Zur Erinnerung
an Immanuel
Kant
HALL
GASE
ftaftatH CMIqpr liftnts
ROßbiNS UBRARY
«r nw
DEPARTMENT OF PHILOSOPHY
THB nirr or
REGINALD CHAUNCEV ROBBINS
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I
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ZUR EßmNERUNG
AN
IMMANUEL KANT
1
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7
ZUR ERINNERUNG
AN
IMMANUEL KANT
ABHANDLUNGEN
AUS ANLASS DER HUNDERTSTEN WIEDERKEHR
DES TAGES ÖEINEÖ TODES
HERAUSGEGEBEN
▼OH MB
- UNIVERSITÄT KÖNIGSBERG -
HALLE A. a
▼BBIAO DER BUGHHANDLDNO DES WAI8BNHAD8E8
1904
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Harvard University.
PWIOS, Oept. Library
^ HARVARD^
UNIVERSITY
LIBJIARY
INHALT.
S«i<«
I. Jin^Tüs Walter. Zum Gcdflfhfnis Kants 1
II. LpDviG BüsaE, Kants erkenntnistheoretischcr Standpunkt in der „Nova
nilnniflAtin'^ . , , . , , . , . , , , , 15
III. AüQPOT DoKWER, Über die Entwicklungsidco bei Kant 55
IV. Friedrich Haict, Einige Gedanken Ober Kant und Peschel 91
V. Otto Fm:fKE, Kant und die altindieche Philosophie 107
VI. Alfred Mawiok, Über Roclttswirktingen und juristisclie Tatsachen . . . 143
VII. Wilhelm ühl, Wortscltatz und Sprachgebrauch bei Kant 1G3
Vin. Otto (jiiAMKXvviTy., Der Wille des Stifters 179
IX. Hermawk Baümqart, Die Grundlagen von Kanta Kritik der ästhetischen
Urteilskraft 203
X. A. Bezzeitberoer, Die sprachwissenschaftlichen Äußerungen Kants . . . 251
XI. Eduard Kohlraübch, Über deskriptive und normative Elemente im Vcr-
geltungsbcgriff des Strafrechts . . - 2G7
XII. Lünwio Jeep, Die Kantiachon Kategorien und die BehaiTÜnng der antiken
Grammatik 285
XIII. Otto Weiss, Die Synergie von Akkommodation und Pupillcnreaktion. Mit
3 Figuren 295
XIV. Franz MF>Fn, Kant vm<l das Wesen des Neuen in der Mathomntik . . 305
XV. Ak.\'oi.i> Kowalewski, Kants Stellung zum Problem der Außünwoltexiätenz 327
Sachregister 367
I
ZUM GEDÄCUTNIS KAATS
fiEDB ZUR HDNDIIBISIEN WIKPKBgBHB BEB TAOEB SBlllSS fOBEB
IN DER AULA DBB ALBEBTINA AH 12. FBBEUAB 1904
QEHALTEK TOK
Dr. JULIUS WALTER
Hoehftnsehnliohe TerMmmlungt
Dem einsgen Gcdeaktogo geschichtlicher Ycrgaiigcnhcit, den diese Hoch'
schule, auf den 18. Januar 1701 zurückblickend, ia öffeallicheir Feier und weiterem
Kreise zu begehen pflegt, hat sich seit langen Jahren schon, in mehr häuslicher
Sitte, ein stiller Emtetag gcistifj^nr Arbeit zugesellt. Kino hocliliei-zifro Stiftiuig
hat ihn in dankbarer Verohruiii; (icni 12. Fi-bniar 1804 geweiht Er sollte iin55eren
jüngeren Komiuilitonen Gisk'geulieit geben, in freiem Wetteifer zu bezeugen, daß
zu ihrem geistigen Bildungswege insbesondere auch (!!<■ Gedanken des Mannes
einen Zugang fanden, als dessen Schüler wir uns mit iluien bekuauen.
Die Bsiilidie Naohbenohalt, in die ein so TeiBchiedettartiges Gedenken
gebeten ist, dacf uns wolil deeeem erinnern, irel<dier Segen dieeem Lmde daiviis
erwaehaen ist, daB auch gesohiohtliofa ao bald naoli jeoem Eieigniaae, das den
Namen Ftenfien, fibenasdiend unerwaitet, mit einer noch ganz im YerboigMten
liegenden Zukunft, und damit audi dieses Land unliSalich mit den poUtisdieii
Qeeehicken des deutschen ToDces verband, — dafi so bald aus dieser jungen
Krönungsstadt auch der Mann herrorgohcn durfte, der unsere Heimat ihrer weiteren
Yolksgemeinschaft dadurch erst recht aneignete, daß er sie aus einer wesentlich
noch empfangenden, geistigen Kolonialexistenz zu selbstbewußt- schöpferischer
Mitarbeit an jener Erhebung des deutschen Geistes" berief, in der er selbst, auch
Andere nach sich ziehend, den GrölUcn ebcnttiutig an die Seiti- trat
Schon dieser Zugeburi^'^keit der (iedanken Kants zu dem weiteie» Ideen-
kreiiie, in dem sich zum ersteumul wieder unterschiediJuä alle Bruciitoilo unseres
Volkes in der einenden Kraft des Geistes verbunden erkannten, durfte diese
Unimsittt, der Totzugspflicht ciiugcdeuk, die ihr die Ortüchkeit auferlegt, das
Becht entnebmen, die Bitte andh in die Feme hin au gleich gesinnte llbmer
sa ricUlen, durch ihre G^nwart oder in anteilnehmendem Gedenken die Weihe
der Feier eiliOhen au wollen, in der wir die hundertste Wiederkehr des Jahxee-
tagea begehen, an dem das Leben Kants sehien ftuHeren AbsehloS fand.
Dodi keineswegs der Yeigangenheit, viehnehr der Gegenwart und Zukunft
ist der heutige Tag zugewandt Auch nicht in die Scliranken unseres Volkstums
ist er gestellt, das doch schon über ein Jahrtausend lang auf den Bahneu des
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Walter: Zorn Gedächtnis Kants.
GeistoK mit «loinen Nachbarvölkern in einem nach Erucbt und Dank nicht mehr
2U enuessenden Verkehre leht.
Im A'criaufe von fünfzig Jühii-'n etw:i hat die l'bciVA'ugung, der sich gleich
niifanglich Mitlobonde, und die (iivjlitca luittT iliueu am freimütigsten crücldossou,
eine ei'neute Zuvei-sicht und eine weit über die Grenzen unseres Vaterlandes
liiuausgchende Yerbreitung gefunden. Wir kSnnen der wegweisenden Enft
schlechthin nicht enthehren, mit der in gleichem Maße die schlichte und doch
so tiefe Lebensweisheit Kants, wie die unnachläBliche Strenge und Wahrhaftig-
keit seines Denkens daa Fortsohroiten der Hensohheit zu fördern Twmag.
Nicht im entferntesten sind wir zu der Hofhiung berechtigt, da& in abeoh-
barer Z^t tSia. anderer Oedankenbau in dnigender, die Homehheit inneiUoh yer-
bindcnder Kraft, die grundlegend«! Lehren der Philosophie i^mts absuKSsen
bestimmt sein könnte.
Nie zwar eine Philosophie, imnior nur Philosophieren hat Kant lehren ge-
wulU. f);iR jctlfr pliiln-^ophtsrlio Df'iiki'i'. in sidb.stcigonem Gobniiirhp r!or Vortiunft,
sozusagen auf 'Ilmi Ti'uiihih'I ti i'iiiv's aiKicivn srin Werk erbaue, luit l\;mt :«].■- unter-
scheidendes (if'st'tz seiner Wissenscludt gelteiul gemaclit. Al»i i aucli daß die
Geschichte dieser Wissenschaft nicht nur von Trümmeiu N;u hrii^lit gibt, sundern
sie ihrer Qestalt und ihrem Ziisnmmcnhaito nach einem Aufbaue höherer Ordnung
einzufügen weiß, hatte sich dem Tiofsinne Kants zuerst in voller Klarheit erschlossen
und auch die großen Caauren im Bhytfamna der geaehichtlichen Gedankenbewegung
zu beachten gelehrt In weiterem Sinne ist auch die Philosophie der Gegenwart
sehr wohl noch unter dem Namen einer nachkantischen Philosophie zu begreifen.
Die Bezeichnung Philosophie des neunzehnten Jahrhunderts ist zti ungescbichtlich,
die einer modernen Philosophie an sich zu widersinnig, die Anlehnung an einen
neuen Persunennamen zunächst aussichtslos.
S<» dürff ii wir denn auch heute und an dieser Stätte aller der Miinner nur
in Dankbarkeit goflenken, die sieh um >Vw Fiirderung einer Wcltansflmimns^ Ver-
dienste orwaH"'ii. (Inrni sirli unsere Zeitgenossen ais eines fruditbriugeiuleu
geistigen IJi'sit/A> tiiriMU'ü .sollten.
InsbcsiMuUnv niiisson wir es uiivi ror hohen Staatsregiorung, die zur Pflege
der geistigen Güter des Volkes berufen ist, ehrerbietigst Dank wissen, doli sie
seit Jahren sdion da Weric so einsichtsvoll und wohlwollend gefordert hat, zu
dem unter Teilnahme der Königlichen Akademie der Wissenschaffen zu Berlin
mit diesem Gebiete yertraufo Gelehrte zusammengetreten sind.
Diese neue, großgeplante Ausgabe der Werke Kants, die auch noch so vieles
Denkwürdige neu erschließen soll, wird ihro Yollendung wohl zwischen dem
Wolter: Zum OedlohtniB KaatB.
6
beatigea hundertsten und einem anderen, anch nicht mehr weit entfernten zwei-
hnndertsten Gedenktage finden. Möchte sie der entsprechende Ausdmck der Ver-
ehrung sein, die unser Yolk seinem größten Denker schuldet und die gegen-
wSrtigo Generation auf die nachfolgende zu übertragen wünscht
Mit dem Danke für tlis mis jetzt sclion Oi-'boteno greifen wir einer kiinftisrpu
Wünliguns des Werkes nicht vur und diirfen uns insHcsondorp do=:sfii erfreuen,
daß viHi den bi<?her erschienenen Bänden drei, den so ucrrvnnen Uriofwoehsel
Kantii uinfiiöscud, der langjährigen, pflichttreuen, orta- und sachkundigen Vor-
soige eines seiner Mitbürger m voniunkon sind.
Wenn aaeh diese kuns bemessene Stunde sidi Ideen Kants anwenden soll,
so darf sie doch nur wie aus weiter lerne her, über die wissensduftliche Arbeit
sich Hinaushebendes ins Auge finsen.
Kaut Iwt eine aUgeaiein-welfbOigeiliche Bedeutung dm Philosophie von
ihrem Schulbegriffc unterschieden und i)iro Aufgabe in die drei Fragen zusammw-
gefaßt: was kann ich winsen, vihs soll ich tun, was darf icli hoffen?
Man hat die Philosophie Kaufs mit Recht eine Frciheitslehre genannt, denn
als solche hat er selbst sie gctlacbt, haben die Zeitgenossen sie begrüßt, und bat
sich ihr Wirkon immer bowiUirt.
Freiheit in diesem umfassenden Sinne kann sich nur auf die ganze Weisp
des Denkens und das Wesen des (ieistes beziehen. Schon auf dem breiten Boden
der Aufklärung hatten die mehr persönlich gefaßten Begriffe des Freidenkers und
Freigeistes nur noch eine sehr eingeschrSnkte, mehr ausnahmeweise Anwendung
gefunden. Die Aufklärung hatte der Freiheit dos Denkens ein weites und positives
Feld erschlossen. Sie ward durch Friedridi IL zur preußischen Staatsraison
erhoben, und auch Joseph II. bahrte sie für sein Boich. Schon der jugendliche
Kant durfte sich im Hochgefilhle seines yoi^geschrittenen Zeitatters dessen erfreuen,
daß man „es nunmehr kiihnlich wagen dOife, keinen anderen Überredungen als
dem Zuge der Vernunft zu gehorchen".
Diese Autorität icdnch, mit ihren nur zu bald unbenicssenen Ansprüchen, bei
so sicbtbarlichen Schruiikrti , wnnlo ^c!»on von dfr iinfpr ilir hrranrf ifonden (»pnoration
wiedenim als ein schwerer Druck empfunden, dei- ;iuf dem geistigen l>eben l;i>tof<[».
Es war eine ganz andere Freiheit, ilio t>ich den Zoifgenossen in der Thilo-
suphie Kants erschloß. Nicht um die schon als selbstverständlich vorausgesetzte
GerecJiisamc des Verstandes handelte es sich mehr. Man war sich des geistigen
Leben* als eines weit vidgestalägcren Gamsen, in seinem innersten Gefttge als
üigiiizeü by VoüOgle
6
Walter: Zum Gedacbtulä Kante.
eines frei scIialfeBdeii Tons bewnßt geworden. Die Freiheit hatte die rein saoh-
liche Gestalt der Oeistesfreiheit gewonnen. Sie war das hdcbste Gosets des
geistigen Lebens, das ihm allein seinen Adel yedeiht, die rfldchalüose Hingabe
an die Sache, Terbunden mit der aiufi«khaltenden Sehen vor dem vollen Tat-
bestände, der in der Welt gegeben ist.
Dieses auf Vorticfung und Erweiterung der Weltanscliauunf^ gerichtete
Freihcitssht hon hatte in der Philosophie Kants eine ttberraschend einlenchtendo
GestaU i^ofunden.
„Größe und '^laclif tlor Phantasie standen in Kant dßr Tiofo und Schärfe
des Benkons unmittoUnir zur Seite. Es charakteri-iiert die hohe Fieihoit seines
Geistes, daß er Pliilosüplüeren wieder in vnllkoninirner Freiheit auf selbst-
geschaffenen Wegen für sich furtwirkend zu erwecken vermochte", urteilte
Wiliiehu V. Humboldt Ebendasselbe ließ auch Goethe, dem alles verhaßt war,
was ihn bkA beMirte, ohne seine TKtigkeit au vennehien oder unmittelbar an
beleben, eine Sehrift Kants wie ein helles Zimmer erseheinen und fast gleich«
lautend aneh Schiller sagen: „im offenen, heUen und sng&iglidien Felde der
Untersuchnng erbaut diese Hiilosophie ihr Sjstem, sie sucht nie dot Schatten
und reserviert dem Privatbesits nichts." Si war von unermefiliohem Werte, daß
dieselbe Giöie der Denlcait die Blfiteieit unserer Dichtung mit der tiebten
Gedankoiiarbeit verband, die in lebenslänglicher akademiaeher Lebrtfttigkeit er-
wuchs und sie auch für diese in Anspruch nahm.
Persönliche Bewegprü ndf tmd .'iiiRrro Bo^ttmmungsgründo hatte Kant atis
seinem Lolicn.'^gange völlig auszusclialfun gewußt. Daß er in eine auf drn Schein
gerichtotp (iemütsart nie geraton werde, war ihm gewiß. Was irgend die .'^flh.st-
biilifrtiiig, die aus dem Bewußtsein einer unverstellten (io.sinaung enfsiiriiiLit, ge-
fttiaden künnte, habe er schon sein imll»es Leben lang m entbehren oder zu
verachten gelernt Gewinn uud Aufsehen auf einer großen Bühne zu haben , sei
kein Antrieb für ihn. Eine friedliche und gerade seinen Bedürfnissen angcmessone
Situation sei alles, was er gewünscht und erhalten habe.
So ist denn das Leb«i Kants aussdiließlich von der Aufgabe in Ans^ch
genommen, die Denkweise, in der er seine Befriedigung fand, in wissenschaft-
lidier Arbeit auaaugastatten und in persönlicher Wirksamkeit auch dem Lebens-
kreise zu sichern, dem er selbst angebSrte.
In dankbarem Bewußtsein der Ungebimdcnhcit, die ihm die philosophische
Fakultät gewährte, hat Kant es entschied in aßgclehnt, daß irgend w(d('br> hpsnnderen
Bestimmnnpjgründe, wie die Frage nach dem Dasein Gottes, der Unsterblichkeit
u. s. f. für die Kichtung seines Püüosopbierens entscheidend gewesen seien.
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W«lt«t: Zum GedlohlniB KaataL
7
Nur der scheinbare WitltJi-spruch dar VcnuLiift mit sicli selbst, die Antinomie
der reinen Vernunft: die Welt bat einan Anfang — und sie hat keinen Anfang u.8.£.
bis cur vierten: es M IVeibeit im Menscbea — und es ist keine Eraibeit, sondern
aUes in ihm ist Kotirendigksit, j^disse war es, die ndeb aus dem di^gmatisaben
Sdiionuner sneist aufwecikto und snr Kritik der Yemunft selbst iünfBbrte.*
Die Antinemien zeichen weit ftber das Oebiet des Wissens binaus und legen
Kant die Fflidit auf, die Pbflosopbie nidbt, wie so oft reiBuoht und noob 8lter
mit TJngostlim gefordert worden ist, auf die erste Frage, auf die nach dem Wissen
einsnscbxiinken, gleiobwohl aber das Wissen, das allein den Widerspruch bewußt
in machen vermag, zum Ausgang zu nehmen.
Hierdurch gewinnt die Philosophie Kants dif» Breite ihrer Entfalhinf», in
der sie alle froistiiron Bewei^ungon der Zeit auf sich zieht; dadurch auch die
Weite des geschichtlichen Rückhlicke«, der neinon Ausdruck nicht in gelehrton
Überlieferungen, sondern in persönlich gewordenen, geschichtlichen Antrieben findet
Das erster© hebt Wilhelm von Humboldt in voller sachlicher und geschieht-
licJiw Bmaii^t berror: «Indem Kant m^ als irgend Jemsiid tot ihm die Philo-
sophie in die Tiefen der menscfalieben ^ust isolierte, bat wohl niemand zugleich
sie in so mannigfsltiise und fraiditbare Anwendung gebracht'* Bievauf dringte
die Zeit selbst hin, die drei neue pbilosophlsdie Wissensdiaften, dnreh Yico dto
PhjloB<^hte der Geschichte, durch Baumgarten die Ästhetik, durah Lessing die
Religionsphüosophie ins Leben rie& Wie es der Yeiiauf der Qescbichte ver-
ständlich macht, warum insbesondere diese drei Wissenschaften nidit schon früher
Boden finden konnten, so ist es auch nur ihm zu entnehmen, warum erst Kant
ein i^trcn;; hn^fflioh begründetes und gegliedertes System der Philosophie su
schaffen vermochte.
Tn dem geschichtlichen Bewußtsein Kants seihst aber liegt es begründet,
daß fr nie die Meinung hegte, die Menschheit etwiki ganz Neues, Überraschendes
lehren zu können. Nur was die natürliche Überzeugung in iiirer Weise verbürgt,
will er nun auch in der Ycmtinft als woblbegründet erwdsen. ScUller fsBt es
in die Worte: „Es erschreokt mich gar nicht su denken, daß das Qesets der Yer-
Indemng, vor welchem kein menschliches vnd kein g6tfliches Werk Gnade findet^
aadi die Form diesor I^osophie, sowie jede andere zerstören würd; aber die
SHondamento derselben werden dieses Scbid^sal nicht an fSrditen haben, denn
so sh dss Hensehengesehleoht ist, und solange es eine Temunft gibt, bat man
sie stillschweigend anerkannt und im ganzen danach gehandelt."
Wie wird nun Kant dem natürlichen Bewußtsein des 3ienscl)en in den drei
fragen graecht: was kann ich wissen, was soll ich tun, was darf ich boifen?
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8
'Walter: Zorn Gedächtnis Kants.
'Wissen entwiekelt sich nur an einem unmittelbar gegebenen, an der Katar
aoBer nns oder dem Beelisohen Oeaoheboi in uns. FQr dieses Entarken jedoch
des Benkma an der Natur hat sie selbst die vollen Kosten m tragen gehabt
Ein Mb erwachtes Hifltrauen gegen die Veri&Blichkeit dw Wabraehmungen, lu
denen der "Weise zoitlclions kcino andere Stellung zu gewinnen schien als der
Unwissende, ließ die Hoffnung sich bald dahin wenden, auf dem Wege des be>
gtiffiichen Denkens jenen Übclständen rntcphen zu können.
Kein Opfer an dem Bestände der Sinuenwolt wurde ^'e.^chcuf, um sieli die
Einholltp^koit der Oedanken zu wuliicn; abor auch eine unüberl)riickl!iiro Kluft
tat sicli ilamit auf zwischen dem naiven Naturbowußtsein der Menschen und der
Welt, die das Nachdenken dem Philosophen erschloß.
Die ganse Mannigfaltigkeit in Kaum lutd Zeit wurde schon früh dialektisch
in Sinn«isehein aufgolüst, oder auf ein Sjstom von Zahlen, das Absinkteste,
was fiberhaupt denkbar ist, surOckgeführt
Aus der Einsicht in die SnbjektivitKt der Sinneswabmehmongen rettete
man einen Bestbestand, um ein gespenstisches Skelett der Natur, die Atomenwelt,
anfonbauen, die man mit Becht die Nacbtansicht der Natur genannt hat.
Selbst die größten Denker des Altertums, denen wir die Idco des Kosmos
schulden, haben di(' Xatur doch nur als ein verkümmertes Xacliliild oder als ein
zu verbesserndes Vorbild einer höheren Welt des Gedankens zu bogi'elfen gewußt.
Die neuere Philosophie vollends hatte dif Philosophen selbst in zwei Lager
getrennt, die in gleicher AnsRchliotUichkeit dort die Ansprüche dos Vorstandes,
hier die der Sinne erliol)i ii. Setnir der umfaHsomlo mul vtmnittelndp (leist
Leibuiz", der mit dem Stoffliegriffe und dem Zufall den wesentlichsten Ver-
dächtigungsgrund der Sinne beseitigte, vermochte doch die ganze raiuucrfülleudo
Wahmehmungswelt nur als eine verwoirene, in deutliches Denken aufsnhebende
ToTstellung gölten zu lassen.
Die Wiederherstellung der Natur in ihrem vollen Bestände war die eiste
große, befreiende Tkt, die Kant volkog, Jeder Aufteilung der Natur an Subjekt
und Objekt, an Sinno und Teistand, Schein und Sein, wurde damit ein Ende
gemacht, daß Kant für die Philosophie den empirischen Bealiflmns in Anspruch nahm.
Die Naturauffassung des Philosophen unterscheidet sich ihrem Bestände
nach in nichts von dem Weltbilde im natürlichen Bewußtsein der Menschen. In
ihrer Voroinzoltint: sind die Sinno so blind, wie der Verstund leer ist. Nur in
ihrem Zusammenwirken, vermittelt durch die Anschauungen von Kaiini und Zeit,
entwickelt sich auch schon das natürliche Weltbild, und ihm auch nur orscliließt
sich die unendliciic Aufgabe, nicht einer Veränderung, sondern ausschließlich
Walter: Zorn Oediohtais Kftiita.
9
des Ausbaues der Welt in der Wisscnschoit In der Teilarbeit, die hier erforderlich
ist, koamnen dann »uoh Oedmkmiieiheii der früheren Philosophie ineder m Wort,
die sich fflr die Deutung dee Gensen der Natur nicht Bolänglich zeigten.
Neun Jahre rorberettender Arbeit, fOniaehii Jahre in akademisdier Lehr^
tStigkeit sich yertiefender Studien waren etforderiieh, um die Chnmdlagen, zehn
weitere Jahre ungeteilter ffingabe an den Gegenstand, um die Yollstindige Aua-
ffihmng des Gedankenbaues m aidiein, der die unmitlelbaie Natuxaufbssung
auch als wissenstdiaftlich zu Recht bcstohonH erwies und nun, aus der von Vor-
urteilen befreiten Natur, den gesicherten Ausblick auf Gebiete euMsfaloß, die sich
dem Bo^rriffo df? Wisson.s' iilierhaiipt nicht mehr oinffigdii ]asf=;on.
Erst (lurcli den triinszemiontalen Idoalisinus konnte Kant den oinjtirischen
Ei-alisrnns seiner riiilnsn[ilii(.' erraögliclien, und mit ßeclit durfte er sa^en: „ich
i^lanliü, daß nicht vielu vuriiicht babou, eine ganz neue Wissenschaft der Idee
nach zu entwerfen und sie zugleich völlig auszufUhreu."
Mit der Einsicht in die Sabjcktivitüt der Wahrnehmungen war eine verlust-
lose, einheitliche Natur nur noch auf idealistisdiem Boden möglieh. Bs konnte
nur die ^c Natur geben, die sich .im Wahrnehmen und Denken selbBt erst
gestaltet Die TerKndemng des Standortes, die das YerstSndnis dieser Denkart
sähst erfordert, ist weit schwieriger zu Tollaiehen, ab die Yeii^eichung an ver-
anschaulichen Teimag, die Kant in der Koptfflnikanischen Wandlung des Welt-
bildes herangezogen hat Diese Betrachtong wird nie ein bleibender Besits,
sondern muß immer erst in der wissenschaftlichen Selbstbesinnung neu beigestellt
werden, der sie ausschlieRlich aucli angehört.
Die fTcistesfroiheit im rrcldete r!i}s Notwendigen, des Wissen», kann nur in
der sicheren Begründung und Abgrenzung der Oogon stünde hc^tohi n, die dem
Wissen zuganglich sind, und in den freundnarh barlichen Jlcziehungen, die sie,
wie auch die Künste nach T^e^isincr. gestjUtea nnd fordern.
Kaut Imt das Wissen ganz md seine Beaiüluuig zum Erfahrbaren ciugo-
sdoinkt Br hat die Hogliohkeit einer objektiTeg, fOr alle TerfaindUchoit Er-
lahrung erst au^ewieson und ihre Durdifährung dm ErCahrungswissenschaften
der Seelen* und Naturkunde sugewiesen. Auch nur ans den Bedingungen der
Erfahrung, und auf die Anwendung auf Erfahrung eingeschiflnkt, hat er die
Wissenschaft der Mathematik und ein System der Yeistandesgnindsfttze cu bo-
grttnd«! und aus ihrsir Terbmdung mit dem läishxungsbsgriff der Bewegung die
Hetsphysik der Natur herznl^ten gewußt
Über die Erfahrung hinaus fQhren nur die Kichtungslinien ihre Erkenntniswoge
selbst Kant hat die ihnen entnommenim ^ele, die der Erkeimtiiiti stets unecreiohbar.
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10
Waltor: Zum GcdächtuU Kants.
demnoob du BtnhaUen üixer Babnen fSrdein, Ideon genannt In ihnm lOnn sieh
die FeUaehlüaae, in «eldie die Seelenlelue, nnd dielVidenprllobe, in die derWelt-
begrilf das Denken Tentridrt, in eine geeetsmäßig forlsciiTeitmide Eifahrong auf.
Fttr die Ideen der IMbeit hingegen nnd für die Oottesidee, die sicih war
nächst nur an aioh als widenprncibdoB erweisen lassen, irixd eine andere Ter-
gewissoning in Aussidit gestellt
Nur aus dorn vermeintlich gesicherten Besitze der Au£k]ärung her hat man
Kant den alles Zermalmenden genannt In jedem Gebiete hat er mehr aufgebaut
als zerstört, und wo er etwas au'^ dorn Wege Fäiunt, geschieht es immer^ um
der Saclic selbst ^^anglmro Wege zu siehern.
Die Strenge ueluos Wissonsbcgriffes und die feste Beziehung, die er ihm
zur Krfalirung gab, sicherten seiner Philosophie den Standort auf der wolil-
gegründoten Erde und damit auch den freien Ausblick darüber hinaus. Sie
gaben ihor nioht nur dfe xHdkwiAende Eraf t gegen die AufUlmng, aoi^ecn UeBen
ihr sieh auch aUe Wissensehaften and KOnste der Gegenwart willig eisohlieften,
und ennSgUchten auch noch in die Zukunft hinaus die Qrenien des Wissens
immer wieder henustelloi, wenn eine sllau kfibne Spekulation äe fibeiftog, oder
eine allni nachgiebige Zeitrichtung sie in Eintönigkeit an verwischen dnhta.
Schon die Kritik der reinen Yemunft war in dem Torblicke auf die weiteren
Werke preschrieben, die Kant nun in schneller Folge in die Welt hinausgehen
ließ. Ein jedes von ihnen hat die Erwartung, die das vorausgehen lie erregte,
in der Erfüllung noch zu überbieten vermocht Die achtziger Jahre des acht-
zelmtoii .Tahrhnndorts bcstöti^ten die tröstliche Lclire der nosehiehte, daß es eine
Höhenlage des Geistes gibt, aui der ein Übersehen werden ausgeschlossen ist
Mit der Frage: Was soll ich tun? wendet sich Kant Gebieten zu, die dorn
Wissen Tcisohlossen sind.
Die Zeit lag schon weit hinter ihm, da er sidi gana Tom Barste nach Er-
kenntnis nnd der begierigen. Unruhe, darin weiter zu kommen erfüllt, nur als
Iforseber fühlte und den Pöbel venichtete, «der von nldits weiß*. Der Binflufi
Bousseaus aber, dem Kant diese durchgreifende Wandlung der Benkart auschreibt,
reichte nicht an der Lösung der Kragen hinauf, die ihn jetst in Anbruch nahmen.
Kant sieht sich vor die Aufgabe gestellt, als Fbilosopb auch das, was dem
Wissen entzegon ist, doch noch in dieser ihm wesentlichen Unbegreiflichkeit
begreiflich zu machen. Ein jedes imbedingt dem Bewußtsein GiUtigo ist ihm
nur in dieser ünbegroifüehVeit gep:eben, die Kant mm auch in dem „ich soll"
der Erage; was soll ich tuu? aufuimmt.
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Walter: Zum OodichtiiiB KantSL
11
Da nicht ein Einzelner, sondern joder Einzelne oder das Bewußtsein der
Hensehheit die Frage Btellt, so mufi sie sowohl eine allgemeingültige wie eadgültigc
Antwort finden. Eine solche gow&hrte die bisherige SIttenlehie nicht, wenn sie das
SSiel des Lebens in der Weisheit oder der Anfklinmg sah, denen Kmt den sehr anden
gearteten 6e!gri£f : „der gxofien fOr nns aohtnngswerten Menge** gegenüberstdlt
Auch die uniTeiselle, ehrisCiiche liebedebre bietet die Antwort nicht
Dieser UTatartriei», die Natmlonn gldehsam des ritüiohen WiUms, hat keinerioi
Bestimmimg für die Art seiner Betätigung. Der Binaelne war vor einer Ter*
gewaltignng seines Willens nicht sichergestellt
Woiipr oin bosomleror Orarl des Vornunftbpsitzos, noch dor Mangel jeder
Vcrnunfthostimiiniiip; kr.riiUe die Beantwnrhiui; der Frage bieten.
Kant nimmt eino eigenartige, an den Wilh n selhnit frobnndone, praktische
Vernunft in An.spnich, die nur dem Wortlaute, niclu dem Sinne nach, auf
Aristoteles zurückweist Sie ist die Vemiinftform des Willens i>elb.st, eine Ver-
nunft, durch welche er sich selbst Gesetze gibt Nur der TcmUnftigo Wille kann
die YtBgb stellen: was soll ich tan, und darauf audi die Antwort erteflen.
Da» Ziel, das der vernünftige Wille sich aetst, ist ebenso gewiB nvr das
Gute, wie der natOzliehe Wille nur etwas Gutes dieses oder jenes Gute begehrt
Auf die Fkage aber: was das Gute sei, antwortete Kant jenes „ich soll**
nur ansiegend: „Es ist flbenll niehts in der Welt, ja auch außer derselben m
denken mOglioh, was ohne Einschränkung für gut könnte gehalten werden, als
allein ein guter Wille." Was auch der Wille sich sum Ziel setzen mag, von der
sinnlichen Lust bis zur Weisheit hinauf, es wird zum Guten nur in der de-
sinnunsr. in der es der Wille erstrebt, es entlehnt den unbedingten Wert nur
der <ui}(> des Willens seihst.
Ist. der vernünftige Wille als alleiiü^'er Quell drs ÜiitiMi i^pdarht, so kann
auch das Oesefz, das seine Vernunft ihm gibt, nur lauten; der Will<> soll all-
gemein aneikuiuit sein: da^i Oesetz, das der einzelne Wille sich gibt, mtir> als
das Geaeta, dsa aueh jeder andere TovOnftige Wille sidi gibt, zu denken sein.
Kant hat diesem Gesetae, dem kategorisehen oder nnbedingten Imperative,
rersohledene IVusung«! gegeben, ohne doch den Gedanken selbst iigend indem
zu wollen. Die blofie Allgemeinheit eines Willensgesetses besagt dasselbe, wie
die Selbetgesetsgebung jedes Einseinen, und auch daß die Menschheit „in der
Person jedes Einzelnen, jedeneit als Selbstzweck, niemals aber bloß als Mittel
gebraucht" werden soll, gebt nicht Ober jene Bestimmung hinaus.
Das (Jesetz des kategorischen Imperativs enthält die Sanktion der IV-rsön-
Uchkeit, die Begründung der Menschenwürde in jodom Einzelnen. Es scheidet
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12
Walter: Zum Gedichtais Kaats.
von dem Werte der Saeben, dem Marktpreise, der relatir ist, den Wert der
PeKson, der in der Wflide nur absolut gedacht werden kann.
Wie das Oesets nicht ohne die geeet^gebende Person, so ist auch die
Person nicht ohne das Qesets; dasselhe, die Achtung» ist man jenem wie dieser
schuldig. Die Achtung allein gibt dem Uenschen das noli me längere, das ihn
YOn der Wiege bis zur Buhro geleiten sott.
Das sittliclio Bowußtsoin fuhrt zwar nocli üHer die Achtunfr hinaus, wenn
CS den göttlichen Willen in der Heiligkeit sieht. Es reicht aber niemals unter
die Achtung hinab; donn jnfln Minaohtnnir anderer entzieht auch die Snlhst-
achtung. Sie i^t dii' < irundlairi" alier sittliclu'ii iJi'zieliutigen unter dcu llcn&chou,
seihst diü Lit-'iic ttedarf uls (ii:<lHit iliier sclmn als Vdraussetzung,
"Wenn lümt gesagt hat; „Zwei Dingo eilülicn das Ueiiuit mit immer neuer
und zunehmender Bewunderung, je üftor und anhaltender sich das Nachdenken
damit besohSftigt: der gestimte Himmel Uber mir und das moralische Oesets in
mir,*' so darf man sich vohl dessen erinuMn, daß auch Aristoteles nur von der
Tugend der Gerechtigkeit, welche die Verhältnisse der Menschen sueinander
regelt, sagt: sie sei schöner als Morgen- und Abendstem. Sittliche Grundsfttze
können, da sie unbedingt sind, niemals bewiesen worden. Ihre Beurteilniig
steht innerlich nnr dem nnmittolbaren sittlichen Bewußtsein in Zustimmung und
Ahlchnung zu; äuQerlich vollzieht sie sich geschichtlich im Wettstreite ver-
schiedener begrifflicher Auffassungen. In beiden Richtungen bat das Sitten»
gesctz Klints seine Überzeugungskraft sich gewahrt.
Die freie Unterwerfung unter das Sittengcwt?: i^^ Pflicht, und ihr gilt
der philosophische Hymnus, den Kant von der Hübe seines Denkens aus hu die
Menschen gerichtet hat
So folgert denn auch Kant aus <ler Tatsache des Sittengcset/.es seine
TonuaeetBung, die Witton^iheit des Mensdim. Wie jenes der Erkenntnis-
grund der Fk^eit ist, so ist sie der Realgrund des Sittengesotses. Dem „dtt
soHst" der eigenen Oesetsgebung entspricht mit gleicher Gewißheit: du kannst!
Die Freiheit ist kein Problem, das die Erkenntnis im Wissen zu ent-
scheiden faitteu Ihre Sicherung liegt nur im praktischen Golwaueho selbst, der
ihrer nicht zu ontraten vermag.
In der Freiheit, nicht mehr in der Weisheit, haben auch schon die Lehrer der
alten Kirche die Gottebonl»ildlichkeit des Menschen gesehen. In der Erkenntnis
des Outen und Bösen bedürfe der Mensch eines Lehrers niclit; er .sei Autodidakt
in der Tnirend. Das sei da« Vorzüs^üHm in Hnr {göttlichen Vorsofimür, daß sie
ihre Gaben wie liegen und »Suuncuschciu zum (icmoingut für olle uiucbc.
Walter: Zmn O«diohtab bnta.
13
Die Hoffnung hat Piaton die Alterspflegerin der Greise genannt. Die
Jugend lebt von der Hdffnung nicht Sic plant in das Leben vor sicli Linaus, wo
sie selbst aller üiiiT Wünsche sich vorsiclu'ni wird. Nur wer diojje«? nicht mehr von
sich erwarten kann, ist an die Hoffnung gewiesen. Aber nicht das Alter nur, auch
das sittliche Bewußtsein wendet die Selbstbesumoug des Menschen der Hoffnung
XU. Zwei Folgerungen hat auch Kant ihr in diflew Biditoiig entnommen.
Die uwnaehlBWiche Fordeniiig des aitOichen iEVurischreitens m einem ab-
aoluten Ziele hin, tntt in Widenprodi su dem betchrlnkten IfoSe, das unser
Leben in seiner Endlichkeit ihrer EtfOliung sugestebi Dieser Widni^ruch,
deeeen eine Seite unwandelbar ist, begründet die Zureisicht ni ein«m nn*
behinderten Wachstum der sittlichen Fenönlidikeit auch über das Leben hinaus,
den Q]auben an die Unsterblichkeit Aul diesem sittlichen Grunde hat der
Glauben an die Unsterblichkeit seine tiefsten "Wurzeln geschlagen. Goethe war
sich im hohen Alter noch eine?? -^^-piteron F<irfwirkonH g^owiR, inu! der frroRo
Feldniari^chall , dem rin gleich juir' tulkrultiger (_ioist üus (irL'isotuilter sclunüokte,
hat tiefe Erläuteniii;.;("ii au.s dem LcIhmi her zn diesen Gedanken Kanb^ geschrieben.
Er, der Leben und Tod gloichormalien von Angesicht kannte, ist dessen
ebenso gewiß, daß „nur das treue Beharren iix der Pflicht den Wert eines
MeDSchenlebeDg entscheidet**, wie er auch dem Gedanken nicht an kigea
vemag: „daß die Fähigkeit, Gottes Werke zu bewundern, die Millionen Ton
Welten, die sidi nach festen Boitin umkreisen, in schauen, wonach die grüßten
und besten Menschen ihr Lebim lang gerungen, Erkenntnis und Wahrheit^
Wissensobaft und Kunst, das alles mit dem Tode roibei sein eoU''.
Auch in dem geringen Umfange je<htch, der dem Bewußtsdn der Ffliebt-
(?rhaltung selbst im Leben zuteil wird, weiß os sich «lurcli den Widerspnich
mit dem f^n natüriichen Wunsche nach einer Erhebung dos Lebens aura Qlttoks-
gefühle niederirfniriiekt
Ein tiefes Vi-rständnis für die liiiliutnnir. die dc^ni Bewußtsein r!ns
Beglücktbeins im menschlichen Lehen iri tnihrt, liat Kaut veranlaßt, dem Widei--
spruche, in den seine YertcUung erfalirnngsmällig zu der sittliclien Wiudiiikcit
tritt, die FMdorung einer au^hHohonden Macht zu entnelimen und m mi den
Glauben an einen allmflchtigen und gerechten Qott au begründen.
Kant bat den Gottesglaubon dabin surQckgefahrt, wo er dem Menschen
am notwendigsten ist, wo er auch eine ganz schon gesdbwundene Ho&ong
noch au beleben Tcrmag. Ea ist dor reinste Ausdruck der unyeirUckbaren
Wahrhaftigkeit und wohl auch der YolkstQmUcbkeit des Geistes Kants, dafl er
sich dem Göttlichen nicht in Verstandesüberl^ungen oder lehrhaften Begriffen
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14
Walter: Zum Oediditnis EmUs.
näher kommeu sieht, sondeni als einen Menschen weiß, „der kein Mittel kennt,
was in dorn letzten Augenblick des Lebens 8tioii hält, diu luiuste Auf-
riehli|^eit in Anaehniig der veiboigenstsn GeunmiDgeii des Herzens."
Aaxh Uer treflidi ist der Vunw^ aeeb Bef^flokuiig nur m dem Sinne
der Haffaniig gedteht; denn aus den Zielen des dtüichen Handelns hat Kan^
der ISele seümr Lebensweisheit entsprechend, die eigene Glfictseliglceit ganz
aoegeeehlossen gedacht Nur das G]tt<^ anderw sn fSvdeni hat er aor Pflicht
gemacht Denn wie wenig ein solehes Ziel für das eigene Leben auch nur
ron denen erreicht werden kann, die man wühl als die Olttcklichsten schätzt,
daß es sich nach Tagen, vieUeicht mir Stunden bemessen läßt, haben die
Solbstbekoiintnisse so vieler proßdenkenden Menschen, letzhin noch so ein-
dringlich die Worte dos Alt -Reichskanzlers zw sagen gewußt.
Was wäre gewonicn, hiitteii unch (lie.se Männer, die so ^mz in Reih
und Glied ihrem rflichtbewiUitseiu folgten, sich das eigene Ülück zum Ziele
des Lebens gewählt?
Und doch wiederum, wie hoch empfiüiglich luaciit die Ffliciiterfüllung
für das Olflekgefühl, wenn es dem Menschen ni<^t als Ziel, sondern Gabe
auteil werden darf.
Wie tief bewegt dankte Kant dem trefflichen Bitrgenmanne an Elberfeld
fttr die fitohe Stunde, die er ihm durch seinen Brief bereitet habe, dem er
die trSstliche Em^indung entnehme, „von seinen geringen JBestrebungen solche
Wirkungen hin und wieder wahrnehmen au darfen^
Kant hat das Glück des Lebens nicht gesucht, um so freudigeren Sinnes
aber die Blüten gepflückt, die ihm an pflichttreuem Lebenswege erwuchsen.
Kant hat r<; für durcliuiis notwendig gehalten, daß man sich von dem Da.'^pin
Gettos überzeuge, aber nicht so nötig, daß man e«? demonstriere. Auch die wuld-
tätigea Wirkungen der Ilberlegungen, die den Howcisen vom Dfisein (inttes
zugi'undo liegen, hat er, wie uucii ,, .starke Analogien'' die dabin fidiieu, nicht
in Abrede gesteilt Er hat das religiöse Denken vor allem duliiii gerichtet, wo
er seinen Wert und seine üboi-zougeude Kraft am reinsten fand und wohin
auch sein eig«ies Leben sich wandte^ „Der Weise handelt aus Pflicht, der
noch Weisere aus Hochachtung für die Pflicht, bttckt sidi tief Tor des Gesetses
Heiligkeit Er wfihnt einen Gott und ihm ahnt dessen MajeatSi"
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n
KANTS
ERKENNTNISTHEORETISOHER STANDPUNKT
IN DER „NOVA DlLüClDATIO«
EIN BEIIRAO ZÜB ENWICKT.UNOSOERCI UCHTE DEEL lUNTlSGHEN
EEKENNIMlSimoKiE
▼OH
Db. LUDWIG BTJBSE
Ob & noRisoB UBnauMvane AH an uiuviiBi Tit KSmaanBa
EiEleitung.
Der OegeiiBatB des Sationalismtts und EmpiriBmns behenscht die ganse
▼orkantiacfae Periode der neaeren Plulosophie. Terf ooht der entere die Ansdianuiig^
daß die Yemnnft imstande s^ mllne, ans hSdisten, ana ilir eelbet aCammenden,
durch in ihr liegende Begriffe ermöglichten selbstgewissen Wahrheiten auf
deduktivem Wege, in streng notwendigem („geometrischem") Schhißverfahren .
alle übrigen abzuleiten und so den ganzen Zusammenliang der Dinge unabhängig
von der Erfahrung denkend nüchzucrzeugon, so wies der Empirismus auf die
Erfahrung? als den alleinigen Quell hin, aus dem der gesamte Inhalt uuberes
Wissens süimme, und gestand der Vernunft nui- dir» Aufgabe zu, den empirisch
gegebenen Inhalt nach Uosichtüpunkten zu ordnen, die wiederum die Erfahrung
an die Hand gab und als richtig bestätigt.
In der Ftaxia haben fireüi^ die Bationalisten die Erfahmng immer zu Rate
gezogen nnd die Empiristen die logischen Notwendigkeiten des Denkens, die sich
aas der Eifshnuig gar nicht begrttnden lamen, stets vorausgoaetst: im Mnnp
aber nnd in der Theorie bedeuten der strenge BBtionälismns und der strenge
Empiriamns awei einander enlgeg^gesetxte, einander amsdüießende eikenntnis-
theoretische Standpunkte.
Leibniz nnd Humc versuchten einen Ausgleich zwischen den Ansprüchen
beider herbeizufüliren, indem sie sozusagen die Gesamtheit des Wirklioben unter
sie verteilten, auf oinom In :-;tininitf>Ti Tiebict die Ansprürho dos liationalisraus an-
erkannten, alles übri^n a)>> r ik in Empiiismus auülicfcrteu. Dauernden Erfolg
haben diese Vcj-suclio nulfs nn-ht gehabt,
Leibniz uutersciiied denknotwendigc, auf dem Satz vom Widerspruch
berahondo, von der Erfahrung unabhängige Vernuuftwahrheiten (vöritus de
raison), devm Gegenteil unmi>gliclt, weil in sich wideTq^mohsToIl, ist, nnd auf
dem Sats vom anreichenden Grunde und der Erfahrung beruhende Tatsachen-
wahrheiten (T6rit£s de faiQ, deren Gegenteil an sich denkbar, nur durch
die einmal gegebenen (und in diesem Sinne zuiSUigen) UmstSnde tatsKcblich ans-
2
18
Baase: Kiutta erkenntniatiwoTOtiechor Standpunkt in d«r ,Nov» Düuoidatio''.
geschlossen ist, — Wahrheiten, die wahr sind, weil sie mit der Erfahrung über-
eioBtiinmeii. Die enteren fUeflen aas dem Veratande Gottes und stdien Gesetze
dar, die für jede denkbare (niebt nur fQr die tatsScblieb existierende) Welt
Geltung besitaen: ebendrabalb sind sie ron der Erfahrung unabhin^g. Zu
ihnen gebSren die metaphjsischen, lo^^seben und matbematischen Wahrheiten.
Die letztemi ^ben auf den (auf die beste aller möglichen Welten gerichteten)
Willen Gottes zurQcb und besiehen sich uuf die Existena der Torbandenen Dingo
und ihre kausale Terknüpfung. Ebendeslialb ist Ei-fahning nötig, um in ilu-en
Besitz zu gelangen: Erfahrung '/M \ihor kr-ino iinbe«lingtc Notwendigkeit. Die
Iiilialto dieser Wahrheiton — es sind liie Wahi iii iti u dor Ei-fnhrungswis.son.schaften —
bilden Tatsaclioii , bloßp Tatsaolun, die zwar kausal bediugt sind, deren Gegen-
teil aber keinen ln;L':isfli<'ii ^VideI•>.|tnlc■lt enthält
Iveibniz liat aber dir im (iliii:( ii aiif^edmiteto l'iitei"scheidung niciit koiiiiequent
durchgofülirt la äeiiiuu Sctiiifieii thlt iiir tiur zu oft eine andere, durch den
rationaltstiscben Ausgangspunkt seiner Fbikaophie bedingte, den Gegensata der
v6ritis de raison und der vMtte de fait sugunslen des enteren mildernde oder
▼enobleiemde Anffigsuiy entgegen, dersufolge es lediglich der — in der End-
lichkeit unseres Wesens begründeten — BeschrKnktbeit und Unvollkommenheit
unserer menaeblicfaen Erkenntnis zuauschreiben ist, daß wir Tieles, das an sieh
vomunftnotwendig ist, nur durch die Erfahrung kennen lernen und nur als
raipirisohe Wahrheit, als v^-rit^ de fait, aufstellen und begründen können. Ein
vollkoniniener, die Dinge völlig durchschauender Verstand würde eben die Waiir-
lioiten, die für uns v6rit('^ de fait sind, in ihrer absoluten, ihcr Vemunftnotwendig-
keit erkennen: für ihn würden sie sich in v6rit<js de raison verwandeln. Für
den giittiichen Intellekt gibt es alsdann koine v6ritf's de fait: w vermag den ge-
samten Zusammenhang dei Dinge als einen absolut iK twüiidi^reii und in höchsten
Voniussetxnngen — im Wesen Gottes selbst — notwendig begründeten zu er-
kennen und so das Ideal des Kationalismus zu verwirklichen. Offenbar wird
mit dieser Auffassung der prinzipielle G^iensati der yfiritfe de raison und der
▼AritAs de fait an:%egebea und in einen bloß graduelleo yorwandelt Die
empirische Erkenntnis erscheint als ein Notbehelf, als ein Toiläufiger, auf
der Entwicklungsstufe , auf der aidi der Mensch cur Zeit befindet, allerdings
unentbehrlicher Standpunkt, der aber auf höherer Stufe der an aieh allein
berechtigten rationalistischen, der reinen YemunfterkenntDis Pkti macht Je
mehr der menaddiche Geist in seiner Enttvicklung fortschreitet, je mehr die
unklait^n und verworrenen Yoratellungen in ihm durch völlig klare und deutliche
ersetzt werden, um so mehr werden auch die Erkenntnisse, die er zunächst nur
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Bttaae: Kuite arkautniathaMelndier StaiidiNmkt in Ak «No?» DflnoUitio*.
19
als v6rit6s de fait der Erfahrung ontnahm, sich ihm als denknotwendi^o Wahr-
heiten enthüllen, cn v6ritl^ de raison werden. So niüiern wir uns dem Ideal
reiner, Ton aller Evfiihrung unabhängiger YeniiuifieiEkenntniB immer mehr an;
eine prinapielle Unmdglicfakeit, es dennaleüut am Tennrkliehen, besteht nicht
Der Sationaliamiu hehllt das totste Wort
Zu einer definitiven S^tseheidung über die beid«i bei ihm roarhindenen
T^ndenaen, die latjonalistisebe und die E<»npR>niiBteudenii, ist es bei Leibnia
nicht gekommen: sie lanfen neben- und durcheinander her. IKe hierdurdi ge-
schaffene Unklarheit über das Verhältnis, in welchem v6ritte de raison und
v6rit6s de fait zueinander stehen, Sfoicht sich auch in «lern Verhältnis aus, das
zwieehen den diese beiden Klassen von Walirlu iten beherrschenden Erkenntnis-
prinzipien besteht: dem Satx vom Widcr>^prucli und dem Satz vom zureiclieMiden
Grunde. Der letztere wird dem erstcren bald koordiniert, bald subordiniert, auf
ihn zurtick^efCihrt
Kumu unterschied die logisch-notweadigcji Beziehungen, welche der
YetStand zwiadten seinen Vorstellungen stiftet, von den bloß tatsäclüichen und
erfohrungsmäßigen Beiiehnngcn, welche zwischen Tatsachen bestehen. Die
Sitae, welche die enteren (die relatioiis cf ideas) wiedergeben, berohen auf dem
Sata vom WideKapnioh und bedürfen nicht der BestKtigung durch die BrEahrung.
Ihre Geltung ist ganz unabhingig davon, ob den in ihnen enthaltenen YonteUungen
iigend etwas in natura reram entspricht oder nidiL Der Sab, daß im recht*
winkligen Dreieck das Quadrat der Hypotenuse gleich der Summe der Quadrat»
der Katheten ist, ist denknotwendig, sein Gegenteil unmöglich. Daher gilt er
unbedingt, f^anz ^'loichgültig, ob es ein rechtwinkliges, ob es überhaupt ein
Dreieck in Wirkliolikfit gibt oder nicht. AmJfTK aber verhält es sich mit den
S&tzen, welche sich auf Tatsachen (mattocs of fact) beziehen und Tatsachen
t) Adiokea veimeM in ariBwSohilit: Euitataffien (Kid vaA hüjfidg, 1896) den Madiweli,
daß T.eibtii/ auch apridrisctii^ , vnti d r Krfrilinuig tinnlihängigo voritös de fait konnf, analytisr'lio
Urteilo, in denen das Prädikat im Sabjßktübogriff cutbaiten ist, di* ab«r doch nicht auf dem
Bab Ton UTidarapnieh l»nh«a. Ein ▼oUkonmiener Vfrntsiid «firde dafaar die Wiiiriidilmt aom
Teil iu aiialytisclii'ii vOrites de rai=on, dt-ri-n Gf^reuti'il »uinv'ifjliuli ist, 'mm Teil in aiuilytisilir-n
Tentes de fait, — immer aber b priori erkemicn. Manche Sätze Leibmzens scheinen in der Ttt eine
denatif(e AofEuBong m v«mitaii; es ist abor Adiokea nicht gelnagaB, sie ata einen beallBdigeii
und (.esuiideib cLaratitL'ristisclit'n Zug ^eiii'-r Kri-niitiiisttioorio zw ervs-oisen. Tm ^jatizeii werden
vir bei der namonttich von Pauisen (Verbuch ciuor Eutwicklungsgesduchto der Kantscheu £r-
keBotniaUieorie, Laipils 1670) veitrelaiiien Aoaidit, daB «a hti Leibnis fibar daa Tarblltiib d«r
KrfohrungsorkonnUuH zur apriorischen zu keiner klaren und unzwci lcnti^rn Entscheidung kommt, fest-
haltua und die verites de lait, soweit aio den veritös de raison prinzipiell entgegengesetzt werden,
da agmUiatiadie Xfetaafifaemutoile lietiMilitan nfiaaen. Tgl. inefaia Renemdon dar A^d^eaaofaaiit
Behfift in Taikingera Kantatiidien, Bd. II & I18f.
2»
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Uubsü: KanU erkenntnistheonti&cher Standpuokt in duf „Nova OUnoidatio".
3m«iaand0r in Besiehung setmou Sie sind nicht denknotwendig, ihr O^enieil ist
denkbar, entfallt keinen Wider^mch. Daß die Sonne moigni nicht aufgebe, ist
ein ebenso widersprucbaloeer Sats, wie dafi sie aufgehe. Aussagen Aber Ta^
Sachen werden daher auch nicht durch die reine Vernunft a priori gemacht,
sondern beanihen auf Erfatirung und gelten, soweit sie die Erfabrong bestStigi
Aus ihr stammt auch das Prinzip, dessen wir uns bedienen, um Tatsachen aus-
einander abzuleiten : das Kausalitätsprinzij). Auch dieses besitzt daher nicht denk-
notwendige, unbedingte Geltung, sondern stellt eine auf vielfältiger Erfahrung
beruhende Gropflogenheit luIlt Oewohnheit unserer assoziierenden Psyche dar. -
So finden wir auch bei Hiinio die prinzipielle Unterschpiiluug zwischen ahMilut
notwendigen, apriurisclien. auf dem Sat/ des Widersprucliü beruhenden (dalier
uualy tischen) ^Yahrlleittill uud solchen, die auf Erfuhrung beruhen, synüiotisch
und TOtt nur exfshrungsmifiigeir OQltigkeit smd. Aber auch bei ihm wird dieser
Qegensabc wieder ■ — und awar bei ihm, seinem empiristisohen Ausgangspunkt
gemfifi, im Gegensatz au Leibnis lugnnsten des Empirismus — insofern vw-
wischt, als er piinaipiell und rein theoretisch seinen Skeptisismus bis sum Zweifel
an der Autorität der Yemunf t ttberiiaupt treibt Ein swinguider Grund daf ttr, daß
«31 Sats, den das Denken fOr absdut wahr hält, wahr sei, läßt sich nach Hume
letzten Endes nicht angeben: schließlich ist nur eine starke Xcigimg, ihn für wahr
zu halten, die Grundlage seiner Wahrheit und Notwendigkeit. Beruhen somit die
Iinchstrii lind iHiinittelbarsten Wahrheiten, die logischen Denkgesetze selbst, die
IIuiiii' der Erfalirung und ihrem KansaütjitJjprinzip entgegenstellt, wiederum auf
bloßen empirisch bedingten Denkirewolmheiten, so venvandeln sich — umt^ekehrt
wie bei Ijcibuiz — die denkiiutweadigcu Wahrheiten doch wieder in empirische
Wahrheiten, und der Empirismus behauptet da.s Eelil.
Han wird nicht sagen können, daß das von Lcibuiz und Hume mit ein-
dringendem Scharfainn behandelte FroUem bei Wölfl und den Philosophen der
deutschen AulUArung eine weitere Klining erfahren habe. Im Gegenteil. Die
wertroUen ünterseheidungen, welche |ene beiden großen Denker angebahnt
hatten, gehen bei ihnen zum guten Teil wieder Torlorrai: empiristiscbe und ratio-
nalisti»)be Gmndsfttse laufen nebeneinander her, ohne daß man sich selbst ihres
CTntencfaiedes immer klar bewußt ist. Sogar das A^erstütulnis des Problems, das
Leibniz und Hume so anhaltend beschäftigte, geht schließlich verloren. Aua
diesem Zustand der Versumpfung hat erst der Kantischo Kritizismus durch seine
schalte l-nterscheidiing analytischer mid synthetischer, aprinriseher und aposte-
riorischer l'rteile die deutsche Krkriintnistheoiie wieder lieraiisgefülirt. i\ants
syutheübche Urteile a priori bedeuten einen neuen und eigeuurtigea Yersucb,
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Bliwe; Kuh wtoPBtaiiitlieowttochw SfawdiwiiH ig d«r „Now PHnatdatto*.
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der Schwierigkeit, mit der Tjeibniz und Rumr- kämpften, Herr zu werden, einen
Versuch, der, wie man auch über geinon Eifuli^ urtoilon müge, jeilenfalls den
Ansprucli erhoben darf, auf oinur durchuuä klareu, scharf erfaßten Problom-
stellimg sa benilieii.
Lange Jalure der Aibeit nnd der mneien Entwicklung hat Kant gebraach^
bis er, dnidi daa Stadium Homea ans dem dogmatiachem ScUammer enredc^
daa Iinibnix*HimiMehe Problem in aeiner ganaen Bedeutong Uar erkaimte und
den Versuch unternahm, dordb seinen kTitisehen Rationaliamua eine neue
LBeimg deasdbea m geben.
Im Anfang seiner Entwicklung steht auch er unter dem bestimmenden Ein-
fluß der für Wolff mul seine Nachfolger maßgebenden Gesichtspunkte: die fOr
diese charakteristische, durch Loibnizons schwankende und inkonsequente Ilaltimg
vemnlaRfe Unklarheit spiegelt sich auch in der ersten erkenntnisthooretischen
Schrift IvaiU-s: „l'rincipionim primonim co^iiitioni?? metaphysicae nnva dilucidatio"
vom Jahro 1755 wieder. Zugleich zeigt aber auch sie schon das omste Sti-ehen
des rhilosophon, einen selbständigen erkonutnisthcorctisciion und metaphysischen
iatandpunkt zu gewinnen. Das ist es, was diese Schrift zu einer für die Ent-
w^lungsgeschiobte des KrätiBOben DenkeM so wjksbtigen maoht Wir lernen in ihr
die Teiaossetsungen kennen, Ton denen Kant uisprBnglieb ausging, wir nehmen
in ihr aber auch schon die ersten Anübige der neuen Oedanken vahr, die ihn
von diesen Toiaussetanngen immer mehr ab und achUefflich dem Standpunkt an-
dringen mußten, den er in der Kritik der remen Yemunft einnimmt In der
KoTa Dfluddatio zeigt sich Kant als Rationalist, er steht im ganzen auf dem
Boden der Leibnix W lffschen Schule. Aber in den durch diese Schule um-
schriebenen Gedankenkreis drängen sich, noch unklar und immer wieder von
den Wopen rationalistisclier Behachhingswoise überflutet, empiristische Gcdankon
ein, die mit jenem niclit wulil vereinbar waren und daher, einmal in ihn ein-
geführt, als zersetzendes Femient wirken und ilm .sclilieiilich von innen aus zer-
sprengen mußten. T)io Schriften der 60or Jahre zeiiren (his fortselireitonde
Umsichgreifen empin»ti.scher (icsichtspunkte in Kants Denken und ilaiuit seine
fortschreitende Loslüsung vom Rationalismus, bis um die Jfitte der 60er Jahre
Kant vorfiborgehend einen Standpunkt einnimmt, der — ob durch oder ohne
den Biniluß Humes, mag hier unerörtert bleiben — sich mit dem Hnme-
schen im wesentilöhen dec^ Daueiiad und mit fintschiedoiheit hat sich aber
Kant auf den seiner (^en Oeistesrichtung entgegengesetsten empiiistisehen
Standpunkt nicht zu stellen varmocht BSs in die Zeit der »llmShlichen Loe»
Idsnng Tom alten Bationalismns reichen aodi seine — sowohl in den von ihm
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Basse: Kant» erkeaatiiistboorctischcr Standpunkt in der ,NoTa Diluoidatio''.
Tertfientliokten Sdiiiften ak auch in den Briefen und in den von B. Erdmann
hemusgegebenen Beflexionen erkflottbaren — Yennche einer Neabegrdndung
des BationalisDiuB auf einer neuen » aoberen Onindlagei Yenacbe, die, mit der
klaren Eänaidit in die Bedeutung und Tragweite der (fOr den Battooallsten Kant
den SkeptiaismoB und die ZerotSrung der Wiasensoliaft bedeutenden) Huroesohen
Position immor kxiftiger einsetsseDd, mit dor Lohro von doa synthetischen Urteilen
a priori und dem tmnszondeatalea Nachweiae iiirer objektiren Oflltigkeit ihren
endgültigen Abschluß finden.
Nach diesen dor allK-pmeinon Orientierung über die Schrift dienenden Vor-
bemerkungen vrenden wir uns dor Nova Düuoidaüo selbst m.
rrindpioiam primornin cognitionis metaphysicae
noTa dilaeidatio.
über den erkennlniatheoTettaehen Oehalt der Nova Ditucidatio li^n bereits
swei eingehendere üntesBudinngen vor: Ton Thiele in aemer Schrift: Die
Philosophie Immanuel Kants (Bd.1, erste Abteilung, Hallo 1882, zweite Abteilung,
Halle 1887) und Ton E. Adickes in seinen „Kantstudien" betitelten Beitragen
nur Entwicklungsgeschichte der Kantischen Erkenntnistheorie (Kiel 1895).
In der (tosamtaiiffas^unp der Nova Dilucidatio mit ihnen (dcricn ich vieles
zu verdanken bekenne) im wesentlictien ulierninsHmmcnd golanpt die naelifolgende
Unlersucliung doch im einzelnen zu insbesondere v(in A dickes Ansichten nicht
unbeträchtlich abweichenden Ergebnissen, die zu meiirfachen Auseinandei-setzungen
mit diesem Kantforscbor nötigen. Einen Punkt müchtu icli gkicli im Beginn
herausheben. Ich gestehe Kant audi in der KoTa BEncidatiQ bei aller AbhKngig-
keit deiselben von den henschenden Gedankenkreisen der Aufkllrungsphilosophie
doch ein größeres HaS von Selbetftndigkeit der Ansichten zu, als Adiek es lu tun
geneigt ist Das Streben nach Selbetlndigkoit des Denkens ist ein Kant in allen
Phasen seiner Entwiddung charakterisierender Zug. Nie übeminunt er etwas
einJhch von anderen, stets nweht er auch das, was er von anderen annimmt,
durch eigenes selbständiges Durchdenken zu seinem vollen geistigen Eigentum,
ihm dabei den Stempel seines eigenen Geistes aufdrückend. Hat er doch schon
bozeicliiienderweiso der ersten von ihm veröffentlichten Schrift, den Gedanken
von der wahren Schätzuni^ der lebondipen Kräfte (1747) da« cliarakforistische
Motto aus Seneca de vita bcata voraogestollt: „Nihil magis praestaadum est, quam
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Busse: Kants erkeantnihthcoieti^oher Standpunkt in der «Nova Diluoidatio".
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peoomm lita sequamur «Btooedfloliiim gngem, prageatoB, non qua «tmdum
est, sed qua itnr." Und daft w aaoh in dar Xova Dflucidatio nicht gewillt ist,
auf SelbatSndigkeit m Teimohfon, ^rioht er ja schon in den ersten Worten der
Sinleitnng denflidi aas: „Frimia cognitionie nostrae pvincipüs lucem, ut apero,
aliquam allaturus, oam quae snpor bao re meditatns fuerim paucissimis quiba»
lieri poteat pagdlis cxponoro stet sontentia'' usw. . . . „In quo nep:oti(> sicabi a
claronim virorum setitentia discedcre . . . duxcru" usw. . . . „Quaadoquidrai ia
sententiarum divortio stio ctiiqno sensu ahnndaro licf«t*' usw.*
Ans dem pingrehoiuloa Studium der Nova Dilucidatio habe icii lionn auch
durchaus deu P^iiulruck gewonnen, daß sie in der Taf bei aller Alih;iii;^ifrktit
ihrer Gesamtauffassunf; von dem Milieu der Leibniz-Wulffschcn Schule und von
Cnisius doch im einzelnen eine größere Selbständigkeit bekundet, als es auf den
ersten Blick sdwinen mag; daß aneb da, wo die Kaatischen Vormnlienuigeii
nm bekannte Anfbsaungen seiner Yoigtoger wiedeisugeben sdteinen, sie nicht
selten tatsttohlidi etwas Eigenes, Anderes, Nenes enäisUen.*
Itesche ich mich hierin nicht TöUig, so wird man gut ton, mit der Be-
rufung anf Ansichten Wolffi, sein« Sdiüler und Gegner, um durdi sie die
Sites Kants au eriintem, Toisiehtig au sein, so wird der Tersudi bereidkligt
sein, die Kantischen Pormuliorungon zunächst und in etster Linie aus sich selbst
heraus zu verstehen, nur das als ihren Sinn und ihre Absicht gelten zu lassen,
was sich aus Kanfs eigenen Worten und dem Zusammenhange, in dem sie bei
ihfti ^ich finden, ergibt'' Diese Forderung wird im foigendeu mohrfach geltend
gemacht werden.
Drei Aufgaben stellt sich Kant in der Nova Dilucidatio.
Er will erstens die üblichen Annahmen, welche die bevorzugte Stellung
des Prinzips des Widerspruchs als obersten und höchsten Prinzips aller Wahr-
heiten hetraffini, einer PrGInng unterstehen und sie berichtigen.
Er will sweite&s eine bessei« Formulierung und Begründung des Satoes
Tom sareichenden Grunde geben und die Schwierigkeiten, mit denen er behaftet
erscheint, hinwegrinmen.
1) Batio Inatttaü Alwatt 1. Kants Werke, hcrauagii^beii von d«r KonigL PnmlliMliaii
Akadfimia dn Winemchatten , Bd. 1, Seriin 1902, S. 387.
2) Die aelbstlndigo Foimidieniiig dor eTfcenotnistfaeorotlsolieti Oedanken, die ihm alii die
in UeuLschland üblichen überliefert worden waren. ' • lit auch rauls< :> Ih;rvor. Versuch usw. S 'Ih.
YgL meb Warten berg, Kants Theorie der Kausalität, Leiiuig 1899 ä. 22, Kayssen, Kaat,
Ftois 1900 8. 33.
3) Vgl. Thicio, Zoitschr. f. immamiito Phil v.i hiu Bd. 2 & 81: wIn ezstw linie niiifi
inao Jünt viebnebr ans selbet zu ventaiiea »uchon."
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24 Basse: Kiuib> crkcnntnistlio^jrctihchor Staiuljiunkt in der ,Nova Dilundatio».
Und er will drittens swei neue Grundsätze metaphjBiBober EckenntiiiB
aufsMlen, die swar nicht ursprflnglioh und Ginfach, dafOr abw fruchtbar und
Ton grofter Tragveite sind.*
Dementaprechend aerfiillt die Abhandlung in drei Teile: Sectio I: De prin«
oipio contradictionis; Sectio II: De principio rationis dcterminantis, vulgo suffi-
dentis; Sectio III: Bina princlpia cognitionis nicta|)l)ysicae, consectariorum fera^
ciBBima, apeiioiB, e principio rationig determioantia flaenüa.
1.
Seello L
In besug auf dm principinm contradictionis fuhrt Kant in der Sectio I aus,
daB es ein einsiges, hödistos und allein maßgebendes Frinaip aller Wahrheiten
nicht geben könne', vielmehr awoi derartige Frinaipien angenommen werden
mOssott} eins für die afHnnatiTen, eins Ittr die negativen Sätse. Jenes tautet:
Quid(|uid est, est, dieses: Quidquid non est, non est Beide Prinzipion faßt
Kant aber unter dem Namen des Identitätsprinzips zusammen und schreibt
iluu den Prinzipat {gegenüber dotii Satz vom Widci-sprucli zu.-'
Dirses — die beiden genannten in sicli ■«dilir Rcndo — prinripirnif idftititntis
wird nun aber — iiiid das ist von großer Wichtigkeit — als das bobcrrscbcudo
Prinzip aller Waluhciton üborbaupt hingestellt.
.,A'^eritiiliim uinuiuiu biaa sunt priiicipia absolute prima, altcrum voritatum
affimiantium, ncmpe proposiüo: fpiicquid est, est, altcriun voritatum uogantium,
ncmpe propotttio: quictpiid non ost^ non est Quao ambo simul vocantur com-
nianiter principium identitatis" (Prop. IQ.
„Quae omninm voritatum absolute summi et geneialissimi prmoipü sibi
anrogat propositio, primo sit simplioissimis, deinde et genoralissimis termmis enuntiata:
quod in principio identitatis gemino haud dubio animadvertere mihi videor*'
(Ftop.ni).
1) „Primo itai|Uü r|iiao de princtpü oontranliotioniH suprcmo ot ]ndii1ii(atio snpra onnos vsii-
tatcs principutu confiduntius vulp) <|uaiu veriiis porhil>ontiir, ad tnitinam curatioris ind«gii|is
euijere, «leindo (|ui<i in hou capite rectius sit stotuoadum, brevibus exponoro couabor."
.,TtaiB de lege rationis suffidentis, «iitaecttoquö ad omeailatiO'iom eiusdcm et unsam et
<luinon,tr;.t; "1 'm portincnt, uua > um H , lu .i' l|iflam ialestm ndeninr, difßeoltstiboa allc!gabo et
all«^tis . . . oieumeutonuu roburu occuram.''
„Postremo . . . dno nors aftitiUHii non oontemnendi, nt mihi qmdem videtnr, momenti eoi^i«
tioDtä metaphysicae princi|>ia. non primitiva illa quidoni et simplicissiuia. \' i i I I -i. asilm, cti.im
kooomodatio», et, bi qoicquam aliud, latissime gano patoutia." — Batia lostituti Abs. 2, a. a. 0. S- 3S7.
S) Prop.1 8.^: Veritatam omnitun tum dstor principium nnionm absolute primvm, caUiolioon.
3) Prop. II uud III. DomB it/i v .m Wi I. i sftmch gibt Kant 'i' i He (von ihm später in dor
£r. d. r. V. — B. 191 f. ~ verworfeoe) Form: imixMidbUe est, idem simul esse ao non eaao.
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Bu&se: Kante erkenntnistbeoretiscber Standpunkt in der ,Mova Diluoidatio*.
25
Auf ihni hmHA dab» die Wabrb^t fede« UrMb, d. b. «in Uitoil kt nnr
dann iralir, w«m zwisohen Subjekt und Prädikat Identittt besteht
„Qoaadociniqne subieetnm, vel in se vel in nezn spectatumi^, ea ponti^
qiiae notionem praedieati inrolTvnt, Tel oa ezdndit, quae per Aotionem praedicati
exdaduntur, boc illi oompetere staCuendum est; et idem pauIo explioatias:
qnandociinque identitas anbieoti inter ac praedieati aotion.es repe«
ritur, propositio ost vera.'
Somit geht auch alle Boweüführung auf das principium identitatis zurück,
sowohl die direkte — „Directac erpo argumcntatHini omni certo pracsidebit prin-
dpinm idcnHtatis"* — als auch die indirekte: „Si ile indirocta concludondi ratione
quaeras, icleiii reperies tiKimrv snbstratuiu priucipiiiui gcminum." — „. . . patet et in
indirectfl demrinstratioiic principium identitatis peminum primas obtinero conse-
qucnter (mma tiimuno cognitionis ultiniuiu esi.c fuiuliuiiejjtuin.'"* Und so ist es denn
auch das Priuzip allc^ Schlicßcus: „. . . omnis nustm ratiocinatio in praodicati ciun
Bubieoto vel in se vel in nexu speetato identitatem detegendam nedTitor."'^
Die Seotio I ersobeint somit gaiu rationaUstisdi gehalten. Das Ideal des
Bationalismus, aus totsten und höchsten selbs^wissen, auf dem Frinnp der
Identität beruhend«! Sätsen alle Übrigen Erkenntnisse auf deduktivem Wege,
duTob streng logisehes, wiederum durch das prindpium identitatis bdierxsdites
Scblußveifahren abiuleiten: es edieint auch das Ideal Kants m sein. Alto
wahren Urteile sind für ihn analytische Urteile, in denen das Prädikat im
Subjekt enthalten, mit ihm identisch ist und durch Analyse des Subjektsbegriffs
gewonnen wird: wahrhaft wissenschaftlich?» Erlionntnis darf ntir ans vt'ritA.s de
raison hnstnhen. Auch die göttliche Krkeantni< kann nur aus analytischen,
Suhjekt l'rädikat durch das principium identitatis erkjiupferuien Einsichten
bestehen, wenn Gott auch nicht des Umweges des diskursiven Denkens, der
1) über den Sinn dieses Ausdnicks wird weiter unten gebandelt wordeo.
2) l'rop. II Abs. 1 S. 38». Vgl. hierzu rr' ii. I S. 398, wo (Abs. 1 ) von der ratio voritatis gesagt
wird, daü es sich böi ihr nur handl» „do va pnitMlitali iMjsitiuiiu, 'juao efficitur per notiomiin, •niiie
fiubiecto Tel absolate vel in nexu spoctato invoivuntur, cum praeticati identitatem, et praedicaturo,
<)uod iam adhacrct subiecfo, tantiim dotcptiu"'. Zwischen doii büidon FonnulioruiiRini tu «^teli* ein
gewisser tcniiinolopischor Unterschied. Nach der orsten setzt das Sul»jekt etwas (oder bchljeUt es
aus), das den Priidikatsbegriff in sich schließt, mit ihm identisch ist: deshalb kommt dicsor diem
Subjekt zu ('i'Jur l:jnimt iliiii nicht zu). X.ilIi 'l i- zweiten setzt der in il'.nn S'uliV-kfsT-i'priff "nf-
haltene, mit itiiii i li iiu.- hu Begriff das l'nidikat ^mit dem er idcutiäch ist) und vereinigt es mit
dem i^ubjekt. In 1 idun Füllen aber ist iie IdentiUtt von Subjekt und Fiidikat voriianden and
der Grund der AVahrheit des Urteils.
3) Prep. II Abs. 1. Schluß S. 389.
4) Ebendas«lbi4t Abs. 2. AtifaO(f und BchloB.
6) Pnp.UI ScboL S. 391.
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26
Bus!>e: Kants erkenntnistheoretiscber Staodpuokt in der „Nova Dilucidatio".
Bildung aUgememer Begriffe, iluer Sombinatioii und Analyse bedarf, um zu
soloben Suuiehten zn gelangm, Tielmehr eine unmittelbare intaitive Erkenntnis
des gesamten ZnanrnnmüiangeB der Dinge besititi
Es foh]t auch nicht an Andeutungen, aus denen hervoigeht, da0 Kant —
g&nz wie Spinoza, der Klassiker des 'Rationalismus und Dog^nati^mua — es für
möglich hält, aus dem Gotteshef,'i iff durch Detennination d> ssen)(.Mi den gesamten
Inhalt der AYirklichkcit abzuloiti n und in analytischen, deuknotwendigen vnd
notwendig: auseinander folpL-ndoii Urteilen darzustoUen.-
Die streng rationalistische Haltung der Sectio I erkpunt auch Tliiole durch-
aus an^, ebenso Adickes* Für den letzteren bedeutet das aber nicht, daß
Kant alle wahien Urteile für denknotwontlige, deren Gegenteil unmöglich ist,
mtUrs. Tidmehr versucht er auoh hier bei Kant dos Yorhandenseiu derselben
Annahme nacfaiuweisen, die er bei Leibnia mit besonderem Nachdruck herror-
gehoben hat (s. oben S. 19 Anm. 1): der Annahme analytischer, aber nicht auf
dem Sata Tom Widerspruch beruhender Urteile.
^Ein Urteil Icann also vahr sein, ohne daß seine Notwendigkeit nach dem
Sata des Widenpruohs erkannt und erwiesen werden könnte.*"
Allein diese Auffassung ist unhaltbar; nichts berechtigt sn ihr. Nach den
ganz unzweideutigen Erklärungen der Sectio I muß allerdings die Notwendigkeit
jedes wahren Urteils nach dem Satz des Widerspruchs erkannt und erwiesen
werden können. Adickes stützt seine Auffassung darauf, dali Kant den Satz
vom Widerspruch nicht als hiielistes und einzigstes Prinzij) aller Wahrheit gelten
liisseii will. Allein das bedeutet duch nur, daß das principiuni contradietionis
dem der Identität unterzuordupn sei, nicht, daß es seine (ndtunf,' als
Wahrheitsprinzip in irgend einem Falle überhaupt verliere. Kant sagt (Prop. III
Abs. 2 S. 391) nur, dafi man die Wahriieit eines Urteils nicht in der Weise
festsusteilen branche, dafl man es auf den Sata Tom Widmpruch zurückfahrt,
nicht aber, daß man des in bestimmten FKIlen nicht könne. „Quo vero pactu
statni potest, omnes Teritates ad haue definitionem (sc. des prindpü contra-
dictionis) Telut ad Ispidem lydinm revocari oportere? Neque enim necesse
est, ut qnamlibet veiitatem ab oppositi iropossibilitate Tindioes." Weshalb das
1) Additomcuta iirobloiuiitis IX Abs. 1 8.405: nKteiiim ratiociuioram anfractus divini in>
telloctiis immeiisitateni panun deosre conoedo. Neqv« eoiai libstractione notioiiam luiTOimUam
wnuiii'iuc combiiiatiünc ot aU eruendas consc jH' utia> facta coUationt* infinitae intelligeiltiu opilS obL"
2) Siehe Fiop. VII. Vgl. ranlsen a. a. 0. S. 31, Adickes & 52.
3) I»a21-23.
4) S. 57.
5} äö5.
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Busse: Kute erksnntnisUieoratifechcr Standpunkt in der a^ova Dilacidatio".
27
niobt nötig ist, triid sofort gesagt: am in diesw Weise die Wahrheit eines
Salles so beweisen, bedaxf man noch der Yermittelnng eines anderen Grand->
salses: „eaiiisonnqae oppositum est inlsiim, iUud est Terom", der also „own
prineipio contradioti<»iis divisnm habet imperinm.'* Dsgsigen genügt das Identitits-
piindp ohne weiteres vor FeslBtellnng der Wahilieit eines UrteDs und daif daher
dem 8at> rem Widersprach gegenüber den Yommg beanspraohen. Könnte man
aus den Ausffthruniron Kantf überhaupt das folgern, was Adickes aus ihnen
folgert, so würde keines Urteils Wahrheit auf Grund des principii contra-
dictiools festgostnllt wordon können*; dann aber auch niclit auf Tirund des principii
idpntitatis. Mtissen nnigokelirt — und daß Kant dies lehrt, kann doch nach den
oben angeführton Siitzen nicht wolil zweifelhaft sein — alle wahren Urteile
durch das principinm identitatis als wahr bewiesen worden, so brauchen sie
zwar nicht, können aber natürlich auch mit Hilfe dos principii coutradictionis
begründet worden. Denn alle Urteile, in denen das Pridikat naoh dem IdentitSts-
prindp ans dem Subjekt folgt, sind — als denknotvendige — sn^ch 8ol<Ae,
deren Gegenteil einra Widess^ch enthSlt, unmöglieh ist Also mofi ihre Wahr-
heit auch aas der Unmögüchkeit des Gegenteils nach dem principinm contra-
diotionis begründet und eingesehen werden können: das principiam identitatis
als Eiiterinm der Wahrheit schliefit das prindpium contradiotionis ein.
Dieser Begel gemäß verfährt auch Kant, wenn er die Notwendigkeit der
E.vistenz Gottes aus der Unmöglichkeit des Gegenteils ableitet (s. weiter unten);
ihre Geltung für Kant erkennt auch Adickes selbst an, wenn er (S. 64 Anm. 3),
eben im Hinblick auf diesen Fall, ausführt, daß hier die Erkenntnis des Daseins
Gottes orf(j|j,M^ „wp;^n der Unmöelichkoit des Gegenteils, also nach dorn Ratz
des With.Tspruchs (und zuletzt der Identität)". Und endlich lulil diu rrop. V
gar keinen Zweifel darüber bestehen, daß „in omni propositione vera oppositum
praedicati excludatur neccsse est E.^cluditur autem pracdicatum ... vi
principii contradiotionis".'
1) Auch die Ettoiatnis. dio Adickes S. 58 .inführt, bei der ni;\n ..aus einem Begriff
nieht henuwsugshen, ihn nur io w, nicht in nexu m bettachten bnwcbt, um zu erkonnen, was
ibn zakonint, wu nicht**, wiiide dann ni«ht, wie er liehsuptet, .„eine Ericenntmfi gmiiB dem Sets
vom Widerspruch" sein. — Kant würde natürlich auch vt ri Ii rr KiJ. ■nntnis aageni
Bicht^ikeit, Notwendigkeit nnd Wahrheit auf dem principium idoutitatis beruhe.
2) 8. 393. In Ühonuntfanomox taät meiner oben daigelegten AnachanmiK ngjk anoh Panleen
(a. ,1. O. S. 28/29) unter Beruf ang auf die l'rop. V: „Also jedes «ahre Urteil ist notwendig nach
dem Satz des Widempraoha.» Vgl. auch Ö. 33. Ebenso K. Fischer, Uesch. d. n. Th, Bd. III 8, 163
(3. Aufl.), der mit Hecht dairaf hiinraist, dnB M nioht viel beifien will, iraim Saat das ^indpliim
(r.titradt' tii»riis <hm:h das priodpiiuD ideotitatis enetat «liieii will. Siehlieh iriid dadurch in der
lat nichts geändert
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BuHfl«: Kante «rkeniiti)i«tho«relischor Standpunkt in def «Nova Diluddatio''.
Es bleibt also dabei ; die Sectio I macht das principium identitatis, und damit
zugleich aoch das principium contradictionis, zum alleinigen Prinzip aller Urteile
und Kiiteiittnk ilurer Wahrii^It Alle wahron UrMIe Bind mldis, «dohe auf dem
Frinsip der IdentitSi beruhen, wahre Ericenntnb enfliUt nur derartige denlmot-
wendige, ihr Gegenteil als anmö^ioh ansadilieBeade Urteile: v6nltte de raison.
n.
Sectio n.
1. Pwp. I— V.
Um 80 mehr muß es auifallen, wenn nun in der «weiten Abteilung
unserer Sohrift neben das bisher allein mafipboide und für alle Wahrheiten
auRTOiehendo priudpium idcntiUitis noch ein zweites Prinzip tritt, das prin-
cipium rationis determitianlis, Tulgo sufßcientis. Und zwar ganz nnvermittolt,
ohne daß übi^r stin Vcrhalhiis zum prinoipio idontitatis irgend ptwaF? f^sacrt
würde. IIiiliou wir es in ihm mit eijioin zwoitfii, vicHoicht, wie bei ]jeit>niz,
für eine licstiiimite Klasse von WabrlM'iti'ii ^'iiltii^i'ii . ili-ni Iilotvtilätiiprinzip also
koordinierenden Prinzip der Erliüuiitnis zu tun, oder welches ist sein Ver-
hältnis zu jenem? Um darüber ins klare zu kommen, winl es nötig sein, dull
wir die Ausführungen Kants einer sehr sorgfältigcD, stellenweise peinlich genauen
Analyse untexuehen.
In der die Übeieehrift Def initio tragenden Piop. IV erhalten wir «inichst
eine Reihe sorgfSItig za beachtender und «i erwägender Begriffsbestimmungen.
„Determinare", erfahren wir, „est ponere praedicatum cum exdu8i<»ie
oppositi.''*
Dotcrminioren, bestimmen bedeutet also, ein Prädikat mit Ausschließung
des Gegenteils setzen. £.s handelt sich mithin, was wohl /.w l<cachten ist, auch
hier um Urteile, die entweder wahr oder falsch sind. Der Zusatz: cum
excliisionn nppositi brsagt, daß eben der?e!Hp Ornnd, nm dioscii Torminiis srhnn
vorwegzniiclinicii , lii r ihus Prädikat nntwi'iuii:; uiLuMit, aucii .Hein (denn oppoäitum
ist: oppii--itiim prai'ilirati) Gegenteil aus.scliliulit, unmöglich macht.
Das, was in (.inem Urteil ijcsümmt, determiniert wird, ist, wie aus dem
folgenden Satze: „Quod detenuiuat subiectum rcspectu pracdicati cuiusdani,
didtur ratio'*, herrorgcht, das Subjekt desselben; das, was dieses Subjekt
determiniert, der Grnnd, ratio. In dem zitierten Saise ist subiectum AkkasatiT.
Der Grund determiniwt das Subjekt durch das Fridikat, fttr dessen Setzung er
1) 8. 391.
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Basse: Kaotä ertLcnntnisthecretischer Standpunkt in der ,Nova Oiluddatiü".
29
dor Gruttd ist, und derselbe Chnndf »tu dem die Detemiiwtioii des Subjticts
duicb ein beetinuntee Firfidikat fdgt, ist anob der Ornnd der Wtdirbeit des
diese Deteiminatien som Ausdinek bringenden UrCeOs. So liegt a. B. in dem
Singetierohsirakter des Bindes der Grund dsfttri daB in einem üiteüe, welches
den Begriff Bind siim Subjoktsbegriff hat, dieser letztere durch das Prädikat:
leltt ndigo Junge zur Welt zu bringen, determiniert ist, and zugleich der Grund
der Wahrheit dieses Urteils, Dieser Sachverlialt geht zunächst aus dem an-
geführten Satze selbst hervor. Wollte man snbiectuni als Nominativ fapsen, so
würde die ratio zn pinera deienmnatmn werden, während sii- nacli dem folt^oiulen
Satze', der sie iu antecedenter und eonseqnentpr det&rvmiautnyi sclioidct, das
determinans ist; — so würde sio das s(üii, was durcii da^j Subjekt hinsichtlich eines
Prädikats festgesetzt wird, während sie doch offenbar dasjenige ist, welches etwas
aber ein Pridikat — ntmlidi ob es einem Subjekt beisulegen ist oder nicht — fest-
selai Das wird auch von Kant im Bewebe der Ftop. Y ^dem alitei^ mit klaren
Worten ausgeq^codien. „B notione rati^mis", beißt es daselbst „intelUgi potest^
qnodnam pEsedicatomm oppositoittm subieoto tribuendnm sit, quodnam remo-
Tendum.*** Die Ton mir vertretene Auffsssung ergibt sieh ferner aus «ahlfeichen
andersn Stallen der Nova Dilncidatio, von denen ioh, da die Saobe von Wichtigkeit
ist, die hauptsächlichsten hier aufUhre.
In der „Adstructio roalitatis def initionis" (S. 392) wird (Abs. 1) von dorn
Begriff der ratio behauptet, daß er „subicctum inter ac praedicatiun aliquod ncxnm
efficit et colligationem. Der fJrnnd selbst ist alsri weder Subjekt nocli Prädikat,
wohl aber djis, worauf die Verbindung heidor beruht, was dem Subjekt das ihn
determinierende Prädikat gibt Datier fährt Knnt fort: liicn desiderat semper
subiectum et, quod ipsi uuiat, prueüicutum/^ (iuuz beüundc-i's instruktiv
ist sodann das Beispiel, dos Kant im nSmlicben ersten Absats der Adstmetio gibt:
„Habemus . . . propositionem: mundua continet plurima mala. Wir wollen den
Grund wissen, aus dem sich ei^ibt, warum das Subjekt: mundus, durch das
Fridikat: habet plurima mala, bestimmt ist, „qua posita intelligibile est, mundum
respecta huius praedieati non esse ind^rminatnm, sed qua prsedioatnro ponitur
com ex.d.usione oppoaltL'' Und von diesem Grund wird dann gesagt: „ratio
igitur ex indetemünatis efficit determi:nta." Im Znsammenhang mit diesen
ÄußeruDgcn dürfen, ja müssen wir auch den sich anmittclbar an sie anschließon-
df>n Sat^: „Et qitoniani omnis veriUus dcterminafionc praeflimti in subiccto effi-
citur (mit dem weiteren Zusatz, daß daher „ratio determinans veritatis non
1) Ratio (listiiignitar in amteoedenter et coosecittenter detenninastoni, 8. SM—SSZ.
2) 8. m
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so
Bqam: Kants erkeantnutheoretiBclier Standpunkt in der .Nova Oiladdatio*.
modo criterium, scd ot fons e8t'% so Tentohen, daft dwdi im Grand, ratio,
in dem Subjekt eine Beatinunung desselben durch ein Prädikat beirixkt wird.
Und Venn sidi ein sieheree Urteil darüber, ob der M ericur aidi um seine Aebee
dreht oder nicht, deshalb nicht fifllw läßt, weil es uns an einem hinreidienden
Gründe Milt, y,quae altenitrum ponat cum exdusione oppositi", so gebt auch
daraus berror, daß der Grnnd, wenn wir ihn nur bitten, das Subjekt unseres
Urteils, den Bcf^'iff des Planeten Merlnir, durch Setssung eines PrKdikates iu ein-
deutiger Weise bestimmen würde. So aber ,,interniinatum nobis est, utnim planetu
Mercurius circa axeni revolvatiir necne.'* * In gleicher Weise ist in der Riastizitat
der Ätlieratcme Oer erkliurnilo (iriintl dafür zu erlillckon, rlal5 das Lichf sich in
endlich(>r, aiif;( l)baier Ztit ihirch den li«mm fortpflanzt: in dem dies vom Liclit aus-
sagenden L'rteilo isät der .Subjektsbegriff Licht durch das erwähnte» aus der ratio
dotenninans, der Natur der Ätiieratome, sich ergebende l'mdikat determiniert'
Von besonderer Wichtigkeit ist noch dio Trop. V; Niliil est verum sine
ratione deteiminante; an der Spitae des Beweises derselben stobt der Safa: „Omnis
propositio vom indicat subiootum respectu praedicati esse determinatum.*
Ich TorweiBe noch auf Prop. XI Abs. 1 (S. 409), Prep. XII Demonstratio
(S. 410) und „Idem alit^** (8. 411), und auf P)rop.Xni Diluddatio (8.413), deren
signifikante Stttie hier noch anzuführen ich mir Tenagen muß. Eine besondere
AnseinandersetBnng erfordert aber noch die Note an Prop. IT. in ihr wird aus-
gefQhrt, daß man zu der ratio antecedenter determinans (über deren Unterschied von
der r. consequcntcr d. sp&t^ auch die rati<i identica rechnen könne, „ubi
nntin stihirrfi per snam cum praedicato perfccUim identitatem hoc deteriiiinat."*
Hier s(lir>iiit doch das Subjekt nicht i\m tMmifhiavthtm oder detetiiiii/tiliau,
Sondern das (hferminmis zu si-in, id (|U'id piaedicatuiii detciininat: Nominativ,
niclit Akku!>uLiv.'» Indes, zwin-^ond i^i diesu Intcrprütalion uielit, sie scheint
sogar ausgeschlossen, wenn man bedenkt, daß determinare ja ponere prae-
dicatum bedeutet tind folglich das Subjekt nicht das Prädikat determinieren kann.*
1) Ali« diese äüt£C S. 3d2.
2) 8. 392—393.
3) S. 393.
4) S. 392 Note*).
5) So Thiele I' 8. 106-107.
ö) "Wolff und Knutzt-n (v),'I.Aduke8 8.33 — 34, 10—41) wcndon freilich das Wort deter-
luioare «ucü i>o au, daß «la» Subjekt als dutcraiiiiai)« da» PrädUat „dctenaiiuorl", wob«i
dann detanDivara sienlich botwI bedoatsft als poner«. 6io cpn)ch«ii von der dotennimbUite des
Prädikats und davon, 'Inß iim-^ Jirtituin dcterminatur per notioueiu subi».'cti. AUcin wir haUcti
keiu liecht, aazonebmeu , daß, weil diuae den Tenuiuuä iu oluem lu!>eren Sinne gebnuiclieu,
Kaat da» auoli tua müsse, sendein mflBsen vaa ebudg and, alleia an die beatianatea EAHliaagea
halten, welche er gegeben bat
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Busse: £iiats erkenntnistfamietüoher Standponkt in der gNora DUmiditio".
31
Und andererseits stimmt der Satz mit der von mir vertreteneu AiiIfasÄuiig übei-ein,
▼«an man hoc anf subiecti besi^ nnd liest, daß in ideintiflchMi Silien d«r
Begriff des Subjeicts w^n seiner vfiUigen Identitit mit dem FrKdiket daa Subjekt
adbst deteimimert. Der Sats besagt dann, daß, wlihrend sonst (in allMi XUlen, in
denen eine ratio anteeedenter detezmlnans Toifaanden is^ immer das Subjekt duxdi
einen ihm Toiiieig^enden und das FiSdikat setsenden Grund bestimmt vird, im
Falle der ratio identiea Subjekt durch seinen eigenen, mit dem Fkidikat TöUig
identischen Begriff, oder der Subjektsbegriff (der das I*rädikat enthält) durch sich
selbst bestimmt wird. Die vfillige Identitiif des IMidikats mit dem Subjektsbegriff
bildet hier eben den Grund, weshalb es dorn Subjekt notwendig zukommt Man
ver]2:!eicho das von Kant zm Erlütitcrini!^ j^circbene Boispiel: trianpulnm habf»t tria
iatcra. Dreieck bedeutet eine Fit;iir, dio aus drei Seiten besteht Dreieck sein und
aus drei Seiten bestehen, ist idpnfiscli. Doslmlb kommt dem j)rpipck dieses Prädikat
zu; aus dem Begriff de?^ Dreieck» folgt, Uaü es drei Seiten hut^
Die Ansicht bleibt also in Kraft, daß wir unier ratio dasjenige
an verstehen haben, welches, indem es ein bestimmtes PrSdikat —
anter Aussoblnfi des Gegenteils — setzt, das Snbjekt hinsichtlich
eben dieses Prädikates determiniert*: ein solcher determinierender
Grund muß vorhanden sein, soll das Urteil, welches das in Frage
kommende Prädikat dem Subjekt beilegt, wahr sein. — Und awar ist,
wie ich nan weiter zeigen will, in der idealen Erkenntnis dieser Grand
immer ein mUeeedenier detenmnnns.
