerkfame Lefer der Schrift gerne mit dem Verf. übers
einftimmen, wenn glei) Viele, mit dem Rec., Anftand hebs
men werden, das Näfonnement des Verf. zu unterfchreiben,
durch welches er aus der Möglichkeit, daß der Souverän ſich
über die Schranken der Eonftitution hinwegſetzen könne, die
Sragilicät eines in den Geſchwornen geſuchten Schußmittels
der bürgerlichen Freyheit deducirt. Diefes gange Räfonnement
würde eben fo gut gebraucht werden können, um das in wohl
organifirten Collegien von Richtern, welche die Conftitution
für inamovibel erflärt, geſuchte Schugmittelider Freyheit für
eine morfhe Stüße zu erklären, und eben darum wird dieſes
ganze Näfonnement volltommen durch die herrliche Ausführung
des Verf., am Ende der zweyten Betrachtung, widerlegt, im
welcher die Gründe, warum aud) reine Monarchieen eine ger
nügende Garantie für die Erhaltung conftitutioneller Einricyrs
tungen gewähren, mit Kraft und Salbung zufammengeftellt
find.
Wenn nun in reinen Monarchieen das Snftitut der Ger
ſchwornen feinen politifhen Worzug hat, wer könnte dann,
bey feinen unbeftreitbaren criminalrechtlichen Nachtheilen, auch
nur verfucht werden, zwiſchen ihm und dem Inſtitute er
srganifirter Serichtshöfe zu wählen?
Schabkäfllein des rheinifchen Hausfreundes von J. B. Hebel. Für
bingen in der Cottaifhen Buchhandlung. 1811. 296 ©. 8, .
Diefes Schagfäftlein wird fchon fo weit und breit gelefen
feyn, daß unfere Anzeige zu fpät kommt. Indeß ſchadet dies
fes nicht; denn was lobenswerth ift, foll man immer loben
und rühmen. Und Hiezu haben wir Grund und Wrfache.
Schatzkaͤſtlein des rhein. Hausfreundes von J. P. Hebel, 287
Denn wir haben dieſes Buͤchlein (ſo nennen wir es mit dem
Verfaſſer, wegen ſeines Inhalts und Zwecks, denn nach
feinem Umfange kann es wohl ein Buch heißen) Kindern
und auch VBauersleuten zu leſen gegeben, und fie haben «8
fehr gerähmt , und gewänfht, daß mehr folhe Bücher feyn
möhten. Der Hausfreund weiß aber auch recht luftia und
anmuthig zu reden und zu erzählen. Wer fih an feinen Alles
mannifhen Gedichten erfreut hat, erkennt auch in dieſem
Schapkäftlein feinen Dann wieder. Man fiehet, wie er oft
unter dem Volke gewefen, und dem gemeinen Mann ins
Herz und in die Augen und auf den Mund geſchaut hat,
und doc; dabey ein feiner Mann ift, der zu nehmen und zu
geben weiß. Sonſt ſtanden diefe Leſeſtuͤcke in dem Badi—
ſchen Landkalender, gleichſam um die Zeit zu kuͤrzen und zu
würzen, wie fie denn in einem Kalender fo duͤrre und langs
weilig dafteht, oder Einem zugezählee wird, daß man das
bey einer Würze und eines Labfals ungern entbehrt. Da
hat nun der Hausfreund alleriey aus feinem Schatz hervors
geholt, Altes und Meues, und bat es dazu gar nett und
luſtig aufgeftußt, fo daß es Herz und Sinnen leichtli vers
frenet, auch manche gute und fchäne Lehre und Warnung
giebt, wie es dem Hausfreunde geziemet und wohl anftehet.
Er nimmt gleich anfangs einen hohen Flug, und wagt fi
unter das. Weltgebäude und zwiſchen die Sonnen und Pla—
neten, aber fo hoch er auch ſchwebt, man erkennt doch ims
mer den alten Hausfreund, und er ftellt fih niemals unges
baͤhrdig und hochmuͤthig, und weiß von den Sternen und
ihrem Weſen fo deutlih zu reden, als ob er fie felber ges
macht, oder doch wenigftens unter Auffihe Hätte. Man er—
kennt leicht, daß er lange Zeit muß den Kalender regiert
haben. Indeß bleibe er nicht lange oben, und kommt bald
wieder herunter, aber wenn ed ihm gemäthlich und dem Les
fer Heilfam ift, ſieht man ihn wieder in der Höhe bey dem
Sternen. Denn läßt er fi hernieder, mo es ihm beliebt,
im Morgenlande zwiſchen Türken und Arabern, oder in eis
nem Gemäje » Garten zwifchen Raupen und Kohipflanzen, in
einer Schule, wo er rechnet, oder in einer Schenke, wo er
288 Schapkäfttein: des rhein. Hausfreundes von J. P. Hebel.
erzählt, . was ihm in den Sinn kommt, und den Zuhörer
mehr erfreut, als fein Schöpplein. Es mus Einen dauern,
wie der Hausfreund den Kopf und die Hände fo voll bat,
und man fürcdter, er möchte fih todt reifen und erzählen,
ehe das Buch zu Ende if. Da iſt's denn eine große Freude,
gleich im Anfange zu vernehmen, daß der Hausfreund auch
zwey Gehälfen befommt, naͤmlich den Adjunct und die Ads
junctin, feine Schwiegermutter. Der Adjunct muß auch fos
gleich eine Standrede im Gemäfe » Garten feiner Schwieger:
mutter halten, und der Hausfreund fann nun wieder Athem
(höpfen, und fo loͤſen fie fi einander ab, und bringen
das Buch glücklich und lebendig zu Ende, und werden hof
ſentlich noc lange fortfahren, Kalender zu machen. Der
Adjunct hat auch noch eine befondere Gefchicklichkeit, die der
Geſellſchaft bey dem trocdnen Kalender machen, gut zu flatten
kommt. Nämlich er verfieht die Kunft auf dem Blatt zu
pfeifen, und dadurd dem. Hausfreund fo in Begeifterung zu
feßen, daß diefer fogleich in feiner Weife ein Liedlein- begins
net, wie 3. E.: Der lieb Gott hat zum Frühlig afeit: Gang,
det im Wuͤrmli au fei Tiſch u. f. w. Mer hieraus nun
das Schapfäftiein noch nicht kennt, mags felber: lefen, und
das wird ihn nicht gereuen. Vor allen le’ es, wer mit dem
Bolt viel zu thun hat, und das Volk lieb hat. Auch kann
man es dem Volle und gemeinen Mann, der etwas leſen
will, in die Hand geben, damit er fih in trockner Zeit daran
erluftige. Denn ein froher Muth ift doch das halbe Leben.
Kinderledrer und Schulmeifter können auch Nutzen daraus
ziehen. Abfchreiben wollen wir michts daraus ; denn dag
ganze Büchlein hat ung gefallen, und wir wiffen nicht, was
wir daraus wählen follen. Auch iſt's gedruckt wohlfeiler, als
wenn man’s abfchreiben wollte. Wir wünfhen dem Lalenders
machenden Kleeblatt am Oberrhein, daß fie noch lange mit
den Sahreszeiten und Monden fortgehn und Allerley aus ihrem
Schatz hervorlangen mögen.
| EUR.
ne —
No. 19. Heidelbergiſche 1813.
Jahrbuͤcher der Litteratur.
Plutarchi Chaeronensis Vitae Timoleontis, Gracchorum et
Bruti, Animadversionibus instruxit Fridericus Wil-
helmus Fabrici, Darmstadiensis. Lipsiae, sumtibus
E. B. Schwickerti. MDCCCXII: 1806. 8
Her Fabrici Hat nach feiner Werfiherung aus keinem am
dern Grunde diefe Biographieen aus den übrigen zur Bears
beitung gewählt, als weil er vorzuͤgliches Wohlaefallen an
ihnen gefunden Eirigen Einfluß mag indeß wohl auf feine
Wahl die Bredow’ihe Sammlung gehabt haben, und da diefe
in mehreren Schulen mit gutem Nutzen eingeführt ift, fo hätte
er immer auch den Philopomen, den fie mehr hat, mit neh—
men mögen. Dach dem, was der Herausgeber hier geliefert
hat, fcheint er ein junger Philolog von guten Anlagen, von
fhäßbarer Belejenheit und von vieler Liebe für fein Studinm.
Er wird es darum nicht Übel deuten, wenn wir ihn zuwörderft
im Allgemeinen auf einige fleine Unarten aufmerfiam machen,
ducch die er manchem feiner Lejer die Bekanntſchaft mit fi
etwas verleiden wird. Was foll 3. B. das befchwerliche Ans
häufen von Citaten in Fällen, die keiner langen Sjnduction
von Benfpielen bedürfen, ja bey ganz triviellen Dingen. Die
Zeiten von Klo& und Coniorten find, Gott fey Dank, vors
über. So werden S. 117 zu dem bekannten Gebrauch des
E50» nicht weniger als fieben Stellen und fieben -Philologen
aufgerufen ; die Bedeutung von Creyxrocç wird ©. 74 mit
ı2 Citaten belegt. Und fo öfters, wo nicht felten das Eine
Citat die andern überflüffig macht, da fie darin ſtecken. So
forgfältig aber der Heransgeber in der Negel andre zu citiren
pflegt, fo ſchlecht fih feluft, 3. B. ©. ıg ceterum vide in-
fra Was foll das? vide quae monuimus ad Gratchos;
jam alibi hanc rem tetigi ©, 17. 57. 122. ıdı und ©. 16
19
290 Plutarchi Chaeron. Vitae Timol. ed. Fabrici.
gar: sic Jam supra in Tib, Graich, c. I. habuimus, was
erft folgt. Ein feltfames Verſehen. Gegentheils vermifie man
hin und wieder. fremde Citate, 3. DB. bey der Note S. 89 zu
maidoy undEv dapepovras, die ihrer Subſtanz nah aus
Wyttenbach zu Phaed. ©. ıd2; ©. 11 zu dvaxakunenpıor,
die aus Weffeling zu Diod. I. ©. 351; S. 55 zu wixpas
npoPaoEwnS, die aus Coray entlehnt if. S. g verfidert er
durch mehr als fiebzig Stellen gegen Hermann (ad Viger.
©. 760) beweiſen zu können, daß Am; Te auch ohne
xar ſtehen könne, führt aber feine einzige an,
Nicht minder ftöhren in fo furzen, ja kargen Erfläruns
gen des Textes die vielen gelegentlihen Emendationen und
Erläuterungen fremder Schriftfteller , die wir nöd), zumal bey
einem angehenden philologiihen Schriftſteller, entfchuldigen
wollten, wenn fie nicht zu oft mit faft lächerlicher Gewaltthaͤ⸗
tigkeit durch zwey, drey Mittelglieder, oder nur durch die
Nachbarſchaft des Buches, des Capitels 1c. herbeygezogen wuͤr⸗
den. Man ſehe ©. 24 zu dıagepew, ©. 51 zu PBovo,
©. 59 zu zaracrnuarızda, S. 65 zu lınapeiv, ©. 119
zu ond yrpos u. f. w. In der Eile diefer gelegentlichen Ob—
fervationen gefchieht auch wohl ein fchwer zu verantwortendes
Unrecht, wie ©. 58, wo man lieſ't, daß Wyttenbach (ep.
crit, ad Ruhn. J, 14.) die füße Gefpannfchaft der Mufen
und Grazien im Euripides nicht zu finden gewußt habe. Diefe
Unwiffenheit muß fortdauern, denn er hat auch an der Spitze
ſeiner Polymathie der angenehmen Syzygie den wuͤthen⸗
den Herkules zum Begleiter zu geben, noch immer nicht
für dienlich erachtet. — Die ©. 33 getadelte Bemerkung
von Zzſchucke gehört nicht zu Eutropius, ſondern zu Florus
I, o..5.-
Einen wahren Abſcheu hegen mir unfrer Seits gegen bie
Sormel, die ungefähr fo lautet: Hoc jam dudum conjece-
ram, postea vidi in idem incidisse. — Diefe zweydeutige
und erbettelte Anmaßung eines Prioritätsrechtes finden wir
zu unferm Leidwejen auch hier, z. B. S. 49. 74. 112. 120,
und mit einer eigenen Beſcheidenheit widerlich verſetzt S. 166.
Endlich koͤnnen wir unſer Mißfallen uͤber die auffallend Hay
Plutärchi Chaeron; Vitae Timol. ed. Fabrici. 291
figen Wiederholungen nicht bergen. Won aAveıw wird &. 87
und S. 135 gehandelt, und doc follte fhon zu Timol. c. 14.
die Rede davon feyn, von Bodv ©. 3g und ©. ı?=, von
zois Bovkouzvors, ©. 29 und ©. 48° mit demfelben. Citat,
von and ©. 83 und ©. 117, von Aımapeiv 8.65 und S.
122 mit demfelben Citat, von aAAoxorosg ®&. gı und ©.
158, von ro xadoduevov ©. 44 und ©. 95, wovon doch
fhen zu Timol. c. 9. oder c. 18. hätte gefprochen werden
follen, von eis uövog ©. ı7. 73. 81. gg und 1482. Das
alles zeugt mehr oder weniger won Eilfertigkeit und von In—
discretion gegen Lefer und Käufer. Denn darüber, daß häus
fig lange Anmerkungen von Henricus Stephanus, Palmeriug,
Mofes du Soul, Coray, Bredow wörtlich eingeruͤckt find,
wollen wir grade nicht rechten, wiewohl dies unſers Erachtens
auf dem Titel nicht unbemerkt bleiben ſollte. Die eignen
Anmerkungen des Herausgebers verbreiten ſich weder uͤber die
Kritik des ganzen Textes, denn es iſt im Durchſchnitt der
Reiskiſche, noch uͤber alle Schwierigkeiten der Interpretation;
es find nur beliebige und bisweilen nur zufällige Erlaͤuterun—
gen einzelner Hiftorifcher oder grammatifher Dinge, oft nur
einer Partikel, einer Conftruction, wobey das Triviale nicht
immer vermieden if. Alles, was man fonft bey einer Auss
gabe, zumal für Schulen, zu erwarten pflegt, KEinleitungen,
Inhaltsanzeigen, Negifter wird hier vermißt, fo daß, mas
wirklich zum Verftändniß des Autors gehört und gereicht, ſich
auf wenige Blätter zufammenfaffen ließ. Daß aucd Hier
firengeren Anfoderungen nicht durchaus Genuͤge gefchehen, wols
len wir an einigen Bepfpielen zeigen.
Zu Tim. c. 4. wird (aber erft bey Brutus c. I. ©, 125)
anedsıdev für Avideıdev vorgeſchlagen. Daß das lektere
auch richtig fen, ſieht man aus Caesar. c. 57. Unarov d’a-
yadsıEaz &avrov. Tim. c. 8. ©. 11 foll nad der Meynung.
des Verf. Plutarch bey der Mythe vom Raube der Prosers
pina vielleiht an den Euphorton gedacht haben, nad dem
Scoliaften des Euripives Phöniss. V. 688, bey ihm ift ja
nicht von Sicilien, fondern von Theden die Mede.. Cher
möchte man die Stelle auf Pindar. Nem. I, 17. vergl. ben
292 Plutarchi Chaeron, Vitae Timol. ed. Fabrici.
Scholiaften ad h. J., beygiehen, wenn nicht die Sage älter.
wäre, als unire fchriftlihen Dentmähler. C. ı2. ©. 17 zu
’Adosbov, „qui (quis) praeter Plutarchum hujus dei
mentionem fecerit, equidem non memini,* Erinnert er
fi nicht des Aelian de nat. an. L. XI. c. 20. Auch
fommt der Gott auf Siciliihen Münzen vor, Cf. Eckhel:
Doctrin. num. I. S. ı90 und S. 224. Ueber das vorbes
deutende Schwißen der Bildfäulen ©. 18 war ftatt der vagen
Anführung des Cicero Weffeling zu Diod. XVII. 10. zu citis
ven. 0. 13. zal nv aoryv Aadeldiv xal yovalnc. Das
für ‚will der Herausgeber lefen: Trv adroo adsAphV x. y.
Sehr ungluͤcklich; dann würde ja fie, die zugleich Schwefter
und Gemahlin war, zu zwey Perfonen. Die Lateiner drücken
fih eben fo aus: Curt, II. 5. illum florem juventae, illam
vim animi, eundem regem et commilitonem divelli a se.
Bey dem Philistus c. 15. &. 22. bedurfte es bey der Ans
führung von Bredows Note auch einer Berichtigung deffelben.
Man begreift nicht, da ja Philiſtus nicht als Zeitgenoffe dies
fer Begebenheiten von Plutarch dargeftellt wird, warum er
nad) Bredow ein. fo hohes Alter von 70 — 80 Jahren fol
erreicht haben. Allerdings ift es kein anderer, als der fo
häufig erwähnte Syrakuſiſche Gejchichtfchreiber. Man vergleiche
A. F. Näke Schedae criticae. Halae 18120., der ©. 27
eine gelchrte Anmerkung über unfre Stelle macht, fich aber
irrt, wenn er eine andere Stelle des Plutarch ei mocoß.
oA. c. 1. 65 Tıc eime Auovvoio auf denfelben Philiſtus
bezogen wiffen will, Die Mote von Weffeling zu Diod. I.
©. 644 war ihm nicht gegenwärtig. — Bey den Worten
26. ©. 57 Töv Emioparss voooövra deiodanı Toörov
Tod oeAivov iſt zwar die Vulgata mit Recht beysehalten und
durch Paralleiftellen . beftätiget, aber nicht erwähnt worden,
daß diefe Wiederholung des Pronomen, wie auch) Weiske
de pleonasmis S. -6 andentet, jedesmal mit einer aewiffen
Bedeutfamkeit verbunden fey. Fehlte hier das Tourov, fo
fhiene es, als wenn auch die. Worte Tov enıopaldg vo-
codvra zum Sprichwort gehörten. Das Sprichwort lautete
aber ; oörTog deitaı Toö oehivov, das andre ift Erklärung.
Plutärchi Chäeron. Vitae Timol. ed. Fabrici. 293
Aehnlich fchi.be der Deutfche das Pronomen ee Schiller in
den Krau.chen des Ibykus:
Zum guten Zeichen nehm ich euch,
Dein Loos, es if dem euren gleich.
Ueber jenes Sprichwort felbft wird man auf Interprett. ad
Callimach. T. I. p. 282 ed. Ernesti verwiefen, und findet
dort nichts, als unfre Stelle. Beſſeres würde der Heraus—
geber finden in I,aurent. Beger. Exam. quorundam dubio-
rum Berolin. 1604. p. 9 sq. und über den anderweitigen
Gebrauch des Eppih bey Voß zu Virgil. Ecl. VI. v. 68.
Beylaͤufig gälte es hier die Frage, ob Schiller in jener anges
führten Ballade nicht einen Anachronismus begangen, .daß er
den Fichtenfrang zum Siegeszeichen der Iſthmiſchen Spiele
macht. — In demſelben Capitel lieft man &. 38 zu den
Worten cv 6 ur. raoig Övväıv Ebepe dıanenapuevov dieſe
Note: Videtur hic ante oculos hahbuisse verba Hesiodi
Epya x. nu. 187. ed. Br. Wer? der Autor doch nicht, denn
diefer bedient fid) ganz gewöhnlicher Medensarten, die er gar
nicht Umgang haben könnte, alfo — wohl der Adler, daß
einem das Bonmot eines berühmten Gelehrten benfallen könnte,
der bey dem ſcheuen Pferde in Tacit. Annal, I. 66. die muͤnd⸗
fihe Bemerkung machte, es habe den Ejel in der Anabafıe
(II. @. 10.) vor Augen gehabt. Sollte einmal citire
werden, würde Il. XII 200, 218. XII. 821. noch bezüglis
cher geweſen ſeyn.
Befremdend iſt es, daß die Emendation des Dacier Ie-
cas für ‘Iepas c. 30. S. 44 darum für unſtatthaft erklärt
wird, weil das xaAovuevas dabey fiehe. „Nam quid opus
erat, ut hoc adjungeretur, si locus nominaretur, qui in
nomine nihil haberet, quod ut verba ai xalovuevar
subjungerentur, requireret, Alſo müßte Achradine c. ıÖ.
auch falſch feyn, und es müßte Überall, wo das fogenanntie
dabey fteht, in dem Namen etwas Befonderes oder Der
deutendes liegen. Vergleiche doch der Herausgeber feine Citate.
Daß in demfelben Capitel noch das Verworrene AmoAoyov-
uivn⸗ę ch Tıuohionrog edrvxi mit Bredows Anmerkung
394 Plutarchi Chaeron. Vitae Timol. ed. Fabrici.
gedeckt wird, nimmt ung ebenfalls Wunder. So viel ließe
fid) dagegen erinnern; bier nur das Eine, daß dixn: dann. in
zwey Bedeutungen einmal als Strafe zu drsrideuivns und
hernach als Gerechtigkeit zu AnoAoyovusvns genommen wer—
den müßte; daher auch der Ueberfeßer genöthiget worden iſt,
mit einem Worte wie Strafgerechtigkeit ein Abkommen zu
treffen. Warum nicht adrois ÖuoAoyovusvas mit den Bands
fhriften und Koran? Eben fo hätte c. 36. das Fragment
des Sophofles unangetaftet, und Reiske feine Conjectur Tode -
für Toöde nicht eingeräumt werden follen. Die Conftruction
mit dem Genitiv, wenn man unter demfelden, wie natürlich,
ein leidendes Object verftehr, ift ganz in der Ordnung; ein
Dativ würde ja ein bethätigtes Subjest — hier ein an einem
dritten theilnehmendes — bdarftellen. Uebrigens muß man
nad) dem Geſetze des Zufammenhangs roöde neutraliter nehr
men, was Bredow in der Weberfegung verfehlt hat. Zur der
gleich darauf zwiichen dem Mahler Dionyfius und Nicomachus
gezogenen Parallele erhalten wir ein kahles Eitat aus Junius
Cat. Artif. Der Herausgeber hätte. ſich hier beſonders über
die fchwierige Bedeutung des technifhen Wortes Tovos erffäs
ven jollen. Stoff würde ihm dazu Hrgedorn in den Betrach—
tungen über die Mahlerey S. 689 ff., und noch mehr ein
neuerer hypotheſenreicher Schriftfteller Grund Gefhichte der
Mahlerey II. 529 ff. gegeben haben,
Tib. Graichus c. 13. oð nap&v odrog non praesens
ille. Hoc ut nonnulla alia apud Plutarchum, Latinis-
mum redolet. Da fönnte man non praesens ille mit gleis
chem Fug für einen Gräcismus hatten. S. Matthiaͤ Griech.
Grammatik $. 471. Dagegen iſt c. 16. eis iv Gyopa»
“xtaßas, wobey fleht: sic Latini etiam in forum des-
cendere dicunt eine wörtliche Ueberfeßung des Lateinijchen ;
der Grieche pflegt das Umgefehrte zu ſetzen.
Bey der verworrenen Materie von den Verhältniffen der
Nitterichaft zu den Gerichten C, Gracch. c. 5, war ftatt der
ungeordneten Citate und ftatt des Rualdus auf Heeren's vors
trefflihe Gefhichte der Revolution der Griechen (Kleine hift.
Schrift 1. Th.) als auf den beſten Commentar zu dieſen bey:
Plutarchi Chaeron. Vitae Timol. ed. Fabrici. 295
den Lebensbefihreibungen zu verweifen. Aus jenem Capitel ließ
ſich der kleine Irrthum berichtigen, den Heeren S. 235 hat,
als 05 fih Graichus von der Curie zu dem Comitium gewandt
habe; er wandte fih von dem Comitium und der Curie zu
dem Forum... Die Anmerkung über os ©. 11, das als Präs
pofition nie zu unbelebten Dingen gefeßt werde, leidet Bes
vichtigung. Cf. Valckenaer ad Thom. Mag. in epp. "Ruhnken,
ad J. H. Ernesti ed, Tittmann. ıdıg. p. 186. Weser bie
Abftammung des Marcus Brutus von dem alten Sjunius zu
Brutus c, J. p. 114 wäre noch der vortrefflihe Ercurs von
Eckhel Doctrina num. P. Il. Vol. VI. p. 20 sg. nadzus
tragen. C. 45. p. 170 oög Bpiyas hvöuage zu den von
Sturz de dialect. Maced. p. 3ı citirten Stellen fann man
noch Cic. orat. 48. Curt. VI. ı1. und Heyne ad Virg.
Ecl. VI. arg. hinzufügen. — Der Vorfhlag c. 51. p. 178
Anis für Hdıxas wäre an fih nicht uneben, wenn ndıxag
aunerklärlih wäre, und nicht vielmehr die fchöne finnvolle Bes
deutung .hätte, die vornehmlich, Walckenär zu den Adoniazusen
p- 328 syq. auseinander „gelegt Hat. Man verbinde nur
NDırdg mit aPodpa und einer und nicht, wie Bredow ges
than zu haben fcheint, mit ueıdıaoas. —
Wir wollen in diefen Berihtigungen nicht fortfahren,
fondern nun noch pflihtmäßig und gern hinzufegen, daß mir
auch auf recht gute und treffende Bemerkungen geftoßen find,
wovon nur die zu EAmidog roradeng yevöucevov Tim, c. 3,
p- 35. Die Conjectur wapayaoyai für mapadoyai Tin. c. ꝗ.
p- 11. Die Nahweifung über Xpvoov Edeifay Tim. c. 11.
p- 16. über ueyav mögeodaı c. ıd..p. 41. — Die Beftäs
tigung von Stepanus Vermuthung xarexdace zu dem Phae-
don. c. 66. gegen Wyttenbach S. d. — Die Ableitung von
Aeapyos ©. 28, von Aros, dem aͤoliſchen narv, hätte hier
erwähnt werden mögen. —
Der Verf. iſt gefonnen, wenn dieſe erftie Probe. nicht
‚mißfallen, eine zweyte Bearbeitung einiger andern Plutardis
fhen Biographieen folgen zu lagen. Da feine Thaͤtigkeit we—⸗
der des Geiſtes, noch der Kenniniffe ermangelt, fo wird es
nur auf feinen ernſten Willen anfommen, um etwas Tüchtis
296 Dentfehe Ornithologie von Belfer 16.
ges künftig zu leiften. Wir mwünfchen ihm dazu, fo wie gu
feiner (laut der Vorrede) unternommenen Reife nad) Frank
reich von Herzen Gluͤck.
Deutfche Drnithologie oder Naturgefchichte aller Vögel Deutfchlande
in naturgetrenen Abbildungen und Befchreibungen herausgegeben
von Dr. Beffer- Lihrbammer, C. W. Bekker um
Lembie. XxXltes Heft. Darmiladt 1811. im Verlage der
Herausgeber.
Mit Vergnügen zeigen wir die Fortiekung dieſes jedem
Freunde der vaterlämdiichen Maturgefchichte befannten Werkes
“an, das, ‚der jesigen drücenden Verhättniffe ohngeachtet, im
gleicher Schönheit und zu ſo geringem Preife fortgefegt wird,
daß auch der minder begüterte Freund der DOrnithologie daran
Theil nehmen fann. Es ift daher vorzüglich geeignet, Aufs
klaͤrung in der Deutſchen Voͤgelkunde zu verbreiten, und die
Verehrer diefer fhönen Wiffenichaft zu vermehren. Rec., der '
dieſes Merk, feit es erichien, fchäßte und empfahl, wuͤnſcht
daher deffen möglichfte Wervolllomninung, und erfucht die
"Herausgeber, dieſem Wunfche nachftehende Bemerkungen zus
zuſchreiben.
Dieſes Heft enthaͤlt die Naturgeſchichte des Steinadlers
und des Schleyerkauzes; von jeder Art ſind drey Abbildungen
geliefert.
Nichts erleichtert mehr das Studium der Naturgeſchichte
als richtige und kurze Kennzeichen der Art; es iſt daher vor—
zuͤglich in einem Werke, mie das Vorliegende, hierauf Ruͤck⸗—
ſicht zu nehmen, da es hauptſaͤchlich für Leſer beſtimmt iſt,
die keine wiſſenſchaftliche Naturforſcher ſind. Allein wir haben
bisher auch in dieſem Werke ſo wie uͤberhaupt in den Schrif—
gen der Neueren, die Bechſteiniſchen, Meyerſchen und Wolfi—
ſchen nicht ausgenommen, die Vernachlaͤßigung dieſes fo wich—
tigen Theils des ornithologiſchen Studiums bemerken muͤſſen,
da doch keine gruͤndlichen Fortſchritte zu hoffen ſind, ſo lange
nicht hier zuerſt die Unbeſtimmtheit entfernt wird.
Deutfche Drnithologie von Belfer ꝛe. 297
Unter der Aufihrift: Kennzeichen der Art werden
bier in zwanzig. (1) Zeiten befondere Kennzeihen vom alten
Männchen, dem ganz (?) alten Weibchen, dem alten Weib—
chen, und dem jungen Männchen vor dem dritten Lebensjahre
geliefert. Linne' wuͤrde ob folher Arts Kennzgeihen in Erftaus
nen gerathen feyn, und feinen Ausipruh: Horrenda sunt
nomina specifica veterum sesquipedalia quae descriptio-
nes loco differentiarum sistunt, dahin abgeändert haben,
daß den Neueren Hierin der Vorzug gebühre.
Wir find zwar in der Drnithologie noch nicht fo weit,
von allen Deutfchen Vögeln Art: Kennzgeihen liefern zu können,
und muͤſſen uns daher öfters mit Beſchreibungen behelfen, ins
deffen ift dies mit dem Steinadler der Fall nit. Seine bis
auf die Zehen befiederten Beine unterfcheiden ihn ſchon von
allen Deutichen Adlern bis auf Aquila naevia Brissonii und
Aquila imperialis Leisleri, es waren daher nur noch Merk
mahle aufjufuchen, weldhe ihn von Ddiefen beyden trennen.
on Aquila imperialis ift der Steinadler durch jeinen abges
rundeten Schwanz, und die nicht über denielben hinausragenden
Schwingen, von Aquila naevia durch feine Größe hinlänglich
unterfchieden , indem der NRheinadler nur die Größe des rauh—
füßigen Buffords Hat, der Steinadler alfo einige Schuhe
mehr in der Breite mift. Das Arts Kennzeihen des Steins
adlers läßt ſich demnach kurz und beſtimmt auf folgende Weife
angeben. x
Steinadler (Aquila fulva Meyeri). Die Beine
bis auf die Zehen befiedert; die Schwingen nicht über den
abgerundeten Schwanz hinausragend; fieben Fuß breit.
Außer der Unfoͤrmlichkeit, woran die von den Heraus—
gebern aufgeftellten Art: Kennzeichen leiden, Haben fie einen
zweyten noch weientlicheren Fehler, indem fie nicht die ganze
Art umfaffen, denn der alte Vogel, welchen Linne‘ unter dem
Namen Falco Chrysadtos — Goldadler — beſchrieb, ift
nicht darin enthalten. Die drey hier gelieferten Abbildungen,
wovon zwey die Unterfchrift Goldadler führen, haben fammts
(ich weiße Schwanswurzeln, fie gehören daher ‚alle zu Falco
fulvus Linnei, und feiner: zu Falco Chrysadtos, indem die
298 Deutſche Ornithologie von Bekker ic.
wefentlihen Kennzeichen, die afchgrauen Bänder, fehlen. Wir
fehen daher keinen Grund, warum diefe Steinadler im uns
volllommenen Febderfleide Aqua fulva Bekkeri find genannt
worden, da ja ſchon Brifjon fie unter dem Namen Aquila
fusca beichrieben hat, und fie zu Aquila 'fulva Meyeri ges
hören, der befanntlih den Gold s und Steinadler vereinigte
und ihm diefen Damen gab. Wenn alſo Bechſtein feinen
Goldadler ausftreichen fol, wie hier verlangt wird, fo muß
dies aus andern Gründen gefchehen, denn der Bechfteinifche
Soldadler ift einerley mit dem Linneifchen,. von dieſem ift
aber in der ganzen Befchreibung nicht die Rede, es feheint
daher, daß ihn die Derausgeber nicht gefannt haben.
Bechſtein und andre Naturforfcher haben zwar längft vers
muthet, daß der Goldadler mit dem Steinadler zu einer Art
gehörte, Meyer hat dafür. den Beweis geliefert, indem er
nicht nur die Erfahrungen.anderer noch lebenden Naturforfcher
hierüber, fondern gud feine eigenen mittheilte, woraus fich
denn ergibt, daß_der Linneifche Falco fulvus gegen das fies
bente Jahr feines Alters in den Falco Chrysa&tos Linnei
übergeht. S. Wetterauer Annalen 1. B. 1.9. ©. 139 —ı43,
Bechſtein Hat Hierauf auch im dritten Theile feines Tafchens
buches bemerkt, daß nach Angabe der Meueren der Goldadler
ausgemerzt werden müffe. Es befremdete uns daher fehr, im
diefem „Hefte die Meyerifhe Abhandlung weder angeführt,
noch benußt zu finden, und wir muͤſſen es den Herausgebern
überlaffen, wegen diefer Vernachläßigung der Wiffenfchaft
Entſchuldigungsgruͤnde vorzubringen, da wir nicht einfehen,
“ wie dies zu entfchuldigen ſey. Wir bedaucın, daß durd) dies
fen Fehler die Irrthuͤmer, welche ber diefe Adlerart herrſch—
ten, noch bey Dielen werden erhalten werden, um fo mehr,
da neuerlich auch Naumann den unverzeihlihen Verſtoß gegen
die Wiffenfchaft beging, und den alten und jungen Steins
adler als zwey verſchiedene Arten aufitellte.
Da fih nad der in diefem Hefte enthaltenen Angabe in
der Großherzoglichen Menagerie ein febender Steinadler bes
findet, fo wünfhen wir, daß die Herausgeber für deffen Er—
Haltung beforgt ſeyn und von ihm, wenn er fih in den
Zwey Predigten von C. 2, Nitzſch. | 299
ginneifhen Goldadler wird umgewandelt Haben, in einem der
folgenden Hefte eine Abbildung, fo wie die hier unterlaffenen
Bericktigungen nachliefern möchten. |
Die Abbildungen der Schlevereufen ftellen Mann, Weib
und jungen Vogel vor. Wir erhielten oft ım Frühjahr alte
Männchen, die aber ftets viel heller wie das hier abgebildere
gezeichnet waren. Diefe Eule liebt fo fehr die Wohnungen
der Menfhen, daf man fie fat den Hausthieren beyzählen
Tann; unrichtig ift es aber, daß man fie vergebens in Wäls
dern fuche, wie hier angeführt wird, Rec. hat fie öfters in
hohlen Bäumen auf den Eyern gefangen; die auch immer
reinweiß waren.
In Ruͤckſicht der Kupfer möffen wir noch bemerfen, daß
die Abdildungen ber Adler vortrefflich ausgeführt find; die
Eulen find nicht ganz fo gut gerathen.
. Wir wünfhen, daß die Herausgeber diefes in der That
fhäßensmwerthe Werk fihneller, wie in der leßteren Zeit ges
ſchehen ift, fortfegen, und die hier gemachten Bemerkungen
zu deffen Vervolllommnung benußen mögen.
Zwey Predigten bey der Ruͤckkehr der Pfarrgemeinde zu Wittenberg
aus der dafigen Schloßfirche in die Stadtficche gehalten, von
D. C. £ Nitzſch, der Theol. Prof. des Conſiſt. Beyf. Pfarrer
und Superint. zu Wittenb. des Witt. Kreifes Generalfuy. Wit
tenberg bey Seibt, 1812, 64 ©,
Obgleich nur zwey Predigten, doch ausgezeichnet genug,
um fih vor ganzen Bänden dem Publicum zu empfehlen.
Wie die Zueignung des Verf. an feinen nun verewigten Freund
Heinhard ein fchönes perfönliches Verhaͤltniß darlegt, fo zeis
gen diefe Kanzelreden, daß fie mit den erhabenen Muftern
unjrer Zeit, mit den Reinhardſchen, befreunder find, aber
ihren eignen Charakter frey behaupten. Durch den ganz fpes
ciellen Gegenſtand erhalten fie noch einen eignen Werth wegen
des Inhalts und der mufterhaften Behandlung.
300 Zwey Predigten von C. 2. Nitzſch.
In der erften Predige nimmt die Gemeinde mit ihrem
Pfarrer von dem Ort Abfchied, wo fie fih -feit den Kriegs
ſtoͤrungen 1807 verfammeln mußten, von der Schloßkirche,
welche ſchon durch das Auge auf die großen Maͤnner der Re—
formation erinnerte. Der Redner, nicht vorbeylaſſend das
Intereſſe der Zeit und des Orts, redet, nach einem kurzen
hiſtoriſchen Eingang, nach Hebr. 18, 7. von den dankbaren
Erinnerungen, mit denen die Gemeinde aus dieſem Gottes—
hauſe fcheider; es find Erinnerungen, ı. an den Stifter uns
fers Glaubens, 2. an die Miederherftellee dieſes Glaubens,
3. an die dortige hohe Schule. Er fpriht kurz und Mar,
rednerifh und einfah; nicht, wie Viele wollen, immer nur
durch den Verftand zum Herzen, und noch weniger, wie eine
neuere Mode wollte, durch den Linverfiand zum Gemuͤthe.
Keine der Perioden fieht aus, als gehörte fie zu irgend einer
moralifchen Abhandlung, fondern jede gehört grade zu dieſer
Predigt. Mur durfte immer bey ihren Vorzuͤgen der Bes
- flimmtheit und Helligkeit das Kolorit etwas wärmer feyn.
Wie viel beffer aber Einfachheit und Kürze ergreift, als jeder
beliebte Wortdienft, das ſehe man ©. is folg. in der fo
treffenden Hindeutung auf die vier berühmten Bildniffe, welche
diefe Kirche zieren, auf die „zwey fürftlichen Brüder“ ( Fries
drich der Weife und Johann der Veftändige) „und auf die
zwey gelehrten Freunde“ (Luther und Melanchthon). Wo
diefe vor den Augen ftanden, da bedurfte es grade nur
diefe wenigen Morte, um mit frommen Gedanken die Hers
zen zu erfüllen. — Gegen das Schlußgebet möchten wir ers
innern, daß es mehr zu ald aus den Herzen der Zuhörer
fprehe, und darum auch) etwas zu lang fey. Doch komme
bey fo was das meifte auf den Vortrag an.
Von der zweyten Predigt läße ſich dafelbe rähmen, was
von der erften. Da man nur felten noch, und nicht ohne
"Grund, Predigten allgemeinen Inhalts lefen (und hören)
mag, fo find folche fpecielle Reden nicht bloß für den Zuhörer,
fondern fiir das theologifhe Publicum fehr fehäßbar. Solche,
fagen wir. Diefe wurde am Menjahrstage ıdıa bey der
Einweihung der wiederhergefiellten Pfarrkirche zu W. gehalten
Zwey Predigten von C. 2. Nitzſch. 301
der Phil. 4, 4., und das Thema war: Die Freude in dem
Horn, durch melde wie ihm dieſes Haus weihen follen
(Rec. hätte es in einen einfahen Satz zufammengegogen );
1. ihre Quellen, 2. ihre Wirkungen. Der erfte Theil zeige
die Liebe und Achtung für die gemeinfchaftlihe Andaht der
Ehriften als die Quelle, und, der zweytes Danfgefühle, fromme
Enticyloffenheit eines jeden zur eignen Seelforge, Eifer im
Öffentlichen Bekenntniſſe Chriſtt, Sorgfalt gegen jede Entheis
ligung des gemweihten Hauſes, fromme Wünfhe und Hoffnun—
gen als die Wirkung. Auch diefe Predigt ſchließt mit einem
Gebete, dem wir nur einen Ton tieferer Andacht münfcten,
wodurch denn einige flörcnde Ausdrücde weggefallen wären.
Dod das find Heine Mängel, und Nec. ſcheut ſich nicht, diefe
beyden Predigten unter die Mufter in diefer Gattung zu
feßen. Der Lefer legt fie gewiß nicht ohne eine angenehme
Erbauung aus der Hand und freut fich dankbar der belehrens
den. Zugabe in den Hinten angefügten Anmerkungen. Doch
etwas hätte Rec. zur Vollendung der zweyten diefer Kanzels
reden gewuͤnſcht. Die Zuhörer werden gegen die Machläffigs
keit im Kirchenbefuchen gewarnt, und es wird nur von dems
jenigen Grunde dieſes Webels gefprochen, der in dem Zuhörer
liegt: aber ift das nicht bloß die Hälfte deſſen, wovou zu
ſprechen war? Und wer hatte mehr innern und aͤußern Bes
ruf, auch bier ein Wort den künftigen Geiftlihen an das
Herz zu legen, als diefer ehrwürdige und verdienftvolle Lehrer
auf der Kanzel und auf dem Katheder? Doch wollen wir
nicht zu. viel tadeln, denn er fonnte Gründe Haben, warum
er hier grade davon ſchwieg. Dafür fehe man folgendes
lieber bloß als eine gelegenheitliche Herzensergießung des
Rec. an.
Oft genug Hört man jest die Klage, daß die Kirchen
verlaffen ſtehn; man hört fie meift von dem Prediger, aber
wo wird der Zuhörer dagegen vernommen? Diefer nämlidy
will nicht alles das Moralifirende oder Dogmatifirende, oder
Myfticifirende, nicht homiletiſche Künfteleyen hören: dafür,
kann er in vielen Blättern und Büchern fi beſſer unterhals
ten, oder auch in guten Geſellſchaften, oder auch etwa vor
302 Zwey Predigten von C. 8; Nitzſch.
dem Theater. . Predige nur der Seiftlihe als ein wahrhafter
Geiftlihe das Evangelium, und die Kirchen werden fich” wie
der füllen. Wie diefes gefchehen folle, tft freylich nicht fo
bald beantwortet: es gehört dazu nicht nur eine völline Ders
beffetung ( Sinnesänderung möchten wir fie nennen) unſrer
Homiletik, fondern aud) ein neues Leben in der Religion und
in dem ihr geweiheten Stande. Die Predigt ift das Haupt—
ſtuͤck im proteftantifhen Eultus, und ihr zunähft fommt der
Kirhengefang. Aber was würden Luther und Melanchthon
fagen, wenn fie fo hier und da in die Kirchen träten, wo
man fih wohl viel auf die Lorbeeren einbildet, welche diefe
Männer errungen haben, aber fan Leben ihres Geiftes vers
fpüren läßt. Sie zogen die Zuhörer herein: jetzt predigt man
fie hinaus. Wie würde Luthers Ohr bey dem unmufikalifchen
Sefange hinaudeilen, und uns hart angehen, daß fo viele
Kirhen nicht einmal einen Chor aufitellen fönnen, der Ein
vefte Burg ꝛc. oder eins der Lieder fingen könnte, deren Ger
fang fchen feiner Lehre die Herzen gewann; und daß wir fo
wenig den Choral zu fhäßen willen, der doch bekanntlich den
Kunfttenner auch den fchönften DOperngefang kann vergeffen
machen ? Wie würde Melanchthon es beflagen, daß die Quin—
tilianifche Rhetorik, die er in der Homiletik beybehalten , faſt
fo wenig chriftlichen Geift aufgenommen, oder die Kraft der
Keformatoren behalten, als die Schuläbungen. der Sophiften
noch etwas vom Geiſte eines Eicero oder Demofihenes hatten ?
— Doch es ift Hier nicht der Ort, davon weiter zu reden,
aber es ift die Zeit, daß die Sache laut zur Sprache komme.
Her. Hätte gewünfht, von Hrn. N. fchon in jenen Predigten
einige Worte darüber zu hören, denn fie find der Srätte würs
dig, wo fie gehalten worden; und fo wuͤnſcht Nec. noch, daß
der Hr. Verf. bey. andern erfreulichen Werantaffungen feine
Beredſamkeit auch im jener 2% den Jungen Theologen
nuͤtzlich mache.
S.
Catalogus Bibliothecae numerosae, ab inclyti nominis Viro
Hieron. Guil, Ebnero ab Eschenbach rel. olim conlectae,
4
Catalogus Bibliothecae ed. G. C. Ranner. 303
nunc Norimbergäe a die II. mens. Angusti a. 1813. publ.
auctionis lege divendendae. Quem in hunc ordinem rede-
git, his litterarii maximam partem generis notationibus
instruxit, bac pracfaeiofe auxit Godofr. Christoph.
Ranner. Vol. I, Norimb. a. 1812. ıyp. Bieling, XLVI
380 S. 8.
Die Aufhebung der Familien-Fideicommiſſe,
eines in vielen Fallen wohlthaͤtigen Mittels zur Erhaltung des
Familien s Wohtftands, deffen mögliche Gebrecheir vielleicht eher
eine Verbefferung von der geictgeberiichen Klugheit, als eine
ſchnell zerſtoͤrende Auflöjung hätten fordern mögen, veranlaßt,
nach dem Gang uniers — das Geſammelte leicht zerſtreuenden,
Das Hleuvereinigte mit unfiherer Mühe erhalienden — Zeits
geiftes, auch den Verkauf diefes feit 1701 gefammelten berühms
ten Litteratur » Borrachs, zu deffen. Fortießung und Erhaltung
mehrere der vorzuͤglichſten patriotifchen und wiffenfchaftliebens
den Nürndergiichen Samilien, die von Imhoffiſche, von
Tucheriſche, von Halleriſche, von Welſeriſche,
von Loͤffelholziſche u. a. auf mancherley Weiſe zuſam—
mengewirkt haben. Derägefchickte Verf. des Catalogs, welcher
durch Genauigkeit der Notizen und durch litterär s Hifforifche
Bemerkungen ihn der öffentlihen Anzeige und der Aufbewahs
rung für Bücherfreunde werth gemacht hat, überliefert in der
Vorrede, welche ſehr narärlih von dem Horaziſchen: pro-
priae telluris herum natura neque illum, nec’ me, nec
quemquam statuit — sed cedet in usum nunc mihi,
nunc alii (Satyr. @, 2.) beginnt, das Lebensgedaͤchtniß des
Stifters der Bibliothek, der, geb. 1675, ſich vornehmlich
duch Reiſen im Holland, Sztalien, Böhmen, Mähren,
Schleſien und Deutſchland bildete, das vor andern von Kies
ronimus Ebner einft ( 1525) begründete Aegtdianifhe Gyms
nafium zu Nürnberg und die vaterländifche im Stillen wirk—
fam gemwejene Univerfität Altorf als Eurator feit 1718 wohlthäs
tig beforgte, eben deswegen auch um fo mehr einen anfehns
lihen Vorrath litterariicher Huͤlfemittel zufammen brachte,
‚endlich aber im 7gten Lebensjahre 1752 als kapferliher Ges -
beimer Rath und Närnbergifcher Duumvir flarb. Um die
304 Catalogus Bibliothecae ed. G. C. Ranner.
Kenntnif der Sammlung haben fih Hirſſch, Ser, Hers
zer, von Murr und der noch lebende gelehrte Diakonus
Ledermüller verdient gemacht. Die Manufcripte find
vornehmlich durch des unermüdeten von Murr Memorabi-
lia Bibliothecarum Norimbergensiam P. II. (1788) be
fannter geworden. Der jebige Catalog bietet nun zum Vers
fauf an: A. Manuferipte. Drey bibliſch-hebraͤiſche, befannt
durch Nagels Differtationen von 1749 und 1769, ein Rabbin.
von Maimonides, einen durch Schönleben 1738 befchriebenen
Cod. gr. Novi Testam. membr. Saec. XII. ı7 Lateiniſch⸗
Bibliſche, 37 Arabifche und Türkifhe, ein Perfiihes. Die
neueren Deutfchen und Lateiniihen Manuſcripte, welche meift
Reiſen, Geſchichte, Diplomatik, ftädtifche Nechtstunde und
Landrechte betreffen, gehen von No. 56. bis 379. Die Mas
nujccripte von claffifiihen Autoren. vollends bis No. 400. Fin
Terenz cum schol, Sec. Xl oder XII. fcheint no nicht bes
nußt. Nah den Manuferipten folgen B. 45 Libri impressi
Seculi XV, sine notatione annı. Von No. 446. big
648. libri Sec.XV. impressi cum nota-tione anni, von
da an, bis No. 1794. imfpressa bis zum Jahr 1550. Diefe
Nummern enthalten, weil meiftens mehrere Piecen zufams
men gebunden fin), vier Taufende von Sincunabeln und
ähnlichen für die Reformationszeit merkwürdigen gleichs
"zeitigen Druden. Die Beihaffenheit der vorhandenen
Eremptlareift getreu angezeigt, faſt bey jeder Rarität werden
bibliographifche Fundgruden nachgewiefen, wo der Geihmad
der Liebhavder durch mehrere Motizen gereist und befriedigt
werden fann ; bisweilen gibt es jogar ein incognitum, wels
ches zu Panzers Annales typograph. nachzutragen iſt. Möge
denn auch diefe Sammiung erfahren, was der. in den Alten
wohlgeuͤbte Berfaffer des Catalogs aus Lucrez tröftliches ans
führt : dissolvin Natura; neque ad nihilum interimit res,
Haud penitus pereunt, quaecunque ( perisse) videntur,
quando aliud ex alio reficit Natura.
H. €. ©. Paulus,
— — —
No. 20... Heidelbergifße 4813.
Jahrbuͤcher der Litteratur.
Plattdeutſche Gedichte nach dem Willen des Verfaſſers herausgegeben
von Bornemann. Berlin, gedruckt bey Georg Decker.
1810. 8; |
Mara eine befondere Aufmerkſamkeit auf alles, was nicht fos
wohl den gebildeten Theil der Mation , ald vielmehr die ganze
Nation angeht, iſt uns diefe Sammlung Plattdeutfcher Gedichte
zugeführt worden. Nun wende man uns nicht ein, daß das
Plattdeutſche doh nur Sprache eines Meineren Theile ber
Deutihen Nation fey, genug e8 begreift noch mehrere Millios
nen Deutfche; diefe Singewelt ift alfo immer nody viel zahl
reicher, als die gebildete Maffe der lefenden Nation, auc hat
diefer Plattdeutfhe Theil der Nation manche Eigenthümlichkeit,
berührt das Innenmeer, die Oftfee, wohnt an großen Strös
men, und würde in diefer 'manniafaltig anregenden Berühs
rung ficher viel eigenthämliche Poefieen bewahrt haben, wenn
ihm, nicht Sebürge fehlten, weswegen er von dem Wechfel
der Kriege viel vafcher und verheerender zu aller Zeit ergriffen.
ward, und fid, inzwifhen von der Ausbildung der Hochs
deuefchen Mundart fo weit Äbertroffen fah, daß er für Staat
und Kirche jene annahm, und die Plattdeutſche Mundart
nur für den vertraulichen hHäuslihen Kreis bewahrt. Dies
fer Häucliche Kreis wäre es alfo, fammt der Kiugheit in der
Berührung mit der höheren anders vedenden Welt, die dem
Plattdeutſchen Wolfe nochwendig wurde, zugleih Spott über
diefe höheren Kreife, die freylich Hinter der freyen Zutraulich.
keit in mancherley zuruͤckblieben, während fie fich fehr übers
legen mwähnten. Das wäre uns hauptſaͤchlich nächft manchem
guten Scherz noch im Munde des Plattdeutſch redenden Vol—
fes übrig; Ältere Heldenfage ift faft ganz verſtummt, fpätere
Kriegstieder find Hochdeutſch, Ältere Kinderfagen finden fich
nur noch in verftechten Winkeln, neuere find meift aus den
Fe 20
306 Altdeutfche Gedichte von Bornemann.
Hochdeutſchen entlehnt, Überall hat faft die Aufflärerey die
Spärbählen des Volks zerfählagen und die Mappernden Keller
unter dem Vorwande Meggenommen, es fey alte verrufene
Münze. Und doch, wie Haman fo fchön fagt, beſteht in
Bildern der ganze Schatz menfhliher Erkenntniß. Auch in
Diefen Bildern der Volkspoeſie lag ein fo vollftändiges Syſtem,
als fie noch beyſammen waren, wie irgend ein neuerer Philos
ſoph fih nur träumen laffen mag, ſey es, daß er fein Stu
dium mit dem Worte Erfahren, oder, mit dem Worte DO fr
fenbaren angefangen bat.
Aus dem Befagten wird der Inhalt Hager Gedichte den
Leſern erflärlicher werden, die, wenn auch nicht eigentlich volks⸗
mäfig, doc deuflih aus einer wahren Berührung mit dem
Molke hervorgegangen find. Wir fehen nämlich aud hier, was
eben als Charakter des Plattdeutſchen angegeben worden, haͤus⸗
liche Luſt, S. 18. 24, Klugheit gegen hoͤhere Kreiſe, Spott
daruͤber, insbeſondere uͤber Gelehrte (S. 9. 125. 100. 107),
Scherz wie in den meiſten uͤbrigen; manche Züge darin find
uͤcht volksmaͤßig aufgefaßt, und doch glauben wir, daß bdiefe
Lieder fih eher ald Sprachſcherz in den gebildeten Hochdeutſchen
Lefe » Kreifen verbreiten würden, wenn gute Meiodieen fich
dazu färden, als daß ſie je zum Volkliede des Plattdeutſch
redenden Volkes werden koͤnnten. Der Grund davon liegt nahe,
der Verf. weiß das Plattdeutſche der Mark Brandenburg ſo
gut, wie Voß den Niederſaͤchſiſchen und Hebel den Badiſchen
Volksdialect kannten, aber er lebt eben ſo wenig darin, wie
jene; es iſt in allen dreyen ein freundliches Verſetzen in die
Sprache der aͤrmeren Klaſſe, aber alle drey tragen noch eine
andere Bildung in ſich, die ſich nicht in dem Einzelnen mit
dem Volke verbinden ließ, die erſt eine ganze Nation durchs
laufen muß, ehe fie gang volfsmäßig wird. Wir geftehen,
daß in Hebel diefe Differenz mehr ausgeglichen ift, aber ſchon
die Mehl Sriehifher Sylbenmaße in manchen feiner Gedichte,
insbefondere aber das Verweilen bey Dingen, die dem Bor:
nehmen zu erfahren fehr lieb find, die aber dem Wolke, meil
es davon umgeben ift, allzubefannt find, zeigen, dafi es Doch mehr
ein Herauf Äcken des Volksmaͤßigen zum Genuffe der höheren
Erände, als Lieder für das Wolf find. Offenbar ift fein Schatz
Atdeutfche Gedichte von Bornemann. 307
fäftfein des rheinischen Hausfreundes, ob es gleich in keinem
Dialekte gefchrieben, voltsmäßiger als die Alemanntfchen Se
dichte. Um den Unterfchied an einem der hier in der Samms
fung mitgetheilten Gedichte im Beyſpiel zu , fo wählen
wir die Bauernhochzeit S. 18.
— I»
Juchhay Hochtiet!
Hochtiet is huͤt
Kieckt de ſchmucke Brut maal an,
Un den drallen Bruͤggamsmann,
Wie ſe ſick ſo herzig ſchnuͤtern
Un mit Fuͤer Ogen kluͤtern!
Schnuͤtert, kluͤtert friſch drup in
Bruͤtlüd muͤtten hitzig fin.
Juchhad Juchhaideldey,
Juchhap.
2
Juchhay u. ſ. w.
Hei wie de Trumpeten ſchalln,
Un de Pulver Buͤſſen knalln,
Alle Klocken trekt de Koͤſter,
Ingeſegnet haͤt de Preſter,
Hans un Gretn biede tru,
Hand un Gret fin Mann un Fru. Juchhay.
3
Juchhap u. f. m.
Schlagd den brange fe ſchons herbie
. Den fapteafen Herfe Brie.
Stief mir Sandel Äberzudert,'
Daͤt där Herz im Liewe pudert;
Ut de Müler pieperlings
Loͤpt Dir Waater rechts und links. u. f. w.
Wir fühlen gleih, der Dichter ift von der Herrlichkeit dies
fee Hirſe nicht mitergriffen, die Hochzeitfreude wird ihm zum
Spott. Aehnlich finge Schmidt bey der Bauernhochzeit von
dem glänzenden Daumen der Braut beym Schweinebraten als
Spott, und dieſes Vornehmſeyn hinderte ihn, Volksdichter zu
werden, ungeachtet mancher glücklichen Anlage. Auch die Platts
deutſchen Hochzeitlieder in der Iuftigen Geſellſchaſt von Peter
308 Altdeutſche Gedichte von Bornemann.
de Memel, Zippel Zerbft 1695. ©, 269 und 977 find nur ein
Scherz des. Befferunterrichteten,, der ſich über das Ausflaffiren
der Braut, Über das viele Nöthigen beym Eſſen luſtig macht.
Wirkliche Hochzeitlieder des Volkes machen fit) niht über die
Hochzeit, fondern mit der Hochzeit Iuftig. Zum Benfpieh
führen wir aus einer mündlichen Mittheilung folgendes in Poms
mern häufig gefungene Mochzeitlied an:
De Hochtit.
Küferü feggt unfe Hahn,
Upt Srieen mull he riden,
- Blanfe Sporen fnallt he an,
Enn Degen an de Siden ;
As he vor. Ufermünde famm,
War feden fine Lüde ?
„De Koh ftund vor dem Für,
„Dat Kalf lag in de Werge,
„De Hund de haart de Votter,
„De Katt de lit de Schöttel,
„De Scharpenvever fegt dat Huß',
„De Multworm dregt dat Mult ut;
„He drag dat woll vor ene Schün,
„Da döfchten dre Kappunen in,
„Döfchten dat fhöne Hawer Eaff
„Dar bruuden fe ſtark Bier aff:
„Dat Bier namm enen Sud
„To'n Gäbel ut dem Hus;
Gaͤſter mit dem fangen Schwanz
„Deed mit de Brut den Voͤrdanz,
„Sparling dar gar lürte Ding
„Gaff de Brut den Troring,
„Adbar mit de langen Knaken
„Wull de Brut dat Bedd upmafen.“
Wie voltsmäßig dies Lied aber feyn muß, und die hochherrs
lihe Unordnung einer Hochzeit ausdruͤckt, beweif’t, daß wir
ed aus einem andern Munde derfelden Gegend folgender Ge—
ftalt verändert erhalten :
Ick meet enn Leed,
Dat ’neemand meet,
Dat leert id von de ohle Magret,
Alideutſche Gedichte von Bornemanı. 309
As if na Runfen keem,
Da ſchale id minen Wunner feen,
De Kart de Eneer de Botter,
De Hund de wufh de Schöttel,
De Fledermus de feegt dat Huus
De Müf de dragen dad Mult beruft
Achter unfe Schüne,
Dar ftunden tmee Kaphüne,
De enn de ſchlag den Hamer af,
De andre brour dat Beer daraf,
De Kukuk up den Zune
Verſoop fif in den Schume
De Hene up den Nefte
Derfoop fif in de Geſte
De Hane up den Wimen
De ſchall bynah befhmimen.
Wir fehen aus den beyden wohl nicht volltändig erhaltenen
Volksliedern den Unterſchied deutlih; fo wenig der Soldat
fein Erercitium in Liedern abfingen mag, fo wenig der Bauer
den ruhigen Verlauf feiner Beichäftigungen und das Einzelne
feiner Lebengfefte, er möchte nur die Gefinuung des Gefühls
darfiellen, was ihn dabey anmwandelt. Anders aber begehren
es höhere Stände, und diefe haben billige Rechte, und mie
können ihnen diefe Lieder aufrichtig empfehlen, die manches
recht wahr, manches recht kraͤftig ausiprechen; mancher Einfall
ift gut, und Ein Pied (des verlorenen Hundes Todtenfeyer) hat
wirklich einen rährenden Effect, als ob es recht von Kerzen
gelungen wäre, Wir wünfıhen vom Verf. bald mehr zu lefen,
vielleicht gelingt es ihm, einmal alles Höhere abzufchätteln
und ganz in der ©efinnung des Volkes zu fingen; in jedem
Fall ift es eine angenehme Abwechfelung, fih in die: Eigens
thämlichkeiten einer andern wenig geichriebenen Mundart vers
feßst zu fehen ; die aber den Dialect in verfhiedenen Gegenden
gehört haben, werden die Werfchiedenheit in demfelben nicht
ohne Verwunderung fehen, während die Schriftfprache des
Hochdeutſchen fih immer mehr feit ftellt, und von der lebenden
Deweglichkeit einer freyen Mundart entfernt. |
310 Klopftoc und feine Freunde von Klamer Schmidt.
Klopstock und seine Freunde. Briefwechsel der Familie Klop-
stock unter sich, und zwischen’ dieser Familie, Gleim,
Schmidt, Fanny, Meta und andern Freunden. Aus Gleims
brieflichem Nachlasse herausgeg. von Klamer Schniidt.
Halberstadt, 1810. im Rureau für Litteratur und Kunst.
LXIV und gig ©. II. Band 396 ©. 8.
Der erfte der hier mitgetheilten 176 Briefe ift vom g. May
1750, der lebte vom 5. Febr. 1803. Wie Klopftocd, der
firenge Richter deffen, was er gejchrieden hatte, der felbft feine
1787 und 17088 entworfene hiſtoriſche Bruchſtuͤcke über den fies
benjährigen Krieg, Friedrihs Schlahten und Heldenthaten,
in der Folge den Flammen übergab, die Bekanntmachung dies
fer Briefſammlung, wenn er fie erlebt hätte, aufgenommen
Haben würde, läßt fi erraten. Sicher hätte er wenigſtens
darüber gezürnt, daß die Auswahl nicht firenger gemacht ift.
Die meiften Briefe des erſten Bandes, befonders die des
‚zedfeligen Schmidt, floßen durch ihren tändelnden, füßen
und mwißelnden Ton zuruͤck. Selbſt die von Klopſtock find
großentheils feines Namens niche wuͤrdig. Die Klopftods
Sulzers und Schultheiß’fhe Beſchreibuug ihrer Schweis
gerreife, die mehrere Bogen einnimmt, erinnert lebhaft daran,
daß nicht jeder Humor ein Sterne'ſcher ift, und bey dem
von S. 319 bis 351 fortgehenden gevierten Briefe, durd
deffen Veranftaltung Schmidt einen Dank verdient zu haben
glaubt, bedauert man, aud den Namen Ramler zu finden.
Doh der zweyte Band entihädige für die leeren Garben des
erfien. Schmidt ſchweigt feit dem 11. April 1756, die übris
gen Freunde aber haben inzwifchen das Leben auch von der
ernfiern Seite kennen gelernt, und unterhalten fih nun über
mancherley Gegenfiände fo, daß man fie gern hoͤrt. Beſon—
ders liefert diefer Band von Klopftod, von feinen beyden
Sattinnen und von Gleim mehrere der Aufbewahrung mürs
dige Briefe. F
Zur Lebensgeſchichte des großen Dichters und ſeiner Freunde
ſpendet zwar die vorliegende Briefſammlung nicht "viel; doch iſt
fie nicht arm an mancherley Notizen, wovon hier Einiges folgt.
Bd. I. ©. 35 erfahren wir, daß 1750 Jeruſalem in
BSraunfhwiy Klopfto bey fih Haben wollte, Hingegen
Klopſtock und feine Freunde von Klamer Schmidt. Sit
Sack, der Hofprediger in Berlin, der Meynung war, daß
die Stelle nicht für ihn ſey, und Dagegen einen Plan hatte,
daß RI. zwey Jahre in Berlin mit Zufriedenheit und als voͤl⸗
liger Herr feiner Stunden leben follte. Aber noch in dem
nämlihen jahre wurde er (nah S. ı80) auf Bernftorffg,
der in Paris auf Klopſtock (wie der lebte Markgraf von
Ansbah in Rom auf feinen Uz) aufmerkſam gemacht worden
war, und Moltke's Empfehlung, von dem Könige von
Dänemark mit einem Gehalte von 400 Thalern ( 100 Thlr.
auf ©. 127 iſt ohne Zweifel ein Druckfehler), wozu in der
Folge (nah ©. 278) noh andre PVernünftigungen kamen,
nah Kopenhagen berufen, um die Meifiade zu vollenden.
Ruͤhrend ift S. 132 und an mehrern andern Stellen der Auss
druck von Ki. Liebe zn Fanny Schmidt, welche diefe durch
alte Inempfindlichkeit erwiederte. Der Todesgeiang, welchen
Schmidt ©. 141 dem Dänijchen Könige Reaner Lods
brok zuichreibe, foll vielmehr, der Weberlieferung zufolge, von
der Königin Aslauga gedihter fern. Was S. 194 fg. Über
Mifbraud) des Witzes und deffen Folgen gefagt ift, mag, da
diefe Krankheit immer gewöhnticher wird, als Warnungstafel
hier ſtehen: „Wie haben Sie doch die Achnlichkeit, die ih
zwifshen der Schwierigkeit, einem Maͤdchen im Arioft, und
zwiichen der, Ihnen zu trauen, angab, fo fehr nah dem
MWortverftande nehmen können? Sie wilfen ja, daß man es
bey einem’ Einfalfe, den der Urheber für witzig hält, eben
nicht übel nehmen muß, wenn etwas zu viel oder zu wenig
gefagt if. Warum follte man menigftens in einem Anfalle
von Witz nicht eden fo viel Nachſicht fodern können, al in
einem Naufche, da man in jenem feiner Zunge eben fo wenig
mächtig ift, als in dieſem? Es ift mir aber gleihwohl nichts
verdrießlicher, als daß ih Sie durd einen Fehler von dieſer
Art beleidigt Habe, vor dem man mid fihon fo oft gewarnt
hat. Der Henker hole doch alle Einfälle und alles Traveſtiren!
Sins künftige will ih die Luft zu beyden ynter die gandplas
gen mit zählen. Ich glaube Überhaupt fall, daß von jenem
Sriehifhen Spötter an, der fih durch einen Scherz über die
Einäugigkeit feines Königs um den Kopf gebraht, bis auf
mich, mehr Leute durch den Wis umgelommen find, ale durch
312 Klopſtock und feine Freunde von Klamer Schmidt.
den Krieg.“ S. 255 fpriht Kl. zum erfienmale von Meta
Moller aus Hamburg, die nachher, ald Gattin, das Glück
. feines Lebens machte. &. 292 hält der Sänger des Meſſias
feine Beſtimmung ſich ia diefen Worten vor: „Sie war:
Vielen die Menſchlichkeit desjenigen, der unvergangner Anbes
tung und MNachahmung würdig iſt, zu zeigen. Dein’ Herz
mußte deswegen völlig won die entwickelt werden. Wehmuth
und Thränen mußten es ausbilden. And wenn du zugleich
hiebey zeigteſt, daß die tiefe Unterwerfung und Anbetung der
Vorſicht theurer find, als- eine Gtäckieligkeit, deren Dauer dir
fo unbekannt war, fo ift für dich Lohn da“ Der ©. 315
erwähnte Bramine inspire ift eine von Lescalier ver;
faßte Ueberfeßung aus dem Englifchen des Buchhaͤndlers Dods⸗
ley. Nah S. 542 rief Voltaire, da ihm eine Dame die
beften Stellen aus Haller überfeßte, einmal über dag andre
aus: „Ah que cela est pitoyable!* Walhalda (ridtis
ger: Walhalla) bezeichnet nicht, wie &. 396 gefagt wird,
die Hölle der Celten, fondern den Palaft der im Kampfe
gefallenen Helden, Die &. 409 geäußerte Vermuthung, daf
der Brief N. XLVI. nicht in Klopſtock's Hände gefommen
feyn werde, wird durch die im nächfifolgenden ————
Beziehungen auf denſelben unwahrſcheinlich.
Bd. II. ©. 103 erzähle Kl. eine ſchoͤne Anekdote von *
Enthuſiasmus, womit Hamburg's Buͤrger den liebenswuͤrdigen
Koͤnig Friedrich V. von Daͤnemark bey ſeiner Ankunft in
ihrer Stadt empfingen: „Der Koͤnig, der von Allen aufrichs
tig geliebt wird, die ihn fehn, hat, bey feinem KHierjeyn, von
Neirem erfahren, wie füR es ift, fo menfchlich zu feyn, ale
er if. Er kam nach Hamburg, um die vornehmften Strafen
der Stadt zu befehn. Die Leute drängten ſich fo fehr zu ihm,
daß feine Garde mehrentheils hundert und mehr Schritte von
ihm entfernt blieb. Die wenigften von diefen Leuten waren
feine Unterthanen ; gleihwohl konnte fein Pferd kaum fort.
Er mußte oft völlig fillpalteh. Sein Läufer, der fih unter
den Hals des Pferdes retirirt Hatte, wurde beynahe erftickt.
Die Leute faßten das Pferd, faßten zuweilen gar den Steig⸗
buͤgel und die Fuͤße des Königs an; fahen ihn unaufhörlich an,
riefen ihm unaufhoͤrlich zu: Vater! König! Vivat! Hurrah! —
Klopſtock und feine. Freunde von Klamer Schmidt, 313
Komm bald wieder, Water! — und taufend andre Sachen
würden immer fort gerufen. Der König, der alles fah, Allen
dankte, und oft denen verbot, die das Wolf abhalten mollten,
feßte feinen Hut beynahe nicht auf; rogleih ein flarkes Ge;
witter mit Regen fam.“ S. 169 macht Gleim auf ein Be
dürfniß unſrer fchönen Pitteratur aufmerkſam, welchem big
jeßt noch nicht abgeholfen iſt: „Unſre Deutfhen haben einen Ads
difon, der fie mit der Naſe auf die Schönheiten im Meſſias
ſtoͤßt, fo noͤthig, als die Engländer. Ich las diefe Tage in
Addifon ; und im Lefen dacht’ ich, wie viel Schönheiten im
Meſſias wären, die Klopftoc weit über Milton festen.“ S.
‚284 äußert fih Kl. über Pindar’s Oden und Grillo's
Verdeutſchung bderfelben’alfo: „Will Herr Grillo den gans
zen Pindar uͤberſetzen? Mich deucht, er fohte nur die fchöns
ften Oden wählen. Wenn auh Pindar immer fhön wäre, fo
ift es doch unmöglih, daß er uns für feine Materien fo ins
tereffirt,, als wir es geweſen ſeyn wuͤrden, wenn wir Griechen
wären. Herrn Grillo's Ueberſetzung gefälle mir von vielen
Seiten; von andern aber nicht. Er iſt zu getreu und zu Pins
darifch in den Berfwärtern; und ich weiß nicht, ob er dithy—
rambiſche Verſe oder Profa hat machen wollen. Ich fage
Hrn. Stille ohne Einkleidung meine Meynung, und dag kommt
daher, weil ich die Ausführung feines Unternehmens wuͤnſche.“
Die elendeftlen Romane finden ihre Verleger; Grillo konnte,
wie S. 580 bemerkt ift, zu feiner Ueberſetzung des Pindar,
woran er faft ein ganzes Leben gearbeitet hatte, und von weis
cher auch Hr. Klamer Schmidt mit Berfall ſpricht, kei—
nen Verleger finden. Nur die Ueberſetzung der eilften Olyms
pifhen Ode fift im Goͤttingiſchen Mufenalmanad
1772. ©. 205 abgedruft. Von Mengs fommen ©. 188
folgende Notizen vor: „Er hat Spanien gar nicht lieb; al
fein die anfehnliche Penfion, die fehstaufend Thaler ſchwer
Geld beträgt, wobey das Logis frey ift, und ihm Maulthiere
auf königliche Koften gehalten werden, die Ausficht, daß die
‚Hälfte diefer Penfion ‚für feine Frau fortdauern wird, „wenn
er vor ihr firbe, werden ihn fowohl, als feine Frau, unges
achtet fie beyde lieber in Rom oder in Dresden wären, dens
noch in Madrid erhalten, und es ift gewiß, daß er nirgends
314 Klopſtock und feine Freunde von Klamer Schmidt.
fo viele Vortheife zufammen Haben wird. Dabey hat er. bie
Freyheit, noch fonft zu malen, was er etwa malen will, die
er vorher nicht Hatte, und die ihm nicht ;wenig einbringt.“
Die ©. ıdg erwähnte Weberfeßung einiger Fragmente aus
Homer von Klopftod’s Bruder, von welcher Hr. Kla—
mer Schmidt (Bi. ı. S. XLVIIL) fagt, daß er in kei—
nem feiner Handbücher habe finden können, ob und wo jfie
gedruckt fey ? fieht in Patzke's Wochenſchrift: Der Greis,
Th. g. St. 107. und 114. Zwar ift dort der Ueberſetzer nicht
angegeben; aber Degen, in feiner Litteramr der Deutfchen
Weberiegungen der Griechen, Bd. ı. S. 385 nennt Klop⸗
ſtock's Bruder, und citire dabey: Allg. Deutfhe Biblio
chef, Bd. 3. St. 2. (ohne Zweifel die Berliner Kritiß,
von welcher der Leberfeßer, in der oben angeführten Stelle,
beftimmte Nachricht zu erhalten wuͤnſchte). &. 196 und ı97
geben Kl. Aeußerungen Über Gerftenberg’s Ugolino und
über feine eigne Hermanns Schlacht. „Gerſtenberg
bat einen Ugolino gemadht, der trifflich, und, mich daͤucht,
nicht zu ſchrecklich iſt. Ich habe das Meine Verdienſt dabey,
ihn aufgemuntert zu haben. — Hermanns Schlacht,
«in Bardiet für die Schautähne, liegt auch zum Drude few
tig. Weil ih mit ihnen eben fo ſchwatze, fo fann ich Ihnen
wohl davon fagen, daß ich fie ein wenig lieb habe, und daß
fie fehr vaterländiich ift, und weil mir’s mit diefem Vaterläns
difchen fehr von Herzen gegangen iſt, und ih mich dabey wer
der auf einen Eritiihen Dreyfuß, noh Vierfuß binfeßte, und
nad) Kerausbringung des viellehrenden Satzes: Ein Mationals
gedicht intereffirt die Mation, die es angeht! gefihrieben habe;
fo denke ich, dal; jenes Baterländifche wieder zu Herzen gehen
fol.“ Sn Gräter’s Bragur, Bd. 6. Abth. 2. ©. 25ı war
die Frage aufgeworfen: wie es komme, daß Klopſtock in
folgender Stelle der 1747 gedichteten Ode, Wingolf:
„Willſt du zu Strophen werden, o Haingefang ?
Wullſt du gefeglod, Oſſian's Schmwunge gleid,
Gleich Ullers Tanz auf Meerfroftalle,
Grey aus der Seele des Dichterd ſchweben?“
D ffian’s ſchon gedenke, von deffen Weberreften doc, erft 1760
Klopſtock und feine Freunde von Klamer Schmidt. 315
-Macpherfon die erfien Proben dem Publicum mitgetheilt
habe ? Hierauf wurde in der Dberdeutfchen Litteraturzeitung
2809. Nr. 142. geantwortet, daß, da von Kl. Oden die erſte
Ausgabe erft 1771 herausgekommen, die Stelle in der 1747
gedichteten Dde, wo Oſſian's Name vorkommt, vermuthlich
erft nach der Erfiheinung der Macpherſon'ſchen Samms
lung zugefegt oder umyearbeitet worden fey. Diefe Vermus
thung wird nun durch dasjenige beftätigt, was Kl. ©. 198 in
einem Briefe an Gleim vom ıg. Dec. 1767 fchreibs: „Und
meine Oden, die Sie fonft fo lieb zu haben pflegten, wers
den auch bald entweder gedrudt oder in Manufcript zu ihnen
tommen. Wo Mythologie vorkommt, da ift es celtifche, oder
die Mythologie unfrer Vorfahren. Die lange Ode an meine
Freunde ift daher, was die Ausbildung anbetrifft, jeßt gang
anders. Sie heiße Wingolf (ift der Tempel der Freunds
ſchaft; — Sie haben doch Mallets Auszug aus der Edda ges
lefen ? —).“ Daß RI. erfi duch Macpherfon den Kales
donifhen Sänger enden lernte, laͤßt fih daraus ſchließen,
weil ee ©. 214 Macpherfon den Nitter des Barden
Dfftan nennt. Das Honorar, weldhes Ri. von Hemmerde
in Halle für feine Meffiade erhielt, war, nah S. 209, zwölf
Thaler in Louisd’or für den Bogen, die Einleitung mitgezähft.
Kaifer Joſeph beehrte ihn (S. 220) mit einer golden,
mit Brillanten umgedenen Medaille. Von Angelika Kaufs
mann fohreißt Kl. ©. aad fg. „Sch bin feit Kurzem in eine
Deutfihe Malerin in London, Angelita Kaufmann, beys
nahe verliebt. Sie hat einen Briefwechfel mit mir angefangen,
und will mir fchicken einen Kopf Dffiens nad) ihrer Phantafie,
ihr Portrait und ein Gemälde aus dem Meſſias. Außer dem
allen will fie mich auch in Kupfer ſtechen. Wie ſtark dieſes
junge fhmwarzäugige Mädchen in der Kunft iſt, werden Sie
fehen, wenn ih Ihnen fage, daß ihr die Herren Großbritans
nier funſzig Guineen für ein Portrait bezahlen.“ Eben ber °
Brief, von welhem Kl. (S. 230) an Gleim- fhreibt:
» Verbrennen Sie diefen, damit er der ‚Gefahr, verlegt zu
werden, fchlechterdings nicht ausgefeßt fen,“ kommt jeßt, durch
die Druckerpreſſe vervielfältige, vor die Augen des ganzen
u
316 Alopſtock und feine Freunde von Klamer Schmidt.
Deutſch lefenden Publicums! Um auch den Aerzten etwas aus
diefer Brieffammlung zum Beften zu geben, ftehe hier, was
Ki. ©. 238 fchreibt: „Schlagen Sie doh Pfutſch vor, daß
er ihr viel China gibt. Wenn er es gut finder, fo will ich
ihm China, und rechte gute, ſchicken. China können Sie auch
einnehmen, liebfter Gleim! anftatt Brunnen und andre Trank
fein zu trinken. Ich Habe fie, bey Gelegenheit des Fiebers,
fo lieb gewonnen, daß ich ihr auch bey allen andern Veran—
laffungen zufpreche, und mit gutem Erfolg. Ich bin eben fein
Einnehmer; alfo laffen Sie ſich meine Empfehlung nur im—
mer empfohlen feyn. Statt der China manchmal Auaffla und
viel Bewegung: dies ift Alles, worauf ih mich in Abſicht
auf die Medicin einlaffe : | |
„Chinare, Quassiare , ensuita ex $patiare:
Et dignus, dignus es intrare
In nostro docto corpore !“
S. 266. Ki. Urtheils Über Gleims rothes Buh: „She
rothes Buch hat mir feine Meine Freude gemacht. Es hat
fehr viel Neues in Sahe und Ausführung ; nur etliche Iyrifche
Wiederholungen wuͤnſchte ich heraus, und hier und da eine
Heine Härte,“ Wenn der Hr. Herausgeber diefer Briefſamm—
(was Rec, von dem gemüthvolen Manne gern glaubt) durch
die Bekanntmachung derjelben Niemand beleidigen wollte, fo
laͤßt fih’s nur als eine derjenigen Erfcheinungen,
quas aut incuria fudit,
Aut humana parum cavit natura, |
erflären, daß er gleihwohl &. adı in einem Briefe von
Gleim an Kt. die Stelle fiehen ließ: „Claudius if
Matthias Claudius. — Bey folhen Borfällen kommt man
auf den Gedanken, er zwinge fih zu feinem launigen Charaks
ter. Sagen Sie dem Unhold kein Wort mehr darüber * S.
315 flieht Kl. Urtheil über Füger: „Fuͤger in Wien (er
üft aber kein Wiener) Hat mir vortreffliche Zeichnungen zum
Mefflas geſchickt. Er ift leider! unfer größter Maler; leider,
fage ih, weil er meine fehr geliebte Angelika übertrifft.“
(Nahrichten aus Wien zufolge werden jest Fuͤg er's Zeich⸗
Klopſtock und feine Freunde von Klamer Schmidt. 317
nungen zur Meffiade, von Leibold für den Grafen von
Fries, und von Hohn für Meermann’s Hollaͤndiſche
Ueberſetzung des unfterblihen Gedichts, in Kupfer geftodhen.)
&, 326. Ri. Yeußerung über Melfon: „Ih Habe Nelion
tennen gelernt; er ift ohne alle Anfprüche, oder (da ich. von
ihm rede, muß ich mich anders ausdräden) er läßt ſich nie
zu Anſpruͤchen herunter. Er hat eine vielleicht ſehr /ſchwer zu
malende Heiterkeit, die zumeilen ein. wenig läcelnd wird.“
Geleim gibt unterm 3. Auguft 1801 von der Kerftellung feis
nes Gefihts S. 351 foigende Nachricht: „Da ich, feit eints
ger Zeit, nicht mehr vecht fehen, und weder lefen, noch fchreis
ben konnte, fo Habe ich mir das eine Auge geftern operiren
laſſen, nämlich das linfe. Mein Großneffe, der Prof. Himly
in Braunſchweig, hat es mir operirt, fo ſchnell, als fchonend
und gluͤcklich! — Ich befinde mid, nad) der Operation, ſehr
wohl, und wuͤnſche fehnfuchtsvoll, meinen Klopfto im neuen
Lichte wieder zu fehn, ehe ich ihn im ewigen umarme. Sch
habe, bey.der Operation, nur zweymal gefeufzt. aus Langers
weile. Nicht wahr? das heiß’ ich einen Preußifchen Grena—
dier ?* Aber am 13. Dec. deffelben Jahrs ſchreibt er (©.
358): „Die Hoffnung ift nicht erfüllt. Das mit einem Spieß
durhmühlte Auge fieht noch nichts, als meine nod immer
dummen Uebel, das andre nur fo viel, daß ich im Zimmer
auf und nieder gehen kann. Seit der Operation hatt’ ich kei⸗—
nen guten Tag, und hundert und drey und dreyfig fchlaflofe
Nähte. Mein Zuftand ift trauriger, als ein Klopſtock ihn
befchreiben könnte. Die Langeweile plagt mic entſetzlich. In
einer Stadt, in welcher drey Lateinifhe Schulen find und ein
Schulmeifter s Seminarium, hab’ ich feinen guten Vorleſer
auffinden innen.“ Der biedre Sänger verlor. nah und nad
fein Geſicht ganz. Am ıd. Febr, 1805, 24 Tage vor feines
Klopſtock's Ende, welchem er noch am 24. Sjanuar hatte
Schreiben laffen: „Ich fterbe, lieber Klopſtock! — Als_ ein
Sterbender ſag' ih: in diefem Leben haben wir für und mit
einander nicht genug gelebt; in jenem wollen wir’s nachholen,“
führte der Genius mit der geſenkten Fackel ihn in die Woh—
nungen des Lichts hinüber.
v ⁊
7.
318 Herda von J. ©. Baht.
Durch die, unter dem Titel: „Etwas über die Freunde
und Freundinnen, von denen bier Briefe vorkommen ‚“ dem
Briefwechſel vorausgefchieften, meift biographifhen, Notizen
and die zur Erläuterung einzelner Stellen der Briefe beyge:
fügten. Anmerkungen hat der Hr. Herausgeber ſich Anſpruͤche
auf den Dank der Pefer esworben. Nur Folgendes finden wir
bey letztern zu bemerken: daß, wie &. 379 gefagt wird, erft
durch Sam. Gotth. Lang e's odaifhe Werfuhe die Deutfchen
mit reimlofen Dichtungen bekannt worden feyen, ift nicht ohne
Einfhräntung richtig ; ſchon früher machten v. Sedendorf,
Bodmer und Sottfhed, ja bereits im fechzehnten Jahr—
hunderte Fifhart und Gesner, reimlofe Verſe. Der ©.
381 erwähnte Prediger Alberti flarb zu Hamburg. Der
eigentliche Titel der S. 380 angeführten Lieder, deren Ertrag
Sleim für Mihaelis Schweftern befiimmte, ift: es
dichte nah den Minnefängern.
Hada, Erzählungen und Gemälde aus der teutfchen Vorzeit für
Freunde ‚der vaterländifhen Geſchichte. Von G. ©. Pahl.
-Zwepter Band. Freyburg und Konftanz, in der Herderfchen Bud»
handlung. 1812. 320 ©. 8.
( Zortfegung der im Jahrg. 1812 No. 73. befindlichen Necenfion. )
Alle diefe Vorzüge, melhe Nec. von dem erften Bande
diefee Werks gerühmt hat, gereihen auch dem zweyten zur
Empfehlung. Es wird alfo genug fepn, den inhalt deffelben
fürzlich anzugeben, der in folgenden Auffägen befteht: Die
Römer und die Germanen. Die im erfien Bande ans
Hefangene Erzählung der unaufhörlihen Fehden zwifchen dem
„größten und maͤchtigſten aller Reiche, welche die Annalen des
menfchlihen Gefchlechts uns nennen, — dem Weihe, das in
der Zeit feiner Bluͤte alle civilifirten Länder der Welt umfafte;
— dem an militärifcher Bildung und Stärke vielleicht feines
der fruͤhern und ver jpätern glich — außer dem es einft nir:
gende eine wiffenfhaftliche Kultur gab, und in dem allcs fih
vereinigt fand, was Genie und Geſchmack bervorzubringen
und zu bilden vermochten, — das in der Weltgeſchichte ewig
Herda von J. G. Pahl. 319
als einer der großen Mittelpunete ſteht, aus dem die Schick⸗
fale der meiften Voͤlker ſich entwickeln, oder in dem fie fich
fließen, — das reiher war, als fonft irgend eines an hel⸗
denmuͤthigen, patriotifchen, kraftvollen und felbfiftändigen Mäns
nern,“ und den „Horden Germaniens, die Gott aus ‚ihrem
Wildniffen hervorgerufen hatte, auf daß fie felbft, und durch
fie die andern Nationen wiedergebohren würden ‚“ ift bier bis
zum Untergange des Abendländifchen Reichs der Roumer Forts
geführt. Ä
‚Wie das Reich und das Haus Karls des Grofs
fen unterging. „Es waren — fo ſchließt dieſer Aufſatz —
in dem Geſchlechte der Karolinger die ‚großen Eigenfchaften
und die Tugenden der Wäter erlofhen, darum mußte es um
tergehen ; und fo wiederholten die Annalen diefes Gefchlechtes
diefelde Lehre, ‚die Überhaupt das Nefultat aller Gefchichte ift,
daß, was Geift und Muth geſchaffen, nur fo lange beftehe,
als Geiſt und Muth es erhalten!“ Die Stadt Ulm im
Sürftenfriege im Jahre 1552. (Eingefandt.) ©. 193,
wo die Quellen diefer Erzählung angeführt find, hat der
Setzer aus Schertlins Leben einen Schertliosleben
gemacht. Nah ©. 149 ließ K. Kart V. unter andern Gnas
denbegeugungen, wodurch -er feine Zufriedenheit mie der bes
mwährten Treue der ‘Ulmer zu erkennen geben wollte, den Wai—
fentnaben im Ulm eine Mahlzeit und — ein Bad zubereiten.
Die Walbfahrt nah Hohenftaufen.. Auch Nec. Hat
dieſe Wallfahrt gemacht, und erinnert fih mit nie erlöfchens
dem Vergnügen des jeden Ausdruck Übertreffenden Gennffeg,
welchen fie ihm gewährte. Was Herr Pahl in feiner Nas
tionalchronif der Deutfhen 1805. ©. 38. und
2806. St. 15. über ven Staufen und uͤber Por gefagt hat,
iſt hier weiter ausgeführt. Auf eine mit Kraft und Geiſt
geichriebene Einleitung, worin die Werdienfte der edlen Fürs
ften, die auf dem Staufen vormals ihren Wohnſitz hatten,
gefeyert werden, folgen eine der Natur durchaus getreue Schils
derung der Anſicht diefes intereffanten Bergs und feiner Ums
gebungen, Motizen von Gruͤat, Hohenrechberg und Hohen—
ftaufen, ein treiflih ausgeführtes Gemaͤhlde der großen und
320 Herda von J. ©. Pahl.
fhönen Ausfiht, die der Gipfel des Staufen beherrfcht, Nach
richten: von der jetzt bis auf eine kleine Ruine verfchwundenen
Raiferburg,, die ‚er trug, vom Wäjcherfchlößlein und vom
Buren, vom Klofter Loch und von. feier fowohl durch die
Srabftätte und Bildniſſe fo vieler Prinzen und PDrinzeifinnen
aus dem Staufenfhen Haufe, als durch die Wöllwart’fche
Todtenhalle merkwürdigen Kirche. Das S. 185 erwähnte
Bild des unglädlihen Konradin von Schwaben, nebſt
der WVorftellung feiner Hinrichtung, ift auch vor dem zwey—
ten Hefte von Preſcher's Alts Germanien nachgeftochen.
"Sprüche und Anekdoten der Alten Aus Zincs
gref’s fcharfiinnigen, Mugen Sprüchen der Deutfchen (Straßs
burg ‘1649. ) genommen, woraus. Here Pahl fihon in feiner
Nationalehronik der Deutfhen 1803. St. 42. mehr
rere Proben Altdeutihen Witzes mirgerheilt Hatte. Kato und
Caͤſar fanden es ihrer nicht unwuͤrdig, die Apophehegmen
berühmter Römer zu fammeln. Welcher Deutfhe würde eine
mit Geſchmack bearbeitete Sammlung Deutſcher Sprüce,
wozu es an Materialien keineswegs fehle, niche mit Dank
aufnefmen? Nudolf von Habfpurg und Dtto far
von. Böhmen. Enthält eine Schilderung ihrer Kämpfe
gegen einander, und zugleich den Beweis, :wie gut Rudolf
die Kunft verfiand, Mavors Toben durch Hymenaͤus Bande
zu befänrtigen. Die Grafen von Babenberg. Sn
diefem Auflage, einem Anhange zu dem vorigen, wird das
Merfwürdigfte aus der Gejchichte der Eräftigften Männer des
feit 1246 erlofchenen, durch große Gluͤck⸗ und Unglücksfälle
denkwuͤrdigen, und durd) einen ununterbrochen fi forterbens
“den Heldenmuth verherrlichten Geichlechts der Babenberge
erzählt. Blike auf Lindau. ' Grofentheils aus des
Verfaſſers Chronik der Deutfhen 1608. St. 21. ger
nommen, mit einigen Zufägen. Auf dem Titelkupfer iſt die
veizende Lage der Stadt dargefiellt. .
— — — —
No.941. HBeidelbersifhde 4813.
Jahrbuͤcher der Litteratur.“
u ee A— * *2 *— GA AA AL ANA
. Les Ruines de Port - Royal des Champs, „en 1809, annde sd-
culaire de la destruation de ce monastere. Par M. Gre-
goire, ancien Ev&que de Blois, Scnateur etc. Nouvelle
Edition, considerablement augmentee. A Paris, chez
_ Levacher, Libraire etc. 1809, 175 ©. 8.
Diese kleine Schrift dat eine mehrfahe Wichtigkeit, theils
als Zufammenftellung vieler wichtigen Motigen für die Ger
fhichte des Streites zwifhen den Sanfeniften und Molinis
ſten, eines Streites, welcher zu vielen Ereigniffen unfrer
Zeit in bedeutender noch nicht volllommen gewürdigter Bezie—⸗
bung fieht, theils als Beytrag zu der Kenntniß der jebigen
Lage und Sefinnung der Sjanieniften, endlich als ein merks
würdiges Dentmahl des frommen und religidfen Sinnes ihres
ehrwuͤrbigen Verfaſſers. Wir dürfen wohl annehmen, daß
diefelbe Sefinnung, welche hier ausgefprochen wird, noch jeßt
die Sefinnung des größten Theils der Parthey fey, zu wels
her der Verf. fih ohne Hehl bekennt, und welche fih immer
von ihres Gegnern durh Strenge der Srundfäße und Sitten
und Puͤnktlichkeit in Erfüllung der Pflichten der Religion und
Andacht auszeichnete, was auch felbft die Gegner nicht abzus
leugnen vermochten,, und daher nur als Heuceley und Pharis
fäismus verdächtig zu machen fuhren. Wer hatte aber den
Sefuiten die Macht verliehen, die im Herzen verborgenen
Motive der Handlungen gu erforfchen ?
Die Zerftörung des Beruhardinens Klofters Ports Royal
des Champs, weiche der Verf. in Erinnerung bringt, war
allein die Wirkung des Partheyhaffes der Jeſuiten. Diefes
Monnen: Klofter im Jahr 1204 in einem fchönen Thal, drey
Myriameter von Paris, Ein Myriameter von Verfailles und
ein halbes Myriameter von Chevreufe gegründet, zeichnete fich
zu der Zeit der Entfiehung des Janfeniftifhen Streites, währ
21
322 Lesruinesd. Port-Royal d, Champs p.M. Gregoire.
rend das in ber Hauprftadt, in der Vorftadt St, Jaques im J.
1625 gegründete Monnen » Klofter Ports Royal (im Gegenfaß
gegen das erftere, Port- Royal de Paris genannt) zu dem
loren und bequemen Srundfäßen der Franzoͤſiſchen Sefuis
ten fi bekannte, durch feine Strenge aus. Die gelehrten
Männer, welche in einer abgefonderten Wohnung, les Gran-
ges genannt, in der Mähe des erſtern Kilofters wohnten, von
denfelben Srundfägen der Strenge befeelt, ein Pascal, Sacy,
Dufoffe, Hamon, Nicole und andre widmeten fih in der Zus.
ruͤckgezogenheit emfig den Studien, und erwarben fi durch
thre Schriften, befonders durch ihre Bücher für den Unter—
richt der Jugend, Verdienſte, welche nur Meid und Mißgunſt
zu ſchmaͤlern wagen können. Die wichtigſten und verdienteſten
Männer Frankreichs, mie ein Boileau Despreaur und viele
andere zählten ſich Öffentlich zu ihren Freunden, und der Trar
giker Racine fchrieb ſelbſt die Gefchichte diefes Kiofters, welche
außer ihm von zehn oder eilf Geſchichtſchreibern, unter ihnen
auch von Mademoifelle Poulain, bearbeitet worden ift. Diefes
große Anfehn von PortsRoyal, verbunden mit der Anhängs
lichkeit der Ports Royaliften an den Lehren des Janſenius,
war fchon Hinreihend, um die Gegenparthey zu fanatifcher
Zerftörungsmwurh zu reizen. Der Poligey s Lieutenant d’Argens
fon, eifriger Freund der Sefuiten, erhielt den Auftrag, bie
Rache an den unglücklichen ſchwachen Nonnen von Port : Royal
zu üben, welche, fo lange die Geſchichte nicht verfiummt, das
Andenken der Sefuitifhen Parthey jener Zeit verunehren wird.
Mit dreyhundert - Mann 309 d’Argenfon in der Naht vom
28, auf den 29. Dt. 1709 aus Paris aus, und fchloß das
Klofter ein, wo niemand als 2a meiftens alte und gebrechliche
Nonnen fi) fanden, nur zue Unterwerfung unter die Gewalt
gerüftet. Jene Anftalten follten nur dazu dienen, um bey dem
Publikum diefe tyrannifhe Mafregel durch den Schein einer
Empdrung im Klofter zu entfchuldigen. Während der Terze,
welhe die Nonnen unter dem Geber für fih und ihre Verfol⸗
ger feyerten, wurden fie von dem Chor ihrer Kirche hinweg⸗
geriffen, indem man ihnen faum Zeit ließ, das mindefle mie
fi) zu nehmen, wiewohl fie fih ohne Murren in ihr Schickſal
fügten. Getrennt wurden fie in verfchiedene Städte und Kiös-
%
Les ruines d. Port-Royal d. Champs p. M. Gregoire. . 323
fter verwiefen, und felbft bis in den Tod von der Wuth ihrer
Geinde verfolgt. Der Biſchof Berthier von Blois z. B. vers.
fagte der Priorin, weldhe in feine Stadt verwiejen war, die
Sacramente und das katholiſche Begraͤbniß, weil fie fih weis
gerte durch die Unterfehrift einer Erklärung den Grundiäßen
gu entfagen, weiche ihr Gewiffen für die richtigen erkannte.
Im folgenden Jahre 1710 wurden. die Kloftergebäude mit eis
ner Wuth zerfiört, die nur gegen eine rebelliiche &tadt oder
einen verruchten Ort hätte angewandt werden mögen, und die noch
vorhandenen Einkünfte dem leichtfinnigen Kiofter Port: Royal in
Paris geſchenkt. Miet vieler Wärme fchildert der ehrwuͤrdige
Verf. die Frömmigkeit der Nonnen und die Achte chriftliche
Sefinnung, fo wie die litterärifchen Verdienſte der Gelehrten
von Ports Royal; und vertheidige fie gegen ihre Verlaͤumder,
doch ohne den heftigen. und erbitterten Ton zu billigen,
welhen auch die. Port ; Noyaliften hernach, befonders in den
Nouvelles ecclesiastiques, gegen ihre Verfolger führten.
Niemand, zu welher Parthey er fih auch bekennen möge,
wird ohne Ruͤhrung das leute Kapitel lefen, welches: Senti«
ments religieux que doit inspirer l’Annde s£culaire de la
destruction de Port-Royal des Champs, überfchrieben ift.
Es wird feine, Wirkung nicht verfehlen,, befonders auf bie
frommen ®emüther derer, weldhe, wie hier erzähle wird, haͤu⸗
fig nah) dem Thal von Ports Royal mwallfahrten, um über
diefen Trümmern, gleih wie die Kinder Israels Über den
Auinen von Serufalem, zu weinen, einige Gefänge an dem
Drte, welcher die Wüfle genannt wird, zu fingen, und da,
wo die Kirche ehemals fand, zu beten und ein Mittagsmahl
einzunehmen. Wir fegen den Schluß des Wertes hierher :
„En adressant des voeux A l’Eternel, qui pourrait- oublier
* desastres d’une Eglise autrefois le modèle de la chré-
tiente! Ont-ils donc conjur€ sa ruine, ces pasteurs quiy
sourds à la voix de la piet€ et de la patrie, perpetuent
les divisions ? sont-ils dans les decrets du ciel, les cou⸗
pables instrumens de sa vengeance? Un grand homme
nous avertit que la religion, voyageuse sur la terre, ne
demande que la libert€ du passage. Des contrees, oà
elle fut jadis florissante , sont couvertes actuellement des
324 Beimiffer’s Denkmaͤhler der Kirche 2: h. Kreuz in Innsbr.
ten&bres de l'erreur et’ de Tinhdelite. Quel que soit le
sort que nous reserve la justice olı Ja misericorde divine, _
restons inviolablement unis à cette église catholique, qui,
traversant les äges, Eleve sa tête radieuse au milieu des
sectes qu’elle voit successivement s’elever, s’ecrouler au«
tour d’elle, et qui, appuyde sur les promesses de son
divin fondateur, marche & la consommation des siecles.*
Denfmähler der Kunft und des Alterthums in der Kirche zum heiligen
Kreuz zu Innebrud. Junsbruck, in der Wagnerfhen Buchhands
fung 1812. X und 108 ©.. 8. (Mit 26 Kupferftichen )
Diefe kleine intereffante Schrift, als deren Verfaſſer Kerr
Dr. Gottfried Primiffer zu Innsbruck ( bekannt durch
mehre fleißige Beyträge zu dem Tiroler Sammer) fich unter
der Vorrede nennt, foll der Anfang einer Befchreibung aller
Denktwürdigkeiten der Stadt Innsbruck und ihrer Umgebungen
feyn, welche die Wagnerfche Buchhandlung dafeldft nad und
nach in der Form von Almanachen ‚herauszugeben denkt. Sie
ift in fünf Abfchnitte gerheilt, wovon der erſte einen Abriß
von der Geſchichte der Kreuzkirche zu Innsbruck gibt, der zweyte
und dritte die Beichreibung des Denkmahls von Maximilian!
enthalten, der vierte von andern Merkwürdigkeiten der Kirche
(dem Alterblatt von Auerbad von Wien, dem Grabmahl der
Gräfin Honorata Piccolomini w ſ. w.), endlich der fünfte
von der fildernen Kapelle Handelt, welche von dem Erzherzog
Ferdinand, dem zweyten Sohn des Kaifers Ferdinand J. er—
bauet und mit der Kreuzkirche verbunden, ihren Namen von
einem filbernen Bilde der Mutter Gottes empfangen hat, und
die Srabmähler ihres Stifterd und feiner Gemahlin, Philips
pine Welfer, enthält. Fünf merfwürdige Beylagen find zuge
geben. Das aͤußerſt bedeutende Denkmahl Marimilians I. in
der Kreuzkirche zu Innsbruck iſt den Gelehrten zwar ſchon
durch die Monumenta austriaca befannt, aber es verdiente
auch der Kennmiß und Aufmerkfamkeit des größern Publikums
noch mehr empfohlen zu werden, als es durch die wenigen
Keifenden gefchehen konnte, welche feiner erwähnen. Die Kirche,
jo wie jenes Denkmahl, ift eine Stiftung des Kaifers Ferdi
Primiſſer's Denkmaͤhler der Kirche 3. b. Kreuz in Innsbr. 325
nand I.; diefer erfüllte damit einen Plan feines Vorfahren,
weldyer fich feldft in den legten Sjahren feines Lebens mit der
Errichtung feines Srabmahls zu Innsbruck befchäftigte, und
mehrere der Statuen gießen ließ, welche jekt das Grabmahl
zieren. Sein Leihnam wurde daher nur vorläufig zu Neu—
ftadt beygeſetzt, und follte nad) feinem Wunjche, fobald das
Annsbrucker Grabmahl vollendet wäre, dahin gebracht werden.
Diefer Wunih des Kaifers wurde nicht erfüllt, und das fchöne
Innsbrucker Grabmahl biied nur Kenotaphion. Das Mon .
ment erhebt fih in der Mitte der Kirche auf drey Stufen von "
roth und weiß; gefprengtem Marmor, 6 Fuß 2 Zoll in ber
Höhe, 13 Fuß in der Länge und 7 Fuß 3 Zoll in der Breite.
Die oberfte der drey Stufen des Podiums oder der Baſis ziert
eine Einfaffung von Metall, Waffen aller Art und Trophäen _
darftellend. Die Decke oder der Aufiak des Grabmahls befteht
aus drey Abftufungen aus viehfärbigem Marmor, 2 Fuß 2 Zoll
hoch. Oben knieet Marimilian in betender Stellung und
vollem kaiferlihen Ornat. Diefe fhöne Statue von Erz wurde
durch Ludwig del Duca g:,offen, welcher für feine Arbeit eine
Belohnung von 450 Kronen erhielt. An den vier Ecfen der
mittlern Stufe figen die Genien der vier Cardinaltugenden.
Die vier Seiten des Maufoleums werden durch fehszehn Pfeis
ler von feinem jhwarzen Marmor in Felder getheilt, welche
in doppelter Reihe, acht Marmortafeln an jeder [ber beyden
fangen Seiten und vier am jeder der beyden kurzen, zuſammen
vier und zwanzig Marmortafeln enthalten. Auf diejen find
in halberhobener Arbeit die merfwärdigften Eriegerifhen Thaten,
die erfte Wermählung nnd die Krönung des Raifers Maris
milian und verjchledene andre wichtige Ereigniffe in dem
Defterreichifchen Haufe zur Zeit Marimilians dargeftelle. Merk;
würdig find auf diejen Darficllungen die Achnlichkeit der Ges
fihtszüge des Kaifers und die Bezeichnung der verfchiedenen Abs
fufungen feines Alters. Ein Theil diefer Darfteffungen tft zufolge
der Dehauptung des Freyheren Sof. v. Ceschi in feiner hands
fhriftl. Befchreibung von Innsbruck (1776), melde von
Heren Pr, benußt wurde, der Marimilianifhen Ehren s und "
Triumphpforte nachgebildet, welche von Albrecht Dürer anges
fangen und von Hanns Birkmair fortgefert, niemals vollſtaͤn⸗
326 Primiſſer's Denkmaͤhler der Kirche 3. h. Kreuz in Innsbr.
dig zur Kenntniß des Publikums gekommen iſt. Es werden
im Anhange zu dieſer Schrift die Inſchriften der Marmortafeln
mit den Vorſchriften zu dieſen Darſtellungen in Lateiniſcher
Sprache mitgetheilt, in welchen Einmal die porta honoris aus—
druͤcklich genannt, viermal darauf mit den Worten: „maneat
pictura antiqua,“ verwiefen wird. Vier diefer Tafeln find
durch die Brüder Bernhard und Arnold Abel, Bild
bauer aus Cölln am Rhein, verfertigt, die Äbrigen und vors
züglichern durh Alexander Colin von Meheln. Das
Ganze wurde nach einer von dem letztern Künftler eingehaues
nen Inſchrift im J. 1566 vollendet, Die beyden erftern Künfts
fer, welhe vom J. 1561 bis 1565 zu Innsbruck arbeiteten,
erhielten contractmäßig für die Arbeit einer jeden Tafel 240.
Pfund Pfenninge oder fo viele Gulden; die Unfoften für die
Herbeyſchaffung des Marmors und alle Übrigen Beduͤrfniſſe
mußten vom Kaiſer beftritten werden. Da der Marmor des
Thales Ridnaun im Landgerichte Sterzing theils wegen
der Farbe, theils wegen der geringern Feinheit des Korns zur
Dearbeitung der Tafeln nicht tauglich gefunden wurde, fo reis
ten die Brüder Abel auf Befehl des KRaifers felbft nach Genua,
und holten daher den für alle 24 Tafeln erforderlichen carras
rifhen Marmor, wovon die Koften auf 758 Gulden: fi bes
liefen. Zu allen gröbern Arbeiten, als Gefimfen, Kapitälen,
&tufen u. f. mw. wurde aber Sterzinger Marmor genommen,
wovon der Wiener Centner etwas mehr ald 2o Kreuzer koftete,
Bon dem Kuͤnſtler Alerander Colin, der am 17. Aug. 1612
farb, und feiner Familie, fo wie auch von feinem Grabmahl
zu Innsbruck, wird eine genaue Machricht gegeben. Die Zeicdhr
nungen zu den Grabbildern wurden durch einen Maler zu
Prag verfertige, über deffen Saͤumigkeit fih Colin in einem
im Anhange mitgetheilten Schreiben an die Landesregierung
beklagt. Da der Name diefes Malers nicht genannt wird, ſo
bringt der Verf. in einer Anmerkung in Erinnerung, daß um
diefe Zeit Jakob Beiffenegger, K. Ferdinands I. Kofmaler,
lebte. Aus diefem Schreiben, fo wie aus einem andern ebens
falls hier mitgetheilten Briefe geht hervor, daß niche Kolin
allein die Basreliefs ausarbeitete, fondern die Arbeiten großens
theils unter feiner Auffüht von Sefellen, welche ey’ anf feine
Primiſſers Denkmaͤher der Kirche 3. h. Kreuz in Innsobr. 327
Koften aus den Niederlanden mitgebracht hatte, verrichten lieh.
Eine große Merkwürdigkeit diefes Grabmahls find noch die
28 Boloffalen Statuen von Bronze, weldhe in zwey Neihen
nad der Länge des Schiffs der Kirche das Grab des Kaifers
‚umgeben, und theild Heroen des Mittelatters ( König Artus,
König Chlodwig, den Oſtgothen Theodorih, Gottfried von
Bouillon), meiftens aber Ahnen und Verwandte des Kaifers
Marimitian darftellen. Aus einem DVerzeichniffe, welches uns
ter Lit. D. im Anhange abgedruckt ift, erfieht man, daß 37
Statuen das Grabmahl zieren follten. Won den neun fehlens
den Statuen wurden fünf gar nicht gegoffen, von einer fcheint
es bloß bey der Form geblieben zu feyn, drey andere, melde
wirklich vollendet wurden, find verloren oder wieder. einges
fhmolzen worden. In eben diefem Entwurfe wird dem Kais
fer vorgefchlagen, die Namen eines Theild der Statuen zu äns
dern. So foll z. B. Gottfried von Bouillon in Albertum
militem Ducem Austrie patruum, Dietrid von Bern in
Albertum Ducem Austrie, Propatrui fillium umgetauft wers
den, was aber von dem Kaifer Ferdinand nicht genehmigt zu
feyn fcheint. Auch die vorhandenen Statuen find nicht ganz
vollftändig ; denn es fehlen vielen der männlichen Bilder die
Schilder mit den Wappen; ben weiblichen die Kerzen. Alles
dieſes foll nach einer Nachricht des Herrn von Teschi nebft eis
nigen Piedeftalen und Schwertern zuerſt in das Franciscaners
Klofter von der Kreuzliche, und nad) deffen Aufhebung in das
Schloß Amras, wo fie vielleiht noch fih finden, gebracht
worden feyn. Sie find der Sage nad) von Gregorn Loͤff—
ler gegoffen, nad der Behauptung des Herrn von Ceschi
aber gehören einige wenige den Stüdgießern Lendenſtreich
und den beuden Brüdern Godl ( Stephan und Melchior) au.
Das ganze Monument ift von einem durch einen Böhmifchen
Scchloſſer fehr fünftlich gearbeiteten eifernen Gitter umfihloffen,
an welchem die Wappen aller Reiche und Länder, die Mar in
feinem Titel geführt, an der Zahl 36, fich finden. Nicht ohne
Verdienft find auch dte 25 Meinen aus Erz gegoffenen Sta—
“ten, welche vorn am Chor der Kirche über drey Schwibbo—
gen oder dem KHauptgefimfe in einer Linie fichend von ber
Höhe auf des Kaifers Grab herabfehen, und Heilige männtis
325 Primiſſer's Denfmähler d. Kirche 3.5. Kreuz in Innsbr.
chen und weiblichen Gefchlehts von königlichem, herzoglichem
und graͤflichem Stamm, meiftens Deflerreihifher Verwandt—
fchaft, varftellen. Die Nachrichten, welche aud) über die oben
genannten Gießkuͤnſtler gegeben worden, find des Dankes werth.
Da die Brüder Godl, Bildgiefer zu Mülein, wie es fcheint,
Fremde waren, fo foll Stephan Godl nad) dem Befehl des für die
Fortbildung feiner Unterthanen in deu Künften ernftlich bes
badıten K. Ferdinand, damals noch Erzherzog, als ihm im
Jahr 1529 fein Dienftgeld um 5o fl. gebeffert wird: „vns
vnnd fonnft niemands, mit feiner kunſt und arbait gewertig
fein, vnnd fein Werkſtatt mit gueten knechten vnnd Sjüngern
verfehen, vnnd infonders Jünger aufnemmen vnnd halten, die
vnnſers Lande der Srafıhaft Tirol fein, vnnd diefelben das
Hanndwerch der Notjchmiederey trewlich fernen vnnd vnnder
weifen.“
So fehr_der verdienftlihe Fleiß des Herrn Dr. Primiffer
in diefer Befchreibung zu loben ift, fo vielen Tadel verdienen
die ungefchieften Hände, welche äußerft fchlecht und elend die
beyliegenden Kupfertafeln geäßt haben. Wenn ung nicht die
in der Iconologia Austriaca mitgetheilten 17 Figuren von
den erwähnten 24 kolofjalen Statuen und die in der Tapho-
graphia Austriaca. befindlichen Abbildungen der Basrelifs mit
Achtung und Ehrfurcht für das befchriebene Monument erfüllt
hätten, fo würden die hier gegebenen Abbildungen die entges
gengejegte Wirkung hervorgebracht haben. Die Verlagshand—
lung würde beffer ehun, den Fortießungen keine Abkildungen
hinzufügen, als fie durch ſolche Zerrbilder zu verunftalten,
Bruckſtuͤcke einer Geſchaͤfſtsreiſe durch Schleſien, unternommen in den
Sahren 1810, 11, 12, von D. Joh. Guftav Büfhbing,
Fönigl. Archivar zu Breslau. Erfter Band, mir einem Anhange,
worin vermifchte Auffäge, Schlefien betreffend. Breölau, bey
Wilhelm Bortl. Korn. 1813. (8 ©. Titel, Vorrede und In—
haltöverzeihniß unpaginirt.) 533 ©. 8.
Das Werk enthält vornehmlich die Nefultate der letzten
Neife, welhe der Verf. unternahm, um die Bibliotheken und
Archive der aufgehobenen Schleſiſchen Klöffer zu unterfuchen,
«
Bruchſtuͤcke einer Gefchäftsreife d. Schiefien v. Buͤſching. 329
und aus ihnen auszuwählen, was für die Centralanftalten in
Breslau wichtig und nuͤtzlich ſeyn konnte. Zugleich wurde aud)
auf die Weberbleibjel der. Kunft Rücficht genommen, und obs
fhon in keinem Lande, die Kunitwerke durch Brand, Krieg
und Fanatismus fo häufige Zerfiörung getroffen hat, als in
Schiefien, fo wurde gleihwohl, wie der im Anhang mitges
theilte zum Theil ſchon durch: Fr. Schlegel Deutfhes Mufeum
bekannte Aufſatz ung belehrt, eine nicht unbedeutende Anzahl
von alten auf Holz und Goldgrund gemahlten Gemälden, eis
nige ſelbſt aus dem 14. Sjahrhundert, zufammengebracht ; bie
meiften vorgefundenen Gemälde waren aber von Willmann,
der im J. 16350 zu Königsberg in Preußen geboren, fich nad)
Nemnrandt und Rubens gebildet hatte und nad) dem J. 1660
fit in Breslau niederließ, oder aus feiner Schule; von Wills
mannfıhen Gemälden find über 150 zuſammengebracht worden.
Wir wuͤnſchen, daß der Verf. die angefangenen Unterfuchuns
gen ser die Schleſiſche Kunft und Schleſiſche Künftler weiter
verfolgen möge. Außerdem enthält diefe Neifebefchreibung nicht
bloß Nachrichten von den Bibliotheken und Arhiven, von
welchen wenige eine fehr bedeutende Ausbeute gaben, fondern
außer Beſchreibungen von merkwürdigen Gegenden, welche der
Verf. bere iſ'te, allerley Nachrichten uͤber in Sclefien aufbewahrte
alte Sagen, Legenden und Überhaupt alles, was fich auf die Norzeit
bezieht, wär es ih von dem Eifer des Verf. für das Deutfche Alters
thum erwarten läßt. Auch einige merkwürdige Urkunden werden
mitgetheife, unter andern eine Urkunde des Herzogs von Wallens
- fein mit deſſen eigner bier abgebildeter Unterfchrift. Niemand
wird ohne Vergnügen die Beichreibung des Zobtenberges bey
Breslau und dag intereffante Journal von der erften Reiſe des
Verf, auf die Schneekoppe und zu den Quellen der Eibe lefen.
Ein Auszug aus diefem Werke würde bey. den vielen einzelnen
zerſtreuten Motizen, die Wichtigkeit feines Inhaltes nur ums
voltommen datftellen, und ift ohnehin nicht noͤthig bey einem
Werke, das wir zu weit verbreiteter Kenntnißnahme zu
empfehlen wünfchen. Darum möge hier nur noch bemerkt
werden, daß in dem Anhange eine fehr forgfältige litteräs
riſche und bibliographifche Nachricht Über die Legenden der heit.
Hedwig, befonders Über eine noch unbekannte Deutſche Hands
330 Idunna u. Hermbde und Odina u. Teutona v. Bräter.
fchrift des Lebens diefer Heiligen mit Federgeihnungen (von wels
chen ein Theil gang mit der berühmten Hedwigstafel in der
Kirche St. Bernhardi zu Breslau übereinflimmt), und ein
Lobfpruch der weitberähmten kaiſerlichen und koͤniglichen Haupt⸗
fladt Breslau in Schlefien von dem fonft unbefannten Elias
‚Freudenberg (gefreytem Meifter des Deutſchen Meiftergefanges
und Liebhaber der Deutſchen Poeterey), in 7Bo Verſen, fich bes
finden. Diefer Lobſpruch ift in einem naiven Handwerksbur⸗—
fhenton, alfo zwar nicht von hohem poetifhen Werth, weichen
Hr. B. ihm auch nicht beymißt, aber doch als Denkmahl feis
ner Zeit merkwuͤrdig. Don Handfchriften für die Altdeutfche
Litteratur boten die Schlefiihen Bibliotheken fonft nichts dar,
als eine unvollftändige Handfchrift des Wilhelm von Defters
reich, welche in der Bibliothek der Ritterakademie zu —
gefunden wurde (S. 499).
Idunna und Hermode. Eine Alterthumszeitung. Herausgegeben von
F. D. Graͤter. Erſter Jahrgang. Breslau, gedruckt und im
Verlage der Stadt» und Univerſitaͤts-Buchdruckerey bey Graß
und Barth. 1812. 52 Nummern, ohne den aus 23 ‚Nummern
beftehenden Anzeiger. Mit Kupfern, Holzſchnitten, Mufikbeplas
gen und zwey Negiftern.
Ddina und Teutona. Ein neues literarifched Magazin der teutfchen
und nordifhen Vorzeit. Bon $. D. Bräter. Erſter Band.
Breslau, 1812. bey Earl Friedrich Barth. Mit einer den Thor
voritellenden Titelvignette.
Auch mit den Titeln :
Braga und Hermode oder neues Magazin für die vaterländifchen Als
| terthümer der Sprache, Kunſt und Suten. Herausgegeben von
F. D. Graͤter. Fuͤnfter Band. Und
Bragur. Ein literariſches Magazin der Teutſchen und Nordiſchen Vor:
zeit. Herausgegeben von 5. D, Gräter. Achter Band.
Nach einer von allen Freunden der Deutfchen und Nor—
difhen Alterthumskunde beklagten Paufe von zehn jahren
kehrt Ar. Rector und Prof. Graͤter, um feine eignen Worte
zu brauchen, „in die Gefilde unfrer Götter und Helden, ums
ferer Ahnen aus der Ritterzeit und den denkwuͤrdigen Jahr—⸗
Idunna u, Hermode und Odina u. Tentöna v. Gräter. 331
hunderten der Erfindung der Buchdruderkunft, der Rirchens
verbeſſerung umd der ihr gefolgten mächtigen Kämpfe“ zuruͤck.
Im Sept, 1811 fündigte er eine eigene Alterthumszeitung an,
unter dem Namen Idunna und Kermode, wovon wöchentlich
vor der Hand ein halber Bogen ericheinn und deren Beſtim—
mung ſeyn follte, nicht allein die auf das Fah der Deutſchen
und Nordiſchen Vorzeit fih beziehenden Nachrichten und Neuigs
keiten, nebit ausführlichen Krititen der in demfelben feit dem
Aufanae des neunzgehnten Jahrhunderts erfchienenen Schriften,
zu liefern, fondern and die Anfichten des Hrn. Herausgebers
in Betreff des Prachtwerks über die Mordifche Mythologie,
welches er, in Verbindung mit trefflichen Künftlern, erſcheinen
zu laſſen willens iſt, ſo wie die Auffoderungen an Kuͤnſtler,
den merkwuͤrdigſten Theil des Briefwechſels mit ihnen, und
die Schilderung der gu der Ausführung oder den Umgebungen
ihrer Darftellungen erfoderlihen Sitten, Gemwohnheits s und
Kunſtalterthuͤmer mirzutheilen. Kaum waren von. diefer Zeis
tung die erften Stuͤcke in den Händen des Publiftums, als
Hr. Gräter noch ein zweytes Werk für das Deuriche und Nors
difche Alterthum ankuͤndigte. Eine Fortiekung feines mit alls
gemeinem Benfall aufgenommenen litterariihen Magazins der
Deutſchen und Nordiihen Vorzeit, welches feinen erſten Nas
men Bragur in der Folge mit Braga und Hermode vertaufchte,
follte, unter dem Titel Odina und Tentona, nad einem vers
änderten Plane erfcheinen, und abwechſelnd in Nordifcher und
Altdeutſcher Litteratur theils in noch nicht urbar gemachten
Feldern der Vorzeit die erften Schritte in Deutſchland zu ihrer
Bearbeitung thun, theils zerſtreut und einzeln gedruckte Auf
fäße, die eine gleiche oder ähnliche Arfiht haben, fammeln,
in jedem Bande eine zuvor nie gedruckte, und für die Littes
ratur und Sprache wichtige Handſchrift zuerft vollftändig bes
fannt machen, und zuleßt, two es Zeit und Raum geftatten,
theils die in Bragur noch nicht vollendeten Aufiäße ergangen,
theils durch antikritiſche Nachholungen die Angriffe auf den
einen und den andern entweder abmeifen, oder doch beleuchten.
Wir haben nun den vollftändigen erften Jahrgang von
Idunna und Hermode und den erfien Band von Ddina und
Teutona vor uns liegen, und können nach dieſen Proben vers
\
332 Idunna u. Hermode und Odina m, Teutona v. Bräter.
fihern, daß Herr Nector Gräter fein gegebenes Wort mit
Ehren geloͤf't hat. Wie reich an intereffanten Aufiägen beyde
Werke find, wird eine kurze Weberfiht der wichtigſten unter
denſelben bewähren. |
Sn Zdunna ung Hermode rechnen wir gleich anfangs dahin -
die durch mehrere Stuͤcke fortlaufende Vorlefung des Hrn. Her⸗
ausgebers Über die Königsreife der Barden und Sfalden, mit
den von ihm gedichteten Chören der Barden vor der Her—
mannsfchlaht, die an Begeifterung Klopſtock's Schöpfungen
gleichſtehn, an Kunft fie übertreffen, Ein fehl fhäßbarer Arc
titel, gleihfalls von Hrn. Gr. heriührend, find der Altdeut⸗
fche chriftliche Almanad) auf das Jahr 1812. und der von ihm
erflärte chriftliche Runenktalender, fo wie er auf fieben in dem
Naturalienkabinette des Waifenhaufes zu Halle an der Saale
aufbewahrten buchenen Staͤben eingefihnitten iſt, indem an
jenen, ncben den mandherley Benennungen der Monate und
Wochentage, den Heiligens und xhriftlihen Feftgagen und dem
Deutſchen Cifioian, ein mit forgfältiger Mühe zufammenges
tragenes Verzeichniß der chriftlihen Volksſeſte und Gebräude,
des Deutſchen Volksaberglaubens und der von den Deutfchen
Volksfeften eines jeden Monats handelnden Schriften und Aufs
fägen fih anreidt. Voll intereffanter Notizen find die Send:
ſchreiben über die Altershämtlichkeiten der Schlefifchen Köfter,
worin Hr. Heinze, Mitarbeiter an der Centralbibliothet zu
Breslau (der nämliche, der aud in der Beforgung diefer Zeis
tuna Hrn. Graͤter fo thätig unterſtuͤtzt), von den alterthuͤmli—
chen Entderfungen und Merkwürdigkeiten feiner mit Hrn. D.
Buͤſching gemachten Reiſe durch die aufgehobenen Kiöfter Nies
derfihlefiens ausfuͤhrliche Kunde gibt, und welche durch den
ganzen Jahrgang fortlaufen. Die Actenſtuͤcke, das Prachtwert
über die Nordiſche Goͤtterlehre betreifend, enthalten Hrn. Gr,
Aufruf an die Meifter der bildenden Kunft im Sins und Auss
ande, die Mordifche Mythologie in einer Reihe meifterhafter
Darfellungen der Nachwelt zu überlicfern, mit dem Verzeich—
niffe der darzuftellenden Scenen und Charaktere, und Auszüge
aus dem Briefwechſel über die Darftellung der Nordiſchen
Gottheit. Eine Probe einer noch unbekannten Deutiihen Webers
ſetzung der Pfaimen aus dem Karolingifchen Zeitalter, die von
Idunna u. Hermode und Odina u. Teutona v. Bräter. 333
der etwa gleichzeitigen Notkerſchen Weberfegung und Umfchreis
bung gänzlich verfchieden ift, hat Hr. Prof. v. d. Hagen,
‚ der fie von Ken. Legationsrath v. Diez in Berlin zur Bes
fanntmahung in diefer Zeitung erhalten hatte, mitgetheilt.
Hrn. Gr. Ueberfegungen des Liedes von dem Finnifhen KRös
nigsfohne Wölunder und des Brotta s Sangs erregen zwey—
faches Intereſſe in einer Periode, in welcher fo viele wuͤrdige
Gelehrte die Edda zum Gegenftande ihter Beſchaͤftigung ers
tohren Haben. Hr. Prof. Preſcher gibt eine Abbildung und
Erflärung der Schriftzeihen an dem aften Nörherthurm im
Roththale der Grafſchaft Limpurg, die er für Etruskiſche hält,
und worüber er fih nachher, in fetnem Altgermanien, H. 1.
S. 5— 44 noch ausführlicher geäußert hat. "Die Suppligque
der gemeinen: Frauen im Tochterhaus zu Nürnberg Anno 1498
beweif’t zwar allerdings, mas fie beweifen ſoll; daß es näms
lich auch im alten Deutſchland privifegirte Werdelle gab. Aber
auch noch früher und an andern Drten, außer Nürnberg,
eriftirten dergleichen. Sie wurden öfters fogar zu Lehen ges
geben, wie z. B. von dem Bifchofe von Würzburg den ges
fürfteten Grafen von Henneberg, und fhon 1442 befihmwerte
fich der Ergbifchof Dieterich von Mainz Über die Bürger zu
Mainz, daß fie ihm Abbruch gethan an geiftlichen und melte
lichen Rechten — — an ben ehelichen und auch denen gemeis
nen Frauen und Töchtern — — an der Bulerey. Nan fehe
Knorre's rechtl. Abhandlungen und Gutachten, &. 108. Für
Sprahforfher und Litteratoren find. das Frenkisgaz Morgans
Lioth, das auch durch Schönheit und Fülle der Gedanken fi
auszeichnet, die Nachricht von alten bibliſchen Gloſſarien,
v. d. Hagen’s Konjectur Über den Verfaſſer des Nihelungens
‚Liedes und Docen über eine Sammlung alter Gedichte, fo
wie für die Sittengefchichte des Mittelalters der. Bund der
Trinker, merkwürdig. Auch Haug's gluͤckliche Nachbildungen
mehrerer lieblichen Dichtungen des Mittelalters verdienen eine
ruͤhmliche Erwähnung. Der Anzeiger, wovon im Jahr ıdız
23 Nummern erſchienen find, enthält eine ma intereffanter
Motigen und Anfragen.
Der erfte Band von Odina und — gibt, unter den
fuͤnf Rubriken: Dichtungen, Unterſuchungen und litterariſche
334 Idunna u. Hermode und Odina u. Teutona v. Graͤter.
Aufſaͤtze, Sammlung und genauer Wiederabdruck ſeltener His
ſtoriſcher und epiſcher Altdeutſcher Volkslieder, Handſchriften
und antikritiſche Nachholungen, gleichfalls lauter Artikel, von
denen jeder ſeines Platzes wuͤrdig iſt. Vorzuͤgliche Aufmerk—
ſamkeit verdienen: des Herausgebers Programm über eine
von ihm mit Gluͤck verfuchte Griechifhe Nachbildung in
Homeriſcher Sprache und Verſen der in feinen Gedichten, S.
205 — 242, erzählten Shirners Fahrt; Möller’s Preisfhrift
über die von der Univerfität zu Kopenhagen 1800 ausgeſetzte
Preisfrage: Ob die Einführung der Nordiſchen Mythologie
ftatt der Griechifchen für die fchöne Litteratur des Mordens
zuträglih wäre? welche Frage Möller fehr richtig dahin bes
antwortet, daß die Einführung und der allgemeinere Gebrauch
der alten Nordifhen Mythologie, wegen ihrer Neuheit und
wegen des größern Intereſſe und vaterländifhen Mitgefühls,
welches fie erregẽ, allerdings für die ſchoͤne Litteratur des
Nordens fehr nuͤtzlich wäre, daben aber die Griechiſche feines
wegs verbannt werden foll, und nur nicht die eine mit der
andern vermifcht werden dürfe; das von dem Hrn. Kerauss
geber verfaßte, zur großen Bequemlichkeit der Beſitzer der
Schönings Thorlacifhen Ausgabe der Heimskringla gereichende
Mergeichniß aller in den zwey erften Bänden derielben vorkoms
menden Sfalden und Sfaldenlieder ; ebendeffelben Programm
über das Alter und den Urfprung des Deutſchen Königstiteld,
der nach diefen Unterſuchungen zwifchen das fünfte und fechste
Sahrhundert zu feßen iſt; Leon’s Weberfeßungen von zehn
_ Minnelievern aus der Maneffifhen Sammlung in unfre heu⸗
tige Deutfche Sprache, nebſt einem beherzigenswerrhen Vor⸗—
berichte Äber die Foderungen, die an folhe Nachbildungen zw
machen find; Helga: Duida Haddingia Scata, von Hrn. Gr.
nad einer ihm verftatteten Abfchrife aus dem Vidaliniſchen
Coder der Edda mitgetheilt, und mit einer Lateinifchen Webers
feßung und Erläuterungen verfehen; und bie erfle entdedie
Handſchrift des Reinecke Fuchs in Flammaͤndiſcher Sprade,
nebft einer als Einleitung vorausgefchiekten Gefhichte der Corn⸗
burger Bibliothek, worin diefe — gefunden wurde,
und Ihrer Merkwürdigkeiten.
Narrenbuch von Fr. H. v. d. Hagen. 335
Gewiß wird jeder Freund der Alterthumskunde fih mit:
der Auffoderung vereinigen, die ſchon vor 19 Jahren Fülles
born an den Hrn. Herausgeber ergehen ließ :
Laß ferner Braga’! Ruhm den Söhnen Teur's erfchallen,
Und mächtig, mie in der. Walfpren Gang,
Das alte Volk der Wanen und Adgarden,
Vor unferm Blick vorübergehn,
Und der vergeffnen Vorwelt Barden _
Mit ihren Liedern auferftehn !
Narrenbuch. Herautgegeben durch Friedrih Heinrich von der
Hagen. Halle, in der Rengerfcen en: ıgı1, VI
und 541 ©. 8.
Bey der gegenwärtigen Lage der — und des Buchs
handels, da die Geſchaͤfte deſſelben beynahe gaͤnzlich ſtocken,
muß es auffallen, daß ein Buch, wie das vorliegende, einen
Verleger gefunden, und ein Gelehrter, der ſchon manchen
edlen Stein aus den Schachten der Deutſchen Vorzeit mit
Liebe und Treue zu Tage gefoͤrdert hat, demſelben ſeine Zeit
und Mühe zum Opfer bringen mogte. Hr. Prof. v. d. Has
gen erklärt in der Vorrede die vier Dichtungen, die er bier
in erneuerter Geſtalt vorführe, für die trefflichften und ergößs
lichften in ihrer Art, und fage zum Schluſſe: „Gelingt es
mir, wie id wuͤnſche und. hoffe, diefen unverwäftlihen alten
Volksdichtungen wieder allgemeinen Eingang zu erwerben: fo
wird. ein zweytes Bändchen noch einige derſelben nahbringen.“
Wir möchten aber gerne fragen: Was wird damit gewonnen,
wenn Schwaͤnke und Poffen (mitunter auch Zoten), die nur
vor dreyhundert Sahren das Zwergfell erfchättern konnten,
von nueem aufgewärfnt werden? wenn. man die niedrige
Volksklaſſe, nahdem endlich in unfern Tagen ihre mwenigftens -
einiges Gefuͤhl für das Schickliche beygebracht worden ift,
durch Bücher, mie das vor uns liegende (welches fie aber
ohnedem fchwerlih kaufen und leſen wird), wieder auf die
Stufe Hinunterzudräden fuht, auf welcher fie vor einigen
Jahrhunderten ſtand? Sicher würde von allen den Narren,
8
336 Narrenbuch von Fr. 9. v. d. Hagen.
deren facetine hier zum Velen gegeben werden, jeßt feiner
um 80000 Rthlr. angefchlagen werden, mie folches mit dem.
Sädhfifhen Hofnarren Claus, den in der Erbtheilung jeder
der erbenden Fürften gern haben wollte, der Fall gewefen
feyn fol. Das war aber auch ein Mann, bey weldhem,
nach des bekannten Theologen Dieterich Verfiherung, „die
Hochweiſeſten und Werfiändisften Hätten in die Schule geführe
werden können.“ Auh Nom hatte im Zuftande der Rohheit
feine Fescenninen, aber Horaz, der in einem gebildeten Zeits
alter lebte, läßt da, wo er. das Bild des Dichters zeichnet,
(Epist. II. ı, 190. sqqg.) aud den Zug micht fehlen :
Torquet ab obscoenis jam nunc sermonibus aurem.
Sollte dem Volksdichter allein erlaubt ſeyn, das Gegentheil
zu thun? Indem wir uns hierüber auf die Entfcheidung
eines jeden Linbefangenen berufen, bemerken wir noh, daß
im Narrenbuche nachfolgende Stüde erneut find! 1. Ges
fhihte der Schildbüärger, oder das Lalenbud.
(Die erfte Ausgabe erfhien 159.) I. Salomon und
Markolf. (Daben ift die von Member zu Nürnberg,
wahrſcheinlich um 1560, gedrudte Ausgabe zu Grunde gelegt;
zugezogen aber find die aus der aͤlteſten befannten Stellen, die
frühern poetifhen Bearbeitungen und die Lateinifche Urfchrift. )
Il. Der Pfarrherr vom Kalenberg (Bey bdiefer
Geſchichte, die ſchon im Jahr 1400 vorhanden geweſen feyn
ſoll, ift die Ausgabe von 1620 benugt.) IV. Peter. Leu,
- oder der andere Kalenberger,: duch Achilles Ja—
fon Widmann von Hall. (Nah den Ausgaben von 1560
und 1620.)
Der Anhang gibt ausführliche Litterarnotigen Über die
vorſtehenden Gefchichten , und bewährt von neuem die Sründs
lichkeit, womit Hr. Prof. v. d. Hagen bey feinen Forfchuns
gen zu Werke geht. Mur Schade, daß mit diefem Reich—
thume von Kenntniffen kein dantenswertheres Werk ausgeftattet
worden ift!
No. 22. Seidelbergifche 1813.
Jahrbuͤcher der Litteratur.“
za. a.nnn ana 252** 88**—7 *
Die beyden aͤlteſten deutſchen Gedichte aus dem achten Jahrhundert:
das Lied von Hildebrand und Hadubrand und. dad Weißenbrun—⸗
ner Gebet zum erftenmal in ihrem Metrum dargeftellt und her«
ausgegeben durch die Brüder Grimm. Caſſel bey Thurneiſen.
1812.
2 EEE wenn mir im Schatten alter Wälder gehen, bes
gibt es ſich, daß etwa zufällig der Baumfranz an einer Stelle
nad) der Sonnenfeite auseinandergeht, und ein Fidhtftrahl nun
eine weite, lichtbeglängte Ferne in das befchattete Auge bringt,
die ein Schritt aufgethan, und ein Folgender verdeckten wird.
Unaufgehalten fcheint der Sonnenblic durch unfer Auge in die
Seele, und auch ihre Höhen und Tiefen werden hell beleuchs
tet, und zwey Fernen, die in Raum und Zeit, find in eine
vertraute Mähe auf uns angeruͤckt. Auch dem Wandrer durch
die Mache alter Sjahrhunderte werden folche Lichrblicke wohl
— wenig Töne oder Züge können bisweilen ein Jahr⸗
taujend ihm bedeuten, ein Pergamentblatt in den rechten Brenns
punct himeingeftellt, faßt das Bild einer ganzen verganges
nen Welt Oder mehrerer Himmelszeichen. Zweyen folder Spies
gel vieler Menfchenalter, wohl früher fchon bekannt, aber
angelaufen und getrübt, und wie es mit koſtbaren Sinftrumens
ten auf den Sternwarten zu gehen pflegt, ungebrauht und
beftäubt Bloß als Gegenflände der Neugierde aufbewahrt, has
ben’ die Herausgeber Helle und Geficht wieder gegeben, und
funftverftändig den Einen gegen den Himmel, gegen die Erde
ben Andern aufgerichtet, und nun erſt ift die Koftbarkeit der
lihtftarfen tief in die Zeit eindringenden Werkzeuge Mar ges
worden vor aller Welt. Die Eafler Handichrift des Hilde—
brand und der Anfang des Weißendrunner Gebetes find die
einzigen Ueberrefte der alten einheimifchen Germaniſchen Mythe
in einheimiſcher Mundart aufgefaßt. Noch gtuͤnt wie vor der
EEE | Be
3335 Die benden ält. Deut, Gedichte a. d. 8, Jahrh. v. Grimm,
Miftel auf den Eichen vom goldnen Meffer unberuͤhrt, aber
jener mythiſche Wandervogel mit leuchtendem Gefieder hat
längft den Herchniſchen Wald verlaſſen, noch tönt durch die
Edda fein Gefang und durch dieje Blätter, aber auch aus dem
Norden ift der Vogel längft wieder weggegogen, auf jener
Eisinfel zwifhen Morgen und Mitternaht hat man feiner
Schmwungfedern noch gefunden, und damit die alte Heldenfabel
aufgefchrieben, und nur die ſuͤdliche Nachtigall ift noch in unfern
Wäldern laut. Wie in und, den Nachkommen, nocd das alte
Leben lebt, ob es gleich in andern Formen ausgeſchlagen, ſo
ift allerdings im Großen und im Ganzen aud die Maffe der
Ideen in Poefie, minder in der Mythe bis auf uns gekom—
men, aber die- alten Formen, freylih das Sterblichſte von
Allem, find mit den Zeiten hingegangen. Nur dieſe beyden
Greiſe find von allen Gefchlechtern, die mit ihnen und zuvor
gelebt, bis zu diefem Tage hinaufgefommen; fie haben noch
die Miene, und die Form und das Weſen ihrer Zeit, und wie
jene Juͤnglinge, die fo viele Jahrhunderte im Berg durch—
fchliefen, bis die Münzen, die fie mitgenommen, zu Schau
ſtuͤcken wurden, das Vaterhaus nicht fanden, und die Sprache
der Mitbürger nicht verftanden und nicht verfianden wurden,
fo auch reden diefe Deutſch, das taufend Deutſche micht. vers
ſtehen, von hochberuͤhmten Helden, die taufend ihrer Entel
nicht mehr kennen. Die Herausgeber, indem fie die alten ehr;
würdigen Geftalten in die neue Welt eingeführt, mußten das
Her ihnen zu Dollmetichern dienen, und die gruͤndliche Treue,
mit der fie ihrem Geſchaͤfte fih unterzogen, iſt das erfte Vers
dienft, das fie um diefe Fremdlinge in der eignen Heymath
ſich erworben. Allerdings haben Eckhard und Reinwald
recht gute Vorarbeiten geliefert, welche die neuen Bearbeiter
auch dankbar anerkennen, aber das Erſchoͤpfende, durch das
Beherrſchen aller verwandten Sprachformen erſt moͤglich ge⸗
macht, haben fie hinzugethan, und das Gute zum VBeſſern,
ja ganz nahe zum Velten Hingeführt, das etwa noch durch
neuere Hiftorifhe Urkunden erreicht werden mag. Mir wiſſen
daher zur gegebnen Erklärung des Tertes nichts Sonderliches
beyzufuͤgen; das Wenige, was uns bey genauerer Betrachtung
vorgefommen, fügen wir hier mit kurzen Worten bey.