Im Begriff der ratio will Kant die ratio antecedenier determinam und die
ratio con-^pqntntcr determinans imterschiodpn wis?pn: unter der orsteren sei das
zu verstehen, ..ciiiiis nntio praecfdit deteniiinatinn. Ii. e. qua non supposita
determinatum non est intellipiliile", unter der letzteren diM- (»rund, ;,4uae nun
poiieietur, ni«! iam aliniide poriita esset n<itio, ijnae ati ipsu * detcrininatur." Der
Sinn die^^er Utitei'bchuidung ergibt sich deuiliüli aus dun Beispielen, welche Kant
in der Adatrnetio realitatis definitionis^ gibt
1) Vgl. Prop. Vll Schol. (S. 395). „essentia trianpiti, mae nnnsistit in (riiun latcnitn con-
sertione." — „ossentiae rcrum rebus abüolutä noce8!>ario competunt." Daher: „si cogitns trian-
gnlflin, oegitu iweeBsario tiU litera, qned idsim «et ae si dicis: « quid est, est — Bei der mtio
identirn. so schlieCt Kant die Noto zu Prop. IV, hnbon wir also den Fall* daB detomnnali Dotio
nottoiKnn detenniaaiiti.s nec sequitar nec praecedit '* (S. 392).
8} T]^ auch Thiele, 8. 1€6, Paulaen S. S2, K. Fiaoher 8. 163, Talliinger, Kcm-
mentar z. Kr. <1. r V. T s. 2m Anm.2, Adickes NeteS (xa B.98) aof &00.
3) Im Text ^8. 3Ö<ä) Steht: ab ipso.
4) Idi mtchte besweifeln, daß die Oberschrift im Ifantukript wirklich so g«Iantet bat, wie
sie in Ttat atriit. Denn sie gibt keiaea i«cbten Sinn. Yen einer Definition der Bealitit ist
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32 Basse: Kant« erkcnntuisthegretisdiar &Uuul|iaDit in ücr gNova Dilucidatio*.
Bm Beispiel ein« ntio anteeedentier determinans iat der Grund, aus
dem in d«m Urteil: Der Kreis bat von allen isoperinetriachen Kguren den
größten Inhalt, diese Beattaunflieit des Kreifles sieh eigibt Kant gibt ihn nicht
an: er ist etwa darin su snohen, daß der Kreis ein regelmlfiigpes Poljgon Ton
unendlidi großer Seitenzahl ist In dieser Natur — man könnte ssgen in dieser
Entstehiingsweise — des Kreises liegt TonTomhorein sein Anspruch auf den größten
Flächeninhalt unter allen Figuren von gleichem Umfang begründet Ebenso
ist — und hier noch dcniHicher — in dorn schon crwälmten Urteile: Mundus hahof
pluiini;i mala der (iruiid des Bohaftetseins der Wvk mit ?o vielen Übeln im
Willen itüttes, in dun Absiciiten zu suchen, welclie er mit ilor Sihaffnng der
Welt verfolgte: diese geben als ratio antecedeater determinans dem Siibjekts-
begriff: Welt dieses Prädikat und schließen das Gcgeuloil; YuUkoiiinieniieit, aus.
Einer ratio antecedenter determinans bedienen "wir uns auch, venn -wir die
Eigensduft des Lidites, sich mit großer, aber endlicher tmd angebbarer Ge-
scbwindigkrät durch den Baum fortsnpllansen, durch die Elastixität der Atbeiv
atome erUiren. Ersdiließen wir dagegen diese Eigenschaft des Lichtes aus den
Verfinsterungen der Jnpitenmonde, so begrOnden wir unser das Licht chorakte-
risierendes Urtdl nur durch eine ratio eonsequenter determinans^ Denn nieh^
weil sich die Jupitersmondo verfinstern, findet die Idcbtbewegnng in der an-
gegebenen "Weise statt: sie würde auch ebenso erfcdgen, wron e«? gnr keine
Jupitersmondo gäbe — , sondern die Natur der Lichtbewegung erklärt das Phäno-
men der Verfinstoning der Jupitorstrabanton. Die Bfnhachtnnir dieser Verfinste-
rungen kann freilich für das crkenueade Subjekt der Ausgangspunkt sein,
von dem aus es zu seiner KrkenntiHs der |jichthew(>^ung srHancft — und auf
diesem Wege ist ja Römer zu seiner Eikenntnis dor Ucscliwindij^dieit der Licht-
bewegung gekommen — , und alsdann gründet sich diese Erkenntnis auf jene
Beobachtung. Aus diesem Grunde die ratio ccmsequenter determinans von
aiiigoads die Bodo, vielmehr konunen die Roalgründe (ntioaes exslstentiaindetormiDantes, Vto\>. V
Sohol. 8. 304) erst ndt Prop. VI «ir BiQrtening. Ntm elier su lesen: tlinzufü^'iiii^' <l<.-r Gültig-
k<!it diT (<il>i(,'«:'ii) Definition, wio ein In^freundotor Krillff,'*^ mir (Mn>t Itrieflii-h vors^^liliip, erscheint
mir doch auch euhrgowngt: lüuit würde jodeufalls voritati« gesagt haben. Viollciolit stand dieses
Wort dort. Bi würde dann ancta einen Sinn geben, zn übenetzen: HinznfüguMg der Definition
der Wahrheit, di'iin von der Wahrheit und worauf sie beruht ist doch in der Adstnictio weni[,'sten.s
die Bede. Vivlividit auch ütaod: Adsttuctio rationis veritatis deünitionia, voraus dann durch
fidscbe Zvsammennehtug roalitatis gemaeht ist Ilierfikr Uefle sich anfuhron, daB m Prep. VIII
S<hol. (S. 3Üti) 'KavA ich rühmt, er habe die ratiu v iitatis von der ratii . xs!--. -itiao p'sehiodfii,
ottd in rro|». IX (S. wiederfaoU: „Qni . • • examinavorit, videbit mc rationt^m vuritotis a mtione
actaalüatis sdlictte disÜngnere.'' Bier io der Adstnictio aber liandelt es incb tatsächlich am die
ratio veritatis. „Et 'jaoniam omnis veritas determinatiune pracdiuati in suhiecto e/KtÜttt^ tllio
determinans veritatiii non modo criterium, »ed ut fons ei>t" (S.3d2).
Bass«: iCnte «iknmteiafheoratHdMr Standpmikt in der .Kon DOoddatlo*.
33
Kant auch als ratio cogivoscendi bezeichnet Aber daim nimmt das Erkennen
eben don unif^ekohrten Gang, wie die Dinge; was ein n^6tt^v n^g '/f"^s' ist,
ist uiu vait^oi/ ijj tf vüti uuil umgekehrt. Die Jupitersmoiidfiiiöternis oder viel-
mehr die Wahruebmuug, die Erkemituis dieser Tatsache bildet den Erkenntnis-
grnnd für unseie Erkeantius der Iiohfl>e«e{pmg, die Klaatistüt der Äthenforne
den Bealgrund der Fortpflansongaweise de» licbtee, diese vieder den Beal-
grnnd für die Yerfingtewingen.
Der die Dinge selbst bestimmende Grund ist immer ein anteeedenter deter-
minaus. Donnaeh muß anob in der ]^enntnis die ratio anteeedenter deter-
minans heirechen, soll anders sie den ZusaimneRbang der Dinge adAquat wieder^
geben; es gilt Spinozas Satz: ordo et eomiexio ideanim idcm est ac ordo et
connexio renim. Wir werden also, wenn wir, von der beobachteten Wirkung
auf die Ursache zurtickschließcnd, sie — und ihre Ui>;uchc wiederum — erkannt
haben, iiucli in der ErkLMiiitni.s die öache umdrehen und aus den anto-
cedt'utür dütönniiüerenden Gründen die Sache erklären, aus dpr Elastizität der
Ätheratome die in endlicher Zeit erfolgende Bewegung des Lielites. aus dieser
die Verfinsteruugeu der Jupitersmoudu. Alle wahrhaft wisseuächafiiichu Erkenntnis
Bett snf anteeedenter deteminiermde Otfinde ab, tvill in synthetiachein Verfahren
alles ans aprioriscben (dieser TeRninus im vorkanti»chen Sinue genommen) Erfinden
ericennen.*^ Das analytieobe Terfabren, das, von beobaohteten ExMiungstatsachak
ausgehend, ron ^esen als von aposteriorischen (Erkenntnis-) ClrOnden xuräck-
soblieftt auf die wahren üisachen, ist nur ein Notbeb elf, ein Provisorium,
bestimmt, duxoh die bessere und voUkommenere, aus den Gründen, die der Sache
nach antoccdunt, die Folgen progressiv entwickelnde Erkenntnis ersetzt zu werden.
Daß diese echt rationalistische und doginatistische Ansicht in der Tut diejenige
Kants ist, geht mit zweifelloser Deutlichkeit aus dem Hchol. zu Prop. V iiervor.
Daspthst hpißt es; „Veritatis cognitionem rationis sompor intuitu niti, communi
omnmni murtalium sensu stabilitum est Verum nos saepenuniero ratione
con90f|uenter determinante contenti sunius, eum de certitudine mtbis
tautum res est; sed dari semper ratiouom anteeedenter determinaatem
a., si maTis, geneticam aut saltem identicam, e theoremate allegato et defiuitioue
innotim qieotatis f seile apparet, siquidem ratio consequenter determinans
reritatem non efficit, sed explanat*
1) Vgl. Thiele, Keitoehr. t. tmm. Phfl. Bd. 1 8. 83.
2) S. 394. Es geht rugleicli aus dem Obigen hervor, daß Jie ratio i .^^ui (»ndi nicht oin-
fach «Iii ErkeoutDisgmnd d«in Bealgnuid en^gt^nsuaetaen ist Vielmehr besteht ianerhaib dar
Brksnatots selbst nodi Oagmaats swücbeo der rotioiMS aatsoedetttor d«toniiMUiite> be-
ovtModea syodieliMlieB wid der imtipiifl« conaequeoter detwniiiaiitiOB benutModen sailjrtischeB
S
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BuBS«: bnts erlnnnfaiutheoietiscsher Standpiuikt in der «Not« Dilucidttio'.
Auii diesem Scholion geht zugleicli hervor, daU. wuuii die Prop. V sagt:
Nihil mt verum sine ratione dcterminante, imd diesen WaUrheitsgrund — denn
Erkenntnisart; nur insofern in natura r»>rum immer nur rationes antocedenter th-tt-rminantes
vorkommen, dio consequontor detorminantes dagopon nur in der Erkonntnis sioh finden,
kann die ratio conscquontor dctcnuinans auch als ratio OOgBOacendi äboriiaupt lK!zcirlinet werdoo.
Nicht leugnen aber läßt sich, daß schon die Bezeicliung: ratio eognonrendi dio Vormutunff or-
■wecken muß, als solle hier der Gegensatz der Erkenntnis und des Seins betont werden. Und in
di<M iii Siiiii' iiiaucht Kant dann tatsüdilich später (vgl. l'njp. YIII Schol. S. M "). I'i. p. IX Ali8.0
S. 308, l'rop. XI 1. S. 408) den Ausdruck und stellt ihn dem liealgrund entse/jen. Uie ratio eotjno-
srrndi fällt dann mit der ratio peritatüf zusammen (vgl. Adiek es 8. (iU); Uiren Gegensatz bildet
dio ratio aetuaUtati» oder enutenlMW. Entsprechend verschiebt sk h luiin auch die üedeutunp der
ratio aotccedontcr determinans. Sie irint 2001 Boalgnuid (vgl. dio oben titierteo Propo&itioneu),
und der ursprün^licho Gegcn.<!a(z: ntio sntecedenter detarmimne = a priori bt^mmendor, ratio
oaoeeqnsnter determinans • a jH.^tvri' ii .tiniinfii L r (irmtd, geht in den anderen über: r. a. d. «™
RetUgmiid, r. 0. d. = £rktiiuitnitt- oder Idealgniod. Dudua-h verlieren beide ihren urspröngücfaen
Chanktor. Ton der ratio cognoscendi =r »tio veritatis spricht Kant in dem (mit Prop. VI be-
ginnenden) r.weiten Teile der Se<;tio II und in Sectio III sti'ts, als wenn sie im Identitiits]>rinzip
bestünde (vgl. Tliiele il 2 Anm. 42) uod die IdentitXt von Subjekt und Piidikat der Urond
der Wahrheit aller wahren Urteile sei. In der Welt der Dinge sind dagegen Onind nad Folge nicht
Identisch, der Orund wird hier zur realen l'isache, dio Folge zur realen Wirkung; wir haben
ea hier mit rationibos antecedenter detorminaatibu», mit die Wirl^aug ans sich herrortreibenden
Gründen B VnokAen m tnn. Angedeutet wird dieae Bedeutung der nüo antecedenter deter-
minans freilich schon in der Prop. IV daduah, daß auf sie auch tlie Bezeichnung: ratio esstndi
wtl fiendi angewendet wiid (8. 392j, wodurch esw und fieri auf die eine, atgnoaeere auf die
andere Seite gestellt werden. An «eh alter bandelt es sich im ersten Teile des Sectio U nur um
Urteils- oder Erkenntnisgründo, die entweder a imori (im Schol. zu IV)jt. V winl dio r. a. d. auch
als ratio gmetiea bexeichnet) öder apoeteriori bestimmend, autecedooter oder coiwequenter deter-
minante« sein kiSnnen, und man bat kein Riecht, mit K. Fischer (S. 163), Wartenberg (Kants
Th.H>rie d' r Knusalitaf. T.. ii ;-!- ISOr». 8.23) und Kuyssen (Kiuit, I'arisi 1900, R. ?r2) ^ hon hier
und überhaupt r. a. d. ^ Kealgnuid zu setzen — luugen auch die Wolffianer oder ihre Uegoer
solcher Anffüsirag Vonwhub letsten.
Der Wahrh('i'v:ninil, der in rrr)p. V eine Kolli- spielt, gilt nur für Urteil" unl ist, di r
Zusanunenhaqg läßt darüber keinen Zweifel, als ratio antecedenter determioanü auzuspreohän.
Fretlidi fBbrt er doob wieder auf das Identitltspriniii» zurück^ worüber das I^ere in Text.
Irh i'fwiiliii.-' ernilirli . 'laß die ratio cogni'--' -'ipü :uicI» insofern ii^i fi ■•!['.■• Z\vi-i'ioutif»l;<.it
entlialt, al.s es nich in ihr einmal um die Konstatierung von Tat^hen durch Erfahrung', Ue>
obachtang (daher die in Prop. IT enfhaltone Baseichnnng nUio ptod =: r. cogn.), sweitent aber auch
um di> Fl f'hlicGung von Xatsacbensuf Qmnd anderer, unmittelbar In dar Eifabtaog gt^boner,
Tatsachen handelt
Wenn Kant in den Beispiel: nnndos eontinet plurima mala «agt: ,Satio quod seu cog-
noscendi non fiuaerilnr, 'luiii ' ri. ufi.i ij.-^iu^ \\rov:\ "ästinet", so ist hier die Erf:iliruiiu' der
Ofund, aus dem sich die Gewißheit der Mangelhaftigkeit der Weit eigibt: diese Xatsnohe wird
durch die Erfabroog teatgesteUt In dem Beispiele der Jupifersmoode aljer bandelt es sich nicht
in demselben Sinne utn ■l!-' ratio (iu<jd seu ratio c<'gnos<-endi; es kommt nicht auf dio Feststellung
dieser Tatsache s«lbst, sondern darauf au, »ie als Grundlage oiaess Schlüsse« auf die Natur des
Uehtwi an benutaen. IHoht eiiio quaastio facti, nicht eine ratio fWMf, aondem eine ntio emr —
anch diesen Aosdnudc bnmAt bot in Prop, lY filr die laäe antecedenter detenninaaB — fcomnit
hier in Frage.
Der Anadniidc tatio qood kOnnte übrigens wieder den Anaeheln erwecken, als bandle es sich gerade
bei der r. c. d. um Tntaachen, bei der r. a. d. => ratio cur dagegen um Wahifaeilea.
Busse: Eaato e^aoaibiiatheoratlaelier Staadptinlct in dar «Nova MuddaUo«.
86
die Prop. V enthält die ratio rcritatis, die K;iiit spiifor von der raiio uctnaUtatis
so genau unterschieden zu lialnju sich rühmt (l'iup. VIII, IX, XI) — dann ent-
wickelt, unter ratio dotenninans, obwohl da-s nicht ausdrücklich bemerkt wird,'
immer die ratio antecedenter determiiiaDs zu verstehen ist, die eben in aller
wahrheft wissensehAitlidien EikennteiB aUein mafigebend ist
Und diese ratio antecedenter determinana, daa ergibt aieb nun
weiter ane der Prop. fahrt snletst doeb wieder auf da» prineipium
identitatis (bosw. contradiotionis) ala das letsto und hdchslo Prinsip
aller Wahrheit surttek.
Denn in jedem wahren Urteile, lehrt diese Propoätion, mttft das Sabjekt
hinsichtlich des Prädikats determiniert sein, d. h. das letztere mit AussoblaB
des Gegenteils gesetzt werden *, woraus folgt: in omni itaque propositione vera
oppositum praPfüeati cnmpotentis oxcludatur necessc est. Und dann fnlp-t dir
Krküirting; „Excluditur anteni inaediratum , cui al) alia nntiono positn ropug-
natur, vi principii contrudictiuiiis. Also muß in jeder wahren Proposition
etwas vorhanden sein, das, indem es das Gegenteil des Prädikats (vi principii
contradictionis) auäschlicßt, die Wahrheit des Urteils begründet Dieses ^quid-
dam*^ ist aber, wie der SohlnOsatc ausführt, die ratio determinans.*
Die ratio determinans, so resfimieren wir also, determiniert in jedem wahren
UrteUe das Subjekt, indem sie das ihm sukommende FMdikat setst, sein Ctegenteil
aber, weil es ihm und damit audi dem Subjektebegiiff wideff^ridit, aussdiließt
Jedes durch eine ratio determinans, d. L antecedenter determhums, als wahr ho-
gründete Urteil ist mithin ein sdohes, dessen Gegenteil in sich wideispioohend,
unmöglich ist, also eine auf dem Ideotittttsprins^ beruhende Tteitö de raison.*
1) Das ist Thiole, dor die Pro|). V sowohl auf die r. a. d. als aaoh auf dio r. c. d. bozioht
(Itecd.KanLstudien Bd. I [Adickes], Zeitj4chr. f. immanente l'hil. Ud.I 8.81) ohne weiteros ziizugcbon.
2) Omni» propoAitio vera indicat sobieotum n^ecta pnedicati aflae detemiiiatniii, i. e. hoo
poni cnm exclustone oppositi. S. 3<J3.
3) Simtlicho Slltzo dor I'mp. V. S. ;m.
4) Ad icke s versackt, die Propositk) V für rmm Ansioht, dafi Kaut »war alle wahren
VrteSe ak analytisch (ihr Ftldilat bt in Sabjekt enthattea: TOn Adiekes als Wahrheitsgrond he>
leichnet) betnohte, aber auch analytische rrtciie, dio nicht auf dem Sat;: des Widerspruchs
kenihen. annehue, la venrettea. Da dem die Uebauptung, daß das Utigeuteil des Piidikata ri
principii oontiadietionit atingeBchlossen r«!, Gntp>(^)nst«ht, so interpretiert er 8. 59 Aom. 2 den
Satz: Gxciuditur autem prar>dicatum, cui ah alia notione posita repugnatur, so, daß er unter nlia
motioH» ptuüa daa Pr&dikat des Urteils vorsteht Danach wiirdo rjano «war daa Prädikat dadurch,
das ea geaetst vM, aein Oegimteil anssdiHeBen (wann ein HuV.j< kt 8 ein Priidikat P hat, so kann
es dem Satz des Widerspruchs zufolge nicht zugleich auch das Prädikat Non P haben), es selbst
Wälde aber nicht gesetzt, weil sein Oflgenteil (überhaapt oder unter den gegebenen Umstftadeu)
amni^lidi tat Aber dteae iDterpretaHen eneheini mir anbalthar, ate wideratreiiet deat klaren
Wgitbrate der Propt. ▼ und «lid auch dwcb eini» Reih« anderer Stellen wideriegt Unter
3*
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Baste: ICaols erk«oatiiBflieoi«tiscIier Sfandpaakt in dar ^"Swh Dilucidatio*.
Wir wollen fL'-;ti:,^'stf!lr liahnn: (his principiuin rati.)tiis (lotcfmiiiüiiii.v (\ iilp^o suffi-
ciöutis) bcdt'Uttit kein Kikeuatuisprinzip, das uLs eia zwuiU>:>, dem piincipi«.) identi-
tatis (seu contmdictiouis) koordiniertes, neben dieses träte, sondern das letztere
bleibt das einag entscheidende Prinsip aller Wahrheit ttberiiaupt. Das Frinaip des
alt'a nolione posUa ist die ratio deteriin'natui — in tlic.n'UJ Faü "lif ratio anleetdenter deter-
«MMMiiM (daß es oicüt «iiie ratio coati&ii. dot. Ut, wie ia dorn BcLspiele, da» Ad icke tt S. 59
Aam. 2 «nfUhit, ibm ziufigeb«n) — sm T«rstelieB, and SKhkgie ist die, daß die ntio
anto<,'<»i1i''n?. r dptpnniiians, welche das Subjett determiniert, das Pr^Jitat P ebenso notwendig 'ctzf,
wia sie das Ocgenteil, Non P, ausschließt So ist in dem Urteil: mundas contini't pliuitna mala
der Begriff de» Willens Gottes die ratio, ans der sieb sowohl die Welt als am h die Ütiel,
mit wr>li hpn sie bi.'haftet i8f w.A w f. ho daher in dem Urtwile das Priidikat bildon, dxs zum
Subjektsbegriff „Welt" gehört, lutt ^.ulwondigkoit ('ti^eben. Der Willo Gottes s*;tzt diese t 'bei und
detenuiniert durch sie die Welt. Daa Oegonteü, die Vollkommenbeit, wird ntcbt ge>)>tzt, weQ
si->iriinii auf dir- "\\'> lt goriohtetcn Willon widerstreitet. Frfüi. h wiiji'rstreitet das Gegenteil auch
diiu l'iudjlvat ui:d Uamit dem durch es doteiiuinierten Sulfjflil M-'lbüt, aber das iNt es nicht,
worauf OH Kant hier ankemmti Das Prädikat: Vollkommenheit widerstreitet nicht dem Begriff der
Welt überhaupt, sondern nur diewni im Zusammenhang mit dem Willen Gottes betniohtelen
{\u uexu spectato) Begriff. In dem Willen Gottes liegt en>t der entscheidende Grund, weshalb
zum Begriff Welt das Priidikat: mit Übeln behaftet DotweDdig gehSrt, das eatgegeogeaeUte: Vtdl-
keauueuheit aber mit ihm unvereinbar ist.
Zwar könnte es scheintni. als ob gerade der Ausdruck „noliono posita" sich auf das Prädikat be-
aieheaiDitssQ, weil doch diescsebou „gesetzt^ wird, ponitur. AberEaatgebrauohtden .Vusdruck^ponere*
auch von dem Grunde. So spricht or von der ratio eur, h. e> qua posita intelligibile est, mundum
respectu huius prsedicati non esse indetenuiuatum (.^dstractio lealitati« definitlonis Abs.! 8.392).
Geht man die SltsB der Prop. V s >r^fiiItiL' iurch und hält aicli nor an das. was Kant selbst
sagt, ühnc nach dem m schielen , was Wolf f oder K nutzen, liauragarten <xler Crusins meillBlIt
so kann gar kein Zweifel sein, duU mit der notio lüisita die ratio determiDtuu» gemeint ist Wie
will man, wenn mau unter tiotio |Hisita da» Pnwlikat d»s Urteils vcrstebt, den uomittelbar folgenden
Satz erkUiPm; £igo exclusio looum non liabet, ubi uon adest notio, qoMi lepnfnat opposito excla-
dendo? Soll dia beifien, daß, wo kein Piüdikat ist, Awtsehlieflung Keines Gegenteils nicht etatt-
fiül' tV Aber wo kein Prädikat ist, ist auch kein l'rteil. Xach unserer Auffassung besiigt der
Satz, dAfi, wenn t. som Begriff Welt der Wille Gottes nicht hinzakäme, dann daa Pridikat:
Yollkommenheit tticbt aiisgesobloRBen seb wttrde, da es dem Begriff Welt ,in «e 8pectBto* nicht
viderepriobt (Vgl. den zweiten Satz unter Ideni aliter: ,I'ono quio|uam verum esse sine
ration« determiaante, nihil afforet, ex quo npporeret, utrum oppositoium (uc. praedlcatonun)
tribuendnm nt subiedo , ntnm removeiidum ;nentrnmilaqaeexcluditQr* uaw.) — Weiter beifit es :
In omni itnjue veritate est <|uiddam, »juod oxclndondo pmodii atuni fipiiositum vcritatem proposi-
tiouis detonuinat J>ts„<iuiddani" beüehtaocb Adickos l&(M)Anm.)aaf den Grund. Daun aber mufl
qoiddam mit notio poslta des vorfaergehenden Satzos identisch sein. Denn die AnsKchließiing prae-
dicati oppositi wird auf die „alia notio posita'' und das „(luiddaiu" zurückgeführt Adickes sieht
sich, um suine Ansucht von der Verschiedeuheit beider aufrecht ertuüten zu köoneii, genötigt,
den zuletzt zitierten Satz zu verilndem. G«naitt genommen, memt er, müßte es hier nieht heilken:
<juoJ excludcrido praedicatum usw., s'iiideni «luod ponetidu pr;U'dicatuni usw. Aber Kant hjigt
eben nicht ponondo, «ondern exclodondo, und wir miutseu uns ao das halten, was ur sagt, nicht
an du, was er nach der Anaiobt seines Interpreten hlUte sagen müssen. Das „qulddam** wird
dann im letzten Satze der Prop. V ausdrücklich mit der ratio detenninans identifiziert: Qu."] > um
nomine ratiouis determinantis veniat, nihil venun c&se üine ratioue d«termiitaate statucndum ei»t
Geht man die siderten tSttze von unten nadi oben durch, so ergibt sich falgeoderZasainmenhang.
„ratio determiiiaaa** ist das quiddam^ qaod excludendo piaedioatum oppositum Teritatämpto-
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Basse: Kanfa erkenntnistheoratisdier Standponkt in der «Nova Diliieidatio".
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determinierenden Ornndes — soweit wk es bidier betmohtet h»beii — besagt
nur ganz allgemein, daß es fQr jedes wahre IlTteil auch einen Gmnd geben
mflsse, warum es wahr sei. Dieser Grund ist und bleibt aber die Identitit von
Subjekt und Fridikat, die Denknotwendig^it ihrer Yerknttpfung und die Uh-
mBglichkeit des Gegenteils. Wir haben mit der Binführang des principii rationie
determinantiB den Boden des Bationalismus bis jetxt noch nicht verlasen.*
Eine Fhige bleibt noch zu beantworten. Wenn dio ratio antecedenter
detemiinans schließlich doch aiif die ratio identica zurückiiommt (daß sie ihm
„annumerare lioef*, sagt auch schon die Note zu Fiop. lY (ß. 392), ebenso
posHioB» detenniiMt Die exclnaio piMdicflä opporiti findet aber nur statt, '«renn adest notio, qoae
repugnat f ]i[M>it.i csciudendo; i-t 'ii^ s'^ vorhanden, so daß praedicato opposito „ali iilia nntirine
po«ita repugnotur, so wird es cxklndiert Motio posiU ist also <= qiuddam => ratio detenuinous.
D«B es die mtio detemiiiunis ist, welehe dsa Pridtkat setst ond das Gestell aesseUieliti
(i*=s;i-r ;in.!i il.'r rrsto Satz des Idem aliter (.S.39.'}): ,,K n n t ion" riitio ni> i nl rll i-i p'.ii'sf . (| uod-
nam praedicatorum oppositorum »ubiecto tribuoudum sit quodaam Tomovendum**.
Ich fahre noch ein paar irdtere Betef^UeB an. Pn>p. 1Z Ahs. 3 8. 399 irtrd in dem
Ri i'^fiifl CaiuR gesagt, daß dorn B'^^jriff i]r-^ Caiu=; ('I'^r l i'trup'Mi liail ;ui Ni'rli, ..ppr d'<fr'nnina-
tiones suas phntitiva», quateuus licilicet homo est, die Ehrlichkeit (sinceritas) nicht widerstreite,
aber n^oipp» adsnnt in ipso nliones, quae penont oontniiiim**, so widentreitet sie ümn dooh nad er
mufite notwendig betrü<;'^n f .. >^t stiir< rita< tribui ipai neqoit, »isÜ torintO OBHli nttouvin intplioi-
tarum online naqu« ad primum mundi .statum'^).
Ib der Confutatio dabioram der fmf. IX heifit es 8. 400: Brentns mondän! ita certo
detprminati sunt, ut jutipspif^ntia divina fall! nescia pari cortitii'iirii' <•( ■^nnim fnhirifiVinfm ri npiw^siti
impo8sibilitat«m nexu rationom couformiter penpiciat, ac »1 absolute eorum conceptu oppositum
exdnderstnr. Der aexm ratioBnm, in veldten alle Yoiging» Teiflooliten sind, sdiließt, zu den
V-irfräncfn hinzugenommoii. ihr Oogent»'il ebenso — ant<'cedenter natürl->'ti nus, als wenn sie
durch ihre absoluten Begriffe üelhat — etwa die Ehrlidikeit des Caiu» durch den Begnff JUenscb
fiberiianpt — anageschlossen würden. Za allem Überflufi hat Kant die von Adiekes Terfacbtene
Intery>r-~'t;i»inn :ihnr nnch in einftn — frvilioli von Realgriiiiden handeltidon, nhor leielit auf den
Wabrbeits^nind zu übertrdtienden — li«i»pide auüdrücklick abgelehnt. I>nü Xitius (wi« Crusius
meint) dadnnh erst, daB er eben so handelt, wie er handelt (daA oUo daa Fridikat, weiches sab
Bandeln ausdrt: l-t, jrc HPt/t winil alles andere Handeln auss<'lilieDe, sei nicht riehtir. Vielmehr
•ohlosacn die vorhcrbestimmendcti Gründe, die ihn zu dies<>r Ilandhingswoise deterniHuereu,
das Oegenteil denelben ans (Propu Tin Schol. S. 397).
Wie -ob. arteilen in diesem Falle uui h Thiele I ' S. 24 Anm. 34a (,liier wird das eppo-
sifutn prat'ilitati competenti-; , nach dem prin<'ii>inm (•<intradi< tionis aut>gescbli>.sscn von einem
ihm widersprec henden Begriffe, und als dieser ihm widersprechende Begriff eiM-heiut doch
wohl der Grund [der Walirheit des Ritz ^ . Ii -f, v '1 m t ' S 100 Anni. 22 sowie seine Kritik
der Adi «'kosscheu Auffansung. ZeitscUt. f. i;iiiu.l'l.il. I .S. SJj urj.i i';iul-sen (S. 20 u.32; etwas anderes
fn>ilich S. 28), sowie Kuno Fisoher (S. Hi:^. liH'>. IGT) MitKeeht zieht der letzter«» auch die , nega-
tiven Rostimmungsgründe*. d.h. dio Grinido herbei, welc-lie erkliiren. warum ein jetzt eintretendes
EreiguiM friiher nicht eingetreten ist. Sie haben andere Ereignisse ges(>(7.t. das gegi>nwärtige al)er. das
Gegenteil j<'ner. bisher ausgesehlossen. Mit den negiitiven liriiüen (Fischer 108) haben freilieh diese
negativen Bestimmungsgründe nichts zu tun. — tbrigens läßt Adiekes selbst S.G4 Anni. 1 beiE.xistenzial-
sätzen das Gegenteil der Existenz dun-li ant'-i'< 'ienter detennitiien-nile Ursachen ausgeschlossen sein.
]> Tgl. l'aulsen i^. 3:1. i.,Es kommt also ihis | i|>i :tii r. d. xurüek auf das pr. COntiad.
oder, wie or (Eiuit) lieber sagen will, identitatiit), Thieb 1 ' S. 27,
38
Ba»8«}: Kants crkenntnisthcoretischcn Standpunkt in der «Nova Oilucidaüo".
heißt es im Sobolion zu Fmp, lY iß, 394): sed dui Semper ntionem «ntecedeuter
determinuitem s., si mavis geaeHcam ant sallem identiosm): tramm untetseh^det
Kant eigenflidi beide voneinander? Und trenn es denn unbescAiadet ihres schließ«
Itohen Zusammenfallens doch einen Unterschied swischen beiden gibt: welches
ist er?
Zwei Gcsichtspunkto bictoa sich zur Bestimmung dieses Unterschiedes dar.
Sie decken sich zum Teil, aber nicht völlig. Zunächst dieser. Identität von
Subjekt und Prädikat muB bei allen wahren Urteilen — also auch da, wo ratio
anteeedcntcr determinans im Spiele ist — vorhanr^en sein. l?;t a'ver ratin idcntica
der Grund de>^ Ztisammcnhanf^ von Subjekt und Prädikat, so bcstoht iiacli der
Note zu Prup.lV |)erfecta identitas, wio in dem Bei.spiel: triaiiguliuii habet uia
iatera. im Begriff des Dreiecks liegt unmittelbar dies, daß es drei Seiten hat; dieses
Prädikat ergibt sich aus der Definition des Dreiecks selbst Dagegen ist die
Ausssge, daß die WW. im Dreieck ^2R seien, da& sein Inhalt — und
ebenso die, daB der Kreis von sllen isoperimetrischen Plguren den größten
Flttcheninhslt hat, nicht unmittelbar aus det Definition des Dreiecks oder Kreises
SU entnehmen, die identitas von Subjekt und Prädikat ist hier nicht perfecta,
und daher ist der Grund, der beide miteinander verknüpft, nicht ratio identica,
sondern ratio antocodontor determinans, — wie das auch Kant in dem ZiAeL-
beispicl selbst hervorgehoben hat (s. oben S. 32).
Ein woitcrer Gesichtspunkt frgibt sich aus der L'nterscheidtins^ des ..in sc"
und „in noxu" hctracbtcton «Suljjekts. AVenn das Prädikat aus «Ictu ahsoUiten
Begriff des Subjokt.s, aus iliesem „in .se spectato" folgt, so haben wir ratio identica,
ergibt es sicli dapogeu aus demselben erst im Zusanuuealuuig mit iiadeiun
Faktoren, so liogi ratio antecedentcr determinans vor. Zur Erläuterung mögen
die schon mehiiach herangezogenen Beispiele dienen. Folgte ans d«n Begrüß
der Welt an sieh ihr Behaftetsein mit Übeln, so würde die Wahrheit des diese
Übel von ihr ausstq^den Urteils auf eine ratio identica sich grttuden. Da
aber erst aus der Welt, wie sie durch Gottes Willen determiniert ist, also aus
dem im Zusammenhang mit dem WiUen Oottos betrachteten Begriffe der Welt
ihr Behaftetsein mit Übeln notwendig folgt, so ist die Wahrheit des Urteils
durch ratio nntccodenter determinans bestimmt. Ebenso bei Caius. Uge im
Begriff des Caius, soweit er überhaupt Mensch ist, dies, daß er betrügt, 80 läge
ratio identica vor; da er abrr nicbt als Men.sch überhaupt, sondeni nur als ein
ganz bestimmter, in den Zusaiunienhang der Dinge verflnrlitonor nder durch ihn
bestimmter Mensch notwendig betrügt, so liegt ratio antecedentcr determinans vor.
Bosse: JCants erksantnistheoretiscber Staudpunkt ia dor aNova DUuoidatio*.
39
Ich führe nooh ein paaar Stellen an.
Flop. IX Abs. 3 & 899 heiitt es: Quid etiim attiiiet, ntrum eventus, per
aateeedeniea ntionea pneeiBe deteimiiiati, si per ae qteotetur, oppodtnm repne-
«entebile ait, cum nihilo eediu boo oppositom fieri neu poesit, cum non edemt^
qnibiiB ipei ad exsisiendiim «^us est, rationea, immo adaint in eontraxium?"
Ferner die schou oinmal angefObrto Stelle ana der Goalutatio dubiornm
derselben Proposition: „Eventus mundani ita certo dcterminati sunt, ut praft-
scientia divina falli ncscia pari certitudine eorum fiUuritionem et oppoaiti im.>
possihiHtatom npxn ratinmim conformitor perspiciat, ac si absolute eorum
conceptu oxcluderctuf (S. 100). Nach l'n>p. XI (S, 409) zu srhlioRcn, ist eon-
ceptus absolutus identisch mit dem AI l;:;t'mc in begriff; liegt ein sulolier vor,
so bedarf es also keines in nexn spectiui', luu ihm Prädikat mit Nutwcndiirkoit
zu setzeui ist dagegen der Begriff eia individueller, d. h. bczeichuet er tunen
ganz besttmmtea, von gana bestimmten Terbaltaiaeeii abhängigen Ibbalt, so ergibt
sich das Prfidikat ent aus dem Subjekt und den UmatKnden, aus dem Subjekt „in
nexu epectato". Im ersteren EaUe liegt ratio identica, im letzteren ratio anteoe*
denter determinans Tor.*
Fteilieh läBt aieh dieser Oesicbfspnnkt nioht übenll, sondern im Grande nur
(wie auch Adiokes 8. 58 augestelit) bei Kausaluiteilen, welche den Zusammen-
bang von Tatsachen betreffen, dnrchführen, und deshalb deckt sich auch die
durch ihn begründete Untei-scheidung nicht völlig mit der durch den ernten
Gesichtspunkt begründeten. Daß der Kreis von allen isoperimetrischen Figuren
den größten Fliieboninbalt hat, folgt sicher aus ilom in so spectato, aus dom
absoluten Begriff des Krei<?cs: es ist nicht nriti-, ilni in nexu zu betrachten,
um dies von ihm auszusagea. Demnach liigü iiier rHü(» identica vor. Nach dem
ersten Gesichtspunkt haben wir es aber in diesem Beispiele mit ratio antecedenter
determinans zu tuü, weil das Prädikat nicht unmittelbar aus dem Subjektsbegrilf
folgt, keine perfecta identitaa Torbanden ist
Jedenfalls, ob nan bdde Gesichf^nnkte sich cur Deckung bringen lassen
oder nicht: der Untersebied von ratio identica und ratio antecedenter deteii-
minans bedeutet keinen Unterschied hinsichtlich der Terpflichtnng der durch
sie bedingten Urteile, ihre Wahrheit durch daa principinm identttatis sou contra-
1) Vgl. A dickes S. 58. ,,Im einen Fall winl der Subjelitsbegriff als Allgomoinbogriff
betrachtet und von ihm da» aus,gi-sa^, was bei dieser l^otrachtangsweise durch Analyse in ihm
gefunden wird. Im andern Fall bezeichnet der S>ibjektsbej{riff ein oder inohrere Individuen in
ganz bestimmter Lage. Die rriidikate. die jetzt von ihm auisgusagt werden sollen, lassen sich
nieht durch Analyse d«s AllgeiiK'inltu^'riff.s fiixlen, Bondein nur dnicb HinnuMbiDO der Imsondoson
Umat^a, der g«as«a Weltlage, in das Subjekt.'*
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40 Busivu: Kaub crki-niitoisthcorDtüther Sfamdpankt in der ,Nova Dilucidatio*.
dietionis zu erhäffeen, sich als dentmotwendige Urteile, deren GegenteU einen
Widenipnioh einschlieftem wfirde, £u rech tfe rtige n .'
Alle wthnn Urteile sind analytische und beruhen auf dem Prinzip der
Identitüt bezw. des Widersprach». Mit Urteilen und deren Begründiuig haben
wir es aber bisher allein zu tun gehabt Erst der letate, 7,uni zweiten Teile
der Sfctin II überleitende Satz des Srlmlion zu Prop. Y: ..Srrl poriramiis ad rationes
oxsi^tentiam det^rminsnites" (S. 394) weist unR auf etwas anderes, auf Tat-
sachen und deren Orüudo hin.^
1) Auch hier mufi ich wieder Adickes entgefentreteii, der d«n UntoiMhiod der aas den ia
w and dem in mxxi botrachO'lon Subjokt sich «i^gobonden Urteile Wieder mit seiner Unterscheidung
v<m ülentisciien, auf dorn Satz vom Widerapnioh beniheDden, und lUialjrtiJK^eD, nicht auf dem
Satz des IViderapniob» bernbenden Urteilen, die Kant angenommen haben soll, in Verbindiing
bringt. Wenn das Subjekt in se f pc< tatiim das l'rädikat (<lurc h Analyse) ergibt, sii soll eine
Erkenntnis gemüB dem Sata vom Widers|inich vorliegen. Müssen wir aber über den Sutyetcts»
begriff hiaiuagehen, ihn Ire 2aiianmeahang der ganzen Woltlnge gemKS deoi Kausalgesetz be-
trachten, so hat der Satz vom Widerspruch k(<inon Wort mehr und kann keine Erkenntnis
mehr verechnffen. Kausalverbttltnisse »ind also nicht nach dem Sats des Wider-
spruchs, aber trotzdem a priori erkennbar*' (S. 98).
Demgogonübcr ist darauf hinzuweisen, daß (ein Satz, den Adickes selbst S. 57 ziticif)
lümt in der Prop. II S. 380 ausdrücklich sagt: „Quandocunque subieottun, vel in se vel in
nexa flpectatnm, ea ponit, quae netionem piaedicati invoivunt, . . . hoe iDi competcre statnen-
dum est, ot idera paulo explicatius; iiuandijcunr|uo identitas subiecti inter ac pracdicati notiones
reperitur, propoeitio est vera.*^ Daß aber das Identiiiitsprinzip das principium contnidictionis
einecblieflt, habe ich oben (8. 26 — 27) ansfuhitieb dargelegt. Hiernach bat Adickee kein
Itecht. es — was, wenn seino obige Annahme zu Rerl.t l< - tiui'lo . frrilirh berechtigt wäre —
8. 62 für unpaüiiend zu erkiäreo, daß Kant die ratio idcntica mit zu den rationibu» cur reclwe:
„Denn letztere rind eben, wie wir sahen, nicht nach dem 8atz -vom Wnienpruch erkennbar."
Nach K:tnt ist ?i In i ili r ratio antecetlenter deterrainans der Identitäts- oder Widerspmclissatz
die (irundlage. Kant verwirrt auch nicht, wie Adickes meint, dadurch, daß er die ratio identka,
bei der das Subjekt nnr in ae betnebtet zn werden braaeht, mit der ratio genetica, bei der es
in ncxu betrachtet wcrdi ti nnif!, uiifri ■irien Begriff zufamnu-nbringt. ganz verschiedenartige
Vetbäitaissc — Die Ajmcbt, die er hierdurch nach Adickea o»heIe|;t: daß auch die ratio
gvnetiea kSniw nach dem Bats des Wideraprad» erkannt werden, ist eben Kants wiiUiehe, tob
Adickes verkannte, Anflicht.
2) In der Prop. IV, welche die gruudlcj^'ndeu begrifflichen Besitimiuuugcu gibt, ist nur von
Urteilen, von Subjekt and Piüdikat und deren Teriutfipfnng, die Bede, und so nnch sonst in
diesem ersten Teil der Sectiit II, Freilich gilt für den Kationalistcn tin i ■ .mit mi "h für Knnt,
boweit er strenger battoualiHt ist, daß, da ordu et eonnexio ideanun idem est ac ordu et cunncsio
rerom, was von dem Subjekt nnd dem Pittdikat im TJrteil gilt, auch von dem Ding und «einer
Bestinuntheit in natura roniiii gilt (Thiele I> S. 101 Aiini., Adickes S. .'»fJ). uml u :ii frvk , Ii rt
(daher ich such Ikispiele, die «ich auf Diugc beziehen, zur iUustrierung des von K&nt von den
Urteilen Oesagton benutzt habe). Aber eetae Avslttlmin^en über daa prineipiaiii ratknis deler-
minantis «'ill er bisher nur auf Urteile be/.(ig<^ii ^vi:^^rn. und wir haben kein Ke<-Ii', un^ iili^r
diese »eine Absicht hinwegzusetzen. Auch läßt sich kaum ä:i^eu, daß er »einer ausgesprochenen
Absieht luwlderiiandle. Seine Beispiele, auch wo sie atdi mif Tatsaeben beneben, wollen dooh
nicht diese sellvst. sondern >in nl ?Iati rialiini für Vrteitfi in Betracht ziehen: nnf dir (etztcrrn xmd
ihre Üründe geht diu Kudnb,sicht immer hinaus. So sagt er denn bei dem Bcisiäelo der Übel in
Basse: Kants erlceontni&Uieorotifwher Standpunkt in der ,Noira OUacidstio*.
41
2. ftof. YI— xr.
Vom Standpunkt des konsequenten Bationalisnius aus, den Kant bidiw
eingenommen hat, exscbeint es s«llwtTentlndlich, daß, was von den Urteilen und
ihren Orftnden gilt, mutatis mntandis auch fiir die Tatsachen nnd ihre Bealgründe
Geltang hat Ordo et connezio ideanun idem est ae ordo et eonnexio rerum, die
vahre Erkenntnis q»ieg«]t ja die Wiikliehkeit adiquat wieder. Eigibt sich ein
Pridilcat P eines Subjekts 8 als eine notwendige Folge ans einem Grunde G, so
ist auch die dem Fküdikat P entsprechende Bestimmtheit J7 des Dinges S die
notwpiuligo Folge des realen Grundes T: der notwendigen Verknüpfung der Urteile
entspricht ein»- ebenso notwendige Verknüpfung der Tatsachen. Wenn nun Kant,
nachdem er die strenge Notw cndiiikeit, welche alle wahren Urteile behemcht, so
stark betont liat, (üo I»rop. V mit den Worten beschließt: Sed pergamus ad rationes
exsisteittiam duterniinantos, muß das in iihnlichcr Weise auffallen, wie
oben die Einführung dps prineipii rationis determinanti«!, nachdem vorher das
Identitätspriüzip zum liochsten und allein maßgebenden Prinzip aller Wabriieit
erhoben worden war.
Soll mit dieser Trennung der OrOnde, weiche die Existenz detenninieren,
von den GrflndiHi, welche ürteile determinieren, ge&agt sein, dafi es sich mit
den Bealgrattden anders vOTbllt als mit den Idealgrttnden, daB die sbaolute, anf
dem IdentitAtsptinaip beruhende Notwendigkeit, welche die Urteile susammenbindet,
bei der Yerlmfipfung der Tatsachen nicht obwaltet? Die Erwartung, welche die
Schlußworte des ersten Teiles der Sectio II enegen, dafi bei Tkttsachen die Sache
doch etwas anders liegt, als beim Denkon, wird nicht in demselben Umfang ent-
tauscht, als die durch die Aufstellung des prineipii rationis detorminantis erregte:
empirisfischo Neigungen treten in der Folp^»^ in Ji r Tat zfitur ilig hervor. Doch
hören wir, was Kant übpr das Tatsachlic lio in der Wirklichkeit s«irt
Oleich die sechste Proposition hebt «-ine tun ilnxir Folgen wichtige Vei»chietkii-
heit der begrifflichen und der realen Wiiklichk- it hervor. In einem Urteile kann
das Subjekt durch seinen eigenen Bi-gnff determiniert werden, wie es ja da, wo
drr W*»lt auiydrückiicb : babetnus igitur propositionem: ninniti'; < >ntinr>t jihirima m.ala (S
Vgl. auch dio Wendung: «jna posita intelligibile est, mutiüuin witd OfU-ntiT huiu& praodicati iion
MH iadatonninAtum (cbendas.). DaS dadaroh da» jutellipl)!«! Moniont anerUnbierwciso hinein-
getragen w^rrlc (Ad. S. . '•7 N<ito 1), trifft ni -f;{ 71! Pi'i 'h'm \'>i-:^\'.'-\ von den .lupitersmo'n'lcn heißt
es: „Voruui haec ratio i^st consenuenfpr tantiim Jru imiiuui^ iionc voritatem (S. 392) usw".
Vgl. auch die Hinweise, die Thiele I' 8.105 Anm. 29 giht. Die Tatsaofaen komniMi aber ernt
im zweiten Teile von Sectio II zur Enirtemng. Nur die «ileichMMzung von ratio cur (= nitio
antccedenter determinaDj>) mit ratio e&sendi vel fiendi i^t in der ersten Abteilung der Scl-.üq 1
nicht sm PhtM; ihr venrimnder Etoftofi Ist von nür oben (8. 34 Anm.) aiiab gebahnod gewfMigt
woidfli.
42
BttSiie: Kante ei^enutnistbeoretischer Standpuakt in der ,Kovft Dilucidatio'
latio identicft im engeren Sinne veriiegt, der "EM ist: ein Ding kann aber nickt
den Grand seines Daseins in sich selbst haben, causa sni sein: Exsistentiam
suae rationem aliquid habere in se ipso, absonam est* Denn wäre es der IUI,
so mflfite, da notio causse natura prior est notione oausati, das betreffende Ding
sngleich prius und posterius se ipso sein, was absurd ist
Anstatt nun aber hieraus zu schließen, daß die Notwendigkeit dos Du-soins
eines Dinges nie in ihm selbst I ciri rmdet sein und es ein Ding, dessen Dasein
aus seinem Bogriff oder seiner Essentia mit Notwendigkeit sich ergäbe, nicht
geben kann, folg'ert Kant, daß, wenn also etwas notwendig existiert, dif'>o Nnt-
wendipkeit nur die Undenkbarkeit und l'nmöirlichkeit des (legenteils bedeuten
uud atieb nur durch den Nachweis dieser rniih i^licliki it — d. b. per rationem
conseijueiUer determinantem — festgestellt wt-rdcu kuim. Mit dem Zugeständnis,
daß die Notwendigkeit der Existenz eines Dinges in dieser Weise erkannt werden
kann, ist aber der Begriff der notwendigen fixistens selbst festgehalten wordwL
Hit demselben Be^t, mit dem wir oben (S. 26 — 27) geltend machten, daß übenll, wo
ein Sats nach dem Prin^p der Identität wahr ist, er auch nach dem Prinsip des
Widerspruchs wahr ist, mflsaen wir nun auch umgekehrt daran festhalten, daß
ttberall, wo das Oegenteil eines Urteils einen Widenpruch einschließt, dieses Urteil
auch eine denknotwendige, auf dem Frinsip der Identi^ beruhende Wahrheit
darstellt. Ist mitliin das Urteil, das einem Dinge die Existenz abspricht, unmöglich,
so ist da-S Urteil, tlas sie von ihn» aussagt, denknotwendig: dius Prädikat der
Existenz ist alsdann im Begriff des Dinges, im Subjektsbegriff, enthalten und folgt
nacl» der Regel der Identität mit Nctwondiekfit nus ilim.' So erkliirt flenn aiicli
das Schnlion zu Prop. VII (.S. 3!M)): Ileus unuiiuni entium unicum (•-■t, in (jiiu
exsistentiü inior est v« !, si iiiavib, ideiitica cum possibilitate.^ Kant liiilt al>u an
der denknotwendiguii Begründung des Seins tafsächlich fest. Trotzdem polemisiert
er im Scholien gegen den ontologischcn (Jottesbowci^, der die Existenz Gottes
aus dem Begriff desselben als des vollkommensten Wesens dedndert Er wendet
gegen ihn ein, daß, wenn in einem Wesen alle ReaHitKt vereinigt ist, es freilich
wiridieh existiert, und daß, wenn wir ein derartigos Wesen denken, wir es freilich
auch als existierend denken mOssen: das sei eine bloße Tautologie. Ist nun
unser Begriff eines derartigen Wesens wahr, so existiert es freilich, aber er ist
eben nur dann wahr, wenn jenes Wesen, wenn Oott existiert
1) S. -i'M.
2) DaB das schließlich doch \vi.,>d<<r auf die causa siii zarückkonunt, hebt Thiele I' S. II I
Ann., mit Kecht hervor.
3) Das ouicht auch Adioko» & 64 mit Bccht geltend.
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BttBse: EiDti erkenateUthaoratiaeber Standponkt in dar «Nora DUocidalio''.
43
Auf diesen Einwurf würde der echte, zugleich dogmatisch die Übereinstimmung
von Denken und Sein voraussetzende Rationalist antworten, daß die Gewähr für
die «irkUohe Bxistuu Gottes eben im fieweiee wdhat liege. Stimmen da»
liehtige Denken und die WiiUidikeit fiberein, bq mtteee mit denelben Notwendig-
Iceit, mit welcher im Denkmi aus dem Be!griff des alle Beelttltt in sidi Terainigenden
Weeens das FMdikat der Ezistens folge, «uoli in der SpUite des Sein» aus der
MSgliclikeit, der EBsentie des allenealsten Wesens seine ESzsistentiR sich eigeben.
Man mflaae abo, wolle man den Beweis widerlegen, nachweisen, dafi im Denken
ans ih'tn Begriff des allerrealsten Wesens die Existenz sich nicht mit Notwendigkeit
ej:gebe. Diesen Nacitweis hat Kant später (in der Kritik der roinen Vernunft,
aber auch schon früher) tatsächlich geführt, indem er zeigte, daß Sein kein Prädikat ist,
djis sich atis irfrpnd pinrm wie immer auc h bcschaffrnon Subjoktsbogriff gleich anderen,
zum Iniiiilt ili'ssollien gehöremifii Mcrkinali'u fiitm'limpn lasso. Alsdann folgt
iiiu'li daü rriidikat der Existenz niclit aus der otimitudn realitatis überhaupt, sondern
mir deshalb, weil diese als wirklieh, als wirkliclie Eigenschaft eines wirklichen
Diiigs gedacht wird, — womit allerdings — aber auch nur jetzt — eine Tautologie
gedacht wiid. Ebenso existiert der wirUicbe Gott dann nidit kraft seiner omnitudo
reelitalis, sondern seine Existens ist die Folge der WiiUichkeit der omnitado
realitatie, was so viel heilt', als: er ist, weil er ist
Die so feetgrateUte Untoscheidmig wttrde, konseqnmt weiter Terfolgt, auf
dogmatisdiem Boden dahin fahren , im Denken selbst einen Untonchied anzuerkennen
swischen denknotwendigen und nicht denknotwendigen (nur erfohrungsmäßig
geltenden) Urteilen, — der auf einen entsprechenden Untendncd Ton abeolut
notwendigen und bloß tateSchlichen Zflgen im Antlitas der WiiUidikeit hinweisen
Wörde. Kant aber wendet, wie gesagt, diese gtmze Argumentaticm hier noch nicht
an, er scheint vielmehr anzunehmen, daß eben die omnitudo realitatis doch den
ausreichenden (iniiid der Existenz bilde, und stellt dem onto!iii:i>t hi n Anjumcnto
daher nur den Zweifel entsrejren, ob es denn auch von einem wahren Beirrifi
ausgehe. Seine l'oleinik w undct sich also gegen die l'i'ämissen dos Beweises, nicht
gegen das Beweis verfahren.'
1) Von einer Kiii-ii ht in dii- Uiimof,'liclikfit, aus di'in blotloii Bi'fjriff oiiu-s Dinges si-in Dasoin
abzoltiiten, dia Heymans (Einigo B«iDerkuiigoa über dio sog. empiristiiycho l'Qriod« Kant«, Archiv t
Oesdt. d. PUl. Bd. II 8. 680) anninmit, kann daher hier nodi keine Bede sein, datin atimine idi
Ailickes völlig bei (S. 64 Anm. 3). Ebt-nsowfuip alwr kann nach dfin obi;;«'» Thielos Bdiauptung
xogestinunt «erden, daß aus Kants Ausführangt-n über den Gottesbewcis her%oq{ebe, der äaU:
Oott «xiatieit lealitor, sei kein analytiswhea Urteil (t* 8. 31; vgl. ZnitBdiT. 1 Imm. Phil, t 8.88
Anm. 3). Auf der falgmden fieito (32) gibt Thi ol« «ach den analytiMhen Cfaaialctor de» Uiteiles xo.
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44
Bosse: Kaota erlieonüitötheorL'UscIiQr Standpunkt in der ,Mova Dilucidatio''.
Kant h*t offenbar das Geffibl, daS an dem ontolo^sohen Beweis nidit alles
in Ordnung ist; seine Frage, ob denn der von ihm benotste Begriff wabr ist,
deutet darauf hin, daß Begriffe, die sieb auf Tatsachen beidehon, niclit durch
logische Operationen, send«» nur auf andere Weise — durch Er&hmng — als gOitig
endesen werden können. Aber d^er Gesichtspunkt, der allerdings in den strengen
Bationalisnras eine bedeutende Bresche legen wttrde, kommt nicht rocht cum
Durchbnich; er wird, kaum aiif^^cstellt, von den Wogen der ntionalistisdien
Betrarlitini.r?;\v(Mso wiodcr überflutet
Uud so gibt Kant denn in Prop. VII (8. 390) -dbst oinon Gottosbewois, der
die notwendigo Existenz Gottes aus der Unmöglichkeit des Gegenteiles erweisen
will. Vom Begriff des Mö<rlif"hen ausgehftui. zfitrt or, daf? nllo Möjrliehkoit,
dif ja in der Vereinbarkvit sich nicbt widei-spreeliender Inliultc ln ^tcht, .'in
Wirklicht'ü Mtniussetze: (dme WirkÜLlikeU giibo es aucli keine Mogiiclikeit. Das
Wirkliche, das dio Grundlage alles Möglichen bild.-t, muß aber eben deswegen
notwendig sein: denn wSre es nicht, so gäbe es ja keine Möglichkeit, sondern
nur ITnmSgUohkeit — was doch unmöglich ist Aus der Notwendigkeit folgt aber
wieder, daB dieses WiiUiche ein alle BealitSt in sich schliefiendes Wesen: Gott ist
Oihe es mehrere sich beschrlinkende Wesen, so würden sie, weil ihre Beschränkt-
heit nicht notwendig ist, sufKUig sein — was gegen die Voraussetming streitet*
Rationalismus und Empirismus liegen in Kants Denken im Kampfe mit»
einandert der Empirismus Tenna^ aber bei ihm noch nicht Boden zu gewinnen; sein
Gotteßbeweis ist so rationalistisch wie nur möglich. Noch einntal taucht ein
empiristisches Moment im Scholion der l'rop. VII (S. 395) auf. Es ist nicht richtig,
daß die Essenzen der Dinge (die in der inneren Möglichkeit dei-selben bestehen)
notwendig sind; richtig ist vielmehr nur, daß sie den Dingen notwoiiiii^: zukommen.
Die Es.senz des I^reiocks, die in der Zitsnmm' ufitgung dreier »Seilen besteiit, ist
nicht not\vfnlii^^ d, ii. rs i^t nicht notwcuili^. dioi Seiten immer als ziis-ammon-
gefügt viM/u-^trllca. Dem Dreieck alter kiniunt da';>c K.>.scaz nutwendi^^ /-u, d. h.
wenn man ein Dreieck voi-stellt, so muß nuui es notwendig als aus drei Seiten
bestehend vorstellen. Hier erscheint der hypothetische Charakter aller Vemunftwahr-
heilen und die bloße Tlstsächlichkeit aller Dinge und YovgäDge, ans der dieNichtdenk»
notwendigkeit der ihre Wirklichkeit zum Inhalt habenden Urteile folgt, klar erfaßt
Die Existenz des Dreiecks — sei es eines realen oder eines bloß vorgestellten —
1 1 Tk'nselben Il'-wcis i-ntwicki-lt Kant auch in <li'in „Kiiizif; im»{;lii lion Beweiisgrand zu i'in.'r
Deuloiistration des Da.seins Gottt-s" (17(53), Er.^to AbtL-iluug, wo difher Bswcia als untulugiücbtir
dem s|äter ontwkk^t^n (auch m unserer Schritt nocb nifticteiHlen) kosmalo^sc^ Beirriw
goigmnbortritt
Bass«: Xaatat «rlcMiiitiuailieontiadier Staadpnnkt in d«r «Nova Dilnddatio*.
46
ist nicht absolut notwendig; der Satz, der diese Exi.stonz anssa^, läßt sich dalier
in keiner Weise als deuknotwondig begründen, sondern ist, sofern er wahr ist,
eine bloße v6rit6 de fait, die sich als solcbe durch ihre Überainstinimung mit der
Erfahning ausweist Dagegen ist es notiretidig, wenn man ein Dreieck TOistellt, es
seinem Begriff gemäß Tonmstelleii: der Sats, der allen Dreieoken ihre drei Seitoi
suefkennt, ist eia denknotvendjger Sats, eine Tdritd de raison, deren Geltung von
der Tatsache der Existenz von Dreie^en gans unabhängig isi — Aber eine Bevclntion
hat auch diese hier qtoiadisch auftauchende Einsieht in Kants Denken in der
Kova Dilucidatio noch nicht hervoigehracht So wichtig sie als ostes Auftauchen
eines Gesichtspunktes ist, der in der Folge Kant immer weiter vom alten
Rationalismus entfernte : vor der Hand bleibt er im rationalistischen Fahrwasser.
Die Ausfühningen über die „zufälligen" Dinge und ihre Realgründe (Prop VITT
.sf>f|.) lassen, trotwiom mich in ihnen die empiristischc Saite nnchmuls anklingt,
keinen Z-vrifr-l darüliLT. Zufalli^^ nennt Kunt die endlichen Dm;:«:' niclit in dem
Sinne, diiü sie ihre Kxistcnz ülurhaupt dem bloßen Zufall verdankten, Nondern
nur im Gegensatz zu (iutt, tlciu ün bedingten, absolute neccssaiio Existiereuden.
Notwendig in dem Siuue, daß sie durch einen ihre Existenz mit Notwendigkeit
setHHidas Grand bediitgt sind, sind die endlidien Ding» allerdiags. Prop. vm
hebt diese Bedingtheit ausdrücklich hervor: Kihil contingenter exsiatens potest
carere zatione exsistentiam antecedenter deternünante.^
Zun&chst freilich scheint es wieder, als solle zwischen Datsadienveiknapfung
und Begrifbverknapfnng, iswischen der Notwendigkeit, die im Denken besteht und
auf dem |nineipium identitatis aeu contradictionis beruht, und der physischen,
auf der Kausalität beruhenden Notwendigkeit ein großer Unterschied statuiert
werden. Im Scholien dieser achten Proposition'' hebt Kant als ein besonderes
Verdienst, das er sich (wo indes?) erworben habe, hervor, daß or <iie nttin veritatis
von der ratio exsistenfinc siir^'fiilts^ nntoiNchieden habe. Beachte nmn die.sen
Unterschied, .so werde man nicht dt r Meinunf^ sfiri, diiß die universelle Gültigkeit,
welche das principium rationis di t« rniinantis auf dem Gebipte der Wahrheiten
besitze, ihm auch für die Existenz iduie weiteres Geltung vei-sclrnffe. Es scheine
nur so, als sei, da doch nach dem principium veritatis nichts wahr sei ohne
bestimmenden Ornnd, also auch das Prädikat der Ezistens nni durch einen soldira
dem Subjekt beigelegt werde, ein besonderer Eustenq^rund neben dem Wahrheits-
gnmd ttbeiflliSBig. NSadich bei den Wahrheiten bedfirfe es nidit eines antecedenter
1) 8. 396. Oer eist« Saiit dea eisten Absatzes dieser Propodtioa eatMlt eineu Druckfehler:
>Mt re ist rei sa leoea.
S) 8» 896>
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Busse: Kants erkenntuisUieoretischer Standpunkt in der ,Nova Dilncidatio*.
detenrnnieronden Ghnmdos, hier genflge Tielmehr die Identit&t von Subjekt und
Objekt Bei existierenden Dinj^n hudle es sich dagegen um antecedenter deter-
minierende GrOnde, deren kdn contingenter existierendes Ding entmten kann.*
Und ebenso betont w in der Prop. IX (8. 398), daB die Venrecfaslong ym Ideal-
und Realgründen, über die so viel gclihi^t wordo, bei ihm nicht vorkomme: bei
ihm werde die ratio reriiatis von der ratio aclualitatis aufs sorgfiiltigsto unterschieden,
üor Unterschied zwischen beiden soll nun der sein, daß der Wahrheits^jrund die
Identität von Stiljjckt und l'rädikat bodoiitof und ftdj^üoli di.- Wahrheit aller Urteile auf
dem principium identitatis (seu cnntradictionis) beruht UerUrund, der dieTalsachen
bedingt und verknüpft, sei aber nicht die Identität, sondern sei antecedenter
determinans.
„In priori solum de ea praedicati positione agitux, quae efficitur per notionum,
quae subiecto Tel absolute Tel in nezu spectato iuTolTuntur, cum praedicato identi-
tatem, et praedioatum, quod jam adhaeret subiecto, tantum detegitur. In posteriori
dieaeaqnae tnes8eponuntar,exaniinaturnon utrnm, aed unde exsistantiaipsoTum
detenninatasit; . ..si(res).. . oontingenterexsisteresnmitnr, adsintnecesse estalia qaae
ita, non aliler, determinando, exsistentiae oppositnm iam antecedenter exoludant* *
Also der »nteoed^ler determinierende Ornnd, dem wir auf dem Gebiete
der Wahrbeitim begegnete und der dort schließlich mit dem Identitfitsprinzip
völlig zusammenfiel, wird jetzt plötzlich für die Dingo, die Tatsachen reserviert
und als von der Identität verschieden hingostelH! Tatsachen und Denken, logische
undKausalverknüpfung(eben)j»> dann auch: loj^sclK r Widerspruch undRealropti<rn:inz)
werden wieder einander als durchaus verschit di n i:i"*jpnnhpr?f"Jtellt. Die Tatsachen
gehorchen zwar dem f^atz vom Widorspriicli in-infoni, als sie nicht in sich wider-
spruchsvoll sind, aber sie stobst und ihr Zusammenhang sind nicht logisch notwendig;
das Gegenteil jeder Tatsache ist möglich, d. h. denkbar.
Diese Auffiissimg steht im denkbar sch»üfsten Gegensatz zu den Ausführungen
der Sectio I und des ersten Teils der Sectio II. Hält man sie fest, so muB sie
die Lehre vom Wahrheitsgrunde und damit den ganzen Rationalismus aertriimmem.
Und ebenso macht umgekehrt jene Lehre diese Aiifbttsung unmSglioh. Denn wenn die
Tatsadien nicht logieeh notwendig sind, nicht durch das logisdie Identititsprinxip Ter-
knflpft werden, so können auch die Urteile, welche dieExistenzronDingen
1) S. 30G n(t7, Di.' Anffu- Ulli: Adkkes', boi den ■\Viihrhi'if<Mi müDton wir uns mit der
ratio coDsequenter duturmioans zufri(.<den geben, ist durch die Erklärung Kants: „wd idontitatem
pnaiieitam inter ao snbiectnm bitsroedenteD soffioera," als saiicbtig erviomn. Der wiikliehs
(tefensatz ist hior ralio i-!'-,ih'm vnA fWfw «ittaCMleNfer itttrmümw.
2) Prep, il Abs. 1 S. 3ää.
Bms«: KmIb «tlwaatei*ai«>n&ofaar SfauidiKinkt in d«r ,Nov« Biluddatto*.
47
und die Verknüpfung von Dinaren zum Itihalto haben, nicht denk-
notwondig äcin, so kann auch in ihiiua das Tiüdikat nicht nach der
Bdgel dfir Identität ftua dem Subjektsbefriff folgen. Ihre Wdubnt
wüide dum vielmehr nur auf ihier Übereinetimmiuig mit der Bi&hrung benihen,
ne würden Tficitte de fiiit sein. EsaA sagt aber: Omnis propositio yeia indieat
sabiectum tespecta praedicati eine determinatum, i e. hoc poni cum exclusione
oppoaiti (Prep. V). Und: Qnandocnnque identitae subiecti inter ac praedicati
netiones leperituT, propoeitio est vera — somt also nidhit! Sind aber umgekehrt
alle Wahrheiten durch das Idcntitiitsprinzip beherrscht, mflaeen alle ürteile, um
wshr zu eein, Identität von Subjekt und Prädikat aufweisen, analytisch sein, so
mflsscn auch die Tatsachen, über die sie etwas aussagen — vras hiefie
sonst: wahres Urteil? — entsprechend beschaffen sein. Folgt also in jedem
Urteil, auch in denen, welche über die Existenz nflt r das tatsächliche Verlialtrii
der Dingo etwas aussagen, das Prädikat mit logisclior Notwendigkeit nach der
Kegel der Identität aus dem Subjekt vel in se vel in ik xii spectato, so muß ■
auch mit genau derselben Notwendigkoit in uatura reruiu die Existenz
oder das durch das Urteil beseichnete Verhalten der Dinge aus den
rationibns anteeedenier determinantibus folgen.^ Auch der anteoedenter
deteruinierende Realgrund wird dann zm ratio identiea, ürsache und Wirkung
fällt mit logischem .Grund und logischer Folge susammen, die Wirklichkeit wird
gans im Sinne Spinosae zu einem rein logtsehen Oefilge, das in lauter diuik-
notwendigen Töritte de raison Ton uns erkannt, wiedergegeben wird. Und zwar
wird in allen Tatsachenurteilea (das die Existenz Gottes zum Inhalt habende
Urteil allein ausgenommen) es da-s in nexu betrachtete Subjekt sein, aus dem
sich das Prädikat mit Notwendigkeit erpiM, <\rr AMi.ingigkcit der contingenter
existierenden Dinge von dem ganzen Weltzusamnienhango entsprechend,
Kauf hat sich diese Konsequenzen hier tiorh nicht khir ^^eniacht; die enipi-
ristisclieji Regungen, dif sicli in '\vv Nova Dilucithitin finrlcii. i:» lii'n ikk'Ii imvcrinittelt
neben seinen rationalistisrlieii Aiiscliauuu^'eu li»!r: über dm Vwliültuis vou tat-
sächlichem und denknotwendigem Zusammenhang, empirischen und rationalen
Wahrbeiton bleibt er im unklaren.' Daß aber auch diese Anwandlung empi-
ristisdier Ansichten wieder von der ntionalistisehen OrundsIvOmnng seines
1) Tgl. Adi«k«8 B. 57 Note: ^Jeder Keedgnmd nmB sqgl«ifl}i tän aprioriM^er EriwuntidB-
grnnd s«jn, da man ja aus ff. m SuV.jVkt — in noxu spectato — die Wirkung duroh Analyst?
benwakiaulwu oud Ursache und Wirkung in einem analytiischen Urteil« aiit«iuandor verhiudcn
taao. Doeb M Kiuit Uber dim Ftage noch keineswegs mit sieh im klRveD.**
8) YgL TliisU n* B. 30/31, S. 37. Adiekes & 66.
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Basse: Knuts ertonntaistbaoroUBobw Standponkt in der aNof» Düncidstio".
Denkens for^ospült wird, zeigt schon der Schlafi des oben zitierten Satzes aas
der Prop. IX selbst Wenn die Gründe, welche sntecedenter die Existems dw
eontingenter existierMiden Dinge deteminieren, oppositum exsisAenttae antece-
denter excladent, so setzen sie eben die Existens mit abeoluter Xohrendigkeil^
mit derselben absoluten Kotwendigkeit, mit der im Urteil das dem Subjekt zu-
kommende FrSdikat durch den anteoedentor deternunierenden Grand gesetzt^ sein
oppositum aber ansgescUosseo vurde — vi principii contradiofionis! Die durch-
gängige notwendige Bestimmtheit aller Dinge, die alle Freiheit ausschließende
Notwendigkeit des ganjien Wcltzusammeniianges lehren aber die Auslülirungen
der Prop. IX mit zweifelloser Deutlichkeit Die immutabilis rerum omnium
necessitas wird scharf betont (S. 39!)), so sehr, daß, „qtii oppositum eventus
cuiusdam vel etiam actinnis libfrae optat, impossibilia votn c<iiicipiat". (Ebendas.)
„. . . in primo nmudi htatu, qui imnunliati' Deum auctorcm ar^tiit, oninis
sistitur oventuum ultima et tot consociühorum ft'rax ratio, (juu pus.itu, alia i x
alüs iu secutiira postmodum saccuk stabili semper lege denvautur," (Ebeiidns.)
Die üntersclieidung von absoluter und hypothetischer Notwendigkeit leiuii
Kant als tcitam ab: „Quid enim attinet, utrum eventus, per anteoedentes rationes
praedse detenmnati, si per se spectetur, oppositum repraesentalnle sit, cum
nihilo sectus hoc oppositum fieri non poasit, cum non adaint, qnibus ipsi ad
exsistendum opus est, rationes, immo admnt iji contnrium?'* (Ebendas.)
Daher ist das Beträgen des Caius eine in seiner ganzen durch die Welt>
läge detenninierten pMsOnlichkeit begrOndete Notwendigkeit Zwar dem Caius
„per deteiminationea suas primitivas, qaatenos scUicet homo esf^ widerspricht
die Ehrlichkeit nicht, aber „uti iam est determinatus, repugnat utique, quippe
adsunt in ipso rationes, qnae ponunt contrarius Ich fahre endlich nochmals
hior die überaus charakteristische und insti'uktive Stelle au, welche von der
göttlichen Voraus'^icht tmd Einsicht hnndolt. Eventus mundani ita certo deter-
miuati sunt, xif iirat^'scicntia divina falli m'x'ia pari (-»'rtitiuline et porum futu-
ritioneni pt(ippn>,iii impn^silMl ifatcm iii.'xu ratio n u m conformiter per-
spiciat, ac si absolutio cüi'iim oniifeptu o \ c 1 u d i'r e t u r.*
Hier haben wir die rationalistische An.sicht wieder in voller btäike. Ein
ToUkommenes Denken, wie es das göttliche ist, muii die Notwendigkeit aller
1)&399.
^) R. 400. Awoh dic-se Satz« sprechen gegen Arlii^V'fs' Annahnn» armlyti-irluT. ni('li*
dorn Satz des Widerspruchs beruhender Urteile. Der Zusaiumenhang /.witschen ^Subjekt und i'riiUiikUi
iMattstbei den ÜktBaoheaartoO«!! geaa« dieselb» Notweadigkeit, vi« bei des VrteOm, die ans dem
•bMlntai SolqektKlngritf foJgw.
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BaflBs: £anto erkenntnwtboorotisciwr Standponkt in dar «Mov» Dilncidatio*.
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Tatsachen uud die Unmöglichkeit ihres Gogonteils völlig einsühon und in una-
lytischen, ihr Gegenteil als unmöglich avMidüiefieiideii Ujrteilea darstellen.*
Auch dio Folgerungen, wekdte die Ftc^ X tiebt: 1) Nihil est lA ntionato^
quod tum fuerit in intkme (3. 406), sowie die gniu an Spinöse anUingende:
2) Berum qnae nihil oommime hahent, nna non poteet esse ratio alterius (S 407)*,
und danne 8): Von amplius est in lationato, quam est in latione, aus der Kant
ein (für die physische and fUr die psychische Welt geltendes) Geseta der Br-
iisltang der Eneigle ableitet, tragen dorohaua ratienalistisehes Oeprilge. Wie in
jedem wahren Urteile das Prädikat bereits im Subjeksbcgriff enthalten ist und
nur aus ihm horausg(»>ctzt wird, wie also das Trädikat nichts enthalten kann, was
nicht schon im Subjcktsbcgriff enthalten ist, sn kann anch die reale Folge nichts
enthalten, das nicht im roalpn Gninde bereits vorhaiiiion ist, nnd daher können
alle in der Welt auftretenden Wirkungen nur IJnitrestal taugen bereits vorhandener
Kräfte, aber keine neu nuftaiulienden Kräfte darstellen: die Summe der im
Universiuu vorhandenen Kraft bleibt sieh stets gleich. Ebenso fulgt aus 1, daß
Dinge, dio gar nichts miteinander gemeinsam haben, nicht im Verhältnis von
Grund und Folge (Ursache imd Wirtung) zueinander stehen iOnnen.*
Und denwlben 6e^ Ratioiuiismus atmen sddieAUch auefa die Atga-
mente, durdi w^ehe Ktmt in Pa^ XI zwei corollaria adulterina des principii
xationis determinantis abweist: Baumgartens Sats: Kihil est sine ntionato, und
LeibniaeiLS piweipiuin identitatis indiseemibilium, sowie die in seinen At^en
1) Weitere Betegstellen 8w 400, 403 , 404. In den Additamcnta pioUenutis DL Aha. 2 findet
sich eine Andeutung der .\nffa^^s»injr, ffi" auch bei Loibniz vorliundtr. ist fs- IS), <!sjft das Ideal
vollkommener Erkenntnis vom JUun.schen nicbt voll realimcrt wi^rüen kuiiu. „Verum quautumvis
fatcar, adyta iiuaedam »«coDditioriti intdllgeBtiae renuiBere liumano intt^'Ilectui nunqtum resenndt,
si in ititi.Tii'ri'ni < iif^tiitiunrtn it^s- rmlf-rt^ :xvf:is-, tarnen hie non de iiiinio nt^itur, si' l iitnuii rr?; ipsa
locura habest, cuiu» cum üpinj^iUo [urtia sontontia ropugnantinin luspiuTC, iiiortnli i ci^nitidni
admodum sane procUve est" (S. 405). — Für problcraatis IX üi der Überschrift durfte pi u-
sitlonis IX zu setzen sein. In dieser stehen die Additamenta. Voa Problemeii 1— VIII ist
dagegen nicht die Rede gewesen.
2) Spino«« (Etbl FM)p.II]): Quae res oihS couunone ioter sa babent, eannn mw ilteri»
cnusa non potc.st. W«c mgk Ewt Mgw ratio, «äliiend Spinoa» oaus« (was fieilldi für
Um ratio ist; sagt
9) In gm BBidere Ricbtaag führt dagegen der letste Ahwts der Prap. X, der die Oilti^ait
dos Energiegesetzes mir soweit g<ilten läßt, ,,<iuatenus sccundum natiirao idhifm omnia acciduot
Per Dei enim operam et mundi materiali« perfectioueu fatiaceutem iui.taurari, intcüigentüii oaoUtqs
Purins, quuD per natiinim Ueet, lomen afbmdi, ooudaqae in altins perfectieok ftat^gfami evehi
posao, quis est qui ambigere ausit? Dieser Satz, der für den Glauben andere Wahrheiten zuläfit,
als für die wissenscbaftliehe Erkenatnis, ven>tulit sowohl gegen dea üeist des Katioualismus ala
awih des wiwniMdiaftlidien EmpiriBmoa. Hier tauebt der ipltar bi Bodarar lonn aa^geführta
Oadaobe abiar YeisSbaiing von Wiasaa and Olauban donh Etnaduliikaiif dea Wissens anf.
4
50 Busse; Kaats erkenntimtheorvtischer Staud()UDkt in der ,Nuv{i DUocklatio*.
sebi irichtigeii Fiiiunpien meti^liyaiadier Erkenntnis, die er selbst in Sectio HI
aufstellt: das JVAtdfmim meoenionu nnd das Briiteipium eoeaen^Uae.
Zvar wird in der Polemilc gegen Baumgarten noebmals der Unterschied
von Denken und Sein betont Im Denken gilt das Prinzip: Ans einem allgemeinen
Begritt Innn man immer schUefien, dafi, was ffir ihn. gilt, auch ffir alle m seinem
Umfange gehörenden Begriffe gilt, uns einem individuellen, daß die ihm, in noxu
spectato, zukommenden PrädikaUe ihm unter denselben Voraussetzungen (iisdem
positis rationibiis) auch immer zukommen (S. 409). Die Dinge aber können nicht
in infinitum foracia spin: hior hahr>n rjjn Fnlp-nn. wenn nicht neue Umstände
eintreten, einmal ein Ende (I'jliomlus.). AItt ili*' i^r-trninduni; dirser Behauptung
ist g&m. ratiüuaiistisch. Es luuß eben alles meinen ziueicljcntieii (irui»d haben.
Sind die au.s einem Grunde fließenden Folgen ge.setzt, so kann nichtü weiter
erfolgen — sonst würde ja die Folge mehr enthalten als der Grund. Daher
kann, irie Sectio ICE in der Frop. ZII ausführt, eine isoUerte Substuu sich nicht
vecindem: die aus ihrer eigenoi „in sich betrschteten** Natur sich ergebenden
Filidikato hat sie, — für das Auftreten anderer fehlt es an einem sureichenden
Orond. Das Identitätsprinzip streitet g^n Banmgartens Sats.^
Bas jnrntetjMum »uaietsiams* (aus dem Xant im „üsns" 8. 412 die Un-
Teifinderlichkeit Gottes ableitet) ist hiermit bweits erörtert und sein rationalistisdier
Charakter dargetan. Das pritteipium coexsi:<lentiae^ führt die AVochselwidning
zwischen den Substanzen auf Gott zurücii. In den einzelnen Sabstanaen, sofern
sie als isidierte betrachtet werden, kann der Grund ihres commercii mit den
übrigen nicht fre'^ncht werden. Denn aus jeder HJnhstaiiz fol«rf nur das. was in
ihrer Natur enthalten ist, und dazu iri tioit uiebt die Einwirkung auf andere, die
vielmehr durch den Begiiff der isnlii rfm Sutis-tanz ansi,'esch)os'5en ist Die
SubstiuiÄun können also das commercium von -siih ans nicht liervui bringen, der
zureichende Grund dafür, daß sie aufeinander einwirken, ist vielmehr diuin zu
suchen, daß sie bereits in Wecbselwiikung miteinander stehen, aufeinander be-
1) Auch die Erkenntnis kann <lann ak-r aus «leii Sul'jektxliogriffon, welche die Dioge dar-
Btt'Uen. keine ncm-n Folgen ablvit««, auch für aio gilt, daß jfdc neue Folgerung oioon Grund
hat. l)io Folgerung aluT, dio sii< noht. daß unter ({leichen Umständen die Folgen sich sU^t»
gleich bleiben, xiehen die Dinge insofern auch, als .sie, wenn keine neuen Umständo eintrcton,
sieh gli?irh bleiheu: die l'nveriinderlichkeit der Dinge bei Abwesenheit aller Gründe für eine Vor-
änderung ist das, was in natura rerum der vom Denken gezogenen Folgening ent-ipricht. Kant
kann das freilieh nicht anerkennen, weil nath ihm alsdann auch die Zeit selbst verschwindet
(S. III Prop. XII S. 410). Dann aber int auch der Schluß des Denkens, daß unter gleichen üm-
stäuden auch die Folgen die gleivbeu bleiben, uiebt zuläääig, da er die Zeit vurauSäetzt
2) Pix)p. XU S. 410.
3)PiD|k.XUI8.412.
Busse: Zuita erkenntaistheoretiacher StaDdponkt in der ,NoTa Dilnoidatio".
51
zog^n sind. Sie setzen also die Werhsehvirkung voraus, die zuletzt aiif Gott
zurückgeht, der die Siihstanüen setzt und ^io — zugleich, indem er sie netzt —
in Bozifhun^'on zueinaiidfr sotzt, — woraus sicli noch ein weiteres Argument ffir
•die Notwondigkuit, die E.vibtonz Gottes anzunehmen, ergibt*
Daß diese ganze Argumentation durchaus rationalistisch ist und eine den
logisofaen Foidemiigen des Denkena in jeder Hinsieht- Beehnong tr^nde £e-
echeffenbeit der Wirkliohkeit vonieht, leuditet ohne wuferee ein, und so klingt
denn die Nora Diluddalio ebenso imtionalistiBcb «ob, ide sie rstionalistisdi an-
hebt Eant ist, wie das Schlnfischolioo (3. 416) leigt, daichaiis ttbeneiigl:, durch
aolciie OnmdsStce, irie die Ton ihm in der Sectio III entwiokeUen, die Ifetsp
phjBik, die er sich ab ein System denknotirendiger, doidiweg demonstrierbanr
Sfttee denkt, fSrdnn zu k&men.
Ich zielie die Summe unsoror Betraehtungen. Der erkonntnisthcoretische
Standpunkt der Nova Dihicidatio ist im ganzen ein durcliaos rationalistischer.
Es zeigen sich aber Torsehicdcnflich AnsStjiP einer anderen, vom stronfr^n Ratio-
nalismus ahwiMcliendou und dem Empirismus niiherstohendpn Betrachtungsweise:
insbesondere sind die Polemik pegon dou ontologischen (iuttesbeweis und der
wiederholt auftaudiende Oedanke, daß Existenz und das reale Verhältnis von
Ursache imd Wirkung niclit ileiiknotwendig, nicht logisch begriindbar sind, hier-
her zu rechnen. Weitere ÜVdge wird aber dieaen empixistisdien Oedanken nicht
gegeben, der Bationaliamns wird durch sie nidit beeeitigt, und Aber den prinzi-
piellen Untorsdiied zwischen ihnen und seinen ratioiudiBtischen Orimdüberzeugungen
ist Kant sich in der Nora Diluddatio ttberhaupt noch nicht klar.* Wie nun aber
die hier noch sporadisch und epliemerisch auftauchenden empiiistisehen Elemente
an Kiifi» und StKrke aUmiUilich sunehmen und die Abwendung Kants rem Baüo-
nalismus und Dogmatismus herbeiführen, ist in der Einleitung angedeutet worden:
die Ausführung dieser Gedanken liegt jenseits der Grenzen, welche diese Ab-
handlung sieh gesteckt hat
Zum äclüuß und anhangsweise gebe ich noch eine kurze Skizze der vor-
nehmlich in der
1) P. 113^111. Thi>Ho I» S. 122.
2) ÄliuliLb ruulsei» S. 34, K. FisoherS. 168, Windtlbaud, Gesch. d.n.rii. 2.Aufl. 2.Bd.,
Leipzig 189» 8.20/21, Riehl. Flifl.Kritiz. Bd. I, U^ipzig 1876 S.242, Ädickus, üit> bewe((end«ii
Kriifto in Kants ptilosüiih. Enfvc. usw. in Vaihin t,'f rs Kantsiu.Ji'jn Pii. T S. 11. "W.-irtcnby rp
bebt a. a. 0. ä. 23 zu einseitig die ratioQaliätiücbe beite der isvlinft henor und uberbietit diu
«■piliBlisciMB nsmente.
V
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52
Boss«: Kants «rkeaotuistheoretischer S^anüpunkt in der «Nora Dilucidutio".
m.
Sectio m
ontliuiteiKMi iiu'taph'i tischen (Jedankon^ dor Nova Pilucidatio. Sio j-irul, wie
Adickos mit Recht hervorhobt, (S. t)5) an sich hodcutcnder als die orkeiinüus-
tlicorotischen. Auch in metaphysischer Hinsicht steht Kaut im ganzen auf dem
Boden der Leibnü^Wol&chein. PhQosophie, aber auch hier — und geiade hier —
fehlt es niobt an neuen selbständigen OedanIcoD.
InsbeBondere verwixft er die piistabilierte Harmonie, die er durch die
Wechselwiikung swisdhen den Substanzen ersetzt, eine Wechselwirkung} die aber
anch wieder von der alten Lehre des influxus physicus Terschieden ist Alle
SnbstsnzGa werden durch Gott in Beaiehung sueinandw goMt^ Gott ist die
lotste ünache ihres commercii untereinander: — em Gedanke, der auch in der
im gleichen Jahre wie die Nova Dilucidatio oi"schienenen Allgemeinen Theorie
und Naturgeschichte des Kimmeis sich findet und dort wie hier (und ebenso auch
im „Einzigmögliclien Beweis^'nuid •) /.um Krwris di^s Dn>;eiTis nottos benutzt wird.
Die Lfibnizschen Monaden eibetzt Kant (liiich ivorpcr, und zwar soll eben
das princijüuiti successionis die Kealitiit der Koipi rwolt beweisen. Die Seele
wurde sich, wenn sie für sich allein existierte, iiicbi veiaiuiern. Der "Wechsel
der Yorstellungen setzt ulso den Körper und die Dingo vuruus, wolcho durch ihre
Einwirkung auf den eeateren den Tontellungswocbsel herbeiführen.' Körper und
Seele wiriien also aufeinander, wabischeinlioh gehört zu jeder Seele ein Körper.
Die Materie konstruiert anch hier Kant schon dynamisch: die allgemeine Weehsel-
wiritnng aller Dinge eraeheiut auf dom Gebiet der Körporwelt besonders repräsen-
tiert durch die alle Körpor miteinander vorbindende Attraktion. Den Baum faßt
Kant hier noch im Lelbnizschen Sinne als ein Yerhiltnis der Dinge selbst Auf
köiperlichcm wie geistigem (tebiet gilt das Ooseti der Erhattung der Energie.
Alle physischen Vorgänge bedeuten nur Umformiuigen eijies uttverändoriichen
Quantums physischer Energie. Auch auf psychischem G» biet vonnag die Seele
keino neuen Inhnlte hervnrzubriniren Allf^s. was jemul=; Inhalt des Bewußtseins
werden k;inn, ist l)ereits in <ier S<m1i v h liau Umi ; wir vermögen nur bald dicsiO
bald jene Inhalte zu giöüeier Klailieit zu luingcu.
1) Siehe Si'cliv III 8. 410— 41(», sowie auch dit- Au^^lUmll)); dur Pnn). X— XI der Sectio 11
8.406 - 410.
2) Mit R-dit h-bt Thiele I' S- 13 henw, dafl Kant hier die Enf.stehung dor Erkenntnis
gtaz eui}jiristib< h auffaOt KuiU hat dies« empiristitjehe Au&ickt iibor den psycLolugisckcu
Uispnmg der Erk^nntn» rn seinen orkenntnistbeorBtischen An&ichten aber mclit in Bo-
liehmig gesetzt
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Bnase: Kants erkeniitiiistheoietiaoher Standpuiütt in der ,Nova DUacidatio''. ö'd
Alles Geschehen, sowohl das geistige wie das physische, ist streng necessitiert;
EnÜMit des Willeng im Sinne eines liberi arbitrii indiffeientiae ist unmO^di.
Die diuchgüngigo GesetamilBiglceit aoUiefiC abw die Teleolo|^e nidit aus, sondern
ein: dmeh den gesetnnifligea Zusammenhang, den Mediamsmns dee Geschehens
selbst wefden die tob Oott gesetsten Zwe<^e yennridiohi Gott selbst, der als
hficbste Intdligenz, ate Geist^ gelafit wird, der letzte Gmnd aller Dinge und aller
Teründerung, ana dem aidi die ganie lUge der Dinge mufl ableiten lassen,
nimmt aber an der Veränderung der endlidiea Dinge nicht teil, sondern ist
nnTeränderlich.
Die metaphysischen Grundgedanken dieser liier kiu-z skizzierten Wolt-
anscliauuiiL', insbesondere den von der — letzten Endes von telcolnirischcn
Oe^ichtspuiiiiten beheri>;ciitoii — dnrchciingi^Mi Oninun^jj und Beziehuii^^ der
Dinge aiifpinander durcii iIimi Tnttdlekt iiottes, liat Kant eigoiiflich nie fiillrii
lassen; sie bilden den bc^taiKligon Hintergrund seines riiilosophierens aucli in
der Periode des Kriümmus.
1) Thielo !:pht zu weit, wenn er deo Ootteabcigriff diST Nova DiliioidBtio nur ils Inbegriff
der Realität überhaupt Mt (I* S. 115).
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m
ÜBER DIE ENTWICKLUNGSIDEE BEI KANT
D.DB. AüGüßT DOKNER
0. 8> FBoranoR DIB moLoaot ur on ummuniT xöifioaBB»
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Es dürfte sich wohl lohnen, zu fragen, wp!chp Stellung in Kants System
die Entw'icklunpsidee einnimmt, da diese Frage zu eiuer einhelligen Boantworfimf^
bis jetzt noch uicht {jclanrrt ist. gibt Stimmen, welche bemüht sind, Kant
zu einem Anhänger der Daiwiiischeii Eutwicklungslebre zu machen; andere, wie
Kimo Fischer, machen nahezu den Entwicklungsgedanken, wenn auch nicht in der
mMbanisehen, sondern in der talMlogtaehen Form der Entwiddong der Temiinft
m flinem Zentmlpnnkt Kantisohen Denkens. Wieder ndere laasen Eiuit erst
apiter die Idee der Entwicklung fOr das Gebiet der Oeachidita eingehender
1»erQokBiobtigen, besonden in der Kritik der Urieüsknift und in der Reli^OD
innerhalb dw Grenien blofier Temunft Im üntmohied von dieser Ansidit dIMte
Penisen nidit ganz unrecht haben, wenn er meint, daß Kant von den Onmd-
anschauungen seiner vorkritischen Periode in tezug auf Theologie, Psychologie
und Physik nicht eine hat fallen lassen, und daß dieselben, nur unter kritischen
Aspekt gestellt, wiederkehren.* Opji^nübor denen, welche bei Kant dio Ent-
wickltin^'sidee in reichem ^faßo finden, betonen andere den Kanti.-^ciien .\prioris-
mus und deiii»en Sprödiirkeit j^e^'en tiie p-seliichtlicho Entwicklung, den dualis-
tischen Gegensatz zwjsehea der i.ili;iii(inienali'n und nouiiujiialen Welt, die Sprödig;keit
der apriorischen Idee gegen die (.ieöchiclite. Mir wiU es scheinen, duü Kuut
anoh in dieser Frage zu einer ein&chen, einheitlichen Antwort uicht gekommen
ist, sondern die Hauptgesichtspunkte in Beohnung zieht, ohne sie su einer ein-
heitUohen Aaffaaeung sn vereinigen, und iswar kennt er insbesondere in seiner
Toricritisohen, wie in seiner kritisohen Periode die Entwicklung unter meebanisdiem
11 T)cT Kurzp h.iltior vitwci-," ich hier auf meine Abhandlungm: ülser 'Jie rHiiziiiioii drr
Kantiscltoa EÜiik IH'ib. Kmin Kiiük der ürtoilsknift in üirer Beziehung zu dt'ji b-jiden aiiderciit
Kritiken und zu don nachkantischen Systemen, Kantütudicn 18U0. In dem „Protestantismus aiD
End.' des tf> Jahrhunderts" S. 441, Lieferung lü. Kant und Fichte in ihrpni Einfluß auf die P'iit-
wickluiig dös Protestantismus. S<.'hlei(irmachmb VcrhjÜtni.s zu Kant: Studien uml Kritikuu l'Jul
&5— 75. Zu Kants Gedächtnis, Protaatantisclw UonatHhofte 1901 S. 49 — G5.
2) Daher auch Mediciw cinselüff urteilt, wenn or den Standpunkt der Kritik der Urteili-
kraft in lieznj^ auf Kants Ges4.duohts|diil<>sr»|ihiG als den einzig genuinen hiuätcllt, wonach wir die
Geschichte im praktisohen lntei-o<.M7 aiisohon »<jllen, als ob >ie einen nreckroUen labalt IMU.
Zu Kante FbUoaophii» der OMcbichte, Kantetaflien 1900.