/ 2%
Die beyden Alt. Deut. Gedichte a. d. 8. Jahrh. v. Grimm, 339
In der erften Zeile „sih urhettun aenon muotiny“ fich vers
heifhen, betheuern, geloben noch in der hiefigen Landesmunds
art; bey aenon muotin mögten wir doc die alte Erklärung
eines Muthes, eines Sinnes vorziehen, die vielfahe Zahl läßt
ſich allenfalls noch in heutiger Sprachform „einmüthiglichen “
geben. „Untar heriuntuem“ bey Jfipes.non. Sevilla : „infaene
haerduom,“ dux effectus est, alſo Heerthum, Heerfahrt.
Bey „Sunu Faterungo“ dachten wir zuerft an Edelingon,
Srilingon, befanntlih in den Saͤchſiſchen Mundarten Edels
geborne, Freygeborne: in Gothiſcher Form wird das i zum u,
und nun Niflungon, Mebelgeborne, Aumlungon, Amelunger,
Aumlas Geborne, die Abkoͤmmlinge des Urſtiers, Ulfungon
oder Woͤlfunger, Wolfgeborne, Enkel der liſtigen Locke u. ſ. w.
Sunu Faterungo mwärde dann freylich etwas ſeltſam tautolo—
giſch, aber doch wohl der alten Sprache nicht zuwider: Sohn
Vatergeborner, und die ganze Stelle alſo nach unſrer Anſicht:
Die Sage erzaͤhlt, daß gelobten eines Sinnes Hiltebracht und
Hathubrant Heerfahrt, Sohn Vaters Abkoͤmmling. In der
dritten Zeile „garutun“s mit gerben uͤberſetzt, iſt und zuwider
in epiſcher Dichtung, garawas, garawa, garawomes, gart,
garoti, gigarotin, gigarwa, find haͤufig bey Otfried vors
kommende Formen von derſelben Wurzel gar abgeleitet, wos
von gareiten,, bereiten, und allerdings aud) gerben, aber doch
wohl nur als eigenthümlicher technifcher Ausdrud. Iſi dors
Ueberfeßer hat C. V. $. 7. „chigarwan zi chinifti,“ reparari
ad veniam, wobey an gerben nicht zu denken, noch weniger
in der Stelle am Eingange „Dhuo ir. himilo garwida, dhar
war ih“ als er den Himmel bereitete, da war ich. „ Ubar
Inga“ erinnert uns an die Rhinga, Fürften, Vornehme
des Rhabanus, fo daß die Stelle alsdann gelefen würde
„Helden vor den Erften, wenn fie zum Sampfe vitten “ was
die allzu kuͤhne Conftruction, welche die andere Lesart fodert,
unnöthig machen würde. Darum mus wohl aud der Vers
der Helga Quida: „Siss mundu Helgi hringom rada“ nidt
mit Gräter „Nimis-sero o Helgi annulis imperabis,
fondern vielmehr proceribus imperabis überfegt werden. Bey
„fohem uuortum * mögte ein LUnterfchied eintreten zwiſchen
fouum, few, wenigund fohem wechfelnd, vielfach, mancherled, ſo
340. Die beyden Alt. Deut. Gedichte a. d. 8. Jahrh. v. Grimm,
bey Otfried: „Fehemo muate -uble jo guate“ variabili ani-
mo, malo bonove, mo das wenig nicht wohl paffen will,
Bey „en“ leitet der untere Hacken auf die Vermuthung, daf
es auch Ahne heißen könnte; „dreuuet“ Dreyfadengewand,
will uns nicht wohl zu Sinne, wir werfen auf gerademwöht
die Vermuthung hin, daß es auch driwerbe, dreyfach heißen
koͤnnte, fo daß gelefen würde: wenn du mir Einen. (oder
Ahn) anfageft, ich geb dirs dreymal wieder, oder made
dirs zu Gefallen dreymal wett. Das gleich Folgende Lönnte
auch verfianden Werden, allem Volke, jedem Kind im. Königs
reich bin ic) befannt. „Frote“ Fret im hiefigen Landesdias
lect ausdrücdend eine herbe Kräftigkeit, ferah bey Otfried und
fonft meift Leben, daher „ferahes frotoro“ eigentlid) lebens—
Bräftiger. Daß die Ueberjehung der Herausgeber „arbeo laosa
heraet“ (eruelosan man, König Rother 2907) durch erbenlor
fes Hausgeräthe richtig, und an die Herat dabey nicht zu
gedenken ift, tönnen wir aus Dietrihs Flucht zu den
Hunnen beftätigen. "Helce fchlägt darin dem Vogt von
Bern vor, eine Frau aus ihrer Kunne zu freyen, ihrer
Schwefter Kind, Frau Herrat genannt, die fehöneft, die nun
lebendig -ifi. Dietrich verfammelt feine Freunde im Rath, und
Hildebrandt raͤth ihm eifrig diefen Vorſchlag anzunehmen,
aber nur aus allgemeinen Gründen, um die Freundfchaft mit
dem Hunnenkoͤnig dauernder zu mahen; von eigner &ipps
[haft mit der Braut, oder daß er fie zu Haus zurückgelaffen,
wird nichts darin erwähnt. Die Hochzeit wird wirklich aus
gerichtet, und der Berner erhält Siebenbürgen zug Morgens
gabe. Daffelbe Gedicht veranlafit uns, im gleich Folgenden
nicht zu leſen „feit Dietrichs meines Vettern Elend fih an—
hub,“ fondern vielmehr, wie fih weiter unten vechtfertigen
wird: „feit Dietrich zu darben begann um meines Vaters
willen,“ faterero für Vater, hereron minon, meinen Her
ren, finder fich öfter bey Defried. Bey „ummettiri“ mögten
wir doh unmaͤchtig vorziehen, er (Dietrih) war fo freunds
verlaßner Mann, und Dttafern nicht gewachſen. Mir dem
Folgenden würden wir einen neuen Sinn anheben: „Bis da, wo
Dietrich zu darben begann, war er (KHiltebrand ) immer at
Volles Spitze.“ Bey „Welaga (Welaganu, Oifried) nu wal-
Die beyden Alt. Deut, Gedichte a. d. 3. Jahrh. v. Grimm. 341
tant Got“ wird Mar, daß die feltfame Phrafe im König
Mother „daz weiz der waldindiger (anderwärts maldendinger )
Sort“ falſch gelefen ift für: daz weiz der waltende her Got.
Sin banun nigifastan, fönnte hanun auch ban, fan die Ban—
ner heißen, Die Banner fliegen laffen heißt zum Streite ziehen,
das Banner binden, die Waffen niederlegen.
Die Unterfuhung über Sprahe und Alter der KHandfchrift
iſt vortrefflih geführte, nur kann leider folhen Forihungen
nur allzu wenig fichere hifterifhe Grundlage ‚gegeben werden,
weil man bey den feltnen noch übrigen Dentmahlen beynahe
nichts weiß über Zeit und Ort ihrer Entftehung. Es ift gewiß,
daß, fo wie die Deutiche Nation in drey Hauptſtaͤmme zer⸗
fiel, den Gothiſchen, den Sueviſchen oder Oberdeutſchen, und
den Fränfifchen oder Miederdeütichen, fo auch allerdings die
Sprache in drey Idiome Auseinandergehen mußte. Aber gerade
in jener früheren Zeit mußte das Allgemeine des Geſammtbe—
griffes noch fehr hinter dem Befondern einzelner Formirung
zurüdbleiben. Denn das ift der Charakter alter Zeit und des
früheren Naturlebens, daß die größte Mannigfaltigkeit von
Formen fih darin hervorthut, die zwar alle einfach und eins
fältig , aber in diefer einfahen Einfale mit der fchärfften Eis
genthuͤmlichkeit ausgeprägt find. Erſt im Laufe der Zeiten
fammelt fih das Nähftverwandte, allmählig auch das Fernere;
Das Band eines Sefammtbegriffes fängt an 'wie eine Wahls
verwandtfchaft fie zu umfchliefen; das Gemeinfame nimmt zır,
und muß immer mehr Überwiegend werden, mie das Beſon—⸗
dere aufgerieben wird’; zuletzt, wenn alle Eigenthämfichkeiten
der Grundformen ausgeglihen und mehr oder weniger ausgez
fogen find, ſtehen einige große Maſſen oder gar nur Eıne da,
die in ihrer Kugeleünde alle Typen und Geſtalten bezwungen
Hält. So ift es um die gefellichaftlichen Verhäleniffe in Deutichs
fand beichaffer gewefen, und fo find die verfchiednen großen
Sprahftämme erwachfen, die. jeßt auf Europäifcher Erde fies
hen. jedes der vielen hundert Völker, die nach und nad
Deutſchland umhegte, waren eben fo viele verichiedne Perſo—
nen, jede in ganz abgefchloffener Eigenthämtlichkeit, die als
foihe auch vor. allem fih geltend machte. Darum. kämpften
und firitten fie häufig mie einander, ob fie gleich alle als
342 Die beuden Alt, Dent. Gedichte a. d. 8, Jahrh. v. Grimm,
Blutsverwandte an der Sprache fih erfannten; nur affmählig
arbeitete jene dreyfache Bundsgenoffenfhaft aus dem Streit
der Elemente. ſich heraus. So ift es aud mit der Sprache
vom Belondern zum Allgemeinen vorgeichritten; im Anfang
hatte gewiß jedes Wolf feine eigene fiharf beftimmte, von allen
Andern abweichende, und doch wieder mit allen Andern zus
fammenhängende Mundart; ganz fpät erft fann man von Obers
und Niederdeutſchem Dialect, den äufierfien nach Berichlinaung
aller andern allein zurückbleibenden Gegenfäßen reden. Darum
weicht jede der noch Übrigen Urkunden der früheren Jahrhun—
derte im Sprahbau und Woͤrterformen von der Andern ab,
wie Ihre geklagt; und darum muß jede fcharf betrachtet wie
die Gegenmwärtide aus Ober: und NMiederdeurfher Mundart ges
mischt erfcheinen. Wir find mit den Verfaſſern einverfianden,
daß die Caffeler Handihrift in dem Klofter von Fulda gefchries
ben worden, alle äußern Merkmale fiheinen dahin übereinzus
flimmen, daß fie etwa der Zeit, wo Rhabanus dor Abr war,
angehört. Diefer kräftige, geiftreihe Mann war nebft Als
enin, Claudius, Johannes Scotus, Schuͤler des ehrwuͤrdigen
Beda, und während der Erſte die Franzoͤſiſche Schule in Pas
vis, der Andere die Italieniſche in Pavia gründete, ftiftete er
in jener Abtey die Niederdeutſche, während jene von St.
Gallen als die Dherdeutiche angefehen werden kann. In Fulda
waren 270 Mönche unter feiner Obhut verfammelt; Philos
ſoph, Dichter, Redner , Aſtronom, Chroniſt, der Griechiſchen
and Hebräiihen Sprache fundig, hielt er unter Jenen offene
Schule, ſelbſt nahdem er ihr Abt geworden; in allen veligids
fen und weltlihen Wiffenfchaften wurde dort unterrichtet , von
allen Seiten ſtroͤmten Lehrlinge Hinzu; gelehrte Pflanzſchulen
wurden von da aus wetteifernd in vielen Klöftern gegründet:
‚die Abtey war eine wahre chrifttihe Druidenichule, ein heller
Lichtpunce in dem damals fehr verwilderten Mocden, und als
foiher von Völkern und Fürften geehrt. Unter jenem gelchts
ten Vorftand und feinem Nachfolger Strabus ftand die Stif—
tung in ihrem hoͤchſten Glanze, und was an Denfmalen von
ihr ausgegangen, wird fo ziemlich ihrem Jahrhundert anges
hören, 150 Jahre fpäter waren die Mönche fhon üppig und
liederlih geworden, - und der Kayſer Heinrich nahm ihnen
*
Die binden aͤlt, Deut. Gedichte a. d. 8. Jahrh. v. Grimm. 343
darum einen Theil ihrer Befigungen weg, und legte fie Aerme⸗
gen zu. Es war aber Otfried der Ueberſetzer der Evangelien
von diefer Fräntifhen Schule ausgegangen; wenn wir aber
dies fein Werk mit unferem Fragment vergfeihen, feine ges
fhmeidige Sprache die runde, ja oft zierliche Form, die fiharfe
Herrihaft der darin waltenden Tegel im Gegenfaße mit der
ungelenten Gliederung, dem vollen aber ungeidhmeidigen nicht
fehr mufifaliihen Ton des Andern, dann muͤſſen mir uns
überzeugen, daß Beyde unmöglich zu derfelben Zeit abgefaßt
ſeyn können, fo viel man aud auf die Gewandheit des Dich—
ters und den Umftand, daß er eine kunftgerehte Grammatik
vor fih hatte, rechnen will. Vielmehr ift die Sprache des
Gedichtes aͤlter, als irgend eines der bisher bekannt gemachten
kieineren Fragmente, das alte Vaterunſer, das Freher her—
ausgegeben, etwa ausgenommen, das im Sprachbau und in‘
den MWortformen unter allen jenem einzigen Ueberreſte am
nähften koͤmmt. War alfo die Handihrift um jene Zeit wirks
fich in Fulda gefchrieben , dann hatte der Schreiber zuverläßig
ein älteres Original vor ſich, das er wenig oder gar nicht Ans
derte. Man vergleiche aber nun mit DOtfrieds Bibel, Notkers
zweyhundert Jahre jüngeren Pſalter, und man wird den Uns
terichied in der Spradye bey weitem geringer, als die zwifchen
dem Erften und unſerm Fragmente finden, fo daß die Ans
nahme ,. jenes Driginal fey zwey Jahrhunderte älter ale Rha—
banus keineswegs übertrieben fcheint. Aber wir haben Gründe,
auch felbſt dies aͤltere Blatt nicht für die Urſchrift anzuerfens
nen. Es ift nämlich die Fabel des Gedichtes eine Gothiſche,
die Sprache aber eine der Fräntifhen Mundarten. Nun galt
allerdings die Fabel des Heldenbuches aud im Frankenlande,
aber fie ging dort keineswegs in Gothifhen Formen um; fie
mar vielmehr als eine Einheimifhe aufgenommen, es waren
Fraͤnkiſche Helden, Fraͤnkiſche Mamen und Fraͤnkiſche Thaten,
oft gegen den feindlichen Gothiſchen Stamm ausgeuͤbt, wie
jene der Burgundionen, die dann beſungen wurden. Ganz
gewiß hatten die Fraͤnkiſchen Stämme ihr eigenes Heldenbuch,
und das gegenwaͤrtige Gedicht war keineswegs ein Theil von
ihm, es war von einer Gothiſchen Urſchrift Übertragen wor—⸗
den. Da die Dichtung in ihren Lebensaltern füh gewöhnlich
344 Die beyden äft, Deut. Gedichte a. d. 8. Jahrh. v. Grimm,
an die Zeiten glängender Negierungen und eines mohlgegrüns
deten allgemeinen Wohlftandes zu knuͤpfen pflege, fo fann man
überhaupt die Zeit Theodorichs als die. Sammlung und Auf
faffung jener Gothiſchen Gefänge vielleicht auch zum Theil
ihrer Umbildung in die chriftlihe Form mit Wahrfcheinlichkeit
annehmen. In diefe Sammlung war denn auch das Caffeler
Fragment aufgenommen, nnd mwahrfcheinlich in den Runen des
Wifilas gefihrieden. Auf dieie Vermuthung haben uns die noch
vorhandenen Spuren jener Schrift im Tept geleitet. Wie
nämlich die Herausgeber im Weifenbrunner Gebet das Runen:
hagel gar wohl erkannt, fo finden wir hier aufer dem W des
Uifilas noch Thor oder Thus, fo Häufig auch in den Man
feripten der Edda vorfommend, anfangs durch den Querſtrich
durch das D bezeichnet, tiefer hinein durch das linksgeſchwaͤnzte
d, beydes den Lispellaut andeutend. Der Haken abwärts am
e in den Worten en, seo, enigeru, lettun findet ſich gleich
falls Häufig in der Edda, um ae zu bezeichnen, 3. ©. *
reidr, Süreida, und wie hier seo, fo wird dort se moru
J y
vada der traurige See mit demfelben Haken bezeichnet. Die
Eircumflere endlich Über zenon se, erhinal, hewun, alfo
alle auf e jcheinen das Eir der» Runenfchrift auszudrücden und
anzudeuten, daß ö, oe und ör gelefen werden muͤſſe.
Ein weiteres großes Verdienſt der Herausgeber ift die
Entdeckung der Altiteration in beyden Fragmenten, und die
Nachweiſung, wie fie in gebundner Mede abgefaßt. Der Vo—
cal ift das natärlihe Element der Sprache, der Confonant das
Techniſche; jener wird wie das Leben nicht gelernt, dieſer kann
in fertiger Ausſprache durch Uebung allein erworben werden.
Bey allen raſchen, ruͤhrigen, ſtrebſamen, kriegeriſchen Voͤlkern
und epiſchen Naturen bey Nordlaͤndern, Berg⸗ und Wouͤſten⸗
bewohnern iſt die Sprache reich an Mitlautern und kunſtrei—
chen Verknuͤpfungen dieſer Elemente in ſcharfer Zeichnung ohne
ſonderliche Färbung. Bey Andern, die mehr lyriſch im Leben
und im Gefühle füh bewegen, daß der gefpannte Muskel
fih loͤſit und in innener Fülle runder, herrſcht auch die Muſik
des Vocales vor, es find Brufts und Herzenſprachen, wie jene
Ringerſyrachen. Der Nordifchen Kehle aber mußte nun auch
Die beyden aͤlt. Deut, Gedichte a. d. 3. Jahrh. v. Grimm. 345
das Mordifhe Ohr zugebilder ſeyn, und am regften der Har—⸗
monie jener ſtark bezeichneten Spradylaute fi Öffnen, fo zu
reden mehr dem funfireihen Einklang der Sjnftrumentalbegleis -
tung, als dem inwohnenden Geſange. Das hat ohne Zweifel
die Deutſchen und Celtifhen Voͤlkerſchaften auf die Alliterarion
geführt, ein Keldengefang in ihr iſt ein Waffentanz, mworin
die Ringe der Ruͤſtung klingen, bie Ranzen gegen einander
faufen, und und Schwertichläge von den Wölbungen der Schilder
widertönen, während Liebesgirren nur im weichen Liftchen mils
derer Sprachen ſich articuliren kann. Aſſonanz und Konjonang
find wie Naturlaut und Kunftlaut, jene läuft am Belbftlauter
fort, die andere am Mitlauter, jene ift eben feldftlautend und
die andere mitlautend, indem fie wahrfcheinlih im Vortrage
den frey fchweifenden Ton auf eigne Weiſe band und begränzte.
Für den, der die Dinge ohne Fünftlid gemachte Befangenheit
nimmt, wie fie fi ihm geben, ift es ſchon zum Voraus ges
wiß gewefen, daß eine Ericheinung, die fo tief im Geifte des
Volkes und der Sprache ihre Wurzeln Ychlägt, weder von
einem beionderen Stamme ausgegangen, noch auf einen engen
Winkel in ihrer Verbreitung ſich beſchraͤnkt. Inzwiſchen war
es nothiwendig für diejenigen, die in der Gefchichte nichts ohne
den biblifhen Augenſchein gelten»loffen, ohne dabey zu gedens
ten, daß er dem gerrübten Auge doch wieder nur zum Scheine
werde, und bey denen felbft Gott fein Daieyn durd) gehörige
Ermweife in logifher Form legitimiren muß, Hier wieder eins
maf urkundlich zu bemweifen, daß die Geſchichte ihre großen
Gelege hat, wie der Himmelsbau, und daß alles, was aus
ihnen auf die rechte Weife hergeleitet wird, durch die Beob—
achtung da wie dort nimmer Lügen geftraft werden kann. Das
Eaffeler Fragment beweiſ't fchlagend, daß die Alliteration, die
Bisher für das Angelſaͤchſi iſche erwieſen war, über die ganze
Niederdeutſch Fraͤnkiſche Poeſſe, und wenn unfere Ableitung
richtig iſt, über die Gothiſche fih verbreitete, und das Weißen⸗
brunner Gebet vollendet diefen Beweis aud) für die Oberdeut—
fche oder Sueviiche, der dies Fragment, wie faum zu zweifeln,
angehört. Wo an feltnen Stellen die Alliteration auszugehen
ſcheint, ift es wohl durdy die Lebertragung der Urfchrift im
fremde Mundart durch der Sache nicht ſonderlich kundige
346 Die beuden Alt. Deut. Gedichte a. d. 5. Jahrh. v. Grimm,
Mönche eingeihlihen. Die Dichtungen aber nun auf dieſe
Weiſe in ihrer urſpruͤnglichen Form wieder hergeſtellt, laſſen
uns einen tiefen Blick in das Weſen der einheimiſchen Poeſie
thun. Sie reihen nahe in die Zeit von Chilperichs Grab
hinein, und wie das, was man dort gefunden, Bienen, Sie—
gelringe, Schwert, Meſſer, Pferderuͤſtung, Stierbilder uns
einen plaſtiſch anſchaulichen Begriff von den aͤußerlichen For
men des damaligen. Lebens geben, fo führen ung diefe Lebers
bleidfel vecht in die Mitte, des dichtenden Geiftes jener Zeit
hinein, „nd wenn wir die Töne, die in den Merken des
Mittelalters und des Nordens, fo wie in ung feldft von jener
Zeit noch dunkel nachklingen, um die gewichtigen Worte, in
denen diefe Nunen fprechen, fammeln, dann ‚mögen wir den
Torfo-in-unferer-Anfhauung-mitgiemticher Sicherheit ergaͤn⸗
gen md uns ein ganz angemeffenes Bild von dem Weſen
jener uralten Dichterfchule machen, etwa wie wir die Altgries
chiſchen Philoſophenſchulen: ja gleichfalls aus wenigen übrigen
Fragmenten und dem Geifte des Ganzen gar wohl zu deuten
vermögen. Nur über die Vortragsweife dieſer Werke laͤßt fi
fehwer aufs Meine fommen, wahrjcheinlich gefchah es ſchwebend
zwifhen Sage und Lied in einer Art von Necitatif mit Be⸗
gleitung irgend eines lautenartigen Inſtrumentes, fo daß die
Betonung immer auf die alliterirenden Sylben fiel, eine Art,
wie fie wohl auch die ‚früheren Rhapſoden und die fpäteren
Conteurg verfchieden von den Liederfängern haben mogten.
Aber gewiß ift, daß auf. foiche Unterlage die ganze fpätere
Moefie gegründet war. Das Caſſeler und das Weißenbrunner
Manufeript verhalten fich genau zu einander, wie der herois
fche und der mythiſche Theil der Edda, denn auch wir glauben
mit den Herausgebern, daß der Eingang der Letztern einer
Art von Deutfcher Voluspa angehört. te ganze Dichtung
des Volkes war in einem folhen Mythen- und Heldenbuche
niedergelegt; das Wenige, was wie im Gebete das Chriftens
thum vom Erften nicht etwa zu fid) hinuͤberziehen mogte, wurde
verworfen und ging verloren, auf das Andere aber wurde im
Werfolge die ganze Dichtung des Mittelalters aufgeſetzt. Wir
haben am König Rother noch eine treffliche Urkunde zum Bes
fege diefes Zufammenhanges der fpäteren Zeit mit jenen fruͤhen
*
\
Die beyden Alt. Deut, Gedichte a. d.8. Jahrh. v. Grimm. 347
Sahrhunderten, Gerade wie das Kaffeler Fragment aufgeloͤſ't
aus Altdeutichem Lied in die Wilfinafage des dreyzehnten Jahr⸗
Hunderts eingegangen, und dann durch die verſchiednen Umars
beitungen des Hildebrandliedes bis auf ung gefommen, fo findet
ſich aud) Rother als ein ſolches Lied in jener Soge, zugleich
aber nuch früher noch als Epos fchon vom Norden nah Stas
fien und Griechenland hinabgetragen. Der Dfanteir der Wils
kinaſage iſt die Mordifchdeutiche Geftalt des füdlih Oftgorhifchen
Rothers, und Beyden liegt gerade ein folches altes Gedicht,
wie das Fuldaer zum Grunde, aus dem es fih in allmählige
Fortbildung heraus entwickelt hat. Daß dem fo fen, beweifen
außer den noh da und dort durchbrechenden riefenmäßigen
Umeiffen der früheren Zeichnung, die mancheeley alten Worts
formen, die auch fchon v. d. Hagen aufgefallen, volgodisy
trorande, sprachan, gesamenot, gecirot und viele Andere,
alles große Werkſtuͤcke eines andern Baues in diefen nur vers
mauert. Der Versabtheilung muͤſſen wir durchgängig unferen
Beyfall geben, und es ift ung intereffant geweſen, zu vernchs
men, wie die Herausgeber gegen die Drehung ber Edda in
kleine Verſe fih erklären, Allerdings läßt fih wohl "Manches
zu ihrer Nehrfertigung bepbringen. Das Griechiſche vollendete
Epos wie die Mibelungen und auf gleicher Höhe ftehende Dichs
tungen aller Völker gehen allerdings im feyerlihen Schritte
mit langem Schleppkleid, aber es ift keineswegs damit ents
ſchieden, daß aud) die alten Rhapfoden fo feyerlich gefungen.
Der Athemzug der Begeifterung iſt tief, aber kurz; wo die
Dichtung noch fo nahe und fcheitelreht Über dem "Leben ficht,
erſcheint aud) Ausdruck und That in einem runden engerfüüten
Augenblicke; erft wenn das heiße Gewitter. vorübergezogen,
fehen wir zuerſt das Feuer zuden, und die reflectivende Didys
tung dann in einem langen Donnerzuge nachroflen; ganz zus
letzt in zahmer gebildeter Zeit ſteht fie.ohne Zuf ud Schlag
ein biafes Wetterleuchten am fernen Himmel, und die Wolfe
Täße fich erfühlend das Feuer in langfamen Hellen austropfen!
Die alte Sage ift, fo fcheint es, kurz und eilig wie die Hie—
roglyphenſprache, fie. hat viel zu fagen, und wenig Zeit und
Worte, der Stein, die Rede foll fo viel ald möglih Gedans
ten in wenig Zügen faffenz; fie noch ©efährtin ber Heldenzeit
348 Die beyden Alt. Deut. Gedichte a. d. 8. Jahrh. v. Grimm.
und felöft Heldenjungfrau verhält fih zur fpäteren Nacherinnes
rung wie fchrotende Schwertesfhärfe zum hellen Stahlipiegel
‚auf feiner Flähe. Darum ift wohl auch die enge Versabthei—
lung, wenn fie ein Irrthum ift, ein fehr alter, denn offenbar
ift der welſche kurze epifche Vers, von Morden herab, wie der
Alerandriner von Süden heraufgelommen , daus jenem dadurch
hervorgegangen, daß man. die Alliteration bloß mit dem Keime
verwechielte, :und mit dem Sylbenmaße leichter nahm, und
gerade das gibt zurücwirkend auf dag Vorbild diefem einen
flüchtigen, leichtfertigen Anftrih, der fih mit feinem ernften,
bedeutfamen innern Charakter gar nicht wohl vertragen will.
Unter der Rubrik: Zufammenhang mit dem ganzen Fabelr
kreis, haben dis Herausgeber vortrefflich nach ihrer Weile wie
Seologen eine Erzader, fo das Werk in feiner Lagerung in
dem großen poetifhen Gebuͤrgzuge dargeftellt, und fo erſt recht
feine große biftorifche Wichtigkeit herausgehoben. Wir find
im Stande, aus der Naticanifhen Handſchrift No. 3ı4. Dies
trichs Flucht zu den Hunnen, die Fabel, in die das Fragment
eingreift, in etwas zu ergänzen. Der alte Amelunch erzeugte
mit einer Sattin, aus Kerlingen geboren, drey Söhne wohl
gethan, mworunter der ältefte Diether, dann Ermrich fo der uns
getreueft war, der je von Mutter ward geboren, zulegt Diets
mar. Der Bater theilt unter die Söhne fein Land, fo daß
dem Erfigebornen Bifah und Beyerlant, dem Ermrih Puls
len, Galaber und Wernhers Mark, dem Süngften endlich
Lamparten alles gar, Roͤmiſch Ere und DOfterlant, Foriul und
das Juntal zufällt. Alle drey gewinnen Kinder, Ermridy eis
nen Sohn, Friederich genannt, Diether die beyden Marlunge,
die Ermrich fieng und ohn' Schulde hing. Dietmar endlich,
der Bern gebaut, nahm des Königs Defau Tochter, und ges
wann mit ihe zwey ſchoͤne Kind, Dither und den Bernere, dee
mit maniger Mannheit alle die Wunder hat bereit, davon
man finget und ſeit; Hildebrand erzog die Söhne, die der
Vater fterbend dem Ermrich befohlen. Diefem aber rvathen
Sibich und NRibeftein, daß er mit Dietrich ein Gleiches thue,
wie mit den Harlungen, während er ihn zu fih lade, unter
dem Vorwand, daß er nad dem heiligen Grabe walle, um
Die beyden Alt. Deut, Gedichte a. d. 8. Jahrh. v. Grimm. 349
den Tod der beyden Sjünglinge zu büßen. Der Lngetreue
ſendet Randolt von Anton mit dem Auftrage nady Bern, dies
. fer aber ſtatt ihn in die Schlinge zu ziehen, warnt ihn vtels
mehr vor der Werrätherey. Wie Ermrich feine Tücke entdeckt
ſieht, gebietet er eine Heerfahrt, wie größere niht ward ges
fehen auf römifh Erd. Er ruͤckt mit mehr als 80000 in das
Herzogthum zu Spolet und heifit das Land oͤde legen mit
Raub und Brand, bis an Meylan. Aber aud Dietrich hat
ſich gerüfter, ihn zu empfangen, unter dem Rufe Aht Sches
velin (oder Schavolin) Berne, Ahet volir Berne! (Acht
fhau wohl in Bern, achtet wohl ihr Berner?) überfällt er
Nachts den Feind; Ermrihs Sohn, Friedrich, wird mit 1800
“ gefangen, und 26000 liegen vom KHeere’erichlagen. Nach der
Schlacht aber grämt ſich Dietrich fehr, daß er nicht Gutes ges
nug befige, um feine tapfern Freunde gu belohnen. Da fpricht |
Bertram von Polen, Here ihe folle nit Sorge han, ich gieb
euch Gutes .alfo viel, mit Treuen ich das gerne thun will,
500 Saummere in Polen, da ih zu Kaufe bin. Dietrich
nimmt das Anerbieten an, und nad) dem Golde werden ge
fendet Hildeprant, Sigebrant, Wolffhart, Helmfhart, Ams
lant von Bart, Sindolt, Ditleip von Steyer und mit ihnen
Bertram. Aber ihre Reife war alles Ungluͤcks Anfang, waͤh—
rend die Boten hochgemutet freichen mit dem Gute, legt Erms
rich ihnen einen Hinterhalt, und als man das Gold führen
follte gegen Bern herauf, durch Sfterich wird es genommen,
und die Nitter werden gefangen vor Ermric geführt zu Mans
tauwen in die Stadt. Und der Ungetreue fpricht ‘zu ihnen;
will Dietrich löjen euer Leben, er muß mir fürwar geben als
les mas er je gewann, art und Meylan, Bern und Raben,
Polen und Hifterih, Lamparten und römiich Erde muß er
mir alles laffen, alles muß mein eigen wefen, oder ich laß
euch nicht geneien. Der Bernere, wie er die Rede vernimmt,
ſpricht: und waren mein alle Reich, die wollt ich ehe alle lan,
dann meine getreuen lieben Mann, die Neihe ich eh alle
verhur, ehe dann ich fie alfo verlur. Er fendet einen Boten
an Ermeneih, daß er ihm feinen Entihluß anfündige, und
diefer zieht vergnüge mit einem Heere gegen Bern. Mit
350 Die beyden Alt, Deut, Gedichte a. d. 8, Jahrh. v. Grimm.
Kräften fie lagen, Raubes fie pflogen, und thaten Schaden
ſtark allum durch die Mark, das Land fie anzunden, fie nas
men was fie funden, Rauch ging Über Land, der flarfe Woſt
und Brand, Rauch Über Dern. Hervortreten Jubart, Ecke—
wart, Efkenat, deren waren drey und vierzig Mann, die
But, Weid und Kind liefen um den von Bern. Dietrich
seht hinaus mit Geleit vor Ermrih, mit naffen Augen trüde
und roth ; das Haupt er darnieder bot Ermrich auf die Füße.
Er ſpricht: gedenfe Vetter fühle, daß ich bin deines Bruders
Kind, daß meine Sinne noch kranke find, nu thu an mir die
Ehre, ich will nimmer mehre wider dein Hulde icht begehn,
noch deines Zornes abgeftehn. Lange ſchweigt Ermrich, zuletzt
ffriht ev erbarmungslos: gibt man mir heute Bern nicht, fo
glaub mir, daß dir gefchicht weh von meinen Handen. Syn
allen den Landen, die je Land find genannt, wo did) begreifer
mein Hand, da wiget nicht dir alles Gold roth, begreiff ich
dich fo Gift du todt. Dietrich bittet zulekt bloß um Bern, der
Ungetreue aber erwicedert, nu laß dir feyn von mir gach, oder
ich heiß dich fangen und auf einen Baum bangen, den nädıs
ften den ich finde. Zuletzt noch fagt er, um ihn zu kraͤnken,
er muͤſſe zu Fuße mit den Seinen abziehen. Mehr als tau—
fend Frauen aus der Stadt, Frau lite an ihrer Spige, gehen
hinaus ins Lager, und legen Fürbitte um den Fürften ein, fie
werden aber zornig angefahren; eylet suh von mir wenden,
oder ich heiß euch fchänden. Kin fährt nun Dietrich gegen
Hunnenland mit den Seinen, am 2dten Tage koͤmmt er mit
Genoffen in die Stadt Gran, und kehrt bsy einem Kaufmann,
des Könige Palaſt gegenuͤber, ein. Bald hält die Königin
Helche ihren Einzug mit Rüdiger, und verfhämt birgt der
Held fih) hinter den Pinen, Nüdiger aber erkennt und bewills
kommt ihn und ſchenkt ihm, als er fein Ungluͤck erfahren,
800 Mark Auch ben der Königin führt er ihn ein, und auch
fie, nachdem fie ihn wohl bewirthet, verehrt ihm zwöif Saums
märe mit Gut. Bald auch koͤmmt der KHunnenfürft mit feis
nen Nittern von Etzelburg, auch er nimmt ſich des Geächteten
an, ımd fagt ihm ı2000 Mann gu, Hüdiger 11000, und
Andere nad) Vermögen. Bald erhält Dietrich auch Machricht
Die beyden Alt. Deut. Gedichte 0. d. 8. Jahrh. v. Grimm. - 351
von Amelot, wie er Bern wieder gewonnen durch Ueberfall,
und nun zieht er aus gegen roͤmiſch Weich mit feinen Mannen.
Am zwölften Tage koͤmmt er vor Bern an, Tidag gewinnt
ihm Meylan, um ihn fammeln . fih wieder feine Freunde.
Da macht auch Ermrich fi auf, um Meylan zu belagern,
Dietrich aber bereitet einen Ueberfall, Wolffhart redet zw feiner
Schar: mu freut euh Helden gut, wir follen in Mannes
Blut heute waten bis Über die Sporen, wir follen alfo fchafs
fen, daß Layen und Pfaffen von diefer freyfen Märe fagen.
Sie ſtoßen bald auf den fihergemahten Feind, da ward ein
Darruden, da hub fih ein Zucden, die fcharfen Seren mit
Handen zufammen fie gerannten, der Dunft aus ihrem Leibe
rauch, gleich in dem Sebaren gleich als ob ein Wald wäre
gezündet an mit Feuer. Wolffhart fchreit abermals auf: ift
unter ung jemand er fey Herr oder Fürfte, den von Kerzen
dürfte, der leg fi nieder und trink das Blut, und fecht aber
als ein Held gut. Ermrich wird gefchlagen und in Ravenna
eingefchloffen, auf Sibech und Nibefteins Rath aber entweicht
er in der Nacht nach Bolonie. Navenna wird übergeben,
und von Dietrich dem ungetreuen Wittige ühergeben, fo wie
Meylarn dem Todas, Bern dem Elfan, Gart dem Amlolt.
Dann reitet der Bernere mit den Hunnen gu Ebel, ihm
koͤmmt fein Bruder Dierher in Freude entgegen, Buhurt und
Hochzeit mit der Herat. Bald aber fommen wieder Boten
von Amlolt hergeeilt, um zu verfündigen, wie Wittige Nas
ben verrathen, und wie Ermrich alle in der Stadt erjchlagen,
taufend Frauuen enthaupter und fechshundert, Kind gehentt,
und. wie er mit. einem Heere von 200000 läge im Herzogs
thum von Spolet, denn er hat das Harlunge Gold, davon
er noch lange gibt guten Cold. Da gebietet Esel eine Heer—
- fahre nah Sran über acht Wochen, Frau Helche fender 48,
Saummäre mit Golde roch voraus nach Bern. Bald fams
melt fid) ein Heer von 150000 um Dietrih, und damit fährt
er Hin durch Sandes gegen Yſterich, unterwegs unterwerfen
fi) ihm wieder Polere die Reihen, und geben hundert Kas
ftellan : bey Padaume wird Ermrihs Sohn Friedrich gefchlas
gen, Wolffhart faͤngt Sibechs Sohn Saben, und er wird
352 Die beyden Alt. Deut. Gedichte a. d. 5. Jahrh. v. Grimm,
vor den Mauern gehenft. Das Heer zieht weiter gegen Nas
ben, die Frauen: werden begraben mit großem Leid, und es
geht nun nach Bolonie, wo Ermrich liegt. Am Reine (keiner
Fluß bey Bologna) lagern beyde Heere, der Feind wird ums
gangen durh die eine Hälfte des Hunnenheeres, Dietrich
ſelbſt macht den Angriff, Feuer flog freislih aus Helmen und
fiählernee Wat, Ermrihs Heer wird duchbrohen. Am.
Morgen koͤmmt noch König Günther mit den ſtarken Burgos
- nismann gegen die Sieger geritten, alle auf flofgen Kaftellan
mit Eijen wohl bedecket. Erſt wird nun ein Sturm geftritten,
der härteft der da je geſchah, als ob taufend Schmiede wären
niit KHämmern Über Ambos gerhan, Dietrich und Günther,
Toller von Alzan und Molffdart kommen zufammen mit
Wehr, Schaar nah Schaar wird aufgerieben, am Mittag
gelagen alle Günthersmannen todt bis auf Se, der König,
ſelbſt wird flüchtig , Feld, Blumen und Gras, alles rinnt
von Blute, man fieht die Guͤſſe hinabgehn, .als von dem Res
gen thut ein Bach, wohl eine deutfche Raſte weit alles mit Tods.
ten voll lag. Ermrich verlor alle die gar, die er hatt ges.
bracht in den Streit, der Seinen lebt niemand mehr wann
1100 Mann ; Nibeftein wird errannt und von Ekkewart ers
fchlagen, nur 200 kommen mit Ermrih, Sibig, Wittige und
Heinze nah Bolonie. Es folgt die Klage und das Begraben
der Todten, Ruhe der Streitmüden bis zum achtzehnten Tage,
dann fährt Dietrich wieder zu den Hunnen nad) Etzelburg,
und wird freundlich empfangen, Helche klagt in ihrem Muthe,
die edeln Neden gute, und wer auf dem Wall verfchied. Hies
mit endet fih das Lied, das zwar in der alten’ Form reichen
Stoff zu einer fhönen Quida bot, bier aber in fpäterer meir
fteriängerifcher Breite und Vermeichtheit nur von fehr mittels
mäßiigem poetifhem Verdienſt erfcheint, aber fehr wohl die
Hiftorifche Compofition jenes Dichtungskreifes zu erläutern und
aufzuklären dient.
(Der Beſchluß folgt, )
[nenn
No. 23. Heidelbergiſche 1813.
Jahrbücher der Litteratur.
Die beyden Äfteften — Gedichte aus dem achten Jahrhundert
herausgegeben durch die Brüder Grimm.
( Beichlufi der in No. 22. abgebröchenen Recenfion, )
Wa die bey dieſer Gelegenheit von den Verfaſſern ent⸗
wicelten, ſehr wohl begründeten Ideen über Dietrich von Bern,
Ermrich, Sibih, die Wölfinger und verwandte Gegenftände
betrifft, fo werden wir an einem andern Drte Gelegenheit has
ben, ung weiter darüber zu verbreiten; hier bemerken wir nur,
daß ſchon der Abt Conrad von Lichtenau, Verfaſſer der Urfpers
ger Chronik am Anfange des dreyzehnten Jahrhunderts, über
den Zwieipalt der Poefie und Gefchichte in der Dietrichsfage
nachgrübelte, und zu einem ähnlichen Nefultat wie die DVerff.
gelangte, wobey ihm Aber freylich die wahre Erfenntniß des
Weſens der Heldenpoefie nicht angemuthet werden darf. Wir
führen die in mancher Beziehung merkwürdige Stelle hier aus
feinem Buche, Basler Ausgabe ©. 111 an: „Nah Ers
mwägung aller biefer Umftände mag jeder, dem irgend einige
Weberlegungstraft beywohnt, enticheiden, was davon zu halten,
daß nicht bloß in gemeiner Dichtung und. in Wolksgefängen
aufgenommen, fondern fogar in einigen Chroniken gefchrieben
ift, wie Ermenreich zur Zeit Martians über alle Gothen ges
Herrfcht, und den Dietrich Dietmar Sohn, feinen Wetter,
auf Anftiften des Odoacer, gleichfalls, wie fie fagen, als
Vetter ihm verwandt, von Merona vertrieben, und ihn »
gezwungen, beym Hunnenkoͤnig Attila Zuflucht zu fuhen, da
doch Jornandes ausdrücklich erzähle, Hermenreich, der Gothens
könig, habe zur Zeit des Valens und Valentinians über viele
Könige geherrfcht, und fey von zwey Brüdern Sarus und Ams
mius, die, wie ich Hlaube, jene find, die gemeinhin (vulgariter)
Sarelo und Hamidiecd genannt werden, verwundet worden,
und dann beym erften Vorbrechen der Hunnen aus den maͤoti⸗
23
354 Die beyden aͤlt. Deut. Gedichte a. d. 5. Jahrh. v. Grimm.
fhen Suͤmpfen unter Valamber theils-an der Wunde, theilg
aus Verdruß über diefen Einbruch geftorben,, Attila aber habe
fiebenzig Jahre fpäter in den Catalaunijchen, Feldern -geftritten,
und fen unter Martian und Balentinian geftorben. Dann erft
Habe unter Leo Theoderih, Dietmar Sohn, den Odoacer Ko⸗
nig der Rugier und Turcilinguer in vielen Treffen geſchlagen
und die Herrſchaft Italiens erlangt. Darum mag eine auf
. merffame Betrachtung diefer Thatſachen wohl entſcheiden, wie
es doch möglich fenyn moͤgte, daß Ermenreih den Theoderich
Sohn des Dietmar zum Attila entweihen mahen, da er doc)
keineswegs fein Zeitgenoffe war. Jornandes hat alfo entweder
falfh berichtet, oder der gemeine Glauben trügt, oder ein ans
derer Ermenreich und ein anderer Theoderich find als Zeitges
noſſen dem Attila beyzulegen, durch welche alddann der Widers
ſpruch ausgeglichen werden mag. Denn jener Ermenreid, farb
lange vor Attila, Theoderich aber. wurde nach feinem Tode,
oder um die Zeit deffelden geboren im fünften Geſchlechte von
Vuldulf, Bruder Ermenreihs, beyde Söhne Achiulfs, abs
ſtammend, defien Enkel Eutharit, indem er die Amalafuenta,
Theoderichs Tochter, zur Gattin nahm, beyde Linien wieder
miteinander verband. Dietmar feinem Vater aber werden feine
anderen Brüder beygeleat ald Vualamar und Vintimar, wo—
von der Erfte zur Zeit Attilas lebend nad) defien Tode feiner
Herrfchaft fih unterwarf, und ohne Nachkommen ſterbend ſei—
nem Bruder Dietmar die Regierung überließ, der andere aber
einen gleichnamigen Sohn hatte, der-nady des Waters Tode
Italien verließ, und nah Gallien ging.“ Man fieht, diefe
Chroniken lejen, wenn der Abt vecht gefehen, gerade wie das
Caffeler Fragment, wie es fcheint, anders als die Wilkinaſage,
die doch ganz auf den Liedern derfelben Zeit ruht; Dietrich
flieft vor Odakers Neid nah Hunnenland, und diefer Odaker
iſt nicht Ermenrich, fondern Sibih oder Saben. Alles ber
weiſ't, wie vielfältige Geftalten die Fabel durchgelaufen, gleich
zeitig bey vielen Voͤlkern und nacheinander in vielen Zeiten,
den Letzten iſt alles zulegt in ein Bild verwachſen, wie ein
Baum in den Knospen viel taufend Pflanzen trägt, deren
jede verfchieden von der Andern, und die doch eins find in
ihrer Natur und in ihrem Mutterftamme. So auch find alle
Die beyden aͤlt. Deut, Gedichte a. d.8. Jahrh. v. Grimm. 355
diefe Helden Dietrich und Hiltebrand und Odaker und Ermens
veich und Attila blühende Bäume, die viele Laͤnder mit ihrem
Geyweige. überfchatten., und durch fange Jahrhunderte immer
diefelben und. immer Andere grünen. Alles das ift in der
Schrift fehr gut entwickelt, und dabey noch recht fharffinnig
auf die Verknuͤpfung der Dichtung durh Sibich mit der alten
Fuchsfabel nachgewieſen. Was den gleichfalls angedeuteten Zus
fammenhang des Hiltebrand mit dem Odyſſeus betrifft, fügen
wir nur noch aus der Trojanifchen Gefhichte des Dictie von
Ereta, die man, mie alle Werke diefer Art, auch achtlos vers
worfen, während fie ein Neugriechiſches Erzeugniß der frühes
fien Zeit ohne Zweifel auf alten Sagen und jeßt verlornen
Urkunden ruht, daß auch Ulyſſes mit dem eignen Sohne Thes
lagon, den er- mit der Circe erzeugt, in Achala vor feiner
Burg kämpfte, ohngeachtet ihn ein Traum gewarnt, und daß
der Juͤngling unwiffend den Water mit der eignen Lanze, die
er auf ihn hingeſchleudert, tödtet.
Wir mäffen den. Bemerkungen ein Ziel feßen, welche, die
intereffante Schrift in uns geweckt. Wir loben zuleßt noch)
einmal das Ganze um die treue Gründlichkeit, um die. fchöne
Liebe zu der Sache, um die durchgängige innere Tüchtigkeit,
um die wohlbewahrte darin herrſchende Geiſtigkeit.
Goͤrres.
Erinnerungen von Friedrich von Matthisson. Erster
Band. Zürich, bey Orell, Fuesli und Comp, 1810. X u.
413&. Zw.Bd. 418 ©. gr. 8. (Mit einigen niedf. Vignetten.)
; Die angiehende Darftellungsart des Verf. ift fhon aus
feinen früher erfchienenen Briefen befannt. Die Vorzüge, welche
jene Sammlung auszeichneten, — ein heller Blick im Auffafe
fen der Begenftände, ein guter : Beobachtungsgeift,, weifer
Gleichmuth und milder Ton in der Beurtheilung, metrifche
fhöne Darftellungen und ein fehr gebildeter, bluͤhender Vor⸗
trag — zeichnen aud) diefe Erinnerungen, und zwar in einem
noch höheren Grade, aus. Nur dürfte der Vortrag hier und
da für Profa vielleicht zu blumenreich feyn, und manden Schil—
derungen fcheine fat bloß das Sylbenmaß zu fehlen, um
356 Erinnerungen von Fr. v. Matthiſſon.
materifche Poefie zu feyn. Mehrere der im Jahre 1795, und
im J. ı802 in einer neuen Auflage, erichienenen Briefe des
Kern v. M. find, ihrem weſentlichen Inhalte nah, wiewohl
in einer andern Ordnung, mit den fünf in diefem erften Bande
vortommenden Auffäßen verwebt; allein Überall wird man die
beffernde und feilende Hand des Verf. gewahr. Manches
Minderbedentende , desgleichen die Ankündigung der Pünftigen
Erfcheinung von Büchern, die damals, als die Briefe heransı
famen, -längft erichienen waren, wie Gerſtenbergs Mincene,
Klopſtocks Tod Hermanns u. a. blieb diesmal weg. Einige—
mal werden jedoh auch hier noch Werke als künftig erfcheis
nend angefündigt, die wenigftens zur Zeit der Herausgabe
diefer Erinnerungen (1810) allgemein, als längft er—
fhienen, bekannt find. &o wird, um nur ein Beyſpiel ans
zuführen, S. 375 bey Aug. Rode bemerft, „wir hätten in
Kurzem einen verdeutfhten Vitruv von ihm gu erwar—
ten.“ Diefer Vitruv ift aber fhon 1796 zu Leipzig in zwey
Bänden in 4. erfchienen, und da Hr. v. M. fich nicht fireng
an die-Zeitfolge bindet, und Erinnerungen auge frühen und
fpäten Sjahren an einander reihet, fo hätte diefe Motiz ent
meder anders geftellt oder doch nicht ohne eine Anmerkung ges
geben werden follen. — Drey andre Bände werden noch auf
diefen erftien folgen, und diefe Sammlung, die gewiß viele
theilnehmende Lefer finden wird, befchließen.
Wir gehen'zu. den einzelnen Aufläßen des erften Bandes
über. I. Der große Bernhardsberg S. ı — ı6.
Diefe fehr anziehende Befchreibung las man fchon mit Wer:
gnügen in dem erften Theile der Briefe; bier aber find die
Materien noch beffer, als dort, geordnet, und die ganze Dars
fiellung zeigt von der glüdlihen Feile des nad) immer größerer
Vollendung ſtrebenden Verfaffere.
II, Die Selfentuppe von Mayenne. ©. 17 —5n.
Auch diefe [höne Schilderung. kennt man fihon aus dem ıd.
Briefe der erften Auflage. Außer mehreren glücklichen Der
befferungen im Ausdrucke und einigen paffenden Auslaffungen,
findet man hier auch ein finnvolles Gediht: Die Alpen:
Hirten; — wiederum abgedruckt in der neueften Sammlung
der Matthiſſon ſchen Gedichte &. 211.
Erinnerungen von Fr. v. Matthiſſon. 357
III. Darkellungen aus Frankreich: in drey-Abs
fchnitten. S. 31 — ı54. Merkwürdige Züge aus dem Natios
nals Charakter der Franzofen, Nachrichten von ihrem Theater,
Beſchreibungen intereffanter Kunſtwerke und Alterthuͤmer, und
lebendige Schilderungen reizender Gegenden wechjeln hier aufs
angenehmfte mit einander ab. Uebrigens las man. die meiften
der hier mitgetheilten Bemerkungen det Verf. über Lyon,
Avignon, Vaucluͤſe, Cette, Niemes, Montpellier u. .f. w.
fhon in feinen Briefen. Aber auch hier fHößt man auf mande
gluͤckliche Verbeſſerung in der Darftellung. Eine der trefflichs
fien Schilderungen, die des Hafens bey Cette, — möge hier
als Probe der Darftellungsart des Verf. fiehen: „Ein fris
fher Seewind ( heißt es ©. 155) fühlte die Wärme dee
Abends. Die Matrofen ſchwammen zwiſchen den Schiffen im
Hafen, und die Fiiher fangen in ihren ‚Barfen. Sch flieg
hinter der Petersihange hinab, und warf mich in die fauen
Fluthen. Mit der Wonne wird vielleicht felten gebadet. Die
Geſchwader der Karthager, Syrakufer und Nömer gingen vor
meinem Geifte vorüber, die großen Schatten der Scipionen
über den Waffern, und Blagende Stimmen der Heldenvoͤlker
fhollen, aus ihren fernen Grüften, über die unermeßliche
Meeresflähe, melde fie vormals herrfhend ummwohnten. Ich
ging nachher noch lange auf dem Mole ſpatzieren. Allmälig
verftummte das Getuͤmmel des Hafens, und man hörte nur
noch von Zeit zu Zeit in den Schiffen das dumpfige Läuten
der Betglocke. Lange fihon hatte die Flamme des Pharus ger
lenchtet, als ih in den Gaſthof zurückkehrte. Goldene Bilder
aus Athen, Milet und Lesbos wirkten fi in meine Träume‘;
die freundlichen Geſtirne, unter deren Einflüffen die glüclichen
Suͤdlaͤnder, durch Überfchwengliche Fülle des feimenden und:
- feuchtenden Lebens, in ewiger Frühlingsjugend frohlocken, fcheis
nen einladend niederzufchmweben,, und der entförperte Himmels;
chor ihrer felgen Bewohner fang in leiſen Geiſtertoͤnen:
Hoffe freudig, Hoffe muthvoll, Pſyche, bis zur Morgenröthe
der losgebundenen Schwingen! Koffnung ift die Blüthe des
Gluͤcks!“ — —
IV. Feyer des Wiederfehens aufdem Schloffe
Bodmer © 155 — 178. . Ein Beſuch bey dem Dichter
3
358 Erinnerungen von Fr. v. Matthiſſon.
v. Salis, aus dem 8. Briefe des zweyten Theil der Briefe
fhon befannt. Aus einem andern Briefe jener Sammlung
iſt auch ein Beſuch des Herrn v. Salis bey Herrn v. Mats
thiffon eingerädt. ©. 169. ı60 wird dem edlen Ulrich von
Hutten ein verbientes Todtenopfer gebracht. Außer einigen
gluͤcklichen Verbefferungen im Ausdrude, ſtoͤßt man in diefem
Auffage auch auf einige, gelungene, neu binzugefommene
Stellen.
V. Baterländifhe Beſuche. S. 179 — 413. Auch
diefe Nachrichten las man größtentheils fchon ehemals in ‚den
Briefen des Verf. mit Vergnügen; nur mit dem Unterſchiede,
daß man die aus verfchiedenen jahren und von verfchiedenen
Reiſen herrährenden Notizen hier in ein Ganzes concentrirt,
und mit mandhem angenehmen Zufaße bereichert findet. Mans
des, was nur die Empfänger der Briefe intereffiren konnte,
ift Hier weggeblieben. Die Bemerkungen des Verf. erftrecken
ſich über Konftanz, Mörsburg, Memmingen, Ulm, Stuttgart,
Heidelberg, Mannheim, Frankfurt am Main, Marburg u.
f. w. Außer der Erwähnung einiger Marburger Gelehrten, fins
det man auch eine kurze Befchreibung des befannten Monu;
ments der heil. Elifaberh in der dafigen gochifch » prächtigen
Elifaberh » Kirche. Der trefflihen, über fünf Alräre diefer Kirche
befindlichen und größtentheils von Albreht Dürer herrührende
Gemälde und Schnigarbeiten finder man jedoch nit erwähnt.
Auffallend aber war es uns, hier ein Urtheil des Verf. wies
der abgedrudt zu finden, das uns fchon ehemals, als unkuͤnſt—
leriſch, in den Briefen mißfallen hatte. Nachdem nämlich
Hr. v. M. das merkwürdige und in feiner Art einzige Mos
nument der heil. Eliſabeth — deffen auh Hr. Fiorillo in
feinen Beinen Schriften, als eines intereffanten Products aus
der leuten Hälfte des dreyzehnten Jahrhunderts, erwähnt —
befchrieben hat, fügt er folgendes hinzu: „Kein Menfchen,
freund wird den frommen Wunſch unterdrüden können, diefe,
den Aufihließer ausgenommen, feinen Sterblihen zu Nuß und
Frommen gereichende Gold s und Silbermaſſe, aus dem oͤden
Gewölbe befreyt, und, zum Beften wohlchätiger Stiftungen, _
unter dem Prägftocfe der Münze zu ſehen; beionders in eis
nem Lande, wo fo viele Wittwen und Waijen, deren verkaufte
Erinnerungen von Fr. v. Matthiſſon. 359
Männer und Väter in Amerika modern, die Igerechteften Ans
fprühe auf Entſchaͤdigungen haben, welche nicht allzu tief une
ter ihrem Derlufte find.“ (Kann man wohl gebliebene Gatten
und Väter auf irgend eine Art mit Geld bezahlen?) „Der
Geiſt der heiligen Eliiaberh felbft würde ſich dieſer Verwand⸗
fung freuen: denn fie war eine großherzige Frau, die auf
jeden Seufzer lauſchte, um ihm zu flillen, und mad) jeder
Thraͤne forfchte, um fie zu trocdnen.“ Macher wird Diefes
Kunftwert noch einmal, eben fo unfänftlerifh, ein todser
Mammon genannt. Was würde aus dem intereffanteften Kunfts
werten der Vorzeit werden, wenn man faufmänniid nur den
größeren Nußen berechnen wollte, den fie, in Geld verwan—
delt, gewähren würden ? Könnte man nicht, eben fo konfes
quent, aud rathen, die trefflihen Altargemälde und Schnitze
arbeiten von Albrecht Dürer, welche diefe Kirche zieren,
an die Meiftbiererden zu ‚verkaufen, und von dem geldf’ten
Kapital Allınofen auszutheilen, oder fromme Stiftungen zu
gründen? Weberdies bedachte Hr. v. M. nicht, wenn er von
„ Wittwen und Wailen redet, deren verkaufte Männer und
Väter in Amerika moderten,“ daß dem ehemaligen Regenten
von Heſſen weder die Eliſabeth⸗KArche, noch deren -Schäße
angehörten, fondern ein Eigenthum des erſt feit: Kurzem auf;
gehobenen Deutihen Ordens waren , der mit dem Amerikanis
fhen Kriege nichts zu jchaffen hatte! Und gab und gibt «es
nicht, und wird es nicht in allen künftigen Zeiten Kriege ge—
ben, woran auswärtige Hülfstruppen Antzeil nehmen müffen,
ohne daß der einzelne Bürger oder Krieger ſich lebhaft für die
Sache intereffiren follte, um deswillen er kämpfen, dulden
oder fallen muß? Es ift vielmehr Sache der jedegmaligen
Landesregierung, darauf bedacht zu feyn, die Wittwen und
Waifen der Sebliebenen und die Kinder der Verftämmelten,
fo wie diefe Ungluͤcklichen ſelbſt, aus der Staatskaſſe zu vers
forgen ,„ ohne deshalb ehrwuͤrdige Kunſtdenkmale in Plingende
Münze zu verwandeln! — Uebrigens hat auh Hr. v. M.
den Geldwerth des Monuments viel zu. hoch. angefchlagen.
Vielleicht finder fih der würdige und unbefangene Verf., nad)
einer genauern Prüfung unferer Anfiht, bewogen, bdiefelbe
auch zu der feinigen zu machen. — Leber Göttingen und
360 Erinnerungen von Fr, v. Matthiſſon.
mehrere dortige Gelehrte ſagt Kr. v. M. viel Intereſſantes.
Sin den Briefen ging er von da gleih nah Hamburg über.
Hier aber ift erſt noch Manches aus dem 5. Briefe des ı. Bos.
über Hannover, Herrnhaufen, Dearienwerder u. f. w. einges
ruͤckt. Bey Hamburg ift wieder in Eins zufammeng:fhmoizen,
was Hr. v. M. ehemals im ı. Br. des 1. Bos. und im 16.
Dr. des 2. Bos (mac der erften Aufl. der Briefe) in den
verfchiedenen Sjahren 1785 und 1794 beobachtet und aufges
fhrieben hatte, Bon Klopitod, dem Schaufpielr Schröder
und dem Dichter Claudius kommt hier noch mancher inters
eifanter Zug ‚vor, wovon die Brief: Sammlung des Verf.
nichts enthielt. Dann geht es über Lüneburg, Braunfhweig,
Krakau bey Magdeburg ( wo eine rührende Szene des Wieders
fehens vorkommt), Halberſtadt, wo man auf mehrere anges
nehme Zufäße ſtoͤßt, — die Spiegelberge, Wernigerode —
und hierauf folgt eine furze, gefühlvolle Schilderung der herr⸗
fihen Sarten s Anlagen zu Wörlig, mit ein Paar neuen Zus
fägen und Wendungen. &o hieß es 5. B. fonft in den Briefen,
Bd. 2. ©. 186: „Du haft die intereffanteften Länder unſers
Welttheils gefehen, lieber Bonſtetten! und befonders in
Italien, Frantreih und England, jede dir erreihbare Blume
des Schönen, Großen und Nüslichen gebrochen: aber dennod
würde, bey der Reife durch das Fuͤrſtenthum Deſſau, frohes
Erftaunen fi) deiner Seele bemädtigen“ u. ſ. w. In den
Erinnerungen, ©. 377, wird dies alles, mit wenig vers
änderten Worten, von Forfter gefagt: „Frohes Erftaunen
bemächtigte fi) der fhönen und großen Seele Geora Fors
ſters, welcher den Erdball umfergelt, und in den intereffans
teften Ländern unfers Welteheils jede nur irgend erreichbare
Blume des Großen, Schönen und Nuͤtzlichen gebrochen hatte,
bey den reigenden Anfichten des Fürftenehums Deffau* u. f. w.
Seite 379 fg. kommt ein Zufag über Wörlig vom J. 1801
vor, worin der Verf. einige Anfihten und Aeußerungen eines
Ungenannten in einer Anmerkung zu des Hrn. v. Bonftetr
ten Aufſatz über die Sartentunft — insbefondere was den
MWohnpalaft zu Wörliß betrifft — berichtigt. Bey Weimar
verweilt der Verf. mis Liebe, und erzähle manches Erfreuliche
Erinnerungen von Fr. v. Matthiſſon. 361
von Wieland, Herder, v. Knebelu.a. Bey Herder
ift auch von der fünftigen: Herausgabe der (fchon im J. 1796
erihienenen.) Deutfchen Bearbeitung der fchönften Poefieen des
Jakob Balde die Rede. Bey Knebel hingegen heißt es:
„er habe vom Properz eine das Urbild ehrende Kopie vols
lendet.“ Diefe Ueberfeßung erfchien aber erft 1798. Indeſſen
tönnte die Ueberſetzung wirklich ſchon im J. 2794, wo Ar.
v. M. in Weimar war, vollendet geweſen, aber erft 4 Jahre
fpäter erfchienen fun. S. 395 fg. wird Knebels, aus
Herders Adraften bekannten, Beſuchs bey dem trefflihen
Didter Joh. Niklas Goͤtz zu Winterburg erwähnt und des
günftigen Urtheils gedaht, melhes Friedrich der Große
über die Mädcheniniel diefes Dichters fäle.. Mufäus und
Bode erhalten ein verdientes Todtenopfer. Daß Albrecht
Dürer auch Schriftſteller war, und ein Bud von der menfchs
lichen Proportion und" Porträtmalerey ſchrieb, ift doch fo uns
befannt nicht, als Hr. v. M. ©. 411 vermuthet. Mit der
Ankunft des Hrn. v. M. in der Gartenwohnung des Hrn.
v. Bonftetten, unweit Bern, fchließt diefer erſte Band der
Erinnerungen.
Nach diefer ausführlichen Anzeige des erſten Bandes beus
ten wir noch kürzlich den Inhalt des zweyten an, deſſen
Inhalt nicht weniger anziehend, als der des erften, if. Wir
finden hier folgende Aufiäge; VI. Seefahrt nah Kopen—
bagen. 1794 (S. 1 — 54). Zwar größtentheils ſchon aus
dem 2. Bande der Matthiſſon'ſchen Briefe befannt, hier aber
verbeffert und mit einigen intereffanten Zufägen vermehrt.
VII, Wanderung nad dem Stodhome, an J. ©.
v. Salis. 1794 (8. 55— 76). Gleichfalls aus dem legten
der Briefe des 2. Bandes befannt, bier aber verbeffert und
vermehrt. Unter andern "Hefet man die fchöne poetifhe Ers
gießung ©. 75 hier zum erfienmale. VII. Die borromäis
fhen Inſeln. 1796 (8. 77—95). Erfcheine hier zum
erftenmate. Leider! aber erfährt man, einige artige Anekdoten
und gefühlvolle Aeußerungen über die reizend ⸗ fchöne Gegend
abgerechnet, nicht viel von den Inſeln und deren Befchaffens
heit. IX. Reife von Laufanne nach Aofta. adoı
362 . Erinnerungen von Fr, v. Matthiſſon.
(8. 99 — 204). Ein reihhaltiger intereffanter Auffag! Eis
niges ift zwar au fhon aus dem 1. Bd. der Briefe befannt.
Man finder aber auch hier manchen erfreulihen Zufag. Ans
ziehend find unter andern- die Nachrichten von Gibbon,
Chandler, Sorani, Alfieri, des DVerfaffers
Herzensergießung über feine Freundichaft mit dem edlen Bons
fietten, u. a m. X. Acht Tage in Paris. An den
Fürften von Anhalt Deffau. 1805 (S. 207 — 274). Ein
neuer Aufiaß. Der Verf. hat feinen kurzen Aufenthalt in der
merkwuͤrdigen Kaiferftadt fehr gut zu benußen gewußt. XL
Acht Tage in den Alpen. An den Erbprinzen von Meck—
lenburg⸗Strelitz. 1804 (S. 277 — 354). Diefer Aufſatz ift
einer der anziehenditen. diefes Bandes; reich an fhönen Schil—⸗
derungen und intereffanten Anekdoten, aber keines Anszugs
fähig. Eben fo fchön ift der XII. Aufſatz: Wallfahre nad
der großen Karthaufe bey Grenoble An J. ©.
v. Salis. ıdod (S. 557 — 418). Wir können uns nidt
enthalten, folgende Stelle aus diefem letzten Auffaße herher
zu feßen: — — „Treok dem feurigen. Weine von Afti, blieb
mein Gemüth beym Hinblicke nah dem verhängnißvollen
Schlachtfelde von Marengo, nur ernften und däflern Betrach—
tungen hingegeben. Mir war, als fliege, gleich einem Geifte
Oſſians, der Schatten des Biederften der Keerführer aller
Zeitalter und Nationen, des tapfeın Defair, dem Partheys
wuth und Nottengeift bis zur Erbitterung verhaßt, Pflichtge—
fühl und Ehre bis zur Anbetung heilig waren, und welchen
fogar die Völker am Nilftrome dur den Namen des gerechten
Sultans ehren, hinter den fchirmförmigen Wipfeln der Pinien
zürnend empor, und fordern mich auf, fein leßtes, nur wer
nigen befanntes Heldenwort in das Gedädhtniß der ihm Ger
vechtigfeit gewährenden Mitwelt zu vrägen. Sch verdanfe es
einem edlen Krieger, den ich im Sahre 1803 von Straßburg
nach) Paris begleitete, und in deffen Armen Defair den bes
neidenswerthften aller Tode farb. Die fhöne Tirade, welche
die Zeirblätter ihm in den Mund jlegen, und der nur das
Alerandrinifche Versmaaſt mangelt, um ganz theatralifch zu
feyn , gehört auf die Lippen eines Salliihen Roscius; aber
jo gefucht und ſtudirt fpricht kein Feldherr, dem die eifige
2. F. Huber's fammtl, Werfe, 363
Hand des Todes ſchon an das Herz greift. Er denkt nicht an
die Stimmfammlung der Nachmelt zu feiner. Apotheofe, fons
dern nur an den entiheidenden Moment der großen Gegen—
wart: „Von neuem kann der Sieg fhwanfen, wird bein
Tod ruchtbar vor der Zeit.“ Schnell, wie die Kugel, die ihn
traf, ſchlug in feine Seele diefe Vorftellung ein, und ſprach
fih, mit erhabenem Lafonismus, in feinen leßten Worten aus:
„Stille davon!“ (N’en dites rien!) |
Auch das Aeußere diefes Buchs ift geſchmackvoll, und jes
der Aufjag mit einer niedlihen Vignette gegiert. Möge der
würdige Matthiſſon und bald mit den beyden folgenden
Bänden befchenten! —
| Ki.
£. 5. Huber’ fämtlihe Werke feir dem Jahre 1802. Zweiter Theil.
Tübingen 1810. bey Cotta. 484 ©. (Der erfte Theil, welcer
1806 erfchien, enihält Hubers Biographie und frühern Briefe.)
Durd den Tod des waceren Huber haben nicht bloß defs
fen nähere Freunde einen bedeutenden Verluſt erlitten, fondern
auch die ganze gebildete Lefewelt, vermißt durch ihn einen
Schrififteller, der fih dur eine gewiſſe aͤſthetiſche Nechtlichs
feit und Seradheit auf eine erfreuliche Weiſe bemerkbar ges
macht hatte. H. ermangelte freylih der eigentlih gelehrten
Bildung, fein Geift war nicht genährt durd) das Studium
der Aiten, nicht mit Sicherheit ausgebildet durch Logik und
Mhilofophie, und wir müffen ihm fogar einen bedeutenden
Umfang und Tiefe des Beiftes abiprehen, doch wenn fi
diefer Mangel durch irgend etwas erfeßen oder verhüllen läßt,
fo konnte man in der That bey H. zuweilen in Werfuhung
fommen, jene höheren Anfprüche zu vergeffen. Man fand bey
ihm ein redliches, durch Leiden gejtärktes, liebevoll klares Ges
muͤth, den eigentlihen Boden, auf dem allein die Poeſie
fih erzeugen kann, die nie mit einem unreinen oder ſchwaͤch—
lihen Kerzen fid) vertragen mag, man erfannte in ihm einen
nicht gewöhnlichen combinatorifhen Scharffinn, einige gute
leitende äfthetifche Anfihten, einen Styl, der anfangs freplich
von einer gewiffen Mühfeligkeie erkälter, fih in den letzten
364 8 F. Huber's ſaͤmmtl. Werke,
Jahren zu mehrerer Freyheit hindurch arbeitete u. ſ. w. So
iſt es denn als ein verdienſtliches Werk anzuerkennen, daß man
uns eine Darſtellung ſeines anziehenden Lebens gegeben, und
den Anfang gemacht hat, mehrere ſeiner zerſtreuten Schriften
nebſt denen noch ungedruckten zu ſammeln. H. ſelbſt war ein
guter aͤſthetiſcher Oeconom, und ließ gewöhnlich feine Aufſaͤtze
und Erzaͤhlungen das Publikum zweymal leſen. Wir wollen
ihm damit keinen beſonderen Vorwurf machen, ſondern uns
gern erinnern, daß jede Schrift, die nicht werth iſt, mehrere
Male geleſen zu werden, auch nicht verdiene, daß man ſie ein
einziges Mal durchblaͤttere. Bey den meiſten Werken H's
tritt der erſtere Fall wirklich ein.
Ein nicht geringer Theil der vorliegenden Schrift enthaͤlt
Kritiken aus der allg. Lit. Zeit., dem Freymuͤthigen u. ſ. w.
( S. 105— 242) Wenn wir erwägen, daß mit Ausnahme
einiger wenigen Beffern, in den achtziger, und. befonders im
Anfange der neunziger Jahre, die äfthetifhe Kritik der Deuts
fhen gar Praftlos und fchläfr,g betrieben wurde, indem damals
die faft ausfchließlihe Hinneigung zu einer meift oberflächlichen
Politik die Fortichritte in der Kritit der Künfte hemmte, fo
werden wir mehrere der Huberfihen Necenfionen für fehr auss
gezeichnet erklären muͤſſen. So ift z. B. die Kritik von Goes
thes Schriften (vom jahre 1792, ebenfalld abgedruckt, in
H's vermiihten Schriften, Berlin 1795.) das fruͤheſte gute,
tlar anertennende Wort über den trefflichen Schriftfteller. Ihr
gegenüber fteht, als entfchieden verfehlt, die Kritit von Klops
ſtock's Hermann’s Schlacht, in welhes Wert H. nicht fonders
lich fi zu finden wußte (&. 110 — 120).
Noch mäfen wir Hier der Krititen der Soethifhen Na—⸗
törlihen Tochter, des ehedem gar fehr gepriejenen, von H.
aber faft annihilirten Grafen Donamar u, f. w. mit gebübs
rendem Lobe gedenken; vermißt haben wir die des Schlegels
fhen Athenäums, der Romantifchen Dichtungen von Tieck, der
Luna von Korn, des Alarcos u. f. w. Trifft H. in dieſen
Mecenfionen zuweilen aud in das Blaue hinein, fo ift denn
doch der Anftand, mit der er die Sache treibt, anziehend,
und es ift deshalb zu wuͤnſchen, daß man in dem folgenden
Theile fortfahre, uns die Krititen ſaͤmmtlich mitzutheilen, die
8. 5. Huber's ſaͤmml. Werte, 365
in den einzelnen Journalen und Zeitungen zerfireut, fo fchwer
aufzuſuchen find,
Wir erhalten ferner in diefem Bande Briefe, aus dem
Anfange der neunziger Jahre, faſt gang politifchen Inhalts.
Mir wollen dieje Briefe nicht recenfiren, da fie jeßt durchaus
veraltet find, und eigentlih nie für den Druck beftimmt was
ren; nur das wollen wir hier nicht verhehlen: Hätte H. den
Tacitus gekannt, diefen ewigen Codex der Achten Politik, er
würde jene Briefe ganz anders geichrieben haben, und von
manden ichmerzlihen Täuichungen, die hinterher nicht auss
bleiben konnten, frey geblieben feyn.
Wir erhalten bier ferner Erzählungen („Das ein:
fame Todesbert“ und „Weltfinn und Frömmigkeit“), denen
die lebte Hand noch fehlt; doch vermiffen wir diefe leßte Hand
nicht fonderlih, da fie doch nicht die Poefie würde haben hins
ein zaubern können, die leider gaͤnzlich mangelt. Leider mäffen
wir fogar noch hinzufügen, daß wir bier auch eine gewiffe
Larität in der Anſicht des fittlihen Lebens wahrgenommen has
ben, die durch einige fchimmernde Halb; Phitofophie fchlecht
verhälle worden ift. Es ift uns um fo fchmerzlicher, Ddiefen
Vorwurf hier niederlegen zu muͤſſen, da uns, wie wir durchs
aus nicht verhehlen wollen, Huber als Menſch fehr theuer
war, und aud die meiten feiner anderen Schriften von einem
ähnlihen Vorwurf völlig frey bleiben.
Endlih erhalten wir hier auch noh Bruchſtuͤcke von Schau
fpielen. H. ſprach ſich feldft oftmals mit befcheidener Selbſt⸗
kenntniß das dramatifhe Talent ab, dennoch, trieb ihn oftmals
eine unbefieglihe Meinung dazu bin, und er lieferte dann,
was ein geiftreicher, aber unpoetifcher Schriftfteller liefern
tann. — Der bier angefangene „Saffier“ ermangelt leider
der tragifchen Kraft, der fortgeießte Deutiche Hausvater (von
Gemmingen) wäre unferes Erachtens nichts weiter geworden,
als ein mittelmäßiges Familiengemälde,-wie wir deren fchon
zue Gnuͤge haben. Es ift fehr wahr, daß wir Deutfchen den
tiefen und wahrhaft heiligen Sinn des Familienlebens rein
und fräftig in unferem Herzen aufbewahren; doch eben fo vein
und kraͤftig dargeftellt Haben wir dicfen Sinn wenigftens auf
der Bühne noch niemals. Was dort in diefer Hinficht gegeben
wurde, war meiftens nur Liebäugeley, oder Weichlichfeit oder
engbrüftige Verzagtheit..
Am meiften dürfte zu bedauern feyn, daß das Meine ans
gefangene Luftipiel „der Naufch von geftern“ micht vollendet
worden ift, wir hätten in ihm ein fein gedachtes Diminutivs
Drama erhalten, das, mit Liebe und Sorgfalt auf der Bühne
dargeftellt, gewiß eine recht erfreuliche Stunde würde gewährt
366 5.9 Bothe’s ‚antifgemeffene Gedichte.
haben. — — Moͤge uns H's Andenken ftets theuer bleiben.
Mas er wirklich erfivebt hat, fteht oft tief unter dem Ideal;
doch was er wollte, mit ganzer Seele wollte, war rein und
groß und herrlich.
| in.
5. H. Bothe's antifgemeffene Gedichte, eine Achtdeutfche Erfindung.
Berlin und Stettin, bei Sr. Nicolai 1812. XXIV und 196 ©,
fl. 8.
„ Sriechifhe und Pateinifhe Negeln der Mortmeffung ans
zunehmen , ift nicht partheyiiche Vorliebe für Griechen und Ras
teiner, fo verzeihlich die hohe Bildung beyder Nationen auch
eine folhe Vorliebe machen würde; es ift vielmehr die Webers
zeugung, daß diefe Negeln nicht ſowohi die eines einzelnen
Volkes, als der Natur ſelber ſind, oder mit andern Worten:
daß Hellas, Roms Lehrerin, die in Rede ſtehende Kunſt auf
ihre erſten Gruͤnde zuruͤckfuͤhrte, die in groͤßerem oder ei
gerem Maaß auf alle Sprachen anwendbar find.“
Nach diefen Worten der Vorrede glaubte Nec. nichts ges
wiffer, als die Gefeße der Deutfchen Metrit von Hrn Bothe
‚eben fo mißkannt zu finden, wie ehemals von Conrad Gef
ner, und fpäterhin von Claius, der in feiner Grammatica
Germanicae Linguae Hexameter gibt, wie:
— u — — — [nn —
Ein Vogel hoch ſchwebet / der nicht ald andere lebet.
und Sapphifche Zeilen, wie:
Lobe mit Eymbeln, der ob allen Himmern
Di mit Heif jieret , benedeyt, regieret.
in denen die Römifche Syibenmeſſung unſerer widerſtrebenden
Sprache mit Gewalt aufgedrungen iſt. Aber zu ſeinem Erſtau—
nen fand er die Verſe in den Gedichten, bis auf einige, die
fuͤr verungluͤckt gelten moͤgen, meiſt richtig gemeſſen. Herr
Bothe ſpielt Uzens unſchuldiges Spiel, nur nicht voͤllig ſo
unſchuldig, und gibt uns fuͤr antik gemeſſene Gedichte, was
aͤcht Deutſch gemeſſene ſind, die nur zufaͤllig mit der alten
Meſſung uͤbereinſtimmen. 3. B.
Walle dahin muthvoll, du Geſegneter, in die Gefahren,
Welche du ſollſt anfhaun und Bändigen! Hörft du den Anruf
Der Drommete? Sie fagt : „Auf, auf, da Pie heilige Sahne
„Wehe des Vaterlandd! auf, du den göttliche Geifter
F. 9. Bothe’s antifgemefiene Gedichte, 367
„Winfen hinauf, fih nad, die erhabene fonnige Ruhmbahn,
„Dein’ Ahnheren! Durch Nacht und Sturm und Draden
hinan fchmwebt
„Steil der Weg: jedoch oben umher wohnt liebliche Klar:
eit
» Emiger Himmelöfterne.“
Wenn wir den Bleinköpfigen Anfang des dritten Werfes aus
nehmen, und den Matthiſſonſchen Unpyrrhichius jedoch, fo
iſt kein Verstakt, der ſich micht vertheidigen ließe (denn die
paa: trochäifchen, von denen Himmels noch dazu „Sponda’s
ſchwebenden Gang“ nahahmt, dulder der Deutihe Hexame—
ter), und die meiften find fogar vorgäglih ſchͤn. Eben fo
verhält es ſich durchgängig mit den Elegiſchen, Sapphiſchen,
Asklepiadifchen und anderen Versmaßen diefer Sammlung.
Aus ©. XXI der Vorrede fehen wir, daß Kr. Bothe,
durch Tiedgens und Biefters Beyfall, und die Medaille
des erhabenen Fürften Primas ermuntert, nocd weiter zu
gehn gefonner ift. Hier erheiſcht die Necenientenpfliht, ihm
ein warnendes Diftichon zugurufen, weiches ihm zugleich das
Ziel, wohin er gelangen wird, vor Augen ftellen mag:
Bothe, dein anntes Spibenmaß , dag du fo empfiehlſt
Prüfe mit Ächt deutſchem Geiſte doch und kritiſchem!
D. A. E.
Archäofogie der Kirchendogmen von Joh. Ulrih Röder, Coburg
im Meufel, Leſeinſtitut. 1812. VI und 266 ©. in 3.
Mach der Vorrede hat der Verf. nah 35 Dienftjahren
im 67. Sjahre feines Alters, als Director der herzogl. geh.
Canzley, Canzler der Regierung und Praͤſes des Eonfiftoriums
u Coburg, wegen Kränklichkeit feine Dimiffion genommen.
us alter Liebe für das Studium der Theologie wendete er,
bey wiederfehrender Ruhe und Kraft, feine Zeit auf biblische
und claffiihe Philologie, Kirhengeihichte und andere theof.
Huͤlfswiſſenſchaften. Gewohnt mit der Feder in der Hand zu
leſen, notirte ev fich vieles. Einen Auszug daraus, nad) den .
Artikeln der Dogmatik geordnet, gibt er als ein Greis von
2 Jahren im gegenwärtigen Werke, welches vornehmlich durch
Vergleichung jüdiliher und anderer Moltsmennungen und ges
lehrter Dogmen die Entftefung mancher chriftliher Dogmen
"oder dogmatiicher Formen freymüthig und oft fehr richtig bes
feuchter. Sogleich anfangs werden die Hiftorijchen Belege anges
’
368 Archäologie der Kirchendogmen von J. 1. Röder.
geben, daß die erften Ehriften lange Juden blieben, nur
mit dem Linterfchied , daß fie an Jeſus, als den gefommenen
Meſſias und als Meformator des Judenthums gegen Pharifäiss
mus und Sadducdismus, glaubig geworden waren (Apg. ‚21,
20.), da Jeſus feldft, nach feiner göttlichen Lebensklugheit,
nicht anders zerftören zu wollen, als durch Aufbauen des Beſſe—⸗
ren, nur das Geſetz zu vervolllommnen,, Matth. 5, 17., ne
benbey aber noch -Dpfer und fogar Säge der. Traditionarıer
(Matıh. 25, 2. 23.) zuzulaffen geneigt war, „bis alles ges
fchehen ſeyn würde.“ ews ravra yernras. In der Stelle
bey Sueton, wo Tiberius die Juden und similia sectantes
aus Rom verweift, findet der Verf. die judaizirende Chriften,
Bol. Apg. 18, 20. Wenn Juden und Griechen neben einander
ftehen,, als zum ChHriftenehum gerufene, wie Röm. 2,9. 3, 9.
1. Cor. ı, 20. ı0, 32., fo verfteht der Verf. unter den leßteren
nur fogenannte Fromme oder Gottfuͤrchtende Apg. 13; 16. 17,
2. 4., d. b. jüdifch gewordene. Von den Griechen ſeyen viele
- feit den NRömerfriegen mit Perjeus, mit Korinth ꝛc. als Sclas
a.
ven verkauft, auh an Juden nach der Erlaubniß Rev. 25. 44.
gefommen und Profelyten geworden ( Szofeph. ctra Apion.
2, 5.), da, nad) Cicero und Juvenal, der hungrige Grieche
alles zu thun fähig gewefen fey. Lnter den Bapßapoıs Röm.
1,.14. verfieht der Verf. Juden zu Rom. Wie hätte Paulus
geborne Römer damals Barbaren nennen dürfen? Bis nad
der Zerftörung Sjerujalems feyen alfo meift nur Sjuden und
Sfudengenoffen, Meifianer nah Jeſu Lehre — Chriftianer,
geworden. (Doch haben unftreitig auh manche Heyden den
Monotheismus aus herzlicher, oder philofophifcher Ueberzeugung
angenommen.) Auf ähnlihe Weite hat der Verf. faft ben jes
dem Artitel minder gemwöhnlihe Bemerkungen, welche die Prüs
fung reizen und zugleich durch Gedrängtheit angenehm werden.
Auch Philo, auch die Kabbala werden benußt, und Schriften,
welche noc nicht zu vergeffen find, wie Gruners, Heilmanns
Dogmatiten, in neues Andenken gebrahte. Wie felten ifts,
daß befonders Männer, welche durch ihre Studien und Ges
fchäfte gewöhnt werden koͤnnen, mie vieles andere, eben fo
auch die ethiſche Welt, zu welcher die Theologie gehört, nad)
dem Typus der äußeren Geſetzgebung, der politifhen Rechts—
verträge, der. bürgerlihen Straf » und Genugthungstheorie zu
betrachten , die reine Meigung in fih erhalten, vor allem, wo
nicht den philofophifchen und pipchologiihen, doch den Hiftoris
fhen Entftehungsgrund aufzufuchen und anzuerkennen!
| H. E. ©. Paulus.
No. 24. | Heidelbergifche 1813.
Sahrbüder der Litteratur.
Josephus et Carolus Wenzel de penitiori structura cerebri ho-
minis et brutorum — cum quindecim Tabulis ductis in
aere et totilem linearibus. — 'Tubingae apud Cottam.
MDCCCKI. Borride ALV ©. 6 Zabellen und 354 Bogen.
Fol.
N. fhon in einem eigenen Prodromus vor drey Jahren
diefem Werke vorangegangene Anfündigung, — ber. viel vers
fprechende Titel — und ſelbſt auch das fplendide mit fo vielen
Rupfertafeln ausgeräftete fo volumindfe Werk felbft, berechtigen
in der That zu großen Erwartungen. u
Mit diefen Hoffnungen erfüllt begann der Rec. die Durchs
lefung diefes Werks, und nachdem er ſich muͤhſam durd dass
felbe, wie durch eine fandige Steppe durchgewunden, foll er
getreulich erzählen, mas er fand, und mas er über das
Ganze urtheilt. Die Verf. beginnen ihr Werk mit der tabels
larifchen Anſicht. Die Vergleihungen der Länge und Breite
des großen und Meinen Gehirns bey Foetus, Kindern und Ers
wachſenen männlichen und weiblichen Geſchlechts, wobey Rec.
vorzüglich aufgefallen iff, daß das Gehirn eines 11, jährigen
Knaben 5 Zoll Länge und 4 Zoll 3 Breite hatte, das eineg
ſechsjaͤhrigen 6°’ Länge und 5’ 6 Breite, und das eines
ausgewachfenen: Diannes von 26 jahren nur 5’ 10’’’ auf
5” Breite maß. Das Meine Gehirn hatte an Kindern und
Erwachſenen erftens a’ 6’ auf 4’ 3° Breite. Sollten
dieſe Beobachtungen richtig ſeyn, woran Rec. jedoch ſehr zweis
felt, fo wuͤrde wenigſtens Gall's Meynung dadurch ſehr mwiders
legt, welcher naͤmlich behauptet, daß das kleine Gehirn in
den Jahren der entwickelten Mannbarkeit ſo ſehr an Umfang
zunähme. Eine zweyte Tafel enthält die Ausmeſſungen der
Gehirne verichiedener Säugthiere und Vögel. Eine dritte Tas
fel enthält das Gewicht des ganzen Gehirns und des großen
J— ”
370 Josephus et C. Wenzel de penitiori structura ete,
und kleinen Gehirns an Menfchen von verfchiedenem Alter.
Die vierte Tafel zeigt die Gewichte der Gehirne verſchiedener
Säugthiere und Vögel. Eine fünfte Tafel die Zunahme des
Sewichtes in einem Hähnchen vom Hten Tage der Bebrütung
des Eyes bis zum 21. Tage nebft der Wergleihung des Ger
wichtes des ganzen Körpers. Die fechste Tafel zeigt endlich
bey Vergleihung der Lärge und Breite des Gehirns die Länge
und Breite des vierten ( der Verf, fünften) Ventrikel an den
Menfhen und den Thieren.
Im $. I. handeln die Verf. mit einer laͤſtigen Weit
fchweifigkeit von den Schleimkörperhen, welche auf der äußern
Fläche der harten Hirnhaut neben dem langen Blutleiter lies
gen, Und die man gewöhnlich Pachioniihe Drüfen nennt.
Auf 17 Foliofeiten erfahren wir weiter nichts, als daß dieſe
Körperchen nicht in ungebornen, aber wohl in Kindern vom
erften Alter vorfommen, daß diefelben ſowohl über als unter
der harten Hirnhaut fi erzeugen, im letzten Fall, menn fie
größer werden, durch die harte Hirnhaut durchdringen, auf
den Venenſtaͤmmen liegen, die an den Blutleiter andringen,
gerinnbare Lymphe ſeyen, die verdickt werde, durch die Be
mwegung des Hirns beym Athmen dur die Faſern der harten
Hirnhaut durchgepreße werde u. f. m. Am Ende folgt das
naive Geſtaͤndniß, „finem neque ullum habere neque ha-
bere posse videntur.“ (!) Iſt wohl etwas im Organismus
ohne Zweck?
$. II. Vergleichung der allgemeinen Form der Behirne
des Menfchen, der Säugthiere, Voͤgel und Fiſche. Aus dem
‚Ganzen ift nichts zu entnehmen; es herrſcht Überall nur ein
undeftimmter Ausdruc von lang, breit, rund, länglich u. ſ. w.
Die Verf. hätten dabey mehr Achtung gegen das Publıkum
zeigen follen, als daß fie Beobachtungen von erweichten und
fauten Birnen beybringen. Wußten fie dent nicht, daß das
Kirn des Störs immer wei, felbft an lebendigen, und faft
wäfferig ift ? |
$. III. Ueber die Windungen des Gehirns — ſehr fur
wird diefe wichtige Sache abgethan. Und nur von der Sym
metrie der Gehirnwindungen von dem Nichtdaſeyn derſelben
an dem Gehirn der Haſen, Maͤuſe, Ratten, da doch derglei
Jesephus et C. Wenzel de penitiori structura etc. 371
hen Windungen am Heinen Gehirn ( Blätterbau ) gefunden .
werden. Des Streites, den Gall veranlafte, ob die Hirnwin⸗
dungen zufammengefaltete Hirnmembrane feyen, wird gar
nicht erwähnt, und Über diefe gewiß: fehr.intereffante Bildung,
in welcher der Menich durd die Größen und Tiefen der Furs
Ken fi fo fehr auszeichnet, gar feine Meynung geäußert.
$.IV. Mikroskopiſche Unterfuchungen der Hirnſubſtanz. Nach
Prochaska und della Torre (die weit wichtigeren Beobachtungen
des Felice Fontana Sul Veleno della vipera feinen die Verf.
nicht gefannt zu haben) und der Verf. eigenen Unterfuchungen,
welche alle zum Ueberdruß weitſchweifig in 30 Observationi=-
bus hererzähle werden, befteht die Hirniubftanz aus Kügelchen,
weiche von einem. Zellgewebe, das die Form aller Organe ift,
aufgenommen find.
$. V. Bon ber Beſchaffenheit des gefrorenen Gehirns.
Gennari war bekanntlich der erſte, welcher hieruͤber Verſuche
angeſtellt hat. Die Verf. ziehen dieſes Buch auf 4 Foliofeiten
woͤrtlich aus, daun folgen g einzeln erzählte Beobachtungen,
woraus erheflt, daß fie das nämliche fahen, was Sennari ges
fehen hat, nämlich Eisblätchen, Niffe und Lamellen der
Hirnſubſtanz — aber dann behaupten fie. gegen Gennari, daf
derfelbe geirrt habe zu fagen, eine folche Blaͤtterform fey der
natürliche Bau des Gehirns, fondern fie glanben vielmehr,
diefe Seftaltung fey eine Wirkung der Kälte. Es ift wirklich
gu bedauern, daß die Verf. Hier, wo fie auf Wahrheiten gleichs
fam mie Gewalt gedrängt werden , doch davon fich wieder abs
wenden. Nec. hat viele Beobachtungen an gefrornen Gehirnen
gemacht, und fi uͤberzeugt, daß diefe Blätthen, in melde
die Hirnfubftang durchs Gefrieren zerfptingt, die elaentliche
innere Hirnfaferung fey, welche wir auch durch das Erhärten
des Gehirns in Weingeift und mineralifhen Säuren bemerfen:
mit dem Unterfchied, daß hier die Fafern zufammenhangen,
dort aber durch Riffe, die das Eis einnahm, getrennt erfcheinen.
VI. Die Frage, ob die graue Subſtanz des Gehirns
überall zufammenhange, wird mit mein beantwortet, und dies
fes durch parallele, horizontale und perpendilulare Schnitte
der Hirnmaffe erwiefen. Merkwuͤrdig ift der Schluß: Vero-
similiter _itaque diversas singularum e@erebri partium
372 Josephusfet’C.!Wenzel de'penitiori structura etc.
functiones maxima saltem ex parte a cinerea, mutua au-
tem singularum partium conjunctio totiusque. nexus a
medullari cerebri substantia dependet. Gall's Meynung,
gegen welde die neueren Hirnforſchungen die divefteften Bes
weife liefern.
$. VII. Die erſte Hirnhöhle in der mittleren Scheider
wand im Menihen und Säugthiere. Diefer dreyeckige Raum
wird, wie die Verf. richtig bemerken, durch die vom Boden
der drephornigen Hirnhoͤhle herabfteigende und von einander
etwas entfernte Marklamelle gebildet: Der Kanal, der von
den vorderen Grübchen herabgehen foll, bis in den Boden der
dritten Hirnhoͤhle und vor der vorderen Commiſſur ſich endts
gen fol, eriftirt nicht nach des Rec: Unterfuchungen in durch
Alkohol erhärteten Gehirnen, und ift gewiß durch die Schweine.
borften, deren die Verf, fih bey ihren Unterſuchungen bedient
haben, kuͤnſtlich durchgeſtoßen worden.
$. VIII. Die Verf. handeln von dem Markhaͤutchen,
weiches die innern Wände der Hirnhöhle Überzieht, und fehen
‚mit Recht die taenia cerebri den margo intern. collicul
opticor., die fimbria hippocampi für Fortfäße deffelben an —
alles befannt und zu weitläufig vorgetragen, daß die taenia
befonders in Älteren Subjecten hornartig erfcheint, das hänge
nicht von einer verdickten Lyumphe ab, wie die Verf. glauben,
jondern von einem höhern Grad der Oxydation des Mervens
marks ſelbſt.
$. IX, Bemerkungen über eine beſondere Eigenſchaft des
Sefäßneges in den Seitenhoͤhlen.“ — Diefe Eıgenfchaft ift, -
daß daffelbe oben breiter werde; als in der Tiefe der abfteis
genden Hörner der Höhle — allein wiſſen denn die Verf.
nicht, daß gerade da die Venen aus dem Innern des Hirns
über das Corp. striatum und unter der taenia durchgehen,
um fid in die membr. vasculosam zu verbreiten, wovon der
plexus choroideus nur ein Theil ift, wiſſen fie nicht, daß
die vena magna Galeni hier entfteht, die fi unter der hins
teren Wulft des corp. callosi in das torcular verfenkt ? :Die
Bläshen und Anſchwellungen des Gefäfineßes, über welche
die Verf. mehrere bogenlange: Verhandlungen auf bewaffneten
-
Josephus et C. Wenzel de penitiori struotura etc. 373
und unbewaffnetem Wege anftellten, find nur Wlutaderges
ſchwuͤlſtchen oder Zellenbläschen. (7)
X. Bemerkungen fiber Caldani's Beobachtungen und Vers,
ſuche, die jenen Hirntheil ‚betreffen, in welchem die Marffafern
vorzüglich ſich durchkreuzen. Galdani meinte, daß, wenn bey
Apoplerien die: geftreiften Körper durch eine gerriffene Vene
litten, alsdann eine Lähmung die entgegengefeßte Seite träfe,
und auch umgekehrte, dab man bey einer Lähmung der einen
Körperhälfte nad) Schlagflüffen allezeit ſchließen koͤnnte: der
entgegengefeßte geftreifte Köryer fey affizirt. Das erſte geben
die Verf. zu — das letzte leugnen fie, da aud jeder andere
Druck auf das Gehirn eine Lähmung der Art bewirken fann.
Die Verf. glauben, die einzige Durchkreugung der KHirnfafern
fey zwifchen den Pyramidalkoͤrpern des verlängerten Marks,
und fie wiffen nichts von der’ Einrichtung des corporis cal-
tosi als desjenigen vorzüglihen Theils des Balkenſyſtems, in
welchem die Hälfte der Hirnfafern von einer Seite zur ARE
übergehen.
XT. Ueber die Durchkreugung der Sehnerven. —
ring behauptete im Allgenieinen, daß die Sehnerven an der
WVereinigungsſtelle ſich durchkreuzten. Ackermann bewieß aus
pathologiſchen Thatſachen, daß dieſe Durchkreuzung der Mers
venfaſern an der beſagten Stelle nur theilweiſe geſchehe, und
daß in Menſchen, welche alle Gegenſtaͤnde mit zwey Augen
erreichen, die durchkreuzenden Fibern an Zahl denjenigen gleich
ſeyen, welche auf der nämlichen Seite fortlaufen, in Thieren aber
um fo mehr Fafern ſich durchkreuzten, je mehr durch die vorftehende
"Schnauze die Augen von dem nämlichen Gefichtsfeld ;(boropter)
abgeleitet würden. Die Verf. ſtimmen nun im Ganzen Ackermanns
Meynung bey, glauben aber darin ein eigenes Verdienft zu haben,
daß fie diefe theilweiſe Durchkreuzung an einigen Sehnerven felber
durch ihre eigene Augen beobachtet Hätten. Rec. will ihnen
dieſes WVerdienft nicht benehmen, glaube aber bemerken zu
möffen, daß dergleichen Autopfien noch trügerifcher find, als
die aus pathologifchen Erfcheinungen gezogenen Schlüffe, meil
die Fafern der Wereinigungsftelle nicht bündelartig neben eins
‚ander laufen, fondern, wie dieſes bey allen Nervenknoten der
Tall iſt, ſich durchweben.
374 .Josephus et C. Wenzel de penitiori steuctura etc.
$. XI. Ueber die Verwachſung der Sehhuͤgel, wo dieſelbe
ſich an ihrer inneren in den dritten Ventrikel herabfteigenden
Wand berühren. Die Verf. haben gefunden, daß im Mens
ſchen eine ſchwache Vereinigung zumeilen da tft, zuweilen auch
fehlt — in den Saͤugthieren haben ſie dieſe Vereinigung alle—
zeit und auch ſtaͤrker gefunden. Rec. haͤlt ſie fuͤr eine bloße
Verwachſung der Lamelle, welche den Sehhuͤgel uͤberzieht, Reil
nennt dieſelbe die Commissuram cerebri medianam,
$. XIII. Der gerollte Wulſt in dem abſteigenden Korn
ber Seitenhöhle ift ein grauer Cyrus, der aus der fossa Syl-
vii fih in das Hirn heraufwinder, und iſt 'mit der lamina
medullaris nach Außen überzogen, welche auch den Saum
diefes Wulſtes bilder — alles dem BHBheDER: längft bekannte
Dinge
6. XIV. Eine bogenartige — Erhoͤhung gegen das
hintere Horn des Seitenventrikels haben bie Verf. oft im
Manſchen angetroffen, es ſchien ihnen auch Yon einem unters
gelegten grauen Cyrus am hintern Hirnlobus zu entflehen,
Auch Sömmerring fpricht davon Hirnlehre $. 34.’
$. XV. Zirbeldrüje — Sandhäufhen. Die Berf. haben
die Zirbeldräfe im Menſchen meiftens weich und rundlid ans
getroffen, im Thiere härter und laͤnglich. Mur in neun Fäls
len von hundert war fie Hohl mit Waffer angefüllt, oder fehr
groß, wie eine Wallnuß, und hart, Rec, hat diefen Körper
einmal in einer Perfon, die an der WMutterwuth ſtarh, fehr
groß und mit Waſſer angefuͤllt angetroffen. Die Groͤße der
Zirbel richtet ſich nicht nach dem Alter.
Das Sandhäufhen fanden die Verf. zuerſt im ſiebenten
Jahre erſcheinen, vorher fahen fie aber fhon in neugebornen
oder jüngern Kindern einen zähen Schleim an der Zirbeldräfe,
Die Steinhen werden gewöhnlich. an drey Drten angetroffen,
entweder auf der hintern Commiſſur oder zwifchen den Mark |
ſchenkelchen der Zirbel im Grübchen, oder in der Subftang der
Zirbel feldft. In einem Subjecte fanden die Verf; diefe Steine
an allen drey Orten. — Unter den Mitrosfop fcheinen die
Steinden meiftens rund, etwas poros, und vielleicht in eine
feine Zellhaut eingehuͤllt. Die Verf. meinen, daß die Stein
hen in ber Zirbel erzeugt, und von derſelben ausgeworfen
Josephus et C. Wenzel de penitiori structura etc. 375
würden. Das Dafeyn des Sandhäufchen gehört zum natärlis
chen Zuftand. Es fehlt bey allen unterſuchten Säugthieren.
’ $. XVI. Gräbchen in der ſylviſchen Wafferleitung. Im
Menſchen haben die Verf. deren viere gefehen, welche conftant
find, und alfo gum natärlihen Bau gehören.
$. XVII, Blaue Stellen im Boden der vierten (der
Verf. fünften) Hirnhoͤhle. Diefe entſtehen von Blutgefaͤßen,
die, wenn man das Markhaͤutchen leife abzieht, unter dem
Mikroskop wie rothe Punkte erfcheinen. Die Verf. äußern
die Vermuthung, ob nicht hier, wo der Hoͤrnerve entfteht,
diefe Stelle etwas dem ähnliches fey, mas bag feine Sefäßneg
an dem Urfprunge des Riech⸗ und Sehnerven darftelle-?
G. XVII, Die Markftreifen in der vierten Hirnhoͤhle.
1) Die Verf, Haben die Marfftreifen in Foetus und Neuge—
bornen nicht gefunden. 2) Nicht allegeit fammelten fich dieſe
Markfäden zum Hörnerven, einige davon ſchienen früher zu
verfhwinden. 3) Die Streifen von der einen Seite find
nicht allezeit von jenen der andern Seite durch die Furche ge—
trennt; viele gehen auch in einander über. 4) Diefe Marfftreis
fen dringen tiefer in die Subſtanz des verlängerten Marks,
und ftelfen ‚daher gleihfam Lamellen dar. 5) In den Säugs
thieren find fie gar nicht augutreffen. Die Verf. fchließen dars
aus, daß diefe Streifen nicht, wie Soͤmmerring und viele
Anatomen glauben, die Urfpränge der Hörnerven find; was
fie aber eigentlich find, fagen die Verf. nicht. (Rec. hält fie
für die Commissurae der Hoͤrnerven, welche jeder Merve des
Gehirns hat. Im Foetus iſt diefe Commissura noch nicht auss
gebildet, und in dem Säugthiere geht diefelbe unter der Bruͤcke
wie ein Ring von einem Hörnerven zum andern, wer die
Pyramidalkoͤrper laufen darüber weg,
$. XIX, Die grauen zum Körnerven schärigen Leiſtchen.
Die Verf. glauben, daß dieſe Leiſtchen mit den Hoͤrnerven zus
fammenhängen — Übrigens findet der Rec. hier fo was neues
und iunerhörtes nicht, wie die Verf. meinen „in abstrusa
ferimur studio novi et inauditorum,“ biefelden find ſchon
mehreren Zergliederern befannt geweſen.
$. XX. Einige Zellfäden‘, die an ben plexus choroideus
in der vierten Hienhöhle gehen. Mer» kennt keinen plexus
376 Josephus et C. Wenzel de penitiori structura etc.
chöroideus in diefer Kirnhöhle! Das gefaltere Gefaͤßnetz liegt
bloß in den Seitenhöhlen, und fleigt in die herabfteigenden
Hoͤrner. Daſſelbe entfteht von der großen Vene, die fich in
den Hintern Blutleiter ergießt, der durch das Tentorium ce-
rebelli gebt, und fih unter den intern Wulft der großen
Hirn s Commiffur und den Hintern Schenteln des fornix und
corp. psalloideum durchzieht, den Marffegel, die Wierhägel
und die Zirbel Überzieht. Diefe wichtigen Tharfahen haben
die Verf. nirgendwo erwähnt.
$. XXL Die vierte Hirnhöhle in Säugthieren. Diefelbe
fen arößer als am Menſchen („gang natärlih! da eg die
Höhle des verlängerten Marks ift, welches in den Thisren allen
weit ftärfer als im Menjchen iſt *).
‚ $. XXI Vergleichung der Höhlen des Gehirns in Men
hen, Säugthieren, Vögeln und Fifchen. Das meifte ift nur
Wiederholung des Gefagten, wobey noch zwey Ventrikel bey
Vögel und Fiihen im Sehhuͤgel bemerkt werden. j
$. XXI. Von dem Orte und der Weile, wie die Uns
fpränge der Nerven mit ihren Hirnendigungen zuſammenkom—
men, Die Verf, behaupten zuerft gegen Sömmerring, daf
das Waffer der allgemeine Empfindungsplag und Verbindungss
mittel aller Merven nicht fey, weil daſſelbe nicht allegeit jugegen,
und wenn ed zugegen ſey, aus der nach erloicbener Pebenss
wärme gefchehenen Verdichtung des Dunfies erzeugt werde —
dann führen die Verf. eine Lifte auf von allen den Hirntheilen,
welche in die Hirnhoͤhle ſich endigen, und nun führen fie die
Merven auf, welche fi mit diefen Kirntheilen verbinden, und
machen dann den Schluß, daß, mo nicht unmittelbar, doch
‚mittelbar alle Nerven fih in die Hirnhoͤhle endigen. Und
wenn es aljo ein Mittel gebe, welches tort die Hirnenden
vereinigen Pönnte, fo ſeye diefes hierdurch als möglich bewies
fen. Wirklich eine fonderbare Art des Beweiſes: die Tropens
» länder von Amerika hängen mit dem Norden von Afien zus
fammen, alio wachſen die Ananas in Kamtſchatka (1).
$. XXIV. Bon dem Hirnanhang. Die Verf. haben alles
zeit diefen problematifchen Körper aus zwey Lappen beftehend
gefunden, einen größeren herzförmig eingefchnittenen, und einen
Heinen ıunderen. Daß er in- Geiftesfrankheiten Meiner und,
Josephus et:C. Wenzel de penitiori structura etc. 377
wie diefelben in einer andern Schrift weitläunfig deducire haben,
im Epileptifchen vereytert fey — darin flimmen des Rec. Bes
obachtungen nicht mit jenen der Verf. Hverein, der dieſen
Hirnanhang bey Epileptifhen. gefund, und weich aufgeloͤſ't bey
ſolchen, im welchen ſonſt keine auffallende Spur von Hirns
krankheit war, angetıpffen hat.
Ueber den Trichter des Gehirns haben die Verf. duch
Einfpräsungen gefärbter Flüffigkeiten ı2 experimenta anges
ftelie, !die hier weitlaäͤufig mir allen Umftänden erzähle werden,
woraus aber nichts weiter. hervorgeht, als daß der Trichter
und der Hirnandang zellig ſey — die Richtung der Zellen
aber mehr von unten herauf, als vom Hirn herab gegen den
Hirnandang gingen. Was zu diefem Schluß berechtigt, fieht
Dec. nicht ein; da im ganzen Koͤrper die Zellen ſich nad) allen
Seiten hin Öffnen. — Im Alter und Krankheiten foll der
Hirnanhang an Umfang abnehmen. In den meiften Säugs
thieren ift derfelbe auch in Ruͤckſicht * das Hirn groͤßer als
im Menſchen.
$. XXV. Die Verf, bemerken hier die zahlreiche Menge
der kleinen Arterien, welche an den Drten des Ausganges der
vier erfien Mervenpaare bemerkt werden, nicht in der Gefäßs
Haut, fondern die Marffafern durhbohrend.
$. XXVI. Welche Theile des menfchlichen Gehirns am
meiften vom gewöhnlihen Baue abweichen. Die Verf. zählen
hierher die Windungen, den Wulſt am hintern Horn der Seis
tenhoͤhle — die Markftreifen im vierten Ventrikel — bie
Sommiffur der Sehhuͤgel und das Sandhaͤufchen. In Thies
ren feyen die Hirnwindungen befländiger und fymmetrifcher.
Mit Sall glauben die Verf. auch an den großen Einfluß der
Hirnwindungen auf den Charakter der Individuen, welche
nicht allein unftatthafte, fondern nie Meynung ſchon
ſattſam widerlegt worden iſt.
6. XXVII. Allgemeine Bemerkungen aber die Geſtalt der
einzelnen Hirntheile in Menſchen und Thieren In dieſem $.
finden ſich viele Widerſpruͤche und Unrichtigkeiten.
1) ſagen ſie: erſt dann ſey das Hirn in allen Theilen
vollendet, wenn der Menſch zu empfinden anfange — aber
im erſten Lebensjahre kaͤmen erſt die Markſtreifen am Boden
-
378 Josephus et C. Wenzel de penitiori structura etc.
des vierten. Ventrikels und im fiebenten Lebensjahr erft das
Sandhaͤufchen zum Vorſchein — foll dann der Menſch erft
im fiebenten Jahre empfinden I
2). Die Theile, welhe im Menfihen erſt nach /der Geburt
entſtehen, ſeyen im Thiere nicht da; „allein die Markfaͤden,
welche die Commiſſur des Hoͤrnerven darſtellen, find allers
dings in Thieren und weit ſtaͤrker da — ſie ziehen ſich aber
nicht von oben durch den Ventrikel, ſondern unten und hinter
der Bruͤcke, wie ein Markring herum.“
3) Die Thiere ſeyen daher ſchon früher zu ihren Verrich⸗
tungen reif, als der Menſch, weil ihr Gehirn eher vollendet
fey — allein der Menſch Hat ja auch alles bis auf den. Mark
fireifen, und das Sandhäufhen — foll denn diefes die Ur
fache des menſchlichen Unvermögens in der Kindheit ſeyn, find
denn die Verf. blind geweſen, als fie das große Ruͤckenmark
der Thiere und die kleineren Hemisphaͤren fahen ? mußten fie
nicht, daß das Ruͤckenmark das Organ der willführlichen Der
wegung im Nervenſyſtem fey ? fahen fie nicht, daß diefes die
Muskeln der Thiere weit, früher vollenden und erregen mußte, da
alle Nervenchätigkeit bloß darauf verwendet wird, indem die im
nern Seelenvermögen zurückbleiben, da hingegen im Menfchen
alles auf die Ausbildung der Sinneshügel, und des in den
Hemisphären enthaltenen Schenkel s und Balkenſyſtems vers
wendet wird, wodurch die Ausbiloung der Organe der Bewe—
gung zuruͤckbleibt ?
4) Wie konnten die Verf. es wagen, ©. 247. niederjus
freien: „Homo nonnisi sub septimum annum omnes
illas animi facultates possidet, quas quidem imposterum
identidem prodit, nova autem et essentiali nulla adau-
get. — lllo anno cerebrum hominis et quoad - totum ef
quoad singulas partes absolutum esse videtur.* Es war
alfo fhon Raphael der große Mahler — Mozart der vollendete
Mufiter , Newton der umfaffendfte Analytiter in feinem fiebens
ten, Sabre ?!!
5) Die Organe der höheren Serlenvermögen. fl find nad)
des Verf, Ausipruch die Markftreifen im vierten Hirnhoͤhlen⸗
boden und das Sandhäufchen. Fragt man warum, ſo heißt
es: „weil diefe Dinge allein der Menfch und nicht die Thiere
Josephus et C. Wenzel de penitiori structura etc. 378
haben.“ (Allein kennen die Verf. denn den innern Bau des
Gehirns fo genau, dan fie diefes behaupten können ? es erhellt
Diefes mwenigftens aus ihren Unterfuhungen nicht, und bonn
ift dasjenige, was den Menfchen von den Thieren auszeichnet,
etwas dem Gehirn derjelben abfolur fehlendes ? - Sind‘ nicht
die Hirnvermoͤgen relativ? Wenn die Thiere mehr Mustels
fräfte haden, haben fie nicht deswegen auc größere Marks
fchentel und ein bey weitem größeres Ruͤckenmark — dagegen,
wenn der Menfh an Verſtand und Mernunft u. f. m. weit
über die Thiere hervorſteht — befißt derfelbe nicht daruin auch
weit größere Hirnhemisphaͤren ? Es ift unbegreiflih, wie die
Verf, ſolche Ungereimtheiten aufbringen konnten.
Die XXVIIT— XXXIH. $$. enthalten nichts als weitläus
fige, Erörterung und Anführungen einzelner Beobachtungen über
die Ausmeffungen und Größen des großen und Meinen Ber
hirns und verfchiedener Hirntheile in verſchiedenen Menichens
altern und in verfchiedenen Thieren. Ferner über das Gewicht
des großen und Meinen Gehirns, und endlich Über die allmaͤh⸗
fige Zunahme des Gewichtes am bebrüteten Huͤhnchen, welches
alles die ‚von den Verf. ihrem Hirnwerk vorgefebten Tas
hellen nicht im Refultat, fondern im Einzelnen ausdruͤcken.
$. XXXIV. Betrahtung des Menichen: Gehirns in vers
‘schiedenen Altern.
a) Die harte Hirnhaut hänge im Foetus und Kindern
feft am Schedel, und kann nicht getrennt werden, als durch
Zerftücelung des Knochens; in Aelteren hänge fie oft feitjan.
Man findet darim oft Verfnöcherungen u. |. wm.
- b) Die Schleimhaut des Gehirns if in Embryonen
allegeit durchfichtig, fie hänge aber mehr mit der Gefäßhaut
gufammen, Bey Erwachfenen kommt fie oft undurchſichtiger
und weißlich vor, dann iſt aber allezeit Lymphe in ihre Zellen
ergoſſen. |
c) Die Pachionifhen Körperchen werden in Embryonen
nicht gefunden, weniger im Meugebornen vor dem fiebenten
Jahre; häufiger in Alten und find krankhaften Urfprungs,
d) Blaſenwuͤrmer. Die Verf. fanden in dem waſſerſuͤch⸗
tigen Gehirn einer alten Fran in Mayland 45 Waſſerblaſen
fowoht anf der Oberfläche des Gehirns, als in der Subſtanz
380 Josephus et C. Wenzel de penitiori structura etc.
der Höhlen und dem verlängerten Marl. — Darunter war
ein Blaſenwurm. Die Zeichen, melde die Verf. angeben,
fcheinen jedoch diefes noch im Zweifel zu laffen. —
e) Die Konfifteny des Hirns ift in Kindern weih, und
hart in alten Leuten. Der Weingeift verhärter ed. Den Wein—
geift und andere chemifhe Neagentien haben die Verf. nie,
um den innern Bau des Gehirns zu erforfchen, angewendet,
obgleich diefe Yet der Unterfuhung, welche in unfern Tagen
fo fruchtbar ift, lange fchon bekannt war.
f) Hirnſubſtanz. Unter dem Mikroskop befteht das Hirn
des Foetus aus eben jo großen Kuͤgelchen, wie das des Er⸗
wachfenen.
g) Hirnwindungen. Sie fangen an, ſch zu bilden im
Zmonatlichen Embryo — die Furchen - find flaͤcher, je jünger
das Subject if. Die Menge der Windungen hängt nicht vom
Alter ad — Krankheiten diefes Organs find oft die Urſache,
daß fie Meiner merden oder gar verfchwinden.
h) raue und Markfubftang. In zarten Embryonen find
diefe 2 Subftangen der Farbe nad) nicht von einander zu ums
terfcheiden. In Neugebornen und jüngern Kindern ift oft die
Markſubſtanz rörhlich ; in Alten ift die äußere Suͤbſtanz gelds
lich, die innere bläufich.
i) Die große Hirn⸗ Commiffur fey "im Foetus vor dem
fiebenten Monat gefpalten, wachfe aber nach und nah von
vorn nad) hinten zuſammen. Die Verf. fcheinen jedoch in
diefe ihre Beobachtung feldft einen Zweifel zu feßen. |
k) Der gerollte Wulſt zeige in EmbrHonen im Sinnen
eine Höhle, welche nachher verfhwindet.
1) Die geftreiften Körper find ſchon groß in Kindern,
und im fiebenten Jahre nur um eine: Linie fchmäler als im
Erwahfenen. Es fchiene den Verf, als wenn die geftveiften
Körper und Sehhägel im Alter abnähmen.
m) Die Sehhügel find im Foetus grau wie die geftreiften
Körper — die Commiſſur, mwodurdh fie an ihrer inneren
Wand verbunden find, haben die Verf. an einigen Foetus ans
getroffen, an anderen nicht.
n) Der Hornfireife Hat nur im Alter ein hornenes Ans
fehen, in Kindern ift er gram oder blau. Mur bey Waſſer—⸗
Josephus et C. Wenzel de penitiori structura etc. 331
ſuchten der Hirnhoͤhle bekommt derſelbe oͤfter ein hornartiges
Anſehen. *
0) Die Zirbel iſt bey Embryonen rund, linfenförmig, und
aſchgrau. —
p) Das Sandhaͤufchen wird in Embryonen. und Kindern
vor dem fiebenten Lebensjahr nicht gefunden, ob man gleich
früher ſchon einen zaͤhen klebrigen Schleim an der Stelle an⸗
trifft.
g) Die Markſtreifen am Boden des — Ventrikels
ſind im Embryo noch nicht zu ſehn, aber die grauen Leiſtchen
fangen ſchon im. Smonatlihen Embryo ſichtbar zu werden an.
r) Das kleine Gehirn ift im Ganzen weicher als das
große Gehirn. Der graue Antheil ift größer in jenem als die
Markſubſtanz. Die Windungen des Meinen Gehirns werden
fhon im Smonatlihen Embryo fihtbar, und find im 7monats
lichen aufs -deutlichfte zu unterfcheiden. Die beyden Hälften
des Meinen. Gehirns liegen um fo näher an einander, je jüns
ger die Subjecte find; im Alten fiehen fie weiter aus einander.
s) Der Hirnknoten ift im Smonatlichen Foetus halb fo
groß, als im neugebornen Kind, und in diefim halb fo groß,
als in einem jährigen Kinde. Auch ift in jüngeren Qubjecs
ten mehr graue als Markfubftang in dei-Telben. -
Diefem Werke find 15 Kupfertafeln beygefügt, weiche
verichiedene Hirnſtuͤcke gezeichnet darftellen. Ob nun gleich
diefe Tafeln von Köts Meifterhand gezeichnet find, fo erhals
ten fie doch darum wenig Werth, weil die vorgelegten Drigis
nalien meiftens vergerrte, verzogene, bereits erweichte KHirns
ſtuͤcke darftellten. Es ift ;diefes befonders bey Tafel IV.
V. VII., vorzüglich aber bey Taf. VIII. zu fehen — dage—
gen find, die Tafeln X. XI. XIII. zu loben, mo die ohnehin
feftere Sehirnmaffe des vierten Ventrikels Peine weitere Präs
paration bedurfte. — Die Vereinigungsftelle der Sehnerven
auf Taf. XIV. if offenbar durch die aus einanderweichende
Hirnmaſſe in die Breite gezogen, und nicht natürlich.
Des Rec, Urtheil Über. diefes Werk ift Folgendes :
Man kann den, ausharrenden und eifanen Fleiß nicht
verfennen, welchen die Verf. auf diejes Werk verwendet has
ben. Auch ſieht man den lobenswerthen Eifer und die große
382 Jesephus et C. Wenzel de penitiöri Structura ete.
MWahrheitsliebe, "nur das und nicht mehr zu fagen, ‚als was
fie felbft geiehen haben, oder die Beobachtungen unmittelbar
folgern laſſen. — Allein auf der andern Seite muf Rec. auch ber
Wahrheit zur Steuer bekennen, daß diefes Hirnwerk, auf welches
15 Jahre verwendet worden find, ganz und gar ohne ordnende
Hirnthätigkeit gufammengeichrieben if. Die Sinne und Fins
ger haben alles gerhan. Der ordnende Verſtand hat keinen
Antheil an der Ausführung genommen; — deswegen erfahren
wir bier auch nichts von der innern Hirnbildung, dem Lauf
und der Ordnung der Kirnfaferungen, welche dody lange vor
unſern Zeiten von Stenon Ridley, vorzäglic aber von Willis
und Vieuſſens genauer gekannt waren. Wir Hören nur von
Ausmeffungen und Gewichte, KHervorragungen, Höhlen, Streifs
Linien — und biefes alles. ohne auch den äußern organifchen
Zufammenhang zu berädfichtigen, den doc, jeder, auch der
feichtefte Hirniehrer , beobachtet hat; alles, ohne auf ein Res
fultat zu kommen, welches für die Phyſiologie oder Pathologie
irgend eine Anwendung erlaubte.
Mer. will ganz davon ſchweigen, daß von den neuern
Zeraliederern das Gehirn fhon weit tiefer unterſucht war, als
fie ihr Wert herausgaben. Schon im Jahre 1809 und 1810
kannte man genau die innere Faferung des Gehirns, das
Balken s und Schenkelſyſtem und den beyde vermittelnden Stabs
franz. Man kannte die Fortfäge des Hörnerven zum Ruͤcken⸗
marf, der Sehnerven zu den Sehhügeln — den wahren Urs
fprung des fünften Paares u, ſ. w. — Allein von allen diefen
einer genaueren Forfhung und geſchickteren innern Präparation
erfordernden Thatſachen erfährt man hier nichts. Aber haben
die Verf. denn von außen an dem Gehirn etwas mehr gefehen,
als die oberflählichften Profektoren bisher gewußt haben? Ich
muß aud hier antworten: nichts von Belang! — Was fie
hier gefunden haben, find drey Dinge, nämlich einige Gruͤb⸗
hen in der Spivifhen Wafferleitung, und einige blaue Fleck
hen nnd Zellfäden an der Gefäßhaut in der vierten Hirnhöhle,
wenn man dieje Kleinigkeiten für Entdeckungen will gelten
laffen. —
Dafür’ aber ift das Werk ganz entſetzlich weitläufig: bie
ohnehin, ermattende Lektüre über Größe und Gewichte iſt Bis
Josephus et C. Wenzel de penitiori structura etc. 383 |
zum Ekel mwlederhoit , . außerdem daß diefes alles, welches
hinreichend gewefen wäre, in Tabellen beygefügt iſt. Haͤtte
das Werk daher den beicheidenen Titel an der Stirne de ce-
rebri dimensionibus geführt, fo wollten wir es als eine fleifige
Arbeit empfehlen, und nur bemerfen, daß das Ganze auf wes
nige Bogen hätte reducire werden können. — Aber den ans
mafienden Titel de penitiori cerebri structura fann Rec, eis
neswegs gelten laſſen. Hier. um fo weniger, da nicht einmal
die ganz oberflaͤchliche Hirnſtructur gehörig aufgedeckt if. Ich
bin überzeugt, daß die Älteren: Willis, Wieuffens, und die
neueren Hirnforfher, Neil und Gall, diefen flogen Titel vers
abſcheuen würden, die doch wirklich angefangen haben, in das
Sjunere des Hirnbaues einzudringen. Aber 0b es je in der
Folge der Zeiten Zergliederer geben werde, melde von der
penitiori structura des Gehirns werden reden koͤnnen, daran
zweifelt Rec. gar fehr. — Rec. weiß wohl, daß die Verf.
diefen Titel ihrer Werkes an Scarpas Werk: de penitiori
ossium structura abgefehen haben — allein fie Härten nur
bedenten follen, daß man eher in den Bau ter Knochenzellen,
als der innern KHirngebilde eindringen kann.
Zu der chaotiſch durcheinanderliegenden Sache koͤmmt num
auch der langweilige und ſchleppende Styl, — weldjer nur in
kurzen abgebrochenen Säßen daſteht. Die Sprache ift durchs
aus fehlerhaft und fehr Abelklingend, in lauter Imperfecten:
distinguebamus, relinquebamus, dissecabamus u. f. w.
endigend. — Man fieht es fo ganz deutlidy, daß dies Gange
aus dem Deurfhen ins Lateinifhe, und zwar durch mehrere
ift Überfeße worden. Won dem Deutfch s Lateinifhen Tert des
Werks unterfcheidet fih ganz befonders die Vorrede, welhe in
einem unlateinifhen Bombaft gefchrieben ift, deſſen Sinn Rec.
bey aller angewandten Mühe nicht hat entziffern können. —
Reifen durch das füdfiche Deutfchland und. die Schmeig in den Jah—
ren 1808 und 1809 mit Bemerkungen und Bepträgen jur Ges
ſchichte des Tages von Gottlob Heine. Heinfe Erfter
Band mis Kupfern. Leipzig, 1810. bey Dinrichd. 452 ©. in 8.
—
384 Reiſen durch das ſuͤdl. Deutſchland ꝛc. von Heinſe.
Bon dem Verfaſſer erwartete man eine beſſere Beichreis
bung feiner Reifen duch folche ınterejfante Theile von Deutfchs
land. Was er ung jagt, ift zum Theil jo gemeiner Art und nod) dazu
fo gemein gejagt, daß mancher Reifegefell, dem diefes Büch
in die Hand fällt, denken wird, fo etwas hätte ich auch fchreis
ben mwollen. Auf Naturichilderungen verzichtet er ganz, aus
dem Grunde, weil ev ein kurzes Sefiht habe, als wenn die
Schönheit der Natur und der Eindruck ihrer wunderfamen
Bildung nur in der Ausſicht nicht in der Anfiche zu ſuchen
wäre. Dennoch veripricht er eine Befchreibung vom Rheinfall.
Es bleibt aber auch nur beym Verſprechen; an eine Schildes
rung iſt nicht zu denken. Weit mehr fagt das beyliegende
Kupfer, fo unmahleriich auc hier der Nheinfall genommen
iſt. Daß er viele ſchöͤne Gegenden im Mebel fah, und durch
ungünftige Zeit in der Hoffnung mancher Ausficht getäufche
wurde, iſt dem zufolge nicht fehr zu bedauern. Er entichädigt
dafür durch manches Verweilen im Innern, worauf Reifende
durch fo vorzüglich fchöne Gegenden nicht immer zu achten
pflegen. Man wird-mit Bafel, mit Zofingen, mit der Hel⸗
veriihen Gejellihaft, mit Augsburg, MNürrserg zc. durch ihn
befannter, als durch andre Reiſende. Selbſt auf dem Pofts
wagen, in den Safthöfen und Herrbergen wird man endlich
wie zu Haufe durch feine fehr getreuen und oft ind Einzelne
und Sjndividuelle gehende, Darftellungen. Er nutzt dem Reis
fenden durch diefe Details, und erwirbt fi fogar um Derter
und Gegenden, durch, die er reifete, dadurch ein Merdienft,
daß er das vorhandene und das wänfchenswerthe Gute in
Öffentlihen Einrichtungen und Anftalien mit umfchauender Vers
gleihung aufitele und vieles auf diefe Weile zur Betrachtung
bringt, was von den höheren Staatebehörden nicht uͤberſehn
zu werden verdient. Wir rechnen darunter feine Bemerkungen
über Wege und Strafen, über den Muͤnzfuß, über Meinlichs
keit im Aeußern. der Städte, über Pofiwefen und Poſttaxen
mit dem beherzenswürdigen Gedanken — 05 wohl ein Staat
reich werden könne, der das erfte und einzige VBeförderungss
mittel des Reichthums, den lebendigen Vertrieb im mechani—
ſchen und geiftigen Verkehr gradehin zu Boden druͤckt — und
vor allen feine Gedanken und Worfchläge, wie dem großen
Ungluͤck der Erdverichättung an fo manchen gefährlichen Stels
fen hoher Berggegenden durch vernünftige und billige Wegs
raͤumung der natürlichen Veranlaſſungen vorzubauen märe.
— n’o ——
No. 25. - BES TLILSEIME 41813;
Jahrbacher der Litteratur.
ü —— —âûû——
Predigten von E. C. Walz, großherzogl. — Dakine
diger ꝛe. Carlsruhe, in der Ch. Fr. Müllerfchen Buchhandlung.
1813.
2) Gottes Verehrungen, gehalten im Betſaal des eſtalozziſchen on⸗
ſtituts in Iferten, von K. U. Dreift, Cand. der Theol., Tin.
Preußifbem Eleve und Gefanilehrer zu ferten. Erftet Heft.
Nebſt einem Anhange über Peſtalozzis Anfichten von der Religion.
Züri, bei Orel, Süßli und Comp. 1812.
2 Reden über die chriſtliche Religion, von Johann Sdulze. Halle,
bei Soimmelpfennig 1811,
U. die Site des — nicht zu uͤbertreten, will Rec.
die Predigten Nr. 1. bloß anzeigen ihren Charakter durch
einige Stellen bezeichnen, und das Urthetl darüber dem Lefer
überlaffen. Schöne, blühende Diktion und Frenmüthigfeit
machen ihren Haupt: Charakter aus. Der Predigten find 26,
mehrere Feftpredigren und mehrere andere, die "en wichtigen
Angelegenheiten für das Land oder die großhe zoglihe Fa⸗
milie gehalten worden find, _E'ne merkwürdige Predigt, nach
dem Frieden, den Baden mit Frankreich gefchloffen , und wor
durch deffen weile Regierung das Land geretter hatte: eine am
Friedengfeft, 1600; eine bey dem ihnellen Tod des Erbprins '
zen von Baden; eine Trauerrede bey dem Tod der Prinzeſſin
Marie von Baden, Gemahlin des, Herzogs Wilhelm von
Braunfhmweig; eine Predigt bey der Feyer der Kurwuͤrde des
verftorbenen Großherzogs und eine bey der Foyer einer Mier
dergenefung deffelben, und bey der Wermählung des jeßıgen
Großherzogs. Nun einige Stellen, die fowohl von der Dies
tion, als von der veligidfen Denkart und von der Freymuͤthig⸗
keit des DBerf. zeunen. In der Predige am Friedensfeft heißt
es: „Mie trauerte die Kirche tiefer, und nie ift das Chriftens
thum mehr herabgewürdigt. worden, als in unfern Tagen, mo
85
386 : Predigten von Walz, Dreift und Schulte,
fo viele Hände das herrliche Gebäude, das Chriſtus aufgeführt
hat, zu zerreämmern fuhen. So wurde jener Ungluͤckliche am
Wege, den ein edelmüthiger Samariter rettete, micht mis
handelt, wie die Religion, deren heilige Quelle immer wehr
getrübt ‚wird. Verwegene und gezwungene Deutungen und
Auslegungen ihrer Lehren, tiefes Schweigen von der hohen
Würde Jeſu, den man bis zu einem Menfhen herab
lobt, umd ihm Ehre genug zu erweifen glaubt, wenn man
von feinem Eifer, Andere zu beglüden, von feiner Leidens:
ardie und Freudigkeit im Tode ſpricht; ermuͤdendes Gerede
don Vollkommenheit und Tugend, bey dem man den Schar
hen zu feinem Quell führt, aus dem er fih zur Tugend ſtaͤr⸗
fen, mit dem man feinen fummerbeladenen Sünder beruhigen,
feinen Leidenden aufrichten und feinen &terbenden auf fein
Ende froh mahen fann, und dann — mas leicht begreiflih
ift, .beweinenswärdige Gleichguͤltigkeit gegen die heilige Schrift,
die für Unzählige ein verfchloffenes (verächtliches? ) Bud) ift,
und jeder feichten, wolluſtathmenden Lektüre aufgeopfert wird;
muthwillige Scherze Über die ehrwuͤrdigſten Gegenftände, leere
Tempel bey vollen Freudenhäufern, entheiligte Feite und ver
loffene Altäve, an denen Chriſtus die Müden und Heilsbegie—
rigen erwartet, um fie zu ergreifen; bemeii’t das Alles nicht
unwiderſprechlich, daß wir nicht mit Gott find?“ In
der Predigt über Matth.'8, 5— 11. über die Gteichheit der
Hohen und Niedrigen, bey ihrer äuferen Ungleichheit, wird
unser andern gefagt: „Wolle Ihr zuͤrnen, Mächtige der Eis
"den, wenn Ihr an Einen Untergebenen Schwachheiten gewahrt
werdet? Nahmt Ihr Engel in Eure Dienfte? Und muͤſſet
She nicht auch beten: „Kerr, wer kann merken, wie oft er
fehle? verzeih' uns auch die verborgenen Fehler!“ — „Wer
unumfchränft gebietet, wie leicht kann der zur Herrſchſucht, —
wen faum Einmal im Jahre widerfprochen wird, wie bald
kann der zum Eigenfinn, — wer mit dienfifertigen, unterthaͤ⸗
nigen Sklaven feiner Leidenichaften, — dieſer Peſt der Fürs
fien, umgeben ift, wie leicht kann der zum Stolz verleitet
werden.“ Endlich ſtehe noch eine Stelle aus der Predigt über
das befannte Gleichniß vom verlorenen Sohne hier. Der Verf.
. bemerkt vorher, daß es auf die TIhränen des Wiederkehrenden
Predigten von Walz, Dreit und Schule. 887
nicht angekommen ſey, fondern-auf. das Wiederfehren. Be⸗
kehrung ‚“ - führe er nun fort, „ift fein Geſang nad) ‘einer
unverändersen, traurigen Melodie, und bey ihr können die
Gebete und Kämpfe nicht vorgefchrieben werden. Ein Menſch
denkt und fühlt. nicht, wie der Andere. Dieſer klagt und jams
mert laut; jener kehrt aefaßter und fliller um. Diefer : wirft
ſich in dem Augenblick, wo ein wohlchätiges Licht ihm aufgeht,
der Tugend in die Arme, und bey jenem fließen Stunden und
Tage vorüber, bis fein Entſchluß veif wird : ich will mid, aufs
‚machen und zu meinem Water gehen. Diefen made. fein: Kums
mer beredt, und jener verfiummt nad dem Aurzen Seufzer:
„fey mir Sünder gnädig!“ Dem Einen gelingt es, weinen
zu können, und dem Andern blutet bey trodenem Auge das
Herz, Aber bey Allen muß Aufrichtigkeit und Ernfi, Dauer
in den Sefinnungen und Empfindungen feyn, bey Allen mäffen
Thaten für die Befferung zeugen.“ Diefe Stellen nur zur
Probe. Man wird ihrer viele von der nämlichen Art in der
Predigtſammlung finden.
Mr. 2. find nur fieben Predigten; aber fie find wichtiger,
als manche große, bändereihe Predigtiammlungen. Vefonders
Hat fih Rec. gefreut, wieder eınen jungeh Theologen zu trefr
fen, der aͤchte Religioficät, Wärme dafür, und unverkennbaren
Eifer, fie in feinen Zuhörern zu beleben, mit diefen Redner—
talenten verbindet. Seine Freude ift noch größer, weil dieſe
Predigten in einer Zeit erfcheinen, wo der heillofe Geift des
Beſpekulirens, Bekritiſirens und Beſkeptiſirens, wenigſtens noch
in manchen theologiſchen Zeitſchriften, ſpukt, deſſen Mitters
nachtsſtunde freylich ſehr nahe iſt, weil man aber dafuͤr von
einem Geiſt, oder vielmehr von hoch und geheimnißvoll tönens
den Worten eines Myfticismus beräudt wird, der, wie Mehls
thau, alle wahre Meligioficät in der Bluͤthe verdirbt. Mec.
will einige fhöne Stellen ausheben, auf einige ganz vorzügs
lihe Predigten verweilen, und dann einige Bemerkungen
machen, die, wie er hofft, noch mehr von dem Sjntereffe zeus
gen werden, ivomit er die kleine Sammlung geleien hat. &.
54 trägt er eine große, aber nod lange nicht genug erfannte
Wahrheit vor, auf welche die Befferungsmerhode des Ehriftins
thums berechner if. „Es gibs eine- faljche Beſcheidenhelt,
R
%
338 Predigten von Walz, Dreiſt und Schulze.
unter welcher der heimliche Stolz fih gerne verbirgt; - eine
krankhafte Muthloſigkeit, welche die Lebenskraft in fih kaum
fühle, oder jene oben erwähnte Ueberihäßung alles Fremden,
Dernahläfigung, Werachtung. des eigenen Weſens. Alle diefe
find von Sohannes (dem Täufer) gleich ferne. Sin ihm ift
die wahre Harmonie des Seldfigefühlse, Muth und Des
muth; die Verbindung jener beyden Gegenfäße, welche in
der Natur (?) wie in der Menihheit überall wiederfehren,
aus deren Gleichgewicht allein die Nuhe, die, Seligkeit und
das göttlihe Leben (jo wie wahre Sittlihkeit) geboren wers
den.“ Und gleih S. 56 eine trefflihe Darftellung des Eräftis
‚gen jugendlichen Sinnes, und eine Warnung, tür die Jugend
'zugleih. „Die Jugend will fo viel für fih und aus fi,
und um threr ſelbſt willen. Die Welt ift nen, die Anziehung
ſtark, der Wunih glühend, die Erfahrung ſchwach, Gott und
das Leben ein Raͤthſel. Hochgeſpannt find die Ahnungen und
‚die Anfprühe, mädhtig die Triebe, die Sehnfuht nah Bes
friedigung. Im KHochgefähl der Kraft glaubt der jugendliche
Menſch fi beduͤrfnißlos, glaubt, daß in ihm fey die Macht
zu walten und zu vollbringen, Alles aufs herrlichſte hinaus
zuführen. Was’ Natur, Wiffenfhaft, Kunft, Liebe, Freunds
fhaft darbieten, der jugendliche Menſch möchte es alles ergreis
fen, in fi ziehen, und dann — ein König unter den Leibern
und Geiftern, die mißrathene Seftalt der Welt ums
geftalten.“ (Iſt es doch, als fähe man einen Pädagogen
aus der neueften Schule vor fih, oder als habe man eine
neue Schrift von Niederer gelefen!) Er beginnt den
‚Kampf; aber das Leben befämnft ihn mächtiger. Es demuͤ—
thigt, fodert hohe Entiagung,, und gewährt ihm im Reinſten,
wo er Alles -fodern zu. können glaubt, in der Förderung feiner
fittlichften, menfchenfreundlichften Unternehmungen, im Exfors
fhen der Wahrheit u. f. mw. eine. Befriedigung. Auf dieſem
Standpunct fühlt der Menih, das er felbft nichts ift, noch
vermag; daß Bott der mächtige Herr der Welt ift, und daß
der Menich nicht? kann und foll, als ihm dienen, feinen Wes
gen nachfpüren und nahmandeln. — Hier knuͤpft fih das
neue Band, das Bond der Wiederkehr des Menichen zu Gott.
Religio, religatur homo Deo, (Gott gebe, daß auch dies
+
» Predigten von Walz, Dreift und Schulze. 389
die Geſchichte unferer anmaßenden,, Allwiffenheit und: Allmacht
träumenden Sünglinge werden möge!) Ein fehr ſchoͤnes Bes;
fenntniß it S. 100 ausgeſprochen, Über. das, was man im
der Meinen Gemeinde des Inſtituts zu Sferten nicht ſuche
und wolle, was man aber ſuche und wolle. Was der Verf.
in den Worten zu ©. 106 fagt, wuͤnſcht Rec. von. ihm pfys
chologiſch und bibliſch ausgeführt. Nah den Winken, die er
bier gibt, wäre er beionders dazu geſchickt, und es wäre ein
Wort geredet zu feiner Zeit. Ueberhaupt ift faft Alles aus der
Seele des Rec. geichrieben, was Herr Dr. über die religidien
Bildungsmittel in jedem Stand und in jeder Lage bemerkt,
und wie es von ihm auf die Erzieher angemender wirt. Die
dritte Predigt, über Johannes. den Täufer, ift faft gang
nruftermäßig; auch dit vierte und fünfte hat viel Hoch—
Neligidfes. Mur hätte der Verf. bey dem überreichen. Gebet
Sein, Joh. 17., bleiben und nicht noch den Anfang’ der Leis
densgefchichte hinzufügen Sollen. Die fech ste ift die trefflichfte,
und wäre ganz zweckmaͤßig, wenn fie blos vor den Lehrern,
und für Nie wäre gehalten worden, wovon, aber Ne. am
Schluß — leider! — das Begentheil ſieht. Rec. wuͤnſcht fehr,
daß bald eine Fortſetzung dief:r Predigten erfcheinen möge.
Nah dem in ihnen herifhenden religidfen, alſo befcheides
nen und findlihen Sinn, ift Rec. überzeugt, daß es der Verf.
nicht mißiverftehen werde, wenn er ihm auch einige mißbillis
gende Bemerkungen macht; am menigften, wenn er weiß, daß
Mer. in den verfchiedenften und gemiſchteſten Gemeinden viele
Sjahre lange Prediger, daß es ihm Ernſt war, das Innere
feiner Zuhörer zu treffen, und daß er mancherley, auch miß⸗
rathene Verſuche gemacht hat.
Außer einigen, jedoch nur ganz wenigen unſchicklichen
Bildern, neben einer ſehr ſchoͤnen, kraͤftigen Sprache, z. B.:
Gott iſt iefer als die Hölle, breiter als das Meer (S. 24),
die Schöpfung gähnt; raſtlos waltet der Schöpfer (S. 6ı),
bemerkt Rec. nur, daß das, was S. 66 gefagt wird::. „Fürs
fen, die ſich Götter glauben, und Prinzen, ‚die wie Thiere
deben, fühlen in deinem Genuſſe ( Natur) wieder den Seegen
ihrer Menichheit, = dem wideriprehe, was ©. 64 mit Rede
geſagt wurde: „Es iſt wunderbar, wie wenig fie (die Natur)
390 Predigten von Walz, Dreift und Schulze.
iſt dem, der“ ihrer unwerth, durch Leidenſchaft hingeriſſen, im:
Unnatur verſunken, von Wahn und Duͤnkel geblendet, den
Sinn, die Kebe für das Ganze verloren bat. Es iſt, als
fräte fie verſchmaͤhend vor ihm zuruͤck, u. f. m.“ Befonders
möchte üder Rec. auf zweyerley aufmerfiam machen, mas in
unierer Zelt beſonders wichtig ift, und wofür ſich beſonders
jeder junge Phediger zu huͤten hat.
Bekanntlich werden in einer gewiſſen theologiſchen Schule
die Bibelausdiucke, Gott Vater, Sohn, heiliger Geiſt, Ders
föhnung, Wieddrgeburt, ja ſogar der nicht Biblische, ſondern
bloß kirchliche: Dreyeinigkeit, und die allveiftändlihen: Leben
und Tod, audygebraucht, aber in einem ganz andern Sinn,
als fie Jeſus, Paulus, Johannes gebraucht haben. Das
moͤchte immer ſeyn, wenn man fein Syſtem oder ſeine Hypo⸗
theſen mit dieſen Worten auszudruͤcken, für gut fände. Aber
wenn man inſinuirt, oder geradezu behauptet, die Bibel
verftche unter diefen Ausdrücen das, was man in jenen Res
ligionephitofophieen darunter verſteht: fo gibt dies eine Ders
wirrung, noch ärger als bey Kants moraliſcher Ynterpretas
tion, bey der man doch wufite, daf es nur. moratifche Ans
wendung ſeyn follte. Der Verf. hat fih. vor diefem Mißbrauch
bibliſcher Ausdrücke fehr gehuͤtet, und die von ihm vorgetras
genen Lehren find faft alle Achte, auf Gefchichte fih gründende
Chriſtenthumslehren. Nur in der Erften Predigt, von der
Wiedergeburt und Erneuerung im heiligen Geiſt, über Joh. 3,
1—85. ift er in diefen, Mobefehler gefallen. Offenbar fpricht
doch Jeſus in.diefer Stelle von etwas, was der Menſch ſelbſt
zu feiner Umfhoffung hun fann (Waffer, Johannes Taufe,
alfo Benukung der göttlichen Anftalten zu unferer Befferund);
aber quch ‚von etwas, was er nicht thun, ſich ſelbſt nicht
geben fann. (Geiſt.) Wenn ein Menſch nicht einmal vers
fieht, wie der Geift auf ihn wirke (V. 8.), fo Mann er
wohl nod weit weniger, ſelbſt und allein das wirken,
was er felbft nicht begreift. In der angeführten Stelle:
Ezech. 36, 06. or. wird auch nicht gefagt: verſchaffet Euch
ein neues Herz und einen neuen Geiſt! fondern: „ih will
Euch ein neues Herz und einen neuen Geiſt geben.“ Ohnehin
kann man ja, befonders nach der Geiſtesausgießung, "nicht
Predigten von Walz, Dreiſt und Schulze. 391
mehr im Zweifel ſeyn, was Sefns -und feine Apoftel unter
Geiſt verfiehen, nämlich eine. von Gott gegebene Kraft, das
auszuführen, was man ausführen ſoll. Und doc fagt der
Berf. S. 8: „Aus eigener Anftrengung foll der Menfd das
Menfchliche. erlangen.“ — Das ft freylich an fih wahr.
Aber er ſetzt hinzu: „Dies Menſchliche aber: gewinnt der
Menſch, wenn er im wahren und vollen Sinn ein Ehrift wird,
rein durch das Chriſtenthum, durch die Taufe. Und das foll
auh das Wort fagen: „Es fey denn, daß Jemand von
Meuem geboren werde x.“ Mein, es foll weis mehr fagen.!
Sefus unterfheider ja Waifer (die Taufe) von dem
Seift! Das Letzte war keine Waſſer- fondern eine Feuers
zaufe, die aud der Täufer Johannes genau tinterfcheidet.
(Luk. 5, 16.): Wird denn auch der Menih durch die Taufe,
durch. das Chriſtenthum, alfo durch bloßes Annehmen des Chris
ſtenthums fchon rein ?_ Aber was verfteht der Verf. unter dem
Seit des Chriſtenthums, der feurige Liebe zu Gott, und hohe
Berleugnung des Irdiſchen hervorbringen fol? Das thut doch
wohl. die Taufe allein nicht? Weit richtiger drückt ſich der
Verf. S. 35 Über diefen Geift aus, es fey „ein fortgefeßtes,
ewiges (?) Wirken der Gottheit in der Menſchheit“* (wenig⸗
ſtens in. einzelnen Menfchen )“ eine edle, Heitige, durch ihn
erregte und. erhaltene -Gefinnung.“ Bey diefer richtigen,
biblifhen Anfiht möge er bleiben, und nicht übergehen zu der
unrichtigen, unbibliihen von Niederer, in der Lenzburger
Mede, der Geift Gottes fey „die in dem Menfhen inwoh—
nende göttliche Ydee, duch ‚die er Bild Gottes und aller Res
liagion einzig und allein empfänglih wird,“ die alfo in allen
Menfchen ift, alfo nicht von Sjefus gelendet, am Pfingſt⸗
tag ausgegoffen und Menſchen verfprodhen zu mers
den brauchie,. weil man ihnen fonft — Menſchheit geſendet,
in fie.ergoffen und veriprochen hätte.
Das Zweyte, worauf Rec. den Berf. aufmerkſam machen
möchte, ift die in einem gemifchten Auditorium fo nöthige
amd freylich fchwer zu erreichende Popularität. Er fagt in
der. Vorrede, es feyen zwey Drittel Kinder, gegen Ein
Drittel Erwachfener in der Werfammlung. Da nun Predigten
bloß für Kinder nicht möglich feyen, fo habe er ſich insbefondere
398 Predigten von Walz, Dreift und Schule,
und vorherrfchend an die Lehrer gewendet, die Kinder ‘aber
auch nicht vernadyläßigen wollen. Zugegeben für den Augen—
blick, daß Predigten. bloß für Kinder unmdglidy ſeyen; fo
hätte, wie der Nec. glaubt, der Werf. gerade das Gegentheil
thun, er hätte ſich vorzüglid an die Schwaͤcheren, an die
Kinder halten, freylih aber die Lehrer nicht vernachlaͤßigen
folen. Bey Lehrern an einem: Erziehungsinftitut, wie befons
ders das Peſtalozziſche ift, feßt man immer voraus, daß fie
‚mit den Religionslehren ſchon bekannt: find, daß nur: erinnert,
aufaefrifcht, neu belebt zu werden braudht, was fchon in dem
‚Gemürh liegt. Gab ihnen der Nedner hin und wieder etwas
zum Nachdenken, eine neue Anficht, ein Wort, eine Sentenz,
‚die fo traf: fo war es fhon genug, und die Kinder verloren
‚nichts dabey. Die Kinder aber mußte er in. unaufhörlicher
Deihäftigung erhalten. Haben fie einmal die Aufmerkſamkeit
verloren ; fo feſſelt man fie nicht leicht wieder. - Sie langweilen
ſich, und nicts ift-verderblicher für Neligiofität, alfo unpäs
dagogifcher, ald wenn man Kınder ſchon frühe durch Religionss
vortraͤge langmweilt; die ganze Sache wird ihnen dann zumıder.
Even darum würde auch Rec., wie Salzmann that, die
Vortraͤge duch Gefang unterbrechen »laffen, was der Verf.
noch befjer konnte, weil er zugleich Geſanglehrer iſt. Der
lebendige Knabe und Juͤngling mag nicht gerne eine Stunde
anthätig zuhören, fo wenig, wie das Boll. Er will: dabey
auc thätig feyn. Iſt ja doch darauf die Peſtalozziſche Mes
thode berechnet, und mit Recht! Bey den Gottesverehrungen
Tann er aber nichts. Anders thun, als fingen, durch Gefang
fortießen,, tiefer eindräcden, mas der Religionslehrer gefagt
hat. Dies wirkt gewiß gut. Man fingt nicht bloß für Ans
dere, fondern auch für fih, finge nicht bloß etwas ans ſich
heraus, fondern auch etwas in ſich hinein. Die Pre
digr Über. Johannes den Täufer und die lekte, vor der Sferter
Gemeinde gehalten, zeigen übrigens, daß. der Verf. wohl po—
pulär reden könne, obgleich die letzte, für eine fo gemiſchte
Verſammlung, wegen des Anfangs und der darin herrfchenden,
freylich ıchönen Buͤcherſprache noch nicht. populär genug iſt.
Die Srellen uͤber Religion, aus Peſtalozzi's Schriften,
find in Deutſchland meift bekannt, fo wie Peſtalozzi's Schriften;
Predigten don Walz, Dreiſt und Schulze. 393
and. Nec. weiß nicht ‚warum: Ari D. das Gegentheil behaup⸗
tet. Indeß iſt es: gut, ‚den Theil des Publikums, der; erwa-
dtefe Schriften nicht kennt, oder noch an Peſtalozzi's retigidien
Gefinnunger zweifelt, durch folche. Stellen davon zu Überzeus
gen. Mur muß Rec. um diefes- Zwecks: willen wänfchen'; daß
Auszüge aus Miederer meggelaffen "oder mit forafältıger:
Auswaͤhl gebraucht würden, weil Manches darin eher eine ents
gegengeichte Wirkung thun möchte. Wie kann 4. €. Nieder
rer behaupten, Jeſus habe. „ein Werk auf die gange-"volls
ſtaͤndige Entwickelung des menichlichen Geiſtes und Herzens
gegruͤndet. ( S. 180) War denn "wohl -Geift und Herz bey
den Fiſchern und Zoͤllnern, feinen: Schuͤſern, volbſtaͤndig
entwickelt ? Mein; er entwickelte es erſt durch feine Lehre
und ſein Beyſpiel. Uebrigens iſt es empoͤrend und ekelhaft,
wenn M. auf ſeine gewoͤhnliche, abſprechende Art behauptet,
Ibey ablem bisherigen Katechismusunterricht muͤſſe es uns
vermeidlich dahin kommen, daß ſich das Kind unter Gott
etwas denke, von Ihm etwas hoffe, fodere, erwarte, was
der Wirklichkeit oder Moͤglichkett widerſpreche, und daß æxs
dadurch in Zweifel oder practiſchen Unglauben ſtuͤrzen muͤſſe.*
Ats ob N., der fo wenig ſah, alten: Katechismusunterricht
fenntet Als ob durch keinen Katechismusunterricht, aͤchte
chriſtliche Religioſitaͤt gewirkt worden waͤre! Rec. weiß viele
hundert Beyſpiele vom Gegentheil. Solche, einen unleidlis
chen paͤdagogiſchen Papismus athmende Stellen laſſe Au D.:
nur in Zukunft weg, wenn er Vorurtheile gegen ben. vellgidfer
Geiſt im Peftat. Inſtitut verbannen will,
Auch Nr. 3. iſt nur eine kleine, aus zehn Predigten ber
ftehende Sammlung ; aber merkwärdig, mie die vorher ’anger
zeigte, obgleich in einem andern Sinne So viel Gehalt
und fo viel hochtönende Phrafen. ohne Gehalt, fo viel. Mare,
warme, fräftige, und To viel unverjtändliche, kalte, matte
Stellen. — freymuͤthig herausgeſagt — fo viel’ Sinn und. Uns
finn bat. Rec. nicht leicht in einem großen Buche gefunden,
als in diejem Heinen Büchlein: Und es ift, als 06 fih ‚mit
jeder Predigt das: Verfiändliche , Warme, Kräftige, der Sinn
verminderte ‚und: das Unverſtaͤndliche, Kalte, Matte vermehrte.
Es war dem Rec., als ob, er in. Befellfchaft eines feurigen,
#
394, Predigten von Walz, Dreift und Schulze
geiſtvollen Juͤnglings wäre; wo über das, Heiligfte geſprochen
und. :zugleih Wein getrunten würde... Anfangs fpräche der
Süngling mit- vielem Leben ,und vieler Wärme über Religion.
Mit jedem Glaſe, das er weiter traͤnke, wuͤrde er eraltirter;
es kaͤme fchon manchmal etwas. Unverſtaͤndliches, Widerfinnis
ges, bis er endlich betrunken. würde ‚und Unfinn ſpraͤche.
. Sn: den’ erften Predigten find wirklich ausgezeichnet ſchoͤne,
kräftig :ausgedräcdte Stellen. &..149. wird. eine - Seite des
Zeitgeiſts ſehr gut bezeichnet. S. 1597 werden: die Vorzuͤge
des Chriſtenthums, in ſoferne es die Weiber wieder in ihre
natuͤrliche Menſchenrechte einſetzt, kraͤftig dargeſtellt. Trefflich
iſt 085 mas der Verf. Si 167 von der Mutterempfindung und
Mutterſeligkeit ſagt. Durch das Kind offenbart ſich ihr die
Fülle: der Gottheit, und des Himmels Klarheit umſtrahlt ihr
heiteres Angeſicht. Mit dem Muttergefuͤhl endet die Einſeitig⸗
keit des Geſchlechts; dee wahre Beziehungspunct alles (ihres)
Denkens und Handelns iſt gefunden. Das Weib tritt aus
ihrem früheren, beichtänften ‚Kreife ‚in die ‚große Verkettung
der Dinge, und wird eine: Priefterin der: Natur, ‚mit diefer
duch Füße, unaufloͤsliche Bande auf ewig verbunden. — —
Mütter: bewahren das große Geheimniß der Liebe in ihrem
keuſchen Buſen. Denn in Morten daorftellen können und dürs
fen fie nicht die Seligkeit; die fie durchgluͤht, das Unendliche,
was fie ‚bewegt, und wenn ſich ihnen nud die Zunge loöͤſ'te,
würden fie. Allen denen: Wahnſinn zu fprehen fcheinen, die
nicht, ‚wie fie, das Hohe Gluͤck berühren, ein Ewiges zu ers
zeugen (zu gebären ), und durd, diefes «den -Rranz der Uns
ſterblichkeit zu erringen.“ In der ganzen Predigt fucht er
Maria als die Sonne der. Frauen darzuftellen, und er fagt
unter Andern von ihe (S. 172. 173): „Märia lebte nur
in ihrem Kınde, und ihre Tage fcheinen ihr nur geſchenkt,
um fie diejem zu weihen. Ihre Mutterwärme erlaubte ihr
Beinen eigenrüchtigen Gedanken an.‘ fich ſelbſt, ſondern unbe—
kuͤmmert um ihr eigenes Schickſal, begleitete ſie mit treuer,
immer wacher Sorgfalt den geliebten Sohn, von der Wiege
bis ans Grab (7). Ohne Zaudern verließ fie ihre Heimath,
ihre Freundinnen. alles Theure und Liebe, und zog in einfas
mer, gefahrvoller Flucht Aber Berg und Thal durch wülte,
x
%
Predigten von Walz, Dreift und Schulze. 395
traurige Steppen in ein fernes, unfreundliches Land, um vor
der moͤrderiſchen Verfolgung eines blutduͤrſtigen, feigen Böfes
wichts, dag Leben ihres’ Kindes zu ſichern. Und als der Lieb:
ling ihrer Seele, von feinen Juͤngern verleugnet, von feinen
Freunden verlaffen, fein großes Leben verblutete, fürchtete fie
weder dies herzzerſchmetternde Schauſpiel, nod den unaus
bfeiblihen Haß feiner Henker, fondern ftand mit dem Jünger,
den er lieb hatte, unter feinem Kreuz, um and im Tode nicht
von dem zu weichen, ohne welchen ihr das Leben gleichaltig
war. : Denn die Mutterwärme hat eine wunderbar s ftärkende
Gewalt und ftähle mit Much und Tapferkeit, felbit die, vers
möge ihrer Natur, furchtſamen Frauen, fo daf fie troßdietend
allen Qualen, unerihroden dem Tod ins Auge fehen, wenn
es daB Wohl oder Wehe ihrer Lieblinge gilt: Daher vergeffen
auch edle Frauen fters ſich felbft, und ihr Leben wird eine
Folge von den Freudenklängen und den Trauertönen, in wels
hen ſich das Herz ihrer Lieben bewegt. Und weil die Mutters
wärme ſich nur durch großmüthige Entſagung auf eigenen
(allen eigenen) Genuß, durch gänzlihe Entäußerung ihrer |
ſelbſt genuͤgt, und weil fie flets in ihren Kinde nicht bloß
diefes, fondern vielmehr die ganze Menfchheir kiebt ; fo gedeiht
auch dur fie in einem folhen Herzen, am glädlichften, der
Erde fchönfte Blüte, die Religion.“ Rec. müßte faft die ganze
Predigt abfhreiben, wenn er alle gemüthliche,, gelungene und
treffende Stellen darin Hier bemerklih machen wollte Maria
wird darin als die Sonne (das Mufter ) der Frauen (befons
ders der Mütter ) dargeftellt. Nur begreift man nicht, warum
. er fie manchmal eine ewige Mutter nennt, und wöher er
weiß, daß fie bald nad) Jeſus gen Himmel gefahren ſey. Die
Bibel fagt kein Wort davon, |
Die dritte Predigt ifb eine fchöne Anwendung des Muts
terfinng, den alle Kirchen — wenigftens haben follten.
Die fünfte dagegen’ ift bloß eine Deklamation — Rec.
möchte faſt fagen, eine Capuzinade — 'gegen das Srdifche,
Vergängliche, das Leben. Das ganze Leben ift ein Trauer—
fpiel,, das Irdiſche ein graufamer, lifiger Feind, den wir ih
unierem Körper tragen. Der leere Schein wird flatt des Wer
ſens, die Schale flatt-des Kerns geliebt (S. 144). Math
396 Predigten von Walz, Dreift und Schulze,
hat darin den Schein der Wirklichkeit nur gelogen (&. 146).
Das Leben ift eine, an Schmerzen und Qualen unerfchöpfliche
Krankheit; Haß und Feindfhaft- begrüße den Neugebornen ti!
©. 148 (aud die Mütter?) Das; Dafeyn ift eine Laft (S.
355). Man bemühe- fi aber nicht, Ddiefe Paradorieen zu
widerlegen; denn fie find fo arg, nicht gemeint. Wer die Muts
texjeligkeit fo beichreibt, wie es der Verf. ganz wahr. &. 172.
275 thut, wer mit folhem Jubel redet, ‚von der „Hand der
ewigen Freundichaft, und von der heitern, ſtillen Seligkeit,
weiche hervorfeimt aus dem ruhigen Anfchauen und Plaren
Erkennen eines ſchoͤnen, eigenthümlihen. Wefens, als eines
verwandten Gemürhs“ ( ©. 218); wer die „Schöne des Das
feyns“ nennt, die felbft Jeſus freundlich angeblickt Haben fol
(8. 1495), dem ift das Leben. nicht fo fehr zumider, wie er
#8, um fein Thema auszuführen, manchmal behauptet,
A er das fiheint dem Verf. voller Ernft zu ſeyn, daß der
Menſch fich ſelbſt eridien müfe, und daß es die Bibel auch
in diefem Sinne nehme. Er ertöfer fih, nah S. 226. 229g,
wenn das, Gute in ihm, das Böfe (oder, was dem Merf.
Eins, der Geiſt den. Körper ) überwindet, wenn er einen Ss
zenden belehrt, einen Kiugenden tröftet, kurz: eine Handlung
der MWohithärigkeit ausübt; ja fogar, wenn er, „in den Stuns
bei: der. heiligen DBegeifterung,. an dem Bufen eines Tliebends
geliebten Weſens, den Triumph über die Erde (doch fehr ir—
diſch) fenert. (Eine folhe Selbfteriöjung mag wohl nicht viel
Ueberwindung often! Hierher paßte die Erzählung in: der
Lucinde: „Ih umarmte fie mit eben fo viel Wolluft als
Religion.“ Kat hier auch der Beift den Körper überwuns
den? Oder begehrt er ihn nur zu überwinden ? Iſt Hier auch
eine Schlacht gegen das Irdiſche, mit Plirrenden,, ‚eifernen
Ketten veriehene Heer, das den Gegner (den Geift) zu bes
zwingen drobt?) Mag man dies in irgend einer Philofophie
Erlöjung nennen; das, was die Bibel fo nennt, ift es nicht.
Mach ihr kann ſich der Menſch nicht ſelbſt erloͤſen; ſie ſchreibt
uͤberall dieſe Erloͤſung allein Jeſu zu. Was brauchte es auch
der ganzen Anſtalt durch Jeſus, wenn ſich der Menſch ſelbſt
erloͤſen koͤnnte? Nein; „wir werden ohne Verdienft ge⸗
ge Net durch die Erloͤſung, die durch Jeſus Chriſtus geſchehen
Predigten von Walz, Dreift und Schutze; 397
it“ (Roͤm 3, 24.)5 und es heiße mie Worten fpielen, oder
Bibelworte in einem ganz andern, widerfprehenden Sinne
nehmen , wenn man von Selbfterlöfung durch Handlungen der
Wohithätigkeit, oder durch Freundichaftsgenuß redet; es heißt
Bibelworte profaniren, wenn man ung verfihere, daß man
fi am Buſen eines lebend s geliebten Weſens erlöfen könne.
Unrihtig ift es auh, daß die Erloͤſung nah der Bibel
.ftetig (anhaltend) fortfchreite, und fi bis zum. Tod wieder—
Hole. Verſichert ja der Verf. ſelbſt, ©. 201, da Jeſus gefagt
habe: es ift vollbracht, da fey „die Schlacht entichieden, und
der alte Feind der Erde niedergeichmertert worden.“ And
Paulus fagt (Ebr. 10, 14.), Selus habe mie Einem Opfer
für die Ewigkeit vollendet, Alle die geheiligt oder erloͤſet
werden jollten. Endlich ift es eben fo unbiblifch und unrich—
tig, daß Jeſus das Erloͤſungswerk zuerſt an fich felrft voll
bracht habe. Freylich hat Er fich felbft überwunden, eine
Menge wohlthätiger Handlungen verrichtet u. f. w., aber das
Heißt in der Bibel nihe: Erldiung. Jeſus, der nie füns
digte, bedurfte keiner Erloͤſung von Sünden; und nur davon
fol der Menich erlöfee werden, nicht vom Srdifchen, in das
ihn Gott, aus weilen Abſichten, gelebt hat, aus dem ihn
auch Sott allein, und nicht er fich felbft, wegnehmen darf.
Freylich, in diefem Sinne ift es leicht, zu beweifen, was die
achte Predigt beweiien fol, daß das Chriftenehum ewig dauren
werde; denn immer werden wohlthätige Handlungen verrichtet,
Freundſchaft genoffen werden; immer werden gute Menſchen
ſich ſelbſt zu uͤberwinden ſuchen.
Noch manche andere Verwirrungen der Begriffe und Wir
derfpräce finden fih, 3. ®. S. 138, daß das, mas einen
Anfang gehabt, auch verfinten oder ein Ende haben muͤſſe;
‚ohne den Tod muͤſſe das Ewige in dem Menihen aufhören
zu feyn. (Als 0b es,nun einen Anfang gehabt hätte, weil
der Tod dazwifchen- kam!) Der Tod folle alles Periönliche
von den Worten und Werfen der Menfchen trennen, ©. 143.
(Wären es dann noch die Morte und Werke des Individuums ?
Und find fie es nicht, mie können fie ihm zugerechnet wers
den?) Wie ift die Behauptung mit dem zu vereinigen, was
eine Seite vorher gefagt wird: „der Tod hat ihn (den Ge
\
398 Bredigten von Walz, Dreift und. Schulze.
fiebten,- Liebenswärdigen) nicht Euch, und Euch nicht ihm ent
riffen, fondern nur die Scheidewand aufgehoben, fo daß Ihr
jeßt einander näher treten und. Euch mit ungeflditer, inniger
Liebe für die Ewigkeit umarmen koͤnnt.“ Mac dem Hauptſatz
der zweyten Predigt, ſoll das Chriſtenthum die Religion des
endlofen Kampfs feyn, und doch fagt der Verf. am Ende
in den Berfen, die zu einem en für dag heilige Stab ein:
zuladen feinen:
Zieht: ind Feld zum — Siege
Eurer Fahne nach.
Daß er das Auffallende liebt, zeigt ſich beſonders am Ende
dieſer Predigt, die mit den Worten ſchließt:
| Kauft ein Schwerdt.
und am Ende der fiebenten, die flatt: Amen, Wehe! Wehe!
Wehe! ruft.
Doch, das find nur Kleinigkeiten gegen bie Paradorieen,
die in der Predigt vom Abendmahl ausgefprohen werden.
„Der Weltenvater Hat menihlihe Bildung angenommen, in
dem Sohne, damit dieier alle Jahrtauſende hindurch ſey und
bleibe der jungfräulich reine Leib, worin das innere
Element des Weltalls, der Vater, wohnt,“ (S. 287)
„der Stein regt fihb und möchte Blume werden;
die Pflange möchte, fich losreiiiend. von ihrem mütterfichen
Boden, fich zu der höheren Ausbildungsftufe der Thiere ers
heben“ u. f. w. (&. 290) Wenn man den Wein im Arends
mahl getrunten hat, foll man von feiner Bärgtichkeit, feinem
JIrrthum mehr wiffen; 28 joll keine Sünde, keinen
Zwieipalt, kein Verderben mehr geven. Die leifeften
Ahnungen des Boͤſen follen verfhwinden;, man foll
verfnüpft werden mit allen hohen edlen Seelen früherer Jahr—
Hunderte, und ihr gerechtes Zuͤrnen über das Gemeine ſoll
ung ergreifen ; wir follen das Bürgerrecht in der Matur und
Geſchichte erhalten; (was das wohl feyn mag, das wir noch
nicht hätten?) das Abendmahl foll eine wahrbafte, emige,
unauflöslihe Ehe mit der Natur feyn,“ S 300 —306)
und wie die Phrafen weiter lauten. Und auf wen es nidt
fo wirkt, der ift ein unwuͤrdiger Saft, lebendigstods, wahns
Predigten von Walzy Dreiſt und Schule. - 399
finnig x. (8: 308-310). Ob wohl die Apoflel wuͤrdige
Säfte waren? frey von Irrthuͤmern waren fie wenigftens nicht.
Was fagen endlich die Lefer. zu folgender Stelle (&. 294):
„Ihr umarmer in jedem Menihen: Leib die fleifch s gewors
—
dene Gottheit, und Eure gläubige Seele empfindet in je⸗
dem Kuß von geliebten Lippen die Gnade des Erloͤſers.
Endlich feyd Ihr würdig, audh in der einfamen Umarmung
eines liebenden Weſens, das heiligfte Wunder der Natur
durch und an Euch ſelbſt zu. erfahren, und knuͤpfend das
Hochzeitlihe Band, in der hoͤchſten und folgereidhften
That, Euch als ähte Priefter der Natur zu bewähren, die
der Genuß des gefegneten Brods fo reinigte und ‚verflärte,
daß Ihr verdiener, die Natur auch im der tiefften Mitte ihres
Seyns zu erfaffen, und mit der Fülle der edelften
Lebenskraft aufs. neue gu feyerm das Saframent !
der unendlihen Liebe.“ — So etwas wurde im neuns
zehnten Jahrhundert, in Weimar, dffentlih von der Kanzel,
vor einer vermiichten Verſammlung von Sjünglingen, Mäns
nern, Sungfrauen und Weibern gepredigt, und follte für Chris
ſtenthumslehre gelten!! — Kaum glaublih, wenn man «8
nicht gedruckt läfe! Gchwerlid kann es ein fchrecklicher wars
nendes Beyſpiel geben, wie der Mißbrauch der fogenannten
Narurphilofophie, ‚und ihr Einmiſchen in das einfache Bibels
Chriſtenthum, auch treffliche Köpfe zu Unſinn verleiten könne,
- fo daß das Wort Paulus, Roͤm. ı, 22., an ihnen auf eine,
jedem Menfchenverftand einleuchtende, Art erfüllt wird. Daß
es eine folhe Warnungstafel werden möge, dad war die Urs.
fahe, warum Rec. ſich mit diefer Heinen Sammlung fo lange
befchäftigt Hat.
Meber dad Alter. In Briefen an einen Freund. Nach dem Franzoͤſi—
fden des Herrn J. H. Meifter bearbeitet von dem Verf. von
Eugenia’d Briefen. Winterthur, in der Eteinerfhen Buchhands
lung. 1810,
Diefe dem alten würdigen Salomon Hirzel von dem deut
ſchen Ueberſetzer, Keinrih Hirzel, Profeffor und Chorheren
am großen Münfter zu Zurich geweihte Schrift ift ein wuͤrdiges
Denkmahl der Achtung und Liebe eines jüngern Freundes, der
dem Altern fich dadurch gefällig zeigen wil, daß er ihm das
J
400 ueber das Alter von dem Verf. von Eugenia's Briefen.
Alter feld von einer intereſſanten Seite darſtellt. Dem Verf.
diefer leſenswerthen Schrift, der dem Ueberſetzer einige Briefe,
handich:iftlih mittheilte, die fih ım Frangdfiihen Driginale .
nicht befinden, gereicht es zur Ehre, zu geftehen, daß er die
bekannte Abhandlung des. Cicero Über den naͤmlichen Gegens
ftand nicht eher, als nach Vollendung feiner. ‚Arbeit nachges'
fehen und durchgeleien habe, Nur auf diefe Weife ift es möalich,
neue Anfichten einer Sache zu gewinnen, die der Betrachtung
um fo mürdiger tft, als fie Ihon das Nachdenken vieler .dens
kenden Menichen vor uns beichäftiget hat. Syn der That ers
hielten wir auf diefe Weife: einige Kapttel-in dem vorliegenden
Werke, die weder von Cicero, nocd von andern find berührt
worden, und das Ganze hat fi) dadurh in der Behandlung
zu einem Driginale volltlommen geeignet. Wahr ift es. aber
auch auf der andern Seite, mas der Verf. befcheiden zugibe,
daß, wenn man nach dieier Lectäre den alten, Römer wieder
zur Hand nimmt, man fid troß der weitern Umfaſſung des
neuen Schriftftellers, und der unfern Anfihten und Bedürfs
niffen weit angemehnern Behandlung des Gegenſtandes, doc)
weit berubigter fühle nah dem Leien des Cicero, der auf der
einen Seite die Schlagfchatten, die dem fihönen Helldunkel
zur Unterftüßung dienen, welches einige dem Lichte abgewen—
deren Theile des Bildes verlieblichen foll, weit beffer zu bes
handeln verfteht und z. B. uns anf keine Weife zu bereden
fucht, im Alter habe es mit dem Sterben feine Gefahr, oder:
Geiſt und Kraft in feiner lebensreichen Erfcheinung , foaar im
Beleite der Einbildunastraft, könne ſich zuweilen in den ſpaͤ—
"teten Jahren, wo nicht lebendiger und flärfer, doch eben fo
febbaft als in der Jugend erweiien. — Auf der andern Seite
aber auch wieder aefliffentliih eine Menge von Vorſorglichkeiten
und Verwahrungsmirteln gegen die wahrjcheinlihen Unbequems
lichkeiten des Alters eben darum nicht verährt weil arade in
dieier Zuräftung alle mißtrauifchen Bedenklichkeiten liegen, die,
wenn man einen beruhigten und tröftlihen Bliek aufs Alter
werfen will, weit von ans entfernt bleiben muͤſſen. Es mag
in diefer Hinfihe wohl wahr ſeyn, was ein entfernter und
doc) naher Seiftegverwandte in feinem Buche über practiiche
Lebensweisheit uns zu bedenfen gibt: Michts ift mißlicher im
Lehen, als bey feinen beſtimmten Beichäftiaungen. auf einen
noch entfernten Punct bhinardeiten, den man immer im Arge
behalten will, um nachher nicht zu bereuen, daß man keinen
Vorbedacht darauf genommen habe. Thue in jevem Augens
blicke, was recht ift, ſo wirt da auch für den Fall, der
fünftig einmal eintreten kann, das rechtegethan haben,
Tg
No. 26. Heidelbergifche 48123.
Jahrbücher der Litteratur.
D. Philipp Joſeph Horſch, Großherzogl Wuͤrzb. Medizinak
rath, öffentl. ordenti. Lehrer der allgemeinen Therapie, Heilmit⸗
tellehre und Klinik an der Julius: Univerfirät ze. Handbuch‘ der
aligemeinen Therapie ald Leitfaden zu feinen Vorlefungen. Würze
burg, bey Joſeph Stahel. 1811, VIII und 444 ©. 8 - .
Be und Therapie,“ ſagt der Verf. diefes Handbus
ches in der Vorrede, „önnen in ihrer wiffenfchaftlihen NWervolls
fommnung nicht weiter fortichreiten, als durch Anatomie und
Phyſiologie vorgearbeitet if. Sollen bloße Meynungen aus
der Therapie verbannt, und foll fie vollftändig und der Sdee
‚des Lebens entiprehend dargeftellt werden, fo muß fie fid les
diglich an die Geſetze des Organismus halten, indem fie aus
dieſem die Weile deducirt, wie die durch dag pathologifche Gefek
gegebenen Veränderungen zur Normalität zurückzuführen feyen.
Ueber diefen Segenftand habe er fih vor einigen jahren im
erften Hefte feiner Minifhen Annalen ausführlich erklärt, und
bier habe er den Verſuch gemaxht, die Therapie nach diefen
Anſichten zu bearbeiten.“ Nimmt man nun zugleich auf jene
Erklärung in den kliniſchen Annaten Rücklicht, wo unter ans
deren (©. ı9) geſagt wird, daß die Drganonomie bisher der
Therapie ganz fremd geblieben fey, oder nicht mehr als einen
bloß mehaniihen Einfluß, d. h. (wie der Verf. jagt) für
den Mechanismus mander Erklärungen, gehabt habe, daß die
Therapie, beionders die allgemeine, als die eigentlich » ärztliche
Theorie, ganz vernachläßigt ftehe, und daß die Sindifation für
den Gebrauch diefer oder jener Methode aufzuftellen nichts heiße,
als die Therapie ihädlihen Schubegriffen aufopfern, fo koͤnnte
man bier eine gänzliche Neform der Therapie erwarten, und
zu nicht. geringen Forderungen an den Verf. ſich berechtigt Hals
ten, wenn man nicht an vielen unſerer neueren Aerzte eine
ſolche Sprache und befondere auch Werfennung deifen, was
| 26 - Ä |
492 P. 3. Horſch Handbuch der allgem. Therapie,
von den,. ihnen freylich oft wenig bekannten Vorgängern ge—
feiftet worden iſt, fchon gewohnt wäre. Mit wie viel mehr
Einſicht fowohl als Billigkeit hat fih nicht der um die allges
meine Therapie wie um andere Theile der Medicin fo hoch—
verdiente Hufeland in der Vorrede zu feiner allgemeinen
Therapeutit ausgedrädt, indem er fagt: „Won jeher war es
das Beſtreben felbftdenkender Aerzte, die Medicin, als Unter⸗
fuhung und Bearbeitung des lebenden Weſens, den Geſetzen
des Lebens zu unterwerfen, ihre Regeln aus diefen Geſetzen
abzuleiten, und fie fo, getrennt von den rein chemifchen und
mechanifhen Naturwiffenfhaften, als eine eigenthuͤmliche ors
ganifche oder Lebenswiffenshaft darzuftellen. Anverfennbar,
nur in verfhiedenen Formen ausgedrückt, blickt diefe Tendenz
aus den Schriften eines Baglivi, Stahl, Boerhaave,
5. Hoffmann, Gaubius, Haller, Zimmermann,
Eullen 2» hervor, und wer die Worte von, den Sachen,
den Geift von der Form zu unterfheiden weiß, wird ſchon in
ihnen die Keime und Grundzüge unſrer jeßigen verbefferten
Theorie finden!“ u. f. w.
So gerne wir aber wirkliche Fortfchritte der Wiſſenſchaſt
anerkennen und anzeigen würden, fo haben wir doch bey forgs
fältiger Prüfung diefer Schrift und Vergleichung derfelben mit
ihren Vorgängern durchaus nicht finden können, daß der Verf,
die Therapie durch Aufftellung neuer und wichtiger Grundfäße
bereichert oder eine reelle WVerbefferung der. bisherigen Curme—
thoden mitgerheilt habe. Jeder mit der Litteratur der allges
meinen Therapie gehörig Vertraute wird bier die bekannten
therapeutifchen Säge, nur oft in die neuere Schulfprache eins
gekleidet und unter die jeßt bey vielen gewöhnlihen Rubriken
der Neproduction, Irritabilitaͤt und Senfibilität (wiewohl nicht
felten auf eine gezwungene Art) vertheilt finden. Wenn der
Verf. aber auch nicht die Abficht gehabt hätte, der Willens
ſchaft eine neue und verbefferte Geſtalt gu geben, fondern wenn
er bloß das Bekannte in einem guten Compendium hätte dars
ftellen wollen (was indeffen nad) feiner obigen Erklärung nicht
anzunehmen iſt ), müffen wir wieder offen geftehen, daß mir
ihm auch in diefer Hinſicht Feine befonderen Vorzüge einräumen
- tönnen , indem in Anfehung der Anordnung und Ausführung
B. J. Horſch Handbuch der allgem, Therapie. 403
der einzelnen Gegenftände fo Manches zu erinnern ift, wovon
wir nur Folgendes hier ausheben -wollen. |
Ein Hauptfehler diefer Schrift, in fofern fie ein Coms
pendium ſeyn ſoll, ift nach unferer Ueberzeugung der, daß fie
feine ausgewählte Litteratur enthält. Es find (8. ı—e)
nur die allgemeinen Schriften über Therapie angeführt worden,
Dagegen die Litteratur der einzelnen therapeutifchen Materien
durchaus fehlt. Aber ſelbſt jene allgemeine Pitteratur iſt fehe
dürftig “und fehlerhaft angegeben. &o nennt ber Verf.
unter den Alten nur den Hippofrates, Galenus und
Alerander von Trälles. Letzterer gehört aber cher zur
fpeciellen Therapie, und es mußten dagegen hier wenigſtens
noch Celſus, Caelius, Aurelianus und andere Me—
thodiker genannt werden. Auch haͤtten ſtatt mehrerer aͤlterer
Compendien, die in einem Werke, was keine vollſtaͤndige Lits
teratur enthalten foll, nicht angeführt zu werden brauchten,
noch mande Werke, welche eigne Spiteme enthalten, als die
von Paracelſus, von v. Helmont tc. angeführt werden
muͤſſen. Außerdem fällt es befonders auf, daß der Verf. wähs
rend fo mande unbedeutende Schriften von ihm genannt wors
den find, - die. fchäßbaren Werke von Johann Juncker
( Conspect. therap. general.), Hebenftreit (Palaeologia.
therapiae), Afermann und Ploucguer ganz Übergans
gen hat. ee
Die $. 5. vortommenden phyſiologiſchen Vorbegriffe haͤt—
ten wenigſtens kuͤrzer angegeben und groͤßtentheils, wie 3. B.
das hier unnoͤthige Detail von der Inſalivation, Deglutition,
Ehymification ꝛc., als ans der Phyſiologie bekannt vorausges
feßt werden können. Uebrigens folge der Verf. hier ganz
denen Phyfiologen ( Walther zc.), welche ale Srundfunctios
nen Reproduction, Irritabilitaͤt und Senſibilitaͤt annehmen,
bringt mit dieſen die Reſpiration und thieriſche Wärme unter -
die Verrichtungen der Irritabilitaͤt, und gibt hiernach auch die
von ihm fogenannte arterielle Stimmung (welche dem ents
zündlichen Zuftande oder der Synocha entipricht) für eine
Veränderung der irvitablen Organe aus, fo wie er auch die
krankhaften Veränderungen der Temperatur unter die der Ar
ritabilität bezieht... Ob indeffen die Reſpiration mit Recht bloß
40% P. J. Horſch Handbuch der allgem. Therapie,
unter die Verrichtungen der Sgrritabilität gebracht wird, möchte
fehr zu bezweifeln feyn. Es können wenigſtens die dabey Statt
findenden Aeußerungen der Srritabilität die Nichtigkeit jener
Elafüfication nicht beweifen, indem die Srritabilitätss Aeußes
tungen auch in anderen ohne Zweifel zur Reproduction bes
flimmten Organen, 5. DB. dem Darmcanale, vorkommen (wie
denn auch der Verf. ($. 115.) felbft fagt, daß diefe Function
überall mit den übrigen verfhlungen fey). Und wenn man
den Einfluß der Nefpiration auf die Blurbereitung beruͤckſich—
tigt, und wenn das Blutipftem ohne Zweifel ein Hauptiyftem
der Reproduction ift, muß jene Llaffification um fo einieitiger
erfcheinen. Sehr willtührlih ift es auch, die ehierifche Wärme
als’ eine Verrichtung der Srritabilität anzgufehen. Viel ange
meffener haben überhaupt andere neuere. Phyſiologen die Vers
richtungen in Verrichtungen des vegetativen und Verrichtungen
des fenforiellen Lebens eingetheilt, wobey man dann die bey
den einzelnen Verrichtungen hervorftechenden Aeußerungen der
Irritabilitaͤt 2; doch wohl unterfcheiden kann. Aus allem dies
ſem erhelfet nun aber auch, wie wenig es für fih hat, wenn
die fogenannte arteriche Stimmung (der entzündliche Zufland
oder die Synoha), die Fieber und Entzündungen bloß für
Krankheiten der Sreitabilität erklärt. werden.
Der erſte Abſchnitt Handelt von der Diagnoſe
und Prognoſe. Bey der. Lehre von der fe&teren wird
6. 250 fg. behauptet, daß es keine Heilungen gebe, wo bloß
die natürliche Kraft des Organismus die Krankheit befiege,
ohne daß zugleich aͤußere Einfläffe einwirkten, weil der Menſch
ftets und norhwendig Außeren Einflüffen ausgefeßt fey. Frey—
lich ift der Menfch immer äußeren Einflüffen, und oft aud)
folhen, die. auf feine Krankheit einen günftigen Einfluß haben,
ausgelegt. Es ift aber längft von Anderen mit Recht bemerkt
worden, daß die Heilung dur die Matur allerdings aud in
hoͤchſt fchlimmen Fällen bewirkt worden iſt, wo die Auferen
Einflüffe wenigſtens fo wenig günftig waren, daß man ihnen
feinesweges die Heilung zufchreiben konnte. — Bey der Mur
taftaje foll nad) $. 262, feine Wanderung eines Stoffes anzu
nehmen feyn, weil fie felbft bey Krankheiten Statt finden
könne, bey welchen die Miihungsveränderungen fecundär oder
R. J. Horfch Handbuch der allgem. Therapie 405
son der Are fenen, daß fie nicht in die Wahrnehmung fallen.
Allein dies beweif'e bloß, daß nicht jede Metaftafe materiell
iſt, wie freylich längft Andere gezeigt haben. Die wichtigften
für die materiellen Metaftafen angeführten. Beobachtungen und
Gründe hat aber der Verf. gar nicht berüdfichtig. Wenn er
insbefondere $. 266. fragt: Warum hat nicht das beftehende
Fußgeſchwuͤr ein antagoniftifhes Organ zur. Krankheit hervor—
gerufen und warum das zugebeilte? und wenn er dabey meint,
dan hier bloß auf die Unterdruͤckung einer krankthaften Se
und Ercretion zu fehen fey, fo fcheint ee die von den glaubs
würdigften Beobachtern angeführten Fälle nicht . gefannt zu
haben, wo ben Fufgefhwüren oder Geſchwuͤren der Arme ıc.
Auswurf von Eiter aus den fonft durchaus nicht verleßten Lun—⸗
gen erfolgte, nad Befeitigung der Quelle des Eiters durch
Imputation ꝛc. aber alsbald aufhörte, u. f. w.
Der zweyte Abfchnire if Überfchrieben: Theorie
der Heiltunft, und handelt von der Heilung überhaupt,
dem Heilplane , den Eurregeln, Gründen der Eurregeln, Eurs
methoden und Heilmitteln, und der Verpflegung der Kranken.
Sin dem dritten Abfchnitte, welcher die Leberfchrift :
Theorie der Heilung hat, und auch eine allgemeine
Weberfchrift der Curmethoden und Heilmethoden enthält (wobey
wohl Manches kürzer zu faffen und unter einfachere Geſichts⸗
puncte zu ftellen, Manches, zum Theil nachher noch näher zu
berührende, zu berichtigen wäre), behauptet der Verf. mit
Recht, daß die von vielen Maturphilofophen angegebene Abs
sheilung der Heilmittel nah den letzten Stoffen, auf melde
die Chemie zurückgehen kann, noch für bloß hypothetiſch zu
halten und vor der Hand noch nicht in die Therapie einzufühs
ren fey. Dagegen möchte bey ſeiner KEintheilung der Mittel
($. 462 — 465.) auch Manches noch für unerwiefen und hoͤchſt
hypothetiſch zu halten jeyn. Wodurch iſt es 5. B. erwieſen
‚oder nur wahrfcheinlih gemacht, daß die Metalltalte bloß die
Reſorbtion anfprechen? Aendern die Neutral- und Mittels
falge, fo wie die Metallialze nur die Secretion um? Iſt die
antiphlogiftifche Kraft des Salpeters ꝛc. hierdurch erklärt?
(Nach $. 812. follen die Salze freylich auch die Thätigkeit der
Arterien umfiimmen und den Faferftoff im Blute umändern,
406 P. J. Horſch Handbuch der allgem. Therapie,
woran der Verf. indeffen bey jener früheren Claſſification niche
gedacht zu haben fcheint.) Können die adftringirenden Mittel
und das Eifen, welde offenbar auch einen vorgäglichen Einfluß
auf irritable Organe haben, Bloß als ſolche betrachtet werden,
weiche die Alfimilation umändern ? u. f. mw.
An dem vierten Abſchnitte, wo von ber Entfers
nung Der Hinderniffe der Heilung gehandelt wird,
hat der Verf. ſich feldft auf das Detail des Augziehens .frems
der Körper aus dem Speifecanale, der Luftröhre x. der Bes
handlung der Brühe, Knochenbruͤche, Eiterung, Geſchwuͤre zc.
eingelaffen. Ob dies hier nöthig und am rechten Drte war,
moͤchten wir fehr bezweifeln. Wollte man hier irgend aus—
führlih und gruͤndlich ſeyn, fo würde ein großer Theil der
Chirurgie und fpeciellen Therapie hierher gezogen werden müfs
fen. Auch find offenbar viele von. diefen Gegenftänden nicht
als bloße KHinderniffe der- Heilung, fondern als wirkliche
Krankheiten zu betrahten und ſchon um deswillen an anderen
Drten abzuhanveln.
Bey dem fünften Abfhnitte, wo die ausleierende
Methode nach der gewöhnlihen Ordnung abgehandelt wird,
bemerfen wir unter andern Folgendes. Daß das. Lünftliche
Erbrechen bey dem Keichhuften ganz contraindicire fey, wie
6. 561. gefagt wird, möchte doc zu: ‚bezweifeln feyn, wenn
auch dies Mittel von Manchen zu allgemein bey diefer Krank
heit empfohlen worden if. — 6. 568. ift die Efelcur mit
wirkliches Erbrechen erregenden Mitteln nicht Schicklich zufams
mengeftelt worden. — Bey der Lehre von dem Blutentziehen
hat der Verf. ($. 617..) mit‘ Recht bemerkt, daß. fehr viel
von der Stelle abhänge, an welcher die Aderlaß ‚vorgenommen
werde, aber dabey vergeſſen, fih näher darüber auszulaffen,
‚wie es doch die Wichtigkeit diefes Gegenftandeg erforderte.
Der fehere Abſchnitt hat: die Uederſchrift: Umäns
derungen in den erftien Wegen und den Säften,
und es werden darin abgehandelt die Segengifte, Abforbtion
und Einhälung fremder Stoffe, - die auflöfende, anfeuchtende,
verdännende, ermweihende und austrocknende Methode, die
Umänderung der Reforbtion und Secretion und die allgemeine
Umänderung des Blutes und der Säfte. Daß aber jene Leber
PB. J. Horſch Handbuch der allgem. Therapie. 407
fcheift nicht paffend fey, indem manche diefer Methoden fich
bekanntlich nicht bloß auf die erfien Wege und die Säfte bes
ziehen , bedarf faum bemerkte zu werden.
Der ſiebente Abſchnitt handelt von der Umändes
rung der irritablen und fonfiblen Drygane Es
ift darin befonders die fo wichtige antiphlogiftifhde Methode
($.- 812.) gu dürftig dargeftellt, und es ift mancher dazu ges
höriger wichtiger Mittel, als der Pflanzenfäuren, des Sauer -
honiges ıc., der erfchlaffenden oder erweichenden Mittel, bier
Kar nicht gedacht, auch nicht. die nach dem verfchiedenen Grade
des entzündlichen Zuftandes erforderlihe Einrichtung jener Mes
thode angegeben worden, welches Lestere doch für Anfänger .
fehr wichtig if. — Die antagoniftiihe Methode wird auch)
nicht fchicklich bloß unter der Rubrik: Umänderung der irris
tablen und fenfiblen Organe, abgehandelt , da fie fih auch auf
andere Theile beziehe, jwie der Verf.‘ ($. 871.) felbft bemerkt,
und eben fo fragt es fih, ob es bloß bey diefer Methode der
fhilihe Ort war, von dem thieriihen Magnetismus, der
Electricität und dem Galvanismus zu handeln, da diefe doch
wohl nicht bloß oder. vorzugsweife antagoniftifch wirken. Webris
gens fann auch das Mähere von der Anwendung bdiefer und
anderer hier abgehandelter Mittel der Arzneymittellehre, wenn
‚man diefe nicht uͤberhaupt mit der Therapie verbinden will,
überlaffen werden.
Sm ahten Abfhnitte wird noch von der Reguli—
rung der gewöhnlihen Lebenseinfläffe gehandelt.
Hier vermiffen wir unter andern befonders bey dem über die
Mahrungsmittel Gefagten eine genaue Verädfichtigung des
Sinfiinctes oder befonderen Berlangens der Kranken zu gemwiffen
"Dingen, $. 926. aber, wo von zwecmäßigen Bewegungen
die Rede ift, die VBerüdfihtigung des Hochathmens, auf defs
fen Wichtigkeit in neueren Zeiten befonders von Hensler
aufmerffam gemacht worden ift.
Webrigens ift der Druck diefer Schrift durch eine große
Menge von Fehlern entſtellt worden.
| Eonradi.
408 Einchiridion Hermeneuticae auct. Jahn.
Enchiridion Hermeneuticae generalis tabularum veteris et novi
- Foederis. Authore (auctore) Johanne Jahn, Philos, «t
Theol. Doct. Eccles. metröpol. ad 8. Stephanum Viennae
Canon. capit. Archiepisc. consistor'i consiliar. olım L. L.
©. ©. Archaeol, bibl. introd. in V. T. et dogm. Prof Caes,
Reg. P. et O. Viennae 1812. In libraria Camesina. VIII
188 ©. in 8.
Bereits vor acht jahren (1805) hatte Ar. D. Zahn,
als er noch Profeffor der Drientaliihen Sprachen u. f. w. an
der Univerfirät zu Wien war, ein Lehrbuch der allgemeinen
Hermeneutit des A. und N. Teflaments völlig zum Drude
ausgearbeitet, und die nahe Ericheinung deffelben Öffentlich ans
gekuͤndigt. Indeſſen waren Umſtaͤnde eingetreten, welche die
Herausgabe deſſelben verhinderten, wozu noch fam, daß Hr.
D. Zahn im Jahr ,ı806 jeine Lehrftelle an der Univertität
mit einer andern Beſtimmung vertaufchte. Er änderte daher
fen Vorhaben, die Hermeneutik heranszugeben, und legte
das Manufcript davon in feinen Pult zurück, um es bier
feinem Schick ale zu uͤſerlaſſen. Allein es aelangten der Ans
forderungen und Aufmunterungen, die Hermeneutik in den
Dru zu geben, fo viele und fo bedeutende an ihn, daß
er denielben nicht glaubte länger widerftehen zu dürfen. Er
nahm das Manuscript wieder vor, fand aber bey Durchles
fung deffelben, daß er es in derjenigen Geftaft, die er ihm
ehemals gegeben hatte, nicht mehr könne erſcheinen Laffen.
Dies bewog ihn, das Bud) gang umzuarbeiten, und daffelbe, da
es vorher bloß zum Leitfaden bey Worlefungen dienen follte,
jeßt fo einzurichten, daß es auch zum Privatgebrauche nüslich
wäre. Und hierauf bezieht. ſich der Titel deffelben: Enchiri-
dion. Um Wiederholungen zu vermeiden, faßte er darin die
allgemeinen Regeln der Hermeneutif, melhe fowohl auf das
A. als auf das N. Teſtament anwendbar find, zuſammen,
und erläuterte fie, um das DVerftehen Derfelben zu erleichtern,
mit zwecfmäßigen Beyſpielen, jedoch mehr aus dem A. als
aus dem M. Teftamente. Auch einige auf die doamatifche
Theologie ſich beziehende Berſpiele nıhm er auf, um zu zei—
gen, wie wichtig die Hermeneutik für die übrigen theolog-jchen
Wiffenfchaften fey.
+
* Enchiridion: Hermeneuticae auct. Jahn. 409
Die Einleitung, welche unter der Weberfchrift: Praelimi-
naria Hermeneuticae, vorangeichreft ift, beftimme zuerft (9. 1.),
was es heiße: einen Schriftfteller verftehen, und was alles
zum Verſtaͤndniſſe deffelben erfordert werde, ‚mit befonderer
Ruͤckſicht auf Schriften aus dem Alterthume, und unter dieien
vorzüglich auf die heilige Schrift, wobey zugleich fehr richtig
die Urſachen angegeben find, warum Schriftfteller aus dem
Altertdume ſchwe er zu verftehen find, ale neuere Schriftfteller.
Der Zweyte $. handelt vom Auslegen (interpretari ), wels
dies nah Hrn. D. Zahn zerfällt in das Ueberfeßen ( ver-
tere), und in das Erklären (enarrare), und von den Er—
forderniffen einer guten Ueberſetzung und Erklärung , wovon
bie letztere nach Ken. Jahn ſeyn muß 1) grammatiſch;
2) hiſtoriſch; 3) hiſtoriſch theologiſch. Dagegen wird ſowohl
die mythiſche, als auch die pſychologiſche und moraliſche Auss
legung der Bibel in einer diefem $. angehängten Anmerkung
verworfen. Werber die erftere mird folgendes Urtheil gefällt:
‚interpretatio mythica, quae veritatem historicam facto-
rum extraordinariorum V. et N. F. tollit, superstruitur
analogiae aliarum gentium, quarum antiquior historia est
mythologica , acsi Hebraicae genti nihıl esset privumy
cum tamen nemo non videat, ei etiam alia quam plu-
rima esse peculiaria. Allein ein Volt kann mehreres ihm
- Eigenthämliches haben, wie denn wirklich faft jedes Volk feine
Eigenthuͤmlichkeiten hat, und dabey doch darin mit andern
Voͤlkern Übereinfommen,, daß feine früdere Gefhichte in Miys
then gehälle ift, woraus es oft ſchwer ift, die eigentlichen his
ftorifchen Facta, die dabey zum Grunde liegen, herauszufinden.
Es laͤßt fih vielmehr fragen, fobald man fih micht an die
Dogmatik bindet: da die Urgefchichte aller alten Voͤlker mys
thiſch iſt, warum follte allein die Urgefchichte des Hebraͤiſchen
Volkes nicht mythiſch ſeyn, von dem dies wegen feines hohen
Alteredumes um fo mehr zu vermuthen ift? Herrn Jahns
Urtheil über die pſychologiſche Erklärungsart überlaffen wir
den Lefern feiner Hermeneutik felbft nachzuſehen. Der Ste
und 4te $. handeln von der Natur, dem Nutzen und der
Morhwendigkeit einer bibliſchen Hermeneutik, die in der Ans
merkung zu $. 4. befonders gegen diejenigen Lehrer der katho⸗
410: Enchiridion Hermeneuticae auct. Jahn.
liſchen Kirche in Schuß "genommen wird, welhe behaupten,
man müffe fi wegen der vielen mit einander flreitenden Ers
klaͤrungen der Bibel an die Tradition halten, wobey die rich—
tige Bemerkung gemacht wird, menn dies gefchehen folle, fo
bedürfe es, um audzumitteln, welches eigentlidy Achte Tradis
tion fey, einer neuen patriftifchen Hermeneutik, da die Kirchens
väter, die Aufbewahrer der Tradition, oft eben fo fhwer und
öfters noch ſchwerer zu verftehen feyen, als die Bibel feldft,
und dann möchte es noch mehrere verfhiedene Mennungen
bierdey geben, als bey der Erklärung der Bibel. Bey der
6. 5. gelieferten Geſchichte und Literatur der biblifhen Her—
meneutif vermißte Rec. ungern Morus Acroases academicae
super Hermeneutica N. T., herausgegeben von Eihftäde,
und Keils vorzägliches Lehrbuch der Hermenentif des N. T.
(Leipzig 1810.) nebft der nachher davon erfhienenen Lateinis
fhhen Ueberſetzung. Won den fieben auf dieie Einleitung fols
genden Kapiteln handelt das erfte von $. 6—ıB. de sensu.
Herr D. Zahn unterfcheidet $. 6. notio, Begriff, und
serisus, Sinn; jener komme einzelnen Wörtern zu, vdiefer
gehe aus ganzen Süßen hervor, und ſey das gegenfeitige
Verhältniß der Begriffe, welche ein Schriftftellee mit Worten
bezeichnete. Einen Unterichied zwifchen sensus literae und
sensus literalis erfennt Sr. D. Jahn nicht an, da nad
der Matur der Lateinifhen Sprache bende Ausdruͤcke funonym
feyen. Eben fo wird die Annahme von mehr als Einem budhs.
fäblihen Sinne in der heil. Schrift $. 9. mit Recht beftrits
ten, nur bey WBeiffagungen wird ein doppelter Sinn zugegeben,
ein fubjectiver und dunkler, der dem Geiſte des Weiſſa—
‚genden vorihwebte, und ein objectiver, den die Gottheit
Bey ihrer Offenbarung durch Weiffagungen zum Zwecke hatte,
und der erit in der Folge durch die Erfüllung der Weiffaguns
gen vollftändig eingejehen wurde (qui a Deo revelante in-
tendebatur, et demum complemento historiae pandebatur).
Kichtig wird $. 10. bemerkt, daß vie erigetiihe Wahrheit
eines Sinnes nicht mit deffen reeller und objectiver Wahrheit
verwechſelt werden dürfe. In Beziehung auf diefe Bemerkung
werden nun $. 12. gute Vorſchriften über das Verhalten des
Eregeten bey Stellen, deren Sinn eregetifch wahr und richtig,
aber fonft Schwierigkeiten unterworfen ift, gegeben, fo wie
das, was 6. 7. und 8. über den Sprachgebraud als ein Mits
tel, den wahren Sinn zu finden, -gefagt ift, viel Belehrendes
enthaͤlt. Im 6. 14., welcher von dem mittelbaren oder fyms
boliſchen (mpftifhen, typiſchen) Sinne handelt, wird die
Eintheilung deffelden in einen allegorifhen, anagogis
hen und tropologiſchen als undiblifh und unlogiſch
Enchiridion Hermeneuticae auct. Jahn. - 411
verworfen, jedoch wird $. 15. ein unmittelbarer Sinn zuges
‚neben, und aus Stellen der heil. Schrift erwieien, und bie
Kennzeichen deffelben $. ı6. angegeben, -Accommodationen in
eregetifcher Kinficht werden $. 17. zugeftanden, aber auch nur
in dieſer, nicht in dogmarıfher Hinſicht. Dies veranlafite
Herın Zahn noch einmal anf die von Kant vorgefchlagene
moraliihe Erklärung der heil. Schrift zurück zu fommen. über
Lie er ſich F. 18. auf folgende Art äußert: per vagam, ar-
bitrarianı et violentam tractationem hanc s. scripturae,
quae nullis regulis .coercetur, quaecunque imaginationis
somnia et portenta sacris- libris adfingi possent, et ipsa
eorum auctoritas in gravissimum discrimen adduceretur.
Doch geitatter Hr. Jahn dem. practiihen Religionslehrer,
*an ſolche Stellen der heil. Schrift, welche an ſich nicht mos
raliſchen Inhaltes find, einen moralifhen Sinn anzutnäpfen.
Dies ſey immer geichehen, und könne. auch nicht eigentlicd)
Ertlärung genannt werden. Das zweyte Kapitel, welches de
contextu orationis, substrata materia, consilio authoris
(fo fchreibe Hr. Jahn immer flatt auctoris), aliisque ad-
junctis handelt, enthält nicht weniger näßlihe Belehrungen
über dieſe Gegenftände. Zuerft wird $. ıg. der contextus
eingetheilt in einen proximus, remotus und remotior, und
eine jede diefer Arten von. Zufammenhang der Rede erklärt.
Dann wird $. 20. die Beweiskraft des Contertes augeinanders
geießt, und $. 2ı. die beftändige Vergleichung deſſelben ems
pfohlen. Hierauf werden $. 22. Vorfchriften gegeben in Bes
ziehung auf den Zufammenhang zweydeutiger und wichtigerer
DBibelftellen, und von $. 23. bis 26. wird gezeigt, welche
Ruͤckſicht der Erflärer auf den Zweck des Schrififtellers, auf
die Veranlaffung zu feiner Schrift, auf den Gegenftand, wor
mit er fich befchäftige, und auf die Übrigen Umſtaͤnde zu nehmen
habe, welche hiebey in Betrachtung fommen. Das dritte Ka⸗
pitel gibt von $. 27. bis 32. Anweilung: Über den Gebraud
und die Denußung der Parallelftellen bey der Erklärung der
Heil. Schrift, wie diefelben aufzufinden, welche Vorſicht bey
Vergleichung derfelben anzuwenden, ::und welche Fehler befons
ders bey Vergleihung von Parallelftellen aus andern Schrift
flellern zu vermeiden feyen. Dann wird unterfuht, was «8
mit den in.dem M. T. angeführten Stellen des A. T. für
eine Bewandtnif habe, und in wiefern die Analogie des Staus
bens und der Lehre zur Erklärung. der heil. Schrift zu benutzen
fey. In Beziehung auf Stellen aus Profanichriftftellern,
welche häufig zur Erklärung biblifher Stellen angeführt wers
den, fagt Hr. Jahn $. 50.: phrases aliarım linguarum,
quae prorsus nullam habent cum linguis Biblicis et cum
412 En£hiridion Hermenenticae auct. Jahn.
rebus in Bibliis commemoratis connexionem, sensum sa-
crae Scripturae — probare, sed duntaxat inter-
dum aliquatenus illustrare possunt, Rec. fekt hinzu: da
häufig die nämlihen Wörter und Phrafes in den Profans
fchriftftellern eine ganz andere Bedeutung und einen ganz ans
dern Sinn haben, ald in den Schriften des A. und N.
Teftamentes, fo hat fih der Bibelerflärer um fo mehr zu hüs
ten, ſich durch dergleihen aͤhnlich oder gleichlautende, aber
etwas gang anders andeutende Wörter und Phrafes nicht irres
Führen zu faffen, ein Fall, in dem ſich Häufig die Verfaſſer
von logenannten animadversionibus ex auctoribus profanis
‚ad illustrandos libros sacros befanden, Was die aus dem
A. T. in dem M. T. citirten Stellen betrifft, fo gibt Herr
"Hahn in $ 31. im Allgemeinen die Regel, sola illa V. F.
loca, in N. F. allegata, censeri proprie explicata, I: ex
quibus argumentum positivum et absolutum ad compro«
bandam omnibus lectoribus vel auditoribus veritatem du“
eitur, et ji. quorum sensus in contextu orationis A. F.
ex legibus interpretationis prorsus idem, etsi- fortasse
minus sublimis, esse comperitur, Als eigentliche Paralleis
ftellen täßt er jedoch keine aus dem A. T. in dem N. T.
angeführten Stellen, und zwar mit Neht, gelten. Es kann
aus ihrer Anführung hoͤchſtens erkannt werden, wie man fie
zu den Zeiten des N. T. verfland, und welchen Sinn man
ihnen beylegte, und das nicht einmal immer, da fo häufig
Stellen des A. T. in dem N. T. auf ganz andere Gegen
ſtaͤnde angewandt werden, al& diejenigen waren, von welchen
fie eigentlich handeln. Daher auch Kr. Zahn alle die in
dem N. T. angeführten altteftamentlihen Stellen, welche
nicht unter den von ihm durd die eben angeführte Negel
genauer beffimmten altteftamentlihen Stellen begriffen find,
zu den eregetifhen Accommodationen zähle. Wenn noch außer
dem $. 52. der Analogie des Glaubens und;der Lehre, wie
diefe im Ganzen in der heil. Schrift und in den erften kirch—
lichen Schrififtellern nad, den Apoiteln und Evangeliften ent:
halten ift, nebft den ’Paralleiftellen, ein befonderes Gewicht
beygelegt wird, fo geichieht dies keineswegs in der Abſicht,
die Lehriäße ;der Kirche und der Dogmatit zur Regel und
Richtſchnur der Erklärung der heil. Schrift zu machen, fon
dern bloß in fofern fie der Erklärung dogmatiſcher Stelfen zur
Beftätigung dient. Longe absumus, fagt in diefer Ruͤckſicht
Hr. Jahn, ut. ad authoritatem ecclesiae catholicae,ide qua,
ubi Hermeneuticam tractamus, sermo esse nequit, pro”
vocemus, sed testimonium duntaxat antiquissimorum ec»
elesiae doctorum de sensu locorum dogmaticorum urgemus.
Enchiridion Hermeneuticae auct. Jahn. 413
Daß Übrigens die Art und Weife, wie dogmarifhe Stellen
von den erften Kirchenlehrern verftanden wurden, allein für
den Eregeten fein Grund feyn dürfe, fie eben fo zu verftchen,
wird gewiß jeder Lnbefangene gerne zugeben. Hr. Jahn
felbft deutet darauf hin, wenn er den $. von der Analogie
des Slaubens mit folgenden Worten ſchließt: In usu her-
meneutico analogiae doctrinae duo extrema, utpote vitia
aequalia, vitanda sunt: primum quidem, ne locis sacrae
scripturae tribuatur sensus illi analogiae doctrinae oppo-
situs; dein ne e contrario verbis sacrae scripturae, ut
‚huic analogiae conformentur, vis inferatur, quod esset
sacris libris inferre sensum, qui ex ipsis efferendus fuis-
set. Nach diefen genauern Beftlimmungen des Gebrauces
der Analogie des Glaubens bey der Erklärung der heil. Schrift
wird fi) denfelben audy der Proteftant gerne gefallen laflen,
und nichts Erhebliches dagegen einzuwenden haben, wenn er
ihm auch gleich nicht das Gewicht beylegen follte, den ihm die
katholiſche Kirche beyzulegen pflegte. Er wird wenigſtens von
ihm feine Beſchraͤnkung der nöthigen Freyheit bey Unterfuhung
und Feſtſetzung des Sinnes biblifher Stellen fürdhten, noch
ſich durch ihm verleiten laffen, von den Übrigen Mitteln zur
Erktärung der heil. Schrift nicht den gehörigen Gebrauch zu
machen. Regeln Über die Erfennung und eregetifhe Behands
lung der Tropen in der Bibel, wohin aud die Allegorien,
Bilder, Sleichniffe und Fabeln gehören, gibt das vierte Kas
pitel von $. 35. — 40. In dem fünften Kapitel, welches von
$. 4ı. bis 46. von den Emphafen handelt, find die Kennzets
hen, wodurd fi wahre Emphafen von erdichteten unterfceis
den, vorzüglich gut angegeben ($. 44. und 45.). Das fechste
Kapitel beichäftige fihb mit den in der Bibel vorfommenden
anfcheinenden Widerfprühen, und der Art und Weile, fie zu
heben (von $. 46. bis 55.). Da Herr Jahn von dem
Srundfage ausgeht, daß die Bibel ein göttlich inipirirtes Buch
fev,, fo ift es narärlich, daß er auch keine wirklichen Wider—
fprüche darin darf Statt finden laffen. Er zeigte daher, wie
die Widerfprähe in den bibliſchen Schriften mit Hülfe der
Kritik oder der Hermeneutik zu heben ſeyen. Ungeachtet bey
einem minder fireng dogmatifchen Begriffe von der Inſpiration
der heil. Schrift daran gezmweifelt werden kann, daß fie fid
auch auf die Vermeidung aller Wideriprähe in der Bibel ers
fireeft habe, wenigſtens ſolcher, von welchen fein wefentlicher
Theil der Religion abhängt, fo ift es gleihmwohl: die Pflicht
des Eregeten , zu verfuchen, die wirklichen oder anjdeinenden
MWiderfprühe zu heben, und des Hermeneuten, zu zeigen, wie
dies am beften geſchehen könne. Die Anweifungen, welche Hr.
414 Enchiridion Hermeneuticae auct. Jahn.
Hahn dazu gibt, wird daher jeder eben fo nothwendig ale
zweckmaͤßig finden. In dem fiebenten und legten. Kapitel,
weiches von 6. 54—7ı. de audiendis et legendis interpre-
tibus.et de exercitatione :hermeneutica handelt, werden
zuerft Vorfchriften Über die von dem angehenden Eregeten ans
zuftellenden Uebungen in der Erflärung der heil. Schrift ertheilt;
dann folgt eine kurze Meberficht der vorzäglichften jüdifchen und
chriftlihen Erktärer der Bibel aus der Altern und neuern Zeit,
mit treffenden Bemerkungen über ihre Vorzüge und Mängel.
Hierauf wird gezeigt, welcher Gebrauch von den vorhandenen
Commentaren und Erflärungen- der-Bibel-zu machen fey. Ends
lid werden angehenden Eregeten eigene Webungen im Inter—
pretiren, fomwohl im Weberfegen, als auch im Erklären und
Paraphrafiven und Analyfiren biblifcher Schriften als vorgüge
lich näßlich empfohlen, um fich zu guten Eregeten zu bilden.
Mad) diefer Inhaltsanzeige des vor uns liegenden neuen’
Handbuches der biblifhen Hermeneutik halten wir es für übers
flärfig,, noch etwas zum Lobe und zur Empfehlung deffelben
hinzuzufügen. Herr Kahn, der fon durch mehrere Schrifs
ten feine aründlihe Gelehrſamkeit bewährte, und um das
Bibelftudium ſich vorzuͤgliche Verdienſte erwarb, bat fi uns
ſtreitig dur die Herausgabe jenes Handbuches ein neues Vers
dienft erworben. Es ift eine erfreuliche Erfheinung, wenn
Männer , wie Hr. Jahn in Wien und Hr. Hug in Frey
burg, mit einander in der Beförderung gründlicher theolegiicher
Kenntniffe unter Katholiten und Proteftanten wetteifern. Wenn
auch die Jahniſche Hermeneutif nichts enthält, was nicht ſchon
in mehrern von Proteftanten verfafiten Hermeneutiten, wo—
hin die Hermeneutiten von Bauer, Meyer, Seiler und
andern für das A. und N. Teftament, und die von Ernefti,
Beck und Keil für das N. T. gehören‘, vorgetragen worden
wäre, To ift doch unter den von Katholiken bisher verfaften
Lehrbuͤchern der Hermeneutik keines demfelben gleidy zu ſetzen,
und feldft der Proteftant. wird darin viele näßliche Vorſchrif—
ten und treffende Winke finden. Es ift daher gewiß für uns
fere Lefer keine unangenehme Nachricht, wenn wir ihnen die
baldige Erfcheinung der ſchon vor mehrern Jahren von Kran.
Sahn verfprochenen eregetifchen Abhandlungen Über dogmatis
fhe Kauptftellen der Bibel, verbunden mit Erflärungen der
im A. T. befindlicdyen Weiffagungen auf den Meſſias, ankuͤn—
digen, wozu er am Schluffe feines hermeneutiihen Handbuches
die gemiffe Hoffnung macht, fo wie ed, ungeachtet des trefftis
hen Hebräifchen Wörterbuches von Gefenius, das wir nun
befigen, zu bedauern ift, daß Hr. Jahn die Ausarbeitung
\
| Ueber Spittler von Planck, Heeren und Hugo. 445
eines ähnlichen, früher fhon von ihm angefangenen Hebraͤi⸗
ſchen Wörterbuches aufgegeben hat...
r.
1) Ueber Spittler ald Hiltorifer. Bon Dr. ©. 9: Pland.
Göttingen, bey Vandenhoͤck und Rupredt. ı8ır. 58 ©. 8.
2) Spittler. Von Heeren und Hugo, nebſt einigen Anmers
fungen eined Ungenannten. Aus dem WBaterländifhen Mufeum,
dem civiliftifhen Magazine und dem Morgenblarte zufammen abs
gedrudt. Nebit einem Zac Simile. Berlin, bey Auguſt Mplius.
1812. 64 ©. 8.
Haben gleih an Spittlers Grabe nicht fo viele Stims
men ſich zur Feyer feines Andenkens erhoben, wie bey dem
Tode des ihm um furge Zeit vorangegangenen Sjohannes von
Miller, an deffen Kenotaph Heyne, Wachler, Rommel, Schüg,
Windiſchmann, Heeren und North ihre Kränge traurend heftes
ten: fo hat doch ein fehr ehrenwerthes Kleeblatt in Göttingen
den Manen-des vormaligen Kollegen und vieljährigen Freundes,
durch die vor uns liegenden Aufjäße, ein fihönes Todtenopfer
gebradht. | "
An Nr. 1. fchildert die Hand eines Meifters in der hiftor
rifhen Kunft, was Spittler als Hiſtoriker war, und wie
er es geworden. Das Wefentliche diefer Darftellung befteht in
folgenven Zügen: &p. fey der Hiſtoriker, der er war, dar
durch geworden, daß er, bey fehr vortrefflichen natürlichen Ans -
lagen, einem hoͤchſt fcharfen geiftigen Auge, einem eben fo feir
nen Gefühle, und einem eben fo leichten Faffungss als gefuns
den Beurtheilungsvermögen, zuerft mit dem gelehrten Forichen
und Sammeln in dem weiten Gebiete der Geſchichte angefans _
gen, und zu gleicher Zeit einen großen Theil der Kraft feines
Seiftes auf ein eifriges Studium der Philofophie in ihren
Altern und neuern Formen verwendet habe. Syn allen feinen
größern Werken finde der fachkundige Beurfheiler nichts mehr
zu bewundern, als‘ das gläfliche Treffen, oder vielmehr die
verftändige Auswahl des Stoffs, den er ſich zur Bearbeitung
heraushob, und die fefte Enthaltfamfeit, womit er auf die
Bearbeitung von diefem fich beichränkte. Ihm fey es vielleicht
zuerſt gang Mar geworden, daß die Gedichte eines Staates
noch etwas anders fey, als die Geſchichte feiner Negenten.
Bey jeder hiſtoriſchen Arbeit habe er es fih zum Geſetze ges
macht, fi zuerft ın den Beſitz des ganzen Stoffs zu feßen,
der dabey zu bearbeiten war. An feinm frühen Entichluffe,
fih zum gelehrten KHiftoriter zu bilden, habe wahrſcheinlich
theils das damals in Stuttgart rege geweſene Intereſſe an Kors
ſchungen über die vÄterländifhe Geſchichte, theils der Umgang
416 Weber Spittfer von Planck, Heeren und Hugo,
und das Beyipiel feines Lehrers Volz großen Aritheil gehabt.
Bey der Theologie habe er damit angefangen, daß er fie his
ſtoriſch ſtudirte, wovon fihb auch die Wirkung ſchon in den
erftien Proben feiner Sihriftitellerey auf eine auszeichnende
Meife gezeint habe. Sin jeder feiner hiftoriichen Arbeiten ſehe
man den Gelehrten, dem kein Theil feiner Wiſſenſchaft, oder
feine Provinz ihres unermeflihen Feldes ganz fremd und um
befannt war. Sein Styl und feine Sprache habe bisweilen
Anftoß erregt, wenn man mehrmals darin auf Ausdrücke oder
BVeywoͤrter, die man nicht erwartet hatte, geſtoßen, .oder von
Wendungen, auf die man nicht vorbereitet war, überrafcht
worden fey ; aber für den unterrichteten Leſer habe fie dadurch
defto mehr Belehrendes und Anziehendes erhalten, wobey fen
Gedanke an Affectation bey ihm habe auffommen können, da
er aus fo vielen andern Zeichen gewahr worden fen, daß &p.
eher zu forglog, ale zu befümmert für feinen Styl geweſen.
Da er meiftens forgfältiger, als noͤthig, und auch vielleicht
ſorgfaͤltiger, als zuweilen gut geweſen, jeden Schein eines
bloßen Auslegens von Pitteratur und Gelehrſamkeit vermieden
have, fo finde man in mehreren feiner Schriften faft feine
Eitate, fondern meifteng nur die hiftorifhen Hauptquellen für
den behandelten Gegenftand, und für jeden Zeitraum, dur
welche feine Geſchichte durchgeführt werden munite .. in Below
derm angegeben. Doch davon ſey er in Ipätern Jahren etwas
zurüdgefommen, und feine Vorrede zu einer ſpaͤtern Ausgabe
feiner Kirchengefchichte laffe ſchließen, daß er jetzt wenigftens
feinen angehenden Hiſtoriker von der Verpflichtung, feine
Quellen und Autoritäten anzugeben, mehr dispenfirt, ja fih
ſelbſt als erprobten Seichichtforfher nicht mehr davon dispens -
fire Haben würde, wenn er noch eine def Arbeiten, zu denen
er die Plane ſchon längft entworfen gehabt. hätte vollenden
fönnen. Den größten Reiz habe für ihn das Entdecken und
Aufgraben neuer Quellen für die Gefchichte gehabt.
In Nr. 2. bat Ar. Prof. Hugo die Aufſaͤtze wodurch
Hr. Prof. Heeren und er, theils im vaterländifchen Mus
ſeum, theils im civrliftiihen Magazin, Spittler’s Andenken
gefeyert haben, nebft den Anmerkungen eines. Ungenannten zu
dem im Morgenblat ıdıı. Mr. 90. gı 99 — 99. befindlichen
Abdrude des größten Theils der vögerahten Planck'ſchen
Schrift Über Spirtler als Hiſtoriker, zuſammendrucken lajı
fen, und dadurch das Publifum mit einer jhäßbaren Samm—
lung von mandherley intereffanten Notizen üher Spitrler und
feine vielfeitige Wirkſamkeit beſchenkt, die nicht bloß unterhält,
— auch belehrt.
— — —
No. 27. : Heibelbersifhe . 4813,
Jahrbücher der Litteratun
—
III DENE
Nechtöfälle zur Erläuterung der Gerichtöverfaffung und Prozeßord⸗
nungen Weſtphalens. Herausgegeben von Dr. B. W. Pfeiffer,
Subſtitut des koͤnigl. Generalprocureur's am Appellationshofe zu
Caſſel. Erſter Band, drittes Stüf. Hannover, bey den Ger
brüdern Hahn. XVI. ©, 201 — 516. Anhang ©; 83— 126.
I, beeilen ung, diefe intereffante und lehrreiche Samms
fung, deren frühere Hefte bereits in unfern Jahrbuͤchern (Jahrg.
1811. ©. 241 — 252) mit verdientem Lobe angezeigt worden
find, dem juriſtiſchen Publicum zur Kenntniß zu bringen.
Auch das vorliegende dritte Heft, welches den erften Band be
ſchließt, ſteht den früheren in keiner Hinfiht an Intereſſe nad,
ja wir find geneigt, ihm einen eigenthämlichen Werth in. fos
fern zuzuschreiben , als fih einige Abhandlungen deſſelben
Cnämlidy die 20. und 21.) nicht bloß auf die Unterfuchung
und Entwicelung einzelner abgefondert aufgegriffener proceffuas
liſchen Puncte beziehen, fondern vielmehr die fyflematifche
Darftellung und Erkiärung ganzer Nechtsmaterien zum Begens
ftand haben, daher es denn auch kommt, daß diefes Heft,
obwohl es ftärfer ausgefallen ift, wie die beyden vorhergehens
den zufammengenommen, doch nur 7 Abhandlungen enthält,
wogegen die beyden früheren Hefte zufammen ı5 Abhandlungen
Darbieten. Jene 7 Abhandlungen. find von 186 Rechtsfaͤllen
begleitet, mworunter jedoch die zahlreichen Auszüge, die der
BVerf. aus den Urtheilen der Franzöfifchen fomohl, wie Weſt—⸗
pbälifchen Höheren Gerichtshöfen mittheilt, nicht mit begriffen .
find.
Die erfte Abhandlung (die ı6te der ganzen Sammlung,
son ©. 201 — 232) führt den Grundfaß aus, daß der Fremde,
wegen Verbindlichkeiten, die er gegen einen Weſtphalen übers
nommen bat, vor den Berichten des Königreichs belangt wers -
den kann, wenn er gleich kein Vermögen im Lande befist, und
27
117 Eu Rechtöfälle von B. W. Pfeiffer.
wenn gleich die Verbindlichkeit noch vor Einführung des Gefeg:
bachs Navoltohs“ eingeganach "würde, “Die Übrigen Fragen,
zu denen der hier in Frage kommende Artikel 14. des C. N.
wohl DVeranlaffung gegeben hat, namentlid in wiefern perföns
liche Gegenwart des Fremden im Lande erfordert werde, oder
in wiefern aud) andere als vertragsmäßige Verbindlichkeiten
winter die Dispofition des vorangezogenen Artikels begriffen
feyen ,; beruͤhrt der Verf. mit Recht nur vorübergehend, weil
ruͤckſichtlich ihrer die Stimmen jetzt wohl nicht weiter getheilt
feyn daͤrften. Auch die erſte der hier eigentlich in Unterſu—
hung fommenden Fragen, die der Verf. aus ber Eigenthäms
lichkeit der Franzoͤſiſchen und Weftphäliichen Gerichtsverfaffung
fehr richtig bejaht, und die, wie der Verf. nachweiſ't, unter
den Stanzöfifchen Nechtsgelehrten im Grunde nie als ftreitig
ängefehen worden ift, dürfte jest feldjt unter den Deutichen
Juriſten alb entſchieden angenommen werden. Der Caſſelſche
Appellationsgerichtshof hat zwar in dem vom Verf. mitgetheil—
ten abten Rechtsfalle die entgegengeſetzte Meynung anzenoms
men, allein die hier aufgefuͤhrten Gruͤnde duͤrften wohl ſchwerlich
jemanden Überzeugen, und es ift auch diefes Erkenntniß bereits
burch den MWeftphätifchen Staatsrath caſſirt worden. Die zweyte
oben erwaͤhnte Frage wird vom Verf. gleichfalls bejaht, und
wir nehmen kein Bedenken, ihm hierin vollkommen beyzu—
pflichten, zwar nicht aus dem Grunde (worauf auch der Verf.
ſelbſt nicht ſein Hauptgewicht legt), weil die Competenz ſich
jedesmal nach dem Zeitpuncte richte, wo der Rechtsſtreit bey
dem Gerichte anhängig gemacht werde (denn hätte der Ges
feßgeber wirklich beym Art. 14. die Anfiht gehabt, welche,
wie der Werf. zeigt, die Franzoͤſ. Juriſten damit zu verbinden
pflegen, ſo wuͤrde eben dadurch der obige Grundſatz vom Ge—
ſetzgeber ſelbſt in dieſer Hinſicht eine Modification erlitten
haben), wohl aber wegen der ſtaatsrechtlichen Ruͤckſichten, die
diefem Art. ganz unbezweifelt zum Grunde liegen. Wir mer
hen Hierbey zugleih auf die mufterhafte Ausführung dieſer
Frage in dem vom Verf. mitgerheilten Erkenntniffe des Dis
firietstribunals zu Rinteln aufmerffam, welches zwar durch
das bereits erwähnte Erkenntniß des auch hierin die entgegens
geſetzte Meynung adoptirenden Appellationshofes zu Eaffel aufs
Nechtsfälle von B. W. Pfeiffer. 419
gehoben wurde, indeſſen durch ein caffirendes Erfenntniß des
Weltphälifhen Staatsrathes ruͤckſichtlich dee ihm ftatuirten
Principes wieder hergeftellt worden iſt; aus der Franzoͤſiſchen
Praxis theilt der Verf. ein Erkenntniß des Appellationshofes
zu Trier mit, worin beyde Fragen gleichfalls bejahend entſchie⸗
den worden ſind. — Die Abhandlung unter Nr. XVII. (S.
252 — 264) betrifft die ſehr ſchwierige Frage, nach welchen
Grundſaͤtzen ſich die Competenz der Weſtphaͤliſchen Gerichte
über Klagen zwiſchen Ausländern richte? Nachdem ber Verf,
die verfchiedenen Anfihten der Franzöfifchen und Deutſchen
Rechtsgelehrten über diefe Frage ducchgegangen hat, fo pflichs
get er der Grolmanſchen oder vielmehr Locre'fhen Ans
fiht bey, zufolge welcher lediglich die verfchiedene Eigenichaft
des Geſetzes, vom welchem bie Enticheidung des in Frage
fiehenden Rechtsſtreites abhängt, den Ausfchlag gibt. Der
Verf. zeigt fehr deutlih, daß fich die ganze Sache Lediglich
auf die Frage reducire, welchen Gefegen überhaupt ein Indi⸗
viduum unterworfen fey (ein Gefichtspunct , den wir ſchon in
der erften Ausgabe des Zahariäfchen Kompendiums anger
beutet gefunden haben), daß hierüber der Art. 3. des €. N.
ausdrüdliche Beftimmungen aufftelle, und daß ruͤckſichtlich der
perfönlihen Verbindlichfeiten der allgemeine Srundfaß, welcher
den Kläger an den Gerichtsftand des Wohnfikes vermweife, ents
fcheide ( wofür in dem unter Mr. 28. mitgetheilten Rechtsfalle
ein Erkenntniß des Appellationshofes zu Paris und des kaiſerl.
Caſſationshofes ſpricht), jedoch mit Beruͤcküchtigung der in den
Art. 11. und 13. enthaltenen Modificationen (von denen die
leßtere in dem unter Mr. 27. mitgetheilten Rechtsfalle zur
Sprache fam, und von dem Appellattonshofe zu Paris anges
wendet wurde). Die Klagen auf Privarfatisfaction wegen
peinlicher oder poligeplicher Wergehungen beurtheilt der Berf.,
wie ung fheint, ganz richtig nach dem $. 1. Art. 3., ohne
zu untericheiden, ob diefelben zugleich mit der accusatio oder
erſt nad) derfelben angebracht find, fo wie auch die dinglichen
Klagen wegen beweglicher Sachen ganz im Geift der Sranzds
ſiſchen Legislation unter den $. 3. des Art. 3. rangirt werden.
Dagegen verwirft er für Weſtphalen die Anwendbarkeit der
Ausnahme, welche die Sranzöfiichen Juriſten hinſichtlich der
420 Hechtöfälle von B. W. Pfeiffer.
zwifchen Ausländern auf Meffen und Märkten eingegangenen
Berbindlichkeiten von den bisher ausgeführten Grundſaͤtzen mas
chen, weil diefe Ausnahme in Frankreich felber nicht auf dem
€. N., fondern auf einer in feiner Hinſicht in jenem anges
deuteten , von jeher befolgten practifhen Anficht berube. Der
ggte von dem Appellationshofe zu Caſſel entichiedene Nechtsfall
"enthält eine Anwendung des in Anfehung der Klagen auf Pris
vatlatisfaction aus Poligey s oder peinlihen Vergehen ausge
führten Grundfaßes, doch bemerken wir, daß der Gerichtshof
in dem vierten Entfheidungsgrunde fih auch ausdrädtich mit
darauf ftäßt, daß die hier angefteflte Klage, wenn fie gleich
nur bewenlihe Sachen zum Gegenftand habe, dennoch nad)
der Beſtimmung des $. 2. Art. 3. zu beurtheilen fey, welchem,
wie wir gezeigt haben, die Anficht des Verf. widerſtreitet.
Sin der Abhandlung XVIIL (©. 265— 277) unterfudt
der Verf. die Frage, ob eine caffationsfähige Weberfchreitung
der richterlihen Gewalt auch darin liege, daß ein Gericht nad)
Willkuͤhr und ohne dur ein Gefeß dazu ermächtigt zu Senn,
eine DVerurtdeilung ausiprehe ?- Diefe Unterfuchung fcheint
durch den zu ihr gehörenden 30. Nechtsfall veranlaßt worden
zu ſeyn, worin der Weftphäliihe Staatsrath ein friedensrich
terliches Erkenntniß aus dem Grunde caffirte, weil es eine
DVerurtheilung ohne ein dazu ermächtigendes Geſetz enthalte,
mithin eine förmliche Weberfchreitung der richterlichen Gewalt
involsire. Der Verf. bemerkt, daß in dem koͤnigl. Decrete
vom 20. May ı8og die Weberfchreitung der richterlichen Ge
mwalt und das Erkennen wider eine ausdrückliche geſetzliche
Vorichrift als verfchiedene Caſſationsgruͤnde aufgeführt feven,
welches in foferm wichtig fey, als das Rechtsmittel der Caffar
tion nur aus dem erfieren Grunde gegen friedensgerichtlihe
Erkenneniffe Statt finde. Hieraus dedueirt denn der Verf.,
daß, da das Erkennen wider ein ausdrückliches Geſetz feine
Ueberichreitung der richterfichen Gewalt enthalte, dieſes im
Ganzen noch viel weniger von dem Falle behauptet werden
fönne, wenn ohne alle gefeklihe Beſtimmung erfannt fer.
Das erwähnte Staatsraths-Erkenntniß fey daher nur auf den
Fall zu befchränfen, wenn eine DVerurtheilung ohne alle gefedı
liche Beſtimmung ausgefprochen ſey, weil Hier freylich nichts
Nechtöfälle von B. W. Pfeiffer, 421
anders als richterlihe Willtühr zum Grunde liege; aber ung
fheint, daß, wenn der Verf. dies als richterlihe Willkuͤhr
anfehen will, Ddiefe gewiß in einem nod höheren Grade da
vorhanden fey, mo der Nichter mit Hintanſetzung eines aus⸗
druͤcklichen Geſetzes etwas anderes erkennt.
XIX. (S. 278 —5301) Muß der, welcher gegen eine
Ehefrau klagt, ſelbſt dafuͤr ſorgen, daß dieſelbe von ihrem
Ehemanne autoriſirt werde, oder kann er, wenn dies unters
bleibt, ein Contumacial Wrtheil gegen fie auswirken? Die
Hier in Unterfuhung gezogene Frage ift bey dem gänzlichen
Mangel beflimmter gefeßlicher Dispofitionen um fo intereffans
ter, als die Fälle, weiche die Enticheidung derfelben nothmwens
dig machen, der Matur der Sache nah nicht felten feyn
koͤnnen. Der Verf. geht zuvoͤrderſt mehrere der bisher verfuchs
ten Beantwortungen durch, und zeigt, daß diefetben theils dem
Heavfichtigten Zweck nicht entiprechen, theils nicht aus gefeßlis
hen Verfügungen gerechtfertige werden fünnen. Dies führt
ihn auf den Grundſatz, daß die Entiheidung hier nun theils
aus den mittelbaren Quellen des neuen Rechts, d. h. den flatts
gehabten Öffentlichen Verhandlungen, theils aus der über diefen
Gegenftand bereits firirten Franzoͤſiſchen jurisprudence herge—
nommen werden könne, und ſo tritt er denn der durch beys
nahe alle Franzoͤſiſche Rechtsgelehrten vertheidigten, durch die
Franzöfifhe Praris fanctionirten und auch bereits durch die
geihäßteften Deutihen Bearbeiter des neuen Prozeſſes adop⸗
tirten .Meynung bey, daß es nämlich lediglich die Sache des
Klägers fen, für die Erfüllung derjenigen Bedingungen zu
forgen, unter denen eine Ehefrau allein fih rechtlich gu vers
theidigen im Stande ift, daß diefer mithin den Ehemann zur
Ertheitung der Autorifation anffordern muͤſſe, dieſe aber als
eine bloße Formalität im Weigerungsfalle des Ehemannes vom
Gericht fofort zu fuppliren fey. Zur Erläuterung der in diefer
Abhandlung aufeftellten Grundſaͤtze Hat der Verf. fünf Rechts—⸗
fälle mitgetheilt, wovon drey (Mr. 5ı. 33. 34.) aus ber
Franzoͤſiſchen jurisprudence entlehnt find, die beyden Äbrigen
Hingegen (Nr. 32. 35.) Erkenntniffe des Appellationshofes zu
Caſſel enthalten, von denen bejonders das leßtere eine auffal
lende Abweichung ‚von ben bier vorgetiagenen Grundfäßen
*
422 Rechtsfaͤlle von B. W. Pfeiffer.
enthaͤlt, indem es von dem Geſichtspuncte ausgeht, daß es
lediglich die Pflicht der verklagten Ehefrau ſey, für die Eu
theilung der ihr nöthigen Autorilation Sorge zu tragen.
XX. (©. 501 —442) Ueber die gefeßlihen Erforderniſſe
der Appellationseinwendung und deren bey Strafe der Nichtigs
feit zu beobachtende Foͤrmlichkeiten. Der Verf. liefert uns hier
eine ausführliche, aus dem Geiſte der Geſetze geichöpfte und
mit den Entfcheidungen der oberſten Gerichtshöfe verglichene
Darftellung der angedeuteten Materie, für welche muͤhſame
Arbeit das juriſtiſche Publicum dem Verf. deſto mehr Dank
wiſſen muß, je einflußreicher und ſchaͤdlicher alle Mißgriffe in
dieſem Puncte zu ſeyn pflegen, und je nuͤtzlicher daher in je—
der Hinſicht die Kenntniß einer ſtaͤten und ſichern Praxis ſeyn
muß. Der Verf. hat dieſe Abhandlung in zwey Abſchnitte
eingetheilt. Die erſte, die von der geſetzlichen Friſt der Ap⸗
pellationscinwendung handelt, beſchaͤftigt ſich vorzuͤglich mit
folgenden vier Fragen: 1) von der Dauer der Appellations—
frift im Allgemeinen ; 2) von der Begründung des Laufes der
Apvellationsfrift durch die Inſinuation des Erfenntniffes erſter
Sinftanz. Hier folgt nun die ganze Lehre von den Erforden
niffen, deren Beobachtung die Gültigkeit diefer Appellationgfrit
vorausfest. Der Verf. kommt hier natärlih auch auf bie
Frage, 06 bey diefer Inſinuation auch alle diejenigen Bor
ſchriften bey Strafe der Michtigkeit zu beobachten ſeyen, Die
die Art. 7. und 8. der Prozeßordnung für diel Inſinuation der
Vorladungen vorſchreiben? Wir hätten gern gewuͤnſcht, daß
es dem Verf. gefallen haͤtte, die verneinende Beantwortung
dieſer Frage etwas ausfuͤhrlicher zu rechtfertigen, als es durch
die mitgetheilten zwey Auszüge aus Erkenntniſſen des Caſſeler
Appellationshofes geſchehen konnte. Denn wenn, wie leicht
gezeigt werden kann, die Beſtimmungen der Art. 7 und d.
unmittelbar aus dem Zweck der Inſinuation felber hergenom'
men find, fo möchte es in der That fchwer feyn, Gründe auf
zufinden, welche eine folhe Werfhiedenheit in dem einen um
in dem andern Falle rechtfertigen könnten, zumal da es in dt
Lehre von der Appellation keinen einzigen Artikel gibt, de
fih mit den aͤußeren Formalitäten des Inſinuationsactes be—⸗
ſchaͤftigt, vielleicht weil man eben annahm, dieſen Punct til
Nechtsfälle von B; W. Bfeiffer- 423
für allemal in den Art. 7 und 8. erledigt zu- Haben. :-3): Mon
der Berechnung der Appellationgfrift. Hier beſchaͤftigt firh der
Verf. vorzüglich mit der Frage, ob die Beſtimmung des Art;
955., daß im Fall der Entfernung der Parthey dev. Friſt für
jede 3 Myriameter ein Tag hinzugefügt werden, ſolle, auch
auf die Appellationsfcift anwendbar fey, und der Verf; vers
neint fie, weil der Art. 995, nur den. Fall ;worr Augen habe,
wo eine Parthey die andere vorlade oder zu etwas ‚auffordere,
Iſt es aber auf der andern Seite nicht mertwärdig z. daß die
duch den Aufenthalt außerhalb des ‚Königreichs: verur fachte
Entfernung nach ausdrücklicher Befimmung des Art: B47; die
Appellationgfeift verlängert? Diefer Artikel war freplich: noth⸗
wendig, weil ohne ausdrädliche Dispoſition die. Ausdehnung
des Art 23. anf die. Appellationgfrift in feiner Hinſicht zu
rechtfertigen gewefen wäre; für die Anwendung des Art. 953.
bedurfte es aber keiner folhen ausdrädlihen Beſtimmung,
weil diefer ganz am Ende der Proz. Ordn. unter der Rubrik
allgemeine Berfügungen enthalten iſt, alſo ſchon durch
feine Stellung den weiten Umfang feiner. Aumendborfeit ans
deutet. Auch ift es nicht zu leugnen, dad diefer Artikel nicht
bloß von dem delai general fixe& pour lesajgurne
mens etc., fondern überhaupt auch von allm autres:actes
faits 4 personne ou domicile redet. Wir. würden
es daher gern gefehen haben, wenn fih der Verf. : fpeciell: mit
der Frage befchäftigt hätte, mie die Appellationdeinmendung
geſchehen muͤſſe, und wann diefelbe für interponirt: zu halten
jey ? fann died.nur in dem, dem Appellaten zu: infinwivenden,
Aste gefhehen, und muß diefe Synfinuation nothwendig inner
Halb der vorgefchriebenen Appellationsfrift erfolgen, ſo iſt e#
augenfällig, daß der Entfernte nicht der naͤmlichen Friſt ges
nießt, wie derjenige, bey dem dieſe Entfernung nicht eintritt,
und hat man diefer Entfernung,. wenn fie durch Aufenthalt
außerhalb des Königreichs veranlaßt if, Einfluß auf die Aps
pellationgfrift gegeben, fo. ift nicht abzufehen, warum dies nicht
bey der, Entfernung im Königreich gleichfalls der Fall ſeyn
fol, da doch dieſelbe nach Art. 953. fonft allgemein vom Ges
feßgeber auch beruͤckſichtiget iſt. Uebrigens wendet man ja den
Art. 955. auch in Anfehung der Ausichliefung des Infinuas
424 Rechtsfaͤlle von B. W. Pfeiffer
tionstages anf die Appellationgfrift an, -und gegen die: Bemer⸗
tung. des DVerf., daß dies in ber Natur der Sache liege, und
fih aud ohne gefeßliche Dispofition ſchon von felbft verftehe,
laͤßt fi immer wieder fragen, wozu denn jene fpecielle Des
ſtimmung, wenn dies auch wirklich die Anſicht des Geſetzgebers
gewefen wäre ? daher wir auch die Entiheidung des Appella
tionshofes von Turin in dem vom Verf. angeführten Urtheile,
wornad der Art. 1055. ( 953.) aud in KHinficht des Inſinua⸗
tionsrages nicht auf die Appellationsfrift anwendbar feyn fol,
nicht anders als ſtreng confequent finden können. - Indeſſen ift
die Praris der Franzöfiihen fowohl, wie der Weftphäliihen
Serichtshöfe in diefer Hinſicht einmal entfchieden, ein Um
ſtand, wodurch man fich vwielleiht- von einer theoretifchen Um
terfahung der Frage dispenſirt glaubte. Mur bemerken mir
nod) , daß die Gründe des Appellationshofes von Turin uns
unter dieſen Umftänden mehr Gewicht zu verdienen fcheinen,
als der Verf. ihnen einräumen will. 4) Bon ber KEigenidaft
der Appellationsfrift als abfolutes fatale, oder in wiefern die
Defention von Amtswegen berückfichtigt werden könne? Der
Verf. - bezieht fih mit Recht in Hinfiht der ausführlichern
Erxdrterung diefer ſehr wichtigen und außerordentlich beftrittenen
Frage auf die gründlichen Ausführungen der Herren Hager
mann und v. Stromberf; er felber tritt der verneinenden
Meynung des lebteren Mechtsgelehrten bey, indem er fehr rich
tig zeigt, daß der Hauptgrund des Hrn. Hagemann, wii
nad) diefer die ganze Sache auf den Sefihtspunct der In—
competenz zuräczuführen ſucht, hier nicht zugreifen kann, ohne
die bisher mit diefem Ausdrud verbundenen Begriffe gänzlid
zu verwirren. Die Praxis des Kaffelfhen Appellationshofts
über diefe Frage hat fih noch nicht firire, indem zufolge der
von dem Verf. mitgetheilten Auszüge aus den Erkenntniſſen
diefes Gerichtshofes fogar eine und die nämlihe Section dei
felben in verfchiedenen Fällen verfchieden erkannt hat. — Der
zweyte Abſchnitt diefer Abhandlung beichäftigt ſich nun mit den
Sörmlichkeiten der Appellationsanzgeige im Einzelnen, umd vor
allen Dingen erörtert der Verf. hier die allgemeine Frage, 06
bloß der. Art. 366. oder audh-der Art. 6. der Prog. Ordn. ald
Duelle der Vorſchriften anzujehen fey, die bey Strafe det
Nechtöfälle von B. W. Pfeiffer. 425
Nichtigkeit bey der Appellationseinwendung beobachtet werden
muͤſſen. Der Verf. entfcheidee für das erftere, weil, wenn
. gleich der Art. 368. die für die Untergerichte vorgefchriebenen
Regeln auch für anwendbar in der Appellationsinftan; erfläre,
dies dennoch dur den Zufas im übrigen ausdrüdlih nur
auf diejenigen Gegenftände befchräntt werde, worüber die Lehre
von dem’ Appellationsverfahren nicht eigene Regeln aufftelle,
wohin aber die Appellationsanzeige gehöre, ale deren Erforders
niffe der Art. 356. einzeln aufzähle. Allein es ift ja natürlich,
daß die Appellationsanzeige, wovon im erften Verfahren gar
nicht die Rede feyn konnte, vermöge ihrer eigenthuͤmlichen
Natur befondere Beftimmungen nöthig machte, die erft hier
aufgeführte werden mußten; außer diefen follen denn aber die
übrigen (les autres r&gles, wie fi vielleicht der
Franzoͤſiſche Tert deutlicher ausdruͤckt) für die Untergerichte
vorgejchriebenen Regeln in der Appellationsinftanz zur Anwen⸗
dung kommen. Wäre der Art. 568. dem Art. 356. unmittels
bar als Nachſatz angehängt, fo würde die Sache noch weniger
zweifelhaft ſeyn; dies konnte num freylich nicht gefchehen, weil
man nicht nur die Anwendbarkeit der für die Klage vorgefchrier
benen Regeln, Sondern auch aller übrigen Vorſchriften des
untergerichtlichen Verfahrens, die nicht ſchon durch widerſpre—
ende Beſtimmungen für das Appellationsverfahren von felber
als unanwendbar dargeftellt find, auf die Appellationsinftanz
damit ausdruͤcken wollte; allein es ſcheint uns, als ob diefer
Artikel rücfichtlich jedes einzelnen Acts ald Anhang des dens
felben betreffenden Artikele angefehen werden müffe.. Auch
führt die der Erflärung des Verf. zum Grunde liegende Ans
fiht etwas zu weit, wie er felber $. 15. bey der Frage von
der Beichaffenheit der Infinuation und der Form ihrer Ber
werfitelligung anzuerkennen fcheint. Der Verf. folgert, feiner
Anfiht gemäß, daß die Angabe des Patents, die Unterichrift
des Anmwalds zweyter Inſtanz und die Bezeichnung des Das
ums mit Buchſtaben nicht noͤthig feyen. Die Praxis des
Appellationshofes zu Caſſel war anfangs über diefe Frage ges
theilt, indem die erfte Section nad der Anſicht des Verf.,
bie dritte aber für die entgegengefekte Meynung entichied;
indeſſen iſt die letztere in fpäteren Erkenntniſſen auch der Mey;
426 Rechtsfaͤlle von B. W. Pfeiffer,
nung des Verf. beygetreten. Bey der hierauf folgenden Unter⸗
ſuchung, ob nämlich die im Art. 356. vorgeſchriebenen Erfot—
derniffe bey Strafe der Michtigkeit zu beobadhten feyen, erkennt
der Verf. es felder an, daß die: in diefem Artikel angedrohte
Nullität nur die Form der Sinfinuation zum Gegenftand habe,
dennoch erfahren wir, daß der Kajfeler Appellationshof von
jeher unbedenklich angenommen. habe, daß die fämmtlichen
Erforderniffe diefes Artikels bey Strafe der. Nichtigkeit zu bes
obachten feyen; ein Verfahren, welches der Verf. zwar durd
die nachtheiligen Folgen, welche die entgegengefegte ‚Erklärung
haben würde, zu vechtfertigen fucht, das wir aber mit-der bey
den früheren Fragen vom Gerichtshof beobachteten Scrupulos
firät nicht zu vereinigen wiffen, und. wielleiht dürfte das der
Matur der Sache nach ftets ſchwankende Princip der Zweds
mäßigfeit, wornah der Verf. alle diejenigen Puncte, worüber
der Art. 356. nichts Specielles beftimmt, beurtheilt wiffen
will, nicht weniger nachtheilige Folgen haben, als vom Verf.
vorher angegeben worden find. Der Verf, nimmt bierauf in
den $$. 9— 26. die einzelnen im Art. 356. aufgeftellten re-
quisita mit feiner gewohnten Gründlichkeit und Scharffinn
buch, und belegt alle Srundfäge mit Auszügen aus Erfennts
niffen fowohl der Franzoͤſiſchen, als der Weftphälifchen oberften
Siricheshöfe. Es würde zu mweitläuftig werden, dem Berf.
in diefer feiner Entwicfelung zu folgen; wir befchränfen und
daher unr auf dasjenige, worüber uns befondere Bemerkungen
aufgeftoßen find. In diefer Hinſicht find wir freylich völlig
mit dem Verf. vinverfianden, wenn er bey der Unterſuchung
der Frage, ob die für die Appellationsanzeige vorgefchriebene Vor—
ladung bloß im Allgemeinen die gefegliche Frift andeuten dürfe,
oder die Dauer derfelben fpeciell- angeben muͤſſe, fich gegen die
allgemeine Praxis des Caſſeler Appellations s Gerichtshofes für
die leßtere erklärt, und wir glauben, daß in dem unter Nr. 56.
mitgetheilten Urtheile des Turiner Appellations s Gerichtshofes
diefer fih durch die Gruͤndlichkeit feiner Entfheidungen durchs
gehende fo fehr auszeichnende Gerichtshof alles erfchöpft habe,
was für diefe leßtere Meynung gefagt werden kann; .allein
unferer Meynung nach freiten diefe Gründe auch fo fehr gegen
die vom. Gaffelee Appellationg / Gerichtshofe in Anfehung der
Nechtöfälle von B. W. Pfeiffer. 427
geſetzlich vorgefchriebenen Bezeichnung des Gerichtshofes, vor
welchen die Vorladung. gefhieht, angenommene Praris, daß
wir ung wundern, wie dies dem Verf. hot entgehen mögen,
zumal da diefe Anwendung in dem erwähnten Turiner Erkennts
niffe ausdräcdticdh hervorgehoben wird. Eben fo wenig fönnen
wir mit dem Verf. übereinftiimmen, wenn er $. 20. ©. 890
behaupten will, daß wefentliche Mängel der Abfchrift der Aps
pellationsanzeige nicht in Betrachtung kommen können, wenn
fie fih nur im Driginal nicht befinden; fein Grund, daß der
Art. 8. die Strafe der Nichtigkeit auf die unterbliebene wörts
liche Webereinftimmng nicht feftiege, läßt fich leicht dur die
Bemerkung befeitigen, daß der Artikel die Zuſtellung der Abs
fhrift der zu infinuirenden Schrift bey Strafe der Nichtigkeit
vorſchreibt, daß aber dieſe Forderung für erfüllt nicht anges
fehen werden kann, wenn die infinuirte Schrift in den wefents
lihen Puncten von der zurückbehaltenen abweicht ; fie hört hier
auf, dem Begriff einer Abfchrift zu entſprechen, die doch für
den Appellaten immer Original feyn fol, und hinfichelich wel⸗
cher auch der ganze Zweck, warum das uriprüngliche Original
beym Appellanten zurück bleibt, nur in fofern erreicht werden
fann, als es mit der infinuirten Abfchrift treu Übereinftimmt.
Zu einer Vergleihung der Abfchrift mit dem Driginal bey der
Inſinuation ift aber der Appellat nicht verbunden, weil er fid)
auf die gefeßliche Vorſchrift, daß ihm eine Abdfchrift zugeftellt
werden folle, berufen kann. — . Die 6$. 21-— 27. enthalten
die Entwicelung des Grundſatzes, daß die Inſinuation an
den Appellaten in Perfon oder an feinem Wohnfiße geichehen
müffe, und im $. 27. wird dann ein furges resume der ſaͤmmt⸗
dihen bey der Appellationsanzgeige theils wefentlichen, theils
entbehrlichen Förmlichkeiten gegeben. Die Folgen der $$. aB.
bis 35. enthalten die Entwickelung einiger allgemeinen Grunds
fäße, die fih auf folgende drey Hauptpuncte reduciren laffen.
2) Ueber den Einfluß der Nichtigfprehung einer Appellationgs
anzeige auf die Befugniß zu appelliren; der Verf. verweißt
Hier mit Recht auf die unter Mr. IL. diefer Sammlung ents
haltene Unterſuchung diefer Frage. 2) Ueber die Fälle, in
Denen auf wirklich vorhandene Nichtigkeiten dennoch nicht ers
Pannt werden kann. Der Verf. ftellt als Princip den Grundfaß
. 428 Nechisfälle von B. W. Pfeiffer.
auf, daß dies nur unter der Vorausſetzung gefchehen koͤnne,
daß von Seiten des Appellaten eine ausdruͤckliche oder ſtill—
fhweigende Entfagung angenommen werden könne ; und hierauf
geht er denn die einzelnen Handlungen durch, in denen eine
ſolche ſtillſchweigende Entiagung enthalten ſey. Dahin rechnet
er mit Recht die unterlaffene Nüge der Michtigkeit, eine ge
hörig begründete contumacia, und alle Handlungen, die der
Appellat zufolge der nichtigen Appellationsanzeige vornimmt,
fofern darin eine nothwendige Anerkennung der mit Nichtigkeit
betroffenen Handlung enthalten ift, 3. E. die Sinfinuation der
Anmwaldsbeftellung nicht an. den Appellanten in Perſon, fon
dern. an feinen auf eine michtige Weiſe beftellten Anwald,
Sehr gezwungen fcheint es uns aber, wenn der Verf. $. 3o.
auch den Fall mit unter die Categorie der Entfagung gu rans
giren fucht, wenn der Appellat feine Behauptung der Hichtigs
feit der Appellationsanzeige weder mit fpeciellen Thatumftänden
belegt, noch auch den Beweis derſelben vorzulegen im Stande
iſt; denn hier ift wenigftens rechtlih genommen der hier in
Unterfuhung fiehende Fall, daß auf eine in der That vorhans
dene Nichtigkeit dennoch nicht erkannt wird, gar nicht worhans
den. 3) Weber die Anwendbarkeit der gefeglichen Förmtichkeiten
der Appellationsangeige auf die in der Appellationsinftan; ans
gebrachte Bitte um ein Verbot der vorläufigen Vollſtreckung
und auf die Incidentappellation. In Hinſicht der letzteren
wird diefe Anwendbarkeit mit Recht vom Verf. geleugnet, weil
gerade der eigenthümliche Charakter der Sincidentappellation
darin beftehe, daß fie kein felbftftändiges Rechtsmittel bilde.
Ruͤckſichtlich der Bitte um ein Verbot der vorläufigen Rolk
fireefung entwickelt. der Verf. zuvörderfi den hier zwiſchen dem
Appellaten und Appellanten Statt findenden Unterſchied, und
zeigt hieraus, daß die Frage eigentlih nur in Beziehung auf
den le&teren zur Sprache kommen könne; indeffen leugnet er
auch bier die fraaliche Anwendbarkeit, weil der Art. 359. nur
eine Vorladung und die Mittheilung des Geſuchs an den Apr
aten vorfihreibe, man alfo nichts mehreres und am wenig
fien bey Strafe der Nichtigkeit fordern dürfe.
XXI. (©. 447— 510.) Das Verfahren in. Ehefcheidungd
fahen ıft ganz unabhängig von den Vorſchriften der bürgerlichen
Nechtsfälle von B. W. Pfeiffer. 429
Prozeßordnung, und erhaͤlt durch die Verfuͤgungen des Geſetz⸗
buchs Npoleons ſeine unabaͤnderliche Beſtimmung. Dieſe
Ueberſchrift zeigt den Gegenſtand und den Zweck dieſer Abhand⸗
lung deutlich an. Der Verf. geht dabey von der Grundanſicht
aus, daß das gerichtliche Verfahren bey Eheſcheidungen gar
kein proceſſualiſches Verfahren genannt werden koͤnne, ſondern
dem Verfahren bey Adoptionen und Interdictionen zu vergleis
chen ſey, daß es alſo gemwiffermaßen als eine weſentlich noth⸗
wendige Form erſcheine, deren Beobachtung zur rechtlichen
Begruͤndung einer Eheſcheidung eben ſo nothwendig ſey, wie
zur guͤltigen Exiſtenz einer Schenkung oder hypothecariſchen
Schuldverſchreibung die geſetzliche Mitwirkung von Notarien.
Daher denn auch jeder Schritt ſtreng zu beobachten ſey, indem
ſeine Hintanſetzung die Nichtigkeit des ganzen Verfahrens zur
Folge habe. Der Verf. geht hierauf den Gang des Ehefcheis
dungsverfahrens, in fofern aus beftimmten Urſachen geklagt
wird, in feinen Hauptmomenten duch, und zeigt Schritt für
Schritt durch ein fletes Rückblicken auf den gewöhnlichen pros
ceffualifhen Gang die Eigenthämlichkeiten des erfteren, z. €.
daß die unterlaffene Mitwirkung des ministere publique hier
nicht etwa nah Art. 425. Nr. 8. der Proz. Drdn. die re-
que&te civile begründen, fondern Überhaupt das ganze Verfahs
ren nichtig machen würde, daf die Nothwendigkeit der Anwälde
hier nicht eintrete, daß ein Erkenntniß über die Zulaͤſſigkeit
der Ehefcheidungstlage immer wefentlih fey, wenn es gleich
nah allgemeinen procefjualifchen Beflimmungen nur in fofern
erfordert werde, als Einreden gegen die Zuläffigkeit vorgebracht
feyen, daß ferner das Erkenntniß in der Hauptſache unmittels
bar auf diefes Admiſſionserkenntniß folgen müffe,: ohne Zwir
ſchenraum auch nur eines einzinen Tages, daß gegen das in
der Hauptſache erfolgende interlocutorifhe Erkenntniß feine
Berufung Statt finde, daß der in Gemaͤßheit deffelben unters.
nommene Zeugenbeweis überall nicht an die Vorſchriften der
Mroz. Drdn. gebunden fey, daß eine Entjagung auf die ge
ſetzlich zuſtehenden Rechtsmittel von keiner Wirkung fey, daß
das Rechtsmittel der Oppofition fi nur auf die in der Appels
lationsinftanz ergangenen Contumatialerfenntniffe befchränfe zc.
Alle diefe Srundfäge find mit Ausſpruͤchen der Franzoͤſiſchen
430 Rechtöfälle von B. W. Pfeiffer,
Serihtshöfe belegt worden, wovon der Verf. unter Nr. 57.
bis 45. incl. mehrere in extenso mitgetheilt hat.
XXU. (S. 510 — 516) Die gegenfeitige Aufhebung
( Compeniation ) der Prozeßkoſten zwifchen Ehegatten und Vers
wandten ift nicht fireng verboten, fondern der richterlihen Bes
urtheilung uͤberlaſſen. Diefe Abhandlung enthält bloß eine
Hechtfertigung. der Deutſchen Weberfekung des Art. 87. der
Proz. Drdn., indem der Berf. zeigt, daß fie, wie der Frans
zoͤſiſche Text, die Compenfation nicht unbedingt vorſchreibe,
ſondern nur facultativ mache.
Der Anhang enthält sub nr. IT. (©. BB 86) ein
Schreiben des Kern Zuftigminifters über die Unanwendbarkeit
der bürgerlihen Proz. Ordn. im Ehefcheidungsverfahren , und
sub nr. III. (87— 118) gibt der Verf. nad einer geiwiffen
Miaterienordnung Auszüge aus Erfenntniffen des fönigl. Staats
vathes und des Caſſeler Appellationg » Gerichtshofes Über vers
mifchte proceffualifhe Rechtsfragen. Den ganzen Band befchließt
ein zweckmaͤßiges Sachregiſter.
Handbuch zum ſyſtematiſchen Studium des neuſten römifchen: Privat:
rechts nah den Grundſaͤtzen des Herrn Oberappellationsraths
Güͤnther, von D. Ehriſtian Friedrich Gluͤck, Hofrath
und öffentlichem ordentlichem Lehrer der Rechte auf der Friedrich—
Aleranderd - Univerfität in Erlangen. Erfter Theil, melcer die
Einleitung und die Litteratur des Quftinianeifhen Rechts enthält.
Erlangen, bey 3. 3. Palm. 1812. VIIL und 370 ©. gr. %
(1 Rthlr. 20 gr.)
Auch unter dem Titel:
Einleitung in dad Studium ded Römifchen — zur Berichti⸗
gung und Ergänzung des erſten Theils des Pandecten - —
tars.
Dieſes Handbuch enthaͤlt den Anfang eines Commentars
über die Guͤnther'ſchen principia juris romani, welche der
Verf. in feinen, jetzt fuftematiihen, WBorleiungen über bie
Pandecten erläutert. Es geht Über die vier erften Bogen des
Guͤnth ee'ſchen Lehrbuhs, und handelt alfo von den Quellen
des Rechts im Allgemeinen, denen des Nömifchen und denen
Handb. z. foftem. Studinmd.n. R. Privatrecht v. Grid. 431
des heutigen Roͤmiſchen Privatrehts. Zugleich gibt es, nach
Sünthers Beyſpiel, ein fehr reichhaltiges Verzeichniß der
Ausgaben der Quellen und juriftifchen Schriftfteller.
Nach der Abſicht des Verf. fol diefes Buch der Anfang
eines Commentars feyn, der vorzüglich beſtimmt ift, feinen
Zuhörern die Stelle eines nachzuichreibenden Hefts zu vertres
ten. Betrachtet man bdaffelbe aus diefem Geſichtspuncte, fo
daffen fi, unferer Meyuung nah, gar mande nicht unges
gründete Erinnerungen dagegen machen. Schon die Nuͤtzlich⸗
keit folcher gedruckten Hefte an ſich ift fehr problematifh, da
fie, ohne den mündlichen Vortrag zu erfegen oder überfläffig
zu maden, fo leicht bey den Studierenden Unfleiß und Mans
gel an Anfmerkfamteit erzeugen, und vielleicht laffen fie fi
nur für die Inſtitutonen vertheidigen, mo fie dem Anfänger die
ihm fo nöthige Vorbereitung zur Worlefung erft möglich mas
chen oder doch weſentlich erleichtern, und auch hier nur, wenn
fie nicht, wie die bisher erſchienenen, zugleich auf den unters
richteten Leſer, fondern allein auf die Beduͤrfniſſe des Schuͤ—
lers berechnet find. Will man aber auch folhe Commentare
fiir die Pandecten gelten laffen, fo fcheine dem Rec. denn
doc) diefer nicht hinlaͤnglich auf feine Beſtimmung berechnet,
und fonach micht gang zweckmaͤßig zu feyn. Gar Manches iſt
darin Aufgenommen, was in feine Vorlefung gehört, wie die
ganze Litteratur (&. 509— 3570); gar Manches, weitläufig
ausgeführt, was in Pandecten s Vorlefungen, wenn es nicht
ganz Übergangen werden fol, doch hoͤchſtens nur berührt wers
den kann, tie die äußere Nechtsgeichichte, welche einen fo
geoßen Theit des Buches füllt. Andere Dinge find viel zu
weitläufig abgehandelt, als daß dies für irgend eine Vorleſung
zweckmaͤßig ſeyn Fönnte, 3. die Movellen: dagegen ift Mans
ches auch für diejen Zweck niche Hinlänglich erörtert, wie die
‚Lehre von der interpretation.
Außer dem eben angggebenen Zwecke hat der Verf. noch
den Nebenzweck, feinen Kommentar über Hellfeld in den bier
abgehandelten Lehren zu ergänzen und zu berichtigen. Es ift
gewiß ein Beweis von großer Unbefangenheit und fchöner
Wahrheitsliebe, wenn ein Schriftfteller feine Begehungss und
Unterlaffungsfünden wieder gut macht: und eben fo ficher ift
4
. 432 Handb. 4. ſyſtem. Studium d. n. R. Privatrechts v. Gluͤck.
dies ſehr intereſſant und nuͤtzlich, wenn es, wie hier, von
einem gelehrten und viel geleſenen Schriftſteller geſchieht.
Deſſen ungeachtet koͤnnen wir auch dieſer Beſtimmung des
hier angefangenen Commentars weder unſern Beyfall geben,
noch in dieſer Ruͤckſicht ſeine Fortſetzung wänfhen, und dies
um ſo weniger, als dadurch das ſchleunige Fortſchreiten des
(häßbaren. Commentars über Hellfeld (der ſchon lange zu feis
nem Vortheile die Eigenfchaft als gedructes Heft verlohren
hat ) nothwendig erfchwert werden muß. Eine neue Darfiek
Jung deffüägen Stoffes, bey welcher, wie dies hier gewöhnlich
‚geishieht, fögar nur ſtillſchweigend gebeffert wird, gibt feine
Ueberficht: der, geänderten Saͤtze und neuen Ausführungen,
weiche man kaum durch forgfältiges Lefen und Wergleichung
beyder Werke erfennen fann; wobey man denn mit Zeitvers
luft ganz dajfelde oft zweymal zu leſen gendthige wird. Ein
viel intereffanteres Sefchent würde uns der Verf. fiher mas
chen, wenn. er fih entihließen könnte, die Mefultate feiner
neuern Studien unter der Form von Verbefferungen und Zu
fägen ung mitzutheilen. |
Nach dem Bisherigen fcheint alfo das. vorliegende Merk
feiner eigentlihen Beftimmung nad) feinen vorzäglihen Beyfall
zu verdienen. Betrachtet man es nur an ſich, ohne diefe ſpe—
ciellen Beziehungen, fo muß man dagegen fehr viel vortheils
hafter davon urtheilen. Es hat nicht allein alle Vorzuͤge der
G luͤck'ſchen Werke (die wohl als bekannt hier vorausgeſetzt
werden können), fondern zeichnet fi) auch vor diefen, befons
ders da, wo der Verf. fih auf pofitivem Grund und Boden
befinde, noch fehr zu feinem Vortheile aus. Unrichtigkeiten
und Webereilungen finden fi) dabey freylih auh (4. ®. ©.
230 vergl. mit ©, 274): wir tragen jedoch billig Bedenken,
durch Aufzählung derfelben diefe Anzeige zu vergrößern, um
fo mehr, als dieſelbe im Allgemeinen gegen den Plan des
Verf. gerichtet ift, und wir nicht gerne den ungegrändeten Ders
dacht auf ung laden möchten, daß % unfere Abficht fey, die
Verdienſte des Verf,, oder den Werth des Buches an ſich
herabzuwuͤrdigen.
No. 28. Heidelbergiſche 1813.
Jahrbuͤcher der Litteratur.
—— TIL — TFT RR AL ————
Carl Caspar Creve, Dr., grosherz. Frankf. geh. Rath, Pro-
fessor der Zoonomie und besonderen Heilkunde an der
medicinisch - chirurgischen Specialschule etc. Ueber den
Chemisımus der Respiration. Frankfurt 1812, 68 G. in 4.
Dir Schrift zeichnet ſich nicht durch neue, aber doch durch
fonderbar zufammengefeßte ältere Anfichten aus.. Der Berf.
hält zwar das Athemholen für einen Proceß der Verbrennung,
aber einen folhen,, bey welchem fih das Licht nicht entwickelt,
weil der Sauerftoff hier nicht an den Waſſerſtoff, der allein
nah ihm einen Lichrgehalt hat, fondern an den Kohlenftoff
fi) bindet.
Der Verf. behauptet ferner, fih auf die DVerfuche von
Berthollee und Allen und Pepys flüßend: das eingeathmete
Sauerftoffgas zerfeße fih in den Lungen, und hange dem
Kohlenftoff an. So werde nur Kohlenfäure erzeugte, aber es
dringe kein Sauerftoffgas in das Blut, die NRöthe des Blutes
hange alfo von dem Mangel an Kohlenſtoff ab; fo wie die
Meizkraft des Blutes ihm urfprünglich zukomme, und durch die
Anhäufung des Kohlenftoffs vermindert werde, wenn ihm
der Sauerftoff den Kohlenftoff entziehe, fo werde es wieder
reizfaͤhig. Endlich behauptet er, daß beym Athemholen auch
‚die Stickluft zerfeßt und ein Theif davon zur Veredlung des
Thierftoffes dem Blute anhinge. Was nun das erfte hier zu
eroͤrternde Phönomen angeht, nämlich ob Sauerſtoffgas nur
mit dem Kohlenftoff eine dunfle Verbrennung untergehe, fo
ftreitet diefes gegen die Erfahrung. Denn ı) verbrennen die
Metalle und ſelbſt das Waſſerſtoffgas, ohne Licht zu erzeugen,
wenn die Verbrennung langfam und nad und nach geichieht,
wie wir dieies felbft an den Drarhen der DBoltaifhen Säufe
fehen, wenn diefe nur mit wenig Plattenpaaren gefchlofien.
wird — und wie es bey jedem fich in der Luft orydirenden Metall
und dem Ranzigwerden der Dele und des Fettes offenbar wird,
ab
434 Ueber den Chemismus der Reſpiration von Ereve,
welches alles eine Nerbindung des Sauerftoffes mit dem Mafı
fertoff und dem Metalle ift, welche als langfame Verbrennung
kein Licht entmwickel. — 2) Dagegen verbrennen die nämlis
chen Stoffe mit dem grelleften Lichte, wenn diefelben unter
einer mit Sauerftoffgas gefüllten Glocke ſich entzünden und
fchnell verbrennen.
Wir lernen aus diefen Verſuchen zugleich, daß es das
Sauerftoffgas ift, welches das Licht hergibt, weswegen ih
auch diefen als den wahren Lichtträger bezeichnet habe. Die
Holzkohle, die Wachs- und Talglichter, die Stahlfeder, ver
brennen und fchmelzen hier mit dem hellften Lichte.
Es folge daraus, daß aljo, ob ein Körper hell oder duns
kel verbrenne, bloß allein davon abhange, ob er fehnell ode
langfam fih mit der Bafis des Sauerftoffes verbinde — und
06 bey dieſer Verbindung mehr oder weniger Lichtſtoff frey
werde. Denn verdunftet er in materieller Huͤlle, fo erzeugt
er nur Wärme, wird er gänzlich mit dichteren Stoffen vers
bunden, oder was man fagt latent, wird auch dieje nicht ein
mal am Thermometer gefpürt.
| Die wichtige Frage, ob Sauerfioffgas bey dem Proceß
des Athemholens ins Blut dringe, beantwortet der Verf. vor
züglich nad) den Verfuchen von Allen und Pepys mit Nein —
er glaubt daher, daß das Sauerftoffgas nur dazu diene, dem
Blute feinen Kohlenftoff abzunehmen, und zwar in den Pun
gen, und daß diefes fofort feine Nöthe und reizende Ligen
fchaft wieder annehme, welche es durd den Kohlenftoff verloren
gehabt hat, Allein diefe Annahme wird gar nicht durch Diele
Verſuche erzwungen, denn dieje befagen weiter nichts, als daß
bey jedem Athemzug ungefähr fo viel Sauerfloffgas weggehe,
als kohlenfaures Gas der eingeathmeten Luft wieder beyger
mischt werde — ob aber diefes kohlenfaure Gas in den Pungenzeli
fen gebildet werde, oder ob es aus dem Blute felbft in die ein
geathmete Luft uͤbergehe, und dafür eben fo viel Cubitzol
Sauerftoffgas an das Blut übergehen und fich demfelben beyr
miſchen, ıft dadurch keineswegs ausgemacht.
Wenn wir alfo darthun Pönnen, daß dieſes letztere ge
fhehe, nämlich daß in den Lungen wirklich nicht Kohlenſtoff
an den Sauerfloff des Sauerftoffgafes trete, fondern wirklich
I
Ueber den Chemismus der Mefpiration von Ereve, 435
fohlenfaure Lymphe an die auszuhauchende Luftmaſſe uͤbergehe,
wenn wir ferner verweifen können, daß das Sauerſtoffgas
wirklich noch in dem Zuftand der Erpanfion eines Theile feines
Märmeftoffs beraubt ins Blut Übertritt, fo ftehen die Ders
fuche des Berthollet, des Allen und Pepys richtig da, und
doch ift es falih, daß die Kohlenfäure in den Lungen erzeugt
wird. Daß aber in der Lumphe des Venenbluts und aud des
ftagnirenden Arterienblutes nur kohlenfaure Lymphe feye, und
nicht bloß kohlenftoffhaltige; dieſes zeigt ſich augenſcheinlich
durh die chemiiche Analyfis, welche ung bey gelinderem Wärmes
grad in dem Netortenhals eine große Menge Lohlenfauren
Ammoniaf zeigt, und bey färkerem Feuer Kohlenjäure und
gekohltes Waſſerſtoffgas entwickelt. — Ferner, daß das Sauers
ftoffgas feldft aber in die Lungenzellen ins Blue tritt, diefes
zeigen offenbar die mühfamen Verſuche, welhe ich über das
Blut angeftellt, und die ich in meiner Antritts s Dijfertation
pro loco in facultate obtinendo in Jena vertheidige habe.
Sin den Adern der lebendigen Thiere, vorzüglich in den durchs
fihtigen Adern des Netzes und des Gekroͤſes fieht man die
Heinen Luftbläshen unter der Form von Kügelhen, melde
durch das Kochen als Luft entweichen, das nämliche gefchieht,
wenn das Blut gefhlagen wird. Die unter dem Recipienten
der Luftpumpe gefammelte Luft verhält fih mit dem Phosphors
Eudiometer geprüft als wahres Sauerſtoffgas, wobey alle
Blutkuͤgelchen großentheils verfchwinden, und das Blut feine
Soagulabilität verliert, welche allein von der Figirung der
Sauerftoffgasbafis an den Eyweisſtoff herfömmt, und alſo
hier um fo weniger ftatt finden fann, als die Sauerftoffluft
durch das Kochen, Peitſchen, Schütteln ꝛc. wieder ausgetrieben
wird.
Was das wirffihe Eintreten des Sauerftoffgafes ins Blut
noch mehr beftätige, ift die Bereitung eines fünftlihen Bluts,
welche ung fhon Lavoifier gelehrt hat, und welches darin
befteht, daß man etwas Eyweis mit Waffer mifcht, und dazu
einige Srane phosphorfaures Eifen hinzufeßt, und das Ges
miſch in einer Glasroͤhre fchättelt, wobey Sauerftoffgas abjors
bire wird, und die Fläffigkeit ſich roͤhhet. Das Sauerfioffgas
wird hier in dem Zuftand des Gas oxygene naissant, mie
436 Weber den Chemismus der Nefpiration von Ereve.
es Fourcroy nennt, der Flüffigkeit beygemiiht, und es ent
fteht dadurch das phosphate de fer suroxygened avec exce&s
de sa base, welches die Urſache der rothen Blutfarbe ift.
Das nämliche geichieht auh am Oxygenpol einer Voltaiſchen
Säule; bier tritt dag Gas oxygene naissant an die Lymphe
und röthet fie, wie diefes ſchon mehrere Maturforfcher beobs
achtet haben.
Es gibt wohl .keine Thatfache der neueren Chemie und
Phyſiologie, welche weniger beftreitbar wäre als dieſe, und
es wundert den Dec. um fo mehr, warum Hr. GR. Ereve
die Gründe für diefe Wahrheit, welche er in feiner phyfifchen
Darftellung der: Febensträfte fchon vor 16 jahren dem gelehrs
ten Publicum vorgelegt hat, fo wenig geachtet hat, daß er
deren nicht einmal in feiner Schrift Erwähnung gethan hat.
Es ift dieſes Überhaupt der Sinn des Zeitalterd, und leider
die verwerflihe Sitte der Deutichen Gelehrten, daß fie die
Erfindungen ihrer Landsleute entweder zu verläugnen oder hers
abzufegen fuchen, und dagegen fremder Nationen Männer ers
heben, ,: und als ihre Meifter anzufaunen fi nicht fchämen,
die weit unter ihnen flchen.
Diefe Verläugnung meiner Entdeckung fällt Hrn. Ereve
vorzüglich zur Laſt, da er mein Buch bey Jeinem Entſtehen
geleien,, und als Sjugendfreund in den Sahren, in welchen es
erichien, öfters mit mir über phyfiologiihe Segenitände ſich
unterhalten hat. Ach habe lieber einen offenbaren Widerſpruch
als ſolche Verläugnung, es liegt darin eine gewiſſe Werachtung
gegen den Verf., welhen man gegen andere große Männer
des Auslandes nicht einmal nennen mag!
Sch ſchweige darum auch hier, und fage nichts ſowohl
von jenem allgemeinen Gejeß, vermöge welchem jener Träger
:des Lichtes der Sauerftoff fih mit allen Stoffen der Erde ver:
bindet, als von jenen folgereichen Wirkungen, welche dag mit
Sauerftoff verfehene Blur auf das Gefäß und Mervenipftem
hervorbringt, und wovon aud jene Stockung des Blutes her
geleitet werden muß, welche in den Lungen entficht, wenn die
Aefte des paris vagı find verlegt oder durhichnitten worden. —
Unerfiärbar. find demjenigen die Ericheinungen, welche bey dier
fen Nerjuchen von Dupuytren und Emmert vorfallen, welce
Ueber den Chemismus der Nefpiration von Ereve. 437
die Wechfelwirfung des Blutes auf diefen Nerven des Meinen
Gehirns und umgekehrt nicht einfehen und verftehen kann.
Der Verf. kommt endlich auf die Behauptung, . daß auch
der Salpeterftoff der atmosphärifchen Luft fih aus dem Sticks
gas entbinde, und bey dem Athemholen ins Blut Übergehe —
allein da derfelbe für Diele feine Behauptung in dem Experi—
mente feinen Beweis findet, weil die Nefultate der hierüber
angeftellten Verſuche meiftens auf feine Ablorbtion des Stick
gafes hindeuten, fo will er aus anderen Gründen, nämlich das
durch, daß die Thiere eine fo große Menge Stickgas gebrauchen,
um die thierifche Materie daraus zu bilden, und daß nicht
umfonft bey weiten der größte Theil der atmosphärifchen Luft
Stickgas fey, den Beweis hernehmen, daß diefe Aufnahme
durch bie Lunge gefchehen mäffe.