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58
Ooroer: Übor die Eatwickluogsidee bei £«nt.
und toleologiscbom Oenehtapunkte, währand man aUocdiogs andererseits wixd zu-
geben rnüflien, daß in seiner kritisohen Periode der Biß zwisofaen der apriorischen
und der emptiiscben Welt st&zker Uiilft, den er aber doch auch in kleineren
Abhandlungen aus den Jahren 1784 und 1786 and insbesondere in der Kritik
der Urteilskraft 1790 anaaufOlltti sich bemfibi^
Die Idee der „AuswicIdaDg*' nacht sich bei Kant ecfaon geltend in der
allgemeinen Natiugeecbichte und Theorie <)es< Himmels 1755. Als charakteristisch
muß es auffallen, daß er in dieser Schrift den modernen Grundgedanken in
voller Klarlu it ntisspricht, daß die EinmiKchuug außerweltlifhrr Ursachen in dfii
Auswickluiigsi^rdzrR wiss'^nsphaftlich uiilialtbar sei. Oott greift nicht im einzelnen
in lim W't ni^ ii ilt-r Welten ein; vielmehr ist der geordnete Gang dieses Wehlens,
wenn er an der Hand der mechanischen gesetzlichen Bewegung nachg»»wieseu
M'ird, ein Beweis für die göttliche "Weisheit* Nur steht diese gleichsam liinter
dem Prosefi, der ganze nnlösbsre Zussmmeolrai^ iat ihre Offonhaning. Aber
keineswegs soll von einem Eingreifen Gottes an einseinen Stellen dieses Prosesses
die Rede sein. Kant hat ia dieser genialen Schrift den Texsuch gemacht^
die Enstehung der Himmelskörper ans diaotischer Uatwie mittete der Krtfte der
Attraktiott und Bepulaion am erklären. Auf rein mechanischem Wega soll die
Bildung der Wdt aus wüster Materie diuch die bloße Fortsetraing einer ein-
mal eingedrttcktra Bewegung mittels einiger weniger, leichter und allgemeiner
Bewegungsgesetze erlclärt werden. Die (irundmaterie, deren l'jgenschaften und
Kräfte allen Veränderungen zugrunde liegen, ist eine unmittelbare Folge des
güttliclien Daseini?.' „Sie ist so reich, s<» vollstiindi«?, daß dio Entwickhmp ihrer
Zusammentsetzungen in dem AbfluU der Ewigki it sich tiher einen Plan auslireiteu
kann, der alles in sieii sehlii ßt. was sein kann." Sein Unindgedanke ist der,
daß die Entwicklung di r Weltkorpor auf der nach mechanischen (iesetzcn sich
Tollziebeudcu Gruppierung der Teile der Materie beruht Auch darin bleibt Kaut
der mechanischen Theorie treu, daß, wie er die Welten ans dem Meehanisroiis
entstehen iSßt, er de aucfi durch den Mechanismus wieder unteigehen Iftßi
1) Als dii'Mj A()lian«lliiiiL' r^'^'^hriolx^n war, kam mir .I. r uiiif;i-?>ti(le Artikel v<>n Tröltsch
iu d«n Kaotstudieu, Dm Uii>tori«.<jhc in Kants Reli|;ioii.s]ihil'Jsu|ihie, m G&siaht, der mit meiner
AnUiemaog Tielfach IlbarainDliiiiiiit Ob hüb ftvOich Kaate nBAÜgioii innfltbdb d«r Oreuen Uofisr
V. iii'inft" nur als einen ifittelwff;; zwisdipr <^f>r rcin(?n Keligions|)liil(ȟipliio und der kircblich
bihiisctiea TbiH)logio^' ausohea kaun, der einen Kumpiximiü mit der ütaalliob anerkannten KeltgioQ
danlellen mII, Ut mir fia^cdi. Der diemr Abhandlung zngememne Ratun gestattet mir nidtt
eine eiagehendero AnseinandersetxunK mit altwoiiliundeii \rj i ht^-n.
2) Ivb uüere Kant» Werke navb der Auägaiie vuri lios^nkrauz. Vgl. Bd. G S. 52.
3) „Ea ist flin Oott eben dfiswegen, weil die Natur rach solbat im Chaoe niobt andera ab
ragalnRB^ nad orAeafllcli T«rAüiron kun** iß, 61).
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Dorner: Über die Entwictiungsidee bei £aat
59
„Wir dfiffm den Untergang eine» Wd^gwUiidM nkbt ab einen vafarm Yeilnst der
Katxor bedanran. Sie beweist ihren Beiobtam in eSner Art ran YerBchiraDdung,
irelcbe, indraa, einige Teile der TergSnglichkeit den TUbnt laUen, sioh dnidi
nndüilige neue Zengnngen in dem genxen Umfimge ilirar YolUEoranienheit un-
beediadet eriüUt'* Diese ümohtlMifteit der Natur ist niehts andereg sls die
Ausübung der ^tfliohen Allmaobt selbst, die sich eben in dem Heohaniamus
offenbart >Is kommt mir hier nicht darauf an, im einzelnen die Eantischen
AusfObrungen über das Entstehen der Himmelskörper, ihrer rhythmischen Bo-
wcgunf^on, ihrer Bpziehunp auf einen Zontralkörper nähpr zu A-crfolgeu. Seine
Theorie hat sich bis auf den lunitigoii Tag in den Haiipt^jügen erhalten. Wichtig
ist es aber zu konstatieren, duU Kmt die mechaniäclie Auswickluiig als den
einzigen Erkläningsgrund betrachtet für die Entstehung des gesamten Weltalls,
der Souno mit dum rianeteuäyätem, der Fixsterne mit ihrer Zentralsönne, der
Brde mit ihrem Trabanten, der Kometen. Ergeht davcm aus, daB unsere Souuenwelt,
ireil von ihr aus das System der Elzstonie in der Biobtung eines größmten Zirkels
in dnr Mildistrafie gesehen -wird, mit in eben derselben großen Hiebe befindlieb
sei und mit den flbiigen «bi System ansmaehe. Die Gestslt des Simmeis der
ffixsteme hat kdne andere DrsM^ als eben eine ^tematische Yeifsssuag im
großen, welohe der phnetarisohe Weltban im Ueinen bat Me Bewegungen
sind in unserem Sonnensystem Drehungen in dmselben Richtung und auf der-
selben Fläche, die um ein Zentrum sich bewegen, wie die gesamte Welt um
eine Zentralsönne. Die zerstreuton Elemente dichterer Art sammeln sich, bilden
Klumpen. Zugleich aber werden durch dir Kepulsionskraft die zu Dichtigkeits-
zentren sinkenden Kiemente auf die Seite gelenkt und so entstehen Kreis-
bewegungen. Jü Wüitcr vdMi Mittelpunkt entfernt, um so starker wird die Seiten-
bewegung, es stoßen sich Wirbel ab und geraten in einen Kreislauf um den
Hittelpunkt, und schweben frei; so ergibt sich ein System von Körpern, die tun
das Zentrum kreisen, nnd mit der größeren Entfernung vom lüttelpunkt wird
die Dichti^eit der Körper immer geringer nnd die Exzentrinttti immer grSßer.
In letster Huisieht nimmt IQmt an, daß die Natur alle StnfMi der Tetflnderungen
in nnmerkliclten AbfBllen dnrcbliuft, und so steigt aneh die Bxsentrisitttt von
den Flanetai durch aUmäbliohe ÜbeigSnge xu den Kometen, deren Stoihnsamm-
luDg minder dicht und weniger Ton dem Sonnensystem abhängig ist
Diese Theorie ist insofern rein mechanisch gedacht, als die Art, wie die
Eatwickliing der Oeetime vor sich geht, durch mechanische Bew^ng^jesetse
99 a. a. 0. & 165.
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60
Dorner: Über die Sntwiokloi^dee bei Kiat
▼«xmittelt ist Ltdea dfiifien «nr nleht übersehen, daß Kant in letzter Hinnoht
Kiäfie, die Attnktioin- und die Bepulsionskraft lugruDde legt, tko den Mecba-
nismoB als die gesetzmäßige Form betraditet, in der sich diese beiden Orund-
krSfte der Materie betätigen.
Hfifkwllrdig iat es, wie er neben dieser Theorie, die rein mechatiisoh durch
Attntktiona- und BepulsioDsknift der Materie die Entstehung der Himra^6zpec
und die Veränderungen im Weltall zu begreifen suclit, die Zweckttieorie her»
gehen läßt Der Zweck der Nntur ist ihm liier die Betrachtung vernünftiger
"Wesen und so nimmt er an, daß entsprechend der verschiedenen Dichtigkeit der
Planeten auf denselben Wesen von versehirdcner geistiL'or Kraft sein werden.
Schon (icii Menschen seihst betrachtet er unter dem (iisiL-litspiinkf der Ans-
wickliin^^ ,,I)er Meiiscli isi erschaffen, die Ein<inirk.' und Küliiiuigüii, die die
Wült in ihm erregen soll, durch donjenigen Körper unzunohmen, der der sicht-
bare Teil seines Wesens ist nnd dessen Materie nicht allein dem unsicbtbareu
Geiste dient, die ersten Begriffe der iuSeren Gegenstände einsodrttcken, sondern
auch in der inneren Handlung diese zu wiederholen, su Terbinden, kun su
denken unentbehriich ist.** Je nachdem sich nun der Körper emtwiekelt, be*
kommen die Fähigkeiten seiner denkenden Natur auch die zugebfirigen Grade
der ToUkommenheit „Bei einigen Menschen bleibt es bei dem Grade der Aua-
wiöUung, die EKhigkeiten zu entwickeln, dnidi die er der Kotdorft, die die
Abhängigkeit von den Suf?» rlicheu Dingen ihm zuzieht, genug tiui kann. Das
Vermögen, abgezogene Begriffe zu verbinden und durch eine freie Anwendung
der Einsichffn ühcv doii Gaiiir der Leidenschaften zu herrschen, findet sich spät
ein, niemals bei einigen, und Kchwacl» bei allen." l>pr ^fcnscb scheint, wenn
man das Leben der moisteii Menschen ansieht, ireseliaffen. um Saft in sich zu
ziehen wie eine Pflanze, zu waclisen, sein Oesciilecht fuitzu-sfUen, alt zu Wiarden
und zu sterben. Er erreicht am wenigbten seinen Zweck, weil er seine vorzüg-
licheu Fähigkeiten zu solchen Absiebten verbraucht, die die übrigen Kreaturen
mit weit minderen und doch sicherer enreiidiett. Nor daA ihn die Hebung des
Kflnftigen erhebt, und den in ihm Tenscfalossenen Kräften die Periode einer
TöUigen Auswloklimg bevorsteht, seidmet ihn ans. Der Grund dieser IMedrigung
liegt fOr Kant in der Grobheit des Stoffes and (Jewebee in dem Bau des mensch-
lichen Leibes. Sie ist die Ursache der Trägheit, die die Fähigkeiten der Seele
in einer beständigen Mattigkeit und Kraftloeigkeit erhält Diese TrBf^t ist die
Quelle des Toasters. Es bildeo sidi ni< )it Lroaugsam kräftige YorBtolhingen zum
Gleichgewicht gegen die Reizun^ren der >iiiii!iohün Empfindungen, flbenso ist
sie die Quelle üui irrtujiu, weil die äcü Widrigkeit deu JN'übei der verwirrten
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Dorne r; üUr dio EatwicklangsHloe bei Kant
61
B«gri^ n aentrea«n und die dtireh verglichene Ideen entspringende allgemeine
Erkenntnis Ton den einnliehen Eindrücken absuaondern, dam Teifiihrt, sieh bei
einer mangelhaften Einsieht sn beruhigen. Ebenso schif indoi mit der Lebhaftig-
keit des Leibes die geistigen SShigkeiton. Die Kriifte der mensdilichen Seele
werden also von den Hindernissen einer graben Materie, sn die sie innigst ver<
banden werden » gehemmt nnd eingeschränkt Diese Beschaffenheit des Stoffes
hängt atKHT wieder ab Ton dem Einflult der Sonne. Eben diese notwendige Be-
ziehung zu dem Feuer, welches sich aus dem Mittelpunkt des Weltsystems ver-
biTifft. um die Materie in der nötigen Rep-ung zti erlialton, ist der Grund für
die verschiedene Beschaffrnhoit f]pr Plaiu t^^nlHiwohner Jcd^ Klasse ist durch die
Notwondifrlf'^it ihrer Natur an deti Ort gebunden, der ihr in (iciri llnivcr-ium
angewiesen isf. „Mit der Yordünnnng der Materie, mit dem Absüuul von der
Sonuo wachsen die Geister an VoUkonuaenheit. Der Stoff, woraus die Einwohner
Terschiedener PUneten, ja sogar die Tiere und Qewiehse anf denselben gebildet
sind, mnß nm desto leichter sein, die Elastudtttt ihrer Fasern samt dw vorteil-
haften Anlage ihres Baues am desto voUkommenor sein nadh dem Ifafie, als sie
weiter to» der Sonne abstehen, und dem soll andi die geistige Besehaffonhett,
die Tkefflidikeit der denk«iden Naturen, die Hurtigkdt ihrer Vorstellungen, die
Deutlichkeit ihr» Begriffe, das Vennögen sie mssmmensusetsen, die Behendigkeit
in der wirklichen Austtbung misprochen.*' ^ So nimmt er Stufen der Entwicklung
• auf den Planeten an, wo rlom verschieden leichten Stoffe entsprechend die Geister
verschieden klare Begriffe, leichten Verstand, schm llt' Tätigkeit in kürzerer Zeit
hon'orhrinsron. ,.T)io Vi>I!knnmi<^n?)oit <ler (roi«tei"welt, sowohl als der materialen
In den Planeten wächst und .scliteitet fort in einer rlchtiiren (Jradfolgp nach der
Pi <'|)nrtiün ihrer Entfernungen von deriSnnnc." ,.So hängt denn aüeti in dorn gun/.en
ümfiuige der Natur in einer ununterbnjuheiien Gradfolge zusammen durch die
ewige Uarraonie, die alle Glieder aufeinander beziehend macht'' Kurz Kant raeint,
daß diese rein mechanisehe Entwicklung dos Weltalls su der Entwicklung der Geister
in einem notwendigen Verhältnis stehe nnd daS der Mechanismus der Materie
dem Zwecke entspreche, den die Natur oder die Gottheit mittels der Natur tw-
lolgt, GSisteswesen aller Stufen hervonubringm, in denen die Natur sich spiegelt
80 sagt er schließlich: „Nachdem die Eitelkeit ihren Anteil an der mensdilidien
1) Dieso Auffaxsung Lst iwih der tcK-i)lo^'ivohcn S<'iti' uffrnhar stiu-k von licibuizens
InteUoktuAlLsmiiK noch bcstiramt. Mcrkwürdi«,» i>t üliri<;on^ dio rijereinstimiuunf» dieser Auffi»s>UDg
mit der Weltanschaoong dos Origoue^, nur liaB diewr von dor Seite dor Otti»ter susgeht und je
nach domi WUlenaentscheirjiuig si«; nuf vorsrhiedcnen Wdtkörpeni dichtcro oder lichtiBte Leiber
«mpfaogea liBt, wahr>'nd Kant von di-r \:iturs»ice lies M*.>chaiuainas aii5^ht nnd Zu dieoer die
Torsohiedeiiea ZoctSode der Geister in £onesiNiiidenz setst
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62
Borner: Über die EDtwicklangsklee bei Kant
Natur yrird aliigefordert haben, so «ird deor imendliohe Otiat mit enmn solnie11«in
Sohwiiiige über alle«, was endlidi ist, sich emponohwingen und in eraem
neuen Teriilltnis gegen die ganse Natur, welobe ans einer näheren Terbindang
mit dem hfichsten Wesen enl^ringt, sein Dasein {(otsetien.*' „Bei der allge-
meinen Stille der Natur und der Buhe der Sinne redet bei dem Anblick des
bestinitea Himmels das Terboigene EikenntnisreRttögen des nnsterbKchea Geiste«
eine unnennbare Sprache und gibt nnausgewiekelte Begriffe, die sidi wohl
empfinden, aber nicht beschreiben lassen."
Man \nnn also sji^^en, daß die besprochene Schrift den (Jedanken der mocha-
nisrlien Eiihvickliin? der Natur im großen Stile konsequent behandelt und zu-
letzt diesen gesamten Mechanismus einem teleologischen Stufensystem einordnet,
das die materielle und f^eistipp i^uswicklung in «las ong»tä Verhältnis setzt.
Wenn er diu üottlieit lüer zuzielil, so geschieht es nicht .<0j daß er dieselbe in
den mochanischon Prozeß selbst eingreifend vorstellt, der yielmehr sclbütändig
rerlfiuft, sondern nur so, daß er die gesamte Stufenentwieklung, die das Besullat
des Heebaniemos ist, um ihrer Ordnung willen und um ihrer teleologisdien Be-
siebung willen ab einen Beweis für die gOtttiche Vorsehung ansieht Daß hier
noch vieles in beeng auf das Verhältnis des Mechanismus zur Te]eol<^e unkhur
ist, braucht nicht gesagt au werden. Al>er er hat in genialer Weise Heohaniamus,
dynamische und teleologische Auffassung der Natur kombiniert
Wenn Kant hier aber vor allem den (iedanken durchführt, daß man dir
Entstehung dos Weltalls rein meclianisch vorstellen müsse, so hat er auch für
die Irdisclu' Xatur bi« zum MonsL-Iien liorauf flies«* meHianischo OoHotzmäni^'-lirit
zur rtcltiiuf^ goltiarht um! zwar liat er auch solche Ui'--ii-ht.spiiiikto -clvm heraus-
gühübüü, dio Darwin geltend L'eniarht hat Frit;? Schnitze hat hierauf in seiner
Schrift: „Kant und Darwin" schon anfrnc rksam ^nMiiacht, und ich will seine Aus-
führungen nicht uuiiütig wiederholen. Einmal Imt KhjU zu einer hylozoistischeu
Auffassung geneigt, die die Grenzen zwischen dem Lebendigen und dem Leb-
losm, zwiachen Fflanse und TSer, swiachen Mensch und Tier verwischt Der
Mensch ist seiner Meinung nach suerst vieifOfiig und bat awar „durch seine
zweifOßige SteUung unendlich viel über die ISere gewonnen, aber audi mit Un-
gemftchiichkeitea voriieb nehmen müssen, die ihm daraus ent8[Mittgen, daß er
sein Haupt Ober seine alten Kameraden so stola erhoben hat"* Er nimmt sogar
in seiner pragmatischen Anthropologie den Gedanken in Sicht, daß ,,es eine
Epoche geben könnte, da ein Onmg oder Schimpanao die Oigane zum Gehen,
l)8QlialtM S.50.
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Dorner: Über die fiAtwieidaagsidee bei Kant
9B
BeEQblen, Spreolieii sieh «um OlMerbAu des Henioliffi aiiftbildeto, denn Ibmentea
ein Oigna sam Gebnradi des Yentandes entbielte und duioh geseUsciMilliche
EultuT Bich allmählich eiitwidcelte".i Er macht für die Basten der Ifensöhen nnd
ihve Abarten das Ptinsip dar Anpassung an die Umgebung und der Yeretbung
geltend und selbst an die Selektion hat er gedat^t Das ^richtigste aber ist, daß
er den Oedanken einer Naturgeschichte im Unteiscbied Ton einer Natur-
beschreibung ins Auge gefaßt hat Mnn muß oino „Geschichte der Natur wagm**,
die uns die Veränderung der Erdgestalt und die der Ecdgeschöpfe, Pflanzen und
Tiere darstellen soll, die sie durch natürliche Wanderungen erlitten haben und
ihre daraus cntsprunpronon Abartiingon vrtn dem Urbilde der Stamnifratttinj?.*
Wenn er in «icr Kritik der reinen Yornunft bemerkt, daß die Vernunft ein-
mal flie ( ileiciiartigkeit, dano die Vci-schiodenheit, endlich dif> Affiiutat fordere,
so ist aucii damit gesagt, daR sie darauf ausj^eht, die 'lathiniren und ihre Varie-
täten durch allmählicho Übergänge zu vorbinden. Da^ Prinzip der Homogoncität,
dss det Speiifikation und das der Eontinnitat stellt er auf, und hteraus ergibt
sich der ,,stafonartige tibergang von einer Spesies zur andern, welches eine Art
von T^andtschaft der TeiBehieden<m Zweige anseigt, insofern sie insgessmt
ans einem Stsmme entsprossen sind**. Aber freilich sind diese Ftinaipieo nach
der Kritik dar reinen Yemiuft nur Maximen, nach denen wir foisdien, nicht
konstitutive Prinzipien. Immeriiin aber gdit unsere Vernunft mit Notwendi^eit
darauf aus, das empirische Material auf diese Weise in Yerbindung zu setzen.
Da wir freilich nach der Kritik der reinen V i -unft nur mit Krsclieinnngen ZU
tun haben, so handelt es sich nun nur \\m die Art, wie wir die Erscheinungen
A'orbinden, nicht um die Erkenntnis objektiver Wirksainke'it der Dinge, also iiieht
im strenppn Sinne um Entwicklung, sondern nur um die Hetraeht ii ii u' <ior Er-
scheiuuugcn unter dem ( icsichtspunkt der Entwickliuig, d«r jiIlmiihlielu.Mi Ülx-riränf^e.
In der Kritik dei- reinen Vernunft hatte er die ntceliani-^che NafiiruisM ii-
schaft und Matliematik in ihrer Selbständigkeit zu begründen versucht, wenn
andi nur so, daS entere nur mit Erscheinungen zu tun hat In der Kritik der
Urteilskraft ergfinst er diese Untersuchiuig durch Emilihrung der Zweckbetnch^
tnng nnd kommt damit auf iltere Gedanken surfioL Kant sehet mit der Zweck-
betrachtnng bei den Wesen ein, die organisch sind, nnd hier nimmt er an, dafi
diese oiganist^en Wesen eine besondere Stufe in dem Naturleben reprSsentieren.
Er untersdieidet die rein formale Zweckmäßigkeit von der empirischen Zwe<A-
mäBigkeit imd die lofiero Zweckmäßigkeit von der inneren. Während er die
I) u.n.0. &56.
^ a. a. 0. 8. 83t (Zitats ans Kant« pIqniBobw Oeogtsiliie.)
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64
Dorner: Üb«r die Entvicklungüdee bei Kant
äufiere Zweckm&Bigkdit zurückstellt, hebt er die innere um so mehr hervor. Wo
die fanttale EridSning nicht »nsreidit, in diesem Sinne Zufälligkeit übrig bleibt,
werden wir genötigt^ um dodi einen Inneren Zusammenhang hennstellen, die
EausalitiU des Natorproduktes so anzunehmen, als ob sie nnr durch Vernunft
möglich sei; die Vernunft ist hier das Vermögen nach Zwecken xu handeln and
das Objekt, das nur ala ans diesem mog^ch rorgestellt wird, wird als Zwe<^ yoi^
gestellt Hier eigibt sich also der Begriff dos Naturzweckes. Dieser ist da an-
zunehmen, wo ein Ding von sich selbst Ursache und Wirkung ist. Z. B. ein
Baum erzeugt sich selbst der Gattung nach, erzeugt sich selbst uls Individuum,
indem er die Materie, die er zu sich hinzuf-itzt, zu oinor spc/ifiscli eigentüm-
lichen (Qualität verarbeitet, die dor Naturracclianisnms aiilltT ihr nicht liofom
kann. Endlirli i<ft jeder Teil dieses Geschöpfs su besctiaffen, daß dit^ Krlialtunc
dos einen Teils von der Krhnitung der anderen Teile wecbsolwciso abhängt. Kurz,
ein Ding ist duiui Natiirzweck, wenn es sich zu sich selbst Avechsel weise als Ur-
sache und Wirkung verhält Das ist nur zu denken möglich, wenn die Ver-
knüpfung der wirkenden Ursachen zugleich als Wirkung durch Endursachen be-
urteilt werden kann. Jeder Teil mufi hiw als um der anderen und um des
Qanaen willen existierend vorgestellt werden, als Oigan, das aber zugleich die
anderen Teile mit herrorbringi Die Teile sind nur durch ihre Beziehung auf
das Ganze möj^db und sind selbst dadurch zn einem Ganzen veibunden, daB sie
voneinander wechselseitig Ursache und Wirkung ihrer Form sind. So bestimmt
dann auch die Tdoo des Ganzen die Form und Verbindung aller Teile. Wenn
wir ein organisches Wesen als zweckmäßig betrachten, so imputieren wir der
Natur eine zweclniänifre Tätigkeit nach Analogie mit unserer Vornrinft. Dir Er-
forschung des Orgiuiischen ist von dem Grundsatz jretni'^'eti, (laß niclits vun un-
gefähr geschehe. Dieser ist der Leitfaden für die Heobaehtung einer Art von
Naturdingen, die wir einmal Lelciilugi.>ch unter dem Begriffe der Naturzwecke
gedacht haben. Der Begriff der Materie, sofern sie organisiert ist, enthält den
Begriff des Natuxzwedres und dieser fflhrt notwendig auf die Idee der gesamten
Natur als eines Systems nadk der B^l der Zwecke, der der Medwnismus der
Natur untMgeordnet werden muB. Durch das Beispiel, das die Natur in ihren
organischen Ftodukten gibt, ist man berechtigt, von der Natur und ihren Ge-
setzen nichts als was im Ganzen zweckmäßig ist, zu erwarten. Cant betont aber
zunächst in häufiger Wiederholung, daß ee sich hier nur um die B^l handelt,
nach der man gewissen Produkten der Natur nachfoischt, nieht um die bestim-
mende, sondern um die reflektierende Urteilskraft. ^lan legt iler NtUtir Absicht
bei, redet von der Weislieit, Sparsamkeit, Vorsorge, Wohltätigkeit der Natur,
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Börner: Ober die Entvicldaitgsidee bei KaaL
66
ohne deakilb die Natiir ffir ein denkeiuto Wesen m liolteD, oder ihr einen
Werimieialer mgrunde sa legen. Ober die objeküTe BeedutfCeolieit der Netur
sagt man hier gar nidite ans^ aondem man beteachtet sie unter dieeem Aspekt
des Ziveofcs, als ob sie zweckmilßig handle, um so die Katoiobjekte zaeammen^
hingend nach einem einheitlichen Prinsip su betrachten, die von der mechani-
schen Betcwthtungsweise fttr sieh angesehen nor zufillig w&ceii. Aber Eant kinn
nii^t genug einschärfen, daß diese Betrachtungsweise nur für unser Denken not-
wendig sei, aber keine objektive Gültigkeit habe, wenigstens eioe solche nicht
nachjj:pwlesen werden könne. Der Begriff eines Üinj^os als Nuturzwecks ist
nur für die refloktioreruie Urteilskraft, ist aber lüchx (Jof^cnstiind der bestim-
m>'ndrn Urteilskraft Wir küiineii weder bejahend noch verneinend entscheiden,
was die üi"sache der Zweckmäßigkeit der Natur sei. Tiotzdom aber gibt er zu,
daß der Begriff einer objektiven Zweckraäßigkt^it ein im aiie Zeiten uutwendigcs
kritisches Prinzip der Vernunft sei. „Der Begriff der Zweckmäßigkeit ist fflr
den Exfihrangsgebraach der Yeniunft eine schlechterdings notwendige Hazime.
Es ist gana gewifi, dafi wir die oq;anisierten Wesen und deren innere UdgUdi-
ksit nach blofi mechanischen Frinsipien nicht einmal aareichend kennen lernen,
viel weniger uns eiklfiTsn können und «war so gewiß, daB man diese Einsicht
dem Menschen sohleohterdinp absprechen mnäJ* Aber ob m dw Natur nicht
ein hinreichender Grund der ^Möglichkeit organisierter Wesen ohne Absicht der
Natur vorhanden sein könne, können wir nicht feststellen, sondern nur, daß wir
nach den Bedingungen und Schranken unserer Vernunft nur ein verständiges
Wesen der Natur zuf^-tmde legen können. Die Beschaffenheit unseres Vei-Ktandes
zwingt uns ;;ewisse Dinge als Natur/wecke anzuseilen, was damuf zurücksteht,
daR bei uns Anschauung und Versiaud au,-,t'inaiuicrliegon und die diskui-sive
All unseres Denkens uns nicht ermöglicht, den kausalen Ziisaranienhang überall
dorchzuführcn und deshalb die Zufälligkeit erzeugt, die dann durch die Zvveck-
mifl^ceit in den allgemeinen Zusammenhang gebracht werden mu6. Da wir nur
Ersdieinungen m erkennen Teirodgen, so können wir Aber diese Encheinungen
Teisohiedene Betrachtnngen anstellen, und die mechanische und teleologische
Betrachtongsweise iKßt sich reimen, wenn man die eiste der letsteren unter-
ordnet Denn wo Zwecke als GrOnde der Möglichkeit gewisser Dinge gedacht
wwden, da muß man auch Mittel annehmen, deren Wirkungsgesetz für sich
nidits einen Zweck Voraussetzendes bedarf, mithin mechanisch und doch eine
untergeordnete Ursache absichtlicher Wirkungen i n kann. Wir dürfen also
beide Betrachtuntr^weisen vorbinden und können beide, da wir ihre Gruizen
nicht kennen, möglichst ausdehnen.
5
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Dorner: Über die Entvicklungsidoe bei Kant
Bs war nOtig, diese Ansiehten ^emrotziiliebeii, um deuüich zu machen, üner-
halb ireldier Grenzen Eaat einer EntwieUung in der Xatur auch unter dem
doppelten Aspekt des Mechanismus und Zweckes gerecht werden kann. Es dttxfte
kaum zu leugnen seiUf dafl er uun doch tatsficblich fttr die Art unseres Brkamens
die Idee der Entwiddung fflr die Katurwissenschaft gelten Itfit, ja indem er die
Natur zu der Gcisterwclt in Beziehung sebst, eine einheitliche Auffassung ver-
sucht, welche die Idee der Sntwioklung unter dem teleologischen Aspekte für das
gesamte natürliche und geistige Universum durchführt. Dalioi wird dann die
skeptische Pra^ro, dio allordin-rs im Hint'Tenmdc Inticrt, dl) difso pmze Hen-ach-
t\ingsweise nicht bloß für unser Erk(n)iriiisvi rni<''i:<Mi 'jcltuiig halte, soiilieillicli im
Interesse piner einheitlichen Auffassung der gesamten Weltentwicklung mehr oder
weniger ignoriert."
Hier sogt nun Eant: Wenn auch das Termögen mit der bloß mechanischen
Natoieridirung auszukommen nach der Beschaffenheit unseres Verstandes be-
schrlinkt sei, und man den teleologischem Gesichtspunkt zuziehen mQsse, so könne
man doch dem Natoimeolianismas ebenso nachgehen, wie der teloologiacben
Betrachtung, weil man nur fflr ans, nicht as sich es für unmdglioh halten mufi,
in einem etwaigen intelUgiblen Substrat der Nator die Einheit fflr beide Betrach-
tungen zn finden. Daher mfisse der Naturforscher, bei der Beurteilung dw Dinge,
deren Begriff als Natnrzwccke unzweifelhaft begi'ündet ist, immer eine UlSprüng»
liehe Organisation zugrunde legen, die den Mechanismus benutzt, um neue Formen
hervorzubringen. Es ist ilas nrdiirfnis <lo.s Erkonnoti'^, flon teleologischen \atur-
zusammonhang zu frfnrsL'lM'n, niittols» komparativer Analnirii' di-' fmiRo Srh'ijifunff
organisierter Naturen durclizutrrhen, um zu sehen. <ih sich daran nicht etwas
„dem System Ähnliches dem Erzeugungsprinzip nach vorfinde, olino daü wir
nötig haben, beim bloßen Beurteilungsprinzip stehen zu bleiben und mutlos allen
Anqirueh auf Natureinaiefat in. diesem "BtAAe anbugeben." „Die Übereinkunft so
Tieler Tiergattungon nach einem gewissen Schema, die bewundenmgswUrdige
Einfalt des Grundrisses durch Terküizung der einen nnd Verlängerung anderer
Teile, dorch Einwicklung dieser und Auswicklung jener Teile IftBt einen Strahl
Ton Hoffnung ins Gemflt fallen, daS hier alles mit dam Plinzip des Mechanismiu
sich anfangen läBt Die Analogie der Formen, sofern sie hei aller Verschieden»
heit einem gemeinschaftlichen Torbilde gomän < rzon^t zu sein scheinen, YCrslilkt
die Vermutung einer wirklichen V» r« andschaft derselben in der Erzeugung Ton
« einer gemeinschaftlichen Urmutter durch die stufeuartige Annäherung einer Tier-
1) YgL in bezug biorauf meine Abbandiun^ in den Kaotatudien «. a. 0.
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Daraer: Ober die Entwiddnngsdee bat Kant
67
gattiing zur andern, von deijenieren an, in welcher das Prinzip dor Z\v( cko am
moiäton bewährt zu sein scheint, (it>iu MeUächeu bi» zum Pulyp, vuu dieüen bis
m UcKWOik und FLeohtoft endlü^ der niedrigsten nee m^tiiohen Stale der
Natur, dsr rohen Materie, ane weldier und ihren meohanisohen Oeeetsen die genae
Tednük der Natur absustammen sdieint**, irobd man noch „auf die Arohiologie
der Natur surtLcl^ben kann, wo der Mutterechofi der Erde anilnglieh GeediOple
von minder aweckmSBiger Form, dann andere angemenener ihrem Eneugunge-
plalse und ihrem Terhiltuiese untereinander herrorbringt" Mail muß am Ende
dieser ailgemeinea Mutter eine auf alle diese Geschöpfe sweokmäßig gestellte
Organisation beilegen, widrigenfalls die Zweckfonn der Produkte des Tier- und
Pflanzenreichs ihrer Möglichkeit nach gar nicht zu denken ist Kitr?:, es prpribt
sich die Aufprabo anf moehanisch teleologischem Wege das Werden der fjcsariifen
Orfrarisatioii aus oinfai tion (trundlagen zu begreifen , und dabei wird es darauf
ankommen, Meeliaiiisinus und Teleologie in ein klares Verhältnis zu setzen. Es
kelirt hier das-selbe Probieni wieder wiu ju der Natur^jeschichte des liinuiiels, nur
daA hier nicht mehr naiv beide Seiten ncbeneiuaadergostollt worden, sondern
naob ihrer Tereinbarkcit gefragt wird.
So viel steht ihm fest, der Mechaninnns allein langt nicht an, um die
Ml^idikeit organisierter Weeen danach zu denken, aber ebensowenig der bloB
teleologiBdie Grund, wenn ilun nidit der Medianismus beigesellt wird, gleichsam
ab Werkieug einer absichtiieh wii^enden Unacbe, weil ohne diese Eanmlttit
oiganisierte Wesen keine Naturprodukte wfiren. Der Okkasionalismus nun d. h.
die Meinung, dali bei Gelegenheit jeder Begattung die oberste Weltursache jedes-
mal die organische üildting gebe, so dal? die Begattung eine bloße Formalität
wäre, liißt die Xator fallr-n. weil lii"r Iceitie Naturkausalität zur Geltung kommt,
da das Prinzip, alles aus dem Naturzusanimenhano- selbst zu erklären, das Prinzip
der Naturwissensehaft hier nicht geiiu;;i nd lituichtüt wird. Dagegen scheint der
Prästabilismus brauchbarer zu sein: zwar nicht, wenn er uur dabei stehen bliebe
im Anfange die Keime bestehen zu lassen, die dann bei günstiger Gelegenheit
sich entwickeln, weil auch da der Natur wenig fibeiiassen, viehnehr auch hier
ehie FQlle «bematOrlicher Anstalten notwendig wäre, damit der anftngliohe Keim
bis SU sein«: £ntw»sklung ror Zer»t5rung bewahrt bliebe. Die BpigenesiB dagegen
BchrKnkt den übematarUchen Einfluß noch mehr ein, indem sie wenigstens die
FbrtpBanzung auf den der Natur einwohnenden BUdongstrieb grandei Hier ist
der Naturmeehanismus unter der Leitung des Prinzips der Oiganisation liitig.
Die Individuen der einzelnen Arten entstehen so durch den l^ildungstrieb. Aber
Kant hat den Gedanken nicht weiter verfolgt, wie die eiazolnen Arten selbst
5*
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68
Dornez: Über die üntwioklattgsidee bei Kaot
wieder auf eine ursprüngliche Form zurückgeführt werden können. Diese Mög-
liobkeit bat er «war auoh in das Auge gefaßt, wie wir sahen; er fordert aus»
drtteklioh, iai man soweit als iD()^cb in der mecbaaischen Forschung fortsdireiten
solle, und verbindet damit den Gedanken, alle Vonnen des Naturlebens auf eine
Urfonn xurQcItnifahren, aus der sie Yennittels des Medianismus herTOKgehen.^
Aber weiter in oonoreto hat er den Gedanken nicht ausgeführt. Daran hinderte
ihn woU die Zwedcbettacbtung, die ihn weniger der mechanisch veimittelten
Entwicklung der Arten aus einer Urform nacligchen ließ als dem Gedanken, dafi
jede Art für sich eine Zweckidee repräsentiere. Nun blieb nur noch die £Vage
nach dem Zusammenhang «Icr Welt so zu beantworten ülirif:, wie jeder der für
sich bestehenden Organinmen zu den übrigen in dem Verhältnis äußerer Zweck-
mäßigkeit stehe.
In dieser Hinsicht hat nun Kant \n iodcr seiau alte Jdee der Sluienenlwtcklung
unter dem teleologischen Ucsichtspuukt geltend gemacht: er entwirft eine Ent-
wieklungstheorie unter dem Gesichtspunkt der Teleolugio, wonach die gesamte
irdische Natur im Hensdien gipfelt DerHenscb ist nicht blcflNataraweck, sondern
auf Erden der letzte Zweck der Natur, in bexug auf den alle Qbrigea Natuxswedce
ein System von Zwecken ausmachen. So sind die Fflaosen für die Tiere da, die
sie fressen, die Pflanzen finssenden Tiere fOr die Baubtirae und endlidi sollen
sUe Bdehe für den Menschen sein zu dem Gebrauch, den ihn sein Yerstand von
allen Ocscbopfcn machen lehrt. Zuletzt fragt sich dnnn: wozu ist der Mensch
da? Zwar setzt er dieser Betrachtung wieder eine and- ic rntfroron; daß die
Ofsvächsr» fressenden Tiere da seien, um den üppigen Wuciis des Pflanzenrpiches
zu hiniliTii, ihi viele Sp<'zics' snnsf criinirkt wurflon. dir» Rsuibtiore, um deren
(Jefritl'iiLckcit Gronzon zu sctzr-ii, der Mensch, um durch VcrfolgunfT und Vor-
miiidfruiii: dieser ein Gk'iclii,''i'w icht zwi.scheii den zorst<irfnden und hrrvor-
bringcntitm Kräften der Natui zu stiften. So würde der ilenscli dazu als ilittel
zugleich dienen, die einzelnen Naturorganismcn, die Natunswecke sind, eben als
solche zu erhalten. Dazu kommen seine Bedenkltdikeiten in besug auf die
Dmcbfübrnng d«r Zweditbeorie, da in der Natur der Mechanismus doch das Über-
gewicht zu haben scheint, der ja seihet den Menschen wieder aerstört, wie die
vielen Erdievolutionen Massen von Tieren vernichtet haben. Allein trotz dieser
1) VorNielitip;!" spricht or sidi froilioh in (iiT Kriuk vuii Hcixii-rs Mecn au>. Bd. .' S, 3i8f.
lli(!r findet or di« Ilypothcst* HeiJi t - aus den niodiTPu Orgaiii.satie»ncn, dio höboren hin zu ilem
Mensoiion lionorfijphon /u lu,-. als alle ErfaLranj; ül ■tv-i i^'oiid, ebenso die Idee der Einheit
der organisi;h bildcadcn kj;vli. Übrigens erkt-nnt er ^ulI, hier für die lUünHcblicbuQ Yer-
aohiedenbeiten «a ioncrliih n:i< h Vv r'><-h ieii • ti h i r der liuUuroD Umstikndo Bich selbst
diefteo angemesseD modifizierendes LeU)ii»|irinsip An (8.358).
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Doraer: Cber die EatwicklangBidde bei KmoL
69
Einwinde bleibt Eukt daibei stehen, unter dem teleologischen Gesichtspunkt eine
ansteigende Linie in der Natur bis cum Hensdien anzuerkennen.
Die weiteren Ustetsuohangen Kants beziehen sieh nun auf den Menschen
als Ifatonwek und es wtre m fragen, ob Kant hier die Idee der SntwieUung
lur Geltung gebrscht hat Er sieht swei MdgUehkeiten, um den Mensdien als
Katurzwedc an Teislehen, seine Glückseligkeit und dio Kultur. Alloin auf das
bestimmteste stellt er den ersten Zweck für sieb allein in Abrede, da die Natur
sicher nicht die Glückseligkeit des Jlenschen als letzten Zweck ins Auge fasse, was
die t'hol beweisen sollen. Nicht nur ist or von anßon durch eine Fülle von
Cbt'ln hodroht, sondem ebenso sind sfiiif Nnriinmlagoii so widi-i-siniiig vtm dem
Gcsiehtüpunkt der Glückseligkeit aus, daß sie ilin viclniehr in soUistei-sunneuo
Plagen versetzt haben, und demgemäß seine cigeuü Natur für dio Glückselig-
keit nicht empfänglich ist Er ist zwar als das einzige Wesen, das Verstand hat,
das Vermögen sich willkürlich ZwetAe au seteen, betiteller Herr der Natur, aber
doch nur ihr letster Zweck, wenn er es -renteht, der Natur und ihm sslbst einen
von der Natur unsbbXngigen Endawec^ zu geben. So bleibt als Zweek der Natur
nur übrig: das, wss die Natur leisten kann, um ihn dsfUr Torzubereiten, dnr^
seine TKtigkeit ]&dsweck au werden, d. h. die formale Bedingung der Taugludi*
keit sich selbst Zwecke au setzen und die Natur als Mittel für seiue Zwecke zu
gebxandieD. Da nun die Herrorbringung der Tauglichkeit eines TcrnQnftigen
Wesens zu beliebigen Zwecken die Kultur ist, so kann als Endzweck der Natur
nur dio Kultur erscheinen.
Daß nun die Natur diese Kultur im Menschen horvorbrin^xo, stellt er niclit
in Abrede. Nicht nur in der Kritik der Urteilskraft S. 328, ^(^lulern ebenso in der
„Idee zu einer jillgeuikijnen Geschichte in weltbürgerlicher AUsicht" lZö4 Bd. 7
S. 317f. und in dem „mutmaßlichen .tVnfaug der Mcnscheugcschicbte'^ 1786 S. 365f.
spricht er sidi higher aus. Sein Grundgedanke, den w nach Tersdiiedenen Sdten
hin ausführt, ist dw, dsfi durch den Antsgonismns der Keifte die Natur den
Hensehen zum rortsehritt zwinge. Die Naturanlagen eines Geschöpfes sind
bestimmt, sich einmal rollstfindig und zweckmSßig aossuwiekeln; bei dem Uenschen
Tollendet sich diese Auswidüung aber nicht am Einzelwesen, sondem nur in der
Gattung. Oer Gmnd davon liegt in der Vernanft des Menschen, als dem ^Yomfigen
die Begdn und Absichten des Gehrauchs aller Kräfte über den Natuiinstinkt
hinaus zu erweitem*, wozu sie Versuche, Übung, Unterricht, bedarf, um von einer
Stufe der Einsicht 7:iir andern allmählich fortzuschreiten. Du nun die I>ebcnsfrist
dos einzehu n nur kurz gesetzt ist. bedarf die Natur einer vielleicht >inabsehlichen
Keihe von Zeugungen, deren eine der anderen ihre Aufklärung überliefert Des
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Dornor: Über die Entwioklungbidee bei Kant.
Uenschen erster Zmtand ist der des Listinktos und der gäiudicheii Roheit Er
mufite die Geachickltcfakeit zn stehen, su geben, «ioh miteuteiien, wn sprechen,
SU denlcen sieh solbst erwerben und folgte ganz seinem Instinkt, der zunächst
nur nn Vermdgen der Vorcmpfindunf;; der Tauglichkeit einer Speise zum Genuß
gewesen sein mag. Xun kam aber die Vernunft, diese suchte die Kenntnis der
I!rabr(mn:«mittcl zn erwoitpni durch ^'erc:!pi^h^lnc: dos Genossenen mit dem, was
ihm ein anderer Sinn als der, an den der Instinkt gelnmdon war, z. B. das Auge,
als dem sonst Ounrisätuea ähnlich voi-stcllte. Weiter kam «lazu die Pliantasie,
mit deren Beihilfo die Vernunft Begierden auch gt'gtii den Inütiulit erkünsteln
kann, womit Lüsternheit imd schließlich Üppigkeit entsteht So wurde dem
Menschen ans einxehien Gegrastinden seiner instinktmäßigen Begierde eine
Unendlichkeit derselben, zwischen denen er wählen konnte. Ebenso war es mit
dem Rebt zum Qeschieeht, der bei Tieren beschränkt, der Yermehrang und Yer»
längemng durch die Einbüdungsknft fähig wurde. So wird dieser Trieb zwar
mehr MäBigung erhalten, aber dauerhafter und gleichi5rmiger weiden, je mdir sön
Gegenstand den Sinnen entsogen und Gegenstand der Einbildungskraft wird. Ehie
Neigung aber dadurch inniger und dauerhsfter su machen, daß man sie den
Sinnen entzieht, zeigt das Bewußtsein einiger Herrschaft der ^ iunnft tiber die
Antrjpbo. Wficrprnncr führte von bloß empfundenen zu idealen IJt izi^n, von der
tifrisclun Hegiorde zur Liebe, tmd dnmit vom Gefühl des Angenohtnon zum
Gesclimack am Schönen, damit i rirub sich 8ittsamkeit, die Neigung durch guten
Aiistaiid anderen .\chtnnf^ l iiizuflößcn als die Grundlage wahrer Geselligkeit
Nachdem sich die Veniuuft m die ersten unmittelbar empfundenen Bedürfnisse
gemisdit und damit diese über den Moment hinausgehoben hatte, seigte sie sich
so «b das Vermögen die kommende Zeit sich gegenwärtig su machen, nicht Uofi
den Augenblick zu geniefien. Hierin ist die Quelle von Sorgen tmd Bekümmer-
nissen, deren die Tiere flberhoben sind. Der Mann sah die wachsende Mühseligkeit
seiner Arbeit, das Weib die Sesohwerlichkeiten, denen die Nainr ihr Geschlecht
unterworfen hatte; dasu sahen sie den Tod voraus. So entstanden die Obel dnreh
den Gebrauch der voraussehenden Vernunft; in ihrer Nachkommenschaft zu leben,
war eine tröstende Aussicht Endlich sah sich der Mensch als Zweck und Herrn
der Natur, so daß er die Tiere nicht mehr als Mitgenosson, sondern als Mittel
für seine Zwecke ansah, worin znjrlcich dunkel das BcwnRtsotn enthalten war,
daü er kcinun ^Monwchen zu seinem Mittel maelien dürfe wie die Tiere. Mit
dem Bowulitsein Sellistzweek zu sein, ist er aus dem Mutterselioße der Natur
entlassen. Hieirait liurt die Veniunft auf, ein Werkzeug der Befriedigung von
allerhand Neigungen zu sein. Die Vernunft treibt ihn nun zur Entwicklung der
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Dorner: Üb«r <lie £Dtirioklaiigstdee bei Kaut
71
in ihn gelegten Fähigkeiteii und eilaulit ihm nicht in ism Staad der Roheit zurück-
mkehien, aus d«m sie ihn gezogen hatte. So iet der Übei^gang aua der Roheit
eines tieiischen Geschöpfes in die II enscbheit, ans dem Oii^^elhande des InstioktB
sur Lütung der Yemunft, ans der Yoimundschaft der Natur in den Stand der Blrei-
hflit roUsogen. Für die Qattnng ist hiermit ein Fortschritt sum Besseren gegehen,
nidit fttr das Indiridnum. Denn sobald die Temvsft mit der Tierheit ins Geraenge
kam, mußten bei der SchwUcho der Vernunft Obel und Laster entspringen. So
fängt die Geschichte der Freiheit vom Bösen an. Es entsteht der Widerstreit der
Kultur mit der Natur als die Quelle aller Übel und Lastor, der damit enden muß,
(laH rnllkonimonn Kunst wieder Natur wird * Wie die Kultur Tjastor hervor-
bringt, zeigt er an dem Geschlechtstriohe, dfr mhi Natur mit 16 bis 17 Jahren
eintrete, indes die Kultur es orpcliwi^-rt wcl»;!:»!! iIit wachsi-nden Bedui-fnissp, ihn
zu dieser Zeit schon so zu bcfnoiliyua, daß der Mann üich samt Weib und Kiud
erhalten kann. Die Natur hat nun aber nicht die Instinkte in den Menschen
gelegt, um sie zu. unterdr&ckeD. Ihre AnUige ist nicht auf den gesitteten Zustand
gestellt, und ao kommt der ainlisierte Zustand in unrermeidlidira Widerstreit
mit dem Xatartrieb, der Jiaster und Elend zur Felge hat Die Natur femer hat
das Leben dee Menschen beschrankt und die Wisaensdiaften fordern ein langes
Leben. So is^ such hier ein Widerstreit «wischen der Natur und Kultur. Ragt
man nun abor, was die Natur damit gewollt babCt dafi sie den. Mensohen in
solchen Zwie^alt mit sich brachte, so meint er, sie habe ihn eben damit selb-
ständig machen weilen, ihn tauglich machen wollen, sich selbst Zwecke zu setzen,
nm die Natur als Mittel für seine Zwecke zu gebrauchen. Sie imbe gewollt, dafl
der Mensch alles, was über die mechanische Orilnung seines tierischen Daseins
hinausgeht, gänzlich aus sich selbst hcrvurbringe. Die Natur hat es darauf
abgesehen, daß der Mensch nicht durch Instinkt geleitet sei, sondern daß alles
sein eigenes Werk sei, die Erfindung seiner Bedeckung, seiner Sicherheit, aller
Ergötzlichkeit des Lebens. Der Mensch sollte, wenn er aus der Roheit zur
Geschii^chkeit, YoUkommenheit der Denkungsart und Glttckseligkcit sieh empor-
gearbeitet hatte, davon das Verdienst allein haben. Als Mittel des Foortsehritts
sieht er nun vor allem den Antagonismus in der Gesellschaft an, den Streit
«wischen dem Gesellschaftstrieb und dem Trieb, sich su isolieren. Die „un-
gesellige Geeellii^eit^ d. h. die Tendenx, in der GeseUsdiaft alles nach seinem
l<inn zu wollen, ist es, die ihn zwingt, den Hang der Faulheit durch Elhrsttch^
Habsucht, Herrschsucht zu überwinden, wodurch alle Geschicklichkeiten gebildet
1) Ifan bst spBter dsTon geredi-t, dtB das duiok die Utigkwt des Uemchea Erzeugte sta
sweitm Natur weiden msiee^
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72
Dorner: Über die Entwicklungsidee bei Kant
verdfln, die Tnlente, wie der GesoiimaclL „Dank sei der Natur für die ünyertEn;-
samkelt, fttr die mifigUnstig« wettmfernde Eitelkeit, für die nicht la beledigende
Begiexde amn Haben bder aiim Henschen! Ohne sie worden alle ToHiefflichen
NatnFKolagen in der Hensohheil ewig unentwickelt bleiben." Statt der Eintraeht
eines arkadischen Sohäferlebens will die Natur Zwietradit. ^Dio natürlichen Trieb-
federn, die Quellen der Ungeselligkeit, woraus so viele Übel entspringen, die aber
doch wieder zu neuer Anspannung der Kräfte, mithin zu mehr Entwicklung rlcr
Naturanliii^t n antPMlipn. verraten also dit> Anordnung eines weisen Schöpfers"
(Bd. 7 Ö. 323). Er hebt hervor, daß dio < ii srhicklichkeiten nur vermittels der Un-
gleichheit unter den Mensclioii entwickplt werden, wo die einen die merhani.schen
Tätigkeiten, die anderen Wi.si^eaiichait und Kuiibt boajbeiteii und Uic leUlertu
die ereteron uicderhalten. So ist auf der einen Seite Gewalttätigkeit, auf der
anderen innere UngenügsamkeiL Aber gerade diese Gegenaatie aind notwendig,
um aom Beeht an fftbren, «ur Organisation der büigeriichen Gesellscbaft Ebenso
aber findet duroh den Eultnifortschritt eine Sisadplinierung da Neigungen statt
Die Teifdnerang des Geschmacks, der Fbrtsehritt der Wiaeenschslten bringt eine
Menge fiegehiliehkeit und Übel mit aidi, aber augleieh eine Oeaehliffenheit und
Yerfeinerung für die Gesellsebaft, wodurch die Menschen, wenn nicht sittlicher,
doch gesitteter und zu einer Herrschaft vorbereitet werden, in der die Yemunft
allein Gewalt haben .soll, während die Übel die Khifte stählen, um ihnen nicht
zu orliogen, und so eine Tauglichlccit zu linherr'n Zwcel<(Mi fühlen lassen. Daß
Wi<iefstreit, Zwietracht an dio Stelle des tieialinliehen iuötmktiven Lehms trat,
daß infolge von dem Übergang von dem Jägerleben zu ileni Nomaden- und Aeker-
baulebkiu eine Trennung derer von verschiedener Lebeii*.ari und ihra Zerstreuung
auf der Erde sich ergab, das führt er auch iu dem an den Bericht der Genesis
angeschlossenen MmutmaBlichen Anfang der Menschcngoschidite*' aus S. 376f. Mit
dem Ackerbau maßten sich die Menschen znsanuuentun, um ihren Boden au ver-
teidigen und um sich gegenseitig su helfen. Da konnten die Bedflr&iisse des Lebens
durch Tausch befriedigt werden; so entstand Kultur und der Anfong der Kunst, der
Oeselli^eit und bürgerlichen Sicheiheii Damit aber kam auch die üngleichheit
unter die Menschen. Wenn ab«r schlieBlich die Hirten mit den Ackerbanem in
Streit gerieten, so erhielt dieser Krieg wenigstens noch djis Bewußtsein der Freiheit
Als aber eine Zusammcnschmclzung beider stattfand, eri^ab sich mit dem vorläufigen
Ende aller Kricp->f:efahr nnrh Hns Endo der Freiheit, der Despotismus mächtiger
IVrannen und bei der kaum aiii:ofaii,c:eiieii Kultur seelenlose l'^ppi^-^keit ; viehisches
(ji nii'üeu und .sklavische:* Dienen kamen oben auf. Kant kmunil hier zu dem
Resultate , das er übrigens auch in der Kritik der Urtoikkroft wiederholt, daß die
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Borner: Über die Eatwioklni^dee bei Kant
73
beständige Neigung der HeiTBchsuobt, Habsucht, Ehrsucht zwar immer wieder zum
Kriege fttbre, wo rielleicbt die fiAfie des Staates noch mehr von der bestündig siah
steigenideii ZurUstung zum Kriege als vom Kriege selbst Terzehrt werden. Aber auf
der Kulturstufe, wo das Mensohengesddecht noch steht, ist der Krieg ein unenU
befariiohes Uittel, die Meneohen weiter zu bringen ßd. 7 S. 881), weil dieser immer
gefttrchtate Krieg die enge Yerbindung der StKnde aar wedweleeitigea Beförderung
ihres Wohlstandes, sowie die Freiheit fördert, die noch übrig ist, ja den Ober-
hinptem die Achtung vor der Menschheit noch abnötigt Er dient (Ihzu. ullo Talente,
die zur Kultur förderlich sind, im höchsten Grade zu entsvickeln. 8o sieht er in
letzter Hinsirht in <\pm Kringe selbst doch wiedor nur einen ,.nnabsichtlichen
Versuch der Meiisclirn , aber oinen tipf vprbiirgr>iipn tibsiclitlichvn dpr oberstpn
'Weisheit, (lesetzmüßigkeit mit der Freiheit der Staaten uud dudurcl) die Eiulieit
eines moralisch begründeten Systems derselben vorzubereiten. " * Diese Meinung
spricht er auch sonst* aus, indem er den Fortschritt vom Schlechteren zum Besseren
in der Heoschheit anerkennt
Die üngleidiheit, die Ungeselligkeit, die S<rfbeiBUcht mnl in einer bthigei^
liehen Oesellsdiaft eingeechrliikt werden, welche das Becht Terwsltet Eine ge-
rechte bürgerliche TerfossuDg ist die höcdbste Aui^e der Natur fOr die Mensohen-
gattung. „Der Mensch ist das Tier, das einen Herren nOtig hat*^ Seine selfaet-
attcbtige Neigung rerieitet den Menschen, ridi selbst ton dem Oesets aoszonebmen,
das er als vemüiifti/^os Wesen wünscht So bedarf er einen Herrn, der ihm den
eignen Willen breche. Da er aber diesen Heim wieder nur aus der Menschheit
nehmen kann, sn kann er schwerlich einen Oerechten finden, und es kann nur
eine AnnSheiung an das Ideal stattfinden. führt: der Antagonismus der Kräfte
dazu, in dem bürgerlichou \ rroin .Sicherheit zu suchen. In diesem werden die
feindlichen Kräfte dnroh das Ktuht eingeschränkt, uud hier tun selbst die Nei-
gungen die beste Wirkung, weil sie eingeschränkt der Förderung der Kultur
dienen und disripliniert weiden. Allein das Problem der Errichtung einer voll«
kommmeu bOigerlidien Teifossung ist Ton dem Problem eines gesetzmäßigen
infieren StaatenTeihlltnisses abhlingig. Und hier ist es wieder dieselbe UngeselHg-
keit, dttTertragsamkeit, die dazu zwingt, in dem Antagonismus der Staatskfirper
und groBen Gesellschaften einen Zustand der Ruhe ausfindig au machen, d. h.
sie treibt dureh Kriege, durch Zurfistung au den^ben, durch ride Yerwfistimgen,
Umkippttttg, Erschöpfung der Kräfte hindurch dazu, aus dem Zustand der Wilden
1> KriHi der UrteUskraft Bd. 4 S. 330.
2) Vgl. besonders die kleine Sehtift: Idee ta einer aUgemeinen OeacUcbte in writtüiger«
Hoher Absicht Bd. 7 & 3171
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74
Dorner: Über dio RntwieklungHideti boi Kant.
in einen Yölk«rbund zu treten, wo jeder Staat seine Siclieiheit von diesem hat
So irerdeo die Hensebeii genötigt, einen weltbüigerlichen Zostaud der Sffent-
liohen Sicherlieit einsufOhren, „der aber nicht ohne Gefahr sein soll, damit die
Kriifto der Menschen nicht einschlafen". So betrachtet er die Geschidite d«r
Monscbengattung im großen al» die Tollziehnng eines vorborgeneu Pianos dor
Nattir, um eino vollkommene Staatsverfassung zustande zu bringen, als den
einzijrr-n Zustand, in welchem sie alln ihre Anlagen in der Menscidieit völlig
oiitwickeln kann. Ton der EiTeicluuig dieser Absicht findet er schon die An-
fange in der Gegenwart, da die Staaten in einem so künstlichen \ i i'}i!i!tnisse
gegeneiuaader stehen, duU keiner ohne Verlust seines Einflusses nach auütu in
der inneren Kultur uacblasä>eu kann. Ebenso kann die bürgerliche Fieiheit nicht
angetastet werden, ohne daß der Nachteil davon in Gewerben, Handel gespürt und
damit eise Abnahme der Kräfte des Staates herbeig^ahrt wird. Wenn man den
Bürger hindert, auf jede ihm bdiebige Art, die mit der Freiheit anderer au-
sammon bestehen kann, seine Wohlfahrt au suchen, so hemmt man die Leb-
haftigkeit des Betriebes und die Kilifte des Ganzen. Daher wird die persönliche
Einsohiänkung immer mehr aufgehoben, aUgemoiuo Freiheit der Beligion nach-
gegeben, Aufklärung gefordert Schließlich werde auch diese Aufklärung bis
zu den Thronen hinaufgehen und auf ihre Regierungsgrundsätze Einfluß üben,
so daß sie dio Rpinühungen dos Volks um Aiifkliinmf^ nicht hindern. Auch wird
dor Krior^ sclilioiUirli als oin so iin«irhprns, durch dio aiiwnrhsendo Schuldenlast
iH'denklifiic's UiittTiielinuMi ei'schi'im.'n iiml lirr Kiiifliili jeder iStiiatsi'rschüttcrung
auf die atiilcreii Staati'u sn ini'rklicli wcnii'ii, daii diü*.e letzteren sich als Schieds-
richter aiibiotL'u, und bu kann die Hoffnung bestehen, daß das, wüs die .Natur
ntr höchsten Absicht hat, ein allgemeiner weltbürgerlicher Zustand ais der Schoß,
worin alle ursprünglichen Anlagen der Menschengattung entwiökdt werden, der-
einst zustande komme. Kant wendet schließlich diesen Gedanken anf die Ge-
schichte an und meint einen Fortschritt zum Besseren su entdecken und die
Hoffnung zu begifinden, daß doch mit der Zeit sich die Menschheit sn einem
Zustand emporarbeitet, in [dem alle Keime, die die Natur in sie legte, völlig
können entmokelt und ihre Boätinnnung auf Erden erfüllt werden.
Das Gesagte zeigt, daß Kant, von der .Natur ausgehend, als das Ziel dor
Entwicklung der Natur die volle Entwicklung der Kultur ansieht, und daß er
meint, auf dem Wege des Antagonismus der Kräfte \verdo die Natur die*ies Ziel
erreichen, incnfei*n e^i-ade die Opeensiitze, welrh"' sich in der Oeschiclite hervor-
tun, den Mun.sclicn ;:\vingcn, aus der tioiKsclicu Kulicit sk-h zum Kulturzustand
zu erheben und enien Ausgleich der Ucgoni>iitzc, vor allem der egoistischen und
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Dorner: Übor dio Entwickluogsidce b«i Kant.
76
der geaeOsdiafOicheii IMebe hetbeunf fibnn. So hat Euit hi«r die Idee der EniU
«icUniig im vellea likBe rar Gdtung gebtidit
In der Netur entwiiA»it eioh mittels des HecbanbmuB die gemmte Mnese
der Weltkörper gesetsnäni^: diese Idoe bat er nicht aufKegebon, wenn er auch
Bfriiter in der Natur nur mit Erbi heiuungon und deren kausiilt n Iktracbtung zu
tun zu haben glaubt Auch den Gedankon pibt or nicht auf, daß man so viel
als möglich versuchen soll, die Nuturwosen iu dor Narurgcschichtn in ihroni
Werdeprozeß nach mechanischi n Cresotzen zu verfolgen. Aber die (eleMliigische
Betrachtnn? kommt hinzu, und da faßte or die Idee, daß iium nicht uur ver-
suchcu kOuuü, die gesamte Natur aus eiafacheii Elementen und (i rundformen zu
begreifen, sondern daß maa die teleologische lictrachtung der Natur dahin aus-
dehnen ^ine, daft de in immer geeteigerlm Geataltra scUießlieb zom Menaehen
•icfa erhebe, eine Entwi<^nng, die möglichst sogleich in ihren mechanischen Yerw
mittelungen Terstanden werden boU. In den Menschen hat die ITatur eine Fülle
Ten Anlagen hineingelegt, die derselbe in dem EntwicUungsprosefi der Gesohichte
aus anfüng^cber Boheit in immer Tdlkommener werdender Kultur auswickelt
wozu das Mittel der Antagonismus der Kräfte sein sollte, insbeeonderc der Gegen*
sati der Selbstsucht und des Oesellschaf tstriebes, deren Ausgleich zu einer
Staatsverfassung, endlich zu einer weltbürgerlichen allgemeinen Verfassung der
Staaten führen snll, in welcher dann alle Anh><:;cn dcsj Menschen zu s'olIfT Ent-
wickUuif; k-iiramen kennen, die die Natur in iiiii gelegt hat. Aueli hier ist der
Antagoaisniu-s der Klüfte die mechanische i'Virm, in der sich der Naturzweck
vollzieht Kant hat alsn hier unter dem Gesichtitpunkt des Naturzwecks eine
Vorstellung vou der Entwicklung gebildet, die Natur wie Geschichte umspannt
und den Heohanismua in den JHenat der. Telecdogie stellt. Die Temunft, Ton
der er hier spricht, ist nicht theoretis<^e und nicht praktische, sondern nur tech-
nische Tecnnnft, das Vennögen, „die Begeln und Absichten des Qebrauchs aller
ErSfte ftber den Naturinstinkt hinaus zu erweitem" und «racheint selbst als eine
im Dienste des Katuxswecks wirkssme Kraft und als eine Oabe der l^atnr.
Kant hat also den Proaeß der Xatnr und der Oeschichte unter dem gemein-
samen Asj)ekt des Naturzwecks zusammengestellt und hnt diesen Prozeß als eine
kontinuierliche Entwicklung aui^efaßt, welche sich durch den Antagonismus der
Kräfte tind ihr Anfeinanderwirkon vidlzieht Es düi-ftA schwerlich ganz zutreffen,
wenn itfedicus (K'aiitstudien 4, l!K}0 S. ti.') f. zu Kants IMiilosophie der Geschichte)
meint, Kant habe liiennit nur ein HemteilniiL'^s-, kein Erklärungsprinzip der
Geschichte ueben wollen. Er war vielmehr der Meinunfr, daß, wie schon in der
Natur selbst das Zweckpriazip zum Verständnis der organischen Welt hiuüu-
76
Doraer: Über die Eotwiokluogiiid^ bei Kant
genommen werden mnfi, dies eist recht In der Oeeehichte gescfaeben moB, und
snnJidist sucht er den Oeechichtspfoiefi mit unter dem Natunweck zu hehtkohten.
Wenn er auch oft genug Teisicbert, dea Zweolpiincip gehöre der reflektie-
renden (nicht der bestimmenden) Urteilskraft an, so hat er doch die Betrachtung
nach kausaler Methode der BetraclUiiiig nach dem Zweck imteigeordnot und liat
so versucht, durch die moclianisclio Verinittchin^ (!o> Anfnprnnismus der Kräfte
don Zwock sich durchi^ftzfn zn las^on. Man vei>toii( i\;m(> Absicht doch fnlsch,
wenn man meint, für ihn sei der Zweck, dif» Itln' nur » in Roiirteilungsprinzip.
Er ist ihm mehr: er ist eine Macht, die den Mechanismus in seine Oi'^nste nimmt.'
Die rein kausttiu Geschiclitsclireibung ist ideenlos und vci-steht den Smn der Ge-
schichte und der Natur nicht Es wird für Kant unter der Hand da^i Prinzip
der Beurteilung, dae Prinzip der reflektierenden Urteilskraft doch zu einem in
der Oewdiiobte wiibwunen Frindp, das den Mechaniemua bestimmt GesiduohlB-
konstruktion im falschem Sinne' könnte sich da doch nur dann ergeben, wenn man
das Beeht bfttte, alle Ideen aus der Oeeehichte sn rerbannen. Kant hUt das »Iber
nicht einmal fdr die Natur fttr möglich, wie wir gesehen haben. Sind die Ideen
dem Gesehichtsproaefi immanent, so bat man auch ein Recht, sie in der Oeschicbts>
Philosophie zu rerworten, ia es wäre sehr fraglich, ob man die Geschichte über-
haupt verstände, wenn man sie aller Ideen berauhte. Wenn Kant auch durch
seinen Satz, der Zweck gehöre nur der rr>floktiorenden Urteilskraft an, s«M»ie
GcschichtsauffassimfT in ein wunderliches Haibilunkt'l gestellt hat, so hat er d(*üh
die Zweckbetrachtun^ mit der inechanisch-kau.salen Befrarhtnnjr so verwnhen.
daü er in der (ji'.schichto die \\ivvirklichung eines Natuiv.wuclk.s bah, die .sich in
ullmählichem Truzcß durch Yoimittclung des psychülugiäclicu luid sozialen Mecha-
nismus Tolliidit'
1) Aach Tröltsch a. & 0. stimnat dieser Anftumatg zn 8. 122f^ 138f.
2) Diesen Eiiiwm I ma< lit I.am(in^<;ht, .Tahrbü< hrr für Xatinnalökonomie VoA Statistik 1687
8. IGIL Herder und Kant als Tbeorütilicr der Qeijckichi8wi.stieQ8obaft.
3) Lanipiiecht a. a. 0. will die Gesclnolite i«in luniMl «nffnaseo, auf Gmad «ner medriiatoolMn
So2iali>syc:hol<if;io, und alle Idft'n ;nis (i<.>r (ii-schiflitt' juissc-lilioIJen, und will f. nuT nttr N:rti inal-
guscbicbte, nicht aber Welt^eschicbte, hikbätvns lukuieboDg^üUen der Mutioniü^escbichtün. Aber
wenn «r Kant GescbiciitskoDstniktioa vonrirft, so fibcnieht er dabei völlig, dofi seine eigene Tendeot,
dio OcjichirLte nur knutiid zu vi-rst'-lion, ilcoli am Eridf ok-nsr» auf a|>riori>(Ii«>n Voraus-x^tzungfin
ruht, vermöge doreu er die Induktiuu fitr die einzig borechtigto Methode halt. Es ist aber gar
täctt in Abtede an stellen, daB man audi da, wo man mit Kant den Uecbamsmua, anch den
p^ydiologisclien und snyj'alpsyfhitlogisi.Iii.'n, dorn ti'li-n^vri;i(.ii,,fi IVinzip oder dem Prinnp der
Vernunft in der Ueächivhte einordnet, der kMU.Nalen üftrachtung vulUcommen {{erecht werden
kann, die Laupredit will, obne ▼dllig exldusiv g«gen dm Oeist in der Oesehichto m werden und
den ^' i t in den |M^boi«gi8oben Uechanismiia and diesen ia den allgenwben Nattumeobanismoi
aufzulösen.
Dorner: Über die EntwiokhuigBidae bei Kant
77
Aber damit ist seine Betraciituug nicht abgebe hl osseii. Xiclit bloß die tech-
oiscbe, auch die nioralisohe Yemuiift kommt für den Entwicklaag^ng der
Mensehheit in fitttraeht Hier miiA nun notwend^f die Ftrage entsteliezi, wie der
Natunweclc der Kultur, der ach in der EntwicUnng der Gattung realisiert, au
dem Teronnftswedc and seiner Bealinenng in Yerhflltnis trete.
Der nfichste ZaeammenstoB swiaohen dem Einflofi der pralctisofaen Yemunft
und dem Katunweck eigibt sieh bei der Entstehung dee Staates und der welt-
bürgerlichen Yerbssung. Wenn Ennt YII, 329 sagt, daß „alles Gute, das nicht
auf dio moralisch gute Gesinnung gepfropft ist (wie Zivilisation zu allerlei
gesellschaftlicher Artigkeit und Anständigkeit, Kultur durch Kunst und Wissen-
schaft! für sich lautor Schein und schirnmerndoR Klond ist, daß in diesem Zu-
staiule (]a'< menschliche (ieschlt'cht vcrblcitiea werdo, bis es sicli aus dem chaoti-
schen Zuj>tand st inpr Stiuits\ crliiiltniss«' herausgearbeitet haben wird", so ist hier
jedenfalls diks Wellbüigeituiu aLs die \'üibedingung für einen wahrhaft inorali-
schcu Zustand aufgefaßt Ob nuu aber dieser vollkomuene staatliche Zustand
nur als Natunw«^ betrachtet wird, wie wir bisher gesehen haben, oder ob Kant
ihn selbst sugieieh als moralische Au^be ansieht, das wlie die Frage. Und in
dieser Hinsicht gibt Kant eine doppelte Antwort Der letzte Natunsweck ist fOr
ihn zagleioh Forderung der praktischen Vernunft
Kant hat das Recbtsleben selbst in seiner Bechtstehre ▼en 1797 auf die
praktische Yemimft gegründet Nach ihm ist das erste, was die praktische
Vernunft fordcni muß, daß die Freiheit eines jeden mit jedermanns Fieiheit
bestehe, damit sie sich betätigen könne. Das Recht ist der Inbegriff der Be-
dingun^on, unter denen die Willkür des einen mit der Willkür Hos andern nach
einem allgemeinen Gesetz der Freiheit vereiiiiirt wenlen kann. Das Reeht ist al^o
die Basis für die Betätigung de-, niotalisi htii iVlenscheii. Kant Dieinl, daß eo
ipso mit «h'rn Recht Zwanj? v»nl)undea sei. weil es das Recht der Fi'eihcit ist,
sich selbst üu behaupten. „Das .-vtiikte Recht kann auch als die Mügliclü^cit eines
mit jedennamis Freiheit nach allgemeinen Gesetzen zusammenstimmenden duiüii»
gängigen wechselseitigen Zwangs vorgestellt werden.** Das Recht hat nun als
Yemanftrecht oder Katuxrecht die unwandelbaren Prinzipien für das statutarische
fiedit anfanstellen. Das statutarische Beoht entsteht durch die poeitiTe Gesets-
gebung des Staates. Wenn im Naturaustand jeder seine Freiheit und sein Eigen-
tum nur selbst schtttsen kann, so ist dieser Zustand von der Yemunft nicht gebilligt^
weil bei dieser Verteidigung die subjektive WDIkür den freiesten Spielraum hat
Der Eintritt in den Stjiat ist also von «lor moralischen Vernunft gefordert. Die
Verfassung des Staates muß die Freiheit aller fiQiger wahren und so beschaffen
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78
Dorner: Ober die Entwkkhuigüdee bei Kant
sein, daß sie dies TDiDkomnMii tut; l»s aie diesem Ansprach voll genügt, ist sie
nur proTisorisoh. TSbeaw sind die Staaten nnteieinMider im Natunastaad und
dieser Zustand ist ebenfalls durch einen allgemeinen Staalenverein in einen
peremtoriadiea Beohtsaustand au verwandeln. Bevor das eneiebt ist, haben die
Staaten das Recht der Selbstverteidigong im Kriege, wiewohl die Vernunft ihr
unwideratehlichea Veto ansspricht, es soll kein Krieg sein. „Man kann sagen,
daS die allgemeinr forManomdo Frlodensstiftung nicht bloß einen Teil, sondern
den ganzen Endzweck der Reclitslebre innerlmlti (lor Grenzen bloßer Vernunft
ausmacht" Das abstrakte Gesetz der praktischen Vernunft wird hier zu einer die
Geschichtsentwicklung gestaltenden Macht, indem die Vernunft in allmählichem
Prozeß das natürliche l>eben des Med^clu^n unterwirft, ijuieiii si*' Staatenhildung,
fortschieitonde Verbessening der 8tant>vt riu.ssung, Verbiiuhmg der Staaten, Welfc-
biirgerrecht allmählich hervonuft und so den ewigen Frieden anbahnt.
Was also nach der obigen Betrachtung die Natur durch den Antagonismus
der Krfifte zostande brachte, mne Kultnr mit einer staatlichen und weltbfliger-
liohen Ordnung, das bringt hier die praktische Yemunft zustande. IKe Bnt>
Wicklung wfirde hier nicht eine Entwicklung der ÜTatur sein, aondem Tat der
praktischen Yemunft, zu der höchstens die Natur wegen des Streites der Nei-
gungen die Yerantassung gegeben hfttte. Schon im Beehtsgebiete finden wir
also zwei Auffassungen, die nicht gans harmonierea. Einmal erscheint das Bedit
als das Natui-produkt, das andere Hai als das auf Veranlass- uni: des Streites im
Nattirzusüind postulierte und mit Yemunftnotwendigkoit sich geltend machende
praktische Vemunftprodukt. Indes kann man diese Doppelstellung der Sphäre
der Legalität wohl begreifen . wo r-s nicht auf dio Go<infinn*r. nicht luif die Motive
ankommt.' Hier ist eben die Grenze zuisciion <leni XatuirclMet und dem Ver-
nunfteebiot. Da hier nicht Moralitat, sondern Legalität das ( h iiaktrristisclip if?t
so kann man den Staat von zwei Seiten betrachten, als l'rvxiukt der iNot, um
die Naturtriebe in ihrem Antagonismus einzudämmen, dm eben die Xatur durch
den Antagonismus hervorbringt, imd als Produkt der Vernunft, sofern die Ver-
nunft die Förderung des Staates, des Staatenvereina, des ewigen Briedens stellt
Sieht man freilich auf die Voxstellong von der Entwicklnng, so wird diese anders
aufgefaßt, wenn die genannten Ziele durch die Natur hervorgebrachte Natur-
Bwecke sind, ahi wenn sie Erzeugnisse der praktischen Vernunft sind, zu denen
1) Es gibt eine Betrachtung von dem Standpunkt di^r Fonlening dor praktischen Vernunft
und fine BetnichtiiDg vom Nalurzweok au<?. Im ■]!• haben s^'lion Plato und .\ristot<!los auch
beide Seiten der StaBtaentslehaqg hervoigcboben, liaa kiunliohe Bodurfois oiid die Vernniift Auch
Spinoza UBt den Staat eineneitt wie Hobbes am Selbstaacbt entateiieii und aeht dodt io ilmi
z«0eicib fline Offeabarang dar YemvnfL
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Dornai: Über die EotwicUaiigaidee bei Eaot
79
die ^'atur nur die Yenmlassung gibt Das eine Mal haben wir es mit einer nattlr-
lidien Entwiekhiiig «i tun, das andere Hai mit einer Itat der praktischen Yemiinf^
welche die Natur in ihre Schranken weist, oder welche im besten Falle sich in
aUmäUiofaem Ftoseese die Naturtriebe dienstibar macht Im ersten ISille wire
die Gcnehicbte der Staaten Naturprodukt, in dem zweiten lUle beruht der Fort-
schritt auf der Tat der praktischen Temnnft, die die imgeoidneten Naturveriialt»
nisse in fortM^ireitendem Haßo dem Rechte unterordnet
Wenn es im Gebiet des Rechts noch möglich ist, die Entwicklung des-
selben auch auf natürlichem Wege zu verstehen und aus dem Antagonismus der
Kräfte, die die Xatur in dfii Menschen gelegt hat, mit Hilfe der technisch-
praktischen Vernunft bügri»iflicli zu machen, so ist dies im Oebietc der moralisch-
praktischen Vernunft nach Kant uinnö^-^lich. Hier ci7;el)en sich verschiedene Ge-
sichtspunkte für da.s \ tiihäiliüs der praktirichon Vernunft zur Entwicklung, je nach-
dem der Vemunftzweck aufgefaßt wird. Einmal hat Kaut den rein apriorischen
Charakter der praktisdien Temunft hervorgehoben und hat die Freiheit als den
Realginmd des moralischen Gesetzes, wie das Geseta ab den Bikenntaisgrond der
Freiheit bezti<Anet Danach scheint es, als ob die moraliseh'-pralrtisehe Vernunft
in TOlliger Autonomie Teihaxrte und die moralische Freiheit ais gute Gesinnung
«ich Tellig seihst gentkgte. Aul diesem Standpunkte kann eigentlich Ton einer
Enhricklung nicht die Rede sein. Dieser Sdbstaweck ruht Töllig in sidi selbst
und eine Beziehung ZU der Natur scheint überflüssig. Da aber der Mensch einmal
doch zugleich Sinnonwcsen ist. so würde nun höcbatena die Forderung bestehen,
daß auch die Sinnlichkeit des Menschen, die Neigungen so eingeschränkt würden,
dsif? sie dem mnraüsehen Onsptze nielit widersprechen. Nach dieser Seite licnierkt
Kant, (lali die Vernunft als Sclüi'(i-ri<'iit>'riii auftrete, wenn der .\n1aironismus der
naturliciien Triebe sich geltend maciie, um sie von sich aus oinzu.schra nken.
Die Achtung vor dem Oesetz soll die dauernde Gesinnung sein, die sich als Trieb-
feder des Handelns anter der Voraussetzung betätigt, daß wir als hoiuo phaeno-
menon, als empirische Menschen einerseits dem Gesetze mit unseren Neigungen
nicht entsprechenf andreneits aber doch als homo noumenon, als Teilhaber der
praktischen Yeninnfi: uns wissen, die an uns die Forderung stellt so. herrschen
und als Antrieb durch das Geföhl der Achtung auf den Willen virfct, um die
Neigungen dem Gesetz gem&B einzuschrfinken. Bei dieser Auffassung kann im
Grunde von einer EntwieUimg schwerlich die Rode sein. Die apriorische Ver-
nunft ist zeitlos und beansprucht die Herrschaft ihres Gesetzes auch für die
empirische Welt der Neigungen. Diese Ethik ist wesentlich Gesinnungsethik,
bat durchaus formalen Charakter, indem überall nur das allgemeine tiesetz ein»
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80
Doruor: Über dia Eutwicklungsidee bei Eaat
■ohrftnkend auf die Keigiingen wirkt Nidite famn im vollea Sinne gut genannt
werden th ein guter Wille.
iUiein bei dieser Aufiissung, die einen sduroffen Dualismiu Terrätf ist
Kant nicht stellen geblieben. Er stellt fielmehr nelMm dem lein fonnalen allge-
mein gttltigen Oesets, das uns für siob allein als die formale Vemnnftbedingung
unserer Freiheit verbindet, ohne von einem Zwecke als materialer Bedingung ab-
zuhängen, ein Qesets auf , da-s doch auch a priori einen Endzweck bestimmt, dem
naciiz II streben e>* uns vobindlich macht, und dieser ist das höchste durch Frei-
heit mögliche Cut in der Welt. Bas hoehstn Out für das oiidlichf vemfinfti^e
Wesen ist Olücksfliirki-it. ahcr nidit für sich allein; als solch»^ fiir sicli alloin ist
sie nicht einmal Xaturzweck, buiuieni nur unter der Bedinpiuii; iN r Kinstinimung
des Menschen mit dem Gesetae der Sittlichkeit als der Würdigkeit glücklich zu
sein. Üio Verknüpfung dieser beiden Fakturen der moralischen Würdigkeit und
der Olflckselif^eit ist nun aber nicht bloß Sache des dnselnen; sie ist nur in
einem Beidie der Geister realisierbar und setst voraus, daß die Natnr sidi dem
sittlichen Zwecke unterordne. Auch hier macht Kant xuniehst seinen BuaUsmns
geltend. Die Empirie neigt den Zwiespalt iwisehen der Katar und dem sittlichen
Zwedke. Der Begriff der praktisch«! Notwendigkeit dieses Guts stimmt nicht
mit dem theoretisebcn Begriffe von der physisch bedingten Yerwirklichusg des-
selben zusammen, wie die Empirie zeigt. Trotzdem bleibt Kant nicht bei einem
völligen Dualismus zwischen der Natur und der praktischtn Veniunft stehen.
Das zeigt sich besoudei-s in der Kritik der rrfoilsknift Viohiiolii erkennt er in
dieser die Möglichkeit der Vereinl»arkeit iM'iiii r an. obirleieli empirisch ein
Gegensatz zwischen der NTatuiseite um! lier piaktisele'n Vioriunft besteht. Die
Natur ist doch den Juinvirkuiigen der prakiisclieii Vt'rmmft zugänglich. Das
beweist sie durch die Kultur, die in Wisseuschaft, Kunst, Recht vorbereitend
fOr die monliiche Dniebdringung der Natur wirict, d. h. dafür, daß die Natur
der monlischen WOidigkoit gemäß Glückseligkeit bietet Oerade die technisch
praktische Yemnnft, welche den Menschen Uber die Stufe des Instinkts hinaus-
fahrt, macht ihn auch als Natnrwesen fQr die F^iheit zu^^inglicb. Ton hier
aus gewinnen auch die Neigungen einen teleologischen Charakter, indem sie durch
ihren Antagonismus nicht nur die Notwendigkeit offenbaren, daß die Tetnunft
als Schiedsrichterin auftritt und ihre Forderungen geltend macht; vielmehr fügt
sich die Natur mit ihrem Naturzweck, der Kultur dem Zweck der momlischen
Yomunft ein, und die Tätigkeit der Vcniunft ist nicht blolJ negativ einschränkend,
sondern sie harmonisiert die Xntnr. die der ]n-,iktisehe!) Vernunft in ihrem Kultur-
sti-ebcu selbst auf halbem Wege entgegenkommt Auch darin betätigt sich die
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Börner: Über die Entwicklaiigsidee bei Kant
81
pnktiselie Temunft, daß sie die Qlfiokseligkeit anderer befördert, wa» er in der
Tagendldue luwb TezscbiedeneD Seiten auBfUhii Er ei^ennt also eine positiTe
Tltil^eit der Temunft anf die Natnr an, die nach dem Hafeiabe der moialisdien
WQidigkeit auch die Natur ala Mittel für die Oiadueligkeit yerwendet Und
irihrend der Natunweck Glückaeligkdt für sieh nioht sein kann, weil die
Natar für sich kerne OlQckseligkeit herrorbiingt, so kann die von der moralisohen
Temunft behenschte Natur wohl zum Mittel fOr die OlUckseligkoit derer vor-
wendet werden, die als moralische Menschen ihrer würdig sind. Auf diese Weise
kann also durch sittliche Tätigkeit der moralische Endzweck nach und nach herbei-
£rf> führt werden und dif praktische Vernunft ist hier dio Qik»]Io dos moralischen
Fortschritts in der Welt, iJisofern sie durch ihre T.itipkoit den letzten "Weltzweck
fördert, dem die Natur auch dienen soll. Der letzte Naturzweck, die Kultur
und die bürgerliche Verfassung ist das Mittel für den hiiclusten meralischen Zweck.
Auf Grund des Rechtis können ungehindert alle Naturanlagon sicli outfalten, wie
es der Katsrsweok will, und die praktische Temunft kann atdi ihreir nur Her-
stdlnng des Reichs moraUscher Geister bedienen. ISo niOndet der Natunweck in
das Beich monüiacher Zvedte aus.
Hassen wir das Besultat dieser Untwsuchang suaammen, so aeigt sidi Ton
der mondisohen Temunft eine doppelte Auffassung. Das eine Mai scheint die
Temunft nur als die liacht, welche die natfidichen Neigungen einschrSnkt Da ist
ein Dualismus zwischen der natürlichen Entwicklang und der praktischen Temunft
vorhrindeii. T)as andere Mal scheint der Naturzweck mit seiner Entwicklung in
den Zweck der praktischen Vernunft oinzumiunlen und diese erscheint als die
Vollenderin der nntfirlichen Entwicklung, deren TiosuUate sie für sieh vorwondet
und harmonisiert. Erst dureli sie kann es dahin kommen, daß die Naturanlagon
sicli vr>ilig harnuiiitscli utitfalten, daß die der moralischeu Würdigkeit cutspreokoDde
Glückseligkeit erreicht wird.
Deuäclbcn doppelten Standpunkt zeigt Kant auch in seiner Auffassung des
BSsen. Wenn es seiner Hmung nach die Neigiuigon waren, die der pcaktischen
Temunft Widmtand le»teton, so frug er, woher dieser Widerstand der Neigungen
komme. Nun ist die eine Betrachtungsweise die, daS gerade diese Neigungen
durch ihren Antagonismos die Tätigkeit der technisch praktischen Temunft und
auch achliefllieh der moralischen Temunft herausfordem und so im großen Zvl-
sammenhang betrachtet sich als Mittel fQr die Anregung zum Fortschritt erweisen;
die Natur entwickelt sich rascher als «iic Vernunft, die anfänglich noch schwach ist
und erst der Anregung durch die schon ciitwickelto menschliche Nutur mit dem Anta-
gonismus ihrer KiSite und ihren Neigungen bedarf, um in krüftigoro Aktion au treten.
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Doraei: Über die EntwiekinDgudee bei Kant,
AUein auf der mdeam Seite knmte Xsnt bienbd dodi nicht lüehea bleibeD,
wenn er dem Menschen a priori Freiheit aiuchrieb, die von aller Empirie unab-
hlngig sein sollte. Wie konnte diese Freiheit sich gegen die Neigungen so
sdiwach »eigen? Wenn Ton der Natur aus gesehen der Antagouismua der Leiden-
Schäften als ein Anregungsmittel für die AktiTitSt der Vemunft erscheint und
80 dem Zweck der MoraKtSt dient, weldie auf diese Anregtuig hin sich um so
energipclinr hntäti'j-t. sn ist von dar Vorminft und Freilioit angesehen die
Schwäche der Vernunft als eine luindorwortige Betätigung der Freilieit zu be-
urteilen, und da die Freiheit sich br1;Uii;i'n kann, so ist dioso Schwäche auf
einen AMhU, oinen intelligib!«»n Fall /.unirk/.ufüiiicii. Katit hat diosi;? Moinuog
in der Keiigiim innrrhalh ili r Urenzca l>loliiT Yenniuft ausgi^spniclK'ii.
Von der Natursoiti' aiii^csohen kann iiuui aLso sagen, was dii^ Xatur für
sicli hurvorliriugt, ist dci AiiUi^itiiisiunü der Kräfte, die dadurch zur litjtjitigung
gereizt werden. Die Neigungen sind ferner das Mittel, durch das die Natur die
praktische Veinunft sur Aktion swingt, die anfangs noch schwach ist Von der
ethischen Seite angesehen muß man aber sagen: daß die Yeraunft noch nicht die
Hensehaft führt, daß die Natur selbständig in ihren TMeben und Leidenschalton
sich betätigt, daa ist die Schuld der Freiheit, die sieh hätte betätigen sollen.
Ton der Natur aus angesehen, zeigt die Entmoklnrtg des Natursweeks eine Yost-
bereitusg für das Sitfliche, in der Kultur, im Staatsleben, und ebenso in dem
Antagonismus der Naturtriebe, der die Vernunft als ordnende Macht herausfonlert,
also eine Zielstrebigkeit auf das Sittliche. Vom Sittliclien angesehou aber sollte
die jcderaeit gleiche apriorische Vernunft inimor dip lIiiTschaft haben, und daß
sie dieselbe nicht hat, bfruht !Hif einiT Suiiulil, daniuf, daß sich die Froilipit in
der Knipirio nicht gultcnd geniaelit, (ialJ dir Vemunft die Hensehaft nicht be-
hauptet hat. \)')rso lotztorf» Anffa>siin;,^ paßt nicht w^iil in die Entwicklungslehre,
weil sie von uiaor übuizui (liehen Freiheit ausgehl, die gefallen i^t.
Das fiösc ist olsu das eine Mal ein Durchgangspunkt, der den Übei'gaug
sn einer vollkommeneren Entbdtung der Yemirnft bildet, daa andere Mal hat
es absoluten Charakter als radikales Bfise; es ist das eine Mal auf eine Schwäche
der noch unentwickelten Yemnnft Burdekzufflhren; das andere Mal ist es ein
Akt der Ftoiheit in einem intelligiblen Fall.
Wie in besug auf die Beurteilung des Boaen Eant einen doppelten Stand-
punkt einnimmt, so auch in bezug auf die Befreiung von demselben. Dem
intelligiblen Fall entspricht eine intelligible Umlcehr. Wie das Böse eine falsche
Griindmaximo des freien "Willens ist, so ist auch die Umkehr eine Umkehr der
Gesinnung, der Qrundrichtung, die intelligibel ist, also eigentlich überzeitlichen
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Dorser: Ober die BntwiddttqgaidM M KmA.
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Charakter tni^^t Diu Gruudgesinnung der Achtung vor dem Oesctz wird zur
herrschondou Maxime gomacliL Aber diese Uiukehi', eben weil sie überempirisch
ist, künneu wir nicht feststoUcu.
Aua dieser Berolnti<m geht aber eiike Befoim hervor, die sich in der cm-
pirischen Welt »eigt Die allmMhUoh fortsohieitende ^mohaft der guten Oe-
sinmuig offonlMurt sidi in dieser Beform. Zimlchet freilidi wird das in besag
anf die Binschrfinkung der Neigungen betont und da nucbt sieh der dualietisciie
Standpunkt immer no<^ fllUbar.
Aber "Kant gebt weiter, indem er den Fdrlschritt nicht UoA negatiT als
lieform auffaßt, sondcni auch positiv so, daß es immer mehr gelingt, dnroh
Tätigkeit dns höchste Gut zu fördern, die Glückseligkeit in Harmonie mit der
moralischen Würdigkeit zu mehren, und hier kann die EntwicklnnL' i;!t:c wieder
anknüpfen. Donn wonn die vol!o Entfaltung der Anlagen der Natiirzwt'ck ist, der
nur vollkommen realisierbar ist, wenn (iicso Anlaj^on harmonisch goonhict niciit
einander widersprochen, su wird dieser Xaturzweck erst durch die murulischen
Personen voll erreicht, welche den moralischen Zweck, die Befördcnmg des
höchsten Gutes zum Inhalt ihres Willens gemacht haben und iich bemühen, für
dieeea Ziel tätig zu sem. Yen hier ans liBt sich ntin sagen, daß die Xatur
ihren Zwe^, die möglichste Entfaltung aller Anlagen , völlig nur durch die sitt-
liche Tätigkeit erreiche, daß slso die Entwicklung der Natur in den durch den
guten WiDen henroigebrachten Fortsehiitt ausmOndet, und hier etat ihr Ziel be-
friedigt findet, da ohne das moralische Qeseta, ohne eine sittUche Tlltigkmt der
Widerstreit der Exfifle nicht vennieden wird, der zwar sugleioh auch der Antafi fOr
ihre Stelgentng ist, der aber doch einer hannonischen Ordnung schließlich Plata
machen muB. Was als radikales Böee ron dem absoluten Standpunkt der Moral aas
aufgefaßt wird, ist, wie wir sehen, von dem Standpunkt der Naturentwicklung der
notwendipo AnlaR, um alle Kräfte zu entfossipln \m(\ d'w tpfhntsch praktische
Vernnnfttätii^ktMt anzuregen , und oixilieli die moralische Vci nimft zu veranlassen,
daß sie sich als schiodsrichterlieh itnhieiiile und harmonisierende Macht gegenüber
den Naturanlagen geltend macht, die uutcr ihrer Leitimg sich erst voll entfalten
können, weil sie hier einander nicht mehr stören. Diese Ansicht hat Kant auch in
einw Ueinen Sduift interessant belenchtet, die von dem Ende aller Dinge bandelt*^
Esnt hat, wie er frfiher in seiner Natnigesohichte des Himmels sich Ober
die irdisoiien Teritaitnisw hypothetisch hinanswagte, £ür die Einzelnen seine
Theorie von dem Fortsdiiitt dadurch nun Abschluß gebracht, daB er eine über
1) Bd. 7 a4llL
Dorner: Über die Entwkklaagsidee hei Kant
diMM Lebsn hiiiftttsgfiiuffidB Betätigimg dos aätfliolieii Willens, dne foitadiräteB^
monüiachd Täti^^eit annahm, die in aufieriidischea S^iMi»n sich fortsetmi,
die aber nnr die BetStigung der immergleichen guten Gesinnung sein sollte. Der
Gesinnung naob ist der Mensch noumenon und ist keinem Zeitvrechsel unter-
worfen; nnr die BetiUigung schreitet fort Daß dieser Fortschritt aber immer
sugleich noch UnvoUkommcnheit in sich sehließt und nnr eine fortgesetzte An-
näherung an die Vollendung des Iiöchsten Gutes stnttfindet, hebt er ausdrück-
lich in der kleinen Schrift, das Ende aller üiuge, hervor. Hier fintlct er die
Vorstclltmcr, daß alle Vt riindprnn!r in physisch - moralischer Hinsicht aufhören
wird, onipöi'end, wiihroiul aiiili'ri'i'><Mi.s dio rinr«? owicron FortThritts ohnt^ Kr-
reichung des Ziels zu;,-Ii'ioh ein l'nispokt in oiiie uneadliche Kcihe Mm Übeln
sei. Kant hat liier <liiraiif hingcwii scn. liaJi wir theoretisch über dieses Dilemma
nichts ausmachen können, sondern nur praktisch bei der VorsteUiiug stehen bleiben
sollen, weldie der sitflidien Idee am firdeiüchstm ist, bei der Idee des Sbrt-
schritls, wo man dann den Erfolg aus den zum besten Endzweck gewählten
Mitteln ^er Yorsehnng fibetlassen solL In dieser Hinsicht macht er besonders
geltend, daß man das Chiisteatom nicht so auffassen solle, daß die Wahl des
Endzwecks durch Fnrcbt vor Strafe oder Hoffnung auf Lohn bestimmt, oder
durch das bloße Fflichtgesefs geboten sei, sondern daß man ihn frei wühlen
dfirfe, frei den "Willen Gottes sich aneigne in der Erwartung, daß (Jott i^oneii^t
sein werde, da^ Weltbeste herbeizuführen (426). Kant bleibt also zuletzt, ia
bezug auf Erreichung des Endziels, im Un^f-Jtimmten, dn er nicht detrrnnfisch
verfahren will, und beschränkt sich auf d;is piuktisch Wertvolle. Deshalb gibt
er ühorall der iioffnung Aundnick, dali du- .Menscldit'it vnin Scldochteren zum
Be.s:!ieren fortschreite, selbst in dem ,leii.>eiLs. Im Fortschreiten des nieti.schlichen
Geschlechts werde uiclit die Kultur der Talente, der Geschickliclikeit, des Ge-
sdmiacks, fiberhaupt die Sntmeklung dw Kultur dauernd der Horalitlt voraneilen,
was für die Sittlichkeit und das physische Wohl gefilhrlich sein würde, sondern
die sittliche Anhige der Menschheit werde schließlidi die Kultur, die sich in
ihrem eilferfigen Laufe verfangt und oft stolpert, ftbeiholen und auf die Kultur so
mäßigend einwirken, daß sich die Glückseligkeit nach der Mondität nditet (417).
Kant betrachtet also hier den Prozeß der menschlichen Geechichte so, daß die
Entfisltun!: dor Kultur der Entfaltung der Sforal voranoile, daß aber die mit der
Kultur verl)undenen Nachteile, der Antagonismus der Kräfte, sowie der Überschuß
der Bedürfnisse über die Mittel, sie zu befriedigen, einmal doch diese Kräfte
selll^;t stärke und übe, sodann idier zur .\nrpf;iinL' der Moralitiit diene, wolclie
allein den cudämouiscbeu Trieb in seinen niiumigfacbon Erschoinungsfürmcn in
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Dorner: Über di« Entwicklaagsidee bei Kaut
85
gesetzmäßiger Weise haimoniacli gesbdten und befriedigen kann, und dieser Fort-
sdiritt 800 rieh selbst in einem jenseitigen Lebm fortoeteen.
So angeselien ist die Zweoktheorie "Kmta und seine AuiEassung ron der
teteologisehen Entwit^lnng der Uenscbheit einheitlich, sofern der Natuisweek
in dffln Wü^nnofi durch die Stetgerang der Oiganismen Mb «um llensch^ und
durch dir Stpijomag der monschliclicn Anlagen in der Kultur sich durohsofzt
und mit Hilfe des aus sittlicher Gesinnung hervorgehenden Handelns ailmühlich
vollendet w'ml, sd ilaH ullo Anlagen rl-^r N'iitiir tu der mcnschlichon Oattung
realisiert werden und in der höchsten .Sittlichkeit auch dor Naturzwock seine
Yollendung erfährt. Nur ist die Art. wie dieses lotzto Ziel erreicht wird, hier
nicht in einer gerade ftutschreitonilcn Linie gedacht, sondern so, daß zuerst die
sinnliche Natur selbständig sich entwickelt und die technische Vernunft in ihren
Dienst uiuuut and der moralischen Vernunft voraucUt, bis schließlich die prak-
tische Temunfl ihre Hemchaft durdisotst und dann auch alle Xatunnlagen
harmonisiert Die Entwicklung geht also durch awei Stadien hindurch, eines
unter dem Tonuieilen der Sinnliehkeit und eines, wo sie der mondischen Ver-
nunft unteigeordnet und nun erst voll harmonisiert wird.*
Noch ein«! Schritt hat Kant getan, um den Vortsehiitt der Horat zu be-
gründen, er hat sie auf die Religion und die religiöse (lermunsehaff irf>stiitzt,
und auch hier kommt dio Idee der Entwicklung in Betracht Die Moral für
sich kann zwar die Harmonisierung der Natur vorsuchon, zumal ihr die Natur
durch ihn- Zielstrebigkeit ent^ogcnkoramt Aber dir Vnrau';«;ptzung für einp rolle
Uaruiunisierung von Vernunft und Natur ist doch dies, daß beid<? auf dieselbe
Einheit zurückgehen, daß im letzten intolüfrihlen (rnind Natur und Vernunft ge-
eint sind. Dieses Jknvulitsoin, daH diis Nutiugo.süU und das Sittongesotz auf
dieselbe Einheit zurückzufüliren sind, ist für das Handeln außerordentlich wertvoll,
weil darin die Gsnntio daf&r liegt, daß die nurmonisiming von Yemunft and Xatur
gelingt Nun ist aber diese Garantie um so nötiger, da empirisch die praktische Ver-
nunft auf Widerstand seitens der Natur außer und in uns stoßt Um die Hoffnung
aufrecht lu erhalten, ist deshalb Gott ein Postulat der praktischen Yemunft, der für
das, was in unserem Handeln und seinen Besnltaten mangelhaft ist, die Aussicht auf
Ergänzung desselben gewährt Die Religion ist dann das Tun des Sittlichen als Gottes
Gebot, verbunden mit der Hoffnung, daß, wo unsere Kraft nicht ausreicht, Ckitt
ergänzend eingreifen werde, wenn wir auch die Art dieses Eingreifens nicht wissen.
1) ist n beaditeB, daß Schloionnadier sich die omnchlichö Entwidchraf; iOiididi denkt:
zuerst überragt das »iiiiilicht' ßewuCtsuin thus GottesbewiiBtsein, filt ihm in dyr Entwiekinng tOISO.
Üaaa kommt die Periode der Uerrsubalt des Gottchbewuütäeiiu mit dem Chrijiteatum.
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Dorner: Über die EntwickluBguidofl bei Kant.
Auch hier seigt sich eine doppelte Aufßimimg. Das eine Mil wkd das
radikale Böee, der DaAliamua stuk betont Die fieligioa des gaten Lebenewandela
bedarf der Gemeinschaft; für die Kräftigung des moraliach-reli^fiBeii Bewußt-
seins, zum gegenseitigen sich fördern im Guten ist eine Organisation der Ge-
rni'iiisL'liiift, eine Kirche nötig. Um organisiert zu sein, muß sie statutarisclien
Charakter annehmen. Üa nun aber durch das radiicaln Tlüsi' dor Monscli in die
f^inTilichkr-it verstrickt isJ, so leidet danmtor niifh dio Kircho. Dor eudamo-
iiistisrho CliaraVtor fiilirt dazu, daß di«- ^ItMiscIii ii ilas st;iliit;u"ischo Element zum
Gutte.-iilinn.st für sich ninehcn, durch sulcliuu iiulli>n'n Di^'ii.st bei (»Ott in Gunst
kommen wollen, als .siuulicho die Religion versinnlichen. Was also Mittel zur Pflege
dor Moral! tat ist, die organiderle Ganeinachaft, wird unter dem BinfluA des radikalen
Bosen zu einem Institut ftufierer Statuten und Obsorranzen, die nur ein Klerus
kennt und Torschreibt So entsteht Afterdienst und Ffaffentum. Daau kommt^
daB, da man gerade um dos radikalen Bösen willen die Kirche als ein gBttlidies
Institttt ansieht, man auf die histonsehe Stiftung derselben als eine göttlidie be>
eottden Gewicht legt und an Stelle dee reinen BeUgions^anbens den historischen
Glauben an die göttliche Gründung, göttliche Stifter, heilige Urkunden, Wunder
und ähnliches zur Bedingung der Seligkeit macht, wo dann wieder ein Klerus
der berufene Interpret des historischen <}lauben.s ist. So entsteht ein Verdorben
der statutiirischen Religion, «iom, wie die vorchristlichen Religionen' schließ-
lich auch da« Christentum scib-t vorfallen ist. Start dali der reine Religionsglaube
iü den Mittülpuukt tritt, den zu pflegen die (Jigauisalioa lia sein soll, Avird ein
historischer Glaube und ein äußerliches Zcrcmouionwescn zum Mittelpunkt der
Religion. Hier bleibt nun nur ttbrig, daB eine vollige Umkehr stattfindet, daß
der reine Beligionqglaube den historischen Glauben und das Zeremonienwesen
mög^ohst Terditagt, damit die Beligion Religion des guten Lebenswandels, rein
moralische Beligion werde. Das Statutoxische, das nur Mittel cur Pflege des
reinen Glaubens sein soU, ist Selbstzweck geworden. Hier ist eine Umkehr nötig,
die sddieiUch dahin ffibrai mufl, daB das äußerlich Statutarische dee historischen
Glaubens und der äußeren Zeremonien in dem reinen Religionsglauben veiy
schwinde, der apriorischer Natur in .sich selbst haltbar ist und dieser Mittel an
sich nicht bedarf. Hiur i-t ein schroffer Gegensatz zwi.schen der durch das radikale
Böse verdorbonrn >Midiinii'ni<ti»;chon Relieion statu tarisnh er rriin^tbcwerbuntr und
dem Zustand der wirklich Bekehrten, die die stiituturische .Seite der Kircliö nur in-
soweit zul&isou, slLü äie Mittel zur Beförderung doä reineu Lebenswandels ist Hier
1) In dio.<ioii sind r>- nur ohr^olrio «eoige, die TOQ diesem Terderben veiliiiltninnllig frtä
blieben. KoL ia d. Cr. Bd. 10 S. HUt, 20Stt
Dorner: Über die £ntwiokliiiig8idee bei Kant.
87
ist dw flieh stets gleiclie, übeneiüiohe, rein monüiscbe Oknbe dufoluiUB ^fCde-
gogcn die geschiditliche Vorm, und von Eatwiddung kann kaum die Bede sein.
Sie stattttaiiache Region Ist ein Torderl)en, Aftndienst und Ffaffentum, BeJigiom
der Gnnstbeaeagungi Fletischdienst geworden und muß radikal irerindert werden.
Auf der anderen Seite aber ist doch die rein aptttmsche Religion der
guten Gesinnung nur dnrobzusetzen in der Qemeinsobaft. Seiner Natnr nach
sucht der Glaube sich den sozialen Trieb anzueigiion, mui die Kirche ist keineswegs
bloß um des radikalen bösen AVillen notwendig. Vielmehr liegt es in der Idee der
Kirche nicht bloH unsichtbare Kirche zu sein, sotidorn sie will als (»r^nnisicrto statu-
tarische Formen nnnohnicn. Wi»^ orst durcli «iic Oi^'unisatimi dw bürgerlichen Ge-
sellschaft der Jieclitszustand eintritt, so wird ui-st durch dw Organisation der
Gemeinschaft das religiöse Leben gepflegt. Diese Gemeinschult aber durclilüuft ver-
schiedene Stufen. Da der Menüch wegen seiner natürlichen Entwicklung zuuUchst
endümoaistisoh gerichtet ist, nimmt auch die Religion statatartoehe Fomen an,
welche diesem EadKmonismus entsprechen. Abw diese statutarischen Formen
werden doch cum Mittel fOr die Beförderung der Religion des moralischen
Lebenswandels, indem sie teils als rein äußerliche Zeremonien überwunden, teils
in den Dienst des reinen ReUgionsi^anbens als Vehikel gestellt werden. So ist
der Übezgaog ron dem eudXmonistisohen Naturzustand durch das statutarische
Oesetz vermitfolf, das zuerst in den Dienst der Kudümonic gestellf, zum Mittel für
Gunstbo Werbung bei Gott gomacbt wird, dann aber für die sinnlichen Menschen
diicb als Zuchtmittel für die Kr^ir-hnntj zum moralischen Lebeiiswan<lol dicnf.
Da \vi>rden dniiu diu ln'ili^'-L'ii Urliuiidi'n, iiiLdir dii' mnralisclie W'rnunft erstarkt,
in don Dicubt des reinen KeligioJiöglaubens gestellt, die ( lli-urvaiiÄon zum Mittel
imd V ehikel für diesen gemacht. Je mehr der reine Ktiligiuasglaube sich geltend
macht, um so mehr nimmt er dies statutarische Kirchenwesen in seinen Dienst,
die heiligen Urkunden werden rein moralisch gedeutet, der histori8<^ Glaube
wird Rlustrationsmittel, Symbol far den reinen Religionsglauben, die seremoniellen
Handlungen werden Tereinlaoht und behalten Ihren Wert als Beföiderungsmittid
der moralischen Oesinnung.
So stellt die Religionggeschichto auch den Pnneß dar, wie die Religion aus
dem natttdichen Zustand eudiimonistischer Religion durch Statuten und Ob.ser»
vanzen und historisclien Glauben .sich allmählich zum reinen Itcligionsgiauben
erhebt. Die christliche Religion steht auf dem Punkte, wo die Vcrnunftreligion über
die statutarische l{f»l!£rion sipct utid die J>>tatuten nur als 3fittol für die Beför-
(li>i(in;r des reinen Religionsglau t)ens gelten, und wenn sifh ;\iu h im Christentum
dos statutarische Element eine zeitlaug wieder iu den Mittelpunkt gestellt hat, so
88
Doroer; Über dio EQtwickluogsideu bei Kaut.
ist doch der reine Religiofuglaube id der Oogenwart sq Knft gekommen und
vird «udi immer konsequenter dehin dorolraetsen, daß eile statutariBchen Bin-
richtongen nur zur B^rdenmg des roinen Religionsglanbene Tenrendet werden.
So ist ein Fortscliritt von statutarischer Gosctzmiißigkeit xur moralischen 'EteUuaL
Die Oomeinscbaft wird immer mehr Ocmeinseliuft von freien Gliedern werden,
dio einander in der Betätigung der Bcli^iim iIps guten Lebenswandels fördr-m.
Dio Pi ll hiti 1 \vprd( n \'n!ks]rhrer. Dio sUitutarischo Seite ist da& Mittel der Ver-
wirklichung des reiiK ü Ki'liyionsglaubons.
Kurz aucl» vuii hieraus angesehen geht der Weg des Measchon von dem
oudämonistischcn natürlichou L<obeu diircl» die Vermittlung dos statutarischcu
Oeseteea zn dem moralischen Leben, das in dem Hensoben mittoU der etatu>
tarisdien Ordnungen erweckt wird, deren er bedarf, sofern, er Natorwesen, ompi-
riseher Mensch ist, um durch dieses Gfingelband aus dem endümonistischen
Naturleben mr Religion dee guten Lebenawandois gefQhrt su werden, die der
letate Zweck der Weltentwiddung ist, aul den alles bintendiert Denn in ihr ist
sohliefilich die wahre Vereioigung der Kudiimonte mit der Monüität crroicht und
dadurch erst auch der Katurzweck realisiert, dio voUe Entfaltung aller Katnr-
anlagon, dio durch dio Moralität harmonisiert werden.
Überblicken wir die Ansichten Kants mit Bezug anf die Frage nach der
Enhvickltinp. so finden sich bei ihm veivcbicdcno Klumente. Einmal hat er die
Idee i'iner im chanisch-dynaniischen Entwickhiiif; licr Materie angenommen, um
aus ihr diu WeltkOrper mit ihren Verschiedeulieiton üu erklären und später hat
er auch den Gedaakcn ausgesprochen, daß mau den Versuch machen könne, die
ganze Kette der Lebewesen auf mechanischem Wege au erklSraa; in dieser Hinsieht
kann man ihn einen Yoii&ufer der Dossendeneflieorie nennen. Zu dieser Betrachtung
kam aber die teleologische hüuu. So kam er auf die Idee, die Natur teleologisch-
meehanisdi au vorst^en und er betrachtet sie nun so, daB die gaoae Kette der
Natorweeen im Menschen gipfeln und durch dio Geschichte hindurch eine
gesteigerte Kulturentwidclung stattfinden eoUte, welche im Weltbürgertum ihren
Gipfel erreicht, unter dem sich alle Anlagen sollten entfalten können, die die
Natur in den Menschen gelegt hatte. Hier nahm er also eine Entwicklung unter
drm Gf^siehtspunkte des Xaturzwecks an, der den ganzen Prozeß in seinem
Zu-ainitir tih;in<jf felonhio-i^ch verständlich ma( li-'n sollte und der den Mechanismus
in .sfint'ii Djens>l iiulkin. Allein auch hierbei biiob er aulit stellen, da er bei der An-
wendung der Zwecktheorie nur bei dem Selbstzweck sich [»enihigcn konnte. Dieser
war abor in der Kultiu: noch nicht gegeben, weil diese für sich über den Antagu-
nismns der Kräfte noch nicht hinauskam und noch nichts in sich WertroUee ent-
Dornei: Über die Entwicklungsidee bei Kant
89
halten soUts. Diesen Selbetzveok fand er in der Moxal, in dem Beich der Geister, in
weldiem die Natur dem SittengesetSf die Glückseligkeit der moralieehen Würdigkeit
onleigeordnet sein soUtek Xim konnte er entweder die Moral der Natur und dem
Katnrleben entgegeneetsen oder er konnte die Moral und das Natiirlebcn in oine
Linie stellen und die Entwicklinig mit dem Naturlobon beginnen und in der mit der
Xutiir ge«iuteu Moraütiit enden la-ssen. Die erstere Auffassung führt zu einem
Dualisraiis, wonach die M*>ral nur Einschränkung des Naturleben» zustande brächte
und von Entwickliiiiir keine R(^i:le sein konnte. Da kann die zeitlose apriorischo
abstrakte Vorauuit nur als das Naturleben einschränkende Macht, als rigoristischo
Bekämpfcrin aller Neigungen, als Unterdriiokerin des radikalen Hüseu erscheinen.
Die andere Auffassung würde gerade die AiitagoniMrion, die das Naturlebeu für
«ich, inebesondore die mmschliehe Natur ah UoO Ton tecbniseliflr Tenranft
nntenttttzte Natar herreibnngt, als den Beweis dafür nelimen, da£ die Nator-
entwicklnng für eich dn Fragment bleibt, daß die moralische Yemnnft ais das
ordnende Frinäp sidi betitigen mttsse, das auch die Natnrgegenslitie hannoni-
aiert nnd so das Iiödiste Gut als Endäfil im tinendlidien FtoieB realisiert Die
Stufen, die hier dnrehlanlen werden, sind das Natudeboi mit seinen Iiieben
und Antagonismen, da-s Rechtsleben mit seiner Legalität, die Moralität, welche
das Natorleben der Moral unterordnet, ja so einordnet, daß das Glückscligkeits-
streben nun erst durch seine moralische Gestaltung zu wahrer liarninnischer
Befriedigung kommen kann. Die änßero Lcfralität ist liier das Veliikol und Mittel
für die Durchführung der Morulitut, teils indem (Ins Staatslehen ei'st die
Betätigung der morali-schen Froilieit ermöglicht, teils imioin das Statutarische der
Kirchen zum Veliikel fiir die Fordonuig des reiucu praktischen Keligionsglaubeus
und seine Betätigung gemacht wird.
Kant hat also auch hier nicht sowohl eine Ansicht aus einem Gusse, aJs
Tiehnefar die Anr^ng für Terschiedene Auffassungen des EntwicUungsproUems
gegeben, für die mechaniseh-drnamisehe Auffassung der NaturentwicUung, &a die
mecbanisch-teleologische unter dem Aspekt eines lotsten Natttiswedtea, doi er auf
die Natuxseite der Menschenwelt, und auf ihre geschiditliche im Staatsleben und
Welti>Uigertum endende Entwicklung ausdehnt, für die moraüsehe Auffassung, nach
welcher die moralische Tat der Subjekte den Mechanismus und den Xaturzwock
in ihren Dienst nimmt und mit deren Hilfe durch GegcnsTitzo hindurch im Lauf der
Geschichte dem moralischen Endziel, dem höchsten Gut, sich immer mehr annähert^
1) TriBtsch a. a. 0. noiot, Ibot labe mm draifiMhe GesdiiiAtBlwtniichtaag, die kaoMde
die kritisch rwgulutivi', nach der das Goscholieni' Jt*in Endzwot.-k iHenmi soll — dio metaphyisisch
Spekulative, die den Uau^ dur KriicheinuDgou auf den UrwiUen tbeistiädi zunicklülire. Vielleicht
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90
Doraur: Über die EntwicklungEidee bei Kaut.
Bndlioli aber findet neh bei Kant auch eine AufEusong, die daaiistisoh gerichtet^
der EntirieklungBÜieerie abgekehrt ist, wo die Moral apriorisch tOct ach besteht als
Oesinnnng und nur einscbittnkend aul die Natur, insbesondere die Neigiui|^n
einwirkt Es ist merkwürdig, wie Kant die entgegengesetzten Ansicliten in sieh
verarbeitet hat, die man heutzutuge für unvereinbur liält, einmal die Entwicklungs»
lehre unter einer der geiüinntcn F'^nncn — die ja auch wieder später auseinandcr-
giiiLn'ii, die mechaniscll-(lyllami^^'l'.'■ Eiitwickliincsiilpp, die tclcologischr Kiit-
wickhui^'-iili t' unter dem Aspekt des Natuizweckt;», wu sich die Entwicklung mit
Hilfe des physischen und psycliischen ileohanismus voilzielit, und die Idee des
Fortschritts imter dem Gesichtspunkt der fortijchreitenden Moralität, die die Katur-
foktorea mit ifaren (üegeuäätsen in ihre Dienste nimmt — und die dualistische
Auffassung auf der anderen Seito, wonach die zeitlose praktische Ternunft dem
homo phaenomenon gi^nQbefsteht und nur eine Einschränkung des natürlichen
Lebens durch die Moral, ja eine Beschränkung der Moral auf das Zentrum des
guten Willens gegenüber aller Natnr, eine Soheidung dea praktischen Lebens tou
dem theoretischen Natuierkennen zur Geltung gebiacbt wird und das tbeoretische
Leben, das sich auf das Erkennen des Naturniechanisnius bezielit, für dio "^fnral
der guten (»esinnnncr gleichgültig ei^cheint.* Icli habe in einer früheren Arbeit
Kant mit Sokr;ttcs verglichen, der ebenfalls der Aiifänger einer nonon Geisfes-
ontwickluiiL' war. die sich in den verschiodcnsten Frirmrn darstellt. Die vnrliryriide
Untersuchung bewährt dieses Urteil auch in bezug auf die Entwickiungsidee.
kann iimii iii vli Iii>M'r- -r.,:' n: Xnnt liaf in bezuf; auf die Goschiclito die kausale Betrachtung
(dcu pti^'cltologuscliua MecLanii>uuü auch der Bosiaiiisycbologie) der Betrachtung der Uetichivbte als
Vntnrzirock einordnet and den Natnnnrack scldieBUdi wieder dem absolaten Zweck der Moral
eingefügt, der Vei-wirklichuiiLr di s m-'i-aü nlu'ii Kolchos oder ifIif,Hös dos lü i' hcs (jottos. Gott
tsoü. dia Einhttit des Natur- luid des Sitten^eitetzes giuaDtioroo. Freilich geht Kaut audi wieder
fflr tielde mt den iatellifiblen Grund der Welt, sowohl der ITaiur wie der Yemtuft als
letzte Kiiili'Mt zurik'k, in dein der üef,'eii!>atz lieider, wie der Gegi'ii^.dz v^n theoR^tisiher «uid
praktischer Verouaft moglichorweis« auii^egtichen ist, da nur unsere Vernunlt diese Unlär-
«chiede macht. Sie Konsoquens d ieser ins Ange geftiBten Möglichkeit wftie tieilich «ins Anfhelmng
der Geschichte in Schein, lu für ilie intetloktuello Anschauuu}; alles zumnl l'i -rlumf wirl. der
Untersvbied zwischen dem, was durch uns mitglicü ist (praktische Yurnuuft) und \va.s durch uns
wirkUeh ist (tlieoiet^e Temanft), veischwindet
2) Die Gegenwart .snlicint sieh in zwei I,a;,'er zu teilen. Da-s i.'inu erkennt die Entwicklungs-
ide43 au und vertritt &ie in meehanist-her Fonn oder in dynainiMjh teteolojji.scher Ferm, wie sie in
«eber Art schon Goethe vertreten ha(t-. {Vgl insbesondoie die Aasf&hTtingen von Bielsohow^rj»
Goeüio Bd. II S. 15, 1(5, 20.) Das tuuhnv ist du.i^i h, se<zt Natur und prakti.selio Vernunft,
(heoretisclie.s und iiraktisrlies Krkennen in Gef;i.'HbuU und steigert den ])u;disniu.s uoi;h Uc-
.soudois durch die absolute Auffn.s~ujig vom Bösen. Kant hat die Rleincnto zu boidoD Anaichien.
Bei dem ^>u.1!i^ilJl:s wollte er doch nicht stehen bleilMMi: rr wollte Wich die letzten Oogensatie
doch wieder auf seine Wciau einer höheren Einheit einuiduen.
IV
EINIGE
GEDANKEN ÜBER KANT UND PESCHEL
Du FRIEDRICH HAHN
0. Ü. l-ROFESSOn Dta aEOQBAnUK AS HOL CMVKBSnÄT JtöKiaaBEW»
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gogen Ende des Jatares 1008 mflluwe Hili^edw der Universttlit K^oigs-
berg zusammentraten, um im Gedächtsnisjabre Kants eine dem Leben und den
Lehren des großen Philosophen gewidmete Festschrift herauszugeben, konnte es
nicht zwcifoIl\aft sein, daß auch der Vertreter der Geographie an der Hochschule
Kantj; die Verpflichtung habe, sich an dinspr Fosteehrift zu hpfpilir^eii. Xiclit als
ob US nötig gewesen wäre, eine ganz veiiii ssme Seito der Tätigkeit Kants witnlcr
in helleres Licht zu rücken. Wenn l'aul Lelunann in seinem freist n iclien Vor-
trag, den er 1886 vor den iu Dresden versammeltou dL-utücheu Geographen hielt*,
die Vertreter der Erdkunde auf uoseron Uni?enitäton aufforderte, in Kant den
Ibnn m begrüßen, der ab «ster mit Erfolg daran ging, die Geographie zu einer
lebensttbigen akademischen Diaüplin m machen, so war dies niobt bo m rer-
stehen, als ob die TMäi^eit Eanto auf dem Gebiete der Erdkunde bei den dent-
Mkett Geographen au irgend einer Zmt in uneifreolicba Texgeasenheit geraten
w8re. Im Gegenteil, vie Lehmanns Vortrag selbst, femer die aitatanreiche Arbeit
Ton 0. IL Schöne - und noch manche andere Schriften aeigen, hat seit hundert
Jahren kaum ein Geograph in Deutschland das Wort ergriffen, der nicht in
ir-rrnd einom Punkte seines Arbeitsgebietes in Berührung mit Kant getreten wäre
nnd dios nicht anerkannt hütfo. Insbesondore sind jrtnc:prp Gofiifrapben immer
Stolz darauf gewesen, wenn sie in ihrer Erstlingsschrifi nacli weisen konnten, daß
der Königsberg^r Weltweise sich an einer Stelle s. iutr Werke bereits mit «lern
rroblem beschäftigt imbe, mit dem sie sicii selbst mit größerem oder geringurem
Erfolg abmfihten. Dabei kam es auch wohl vor, daß sie nicht ohne Erjjtaunen
wahrnahmen, wie der große Kant ab Geugruph und Naturfoncher bisweilen nicht
die besten Quellen oder solche, die schon für seine Zeit nicht ganz ausraiebend
waren, benutzt hatte nnd dadurch auf seltsame Irrwege geraten war. fiesonders
die beiden Erdbebenaehriften Kants, so anregend nnd neigdeaen sie sind, haben
1) Kants BodeatoAg ab Bkademis«h«r Lehrer der Kvdkimde. Veth. des 6. I>entacheB
Geo^phentagos, 119tf.
2) Die StenvDg InnamMl Xanls ianerbalb der googr. Wimntdiaft Allpieali, Uonats-
sduift Bd. 33.
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Hftlm: BnjB» Oedanken Uber Erat nnd PssobeL
der Kritik mancheu Angriffspunkt pehotpn. und in dor Tat pehöron sio nicht zu
seinen glücklichsten Leistungen.' iiat man in (iieaem Fuliu uud sonst nucb mohr-
fiwb unleugbare Schwiohea Eukte nidit Mltan mit uabilliger Be^ekülofligkeit
hervorgehoben) so hat w andeteraeiis nidit an Uannem gefehlt, die fCir Eanfs
geoj^rajjdüache Arbeiten, selbet die minder henrortretenden', eine geradem be-
geisterte Terehrung aeigten.
Dahin geliort u. a. der merltwüxdige Leipnger AatropbyaikOT Friedrich Zöllner
(1B34— 1882). Ich denke hierbei nicht an die au manchen Bedenken Anlaß
gebende Tätigkeit Zöllners in seinen letzten LcI»oii>;j;iliren, si.ndern an den Forscher
in der Vollkraft seines Strcbons, als er dor Wissenschuft, die er als erster und
bis jetzt cinzifjer an der Leipziger Univoiritiit vertrat, neue glanzTdllo Bahnen
eröffnete. Zuiilreich. wie die philosoplii.schen Beziehuntren ZöUnci-s zu Kunt, sind
auch die naturwissrnscluiftlich-pfoijmphischen , dio vereinzelt schon in den 1805
ei-schieneu „i'iiotometrijicliiMi l'!itei>iucluniu''<Mi'', il.li.dfin größeren der beiden Werke
mit diesem Titel bervortitteu. Uuld sind es liuuts Ideen über den Satumring
oder Aber den Sehweipnnkt des Hondea, bald adobe aber metaorolo^Md» und
oieauographisehe Probleme, die ZoUner anregen. Wer in jenen Jahren an Zöllners
meist nur von einer geringen Zahl von Znhörem besuchten, aber auf diese einen
michtigen EmiluB aus&benden Yoriesnngen über physische Qeogrephie, Uber
Meteorologie oder Aber Sinnestluschungen (oin Liebling^biet Zöllnen) teil nahm,
der wird sich erinnern, wie eifreut der eifrige Redner war, wenn er nachweisen
konnte, wie schon Kant in irgend einer weniger beacbtelen, zunächst paradox
cisciu'incnden Stelle seiner Scliriften Richtiges geainit oder Woge gewiesen hatte,
die noch immer auf ili.- n cliten Wanderer warteten. .Tr-denfiills (Mn^it litr. Zöllner
damit, d;iR sr<iric Zitliörer Achtung vor dem Geographen Kant gewuruieu, und
manclitr hat duiiijds beim Antitjuar- eine oiler die andere Kantische Schrift er-
standen. Gera spürte Zölln(!r Kant.s Quellen nach und suchte sie noch mehr als
08 Kant möglich gewesen oder angezeigt erschienen war, auszubeuten. Ebeuso
wie Kant fOhlte sich Zöllner an der „aufgeweckten uud gedankenreichen Ifonler*
laehtenbergs hingesogen. Wenn er in seinen Vorlesungen ttber Meteorologie
anf den Einfluit anderer Gesfime als die Sonne auf die Witterung an reden
kam, zitierte er gern den Lichtenber^schen Sata, den auch Kant an die Spitze
seiner erst 1794 geschriebenen Abhandlung «Etwas über den EinfiuB des Mondes
auf die AYitteruug'^ gestellt hat: „Der Mond sollte zwar nicht auf die Witterung
Einfluß haben, er hat aber doch darauf Einfluß!*
1) L Kants Werke. Hartensteioeche Aoagvbe m. 9, 2&ff., Leips« 1839.
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Hthn: Böige Oedulwa ab«r Kaat und PabcImL
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0Iei«h2eitig mit ZfilliLer, 'ftber dessen gsnie «issensofaslOidie Stellnng und
auch &ber seine Besiehimgeii su Eoat man mit YorteilS^lix Earbe» Lebens»
beschreibanj^^ nachliest, lehrte in Leipmg der Geogn^h Oskar Peschd, geliebt
und bewundert von seinen »hlreiehen Schfilern, von der Nachwelt, die nicht
genflgend beaditet hat, daß die knappen vier Jahre der LehrljUigkeit, die ihm
gegönnt waren, doch nur die vielfach noch unreifen Aniftnge seiner Entwicklung
zeigen konnten, nicht immer wohlwollend beurteilt, gerade jetzt aber, wie mir zu
beobacbten vergönnt war, von den angehenden Geographen und zwar ohne eine
hpsHmmtf* Vfnmlnssnnsr wioiler mehr gewnr(li<rt. ohrrleich diese ji» nur seine auch
mit ihren f^chwächeu unvL i wiistlicb anregenden Öchriftea, nicht mehr aber die
EriuneniiiL' nn ?;eino fesselnde rrisiinlichkeit besitzen.
l'i'veiifls .Stulluug zur Philoscphif war eine hvhv i'i^r<-nartiL'r. Simiic I)i»ktor-
dis.sertation, die nie geiliuckt zu si iu 'Jcheint, behandelte ein pliilusuphisches
Thema, und unter «ünen kleineieii, von J. rxiwenborg in drei Händen gesammelten
AMiandluDgen finden sich namentUch im zweiten und dritten Jjaud melueru, die
einen stark philoeophiecben Zug haben. Auch im ersten Band gehört dahin
mehrere ttber Karl Bitter und besonders die Aufeatsraihe Uber den Darwinismus.
Aber Fescbel wollte nicht eigentlich als ein Freund der Philosophie gelten. In
einer Vorlesung sagte er einmal bei einer Zurückweisung au weit gehender
teleologischer Spekulatknen: ^«ino Herren, ich bin kän Philosoph, und ich
habe in meinom T.rbc n wenig Zeit damit verloren, zu philosophieren." Man
könnte über diese Worte ei-schrecken, wüßte man nicht, daß sie nicht so böso
p'nu'inf sind, wie sii> klingen. Hat doch Peschel auch einmal gesagt: Für die
iM wi iti r(iii;r (l(»r 'j-oojri-nphi'^ehen Wi-<i r.schiift i<t ihre l'fk'go an Univeixi täten
wühl ziendicli gleieligiiltig, ein Wort-, <ias er sellüst durch seine 'Tätigkeit aufs
bündigste widerlegt hat. So war Peschel auch trotz a!l<>m «-in philosophischer
Kopf, der über Ko.smo.s und Menschen, über Denken und Erkennen, ja selbst
über fisthetische Ragen viel und gewissenhaft nachdachte. Sind aber auch die
Eiden, die von Peschel au dem Philosophen Knut hinäbeiführon, nur sehr achwaid),
so sind dafür die Beaiehnngen zu dem Geographen Eant um so inniger. Pescheis
Geschichte der Erdkunde zeigt, daß er Eants geographische Schriften sehr wohl
kannte und in Ehren hielt, ja er rechnet Kant ebensogut wie Gattorer, Zeone
und Karl Bitter sn ^unseren Geographen"* und weist Kants in der Form, die
1) Kail Friedrich Zöllner, Ein deutsches Oelehrtonlehro. Berlin 1899.
2) AbhaadL aur Eid- und Völkerkunde, Bd. 1, Unpzig 1877, S.
3} Gesch. der Erdkunde, 2. Aufl., honktu«. von S. Hugo, Httncbeu 1877, Ö.80ti.
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96
H«ba: innige Oedinken Aber Kant and PeacbeL
man ihr gegeben hat, so traurig entstellter physischer Geographie eintn i'luu
neben Totbem Beqimftim und J. R. FbiSter an.*
Pescheb ganze Anffoesung und Handhabung der Erdkunde als Wissensdiaft
zeigt nun aber eine höchst auffällige JLhnlichkeit mit derjenigen, die wir bei Kant
finden. Pesehel -war bekaantlicb nicht ron Haus aus Geograph, er wurde dureh
kanfminnisehe Tätigkeit, juristische Studien und politisch>jouma!istische Wirk-
samkeit hindureb aUmShlidi zur Erdkunde gitfObrt und dadite noch »hn Jahre
vor seinem Tode gewiß nidit dai-an, daß er einmal als Professor der fioo/^inphie
sterben würde. Aus seiner Tätigk(>it an der Augsburger Allgemeinen Zeitung
heraus ging er am 1. Dezember 1S54 zum „Ausland" über, wn ihn ziinärb^t be-
sondci">i die (trenzgi 'biete zwischen Staatsvvi>stMisr'ltiift. Tagesgescbiehte und Krd-
kiüMle iiiiziit^i u. Wie er dann später zur Hescliaftigiing mit M<»i-ph<t|<>gi(> der
Eidiäume giikommen ist, nämlich durch die Prüfung dor Wahi-sclu iiilirlikiit und
Denkbarkeit von Küsten- und lusoluninssen auf allen Kaiten, erzählt er selbst
in den «Neneu Problemen*.* Aber uocb in der kurzen Zeit seiner nur neun
Semester umfassenden akademischen Tätigkeit hatte er sich in ihm bis dahin noch
fremde Zweige der physischen Geographie (z. B. Hetoorologie) einzuarbeiten, und
ee ist edir wahrscheinlich, daß diese umfangreichen und mit äußerster Gewissen-
haftigkeit duichgeführten Arbeiten auch einiges zu dem raschen Fortschritt seiner
todliehffia TTrankheit beigetragen haben.
la der Zeit seiner Leipziger Professur h:iiif ruan schwer sagen können, ob
Pesehel mrln physiselier Geograph, Efhnograpli <ider Wirfschaftsgeograpli soi. es
interessierte ihn alles in gleichem Malle. Seine literarische Tätigkeit zeigt <leutlichcr
vofNcJiiedi^iie Pfinndcn : zmiärhvt »«im.' historiscli-'^'-cdgrapliische. neben f!(>r dio iittBoiNf
viclM'itiL'f ji>urnalisn>fiic Tätigkeit im „Ausland'' lierlicf. dann auf kurze Zt it, aU liie
später in tlen ^Neuen Problemen" ziHaminengefaßt(>n Aufsätze geschrieben wurden,
eine physisch -morphologische, zuletzt eine ethnographische, durch die „Völker-
kunde* bezdohnet Reiben wir aber bei Pescheis Arbeiten für das „Ausland",
so zeigt sich schon in der kleineu von J. Löwenberg veranstalteten Auswahl eine
geradezu staunenswerte Vielseitigkeit Berechnet doch F. t. Hdlwald', daß Fesohel
für das „Ausland^ jibrlieh einen Band von mehr denn 60 Druckbogen 8t&rke ge-
schrieben habe. Es liegt wohl auf der Hand, daß bei einer solchen Tätigkeit, welche
nahezu alle denkbaren, mit der Ihrdkunde nur irgend in Bezidiung stehenden
Gebiete b^cksiohtigte, nicht lauter Meisterstücke geschaffen werden konnten.
1) OcslIi. der Erdkundo, 2. Anfl., heraustr. von S. Kugf, München 1H77, S. 808 Anm. 3.
2) 2. Anfl., Ivoipzifj 1S7Ü. S. t.
3} Oskir Posciiel, sein Leben and Sobaflen, Angsbuig 1876, S. 20.
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Hahn: Einige Oedukea über Kant und FomInI.
97
Wenden vir uns nun wieder «i Ksnt, so finden vir naob in seiner geo-
gnphisohen Wixkaunkeit eine mindestens ebensogrofie Vielseitigkeit, die nnr dee-
iwlb nidit 80 stannensvert erscheint, veil sie eine lange Beibe Ton Jahren 2u
ihrer Entfsltnng cur TetfOgung hatte, wihrend Pemdiel ^dcbssm in diAngender
Esst TOtt einem Gebiet nun tiaävtm eilen mnfite. üntersaohen vir Kanin Tor»
lesungen über physische Ocogr^hie oder das bedenhingsvoUe Yorlesungsprogramm
von 1757, so sobün wir, wie Kant nicht bloß die meisten, heute in geographischen
HaiKlhltchern und Vorlcgung:en bpTüeksiclitif:^ten Kapitel könnt und behandelt,
sondern wie er der Oeotrrapliie aiieli viele, viele Gebiete zuzulilt, die heute kein
einziger Geo^rapii mehr in geographischen Vorlesungen besprechen wird, ^[athe-
matischo Geograpliie, Hydrographie, Morphologie, Meteorologie. Entwicklunfrs-
gcscbichte, um überall die modernen Ausdmckc einzusetzen, sind vertreten, dazu
kommen nodi Kapitel ans der Terkehnlehre (Sdiifiahrt, die dem Königsberger
beeonden nahe lag), ein seltsamer Abritt der Linderknnde mit Berfleksichtigung
ron allerlei Herkvürdigkeiten nnd gar eine Art von Kompendium' der Natoi^
gaschiehte der drei Beidie, bei dem schon die STstematik Tervunderung ei^
regen mnB.
GnindstGrsendo Umgestsltangen seheint Kant an seinen erdkundlichen Yorw
lesungen niemids Torgenommen zu haben, wenn er auch ihm erreichbare neue
Quellen und Nachrichten, selbst aus den Tageszeitungen, immer sorgfältig be-
rticksichtipt und nachr'etratrpn hat. Wir dürfen annehmen, daß er in f^oincn
Vnrlesungen jedem Kapitel inirrefälir die gleiche Anteilnahme geschenkt habe.
In seiner schrift-^telierisclu'n i^-eof^niphisrh -kosmogi-aphischen Tiüifirkoit liillt sieh
allei-diugs beobachten, daß in deu früht reii Jahren physisch -ash'oiioiiii>*lie .Studien,
in den späteren anthropologisch -ethnographiscb -politische ihn mehr angezogen
haben mögen. Unter Anthropologie versteht freilich Eant etvas gana anderes
ak vir. Er behandelt darin vornehmlich psychologische Fragen, streift audi
Ettiik und Ästhetik, und nur in den Schlnfikapiteln^, die in ihrer apboristiscben
Form einigeimaBen an die Schlnfiabschnitt» der n^f^turgeschichte des Himmels"
erinnern, nlhert sich Kant mit seiner Charakteristik der versohied«ien YiSlker
und Rassen Gebieten, die auch wohl moderne Geographen (nicht Anthropologen)
hier und da streifen. Übrigens darf man nicht vergessen, daß auch die „Anthro-
pologie" ein — allerdings von Kant selbst hemuagegebenes' — Kol tegienheft darstellt
Jedenfalls aber ist Kant mich auf geographischem Gebieto kein sich in
wenige Fragen einbohrendtir Spezialist gewesen. Sein luteresäo umfaßte sozu-
1) Aothropologie 2. Aufl., Künigsboi-g IWO, vaa S. 295 au.
7
88
Ii»hn: fiinig« 0«U«iikea über Kant und PeschaL
sagen alles, und aoeh in h^Hierein Alter hatte er, wie seine Yorlesungen und
die 1794 geschriebene Abhandlung Aber den Ifond und das Wetter seigeu, die
Teilnahme für IVagenf welche ihn fnst ein halbes Jahriiundert frfther besdiSftigt
hatten, keineswegs verloren. Br iam, wenn auch als geographischer Forscher
natOrlioli nicht so hoch stehend, an Vielseitigkeit Humboldt gleich und Übertraf
dariu Karl Ritter.
Wir wissen, daß die in Ii r Wissenschaft der Erdkunde mögliche, wenn
auch nicht von allen in dem Muße Kants und Pescheis gepflegt« Vielseitigkeit
der Arbeit einen <ler jrröRten Rfize. idnT mich «»ine Gefahr dieser Wissenschaft
ausinat-ht. Man wird iiiclit ti'/stivitrii dürfi'u, (laß snwnlil Kant als Peschel dieser
flefahr uiciit völlig entgangen siml. Nicht blüU Kuats VDrle^iinfypn. sondern auch
seine kleineren geographischen und geophysischcn Abhaudluiigeu sind reich au
angreübaren Funkten, enthalten sahlxeiehe seltsame IGfiyeratiDdnisse und aUau
bereitwillig aufgenommene unbeglaubigt» Xachiichten. Vor allem aeiohn^ sich
in dieser Hinsicht, wie schon oben angedeutet, die beiden Erdbebenabhandlungen
aus. Wenn Kant* eine Lufterscheinung in Loeamo, die, nach Beobachtungen
der letzten Jahre zu urteilen, wahncheinlich nichts anderes als ein aus Nord-
afrika stammender Staubfoll war, dessen Nebenerscheinungen (rStliche Wölken,
sogen. Bluti-egen, roter Schnee) dem Menschen ganz wohl einen unheimlichen
Eindruck macheu können, als Vorboten des Lissaboner Enlbebens betrachtet,
oder wenn er gar nacherziihlf* rhiR der Nenonlnirger und der Cnmersee zeit-
weise versiegt sfi^n. so krmm n wii' ilitn nicht folgen und wundeiii uns, daß
Kant, der dorfi L't wifi ciiK.n uiif^i fiiln richtigen Begriff vou der (irößc der beiden
Seen gebäht liaben wird, solclie Vojgüngu für möglieh hielt.
Es wäre ungemein leicht, noch eine Anzahl ähnlicher Beispiele aus dieser
und anderen Kantiechen Abhandlungen au sammeln, indessen wül ich ym so
mehr darauf Teraichten, als ich ni<^t den Glauben erwecken möchte, ich hielte
auch nur die Kaatisehen Erdbebensehrlften in ihrer Gesamtheit fOr bedeutungdos.
Vielmehr enthalten sie eine Fülle schaifsinniger Hypothes«! und Andeutungen
und Terdienten sehr wohl, daß man sie Zeile für Zeile eingehend analysierte,
wozu hier natürlich nicht der Raum ist Ulchtig wurde Kant von dem
Bilde der in der Feme sieb absjwelenden und doch zweifellos weithin wirkenden
Erdhrhpnkatastropho angezogen. Das Erdbeben von Lissabon war unter den
Naturkatastrophen des 18. Jahrhunderts diejenige, die den tiefsten Eindruck auf
1) Werk-p Rd 9, Leipaig ]88!>, 8. 31»
2) Ebenda S. 39.
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Hahn: Viug» Otdnlan Skn bat imd PmcImI.
99
da-s Goiaüt der Volker Europas g*'iiiiu lit liat. In «citfiii Al>st:»nde möchte etwa tler
berühnitü, auch heute uoch nicht völlig erklärte trockene Nebel des Jahres 1783
fulgen.
Aueh Fescbel zeigte siöb Ali NstoimigniaBe, lumentlieh Tulkajiischer Nfttnr,
selir empfitnglich: äe TemnkBten ihn Idcht su achnftsteUeriscben Axbeiten oder
beeinfloBten die Mateflnng seiner Torlesungeu. Der AustHnidi dee Yesur im
Frühjahr 1872 war die Ursadie der Binsehiebimg eines Tnlkankapitela in die
Einleitung zur europiiechen Staatenlcunde. Kann man auch Uber die Ifotwendig^
keit und Zweekmftßigkeit einer solchen Einschiebung gerade in dieser Vorlesung
anderer Meinung sein, jedenfalls gewannen Peschels Zuhörer liierdurch eine
besonders fesselnde Stundi-
Man hat gogen Pescheis Arbeiten auf dem Gebiete der physischen Erdkunde
ähnliche Ausstellungen ^^olfciul i^oniacht, wie gegen diejenigen Kants. Es wäre
töricht, sie schlechthin für unbegründet orkläroii zu wollen. Waren es bei
Kant die bescheidenen Hilfsmittel, die ihm Königsberg — trotz der bekannten,
anders nrtoilendou Stelle in der Anthrupologie» — bieten konnte und der fast
gänzltclie Mangel au Anschauung wichtiger Klassen von gtiograpliischen £r-
sdieinmigen, die manchen Fshlgriff in der Quellenbenutzung crlcliriidi machten,
so wurde Pescfael durch die liastige Zeitauanutnuig, in die der Herausgeber des
.Amdand", der jede Woche für die Yollendung einer uraluigreichen Nummer zu
soigen hatte, notwendig Terbllen mußte, wie durch die Kfine seiner wiesenschalt-
lich-geogzaphischen Laufbahn fiberiianpt oft Ton grQBerer Yertiefung in die
Qnellensebnften zurückgehalten. Er hat diesen Mangel tief empfunden, noch in
den letzten Tagen seines Lebens arbeitete er an der Heranziehung neuer Quellen
und an der Verbesserung und Ergänzung seiner Kollegienhefte. Als er die Völker-
kunde ausarbeitet, hat er so viele fremde Gebiete zn henihren. in die er sich
eifri"! hineinzuversetzen sucht, daß ihn das drückoinle «nfiilil nirlit verliillt, als
„püücko er Rosen ia fremden Oürten".* Dem entsptcihcn ain-h viele seiner
mündlichen Äußerungen. OewissonuHÜen sind also rescliol und Kant als Geographen
Lmdensgefährtcn, wenn aucli die Veranlassung des Leidens bei beiden eine etwas
Tenohiedene wnr. Aber sie Isg doch aum Teil andi in ihnen selbst Kant, der
Geograph, und Paschel, der Geograph, waren beide mdir Männer der Anrsgang,
sie der AosfOhrung, ihre Werke sind reicher an anregenden Streibttgen Uber die
▼emehiedensten Felder, als an streng methodisch durchgeführten, wiiUich m
1) Tomde 8.YIII Amn. (der Aufgabe von 1800).
2) TBIkerinuMie, I^eipii« 1874. Torwort
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100
Hfthn: Einig« Gtdiukm abar Kut und BeadtaL
einem Residierten Ziel führenden Lntersuchungtju. Aber gerade die Erdkunde
braucht neben den Männern der kalten, strengen, zielbewußten Detailforschung
•iioh Bolclie, die anngrad «od begeistenid ihm Wissecudiaft Anhänger geivinnen,
Anhänger, die freilich imstande wAn mltoen, die OefohxeBf die aas der ESgen«-
tflmlichkeit ihrer Meieter erwacbeen kOnnon, sa sehen und ihrerBeite in Termeiden.
Hut möchte man hier anch Carl Bitten akademische Abhandlung nennen,
die des geistvoll Angedenteten vieles, des wirklich zn Ende G^flhrten edir wenig
enthalten. Aber wie viel Material, das zu fruchtbarer TStigkeit Anderen Anreiz
^chon konnte und auch ^n'^^ hon hat (Isochronen!), bieten sie doch! Wie manche
der kurzen gcistvollon Abhandln nf^cii Pei^chels in rlcn „Xouou Prnhlomon" oder
den drei Löwonbergschen Bänden hat schon Ocogiaphcii den Anhiß zu umfan^'-
reicfion. mit strongisi'er Methode durchguführten Untürsuehungon ppbotcn,^ Wie
wenig aber mid nun Kants Vorlesungen und Abhandlungen bisher in diesem
Sinne überhaupt ausgebeutet worden!
Wie unbedeutend und nichtssagend müssen uns aber die kleinen Schwächen
und üwolikommenlmten, die dem Geographen Kant anhaften, erscheinen, w«Dn
wir erfahrra, wie Kant ttber die Angabe und die wissenschaftliche Strilung der
Geographie im ganzen geurteilt hati KQnnen wir schon ans der Binrichtung seiner
Yorlesungen, in denen er fOr die Geographie ein weiteres Eeld in Ani^vueb
nahm, ab sidi heute auch der kflhnste Yertieter der Erdkunde nuxednien wfirde,
lernen, wie weitauBgreifend Kante Ansdiauung von der Eni künde war, so liegen
doch auch einige Äußerungen vor, aus denen wir bestimmter erfahren kQnneo,
welches die mf^thndischcn Ansphnmmpf^n Kants waren. Sie finden sich teils in
der Ankiindij^ning eines Cnllef^ii der physiselien Erdkuiidc, teils in diesem Kolleg
selbst (so weit wir der überliefürung trauen dürfen), teils aber auch in der
Anthropologie und endlich im ^Streit der Fakultäten**.
In der Anthropologie* spricht Kant davon, daß er einige dreißig Jaliro
hindunA swei auf Weltkenntnis abiwedrende Vorlesungen, nttmlidi Antiiropolugio
und physische Geographie gehalten habe und swar bezeichnet er dieselben als
«populHxe Tortrfige*, denen «auch andere Stande (als Studenten) beizuwohnen
geraten fnndoi^ Unter nWeltkenntais" versteht aber Kant Kenntnis dee Hraaehen
und der NatnrJ Es ist nach seinw Ansicht nicht ertaubt, ia diesen IKngen
1) Es ist morkwürdiK, daß die in Dcutscliland mit w großer Begdstemn^ aufgonommcnen
^Nenen Probleinn" in £ogUnd schon »elur (rfih einzdne fied«iikeii waelirlefen, vgl. s. B. die
Anzeigo in der „Natnre'* Bd. 1 (1809) 8. 212.
2) Vorrede S. XlUf.
3) Werke Bd. U a 138, Leipiig 183».
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Hahn: Einige Gedanken über Kant and Poschei.
101
onwiflSMid tu sein, ohne dem Namen eines Gelehrten Abhnich su tan.* Er
betnehtet «Iso die Erdkunde als eine eUeeroeine BüdnneBwiaBenBcfaeft eieten
Baagee, womit «r natfiilich nicht in Abrede «teilen will, daB aie auch facbmftfiig
mit größter Intensität betiieben werden kann. Keineswegs will er die Geographie
als eine historische Hilfswiivsenschaft betroditet wissen und er würde gewiß sehr
erstaunt t'f'wesen sein, hätt«' fr fresehen, wie hier und dii noch am Anfan^^ des
20. Jahrhundrits dioso heraiKlriifkpnde Bezpirhnini^' für die Phdkuiuli' in Aiiti-
quariatskatulogon, ja sn«jar in den Geschüftesuborsiehton von Bibiiothelten vorkommt.
Viel eher ist ihm die Geschichte, wenn man so sagen darf, eine Ergänzung
der Erdkiuidc. Geographie und Gescliichte, sagt er*, füUoa den gesamten Umfang
unserer Erkenntnisse aus; die Geographie nimlich den des Baumes, die Gesehichte
aber den der Zeit Aber was war früher da, Geschichte oder Geegraphie? Die
letitere lieg^ der ersteren zum Grunde, denn die Begebenheiten mflsnn sich doob
auf etwas beaieben. Die Geographie also ist das Substrat, schließt er. Er kann
sich offenbar wohl eine Geographie ohne Geschichte, nicht leicht aber eine
Geschichte ohne Geographie denken.
Einige Zt ilm weiter kommt er nochmals darauf zurück, daß nichts fähiger
ist, den gesunden Menschenvorstand mehr aufzubellen, ais die Geographie, und
er beklagt den srhlfchten 7<nstand drr crfwöhnlichen Schulgeographie, eine Klage,
die bekanntlich auch sehr viel später noch erhoben worden ist. Ja, in höchst
merkwüi"diger Weise erörtert er den Nutzen geographischer Konntuisse für da.s
Verständnis der Zeitungen. Kant verfolgte die Nachrichten, welche die Zeitungen
über merkwürdige Vorfalle brachten, mit gespauotestem Interesse, und er beklagt
diejenigen, welche njene ITachrichten nicht an ihre Stelle bringen kennen", ja
er Tetgld<^t die Leute, die Zeitungssachrichten nicht zu benutaen verstehen,
etwas drastisch mit armen, ehifiiltigen peruamscben Indianern. Seine Vorlesungen
zielten also gewiß su einem guten Teil darauf ab, seine Zuhörer geachiokter m
machen, die Zeitungsnachrichtett richtig einzuordnen und zu verstehen. Welche
merkwürdigen Beziehungen finden wir aber hier zu den Lehrabsichten Pescheis!
Unter den Sätzen, welche Krümmel aus der Einleitungsvorlesung Pescheis
über europäische Staatenkundc mitj^otrilt hat', finden sich die folpeiidf>n, die,
wie auch ich bestätigen kann, genau so von IVsebel gesprochen sind: Dn Titel
„Europäischo Staatenkuude'' soll an<ieuten, dal3 das letzte Ziel sein soll das
1) WvAe Bd. « & 96, Leipzig 1839.
2) Ebendu S. 113.
3) Peubel, £an>|iÜaolie Staateakuado, hcrausg. von 0. Krümmel, Leipzig 1880, Ud. 1
4M.1 B.IX.
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102 Hahn: Bai g» Ggdiiilwn ato JEbü und Tmhü.
Ventladsis der Zeilgesehiohto. So solleii Sie nAOh Anhörung dieser Yorfarige
das, was man Orientalische Präge nennt, mit ganz anderen Augen ansehen als
vorher, mit mehr Einsicht ah der Troß der Zoihingsschreiber, so daß Sie, wenn
Sie Beruf dazu fühlen, als Publizisten deniialeinst ein ernstes Wort mitsprechen
können. VirUcicht sind mich imter Thnen einige zukünftige Staatsmänner oder
Minister, gewili einige Deputierte, je<ienfrtlls- >;!nd sie >;päterhin sämtlich Wähler
und Zeitungsk'ser.'' Peschel geht, den ZeihinistatiiUn etit-;{>!echfiid, einen Schritt
weiter als Kant: während jener hauptsächlich an Zcitungsleser denkt, sucht
Peschel nicht bloß auf die künftigen Zeitungsschreiber, äoudeni auch auf
künftige Wihler, Al>geordnete nnd Staatamiiuier einaawirken. Die Gmndtendeiu
aber ist bei beiden offenbar völlig dieselbe. Wie aber Kant unter Welticenntiüs
nieht blofi Kenntnis des Menschen, sondern auch Kenntnis der Katur versteht,
so sagt auch Peechel weiterhin ausdrneklicb, daß zum Verständnis des ganaen
Kausalsnsammenhanges, dem die Staaten nach Form und Kraft onteiUegen, auch
physikalische Vork< ntifni>-c nnrig sind, die heutzutage jeder Staatsmann besitzen
soUte. Kant wie Peschel schreiben also der Ei"dkunde ein historisch -politisches
und ein physikalisches Elomcnf zu. Wenn Kant nn einer andei*en Stelle' die
Erdbeschreibung in das Df^pai letnent der historischeu Erkiniitiiis einordnet, so
läßt sieh diese Stelle durchaus nicht gegen seine diialisf ische Auifiissiin:: der
Erdkunde aiifiiliren. dcim ei- fiifit in dem crwuliiitcji Departement (iescliiclite,
Ertlbeschreibung, gelehrte Spruclikeuutnis, Hiunaniiitik mit allom was die Natur-
kunde von empixistiedier Erkenntois darbietet, zusammen; während er im zw^tm
Departement, dem der reinen Yemunfteikenntnisse, reine Mathematik, reine
Philosophie, Metaphjrsik der lliatur und der Sitten unterbringt
Bei der starken Betonung eines piaktisoben Zweckes des geographischen
Studiums ist Kant durch den Ort, an dem er lebte, Peschel aber durch seine
kauAnfinnisch - politisch -joumalistisehe Besdiifdgui^ vor dem Eintritt in die
akademische I^ufbahn gewiß nicht wenig beeinflußt worden. Kant hnt joderaeit
für den Königsberger Eluß- und Seeverkehr, den er wühl in seiner Bedeutung
übersrhiitzte, da er andere Tfilfen eben nicht kannte, ein lebhaftes Interesse
gezeigt, wie er iilieiliiiiipt^ Königsberg ..eine LTinlSe Stadt, der Mittelpunkt eines
Reichs, in welchem sieh die Landcscolletria <lei KeL;ieriing de^tselben liefinden,
die eine Universität uiui »labei noch die l„age /um Scfiiandel hat, welche durch
Flüsse aus dem Innern des Landes sowohl als auch mit angi'enzcuden (und?)
1) Streit der Fakultil^u, S. 43 der Kebrbachschuu Ausgabe, Leipzig, Kcclam ca. ISSOl
Anthropologie 8.Yni Aaa. der Ansähe von ISOa
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fiaho: Einige Gedanken über Kant und PeschoL
108
eotl^neii LSodeni toq TeTBchiedenen Sproohen und Sitten einen Terktthr
begilnatigt*^ üir einen sofaiekliohen FJ«ts ansah, wo WellienntDis auch ohne xu
reisen orwoiben wfrdf^n könne. In vielen Stücken hatte Kant darin recht, denn
Königsberg war damals noch mehr als heute eine sozusagen koloniale, sehr auf
sieb selbst frcsfelltc Hauptstadt, die mir der übrigen deutw'bon Welt, von der sie
durch einen breiten unter polnischer Heirschaft stohcndeu Strich bis 1772 ganz
getrennt p«we«on war, nur weni^^ in A'erbindung stand.
Aber Kant wird auch damals >( lu>n die Wabrnohmnng geiuucht haben, die
er noch beute machen könnte, daß nämlich die Bewohner einer See- und Handels-
stadt, soweit sie nidit ihr fieiruf auf diese Zwdge Tftlig^eit unmhtelhar hin-
fahrt, flieh oft wenig far die See und die Sehtfbüirt interesaieren, vielleicht
weniger, als die Bewohner des Binnenhwdea, denen ein Seeschiff ein selten
geschautes Wunder, eine firemde Flagge etwas llerkwördiges ist So konnte es
ihm gerade in der Seestadt notwendig erscheinen, seinen Zuhdrexkreis in das
Yerstandnb des See- und Handelswesens, ja der Zeitungsmitteflungen darnher
sinjsuführen und er seihst hat gewiB eine aufrichtige Freude daran frrhabt.
Was Peschel betrifft, so hat sieher seine anfangliche kaufmänni.sche Tätige
keit ihn auf Gebiete aufmerksam fremaclir, die rh ni nelehrten sonst ferner liegen.
Hat doch auch Humboldt die beim kameralistisclieii Stiniiiim in Frankfurt a. 0.
imd auf der Handel<akadf>mie in Hamhuig gevvouueaea Erkenntnisse spüter bei
seinen staalswi.sseii.schii{tlK;iien Studien in Neuspanien und auf Euba sehr gut
verwerten könncu. Wir wissen weiter, daü Peschel mit Neigung und Geschick
selbst Jonnttltst war nnd daß er an^ am politischen Lebra seiner Zeit einigen
' Anteil gehabt hat, so daß sich die oben mitteilte Anrede an seine Znhdrer
aus seiner Entwicklung heraus sehr wohl verstehen und würdigen tSBi
Daran aber, daß es damals wie heute dringend notwendig war und ist,
den angehend«!, sagen wir kun, Staatebaigem das geographische Yerstündnis
der Zeitereignisse nahe lu bringen, kann nicht der mindeste Zweifel sein. Lassen
sich dorh die meisten Mißvei-ständnisse, seltsamen Ideen und oft mit großer
Hartnäckigkeit festgehaltenen falschen Voraussetzungen, denen wir so häufig in
Parlamentsverhandlungen, Zeitungen und Zeitschriften (besondei-s kolonialpoliti-
schcn aller Nationen) begegnen, in letzter Linie fast immpr auf den Mangel
^lopaphischer Einsicht zuruckfulaeu. Habe ich iloch ais Student einmal in
eiuer großen Versammlung von einem angesehenen Manne den ernsthaft gemeinten
batz sprechen hören: Doutsclilaud und China haben viel Ähnliches, Deutschland
liegt nngefShr 60 Qtad nördlich vom JLquator und China ebensoweit sfidlidi
davon! Sehr lehneich ist in dieser Hinsicht auch die treffliche Kritik, die
104
Hfthn: £iaige 0«diuiken bb«r K«ot und Pe§dial.
H. Wiigner an den SchMfEtingen des Areals des babjloniMhen Kultnriandes
geübt hat Wir kennen heut» kaum in eine Zeitung schauen, ohne neue Belege
fiir die schweren Gefahren, die der Manfjel ^'eofjraphischen Verständnisses herhoi-
füliren kann, zu entdecken. Das gilt auch für die Werke der meisten Durch-
schnitt.sreiscnden. Wtmn houtr rin Rci'imder seine Lfscr hotrenlnn^r rlamit lang-
weilt, daR er mit Kistaiiiirti in Afiika nirht irnmi-r L'luliciidr Hitze oder pech-
schwarze Menselu ii atigcti offen IkUh'. so iK wei^t er iiur, daß er seine Keise ohne
die richtige geographisclie Einsicht angetreten hatte.
Sind souach Kaut und Peschei vor dem Vorwurfe sicher, al:» ob sie in
dieser ffinsicbt Unnötiges erstrebt bitten, so bewahrt sie die an vielen Stellen
ihrer gcographisciien Schriften kundgegebene hohe ideale Ansiebt von der Macht»
der Bedeutung und dem Werte der Erdkunde auch vor dem anderen Torvuii,
als hätten sie die hohen Ziele dlMer Wissenschaft durch die Hervorhebung
praktischer Geeichtsponkte erniedrigen können.
Noch eine andere wichtige Stelle Kants ist für .seine Auffassung der Ziele
der Gec^n^hie sehr bezeichnend.* Er hat eben kurz das in rier mathematischen,
politischen unri phy.sischen Geographie zu Besprechen<le aufgezählt und setzt nun
hinzu: .. Allr^ Hipse»j aber (betrachten wir) nicht mit derjenigen Vollständigkeit
«ind pliiliiM)plii-f li( ii üenaulieit in den Teilen, welche ein rresehnft der Physik
und Niiturgeschichte ist, sondern mit der vernünftigen Neubegiei eines Keisi iuli'ii,
der allenthalben das Merkwürdige, das Sonderbare und Schöne aufsucht, seine
gesommellen Beobachtungen vergleicht und Keinen Plan überdenkt** Wir kdnnen
an dieser Stelle keinen Anstoß nehmen, wir müssen sie nur richtig verstehen.
Ana der Sprache dee 18. Jahrhunderts in die der Gegenwart ftbertnigen, heißt
sie nicht» anderes, als daß der Geograph nicht alles imd jedes beschreiben und
sammeln soll, was ihm vorkommt, sondern nnr das für jeden Efdranm fieaeieh«
nende, daß er aber weiter an der Beschreibung auch eine IVeude haben soll
und daß das Ergebnis seiner Arbeit wohl durchdacht uml geschmackvoll sein
soll. Von der notwendigen ursächlichen Verknüpfung «ler Erscheinungen spricht
Kant hier nieht ausflrücklitii, seine ganzen gengraphischen AVi iko beweisen es
aber, wie nirlit lih>b der Fhihisopli sondrin auch der fTCM>n;iuph Kttut UbenUl
nach den Ursachen der Ei"schciiinngcii zu fur^chni >ieli lii-uiühte.
Die Geschichte der Erdkunde im 19. Jaiirluuidi.it i.st im wesentlichen ein
Kampf um ihre Selbständigkeit und ihr Hausrecht gewesen. Galt es lange vor-
nehmlich, die allau weitgehenden Ansprüche der Geschichte xurückauweisen und
1) Vwke Bd. 9, Leipsig 1899, & 9S,
Hahn: Eiaig« Gedanken üt>er Kaat und resdiel.
105
die Gecgnphie Tor der unwürdigen Stellung einer historisehen HilfBwusensohafi
ni bewahren, so traten doeh euch Zeiten ein, in denen man unter dem Einilufi
groAer Natuifoisoher und Reisender und ihrer Sdifllersohaar die BrdJcunde su
einer leinim KatDXwisBensdiaft machen und ihre fmditbringenden JBexiehQngen
MirGesebicbtf^ und Staatswissenschaft gerincfor schätzen wollte. Wer die Verhand-
hingen der deutschen Geographenta^jo seit mehr als zwei Jahrzehnten mit durchlebt
hat, wird wis>ssen, daß ih r Kampf nach zwei Frrmton, wenn auch mit geminderter
Schärff, immer noch fortdauert, und dall es hald einen lii-^tori<;ch-philologischen,
bald einen geologisch«^n Vorstoli auf geographisches (iehiet ahzuwelucii gilt
Welch ein wertvuüf r und mächtiger Bnndesgt ao.s.st' i.st uius ahtJi in ditst in
Kampfe der große Königsberger Gelehite! Er, der nie an der Selbständiglteit,
an dem weiten, mannigfaltigen Gebiete und an der hohen wiaeiMMdialtüdien
Stellung wie an dem BUdongswerte der Erdkunde aweifidte, der sich bei seinen
geographiaehen Studien bald tiefen kosmologischen und geophysisehen Problemen,
bald Kragen der Staaten» und Heneehenkunde zuwendete! Fast alle Beziehungen
der Geographie zu anderen Wissenachaften, Beäehungen, die so reich und vieK
seitig sind, daß sie eigentlich nur denen der Fhiloflophie selbst nachstehen, lassen
sich schon in Kantischen Stellen aufspüreUj wenn man nur immer im Auge
hfhält, daB Kant als Geograph weit weniger ausführt als andeutet und anregt
Wie modern erscheint ahor die Kantische Oenf^rnphie, wenn man so manchen
Zm«,' darin entdeckt, der iuuh hei resrliei wiederkehrt, nur daß Kant deeh der
Glücklichere, Ansp reifti re von beiden ist, da er seine geogmphiselieii Studien
ein langes Lehen hindurch treiben konnte. Es kommt ticnigegenui>er weniger
in Betracht, daß Peschel sich doch schließlich der Erdkunde ganz und gar widmen
konnte, wihrend Kant immer in erster Linie der Philosoph geblieben ist, der
Itst alle Teile dieser Wissenschaft unendlich bereichert hat, so dafi er der Geo-
gnphie nur Nebenstunden, wenn auch solche, die von tiefetem Diteiesse, ja
Begeistening erfüllt waren, widmen konnte.
Wie aber diese Betrachtungen doch TieUeidit diesen oder jenen unter den
Jüngern der Erdkunde überaeugen können, daß er nur sich selbst und seiner
Wissenschaft nützen wird, wenn er den Blick auch einmal rückwärt.s zu der
großen, schlichten Gestalt Kant.s wemlet und Kants Schriften und Werke, möge
ihm ihre Sprache sineh anfanj.^ frenKlarti^T kliniren. envä<^t und zu verstehen
sucht, so können öie huffcntlieh auch ein W'i'niL'es rlazu heitragen, manchen
Eigentümlichkeiten I'esi lu lsc hei D. ak- und Sciireibweise eiu-' fi eundlichere und
gerechtere Beurteilung, als sie gelegentlich ciiahreu haben, zu vei-schaffeu.
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V
KANT UND DIB ALTINDISCHB PHHiOSOPHIB
TOM
DsL OTTO FRANKE
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AkUnutgen und Mbliosmf Msehe K«ttieB.
Wo niobtB Besonderes angegelwn ist, siti«re ich nach den kaagaiten der RMlam-BSbUotbek,
weil diese am allRcmeinsten zugänglich sind. Durchgehend sind aber die Zitatn in maßgi^lienden
Aasgaben Torglichoii wonten. Die ProleigDinflna za timi jeden künft^n Metafihysik . . . zitiere
ioh Bidi der Ausgabe Fn&kfnrt und Leipzig 1704.
Kr. pr. y. — Kritik dar prdümdwn Termmft.
Kr. r. V. — Kritik dor n iaen Vernanft, im wesentlldien aaoh der enieik Aiuigabe und mir mit
Zusiti«ti au£ der zveiten.
R. 0. U. Y. = Di» RdigioB itmeilMdb der OreoMB der UoBen VecmmfL
A. 0. Ph. = P. Deusaen, Allgomoino f»t»srliichto dor Phitosojitiii', I. PA, 1. AVifniltui^. .\!lf.'f(m'iiir
Einleitung und Philosophie des Vcda bis ani die Upanisbads, l>3ipzig 1891; I. Bd., 2. AU-
teilirag: Die FhOomplue der Upeottbads, Laipslg 1809.
Pb. V. P. D-nssrn, On tht» Philfwophy of fhf Vi' iänfn in »s rwlations to (lOOideDtel melA-
physics, liombay JbSW = Eriunerungen an Indien, Anhang S. 5J45 — 248.
«0 U^ P. DeoBBen, Secbidg Upenidiids dee Teds w» dem Sanskrit iibenetxt und mit Bin-
loitungon und Amneiinnigen vorschon, lioipzig 1897.
Für don Rgvcda muß im allgomeinen auf dio beiden Oesamtübcrsotzungen desselben von
Uenn. Graßmann und Alfr. Ludwig verwiesen werden, die aber keineswegs durchaus (^lücklirho
sind. Ich selbst stütze mich natürlich auf den Original i ext.
Dio Zitate aus der altt!ren Edda entstammen Alfr. Iloitzmatms „Die ältere Edda ülwrseUt
und erklÄrt'", herausgog. von Alfr. Holder, Leipzig 1K75, wozu ak-r auch Simrocks Ük^rsetzungon
und nach Vermögen dio Originaltext« in B. Sijinons" .,Dio Lieder dor Edda", L Bd., i. Hälfte,
Halle 1888 (*■ Bachers Oetmanistiwlie Haadbibliotbek, VII) und in Finnur Jöiis«ons „H/Irlalrr-rlcr"
I tind TI, EtUi» 1688 nnd tSOO (« E.Hogks Utoordfndie TextbMofliek Kr. 2 tind 3) N t-rgli hen
sinii. Ii - 'h>T jüngeren Edda Simrocks „Die älter« und jüngere Edda", Stuttpirt 18.'>I, und seinem
ilaoUbucl) der deatechen Mfthekgie, 3. Aufl., Bonn 1869 (H. d. IL.% In der Umschrift der
altBOfdiHhea Nmwb JiAe kh mieii derjenigen von Hogks OenwoHsdier Ifythologie in Panls
Grawizifi der Genwnleclieo FhUolagie 3. Bd.*, 1000, angescUMaen.
SinleitnBg*
JLeiiie Besorgnis, daß idi daiwif lossteneitB, grofien FhilosopheD
Enttehnimgeii mdiscber Oedanlceii nachauveismi! Dt» wa beab8ichti§Eea, wice
abgesdmnekt IVeÜich liat Kant fiber die Inder und ihr Denken maneherlei
von dem Teriiiltniamifiig Wenigen gewußt, was man daaiala flbeilianpt iriasen
konnte. Daß er eifrig Beiaebeedireibungen bB| Ist jedem bekannt, und J. 0.
ITmiimih in einem Briefe an Kant vom 27. Juli 1759 (Kants ircsarniiielto Schriften,
herausfregtjbon von der k. preuß. Akademie der Wissenschaften Bd. X S. 14) er-
wähnt (•<; ansHrücklich. Aiißerdem vorrät Kant durch pclegentliche Änßernnerpn
mancherlei Wisson iihvv indischf Dinfrc und die Verhältnisse von Völkern, dio
den Indem viM wandt od^T tx'nachbart und knltnrverwandt sind. Vgl. R. G. hl. V.,
S. 17, 76, 114, 117, I86f, 200. £.■> war ihm sogar btikanut, daß die Zigeuner aus
Indien stammten, s. ebenda S. 148. Aber schon die Form, die die indischen
Oöttenamen bei üim haben, zeigt die Unsulänglichkeit seiner Keuntnie: als
«Bnttren (aonat aaoh Siba oder Siwen genannt)' benennt er a. B. den Gott,
der richte Rudra oder Öira heißt Wie dem aber aneh aei, zu Termnten, daß
ein Mann wie Er seine philosopfaisohen Oedanken anderswoher hatte nehmen
mfisaen, wird adiweriidi jemand die Kühnheit Iiaben, der audi nur von ferne
dss Wesen dieses Geistes ahnt
Trotzdem ist es unmöglich, die Augen vor der Tat.«M»che zu verschließen,
daß zu wichtigen Godankon Kants im alten Indien Parallelen und Anklänpo vor-
handen sind. Hinwoisc hierauf sind auch schon hiut f^cwordon. V. Beussen, der
bckannto Interpret des indischen Fantlieismu.s, hat wiedel holt auf dosten Verwandt-
schalt mit der Kautischen Lehre hingedeutet, z. B. A. G. Fh. I, 2, S. 38f, 69,
208; Ph. V.; Erinnenmgea an Indien S. 4. Aber die Verwandtschaft erstreckt
Siedl auflii naeh ifiokwIrtB und TerwCris durch Tineoliledene Sdiichten des
Dfmkens der altm Indier und selbst ihrer indogermanischen ToTfahTe». Besonders
Buddhas Lehre eutiiKlt, wenigstens auf den ersten Blick, ganz frapfiante Kon-
gmenaen. Idi madite Anfsng dieses Jahres dem rühmlichst bekannten englischen
Bttddha>Ibrseher Fnf. Bhjs Davids von der Tatsache briefliche MittnLung, daß
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110
FrftBk«: Kant und die «Itiadiwbe PhilotopliiaL
Ton den Indem Buddha unserem Kaut ani nächsteu stehe. Am 1. Februar sprach
ich darüber auch mit Prof. Domer und erwihate spenell die «nffälligcn Auk länge
in Buddhas Lehren an Kants Antinomie. Inzwischen erschien dn Buch ^India
e Buddhismo antico* Ton 6. de Lorenso, Bari 1904, das mir der Verfasser, ver-
anlaftt durch Bhys Davids auf Granä meiner Mitteilung, freundlichst sofort aus-
gehen liefi, am 16. Februar. De Loreuzo bat ebenfalls einige Eongruenzpunkte
gesehen, auch die Entsprftlnin^'^ zu den Tliessen und Antitliesen der Antinomie
■verzeichnet. Diese Tlintrf» >>iiid eben schon auf den ersten Blick so offenkundig,
daß sie jemandem, der beider Philosophen Jjehren Teigleicheud durchliest, gar
nicht entgehen können.
Nun aber lie<3:t die Sache doch nicht so einfatli. sio auf den ei>ilea
Blick scheint Wir werden sehen, daÜ mit einer bloßen Kou.statierung der An-
klänge nichts geleiHtet ist Und uul jeden Fall haben wir die wissenschaftliche
TeipiQldituiig, solchen tTbereinstimmungen erst weiter naohxugehen, sie ina tedite
historisehe und logische Yerhiltnis ni setsen und Klarheit an schaffen, wie weit
sie wirkliche Übereinstimmungen, wie weit nur solche dem Scheine nach sind.
Kaats erkenntnistfaeoretischer Orundsats, daß scharf zu scheiden ist zwischen
der Sfinnenerfahruag und dem Ding an sich, daß das durch die Sinnenwahr»
nehmung uns gegebene Bild des Seins für uns nur Vorstellung, und dafi das
„Ding an sich'' etwa.s für uns ganz Unerkennbares ist, zieht sich, z. T. dunkel
geahnt und halbmythisch angedeutet, z. T. klar ausgesprochen, auch durch die
ganze altindisclie Goiste^gfschichte von den granon Uraoiten der Rgveda-Dichtung
bis in die mittelaiterliciie Vedänta-Philosophie hinein, «Ii»- ihrerseits bekanntlich
bis auf den heutigen Tag die Geister eines Teiles der Hiudu.s behen-scbt Nicht
allein aber das: Die Wurzeln ilieses Gedankens reichen schon in tiie indo-
germanische Gemeinseit hinein, von der wir daher auszugehen haben.
Wenn wir Ton der Philosophie der Vooeit reden wollen, so haben wir
Ton ihrer Religion zu reden. Philosophie und Rd%ion strümten damals in dem-
selben Bett. Die Frage, die wir zu stellen haben, lautet: Welches war die
Religion de» indogermanischen Urrolkes, oder, welches war die indogermanische
ÜTTflitriori? Urrf'liirion und frvolk nipinc ich nnttn-lich njir im Sinne des durch
die Foi-schung Lutzterreichbareu, nicht aber in dem des absoluten Anfangs. Die
Kapitel I.
Kant und die nfmdogemamsehe MigioD.
Franko: Kant und dio alUndische Philosophie.
III
idg. „UiTPÜ^on" als dio Rfliprion des noch iinpetpiltt'n, „proethnischen", Tmio-
gennanenrolkes wiiti unsere Erkenntnis sirlur fnciclion, rlio absolut fi-sto
Reli^nn dpr Indogermanen oder der ^lonst lh ii alx-i niejaals, die Arbeiten, die
hiei-auf abzielen, dreschen leeres Stroh. Natdrlich ist es niclit ausgeschlossen,
mir sogar wahrscheinlich, daß dio relative Urreligiou der Indogei-manen auch
die «beolnte ist, eine solche Inaidit ist ftber imbeweisbar, subjektär, unverbindUeb.
Zu aUerest iniifi ich bitten, der lendliofigen Heinimg entsiigeiL sa wollen, die
BeUgion mflsse von IdndiBclien Gedanken, Ton einer imentwiekelten Stufe des
Denkens au^gefj^angen sein, oder wir bitten gar ein Recht, das erste fOr unsere
Fcracfaung nigbiglii^e Stadium des Beligionsgedankens für dieses primitire
Anfengsstadium au halten. So weit wir in dentiidier historischer Beleuehtung
aurtickblicken können — , das sind 2 — 3000 Jahre, — ist der Indogernianengeist
seiner Denkfähigkeit (nicht dem Inhalt seines Denkens) nach von Anfang an
derselbe prewesen, — keine Spui* vnn primitiver Uuentwickelthoit! "Wer gibt iihr
das Kf'clif aii/unehmen. daß es 3 »ind zweimal 'S weitere Jahrtausende, die wohl
ausreichen werden, um ua.s zuju indopi'rmanisrhen Urvelk zu bringen, vorher
anders gewesen sei? Es ist eine Begriffsverwirrung, anzunehmen, die Fähigkeit
zum philosophischen Denken hänge von der nmteriellen Kultur ab. Müßte das
ttberiiaupt erst bewiesen werden, so würden uns die fitesten Griechen, die
„barbarisehen*' Germanen des IWoitus, denen die Himmlisehen snr EinschlieAung
in Tempebnauem und sur bildüi^en Darstellung su erhaben ersofaienen (Germania
Kap. 9) und die ürinder des ^gveda Beweis genug sein. Selbst wenn die Doku-
mmte der Geisteegesdiichte nicht das Gegenteil bewiesen, yriie es eine nicht
zu billigende Kühnheit, rein auf Nichts hin von {»itiiitivem Denken zu reden.
Der übliche Bewoisirruinl. daß in der Welt des Lebeaden alles sich aus primi-
tiven Anfängen entwickele, paßt ja gar nicht, denn es wäre eine pptitio principii,
die erreichbare Religion des- proethnischen Indogermanenvolkcs für <iie absolute
Anfangsreligion zn halten. Es weiß kein Mensch, was schon alle-; vorausf^M puif^en
war. Woher nimmt man denn außerdem (lu< Keclit zu sc-liließen, daß die Periode
der Religionsentstehuug und der noch primitiven Uneutwickeltheit dos Menschen-
geistes sosammen&Ut, und dofi nicht vielmehr die Religion eist entstand, als
dieser schon mnen hohen Grad der Beife eneicht hatte? Wer weiß fenier, ob
die breite Masse die religiösen Vorstellungen hervorgebracht hat oder das Hirn
weniger grofier Denkw — was doch offenbar einen grofien Unterschied in der
Beurtnlung begründet? Niemand kann sagen, ob übeihaupt die Beligion einq
allgemeine natumotwendige Erachemung in der Ifenschengesohidite ist, mit
anderen Worten, ob sie überimupt mehr als einmal in der Welt entBtsnden und
112
Franke: Kant und die altindischo Plülosopliie.
ob aie nicht vielmehr ron einem eiud^ Urspningsorte her ttber die ganze
Welt veiforeitet ist Ob das eine oder das andere wahrscheinlicher sei, das ist
TOD gar keinem Bdanf. So viel ist sicher, daß s. B. deijeoige, der aus ethno«
logischen PanUelen auf eine allgemeine Anlage schließt, doch vor allem erst
zu beweisen hfttte, daß diese Faralleien nidit einer einfig«i Urqnelle entflossen
sind. Kurss, man hantiert in der Relifrinnswis-sonschaft mit lauter vorpfefaßten
Meinungen als mit ganz solb.stvorständlichcn Dingen, und mit jedem Tage wächst
die lälimeiule Macht der fivstgewurzeltcu Dogmen.
Cm Hastnipfoffor ?a\ machon, muß man einen Hasen haben, sagt ein Sprich-
wort; tiiiil um t'iiKMi Klotz oder eine Kuli nls rrt^tt zn vorphrfn, miifi man dnn
Gottesbegriff schtm besitzen. Die Gesamtknift, da& üesamCiebeii in der N'utur
ist vom indogermanischen Urvolke als Gottheit gedacht worden. Selbst dorn
blödesten Auge des primitivsten Menschen konnte es doch nicht entgehen, daß
dem allgemeinen individttellen Sterben, das die ganze Natur durchsieht, du nie
versiegendes Leben der Oesamtnatur und des ganzen Weltalls gegenübersteht,
das sein Ibiteresse fesseln muBte. Bs ist nicht einsusehen, warum er dieses
Leben nicht als ein einheitliches «nfge&ßt haben soll, da er doch mit einem
einzigen Blick Erde und Himmel, d. h. fUr die Praxis, das ganze Wellall, fiberflog.
Ob in jener Urperiode meditativen Geistern die empirische Welt schon als
etwas üneigentliches odor par als Sinnentrug gegolten habe, kann ich nicht sagen,
einen Anhalt dafür habe ich vorläufig nicht gefunden. Vielleicht ist allerdings
bei der gegen sei tipren Abwägung von Sinnenwelt und in ihr wohnender Gottheit
zuweilen schon ein stürki ics Gewicht auf diese gelegt wordon. Die augenschein-
lieh schon uri!i(li»i^a>niiiinisrh(' Bcrriichfuii;; der Welt iil-^ MiintH, als Gespinst*
und als Gcdiclit. Lied, Wnrt der sprccheiKlen . siugeuden oder niu.siziereiiden
Gottheit iälit vielleicht daran denken, duli es urindogermanische Philosophen pii»,
die die Welt fOr etwas Nebensiohliohes hielten. Aber Nebensache und Uucigcut-
liches oder gar Sdiein kann nodi sehr zweierlei sein. So viel aber erscheint
mir sicher, daß der fundamentale Beligitmsgedanke des indogermanischen Oesamf^^
Volkes der pantheistisehe war, mit wie viel anthropomorph- oder tfaeriomorph»
polytheistiBcbero Gestrüpp er auch schon fiberwndiert gewesen au sein scheint
1) YgL unten ^tjut und der BjprMln*'. Di« ntlndoeennaniBch« Exbtanx des lfaot«1« and
des Gewebe- orfer neRjiin<;1pl('ichni«ns ist vielleicht noch nicht sicher zu bohaupton, aber hOebst
wahntoheinltoh, wenn man die unten erürterteu vedistihen Gedanlien mit dem Mantel s. B. des
Zeus, des dtDa^HTolan, and den saibBifeiflea <d. b. gattUcben) Ihatet wA das BfiaagtUBoiülm
nnd Rpiniiondon 'Wesen der pumpüi^hcn Seeeanvtt zoKiRaieahllt Den defiaitivea Beweb weide
ich in einem spiUeren Buche erbringen.
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Franke: Kant und die alündiscke Philosophie.
IIS
D» ich tain sein muA, bringe ich nur weniges Beweiainnfterinl vor, das ja aber
genügen dftifte.
I>er Edda-HTfbus V4m der Teilung des Urriesen Tmir und der Ersebafbnig
der Weit und der Wesen aus seinem Ki^qper ist so deutlich ein und derselbe Nytiius
wie derjonif^o von der Opferung und analogen Venvcrtimg dos Puru?a im Qgreda-
Liede X, 90 ^, daß nur die Scheuklappen der Yorurteile es erklärlich ei'scbeinen
lassen, wenn der wahre Sachverhalt nicht erkannt oder anerkannt worden ist'
"Was sollen diesn hfndrn Dokumonfo (dio ja in der erhaltenen Form immerhin
vrihiiltni'^mäRif^ jiin^^ sein nui^'en, ohne daß das bei der geogi-aphischen und
sat-hliclien .Situation zu sc liiuleii vermöchte), von den entgegengesetzten Polen der
längsten Diagonale des ganzen Indiigeiniaiiengebiete-s andeiif^ sein hIs urverwuutlt
und also urindogermauüjcb? An direkte Eutlebouug wird doch wolü niemand
denlten wolten? Es kommt aber aufierdem hinm, diJ — woraol im D6faiil hier
nicht eingegangen werden kann — Splitter und Yarisnten dieses selben Isthas
in einer Weise dm gesamten YoiksgUuben aller Indogermanen dorchsetsen, dafi die
Uigeroeinsamkeit aufier Zweifel ist' Das Toiiumdensein eines ganaen ori^misehen
Gedankensystems ist in diesem und in sonstigen Fallen das Entscheidende.
Der vedische Mythus wird noch ergänzt dttrdl die Version der Aitarnyn-Upani-
^ad I, 1, 3 f. (60 Up. S. 16), in «1. t «his Urwesen die in Rgv. X, 90 fehloude
Bezielnintr zum Urwjisser liositzt. di r sicli Ymir in Dämisiiga 5 und 48 (Simrock,
die Ed<ia 8. 244 und 279) i rfn ut. in der ferner iuidi umgekehrt der Entstehung
der Wasser aus dem Urwejion wie in d^n Edda -Versionen gc<laelit \sird.
Die Bodeutimg, die Füße und Anne des Puru§a für die Produktion der
Menschen haben (Bgv. X, 90, 12), haben sie auch Vafliruduisniäi 33 und Dümis, 5,
und dem fiebrfitetweiden des Puru^a durch itman in Aitareya-Up. I, 1, 4 eni>
spricht wohl das Schwitien des Ymir IMünis. 0.
1) Auch übersetzt von Deussen, A. 0. Ph. I, I S. ISCff.
2) Jflüahtig auf die Parallele hingedeutet hat Deossen a. o. O. S. 151: „Vergleichbar, aber
nicht hiatoriMh Terasadt, iat die Oe§tilt des Bieien Tmir in der Edda.** Am. verrtüadiiievollslea
zei^ .sich vielleicht Cb. de la Staaat^^ YtuL ea MededeeL der koa. AL vaa Wett AJd. LeMerk.,
3. &, 8. 8. m
3) Der babylomDchn TiiinatniTtbiu (z. B. bei Benneos) gehört allerdiniBc trolil «neh MentL
In uris.Tt'iii Zusrimmpiili:(iii,'t' abor ist das S' Ijoii 'li'stiulli li>.-luiif;I"^ . %v«"il ilcr Tiiimutmytlius mit
keiner dur beiden genannten indogermaniMdica Furmun bti vcn»'audt ist wie diese unter .sich, und
ireil diflse also einen gans besonderen ürrenrudteclnftfignd beeitzen mnunen, nnd weil diese
fcTQ-T rJur., h ']]f Nonsfii,'i ri vielen Bruchstücke auf Tnfln^' rinam'ri^'-'l i'-f iImcIi al- iiiil";-"'rm.'iniM h
sieber gestellt iiind. Et» liegt im Intersüse aller, wenn die Frage der Beziehungen zwi^cbou Indo-
geimanen and Babyhmiem und Semiten, deren spKtorsr Bebaadionf {eh »ich nicht «nfasiehnn
»'..•nie. vor dcT Tlaml iiri:iti'„n>vriitnttrn Moibt. So viel sei vemton, daß die Babylonler an der
Erfindung des Ymir- PaniHamythus uu.sdmldig ikiud.
8
lU
Franke: Kant und die attiudiäcbe Fhilowpbie.
Vqlusp& 3:
„Einst war es der Zdten, als Ymtr hauste,
es war nicht Saud noch Meer, noch kühle Wogen,
dw Ird« mid niigeads gefmidMi, noob dar olien ffimmal,
Klnft war im KlUte*, doch Otia uiigaids.'*
Nach Dämis. 7 der jüngeren Edda (Simrodc, H. d. IL', EL 16) tüteten ßors
Söhne (6dm, Tili u. Te) den Biesen Tmir.
B|?T. X, 90, 7 (Deusseii A. 0. PL 1, I, 157):
„Als Opfortier ward auf der Streu geweiht
Der Puruaa, der vorher* war entstanden.
Den opferten dn Götter, Selige
Und Weise, die sich dort soaaiaineiifa&dflin."
VaifrAdnisrndl 21:
„Aus dorn fleische des Ymir ward die Erde (^üchaffen,
und am den Beines die Beige,
DiT Tlimnii'l der Tlim^chalo des ftmtiailten Hioee»^
aU>r aus dem ächweiOe* das Meer."
Orimnism&l
40. Aus dem Fleische dps Ymir wurde die Erde Beschaffen,
aber au8 dtun Blute das Meer,
Die Bvtgft ans dem Knoehen, die B&nme ans dem Haara,
aber mn der Hlmsohale der HiauMl.
BBW.
%?.X, 90. 8:
„Aus ihm als ganz verbranntem* Opfortier
PloB ab mit Behanb geabohter Opfenafan (pf^adij jam)
13, Aus seinem Manas^ ist der Mond gswoidan,
Das Aii^v ist als S"r)n« jHtzt zu sehn, . . .
11. Htjit Ii deü Luftraum» ward aus seinem Nabel,
Der Hmimol aus dem Haupt hor^oi^chracht.
Die Erde ans d(^n Füllen*, aus dorn Ohre
Die Pole', so die Welten sind gemacht**
Aitareya-Upani^ad I, 1. 1: . . . „die Haut (sc. des f^'teilteu i'uru^) spaltete
sicli, aua der Haut entsprangen die Haare, aus den Haaren Kräuter und Bäume;
1) Onp gtnnunga. <l h. ihr h>no Kntrm, entspreobeod deu n AbIhv aetonden itola dw
indischen Philosophie und dem x^<*{ üriecbea.
8) <yratoj> woU te — ar „u Aabug**.
3) Holtzmann substituiert dafür in der Anm.^rbiriR „Blute". Auch Mogk in seiner flerm.
Hjthol. spricht vom Blute. Im Uriginal steht 6r treüa, und aveiii bedeutet nach Ooringa Edda-
Oloasar nnr „Schweiß, Schuim^. An» dam Schweife der ÜmvanlgDtOnit (Hfi^yafi^ «alatiad
aofih nach Maliü- Uiianisad 3 ((30 Up. 8. 744) das ürwiaaar.
•1) tiiiihi: Aum. 3 vou S. lltj.
5) „Vorstand".
6) Über die Beziehungen der Füße der Qotäieit ntr £rde vgL aoek daa II. Kapitel.
7) Richtiger: Die Uimmelagegenden.
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Franke: Kant und die altindische Fhilosophio.
115
... ans dem Zenguiigsigiied« entaiirang der Same, aas dem Samen die Wasser.*
Da das unten Bemeikle uns das Recht gibt, *neh den Hythiis toh der Teilung
des „Oplerrosses'* hierher m siehen, so ist sits BrhadiFa^yaka-üpamfwi I, 1, 1
(60 Up. S. 388) noch amsnfOhien: . . . „die Sonne sein (so. des Opferrosses) Auge . . .
die Kräuter und Bttume seine Haare*' ... 2. . . . „Der Ozean ist sein Verwandter,
der Ozean seine Wiege.'* Zum iety-tcn Sutzc \ Dämisaga 48 (Sirarock H. d. üt*
K 256); Aber Thör schwang die Faust uini traf den Riesen (sc, Ynür) SO
ans Uhr, daü er über Bord stürzte und seine FuUsohlen sehen ließ."
In Dumisaga 5 (Rinirnrk H. d. M.' S. 14, Di*' Edda 1^. 245) hahpn wir eine
jranz andere Version des Vinir-Mytl)ii>. die aber trotzdenj noch ilt utliche Verwandt-
schaft mit dem Puru^a-Liede zei^^L Danach begann dt r st lilaft'ude Yiuir zu
schwitzen.* ,.Da wuchs ihm unter dem linken Ann Muuu und Weib und sein
einer Fuß zeugte eiueu Suhu mit dem audem." Und Yafprddaism&l 33 berichtet
entsprechend:
„l'nt«r der Hand soll dem Kiesen gcwaohsflis Min
eia« lochtw und ein Sohn »asaauaen;.
d«r IUI iBvaan mit im IUI« klugen Riewn
einmi flachdrapfigBo Boliiu'*
Bgr. X, 90, 18:
„Zum ßrähmana int da sein Mund geworden,
Die Aimo zum Bäjanya sind gemacht,
Der TaÜya ana den Sehmiketn, aus doti FüBen
Der ^üdra damals ward hervorijebiacht.""