Allein der Verf. fieht nicht ein, mie fehr ek Hier gegen
die erftien Grundſaͤtze einer wiffenihaftlichen Phofiologie vers
ftöße — denn es find zwey polariih einander entgegengefeßte
Syſteme, welche das Leben begründen; das eine diefer Sy—
fieme ift das Prreumatifche, modurc das Licht unter der 'des
potenzirten Geſtalt des Sauerftoffgafes in den Körper eingeführt
wird; das find die Lungen. — Das andere ift das Splandınis
fche Syſtem, wodurch die Erdeftoffe durch das ihnen beywoh—
nende latente Licht veredelt zugebracht werden. Nun ift aber
der Salpeterftoff das eigentliche wahrhaft thierifche Erdprincip,
es ann daffelbe aljo eben jo wenig durch die Lunge eingeben,
als die Luft durch die Eingeweide der Verdauung in den Körs
per gebracht werden kann. Mir fönnen alfo eben fo wenig
Stickgas im Athmen verzehren, als wir Sauerſtoffgas effen
tönnen. Dieſes muß durch die Lunge, jenes durch den Darms
tanal beyfommen. ‚
Fragt man nun aber, wie bey Thieren, die aus lauter
Pflanzenftoffen ſich nähren, der Sticfjtoff werde, fo antworte
ich durch eine viel wahrfcheinlichere Hypotheſe, daß dieſes
durch eine Veredelung des Kohlenftoffs gefchehe, welcher den
einheimifhen Stoffen des Thierförpers, vorzäglich den Speichel
Magen : und Darmiäften beygemijcht, das Lichtprincip diejen
raube und mit fich vereinige. So entſteht der Koblenftoff durch
die Vegetation aus dem Hydrogen, welches in verfchiedenem Grade
433 Weber den Chemismus der Nefpiration von Créve.
ber Verdichtung und Austreibung des Lichtprincipse die Stoffe
des Mineralreichs darftelle, von den kaliſchen Salzen und Evs
den an bis zum dichteften Metalle, welcher Verwandlung die
Desorydation der Laugenfalze und Davys wichtige Entdeckung des
Potaſſium auf eine auffallende Weije Betätigung gibt. — Neh—
men wir noch hinzu, daß diefer thierifche Stoff (Salpeterftoff)
bey feiner Verbrennung in Kohlenfäure und Waffer zerfällt,
wie diefes die Proceffe des Ausarhmens und der Hautdunftung
zeigen; nehmen wir ferner, daß die ftärkeren chemifchen
Reagentien durch Trennung und Wiederverbindung alle Stoffe
des Pflanzen » und Mineralreihs liefern, indem fie in ihre
unteren Stuffen zerfallen, und Kalien, Kalferde, Talkerde,
Kiefelerde, Ammonium, Eifigiäure, Benzoeſaͤure, Zuckerfäure ir.
— phosphorfaure Dele — Schwefel, Harze, ja Eifen liefern,
fo ift wohl die bier vorgetragene Theorie, daß das Azot eine
Veredelung des Erdftoffes zur Thierfubftang fey keineswegs mehr
eine Hypotheſe zu nennen — und der Verf. hätte wohl beſſer
gethan, fatt dem Prunk unbeftimmter Franzoͤſiſcher und Engs
ländifcher Werfuche feinen alten Deutfhen Freund nicht zu vers
läugnen.
Adermann.
Bruchftücde zur Menfchen » und Erziehungdfunde religiüfen Inhalts.
Zweytes Heft. Frankfurt a. M. in der Andreaͤiſchen Buchhand:
lung ıgıı. XXIV und 299 ©. Dritte Heft. Ebendaf. 1812.
247 ©. Dierted Heft. Ebendaf. 1813. 352©
Die beyden letztern Hefte haben noch den befondern Titel:
Die Lehre von Bott. Ein Bruhitüf zur Vereinigung der beyden
Soſteme, ded Glaubens ohne Wiffenfhaft, und des Wiffens ohne
Glauben.
Wir kennen fchon aus dem erften Hefte diefer Bruchftäde
den Verf. als einen redlihen Wahrheitsforfcher und religioͤſen
Selbſtdenker. Seinem Charakter getreu fucht er in diefen bey⸗
den Heften Überall auf jenen tieferen Punct hinzufuͤhren, von dem
alle Religion und alle Beruhigung ausgeht, auf den Glauben.
Das zweyte Heft hat befonders die religidfe Bildung der Ju—
gend zum Zweck. Er legt den Katehismug der chrift
Bruchſtuͤcke zur Menfchen» u. Ersiehungsf. rel, Inhalts. 439
lihen Lehre von Hoffmann in Schmiedeberg (def;
fen Werth auch in uniern Jahrb. 1810. ates H. 40. aners
fannt worden ) zum Grunde, und empfiehlt den Vorſchlag
deffelben, die rveligidien Lehren mehr, als ed in der letzteren
Zeit geichehen, zur Sache des Gedächtniffes zn machen. Er
preiße der bisherigen DBernachläßigung gegenüber mit guten
Gründen die Eultur diefes Seelenvermögens an (wir erinnern
ung hierbey an die trefflichen Lehren in Herbarts Pävdagos
git über den Einfluß des Gedächtniffes auf den Charakter ).
„Die Unfhuld,“ fagt ee ©. 7, „hat an dem Gedaͤchtniß
einen Wächter, einen Stellvertreter, einen Beyſtand; der
Gedaͤchtnißſtarke verliere nicht fo oft Gott aus den Augen, die
Lehren der Wahrheit find ihm immer gegenwärtig, und wenn
fein Wiffen auch das Auftommen fträfliher Gedanken und
Selüfte nicht zu hindern im Stande ift, fo tritt es doch ihren
Fortichritten in den Weg.“ Der Einwurf, daß es thöricht
fey, Kinder Dinge auswendig lernen zu laffen, die ihr Vers
ftand nicht begreift, wird dadurch widerlegt, daß die finnvols
len Sprüche der Weifen doch erwas haben, was das kindliche
Herz gar wohl verftehe; auch merde das, was in den Jahren
der Kindheit nicht verftändlich ſey, es oft plößlich bey fpäterem
Antäffen. Was unfer Verf. aus Hoffmann anführt, und felbft
fagt, foll man billig zu Herzen nehmen. Auch ift das ſehr
zu loben, daß er nachdrädlicd, gegen das Aufblähen des vers
meintlihen Wiffens redet. Was nun Über alles diefes gefagt
iſt, trägt allerdings zur Löfung der wichtigen Aufgabe bey,
die Neligionslehren fo zu übergeben, dal fie mit dem ganzen
Gemuͤthe empfangen und in einem feinen guten Herzen bes
wahrt werden: aber uns fcheint doch noch mehr dazu nöthig
zu feyn, namentlich ein folcher fiufenweifer Unterricht, worin
kein Wort vortommen darf, das nicht von dem kindlichen Sinne _
verftanden wird.
In dem Hoffmannfchen Katehismus find die Religions:
lehren auf ein ganzes Jahr in 52 Wochen vertheilt. Unſer
Derf. folgt diefem Gange und trägt.die Glaubens s und Bits
tenlehren durch religiöfe Betrachtungen vielfeitig und erbaulid)
vor. Der evangelifche Geift befeelt ihn. Er verweifer überall
auf Selbſterkenntniß, Demuth und Ergreifung der höhern
440 Bruchſtuͤcke zur Menfchen, u, Erziehungsk. ver, Inhalts.
Kraft. Der Stufengang in diefen Betrachtungen ift eine gute
dee, die Ausführung iſt nur nicht methodifch genug, da
fhon bey den eriten tiefere Neflerionen vorfommen, und die
leßteren grade nicht weiter eindringen, da auch Überhaupt nicht
pſychologiſch genug die zugleich erwachfende Erkenntniß Gottes
und Erfenntniß unfrer felbft entwickelt wird. Man tiefer dfi
ters fromme und. fchöne Gedanken, mie etwa folgender if
(8. 184): „Das Geber fol den Wünfhen Abbruch thun,
den Durft des Herzens ftillen, nicht ihn vermehren — erken—
nen follen wir, daß Gott Alles wohlgemacht, feinen Ruhm ver:
fünden, nicht Klage führen.“ Mit den Gedanken eines Aus
guftinus hat ſich der Verf. befonders befreundet. Im Gebraude
der Bibelftellen wäre einiges zu tadeln. S. 170 werden die
Worte Zefu Joh. 13, 27. (durch einen Druckfehler, deren
ſich auch mande in den Namen finden, ſteht Joh. ı, 27.)
in einem ganz andern Sinne angeführt, als fie Jeſus gu
braucht; und 1. Joh. 4, 19. ift auch nicht im richtigen Sinne
angewandt.
Das dritte Heft enthält Selbftbetrachtungen. Die Gründe
und Anfichten des Theismus und Naturalismus find da mit
vieler Belefenheit und nad den neueften Bewegungen in de
Philofophie zufammengeftellt; es fpricht da weniger ein ſchul⸗
gerechter Syſtematiker als ein gläubiges Gemuͤth, das aber
noch Befeftigung in feinem Glauben fucht. Wer das Gewirre
müde ift, das durch die Sophiftereyen alter und neuer Zeit
ansgefponnen worden, den mögen dieſe Monologen anfpre
hen und mit mandhem gläcdlichen Gedanken ftärken. Sie
lehren jene Wifferey des Dünkels verachten, und weisen hin
auf das Eine, was Noth ift; fie wiederhofen in vielfader
Beziehung die heilige Wahrheit, daß jene Wiffenfchaft ſich
nur zu fehr zeigt als Kind des menichlihen Stolges, und alio
nur Unruhe mit fih bringt, daß dagegen der findliche. Sinn
dahin führt, wo nur allein Wahrheit ift, zu Gott. Warum
Hafhen wir nad den herumflatternden Meynungen wie nad
Schmetterlingen (nah dem Gleihnif ©. 6), da wir dad
Ewige nahe genug finden können, und es bey ung ſteht, an
das feftzuhalten, was unerfchättertiche Ruhe gewährte? Gewiß
liege dieſes in der religioͤſen Bildung. Die jeßige Generation
Bruchſtuͤcke zur Drenfchen u. Erziehungsf. rel. Inhalts, 441
muß durch die Abirrung ihrer Lehrer von dem Ewigwahren
hart büßen; und man will durch ein ſolches ängftliches Haſchen
nach Lehrmeynungen das Verlohrne wieder finden! Umſonſt!
— Der wuͤrdige Verf. verdient Dank, daß er ſo mit ganzer
Seele ſeinen Zeitgenoſſen ſagt, das einzige Rettungsmittel fuͤr
ſie und ihre Kinder ſey die Religion.
In dem vierten Hefte werden die philoſophiſchen Betrach⸗
tungen uͤber den Theismus und Naturalismus fortgeſetzt; eben⸗
falls weniger logiſch als gemuͤthlich. Wenn der Verf. z. B.
ſagt: „Vernunft und Darenn find nicht ohne Bewußtſeyn
denkbar — Bewußtſeyn, Dafeyn und Vernunft find Eins.
Alles, was der Vernunft ermangelt, ift fo gut als nicht da;“
ſo koͤnnte man ihn eines argen Idealismus beſchuldigen, wo—⸗
von er indeſſen weit entfernt iſt; er will hier nicht reden, wie
in einem ſtrengen Syſtem, ſondern zum Herzen. Und dieſes
gewinnt uͤberall auch in dieſen Selbſtbetrachtungen, deren Ziel⸗
punct zuweilen in einem Satz buͤndig ausgeſprochen wird, wie
z. B.: „So wie die Demuth von dem Menſchen ſcheidet,
der Knecht dem Herrn gleich ſeyn will, iſt ſein guter Geiſt
von ihm gewichen.“ Es find über den Glauben und die Gnade
"Stellen in diefem Buche, die zu ihrem Lobe Auguftinifch heißen
mögen, und würde von Glaube, Liebe und Hoffnung nur
noch etwas mehr aus ihrem innern Weſen gefprodhen, das
heißt freyer von den Reflexionen und der Sprache unferer Zeit
und mehr in ungeträbtem Zuflande der Andacht, fo würden
wir das Buch mandhen Schriften des Auguftinus unbedenklich
gleich ſetzen.
Die zweyte Abtheilung des vierten Hefts handelt von dem
Naturalismus, und ſucht denſelben mit dem Theismus zu vers
einigen. Aber weder die Angabe des Unterichieds von beyden,
z. B.: „daß der Maturalift Gott in, der Theift Gott über
die Natur feßt,“ noch die Sdentificirung, daß beyde doch
daffelde meinten, wird die metaphyſiſche Speculution befriedis
gen. Der hoͤchſte Begriff, worin fid) alles einigen foll, der
vom Seyn, ift zwar in vielen Beziehungen aufgeftellt, und
zwar oft parador, aber zum Verwundern uͤbereinſtimmend mit
Ausfprächen mander alten Theologen und Scholaſtiker: allein
follte die Sache auf diefem. metaphyſiſchen Wege ausgeführt
*
442 Bruchſtuͤcke zur Menfchen- u. Erziehungsk. rel, Inhalts.
werden, ſo war eine durchgaͤngig logiſche und ſchulgerechte
Behandlung noͤthig. Daß Gott erſt durch die Welt Daſeyn
hat, aber die Welt durch Gott ihr Seyn, kann, ſo wie es
hier vorgetragen wird, weder dem Glauben, noch dem Wiſſen
ganz genuͤgen. Ueberhaupt ſcheint uns grade darin eine In—
conſequenz zu liegen, daß durch das Begreifen der Glaube
begruͤndet und empfohlen werden ſoll. Denn wer das Heil
im Wiſſen ſucht, dem iſt und bleibe doch einmal der Begriff
das Erfte. und wer es im Glauben ſucht, der kann nicht mehr
diefen Glauben begründen wollen, fondern er hat nur bie
darin gefundene unmittelbare Gewißheit in einzelnen Lehren
zu. erponiren und klar zu machen. Er kann fchlechterdings keine
Bereinigung beyder Spfteme erwarten; nur eine Kritik der
Vernunft kann beyden gemein bleiben. Sonach finden wir
bie veligidfe Seite des Buches als die beffere, und freuen
uns, daß derfelbe Geiſt diefe Betrachtungen vom Anfang bie
zu Ende unterhält. Es ift in der That erbaulich, in ein got
tesglaubiges Gemuͤth zu blicken, das von Zweifeln und 2er
irrungen des Zeitgeiftes angeftoßen, mit Ernft und vedlichem
Denten Wahrheit fuht, und am Ende in feinem Glauben fih
geftärkt fühlt.
’
D. Car. Aug. Theoph. Keilii, Theol. dogm. in academia
Lipsiensi Prof. P. ©. Eccles. cathedr. Misenens. Capitu-
laris, Consistorii regii Lips. Assess. Elementa Hermeneu-
tices Novi Testamenti latine reddita a Christ. Aug.
Godofr. Emmerling, Past. apud Probstheyd. subsüt.
societ, philolog. Lips. sodal. .Lipsiae MDCCCAT. impensis
Fried. Chr. Guil. Vogelii. XXVI und 205 ©. gr. 8.
Mir dürfen diefe Schrift bereits als befannt vorausfeken,
denn fie ift bloß eine Weberfeßung des fihäßbaren ıBog er—
fhienenen Keilfchen Lehrbuchs der Hermeneutik des N. T.
Warum aber diefe Anderthalb Jahre früher in Deutſcher
Sprache erfchienene Schrift jetzt Lateinifch erfcheint, dar
über ertheilt die jegt neu hingugefommene Zueignungsfdrift
an D. Johann van Voorft, Profeffor der Theologie zu
Leyden, einigen Auffchluß. Es bezeugte nämlich Herr van
Voorſt dem Verf. bald nach Erſcheinung feines Deutſchen
D.Keilii Elementa Hermeneut. N. T. 443
Lehrbuchs den Wunfch, daß er daffelbe, da es in einigen Puncten
viel reichhaltiger fey, als Ernefti Interpres N. T., und andre
Puncte genauer und den gegenwärtigen Bedürfniffen ange
meſſener abhandle, gern bey feinen hermeneutifhen Vorleſun—
gen zum runde legen möchte, welches aber nad) Holländifcher
Sitte nicht gefhehen könnte, wenn nicht eine Lateinische Vers
flon des Buchs eriftirte. Er fragte daher bey Hrn. D. Keil
an, ob dieſer feldft eine Lateinifche Werfion veranftalten, oder
ihm oder irgend einem andern Gelehrten die Veranſtaltung
einer folhen Verſion überlaffen wollte. Der Verf., geneigt,
jenen Stränden Gehör zu geben, und zugleich die größere Vers
breitung und Nußbarkeit feines Lehrbuchs zu befördern, Tonnte
ſich ſelbſt nicht zu einer Lateinifchen Ueberſetzung eines Buchs
entichließen , das er, vorzüglich in Hinſicht auf den Deutſchen
Buchhandel, Deutſch .abgefaßt hatte; aber eben fo wenig
mochte er unbedingt diefe Arbeit einem Andern überlaffen. Er
hielt es alfo für das Defte, einem jungen Gelehrten, Herrn
Emmerling, der fihb fchon durch mehrere Beweife von
Kenntniffen und Fleiß rühmlihft empfohlen hatte, diefe Arbeit
fo, daß fie unter feiner eignen Leitung vorgenommen würde,
zu übertragen ; worauf fie zu feiner Befriedigung vollendet ward.
Billig Hiele er esnun, diefe Schrift in ihrer neuen Seftalt demjenis
gen Gelehrten zu dediciren, der ihm auctor suasorque diefer
Ueberfegung gewefen war. Bey diefer Gelegenheit bemerkt Hr. 8.
noch, wie fehr ihn, befonders um einer Urfache willen, van
Voorſt's günftiges Urtheil über fein hermeneutifches Lehrbuch
erfreut habe. Da er nämlich gleich gu Anfang diefer Schrift
erklärte, daß fie gang nach den Srundfägen der grammatifchs
hiftorifchen Interpretation abgefaßt fey, und fie dennoch von
Jenem mit Benfall aufgenommen ward: fo fchließt er mit
Recht, daß der Kolländifche Gelehrte von diefer grammatiſch—
biftorifhen Synterpretation des M. T. nicht weiter für die heis
ligen Bücher oder für die Religion felbft Gefahr befürchte,
wie er doch früher, als er fih über Ernefti’s Verdienft um
die Auslegung des MN. T. vernehmen ließ, zu befürchten ſchien,
indem er glaubte: es werde dadurd) die Meynung derer bes
günftigt, welche annehmen, daß Sefus und feine Apoftel fi
zu den Vollsmepnungen ihrer Zeitgenoffen accommobdirt haben.
444 D. Keilii Elementa Hermeneut. N.T.
Diefe Anerkennung der Vorzuͤglichkeit und Unverdächtigkeit der
hier empfohlenen grammatifch : hiftorifhen Interpretationsme—
thode erfreute den Hrn. Verf. um fo viel mehr, je beftimmter
er darauf dringt, daß durch diefe Methode nicht etwa ein bloß
möglicher Sinn, den eine Stelle der Schrift Haben könne, folle
aufgefunden, fondern folle vielmehr gelehrt und erwieſen wers
den, daß diefer Sinn, den man angebe, megen aller hiftoris
fhen Argumente, die in Betrachtung kommen, der Stelle
nothiwendig einen feyn müffe, und daß ein Schriftfteller, der
fih fo ausdrückte, feinen andern, als diefen Sinn feinen fer
fern habe mittheilen wollen ; je entichiedener cr aber auch zus
gleich erklärt, daß es auf diefe Beſtimmung: welches der Sinn
der vorliegenden Schrift fey und feyn müffe? ganz allein an
komme; dagegen die Frage, mie wahr oder falfch, gefällig
oder mißfällig, das Vorgetragene fey, den Ausleger als folden
nicht befümmere. Zugleich aber bemerkt Ar. K., daß bey die
fer Ausdehnung deffen, was die hiftorifche Sinterpretation zu
leiften habe, dem Wunſch derjenigen Beurtheiler dieſes Lehr
buche zu wenig habe Genuͤge geleiftet werden können, welde
glaubten, daß alles, was zur hiftorifchen Interpretation gehört,
lieber in Einem Kapitel zufammengefaft, als in mehreren
Abfchnitten zerſtreut feyn dürfte; dagegen Er vielmehr in allen
einzelnen Abichnitten diefer Anweiſung auf diefe Hiftorifche Sm
terpretation habe Nückfiht nehmen müffen. Durch diefe Be
merkung führe uns der Verf. zum Hauptinhalt feines Werks
und zur Anordnung des Ganzen; welches wir aber übergehen,
da diefe wohlgerathene Ueberjegung, einzelner hinzugefommener
Notizen über die allerneufte Litteratur der beyden leßten Jahre
abgerechnet, aufs genauefte mit dem ſchon befannten früher erichie:
nenen in dieſen Jahrbuͤchern, Jahrgang ıBıo. Stuͤck 10.
©. 145, von einem andern Necenfenten angezeigten Deuts
fhen Lehrbuch zufammenftiimmmt : und da in andern oͤft
fentlihen Beurtheilungen deffelben bereits Erinnerungen über
die Anordnung der einzelnen Parthieen dieies Werks gemadit
find, wogegen fih Hr. K. in der vorhin gedachten Bemerkung
vertheidigt. Lieber heben wir, um den Geift diefes trefflichen,
dur bändige Grundfäge, treffende Beyfpiele und reiche Litte
ratur ausgezeichneten Lehrbuchs zu charakterifiven, Einiges von
dem aus, was die Hauptſache bey diefer Anweiſung ausmadıt,
nämlih, was die von unferm Verf. fo dringend empfohlene
grammatifch + hiftorifche Interpretation betrifft.
Gleich zu Anfang des erſten Hauptabſchnitts de recta
cognitione sensus librorum N. T. p. 11. wird auf gehörige
Beſtimmung und Auseinanderfegßung des Wefens diefer grams
matifch s hiftorifchen Synterpretation vorbereitet. Es heißt näm
lich: da den Sinn einer Nede oder Schrift erkennen nichts
D.Keilii Elementa Hermeneut. N.T. 445
anders ſey, als eben dasjenige dabey denken, was der Nedner
oder Schriftfteller daben gedacht hat, und babey hat gedacht
wiffen wollen, und ın welhem Fall man den richtigen Sinn
derfelden gefaßt habe: fo fey die Erforfchung des Sinnes einer
Meve oder Schrift offenbar eine hiftoriihe Unterfuhung, in
welcher Ruͤckſicht die Erklärung eines Schriftftellers, namentlic)
aub der Bücher des N. T., eine biftoriihe genannt werden
tönne. Da aber diefer Sinn der Bäder des MN. T., welcher
nur ein einziger feyn fönne, zunähft nothwendig aus den von
ihren Verfaſſern jedesmal gebrauchten Worten erfannt werben
möffe, indem diefe das Huͤlfsmittel eines Schriftftellers zur
Bezeihnung feiner Begriffe und Worftellungen ſeyn: fo werde
in fofern die Erklärung diefer Bücher eben fo, mie die jedes
andern Schriftftellers, eine grammatifche feyn müffen. Aber
freplich fey diefe grammatifhe Erklärung von jener hiftorifchen
feineswegs verichieden, und könne daher auf feine Weiſe von
ihr getrennt oder ihr entgegengeießt werden; vielmehr ſeyen
beyde aufs genauefte mit einander verbunden. Die hiftorifhe
tönne und dürfe nie eine andre als grammatifche ſeyn; dages
gen aber folle und müffe auch die grammatijche immer eine
Hiftoriihe feyn. (Verſchieden find beyde doch gemwiffermaßen,
fofern die hiftorifche einen größern Umfang hat, als die grams
matifhe; denn die leßtere befchäftigt fi) mit den Worten, des
ren Form, Bedeutung, Modification und der Beziehung der
verfchiedenen Wörter, die einen Satz, und der verfchiedenen
Säße, die ein Ganzes bilden, zu einander. Die Erftere fucht
den ganzen Ideenkreis des Schriftftellers nach allen feinen los
calen, temporellen, individuellen Nückfihten und Beziehungen
ins Auge zu faffen, wozu die grammatıfhhen Operationen nur
den Weg bahnen mußten. Daher Rec. in feinen hermeneutis
ſchen Vorträgen am liebften die grammatifche Sfnterpretation
als die erfte, die hiftoriiche als die zwente Stufe der ächten
ungertrennlich verbundenen grammatifch : hiftorifhen Auslegung
dargeftelle Hat. Aberfreylich laͤßt fih auch fchon der Sinn mans
ches einzelnen Worts, 3. B. Tiorıs, dıxauoobyn, bıöz Deod,
ayıadeıv u. dgl. nicht ganz beftimmt auffaffen, ohne daf man
Hiftorifch tiefer in die damaligen Sdeen und Beziehungen eins
zugehen fucht; und in fofern iſt fehon die grammatiſche Erdrtes
‚rung eines einzelnen Worts eine hiftorifche Unterfuhung; und
die grammatifhe und hiſtoriſche interpretation ſtehen in der
engften Verbindung, ja laufen in eins zufammen.) — Hierauf
wird ©. 14 zur Vorzeichnung des ganzen Planes diefer Theorie
Binzugefügt: weil aber der Sinn einer Schrift nicht immer
einzig und allein aus den darin gebrauchten Worten erkannt
werden. könne, fondern auch noch mehrere andre Umftände das
*
46 D.Keilii Elementa Hermeneut. N.T.
bey in Betrahtung kommen: fo werde bey vollfiändiger Eu
klaͤrung eines Schrififtellers auf folgende fünf Stuͤcke zu fehen
feyn: daß man ı) die Bedeutung und den Sinn aller einzel
nen in einer Schrift vorfommenden Worte und Redensarten
tenne; 2) den Zujammenhang mehrerer mit einander verbuns
denen Worte und Saͤtze, fo wie alle größern oder fleinern
Theile der vorliegenden Schrift genau erforihe: 3) den. Sinn
folder Stellen, in denen eine bildliche oder anderweitige be
fondere Art des Vortrags herricht, richtig auffaffe; 4) auch alle
die Mevenumftände kenne, welche auf die Beflimmung und ges
nauere Erfenntnif des Sinnes einen Einfluß haben ; und endı
lih 5) alles, was der Schriftſteller ſagt und vorträgt, nad)
denjenigen Vorftellungen, die er nad) dem jedesmaligen Ges
genftand feiner Rede hatte, richtig zu beſtimmen fuche. Es
würde ung zu weit führen, Ddiefe einzelnen Puncte, welche
Ar. 8. mit Recht in feiner nun folgenden Anmweifung zur
vollftändigen Erforfhung des Sinnes der Bücher des NM. T.
näher beleuchtet, weiter zu verfolgen. Mir können bloß darauf
hinweifen, wie er theils jeden einzelnen der gedachten Puncte
eben fo gelehrt, als bündig und einleuchtend, wenn gleich)
überall, dem Zweck diefes Lehrbuchs gemäß, in einem fehr ges
drängten Vortrage abzuhandelu ſucht, und befonders über die
Erkenntniß der Bedeutungen einzelner Worte und Medensarten
in befondern zu erflärenden Stellen des N. T. und die Bu
flimmung ihres jedesmaligen Umfangs und Sinnes, wie über
die richtige Erkenntniß des Zufammenhangs mehrerer mit ein
ander verbundenen Worte und Saͤtze in den Büchern des N.
T., fowohl des grammatifchen, als des topifhen Zufammen:
hangs, ein ganz eigenthümliches Licht verbreitet, theils ſchon
bey Bemerkung der Vorkenntniffe, die ein Ausleger des N. T.
zur Erklärung defjelben mitbringen muß, auf forgfältige Ber
obahtung und Unterfiheidung der Neligionsmeynungen der
Juden, der eigenthüämlichen chriftlihen Neligionslehren, und
endlich der Neligionsmeynungen der von der apoftolifchen Lehre
fhon früh abweichenden und dem. Chriftenthum ſich widerfegens
den Partheyen , aufs beflimmtefte dringt; vorgäglih aber um
den für die hiftoriiche interpretation erheblichften Punct, die
Erläuterung des jedeemaligen Inhalts einer Stelle nad den
Morftelungen des zu erflärenden Schrififtellers und feiner ev
fien Lefer betreffend, fih ein ausgezeichnetes Verdienft erworben
hat. Man muß fih, wird hier $. 94. ©. 137 mır Richt gu
fordert, von allen in der vorliegenden Schrift erwähnten oder
auch nur berührten,, fowohl finnlichen als intellectuellen. Su
genftänden eben diejelben Worftellungen zu verichaffen fuchen,
die der Echrififteller davon hatte, und die feiner Seele bey
D. Keilii Elementa Hermeneut. N. T. 447
Abfaffung der zu erflärenden Schrift vorfhwebten. Um aber
dies mir gluͤcklichem Erfolg zu können, muß der Ausleger nicht
nur mit den Vorftellungen von den abgehandelten oder, auch
bloß berührten Segenftänden, ſich vermittelft der dienlichen
Huͤlfsmittel hinlänglicdy befannt gemacht haben, fondern nun
auch diefe Kenntnif auf die dadin einfchlagenden Gegenftände
richtig anwenden. Wie diefe Regel nun zu befolgen fey, ı) in
Aniehung der Vorftellungen von finnlihen und der Erfahrung
unterworfenen Dingen, 3. B. oreyn, zpaßBaros Mark. I, 4.,
mögen nun foldhe ausdrädtih erwähnt, oder mag bloß auf fie
angefpielt fenn, 2) in Aniehung der Vorftellungen von intels
lectuellen Dingen und vorzüglich Neligionsmeynungen, z. B.
dıaßorog, oaraväs, fowohl in Stellen, wo nad) folchen
Meynungen geredet und gefchrieben wird, als bey Stellen, in
denen folhe Meynungen beftritten und widerlegt werden : fucht
unier Verf. fo beftinmt, als es bey folhen fchwierigen Fragen
möglich ift, zu lehren. So wird &. 144 f. wegen ber richtis
gen Auffaffung der Borftellungen jener Zeit von intellecruellen
Segenftänden , vorzüglich von Neligionsmeynungen, der Grunds
ſatz aufgeftellt: fobald es einmal hiſtoriſch gewiß oder auch nur
wahrſcheinlich fey, daß der zu erflärende Scriftfieller von eis
ner Sache diefe oder jene Worftellung gehabt habe, jo müffe
dieſelbe billig in allen auf bdiefelbe fih beziehenden Stellen
(verftehe ſich: deffelden Schriftftellers! ) zum Grunde geleat,
und das, was er Sage, darnach beſtimmt werden, befonders
wenn die Stelle dadurch volllommen deutlich werde, und dag
in demfelben Geſagte auch mit anderweitigen Aeußerungen des
Schriftſtellers übereinfimme und in der genaueften Verbindung
damıt fiehe, oder ſich wenigſtens nirgends Etwas finde, das
der Annahme dieſer Vorftellung wideriprähe. Wenn hiernächft
als ein ſehr Ihäßbares Hälfemittel, den Sinn einer Stelle
nach den VBorftellungen des Scriftftellers gu beftimmen, ſowohl
die Vergleichung anderer Parallelftellen deſſelben Schriftftellers,
‚als die PVergleihung der Paralleiftellen der übrigen Scrifts
fteller des N. T. empfohlen wird, fo wird zugleich, um jeden
Mißbrauch diefer lebtern, nad der fonft angenommenen ana-
logia scripturae, zu begegnen, ©. ı50 erinnert: Die Ermwäs
gung deffen, was den anderweitig befannten Grundiägen und
Meynungen der N. T. Schriftfteller gemäß oder nicht gemäß
ift, könne bloß dazu angewandt werden, zu zeigen, daß dies
oder jenes der Sinn einer Stelle nicht feyn könne; keineswegs
aber möge fie dazu dienen, den Sinn einer Stelle felbft vers
mittelft derfelben zu erkennen, weil daraus, daß ein Schrifts
fteller diefes oder jenes gelagt haben koͤnnte, noch nicht folge,
daß er es auch wirklich gefagt Habe. : Auch merden nod über
u
*
Be
445 D.Keilii Elementa Hermeneut. N.T.
wirkliche oder fcheinbare Widerfpräche in den Büchern des N,
T. und das Verhalten des Auslegens in Anſehung derſelben
bedeutende Winke hinzugefügt. Doch tft mit allen diefen Ber
merfungen und ©rundiäßen. weiche Hr. K. im erften Haupt
theil feiner Theorie de recta cognitione sensus lıbrorum
N. T. beygebradyt hat, das Ganze, mas zur Theorie der his
ftorifchen interpretation gehört, noch nicht vollendet, fondern
es muß auch aus dem zweyten Haupttheil de ratione, sensum
librorum N. T. recte cognitum alios docendi noch Einiges
hieher gezogen und hier ins Andenken gebracht werden. Bir
begnügen ung jedod damit, bloß auf dasjenige, was der Verf,
von $. 115. an Über die Nücfficht des Auslegers auf Stellen
hiſtoriſchen Inhalts, befonders auf E zaͤhlungen von munder
baren Begebenheiten, ferner auf Stellen doamatifchen und
moralifchen Sjnhalts erinnert, aufmerffam zu machen, und jo
wohl auf die große Behutſamkeit, als auf die Fiberalität de
Principien unfers Verf. Hinzumweifen, wenn er bey Stellen
hiftorischen Inhalts nicht bloß Auffaffung der Erzählungen nad)
ihrem urfprünglihen Sinn, fondern auch Würdigung derjelben
und ihrer Beihaffenbeit, und ſelbſt eine Erforichung ihre
Duellen empfiehlt; wie dies vornehmlich bey Erzählungen wun
derbarer Begebenheiten der Fall ift, wobey möglichfte Beſcheit
denheit und Vorſicht in den Erklärungsveriuchen darüber mit
Hecht aefodert wird; und wenn er bey Stellen dogmatiſchen
und moralifhen Inhalts nicht bloß lehrt, fie im Geiſt jenes
Zeitalters aufzufaffen, fondern auch auf Beachtung ihrer gan
zen Belkhaffenheit, ihrer Quellen und ihrer Tendenz, recht
ernftlich dringt, damit man lerne, das Allgemeingältige vom
Localen, Temporellen und Sndividuellen gehörig zu fondern.
Mir ſchließen mit dem aufrichtigen Wunſch, daß dieſe treffliche
Theorie zur Leitung angehender nicht allein, ſondern auch ſchon
geuͤbter Schriftforfcher auf die rechte Bahn der gründlichen
und befcheidenen Acht Hiftorifchen Forihung, wobey man der
Willkuͤhr felbfterwählter Deutungen einzelner Schriftftellen im
neuen und neuften Geſchmack am fiherften entgeht, recht wir
fam ſeyn möge; und wir flimmen volllommen in den Auf
fpruch des würdigen Verf. S. XIII der Zueignungsichrift mit
ein: Certissime mihi persuasum habeo, tum demum li-
hrorum sacrorum interpretationi melius, quam hucusque
factum est, consultum iri, ubi grammatico - hıstoricae
illius interpretandi rationis praecepta, quae equidem hoc
libello enarrare atque commendare din J omnihus
non modo prohata fuerint, huicque rei unice apte judi-
cata, sed in ıpsis etiam libris illis interpretandis diligen-
ter olservata, — r.
— — —
No. 29. Seidelbergiſche 1813.
Jahrbücher der Litteratur.
Verſuch aus der harten und weichen Tonart jeder Stufe der diatonifch
chromatiſchen Tonfeiter vermittelft des enharmonifhen Tonwech⸗
feld in Die Dur und Mol Tonart der übrigen Stufen auszuwei⸗
den. Bon 9. Eh. Koch. Rudolſt. Hof= Bud: und Kunft-
bandlung. 1812. 16 Bogen Querquart.
&... Sammlung und fehr ausführliche Mufterfarte von ens
harmoniſchen Ausweichungsformeln, aus jedem Ton in jeden
andern (die ganz gewoͤhnliche Ausweichung in die Dominante
und Unterdominante ausgenommen), nuͤtzlich für den Minders
geübten, um fih im Fall des BedäÄrfniffes daraus Mathe ers
holen, ‚und das zu feinem Zwecke paffende Mufter copiren zu
koͤnnen.
Die Ausweichungéformeln, ſaͤmmtlich in Notenbeyſpielen
von 2 bis 4 Tacten vierſtimmig auf zwey Notenlinien im G
und F Schläffel ausgefchrieben, find unter folgendeu Rubriten
geordnet: _
1. Abfchnitt. Ausweihung aus den harten Tonarten in
andre Dur s Tonarten.
2. Abſchn. Ausweihung aus den harten T. A. in bie
Mol s Tonarten.
5. Abſchn. Ausweihung aus den meihen T. A. in Duvs
Tonarten.
4. Abſchn. Ausweihung aus den weichen T. A. in Mol;
Tonarten.
5. Anhang.
Der Verf. begnuͤgt fich aber nicht, von der Ausweihung .
aus der Tonart Einer Stufe (z. B. den gewöhnlihen Nor⸗
mal: Tonarten C dur und A moll) nad allen ondern Durs
und Mol: Tonarten, Mufter zu geben, fondern gibt Ausweis
chungsmuſter aus allen Tonarten in alle andern, und über
manchen diefer vielen Specialfälle finden fih fogar noch zwey
29
450 Verſuch aus der harten u. weichen Tonart ic. von Koch,
verfchiedenartige Formeln angegeben, im Ganzen wohl über
700 Formeln!
Daß diefe große fo meit getriebene Ausführlichkeit, wie
der Verf. in der Vorrede behauptet, ihren eignen Nutzen habe,
will Rec. nicht widerſprechen; allein er ift überzeugt, daß das
Merk dennody an Brauchbakeit und Faßlichkeit gewonnen has
ben wuͤrde, mären die verfhiednen Formeln anders geordnet,
und fämmtlidy auf Ausweichungen aus zwey Mormals Tonerten
reducirt worden.
Sucht man z. B. die verſchiednen unter vierzehn Nubris
fen. des Werks zerftreuten Formeln zum Webergang aus einer
harten Tonart in die.harte der zunächft darüber liegenden Tafte
auf, fo. findee man: @ Formeln von C nah Cis, 2 von C
— Des, ı von Cis—D. ı von Des nad D, 2 von D nad)
Es, ı von Es nah E, ı von E nah F, ı von F nad Fis
(warum feine nah Ges?7), 1 von Fis nah G, ı von G
nah As, ı von As nah A, a von A nad B, 2 von B nad)
H, ↄ von H nad C. |
Alto 20 Formeln für 14 im Grunde doc, gleichartige Fälle,
welche fih fämmtlih unter Eine Rubrik hätten fubfumiren lals
fen: denn offenbar könnte doch eine Ausweichungsformel von
C nah Cis als Mufter des Webergangs von F nad) Fis, von
Des nah D, von Es nah E u. f. w. gelten. Es ift überall
derjelbe Fall, nur auf eine andre Stufe transponirt, nnd in
der That find denn aud) jene 20 Formeln bloße Transpofitios
nen von ben vier erſten Blattſeiten; fo ift der Lebergang von
F nad) Fis, ©. 8, eine bloße Transpofition des gleichen Falı
les von C nah Cis, ©. ı, und der von G nad) As ©, 11
eine pure Transpofition des Fall von C nad) Des.
Ja, die Ausmweichungsformel um eine Heine halbe Stufe
aufwärts von C nah Cis, könnte gar füglih auch auf die
Fälle der Ausweichungen um einen großen halben Ton aufs
wärts dienen, und es wäre nicht einmal fehr nöthig geweien,
eine eigne Formel von C nah Cis und eine eigne von C nad)
Des auszufchreiben, indem jeder auch nur irgend Geuͤbte gar
leicht Diele in jene umichreiben wird, und umgefehrt.
Denn ganz jo wie der Verf. S. ı von C nad Cis dur
seht, even jo kann man mittelft bloßem Umſchreibens nad
Verſuch aus der harten u. weichen Tonark ic. von Koch, 454
Des dur gehen, und umgekehrt ift der S. ı befindliche Ueber⸗
gang von C nad) Des dur.
7 6 br - "
5 4 b5 b5 6 b7
35353 2 | b5, b3 b4 b5 | b5
GC, A,*G, bA | bG, bE, bA, bA | bD
(eigentlich : |
6
bb5
| | b3
C, A, *G, bA | bG uf. mw.)
leicht umzufchreiden in einem Uebergange von C nach Des dur:
7 x
5 *26 *5 *7 #6 *6 *5
5 5 3 51*53 *5 *4 0 #3. *3
C, A, *G,*G | F, *D, *G, *G il 6%
Fa fogar die Mebergangsformel aus Cis dur nah Es duzs
©. s:
76 6
*5 *5 — *5 *5 b7
+3 *5 — #5 *8 b4
*G | *C, *C, *H, C | bH; bH —.
Ceigentlich:
| — a 6
*5 % — 55 5 6
*»5 #5 — *5 5. ba |
*G |*C, *C, *H, G | bH, u. ſ. w.)
laͤßt fih auf die Hödhft einfache Formel aus C nad D:
#6 *% 7
3 335 4%
G| C, C,H, bBH | A; A_
reduciren, und hätte ſich leicht aus ihr deriviren laſſen; und
eben fo die Formel von Cis nah As, ©. 3;
—
452 Berfuch aus der harten m. weichen Tonart ⁊c. von Koch,
*6 6 br
5 — 5 4 5 6 h
*3 — *3 *% b5 b364 HZ b5
*C, *C, *D, bE | bD, bH, bE, bE | bA,
(eigentlich 5
*6 6
5 bh5 b5
+3 b5
*C, *C, *D, bE | bD, uf. m.)
(mo der enharmonifhe Webergang von Cis dur nad) Des dur
fhon beym Schritte vom ten zum 4ten Akkord durch bloße
Ruͤckung geſchehen ift, und dann erft eine Ote Mendung von
Des nah As dur gefhieht) auf die ganz gewöhnliche Auswei
dung in die Dominante:
N |
5 — 6 7
3 — 5 — 5 nn 4 *3
C,:C, D, D|IC, A, B, D|| ©.
Das bisher Geſagte zeigt, wie manchfacher Abkürzung die
Tabelle der Ausweichungen aus harten Tonarten nach andım
Tonarten empfänglich gewefen wäre. |
Aber nicht größere Kürze allein würde der Gewinn ein
derartigen Anordnung geweien feyn. Wie vieles würde dad
ohnehin fchon fo brauchbare und gemeinnüßige Werk noch 94
mwonnen haben, wenn die verfchiednen unter verfchiednen Spt
cial⸗Rubriken gerftreuten, aber zu einem und demfelben Zwid:
dienenden Formeln alle in Eine Tabelle zufammengeftellt mir
ven und zufammen überfchaut werden koͤnnten. Go .B.
beftehen die vom Verf. gegebenen Formeln zu Webergängen it
die Tonart der nächften halben oder Meinen Stufe aufwärk
(die bloßen Transpofitionen nicht mitgezähle), aus den vi
folgenden : |
x
*6 6 *5 6 9 *6
I — 5 ar *4 *8 3 #
1. 6, C, &, G | *F, *F, *G, *G | *
x
*6 *5 5 x6 “2 #5
ce Ger Be SE 7 SE 7 GE Ye 3 Zu
2. C, A, *6, *G|*F, *D, *G, +6 | *L
Verſuch aus der harten und weichen Tonart ic. von Koch, 453
b7 — *
5 b5 6 br
5359 7 2 b5 b5 b4 b5 b5
3 G|C, A, *G, bA|b6G,bE, bA, bA|bD.
bb — b7
53 5 b7 ee b3 — b5 b5 b5
4. G|C, H, bC, bh, bg|bD, bA, bD,
Diefe, zu Erleichterung der Anwendung auf andere Fälle,
aus Tonarten mit Kreuzen auch nod verwandelt und umge⸗
fehrieben in. Tonarten mit Been, und umgekehrt
6 |
bb5 bb6 5 6 by —
5— 7 33 b4 o b5 b4 »5 6b66
5. C,C, G, bbA|bG, bG, bA, bA|bD.
6 |
bb5 b5 b5 6 by
3 3 7 b3 b3 b3 b4 b5 55
6. C, A, *G, bA|bG, bE, bA, bA|bD,
#6 *7 ud;
5 *55 *5 6 *5 +
35 3 7 3.33 #3. *4 *3 *5
7. G |C, A, *G, *G]*F, *D, *6, *G |-*C.
| *4 *6 — 2 BES 3, Bun 2
5 5b, 353 *5 — *%3 *5 5 .-
8. G|C, H, H, *a,-*F |*C, *G, C.
würden (allenfalld in der Ordnung: ı, 2, 7, B, 3, 4, 5, 6)
eine nicht nur volltändige Tabelle der Ausweihungsformeln
für alle ähntıhe Fälle geben, woher fih dann leicht duch
Blofie Transpofition Ausweihungen von C nad Des, von
Cis nad D, von Des nah D, von D nad Es, von Es
nah E; von E nad) F, von F nad) Fis oder Ges, von Fis
oder Ges nah G, von G nad Gis oder As, von Gis oder
As nah A, von A nad B, von B nad H oder Ges, von
da nah C, und nad) Belieben auch in noch fremdartigere
454 Verſuch aus der harten w, weichen Tonart etc. von Koch.
Tonarten, z. B. von D nad Dis u. ſ. w. nachbilden ließen,
ſondern es würde durch Zuſammenſtellung aller zu Gebote ſte—
henden Formeln auf einem Plage dem Anfänger noch obens
drein die weitere Weberficht gewährt, daß er, um mach der
Tonart der näcft obern Tafte auszumeichen, unter den beys
fammenftehenden Formeln die Mahl habe, und daß er über:
Dies diefe Art von Modulationen nah Belieben in die Form
entweder von Ausweichungen, um einen großen oder um einen
Meinen halben Ton, ausführen und ſchreiben fönne, je nad
dem die eine oder andre Form etwa eine allzuungewöhnliche
Bezeichnung erfordern würde, oder je nahdem die eine oder
andre den demnächft folgenden KHarmonieen am fchicklichften
zufagt.
Und wollte man dann, wie denn ber Verf. gethan Bat,
und auch wirflih von reellem Nutzen ift, diefe Formeln. in
Beziehung auf weiche Tonarten alle auch noch einmal befonders
ausfchreiben, fo wäre gewiß alles gethan, was Ausführlichkeit
mit Anſchaulichkeit und Wollftändigfeit verbunden, leiſten koͤn⸗
nen, und dabey koͤnnte das Werk doch noch allenfalls durch
größere Manchfaltigkeit von Formeln, z. B. (um immer bp
den oben ausgehobenen Fällen der Ausweichungen in die nädhft
höhere Taſte zu bleiben )
6 *4 1 Be 7 *4 *4
5
55 St *5 BB *n — *5
5 6 *6 *6 *7 946 *5 — *3
C, H, C, a a|*G, *G, *6, *G | *C.,
oder :
b7. by —
7 b6 b5 6 55 —
*2 *5 ba b3 b4 — 3
u. dgl. bereichert werden.
Uebrigens iſt der Satz überall rein und korrekt (Kleinig—
keiten, wie z. B. S. Gi fünftes Beyſpiel, können ja uͤberſehen
werden!) — das Aeußere der Auflage beweiſ't die Aufmerk—
ſamkeit, welche die Verlagshandlung dem Werke des geſchaͤtz⸗
. sen Schriftftellers ſchuldig zu ſeyn geglaubt: doch iſt das kleine
Taſchenb. f. Forft- u. Fandfreunde von R. v. Wildungen. 455
Erraten-Verzeichniß nicht vollftändig. Vergl. ©. 61 vierte
Formel.
Mannheim. Gottfried Weber.
Taſchenbuch für Forſt- und Jagdfreunde, für die Jahre 1809 — 1812
von L. C. E. F. Ritter von Wildungen, koͤnigl. Weltphälis
ſchem Conſervateur der Forſte und Gewaͤſſer des Werra-Depar⸗
tements u. ſ. w.
Der Verf. beſchließt hiermit ſehr ehrenvoll die Herausgabe
feines allgemein beliebten Taſchenbuchs, deſſen Fortſetzung bes
tanntlich die Herren Laurop und Fiſcher übernommen haben,
doch können wir dem Leſer zum Trofte fagen, daß Kerr von
. Wildungen auch ferner thätig dafür feyn wird.
Die Vorderfeite des Umichlags ziert eine Abbildung des
Seweihes des befannten Sehsundfechzigers, die KHinterfeite
des Umſchlags ein mißgeftaltetes Geweih, nach Müdinger,
eben fo fiellt das Titeltupfer die Mißgeftalt eines Hirſches,
fo wie die Vignette einen Rehbockskopf mit unfoͤrmlichem Haupt⸗
fhmud. vor. So lange unire Sjagdfreunde noch nicht einmal
die Thiere Deutſchlands kennen, möchte es wohl zweckmaͤßiger
ſeyn, ftatt der pathologifchen Segenftände, die ins Unendliche
gehen, feltene Threre abbilden zu laffen. Aus denfelben Gräns
den können wir auch nicht die Aobildung des Bläßhirfches bils
ligen,, von dem der Herausgeber in der erften Abhandlung Nach—⸗
richt gibt, da ſolche Spielarten leicht beichrieben werden können.
II. Das Murmelthier, von Herrn Hofrath Blumenbach, mebft
Abbildung. Herr Blumenbach liefert in diefer gehaltwollen
Abhandlung erft einen Auszug aus Stumpfs Werk, und trägt
dann das nody Fehlende nad. Rec., der lange Zeit mehrere
diefer Thiere lebend beſaß, kann als Nachtrag noch bemerken,
daß die Murmelthiere wirkliche Raubthiere find, fie verfolgen
und morden Thiere, die ihnen an Größe nicht viel nachſtehen,
und zehren fie auf; auch Fifche freffen fie gern, fie fangen
immer am Kopfe derfelben an, und laffen nichts wie die Flofs
fen- übrig. Sie erwachen wie die Fledermäuie, wenn. firenge
Kälte auf fie wirken kann, und Jaufen herum; bemühen fi
456 Taſchenb. f. Forft- u. Fagdfreunde von R. v. Wildungen,
aber dann einen mwärmeren Aufenthaltsort zu finden. Eine
Erfcheinung , die bey beyden noch nicht befriedigend erklärt iſt.
Herr. Blumenbad bemerkt, die WVorderzähne der Murmelthiere
hätten die merkwuͤrdige Eigenfchaft, daß fie, wenn fie abgebrochen
wärden, in Kurzem wieder zur gehörigen Länge nachwuͤchſen,
dies haben wir bey andern Thieren, z. DB. bey den Mardern
auch bemerkt, deren Zähne wir mit einer fcharfen Zange abs
fprengten, und die demungeachtet Ihre gehörige Größe und
Form wieder erhielten. III. Der bärtige Alpengeyeradier, vom
Herausgeber, mit zwey Abbildungen, welche den alten und
jungen Vogel darftellen. Eine ſehr gute Zufammenftellung des
Bekannten aus der Naturgefchichte diefes merkwuͤrdigen Vogels.
Die Abbildung des jungen Vogels ift ſehr ſchoͤn, es iſt eine
Eopie aus dem Meyerifchen Taſchenbuch; die des alten Wogels
iſt aber nicht fo gut ausgefallen, auch ift fie von einem ſchlecht
ausgefippften Exemplare genommen. IV. Der große Bradı
vogel, von Herrn Hofrath Merrem in Marburg, mit einer
fhönen Abbildung. Eine fehr interefante Abhandlung. Bey
den Unterfcheidungsfennzeihen der Gattungen Scolopax und
Numenius find Lage, Form und Ränder der Naſenloͤcher vers
geffen, die bey beyden Gattungen fehr verfchieden find. Auch
möchten wir Herren Merrem nicht darin beuflimmen, daß
Scolopax suborynata, pygmaea und alpina zu den Strands
käufern gehörten. Die Tringa alpina hat’ den Schrifitellern
fhon viele Mühe gemacht, noch in dem neueften Werke des
Herrn Bechſteins kommt fie doppelt ald Numenius variabilis
und als Tringa alpina vor; Buffons Abbildung pl. enl. 852
bat zu dieſen VBerwirrungen Gelegenheit gegeben, indem der
bier im Herbſtkleide abgebildete junge Woget mit einem gang
geraden Schnabel begabt ift, ein Fall, der bey dem jungen
Vogel diefer Art leicht eintritt, wenn man ihm beym Ausftopfen
den Schnabel in der Mitte zufammenbindel. Der Numenius
variabilis, oder die Tringa alpina, welches derielde Vogel
if, bat einen fehr deutlich bogenförmig nah unten gefrämms
ten Schnabel, und gehört dennoch nicht zu den Strandläufern.
Herrn Bechſteins Numenius pygmaeus ıft feine eigne Art,
fondern der junge Vogel von Numenius suborynata; deffen
Numenius pusillus ift aber gleichfalls ein wirklicher Brady
#
—
—
Taſchenb. f. Forſt⸗ u. Jagdfreunde von R. v. Wildungen 457
vogel. V. Der Goldregenpfeifer, mit einer Abbildung, von
Herrn Hofrath Merrem. Der Goldregenpfeifer gehoͤrt zu den
Voͤgeln, die zweymal im Jahre mauſern, und deren Sommers
kleid fehr von dem verfchieden ift, das fie im Winter tragen:
hier ift ein im. Maufern begriffener Vogel abgebildet. Beſſer
würde es wohl geweſen feyn, wenn man winen folden Vogel, ‘
der bereits fein Hochzeitliches Kleid erhalten, gewählt hätte,
denn wenn wir Vögel darftellen wollen, die fi im Webers
gange aus einem Kleide ins andere befinden, fo. können wir
fo viel verfchiedene Abbildungen liefern, als es Individuen gibt.
Die Abbildung diefes Negenpfeifers ift nicht fo gut wie bie
übrigen "gerathen,, befonders-fcheint der Schnabel eher einem
Naben, als einem Choradrius anzugehören. Wenn der Kr.
Verf. ſagt: gewöhnlih Hat er nur drey Zehen, doch -hat Kr.
Profeſſor Schneider zu Frankfurt an der Oder eine kurze Hins
terzehe mit einem Nagel bemerkt; fo müffen wir dagegen ers
innern, daß dann Herr Prof. Schneider ‚einen jungen Vogel
von Vanellus melanogastes vor fi gehabt habe, aber feinen
Soldregenpfeifer, auch können wir Herrn Merrem nicht darin
beyfiimmen, daß die Kiebize und Regenpfeifer zu vereinigen
feyen, ob wir ihm gleidy einräumen mäffen, daß der Vanel-
lus melanogastes ein wahrer Regenpfeifer iſt; wenn auch
gleich alle neueren Schriftſteller ihn zu den Kiebigen zählen.
VI. Beytraͤge zur Forſt- und Jagdchronik, vom Herausgeber.
VII. Berfud einer Anleitung zum Aufiuhen und Erkennen
der Forftpflangen und der bey uns einheimifhen wilden Thiere
nad) den befannteften Eintheilungsmethoden für Anfänger, die
ſich ſelbſt unterrichten wollen, von ©. F. D. aus dem Wintel:
Zür den Anfänger eine nüßlihe Anleitung, die fi befonders
durdy die Wärme empfiehlt, die der Verf. für feinen. Gegens
fan empfindet, und durch das Öftere Hinweiſen auf das nie
genug zu empfehlende Studium der Natur ſelbſt. Nur fiellt
der Verf. das Beſtimmen der Naturförper feinen Schülern
etwas zu leicht vor, denn felbft bey dem Benfpiel, das der
Verf. von der gemeinen gelben Bachſtelze anfuͤhrt, würde ſich
mande Schwierigkeit gezeigt haben, wenn es eine gelbe Bach⸗
ftelge im Jugendkleide gewefen wäre, die beſtimmt hätte werden
folen. Denn da wir in der Drnithologie die Artkennzeichen
458 Taſchenb. f. Forft- u. Jagdfreunde von R. v. Wildungen.
faft durchaus von dem Farbenfleide zu nehmen gegwungen find,
und dies nah Alter, Geſchlecht und Szahrszeit bey vielen Vo—⸗
geln -abändert, fo möchte ein richtiges ornithologiihes Syſtem
wohl no lange zu den frommen Wünichen gehören, und dag
um fo mehr, . da unfre Schriftfteller diefen Mangel noch nicht
einmal zu fühlen fcheinen. VIII. Die MWolfsjagd, vom Kers
ausgeber. Bon Bauern wird ein Wolf getrieben und erlegt,
worüber -fih der Verf. komiſch beklagt. 1X. Etwas über die
Flintenſteine, vom Herren Prof. ‚Wurzer in Marburg. Eine
mit ‚vieler Laune gefchriebene intereffante Abhandlung. X. Auss
zug aus einer feltenen alten Thronik, Sjagbbegebenheiten bes
treffend. XT Warum wird das: Holz noch immer nicht wohls
feiler, vom Herausgeber. Enthält fehr zu beherzigende Wahrs
beiten. Der Hauptgrund liegt wohl darin, daß das Holz nicht
wie die Krebsicheeren nachwaͤchſt. XI. Noch etwag über
fürftiihe Zagdluft der Vorzeit, vom Herausgeber. XIII. Das
mittlere Waldhuhn, vom Herausgeber. Mit Recht erklärt
auch der Berf., der dieles Maldhuhn in der Sammlung des
Herrn Hofrath Meyer zu Offenbach fahe, ſolches für eine
eigne "Art; wie flimmen ihm nicht nur darin. bey, fondern
find auch überzeugt, daß jeder Naturforſcher, der diefen Vogel
in der Natur ſieht, ihm die Artrechte zugeſtehen werde,
XIV, Lnverdienter Bannfluh. XV. Maturhiftoriihe Berich—
tigung. Es ſeyen nicht Leoparden, fondern Unzen gemefen,
deren fih Kaifer Leopold der Erſte bey der Jagd bediente.
XVI. Der Senidfang. XVII. Nachleſe zur Forſt- und Jagd⸗
fitteratur der leßteren Sjahre. XVII. Neues Bedenken der
eigentlihen Brunftzeit der Mehe. - Der Herausgeber nimmt
mit Recht Anftand einer nicht hinlaͤnglich verbuͤrgten That—
ſache, die gegen gruͤndliche Beobachtungen ſtreitet, Glauben
beyzumeſſen. Wenn in der Naturgeſchichte ſolche Beobachtun⸗
gen, welche allen Verdacht einer Taͤuſchung tragen, fuͤr Er—
fahrungen gelten ſollten, ſo wuͤrden wir nie aufs Reine darin
kommen. XIX. Zirbelnuͤß⸗Erndte. XX. Anekdoten: XXI.
Auszug aus einem Brief einer Ruſſiſchen Dame. XXII. Ges
dichte. Das Yägerlied vom Herausgeber, und Morgenieufjer
einer zärtlichen —— von — —— ſi — vor⸗
zuͤglich aus.
Geognofifche Fragmente von K. v. Raumer. 459.
Wir mänfhen, daß die nachfolgenden Jagdkalender fich
als würdige Brüder an biefen leßtgebornen anreihen möchten.
Geognoſtiſche Fragmente von Karl von Raumer. Mit einer-
Karte. Nürnberg, bei 3. &..,Schraag. 1811. -VI und 78 ©.
gr. 8. (54 fr.)
Herr von Raumer bildete fih, wie wir aus dem Bors
berichte zu diefem Büchlein fehen, in der trefflihen Schule des
großen Werners zum Gebirgsforfcher, und legt ung in dies
fen Fragmenten die Erftlinge feines litterariſchen Wirkens dar.
Es find Beobachtungen, welche er uns als die Reſultate viers
jähriger Arbeiten fennen lehrte, und. die von ihm in Gemeins
fhaft mit den Herren v. Engelhardt und v. Pryyftas
nowstiangeftellt wurden. Die zum Theil neuen Anfichten
des DBerf. und die aus diefen entlehnten Schlußfolgen verdies
nen, ungeachtet wir manden einen bloßen huporhetifhen Werth
beyzumeffen vermögen, die Aufmerkfamkeit des geognoftifchen
Publitums. Wenn wir nun zwar, und dies, wie. der Erfolg
darthun wird, nicht ohne Grund, mit den Anfichten des Hrn.
v. R. keineswegs: ganz Übereinguffimmen vermögen, fo find
wir doc) weit entfernt, den Kenntniffen und den Talenten
diefes jungen Schriftftellers nicht Gerechtigkeit mwiderfahren zu
laffen, wir alauben vielmehr, daß fih die Wiffenfchaft noch
mandyer gelungenen Arbeiteh von ihm -zu erfreuen haben wird,
zumal wenn er es fi) angelegen ſeyn laͤßt, eine mehr plane
und Mare Darftellung zu gewinnen.
Mad diefen vorläufigen Bemerkungen menden wir unge
wieder zu den vorliegenden geognoftifchen Fragmenten. . Zuerft,
als allgemeine Ueberſicht, eine Anzeige des Inhaltes.
Ueber die Spyenitformation, nah Beobachtungen im Saͤch—
fiihen Erzgebirge. Zuerft beſtimmt der Verf. den beobachteten
Landfirih, und handelt nun von dem Suͤdoͤſtlichen Theil defs
ſelben, namentlih von der Gegend zwiſchen Königftein, Gott;
lauden, Lungwis und Kaufe, fodann von dem mittleren
Theile, insbefondere von der Gegend zwifchen Lungwitz,
Grund, Loßen und Kaufhe, und endlich von dem nordwefts
lihen Theile, nämlid von.der Gegend zwifchen Grund, Dis
a60 Geognoflifche Fragmente von K. v. Raumer.
bein Lauben und Lotzen. Hierauf folgen Betrachtungen über
die Verbreitung des Syenits und Über das Verhältniß der
Spyenitformation zur zwenten Porphyrformation und biefer
Formation zur Schyieferformation der Urzeit, über das Ders
haͤltniß des Syenits zum Webergangsgerirge und über ähnliche
Verhältniffe in andern Gebirgen. welche denen im - öftlichen
Erzgebirge analog ſcheinen, fo am Harze, im Thüringer Walds
gebirge und im Gebirge an der Bergftraße. - Als befonderer
Abſchnitt erfcheinen die Fragmente eines Aufiakes über die
Flözgebirge. Hier ift die Rede vom rothen Todts Liegenden,
von Heims Zwifchenlagern, vom Manpelftein und von. der
Bildung der Konglomerate. Erläuternde Anmerkungen, welche
als Noten: gleich unter dem Terte, auf den fie fi beziehen,
ihren Pia hätten finden follen, befchließen das Ganze.
Der beichränfte Raum diefer Blätter erlaubt uns nicht,
die Beobachtungen des Hrn. v. R. im Detail zu verfolgen,
nur bey zwenen, von demielben aufgeftellten Hypotheſen ges
ftatten wir uns‘, ihrer vorzüglihen Wichtigkeit halber, zu vers
mweilen. Die eine betrifft feine Anficht Über die Uebergangs—
Formation;,. die andere macht uns mit feiner Meynung über
die Natur des Sranites befannt, welcher den Brocken bildet.
Im Öftlichen Theile des Sächfifhen Erzgebirges fand der
Berf. mannigfaltige Derfchiedenheiten von Thonfchiefer , mit
Lagern von Alaun » und Kiefelfchiefer, einem graumwadens
ähnlichen Befteine, Kalkſtein, Porphyr und einer gneuss
artigen Gebirgsart, an den, unmittelbar auf den Granit
folgenden Gneus gleichförmig gelagert. An diefe reiht fi,
mit jüngerem Granite und manchen anderen untergeordneten Las
gern. ( Gneus, Porphyr u. f. mw.) verſchiedentlich abwechſelnd,
Syenit. Auch hier bemerkt man gleichförmige Lagerung. Diefe
Erſcheinung war für ung, ungeachtet fie mit manchen früheren
Beobachtungen, auf welche man eine von obiger ganz verfchies
dene Anficht des Pagerungs s Verhältniffes der Syenit » und
Porphyr ; Formation zu denen des Älteren Urgebirges begründet
hatte, dennody nicht fehr Befremdend, wohl aber erfiaunten
wir über die Neiultate, bie Hr. v. R. daraus ziehen will,
indem er S. 3ı jagt: „Wir fanden die Webergangs » Ges
birgsarten nirgends in abweichender oder abweichender
—
Geognoſtiſche Fragmente von, K. v. Raumer. 461
und übergreifender Lagerung auf den Urgebirgsarten,
vielmehr Äberall, wo wir das gegenfeitige Verhältniß beyder
‚beobachten konnten , fahen wir jene in gleichförmiger Lagerung
‚auf diefe folgen. Da nun die gleihförmige Lagerung mehrerer
‚Gebirgsarten auf einander, nah den Srundfäßen der Werneris
fhen Geognoſie, die ununterbrocdhene Folge der Momente ihrer
Dildung bemweil’t, fo freiten diefe Beoachtungen gegen die
‚Trennung des Uebergangs ; Gebirges vom Urgebirge, und ges
gen die Annahme zweyer befonderer Epochen ihrer Bildung.“ —
Wir Härten folglich, nad des Verf. Behauptung, eine For
‚mation weniger, indem die Ur s und Wevergangs : Gebirge
einer und derfelben Bildungs: Periode angehören tollen. Ges
‚gen diefe Anficht fkreitet indeffen fo viel, daß wir uns unmögs
lich mit derfelben vereinigen können. Hr. v. R. betrachtet die
zwiſchen dem Gneufe Älterer und dem Granite jüngerer Bils
dung , und dem Syenite vorfommenden Lager als den anevs
kannten Webergange : Gebirgslagern durchaus analog. Allein
dieſer Satz fcheint ung feineswegs erwiefen. Weder der Kalkſtein
noch die Grauwacke tragen dies für die Gebirge der Webers
gangs: Periode fonft fo bezeichnende Merkmal — Berfteineruns
gen. Es ift keine Rede von ähter Grauwacke, die fih hier
findet, fondern nur von einem grauwadenähnlihen
Geſtein. Der Kiefel s und der Alaunichiefer können feinen
evidenten Beweis führen, denn wir treffen beyde im Urgebirge,
als untergeordnete Lager des Urthonichieferds, und unter ähns
lichen. Verhältniffen im Webergangsgebirge. Die beobachteten
Lager s und gneusartigen Geſteine, welche fih, nad allen biss
her befannt gewordenen Thatſachen, nicht mit dem Begriffe
vom Webergangsgebirge vereinigen laffen, fcheinen uns, nebft
dem: Sranite fpäterer Formation und dem Syenit, meit eher
jüngfte Bildungen des Urgedirges zu jeyn. In feinem alle
aber, angenommen felbft , daß der Verf. richtig gejehen und
gefolgere hätte, können wir auf das einzelne und lokale Vor—
tommen eine allgemeine Regel beg:ünden. Sm $ 8., wo
von den Verhältniffen anderer Gegenden, welche denen im
Öftlichen Erzgebirge beobachteten analog fcheinen, die Rede ift,
fagt Hr. v. R., man habe bisher angenommen, das Ueber—
gangsgebirge liege mantelförmig um den Granit des Brockens
462 Geognoſtiſche Fragmente von K. v. Naumer.
herum. Dieſer Annahme aber ſtehe das Fallen der Gebirgs—
ſchichten entgegen, welche nicht, wie dies feyn müßte, wäre
jener Satz gegründet, in W. weſtlich, in &. füdlih und in
D. Öftlih, fondern, den von Lafino angeftellten Beobach—⸗
tungen zu Folge, wenige Fälle ausgenommen, allegeit nah ©.
und ©. DO. fih ſenken. Das VHebergangs s ( Schiefer: ) Ges
birge bilder demnad) feinen umlaufenden Schichtenmiantel um den
Brocken, alsam ein heranstägendes Srundgebirge, der Granit
beffimmt das Fallen nicht, wie dies ſeyn müßte, wenn er das
Srundgebirge wäre, der Thonfchiefer fälle im Gegentheile im
M. W. dem Granite wieder zu, und fonach bleibt, nach
Hrn. v. R. Dafürhalten, nur die Alternative: den Granit
des Brocdens für fehr mächtige Lager in den Schiefern anzu—
fehen, oder als Übergreifend und abweichend auf dem Scies
fergebirge. Uns ift nun zwar bis jeßt feine Stelle am Harze
befannt geworden, wo ein vollkommen deutlihes Zus
fallen des Thonfhiefers und der Grauwacke gefunden wors
den wäre; allein gefeßt auch, daß dies gefchehen feye, fo
wird man doch wohl zu Folgerungen der Art, wie Ar. v. M.
fi) erlaubte, nicht eher fi) berschtigt glauben, als bis zugleich
mit Gewißheit das Aufgelagertfeyn des Sranites auf dem
Schiefer dargethan if. Ein weiterer Grund, melden ber
Verf. für feine Hypotheſe aufführe, iſt die Gleichfoͤrmigkeit
der Richtung der Schichten: Abfonderungen des ©ranites mit
jenen der Grauwacke und des Thonſchiefers. Gegen dieſe
Behauptung ſtreiten indeffen gleichfalls bewährte Beobachtun⸗
gen, welche wohl eine Adtheilung des Geanits in Bänke, aber
durchaus feine Sleihförmigkeit der Nichtungen der Schichten
wahrnehmen ließen. Mithin können wir auch den Satz, daß
der Sranit des DBrodens ein mähtiges Lager
im Thonfchiefers Gebirge fey, nicht für ermwielen bes
trachten.
L.CS.
Memorabilien der Heilfunde, Staatsarzneiwiſſenſchaft und Thierheil⸗
funit. Herausgegeben von J. J. Kauf, Doctor der Arzneis
kunſt, Magifter der Weltweißheit, Negierungs = und Medicinal-
Memorabilien der Heilkunde: ie. von J. J. Kauſch. 463
rathe bei der königl. preußifhen Lignigifhen Regierung von
Schleſien, practifbem Arzte zu Lignig, Mitgliede der gelehrten
Befeltfchaften zu Erlangen, Erfurt und Bredlau. Erfted Bänds
chen. Mit ı Kupfer. Zullibau, in der Darnmannifhen Buchs
handlung. 1813. XXVI und 250 ©. in 8.
Der fhon duch mehrere Werke rähmlichft bekannte Kr,
Verf. eröffnet mit diefem erſten Bande eine in zwangloſen
Heften nad und nad erfcheinende Bekanntmachung merkwuͤr⸗
diger, aus dem gefammten Gebiete der practiſchen Heilkunde
berfiammender Beobachtungen und Erfahrungen, zu deren
Sammlung ihm fein Amt als Pegierungs » und Medicinals
rath der Löniglih Preußischen Lignigifhen Negierung von
Schlefien die. trefflichfte Gelegenheit darbietet. Alles Merk
würdige nämlich, was in den fechzehn Kreifen des Lignitziſchen
Regierungs s Departements bey einer Menfchenzahl von mehr
als ſechsmal hunderttaufend Seelen in allen Zweigen des Mes
dicinalweiens aus den Händen von mehr als fiebenzig Aerzten
und einigen hundert Wundärzten entweder durch die angeords
neten Sanitätsberichte, oder auch auf andern Wegen zum
Vorſchein kommt, gelangt zu feiner Wiffenfchaft, und feßt
ihn auf folhe Weile bey dem ungemeinen Reichthum und der
vielverfprehenden Ergiebigkeit diefer Duelle in den Stand,
ung von Zeit zu Zeit eine Auswahl jener für unſere Kunft
fo viel verfprehenden Schäße mitzutheilen, die dann bey der
befannten Sachkenntniß des Herrn Verfaſſers uns eine reiche
Aerndte an neuen und fhäßbaren Kenntniffen verfpricht, welche
nad dem Verfprehen des Herrn Verf: noch durch anderweitige
Aufſaͤtze Über Gegenflände der auf dem Titel ERROR Fächer
vermehrt werden fol.
Der Herr Verf. ift einer von den Männern, — zum
Beſten der guten Sache dem in unſern Tagen einerſeits durch
den roheſten Empirismus, andrerſeits durch ſublinie Specula—
tion und ſinnloſen Myfticismus fo ſehr beleidigten Geiſte aͤcht
rationeller Empirie, als dem einzig ſichern Wege aller Heils
kunde, mit feftem Character treu geblieven find, und diefer
Seift it von ihm auf fein Werk übergegangen, welchem ſo—
mit reine Erfahrung und Beobachtung zum Grunde gelegt iſt,
464 Memorabilien der Heilkunde ꝛc. von J. 3. Kauſch.
von welchem alle bloß in die theoretische KHeiltunde einfchlas
genden Gegenftände ausgefchloffen find, und welches mithin
vorzugsmweije für den practiihen Heilkuͤnſtler geeignet iſt, dies
fem aber wegen der Wichtigkeit der darin enthaltenen Aufı
fäße und der edeln prunflofen deutlihen Einfachheit der Schreib
art in jeder Nückficht empfohlen werden kann.
Der vorliegende erfte Theil enchält folgende Aufſaͤtze:
ı) Ein für unheilbar erflärter Beinfraß mit. hectifchem Fieber,
bey welchem die Operation des Gliedes als einziger Ausweg
erflärt worden, gluͤcklich ohne diefelbe geheilt. 2) Ein faft
allgemeiner Beinfraß bey einem Mädchen, bey welchem das
eine carioͤſe Schläffeldein ausgefhworen und von der Natur
wieder erfeßt worden. 5) Gefchichte und Heilung eines Opis
fihotonus. 4) Heilung einer Fractura cranii ohne Trepanas
tion und ohne Wegnahme des abgebrochenen Knochenſtuͤcks.
5) Erfahrungen über den Gebrauch des Arſeniks gegen Wech—⸗
felfieber. 6) Ueber die Wirkfamkeit der Flinsberger Minerals
quelle in Schleſien. 7) Weber die vorzüglihe Wirkſamkeit
der Arnicablumen bey einer Brufterfhärterung. 8) Eine Bruds
pperation. 9) Leber eine Pfeubdoorganifation des Darmkanals.
10) Geſchichte der Ninderpeft im Herbſte 18311. im Lignikis
fhen Regierungsdepartement. 12) Ueber die Schädlichkeit des
Waſſers der Eupfernen Dfentöpfe. 11) Krankengefchichte eines
Wahnfinnigen, welcher zweymal duch Mercuriaipräparate ger
hetie wurde. 13) Gutachten über einen gewiſſen Gemuͤths—
zuftand bey einem Manne. ı4) Ein Todesfall auf eine fehr
geringe Veranlaffung. 15) Ueber Frühlingsturen und einige
herrfchende Fehler und Worurtheile bey Brunnen »s und Bader
anftalten. 16) Aeußerſt merfwärdiger NWerlauf einer Milzbrands
agizootie. 17) Ueber die Urfache und Maskirung cheumatifcher
Krankheiten.
An diefe größern Aufiäge fchließe fih noch eine kleine
Sammlung practifher Miscellen von nicht minderer Wichtig:
keit an.
No. 30. Heidelbergiſche 1813.
Jahrbuͤcher der Litteratur.
1) Handbuch der Mineralogie von C. A. S. Hoffmann. Erſter
Band. XXIV und 685 S. Zweyten Bandes erſte Abtheilung.
382 ©. Freiberg, bei Craz und Gerlach. 1811 und 1812. 8,
2) Dad Mineralreich. Ein Handbuh für die Hörer (3? !!) der
Bhilofophie. Von Reginald Kneifl aus den frommen Schus
fen, Profeffor der Zoofogie und Mineralogie an der K. K. The⸗
refianifchen Ritterafademie. Erfter Band. IV und 362. Zw.
Band 327 ©. Wien, bei Geiftinger. 1811. 8.
3) Handbuch der Mineralogie, Von Dr. J. W. Blanf, Großhers
zoglichem geiftlibem Rathe und Profeffor der Philofophie und
Naturgeſchichte. Würzburg, bei Nitribit. ı8ı1. 596 S. 8.
4) Lehrbuch der Mineralogie mit Beziehung auf Technologie und Geo» -
graphie („) für Schulen und den Brivatunterriht, von I. £
G. Meinecke. Halle, bei Hemmerde und Schwetſchke. 1808.
XIV und 28 ©. 8
5) Erfenntnißlehre der anorganifchen Naturkoͤrper. ‚Mit Hinficht auf:
die neueften Entdefungen und Berichtigungen und mit ſteter Ans
wendung auf das bürgerliche Leben. Für den Selbſtunterricht
beatbeitet (,) nebft einem DVerfuche zu einer vergleichenden Mis
nerälogie (,) von Dr. %. ©. Lenz, Bergrath und Profeffor
der Mineralogie. Eriter Band und zmenten Bandes erfter Abe
fhnitt. XII und 534 ©. Zwepyter Band, zweyter bid neunter
Abſchnitt. 606 S. Gießen in Heffen, bei &, Müller. 1813,
6) Lehrbuch der Mineralogie in Furzem Auszug .der neueren mineras
logiſchen Syſteme, zum Gebrauch akademiſcher Vorlefungen und
Errihrung mineralogifher Sammlungen (‚) von E. J. Ch, Es⸗
per. Erlangen bei Palm. 1810. VIII und 510 © 8.
DH. Ausbeute der letzteren Meffen an mineralogifchen Hands
zınd Lehrbühern war fo bedeutend, daß wir, bey dem bes
Fchränften Maume diefer. Blätter, uns veranlaßt finden, die
Anzeige mehrerer derfelben mit einander zu verbinden. .
Unter den vorliegenden Schriften verdient ohne Zweifel
NMr. 1. die meifte Aufmerkſamkeit. Hr. Hoffmann, Inſpec—⸗
£or bey der Freyberger Mineralien: Miederlage, und bekannt
30
466 Mineralogifche Handbücher von Hoffmann x.
durch das feit 1805 eingegangene Dergmännifche Journal,
deffen Mitherausgeber er war, vermißte bey der zahlreichen
Menge mineralogifcher Lehrbücher eines, in welchem des vers
dienſtvollen Werners Methode in ihrer ganzen Reinheit
Bargeftellt würde, das keine Zufäße und Angaben aus anderen
Merten (auf die der Verf. im Allgemeinen Leinen, oder nur
einen fehr geringen Werth zu legen für guet finder) ent
Hält, aus welchem alle fchwankende, nur nad einem fluͤch
tigen Ueberblicke obenhin entworfene Beſtimmungen mit Soryı
falt verbannt wären. Er übernahm das gewiß verdienſtlicht
Merk, dieje Aufgabe zu Idfen, eine Sache, die, im Vorbey⸗
gehen gefagt , für ihn mit weniger Schwierigkeiten verknüpft
war, als für jeden. andern Schriftfteller, da wir voransfegen
därfen, daß der Verf. dem mittheilenden Werner, deſſen
Dietate er benußte, feine zufammengetragenen Materialien
ſtets zur prüfenden Durchſicht vorgelegt haben wird. Unter
ſolchen Aufpicien leider es durchaus feinen Zweifel, daß Ar.
H. etwas Gelungenes liefern konnte. Auch verfichert er, da
er mit der angeftrengteften Mühe geftrebt Habe, um Wer:
ners Angaben und Beftimmungen,, welche ſtets den Stempel
der hoͤchſten Conſequenz und Genauigkeit tragen, und auf wir
derholte forgfältige Beobachtungen fid gründen, rein und ge
fihtee von allen fremdartigen Zufäßen zu erhalten, von dern
Nichtigkeit er nicht volllommen überzeugt war, alles neu Kim
zugefommene mit der firengften Kritik zu prüfen, und fid
immer durch Autopfie von der Wahrheit aller von ihm aufge
führten Beſtimmungen zu verfihern und nichts aufzunehmen,
was hur in irgend einer Hinſicht zweifelhaft fchien. Mit der
leßteren Behauptung ſteht freylih die unmittelbar darauf fül
gende Acußerung in einigem Wideripruche, indem Kr. H. (4
bedauert, daß er bey jenem Geſchaͤft fehr den Befis eine
eigenen Sammlung vermißit habe und genoͤthiget gemejen fe,
fi) theils mit feinen früheren Beobahtungen (alfo aus Mt
Erinnerung ), theils mit dem nichts weniger als vollſtaͤndigen
akademiſchen Cabinette zu begnügen, Dabey ruͤhmt er jedoch
zugleich die Willfaͤhrigkeit der Beſitzer der verſchiedenen Fre
berger Privatſommlungen, welche ihm den Gebrauch derſelben
verſtattet. Sehr auffallend war es ung, daß Kr. H. gar
Mineralogifche Handbücher von Hoffmann ı. 467
nihts über Wer ner's trefflihe Sammlung fagt. Sollte ihm
der Gebrauch derfelben (zumal zu diefem Zwecke, welcher doch
nothwendig für den großen Mann Sintereffe haben mußte, da
von richtiger Werbreitung feiner Anfichten die Rede ift) nicht
frey geftanden haben? Hier müßten ſich dem Verf. die beften,
ja mitunter vielleiht einzigen Mittel zu neuen Beobachtungen
dargeboten haben. — Außer dem erwähnten Zwecke hatte der
Verf. zugleich die Abficht, dem größern Publitum ein brauche
bares Hülfsmittel zum Selbſtſtudium der Mineralogie in die
Hände zu liefern: Was das le&tere betrifft, fo möchten wir
‚faft zweifeln, daß, ben dem theuern Preife, den das Bud
wegen der vielen noch folgenden Bände erhalten muß, daffelbe
‚in viele Hände fommen werde.
Der erfte Band des Hoffmannfhen Handbuches ums
faßt übrigens, nad) einer allgemeinen Einleitung, die Kennzets
‚chen s Lehre und die Grundfäße der oryktognoſtiſchen Eilaffificas
tion und Momenclatur der Foffilien. Bey dem Abfchnitte
von den regelmäßigen aͤußeren Geftalten finder fid) ein Anhang
‚Über die Merhode Hauͤh's, über deffen Bezeichnungsart und
Nomenclatur der Kryſtalle u. f. w. |
Was den applicativen Theil der Oryktognoſie betrifft, fo
bat Hr. H. die Gattungen fo auf einander folgen laffen, wie
folhe von Hrn. Werner in dem neuefteften Enrwurfe feines
Syſtems geordnet worden. Wir werden, mit Ruͤckſicht auf
das ı805 bey Mayr in Salzburg erfchienene und darauf in
Leonhard’s Tafhenbuh für die Mineralogie 5. Band ©.
26: u. f. mit den damals neueften Veränderungen befannt ges
machte Werner’ihe Syſtem, eine gedrängte Weberficht der
wichtigften Aenderungen ausheben.
Nah dem Augit folgs der Diopfid als Gattung, dann
fommen Vefuvian, Groffular, Leuzit u. f. w. Der Automolit
ift nad dem Pirop eingeordnet, an diefen reihen fich Zeilanit,
Spinell u. f. w. Auf den Demanthſpath folgen Topas, os
lieh, Euklas u. ſ. w. Der Beril und der fehörlartige Beril
find nicht mehr Arten einer Gattung, fondern jeder macht
eine eigene Gattung aus. Der Piftazit, welcher vordem feine
Stelle zwifchen dem Augit und Veſuvian einnahm, erſcheint
jegt nach dem Schörl, dann kommen Zoifit, Authophyllit Cin
J
465 Mineralogiſche Handbücher von Hoffmann ꝛc.
zwey Arten, firahliger und blätteriger A. abgetheilt), Arts‘
nit u. ſ. w. Nach dem. Feuerfleine finden wir Krifopras,
Plasma, Heliotrop, Kalzedon u. f. w. Die Gattung des
Menitits ift in zwey Arten, brauner und grauer Menilit, ads
getheilt. Der Fettftein ſteht zwiſchen Opaljaspis und Kabens
auge, auf diefen folge eine neue Gattung, aferkiefel, nad
Werner ein inniges Gemenge von Quarz und asbeftartigem
Tremolithe, welches fih durh Farbe, Bruch, Bruchſtuͤcke,
Brad. der Durchhfcheinenheit und den fagenaugenartigen Schein,
fo wie durch die Schwere ganz vorzüglich charakterifiet. Hier⸗
auf Dbfidian u. f. m. Nah dem Lazulit folge Blaufparh,
dann Andalufit, Feldipath (unter den Arten deſſelben bemers
fen wir auch den glafigen Feldſpath). Der Wariolit macht
‚eine Unterart des dichten Feldfpathes aus. Ferner Spodumen,
Skapolith (in zwey Arten grauer und rother getheilt), Ich—
thyophthalen ( Apophyllite), Majonit, Nephelin und :Eiss
fpatd. Als Nachtrag folgen am Schluffe der erften Abtheilung
des zwenten Bandes — fo weit ift das Merk bis jetzt erfchies
nen — einige neue Gattungen des Kiefelgefhlechtes, Pyreneit
(zwifchen Leuzit und Melanit), Kolophonit (zwifchen Alos
droit und Sranat) und Lievrit (Yenit, zwifhen Schörl und
Piſtazit), welhe von Werner in feinem letzten orpftognoftis
fhen Lehrkurfe -1811Agı2 vorgetragen und in das Sofem aufs
genommen murden.
Hinfichtlich der genauen Einrichtung des applicativen Theis
les felöft bemerfen wir, daß bey jeder Gattung zuerft die
Etymologie der Benennung entwickelt ift, auf diefe folgt Die
ausführlichere aͤußere Charakteriſtik, an deren Scluffe ftets
eine fehr zweckmaͤßig verfaßte, gedrängte fummarifche Webers
‚fiht der weſentlichſten und unterfcheidendften Kennzeichen jeder
Gattung und Art zu finden ift, dann die phyſikaliſchen und
shemiihen Merkmale, zuleßt allgemeine Bemerkungen über
die geognoftiichen Verhältniffe der Fofiilien. Die geographis
fchen Notizen und die litterärifhen Nachmeifungen find im
Ganzen ziemlich fpärlich ausgefallen. Dagegen hat der Verf.,
was uns, .bey einem Handbuche, deffen Hauptzwed if, Wers
ners Methode in ihrer ganzen Neinheit darzuftellen, durch—
aus unzweckmaͤßig ſcheint, die Lehre von dem Gebrauche der
Mineralogifche Handbücher von Hoffmann ꝛc. 469
Foſſilien mit einer großen Ausführlichkeit behandelt. Webers
haupt Tann, nach unferem Dafürhalten, bey einer mahrhaft
foftematifchen Abteilung der Mineralogie, die dtonomifche
Mineralogie eben fo wenig eine Stelle finden, als z. B. die
Särtnerey in einem Lehrbuche der Botanik abgehandelt-werden
darf. Die Lehre von dem Gebrauche der. Foſſilien gehoͤrt aus⸗
fiyließlih in das Gebiet der Technologie und Delonomie, und
es fieht wahrhaft poffierlih aus, wenn man, wie 5. B. in
dem vorliegenden Werke. &. 49 II. Bandes, einen. tabellaris
fhen (?) Sebrauchszettel vom Quarze findet! Auch wiffen
wir nicht, wie die Aenferung des Hrn. H. (Vorr. S. XIX),
daß außer Völker's Handbuch der HÖkonomifch » technifchen
Mineralogie kein anderes Werk eriftire, welches diefen Gegen:
fand mit einiger Ausführlichkeit behandle, zu deuten ift. Aus
welchem Grunde übergeht er Schmieders Lithurgik. Ein
Buch, welches eben fo gut, wo micht beifer, ald Voͤlker's
Handbuch ift, und in jedem Falle exiſtirt, denn es ift befannts
lih im Sahre 1805 bey Cruſius in Leipgig gedrudt worden,
Für Unkenntniß der mineralogifchen Litteratur dürfen wir jene
Aeußerung wohl nicht gelten laffen, fie muß alfo Animofität
gegen Schmieder fcheinen. | |
So weit. unfere Anficht über Nr. ı., dem wir Übrigens
ein gefhmackvolleres Aeußere wünfchten.
Wir kommen nun zu den übrigen Schriften, bey welchen
wir weniger zu verweilen geſonnen find, Fur
Was Nr. 2. betrifft, fo iſt dies eine erbärmlihe, auf
Löfchpapier abgedruckte Compilation, vor deren Ankauf - wir
jeden Freund der mineralogifchen Litteratur hiermit beftens ges
warnt haben wollen. Um nur Etwas zum Beleg des Gefags
ten anzuführen, denn es wäre eine Verfchivendung von. Tinte
und Papier, wollten wir über das Ganze ausführlich Handeln,
entlehnen wir folgende Stelle aus der fehr dürftigen Vorrede.
„Allein bey diefem Verſuche,“ fagt der Hr. Prof. Kneifl,
„befonders da er zum Schulunterricht beftimme ift, kommt es
auf ein feit gegründetes Syſtem an, weldhes wir bisher vers
mißten — (man denke!) — und deſſen Mangel diefes Stu⸗
dium nicht wenig erſchwerte. Diefes Syſtem kann — meines
Erachtens — ſo wie bey der Zoologie (??!!) — nur auf
470 Mineralogifche Handbücher von Hoffmann 1c-
auf inneren — alfo auch hier — bey Unorganifhen — nur
auf chemiihen Grundfägen beruhen.“ — Welche Herrliche
Foriſchritte muͤſſen die Hörer der Philofophie unter Herrn
Kneifls einfihtevoller Leitung in der Mineralogie madyen !
Mr. 3. und 4. find, ihrer Mitteimäßigkeie ungeachtet,
doch zum Unterricht in Schulen, zumal wenn der Lehrer ge
hörig abs und zugugeben weiß, nicht gan, unbrauchbar. Nr. 6.
ift, wie wir auch aus der Vorrede erfahren, nichts als ein
Auszug aus der ſyſtematiſchen Weberfüht der Herren Leon:
Hard, Merz und Kopp. |
Beffer als die vorhergehenden und nah Nr. ı. unter den
ben angeführten Lehrbüchern das vorzäglichfte, ift Nr. 5. die
Erkenntnißlehre der anorganifhen Naturkoͤrper. Kr. Lenz,
ber, feit einer Neihe von Jahren fhon, mit warmem (Eifer
und einer lobenswerthen Regſamkeit für die Verbreitung des
mineralogifhen Wiſſens wirft, und namentlich durch die Grüns
dung der Societät zu Jena fih ein bleibendes Werdienft er
worben bat, beftimmt dies Werk zunaͤchſt für feine Lehrſtunden.
Das Wernerifhe Spftem liege dabey zum Grunde, und
das Ganze foll aus fünf Bänden beftehen, wovon der erfte
nad einer kurzen Einleitung den präparativen Theil, oder das
Spftem der Auferen Kennzeichen, die Zirfon s und Kiefels
Drdnung umfaht. Im zweyten Bande finden wir die übrigen
Erd ; und Steinarten, nebft den Salgen und Inflammabilien
abgehandelt und zugleich ein Megifter Über die beyden Wände,
welches wohl zweckmaͤßiger den Beſchluß des gangen Werkes
gemacht hätte, da die Einrihtung, welche der Verf. mählte,
hingegen zu zweyfachem Nachſchlagen in vielen Fällen Antaf
geben muß. Für den dritten Band find die Metalle, für den
vierten die vergleichende Mineralogie und für den fünften bie
Gebirgsarten beſtimmt. Wir werden feiner Zeit darauf zuruͤck
fommen.
L.C.Ss,
Denfwurdigfeiten, Charafterzüge und Anekdoten aus ‚dem Leben der
vorzüglichften deutſchen Dichter und Profailten. Herausgegeben
von Karl Heinrih Joͤrdens. Erfier Band. XVI un
Denkwuͤrdigkeiten ıc. von K. H. Joͤrdens. 474
364 ©. Zweiter Band, VIII und 380 ©. Leipzig, bei Kummer.
1812. 8
Hr. fah fih „bey der Bearbeitung des Leritons Deuts
fher Dichter und Profaiften genöthige, alles, was nur über
diefe Schriftfteller in biographifcher oder fitterarifcher Ruͤckſicht
gefchrieben und ihm zugänglich war, durchzuleſen. Da konnte
es, wie er fortfähre, nicht fehlen, Daß ihm auf diefem Wege
manche intereffante Merkwuͤrdigkeit, mancher. trefflihe Charak⸗
terzug, manche angenehme und wißige Anekdote aus dem Les
ben derfelben entgegen kam, deren Wiedererzählung ſich indeffen
nicht für das Lexikon eignete; obwohl er auch da ıhon, um
die Trockenheit der Lerilonds Lectüre aufzuheitern, ſich
hin und wieder einiges-davon einzumifchen erlaubte. Es fchien
ihm aber eine befondre Sammlung folder Denkwuͤrdigkeiten,
Charakterzuͤge und Anekdoten für das gebildetere Publitum
nicht ohne Anterhaltung und Nutzen zu feyn.“
Wir Haben einigemal des Lexikons Deurfcher Dichter und
Profaiften in unſern Jahrbuͤchern nah Verdienſt erwähnt, bes
dauern jedoch, Hier offenherzig gefichen zu müffen, daß wir
mit dem Plane und der Ausführung diefer Denkwuͤrdigkeiten ıc.
nicht fonderlih zufrieden feyn können. Kr. 3. fänat immer
mehr an, zu fehr den bloßen Sammler ohne beftimmten Plan
zu machen. Was ihm von einem nur einigermaßen befannten
Manne in die Hände fällt, wird fogleich der einen oder ans
dern Sammlung einverleibt, bald darauf finder er noch etwas
anders, und dies gibt denn fogleich wieder Machträge, und fo
iſt nicht eher ein Ende diefer Sammtungen abzufehen,, als bis
der Verleger es feinem Intereſſe angemeffener findet, fie zu
Schließen. Ein Werk, welches nur die trefflichfien Deutichen
Dichter und Profaiften aufftellte, ihre KHauptlebensumftände
erzählte, ihren Charakter fharf auffaßte und ihre Schriften
mit Genauigkeit verzeichnete, und das fih auf eine Pleinere
Anzahl von Bänden befhränfte, würde ung weit willkommener
ſeyn, als diefe ganz ins Unbeflimmte gehende Doppelveihe von
Bänden, mo des linbedentenden fo viel vorfommt und Wie;
derhofungen ganz unvermeidlich find. Beym Schluß des gans
zen Werkes möchte denn immer ein Supplementband folgen,
472 Denkwuͤrdigkeiten ꝛe. von K. H. Joͤrdens.
der ſich aber nur auf wichtige und bedeutende Nachtraͤge ers
fireefen und alles zu fehr ans Kieinliche gränzende entfernen
müßte. Wenn aud von einem ſolchen Werke nur alle zwey
oder drey Jahre ein Band erichiene, fo würden die Lefer an
Inhalt gewinnen, was fie allenfalls an Umfang einbüßten.
Diefer Erinnerungen ungeachtet, leugnen wir nicht, daß
auch das vorliegende Wert manchen intereffanten Charakterzug,
manchen finns und geiftvollen Gedanken eines achtungswerthen
Mannes aufbewahrt habe: nur kommt des Minderbedeutenden
zu viel dazwiihen vor. Was Hrn, J. in Gedaͤchtnißſchriften,
Journalen, Anefdoren : Sammlungen u. f. w. von einem bes
kannt gewordenen Manne aufitieß, wird hier mitgetheilt, und
auch einige Züge verdankt er fchriftlichen Mittheilungen. Schon
die Namen der hier aufgeführten Perfonen laffen vermuthen,
daß man auf manche intereffante Züge ſtoßen werde, und fo hat
08 Rec. auch wirklid gefunden. Sm erfien Bande kommen
folgende Artikel vor: Joh. Jak. Engel. Unter mehreren
Anekdoten mag hier folgende fiehen: „Engel war einft bey
dem verflordenen Fürften ©. zur Tafel geladen, Bey Tiiche
Sam unter andern auch die Nede auf den berühmten Welt
umſegler Cook, und daß er ben feinen Entdeefungsreiien fein
Leben habe eindäßen muͤſſen. Engel führte darüber Baupts
fahlih das Wort. Auf einmal fragte ihn der Fuͤrſt — um
doch) auch ſich mit in den Discours zu mifhen — „kam Cook
auf feiner erfien Reiſe um’s Leben, Herr Profeſſor?“ —
„Ich glaube, ja!“ erwiederte Engel, „doch machte er fih
nicht viel daraus, und trat bald die zweyte an.“ Salomon
Geßner. Hier fommen einige nicht unintereffante Zäge vor,
die Gef ners feinen Takt für das Lächerlihe und fein vors
züglihes Talent zu komiſch « grotester Darſtellung bewähren,
wovon er in jängern Jahren und in gefchloffenen Zirkeln bis—
weilen Gebrauch machte. Joh. Sam. Papkte Abr.
Gotth. Kaͤſtner. Gottl. Wild, Burmann. Von dies
ſem armen, aber immer frohen Dichter werden ein Paar Ge—
dichte in extenso eingeruͤckt. Joh. Chr. Roſt. Joh.
Peter Uz. Gottl. Wilh. Rabener. Hier eine kleine
Ane!dote von ihm. „N, hatte jemanden den Titel Hoc»
wohlgeborner gegeben, und bekam Wohledler zuruͤck;
s
Denkwürdigkeiten ꝛc. von K. H. Joͤrdens. 473
er gab ihm hierauf Wohlgeborner, und bekam Edler
dafuͤr; auf ſein nunmehriges Geborner ſollte er verklagt
werden, wußte aber ſeinen Correſpondenten zu bedeuten, daß
ein Geborner einen Mann von Geburt anzeige, und ihn
eben dadurch von allen unedlen, Geſchoͤpfen, die nicht geboren,
ſondern geheckt, geworfen, gefaſelt, geſetzt, gebracht oder ges
ſchuͤttelt wuͤrden, unterfcheide.“ Martin Luther. Wenn
gleich die meiſten der hier aufgeſtellten Züge von Luther ſchon
befannt find, . fo gewährt doch deren Zufammenftellung viel
MVergnügen, und man lernt Luthern daraus auch als Mens
ſchen hochſchaͤtzen. Sehr intereffant find auch des großen Res
formators Aeußerungen über den Geift einer Achten Bibck
Ueberfeßung, S. 149. 180, Man fieht daraus, daß Luther
ängitlihe Syibenzählerey und fHlaviihe Wörter ; Webertragung
von aͤchter Dolmetihung und Auffaffung des Geiſtes gar wohl
zu .unterfcheiden wußte. Hier fiehe nur eine kräftige Stelle:
„Wenn Chriftus ſpricht: Ex abuggantia cordis etc. und ich
fol dolmetihen: Aus dem Ueberfliiß des Herzens redet der
Mund; fage mir, ift das Deutich geredet? So wenig, als
Meberfluß des Kachelofens, fondern alfo. redet die Mutter im
Kaufe und der gemeine Mann auf dem. Markte, dem du auf
das Maut fehen folk: Web das Herz voll ift ıc. Stem, da
der Engel Marien grüßet, Maria voll Gnaden; wo redet der
der Deutſche Mann fo? Er muß denken an ein Faß voll
Bier, oder Beutel voll Geldes. Darum Hab’. ichs verdeutfcht:
Du Holdfeliget Und Hätte ich das befte Deutſch follen
nehmen, fo hätt ich alfo verdeutfchen mäffen: Gott grüße
dich, du liebe Maria! Denn fo viel will der Engel fagen,
und fo wirde er geredet haben, wenn er hätte wollen fie
Deutſch gräßen" u. ſ. w. Ulrih von Hutten. Nur ein
Paar fcherzhafte Anekdoten von diefem großen Manne! oh.
With. Ludwig Gleim. Hier finder man viele intereffante
Charakterzuͤge zufammengeilellt. Docd möchte man hie und da
‚mehr Ordnung in der Zuiammenftellung wüänfhen. Nachdem
fhon Gleims Leben als Hauslehrer, Secretär, feine vers
traute Freundfhaft mit Kleift u. f. w. erwähnt morden ifl,
folgen einige Züge aus feinem Univerfitätsieben. Anne Louiſe
Karfhin. Ihr Leben wird, nad den vorhandenen Mates
474 Denkwuͤrdigkeiten we. von K. H. Joͤrdens.
rialien, ausfuͤhrlich erzähle. Ewald Chriſtian v. Kleifk
Wenn gleich das Meiſte von dem hier Geſagten ſchon bekannt
war, ſo lieſet man es doch immer wieder mit neuer Theil—
nahme. Konrad Arnold Schmid. Nur ein Paar Zuͤge
von Schmids Gutmuͤthigkeit. Ludw. Heinrich Chrphe
Hoͤlty. Hier iſt, wie billig, Voſſens treffliche Biographie
von Hoͤlty auf das treulichſte benutzt worden. Gottfried
Auguſt Buͤrger. Die wichtigſten Lebensumſtaͤnde und Cha—
rakterzuͤge von dieſem, von dem Rec. gekannten und geliebten
herrlichen Balladen-Dichter find aus den bekannten Quellen
recht gut zufammengeftellt, auch ift die letzte, ungluͤckliche Heis
rathsgejchichte deſſelben ausführlih erzählt worden. Joh.
Matth. Dreyer. Ein Paar Anekdoten von biefem nicht
unmwichtigen Kopfe. Paul Melifiuns Nur ein Paar Worte
Aber diefen, 1600 als Bibliothekar zu Heidelberg neftorbenen
Dichter, der eigentlih Schede oder Schedius hie, und
ein, nad den ee hen Veränderungen abgedruck—
tes Gedicht deffelben. es hier darum gu thun mar, den
Dichter in feiner ganzen Eigenthämlichkeit kennen zu lernen,
fo hätte fchieflicher der unveränderte Driginaltert dieſes füßen
Liedes, den man in der Sammlung der Zuͤrcheriſchen Streits
fhriften zur -Werbefferung des Deutfhen Geſchmacks wider die
Gottſchediſche Schule 5. Bd. 9. St. findet, mitgerheilt werden
follen.
Sm zwenten Bande fommen folgende Artikel vor: Gotts
Hold Ephraim Leffing. Dean findet hier allerley, zum
Theil recht inteveffante Nachrichten uͤber Leffing aneinander ges
reiht. Manchmal fehlt jedoch der innere Zufammenhang; aud)
MWiderfprähe finden ſich. So heilt e8 S. 8: „Leidenſchaft
war feine Spielfucht gewiß nicht.“ (Der Ausdruck ift auch nicht
gut gewählt.) „Man kann bloß fagen, daß er fih ohne rechten
Spielgeift zumeilen in ein zu hohes Spiel einließ.“ Dagegen
Heißt es ©. 05: „Sein liebftes Spiel war Farao, das feis
nen ganzen Neiz vom hohen Gewinn zu haben fcheint, und er
fpielte es mit ſtarker Leidenfhaft.“ „Leffing felhft fagte,
daß er nicht mit dem Spiel fpiele, fondern mit dem Spiel
keinen Scherz treibe.“ Mofes Mendelsfohn. Neues fand
Rec. Hier nicht, aber alle hier gefammelten Charakterzuͤge ftellen
Denkwärdigfeiten ı. von K. 9. Zördend. ATS
ben lichenswürdigen Welfen in einem vortheilhaften Fichte dar.
Smmanuel Kant. Herr J. fand bier viele Vorarbeit.
Wag er hier aus den verfchiedenen Nachrichten zufammen reihte,
macht uns den tiefen Denker auch als edlen Menfchen, wißts
gen Kopf und geiftreihen Gefellihafter achtungswerth. Daß
Kant, der fo hohen Sinn für Poefie hatte, auch feldft Verſe
gemacht. habe, ift nicht fo allgemein bekannt. Wir räden das
ber das von Hrn. J. S. 119 mitgetheilte, von Kant auf
den im J. 1780 in Königsberg verftorbenen Kriegsrarh und
Profeffor der R. D. 2’ Eftocg verfertigee Epigramm hier eins
Der Weltlauf fchildert fich fo jedem Auge ab,
Wie ihn der Spiegel malt, den die Natur ihm gab.
Dem fcheintd ein Gaufelfpiel zum Lachen, dem zum Weinen,
Der lebt nur zum Genuß, der andre nur zum Scheinen,
Gleich blinde Thorheit gaft einander fpörtifch an.
Wird eine Regel nur dem Herzen nicht entriffen::
Sey menfhlid, redlih, treu und ſchuldfrey im Gemiffen!
(So lauter L Eftocg’d Lob!) das andre ift nur Spiel:
Denn Menfh und meife feyn, ift Sterblichen zu viel!
Sriedrih Gedike. Den größten Theil diefes Aufſatzes
nehmen Briefe Gedike's an feine Geliebte ein, die nur nad)
vielen Überwundenen Hinderniffen feine Gattin wurde. Chris
ffian Friedrih Daniel Schubart. Manches von dem
hier Mitgetheilten hat uns Here J. fchon mit denfelben
Worten in feinem Leriton Deutfcher Dichter und Profaiften
zum Velten gegeben. Solche Wiederholungen waren bey dem
nicht ganz feften Plane des Verf. unvermeidiih. Georg
Chriſtoph Lichtenberg. Auch in dieſen nicht uninters
eſſanten Zuſammenſtellungen fehle es nicht an einzelnen Wieders
holungen aus dem früheren Werke des Hın. 3. Die drey
Wisipiele mit Wiß und fpiß finder man Sauch bier wieder
abgedruct. Aber was der ganze wörtliche Abdruck des Gedichts
auf die fhwimmenden Batterieen im 5. 1782 in diefer Thas
rafteriftit fol, fehen wir nit ein. Manche mwißige Einfälle
Lihtenbergs find dagegen ihrer Stelle wuͤrdig. Johann
Karl Auguft Mufäus. Leber diefen wadern Mann möchte
man gerne noch mehr lefen, als man hier findet. Ein ſchwa—
ches Urtheil des Hrn. J. finder ſich S. 283: „Wenn mir
auh der Phyſiognomik des fchwärmerifchen Lavater
fonft nicht viel verdanken, fo ift das Verdienſt doch groß ger
nug, die phyfiognomifchen Reifen (von Mufäus)
veranlaßt zu Haben.“ Kenner haben Über Lavaters Werk:
längft ein gang anderes Urtheil gefällt! Schön und herzlich
find Herders Worte bey Mufäus Tode, ©. 280 — 292.
176 Denfiwirdigkeiten 1. von K. H. Joͤrdens.
Kart Philip Moris. Nah Hrn. J. Darftellung wurs
den bey Mori die guten Eigenschaften von großen Schwach—
heiten überwogen. Am unerbittlihiten hat wohl der jel. Lenz
im Schlichtegrollſchen Nekrologe über diefen in mancher Hins
ſicht merfwärdigen Mann und guten Kopf abgeurtheil. Mit
Vergnügen lefen wir das hinten angehängte fchöne Sedichtchen
von M. Die Stimme drinnen und der Fremdling
draußen. Wer fo dichte, dem it warlich zartes Gefühl
beihieden! Die Nahträge ©. 549g fg. enthalten noch Eis
niges über Engel, Geßner (rüähmlihe Züge von Gefiner,
dem Menfihen!), Käftner, Burmann, Luther und
Gleim. | *
Neue franzoͤſiſche Sprachlehre, zum praktiſchen Unterricht in Frage
und Antwort geſtellt, in welcher alle Regeln auf die einfachite
und deutlichſte Art erflärt und mit deutſchen, auf jede Regel an
gewandten Uebungeſtuͤcken verſehen find, für Lehrer und Lernende,
und auch für diejenigen, welche diefe Sprache ohne Lehrer erler»
nen wollen, merhodiich abgefaßt von L. D. Lavés, Prof. Diefer
Eprade am Weimar. Hofe. Weimar, bey Hoffinann. 1809,
XXI und 455 ©. 8. 3. Auflage.
Eine dreymalige Auflage ift allerdings ein bey der Beurs
theilung eines Werkes zu mwürdigender Moment, ja man darf
annehmen, daß ein folhes Wert im Allgemeinen den Beduͤrf—
niffen in feiner Sphäre zuſage. Nichts defto weniger bleibt
. der Kritik, diefer Mittlerin, melde vor allem die unmandels
bare Wahrheit der Sache ins Auge faßt, natürlich auch. eine
Stimme, und fie hat eben das Beſondere (des Beduͤrfniſſes
3: B.) mit dem Allgemeinen | der Angemeffenheit und unges
trübten Reinheit der Darfiellung) auszugleichen. So hier. Es
ift weniger der. Gehalt an und für fih angeſehen, weicher in vors
liegender Sprachlehre Eraänzungen, Berihtigungen, wenn
auch bier und da fchärfere Beftimmung, forderte — der letz—
tere thut jehr oft in dieſer Sphäre das unklare Schwanken
zwiſchen der Eigenthämlichkeit der Deutichen und Franzoͤſiſchen
Sprache Eintrag — als die Mangelhaftigkeit und der Unver—
fland der Form, welche zum Theil auf derfelben Lnfihers
heit beruht, mehr vergleihungsmweiie, als beſtimmt und an
fid) darftellt, und fo tadelhaft wird. . Der Verf. nämlich bat
die. dialogifhe Methode, in Frage und Antwort, als die ge—
fhicktefte und unumgänglich nothwendige jeder andern vorgezos
gen; er meint fogar, der Erfolg gebe hier einzig den Ausfihlag.
Neue Frans. Sprachlehre von 2, D. Lands. 477
Gleichwohl bemerkt er felbft in der Vorrede zur zweyten Aufı
lage, daß einzelne Miderfacher aufgetreten feyen und geſagt
haben, dieje Form fey nicht anftändig, fondern zu umftändfich
und findifh. Hieraus, die Rechtmäßigkeit und Klarheit des
Urtheils einftweilen bey Seite gefeßt, wäre mindeftens jo viel
abzunehmen, daß die Methode entweder an fih, oder in dies
fer ihrer Anwendung nicht allgemein für fo unumgänglich nds
thig angefehen worden. Nun möchten wir zwar das Ans
anftändige, Kindiihe, oder Umftändliche nicht fo unbedingt
‚unterfchreiben, aber das Urtheil felbft Märer und beſtimmter
aufgefaßt, hoffen wir zu zeigen, daß ihm allerdings Wahrheit
zum Grunde liege, und daß die Widerfaher nur damit nicht
aufs Reine gefommen waren. Das Weientlihe daran, um
es kurz und beſtimmt auszufprechen, ift: daß Hr. Laves durchs .
aus keinen Begriff von Sokratik und fofratiicher Methode hat,
und daß demnach einerfeits eine vermeidliche Weitſchweifigkeit
entfiehen mußte, andrerfeits aber mit diefer Zerfällung in Frage
und Antwort mindeftens etwas Weberfläffiges, alio keinesweges
unumgänglich Nöthiges, gerhan wurde. Fürs erſte naͤmlich
foll doc der Fragende hier meiftens der Schüler feyn (Fr. 18.
iſt es frepylih, wie auch anderwärts, der Lehrer), der Ant
wortende aber der Lehrer. - Gleichwohl, wenn wir auch die
mangelhaftere Einfiht in Bau und Gliederung der Sprade-
nicht ermähnen wollen, thut der Schüler hier Fragen an den:
Lehrer , welche mindeftens eine Bekanntſchaft mit dem GMang—
baren und Gegebenen der meiften Spracdlehren vorausjeßen,
und man darf dreift behaupten, daß viele Schüler dergleichen,
ragen gar nicht thun könnten, wenn fie nicht fchon Kenntniß
hätten von dem, was eben geantwortet wird. Mithin wäre
die Antwort von diefer Seite unnüß. Dazu find aber bie
Fragen fo allgemein, die Antworten fo fang und weitidyweifig,
fo aggregatmäßig auf Numern mit eingefchalteten Anmerkungen
gebracht, daß entweder mehrere Fragen nöthig waren, oder
die Antwort unverhältnißmäßig zur Frage, keinesweges faßlich
und leicht Äberjehbar wurde. Diele unläugbaren Fehler nun,
mag man fie betradhten, wie man wolle, Haben ihren Siß
darin, daß der Verf. eben nur das pofitiv und didaktiſch aus—
‘gefprochene, wie es fih font in den Grammatifen findet, aufs
loͤſ'te in Frag’ und Antwort. Allein es fehle noch fehr viel,
daß dies die Einfiche erleichtere, ermecfe, und daß dies übers
haupt ſokratiſche Methode zu nennen fey. Sonſt wäre das
Frag s und Antwortipiel, welches vor einiger Zeit in der Ges
fellfhaft an der Tagsordnung war, fo gut Sokratiſche Methode
zu nennen, wie das Fragen nach einem Logis, oder ein Ahns
478 Neue Franz Sprachlehre von 2. D. Lands,
tiches. Ueberlegt man aber, daß durch Frage und Antwort
nur ein Urtheil in zwey Säge aus einander gelegt wird, daß
eben durch diefe Auseinanderlegung und das Gegeneinanderhats
gen zweyer etwas Fertiges und Uriprüngliches wiederum gelöfet,
und daß es hiemit nicht ſowohl das Fertige, als vielmehr die
"Handlung, wodurd es fertig wurde und zu Stande kam, gels
ten muͤſſe: fo ergibt fich fogleich, daß es darauf ankomme,
Benriffe zu bilden, indem man ihre Sliederung und ihr Forks
fchreiten durch Entgegenfekung an etwas dem Lernenden ſchon
Bekanntes antnüpfe, und dies immer unter die Einheit einer
Höheren Spähre aufnehme, deren Verbältniß zum Uebrigen ſich
von ſelbſt darlegt. Mithin wird der Fragende, der Lehrer,
wie fih bier als nothwendig ermeifet, nicht der Schüler, eben
ſowohl mehrere in Eine Sphäre gehörige Begriffe fragend zus
fammenziehen, als, nöthigen Falls, wo die Gliederung vers
wickelter ift,, fie aus einander halten, am Ende aber fie immer
in Einen Brennpunct zufammen drängen müffen. Wie weit
aber diefe Fragkunft von der hierin waltenden Methode vers
fchieden ſey, gibt ſich überall fund, und es ift nicht nöthig,
einzelne Stellen zum Beweis anzuführen. Es ift aber nicht
zu ‚läugnen, daß ohne dieſes Frag: und Antwortſpiel vieles
weit kürzer hätte ausfallen muͤſſen, 3. B. das Verzeichniß der
Eonjugationen,
Bey Erlernung einer Sprache den Nerftand mehr in Ans
ſpruchnehmen, als das Gedaͤchtniß, ift gewiß der angemeffenfte
und fÜherfte Weg, obwohl das Franzöflihe jeiner conventionels
fen Natur gemäß an Anomalien kraͤnkelnd, wie gens (f. ©.
Ba) diefe Behandlung minder geflatte. Aber auch dies wird
hier nicht erreicht; denn der Gehalt der Antworten ift ſeinem
Wefentlihen nad mehr für das leßtere, als für den erſten ges
eignet.
Dies nun, was bier gerügt worden, und mehr oder we—
niger freylich alle Sprachlehren -drüdt, ausgenommen, ift die
Brauchbarkeit und Genauigkeit der vorliegenden nicht in Zwei—
fel zu ziehen; aber eben fo gewiß ift, daß dieſelbe bey der
gewöhnlichen Methode, ja bey diefer noch weit eher, würde
erreicht worden ſeyn, indem diefe wenigftens mit einer bündis
gen Logik durhfommen fann, da hingegen jene einen weit
freyern Gebrauch und ein viel kunflreicheres Spiel des Geiſtes
vorausfeßt, weldhe eben Gewinn und Ausbeute einer tiefern
philofophiihen Bildung find. Ob wir Hiemit Hrn. Lands
uͤberzeugt haben, ſteht nicht zu beantworten; daß aber der Ers
folg eben fo gut für die Abſchaffung diefer leeren und unnüßen
Methode ftimmen könne und müjfe, ift gewiß. |
Drey Programme von Anton, 479
Vom Herrn Rector Anton zu Görlig find und drey Programme von
den Jahren ı810, ıgıı, 1812 bekannt worden, melche die Erffä-
zung einiger altteitamentlihen Stellen enthalten, und eine Anzeige
verdienen.
Das Programm von 1810 enthält eine Ueberſetzung von
Habak. III. und eine neue Erklärung des 13. Verſes. Diefen
Überfeßt er: nudasti eorum partes inferiores usque ad col-
lum. Er nimmt 7/0) von den Untertheilen des Körpers, des
ren Entblößung ein Bild der Schmach feyn fole, val. Nah.
5,5. u. a St. Wir haben gegen biefe finnreihe Erklärung
Folgendes. 1) Iſt es nicht wahricheinlih, daß TO? fo ges
Braucht worden. Denn wenn es vom Untertheil des Alters
vorkommt, fo ift es doh immer Grund, Grundlage.
2) Das Bild. der Schamentblößung wird am häufigften von
rauen gebraudt, oder weiblichen Perfonificationen. 3) Diefes
Bild wäre nicht ſtark genug, da vorher fhon vom Zerfchmets
tern des Hauptes die Rede ift. Zur Erläuterung unferer Webers
feßung der Stelle: Grundveſten oufwählend mannss
Hoc bemerken wir, daß wir NIX I ſprichwoͤrtlich genoms
men haben in der Bedeutung fehr Hoc oder tief. Syn erftes
rer, von Wafferfluthen, fteht es Sei. 8, 8. 30, 2B, Da aber
hoch mit tief leichte verwechfele werden konnte, fo fcheint das
Wort nicht unpaffend von der Tiefe des aufgewühlten Fundas
ments genommen werden zu fönnen.
Das Programm von ıdıı enthält. eine Ueberſetzung von
Zeph. UI. und eine neue Erklärung des 18. Verſes. Sie ift
diefe: Qui non laetantur diebus festis, eos collectos a vo-
bis removebo;; vexillum huic urbi erit o probrium. Untere
denen, welche wegen der Fefte trauern, verfteht er folhe, die
ungern dadurch ihre Geſchaͤfte geftöre fahen, alfo Unheilige,
Profane. Diefe, foll der Prophet fagen, werden aus Israei
entfernt werden. Diefer Sinn ift dem Zufammenhang gar
nicht unangemeffen. Wie aber der zweyte Satz in den Zufams
menhang gezogen werden Pönne, war Nec. ein Raͤthſel, bis
er die Erklärung des Verf. las. Nach ihm foll der Sinn feyn :
vor den Ssraeliten her foll Schmach (für die Feinde) gehen.
Mir geben den Lefern zu bedenken, ob diefe Erklärung das
Verdienft der Leichtigkeit und Scicklihkeit Habe. Wir wollen
nur unfere Ueberſetzung der Stelle, an weicher der Verf. ans
geſtoſen, rechtfertigen und erläutern,
Der erfte Saß: Die fern von der Verfammlung
Tranernden ſamml' ich, bedarf feiner Erläuterung und
Rechtfertigung; auch kann man mit Geſenius uͤberſetzen:
480 Drey Programme von Anton.
Die von der Gemeine ausgefhloffenen fammt*
ih: im Ganzen wird der Sinn dadurch nicht geändert. Nun
fchließen wir, gegen die gewöhnlihe Accentuation, das erfte
Hemiſtiſch: diefe Freyheit hat uns Hr. Anton nicht miders
ftritten, und fie fcheine hier nothwendig. Nun conflruiren wir:
MEN I y MNOE CNON) Y7 Tan d- 6. fern follen
von dir feyn diejenigen, die dir Lat find, Schmach. Sn
—* iſt der den Hebraͤiſchen Dichtern gewoͤhnliche Perfonens
wechſel. Wir brauchen nicht zu beweiſen, daß die dritte Pers
ſon mit der zweyten u. f. 1. Häufig vertaufht wird. Den
Text zu ändern ift ung nicht eingefallen. Gegen die Schicklich⸗
keit des Sinnes wendet der Verf. ein! es würde dann, was
V. 19. folge, anticipire feyn. Allein wir brauchen wieder nicht
u beweilen , daß die Aufeinanderfolge. der Gedanken in Ka
raͤiſchen Dichtern nicht fireng regelmäßig: ift.
Das Programm von 1812 enthält eine Verfion des @. Cap.
von Micha und eine neue Erklärung von V. 6., die er fo
faßt: Jam quidem ne (lacrymas) fundatis, (oraculum )
fundunt (i. e. vaticinantur). Sed quanquam propter illa
(sc. ante dicta) non fundunt (lacrymas), tamen ignomi-
nia (calamitas ignominiosa) non removebitur. Der Xerf.
glaube im Gebrauch des Wortes FIT ein Wortſpiel zu fin
den, fo daß es das erflemal in der Bedeutung meinen (die
aber durch nichts als die Autorität der LXX beftätige ift ), das
anderemal in der Bedeutung weiffagen ſtehe. Allein aufer
der Schwierigkeit, daß jene Bedeutung des Worts nicht erwies
fen ift, fo ſcheint die Erklärung, die wir in unferer Webers
fegung vorgezogen haben, den Vortheil zu haben, daß fie mit
V. 11. zufammenftimmt. Die falfhen Propheten Gehör ges
benden KHebräer wollen nidhts von den wahren Propheten hören,
weiche nur Ungluͤck weiffagen. Der Prophet aber antwortet:
das hilft euch nichts, daß ihr diefe Weiſſagungen nicht hören
wollt: das Ungläd kommt doch. Die Schwierigkeit, daß von
den Angeredeten in der dritten Perfon geſprochen iſt, Hätte
dem Verf. nicht fo groß vorfommen follen; auch Bier ift der
Perſonenwechſel nicht ungewöhnlih. Uebrigens aber gefällt
ung diefe Erklärung beffer als die Übrigen. — Wir fodern den,
mit eregetifhen Kenntniffen und nit gemeiner Gemwandtheit
ausgeruͤſteten Verf. auf, mehr für die Erklärung des A. T.,
befonders der fleinen Propheten zu thun, mit denen er vor
züglich vertraut zu feyn fcheint.
— — — —
No. 91. * ——— 1813.
Fahrbäder der gitteratur.
menu —
Zugabe zu den ſaͤmmtlichen Werfen des Wandsbecker Bothen; oder
VIII. Theil, 1812. Auf Koften ded Verfaſſers. VIII u. 246 ©.
ft. 8. . R
Ba du wieder da, guter Bote, treuherziger Asmus? —
Fuͤrwahr es iſt dem Leſer, als wenn er den Abendſtern ſaͤhe,
den er vor einiger Zeit als Morgenftern begrüßt hat. Es if
derfelbe Stern, aber etwas ernfihafter, fchwermäthiger, und
dennoch ruhiger, tröftlicher, und immer fegentriefend. . Erft
verfündigte er die Sonne, und fiehe, nun geht er ber Nacht
voran. —
Der brave Claudius verſchmaͤhte von jeher eitles Lob.
Aber wenn ein Biedermann ihm begegnete auf ſeinem Boten⸗
gang, ihm die Hand druͤckte, und dankte fuͤr die gute Maͤhre,
ſo war das Etwas, das man nicht von ſich zu ſtoßen pflegt.
Und wenn wir ihm, waͤhrend er muͤde ausruht auf einem
Stein am Wege, hinblickend Über das Vorwärts und Ruͤck⸗
mwärts, über die Heimath hienieden und Über die Heimath dort
oben — wenn wir ung gelüften ließen, dem Sinnenden einen
Kranz aufjufegen von Eichenlaub mit eingeflohtenen Paſſi onds
blumen und glähenden Amaranten: follte er ihn ſpoͤttiſch weg⸗
fhleudern? Wir glauben nicht; denn thäten wirs, und könus
ten wird, fo wäre es gerecht, und wäre ehrlicy gemeint. Wie
thäten damit mehr für Andre als für ihn.
Die Deutſche Litteratur verdankt dieſem Schriftfteller mehr,
als feine große Beſcheidenheit erwartete, und als derjenige
weiß, dem er bey dem beften Willen nicht zu nüßen ım Stande
war. Seit vierzig Jahren wandelt er nun in feinem Dienft
umher, beichleicht die großen Händel der Menichheit, als eis
ner überfinnlichen Erfcheinung, beobachtet den „Zeitlauf ale
einen Auswuchs der Emigkeit, und berichtet und weiſ't zurecht,
daß man den rechten Weg nicht verfehlen möge. Er ſchritt
5:
482 Zugabe zu den Werfen des Wandsbecker Born
der Zeit nach, weil er fie erleben mußte; er fchriet ihr woran, |
weit er,:deg Landes kundig, ihre Krümmen wahrnahm. Clan
dius wurde viel gebraucht, viel angeführt zu Scherz und Ernf,
„viel, wiederholt und gefungen, ohne daß er je großen Ruhm
in Tagblättern gehabt hätte, ohne daß man ihn jehr begriffen
und wahrhaft benutzt hätte bey all feiner geiftreichen Popular
"ritae: Zwar iſt die Sache erflärbar;, und hätte er nicht einen
fo ſpitzen Stachel in feinem VBotenfto geführt, es hätte ihm
von den gelehrten Wanderern Manches begeanen können. So
aber ließ man ihn fammt feinem Freund Kain fo ziemlich fei
ner Wege gehn, lachte fih fatt am Rieſen Goliath, über dın
man auch wohl hätte weinen dürfen, und begnügte fih pu
Hören, daß der Mann das Nheinweinlied gedichtet habe.
Die HYumoriften find wie die gefegneten Winde, welde
dte Luft fegen und reinigen. Sie fhnurren uns um Noſe und
"Ohren, daß man faft verdriefilih wird; aber wenn fie eine
Zeitlang geichnurrt und gepfiffen haben, und man fi mie
befinnen kann, fo merft man, daß es zur Geſundheit der &
bendigen gedient hat, und fihs nun noch eins fo friſch un
frey achmet. Beſonders wenn fie nicht immerfort Spaß mı
chen, weil der Menjch nicht gemacht ift, um immer geruft
“und gefchättelt zu werden, und die Luft miche, wm immer in
Unruhe gu ſchwanken, und die Schreiberey nicht, um immer
fort zu lachen. Führt aber gar der Wind Urſtoffe des Leben |
“aus Eden bey fih, und bläst einen uͤberirdiſchen Odem und in
Mafe und Lungen, dreymal gefegnet ift er dann, und hat mehr
denn bloß elementarifche Kraft oder feelifches Exregungsven
mögen. Er kann dann auch ſchauerlich und zerftörend wirkt,
‚weil er das Verwesliche angreift, und den Kampf des Lebens
mit dem Tode rege macht; und darum entzieht man fid) ihm
gern, und friecht in die Leimenhätte, und. fuche ihm zu mr
fhlafen. Aber wer feine Heilfame Natur Fennt, feht fih ha
ſelbſt in finfterer Naht aus, und läfit ihn auf der Aeolsharlt
feines Gemuͤths heilige Accorde fchwingen.
Zu diefer feltenen Claſſe bumoriftifcher Schriftſteller ge
Höre Matthias Claudius. Won aujen einfältig und faft gemeit;
alles laͤndlich, hausmachen Zeug, was er um und an ſich fi;
ein trockenes Dorfgefiht mit dem gutmüthigen Schallepu
Zugabe zu den Werken des Wandsbeder Boten, 483
am .die Lippen; ein kerngefander Menfchenverftand,, welcher
an' der fhimmernden Unvernunft und vornehmen Unart nie
irre wird, und wenn er ihnen aus dem Wege gehen muß,
den Hut figen läßt, oder doch weiß, wo er ihn wieder bins
- feßt, wenn er ihn lüpfen mußte; ein Mann, furz und gut,
fhleht und recht; aber dabey hoc umd tief, zart und fing;
neckiſch ohne Galle, drollig ohne feiner Würde zu fchaden.
Er hat auh Fremdes und Vornehmes genug :in feiner Taiche,
das er hervorzieht, wenn man ihm verkennen. wollte, Aber
wor allen Dingen bringt er euch immer ein volles warmes Herz,
wenn er anfommt, das für Gott und feine Wahrheit, für
König und Dprigkeit, für euh und alle Menfchen fihlägt;
und er beiuftigt euch hauptfählih, um euch die freye Stims
mung zu geben, die ihr haben müßt, wenn er euch etwas
Heilſames lehren Soll,
: Seine Ericheinung zielte von Anfang ber auf etwas uns
gleich Wichtigeres, als Zwergfellserfhürterung. Und dabey
blieb fie feſt. Nur daß er fein Aeußeres in der allmähligern
Folge feiner Schriften mie feinen Lebendaltern und. mit der
Melt etwas verwandelte, nach den Stimmungen und Zuftäns
digfeiten jener, und nad) den Begebenheiten und Bedärfniffen
dieſer. Anfänglich tritt er auf als ein junger Mann, vdeffen
Gemuͤth durch eigene Leiden und den Anblick des Erdenjams
mers das Gleichgewicht verloren hat; er fucht diefes wieder
zu erringen, indem er fi mit Scherz und Muth gegen feine
eigene Empfindlichkeit waffnet, fih das Vaterland und. die
Häuslichkeit behagen läßt, in wichtigen wiffenfchaftlihen Wer—
ten forſcht, die auf das Ganze der Menfchheit Bezug haben,
und während er uns mie dem Allen unterhält, zugleich die
Unreinen erichüttert, und die Neinen in beffere Welten trägt.
Gleich vorn flellt er den Knochenmann zum Pförtner hin, daß
man nicht weiß, was man dazu fagen foll, und weſſen man
fih zu Freund Hain zu verfehen hat. Oft ſchwaͤrmt fein Blick
im Mondfchein Über Gräbern, oder liebäugelt mit den Ster—
nen, denen fein Herz näher als diefer Erde if. Ein inniges
- Ahnen und Sehnen ins Senfeits bricht immer bey ihm durch
die bizarrefte Laune hindurch, die oft nur wie eine Hilfe oder
wie eine Enefchuldigung vor der guten Geſellſchaft ausficht s
434 Zugabe zu den Werken des Wandsbecker Boreit.
® und wenm dies eine Eigenheit aller guten Kumoriften iff, fo
gebuͤhrt ihm gewiß vorzüglich das Lob dee Ungeſuchten und
des Gehaltvollen feines durchbligenden Ernſtes. Seine haus
monijche ‚Seele fcheint manchmal Klänge aus hoͤhern Sphären
zu vernehmen, und will fie nachfingen in wehmuthsreichen
Liedern, wie in dem befannten bey dem Grabe feines Vaters
(»Sriede fey um dieſen Srabftein her“), einem der zärtfichs
fien und zärteften, die in irgend einer Sprache gedichtet find;
und wird dann wieder gerriffen von dem Schariwari der
Außenwelt, den fie zur Entſchaͤdigung und jedermänniglichen
Beſſerung in Poffen nachwirbelt. Als Nepräfentant der Deuts
[hen Naivetaͤt gefällt er fi befonders in der Kinderfiube, in
kindlichen ‚Feften — denn er ift: ſelbſt ein fehr liebensmwärdiges,
fehr kluges Kind, ein großer Unmändiger — im Thun und
Treiben des ehrlichen Landmanns, den er auch wohl. wiffents
lich idealiſirt, um falſche Größe beſſer zu befhämen, und in
Beichnung aller Charaktere, die zu den Söhnen und Töchtern
dei Unihuld und Natur gehören. Weber diefem Allen abet
ſchwebt der Geiſt der Religion, oder vielmehr des Chriſtenthums,
und er auf deffen Fittigen. In ihm finder er den eigentlichen
Erfag für jedes Kleine und Große, was die Welt ihm raubt
und nicht gewähren fann. Won diefem Punct gehen: feine
Gefühle, feine Betrachtungen aus, und kehren jedesmal dahin
zurück. Er ift der Mittelpunct feiner Gelehrfamkeit und Phis
fofophie, und der Präfftein, woran er die Lehren. feiner Zeits
genoffen unterfucht. An ihm hält er unerfchätterfich ; und wie
die Zeit fih neben ihm davon entfernt, fo eilt er in en’gegens
gefeßter Richtung inniger in beffen Tiefen hinein ; wie fie uns
geiftlicher wird, fo mird er aeiftlicher und erleuchteter. Zuerft
lächelt er über die Gernweisheit der Vernunft, zuͤchtigt fie
dann mit fcharfer Geißel, und je guthergiger er tft, deito wer
niger fann er die Bitterkeit über die Mißleitung des Zeitalterg
unterdräden. Denn er ift Menfchenfreund im höhern Sinn,
und begehrt nicht fomohl der Menichheit finnliche Zufriedenheit,
als ihr unfterbliches Heil. Als er fi aber mehr und mehr
vereinzelt fieht in feinen Meynungen, und das Alter ihm den
Murhmwillen gedämpft hat, fieht er noch da als ein fliller,
ehrwuͤrdiger Wahrkzeitspriefter,, der deſſen, was er denkt und
Zugabe zu den Werken des Wandsbecker Boten... 485
glaubt, kein Hehl hat, gleihwie ers immer dachte, glaubte
und nicht verläugnere. Er ſchaͤmt fih des „Geiſtes der Herr⸗
lichkeit“ nicht. Gegen Alles, was den Stempel der Natur
und des Chriſtenthums an ſich trägt, gegen Alles, was nad
oben firebt, wenn es auch den Meiften als bloße Schwärmerey
erichiene, ift er nicht nur tolerant, fondern ehrt und beſchuͤtzt
es auch; bleibt dagegen ber unverlöhnlichfte Feind alles Uns
aͤchten und Erfünftelten, und verfolge mit gleich. graufamen
Wiß die flahe Mode, die falfche Aufklärung in Kirche und
Staat, die Pedanterey und die poetifhe Unſittlichkeit, die
Schlucht und die unchriftliche Kinderzucht, die Geckerey und
Suͤßlichkeit der Menfhen und der Schriftſteller. Michts kann
fid) unähnlicher ſeyn am innerm Gehalt, als feine Poffe und
die Poſſe der Spötter; und im Aeußern hat fie eine fo übers
wiegende Kraft gegen diefe, daß man fie ungleich lieber mie
Stillfhweigen bedeckt, als den Streit aufnimmt. „Ein neues
Licht ift aufgegangen, Ein Licht fchier wie Carfunkelſtein!“ —
Aber wo der reine Naturfinn. waltet, oder wo man ihm von.
feinem Ertöfer fpricht, oder er ihn verherrlihen fann, und
fhlicht und gerade von ihm .reden und. fingen, und mit dee
anfpruchlofen Miene eines einfältigen Layen die fhöne Erfennts
niß höherer Wahrheiten entfalten, die ihm geſchenkt ift: da
ift fein Element, da fehen wir ihn oft in gerährtem und rühs
vendem Ernft, und das Lahen, das feinem innern Menfchen
fremd ift, ift bey Seite geworfen. Wenn er gleihmwohl zus
weiten den aͤſthetiſchen Fehler begeht, in ernfthaften und. geifts
lichen Gedichten allzu nativ zu ſeyn, fo gleicht er hierin, ohne
es zu wollen, den Deutihen Altvordern;, denen in ihrer Poefie
und zeichnenden Kunft fehr oft daffelbe begegnet ifl. Er ſteht
mit den Fuͤßen feines Fleifches auf nordifhem Boden; und
da ift ihm fo wohl bey feiner Genuͤgſamkeit und Selbftentäußes
rung , da ift ihm fo wohl in den ‚kräftigen Winterfcenen, und
in den Lüften des doppelt wonnigen Sommers, als ihm nur
feyn kann; aber fein Athmen geht nach der ewigen Heimath,
wo nicht Froft noch Hitze mehr if. Man ſieht Im fo .gany
wie er ift, wenn er fingt:
„Einfältiger Naturgenuß ,
Dhn’ Alfanz drum und dran, -
486 Zugabe zu den Werken des Wandsbecker Boten.”
Iſt Tieblich wie ein Licbeöfuß
Bon einem - frommen Mann.“
— Was verfteht Er denn eigentlich unter Poeten ? — der
Chan von Japan. Und Asmus antwortet: „Helle reine Kie⸗
felfteine, an die der fchöne Himmel, und: die fchöne Erde, und :
die heilige Religion anichlagen, daß Funken herauzsfliegen.“
Und eine. Probe ‚geiftreicher Freymuͤthigkeit gibt er, wenn der
Chan fragt: Aber mas hätte man denn davon, Fürft zu feyn ?
und. Asmus antwortet: „Frage die Sonne, was fie‘ davon
hat, Tag und Nahe um die Erde zu gehen.“ — Er vers
ſpricht zwar nur. „ehrlih hausbacken Brod mit etwas Corian⸗
der;* aber. er befißt eine Intellectualitaͤt, einen fymbolis
fhen Sinn und reinen Myſticismus, . die fich felbft in ‚feinen
Scherzen äußern. Sehr wenige Mitarbeiter an unferer [hönen
Litteratur haben Weisheit und Irrthum fo fharf zu untericheis
den, menfchliches und görtlihes Wiffen, Gelehrſamkeit und
überfinnliche Erkenntniß fo richtig zu würdigen gewußt als er.
Iſt er niche in das Innerſte der Seheimniffe eingedrungen,
die er hochachtet (wiewohl mande feiner Winke Manchem
verdeckt bleiben möchten, es auch z. B. kaum eine gründlichere -
Ausiegung gibt, als .die feinige über das Evangelium von der.
Zinsmünze), fo muß ihn der, Seiftesverwandte wenigftens als
einen trefflihen MWegweifer für die erften Ausflüge der Vers
nunft bey jungen Seelen anerkennen, und jeine eiferne Bibels
feftigfeie 1äße ihn nie fallen, und ihm nie mangeln an einem
Suten, das fein demüthiger MWahrheitspurft begehrt. Das
Kreuz iſt ihm recht zum Licht ausgefchlagen. — „Ih bin:
fein Freund von neuen Meynungen, fagt er kurzweg, und
halte feft am Wort.* Seine Briefe an Andres im 4. Theil
find wahre Chriftuspredigten für Jung und Alt, Groß und.
Klein. „Wer nicht an Chriftus alauben will, der muß fehen,
wie er ohne ihn rathen fann. Ich und du fönnen das nid.
Wir brauchen jemand, der ung hebe und halte, und ung die
Hand unter den Kopf lege, wenn wir fterben follen ; und das
kann ev Überfchwänglich nach dem, was von ihm gefchrieben
ſteht, und wir wiſſen feinen, von dem wirs lieber hätten.“ —
„Auch wo ich Effect gefehen Habe, fpricht er grundrichtig von
der Erziehung (Th. V. ©. 95), da liegt: Religion zum
Zugabe zu den Merken des Wandsbecker Boten.“ 467
Grunde, die alte nämlich, - und fo wird Er es auch finden.“
— „Liebe Herren GSubfcridentent Ich bin nicht, was Salomo
war, bin nicht König Über Israel, und ich beſcheide mich
gerne, ‘daß mir feine Meisheit noch mehr als feine Krone °
fehlt; aber überzeugt bin ich lebendig, daß die Furcht Gottes
die Duelle alles--Suten ſey, daß es da anfangen und fih da
wieder endigen muͤſſe, und daß Alles, was fih nicht darauf
gründet, und nicht damit- befteht, |: wie groß es auch ſcheine,
doch nichts als Täufchung und Trug fey, und unfer Wohl nicht
fördern möge, Aber Furcht Gottes und Furcht Gottes iſt zweyer⸗
fey“ — und diefes Zwepyerley, und den Unterſchied zwiſchen
der menfhlihen Moral umd dem: neugebährenden heiligenden
Glauben hat er befonders in feinen fpätern Schriften ins Licht
zu feßen geſucht, gleihwie er auch zeigte, „daß: keineswegs
da, wo die zwey Augen aufhören, die Schwärmerey angeht.“
— „Alſo: nicht der mehr ſieht als die Andern , -fondern der
ſich mehr einbilder zu ſehen, als er wirklich ſieht, der iſt ein
Schwaͤrmer.“ — „Das fann ich wohl begreifen, daß Ver—
nunftgruͤnde dahin gehören , wo fie hingehören ; ‚aber das kann
ich nicht begreifen, daß fie da hingehoͤren, wo fle nicht hins
gehören.“ — „Die Religion saus der Vernunft verbeſſern,
kommt mir eben fo vor, als wenn ich die Sonne ·nach meiner
alten hoͤlzernen Hausuhr flellen wollte.“
Im Verlauf der Zeit‘, wo er; durch die öffentlichen Revo⸗
lutionen hindurchpilgerte, werden feine Schriften immer ernſter
und religioſer; er Hafterfefter an dem, was ihm ewig blei⸗
ben, was der Menſchheit ewig frommen muß. In dem Ger
fuͤht und Preis des alleinigen Heilandes, den er verehrt, und
feiner Kraft, loͤst fidy ſein ganzes Reden, Sinnen und Wir
ten auf. Zu dem Ende fäßt or fihs auch nicht verdrießen,
die Spuren. wralter,, auf Ihn und das Bibelwort hinzeigender
Weisheit in den Meligionen: der Völker zu verfölgen. Aber
fern von der Bezauberung durch diefe. merfwärdigen Schatten,
MHärt er fie vielmehr mit dem Lichte des Meifters auf, und
führt fie auf: ihren Grund und: Urfprung zuräc Im VIE
Theil hat er fih. ganz ausdrüdlich Über die fchließliche Tendenz
feiner Werte erflärt. Hinten im Valet ©. 316 fagt er: „Im
diefem fiebenten und legten Theil: Habe ich des Ernſtes etwas
468. Zugabe zu den Werken des. Wandsbecker Boten:
mehr gethan, -und die Fahne etwas hoͤher aufgezogen, daß
man am ‚Ende .fehe, von welcher ‚Seite die Luft, geht.“ Und
S. VI der Ankündigung: „Der Menſch lebet nicht vom Brod
- allein, das die Gelehrten einbrodenz fondern ihn hungert noch
nad) etwas Anderm und Beffern, nah einem Wort, das duch
den. Mund Gottes gehet. Und diefes Andre ‚und Beſſere, dies
Wort, das uns auf der Zunge fhmwebt und wir. alle fuchen,
ein Jeder auf feine Art, finde ich zu meiner großen Freude
im Chriftenchum ‚wie es die Apoftel und unfre Vaͤter gelehrt
haben. Sollte id damit zuräckhaften und hehlen, weil es bie
und da nicht die Öffentliche -Meynung:ift, und berühmte und
unberühmte Leute es beffer, wiſſen wollen und darüber fpotten ?