Aus iler griediischen Mythologie gehören hierzu natürlich die Mythen von
der Ueburt der Athene uns lU-m Haupte des Zeus, des Dionysos aas dem iSobenkel
des Zeus*, und manches un«lere.
Nach V(}hispA 9/10 wnrdcn nuch die Zwerge geschaffen aus „blutigem Saft
und aus bleichen Beinen," naturlich ebenfiills ih-n Urwesens:
„Da gin^n di« Beroior alle zu den Hichteistüblen,
Mbr heQig» OMter, und berieten rieb daran,
wer ersf li;iffi ti >ijllte der Zwerge S4-li;ir
aus blutigem iSaft' und aus bleichen Reinen."
vsw.
1) Entsprechend sch\(immt im griechischen Ifj-Uiufi das abgeecfanittene Zeiigaiig^lied det
Urauos im Meere (Pretler, Griech. Mytliologio I*, äG^ and 353).
2) Vgl iibiMi S. 113.
3) Das sind die vier Kasten.
4) Was doch offenliundig hesA^i-n soll, doli die polythcistiRchen OStter nlur Ifaunifeetatioiiea
4v üiÜTersalgDttheit sind.
5) & ateht aber da ^ Bnme$ bUf» •= ms dem Blute des Yuir, vgl. auch Hottzmaniw
Abk. sa dar Btoe|>lie'.
8»
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116
Fr«nke: Kant und die «Itindisohe PhiUmphie.
Vgl. Rgv. X, 90, 13:
. . . „Ava Minea Kund entaUnd Indn und Agni,
Tiyu*, der WM, ms asinw Oden» Wfllui.<*
Es gehören in diesen Gedankenkreis imtürlich auch alle indogernianischen
Mythen von der Teilung des ünvesens in eine männliche und weibliche Hälfte
und der so vermittelten Zeugung der Kreaturen, wie z. B. Brhadäranyaka-Up. 1, 41ff.
(60 Up. S. 392 f.): „Am Anfantr war diese Welt allein der Ätman». in Destalt eines
Menschen. . . 3. . . . Dieses sein Selbst zorfällte er in zvvi»i Teilt'; darans ent-
standen Gatte und Gattin... Mit ihr begattete er sicli; daraus enLstaiKlcn die
Menschen." usw. Die Beuüuaungeu von Gottheiten als der doppelten, zweifaclieii,
paarigen und die Mythen und Sogen von Blutschande bei indogermauischcu
Yolkem sind aus diesem pantheistisehen Orundgedanken su erklttren.
Was die Entstehung der Dichtung ans dem Drwesen anbetrüft (Rgv. X, 90,9:
,AvB ihm ab gaax trarbnmifeDi* OpferOtier
Die Ilynrnnn und Oe.sän^ sinrf mtsbuiden.
Aus ihm auch die Pnuklicdor allesamt
Und was an OpfentpifidiiMi ist voriiandfln*),
von der die Tmir-Sage nichts beriditet, so wird diese durch den eddischen Mjthus
Ton der Itttung des Krim ergfinst, dessen Blut den Dichtermeth ergibt und die
Skaldenknnst hervorbringt, die darum unt and. «KvAsirs Blut** beißt (Dftmisaga 57,
a.Simrock,H.d.M.9S. 215). Daß KvisirUnivei-salgott, die Quintes.senz aller Einml-
götter ist, ist ja noch deutlich ausgesprochen in dem Mythus, er sei entstanden
aus dem znsamniengespuckten Speichel der friedenschließenden A.sen nnd Yanen.
Dor Mythus von d*>r Tpilirn»:;^ des ürwcsens war einfach ein vrrr^'-riihf'rtf'r
Ausiiruck fiif dfn panthei.Ha.scht'u Ge<ianken, «laß jede Nutur( r>eh( iminu'. jedes
Wesen und jede (Jeistesregung in der Welt nur ein Teil der Uiii\ i!rsalgi>ttheit
ist Doü ist, wenn nmu sich überhaupt die Miiiiü nimmt, nach einem Siuue zu
siidien und sidi nicht freivillig die Augen verbini^, yolktändig kbr. Ednnten
wir aber auch den pantiieistischen Gedanken nicht aus dem Tmir-Furu^-Mythus
au sich erschließen, der Yeda würde ihn uns aufswingen, wie er, als fiiteates
Jndogermamsdies Denkmal ganz erwartungsgemKO, auch in anderen Ettlen der-
artiger Entsprechungen den Sinn am deutlichsten anfbewahrt hat «Nur Puiuva
ist diese ganze Welf^ beginnt die 2. Str. unseres Liedes. Pnru§a ist ja außer-
dem emer der Hauptnamen der Weltseele in den Upanifaden, s. B. Maitrftyapa-
1) Das sind Götter.
2) B. h. dj9 WeltBMle, a. di« qiitaim KapHd.
3i .,n;in:: verbtanntun* siebt aber nioht da, aonden mva-fnOa „ffoM geoffertem^S tgl.
ä. 117 und Aiuu. 1.
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Frmnke: Kant anl die altimUacb« Pbilowpbie.
117
Up. lY, 6 (60 Up. S. 328): „i)a*lnrch wird man . . . beim Untergaiif? «Ics Alls [oin-
gehOD in] di« Einheit d«g Pnru^a*'; Mahi-Närävapa-Up. X, 20 (60 Up. S. 249)
- dyetfCrvteni'Up. m, 9 (60 Up. 8. 298):
^HShvr ab dm nichli Andm ist TorhandcB,
Nifhts KleiinTes nnd nichts Oröß-^res, wa-q auch imiiwr)
AU Baum im Uinunel wuizelaU steht der Eine,
Dar Fan«», d«r dioaa gute Welt fllUe.
Im Pnru9a-Liede der serstfiekelte Pnniya als geopfert und in Bgv. X, 81,5
aoU der „Allschöpfor", Viatakamum, beim Opfer (Aamm) sdnea Leib siini Opfer
bringen, dm Leib, der nach Str. 6 zu sdilieBen, Himniel und Brde ist Knn
heifit «opfern'^ in ^gv. unt a. ktt. Davon kommen auch im Pimisa-Liede swei
Beseicbniuigen des geopferten Funqa, da« eben schon genannte havu «Opfer*
(Str. 6) und aarva'huta (ßtt, 8 und 9). Zu kuta aber ist die genau lanlgesetB-
lichf" Entsprechung unser gemianischos Wort ^(«'^ff"- Mit diesem wüßt'' man
bisher nichts anzufangen. Vgl. Kluge, Ktymol. Wörterbuch der deutsch. Spr.;
Sehnde. AltHontsrlifs Wörterb.. I.Teil, S. 342. Aus un.serem Mythus wird der
Name klar. Lind wenn das Wort auch als n. erscheint, so ist der iiiNprüngliche
Kinn vielleicht ..das geopfert« Wesen" »der ,.da.s Üpfer'\i Auch unser Name
„Gutt ■ zu.>44iiiiiK'iigelialleu mit li^v. X, 90 t-rweist also den puntheistischen Oottes-
gedankcn als uiiudogcrmauisch. Aus der griecbischou Mythologie gehört in diesen
Oedankenkreis & E die Sage von der Zerreißung und Aufiebnmg des Dionysos
Zagreus (weil von der üntvenalgottheit sogleich alles individuelle Sein sehrt),
und aus dem indogermanischen Kult und Yolksbrauch die sakrale Sitte, Tiere^
die Qottes^mbole sind, zu teilen und su venehren: Ofiferrofi, Jul-Eber (iden-
tisch mit d«n von den Einheijem als Unsterblichkeitsspeise Versehrten und
immer wieder wachsenden Eber Sjehrimnir, vgl. Yaf^rüdnism&l 41, v. 1., und
GrlmnismÄl 18; Simrock H. d. M.', S. 43), Stier (Rohde, Psyche S. 308. Anni. 2,
S. ni). Fisch (Kaqifen) u<\v. Win man zu diesen Symbolen kam. wt-rde ieb in
eini^'^i n Jahren in einem BucIk? „Die ürreligion «ier Welt" (iartim Di*» schon
an>r» fiilirte Stelle Brhudfiranyak(»-rp. T. 1, 1 beweist ja nncli mit klaren Worten,
daü das Roli die UoiversaJgottheit beileutet, wie es Taittiriya-Suijihita VI, 2, 4, 2f.
1) Aach wenn man daraa svetfeli, ob du Äquivalent für htUa »uch bei don Ccnnancn
..geopferf* und nicht bloß ,,ausgogri»soii" IwvJcutot hiitti;, wird an dem pantheistis<?hi»n Grund-
gedanken nichts geändert, donn pantheistifffh wäre der durch die "Wi-It ..Ergossi.'ne-' siiiherlioh
gemeint, wie es dif SnriHkritwort« für ,.!«--ha{fen" und „Schöpfung"' srj t;rfcit«ß<.'n und «rtti
r,Ergießung" sind. — Da übrit^ens die Muglichk«it zu erwägen iüt, daß dan Opfer «ich überhaupt
ei^t seknindär aus dem Mythus an<I dann dem Ritus der Oottesteilung hoiwuentwickelt hat, to
könnte uoter UnstHadea di« spWere Batwiddaiig der Bedvatnng nfeDpierf* ffir Ante genda das
Wwlii flicht) sein«
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118
Vrtmke: Kant und di« «ItiiidiKihe PhLkwophie.
vom Eber als Himmelsspeij^p und das IVi-sischo Kf lifjionsgespräch (s. Wirtli, Aus
orieatalischen Cluouilitüi, 1894, 8. llil) vom Fische zeigt.
Die panliheistische Gottheit, deren Körper die Welt ist, ist schon in indo-
gemumisdier Zeit noch dareh andere Bilder dem VeistHndnis nahe gebmdit worden:
insofern de sidi als Natur- und Lebenskraft und Weltgeseti dnreb alle Pbnnen des
Seins und duToh das ganae Weltall yenweigt« hat man sie sich unter dem Bilde
eines Baumes Toigestelli Einen Beleg aus dem alten Indien hatten wir soeben
in dffiT Üpani^aden-Stellet in der die notorisch panthetstische üniversalgottiieit
Porufa, „der diese gauze Welt füllt", iHn im Himmel^ wurzelnder Bruim heißt.
Eine zweite gleich deutliche Stcüo i>t Käthaka-Upani^ad VI, 1: „Oben dio
Wurzel, nach unten die Zweige, strht dieser ewige ASviittha'- (Feigen-) hnum;
das eben htilSt »las Krinc, das Pruliniiiii. clas ITnsterldich*', in ihm (oder: auf ihm)
ruhen alle Weifen, und darüber kuuiint niemand hinaus, wer es auch sei*'.
Auch im Taittirija-Brähmana II, 8, 9, 6 wird die pantheistische IJnivorsalgotthcit
Brahma, für das Holz und den Baum erklärt. woram> Erde und Himmel gezimmert
wurde. Und in der Bhagavadgita XY, 1— 3 MahftbhBrata \ I, 39, 1 — 3) beifit
es: „Van spricht von einem ewigen Airatlfaa'-Battme, der seine Wuxaeln oben,
seine Zweige unten habe, dessen Zweige die Teden sind'; wer den kennt, der
ist Tedenkundig** ....
Die „immer grüne", d. h. ewige, zu allen Welten irdischer und nicht-
irdischer Wesen sich ei"sti-eckende, mit ihi-em Tau lebengebende, über dem
Weisheits- und Schirksalshrnnnpn stehende Weltesche Yggdrasils «idcr Ytrtr-
dra.sill, die auch Schicksaisbaum lieilit (w//p/r/(V VnluspA 2, vgl. Mogk itn (iriindr.
der Herman. Philo). 3. Bd.» H. 370), ist nun .sicherlich <lerselbe zugleich Uuttheit
und Welt als deren Korper .sjiübtdisierende Baum, ebenso ..Hoddniimirs Holz",
in dem das „Leben" wohut, des (weben!) „Mimlrs Baum" iMlmameidr)\ dessen
Zweige um alle LKnder geben und von dessen Wucaeln niemand den Ursprung
1) Warum J-ir llininu ! ilicsi; (Jeutung für dio Ontthoit })at. ich unton kiira besprechen.
2) Ist es Ziifdl, diUi d'wMir Name „ Pferd«. sUud" l.H;tieut«3t v.wi di^r ^cnnaiiisohc Woltbaum
EBdha „des PferdeN des Ygg'' heißt?
3) Entsprechend leitet ja da« l^iruMi-Lied, Str. 9, die ve<lischen Lieder vou der Universal-
gottheit her. Die obige Stolle mit der Erwähnung der Veden, der Quelle h<khster Woibheit,
schlägt übrigens auch die Bruck« nun Begriff ,,Erkonntnisbaum'* der indogerinani->ohen Völker.
Weil die Gottheit, die der Baum syinboUüiort, auch Träger aller Woisbeit ist, darum gilt auch
der Baum als Behälter namentlich prophetischer Weisheit. Der Feigen - Baum , unter dem Buddha
seine Erleuchtung gewaim, goradehc- wie der Orakel -Lorl)eer von Delphi, ilie < Jvtikt.l - Eiche von
Dodona oiui wie 2. B. der Baom, der im Erxgebifx« gorwle «0 wie im Samlaiide noch jetzt dem
jungen lOldeheii den xakunftigen Gatten prophezdt, sind die gleidwrwsiM dieser Baom, der die
Oottbeit l>edeutete.
4) Aucb nach Mogk s. a. 0. und Simiock B. d. M.*, S. 30.
Frank«: Eunt mid die aUintiHli» FUloMpliia^
119
kennt {Pjqlsvni. 19 f.). der zugleich Erde und Unterwelt bewässernde l'aradies-
baum LiLiäfn, und andere mythische Baume im Glauben eui'opäiscber Völker.
Y<2lusp4 19:
n1«h wviS atehn eine BBshe, aie bellt TggdraaiD,
ein hoher Baum . .
dah«>r konuneu die Taae, welche in die Täler fallen^
er steht inunnr gtSm Aber den Brunnen der Uid.**
YgL auch BimiMga 15 ^imroek, H.iLM.« & 83).
Grfmtiiwndl:
2& „£ik|>yrair hei£t der Hirsch, welcher atdit in der Helle dee HeervatM«,
and beißt von den Asten des Ijerädr;
ahtf von seinen H^inien tropft e» in Uvergeimiri
daher heben alle RBaae ihn "Wtgt,
31. T)ie Wurzoln btuhn in ilrei BtohtDqgen
unter der Esche YggdraaUa:
Die Het wohoi anler der enrtan, onter der aweiten die Bnn^anen,
unter der diitten die weneohHcbän Hloner.'*
TaQirtlAniaiiil 45:
,J.if und Lif{>ra8ir, aber die lielden waxdis Tenteclt eeis
im Holze des Hoddniisii
Jfeq^anlen haben aie aiish nr Stpeieai
deher «aidett die MaBBohen eraeqgf*
Ein enorm groflee Gebiet der Mythologie und des yoUcaigljiabenB der indogennap
niscben YOlker wird mit der hier gegebenen Axiäusmg des Banrosyrabolcs der
Eitiänmg sogSn^lieb, und daß das der Fall ist, bestitigt iriederum die Richtig-
keit der Erkläning.
Es gibt noch eine fast Oberreiche MiP^se von Beweisstoft Aber Heschränkung
tut not. Ich hebe nur noch im Voriil)orgehen das urindogcnnanische Kroissymbol
(«T'kiiTidär auch vertreten »Ittrch Krnnz. Jlhiir. Rad, Nimbus. Sonnen^rliirm df-r
iiHli-rhi n Ki<nige. Keif df r K< nigskrone, »iie das (tottesgnadentum garaiitierly als
S'vmtf'l der allumfas«Mi<lt'n 'ii^tthcit henor. Seine mytliische, mystische, magische
und »akrale Be«lfutuu^ iu «lien Verzweigungen des Volkslebens und -glauhens
bis auf d«n hentig«n Tig rfihrt daher, daß es ein Bild der Gottheit war, augen-
scheinlich eingegeben durch die Wahrnehmung des Horiaontci»; und die Gottheit,
die dadurch ▼erainnbUdlieht wurde, war demnach gedacht als erd«, und das heißt,
ab weltnmfassend, pantheistisch.
Von da ans ergibt sich auch Klarheit über die GrOnde für die TMsachen,
daß dielndogemuinengötter so vorwi^send mit dem Himmel (vgL namentlich Dyaus
^ Ztvg) and mit dem Vfa.-MT (ür«"a>-*->tj zu tun haben. Wif flcn Horizrtnt, ho
Jehui HMD auch den Himmel sich vorstellen aU die Erde eiuschüeßend und kann
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120
Frank«j: Kant uud die altindtstiho Ffailosophia.
also die Gotttieit, die alles umlkßtf »uch als Im ffimmet wdinend denken eder
direkt als Himmel benennen. Das Halbrond des Himmels hat ferner auch an
eine EihiUfle erinnert und so den nnüten Gedanke» vom Weltei herroigenifen
(s. z, B. Ghindogya-Üpanisad 111« 19 — 60 Up. S. 116). . Stellen irie Aitareya-Üp.
1,1,4 (vgl. oben die Erörtening Uber Ymii -ruru§a), Maha-Up. 3 (60 Up. S. 744),
Bäma-uttjira-tn; ;iMTva Upuni?a«l 5 (60 Up. S. 826). Äninoya-Up. 1 (obenda S. 693),
und schon Rj^veda X,5l.l beweisen, daß da.s Ei nicht das Woltali sclilechthin,
sondern das von der Universal^ottbcit durcbdrunpene Weltall be<iciitot. Auch
nach der oi-phischen'Theogonie (s. Prcller. Griecli. Mythol. H. S. 41) entstand aus
dem Weltei zugleich mit dem Lichte Eros, wie nach Mniti Ayaiia-Up. VI, 36
(60 Up. 8- 361) in ihm Äunaii und .Soiinengiuiiz verbunden sind. Augensclieiu-
lich hat die Sonne als der Dotter des Welteia geprniten, und daher kommt es,
dafl Sonne oder Licht und Uigottheit so eng verknüpft sind. Eros ist begriff-
lich — KauMf und auch dieser ist Uigottheit (|ligv. X, 129, 3 u. 4). Nahm man
Himmel und ErdflSche zusammen als die Grensfllchen des Alls, so konnte man
audi diese Zweiheit in Eins gefoßt als die allumfassende Gottheit oder als deren
DomisU gelten lassen (^e s. D. Bgveda X, 81,6 „Himmel und Erde** deutUeh
synonym ist mit TiSvakarmans, des .. Allscliöpfore", Leib in 8tr. 5), «las sich aber
wegen der offenkundigen Verschiedenheit beider Teile sehr schiu ll in ein (tötfer-
paar, in das fröttliche Urpaar Himmel nm] Erde auflöste (noch .sehr deutlich
z.B. Rgv. T. 164,. 1.3), von dem alles abstammte, weil alles iieiu von der Uui-
versalgotflit'it liei nihrt (cf. Ymir-Mythus).
l)u.s allein wiirde schon genügen, inis versiandiich zu machen, daß von da
an nicht nur der Himmel, sondern auch die Erde al.s Oott- (später gütter- usw.)
durchdrungen galt, wenn nicht schon die andere F<nmulierui^ des paathefetischen
Gedankens, daß die Gottheit in allen Dingen sei, sehr vermutlich, in bc^greif«
lieher Weise, gans besonders an dieser Erde haften geUieben wäre.
Ans dem pantheistischen Gedanken erklArt sich auch die religione;ge$ehicht-
liche Bedentung des Wassers bei weitem am einfachsten. Es war eine urindo-
germanische Idee, daB der Ozean wie ein Ring die Welt bezw. die Erde umfasse.
Wenn aber sowohl Gott wie <ler Ozean der weltumfassende war, dann fielen beide
zusammen. Darum galt den Griechen ilxeavog als Oott und als Anfang aller Dinge,
als der universale Urgott.* Ist ffmer <\\p cranz«» Welt nur nif; tlnm Kfirper der Gott-
heit hervorgegangen, darui rtmlUe dit'ser .Satz, in der Spi ,i<-Ii<" d- s ( l/.ciini^eflnvikf'ns
ausgedrückt, so Itiuteu, daß die gauae Welt uus dem Wasser (Urwasser) stamme.
1) Vgl. abei- auch das Ozean- GIcicbuis von Brbadaranyaka-UpauiNad 11, 4, II in Kap. lU.
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Franko: Kant und dio aitiadiscbe Jtliiioaopfaie.
121
So hftt der Sati in Hat boi den Urin^kigeniiMien ebenfalls geUutet Yid-
leicht darum heißt die FrodiüEtion der Welt ans der Gottheit ein BrgieBen und
die Gottheit die Brgofisene, b. oben. Kun, Bitsei aber Bütsel finden ihre g^latte
Lüeung bei der Erkenntnie, daA die indogermanische Beligionsentwioklnng ihren
Ausgang Tom Fhntheismus nahm. Ich kann es aber Tersteben, w«m dieser
Gedanke, so selbsn-crständlich er mir selbst in jnhrnlanger Erwäguni; der Dinfje
und der scheinbarpu Widoi-sprilche geworden ist, schwor Kinpuig finden wird.
Wir sind z. B. durch Kirche. Schule, und die Mytlienforschung bis ins Innerste
daran frewöbnt, fWo pei-sönüf^he rirttt('s;mffn«*;tinir für etwas Solhstverständliches
zu halten, uiul liii.' Alvtln^ln^'icii der vei-schiedensten Vöilier scheinen uns die
Kichtipkfit (iavun greifbar deutlich zu machen. Wir vergessen aber erstens, daß
Avir diese Mythologien mit ilirer tius bloßer Namenviclheit entwickelten Vielheit
persönlicher Götter nur an ihren Endpunkten kennen, und zweitens, daß der
erste Yersaeh wissenschaftlicher Auffoesnng derselben, der der nachfolgenden
Betraehtung im wesentlichen die Bahnen wies, noigedntngen nur die hervor^
Btechendsten Zflge erfaßte. Wer es unternimmt, das Tiele zu deuten, was bei
dieser ersten Sichtung durch das Sieb der Wissenschaft gefallen ist, kommt su
anderen Kesultaten. Bä hßglt an der Kcnstruktiim des Siebes, nieht am Material,
daß wir jetst kopfschüttelnd vor dem stehen, was die Religionswissenschaft uns
da zusammengeschütt<;t hat Schon wer die (Jöttcrpersonen der vcrscliiedenen
Mythn!nf,'ifii der iiKlogermanischrii Völkor darauf hin ansieht, was dieselben
repraspiiticn n, wird, wpnn er nicht mehr rjunh die polytheistische Brille sieht,
sehr bald gewallt wcnlcn. (lad so ziondiil» jode noch etwas vom ITniversidgott
an sich hat Dtr ,,IIt'nt»lh<.i.siiai.s ' ist durclinus nicht bloß eine Eigentümlichkeit
der altiadischen Religion. Und <lie persönliche Göttcrauffa-ssung, die wir aus
den Bergwerken der Religionen gut wie ausschließlich abgeteuft haben, ist
ja durchaus nicht die einzige, schwerlich eine piimi&re, kaum eine sehr fein«
einnige, und sicherlich keine selbstrerstiindliche. Uan denke sich sJs Urindo-
germanen der Aufgabe gegenlibeigestellt, das fruchtbare Leben, die Triebkraft,
das Ftinsip der Ordnung ringsum in der Natur und der ganzen Welt mit
einem einzigen Worte zu benennen. Wer würde da wohl zuerst an eine Person
denken? Es liegt viel nSher, möglichst allgemeine, möglichst von der Beschränkt-
heit der Menschennatnr abstrahierende Symbole zu wählen. Vielleicht wollte
man sie Ja auch p^nido als etwas Unverstiiiidlirlio«. rlt in 'Mi'iischon nicht Analoges
bezeichnen. Sic nat h Analogie do-s Menschen zu defiiuon ii. darauf durfte man
erst gekoiiunin sein, als der ( iidtesbegriff abgegriffenes Kurant geworden war
und man beim >'unien des wirkenden Gottes uui* noch an diu Fuimen dachte,
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122
Frauke; Kant and di« alÜDdische Philocophia.
in denen ach das Sein und Handeln menscUicher Subjekte Tolliieht 8eU»t die
Penonifiitation in Gestalt des Umeaen (Ymir, Puru«a) dtirfte davon Iceine Aus-
nahme machen. Daft anch diese schon Produkt der Entartung des einfachen
üii^dankens ist, beweist ja die Grobheit der materialistischen Einkleidung des
erhabenen Gedankens. Der große Gedanke an sieh muB hier das Prius gewesen
sein, weil ohne ihn der Mythus pir nicht TerstSndllch und vurhanden sein
wiinle. Auch das Vorhandensein anderer Oötterwesen, die das einzige Urwescn
schlueliteten, ist ein Widerspruch und beweist also die sekundäre Entstehung
der Erziilüung.
Was hat min diese so charakterisierte indogermanische ITrrelifrion oder
-Philosophie nut Kants I^ehre geraein? — Mindestens den tiedanken, daß die
erscheinenden Dinge von zwei Gesichtspunkten aus zu betrachten seien: den
wahigenommenen Erscheinungsfonnen nach und nach deni darin Torborgenen
Seinsprinsip.
Aus dem vorheiigehenden Kapitel ist deutlich geworden, daß die Singer
der Lieder, die den ältesten literaturschats Indiens ausmachen, nur nut uraltem
Krhe gewirtschaftet hahcn. wpiin si(>, in manniirfucli-tcr Wri<f, dm pantheis-
♦ischeri (!c<l:iiikrn uus/,iiiii iu'ki'ii suchten, der ilucm ^--im/.en reiigi(>s-phil<'supliiscli(>n
Siiiiu'ii ilie (»rtiniltichtuiiir gal». Aher auch ln'iiii liirveda fehlt, zwar iiirht so
viel wie bei der iiulogermanischen üiTeligion. aber tli>ch viel daran, dali das
Vorhcri>icheu des pautlicisti^chcn üedaukens den Tatäuchcu entsprechend go-
wflrdigt wäre. Den Beweis dafttr wo. erbringen faieBe den gansen Bgveda neu
übersetzen, was denn auch eine gebieterische An^be für die nSchste Zukunft
ist Beim jefangen Zustande bedeutet das Zitieren* in sehr vielen FSllen ein An-
rennen gegen Wfinde und Balken der bisherigen Yeden-Exegese, ich wfirde
diurch Einwinde widerlegt werden, die in Wirklichkeit keinen Inhalt hal>en.
Audi nur oini^armaHen freie Bahn ZU machen, würde ein unistündlicheres Ver-
fahren sein als eine vollständige Übersetzung auf der ueuen (Trundlage. Auch
der (lesichtspunkt der ZweekmäHi/jkeit läßt es also nicht zu sehr bedauern, daß
die Riieksiclif auf die Raumgrenzen eine dürftige Auswahl ii 'tiir macht. Ich
n-f^ff" !d>i'r dn's«' Auswa!»! nnch Möglichkeit so, daß für ousere ICaut-ParaUele
mogliclist viel Gewiiui ubfallt.
Kapitel II.
Kaut und der BgTeda.
Franko: Kant und dio altindische Philosophio.
123
Die uralte Einheitsidee wirkt nach in dem zwar allpemcin anerkannten,
aber nicht in seiner histoiisilicn Verknüpfung pewürdighn „hcmitlicistischen"
Zuge des rgvedischen „ r<»ly iht^ismus'', d. h. in der Eigentiimlichkcit, dfiR jede
oder fast jede Gottheit gelegentlich noch als die Gottheit xai t^ox'j^'i \jiü-
versalguttheit, oder wenigstens als höchster Gott ompfimden und gepriesen wird;
ferner jn dem gleich allgemein «neikannteo rgvedischen und naoh-igrediaohen
Streben, die vefschiedenen Götter miteinander wo. identifixieran. Yidleicht das
schönste Beispiel ist Bgr. I, 164, 46: „Sie sprechen von Indi», Ifitm, Tanufa,
Agai\ da ist ferner jener sdiikibesehtriugta hinunlische Tegel; das eine Seioide
(oder: das, was nur Eins ist) benennen die Weisen auf versehiedene Arten, de
nennen es Agni, Tama, Uatariövan'S — Als ein Versuch, die polytheistische
I}6cadence aufzuhalten und wieder sur Universalität zurückzuioiten, ist wohl nttch
die vielfache Bilduni^ von (sexuellen und nichtsexuellen) Götterpaaren zu verstehen.
Psintheistisch zu verstehen ist Varums Name „ Umfasscr". Vanina bedeckt
denn auch die "Welt wie ein Mantel, Ryv. VIII, 41,7. In ihm sind die drei
Himmel und die di-ci Erden enthalten nach Kgv. VII, 87,5, und alle Dinge
zwisciien den zwei Polen sind seine WohnstUtten, ebenda 2. „Umfasser" heißt auch
Vrfra und Fa^, und an^ sie beide, die etdumiBseBnde Wanersoblaoge, waren
xweifelloB ebenso wie die germanische MidgardscUange, schon in indogermar
niscfaer üneit erdnmfossende UniTersalgetUieit gewesen, wie ich auch im L Exp.
andeutete. Die so qrmbolisierte AUgottheit war nur ans der Hode gekommen
und darum diskreditiert, zum Dfimon geworden. Out und böse sind in der
Religionsgesohiohte, wie jeder aufuierksarae Beobachter sehr schnell finden muß,
ganz neben.sächliche Akzidenzien, Tom Zeitweehsel, Farteistondpunkt und ähn->
lieben Zufälligkeiten abhängig.
Tri rariiujyfl sind alle Wesen und die drei Himmel bepründet, in ihm
fließen die dreifachen Wasser, Rirv. VII. 101,4. .Savitar umfängt dreimal die
ärnnze Welt, Rgv. IV, 53, 5. Sarasvati „trfiillt'' „das Irdische'*, „den weiten
Kaum, den Luftraum", Rg\-. VI, 61, 11, gehöit also „drei tiebieten" rn, ebenda
12. Das sind dieselben drei Gebiete, die Vi^nu nach immer wiederkehrender
Wendung mit drei Schritten dordimessen haben solL Die dt«i Sdiritte bedeuten
seine aUdnrchdiingende Natur. Yon ihnen hat man sdion in der Indogermanen-
sät gesprochen, denn die Spur des untersten dieser drei Sdiritte, durch die
Brdenwelt, findet man noch jetzt überall auf Indogermanengebiet in Stein gedrflekt
Selbst so verknöcherte stereotypierte persönliche GOtterfiguren wie die
Asvin werden vermutet sowolil „im l.icht des Himmels'*, wie »auf dem Ozean"
(Viil, 10, 1), „im Luitraum'' (V, 73, 1), „in Gewässern, in menschlichen Siede-
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Frtnke: Kunt und diü altindiMhe Pbiloflophie.
lungon, auf dem Gipfel des Gebirges*' {Vn, 70, 3). Und einige Beispiele dafür,
wo nbendl man sich den Agni, angeblich das peisonifizierte Feuer, gedacht hat,
wmlen wir unten noch hctrachtt>n.
Asura (von asu „Lebeu", das von as „sein'* kommt). ..Kopräseiitant ilor
Lebenskraft" (sc. der patizon Welt) ist das Epitheton j^erado der ältesten und
fjrößten Rf^vedu-Ciötter. und uii müssen zntrehen. ein auReronh'ntlieh ;;liicklich
«,'«Mvählt«'« Epitheton jKuulii'isiisciii r (iottln it( ii. T)»'r eranisebf -l/j^/ra beweist
.selion vmindisehe Altertuiiilicbkeit. Daii späterhin AHura Danmn btileiitet. be-
ruht nur auf dem in seiuer reUijionsijeschiohtüclieu Bedeutung vorhin schou
kurz charakterisierten StinimungsuniadilBg.
Einer nahe verwandten Idee verdankt die vereinwlte rgvedische Beaennnng
der Gottheit als Ätman „das Selbst**, „die Seele'* ihr Dasein. Daß Vit» in
BgT. X, 92, 13 Ätman heißt, braucht ja freilich nicht notwendig viel su bedeuten,
da „Windgott** und „Seele** als einander nahestehende Begriffe gelten können.
Aber aueh vom Gott Sfiiya heißt es Rgv. I, 115, 1: nSOiya füllt Himmel und
Erde und den Luftraum, er Hie Seeh» des Be\vL'':liehen und IJubowepüchen**.
Selbst Silrya, der „Situnenpitt", ist eben unetulllch viel mein-, als nur die per-
sonifizierte und deifizierte Sonne, er ist die l'niversalijottheit, die, aus speziellen
Gründen, unt. ai. auch als ..Snnne" benannt ist. K< ist. vom (»esichtspunkt eines
ernst<'n Beweises aus. ganz zwecklos, ein "Wort (iaruber zu veHi4>r<'n. wi li lies
dies>' ^-|ll■zi(•!l•'ll (iriinde j^ewesen sein mögen, 'ii iui nach eiii-fut iliL-t in Kiiiu ■'-.en
gilt autli Imii ein „iguorabimus". ]»iur um zu zeigen, dab es noeit niauche
andere Möglichkeiten gibt als die Erklärung aus der „Personifikation einer Natur-
erscheinung**, verweise ich auf Haiträjana-l'pani^ad VI, 8 (60 Up. S. 334): „Er
(8C. Atman, die Weltseole) ist der, welcher dort [in der Sonne] glüht, umgeben, wie
fbuer von andcrm ^uer, von dem tausendaugigon, goldnen Ei*' (d. h. von dem
Licht- und Stemenfinnamontl. Es ist der Grundgedanke der Upanifaden- Philo-
sophie (vgl. Kap. III), daß die Univeisalgottheit quasi von einem Gürtel empi-
rischen Seins umgeben sei, das aus ihr .stamme, wie z. B. das Feuer von Funken,
die aus • i horaussprühen, oder, dürfen wir nach der angeführten Stelle viel-
Inirht liin/ufu^'en, wie die Sonne vom Lichtliimmel, dessen Licht nur ihr Abglanz
ist. ihis Bild ..Sonne" ist vielleiebt zum Namen des Wesens irewniffcii. das es
deutlich nifielien sollte, wii' .mcli der (rötterniinie ..Fi'iier-- {Ai/m' usw.) \ii'!leicht
«ieia aii^H'gt heiitu Bilde cutstaunut, das tiaua sclmu \urindiseli .seiu l^uniite. In
beiden Füllen aber wiirc mit dem Bilde zweifellos die pantheistische (tottheit
gemeint, denn nur auf eine solche würde es passen. Die Sonne ist (ptasi
der Dotter des gottcrfüUten Wdteies, also auch ganz besonders geeignet, die
Franke: Kant aad die «Itiadiaehe PbilMophie.
125
immaoeüte Gottlieit, den Quell alles Lebens, darzuusteUco. — Nur cm wenig variiert
ist der Ausdin^ ixt Bgr. TU, 101, 8, wo der LiedsSnger yon 0«tt PaijuiTB
singt: „Er ist der befracliteiide Stier aUer in Ewigkeit neu eradieinendoi weib-
liehen {Wesen), in ihm ist die Seele ^tman) des Beweglichen und ünbeveg^chen*^.
Wie dann in der indisidieii Philosophie der paatheistische Gedanke in dieser
. Xtmaiifomi in den YordeTgnind gerückt ist, werden wir nocli sehen.
Die Gottheit wohnt im Innersten der ganzen Welt und aller einzelnen Wesen
und Din^M". Sie heißt darum „versteckt". z.B. A?ni R-xv. III, 5, 10 [guhd san-
tam)\ V. 11.0 {(juha hita/ft); i, 65,1: „Ihm, der sicii im Versteck verbirgt, folgten
auf seinen Fuüsipiiien ' die Weisen, wie man eiiu ni veisteckten Dieb nachspürt
vermittel.st des (gestolilenen) Viehs'* (d. h. veiiniitelst der Fußspuren, die dieses
hinterlassen bat). I, 67, 2 (3) schließt sich im Gedanken eng an. Agui Iteißt da
wieder pirJbl nutdan „im Terboqsenen sit8end*\ und es geht weiter: „Ib fanden
ihn da die weisen HDbrner" . . . und dann Str. 5 (9): „Der mit Macht wichst in
den Pfianaen und in den fruchtbaren Wesen, der Geist in der Wasserwohnung^
das Lebenqirittsip aller Wesen, die Weisen haben (alles) dnrehmessend (ihn) zum
Fundament (aller Dinge) genuidiL*' VI, 9,7: „Alle Götter verehrten toU Puroht
dich, Agni, der du dich im Dunkel befindest {lamtui tasibiva^mitn).'''' Als der
einiach große Gedanke nicht mehr verstanden wurde, ist der Mythus daraus
gemaclit worden, Agni sei einmal entflohen und hätte sich im Wasser vei-steckt.
Die im Innern der Welt wohnonde Gottheit ist wie mit einem Man toi ver-
hüllt (wie umgekehrt, s. oben, rüe^elhe pantheistische (inttlieit, du- ja zugleich
auch die ganze Welt uniluiilr, ^^elteii kuaiite iil.-^ ein .Mantel, drr die Welt be-
deckt). Jener Mantel ist der Mantel des Varuna in Kgv. 1, 2ü, 13; „Varuna tnigt
einen goldenen Mantel, er kleidet sich in ein Prachtgewand (mr^om).*^* In den-
selben Hantel (mit demselben Worte dnl^ beaeichnet) wie Tarup, gekleidet ist
auch Gott Sorna (der natOiiidi auch unendlich viel mehr als eine Personifikation
des Rausehtrankes ist) IX, 88, 14: „In einen Hantel geUeidet, der bis aum Himmel
reicht, der verehmngswürdige, den Luftranm föUende, den Wesen «ingefögte**,
und Gott Savitar IV, 53,2: „Des Himmels Triger, dar Wesenheir der Welt, der
Weise, le^^t einen bnutcn Mantel an ... er der den «eiten Raum füllende."
£s ist derselbe Mantel wie der blnmen- und tiergesciimiiekte p^olrleue Mantel
dos Zeu.s (Pflanzen urni leitende Wesen sirid «»hen der Gewaiulscliimu k der Welt-
gottheit) und wie der blauo fleckige, d. b. baute ALautol des OSiu-Wotaa, wozu
1) B. Il flu enehlflsmii ans Beinen Uaiiifeittatioiien io der Nater.
2) Wenn nirnij vi' ltni hr dio vnri Fi.sd^*;! Veü. 8tud. II, 114 Sun aqgewhrielieae Bedeutong
„Gestalt" hat, würda mch diese voitiofilich paHiiea, a. unten.
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Franke: KtaA und die aMindiadM Ftkihnophk.
das in Kap. I über den ffimmel als Alluiufassor Gesagte zu vergleichen ist. Ancb
ötSins Beiname Orfmr und Grimnir, der ..Vrilun te" (Mogk im Grundr. «ler Geim.
Philol. ßd. 3* S. 335) kennzeichnet ihn als die im Innern der Dinpe verborf,'ene
GotÜieit. .lenor Mantel ist auch dn*^<f'll)i' Kleid, vnn dem Goethe, eia den Oiv
weisen koagenioler (ledankenfinder, im Fuust «It'n Uuist sogen läßt:
„So schaff ich am iMwaendep Webatnhl der Zeit
TTnd wirke der Oottfaeit lebendiges Kleid."
Wem fiele es wohl ein zu be/.weifelii, duti der Dichter mit „der (iitüheit leben-
digem Kleide'' die Natur geiueiut hat? Warum bezweifelt mau es also bei deu
idten Indegermanen?
Die SraeheinnngBwelt, in der die Oottheit veiboigen ist, gilt andi als ver-
hflUende Bihant, |tgT. 61, 1: «OroiB war jene Eihaut, derb war sie, in die
eiagebOJlt du in die Wasser* eingingst, alle deine vielfach verteilten Leiber,
Agni Jstavedas, sah Bin QotL«
Hit Leichtigkeit wird jedermann erkennen, daB hier die Stelle ist, wo sieb
der undte Mythus vom Weltei oiganiiMih aogUr'l' -r
Ferner gehört in diesen selben Zusammeniiang die Benenuung der Oottheit
als garbha „Embryo'', so des Väta Rgv. X, 16«, 4 ,,SeeIe der Götter, Knihnr» tier
Welt'', di*s Agni Kirv. I. 70,3: ,,Der der Embryo im Wassi-r. d(*r Kml>rvo in ilen
Bäumen, der Embryo im Stehendin und der Embryo im Bewegliciieu. dt r selbst
im Felsen, der in uns ist" . . . und .sonst, Atharvuveda IV, 2, 8 beweist die
Identität des „Embryo" in den Wassern und de» in „guldeucr Eihaut^ Ver-
hüllten.
Saa soeben angeführte Rgveda- Zitat X, 51, 1 : ... „alle deine Leiber (viiv&..
ftmvo), die vielfaeh verteilt sind, o Agni jBtavedaa, sah Ein Qotf* leitet zu einer
anderen {gvedischen Anffassnng hinüber, die wir übrigens ja audi schon als
indogermanisch erkannt haben. Die Ekveheinungswelt, die man einerseits als
Hülle der QotÜieit betrachten konnte, hat mai^ auch als ihre Erscheinungsform,
ihre Verkörpening vorg«!st(dIt, und wegen der Vielheit der Dinge und Wesen
natürlich nh eine vielfältige Verkörperung. Stcüen wie V, 81,2 „In alle Er-
Pflu'iiuin;:sf(imioi\ {ri<r't mpflni) kloidet ^ich (irr weise Gott" (Savitar uämlich)
bilden die Brückl' zwi-^i lu.'ii dioc!- und iUt Mantol- oder Kleididee. ¥11,55,1:
„Vüsto^pati, der du in alle Ei-scl>eiiiungsfunnt'u {vtsi^ä rüpäui) eingehst.'' I, 117,9:
„ihr Asvin, viele Fomieu [purü varpaifisij auuehmeud". III, 53,8 heißt es vun
India: „Zu Bradieinungsform auf Erscheinnngsfoim wird fort und fodrt der
1) D. h. des ür-OaeaB, irgl. oben.
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Fr«nke: Kant ood die altindiache PhUoBopbie.
127
Mftchtige, iaden er ZanbozUldor {moya) rings «m aidi lierrorbringt", und
TI, 47, 18: flZu jeder einseben Daseinefonn hat er noh gestaltet, damit man
ihn leibhaftig Behauen ktone; Lidn bewegt sich rennQge sanberhafter Ersehet»
Dongsfonnen {mOgCäM^) vidgestaltig (iMmtrOfw).^ „Vielgestaltig*' (pumr^iio,
pwuvca^peu) und „allgestaltig'* (m^MrOjM) sind 5fter wiedeifcehrende Gdtter-
Epitheta, z. B. des Rudra II, 33, 9, de» Tva$tr I, 13, 10, und des Indra auch
X, 120,6. Derselbe Oedanke eischeint aber auch in freieren, weniger konzisott
und solbsherständigen Wendungen, z.B. VII, 101,3: „Bald wird er (Parjanya
DÄinlich) unfrnchthar, hald zf»ugt er, nach Wunsch gestaltet seinen Leib.''
Die beiden aii>:ffiihrti ii Worte für ,,Ocstalt'*, varpas und (da.s damit „ab-
lautende") rupa «olle» luogliclierweise eigentlich „Gespinst" bedeuten und mit
litauisch verpiü „spinnen" zusammeuhiiugeu (s. Ubienbeck, Kurzgefulittü Et^vniol.
"Wörterbttch der altindischon Sprache, s. v. mrpas), das 0. Schräder, Reallexiküu
der indegeon. AheortumdRinde S. 788, weiter mit griech. iiwttM „nähen'* ver-
knttpft. Sdum die Benennungen der Dinge der EtBcheinungswelt hssen es also
wenigstens als entfernt mfiglidi ersoheinen, daß man sie, sei es in der Bgreda»,
sfli es soh(Hi in einer ▼oiindisohen Periode, als eine Art Oespinst neh rar-
stdlle. DaB dem so war, dafUr qnedien nun aoBerdem eine Beihe Bgveda-
Str Hcii. Tn den mpi^ton von ihnen sind freilich nicht alle Einaelbeiten, wie ieh
sie auifasse, allgemeinerer Annahme so sicher, daß die Anführung In e.xteuso
sich empfehlrn würde Dus Licht erscheint da in allen als die Kraft, die die
Dinge der Er<t ht iuungsweit erst schafft,* Es gehören dazu, z. T. direkt, z, T,
indirekt, Stollen wie I, 115,4 und 5; I, 122,2; II, 3,6; U, 38,4; IV. 52,10;
X, 170, 4: und vHelleicht T, 95, 7, wenn Goldners Erklärung Ved. Stud. iJ, 189
richtig ist. In I, 159,4 üeiilt es vuu den Göttern: „Die Zauberbilder schaffenden
{mäyino) . . . spinnen neue und neue FSden innerhalb des JQQnune]s(-Bundes) und
des (weltnmfsssendei^ Heeres (vgL Kap. 1, 8. 120), die Weisen, Ghuutreichen.*'
In dieser letasten Stelle findet sieh noch em Wort von grüfiter Wiohtiglcei^
das Wort «n^ano. Bs bedeutet „die md^^dSiesitMiiden'' oder „-anwendenden'*.
Im Znsammenhattg mit dem Licht wird die mäi/ä anoh erwihnt Bgv. m, 61,7:
„Des Jiilra und Ysniva erhabene md^ vwtailta vielseitig (d. 1l su einer Viel-
heit von Erscheintin^en) das lieht".. .; V, 63,4: „Eure mät/ä, Mitra und Yaru^a,
spielt sicli iiäf dem Hintorgrunde des Himmels, die Sonne beginnt zu leuchten"...;
V, 85,5: ,,Auch diisc erhabene m^i/ü des horühmten Asura Vanina will ich ver-
künden, daß er in der leeren Luft stehend die Erde mit der Sonne wie mit
1) „Nones Leben schaffend" heißt denn tmch die Morgenröte Vll,8Ü, 2.
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Franke: Kant nnd die altindisoho Philosophie.
euem HeSiitttnimeiit (?, mAna) dtirchmafl (?, «> mameV^^ Das Spinnen der
Braeh«mung8w«lt ans liolitatniblea nnd die mOgä diif man also wobl ak in
begiifflifibem 2^anunealiang atehend betrachten. Da wix nun ferner in den
Stellen ITT, 53, 8 und VT, 47, 18 mOyä gerafi< zii synonym mit den rüpaSf ür-
scheinungsformen, fanden, zn denen sich Indra entfaltet, so scheint mir klar KU
sein, daß im Rgveda weni^^^tens hie und da <lie Erecheinungswelt als Schemen,
als rt'in optische Erscheiiumjcsart der Gottheit iregolten hat. Späterhin heißt
tnfii/(i Zauberbild, Blendwork. Wenn in d* n aii^i^cfiihrten Rgveda-l'articn die
Bcili utung nicht schon dieselbe ist, so ist sie mindesteus nicht Avcit davon
entfernt.
Wir dürfen also nnaer Urteil über das sachliche Verhältnis swiscben
der Fbiloeopie Kants und des Rgvcda dahin susamm^iiafls««: Seit der indo-
gemaniechen Zeit hat sich die Übereinstimmttng vertieft, besw. sie ist deat-
licher nachweisbar geworden. Wie Kant, so nahmen die Weisen des B^eda
etwas an sich Seiendes, Teiboigenes, d. h. doch ITnerkennharea, im Innern der
Ezsoheinongswelt an, die ilirerseits j^iem gegenüber ab nicht ToUgültig erschien,
ja sogar als eine Art Schemen galt. Es fehlt zur Tollständigcren I^uallele nnr
noch der Satz, daß wir ausschließlich durch unsere Wahrnehmung Kenntnis von
dieser mayä < ilialttn. Zu dicspra Satze sind die frilrrfmlcn Entwicklungsstufen
der indisoheu Philosophio, wie wir sehen werden, wirklich durchgedrungen.
Kapitel ID.
Kant und die Upanibudi'u Philosophie.
Dil' ii;if'li>te wichtige und hervorliebenswerte Gedunkensehirht ist ilir l'iiil»>-
snpliic (Irl L'p;niisini(>n. Da deren inneres Verhältnis zu Kaiit.s Ltihn*, wie n-
wiüuit, scliuu durch Deussen kurz charakterisiert ist, da ferner die Ilauptwerke
d{'r Upani^eu- Literatur durch Deusseus augeführte Cherseizuug allgemeiu zu-
gänglich geworden sind, darf ich m^, um Baum zu ^oren, darauf beaehrinken,
anstatt alle Belege für meine Sitse ausführlich su utieren, Einzelfälle aus-
gmiommen einfach auf die betreffenden Üpani^aden-Stellen in Denssens Ober^
setsnng au Terwoisen. Die Kemmasse der Upani^aden-IdteFatur entstammt etwa
1) Natorlioh liogt ein Wortspiel mit drei Ableitungen ans ein und d(.-r)>elb«n Wurzel ma
vor. IS» siod die xu tnäyä ptmewivu Bedeatoogen, die dimvs Wortbpiel deutlich iiiaoh«n, zu finden.
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Pranke: Kant and dia altindiMfae Fhiknophia.
129
der eisten Hllfte des letzton Jahrtau.scnd.s r. Chr., aber liic späteren ua«! spätesten
Werke dieser Gattung reichen bis ins ](it(d«Itev, ja bis in die Neaseit Für
uns kommen nntflrlieh hat nur die alten und ilterm in Betndit Die Anklänge
an die kantische Lehre haben sich In der Üpanisaden-Philoeophie gemehrt und
sind wesentlich deutlicher iseworden. Sie lassen sich in folgende Sttise su-
sanunenfassen:
Der Angelpunkt der ganzen Erschein ungswelt ist da;; Ich, das wahrnehmende
Subjekt. Zuweilen ist der Ausdruck diifür ein niaterialistisch klingender, aber
sohwerlieh gemeinter: ,,IIerz*' (Arrf).' So BrliadSra^iyaka-Up. V, 3: ,,Da8HerB..,
diis ist (ins All". Gewöhnlich aber jenes Wort, das im Zentrum der ganzen
U|);inis;iden-rhilosophie stellt, das Wort fltmnn = „8elbsf', ,,SeeJe'**, das den
Schatten seiner späteren Bedeutung schon in dni Rgvpda warf.
Vgl. die Stellen Brhadäraoyaka-Up. II, 5; Kätliaku-Up. II. 21.
Kautji vergleichbare AjiiichHuung ist ja bekannt; spoüicll konstatiert er Kr.
r. T. 8. 120 ff. als das Etwas, das alle ErlshnLng möglich macht, die einheitUebe
„transssendentale Apperzeption**. Vgl. besonders auch S. 128, Anm. *. Und es
klingt', als handele es sieh um Ähnlichkeit sugleieh von Oedanke und Form,
wenn Kaut S. 135 den Yershmd „die Oesetigebnng für die Natnr'^ nennt und
fortführt: „ohne Verstsnd würde es überall nicht Xatur, d. i. synthetische Ein-
holt des Mannigfaltigen <ler Rrscheinnngen nach Regeln geben'' (vgl. auch Pro-
legomena § 36 S. Ulf.) und wenn anderseits in der Brhadäranyaka-Up. III, 7,3
Yajflavalkya dem (»autama erklärt: . . . ,.der die P>de innerlich n frif'i'f. dt r ist
deine Seele, der innere Lenker, der unsferblichf." Es ist schwer, tiin' deutliche
(treuze zu zif-hfii zwisHien dem otNtf^ii ( ii uiid^atz und dem fnl;,n'ii(iiMi ; Die
Dinge und Wesen dur Welt knuifii wir au.ssfhlifßUuh als Voi-stelliuig. Aitareya-
Up. III, 3; ... „Alles, was lebt, was geht oder fliegt oder was feststeht, alles
das wird tml der Erkenntnis gelenkt, besteht in der Erkenntnis, von der Er>
kenntnis gelenkt ist die TVolt, die Erkenntnis ist (ihre) Orundh^^" . . . YgL
auch Sau9Ttaki-IJpw HI, 4; Chlndogya-Up. VII, 26, 1; Eaivalya-Up. 19. Kant
Kr. r. Y., s. B. S. 818: „Das Reale äußerer Erschoiuungen ist also wirklich nur
in der Wahrnehmung und kaun auf keine andere Weise wirklich sein"; S. 323:
. . . ffl» wird viehnehr klar goaeigt: daß, wenn ich das denkende Subjekt weg-
1) KToht mir bildlieh gemeint, d« die 'Weltoeele im Teiliiltaia zo dor Sinnen weit unter
mderem ven?Iichen wini mit dfm Herx in >;einem Verhältnis r.wn A(lersy.st«>n3.
2) Das ab«r auch noch in andoron Beziebungen eine bedeutende Kullo »iiieU. A. unten.
3) Aber es Uingt nnr so. Hit Rücksicht auf meine ScUnfikritik bimche ich bei dieSBii
Zu amniL'n^f- IIunL'en nicht zu |«-inli( h zu sein «nd aucb di« venohiedeoen S^ten des Oeistealabens
nicht allzu surgfaUUg ao!>L>iuand<^rxubaltcin.
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130
Franke: Kant und die altiadisohe FUlosopliie.
nehme, die ganze Körperwelt w^allen muB, als die niohts ist, als die Erschei-
nung in der SinnlicbJieit unseres Subjekts und eine Art TorsteUungen deBselben.**^
Dieses unserer Sinneswiilumebmung erscheinende Sein ist aber nicht das
wahre, eigeaitiche Sein, lehren die Upanifaden weiter*, nicht das Ding an sich,
Sagt K&nL Das Für-eclit-biiltoii desselben bezeichnen die Upani^aden als Nicht*
wissen" und vereinzelt als Mäyä (..Illusion", ,.T?1i'ndweik"), wie es selmn der
Rgveda getan hatte. Vpl. z. B. Kathaka-Up. VI. 7: IV, 2: . . . „aber Weise, die
die Unsterblichkrit nkannt haben, suchen nicht das Bestiindiire in den unbestän-
digen Dingen"; bveta6vatara-Up. IV. 10: „Als Blendwerk erkcnnr man die iNatur,
als den Ulejidwf^rk anwendenden (mäyinam) den großen Herrn." Mfindflkya-
Känkä II , 1 7 - 1 U (60 Up. S. 585). fifhadara^jaka- Lp. 1 V, 4, 1 9 - Küthakü- Uj). 1 V, 1 1.
Dazu vgl. Kaut, Kr. r. T. 8. 66 u. 402. Was Kaut und die indiscbo rbilosophie
hier trennt, ist meiner Meinung nach nicht so sehr der Umstand, dafi die indische
Mljft'Lehre das nur aus der Wahrnehmung Beltannte geradesu als in dieser
Vielheit, Verteilung und Gestalt in Wirklichkeit nicht Torhanden erklirt hat,
Bondon der, daß sie diesen bloßen Vorstellungsdingen ni^t gleich viele Dinge
an 8i<^ gegenübergestellt bat, sondern nur ein einaigeB reales Prinzip, das
Brahnuui, alias Ätnian usw., während Kant eine Vielheit von Dingen an sich
annimmt £t^;\'a.s wirklich äuicudes hinter dem Schleier der sinnlichen Anschau-
ungsfonnen nehmen jene Indier nicht weniger als Kant a?i. und das ist die
wichtige Übereinstimmung trotz der Abweichung iu der Art ihres Idealismus.
1) Ver auf Puallelen enrichi ist, ohne allia ingsflich mf ibreo Siim su achten, der fauin
dann weit«r Aü^^jirü' !;'' ifi 'Inti Tiiani -ri Iin über diMi Raum anfuhren, die an Kants Ix-kaiintt^n
Nachveü eiinnoru, daß Baum und Zeit :4)norisobo von uiuiurum Ödste gegebene Fonncu unserer
Siniienerimnntilia and. Gliindogya-Up. VU, 26, 1: „fnr den »o (die Dinge) annefaenden
stammt aji-N seinem Selbst (si'iner eigenen Soeli;) dur I'anm (rik'Kni . /* Klü nJi HI, 12, 7f.:
„Beides ist ein und dasselbe; jener fiaum aaßerhalb dus Menscliou und der Baum innerbalb des
Heiueheii; . . . und der Ranm üb Henmi*' (lepraduzieft Bnhnm-Üp. 2). Die Kritik dieser
speziellen Parallolo möchte ich sogleich jetzt orl^iÜL'.'-;, Dir 1 'hereinstimm irii,' i:-t utir e'iii>>
scheinbare. Für die Upanitadeu-rhilu&opheu sind Kaum und Zeit genau in demselben Sinne ideal,
irie «■ aUe empirteolien Bmge nnd, denn GliEndegya-tTik YII, SS, 1 aebUeBt: . . . „ans Beinen
F?f>!T,=t (lit-fir's AM", für Kant dagej^on »sim! l'aum un 1 Zi it cinf^rM-its und Ii" sinn'i' I i'n ErKoheinungeu
anderseits |innzi{)iull verschieden, jene .sind ,. rein " a priori, dies» aber orainnsch. — Wenn femer
eine 81^ wie Haitfiytiia-Üp. TI, Iß die Dinge ab ans der Zeit, Ghindogjra-Up. 1, 9. 1; VlU,
l'l; Nrsimhnpün atäpamya-Up. III als aus dem Raum*'' fs>'l. raii h Briia'Järanyaka-l'f'. TI!, 8, 4),
Kauäitoki - Up. I , Ü alti aus Zeit und Baum entstanden iiingestellt werduii , so ist sicherlich nicht
SD die MBgOoUteit su denken, dsB die altindlachen Vdsen sehoD wie Kant alle Sbneswahmehnraog
als abhängig erVannf i-r-habt hutti-n von fit n ri in- ii V. rstandesbugriffeu Zeit und Raum. ist ?phr
leicht begreiflicli , wie mm alles Seieodo als i'rofiuktc von Baum und Zeit auMassen konnte, ohne von
Begrifieo aprieti eine Abaong so haben. „Baom" ist nur efo andernrNaffle fnr des n AUunÜMseada".
2) Übrigen.«, wie bekannt, ja «och eoders Fbilflsopbiea, des Altartnns und dar Neosett.
TgL auch Kr. r. V., S. 642f.; 208{f.
Franke: Eut nni dl« altlndiMlM FfafliMOpln«.
131
Hinter dem Schleier tler i'iiijiiii^clieu Walunclimimp'n steht fin Etwas, von
den IiidiTii bp>;on<lprK das ..Selbst-' (a///?««) >, aus iflifj^ionsgeschictulichen Gründen
auch Bruliinuu, Puru^^ usw., vou Kam «las „Ding an sich" und ähnlich benannt
a&B. Ea^aka>t>II, 22, Sretttratara-Up. UI, 21 und YI, 11. Wie die
Mesaendieide das Messer umgibt oder wie die Bad^idten die Badnibe, wie
das Ader^tem das Hen, wie das System der Flfisae den Oaean', wie die
Sotaallwellen dasMuaikinstrament, wie SNinken ttndBauoh das Eener umgeben, dem
«ie entstammen, so die Formen des empirischen Seins den £taian. S. B{faadMnm-
jaka-üp. I, 4, 7; II, 6, 16; II, 4, 9; 10; Oman: «. B. Kaitrfyava-Vp. 71, 18;
Brhadäi-anyaka-Up. II, 4, 11; Feuer: Kau§Ttaki-Up. IV, 20; Maifrayapa-Up.Tl, 26;
31t; Mu9daka-Up. U, 1, 1; M59<][akyÄ.Kärika IV, 47 ü. (60 Up., ü. 598 f.)
Die STTuhoIiseho Oloichiing ünivorsalgott = Feuer (die sich im Alltagi^glauben
natürlich zu ciiitM- faktischen entwickelt hahon winl, wie aüp syml)n!i<<f'hen
(}[eiftiuiit::cn (irr H<'lii,Mon) ist über •waliiM'lirinlich zu'rlcicli alter als die Upaiiii^ailen
und hat auch tla» .spätere Denken lutehlialti^^ beeiulluilt. Auf ihr bi rulit, \s'ie
ge«igt, wohl schon die rgvedische (und möglicherweise urindogermanische) Be-
nennung der aodi in diesem Ealie xweifeUos zugleich universal gedachten* Oott»
heit als „Eeuer". Und im Buddhismus sind ihr sahtreiohe Bilder abgewonnen.
Dieses Etwas, dieses „Selbst" (alias Brahman usw.) aber ist undefinierbar,
unerkennbar gerade wie Kants rJ^ing an sieb'*.« Es heißt, wie es schon in
gemeinindogermamscher und in rg^edischer Zeit gebeißen hatte, nVerhOUt",
„▼ersteckt'', s.B. ÖvetBlTatara-Up. VI, 11: „der eine Gott versteokt (gO^iai)
in allen Wesen"; Mabrin^iiäyana-T'^p. 1, 5: ..Eines, verhüllt, unendlicher (Jestiiltung,
als All...."; Mundaka-Up. 11,2,9: ,,In goldener henlichster Hülle (koae)
Staublos x\u<\ tcillns Brahman thront." Statt stanbln^; ^nlltr wnhl besser „ohne
Dunst" (virajfDii) übersetzt werden. Denn aneh ,. Dunstkreis" {rajas) i^t ein^ dor
Bilder für die empirisiche Entfaltung des an sich „duustlosöu'* (viraja) Brahman
1) Warom 4mm« mit dwn lob identiicli ist (vgl. oben, S. 129), wird in der Schlufibetraohtang
klar werden.
2) Vgl. auch den TTr'i/.i'iin .Icr Gri>'i-li..ii , «. S!.
3) Vgl. die Ii«ispicle obcu au.s dem R^^vcda, die sich leicht v«'rmehren ließen. Für die
Siditigkett dieser Aasicht npricht ja auch die Üfaereinfttimmung von äveUsvatm-Up. TI, 15 mit
dt^m früher .inp-dfut. V]! ILr-' li^-Mytlias, daß .\gni, dt-r ,,KemTg(>tt", sidi im Wassor vei-stockt
habe. Deou io der Upaoi^ ist zweifellos nidit vom i'euergwtt, «uudem vou der alldurubdringuDdüu
OotQiat die Bede; von di«MT aber heiBt «e a. a. 0.: »Er, der E3ae, der Schwan imaitten dieeea
■Weltalls, er ist als Feuer in das Was.sor ein>,'»'f'anp'n."
4) Wie außerdem Miuser eigen«» Subjekt „au siuh selbst'' (iü-. r. V. S. und wto
dar WaHoibeber, die Oettheit (Kr. r. T. 539; ProkipMBeaa §8^ Im Xtman-Iiegriff vereiDigt
aieh nlididk das äPea.
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132
Frenke: Kant and die «ItindMcbe PbUowfiiiie.
oder Ätman, das denn anch der Sämkhya-Philosuplüc einen wichUgeu Termiiros
geliefert hat Iftthaka^üp. II, 23: „Dieser itman ist nicht dnrdi Worte so
erfassen, nicht dnreh Weisheit, nieht durch viele Gelahrtheit ** Ähnlich TI, 12:
„Kicht mit dem Wort, nidit mit dem Yerstand, nicht mit dem Auge ist er su
eilaSBen. Wie könnte man ihn erfassen als einzig durch das Fridikat ^Er ist*?''
& auch Brhadara97aka-Up.in, 4, 2; 8, 8; TBittirrya«Up.n,4; Eena^Up. I, 3; Hn«-
daka-Up. III, 1, 8; BjhadSranyaka-üp.ITT, 9, 26: „Er aber, der Ätman, ist nicht so
und ist nicht so"; und IT, 3, 6: „ Ahor die Bezeichnung für ihn ist: 'es ist nicht so!
es nicht so'" Vgl. Kant, Kr. r. V. S. 250; das transszondentak» Objekt aber,
\v<'l( lics f|pr r.nmd <lif>ser Krsolieii>iiiiu- sein mair, die wir Materie nrnncn, i-it ein
lilnlifs Elwii-s, uiiMii! wii nieht einmal vfi^stehen würden, was es sei, wciiii es tms auch
jemand sa^en könnte- ; auch z. B. S.Ö6; 232; 235; 257 f.; Prole^omenu § 14; §32.
Trotz dieser Uuerkeimbarkeit des Ätraau (ÜnUiman usw.) in seiner drei-
fachen Ei^le als Ding an sich, als Subjekt an sich und als absolute Oottb^t hat-
doeh der religiöse Drang auch die Upani^aden-Weisen dahin geführt, allerlei
Aussagen aber ihn an machen. Ebenso hat sch Eant nicht enflialten, die Eigen»
Schäften aufaulilhren, die tvir aus der reinen Oottes>Idee als einem blofien
Bahmen heraus Gott beiaul^n hätten. Diese Eigenschaften sind auf beiden
Seiten dieselben: Ähnan-^Brahman ist an sich einfach (niskala, akala) z. B. nach
Mupdaka-Up. II, 2, 9; Övetä4vatara-Up. VI, 2, 5; Mniidaka-Up. III, I, 8; er ist
einzig, univei-sal, z. B. nach Kansitaki-Up. III. 8; Bfhadäranyaka-Up. IV, 4, 20;
I,4,llff.; f^vefäl<5vatar;l- Tp. V\ 5; VI. 11; das höchste Wesen, z.B. Mahä-Näräyapa-
Up. I, 5; da.s Wesen Mvi We^en, wofür j:i 'lie ircsrinite rp;ii)isii'l('!i-Philosophie
der Ausdruck ist, wofür alicr- muli •-|iiv.irll an^efiilul wenlen nu)ir Kiithaka-
Up. V, iö; Muijdaka-Üp. il, 2. 10, BiliudiiruHvaku-Up. I, 4, 7ff.; II. 4, ö»; III, 7.
3 ff.; selbst der G6tter, a. B. Chändugja-Up. VIII, 12. 6 und Brhadäi-aflyaka-üp. I,
4, 6, in Eabeiform ausgedrückt Kena-Up. III, 14 ff.; das Urwesen, 2.B. Aitareja-
Up. I, 1, 1; Brhadtravjraka-Up. I, 4, 1; I, 4, 10; I, 4, 11; I, 4, 17; H, 1, 20;
MahS-NaiHyava-üp. 1, 1, 4; die höchste Realitiit, wahrhaft seiend, das „Wahre'*,
&B.HahS-Nira7ava-Up.l, 6; LXm, 2; Bfhadllra9yaka-Up.V,4,Taittinyä.Up.U, 1;
„das Wahre des Wahren", Brhadäraoyaka-Up.11, 1, 20; H, 3, 0; das vollkommenste
Wesen, Ä.B. KätbnkH-Up. V, 11; VI, 1; Chandogj-a-üp. VI, 1, 5; weise {yipa.<cit,
kai-i, manisin), z.B. Käthaka-Up. II, 18; Ifiä-Up. 8; ailgewaltirr, s. & Brhadäni-
nyaka-Tp. in, 8, 9; Mundaka- Up. 11 , 2, 10; frei von den Bedingungen di r Zeit,
iirni riiiideriicli, ewig, z. B. Käthaka-Up. II. 18 und 22; AvetÄävatara- Up. III. 21;
HihiKlilianyaka-L'p. III, 8. 8; IV, 4, 16f.: 20: "MaitiTu üuh- [Tp, VI. 15: frei von
den Bedingungen dej» Raumes, allgegenwärtig, unendlich, ist doch Ätman -Brahnian
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Firnnk«: Kant und die «Iti n d iH oh« rhilosopbie.
133
mgleicli in idlen Dingen, umfaßt alle Dinge, die «ranze Welt, den ganzen Raum,
s. B. Kttthaka-Up. II, 21 u. 22; VI, 3; Brhadarauyuka- 1 p. I, 4, 7 u. 16; II, 5, 15;
m, 7, an.; 8} 7— 9; lY, 4, 17 IL 20, dvettfroUini-Up. m, 9; III, 21; VI, 11.
YgL Kant, Kr. r. Y. 4691, 4631, 601, 539, 617. Es hat Bioherlioli nie eine
Religion gegeben, die alle mit Kants Qotteddee geforderten Eigenechiiton der
Gottheit in aolcher id^en YolUtonunenheit Utrer Ootüieit beigelegt hätte wie die
philosophische Knligion der Upani^aden. Wie mir scheint, haben die indischen
(und schon urindogermanischen) Weisen Kants Ideal sogar übertroffen, denn die
Forderung, daß di*' Outthr it iilli:f.i:f"n%vfirftcr j^ei, kann doch logischcrwfi^p nur der
Pantheismus erfiillfii. Wrnii iümr in der Tjortpsidpe .,das Dasein aulirr <ier
Welt (nicht als; Wrltsi elo)" und „die ^Uigegenwart" für vt-rcinbar hiiU (Kr. r. V,
S. 501), so ist das wühl durch zweierlei zu erklären und zu euLsuhuldi^cii : Durch
dt'a Zwang der herrschenden kirchlichen l'mdition, der anerzogenen Anschau-
ungen, und durch die UngehmMlQnheit einer rein abetrakten Idee, die ftbei^
wiegend von menaohliehen Wünsdien, nicht Ton philoeophischen Geeichlsirankten
gelenkt ist Kant will ja mit seiner Gotlesidee nur einen onansgefttUten Bahmen
au&tdien. DaB em solchee Wesen wirklich existiere, veriangt er nidit (s. speaiell
Kr.r. Y., & 462, Anm.* und 8. 636, 639 iL, Frolegomen» § 57 , 8. 176). DaB
man aber von einem Begriffe, von dem nieht su^eieh die Bealitit gegeben wird,
auch WiderspniclisvnUes nach Belieben aussjigen könne, ist ja seine eigene
Ansicht (z. B. Prolcgomena § 52b). Für die Vergleichung mit den indischen
Anschaminfron knmmt also diese tranzc ('tofthritsidoo nbf>rhaupt nicht emstlich
in Betracht Wcmi ich wrnif^tciis in a!l*'r Kiirzr mich damit besrhnftiptr;», so
geschah es, inn die Hoheit di r (iodesgedauken der Upaiüpdeu auch durch das
Urteil eines Kaut garaiuit'ieii zu lassen.
Zum Schluß Dücli eine sehr auffällige Faiullele: die beidei-seitige Auffassung
von dffl* lloral, die ftbrigeas gann Ihnli«^ aiidi im Buddiusmue sidi wiedwfindei
Kant Kr. r. Y. S. 627 Anm.: „Das menschliche Gemath nimmt (so wie ich glaube,
dafi es bei jedem vemttnftigen Wesen nothwendig geschieht) ein natttrliches
Interesse an der Mondität, ob es gleich nicht ungetheUt und praktisdi fiber-
wiegend ist. Befestigt und veigröBert dieses Interesse, vnd ihr werdet die
Yemunft sehr gelehrig nnd selbst an%eklSrter finden, xun mit dem praktischen
auch das speculative Interesse zu vereinigen. Sorget ihr aber nicht dafür: daß
ihr vorher, wenigstens auf dem halben Wege, gute Menschen nwicht, so werdet
ihr auch niemals aus ihnon anfriftiti^r^rläubifr'' ^IfHisrlu'ii niaflion." RG. b!.V., S. 6:
„Moral also fülirt unuriigaiiglieh zur Keliguui." Ebenso 8. 8. Weisheit und
Heiligkeit ist nach Kr. pr. V., S. 10, Aum. * „im Gründe und objectiv" „einerlei".
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Franko: Kant und die altindischö Philosophie.
KitlwlEa-Up. n, 24: „Mit Kicbton kann derjenige seiner, (sc. des Ltaua) dnreh
ErkeantniB teilhaftig werden, der no6k nicht vom BSeen abgdassen h«t, nicht
beruhigt, gesammelt, ruhigen Geistes ist« Und Buddha erUfirte, Dlgba-Niliija
IV, 22: „Duicb Heiligkoit geläutert ist die Erkenntnis'*. . .; er lehrte das, was
wio eino notdürftige Moral seines Systems atissioht, als Mittel zur Em'ichnng
der erlösenden Erkenntnis: ,,Dios, Mönche, ist die erhabene Wahrheit vom
"Wege, der zur Atlfhc'MUlC: <\f"^ Leidens führt," und entsprechend machte vr die
Hf'rzrii sf-intT Jlün'i- idiincr erst durch ninralischf nntcrwcisttnc: ' iiipfängiich
und vcrkilndi'tc iliiK'u erst dann dir ,. Iiüchsto Buddhaiehrf, v<iin Ijeiden, s. z. B.
a. a. ü. V, L'ü. Su aiilfiiüig ubur diese Übereinstimmung ist, so ist sie das ganz
selbstverständliche Resultat der beidcrscitigeu Prämissen. Diese Kongruenz beweist
also nidit einmal das Eine, daß die fibereinstinunende Sache etwas Notwendiges,
für die Menschheit bleibend Bedeutendes sei. Die Au%«be, weiche die Upani-
«aden- Philosophen und Buddha stellten, war die Erkenntnis der illusorischen
Natur des empirischen Seins und die Emanzipati<m von dessen Zwang. Innere
Abkehr, Besignation, war dam natfirlich der erste notwendige Schritt Selbst-
verleugnung aber ist ja das Wesen der Moral. Kants Oedanke aber ist, daß die
Moral auf ein höchstes Idra!, auf <'ine (lottheit, hinweist und hiniQhrt Die
parallelen Ausspruche sind also in Wirklichkeit auf ganz verschiedenem Boden
gewachsen.*
Kapitel IV.
Kant und Baddha.
Der dritte groBe Kreis idtindischer Gedanken, d-^i sowohl seiner Bo<leutuug
wie nninnisrfacher Kongruenzen wogen beanspruchen kann liior herangezoEri n zu
werden, ist Buddhas Lehre. Zeiflich schließen sich, w ie • s \vi iiigstens vinläufig
scheint, diese Gedankeiiiua.s-.tu unmittelbar an die Ktnuaa.sie der l'paniiiaden-
Literatur au. Die hi.storiscbe Persönlichkeit, die die Überlieferung als Gott-
menschen Buddha eingekleidet hat, scheint um 500 v. Chr. gelebt zu haben.
Ich stfltze midi im folgenden auf die in FBli-S^ohe abgefofiten Originaltexte
dos filtesten Kanons der buddhistischen Kirche, nicht auf seknndXre Schriften
über den Buddhismus, woraus man sich die Abweichungen meiner Ansichten
I) Kants XauäHÜtäisIt^hre bat mit derjenigen der Upani^aden und des Buddhismus nichts
als den Bt^griff, der ja aber etwas allgemein Menschliches ist, und den Namen gemein, oadsalW
iras dio Xam»-n anbeMfft, SO schetat mir die denrtig» Obenetnug der iadisobea Ivnäiii dutotw«
nicht zwetiebifreii.
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Franke: Xaat and die aUindiidie PUbiMpItin.
136
von den bekaautcii Darstollimgon des Buddiüsmus erklären wolle.^ Der alt-
ludischc Grundgedanke von der priiudpielleQ Yei°Hcbiedcnheit des Seins an sich
und des empirischen Seü» bildet auch die kistorbohe Gnmdliige tob Buddlu»
Lehigebftnde. Von ihm am ist alles zu beurteilen und begreifUoh, «uch die
Fisnilelen zwisohen seinen und Kants Ausspirficben. Das Nene aber und Be-
seidmende in Buddhas Lehre yrwr sein SUlenlassen der Atmanfrage, seine Ab-
neigung gegen jede Metaphysik. Weil das „Selbst** (AfiRon, Pili olM) der Dinge
eine imbekannte Or&fle ist und bleiben mufi, oder wie Kant sich ausdrückt, ein
X und ,,von negativem Gebrnuclic" (Kr. r. V. S. 235), darum hat Buddha jwle
Diskussion darüber konstant abgelehnt und spricht vom atiä nur in der negativen
form, indem er von allem Empirischen satrt. daß es nicht Ätman {an-attn) seL
Jede fnn£rliche Äußerung über den Atnian m einer seiner verschifMlrncn Be-
deutiui^'i n « (ier über Dineo. dio mit diesem Ätman zusammenhangen, ii< nnt
Buddha tadelnd eine ditlhi (d. h. wörtlich „Ansicht", in Buddhas Handhabung
aber so viel wie „tmboweisbarcs Dogma „luftige theoretische Ansicht über in-
dkkntable, namentlich metaphjsisdie Fragen^). Solche d#fkw iriren ihm dn
wahrer Greuel. Er seinerseits war (wie KanQ fiber solche hinaus, versichert
uns einer seiner Jünger im Anguttara-NiklTa II, 4,*7.
Es bleibt sonach von den beiden Komponenten des Weltenseins als Gegen-
stand der Srörtening für Buddha nur die empirische, d. h. die für uns nur ab
unsere Torstellung existierende ErscheinimgsweU Qbrig. Diese erklirt er einmal
ihrer Entstehung nach (eben als Vorstellung), zweitens ihrer Konsequenz nach
(als Leiden); daüu kommt die selbstverständliche Ergänzung: die Anweisung, wie
dieso«; Ix'i(1f^n mifzuhrltcn <fi In diesen engen Kähmen itigt sich der ganze
Beichtuni «l* r buddlii.-<tischen dedaukenmassen ein.
An Kaut erinnert in diesem Lehrsystem zunächst natürlich wieder die Ab-
trennung des empirischen Seins von jenem X, das jenseits von desson OrHiizeii
liegt Dann aber kommt eine neue sehr wichtige Kongruenz, die wichtigste
zwischen Kant und Buddha und überhaupt zwischen Kant und der indischen
Fhüoaophie, hinzu: Das Haltmachen an jener Grenze, jenseits deren kein Wissen
mehr möglich ist, der scharfe kritische Sinn, der von melapbysisdien Phantaste-
reien nidits wissen wollte, und die prinzipielle Gleichstellung der Objekte des
iufieren und des inneren Sinnes, d. h. auch die Charakterisierung der wahr-
genommenen eigenen Seele als nur empirischer Erscheinung, wihrend die Upa^
1) Die RaumbeschräQkuDg zwingt mich, hier lediglich di ■ iriui tergebnisse ■ r.^^r Jur h di«
Aibect für diaM Kaat-Scluift venuküteo Abbaiidlang über Buddhas Lahn wietlsnugebeiu
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Flanke: Kaot und die ikltiudmufae rbiloso|>liiü.
ni^en- Philosophie das Ich als objektive Bcolitilt hingestellt hatte. In diesen
Onmdxügen offeniwrt sioh eine so wunderbare Eongenialifät dieser beiden großen
Geister, doB wir alle anderen nichtssagenden FaroUelen bereitwillig daran geben
können, von denen in der folgenden D6tailer5rteTiuig noch einige auftauchen
werden.
Nichts in der Welt Wahniehrn bares, lehrt Buddha, ist „Selbst" {atta), oder
umgekehrt eusl:*'«! rückt: "Di-' ..flüchtige" [niü'-ni) Ersehciniingswelt und aneh
unser Ich ist nicht Atniau {an-attü), wobei .Vtjuiui \\ic(|cnim in allen 3 Nuancie-
ruDgen. als Biiif^ an »ich, als Seele luul uLs giittliclic Wcltsci le zu nehmen ist.'
Auch da.s Iiulividuum ist an-attä, d. h.. Nichts iu ihiu gibt das Kecht, voa einer
Seele, einer rei-söulichkeit, einem ludividuiun zu reden.
Es ist frapinerend, welch rerwandten Ausdruck bei Buddha und bei Kant
dieser verwandte Grundgedanke gewonnen hat, wenn man mit Buddbas hinfigra
Aussprflchen, dafi in den K<Hnplexen empirischer Seelenerscbeinnngen kein Ich,
keine Seele, kein aUä an entdecken wSre, Sfttze von Kant veigleicht wie
"St. r. Y. 8. 120£.: „es kann kein stehendes oder bleibendes Selbst in dies« m
Flusse innerer Erscheinungen geben", S. 322: „Denn in dem, was wir Seele""
nennen, ist alles im kontinuierlichen Flusse und nichts Bleibendes . . . 'lieses
Ich ist so wenig Anschauung, als Begriff von irgend einem ripg(<nstande, sondern
die bloße Form des Brnviißtsnins". vd. auch S. 2n7ff. (bes. 299). 307ff.. ;??3f.,
330f . 402. 529, 534, (175. iVnlcu'i.mciui § 19, Ki. pr. V., S. 4. Und auch .Iicm t
,.bln|)rn Fium des BcuulUsrins" rntsiMichr ilif rein formale Ab.slniklion Ta-
Iftüyala in liu<lUha.s Lehre, womit die durch die Krkeiintiiis, d, h. die Selbst-
eutkleidiuig von allem Erapiiiscbeu befieite „Seele an sich"', der reine Seelen*
b^;ri£E als bloß begriffliche Grfiße gemeint ist, den Buddha nötig hatte, um
überhaupt ein Subjekt fOr die Erkenntnis und das ErlOstwerden zu haben. Der
Heinnng von Kant, Kr. r. Y., S. 597, daß die Seele (im Unterschied zur Einheit
der bloßen Abstraktion) „ein sehr komplexer Begriff sein" könne, entspricht der
immer wiederkehrende Sola in Buddhas Lehre, was wir Scole nennen, sei nur
die Zusammenfassung vr>n fünf Arten empirischer Affektion {Ui)^uiQna - kkhandka,
z. B. Samyuttii-Nik&ya XX.1I, 85), wosu speziell auch Kr. r. V., S. 675 au ver-
1) Es ist damit üuch in Olttif.huu^ zu setzen, was harit üImt dio t'nmögliriikeit sa^t, die
whfklidie Existenz der Gottlifit zu behauiiton, so notwL'ndit; auch dio lilolin Idc« ditf.svr (»otlheit
als Idoe sei: Kr. r. V., S. 45{H., 4(58, 186. Ml , 507, 522-526, 531 f., SSSf., SÖJL, Ö24ff., PwOe-
goraena § 5.'), § 57, S. 171 ff , Kr. pr. V., S. 2.
2) Denn tathägata li.iUt . tlcr die Wahl h«t Erkennond«i", wii» i h f -ii:< stellt habt', Wiener
Zeit.schr. f, d. Knude des lioijgeiil. Ut, 347, Aobl 1. Ygl. aocb Clialmers, Joam. Koy. Ajb. Soo.
1898, S. 103«.
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Franke: £ant und die titindiMtie fJiilow]^.
137
gleichen ist Ebensowenig irie von einer Sed^e bet BuddliA natOriidi von iear
FrSexisimu und der Fortezisteus oder Tetnichtung einer solchen liberhanpt
auch nur reden ieSnnen; er hat inuner wieder »usdrflcklieh «bgelehnt, wat nmgen
danach einjtugehen, weil sie für Um gegenstandslos waren. Wenn manche
Bnddhafmeher ohne Bedenken wie fiber ein finttwbrot ttber angebUohe An>
sichten Buddhas betreffs solcher Fragen sprechen, mögen sie es vor dem
Kchterstuhle der eiufachtm Logik veranhvorten, von dem der Wissenschaft ganz
zu poschwei^n. Aiuh hier stimmt Buddha wieder aufs genaueste mit Kant
iiht n iii. der den (üanbon an ein zukünfttprcs Leben für einen nicht beweisbaren
doktrinalcn (ilaiiben erklärt (Kr. r. V., Ö. 330f., 534, 625. Prolegonionu § 48).
Naiie vorwtuidt sind die Ausdrücke, mit denen Buddha und Kaut unbeweisbare
Ansichten über motaphjsiächo Dinge bezeichnen: Buddha nennt sie di(fhi (hohles
Dogma), Kant Kr. r. T., S. 327 „dogmatisdi^ 8. 384 „Dogmatismus der reinen
Yemnnft'*, S. 395 nnanflosbore Frobleme, vgl. auch S. 4071 Ditfki» sind s. B.
die Anaiehten, daß die Welt ewig oder nicht ewig (& B. SaipTutta-Kikijal, 6,1,4;
X23T, 9 n. 10; Dighanikira I, 1,3, 32ft; I, 9,24) und riamlich nnendlieh
oder endlich sei. Darüber m diskutieren sei, sagt Buddha Samyqtta-NikSya
XXTV, 11 u. 12, nur möglich, indem man die Encheinungawelt als real seiend
sogäbe.
Die Natur der Suche bringt es mit sich, daß einige dieser dit(hüs selbst
im Wintlaut einzelnen Thesen und Antithesen von Kants Antinomie entsprechen
(s. Kr. r. V . 8. ll^ii.. 3(i()ff., oütif., Prolegoniena § 52, b u. c; vpl. auch Kr. pr. V.,
S. 3). Gewiii ist rias selir interessant, aber als notwendiger Ausfluß der iihen in-
stimmenden üUgemeiueu Grundansieht und Grundtendenz beider Philusopiien
doch Ton nebensächlicher Bedeutuug. Es sind eben die seit je die Menschen
am tiefsten bewegenden Fragen, die in den buddhistischaB Texten in erste Linie
gerQokt eracheinen. Wichtigkeit würde diese Überdn^immung in Dötails nur
besilzen, wenn sie eine vollkommene wire. Aber die Satzgruppen der Anti-
nomie und der dif^ sind awei exaentriscbe Kreise, die sich nur mit einem
kleinen Teile ihrer beiderseitigen Gebiete dedien. Ss gibt für Buddha sehr viel
mehr diithis als die den wenigen von Kants Antinomien entspredienden. Und
das Entscheidende für Buddha, eine Ansicht zu einer ditthi zu Stempeln, ist
nicht wie für Kant, daß sie ihren Ursprung in der reinen Vernunft, also jen-
seits der Grenzen der empirischen Wahrnehmung hat und deshalb in der Luft
schwebt, sondeni daß sie von der Aunalinio von etwas real .Seienrleni in der
empirischen Welt ausgeht. Also ist es mit der speziellen rarsIleiitiU der ditlhis
und Antinomien ziemiicli heikel bestellt, und es bleibt als alleinige wirkliche
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Franke: Kant und die altindi-sche Philosophie.
TermuidtBdiaft Hbtig nur die kritiacfae Ablehaviig aller AuaMgeD, die dis Ding
«n sich nicht wie ein X behendeln.
Bin formaler Anklang nnteigeradneter Katar ist sachgemäB hier noch «nsa-
eehliefien. „Die Passion für solche dogmatische Ansichten {dttfin^rnga) aber**, sag^
offenbar in Buddhas Geiste, einer seiner Junger im AAg«ttaiii-Nikiya II, 4, 6,
„bat zur Folge, daß Brabmanen und Asketen einander in den Haaren Hegen**.
Kant bemerkt im analogen Gedankenzusammonhango Kr. r. Y., S. 351: „Diese
vernünftelnden Behauptungen eröffnen also einen dutliA fischen Kampfplatz, wo
jeder Teil die Oberhand behält, der die Erlaulinis liat, den Aii^;iiff zu tun . . .
Man kann sich leicht voi-ptr-üen, daß dieser Tiinimflplat/ von jeher oft genug
betreten wonlen, daß vii-Ii' Siege von licitlcn Scitfii iTfoflitcii . . .
Da Bnddha alle Fi-apou, die sich auf das DiuL' üii sich in einer s* iiu r drei
Nuancen Im zIi lien, als nicht vorhanden betrachtete, hat es sich also fiir ihn
überhaupt mir um das Pitiblem dw tiupui.sclien Erscheinungswelt geiiandelf,
Daii wir diese nur als unsere Vorstcliung käuuteu, davon ist er ebenso wie die
Upani$aden« Philosophen und wie Kant klar aberzeugt gewesen. Ai^uttara-
Xiktya Bd. II, Kap. 46 spricht er: ... „nur in diesem . . . Bewußtsein habenden
Körper . . . zeige ich die Welt auf, den Au%ang der Welt, das Aufhören der
Wdt** . . .; Saipyutta-Nikäya I, 7, 10: „In sechs entsteht die Wdt, in sechs
macht man ihre Bekanntschaft . . in sechs wird die Welt aufgehoben**, d. h. in
den ffinf Sinnen und secbstens im Verstände (mamu), der die Sinneswahr-
nehmung zur Erfahrurifr iiiiiwandelt, genau wie nach Kants If^nung, vf;l. z, B.
Kr. r. V., S. 318 und 135. Wir --iiMi an dit Sinneswahrnehmung gebunden wie
ein Hund an v'mon Pfalil; in wi lcli» i Kiclituiig auch drr Hund zu laufen sucht,
die Ketti' zwin-t ihn au den Pfahl (.Samyutta-Nikäya XXil, !'9 n. 100). Rnddhas
ganzes Strclieri ist darauf gerichtet gewesen, diei^r' Kf>ffo zu tii>>Mi. i iiizti--( iiai tVn,
daß die Sinne.siTsrlii'iuungen als weiter nichts ihuu .»i.s blulit.' Ei>clKiiuuigen
aufgefaßt werden dürfen. Als .Summe von Buddhas Wirken hat immer der Satz
gegolten: „Die Ursache der ^nneerafidunrng^ — die ja aus einer Ursache her-
Torgeht — lehrt der Erkennende, und wie sie au^ehoben wird; dies ist die
Lehre des grolen Asketen." Wohlgemerkt: Buddha hat nicht gesagt, es glibe
1) Dhammä täad ja die Objukto dos mana«, des Voistandes. Der Verstand ist aber das
Tennogra, «i» Sinnwwalmvhnnmgen ErfahraBf »t bUdeu. Di« Kkhti^it dieser ErkUnmig
eipbt sich z. H. aus Majjhüna-Nikäya Bd. I, Kap. 37, S. 251: saiba DhammS nälatn abhinivetäya
«alle Siunenerfthning xosammeogenommen reicht nicht tu, tun «in Danafeimgebea su
eutacliuldi^eu."
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Franke: Kant und die altUuUsobo Philosophie.
139
fiberhaupt nichts Seiendes^! Er bat das so wenig getan, daB er -rielmehT
aadi die Diskussion der Ansidit vom Nichtsein ganz ablehnte. Woianf es
ihm ankam, war, die Worte und BegrÜfe Sein und Nichtsein Überhaupt m
vermeiden, weil diese ja Ton der empiiisehen Welt abstrahiert sind. Denn anoh
„Niditsein** ist ja nur die Negierung des Seins, also ebenfidls ein Operieren mit
dem Scinsbc{,Tiff. Nach S' i ilnr Nichtsein zu fragen, war für Ilm eine ffua
falsche Fragestdhiug, luid er hat stets beiderlei Fragen, als sinnlose, ZU disku«
tieren abgelehnt. Um allen midvorständlichen Kvrntiialitäton zu ontfrehen, um
ein einfaches, nirht miRzudcMitriidcs Wort zu liahm. d«s Koalität vkIlt Xicht-
i-ealität der etii]»iri>c-hfii Kr<L'lii'iiiun,::rii ^mr/, m äiispiiuso ließ und mir <ivn (Jo-
samteffckt derseibeii auf das walirnchmcudü Subjekt zum Ausdrutik bmchte, faßte
er die Welt der Erscheinungen nach einer vonviegenden, schon in den Upani$aden
beklagten Eigenschaft knrserhand als „Leiden** ansanunen.
Die einfach lugisebo Konsequenz hieraus eigibt eine Überraschend ein-
gehe Lösung des Nirrava-Th^blems. Da von Existena oder Nichteziatens, also
auch von Fertezistenz oder Vernichtung, ferner von einem seelischen Prinzip
(aMd gar nicht die Bede sein, kann, so kann die Erlösung Tom „Läden", d. h.
von dem, womit Buddha daq'enige bezeichnet, was wir empirisches Dasein
nennen, mit keinem dieser Dinge etwas zu tun haben, also auch nicht mit jenem
sozusagen mathematiscben Seelenbegriff, der reinen Seele an sich (to/AAjyala),
nach deren Fortexistenz vrn^tändnislose Leute ihn so oft befragten. Ninäna
kann auisschließlich die Aufh<'lmng des empirischen Seins-Eindrucks („Leidens*'),
der empirischen realisierenden Aiiffas>iinr' Vipdriifon. So wird auch der buddhi-
stische Satz verständlich, daß für diese Erlösung der sogenannte körperürhp Tod
gar nicht imti^' \<t, daß das Nirväna vielmehr während des ,.Lcbenf." tiutreleii
kann, lud und Lüben s*md im Grunde ein und dasselbe, reia empirische Auf-
fassungsfonueu. — Mit den unechten seknndiren NirvSQa-Oedattkcu habe ich
hier ebensowenig zu tun wie mit den Entartungsformen des Buddhismus ftberw
haapt Leute z. B., die sLoh das Nirrl^a als Schlaraffenhnd dachten, hat es
früh gegeben.
Nach Buddha könnte überhaupt nur noch ein indisches Fhilost^e^stem hier
in Betracht kommen, die Yedlnta^Fhüosophie. Da diese aber nur die systemsr
tisierte Üpanifaden-Philosophie darstellt, so kann anch von ihr abgesehen werden.
Über Jaina* und 8si|ikh7*'-S7«tein herrscht Uneinigkeit der Ansichten, ob ihre
I) Ob atao Min IdaaBsim» «in weMndieli idilinunerBr ab d«r XmIs war, «nohdat mir
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140
Franko: Kaut und die altindi&che Philosophie.
Entetehiuig in der Zeit tot oder erst nach Buddha liegt Wir kfinneu die Frage
auf sieh bemhen lassen, da beide Systeme ffir die Eant-Panllele überhaupt ohne
Belang sind. Sie sind grobe, auf die DurobsohnittsinstinktB augeschnittene Yer-
ballhomongen alter Gedanken, die mit Fhiloeophie wenig au ttin haben. Ihrer
Nator nadi sind sie, an Buddhas Lehre gemessen, aweifellos sekundär, mOgen
sie, chronologisch betcaehtet, filter sein oder nidkt
Schlafs.
Wir fanden also, wenn wir luuiinehr (Ihs Erfjebnis zu!5amineiiias.sin, im
Gniiulc einen einzigen vcrwandtun Gedanken ia Kants Lelirc und der indisclieii
PhiloKophie allor Zeiten und im religiös-pliilosophischen Denken der vorindiscben
ludogcrumnen, an den steh alle nebensächlichen Parallelen anschließen. Dieser
Oedanke aber hat auf beiden Seiten fundamentsle Wichti^eit: der Gedanke, daß
wir die Erscheinungen der Dinge und Kreaturen nicht fttr ihr eigentliches Wesen
zu halten, oder wenigstens von einem Innersten Wesen derselben als Terschieden
zu betiaditen haben. Freilidi sind Einschränkungen nötig: Es handelt sich nur
um eine Yerwandtschoft, nicht um Oedankengleichhoit. Gerade von dem, was
bei Kant das wesentliche ist, daß er dem Satze wissenschaftliche Evidenz f;e-
{^ehen hat, ist in der trnnzen Yerpancrriilir'if . selbst bei dem ihm so besonders
nahe stehenden üuddha, keino Spur zu linden. Und >r) p'lfon auch für die
Inder dio Worte, mit denen Kiuit seine Kritik vim <lcn \ci wandt kiiiiLr^ndon
Äußerungeu „lii^ Wahrsagergeistes der gesunden Vernunft" scharf unterscheidet,
Prolegomcua § 31.