Was kuͤmmert mich berühmt und .unberähmt, wo von ernſt⸗
haften Dingen die Rede iſt? Und was gehen Meynungen
mich an, in Dingen, die nicht Meynung find, ſondern Sache;
fraͤgt man auch den Nachbar, ob die Sonne ſcheint ? „Und
die berühmten Leute, die ſich klug duͤnken, willen. zwar Mans
ches beffer; aber es könnte doch. ſeyn, daß fie nicht. wuͤßten,
mas fie am Chriftenehum haben ,; und wie gut. und wie. klug
fie, und alle Menfchen, daraus: werden könnten, wenn ber
Schiöffer fo viel nußte als. das. Schloß. Es ſteht nur Wenis
gen an, dies: große Thema zu dociren;. aber auf feine Art und
in allen Treuen aufmerffam darauf: zu mahen; ‚duch Ernſt
‚and Scherz, durch gut und fchlecht, ſchwach und flart, und
auf allerley Weiſe an das Beſſere und Unfichtbare zu erinnern;
‚mit gutem Exempel vorzugehen und taliter qualiter durchs
Factum zu zeigen, daß man — nicht ganz und gar. ein. gs
. morant, nicht ohne allen Menſchenverſtand — und ein rechts
glaubiger Ehrift feyn könne . . . das flieht einem ehrlichen und
befheidnen Mann wohl an. Und das ift am Ende das Ge
werbe , das ich als Bote den Menfchen zu beftellen habe, und
Damit ich. bisher treuherzig herumgehe und: allenthalben an
Thür und. Fenftern anklopfe.“ |
€ Aus. diefem Gefihtspunct ift nun. auch der VIIl Band
zu betrachten, den der Verf. als Zugabe — und wir wünfchen,
es möge nur bie erfte und nicht zugleich die legte feyn — ſei⸗
nen Werken gegeben hat. In der Morrede ſagt er: „Mit
Wort und Weife muͤſſen die Lefer ‚vorlieb nehmen. Man fann
Zugabe zu den Werken des Wandsbecker Boten: 489.
nicht dazu, daß. man nicht mehr. jung iſt, wenn man- alt iſt.
Was aber den inhalt anlangt, der doch bey einer Schrift die
Hauptſache ift, da meine ich Wort gehalten zu haben. Und -
wenn einige Lefer etwas Anders erwartet haben, fo ift der
Dote unihuldig. daran, ift auch unverlegen darüber... Ihn ges
reuet feine Uebergeugung nicht, und er weiß, auch am Grabe,
für ſich und feine Leſer nichts: Beffers,“ u. f. wm. Was num
Wort und Weiſe anlangt, fo mäffen wir bezeugen, daß außer
der größern Ernfthaftigkeit, auf die ja ein Jeder zuruͤckkom⸗
men muß, und die dem Verf. innerlich nie fremd: war, wie
fein Alter, d. i. Altersihwäche, an ihm wahrnehmen konnten.
Auch feine Poefle hat ihren Jugendreiz bey weitem nicht. eins
gebuͤßt. Wir wünfhen ihm daher Glück zu einer Erfcheinung,
die bey Männern feiner Art zwar nicht zu den ſeltenen, aber
doch überall zu den erfreulichen gehört. Den Inhalt betreffend;
fo verzeichnen ‚wir ihn Hier -mit einigen Bemerkungen. °) Das
heilige Abendmahl. -Diefer Aufſatz fchließt ſich eigentlich
an den 7. Brief an Andres: im: VI. Bande; :an, ‚Der Berfu
fucht zu zeigen, daß es kein bloßes Gedaͤchtnißmahl, fondern
ein geheimmißvolleer Genuß fey, durch welchen das verlorene
Reben des inwendigen Menfhen wieder entzündet, ‚die Freyheit
des Willens wiedergebraht und der Sünde Geſetz in den
Gliedern getödter werden folle; als wozu alle Religionen und
Philoſophieen nur Projecte, Vorfihläge und Wege feyen. Er
belegt feine Lehre mit Schriftftellen, die er entwidelt, und
feige ihre Mebereinftimmung mit der der Kicchenväter und Lus
there. So viel. Belanntes hierin liegen mag, fo leiht die
Hand des Verf. der Darftellung ihr eigenes Verdienſt; und
denjenigen Lefern, deren Wrtheil die Sache vorgelegt zu wer—
den vornehmlich beſtimmt ift, möchte er auch mandes Neue
gefagt haben. Zum Schluß gibt er eine Stelle aus Luthers
E:mahnung an den chriftlihen Adel Deutfher Nation, die
dem Verf. gleichjam zur Sachbefähigung dient, und mo es
am Ende heiße: „Einen Doctor der heiligen Schrift wird
dir Niemand mahen, denn allein der heilige Geift im Hims
mel; und der frage nicht nach rothen oder braunen SPareten,
noch was des Prangens ift, auch nicht ob einer jung oder aft,
Lay oder Pfaff, Mönch oder weltlih ſey.“ — Wir haben
490° Zugabe zu den Werken des Wandsbecker Boten.
bey oBiger Betrachtung nur fo viel zu erinnern, daß, wenn
das heil. Abendmahl ein Gedaͤchtnißmahl heißt, einestheils
diefe Eigenfhaft, dem Geheimniß unbefhader, fhon an fi
nicht gelaͤugnet werden kann, anderntheils nach Luc. aa, 19.
und 1. Cor.’ ir, 24. 25. bey der Einfeßung nothwendig vom
Gedaͤchtniß die Rede geweſen feyn muß (mas der Verf. ©. 4
beynahe zu bezweifeln ſcheint, obſchon er hauptfählich nur ber
hauptet, daß nicht das Weſentliche diefes Mahls darin: beftehe),
und endlich, was, die Erwähnung bey der Einfekung voraus
geſetzt, das Wichtigfte ift, daß zwiſchen Gedaͤchtniß und Ges
daͤchtniß eim großer Unterfchied tft, und das nach des: Verf.
Behauptung vorgehende Geheimniß nur durch’ das Gedaͤchtniß
möglich ſeyn dürfte, Uns weiter hieruͤber zu erklaͤren, ift hier
der Det licht. 2) Impetus philosophicus. ' Heber den Ne—
bei im Verſtand und Willen des Menfchen , und. die zu deffen
Vertreibung bey verfchtedenen Völkern angeordneten Reinigungen.
5) Hierauf folgt eine Anzahl Heiner Gedichte. An des Kö—
nigs Seburtstag, den ad: Yanuar ıdır. Nah Zum
Steg's Melodie des Neiterlieds im Wallenftein. Munter, vers
ftändig,, bieder, Herzlich. — Hochzeitlied. — An O—o
R—s Stra — P.. und C.. bey dem Begräbnif
ihres J. — Auf einen Setbfimörder. — Der
Efel! Keins ohne das Gepräge von des Verf. Genie. Das
leßte derſelben ift rärhfelhaft, wenn man nicht weiß, daß die
Menfchen oft eine Eigenſchaft ausichließlih an ſich ſchaͤtzen,
die fle nicht haben. Wir feßen das vorleßte hieher, weil e
bey aller Einfachheit ein wichtiges Bedenken enthält, und bey
der neuerlichen Menge von Selbſtmorden als ein Work zn feis
ner Zeit erfcheint. Es hat das Motto: Videre verum, at«
que uti res est dicere, und heift:
Er glaubte fih und feine Noth -
Zu löfen durch den ‚Tod. |
Wie hat er fih betrogen!
Hier ftand.er hinterm Buſch verftedt ;
Dort fteht er bloß und unbedeht,
Und Alles, was ihm hier gefchredt,
ft mit ihm hingezogen. —
Wie hat er ſich betrogen!
Zugabe zu den Werten des Wandsbecker Boten, 491
Ay Vorrede zum .& Band der Meberfeßung won .
Fenelons Werten religidfen Inhalts. Enthält
lehrreiche Nachrichten von dem Leben des frommen Erzbifchofg, ;
befonders in Betreff feines Verhaͤltniſſes zu Boffuet und. zum
Franzöfiihen Hofe — Vorrede zum dritten Band.
5) Vom Baterslinfer. „Die Reden Ehrifti find ein
Dorn, der nicht verloͤſcht. Wie :man aus ihm ſchoͤpft,
fülle er fih wieder an, und. der folgende Sinn ift immer noch
größer und herrlicher als der vorhergehende: So iſt es mit
Allem, was aus feinem Munde gegangen if, mit feinen Spruͤ—
chen, mit feinen ®leichniffenz ‚und fo ift es auch mit. dem.
Vater-Unſer. Se länger man es betet, je mehr fieht man
ein, wie wenig man es verficht, und wie werth es ift, vers.
fianden und bedacht zu werben, um unbefannten Schäßen auf
die Spur zu fommen.* Der Verf. macht auf dieſe Unbegrifs
fenheiten. duch kurze Nahweifungen aufmerkſam, ‚denen. der
Name hoher Ahnungen gebührt, micht ſolcher, wie etwa ein
Dichter ſie von ſich ruͤhmt, ſondern wie ein Denker ſie klagend
ausſpricht. 6) Morgengefpräh zwiſchen A und dem
ESandidaten Dertram. Iſt metaphyſiſcher "Art, eröffnet
Blicke in die Signatur der Dinge, ‚und uͤber den Weg, den
die Vernunft durch den Achten. Realismus zu einem göttlichen
Spealismus zu nehmen hat, und wie und duch wen der
Menſch zu dem unfihtbaren Gott fommen fol. Die Geifter:
der Dinge bilden fich felbft ihre Körper, je nachdem fie die
Abfiht der Offenbarung Gottes in der Natur auszuführen. bes
ſtimmt find, Nuͤtzlich für NMaturprediger und Gottespredis
ger. Da ein Morgengefpräh kein ausführliher Tractat iſt,
fo kann Rec. bey deffen concentrirtem, . famenreihem Gehalt‘
weder etwas daran vermiffen, noch tadeln. 7) Sterben
und Auferfiehen. Lied. Die Enpdftrophe heißt:
In uns ift zweyerley Ratur,
Doch Ein Geſetz fuͤr beyde;
Es geht durch Tod und Leiden nur
Der Weg zur wahren Freude.
8) Geburt und Wiedergeburt. Der Berf. zeigt auf
das Ziel des Chriſtenthums, nämlich Chriftus in. ung —
Es iſt ein ausgezeichnetes Ding um cin großes natärliches
492 Zugabe zu den Werken des Wandsbecker Boten.
Talent, weiches felber die Wiedergeburt 'erfahren hat; "wo der
Reichthum von Fähigkeiten und angeeigneten Kenntniffen fid-
durch die Nebel und Finfterniffe der untern Natur hindurch—⸗
gerungen bat, feine Fülle auf Einen Brennpunct der Liebe
fommelt, und im Maren Licht auszulegen ſucht. Es ift in der
Are, wie Rec. es ſich jeßo denkt, und es des Verf. Eigenheit
geworden, verſchieden von einer noch höhern Erfheinung, und
nur auf dem Wege dahin, und nur theilweife damit eins,
Darum foll es aber zum Vermittler dienen für die, welchen
jene nicht zufagt, oder micht begreiflidd werden ann. Aber:
mals verfchieden von bevden iſt das gebildet feyn wollende Michts
genie, das nicht einmal geboren Äft, um von irdifhen Dingen,
viel weniger von himmlifchen zu veden, und nur durch die
Wiedergeburt zugleich zur wirklichen und guten Geburt gelans
gen kann. — Doch es ift bey dem Verf. nicht die Rede von
der Wiedergeburt des Verſtandes, fondern ded ganzen Mens
fhen. Er geht von der Wahrfcheinlichkeit der Lehre aus, melde
zwey flrittige Principien der förperlihen Dinge (das thätige
und leidende), die durch ein drittes vereinigt werden, annimmt,
und aus der Art der Vereinigung und dem Mehr oder Menis
ger der Principien die Verichiedenheit der Lörperlihen Dinge
erklärt; übrigens aber ein Unreines anerkennt, das in dieſer
Unterwelt dem Keinen anhängt, und feine Kräfte und Thätige
keit hemmt und hindert. Wiedergeburt würde ſeyn, ſagt er,
wenn die Natur die zwen in einem Körper vereinigten Prins
cipien trennte, und, von dem ihnen anklebenden Unreinen bes-
freyt, ‚wieder vereinigte. Dahin arbeitet fie auch unaufhörfich.
Eben fo befteht die moraliihe Matur im Menfhen aus zwey
Naturen, einer verftändigen und einer finnlihen, die
ſtrittig und wider einander find. Die Quelle diefes Wider—
fpruhs war.der Mißbrauch der anerichaffenen Freyheit; auch
in den Mpthologieen der Völker erfcheint diefe Lehre. Die
verftändige Natur, welche thätig feyn follte, ward nun leidend
(daher der Name der Leidenjchaften ), und die finnliche, welche
leidend feyn follte, thaͤtig; die eine kann nur auf Unkoſten
ber andern zu Kräften fommen und die Oberhand gewinnen.
Die finnliche Natur des Menfchen wird in ihn von ihres Steis
en unmittelbar berührt; nicht fo die von ihr umjchloffene
Zugade zu den Werken des Wandsbecker Boten. 493
verftändige. Und doch fol diefe ihr Gleichartiges, nämlich die
unfihtbare verftändige Welt und ihren Herrn, fuchen und fins
den. Der Weg dahin geht dur die KMerzensreinigung, die
Berihmähung des Sichtbaren, und den Slauben an unfichtbare
Guͤter. Durch den Glauben fann der Menſch, mie die phy⸗
fiihe Natur, eine Krifis zu Wege bringen, und an feiner Reis
nigung und Herftelung arbeiten. Aber fie vollenden und den
Schaden beffern, fann er, ſich ſelbſt gelaffen, nicht. Er muß
ſich aufgeben, und von neuem geboren werden aus Ste. Alds
Dann ift die geringere Natur in ihm der beffern geopfert, bie
zwey Naturen find nicht mehr wider einander, fondern einig
und eins; der eigne Wille ift in ihm in den großen allgemeis
nen Willen wieder eingegangen. 9) Brief an Andres.
Handelt vom Glauben, und von dem demüthigen Sinn ders
jenigen Leute, welhen in den Gefchtchten der Heil. Schrift
Staubensftärfe zugeeignet wird. „Stolz, Selbſtſucht, Eigens
düntel find dem Glauben zuwider ; er fann nicht hinein, weil
das Faß fchon voll if.“ 10) Der Philofoph und die
Sonne. Bortreffih., 12) Brief des Pythagoraͤers
Lyfiasan den Hipparchus. Aus dem Griechiſchen. Das
Gemeinmachen der Weisheit betreffend. ı2) Klage, aus dem
Sahr 1799. Ein KyriesEleifon Aber die Revolutionszeit.
15) Sprüche des Pythagorders Demophilus, aus
Dem Griehifchen. 14) DOfterlied. Freudig. 15) Vom Ge
wifien, in Briefen an Andres. Sieben an der Zahl. „Wenn
wir auch über diefe Materie nicht viel Neues fchreiben und
antworten können, fo kommt doc Alles, was wir und andre
Menfhen davon wiſſen, bey der Gelegenheit in Umlauf und
Bewegung.“ — „Alles Gemwiffen it Bewußtſeyn; aher alles
Bewußtſeyn ift noch nicht Gewiſſen. Es gibt fein Gewiſſen
ohne den Baum des Erkenntniſſes Gutes und Boͤſes. So
kann man von einem Engel des Himmels nicht fagen, daß er
Sewiffen habe: denn er fennt nur Ein Gefek, das Geſetz des
Buten. Selbſt von Gott fann man es nicht fagen. — Mur
der Menſch Hat zwey Geſetze in fi, eines, wie Paulus jagt,
m Gemüt), und eines in den ©liedern; das eine: der im
vendige Menſch oder das verftändige Geſetz, das in. fih
nbeweglich ift, und Luft har an dem Undeweglichen, dem
494 Zugabe zu den Werken des Wandsbecker Boten.
Unſichtbaren, dem Unvergänglichen ; und das andre: das ſinn⸗
liche Geſetz, das in ſich beweglich iſt, und dem Beweglichen,
dem. Sichtharen, dem Vergaͤnglichen anhaͤngt, und nichts vers
nimmt vom Geiſte Gottes. Wie Feuer und Waſſer, fo lange
‚fie in ihrer Natur bleiben, unverträglich find, fo find es..diefe
zwey Geſetze im Menfchen. Und darum iſt der Menfdy ‚vom
Weibe geboren innerlih im Streit — denn er foll Herr fern
des finnlihen Gefeßes, und nicht Knecht. — . Das Bewußt—⸗
feyn diefer Knechtſchaft ift böfes Gewiſſen überhaupt. Gutes
Gewiſſen ift Bewußtſeyn diefer Nichtknechtſchaft, und ‚liege im
der Mitte zwifihen böfem Gewiffen und der Freyheit, oder. der
Herftellung des Menfchen.“ Der afcetifche inhalt diefer Briefe
iſt ſehr empfehlenswerth, beurtheilt. auch unter andern mit
richtiger Duldung diejenigen, welche. den Außern Weg der: Her⸗
ftellung einfchlagen ; ohne zw vergeffen, daß derfelbe verdienftz
füchtig und eingebildet machen kann, und das Beſte hierin
unierm Wunfche. gegeben werden muß. — „Mit jenem Sinn
im Herzen (naͤmlich das Gute und Hohe zu wänfhen,. das
Boͤſe nicht zu wollen, nicht Knecht ſeyn, ſich feldft nicht leben
zu wollen) und im Glauben an den Stiller unierd Haders
kann der Menfh, ohne. bergeftellt zu feyn, ein gutes Gewiffen
haben, und ruhig abwarten, daß ihm vom Himmel gegeben
werde, was fih der Menich nicht nehmen Fann.“
Claudius iſt als religioͤſer Schriftfteller in feinem Alter,
was freplih nur die Freunde feines Syſtems finden werden,
wahrhaft veifer, gediegener, erbauliher und lehrhafter gemwors
den. Aud daß feine. Polemik fih mehr in Doamatismus aufs
geloͤſ't hat, ift in der Drdnung, und hat feinen Arbeiten keinen
"Schaden gebracht. Ein jedes Ding hat feine. Zeit, und. er
fheint hiebey die von ihm (S. 79) angeführte Lehre Fenes
lons befolgt zu baden: „Man thue mehr für die Wahrbeit,
wenn man erbaut, als wenn man für fie flreitet.“ Ihm nach—
ahmend umgeht auch Rec., ohne bier auf Erbauung Aniprud)
machen zu können, die Gegner deffen, was ihm an Asmus
als das Groͤßte erfcheint, oder die an ihm fiheiden wollen,
was unfheidbar ift, weil es fein und feiner Werke Eigenfted
ausmacht. Noch weniger würde es nüßen, hier mit fhüchters
ner Hand zwey Syſteme gleichachtend zu parallelifiven, von
Zugabe zu den Werfen des Wandsbecker Voten, 496
denen doch nur eins das rechte ſeyn kann. Iſt Rec. „par—
theyiſch,“ ſo iſt er es nicht fuͤr den Mann, den er nie ge—
ſehen, mit dem er nie Briefe oder Gruͤße getauſcht hat, ſondern
für eine Sache, ohne die er fo wenig als Asmus und Ans
dres vathen kann, Und zwar nachdem er: fie. mit allen ers
forderlihen Mitteln unpartheyifch- geprüft Hat, und täglich zu
prüfen im Stande ift.
Wenn Vieles untergegangen ift, fo werden die Verdienſte
eines Claudius bleiben; und wenn er nicht mehr hier iſt,
ſo wird er ſich nicht ſchaͤmen, geſchrieben zu haben. Dafuͤr
hat er den Pfoͤrtner hinzuſtellen gleich Anfangs nicht geſcheut.
Und wenn du denn, frommer Greis, dieſes Urtheil fuͤr ein
anſtaͤndiges Kraͤnzlein halten kannſt, ſo nimm es von unbe—
kannter Hand freundlich hin, und haͤng es an dein Stuben—
fenſter, damit, wenn dein letzter Erdentag hereinſcheint, er
8 anſcheine, und verfläre, und das vergaͤngliche Laub, oder
vielmehr den beffern Kranz, den du dir jelber. gewunden Haft,
verwandle in eine unverwelllihe Krone der Gerechtigkeit.
IMO,
Abentheuer auf einer Reiſe in die andere Welt, von Heinrich Fiel—
Ding, Esq. Aus dem Englifben. Leipzig, in Kommiffion bei
Gnoblod. 1812. VIII und 255 ©. Mebft einem Anhange,
XLVI ©. in 8.
Wenn glei Fieldings Journey from this world to
the next, wovon vorliegende Schrift eine mwohlgerachene
-Meberfeßung gibt, den Übrigen Geiftesmerfen des berähmten
Verf. nicht ganz gleich kommt, den feineren Geſchmack bis
weiten nicht befriedigt. und manche einzelne Geſchichten zu weit
ausfpinnt , fo fehlt es doch auch diefer Schrift nicht an Zügen
ächter Laune und Satire, und fie kann einige Stunden recht
angenehm unterhalten. Gleich der Anfang — der Zuftand
des Verf. in den erſten Augenblicken nah feinem Tode —
zeugt von Wit und Laune. Lefenswerth ift die Beſchreibung
vom Palaſte des Todes, intereffane und mit Acht: fatirifchen
Zügen durchwebt die Schilderung des Gerichts, weiches Minos
üder die Seelen hält, die nah Eiyflum verlangen. Die
Abentheuer, die dem Verf. in dem Haine der Seligen ber
gegnen, find zum Theil von feltfamer Art. Orpheus fpielte
406 Abentheuer auf einer Reife von H. Fielding.
die Violine, und Sappho fang dazu. Die Madame Da:
cier ſaß dem alten Homer auf dem Schooße. (1) Aber
nur ein Engländer konnte dieſen ehrwuͤrdigen Sänger fragen
laffen: „mo Bere Pope fey? er wäre begierig ihn gu fehen,
denn er habe feine Ueberfeßung der Iliade mit faft eben fo
geoßem Vergnügen gelefen, als er felbft andern durch das Dris
ginat verfhafft zu haben glaube“ (©. 61). Nicht übel if
es, was der Verf. S. 65 Shafefpear’n über eine bum
tele und mißverftandene Stelle feiner &X tiften fagen Yäßt.
Biele berühmte Perfonen aus der alten und neuen Zeit kom—
men vor, Virgil, Livius, Milton, Cromweit,
Alerander der Große, u. a. Zu feinem Erftaunen trifft
er ach den Raifer Julian im Einfium an. Diefer erzaͤhlt
ihn ſehr ausführlich, durch welche Mittel er hier Einlaß ers
halten habe; er berichte ihm feine Schickfale bey feinen öftes
ren Zuruͤckwanderungen auf der Erde, und wie er bald ein
Sklave, batd ein Jude, General, reicher Erbe, Zimmermann,
Stußer, Mind, Mufitant, Weiler, König, Hofnarr, Berk
ler, Prinz, Staatsmann, Soldat, Schneider, Aldermanı,
Poet, Ritter und Tanzmeiſter habe feyn mäffen; — mo das
Ganze zwar zu weit ausgefponnen iſt im Einzelnen aber mans
che fehr gelungene Parthieen vortommen, und manche bittere,
aber beherzigungswerche Wahrheiten gefagt werden. Mach dem
20. Kapitel, wo Julian feine Gefhichte zu Ende gebradt
hat, fehlt, nad einer fhon ziemlich verbrauchten Fiktion, ein
beträchtlicher Theil des Manuſcripts. Im MWerfolge erzählt
Anna Boleyn ibre Lebensgefchichte ; es bleibt jedoch ſchwer,
einzufehen, wie dieſe Erzählung mit dem Vorhergehenden ver
bunden gewefen feyn fol. Der Anhang enthält einige, groͤß⸗
tentheils hiftorifche Anmerkungen des Ueberſetzers, zum Theil
auch Berichtigungen, die dem größten Theile der Lefer nicht
unwillkommen jeyn werden. S. XLII fa. ift noch der Brief
der ungluͤcklichen Königin Anna Boleyn eingeruͤckt, den fie
wenige Tage vor ihrem Tode an ihren Gemahl ſchrieb, den
man nicht ohne Theilnahme lejen wird, und wovon Hume
fagt, „er enthalte fo viel Natur und fo viel Schönes, daß
er der Nachwelt unverändert mitgetheilt zu werden verdiene.“
| Si.
No. 39. Seidelbergiſche 1813.
Jahrbuͤcher der Litteratur.
1) Neue Aufſchluͤſſe uͤber die Natur und Heilung des Scharlachfiebers,
von Gottfried Chriſtian Reich, der AR. Dr. und Pros -
feffor zu Berlin. Halle und Berlin, im Berlage ded Waifenhaus
fed. 1810. XXVIII und 276 ©. in gr. 8.
2) Gefchichte des Scharlachfieberd,, feiner Epidemieen und Heilmethos
den, mit Rüdfiht auf Die neuerdingd !vorgefchlagene Anwendung
der Abführmittel in demfelben, bearbeitet von Traugort Wilh.
Guſt. Benedict, der AW. Dr. und praft. Arzt und Augen»
arzt zu Chemnig in Sachfen Cjegt Profeffor zu Bredlau). Leip⸗
zig, bei Reclam. 1810. XXIV und aı2 ©.
Das Scharlachfieber und feine Kur befchäftige feit einigen
Jahren die Deutfchen Aerzte mehr als jemals, und wird jeßt
faft ein flehender Artikel in unierer neueften practifchen Littes
ratur. In der That ift die größere Aufmerkſamkeit, welche
unfere Aerzte feit dem leßten Decennium dieſer nicht nur an
ſich nod) fehr unaufgeflärten ,” fondern ohne Widerrede in den
neueften Zeiten immer mehr von ihrem ehemaligen einfadyeren
und fpecififch eigenthümlicheren Charakter abweichenden K:ıanks
heit widmen, 4 ohne Grund. Duͤrfte man auch jetzt ſchon
mit Gewißheit ſagen — was ſich nur erſt hoffen und wuͤnſchen
läßt, — fie iſt auch nicht ohne Erfolg! Die Scharlachkrank—
heit, welche noch in der letzten Haͤlfte des vorigen Jahrhun—
derts in der Regel und in der Mehrzahl ihrer Epidemieen
für eine ziemlich leichte und gefahrlofe Krankheit gelten konnte,
und einen gutartigen Charakter hatte, insbefondre wenn fie
nicht mit weißem und rothem Friefel verbunden war (was noch
in jener Zeit in der Negel nicht der Fall war), erfcheint nun
feit etwa 20 Jahren und darüber (und befonders auffallend in
den fchten 10 Fahren) in der Regel als eine gefahrvolle Krank
heit, die in vielen Fällen, ja in mehreren der neueften Epides
mieen in den meiften Fällen einen bösartigen, infidienfen,
32
498 N. Auffchlüffe u. Geſch. d. Scharlachf. v. Reich u. Benediet.
’
protensartigen, leicht, ſchnell, und oft unerwartet tödlichen
Charakter. annimmt, und in. der Mehrzahl der Epidemieen eis
nen gutartigen gefahrlofen Verlauf fat nur als Ausnahme aufs
zeigt. Die Urfahen diefer auffallend zunehmenden Heftigkeit
und Boͤsartigkeit dee Scharlachfiebers, und feiner neuerlich
mehr als ehemals häufigen WVerbindung mit dem Frielel, zus
gleich auch feiner neuerlich häufiger als fonft beobachteten Mer
tafchematismen, fund der ihnen vorzäglich eigenen tödtlichen
Hirnaffectionen aufjzufuhen, wäre gewiß eine eben fo mwürs
dige Aufgabe für den Parhologen, als fie fchwierig ifl. Eben
deswegen haben unfere neueften Schrififteller über diefe Kranks
heit, deren nur allein in den legten fünf Sahren in Deutfchs
fand über ein Dutzend aufgetreten find (große und Kleine zus
fammengerechnet), es aud vermieden, fih in Unterfuhungen
diefer Art tiefer einzulaffen, und*’haben fih lieber theils mit
Empfehlungen oder Krititen neuer Kurmethoden, theils mie
theoretifchen Unterfuhungen über die Natur, die Contagion,
den Sitz ꝛc. des Scharlacheranthems, fein Verhältniß zu ans
dern Eranthemen oder analogen Hautkrankheiten ꝛc. defchäftigt,
ohne daß jedoch Bis auf diefe Stunde weder für das Eine,
noch das Andere etwas Wefentliches und &Sicherleitendes ges
mwonnen worden wäre. Auch die DBerfaffer der beyden vorlies
genden Schriften bewegen fih, jeder mit viel Vertrauen auf
feine Anfihten und Erfahrungen, in diefer Sphäre, jedoch
mit einer wefentlihen DBerfchiedenheit ihrer enz, die bey
dem Verf. der erften Schrift eine die Theorie wie die Theras
pie der Scharlachkrankheit total reformirende, bey dem Verf.
der zweyten Schrift eine pur practiiche, auf Empfehlung einer
beftimmten arzneylihen Behandiungsart gerichtete, iſt; und
Überhaupt mit dem Unterfchied, daß die erftere Schrift eine
gewiffe Driginalirät und Meuheit der Anfiht und der Theorie
mit einer unverfennbaren Schärfe des Nachdenkens und mit
einem Reichthum practifcher Kenntniffe verbindet, die zweyte
Schrift aber nur als eine — immerhin nicht verunglädte
— Kopie eines frähern Mufters, und als ein Erftlingsverfuch
eines auf feines Meifters Stab fih flüßenden Kunftjüngers
auftritt,
N. Aufſchluͤſſe u. Geſch. d. Scharlachf. v. Reich u. Benediet. 499
Mr. 1. Der Verf. diefer Schrift bekennt fih, wie man
aus feinen frühern Schriften weiß, zu der chemifhen Sekte
der Aerzte. Ja er geht in der Anwendung bes reinen und,
allgemeinen Chemismus auf den menfhlihen Körper, nad) feis
nem gefunden wie nad, feinem kranken Zuftande, weiter als
irgend einer der neuern Aerzte, felbft den entſchiedendſten unter
den heutigen Jatrochemikern, Baumes, nicht ausgenommen,
und läßt in dieſer Beziehung die alte chemifhe Schule des
de le Boe Sylvius und feiner Anhänger weit hinter fich.
Den Standpunct, auf welchen ſich der in feinen theoretifchen
Prämiffen ziemlich weit ausholende Verf. ftelle, und von wels
chem aus er feine Theorie des Scarlachfiebers geltend machen
will, mögen folgende Säge hinreihend bezeichnen. „Es ift
nur Schein, fagt er S. 5ı, daß die Lebenskraft Über die alls
gemeinen phyfifchen Geſetze erhaben ift, und daß fle den les
benden menſchlichen Körper ihrer Herrfchaft entrüct. — Bender
Anwendung der phnfiihen und chemifchen Werhältniffe auf die
Phänomene des menfhlichen Lebens fönnen wir der dynamiichen
Erklärungen ganz überhoben ſey. — Die Irrthuͤmer der Aerzte
und Phnfiter bey der Unterfuhung der duch die Materie der
Körper ſich darftellenden Phänomene entipringen hauptſaͤchlich
daraus, daß man zur Metaphyſik feine leßte Zuflucht nehmen
zu muͤſſen glaubt, und demnad behauptet, daß jede Materie
nur dur die Kraft wirffam ſey, die in ihr wohnt. — Dem
Phyſiker kann es nicht darum zu thun feyn, zu willen, wie die
Materie möglich geworden, wie fie entftanden ift, und woher
fie ihre Kräfte befommen hat (!); alles dieſes ift und bleibe
völlig unbegreiflih. Ihm kann es fhon genägen, zu wiffen,
daß die Materie eriftirt, und daß fie nad gewiffen Geſetzen
wirkt. Die Eriftenz der Materie ift alfo der Punct, von dem
feine Unterfuchungen anheben. — Nicht die Kraft, fondern
bloß die Materie wirkte, oder vielmehr die Kraft wirft nur in
und mit der Materie, und Kraft und Materie zufammen
bringen die Erfheinungen hervor, die fih dem Phyſiker dars
bieten.“ S. 55. 54. (Welche Verwirrung der Begriffe! welche
Widerſpruͤche! melches Meben s und - Auffereinanderfeben von
Dingen oder Verhältniffen, die nur unter einem Sn s und
Durcheinander möglih und denkbar find! Mein wahrhaftig,
500 ° N. Auffchlüffe u. Gefch.d. Scharlachf. v. Reich u. Benedict.
ſo wenig wir dem Verf. Scharfſinn abſprechen wollen, mit
ſolcher Philoſophie wird er ſich nicht als Reformator der me⸗
Dieinifhen Theorie geltend machen, fo ſelbſtgefaͤllig er ſich auch
Als einen folhen antündigt, wie wir gleih von ihm hören
werden.) — „Sft denn die Kraft etwas anderes, als ein
bloßer Begriff, der in unferem Verſtande gebildet worden ift?
Warum will man denn zu einem bloßen Verftandesbegriff feine
Zuflucht nehmen, um die Wirkfamkeit der Materie zu erkläs
ren ꝛc.?* ©. 56. (Was ift denn das Atom? Der Berf.
fühle wohl diefen Einwurf, aber er weiß ihm natärlih aus
feinem Standpunct nicht zu begegnen. Er fagt bloß: „Mag
immerhin diefes oder jenes chemifche Element urfprünglich nur
ein ähnlicher Werftandesbegriff jeyn, — — — man wird doch
nicht abzuläugnen vermögen, daß der Phyſiker vermittelft dies
fer Elemente die Naturerfheinungen größtentheils fo gureichend
und genugthuend erläutert, daß die daraus gebaute Erklärung
beynahe auf matematifhe Gewißheit Anipruh mahen kann.“
Aber weiche Erflärung ? Hat irgend ein Phyſiker je vermocht,
oder es auch nur je unternommen, eine vollftändige, d. h. dem
zureichenden Grund und die gefammte Wefenheit eines Phäs
nomens auffchließende Erklärung eines Phänomens einzig aus
dem Sefichtspunct der Atomiftif zu geben? Oder wenn er Etwas
diefer Art zu leiften verfuht und gewaͤhnt hatte, war er auch
innerhalb den Graͤnzen einer ftrengen Atomiftit geblieben, oder
war er nicht, wenn fchon ihm unbewuft, dabey zum Dynas
miker geworden ? Und was foll man vollends zu der mathes
matifhen Gewißheit der Erklärungen innerhalb dem engen
Gebiet der Atomiſtik fagen?) — „Dhne die Materie
würde man durchaus feine Kenntniß von der Kraft haben, und
nur die Materie ift es, die folche äußere. Won dem erften
Augenbli@ an, wo die Materie in der Form vorhanden ift,
in der fie fi dem Auge unferer Sinne und unfers Verſtan—
des (?) offenbart, war auch die Kraft fehon vorhanden, die
wir ihr beymeffen. Nimmt man nun an, dafi die Kraft ets
was ganz verfchiedenes ift, das erft fo zu fagen zu der Materie
hinzukommt (mas jedoch nicht angenommen werden fann), fo
bleive uns dennoch die letzte Urſache der Materie verborgen.
Denn da fie aufs innigfie mit der Materie verbunden, und
N. Aufſchluͤſſe u. Gefch.d. Scharlachf. v. Reich u. Benediet. 501
folglich von diefer abhängig ift, fo kann fie nicht zugleich et⸗
was Unabhängiges feyn, was fie. doch feyn müßte, wenn fie
die letzte Urſache der Materie wäre. — Es würde demnach
ein Irrthum feyn, in der Kraft das fuchen zu wollen, was
die Materie hervorgebracht Hat, weil diefe durch Raum und
Zeit beſchraͤnkt, der Hypotheſe gemäß, die Kraft enthält, der
das Höhere diefer Karegerien nicht unterworfen feyn follte.*
©. 58 fo. — „Die Kraft ift bloß etwas Hypothetiſches, Eins
gebildetes; die Materie muß daher als der Punct betrachtet
werden, von welchem alle unfere Unterfuchungen über die Les:
fahen der Phänomene anheben muͤſſen (!). — Gevraudt
man alfo den Ausdruck Kraft, fo darf man nicht vergeffen,
daß derielbe bloß unfere Unwiſſenheit über den lebten Grund
der Dinge verbirgt, und daf er nur einen imaginären Werth
befiget, den der Verſtand ihm leihet. Der Glaube an eine
befondere Lebenskraft, als Princıp der Vitalität betrachtet, hat -
daher feinen groͤßern Werth, als der Glaube an die Kraft
der Materie Überhaupt. Diefe Lebenskraft, diefes Nichts
in meinem Kopfe, diefe Form des Vorftellungsr
vermoͤgens meines Geiftes (o weh!) kann unmöglich alle
Wirfungen der objectiven Materie beftimmen, woraus der Drs
ganismus zufammengefegt iſt. Die diefes behauptenden Phyfios
logen verwechfeln das angeführte Nichts.mit dem -Wefen, das
diefer bloß fudjectiven geiftigen Fähigkeit (naͤmlich dem Vor—⸗
ftellungsvermögen ihres Sehirnes) die objectiven Materialien
zutommen läßt, woraus fie fubjectiv eine allgemeine Idee abs
leiten, die dann den Damen Witalität oder Lebenskraft bes
tommt“ S. 60 fg. (Ob fih wohl der Verf. unter: jenem
„Weſen, das der bloß fubjectiven geiftigen Fähigkeit, das ſoll
feyn dem Vorftellungsvermögen felbft, die objectiven Materias
lien zutommen läßt,“ etwas nur halb Klares und Sinnhabens
des denken fann?) — „Der erfte Schritt zu dem Zwecke der
Kenntniß des lebenden Organismus ift gefhehen, wenn man
der berfömmlichen Unterfheidung der Körper in belebte und
unbelebte die richtige Bedeutung gibt, die fie als bloß formels
ler Unterſchied der fhon vorhandenen Materie befommen muß.“
S. 62. — Dod) genug von diefen Verirrungen eines rohen
Materialismus, zu dem man fich in dieſer Art nur mit kaum
502 N. Aufichlüffe u. Gefch.d. Scharlachf. v. Reich u. Benediet.
begreifliher Verläugnung feines Beobahtungs s und Inductions⸗
vermögens befennen kann. Man fieht, dafi der Verf. mit dem
Spyftem der Atomiftif, das er predigen will, noch ſelbſt nicht
im Klaren, und vollends in den Geiſt und das Weſen des
dynamiſchen Syſtems, das er zu flürzen vermeint, nicht eins
gedrungen if. Er wuͤrde fonft nicht mit leerem Schatten kaͤm⸗
pfen, und die Begriffe von Kraft und Lebenskraft in einer
Dppofition gegen den der Materie aufftellen, in welcher fie
fein Phyſiker unferer Zeit, er bekenne fih, zu welchem Sys
ſtem er wolle, zu nehmen fi einfallen laffen wird. — Und
dennoch tritt der Verf. nunmehr im zuverfihtlihen Gefühl
feines Steges Über das dynamiſche Syſtem mit der Verſiche—
rung auf (S. 65): „daß er dur die Behauptung, daß der
lebende Organismus den allgemeinen phufifhen und chemifchen
Geſetzen der jogenannten todten Matur unbedingt unterworfen
fey, der Medicin eine gang andere Grundlage gegeben habe!“ —
Zu welhem Zweck führe uns nun wohl der Verf. in die
Höhen feiner Maturphilofophie? Um uns den Schläffel zu
feiner neuen Theorie des Scharlachfiebers und feiner Heilung
zu geben, und um die Grundlage zu bdiefer recht fiher und
feft zu ſtellen, oder fie uns vielmehr in ihrer unerfchätterlichen
Seftigkeit vor Augen zu legen. Nah Hrn. Reich befteht „die
wahre Natur oder das Werfen des Scharlachfieberse in dem
gänzlichen Abfterden oder Abblättern der gefammten äußeren
Bedeckung des Körpers, und in der Wiedererzeugung eines
neuen allgemeinen Weberzuges“ (&. 44), oder wie es S. 86
beftimmter heißt, „in dem allgemeinen Abfterben der Dbers
baut, und der Reproduction eines neuen allgemeinen Webergus
ges unter dem alten.“ Das Scharlachfieber ift ihm daher eine
allgemeine Haut s oder vielmehr KHäutungstrankheit, ohne daß -
er jedoch damit behaupten will, daß fie zu der Kiaffe der Auss
fchlags s oder anftecdenden Krankheiten gehöre (S. 45). Um
dieſes nun aus einander zu feßen, beichäftigt er fih mit der
Unterfuhung der Verrichtungen der Dberhaut im natürlichen,
geiunden Zuftande, bey welcher Weranlaffung er dann zu jenen
Exkurſen in das Gebiet der allgemeinen Maturlehre, und zu
jenen Diatriben Über die Principien des Materialismus und
des Dynamismus verleitet wird. : Daß wichtigſte Berhältnig,
N. Aufſchluͤſſe u. Gefch. d. Siharlachf. v. Reich u. Benediet. 503
in welchen die Dberhaut zu dem menfchlihen Körper und zu
der aͤußern Atmosphäre fteht, oder in welchem fie als Vermitt⸗
ferin zwifchen beyden wirkt, iſt ihm das der Wärmeleitung ;
zu dieſem kommt noch ein zweytes, dem erften fubordinirtes,
nämlich, das der Verdunſtung; und die wefentlihfte Beſtim—
mung der DOberhaut ift aljo nah Hrn. R. in ihrem natuͤrli⸗
chen Zuftand die, freyen Wärmeltoff und Ausdänftungsmaterie
an die freye Luft abzugeben. Beyde Verrichtungen der DObers
haut erfolgen aber, nah Hrn. R., nad beflimmten, allgemein
phufiiben Sefegen, welche der m. Organismus ganz mit der
äußern Natur gemein habe, und von welhen das erſte und
oberfte (auf welches Hr. R. ein befonders großes Gewicht legt,
und es zum höchften und allgemeinften Geſetz für die Körpers
lehre, und fomit zum oberften Princip der Maturforfhung ers
heben will) das Sefeß der Temperatur und das andere, aus
diefem abgeleitete, das Geſetz der Werdunftung heißt. Die
nähere Beftimmung und Anwendung des Temperaturgefeßes
unternimmt der Verf. auf folgende Weife. (Wir müffen diefe
Debuction des Verf. aus mehreren fehr zerfireut und getrennt
von einander daliegenden Sägen zufammenlefen , fo wie übers
haupt logifche Anordnung und Zufammenreihung der Hauptſaͤtze
und ihrer Beweiſe in dem theoretifchen Theil diefes Werkes
fehr vermißt wird.) „Die Temperatur jedes phyſiſchen Körs
pers wird entweder durch die Entbindung oder das Freywerden
des in der Subſtanz eines jeden gebunden geweſenen Wärmes
fioffes, oder durch die Aufnahme des ihm von Außen her mits
getheilten,, geleiteten, oder veflectirten Wärmeftoffs beflimmt.
Finder alfo irgend eine conftante Differenz zwifhen der Tems
peratur des lebenden Menfchen und der Temperatur irgend
eines unbe’ebten Körpers ftatt, fo kann fi diefe Differenz
doch nur auf die Duelle der verfchiedenen Temperaturen bes
ziehen (&. 48). Der lebende Menſch, wie die atmosphärtiche
Luft, find als phyſiſche Weſen dem allgemeinen Temperaturs
geſetz gleih unbedingt unterworfen. Diefem Geſetz zufolge
muͤſſen von zwey mit einander in Beruͤhrung flchenden Koͤr⸗
pern der waͤrmere dem kaͤltern ſeinen Ueberſchuß an freyem
Waͤrmeſtoff fo lange mittheilen, bis nach einem andern Naturs
gejege (?), nämlich dem der Dichtigkeit ihrer Subſtanz, ihre
504 NR. Aufſchluͤſſe u. Gefch.d. Scherlachl. v. Reich u. Benedict.
Temperatur gleich iſt. Wenn alſo die Temperatur des lebenden
Menſchen und der atmosphaͤriſchen Luft von einander abwei—
chen, fo muß der eine von ihnen dem andern fo viel von feis
nem Webermaaf an freyem Wärmeftoff miteheilen, als Ddiefer
aufnehmen kann. Nun iſt aber die Temperatur der freyen
atmosphärifhen Luft an allen Orten des Erdbodens niemals
Höher , fondern immer niedriger, als die des lebenden Mens
fhen. (Dieſes ift eine offenhare und durch die befannteften
Thatſachen nachzuweiſende Unrichtigkeit, wie Jeder wiffen muß,
dem die genauen thermometrifhen Beobachtungen mehrerer
Heifenden ꝛc. in den Sandwäften Lybiens und Nigritieng, auf
den Maldivifchen Inſeln, in Java und andern gleichartigen
Klimaten bekannt find. Der Verf. will fih zwar gegen die
Kraft diefer Einwuͤrfe dadurch retten, daß er auf den Unter—
fhied zwifchen der geleiteten, der zuräcdgemworfenen, und der
ftrahlenden Wärme, und zwifchen dem wahren Maaß der ats
mosphärifchen Wärme provocirt, und daraus folgert, daß in
allen den Fällen, wo die Luftwärme größer , als die des Mens
fhen gefunden wird, das Thermometer die wahre Temperatur
ber freyen Luft gar nicht anzeigen könne. Allein, wenn auch
jene Verhältniffe der Leitung, der Neflerion und der Strahlung
allerdings für die temporäre und locale Erhöhung der atmoss
phärifihen Temperatur mit in Betracht fommen, befindet ſich
denn der menfchliche Körper nicht von diefer Luft mit dies
fer, fein Wärmemaaß oft um mehrere Grade. überfieigenden,
Temperatur umgeben ? Iſt es dann nicht einerley, aus wels
hen Urfachen die den Menfhen umgebende atmosphärifche Luft
wirklih wärmer ift, als der menfchlihe Körper? Und kann
dann, wenn und weil dadurch jene Behauptung des Verf. vers
-richtet wird, auch feine Folgerung gültig feyn?) „Es ift das
ber, fchließt unfer Verf. dennoch friſchweg, abſolut nothwendig,
daß der immer wärmere menfchliche Körper der immer kälteren
atmosphärifchen Luft fo viel von feinem Weberfhuß an freyem
MWärmeftoff mittheilt, als diefer davon aufnehmen fann.“ Oder,
wie es ©. 69 heißt, „die Luft, als der kältere Körper, muß
-dem Menfhen immer einen Antheil von dem Princip der
- Wärme oder dem Märmeftoff entziehen, wodurch feine eigens
‚thümliche Temperatur. beftimme wird.“ Wenn indeffen, hri
N. Aufſchluͤſſe u. Sefch.d. Scharlachf. v. Reich u. Benedict. 505
der Verf. fort, dieſe Entziehung der Wärme aus dem menfchs
lihen Körper durch die Aufßere Luft, der Erfahrung zufolge,
doch nicht bis zu dem Grade der völligen Ausgleichung der
beyderfeitigen Temperaturen gefhieht, wenn im Gegentheil der
lebende menfhliche Körper, beftändig diefelbe Temperatur von
+ 28— 30 Graden Reaum. behält, fo ruͤhrt diefes bloß (!)
davon her, daß durch die Verdauung dem lebenden Menfchen
die Menge des freyen Wärmeftoffet wiedergegeben wird, welche
die Atmosphäre ihm beftändig entzieht. Das Athemholen hat
an diefer Erhaltung der conftanten Temperatur des Menfchen
gar keinen Antheil. (So verfihert der Verf., ja er kann fich
von feinem Erftaunen gar nicht erholen, daß Phnfiofogen und
Aerzte vom erfien Rang eine aller Vernunft und Erfahrung fo
widerfprechende Meynung haben unterfihreiben können. Wir,
unfererfeits, finden es unbegreiflih, wie ein Arzt von Scharfs
finn und Kenntniffen glauben kann, daß die drey hier dagegen
angeführten, durchaus unhaltbaren Argumente auch nur einiges
Gewicht haben können.) „Weit nefehle alfo (?), daß der
Nutzen des Athemholens in der Erzeugung und Vermehrung
der thierifhen Wärme beftehen könne, befteht er im Gegens
theil offenbar in der beftändigen Verminderung diefer Wärme.
(Wir werden dem Verf. für diefe wichtige Entdeckung und
Bereicherung unferer Phyfiologie großen Dank fchuldig blei—
ben!) — Die DOberhaut ift dazu beflimmt, der umgebenden
immer fühleren Luft einen Theil des. freyen MWärmeftoffs mits
zutheilen, der fih im Innern des Körpers entwidelt, oder,
wie es S. 77 heißt, durch ihre Subſtanz hindurd den Wärmes
ftoff entweichen zu laffen. (Warum und wodurd die Oberhaut
diefe Beftimmung habe, ob etwa durch eine befondere DOrganis
fation, und ob e8 eines befondern organifirten Weberzuges bes
dürfe, um die Wärme aus dem Innern des Körpers durch ihr
entweichen zu laffen? ob und aus welchen Gründen die Waͤrme
nicht eben fo leicht aus einem Körper oder Theil ohne DObers
haut, als aus einem mit Oberhaut, ob fie nicht eben fo leicht
aus einer dicken Dberhaut als aus einer dünnen entweichen
könne ? darüber geht der Verf. ganz ftillfichweigend weg. Und
doch hätte er gerade diefe Puncte am genaueften erniren muͤſ—
fen, weit fie die eigentlihen Wendepuncte feiner Theorie vom
506 N. Auffchrüffe u. Geſch. d. Scharlachf. v. Reich u. Benediet.
Scharlachfieber find oder ſeyn follten.) Man ſieht alfo (ſchließt
der Verf.) leicht ein, daß dieſes um fo Beträchtlicher gefchehe,
je feiner und zarter die Dberhaut ift, und fo umgekehrt. So
lange die Dberhaut ihre natürlichen Verrichtungen erfüllt, wird
die Entweihung des Wärmeftoffs durch fie begünftigt. Sobald
aber der eigenthämliche Charakter des Scharlachfiebers ihr den
Charakter der Vitalität nimmt, fo verdickt fie fih beträchtlich,
und alsdann muß fie als dichterer Körper die Entweichung des
im Innern entwicelten Wärmeftoffs weniger begänftigen, ob)
gleid, fie verhaͤltnißmaͤßig weniger an Leitungsfähigkeit gewons
nen hat. (Hier iſt der eigentliche Schläffel zu der neuen
Lehre vom Scharlachfieber, und von dem Grunde der großen
Wärmevermehrung während deffeldben. Das Folgende ift eis
gentlih nur Kommentar dazu.) Außer diefer Function hat die
Dberhaut noch eine andere gleich wichtige, nämlich die der
Entweichung der Ausdünftungsmaterie, welche nach dem Geſetz
ber Verduͤnſtung erfolge. Dieſe Ausdänftung, da fie zugleich
dem Temperaturgefeß unterliegt, ‘würde nicht möglich feyn,
wenn die den Körper umgebende Luft nicht eine fältere Tems
peratur hätte, als der menfchlihe Körper, und dadurch eine
größere Capacität für den Waͤrmeſtoff und für die gasartigen
Stoffe der Ausdänftung bejäße. Es läßt fi) behaupten, daß
bie Ausdänftung ſowohl durdy die Haut, als durch die Lungen
auch im einer gemäßigten Lufttemperatur nad) Maafigabe des
Unterfchiedes zwifchen den Temperaturen des Menfchen und der
Atmosphäre vor fih gehen wird; und Sanctorius hatte
ganz Unreht, wenn Er behauptete, daß die Kälte die Ausduͤn—
fung unterdrädte (©. 80). Der durd die Haut entweichende
Wärmeftoff entreißt nah dem Geſetz der Werdünftung, wovon
die Ausdünftung des Organismus nur eine beiondere Modifis
cation iſt, dem Körper einen Theil der Feuchtigkeiten, die
darin fih im Umlauf befinden. Daſſelbe wuͤrde auch der Fall
feyn, wenn die Temperatur des hygroſcopiſchen Körpers, der
den Menſchen umgibt, die Temperatur des leßtern Überträfe:
denn der freye Waͤrmeſtoff der Luft, der diefes Uebermaaß von
atmosphärifcher Wärme hervorbrächte, würde immer eine ges
wife Menge von thierifchen Feuchtigkeiten an ſich reißen, die
ber hygroſcopiſchen Eapacität der Luft angemeffen wäre; und
N. Anfichlüffe u. Gefch.d. Scharlachf, v. Reich n. Benedict. 507
dieſe hygroſcopiſche Capacitaͤt ift der thermometrifchen Capacitaͤt
vollkommen analog. (So Hält ſich alſo der Verf. ein Hinters
thärhen offen, um doch ein allgemein kundiges Factum, näms
lid) die Vermehrung der Hautausdänftung bey höherer Waͤrme⸗
teimperatur der Atmosphäre mir feiner Lehre in Einftimmung
bringen zu können. Welchen Werth aber feine Deduction ders
felben habe, mag leichtlih jeder Phyſiker ſelbſt beurtheilen.)
Aus dem Geſetz der Verdänftung fließt alfo der unerfchätterliche
Gruudfag, daß jemehr die Temperaturen zweyer einander bes
rührenden hygroſcopiſchen Körper von einander abweidhen, der
weniger feuchte und trockne Körper in defto höherem Grad das
Beftreben äußern wird, fih mit der Feuchtigkeit des feuchteren
Körpers fo lange zu färtigen, bis beyde gleichen Feuchtigkeits—
Grad erhalten. Auf den Menfhen angewandt, folgt alfo,
daß jemehr die Temperaturen des Menihen und der umgebens'
den Luft von einander abweichen, aud die Werdünftung ber
thierifhen Feuchtigkeiten um defto mehr zunehmen wird, und
fo umgekehrt. (Es verftehe fih, daß der lebende Menſch hier
als bloßes reines Hygroſcop betrachtet wird.) Sonach werden
Sanctorius und die ihm folgten, ad absurdum verwiefen:
In diefen Gefegen (fährt der Werf. weiter fort), in ers
klaͤrende Verbindung gebracht mit der oben aufgeftellten Bes
flimmung des Wefens oder der Matur des Scharlachfiebers,
als eines allgemeinen Adfterbens der Dberhaut mit Reproducs
tion einer neuen Dberhaut unter der alten, liegen nun bie
wahren Principien der ganzen Symptomatologie des Scharlachs
fiebers. Die Reproduction eines neuen Weberzuges unter dem
alten muß durchaus vorher gefhehen, ehe das Abichälen des
alten feinen Anfang nimmt. Da aber die Abfchuppung nicht
überall gleichmäßig, fondern an einem Ort eher, an eis
nem andern fpäter erfolgt, fo kann auch der Meproductiongs
proceß nicht Überall gleichmäßig vor fi gehen. Die alte Obers
haut wird während demfelben dichter, indem die lymphatiſche
Ausdänftungsmaterie, welche Faferftoff (??), phosphorfaure
und kohlenſaure Kalkerde mit fich führe, fi in dem Zwifchens
taume zwifchen der alten und neuen Dberhaut anhäuft, hier
vertrocnet, und fo die Poren verftopft. Staͤrkere Anheftung
und Verwachſung (?) des alten und des neuen Ueberzuges find
508 NR. Auffchlüffe u. Geſch.d. Scharlachf. v. Reich u. Benedict.
die Folgen, und diefe Folgen erſchweren und verhindern wies
derum die natürliche Hautausdünftung in dem Maafe, als die.
Erhöhung der Temperatur der umgebenden Luft die Ausdüns.
fung und Märmeentweichung vermindert. Wo diefes nun ber
Fall ift, da roͤthen fi die organifchen Theile wegen der Ans
bäufung des freyen Wärmeftoffs und der Ausdünftungsmaterie,
Die NRöthe der Haut im Scharlachfieber ift ſomit nichts mehr
und nichts weniger, als KHautröthe erhißter oder in einer zu
warmen Stube ſich befindender Menfhen. Die von Sennert
herrährende Annahme eines eigenen Scharlachgifts ift demnach
eine leere chimärifche Hppothefe. (Man fieht ohne unfer Ers
innern das Gezwungene und zugleich das Unhaltbare und ſich
Widerfprechende in diefer Darftellung. Die Oberhaut foll dies
nen, um den Wärmefloff, von dem der Verf. eine gar zu grob
materielle Anfiche Hat, nebft der Ausdünftungsmaterie durchs.
gehen zu laſſen. Durch die Verdichtung der alten ſich ablöfens
den Dberhaut und durh vie Werftopfung der Poren foll aber
dem Durchgang der Wärme ein Damm entgegengefeßt werden;
durch die Vertrockung der Perfpirationsmaterie unter ihr fol
fogar Verwachſung zwifhen ihre und der neuen Dberhaut ents
fiehen. Und dennoch fchält fih die alte DOberhaut ab. Die
neue Dberhaut erzeugt fih, wie der Verf. feldft faat, immer
früher, als die Abihälung der alten anfängt. Was hindert
aber dann, daß nicht der MWärmeftoff fo gut, und noch leichs
ter, durch diefe neue Epidermis entweihe? Etwa die allents
halben dur ihre -Ablöfung Deffnungen und Zwifchenräume
darbietende alte Oberhaut (in fofern naͤmlich folhe Auswege
für den palpablen Wärmeftoff des Verf. nothwendig feyn folls
ten)? Dder der fi) nad) der neuen Entdedung des Verf. uns
ter der alten Oberhaut anhäufende Faferftoff der Ausdänftungss
materie? Und die Roͤthe des Schariachkranken foll blos von
der Anhäufung des Wärmeftoffs herrühren, etwa wie die des
rothglühenden Eifens? Welche Anfiht der thieriſchen Wärme,
und des vitalen Entzündungsproceffes!) —
Der Verf. geht nun zu der Unterfuhung der Urfache dies
fer Haͤutung im Scharlah über. Er wirft erft die Frage auf,
eb diefe Urſache in dem Einfluß der atmosphärifchen Luft liege.
(bey welcher Gelegenheit er gegen die allgemein angenommene
N. Auffchlüffen. Gefch. d. Scharlachf. v. Reich u. Benedict. 509
Aufnahme von gemwiffen VBeftandtheilen der Atmosphäre, es fey
Sauerftoff oder Stickſtoff ꝛc., in die Lunge beym Athemholen,
als etwas Ungereimtes, zu Felde zieht, ohne übrigens einen
andern Grund dagegen anzuführen, als: „es fey eine abfolute
Unmöglichkeit, daß der Körper gleichzeitig (?) auf demfelben
Weg etwas verliere, auf welchem er etwas empfange!); und
ob insbefondere die Mord » und Mordoftwinde einen eigens
thuͤmlich beftimmenden Einfluß auf die Erzeugung des Scharlach⸗
fiebers habe, wie er felbt Anfangs gemeint habe. Er verneint
aber in Folge fpäterer Erfahrungen diefe Frage, wiewohl er
den Einfluß von rauhen und fchneidenden Winden auf das
Abfterben der Oberhaut nicht geradezu läugnen will. Daß aber
von diefem allein oder aud) nur zunaͤchſt die Erzeugung des
Scharlachfiebers herruͤhren folle, könne deshalb nicht angenoms
men werden, weil fid erftlich nicht würde begreifen laffen,
warum die Menfhen das Scharlachfieber in der Regel nur
einmal befommen, weil ferner viele Menichen troß der Eins
wirkung der falten Winde auf fie das Scharlachfieber doch nicht
befommen, und weil Viele vom Scharlahfieber Jahre lang
verjchone bleiben , die dody an Drten wohnen, wo alle Jahre
die fchneidendften Mord : und Nordoftwinde wehen. Der Verf.
findet es daher weit natürlicher, das Scharlachfieber als eine
Metamorphofe der Oberhaut zu betrachten, welche derjenigen
ganz analog fey, die fid, gewoͤhnlich zu gewiſſen Jahrszeiten
bey allen (?) lebenden Organismen ereigne, nämlidy als eine
Art Maufern oder Miedern, dem das Haͤren bey den Saͤug—
thieren, und ein analoges Metamorphofiren der äußern Hülle
bey den Amphibien, den Sinferten und Würmern (wirklich
auch bey allen Thierarten diefer legten beyden Klaffen? auch
bey den nur ein Jahr und kuͤrzer lebenden? das Verpuppen
fol auch wohl hierunter gehören?) entfprehe. Der Menſch
fey diefen Veränderungen fo, wie jedes andere Thier, unters
worfen, wenn fie fhon bey ihm weniger in die Augen fprins-
gen ; denn jedes Jahr fchäle er fih nach und nad über die
ganze Dberflähe ab. (Und warum befommt denn nun der
Menſch nicht jedes Jahr das Scharlachfieber ? fühlte der Vers
faffer, wie fehr er feine Hypotheſe feldft im Augenblid des
Aufbauens untergräbe? und daß Alles folgende, mas er über
510 N. Auffchläffe u. Geſch. d. Scharlachf. v. Reich u. Benedict.
das Periodifhe in den Veränderungen am Körper, als etwas
nicht weiter zu Ergründendes, fagt, gar nicht geeignet ift, fie
"zu retten, oder nur einigermaßen zu fügen?) Hier abermals,
als vermeinte Folge der bisherigen Auseinanderfeßung (?),
bie Behauptung, daß das Scharlachfieber von keinem eigens
thuͤmlichen Gift in der Luft herrähre, und daraus zugleich dag
Reſultat, dab das Scharlachfieber auch nicht anſteckend ſeyn
koͤnne, eben weil fein eigenes Scharlachgift eriftire, und feine
Eriftenz aud) nie werde bewiefen werden können. Anftedung
tönne nur durd unmittelbare Berührung des Anſteckungsſtoffes,
oder durch Einathmen der mit dem Anftecfunasftoffe geichwäns
gerten Luft im eingefchloffenen Raume erfolgen. (Der Werf.,
der zwifchen Anftefung im engern Sinne, durch wirkliches
Eontagium, und zwifchen epidemifch s atmosphärifcher Infection
durch atmosphärifch verbreitete Miasmen zu wenig unterfceis
det, beruft fih Hier auf einige Beobachtungen von Michtaus
ſteckung des Scharlachfiebers in Familien, wo die Geſchwiſter
mit dem Scharlachkranken im genaueften Umgang blieben.
Jedem Arzte werden dergleichen Fälle vorgefommen ſeyn. Aber
glaubt der Verf., mit diefen Fällen, die gar nicht zu den pas
thologifchen Problemen gehören, wirklih die zahllofen Zäle
von unzweifelhafter Anſteckung des Scharlachfiebers widerlegen:
zu können?)
Der Verf. berührt jeßt die Frage, warum die Menſchen
gemwöhnlih nur einmal in ihrem Leben vom Scharfachfieber
befallen werden. Das hic Rhodus, hic salta, mochte der
Verf. wohl gefühlt Haben, denn an der Loͤſung diefer Frage
mußte fi der Gehalt feiner Theorie wie an einem Probierftein
zeigen. Allein zum größten Befremden des Lefers bleibt der
Verf. bloß dabey fiehen, fie aufgeworfen zu haben, und madıt
auch nicht einen Verſuch, fie zu beantworten. Er fhlüpfe über
fie weg, als wenn gar nicht viel an ihr. gelegen wäre. Seine
Lefer mögen felbft zufehen, wie fie mit dem Maufern fertig
werden, und wie fie die jährliche Wiederholung deffelben mit
dem einmaligen Erkrankten am Scharlachfieber reimen mögen!
Heißt dies cine Theorie motiviren, duuch die man eine andere
auf fiheren Thatſachen ruhende in den Staub treten will? —
Die nicht felten vorfommende Vermehrung der Hautaue duͤr⸗
N. Aufſchluͤſe u. Geſch. d. Scharlachf. v. Reich u. Benedict. 514
fung im Anfang des Scharlahs, bis zu ſtarken Schweißen,
läugnet der Verf. nicht, aber er weiß fie auf eine neue Weiſe
zu erflären, und mit feiner Theorie, der fie freylich ſtark zu
widerfprehen fcheint, in Einklang zu bringen. Da, fagt er,
die Erzeugung der neuen Oberhaut nicht auf einmal und gleichs
mäßig vor fi geht, und da bey warmer Temperatur der Zins
merluft der befchleunigte Umlauf und die Verflächtigung (ohne
Wärmeentweihung?) der Säfte Folgen ber dur die aͤußere
Märme verminderten oder unterdrücken Entweichung der freyen
thieriihen Wärme ſeyn müffen, fo präcipitiren ſich die vers.
fluͤchtigten Säfte auf der verhältnißmäßig tühleren Oberfläche
des Körpers in Geſtalt von Schweißtröpfchen, weil der damit
verbundene Wärmeftoff fchneller entweicht, indem er fi den
umgebenden. fühleren, mehr oder minder dichteren Körpern
mittheilt. (Alſo auch in derfelben warmen Zimmertemperatur,
welche die Entweichung des Wärmeftoffs verhindert ? und aud)
unter der warmen und fo fchlecht wärmeleitenden Federbetts
decke? Welche vortrefflihe. Confequenz bier wie im Folgenden!)
Daher fcheinen alle bedeckten Theile immer mehr zu fhwigen,
als die unbedeckten (fcheinen fie nur diefes?); daher ſchwitzt
man aud in der falten Luft bey flarfer Bewegung bloß an
den bedeckten Theilen. — Von der befondern Beſchaffenheit
der Oberhaut in einzelnen Individuen hängt großentheils die
Verfchiedenheit der Erſcheinungen und des Verlaufes des Schars
lache ab. Perſonen mit dicferer und fefterer Oberhaut erfrans
fen deshalb (?) ftärker, als zärtere und fchwächlichere Mens
‚Shen mit feinerer Oberhaut, weil bey jenen verhältnißmäßig
nicht fo viel Wärme und Ausdänftungmaterie entweichen kann.
— Die Heftigkeit oder Selindigkeit der Zufälle richter fich nach
der Jahrszeit, und nach dem Verhalten, dem der Kranfe uns
gerworfen wird. Se kälter die atmosphärifche Luft oder Wit—
terung überhaupt iſt, defto unbedeutender muß auch die Krank
beit feyn. Diefes iſt zwar, wie der Verf. felbft als Einwurf,
den man ihm machen würde, anführt, der täglichen Erfahrung
gerade zuwider, indem diefer zufolge das Scharlachfieber im Wins
ter und Frühjahr weit gefährlicher und tödtliher ift, als im
Herbſt; allein er ift demohngeachtet von der Nichtigkeit feiner
Behauptung überzeugt, und hält die Erfahrung in diefem Fall nur
512 N. Auffchlüffe u. Gefch. d. Scharlachf, v. Reich u. Benediet.
für ſcheinbar wahr und trügerifh. Denn die größere Gefährs
lichkeit und Tödtlichkeie des Scharlachs in der kaͤltern Jahrs—
zeit kommt, nad) feiner Verfiherung, einzig und allein auf
Rechnung des Üblen, d. h. des zu warmen Verhaltens, dem
die Menfchen zufolge der falfchen Grundfäße der Aerzte unters
worfen werden; weldhes er denn fehr anſchaulich nah dem
Thermometer zu beflimmen weiß, wenn er fih fhon dabey
genöthigt fieht, den Schweiß, der in einer hohen Zimmertems
peratur ausbricht, und der freplich nach feiner Theorie dann
gerade nicht entftehen follte, für einen bloß fcheinbaren Beweis
von Vermehrung der Tranfpiration, für das Merk einer mes
hanifhen Austreibung der in Dampfgeftalt verflüchtigten Säfte
zu erklären. —
Jetzt erft (S. 110) geht der Verf. zu der Beſchreibung
des DVerlaufes des Scharlachfiebers Über, und unterfcheidet dies
fes auf die gewöhnliche Weife in das einfache oder gutartige,
und in das complicirte oder bösartige Scharlachfieber ; dag erftere
nad) den bekannten drey Stadien. Wir können indeffen diefe
Befchreibung um fo füglicher übergehen, da fie, wenn ſchon
mit Genauigkeit und Treue entworfen, nur das Bekannte wies
derholt. Man muß fid, gleich bey ihrem Anfang in der That
wundern, daß das von dem Verf. getreulich bemerfte plößliche
Erkrankten mit Fieberanfällen, das (mie er felbft fagt) bey den
meiften Scharlachfranfen, bey anfcheinend volllommenften Ges
fundheitszuftande eintritt, fo wie das charakteriftifihe Halswehe
ihn nicht in dem Glauben an feine Theorie wankend gemacht
hat. Man wird Übrigens von felbft erwarten, daß der Verf.
auf die Periode der Abfchuppung feine meifte‘ Aufmerkfamteit
gerichtet hat. Die nach den Beobachtungen einiger Schrifts
fteller nicht felten flattfindende Erneuerung der Abfchuppung will
der Verf. ale das Produkt eines zweyten gewiſſermaßen fünfts
lich zu nennenden Scharlachfiebers, und zwar ald Folge eines
allzu warmen Verhaltens während des primitiven Scharlachfies
bers und hauptfächlich während der Reconvalescenz, betrachtet
wiffen. Der Verf. verliert fih bier (©. 126 fg.) abermals
in eine Diatribe über Kraft und Materie und über Phyſik
und Metaphyſik. —
phyſi (Der Beſchluß folgt.)
No. 33. Heidelbergifhe 4813,
Jahrbuͤcher der Litteratur,
nn —— — — — ———
a
s) Neue Aufſchluͤſſe über die Natur und Heilung bes Scharlachfiebers,
von Gottfried Chriſtian Reich.
2) Geſchichte des Scharlachfiebers, von Traug. W. ©. Benediet.
Beſchluß der in No. 32. abgebrochenen Recenſion. )
N, bösartige Scharlachfieber ift, nad dem Verf., keiness
wege Folge einer angeblichen Boͤsartigkeit des vermeintlichen
Scharlachgiftes. Er behält jene Unterfcheidung bloß aus Nachs
giebigfeit bey, indem er volllommen uͤberzeugt ift, daß es nur
eine einzige Art von Scarlachfieber gibt. Alle heftigeren und
gefahrvolleren Zufälle in dtefem nur einftweilen von ihm zus
gegebenen bösartigen Scharlachfieber werden auf Rechnung des
im. Körper zurüdgehaltenen Wärmeftoffes geichrieben ; wobey
die uͤbermaͤßig geheizten Zimmer, deren Temperatur in Nord⸗
beutihland, wenn des Verf. Verfiherung gegründet wäre, beps
nahe 3%, Sahre lang derjenigen einer NRuifiihen Bad s oder
Schwigftube nahe kommen müßte, beionders übel wegkommen.
— Der Berf, geht hierauf zu der Betrachtung der Nachkrank—
beiten über, unter welcher Rubrik er aber auch jolhe Symptome
mit anfzählt, welche an ſich eigenthämliche und conftante Ber
gleiter des Scharlachfiebers ſelbſt find, und nur bedingterweife
aud als Nachkrankheiten nad) ‚geendigter Abfchuppung fich wies
der erneuern koͤnnen, naͤmlich die Bräune, und dag. Fieber,
über ‚welche beyde Erfheinungen und ihr Verhältniß zum Schars
lachausichlag jedod der Verf. allzukurz weggeht. Beſonders
haͤtte die fo häufig bey Scharlachepidemieen beobachtete Bräune
ohne Scharlahausfchlag, Übrigens aber mit allen Symptomen
"der epidemifchen Fieberkrankheit, nähere Erwägung verdient.
Die übrigen von ihm. unter diefer Categorie betrachteten Zus
faͤlle find: Geſchwulſt und chronifhes Anfchwellen der Hals—
und Ohrendruͤſen, Entzündung und Vereiterung derfelben;
(Hier leſen wir die merkwürdige Aeußerung des Verf.: „feits
dem er die Maximen befolgt habe, die fih aus den phyſiſch—
53
514 N. Aufſchluͤſſe m. Gefch. d. Scharlachf, v. Reich u, Benediet,
chemifchen Werhältniffen des Menden zur Außenwelt ergeben,
ſey es ihm Mar geworden, daß alle Entzündungen nur leichte
Uebel find, die fih binnen wenigen Tagen, oft binnen wenis
gen Stunden heben laffen, ohne des großen antiphlogiftifchen
Apparars zu bedürfen, zu welchem man gewöhnlich greift.“ )
wäfferige Geſchwulſt und Wafferfucht (welche gerade durd)
fortgefeftes warmes Verhalten entftehen foll, indem dadurch
Aufleben und endlihes Verwachfen der alten und ueuen Ober—
haut, fomit Anhäufung der Ausdünftungsmaterie in dem Zells
gewebe unter der neuen Dberhaut bewirkt werde. Die gar
nicht feltene Wahrnehmung der ftärkiten Waſſergeſchwuͤlſte nach
der ſtaͤrkſten Abſchuppung iſt der Verf. geneigt, für eine Täus
fchung zu halten. ); Hautausſchlaͤge, Mervenbefchwerden (die
niemals als Folge von Erfältung und einer von dieſer herges
leiteten Unterdruͤckung der Hautausduͤnſtung feyn follen, indem
durch die Kälte die Hautausdünftung vielmehr übermäßig vers
mehrt werde; wovon aber diefe Nervenbeſchwerden herruͤhren,
ſagt uns der Verf. nicht.); trockener und feuchter Huſten;
Ausfluß aus den Ohren und andere Geſchwuͤre. Man ann
ſich denken, daß der Verf. an diefen wie an den übrigen Nach⸗
krankheiten ein Scharlachgift einen Theil Haben läßt. — Die
Prognofe muß natuͤrlich unter den Anfihten des Nerf. eine
andere Geftalt gewinnen, als fie bey den übrigen Schriftftel:
fern bisher gehabt hat. Der Verf. vermweilt ingbefondere bey
Cappel's prognoftiihen Beobachtungen und Lehrfägen über
das Scharlachfieber und über die Umftände, nad denen fid
die Gefahr defjelden richtet; wobey begreifliher Weife der
Verf. jede andere Gefahr beym Scharlachfieber, als die von
zu warmem Verhalten entfichen foll, umd fo auch jede urs
fpänglich gefährlichere und maligne Art von Scarlachfieber
verwirft. Hier erfahren wir zuerft vom Verf., weiche Anfiht
er von dem pyretologiſchen Werhältniß des Scharlachs Habe.
„Das Abfterben der Oberhaut, ſagt er, erſchwert die Functios
nen der Haut, macht aljo, daß mehr MWärmeftoff und Ans
dünftungsmaterie im Körper zurüdbleibe, als geichehen follte,
und bringt fo ein Fieber zumege, das dem intenfiven Grad
diefer Störungen angemeffen ift, und dem Scharlachuͤbel noth⸗
wendig und durchgehends (1) den Charakter der Synocha aufs
N. Aufſchluͤſſe u. Geſch.d. Scharlachf. v. Reich u. Venediet, 515
druͤckt.“ Der typhoͤſe Zuſtand ſey immer nur ein confecutiver,
und zwar nur die Folge des allmälig gunehmenden Uebermaaßes
von Wärme und Ausdünftungsftoff im Innern des Körpers,
und der dadurch gefteigerten chemiichen Wirkſamkeit diefer alls
gemeinen chemifchen Auflöfungsmittel (auch die Ausdünftungss
materie gehört aljo unter diefe? diefelbe, die fih bey verhins
dertem Durchgang durch) die Oberhaut unter denfelben verdichten,
eine Verwachſung der alten und neuen Oberhaut bewirken foll?),
nad) ihren allgemeinen phyſiſchen Geſetzen. Der Typhus ift
ihm demnach nichts anders als eine in ihrer Intenſitaͤt gefteis
gerte Synoha. — Der Verf. nimmt hier wieder Anlaß zu
einer Digreffion in fein Lieblingsthema, von dem Unterſchied
zwifchen Kraft und Materie, und von dem Unwerth der dys
namifhen Vorftellungen, die er hier nicht mehr und nicht wes
niger als für eine metaphyſiſche Spielerey gelten laffen will,
indem ja „nicht die Kräfte und igenfchaften gegenfeitig auf
einander einwirken, fondern die Materie es ift, die alle die
Erfheinungen hervorbringe, wovon wir die Kräfte und Er—
feheinungen der Körper ableiten.“ Der Verf. hätte fein Buch
viel geniefbarer und näßlicher gemaht, wenn er es von allen
dergleichen Auswuͤchſen feiner Phyſik frey gelaffen hätte. —
Segen Hahnemann behauptet der Verf. nicht nur, daß
der Frifel beym Scharlach keine beiondere Art des Scharlachs
fiebers bezeichne, und daß fomit Hahn. purpura maligna
als eigene Species nicht gegründet ſey, fondern daß im Cchars
lachfieber von keiner Boͤsartigkeit deffelben die Rede feyn könne,
und eben fo wenig von einem Friefelausichlag oder Scharlachs
friefel. Denn was man dafür ausgebe, fey ein erzwungenes
Product, eine Erkünftelung des leidigen warmen Verhaltens,
und habe bey dem bloßen fühlen Verhalten nicht das allermins
Defte zu bedeuten. Den Beweis für diefe neue Erfahrung
Bleibe aber der Verf. fchuldia. — Ueber das epidemijche Vers
haͤltniß des Scharlachfiebers [hlüpft der Verf. am leifeften weg,
der vielmehr er läße fih nirgends darauf ein, wodurch dieſe
Krankheit fo häufig, ja gemeiniglich, den Character einer Epis
yernie annehme. Natuͤrlich ift er deswegen davon ftille, weil
ben dieſes epidemifche Herrfhen des Scharlachs fih mit der
Hier unternommenen Läugnung eines eigenthämlichen Scharlachs
516. Aufſchluͤſe u. Geſch. d. Scharlachf. v. Reich. Benediet,
miasma's nicht wohl vertraͤgt, und auf andere Weiſe ſich nicht
erklaͤren läßt. Beſonders wuͤrde der Verf. in Verlegenheit ges
kommen ſeyn, nach feiner Theorie zu erklaͤren, wie das Schars
lach fogar auch in mäßig warmen, ja fühlen Sommer s und
Herbſtzeiten epidemifch herrichen, und noch dazu in der Mehrs
heit ‚recht gefährlich herrfchen fann. — —
Die Behandlung des Scharlachfiebers,. welche der Verf.
nun empfiehlt, kann man ſich aus dem Bisherigen recht wohl
vorftellen. Man wird es fih fchon denken, daß er nun den
Triumph feiner neuen Lehre in der Anpreifung eines fühlen
Regimen und einer fonftig kühlenden Behandlung feßen wird.
Aber er geht hierin wirklich noch weiter, als die meiften feiner
Pefer erwarten mögen. Denn er verlangt, man folle den
Kranken in eine fo falte Temperatur bringen, als man ihm
nur verfchaffen fann. Er ſelbſt laͤßt feine Scharlachkranken,
in weld einem Zuftand fie fih auch befinden mögen, auch im
ftrengen Winter in die Temperatur der Aufern Atmosphäre
berſetzen, und gibt nie mehr zu, daß ein Krankenzimmer ger
heizt wird. Er läßt es ohne Bedenken gefchehen, daß der
Scharlachkranke außer dem Bette bleibe, ja fogar ausgehe,
und der freyen Luft fih ausfege, Witterung und Jahrszeit
mögen beichaffen fenn, wie fie wollen. Nie habe er die mins
deften fchlimmen Folgen davon entfiehen fehen, wofern nur die
Angehörigen des Kranken durch eine zuweilen eintretende unbes
deutende Gefchwulft fich nicht verleiten ließen, denfelben wieder
ins Bette oder in eine fehr warme Stube zu verweilen. Das
gegen feyen Verminderung des Fiebers und fchnelle Beendigung
der Krankheit binnen 5 — 4 ober hoͤchſtens 5 Tagen von Ers
fcheinung der NRöthe an die wohlthätigen Folgen dieſes kalten
Verhaltens. Es feyen ihm zwar dennoch einige Fälle. vorges
fommen, wo die Krankheit auch bey einer fehr gemäßigten
Stubentemperatur von + 12— 15° Reaum. trotz der anfängs
lich anfcheinenden Gutartigkeit fchnell eine fehr bösartige Mens
dung genommen habe, An diefer eingetretenen VBösartigkeit
fey aber fchon diefe mäßig warme Temperatur, die überdies
nur einmal in 24 Stunden erneuert wurde, Schuld gewes
fen (71); und das ganze kalte Verhalten würde fie verhuͤtet
haben. — Der Verf. erzähle hierbey die Gefchichte einer
N. Aufſchluͤſſe u. Gefch.d. Scharlachf. v. Reich u. Benedict. 517
ſechsjaͤhrigen Scharlachkranken, die durch ein ſtark geheiztes
Zimmer und ein Glas ſtarken Weine ſchnell bis zum Deliri—
ven und zu Convulfionen erkrankte, und die er durh Trans—
portiren in ein faltes Zimmer, bey geöffneten Fenftern und -
einer Kälte von — 2 Reaum. binnen wenigen Stunden außer
alle Gefahr gefest habe, unter dem Erfolg der vollftändigiten
Abfhuppung. Bey diefer Gelegenheit kommt er auch auf die
(acht) Krankheitsgefchichten zurück, mit deren Erzählung er
diefe Schrift eröffnet hatte, und von welchen die fechs eriteren,
wegen des von dem Verf. damals noch befolgten herfömmlichen
warmen Verhalten einen tödtlihen Ausgang gehabt, die beys
den letzten aber, da in diefen die Kranken ungeachtet der groͤß—
ten Erfältung dennoch genafen, dem Verf. die Augen geöffnet,
und ihm das neue Licht aufgefteckt hatten. Seitdem hatten
ihn auch noch viele andere Fälle von der Nichtigkeit feiner
neuen Anfiht, und von der Wohlthätigkeit feiner neuen Ber
Handlungsweife uͤberzeugt. Die Anwendung aller Übrigen bisr
her gegen diefe Krankheit empfohlenen Mittel erfläre er für
ganz Überfläffig, und will nur, um die Kranken umd ihre Ans
gehörigen zufrieden zu flellen, die Verordnung irgend einer
tühlenden Mixtur geftatten. Die heilfamen Wirkungen der
Eurrie'fhen falten Begießungen, welche er allerdings feiner
Theorie jehr günftig findet, will er bloß nah dem Temperas
turgeſetz erflärt wiffen, und verwirft die dynamiſche Erfläs
rungsmweife (durh Hebung des Krampfes in den äußerften
Enden der arteriöfen Gefäße, vermittelt des Stimulus der
Kälte), mwelhe Currie davon gab. Er wundert fih daher
auh, wie Eurrie und Stannini durch den Gebrauch dies
fer kalten Begiefungen nicht felbft auf des Verf. Entdeckungen
über die Matur und die zweckmaͤßigſte Behandlungsart des
Scharlachs geleitet wurden, und noch an das Erregungsinften,
an Reiz, Errenbarkeit u. f. m. denken fonnten. Dabey bes
merkt er aber noch, daß man diefe Eurrie'ihe Methode nicht
ndthig habe, woferne man nur gleich vom Anfang das kalte
Verhalten befolge, und daß jene Curr. Methode fogar dur)
zu fchnelle und veichliche Entziehung des Wärmeftoffes mehr
nachtheilig werden koͤnne. Den Gebrauch der warmen Bäbder
im Scharlah verwirft der Verf. gänzlich. Ueber die Behands
518 N. Auffchlüffe u. Geſch. d. Scharlachf, v. Reich u. Benedict.
lung der Nachkrankheiten findet er nichts zu erinnern nöthig,
weil diefe nur Folgen des ſchlechten Verhaltens feyen. Der
Verf. ſchließt diefe Abhandlung mit einer kurzen refapitulivens
den Zufammenftellung deffen, was auf die von ber Vlieſſinger
Geſellſchaft der Wiff. vorgelegten Preisfragen (zu deren Bes
antwortung eigentlich der Verf. diefe Schrift ausgearbeitet
hatte) Bezug hat, und mit einem alphabetiſchen Verzeichniß
der Schriftfteller Über. das Scharlachfieber.
Wir haben es für Pflicht gehalten, bey der Anzeige diefer
Reich'ſchen Schrift fo ausführlich zu feyn, weil die Tendenz
derfeiben feine geringere ift, als die bisher allgemein. anges
nommene Lehre von einem befondern der Scharladykrankheit zu
Grunde liegenden atmosphärifchen, bald mehr bald weniger
contagiöfen Miasma ganz zu vernichten, und die bisher im
Ganzen berrfchend gemwefene Therapie diefer Krankheit völlig
zu. reformiren. Es bedarf unferer Erinnerung nicht, daß diefe
beabfichtigte Reform fih nicht auf die längft von allen guten
Aerzten verlaffene heiße und erhigende Behandlung der Schar:
lachkranken, fondern nur auf die jeßt ziemlich allgemeine Bes
folgung eines gemäßigt warmen Verhaltens und eines mehr
oder weniger antiphlogiftifch s diaphoretifchen Kurplans (im
einfahen Scharlah) beziehen kann. Diefem ift freyli des
Verf. Ealte, ja bis unter dem Gefrierpunct erkältende Behands
lung .diefer. Krankheit und feine Entfernung aller übrigen ins
neren Kurmittel immer noch fehr entgegengefegt. Menn mir
aber auch, zugeben wollen, daß diefe Methode des Hrn. R.
in den Fällen eines. gelinden und gutartigen Scharlachs, und
bey Übrigen? gefunder und Eraftvoller Konftitution der Indivi—
duen, öfters ohne allen Machtheil angewendet, ja daß fie uns
ter beftiimmten Umftänden von Nußen für die Abkürzung des
Krankheitsverlaufes feyn kann, fo werden wir darum doch
nicht glauben, daß diefe Methode auch in den Fällen des böss
artigen und glei vom Anfang an mit dem Charakter eines
Synochus, oder aber eines Typhus, oder wenigftens mit ra—
ſcher Tendenz zu diefem, eintretenden Scharlachs nüglih und
angezeigt feyn werde. Wir werden fie vielmehr in diefen Fäls
len, und überall, wo das — zuverläffig eriftirende und von
bem Verf. nichts weniger als widerleste — Scharlachmiasma
N. Aufſchluͤſſe u. Geſch. d. Scharlachf. v. Reich u. Benediet. 519
vorzugsweiſe das innere Gefaͤßſyſtem, und noch mehr, wo er
gleich vom Anfang das Hirn und das innere Viscerals Nerven,
ſyſtem zu feinem Sitze macht, und wo mit dem Hautkrampf eine
gewiffe Erſtarrung der peripherifhen Gefäß s und Mervenenden
wahrnehmbar ift, für unpaffend und nachtheilig haften. Wir
werden wenigftens fo lange die allgemeine und unbedingte
Empfehlung der von dem Verf. angepriefenen Methode für ein
dreiftes und durchaus nicht zu billigendes Unternehmen erklär
ven‘, als nicht von dem Verf. felbft und von andern Aerzten,
die feinem Beyſpiel folgen wollten, hinlänglihe und durchaus
unzwepdentige Erfahrungsbemweife für die Nuͤtzlichkeit und Vors
güglichkeit jener Methode auch im bösartigen Scharlah, und
zur Verhütung der bedeutendern Nachkrankheiten, werden vors
gelegt werden. Wir dürfen aucd nicht ohne Grund vermuthen,
daß der Verf. damals, als er diefe Abhandlung ſchrieb, noch
feine Gelegenheit hatte, feine Methode im bösartigen und
typhoͤſen Scharlachfieber anzuwenden, und daß, wenn er foldhe
Veranlaffung fpäterhin fand, er durch fie ganz andere Nefuls
tate gefunden haben mag. Die Eurriefhen Begießungen,
welche allerdings gerade im bösartigen Scharlah mit trodener
frampftgter Haut und ſtark afficirtem Hirn fo große Heilkraft
äußern koͤnnen, mird der Verf. feitdem, wenn er fih ihrer
bediente, auch aus einem andern Geſichtspunct anzufehen ges
dernt, uud in ihren Wirkungen nicht mehr, wie in obiger
Schrift, einzig den für das thierifche Leben fo armfeligen und
'beengenden Ausdruck des Teemperaturgefebes, fondern neben
diefem und über ihm den höheren und einer wahren Biologie
wuͤrdigeren des erregten organifch s lebenskräftigen Antagonismug
erblickt Haben. — Ueber den theoretischen Werth bdiefer Abs
Handlung brauchen wir, nad) dem, was hier unfern Fefern vor
Augen liegt, fein Wort weiter zu fagen. Bedauern mäffen
wir nur, daß ein Mann von fo vielfeitigen Kenntniffen, mit
denen fi eine (auch in diefer Abhandlung beurfundete) reiche
Belefenheit verbindet, fich auf folhe Abwege verirren, und
fein befferes Wiffen in ſolche Feffeln der Einfeitigkeit fchmieden
konnte. Und Hoffen dürfen wir von der, auch in diefer Schrift
unverkennbaren, Wahrheitsliebe des Verf., daß er, fobald ihn
Zeit und fortgefeßtes Machdenten und Beobachten von dem
520 R. Aufſchluͤſſe u. Geſch. d. Scharlachf, v. Reich u. Benedict.
Irrthum, in den er ſich verſtricken lich, uͤberzeugt haben wer⸗
den, das verbeſſernde Geſtaͤndniß deſſelben dem Publikum eben
ſo offen vorlegen werde.
Mr. 2. Ueber dieſe Schrift koͤnnen wir uns um ſo kuͤrzer
foffen, da fie, von ihrem Verf. nody am Ende feines aka—
demifhen Studienkurfes entworfen, und (laut der Vorrede)
fhon im Jahr 1808 während feines Aufenthalts zu Mien zum
Druck ausgearbeitet, nur mehr als ein Verſuch des Verf. zu
betrachten ift, dem Publitum zu zeigen, daß er fih bie Ans
fihten und Lehren feiner Lehrer und Vorbilder, und namentlich
feines Haupt; Gewährsmanns, des Hrn. Stieglitz, wohl
zu eigen gemacht habe. Das Ganze iſt ‚daher eigentlich nur.
ein lobender Commentar zu der von Stiegliß und früher
fhon von Hamilton empfohlenen darmausleerenden Kurs
methode, welche er mit eigenen Erfahrungen, die er bey einer
Scarlachepidemie in Leipzig im J. ı807 unter der Leitung
feiner damaligen Lehrer (namentlid des Hrn. Dr. Sachße)
zu machen Gelegenheit hatte, zu unterflüßen fucht, und womit
er eine vergleichende Weberficht der von Andern befolgten Kur:
methoden verbindet. Diefer leßtere Theil feiner Schrift, und
die mit lobenswerthem Fleiß und auter Litteraturfenntniß uns
ternommene Zufammenftellung mehrerer von andern Aerzten
befchriebener Scharlachepidemieen (im dritten Abfchnitt) moͤchte
wohl noch das Befte und Nuͤtzlichſte in diefer Schrift feyn.
Zur nähern Kenntniß der Natur diefer Krankheit, und zur
wahren Beförderung und Verbeſſerung ihrer Therapie dürfte
fie fehr wenig beytragen.
Das Werkchen zerfällt in drey Abdfchnitte. Der erfte hans
delt die Gefhichte des Verlaufs der Krankheit ab. Hier er—
wartet man eine genaue und zufammenhängende Geſchichte der
Epidemie, welche der Verf. im J. 1807 zu Leipzig beobachtete,
zu finden: aber flatt einer folhen, die allerdings verdienftlich
gewefen wäre, findet man eine ziemlich rhapſodiſche und nicht
zum Beſten geordnete Befchreibung des Scharlachfiebers übers
Haupt, ohne daß der Verf. uns über den Genius, den Gang
und die Übrigen in Beräckfihtigung kommenden Verhältniffe
jener Leipziger Epidemie unterrichtet hätte. Nur vermurhen
täßt er ung, daß dieſe Epidemie im Ganzen einen gutartigen
R. Aufſchluͤſſe u. Geſch. d. Scharlachf. v. Reich u. Benedict. 521
gelinden Charakter hatte. Dahin deutet wenigſtens die Ders
ſichetung des Verf. in der Vorrede, daß er von beynahe funfs
zig Kranken, die er zu jener Zeit theild unter des Hrn. Dr.
Sachße's Leitung, theils allein behandelte, einen einzigen
verloren habe, wenn er gleich diefes große Gluͤck lediglich der
Anwendung der Abführmittel nah Stıieglib’s Methode zus
fchreibt, und dabey bemerkt, daß das Scharlach damals auch
oft ſehr bösartig geweien jey, und daß von andern Kranken,
durch andere Aerzte auf eine entgegengeießte (?) Weiſe behans
delt, Manche geftorben wären. Die Art, wie der. Verf. die
Symptome des Scharlachs befchreibt, ift fo, daß man oft, ja
allermeift nicht weiß, ob er von der von ihm beobachteten Epis
demie, oder von der Krankheit überhaupt fpricht. Im $. 11.
fpricht der Verf. von einem von ihm beobachteten Kranten,
der nach wilden Delirien verfchied. Wie ift das mit feiner
obigen Verficherung in ‚der DVorrede zu reimen? — In der
Würdigung des f. g. Scharlacheranthemg folgt der Verf. gang
Stiegligen, und hält es mir diefem im Allgemeinen für
unwichtig und umentfcheidend, worin wir ihm im Ganzen, und
den Fall des fchnellen Zuräcktretens abgerechnet, benpflichten
muͤſſen, indem uns oft Fäle des bösartigftien Scarlachs vors
gefommen find, wo der Kranke bey der lebhaftefien (nicht
einmal dunkeln oder violetten ) Scharlachroͤthe, und feldft
noch bey der volllommenften Abſchuppung ftarb. Die
brandige Bräune, melde der Derfaffer unter den Zufällen
des Scharlachfiebers aufführt, ſcheint doch nur ein fehr zufäls
liger Begleiter deffelben zu feyn, und häufiger ohne daffelbe
und vielmehr als eine für fih beftehende Krankheit vorgutoms
men. — Die Abichuppung, welhe Hr. Reich als das Wes
fen der Scharlachkrankheit betrachtet, wird vom Verf. rich—
tiger als Folge derfelben, oder als eine durch die Krankheit
bewirfte Reproduction der Hautorgane angefehen. Vermoͤge
der Krankheit, fagt er, werden die Säfte nach der Dbers
haut geleitet, und es entfieht nun beynahe derfelbe Proceß,
wie wir ihn bey Thieren,. die ihre Haͤute oder Schalen abs
werfen , oder ihre Haare oder Federn wechleln, in verſchiede—
nen Zeitperioden wahrnehmen. (Diefe Analogie des Abfchälens _
im Scharlach mit dem Maufern und Häuten der Thiere hat
auc ein anderer gleichzeitiger Leipziger Schriftfteller über das
Scharlahfieber, Ar. Dehne, aufgeftelle, fih aber in der
Art ihrer Darftellung noch mehr der Reich'ſchen Anfiht ges
nähers, ald Hr. Benedict.) Durch diefe Hautbildung wird,
nad) dem Verf., nicht nur eine neue Epidermis fammt einem
neuen Malpighifchen Schleim » Meß erzeugt, fondern auch das
Fell fol einige Veraͤnderungen erleiden, welche indeſſen der
522 N. Aufſchluͤſſe u. Gefch.d. Scharlachf. v. Neich u. Benediet.
Verf. nicht näher nachgewieſen hat. — Im zweyten Abfchnite
entwickelt der Verf. die Heilmethode, und hält bier, wie fchon
Hgefagt, der Stiegligß’fhen Methode eine enthufiaftifche Lobs
rede. Zuerft fämpft er gegen die Anwendung der diaphoretis
fhen Mittel, verfehlte aber dabey den rechten Streitpunct, ins
dem er eigentlih nur gegen die erhigend fchweißitreibenden
Mittel ( die doch Heutzutage Fein verftändiger Arzt mehr gegen
das einfache und gutarfige Scharlady anwenden wird), und
gegen die drtlihen rothmachenden und blafenziehenden Haut⸗
reize zu Felde zieht. Die legtern will er als die primär Dias
phoretiichen, ja als die allein ſchweißtreibenden Mittel betrachtet,
und die innerlichen flüchtig reigenden, als bloß fetundär wies
tende, ganz aus der Zahl der ſchweißbefoͤrdernden ausgefchloffen
wiffen (!). — Das warme Verhalten tadelt er ebenfalls,
doch mit Mäfigung, und man flieht, daß er eigentlih nur
gegen das mit Recht verwerflihe heiße Verhalten firgitet. Er
führt aud ein Benipiel an, wo zwey erwachſene Scharlach—
Franke wegen Armuth in einer fchlechten Dachkammer der durchs
giehenden Luft ausgejeßt lagen (in welcher Jahrs zeit, fagt er
nicht, doc läßt fih aus dem Webrigen errachen, daß es im
Spätfommer oder Fruͤhherbſt gewefen fen), umd doch gar
leiht davonfamen. Die Brechmittel findet er Doch nicht fo
raͤthlich, wie Stiegliß; er unterlieh fie vielmehr allermeifl.
Dagegen ruͤhmt er gar fehr die von Stiegliß empfohlenen
falzigten Abführungen, aus Bitterſalz mit Oxymel, oder mo
dann Durchfälle eintraten, den Salmiak. Hier fchaltet der
Verf. von S. 58 — 64 einen Ercurfus ein, über die Natur
und Berfchiedenheit der Abführungsmittel, den er eben fo fügs
lih Hätte mweglaffen fönnen, da er das Bekannte weder bes
ſtimmt und unterfcheidend genug, noch auch durchgehends mit
der Erfahrung übereinftimmend darftell. Unter feinen drey
Klaffen von Abführungsmitteln ift befonders die letzte (die
fihenifirende und ſtaͤrkende), am fchlechteften gerathen, indem
man bierunter z. ®. auch den Schwefel finde. — Dem
Liqu. Mindereri, ber bier neben dem Kampher zu ftchen
kommt, ift der Verf. nicht günftig. — Die Behandlung des
typhoͤſen Scharlachs ift viel zu kurz abgefertigt. — Der dritte
Abſchnitt, vein geſchichtlichen Inhalts , ift der befte.
Mineralogische Studien von Leonhard und Selb. Erster
Theil. Mit Kupfern und Karten. Nürnberg, 1812. Bei
J. L. Schrag. IX und 3066 ©. 8. (2 fl. 45 fr.)
Heren Geh. Rath Leonhard hatten fih zu dem mine
ralogifhen Taſchenbuche, das er bekanntlich feit fieben Jahren
Mineralogifche Studien von Leonhard und Sch. 523
herausgibt, fo viele Materialien von fremder Hand dargebo—
ten, daß er genöthigt war, feine eigenen Aufiäge zurück zu
legen, um denen feiner verdienten Mitarbeiter in- der erwähns
ten Zeitichrift eine Stelle einzuräumen. Damit er indeh je
nen eigenen Abhandlungen — reich an neuen und intereffanten
Beobachtungen — nit gänzlidy den Reiz der Neuheit entzog,
unternahm er eine Herausgabe derfelben, gemeinfchaftlich mit
Herrn Ober s Bergratb Selb, der als treffliher Naturforfcher
hinreichend bekannt ift. So entftand diefes fehr empfehlengwerthe
Merk, für deffen Bearbeitung ein jeder Mineralog den vers
dienſtvollen DVerfaffern Dank wiffen wird.
Das erfte Bändchen enthält nachſtehende Auffäse. I. Der
blättrige Malahit, eine neue Artder Gattung
dieses Namens, aufgeftellt von Leonhard. Die
fes Minerat — welhem Hr. 2. mit guten Gründen feine
Stelle unter der Gattung des Malachits und zwar als Art
anmweist, die er auf den faferigen Malachit folgen laͤßt — fins
det fi) zu NRheindbreitenbah, und wurde bisher aus Irrthum
für blättriges Dlivenerz gehalten. Die hier mitgetheilte, mit
Genauigkeit verfaßte Aufere Beſchreibung des Verf. wird durch
eine von Buchholz unternommene chemifche Prüfung beftäs
tig. — 11. Weber Arragon und Iglit und über
die Bereinigung beyder Mineraltörper zu einer
Gattung. Bon. Leonhard. Mac einigen vorausgefhickten
allgemeinen Bemerkungen, in welchen der Verf. fehr richtig
das nachtheilige Verfahren derjenigen Mineralogen rügt, welche
es fih zur befondern Angelegenheit mahen, das Syſtem uns
nöthig mir Gattungen und Arten zu vermehren, theilt er lit⸗
terärifche Machmweifungen tiber den Arragon und Iglit, fo wie
über die bisher uͤblich geweſene Momenklatur und fuftematifche
Anordnung beyder Foffilien mit, und geht endlich zur Charaks
teriftit der Gattung des Arragons über. Diefe zerfällt nad
2. in drey Arten. 1. Semeiner Arragon (das unter
dem Mamen Arragon,, Arragonit, excentrifher Kalkftein bes
Tannte Mineral). .2. Stängliher Arragon (der foger
nannte Iglit und das auf dem Harze einbrechende, früherhin
für fohlenfauren Strontian angefehene Mineral). 5. Dich—
ter Arragon. Eine bisher unbekannte Act von Limburg im
Breisgau. Außer den oryktognoſtiſchen Beſchreibungen enthält
der. vorliegende Aufſatz noch mande fchäßbare Bemerkungen,
zumal über das Vorkommen der verfchiedenen Arten des Arras
gons in mehreren Gegenden, Über die Verhältniffe, unter wels
chen er einbricht, und über die ihn begleitenden Foffilien. —
II. Die baftartige Braunfohle, befhrieben von
Leonhard. Diefe neue intereffante Art der Braunkohlen⸗
*
524 Mineralogiſche Studien von Leonhard und Gelb,
Sattung, welche Hr. 2. wegen ihrer täufchenden Achnlichkeit
mit Daft fo benannt hat, findet fih zu Offenheim in der
Wetterau, und foll, wenigftens zum Theil, von der Erle
(alnus glutinosa ) und zwar von der Rinde herrühren. Rec.,
der die daſtartige Braunkohle aus Autopſie kennt, muß geſte—
hen, daß fie ſich ſehr als neue Arc charakteriſirt. IV. Mis
neralogifhe Motigen von Leonhard. Nicht minder
reichhaltig. Sphene als Einfhluß ım Bergkrpftall aus dem
Ehalomcher Gebirge der Dauphinee und einige Bemerkungen
über diefes Mineral, wichtig für die Charakteriſtik deffelben.
— Analzim aus Foffe. Vorkommen in einem bafaltifhen Mans
delſteine, mit Zeolith ꝛc. — Melanit und Leuzit in Deutfchs
land entdeckt (am Kaiferftuhl im Breisgau in einer etwas
aufgelösten grünfteinartigen Gebirgsart). — Meue Kıyftals
form des Sediegen s Wismurhs ( fechsjeitige Säule mit drey
Flächen zugeipigt). — Anatafe vom St. Gotthard. — Koh—
lenfaurer Strontian von Bräunsdorf bey Freyberg (— diefes
Foſſil wurde von manchen Naturforfchern für Arragon gehals
ten). — Unbekanntes Mineral in der Gegend von Schems
niß gefunden. — V. Mineralogifhe Motigen von
Selb. Sntereffant. Frequenz des Augits am Kaiferftuhl
im Breisgau. — MUebergänge des Baſalts in Klingfteinpors
phyr. — Kryſtallformen des Gediegen-Wismuths auf der
Grube Sophia (Tetraeder, vierſeitige Tafel, Oktaeder, drey—
ſeitige Doppelpyramide). — Ueber den Silbergehalt des
Wismuth Silbererzes und deſſen Kryſtallgeſtalt. — Tafel—
foͤrmige Kryſtalle von Bleyglanz. — VI. Ueber das in
Ungarn entdeckte phosphorſaure Kupfer. Bon
Leonhard. Der Fundort diefes in vierfeitigen Doppelppras
miden phosphorfauren Kupfers ift Liberhen bey Neuſolf. Als
Anhang einige chemifche Motizen von Buchholz, welche die
Angaben des Verf. durch die Analyfe rechtfertigen. — VII.
Defhreibung einer Suite von Gebirgsarten aus
der Auvergne, von Leonhard. ‚Als Einleitung einige
Iehrreiche Bemerkungen von Dolomieu und Buch über die
Vulkane der Auvergne, aus dem Journal des mines und aus
Buch's Reife entlehnt. Nun folgen die mit vieler Grändlichs
keit entworfenen Befchreibungen ver Gebirgsarten,, deren Zahl
fid) auf 7ı belauft. Die Sammlung bietet eine ziemlich volls
ftändige Suite der Gebirgsarten diefes merkwürdigen Landes
dar. Im Allgemeinen find Befchreibungen von: Gebirgsarten,
ohne daß man Gelegenheit hat, die Erempfare felbft mit dem
Terte vergleihen zu können, von keinem befondern Merthe;
die vorliegenden machen indeß hier eine Ausnahme, indem fie
als intereffante Belege beym Nachleſen der Schriften, welche
Mineralogifche Studien von Leonhard und Selb, 525
über die Auvergne erfchienen find, dienen können. Der Verf.,
welcher bekanntlich Anhänger des Neptuniemus ift, fcheint die
Vulkanitaͤt der Auvergne. in Zweifel zu sieben. — VIII Cha
rafteriftit der Gattung des Zeoliths und der
verfhiedenen Dazu gehörigen Arten von Leons
hard. Der Verf., welder unter der Gattung des Zeolithe
Hauy’e Mefotyp und Stilbit begreift, theilt diefe Gattung
in nacftehende Arten und Unterarten. a. Dichter Zeolith.
b. Erdiger Zeolith. c. Faferiger Zeolith. d. Strahliger Zeor
lieh. 1. Gemeiner flrahliger Zeolith. Prismatifch s ftrahliger
Zeolith. e, Blärtriger Zeolith. 1. Gemeiner bfättr. Zeolith.
2. Schälig:s biättr. Zeolith. 3. Körnig s blättr. Zeolith. Der
Aufſatz leider feinen weitern Auszug, mas wird ihn aber nicht
unbefriedigte durchleſen. — IX. Reife nah Dberftein
durh-das Thalder Nahe, befhrieben von Leon—
Hard. Betrifft eine an mineralogiichen Seltenheiten merfwürs
dige Gegend, und die Abhandlung wird dadurch um fo anzies
hender. Befonders bemerflih machen wir die Notizen über
die Chabaſie und über den Kreuzftein, fo wie die angehängte
Beſchreibung der Gebirgsarten und der orpktognoftifch s einfas
hen Foffilien aus diefer Gegen. Die von Weftermapyr zu
diefem Auflage gearbeiteten Kupfer find recht gut ausgefährt.
Es find zwey Blätter; eine Anfiht von DOberftein und eine
vom gefallenen Felfen. Aucd gehöre noch eine kleine petrogras
phiihe Karte über das Thal der Nahe von Kreugnady nad)
Dberftein hierher. — X. Reife nah Graubuͤndten
und nad den dortigen Bergwerken von Reihenau
in den Jahren ıdıo und ıdıı, von Selb. Mit einer
Karte von Sraubündten. Ein gehattvoller Aufias, der viele aute
geognoftifhe, mit Klarheit dargeftellte Beobachtungen liefert.
Da der Raum feine ausführliche Anzeige erlaubt, fo begnügen
wir uns, die Nubrifen der einzelnen Abfchnitte anzuführen.
Donauefchingen. — Weg nad dem Bodenfee. — Ueberlingen.
— Heiligenberg. — Lindau. — Bregenz. — Embs. — Weg
nah Chur und Reichenau. — Reichenau mit feinen Bergwer—
fen. — Neichenady bey Chur und Salis. — Dberland oder
Ruviefer Revier. — Grube in DOberfaren. — Rheingrube. —
Gruben St. Johann. — Andeffer: Grube. — Andefters Res
vier ꝛc. — Pfefferss Bad. — XI. Ueber das neue Groͤn—
ländifhe Mineral, Sodelit genannt. Bon Leon—
hard. Der Befchreibung diefes neuen Mineralproducts liegt
Thompſon's Abhandlung und eine Suite von Eremplaren
des Zoffils, welche der Verf. befißt, zu Grunde. — XU.
Nachtrag zur Abhandlung Mr. VI: Aus einem Briefe
von Haüy an den Verf. — XII Bemerkungen über
a? | ineralogifche Studien von Leonhard und Selb.
den Allenit, ein neues Mineral aus Grönland.
Kon Edonhard. Nach eignen Beobachtungen.
Wir fehen der Fortiegung diefer, auch im Aeußern gefaͤlli⸗
gen Schrift, mit Verlangen entgegen.
Die Palmen, aus dem Grundtexte metriſch überfegt, mit kurzen Ans
merfungen, von Joh. Rud. Schärer, Prof. ded Bibelftus
diums an der Akademie zu Bern. Bern, in der Walthard,
Buch. 1812. XI und 259. 8.
Die Weberfeßung wird in abgefesten Zeilen, nah einem
freyen Rythmus gegeben, welcher meift dem jambifchen ſich näs
hert, doch, wo der Tert entweder den Jambus nicht ausfüllen
tann oder auch zuviel enthält, lieber kürzere Zeilen annimmt,
als etwas zuießt, oder bisweilen längere fih erlaubt, wo nicht
fchicklich abzubrechen iſt. Unftreitig eine gute Methode, um die erfte
Pflicht des Ueberſetzers, treue Uebertragung des Textes, zu ers
füllen und doch eine leichte poetifche Form zu erhalten. wobey
die Monotonie des Jambus vermieden werden kann. Wenn nur
der Rythmus nicht durch gefchraubte Wortverfegungen erzwuns
gen und der hebr. Parallelismug der Versglieder nicht vernach—
läßigt wird, auch, was die Hauptfache ift, man nicht nur den
Wortfinn, fondern auch den Ton des Tertes — er ſey einfach
moralifh und hiſtoriſch, oder fenerlih und erhaben s religiög,
er fey kurz und gedrängt, oder fließend und fanft — genau zu
halten und wiederzugeben firebt. Sm Ganzen hat Rec. die
Weberfeßung , fomweit er fie genauer prüfte, brauchbar gefunden.
Einige Bemerkungen dienen vielleicht zu WVerbefferungen, für.
welche der Verf., nad) der Vorrede, ſehr empfaͤnglich iſt. Pſ.
2, 2. wird uͤberſetzt:
Verſchwoͤren ſich die Fuͤrſten,
Dem Herrn und den Er weiht, entgegen.
Die zweyte Zeile fcheint einzig um des Jambus willen undents
li geworden zu feyn. Es wäre unentbehrlich zu feßen: und
dem, den Er weihte. — Eben fo nöthig wäre es gerade hier,
mon nicht zu umfchreiben, fondern durd) ein gleichbedeutens
des Subftantivum auszudrücken. Auch das Apoftcophiren des
weiht' ift hart. Weberhaupt aber paßt der Begriff weihen,
einweihen, nicht. Diefes Wort feßt eine Heiligkeit der Hands
lung, eine Verbindung mit dem Cultus voraus. Das Salben
der Könige aber geichah nicht einmal, wie unſer Krönen öfters,
im Tempel. Es wurde als Volksſache an ungemweihten oͤffent⸗
lichen Plaͤtzen (1. Koͤn. aꝛ, 32 — 54.) vollbracht. Auch im
Die Pſalmen von J. R. Schärer. 527
Deutſchen wird man nie bey einer Thronbeſteigung ſagen: Der
neue König wird geweiht, ift eingeweiht worden. — Die Aufs
fohriften, welche der Verf. jedem Pfalm vorfeßt, halten fich
fehr an das Allgemeine, und dies mag, wo die Gründe indis
vidueller Beziehungen nicht zu entwiceln find, das räthlichfte:
feyn. Aber doch muß auch diefes Allgemeine der Zeit angemefs:
fen feyn. Pf. XVI. fol von einem Ssraeliten reden, welcher
Verfuhungen hatte, die wahre Religion zu verläugnen, denen
er aber flandhaft widerſteht. Sind Vorausfesungen heidnis
fher Proſelytenmacherey, welche vor den Zeiten der Griechiſchen
Bachbarn nicht hiſtoriſch erweislich ift, nicht allzu modern? Es
ſoll der Sinn ohne Zweifel aus V. 4. hervorgehen. |
| „Sie aber, die von Gott zurüdgeeilt,
Wird treffen Schmerz auf Schmer;.
Nie werde ich von ihrem blutgen Opfer koſten,
Noch folten ihre Namen meinen Mund befleden.“
Der Jambus hat hier zu allzu vielen Abweichungen vom Terte
Anlaß gegeben. „Von Bott zuruͤckgeeilt?“ Der Text ſagt:
die einem andern nadeilten Statt zurück müßte
menigftens weggeeile fiehen. Vom Koften der Opfer ift gar
nicht die Rede. Der Tert fagt:
Sie mögen machen ihrer Gögen viel,
Sie, melde einem andern Gott nacheiften.
Nie will ih Blur zu ihren Opfertränfen gießen laſſen.
Nie follen ihre Namen fommen über meine Lippen.
D70 if etwas von Blut, du sang. Man goß etwas Blut
in den Wein der Opfertränfe, wenn man fich verbündete. San-
uinem vino permixtum circumtulisse Catilinam, ( fagt
aluft, bell. Catilinar. c, 22.) inde, cum post exsecratio-
nem omnes degustavissent, sicuti in solemnibus sacris
fieri consuevit etc. Auch Alex. ab Alex. (Dier. Genial. L.)
gibt an: Carmani, percussa faciei vena, profluentem cruo-
rem vino miscere ac sibi invicem propinare in jungendis
foederibus consueverunt, summum amicitiae foedus exi-
stimantes, mutuum gustasse sanguinem (vgl. Stephani
über das heil. Abendmahl. ıdıı. ©. 20). Der Berf. des
Pſalms ſpricht alfo davon, daß er mit Gößendienern nidt in
Buͤndniſſe treten wolle. 02 und 0) geht immer auf etwas
Fluͤſſiges, hier auf Libationen und Getränke bey DOpfermahls
zeiten. Wörtlich fagt der Terre; Mie will ich begießen laffen ihre
Dpfertränte mit etwas Blut. Schwur man bey Buͤndniſſen,
fo ſprach man der Sortheiten Namen feyerlih aus. Der Sinn
ift demnach: Mit Heyden will ich nie Buͤndniſſe fchließen uns
523 Die Palmen von J. R. Schäter.
ter heydniſchen Ceremonieen von DOpfertränfen, die mah mit
Blutstropfen miſcht, und mit Schwüren, mo man fi bey
Goͤtzen, per Deorum nomina, betheuert. — Pf. 22, 4. klingt
es fehr unpoetifch, und wie eine Zeile aus Gryphius, voll anı
dächtig fcholaftiiher Terminologie, wenn Überfegt wird: Du
bift der Pialmen Israels beliebter Gegenftand De
Text ſagt mit Würde:
Zu Und dennoch bift du heifig,
Thronft unter Lobgefängen Israels.
Bon eben diefem Pfalm jagt die Weberfchrife ohne meiteren
Fingerzeig: er werde von den meiften älteren und einigen neuw
ren Auslegern von Chriſto erflärt.. wegen der mwörtlichen Er
füllung mehrerer Stellen an Ehrifto. Dennoc erklärt der Verf.
felbft den V. 19. in der Mote davon, daß die Feinde fo fihe
auf den Tod des Dulders rechnen, daß fie fchon ir Gedanken
feine Habfeligkeiten unter fi theilen. V. 17. mird überfeßt:
fie feffeln Hand’ und Füße mir. Diefe Bedeutung von IN)
wüßte Rec. nicht zu erweifen. Der Verf. thut es vermuthlid
in einem Commentar, den die Vorrede erwarten Läßt. Weber
haupt bemerkt Rec. gerne, daß der Verf. in der Worrede einen
richtigeren Blick Über die Pfalmen im Allgemeinen angiit.
„Den Pialmen liegt nur die unvolllommnere Moſaiſche Religion
zum Grunde, die ſich zur chriftlihen, wie die Dämmerung
zum hellen Mittagslichte verhält. (2. Petr. ı, 19.) Dort it
man gewiſſe entferntere Gegenftände entweder gar nicht, ot
dunfel; einige fogar in einem falfchen Lichte oder im eint
fremden Geſtalt.“ Der Commentar wird alfo wahrjdeinlid,
weil der Verf. dort zugleich die Gründe hievon ausführen kant,
geradezu erflären, daß ein Gedicht, worin einzelne Stellen
ganz wörtlich von dem, was bey Jeſus gefchehen iſt, abi
hen (wie ®. 2ı. Mein Leben reiten von dem Schwerdte), nid!
von der Geichichte Jeſu handeln könne, dafi aber wohl aus ei⸗
nem folhen Gedicht einzelne Parallelftellen zur MWergleihung
mit dem, was bey Jeſus gefchehen it, im M. T. als paralkl
angeführt werden konnten, um, als Apologie der Sache Jeſt
für Juden, zu erinnern, daß aͤhnliche Mifhandlungen aus
fhon andere Fromme getroffen haben, und folglich ebenfal?
bey dem Meifias nicht anitötiig und feiner Anerkennung nat
theilig fenn dürften. Vornehmlich ift Rec. auf den Comment
deswegen begierig, weil er darin diejenigen Erklärungen auf
gezeichnet zu finden hofft, welche dem Verf. eigenthuͤmlich find,
und welche jetzt nicht leicht herausgefunden und nad Gründe
beurtheilt werden können.
H. E. & Paulus.
No. 34. Heidelbersifhe 1813.
Jahrbuͤcher der Litteratun
——
Frankfurtiſches Archiv für äftere deutſche Litteratur und Geſchichte.
Herausgegeben von J. C. v. Fichard, genannt Baur v. Ep⸗
fened. (Erſter Theil) Mir Kupfern. Frankfurt am Main, in
Kommiffion bey Gebhard und Körber ıgıı. 470 S. Zwepter
Theil. Mit einem Kupfer. 1812. 411 ©. 8.
| IR übergehen in der Anzeige diefer verdienftlihen Samms
Aung die ausführlichen Pritifchen, oder vielmehr polemifchen Abs
fchnitte beyder Theile, welche gegen Herrn Kirchner’s Geſchichte
von Frankfurt am Main gerichter find, indem wir es uns zum
SGurundſatz gemacht haben, uns nicht in den Streit zu mifchen,
woelchen die Erfcheinung jenes Werkes unter den Frankfurtifchen
Seeſchichtforſchern erregte hat. Wir find aber überzeugt, daß
: Dr. Kirchner die meiften der Bemerkungen des Hrn. v. 5.
x mit Dank angenommen hat; wir bemerken nur no, daß in
" dem zwenten Theile der beffere und eines Geſchichtforſchers wuͤr⸗
Dige Ton der Kritik volltommen getroffen und gehalten mwors
‚den if. |
Die Geſchichte von Frankfurt am Main als einer der Als
geften und bedeutendfien Städte in Deutfchland, iſt nicht von’
einem bloß lofalen Sintereffe, fondern in fofern die Einrichtuns
gen , Berfaffungen, Geſetze einer folhen Stadt, wo aus allen
Segenden von Deutfchland Nitter und Bürger fo oft bald zum
Softage oder Reichstage, bald zu den Meffen, bald zu andern
Fey erlichkeiten ſich verſammelten, und mit welcher der groͤßte Theil
»ors Deutſchland ſchon ſeit undenklichen Zeiten in der genaues
ters SDandelsverbindung fland, fid) anderen Städten zur Nach—
ih meang empfahlen, von allgemeinem Intereſſe für ganz Deutfchs
and- Dies Archiv beichränft ſich ohnehin nicht auf die fpecielle
55 e ſch ichte Frankfurts, ſondern enthaͤlt auch, wie die folgende
Iimzeige beweiſen wird, verſchiedene Mittheilungen von ſehr
U g e meinem Intereſſe. Je weniger der Geiſt der gegenwaͤrti⸗
34
530 Seanffurtifched Archiv von J. C. v. Fichard,
gen Zeit zu folhen Sammlungen, wie die vorliegende, ſich
hinneigt, um deſto mehr verdient der verdienftliche Eifer des
Herrn v. Fichard gerechte und dankbare Anerkennung.
Den erften Theil eröffnet eine Chronik, die Jahre ıdı2
bis 1544 umfaffend, von einem der Vorfahren des Herausger
bers , dem berühmten Rechtsgelehrten Johannes Fihard,
weicher, wie er feldft hier berichtet, auf dem Reichstage zu Speyer
im 3. 1641 vom Kaifer Carl V. zum faif. Pfalzgrafen ers
nanne und für fih und feine Nachkommen in den Adelftand
erhoben wurde, in einem meiftens fhönen Lateinifhen Styl
gefchrieben. Sie enthält unter andern merkwürdige Nachrich⸗
ten uͤber die Fortſchritte der Reformation in Frankfurt und die
Fehden der Fuͤrſten und des Adels, von welchen die benachbars
ten Gegenden fo oft beunruhigt wurden, auch hie und da fin⸗
det ſich Erwaͤhnung der Welthaͤndel und Angelegenheiten des
Deutſchen Reichs in der damaligen Zeit, z. B. der Tuͤrken⸗
kriege. Der Verf. nahm ſelbſt an den Unterhandlungen Ans
theit, welche im 3. 1555 zur Beylegung dee Streites zwifchen
dem Churfürften Albrecht von Maynz und dem Magiftrat von
Frankfurt über die kirchlichen Veränderungen in Frankfurt, ges
pflogen wurden; er wohnte als Deputirter feiner Vaterſtadt
dem Tage zu Heidelberg bey, welchen der Churfürft Ludwig
von der Pfalz ats Laiferlicher Subdelegirter in diefer Angeles
genheit hielt, und befand fich unter den Abgeordneten, welche
nach Kalle zu dem Churfürften von Maynz fich begaben, und
vergebliche Wergleihsvorfchläge brachten. Befonders merkwuͤr⸗
dig iſt die Nachricht, daß der Angriff des Eleviihen Marſchalls
Martin Roſſem (er heißt hier a Rolsheym ) auf Antwerpen
und Löwen im 3. 1542 durch das falfche Gerücht vom Tode
des Kaiſers Carl V. veranlaßt, von dem Marfchall zuerfi in
eignem Mamen unternommen, und erft, als ihn das Glück bes
günftigte, von dem Herzoge Wilhelm von Lleve gebilligt wor—
den fey. Bey Pontius Heuterus (Rerum Belgicar. Lib. XI.)
wird die Sage von dem Tode des Kaifers Carl als eine Ers
findung erwähnt, welche Roſſem verbreitete, um die Mieders
länder zu ſchrecken. Der Gefandte, durch welchen er die Stadt
Antwerpen zur Webergabe an-die Könige von Frankreich und
Dännemarkt auffordern ließ, erzählte nach dem Berichte des
Sranffurtifches Archiv vom 3. C. v. Fichard. 531
Heuterus, daß der Kaifer fhon von den Fifchen: verfchlungen
ſey, erhielt aber zur Antwort, daß der Kaifer gleichwie der
Prophet Jonas am dritten Tage ins Leben wiederfehren und
fchneller zuruͤckkommen werde, als es die Könige wuͤnſchten.
Der Name des Königs von Navarra, deffen Tochter der Hers
zog Wilhelm zur Gemahlin erhalten follte, wird, ©. 70 viels
leicht duch einen Schreibfehler Sakob genannt; es war bes
tanntlih Johann d' Albret. II Gedichte Johann's von
Soeſt, eines Hoffängers und Arzts. Won ıdoı und
1504. S. 75— 139, nad einem Autograph des Sängers in
dem Befiße des Herausgebers. Die beyden hier mitgerheilten
Gedichte, ein-Lobfpruch auf die Stadt Frankfurt und die Les
bensgefchichte des Sängers, find in der Art: gewöhnficher
Meifterjänger , alfo Reimereyen ohne eigentliche Poefle, dafür
aber find. fie angefüllt mit Zügen aus dem Leben und Treiben
jener Zeit, befonders das letztere Gedicht. Es herrfchen darin
eine muntere Laune und ein unfhuldiger Frohfinn. Johann von
Soeft (geb. zu Unna 1445) war der. Sohn eines Steins
metzen, feine Mutter zog mit ihm nad) feines Waters Tode
nach Soeft, wo er „an Sant Patrocles Kyrhen“ Chorfhäter
wurde. Seine ſchoͤne Stimme erregte die Aufmerkſamkeit eines
fremden „Gocklers,“ der nah Soeſt kam; er läßt fih von
diefem bereden, heimlich feine Mutter zu verlaffen und ihm
zu folgen, wird aber fhon eine Meile von Soeſt bey dem
Nonnenkloſter Himmelpforten von Soldnern aus Soeſt einges
holt und zuruͤckgebracht. Mach einiger Zeit lerne ihn der Her—
309 Johann I. von Kleve kennen, welchem er nah vielem
Widerfpruh feiner Mutter als Hofjänger nah Cleve folgt.
Durch die Gunft des Herzogs, der „anhub ihn Sufthen zu
nennen ,“ und das üppige Leben an deffen Hofe wird er
bald zu Uebermuth und mancherley Sünden verführt, von
welchen er mit reumuͤthiger Geſinnung redet. Micht lange hers
nach verleitet ihn fein unruhiger Sinn zu neuen Abentheuern.
Von zwey Sängern aus England, („dy konten uffermoß wol
ſynghen, faft meifterlih in allen Dingen“) welche an den Hof
des Herzogs kommen, läßt er fich heimlich beſtricken, ihnen
nachzugiehn; er wird beftelle zu Brügge in. den Niederlanden
mie ihnen zufammenzutreffen. Es wird ihm fehr ſchwer von dem
532 Franffurtifches Archiv von J. C. v. Fichard,
Herzog feinen Abfchied zu erlangen; der Herzog, als Bitten
den beliebten Sänger nicht zuruͤckzuhalten vermögen, läßt ihn
fogar in einen Thurm fperren, und entläße ihm erft, als nichts
feinen Sinn ändert, ja er fendet ihm noch einmal einen Bor
een nah, um ihn zur Ruͤckkehr zu bereden, aber gleichfalls
vergeblich. Johann von Soeft lernt von den Engländern ihre
Kunft , fömmt dann noch einmal nach Cleve, finder den Her—⸗
zog nicht, nimmt feine zuräckgelaffenen Kleider, dient dann
verfchiedenen Kirchen und weltlichen Herren als Sänger, und
begibt fih endlich in feinem vier und zwanzigſten Lebensjahre
an den Hof des Pfalggrafen Friedrich (des Siegreihen) zu
Heidelberg, wo er fih ein Weib nimmt. Leider fehlen in der
KHandfchrift mehrere Blätter, in welchen die Gefchichte feiner
erften Ehe, fein Leben zu Heidelberg am Hofe des Pfalggras
fen, fein Webergang zum Studium der Medicin, und feine
Promotion zum Doctor der. Arzneykunſt erzähle werden. Die
Erzählung fängt wieder an nad) dem Tode feiner erfien Fran;
ein Traum (im J. 1494) made feinen Entfhluß, in den
geiftlihen Stand zu treten, wanfen, und am andern Tage
fieht er auf der Meckarbrücke die Jungfrau Margarethe Hecht,
welhe mit ihrem Bruder Melcher Hecht und deffen Hausfrau
Kattıyn, der Hechtin und ihren Kindern in den Hechtiſchen
Sarten, Tarsbach genannt, geht. „Sy troghen by in ger
meyn Eyn große Flafch, dy was voll Wein;*“ unfer Johann
ſchließt ſich dieſer Gefellfhaft an, und merkt bald, daß Jungs
frau Margarethe, „lang, ſwang, faft zuͤchtig von Geficht ,“
die im Traume ihm verheißene Ehefrau ſey. Auf eine fehr
naive Weile erfpähet der Sänger auf dem Ruͤckwege in die
Stadt die Gefinnung der Jungfrau gegen fih, und als ihre
Aeußerung ihm Hoffnung gegeben, geneigtes Gehör zu finden,
bittet er den Melcher Hecht, bey feiner Schwefter den vorläus
figen Heyrathsantrag zu machen, und diefer bringt dem Doctor
noch am Abende diefes Tages die erwänfchte Antwort. Unſer
Doctor hat indeß in feinem Haufe im falten Thal „bereitet
fon und fhon, Won Hechten eyn Eollacion Mit Fyghen, Rus
hen, kleyn Raſyn, Auch ewen darzu fyenen Win, dann dy
Tziit in der Faften was.“ Am andern Tage bringt Johann,
nachdem er vorher die Meſſe gehört, felbft feine Werbung an,
Franffurtifches Archiv von 3. €. v. Fichard. 533
und überreicht feiner Braut „ein gulden Ringelein;* am Nach⸗
mittag läßt fih die Jungfrau in dem Haufe ihres Bräutigams
ein Bad und eine feine Bewirthbung mit ihren Verwandten
gefallen, um Pfingften ift die Hochzeit, zu welcher der Pfalzs
graf (Philipp der Aufrichtige, nicht Ludwig der - Friedfertige,
wie ©. ı3ı in der Anmerkung gefagt wird) Wildprett und
Fiſch ſchenkte, auch das „KHarnefhhuß“ laͤßt der Pfalzgraf
den Gaͤſten einräumen und Tiſche darein ſtellen; an „Gut
Malvyfye ( Malvafier ) und Bayers Byr“ gebricht es nicht.
Die Freude wird nur dadurch geftört, daß der Water der Braut,
Hans Hecht, welcher feinem eignen Kind gehaß geworben,
indem er feiner Tochter das von ihrem Altvater auf feinem
Sterbebette ihr geſchenkte Erbtheil vorenthält, auf der Hochzeit
nicht anmwefend feyn wil. Doctor Johann gibt nur Einen
Tag der Hochzeit volle Statt, deswegen, weil nody fein volles
Jahr feit dem Tode feiner erftien Hausfrau verflofien war.
Dafür wurden am folgenden Tage die Bettler und Bettlerins
nen mit Fleifh und Fiſch und Wein ſtattlich bewirthet „und
moften dangen an eym Stab dy alten Wyber Betteler, beyd
Sram und Man fprang Hin und her.“ Auch die Geſchichte
des Proceffes mit Hans Hehe wird ausführlich erzählt. Eine
Beleidigung des Marſchalls Hans von Drott, an der Hoftafel,
bewegt hierauf unfern Doctor, weil ihm der Churfürft keine
Genugthuung verfchafft, Heidelberg zu verlaffen und nad
Worms zu ziehen, wo er bleibt, bis der Bifhof Johann von
Worms in feinen Streitigkeiten mit der Stadt den Seiftlichen
auszuziehen gebietet: „Don wollt ich auch nyt lengher biyben,
dan wenig gab Recepten fchryben.“ Er zog nad Oppenheim,
nicht lange nachher aber nad Frankfurt, wo er in feinem
Haufe „zum alten Korp“ auf dem Kornmarkt, dieſe Reime
niederfchrieb. Johann von Soeft farb zu Frankfurt am 2.
May 1506. III. Zwey Lieder über die Belagerung
Frankfurts im J. 1552 (aus einer gleichzeitigen Hands
fhrift), S. 140 — 155. Der Verf. war unter den fremden
Truppen, welche für den Kaifer Earl V. die Stadt gegen den
Ehurfürften Moritz von Sachſen und fein Heer vertheidigten ;
wahrfheinlicd hatte er in Sacfenhaufen feinen Poſten, daher
fein Hohn und Spott meiftens den Markgraf Albrecht von
534 Frankfurtiſches Archiv von J. ©, v. Fichard.
Brandenburg trifft, welcher vor Sachſenhauſen lag. TV. Tar
felordnung der fremden die Meſſen zu Frankfurt
beſuchenden Kaufleute. Am Mürnberger Hof errichtet
(in der KHerbftmeffe ) 1556, beftätigt 1558, S. 154 — 162.
Es wird von Kaufleuten aus Mürnberg, Ulm, Schwaͤbiſch
Gemuͤndt, Augsburg. Breslau und andern Städten in alter
buͤrgerlicher Treuherzigkeit eine Schmwägerfhaft errichtet, um
während der Meffe gemeinfchaftlich zu ſpeiſen; gewiſſe Ger
feße,, deren Webertretung mit Geld geahndet wird, entfernen
alle Höfifche Keremonien. So wird ein Kreuzer erlegt von fols
chen, welche einen ihrer Gejellen anders als Schwäher nennen,
Oder gegen einen andern den Hut oder das Baret ruͤcken u. ſ. m.
Die Unterfchriften der aufgenommenen Mitglieder gehen bis
zum J. 1620, wo die Unruhen des dreyfigjährigen Krieges diefe
geiellfchaftlihe Verbindung trennten. V. Suftav Adolph,
König von Schweden, in Frankfurt am Main
1651 und 1692, ©. 165 — 176. Aus der handichriftlichen
Ehronif eines Frankfurter Bürgers, Caspar Kiefch, der Poll von
Dewunderung und Ehrfurcht für Guftav Adolph, meiſtens nur
die Feyerlichkeiten befchreibe, welche durch den Aufenthalt des
Königs und der Königin und der Fürften, die ihnen die Auf,
mwartung machten, veranlaßt, die Frankfurter wegen der fchlech:
ten Meffen einigermaßen tröfteteen: „Don Perfon ift She
Kön. May. fehr groß, di und ſtark, das feines gleichen nicht
viel gefunden wirdt, fonderlih an Weißheit und Werftandt,
die ihm Gott der allmächtig gegeben hat .... Die Königin
ift auch ein fehr fchön Weibsbilt, von Perfon zart, einer Mits
telmeffige Leng, fehr freundtlich und rediprädhig u. f. m.“ Ber
fonders erfreut ift der gute ehrlihe Bürgersmann berichten zu
fönnen, daß der König fih und der Königin in Braunfels
von dem Doctor Tettelbah eine Predigt habe halten laffen,
„dieweil man hat alhie gezmweifelt, ob der König calviniſch
oder lutheriſch tft, aber es ift Ihr May. fo ein reiner und
guter Evangelifcher als noch ein Chriften Menfch fein mag,
der der Augsburgifhen Konfeffion zugethan ift, wie er auch
für die Ehre Gottes freie und Erieg führe.“ VI Vertrag
der Stadt Wezlar mit ihren Glaͤubigern von 1882,
S. 177— 196. Eine fehr merkwürdige Urkunde. Die Burs
Sranffurtifches Archiv von J. €, v. Fichard. 535
germeifter, Schöffen, Rath und die Bürger gemeinlih, In—⸗
faffen, Beyſaſſen, reih und arm, der Stadt und Vorftadt zu
Wezlar, im Trierer Bischum, fo wie aud die fieben Hands
werker (Gewandmacher, Becker, Brauer, Schuhmirte (Schur
fter), Fleiihhauer, Schmiede und Schneider, kommen mit
den Gläubigern der Stadt, einigen Bürgern von Maynz,
Worms, Frankfurt und Friedberg und dem Abte und Convente
zu Arnsburg,, deren Forderungen zufammen 788481, Gulden
und aht Schilling Heller betragen ,. überein, daß die Hälfte
aller damaligen und künftigen Rente und Gefälle der Stadt
Weslar, mit Ausnahme der Boden und Steuern, zur allmaͤh⸗
ligen Tilgung diefer Schuld angewendet werden fol. Es iſt
allerdings ſehr auffallend, daß eine fo Heine Stadt als Wezlar
eine in damaliger Zeit fo bedeutende Schulvenlaft auf fih las
den konnte; aber es läßt uns auch auf die Wichtigkeit des
Handels und Verkehrs und die Lebendigkeit der Betriebſamkeit
fließen, welche damals in dieſen Gegenden herrfhten. Die
Urkunde wird befonders dadurh wichtig, daß alle einzelnen
Renten und Gefälle, deren Hälfte zur Tilgung der Schuld
dienen fol, aufgezählt werden. Der Abdruck ift nah einem
zu Frankfurt befindlihen Originale der Urkunde gemacht wor—
den (fie wurde fechsmal ausgefertigt); die an diefem Driginale
befindlichen fieben Zunftfiegel hat Hr. v. F., wegen der Sels
tenheit ächter Zunftfienel, auf einer Kupfertafel abbilden laffen.
VI. Sammlung von Urkunden zur Erläuterung
der Geſchichte Frankfurts Erfte Lieferung ©.
197 —2355. Die hier mitgetheilten fiebzehn fehr gut gemähls
ten Urkunden find theils zuerft, theils richtiger als in frühern
Abdrücen gegeben, einige nach Originalen, andre nach den
beften Eopien, welche der Herausgeber fich verfchaffen konnte;
jede Urkunde wird durd eine zweckmaͤßige Einleitung erläutert.
Su N. X. werden im zweyten Theil S. Bı aus einer genauer
vidimirten Copie einige Verbefferungen mit lobenswerther Ges
wiffenhaftigkeit nachgetragen.
Nicht minder reichhaltig ift der zweyte Band: I. Vita
Johannis Fichardi, &. ı — 55. Ein rechtgläubiger frommer
Mann der alten Zeit erzähle Hier fein Leben bis zum J. 1548.
Sodann Fichard wurde am Vorabend vor &. Johannistag,
536 Frankfurtiſches Archiv von 3. C. v. Fichard.
Mittwohs den 23. Junius ıdı2, zwifchen 10 und 11 Uhe
Vormittags, gebohren, erhielt den erften Unterricht in den
Wiſſenſchaften von Lehrern, „welche beffer zu prügeln, d. t.
Geift und Verfiand zu unterdrüden, als zu lehren verftanden
(qui ad verberandum h. e. ad obtundendum ingenia
longe quam ad docendum peritiores erant),“ und wurde von
heftigem Widerwillen gegen alles Lernen ergriffen. Der fanrtere
und zweckmaͤßigere Unterricht feines Vaters in der Lateintiſchen
Sprache föhnte ihn wieder mit den MWiffenfchaften aus. Dann
fam er in die Schule von St. Leonhard zu Frankfurt unter
Johann Espach, machte bedeutende Fortfhritte in der Lateinis
fhen Sprache und legte den Grund im Studium des Griechis
fhen; zugleich Hatte er Lehrmeifter im Spiel der Laute. („Hoc
vero tanto gratius nunc mihi est, quod invenio apud M.
Ciceronem in Catone suo, Socratem senem jam fidibus
didicisse, idque veteres olim solitos fuisse.*) Nachdem er
von feinem dreyzehnten Sabre bis zum funfjehnten den Lnters
richt des berühmten Jacob Micyllus, ‚damals zu Frankfurt,
genoffen,, brachte ihn fein Water im J. 1608 auf die Univer⸗
fität Heidelberg, wo er zwey Jahre die Jurisprudenz vors
nehmlich unter der Leitung von Conrad Dym oder Diem (hier
Dhym genannt) und die Griechiſche Sprahe unter Simon
Grynaeus ſtudirte. Außer diefen nennt er noch als feine Lehs
rer in Heidelberg: D. Adam Wernher von Temar, D. Jo—
hann Pavonius (durch einen Druckfehler oder Schreibfehler
fteht Hier ©. ıı Panonius) und D. Paul Bautenbacher
(hier nicht ganz richtig Bauttenbachus genannt) in der us
risprudenz, und Sjohann Sinapius und Menrad Molther in
den Humanioribus., Im J. 1530 begab er fih nah Freyburg
im Dreisgau, um den Unterricht des berühmten Ulrich Zaſius
zu benugen, mit welhem er bis zu deſſen Tode in beftändiger
Verbindung blieb. Won diefem berühmten NRechtsgelehrten vos
det Fichard mehrmals mit Bewunderung feiner Talente und
inniger Verehrung feines liebenswürdigen trefflichen Characters.
Auch mit dem indes nad) Bafel verfesten Simon Grynaeus
unterhielt er die in Heidelberg angelnäpfte Verbindung und
überfegte,, in feinem achtzehnten Jahre, da er diefen feinen
. Lehrer in den Pfingfiferien 1550 befuchte, eine der Homilieen
Brankfurtifches Archiv von J. C. v. Fichard. 537
des Chryſoſtomus Über den Brief an die Roͤmer, welche Simon
Grynaeus unter Fichard’s Namen mit feinen eignen Veberfeguns
gen bey Frobenins in Baſel herausgab; als ihn im Herbſt
deffeldben Jahres die in Freyburg ausgebrochene Pet zur Auss
wanderung nad Baſel nöthigte, nahm er feine Wohnung bey
dem Buchdrucker Cratander, in bdeffen Officin damals mehrere
Werke des Galenus gedrucdt wurden, und lief fih von feinem
Hauswirth bewegen, durch Ueberſetzung mehrerer Schriften von
Galenus jene Unternehmung zu fördern. „Caeterum, feßt er aber
hinzu, non semel ejus me facti poenituit, non possum
enim non vereri, me suscepto operi neutiquam in ea
aetate parem fuisse , annum enim tum agebam XVII.“
Sm J. 1532 nahm er auf das Zureden des Johannes SL
hard den Doctorgrad zu Freyburg und begab fih in feine
Vaterſtadt zuruͤck, wo er fehr bald die ehrenvolle und einträgs
lihe Stelle eines Stadtadvocaten, mit der Verbindlichkeit, fünf
Sjahre lang fie zu verfehen, übernahm. Moch ehe dieſe fünf
Sahre verflofen waren, erwirkte er fih von dem Rath zu
Frankfurt feine Entlaffung und unternahm eine Reife na
Sjtalien, wozu ihn die Spötterey eines. Meiders vorzüglich ans
trieb, weicher in einer Gefellihaft, wo des Johannes Fichard
in Ehren gedacht wurde, fragte, wo Fichard denn fo vieles
gelernt habe, als man von ihm rähme, und dann, um Lachen
zu erregen, an den Fingern die Derter aufjählte, wo jener ges
wefen fey. Er befuchte, während der ungluͤcklichen Erpedition
des Kaiſers Earl des V. gegen Marfeille, die wichtigften Städte
von Stalien, lernte die bedeutendfien Männer kennen, 3. B.
Andreas Alciatus zu Pavia, und wurde von dem Reichskanzler
Matthias Held fehr freundlich aufgenommen. Mad feiner
Ruͤckkehr Ichnte er mehrere Anträge, auch einen Ruf nad
Padua ab, und kehrte 1537 in feine vorige Stelle nad) Frans
furt zuruͤck, wo er 1558 mit Elifabet Gruͤnbergern fih vers
mäßlte („aureis illis compedibus, quas matrimonium vo-
cant, alligatus“). II Gedichte auf Kurfärft Fries
drih des Siegreihen von der Pfalz Fehde mit
Baden und Württemberg 1462, ©. 54 — 69. Es wers
den aus einer Handſchrift in dem Beſitze des Herausgebers,
welche noch andre merfwärdige Gedichte enthält, drey Gefänge
538 SFrankfurtifches Archiv von J. C. v. Fichard,
eines bisher unbekannten (wahrſcheinlich Pfätzifhen) Dichters,
welchen in den beyden leßtern Gedichten feinen Namen Gil—
genichein ( Lilienfchein ) nennt, mitgetheilt. Das dritte Gedicht
follte eigentlich zuerft geftellt feyn, da es nur die zwielpältige
Wahl im Mainzer Erzftife und die Verbindung der Fürften
wider den Churfürften Friedrich erzählt, alfo ohne Zweifel vor
der Schlacht bev Seckenheim gefchrieben if. Die beyden ev
fteen Gedichte preifen den Sieg des Ehurfürften bey Seckens
heim, 1462. Sr. v. F. ſcheint das erfte Gedicht niche für
ein Wert des Bilgenihein zu halten, weil diefer fich nicht in
dem letztern Verſe deffelben, wie in den lebten Verfen der beys
den andern Gedichte nennt; allein wir tragen kein Bedenken,
auch jenes Gedicht dem Gilgenihein beyzulegen, theild wegen
der volltommenen Gleichheit der Sprahe in allen dry Ges
dichten, theils weil in den beyden erften Gedichten ganz dies
felben Gedanken, diejelbe Spielerey mit dem Pfälziichen Loͤwen,
diefelden Spötrereyen gegen die überwundenen Feinde, zum
Theil diefelben Ausdrücke vorfommen. Bisher unbekannte His
ſtoriſche Nachrichten Über jene berühmte Fehde finden fi in
dieien Gedichten nicht, außer daß in dem erften Gedicht eines
zu Durlach aufgeftellten Schmahgemähldes von dem Pfätzifchen
Löwen gedacht wird: |
„Gie fagten ,. der Lewe wer entflaffen,
Darinn der Maler fere ift zu ftraffen;
Der Clawen (Klauen) hat er an ime vergeffen,,
Als er ine zu Turlach gemalet hat,
Nah Liedmaß hat er ine nicht ußgemeffen.
IH. Sammlung von Urkunden zur Erläuterung
der Geſchichte Frankfurts. Zweyte Lieferung, S. 70
— 118. Es werden neungehn durchaus merkwürdige Urkunden
mitgetheilt. N. I. (vom Jahr 1195) gibt einen dankenswers
then Beytrag zur Kenntniß der altdeutihen Sprache dur
Erklärung des von den neuern ©loffatoren mißve flandenen
Ausdrucks Urholz: „de arboribus, quae fructife-rae non-
sunt, quae in vulgari Urholtz appellantur.“ IV, (Drey)
Briefe, ©. 119-1355. Indem erften Lateinifch gefchriebenen
Briefe vom Jahr 1522 bittet Ulrich von Hutten feinen Freund, den
Franffurtifches Archiv von J. C. v. Fichard. 539
Senator Philipp v. Fuͤrſtenberg zu Frankfurt, fein Geſuch bey dem
Senat zu Frankfurt um die Vertreibung des eifrig katholiſchen
Mredigers Peter Meyer aus der Stadt durch feine Fuͤrſprache
zu unterflügen. Der zweyte Brief (vom J. 1526) ift in
Deutiher Sprache von einet guten alten Mutter, Margarethe
Hornginn, an ihren zu Wittenberg fiudirenden Sohn erfter
Ehe, Sohann von Slauburg‘, gerichtet, fie bitter ihn nad
Haus zu fommen, und Anna Knoblody , welche ihr Vater bald
verändern (d. i. verheyrathen) werde, zur Hausfrau zu nehr
men, indem Johann Knoblohs Hausfrau ihrem „ KHuswert “
befohlen habe, obgleich fih mehrere zur Tochter gemelder, fie
dem Johann von Glauburg vor allen andern zu geben. Unter
verfchiedenen andern Gründen, Wittenberg zu verlaffen, ftellt
die gute alte Mutter ihrem Sohne auch Folgendes vor: „zom
andern. warn du lang. ſtudyrſt und nit ein ußbund von eim
Doctor bift, fo ift es dir nit ein heller nuß, ob du ſchon dars
zu kemſt, das du reigirn folft, du wolſt dan by eim bern ein
fhryber werden, das nit dim Stamm gemes if.“ Zuletzt ber
klagt fie fih jeher darüber, daß ihre Tochter Margarethe: von
ihrem Entſchluß, in ein Klofter zu gehen, troß aller Ueberre—
dung nicht ablaffen wolle. In dem dritten Lateinifch ges
fehriebenen Briefe vom %. 1556 meldet Hieronymus von Slaus
burg aus Mailand auf feiner Nückreife von Pavia feinem mit
Anna Knoblauch wirklich verheyratheten Altern Bruder Johann
feine ehrenvolle Doctorpromotion zu Pavia und die Lobfpräche,
die ihm fein Lehrer Alciat bey diefer Gelegenheit ertheilt, und
danke zugleich feinem Bruder für die Mühe, die er fi geges
ben, um für ihn um Lukretia Stalburger zu werben. V. Bars
tholomäus Haller von Hallerftein, GSchultheiß zu
Frankfurt am Main, durch die Fürbitte Katfer Carls V. (im
J. 1549), ©: 134 — 144. immerhin merkwürdig , wenigs
ſtens als ein Beyſpiel der aͤußern Achtung jener Zeit für Rechte
und alte Gewohnheiten, feldft im Gefühl der Uebermacht. Kais
fer Earl empfiehlt mit freundlicher Höflicher Bitte feinen treuen
verdienten Rath den Frankfurtern zum Schultheiß, und vers
fpriche ihnen, daß die Gewährung feiner Bitte „an ihren
Frepheiten in allwes unabbruͤchlich und unnadhtheilig“ ſeyn
ſolle. Freylich war eine folhe Bitte fo gut als ein Befehl.
540 Franffurtifches Archiv von J. C. v. Fichard.
Sieben auf diefe Angelegenheit fi beziehende Aktenſtuͤcke wer;
den bier ( wahriheinlih um die harten Ausdruͤcke in Kirchner’s
Geſchichte von Frankfurt, Th. II. &. 160 flillfchweigend zu
berichtigen) mitgetheil. VI. Ordnung und Artikel eis
ner ehrbarn Befellfihaft der Krämerfiuben in
Frankfurt 1599 (nad dem Driginal abgedrudt), ©.
145 — 170. Verfügungen über die Aufnahme und den Ausı
tritt der Sefellen, über die Wahl der Vorſteher oder Burgs
grafen, dann über die innere Drdnung, das Zehen, Spielen
u. ſ. w. Verbote des Fluchens, gegenfeitigen Schimpfens und
thätlicher Beleidigungen. Diefe Gefellfchaft erhielt fih bie
zum Sahr 1616. VI. Johann David Wunderers
(eines gebohrnen Straßburgers, welder hernach unter die Ges
fhlechterfamilien von Frankfurt aufgenommen ward) Reifen
nah Dännemarft, Rußland und Schweden, ıöög
und 1590, ©. 169—255. Auch diefe Neifebefchreibung ift
fehr merkwürdig, obgleich nicht daran zu zweifeln ift, daß der
Verf. wenigftens von feiner Neife nach Lappland mehr erzählte,
als er wirklich fah und erlebte, und überhaupt manches Märchen
ſich aufheften ließ. Wir zweifeln fogar daran, ob er wirklich das
äußere Ende von Lappland gefehen hat. Der Verf. reiste am 4. Spt.
1588 von Straßburg über Heidelberg, Frankfurt, Caffel, Lüneburg,
Hamburg und Lüber nah Roſtock, wo er fih als Student
immatriculiren ließ. Um Pfingften 1589 unternahm er von
Moftod aus eine Seefahrt nach Kopenhagen. Er befchreibt
ausführlich die AInfel Hveen und die dortige Sternwarte des
Ticho Brahe. Am 3.May 1590 von einer in feiner Zeit ungewoͤhn⸗
lichen Reiſeluſt ergriffen, trat er in Gefellfchaft feines Land
manns Conrad Dafppodius feine Ruffifche Reiſe an. Die Fahrt
ging Über Anklam, wo damals Herzog Boleslaus Hof hielt,
nad Stettin, der Reſidenz des Herzogs Johann Friedrich von
Pommern; dann Über Cöslin, Colberg und Stolpe nad) Dans
zig, wovon ausführlich geredet wird. Ueber Mariendurg,
Frauenderg und Braunsberg kam der Verf. nad Königsberg:
Won dort nahm er den Weg Über Waldau, Petersporf, Oſter⸗
burg (Inſterburg) durch den Wald, Grautten genannt, zum
Niemen, und kam durh Wildniffe nah Krafhy ( Kroli?),
„der Hauptſtadt in Samoiten.“ Won diefem Lande und deffen
Frankfurtiſches Archiv von J. E. v. Fichard, 541
Einwohnern hoͤrte und glaubte unſer Wunderer manches Wunder.
„Folgends, Heißt es S. S. 189, kamen wir in Samogitiam,
durch dicke und große ungeheure Mildtnuſſen, in welchen zu
unterfchiedtlid, zeitten am Ha = erſchreckliche Visiones und
Geiſter geſehen worden; es vermeinen die Gelehrten, es komme
daher, weill noch heutigs Tags viel Inwohner wie die Beſtien
absque fide et religione ihr leben zubringen, und nicht als
fein thier und andre Monstra serpentum adoriren , fondern
auch weil fie auß teuffelifhen künften fih in Wölff und Ber
ren geftaltt transmutiren und verftellen, alfo der Sathan fehr
mächtig gefunden wirdt, wie fie dann in mancherley Beſtien
geftaltt den durchreifenden erfcheinen,, auch diefelben, wie fie
koͤnnen, in Wolfsgeftalt anfallen und niederlegen.“ Der Verf.
fah zwar folhe Geftalten nicht, doch fcheint er zu meinen, daß
der Teufel im Spiele gewefen fey, als er fi in diefen Wäls
dern einmal verirrte. „Der Inwohner Statur ift groß, lang,
und fcheußlich anzufehen, an Verſtand einfelttig und abgöttifch,
ihre Kleidung ift gering von grob grawem tuch, tragen lange
kittel ohn falten, oder lange beltz von wilden thierfellen, kleine
Huettle uf die ungerifche formb, fchue von gefchlachten Baums
rinden. Die Weiber befleiden fih noch geringer, dann der
mehrer theil gehn Halb naket, tragen nur ein Seeg umb den
Leib über ein Arell gefchlagen ſchier wie die Zigeuner, die flatts
lichfte tragen beiß uff die art wie die Mann, und haben umb
den Leib ein breit meffing fpange, uff dem Haupt ein runde
Meſſine krohn, darinn fie daß Haar zufammenfaffen, glei
einem Vogelneſt, brauden faft alle Mann und Weib feine
bett. Die Vornehmften fo gleubig fein wollen, find Arrianifch,
fonften die gemeinen Leuth finde ganz voll abgötterey und faſt
heidnifch, fonderlich welche verfireuet in den wildnuffen wohs
nen.“ Dann reiste der Wunderer über Mitau nad Riga, wo
der Statthalter ihm und feinen Gefährten auf die Übergebenen
Vorfchreiben, Paßbortten (passeports) nah der Willdaw
(Wilna) und durch die Judenzoͤll in groß Litthauen gab. Sie
begaben fih nun nad „der gewaltigen Stadt Wilna, der
Hauptſtadt in ganz Litthuanien,“ wohl dreymal größer, denn
Danzig. Eine merkwürdige Machricht finder fich Hier über die
Tataren in Litthauen. Won Wilna ging die Reife nah Piess
542 Frankfurtiſches Archiv von J. C. v. Fichard,
kow, wo damals der Zar Feodor Iwanowitſch feinen Hof hielt.
Auch von den Moskowiten urtheilt der Reiſende nicht beifer,
ale von den Samojiten: feinde aber die Moßkowitter in
gemein groß ſtark und ma uth, von Angeficht lang gebärs
tet, und in moribus unzuͤchtig, faul und träg, jedoch werden
die Leibeigenen mit fchwerer viehifcher Arbeit beladen, dann
diefeiben ahn feyertagen nah verrichten ihren Gottesdienft alfs
paldt wiederum zur arbeit genöttiget werden, und darbey rauch
kleien, und wurkel Brodt effen mäffen“ (&. 208). Er ges
fteht ihnen nicht einmal Priegerifche Tapferkeit zu: „Im Velde
follen fie fih fehr gering erhaltten“. (S. 211). Bon Pleßkow
aus wurden in Sefellihaft von 2ı Moßkowitiſchen Kaufleuten,
welche mit Armeniern nah Indien reifen wollten, die fer
des Don beiuht, dann reisten die beyden Straßburger in
Geſellſchaft von fünf andern Mofßkowitifchen Kaufleuten nach
Warthuß ( Wardoehuus in Lappland) „ein gewaltig Schloß
und Seeftatt dem König in Schweden zuftendig, liegt an dem
großen Oceano gegen Ißlandt, ift mit 300 Soldaten befeßt
und das befte Grentzhauß wider die Moßkowitter und Tattas
ven.“ Dort will unjer Wunderer den Hedkelberg auf Island
brennen gejehen haben, was wohl nur ein Wundermann fehen’ ,
fonnte. „Don dannen zogen wir zu Schiff einer Scaffen uff
dem Wartheufer fee gehn Jancopingen 17 meill. Alva faffen
wir in ein Stockholmer fhiff, fuhren nah Schweden über
meer“ (1). Sie famen bey Island vorbey, „mo fie wegen
Sturm etliche fiundt lavirten,, folgendts wieder‘ bey gutem
Winde für Alande über einer Inſel in wenig tagen nad) Stocs
Holm , der Hauptſtadt in Schweden, an 218 meil von Sans
copingen gelegen.“ Won Stockholm reiste der Verf. nad) Abo
und über Narva nah Riga, wo er viel Ungemach auszuftehen
hatte, weil er fih in den Streit der lutherifhen Pfarrer und
Bürger mit den Jeſuiten und dem fatholifchen Stadtrath
mifchte. Machdem er mit feinen Neifegefährten aus der Stadt
verwiefen worden, beftiegen fie auf der Düna ein Boot und
famen, ungeachtet der Nachftellungen von Seiten der Nigaer,
zu einem Luͤbecker Schiff, das fie glädlih nah Travemünde
brachte. Wunderer bejuchte noch einmal Roſtock, und kehrte
dann über Guͤſtrow, Berlin, Leipgig, Bamberg, Nürnberg
und Stuttgardt nad) Straßburg zurück, mo er am 26. Nov.
2590 anfam. Faft über jede Stade und Gegend, die der
Derf. durchreiste, finder fi) irgend eine merkwürdige Nach—
richt. Die Namen find aber meiftens graufam verfiüämmelt und
einige ganz unkenntlich. Sowohl diefe Reife des Wunderers als
die Ordnung der Krämerzunft verdankt der Herausgeber der
Mittheilung des Herrn D. Feyerlein.
Sranffurtifches Archiv von J. C. v. Fichard, 543
Außer diefen weitläuftiger angezeigten Auffägen und dem
polemiichen Abfchnitt gegen Herrn Kirchner (unter VII.)
enthält noch diefer zweyte Band: 1X. ein Verzeichniß der von
auswärtigen Staaten und den Ehurfürften und Füärften des
Deutfhen Reichs bey der ehemaligen Neichsftadt Frankfurt am
Main accreditirten Gefandten, Nefidenten, Gefchäfteträger, dis
plomatifchen Agenten und Confuls ( mit zwey Benlagen, einem
Ereditiv des Königs Carls II. von England, von Coͤlln am
Mhein 1654 datirt, und einem Creditiv des Königs Carl XI,
von Schweden in deffen Namen von feiner Mutter und Vor—
miünderin Hedwig Eleonora ausgeftellt), und X. einen Nach—
trag zu den Bemerkungen gegen Herrn Kirchner: Über den
Denfig des Schuitheißen bey dem ganzen Rathe. Die Kupfers
tafel ftelle fünf Siegel ehemals in Frankfurt vorhandener Stifs
ter und Klöfter dar. re
Wir wünfchen,, daß diefe Anzeige die Aufmerkſamkeit der
Freunde hiſtoriſcher Forfhungen auf diefe verdienftlihe Samms
lung von Neuem lenken, und daß Hr. v. F. in der eifrigen Theils
nahme des Publitumsg die verdiente Aufmunterung zur Fortfeßung
feiner Mittheilungen erhalten möge. Bey dem jeßigen allgemeis
nen Sintereffe für alte Deutfche Litteratur dürfen wir niche
unbemerkt laſſen, daß außer andern Mitiheilungen, zu welchen
der Herausgeber an verjchiedenen Stellen diefer beyden erften
Theile Hoffnung macht, der dritte Theil, welcher im Laufe des
Jahrs 1815 erjcheinen fol, die Gedichte eines bisher nur dem
Mamen nad bekannten Minnefängers enthalten wird (Vor⸗—⸗
rede zum zweyten Theil).
Etatif und Dynamik der Phyſik. Erfte Abhandlung, melche die
wefentlihiten Eigenfchaften mineralifcher Körper behandelt, nad
eigenen Anfichten bearbeitet von Gohann Leonhard Späth,
Kön. Baier. Hofrathe und! Prof. der höhern Mathematik zu Müns
chen. Nürnberg, b. Sjob. Ad. Stein. 1812. IV u. 120©. 8. (ıfl.)
Der Verf. fühlte während feiner 2ıjährigen phnflcalifchen
Vorleſungen das Beduͤrfniß, die Phänomene des mineralifchen
Körpers, bey deren Erklärung fich feldft die neuere Phyſik bloß
mit der Bilderfpradye behilft, nah dynamiſchen Geſetzen zu
combiniren. Hieraus entftand ein Spftem, welches alle Zweige
der Phyſik umfaßt, und wovon der Verf. hier zur Probe feine
Anfichten über die Eonftruction und die Eigenfchaften des mis
neraliſchen Körpers mittheilt. Seine Theorie Über die Attracs
tion und Einfaugung, Über die Auflöjung mineralifcher Körper,
aber die Mopdificationen des Lichts und der Märme, fo mie
uͤber Electricitaͤt und Galvanismus follen fpäterhin nachfolgen.
544 Statik und Dynamik der Phyſik von J. 2. Späth,
Die Grundlage diefes neuen Syſtems concentrirt fih uns
gefähr in folgenden Sägen. — Alle Körper beftehen aus Grunds
ftoffen, die ihre Materie bilden. Sie find für unſere Anſchauung
verichwindend, nach ihrer Größe urſpruͤnglich verfchieden und
von verichiedenen Drdnungen, welche fi zu einander verhalten,
wie Differentiale von verfchiedenen Potenzen. jeder Grunds
ftoff der erſten Ordnung ift für fih ein Ganges und kann als
folher in mehrere Stoffe höherer Ordnung zerlegt gedacht wers
den. Eben fo bilder auch ein Grundſtoff der Höhern und hoͤch⸗
ſten Ordnung (das Feinfte in der Matur) eine Eınheit für fich.
Diefe Grundſtoffe befigen eine gewiſſe angeftammte Härte, und
find nad ihrer Form entweder rund, elliptiich, cplindrifch,
fadenartig, prismatiſch-eckig, oder auch blätterförmig geftaltet.
&ie find ſaͤmmtlich mit dem feinften unter allen erfchaffenen
Stoffen getränter, welcher das Fortleitungsmittel eines andern
im Raume allgemein verbreiteten SPrincips ift. Diefes Princip
nennt der Verf. das Agens, jenen Stoff das Gluten, und aus
beydem zufammen entfpringt ein allgemeines WVerbindungmittel
der Srundfloffee Die Traͤnkung mit diefem Sluten und dem
ihm beywohnenden Agens bildet die Urkraft eines Grundftoffs,
vermöge welcher er ringsumher durch Anziehung wirft, die, in
der Nähe ftärker, in der Entfernung ſchwaͤcher, auf der Grenze
der Wirkungsweite verfchwinde. Wenn der Srundfloff von
feiner Tränkung verliert, fo entweichet mit dem verlornen Glu—
ten auch ein Theil des Agens, und die Urfraft wird vermins
dert, verlöre er feine Traͤnkung gang und gar, fo würde er
gang unthätig, in welchem Zuflande er um fo mehr firebt,
feine natürliche Traͤnkung zu erlangen u. f. m. —
Dies wenige wird hinlangen, um anzudeuten, welche wuns
derlihe Art von Phantafieen des Verf. Phyſik bilden. Unſerer
Seite müffen wir geftehen, daß ung in wenigen Schriften der
neuern phofifchen Fitteratur eine fo arobsatomiftifhe Willkuͤhr⸗
lichkeit , gepaaret mit einer foliden Kenntniß älterer und neues
rer Wahrheiten und dem fcharffinnigen Beſtreben, die. Naturs
yhänomene dem aufgeftellten Spfteme anzupafien, vorgefommen
iſt. Wir glauben aber nicht, daß fich des Verf. neue Lehre
unter den Naturforfchern unferer Zeit Eingang und bedeutende
Anhänger werde zu verichaffen wiſſen. Der Verf. mag von
feiner, auf allzu hypothetiſche Borausfeßungen gebauten, coms
plicirten Theorie innigft überzeugt feyn; allein dieſe Ueberzeu—
gung wird nicht leicht ein Phyſiker von wiffenfhaftlihem Geifte
mit ihm theilen. Den Zuſammenhang natürlicher Urfachen
und Wırfungen durch fo milltührliche Hypotheſen deuten zu
wollen, heiße nicht die Natur erforfchen, fondern ihre weife
Deconomie beleidigen.
No. 35. Seidelbergiſche 1813.
Jahrbuͤcher der Litteratun
Erfahrungen und Abhandlungen aus. dem Gebiete der Kranfheiten
des weiblichen Geſchlechtes. Nebft Örundzügen einer Methoden:
Ichre der Geburtshuͤlfe von Dr. Franz Earl Naegele, or
bentlichem Profeffor der Arznepwiſſenſchaft zu Heidelberg... Mit
vier Kupferrafeln. Mannheim ‚dep Tobias Löffler 1812, 451 ©,
a. .-
D. sahlreihen in neuern ‘Zeiten erfhienenen Schriften
über Geburtshuͤlfe, das faft gleichzeitige Erfcheinen von ‚vier
Lehrbuͤchern der Frauenzimmer + Krankheiten und mehrern ans.
dern hierher gehörigen Schriften zeigen offenbar (heißt es S.
IV der Vorrede), wie ſehr man das Beduͤrfniß fühle,
diefe Partien des Gebietes der Heilkunſt zu cultiviren.“
Hierzu das einige beyzutragen, Dies ift es, was den
Verfaſſer zur Herausgabe diefer Erfahrungen und Abhandluns.
gen beftimmt has. Er theilt feine Anfichten und die Nefultate
einer fünfzehnjährigen Erfahrung (als Phnfitue, als Lehrer
der Geburtshuͤlſe und als Vorſteher einer der bedeutendften
Entbindungsanftalten Deutſchlands) über mehrere, Aerzten,
Wundärzten und Geburtshelfern in gleichem Maße intereffante
Gegenftände mit. Nach den Geſetzen unferer Zeitfchrift, Föns
nen wir aber bloß durch eine allgemeine Weberficht des Inhal⸗
tes und die Aushebung der charakteriſtiſchen Ideen unſere Leſer
auf dieſes Werk aufmerkſam machen. A
Die erfte Abhandlung (&. 1 — 264) enthält einen Ents
wurf einer fpflematifhen Anordnung der Lehr—
gegenftändeder Geburtshuͤlfe, woben des Verf. Streben
dahin geht, eine möglichft fcharfe Dematkationg ı Linie zwifchen
dem in den Lehrvortrag der Geburtshälfe Aufzunehmenden und
dem zu ziehen, mas bey dem gehörig vorbereiteten Schüler
mit Recht vorauszufehen ift, und überhaupt was nicht hinein
gehört; ferner zu zeigen, in welcher Ordnung die einzelnen
Materien vorgetragen werden mäffen, damit dev Anfänger in
55
646 Erfahr. u. Abb. d. Krankh. d. weibl. Gefchlechd v. Naegele.
der tarzeſten Zeit zur möglichft gruͤndlichen Einſicht gelange.
Die erſte Veranlaſſung zu dieſer Arbeit gab ihm (S. 7) ein
vor fuͤnf Jahren erhaltener obrigkeitlicher Auftrag, Vorſchlaͤge
zur Verbeſſerung des Geburtshuͤlſeweſens zu machen; und ba
ihm die gründliche Werbefferung diefes Zweiges der Med. Ber
faffung von einer zweckmaͤßigern Einrichtung des Unterrichtes
und der Bildungsanftalten ausgehen zu müffen fchien, fo wen
dete er hierauf vorerft feine vorgägliche Aufmerffamfeit. Die
Arbeit wuchs ihm unter den Händen zu einem Umfange heran,
die nicht in feinem uefprünglihen Vornehmen lag, und er
glaubte. durch die Öffentliche Mittheilung derſelben nuͤtzlich ſeyn
zu tönnen, beſonders durch Mebeneinanderftellung feiner Anſich
gen mit der treflichen Nolde'ſchen Kritit, indem er vworzäglid
auf diejenigen Puncte NRädfiht nahm, wo er verfenledem
Meynung mit demfelben war.
‚Da, wo von dem Umfange und Inhalt der Einleitung
die Rede ift, Heiße es: unter Geburtshülfe feye dem Sinne
des Wortes nad) offenbar nichts anderes zu verftehen, als die
Huͤlfe, die beym Gebären geleiftet wird, und unter Geburts
huͤlfekunſt, von andern unrichtig Entbindungsfunft genannt,
die KRunft, jene Huͤlfe zweckmaͤßig zu leiften ;, in den Lehrvor
trag der Geburtshuͤlfekunſt dürfe nichts aufgenommen werden,
als die Regeln und Worfchriften, welche fih auf den Beyſtand,
und die Hülfeleiftung bey der Geburt beziehen, und diejenigen
Säße, auf welche fih jene Regeln zunaͤchſt ſtuͤtzen 3 es fen
daher eben fo unrecht, Krankheiten der. Wöchnerinnen un)
Neugebornen in den Lehrvortrag der Geburtshuͤlfe aufzuneh
men, als den propädeutifchen Unterricht zu weit anszudehnen,
und den Vortrag auch auf Unvorbereitete berechnen zu mol
len, wodurch, wie der Verf. richtig zeigt, die Möglichkeit
einer ſyſtematiſchen und gruͤndlichen Darſtellung aufgehoben
wird. Ihrer Natur nach zerfallen alfo die Gegenſtaͤnde des
Lehrvortrages der Seburtshälfetunft in die eigentlich Gu
burtshälflihen, und die (näheren) propädeutifchen. Da
aber das obſtetriziſche Verfahren feinem Zwecke und Weſen nad
verfchieden ift nach der Befchaffenheit der Geburt, je nachdem
diefe entweder A. Gefundheit gemäß vor fich geht, oder B. die
Normalitaͤt diefer Function geftdrt, aufgehoben ift: fo zerfa |
Erfahr. u. Abh.d. Kranlh. d. weibl. Gefchlechts v. Naegele. 547
len offenbar die ſaͤmmtlichen Objecte des Lehrvortrags in vier
Hauptrubriken: a. die Regeln fuͤr die Pflege und Beyſtand—
leiſtung bey normalen Geburten, und b. ihre nähere Propäs
deutik, die phyſiologiſchen Säße von der Schwangerfchaft und
Geburt, c. die Hülfeleiftung bey Abnormitäten der Geburt,
und d. die Pathologie diefer Function. Jene erft genannten
Regeln, und die Hülfeleiftung bey Abnormitäten der Geburt,
verhalten fih zu einander, wie Gefundheit » Erhaltungstunft
( Diaetetica Hygieine) und Heiltunft (Therapie), deren
Zweige fie find. — S. 35 — 44 und 197 — 130 zeigt der
Verf. aus vielfältigen Gründen, daß es ſowohl in Hinſicht auf
foftematifhe Ordnung, ale väcfihtlih des Lnterrichtes, uns
gleich zweckmaͤßiger ſey, die Lehre von der Benftandleiftung
bey normalen Geburten unmittelbar auf den phufiologifchen
Theil folgen zu laffen, als fie erſt nad der Erpofition der pas
thologifhen Werhältniffe des Geburtsaktes abzuhandeln, wie
dies in den neueren Handbuͤchern (z. B. von v. Froriep,
E. v. Siebold) und Schriften über Methodik der Geburts—
hülfe geſchieht; am auffallendften feye es aber, fie bey denjes
nigen,, die einen therapentiichen Theil annehmen (wie z. ©,
Martens, Nolde und Joerg) in diefem anzutreffen, da
fie doc ihrer Natur nah offenbar nidht dahin gehören. Das
gegen hält er ( (S. 255— 257) für zweckmaͤßig, die Patholos
gie und Therapie der bejondern Formen von Abnormität der
Seburtsverrichtung nicht getrennt, ſondern vereint vorzutragen,
wie dies ja auch in der Übrigen Heilkunde geſchehe; welchem
nach es ihm zur Wermeidung der Ungleichheit in der Größe
der Hauptabtheilungen nicht ungeeignet zu ſeyn ſcheint, das
Ganze des Lehrvortrags in zwey Theile zu trennen, näms‘
lich: den phyfiologifch s Didätetifhen und den pathos
gifhetherapeutifhen Theil. Die Ordnung, melde er
bey der Angabe der Darftelungsweife der einzelnen Materias
lien befolgt, ift folgende: zuerſt verbreitet er ſich über die
Nothwendigkeit, den Zweck, Inhalt und Umfang der Cinleis
tung (S. 11 — 46). |
Die erfte Abeheilung des erfien Haupttheils, welche eine
zu dem fpeciellen Bedürfniffe des Geburtshelfers befonders bes
arbeisete Darftellung der Pöpflologie der Schwangerfchaft und
548 Erfahr. u. Abh. d. Krankh. d. weibl, Geſchlechts v. Naegele.
Geburt enthalten ſoll, zerfaͤllt in drey Abſchnitte, wovon der
erſte von der Geburt und ihren Bedingungen uͤberhaupt han—
delt, und, als Einleitung, in dieſe Abtheilung anzuſehen iſt.
Obſchon der Inhalt dieſes Abſchnittes (heißt es S. 48) für
ſich, hier als Poſtulat anzuſehen iſt, fo kann dem gehörig
vorbereiteten Schuͤler doch Nichts unverſtaͤndlich vorkommen,
oder zu irrigen Begriffen Anlaß geben. Ueberhaupt bemerkt
der Verf., daß der Schuͤler ſich erſt im letzten, oder den beys
den legten Jahren, feiner Studienzeit, auf die Erfernung der
Geburtshuͤlfe legen folle, und daß der Vortrag, wenn er fys
flematifch ſeyn foll, durchaus nur auf gehörig Worbereitete bes.
rechnet werden könne. — Der zweyte Abſchnitt ift der Dars
ftellung der in der Schwangerfchaft und bey der Geburt vors
zuͤglich äntereffirten Partieen des muͤtterlichen Körpers und der
Beſchreibung der Frucht gewidmet. Der Verf. führt die Gründe
an, aus denen er es eben fo natürlich findet, Hier die Lehre
von der Manualunterfuhung folgen zu laffen, als bey der Abs
Handlung des Beckens die Art und Weiſe anzugebeu, feinen
Kaum, deffen Richtung und feine Inclination zu bemeffen. —
Der Zte Abſchnitt Handelt im erften Eapitel von den Erfcheis
nungen und Zeichen der Schwangerfchaft, und im zmepten von
der Beziehung der Schwangerſchaft auf die Bedingungen der
Geburt, von der Art, wie diefe während jener vorbereitet wers
den. — Der Ate, der normalen Geburt gewidmete, Abfchnitt
zerfält ebenfalls in 2 Capitel, wovon das erfte die Erfcheinuns
gen und den Verlauf, das andere die Bedingungen der nors
malen Geburt darzuftellen hat. — Mehrere ausführliche, in
diefem fowohl als in den vorigen Abfchnitten mitgetheilte Be—
mertungen, über verfchiedene der wichtigern dahin gehörigen Ges.
genftände müffen wir hier der Befchränktheit des Raumes wegen
übergehen, z. B. das, was Über die Beziehung der Schwans
gerfchaft auf die Geburt gefagt wird, Über den Verkehr zwifchen
der Frucht und dem mütterlihen Körper, über die Modificas
tionen diefes Verkehrs im Verlaufe der Schwangerfchaft, über
die Bedingungen der Geburt überhaupt und der Mormafität
Diefer Function insbefondere, über ihre Beziehung zu den übris.
gen Lebensverrichtungen u. ſ. w.
Erfahr. u. Abh. d. Krankh. d. weibl. Geſchiechts v. Naegele. 549
Hierauf kommt der Verf. fuͤr die zweyte Abtheilung, auf
das Verhalten ſowohl der Gebaͤrenden als der bey der Geburt
Gegenwaͤrtigen fuͤr die normale Geburt zu ſprechen.
In der erſten Abtheilung des zweyten Haupttheiles (des
pathologiſch⸗ therapeutiſchen Theiles) ſollen die Abnormitaͤten
der Geburt nach ihren Hauptverſchiedenheiten, oder die allges
meinen Formen von Störung diefer Verrichtung nofologiich abs
gehandelt, die Vorgänge, auf denen die Ruͤckkehr oder mögliche
Annäherung zur Normalität berußet, ausgemittelt, hiernach
die allgemeinen Regeln für das urverfahren beftimmt, und
endlich die vorzüglichern der Geburtshälfe eigenthümlihen Ber
handlungsarten ( methodus curandi obstetricia generalis );
die Application der Geburtszangen, die kuͤnſtliche Veränderung
der Fruchtlage, die Lünftlihe Entbindung vermittelft bloßer
Hände, die Entbindung auf fremdem Wege (Sectio caesarea)
und die Perforation und Embryotomie ausführlih exponirt
werden. ©. 208. „Mit diefen Operationsarten, ihrer Natur,
Beftimmung, Wirkungsart und der Art, fie zu verrichten, muß
bier der Schüler bekannt gemacht werden, wie auch mit ihren
allgemeinen Anzeigen. Die Befonderheiten berfelden, ihre
Modificationen, in fpeciellen Fällen, und ihre befondern Ans
zeigen find Gegenftände der fpeciellen Therapie, und koͤnnen
durchaus nur da gründlich und deutlich abgehandelt werben.
— „Hier foll der practifche Unterricht, oder die Uebungen am
Fantome, an Leichen u. f. w. beginnen, und neben dem theos
‚vetifchen Unterrichte fortgefeßt werden.
Sin der andern Abtheilung des zwepten Haupttheiles, welche
‚die fpecielle Pathologie und Therapie der Geburt enthält, fols
len die befondern Formen von Abnormität der Geburt nebfl
ihren wichtigern und häufigern Complicationen, nad ihren
Zeichen, Unterfheidungsmerfmalen, Urfachen, Wirkungen, Auss
Hängen und Folgen dargeftellt,, die Eurregeln beftimmt und die
‚Behandlungsarten angegeben werden, auf die in der übrigen
Heilkunde allgemein angenommene Weiſe.
S. 105 — 116 iſt ausführlich gezeigt, daß die Normalis
‚tät der Geburt nicht allein auf der gegenfeitigen Proportion
zwiſchen den beyden Hauptmomenten des Mechanismus der
Geburt, nämlich dem activen und paffiven Moment (den auss
550 Erfahr, u. Abh. d. Krankh. d. weibl, Geſchlechts v. Naegele.
treibenden Kraͤften und der Frucht und den zum Durchgange
derſelben beſtimmten Wegen) beruhet, ſondern auch (da alle
Normalitaͤt des Mechanismus irgend einer Function immer
eine relative iſt) auf dem Verhaͤltniſſe dieſer Proportion zu
den organiſchen Functionen, die von dem Gebaͤrungsacte in—
fluirt werden, und zu der Stimmung der Vitalität des uͤbri—
gen individuellen Organismus überhaupt. Diefemnad ergeben
fih) zwey KHauptgattungen von Abnormität der Geburt, je
nachdem das eine, oder das andere der eben erwähnten Ver—
Hältniffe fih von. dem Mormalzuftande entfernen: nämlich Abs
normitäten der Geburt wegen fehlerhafter Befchaffenheit der
ihren Mechanismus bedingenden Momente, und Abnormitäten
der Geburt wegen normmidrigen Zuftandes des Übrigen Orgas
nismus, in wiefern er von der Geburt influire wird. Was
die weitere Eintheilung der erften Hauptgattung von Abnormis
täten betrifft, fo müffen wir ung hier befchränken,, anzugeben,
daß des Verf. Hauptaugenmerk darauf gerichtet war, die Eins
theilung auf die weientlihen DVerfchiedenheiten zu gründen, die
einzelnen Abnormitäten unter möglichft allgemeine Geſichts—
puncte zu bringen, und jene nach jeder andern Eintheilungss
weife unausweichlihen,, zahlreihen Unterabtheilüngen zu vers
meiden, welche die Weberficht erfchweren, den Schüler aufer
Stand fegen, dem Lehrer zu folgen und ihn verwirren, und
welche fich zur Bearbeitung zum Zwecke einer fpeciellen Pathos
logie und Therapie der Geburt durchaus nicht eignen. — Aus
der Reflexion auf die Wirkungsart die Fehler der; eingelnen
Momente, welche jene Hauptmomente des Mechanismus cons
ftituiren, ergibt fi) aber offenbar, daß ihr Einfluß auf den
Verlauf der Geburt fih darin vereinigt: denſelben entweder
zu erichweren, oder in höherem Grade der Abnormität gänzlich
zu unterbrehen, unmöglich zu mahen (eine bloße graduale
Verſchiedenheit) oder ihn uͤbermaͤßig zu beichleunigen. Hier—
durch iſt unter den Störungen der Mechanik der Geburt eine
in Hinfiht auf ihre Urfahe und ihren Einfluß weſentliche
KHauptverfchiedenheit gefeßt. Dieſe beyden Gattungen von Ads
normität find aber für fich verfchieden,, je nachdem ihr Grund
entweder in einem Fehler der austreibenden Kräfte, oder des
diefen entgegenftehenden Objectes liegt, und im letzteren Falle
Erfahr. u. Abh. d. Krankh. d. weibl. Gefchlechtd v. Naegele. 551
nimmt Hr. N. die Verſchiedenheit der einzelnen Momente des
Objects, als Motiv einer weitern Unterabtheilung, an. Dies
ſem nach zerfaͤllt dann der ſpecielle pathologiich s therapentifche
Theil in fo viele Kapitel, als befondere Formen von Abnormis
täten angenommen werden, in denen unmittelbar auf die patholos
gifhe Erpofltion die Heilanzeige und Behandlungsart angegeben
werden. Ruͤckſichtlich der vom Verf. befolgten Leicht Überfehs
baren Ordnung verweifen wir auf die Schrift felbft.
So wie in der Abhandlung überhaupt das Streben des
Verf. ouf confequente Mebeneinanderftellung der einzelnen Mas
terialien, und auf Gruͤndlichkeit in der Darftellung gerichtet
ift, ſo gehet feine Tendenz bey der Darftellung des pathologiichs
eherapeutifchen Theiles dahin, diefen nach den in der übrigen
Heiltunde, als zweckmaͤßig, angenommenen Principien ber
Merhodologie zu ordnen. ©. 226 — 244 zeigt er ausführlich),
warum er es für nothwendig halte, die fpeciellen therapentis
fhen Säge der Geburtshuͤlfe nicht nach den Huͤlfsmitteln der
Kunft (wie dies faft in allen neuern Lehrbuͤchern geichieht),
fondern nach den wefentlihen Werfchiesenheiten der pathologis
ſchen Verhältniffe zu ordnen. Mit Wärme zeigt er die Vor—
theile auf, die aus diefer Darftellung, ſowohl für den Unterricht,
als für die Bearbeitung der Difctplin feldft und die Ausübung
hervorgehen.
I. Bon einigen Fehlern der Menfttuation.
Ein Fragment. In diefem Auflage, der (nad S. 327) als
Einleitung in die weitere Bearbeitung dieſes Gegenſtandes,
womit der Verf. beichäftige iſt, angefehen werden ſoll, theilt
er feine Anficht von der Natur und Beftimmung der Mens
firuation mit, verbreitet fih Hierauf Über die Beziehung diefer
Gefchlechtsverrichtung auf das Conceptionsvermögen, ſowohl im
gefunden, als kranken Zuftande, und, nachdem er bie Momente,
durch welche der erſte Eintritt ſowohl, als das Verſiegen jener mo⸗
natlichen Blutausleerung im hoͤhern Lebensalter bedingt wird, dar⸗
geſtellt hat, gibt er die Gruͤnde an, aus denen er ſich berechtigt
glaubt, anzunehmen: daß vor dem neunten Lebensjahre erfol⸗
gende Blutungen aus den weiblichen Genitalien nie, als das
Product der Geſchlechtsverrichtung, die man Menſtruation
nennt, anzuſehen feyen;. fo wie er auch geneigt iſt, Blutun—⸗
552: Erfahr. m. Abb; d. Krankh. d. weibl, Gefchlechts v. Naegele.
gen in ben ſechziger, fiebenziger und Höhern Lebensjahren,
obgleich fie mit den Tatamenien ähnliche Perioden beobachten,
durchaus nicht für wirkliche Menftrnation gelten zu laffen. —
Hierauf zeigt er, mie ſchwierig es ift, genaue und richtige
Beobachtungen Über Gegenftände, wie der in Nede ftehende,
zu erhalten, und wie leicht hier Täufhung möglich ſey. Er
beleuchtet unter den fo oft wieder erzählten Beobachtungen, die
die Möglichkeit der Menftruation von den erften Tagen nad
der Geburt bis zum hoͤchſten Lebensalter beweiſen follen, dies
jenigen, die eben gerade am häufigften citirt gefunden werden,
und zeige, daß fie ihrer Beftimmung durchaus nicht entiprechen,
Auffallend ift es ihm, die in Altern Schriften aufgezeichneten
Geſchichten von Menftruation bey Kindern, von wunderbar
fröher Gefchlechtsreife u. dgl., in den Schriften neuefter Zeit
ohne Auswahl und Kritik wieder erzähle zu finden, und mit
Recht wundert er fih Über die Leichtfertigkeit, womit man es
über fih vermag, die Zahl jener Wundergefchichten durch neue
vermehren zu wollen. —
11. Sefhihte einer volltlommenen Atrefie
(Atresia vag. perfecta) bis zum zwanzigſten Lebens
jahr wegen verſchloſſenen Aymens, — Bey einem wohlges
bauten, hädfihen, feit fehs Monaten verheyratheten Juden—⸗
weibe von 2o Sahren, von blühendem Ausfehen und übrigens
geiunder Körperbeichaffenheit, ftellten, fih im ı4ten Sahre die
‚g:wöhnlihen Worboten (molimina menstr.) und die die Mens
firuation gewöhnlich begleitenden Erfcheinungen ein fammt den
Übrigen ‚Zeichen der eintretenden Mannbarkeit. Mon diefer
Epoche an kehrten jene Erjcheinungen alle. 4 Wochen wieder,
wurden aber feit einem halben Jahre ( nämlich vor. Iinternehs
mung der Operation) immer ſchmerzhafter, hielten länger am,
‚fo daß die fhmerzlofen Zwiſchenraͤume oft nur 14 Tage dauers
ten. Seit diefer Zeit nahm der Unterleib anfehnlich zu, der
aber immer etwas aufgetriceben war: fo daß fie lange vorher
fhon für Schwanger gehalten wurde, in welchen Wahn fie ends
lich auch felöft gerieth.. Die Brüfte fhwollen an, die Brufts
margen traten hervor, und es zeigten ſich aufier den erwähnten
mehrere Erfheinungen der Schwangerfhaft.e Die Hebamme
und mehrere um Kath gefragte Aerzte hielten den Zuftand für
Erfahr. u. Abh. d. Krankh. d. weibl; Geſchlechts v. Naegele. 558
graviditas extrauterina. Die Schmerzen im Unterleibe, das
Ziehen im Kreuz und in den Schenkeln u. dgl. fliegen vier
Wochen vor der unternommenen Operation aufs Acußerfte, und
glihen nach der Schilderung der Pat. und der oft zugegen ges
wejenen Hebamme , vollkommen den Geburtswehen. Bey der
Unterfuhung. zeigte fi über den Schambeinen eine bewegliche,
runde Gefchwulft von der Größe eines Mannskopfs, welche
fih in die Höhe heben ließ, und nad der Entfernung der
grojen Schamlefjen von einander, eine einer. Derbgefpannten
Blaſe ähnliche Geſchwulſt, die von dem ausgedehnten, undurdhs
loͤcherten Hymen herrährte. Ein Einfhnitt leerte gegen ı2 db
5. Gewicht einer dunkelgefärdten, braunrotden, dicklichten,
durchaus ‚geruchlofen . Flüffigkeit aus. Das fpäter nod Abs
gegangene betrug gegen 3 db. Das Hymen war mehr als
eine Linie dick, und derber, fefter, nach innen. ligamentöfer
Structure. Bald nad) der. Dperation fühlte fih der Mutters
mund auf die Art an, wie gleich nach der Geburt. (Ein Ums
ftand, der verdient, vorzüglich von gerichtlichen Aerzten recht
fehr behetzigt gu werden.)
Hierauf beſchreibt Hr. M. einen ihm vor Kurgem im
Heidelberger Gebärhaufe vorgefommenen Fall einer dur
eine fremde Membran gänzlih verfhloffenen
Mutterfheide (Atresia vaginalis perfecta) bey
einer ®ebärenden.
IV. Beſſchreibung zweyer Fälle, von Zuruͤck—
beugung der ſchwangern Gebärmutter (retro-
versio uteri) nebft einigen Bemerkungen über das Ver—
fahren, die Gebärmutter in ihre gehörige Lage zurück zu bringen.
Die den beyden Beobachtungen vorausgeſchickten Bemerkungen
Beziehen ſich größtentheils auf die Merhode, den umgebeugten
Uterus mittelft eines oder zwey Finger durch ben Maſtdarm zu
reponiren, welcher in Deutfhland von Richt er zuerft vorges
ichlagen wurde, und unter der Denennung des gewöhnlichen
Handgriffes noch immer häufig in den Lehrbäcern. der Wunds
irzneykunſt und Geburtshülfe angerathen wird. Diefen Hands
griff verwirft Hr. N. gänzlich, und zeigt, daß er bey hoͤherm
Srade von Umbeugung des Uterus, wo diefer in der Becken—⸗
zoͤhle wirklich befangen ift, der Repofition fonach ein bedeutens
554 Erfahr. u. Abh. d. Krankh. d. weibl. Gefchlechtd v. Naegele.
der Widerſtand entgegenſteht, durchaus unzulaͤnglich, und auch
bey geringerm Grade des Uebels die Zuruͤckbringung durch die
Scheide, jenem Handgriff bey weitem vorzuziehen ſeye. Alle
Vorſchlaͤge, die Länge der Finger durch Inſtrumente und fünfts
liche Vorrichtungen zu erfeken, verwirft er als zweckwidrig und
‚gefährlich, zugleich weist er für feine Behauptung eigene und
fremde Erfahrungen nah. Ausdrüclich fagt er S. 344, dieſe
Bemerkung fey nicht nen, und ihre Beftimmung feye, die
Aufmerkſamkeit nur allgemeiner auf etwas zwar Bekanntes,
aber hoͤchſt Nüsliches und Wichtiges zu richten. — Die bevs
‘den gefchilderten Fälle von volltlommener limbeugung der Ges
baͤrmutter gehörten zu den ſchwierigern; und zwar befonders
der erftere, welcher von dem Hausarzte verfannt und mehrere
Tage mit frampfwidrigen Mitteln behandelt wurde. In beys
den Fällen wurde vor der Ankunft des Verf. von zwey geſchick⸗
ten Wundärzten und Gebnrtshelfern die Nepofition durch den
Maftdarm verfuht,. und dies Mandvre unter verfchiedenen
Modificationen mehrere Male wiederholt, aber fruchtlos. Kr.
N. reponirte die Gebärmutter leicht und aluͤcklich durch den
von ihm beſchriebenen Handgriff. — Zur Ablaſſung des Harns
vor der Operation lobt er ſehr den ganz einfachen Handgriff,
nämlich durch mäßige Zuruͤckdruͤckung des Mutterhalfes, und
verſichert, daß er ſich deffelden immer ; bisher mit erwuͤnſchtem
Erfolge bedient habe.
V. VBorfhläge zur curativen Behandlung der
in die Mutterfheide Sich dffnenden Harnblafens
fiftel, nebſt Beſchreibung und Abbildung einiger Sinftrumente.
Das Uebel, zu deffen Heilung bier mehrere Curmethoden vors
geſchlagen werden, ift die in die Mutterfiheide fich oͤffnende
Fiftel der Harnblafe mit Verluſt der Subſtanz, und beionders
der Fall, wo das Hebel nicht mehr neu iſt, wo die Raͤnder
der Fiftelöffnung fchon vernarbt, calds find, — ein Webel,
welches meift die Folge fchwerer, langwieriger Geburten, oder
fchwieriger, fünftliher Entbindungen (defonders von ungefchickter
Hand verrichter) ifl. Zieht man in Erwägung, daß dieſes
Uebel entfchieden zu den größten phyſiſchen Gebrechen gehört,
welches die daran Leidenden ſelbſt denen, die fie umgeben, uns
erträglich macht; daß es Überdies nicht felten vortömmt; daß
Erfahr. u. Abh. d. Krankh. d. weibl, Gefchlechts v. Naegele. 356
es von den groͤßten Meiſtern in der Kunſt für unheilbar ges
"halten wird, und daß man auch durch die beften der befannten
DPaliativ Mittel nur fehr wenig, zur Minderung jener Bes.
ſchwerden, beyzutragen vermag : fo find offenbar die Bemühuns
gen zur Ausmittlung einer radicalen Eur derfelben lobenswerth,
"und verdienen den Dank aller Kunftverwandten. Nachdem
Hr. N. die zu demfelden Zwecke vorgefchlagenen Methoden
von Hein van Roonhuyſe, Völters, Dick ſon und
Deſailt bdeleuchter und ihre Unzulaͤnglichkeit dargethan bat,
befchreibt er den Fall, wo er fein längft projectirtes Vorneh⸗
men zum erften Mal ausgeführt hat und zwar mit glücklichen?
Erfolge. Zum Wundmachen der callöfen Ränder der Fiftelöffs
nung bedient er fi außer der Sceere eines hierzu befonders
verfertigten, am Griffe beweglichen, verborgenen Biſtouri's.
Die Verfchläge zur Gegeneinander ; Annäherung ‚der Fiftelräns
"der, damit fie fih vereinigen können, theilt er in der Ord⸗
nung mit, mie er fie nach einander projektirt und ausgeführt
Hat. Weil ihm die Anbringung einer Naht in einer gemwiffen
Höhe in der Mutterfiheide immer hoͤchſt fchwierig vorfam, fo
fann er auf eine Vorrichtung, die Fiftelränder ohne Ligatur,
in der gehörigen Naͤhe gegen einander bis zur Wereinigung,
zu erhalten. Das Refultar war eine mit Stacheln verfehene
Zange. — Mad) Verlauf von 41% Tagen nahm er fie -mit
gluͤcklichem Erfolge wieder ab. — Der zweyte Vorſchlag befteht
in Vereinigung der Fiftelränder durch eine Ligatur, nämlich
duch die Umſtechung vermittelft einer !Madel (hinter deren
"Spike fih ein mit einem Fadenbändchen durchzogenes Oehr
befindet ) und Zuruͤckziehung derfelden. — Die dritte Methode
befteht in der Vereinigung der beyden erwähnten. — Die
Schwierigkeiten in der Ausführung, die leicht größer erfcheinen,
als fie es wirklich find, werden (S. 395) fehr gemindert durch
einig Uebung am Cadaver. — Die folgenden beyden Methos
den kamen dem Verf. nad) den WVerfuchen, die er damit an
Leichen angeftellt hat, weniger fchmwierig vor, als jene. Die
eine diefer Methoden befteht in der Vereinigung durd) die ums
wundene (oder umfchlungene) Naht, wozu er fih einer nad
der Richtung der Beckenhoͤhle gebogenen Kornzange bedient,
in welche eine Halbmondförmige chirurgifche Nadel mit einem
556 Erfahr. u. Abh. d. Krankh. d. weißt. Gefchlechts v. Naegele.
Spannhaken befeſtigt wird. Dieſe Nadel bleibt nach der Um—
ſtechung in den Wundlefzen zuruͤck. Die Umwicklung und die |
‚Herausnahme der Nadel ſowohl, als das Abnehmen der Ligu
tur, geichieht auf: die nämliche Art, wie bey der Operation
‚ber Hafenfcharte, nur mit dem Unterfihiede: daß man, um
‚die Nadel herauszuziehen, diefelbe wieder, wie bey der Ein
bringung, mit der Kornzange faßt. — Die andere Methote
‚befteht in der Vereinigung durch Heften, wobey aber die Durch
ſtechung der Fiftelränder von der innern Flähe der Harnblaſe
aus gefhhieht. Die nad) ber Matur verfertigten Abbildungen
‚der zweyten Kupfertafel zeigen die wirkliche Gebrauchsart jener
Sinftrumente, die Art, fie einzubringen, ihre Lage in der aufı
gefchnittenen Mutterfcheide u. f. w. — Zulegt fügt der Vf,
noch die Befchreibung und Abbildung eines Katheters zu Ein
fprigungen in, die Blafe, und zur Verhinderung des unmil
‚türlichen Abflufes des Harnes bey. Wir flimmen dem Sf
bey, wenn er am Schluffe S. 401 fagt: „Zum beften de
Sache, deren Wichtigkeit fo Taut ſich ausfpricht, muß ich min
ſchen: daß diejenigen, welche diefe VBorfchiäge einer äffentihen
‚Beurtheilung wert halten mögen, die Sache wirklich an ir
Natur präfen, bevor fie darüber aburtheilen. Der in Kt
fiehende Gegenſtand gehört durchaus zu denjenigen, die Ih
am Studierpufte nicht abthun laffen. Bey folchen Operatis
nen ftoßen einem während der Arbeit Hinderniffe und Vortheile
auf, auf die man am Schreibtiſche eben nicht immer fill.
: Außer den erforderlichen Kenntniffen gehört dazu Gedult und
- Beharrlichkeit im Verſuchen und warmer Eifer für die gult
Sache.“
VI Beſchreibung einer hoͤchſt merk wuͤrdigtn
‚und feltenen Mißſtaltung des Beckens, wegen webh—
her der Kaiferfhnitt an einer zum fiebenten Male ſchwangern
Merfon vorgenommen werden mußte, die vorher fünf Kinder
glücklich. geboren hatte. Entfchieden iſt dieſes Becken unter alen,
in geburtshälflicher Hinſicht befchriebenen deformen Becken, di
am meiften mißftaltete, und der Umſtand, daß die Perf
ſechsmal geboren hatte, und die außerordenzlih fhnellt
Entſtehung diefer aͤußerſten Mißftaltung geben ihm offenbar |
Anſpruch auf den Nang des merkwärdigften und felteften Pr 7
Erfah. u. Abh. d. Krankb. d weibl. Geſchlechts v. Naegele. 357
parates biefer Art, für deffen mitgetheilte genaue und’ deutliche
Schilderung der Verf. den Dank feiner Berufsgenoffen vers
dient. Der Fall ift Lürzlih folgender: Anna Chriftina
Dienftähler, die Frau eines Zimmermanns zu Düne im’
Großherzogtum Berg, 56 Jahre alt, feit 13 Jahren verheys
dathet, befand fih in den erften 6 Jahren ihres. Eheftandes
vollfommen wohl, war von gefundem blühenden Ausfehen und
gerade und mohlgebaut, einige Monathe nach ihrer vor 5 Jah⸗
ren erfolgten, fünften, glücklichen Niederkunft fing fie an, am
rheumaliſcher und gichtifcher Affection, als Folge einer Verkaͤl⸗
tung, zu leiden. Unter öfterem Wechſel mit VBefferbefinden
nahm das Uebel zu, und machte ihr das Gehen Auferft bes
fhwerlih. 2 Sahre nachher gebar fie ein todtes Kind. Die
Geburt war fehwierig, wurde jedoh durh die Naturkräftd
vollendet; und die Hebamme, welche ihr beygeflanden, eine
alte erfahrene Frau, verfiherte beftimme, daß die harten Gel
burtscheile von aller Mißftaltung frey gewefen feyen. Hierauf
nahm ihre Krankheit, die gichtiſche Affertion, wieder fo zu,
daß fie nur mit vieler Mühe, und nicht ohne Stock gehen
konnte, endlich, faft ein halbes Jahr zu Bette zubringen mußte;
und, als fie wieder anfing zu gehen, ſchien das rechte Bein
wie gelähmt zu feyn, und bey einiger Anftvengung fühlte fie in
demfelben, fo wie in dem rechten Huͤftgelenke heftige Schmerr
zen. — Im Anfange ihrer fiebenten und legten Schwangers
ſchaft, welcher in den Frähling fiel, ungefähr 5 Wierteljahe
nach der vorewähnten Niederkunft, fhienen ihre Kräfte und
ihre Gefundheit wieder zu kehren. Zum Erflaunen ihrer Ber
tannten fing fie wieder an, ihre Gartenarbeiten felbft zu vers
richten, zu pflangen, zu graben, und befand fih fernerhin
wohl, wie dies auch ihre Sefichtsfarbe zeigte; obſchon der cons
tracte Zuftand ihres Körpers auch Außerlich fihtbar war. Der
Ruͤckgrath war gekrümmt Die Hebamme, welche fie unters
ſucht hatte, verfiherte, daß es außer dem Kaiferfchnitte Fein
Mittel gebe, fie von ihrem Kinde zu befreyen. Daffelbe fand
der zur Miederkunftszeit herzugerufene Geburtshelfer. Er vers
richtete die Operation ganz nad den Negeln der Kunfl. Das
Kind gab keine Zeichen des Lebens von füh; es hatte an beys
den Seitenwandbeinen einen tiefen Eindrud, — Während der
558 CErfahr. u. Abh. d. Krankh. d. weibl, Geſchlechts v. Naegele.
Operation ereigneten ſich keine widrigen Zufaͤlle, und die erſten
deey Tage nach derſelben, befand ſich die Patientin den Um—
ſtaͤnden nad) uͤberhaupt wohl, einen Huſten abgerechnet, wels
cher , neben dem Mangel an Aufmerkfamteit von Seiten des
‚Chirurgen (meldhem die DBeforgung der Dperirten, wegen
Krankheit des vorerwähnten Geburtshelfers, übertragen war )
die Schuld geweien, daß die Math den dritten Tag nad). der
Dperation aufiprang. Ben vierten Tag flarb die Patientin. —
Der Beichränteheit des Raumes wegen Übergehn wir hier bie
angeführten, fonderbaren Umftände, welche diefen Fall zum
Segenftand einer gerichtlichen Inquiſition machten, wozu der
Verf., als Phyſikus, beauftragt wurde, und welche die Unter⸗
ſuchung der Leiche, die ſchon ſeit beynahe drey Monaten be⸗
erdigt war, nothwendig machte.
Wir begnuͤgen uns, hier die Hauptzuͤge dieſer ganz —
ordentlichen Mißſtaltung mitzutheilen. Die Wirbelſaͤule iſt ſo
ſehr abwaͤrts gedraͤngt und die vordere Wand des Beckens
aufwaͤrts geſchoben, daß der obere Rand der Schambeinfuge
dem vorderen Rande der untern Gelenkflaͤche des dritten Len—
denwirbelbeines gegenuͤberſteht. Die Darmbeine ſind wie ein
Stuͤck ſtark gebogener oder zuſammengefalteter Pappe. zufams
mengedruͤckt, und ihre innere Flaͤche bildet an beyden Seiten
eine vom Darmbeinkamme zur ungenannten Linie hin ſcharf
zulaufende Rinne. Eine, von einer der vordern und obern
Darmbeinfpigen zur andern gezogene, gerade Linie, durchs
fhneidet die obere Selentflähe des dritten Lendenwirbels etwas
mehr nah Rückwärts, als in der Hälfte: fo daß alfo diefe
Linie niht mit dem Mafftabe, fondern nur mit dem Zirkel
genommen werden kann. Die Mißſtaltung der obern Deffs
nung des (Meinen) Beckens ift von der Art, daß diefe Apers
tur die Durchmeffer, welhe man gewöhnlich bey ihr annimmt,
gar nicht Hat. Der Abftand des queren Altes des linken
Schambeines von der ihm gegenüberftehenden Stelle des viers
ten Lendenwirbelbeines beträgt 215 Linie, dielelbe Entfernung
an der andern Seite 61, Linie. Wegen der Auswärtshiegung
der Schambeinfuge, wodurch der hievon eingeichloffene, für
die obere Apertur beftimmte Raum verloren geht, und wegen
der Meigung der Lendenwirbelbeine, nad) der linken Seite hin
ku
Erfahr. u. Abh. d. Krank. d. weibl. Gefchlechts v. Naegele. 559
kann für dem geraden. Durchmeffer des Eingangs fein anders
ves Maß als der Durchmeſſer eines innerhalb dreyer Puncte
gezogenen und auf der bepgefügten Abbildung bezeichneten
Kreifes, fatuirt werden, welcher ungefähr 6 Linien meſſen
würde. Der Querdurchmeffer des Beckeneinganges, der ebens
falls nur mit dem Zirkel gemeffen werden kann, hält 5 Zoll.
Die herabfteigenden Aefte der Schambeine und die herauffteis
genden der Sißbeine find fehr ſtark einwärts gebogen, fo daß
ihre hintern Flächen bepnahe gleichlaufend find. Die Schenkel
des Schambogens convergiren in dem Maß, daß fie nah
unten nur 5 Linien von einander abftehen. Die untere Apers
tur laͤßt alfo die Annahme eines geraden Durchmeffers ebens
falls nicht zu, indem der durch den Schambogen begränzte
Kaum für diefelbe gänzlich verloren geht. Der Duerdurchmeifer
der untern Apertur beträgt ı Zoll und g Linien. Das Kreugs
bein ift jo fehr gekrümmt, oder vielmehr zufammengedrängt,
daß feine ganze Hoͤhe nur ı6 Linien mift. Das Beden ift
übrigens gehörig feft, hart und troden, und wiegt fammt den
drey legten mit ihm verbundenen Sendenwirbelbeinen ı db und
10 Ungen med. Gewicht. — Die beyden Abbildungen des
Beckens in natärliher Größe, von Karchek geftochen, find
vortrefflich gerathen, und gewähren mit Huͤlfe der Beſchrei⸗
bung des Verf. eine deutliche und gendue Vorſtellung von dies
fer hoͤchſt merkwürdigen Mißftaltung. Die andere eben fo
fleißig, als die erfte ausgeführte Kupfertafel gibt eine geomes
trifche Anficht des Beckens von Oben.
Um den Leſern die anzuftellenden Wergleihungen zu evs
feichtern , führe der Verf. eine bedeutende Anzahl. von, darin
dem feinigen ähnlichen, Fällen mit, daß die Mißftaltung des
Beckens in fpätern Fahren, im erwachfenen Alter und zwar
bey PDerfonen, die jchon geboren hatten, entftanden ift. Unter
den hier befchriebenen, vorher nicht befannten, aber gleich
merkwürdigen Fällen, bedauern wir hier vorzüglich den vom
Verf. felbft beobachteten Fall des Raumes wegen nicht mitheis
fen zu fönnen.
Auffallend iſt die aufierordentliche Leichtigkeit des hoͤchtt
merkwürdigen, deformen Beckens, deffen Pet. Frank ink
feinen delect. opusc. med, Vol. V. p. 405 nur furz erwähnt,
wovon aber Hr, N, eine dataillivte Beſchreibung gegeben har;
560 Allgem. Repertorium der Mineralogie von Leonhard.
welches nebft den drey Lendenwirbein nur 8 Ungen und 5
Auenthen wiege. — Nicht als eigentlich Hierher gehoͤrend,
fondern feiner äußerften Seltenheit wegen, fügt der Verf. noch
die ihm von Baudelocque in einem Briefe mitgetheilte
Beſchreibung eines hoͤchſt mißſtalteten Skelettes bey, deffen
Becken dieſer im erſten Bande feiner Anleitung zur Entbins
dungstunft im Vorbeygehen erwähnt hat. — Am Schluffe
legt er dem Urtheile der Sachkundigen eine Bemerkung vor,
um durd die Erfahrungen anderer entweder beftätigt oder wis
derlegt zu werden. Er fand nämlich an den bey weitem mes
fen, ihm zu Geſicht gefommenen, durch vorhergegangene mehr
oder weniger gleihmäßige Knochenerweichung deform gemordes
nen Beden, die Verengerung des Beckeneinganges an dei
linken Seite in Färferem Maße, ald an der rechten.
Schon vor fünf und mehrern Jahren theilte er diefe Bemer⸗
tung mehreren berühmten Anatomen und Geburtshelfern mit,
und erhielt durchgehende Beftätigung derſelben. Zum Belege
führt er außer den Becken aus feiner eigenen Sammlung eine
bedeutende Anzahl von andern befchriebener deformen Becken
an, und theilt alsdann feine Meynung über die Urfache diefer
Erfcheinung aus Gründen mit, deren Beherzigung wir des
Sintereffe wegen, welches diefe Bemerkung in practifcher Hin⸗
fiht Hat, den Sachkundigen empfehlen, uns aber fowohl hier⸗
über, als über den Werth vieles ganzen, an Gegenfländen
reichhaltigen Werkes, des Urtheiles nach den Geſetzen unferes
Sinftitutes begeben. J. Fries.
Allgemeines Repertorium der Mineralogie. Von C.C. Leon-
hard, der W. W. Dr. grofsherzogl. Frankfurtischem
General - Inspektor der Domänen etc, Erstes Quinquen-
nium. Jahre 1806 — 1811. Frankfurt a..M. 1811. In der I
C, Hermann’schen Buchhandlung. VIII und zı2 €. in 8.
(2 fl. 30 fr.) ”
Dieſe Nachweiſung alles Wiffenswürdigen in dem Gebiete
der Mineralogie während der genannten Periode fchließe fich
an das rähmlichft bekannte Tafchenbuch des Verfaffers an, Es
find der Abfchnitte gehen. Die Bearbeitung ift mit Fleiß und
Sorgfalt ausgeführt, und wir empfehlen, diefes Wert dem
wiffenschaftlichen Mineralogen als jehr gutes Hülfsmittel,
No: 36. Heidelbersifhe:. 1813.
Jahrbuͤcher der Litteratur.
ù—— * —— — —— —*— — TUN UN
Leitfaden der Entwickelung der philoſophiſchen Printipien des buͤrger⸗
lichen und peinlichen Rechts von Gottlob Ernſt Schulze
Göttingen bei Joh. Friedrich Roͤwer. 1813. XXIII u. 430 ©. 8.
D. Verf. nimmt an, daß es keine von der Ethik ſperifiſch
verfchiedene, und davon den Principien und Nefultaten nach
abweichende philofophifche Nechtsiehre gebe, fondern diefe nur
nachzumeifen habe, welche befondre Beflimmungen die ſittlichen
Geſetze für das Betragen der Menfchen gegen einander, durch)
ihre Anwendung auf das Leben, und die mannichfaltigen Ders
hältniffe der Mitglieder einer bürgerlichen Gefellihaft zu eins
ander und zu der ganzen Gefellichaft erhalten. Diefer Anficht,
und dem befondern Zwecke des Verf. bey diefem Werke gcmäß
zerfällt das Buch (er befolgt‘eine andre Eintheilung) in fols
gende Theile: I. Von der Idee des Sittlich Guten und den
damit zufammenhängenden Begriffen : allgemeine practifdhe
Philoſophie. II. Von der dee des Rechten, und dem Staate
als Bedingung der vollendeten Humanitaͤt. IT. Nom bürgers
lichen und peinlihen Rechte — als befondrem Dbjecte dieſer
Schrift.
I, Das Sittlich-Gute iſt etwas an ſich Schoönes, und
wirft auf unverdorbene Menfhen‘, wie das Schöne in der
Kunft auf Sinnvolle. Was die Kunftwerte im Gebiete des
Schönen, das find die fittlihen ( practiichen ) Ideen im Mos
ralifhen ; zu ihrer Aufftellung treibt die Vernunft; fie entſtehen
durch Verediung der ſchon durch die Natur in den Menſchen
gelegten Anlagen und Triebe, und Neinigung derfelben von
allem Egoismus; ihr Prüfftein ift das Gewiſſen. Diefes vers
ftärft die Wirkung der firtlichen Jdeen auf das Gemuͤth, dazu
dient auch die Darftellung derfelsen als göttliches Gebot, die
Erwartung von Belohnungen und Strafen , die Kirche. Sonſt
gide es keine Nöchigung zu ihrer Anerkennung, fo wenig als
56
562 Leitfaden des bürger!, und pein!, Rechts von Schule,
zur Anerkennung des Schönen. Damit flimmt Rec. (wenn er
anders das zerftreut flehende richtig aufgefaßt hat) volltommen
überein; nicht fo mit dem vom Verf. gegebenen Principe des
Sittlih : Guten: es fromme der Wiffenichaft nicht; es ift kein
allgemeiner Erfenntnifigrund des Guten. Dasjenige ift gut
(fagt der Verf. ), „was nad den Einfihten der Vernunft dır
dem Menichen möglichen Vortreiflichkeie in der Aeußerung feis
ner Kräfte angemefien iſt.“ Welches iſt aber nun die dem
Menfhen mögliche Vortiefflichkeit, welhe den Maaßſtab de
Guten abgibt? . Das foll die Einfihe der Vernunft beftimmen.
Has ift diefe? Das Vermögen praftifcher Ideen ($. 37.):
und woran erkenne ich die Wahrheit einer practifchen de?
Daran, daß fie mit den Ausiprüchen des Gewiſſens überein
ſtimmt ($. 44. 1.) Das Princip verweiſet aljo die Frag,
„ob etwas guet ſey?“ ganz an das Gewiffen : wozu dient &
‚nun? Es hätte, um einen Erkenntnißgrund des Guten auf
zufinden, aus der Vergleihung der Ausiprüche des Gewillen
eine Regel, oder Marime die Allem zu Grunde liegen mil,
wenn man nicht annehmen will, daß fi Wernunft und ©
wiffen widerfprechen) entwickelt werden muͤſſen; dieſe Reyl,
nad) der das Gewiſſen, freylich nicht mie Elarem Bewußtlen,
fpricht,, würde ein wahres und fruchtbares Princip abgegebn
haben. Iſt es aber unmöglich, diefe Regel aufzufinden,
hätte auch der Verf. von einem Principe gar nicht fpreden
follen. Wir fahren in der Darftellung des Buches fort.
Nur wer gut handelt, handelt wahrhaft frey, und mer
liſche Freyheit iſt als die Faͤhigkeit der Vernunft zu denten,
die Kraft, womit die Idee des Sittlich-Guten unſern Willen
afficire, bis zu dem Grade zu fleigern, daß fie den Einfui
aller finnlihen Begierden auf unfern Willen überwiegt. Zu
Tugend gehören drey Dinge. Erkenntniß des Guten (dev din
Menſchen in. allen Werhältniffen erreichbaren Wortreflihtet)
Wollen des Guten um feiner felbft willen, Feftigkeit des Tr
faßes in der Ausführung des ald Gut Erkannten. Koſtet 4
einen Kampf gegen finnlihe Neigungen, um das Gute zu rw
lifiven, fo nimmt es den Charalter als Pflicht an; fichen aber
jene dem Intereſſe am Guten von ſelbſt nach, fo ift Lieber
Guten vorhanden. Wenn das Gute nur in der That lieg
Leitfaden des bürger!. und peinl. Nechtd von Schulse. 563
ohne aus Hochſchaͤtzung und Liebe des Sittlichen zu entfpringen,
dann ift nur Legalicät gegeben. Tugend ſchließt die Gluͤckſe—
tigkeit nicht aus, fo wenig als die Pflicht alles Vergnügen:
das Bewußtſeyn der Tugend (die innere Harmonie unfers
Lebens und Gewiſſens) tit felbft Quelle eines neuen Vergnuͤ—
gend. Das Lafter vielmehr zerftört gemöhnlih die Gluͤckſelig⸗
keit, und auch der verftändigfte Menfh, der nur nad dem
Angenehmen ringe, wird den unangenehmen Folgen feiner
Handlung nicht immer entgehen. Kine aus felbfiverfchuldeten
Mangel an Erkenntniß des Guten, oder aus Mangel an Wil—
lenskraft habituel gewordene Nichts Erfüllung der Pflicht ift
Untugend; ein Handeln nah dem Grundfage, in Befriedts
gung feines Egoismus fih um die Gebote der Pflicht nicht zu
fümmern, Lafterhaftigkeit; diefes und jenes ift boͤs, die Lafters
Haftigkeie mehr. — Diefe Grundiäge nun machen die allges
meine practifhe Philofophie aus, die jedoch der Verf. nur in
der befondern Beziehung auf bürgerlihes und peinlihes Recht
ausgeführt hat. Die ſpecielle practiiche Philofophie enthält die
Ethik, Potitit und das Wölkerrecht, je nahdem die Idee des
Sittlih : Guten auf die Kräfte des einzelnen Menihen, oder
die Thaͤtigkeit der Bürger im Staate, oder die Verhältniffe
ganzer Staaten gegen einander angewendet, und gezeigt wird,
wie jene Kräfte, TIhätigkeiten und Berhältniffe zu ordnen feyen,
damit jeder Einzelne an fih, jeder Staat in fih, und die
Völker in ihrer Wechſelwirkung die dee des Guten möglichft
realifiren. Dazu koͤmmt noch die Pädagogik als die Lehre,
wie die Kräfte des Menfchen von der erften Periode des Les
bens an geübt werden müffen, damit er in den Sjahren der
Mündigkeit fein Handeln durch Vernunft zu ordnen im Stande
fey. Der Verf. beichränft fih auf Politik.
II. Die Ideen der Achtung , des Wohlwollens und ber
DBilligkeit gegen andre Menfhen machen die Elemente des
Nechten aus. Die Idee der Achtung entipringt aus dem Bes
mwußtieyn, daß der Menfch um feiner Vernünftigfeit willen
nicht als bloßes Mittel für die Zwecke eines Andern exiſtire,
und behandelt werden dürfe. &teigert fich die natürliche Theils
nahme an den Freuden und Leiden Andrer bis zur Aufopfes*
rung des eignen Wohlſeyns für fremdes, und erfirecft jie ſich
564 Leitfaden des bürger!, und peinl. Nechts von Schulze,
auf gleiche Weife auf das ganze menfchliche Gefchlecht, fo wird
die Idee des Wohlmwollens lebendig. Meflen wir unfer Des
tragen gegen andre nad) ihren individuellen Zuftänden und nach
ihren Verhältniffen zu uns ab, fo handeln wir nach der dee
der Billigkeit. Iſt diefe nad) der Idee der Billigkeit abgemefs
fene Handlungsweiſe zugleich der allen Menihen fchuldigen
Achtung entfprechend, fo iſt fie recht, oder enthält das Rechte.
Das Rechte in dem Betragen gegen andre muß über dasjenige,
was zu dem Recht eines Menſchen gehören fol, Aufichluß
geben, das Subjectiv-Rechte Über das objective Necht, und
der hoͤchſte Grund von diefem liegt darin, daß die Handlung,
worauf es fi bezieht, durch die moralifhe Beſtimmung des
Menſchen geboten ift (jedes Recht feßt eine Pflicht voraus,
$. 129.). — Der Menfch hat alfo fein Necht „nicht Allmos
fen zu geben,“ weil es. eine Pflicht ift, Allmofen zu geben;
der Staat kann, daher Allmofen zu geben befehlen. Der Menſch
bat alfo kein Recht „nicht zu heyrathen,“ weil, wenn bie
Pflicht etwas über die Ehe ausfagte, fie felbe eher gebietet ;
jeder Menſch kann aljo zum Heyrathen angehalten werden!
Cvortrefflich für das onferiptions s Spflem!) Der reihe
Släubiger hat alfo fein Recht, den armen, hoͤchſt beduͤrftigen
Schuldner auszupfänden, da er ihn eher unterftüßen follte?
In allen. diefen Fällen wird das Gefühl eines jeden Refers ges
gen den Verf. feyn. Dadurch aber muß eine Theorie, die ſich
auf eine Darlegung der dem menſchlichen natuͤrlichen Gefuͤhle
ſtuͤtzt, hoͤchſt zweifelhaft werden.
Ehe es Staaten gab, gab es Menſchen, die ſchon in eis
ner Art gefellfchaftlicher Verbindung lebten, welde durch den
ihnen einwohnenden Gefelligkeitstrieb, ferner durch den Ss
fhlechtstrieb und deſſen befondere Einrichtung in unfrer Natur,
endlich duch die vieljährige Abhängigkeit des Kindes von den
Aeltern geftiftet wurde ( Familienverbindungen).. Meue Bes
duͤrfniſſe, Vermehrung der Stämme, Verhaͤltniſſe zu andern
Stämmen, Höhere Kultur, Erkenntniffe der Wortheile des cis
vilifirten Lebens führte größere Gefellfchaften, Staaten herbey.
Sjeder Menfhenftamm, der feine gemeinſchaftlichen Angelegens
‚heiten aus eigner Machtvolllommenheit ordnet, und feiner
| außer ihm gehorcht, iſt ſchon ein Staat: doch denkt man fich
Leitfaden des buͤrgerl. und pein!. Rechts von Schulze. 565
diefen gewöhnlich nur dann vollender, wenn in der Geſellſchaft
auch eine Macht exiſtirt, welche die Mitglieder zu Handiungen
verpflichtet, die auf das allgemeine Wohl (die Erreichung des
geſellſchaftlichen Zwecks) Bezug haben. Die Entſtehung einer
ſolchen Macht laͤßt ſich aber vernuͤnftiger Weiſe, da Menſchen
keine Thiere ſind, nur aus einem uͤbereinſtimmenden Wollen
aller Mitglieder der Geſellſchaft erklaͤen. Nach einer Idee
der Vernunft beſtimmt iſt der Zweck des Staates kein andrer,
als Beförderung. einer von Generation zu Generation fortges
Henden, und der Vollendung fih immer mehr nähernden Ents-
wicklung aller diefe Natur (?) ausgeichnenden Anlagen bey
feinen Bürgern. Es ift unleugbar, daß der Menſch erft in
Verbindung mit andern, im Staate das wird, was er feiner
Matur nad werden kann und ſoll. So wie aber die Indivi—
duen verfchieden find, fo auch die Nationen (durch die Natur
des Landes, das fie bewohnen, Einfluß des Climas, und auss
gezeichnete Menſchen, frühere Schickſale): und aus biefer-
Verfchiedenheit entipringt es, daß die Ausführung des dem
Staate mweientlihen Zweckes bey jedem Volke einen eignen Chas
rafter, eine eigne Form erhält. Der Staat: befißt vermöge
feiner Natur und Selbftftändigkeit die Befugniß, jedem Ans
griff auf feine Exiſtenz und feinen Zweck Widerftand zu thun;
daher das Recht, feinen Verordnungen durch Zwang Sehorfam
zu verfchaffen. Wer das Neht hat, diefe Verordnungen zu
geben, heilit das Oberhaupt ; als folches hat es in allen Dins
gen der Regierung feinen höheren Über fih; alle andern Glie—
der des Staates find Unterthanen. Die Gewalt des Souveräng
iſt jedoch durch den Zweck des Staates beſchraͤnkt: er foll nur
jene Mittel gebrauchen, die zu feiner Erreichung führen: wels
yes diefe feyen, bleibe feinem Ermeffen allein uͤberlaſſen. Was
die Stage Über die befte Staatsverfaffung betrifft, fo ift fie
en aufgeworfen eigentlich feiner Beantwortung fähig.
Gute nämlich, welches durch eine der verfchiedenen Staats⸗
verf lungen bewirkt werden kann, ift durch Denkart, Sitten,
Ku; ,ır und Lage des Volkes bedingt, und fordert, um zu ges
deihen, gleichfam wie jede Pflanze einen eignen Boden und
ein befonderes Klima. Die durd) kein Staatsgefeß eingefchränkte
Gewalt des Negenten aber ift nur ausnahmmweije gut ols ein
566 Leitfaden des bürger!. und peinl. Rechts von Schule,
Damm gegen den Ausbruc heftiger Leidenschaften; im Ganzen
wird fie durch Vernichtung alles Eifers für büärgerlihe Tugend
fhädlih. Die Stärke, Gelundheit, und darum äußere Macht
eines Staates hänge ab von der Herrfchaft folcher Grundjäße,
durch die eines jeden Bürgers Thätigkeit eine Richtung auf
den gemeinfamen Zweck des bürgerlihen Vereins erhält, und
der für die Verwirklichung diefes Zwecks feftgefchten Verfaſſung
angemeffen ift. Die Staatsiehre felbft nach Verfchiedenheit der
Principien, die feine Thätigkeit leiten müffen, zerfällt in die
Staatsrechts » Lehre, Bürgerrechte ; Lehre, Staatshaushaltungss
Lehre und Criminalrechts Lehre. Den zweyten und vierten
Theil der Staatsiehre darzulegen, iſt Zwed des vorliegenden
Bude. |
III. Ale bürgerlihen Nechte beziehen ſich entweder auf die
Verhältniffe des einzelnen Bürgers zur Totalität der Geiells
ſchaft (das Öffentlihe Recht), oder zu andern einzelnen Vuͤr—
gern ( Privatrecht). Da die dem Menfhen beywohnenden
Triebe feine ihrer Natur mwiderfprechende Richtung erhalten
fönnen, wenn in ihnen nichts feiner Natur miderfprechendes
entfichen foll, und der Staat vermöge feiner Beftimmung den
menfhlichen Fähigkeiten zum Guten einen befondern Wirkungss
freis verftatten foll; fo made der Bürger mit Necht Aniprüce
darauf, feine Kräfte naturgemäß entwickeln, aber auch das
Leben im Staate zur Darftellung menſchlicher Vortrefflichkeit
benußen zu dürfen. Diefe Anſpruͤche faffen ah auf folgende
Titel zurückführen. 1) Das Recht auf buͤrgerliche Selbſt—
ſtaͤndigkeit (Perſönlichkeit) d. h. das Recht des Bürs
gers auf eine feiner Individualitaͤt angemeſſene Ausbildung der
ihm beywohnenden Anlagen, auf die Benußung feiner Verbins
dung mit dem Staate zu diefer Ausbildung, und auf den Ges
brauch feiner ausgebildeten Kräfte zu jedem als gut erfanngen
Zwecke, fobald er nichts dem allgemeinen Wohl des
nachtheiliges enthält, worüber der Souverän zu urth |
2) Zur bärgerlihen Gewiſſensfreyheit ‚gehört Das
Recht, duch den Staat zu nichts verbindlic gemacht zu wers
den, was nad) dem Urtheile des innern Richters Über unfer
Thun und Laffen etwas Boͤſes ausmacht. 3) Durch das Recht
auf Verdienſtlichkeit um den Staat iſt der Bürger ber
Leitfaden des bürger!. und peinl. Rechts von Schulze. 567
fügt ‚ ſich jede Art des DVerdienftes um den Staat, wozu ihn
feine Kräfte und deren Ausbildung befähigen, zu erwerben, fo
wie auch auf alle Belohnungen, wodurd Verdienſte ausges
zeichnet werden, Anipruch zu machen. Dieſe drey Nechte mas
chen die wefentlichen Beftandtheile der Bürgerlichkeit aus, die
durch feine Form des Staates aufgehoben werden können, aber
auch nur gefunden und mündigen Staatsgliedern (mit befons
derer Ruͤckſicht auf den Unterfchied der Gefchlechter ) zuftehen.
— Alle Privartrehte find entweder perfönliche oder dingliche,
indem fie entweder in rechtmäßigen Anfprähen auf Beſtim—⸗
mung der äußern Thätigkeit einer Perfon, oder auf den Ges
brauch äußerer d. h. vom menfihlihen Körper verſchiedenen
Sachen beftehen. Alle perfönlihe Nechte (ausgenommen die
aus den Familienverhältniffen entfpringen ) beruhen auf Ders
trägen. Zur Möglichkeit des Verkehrs, und damit die natuts
gemäße Einheit des aͤußern und inneren Menfchen nit aufges
hoben werde, iſt Wahrhaftigkeit nothwendig; die Idee der
Wahrhaftigkeit aber erfordert, ein gemachtes Verſprechen zu
erfüllen, um fo mehr, als es inhuman ift, fruchtlofe Hoffs
nungen zu erregen, oder einem andern durch eine erregte Er—
mwartung Unkoften zu verurfahen. Jeder Vertrag feßt Webers
einftimmung des Willens der Paziizenten voraus; ift feine
ſolche Webereinftimmung möglih (wegen mangelnden Vermoͤ⸗
gens nad Abfihten zu handeln), fo iſt er nichtig, ferner,
wenn die Willensvereinigung nicht wahr, fondern nur fcheinbar,
d. h. durch einen weientlichen, Irrthum (in Morausfegungen,
die allein. dem Vertrage fein Dafeyn gaben) veranlaft mar,
oder durch -ungerehte Gewalt erzwungen, oder ‚nicht duch
äußere Zeichen erklärt, das Verſprechen ein unbeftimmtes phys
fiih oder moralifh unmögliches. Die aus gültigen Verträgen
entipringende Verbindlichkeit, obgleich fie urfprüngfih nur eine
innere (für das Gewiſſen) ift, kann der Staat in eine Zwangs—
verbindlichkeit verwandeln, kraft feiner Verbindlichkeit und feis
nem Nechte, auf ein den fittlichen Sjdeen angemefjenes Leben
der Bürger zu wirken, gleihfam als ein Subftitut oder Ger
bülfe des Vernunftzwangs, wodurch freylich nur Legalitaͤt bewirkt
wird. — Auf den Familien beruht die Stärke der Staaten,
die Familie bildet die Tugenden aus, nicht die Welt. Das
568 Leitfaden des buͤrgerl. und peinl. Rechts von Schulze,
Band der Familie macht die Ehe, ihr erftes Element ift der
Geſchlechtstrieb, von feiner Veredlung hängt alles ab. Er
wird veredelt duch den Sinn für Schönheit, durch die Ges
fühle der Liebe und Verehrung gegen die moraliihen Vollkom⸗
menheiten einer Perfon andern Gefchlechts, dadurch, daß man
die Erzeugung neuer Individuen (und nicht den Genuß) zum
Hauptzwecke erhebt, und alle aus der Zeugung entipringende
Pflichten mir Liebe übernimmt. Poliandrie hat Überall nur
die Noth erzengt; Vielweiberey erzeugt häuslichen Deipotismug,
und dadurch den Defpotismus im Staate; Monogamie ift dies
jenige Form der Ehe, welche der Vernunft allein zufagt, und
fobald hervortriet, als fih der Mann über den Zuftand der
Roheit und Wildheit erhebt, in dem Stärke am meiften gilt,
und dadurch das fhwächere Weib in Unterdrücdung lebt. Mit
der Nechtsgleichheit ift Monogamie gegeben. Phnfiihe Reife,
die der moralifhen zuvoreilt, hält freylicdy in manchen Gegen—
den das weibliche Gefchlecht nieder, begünftige Wielweiberen, -
doch ift fie auch in den Morgenländern mehr Sache der Uep—
pigkeit der Meichen, als des Volks, nie der Bevölkerung zus
traͤglich, und dem natärlichen Verhaͤltniſſe der Gefchlechter faum
gemäß. Ausihweifungen des Geſchlechtstriebs untergraben die
Sittlichkeit und dadurch den Staat; am verderblichften ift die
Eorruption der Weiber, die nichts mehr bindet, wenn fie eins
mal die Schranfen der Sittfamkeit und Keufhheit durchbrochen
haben; und da in den Familien von ihnen fo vieles, die ganze
erfte Erziehung der Kinder abhängt, wie muß dies auf den
Staat wirten? Die Erhaltung der Sittenreinheit in den Fas
milien fpricht gegen die Ehe naher Blutsverwandten. Mit
Recht, auf daß ja nicht vergeffen werde, wie der Menfc den
Geſchlechtetrieb nicht nad) Weife der Thiere befriedigen foll,
ift die Abſchließung einer Ehe an Feyerlichkeiten gebunden (mo
möglich veligidfe ) ; wider den Leichtſinn fchüßt das Erforderniß
eines gewiffen Alters, die Einwilligung der eltern, oder des
ten, bie ihre Stelle vertreten; die Liebe fordert eine aus—
fchließende Verbindung auf Lebendlang. Nur wo Hinderniſſe
eintreten, die es unmöglich machen, den Zweck der Ehe zu ers
reihen, oder eine Collifion der ehelichen Pflichten mit andern
unumgänglichen, fowohl gegen andre Menfchen, als gegen den
Leitfaden des buͤrgerl. und peinl. Rechts von Schulze. 569
Staat, da ift ein Verbot der Ehe, oder eine Trennung nicht
gegen die Vernunft. Aber die Ehen zu erſchweren, oder ihre
Trennung zu fehr zu erleichtern; beydes. führet zu Unſittlichkeit.
Die lleberiegenheit des Mannes an Verſtand und Feftigkeit
des Willens macht ihn zum natärlihen Oberhaupt der ehelis
hen Sefellihaft, darum folgt die Frau dem Manne, auch im
Wohnorte (denn beyde bilden nur ein gemeinfihaftliches Hauss
weſen): im uͤbrigen find alle Rechte gleih; Gemeinfchaft der
Güter fließt aus den Geſinnungen der Freundfchaft und Liebe,
die das jhöne Band der Ehe bilden, Die Liebe und Zärtlihs
keit, "welche die Natur ſchon in das Herz der Aeltern gegen
die Kinder gelegt hat, von allem Egoismus geläutert, beftimme
die Verbindlichkeit jener gegen diefe in Ruͤckſicht auf Erziehung
(diefe gibt das Maaß der älterlichen Gewalt) und Ernährung;
in beyden find die Nechte und Derbindlichkeiten des Mannes
und des Weibes gleich. Die Stelle ber Aeltern bey verwaiss
ten Kindern vertritt der Vormund; da bey ihm feine Alterliche
Liebe vorausgeſetzt werden kann, ift feine Gewalt mehr zu bes
fhränfen. Die Kinder find den eltern Dankbarkeit, und
darum Gehorfam und Unterfiüßung fhuldig, wenn jene ihrer
bedürftig find. Da von dem Zuftande der Familien fo viel
abhängt, fo beftimmt der Staat mit Hecht die Verhättniffe
zwifchen Aeltern und Kindern genauer, und fpricht fie als
Zwangsrechte aus. Unehlih Geborne aller Anfpüche gegen den
Vater berauben, ift Ungerechtigkeit. — Es gibt einen phyſi—
fhen und moralifhen Befis ( Eigenthum ) äußerer Sachen.
Sjener befteht in der mit dem Willen, fie zu gebrauchen, vers
bundenen Einwirkung auf eine Sache, welche das Einwirken
anderer Menſchen auf diefelbe ausichließt (es gibt alſo nur
einen Befiß deffen , was ich am Leibe oder unter Schloß und
Kiegel habe?) : vieler ift vorhanden, wenn ich jeden andern
von dem Gebrauche einer gewiffen Sache auszufchließen berech—
tigt bin. Die Entfiehung des Eigenthums wird veranlaßt
durch das Verlangen des Menfchen nah äuferen Sachen, weil
er ihrer zu feiner Erhaltung bedarf, und nah einem Fleck
Erde zur Unterbringung feiner Perſon; er hält es für natürs
lich, dasjenige, morauf er ‚feine Kräfte verwandt hat, aus
ſchließend zu beſitzen; Sorge für die Zukunft, und Furcht vor
570 Leitfaden des bürgerl, und pein!. Nechts von Schulze.
möglihem Mangel bey vermehrtem Gefchleht macht es ihm
wünfchenswerth, was er einmal inne hat, für immer zu bes
halten (io lange fein Wille dazu fortdauert); und diefes
Derlangen wird Necht durch die Mochwendigkeit, daß der
Menſch von der äußern Natur unabhängig fey, und über fie
herrſche, wenn er fich fietlih, ja überhaupt ausbilden foll.
Was der Verf. von den Beſchraͤnkungen des Eigenthums, von
der Vertheilung des Landeigenthbums, dem Buͤchernachdrucke,
Decupation, Snteftaterbfolge, Teftamente, Verjährung fagt,
erlaubt der Raum nicht quszuziehen.
Vom Strafrechte lejen wir folgende Ableitung. Das ung
von andern erwieſene Wohlwollen erregt Mohlgefallen, das
uns erwiefene Uebelwollen dagegen Mißfallen. Jenes reizt] ung
zur Dankbarkeit, diejes zum Widerfiande, der entweder auf
Hemmung der fchädlichen Wirkfamkeit, oder Vertilgung der
fhädlihen Folgen, oder Erfaß, oder Sicherheit für die Zu
Zunft gerichter iſt. Diefe Sicherheit wird auch dadurch zu ev
halten geſucht, daß wir dem Beleidiger ein ‚gleiches oder ähnliches
Wehe zufügen, ale er uns verurjacht hat, gleihfam als ein
nota bene, daß er ung nicht ungeftraft beleidigen könne, fons
dern dadurch jeldft sein Uebel über fih bringe — Mit diefer
Ableitung tft allerdings gezeigt, daß im Menfchen der Trieb
liege, Uebles mit Ueblem zu vergelten, was Niemand leugnet ;
die Frage ift aber nad) dem Nechte einer folchen Wiedervergels
tung, oder (um mit dem Verf. zu fprehen) ob eine folche
MWiedervergeltung mit dem &Subjectiv s Rechten, den practifchen
Ideen übereinftimme ? „Denn der Menih hat. nur ein Necht
auf dasjenige, was Beziehung auf feing fittlihe Beſtimmung
und auf die Bedingungen der Erreichung einer foldhen Beftims
mung hat.“ Ein folhes Verhältniß der Wiedervergeltung zur
ſittlichen Beftimmung ift nirgendwo nachgewieſen. Zwar heißt
es $. 249.: „Befonders wird durch die Wiedervergeltung der
angethanenen und beabfichtigten Beleidigungen der Meigung
hiezu eine Einfchränfung bereitet, ohne welche fie bald triums
phirend werden, und die Menfchengattung ohne Schuß feyn
würde.“ Hiernach wäre die Strafe recht, um den Untergang
ber Menfchengattung zu verhüten; da fie aber gegen began—
gene Beleidigungen feinen Schuß gewährt, fondern nur gegen
Leitfaden des bürger!, und peinl. Rechts von Schulze. 571
zukünftige, und gegen diefe nur durch Abſchreckung, fo fiele
die Theorie des Verf. mit der fehr gründlich von ihm miders
legten Abjchresfungss Theorie zufammen. Daffelbe trifft feine
Ableitung des. dem Staate zuitehenden Rechts, die ihm auges
thanene Beleidigung zu flrafen aus dem Rechte zur Gelbfters
haltung, und alfo Seldftvertheidigung ($. 251.): denn gegen:
das Geſchehene gibt es keine Vertheidigung mehr, nur gegen
das Zukünftige, und dies nur durch Erregung der Furcht vor
der Strafe, und wirklihe Strafezufügung (kurz Abſchreckung,
wo nicht ewige Sefängnißs oder Lebens: Strafe recht ift, und
dieſe Sicherheit gewährt). Im $. 250. heißt es endlich: „die
MWiedervergeltung muͤſſe duch die Bernunft geleitet werden,
und wenn fie gerecht ſeyn wolle, innerhalb der Graͤnzen einer
gerechten Nothwehr bleiben “: damit ift aber nichts weiter ges
zeigt, ald wenn die Mothwehr entichieden unrecht, keineswegs
aber, daß fie überhaupt gerecht fey. ( Wenn dem Subject A
das Prädicat Non. B nicht zukömmmt, fo folge nicht daraus,
daß ihm das Prädicat B zukomme.) — Was die jBegriffe
von Zurehnung, Vorſatz u. ſ. w. betrifft, fo flimme der Verf.
im Wefentlihyen mit den gewöhnlichen Anfichten überein. _ Zus
rechnung feßt voraus, daß Jemand freyer Urheber einer That
habe feyn können; die Schuld ift defto größer, je weniger der
finnlihen Regungen waren, die um Hecht zu handeln hätten
überwunden werden muͤſſen (das möchte fih in concreto doch
fhwer anwenden laffen!). Wenn ber Thäter Bewußtfeyn der
in feiner That liegenden Pflichtwidrigkeit hat, fo. ift Vor—
faß, fehlt jenes Bewußtſeyn, Fahrläffigkeit gegeben. Diefe
kann entipringen aus Mangel an Aufmerffamkeit auf uniere
Pflicht, oder die Folgen unfrer Handlung. Am lebten Falle
iſt fie größer oder geringer, je nachdem die Folgen enweder
nothwendige, oder gewöhnliche, oder ungewöhnliche waren.
Der Grad der Einfiht und der Veurtheilungetraft, den der
Thaͤter befaß, muß beräcfichtige werden. . Eine Uebelthat kann
durch einen allein (Urheber) oder durch die vereinigte Kraft
mehrerer ausgeführte werden (Gehuͤlfen — nad) der That Theil
‚nehmer ). Wer durch eine vorfäßliche Uebelthat als Folge dews
ſelben auch noch eine kulpofe begeht, leidet für beyde Strafe.
572 Leitfaden des buͤrgerl. und peinl. Rechts von Schulze.
Mit dem freyen Gebrauche der Geiſteskraͤfte, wenn er unvers
ſchuldet ift, fälle audy ale Zurehnung weg. Was nicht den
Zwecen des Staates entgegenwirkt, bloße Gedanken werden
nicht geftraft. Alle Uebelthaten werden eingetheilt in Verbre—
hen und Vergehen, je nachdem fie auf Zerftörung derjenigen
Drdnung , wovon die Fortdauer und das individuelle Leben
eines Staates abhängt, gerichtet find, oder nur das Wohlſeyn
(nit das Seyn) des Staates in Gefahr bringen. ( Zerftört
aber nicht allgemeine Unfittlichkeit einen Staat, und doch ift
diefe, wenn fie fih in Handlungen ausfpricht, nur Vergehen,
feldft nach dem Verf, und rechnet man nicht allgemein den
Diebdftahl zum Verbrechen, der doch in geringem Grade die
Eriftenz eines Staates nicht zerftört?) Die Strafwärdigkeit
einer Uebelthat hängt ab von der Größe des Schadens, ber
dem Staate ängefügt wird, und von der Größe der Schuld
des Webelthäters in Anfehung der That; überhaupt von. der
Größe der Gefährlichkeit eine Uebelthat für den Staat. Affec⸗
gen vermindern die Strafdarfeit, Leidenfchaften nie; auch liegt
es in der Natur des Menfchen, weniger beleidigt zu feyn,
wenn eine Handlung den beabſichtigten fchädlichen Effect nicht
hatte, als wenn Schaden eintrat, Bey der Wahl der Straf
übel kann man außer der Seldfterhaltung und Sicherheit auch
nod) auf Befferung fehen; bey Ehrenftrafen ift befondere Vor—
fiht anzuwenden; Todesftrafe it recht, weil Fälle eintreten
können, wo fie zur Sicherheit (?) gegen den Verbrecher uns
entbehrlich iſt; doch foll der Staat durch zwerfmäßige Gefängs
niß s Anftalten darauf hinarbeiten, daß er fie entbehren könne.
(Wir Haben alfo ein Recht, Menfchen todt zu fchlagen, weil
wir ungeſchickt, oder nadhläßig find!) Das Begnadigungss
recht wird gebilligt unter der Einfchränfung, daß dadurch des
Staates Sicherheit gegen Wiederholung derfeldben oder Ahnlis
cher Verbrechen nicht vermindert werde. (Mer will das im
Voraus beflimmen?)
Dies ift im Wefentlichen die Lehre des Verf., die Rec.
fo viel möglich mit feinen Worten wiedergegeben hat. Der Les
fer fann nun beurtheilen, ob die Unmöglichkeit der NRechtsphis
loſophie als befonderer Wiffenfchaft erwiefen, und durch die
Domitii Ulpiani fragmenta. 573
Anfiht des Verf. die Miffenfchaft gefördert und mit neuen
Nefultaten bereichert fey, oder nicht.
Domitii Ulpiani fragmenta libri regularum singularis, uti videtur,
vulgo XXIX tituli ex corpore Ulpiani. Denuo recensuit
Gustavus Hugo, Berolini imp. Mylü 1811. VI und
52 ©. 8 |
Der berühmte Herausgeber hat auch durch diefe Arbeit
feine vielen Verdienfte um gelehrtee und wiffenfhaftlihes Stus
dium des Römifchen Rechts vermehrt. Schon das ift dankens
werth, daß er, nachdem feine frühere Ausgabe (von 1788)
vergriffen war, abermals Gelegenheit Hab, dieſes ſchaͤtzbare
Büchlein für einen folhen geringen Preis anzufchaffen, daß
von der Seite fein Hinderniß den darüber zu haltenden Wors
leſungen und eignem Studium, welche den größten Nutzen
gewähren müffen, im Wege fteht. Aber — wie ſich vom Hers
audgeber, der bey jeder Ausgabe einer eignen Schrift fait ein
neues Buch liefert, nicht anders erwarten ließ — auch das
denuo recensuit fteht nicht müilfiig auf dem Titel, und fo
Darf ſich auch die Kritik Ulpians Vortheile von dieſer Arbeit
verfprehen. Worin das in diefer Beziehung Geleiſtete beftehe,
gibt die kurze Vorrede (die ausführlichere der erſten Ausgabe
iſt weggeblieben ) im Allgemeinen an, und ift bier prüfend
näher darzulegen. |
Ulpians Worte feldft lefen wir Hier mehr, mie fie ſchon
früher gedruckt waren, als in der Ausgabe von 1788, in wels
cher manche Eonjecturen Andrer und eigne etwas zu raſch aufs
genommen find. (Manche der damaligen Lesarten vel incuria
fuderat, vel nimium fere grammaticae studium emenda-
verat heißt es in der Vorrede.) Hierher gehörige Aenderuns
gen bemerkte Rec. in den erften 16 Titeln, die er genauer
durchging, ohngefähr eben fo viele größtentheils beyfallswerthe.
So ift 3. B. t. 2. $. 6. anftatt des von Schulting vorgefchlas
genen der genauen consequutio temporum angemeffenere
nolit !wieder das in den KHandfchriften vorfommende nollet
geſetzt, ohnftreitig weil Ulpian in bdiefen Feinheiten nicht fo
674 Domitii Ulpiani fragmenta.
genau ift, daß man darauf mit Sicherheit eine Emendation
bauen fönnte; t. 6. $. 2. ift anftatt des mit Meermann in
der erſten Ausgabe geliebten constitutus Mieder das feltnere
und doch auch paßliche institutus aufgenommen; t. 9. in der
Ueberſchrift ift die von Schulting vorgefchlagene und von
Meermann gebilligte Emendation de his quae in manu sint
mit Recht verlaffen, und qui gefeßt, indem diefer Abfchnitt,
von welhem wir nur ein auf die Frauen gehendes Bruchftück
haben, hoͤchſt wahrfcheintich auh von Hausföhnen handelte;
t. 11. $. 6. 8. 17 2. tft anftatt des Herausgebers eigner in
die erfie Ausgabe aufgenommenen Emendation tutelam cedere,
wieder die fchwierigere und fehr gute Lesart der Handfchriften
tutela cedere gefeßt, u. f. fe. Nur in wenigen Fallen wuͤnſch⸗
ten wir die ältere Lesart zuruͤkk, als t. 7.9.4. wo es, mit
den Handichriften, quasi per ignorantiam ohne ordentlichen
Sinn heißt. Unſers Beduͤnkens war nach der Anfiht früherer
Herausgeber entweder quasi zu fireichen, oder mit der erften Hu—⸗
go'ſchen Ausgabe, civem einzufhieben. So auch t. 17. $.5.4,
wo Senatusconsulto Perziciano, Galvitiano- anftatt der vor
Schulting vorgefchlagenen Persiciano Calvisiano der erften
Ausgabe reftituiret find, da dod von einem. Pernicius und
Calvitius fchwerlich etwas vorfommen wird. Auch vermißten
wir in der jeßigen Ausgabe ungern die Ergänzungen von ein
Paar Läden, welche zu Anfang des Buches und am Ende des
ııten Titels hier fogar auf Autoricät einer Handſchrift vorge—
fchlagen find, und welche menigftens in Noten hätten ftehen
mögen. — Die vorher noch nie in den Tert aufgenommenen
fesarten, welche nun hier vorfommen, 11 an der Zahl, weist
die Vorrede nah, als aus Eujacius, P. Victorius *), Sa—
vigny’s und des Herausgebers Emendationen entitanden. Wir
finden darunter eine Eujacifhe t. 1. $. 11., eine, vielleicht fos
gar 2 Schuftingifher. 20. $5., t.26. $.ı(?). Don
den übrigen, die alfo theils dem Herausgeber, theils Savigny
*) Handfchriftlihe Bemerfungen des Victoriud aus der Münchner
Bibliothek theilte dem Herausgeber, äufolge der Vorrede, Sas
vigny mit.
Domitii Ulpiani fragmenta. 575
oder Victorius angehören mögen, fcheint noch nichts gedruckt
zu feyn. Es finden fi unter ihnen einige aͤußerſt ſinnreiche
und vortrefflihe, denen auch der forgfältigfte- Herausgeber
ſchwerlich je die ihnen hier ertheilte Stelle im Terte wieder
entziehen wird; aber andern — möchte es bey einer neuen forgs
fältigen Prüfung fo gehen müffen, wie es manchen der in die
erfte Hugo’ihe Ausgabe aufgenommenen hier "ergangen ift. Zu
der erften Elaffe rechnen wir t. 6. $. 13., wo für dote qlu a-
driennio etc. mit einer faft unmerflichen Aenderung dote
quae triennio etc. gefeßt und dadurdy der vorhin rechtss
widrige und unbehälflihe Gab den. Rechten angemeffen und
feicht ausgedrädt da ſteht; t. 20. $. 16., mo die Eujacifche
Idee, das offenbar umrichtige Praetoriani der KHandfchriften
in den Worten servus publicus Praetoriani parte dimidia
testamenti faciendi habet jus fey aus PR. entflanden, das
durch erft zu ihrer Vollkommenheit gebracht wird, daß es nicht
(mir Cujacius), als Abbreviatur für populi Romani, fondern
für pro genommen wird. Mun erft ift in den Worten weder
etwas Weberfläffines, noch eine Härte, welches beydes, auch
nad) Eujaceus Vorfchlage, bleibt. Richtig, wiewohl nicht ganz
fo unzweifelhaft, fcheint dem Rec. auch, daß t. 25. $. 13.
certae geftridhen iſt, welches leicht als Gloſſem ſich einfchleks
chen konnte, den Satz aber hoͤchſt nüchtern macht; mie aud,
daß t. 26. $. 2. anftatt der offenbar falfchen Lesart der Hands
fchrift defunctus, wofür man defuncti und ex defuncto vors
gefchlanen hat, das der Lesart der Handſchriften und dem
Ulpianifchen Style befonders nahe fommende defuncto ges
feßt ift. Noch eine fehr gute Lesart t. 11. $. 19. latinae für
das gang unpaßliche Jatino lafen wir hier zuerſt. Der Her—
ausgeber führt fie indeffen nicht unter dem Eigenthümlichen
feiner Ausgabe auf. Mißbilligung fcheinen ung zu verdienen -
folgende Aenderungen: daß t. 8. 9.5. dem Mamen Divi An-
tonini, Pii Hinzugefügt wird, vermuthlich weil die angeführte
Verordnung über Arrogation Unmündiger ohnftreitig von Ans
toninus Piue ift, und wegen des gleich folgenden ähnlichen
Hi das Pii von einem Abfchreiber Überfehen werden fonnte,
Aber wird nicht auch Antoninus Pins öfter D. Antoninus ges
576 Domitii Ulpiani fragmenta.
nannte? Daß: diefes feldft von. Ulpian geſchieht, weist Wenck
in feinem D. Pius diss. I. p. 14 aus mehren Stellen übers
zeugend nad. Und paßt es denn wohl zu der kurzen diefem
Büchlein angemeffenen Schreibart, beyde Namen Antoninus
und Pius zu feßen? Hätte Ulpian Pius fchreiben wollen, er
hätte ſchwerlich auch Antoninus gejeßt. T. 9. $- ı. wird aus
convenit uxor an manum, convenitur in m. . gemacht, ohne
daß wir irgend einen erheblichen Grund fehen. Im Gegens
theile fcheint die Lesart der Handſchriften fliefender und alfo
Ulpianifher. T. ıg. $. ıd. wird für si quidem, si quid
geſetzt, was wohl einen etwas leichtern Fortichritt gibt: aber
aud) si quidem paßt recht wohl, und fo möchte es an hinreis
chender Urfache fehlen die Handfchriften zu verlaffen. T. 24.
$. 11. (oder, wie es hier heißt, 12a.) werden die feltnern
aber, wie Cujacius zeigte, von Sprach s Analogie nicht ent
blößten Worte, die: vielleicht gar Kunftausdräcde waren, mi-
nus pactis verbis mit den leiihtern m:inus aptis verbis
vertaufcht. Mit viel mehr Grunde möchte man umgekehrt,
fogar wenn die KHandfchriften aptis läfen, dieſes als erläuterns
des Sloffem verwerfend,, pactis feßen. T. 26. $. 13. wird
aus den Worten qui in liberorum, in weggelaſſen, vielleicht
veranlaßt duch Schulting, in deſſen Jprud. Ante Just. dies
felbe Lesart, wohl nur durch einen Druckfehler, in der Note
vorkommt. Der Fortfhritt ift fo allerdings leichter: aber auch
mit in iſt er nicht ſchwer, und aus jenem Grunde allein durfte
‚wohl um fo viel weniger corrigire werden, da ſich fchwerlich
wird nachweiſen laffen, wie in, wenn es nicht gleich Anfangs
gefchrieben wurde, in den Tert gefommen feyn follte. (Bey
diefer Gelegenheit ftehe hier eine Conjectur über t. 1. G. @o.,
wo das vel jus antiquum fchon zu vielen Emendationen
Veranlaſſung gegeben: man laffe vel weg. Da die Abbrevias
tur dafür 1 mit dem folgenden ı große Aehnlichkeit in den Hands
fchriften hat, fo konnte fehr leicht durch einen Abfchreibefehler
diefes den Sinn fiörende vel eingefchoben werden. )
(Der Beſchluß folgt.)
— — —
No. 37. Seidelbergiſche 1813.
Jahrbuͤcher der Litteratur.
Annan
—*— N nr
Domitii Ulpiani fragmenta libri regularum singularis, uti videtur,
vulgo XXIX tituli ex corpore Ulpiani. Denuo recensujt
Gustavus. Hugo. J
GBeſchluß der in No. 36. abgebrochenen Kecenfion, )
Sein es vielleicht Einem und dem Anderh unfrer 2efer,
daß das bisher Angeführte zu wenig ſey, als daf dadurch der
eine neue: Recenſion anjeigende Zufaß auf dem Titel gerecht⸗
fertige werde: ſo wird er feine Anfiht wegen des Folgenden
ändern. Mit großer Genauigkeit find durch die ganze Schrift
die Leichtigkeit des Verſtehens befördernde Abtheilungen und
Zeichen Hinzugefügt: Pumcte um Lücken anzuzeigen; Abſaͤtze,
nicht wie bisher nach den Paragraphen (deren Zahlen indeffen
hier natürlich auch beybehalten find), fondern da, wo bie
Behandlung eines andern Segenftandes anfängt (3. B. im
Prooem. und tit. 1. nad) $. 2. 3.4. 5, 9. 10. 11. 12. 15,
16. 17. ı9: 25.); dieſe Abſaͤtze find durch Striche getrennt,
da wo etwas behandelt wird, deſſen die Ueberſchrift gar niche
erwähnt (5. B. tit. 2. nach $. 6. tit, 7. nach $. 1. 2. 5.);
(dieſe Bedeutung der Strich hätte mögen in der Morrede ber
merft werden) auch die Paragraphen find zweymal tit. 8. $.8.
nad) 'adrogatoris, tit. 24. $. 11. nad) vindicationem, auf eine
poßliche Weife noch weiter abgetheilt; nur ift die Bezeichnung
der nunmehrigen doppelten Paragraphen $. 8, Ba: $. 11. 114
ungewöhnlich und nicht gut, indem man, da a der erfte Buch—
ftabe des Alphabetes iſt, bey $. 8a, $. 12 a nicht den zweyten,
ſondern den erſten der mit 8, 11 bezeichneten 69. zu denken
geneigt if: Warum iſt nicht, wie bey dergleichen bisher zu
geichehen pflegte, der bisherige $. 8. jeßt $. Ba. der neue fol⸗
gende $. Eh. genannt? Luͤcken hatte man ſchon früher ange⸗
zeigt: aber hier iſt Einiges der Art hinzugekommen. So find
nicht bloß am Ende tit, 1, $. 9. , fondern auch zu Anfang des
37
578. ° Domitii Ulpiani fragmenta.
$. 10. Puncte geftellt, und dadurh, mas Meermann in den
Noten bemerkte, zuerſt im Texte bezeichnet. Ferner ftehen zwis
ſchen t.’ı@. und 13. Puncte, ohne daß bieher, auh nur in
den Anmerkungen, auf die hier offenbar flatt findende Luͤcke
hingewiefen wäre: Das Uebrige tft; fo viel ung befannt, gang
neu, und, nad unferm Urtheile, fehr zweckmäßig angeordnet,
A verdiente es. hier und, da mit Aehnlichem vermehrt zu wers
„ Das, Zeichen einer Lücke vermiffen wir tit. 4. zwifchen
* 1. und @., wenn nicht vielmehr der $. 2. gar nicht hier—
her, fondern binter. tit. 5. $.7. gehört. Denn, mie könnte
ſich wohl in einem Abfchnitte, der de his qui sui juris sunt
handelt, unmittelbar ap; die, Erklärung], wer sui juris fen, die
des; spuriorum, anfchließen, beſonders bey einer fo lichtvollen
und, leicht. fortſchreitenden Schreibart, wie die Ulpianiſche iſt?
Dann. aber laͤßt ſich der $. 2; wohl erklären, wenn etwa vor⸗
anfging, daß diejenigen, deren. Vaͤter noch leben, ohne. bes
fanpre, Aufpebung, der. vÄterl, Gewalt, micht anders sui juris
fenen, als wenn, fie. außer der. Ehe erzeugt. worden, wo fid)
dann. die, Erklärung, der. spuriorum anfchließt. Wahrfcheinlis
her möchte indeffen feyn, daß der $. 2. nur durch das Ver—⸗
fehen, eines, Abſchreibers hierher geſetzt if, indem ſich nicht
wohl denken läfit, daß Ulpion auch hier von. unehelichen Kim
dern gehandelt. habe, da dieſes tit. 5. $. 7. geſchieht. Am die
letzten Worte, deffeiben, ideoque liberi in potestate ejus non
hunt, sed, quasi..vulgo concepti, spurii sunt, ſchließt fich
hoͤchſt narürlich.tit, 4. $. 2, an: Qui matre quidem. certa,
Patze autesn. ingerto, nati sunt, spurii appellantur, Da
fih, die. Verſetzung diefer Worte fehr leicht erfiären läßt, z. B.
auf, die; Art, daß fie von einem Abfihreiber vergefien, dann
an, den Nand, beygeſetzt feyen, und hierbey ein Verſehen flatt
gefunden habe: fo. würden, wir fein Bedenken tragen, den
Paragraphen an feine richtige. Stelle zu feßen. — Tit. 5.
$. 2 — 7. follte einen eignen Abfag bilden, indem in dieſen
Paragraphen, gleihfam in Parentheie, bey Gelegenheit der
Entfteyung. der väterl. Gewalt die Erforderniffe einer rechts
mäßigen Ehe, erläutert werden. Tit. 6. d. dotibus handelt:
in den erfien 5 Paragraphen von Beflellung der Dos: und,
ihren Arten, in den folgenden von der Zurüdfoderung und den.
Domitii Ulpianı fragmenta. 679
werfchiebenen dabey denkbaren Netentionen. Diefe leßten werdet
paßlich durch Abſaͤtze unterfihieden: aber noch mehr hätte follen
auch die höhere Abdtheilung, wo die Lehre von Zurückgabe der
Dos anhebt, eben fo bezeichnet, d. i. mit $. 4. ein neuer
Abſatz angefangen werden. Am Ende des $. 17. deffelben Tis
tels follte eine Lücke angezeigt feyn: denn da die $. 14—ı7.
abgehandelte Lehre von den impensis in rem dotalem durd)
die allgemeine Angabe des $. g. retentiones fiunt .„.. auf
propter impensas herbeygefuͤhrt find, fo laͤßt fih nicht wohl
denken, daß Ulpian ganz davon geſchwiegen habe, wie in dies
fer Beziehung retinive werde. Ein Stuͤck von dem, was hiers
bin gehört, möchte der jebige tit. 7. $. 3. feyn, welcher von
einer Cautionsleiftung redet, die der Mann verlangen fann,
wenn er für die Frau fich verpflichtet oder etwas aufges
wandte hat, befonders, da auch die obligatio pro uxore den
impensis fehr nahe kommt; dieje Stelle aber da, we fie jetzt
fteht, gar niche in den Zufammenhang paft, und Überhaupt
im zten Titel viele Unordnung von den Abfchreibern angerichs
get zu ſeyn fcheint. Die erften beyden Paragraphen deflelden,
d. donationibus inter virum et uxorem, d, rebus amotis
gehören nämlich offenbar nur zu einer Unterabtheiltung dee vos
eigen Titels, als Ausführung der verfchiednen $. g. angedeus
teten Retentionen, unter welchen auch vorkommt' propter res
donatas, aut propter res amotas. Wie kann alfo damit ein
neuer Titel angehen ? Außerdem fcheint hinter $. ı. eine Lücke
zu ſeyn, indem doc auch bey der Schenkung unter Ehegatten
von der Art der Netention etwas gefagt werden mußte. Diefe
Luͤcke erſtreckt fih wahriheinlih auch Über Einiges, was von
der rerum amotio geiagt wurde. Denn was wir lefen, daß
auch eine Klage deswegen ftatt finde, fieht ganz aus als ein
Anhang zu der eigentlihen Abhandlung von den rebus amo-
tis, welche außer der Begriffsbeftimmung in diefem Zufammens
bange befonders die desfallfige Netention betreffen mußte. Von
6.3. war fhon vorhin die Rede. Erſt bey $.4. fängt etwas ganz
Meues an, von der Causae probatio, als einer Entfiehungss
art der väterl, Gewalt. Diefer Paragraph bildete wahrfcheins
kih einen neuen Abfchnitt, erwa mit der Weberfhrift de iis
quorum causa prohata est. Das Mefultat hiervon wuͤrde
680 - Domitii Ulpiani fragmenta.:
Rec. fo in den. Tert aufnehmen: daß t. 6. $. 17. hinter dem
legten Worte ... gelebt; dann -in derfelben Reihe fortgefah⸗
ren wuͤrde: t. 7. 6. 3. Si maritus — tribunitia, darauf im
einem neuen Abfaße, aber ohme Weberfchrift t. 7. $. ı. Inter
honoretur ,..; wieder. in einem neuen Abſatze $. 2. .. ä
Si maritus — tenebitur gedrudt, und endlid mit der obigen
Ueberſchrift 9.4. gefeßt würde. &o könnte man, neben der
beffern Ordnung, doc die Altern Titate verftehen. Auch vor
den jeßigen Anfangsworten des tit. 15. follte das Zeichen einer
Lücke ſtehen: denn nur unter der Vorausſetzung, daß Vieles
voraufgegangen, läßt fih der jegige Inhalt (ein Paar Eher
verbote) mit der Weberfchrift de coelibe, orbo, et solitario
patre in Uebereinſtimmung bringen.
Ganz mit großen Buchſtaben ſind außer den Worten der
Geſetze, Formulare u. dgl., auch die Anfangsworte der Titel
und andrer größern Abfchnitte gedruckt. Aber wozu foll das ?
Wäre es nicht beffer, mas einigemale zufällig hiermit zujams
mentrifft, fiets das Wort, welches den Kauptgegenftand eines
Abſchnittes bezeichnet, wo es zum erſtenmale vorkommt, groß
"zu drucken? Dadurch wuͤrde die Aufmerkſamkeit des Leſers
um fo viel mehr auf den jedesmaligen Hauptgegenſtand hinge⸗
lenkt.
Noch erwähnt die Vorrede einiger Aenderungen der In—
terpunction. Bey der großen Wichtigkeit derfelben hätten wir
gewünfcht, daß der Herausgeber eine durchgängige Aufmerkfams
keit auch hierauf gelenkt hätte. Wir würden dann 3. B. nicht
fo oft das zu unſrer jeßigen genauern Art nicht mehr Paffende
finden , daß Colons gefeßt werden, two gar nicht die Abſicht
ift, einen Nachfag, fondern ein Hauptglied deſſelben Satzes
zu bejeihnen. Die Veränderungen, welche wir bemerften,
find nicht immer Werbefferungen., So find tit. 1. $. 24. bie
Worte aeque ut decem ex priori numero liberari possint
— similiter ut ex antecedenti numero viginti quinque
possint fieri liberi ohne alle Unterfheidungszeichen gedruckt.
Beſſer ftänden hinter aeque und similiter, wie das einemal
in der erſten Hugo'ſchen Ausgabe gefchehen war, Commas,
indem das ut beydemale daß, nicht wie, bedeutet, und alſo
eine neue Wendung der Rede anfängt. Das hingegen iſt eine
Domitii Ulpiani fragmenta. 581:
Verbeſſerung, daß nicht mehr Hinter numero ein Comma ges
fest if. Denn wirklich aus der kleinern Zahl, die ja auch in
der größern enthalten ift, werden die 10 oder 25 gerechnet,
und danach findet der gleiche Fortgang der Nede ſtatt. Das
Comma hinter numero würde ein gleiches vor ex erfodern,
aber dadurd) einen unndthigen Einfchnitt der Rede hervorbrins
gen, da keine bloße Beziehung auf eine frühere Zahl nds
thig ift, wo aus der Zahl feldft etwas beflimme werden kann.
Tit. 6. $. 10. ift fo gedruckt sextae retinentur ex dote, non
plures tamen, quam tres sextae etc. &chulting und mit
ihm die erfte Hugo'ſche Ausgabe lefen Hinter dote ein Punct,
Meerman ein Colon, beydes mit darauf folgenden Beinen
Buchſtaben, welches nad älterer Art zu interpungiren ganz
richtig if. Die neuere foderte ein Semicolon. Das hier ges
feste Comma ift offenbar nicht paßlich, da mit non eine fi
auf das Ganze bezichende viel wichtigere Abtheilung „anfängt,
als mit- quam und andern noch folgenden, bey denen die
Commas mit Recht gefest find. — In demfelben Titel $. 13.
flieht jeßt Hinter ita beffer ein Colon, als vormals ein Punct,
da ein Nachſatz folge. Nur hätte nun aud) das naͤchſte propter
mit kleinem Anfangsbuhftaben gedruckt werden follen. Nach
diefem Colon ftört befonders das gleich folgende hinter reddit,
indem damit nur ein neuer Theil des Nachſatzes, nicht ein
abermaliger Nahfab anhebt. Ein GSemicolon hätte diefes
‚gleich deutlich gemadt. Tit. 11. $. 4. ift hinter veluti mit
Recht das Comma geftrichen, da‘, wenn man zum Bepfpiel
gefagt hat, die Aufzählung der Beyſpiele durchaus Beine neue
Wendung der Nede enthält. Auf die Rechtſchreibung der ein:
zelnen Worte ift durchgängige große Aufmerfiamkeit gerichtet,
und mehr Confequenz als in den vorigen Ausgaben bewirkt.
Ob aber immer die ridhtigften Regeln confequent angewandt
find, ift die Frage. Die Hauptänderungen in diefer Beziehung
betreffen erfilich die firenge Beyhehaltung des ad in zufams
mengefeßten Worten, indem 3. B. accedere, appellare durch—
gängig in adcedere, adpellare verwandelt if. Allerdings
mußte die abwechfelnde Schreibung folcher Worte in der frühern
Ausgabe auf die eine oder andre Art in eine übereinftimmende
verwandelt werden: aber Rec. möhte wuͤnſchen, daß nicht die
5823 Domitii Ulpiani fragmenta.
härtere, fondern die fanftere Ausſprache durchgängig den Vor⸗
zug erhalten hätte. Die andere Hauptänderung zeigt fich darin,
daß manche große Anfangsbuchftaben jegt den Meinen haben
Platz mahen muͤſſen, fo daß außer den erſten Worten ganzer
Perioden faft einzig die Eigennamen oder davon abgeleiteten
Adjective noch den großen Anfangsbuchitaben behalten haben.
Diefer ohnftreitig richtige Grundſatz ift indeffen noch nicht gang
confequent befolgt. So find zwar senatores, tribunitia (mit
Recht) Mein, vber Senatus, Senatusconsultum, Princeps,
Praetor, Praeses etc. groß gefchrieden. Lag bierbey etwa
die — für die Ausgabe eines alten Schrififtellers wenig paſ—
fende — dee jum Grunde, daf die vornehmen Beamten,
Eorporationen und ihre Beſchluͤſſe geehrte werden follten, fo
fieht man wieder nit, warum die senatores allein den klei—
nen Buchſtaben befommen, und auch die leges, als Befchlüffe
einer noch wichtigern Menfhenmenge, als der Senat, jener
Ehre nicht theilhaftig werden. Mon der andern Seite weicht
der Herausgeber , ohne daß wir den Grund dazu irgend ahnen
tönnten, von der oben angegebenen Regel dadurch ab, daf er
Latini mit Meinem Anfangsbuhftaben fchreibt, da doch ihr
Drame eben fowohl von einem Eigennamen herkommt, als der
Romani, Quirites etc.
Don Druckfehlern fcheint der Abdruck fehr frey. Nee.
bemerkte nur einen einzigen tit, 3. $. 5. 1. Viſillia für Visillia.
So viel vom Texte, Leider kann über Anmerkungen nichts
bingugejeßt werden , indem deren gar nicht vorfommen. Der
Herausgeber hatte, durch Savigny unteritüßt,, eine bedeutende
Anzahl Varianten gefammelt, die er, gerade weil ihrer zu viel
für diefe Handausgabe feyen ( 200 Anmerkungen ), ganz wegs
ließ: ein Entſchluß, der ihm felbft, wie er in der Morrede
berichtet, nicht gang gefalle, Auch wir vermiffen ungern eine
Auswahl der wichtigſten Varianten, nebſt kurzer Angabe
ihrer Quelle, die, um das Büchlein mit Mugen zu lefen,
von fo großem Werthe gewefen wäre.
Srauendienft, oder; Geſchichte und Liebe des Nitterd und Sängers
Ulrich von Lihtenſtein, von ihm ſelbſt beſchrieben. Nacb
Frauendienſt von 2. Tieck. 583
einer alten Handſchrift bearbeitet und herausgegeben von Lu bi
Tieck. Gtuttzart und Kübingen, in der 3. ©. Eottäifchen
Buchhandlung 1812.
Man hat in England und anderwärts an alten Bildern
verſchiedner Jahrhunderte die Bemerkung gemadt, wie Fami—
lien, Städte, Nationen in der Phyſionomie der äußeren Fors
men zu allen Zeiten im Ganzen ſich gleich geblieben, fo daß
es fcheint, als ob der herrſchende Grundton jeglihen Woites
im Berlaufe feiner Entwiclung nur dur alle die mitklingens
den Töne umlaufe, und fo die Harmonie des Veyeinanders
ſeyns fih in die fließende Aufeinanderfolge ausbreite. Diefe
Seelenwanderung ift befonders und vor allem in der Kunft
zu bemerfen, die Funken, die bey ihrem erften Aufblitzen jes
der Nation zu Theil geworden, laufen mit dem Leben an ben
Geſchlechtern wie an goldnen Ketten fort, auflnifternd bey
jedem Ninge, obgleich in vielen Farben fpielend, doch immer
dafielbe Feuer. Was daher je recht eigentlich in einem Molke
gelegen und aus ihm hervorgedrungen,, welche dichterifche Ader
je in ihm gefchlagen und geblutet, die kann nimmierniehr ganz
in ihm verfiegen, fie hat ihre Fülle vielleicht durh Einwins
dung in ein anderes Gefäß entladen, aber Nerv und Muskel
treiben in ihr fort, und es wird derfelbe Lebensgeift abgefchies
den. Immer braust auf gleiche Weile der Waſſerſturz ſchaͤu⸗
mend durch die Lüfte, immer fliehen an ihm diefelben Farbdens
bogen, obgleich Luft und Licht und Waffertropfen immer andere
und andere voräbereilen, und einzig der Fels unten immer
derſelbe feht. So ift denn auch die Minnepoefle in ihrer
Weife fo nationell, wie ber Pfälter der Hebräer, feineswegs
aus dem Volt entwichen, das fie fo viele Jahrhunderte ger
pflegt; während die ganze Pyrif des neueren Nomanes auf ihr
ruhe, Hat fie ſelbſt in ihrer alten Einfalt ın den Herzen eine
Stätte fih bewahre, und immer einen Mund gefunden, der
das Wort für fie gerhan." Man kann Tieck gang eigentlich in
feinen Beftrebungen und dem, was er geleifter, als den Mini
nefänger diefer Zeit erfennen, als den, über welchen jent
Ichneeweiße Taube fenfrecht ihren Strahl herabgeiendet, daß
er unter allen Sprachen am geiäufigften jene alte Herzens
fprache fpriht. Sein ganzes Weſen neigt ſich gegen jene Zeit,
564 Sranendienft von 8. Tieck.
in die er ſeine Wurzeln geſchlagen, und die wie eine Geiſter⸗
ſtimme aus ihm herausgeſprochen; gern und freudig wuͤrden
jene zwoͤlf alten Meiſter, die den Geſang gegruͤndet, ihn als
den Ihrigen erkennen, und den befteundeten Geiſt in Liebe
verehren. Ja man moͤchte ſagen, er hat unter der Genoſſen⸗
ſchaft geſeſſen, und iſt der Letzte von dem ſchoͤnen Bunde noch
geblieben, wie alle Chroniken von Johann de Mehun berich—
ten,. daß er Carl den Großen und nah ihm noch vierthald
Ssahrhunderte vor feinem Tod gefehen: ben jener leichte
Spott, der luftige Wis und das milde Lächeln, das fo haͤu—
fig feinen vedenden Mund zu oft nur das Auge umfpielt, wie
das Alles ihn nebſt jener Richtung fo ganz eigenthuͤmlich be⸗
zeichnet, zeigt, wie der Minne Kind in ihm erwachſen, viel
Zeit und Menſchenthun geſehen, und ſeine Strahlenpfeile ſchei⸗
telrecht durch den unter ihm ſtehenden Frühling ſchießt. Ihm
kam es daher vor Allem zu, die alte vieltoͤnige, laͤngſt pers
ſtummte Laute von neuem zu befaiten und den fchlafenden Wis
derhall in ihr zu weten. Bodmer hatte die alten Lieder
in ihrem Werthe zuerft erfannt, und fie in die Welt geworfen,
die damals mit wichtigeren Dingen befchhäftigt, ihrer nicht achs
tete. Da führte der ihnen fo nahe befreundete Dichter die
Dergefnen von neuem in unfere Mitte ein, und wußte ihnen
die Aufmerkjamkeit zu gewinnen. Mit treuer Liebe Hat er
ihrer fid) angenommen, bis fie mit Fertigkeit die Sprache der
Zeit geredet; alles hat er an ihnen gethan, was man einem
erſten Verfuche ing Große hin immer anmuthen mag. Mun
fie Luft und Liebe zur lautern Quelle felbft erregt, tauchen fie
freudig in ihren Maren Wellen wieder unter. Sind die Deuts
fehen einmal erſt bey einer Leberrafhung in den rechten Ges
fihtspunct gebracht, und- zur ruhigen Befinnung gefommen,
dann fann man die Fortbildung ruhig ihrem freyen ins Tiefe
firebenden Sinne überlaffen. Seit jenem Anftoße ift die Minnes
poefie in ihrer ganzen Würde anerkannt und geachtet worden,
wie ein ungebundener verwatster Reim Hatte fie trauernd im
der Nation geftanden, nun aber ift plößlih in vieler Bruft
der Anklang erwacht, der fie bindet, und fie zieht nun wieder
freudig in die Herzen ein. ine fchöne Jungfrau wandelt
diefe Kunſt duch Blumen und den Klee fieben kryſtallene
Frauendienſt von 2. Tieck. 686
Bälle und mehr, jeder in eigner Farbe den Sonnenſchein bres
hend, fängt fie mit gewandter zarter Hand, und wirft fie
kunſtreich, daß bald diefer, bald jener auf und -niederfteigt,
und fie bald paarweis, bald zu drey und drey und vier und
vier einander fi begegnen, und bald diefes, bald jenes mit
dem andern fich im Farbenfcheine gattet, und. der leichte. Tanz
in immer andern und andern Figuren fidy verfchlingt. ng
umſchrieben iſt der Kreis diefer Lyrik, aber in diefen Kreis
find alle erfinnlihen Formen eingeichrieben, gerade wie bie
Natur in wenige Elementen fo viele Kıyftalle und das Leben
feine Blätter und Gebilde wirkt. Die ge oft fehnende, oft
jauchzende Luft iſt die Poefie in diefer Kunft, das reine aͤther—
helle Waſſer diefes Diamanten wird eben nur durd den äußern
Schnitt in jenes fpielende Farbenmeer zerjeßt. Kines_ fehlte
noch bisher, feit man dies erfannt, die Faſſung zu dem Edel⸗
ftein,, das Leben zu dem Liede. Weber Berg und Aue zieht
hin dag luſtige Volt, an Kreugmegen und Madonnenbildern
führe e8 feine Tänze auf; wir hören die Meife und den Ges
fing, aber wir mödten auch die Neife kennen, und was die
Eingebung des_einen Augenblicke mit der des Folgenden vers
tnuͤpft. Das ift uns hier im Frauendienft gegeben, es find
die Denkwuͤrdigle ten aus dem Leben eines_Minnefängers der
guten Zeit, die uns hier aufgezeichnet find; was von epifcher
Handlung feine Iyrifchen Vegeifterungen zufammenhielt, hat
er uns erkläre, und damit erft ift das ganze Gemälde dieſer
poetifhen Weltanichauung vor uns ausgebreitet. Gar wohl
ſchickt fihs zu diefem Zwecke, daß der Herausgeber die zwis
fhen den Liedern durdylaufende Poeſie in Profa aufgelöst, die
ungebundne Rede gibt fo den Goldgrund, der die Farben des
Lieds entzuͤndet, daß fie wie fhöne, grüne Sinfeln aus dem
in Lichtwellen fchlagenden Meere heraufblähen. Zugleich mird
dadurch das langweilige, breite glücklich vermieden, das die
erzählenden Gedichte einer Zeit, die an dem kühlen, frifchen,
aber farb » und geruchlofen Quellwaſſer heiteren Lebensgefühles
ſich ergößte, für eine fpätere haben muß, die aus allen Eles
menten fih ihr Labfal miſcht. Haͤufig murmeln die Worte
diefer Erzählungen in unerjchöpfliher Geſpraͤchigkeit wie Wald—
bäche ohne fonderlichen Gedankenaufwand dahin, aber die Zus
Bi Frauendienſt von L. Tieck.