Unser historisches weites Ausholen hat uns auch gezeigt, daß der Aus»
gangspuukt auf beiden Seiten ein ganz versdiiedener ist Kant ging von der
Kritik unserer Erkenntnismittel aus, die Indogermanen und Inder von der Wahi>
nehmung göttlichen Wiricens in der Natur; Kant kam also sozusagen tou der
AnBenseite, die indogermanisch -indische Philosophie von der Innenseite der
Dinge, beide trafen sich auf der Qr&uie, Auch das Schweigewicht ruht b^
beiden Parteien auf gana verschiedenen Stellen, bei Kant auf der Kritik der
Erscheinungen, bei Indogermanen und Indem auf der Erörterung Uber das den
Ei-scheinimgcn zugrunde liegende Wesen; was Kant, wo er sich treu ist, nur
mit nt'pitiven Wendungen berührt, dfiriibcr reden diese tiberwiegend Positives
uii'l unii^i'kf'hrt. Mo bpfraehtet, stcljcii tn'iilf l'artrii'n sicli sogar gegensätzlich
gegenüber. Das ötreben der eüieu ist gerade die von der audereu perhorreszierte
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Franke: Kaat und die altiiiduche Philosophie. 141
Metaphysik. Vgl. & B. den 8c]i5n«ii Satt bei Kant, Kr. r.Y. 8.332. Diflisreaaen
liegen, -wi» schon liervotgeho1>ea, anch in der besonderen Art des IdealismuB
auf b^den Seiten, wenn auch ni<dit so sehwerwiegende, wie es wohl auf den
ersten Blick seheinen mSdite. Der altmdische Idealismns eifclirt, je spKter, um
so eneigiseher, die Enuelerseheinungen direkt für Illosion, Kant sagt nur: Wir
wissen nicht und können iddkt wissen, was die Dinge an sich sind. Etwas
Seiendes legten immerhin auch die Inder angruude, nur daß sie — eine fernere
Differenz — , ihren» besonderen Ausgangspunkt entsprechend, das wahre Seiende
in allen Dingen für ein cinheitliclies riiiizip, fl h srnvolil üing au sich wi«»
Gott und Sf*('!o für idcntiscli liioUen , weil sii- rantlu istrH waren und (laniiii
die eine fii.ttlit'it für dus Srinspiinzip in allen Din^'cn iühI Wesen oiklarttni.
Buddlia kam fiuilich \ou dieser Differenz ab und war kritiscii genug, zu er-
kennen und zuzugeben, daß er von dieson Seinsprinsip nichts wissen köouo,
und (rat durch diese kiitisehe Ablehnung aller Metaphysik Kant anfierordeatiich
nahe, aber ihn trennt Ten Kant wieder das Fehlen iigend eines Äquivalentes für
Kants hDing an sidi".
Es ksnn also, was ja ▼oranssnsehen war, keine Bede davon sem, daß Kant
nur ein Wiederholer, ein Bestaarator schon vorhaodeDer Errungenschaften der
Philosophie gewesen wfiie. Indogemuineu — Inder und Kant ergänzen sieh viel-
mehr im grofien und ganzen (wenn wir Metaphysik und Erkenntniskritik für den
Augenblick einmal, in bestimmter Hinsicht, als eine Ergänzung gelten lassen
wollen). Das beide Verbindende ist ihre Gn»nzherülmintr, ihr beiläufiges Hin-
üb<'rsclnv( ifei! auf das (Jehiet der anderen l'artei, das (iurchblickende Oefüld
beider von der Ergänzungsbeilürftigkeit ihrer Sache und das Operieren beider
auf Terschiedoneu Teilen ein und derselben durchgehenden Linie, d. h. mit den
swei Seilen ein und desselben Grundgedankens. Kant bertthrt sich nun aber
in diesem Gedanken nicht nur mit den Indem, sondern auch mit den S&teen
griedüseher Philosophen, s. x. B. Deossen A. G. Fh. I, S, S. 381 und Pb. Y., und
▼fi^ Kr. T. T., 8. 642 f. So werden wir abschlieBend sagen dflifen, dafi Kants
Philosophie einen philosophischen Grundgedanken vollendete und krönte, der als
alte« Erbgut durch die alten indogermanischen Fhilosophieen läuft und der an-
gesponnen wurde in der indufrommnischen üraeiL Es ist der indogemmniscbe
Philosophiegedauke yiai elox^f. Neuerdiugs gefällt man sich in der wun<lerIichon
Tlieorie, die alten Indogrrmanen seien T^tLiiiisten. Fetiscbnnboter, Seelenverolirer
und dergl. gewesen. Ich sage: Sie waren nichts von Hlledetn. sie waren keine
Kaffem, Botokuden, Südseeinsulauer oder Indianer, sondern die würdigen Vor-
fahren vuu Inunanucl Kant.
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VI
ÜBER ÜECliTSWIRKUNGEN UND JURISTISCHE
TATSACHEN
Dr ALFRED MANIGK
A. 0. PROntSSOR DER RKCUTK AN DER UHITKItSITiT KÖNIOaSII»
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Eiiip Krage steht uns Juristen bei dem heutigen Anlaß ganz besnnrlers nahe:
Was halten wir von der PhilüJiopliiö? — Oder ist unser gegenseitiges Verhältnis
Uberlmupt niclit 2u bezeichnen? Leben wir schlecht und recht nebeneinander,
ohne uns um einander 2U bektimmcm?
Der modemen. Philosophie itana d«r Torwuxf nicht gemacht werden, d«B
sie nicht ematheft bestrebt wäre, ihr Yerhältnis zn den Binaelwinemchaften su
Uirea nnd ihre eigene Au^be dadoreh sa pridaieiren. Jedes System der
PhUos<^e hat sich hent zuyoiderst fiber diesen Fanltt m Sofiern.
Andi die Wiasensahaften werden dadnroh, wenn sie mätA sdum vtm selbst
das entsprechende Bedürfnis haben, zu der Regelung der kritischen Grenze ver<
anlaßt Und einige unter ihnen fühlen dieeee BedOifiiia nach Qrensregulieniug
heute ganz bes<>niIci->).
Nur die Jurisprudfuz. und speziell die des i'rivutipchts, schließt sich ab.
\>m t'inipt'n vort'in7,<>lton Bestrebungen andrer Art abgesehen, will sie sich von
der Pkilosuplüo möglichst separieren, und sie hat ja in der Unzahl von Para-
graphen, die der neue Zeitgeist ihr beschert liät, das beste Material, um einen
schier nicht fiberrteigbaien Greniwall gegen das Gebiet der ihr gleich-
gültigen oder gar aohüdUehen Philosophie aufBorichten.
Aber Kant nennt in der Anthropologie eine Wissensohalt, die sieh von der
Philosophie dennaBen alräondert und gegen sie TetsohlieBt eine „zyUopiaobe*^,
da ihr ein Auge fehle, nXmUdi „im Auge der wahren Philosophie, um die
Menge des hiatorisdien Wissens, die Fracht von hundert Kamelen, sweokmKßig
tu. benutzen^'.
Vielleicht war das hierin liegende, an die Kinzelwissenschaften gerichtete
Po^tiilmt vor htinrlerf Jahren, insbesondere gegerifihpr dpr auf dom Hoden der
Erfahrung und der Wirklichkeit stehenden Jurisprudenz iu<ch etwas anspruchs-
voll. Heute liepen die Diugo zweifellos anders, und die früheren Ausflüchte
stehen auch der Kechtswisseuschaft nicht mehr zur Seite.
Es daii dem Kechtsgelehrten nicht uubekanut bleiben, daß die moderne
Philosophie ihr Verhältnis au den Wisfsenschaften zu reformieren bestrebt ist
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146
U»iiigk: tnmr BecbtswirkDiigMi und Juristiache nkteaehaD.
Die FhiloBophie besiimt aksh mit Rsebt dfurauf , daB die GeBohichte der Wissen-
schaften ein ganz anderes Bild von dem Be^^iff und der Aufgabe der Philosophie
gibt, als tt zuweilen entworfen wurde. Im Alfortum war von der Trennung
einer sogenannten Philo>iit|)htr' von den sogonanntcii WisNonsHiaften keine Tlodf}.
Diese Trennung hat Kioh erst alliniihlirh volIzii<j;en, und zwar in-sprünglich ledig-
lich unter dem pral« tischen Gesicli)spiiiikt<^ der Ar!ir-itsti>ilung. Mit df>r immensen
Entwicklung der Einzt Iwissenschatten iiuiülen die-se .sici» von einander, und damit
auch von ihrem ur.spiiiugiiclien Zcntralgebict luülüsen.
Als die Philosophie aber heterogener Natur wurde und ^kolatiTe Zwecke
SU verfolgen begann, muftte die bloße Trennung des Arbeitsfeldes ffiglich zar
Abrechnung und sur Entiweiung fflhien. Das Wort „Metaphysik^ allein war
schon dasn angetan, diese Entzweiung zu bescbleunigra; denn keine Einzel-
wissensehaft dmfle sieh von den wahrnehmbaren Eischeinungen der Weit und
von der durch sie bedingten Sifahning losaagen.
Die Philosophie des heutigen Tages will ihre Tätigkeit dcijenigen der
"Wissenschaften hingegen angliedern. Durch cUc Ausbildung der Einzehvisscn-
schaften sind dip E.xifvtrnzhcdiTiffnngen der Philosophie andere eewordeii.' Sie
hat mif ppwisse l'ri\ verzichtet, die ihr früher das Recht zu großer Küha-
heit der Schlußfnl^'rningen gaben.
Wundt' definiert in diesem Sinne die Philosophie „als die allgemeine
Wissenschaft, welche die durch die ELnzchvissemschaftcn vermittelten allgemeineu
Erkenntnisse zu einem widersprachslosen System zu vereinigen haf*.
Paulsen* sagt «nft^cfa: „Philosophie ist der Inbegriff aller wissenschaft-
lichen Erkenntnis**. Nach diesem Autor hat die Philost^hie als universitas
littenurum an der Aufotollung des einheitlichen Systems der Weltwissenschaft
auf dem Boden der Eigebnisse der Einzelwissensdiaften zu arb«ten. Der recht-
schaffene Fhiloso^ hätte sich heute an die* Dinge selbst zu machen* und
andrerseits hatten alle Wissenschaften in der Philosophie ihre einheitliche Wunel»
und wenn sie sich von dieser loslösten, so stürben sie ab * Also nicht Trennung
und Isolierung, sondern Gliederung und „lebendige Beziehung aller Teile auf
das Qanze.'^
1) Tgl. Wandt, Rystem d. Phflo«, 8. 17.
2) a. n. O. S. 21.
3} Paulseu, Einleitung L (i. Philos. 1904 S. 33. Vgl. Uberbaapt die Einkitoog dieses Werks.
4) PKiil«9n S. 3a
"0 B.'i^.'ln- S. 39. In .Ifir.s.'lli.-ii Sinti. Wundt R. K-D: ..T)!.,; Klnzplwisson.'icliaft-n wordfn
wider Willen gezwungen zu ijluiosuphieren, wenn si« sieb nicht den besten Teil ihrer Ergebnisse
WOli«n entgehen lasMtt.''
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II ftnigk: Über Bechtswirkongen and jariatisdie Tmt«aob»iu
147
Soldie GimidsStie ktonen mf die SteUangnaliiDe der BeditsvisseiischAft
nidit ohne EioiliiA sein.
Wir bmuchen nicht wa fOiehinif daS dunk Srweitorong des Horiasonte
unserem Auge die für die SpedaUcnechiuig ndtige SebJiife etwe genmbt weiden
kdnnte. Die einaelne Ai4|kbe, «n der der Jurist erbatet» entfernt ihn Ton selbst
mdir oder weniger Ton «UgemeinMi Gedohtspunkten. Hit letsleien wird w i. B.
dunu, wenn er die Geschichte dps I'fandrechts schreiben will, nichts ausrichten.
Er muß hingegen offenbar zu eiuem viel weitergi-eifemlon und daher allgemeineren
Betrachtnngskreise niifsteisrpn, wenn er ?.. B. tlie Hrpiffc (h>s lioohfsfrcschäftos
oder ilor WilUmserkltuuni: ans cinor bestimajtfu Ileclitsordmiiiir extraiii-Ton will.
Je allf^emfiner die l'riuzipien sind, von deren direkter /iiiwemliiii^' die
Entscheidniij; « iner Kinzelfrago abhängt, desto mehr betätigt sich der Jurist al)or
als Philosoph; er wird Ictztoi-es nicht durch seinen darauf gerichteten KuLschliili,
nicht durch die esaenti^ Eigenurt sdner Betrsebtongsweise, sondern er wird
es, ohne es vielleichi an merken und ohne es wollen in mttaaen, mit der Anf»
gäbe, die er sieh stellt ünd dabei ist die Grenze vom Allgemeinen zum Spe>
stellen eine ganz flflssige.
Wenn wir unter Rechtsphilosophie ala Fhdidisnplin auch nur die BrSrte»
nng gewisser allgemeinster Probleme und Begriffe des Rechts überhaupt ver«
stehen, ho kommen wir der philosophischen Betrachtung dorli mich in der
Wissenschaft des positiven Rechts oft genug nahe; ja gewisse Fragen können
ohne HcranJiiehtiTis^ allgemeiner Gesichtspunkte einfach nicht beantwortet wei-den.
Die Elnx.('h\ i-si'n<rhaft ist kein Nebeneinander des Wissens, sondern ein
architektuni-chcsi Ijltoi einander. Ich möchte sii' alx.r einem Tiefbau vergleichen.
Die versteckten Schätze werden durch Gewimiuiig Jieuer, immer tiefer gehender
Schachte gehoben, durch Entdeckung neuer Formen und neuer Alten. Das
natiU-liche Licht fiOlt aber nur von oben hinein in die ti^ten Ginge. Bas
Oben des Allgemeinen, wo die Schütae der Speiialarbett andi wieder sichtbar
weiden und aum Goneinnutaen hingelangen aollen, ist andrerseits die Bedingung
für das Gedeihen der SpesialloiBohong: Xdcht und Lnft erhSlt sie nur durch
eine je anagedehntere, je besser wii^name Pondienmg des Zuganges «um Allge-
meinen. Der Axbeitor unten kommt eine Zeit lang zwar ohne den Zusammen-
hang mit dem Allgemeinen aus. Auf die Bauer aber würde er, den Hauch des
Lebens nicht mehr spürend, in Gefahr gen«ten.
Mit diesem Bewußtsein sind auch wir hrnt.' It'irifimiprf , uns unter die
Feiemden 7a\ <<r!)areo, indem wir jenen Mahnruf Kants auch für die Juris-
prudenz beherzigen.
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14K
M«nigk: Über Uechtowirkungen und jumtiscbe Tatsachen.
Das ist kein Aulrof warn Kampf gegen das podtive Recht oder gegen
historische Fonchnng. Dabei würde Teitannt, daß auch das positive Recht
schließlich anf aUgemeinaten Prinzipien niht, die wir ohne Sdieu an unserm
Bewußtsein und aar Fbnniiliening zu bringen und danach ansuwenden haben,
und daß auch die liistorische Fursciumg dieser Frinsipien bei ihren Schlflasen
nidit enthehren kann und nie entbehrt hat
Machen wir uns nicht nur instinktiv, sondern auch bewußt insbesondere
die RoKult;ife der Lojrik und der P^;ychologie zu eigen. Wärr miser Hlick eher
auf die letztere gefallen, mit ilt r (irr Kriminalist schon lanjjc v«'rhiin<lt't ist, wir
hatten 7..B, im Privntreclit \\\ch\ .laiirhundfrti' vom (Ji'>clialts\v i 1 Ic n L't'ftibelt, uline
dessen realen Inhalt m kennen, wir hätten nicht eine ganze Reihe allgemeiner
Prinzipien aufgestellt, die uns vtegen ihrer Uurichtigkcit in die Irre führen
mußten.
Diese AnnSherung beider Wiasenschsften wird noch mehr durch eine andere
Betrachtung gefördert Das „«ue est peräpi'^ Berlceleys, das Kant zur Grund-
lage seiner erkenntnistheoretiKchen Lehre gemacht hat, scbdnt auf den ersten
Blick eine ffir den Juristen yölüg unbrauchbare Wahrheit su sein.
Der Jurist muß die körperlichen Qegenstande als Recht.<%objekte in realem
Sinne, als wirklich (>xistierend ansehen. Kr muß sich auch die Personen als in
Wirklichkeit exisfiri-ende Subjelti- (li-nki ri. Kr muß die Zeit als reale Größe
ansehen, dio vnn dfr Rechtsordnung oft mir i ursächlicher Kraft v*»r-^(»hpn wird.
Kr muß den Raum als wirklich vorhandeuo Qualität der Außenwelt auffa-sseo,
die von rechtlichem Interesse ist.
Aber fragen wir uns weiter: Was ist es denn, was dii.s Recht an «Uesen
Dingen der Aufieawdt vumimmt? Gehen die Yerinderungen des Eigentums»
rechtes an itax körperlichen Gegenstflnden wirklich draußen in der Außenwelt
Tor sich? Wird die entstandene ObUgation iws draußen sichtbar? Spielen sich
die Rechtswirkuagen, welche wir auch herausgreifen mOgen, draußen in der
natOrlichen Welt ab? — Nein, e« ist alles nur in unseren Köpfen — genau so
wie sich nach Kants Kritik die natürliche Welt darstellt In der letsteren ist
durch die Kategorien unserer Krkonntnis nicht faßbar nur das Ding an sich, alles
Alnige sehen und greifen wir. Die Kausalität wirkt an den natürlichen Krschei-
nungen vor iinscrpn Anjim. uns sichtbar nnd tinmitfi tiuir l)iMmßt, Ks entwickelt
sich di'' W irkung' siclitlich aus der Ursache, und wir erkennen sie als solche
nur rieshalb an, wimI wir .sie wahrnehmon.
Die Rechtswiikungen sind uns iiberliaupt nicht wahrnehmbar. Wir sehen
oder boren zwar das, was wir den juri.stischen Tatbestand einer Wirkung nennen,
Itaaigk: Über Uechtewirknogen und JuriKtiiKhe HaiMahea.
149
so z. B. die Traditiuu tiiuei Mübilic bezw, die dabei ei-folgenden Eikläiuugcii der
Puteien; aber die Wirknng diese« nieemmflogehöreQdeii Aktes, der Übergang
des Kigentuins als einee Libegrifft toü BefugmaseD, entzieht eicli unaier Wahr-
aehmong. Wir sohlieBen nur auf Grand der BecbtBoxdniinc^, deren Yoiaue-
setsungm hiw realisiert sind, daß hier BigeptuBi flbecigegangen ist Dieae Bechts-
iviritnng besteht nur kraft unsres Urteile, kraft iogieehen Sebluaaea aita swn
Fiütaisaea, ^«en eine durch den Beehtnats, deren andere dnndi den faktiachen
Tatbeitaad gebildet wird.
Weil die Beohtswirkimgen nicht wahrnehmbar, sondern an der Hand ihrer
A^oranssetzTingen nur ei-«?chließbnr sind, wird es in einigen Fällen ans rechts-
politischen Gründen iiotit;, den Umstund ihres Einp^etrctonseins erkennbar zu
macheu <ider doeii anzudeuten. Ich criimcre an die Einriclitunp des Orundbuchcs,
an die vei-schiedenen Register, an die Notwendigkeit der Besitziiliertragung bei
iiegriiiidung dinglicher iiechte au Mobilien u. a. Daä äiud Zeichen des Eintritts
der Wirkung, wenn sie letztere auch bediogeu. Sie sind Terursdoheude Paktoren
des liatbestandes; die Wirkung tritt auBerhalb derselben eist in ihrem Gefolge
ein. Auch hier unfi mr Feststdlung der Wirkung exet der Sats der Bechte-
ordnung herangesogen werden, der infolge jener Tatsachen (Einteagung ina
Omndbndi, Bedtzübertragung uaw.) eine gewisse Wirkung eintreten Ififit Unser
Ftindp ändert aieh hierduroh also nicht
Sän Einwand könnte vielleicht auch aus der „Wahmohmbarkeit" des Be-
sitzes gemacht werden. Allein, das was hier wahrnehmbar ist, die tatsächliche
Gewalt einer Person über eine Sache, ist nicht die Wirkung, sondern die Tr-
sacho. Die Wirkung des ., Besitzerwerbs" vollzieht sich wie jede Wirkung kraft
der Recht-si'Klnunp (§ 854 B.G.B.) nicht wahrnehmbar.
Die ErsclieiiHiiiisren der naturlichen Welt bestehen krufl unsrer
Wahrnehraungserkenntuis, die Wirkungen in der Kechtswelt bilden
wir kraft nnarer Ternunfterkenntnis.'
„Altes Sebliefien ist Nenscbaffen von Urteilen.'** Der Mensch trügt die
Welt des Rechts ganz in sich, er ist ihr 8chopler und projiziert sie so nach
außen, daft er sie als real ansieht
Der Jnrist ist also, da er die Wirkung des Kechts und damit die Ordnung
der LebensDNhJÜtDisse erst zu konstruieren hat, mindestens so übel dran wie
der Philosoph und Naturforscher, der von der Naturwirkung, die er unmittel-
1) Vgl. Allgeni*>iiie.s fiber diose Stufon «l«r ErkenntnU etwaWundt, Sjstsm 8.108ft SUk»
anoh Sohopenhaut'r, Satt t. Qnado §15.
2) Wandt S. 66f.
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Mantgk: über KuchlBwirkuiig^a und jurijftisdiQ latMKhai.
bar wabrninunt, »lugeht und naoh den Unaehen fngt Diese ümobe .als aolcfae
konstruiert er. Den kausalen Zusammenhang projiziert er selbst in die Aufien-
weit* Im Recht ist es umgekehrt Der jnristisdie Tatbestand ab Ursache einer
Rechtswlikung ist der wahrnehmbare Bsktor: und nach der Wiikung wird ge>
foisdit; diese wird konstruiert
Wie wenig zwingend und eindeutig die Soliliisse aus Taf^n stand und Kncbts-
ocdnang sind, wie sehr sie Menschenwerk sind, zeigt sich ja in der Hinfälligkeit
des gerichtlichen .,Urteils". — In demselben Sinno hinfällig sind die vom Natur-
forscher auff^nfnndoTiprt „Ursachen" und die von liuu aiifgosteilteu „Naturgesetze^,
auf die er aus den gegebenen WirkuTifren zurüekschlieHt.
In dem abgesetzten Oorichtsui t.ü knmrat androi^sfits der vorher angeführte
Umstand zu deutlicher Erscheinung. Im „ Tatbestand erscheinen die al.s ei-ste
Ptimisse, als Obersatz fungierenden Fakta, z. B. die zwisoben den Parteien ge-
troffenen Yertragsabrcden , soweit sie tiegenstand des Prozesses geworden sind.
In den „EntseheidnngsgrOnden'^ tritt als zweite PrSmisse der Untersatz auf: der
Beohtssatz, der in Vtrage kemmt Im „UrteOstanor'* liegt der ScMufl daraus,
dessen Richtigkeit einmal von der Wahrheit der Prämissen und zweitens von der
Richtigkeit der Sehlufioperation abhängt Das Gericht hat dann „für Recht er-
kannt*^. Das Urteil ist „Erkenntnis." Xicht anders wie bei jedem logischen Schluß.
Und von den Rechtssätzen selbst sagt Kant (Kechtslehre § 6): „Alle Hechts-
satze sind Sätze a priori, denn sie sind Vemuuftge.sotzc (dictamina rationis)."
Es wäre also ein Irrtum, wenn der Jurist p!;uiht, eine reellere Materie
zu behandeln als der Philosoph. Ist die empiri-cln' Krkenntnis die Kxistenz-
bedingung der natürliclH'ti Wt-lt, so j.st in der JiccliLswell die bosrriffliehe Er-
kenntnis souverän. In bei<leti Fullen handelt es sich um eine Wirklichkeit, die
Tou den Kategorien unseres Bewußtseins erzeugt wird.
Die Praxis des Lebens und die Praxis des Rechts gehen freilich von
der unbedingten Bealitit ihrer Objekte aus, wodurch jene Wahrheit alier nicht
geändert wird.
Die Reohtswirkungen kennen höchst verschiedenartig sein. Wir dürfen
nicht nur die direkte Beeinflussung subjcktivor Rechte oder irgendwelcher
Beehtsverhiatnisse als Reohtswirkungen ansehen. Das wäre willkfiilicb. f,Recht»-
wirknng*' heißt nichts anderes als Wirkung auf dem Gebiet des Redits, im
Gegensatz zu den Wirkungen auf anderen Gebieten. Schon das Wort «Rechts-
1) Sclkopuuhauer, Satz v. Gnudu g§2ü, 21.
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wirkuiif:" sclilicßt also jpflo Bpsrliiüiik un^ nnf rinc Vif^stitnmtc .Seit« dos Rfrhts-
trcliifts aus. Eiue Kechtswirkung üi'^t uhmiH du vor, wo da« positive Rpcht
an iHiivii faktischen Tatbestand irgend eint' icchtljclK' Qualität tidtu- Beziehung
aukuüpit, so daß jener Tatbestand, der sich aus meiireren einzehien Tatsachen
zusammensetzen kann, nur eingetreten su sein braucht, damit jene Bccht^i-
besiehunf als Wiriniog enengt -mrd.
Zweifellos statuiert «.6. § 1 B.O.B. eine sioh ao einen Tstbestamd
anschlieflende Beehtswirkung:
„Die BeohtsEKbi^eit des Menschen beginnt mit der Toltendung der Geburf*
Ebenso:
§ 2. „Sie Yolljährigkftit tritt mit der Vollendung des einundzwaniagsten
Lebensjahres ein.'*
§872. „Wer als ihm gehörend besitzt, ist EigenbesitEer."
S 7. „Wer sich an einem Orte stSndig niederlüQt, begründet an diesem
Orte seinen Wohnsitz.''
§ 167. ,,i)if Erti'ilunf^ der Volhnacht erfolgt diirfh Erklürunir jrep-onüher
dem zu BovoUmäehtifrenden oder dem Dritten, dem gegenüber die
Vertretung stattfinden soll."
"Wir saften daher korrokt. dfiH Hio Vollenduntr des »'inundzwanzigsten
Lebensjaliixs die „Wirkung" der Vuiljälii lu'keit des Suhjeki.s hat, wenn auch
letzteiv Qualität weder ein subjektives iieclit, noch ein Recht.svei hallnis ist.
Ähnlich ist es mit allen jenen Beispielen. Wir sind daran gewöhnt, auch die
Erlangung der Rechtsfähigkeit, den Erwerb des Eigenbesltses, die WohnsitiE-
begrttndung, die Yoilmacht als „Wirkungen'' gewisser in obigen Bechtenonn«!
bezeichneter Tintbestände za denken.
Dieser Standpunkt, den der YorEasser bereits frtther vertreten hat, hat
neuerdings Anfechtung oifahren.* Es wird gesagt: „Die Begrfindung des Wohn-
utaes ist ebenso wie die Erteilung der Yolhuacht für sich allem auf dem Gebiet
des bfligerlichen Rechts ohne j(>de Bedeutung; Bedeutung erisngt die eine wie
die andere Tatsache erst durch das Hinzukommen weiterer Tatsachen, z. B.
dadurch, dall sich der Menscli, iier irgendwo seinen Wohnsitz genommen hat,
zu eituT T>nisttintr vi-rpflirlUrf (B.f! B. 260) luin- daß der Bevollmärhfitrte für
den VnlliiuK ht^n l)( j eme WillLii>L'rklMrung aliL-Hit (164. 166). Daher kann von
den RechtswLikuugen der Begründung des W ohnsitzes und der Erteilung der
l)EUibaoh«i, Die BaadlttDgsflliigMt Bd. I (1903) Kein „Anw«ndaii|S-
gsUet d«r Tonobriftui für die Beohi«McUifte'« (1901) a 4-1«.
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152
Uauigk: Üb«r Kochtswirkuiigen und juristischt* Tabncbeo.
YoUinacht auf dem Gebiet des bfirgerliehen Beehts Qberhanpt nicht die Bede
aein, sondern nur von den Beohtswirkongen der Tatbestände, su denen sie
geli5ren; die UfttbeBtiinde aber bewirken stets die Bntstehung, Änderung oder
If^ignng eines Bechtsverhältnisses. . .**
Dieser Einwand ist Teifehlt Wenn man meint, Tollmacbt und Wohnsits
seien für sich allein ,,ohne jede Bodeutunp;", so ist das einmal positiv
unrichtig. Dann aber wird dabei eine durchgehonde Ki"scht>inung im Rocht ganz
üborsohon. Man glaubt, erst in weiteren Folgen <lieser Tatsachen „Wirkungen"
anerkoonen zu müssen, und übersieht, daß die in Betracht gezogenrn weiteren
Folgen aus k<»imin anderen 8toü und von keinem anderen Inluilt sind, als
die abgelehnten Tatsachen. Es sind alles nur „Urteile" gemali der Kecbtä-
ordnung.
Ich fi-age, warum soU in § 269, nicht aber in § 7 eine Bechtswirkung
statuiert w^en? Eraterer lautet in Abs. 1:
nbt ein Ort für die Leistung weder bestimmt, noch aus den Umstinden,
insbesondere aus der Natur des Schuldverhfiltnisses, zu entnehmen, so hat
die Leistung an dem Orte zu erfolgen, an welchem der Schuldner sur Zeit
der Entstehung des SchuldverhSitnisses seinen Wohnsits hatte.'*
Bei genauerer fietnohtnng stellt sich der Satz: „Die Leistung hat am
Wohnsitz des Schuldners zu erfolgmi" niclit mehr und nicht weniger als .,Rechts-
wirkung" des Vertnigsschlusses diu . als die AVohnsitzbegründung nach § 7 als
zunächst eintretende Wirkung"" (Ilt stiuulip''n XirTb-rlassung. Die Verpflichtung
des Schuldners ist eine Wirkiuifr. duren weilerf lAd^cu auch i-rst dann pinktisch
und sichtbar werden. Mann der ^ciiuldner nicht leistet u. 8.f. Jede Wijkung konu
auch im Recht weiter als Ursache fungieren.
Bann muß Eitzbacher auch den bekannten Irrtum SchloiJinuuiisi tcilrn. der
gesagt hat, der obligatorisclie Vertrag au sich sei deshalb zuuiichst .,wirkung8los'*,
weil er zunächst nur eine Erwartung des OUnbigers und ent dann eine „Bechts-
wirkung" zeige, wenn der Schuldner nicht erfülle, nimlidi die Verpflichtung des
letzteren zum Schadensersats.*
Die Folgerung Schloßmanns, der Tertrag habe keine Wirkung, schlügt der
hemchenden wohlbegrttndeten juristischon Auihsaung ebenso ins Gesieht wie
etwa der Satz Eltzbachers, die Yollmaohlserteilung sei an sich wirkungslos. Beide
Autoren güiuben erst infolge des ergänzten Tatbestandes eine greifbue Wirkung
1) Der V"rf<^.H<!r>r hat rlii^<;pn vnrhfiii-^nif^vr.tlrn Irrtum fidlloftmUUlt bofOHs m Snttlttftm
gosuclit, „AuwendimgBgebjüt" Ö. Wi Anm. 1, auch H. Htt
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MüBigk: Über Hedi1i>wirkaQg«n und jaiülisohe IIilBachflo.
153
vor sich Mi. liaben, und iibersehtju, dulj es willkürlich und iinbegi-ündet ist, eine
AVirkung orüt beim Uiuzutrcteu einer gewissen neuen TMsacbe anznerkeimeii.
Maa könnte duui d«n exgfautm Tntbestand gnos ebenso eis ünaehe m Frage
stelle Kechtewirkimgen sind nieht bewirkte Beehto, sondern Wirkongen des
Beohte, den Recht gemU.
Daß es sich hier um eine durchgehende Etseheinung handelt, seigt «oh
auch in folgendem.
§ 864: „Dve Beaite einer Sache wird durch die Eriangung der tatsfichlii^en
Gewalt Aber die Sache erworben."
Die normale und herrBcliondo Auffassung wird hier ohne Zweifel die
Erlanf»t!rt<r der tatsächlichen rrpwalt über die Sache nh vcnirKachcndon Tf^tbestand
ansehen und den Hesitzerwerb als dessen Wirkung. Und doch ist Besitz nur ein
Rechtej^ebildo. da» für sich ebenso wen ij,-^ und ebensoviel Bedeutiinfj und Erheblich-
keit hat wie etwa Vnlhiiacht und WuhuisiLz in dem vüu EiLabaclier lu Anspruch
genommenen Siuue. Zu Äußenuigen des Besitzrechts kommt es auch erst, wenn der
fiesitz verletzt worden, oder wenn sonst welche Xalndien sidi ni dem nackten
Bedti hinsngesellt haben. Dennoch fiissen wir, am den Begriff des Besitoes sn
isolieren und gegen aksidentelle und heterogene Faktoren rechtlich
absngrensen, den Erwerb des Bedtses bereits als sellntiindige Beehtswirkung
eines gewissen Torganges ins Auge, dessen Wirksamkeit wir daher ebenso in
Frage stellen können, wie etwa die der YollmachtBertoflnng. Ebenso ist es s. B.
bei der Vereinspüiidunir. Wenn gewisse Tatsachen < 'n -ftreten sind, stellen wir
als deren „Wirkung" fest, daß der Verein als juristische l'erson begründet ist.
In die Erscheinung tritt er als solche erst durch seine Unternehmungen und
deren Wirkungen. Dennoch sehen Avir die Vereinsgründung sehon als ^^elbsülndige
Wirkung lui, und mit i{echL Es darf nicht vergessen werden, daü es sich liier
überuil nur um Viirstetl untren und Begriffe handelt Dieselben haben den vorhin
angeführten guten Urund, und sie müsäcn daher konsequent durchgeführt und
nicht au beliebiger Stelle durchbrochen werden.
Man könnte swar sagen: Beohtswirkungem sind nur da Torhanden, wo
subjektiTe Beehto begrfindet, verlindert oder aufgehoben weiden. ^ Das wäre
aber willkürlich und bitte TerhingnisvoUe Folgen, da man überall dort, wo nidit
subjektiTe Bechte entstehen, von Wirkungslosigkeit einer Handlung oder eines
Tatbestandes sprechen müßte, insbesondere also auch bei der ToUmaebt, die
1) &.I z.U. Eiiilemaun, bürg. Ktrht I S 58: „Dif auf dar Gi-undlage Bin«* juristischen
Tatbestandes cintrot«>ii(Un Boobtswirkiuigeii ^langen in der Form sulqeMiver BsnohtigUBgeii ma
Antdradk."^ Ihnlicb Arndts, Karlow», Zitolnano, Co«a«k.
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154
Manigk: Über Becbtswirkuiigen und jumtisch« TatbaobeD.
kein subjeküTes Recht igt ICt dieser Frage hüngt auidi die andere au& engste
sasammen, ob eine Handlung Beoht^gesehäft oder blofie Reohtahandlung oder
sonst etwas ist; denn die Anttrort lüerauf hängt von der Beziehung des Han-
delnden su der Rochlswirkaag seiner Handlung ab. Leugnet man eine Wirkung,
80 verliert nuin also die einsige Handhabe cur Bestimmung des Charakters der
Handlung oder des sonstigen Tatbestandes. Dann wäre die gomäB §167 6. Cf.B.
erfolgende Yollmachtserteilung eine Handlung ohne jede Wirkung, was jeder
Jurist ablehnen wird.
V(»!ljahrif?kf?jt, Rocht.sfiihiL'ktit. Wohnsitz. Vollmacht, Verein, Kigenbesitz,
Hi'sit/ usf. .-Hill Kaktr>rf»ii, ilii- sicli inf'ilL'o Huusutrotens weiterer Tat.sachon erst
zu praktisc lu v Ki lu-liliclikeil venlichteJi: Uie Volljährigkeit tritt erst bei Vornahme
einer Haiidluiig dos Volljährigen zutage, der Eigonbesitz erst, wenn er zur
Ersitzung oder zur Aneignung führt, die Vollmacht erst bei einer Handlung des
BevoUrniehtigten usL Es ist aber gerade unrichtig zu sagen, all diese Faktoren,
insbesondere Tollmacht und Wohnsitz seien „fftr sich allein auf dem Gebiet des
bürgerlichen Bechts ohne jede Bedeutung^ Die Vollmachtserteilnng ist im
Oegenteil als ein ganz selbständiger Beohtsakt aufsufssson, von dessen „Wirk-
samkeit** die Wirksamkeit des ganzen Gesohfifte ffir den Vertretenen abhingt.
Wir sprechen von gültiger und ungültiger Tollmacht, fassen also die YoOmadit
als selbständige Erscheinung des Rechts auf, und dies mit Reciit.
Ebenso ist es mit allen anderen genannten und sonstigen Tu ( Iiisbeziehungen.
Wir sagen: A hat seinen Wohnsitz dort, weil er sich daselbbt stündig nieder-
gelassen hat usf.
Hier ist Kitu&ctjiienz nötig. Man darf al>o, weiterschn-itend, Kechts-
wiikungen auch nicht nur dort anerkennen, wo .,Recht-.v(.rhaitiii.sse" ent.'^tehen
(»der beeinflußt werden'; man miiUtc denn letzterem Begriff so weite Bedeutung
verleihen, daß auch Wohnsitz, Tollmadit, Qindluugsfähigkcit, Verzug usw.
darunter fallen. Das wäre aber bekanntlich ganz inkorrekt Also müssen wir
den Begriff „Bechtswirkung" so weit wie möglich fassen, da jede Beschränkung
als willkflriidi und zwecklos erscheinftn muß.
Die Sprache des Bechts faßt nicht anders als die l^racbe des Volks unter
einem Begriff die versi^edenartigsten El<»nente zusammen, um mit diesem ein>
heitlichon Begriff dann be(|uemer operieren zu können. Sie l)ildet «lie Bpcriffe:
Ei<rt«nbesitz. Eigentum, Besitz, Vollmaclit, Rechts- uiid Haiidlung^^fähigkcit,
Wohnsitz, Verzug usf. Die in jedem dieser Begriffe zusammengefaüten Vor-
1) Wie Htsbsehier.
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Uaaigk: Ober Beiditswirkuiigeii und jniiatisch« Iliitsaohen.
165
Stellungen (z. Ü. die Befugnis, für einen anderen mit Wirkung für und gegen
denselben eine Willenserkläruag abgoboa zu dürfen, zusammcDgefaßt 2a dem
Begriff der Yolhnacht) erbalfien durch diesen Zusammenschlttfi SelbstSndigkeit
g^genfiber alleii anderen Begriffen.
Wenn ich sage: „Weil du diese Sache kanfweise von A. erworben und
erhalten hast, b»t da Eigentümer deiselben", so sage ich dies, am dadorob in
Efin» alle die veiscfaiedenartigen und weitgehenden Befagnisee snaanunensofasBen,
die mit der Übergabe der Sache bei dir entstanden sein sollen. Das „Eigentum'^
ist nur ein Begriff, dessen Inhalt rechtlich mit dem Eintritt gevisaer Talsachen
gegeben sein soll. Das ist das, was wir „Rechtswirkung^ nennen.
Der „Wohnsitz" ist eine gewisse erhebliche, (ian-^rnde Kechtshpziehung einer
Person zu ihrem AiifonthMltsnrtf . Diese Beziehung, die in lii iii Bc^'riff ..Wohn-
sitz" gedacht wiril, ist als Wirkung ciueü gewissen YorgangOü zu denken, nämlich
der ständigen Niederlassung.
Der „Besitz" ist eine gewisse erhebliche Ecchtsbeziehung einer Pei-sou zu
einer Sache. Diese Besiehung an sich muß uns ebenso bedeutungslos oder
bedeutsam erscheinen wie der „Wohnsits'*; und doch wird niemand Bedenken
tragen, den Besitserwerb ab solbstiadige Bechtswirbong anauerkennen, obgleich
Befugnisse infolge des Besitserwert» allein nicht entstehen (wie z. B. beim
Eigentam)i Aul letzteres kommt es eben nicht an.
Der Verfasser darf also nach wie vor sagen: Bechtswirkungen sind die in
Oemifiheit des objektiven Rechts eintretenden Texilndenmgen in der Bechl8welt<
Uan kann der Naturwelt in der Tat eine Sechfswolt gegenübeistellen. Ver-
stehen wir unter der Xaturwelt alle äußeren wahrnehmbaren Krscheiniuigen in
ihrem ewigen dem (Jesetz der Kausalität unterworfenen Wech.sel, .so können wir
dementsprochond alle Tatsachen, «lio rcehtürb erheblich sind, im Zusammenhang
mit iliien Iv'clitswirkiiiiL'* n unt' r dein Ausdruck der Kechtüwclt zusammenfassen,
in der auch da» liesetz der Kaubiilitiit, wenn hier auch als Satz vom Grunde
de« Erkenueus', die Trieb- und Lebenskraft darstellt
Schwi(>ri{^er ist es. über den Begriff der Rechtsursarhe Klarheit zu
j^N'winnon. Die ScliivifriL'kr-it ontsteht insbesondorn diiri h die Kemfraco: Ist die
Waiiinehnibaikcit der jiiristisclica Tatsache zu iliici Wirksamkeit erforderlich?
M. a. W. sind nur ändere Tutsachou im Recht erheblich?
1) Mein .Anwendungsgebiet 6. 16 und dort Anm. 1, was Eitzbacher nicht Imwhtvt hat
2) YgL biana Sckopenhaaer, Sats. v. suieioh. Gr. {j| 26fL, iaslwsoiidara { 29.
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156
Manigk: Übvr Hechbivvükuugcu und juru>tihcbü Tabwuben.
Wir stoßen damit auf eine allgemeine, aber praktisch höelist wichtige Frage,
die z. 9* ^"'^ Oegensats Ton Willens- nnd Brklttrunptheorie' in der
Lehn ron der WillensetklMrung in die Ersoheinnng tritt.
Die Frage ist so wichtig und einschneidend, daß es wujideiW ist, daß
man .hier in der Rechtswissenschaft nicht schon längst zu voller Klarheit gelangt
ist. ja daß man ihr in iltrer Allgemeinheit bisher iUierliaiipt lunnx Beachtung
geschenkt hat, indem man mit dem apodiktisehen, von allen beschworenen, von
niemandem bcgründet>:'n Tjehrsatz von der alleinigen Erheblichkeit äußerer Tat-
sachen ansznknmmrii inointe.
liü lat mittlerweile f;ist Inilij^lich (Jfschmackrisache pewoiticn, uli man in der
juristischen AVillenserkUauDfi deu WiUuii. oder ob man «lio Ki kiaimig ab eigent-
liche Ursache der erfolgenden Rechtswirk ung ansieht. Die Erklärung kann man
im Interesse des Erklfirungsgegneis verlangen, und man postuliert damit zugleich
die Zuverlässigkdt der Erklftrang nnd die Bindung des Erklärenden an das
gesprochene Wort
Hingegen muß man den Willen als den erheblichen Kern des Erklimngs-
tatbestsnde« ansehen, wenn man s. B. in Betracht sieht, daß auch unser modernes
Frivatrecfat sogenannte Willensmängel beachtet: Irrtum, Zwang, Betrug, Simulation,
Nichtemstiichkeit, unrichtige (}bennittlung.
Man kann jedenfalls das eine behaupten, dall keine von bei«len Theorien
imbedingt recht hätte nnd untieflinirt itn (Ipsptz bofolt^f %väro. In dem 'leironsat?,:
Wiüo <Mler Kiklärung liegt ein auffailemie'- A iialc^' ■!! zu der Kantisrhen
Frage: Ding an sich oder Vorütol i u ug, die >ieli im Muudu tjcUitptuiliHuers
sogar so gestaltet: Wille oder Vorstellung. Auch iii der IMiilosophie schien
e» unmöglich, das eigentliche \Vcsen der Welt zu orkemieu. Es braucht nur
an die vielen ontologiscboi Anschauungen erinnert su werde». Kant fand die
Lösung duteh seinen für alle Zukunft grundlegenden Kritixismus; er fand sie
in der mensohlicheii Erkenntnisweise sdbst Der Jurist steht hier vor einem
ähnlichen Problem. Er hat in der Willenseiklärung auch eine Erscheinung Tor
sich, die als solche Objekt fremder Vorstellungen ist Es fragt sich analog, ob
diese fhacheinung nur insofern da ist, als sie Vorstellungsobjekt ist, m. a. W.
nur insofern rechtlich beachtenswert ist. als ihr Inhalt objektiv bestimmbar ist.
Oder ob diese Erscheinung noch einen hinter ihr liegenden Kern hat, der auch
rechtlich brarhtpt wird, obgleich er selbst nicht Vorstollungsobjokt ist und sich
der Wahruelimung entzieht
l) Vgl. etwa Leonhard, Allgam. leÜ & 162ff., Duruburg, Bürg. Kccbt I § 106.
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Mftaigk: Ober fiechUwiiiangeo and jumtiscii« Tatsachen.
1Ö7
Analog scheint ftuch die Sntwickluug dor beiden Lehren. Boidu gingen
begreiflichenreiae ron der Etseheinung ras und sahen in ihr lugleich alle«, wm
flberhuipt in Betracht kommt: snerst HateiieUsmus und ebeoluter Bealismus auf
beiden Seiten. AllmShlieh erst steigt man höher hinauf und blickt tiefer. Der
PltHoMph findet, daß die Welt noch mehr ist als hlofle Vorstellung, als blofies
Fhinemen. Der Judst sieht, daft die Erklimng nur die Eiseheinnng einer inneren
Tatsache ist, von der sio nicht losgelöst werden darf. Der Kritizismus, der hier
not tut, wird den Schlüssel ebenfalls im Wesen der juristischen Erkenntnisweise
suchen mliMspn.
In hi'iilcu rrehjoton sind ilio Zfiteii extremor Auffassungen wohl überwnndpii.
DtT plülosüphische Spiritualistnu^ und Mealisinus erweist sich ebenso unrichtig,
als (ii(> pxtromo jtiristischo Willonstlif urie unlmuichbar und unzweckmäßig. So
wie Kaat dvn Mitteiwog zwischen Idcalisinns und Reulisuius gefunden, vennutet
auch die Jorispradens mit Bedit das Sichtige in der IGtte.
Die Schlichtung des Streits der Juristen hingt von einer tieferen Einsicht
in die Fc«ge ab, inwiefern flheriianpt ÄuJtemngen innerer Talsachen Terlangt
werden k&inen, oder ob das positive Recht die innere Tatsache immer erst dann
beachtet, wenn sie geäußert worden ist
Die meisten Juristen lehnen es überhaupt ab, der ersten Itaige auf den
Qrund zu gehen. Sie erachten ch als selbstverständlich, die Äußerung zu postu-
lieren, weil erst die letztere die zugrunde liegende innere Tataache faßbar und
für andere crlcennbar mache, letztere dann auch prst pnizossuai erweislich sei. —
Hier fcidt der scharf«« Blick ins Allgemeine. Man greift zum Mikroskop, weil
man das Teleskop nicht zu handhaben versteht
Diese Auffa.ssung ist bequem uiul einfach, sie gleicht aber in ihrer Naivetat
dem philosophischen Realismus und Kmpirismus.
Sie fiberaieht in erster Linie, daB das positive Bedit in aahlreicben MIoi
innere Tatsachen ab erheblich und wirksam statniert, ohne daan erst eine
l.ufierung in veriangen.
ffibufig ist B. KCenntnis'* und „Wissen** in einem Tatbestände erheblich.
So lautet §439 B.O.B.:
„Der Verkäufer hat einen Mangel im Rrchte nicht zu vertreten, wenn der
Käufer den Mangel bei dem Abschlus.sc des Kaufes kennt."
Die wichtige Folge der Aufhebung der Haftung dos Verkäufers für Mängel
im Rpchte ist hier von der Kenntnis des Käufers abhäng'ie f^emacht. Dies ist
oiiiie Zweifel einp innere Tatsache. Kenntnis ist nicht« ah pNV( lusche Vorstellung.
Der Verkäufer mliUte, wenn er die Freiheit von jener Haftung fUr sich in Anspruch
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JJanigk: Über B»obt»wirkung«Q und juri^ti^liv Tatsaehfa.
nimmt, beweisen, daB der Käufer den llangel gekannt hat Dies wird ihm
entweder daduieh gelingen, daß er «in änfieres Faktura nadaweiat, aus dem sidi
logisch oder psydiologiseh die Kenntnis ergibt, oder mangels dessen durch
Bidessnaehiebong.
Er konnte z. B. beweisen . daß er den Mangel dem Käufer ausdrücklich mit-
geteilt hätte. Damit beweise er • in ■ T^rsacbe, die notwendigerweise die Kenntnis
nach sich zieht, womit also auch di«.' lety.tere zugleich bewiesen wäre. Oder er
bewiese oino Äußerung der K«'nntnis «citens dos K;iuff'r<. etwa einem Dritten
gegenüber. Hier bewiese er eine Wirkuuir, uiul damit zuf^lcidi ilit- iioriiialf Ui-^jirlu'.
Hehon hieran zeiert sich, daß mau <li<' Äußerung einer inneren Tatsache
jedenfalls nicht deswegen postulieren darf, um dadurch die letztere erst erweis-
lich zu machen. Erweislich ist sie auch auf andere Weise, auch durch äußere
Ursachen, die etst zu ihr fahrten. Erweisltd] ist sie im N<^le, mangels
ftußerer Indisien auch durch Bidessusdiiebung, die sieh direkt auf die innere
Tatsaohe selbst besieht
Ebenso liegt es ferner s. B. im § 932 B. O. B. mit d«n guten Glauben des
Erweibers, ^r in erster Linie ebenfalls nichts anderes ist als Kenntnis bezw.
Nichtkenntnis. Auch hier handelt es sich im Ftoseß ledi|^di um den Nachweis
einer inneren Tatsache usw.
Wenn der Verfa.sser schon früher eine ganze Kategorie von KechtsgeschAften
aufgestellt hat, in denen nicht die Erklärung des Oeschäftswillens, sonilerfi
letzterer selbst auch ohne Erklärung essentiell soin soll, so ist darauf zu Unrecht
ei'widert worden, daß man iuer dann gjuiz auf tien gefahrvolleu Parteicid au-
gewiesen sei. Hierbei wird melu-eres zugleicli übersehen.
Einmal projizieren sich innere Tatsachen meist nach außen, wodurch sie
dann rüokschließbar und auch leicht erweislich werden. Der Okkupant, der
kraft seines animns domini das Eigentum an einer herrenlosen Sadie erworben
hat, wird hSnfig Änfierungen dieses animns erfolgen lassen. Er wird das eriegte
Wild z. B. konsumimn oder verftufiem. Mufi er letiteres aber, um dadurch
etwa erst das Eigmtum zu erhalten?
Aber auch der Angriff gegen den Parteieid dort, wo äußere Tatsachen
ausbleiben, ist verfehlt. Wie wünle denn in ol»igen> Beispiel der Verkäufer
beweisen, dall er dem Käufer den Mangel mündlich mitgeteilt hätte? Käme man
hier etwa, wenn Zengeii nicht dabei gewesen sind, durch das Po.stnlat eines
äußeren Faktums nni ii vi i lmfiten P.irteieid hemm? Unbestreitbar vermag
der Verkäufer seine inüiniliehr Miueihwig an den Käufer dann auch nui' durch
Eidoszuschiebung an diesen zu beweiseu.
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Mtaii^k: Über RecbtewiilEDiieBB and jnrisiiwhe Triaacbm.
159
Ks ist irrig, wenu die Willenserklärung utiLTidl i'infaph il(j>\v(.'<;i ii postuliert
wird, weil die Rechtsordnung innere Tatsachen als miüilieblicli an.sahe, unci weil
insbesondere die Eideszuschiebung dadurch vermieden werden solle.
Das weitere Eingehen «uf diese Frage von großer Tragweite rnufi sieh
der Terfasser hier vereageD. Es wird dies u anderer SteUe geschehen.
Hier sei mnr eins henroigehobea, was dabei bisher unbeachtet Uieb und
doch offenbar gerade weeenüidi ist Das inatnidle Recht hat sweiMlos die
Ibdit, Bechtswirknngett aodi an innere Tatsachen anziiknfi|ifen. Ein Mick auf
das positiTe Becht lehrt, daB von dieser Macht reidilich Gebrauch gemacht wird.
Eine besondere Gefahr kann hieraus im Stadium des Prozesses nicht entstehen.
Die vermeintliche Gefahr ist vielmehr genau dieselbe wie bei denjenigen äußeren
Tatsachen, die nicht Gegenstand der Wahrnehmung eines Dritten geworden sind.
Die miindücho Willonsork! iirung imter vier Augen fällt drrsolbon Opfalir «nhoim.
Bip Tafsaclio iler Erkläning und der Inhalt der letzteren knimen bestritttMitiifalls
auch mif durch Parteieid bewiesen werden. Der Fund eines freindcn vuriorenen
Gegenstandes, die Entdeckung eines Schatzes, die in § 961 B.G.B, statuierte
Verfolgung eines Bienonschwann^ u. a. sind äußere Tatsachen, bei denen dem
Interessenten aber oft allein die Mö|^dikeit bleiben wird, diese Tatsadien
bestrittenenfells durch Farteieid zu beweisen. Hat es nimnand gesehen, daß ich
den Schafis gehoben, so yexsagen alle anderen BeweismitteL
Durch die Poetolierong ein^ jLoBemng entrinnt man jener Gefahr also
dnrduius nidit Zur Sinnlosigkeit führt das Postulat aber dort, wo es sich um
einsame Akte handelt, insbesondere uro Akte, deren Wirkungen eine fremde
BechtasphSre nicht berühren. >
Das materielle Recht statuiert äußere Tatsnnli (>n also keines-
falls aus prozessualen Rücksichten, wie gemeiniglich b('liaii])tet wird.
Einmal bliebe dann nnfikliiit. warum sich das Rocht dort, wo zweifellos
innen' TütsaclnMi al< jnri^tisfiif stütuiert werden, über jeuo (irnzi-s^iialiMi Rück-
sichten oiufacli hinwo^'sctzt. Und ferner nuiß bei den äußeren Tiit.saclit.ii unter
gewissen Umständen im Pi^txeli ganz dieselbe Notlage eintreten, die man ver-
meiden möchte. Man strebt hier siditUeh nach der nnerrdlchbarai abeointen
Wahriieit, die uns aber auch daa idealste Prozeßrecht nidit vermitteln kann.
ITieht ' in den materiellen Tatsachen, sondern in den formellen
Hindernissen liegt die Klippe.
1) Auf die gegmräcdiMi AnffBamugen Ininiitt Y«ifi«er deoialdisl au aadaiMB Oite n
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160
Manigk: Über Ivechtswirtuugen und jumtische Tatsachen.
Diese BeobKohtung milaaon wir tua Mich fOr die streitige L^ie Tom
BeobtBgesohllt und der Will^ieerklirang xonutse machen.
Die Eridäning des Willens darf zur Wirksamkeit des inneren Geschäfts-
willens nicht absolut gefordert werden, wie gewöhnlich geschieht
Weswegen aber sonst? — Aus keinem anderen Grunde, als mit Riicksichl
auf einen Erklnnmjr^jrcenor. Die Erklärung erfolgt, wie im Tjebnn, so auch im
Kecht nur für (.■ihlmi aiiderf^n. Sie s;oll riiolit die voliier diirikie Absicht des
Handelnden erst zur Klarheit bringen. Lct/.ti !■> nuiB vdilu r » iiigetreten sein,
wenn nielit eine ganz unbesonnene Erklärung liiiü Resultat sein soll. Die Er-
klärung kann höchstens nur den Willen wideispiegeln und ihm adäquat sein.
Uan Terlangc psychologisch und jnristisdi also von der EtUlining ni^t Sigen-
sehaften, die der innere Entsddufi d. h. die ans einer Summe von Yoistellungen
bestehende Absidit etwa nicht haben könnte. Vor dem sprachlichen Ausdruck
muB normalerweise der Sprachbegriff dem Subjekt selbst bewuBt geworden »ein,
sumal bei reditlich oder sonstwie bedeutsam«! EtfcUrungm. Der Ebtschluft »t
eine abgegrenzte selbständige psychische Tatsache. Die Ausführungshandlnng,
als welche sich die Willenserklärung lediglich darstellt, ist sekundär.
Man sage nicht, daß Klarheit erst im Äggregatzustand der Erklärung
möglich ist, und das Recht dip Iftztcre daher stetn posttilinren miissp.
Die Kaufofferte, die Kün<lii,nni>r. die Mahnung, da.s Testament wirken erst
dann, wenn sie erkliirt sind, uiui zwar nur darum, weil früher oder später ein
betroffenes anderes Subjekt Kennliu.s von den Absichten (le.< Erklärenden erhalten
soll und muß. Das Testament wirkt nur darum, weil der Testator den durch
dasselbe betrolfenen Personen die Kenntnis seines Willens Tennitteln wilL
Wttrde jemand hingegen seinem letzten Willen, wenn auch gans in den Pwmen
eines holographen Testaments, nur „für sich selbst'* aufesichnen, etwa als !Ehit>
wuif für das spatere Ttotsment, so ist der Entwurf nicht wirksam und swar nur
deswegen, weil er nidit «ffir einen anderen" bestimmt ist, weil er ttbwfaaupt
keine echte Willenserklärung ist. — Aus dnmsplhon Grunde, und «war nur aus
diesem, ist eine mündliche Äußerung ab Monolog unwirksam, weil <lcr Wille
fehlt, diese Äußerung einem anderen zugänglich zu machen, weil die Erklärung
nicht „für einen anderen'' erfolgt, mag sie vielleicht auch der durch ihren
Inhalt Betroffene xnfatlig vernehnifn. Auf die Möglichkeit der Koiintiii-;niiiinip
kommt es beim Begriff der Wüknsi rklarung nicht an, sondiru auf den /wock
des Erklärenden. Weshalb lehnen wir einen Monolog oder einen blolieii Er-
klänmgsentwurf , mag er auch alles Wesentliche enthalten, denn sonst als Willens-
erklftmng ab?
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Hanigk: Über KecbtäwirkoDgen und jomtiBobe Tatsachen.
161
Am Uanten und beaeickiieiidstieii tritt die entgegeogcsetite irrige Meiaimg
in einer Üteren Abhandlung Köhlers ftber HeotaIre8er?Ation nnd Simulation
herver.* Die Worte seien deher hier viedeigegeben:
„Vielmelir ist der rechtlich erfaeblidae Wüle im Zivilrecht ebensowenig von
der Erkläiiuig zn trennen wie im Kriminalreoht, die Erklärung ist ebenso für
die zivilrecLtlicho wie für die strafrechtliche Beurteihing ein wesentliches and
tintrennbares Stück des Tatbestandes. Das Recht erkennt die unnatUrlioln' Spaltung
von Wille und Erklärung, von innen nnd außen, von fJoisf inid Materie nicht
an, die Willenserklärung ist eine Kinheit, an wcIcIkt der iranzc pliysiseh-
geistige Mensch gearbeitet hat. Die Erklärung ist keine Verküudutitr eines bereits
festätebenden, bedeutungsvollen Aktes...; vielmehr sind Wille und Erklärung
nur die zwei Seiten . . . desselben Phänumens. . . Der Mord ist nicht die bloße
Ihithüllung eines an sich schon strafbaren Willens, die lojurie nicht die bleie
Knndbaxmaehung eines an sidi schon dem Kriminalriehter reiMenen inneren
Yoigangs. . . Mag man immerhin die Erklärung eine Offenbarung des Willens
nennen, so ist sie eine Offenbarung nicht im Sinne einer bloBen EAenntnia»
quelle, sondern im Sinne einer Yerköipwung, einer ObjektiTierung, einer
Inkamati<m, in gleichem Sinne wie unsere Pliilosophen von einer Offenbarung
des Weltwillens durch die Natur, durch »iie Kunst usw. sprechen. Der Sinnspruch
der Rechtswissenschaft i.st das Faustscho Wort: Im Anfang war die Tat, mit der
Tat erst be-iiml das Recht und die Wissenschaft des Rechts."
Nicht wenige Juristen werden sich mit dieser Auffa.ssung womüglieli noch auf
dem Boden des heutigen Rechts dünken. Und doch wäre das durelKuis \ prfehlt.
Von einer Keclit.sordnung, die die Divergenz zwischen Wille und Erklunuig
beachtet und in gewissen FUlen abweichenden Willens die Unwirksamkeit der
ErkUmng eintreten läßt, kann nidit gesagt werden, sie sähe die Eridämng als
eine Inkarnation des Willens an. Geht das Becht auf den inneren Willen su-
rttok, und beachtet dmselben, so ist Köhlers AuffsasuDg unsutreCfend. Ihre
Unriofatigkeit offenbsrt sieh Übrigens auch gerade in der sum Strafrechte ge-
zogenen Pandlele. Letzteres knfipft an den ävfieren Erfolg nämlich nicht des^
wegen an, weil die zugrunde liegenden inneren Tatsachen ihm überhaupt gleich»
gültig geworden wäre, sobald die Körperbewegung physisch wirksam geworden
wäre, wie Kfihlnr meint, sondern weil erst der äulJei-e Erfolg einen rechtswidrigen
Eingriff ia eine fremde Hechtsspliure riar>tellpn kann. Daher ist die Tat der
Ausgangspunkt, von dem aus diu kriminelle Reaktion stattfindet Unrichtig ist
1) Iheiuigs Jaliib. Bd. lü (1878) 8. 'J2ff.
11
162
Manigk: Über KechtflnrirkoDgen and jarUitiii(;b« Tat^ben.
ea aber viedemm gaius offenbar, wenn man dabei anf die Körperbewegung allein
aurackgeht Derselbe Erfolg, dieselbe yerurBacbende Kdipeibewegung werden
strafrecbtUch gans yeiBohieden beinteilt, je nachdem die Frage des dolus dabei au
beantworten ist Dieselbe fiuAere Sndibcschädi^iing bleibt straflos, wenn sio olini*
Absiebt geschah. Der jaristisehe Tatbestand dieses und anderer Delikte enthält
oben nicht nur den Erfolg und die vpnu>;achendo KöiperbeweRung. sondern auch
die Schttld. die iiiolits AuISeres. sondern etwas Innere^ ist. Jpnes Diirehsohneiden
der zwischen dm Socio dos Handelnden nnd seinen Haniiliinu'tMi liostohenden
Faden liomht also auf i inrin ircwaltijren Irrtum. Es liandelt sich uiu kumulativ
geforderte Tatbestandmeikmalu im Strafrecht wie im Zivilrecht: Die äußere Hand-
lung nnd außerdem die sich der Handlung lediglich als Mittel bedienende innere
Abdcbt, mag sie sieh auf einen deUktischen oder einen reohtsgesobifiliohffa Elf dg
beliehen, mag sie sich juristisch als dolns oder als Oesolilftswille darstellen.
Der M<wd ist gewlB nicht die bloße Enthüllung eines an sich schon straf-
baren Willens: Aber die blofie Tat ist es nicht, die den Tatbestand des Moides
aiisfnilt Die einer bestimmten Absicht entspringeude Tat wird veilangt — Die
erklärte Annahme eines Eanfangebots ist gewiß nicht die bloße Offenbarung
eines an sich .schon wirksamen Annahmewillens. Aber die bloße Erklärung ist
es auch niclit, die den Tatbestand des Kaufvertrages ausfüllt, AVäre die An-
nahme 7.. V>- simuliert, so wäre die Krklärung nichtig; wäre sie irrtümlioh, so
wäre sie anfeclitbar, also auch nicht vnll wirksam usw.
Mit ikr Berücksichtigung der sog. \Vjilensmä»ie'*^l sagt unser Gese^tz lii-utiich.
daß bei der wirksamen Willenserklärung angenumiueii sei. die Kri<larung ent-
spreche einem kongruenten Willen, und daß sie nur insofern mit voller Wiit-
samkeit ausgestattet werde.
Der Grund, warum das Gesets frtther wie heute die ErUftrung des Ge-
sebüftswillena verhuigt, ist aber der gans einfache und natOrliehe, weil ohne
dieselbe das von ihrm Wirkungen betroffene andere Subjekt keine Kenntnis
erlangen und sich demgemäß nicht rechtlich entsprechend vei^ialten könnte.
Gerade im Gegensalz zu der von Kohler angezogenen, oben zitierten
philosophischen Anschauung muß man die juristische Willenserklärung im Sinne
Kants mit der Welt vergleichen: Heide IMiänomene sind nui' Objekte für ein
Siihjf'kt. Die Welt ist Vor-teüitrig. Die Willt-nserklärung ist inich für ein sie per-
zipieremli < Siihjr>kt da. Fohlt ein solches, fehlt das betroffene Interesse, so sind
Willens;inlii'nm-i'n auf der anderen Seite keine Willenserklärungen, sondeni haben
eine atuiere Xntur. l'eiiit das Auge und das H im. in dorn sich die Welt .spiegelt,
sü iüt die Welt mclit mehr das, wofür sie von uns nur gehalten werden kann.
vn
WORTSCHATZ UND SPRACHGEBRAUCH
BEI KANT
TOH
Dk. WILHELM UHL
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Die Kant- Literatur de^ Jahres 1904 teilt mit der Kant •Literatur des
letrten Jahrhunderts^ den gleichen MangeL Beide seigon sie an deiselhen Stelle
eine Lücke. Schmerzlich vcnuissen wir bisher, selteanienveise, eine Uonographie
Ober Kants SchreibarL Von den verschiedensten Standpunkten wird seine sefarilt-
stellerische Tätigkeit und ihre Geschichte betrachtet, aber niemals vom Stand-
punkte des Philologen. Proteusartig zeigt sich uns der Philosoph in wechselnder
Gestalt Nicht nur als Lopiker und Erkcnnttiistheoretiker, nicht nur als Pqrcholop,
Mofapliysikor. Etliikor und Gcschiphtsphilosoph tritt er auf, soiidorii auch als
Natuiioist'lior. als Physiker. MatlicmatiktM-, (Jeoprapli und Antliropolo^?; dann auch
z. B. als PätlafToj; und Weltmann, ja sof^ar als proti'stantjschfr l'hilosoph* und als
SozialpolitikLT.'' Kinzisr und aMoin das doch so dankbare Thema; „Kaut als Stilist"
wird nur Relegeutlich In*' uml da fliiduisr jrestreift.
Der Grund für diese auiluileude Tatsache wird in <\fm fast {riinzlichen
Febieu irgend welclier Vorarbeiten zu suchen sein. Ich nu.iuc iiaupti^iichlich:
es fehlen systemutiüch angeiegtu Sammlungen, die das Beobachtaagsmaterial über-
sicbdioh darbieten und Parallelen aus der gleichzeitigen Litentor htnaaffigen.
In gewissem Sinne sind ja schon die Eant-Au^ben und die deutschem Wörter*
bQcher, die allgemeinen und speziellen, als Vorarbeiten anzusehen. Philosophen
und Germanisten besitzen hier iufierst wertvolle Werke. Aber die filteren sind
leider hereifs zum Teil antiquiert, die jfingeren zum noch unvoUemdei So
1) Uftbej weg-llflinze III', 1901 , § 31 ff. — M«x Weg ^Katalog 30), Bibiiotheca Kantiana.
Leipzig 1893 (ca. lUOD Namin«ni)> -- Erich Adickes, German Kantiau BibUogn^y. JBoston
1896 (2832 Nnmmeln). — Dazu die rcgcimäüigen ßibliographicn der „ AltpreuSsiSchen Ifonats-
ScLrift ed. KuU. Keicke.
2) D. Julius Kaftaii, Kant, der I'liiliiso|ili des Protestantismus. l{ode, gehalten bei dor
vom Uurlinta Zwaigvorciu des Evaugolischcu Buudes vcranstaltotca Gcdaubtuiüfuier am 12. Februar
1904. Bedia 1904. — 7gl.Iii«dT. Paalsen, Kant, der FbOo«. d. Piotestaatisnnu. Berlin 1699.
?i) Dr. Max Adlor, Imnianuul Kant zum Ufdüchtiii';' O.'dcnkredo zum 100. Todestage.
Wien u. Leipzig 1901. (Vortnig« u. Ablumdluageo, lirüg. vom So7.ialwisseii:iubafU. BUduqgBveFein
ia Vien. Nr. — YnL Dr. pkit. 0. Braaer, Die fieziebuDgen iwiichea Kants Ethik sad aeuier
FU^gogik. Lriittig 1904.
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166
IThl: WoctiidiBti nad Spnwbgcbtaoob bei Kaut
iiit i-i, gekommen, daß bisher maad gewagt hat, derartige Sauuulungeu eiozu-
richten. Und es la{? doch so nalie!
Sehüu die Mitwelt, die imgdehrte wie such die gelehrte, empfand sehr
lebhaft daK BcdQifnis, Kante Schriften an der Hand von EoramentiiTen zu lesen.
Die „K&rmer", ron denen Sohüler in seinem bekannten Distichon spricht, sind
praktiBche Minner gewesen, die jenem Bedarfnis entgegenkamen. Und swar
lieferten sie weniger fortlanfende Kommentare su einzelnen Schriften, als viel-
mehr Lexika oder Kompendien ao Allen Schriften.* Selbst Kommentare an ein-
zelnen Schriften kleiden sich in das tieuund eines "Wörterbuelies. um leichteren
Absatz zu finden.* Jlau weiß den Wert eine:; Be^isfers (Iudex) wob! ZU schützen
und legt also ein großes (iewicht auf schnelle Orientierung. Das pnnz<> Philo-
sophieren des IS. .lahrhundrrts hat einen komprndin-fn Zuschnitt. Kant selber
las meist nach Ki inju iidieii, wie es die Hegiernn^ viui den Dozent« ii \ « i langte.'
Man ist geneigt, anzunehmen, daß seine Systi-iaatik durch diese Eiuiichtnng an-
geregt oder doch miudcsteus beeiuIluBt wurde, uud daß diese Systematik ihrer-
seits wiederum hei der AnsbUdung des Kantiscben Systems von Einflufi war.*
Yielleicht läßt sich eine ähnliche Yermutung aufteilen über die Wandlungen
des Sprachgebrauches bei Kant, sowie auch Ober die TerXnderungen seines Wort«
schatses. Ohne den vollstfindigen statistischen Apparat können wir jedoch in
diesen Fngen nicht klar entscheiden.
Man teilt die Kantische Philosophie gewöhnlich nach zwei Perioden ein:
in die vorkritische und die kritische.^ Als Zeitpunkt des Überganges wird
meistens das Jahr 1770 angesetzt. Diese Scheidung könnte ungefähr auch für
die beiden Stilepocben Kants zutreffen. In der ersten verwendet er die neubooh-
1) Im rohrigsten irar J. 0. C. EisBowetter. Vgl. tob ihm: Vernich «ner faBIichflii Dar*
Stellung der wichrigstcn Wahrheifon dor neueren [später: kritischen] Philosophie für Unein-
geweihte . . . Berlin 1795 n. ö. (spltter erweitert ^ zwei Teile mit Begister). — Anäor ihm ist
besonders su nennen: 0. 8. A. Mellin, dessen ^.KntykUipüdisches liVBrteTbudi der krittsehen
Philosoph 10 " in sechs R.^ndon zu Jona u. Iz-ipzig 1707 — 1804 herauskam. (Anj Schluß wertvolle
ßegiüler.) — Für einen weiteren Kreis waren die Anthologion berechnet. VgL z.B.: J>0. Kitte,
£aatiacbe Bhimenlese eder snlebe Stellen ans Kants Sdiriflsn, die für Jedermann fatUoh, intern
essant und lelirrvifh sind. Zw. 1 Il-indrh>'n. Zittau u. Leipzig; 171»'c)/]801.
2) Ö. ti. Melliu, Marginalien u. Heister zu Kants Kritüi der ürkenatiiisvcrmogeo. 2{ea
hiag. von Lndw. Ooldschmidt Zwta Teile. Ootfaa 1900/02. (Znerst: ZöllidiMi 1794/95.)
Vgl. Emil Arnoldt, Kritisi-he Exkurse im HiVi te der Kaut -Forschung. Königsberg i, Pr.
1894, 8. 38t). — Wertvoll ist das äacfaregiister Dr. Kiirt Yorlanders zur Kr. d. r. V. (Uempel
1266-77 (1869/1900], 8. 770-8S9.)
4) Dr. Erich Adickos, Knuts Systematik ak s\ stemhildendcr Faktor. Ü^.rrlin 1SS7.
5) Diese Einteilung findet »ich aaeli in der modorneu Anthüiogie: Dr. Baoul Richter, Kant-
Auaaprliehe. Leipaig 1901. (336 Nnmmem.) 7gt. J. Frmaenatndtf Imm. Kant Liohtstnbten aas
MjaenWeilien. Leipaig 1872; Benno Erdmann, Beflnrioinen Kanta I/O. Leiprig 18S2;/85w
Ubl: WortMiukks und ätNraobgebrauch bei £ant
167
deatedie Sohriftspraob«} d. h. dea sogen. „obenSchaisdien Kjuioii'* des 18. Jahx^
hvnderts; ganz ohne, oder vielleicht nur mit gans Iflisem aetpreußisohen Ein-
schlag. (Ob hierher c B. das Adjektiv „verkleinerlich*' 8, 12 gehört?) In der
aweiten bedient er aich der philosophischen Ennst-i oder Berufssprache; diner
geheimen Teiminologie für die Zunft, anf dem Boden der enten Epoche <n^
Warbsen, aber stark mit lateinischen, weniger mit griechischen Fremdwörteni
durchsetzt In II,* umfassen die beiden eisten Hände etwa die erste, die letzten
seclis die zweite Stilopoche. Dieser Unterschied winl jedem schon beim flüch-
tigen Durchblättern in die Augen springen. Auch dor nKichtipf Periodenbau,
die „Schachtelkoiistt iikrion'', tritt ei^st in der zweiten Kpoche rwiotrrnd hm'or.
Diese Stileigontüniiielikcit, die oft pelobt, iiftor getadelt wurde, cut.spjiclil ganz
der „scholastischen Manier'- und ist nur dann als eine pei-sönliche Eigenschaft
des Autors — ,Le siyk c^est Vkomme!* — oder gar als sein Verdienst anzu-
sehen, wenn man zugibt, daß Kant mit BewuBtsein and Absicht jouo Manier
angraommen habe.* Die Wirkung, die der Periodenbau und die ganze 8chola>
stische Manier aberhaupt auf das Lesepublikum austlbte, ist eine verschiedene
gewesen. Die einen klagen lirgeriich, daß man genötigt sei, Kants lange ^tie
wieder und wieder zn lesen, um sie fiherhlicken und veiatehen zn können. Sogar
Schii|)onliaiirr. fler sonst doch in Kant den Messias der deutschen Philosophie
und der deutschen Sprache erblickt, läßt sich iMinnal zu einer sehr dia.stisehen
Äußerung hinreißen; allerdings nur tici Oelegenlieit einer flüchtigen Anmerkung
zu der SchliiBstoÜP aiiw pirifr Altf^r>-clu ift Klints.* Andprer-fits ^\\t ps als Khren-
saobe, unseren Philosophen von der Anschuldigiuig, rhetorische Gruppierung oder
1) Der Augdmok war schon den Zeit^uossen geläufig, uud zwar ganz ohne tadelnd«n Bei-
geaehmadt. Tgl. G. B. A. Kwuitspndie der kritischeii Pbtlo80{ilde, oder Sammlttog aller
Enaatwörtor daneben, mit Kauts oig<^ncn Krklämngen . . . . .Inna u. Ivcipzig 171)8.
2) Immanoel Kants Sämmtliobe Werke. In cbmtiolo^'isch'r^r Heihenfolgö hr^g. von
0. Hartenstein. Vni Bünde. Leipzig 1867 - 68. (Bd. I/II: Jng. iid-; Bd. lU/VlII: Altersaobritten.)
Die in IL B.4« mflnitanen Sduiflon beaeieliiien den stilUtiücben Höhepunkt
3) Ygl. Alois Riehl. Immauu<>l Kant. Kede. Ualle 1004, S. 17, wo vnn iter Fnrrn d.n
„Kritik dyr rt'inen Vernunft" die Ue'le ist. Der Ansdruek trifft aber auoh für ullu iunka'n
Sotiriftön der zweiten Kiiwlie zu. — Yj;!. audi B«'iiho Krdniaiin, Iramaunol Kaut, Bonn lyOl,
S. 9: ..In unülersirhtlicheii reriodou. dio mit den Formeln einer fast barimriaGhen Konstsptacbe
überlastet niud, drängt ^icb dio FüUu seiner Gedanken zusammen.*'
4) Eine schone laudtaio der Perioden gibt Hermann Cohen, Von Kanfs EiafluB auf die
deutsche Kultur. Marburj^er Kaisen.- Geburt.sfcigs-Kede. Berlin 18.S3, S. 13ff. Vgl, von domselbeo,
InuDanuel Kant. K«de. JUarboiig liM)4, S. ^UL (Marburgor «kadem. Reden. Kr. 10.)
5) .llie<.htslehre* 1798} S. S34 — 235 nbb^lt der altelbnn nun ErfanmeD." Art Sohop.,
Anmrkgn. zu I'laton, ],oi:k>-. Kant u. N'achkanti.sclicn Philos>>]>hen. (Sr h.ri bandschriftl. NaoUnIk
tä, Eduard Orisebaoh, i. BA.}. Leipzig q. J. (lä03J, & 33 iKedam 30CI2/XI3).
168
Ubl: WortochKtx nnd BpnohgebnuuA bei KanL
doch wenigütens „dialektische Begiiffskilnste"* zur Beweisführung verwendet zu
haben, firekoBiiroohni. Um idhint ^die strenge, die kOnüge Alt seines Denkens,
die hohe Idealitit seines aitUichen Fftthos**.*
Diesem IVo et Contra entsteht sich der Gennsnistf indem er X^ts Sdireib»
art, spesiell die der sweiten Epoche, eis Stsndesspracbe oder Elsssendialekt be>
trachtet Sind nun die HUtoittel, die far die erste Epoehe zur Yerffiging
stehen, sdum Äußerst spärlich, so Torsagen solche bei der zweiten fast ganz.
Dort bildet Adelungs Wörterbuch die Hauptquelle; neben ihm die mehr kompila-
torischen Campcsclieu Bücher. Für einzehie Klassiker gibt es bereits gute Vor-
studi'Mi. ans denen Methode zu lernen ist; die bekannten Arbeiten ithcr die Ent-
stehung der nhd. Schriftsprache sind stets heranzuziebon. Drtail ^'churt nicht
hierher.' Leider fehlt es vor allem an einem ostpreunischeu Idiotikon.*
Für die zweite Epoche soi das Urteil voraugebttlit, das Jacob Orimra über
die riiilosophcusprache und über Kants Sclu"eibart abgegeben hat. Die Worte
stehen in der Einleitung sum ersten Bande des Deutschen Wörterbuobes, Leipzig
1854, 8. XXXI f. DaselbBt spricht Oiimm mb 8. (S. XXX ft) aber die Ehusen-
dialekte (dieser Terminus ist aber jttnger) und behandelt zuerst die Sprache der
Hirten, Jäger, VogeisteUer, ISseher, Schiffer, Winser, Berjg^ente, Bienenxfiehter,
Gärtner, Bauern; der Ha]id.werker, der Köche und Apotheker; das Botwelseh oder
die Sprache der Bettler, Diebe und Oauner; endlich die Krieger- und Rittersprache.
Dann kommt er auf die gelehrten Stände und ti-aktierf, secnndum ordinem faeul-
taiitm, den Jargon (auch dieser Terminus ist jünger) der Theologen (der pro-
testantischen und katholischen), der Juristen, Mediziner und liaturiorscher, be<-
1) Vgl. Wilh. Windeibiind, luiiuäuuil Kant und seine Weltanschauung. Gedenkrede.
Hddelbsig 190>t, 6.31. — Scb6a oad giM-echt i&t die Darstellung hol Friodr. Paulsen, I. K.,
Stuttgart 1898, S-ftt-TS. (Frommann.s Klass.d.Ph., ed. Riol, FüI. kt hIm i l;. TIF. |' ' Paulsen
rühmt besonders die Schriften der "Oer Jahre, auch die „Tiitiime eines Geistersehers" [ITtiöJ.
2) Vgl. Dr. Julias Walter, Zum Gedächtnis Kants. Festrede, gehlltSii im Jahn dw
Sikolarfeicr der Kritik der reinen Vernunft. Leipzig 1S81 . S. 29.
3) Einige Fingenteige gibt Dr. Wilh. Feldmann, Wieland als Spracbreiniger. Beil. z. Ällg.
Ztg. Nr. 250. XfSnohen, 10. Xav. 10<):i Wieland, der S<>hwBbe, dichtet mit dein Adelung in
der Hand. — Vgl. M. Müller, Wortkritik twd Spnebbensichemiig in Adalanga Wörterboch.
Berlin 1903. (Palaestra XIV.)
4) Die Schriftsprathe ist fft.st gar nitht berücksichtigt bei G. E. S. Ilonnig, Preußisches
Wfiiterboch, . . . Kinigslwrg, 1785; H. Frischbio r. Pre»i.ss, Wb. l/H- Berlin 1882,83. — Vgl.
CTh. Hoffheinz, Über den ostpreoB. hochdontsohon Dialekt Vortrag, geh. i. d. Königlich [»ic]
Peatsehcu OeselUch. zu Königsbeiig. Altpr. Monatsschr. 1872, |4 (5] — 46U (Montz N'r. 1058.) Ein
wnfuigreichea MS au dein NachlaB dessolben Verfusera, Voiarbeitnn za einem os^reafl. Idiotikon
enthaltend, befindet sieh in Besitze «einer Fainilie and harrt der Bearbeitung and VeriWeufBeluing
durch eine kundige Hand, die sich bisher leider nooh nieht gefanden hat. (Enohebt in der
tlentoni«", vemutUoh in der Bearbeitung dea Dr. Ludwig Ooldateio.)
Uht: Wortgdiaiix «ad BpiMihi^biancli bei Xut.
169
sonders der Chemiker. „Nur dk» Chemie kauderwelscht in Lakin und Deutsch,
aber in Lieblgs Munde wixd sie sprachgewaltig.'' Zuletzt ist Grimm dann kurz,
alber sehOn und treffend, auf die S^nedie der WdhreiBheit eingegangen. „Den
Philosophen'', sagt er a. «. 0., „welche sich des innigen Zusammenhangs der Yor-
sMlungen mit den Worten bewust sind, liegt es nahe, in das Geheimnis dar
Sprache ainxns«nkeii; doch vSdist ihnen die Gewandtheit mehr von innen und
haftet xn sehr in der Besonderheit iluer eignen Nator, als daß sie dea her-
gebrachten SpradigebiauchB eingedenk blieben, ron dem sie unbedenklich und
oft wieder abweichen. Auf ihn unter allen scheint Kant [XXXII] die meiste
Rücksicht zu nehmen, dessen lebendige Au.sdrucks weise darum, insofern sie dem
Orliicr der deutschen Sprache anheim fällt, das Wörterbuch aufzufa.ssen nicht
unterhi-ssen hat." Kant ist für das DWD nach * exzerpiert; wahrseh*^ii5lich
von Hartenstein >( lbst, vgl. <Vw Danksagung Grimms, DWÖ I,LX\'TT oben, sni/ 23.
Beistand. Nur selten winl Kaut im DWB nach Originalausgaben ;5itiert; vgl.
darüber DWß I, LXXVIII die Angabo im erskm nhd. Quellcnvcrzcichnis. In den
folgenden QneUenTen^ohnissen (2 — 6) wird Kant nicht mehr erwfihnt (Bd. II,
m, T, VI, YII). Nach H| sitiert auch Hoiu Heyne.
Jacob Grimm UlBt also die Ansicht durehblidcen — und wir müssen ihr
unbedingt beif^chten! — , daB eigentlich su jedem philosophischen Autor ein
SperialwSrteibueh anaufertigen sei. Selbstverständlidi mOAten fille Stellen, und
zwar die ganzen Stellen, an denen der fragliche Auadruck vorkommt, chrono-
logisch geordnet, unter den betreffenden Stichwörtern gesammelt auftreten.' Dap
mit ist es aber ausgesprochen, ein wie g<?ringer Wert nur. relativ wenigstens,
auch den besten unter den aüfTPinninrn pliilos iphi^rlipn Le.xicis beizumes^on sei!'
Versuche .solcher allgemeinen Beliandlung reichen bis auf die Zeil Kants
und weiter zurück.* Im 19. Jahrhdt. wurde dann viol benutzt das namentlich
durch seine Pei"sonalnotizen noch heute wichtige, im übrigen aber, besonders
durch Hereinnähme der Kirchen- und Rechtshistorie, unnötig aufgeschwellte
1) Immanaol Kantti Wcrko, Eurgfältig revidierte Gesammtausgabe in zehn Bänden. (Mit
Portrait.) VuD G. HarteoBteiD. Leipzig 1838/39. — Ober swei andere Ausüben, die jeduch
für unä bier nicht in üotracht kiitnnien, vg[. Goodeke T*, LBOä, B. 2; daza den Katalog 150 von
Alfred Lorents. Leipsig lt)t>4, Mr. 1726— 29.
2) Für laut tat diese Arbeit noch nicht geloistet. Fm AnsatJ! b<»i D. [»ie] Cuno Fischer,
Gatts Kantiana. Jena 18.")8. 4". (l"niv. -Sehr.) — Nicht recht übersichtlich ist die nach H,
eingerichtete Anordnung der Btiohwörter bei Gustav Wegner, Kaotiexikon. Berlin IttOS.
3) Eine Itnm, aber gute 'Üherncht Ober die «ichtigsten RusUexilca gibt Bnd. Backen,
Gesch. d. philos Tortninol. . . I.*ipz. 1879, S. 2 ff. — Vgl. von de ms., Oesch. u. Xrit d. OiundbegT.
d. OegoDW. Leipzig 1878-, 2. Aotl. n. d. T.: Die Orundbcgr. d. 0. Leipi. im
4) Vgl. a. B. 8tL Maimon, Fhiloeophiadifl» Wörterfauoh, . . . Entea Stuoii. Beilin 1791.
Pie Bodutilien B bis D fehlen.) Dienen wonte Stück*^ geht bnreitn Iiis nun Boobstnben Z inU.
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170
Uhl: Wortschatz uod üprachgBbnmch bei Kant.
Werk T«i D. [sie] Wilhelm Tnugott Krug, des Königsberger Nachfolgers von Kant,
der spftter nach Leipzig ging, wo er 1842 starb.* Manches an diesem Buche
berührt uns heute seltsam; ich erinnere an den Artikel: ^Dingeilehre*' (1, 618).
fat das die deutsche OrOndlichkeit, oder ist es „Buchmaeberei"? Diese Frage
ließe sich notsh öfter aufweifen. Immerhin mOssen wir «ugeben, daß die Eantische
Terminologie fleißig tod Krug eingearbeitet worden ist; man vgl t. B. den Artikel:
,,Elnseliachtcliing.sthe(irie" (T, 723f.; von Kant spöttisch für: „Invohitions"- und:
„Evolutionstheorie'' gebraucht). In der neueren Zeit hat man wieder ähnliche Ver-
siicho unternommen, die, trotz mftnfhor von den I'hilosophen geiiigten Man«re!.
für .Sprachforsclier als hamil:* Ii ' Nachsoiiiairewerko nicht ohne Wert sind. •
Voll.«;tändi{;koit wird si( Ii liitT woht nicht erreichen lassen, wie ja nirgends in der
Wisscnüchaft.' Ilaiipttniellc bleibt das DWB, bei dessen Benutzung man sich
immer vor Augen halten maß, daß es kein philosophisches Spczial- oder ftsch-
lexikon, sondern ein germanistisches, also ein ^caehwissensehafdiches Werk sein
will; nach Jacob Grimms Plane aber auch gleichseitig ein Haus- und Familien-
buch. VoraussichtUch in fdnf bis zehn Jahren ungefähr wird das DWB voll-
endet Torliegen. Die Belege aus Kant werden for(;gesetzt
Lingere Zeit muß die YoUendung der un<mtt>ehiiichen Kant-Ausgabe der
Berliner Akademie in Anspruch nehmen. Die Au^be ist auf 22 — 25 Binde
berechnet; sie serl^ sich in ner Abteilungen: Werke, Briefwechsel, Handschrift-
licher Nachlaß, Yorlesungen. Bisher sind erschienen Band I, III und IT (Werice);
X, XI, Xn (Briefe). In der Brie&bteilung ist d^ Zeilouahl am Bande der
Seiten nicht ▼ermerkt, was das Zitieren erschwert; in der Abteilung der Werke
ist es dagegen geschehen. Der Grund für dieses abweichende Verfahren ist
nicht er-ii litlirh. Oder sollte es der .sein, daß die meisten untf-r den Briefen
nicht von K&at sclbät herrübron? Das ist doch wobl kaiun uiuunebmen!
D' r ' r 'icnstvolle germanistische Leiter der kritischen Akademieausgabe ist
Ewald Frey. Den Jahresbericht flbor die Fortschritte der Arbeiten liefert, namens
1) Allgem. BsBdwb. d. phiios. Vissenftohafteii Y, Lei|nig 18270.; *tb. ISfiff.
2) So z.B.; Frii'dr. Kircliner, Wiirti-rli. di?r |ilnliist.ipli. <tnui<it>i'^'riffi>. HeiiU-lbiTg 1886;
* 1900. — Vr, Rudolf Kislcr, Wortvib. der iihilciä. Ikj^riüo uuü Ausdrücke .... BeiUu 1900.
(Zweit« i.«n., in II SUndoit, seit 1901 im Enetoinon b^ffon; UKlter 8 Uof«nuig«i.) Vgl. daa.
ß. [0;}S] — ffriG: „Verzeichnis pliilriMipliis'iliiT (JuollL'iiworkc;-. Knut ist oinj^tmrbL'itet; vgl. z. B >]\e
Aliikvl: absoUU, Glauben u. a. m. (Itd. I ' geht bis: Xyaya- PhiloäopJiie.) — Nur l'ersonaiia
bi«tel: Lndw. Nosck, lltst-biogr. Haadwl». z. Gesch. d. Pbilos., Leipzig 1879.
3) Oroß angoK-^'t i-t diui jünfrst'-' dttrartiiju Wt.-rk: Jam<.'> Mark Baldwin, Dicti ir.aiy of
Fbilväophy md Fsg^^ohgy. Band i/il. N«w York and Loadou i801/0;i. 4^ (Wird lortgeäfitzt)
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Uh): Vortsohaix und SpraohgsbraDob bei Kaat
171
der Kommission, Wilhelm Dilthey in den „Sitzungsberichten'". Dort^ hat auch
Erich Schmidt, der ebenfalls der Kommission angehört, zum gegcnwärtigon
Thenw dns Wort genommen: in der Gesamtsttzung vom 19. Jannar 1899. .yEi,
E. Schmidt las methodologische Bemerkungen Aber die Behandlung der
Texte Kants. (ErscLspttter.)* Er hesprach die Yeraucho, normierend und moder-
nisierend einsttgreifen, und die nothwendigen engen Qrenaen eines solchen Ter-
iahrena und erortetrte mancherlei EigenthiiniUohkeiten der Eantisdien Sprache."
Ewald Vnj bat die Werke Kants sSmtlioh auf jene Schreibung au bringen
▼ersucht, die der Antor in den 1790er Jahren sich angewöhnt hatte. Fttr eine 6e-
sai!)*:iM- L'abo ist dieses Prinzip gewiß an empfehlen. Der Oomianist wird aber
nebenher zur Sicherheit docl) immer wieder auf die Originale zurückgchon
müssen. Dif» wortvollf^n Beigaben Freys sind Heobachtungen und Sammlungen
zur Lniirl''liie und ürthograpliio, z«ir Wortbilduntr. Fonnenlehro und Syntax.
Über W ' rtsrhatz und Spnichgebranch fällt nur wenig ab; dies Thema gehört
auch nicht direkt in eino dcrartifr^» Auscnbo hin«*in.
Die Berliner Akademie winl uluHi Zweifel nicht vrMs;iiun?'n . lieu vollütäudigen
Kantischen WuiUthatz rechtzeitig verzetteln zu lil^^e^- Ha immer ein gewisser
Zeitraum zwischen das Erscheiuou der einzelnen Baude füllt, so ist diese Aufgabe
in Wirklichkeit durchaus nicht so schwer, wie sie auf den ersten Blick ersdieinen
mag. Es muB nur früh genug damit begonnen weiden. Beim Herauskommen
des lotsten Bandes der Eant-Auagabe kann der Zettdapparat schon fertig sein.
Stets sind Yerweise auf die froheren Bilnde beizufügen; desgieicben die be-
treffenden Zitate ans den Originalen nobst der authentischen Sehreibung. Äofler-
lich empfiehlt sich wohl die Dreiteilung, die Jacob Giimm a. a. 0. 8. XXXI
zwischen den Zeilen andeutet; tlie Teilung nach frrif. lii^' li 'n. lateinischen und
deuLsehen Wörtern. Grimm hat sieh, wie er uns ebenda indirekt mitteilt, auf
die deut.'^chen Wörter pinsohränken müssen.
Kant ist mit dem (irieohischen keineswegs .so vertraut gewesen, wie man
früher annahm.' Wir werden daher wohl nicht fehlgehen, wenn wir ihm gerade
deshidb eine gewisse Vorliebe für griechische Schlagwörter und Kun&tauMlrUcko
IJ Sitzungsbehcbte d«r Könjgii«h PreuUiscb«n Aküdemio der WineoacUaftou zu Berlin.
1890, III, 6. 13. — Tgl. ^tstudien m, Hamb. n. Ijoipäg. 1809, S. 484.
2) Bisher (Sommer-SvmestBr 1904) ooch nicht erscbiononu
'.l) yjA. Arth. Ludwich, Kant-^ Slvlluni; zum (Iric lii'iitum. Ifeile, «oh. i. «1 .\ll.i(>ifus-Univ.
am 22. April Itiüö. (Im £6Digsbei;gi.>r Lcküouükatolog 1 d. WintL>r-ik-iu«;i>tc>r läOO/lÜOO.) Da», ist
bes. & Sft. nuchsolesen. — Ders., Ksot und der Ilumiiiismas, Rede. geh. L d. AlbOTtas^UniT.
au 22. April 1904. (Im ESnigabeiger Lektionskaialqg f. d. Vinter-Semestor lOOij'Oä.)
172
Uhl: Wortachatz und 8{>nch^bnuioh bei Kaot.
zuschreiben. Jedoch ist bei jedem Worte genau zu erforschen, ob es nicht etwa
der Pfailosophonspraohe angehöre. Letsteros ist bei Aasdrücken wie dftftiiolla,
9>aiyd/i«yoy, Mo^ffoov, «hrt-, tidro- und ht^imitiltt usw. natürlich gans selbst*
Yeietindlich; xweifelbaft aber scheint es «. B. zu sein bei adtottfätta^ 6, 176*;
adxaxMfia üi. 250 (in l^snsskription bei Kant: Aatokrator, autoekiria) u. a. m.
Dabei muß erinnert werden an die Gewohnheit Kants, bei Einführung eines
neuen Begriffes hinter desseu deutsche Benonnun^^ in Ehunmem, das lateinische
und womöglich vorher noch das griechisclic Wort 2tt setzen; eine Gewohnheit,
die ganz so auch den älteren deut.schen Wörterbiicliorn eigentümlich ist. .So ver-
fährt noch (irinim, der diese Sitte aus ZwnckmiilJigkeil.»^gründon akzeptierte. Da.s-
sell)c tun mit Kocht seine Nachfolger. So ist z. B. i)WB X, .ö05 sith: „Selbst-
würgung" f.. zugleich als Krküiruiig, das Wort antochina nacli Stielcr 251.T
zitiert. Die genannte Sitte liat etwa.s KoniitondiMSCs an sich und ist, mit dem
i'eriodcubau, wohl auf das Konto der „scltula^tiHchen Manier" zu setzen. i
Gans sattelfest scheint Kant in der griechischen Formenlehre nicht gewesen
an sein. Der yen. plur, fNoumenorum* 2, 250 (statt voovftimv) ist aber wolil am
besten als eine der griech.-lat Zwitterbildungen anzusehen, wie solche die Philo-
sophensprache mehrfach geprügt hat Die Bildung: „Monogrammen** (2, 442) dar
gegen ist wohl nicht als «om., sondern als daiiv ptur. au&ufossen; die Kon-
struktion würe dann so korrekt wie möglieh. Übrigens dürfte auch gegen den
schwachen nom. ace. pbir. „Mont^rammen'' vom Standpunkte der Sprache des
18. Jahrhdts. kaum etwa.s einzuwenden sein! Vgl. den non>. plur.: „ImperatlTen"
4, 36 und passim die entsprerlirndi ri .\usfülirtmgon Ewald Freys.
Die latoiiüsr h>^ Literatur iiat Jvuut vor der griechi.schen bevorzugt*, und
hier kommt man auf seine Beschäftigung mit den f^oeten üboriiaupt. ' Das
Kapitel: „.Metaphern und jlilder" bei Kant ist noch nicht geschrieben, kaim auch *
ohne voUstindige Samuiluugen nicht gesehrieben werden.* Süeug ist auch hier
wieder zwischen Schulgebraueh (resp. Zitat) und individnelier Ausdruckweise zu
1) Wir ziünwu Kant mit dem DWB nad Hoyac uacli 11,.
2) Artb. Ladwieh, Zur Kantfeier im Albertinii. R«de squi 22. April Cniven,-Progr.
KöiiijrsbiT^' lisSO. — D>^r>., Kunt u. D<Kkli üWr d. WesL-n d. Philo|r.t.'i,:.. R^d«, gdi. i. d. Albertos -
I niv. am 22. April VMl. Altpr. ilonaUschf. XXXX, lli03, [243J-2.j(J.
3) ErufttTirichert, Verse Xtints n. au Kant Aitpr. ltonats«>br. XV, 1878, So. & Vgl
ffsn : H' h ,.nf(<l<l. Kant u. Jii' Dnhtkun>i. Hai-tnii-H liv Zt-. 22. i. VMH. — K. .\. Rcsi kat,
Kants Kniik diT ivini-'n Vfriiunft und s'.'iiie Stellung zur IWsie. Kiiuii;»lK,'rg i. i'i; Ik^iiagv zum
Progr. d. Altstädt Oymns. < Ni. rn l ifOl .
!l «Jiitf V.)!-'.'^ t n iN'i h'usikat ii. a. <J. S. 20 ff. — F'.'nl. Lul.au. Dl- ScI>o|.L-nliauor- I.it.,
L<.-if>i,j; IbSO, S. IIJ ,:in.>rt: I!utoii\ iinis J.Driii. Di r Humor in [.</(•] Kant. Edlii);,'.>rs Lit.bl. II,
1878. (>r) ff, - Kuno Fischer, Kant s I.i-li. n und die Grundl.iii^ n x iti' T Lvbre. Drei Vortiäge. '
Mnonheim 18tiÖ, S. 86 (über Kant s Satire); der»., Qescb. d. neuem Fb. IV*, Hetdelb. 1888, S. mtL
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ühi: Wortschatz uad Sfiiaohgebmioh bei Kant.
173
Sühei<ien. Kaut selbst hat diesen Unterschied biiaeikt. iiit Stilgefülil und Selbst-
^enntiii» sagt er 2, 311 Aom. (Kritik der reinen Yemunlt 1781): „Uebrigens
habe idi wegen der lateinisclien Ausdrücke, die statt der gleichbedeatenden
detttsohen» wider den Oescbmack der guten Sebreibsrt, eingeflossen sind, sowoU
bei diesem Abscbnitte, «Is sndi in Ansehung des gansen Weiks, sur Entsehul«
digong snxuftthren: daß ieh lieber etwas der Zierliehkeit der Sprache habe ent-
sieben, als den Sehiilgebrauoh durch die mindeste ünTeüStfindlichkeit erschweren
wollen." Hieraus scheint hervorzugehen, daß Kant sich an die Uberkominene
philosophische Terminologie überall eng angelehnt habe; oder doch wenigstens,
daß er dieses a. a. 0. \an sieh behauptet, zunächst für sein wif^htip^stf s Work,
die „Kritik der reinen Vernunft". Da nun die Zahl der Begrifte erialn unffs-
geniäfi viel sohneller wächst als die Zahl der Wriitt»r, so wird aticli Kant -l iti
Priu^sip nicht (ibenül getreu liahen durchl'uliren können. Man hat ihm dieses
zum Yonvurfe gemacht': „So hat Kaut keineswegs die Begriffe Vei-stand und
Yemanft von den Psychologen übemonuueu, sondern hat Begriffe, die er sich
selbst neu und exakt konstruierte, mit den alten Namen bezeichnet, also nui
die Termini flbemommen und ihnen eine neue Bedeutung beigelegt Ähnlich
ist es mit dem Tenninus ,ySinnIichkeit" bewandt .... Baß Eant gern sIte Termini
für neue B^riffe gebrauchte (eine m. E. verwirrende Gewohnheit), tritt ti. a. auf-
feilend in der Antbropologie § 87, II, Abs. 8 hervor (wo die alten Tennini für
die Temperamente beibelialten worden, obwohl der Sinn völlig geändert wird)."
Dieser Vorwurf wäre noch im einzelnen genau nachzuprüfen. Vielleicht macht
sich auch in diesem Punkte wieder ein Untei-schied zwisciten den Altei-s- und
Jugendschriften bemerkbar. Kinipf.'s ist ja evident, so z. H. die Bedpiitiins's-
ändcriiüt^ lit r Ausdrücke a priori, a poslenori (früher = progressiv, regressiv).
SchHoIllicli >ei bemerkt, daß uuch \ i r^uclif wie: ,,l oberschritt" (für: „Trans-
zendt'iiü ') vurkouuncn (8, 567 llj). liier hat der Germanist viel beim Philosophen
zu lernen, et viee versa.
Das eincige Schlagwort Kants, das bis in den Bttchmanu gedrungen i8t>,
der „katsgorische Imperativ'', repräsentiert eine griechisch-lateinische Znaammen-
1) Eaut If arcua, Kaot« Hevoluti'tasprinzip (Kopemiknnisclies Prin/ii>|. llerfovd ItOS,
8. 118 Änm. — VkI. auch Dr. \Mt Bolli-t-r, Anti-Kmit Hn-s.l 1882, S. ISff.
2) Büohniann llM)i3, 152. ((iniinllr-junL' nur Metaphysik der SiUen. Kifja 1785.) —
Eine Arbeit über den kategorischen Imperativ in der Wrhlitcriitur wiire sehr envunfsclit. — „Daa
Herrscherwort des Uf\vi.'^''cti^'-, m) hilit /.. H. Karl (iutzküw »eiuen />r. Kling^^ohr ,,di :v n iliirn'ii
Kantischen kitnif.'sbtir^,-«T Iinp. nitiv iifuncQ. (Der Zauberer voa IJom IV', l^wipzig irtii;), VlU,
S. U3.) — Am bckaiirit(si<Mi i>t wohl das Gedicht: „Johannes Kant** von Onstav SchwnK Vgl.
dazu Krag, a. a. 0., II*, 1833, 578.
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Dbl: Worütchatz und Sprachgebrauch bei Kant.
stdlnog {jmpenUmu categoricm), Solehe ZufiamnieBstellttiigeii klingen gut; das
vnasen aufler den Phäosopben auch die Medianer und Naturforscher (vgl. & B.
AaMfus ajMpZwftieu«, fades hippoeratiea; baUuma aushvHa). Diese Schlagwörter
haben ihr fiedenklichea und sind MißveiBtandnissen ansgesetat, wenn sie aus
dem Zusaninieiiliange herausgorisscn w - nli ii. T)er kategorische Imperativ (der
Sittlichkeit) i>t i:invisseinia(5en der Überlebende Bnider von awei ursprünglicli
eng, ja untrennbar verbunden gewesenen ,..siiimesi.sclien Zwillingen''. AVer kennt
heute noch den ..hypothcti^^clirn Iinpoi'utiv"' /..dr^r rJo«f!iirklic'li?{* it")? Tnd doch
spielt dipsi^r im System theoretisch genau di' ^l-IIh' Üulli' wir der kati L'nrifjche!
(4, H4 — 3M. l):is fiihleu jetzt die wenigsten, wenn sie d;i> Si hhiu'wort in der
Rede verwenden. Die meisten legen iieiite den Ton auf „lujpcrativ, während
vom Standpuiikt des historiscl» gobildotea riiilosophen, und im Kanti.schen Sinne,
der Ton auf ^kategorisch - gelegt werden muß (im Gegenaatse au „hypothetisch^^
Wer die Schwierigkeit fühlt, sacht sie durch eine Art von „schwebender Be-
tonung" an vermeiden, indem er den Ton auf beide Wdrter gleichmiBig verteilt
Dureh die Verlegung des Tones von „kategorisch'' auf „Imperativ*' wird offenbar
der Sinn beider Ausdrücke aner Wandlung unterworfen.
Endlieh drittens die deütsehen Wörter, B^riff« und Sätso betreffend, so
ist au beachten, daß unsere Schriftsprache nm die Wende des 18, u. 19. Jahrhdts.
an einem seltsamen Schicksal prosperiere oder litt: wie nianV rn hmenwilL Ble
Esperanto usw. -A' rauche unserer Tage haben ein Vorspiel gehabt, das allerdings
etwas anders angelegt war und eine lange Geschiclite aufweist.' Die Pasilinguisten
wollten daniiils eine lebende Sprache zur AVift^pnuliP erlieben, und man stritt
darüber, wetciiem Volke diese Ehre zu ti il \v( iili ti m IIi (Tafsüehlieh tun ja
auch heute noch die Anhiinger des Vidapuk lisw. luclits andere.-, ila jeder ..Welt-
sprache" ein lebendes Idiom zugrunde gelegt wird.) Es wurde un Ernste über
die Frage debattiert, ob eine solche Ehre dem betreffenden YoUce cum Nutien
oder cum Schaden gereichen werde.' Die deutHche Philosophie machte der
franaösischen den Rang streitig, wie diese der lateinischen Scholastik das Zepter
entwunden hatte. Unsere Muttersprache (oder eine andere) sollte au einer all*
geraeinen Sprache entwickelt werden. Die europäischen Akademien beschäftigten
sich mit der Streitfrage. Es henschte das „Strebon, die Sprache auf die not-
1) Vj;l. Hcrninim Dicls, Frstpfle ül">r T.iibniz uivl das Probb-m 'b.T T'nivL'r^atspnich«.'.
2d. Juni lÖKU. äitzaiig!>ber. U. Kg), rrouß. Akad. ku Berliu XXXii, 579 — 003; bes. ä. It'^d, ubor
Kante Logik und ihr Verfaaltnk tat Spnph«.
'.') J. G. HtO'sch. ÜKt cib' Fr;i^-v: (irwinnt «'in Volk in Absicht OUf MtlW AufkUrong ds^
Wi, Wenn J»»iuc Siirachv zur l.'niv«,'rh<tlM|>i'«u:ltu wiiU'r Üutliu 17H7.
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Uhl: Wortschatz und Sprachgebraach bei Kant.
175
wendigen Fonnea des Denkens su xediuieren''.^ Es bnucht nicht danm erinaeit
KU weiden, daß wir uns im Zeitalter der Vng» nach dem Uxspnmi; der Sprache
befinden, und dnfi Herder hei Kant mehrere Semester (1762— 64) gehört hatte,
bevor er den Fteis der Befliner Abwlemie dftTontniig (1772). Der Bationalismus,
der da.s Wort: Jj'homme viachine' erfunden liatte, glaubte ohne weiteres eine
künstliche Sprache für diese Moscliino konstruieren au können. So konnte es
nirfit fehlen, daß auch die deutsche Philosophie einen ganz eigentümlichen Stil
annalim, den flicGncrnor kurzweg als den Jargon der .Rnffire"' brmidnmrkten. Kant,
dessen «iüutscher Spracligebrauch, wie Grimm a. a. 0. mit ilechf lu i vorhebt, vom
Herkömmlichen sich nicht entfernt, hat jene Unsitte lebhaft geniirf. ' Er selber
befleißigt sich eines korrekten, durchsichtigen Stiles, dessen Lhaiiikter von
Schopeabauer als eine „glüuzondo Trookenhelt'' bezeichnet nnd mit dem
Stile des Aristoteles verglichen worden ist, welcher jedoch einfacher sei* Gerade
diese Eonektheit seines Stiles erhebt unsem Philosophen hoch Ober sein Jahr«
hundert Was die unklare Zeit eigentiich wollte, ist schwer za sagen.* Heute
noch kranken wir an den Folgen jener phantastisefaeii Spcacbbehandlung.' Han
tastete nnsioher umher, ohne das Wesen der Sache an treffen.
Anders Kant. Zielbewußt schafft er Bcgilff". und fUr diese Begriffe dann
auch Ausdrttcke, Schlagwörter. £s ist Sache il( s Lesers, zunäch.st diese letatersn
richtig herauszuschälen, um so dem Begriffe auf den Grund zu kommen. Das
ist »licht überall und immer geschehen, worauf zu achten sein wird. Das Volk
macht sich die philosophischen Schlagwörter, die übrip™? nieiit ^-^■lt^■n einen
politischen oder sozialen Beigp.schmack iinnehmen. elx n- i imiinlgeicuht uit> die
Volkslieder und Sprichwörter. Dabei uinl lüiufig f^eküi/t oder sonst geiindert.
Gleich das beriihmte „Ding au sich" ist ein Beispiel hierfür. Wilhelm Urimm
hat DWB n, 1860, 1153 nur kun darftber gcliaadelt Seine Zitate sind nicht
die ^fleklichsten. Über 2, 66 ließe sich streiten. Aber ib, 67 und 69 zeigen
uns deutlich den Spmchgebrauoh Kants: „alle Dinge an sich selbst** (67) und:
„das Ding an sieh selbst** (69); vgl. 250: „ein Ding an sich selbst**. Beweisend
1) Diels a.a.O. S. 593.
2) Vgl. üwthes XenioQ (Nr. üi); daza Dr. Karl Vorläudvr, Kantstudiua I, S. 328.
3) Vgl. seinen Aofsatz: Von einem neuerdings erbobcnen yornelunen Tttn in dar Pliilosoplue.
BeiL MonaLssohrift. 1700. Mai, S. :i87 — 42(j (1. 17.J -104).
4) Kritik der Kuutiscbca lliiloisophie. (Anhang xa: Die W. n. W. u. Vorst L ed. Ürisebach
8. 547 f. Roeiam.) .Schoponhftuere Stil i«t nfadit itnveMntlicli dimdi den Kmiiaehan InelaflnBi
5) V^I. f.. Ii. sii-gn). l.'-vy, Kante Kritik der leinen Tenunft ia iliiem VeTblKnia cor
Kritik der Sprache. Diss. Bmiri 1B(>S.
Q) Fnt2 Mautbotir, Bdtiägu zu oiuei- Kritik der äpmobu. Stuttgart 11*01/02.
176
Uhl: WortsobAtz uod Sprachgebrauch bei Kant
ist nunentUch die Stelle 3, 232: „Dingo an Bich selbst (Noumenay'; vgl. ih, 234:
„ein Ding an sieh selbst" Ststt: n^^ii^S^*' auch; „Sache" auf. So gibt Esnt
das Mh» per m im Deutschen wieder. Die Stellen müssen gesammelt werden.*
In solchen nnd ähnlichen EBllen empfiehlt sich die peinlichste philologische
Akribie. Wenn dann der WorÜaut des Begriffes feststellt ist, kann erst die
Ex^;ese folgen, bei der es nicht minderer Sorgfalt bedarf. Die schwankende
WorteikUrong renni^ nimlidi mweilen ganz verschiedene philosophische Er-
gebnisse za seitigen, weshalb sie gefestigt werden muß.
Das bekannteste Beispiel ist wohl die Stelle aus den „Frolegowena"
T. J. 17B3 (3, 170): „Ich gestehe froi: die Erinnerung des David Humo war
eben dasjenige, was mir vor vielen Jaliien zuerst den dogmatischen Schlummer
unterbrach und meinen Untersuchungen im Felde der spckulativoTi Pliilosophie
eine ff«nz andere Richtung ^nb." Hi<'r hat das Wort: ., Knniii'iiin^' . als eine
crux inletpielum. den Kam f H.->Li iura groüe Sorgen bereuet. Kinii:*' fassen es
als ,recordatio^ auf, luit dem getnlivus objeclivm (.,die Krinnerung an Hurae").'
Daun wäre der Umschwung iu der Kautischeu Philosophie etwa in die Jahre
1763—64 zu setzen, denn um diese Zeit hatte Kaut den Hume zuerst gelesen.
Andere aber Isssen das Wort als tOdmoniHo* auf, mit dem geniHvu» tubfedivm
(„die Ermahnung von Hume*').' Daun füllt jener Umschwung fast ein ganzes
Jahrzehnt später, etwa in die Jahre 1769/70.« Man sieht: kleine Ursachen, grofie
Wirkungen! Für den Fhiloli^en gibt es daher keine „Quisquilien'^
Wer den Spmohgebrauch des 18. Jahrhunderts emigermaßen kennt, wird
sich der zuletzt imgefQhrten Deutung nicht verschließen. Das DWB III, S60 hat
die Stelle nicht, wohl aber entsprechende Parallelen zu unserer zweiten üedeutung.!>
Es ist nicht au^eschlossen, daß Hartenstein, oder wer sonst Kants Werke für
1) Bichtig hciansgCNcliiUt ist der TiTiuiuus bei M. C. Chr. E. Schmid, Kritit d. r. V. im
GrandriRse z. Voriesgn. nebst o. Wb.e z. leichtern Gebr. d. KantiMbfii Schriften Jena 1780, S. 211 ff.;
Ders , Wb. usw.* ib. Jena 1788, 8. 135 ff . Vfr'- Antun Tlii>ms<_Mi-Ki>|«-iib;ig> n, Htjnit-rkgü. z.
Jüit d. Kantisch- n l't ^rlff.^ <1. Ding.'s an sich. Kantstmlien 8, Hfrl. lüüU, 193-257; bes. 8. 198'f.
2) Har. Uuü Jiuk, -Vrch. f.Oc.^ h. d. PhiloN. VII, Berlin IS'Jl, S. 17öf. SS'if. (In dem Auf-
satze: ,üie Kontinuität im philos. Entwicklungsgantrt' Kants*.) — ])<>rs., ('»■scIi. d. neueren l'hilos.,
übers, v. F. Bendtxen II, T>>i|>z. 1806, 8.35.43.635. — Vgl.XIr. £ricb 4dicko», Kwit-Stadi«ii.
Kiel and Leipzig ISDj, S. 1.^1.
3) H.yaihiDger, Ardi.f.G«8ob.d. Philos. VllI, Berlin 1895, S. 439. — Ludw. Busse,
in »iner Besitrecbunff d"-; Ailir-kr- -Ii' n Buches, Kaiitsludien Ii, Hamb. u. I/cipz. 1898, S. 12.').
4) Di« VwiiioK^rscLe inltrpinlalio deckt aicb mit den Keäultaten von Bnüs«, Erdmann,
Panhen. (Vgl. Baase a.a.O. ff.)
^i) Im D^V^i,st es die erst H ! ii' i: : : ü ' (tdmonüio jnid dm neardtttio 4m waptung-
Uckcrc äiun voraogüsteUt, oiut« Zweifel mit licckt
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Dhl: WoiiadikU und Spnubgebnuioh boi Kant. 177
(Um DWB exserpierte, die Übemfacmig ^oAnondSd' ■!< so selbstrentlndlkh be-
trachtete, daß er die SteUe oieht der Aufnahme für wert hielt
Ähnlicher FfiUe werden sich noch mehr finden, mOgen sie «ach nicht so
eklatant sein. Doch genug für diesmal. Ich habe seit einigen Ifonaten begonnen,
mir die Eantstellen aus dem DWB aussnsiehen, also gewissermafien den Harten-
steinsehen Zcttelapparat zu rekoastniieren. Wie weit ich damit bisher gekonniien
sein mag, wird jeder ungefähr zu ermessen imstande sein, der diis Wesen der
wissenschaftliclien Arbeit kennt Daneben habe ich mir manches bt im ikt, was ich
für Kants Wortschatz un«i i^pnichireHraiich als charaktoristi^oh aiisali. Doch will
ich diese Sammlungen Vwhvr vurlaufii; ii'tch zurückiialteu. Vid.'s von (?em, was
wir anfangs unserem Autnr allein zutrauen üiui'hton, zeigt e?ich uhü später plutzlieh,
bei wachsendem üiufang unserer Lektüre, als Oemeingut des 18. Jahrhunderts.
Darum beschränke ich mich eimtweilen auf diese einleitende Bemerkungen.
12
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vni
«
DER WILLE DES STIFTERS
Bb. OTTO GBADENWrrZ
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I. Kant und die Stiftungen.
Kant iToht in snincn 1797 erschienenen Metaphysischen Anfanffspriinflen
der Jiecht.sk'hro'' auf die t^tiftunpen mit einem kurzen Worte ein: „Hier fruf^
sieh nuu: ob die Versorgung titsr Armen durch laufende Beitrii^n-, so diiß
jedea Zeitalter die Seinigen ernäiirt, oder durch Büstäudc und überhaupt
fromme Stiftungen (dergleichen Witwenhäuser, Hospitäler u. dergl. sind) und
sttttr mdbi dindi Bettelei, wddie mit der Riub«c«i nthe Torwandt ist, sonitorQ
dnroh gegeteliobe Auflage ausgelichtet «erdea soU. ^ Die etstere ijundniiiig moB
fflr die einsige, dem Beehto des Staats angemesaene, der Bich memand entsiehen
kann, der aa lehen hat, gehalten werden, veil sie nicht (wie von ftonunen
Stiftungen su hesoigtn iat)> wenn sie mit der Zahl der Annen anwaidiara, das
Aimseyn soro Erwerbmittel für faule Menschen machen, und so eine un-
gerechte Belästigung des Volkes durch die Regierung sein wOrdeb**
In dieser Bemerkung verrät sich eine fjewisse Ahnoijrunfr frepren die
Stiftungen, die aber mohr pogon das Dauerhafte dieser Ein'*'i"''t'Hig als fjef^en
ihre Substanz gerielitet ist und dem jährlichen Etatswcäcu, im Uegensatz zu den
dauernden ü'undationen. das Wort redet.
Nun hat Kant eine kui'ze Spanne Zeit darauf „Anhänge zur Bechtälehre^^
herausgegeben, von denen die meisten durch eine Besenaion seiner „Bechtslehre'*
in den Oöttingor gelehrten Anseigen herroigemfen sind; die meisten, nicht alle!
Zwei Punkte, dinmter die Stiftungen, sind in jener Rezension nicht besprocfaen
und gleichwohl in den Anhingen behandelt Ben (unter h) als letzter Punkt
behandelten Stiftungen tritt Kant nunmehr direkt feindselig gegenüber, und die
abstrakte und kühle Behandlung der Bechtsfragen weicht hier einer auf ein
unmittelbar praktisches Resultat gehenden anschaulichen, ja von Widerwillen
gegen den ewigen Bestand der Stiftungen nicht freien Darstellung:
.,Von diesen Corporationen und ihrem Rechte 7a\ succediren sagt mau nun,
sie können nicht aufgehoben wonlen, •wci) es dureli Vermächfniss zum Kigen-
thuni des eingesetzten Erben wurdru sey, und ein« .sykhe Verfas^ung (corpus
mysticum) aufzuheben so viel heiße, als Jemandem das Seine nciimen.
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Oradeawitz: Der Wille des Stifters.
A.
Die wohlthätipe Anstalt für Arme, Inviilidc und Kranke, wcl -Ii" mf dem
Staatsverniögcn fundirt worden (in Stiften und Hospitälern), ist aUerdinjrs
nnahlöslifh. Wenn nhpr niclit der iJuchstaho, sondorn der Rinn dos Willi'iis
des Teh.tiitiii"h den Vorzug haben tii.ll, sn können sioli wuhl Zeitumstände ertip-iieu,
welche die Aufhebung einer s<»lchen Stiftung wenigstens ihrer Form nacli anräthig
niacbcu. — So hat mau gefunden, daÜ der Anne und Kranke (den Tom Narrcn-
hospital ausgenommen) besser und wohlfeiler Torsoiigt werde» weiDu ihm die fiei-
hfllfe in einer gewissen (dem Bedärfnisse der Zeit proportionirten) Oeldsumme^
wofür er ücky wo er wiU, bei seinen Verwandten oder sonst Bekannten, ein«
miethen kann, gereicht wird, als wenn — wie im Ho^ital von Green wich —
psSehtige und dennoch die Fr^heit sehr hesohcfinkende, mit einem koetbaxen
Personale versehene Anstalten, daiu getroffen werden. — Da kann man nun
nicht sagen, der Staat nehme dem aum Genuß dieser Stiftung berechtigten Tolke
das Seine, sondern er befördert es Tiehnehr, indem er weitere Mittel cur
Erhaltung derselben wäblt^
B.
„Selbst Sriftiiiigen zu owigtni Zeiten für Arme oder Schulanstalten, so-
bald öio einen gowi&ööu, von dem Stifter nach seiner Idee bestimmten entworfenen
Zuschnitt haben, können nickt auf ewige Zeiten fundirt und der Boden damit
belustigt werden; sondern der Staat muß die Freiheit haben, sie nach dem
Bedfirfniase der Zeit einzuriehten. — Daß es schwerer halt, diese Idee aller-
wSrta avazuführen (z. B. die Pauperbuischen die ünzulän^^dikeit des wobltbUtig
errichteten Schulf onda durch bettelhaftea Singen ergänzen müssen), darf niemanden
wundern; denn der, welcher gntmüthiger, aber doch zugleich etwas ehrbegieriger*
weise eine Stiftung macht, will, daß sie nicht ein Anderer nach seinen Begriffen
umändere, sondern Kr darin unsterblich sey. Das ändert aber nicht die Beschaffen-
heit der Saclie selbst und das Reclit des Staats, ja die Pflicht desselben zum
Umändt^rn einer jeden Stiftutie, wenn sie der Erhaltung und dem Fortschreiten
(iüäseibun /um Besseren entgegen iät, kann daher oiemalä als auf ewig begründet
betrachtet werden/'
Ein (mind für tiie Kantische AbiifiL.'iiiii,'- gegen den cwlf;!'!! Hestanti der
Stiftungen ist allerdings darin zu finden, daß eine Stiftung, wenn auch mit
Genehmigung des Staats errichtet, gleichwohl nicht durch beliebige Entziehung
des Exequatur von selten des Staats beseitigt werden kann, und, als starrer
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GradODwitx: Der Wille de» StifWib
183
Pflock in dem flutenden Rechtsleben, einer naturreohtlicben Konstruktion xu
^dentreben scheint, mindestens yen Kant nicht konstmiOTt ist
Kant leitet die Möglichkeit eines Testamentes «u einer Art von sukxessiTen^
Vertrag mit (Tom Tode bis xur Enischeidang) bindender Offerte her; eine Stiftung
aber übertrigt das Gut nicht auf einen anderen Menschen als Heim (damit er
darftber schalte, für welchen Zweck immer) sendem sie sdiafft eine Anstalt fOr
einen bestimmten Zwock and kettet also das Gut für immer an den Zweck, den
dernon Verstorbene lebend gewollt hat; sie reißt es aus dem Wechsel der Zwecke
liemus: darum ist Staatsgenehmigung erforderlich. Diese aber geht zwar nur
von dem „ohoi-ston Befehlslmbor" aus, schafft aber ein stiirkerüs Rocht als selbst
das von der gesetzirt^luMTdcn (itnvalt direkt erflosseno: denn wübu die letztere ein
Oesetz gegeben, so kann :>ie os auf Ii oben, während die Stiftung, einmal begründet
als Herrin ihres Gutes, immer «ius iiin quacsitum besitzt, und ein Eingriff sogar
der gesetKgeboDden Gewalt an sieb selbst betrachtet Eingriff in wohlerworb^ie
Rechte bleibt Xon sind aber ins quaesitum und lebendige Kraft wechselseitig
sich fordenide Begriffe, und der in Ewigkeit wihrende Schub ftlr den Willen
des Toten („will, daß ... er darin unsterblich sei<0, diese Oberspannung des Rechts-
sohutees, kann natorreehllieh gar nicht, pnktiseh nur dadordi erUirt werden,
daß der Staat die ihm wohlgefiüligen Anl^^^en nicht sfimtlich erfüllen kann. So
urteilt eben Kant, daß die Versorgung durch laufende Beiträge weit Torsusiehen
sei. Wie die Dinge in dii ser Welt aber liegen, wird der Staat die Stiftungen,
nachdem sie einmal erfunden sind', nicht wieder pnthphren wollen: denn er ist
weder in dor Laeo. jedos nfooss-arinm ndrr utile M>f(irt zu erkennen ridcr f:;ar
horzu.-tflliMi . niu'h liat er K\ pi'rinit'ote zu marhen. Hier Milieu Private voran-
gehen, und auf l)efrren/,teni (lebicte eine Fur.surge treffen, die, wuim sia .^if;h
bewalirt, vom Staat auf die Ailgcmeinhoit übertragen wird. Bahnbrechend und
segensreich im kleinen Kreise sn wiiken, nnd also ein Tortnld f&t die genersUe
Regelung su werden, das ist die Aufgabe der Stiftungen: darum begtlnstigt sie
der Staat, gestattet ihnen, an seine Organe sich annilehnen, eikanft ihre Extstens
mit ihrer tJnabindeilichkeit und hütet sich wohl vor Eingriffen, die den Eifer
kflnftiger Stifter aUcflhlen könnten. Burdi seine Genehmigung, welche, wie in
den meisten Qesetsbucheni (auch im deutschen Bürgerlichen (iesetzbuch und im
schweizer Vorentwnrf), so auch bei Kant, als für die Entstehung einer rcchts-
itthigen Stiftung notweadig vorausgesetzt wird, übernimmt er den Schutz des
11 Das kl:i.s.si<iclie Horn knnr.t. Stift'ini;en in unsonrm Kechtssinn nicht, (A. Pcrnioe, Labeo III
iS. dd), die ütirietlicbu Kirchv und deren pia corpoia liabea sin ios hohea gerufen.
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184
GraUenwitz: Dor Wille Ues Süftors.
Zweokes der Stiftimg, weil ei» üim fOr aeine aUgemeinen Zwecke wertroQ ist —
Natorrochtlich aber ist die Stiftung dftdtircb gerichtet, daß der Stifter „dnrdi
üe unsterblich sein" will, als welches mcM die Aufgabe des Menschen, ist —
Wenn aber der Philosoph, der beim Erscheiiien der Bechtslehre bereits
73 Jahre Zfthlte, in einem langen Leben nichts anderes über die Stiftungen sich
angemerkt hatte, als jeuen obzitierten Satz, nach weniger !Monde Frist jedoch mit
iranz neuen Gedanken in noit iinsfi'ihrliclieren üctrachtungen fTf^cren din Stiftiinp:Pn
ins Feld r»'u'kt, m ist atizimchnien, daß e^^rndo jeiif' Monat« ihm Kdalirungen ge-
bracht habta, weiclic alt. Niederschlag dou Punkt h dci Anhänge lieferten, K'ants
Abneigung tritt am schärfsten in seinen Ausführungen gegen die AnsUütou für
'Arme und Kranke (die vom Narrcnhospital ausgouummon)' hervor, und es wäre
nidtt uninteieesant, wenn sksh nachwetem ließe, dafi in seinem anitlidien Benib>
beise eben in den kritischen Monaten sich Ereignisse abgespielt haben, weldie
geeignet waren, seine Anfmerksamkeit auf das Stiftungswesen su lenken und
dessen Mangel ihm fühlbar zn machen.
n. Eine StütnngsrerlisndlQiig unter Kants Mitwirkung.
Ks ergeben die Akten des Seuiik.-, Univrisjtät Könitrsberg, daß vom
Apnl 179() ab bis in den Oktober 1797 hinein, Verhandlungen über die Be-
gründnng and Ausgestaltung des sogenaanten Eypekeschen Stiftes in Königsberg
spielten, bei denen Kant als Senator der Albertma mit zu verhandeln und mit-
zustimmen hatte. Der Verlauf war folgender. Der Professor Eypoke* (Professor
ling. Orient) hatte im Mün 1778 ein Testament gemadit, in welchem er die
folgende Bestimmung getroffen hatte:
„Durch die Erfahrung Überaeuget, daB öfter auch Stipendia von denen
Studiosis übel angewendet werden, und daß es jungen Leuten am verderblichsten
scy, daß sie ohne alle Aufsicht leben u(nd)vuu ihrer Zeit, Oelde u(nd)I!reifaeit üblen
(tebrauch machen, bin ich hiermit Willens eine Stiftung zu fimdiron, in welcher
Studiosi mitor <li>r Aufsicht eines akademisf^hon Docenten uin^iit^' ltncli li>'\ sunnnen
wdliui'ii s>'l!>Mi. D.miit diese Stiftung einigermaßen wichtig weni^'ii inni;f, >oU
mein Verneigen a Senatu so lauge assorviret worden, bis es durch die Interessen,
1) Qoldbeck, litennsche Nacbrichtou von rroußon, (1781) 215: „Er lebte in ehelosem
Stande und hat suin ^'■■inz<<s Vc-rr>' -">n, w. ! -Irw c-r sich selbst durch Fleifi und Sprtrsanik'Mf pnrorben
hatti-, zu einer aliademisciu ji .SüfCii.^ \^iiaaL'ht, vermögt' widclier nach cinifren behtimr.it'.ii Jahren
ein <jL'l>;iudo crWui't wvrdcn wird, in wt-idiem ••ine p,'t)wiis(<e Anzahl Studierender unter der Auf-
sicht eines ukadetnischon Lidirers. iler in deouelbea Bauso wohnet uud tat die Aufsicht eine Be>
teolUunji urhult, (rejc WuhDuui; Laben suU."
Grftdeowitz: Oer Wille der Stifter«.
185
Ten&ieÜmng und gelegeatHofaen YeAumt JSxoBn auf 50000 Onldm, oder
attdi no<^ hoher angewaofasen. HioTon sollen entweder heqnem gelegene braach>
bare miiser gekanfet und hiersu «ptiiet, oder welohee weit oonTenabler ein
neues Oebiude cu einer SSeit, da das Bauen nidit so theuer ist, exprea za dieser
Absicht anlgabauet und einguiohtet werden** . . . „Nach meinem Dessein wire
bey einem neuen ^u fflr den Au&eher der Anstalt oino W ihnnng von 5 mitt-
leren logeaUen Stuben, aUes unten a plein pi6 nebst Küche, Keller pp. anzu-
legen, und so vifl Stilben für Studonten, als der Fond hinreichet . . .
Zum Inspektor dieser Anstalt kann a Seiiatii lunpl. gewählet werden ein
Senator, Professor, Doktor oder Magister von jeder F;ikultiit, der diese Stelle
zeifloboDS behalten kann. Er muß aber ein würklieht r Dncentc soyn und außer
seinem FrofcssorQohalt und akademischen hmi^uutten kein ander Amt haben,
welches mehr als 100 rthl j&brlich importiret
Der Ktspektor dieser Anstalt soll außer freyer Wohnung jähriidi fflnbig bis
seohszig rtfaL Gehalt haben, darnach der Fond hinreichen wird."
Im Jahre 1796 hatte das Kapital 50000 fl., welches nach der Absidit des
StiltMB hinreichend war^ um das Untemebmen au beginnen, eEceicht, und es
erging von Seiten eines Professors H. an den Senat das Anerbieten, Senatua
ampl. wolle ihm sein Haus abkaufen (,.Tch trage, sage ich, kein Bedenken, dieses
Anerbieten zu tim, weil die Schätzung des Hauses lediglich von den Bau-
verständigen abhängen muß, welche ein känigL Stipendium-Kollegium daau be-
VollmSrhtig'en wird'*).
Dos weiteren bemerkt der Profpj^jJnr M., ,,daß für 10 Stiidierendp, über welche
Zahl eine sorgfältige Inspektion sich wohl nicht ausdehnen dürlle, zweckmäßig
getrennte und bequeme Wohnungen da sind" und endlich ,,bitte ich Senatum
amplissimum bey Eroeuuung eines Inspckturis Fundatiunis Kypkianae, falls sich
kein iüterer Professor dssu meldet, auf mich Rücksidit an nehmen. Die Un-
möglichkeit, bej meinem obgleich doppelten Gehalte eine Familie von 12 Kindern
au unterhalten, awingt mich zu dieser Bitte. Nickt um au motivieren, sondern
weyl ich von dieser Art literarischen Bedflrfnisses fftr Studierende aus allen
Pakttltäten fiboneugt bin, erbiethe ich mich dann, diejenigen, welche das Bwe-
fiaium genießen, in teutschen und lateinischen Ausarbeitungen zu üben, welches
dann, wenn Scnatus amplissimus es gut findet, allen künftigen Inspektoribus zur
Pflicht tremacht werden könnte".
Im SiMiate war dazumal das Institut der Kap-^ttlatinn in l'hiin.:, welches
die gegenwärtigen Statuten der Albertina nur bi'i umii/. l iiilLiclirn uinl zwoifrls-
Ireien Sachen gestatten. Es wurde uämlich iu einer Kapsel das Schril'tstück bei
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tiradeaviU: Oor Wille des Stifters.
den einaeliten Stimmberoditigten herumgotrngcn, welche ihre Meinung nach-
einander auf demselben schriftlieh bemerkten. Dttroh diesen Zufall sind uns die
Teriumdlungen aus der damaligen Zeit veit besser erhalten als durch unsere
heutigen Protokolle. Denn wir haben die motivierten Toten nnd nicht bloß, wie
von den Sitiungen heutiger Tage, die Anträge vor .uns. Man darf freilich
niclit erwarten , <lio wirklichen Motive der einzelnen Toten wie der Orappicnuigen
in diesen Akten sicher wieder zu finden; die Hauptarbeit wurde unzweifelhaft
liiuter den Kulissen und außorhall) der Kapsulation geleistet, wie schon aus der
gleich zu erwähnenden Tatsache hervorgeht, dal! der Senat sich in seiner Errnlloti
Mehrheit in der Regel dem nusführlichen schriftlichen Vctto dos Prof. Keusch',
des Pbvsikei-s, anschlielU: die Worte „Consentio cum excel. Physico" bilden eine
stehende Kubrik und bei aller Vonuissetzung friedfertiger Unterwürfigkeit auf
soitcu der Nachstinuuundou ist es doch nicht wohl denkbar, daß die A'orstellungen
des PhyaikeiB so legelmüßig bei seinen Kollogen Eingang fanden, wenn nicht
eben sein sohnftliofaer Vortrag sehen das Bosultat seiner- fiespreehungen mit
ihnen gewesen war. fiel der ersten Eapsnlation ist Beiisch Rektor und er setzt
den Antrag Iis in Terbindnng mit seinem (Beuschs) Gutachten in Bewegung. Be-
achtung verdient die Bemerkung zur Meldung als Inspektor: „Herr Frei U.
hält selbst darum an nnd offerirt tSglioh eine Stunde den Logironden zur
ÜIhiii;^^ Sein Fach macht ihn fttr anderen dazu geschickt. Ihm ist dieser Tor-
schlag für allen anderen am vorteilhaftesten, indessen kann öffenüicbes und
l*rivat-Interes.so zu.sammen und besonders in diesem Falle he.'^tehen."
T)nr zwoitn Vntanf i«f hier wie immer der Kiitii^!or und Direktor Hnltzhauer*
und er gibt am gleiciien Tuee. an dem er iIh' K.ipMilanMii nli.ilien, djis be-
merkenswerte Vutum ab: „Die dritte Frage, wer Inspektor sein solle, wird billig
^^^^^ .
1) Von tliin ortBilt i]io8.l84 ritierte SiAnft (S. ß4): «Professor der Physik und Senior dm
]iliil«so|(hi-s( lnjn Fakultät, li' st r-o\Vf>lil <if{«?iitli(:h priv.-itim 'iie Physik, I)i>' vicl<.>n amltirweitipm
i^rbeiteu auf der üuiv«»ität, die vorzüglkh das Finanzweseo belitiffon, be^häftigen diesen ver-
dienstvollen Mann, der aigleich auch Obenufseher der Königlichen und der ilcadomUchen Biblodrok
un<l lDs|ic'ktor elcs Coll-'^ii AUjcitini ivt. zu sehr, als daß ihm viclo Zeit zu York'sunpen übrig
bleiben swUte. Aber schon durch diese Arbeiten ist er der Uuiven>ität uneutbebriieb uod sie wird
dareh «einen, Oott g«be noch entfernten Tod, immer einen em|tfindli«lien Vorlust erleid««."
2) Joh. Dan. Mct/.^'cr, der Mi-'di' ii^ I und (aiii-nytno) VoifüsstT .!• r Si I rift: ..t'ber diu
Univeibitit tu Kouignb^ig. Ein Nachtrag zu Amoldt und (ioldbeek läOl^ urteilt iiber ihn:
„Dr. 0. Frid. Uoltxbauer. War . . . mehrere Jnhre hindurch der einri|^ Lohrer (dor Jnrisprudens).
Diir Ciinzlcrsfclh' warinitllorwcili.' uiilx'.si'tzt gi'blit'bt'n; zu wi'li-hi-r <rr indossi-ti nuoh noch hirraufrückta
und Beineni Lehramt, m lange er lebte, fleitiig oblag. Auch ward er mm beysitzer des Sti^udien-
Cnilof^ und mm Cantw Stipendiorum emaanL Um Htcntrischon Ruf scbion er sich nie zu be-
k hiii i rn. Er hat sich (ein seltener Fall) bey aoinor Lt^raistolle ein nioht onaiueli&liobea Ver- t
megea £e!>ammelt."
Gradenwitz: Der Wille des Stüters.
187
mit den beiden enten aiobt vefimn^ Die Teridndnng kan dem Hendd oder der
Luspektorwehl schaden? Diese kan nicht wohl auf das erste Brbiethm daan ge-
schehen, sondern mnfi besser eingeleitet werden. Sobald sie dmrdi eine rorher-
gehende Gurrende an die Lehrer der Universität eingeleitet Ist, welchee aber nur
sohieklicli geschehen kann, wenn Beide erste Fregen erwogen sind, will ich
dann mit wühlen."
Bieiia stimmen mit dem Kanzler überem: Schmalz, Benard, Krauß, Elsner,
während wir darauf lesen : Consontio cum rectore magniiico, Metsger. cum eodem
Consentio Im. Kant L£. Scholz.
Der Senat fordert demnächst den Prot M. auf, ein Angebot zu machen,
worauf, nach einigem Sträuben, unterm 28. April 1796: 24000 fl. f^enannt werden,
wolclie Summe unterm 3. Mai um 1500 fl. gemindert wird für den Fall, dal?
von dorn Hause der anstoßende Oartpn irf^frcnnt worden solle. Darauf erfolgt
mit grußtjr Umständlichkeit das Taxationsverfaliron, wclclics dir» Summe von
6200 Talern 60 Pfonni^ren == 18607 fl. ergiht. Auch mit ilie^cr Snninie erklärt
sich l'rof. M., der zunächst gebeten hatte, ihm docli w ciiig.steiis 19000 fl. zu geben,
zufrieden, (21. August), uachdem der nunmehr oingetroteno Bektor Schmalz die
Überschreitung der Tkxe um 400 fl. befürwortet, der Kanzler sie abgelehnt
Benseh sie eben&dla befürwortet hatte.
Das Votum des Kanzlers lautet:
«Idii bin der Moynung, daß fOr das taxirto Haus nur höchstens der tax-
mftBige Preis, nicht aber 400 fl. darüber, noch auch oben drein die Stifts-In^ktion
kiOnne gebotben werden, denn
1. ist das Haus, welches laut dem Beschluß der Tkxe so bedenkliche Onera
hat, dadurch hinlXnglich besahlt
2. die Wahl des Inspektoris erfordert noch Andern Competenz zu verslatsn
und sie dasu anfzulordem. Der Sinn des Testators mSchte anders nicht
Töllig erfflllet werden, die ganze Sachbebandlnng auch nicht von allem
Vorwurfe der ünanstindigkeit inj soyn.*
Auch hier wieder flndea wir Legi Im. Kant et Consentio cum excel.
Physico. Consontio cum excel. Physioo Krauß. Eisner. L Schulz, und zum Schlüsse
bemerkt Schmalz, es sei in der Tat schon in der Kapsulation vom 17. April dnreh
eine Majorität von 6 Stimmen gegen 4 Stimmen bescblosscn, daU die Besetzung
der Inspcktorstelle „von dem Kaiifk nifrakt ühor das Haus gänzlich separirt bleiben
solle." Ks wnron das die ü {fj .stuiiim n : lloltzhaucr, öchmalz, Reccard, iürauß.
Ebner g(»g«n Kcuäcb, Metzger, Kant, Schulz.
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Oradeowitz: Der Willu des Stiltero.
So auSenndeiitiicli sohuf der kuulensohe Bmwiiif aniiiitt, so ist Bein
Begehren doch sedilieh begrandet Die EaufCroge interessiert weitor nicht: am
13. Februar 1797 rerlangt das Staatsministeriiun eine Delibecatioa in Pleno wegen
des IL'sohen Hamtes, wodurch sich der Rektor L E. Schulz yeranlaflt sieht, eine
Inqraktion in looo aosabemiunen. Indessen finden sidi eine ganse Auahl ver-
hindert, so der Kanzler, ein Medikus und folgende beiden:
„Heine Abwesenheit bitte ich wegen meiner Ejtänklichkeit an entschuldigen.'^
Dieselbe Ursachr vorhindert mich gleichfalls, üebrigens stimme
Nachdom die Kauffnigo alle lnst;uizcn durciiliuJeii hat, tritt mm die lii.spektor-
frage witädei in den Vordergrund und es mag erwiihut worden, daß dur Vorschlag
des Rektors Uoltzbaaer: ^Die Einrichtung lund Wahl der ]bispektion der Stiftong
könnten yeiBchoben werden*^ au folgendem auaffihzlichen Totum Anlaß gibt: „ich
stimme dem Urteile rect magn. u. cancel. illnstr. bey, zuvorderst und
eiligst die Genehmigung und Yollziehung des Kauf- und Terkanf-
kontraktes mit Herrn Prof. M. au. befördern; das üebrige wird sich
nachher mit Mufie abmachen lassen. I. Kani"
Demnächst wird die Instruktion für den Inspektor entworfen, der Kauf kontrakt
genehmigt und es kann zur Wahl des Inspektors geschritten werden. Am 18. Aug;
1797 mehlot sich der Prof. (e.xtraoni.) Rinck und bemerkt am SchhiR seines
Gei^ueho« an den Rektor Holtzhaucr: .. rdirif^ons aber miiR ich raeiiior Bitte dies
noch liinzufiiq-en, daß ich sie, wie sidis freylieh nhn«' dio.-; vereteht, nur instiforn
will pctiian liaben, als sie den etwaigen näheren An>[)rü< ljeu eines anderen , nament-
lich des Herrn Prof. M. nicht in den Wog tritt.-' Der Rektor gibt diese Meldung
in folgenden Worten zur Eonntnis des Senates:
„Ciompetenten zu dieser Inspektorstelle sind, wie dem Senat bereits bekannt iti,
Herr Prof. ll^ nnd Herr Prof. Binck.* Des letztern Schreiben an mich lege ich bey.
1) Uber M. urteilt die S. IHG zitierte SckrUt (S. 53): „. . . hAt mehnire Jahre hindurch die
LehrsteOe der Gvschielite, Berodsiiinkeit und Dicbtkiwst auf unserer üniTOnntiiet Inkloidet,
nachdem ' i i Ilall ' Privat- De« cnt gewesen war. Als Ofsolii^ !ifr. - ICun ):.,• i war ^ r aU' h im
Auüland i^hr teruhiut und die Univeniitaet bat in dieser Kücksicht einen b>'dcutenden Verlust durch
seinen Tod erlitten. Sein Hausbedarf, den er seinen zirBlf Kindern dedieirle, bat vor anderai
seiner S<.'liriftcn eine gute .Vufiiiilim« >;cfundon. Aunh unter uns<.'rn Mitbürfrorn wurde M. als ein
Maau von KeautniaMU und Verdieuäten aabt geiicbübct. £iu etwa»» heftige« Taiu|ieranient and
eine nicht gua rcgelmJUKge Diät liahen «ahncheinlich seinen frShwitigen Tod vonchnldet.'*
2) Ebt'nda S. 51: ..... War oinice Jahre fünfter Professor der Theologie auf hiesiger
Univ^nutiutt und InnptMjtor des Kjrpkesclit'u lu&tituU», ging aber von hier nstch Danzig, wo er
jetzt Pndfger und Lafarer am doitigea OyrnuasittiB ist." Oeh. 1770 gest 1811, seit 1800 auch
Rcccard.
mit Exc. Modic. I völlig iihi rein.'
I. Kant
Oradenwitz: Der Wille des Stiften.
189
„Zu diMen zw«jr Competemteii geseBe iob nidi wSbek «h «In dritter mit
dem BrbieChfiii., dagegen die Adminfatration der Thier- und GioebensohenStiilangen,
weldie beide ein mit der Kjpkeedien LispeUion gleidi groBee Gebalt einbiiogen,
niederzulegen.
Die Bewe!gungsgründe, die mich zu dieser Meldung, nach langem Bedenken
bewogen haben, bestehen mehr in guter Gesinnung gQgen die Universität ak in
der Absicht m gewinnen, mid ob ich plcich dnrch die vorgesphlat^fno Vi ränderung
einigen Vortheil erliallen wüHe, so köuto rliesor doch auch aus mehr als einer
Kücksicht epr(M"htl''itigt worden. Mit der yoUkomnienstcii lloebacluuug habe iob
die Ehre zu unterzeichnen Soiiütiis Amplissimi
ganz orgebenster Diener Hoitzhauer."
Dieser Uitbewei^ setst dam fimUoh den bidierigeiiTertreter einer objektiven
Behandlung der Angelegenheit in ein anderee Licht, die Senatore» aber in eine
nicht geringe Vedcgenbelt, da »ie alle entsehloBeen soheineit, die Bewerbung
des KanslerB und leitigen Bektora absnweiflen, faiezfOr aber doch der HQf-
lichkttt entapredhende und der Wahxbeit nu^t gerade widersprechende GrOnde
anfahren müssen.
Hier wird das schriftliche Vorfahren peinlich; hören wir die Voten:
Schulz schreibt: „Was die Bestimmung des Inspektoris betrifft, so kann und
will ich zwar Biro Magnificenz nicht im geringsten dadurch zu nabetreten, als
ob ich etwa wähnte, daß dabey dio Stiftiniu' srhlpchtrr boraton scyn würde, wenn
Ihro Maetiificcnz dio Inspektion derselben übeiniilitn*>. Alh in da Iluo Alagnificenz
bekanntlich in guten Vermögensumständen sind, also vnu dieser S(>ite oinor ITntor-
stützung odor Verbessorung nicht bedürfen, der ganze Geist der Fuiidution aber
klar genug dabin weiset, dem Inspektori einen Yorteil saldier Art zufließen zu
lassen, ich auch kaum Teimuthe, daß Ihro Magnificeiu sich in Annahme von
Pensionaires einlassen wttrden, worauf der Testator iocb auehwörttich hinweiset;
Büro Hagninoenx auch ^eine besondren ümstiinde und GrUnde bertthreu, woher
Sie sieb zu diesem WuttBcbe Teranlaßt finden: so sehe ich mich dadurch bestimmt,
denselben raedue Stimme dazu nicht su geben, ohne fürchten ai dOrfen: demselben
dadurch auf irgend eine Art zu nahe treten zu wollen."
Keusch votiert: „Wa.s die Person des Inspektoris betrifft, so kann ich mich
nicht überreden, daß da.*« Anerbieten Sr. Map:nificenz wahrer Emst oder nicht ein
Entschluß soy, der ihn gereuen würde, nicht allein, dal) er den Vortheilen, die
er jetzo wirklich hat. entsaget, srind'Tii sein bevuiilie nocli vurtoilhafter gelegenes
Hans vertauscht, und sich bey scincui lierannulicntlt'n Aller, einer neuen Arbeit
und lnspektion unterziehen will, die bey allen möglichen Einrichtungen, immer
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Gradotiwitz: Der Wille des Stiftore.
viel ünbeqnonw bat Hr. Pro! M. hat swar Tieles irid«r sich, aber auch vieles
TOT dchf dasQ noch kommt, daß sdne starke Amilie wohl eine üntezstfUsang
nöthig hat und diA Testator darauf mit vorsfiglich gesehen, aeigt der Umstand,
daß er den von der Wahl aussohliefit, der aufter seinem Frolessoigehalt 100 rthl.
Salariom hat Ich kann also Hm. Prof. M. und sonderlidi unter der von H. Ober-
hofpiediger beygefügten F*Jinscliiiinkuiig' nicht entgegen scyn. Außerdem habe
ich gegen Hm. Prot Binck nichts eiuxuwenden, und würde diesem meine Stimme
nicht vorsagen."
Hier wie gewöhnlich haben wir: (Diist ntin mm pxcpI. Physico Motzj^or.
Consentio cum e.xcel, Physifo Krauß. (Juni eutiein t oiiscnliu Kaut „Ich gebe
dem H. Prof. M. mt iii Vutuni wlme Einschriinkung. Kri i ard."
Es ergeht darauf der Antrag, daß die Sache üiuu muiuilicheu Votum kommt
nnd in der jetst angesetzten Sitsung muß der Eander seine Bewerbung aua-
drCtcUich motiviert heben. Hit dem Präsentatum und Datum des 17. Sept 1797
findet sich foigende Erklärung des Prof. H.:
„Auf die mir zufslligerweise gewordene Notia, dsB sa der iDspektorstelle
Fnndationis Eyi^anae außer mir und dem Bbm. Professor Bink auch der Heir
8. XL Professor Hdtshaner sich gemeldet habe, erUäre idi, daß ich Ton eller
Konkurrenz mit einem älteren Professor und Senator als ich bin, ohnheiknklich
zurücktrete*^ und für die nächste Knpsulation übertragt der Rektor und Kanzler
die Leitung an den Prorektor, indem er zuplpich bemerkt:
„Meinesteils glaube, 'lit- mir sphr-inlfulir naphthoiligen Argumente in dpr
vorlezten Senat.*ises.sion * zum Wohlgefallen der gegenwärtigen Herren Bfiiattiicn
wiederlegt zu hahen, der Stiftung als ihr ei-ster Tnj:pektor ijo-sonden» {orderlieh
werden, und darum ohne Ungerechtigkeit gegen mich, meiner Bewerbung nicht
entsagen an können.*'
ITunmehr erfolgt die Wahl durch 8c3irifdi<Ae, motivirte Toten mit dem Erfolg^
daß Holtahaaer ganz ausfiOlt, Binde aber die Mehrheit erhalt, wobei Eisner mid
Kant als Gründe anf&hren, EJsner: „da demselhen nichts obsttrt und Hr. Pr. H.
Ton der Konkurrenz abgeht". Kant: „Aus eben denselben Grttnden gebe
ich dem Herrn Prof. Binok mein Votum nnbesohr&nkt I Kant" Auch
hier sind sie geleitet ron der Schlußbemoikong in dem Votum von Beuscb „Um
so mehr, da ich ihm dieses schon vorhin auf den Fall versprochen, wenn Hr. M.
T<m der oonkurrsnoe abtrete. £s wird somit Rinck gewählt, nicht ohne daß
1) ynmli Ii: ihm zuv^'^nL r t nuf 1, 2, ^ .Ta?iiv dio Stelle zu verleihen.
2) Die Sache war aisu zur luündlicLen Vurhaudlunj^ guUrauht vruixluu.
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Graden witz: Der Wille der Stifte».
191
Sdimala cur Spimehe gebtaeht hfitte „daB ersten» Sonntag tot 8 Tugm K D. Jaeh-
mann im Bsam des Em. Jnstinat Jnaz den Libalt der Torbeilgen Kapsulation
gans eisihlte} und aweitena, daB num Em. Pr. IL alles das viederaralhlt, waa
Seine Ifagnificeni im Senat bej der Delibeiation aber ibn gesagt habei* !Br
bittet die Sache zur S^n^e au bring«!. — Somit seheint denn die langwierige
Angelegenheit erledigt und Rinck im Besitz der Inspektorstelle, wie M. seines
Hauses ledig. Allein es kommt noch ein Naclispiel: Vr. II. erklärt unter dem
27. Sept „Vor acht oder zwölf Tagen erklärte irh Senatui Amplissinm, iluß ich
mich hev BosotzuHg der Inspektorstollc sowie in ähnlichen Fällen »lurcliwrp ver-
bunden hielt, dem älteren Professor, als welcher längiT fiir die Universität
gearbeitet hat, nachzustehen Meine Erklärung ist so deutlii h und bestimmt, daß
es unmöglich bleibt, ihr eineu anderen Sinn unterzuschieben. Und doch geschieht
dies! Man nimmt sie für ein absolutes Zurücktreten auoh in Rflcksicht auf dou
jüngsten Professor Extraordinarius an. Sowie idi jedes Senatoris Dlnstr. Stimm-
twM anerkennen muA, so fest bin ich entsddossen, wenn kein älterer Professor
hinzutritt, bey der irfther anf mich gd!iillenen Wahl und im lUle daB diese
reehtiicb Temiditet wird, bey meinem Stimmrecht als Senator in hoo easn midi
au behaupten. Unter recbHioher Venuchtung aber Yentehe kh, daft wenn weiter
keine Konkurrenz eines älteren l'rofessoris stattfindet, die Herren Senatorcs, welche
mir beschränkt und unbeschränkt ibii' Stimme gegeben haben, dieselbe bestimmt
zurücknehmen. Herzlich gern will ich den) verdienterem i\[unue nachstehen; aber
nicht anders als nnf geradem "VVcfro." T)i("s hilft ihm niphts. Eine Majorität von
5 luiti'r 9 ötimnirn unter Vnraiitritt von ^ellmali^ entschtiilet iilu niials zutruiistf'n
von Kinck, womit di nu ilif Sjk lu' endgültig erledigt ist Vim einer Seite iüt die
beachtenswerte Aiißci nim jrefailen, ,,da einem Senator qua tali eben kein Vorzugs-
recht angewiesen ist, gebe, des Senats wegen, und dee Hrn. Pr. M- wegen, dem
Hm.Pf.Binokineine^mme. LKSchula.'* »Mieh bewegt bey der jetzigen Lage
der Sache Tomebmlicb das von ExeeL Med. I in dem vorigen Umlauf angeftthrte
Axgnment, meine Stimme lieber einem non Senatori, am liebeten BxoeL Hebräo,
sofern diesw sie aber Tenehmftht, nochmals dem H. Pr. Binck an geben. EraulL"
„loh bleibe bey dem voto Exe. Med. I I. Eant" —
Der Entscblnfi des Senats, die Inspektion einem Nichtsenator zu verleiben,
ist aller Ehren wert. Der Kanzler steht isoliert, und der Verzicht des Prof. M.
«dgunsfcn des älteren Kollegen sieht eigenartig aus. Daß das Argument höheren
Alters' nach beiden Seiten hin verwendet wird (indem Ji. von vomberein seine
1) Uor wppMi tierannnhenden Alters hoanstandeto Kanzler ist 174C j ' i ii. 1 r iin'>Oftn-
standote ti«!genkandidat Mangel^dorff zwei Jahro »{mtar (17 Ib), h. ottiugur, Uoiiitcur des datus, 18tiU.
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192
Oradenwitc: Der Wille des Stiften.
Meldung nur fOr den Eall erklärt, daß kein filtcrer Kollege konktirriert, während
umgekehrt dem Kanzler sein ^heramtnabendes Alter" eutgogcngohalteii wird),
daif nicht befremden, ebensowenig darf es wundernehmen, daß die IVage, wer
denn fOr die Studenten der geeignetere lnq>ektor sei, in den Yetis Senatorum
famm gestreift wird. Dies kann unter der Hand berührt wurden sein, und das
ist ansunebmen, da ja das Testament deutlich gwug als Zwedi der Stiftung das
Wohl der Studierendr-n Vioznichnot.
Nun scheint es, daß zwei Mitglieder des Senats jedenfalls diese Sache im
Goriiiit nachempfunden haben, der Kanzler und der "Wci^^o Tsi os doch der
Kanzler gewesen, welcher, unniittelHur darauf, die voti Warda jungst (0>sfpr.
Monatsschr. 1899 S. 351 ff.) bchandeitu Offensive gegen zwei Mitglieder des S» natcs
Genommen hat. Wenn wir bei der Doliboration , welche auf Grund miuisterieller
Verfügung für wünschenswert erachtet wird, lesen:
„Meine Abwesenheit bitte ich wegen meiner ErSnUichkeit zu entschuldigen."
„Dieselbe ürsache verhindert mich gleichfalls, Ubrigens stimme
mit Excel. Hedic. I völlig aberein*^,
so stimmt das gut zn der Motivierung des Sanzlerischen Gesuchs, es möchten
die beiden ältesten Senatorea aus dem Senate auszuscheiden angehalten werden,
da sie an den Sessianes sich doch nicht mehr beteiligten. Aber freilich, wer
liest, daß unter diesen beiden Senatores Immanuel Kant sich befindet', der traut
seinem Auge kaum. Denn so notwendig es unter Umständen sein kaim, dem
RuhelicdiafTiis rückständiger IVi-sönlichkeiton nachzuhelfen, .so widersinnig ist die
AiiwciKiuiiir diosos Verfalirons auf diejenigen, welclie dio 7iordcn. ja dip Ijpiirhtf>n
ihrer Körperschaft, im \ inlic^-rniiiMi Falle sogar der giuizeu geinldcteu Welt sind.
„Retonn en activit»' pmir av.>ir cnnimnnd^i cn chcf contro rennemi" lautet die
Fonuei in der frau/vösischen Armee t'iu- diejenigen Generäle, für welche die
Altersgrenze nicht existiert £s gebort sur Signatar der Yerbftltnisse, daß sich
ein Professor gefunden hat, der sich (unter einem Kant feindlichen Rektorat)
mit der Insinuation des Rücktritts an den Weltweisen wagte.
Auf der anderen Seite ist die Termutong wohl begrOndet, daß Kant seiner-
seits in der Beteiligung an diesen Yerhandlungen sein Urteil Uber die Stiftungen
geachlift und versdiirft hat und namentlich über diejenigen, welche es dahin
1) Von dem zwciU^n. HoocartJ, heißt es a. a. 0.: . . . starb vor wenigen J;üiren als PrimariuB
der TheoL Faknlt&t und Piarrer der Gemeiode Sackheim. £r war Dioht sowohl als Iheokg,
soodem Tielmehr als Astronoiii ber&hint und TerotrigtB aeia Aagsdealiea dufch eiao so! asiaen
Harrbause errichtete Sternwarte. Dali er suwohl astronomiscli« als aoob AeelogiBcke ond Sohul-
büoher biuterlasHeu hat, sagt aus Ouldbeck.*^
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Oradenwitt: Der Wille des Stiftenu
193
IvEingen, daß „d«in Amen und Knxkkm (dem rom NanrenbOBpital anigenoumMii)^
dd«r u>iut Bekannten enmieten kaiin, gereicht irixd**, sondern im Höqiitel
von Greenwioh, prAditige nnd dennoch die Keiheit sehr beachiinkende, mit
einem kostpieligen Peieonale veisebeoe Anstadtan dam getroffen weiden.'*
Denn CS ist einloucbtend, daft für damalige Yetfafiltnisse dio Summe von
19000 fl. allein für den Kauf eines Hausee, welches etwa 10 Studenten unter
Lpitttii'^ oinos Inspektors bewohnen sdllen. eine übermäßige ist, und da5? 'Kriteriuni:
„prächtige und mit pinem kostspiel i,i;r'n I'crsonalp vprsehenc Anstalten", i.sf ,i\if die
Kypckesche Stiftuiiu' ebenso zutreffend wie das andere; „die Freilieit sehr be-
schränkende*'. Deun der TcsUaur hat verfHg^t. der Student, der (eines Vurgchens
wegen a Senatu bestrafet werden mui) und) eine einzige Nacht ohne Wissen des
Inipektoie nicht an Hanse ist, mache sich dieses Beneficü schon verlustig; und
die Ihetniktion für den Inspektor, die allerdings erst im Jahre 1800 perfekt
wurde, enthält die Bestimmong:
„XamentUoh werden diejenigen des Beneficü nnwttrdig nnd untellhaiSg^
die wegen eines Vergehens vom Senat bestreit werden müssen oder eine etnalge
Xacht ohne Wissen des Ihspektores abwesend sind. Inspektor hat daher von
der Anwesenheit der Stipendiaten sich dadurch aiigensdieinlich zu überzeugen,
daB er onfweder im Winter um 97, Uhr, im Sommer um 10 Uhr ihre Stuben
besucht, oder in «iner der seintgen sip !rn Rammenkommen läßt" —
Sollte es im Vorhergphpnden f^clungi ii soin, dio Gelegenheitsursache zu
finden, welche den Philosophen \eranlahte, den Sliftinigen ein noch minder
wohlgefälliges Augenmerk zu widmet), so mag jetzt nocli untersucht werden,
inwieweit die Anregungen, welclic er uns liiutorlassen, der Verwirklichung teil-
haftig geworden oder noch bedürftig sind.
Der große Gedanke, der alles durcdisieht, was Kant in den Naohti%en zur
Bechtslehre über die Stiftungen sagt, ist: daß der Staat über der Stiftung stehe.
"Er stabiliert: „Das Recht des Staates, ja dio Pflicht desselben zum Umändern
einer jeden Stiftung, wenn sie der Erhaltung und dem Fortschreiten desselben
zum Besseren entgegen ist." Das T^i cht des Staates an sich selbst darf nicht
bezweifelt werden, ist dovh die Stiftnnj;, als ewige gedacht, ein Monstrum, weiches
dem Privatwillen eiin' selbst uIm r die Dauerkraft der (lesotzc liinaus unabänder-
liche Geltung giebt In der Tat ist der Versuch der Konier, einem Gesetz Ün-
nicht „die Beihilfe
, wofür er sich wo er wül bei seinen Yorwandten
m. Ansblick in die ZQknna
13
194
Grade uwitz: Dor Willo dea Stiften.
vergängliobkeit dadurch ni dehcm, daB das Unternehmen dies Oeeets ahmändem
im Gesetz selbst mit Nichtigkeit oder Strafe bedroht irirdV in der nennen Qeaets-
gebong nidit wiederholt; selbst die Ter&ssung, das Omndgesets des Staat««,
kann^ wenn auch nur unter erschwerenden UmstSnden, abgeftndert werden. Nur
der in der Stiftung fes^d^gte nnd dozeh den Staat einmal sanktiottieTte Wille
des Einzelnen scheint der Macht (\''t Zoit zu widorstohen. Giinz läßt sich diese
Monstrosität nicht aus der Weit schaffen*, und insofern gilt von der Stiftung im
Verhältni*^ zu der Korporation, was Theodnr Mommsen'' vom Absolutismus im
Gegensatze zum Kr>pl)ts?^taat sa<rt: „Nach licm crloichen Xatiirgesetz, weshalb der
geringste Oru'aiüsnuis unendlich mehr i.st al.s die kuii,si\oll-tf Maschine, ist auch
jede iiocli so mangolliafte Verfassung, die der freien SoUi^thestimmung einer Mohr-
zalil von Bürgern Spielraum läßt, unendlich mehr als der genialste und humanste
Absolutismus; denn jene ist der Itetwioklung fähig, also lebendig, dieser ist was
er ist, also tot"
Aber das Notrecht des Staates, das Tideant oonsules ksan fQr die Ahfinde-
ning der Stiftungen niobt bestritten werden. Die Frage ist nur, wann es ein-
tritt und nntw welchen Voziaussetsungen die Stiftung audi gegen den nrspiiing-
liehen Willen des Stiften den Bedürfnissen der 2Seit angepaßt weiden solM
Hierfür muß eine Formel aufgestellt werden:
Vergleicht man die Kanhschc Formel mit derjenigen nnscres Bürgerlichen
flpset^hticlios. s-n ist die Knntschf» ^»schmoidiirfr und dem Zwecke dienlicher;
sie gewahrt der Macht des Staat* rim n LTi»lt"n>n Spieirnum, indem sie nicht
bloß bei damnum emergens, sondern ebenso bei lucruiu cessans fifiLTeift:
^Wonn sie der Erhaltung und dem Fortschreiten desselbtu zum Besseren
entgegen ist," sagt Kant; das Bürgerliche Gesetzbuch sagt i? 87 Abs. I; „Ist die
Erfüllung dos Stiftungszwecks unmöglich geworden, oder gef&hrdet sie das Oemein-
1) „Eiiu! von Reclits wogen unalwltidt'rlidiO staalliclio Aiiorrlimii;.' ist '^in Widerspruch im
JjoiKatz". „. . . nicbt einmal dafür, daß uin vüi:]gublicbor Versuch es aufzubübeu die im Ouaetz
angeordnete Strafe berbeifährt, gibt es tateächHche Bolegie" Homnuten, Röm. Strafrecbt 8. 549, 550.
2) Stiftiiniit'ii diiint'ii Zwvtjken, welclii' tlt.'non des Stmtvs venviivi lt, •ifr si 'jheii, dio auch
dorn Ütiurte «igeiitumlivh sind: iosoferu entUblen nie tlun ätaat, und fiUircu oft dow Staat« Ziele
vor AugoB, die er kfinftigbin sich anelf^en soll: tat er dies, ro mnd die betreffenden Stiftnngen
freilich bis zu einem gewissen Gri l'' •■nt! 'lirüi ti p-w .i 'I' H , i fl"!"!! r ii^i li für 'ien kleinen
XroU, den sie umiai«süu, lutoh Sondervurteile zu bieten. Man denke au die Alters- uud luvalidi-
tiUsveraieheniBf.
3) IMiiiiseho (ie.s»:hichte III, 477.
4) Vgl. Acbelis, Didasualia & 2ä7: „Eine Kirehenordnuug pflogt iängero Zeit in praktischem
Oobmiich m mio, ab die Znstlnde, die ihr Yerfosser voranaaetzte, andMuim IHe alte
Klrrht>T)r>;i!irKi^', die mnn (gewohnt i.st, in Zweifelsfällen zu befragen, eignet sieb immer «enigST,
luu lieseUbueh für die üegeuwart zu dieiieu.''
Oradeavits: D«r Will« des Stüton.
195
wohl, so kum die saBt&ndigd Behörde der Stiftung eine andere Zweckbestimmung
geben oder sie aufheben.* Bis es dahin kommtf daß eine Stiftung geradesa das
Gemeinwohl gefttbrdetf kann viel VerdetfaUoheB durch de bewirkt wordm sein;
denn das Oenneinwesen ist stark genug auch einen Fremdkörper eine Weile ohne
Geffthrdong, wenn auch nicht ohne SoMdtgnng an ertragen. Aber dem „Fort-
schritt snm Beeseren'* kann sich eine Stiftung sehr bald entgegenstellen und Ter«
nflnftigero Regelung der oins( Iil,ii;Iy> n Bedürfnisse liinhinhalten, wogegen wohl
£ant, nicht aber der Worthuit des Bürgerlichen Gesetzbuches helfen will; und
wiedenim ist der Begriff des Zweckes bei Kant analysiert, indem er eine Um-
ändoruntr. wenipston»! in dfr Form vnTNrhIfifrt. Es wird nicht immer als Zwock
der Stiftung das gelten diirfi ti, was rlcr Stifter als Zweck bezeichnete; am Ict/ten
Ende ist jeder Zwin-k mir ilittcl uiul ili^ als Zweck bezfichneto und fio
setztc Betätigung i.st nur die Form, in der der tiefer liegemie Zweck erreicht
werden soll. Und mit erstaunlicher Sicherheit hat der Philosoph gerade einen
Punkt getroffen, wo das Stiftangswese» zum Unwesen werden kann: ewige An-
stalten zum Zosammenwohnen:
Gegen den Zwang, der durch soldie Anstalten anf BedQiftige geübt wird,
die nicht nur freie, sondern dotierte Wohnung mit der Freiaflgigkeit au besablen,
gibt es als Hülfe i unicbst persönlichen Dispens. In den mir zur Ihirohsiobt yer-
statteten, im Königlichen Justizministerium ruhenden Stiftungsakten des Obei^
hmdesgeriohtsbezirks Königsberg, die vom Jahre IHIO ihren Anfang nehmen, ist
nur eine einzige Stiftimg, bei der der Königliclie Dispens in öfteren Füllen und
mit Erfolg nnohgemicht wird, und das ist Pinp solrho, wrlrho T)jimf>n. vonichm-
lich einer bestimmti ii Familie anpfli iriL^rii Damen, freies und sogar salariertes
Logis in genieinsanieiii Wohnhnu.se in Köuig.sberg verleiht. Zahlreich sind die
Gesuche, welche von seiten der berechtigten Damen an den König gerichtet worden,
es möge ihnen vergönnt sein, die EinkOnfte ni genieBen, ohne deswq;en das
Domisil ändern au mflssen, es erscheint der Wunstdi, nicht ein müdes Klima mit
dem rauhen vertauschen, nicht die wichtige Pflicht der Pflege einer kranken
Matter aufgeben au mllssen, um im fernen Osten ins Logierhaus au kommen. Die
obere Instanz bef (irwortct die meisten der Gesuche im Widerspruch mit dem fest-
stehenden Gutachten des Oberlandesgoiichtes („es dürfe gegen den ausdrücklichen
Willen des Stifters nicht verfügt werdon'') und der König genehmigt das Gesuch
um Dispens von der Residenzpflicht, wenn auch nicht immer für alle Zeit, also
daß eine Dame 10 mal hintereinander für 4 Jahre dispensiert wird. Von juristi-
schem Interes.se ist es, diil5 das Ministerium einmal den Anlauf nimmt, die
Resideuzpflicht dem Nauhsuchendeu schlechthin zu erla.ssen, auch ohne daU es
13*
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Oradenwitz: Dor Wille des Stifters.
fiin«8 ividitigeii GzundeB bedflxfe; Baobdem der E&ni^ einmal g^gen dai Totnin
des Ifmisten Dispens bewilligt bat, werden im folgenden lUle rwu Jfinistor die
casoe angeführt, in denen bereits dm Dispens stattgefunden bebe and ebiforchts-
voll anb^ gegeben, den nicbi motivierten weiteren Gesndien die Gewibrung
nidit eu Tersagen.
Hier zeigt sich der Übergang von dem Dispens im Notfälle zur Abändoninj?
der Satzung selber. Denn wenn jede DaniP, dip es hnf^ehrt, von dieser Pflicht
pnthtindon wird, wo bleibt dann die Residenzpfiicht im SiniH> drs Stiftei-s? Also
j-a^^t dir KUnig: Nein! und als Hüter des ^Yillens des \ erstorbenen befindet er,
daß zum Dispens ein genügender Grund nicht vorliege.*
Der Kantsche Grundsatz, daß jede Zeit für die Ibrigcu am besten sorge,
kommt aar Anwendung in einem and^n Falle, nur freilich nicht ganz in dem
Kaatschen, hi«r wobl auf das Finanzielle gerichteten Sinne: Ein Stifter hatte
veifflgt, daß ein Familienstipendium an solche Jünglinge gereicht werden sollte
welche auf einer Akademie studieren (dafi dieee Akademie nicht eine jaeufiisdie
sn sein brauchte, war mehr eine staatsrechtliche Frage); die Bestimmung war
vor der Einführung der allgemeinen Wehrpflicht getrofien: nicht ohne (>eist, wenn
auch ohne logische Sohlüssigkeit und ohne Erfolg verteidi<rt lier Vater eines
Offiziers die These, daß nach Einführung der allgemeinen Wehrpflicht der Offizier
dem Akadcmicus gleich zu arhton spi. Hier zeigt sich so recht das freilich durch
den Ki^iiismus getraircno Ri >tM l)eii, da.s vorzeitliche Ermessen des Stifters dem
Bedürfnisse der Gegenwart zu adaptieren.
In größerem Stile spielt sich der Kampf zwischen 2 Beiiorden (Osipreußischeni
Tribunal und Akademischem Senat) luu die Frage ab, ob Stipendien, die ein
Testator für oetpreußische Studierende ausgeeetst hatte, beschrinkt sein selleii
auf Studierende der Albertina. Eben hier zeigt sich die Schwache der Abhängig-
keit vom Stifterwillen. Wie bei Leibniz' ptifltabilierter Harmonie meint jeder Teil
ziinäcbat, daß dasjenige, was ihm zweckmäßig erscheint, auch vom Testator gewollt
sei, und nach einem halben Jabrhnndo't führen emtbafto Behörden, Kollegien
von denkenden Miinnern. nicht allein darüber Streit bei der oberen Behörde,
ob die Ei-streckung auf die Externen nützlich oder gerecht sei, sondei*n datiibor
vor allem, ob ein quidam, der in der Lage war, Geld zu hinterlassen, vor 60 Jahren
1) W'as fiii' di-u einzelnen der Dispens, das ist für das Institut der (^bei^atigssastaad:
wenn «Ii»- Enicl'tmi^ 'int^r Anstalt Gt'gonst.nnd 'Icr Süftuiijj; i^t, so kann, wa.*; Kj^iokc von vorii-
lien-in fr>ni'>rte: Kulicii uos Kapitals bis zur Erreichung; oinor >;f\vissoii Hoho, auL'h nach u'f schob enom
Vi'rkauf lU-s lJ;iuscs während der Dauer dor Stiftung' woliitäti;; wirken, wenn in Zeiten unsicheten
Üruudwortcs d;i-* Kapital
durch Wohnungszuscbiiü ^i'^joK-u wird, die Kant iUH*rliaui»t für etnpfchlciD>wertur hUlL
OrftdenwUx: Der ViOe de« Stiten.
197
eher dieser oder jener Ansicht gewesen sein möchte. Hier aher zi ij^t sich auch
das erste Bcmcdium in dem Kampf der Gegenwart mit dem verdungenen Fitndntor:
wer da wUnscht, dtfl «dn Wille maßgebend sei fiber das Oiab hinaus dauernd,
der aoqie vor allem, daß sein Wille unzweideutig ansgedraokt werde. War der
Auadradc nioht sweifelsfrei, so nehme man. an, dafi auch der Wille nioh( beetimmt
war und wühle diejenige Auslegung oder ehrlicher gesagt MSgüolikeit, welche
nach dem besten Wissen der Lebenden den Bedürfaussen der Gegenwart gerecht
wird. Ebenso kann kein Zweifel daxftber sein, daB die Tom Testator gebnnicfaten
Zeichen, Maße und Quantitäten und Ähnliches im fiinne der Gegen wart und nicht
in dem der Zeit des Testators festgehalten werden müssen. Hat der Testator,
welchrr Unterstützungen an ärmere Vrr\var:dte stiftungsmäßig fundiert, liestimmt,
daß nur solche Verwandt^ perzipieren , deren Einkünfte eine bestimmte Summe
nicht übersteigen , so heißt es nicht etwa dem Sinne des Testators entspreciien,
sondern vielmehr ihn verzerren, wenn diese Summe auch zu einer Zeit fest-
gehalten wird, wo der Wert des Oeldes erheblich gesunken ist Die Summe muß
▼on Zeit zu Zeit mit dem Wert des Geldes abgeändert werden. *^
l^t der Testator Tor 100 Jahren eine Stiftung zugunsten der Postbeamten
einer Froräu gemadit, so ist die buchstäbliche Erfüllung dieser Stiftung zwar
auch heute noch möglich, denn es Terkehren noch Posten. Aber die Erwilgnng
wird stattzufinden haben, ob er unter Post nicht Tielmebr das TwkehnlnBtrament
Teiisliinden liat, welches damals als das einnge ihm bekannte vonchwebte und
welches heute zum größten Teile dnroh die Kisonbahn ersetzt ist In diesem
Falle bleiben wir im Rahmen dessen, was der Testator gewollt hat und mensdi-
lichem Knnet^ften nach erklärt haben wtirde, wenn er die Zukunft Jiätte Toxatt»<
sehen können. -
Hat der Testator eine gewisse Form der Anlegung vun Werten vollgeschrieben,
die ihm die siclierKte schien, so ist zu erwägen, ob die nationalökonomi^rlien
Verhältnisse sich iiimiitelj^ nicht so geändert haben, daß eine andere Form der
Anlage sicherer und darum vorzuziehen ist
1) Weil dio<<cr Grundsatz nicht befolgt wurde, ist 08 Wi einer FamilionBiinnng junf(st dahin
gekoininon, daß sich weit über eine Million angiManinielt liatto, da koiii rVrzipittat vorhanden
var, der die BediogUDg 80 niedrigen EinkunuMiiB nföllt hätte. In Kunigsbeig fae»tebt eine
Stiftung, nach wetoher einer Oieitttmiigd , die aaeh 25(füttftindzwanzig)jahrigor Dienstzeit heiratet,
ein einmaliger Khronsold von 3<X) Mk K^reiobt werdia kann. Da di«^'^u Voraussetzung in vielen
Jahien nie erfüllt ward, iat ein Kapital von mehr denn lOOOÜOMk. anffewachaen. Uier kau) man
feraden Unmöglichkeit ivr ErfuIIuiip des Zweckes Minehmea und also aatwndda.
2) Ihcriug, Scherz und Emst. H. 130 bringt als ßekpiel nne StUluog für Invnlideo ans
den liirlcenkhegen — nach dem Aufhören dieser £jriege.
198
Oradeuwits: Der Wille des Stiftora.
Aber darauf allem darf sich die Behandlimg der Stiftongen nicht bescbraaken;
der Staat mnfi Indem können.
So vie der Staat, indem er die Genehmignnf yerweigert, die Errichtung
der Stiftung unm5gUcb machen, kann, muß er auch das Becht haben, die Ge-
«ihrung rfickgingig ta machen, wenn die Einrichtung sich nicht bewfihrt bat
Die Frage ist nur, wdche Voraussetzungen ihn dazu bercchtifron Parallel mit
dem Stifterwillen kann er in solchen Fällen unter der Dcnkfm-m gobcn, daß an-
eiinehraon ist, es würde der Stiff>T bei verständiger AVürdigung der gegenwärtitren
Sachlage und der goraachtf ii iMfaiirungen die Ändernnsr frohilliirt htihen.^ Aber der
Stifter, wie man ihn in di- ser juristischen Figur einstellt, ist eben nicht das In-
dividuum, welches» burniert und im Sinne der dama!'; ^emaohtfn Erfahrungen
die Stiftung formte, sondern die gereifte und durch die Erfahrungen libcr Meniichcn-
leben hinausgehobene Idealgcstiiit, gcwis^ennaBen die Idea des Stifteis.'
Und ein Weiteres ist klar. Je mehr der SüÜet die Stiftung selbständig
geltet hat, um so mehr darf er beansjnuchen, daB sein eigner Wille in der
Stiftung maBgebend sei, — wie der Weltweise es ausdruckt: „Der, welcher gut*
mfithiger, aber doch augleich etwas ehrbegieriger Weise eine Stiftung macht, will,
daß rie nicht ein Anderer nach sein^i Begriffm umindMe, sondem Er darin un-
sterblich sey. Dies ändert aber nicht die BeschafCenheit der Sache selbst und
das Becht des Staats . . .
Deswegen kümmert sich der Staat um Familienstiftungen prinzipiell gar
weniL', vieimeiir liat <liis {in'nnische OcsotT; für dip*;o in dnr (Jesamthoit der
li'lioriiii.'n Anwärter em Ur^Mn posrliafft-n, um die Bfstiiiiiiiimtrou der Stiftun^n/n
ä jinir zu erhalten. Je niohr dio Stifturi:,' >i.'h :ibf>r einer öl/ciitlicli'^n nähert, dweu
gleichen z. 13. Uuivornitateu ursprünglich waren, um so moiir mub das Recht
1) In WirVltr^hkoit hrd :n s ili ln^n Fällen der Richter „rwht.sschöpfi'rische Macht" (ünp'r.
Cbcr die ll.utujj^ di , .stuiiu^s für Verzugs- und Yorgütungsziiison, OriiuUuts Zeitschrift, 13d. 30
B. lOB) nnd er hat „soin Urteil nach der Regel ta epreeheB, die «r ab Oesetigeber uistellen
würde", Schwfizor Voreutwurf A S.II, dazu Urif^^r Ann). 8.
2) Zurüdthultcnd Gerber. Dif Familionstiftun;: in der Funktion des Famiiientidi'iliorami.'^ses
Jalirb f. Dogm, 10,353: ^. . . Ii ' /ui:) (icniisNu borüt litigtcn FamilieogUeder, die benchtigt warem
die Stiftung zu orgäuzon, in. a. W. na< hzustifti.>n. Es versttiht skh fnjilich von s'»!f^«t. flafl eine
solche Ergänzung nur im Rinne des Stifturü geschehen darf, d. h. in der Weise, daü dabei die
Fnge beantwortet ^vird, wie würde der Stifter Helbot neeh den in der Stiftanggurkiuide niutti-
gegebenen Merkmalen den Fall entschieden habe«, wenn er seiner gedacht hätte; . . .'• Dagegen
Köhler, Recfat der Stiftungen, Archiv für Hürgerl. Recht III, LTtJ; „Kann man sagen: der Stifter,
wenn or in Veusnt Wleiier erstände, wäre wieder erstanden mit den Anschauu; ^- ii und
Oefölilen einer veiigaogenen Zeit? Hätte nicht die Jetztzeit mit ihren H- Ir. 1 ungen und Zielen
sdien von Jugend auf in ihm ihre bedeutendsten Eindriioko hinterlassen f'' — Psiiäonder noch
«äa> die Formel: dann nicht ändern, wenn der Stifter tieK<r die Stiftnng nicht fBlHMilt, de
deiartiigeit geduldet hätte; wenn er dabei die Kabinetsfrvge gebtellt hätte.
Or«4eii«Us: Der Wille des Stiften.
199
der Allgemeinheit botont uenlen, dasjenige, was zu allgemeinem Nutzen errichtet
ist, auch dem allgemeiiien Nutzen dienlich zu erhalten. Und wie der Staat der
affentlidi«! Stiftangen Tide in SfaatBanslalten Torwsndelt^ weil er die Aufgaben,
welche die Stiftungen sa ISsen Tonachten, mmmetir ffir die seinen ansieht,
ebenso muß für ihn das Becht beansprucht werden, die an seine dffentliohen
Anstslten angegliederten Stiftungen dauernd im Auge su behalten. Wie der ESn-
lelne sieh an den Staat anlehnt und darum diesem Steuern lahlt, so muA die
an die öffentliche Aastalt angelohnte Stiftung jener den Tribut der Umwandlung
im Sinne der Vernunft und des gegenwärtigen Kutsens zahlen.
Soll aber drr schwierigen Frage näher getreten werden, in welcher Weise
und in welclion Fällen reformhr-iliirftiirfn Stiftungen aufzuhelfen sei, so zeigt sich
die Abwesenheit gcrtüs^endcn Materials. In einer Zeit, wo jeder AVinkol der Ver-
wnlhinp: vnn der Öffentlichkeit (liirchloitehtpt: h\. ist da?? Stiftn?ifrsrecht und das
Stiftungswesen golieim. Wir koniiru weder die Vrrfas.suugeii der bestehenden
Stiftungen, noch die an diesen vorgenommenen Yerandeningen, noch gibt es
eine Stelle, welche über die Verwaltung aller Stiftungen von Amts wegen orien-
tiert wäre. Und dodi bedarf das Stiftungsweaen einer ^aadichen DauerauMoht,
ein fiedflxfiiis, welches in Großbritannien mit elementarer Gewalt cum Dnrch-
bruch gekommen ist und zur Errichtung einer eigenen stflndigen Konunission
geftthrt hat, Aber welche Onei9t(Bngl.TerwaUung8recht II, § 129) also berichtet:
„Es neigte dch, daß Likoiporationen in peipetuum naeh einigen Henschenaltem
meistens in Mißbrauche und Yerkehrtheiten ausarten, welche der Stifter nicht
vorhersehen konnte. Durch dio -^tefigf Änderung der gesellschaftlichen Grund-
lage wird die buchstäbliche Erfüllung lusrh Jiilulmiidorten oft zur Absurdität.
In England war im Laufe des 18. JahrhiuKli rts eine Monge solcher Absurditäten
notoriseh gowonii'n, denen man anfangs durch einen [^t^wissen Zwang zur Publi-
zität beizukommen glaubte .... Die jetzige Behörde (sie enthält drei besoldete
Com missioners, einen Secretary und zwei Inspectoren, welche von Zeit zu Zeit
Untersuchuügeu anstellen über Zwecke, Verwaltung und Erfolge aller Stiftungen)
„erteilt Bat und Gutachten" an die Verwalter der Stiftungen, denen bei Befolgung
des Bates gesetsBdie Immunität engesichert wird.**' Mit der VerSfCentlidinng
1) Akten im K^l. Anshiv ta. KSdigsbeig etgebeo einen Kampf, ob im Binne dee StUten in
der NotlriL'e vi n 17'i ( I i 1i^r König auf die Digtinyn Kräfte der TrovinJi vcrweibl) aadl die
Gehälter der I'rofe»!;oron oder uor dw Mittel für die Konimuuitüt der Studierenden «i kiuzen aind.
2) Grofie Vorzüge für die Errichtung einor Stiftung bat es, wsnn dsr SfiflsT Iwi I/tbioitm
mit der Bohnrdo scino Stiftun;; mortis o:iu>«i gewissermaßen vereinbart, wie dies häufig gescbielit in
der Wetw, d«fi er bei Lelneiteu den üeunA dm Gates sich voifaehält} dem beroohtigten Einwand«,
200
Graden Vit«: Der Wille des Stiitert,
der StiftiHiirsverfassungen ist ein dankerv^wortpr Anfan? p-emacht in der Beilage
zum proiißiaühen Etat 1897/98, welciior die an die Untenichtsanstalten angelebaten
Süftungon nominiert.
Aber wir bcdüiieii der Veroffentüchimg aller Stiftungsverfassungen, damit
durch Vergleichimg znniiobflt ein Obei)>lK^ über dasjenige gebotm werde, wm
nach dem Instinkte der Fziyaten einer private Fundatioa voixugsweise bedarf,
vaA damit in Zukunft der Berater des Stifters ein Material vor sieh habe, nach
dem er die Vei&sanng der neuen Stiftung einrichte.^
Und freudig iafs an b^rttBen, dafi das PreuBische Auaffllinmgsgesets im
§5 die Bestimmung enthfilt, dafi zur Ab8ndenmg der Yerfosanng Obereinstimmttng
Ton Vorstand und Staatsbehörde genügt'
Nodi widitiger als |die yex&aaong ist der Oeist, in dem sie gehmdhabt
wird, und dem Willen des Testators kann dnreh einseitige und nnmlangttcke Ver-
waltung unter dem Scheine treuer Eifüllung der Satzung* viel entschiedener stLwider
gehandelt werden als durch Abänderung veralteter Bestimmungen. Gegen diese
Gefahr gibt es kein anderes von dem Scheine der Gehilssigkcit freies Mittel als die
Anordnung einer finmaligen allgemeinen staatürlinn Enrpiote über aüp Stiftungen.
Deim die laufende Jstaatsaufsicht wird naturgemiU» nur lax gelian^lhaht, weil
berechtige wio unberechtigte Emptiiullichkciten gerade hier Schonun^^ lu ischon,
die Anurdiiuiig einer Kiii/i li'iKjuetu ubi-r hat immer den Anschein eines kraukuuden,
wenn auch noch so berechtigten Mißtrauens, und diese Empfindung ist der Er-
haltung Ton Hißbrttttchen günstiger, als die theoretische Erwägung anerkennen
msg. Eine sllgemeine Enquite hat den Vorzug, daß sie niemandem schadet als
dmn, der es verdient, und schon die Ankündigung einer solchen pflegt Veran-
lassung sur Aheteilung veralteter Gebiftncbe an geben.
daB er dadurch des Vorteils sieh l>i'-<;ibt, den dio I/,<t7.twilIigkoit ihm gewibrt, nämlich so lange
er lebt, ändern su köQnen, würde eiii Rearecht mit Beagetd begegnea. AUerdings Üagt die
Oef^ emes>amb{tiis nicht ganz fern.
1) In Rom i.st eine der ersten Ätifienuigeii der Justis des Principats die Betreuung der
Fideitomini--';!'. Diesen und anderen If. .■•t'T';frnrr'n '1'i-iior. "R'-'-krip**' <U'T Kaiser, K»»rtits}:PM ln';(!o
auf Aiifriigen zumeist der Beamten. Die wichtigen und zur Nachaehtung l.>osttmmton aus der Zahl
der Keskripte wurden verSffentliobt und in «oem Uber propoBitonuii wmaiHiwengwteBt. wie du
Deer«tum von Skaptoparcne jetzt lehrt.
2) Der Schweizer Voreutwui-f § 1dl laßt über dio Abänderung der Üq^iäatiun, vorau&-
gesotzt daB ,,die Etbattmig des Vomeeein oder die Wahmng dos Zveckes der Stiftnag die
Ahäudcntii^ dringend erheischt", die Kantün>re;;ierung „auf Antrag der AafudltsbehÖrden nad
nach Anhörung dca uborstuu Stiftüoriguu^", cntüühtiiduu.
3) In fiandem (1^ fadtj ^ui salvis verbis higis seoteatism eine dramnTemt Vväm
D. 1, 3, 129.
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Oradenwiti: Der Will» de« Stiften.
201
Und nidit mit einer eimoMligeii Enqufito sdlto rioh der Staat begnügen,
Tielmehr sollte eine solche periodisdi wiederkehren und fOr die Enqudt» wie Ktr
die •damit im Znsammenliaqg Btehende Beau&iehtigDiie der Stiftungen sollte eine
eigene Bdiftide geschaffen werden oder sieh entwickeln, deren ongehence Xh>
fahrongen auf dem unter ihr zentralisierten Gebiete ihr einen ÜbsrUi<± Teracbaffen
wfirden, wie ilm die yerachiedenen obersten Behörden, die bei uns in Freufien am
Stiftnngswesen beteiligt sind, nnturgemüß nicht in gleicher Weise liaben künnoii.