Hörer ſpiegelten ſich, wie es ſcheint, fo vergnuͤgt, wie Gras,
Krant und Baum und Stern in ihrem Silber, und waren
nicht zu ermüden,, denn ihre Liebe ſprach fie daraus an. Sekt
gieht die elegante Welt wohl auch hinaus zu ihnen, um eins
Mal wieder die rechte Landluft zu genießen, fie trinkt in der
Eurzeit das Waffer aus Bechern zur Stärkung der fchlaffen
Fiber und lobt den Trunk gar fehr gegen jedermänniglid,
ſollte fie aber ihres Herzens Gedanken reht unummunden fund
geben, fie könnte nicht anders, als es für ein abominables
Geſoͤff, eine fade Brühe erkiären, die ihr Reifen in den Därs
men macht, zu welhäm offenherzigen Geftändniß fie denn auch
die Sudelkoͤche, die ihr TheeEſſenzen und Kaffe» Surrogate
ihrer Fabrik unaufhoͤrlich anrähmen , ‚aufs Befte animiren.
Diefe Wellen find nun hier glücklich zur Conſiſtenz eines Ju—
lepps verdidt, und auch fo mag er Vielen weit weniger ald
Beit Webers Kraftbruͤhen munden , die aufichlagen wie
Queckſilber im Magen, und den herrlihen Nachgeſchmack
zuruͤcklaſſen. Jene aber, die in ihrer und aller Zeit nur auf
die Laute des großen Spibengefpräches horchen, das tief im
färmenden Tumulte der Sefchichte die Geifter diefer Zeiten
balten, ohne zu merken auf das Saufen und Raſcheln der Tees
ven Spreu, die der Wind umtreibt, werden gar wohl miffen,
was fie daran Haben, ein Blatt aus der Weltgeſchichte des
Herzens, wie deren in jedem Jahrhundert nur eines umge
ſchlagen wird. Seit Ulrih von Lichtenftein hat die Erdare
faum dem Aftronomen merklich in ihrer Stellung ſich geändert,
das Leben aber und die Menſchenwelt hat eine gänzliche Um—
waͤlzung ‘erfahren, kehrte er felbft zurück, er wuͤrde wohl die
Meugierde der Stumpfften regen. Statt deffen hat er ein
"Bud aus feinem Sarg gereicht, In, dem es treulich aufgeichries
ben, wie ihm zu Muth geweien, und wie ihm feine Zeit ers
fhienen ; wir follten denfen, daß es uns merfwüärdiger feyn
müßte, als eines der fehs und dreyßig Paviangefchlechter zu
beſchauen. Sein Gewerb ift Ritterthum im Minnedienft, von
feühefter Jugend Hat er fih ihm ergeben, alte einfah fompos
niete Bilder gehen an uns vorüber, ein runder voller Tenor
fingt daraus in kunſtloſer Modulation hervor, anfangs nur in
eingelnen Accorden fih verfuchend, dann zu einer zufammens
Sranendienf: don 2. Lie 57
gefeßteren Weile fortihreitend, ein zwlefaches Licht, eine dop⸗
pelte Liebe, morgendlicher und abendliher Sonnenfchein liege
anf diefem Leben, zweymal bricht fein Uebermuth dithyram⸗
biſch in jenen feltfamen Heereszuͤgen aus, und Hier iſt er gang
der edle Ritter aus der Mana, nur etwas truͤblicher, befons
nener aber auch eigennuͤtziger, als der ſtolze choleriſche Spanier.
Zudem gruͤnt um den Deutſchen Ritter noch die umgebende
Welt in gleicher Sinnesart; ſtoͤßt er irgendwo in die Erde
feinen Schaft, gleich ſteigt das Erdenblut in ihm von neuem
auf, daß er ſich belaubt und umbiämt, während dem Andern
der grüne Wald zu därren Schaften eingedorrt, Überall feine
Spitzen entgegenftredt, und feinem begeifterten Ruf in ihn
hinein nichts freundlicheres, als der -Bauerndialect des Knap⸗
pen entgegenfchallt. Es ift nichts in jenem feltfamen Zuge als
Goͤttin Venus und in andern als Arthus, was uns veranlaſſen
önnte, an feiner wirklichen Abhaltung zu zweifeln, vielmehr
machen eine Menge ganz individueller Züge die Erzählung als
Beſchreibung einer wirklichen Begebenheit ganz glaublih, und
damit wird auf einmal die gängliche Umkehrung der Dinge
feit feiner Zeit recht Mar. Er würde nicht Ritter nody Fürften
finden, die in feinen Scherz eingriffen, leicht möchten Genss
darmen den Vagabunden vielmehr aufgreifen, wenn er ohne
Paͤſſe alfo reiste, und die Poligepbehörde würde ihm bedeuten,
ſtatt der Poffen zu Frau und Kind heimzufehren. Gar wohl .
indeffen ift der muthwillige Ernft und der ernfie Willmuth
Diefer Zeiten zu begreifen, das ungefegnete Uebermaß, das
wenige große Staaten jegt zur Unbehütflichfeit anſchwellt, war
unter gar viele Theilnehmer bis zum Nitter herab in unabs
Hängigem Wohlſtand vertheilt, allgemeine Kriege, wie bie
religidfen, wurden nur durch gemeinfame VBegeifterung Hervors
gebracht, und nie konnte der Wille von Wenigen die Welt
von einem Ende zum andern in Aufruhr bringen, daß das
wellenihlagende Meer in Jahrhunderten faum ausſchwankte,
vielmehr wurden drtlihe Fehden auch fchnell vertragen, und
die Ruhe im Ganzen ward minder anhaltend geftdrt. Nah
kurzem Winter kam daher bald der Sonnenfhein der Freude
wieder, und Ungemiiter erfrifchten nur die Luft, ohne den
Charakter der fchnellfräftigen Zeit bleibend zu verderben. So
‚588 Frauendienſt von 2. Tied,
konnte der Weberfluß fih gar wohl anhäufen, "und - mitunter
eine ans Drientalifhe grängende Pracht ausgelegt werden. Um
indeffen nicht ungerecht die Zeiten zu beurtheilen, müßte man
. genauer, deu Zuſtand des Landmanns in jenen Jahrhunderten
kennen. - Wir follten denfen, der Ackerbau fey etwas fo ftes
tigs, ſich ſtets gleichbleibendes, daß der Zuftand feiner Pfleger
in allen Perioden fo ziemlich derfelbe geweien; bey dem Wech—
fetderhältniß von Stade und Land müßte die Blüthe jener
auch größeren Wohlftand der Bauern nach fid) ziehen. Vieler
Hudel war nod nicht erfunden, ;unter dem Drucke litten nur
Einzelne, die Mehrzahl war nad) dem treuherzigen, fo wenig
abgefeinten Charakter der Zeit gewiß billig, Wirich felbft Aufert
darüber durchaus rechtliche Sefinnungen, und daß man aufges
fhrieben, wie die Bauern eines Drts in Fothringen allnächtlich
die Fröfche im Sumpfe zum Stillfihweigen ſchrecken mußten,
damit fie den Schlaf des Abtes im benachbarten Klofter nicht
ftören möchten, beweist, daß man den Vorgang für Folge _
eines üppigen, frechen Uebermuths genommen. - Aber gefichert
war die Ruhe und die Freude nicht auf Erden, wie fie es
denn am wenigften noch in heutiger Stunde ift; nur wenn
das Gethier fhläft, wagen die Schere und das Schöne ſich
auf kurze Zeit hervor, bald aber Hört man wieder unten im
Stalle wiehern und ftampfen und heulen mit Gebräll durch—
fhoffen, und alles flieht eilig von dannen, wenn die gute
Geiſterſtunde ausgefhlagen. &o folgt denn auch hier auf die
. Greude bittres Leid, Klee und Geblüme wird zu Heu gemäht,
und die fprudelnden Lebenswäffer werden in enge Banden fefts
gefchlagen. “Gerade wie der Franzöfiihe Troubadur, Hugo
Brunet, Mage auh Ulrich, ich Habe fchöne glückliche Zeis
ten der reinen Minne gefehen, aber fie find verfchiwunden,
aber alles ift verloren und dahin: fo muß alles Leben und alles
Epos in die Klage enden, und der Erdgeift wird die Menſch—
heit lagen, ift ihre wahnfinnige Geſchichte einft gejchloffen.
Was weiter dies Buch fehr fchäßbar macht und andrerfeits
auch wieder beweist, wie das darin befchriebene Leben wirklich
gelebt worden, ift der Umftand, daß wir darin die vollftändige
Liederſammlung eines Lyrikers befigen, - von den erſten Anfäns
gen herauf, wo er nicht ſchreiben gefonnt, bis er allein von
Frauendienſt von L. Tieck. 539
ber Liebe begeiftert, eine fchöne vollendete Gewandheit ſich eis
worden hat. Gleich das erſte Lied ift Liebeserffärung, hohe
und niedere Minne wird befungen (3), ihre Nacht und Tag
(2), Sommer und Winter (5), ihr Weh und ihre Freude (7),
Klage um der Minne Haß, daß die Geliebte ferner ihre
Minne (6); aber Sinne, Herz, Freude, Stete find das Band,
damit ich fie Binde (8). Der May tröftet nicht den: Minner
wunden, mweinend fieht das Herz mich an und fpricht, es fey
viel. ungefund (9). Anrufung der Minne, daß fie ‚helfe für
fehnende Noth (11), vafches Zwiegefpräch mit der Gerufenen,
worin fie raͤth, daß es diene mit fletem Werthe, 'mit Liebe
und Güte, mit veine Fuge, ohme alle arge Sitte (10). Fri—⸗
ſcher, fhmwebender, wirbeinder, ſchwingender Tanz in innerer
Luft des Gemuͤthes, daß fie ihn fcheider von Leide die Liebe
die Süße (12), denn Minne thut, wie der Maye thut (15).
Versagen, daß allein noch der Freude Hoffnung bleibt (14),
Erhörung, Seligkeit, Seelenjubel, Aufruf an Alle, daß fie
dienen nach) der Minne Lohn, Arge und Unfug und Unſitt
die wilde, geziemt nicht dem Helme, taugt nicht dem Schilde;
das Schild if ein Dach, das nicht Schande kann deden, ein
lebendiges, . herrlich gefchwungenes Lied (16), muthig daher
trabend mie ein ſtolzer Kaftellan, Loblied reiner Weide zur
Sommerszeit gemacht, wenn die Vögel fingen, und der fafts
reiche Wald grüne Farbe trägt (17), falfhe Merker, gute
Huth (18), Freudenlied, letztes Jauchzen, denn zur Unſtete
und zur Untreue hat die Geliebte fi gewendet. Da Magt er
gegen fie zu allen edein Frauen auf Raub und Mord, damit
wenn jemand nod mit. Minne fiheiden wolle, ehe daß ein
böfer Zorn ihn gegen fie befchwere (20). Leid, daß er feine
Jahr alfo gar verdummet um ein Weib, die ihm nimmer eis
nen Tag völltglih vergelten mag, ob fie gleich wahrlich gut
gewefen, da fie ihn an fi bracht (21). Gegen die faljchen
Weib, deren Willen fähre wie Aprillenwetter, daß nie Windes
braut fo gefchwinde ward, fanfte Stille, fchnelle wieder Irrefahrt,
darnad) Meyenfchein, alsbald will es wieder Winter feyn (23).
Sehnen nad neuer Liebe, ein Leich mit hohen und ſchnellen
Moten, Berlangen nad) fieter Weibe Dienfl. Mühmen der
= | Frauendienſt von 2, Tieck.
Weisesgüte, ob eine gleich unweiblich hat an ihm gethan (26).
Eurer Frauen wegen will er vom Zorne gegen die lingetreue
obftahn (2B). Alles fühle der Liebe Freuden in guter alter Weife
- (29) jauchzender Neinen (50), neues Minnefpiel nach Volker
lied gewordenen Thema „Herr fage mir was ift Minne, if
es Woib oder if es Mann? ꝛc. mit. fcherghaftem Scluffe:
Biſt dw mein fo: bin ich dein; — Herre! nein das: mag nicht
ſeyn, feyd ihe euer fo bin ich mein (31), Im Dienft der
neuen. Frauen, als der hohe Much ins Herz zurückkehrt,
Trommerenruf an die Nitter, daß fie nah Minne werben uns
ter Schildes Dad), mit Speeresrahen (41). Freudige Zur
feiedendeit,, denn fie har ihre Weibheit wohl behuͤthet vor uns
frauelicher That. Lieblihe Braune, Nofenröth roch, Schnees
Weile hat ihr Leib (41). Bitte daß fie Haus ihm. leihe im
ihres Herzens: Grund (44). Varianten der Wächterlieder (33
und 42). Die Sonne neigt zum Untergang, Herzog Frieder
rich iſt in. der. Schlacht geblieben, Rohheit und Raubfucht nimme
überhand, Weh Über die gar Unguten (48), doc wird noch
ein: Frauentanz gedichtet, zu fingen dem erlaubt, der mit Zuͤch⸗
tem. trägt der: Freuden Krang, und dem fein Much ficht von
Werben: body, denn Trauern ift niemand gut (48). Schmäh:
liche Sefangenihaft des Dichters, ringend mit den Möthen
aber fingt er noch minnigliche Lied. Befreyung, Freude beym
Biederfehen, Klage, daß Freude und Zucht ein Ende hat,
Death an die Frauen, daß fie nur nach Zächten fireben, dent
eines guten Weibes Herz ift einem Himmelreiche zu vergleichen,
ihr Kuͤſſen iſt der Minne Roſe. Zuletzt das Schwanenlied,
gut zu ſingen am heutigen Tag, als waͤr's dafuͤr gedichtet
worden:
Leute und Land die möchten mit Genaden feyn
Nur zwey viel Fleine Worte Mein und Dein,
Die regen große Wunder auf der Erde;
Wie gehn fie aͤngſtende und wuͤthende überall,
Und treiben all die Welt umme ald ein Ball,
Ich mähne ihres Krieges nimmer Ende werde.
Jedwede Hand und Zunge,
Die meinen und meinen nichts ald Falſch und Aenderunge
Frauendienſt von L. Tieck. 54
Gelücke dad geht wunderliche auf und abe,
Ed dummer den, dem ed zu viel geborget.
Das ift die Herzenegeſchichte diefes Dichters, in ſchnellen Won
ten eilig hin erzähle, wie es die ungeduldige, viel beſchaͤftigte
Zeit verlangt. Tieck hat feiner) fih mit großer ſelbſtverlaͤug⸗
nender Liebe angenommen, und feine Sprahe im Durchgang
ducch den, eignen. Mund hat fi verjuͤngt, und ift vollkommen
und wohl verftändlid geworden, Uns feldft, die wir uns dur
Yeraltete. Formen und Worte nit fidren laffen, vergnägt im
diefen Liedern. mehr die alte Weile, aber das fagt nichts ges
gen die Werdienftlichkeit des Unternehmens. Wo in den Gy
dichten. des Mittelalters die Form nicht zur eigenchämlichen
Vollendung vorgedrungen, da lieben wire mehr, fie in einer
fhönen, gediegenen Proſa, wie etwa die des Fierabras
ım Buch der Liebe, zu betrachten; fie ftreden fchon alle ums
verkennbar nach der Srepheit des Nomans, und fchleppen
nur noch aus Gewohnheit die Kette des Reimes und der Syl—⸗
bentheilung, Aber ganz entfchieden neigt fih im Liebe unfer
Wohlgefallen nad der alterthämlichen ungefränkten Form, es
ift etwas fo ganz Individuelles um diefe Liebestlagen und: dies
fen Liebesjubel, daß auch Wort und Wendung und Form und
alles ihm ganz eigenthämlich und ungertrennbar angehört. Jene
Dichter hatten eine gang befondere Herzensſprache ſich gebilder,
viel,Ton, Klang und Metall im Aeußern, von innen freye
DBiegfamteit, Naivität und Leben und Natur, Alles wie nas
tuͤrlich, ſowohl mit dem Inholte zufammenftimmend, daß man
ſich bald gewöhnt, Beydes wie Leib und Seele zufammen zu
Denken. Das it eigentlich fo mit der Lyrik aller Voͤlker, die
ganz eigenthämlichen romantifchen Zauber der Englifchen 5. B
Hat nod niemand ins Deutiche übertragen, wie man ihre fatr
ten grünen Wiefen nicht in: die ing Deutſche uͤberſetzten Engs
gifchen Gaͤrten hineinzaubern mochte. Darum auch waͤhrend
Das Epos aller Voͤlker allmaͤhlig bey uns einheimiſch ſich an—
fiedelt, haben wir gar wenig Lyriſches, was in gelungener
wLeberfegung herübergefommen wäre. Indeſſen müffen wie
Doc) auch wieder bekennen, daf während wir bey ung befanns
sen alten Liedern kein Verlangen nach Vergnuͤgung tragen,
#92 Bibliotheque francaise par J. B. Engelmann.
diefe, deren Originale wir nicht kennen, uns doch durchaus
ſehr wohl angeſprochen, und wir nirgendwo Anſtoß gefunden
haben, waͤhrend wir uns mit Widerwillen von den meiften
neugefottenen Minneliedern neuerer Kunftdrechsler abwenden,
die aus den abgefallenen Spänen in der Werkftätte zur Ab—
wechslung einmal ein gothiſches Muͤckenhaͤuschen zuſammenlei
men, in Bas fie die weggefangenen Ideen eines alten Sängers
einfperren und’ zu Tod ſich zappeln laffen. Nicht wie die
hat Tieck gethan, der Dichter konnte nicht in beſſere Haͤnde
fallen, und wir müffen ihm Dank wiffen, daß er ſo wohl
und freu, an ihm ———
J. Goͤrres.
Bibliotheque francaise pour la jeunesse.
Auch unter dem Titel:
Choix de lectures instructives et amusantes pour la jeunesse
par J. B. Engelmann, 'Tome I. II. Heidelberg et Franc
fort. 1813. 322 ©. —
Wir zeigen dem paͤdagogiſchen Publicum mit Vergnoͤgen
dieſes Wert an, weil wir die Beduͤrfniſſe einer ſolchen dw
türe kennen, und das hier finden, mas man in vielen fol
hen Sammlungen vergebiih fucht. Die Kenner der Frank
fiihen Litteratur und Sprache halten die Aufſaͤtze geößtentheild
zur Bildung in diefer Sprache geeignet, und haben nur hir
und da einiges zu tadeln,, 3. B. in mehreren Aufſaͤtzen einen
etwas gezierten Vortrag, was der Franzofe ampoule nennt,
Der Pädagog erfreut fih auch der guten Auswahl; z. d
das Leben Düvals wird hier der Jugend wieder erzählt, am
deifen erhebenden Einfluß wir ung noch immer erinnern. Anh
ift für Mannigfaltigkeit geforgt. |
©.
|
|
No. 3 38: Seidelbergifche "1813;
Jahrbuͤcher der Litteratur
BONES ERSTEN ARE
Hd von Hutten, gegen Defideriud Erasmus, und Defid, Erasmus.
gegen Ulrich Yon Be Zwey Streitſchriften aus dem’ ſechs⸗
zehnten Jahrhundert. Aus dem Latein. uͤberſetzt, mit den noͤthi⸗
gen hiftorifchen Notizen verfehen und beuriheilt von Dri Joh.
Jak. Stolz, Bürger zu Züri (vorm. Paftor primar. zu: St
‚, Martini und Prof. am Gymnaſ. zu Bremen). Aarau b. Sauer⸗
fänder. 1813. 282 ©, 9
3. anſchaulichen Kenntniß des Charakters zweyer vorzüglich
"bedeutender Männer aus: dem: Zeitalter der Reformation und
zur. Vergegenwärtigung des damaligen Zeitgeiftes und Sittens:
zuftandes überhaupt, kann nicht leicht durch ein Paar: kleine
"Schriften mehr beygetragen werden, als durch die bier Übers:
feßte und ertäuterte Ulrici ab- Hutten cum Erasmo
Roterodamo;, presbytero, tleologo, Expostulatio
C gedruckt in 4. zu Strasöurg bey Joh. Schott im Juny und
July 1523.) und Die ihr ehtgegenwirkende Spongia Erasmi
adv. aspergines Hutteni, oder Purgatio adv. Expostuls
Hutteni (Bafel bey Frobenius in B. im September erfchienen):
Sr. Dr. Stolz, defien Weberfegung des N. Teflas
ments den Seift und Totaleindruck der Urſchrift fo: glücklich
wiedergibt, hat fih, ohne vom Buchftaben ſich feffeln zu laſſen,
Dem Sinn und Ton diefer beyden Auffäge in der Ueberſetzung
eben fo gluͤcklich angeſchmiegt. Sie find Hier meift wie ein
Driginal zu lefen, und werden doch, bey gehöriger Wergleis
Hung, dem Terte fehr gemäß gefunden. Schon viefe Mühe
par gewiß nicht leicht. Eine feine pfychologifche Liebhaberey
naß den Weberfeßer, von welchem man gerne eigene Arbeiten
iest, zur Ausdauer bey der Wiederbelebung dieſer alten: Geis
Fesdentmale belebt Haben. Noch genuͤßbarer macht er fie durch
urze hiſtoriſche Motigen über alle angeführte, großentheils aus
er gewöhnlichen Geſchichte verfhwundene Perfonen; ned, mehr
Ber dur sine wahrhaft pragmatifhe Einleitung, welche die
58
sr Mirich won Hutten gegen Defid. Erasmus, ;
ganze Weranlafung des Streits, das Treiben und Bähren bee
damaligen Mitwelt, den Einfluß davon auf die Eigenthuͤmlich⸗
feiten Huttens, vornehmlich aber die Gemuthsart des
Erasmus, ‚mit dem anziehendſten pſychologiſchen Scharffns,
und Billigkeitsgefähl entwickelt und ſchildert. (Nur auf den
von Eppendorf, von welchem doch Erasmus gleich anfangs,
fägt:, „qui quoties in hoc argumento mihi nominabitur,
honoris causa nominabitur,“ fcheint Hr. ©t., weil er ihn
in die Claſſe der — allerdings immer an den Pranger zu ſtel⸗
lenden — Zwiſchentraͤger hineindenkt, S. 265 in der Note
mehr boͤſe Vermuthungen zu häufen, als ſich hiſtoriſch- pſycho⸗
logiſch beſtaͤtigen laſſen moͤchte!) Erasmus ſelbſt, welcher Hut⸗
tens Parrheſie, allein gehoͤrt, beynahe moraliſch todtſchlaͤgt,
gewinnt durch, das erneuerte Gegeneinanderſtellen von. An Hape,
und Apologie wieder, was ihm. die Gerechtigkeit nicht verſagen
kann. "Er erfcheine in der That durch das, was er. von ſich
in feiner Darſtellung unabfichtlidy: Tenndar macht, noch mehr
gerechtfertigt, als ſelbſt durch das Abwifchen der ihm von- 2.
angefprigten Flecken, wenn er gleich feinen „Schwamm“ doch
zum Theit fo gebraucht, daß er auf einige Puncte eher einen:
Firniß Hinzufprigen, als den Makel wegzureinigen fcheint, und.
Dagegen bisweilen den Schwamm ſelbſt in Galle getaucht hat.
Er erſcheint naͤmlich im Ganzen als ein fuͤr das Gute nicht
weniger, als fuͤr ſeine individuelle Unabhaͤngigkeit und Geiſtes⸗
freyheit ſehr beſorgter, behutſamer, dennoch conſequenter ‚und,
wie feine faſt allzu offene Erklärungen über viele. noch lebende
Perſonen auf der Stelle beweiien, nicht allzu ängftliher Ges
Ichreer. Auch über die verfänglichften Conflicte feiner Zeit ſagt
er feine Herzensmeynung ohne Heftigkeit, doch fo freymäthig,
als man es, vornehmlih im Gegenſatz gegen eine Streitfchrift,
weiche ihn dem Haß beyder-Partheyen ohne Schonung preis
geben wollte, kaum erwarten ſollte. Was er — nicht gegen Lu⸗
thers Sache, fondern — gegen das, was bey Luther Nebenſache,
zum Theil: Partheyfache und Folge. des Widerfireits, zum Theil:
auch Wirkung des Temperaments und- der nicht hHumaniftifchen,
fondern moͤnchiſchen Bildung war, empfand ‚und dachte, iſt
für unfere Zeitmepnungen vorzüglich wichtig, Mit dem, mas
bep Luther das Weſentliche war, iſt Erasmus faſt in allen
| nlrich von. Hutten gegen Defld. :Eradinit 595
Stuͤcken Übereinftimmend. Wer könnte dieſes alles gedraͤngter
darſtellen, als die Erasmiſche Schilderung ©. aıg „Es gibt,
unter Luthers Freunden, einige Gelehrte, die nach meinen
Urtheil gar keine üble Leute find. Sie billigen vieles, mas
Luther lehrt. Sie wünfhen, daß die Macht des Pabſtes bes
fchnitten werde. Sie mwünfhen ſtatt eines weltlichen
Fuͤrſten [Lin welche .Lage. feit Alexander VI., Julius II. und
Leo X. der päbftlihe Plan zur Dberherrfchaft über Italien
fihtbar hineingeſtrebt hatte) einen: evangelifhen Lehrer; ftatt
eines Tyrannen einen Water. Sie fähen es gerne, wenn bie
Zifhe der Käufer und Berkäufer im Tempel - des
Seren umgeworfen würden, wenn man die nmerträgfiche
Unverfhämtheit der Ablafträmer, der geiftlis
chen Quackſalber und Marktefhrepyer, der Difpens
fationens und Bullens Fabricanten bändigen könnte,
wenn von den firhlihden Gebraͤuchen manches wegfiele,
und dagegen die wahre Frömmigkeit: mehr in Aufnahme käme.
Ihr Verlangen geht dahin, daß die Kraft des Evangeliums,
Das beynahe ganz aus der Mode gekommen iſt, wieder auflebe,
daß: die Lehrfäße und Meynungen der Menfhen
dem Anſehen des aöttlihen Wortes weichen. Sie möchten: es
ſich verbieten, daß Befhlüffe von Facultäten die Kraft
eines Gottesſpruchs hätten. Sie feufzen darüber, daß das
Volt der Chriften mit menfhlihen Vorfhriften, ih
Auswahl der Speiſen, in Anfehung der vielen Fefttage,
der vorbehaltenen Semwiffensfällte, der Grade der
Berwandtfihaft und der geiſtlichen Verwandts
ſchaft beläflige- wird. Es wäre ihnen lieb, wenn einige
menfhlidye Verfügungen dem allgemeinen Bes
Ken nahftehen muͤßten, und, zum Beyſpiel, Leute, dieeins
ander zu heyrathen wänfhen, mur darüber einverftanden feyn
dürften. Sie fehnen ſich darnach, daß die allzu fehr verſtrick⸗
zen Gewiffen endlich einmal mehr Freyheit bekommen. Ste
Hörten gerne: freymüthige, chriftlihe Predigten.
Sie haͤtten gerne Bifchöfe, die in der That Bifhdfe,
und nie, wie Heutzutage grofientheild, nur weltliche Fürften
wären. Sie ſaͤhen gerne Kloſtergeiſtliche, die nach der Klos
ſtertegel lebten, ſtatt daß jetzt nichte Weltlicheres ger
596 Ulrich von Hutten gegen Defid. Eradındd
funden wird, als ein Drdensbruder Diefe find
Luthern darum gewogen, weiler auf diefes ats
kes mie Nahdrudfgedrungen Hat.“ - Ind mit diefen
Männern war Erasmus großentheils längft übereinftimmig, und
bekennt daffelbe auch ſogleich S. zoı. „Wenn ih mit diefen
nicht gerade verbändet bin, fo bleibe doch zwifchen ung
eine alte Freundfhaft veft, die durch das Band der Liebe
zu den Wiffenfchaften zulammengehalten wird, und wir. brams
hen darum nicht in allen Stücken mit einander Bon
zuſtimmen.“
Unter allen den jest —— —— Stücen
findet fih denn in-der That wenig oder nichts, womit Eras—⸗
mus nicht, eben aus Liebe zu den Wiſſenſchaften, von lange
Her im Klaren war, Warum aber fimmte er denn nicht eben
deswegen mit Luther ?. Er gibt darüber zwey Aufihläffe, ei⸗
nen fonderbaren: und einen, der: für ihn entfcheidend ſeyn
mochte. Der fonderbare: findet fi ©. 244. „Für Luther und
für Luthers Paradogen habe ich noch nicht Luft, in den Tod
zu gehen. Hier ift nicht von Slaubensartiteln:die Rede,
fondern "davon, ob die Herrſchaft des Roͤm. Pabfles von
EHrifto abzuleiten fey? ob das Cardinals: Collegium ein we—
fenslicher Theil ſey der chriftlihen Kirche? ob Chriftus Die
Beichte eingeführt Habe? ob die Biſchoͤfe duch ihre MWers
ordnungen zu einer Todfände verpflichten tönnen ? ob der
freye Wille zur Seligkeit dienlich fey ? ob irgend ein Wert
des Menihen gut genannt werden könne ? ob es angehe, die
Meffe in einem ‚gewiffen Sinne ein Opfer zu nennen?
Um folcher Lehrfäge willen, über die man in Schuldifpus
tationen mandes für und wider auf die. Bahn zu bringen
pflegt, getraute ih mir niht, wenn ih Richter
wäre, jemand zum Tode zu verurtheilen, und eben
fo wenig möchte ich deswegen in Lebensgefahr kommen.“ Eben
fo. erflärt Erasmus S. 274. „In Anfehung aller von
der Vorzeit uns überlieferten Glaubensartikeln
ffimmen wir mit einander überein... und doc lafs
fen wir.. alles andere liegen und: fchlagen ung mit einander
darüber, ob die Würde des Roͤm. Pabſtes von Chrifto ab,
zuleiten ſey ... Wohin wird es am Ende kommen, wenn die
Wirich von Hutten gegen Deſid. Erasmns, 597
Eine Parthey nichts als Unruhen, Zwifte und Schimpfs
wörter, die Andere nichts als Cenſuren, Bullen und
Scheiterhaufen: hat?“ Iſt es aber nicht fonderbar - und.
faft unbegreiflihh, wie Erasmus glauben konnte, daß in: Luthers
Sache nur von difputablen Schulfragen die Rede fey, da er.
feloßt in der erften obigen Aufzählung fo vieler - Mißbräuche,
welche mancher brave Gelehrte nebft Lurher abgeſtellt wuͤnſch⸗
te, ſo manden wichtigen Punct angeführt. hatte, an dem
weit mehr Schaden oder Befferung bangen mußte, als an
dem größten Theil des Symbolum Athanaſianum. Und: ger
rade dieſe Puncte waren doch Luthers Hauptbefhwerden gegen
den Römifchen Stuhl! Erasmus ſcheint wirklich. alles diefes
Nothwendige, worin: er mit Luther uͤbereindam, nur. deswegen
von Luthers Sache abzufondern, weil er felöft und fo.mancher
Nedlihe, auch. ohne Lucher, es für Höhft nörhig hielt und ges
halten hatte. Aber war darum eben das, was Erasmus alz
die Sache (nicht. Luthers, fondern) des Evangeliums
anfah und fo benannte, weniger auch in Luthers ‚ganzer Un⸗
ternehmung das Weſentliche? Ju der That konnte - Erasmus
auch von dem, was er zu den bloßen Schulfragen rechnen
wollte, mandes nur. deswegen ‚für fo unbedeutend, anfehen,
meil er bloß die Saͤtze an fih, nicht aber die. Grundfäge
davon in Betrachtung 309. Man mochte ruhig disputiren, ob
die Auctoritaͤt des päbftl. Stuhls von Chrifte, oder von der
Kirche fey, wenn nur nicht in-beyden Fällen die Idee
poftulirt wurde, daß jene Auctorität menſchlicher Kirchenvors
fieher in jedem Fall ein Recht enthalte, irrefragable Worfchrifs
ten für Lehre und Leben der Ehriften im Namen Sein, der
Apoftel und der „infallibfen“ Kirche zu geben, Diefes Prins
etp :ift-es, worauf alle, Differenz ruht; und ein ſolches
Princip, auf welches ſich die paͤbſtliche Machtvoll⸗
kommenheit viele tauſendmale als. auf ein ihr vom Himmeil
verliehenes apoſtoliſches Vorrecht berufen hat, um für ihre
Beftimmungen in der Kirche immer, im Staate aber au), fo
oft: es thunlich ſchien, unbedingten Gehorſam zu fordern, konnte
Erasmus nie. unter die bloße Schulfrage zählen... Mer an jes,
nem Prineip nicht .feft hielt, konnte vielmehr nihe Römifchs
katholiſch heißen. Das irrefragable Feſthalten aller Mike
ae die Eraemus ſelbſt ruͤgt, woher anders entſtand es,
598 Weich von Hutten gegen Defid. Erasmus.
als weil nach jenem Princip der Roͤmiſche Stuhl nie zu
geben konnte, einmal in einer Sache, die fih auf Neligion’
bezog, unrecht geurtheilt zu haben. Und wage pflegte nicht alles
auf Religion bezogen zu werden ? Erasmus fagt freymuͤthig,
daß er den mit ihm in Glaubensartikeln harmoniſchen Lurher
sicht zum Tode verurtheilen könnte. Aber Hatte nicht jenes
Princip bereits, feinen irrefragablen Folgerungen gemäß, Lu—⸗
thern in den Bann gethan und in die Achtserklaͤrung verftrickt?
Erasmus war alfo von jenen Princip weientlicher differttirend;
als von Luther felbft, indem er &. 275 mit Laune hinzuſetzt
Iſt es denn etwas Großes, einen arnien Menſchen, der ohne
Bin fterben würde, noch vorher in das Feuer zu werfen? Ihn
belehren und Überzeugen, das ift etwas Großes!
Nicht einmal das macht einen fonderlihen Eindrud, wenn
man ihn zum Widerruf anhalten kann. Denn wer
foird es anders auslegen, als: er habe lieber wollen ſcham—
roth, als gebraten werden“ ( maluit erubescere, quam exu«
rl). — Im Grunde geht nad) allem diefem die Erklärung
des Erasmus eigentlich dahin, daß er mit dem, was auch
Luther weſentlich beaßfichtigte, in feiner Webergeugung meiſt
übereinflimmte, daß er aber nicht durch Luther diefe Ueber—⸗
jeugung hatte und fie nicht mit Luther vertheidigen wollte,
weil — und dies war ohne Zweifel der eigentlihe Grund
der Disharmonie! — Luthers durchgreifende Heftigkeit, ja
man darf fagen, Luthers ganze Gemuͤthsart und Geiſtesbil⸗
dung mit dem, was in Erasmus gerade das Empfehlendfte
war, im entfihiedenften Contraſt fiund und flehen mußte. Die
oben berährte Bedruͤckungen der menſchlichen und chriſtlichen
Ueberzeugungsfreyheit, jene die Immoralitaͤt beſoͤrdernde Diss
penſationen und Indulgenzen, jenes weltliche Leben der Geijts
lichkeit u. dgl. m. waren dem Humaniſten, Erasmus, zus
wider, weil der Geſchmack, der Anftand, die liberale Denkart,
auch die Sittlichkeit dadurd beleidigt wurden; für den velis
giöfen Lurher war eben daffelbe alles ein Greuel, weil fein
Slaubenseifer, fein Reſpect für das bibliſche Wort Gottes,
fein Gefühl für practifhe Religiofitäe damit nicht beftehen
konnte. Daraus entftund dant, was Erasmns als ein Matin,
der Feiner Parthey zugethan feyn, aber beyder Wohl
Ulrich von Huften gegen. Defid. Erabinus. 559
wollte (&. 275), am wenigſten ertragen konnte, eine zum
DPartheymachen, auch zu einfeitigen Behauptungen leicht vers
leitende Heftigkeit. Was konnte Luther dagegen, daß er ale
Auguftiner » Eremite moͤnchiſch erzogen war ? daß er nur durch
die heftigften Anftrengungen, wo ein gewaltfam erregtes Wahr
Yeitsgefühl den kraftvollen Geift drängt, fih aus dem Tiefiteh
emporarbeiten mußte? daß er die milde Bildung durch dem
Maren Sinn der Tlaſſiker nicht genoffen? nicht durch jene
Uebungen im Snterpretiven, die Wielfeitigkeit der menſchlichen
Begriffe leicht zu verfichen und zu ertragen gelernt hatte? „Pas
ther, fagt Er. dagegen S. 235 recht dus Teinem Herzen hers
aus, könnte deeymal und viermal mein Bruder feyn, und ih
Pönnte feine ganze Lehre billigen; darum müßte ich aber doch
immer feinen ungeheuren Starrfinn im Behaupten und fein
heftiges - Schmähen, wozu er immer bereit iſt, gar fehr mißs
billigen (non possem non vehementer improbare tantam
in asseverando pervivaciam, tam acerbam ubi—
que paratam maledicentiam). Auch kann ich mid
immer nöd) nicht überzeugen, daß der Geiſt Chriſti, woruͤber
an Milde nichts geht, in einem Herzen wohne, aus dem fo
viel Bitterkeit herausſtroͤnt. Möchte mich doch meine Weis
murhung hier taͤuſchen!“ Aehnliche Ziveifel Über den Geift
Chriſti, 06 er in dem nie heftig bewegten, alſo nie begeiftert
fcheinenden Erasmus wohne, hatte Lurher auch wider Er. ges
Außer. Warum aljo Erasmus von Luther diffentirte, dies Idg
meift in der Perſoͤnlichkeit, nicht in dem MWefentlichen der
Unternehmung Luthers. Dagegen charakterifirt die Perföns
lichkeit des Erasmus in Hinfihe auf diefe Sache ſich
ſelbſt ebenfalls fo, daß gewiß nicht Quther Jallein, fondern wohl
jeder Menſchenbeobachter und Gefchichtlenner mit derfelben mie
zuſammentreffen möchte. Wie dort die Heftigkeit, fo führte Hier
die Milde auf ein Extrem. Wer kann ohne Lächeln überdens
ten, was ©. a72 als der lebte Vorſchlag der Erasmifchen
Gutmuͤthigkeit? oder Klugheit ? ausgeſprochen iſt: „Was nad)
Ueberzeugung des geledrreren Theils der Freunde des Evanger
liams zur allgemeinen Wohlfahrt des Chriften:
Holts und zur Ehre Chriſti etwas beyträgen Tann, das
werde in geheimen Briefen dem Pabſte und dem
600 - Ulrich von Hurten gegen Defd. Erasmus.
Käifer angezeigt, "und man gehe dabey redlich, wie vr
Gottes Angeſicht, zu. Werke.“ ; Das allerauffallendfte. dieſt
Art hatten die. oefumenifchen Concilien zu. Eonftanz und u
Baſel, ebendaffelde Hatte die Deutſche Keichsverfammlung duch
300 Gravamina in Öffentlihen Urkunden auf die gefegmäßighe
Weife im Laufe. von mehr als 100 Jahren, angezeigt. Und
war denn. je vor Euther auch nur in den aͤußerlichen Mißbraͤuu
Ken etwas Bedeutendes für die Dauer gebefert, war etwas
Beſſerndes ſelbſt durch Concordate der Dentfchen Nation fe
‚geftellt worden, ohne den offenbaren Erfolg, nur fo lange
es unvermeidlich wäre, das Verſprochene fo wenig, wie möglid,
zur Erfülung zu bringen ?: Und was konnte auch an dm
ſchlimmen Folgerungen weſentlich gebeflert werden, da: bie
Principien und Grundmeynungen, aus denen fr
floffen, von Wiclef, Huß u. a. nicht einmal berührt werden
durften? Freundliches Zureden, Bitten, jammern, Klıyn
find ja wohl zu irgend einer Zeit die Mittel, eine. in Mad
und Beſitz fichende Ufurpation zur willigen. Machgiebigkeit und
Reſignation zu Senken? Wie fehr mufte dies Erasmus. fell
oft:gefühlt haben, da.er S. 217 — man denke, zu melde
Zeit! — folgendes freymäthige Bekenntniß nicht zuräkhilt:
„Nicht einmal von dem Römifhen Stuhl habe ich je
mals ungleich (inconstanter)- geredet. Deffen Tprannıy,
Raubſucht und Übrige Lafter, worüber alle wohl
denfende Menfhen ſchon ſeit langer.Zeit gemein
fhaftlih klagen, habe ich; nie gebilligt. Den Ablaß
verwerfe ich. nicht gang,“ ob ich gleich jene unverfhämtt
Krämereyen immer verabfchent habe. Was. ich, von den
kirchlichen Gebräuden halte, dag bezeugen meine Scrifi
‚ten an vielen Stellen. Wo habe ich aber das kanoniſche Rech
verdammt ? wo die päbftlihen. Verordnungen ? : [Ueber die Ent
flehung der Pfeudodecretalen, auf. denen der größte Theil
des Roͤmiſch⸗Kanoniſchen ‚Rechts ruht, wurde freplich die Kritil
erſt durch) die Centuriatores Magdeburgicos uberweiſend!] .
„Ich denke doch, Hutten wird zugeben, , daß zu Rom eine
chriſt liche Kirche ſey. Darum, weil es dort viele ſchlechte
Chriſten gibt, if doch daſelbſt eine Kirche .. Ich halte auch dw
für, daß dieſe Kirche rechtglaͤubig * Finden ſich Gottloſt
Ulrich von Hutten gegen Defid. Erasmus. 601
in ihr, fo hat die Kirche in der Gemeinfhaft der
Erommen ihren Sis. (So harmonirte Er. auch mit Lus
shers Idee von der unfihtbaren Kirche, als Gemeins
{haft der Heiligen!) Diefer Kirche wird H. aber auch. einen
Biſchof geben; er wird erlauben, daß er- Metropplitans
rechte habe, da es fo ‚viele Erzbifchöfe in bdiefen Gegenden
¶ Deutſchlands ıc.) gibt, die nie einen Apoftel gefehen haben
and Rom den Petrus und Paulus fah, die ohne Widerſpruch
die größten Apoftel waren. Mas: liege nun Ungereimtes darin,
wenn man unter den -Metropolitanbifchöfen dem von Rom den
erſten Rang -(primum locum ) einräumt. Denn daß ich
die ungeheure Gewalt, welche ſich die Päbfte (duch
apoftol. Zurisdiction uͤber die.ganze Kirche und durd eine Gottes
Stelle vwertretende Legislation!) feit einigen Jahrhunderten ans
maßten,, vertheidige, wird niemand von mir gehärt haben.
Doch, Hutten kann einen heilloſen Pabft nicht vertragen ?
Wir wuͤnſchen aber alle, daß der Pabſt ein Mann fep, ber
verdiene, auf Petri Stuhl zu fisen. „Und wenn er es
nicht verdient?“ So feße man ihn ab. Eben fo follte man
auch alle Biſchoͤfe adfegen, die micht ihre Pflicht hun! —
- „Aber die ärgfte Peftitenz für die Welt Lam feit vielen Jahr
zen von Rom her!* Wollte Gott, man koͤnnte dies
läugnen.. Inzwiſchen haben wir jegt einen Pabft (Hadrian
VL),.der, wie ich alaube, aus allen Kräften daran arbeitet,
diefen Stuhl und diefen Hof von feinem Schmuge zu reinigen.“
— &o offen erklärte fih der nach Temperament und Bildung
Außer humane Erasmus. Ein wahrer Vortheil war es auch
für ihn, daß er feine Spongia gerade unter Hadrian VL. zu
gebrauchen hatte. Bedaͤchtlich feßt er dann aber doch Hinzu: „Und
die Liebe iſts, nah Paulus, welche Alles hofft.“ — Den 1. Sept.
3522. erklärte Hadrian VI, in feinem erfien Confiftorium zu
Nom feine. WVorfäge zur Reform der päbftl. Curie; den 14.
Sept: farb der das Beſſere wollende Nichts Staliäner unter
dem Achſelzucken feiner weltfiugen neuen Umgebungen. Wie
ſchlimm, wenn Reformen nur von der vorübergehenden Pers
ſoͤnlichkeit abhangen und dabey die Grundmeynungen gegen fie
feft bleiben follen, — Eben fo offen und wahr aber fagt Erasmus
auch ©, 27% der andern Parthey: „Wenn mir unaufhörkich
602 Ulrich von Hutten gegen Defid. Erasmus;
darüber ftreiten, ob es gute Werke gebe, wird es dahin
Fommen, daß wir in der That ohne gute Werke find,
Dder wenn wir darüber hadern, ob der bloße Slaubk
ohne Werke felig’mahe, wird es dahin kommen, daß wie
ſowohl der Frucht des Glaubens als des Lohne für
die guten Werte verluftig werden.“ Mur konnte diefen —
wicht mir Eigennuß und Herrfchfucht gepaarten — Mißverſtaͤnd⸗
niffen viel leichter durch die faßlichfte Erklärung geholfen weis
den : daß in jeder Handlung, in jedem Vorfag, der Entſchluß,
der möglichften Ueberzeugung getreu zu wollen und zu wirfen,
das Wefentlihe und der allein feligmadhende Glaube fen, weit
Glaube zu aller Zeit nichts anderes, als ein thätiges
VWertranen aufdienah Zeit und Umftänden dem
Einzelnen möglihe Ueberzeugung if. Nöm. 4,
ag — 25.
Die angeführten Stellen bewähren nicht nur das Inhalts
reiche diefer Schrift, fondern and) die gute Art der Ueberſetzung.
Wohl jedem, welcher Apologien zu fchreiben nie gendchige iſt.
Muß es aber feyn, fo ift dann der glücklich zu preifen, für
welhen eine Selbfivertheidigung noch nah Jahrhunderten fo
viel Gutes beweist, als die gegenwärtige für Erasmus, deren
Bearbeitung ſelbſt auch ihrem Erneuerer noch fo viel Ehre macht
Noch etliche Worte der Ermahnung von einen Mann,
wie Erasmus war: „Man nennt die fhöne Wiſſenſchaften
human; erft dann werden fle, was fie heißen, ſchoͤne, nüßs
Kiche Wiffenfchaften (bonae literae) feyn, wenn fie ung u
beffern Menfhen mahen und der Ehre Chriſti untergeordnet
find. Sie find nicht darum in die Schulen eingeführte, um
ältere Wiffenfchaften zu verdrängen, fondern um einen reinern
amd bequemern Vortrag derfelben (aud) um den guten Geſchmack
und practiſche Logik durch die Auslegungskunſt) zu befoͤrdern.8
Viele, die den Sprachen und ſchoͤnen Wiſſenſchaften leiden
ſchaftlich obliegen, wollen mit Ausſchließung andrer Studien
nur ſie allein getrieben wiſſen. Dieſenigen hingegen, welche
die alten Studien hartnaͤckig feſthalten, gehen damit um, die
feinern Wiſſenſchaften gu. unterdruͤcken. Laſſet uns‘ eimehr
unſre Gaben zuſammentragen, als daß wir dutch thoͤrichte
Streitigkeiten. einander ſchwaͤchen · » Bey wechſeiſeltiger Eins
Memoire sur. les“Samaritains par'Mr; de Sacy. 683
tracht wird es keinem Theile fehlen. jeder von uns befleißige
fi), an Wiederherftellung des Friedens und der Eintracht um
ter den Chriſten zu arbeiten. Jetzt fehlt uns fogar „der Friede,
den die Welt gibt“ . . Und den „Frieden Gottes“ haben wit
auch nich bey fo großem Zwieſpalt der Meynungen, und da
man nirgends aufrichtige Freundſchaft oder. brüderlihe Liebe
antrifft, im Gegentheil alle Verhäleniffe durch einen verwuͤnſch⸗
gen Sauerteig in Zerrättung gerathen find. „Pessimo -fer-
mento vitiata omnia, St cui placet.hoc seculum, fruatur.*
Eee H. E. G. Paulus.
Memoire sur Vetat actuel des Samaritains, lu à la Classe d'His?*
toire et de Litterature andienne de J’Institut imperial de
“France; par M. Silvestre de Sacy (Extrait du s2me
Cabier des Annales des Voyages etc.). A Paris, chez Fr,
. Buisson et chez 'Treuttel et Würz 1812, 71 S. 8.
Diefe Heine intereffante Schrift ift nur der Vorläufer ch
ner ausführlihern Arbeit über die Reſte der alten Samaritanter,
von weldyen zu Maplufa (dem alten Sihem) und Jaffa, dei
einzigen. Dertern von Paläftina, wo fie fih erhalten haben,
noch im. Ganzen ohngefähr zweyhundert Perfonen beyderleh
Geſchlechts, in dreyßig Familien getheilt, angetroffen werden.
Je fiherer es fih erwarten läßt, daß nad einigen Menfchens
altern auch diefer geringe Meft von der Erde vertilgt ſeyn wird,
um defto verdienftlicher ift es, für die Mitwelt und Nachweſt
ale Nachrichten uͤber dieſe merfwürdige Sekte zu - fammeln,
welche noch zu erlangen find. Herr Stlvefire de Sacy, dem
die Morgentändifche Litteratur ſchon fo vieles verdankt, erwirbt
ſich auch das Verdienſt, unfre Kenntniß von diefer Sekte zur Volk
fHändigkeit und Genauigkeit zw erweitern. Schon feit mehr als
zwey Jahrhunderten haben verfhiedne der angefehenften Gelcher
ten tn Deutſchland, Frankreich und England weder Mühe no
Koften geſpart, um eine genaue Kenntniß von den Eigenthuͤm⸗
tichteiten fowohl der Lehre als der äußern Gebräudhe der Sa—
maritaner ſich zu verfchaffen 5’ gleichwohl find noch viele Dums
kelheiten geblieben, denn die Unwiſſenheit und day argwoͤhniſche
Weſen ˖machen die Erkundigung fehwierig, fo wie auch die aͤußerſte
-_
604 Mémoire sur les Samaritains par Mr. de Sacy.
Behutſamkeit in.der Entwerfung der Fragen nothwendig ift. Zuerſt
erhielt Robert Huntington, damals Prediger an der Englifchen
Factorey zu Aleppo, um das Jahr 1671 einige Aufflärungen
Aber ihren Sortesdienft und ihre Lehren dadurh, daß er fie
in den Irrthum brachte, als 06 auch in England noch Samark
tanifche Juden ſich fänden. Sin diefer Meynung wurden ſie
durch feine Fertigkeit, die Samaritaniſche Schrift zu leſen, ſe
beftärkt, daß fie ihm nicht nur einen Brief an ihre vorgeblis
hen Brüder, worin fie die Grundfäge ihrer Religion und be
fonders die charakteriftiihen Werfchiedenheiten , wodurd fie fi
von den Juden unterfcheiden, erklärten, fondern felbft ein
Eremplar ihres Pentateuchs zur Beſtellung an diefelben übers
gaben. Marfhall, damals Rector des Eollegiums zu Oxford,
beantwortete diefen Brief, und dadurch ward eine Correfpons
den; angelnäpft, welche mehrere Jahre fortgefegt wurde. Ver
fchiedene diefer Briefe find durch die Bemühungen mehrerer
Gelehrten, befonders des um die Samaritanifhe Litteratur.
Hochverdienten Herrn Canzlers von Schnurrer zu Tübingen,
dem Publitum bekannt geworden. Kerr Silveftre de Sacy
gibt in diefer Schrift: sine vollftändige Weberficht der. verfchies
denen Verſuche Europäifher Gelehrten, eine Correſpondenz mit
den Samaritanern anzufnüpfen, feit Julius Scaliger , welcher
zuerſt den Samaritanifchen Pentateuch der —— u
Keifenden nach Paläftina empfahl.
Die erfte Veranlaffung zu den Aufklärungen, welche die
vorliegende Heine Schrift enthält, gab Herr Senator, Graf
Eregoire, welder mit vaftlofer TIhätigkeit die Meynungen und
Irrthuͤmer der jüdifhen und chriftlihen Sekten in ihren mans
cherley Verzweigungen ans Licht zieht, damit die Wahrheit in
defto fchönerem Glanze erfiheine. Auf feinen Antrag erhielten
die Franzoͤſiſchen Konfuln zu Tripolis, Aleppo und Prolomats
von dem Minifter der auswärtigen -Verhältniffe den Auftrag,
über den gegenwärtigen Zuftand der Samaritaner und insbes
fondte über ihre vorgeblich noch fortdaurenden Thieropfer auf
dem Berge Sarizim genaue Erfundigung einguziehen. Unter
den eingefommenen Nachrichten war die des Herrn Corancez,
damals Conful zu Aleppo, jetzt Generals Conful- gu Bagdad
und Correſpondent des kaiſ. Inſtituts, die ausfuͤhrlichſte. Herr
J
M&moire sur les-Samaritains par:Mr: de. Sacy. 606
Corancez wandte fih außerdem mit einem Briefe und einer
Reihe von Fragen unmittelbar an die Samaritaner in Naplufa,
und erhielt auch fehr bald eine Beantwortung feiner Fragen
von Salomoh) ben Tobiah, levitiſchem Priefter ar 1ar1,d.%
Dberpriefter ) zu Sichem. Diefe Beantwortnng ift ſchon vom
Herrn Grafen Gregoire in dem zweyten Theil. feiner Histoire
des Sectes religieuses (welche aber von Herrn ©. de Sacy
hier niht genannt wird), im Feanzoͤſiſcher, und von Herrn
Canzler v. Schnurrer in dem.erfien Bande der Fundgruben des
Drients in Deutfcher Leberjegung befannt gemaht worden.
Da fie aber doc nicht volllommen befriedigte, fo entwarf Hr.
©. de Sacy auf Anfuchen des Hın Grafen Gregoire aufs Neue
eine Reihe von Fragen, welhe Hr. Michel Sabbag aus Sys
rien in das Arabifche Überfeßte, zur Weberfendung an Hrn,
Rouſſeau, den Nachfolger des Hrn. Corancez im Conſulat von
Aleppo. Auch auf dieſe Fragen, in welchen alles zur Sprache
gebracht war, was in den bisherigen Unterſuchungen angeregt
worden, oder zweifelhaft ſchien, erfolgten aus Napluſa ſehr
bald in vielen Stuͤcken genugthuende Antworten. Herr Sits
veftre de Sach erwartet nur noch aus Aleppo durch den gedach⸗
ten Ken. Rouffeau einige Aufflärungen Über die Samaritaner,
um alsdann. diefe ganze Correfpondenz mit dem Prieſter Gar
lomoh durch Ueberſetzung und Anmerkungen erläutert, bekannt
zu machen. Dieſe Schrift enthaͤlt vorlaͤufig nur einen Auszug
daraus zur Erlaͤuterung der wichtigſten verhandelten Puncte.
Soviel erhellt, außer vielen andern, nunmehr deutlich ſchon aus
diefem Auszuge, daß die Samaritaner von dem Vorwurfe der
Abgoͤtterey völlig freyzufprechen find; denn ſelbſt die oftmals bes
fpeochene Taube als. Zierrath an dem Stabe der Rolle des Ges
feßes ift nur eine Erdichtung, eben ſowohl als die vorgeblichen
gewöhnlichen TIhieropfer auf dem Berge Garizim; ſelbſt das
Dfteropfer. wird feit ohngefähr 25 Jahren nicht mehr auf diefem
Berge, fondern in der Stade Napluſa gehalten, weil die Türs
Ben nicht anders als gegen eine Abgabe den armen Samaritanern.
. erlauben, den Berg zu befteigen. Dagegen ift es gewiß gewors
den, daß die Samaritaner an die Unfterblichkeit der. Seele glaus
ben, obgleich Salomoh ſich in Die Lehre von der Ewigkeit der Stras
fen in der andern Welt, über welche er befragt worden, nicht
einläßt, Ein Exemplar ihres Pentateuchs, das man von ihnen
606 Memioire sur les’Samaritains’par! Mr; de Sapyi
erbeten, verweigerten fie: Ihr begehrt, erwiederten fie; daß
mir euch ein Exemplar der heiligen Thorah fenden follen; dat
thun wir nicht, wofern ihr nicht, wie wir, zu denen gehört,
welche diefes Geſetz halten (70) und deffen Gebete en
füllen.“ Sn den festen Worten liegt eine Anipielung auf
den Namen der Samaritaner, melden fie ſelbſt ſich geben; näm
lich fie nennen fih nicht Samaritaner von INn2V, dem altın
Mamen von Samarien, fondern Schomerim, DYWIT, di.
ſolche, welche vorzugsweife das Geſetz bewahren. Sehr merk
würdig ift die Sage bey den Samaritanern, daß vor fehk
hundert Jahren (alfo zu den Zeiten der Kreuzzuͤge) viele ihre
Volks aus Askalon und Täfarea in das Land der Franken gu
führe worden. Wir finden einer folhen Wegführung zw
von den Echriftftellern der Kreuzzuͤge nicht erwähnt, gar
unwahrſcheinlich iſt fie aber nicht, theils weil oft nicht nur
die bewaffneten Saraceniſchen Männer (mit welchen akt
doch zuweilen Juden waren; z. B. Chaifa wurde von de
Juden gemeinſchaftlich mit den Saracenen im Jahr 110 mi
der die Kreuzfahrer vertheidigt, Alhert. Aq. Lib. VILS.
ſondern auch andre Einwohner, beſonders die Juden mit
Weibern und Kindern von den Kreuzfahrern, nach de
Eroberung einer Muſelmaͤnniſchen Stadt, in die Gklavırt
geführt wurden; theils weil die Juden im Abendlande mit vi
hoͤhern Abgaben belegt wurden, alfo dem Ritter, der fl
auf fein Gut im Materlande bringen ließ, fehr bedeuten
Vermehrung feiner Einkünfte verfchafften. Die Gamarttaitt
behaupten noch inebefondre, daß auch in Deutſchland (Ahr
nas) fich viele Samaritaner finden, und berufen fi) auf ein
Brief von diefen ihren Brüdern, der vor etwa hundert Jah
ren ihnen jugeiandt, melde, daß die Zahl derſelben fih au
127960 Köpfe belaufe. Herr de Sacy Hatte in feinem
Schreiben die Samaritaner von dem Ungrund diefer Me
nüng befehrt, und fie um die Mittheilung einer Abſchrift Wi
Briefes, worauf ihre Irrthum beruhe, erſucht. Salomoh dv
harrt in feiner Antwort feit bey feiner Meynung, und bemerkt
anftatt die verlangte Abichrift des Briefes mitzutheilen, wit
daß der Brief in eben derfelden Sprache gefchrieben fey, A
fein Brief. Hr. de Sacy vermuchee mit vieler Wahrſchein
Einige Worte uͤh d. Barte; d: Angtomie v. L. F. v. Srorien.: 607
lichkeit, daß irgend ein Deutſcher Gelehrter den frommen Ber:
trug, den ſich Huntington und Marſchall erlaubten, wieder—
holt habe, um ſich gleichfalls genauere Nachrichten von den Sar
maritanern zu verſchaffen. Die Mittheilung jenes Briefes, welche
Hr. de Sacy noch durch Hrn. Rouſſeau zu erlangen hofft, wird
dieſes Raͤthſel loͤſen.
Einige MWörte über den Vorträg der Anatomie auf Univerfitäten.
. Mebft einer neuen Darftellung des Gekroͤſes und der Netze als
Fortſaͤthe des Bauchfells. Von Ludwig Friedrich von $ros
rẽep/ des fin wuͤrt. Civilverdienſtordens Ritter, der Philofophie,
Wexdicin und Chirurgie Doctor, ordentl. öffentl. Profeſſor, der
Ahatomie, Chirurgie und, Geburtshuͤlfe an der koͤn. Univerſitaͤt zu
Tübingen und Border der chirurgifhen und geburtshülflichen
Abtheiſung des fon. Klinikums dafel ſt ꝛc. Mit zwey Kupfertas
fein. Weimar im. Verlag des H. S. privil. Landes-dInduſtrie⸗
Comtoirs. 1812., 17 ©. in 4.
In der Vorerinnerung bemerft der Verf., daß er nicht
ohne äußere Veranlaſſung fi erlaubt habe, einige Bemerkun⸗
gen über die Methode. beym Vortrage der Anatomie voran zu
Schicken, von welden. er wünfhen muͤſſe, daß man ihnen je
feinen andern Zweck unterfhieben möge, als den: feine Aus
ſichten über dieſen Gegenſtand anzudeuten. — Nachdem er
beſtimmt bat, wäs der Vortrag der Anatomie -in Beziehung
auf Phyfiologie ‚Chirurgie und gerichtliche A zneykunde zu lei⸗
fien habe, gibt er. die Gründe an, aus denen er. den analptis:
fhen Weg (mie er ihn ©. 8 charakterifirt hat) bey dem: anar
tomiſchen Unterriht auf Univerfitäten für zweckmaͤßiger, für
gemeinnüßiger halte, als den ſynthetiſchen. Nichtig heißt es
&. 7 von: dem. letztern: „Diefe Methode ift ohne allen Wis
derſpruch für den Lehrer die angenehmfte, fie intereffire und:
gefällt auch meiftens den Zuhörern, und dies um fo mehr, je
meniger die den aufgeftellten. Säßen etwa. widerſprechen den
Thatſachen einer befondern Aufmerkfamkeit gewürdigt werden.
Dem. phyfiologifchen:, Studium, befonders aber dem phyſiologi⸗
fen Spfteme, welchem der Lehrer Huldiger, ift dieſe Methode
ſehr förderlich, fie fann ſich aber auch in diefer: Hinficht von:
einer gewiffen Einfeitigkeit nicht frey machen, und. feßt übers.
dem voraus, daß alle Zuhörer. auf Yang gleicher. Stufe der
Ausbildung fiehen (was wohl nur ſehr felten der Fall ſeyn
möchte), und gleih im. Stande find, der Anficht des Lehrers
zu folgen.. Für Chirurgie leifter diefe Methode gewiß nur wer
nig, und dies Wenige mehr zufällig.“ — Wenn. der Berf.
auch nichts dagegen. einzumenden hat, daß man bey den anas
tomifchen. Vorträgen, wie gewoͤhnlich, mit der Anatomie den
Anfang mache, fo hält er es doc für zweckmäßig ( damit der
Anfänger mit Dingen, von denen dort häufig die Rede ift,
508 Einige Worte uͤb. d. Vortr. d; Anatemie v. L. F. v. Froriep.
keine irrigen Begriffe verbinde), in den erſten Stunden der
Demonſtration einiges Allgemeine über Zellgeweb, Haͤute,
Muskeln, Gefäße, Nerven ꝛq. vorzutragen, und die verſchie—
dene Textur durch friſche Stuͤcke und beſonders verfertigte Praͤ⸗
parate zu verſinnlichen; ſo wie es wohl nachher ziemlich von
der Willkuͤhr des Lehrers oder dem Zufluſſe der adaver abs:
hängen dürfe, im weldher Ordnung die Vorträge auf einander
folgen follen, womit es ſich aber bey Schriften über Anatomie
anders verhalte u. f. w.
MNach dieſen vorausgefchickten Bemerkungen über bie befte
Art des Vortrags der Anatomie auf Lniverfitäten wodurch
dieſes Studium den Phyfiologen wie dem Chirurgen gleich
angenehm, faßlich und leicht gemacht werden könne, theilt ung
der Verfaſſer die Beſchreibung zweyer verfchiedenen Durchs
Schnitte der Bauchhoͤhle des Menihen mit, durch melde der
unmittelbare Zufammenhang der allgemeinen Bauchhaut mit
. den als Netze und Gekroͤſe bekannten Zortfeßungen derfelben,
die Bildung und Entſtehung dieſer Fortfeßungen und der Urs
fprung der verfchiedenen Blätter derfelben,,. fo wie: das Wers.
haͤltniß des durch die Mebe gebildeten Sades zum allgemeinen
Sacke des Bauchfells fehr deutlich aus einandergefegt iſt. |
Die vom Verf. zur Darfiellung des Gekröfes and
ber Netzze, als Fortfäße des Bauch fells, verfuchten
Präparationen erleichtern allerdings die Löfung. der Aufgabe :
der Demonftration des Bauchfells, und eigenen fi dazu, dem
Anfänger fchneller und ficherer eine Blare Vorftellung von einer
Diembran zu verfchaffen, die bald die Wände der Bauchhoͤhle
uͤberzieht, bald die in der Hoͤhle eingeſchloſſenen Eingeweide
umkleidet, bald dieſe als eine Bruͤcke verbindet, bald wieder
frey flottirende Anhaͤngſel bilder, und doch einen überall ge—
ſchloſſenen Sad ausmacht. — Die beyden Abbildungen, wor
von die eine die Fläche eines Querdurchfchnittes des Unterleibeg:
(deſſen einfchließende und eingefchloffene Theile zu der beabſicht
tigten Darftellung befonders präparirt worden find), die andere
bie Fläche eines Durchfchnittes der Länge nach barftelt, ent⸗
fprehen, wenn fie fhon der Verf. für flüchtig entworfen aus⸗
gibt, ihrem Zwecke. Eur
Diefe Darftellungen würden nicht weniger, als jene Bemer⸗
tungen über den beym Vortrage der Anatomie einzuſchlagenden
Weg das ruͤhmliche Streben des Verf.: den Unterricht zu ver⸗
beſſern und gemeinnuͤtziger zu machen, beurkunden, wenn dies
nicht ein WVerdienft wäre, welches er fh, außer andern Arbeis:
ten ähnlicher Art, vorzüglich durch fein, vor allen bisherigen
fo vortheithaft fih auszeichnendes, Lehrbuch der Gehurtshäife
ſchon erworben hat. | |
—— — j . . RE:
No. 39. Heidelbergifhe 41813.
Jahrbuͤcher der Litteratur.
Ueber die Vereinigung der beyden proteſtantiſchen Kirchenpartheyen in
der Preußiſchen Monardie, von D. Fr. Sam. Gottfried
Sad, koͤnigl. Preußiidem erften Hofprediger und Dberfonfiftos
rialrath 20. Nebſt einem Gutachten über die Beförderung der
Religiofirät. Berlin, 1812. bei Maurer. XIV u. 191 ©.
&.. Heine, aber von mehreren Seiten fehr wichtige Schrift !
Der erſte veformirte Geiftliche in Deutſchland, der befonnene,
würdige, von Miemand der. Neuerungsſucht zu bezüchtigende
Oberconſiſtorialrath Sad thut Vorfehläge, wie fi) die bepden
proteftantifchen Confeffionen vereinigen könnten, in einem fanfs
ten, liebevollen, den Geift wahrer NReligiöfität fo fihtbar ath—
menden Ton, daß er auch Andersdentende für fih gewinnen muß.
Niemand wird fih mwundern, daß dieſe Vorfchläge jetzt ger
fhehen, fondern vielmehr darüber, daß fie nicht ſchon längft
geihehen und ausgeführe find. Bekanntlich bezeugte der das
mals noch unbefangene Luther feine große Freude über die
vorhabende Vereinigung, „Wenn diefe Concordie vollends bes
feftige iſt,“ schrieb er an die Augsburgifhen Prediger, „will
ih mit freudigen Thränen fingen: „Herr, nun läffeft du deis
nen Diener in Frieden fahren! denn ich werde der Kirche den
Frieden hinterlaffen, das ift, die Ehre Gottes, die Strafe des
Teufels und Nahe an allen MWiderwärtigen und Feinden.“
(Plant, Geſch. der Entftehung des proteft. Lehrbegriffs. 3. ©.
1. Th. ©. 3,3, Note 203.) Auh Bullinger und Deza
mwünfchten diefe Wereinigung ( Struve Pfälsifhe Kirchens
biftorie, S. 265). Calvin ermahnt in einem Brief an die
Zürcher zur Mäßigung, obgleich kurz vorher die wuͤthende Schrift
Luthers: „Kurzes Bekenntniß vom Abendmahl“ erſchienen
war, die felbft von feinen waͤrmſten Anhängern mit &tills
fhweigen und fühlbarem Widerwillen aufgenommen wurde.
(Plant, 4. Th. S. 34, Note 35.) „Faft alle Edle, Fürften
und Große zur Zeit der Reformation,“ fchreibt der geheime
39
610 Weber d. Vereinig. d. beyden pr. Kirchenparthenen v. Sad,
Nath von Hofmann, (von Alpen, patriotifher Aufruf zur
allgemeinen Vereinigung, Vorr. &. XVII. XVIIT. ) „arbeite:
ten mit alfer Anftrengung an dieſer Vereinigung, und alle
fanfte, friedfiebende Männer, Erasmus, Melanchthon,
Detfolampad, Bucer, Hedio, Caffander, befonders
aber Hugo Grotins in einer eigenen Schrift: Wunfch für
den kirchlichen Frieden.“ Auch ift es befannt, daß diefer Ges
:genftand (aber eine allgemeine kirchliche Wereinignng ) auf
dem Neihetag zu Negensburg, 1541, zu Speier, 1544, zu
Worms, 1545, und zu Augsburg, 1548, in Betrahtung ges
zogen worden if. Die Bereinigung wäre auch, wenigſtens
unter den Proteftanten, ſchon damals fiher zu Stande gefoms
men, 'wenn Zwinglis und Oekolampads Briefe nidt
eben im Druck erfhienen wären, und wenn nicht Bucer
‘eine Worrede dazu gemacht hätte, in weldher er Defolams:
pad feinen Vater und Lehrer nannte, und Zwingli wegen
einiger freyen Ausdruͤcke über das Abendmahl ( Plant 3.8.
1. Th. ©. 385) vertheidigte; wenn nicht die Amsdorfe den
Churfürften fo gereizt hätten, daß er Luthern ſchrieb, er möge
den Strasburgern in feinem Punct nachgeben, und wenn nicht
Luther fo märrifh und reisbar worden wäre, daß ſelbſt feine
Vertrauteften nicht mit ihm zurecht kommen konnten (Plant,
4.8. ©. 30, Mote). Das geihah in einer Zeit, wo man
die Vorftellungsarten noch für weit wichtiger bielt, wo die
Lutheraner noch ein großes Gewicht auf ihre Anfiht von der
Gegenwart Jeſu im Abendmahl, und die Neformirten auf
ihre Philofophumenon von der Prädeftination legten. Wie viel
mehr follte man es jeßt erwarten, da die meiften Iutherifchen
und reformirten Theologen diefe Vorftellungsarten faft gan
aufgegeben haben, und Alle in dem übereinftinmen, was der
mwürdige Sack in feiner Vorrede (S. IX) fagt: „Wer von
einer befondern Borftellungsart in Religionsſachen behauptet,
fie berreffe nicht das Mefentliche des chriftlichen Glaubens, und
rechtfertige nicht die Verſagung kirchliher Gemeinfchaft, der
ift noch feineswegs ein Sindifferentift, dem Wahrheit und Irr—
thum einen gleichen Werth oder Unwerth haben.“ Worftels
Tungsarten und Wahrheit find fehr verfchieden. Die Wahrheit
kann bey vielerley WVorftellungsarten beftehen. *
Veber d. Bereinig. d. beyden pr. Kirchenpartheyen v. Sad, 611
Sad bringt nun diefen Gegenftand der Vereinigung ber
beyden proteftantifhen Kirchen wieder zur Sprache. Er ev;
zähle zuerfi, was Preußens Regenten feit 150 Jahren gethan
haben, um den Kirchenfrieden zu erhalten und zu fördern.
Merkwuͤrdig ift im diefer Hinficht das, von 27 Perfonen uns
terfchriebene, ganz den Geiſt des trefflihen Alphons Turres
tin, ihres Haupts, athmende Schreiben der Genfer Theologen,
an Friedrich T., worin fie diefe Wereinigung „une sainte
rdunion ® nennen, „ qui est si juste en elle m&me, si con-
forme aux maximes de ’Evangile, si utile pour l’inter&t
commun de la religion protestante, si necessaire, pour
nous garantir des entreprises (nicht des wahren Catholis
cismus, fondern:) du papisme, qui ne cherche qu'à
nous perdre les uns et les autres, enfin qui est souhaitde
avec tant d’ardeur par tous les gens de bien, et qui ne
sauroit manquer, si elle est une fois conclue, de contri-
buer infiniment, à &tendre les bornes de notre sainte
reformation“ (S. 95), und worauf der König antwortet:
„Ganz ınsbefondre aber erfreut es mich, daß gerade Eure
Kirche in diefem Betracht fih mir anfchließt, da fie durch das
große, ehrenvolle Anfehen, deffen fie unter allen Evangelis
fhen genieft, Ddiefem michtigen Geſchaͤft ein fo bedeutendes
Gewicht mehr verleihen wird; und in der That, was könnte
wohl für Euch ſelbſt würdigeres, und der Stelle, die Ihr in
der reformirten Kirche einnehmet, irgend angemefjeneres ges
ſchehen, als daß Ihr, die Ihr vormals mit der Fadel des
Glaubens der evangelifchen Kirche voran ginge, ihr nun auch
ein leuchtendes Beyſpiel chriftlihen Eifers und chriftlicher Milde
vor Augen fiellet.“ Sad redet von den Bemühungen des
großen Leibniz und des erftien Hofpredigers Jablonsky,
mit dem Abt Molanus, um die Vereinigung der beyden
Eonfeffionen, wozu der König durch mancherley WBeranftaltuns
gen mitwirkte, und von den gleichen Grundſaͤtzen, die fein
Nachfolger, Friedrih Wilhelm I., befolgte. Wie Neligiöfität
unter Friedrich II. verfiel, und unter Friedrih Wilhelm IL,
durch verkehrte Mittel wieder gehoben werden follte, wird kurz
und mit vieler Klugheit berührt. Nun zeigt er, was die jeßige
Megierung. zum Näherbringen der bepden proteftantifchen Kirs
612 Weber d. Vereinig. d. beyden pr, Kirchenparthenen v. Sad.
hen gethan habe. Es ward eine gemeinichhaftlihe Agende bes
fhloffen, und Theologen von beyden proteftantifhen Konfeffios
nen ihre Ausarbeitung aufgetragen. Die Aufieher über Prediger
‚wurden mit einerley Namen, Superintendenten genarnt, und
‘Einer oberen Behörde die Leitung und landesherrlihe Aufjiche
über alle geiftliche Angelenenheiten bender -proteftantifhen Kies
chen anvertraut. (Kerr Superine. Löffler in feiner Recen—
ſion diefer Schrift, in dem Magazin für Prediger (VI. ©.
1. St. &. 48), bemerft noch als die wichtige Veranftaltung,
die Stiftung der Univerfität Berlin, und die veränderte Or
ganilation der Univerfität zu Frankfurt an d. D. bey ihrer
Verlegung nad) Breslau, bey denen es feine reformirte
und keine (utherifhe, fondern eine proteſtantiſche
theologiihe Fakultät gibt.) Indeß find die beyden Kircdyen
noch nicht wirklich vereinigte, und der Verf. macht fich felbft den
Zweifel, ob. diefe Wereinigung nach fo vielen vergeblichen Wer;
ſuchen zu erwarten fey. Er finder aber die .Urfache des Miß—
lingens in den Zeitumftänden und in dem Geiſt der damaligen
Zeit, wo man nod) gewiffe Vorftellungsarten zur Seligkeit für
wichtig, wo micht gar für unentbehrlich hielt, was jeßt der
Fall gar nicht mehr ifl. Auch fey es ein ganz verkehrter Meg
geweſen, eine Belenntnißformel aufzuflelen, unter ber jede
Parthey ihre Anfichten habe verftecken können. Das Alles fey
jeßt anders. Man fey überzeugt, daß es auf volle Ueberein—
ſtimmung der Anfihten nicht anftomme. (Hat ja wohl jeder
Selbſtdenker feine eigene!) Er gibt .alfo jetzt „Gemuͤthern
voll warmer Anhänglichkeit an die evangslifhe Wahrheit —
nicht jedem Syſtem zulählend, es harmonire mit der heilſa—
men Lehre, oder es widerftreite ihr, aber duldiam gegen Alle,
die den Grundftein des Gebäudes, auf welhen Chriſtus feine
Kirche erbaut hat, nicht liſtig oder offenbar untergraben,“
vor Sort zu Überlegen, ob es nicht Pflicht fey, die Vers
einigung der beyden proteftantiichen Kirchen nah Möglichkeit
zu befördern? Er wirft daben drey Fragen auf. Die Erfte:
Ob auch Vereinigung nothwendig fey? Er beantwortet
fie aus guten Gründen mit Nein, zeigt aber, daß fie doch
wünfchenswerth und vathfam fen. „Iſt der Friede gefchloffen,“
fagt er (S. 40), „fo muß er auc, öffentlich proclamirt werden.
Veber d. Bereinig. d. beyden pr, Kirchenpartheyen v. Sad, 613
Was foll der unterfcheidende Seftenname, wo feine Sekte mehr
it? Wer die Trennung der beyden proteftantifhen Kirchen
noch für nöchig Hält, muß gegen alle Erfahrung behaupten,
daß in ihren Urtheilen über die fogenannten Unterfcheidungss
fehren feine Aenderung vorgegangen, oder daß jetzt noch die
lutheriſche Kirche an der Eintrahtsformel, und die reformirte
an den Befchläffen der Dordrechtihen Synode fet hält.“ —
„So lange diefer Unterfchied noch befteht, wird bey dem großen
Haufen die dunkle Vorftellung nicht anszurotten feyn, als feyen
die Neformirten wirklich einer andern Religion zugethan, als
die Futheraner , und der Glaube der Einen Parthey dem Heil
der Seele beförderlicher, als der Andern.“ — „Es wäre doch
gut, wenn einem folhen, den Sektengeiſt heimlich nährenden
Irethum nicht ferner Vorſchub gethan würde.“ — „Märe
aber auch diefer verdammende Seftengeift erftorben, fo
wäre doch die Fortdauer des Parthengeiftes nicht zu vers
hüten, der auch bey ſolchen ftatt finder, denen es um Religion
gar nicht zu thun ift, der duch Mortheil oder Rechte einer
andern Parthey fo leicht aufgeregt wird, zu unzähliger Necke—
rey Anlaß gibt, und jo gut, wie der fanatifche Neligiongeifer,
die Gemüther mit bitterem Groll erfüllt“ (S. 44, 48). Fällt
der firchliche Unterfchied zwifchen veformirt und lutheriſch
weg, fo werden Eltern, Kinder und Gefhwifter in gemifchten
Shen bey dem Religionsunterricht und bey der heiligften Hands
lung des Öffentlichen Gottesdienſtes nicht von einander getrennt.
< Eine fhöne Stelle aus der Schrift: Zwey unvorgreifliche
Gutachten, in Sachen des proteftantifchen Kirchenweieng ıc.
empfiehlt Rec. zum Nachlefen (S. 45), durd die gemeinfchafts
liche Theilnahme der Familie an einer heiligen Handlung wird
diefe Handlung den meiften Menichen erft recht heilig. Die
dieſe Vereinigung zu hindern furhen, zerſtören alſo wirklid)
wahre Neligidfirät in vielen Familien.) Mer. ſetzt Hinzu, daß
fo viele aͤrmlich dotirte Pfarreyen und Schulen verbeffert, fo
viele Prediger und Schullehrer von den druͤckendſten Nahrungs
forgen befreyet, fo manche unfelige Streitigkeit über religioͤſe
Kindererziehung befeitige, und fo mande harte, druͤckende,
durch diefe Streitigkeiten norhmendig gewordene Verordrungen
überfluͤſſig gemacht werden würden, wenn diefe Bereinigung
614 Weber d. Bereinig. d. beyden pr. Kirchenpartheyen v. Sad.
zu Stande kaͤme. Die andere Frage ift: Ob ſich nidt
Schwierigkeiten und Nachtheile finden, welche es vathfam
machen, die noch beftehende Trennung fortdauren zu laffen ?
An Schwierigkeiten fehlt es bey feiner wichtigen Unternehmung,
und die Schwierigkeitsgenies, die Trägen, die am Hergebrach—
ten klebenden, finden fie leicht unüberwindlih: aber Hr. ©.
hält fie miche dafür. Die Vereinigung, koͤnnte man jagen,
werde nicht auf einmal und überall erfolgen; bier und da
werden ſich aljo noch reformirte und lutheriſche Gemeinden
finden ; man wird alfo drey proteftantifhe Kirchen ftatt Einer
haben. Hr. ©. antwortet, die Vereinigten könnten feine neue
Kirche genannt werden, fo wenig wie mande Mitglieder der
VBrüdergemeinde aufhörten, veformirt oder Iutherifch zu fepn.
(Auch werden die übrigen bald die Vortheile, wenigſtens die
pefuniären der Vereinigung einfehen und nachfolgen.) Widtis
ger (oder vielmehr allein wichtig) ift der Widerftand der
Eiferer, befonders der Theologen, aus irrendem Gewiſſen,
aus Eigenſinn, aus blinder Anhänglichleit an das Gewohnte,
(aus idolofatrifher Schwärmerey für ihr Kirhenthum) aus
Eigennutz, aus Heinen, unedlen NRücfichten auf mögliche Eins
buße perfönlicher Vortheile. „Es ift gewiß, daß, wenn all,
die das Lehramt in beyden Kirchen verwalten, die Sache bu
günftigten, und ihren Gemeinden von der rechten Seite vor
ftellten ; fo würde das Volk feinen Beyfall nicht verfagen“
(8.54). Ja wohl! Sa wohl! Es liege allein an den
Predigern, wenn man ſich der heilfamen Vereinigung wider
feßt, und mit Recht fagt Petrus de Allioco: (in Canon.:
reform. eccles.) „Sicut de templo omne bonum egreditur,
ita de templo omne malum procedit. Si enim sacerdo-
tium integrum fuerit, tota ecclesia erit, si autem cor-
ruptum fuerit, omnis fides et virtus marcida est. Sicut
enim vides arborem pallentibus foliis, intelliges , quod
vitium habeat in radice, sic, cum videris populum in-
disciplinatum (renitentem), sine dubio agnosces, quod
sacerdotium non sit sanum.“ Planf glaube, es fen noch
nicht Alles veif zur Vereinigung. Das fey freplich der Fall in
manchen Ländern Deutſchlands: aber im Preufifchen fey «s
reife (Auch in mehreren Ländern Deutſchlandse, im Herzogs
Ueber d. Vereinig. d. beyden pr. Kirchenparthenen v. Sad. 615.
thum Deffau, in den meiften Gegenden des Badifchen Landes ıc.)
Der Verf. der zwey unvorgreiflihen Gutachten habe den Vor—
fchlag gethan, der Preufifche Staat folle erklären, es folle
weder in religidfer, noch kirchlicher Hinficht für eine Verändes
rung gehalten werden, wenn. Sjemand abwechielnd in beyden
proteftantijihen Kirchen, oder in einer andern, wie bisher,
fommunicirte. Dies feße aber ‚voraus, daß der Staat zu eis
ner folhen Erklärung befugt fey, welches nur mit einer -
Einfhränftung zugegeben werden könne. Naͤmlich der Staat
fönne nur die Aufhebung des Unterihieds in bärgerliher
Hinſicht erklären; die Kirche feldft müffe aber das Urtheil aus⸗
fprehen, daß fein Sruud der Trennung mehr vorhanden fey.
(Rec. glaube nicht, daß der Staat, oder die Nepräfentanten,
der Kirihe mit Bewilligung des Staats, durch eine folhe Ers
Märung, ihre Nechte überfchreiten.. Es wird bloß erflärt, wie
es die Nepräfentanten der Kirche und der Staat anjehen.
jeder behält ja doch die Freyheit, bey feiner. Kirche zu bleis
ben.) Eben fo erflärt er fih dagegen, daß der Staat die
Kirchen mit Predigern, ohne Ruͤckſicht auf ihre Confeſſion bes
feßen wolle. ( Mit Rechte, wenn eine futherifhe Kirche ims
mer, oder ganz ohne Ruͤckſicht auf die Confeſſion mit reformir—
ten, oder eine veformirte, eben fo, mit lutherifchen Predigern
befeßt werden follte. Aber wenn etwa zwey Pfarrftellen zus
fammengefhmolzen würden, die beyde fein Familie nähren
fünnten, wenn man abwedhielte, nach einem reformirten Pfars
ver immer wieder einen lutherifhen, und nach diefem wieder
einen veformirten an die Gemeinde feste; follte das aud Eins
griff in die Gewiffengfreyheit feyn ?) Nun maht Sr. ©. feine
Vorfhläge, wie die Vereinigung zu Stand gebracht werden
fönnte. Es muß 1) von, Ausgleichung der Werjchiedenheit in
Dogmen und Vorftellungsarten nicht die Nede feyn. In den
Lehrbuͤchern wären bloß biftorifch die verfihiedenen Anfichten
von dem Abendmahl mit den Hauptgründen beyder Kirchen zu
geben. Dann aber gleich zu jagen, daß es nicht darauf, fons
dern worauf es ankomme. 2) Muß es nicht das Anfehen
haben, als ob Ein Theil zu dem andern binäbergezogen wer—
den folle. (In den Lehren ift dies ſehr leicht; fihwieriger in
dem äußeren Ritus, befonders bey dem Abendmahl. Die
616 Weber d. Bereinig. d. beyden pr. Kirchenpartheyen v. Sad,
Neformirten haben recht, daß fie Brod geben und nicht Oblas
ten, die nie und nirgends Speife find. Die Lutheraner Haben
recht, daß fie die Worte bey dem Abendmahl brauden, die
Jeſus felbft gebraucht Hat: aber ohne Zuſatz. Indeß wird
ſich fein Theil Anfangs die Sitte des Andern aufdringen laffen,
obgleich in manchen lutherifhen Kirchen Brod, und in mans
chen reformirten eine Dblate”gegeben wird. Am beften, man
läßt, wie in der Ansgariengemeinde in Bremen, Jedem die
Wahl, was er nehmen will. Mit der Zeit wird ſich ſchon
Einheit ergeben.) 5) Der Name: lutheriſch und refors
mirt höre ganz auf, und die Kirche heißt die vereinigte
evangelifhe Kirche. 4) Jede Einzelne befondere Kirche
behält ihre Verfaſſung, ihre Vermögen, ihre Legate, ihre Ar—
menkaſſe ıc. kurz: ihr ganzes Eigenthum. (Dies müßte feyers
lich) zugefihere werden. Nur der Kirchenvorftand könnte nicht
bleiben , fondern müjte aus beyden Confeffionen gewählt wers
den.) 5) Auch der Ritus bliebe, nur bey dem Abennmahl wäre
auf einen Ausweg zu denken. (Es wird fih Anfangs
fhwerlich ein anderer, als der oben vorgefchlagene, finden
laffen.) 6) Die gefeglihen und herfömmlidhen Jura stolae
muͤßten bleiben; bey anderen Gemeinden, wo fie nicht üblich
waren, müßten fie eingeführt werden. Indeß ift eine völlige
Sleihförmigkeit nicht nöthig. (Das dädhte Rec. auch. Eins
führung von Stolgebühren würde die Vereinigung nur gehäßig
machen und erfchweren) 7) In der Verfaffung und Beſtim—
mung der MWittwenfaffen ift nichts zu ändern. (Recht! Nur,
wenn eine neue errichtet wird, fo ſey fie für beyde Kirchen
gemeinfhaftlih, wie neulih im Großherzogthum Baden, wozu
die Ältere, bloß für Iutheriihe Prediger beftimmte , freywillig
4000 fl. geichenfte hat.) 8) Alle erktsmäßige Prediger s und
Schullehrer » Befeldungen bleiben den Kirchen, wohin fie vors
her gegeben wurden. ( Natürlich.)
Ein Bereinigungsplan, etwa nad) diefen Grundſaͤtzen, foll
den fämmtlichen proteftantifchen Eonfiftorialräthen und Super
intendenten, durch die Leßteren auch allen Iutherifchen und
reformirten Pfarrern mitgetheilt werden, um binnen drey Mos
raten ſich darüber zu erklären, ob fie ihn genehmigen oder
nicht. Wenn fünf Sechstheile dafür find; fo wird die
in
f
en
ueber d. Vereinig. d. beyden pr. Kirchenpartheyen v. Sack. 617
Vereinigung als Beſchluß der proteſtantiſchen Kirche im Preußis
fhen angenommen, und die Minorität müßte fih unterwerfen.
Iſt mehr als ein Sechstheil gegen die Vereinigung; fo wird
fie für verworfen erflärt. In der frohen Ausfihe, daß das
Erftere geihehen werde, fchließe der edle Verf. auf eine
rährende Art: „Käme mit Gottes Hülfe zu Stande, was
feit mehr als zwenhundert Jahren viele würdige Chriften ges
wuͤnſcht haben; hätte ſich wieder vereinigt, was fih nie hätte
trennen follen: welch ein fchöner, herrlicher Tag in der Preußi—⸗
fhen Monarchie (und in jedem Lande, wo es gefhähe) würde
der feyn, an welhem ein allgemeines Dant s und Concordtens
feft, in allen Kirchen des Landes gefeyere wuͤrde! Mie würde
wohl das heilige Bundesmahl der Chriſten mit innigeren Ems
pfindungen der Bruderliche gefeyert, nie ein Tedeum mit reis
nerer Freude und herzliherem Dank angeftimmt worden feyn,
als an diefem dentwärdigen Tage; und gewiß, wenn dem
Seligen im Himmel eine Kunde zutömmt von dem, mas auf
der Erde gefhieht — diefes Tags würden ſich gemeinfhaftlich
freuen Luther und Zwingli, Calvin und Melandton,
und die großen, heiligen. Männer der Vorzeit alle, denen wir
das Kleinod der Wahrheit und der Gewiffensfreyheit zu vers
danken haben.“
ec. fühle und fpricht dies von ganzem Kerzen dem liebes
vollen, von Konfeifionsgeift unangeftecften Manne nad. Und
welcher gute Menſch wird es nicht? Nur kann er nicht bevs
gen, daß ihm diefe Art der Ausführung nicht die bequemfte
fheint. Freylich hat die obere kirchliche Behoͤrde nicht das
Recht, eine Vereinigung der beyden Kirchen auszufprechen,
obgleih, wie Kerr Sup. Löffler in feiner Anzeige bdiefer
Schrift fhon bemerkt, die Ausfpräche der oberſten kirchlichen
Behoͤrde nicht bloß als Ausſpruͤche des Staats, fondern als
Ausiprüche der Repräfentanten der Kirche anzufehen find. Sie
fönnte nicht einmal ohne Gewiffensgwang dem Einen Sch
theil Wereinigung aufbringen, die er nicht will. Vorftellungss
arten und Gebraͤuche, die in beyden Kirchen verfchieden find,
für fo wichtig halten, daß man fib darum nicht vereinigen
könnte, iſt freylich ein veligidfer. Irrthum. Aber ein folcher
618 Leber d. Vereinig. d. beyden pr, Kirchenpnrtheyen ö, Sad,
Irrthum ift auch eine veligidfe Meynung, und Über Meynuns
gen hat Niemand Gewalt. Allein das Mittheilen an alle
Prediger würde zu zahllofen Schwierigkeiten führen, wie die
Erfahrung aud) den Rec. leider! nur zu oft gelehrt hat. Die
wenigften Geiftlihen würden fih mit einem bloßen: Ja oder:
Mein begnügen, fondern eine Menge Mopdificationen vor:
fchlagen,, oder, wenn diefe nicht erlaube würden, ſchon des
wegen gegen den ganzen Plan feyn, weil fie mit einem
Theil deffelden nicht zufrieden wären, oder würden in ber
Folge gegen deffen Ausführung wirfen, weil man auf ihre
Modificationen, die ihnen fehr wichtig feyn müffen, und es
ehrlih auch feyn können, keine Rüdjicht genommen hat. Wie
wäre denn aber die, allerdings fehr wünihenswerthe Verei—
nigung zu befördern? Der Staat foll dazu thun, wozu er
das Recht hat, und die obere Kirchenbehörde, wozu fie berechs
tige ift; der Staat Soll für beyde Kirchen Eine Kirchenobrigs
keit beftellen, und Einen Vorfteher in einem Bezirk, jedoch
daß Lurheriiche und Reformirte möglichft abwechfeln. Die
oberfte kirchliche Behörde foll mit Genehmigung des Staats
erflären, daß fie Vereinigung wünfhe, foll einerley Lirurgie,
einerley Lehr⸗ und Schuibüher für beyde Confeffionen einfühs
ren, foll ein wachfames Auge haben auf die Pfarrer, die der
Vereinigung entgegenarbeiten, ohne daß man ein irrendes Ges
wiffen ben ihnen vorausfegen kann, foll fie mit Ernft und
Kraft darauf hinweifen, wei Geiſtes Kinder fie eigentlich feyn
follten. Sie fol Schulen vereinigen, wenn diefe Vereinigung
für das Ganze vortheilhaft ift, übrigens fi) aber an das Ges
fchrey der Schwahen und der Schreyer nicht kehren. Sie
foll jeder Gemeinde Bereinigung erlauden, wenn fie darum
Hebeten wird, das Webrige aber der Vorfehung und der Zeit
überlaffen, die fchon viel zu Stande gebraht hat, was Mens
fhenmaht und Menfchenweisheit nicht zu Stande bringen
tonnte.
Das Gutachten über die Verbefferung des Religionszu—
ftandes in den Föniglich Preußifchen Ländern würde eine eigene
Recenſion erfodern, wozu hier der Raum fehlt.
Ewald.
Predigt von A. H. d’ Autel. 619
Predigt am ı. Tan. 1813. ald am Gedaͤchtnißfeſte der von Wuͤrtem⸗
bergd Negenten angenommenen Königswürde, gehalten in der
koͤnigl. Schloßfirche zu Stuttgart, von U. 9. d'Autel, 8. W.
Dberconfiftoriafr. Hofpred. Kittter ded K. W. C. V. Ordens.
Stuttgart bey Steinfopf. 1813.
Mir ergreifen gerne die Gelegenheit, eine einzelne Predigt
von fperiellem Inhalt anzuzeigen, um auf Vorzüge hinzuweifen,
welche in den Werken der geiftlihen Beredſamkeit felten genug
vorfommen. Die Hauptfache befteht bey ſolchen Predigten doch
darin, daß der Gegenſtand in feiner beflimmteften Beziehung
ergriffen und in eine religidje Sjoee hinaufgehoben werde. Hiers
durch werden fie allgemein erbaulich. Wird diefe dee fo auss
geführt, daß fie überall in der befondern Begebenheit hindurch—
fheine, wie nämlich der Naturforfcher in jedem Gewaͤchſe die
Sefeße der ewigen Weisheit betrachtet, fo fpricht der Nedner,
wie feine Beſtimmung it, wahrhaft im Namen der Religion.
Seine Worte find aus dem Herzen und in die Herzen geſpro—
hen. Diefen Vorzuͤgen ſtimmt hier auch das zu, daß ung weder
die Peridnlichkeit deffen, der redet, noch derjenigen, zu weh
hen geredet wird, von der Andacht abzieht; es.ftört ung hier
feine Unbefcheidenheit und feine Schmeicheley. Sonſt leider!
der gewöhnliche Charakter der Selegenheitsreden. Die Sprache
tft edel und ſchoͤn; fie hat durch den gehörigen Rhythmus ets
was Nednerifches erhalten, das faft allen gedruckten Predigten
fehlt, ohne doch in die Affectation einiger neueren Nedekünftes
leyen gerathen zu feyn. Diefe wereinte Kraft der Sache und
des Worts laͤßt fih fhon im Eingang, der ein Gebet ift,
empfinden. Das Thema über Sei. Sir. 50, 24 — 26. heilt:
Wir leben in einer bedeutungsvollen Zeit; die Partition, nad)
welcher der Redner will, 1) diefe Wahrheit in religidfer Hins
ficht darzuftellen, 2) ihren Troft, und 5) die hohen Verpflich—
tungen, die fie uns lehrt, uns zu vergegenmärtigen ſuchen —
würden wir durch einen kürzeren - Ausdruck geglaubt Haben
deutlicher anzugeben, etwa: 1) wie fie der Fromme anfieht —
2) wie er fih dabey tröftee — 3) wozu er fich entichließt.
Wir ſetzen für unfre Lefer eine Stelle gegen den Schluß der
Predigt Hierher. „Laßt uns nicht muthlos Magen, meine
Chriften, daß unfer Leben in färmifche Zeiten des Kampfes
620 Anfangsgr. der hoͤhern Analyfis von Bohnenberger.
gefallen iſt. Wer, der da glaubt, daß fie in die höheren
Diane der Weisheit Gottes gehörten zur Beglüdung der Mens
fhen, wollte felöftfüchtig lieber fein Reben in träger Ruhe vers
träumen, und der Nachwelt wünfchen der Stürme verheerendes
Toben? Mein! laßt uns tragen mit Muth und Faffung, was
uns im kurzen Pilgerleben der Vorfehung Weisheit zu tragen
gibt, laßt uns fampfen für Ruhe und Frieden, und wenn auch
wir des Kampfes fegensvolle Früchte nicht genießen, find es
ja unfere Kinder und Kindesfinder, denen fie zum Genuſſe
reifen, — wer wollte nicht gerne pflanzen für ihre Wohlfahrt,
für ihren Frieden auch die flürmiihe Saat?“ Das ange—
haͤngte Schtußgebeth finden wir ebenfalls fehr würdig. Der
Eriös für die Schrift ift für die verwundeten vaterländifchen
Krieger beſtimmt. .
Anfangdgründe der höhern Analyſis. Von 9. ©. F. Bohnenber>
ger, Profeffor zu Tübingen. Mit drey Kupfertafeln. Tuͤbingen,
in der Eotta’fhen Buchhandlung. ı8ıı. VI und 352 ©. gr. 8.
(3 fl. 36 fr.)
Der Verf. diefer Anleitung zur Differential; und Inte⸗
gralrehnung iſt dem mathematifchen und phnyfiihen Publikum
fhon laͤngſt als fcharffinniger Forfher im Gebiete der Größens
lehre und Naturkunde bekannt. Seine bekannte Gruͤndlichkeit
und Strenge finden wir auch hier wieder. Den erften Gruͤn—
ben der höhern Arithmetik fehle es, nah dem Geftändniffe
jedes fachverftändigen Eritifers, immer noh an jenem Grade
geometrifcher Evidenz, welcher der hervorſtechende Charakı
ter mathematifher Wahrheiten if. Daher bemühet fich der
Verf. vorzüglich, diefe Baſis fireng zu begründen und faßlich
darzuftellen. Da ung diefe Methode unter den bekannten beſ—
fern Darftellungsweifen der Differential » und Integralrechnung
eine vorzägliche Stelle einzunehmen fcheint, fo wollen wir fie
den Lefern dieſer Blätter, wenigftens im Allgemeinen, zur
nähern Kenntniß bringen. Der Verf. gründet feine Lehre auf
die Grenzen der Verhältniffe der zufammengehörigen Werändes
rungen oder Differenzen veränderliher Größen. Hierbey ents
ſteht zwar die Schwierigkeit, daß das veränderliche Verhaͤltniß
Anfangsgr. der böhern Analyfis von Bohnenberger, 621
diefer Differengen einem gegebenen, von ber. Größe der Diffes
renzen unabhängigen, WVerhältniffe während ihrer Wermindes
rung nur näher rückt, ohne es jemals, wie Mein aud bie
Differenzen genommen werden mögen, zu erreichen. Aber man
kann , um diefem Einmwurfe zu begegnen, eine ‚der Differenzen
nach Belieben annehmen und eine andere Größe fo beftimmen,
daß das Verhaͤltniß dieſer zwey Größen dem Grengverhältnifl
der zufammengehörigen Differenzen gleich wird. Diele fo bes
fiimmten Größen, deren Verhaͤltniß von jenem der Differenzen
beftändig verfchieden ift, bekommen eben deshalb auch einen
eignen Namen, und heißen Differentiale. Bey biefer
Unterfuchung ift es nicht nöthig, die Groͤßen, deren Verhaͤlt⸗
niß man betrachtet, verichwinden zu laffen, und es iſt genug,
wenn man aus diefem veränderlihen NWerhältniffe ein conftantes
ableiten fann, welches fo befchaffen ift, daß das veränderliche
Verhältniß der Differenzen, durd die Werminderung der letze
tern größer oder Meiner gemaht werden kann, ale jedes geges
bene Verhaͤltniß, welches Meiner oder größer ift, als jenes
conftante, je nachdem das Differengverhältniß mit den Diffes
renzjen zugleich wächft, oder abnimmt. — Der Erponent des
Differentialverhältniffes wird eine neue gegebene Function einer
veränberlihen Größe feyn, deren Differenz man auf eine ähns
lie Weife wird befiimmen, und aus welcher man das Diffes
rentiafverhältniß diefer neuen Function wird ableiten koͤnnen,
wodurh man auf die zweyten Differenzen kommt u.
ſ. w. — Diefe kurze Darftellung charakterifirt den Stand⸗
punct, von welchem der Verf. bey Bearbeitung feines Merfs
ausgegangen iſt. Obgleich durch dieſelbe noch nicht jeder Per
bei verfcheucht zu feyn fcheint, womit die fchwierige Begrüns
dung des Differentialcalculs bisher umzogen war, fo gewährt
fie doch fiher eine Lichtvollere Einfihe in das Weſen diefer
Zauberrechnung (wie wir fie in mehr als einer Hinſicht nennen
möchten), ald wenn man die Differentiale wie unendlich Feine
Größen betrachtet. Mit Recht bemerkt der Verf. ferner, daß
feine Darfiellungsweife nur der Benennung nah von
jener verfchieden ift, welcher fih La Strange in feiner Theo-
rie des fonctions analitiques bedienet hat, worin jene
Sunction , welche indeffen der Erponent des Differentialverhälts
622 Anfangsgr. der hoͤhern Analyfis von Bohnenberger.
niffes hieß, die erfte abgeleitete Function, der Erpor
nent des zweyten Differentialverhältniffes aber die zwepte
abgeleitete Function genannt wird. Daher müffen mir
es billigen, daß der Verf. gleih zu Anfange feiner Schrift
fhon den Begriff der Orenzverhältniffe zum Grunde gelegt
hat, mit welhem diejenigen, welche die Schriften von Ar—
himedes und Euclides fiudirt Haben, fihon früher bekannt
geworden find.
Nach diefen nöthigen Vorbemerkungen theilen wir eine
kurze Inhalts Anzeige mit. Die Einleitung handelt ©. 1 —
46 den binomiichen Lehrſatz und die erfien Vorbereitungs—
gründe der Differentialrechnung in zwey Capiteln befriedigender,
als gewöhnlich ab. Sin der Differentialrechnung ſelbſt werden
S. 47 — 2352 in acht Capiteln die Differentiale der einfachen
und zufammengefeßten Functionen einer veränderlichen Größe ;
die Anwendungen des Taylorifhen Satzes auf Functionen
mehrerer veränderlicher Größen; die größten und Hleinften
Werthe gegebener Functionen ; die Tangenten frummer Linien,
die Krümmungstkreife und Evoluten; die Quadraturen und
Kectificationen krummer Pinten, nebft Berechnungen der Obers
flächen und des Inhaltes runder Körper; endlich die Beſtim—
mungen der Tangenten und Krümmungss Halbmeffer frummer
Linien, ihre Duadratur, Angabe der DOberflähe und des In—
halts runder Körper, wenn die DOrdinaten von einem Puncte
ausgehen, mit vieler Ausführlichkeit gruͤndlich und faßlich dars
geftellt. Es war uns hierbey fehr erfreulich zu bemerfen, daß
der Berf. hierin fhon Anwendungen auf Quadraturen, Rectis
ficationen und Gubaturen vorgetragen hat, da dies dem Ans
fänger die aufgeftellten Säge der Theorie fehr erläutern und
fein Muth durch dergleichen lehrreiche Anwendungen, wenn er
durch den Kampf mit fchwierigern Lehren geſchwaͤcht feyn follte,
wieder geftärft und erhoben wird. — Die Sntegralreds
nung lehre mit gleiher Sründlichkeit in fieben Capiteln
©. 255 — 352 die Integration vationaler und trrationaler
Functionen einer veränderlichen Größe; die Integration der
Kreis s und logarithmifhen, mie auch erponentiellen Functios
nen; die Sjntegration durh Annäherung und jene der höhern
Sintegrale ; endlich die Integration der Differentialgleihungen
der erften Ordnung mit zwey veränderlihen Größen und jene
der Differentialgleihungen der zweyten Ordnung.
indem wir diejes Werk jedem Freunde der höhern Anas
Iyfis beftens empfehlen, möchten wir den würdigen Verf. auf
fodern, zum Behufe der allererften Anfänger eine kurze
Anleitung zu diefem wichtigen Studium auszuarbeiten und bes
kannt zu machen, weldhe als erſter Curſus bey dem Ums
—
Verſuch von E. C. W. Klöker. 623
terrichte gebraucht werden könnte. Denn, nad) unferer Lebers
zeugung, fehle es Hierzu an zweckmaͤßigen Schriften, und
vielleicht werden Viele durch diefen Mangel von dem ernftern
und tiefern Eindringen in diefes höhere Gebiet der Matheſis
‚abgehalten. Des Verf. Gabe, fi bis zu dem Meulinge vers
ſtaͤndlich herabzulaffen, die theoretiihen Lehren fogleich mit
erläuternden practifhen Beyſpielen aufzuflären, und fo durch
Anwendung der Theorie auf die Praris die Fortſchritte des
Anfaͤngers gu erleichtern, verbärgen uns hier eine gewiß ſehr
‚brauchbare Arbeit. Möchten wir unfern Wunſch erfüllt fehen !
Papier, Druck und Kupfertafeln verdienen Lob; aber eis
nen unangenehmen Eindruck macht ein fehs Seiten großes
Verzeichniß von Schreib s und Druckfehlern.
An.
Verſuch eined Beytrags zur Nevifion der Theorie vom Gewohnheit:
recht. Don Carl Chriftian Wilhelm Kloͤtzer. Jena bep
Maufe. 1813. XXIV und 310 ©, 8.
Die vorliegende Schrift entwickelt ausführlih nah den
Vorſchriften der Römifhen, Kanonifchen und Deutfhen Ges
feße die Theorie des eigentlihen Gemwohnheitsrechtes, im Gans
zen mit Webergehung der Lehre vom Beweiſe deſſelben. Als
Anhang folgt eine Vergleichung des Cod. Maxim. Bavar. civ.,
des Preußifchen Geſetzbuchs und dee Code Napoleon, fo wie
eine Reihe von Bemerkungen über den Werth des Inſtitutes,
und die fogenannten Affınia deffelben, namentlich den Gerichtss
gebrauch).
Nec. hat die Schrift mit Vergnuͤgen gelefen, und glaubt
diefelbe in vieler KHinficht empfehlen zu können. Denn der
Scharffinn, die Sewandtheit und Eonfequenz des Verf. find
'Eberall unverkennbar, auch verdient feine, nie unbefceiden
werdende Selbftftändigkeit mit Achtung genannt zu werden.
Damit ift aber freylich nicht gefagt,, daß es dem Verf. gelums
gen fey, in diefer Lehre alles aufs Gewiſſe zu bringen. Denn
"daran ift bey den wenigen unbeftimmten pofitiven Prämiffen
wohl nie zu denken. Eben fo wenig enthält jene Empfehlung
eine Dilligung aller einzelnen Anfichten des Verf. Denn über
mandye Puncte kann Rec. dem Verf. durchaus nicht beyftims
men, wie 4. B. in den Erdrterungen über die Länge der Zeit,
und die Vielheit der Handlungen (©. 140 — 148. 164 — 172),
wobey der Verf. alles auf den- „Begriff des gemeinen Lebeng “
ſtellt, mithin die Sache abermals ſich feldft überläße, indem
hier grade die Frage davon ift, wie jener Begriff für die Ans
wendung gehörig zu beflimmen feyn möchte. Eben fo wenig
624 Berfuch von C. C. W. Rloͤtzer.
koͤnnen wir die Auslegung der L. 52. &. ı. D. de LL.
(S. 50— 65) billigen, in fofern der Verf, dabey immer von
der Idee ausgeht, Julian habe für feine Zeit nicht mehr von
republitanifcher Verfaſſung reden können. Denn das republis
tanifhe Princip blieb bis auf Juſtinian immer anerkannt.
Kürzlih Haben wir dies wieder aus Lydus de magistr.
reipubl. Rom. A ı5 erfahren; aber auch fhon aus Theo-
hilus I. 2. $. 4— 7. ergibt. fi daffelbe, vieler andern
Delegftellen nicht zu —— Außerdem ließe ſich uͤber dies
und jenes noch mancherley erinnern, z. B. uͤber die Auslegung
des cap. ult. X. de cons., und das was der Verf. in Bes
giehung auf den C. N. fagt. Allein die Beſchraͤnkung des
Raums erlaubt uns an diefem Ort feine vollfiändige Prüfung
alles Einzelnen.
ur im Allgemeinen müffen wir nod) bemerken, daß der
Verf. oft viel zu ausführlih war, und damit der von ihm
beabfichtigten Klarheit gewiß mehr ſchadete, als nußte; fo
wie, dal er weit mehr die beffere Litteratur hätte vergleichen
follen. Nur etwa zehn neuere Schriftfteller find von ihm bes
nutzt. Zwar entfchuldige er fi mit feiner Lage. Allein das
darf man doch wohl unbedingt annehmen, dal Niemand ex
professo über einen Gegenſtand des Civilrechts ſchreiben follte,
bevor er füh nicht mit den Anfichten der Sloffatoren und der
Claſſiker der Mittelgeit befannt gemacht hat. Endlich müffen
wir den Verf. auch noch warnen, ſich in Anfehung der Sprade
nicht einer gewiffen philojophifchen Zierererey zu überlaffen,
wodurh die Klarheit nichts gewinnt, aber das gewöhnliche
juriftifche Publikum unfehlbar abgefchredt wird. Als Beyſpiel
eines Veranlaffungsgrundes jener Warnung führen wir nur
folgende Stelle (S. 199 ) an: „der einfeitigen Pofition und
Megation des Beliebens fteht entgegen die wechielieitige Pofis
tion und Megation deflelben. Vermittelſt dieſer lebten wird
dasjenige, was von Seiten desjenigen , der fein Belieben febt,
als Pofition und Megation des Beliebens gefest wird, auch
von Seiten des Eingefchränften, als beliebig, gefeßt, und in
das Belieben deffelben aufgenommen ; der Wille alfo, welcher
fid) unter der Form der einfeitigen Pofition und Megation des
Beliebens, als entgegengefebt, darftellt, unter der Form der
wechfelfeitigen Pofition und Megation des Beliebens vereinigt
und identificirt.“ Solche Sachen fommen frenlich nicht fehr
oft vor. Allein zur dringenden Warnung würde aud eine
einzige Stelle diefer Art berechtigen, zumal jegt, wo in Deutſch⸗
land ein widernatärlicher Geſchmack ſelbſt unter guten Köpten
immer mehr — findet.
—
Sntelligenzblatt 1813,
/YV”°. ]
ù—— ——— — —— ARE a AT ——
Chronik der Univerſitaͤt Heidelberg.
Von der philofophiſchen Facultaͤt iſt noch im vorige Jahre
den Herren Profeſſoren der ſtaatswirthſchaftlichen Section, Rein
hard, Seeger und Eſchen mayer die philofophifche Doktorwürde
ertheilt worden.
Am 22. November des vorigen Jahrs gefhah durch Se. Magni:
ficen;_ den Herrn Brorector, Dberhofgerichts = Rath und Profeffor
Dr. Gambösjäger, nad vorhergegangener Rede de usu juris
Romani per Codicem Napoleoneum non sublato, die gemöhns
liche jährliche Versheilung der afademifchen Preife an die Studiren-
den, wie darüber in dem Programm, ald deffen Verfaſſer der Herr
Prorector felbit fih auf dem Titel genannt hat (circa conditionem
sey affırmativam seu negativam religionis ultimae voluntati in-
sertam num pro adjecta aut non adjecta habendam, ex ana.
logia juris examinatamı , 39 ©. 4.), ausführlihe Nachricht gegeben
worden. Den theologifchen Preis erhielt Herr Wilhelm Hein:
rib Elia Schwarz, Mitglied ded philologiſchen und paͤdagogi—
fhen Seminariums, Sohn ded Herren Kirchenrath Schwarz; den
juriſtiſchen mit befonderer Audzeichnung Herr Sriedrid Cropp
aus Hamburg; einen philofophifgen Herr Wilhelm Friedrich
Kind aus Emmendingen im Badiſchen.
Die für dad naͤchſte Jahr aufgeftellten Fragen. find folgende :
I. Bon der theologiſchen Facultaͤt: „Mysticismus, si quis est
nostra aetate in rebus sacris, quoad capita Potiora de-
scribatur , secundum rationem biblice et philosophice
formandam dijudicetur, et cum variis Mysticismi generibus
$superiorum temporum eomparetur.“ .
II. Bon der juriftifhen Facultät: „De liberalitate conjugis
binubi per articulum 1098. Codicis Napoleonei restricta.“
III. Bon der medicinifhen Facultät: „Iheoria sic dista
Browniana, quae totam fere medicinam praeterlapso de-
cennio subvertit, a quibusdam philosophis et peritis ex
4)
omni parte abolita, ab aliis adhuc integra servatur, alis
limitata aut in peculiarem formam conversa , summun
theoriae principinm complecti videtur. Quae cum ita sint,
optatur, ut in prima parte commentationis metamorphose
theoriae Brownianae praecise et succincte secundum mo.
menta suae evolutionis enumerentur, eXplicentur, dijudicen-
tur, et in secunda parte demonstretur, quae hujus theori«
forma, veritati, eXperientiae et naturae consona, an me.
dicinae fundamentum aut ejusdem pars censenda sit?“
IV. Don der ftaatöwirthfhaftlihen Section: „Quaeritr
vectigal venalium (Xeccife) utrum universale pri
ferendum sit, an particulare, quaenam commoda
ferat atque incommoda, et qua imponendum et exigend«
sit ratione ac modo.“
V. Bon der philofophifhen Facuftät folgende vier Fragen
1. „Desideratur trapeti e regione Neuenhemii prope urben
nostram siti (quod vocant Bergheimer Mühle) accura
descriptio ac delineatio, nec non machinae effectus me-
chanıcus, primum sola experientia „ deinde call
ope, quem leges mechanicae suppeditant , investigandus. |
Tum effectus, qui dato rotae, aquae impulsu circum-
actae, rotationum numero respondeat, oeconomicus,
qualem experientia suggerit , docendus , indeque gene-
ralis deducenda est aequatio, qua datis viribus mecha-
nicis olei, per singulas horas ope machinae similiter
constructae colligendi , quantitas determinetur. Denique
mercenariorum, quorum operam accedere oportet, re-
spiciatur numerus, nec non materia igni alendo, »e
comparatis sumtbus cum mercede , trapeti domino
praestanda , lucrum , quod ex trapeto redeat , com-
putetur.“
2. „Ut doctrinae de libero arbitrio fata in scholis veterum
philosophorum brevius, in placitis nostratium vero, eX
quo Kantii sententia innotuit, uberius enarrentur.“
3. „Ut exhibeantur, apteque disponantur, adscripta notation
temporum, Ephori Cumaei fragmenta breviora, certe
plurima: longiora, quae quidem apud Diodorum alios-
que exstant, indicentur, fiatque judicium de ejus scripto*
ris rebus, fide, arte et indole,“
4. „Ut Carminis egregii et antiqui de 8. Hannone, Archie-
piscopo Coloniensi, quod Opitius, Schilterus, Bodme-
rus et Hegewischius ediderunt , aetsa , quantum fieri
3
potest, definiatur , indoles et virtutes explicentur, textus
apte disponatur, atque historica et crilica annotatione,
denique versione in recentem sermonem vernaculum
illustretur, ‘*
E ‘ 4»
Ynktundigung.
Unter dem Titel:
Cornelia, oder die deutſchen Abende,
erfcheint mit dem Jahr 1813 eine Monatfchrift für Frauen, zu wel
cber ſich eine Anzahl unfrer vorzuͤglichſten Schriftfteller mit den un
terzeichneten Herausgebern vereinigt hat. Der Tahrgang, aus 12
‚Monatheften beftehend,, Foftet durch das ganze Großherzogthum 6 fl.
Die Hauprfpedition har dad Poſtamt in Heidelberg übernommen. Die
Buchhandlungen wenden fih desfalld an die Mohr: und Zimmer:
ſche Buchhandlung iu Heidelberg.
— J. Rehfueß, Bibliothekar Sr. K. H. des
Kronprinzen von Wuͤrtemberg.
A. Schreiber, Profeſſor.
Buchhändler - Anzeigen
Zur Vermeidung von Collifionen macht Unterzeichneter befannt,
daß von
Charles Bell System of operative surgery foun-
ded on the Basis of Anatomy. 2 Vol. gr. 8
London 1808 —- 11. Mit Kupfern.
welched einen Schag neuer Erfahrungen enthält, und den Stand»
punft bezeichnet, auf dem die praftifhe Chirurgie jegt in England
fteht, zur Dftermeffe 1813 eine deutfche Ueberfegung von Hrn. Dr.
Kosmeli, herausgegeben und mit Vorrede 2c. verfehen, von Hrn.
Hofrat und Profeffor Dr. E. 5. Gräfe, in feinem Verlage er
feinen wird. Alle Buchhandlungen nehmen vorläufig Beſtellungen
auf diefed wichtige Werf an.
Berlin. J. € Higig, Buchhändler.
Die Sonntagdftunde
In dem reigenden Umfreife von einigen Stunden, nahe dem
freundlichen Städtchen — i — in erwuͤnſchter, Doch nicht allzumeiter
Entfernung von der Reſidenz — r — und der Handelsftadt und Aka:
demie — e —, leben einige auögezeichnete Männer ein wirkliches
A
Leben in Stilfe und Natur. Sie find aus verfchiedenen Ständen ,
von verfchiedenem Alter, verfchiedenen Anlagen und Kräften: aber
alle Eines Gotted und Eined Herzend, und dur die Gewalt geiftis
ger Anziehung unzertrennlich vereiniat. Ale find Männer; Durch Lei:
den nicht muthlos, dur Gluͤck nicht unbefonnen, durch Lectüre nicht
abermigıg, durch den Reichthum ihred Wiffens nicht hochmüthig, find
fie gang und rein, Yozu Die Natur fie beſtimmt hat. Das Feuer ihred
Lebens iſt von der Zeit nicht verzehrt worden, weder Hof und Welt,
noch die Wafferfahrten der Gemeinheit haben. ed hutzulöfchen ver:
nıccht, Erfahrungen aller Urt haben es nur geläutert. Unfere Bun:
desgenoſſen find chriftiih und fromm, aber fie find ed in heiterer
Goͤttſeligkeit; auch fcheint e& ihnen etwas unmeife, in Dunkelheit zu
ftraucheln, mo Das belle Sonnenlicht jeden Schritt ſichert, und dag
Herz erquide. Sie fünnen beten aus der Tiefe zu Dem Gott in der
Höhe; aber fie koͤnnen auch fderzen, Thorheiten befächeln und fie mit
Witz betrafen. An dem heiligen Tage jeder Woche kommen fie in
— i — zuſammen, um fich zu erheitern, über nüglihe Dinge fich zu
beiehren, Geiſt und Gemüth zu erheben und zu beffern. Politik,
xuxus und Theater find gaͤnzlich von ihrer Unterhaltung ausgeſchloſ—
fen, weil fie den Eleinen Schaubühnen und dem großen Theater der
Welt nicht nahe genug find, und mit ihnen in feiner Verbindung
ftehn. Dagegen arbeiten fie unermüder in der Kunft ſtets heiter zu
ſeyn, und wichtig it ihnen jeder Gegenftand, der zu ihrer und ihrer
Familien Wohl etwas beptragen fann, er ſey irdifh oder himmliſch,
aus dem Gebiete ded Hausweſens ‚oder der Beifteöfultur.
Genoͤthigt durch Verhaͤltniſſe lebt ein Mitglied ded fonntäglichen
Mereind wieder in der Handelöftadt , ein anderes in der Reſidenz;
Doch find fi e von ihren Freunden nicht getrennt. Gegenfeitige Mit
theilung verichönert ihnen noch immer ihre Sonntage. Aus bdiefen
Mitheilungen wird ein Blatt entfiehen, unter dem Titel: die
Sonntageftunde, meldet, wie man glaubt, unbefangenen Men:
fhen und guten Familien, die noch nicht die hoͤchſte Vollendung ers
reicht haben, die Feyer des Sonntags noch mehr heiligen und ver
herrlichen wird. |
Was eben angedeutet it, findet man noͤthig, noch deutlicher aus⸗
zufpreden: das Blatt ift befimmt für edle Gäfte, und
nicht für die Meifterfchaft der Köche, auch nicht für die für
genannte große Welt in der großen unendlichen Welt.
Bon der Sonntagsftunde erfcheint regelmäßig jede Wode
ein Bogen, auf Schreibpapier anftändig gedruckt, und zmar frühe
genug, daß ed an dem Sonntage, für melden es beftimme ift, in
den Händen der Leſer ſeyn Fann. Diefed Blatt würde viel von ſei⸗
nem Intereſſe verlieren, wenn man es in Journalgeſellſchaften —*
festum leſen wollte, und es fällt in die Augen, daß ed feinen Zwed
5
am beften erreicht, mern es fich die Familien ſelbſt anfchaffen. Ded-
halb ftelit auch der Verleger den Preis fo niedrig als möglih, und
wird den ganzen Jahrgang für 3 Thlr. Voraus bezahlung überlaffen.
Mer ed möcentlih zu erhalten mwünfhe, der beliebe ed bey dem
nächften Voſtamte ſeines Orts oder bey der Leipziger Zeitungserpes
dition, melde die Hauptverfendung übernommen hat, zu melden.
Mer ed monatlich zu erhalten wuͤnſcht, der wende ſich an die nächfte
Buchhandlung oder unmittelbar an mich felbft.
Grimma im November 1812,
G. J. Goͤſchen.
ò—w“ —
Neue Werke über die Civilgeſetzgebung Frankreichs.
Unter dem einfachen Titel: De la competence des juges de
paix , hat Herr Baron Henrion von Perſey, Bräfident des Caſſa—
tionshofes, ein wahrhaft claffiiches Werf herausgegeben, wovon "die
zweyte Auflage erfchienen ift, melde 25 Capitel mehr als die erfte
"und außerdem viele Verbefferungen enthält; dieſes für Nichter, Kries
densrichter, Advocaten, Sachwalter und Geſchäftsmaͤnner jeder Art
fehr nuͤtzliche Buch ft von Hrn. Präfident Blanchard, ruͤhmlichſt
befannten Leberfeger von Maleville’s Commentar, in die deutfche
Sprache überfegt worden. Preid 8 Francd. 4 fl... 2 Rthlr. 8 ggr.
Herr Baron Havard von Langlade, Faiferl. Rah bey dem
Caſſationshofe und Mitglied der Commiſſion, welche bey dem Staats
rathe in Streitfachen erfennt, hat eine Abhandlung über die Privis
fegien und Hypotheken befannt gemacht und alle feit der Erſcheinung
des Geſetzbuchs Napoleons über diefen wichtigen Gegenftand der Civil:
Gefeggebung erfaffenen Geſetze, Faiferl. Decrete, Gutachten des
Staatsraths und Urtheife des Caſſationshofes geſammelt; diefed Werf
"bietet ein vollſtaͤndiges Geſetzbuch des Hypothekenweſens dar, und
fiefert alle Verbeſſerungen, die darin feit 8 Jahren gemacht worden
find; Hr. faiferl. Procurator Anton Keil, Derfaffer des gefchägten
Handbuchs für Maire, Adjuncten , Polizey : Commiffäre ꝛc. hat
ſolches jn die deutſche Sprache überſetzt; Preis 8 Francd. 4 fl.
2 Rthlr. 8 agr.
Man kann diefe Werfe in franzöfifher oder deutfher Sprache
durch alle folide Buchhandinngen beziehen.
Keilifche Buchhandlung in Köln.
Ben derfelben Buchhandlung it die vierte Auflage des Gefeg-
buchs Napoleons , Die dritte des Handlungsgeſetzbuchs und die
zweyte des Criminalgeſetzbuchs erfhienen, Weberfegungen von Hrn.
Daniels und Blanchard, welche befanntlich zu Folge des durch
den 145. Artikel des Faiferl. Defrerd vom 4. Julius 1811 genehmigten
Beſchluſſes der Regierungd : Commiffion in den nordifchen Departe:
menten Sranfreich6 gurgebeißen worden find.
—
Progreffived Lefebuh für den Anfänger.
So viel brauchbare und nüpliche Lefebücher für die Jugend auch
unfre Zeit hervorgebracht hat, fo fehlt es. demohngeachtet an einem
Elementarlefebuche , welched durchaus der Faͤhigkeit der Anfänger an-
gepaßt wäre, und mit der Entwidelung des findlihen Geiſtes zu—
gleich vom Leichteren zum Schwereren fortfchreite.
Diefed wichtige und ſchwere Probfem fucht der Verfaſſer dieſes
Leſebuches zu loͤſen. Es iſt in jeder Hinſicht progreſſiv, in Hinſicht
der Wortbildung, Conſtruction und Periodenbaues ſowohl, als auch
Inhalts der Leſeübungen. Jeder denkende Lehrer wird in dieſem
Buche ein erfreuliches und gewünſchtes Hülfsmittel finden.
Preis 36 Er, oder 8 ggr. ſaͤchſ.
Gießen im Sept. 1812.
Georg Friedrich Taſchée.
In der Andreaͤiſchen Buchhandlung zu Frankfurt am Main
iſt erſchienen:
Archiv für das katholiſche Kirchen- und ———
vorzuͤglich in den rheiniſchen Bundesſtaaten. Drit—
ten Bandes, erſtes Stuͤck, gr. 8. 16 gr. oder 1 fl. 12 fr.
Inhalt.
I. Materialien zur Geſchichte der Pfarrmatrikeln und Wuͤnſche über
die Fünftige Einrichtung und Benugung derfelben.
II. Ueber die Begebung der Pfarreien.
III. Sormular zur Einfegnung der Ehe.
IV. Materialien zu einer Geſchichte der Prozeffion mit dem heiligen
Altaröfaframente.
V. Können die penfionirten Stiftögeiftlihe zu Pfarreyen oder zu ans
dern kirchlichen Geſchaͤften verwender und rechtlich angehalten
werden ?
VI. Ein Beytrag zur Frage: ob dad Vermögen einer, mit einem
aufgebobenen Stift oder Klofter verbundenen Pfarrkirche, zugleich.
an den entfchädigten Zürften übergeht ,„ dem Das Stift oder
Klofter zugefallen iſt?
VII. Der jetzige Zeitgeift in Beziehung auf die gelehrten un
vorzüglich auf die Gymnafien.
VIH. An die Redaktion des Archivs, über den Auffag im zten Bande,
ten Stud: Unterfuhung über dag Weſen der Schwarzifchen
y Erziehungslehre.
Verordnungen , Recenfionen und Miszellen.
Ankuͤndigung.
Aufgemuntert durch die bisherigen ſchmeichelhaften Nachfragen,
ſind die, ſeit vielen Jahren bekannten Muſici, Herren Korbmann,
Vater und Sohn, geſinnet, ihre ſelbſt componirten Taͤnze in Druck
herauszugeben, wann ſich dazu eine hinreichende Anzahl von Abon—
nenten finden wird. , Alle. drey Monate wird ein Heft von zwoͤlf
neuen Stufen, (Walzer, Allemands, Hopfer und Langaus) für das
Pianoforte, zwey Floͤten und zwey Violinen, befonderd ‚geiegt er:
ſcheinen, und mitunter auch neue Lieder mit Melodien. Die Abon—
nenren bezahlen für 48 Stüdfe oder vier Hefte, für jedes Inſtru—
ment 4 Schweizer: Sranfen (2 fi. a5 fr. im 24 fl. Fuß) bey der
Lieferung des erften Heftd , für ein Jahr zum Voraus. Jeder Abon-
nent ift höflich erfucht , ſich in franfırten Briefen beym Verleger
J. % Burgdorfer zu Pfiltern in Bern ſelbſt oder bey einer der
untengenannten Buchhandlungen zu melden, nebit feiner refp. Adreſſe
auch Dad Inſtrument anzuzeigen , für welches er abonnirt. Die
Tänze werden in fauber gefärbten Umfchlägen, mit Titel und In—
haltsverzeichniß , gleihen Typen und auf gleichem Papier ericheinen ,
wie die Schweizer Kühreiben. Vorzuͤglich merden die Herausgeber
trachten , durch Fleiß und Gefhmad in der Compofition dad Zus
trauen ihrer reip. Gönner immer mehr zu verdienen. Dad Abon:
nement ift um obgemeldten Preid bis zum 1. März 1813 offen, nad:
her mırd der Preis Des Tahrgangd in vier Hefte zu fehd Schweizer
Sranfen (4 fl. 8 fr. im 24 fl. Suß) feflgefent. Bern den 24. No—
veniber 1812. |
Auf diefe Sammlung nehmen auch Abonnements an:
In Deutſchland:
Herr C. G. Schmidt, Buchhändler in Leipzig.
— Friedrich Campe in Nürnberg.
— Andreäifhe Buchhandlung in Frankfurt a. M.
— Mohr und Zimmer in Heidelberg.
An der Schweiz auffer dem Verleger felbft:
Herr Samuel Flick, Buchhändler in Baſel.
— Huber et Comp. in St. Gallen. |
— Hurterifhe Buchhandlung in Schaffhaufen.
— Zaver Meyer, Buchdruder in Luzern.
— Hs. Georg Naͤgeli et Comp. in Zürich.
— Gauerländer, Buchhändler in Aarau.
— GSteinerifhe Buchhandlung in Winterthur.
Bekanntmachung an die Hhn. Seefforger und Schullehrer.
Raftart. Ben dem Hofbuhdruder Sprinzing dahier ift fd
eben erf&ienen und in allen guten Buchhandlungen , in Heidelberg
bey Mohr und Zimmer, zu haben:
Gefänge für die liebe Schul: Jugend; gefammelt und
in Muſik gefegt von I. I. Efert, Hauptlehrer an der Mu:
fterfchule in Raftadt. 9 fr.
Dad dazu gehörige Mufifheft Eoftet gebunden 20 fr.
Da die meilten, bi jet erfchiendnen Liederfammlungen für
Kinder theild zu meitläuftig und Foftfpielig, theild auch in Hinficht
auf ihre wenigen Melodien zu ſchwer find, fo hat man bey den vor-
liegenden Gefängen eine zweckmaͤßige Auswahl aus den beften Lieder-
ſammlungen getroffen, die Melodien mit möglichfter - Sorgfalt dazu
fomponirt, und — nad dem Wunfche vieler £ehrer — mehrere die:
fer Gefänge mit verſchiedenen fareinifchen Lettern gedrudt.
Den 18. November 18124
Bey Friedrich Jöſeph Ernft in Duedlinburg ift verfegt
und in allen Buchhandlungen zu haben:
Neues U B C-Buch für Kinder, welche auf eine fehr leichte Art
buchſtabiren und fefen lernen wollen, mit illum. Küpfern, 3te
Aufl. gebunden 14 gr.
Neues A B EC: Spiel für Kinder in Futteral mit illum. Kupf. 8 gr.
Geſangbuch für den öffentlichen Gotteödienft in der Didced Quedlin—
burg, nebft Gebeten, revidirt und mit einer Dorrede- begleitet
von Dr. 5. U. Hermed. 8. weiß Papier 12 gr.
Namenſpiel zum Zeitvertreib und zur Erweckung des Nachdenfend ,
2te Aufl. in Couvert 4 9%
Ünterhaltungen für die Jugend zur nüglichen Selbſtbeſchatigung und
Belehrung. Neue Aufl. 8. 10 gr.
Ziegenbeins, J. W. H., Leſebuch für Deutſchlands Töchter, zur
Bildung des Geiſtes und Geſchmacks, zter Thl. 8. ı Thlr.
Deſſen Blumenleſe aus Frankreichs vorzuͤglichſten Schriftſtellern für
aa Töchter, nebſt Wörterbuche, zter uud legter Theil,
22 gr.
Drudfehlerangeige.
&n No. 58. der H. Jahrb. ©. 925 3. 13 ftatt Mode lied Meden.
— — 78. — — — 17240 — 18 fi. Dativ l. Ablativ.
intel. Bf. 1812. No. 17, u. 1: ©. 133 3.28 flatt Brufthöhle lied
Baudehoͤhle.
Intelligenzblatt 1813.
IV”. 77.
RL DLR SL LI —— —— —— ————— —— ———
Chronit der Univerſitaͤt Heidelberg.
err Prof. Nägele erhielt von phoſikaliſch-medieini—
ſchen Soeietaät zu Erlangen dad Diplom als actives auswaͤrtiges
Mitglied.
Am 30. Dec. v. J. geſchah der jaͤhrliche Decanatswechſel. Das
Decanat der theologiſchen Facultaͤt uͤbernahm Herr Geh. Kirchen⸗
rath Paulus, der juriſtiſchen Herr Hofrath Thibaut, der
mediciniſchen Herr Profeſſor Nägele, der philoſophiſchen
Herr Geh. Hofrath Langs dorf. Director der ſtaatswirthſchaftlichen
Section wurde Herr Profeſſor Eſchenmayer.
Herr Prof. Wilken wurde von der dritten Claſſe des kaiſer—
lichen Inſtituts von Frankreich in deren Sigung am 19, Der.
vor. J. zum Gorrefpondenten ernannt.
Ehrenbezeugung und Beförderung.
Herr Prof. Kaſt ner zu Halle erhielt von der medieiniſchen
Faeultaͤt zu Gießen am 21. September vor. Jahres die Doctormürde.
Seine Koͤnigl. Hoheit der Großherzog von Heſſen haben den bis⸗
herigen Großherzoglich Frankfurtiſchen Juſtizrath und Profeffor an
der Rechtsſchule in Weplar, den ruͤhmlichſt befannten Eiviliften Egid
von Loͤhr, zur fechdten ordentlichen Profeffur des Rechts an der Unie
verfitär Gießen zu berufen, und demfelben indbefondere die Fächer
der Rechtsgeſchichte, der Hermeneuti£ und der civiliſtiſchen Eregefe zu
übertragen geruher. Der Herr von Loͤhr hat diefen Ruf angenommen,
und wird mit dem Anfange ded Sommer: Scmefters dieſes Jahres
feine Vorleſungen in Gießen beginnen.
(2)
10
#
Antwort des NRecenfenten
auf die Antifritif des Hrn. Prof, D. Fr. Ruͤhs in der Halli
fchen allgein. Lit. Zeit. 1812. No. 318. gegen die. Recenſion
feines Buchs über die Edda in den ymas Jahrb. 1812,
Det. No. 61, 62,.
Ich verfpreche, aud großer Neigung zur Sache, mich darauf eine
zulaffen, wenn Herr Prof. Ruͤhs in feiner zufünftigen Antwort auf
meine Necenfion feined Buchs, mad weder diefed noch fein Ton, den
er für fich behalten mag, verdient, wirflich etwas vorbringt, fey -
ed auch dad geringfte, die gegenwärtige enthält gar nichtd und
fingt blos um eine Note zu Hoch. Wielleicht geben indeffen noch Andere,
welche von der Sache wiſſen, ihre Stimmen ab (die in der Leipziger
Lit. Zeit.. 1812. Nr, 287. 288. flreitet offenbar nicht für Hrn. Ruͤhs),
wie mar mir eben fchreibt, daß zwey Däniiche Gelehrte ſich die Mühe
nehmen wollen, fein Buch zu beleuchten. Nur zweperley halt ich mir
aus: erſtlich, daß er nicht fordert, ich, ſolle ſeine Worte anders neh⸗
men, als wie ſie einen Sinn geben, und ich nicht verbunden bin bey
meinen Ausdruͤcken mich nach ſeinen Hypotheſen zu richten; wenn er
J. B. fein Werk gut nennt, ich ſchlecht, fo meinen wir beyde ganz
gewiß daffelbe, ohnbefchadet des großen Unterſchiedes unferer Worte,
ebenfo meint er unter Islaͤndiſcher, ich Calt)nordifcher Poefie dDiefel:
ben Monumente, von denen und derer Sprade die
Rede if. > Zmentend, daß er mehr als ein Paar rothe Schuhe
*) Für diejenigen, welche fih die Mühe nehmen mollen, herab«
zuſehen, fteht hier noch eine vergleichende Tabelle:
Herr Rühs, „der Forſcher,“ Der Kecenfent.
(Antifritit ©. 851.) ©.662. Hr. R. behauptet, „die
©. 115: „Die Jeländifhe Diht- Island ſce Dichttunſi habe eine Men:
funft hat eine Menge von Würs ge, von Wörtern, die nicht in der ge⸗
tern, die nicht in der gewöhnlichen möhnfiden Caltnordifhen und
Sprache, viel weniger in den übri- heutig Islaändiſchen) Spra—
gen Dialeeten vorkommen; dieſe che, viel weniger in den übrigen
Wörter find meiſtentheils Angel: Dialecten vorfommen, diefe Wörter
nn. _ — i — J 850. ſepen meiſt Angelſaͤchſiſch.“
. 09. M⸗m es ſoget, LO WENH Nach meiner Anſicht ſind
Hr. W. C. Grimm ſelbſt mich ver⸗ —— Denkmaͤler (die Edden,
ſtanden, Scaldenlieder ꝛc) feine befondere
Islaͤndiſche, fondern allgemein nor⸗
diſche Poeſie, dies habe ich klar aus⸗
edrückt, indem ich die „gewoͤhnliche
prache*, worunter Hr. Ruͤhs offen⸗
bar die Islaͤndiſche verfteht, durch die
altnordifhe und heutig Islaͤn—
41
mit zum Tanz bringt, und dann etwas beffered weiß, ald daß Straa
(ſprich aus: Stro) nit Stroh, fondern Halm; ſpaed „nicht
ann, fondern zart“ (tauſchen die Worte nur ihre Gtelle, fo macht
die Antikritik ſchon den Unterfchied zwifchen beyden fichtbar genug),
x -
aber nun, da ed and Widerlegen
gehn foll, ſchiebt er mir folgente
unfinnige Stelle unter:
difche erklärte (die legrere kam hinzu,
meil fi befanntlih auf Island die
altnordifhe Sprache mir geringen
Abweichungen erhaftten), um nicht
daffelbe zweymal hinter einander zu
fagen, und weil es ſich von ſelbſt vers-
ftand, ich auch überall von nordi⸗
fer Poefie ſprach, iſt vorher bey
„Islaͤndiſcher Dichikunſt“ nicht auch
in Parentheſe, d.h. altnor diſche
* worden. Bey der Wider⸗
egünmg, daher, mo ich nicht mit
dem Forſcher die nach allen Seiten
unfinnige Hoporhefe von der freyen,
unmittelbaren Erfindung der altnors
diſchen Poefte-auf Island annehmen
©. %5. es kommt bier
Darauf an, zu bemeifen,
daß eine große Anzahl.
Wörter, die in der nordi—
ſchen (ich fage: Islaͤndiſchen)
Poeſie vorkommen, ſich
weder in der nordiſchen
(ich ſage: Islaͤndiſchen) Proſa,
noch in einem andern Dia—
lect der Germaniſchen
(ic) fage: nordifhen) Sprache
finden, fondern lediglich
im Angelſaͤchſiſchen.“
wolite, mußte sch mich durchaus alfo
auddruden : |
S. 965. ed fommt bier nur Darauf
an, zu heweiſen, daß eine große Ans
zahl Wörter, ‚die in der nordifchen,
(Zufag: verfteht fih nach dem obi⸗
gen von ſelbſt, bey Hrn: R. Islaͤm⸗
biſchen) Poeſie vorfommen, ſich
weber in der nordiſchen (Zuſatz:
verſteht ſich von ſelbſt bey Hrn, R.
Jelandiſchen) Proſa, noch in
einem andern Dialect der Germani⸗
ſchen Sprade (Zu ſatz, d. h. der
nordiſchen und Deutſchen,,
denn die letztere darf nicht ubergangen
werden, faͤls der Satz dee Forſchers
einigen Sinn haben full, wenn ſich
im Angelfaͤchſiſchen nicht allein die:
Wörter wiederfinden, fondern noch
bey einem andern Glied der Familie,
mie fann das Borgen dorther daraus
efofgert werden ?) wiederfinden,
andern fediglich im Angelfächfifchen.
Anmerf. Daß ib meine Worte
anführre, ift au daraus Flar, daß,
ich fie nicht mit Haͤckchen bezeichnete,
welches bey des Forſchers feinen ges
fchehen ift. |
Mer nun Luft hat, etmad Gemeined zu leſen, der ſehe in der
Antikririf nach, wie der Forfcher weiter fpricht, über Verfaͤlſchung u.
dergi. mehr; welche fo gewiß nicht da ift, als fie da if, wenn erg. B.
angibt, ich halte feine Hypotheſe vom Angelfächfiichen Urfprung für
12
Sang nicht Gang, fondern Saug (welches Ichtere wahrſcheinlich
wir alle drey: der Forſcher, der Eorrector und ich gewußt. haben,
deſto Rrafbarer der zweyte, daß er ed har fliehen laffen , deſto piei
der erſte, der es dem dritten zur Laſt legt,) heißt, und daß in eine
nach dem Dänifchen (vor 4 Jahren oder länger aus Gefälligkeit )
überfegten Lied, dad ohne mein Wiffen dort abgedrudt worden, mies
wohl ich nichts dagegen habe, eine abfichtliche Sreyheit unerlaubt ſey,
—— uͤberſetzt er nach ſeinem Verſtand:
legt ihn an ihre volle Bruſt
Vogelſang iſt ihre Stimme
und — iſt ihre Luſt, ſo kommt er zu jenem Poeten, der es vor
allen zu ie hoffte , wenn er ſprach:
Ich bin genannt der Hänsleln Stolz,
und führ' einen Wagen mir Echeiter,
die: Hauptidee, mährend ich fie nur: ald das einzige neue und eigens
thämfiche angegeben: die Hauptfache ift das alte, von Schloͤtzer und
Adelung ſchon übrig befannte, hier mit einer fhnarrenden Rede blos
neu aufgefteift u. f. m. Uebrigens ift dem Rec. (will er zu feiner
Schande befennen, aber wer fann eine fo gründliche Forſchung aus:
feeren ?) doch noch ein neuer und eigenthümlicher Gedanfe entfchrüpft,
auf den ihm der Leipziger Nec. erft wieder aufmerkffam gemacht. Thord
Bilde fepte man täglich vier Brote und darnach im Verhäftniß Fleiſch
vor; ald aber das Idol niedergeftärzt wurde, wimmelte das innere
von Mäufen, Eidechfen und andern Thieren, „die“ fegt der Forſcher
und mit Bedacht hinzu, „fich die Opferfpendungen vermuthlich zug:
neten“ ©. p. 12 feines Werfs. Was ift wahrſcheinlicher als Diele
Vermuthung! wie mögen fih die Thiere über die guten Biffen herge—
macht haben, die man doch gewöhnlich zum Dpfer bringt! auch hierin
zeigt fih dad Feine der dee auffallend. Hätte und dad Gluͤck ges
lächelt und Hr. R. felber etwa den Hergang helauſchen und mir eigenen
Augen den Betrug der unverfchänten Thiere entdecken koͤnnen, fo wäre
alles unnüge Geſchwaͤtz über die Aechtheit der nordifhen Mprhotogie
laͤngſt abgefchnirten. Denn Rec. muß ed nur geftehen, Daß er in
einigen ſchwachen Minuten daran gedacht, ob der höfzerne Klotz, denn
das Dpfer mar doch einmal fort, nicht etwa am Ende aus Uebermuth,
oder wer weiß aus welchem andern Grund, Luft befommen, und fib
auf irgend eine Art darüber erbarmt. Zu ded Rec. Entſchuldigung
dient hoͤchſtens, daß das Holz doch unter gewiſſen Umſtaͤnden, kracht,
knallt, als waͤr es ordentlich bey Leben und Verſtand (z. B. wann es
verbrennt wird), und ſedann eine gewiſſe Ideenverbindung mit einem
oben im Text hernach vorkommenden Vers, in welchem er den kunſt—
reich verſteckten Reim entdeckt, in den zwey Zeilen, was einem ja wohl
widerfaͤhrt, verwechſelt und dadurch aus dem Holz eine lebendige Per—
fon bekommen. Aber wie wird das alles von jener fo ſcharfſinnigen
und doch hoͤchſt einfachen Erklärung des Forſchers niedergefchlagen !
13
Wo er if, will ich nicht verrathen, fonft trägt ihm Hr. Prof. Rühs,
feiner. Forſchungen wegen , die Zeit Foften, die Ausarbeitung der Anti⸗
fritifen auf, und ic muß gegen vereinigten Scarffinn. £ampfen.
Damit hab’ ih. auf das geantwortet (welches ich «Id Rec. dem
Inſtitut ſchuldig bin, fonft würden mich die Paar Tropfen guter Tinte
dauern, die ich daran menden müßte), was gewiß noch den meiften
Schein har in der Antifritif; wer unfern Forſcher verfteht, weiß, daß
ed ftarf auf die Sache eingeht, wie das übrige. Ich benuße dieſe Ger
legenheit, einen wirflichen Sehler in meiner Ueberfegung, der Kaͤmpe⸗
Difer anzuzeigen, Staa naͤmlich im Lied von dem Helden Vonved
D. 42. u. 46. heißt nicht (mie font) Riegel, fondern Schlehe, mas
au in dem Zufammenhang einen beffern Sinn gibt; ich verdanfe
Diefe Bemerkung meinem Bruder.
Eaffel im Jannar 1813; Bw. C. Grimm.
Un ; eige,
die Leipziger Literatur. Scidass
betreffen».
Die Leipziger Literatur : Zeitung , welche fich der fteigenden Theils
nahme des Publicumd erfreut, wird: auch im nächften Jahre auf gleiche
Weiſe ununterbrochen fortgefegt. In allen Monaten diefed Jahrgangs
find mehr Stuͤcke, als verfprochen wären, geliefert, und die bedeutend
ten Werke ded In- und Auslanded angezeigt: und beurtheilt, in dem
intelligenzblättern erhebliche literariſche Nachrichten und Beytraͤge ge⸗
liefert worden. Wenn Died zu feri Ermartungen berechtigt, fo wer:
den die -Redaction. und der WVerlegef, Diefe Erwartungen zur erfüllen,
mit Eifer beinuhr fen.
Leipzig den ı2. November 1812.
Die Redaction der Leipz. Lit. Zeitung.
Buhhbandler- Anzeigen.
So eben ift erfehienen :
Dr. Yug. Gottl. Richter Brof. zu Göttingen) neue medi—
einifbe und chirurgifce Bemerkungen (auch ald zr
Band der Altern 1793 gedrudten). Aus einem hinterlaffenen Mas
nufcript herausgegeben von Dr. G. A. Richter: 16 gr.
und unter der Preffe ift:
Die fpecielle Therapie von: Dr. Aug. Gottl. Richter
(Prof. zu Göttingen). 4 Bände. Aus feinem Nachlaß von Dr.
G. A. Richter
Die zwey erften Bände werden die acuten, die zwey legten die
chroniſchen Krankheiten enthalten.
Die Er. Nicolaifhe Buchhandlung
in Berlin und Stettin.
—
414
Bey Webel in Zeit find zu haben:
Briefe über den Rationalismud. 8. 1812. 1 Thlr. 12 ar.
Dieſes gelehrte und gründlihe Werk eined geachteten Theologen
fucht die fhmanfenden Urtheife zu berichtigen, die feit der Erfcheinung
von Reinhards Gefkändniffen über befagten Gegenitand gefällt
worden find. Außer diefem -Zeitinrereffe macht ed ſich aber auch durch
feinen gediegenen und befonnenen Inhalt für jeden gefehrten Theologen
unentbehrlich. Sey auch fein Dogmatifhed Syſtem, melched ed wolle,
Feiner wird es * Achtung für den Verfaſſer aus der Hand legen.
Ben Hemmerde und Schwetſche zu Halle if erfchienen und
bey Mohr und Zimmer in Heidelberg zu haben :
Ciceronis M. T. Epistolae ad Atticum etc. — ord. —
cura C. G. Schützii. Tom. VItus et ult. &maj. ı Thlr. 12 gr.
Eberd, Joh., theoret. und praft. Grammatik der Engliſchen Sprache.
Vierte Auflage. ar. 8 16 gr.
Evangelienbuch, dad, für Die Eonn= u. Feſttage des Jahrs. 12. 39t.
Jacob’s, G. C., Taschenbuch zum täglichen Handgebrauch für
Aerzte und Wundärzte auf das J. 1813. 8, geb. 20 gr.
Kapßlers, A. D. ., Grundfäge der theoretifchen u. praft. nn 8.
ı Thlr.
Taſchenbuch, taͤgliches, fuͤr Landwirthe und Wirthſchaftsverwalter auf
das Jahr 1813. Mit ı Kupf. 8. gebunden. ı8 gr.
Zeitung, landmwirthfchaftliche, auf 1812. oder der praftifche Land= und
Hauswirth. Herauögegeben | G. H. Schnee. 1or Jahrgang
75 bis 128 Heft. 4.. Der Jahrgang 2 Thlr. 16 gr.
Periodiſche Schriften.
Don ded Hrn. Profefford u. Obermundarzted Dr. B. v. Siebold
zu Würzburg Zeitſchrift: Chiron ift das erfte Stuͤck des III. Bandes
nebft 3 Kupfertafeln erſchienen, und enthält theild fehr lehrreiche Auf:
füge von Schreger in Erlangen, Walther in Landehut, Michae:
lie in Marburg, Sander in Nordhaufen u.a. m., theild gründe
fihe Auszüge aus mehrern intereffanten ausländifhen Söpriften über
chirurgiſche Gegenflände.
Um alle Collifion mit andern medicinifch- chirurg. Zeitfehriften zu
vermeiden, fo wird hiermit zugleich befannt gemacht, Laß vom bald
erfcheinenden zten Stüde des III. Bandes des Chiron an, ein aus—⸗
führfiher Auszug aus den 3 Bänden von den hoͤchſtwichtigen Me-
moires de Chirurgie militaire et de campagnes de D. J.Larrey
(& Paris 1812.) erſcheinen wird.
Sulzbach den 30. November 1812.
Seidel’ iR: Ran und Buchandiung.
15
In unferm ‚Verlage ift erfchienen :
Sammlung feltener und auserlefener ebirurgifcer
Beobahtungen und Erfahrungen deutfher Aerzte
und Wundärzte. Herausgegeben von Dr. I. 3.0. Sie bold,
ordentl. Profeffor der Chirurgie und chirurgifchen Klinik, und
„ Dbermwundarzte des Tuliusfpitald zu Würzburg. Dritter Band
. . mit 3 Kupfern. Preid 2 Rthlr. 12 gr. oder 4 fl. 30 fr.
Wir wollen, um den Liebhabern die Anfchaffung diefed nüglichen
Werkes zu erleichtern, den Ladenpreis der zwey erften Bände, welcher
4 Rıhir. 12 gr. beträgt, bis zur Jubilare Meffe 1813 auf 3 Rthlr.
er 5 fl. 24 Er. rhein. herabfegen, um welchen ed in jeder guten
Buchhandlung wird zu haben feyn.
Arnſtadt im November 1812. SEEN |
Klügerfde Buchhandlung.
Ben Hever und Ledfe in Darmftadt ift erfhienen:
Annalen der. Forft- und Jagdwiſſenſchaft, herausgeg. von C. P. Lau⸗
rop. ar Band 48 Heft. 8. brod. 16 gr. oder ı fl. ı2 fr.
Dahl, K., Hifter. topogr. ſtatiſt. Befchreibung des Fuͤrſtenthums
Lorſch oder Kirchengefchichte des Oberrheingaud 2. Mit einem
Urkundenbuche , Kupferftih und Steinabdruck. gr. 4.
Krönde, C., Abhandlungen über ſtaatswirthſchaftliche Gegenftände,
ır Theil. 8. 18 gr. oder ı fl. ı2 fr.
Auch ift Dad fang ermartete \
Sach- und Namend:Kegifter zu Ereuzgerd Spmbolik
der alten Voͤlker ꝛc.
fertig geworden und an alle Buchhandlungen verfandt, wo die Beliger
des Werks daffelbe zu fordern belieben.
Bo Herrn Mohr und Zimmer, SHARE in Heidelberg,
ift fo eben, angefommen und zu haben:
Bildergeographie. Eine Darftellung aller Länder
und Völker der Erde, 3r Bd. Amerifa und Auſtralien.
Mit 19 illum. und fchmarzen Kupfern und 2 Karten. Leipzig,
bep Gerhard Sleifcher d. Tüngern. gr.8. 1813. 2 Zhlr. ı2 gr.
Der erfte und zweyte Band diefed angenehmen und nüglichen Leſe—
buchd enthält Afien und Afrifa mit 42 Rupfern und Karıen. Der
vierte und legte Band, weicher Europa beſchreiben wird, erſcheint im
Februar 1813.
— —
16
Ankuͤndigungen.
Mit Anfang des Jahrs 1813 erſcheint in dem Verlage des Unter:
jeichneten eine Zeitfchrift unter dem Titel :
Altdeutfbe Wälder dur die Brüder Grimm.
Sie hat den Zweck, dad Studium und den Geifr des Deurfchen
Alterthums, deffen Werth jegt von mehr ald einer Seite fcheint aner:
Fannt zu werden, beleben zu helfen. Es if dabey nicht. die Abficht,
leichte Bemerkungen, trodne literarifhe Notizen, mit ein Paar irgend»
wo aufgefundenen Zeilen, oder was am ſich geringfügig, mit einigen
zur Unterhaltung zugerichteten Stüden zufammen zu werfen, fondern
es follen allein Quellen, bedeutend in ihrem VBerhältniß zur Ges
fhichte der Poefie, herrlich in ihrem unabhängigen Werth; Unter:
fudungen über den Zufammenhang jener Dichtungen
untereinander, melde Sorderungen an wiſſenſchaftliche Strenge
und Gründlichfeit gern befriedigen möchten; Erläuterungen über
den Deutſchen und nordifhen Heldenmythbuß derMNi:
belungen; Mittheilungen aus nicht armen Sammlun:
gen noch lebendiger Volksſage den Inhalt Diefed Werk
ausmachen. Wie die Deutfchen Poefien jener Zeiten mit denen nor:
difcher und füdlicher Völker in Verbindung geftanden, fo werden au
die letztern nicht audgefchloffen feyn. Gluͤck und günftige Werhäftniffe
haben den Herauögebern manches Schaͤtzbare aus den verfchiedenften
Gegenden zugeführt, wovon fie hier mitzurheilen gedenfen. Möhren
darum Sreunde ded Alterthums, feiner Sprache, Dichtung und Site
‚ten, dieſes Unternehmen unterflügen, wozu wir fie hiermit einfaden.
Was die äußere Einrichtung betrifft, fo wird alle Monat regel—
mäßig ein Heft von 2% oder 3 Bogen verfendet werden, jedes zu
8 Groſchen, jo daß der ganze Jahrgang 4 Thaler beträgt. Seds
Hefte machen halbjährig einen Band (2 Thlr.), zu welchem man ſich
verpflichtet. Alle guten Buchhandlungen nehmen Beſtellungen an.
Thurneiſſen in Caſſel.
—
In unſerm Verlage erſcheint naͤchſtens ein Werk unter folgendem
itel:
—Ueber die Weiber Ein Verſuch von der Der:
fafferin von Gufavs Verirrungen,
Mohr und Simmern.
Tntelligenzblatt 1813,
/V”°. ZI.
ù— ——
WEILE RL WET Lv LS LAG SD.
*
Chronit der Univerfitäten.
on der $requenz der beyden Univerfitäten Heidelberg und
Srepburg im jegigen Winterfemefter, find Durch dad Großherzogl.
Minifterium des Innern in dem Großherzogl. Badifhen Regierungs⸗
blatt vom 9. 1813. No. II. und IV. folgende vergleidhende Webers
fihten befannt gemadt worden: |
I. Univerfität Heidelberg: 1) Inländer: a. Theos
flogen 20. b. Quriften 38. c. Mediciner 18. d. Kameraliften 14.
e. Philologen s. Bufammen 9. 2) Ausländer: a. Theolos
gen 25. b. Juriften 151. c. Mediciner 13. d. Kameraliften 29,
e, Philologen 11. Zufammen 229.
Die Gefammtzahl der dortigen Studirenden befteht alfo den eine
jenen Fächern nach aus: 45 Theologen, 189 Juriften, 31 Medicinern,
43 Kameraliſten, 16 Philologen, zuſammen 324.
Hiernach ſtudiren allda in dem gegenwaͤrtigen Semeſter 13 aus⸗
laͤndiſche und 5 inlaͤndiſche Akademiker weniger als im vorigen hal⸗
‚ben Jahre.
II. Univerſität Freyburg: I) Inländer: a. Theolo⸗
gen 42. b. Juriſten 37. c. Mediciner 14. d. Chirurgen 43. e. Apo⸗
thefer 1. f. Philofophen sı. Zufammen ı88. 2) Ausländer:
a. Theologen 21. b. Quriften 6. c. Mediciner 28. d. Chirurgen 2.
e. Thierärzte 5. f. Philofophen 7. Zufammen 69.
Am Ganzen befinden fi alſo den einzelnen Fächern nad daſelbſt:
63 Theologen, 43 Juriften, 42 Mediciner, 45 Chirurgen, ı Apotheker,
5 Thierärzte, 58 Philofophen, Zufammen: 257.
Hiernach Hat id im Verhaͤltniß zur Geſammtzahl des vorigen Se⸗
meſters, welches 266 Alademifer, worunter 195 Inländer und 7ı Aus⸗
länder, ergab, die Zahl der Studirenden in diefem Semefter. vermina'
Dert um 9, im Verhaͤltniſſe der Inländer zu den Ausländern, die
Zahl der erfiern vermindert um 7, die ber legtern gleichfals ver⸗
minbertum (3)
18 n
Beförderung und Ehrenbezeigung.
Herr Prof. Neander zu Heidelberg hat den Ruf ald ordentlicher
Profeffor der Theologie an der Univerfität Berlin erhalten und anges
nommen und wird noch vor Dftern d. I. Dahin abgehen.
Die Oberlauſitziſche Geſellſchaft der Wiſſenſchaften in Goͤrlitz bat
unter Dem 29. Dcrober vorigen Jahrs den Profeifor Kaftner in Halle
zu ihrem auswärtigen Mitgliede ernannt, und demfeiben dad Diplom
zugeſchickt.
Todesfälle
Am 12. Januar d. I. ftarb zu Weimar Chriftoph Martin
Wieland.
Am 8. Febr. d. J. zu Königsberg der befannte Philolog K. G. A.
Erfurde, Herausgeber des Sophofles, im zıften Jahre feined Alters,
Er it der Verfaffer der Recenfion des Schügifchen Aeſchylus in diefen
Jahrbuͤchern 1809. Philologie, Hiftorie u. f.w, Heft VI. ©. 278 flgd.
Am ı7. Febr. d. J. zu Leipzig der Dberhofgerichtörarh und Pros
feffor des peinlichen Rechts, Chriftian Daniel Erhard.
Veberfebkungs- Anzeige.
Bon den, vor einiger Zeit in Paris erfchienenen und mit vielens
Beyfalle aufgenommenen „Particularites et observations sur les
Ministres des finances de France les plus celebres, depuis 1660
jasqu’en 1791 habe ich bereitd eine Deurfche Bearbeitung begonnen;
welches ich hiermit zur Vermeidung jeded unangenehmen Zufams
mentreffend anzeige,
Shr. v. Fahnenberg.
Buhhäandler - Anzeigen.
Der philologifch : Eritifhe und hiſtoriſche Commen—
tar über dad neue Teftament, in welchem der Griehifche Tert
nad einer Recognition der Varianten, nterpunctionen und Abſchnitte,
Dur Einleitungen, Inhaltdanzeigen und ununterbrocene Scolien,
ald Grundlage des Urchriſtenthums bearbeitet it, von dem ©. K. R.
w D. 9. €. ©. Paulus, ift dur zwey ftarfe Auflagen der erften
3 Theile und des qren Theild iſte Abtheil. zu allgemein befannt und
geihägt worden, daß ich nur hierdurch die Nachricht befannt machen
will, daß ich den ganzen Vorrath dieſes Commentars Fäufli an. mich
gebracht und ihn nun um den herabgefegten Preid von 9 Thirn. übers
lafien fann, auch nad dieſem Verhaͤltniß des Preifed die einzelnen
Theile, mit der Berfiherung ded Herrn Derfaffere, daß auch nächftend
bie Sortfegung erſcheinen wird. Auch find für die Befiner der erften
19
Auflage die Zufäne ber zweyten fehr vermehrten Auflage apart gedrudt
a 2 Thlr. bep mir und in alten Buchhandlungen zu haben. Eben fo
D. ©. W. Meyer: Verſuch einer Hermeneutik des alten Teſtaments,
2 Theile, 8. jetzt a 3 Thlr.
Leipzig im December 1812. | J. 4. Barth.
—— —7—
So eben iſt fertig geworden und an alle Buchhandlungen verfandt:
Erſch Handbuch der Deutſchen Literatur feit der Mitte
ded achtzehnten Jahrhunderts bis auf die neueſte
Zeit. Zweyten und letzten Bandes erſte Abtheilung,
enthaltend die Literatur der Marhematif, Natur: und
Gewerböfunde mit. Inbegriff der Kriegsfunf und aller
Andern Künfte (mit Ausnahme der. fhönen).
Der Preid des ganzen, auch aus 4 Abtheilungen beftehenden
aten Bandes, der um das Doppelte fo ftarf werden dürfte, als der
erite Band, ift 6 Rthlr., der Preis diefer einzelnen Abtheil. 2 Rthlr.
geipzig im December 1812.
| Kunſt und Indufrie: Comptoir von Amfterdam.
Folgendes fehr intereffante Werk hat die Preffe verlaffen :
Geſchichte der Litteratur der Griechen und Roͤmer von
G. Ch. Fr. Moh nike, Conrector an der Schule zu Greifswald.
Erſter Band. gr. 8. Greifswald 1813. 2 Thlr. 8 gr.
Von den ſechs Zeitraͤumen, in welche die Geſchichte der Grie⸗
chiſchen Literatur, von ihrem Beginnen bis auf die Einnahme Conſtan⸗
tinopels durch die Tuͤrken im Jahr 1453 zerfällt, werden in diefem
Bande die bepden erften Zeiträume, und von dem dritten, welcher
von Sohons Gefehgebung bis auf Alexander den Großen geht,
wird die poetifhe Literatur abgehandelt. |
E: wird gebeten, in Der Vorrede ©. XXIX 3. 7 den unange⸗
nehmen Drudfehler 1662 in 1623 zu verbeffern, und ©. 483 2. 3
Zaffius ſtatt Tafflus zu lefen.
Bey dem Verleger obigen Buches iſt auch erſchienen: |
Veber die Schutdverbindlidfeit als Objeet ded Pfand-
rechts, nad Grundfägen des Roͤmiſchen Rechts, von Dr. Fr.
Befterding. 8. Greifswald. gr.
Greifswald 1812. Ernſt Mauritius.
— — r — —
Joh. El. Bode, Königl. Aſtronom zu Berlin x. Anleitung
‚zur Kenntniß des geftirnten Himmels. Achte verbeſſ.
Auflage mit 15 neu geſtochenen Kupfertafeln und einer allgemeinen
Himmeldkarte nebſt Transparent. 5 Thlr.
-
>
20
welches treffliche Buch ſo lange gefehlt, hat unterzeichnete Handlung
an ſich gekauft und iſt nun wieder in allen guten Buchhandlungen zu
aben.
Die Fr. Nicolaiſche Buchhandlung
in Berlin und Stettin.
Osnabrüuͤck, in der Crone'ſchen Buch- und Kunſthandlung
iſt erſchienen und durch alle gute Buchhandlungen zu erhalten :
Schönermarck, A., volltändige Anweiſung für Fran—
zoͤſiſche Notarien, in Hinſicht ihrer Rechte, Pflichten, Ver—⸗
haͤltniſſe und Geſchaͤfte ꝛc. nebſt einem nothwendigen Anhange der
Grundgeſetze des Franzoͤſiſchen Notariats in Fran zoͤſiſchem Text
mit Deutſcher Ueberſetzung und mehreren Tabellen. Herausgegeben
von Dr. R. C. Gittermann. gr. 8. Preis ı Thlr. 12 Ggr.
‚Bey Herren Mohr und Zimmer in Heidelberg find folgende
von berühmten Verfaſſern herausgegebene
vollftändige Jahrgänge von Predigten über die Evangelien N
Epifteln und freye Texte
zu haben, die ſowohl den Herren Predigern ald jedem Freunde der
Religion mit Recht empfohlen werden fünnen.
Deillodterd, DB. 8., Predigten über die Sonn» Felt: und eier:
täglichen Epifteln ded ganzen Jahres. 3 Bände. Zmepte verbefl.
. Auflage. gr. 8. 1805 u. 1806, Preis 3 Rthlr. ı2 gr.
— — Predigten über die Sonn: und Fefttäglichen Evangelien des
ganzen Jahre. 2 Bände. gr. 8. 1810 u. 1811. Preid 3 Rthlr.
— — Predigten über freye Terre auf ale Sonn: und Feſttage des
Jahres. 2 Bände. gr. 8. 1799. Preis 2 Rihlr. 12 gr.
Roſenmüllers, Dr. J.“G., Glaubend- und Sittenlehren. des
vernunftmäßigen und thärigen Chriſtenthums, in Predigten über
Die Sonn: und: Fefttagd» Evangelien des ganzen Jahre. 3 Theile,
gr. 8. 1798 u. 1799. - Preid 4 Rthlr.
— — Predigten über auderlefene Stellen der heil. Schrift für alle
Sonn = und Fefttage ded Jahres. 3 Theile. gr. 8. ıgır. ( Diefe
Predigten find bid zur Jubilate-Meſſe 1813 noch um den Pränus
merationdpreid für 2 Rthlr. zu haben, hernach if der Ladenpreis
4 Rthlr.)
Cannabis, ©. Ch., Predigten zur Beförderung eined reinen und
thätigen Chriſtenthums. 6 Bände. (Vier Bände davon enthalten
zwey vollftändige Jahrgänge Predigten über die Evangelien; von
denen auch jeder Jahrgang einzeln zu haben ifl. Die übrigen
2 Bände find über freve Texte.) 8. 1797 — 1805. 7 Rthlr. 12 gr.
21
Sintenis, €. F., Erſte Poſtille oder Predigten über alle Evange⸗
lien der Sonn- und Feſttage des ganzen Jahres. gr. 8. Zerbſt,
bey Fuͤchſel, 1798. Herabgeſetzter Preis 2 Rthlr. 12 gr.
— — Z3wepte Poſtille oder Predigten über alle Epiſteln der Sonn⸗
und Feſttage des ganzen Jahres. gr. 8. Ebendaſ. 1799.
Herabgefegter Preis 2 Rthlr. 12 gr.
Welands, J. C., Predigten über die Evangelien auf alle Eonn«
und Sefltage ded Jahres. 2 Theile. gr. 8. 1806. 2 Rthlr. 8 gr.
Heinrichs, D. F., Predigten über die Vorfehung, nach Anleitung
—aller Sonn: und Sefltagd : Evangelien. 3 Theile. gr. 8. 1811.
Preis 3 Rıhir.
Kraufe, SG. E., Predigten über die gewöhnlichen Sonn: und $eft:
tags⸗ Evangelien. ar Jahrgang. ır und ar Theil. gr 8. 1808
. und 1809. Preis 2 Rthlr.
Bon diefem Jahrgang ift der 3te u. gte Theil noch nicht gedrudt.)
Auch folgende Predigtfammlungen , die feinen Jahrgang ausmachen:
Schuderoffs, 3., Predigten in der neueften Zeit gehalten. gr. 8.
1810, Preis 2 Rthlr.
Reinhardd, Dr. F. V., Benträge zur Schärfung des firtlichen
Gefühle und der Aufmerkfiamfeit auf den Zuftand ded Herzens.
In einigen Predigten. Zweyte Aufl. gr. 8. 1813. 1Rthlr. 8 gr.
Loͤhrs, 3. 9. C., Auswahl einiger Predigten. Erfte Sammlung.
ar. 8. 1806. Preis 16 ar.
Goͤtz, ©. F., Predigten bep der Geier. des Aerndtefeſtes. 8. Neue
Auflage. 1802. Preis ı Rıhir.
— — SGredigten bey ——— ſowohl bey dem Antritte
als bey dem Abſchiede. 8. 1797. Preis ı Rthlr. 8 gr.
— — Ausführliche Belehrung über den Eidfhwur, in Predigten.
8. 1798. Preis 16 gr.
— — Predigten und Reden bey Trauungen. & 1799. 20 gr.
— — *
Ben Engelmann und Meder in Heidelberg find erſchienen,
und in allen guten Buchhandlungen zu haben:
Dümge, Dr.u. Prof., Symbolik altgermanischer Völker in
einigen Rechtsgewohnheiten, gr. $, 24 ke, = 6 ggr.
Hutten, Ulrich von, und einigen feiner Zeitgenoffen Gedichte.
Herausgegeben von A. Schreiber. Mir Hurtend Portrait. gr. 8
Weiß Drudpapier ı f. 30 fr. = ı Rthlr.
Blau Drudvelin ı fl 48 fr. = ı Rihlr. 4 991,
Raumer, Fr.a, CCI Emendationes in Lohmeieri et Gehhar-
dii tabulas genealogicas dynastiarum Arabicarum et Turcia-
rum accedunt XVIII Tabulae regens compositae. Addita
est Epistola Frid. W'ilken ad auctorem. 4. 1. = 1&.ggr.
4
2
Schreiber, A., Lebensbeſchreibung Karl Friedrichs, Broßherzogs
von Baden. brod. 48 fr. = 12 gar.
—_—— Miöcellen aud dem Gebiete der Gefchichte und Euftur. 8. broch.
48 fr. = 12 ggr.
—— Spätlinge, Erzählungen und Gedichte. Mit Kupf. 16. geb.
ı fl. zo fr. = ı Rihlr.
Spiele zur gefelligen Unterhaltung. 4. 40 fr. = 10 ggr.
Systeme, le, federatif des angiens mis en parallöle avec celui
des modernes. Par E. A. Zinserling. 8. 36 kr. = 9ggr.
Zaire Ein Trauerfpiel nad Voltaire, von Dr. U. M. Wallenberg.
Mit dem Franzoͤſiſchen Driginafe. 8. 1 fl. 20 fr. = 2u ggr.
* * x
Portrait des Geh. Hofrath May. 30 fr. — 8 gar.
In Commiffion,
Commersbuch, allgemeines. Mit geftoch. Titel und Vignette. Broch.
1 fl. 30 fr. — ı Thlr.
Koethe, Dr. $r. A. (Profeffor in Jena), zwey Vorleſungen über
; Dr. Franz Volkmar Reinhardd Leben und Bildung. gr.'®8.
Mit Reinhards fehr ähnlihem Bildniß nach Graff von Lips.
geh. 12 gr.
Dhne Bildniß geh. 8 gr,
find fo eben bey mir erfchienen und entwerfen ein ſchmuckloſes, einfaches
Bild diefed hochverdienten Mannes , dad Bild eined wahrhaft prote
ſtantiſchen Theologen. Keiner feiner zahlreichen Verehrer und
Sreunde wird fie ohne Befriedigung aud der Hand legen.
Jena im Januar 1813. Friedrich Srommanı.
Hudtwalcker, Dr. M.H., Ueber die öffentlichen und Pris
vat- Schiedsrichter (Diaeteten) in Athen und den Pro-
cefs vor denselben, gr. 8. 1812. ı Thir.
Der gelehrte Verfaſſer dieſer intereffanten Schrift bewährt dur
Diefelbe nach dem einftimmigen Urtheil der Kenner eine, in unfrer Zeit
immer feltner werdende Bereinigung gelehrter Sprach: und antiquaris»
fher Kenntniß mit juriftifher Gelehrfamfeit und Scarffinn. So
erfcheint in ihm ein fehr glüdlicher Diaetete zur Beurtheilung und
Dergleihung der vielen Streitigkeiten über diefen wichtigen Theil de&
Artifhen Rechts, und diefe Abhandlung felbft verdient den ungetheilten
Bepfall aller derer, die an diefen Unterfuchungen ein Intereſſe nehmen.
Das fchöne Aeußere entſpricht dem innern Gehalt,
Jena im Januar 1813, Friedrich Frommann.
23
In der Andreäifhen Buchhandlung zu Frankfurt am Main
find folgende neue Bücher erfhignen:
Brands, Jak., Verfuch eined Planes zur Organifation der Bürger
und Landſchulen, mit befonderer Ruͤckſicht auf Induſtrieſchulen. 8.
" ne . 1 fl. 24 fr. oder ı8 gr.
Bruͤchſtuͤcke zur Menſchen- und Erziehungefunde , religiofen Inhalts.
48 Stuͤck, die £ehre von Gott. 84 1 fl. 48 fr. oder ı Thlr.
Greve, €. E., vom Chemismus der Refpiration. gr. 4. . fl. = fr.
oder. 16.98
Elementarbuch für den erſten Unterxicht in Volksſchulen. 8. 9 Er. od. 2 gr.
Gemälde, hiftorifched, der Politik des Römifhen Hofes feit Dem Urs
fprunge feiner weltlichen Macht bis zu unfern Zeiten. Mit vors
zuͤglicher Hinficht auf die neueften Kirchenangelegenheiten. Aus d. .
Sranzöfifchen, mit Bemerfungen. gr. 8- 54 fr: oder ı2 gr.
Leinwand, über deffen Verfertigung in der Haudhaltung , eine Anleit. .
für Hausfrauen und Töchter. 8. ı fl. ız fr: oder 16 gr.
Schneiders , Eul., Gedichte. ste Auf. 8 _ 40 Er. oder 10 gt.
Loefflers, Dr. I. $r. Chr., Magazin für Prediger. VII. Bd,
1 Stud mit dem Bildniffe des Hrn. Oberkirchenrath u. Kabinetd«
prediger Dr. £. Sr. Schmidt in München. gr. 8. 1813. 18 gr.
Ein reichhaftiged Stuͤck, wie kaum eined dir vorsergehenden.
Sür den Prediger anziehend: durch die drey Pediaten von Dr.
Kochen über die Verwandiung im Tode und die Hoffnung des Wie-
derfehend; durh Heydenreichs Predige über Kurherd Aufenthalt
auf der Wartburg; durh Stolz Abfchiedöprediar in Bremen u. a.
Sur den theoretifhen und practifhen Theologen merkwürdig durch des
Herausgebers Abhandlung über die Entbehrlichfeit des Glaubens
an eine unmittelbare Offenbarung, und durch feine Beurtheilung der |
trefflichen Schrift ded Hofpredigerd Dr. Sad über die Vereinigung
der beyden proteftantifhen Kirchenparteyen in der Preuß. Monarchie.
Diefe einfache Anzeige wird hinreichen, den fi immer gleich blei—
benden Werth diefed Journals zu bewähren.
Jena im Januar 1813, Friedrich Frommann.
sur Aerzte
iſt das hoͤchſt intereſſante Werk:
Anton Joſeph Teſta, Profeſſor in Bologna, uͤber die Krank⸗
heiten des Herzens, ein Auszug aus dem Italieniſchen mit
Anmerkungen von Kurt Sprengel. Erſter Theil, welcher
die drey erſten Bände der Urfchrift umfaßt,
fo eben an alle Buchhandfungen verfandt, und in denfelben für 2 Chir.
6 gr, zu erhalten,
Gebauerſche Buchhandlung.
2
Ankündigung
Unter dem Titel: ü
D. Franz; Bolfmar Reinhard, nah feinem Leben und
Wirfen dargeftelft.
erfcheint in unferm Verlage noch vor der Dftermefle 1813 eine Schritt
zum Andenken des Verewigten von dem Brofeffor Poͤlitz in Witten
berg, Der Verfaffer wird zuerft in der Biographie das Aufere Leben,
und in der Eharacteriftif das innere Leben deſſelben, feinen Eharacır
und feine Grundfäge fchildern ; dann Reinhard ald Gelehrten, al
atademifhen Lehrer, ald Kanzelredner, ald Mitglied
der hoͤchſten geiftlihen Behörden, und ad Schriftſteller
darftellen, und mit Kragmenten auf feinem Briefwechſel mit:ihm
endigen, ganz nad dem Plane, mie Niemeyer Nöffeltd Leben jchrieb.
Dad Werf dürfte gesun 36 — 40 Bogen gr. 8. ftarf werden, und
wird daſſeibe in zwey Hälften, Die ih aber genau an einander folie
Ben und einen Band bilden, brocirt ausgegeben werden.
Der Ladenpreis wird gegen 2 Rthir. 12 gr. betragen, denjenigen
Subferibenten aber, die fich verbindlich machen, beym Empfang der
erften Hälfte ı Thlr. 8 gr. Sächf. zu bezahlen, wird Die zwepte Hilfe
gratiö nachgeliefert werden. £
Man Fann in allen Buchhandlungen zu diefen Bedingungen fub:
feribiren,
Privat - Verfonen, welche fib unmittelbar an Die unterzeichnete
Berlagshandlung direct nach Leipzig wenden, erhalten auf 6 Eremplare
das 7te gratid, und werden daher alle Verehrer des veremigten Reins
hards aufgefordert, im Kreife ihrer Freunde und Bekannten um Theil
nehmer zur Unterzeichnung auf dad hier angefündigte Werk zu bemühen.
Sollte die Unterzeichnung Den Hoffnungen der Verlagshandlung
entſprechen, ſo wird auch noch ein wohlgetroffenes und ſorgfaͤltig geſto⸗
chenes Bildniß Reinhards der zweyten Hälfte gratis zugegeben werden.
Die Namen der Subſcribenten werden dem Werke vorgedruckt.
Leipzig den 10. December 1812.
Kunſt und Induſtrie-Comptoir von Amſterdam.
Druckfehler in den Jahrbuͤchern 1813,
No. IV. ©. 5ı 3.9 lied treue flatt Treue
— — — 73 — wem flat wenn
— 59 — 12 — vielfade ſtatt einfache
— 6 — 16 — mied far wird, |
No.XIX.— 299, — ı — Gracch. fl, Graich. und fo nod) einige
Male im Folgenden.
— 19 — 2 von unten . Örachen ſt. Griechen.
—— — —
Intelligenzblatt 1813,
N. IE.
ur
Chronit der Unmiverfität Heidelberg.
m r. Sebruar d. J. ertheilte die medicinifche Sacuftät dem
Herrn Georg Kühner aus Mannheim dad Diplom eined Doctors
der Wundarzeney: und Hebammenfunft.
Am 6. März d. J. erwarb fih Herr Dr. Jur. Sebalduß
Brendel durch öffentliche Diöputation das Recht juriftifche Vorlefungen
auf hiefiger Univerfität zu halten. Seine Differtation führt den Titel:
Specimen publicum sistens jus successionis, tam ex’ clarissi-
morum, populorum institutis, inter se comparatis, quam ex
ipsius civitatis natura illustratum (gedrudt bey Gutmann). 26 ©. 4
Dad Verzeichniß der Vorlefungen für dad naͤchſte Sommerfemefter
wurde im März ausgegeben. Der Anfang der Vorlefungen ift unfehl⸗
bar am 28. April. Die angefündigten Vorleſungen find folgendes
I., Gottesgelahrtheit.
Enevelopädifche Ueberficht der Theologie: Sch. K. R.Paulus,
zmal wöchentlich.
Erklaͤrung des Buches Hiob: Prof. Wilken, 3mal woͤchentlich.
Ausgewaͤhlte Stellen des alten Teſtaments, beſonders in grammas
tiſcher Hinſicht: Prof. Lauter, 4mal woͤchentlich.
Uebungen in der Erklaͤrung der Schriften des alexandriniſchen Dia⸗
lekts durch die Lectuͤre einiger altteſtamentlichen Apokryphen und eines
Auszuges aus Philo, worauf Exegeſe des Briefes an die Hebräer
folgen wird: 8.R. Schwarz, mwöcentlih smal.
Fortſetzung ded eregetifhen Eurfus über dad neue Teftament, und
zwar GErflärung der Apokalypſe, ded Evangeliums und der Briefe
des Johannes, nebit den übrigen Earholifhen Briefen: Geh. K. N.
Paulus, smal in der Woche.
Kirchen: und Dogmengefhichte, erfter Theil, nach zu dictirenden
Theſen: derfelbe, 3mal woͤchentlich. 4)
26
Geſchichte der proteftantifchen Theofogie feit Anfang des ı8tem
Jahrhunderts: K.R. Schwarz, woͤchentlich ımal, öffentlich.
Eymbolif, oder Darfiellung ded Kehrbegriffd der Reformatoren
und der proteft. fpmbolifhen Bücher: derſelbe, woͤchentlich zmal.
Fortfegung der Dogmatik: G. K. R. Daub, gmal wöchentlich.
Prolegomena zur chriſtl. Ethik: derf. amal wöchentlich, öffentlich.
Allgemeiner Theil der chriſtl. Ethik, nah Stäudlind Lehrbuchet
derfelbe, 6mal wöchentlich
Anthropologie in Bezug auf chriſtliche Ethik: derfelbe, 6mal.—
Homiferif mit practifhen Uebungen: ER. Schwarz, amal.
11. Rechtsgelahrtheit.
Enc yelopaͤdie, Methodologie und Literatur des Nechtd, mit Vor⸗
weiſung der Schriften: Hofr. Weiſe, 6mal woͤchentlich.
Encyclopaͤdie und Methodologie des Rechts, nach eigenen Saͤtzen:
Doctor Muſſet, 2mal woͤchentlich.
Naturrecht: Hofr. Zachariaäͤ, 4mal woͤchentlich.
Naturrecht, allgemein es Staats- und Voͤlkerrecht, nach Dictaten:
Hofr. Weiſe, amal wöchentlich,
Ueber den gegenwärtigen Zuſtand des Naturrechts oder der Rechtb⸗
philoſophie: Doctor Brendel, ımal wöchentlich, öffentlich.
‚Vergleichende Gefchichte der Verfaffung und Gefeggebung der bes
rühmteften Bölfer, mit befonderer Rücdficht auf den Drient: dDerfelbe,
nach eigenen Heften, 6mal wöchentlich.
Geſchichte und Inftitutionen ded Römifchen Rechts, nah Bach
hist. juris rom. und den legalen Snftitutionen : Hofr. Thibaut,
6mal woͤchentlich Vormittags, und amal Nachmittags.
Inſtitutionen, nah Hugo's Lehrbuche der Pandecten: Doctor
Walch, 6mal woͤchentlich.
Pandecten: Juſtizr. Heiſe, nach der neuen, auf Oſtern erfcheis
nenden Audgabe feined Grundriffes: 6mal wöchentlich.
Eregetifche Vorlefungen über ausgewählte Hauprftelfen ded Cor-
pus jur, rom.: derſelbe, nad einem, der neuen Ausgabe feined
Grundriffed angehängten Abdrude, zmal wöchentlich ‚, öffentlich.
Eregeriihe Erläuterung der Chreflomathie von Hugo: Doctor
Muffer, zumal wöchentlich.
Hermeneutif und Kritik des Römifchen Rechts, nach eigenem Plane:
Hofr. Thibaut, mal wöchentlich.
Ueber Verjährung: derfelbe, zmal wöchentlich.
Inſtitutionen ded Franzoͤſiſchen Civilrechts: Hofr. Zachariaͤ,
taͤglich Vormittags und amal Nachmittags.
Infitutionen des Sranzöfifhen Eivitrechtd, nach ber Ordnung des
Eode Napoleon: Doctor Du Roi, täglich,
27
Die Gütergemeinfchaft nad dem Code Napoleon, mit Rüdficht
auf das Bad. Landrecht: Oberhofgerihtör. Gambsjaͤger, zmal w.
Erläuterung der Zufäße und Aenderungen, mit welchen der Code
Napoleon ald Landrehr für dad Großherzogthum Baden befteht:
Hofr. Baharid, öffentlih, Fortſetzung in einer noch zu beitinnmenden
Stunde.
Staatdrecht der Deutfhen Staaten, nebft einer Weberfiht bed
Franzoͤſiſchen Staatsrechts, auch einer Einieitung in das allgemeine
Staatsrecht: Hofrath Zahariä, smal wöchentlich.
Staatsrecht des Franzöfifchen Reiche, nach eigenen Sägen: Staatd«
und Kabinetsrath Klüber, amal öffentlich.
Dölkerrecht der Europäiihen Staaten: derfelbe, nach eigenem
Grundriffe, 5mal wöchentlich.
Dölkerreht: Hofr. Zahariä, 2mal wöcentlid.
Das proteftantifhe und kathol. Kirchenrecht, nah C. £. Böhmer:
Oberhofgerichtsrath Gambsjaͤger, smal wöchentlich.
£chenrecht, nah Böhmer: Staats⸗ u. K. R. Klüber, smal w.
Criminalrecht, den allgem. Theif nad) eigenen Saͤtzen, den befon«
dern nach Feuerbach, mit Rüdfiche auf das Badifhe Eriminafrecht:
Hofe. Zach ar iaͤ, 4mal woͤchentlich.
Criminalproceß, nach Feuerbach: derſelbe, amal wöchentlich.
Criminalrecht, mit ſteter Hinweiſung auf Feuerbachs EUER ste
Ausgabe: Docter Brendel, gmal wöchentlich.
Theorie des Eivilproceffed , nach der gten Ausg. feines Lehrbuchs:
Juſtizrath Martin, taͤglich.
Die Lehre von dem Beweiſe in Civilſachen: derſelbe, ımal mw.
Sranzöfifche Eivilproceßtheorie, nach eigenem Plane, mit beftändis
ger Erläuterung des Code de Procedure: Doctor Muffer, tägl.
Practicum: Zuftizrah Martin, smal.
Relatorium, nach feiner Anleitung: der ſelbe, zmal wöchentlich.
Ein Eraminatorium über dad Erbredt: D. 9. G. R.Gambs—
jäger, amal wöchentlid.
Eräminatorium über die Pandecten: Die Doctoren Muffer und
Wald.
III. Arzneygelahrtheit.
Encyelopädie und Merhodofogie der Mediein: Profeffor Nägele
nach Conradi, amal wöchentlich,
Botanik, nach Zinne, Demonftration der in den botanifchen Gär:
ten und der Gegend um Heidelberg wachfenden Pflanzen, in Verbin—
dung mit botanifchen Ercurfionen: Prof. Schelver, täglich.
Wiſſenſchaftliche und phyſiologiſche Botanik, Naturſyſtem des Ges
waͤchsreichs und Geſchichte des Studiums: der ſelbe, öffentlich.
38
Phyſiologie des Menfchen: Geh: Hoft. Ackermann, zmal wm.
Phyſiologie des Weibes, ald Einleisung in feine Vorleſungen?
Prof. Nägele, 5mal.
Materia medica: Prof. Schelver, wobey er zugleich die Zur
Hörer nach feinen Sammlungen in der Außerlichen Kenntniß und Prüs
fung der Arzneymittel üben wird, täglich.
Specielle Naturgefchichte üblicher Heilmittel: Prof. Mai, tägl,
Pharmaceutifche Erperimentalhemie na Hermbftädt: derf. tägl.
Arznepmittellehre in Verbindung mit Receptirfunftz nach Loͤſeke:
derſelbe, täglich.
Algen, Pathologie und Therapie: Geh. R. Mai, a4mal woͤchentl.
Specielle Pathologie und Therapie, mit beſonderer Beziehung auf
Feld» und Lazarerhfrankheiten: Derfelbe, gmal.
Ueber die Krankheiten der Srauenzimmer: Prof. Nägele, Imal.
Sieberfehre: Geh. Hofe. Ackermann, nad feinem Handbuche
(Epitome de cognosc. et curandis febribus ), 5mal.
Chroniſche Krankheiten: derfelbe, mal.
Eraminatorium mit Ausarbeitung fchriftlicher Eonfulationen: Geh.
Rath Mai. |
Allgemeine Chirurgie: Geh. Hofr. Adermann, täglich.
Medicinifhe Chirurgie, nah Horn (Berlin 1803): Prof. Mofer,
smal wöchentlich.
Sppbhilitifhe Krankheiten, nah Dictaten: derfelbe, 4mal.
Ehirurgifche Inftrumenten:, Bandagen = u. Mafchinenlehre, nach
eigenen Heften: derfelbe, qmal.
Unterricht im Bandagiren mit Uebungen an Leichnamen und Phans
tomen, und Vorzeigung der dazu nöthigen Inftrumente: Prof. Winter.
Geburtshuͤlfe mit pract. Uebungen im Gebärhaufe: Prof. Nägele,
nach feinem Entmurfe einer fuftem. Darftellung der Geburtähülfe, smal.
Geſchichte der Geburtöhülfe: derf. nah W. I. Schmitt, amal.
Gerichtliche Arzneywiſſenſchaft, nach Wildberg: dDerfelbe, 3mal.
Der Scheintod und dad Rettungdverfahren, nebſt Vorzeigung des
dazu gehörigen Apparars: Prof. Mofer, zmal.
Gefundpeitderhaltungsfehre, mit Ruͤckſicht auf die Gefahren, wel⸗
hen manıhe Berufsarbeiter auögefegt find: Geh. R. Mai, zmal.
Kranfenpflege auf Naturfehre und Erfahrung gegründet, mit Vers
fuchen im Eabinet der Experimentalphyſik unterſtuͤtzt: der ſelbe, tägf.
Die poliflinifhen Mebungen werden von Geh. Hofr. Afermann
täglich fortgeſetzt.
Brof. Zipf wird diefen Sommer hindurch mit höchfter Genehmi«
gung, wegen widriger Gefundheitäumftände, feine Vorlefungen ausfegen.
2)
IV. Staatswirtbfhaft.
Encyelopaͤdie: Prof. Seeger, nach feinem gedrudten Plane,
mal wöchentlich.
A) Deconomifhe Faͤcher.
Landmwirthicaft, in Verbindung mit der gefammten Zorftwiffens
ſchaft: Oberforſtrath Gatterer, nah Beckmanns Lehrbuche, smaf.
Die Lehre der Landwirthſchaft, mit Excurſionen auf benachbarte
Landguͤter: Prof, Eſchen maper,
Theoretiſche und practiſche Landwirthſchaft, nach eigener Anſicht,
mit Beruͤckſichtigung von Thaers Grundſaͤtzen der rationellen Landwirths
ſchaft: Ludwig Hout, Theorie 3mal, practiſche Uebungen auf Feld
und Wieſe auf ſeinem Gute Neuburg, mit Vorzeigung und Einuͤbung
der neueſten und nüglichften Werkzeuge, zmal woͤchentlich. i
Forftbotanif: D.F.N. Gatterer, nah Wattherd £ehrbuche, amaf.
Sorftbenugung u. Sorfttechnofogie: dDerfelbe, nad Laurop, 3mal.
Anleitung zur Kenntniß und Cultur der landwirthſchaftlichen und
Sorftgemächfe in hiefigem Großherzogl. Echloßgarten: derf. zmal,
Forſtwiſſenſchaft: O. F. R. Grafv. Sponed, nad eigenem Plane,
mit Befuchung der Wälder, 3mal wöchentlich.
Sorftbotanif: der ſelbe, nach eig. Plane, mit Ercurfionen, Zmal;
Gloßmwefen: derfelbe, nad Dietaten, amal. -
Sorkdirections der ſelbe, nah Hartigd Lehrbuche, zmaf.
“Sorftentomologie, derfelbe, nah Dictaten, zmal wöchentlich.
‚Naturgefchichte aller jagdbaren Thiere: derfelbe, nah Blumen»
bad und Bechſtein, ı:nter Vorzeigung ikuminirter Abbildungen, amal.
Forſt- u. Jagdrecht: Prof. Efhenmayer, nach Dictaten, zmal.
Technologie oder Fabrifenmwiffenfchaft: Oberforſtrath Gatterer,
nach Beckmanns Lehrbuch, smal wöchentlich.
Ueber die Handeldlehre: Prof. Reinhard, nah Bulk, amal.
> rufen, Bruden» und Mühlenbau: Geh. Hofr. Langsdorf,
al. |
Ueberſicht der Grundbegriffe der Baufunft und ihrer Hulfdwiffens
fhaften: Doctor Leger.
Die Theorie der Baufunft für Fünftige Baumeifter: derfelbe,
nach feinem Handbuche ( Theorie der Baukunſt, Sreyburg u. Conſtanz
1811 ), 4mal wöchentlich.
Die Landbaufunft für Kameraliften, Defonomen, Landwirthe und
Baumeifter, in Verbindung mi der nöthigen Theorie: derfelbe,
nach feinem Handbuch, und nach feinen, der landwirthfchaftlichen Baus
kunſt befonderd gewidmeten Heften, Gmal wöchentlich,
30
B) Staatswiſſenſchaftliche Faͤcher.
Staatswiſſenſchaft: Prof. Seeger, nach feinem Entwurfe der
Staatswiſſenſchaft (Heidelberg 1810), 5mal woͤchentlich.
Wichtige Materien aus der Staatswiſſenſchaft u. Staatsgeſchaͤften—
fehre, in befonderer Ruͤckſicht auf Sinamggefhäfte , mit Eraminatorium
und practifden Uebungen : derfelbe, smal wöchentlich.
Staaröwiffenfhaft nah Dictaten: Prof. Wagner, smal.
Finanzwiſſenſchaft: Hofkammerrath Semer, nach Sonnenfels,
2mal woͤchentlich.
Finanzwiſſenſchaft: Prof. Reinhard, nah Jung, 4mal.
Polizeywiſſenſchaft: derfelbe, nah Jung, smal woͤcheutlich.
Polisepmiffenfchaft in ihrem ganzen Umfange; Hofr. Erb, nad
eigenem Entwurfe, in Berbindung mit Harld Polizegroiffenfchaft, smal.
EStogatswirthſchaft und Finanzwiſſenſchaft, nad, Krugd Abriß der
Staarsöfonomie: derfelbe, 6mal woͤchentlich.
Theorie der Statiftif, mit Anwendung auf ein Paar auszuwaͤhlende
Staaten: Hoffammerratb Semer, nah Schlöger und Zueder, ımal.
Die Nationatöfonomie: dDerfelbe, nah Kraus Staatswirthſchaft,
a4mal wöchentlich,
Die Lehre der Staatswirthſchaft, oder der Staatsoͤkonomie und
der Politik ihrer Gefeggebung: Prof. Eſchenmayer, nach Dictaten
und feinem Einfeitungsprogramm , ald Leitfaden, 5mal wöchentlich.
Staatsrechnungswiſſenſchaft: derf. nach eig. Lehrbuche, 4mal.
Kameral: oder Gtaatööfonomiereht: der ſelbe, nach feinem
Lehrbuche, 6mal.
V. Zur philoſophiſchen Facultaͤt geboͤrige
Lehrfaͤcher.
A) Philoſophiſche Wiſſenſchaften.
Logik u. Einleitung in das Studium der Philoſophie: Prof. Fries,
nach Dictaten und feinem Syſteme der Logik, smal woͤchentlich.
- Spftem der gefammten deals: und Naturphilofophie, mit einer
kurzen Gefchichte der Philofophie: Prof. Wagner, nad Dictaten,
5mal woͤchentlich.
Mathematiſche Philoſophie: derſ. nach feinem Lehrbuche, zmal.
Kritik der Vernunft: Prof. ſries, nach feiner Kritik der Vers
nunft und nach Dictaten, 5mal.
Encpclopädie der practifchen ohiloſophiſchen Wiſſenſchaften: Hofr.
Weiſe, nach feinem gedruckten Entwurfe, ımal, oͤffentlich.
Naturrecht in Verbindung mit philoſoph. Politik: Prof. Fries,
nach Dictaten, 5mal.
Litter aͤrgeſchichte der philoſophiſchen Rechtẽwiſſenſchaften: Hoft.
Weiſe, 2mal, öffentlich,
81
DB) Dhilologie und Alterthumskunde.
a) Drientalifhe Philologie. .
Anfangdgründe der hebräifhen Sprade: Prof. Lauter, nah
Dater, in Verbindung mit Lebungen im Weberfegen und Analyfiren,
amal wöchentlich).
b) Alte claffifde Philologie
6) Propädeutifher Unterricdt.
Privatiſſima in der griechifchen und lateiniſchen Sprade: Prof.
Kapfer und Dr. Wagemann.
BD Humaniftifder Encluß,
1) Erklärung der Elaffifer..
Plato's beyde Aleibiades und Gaſtmahl: Hofr. Creuzer, gmaf.
Aeſchylod Agamemnon, Choephoren und Eumeniden: Prof. Voß,
mmal wöchentlich.
Horazend Satyren und Epiſteln: derſelbe, gmal.
Erklärung der Bücher des Julius eifar de bello gallico: Prof.
Dümge, smal.
Die Elegieen des Propertius: Prof. — 3mal.
Cicero's Briefe an den Atticus, mit Uebungen im Lateinſchreiben:
derfelbe, mal,
2) Wiffenfhaftfihde Borfefungen.
Geſchichte der griechiſchen Litteratur und Geſchichte der Philologie:
Hofr. Ereuzer, 6mal.
Archäologie oder Theorie und Geſchichte der bildenden Kunft, mit
Benugung von Nahbildungen und Antifen: derfelbe; qmal.
Griechifche Litteraturgefchichte: Prof. Voß, 3mal.
3) Im philologifhen Seminar
wird Plotinus von den Mitgliedern, unter geitung des Hofe. Creuzer,
nach dem Texte der von ihm edirten Bücher (IlAmrivov Adyos
Heidelb. apud Mohrium et Zimmerum 4813,) foteinifch interpre«
tirt, auch werden die Difputirubungen in derfelben Sprace fortgefeßt,.
und Uebungen im Griechiſchſchreiben ferner veranftaltet.
Die Troerinnen des Euripided : Prof. Voß, mal.
4) Im pädagogifhen Seminar
merden in diefem Semeſter Privatunterhaltungen und Uebungen bey
dem Kirchenrathe Schwarz in fhiflihen Stunden ftatt finden.
Y) Neuere Spraden.
Sranzöfifche Sprache und Literatur mit Sprech : und Schreibuͤbun⸗
gen, Aufmerkffammachung auf die bedeutenden Fehler der Deutſchen
gegen den. Geift der Franzoͤſiſchen Sprache, und auf mancherfey Franzöf.
Medensarten und nachdrucksvolle Sprihmwörter: Prof. Sar, gmal.
32
Sranzöfifche Sprache: Lector Hoffmeifter.
Engliſche Sprabe: Derfelbe.
Italieniſche Sprache: dDerfelbe,
Spaniſche Sprache, nebft Interpretation ded Don Quixote und der
Schaufpiele ded Ealderon, nad der Norwichſchen Ausgabe: Prof. Voß.
Se 0) Hiftorifhe Wiffenfhaften.
Geſchichte der Litteratur, befonders der Deutichen Litteratur des
Mittelalter: Prof. Wilken, mal,
Geſchichte der Deutſchen, befonderd ihrer DVerfaffung und ihres
Rechts, nach feinem Handbuche der Deutfhen Hiftorie: derf. mal.
Allgemeine. Weltgefchichte ded Alterthumd, nach eigenem Plane,
mit Derweifung auf Heerend Handbuch der Geſchichte der Staaten des
Alterthums (zte Aufl. Göttingen 1810.): derfelbe, smal.
Veberfiht der Geſchichte der Cultur und Bildung: Kirchenrath
Schwarz, ımal, oͤffentlich.
Allgemeine Gefchichte Deutfchlande : Prof. Dümge, nad Heine
richs Handbuche der Deutſchen Reichsgeſchichte, 6mal.
Statariſche Vorleſungen über Guntheri Ligurinus s. de rebus
gestis Friderici I. Augusti: derſelbe, nach feiner neuen Ausgabe
dieſes Dichterd 1 Heidelberg 1812.), smal.
Derfelbe erbietet fich zu Privatiſſimis über beſondere Abtheiluns
gen der Geſchichte Deutſchlands, mie auch über einen beliebigen Deut-
ſchen oder Fraͤnkiſchen Schriftſteller des Mittelalters.
Geſchichte der drey letzten Jahrhunderte, nach v, Martend Grunds
riß einer diplomatiſchen Geſchichte der Europäifchen Staatshaͤndel:
Dr. Wagemann, smal.
Allgemeine Länder» und Voͤlkerkunde; nach eigenem Plane; der»
felbe, täglich.
Dipfomatif oder Urfundenfehre: Dberforftrath Gatterer, nah
feines Vaters Lehrbuche, nebſt Benutzung ſeines eigenen diplomatiſchen
Apparats, zmal.
D) Mathematiſche Wiſſenſchaften.
Arithmetik, vollſtaͤndig, mit umſtaͤndlicher Anwendung auf die
ſchwierigern Faͤlle in Geſchaͤften des buͤrgerlichen Lebens, vorzüglich
nach Anleitung ſeiner arithmetiſchen Abhandlungen: Geh. Hofrath
Langsdorf, 5mal.
Geometrie, mit beſtaͤndiger Ruͤckſicht auf die Geometrie der Gries
den, nach feinen Anfangsgrunden und bepgefügten wichtigen Abändes
rungen und Zufägen: derfelbe, qmal.
Reine Mathematik oder Größenlehre und Geometrie, nach feinens
Spfteme: Prof, Schweins, smal.
$3
Practiſche Geometrie, nach feinem Handbuche der Geodäfie: ders
felbe,, 3mal Morgend, mit practifcypen Webungen auf dem Selde
Abende.
Trigonometrie,. nach feinen Anfangsgründen: Geh. Hofr. Langs⸗
dorf, zmal.
Mathematiſche Analyſis mit der Differential: und Integrafrehnung,
und den michtigften Lehren der höhern Geometrie: derf elbe, nad
feinen Anfongsarinden und Dictaten, smal.
Rechnungen für das Geſchaͤfisleben über Zins und Zinszins, über
Mahricheinlichkeit und Anmendung derfelben auf Spiele, Lotterien,
Geburt?: und Sterbeliften, Leibrenten, Tontinen und Wittwenfaffen t
Prof. Schweins, nah feinem Handbuche über Zinszins und nach
Dictaten, mal.
Populaͤrer Vortrag über Maſchinen und Waſſerleitungen: Geh.
Hofr. Langsdorf, 3mal.
Grundſaͤtze der mechaniſchen und optiſchen Wiſſenſchaften, Statik,
Mechanik, KEpdroflatif, Optik, Katoptrik und Dioptrik: Profeſſor
Schweins, qmal.
Derfelbe erbietet ſich zu Privatiſſimis in den übrigen Theilen *
Mathematik.
E) Naturfunde,
Encpelopädie der Naturwiſſenſchaften: Prof. Fries.
Experimentalphyſik, nach Kaſtners ——— und eigenem Con⸗
ſpeetus: Derfelbe, smal.
Mineralogie und Geognofie, nah feinen Sammlungen : Drof.
Schelver, qamal.
Privatiffima über Die namlihen Gegenkände: derfelbe.
Geſchichte der hermetiſchen Bhifofophie, Myſtik, Aftrofogie, Alchy⸗
mie und Magie: derſelbe, 3mal.
F) Schöne Künfe.
Die Grundfäge geometrifcher Zeichnung und ihre Anwendung zur
optifchen Entwerfung und Beleuchtung der Gegenftände, nach eigenen
Studien, mit Zuziehung von Weinbrennerd Handbuch der Zeichnungd«
lehre (Tübingen ıg11.): Dr. Leger, mal.
Die Grundſaͤtze perfpectivifcher Zeichnungen und ihre Anwendung
für Architecten und Landfhaftämahler, nach eigenen Anfichten und
Entdefungen, in Verbindung mit Uebungen nach der Natur: ders
felbe, qmal.
Architectoniſche Zeichnungsſuͤbungen, als Anwendung theoretifcher
Borlefungen: Derfelbe, —
* 5
34
Im Landfchaftzeichnen, dann im Zeichnen febender Figuren , befone
ders der Thiere, nad guten Driginalen, mit der Anweiſung zup Come
pofition: Zeichnungsfehrer Rottmann.
Derfelbe giebt Unterricht im Landfchaftzeichnen nach der Natur,
in alten Theilen der Zeichenfunft giebt Zeichennteifter Francken
Unterricht.
In der Vocals und Inftrumental: Muflf, theoretifch und practifch:
Slapellmeifter Hoffmann.
Auf der Violine, auf der Flöte, Elarinette und andern Blasin-
Rrumenten: Mufifmeifter Schulz.
Im Sefange, auf der Quitarre und Violine: Muſiklehrer Docetti.
Auf der Harfe, Guitarre und Violine: Mufitmeifter Weippert.
In der Reitfunft: die Stallmeifer famine und Wippermann.
Sn der Fechtfunft: der Fechtmeifter Kaftrop.
In der Zanzkunft: der Tanzmeifter Edeling.
+ * *
In der doppelten Buchhaltung für Defonomen und Kaufleute, in
Berechnung von jeder Art von Wechfel- und Waarengefäften , und
in dem damit verbundenen Briefmechiel in Deutfcher, Sranzöfiicher,
Italieniſcher und Englifher Sprache, ertheilt Unterricht: Lector H offe
meifter.
Unterricht im Engliſchen Schönfchreiben , wie auch in der Rechen⸗
Funft nach der Faufmännifchen practifchen Kürze, in Einrichtung der
Handlungsbücher aller Art,. nebſt Stellung der Conti correnti und
Bacturen mit Englifher Großſchrift, in Fuͤhrung der Gorrefpondenz
und -Wechfelgefchäfte, nah Büfch, endlich in der doppelten Buchhals
zung nad der von Berghauß bearbeiteren Helwingfchen Anleitung,
giebt Schreibmeifter Send.
* * *
Die zur Univerfität gehörigen Sammfungen von Naturafien und
phnfifalifhen Apparaten, die im Großherzoglihen Schloßgarten ange:
legten forft= und landwirthſchaftlichen Plantagen, die practifhen Me:
dieinalanftalten, die beyden medicinifch » botanifchen Gärten, das ana—
tomifche Theater und dad Entbindungsinititut, werden nicht nur bey
den Borlefungen benugt, fondern koͤnnen auch, auf Anmelden bey den
Vorſtehern derielben, von KReifenden außer den Vorleſungen gefehen
werden.
, Die Univerfitätöbibfiothef wird Mittwochs und Sonnabends Nach⸗
mittags von 2— 4Uhr, an den übrigen Wochentagen Vormittags von
10 — 12 Uhr geöffnet. Ueber die bey dem Verleihen ftatt findenden
. Bedingungen geben die gedrudten Bibliotheksgeſetze Auskunft.
Ueber den fitlihen Zuftand der Studirenden wird dad Ephorat,
in deffen Geſchaͤftskreis die Auffiche uber Die Sittlichfeit und: den Steig
35
der Academiker gehört, ſich mit ben Eltern und Vormündern in Eors
refpondenz fegen.
Ueber Wohnung und Koft giebt der Sommiffir, Univerfirtätäfpndis
cud Hofgerichtsrath von Kleudgen Auskunft, und übernimmt Die
dahin gehörigen Commiffionen.
Todesfall.
Am 13. März d. J. verlor unſere Univerſitaͤt Durch den Tod einet
ihrer aͤlteſten Mitglieder, den Herrn Georg Adolph Succow,
Großherzogl. Geh. Hofrath, Dr. der Medicin, Prof. der Phyſik und
Chemie und Senior der ſtaatswirthſchaftlichen Section, im 63ften Jahre
feines Alterd.
Ein Brief Dr. Reinhards an den Pfarrer ©, Zimmer-
mann in Großgerau.
(Bormort. Als Freund der Wahrheit, felbft wenn fie ſchmerz⸗
lich ſeyn follte, und feft überzeuat, daß fie zuletzt jedesmal obfiegt,
bin ich allen Antıkritifen und fiterarifchen Fehden abhold. Ich muß
daher fogleich bitten, die gegenwärtige Bekanntmachung eined Briefed
des ımfterblihen Dr. Reinhards ja nicht für eine Kriegderflärung gegen
den Recenfenten meined homiletifhen Handbuchs (oder Dr. Reinhards
Anfihten und Benugungen der Sonn = und Fefttagdevangelien) im
erften Duartafhefte des von Hanftein und Wilmfen herausgegebenen
fritifchen Journals zu halten. Auf Bitten des Verlegers entfchloß ic)
mich za diefer Bekanntmachung blos darum, weil ed mir intereffant
ſchien, mit jener NRecenfion auch dad Urtheil eined Reinhards zu vers
gleihen, und weil diefer, wenige Wochen vor dem Tode dei großen
Manned (am 5. Aug. 1812) gefchriebene Brief ein rührender Beweis
von deffen feltener Befcheidenheit und von der Humanität ſeyn kann,
mit welcher er felbft noch beym Vorgefühl eined nahen Todes fremde
und mit ihm in gar Feiner Verbindung fiehende Männer behandelte.
Ob nun Reinhard, der meiner Arbeit dad Zeugniß ded Fleißes, der
Sorgfalt und der Ueberlegung ertheilt, oder ob jener Recenfent Recht
hat, der übrigens meinen Hauptzwe nicht gefaßt, und die Vorrede,
befonderd ©. VIII nicht gelefen zu haben fcheint, glaube ich mit getro⸗
ſter Zuverficht der Entſcheidung des literarifchen Publifums überlaffen
zu dürfen. — Bimmermann.)
Hochehrwürdiger Herr,
Hochzuehrender Herr Paſtor.
Das Handbuch, welches Ew. Hochehrw. zu bearbeiten angefangen
haben, iſt ſchon vor einigen Wochen; der Brief hingegen: mit welchem
36
Sie ed beafeitet haben, erft vor einigen Tagen in meine Hände gekom
men. Dieß zu meiner Entſchuldigung wegen meiner verfpäteten Antwort.
Was dad Handbuch anlangt, fo ift der Fleiß, die Sorgfalt und
Die Ueberlegung, mit melxber fie gearbeitet haben, nicht zu verfennen.
Nun kann ich mich zwar von dem großen Nugen diefer Zufammenftels
- Jung meiner Anfichten immer noch nicht recht überzeugen. Sie fann ed
uaͤmlich zwar, wie ih ſchon in meinem früheren Schreiben bemerft
habe, flar machen, daß fi die gemöhnfichen evangelifhen Perikopen
aus fehr perſchiedenen Befichtenunften faffen faffen, und daß fih, wenn
man auch oft über, fie fprechen muß, Doch immer etwas Nuͤtzliches über
fie fagen läßt. Aber daran hat ja wohl Niemand im Ernite gezmweifelt;
und daß ed den Erfindungdgeift der Prediger beleben follte, wenn ſie
nun hier mit einem Blicke überfehen, mad ich aus jeder Perifope
abgeleitet habe, läßt ſich kaum erwarten; eher möchte ed Manchen
ängffih machen, und ihm die Mennung beybringen, ed merde fi)
gar nichts Wichtiges aus einer fo behandelten Stelle weiter herauds
bringen laſſen. Inzwiſchen kann ich es wohl dulden, daß man einer
entgegengefegten Ueberzeugung fey; und fo wie Ihre Arbeit if,
fannich.ihr meinen Bepfall nicht verfagen. Infonders
heit billige ih ed, Daß Sieden Uebergang zum Haupts
fag größtentheild wörtlich haben abdruden laffen,
da dieß gerade die Hauptfadhe bey Ihrem Unternehmen feyn mußte.
Die Unterabtheilungen Fonnten natürlich oft nicht enderd angezeigt
merden, als mit einzelnen Worten. Es wird aber da freilich nicht au
£euten fehlen , welche mit diefen Andeutungen nichts anzufanaen wiffen,
weil fie in den Geiſt und Sinn ded Ganzen nicht eingedrungen find,
Da Sie indeffen für denkende Prediger gefchrieben haben, ſo
war diefe Kürze ganz an ihrem Orte.
Laſſen doch Em, Hochehrw. Ihre Epiftelpredigten getroſt drucken.
Es iſt kein geringes Vorurtheil fuͤr ihren Werth, daß Sie beym muͤnd⸗
lichen Vortrage Beyfall erhalten haben. Bekanntlich fehlt es auch noch
immer an guten Epiſtelpredigten, man wird daher Ihre Arbeit gewiß
mit Billigung aufnehmen. Möge Ihnen Gott zur Fortſetzung Ihrer
Arbeiten Gefundheit und Heiterfeii des Geifted fchenfen, und Ihnen
auch in Ihren äußerlichen Umftänden das Gluͤck mwiderfahren laffen,
das hr redliches Streben nach dem Beſſeren verdient!
Mit danfbarer Rührung erkenne ich die. Aeußerungen ded Wohle
mollend, welches mir Em. auch in Ihrer neulichen Zufchrife zu
erfennen gegeben haben. Bey ſolchen Umfländen ift es ihnen gewiß
nicht gleichgultig, wenn ich die Nachricht noch beyfüge, dag ich ſchon
mieder feit dem Monat Februar ein Kranker bin, der fein Zimmer
hüten muß, und ganz außer Stand ift, die Pflichten feined Amts zu
erfüllen. Auch find meine, Gefundheitdumftände wirklich fo mißlich/
daß fie leicht einen traurigen Ausgang nehmen koͤnnen.
Mit wahrer Verehrung bin ih 10. ,
Reinhard.
37
Buchhaͤndler-Anzeigen.
Gerſtenbergs vermiſchte Schriften,
von ihm ſelbſt geſammelt und mit Verbeſſerungen und Zufägen heraus⸗
gegeben in 3 Bänden,
kuͤndigen ſich als Ausgabe der letzten Hand, mit der Hoffnung einer
guten Aufnahme hier vorläufig nur denen ihrer Leſer an, denen die
Erneuerung einer alten Bekanntſchaft fhon allein darum willfommen
feon möchte, weil fie alt if. Man ift bey einer ſolchen Ruͤckerinne—
rung an die vergangenen Zeiten doc neugierig zu fehen, ob der alte
Befannte noch eben derfelbe fen, der cr ehedem mar ob er mit dem
Zeitalter fortgefchritten ſey? nebenher vielleicht auch, wie lange, nach
dem ordentlichen Laufe der Deutfchen Litteratur, er ohngefähr wohl
noch zu leben habe. Sollte aber zufälliger Weife das, vermutlich nur
Eleine, Publicum diefer Auserwaͤhlten durch den Beptritt Anderer,
denen etwa der Umftand in dieſer Anzeige auffiele, daß darin von einer
Ausgabe der legten Hand die Rede ift, ohne daß ihnen von einer
Ausgabe der erften Hand etwas zu Ohren oder zu Geſicht gefoms
men: fich gleichfam von felbft erweitern: fo würde der Wunſch des
Derfafferd doppelt, und verhäftnigmeife defto angenehmer, erfüllt‘ ſeyn.
Bey einer Ausgabe der legten Hand pflegen allerley Schwierige
feiten einzutreten, von denen folgende beyde Arten ſich wohl unftreitig
am fchwerften uͤberwinden laſſen, denen aber gleihwohl, wenigftend in
einem gewiffen möglichen Grade, erft nothwendig abgeholfen fepn muß,
ehe ſich über den Erfolg mit einiger Wahrfcheinlichkeit urtheilen läßt.
Die eine diefer Arten berrifft den Verfaffer, die zweyte fein Werk.
Wenn ein Schriftftelter fich zur Nevifion feiner Geiſtesproducte in
der Abficht entfchließe, um zum letztenmale die Hand daran zu legen,
fo muß man natürlich vorausfegen, daß er in dem Alter ſey, wo feine
reifere Beurtheilung zwar genug zu verbeſſern finden, er felbft aber
zweifelhaft bleiben wird, ob er ſich noch den richtigen Tact zutrauen
dürfe, dad Spätere mit dem Fruͤheren fo zu verfchmelzen, daß die
Einheit und frifhe Farbe des Ganzen nicht Darunter leide?
Und da er fich nicht verbergen fann, daß der Deutfche Gefchmad
feit der Herausgabe feiner früheren, und felbft fpäteren Werke, ſich
ganz andere Bahnen, ald die von ihm damals ‚betretenen waren, zu
eröffnen gewußt har: nach welchem Maaßſtabe wird er fi, bey der
Auswahl feiner Materialien und den Zufügen zu denfelben zu richten
haben, um fich dem Zeitgenius an der einen Seite mit forgfältiger
Unterfcheideing ded Beflern, an der andern Seite aber mit dem Vor—⸗
behalte, ut sibi constet, anfchließen zu koͤnnen?
Es würde vergebend fepn, wenn ich , der Verfaffer, meinen Lefer
hier zu erklären fuchte, wie ich ſowohl der einen als der andern dieſer
38
beyden-Schwierigfeiten-ausgervichen zu fepn glaube. Die einzige Probe,
ob es mir damit gelungen ſey — und ſchon gleich der erfte Band, mo
die beyden leßten Akte der Minona und der Schluß des Ugolino in
einer durchaus veränderten Geftalt erfcheinen, muß darüber den Aufs
ſchluß gebin — mird entweder die befriedigte oder Die unbefriedigte
Kritif ded Lefers ſelbſt ſeyn. Wie aber Fünnte ich ihm darin durch das
bioße Wort einer Ankündigung vorgreifen?
Was ich etma noch fonft über diefe neue Ausgabe zu fagen hätte,
mird Herr Hammerih, der Verleger, zweckmäßiger als ich hinzus
fegen.
Altona den 24. December 1312. |
H. W. von Gerftenberg.
Se feltener einem Derleger dad Vergnügen zu Theil wird, ein
Buch. anzufindigen, dem fchon im Voraus durch den Namen feines
Verfaſſers der Stempel ded Vollendeten und Klaffifhen aufgedrüdt
it, und deffen. Erfcheinung feit einer langen Reihe von Jahren der
Wunfc des ganzen gebildeten Publicumd war, um fo angenehmer war
mir der Auftrag ded ehrwuͤrdigen Verfafferd, und feine Erlaubnif,
dem Dbigen meinen Namen ald Verleger beyzufügen.
Sm voraus eines glüdtichen Erfolgs und einer freudigen Aufnahme
nicht nur von meinen Landöleuten, fondern von der ganzen Deutfchen
Nation verfihert, würde ich diefe Unternehmung, felbit in unfern uns
günftigen Zeiten, getroft wagen, auch ohne durch eine Subfeription
geficherr zu fern, und ed mir zur Ehre fhägen, dadurch mitgemirft
zu Haben, daß dem Verdienſte des DVerfafferd ein bleibended Andenken
geftifter merder Ich wuͤnſche aber dadurch Veranlaſſung zu geben,
einem Manne, den jeder, der die fchöne Litteratur Deutfchlands Fennt,
mit Achtung nennt, der hohed Dichtergenie mit dem Talent des tiefen
philofophifhen Forſchers auf eine feltene Weife in fich vereint, und
jegt nahe am Greifenafter mit Jugendkraft nochmals die Feder ergreift,
um früheren Arbeiten die Vollendung zu geben, und die Früchte viel:
jähriger Studien zu fammeln und zu ordnen, dafür Danf und Der:
ehrung zu bezeugen. Darum fordere ich alle Verehrer ded Schönen
und Trefflichen auf, die Subſcription zu befoͤrdern.
Der erſte Band wird enthalten: Ugolino, mit durckaus veräns
derter Gataftrophe. — Minona, die zwey legten Akte neu, — ein
Fragment aus der frühern Ausgabe der Minona, und Anmerkungen
sur Geſchichte derfelben.
39
Der swente: Gedicht eines Stalden — Tändeleyen
vermehrt, — Poetifhed Wäldchen, beftebend aus einzelnen Ger
„Dichten und Liedern.
Der dritte: Proſaiſche Auffäge, vermifchten Inhalts,
So viel erlaubte mir der Herr Verfaſſer über den Inhalt zu fagen.
Er glaubt, daß jeder Band an 24 Bogen flarf werden wird. Wegen
Format und Schrift habe ich mir die neuefte Ausgabe von Thümmels
Werfen, bey Böfchen, zum Mufler gewaͤhlt. Ä
Eine Ausgabe auf fhönem Schreibpapier wird den Subferibenten
4 Thaler in Golde oder 10 Marf 8 Schilling Courant, eine andere
auf weißem Drudpapier 3 Rıhir. in Gold oder 8 Marf Cour. koſten;
der nachherige Ladenpreis aber 25 pr. Cent höher fepn. Auf Velins
papier werden nur fo viele gedrudt, als vorher beſtellt werden, und
der Subferiptiondpreis ift 2 wichtige Holländifhe Ducaten.
Alle Freunde Gerftenbergd, fo mie alle meine Freunde, und alle
folide Buchhandlungen, merden erfuht, Subferibenten zu fammeln,
und mir die Namen derfelben, die dem erften Bande vorgedrudt wer:
den, deutlich gefchrieben, in der Zeipziger Dftermeffe, oder bis Ende
Juny 1813 einzufenden. |
Auf 8 Erempfare wird eins frey gegeben.
Da die Handfchrift zum Abdruck bereit liegt, fo darf ich verfpres
chen, daß alle 3 Bände, die nicht getrennt werden, Neujahr 1814
abgeliefert werden Fönnen, doch koͤnnen die Subferibenten in meiner
Nähe auch die Bände einzeln erhalten, wenn fie ed mwünfchen, nur
machen fie fich gleich auf dad Ganze verbindlich.
Mohr und Zimmer in Heidelberg nehmen Subfeription an.
Altona den 3%, December 1812.
J. 8 Hammerid.
Die Verlagshandlung der Institutiones medicae von
Eurt Sprengel hat bey der bedrängten Lage ded Deutfihen Buch:
bandeld und bey den Schwierigfeiten der litterarifchen Conrmunication
mit allen den Ländern, die jegt dem Sranzöfifhen Reiche einverleibt
find, Bedenfen getragen, ſolche fo rafch fortfegen zu laſſen, als urs
fprünglih im Blane lag. — Indeffen ift jegt der 3te Band unter der
Preſſe, und wird diefer zu Ditern, fo wie der gte Band zu Michaelis
erfcheinen. Beyde umfaffen die Inflitutionen der Parholngie vollſtaͤn⸗
Dig und nach den neueften Anfichten:
40
\
Um die Anfhafung diefed Werks zu erleichtern, erbietet fich die
Verlagshanblung, bepde Bände, die im Ladenpreid 5 Thir. koſten
werden, gegen 3 Thlr. Saͤchſ. abzulaffen, wenn ſolche bid zur oder in
der Jubilate: Miffe vor oder beym Empfange des zten Banded (des
erften der Barhologie, da jede Abtheilung einen doppelten Titel erhaͤlt)
baar bezahlt werden. — Nach der Jubilate-Meſſe tritt der Laden»
preid ein.
Alle Buchhandlungen — in Heidelberg bie afad. Buchhandlung
Mohr und Zimmer — merden Aufträge hierzu annehmen, da fie
für ihre Bemuhung die bey Pränumerationd s Gefchäften gemöhnfiche
Brovifion erhalten. Sollte man zu gleicher Zeit den ıftlen und. 2ten
Theil (Institutiones Physiologiae ) mit verlangen, fo erhält man
Diefe ebenfalld bis zur Jubilare: Meffe für 3 Thlr. Sähf. Der ıte
und zte Theil machen übrigend eben fo, mie der 3te und gte Theil,
ein befondere& Werf aus.
£eipjig den ı. Gebr. 1813,
Kunſt und Induſtrie-Comptoir von Amfterdam,
So eben ift erfchienen und dur alle folide Buchhandlungen zu
befommen :
. Ars Cossae promota. Auctore M. Guilelmo Lud. Christmann,
Pastore Thailfingae prope Tubingam , oct. maj. Reutlin-
gae in officina libraria Mäckeniana. 1813,
Der Derfaffer hat hier über die Unmöglichfeit einer allgemeinen
furfoliden Wurzelform eine bemunderndmürdige Theorie gleihfam aus
Nichts erſchaffen, und fie vollendet. Seine Schrift gehört der Ge
ſchichte, der Wiffenfchaft an, und man erfennt Eulerd Geiſt in ihr. —
Die berühmte Theorie der Gleichungen, über welcher die Analpften
ded vorigen Jahrhundertö gleichfam ermüder find, ſcheint an ihrem
Gränzftein zu feyn, und man fernt über das Ziel, dad und in Diefem
heile ded menfchlichen Forſchens geftedt ift, fi beruhigen, wenn man
die Widerfprüce und Unmöglichfeiten entdeden lernt. Der Verfaffer
ſteckt uber jened algebraifde Phantom ein unerwartetes Licht in feiner
Schrift auf, in welcher er glänzende Talente erprobt hat.
Man finder dieſe Schrift auch bey den Herren Mohr und Zime
mer in Heidelberg.
Sntelligenzblatt 1813,
| ZV®,
— — TI WED I WE —— —— — — WI LT II UT TUN TE
I
Chronik der Univerfität Heidelberg.
NM, 19, April übergab Herr Oberhofgerichtsratb Sam bsiäger dns
" gBroreftorat an Herrn Brofeffor Fries. Das Programm, Modurch
diefer Broreftoratswechfel angezeigt worden , hat Heren Brofefior Voß
zum Derfafler und enthält Notas in Theocritum , 54 ©. 4.
Herr Prof. Schreiber verließ am Ende des verfloffenen Winter⸗
Semeſters feine bisherige Lehrſtelle an biefiger Univerſität und trat zu
Carlsruhe das ihm übertragene Amt eines Großherzoglich Badiſchen
Hiſtoriographen am.
i
Julius-Univerſitaͤt zu Wuͤrzburg.
Winter Semeſter 1812 — 1813.
Zum Vrorektor für das nächſte Jahr wurde vor Anfang dieſes
Winter⸗Semeſters Profeſſor Dr. Kleinſchrod abermals erwählt.
Das Dekanat der theologiſchen Fakultät behielt nach den bes
ſtehenden Geſetzen der neueſten Univerfitäts- Organifation der Senior ,
Regens und Brofeffor Dr. Lömwenbeim Zum Defan der juri-
diſchen Fakultät wurde Profeffor Dr. Mebger, und zum Defan
der medizinifchen Fakultät wurde Profefior Dr. Elias v. Sie»
bold gewählt, Das Dekanat der pbilofophifchen Fafultät ver»
blieb in den Händen des Profeſſors Dr. Andres.
Am 4 December vor. 8. if von Seiten einer Großherzoglichen
Zandesdireftion folgende Verordnung ; den Befuch fremder Univerfitde
ten , Gymnaſien und anderer Studienanflalten betreffend ‚, durch dag
großberzogliche Regierungsblatt (Ar. 29. v. 3.) erlaffen warden:
Dem Bernebmen nach befuchen mehrere Söhne großhberzoglicher
Unterthanen auswärtige Univerfitäten, Gymnaſien und andere Studien»
anſtalten, obne hierzu die allerhöchſte Iandesherrlihe Erlaubniß nach»
gefucht und erhalten zu haben; insbefondere fol dieſes der Fall auf
(5)
3)
42
Seiten folcher Individuen feyn , welche durch die im Sabre 1810 abs
gefchloffenen Stanatsverträge neue Unterthanen des Großberzogtkums
geworden find.
Da nun der Befuch fremder Univerfitäten und Studienanflalten
den ſchon früher beflandenen landesberrlichen Verordnungen entgegen,
und divfen lebten im Allgemeinen eine gefebliche Anwendbarkeit” auf
die neu angefallenen Gebietstheile verichafft worden if; fo wird mit
allerböchfter Genehmigung Seiner Kaiferlid Königlichen Hoheit bier
mit verordnet:
1) Zeder Inlander, welcher fich den Wiflenfchaften widmet, iſt ver
bunden ‚ die zu feiner literarifchen Ausbildung erforderlichen Stu⸗
dien au der vorgefchriebenen Art auf einem vaterländiihen Gym⸗
naflum und der großberzoglichen Univerfität zu Wurzburg geich-
mäßig zu vollenden. Nur erit nach ordnungsmäßig zurückgelegten
müerſttätsſtudien — und auf eine bierzu erhaltene befondere aller»
böchite Bewilligung findet-der Beſuch einer auswärtigen Studien
: anttalt Statt. |
2) Sollten ganz befondere Gründe eintreten, welche für einzelne In⸗
dividuen den frühen Beſuch einer fremden Unwerfität erwünſch⸗
Jic) z und. fomir seine Difpenfation von der beitebenden allerhöchſten
Unordnung nothwendig machen, fo bleibt ed. demielben unbenom⸗
men, die für fie fprechenden Gründe bey der großbergoglichen Kane
desdirektion vorzutragen, um weitere Entfchließung zu gemärtigen.
3) Bene Studierende, welche auf fremden Gymnafien, Univerfiräten
oder. fonfigen Studienanitalten fich aufbalten , und eine befondere
allerhöchſte Bewilligung bierzu nicht erhalten baben,. fünnen we
der eine Befreyung von dem aftiven Militärdienſte — wenn fie
bierzu durch ‚die Verlofung ‚einberufen werden , anſprechen, noch
baben fie iemals fich einige. Hoffnung zu einer Verſorgung im In⸗
Iande zu machen, da auf die vorzulegenden Zeugniſſe auswärtiger
Univerfitäten in vorkommenden Fallen feine Berückſichtigung ger
nommen werden wird, wenn nicht zugleich die fpectell erhaltene
allerhoͤchſte Erlaubniß hierzu nachgemwiefen werden wird.
4) Wegen eintretenden befondern Rückſichten foll jedoch zufolge aus
drücklicher allerhöchſter Entichließung diefe Verordnung auf jene,
welche dermal fchon wirklich auf einer ausländifchen Lebranfialt
ſich befinden, für den gegenwärtigen Winter: Semeiter Feine An
wendung baben. |
Schlüßlich
6) wird ſämmtlichen Polizeybehörden aufgetragen, die betreffenden
Aeltern und Vormünder von dieſer Verordnung in Kenntniß zu
ſetzen, hiernächſt aber bey Aufnahme der Volksbeſchreibungen die
Namen der entgegen handelnden Individuen beſonders vorzumer⸗
ten, fo mie auch bey Vornahme der Militärkonſeription den be»
43
treffenden Stellen die genauefle Vollziehung der in gegenmärtiger
Verordnung enthaltenen Beſtimmungen auferlegt wird. -
Auch in dieſem Jahre gerubeten Se. K. K. Hoheit der Erzber:
309 Großherzog allergnädigit , aus Allerhöchſtihrer Privatbibliorbet die
großberzogliche Unive ſitäts Bibliothet in zwey verfchiedenen Sendun⸗
gen mit einer großen Anzabl böchiinüßlicher Werke, befonders naturs
hiſtoriſchen und geographiſch biloriichen Inhaltes Au beichenfen, wor⸗
unter fich mehrere Prachtwerke z. B. des Grafen von Hoffmanns
egg, und des Prof. Link „Zlore portugaise“ u. a. m. befinden.
Se 8. K. Hoheit der Erzherzog Großherzog baben durch ein
am 23. Februar erlafienes Nefeript dem bieligen botanifchen Zuſtitute
eine andere und zweckmäßigere Verfaſſung zu geben gerubet. Dafielbe
iſt num nicht mehr, wie bisher, dem Adminiſtrations ⸗· Rathe des Julius⸗
Hoſpitals, ſondern als Attribut der Univerſität, der Univerſitäts-Cu⸗
ratel untergeordnet. Zum Direktor deſſelben iſt der Profeſſor der Bo⸗
tanik, Dr. Heller, ernannt, und es wurde nebſt dem Gärtner zur
Betreibung der Gefchäfte noch ein eigener Gehülfe, deſſen Aufnahme
nach Vortrag des Direktors von der Univerfitätg» Curatel beſtimmt
wird, aufgeſtellt. |
Bon der afademifh-mufifalifhen Bildungsanflalt wur⸗
den in diefem Winter « Semerler unter der Direktion ihres Vorſtandes/
„des Brofeflors Fröhl ich zwey öffentliche Liebhaber⸗Concerte in dem
dazu im vormaligen Domkapitelhaufe angewieienen und eingerichteten
Saale aufgeführt.
Zu ordentlichen Profefloren der erfien Klaſſe wurden mit dem
damit verbundenen Gehalte die Profefloren Dr. Blümm, Dr. Ru»
land und Dr. Schön allergnädigft befördert. Aufierdem wurden
mit Beybehaltung ihrer Profeflur Brof. Dr. Geier zum Landesdirek⸗
tionsrathe bey der Rentkammer, Prof. Dr. Keinider zum Conſiſto⸗
rtalratbe, und Prof. Dr. Schmidtlein zum wirklichen Hofgerichts⸗
rathe allergnädigſt ernannt.
Profeſſor Dr. Schön erhielt von Sr. königlichen Hoheit dem
Großherzoge von Frankfurt und Furſt Primas, höchſtwelchem er feine
neueften Schriften überfendet batte, eine huldvolle Antwort nebit der
demfelben beygefügten goldenen Verdienſtmedaille.
Profeſſor Dr. Spindler hielt in dieſem Winter⸗Semeſter mit
beſonders dazu erhaltener allergnädigſter Erlaubniß Privatvorleſungen
‚über den thieriſchen Magnetismus.
Die medizinifche Doktorwürde erhielten nach vorausgegan⸗
gener Prüfung Pr. Karl Thurn aus Darmfladt.. Großherzoglich
Heſſiſcher Staabschirurg / und der Studierende Hr. Richard Gerhar⸗
di ans Halver im Großhergogtbume Berg.
44
| Akademiker zählte man in biefem Winter» Semefker 282,
und unter diefen 190 Inländer und 92 Ausländer. Bon Diefen 282
Afademikern fludierten 27 Theologie, 59 Nechtsgelehrtheit, 60 Medizin,
46 Chirurgie, 10. Pharmazie , und SO Bhilofophie.
Don afademifchen Schriften erfchien aus der Univerſitatz⸗
Buchdruckerey als Differtation: Wilhelmi Wohn lich (Carls:
ruhani) disseriatio anatomica de Aelice pomatia et aliquibus
aliis huic affinibus animalibus e classe moluscorum gastero:
podon. Cum tabula aenea. 1813. 46 Seiten in 4.
Das Verzeichniß der Borlefungen auf der Zulius «Uni
verfität für das Sommer » Semefler 1813 iſt bereits erfchienen. Da
Anfang der Vorlefungen wurde darin auf den 26. April feſtgeſetzt
Ehrenbezeugung.
Se. Maj. der Kaiſer v. Oeſterreich, nach dem Beyſpiel Allerhoͤchſtder⸗
Ahnen ruhmwürdigen Andenkens, immer gewohnt, ausgezeichneten Ge⸗
lehrten Beweiſe von Huld und Gnade zu geben, haben dem Ritter
Silveſtre de Sacy, als dem eriten Drientaliften Sranfreichs, eine
mit Allerhöchſtdero Namenszug brillantirten Ning zugufenden gerukt,
‚welcher demfelben durch den Borhfchaftsrath , Ritter v. Floret, im Nas
men St. Majeſtät übergeben worden it. (Wiener Zeitung vom 2,
April.)
Etwas zur Vertheidigung meines Verſuchs: 11 eber das
Princip des Strafrechts, gegen die Recen—
fion im Zuly » Heftv. J. S. 683 ff.
Ich felbit fühle, dag meinem Verſuche die Bolitändigfeit der
Gedanfenfolge und die Klarheit der Entwicklung abgeht, welche eine
vollendete Darflellung bezeichnet. Doc hoffe ich, wird der Vortrag
mindefens fo vollſtändig und klar feyn, daß folgende Anſichten, melde
die eigentliche Tendenz meiner Schrift andeuten , ihr Dafeyn entichul
digen.
4) Die Haupt-Frage, weldhe man, um eine Wiff enfchaft (chen
nad) dem Wortverfiande ein auf Einheit gebrachtes Wiffen) zu be
gründen, aufwirft , fann nicht den Sweck der Wiltenfchaft, fon,
dern muß ihren Urſprung betreffen (Brincip). Der bödhik
Zweck einer Wiffenfchaft ift zwar im der urfprünglichen Bedeutung
derfelben enthalten. Aber dennoch iſt es unrichtig und führt ju
irrigen Vorſtellungen, wenn man (klar oder dunfel) von dem Bes
duͤrfniß eines feſten Princips geleitet, die Unterfuchung unmittelbar
45
auf den Zweck der Wiffenfchaft (mithin nicht auf das Beflimmende,
fondern auf das Beſtimmte) richtet. Man glaubt dann leicht den
Z3 weck ergriffen zu haben, wo man doch der Erfabrung nur dem
nächnen Erfolg abgemerkt bat. Dadurch muß nothwendig die
Wiſſenſchaft fchon im ihrer Anlage geſtört und in ihrer urfprüngli«
chen Bedeutung herabgewürdigt werden. |
2) Um die urfprüngliche Bedeutung einer Wiffenfchaft zu erforfchen,
muß man an der Hand der Erfahrung bis zu den allgemeiniien Ges
feßen des Seyns und Lebens hinauf» und von diefen wieder bis zu
dem eigentbümlichen Charakter der in Frage genommenen Wiffen-
ſchaft herunterſteigen. Nur durch die Zurückfuhrung des gefammten
Mannichfaltigen auf Einheit kann die wefentliche Bedeutung des
Einzelnen ausgemittelt werden,
3) Die Ausmittelung eines Princips für die Strafrechtswiſſenſchaft
ift, nach dem mas die leßtverfloffenen Jahrzehende, tbeils fur die
praftifche Seite derfelben , tbeils für die logifche Verbindung ihrer
einzelnen Theile geleitet haben, dringendes Bedürfniß der Ges
genwart.
4) Hieraus it klar, daß man, um die Natur des Rechts zu be
ſtimmen, nicht fragen darf, wozu nüßt das Recht? (eine Frage,
die eben fo unflatthaft wäre, als bey einer Unterfuchung über die
menfchliche Natur, die Frage, wozu nüßt der Menſch?) fondern
man bat das, was die Sprache: Recht nennt (nachdem man deflen
Realität nachgemwielen) , fo aufzufaflen, mie es fich in ung darfiellt
und den Strebyunft aus dem innerſten Weſen deffelben (dem In⸗
terefie für innere Gleichheit) zu firiren. Gleichmäßig ift das Wer
fen des Staats zu erörtern, deſſen Dafeyn zunächſt durch das
Bedürfniß, dem Nechte äußere Gültigkeit zu verfchaffen , bervorges
rufen wird. Das Strafrecht iſt nur ein abgeleiteter Begriff,
bey deſſen Bellimmung es daber blos nöthig iſt, die befondere Ber
ziehung auszumitteln, welche ihm neben den generifchen Merkma—⸗
len des Rechts zufommt. Diele befondere Beziebung liegt in der
Aufhebung derienigen Ungleichbeiten des Rechtszuſtands, welche,
durch gewaltfame Störung des Beſitzſtandes (das
einzig ausreichende Unterfcheidungsmerfmal zwifchen dem bürgerli«
chen und peinlichen Nechte) , verurfacht worden, Gewalt im weis
tem Sinn des Worts genommen.
5) Demnach fann ſich die Wirffamkeit des Etrafrechts nur nach
dem Brincip der Wiedervergeltung richten. Nach dem
richtig. verfiandenen nämlich, wo man nicht etwa blos auf die
Dualität der Verlebung Rüdficht nimmt, fondern diefe zurück⸗
führt anf die Quantität, worauf bey Ansgleichung einer Stö⸗
rung des Rechtszuſtandes Alles anfommt.
6) Stellt man diefer Deduftion ohne fich auf das unabmweisbare:
warum? einzulafien, den Eat gegenüber: Strafe kann als
46
Zwang, doch nur der Sicherheit wegen angewendet werden, I
frage ich zuerſt, nie tommt diefe Erhaltung der Sicherheit (ein
offenbar politifcher Zweck) mit dem Rechte in eine fo weſentliche
Verbindung? Unſicherheit if freplich die Folge jeder widerrechtl
chen Störung. Folgt denn aber darans, daß es Sache des Recht
ſey, die geſtörte Sicherheit wiederderzuitellen? — Dann kann id
fogar behaupten, daß der Anwendbarkeit der Abſchreckungstheoricen
durch die Erfabrung widerfprochen ward, daß vielmehr diefe gan
einig fen, mit dem, mas die Bernunft mit Nothwendigkeit gebi⸗
tet. Man nehme an, die Strafen feyen beitimmt, zumächt ar
die Sinnlichkeit der Menichen zu wirken und die Vollziehung (nicht
die ſtilſchweigende Genehmigung) der Verbrechen, durch Abfhre
Kung zu bindern, würden dann nicht die fürchterlichiten Straf
bie beiten jenn? Gleichwohl hat die Erfahrung gelehrt , daß man
durch Strafen, die das Maaß der Gerechtigkeir überfchreiten, Katt
die Sicherheit zu befeſtigen, gerade umgekehrt die Unſicherheit er
nährt bar, indem man die an fich freye, gegen jede umgerechte
Gewalt anſtrebende Menfchennatur dadurch recht eigentlich u Ber
brechen reißt. Sollte uns dieie Wahrnehmung nicht überzeugen,
daß es vergeblich fey, ſinnliche Triebe durch finnliche Hebel de
fämpfen zu wollen, daß man vielmehr unmittelbar auf das Br
mürb der Bürger mwirfen müffe, indem man es (durch die Stra
ge der Wiedervergeltuug ) mit der Idee der Gerechtigkeit ju afül
len fucht? —
Diefe Anfichten find es, die vielleicht der Titerarifchen Eriten,
meines Verſuchs gegen den Tadel des Hrn. Necenfenten das Wert tv
den. und die ich (durch mancherley Zufälle und widrige Verbängnilt
von einer frubern Erklärung abgebalten) bier andeuten zu fünnen ge
glaubt babe, ohne den Meinungen der Yudividualität ungebübrlid
nachzjugeben. Doch verlangen auch diefe ihr Recht in einer doppelt
Bemerkung. |
Die eine betrifft die Form des Vortrags, der doch im der Thet
dadurch , dafi er als narurphilofophifch bezeichnet wird, noch nicht ver
urtheilt ſeyn kann. Ich fullte meinen, in Dinficht auf Gegenhfände /
bey denen der Verſtand nicht ausreicht, ſey es eine Bedingung di
Bortrags, dad Gemüth durch eine lebendigere Darſtellung, , die allge
meine Geſetze nicht blos abgeriffen hinſtellt, fondern im ihrer Verbin
dung mit dem Ganzen zu ergreifen fucht, in Bewegung zu ſetzen u
für den Gegenſtand zu erwärmen. Iſt es demnach wohl ein Tadel,
wenn man neben dem Zugelländniffe natürlicher Redſeligkeit,
die faſt zur Beredfamfeit geworden wäre, noch zu tt
tennen giebt, diefe oder jene Stelle babe etwas trockner ausgedtüct
‚werden fünnen ?
Die andere Bemerkung bezieht ſich auf eine Aeußerung dei In.
Recenfenten, über den Wertbe meines Buches, von einem höbern
47
Standpunft aus gewürdigt. Es foll, durch Einkleidung Tänaft bekann⸗
ter oder balbwahrer Säße in unpaflende Formen (wenn ich anders dig
Bilderfprache des Hrn. Necenfenten richtig überſetze), ein leibhaftiges
Bild unferer Seiten geworden ſeyn. Ich kenne die Anfichten nicht,
welche der Hr. Necenfent von unferer Zeit genommen bat, Wären. fie
Die meinigen, fo möchte Er das gefuchte Abbild unferes egorflifchen
Seitalters viel eher in der Nüblichfeit-Theorieen finden, bey denen man
felbiifüchtig nur das Nächſte in Anfchlag bringt; wären fie aber ver⸗
fchieden , fo wäre ein Streit über diefe Verfchiedenheit bier eben fo
febr am unrechten Orte, als die lediglich auf individuelle Anficht ger
gründete Bemerkung des Hrn. Necenfenten in einer Abhandlung ih
einen wiffenfchaftlichen Gegenſtand.
Leipzig, den 1. Hornung 1813,
Dr. Guflav Hänfel.
Da. — Antikritik durchaus nichts zur Widerlegung der
vom RNezenſ. vorgebrachten Bemerkungen ſachdienliches enthält, fo ber
gnügt er ſich, zu bezeugen, daß er ſie geleſen habe. Uebrigens wünſcht
er dem Hrn. Verfaſſer recht herzlich, daß er bald von der Meynnng
zurückkommen mörge „in Sachen der Lurisprudenz reiche der Ver—
ftand nicht aus, fondern ſey vorzüglich das Gemüdth in Anfpruch
zu nehmen. “
Der Rezenfent.
Ankündigung.
Iahrbücher der teutschen Medicin und Chirurä
gie. Mit Zugabe des Neuesten und Besten aus
der ausländischen medicinischen Literatur,
herausgegeben von Dr. Chr. Fr. Harles.,
An die Stelle des bisher von Herrn Hofrath Harles (Ffeit
4802, und anfänglich in Verbindung mit den Hrn. Etaatsratb Hur
feland, Hofratb Schreger, und Hofratb Ritter) in 10 Bänden
berausgegebenen Sournals der ausländifchen medicinifch » chirurgifchen
Literatur, tritt mit dem Anfang des Hahres 1813 diefe meue Zeit
fehrift, nach. einem viel umfaffenderen Blan, und ihrem größeren Theil
nach der Aufnahme vorzüglich gebaltvoller Driginalabbandlungen deu te
fcher erste und Wundärzte von entfchtedenem Verdienſt, ihrem Flew
nern Theil nach der fortgefebten Mittberilung des Neueſten und. Wife
fenswürdigiien aus der ausländifchen Medicin und Ebirurgie (More
unter fünftig auch die Danifh- Schwedische begriffen feyn wird)
gemidmet.
Eine ausführlichere Anzeige des Planes und der Tendenz dieſer
Zahrbücher, zu welchen ſich mehrere der trefflichſten Aerzte und Wund⸗
48
ärzte Teutfchlands als Mitarbeiter mit dem Herausgeber vereinigt ha⸗
ben , ift in jeder guten Buchhandlung unentgeldlich zu haben.
Diefe Habrbücher erfcheinen in zmey ungertrennlichen Ab»
tbeilungen , die zufammen jährlich fechs Hefte ausmachen werden,
und deren erfie und größere Abtheilung in jährlichen vier Heften,
jedes zu 10 Bogen, die deutfchen Driginalabbandlungen,
Die zweyte in jährlichen zwen Heften die ausländifchen Abhand—
lungen und Nachrichten enthalten wird. Die Hefte der letzten Abtheis
Iung erhalten auch , zum Behuf derienigen Käufer, welche das ältere
Sournal (oder, feit 1810, die Annalen der ausländifchen medicinifch.
chirurgiſchen Literatur) beſitzen, noch einen zweyten Zitel, als: Neue
Annalen der ausländifchen Mediein und Chirurgie.
Der erſte Jahrgang in 6 Heften , jedes zu 10 Bogen , Foflet
4 Thlr. 20 gr., oder 7 fl. 36 fr., und man kann in allen foliden
- Buchhandlungen, fo wie auch bey allen löbl. Poſtämtern und Zeitungs:
erveditionen, die fich fonach mit Hhren Beilellungen an das hiefige Kö⸗
nigl. Oberpoflamt zu menden haben , darauf abonniren.
ob. Leonh. Schrag.
J Anzeige.
Nachrichten aus C. G. Salzmanns Leben betreffend.
unſtreitig iſt es der Wunſch ſehr vieler, die den würdigen Sılp
mann verfönlich oder durch feine Schriften fannten , einige Nachtich⸗
ten über fein Xeben zu befißen. Er felbfi hatte fich vorgenommen,
diefen Wunfch zu erfüllen, hatte aber, als er zu einem höhern Wirken
abgerufen wurde, nur erſt wenige Bogen davon niedergefchrichen.
Diefe findet man in dem
Boten aus Thüringen, Vahrgang 1812,
mwörtlich abgedruckt und das Fehlende von einem Manne hinzugefügt,
Der feit vielen Jahren in der engſten Verbindung mit dem Verewigten
Hand. Außer diefer Lebensbefchreibung, weldye 15 Bogen füllt , ent⸗
hält diefer Jahrgang aud) noch
| die Geſchichte des Landrichters Pappel,
welche der felige Salzmann im Manuferipte liegen hatte, und noch
fur; vor feinem Ende für den Boten aus Thnringen , als ein Andenfen
für die Leſer diefes Blattes, beſtimmte. Es wird darinne gezeigt: der
große Werth eines feiten Vertrauens auf Bott, und des Belirebens
feinen Willen zu erforfchen und ibm gemäß zu leben.
Wer diefen Jahrgang des Boten aus Thüringen, de
bereits ganz fertig iſt, zu befiken mwünfcht, erbält ihn durch jede Buche
handlung, in Heidelberg bey Mohr u. Zimmer, für 20 Gr. (1 fl. do fr.)
Buchhandlung der Erziebungsanfalt
zu Schnepfenthal.
Intelligenzblatt 1813,
—
—
v
Chronik der Univerſitaͤt Heidelberg.
Entbindungsanftalt zu Heidelberg.
Veberfiht der Borfälte vom Jahre 1812.
om erften Jenner bis Ende Dezember 1812 zählten wir 178 Geburtds
fälle, worunter 3 Zwillingegeburten vorfamen, mithin 181 Rinder ımd
zwar 99 Knaben und 82 Mädchen.
Bon diefen 178 Geburtefällen wurden ı2 durch Mithülfe der Kunſt
beendigt, nämlich: 8 vermittelt der Kopfjange und 4 durch die Wen⸗
dung. |
10 Finder famen todt zur Welt, von melden 7 vor der Geburt
todt waren, mehr oder weniger auffallende Merfmahle von Faͤulniß
geigten, und zum Theil unreif waren. Bon den übrigen drey war Eins
fiebenmonatlich.
2 Woͤchnerinnen ftarben , eine in der 3ten Woche an der Bruftwaf:
ferfucht, mir welcher fibon behafter fie in dat Inſtitut aufgenommen
wurde; die Andere den neunten Tag nach der Niederfunft am Kinds
betifieber, welches vom Juny 1811 bis April 1812 in der Anflalt ges
Herrfcht hat *).
*) Eine audführlibe Schilderung diefed Falles, fo wie überhaupt
des Kindbertfiebere, welches in der Anftalt geherrfcht, wovon
ſich aber feir dem Aprıl Feine Spur mehr gezeigt hat, enthält
die Ueberſicht der Vorfälle vom Jahre 1811 (m. f. dad ı1ote
Heft der Heidelberger Jahrbücher der Litterarur
v. Jahr 1812. ) worauf fich feferent ſonach, was die erwähnte
Krankheit betrifft, bezieht.
(6)
50
Art, Derlauf und Ausgang der Geburtsfaͤlle.
J. 175 Kinder ſtellten ſich mit dem Kopfe voraus zur Geburt,
und zwar
A. in der gewoͤhnlichen fage . 2 2 2 2 2.2. . 173
Don Diefen wurden
ı) durch die Naturfräfte vollendet © 2 2 2 0 2 00. 165
Ausgang: Tür fümmtlihe Mütter gluͤcklich. — 159 Kinder
kamen lebendig zur Welt und 6 todt. Von dieſen war Eins ſieben⸗
monathlich; die übrigen 5 waren vor der Geburt todt, und zum Theil
in hohen Grad von Fäulnig übergegangen und unausgetragen.
2) Mit Bephulfe der Hopfjange 2 2 2 2 0 202 8
>. a).Wegen. übergroßer. Schmerzhaftigfeit. der Wehen, anhaltenden
Erbrechend und Außerft trägen Herganged der Geburt *).
b) Wegen zu lange auöfegender, dabey aber Außerft ſchmerzhaften
Wehen und dadurch übermäßig verzoͤgerten Geburt.
Der Ausgang war in bepden Fällen glüdlich für Mutter und
Kind. Im letzten Falle: wog das Kind, ein gefunder, ftarfer Knabe,
9 Pfund. f a
c) Wegen Enge des Bedfeneinganged. Die Streißende, eine fog.
Erftgebärende, Fleim, mager, von. übelm Ausſehen, gelblidyter Ges
fihröfarbe, 28 Fahre alt, menftruirte im ıgten Jahre zum erftenmale,
Sn. ihrer Jugend litt fie an. Rhachitis. Sie hatte ſtark verbogene un:
tere. Gliedmaßen , fog. Säbelbeine. Dad Beden war ſtark inklinirt,
und die Conjugata betrug wiederholten Meffungen gemäß nicht über 3
Zoll. Die Fruchtwaſſer floffen gleich mit der erften Eröffnung des Mute
termundes ab,. deffen Ermeiterung trog der ziemlich ftarfen Wehen
fo langfam gefhahe, daß fie nach 48 Stunden noch nicht 2 Zoll betrug,
Der Kopf war durch dad Zufühlen ‚mis einem und. zwey Fingern kaum
u erreichen. Den Dritten Tag am Morgen nahmen die Wehen an
tärfe zu. Es bildete fich ein anfehnlicher Vorkopf. Der Kopf drang
mit feinem hintern Segment in dem Maag in den Bedeneingang , daf
er die Anwendung der Zange eben geſtattete. In diefem Stande be
*) Verſteht ſich, — ſowohl für diefen, als aͤhnliche Säle — nad
vorausgeſchickter Anwendung des der regelwidrigen Wirkſamkeit
des Uterus u. d. gi. entfprechenden anderwaͤrtigen Verfahrens.
Im allgemeinen ift noch zu erinnern: daß der Fall von un:
gewoͤhnlicher Schmerzhaftigkeit der Wehen und befonder& der
des Fortdauerns der Schmerzen im Unterleibe auch außer den
Wehen — die Zeit hindurch, wo das Kindbertfieber im Gebaͤr⸗
haufe Herrfchend gemefen, häufiger, als font, beobachtet wurde;
und daß man vorzüglich den legtern Umftand einigermaßen, als
übelee Dmen, anzufehen, ſich beredtige, und zum Theil dep:
falis häufiger zur Anwendung Fünftlicher Huͤlfe zu ſchreiten fi
gemuͤßigt fand,
851
harrte er trotz den heftigſten Wehen unbeweglich. Die Geburt wurde
vermittelſt der Kopfzange vollendet. Dad Kind, ein geſundes Maͤd—
den, wog 7% Pfund. Geſund und wohl verlieh die Mutter mit ihm
den ı2ten Tag die Anftalt.
d) Wegen Eonvulfionen und feltener, Außerft unmirffamen und
dabey hoͤchſt fchmerzhaften Wehen. — Die Kreißende litt, vor und bi
au ihrer Niederfunft (die fih gegen 5 bis 6 Wochen zu frühe einftell»
te), 14 Tage hindurch an häufigen Anfällen von Krämpfen und Con⸗
vulfionen mit gänzlichem Vertuft ded Bewußtſeyns. Dem erften Liefer
Anfälle gingen 8 Tage hindurch Wehenähnliche Schmerzen im Unters
feibe mit Auftreibung deſſelben und häufigen nach oben fich entleeren—
den Blähungen voraus, und bey Gelegenheit, als diefe Schmerzen
vorzüglich heftig waren, befam fie den erften Anfall. Die Anfälle ftells
ten fich jeden Tag und oft mehrereMal im Tag und zur Nachtäzeit im
verſchiedenem Grade ein, dauerten oft eine Viertel» nicht felten eine
halbe Stunde und noch länger , und fingen immer mit heftigen , uns
ausftehlihen Schmerzen im Unterleibe an. Diefer ſchwoll auf, der
Uterus wurde hart, erhob ſich, trat hervor. Sie hatte dabey dad Ge⸗
fühl von fchmerzhaften Zufammenziehungen im Unterleibe. Von hiers
aud verbreiteten fich die convulfivifhen Bewegungen über den übrigen
Körper nach oben und unten, und bemwirften alddann bald beengtes,
abgebrochenes , unordentliches, oft aͤußerſt befchleunigted Arhmen, bald
Zuſammenſchnuͤrung ded Halſes, Erſtickungszufaͤlle, Erloͤſchen der Em⸗
pfindung und des Bewußtſeyns; Verdrehungen des Rumpfes und Die
gewaltſamſten Bewegungen und Zuckungen der Gliedmaßen u. d. gl.
Wie gewoͤhnlich, endigte der Anfall mit einem tiefen Schlafe, aus
dem die Kranke mit einem großen Gefuͤhle von Erſchoͤpfung und Zer⸗
ſchlagenheit erwachte. — Die Erweiterung des Muttermundes geſchahe
aͤußerſt langſam; die Wehen waren ſehr unwirkſam, und ſetzten oft
eine und zwey Stunden gaͤnzlich aus, waren aber dabey hoͤchſt ſchmerz⸗
haft. Es ſtellten ſich unter der Geburtsarbeit mehrere Anfälle von
Convulſionen mit gaͤnzlicher Abweſenheit des Bewußtſeyns ein u.ſ. m.
Die Anwendung der wirkſamſten, Krampfwidrigen und anderer Mittel
war ohne Erfolg. Vermittelſt der Zange ward ein 5Y, Pfund ſchwerer
Knabe zur Welt gefördert, welcher anfänglich gehörig athmete und
laut fchrie, bald aber in einen Zuftand von Aſphyxie verfiel, aus dem
er jedoch in kurzer Zeit wieder zurüdgebracht wurde. Die Mutter wurde
von dem Puerperalfieber befallen, genaß, und verließ gefund die u.
ſtalt *).
€) Wegen unmirffamer Wehen, Unvermögend, die Wehen zu —
arbeiten und Blutfluſſes aus der Gebaͤrmutter. — Die Kreißende, eine
*) Sr ausführliche Beſchreibung diefed merfmürdigen dalles ent⸗
ve t dad o. a. Heft der Heideiberger Jahrbücher der Litteratur.
[1 125,
52
Außerft fchmächliche Perſon, fitt an Bruſtwaſſerſucht, als Folge eine
Falten Sieberd, womit fie ſechs Monare fang behaftet war. Der Aus—
gang war glüklich für dad Kind. Die Mutter ftarb in der dritten
Woche an den Folgen jenes Uebels.
£) Wegen Enge ded Beckeneinganges. Ausgang: zlucklich fuͤr
Mutter Und Kind.
g) Wegen Unzulänglichfeit der Wehen nebft überftarfer Ausbil
‚dung der Kopfknochen. — Eine a8jährige, übrigens ziemlich gefunde
Perſon, von mittlerer Größe, zum erftenmdfe ſchwanger, fam mit fels
tenen, unbedeutenden Wehen in dad Gebärhaus. Den Tag vorher
find ihr die Fruchtwaſſer unter fehr geringen Empfindungen im Unter«
leibe abgegangen. Der faum einen halben Zoll geöffnete Muttermund
mar fchwer zu erreihen. Den folgenden Tag mwenig DBeränderung;
die Wehen felten, jedoch fehmerzhafter, aber faft ohne Wirfung auf
den Muttermund. Den dritten Tag nahmen die Wehen an Schmerz«
haftigkeit noch mehr zu, der Muttermund war einen Zoll weit aeöffe
net; der Kopf ftand eben fo hoch. Kinreibungen, Einfprigungen in
die Murterfcheide, Dampfbäder, Halbbaͤder u. d. gl. alled mar faft
ohne Wirfung. - Den vierten Tag am Morgen fand man den Mutter:
mund gegen 2 Zoll im Durchmeffer geöffner. Die Wehen nahmen die
Nacht hindurh an Schmerzhaftigfeit fehr zu, an Wirffamfeit wenis
ger. Der Kopf begann in etwas mit feinem hintern Segment in den
Bedeneingang einzudringen, ohne die mindefte Hautfalte zu bilden
Am Nachmittag war die Lage der Sache beynahe diefelbe. Die durch
die fange Dauer der Geburtdarbeit, durch die fchmerzhaften Wehen
und. die vielen fchlafiofen Nächte erfchöpfte Kreißende verlangte fehr
nah Huͤlfe. Trog des hohen Kopfitanded ſchritt man zur Entbindung
vermittelt der lepretfchen Zange. Die Durchführung des Kopfes durch
den Bedeneingang und dur die Beckenhoͤhle war Außerft ſchwierig,
erforderte Die größte Kräfte » AUnitrengung und dauerte beynahe eine
Stunde. Das Kind, ein todter, ſtark ausgebildeter Knabe, mog 734
Mund. An dem bedentend ſtarken Kopfe waren die Kopffnoden in
dem Maße audgebilder, daß man fait Feine Spur von Fontenelle an
demfelben fand. Während der Entbindung bemerkte man fein überein-
ander Schieben der Kopfknochen. Dad Wochenbett war äußerft glüds
li, ohne die gerinafte Erfpeinung von Uebelbefinden. — Gleich nad
der Nisderfunft geftand die Entbundene einer vertrauten Sreundia, daß
fie feit 24 Stunden fein Leben ded Kinded mehr verfpürt habe, wovon
fie während der Geburt immer dad Gegentheil vorgab. — Diefe Per:
fon war immer an fchlechte Nahrung gemöhnt, hatte befonderd die ganze
Schwangerſchaft hindurh Mangel an Epluft, aß wenig und meift nur
Vegetabilien, führte gegen ihre Gewohnheit die Schmangerfchaft hins
Durch eine mehr figende Lebensart, und bewohnte eine kleine feuchte
Stube.
h) Wegen zu frühen Abgangs der Fruchtwaſſer und nicht gehoͤrig
wirkſamer und ungemein fehmerzhafter Wehen, wobep die Schmerzen
53
im Unterfeibe.auch außer-den Wehen fomdauerten. — Die Kreißende,
-eine gefunde Perfon von 27 Jahren ,. zum erftenmale fchwanger , erhielt
ihre Menftruation 'erft in ihrem zwanzigſten Jahre. Der Abflug der
Fruchtwaſſer erfofgte am Morgen ohne alled Gefühl von Wehen bey
: kaum merfbarer Eröffnung ded Muttermundee. Am Nachmittag ftells
ten fich die erften Wehen ein, die bid zur Nacht auf den dritten Tag
zwar äußert ſchmerzhaft, aber wenig wirkſam und bald mehr, bald
weniger heftig waren. Trotz ‚die Wehen den dritten Tag an Heftigkeit
bedeutend zugenommen und häufiger geworden: fo beharrte Doc der
Kopf über ſechs Stunden fait unbemeglih im WBedeneingange ohne
wahenehmbares Mißverhäftniß jenes zu dieſem. Auch außer den Wer
ben dauerten Die Schmerzen im Unterfeibe und Kreuz fort. Dampf
bäder, Frampfftillende Einreibungen in den Unterleib, ähnliche Kly⸗
‚tiere u. d. gl. wurden fruchtlos angewandt. Durch bie Zange murde
ein gefunder Knabe zur Welt geförderr. Ausgang: Den ıgten
Tag nach der Entbindung verließ die Mutter ſammt dem Kinde gefund
die Anfalt.
B. In ungewöhnlicher Lage 2 2 2: 2 22 nen |
ı) Die Stirn ftellte fib zur Geburt. — Der Bedeneingang mar
durch Einwaͤrtsbiegung des queeren Afted des Schoßbeined in der linfen
Seite etwad verengert, die Wehen lang audfegend und ungewöhnlich
fchmerzhaft. Es zeigten fih Merkmale von Zufungen. Die Kreißende,
ein reizbared, zu Krämpfen geneigtes Subjekt, litte fruͤher an Gicht.
— Die Verſuche, dem Kopfe eine Lage zu geben, in der er hätte fün-
nen geboren oder wenigftend durch die Naturfräfte in dem Maße in
den Bedeneingang getrieben werden, daß die Entbindung vermirtelft
der Zange füglic hätte unternommen werden fönnen, waren vergeblich.
Die Geburt wurde dur die Wendung vollendet. — Der Erfolg
war glücklich für die Mutter. Das Kind kam todt.
2) Geſichts lage, die ſich fehr einer Haldlage näherte, mit nach
vorn und rechts gerichteter Stirn. — Die Kreißende, eine übrigens
gefunde Perfon von kleiner Statur, 30 Jahre alt, hatte ſchon zweymal
geboren. Sie hatte einen überaud ſtark ausgedehnten Leib. Der Mut:
termund ermeiterte fich ungemein langfam. Die Wehen folgten zwar in
nicht zu großen Zmwifchenräumen auf einander, waren aber außerordent=
Sich ſchmerzhaft, wirkten anfänglich wenig und fpäter gar nicht mehr auf
den Muttermund. Man fchritt zur Wendung, unter welcher man die
Nabelſchnur um den rechten Schenkel und die rehte Schulter gewidelt fand.
Der Audgang war glüdlih für Mutter und Kind. Letzteres,
ein Knabe, wog 10%, Pfund, war 22 Zoll lang, kam aſphyktiſch zur
Welt, wurde jedoch fehr bald ermedt.
IL. Steißlagen hatten wir » 2 2 2 0m 0. . 2%
In beyden Fällen wurde die Geburr durch die Naturfräfte vollen»
det. — Ausgang: im erften Falle glüdlich für Mutter und Kind,
im zwepten war dad Kind unreif und faul.
54
HI. Sußlagen BE Re a N LE Be ER a 66
Bepde betrafen Zwillingsfaͤlle, in denen fich der erſte Zwilling mit
den Füßen, der andere mit dem Kopfe voraus zur Geburt ftellten.
Bende Fälle wurden durch die Kräfte der Natur gluͤcklich für die Muͤt⸗
ter und Kinder (fammtlich Mädchen) beendigt. (Die dritte der vorge:
fommenen Zmwillingdgeburten gab einen Knaben und ein Mädchen, wel
che fih bevde mit dem Kopfe voraus zur Geburt fteliten. )
IV. Querlagen ereigneten Üb - . vo 00. 2
A, Beckenlage — Die linfe Hüftgegend ftellte fich zur Geburt.
Die Sruchtwafler waren den Tag vorher ohne voraudgegangene Ems
pfindung von Wehen abgegangen. Die Verſuche, den Steiß einzulei-
ten, waren vergeblid. Die Wehen waren fehr fchmerzhaft, und Die
Schmerzen im Unterfeibe dauerten auch außer den Wehen noch fort.
Der dem Muttermunde nahe gelegene linfe Fuß wurde herab gefördert,
und die Geburt unter Mitwirfung der Natur ziemlich leicht und bald
beendigt. Dad Kind, ein Mädchen, gab einige Spuren des Lebens
von fih, mar aber troß aller angewandten Mühe nicht zu ermeden. Die
‚ Mutter wurde den dritten Tag von dem (damald im Gebärhaufe herr:
ſchenden) Kindberrfieber befallen *).
B. Bruftlage. Beendigt dur die Wendung.
Der Audgang war glüdlich für die Mutter. Das Kind war un:
audgetragen und ftarf in Faͤulniß übergegangen. Die Mutter, melde
mit der Luftfeuche behaftet war, hatte 6 Wochen vor ihrer Niederkunft
eine heftige Gemürhöbemegung, die ihr mehrere Ohnmachten zugezogen,
worauf fie feine Bewegung ded Kinded mehr verfpürte, die Brüftt
welk wurden, und alle Zeichen vom Tode des letztern fich einftellten.
Bebärmutrerblurflüffe nach der Geburt Famen 3 vor. Sie wurden
geſtillt durch Reibungen des Unterfeibed mit der Hand, Einfprigungen
aus gleichen Theilen Eifig, Branntwein und Wafler und einige Gaben
der Zimmteffenz. In einem alle war die Fünftlihe Löfung und Herr
ausnahme der Plazenta durchaus nothmwendig. Der Erfolg war in
ſaͤmmtlichen Faͤllen gluͤcklich.
Im Winter 1811 in 1812 beſuchten 31 und im Sommer 1812 —
22 Studierende die Anftalt. Ueber ihre Einrichtung und Benugung
zur praftifchen Ausbildung angehender Beburtähelfer f. m. den Alma—
nah der Univerfität Heidelberg auf das Jahr 1813,
(Heidelberg by Engelmann.)
eidelberg im Februar 1813.
e B Dr. Nägele.
*) M. ſ. das angeführte Heft der Heidelb. Jahrb. d. Litterat. ©. 130.
— — — —
65
Beförderungen und Ehrenbezeigungen.
Der befannte Mineralog Dr, Leonhard, feitheriger Kammer:
rath zu Hanau, ift von Gr. 8. H. dem Großherzoge von Frankfurt zu
deſſen Seheimenrarh und Ritter des Eoncordat = Ordend ernannt worden.
(Eingefandt.) Se. Kön. Mai. v. Würtemberg haben allergnädigft ge⸗
ruhet, dem Rector und Prof. D. Graͤt er zu Halle auf die allerunterthäs
nigfte Einfendung feiner neuften, von ihm herausgegebenen Werke, dem
afterthümlihen Magazin, Odina und Teutona und der damit vers
bundenen Alterthumszeitung Idunna und Hermode, zum Beweis
der allerhoͤchſten mohlgefälligen Aufnahme, eine prächtige goldene Tas
batiere, 20 £ouisd’or an Werth, zu überfenden, und Demfelben- die
allerhoͤchſte Gefinnung durch ein eigenhändiged gnädiged Cabinets⸗
fchreiben ded Herrn Minifter-Staaröfecretärd, Srepherrn v. Vellnagel
Ercellenz, zu erkennen geben zu laflen. |
Todesfall
Am ı2ten May 1813 Rarb zu Franffurt am Mayn an einem boͤs⸗
artigen Nervenfieber der hoffnungsvolle Arzt Dr. Chriſtian Fried—
ri Baprhoffer, Privardocent an der dafigen medicinifch = hirurs
giſchen Specialſchule, Verfaffer der erft kuͤrzlich erfchienenen „Bemerkun⸗
gen über dad epidemifche Kindbetterinnenfieber, Frankfurt 1812. 8. *
im neun und zwanzigften Lebensſahre. Mit weit umfaffenden Kennt⸗
niffen und dem biederften, edelften Charakter verband er die anfpruche
fofefte Beicheidenheit, und ed waren deswegen nur Wenige, die ihn
und feinen Werth gehörig Fannten, doch dieſe Wenigen ſchaͤtzten und
liebten ihn um fo mehr.
Antikritik.
Antwort in Bezug auf die Recenſion der Predigten in Nr. 26.
der Heidelbergiſchen Jahrbücher der Litteratur von 1813,
Der Recenfent meiner Reden über die hriftlide Reli»
gion ( Heidelberger Jahrbücher 1813. ©. 399.) hat, um an mir ein
hredlich warnendes Beyſpiel zu zeigen, aus der Rede über die Bes
deutung ded Abendmahls eine Stelle ausgehoben, hinzufügend , daß
1 etwas im neunzehnten Jahrhundert üöffentlih von der Kanzel ges
procen worden. In der Vorrede ift mit dDeutlihen Worten gefagt,
Daß die Rede über die Bedeutung ded Abendmahld, wie auch die zmepte
Rede, weder jemals gehalten, noch zu dieſem Zwecke auögearbeitet wor:
den. Diefed diene dem Recenſenten, der alfo nicht einmal die Vorrede
geleſen, zur Nachricht und Beherzigung. |
Ueber den Standpunft, von welchem aud der Recenfent mich bes
urtheilen will, wie über die, ſchonungsloſe Weife, auf welche er , ohne
nıich verftanden zu haben, über mich abfpricht , geziemt mir nicht mit
ihm zu rechten, weil ich es unter meiner Würde halte, mit einem.
56
Manne Worte zu wechſeln, welcher, wenn ich nach feiner vorliegenden
Schreiberey urteilen darf, zu befangen und zu vergaffe in fich ſelbſt
iſt, als daß er eine fremde. Eigenchümtichkeit mit Rahe betrachten, mit
Klarheit anffaffen, und im Zufammenhange daritellen fünnte. Das
Lob , welches der gute Mann meiner Rede über die Maria gefpender,
würde ich Au verdienen glauben und mit Danf von ihm annehmen,
wenn ih ſchon das Mädchen und die Frau, wie fie ſeyn
gr en, nach ihrem Werthe gewürdigt. Aber zu dieſer herkuliſchen
ebert werde ich mich nicht eher gerüftet nlauben, als bie es mir
möglich geworden, ſtatt des Weins der Alten, welcher mich bis jeßt
egen alle Unbilden der Zeit gefräftigt, aus Kotzebue's Brunnen zehn
Are hindurch Waſſer zu trinfen. Dann würde ih, mie der Necenf.
chon rc von mir waͤhnt, betrunfen fepn, und wie er, den Wald
vor den Bäumen fehen. Doc ich werde, damit Diefes nicht geichehe,
nach allen, meinen Kräften wachen und beten.
Dr. Johann Schulze.
Antwort des Recenſenten.
Id habe nicht nur die Vorrede des Verf., ſondern auch, wie die
Recenſion zeigt, die Predigten ſelbſt gelefen; e& iſt mir aber entgangen,
daß die Predigt über das Abendmahl, nicht wirklich achalten werden
ſey. Man leſe alfo, fatt: „So etwas wurde im neunzehnten Jahr:
undert, in Weimar oͤffentlich von der Kanzel, vor einer vermifchten
erfammlung von Sünglingen, Männern, Sjungfrauen und Weihern
epredigt“ — „So etwas wird im neunzehnten Jahrhundert, Juͤng⸗
ingen, Männern, Jungfrauen und Weibern öffentlich, in Reden über
die Ehriftliche Religion, alfo, als Chriſtenthumslehre, dargeboten! !“ —
und die Warnung vor folhen empörenYen Profanationen des Heiligen,
bleibt gleich nothwendig. Ob ed indeß befier fen, wenn der Verf. im
einer Predigt, Die er wirklich gehalten hat, (©. 229) behaup-
tet, daß man auch „an dem Buſen eines fiebend » geliebten Weſens,
den Triumph über die Erde feyernd, an ib, und der Welt, ein Werf
Der Erlöfung (sic!) vollbringen fönne, weil. Erföfung, „Erz
tödtung des Fleiſches“ (am Bufen eines geliebten Weſens!) ift; ob
man die angeführren Stellen, auch nur meift verftehen könne; ob
der gährende , beräubende Moft, bien der Verf. giebt, auch nur die min-
deſte Aehnlichkeit mir dem reinen Wein der Alten habe; ob auch nur
Ein Wort der Recenfion, in der fogenannten Antwort widerlegt ſey,
und wie Koßebue oder die Kunfl, ein auted Mädchen zu, werden,
mit Diefen Reden und ihrer Recenfion zufammenhängen: darüber mag
dad Publifum entſcheiden, und hat wohl ſchon enrfchieden.
Dtustehler:
in der Recenfion von Grimms Dänifhen Heldenliedern, bie
durch unleferlihe Handſchrift entftanden find, und die der Recenfent
zu verbeflern bittet.
©. 162 im 3. Abſatz 3.2 1. Folkeſange. 3. 16 Tilffuer, 3. ı9 Armne,
S. 163 3. 3 ———— — &, 165 im 2. Abſatz 3. 3.
mit feinem Diefer Art. ©. 177 ım 2. Abf. 3. 6 v. unten, I. Liebhaber
und Forſcher. ©. 179. 3. ı I. führt fi. S. 180 3. 22 I. (vermurhlich,
weil 2c.). ©. 188 3.20 ſtatt mit I. mithin. ©. 1903. 5. I. Sayers,
2 11 Heldenzeit. S. 197 3. 20 ft. Zorn I. Zord Ein paar andere
feinigfeiten wird der gelehrte Leſer teicht ſelbſt verbeſſern.
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