Ein solches Amt ^Yiirdo mit der 1f«^nntnia des Bestehenden einen umfassenden
Einfluß auf dw Kortentwicklune: eewinnon. Mit Takt — wie selbstverständlich
— geleitot. wiirdo es, wenn luicli nur in Form rler tmvprbindlichen Katsphliige,
das (Jute der Verwaltmif; der oinoii Stiftuni,' luif die amlere übertragen und das
Entstehon derartiger ilißbrauclie verliindrrn, wie es deren bei seiner ersten Be-
tätigung zweifellos in Hülle und Fülle antreffen würde. Manche typischuu Fehler
bei der Errichtung von Stiftougou würden nicht wiederholt werden können , wenn
eine an^gobreitete Erfohrung ihre Sdiidlichkeit erwiesen bitte; manche Begeln,
die im ttbrigen Beohtsrerkebr als selbstrerstündlich geltm, wfirden audi in das
Sliftnngsrecht ihren Einsug halten, so die vom Gegengewicht Ton Yerwaltong
nnd Literenenten. Sdiwedidi wird die Erfidurung Termieden werden, daß es
besser ist, die Aubieht dnrch eine YOTsammlnng fiben zu lassen, welche nur zu
diesinn Zwecke zusammentritt, als durch eine solche, die um anderer und häufigere
BorÜlining erf ordernder Zwecke willen da ist, schwerlich die Erfahrung, daß
die Einzelentschcidung des Mannes in ihm ein tieferes Pflichtgefühl wachruft als
die knlloetnlischo Mitent-jcboidung. daß es hcsser ist eine kleinere Schar zur
Aufsichtsbehörde zu wühlen als eine ^'rolie. der parlaim-ntarischen sieh an-
nähernde aber der Kontrollo durch Uffentiichkeit und Neuwahl entbehrende
Versammlung.
Durch eine Behörde mit solchen Funktionen wttrde ein Überblick über das
Stiftungsrecht und namoidieh über die Hille gewonnen werden, in welchen der
Staat genötigt ist, dem Stifterwillen suliebe die Verwaltung und dem fiffenfiichen
Interesse suliebe die YerEaasung su indem, und es wtirde die Losung dex Ange
sieh ergeben, die der Eönigsbeiger Philosoph mit den Worten, die hier wieder-
holt angefahrt werden mögen, gestdlt hat:
„. . können sich wohl Zeitumstände ereignen, welche die Aufhebung einer
s( liehen Stiftung wenigstens ihrer Funn nach anräthig machen" nnd weiter: „das
Recht des Staats, ja die Pflicht desselben zum Umändern einer jeden Stiftung,
wenn nie der Erhaltung und dem fortschreiten desselben zum Besseren ent-
gegen ist . .
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202
Orkdenwitz: Der Wille dm Stifters.
Und wer miß, ob nicht gerade das tob ihm gewählte Belepiel den dringend-
eten Fall notwendiger und nütacUeher TJmwandlnng bringen wixd:
«So hat man gefanden: daß der Anne und Kranke (den vom ITarrenhospital
aoBgenommen) besser und wohlfeiler rnsorgt werde, wenn ihm die BeibQIfe in
einer gewissen (dem fiedttifnisse der Zeit pioportionierton) Geldsumme, wofUr
er sich, wo er will, bei seinen Yorwandten oder sonst Bekannten, einmiethen
kann, gereicht werde, als Avonn — wie ini Hospital von Greenwicli — prächtige
und dennoch die Freiheit sehr beschränkende, mit einem kostspieligen Personale
vpr«pheno Anstalten, dazu getroffen wfrdon. Da kann man nun nicht sagpn, der
Staar nehme (l»ni zum Oennfi dieser Stiftung Wereclitigten Volke das Seine,
£K>n(iem er befordert es vieliuclir, indem er wei&ere Mittel zur Erhaltung Ues-
selben wählt."
Umior pieuBisches Füisurgegcsutz wandelt in den Bahnen, die Kant gewiesen
hat, und madit den Versttch, die üntenttitzungsbedürftigou in Fiiratpflege unter-
subringen. Höge sich auch hier die Toraussicht dee Weltweisen bewähren, in
weichem nach des grcAen RomfoisohevB Worten „der beste Tbeii" dee „nord*
deutsehen Wesens seinen reinsten und schönsten Ausdruck gefunden haf*, auf
daß Kant» im hohen Alter gegebener Wink bewahrheite, was derselbe Rom-
forscher in schönerer Übenebnmg des schönen Bichtorwortes also ausdrflckt:
solem oooidentem Semper esse enndem!
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IX
DIE GRUNDLAGEN VON KANTS KRITIK
DER ÄSTHETISCHEN URTEILSKRAFT
von
Djl U£RMANN BAUMGART
Ol & TBOnMOft Bot «EDnCHEt LtlEUTtni A» DtB, VMtViatttTÄT KömoaBDO
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„Uber Kants Kritik der ästhotischon Urteilskraft" hat der Verfasspr
in der AltproiiR. Monatsschrift, Bd. XXnT. Heft 3/4, IS86 eine Ahlianillmig
veröffentlicht; (iiesolhe ist in umgearbeiteter und enveitertcr üestalt iu des Verfs.
„Hariiibuch der I'oetik" als Anhang (S. 701—723) mitgeteilt. Die rriii/.ipten
der Kuntisoheu Kritik der Urteilskraft sind dort zu den Grundsätzen der Aristoteli-
Khen Psychologie uod Ethik in Vergleich gestellt, und die gewonneim Bwultate
für die FrOfung der Kanlsdi«! Sitae Terwertet Die I^bnisse eeiaer üntei^
auehtiiigen sollen im folgenden, unabhängig von der Axistotelisebea Phüoeophie,
lediglich tnif Omnd der Kritik der Eaateohen Beweisf tthning Belbst erSrterk und
weiter fortgeführt verdeo,
I.
Es ist das nie genug zu würdigende Verdienst der kritiiscben Philosophie
Kants diirdi die «cliarfe Scheidung der einzelnen Seelenvermöjren nnch ihrer
Beschaffenheit, ihrem gegenseitigen Verhältnis und iln-er darauf iregrimdeten
Entwicklung die (lebieto und die genaueren Grenzen ihrer Betätigung bestimmt
zu haben. Im denkbar schroffsten Gegensätze zu dem kritischen Unternehmen
dieser Treuuuug der emzeluen Geisteskräfte voneinander stand das Dogma des
Königsberger Propheten der Stonn- und Brangperiode, das Frinaip, auf das, nach
Goethes treffendem Wort, die elmtliidien Äußerungen Hamanns sich aurtUdcfUhren
lassen: nAlles, was der Mensch au leisten unternimmt, es irerde nun dnreh Tat
oder Wort oder sonst hervoigebrsdit, mnfi ans eümtliohen Texeinigten Erliten
entspringen; alles Yereinsdte ist yenrerfiioh.** Bo schwer diese Maxime im
Leben und in der Kunst durehf&hibar ist, und so dringend im einzelnen
Falle doch auch wieder die Trennung und die vereinzelte Anwendung der
seelischen Vermögen verlangt wird, so groß ist andrerseits die Gefahr für die
theoretische Untersuchung in schwerwiegende Irrtümer zu iroraton. wenn sie es
vergißt, daß die von ihr pozogenen Grenzlinien dnch nur in <]er Abstraktion
existieren, und daß die Si eli' ihrer Natur nach eine rinlieitliche Totalität dai-stellt.
deren untersclieidbarc Hestaiidteile unautliorlicli sich durchdringen und mit
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20ti BBamgart: Die Graudiagen vou Kants Kritik der ätithotLsdien Urteilskraft
oinander rsandimelseii. So wiclitigo SdilQsse Kant aus der Untersoheidung der
Seetenvermögen und der Abgrenzmig ihrer Bereiche gezogen hat, wodurch er
die Philosophie von Terhängntisvollen Irrwegen zurQdcrief, ao Jat er durch daa
rigorose Festhalten an ihrer Isolierung bis in oUe Konsequenzen doch au zahl-
reichen Fehlschlüssen getrieben worden. Daa aeigt sieh besonders in seiner
Bchandluiifr <les Vermögens der Empfindung und des Gefühls gegenüber dem
Vermögen der Begriffe und der Ideen. Seine unzweifelliafto Oeriiigscimtzung
jenes Vermögens betniht darauf, dufi er es lediglich t»ls oino Äußerung der
hloßon Sinrn'statigkeit betrach^nt. Woil Kmiifitidiing. im phystnlnd-^eben
Sinne, durch die siniilirbc m iumuig iieduigl wird, und weil freilich zunächst
durch sie allein der ps\ < lii.logi!?che Vorgang clor einzelnen Akte des „Gefühls"
ausgelöst wird, so buhfiit er uacb Kautii Auffassung dicseu Clianikter auch funiei,
ohne daß er eine von anderen Seiten her bewirkte Entwiddung anerkennt und
auoh nur iigendwie in seine Rechnung sieht Hierauf beruht die unerbittliche
Strenge, mit dar er jeden Einfluß des Oeffihls und der Neigung auf die Ent»
Schließung zum Handeln rerbannt wissen wiU, wenn sie auf die Würde freier
Sittlichkeit Anspruch erheben will Hier setete Schillers Polemik gegen ihn ein
und erfocht einen unbestrittenen Sieg, wenn auch nicht gdeognet wwden soli,
daß jener sittliche Rigorismus KanLs in seiner schroffen Einseitigkeit gegenttber
der moralisi hi n Erschlaffung des Zeitalters eine historische Mission erfüllte.
Di'' sf liümmste Verwirrung Jed4)ch mußte jene einseitig beschränkte Srbiitzung
des Kmj)iindungs- und Gefühlsv Tmnrrns auf dem (iebiete iiei \ ulii iiigen, wo
gi nnif dessen richtige Erkenntn:- in i i>ter Linie in Betracht kam, w i für alle
Piublctne die Erklärung zu eint iii wesentlichen Teile aus d<>n .Xulii ruiigeu und
Wirkungen der Empfindungskrilfte herzuleiten ist: in der Kritik der Urteils-
kraft", zumal wo es sich darin um die Ästhetische Urteilskraft handelt
F^ilich* ist hier, in der modernen Ästhetik wenigstens, zum erstenmale
ein fester Boden fQr bestimmte, wissenschaftliche Erforschung ihrer Probleme
geschaffen durch die scharfe Unterscheidung dos ifstlietischen Urteils Uber das
Schöne von der bloß empirischen Empfindung des Angenehmen sowohl als Ton
den Urteilen, die uns Uber das Nützliche und das Gute unterrichten, o(h>r die
unsere Erkenntnis bereichern. Der Vfiiniscbung des Schonen mit Nützlichkeits-
zwecken, mit lehrhaften oder moralischen Tendenzen ist hier ein für allemal in
der Theorie ein £nde gemacht. Hoch erhoben ist das Wesen des Schönen Uber
1) V^'l. liiorzu oi.on (jnviilititi.' Ahli.'tiiiiltiti.- in <los "VQtttMifm „Handbuch der Ppctil'*
S. 7Clti und diti vurauägfüeiideu, bugi üiiUi'uilt)u Lrürttiruiigun.
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Baumgart: Die Oroodltigon von Knuts Kritik der üsthctist^hen Urteilskraft
207
dos niedrig« Xiveini der Anrieht, daß es, lediglich aus der Etfahning und
Oewöhnnng rieh bildend, mir Telative Odtung habe, die nach Zeiten und YSlkem
nnd Sitten, ja nach Temperament, IndiTldiuditit und Lebensriter unanfhdrliohem
Wandel unterworfen sei. Die ästlietischo Urteilskraft ist dein höchsten Wmiöf^'en
des menschlichen Geistes ebenbürtig beigesellt und ihrem Aussprach absolute
Gewißheit und ewipo und allgemeine Gültigkeit zuerkannt.
Dem frofTtniiittT stL'lit mm aber: daß dieses System vor allem di»? Möglichkeit
einer objtktivpn ( iesetzgcbung, also oiner fe^t hpsrimmten, duicii den Verstand
zu begrüaUoiidc'i» Kritik des SchuULii aus.^cldit4it, düii es ferner sich nicht begnügt,
das Schöne vom Wabren und Uutea streng zu scheiden, sondern doli es „jede
AffinitSf* swim^en seinem Gebiet und dem des Guten vie des Wahren lengnet;
daß es — eins der ediweieten Bedenken — die subjeküren Empfindungen
und Gefühle als rehi sinnliche Voiigftnge auffaßt, bri denen das Subjekt rieh
pasriT Tethait, und die als patholcgische Zustände jeder Tätigkeit der höheren
Eikenntnisvermög^ und namentlich dem dttrch die praktisehe Yernunft
bestimmten Willen als Hindernisse im Wege stehen; daß es derasufolge „Baiz
und Rührung'' als nicht xnro Gebieto des Schönen zugehörig crkl.'irt, und aus
allen diesen (iründen zusammen das Schöne nicht in der Beschaffenheit der
Dinge erkennt, sondorn allein in dem durch die Tätigkeit der Urteilskraft
bedingten Vorsteilungszustaiidi' *
Gerade diese, mit L'ureclit als Kant im flniinlp niclit rij^en anircsi'lu'uo,
Kunscquenz seini's Systems wird von ihm immer vuLiler urni «vicdui in den
Yordergrund gestellt; sie fließt aus seinem obersten Prinzip und gerade dieses
ist es, das den Zweifel über seine gesamte Beweisführung immer au& neue
erweckt und selbst da nicht sar Ruhe kommen ifißt, wo man sich mit seinen
Stttsen in roilem Einverständnis fühlt In unxähUgen Wiederiiolungen wird
dieses Prinrip für jeden neuen Sats in Eiinnentng gelMneht und aufs neue
fostgestollt, ohne daß es der formalen Logik gelänge, in unserer inneren
Überzeugung ihm einen Plata zu gewinnen. Wir sollen im ästhetischen Urteil
einer Zweckmäßigkeit uns bewußt worden, ohne daß doch irgend ein
Zweck uns dabei ins Bewußtsein trete; die Einbildungskraft — d.h.
nach Kant unser Vorsfr'llnnfr'^vcrTnögen — , welche die mnnni'rfachen Tf*il»'
des (iegcnstatides zu einem t»unzt;ii vr-reiniet, soll sich mit der Reflexion auf
Verstau desgesetze iu uns zu einem zusammenstimmenden Urteile verbinden,
1) Vgl. a.«. ü. S. 705 die Auüführan({eii gei;on Lottes EinwonduDgen in seiner „Gescbichte
der Ittlietik in De atso bland» 1808 8. 65, m.
208
Baumgart: Die Grunüla^oo von Kants Kritik der ästhetischen ürteilskraft
ohne daB doch irgend ein Begriff dabei in Betimcht kKmeL „Im Qemfit"
soll diese Zweckmißigkeit ohne Zweck, diese Terstandesmftßigkeit ohne
Begriff, zum Bewußtsein gelangen, und die Lust an diesem Bewußtsein der
harmonierenden Tätigkeit der Einbildungskraft und dos ErXonntnis-
Vermögens überhaupt, nicht der auf irgend ein Objekt gerichteten Erkenntnis,
soll die ciiizirro, immer sich plcicIiMeilK-ndo Freude am Schönen f?ein. Hon
tausend- und abcrtaiiseiidfacliL'n Maiiifi'sfafinnon des Schönen gegenüber inuni r
qualitativ di*' fzlrirhe, hüclisteus ijuantitativ verschieden. Nach Kant läge ja die
Schoniit'it keiueMwega in den Dingen, in den Ersciieinungen, sondern sie kommt
durch einen Vorgang in unserm Innern zustande, durch einen ewig sich gleich
bleibendes Effekt in dem Zusammenwirken der Kr&fte unseres geistigen
Organismus.
Es liegt etwas fast mystisch zn Nennendes in diesem von Kant statuierten
TennSgen der „Urteilskraft", das uns nur in seiner Wirkung, nicht in seiner
Existenz nachgewiesen wird. IVagt man, wo daweibe denn nun seinem Sita hat,
so kann man aus dem System nur diese Antwort entnehmen: im ^OoiDüt'' oder
im „Gefühl'", obwohl diese Frage nirgends eine direkte und ausführliche
lieantwortung findet. Denn im „Gemüt" oder im „(Jefühl" soll ja die har-
monische Vereinigung der Tätigkeit drr Kinbildnnp?kraff mit der Reflexion auf
das Erkenntnisvermögen stattfindi'ii und. zum Bewußtsein ,i;i]au;rt, div ..Lust"
erzeiin^on; und 7,war die Lustenipfindun^' di s Schönen, wenn tiie Kuflexion auf
Verstuudesiurkeuntüiji uud dio de> ., Ki habenen", wenn sie auf das Veruunft-
gescta stattfindet, beide Male „ohn«* iiegriffe'' von der einen oder dem andern.
Li dieser „Befiezion" auf die a priori geltenden Prinzipien der reinen und der
praktischen Yernunit liegt die allgemein verbindlidie Geltung der Üsthetisdien
Urteile Aber das SchOne und das Erhabene.
Der unaufgeklärte Funkt des ganzen Systems — der aber leider sein
Angelpunkt ist — liegt in der Hypothese, daß die „Urteilskraft^ aus einer
Beflezion auf Begriffe, seien es Verstandesbegriffe oder Temtinftideen, heiror-
ginge, wobei aber jede Erkenntnis nicht allein, sondern sogar jedes Bewußtsein
Ton diesen Begriffen oder Ideen als ausgeschlosseu gelten soll. Wenigstens soll
der Vnriranf,' .^elh>t, dr-r sich bei der Funkriiui d(^r C^rN^ü^kraft abspielt, ven jeder
Art jener Erkenntnis sieli durchaus unabhängig vtdlzieiien. Vergeblich suclit mau
in dem Kanfscbon Syst-in nach einer Erkläriin£r, wie sich dieser Vorijang
vollzieht, wüdurcli er überhaupt möglich wird. An dio Stelle die.ser überall
vermißten Erklärung tritt lediglich der Formalismus der in den drei Kritiken
etablierten Terminologie. DaB dieselbo nichtsdestoweniger so viel Überzeugendes
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Bavmgftrt: Die Oraodtagea toh Caiila Kritik d«r Icfhetiaclm ITitailAnft
209
und Gewinnendes an sich hat. daß sie, trotzdem daß sie im <lrundo eine Usur-
pation bedeutet, doch zu so vielen unzweifelhaft richtigen iiiui huelist folgerefehen
Resultaten gelangt — aus welchen sie am letzten Ende auch ihre gvoüo Autorität
gezogen h«t — , das liegt dann, daß sie in der Negation neh in vollem Bechte
befindet: in der Ablehnung aller didaktischen und moralisierenden
Tendenzen der Kunst Anf diese befreiende Tat aber kam ee sa der Zei^
als Kant sein Bach sdirieb, Tomebmlioh an. Da das «Ton ihm aoi^nrotlete
Unkrant jedooh bestindig Ton neuem wichst, so behllt die Eantsche „Exitik der
Urteilskraft*' auch ihren Wert für immer, ünd ganz ebenso nach der anderen
Seite: in der Abwehr gegen alle Versuche die Kunst des Schönen in das Gebiet
der bloßen Sinnlichkeit, des nur sinnlich Erregenden, „Beisenden",
hinabznziehcn; denn auch diet^c riUihiis-BaVtorion sterben nicht ab.
Die Kardinaifrage für die Kritik der Kantscheu ,.Kritili der ästhetischen
Urteilskraff resümiert sieh als() in ih r I ntersucbunjEf jener H ypnthoRe: was
liegt der Formel von der ., Refk'xiun" der Euibüduugükraft auf die soj^enantiten
oberen Sceleuvermögen zugrunde? wie ist es möglich, daß die letzteren
entscheidoftd wiiksam werden, ohne da0 doch in dem eigenflich t&tigen Oigaa
ihre lOtifirkung in iigend einw Weise nacbgewieeen odw auch nur angmommeii
wird? was fttr Yorgftnge im „Qemat*' schlieftt jener hypotiietisohe Terminus
der „Reflexion auf die obern SeelenrermBgen** ein? welcherlei Ter»
bindung mit ihnen existiert in der Tätigkeit des „Empfindens" und
des „Geffihls**?
n.
Es plt. ih:m Mangel der Kantsehen Beweisführung bis in seine ersten
(iriuuie naehzuspün n. Es werden also zuerst die in der „Einleitung" der £.d. U.
entwickelten Gedanken zu nntei-siichen f^ein.
Die K. d. U. Süll dua „Verbindungsmittcl sein, da.s die zwei Teile
der Philosophie zu einem Ganzen'* vereinigt, die theoretische als Natur-
philosophie und die praktische als Moralphilosophie. Esiit aber macht
diese Einteilung eist eur Wahrheit, indem er das Moralisch-Praktische Ton
dem Technisch-Praktischen unterscheidei IKeses beruht auf Prinsipien der
j&usalitilt, es operiert mit Naturbegriffen und gehört also der tiieoretisdiea
Philosophie anj jenes aber gründet sich auf Freiheitsbegrifle and „madit
daher gsni allem den sweiten TeO".
„Der "Wille, als Begehrungsvermögen, ist eine von den mancherlei Natur-
arsachen in der Wolt, nämlich diejenige, welche nach Begriffen wirkt, und
u
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210
Bsmogtrt: Die Onindlagen von Kuiti Kritik der tsibotischen ürtetUknft.
alles, was als diircli cineii AVülon möf^lich (oder notweiHlier) vnrtrpstellt wird,
heißt praktisrli-üiiiL'-lirli (oder notwendii;) /um rntLT.-cInede vun drr phyöisclu'ii
Möglichkeit ünler Notwendigkeit einer \Viiknii>;, wozu die» Limichc nicht durch
Begriffe (sondern, wie bei der leblosen Materie, durch Mechauisra, und bei
d«ii Tieren durch Instinkt) na KauBalitSt beatiromt wird. — Hier wiid non in
Ansehung des Praktischen unbestimmt gebssen: ob der Ucgriff, der der Kansn-
Uttt des WiUens die Regel gibt, ein NaturbegrÜf oder ein SreiheitsbegrüE sei."
Aus dem Yordenafai, dafi einzig and allein die Fiuudplen, die aus dem
Freiheitsbegriff fließen, die praktische Philosophie ausmachen, sieht nun
Klint die weitgehendsten Schlüsse. So wenig die Geometrie oder Chemie, die
Haus-, Land-, Staatswirtschaft zur praktischen Phiinsophie gehören, sondern, da
sie nur technische Gesetze oder Re-.'ln dci- (M'M.-)i!('k]iL'lilit„Mt i'iitlmlfen. um eine
Wirkung hrrrorznhrintren, nntfr >' ;i t u rl)i;i,M-i f f e falloii, so wenig kann aiicli
z. B. die Kunst d( s Um^Mii^M's oder di»' Voixchrift der Diätetik zu ihr gezählt
werden: „selbst nichl diu allgeiueiue Liluckseligkoitslehre; sogar nicht einmal
die Bezähmung der Neigungen und Bändigung der Affekten zum Be-
huf der lotateren.** Hier ttberall erkennt Kant einsig das Walten des „Natur-
begriffs, der jederzeit sinnlieh bedingt ist**; ihm stellt er das Friniip des
Übersinnlichen entgegm, „welches den F^eiheitsbegriff allein durch formale
Gesetse kenntlich macbf*, „ohne vorhergehende Besugnahme auf Zwecke
und Absichten.**
In dieser schftilsten Tönung der „Freiheit" von der „Natur" föhrt
K-Aut fort, indem er die sinnliche Anlage des Menschen von Tomherein be-
dingungslos zu der letzteren rcclmet
„Verstand imd Vernunft haben also zwei verschiedene Oesetzgeb uniron auf
einem und domselHen Hoden dcf lüfiilinmi.'. idine daß eine der and<_'reu Eiiitni^'
tun darf. Denn so wenig der N a t u itivLni f f auf die (lesotzgebuni: durch
den Freihcitsbegriff Einfluß hat, ebensowenig stört dieser die Gesetzgebung
der Natur/'
Diese Sätze sind ohne weiteres ttberseugend, sobald man sie auf den
„Uechanism'* der „Natnr'^ einschzlnkt; fraglich aber beginnen sie zu werden,
sobald man, wie Kant das ausdrücklich ankündigt, auch die Welt der Empfindungen
und Gefühle der lebenden Wesen in diesen „Mecbanism'* mit einbegreift, und auch
hier durch jene strenge Scheidung sich mr Leugnung jeder „ AffinitSt'^ jeder IfÜglicb-
keit des gegenseitigen Einflusses, der organischen Verbindung verieiten liftt;
Weifet' beleucKtet Kant die Rclieidung fUr „zwei verschiedenen Gebiete",
die „niemals £ines ausmachen^ da „der Naturbegriff zwar seine Gegenstände
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Banmgiirt: Di« Orondli^n von Yante Kritik dar MÜMtbcheB UiteiUkraft.
211
iu der Anschauur.^', alter nicht als Dhv^f au sich selbst, sondern als bloße Er-
schciuungeu, der iueiliLitsbugnfi dagegen in soiiiom Objekte zwar ein Ding aii
sioli selbst, aber niebt in der Anschauung vorstellig machen kann/' Unzugänglich
der tbeoretischen Erkenntnis bleibe daher für beide du nnbegienste Feld des
Obersinnlichen; „ein Feld, welches wir zwar zum Behuf des theoretischen
sowohl als praktisehen Gebrauchs der Vernunft mit Ideen besetsen mttssen,
denen wir aber . . . keine andre als praktische Realität TerschafCni können.** Ob
nun zwar, so schließt Kant weiter, eine un&bexsehbare Elnft swiachen dem
Gebiete df= Natiubegriffs, ulso dem Sinnlichen, und dem Gebiete des Frei*
heitsbegriffs, als dem Übersinnlichen, hpfostif^t ist, so daß kein Übergang
mfirrlieli isf. so ..sfill" doch der Freilicit.shogriff den durch seine Gesetze
Hufgegebciii'u Zweck in der Sinnenwclt wirklich machen, und die ^Natur"
muß füigiieh auch so gedacht werden können, „daß die Gesetzmäßigkeit
ihrer Form wenigstens zur Möglichkeit der in ihr zu bewirkt nilon Zwecke
nach Freiheitsgesetzen zusanimenstimmo.*- Diese Möglichkeit findet Kaut iu dem
Gebirt der ürtaildaaft gegeben. Aas jenem Torausgcsotztou „soll" folgert er
ein «muß**: j,aho mnfi ea doch einen Gnind der Einheit des Übersinniicheii,
was der Natur zum Grunde liegt, mit dem, was der Freiheitsb^fl praktisch
enükält, geben, davon der B^ff, wenn er gleich weder theoretisch nodi prak«
tisch zu einem Erkenntnisse desselben gelangt, mithin kein «igemtiiniliolies Gebiet
hat, dennoch den Obergang von der Denkungsart nach den Frinsipien der
einen zu der nach Prinzipien der andern möglich macht"
Im logischen Gebrauch macht die „Urteilskraft-' den Übei^gang vom
Vorstand zur Vernunft möglich; joner ist für das Erkenntnisvermögen, diese
ist f ür d!i<5 Bcf^'f'hriingsvormögen gesetzgebend; zwischen diesen beiden „ist das
Gefühl der Lu-^t und Unlust enthalten, für daß also obpufalls „ein l'rinzip
a priori zu vermuten" wäre. ,.'Urteilskrji{t ' überhaupt ist das Vermögen, das
Besondere als enthalten unter dem Allgemebien zu denken. Sic ist „be-
stimmend'*, wenn sie noter ein gegebenes Allgemeines, ein Geseti, eine Bogel,
das Besondere subsumiert; sie ist „reflektierend", wenn sie zu einem ge-
gebenen Besondem das Allgemeine finden soll.
Die letztere, die reflektierende Tätigkeit, kommt fUr die fisthetische
ürteilskrsft allein in Betracht. Sie hat also das für sie postulierte Prinzip
a priori erst zu suchen. Ein solches „transzendentales'* Frinzip kann sie
nicht als ein in Wirklichkeit in den Dingen vorhandenes annehmen, sondem
„sie kann es sich nur selbst als Gesotz geben", indem sie jene geforderte
Einheit zwischen ^'utur (womit Kant dio Sinnlichkeit identifiziert) und
14*
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212
Baumgftrt: Die Oruodlageo von Kants Kritik der ftathetiachen VrtoUtknfL
Froihoit füi ihreu eignen Gebrauch supponiert, als ob ein jene Einheit hervor-
bringender Yentuul, der dodi nidit tbeoretiBch erkannt werden kann, als
wiiUidi existierte. Dieses transsendentale Prinsip der Urteilskraft, das als «in
besonderer Begriff a priori lediglieh in ihr seinen Ursprung bat, ist „die
Zweck mifiigkeit der Natur** in ihrer Uannigfaltigkeii Und es ist die von
der üiieilsknft Busgesprochene „Zweckmäßigkeit in der Porm** dw Katar,
wodurch sie die „Natur so Toxstellt, als ob ein Yeistand den Grund der Ein-
heit des Mannigfaltigen ihrer enipirischen Gesotze enthalte.^'
Dieses „subjektive Prinzip (Jlaxime) der Urtoilskraft" hat zur Folge, daß
wir bei seiner Anwemlnnf^ „prfrnut ffiirentlioh eiiiPf? Br>dürfni3ses entledigt)
werden"; als wenn es „ein glückliciier, iinstre Absicht begünstigender Zufall
wäre, wenn wir eine solche systematische Einheit unter bloß empirischen Ge-
setzen antroffen.'''
Diese zunächst beiläufige Bemerkung erlangt in der Folge bei Kant die
grOfieate Wiehtigkeit Sie bildet geradesu den £rklärungsgrund fttr die Freude
am Schönen. Und zwar den einaigen. Zugleich liefert sie das Hauptaigumeni
fttr den Sats von der allgemeinen und notwendigtm Yeibindlichkeit des Scfaön-
heitsnrteils. „Die Erreichung jeder Absicht ist mit dem Oeftihl der Lust
Terbunden, und ist die Bedingung der ersteren eine Vorstellung a priori wie
hier ein Prinzip für die reflektierende Urteilskraft überhaupt, so ist das Gefühl
der Lust auch durch einen Grund a priori und für jedermann gültig be-
stimmt, und zwar bloß durch die Beziehung des Objekts aufs Erkonntnis-
vnrmnf^oii. ohne daß der Begriff dor Zwcpkmäßipkcit hier im mindostpn anf
das Begehrungsverniögen Rücksicht niinint und sich also von aller praktischen
Zweckmäßigkeit der Natur gänzlich untersciieidet."
Die Entstellung der Lust oder UnUist ist also ein rein subjektiver Vorgang,
der „kein ErkenntnisstUck werden kann''; ein Gegenstand wird dabei nur darum
zweckmäßig genannt, „weil seine Yorstellung unmittelbar mit dem Gefühle der
Lust verbunden ist, und diese Yorstellung selbst ist eine ästhetische Yor-
stellung der Zweckmäßigkeif^
m.
Was in dieser Beweisführung schon hier SU den schwersten Bodenken imd
Zweifeln Anlaß gibt, ist die schroffe Trennung von Natur und Freiheit; aller-
dings ist die Annahme joner „unübcrsolibaron Kluft" zwischen beiden eine der
wcscntlirlistnn Gnindlap'm f]f>r gesamten Kantschcn kriti^cbf-n Philosophie» Es
wird aber nicht geleugnet werden können, daß Kaut dabei eines der wich-
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BaamgaiU Die Omndl^n von Kants Kritik der äütbetisohen Urtailtdmift 213
tigsten Oetchftfte Tersftamt bat: nftmllcb eine gonaa« Definition des
Begriffes „Katur", deesen er sich amraihörlieli bedient, dieser geradezu un-
endlicher Deatungen llhigea TorBtellung, die aneh im Spvaebgebnmofa in den
TecBcbiedensten Modifikationen ersdieint Selbst wenn man darunter die an-
(ngaiiische Welt im GegeeaatBe au der lebendigen rentanden wissen wollte, so
wäre eino soicho Unterscheidung ungenügend und wissenschaftlich unhiütbar.
Aber Kant bogreift ja unter dem Xaturbegriff auch die gesamte belebte Welt,
soweit tintcr den Bpf^-iff drr „Sinnlichkeit'' fällt Wie weit erstreckt sich
(liescr Bereich? l nfi gelioK n (iicjciiif^on Erscheinungen und Yorj^ünge innerhalb
der menschlichen S» de, die nicht ndrr doch nicht direkt durch Sinnoncindrücko
hervorgerufen vscnh n, oder die in nuhr oder miutkr entferntem Grade durch
sie bociüfluJit i>icli erweisen, nicht samt und sonders zur ,.Natur" der mensch-
liehen Seele, das Wort in dem umfassenden Sinne genommen, wonach es die
Summe der in der Schöpfung vorhandenen und wirkraiden KiSfte beseicfanet^
und sind sie als solche nicht Auflemngen von NaturkiSften so gut wie Licht
und Wfirme? Suid es nicht Wirkungen, die wir lediglich als eolche kennen^
grade wie jene, ohne das Geheimnis ihres Ursprungs jemsls Töllig ergründen an
k^msn; und was hindcort, sie als solche dem „Naturbegriffe*' einanordnen?
Daß aber diese Fragen keineswegs auf mflfilge DofinitionsklauheFei hinaualanfeD,
zeis^t si irlcich die nächste Konsequenz. Betrachtet man, trotz ihrer unendlichen
Verschiedenheiten, die sogenannten ohoren Pfnlen vermögen mit don nntpren,
also die Kriiffp dps Verstandes und der Vernnnft mit denen der Siiiriüchkeit,
als die (ilieder einer /usanuni.Mihan^'^enden Reihe, wie sie denn in der
Tat im sinnlich-geistig urgaui.sic! (ea Meusclien eino untrennbare Einheit
bilden, so kann da weiterhin von Leugnung einer „Affnität" unter ihnen, von
einer unübersehbaren Kluft zwischen ihnen keine Bede sein. Vielmehr wird
der entgegengesetzte Gesichtspunkt, die Aufsuohong ihrer notwendigen Yerbindung
und ihrer erfahmngsgemäßen gegenseitigen Beeinflussung die ganze Aufmerksamkeit
auf sich aiehn.
Kant selbst Terführt in seiner Ausdradcswefse — und also doch auch wohl
in seiner Betrachtungsweise die^r Frogen — keineswep konsequent Man erstaunt
einigermaBen, wenn man bei ihm liest (vgl. K. d. U. Einleit J): ,.Der Wille, als
Bogehrungsvermögen ist eine von den mancherlei Naturursachen in der Welt,
nämlich diejenige, welche nach Begriffen wirkt, und alles, was als durch einen
Willen möf^lich oder notwendig' vorgestellt wird, heißt praktisch -indud ich
oder -notwendig, zum Unterschied von der phypi«?ohen IMuf^liehkeit oder
Notwendigkeit" Wenn nun hierbei auch zunächst unbestimmt gelassen ist, „ob
21i
Banmgart: Die Orawlbigieii foii Kants Kritik der HsthetbidieD Ürteibkraft
der Bpgfriff , der dpr Kausalität dos Willens die Kegel gibt, ein Xatui begriff oder
ein ra'Uieitsl>L'giiff sei'', so f?ilt doch der Vordersatz für beide Fälle; also auch
wenn, wie es in BSnleituug III heißt, „für das Befdunngsveimögen, als ein
obwes TennOgen nach dem Preiheitsbegriffe, allein die Vernunft a priori
gesetzgebend ist".
Es ließen sich ans dieser Bezeicbnung des „Willens als einer der
maneberiei Natur ttrsaehen** viel weitergehende Schlüsse ziehen, als sie irgend
in Kante Absicht gel^n haben können.
Es ist eine „naturfreschichtlirhe" d. h. in der Ileiho der unser Sein
und Leben bedingenden und hervorbringeoden Zustände und Völlige belegene —
Erfahrung so gut wit« die von einer jeden andern bewegenden Kraft. daR un-
jsweifelhaft nach Fn ilioitsboirriffon *• — moralischen Idn'en — irehnndelt worden
ist, also gehandelt wcideü kann, aus weicher lotzteniT Aniüihme Kant folgert,
daß danach gehandelt werden soll. Unter den inuerhalb des „Begehrungs-
vermögens" wirksatuen Determinanten ist also erfahrungsgemäß die Bestim-
mung durch Freiheitsbegriffe mit voxliandenf und «war, wie gleiobfiaUs dw Er-
fahrung aeigt, sogar als die am leisten Ende allen andern an potentieller Energie
überlegene; insbseondere Überlegen den spezifisch sinnlichen Determinanten.
Wie wfire das Hineinwirken jener in die Sphäre dieser, ihr Eampf miteinander,
wobei wechselsweise die Kräfte unterliegen und überwinden, nun denkbar, wenn
diese Energien nach ihrem Ursprung und Wesen nicht allein TöUig heterogen,
sondern durch eine unübersehbare Kluft geschieden wälzen, ohno dir Möijliclikeit
einer unter ihnen herstellbaren „Affinität"? Es entdeckt sich an dieser Stelle
eine klaffende Lücke in dem gesamten Kanfcschen Sy.stem. Wie ksuin die
rein übersinnliche Vernunft sinnlich wirksam, wie kann sie juakri'jch
werden? "Wie könnte liit ses „transzondontale" Vermögen jemul» Eingang in
den Boreich der „natürlichen"', sinnlichen Bogehrungen finden, in sie „ein-
gehen*' im eigentlichen Sinne des Wortes zu unendlich differenzierten Mischungs-
yerhiltnissen, als ob es mit Kräften sui geneiia zu tun hätte? Wie künnCen
omgekehrt jene die Wirkungen aus der transsendentalen, übersinnlichen Sphäre
empfangen und in sich aufnehmen? Keine dieser f^en findet bei Kant eine
Antwort; er enbsiebt sich ihnen ein für allemal durch die Annahme, daß in
dem j&unpf der beiden heterogenen Prinaipien — Natur und Freiheit — es
sich überhaupt nur um <lie Vernichtung des Gegners handeln kann.
Daher seine Doktrin von der AiisscblielUing der Neigung als eines mondischon
Faktors; seine Verurteilung sämtlicher Empfindungen, («efühlo, „Affekte", als
bloßer Hindernisse der Entschließung dem j«Veibeit4begriff zu gehorsamen.
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KAnfai Kritik dor lathetiBaliBii Vrlailaknft. 2t6
Daher seine Mtfieohtung selbst der an sich BogentamteD säten, edlen nAffekte**,
irodurch er dann schlechterdings sich zu der Letirc der Stoiker Ton der Apathie
als dem erstrobenswortoston finto pedriingt sehen mußte!
In der „Anthropologischen Didaktik" sagt Kant im § 74: ,,Dii.s Prinzip der
Apathir». (inR nümlich der Weise nifmals im Affokt, selbst nicht in dem des
Mitleids? mit ih'ii ( hclii seines besten Freumles, sein müsse, ist ein ganz richtiger
und erhabesu r minalisi Ihm (ininds-^atz der stoischen Schule, denn der Affekt macht
(mehr oder wenigii) bliiui." — Ihm gilt ,,iler Affekt für sich allein betrachtet
für jederzeit unklug 'S — Merkwürdig und höchst lehrreich, wie in der
B^andluiig solcher Fragen sich der Sprachgelmittch so Übermächtig erireistf selbst
den schat&ten und vorBichtigaten Denkern gegenüber! Das achtsehnte Jahr-
hnndert war gewohnt, da, wo wir beute die Ausdrücke „Empfindnng", „Geftthl**
braachen, von „Leidenschaften*^ zu reden oder dafür das romanische Wort
„Alfekte** m setion. Selbst Leseing spricht von den „Leidenschaften'* der
Flucht und des Hitleids und gorüt damit in vcrhiingtiisrolle Irrungen. Auch
Kant ist es entgangen, daß er dabei einer petitio principii verfiel. Indem ihm
von voniherein unter dem Begriff des „Affektes" sich die Voi"stellung des
zur Heftipkoit frcstoi pnrten ndi-^r doch für sich allein etn*^ einseitige
"Willonsbüstiniriiung beanspruciuMi d <mi (iofühls untei-schob, nnilUii ur freilich
darin immer nur den .schonungslos zu hrkampfonden Feind der „froiua" Willens-
entscheidung erblicken. — Merkwürdig auch und höchst ielirroich, wie er nun
gegenüber der zweifellosen Erfahrung, daß doch gleichwohl im „Gefilhl^ dem
„moniischen Donata" ein Bundosgonosse erwaebsen könne, sich aas dem Dilemma
SU ziehen sucht Im 1 74 der Anthropologie heißt es weiter: „Oleichwohl kann
die Vernunft in Vorstelluog des Uonüiseh-Outen durch Terkniipfung ihrer Ideen
mit AnschanuDgen (Beispielen), die ihnen unteiigelegt werden, eine Belebung
des Willens hervorbringen (in geistlichen oder auch politischen Beden ans Volk,
oder auch einsam an sich selbst), und also nicht als Wirkung, sundern als
Ursache eines Affekts in Ansehung des Guten seelonbolebond sein, wobei
diese Vernunft doch immer noch den Zügel führt, und ein Enthusiasm des
guten Vnrsatzn« bewirkt wird, der aber eigentlich zum Bci:i tiruii^^s\ ciniögen
und nicht mm Affokt, als einem stärkeren sinnlichen (ietühl, gerechnet
werden muß." Noch starker tritt diesi; Ht fangenheit in der Vorstellung des
„Affektes" als eines fehlerhaft, krankliuft (pathologisch) vorwaltenden
Uefülils in dem fulgcudou Satze hervor: „Überhaupt ist es nicht die Stftike eines
gewissen Gefühls, welche den Zustand des Affekts ausmacht, sondern der
Mangel der Überlegung, dieses GefQhl mit der Summe aller Gefühle (der
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216
Bwingftrt: Sie Onmdlagen von Xanti» Kritik d«r irthetiadieo Urteüsknft.
Last oder Unlast) in seinem Zustande zu vergleichen.'^ Und im § 75 geradezu:
nAlfekte sind überhaupt krankhafte Zufälle (Syrapfomo) und können in
sthonische, aus Stärke, und asthenische, aus Schwäche, eingeteilt werden."
Es macht nichts aus-. daH Kant zwi^^chon „Leidenschaft*' und ,,Affekt" noch
einen Unterschied statiuLTt (§7-): ..Die ilurch die Veniunft schwer oder gar
nicht bezwinj:liflie NeifriiiiL: ist Loidciiscliiift. Dapogcn ist das Gefühl einer
Lust oder Lniust im gegüuwaxtigöu Zustande, welches im Subjekt die Über-
legung (die Vemunftvorstellung, ob man sich ihm überlassen oder weigern solle)
nicht auikommen Ittftt, der Affekt** Id diese b«ideii Kategorien iaUt ihm eben
aÜM, was die Sprache „Gefühle'^ oder der moderne Spracbgebran^ psychiaohe
„Empfindungen" (sentiments) nennt Unter dem n^ef tthi der Lust und Unlust"
TeiBteht er nur die sinnliclien Lebensgeftthle oder das den „Oescbmack"
begleitende Wolügefallen. „Oeschmack" aber ist nach ihm „das Tennög«ii der
ästhetischen Urteilskraft, allgemeingültig zu wählen d. h. „ein Urteil über
die Einstimmung oder den Widerstreit der Freiheit im Spiele der Einbildungs-
kraft und der Qesetam&ßigkeit des Verstandes'* und „geht immer nur die
Eons an".
Ganz anders aber ge-taltet sich die gesainte üetraelitunt: dieser Fraisen,
wenn man die gewaltsame Scheidung des Kantschen Kritizisnuis aufiiebt und vou
der Tatsache au.sgobt, daß die menschliche Seele sich uns als eine Totalität
vorstellig macht, als ein© untrennbare Einheit .sinnlich -geistiger „Natur", als ein
OesamtTvnnögea, die sinnliche Welt und die geistige — denn auch von einer
„geistigen Weit" sind wir durch „Erfahrung" berechtigt au sprechen — in sidi
anftunehmen, und zwar keine fttr sich allein, sondern schlechterdings die eine
nur duvoh die Hille der andern, die eine in der andern und durch die andere. —
Das ist der Standpunkt, von dem aus Herder in der „Metakritik" und in
der „Kalligone" seine heftigen Angriffe gegen Kant erhob; allerdings ohne alle
Methode und ohne den Versuch, j» ohne die Absicht sogar, auf dessen
Beweisführung dialektisch einzugchen. —
So förderlich flie Abstraktionen dos Kantschen Kritizismus in negativer
Absicht waren, zur Abwehr gegen die Irrtümer der vorkritischen Metaphysik,
so hinderlich ist ihm di»s starre Festhalten jen^r al»strakten Trennungen bei der
Gewinnung seiner positiven Resultate gewesen; das Problem der aüllietischen
Urteilskraft insbesondere konnte auf dieser Basis nur eine äußerst künstliche
Losung erfahren, eine Lfisung, die, statt das Wesen des Hauptvorganges su
«tUSren, nur gewisse, allerdings notwendig dabei stattfindende Neben»
vorginge in Betrachtung sieht
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Baumgart: Oio Grundlagon von Kant» Kritik der ».süieliscbon Urtoilsknift 217
Oewifi smd die darch die sllintlioliea Empfindimgen herroigerafeDeii OefOhle
lunftchst, d. h. im Beginn dw pajcliischai Entviddang, Ternanftios, wie sie
verstendloB sind. Wie kannte es andi anders sein, da das a priori vorhandene
Vorstandes- wie YemanftrenDÖgca sich doch erst an ihnon, an dem durch
ihre YennitUang ihm zngeftthrten ErfalirunL^^niatorial entwickeln kann! An den
sinnlichen WahrnphTnimfrfn ühf sicli dvr Verstand, pr ordnet sie; ahor Jeder
Schritt seines Wachstums küinnit sofort (ioni WahriiehmuiigsvernniL;* !! zugute,
jeder Vti-stamherwerh jrchf nnmittelhar in die Rinnentiitigkeit ein, und
zwar mit dem Erfuly. daß dio Siuue, diircli di u Vetstaud tatsächlich be.stiinmt,
ihr Geschäft fortab in solcher Woisu vcrrichtuu, daß es dabei einer bewußten
TersUndesoperation nicht femer bedarf. Ein Bewei« dalttr exsdieint Aber-
flGssig. Ein „geübtes" Auge, ein „gebildetes" Ohr Termag snletzt in einem
Moment ohne alle Reflexion die ^denkbar*' kompUxiertesten Anigabon spielend
SU IBsen und ihre Besultate snm unmittelbaren Gef fthl zu bringen; wie wenn
ein durchgebildeter Musiker eine sehwiarige Partitur mit einem Blicke ttbersieht^
sie mit dem inneren Ohre hört und in tiefstw Seele davon ergriffen wird. Dicht
anders steht das Vemnnftvemiögen zu den Oeföhlen. Allererst an ilmrn und
durch sie kommt es zu seinen Kräften. Wie anders sollte jemals die Erhebung
der Seele von Verstando«begriffon zu Vernunftideeii möglich und denkbar sein, als
daß das der Seele eigene, nhcr zunächst noch gejrf'nstandlnse Vonuinft-
vennögen an den aus der siniilirlnn Wahrnehmung mit dur HiLfe des Verstandes
entwicki'ltcii («efühleu die Aktionskräfte fand, in d«'nen es ««'ine noch nicht
abstrakt bowiilite Kiicrgie entfaltete, in die es einging, unx sie mit seinen
reger und reger sich entwickelnden Äußerungen zu diuchdringcu und nun aller-
erst durch sie und in ihnen unmittelbar su den gewaltigsten Wirkungen au
gelangen, hinge bevor es noch ni der Erkenntnis seiner selbst vorsehreiten
konnte! Statt «wischen der flbersinnlichon Freiheitsideo und dem aus der
Sinnenwelt genährten Oolüblsveiml^n eine unfibeisehbare Kluft zu setsen,
kann man vielmehr ihre Yerbindung nicht innig genug, ihre unaufhOilidi
gesteigerte Wechselwirkung nicht lebendig, nicht fruchtbar genug sich vorstellen,
80 daß in allen ihren höchsten und letzten Entwicklungsphusen keins ohne das
andere zu denken wäre, ja daß sie endlich in ihrer Vollendung völlig eins
werden müßten! bedarf, tim ein Beispif I für all'' and'>ren atizuführen, nur
des Hinweises auf dio Kiit-stelmn^'- nnd dii' Kiitwirkliwig des Oottesbewußt.seins
in der mtnischlicht'n Seele. Nicht im VLr.-Uiutie und auch nicht in der Vernunft
hat es seinen Ursprung, sondern in dem durch jene befruchteten (Jefühle. Hier
hat es seineu er&teu Wuhu:iitz und hier behält es seine Stätte. Aber eine jede
218 BavDgsrt: Di» Qrnudlaj^on von Kants Kritik der Mli«tnchen ürteihknti
Beriohtigmig der TerettndeBbegriSe, jeder Flortsohritt der Temunfterkeimtiiis, der
die Gottesvorstolliing klärt und vertieft, reiiiifrt und adelt zuf;:loicli das Gottos-
gefühl; oder vielmehr dtn Welt von Gefühlen, dio darin vereinig sind, die alle
Regungen des Gemütslebens umfaßt und in alle ihre ,. praktischen" Äußerungen
zurücksti'ahlt. Ihre höchste Attßnnini,' ist die Liebe, die ihrerseits doch wicdor
die zum liuciisten entw icki lt c Neigung darstellt. Wie ließe sich da liic
Kantsche (trtindthese aufreciaei halten, daH .. Neigung" und „Gefühl" immer
ihren sinnlichen Charakter beibehalten und ewig der Freiheitsidee feindlich
cntgogcnstehon, um im Kampfe vuu ihr unterdrückt za werden! Wenn Kant
in der Kritik der praUMohen Tenranft augunsten der «Liebe" in dieeem höchaten
Sinne eine Anniabme von dieaer Gmndthesie snzulaseen eeheint, so ist ihm dort
die liebe doch nur die Steigerang der Achtung tot dem moniliecben Oeeets
nr Neigung, die Uber die menschliche Kraft hinaufgehe. Aber dieses Zn-
gesttndnis steht auch in soldier Form gans aufier Zusammenhang mit Kants
gesamtem System.
Freilich behält Kant in einem Punkte rechte aber es erweist sich der
näheren Untersuchung, daß dieser Punkt wieder gerade den Mittelpunkt des
negativen WirkunErsVx^reichos spinos Kritizismus dfir?tellt Wn es bei einer ein-
zelnen Handlunt: daraiif aiikununt mit kiaroni Bewußtsein scharf zu sondern und
zu untei'sctieideii, weichen Anteil ati di ni Willonsaiitriohe die Neigung und da-s
CJefüld für sich fordern, und wtlcher Autcil der l'fUcht uml Uom Gewissen ge-
bührt, da wird die von ihm aufgerichtete Trennung zu ihrem vollen, unschäts-
haren Beohtc gelangen. Denn «a haftet der Neigung und dem GefQhl ihr sinn»
lieber Ursprung mit dem Sobweigewieht der ihnen eigenen Selbstsucht, nach
menschlicher Schwachheit, nnserst^rbar an. Und doch! bleibt nicht auch, nach
menschltoher Unaullnglichkeit, auch dem höchst entwickelten Vemunftoritennen
nnd selbst den auf das strengste formulioten Pflicht- und Gewissensmasimen
die (jefahr veriiingnisvollen Irrturas eigen? Und von wo anders käme in den
schwersten und entschcidenil>fi'n Krisen dio Abhilfe gegen die Fehlurteile des
VomunftvormÖgens als aus dem Gefühl, das aus der Fülle der Erfahrungen
sich zu dem rr(|uell der Iflcr-n aufzuschwingen vcmia^', iim mit unwidersteh-
licher Autorität die PflichterJienutnis zu kliirea iiml di*^ (iowisspn zu befreien?
Propheten und lief oniiatoren, ehe sie dazu gelangLii kinHUcn. die neue Er-
kenntnis sich selbst und undeni zum klaren Hewußt.sein zu bringi'U, liat eine
iimero, unbeirrbare Stijumc des tiefsten Fuhlens, die sich gegen den Vemanft-
und Verstandesirrtnm in ihnen erhob, das Ziel verkündet und die Wege ge-
wiesen.
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Baumgart: Die Orundlo^fn von Kniibi Kntik «l(<r ottUiotisclien Urteilskraft.
219
So wäre denn der Wille in der Tat eine Naturkr«ft, aber in einem un-
endlich weiteren Sinne ata Kant es mit dem AusdnK^e bezeichnen wollte. Eine
Kraft} die ihre breiten Wurzeln in dem geaamten, ungeteilten Teimagm der
menechiieheo Sede hat, mit dem gleichen Beobte in dem Yoi-standcs- imd Yer^
nunftvermögcn und in dem Vermögen der Neigungen nnd Gefühle! So zwar,
daß sie mit gluicli reger, dem Höchsten und Ileinsten zustrebender Energie un-
aufhörlich zusammenwirken, um unaufhörlich ancitiandpr die gegenseitige Kontrnllp
auszuüben. Der ideale „Charaktt i • rles Monschen vortrügt keine Ausscbaitung
öder auch nur Zurücksetzung eines dieser Faktoren.
Um von dieser .illfjpineineren Krörtf^rung zu dem engeren Gebiete der
„ttsthetischou Urtuilski af l" zurückzukehren, so ist für die Prüfung dui^elben
der Safs der PerfektibilitKt der Gefttble durch den Yerstand and
die Vernunft gewonnen. Dem „Geftlhl'* ist damit die Fähigkeit und das
Beoht gesidiert, durch seme Entsdieidong nach der Seite der Lust oder Un-
lust, durch das unmittelbar darin eich iufiemde Wohlgefallen oder ICifif allen
selbständige, autoritative Urteile mit einer t<»i aeiten der sogenannten
oberen SeelenTenndgen in dasselbe eingegangenen a priori gültigen allge-
meinen "Verbindlichkeit auszusprrchcn.
Damit aber i.st dem Gefühl für das gesamte Gebiet der isthetisohen
Urteilskraft eine gänzlich veränderte Steilui^ vindisiert
IV.
Die in der „Eiuleituag" der Kr. d, U, von Kant gegebene allgemeine
Dofinitioo von der „ Uileilskraft, aln einem a priori gesetzgebenden VermSgen**
enthält trotz ihrer positiven Fassung doch im Grunde eme nur negative
Bestimmung derselben. Sie richtet sich im wesentlichen gegen die in der
vorktitischen MetaphTsik beigebrachte falsche Anwendung der teleologischen
Weltbetrachtung. Die von der reflektierenden Urteüskiaft angenommene Zweck-
mäßigkeit der Natur darf nicht als eine wirklich in ihr vorhandene ihr
beigelegt werden, aondetn die Xator wird durch den Zweckmäßigkeitsbegriff von
der Urteilskraft nur so vorgestellt, als ob ein Vorstand den Grund der Einheit
des Mannigfaltigen enthalte. In Wirklichkeit gibt ,. dieses Vermögen sich dadurch
nur selbst und niclit der Natur ein Gesetz'' „Die ZwrckraäRi-rkeit tier Nahir
ist also ein hrsondcrer Begriff a priori, der lediglich in der reflektierenden
Uitoilskraft seinen Ursprung hat."
Der für das gesamte System der „ästhetischen Urteilskraft ' giund-
legeude Schluß, den Kant aus jenem Vordei-satze zieht, vdrd in folgender Weise
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220
Uaamgart: Dia Grimillu^a von Kants Kritik d«r Mütlitttiüchen Utieilsknift.
gewoimeiL Jener Zwedcmfißigkeitsbegriff der Natur ist lediglidi ein aubjektiree
Prinzip (Maxime) der Urteiblcraft, wodurch dem Objekte gar nichts beigelegt wird.
IVeffen wir nun nntei bloß empirischen Gesetaen eine jener subjektiven
YoretoUung entspiechende systematische Einheit an, so fühlen wir, «gleich als
ob das ein glücklicher, unsere Absicht bcf^iinstifjender Zufall wäre", uns „eines
Bedürfnisses entledif^t" und „werden erfreut''. Es findet also eine Verbindung
von Lust mit der Ausübung des Yenni)gcns der reflektierenden Urteilskraft
statt, wobei ühri^ras w(>der der Natur ein Gesetz vorgeschrieben, noch durch
Bei'liachtutig von ihr ein solches kennen gelernt wird. Für diesps Lustf,'efühl
wird tius. den rriimissen die weitere für dius Sx^t- in der nstlu tiselipn Urteilskraft
gnindlegende üestimmunfr seiner Allgenieinpüitif,'keit und EinzigiUUgkeic gefolgert
„Die EiToichung jeder Absicht ist mit dem Gefühle der Lü&i verbunden, und
ist die Bedingung der eistexn eine Yoistellung a priori wie hier ein Frinaip fttr
die reflektierende Urteilskraft überbaupt, so ist das Gefühl der Lust auch
dnrch einen Grnnd a priori und fflr jedermann gültig bestimmt, und
awar Uo6 durch die Beaiehung des Objekts aufs ErkenntnisTermögen,
ohne daß der Begriff der Zweeboißigkeit hier im mindestoi auf das Begeh»
rungs vermögen Rücksicht nimmt und sich also von aller praktischen
Zweckmäßigkeit der Xatur gUnrJich untei^cheidet/' Kant erklärt also das die
Tätigkeit der Urteilskraft begleitende Lustgefühl aus der Zusainmenstimnmn^^ der
empirisch bpnhncbtcff>n nosctzrnäniirkeit der Krscheinimg, die an sich uns als
eine ziifiilli-*' L^^'hvn riiuli, mit der »priori und subjektiv von der ürtoilskraft
vorausgesi tztiMi Zweckmiinigkoit dor Natur übi iliaupt
Während aber eine solche ZusiimtiR-iisuniiiuiag für die Urteilskraft zum
Ausgangspunkte für eine Erweiterung der Erkenntnis wird, so ist das mit ihr
verbundene Gefühl der Lust oder Unlust, wie es vom Hegohrungsvermögon
völlig abgetrennt ist, so auch durchaas unvermögend „ein Erkenntnisstüek so
werden". Der Gegenstand der Beurteilung wird „nur darum zweckmäßig genannt,
weil seine Yoxstellang unmittelbar mit dem Gefühle der Lust verbunden ist, und
diese Vorstellung selbst ist eine ästhetische Vorstell nng der ZweckmHßi^eii'^
Kant selbst stellt dasu sogleich die Frage: .,ob es überhaupt eine
solche Vorstellung der Zweckmäßigkeit gebe?" Mit der Beantwortung
dieser Frage jodocit sf<-Itt sich auch sogleich die Unklarheit, ja der "Widerspruch
ein, welche die pMimt' Tlic rio der ästhetischen Urteilskraft"' durchzieheuj und
diese Beantwortun.: InMi t ilm Sciijiißstein ihrer Kon^tiniktion.
Mit der „bInCi n Auflassung (approhetisio) der Form eines Oegen-
staudci» der Aoischauung" ist die Lust vcrbujidou ohne die Beziehung dieser
Baantf art: Die OnuiiUagw von Kante Kritik dw l8tb«liB^eB Drteiteknift.
221
bloß«u Wahraehmuag auf einen Begriff y-u uiiitiu bcütiiumtea Eikeuütnis.
Gleichwohl sollen bei dfbsem Akt der blofi auschauendcn Auffassung Beziehungen
„so den ErkenntniBTermügen, die in der reflektierenden XMeüskraft im
Spiele Bittd**, wirksam sein. „Denn jene AuffMSvng der Pormen in die
Binbildtingakraft kann niemals gesehelien, ohne daß die reflektierende ürteils-
kraflf auch unabsioliflioh, sie wenigstens mit ihrem Yermögeni Ansdiaunngen
anf Begriffe sa besiehea, Terf liehe."
Hierin liegt eine durch keine dialektische Kunst zu beseitigende fnnda*
mentale Unklarheit. Einerseits soll es sich um die bloße Auffassung einer
Rugesebaiitcn Form handeln; diese soll aber andrerseits dennoch nicht ohne die,
wtMing^lricli iinah>ichflichc, Boiliüfe der reflexiven Urteilskraft geschehen
können, und zwar io. (ial! «iiese jene „Auffassung" mit dem ihr selbst eigenen
Vermii^'en. Anschauunj^'^en auf Begriffe zu beziehen, vergliche, d. h, also
mit dem Vermögen diu Euizelersciitnnuiig einem allgemeinen Hegriffe einzu*titluea.
Der eigentliche die Lnst erzeugende Akt wird also aus der bloßen Ajaschauuug
in die reflexive Urteilskraft lurttckTerlegt und zwar in eine Tdllig unfaßbare
Tati^eit, die dabei fOr sie supixHiiert wird; dann nicht etwa mit «ner ihr
unbewußt Torsdiwebenden Begriffavoratellung soll durch die reflexiTe ürteils-
kraft die Einaelerscheinung verglichen werden, sondern mit dem absttakten
ihr elenden Vermögen, aelohe Opnationen vorzunehmen. Wie sdlten swei
völlig hcteid^'ene Dinge miteinander verglichen werden könnnn: eine konkret
erscheinende Form mit dem SeeltMi vermögen, sie logisch zu behandeln? Der
Verdeieli k-innte doch nur sUtttfinden zwischen der Fomi der Erscheinung und
der \<ni der reflexiven Urteilskraft geforderten Form der negriffsvoi-sfellung,
unter die sie von ihr einbezogen wird, geschehe das bewußt oder un!)e«ulU!
Ein solcher Begriff müßte «Iso immer „im Spiele sein", jedenfalls zuvor
vorhanden, um aucli nur ,.iu unabsichtliche Emt>tümuung''' mit dor „in die
Einbildung aufgenommenen Anschauung'* gesetzt werden zu können. Nun heißt
es aber bd Kant — und damit wird von der vorausgegangenen Unklarheit zum
Widerspruch vorgeschritten — : „ein solches Urteit ist ein Ssthetisches Urtdl
über die ZweckmftBigkeit des Objekts, welches sich auf keinen vorhandenen
Begriff vom Gegenstände gründet und keinen von ihm verschafft** Das
sweite ist unzweifelhaft richtig, denn freilich kann die bloße Anschauung niemals
Begriffe verschaffen; das erste aber ist unzweifelhaft falsch, denn
angeschaute Formiu können nicht .,auf Begriffe bezogen" werden, die nicht
vorhan<len sind; und das bloße „Vermögen, Anschauungen auf Be^rriff zu
beziehen^' bleibt leer, solange es nicht an vorbandouon Aoschauungeu geübt
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222
BMVgart: Die OmiwUnesn von Km(» Kritik der äsUietificben Urteiiskratt.
ist und allgemeine Bcgriffo von ihnen und also auch vun dor ihnen zukonuncudcu
Ebim hervorgobrftcht hAt Das Chankteriatische für die Rolle jener üaklurhoit
und des daraus hervoi^heiiden Widei^rucliB in Kants System betitoht nun aber
darin, daß in seiner Darstellung fortan bestttudig jene «weite richtige Folgerung
mit der ersten falschen im Ansdrock miteioander abwechselnd gesetzt werden,
als ob sie identisch wären. So gleich im folgenden. „Ein Gegenstand, dessen
Form in der bloBen Eeflexi<m Über dieselbe (ohne Absicht Mif eiimi ron ihm
zu erwerbenden Begriff) als der Grund einer Lust an der Vorstellung eines
solchen Objekts beurteilt wird, mit dessen Yorstellung wird diese Lust auch als
notwendig:: verbunden geurtoilt . . . für jorlon rrti ilenden überhaupf. T)rr Gegen-
stanr! hcilU alsdann sobön und das \ d mriu^i n (hnch eine solcho Lust, folglich
aucli allgemeingülti? 7.n urteilen, dec < -ivsrhuiack."
Dieser unzweifelhaft riebtige Sat2 enthält die höchst wesentliche negative
Bestimmung, daß in dem GcschmacLiurteil die Absicht von dem Gegenstände
desselb^ „einen Begriff zu erwerben** auagesokkissan ist; er sdiließt das
didaktische Element ans dem Bereich des Schonen aus. Qleieh der folgende
Sats jedoch, der den andern begrOnden soll, und auf dem die eigentliche Theorie
der ästhetischen Urteilskraft beruht, setzt als Tdllig gleichbedeutend jene andere
Foimel ein. „Denn da der Omnd der Lust bloQ in der Form des Gegenstandes
fttr die Reflexion überhaupt, mithin in keiner Eknpfindung des Gegenstandes
und auch ohne Bezieliung auf einen Begriff, der irgend ein»^ Absicht
enthielte, gesetzt wird, so ist allein die Gesetzmäßigkeit im empirischen
Gebrauche der Urtrüskraft Uberhaupt (Einheit der Einbildungskraft n.it dem
Ven^tatido) in dem Subjekte, mit der die Vorstellung des Objekts in der
Kefle.xioa . . . zusammenstimmt" Bfr an sich höchst unbestimmte Ausdnick
„Reflexion überhaupt", womit v.ino die ,.bloße Auffassung (apprchensio)''
begleitende Tätigkeit bozciolinet sein soll, wird durch die beiden Negationen
„ohne Empfindung dos Gegenstandes*' und „ohne Besiehung auf einen
Begriff* erläutert; beide werden dann positiv susammengefsßt in der Formel
„Einheit der Einbildungskraft mit dem Yerstande'* und weiterhin in dem
Ausdruck „Yorstellung einer Zweckmäßigkeit (des angeschauten Gegenstandes)
in Ansehung der ErkonntnisrerrnGgen des Subjekts.'' Diese bald negatiT
bald positiv gefaßten Formeln bilden in der Folge mit unwesentiiohoi Tattierungen
tien eigentlichen Bestand der Tlieorie der ii.stho»iselien Urtoilsknift In dem
Verfahren liegt eine unbewußte Usurpation. Unklar bleibt, wie in dem Akt der
,.bloßen Auffa«s(in^ eines Gegenstandes der Anscinin'niir eine „Kefloxion"
ointroten kann; unklar, was unter „Uofloxion überhaupt" zu verstohen sei,
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B*iiing>rt; Dfe Owadhigan top Kimb Krittt dw tofljwttiolwp ürtoiblrolW 22S
zumal wenn dabei die Rücksicht auf „das Materielle der Vorstellung" aus-
geschiosseu sein soll; widersprechend, weun die^ier iioflüxioji der Auüguugs-
punkt und das Ziel und damit der Inhalt genommen worden, die schloohter-
dings nur in einer too der Urteildonft snyor erworbenen und fttr de, wenn
aneh unbewußt, maBgebenden BegrifbrocsteUung gelegen sein kSnnea, und
wenn statt dieser pruudpieU geleugneten Beriehung anf einen Begriff, die
Reflexion auf das Yermdgen der UTteilsfarafl gesetst wird, soldie Operatiooen
▼onusehmen.
Die ganze Energie der ünter>;nt lumg mußte sieh statt desssn auf die
Aufklirung der Fragen riebton: was bedeutet der Voigang „der Aufhasung der
Formen in die Einbilduiif^skraft"? wie golanirt in den an sieb passiven Vorgang
dcf; Empfanden«! eines Sinneneindrucks die aktive Betätigung einer Urtoilsfolluug?
und wenn in (iieser N'erknüpfunj^ lieider Vorgänge innerhalb der blußea Auffassung
angeschauter ii'urmcn sich tatiuchüch eine Einstimmung der EinLildiingskraft mit
dem Verstände bekundet, wenn dabei ein unmittelbares Urteil hervoi^pringt,
dm allgemeine und notwendige Geltung beansprucht, ohne daß dabei Begriffe
erwerben werden und ebne daß dabei auf Begriffe Bezug genommen wird,
wJUirend es dooli inbaltlieb mit ihnen zusammenstimmt, wie wird diese als ein
gana neues und selbstfindig auftretendes Phänomen sidi einsteOende
„Urteilskraft" tob dem blo8«D AuffiMsungsvennSgen erworben?
Kant begnilgt siob damit, das Auftreten jenes PhBnomens einfadi als
«vorhanden zu konstatieren; und da er ihm jeden Zusammenhang mit „dem
Materiellen der Torstellung als Empfindung" nimmt, da er jede Bezioluing
auf Begriffe in irgend welcher Art möglichen Zusammenhanges dabei leugnet,
so bleibt ihm freilich niehts übrig als die nnbcwieseno und also gewissermaßen
mystische Annahme eines unbegreiflichen HewuRtseins innerhidb der bloßen
Auffjissung von „der zufälligen ZnsaiiiinenstiniiniHi^' des (iegeustaudes mit dem
Erkenntnisvermögen des Subjekts", die er die ,,Vors.lellung einer Zweckmäßigkeit"
benennt Die Vorstellung einer Zweckmäßigkeit ohne die materielle oder
fömale Vorstellung eine« Zwedkes! Es ist bezeichnend auch fOr die Enge und
fOr die ünfrachtlMurkeit dieser Eonstruktion, daß sie einmal jedes Ss^etiadie
Urteil und jede Lust daran auf die bloße ZweokmäQigkeitBrorstsllung einscbxinkt
und daß sie, indem sie das Ifsthetiscbe Urteil als eine rein formale in den
menscbliehen 8eelonverm8gen nach ihrer Natur a priori gegebene Funktion
definiert, mit der Mannigfaltigkeit seiner BeUitigung auch alle Vorstellungen von
seiner empirischen Entstehung, seiner Entwicklung, seiner Kultur von vornherein
eliminiert Zum mindesten würde nach der JLantschen Theorie die Entwicklung
224
Banmgart: Di« Onrndlagen von Kants Ktitft der lathetiflchen UiteiMmft
lediglich auf dio reflrkti*'r« n(]t> Urteilskntft au sich eingeschränkt sein; dagegen
wäre nicht eijizui.ehcn, w 'iu darin der BcgriH von einer fJntwicklung im Oebrauch
der Sinne selbst einen Platz fände, von einer zum Hücbstcn gesteigerton Kultur
im nntnittelbBmi W«biiiehmen und Smpfinden, dem die miendliche Yielheit der
Erscheinungen und ihrer Ueineten Wandlungen snr beredtaeten Sprache für die
uneracbttpfliche Fülle aller stSrksten und feinsten Seelenbewegungen wird. Dem
gegenObw hfiren wir bei Kant immer wieder nur yon „der Bwe(&mäßigen
Übereinstimmung eines Oegenatandea (er sei Produkt der Natur oder der Kunst)
mit dem Verhältnis der Erkenntnisvermögen unter sich*'. Und vollends die
fisthetUohe „Lust"'! Sie ist nach Kant .,doch der Bt^stimmungsgrund dieses
Urteils nur dadurch, daB man sieb bewußt ist, sie beruhe bloß auf der
Reflexion und den allgemeinen, obwohl nur stihjfkfiven Hedinguiifron der Übor-
einstitiiniiiiig derselben zum Erkenntnis der Objekte überhaupt, für welche die
Form des Objekts zweckmüßig ist"
Es konnte nicht anders sein, als dali Kaut aus dieser Enge und Unfrucht-
barkeit seiner ästhetischen Theorie hcrausstreben mußte, und es ist bezeichnend
für ihn und bSngt mit dem höchsten Verdienst seiner kritischen Philosophie
suMunmen, daS er den Weg dasu in dem Begriff der Vernnnf tfreiheit suchte.
TTnd hier stellt sich denn auch, freilich nur beiläufig und ohne Eonsequeiu fOr
seine isthetisehe Theorie an sich, bei ihm die Voxstellung ron einer Perfek-
tibilität des ästhetischen Subjekts ein. Am SehluB des Eap. vn der Einleitung
beißt es: „Die Bmpfiinglichkcit einer Lust aus der Bellexion über die Form der
Sachen (der Natur sowohl als der Kunst) bezeichnet aber nicht allein eine
Zweckmäßigkeit der Objekte im Verhältnis auf die reflektierende Urteilskraft,
gemäß dem Xaturbepriff am Sulijrkt, Sinii iI-Tn auch umgekehrt dos Subjekts
in Ansehung der Gegenstände ihrer Form, ju selbst ihrer Unfnrni nach, zufolge
des Freihoitsbegriffs. und dadurch geschieht es, daß das iistlicti.sche Urteil
nicht bloü als Oeschmaeksnrteil auf das Schöne, sondern auch als aus
einem Geistesgefühl entsprimgcnes aufs Erhabene bezogen und so jene
&itik der K. ü. in swei diesea gemäße Hauptteile leifallen muß.**
Sie Konstruktion, wodurch die Urteilskraft süt dem FreiheitsbegrifC in
Bexiehung gesetzt wird, ist die folgende: f,I)ie Wirkung nadi dem FreiheitB-
begriff (Tgl. IX) ist der Endzweck, der (oder dessen Erscheinimg in der Smnen-
welt) existieren soU, wem die Bedingung der Möglichkeit desselben in der
Natur (des Subjekts als Sinnenwesens, nämlich als Mensch) vorausgesetzt wird.
Das, was diese a priori und ohne Hiirk>it ht aufs Praktische vorausRctzt, die
Urteilskraft, gibt den vermittelnden Begriff zwischen den Natuibegriffeu und
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Bftttmgart: Die OnuuUagen von Kants Kritik der ästfaetiachan Urteilskntft. 225
dem Itoiheitobegrilf» . . . U dem Begiriffe einer Zweckmftfiigkeit der Natur
an die Hand.'* Al«o daduroh, dafi die logische XJrteüdiaft eine Natoizweckmäßig-
keit begrifClieh Tomnssetaet, daB die iethetisdie Urieflakraft aioh ohne fiegriif mit
ihr m Überoinstünmung findet, wird die Möglichkeit des moraliadken End-
aweeks, der allein wirklich werden kann und soUf erkannt
Aach hier tritt wieder, wie bei Kant Überhaupt, die Oeringadiitnuig
hervor, die er gegcDüber den Empfindungen der Lust und Unlust, dos TVohl-
gefiiülens, der Neigung, ja gegenüber den Empfindungen und QefUblen insgesamt
und an sicli, bogt; sio h«Hen für ilin einen Wort ntir. insofern sie in der
Sinnenwclt ohne Eo^rriffc doch t'iiH' spontane t^bereiustimmung zu den
Prinzipien des auf die Zweckmäßigkeit fTf^richteten Rrkenntnisvermögena
bekuiulen. Einen Eigewert erlangen sie ganz Hllem auf dem „praktischen"
Gebiet, d. h. insofern sie die Erkenntnis des „Endzwecks" befördern und
damiti freilidi nur indirekt, in dem Bhndcla nach Fraiheit^begriffen in
Beaiebong treten. Auadrttcklidi sebiießt er das Geftthl und die Neigung für
daa Sch&ne, die istiietisehe Luat cder Unlust, von jeder npFaktiaehen*^ Beatimmnng,
von jeder mögliehen Einwirkung also auf das mondische Handeln ans; eine
indirekte Forderung des nmeralischen Gefühls'^ erkmint er ihnen gana allein nur
deshalb zu, weil sie durch die spontane „Reflexion'* auf das ErkenntDiBTennDgen
eine Verbindung des Naturbepiffs mit dem Freiheitsbegriffe Jaeistellen.
In den folgenden Satten faßt er am Schlüsse der Einleitung zur ästhetischen
Urteilskraft seine Resultate zusammen: „In Anscliaunnp: der Seelen vormögen über-
haupt, so fornc sio ;tls ohore', d. i. als solchr . die citje Autonomie enthalten,
betrachtet wtidrn, i.-t für das Erkt.' n n t n i s v crni«) n (das theoretische der
Natui) der \'ei-sLaiid dttöjenige, welches liie konstitutiven Prinzipien a priori
enthält; für das Gefühl der Lust und Unlust ist es die Urteilskraft,
unabhängig von Begriffen und Empfindungen, die sich auf Bestimmung
des BegebruugsveimjSgens bemehen und dadurch anmittelbar prsktiBoh sein
könnten; für das Begehr ungsrermdgen die Vernunft, weldie ohne Ycr-
mittlung irgend einer Lust, woher sie auch komme, proktisoh ist nnd
demaelben, als obwes Yermögen, den Endsweck bestinimt, der sugleich das
reino intelloktuello 'Wohlgefallen am Objekte mit sich führt. — Der
Begriff der Urteilskraft von einer Zweckmäßigkeit der Xatur ist noch au den
Naturbegriffen gehörig, aber nur als regulatives Prinzip des Erkenntnisvermögens;
obzwar das ästhetische Urteil über gewisse Gegenstände (der Natur oder der
Kunst), Avelches ihn veranlaßt, in Anziehung des Gefühls der Lust oder Unlust
ein konstitutives Prinzip ist. Die Spontaneität im Spiele der Erkenntnisvermögen,
15
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Banmf ftrt: Di» Onndfaigm von Kinta Kritik der Satfaednohen Uiteikknft
deren Zubammeastimmuug den Gnmd dieser Lust enthält, macht den gedachten
Bogriif zur Yermittlung der Terknttpfung der OeHete des Nftturbegriffa
mit dem Freiheitsbegriffe tauglich, indem diese sug^eiob die Empf&nglich-
keit des Gemats fttrs moraliBcbe Gefflhl befördert**
Es erscheint kaum sweifelhaft, daB Esnts Aufbssmig der „Lust** duroh-
aus Ton der PlatonisoheiL Definitioii beeinfliiBt ist, wonach sie auf der Aue-
ffllinng eines Bedfirfnisses berobt; beißt es dooh aosdrOdtlicb bei ihm,
daB wir ans durch das Oewahrwerden systrinafi>chor Einheit \uiter bloß empi-
rischen Gesetzen ..erfreut", „eigentlich eines Bedürfnisses entledigt"
fühlen. Es bedarf niciit des Kingehens auf die üherzeugenrle WidorlptrnnEr dieser
Platonischen Theorie durch Aristoteles, wie dieser sie in der Nikomachischcn
Ethik durchjüfcführt hat, um ihre Schwäche darzutun, daß sie niiinlirli von der
Beti-achtuiif; der bloß sinnlichen Lust absUubicrt ist und nur füi diese ihit;
Geltung hat. Tür das, was Kant „die geistigen Gefühle", das „intellektuelle
Wohlgefallen" nennt, würde er sie selbst nicht haben gelten lassen. No4^ viei
weniger fQr die „moTalisehen Gefühle**, schon deswegen nicht, weil ihre Dauer
von der Ausfüllung des fiedfli&isses gans unabblngig ist Wie trefflich aber
paBt auf sie, wie auf jede denkbare Art der Lust oder Preude, Jene andre Defi-
nition der Freude, wonaeh sie die fiegieiterscheinung jeder vollendeten
Tätigkeit ist Eine jede Energie bringt die Freude herror, je mehr sie si^
ihrem Ziele nihert, und swar in um so hOher^ Grade, je höher ihr Ziel ge-
artet ist und je mehr sie selbst geartet ist, es zu erreichen. Es gäbe demnach
so viole Arten von Freuden, als Arten von Tätigkeiten und Ziele für sie existieren,
Spion es sinnliche, geistige oder sittliche. Ks ist hifr der Ort nicht, diese Thoorio
zu eru eisen, rh> an Schärfe und Fruchtbarkeit ein unvergieichliclies Musujr dar-
bietet; sie spricht zudem für sich selber, und es bieten sich dem ersten Blick
wie der sorgfältigsten BetiaclHimg bestaügendo Beispiele iliiei Auwendung ohne
Zahl dar. Gersde der ffantsdben kritischen Philosophie mit ihrer strengen Teilung
der menschlichen SeelenvermSgen wire sie geeignet gewesen, in der vortreff-
lichsten Weise au dienen: man denke an die „Lust'* des reinen Erkennens, an
die „Freude** einer jed«i BetKtigung der peaktischea Yemunft, und vor allem
an jene altgemeinste, nrsprttn^Uchste und stärkste ~ da sie im Gegensats zn
jenen beiden mttbelos erworben wird — an die Lust, die ans der Uoflen An«
schauung entsteht und an das aus ihr unmittelbar hervorspringende ä.sthetische
Urteil geknüpft ist, an die Freude am Schönen! Man gedenke der Lu.st an
jeder Erkenntnis und Übung des Wahren, sei es in der Arbeit oder im Spiel,
und der lähmenden Unlust, die jede Verfehlung und Trübung desselben mit sich
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Baumgart: Die Ornndlagen von KanU Kritik der Isthettschen Urteilskraft.
227
fiihrt, der orhöhenden Freude an der Übung des Outen uad der niedeidrückendon
Unlust, die jede Verirrung in sein (Jeffentei! heg'leitet?
Mit l»i'ideii Arten der Lusl uiul Unlust hat da.s ttus der ästbetis>cheu
Urteilskraft resiiltieieude Gefühl Berührung uud Verwandtschaft, ja es ist zu
einem Teil damit identisch. Worin aber läge seine spezifische Verschieden-
heit? Das eme zeigt aioh auf den ersten Blick: daB Jene beiden nur durch
die Yenuitttimg «itweder der theoretischen Eneigie oder der praktischen
möglich werden, daB dagegen diese ohne die eine oder die andre Arbeit, ohne
dnrdi die reine Vernunft erworbene Begriffe, ohne dnrdi den auf die IVei-
heilsidee gerichteten Willen, mflhelos und uninittelbar durdi die blofie «Auf-
fassung** des sinnlichen Objekts gewonnen wird, ja daß sie mit dieser reinen
Sinnentätigkeit von selbst zusammenfällt. Und zwar ist diese rein ästhe-
tische Lust der Art nach dieselbe bei den primitivsten und bei den höchst
entwickelten Äußerungen des Anseliaunn^'-svennögens und des- damit uninittel-
bar verbundenen ästhetischeu Urteils, nur dem Oiudo und der Intensität nach
unendlicher Modifiaieruugen fähig.
Zwei Fragen aber verlangen hier ihre Lösung. Weuu die Kntscheiduugen
der ästhetischen ürteilskiaft mit jenen der beiden andern Vermögen, mit den
Urteilen nach Begriffen und den ImperatiTen der Freiheitsidee von sdbst wo-
wunmenfallen können, wenn sie demnach auf allgememe und notwondige Geltung
Anspruch erlangen können und sollen: wie kann diese „Zusammenstinunung*'
ohne das vorausgehende Vorhandensein jener beiden andern und ohne deren
lOtwirkung «folgen, und wie wird deren Kooperation in dem ästheti»
sehen Urteil möglich? Und zweitens: wie kann diese Kooperatiou un-
bewußt geschehen?, wie entsteht das, was Kant die „Spontaneität" der
,,7insammeastimmung der ästhetischen Urteilskraft mit den Erkenntnisvermögen**
ueont?
Diese Fragen bleiben bei Kant offen, und es sind die für die Materie ent-
scheidenden. Wir erfahren bei ihm niclit das gtaiagste darüber, auf welche
Weise durch die Form des Objekts in der bloOen Anschauung oder Auf&ssung
des Subjekts jenes Urteil austande gebracht wird, ^tsen Einstimmigkeit mit detn
YermSgen NatursweckmMfiigkeit zn begreifen, mit Lost empfunden wird, und
awar ohne Begriffe, spontan und ohne Empfindung des Objekts! Das ist bei
ihm eine These ohne Beweis oder besser, eine ^Tpotbese ohne BegrOndung.
Mlich schlieAt diese Qjpothese bei aller Kfinstliefakeit und bei allem Wider-
sprechenden, womit man sich abgefunden hat, such höchst Wertzolles ein, um
dessentwUlen man ihr mit Reclit die Geltung einrttumte. Vor allem befreite sie,
15»
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228 fi&umgart: Die OmodlagMi von Kuls Kritik dar Whal&KlIma Utteilakrift.
wie -rlion Ihm \ nri,'i'!uil»on wurde, (las ästhetische Urtoil iius den Fesseln der
didaktischen und müiulischen Tendenz; «udaua vorlegte sie dati Scbunheits-
urteii durchaus in das Subjekt, obno ihm soiuo Allgemeingultigkeit zu
nehmen: eine hOchet iriohtige Bestimmung, wenn iiire Bichtigkeit auch auf gans
andrem Wege henuleiten und au begründen unternommen «erden mufi als aus
der Kanlschen Hypothese.
Unit und immer wieder erneut ist die Eontroyerse über die Subjektivitttt
d^ Gesdimadcsurteils, worunter seine Relativität, Tariabilitfit, überiuiupt seine
Unsidicrlieit verstaiiili n wird, gegeniihor dem Anspiiicli des ilsthetischen Urteils
auf Objektivität, wubei mau seine Notwendigi(eit, allgemeine Gültigkeit, seine
klassische Autorität behauptet
Die erste Ansicht creht von der in jedem Augenblick sich nfu bewährenden
Erfahriine: aus, daß eine jede Siuneswahrnehmung, sob^ild niuu sitli ihrt-ü inhidtes
bewulit wird, von einem Clefühl der Lust oder Unluht bi srleitot ist In der
Qualität dieses die .Sinnentatigkeit begleitenden Gefühls ist das ästhetische
Urteil belegen. Wie das Ventandesurteil nach Begriffen Aber wahr und un-
wahr, richtig und falsch, zwed^mftBig oder unzweekmültig entscheidet, wie das
Yemunfturteil nach Ideen sein Verdikt ausspricht über gut und böse, «daubt
und Torboten, so lautet ohne Begriffe und Ideen, vOlUg spontan die Affir-
mation des Geachmacksurteils auf wohlgefftUig, seine Negation auf miß-
fftllig. In diese Alternative ist die ganze unendliche Skala aller seiner Äufle»
rangen eingeschlossen, von den Uanifcstationon ilcs bloßen Instinkts bis zu den
gesetzgebenden Offenbarungen der vollendeten „ästhetischen Erziehung". Am
der Übunfi^ dieses Vormöt^ens ontstelit die Begchrung. niis der durch die Ge-
wohnheit befestipfen Het,'piinin^' die Neii,Miiig. Alles dieses erfolgt spontan und
notwendig, eine liesultaiile aus der Anlüge und durch Entwicklung gegebenen
Beschaffenheit des Subjekts gegenüber dem im Objekt gelegenen Anreiz.
Wenn nun die Affirmationen und Negationen dieser Uiteilskraft über das
Niveau dar lediglich instinktiven Betätigung binau.sgeben aoUen, wenn es mög-
lieh werden soll, daß der „isthetiachen Urtdlskralt'' ein regulatives Prinzip
a priori beigemessen werde, so erscheint diene Erweiterung und Erhöhung ihrer
Funktion nur so denkbar, da£ sie von. den Yennögea, denen jene regulativen
Frinsipien entstammen, einen Einfluß zuvor empfangra habe. Ohne eine Er-
ztdiung oder Entwicklung, jedenfidle ohne iigend eine Modi&deroog, die von
dorther ihren Ausgang genommen hat, würde sie in Ewigkeit nur instinktiv
funktinnicron, d h. ihre Urteile immer nur bloß sinnlich fällen; diese wtirden
alttu immer zufällig bleiben, abhängig von dem jeweiligen Bedttriniszustand
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Bauiugart: Dio Grundlagen voa Kants Kritik der ästfastischon Urtatüikiaft.
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d«B SnlijektB, iiiiTerbindlieh fOr [edem «aden, nur Entoobeidiingwi dm Eiiuel-
subjfiktB JMäi seiner Sondmnhge und seinw jontSUgm. Sigpoddon. AndrexBeitB
aber mflfttm die Binflfleae des Teilendes- und Tamnnlturtails, wenn de bei
Sinneflentsobeidinigen «Is ins Spiel kommmd gededit werdoi sollen^ in der Wein
innerhalb des fisthetiscben Urteils wiilEsain werden, daß die von jenen nach Be>
griffen und Ideen ericanntcn Prinzipien bei ihm ihrem Inhalte QACh unmitteUMT
and unbevrußt, ..spontun", zur Äußerung gelaugten.
Die oben f^cütüUten beiden Fragen formen sich also zu der einen nm: wie
können konstitutive Prinzipien a priori im Geschmecksurteil wirk-
sam werden?
Y.
Es gilt, Kants Analytik des 8ob5nen unter dem Geiieblspunkte Mmt
Frage einer Frflfnng m nnteiBehen.
Scbon eben wurde auBg^Qbrt, wie eehr die abstrakte kiitiaohe Seheidung
dm SeetenvennQgen dw Katar und der Etfabrong widerspiidkt In Wabrheit
wird jede« Objekt, des die fflnneewehniehmang lebhaft beeehiCtigt, sogleidi eueh
den Anreiz an die Erkenntnisvermögen zur Betätigung auslösen, und zwar in am
so stärkerem Grado, je mehr der Mensch sich fortschreitend entwickelt; um-
gekehrt v\'erden bei dem geistig geübten Subjekt die Gegenstände seiner Er-
kenntnis gleichzeitig die ästhetische Urteilsfiillung hervorrufen, und zwar nm so
intensiver nnd bewußter, je vollendeter seine theuretitiche oder praktisclie Er-
kenntnis sich betätigt Wie könnte nun dieses beständige Zusammenwirken .sich
vollziehen, ohne daß wechselsweise das begriffliche Erkennen und die spontanen
Lost- and Unluslgefühlo in Verkehr und Yeigleich untereinander treten, sich
gegenedtig kontroUieren und sidi weeheelaweise berichtigen? Und wie bfldsam
erweist sidi insbesondere das Last« und Unlaatg^Ohl gegenüber jenen SSnflOasen,
das nach einem aiistoteliscben Worte geartet and bernt ist, gleichsam wie ein
lOnd aof die Stimme des Täters so auf die Entscheidungen des Logos und Nons
sa börenl In der TorsteUung von der Ferfektibilitftt des YennOgens Last-
und Unlusturtcile zu fällen, indem Verstandes- und Vernunfturteilo In-
haltlich in sie einfließen, liegt der Weg angezeigt, der aar Lösung dos jProblems
führt, wie konstUutive Prinsipien a priori darin wirksam werden können and
müssen.
Kant selbst sieht sehon im ersten Paragraphen der Analytik des Schönen
sich zu Kuiizessiorien nach dieser liichlung gedrängt, die freilich, da sie im
Grunde seinem System widcrsprecbou, unklar genug gefaüt sind. So, wenn es
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Baumgftrt: Die Gruudlageu von KanU Kritik der asthetiselieit üfteilflknft.
^Moh in einer Anmwknns aar Übenchrift helBt: „denn im Genchin«otawirteil ist
immer nod) eine Beiielinng »nf den Yerstend entiudten*'; and weiter: „nm
BO entscheiden, ob etwas schön sei oder nicht, beziehen wir die Vorstellung
nicht durch den Verstand aufs Objekt, zum Erkenntnis, sondern durch die Ein-
bildungskraft (violleicht mit dem Verstände verbunden) aufs »Sulijckt und
das Opfülil der Lust oder Unlust desselben". D« es ihm immer nur um die
negative Kritik zu tun ist, wonach das Goschmncksurteil von dem Zwange des
VerstiUiUes- und VerminftiuteiU als rein subji'ktiv firlTist werden soll — wobei
er sich im vollen unU .siegreichen Kecht bcfiudot so scheidet er nun abor
andrerBeits das Objekt und seine inhaltlicbo Wirkung auf die Empfindung
von der Wirkung auf das Oefttld der Lost nnd Unlnet röllig ans, indnn er bin-
zofOgt: „wodnroh gar nii^to im Objekt beseidmet wird, sondern in der das Snh"
jekt, wie es dordi die Vorstellung affiziert wird, sieb selbst fablt**.
Was beißt das: „das Snbjekt ftthlt stob selbst"? Bei Kant bedeutet ee
das OefUbl der von ibm hypothetisch angenommenen, aber nadi ihrer Entstehung
keineswegs eiU&rten Übereinstimmung der in die Auffassung aufgenommenen
Form mit df>m formalen Gesetz des Erkennens. Anders drückt Goethe das
Wesen des .Scljunon aus: „Danke, daß die Gunst der Musen Unvergängliches
vorhoint: den Gelialt in deinem Busen nnd die Form in deinem Geist"
Dem anf^escliauten Objekt ge^'^enüher „füh!t sich das Subjekt" indem es den in
der Form des Objekts gegebenen Gehallt in sich wiederfindet oder durcli dessen
Form zum BewußLsein eines eigenen Gehaltes bestimmt wird, nach Üohalt und
Form des Objekts, wie sie organisch und notwendig verbunden sind und ein-
ander gegenseitig fordern. Damit das Fhfinomen der Schönheit sustande kinnme,
ist ebenso eine bestimmte BesohaiEfenheit des Objekts nach Gehalt nnd Ferm
erforderlich, wie eine bestimmte Beschaffenheit des Subjekts, das jenes
Yertiiltnis von Gehalt nnd Ponn bei dem Objekte in eich selbst wiederfinden
mufl. Sonst bleibt es dem Objekte gegenüber kalt und dieses ihm gegenüber
tot Das Epos Homers und des SophoUes Xta^dien hatten ihre reine Wurkting
bei einem verbildeten Gescblechte verloren und die Meisterwerke des griechischen
Meißels haften ihm nichts zu sagen, bis die Empfindung ihres Gehaltes die
Lust an ilirerForm wieder erweckte und an ihnen das ..Subjekt sich selbst
fühlen" lernte! Kants ünterscheiduTip lier olijoktivon Empfindung und der
ledi^,'lieh subjektiven Ln^t ist iiiiifäilig. Beide sind an sich gleich subjektiv.
Insofern sie aber durch reale Erscheinungen bestimmt werden und es decli eine
Regel dafür geben muß (wenn dieselbe bei dem tatsächUdiiou Stattfinden der
Empfindung und der sie begleitenden Lust odw ünluat auch keineswegs
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Baumgart: Die Gruadlagea voo Kaots Kritik der tathetiächen Urteilskraft 231
erkanitt an «erden btuicht), ob and wie «ie der objektiTen Besokaffenhelt des
G^neinnds entsprechen, werden beide entweder in Obereinstimmung damit also
rechtm&Aig;, oder im Oegensata dasu, also mit ünreohtf erfolgen. In ihrer
Gebundenheit an das £Qr das Objekt nach aeinffli Gehalt und seiner Form
bestimmende Geseta li^'aneh die rshigkeit des duoh die Empfindong und die
damit vorhtiiKJonc Lust ausgesprochenen ästhetischen Urteils zur Allgemeingültig«
kelt aufzusteigen und die Bedinguug deneiben. Denn dieses Gesetz und die daraus
fließende Kegel prünf^fn sich auf a priori gcltciulo I*rinzipien. Gleichwohl crfol^'t
jenes Urteil ^tpontan, oluio Dazwisclit'iitreten der Eik('iuitni> difser l'riiizipien,
die erst nachtrüglicli aus der kritischen An&lyso dos Ute Lustempfinduug
eiTegenden Objekts gewonnen wird.
Aucli die folgenden Sätze der Kantschen „Analytik des Schönen'' haben
ihre nnaehitibare Wirkung lediglich dnn^ ihren negativen Gehalt geübt, durch
die AussciilieOtuig der Didaktik und der Moral einerseits und des sinnliehen
Begehrens andrerseits aus der Ästhetik. Sie lauten: „Das Wohlgelalien am
Angenehmen sowie am Guten ist mit Interesse Terbonden; das Wohl-
gefallen, welches das Geschmacksurteil bestbunt, ist ohne alles Interesse;
Gesehmaok ist das BmirleilungsvflnniQgen eines Gegenstatndes oder einer Tor»
stcllungsart dorch ein Wohlgefallen oder Hififallen ohne »lies Interesse.
Der Gegenstand einc^s solchen Wohlgefattens heißt schön."
Durch die absolute Setxunir ihrer nur relativ ^cltcitden Negation aber hnhm
diese Schlüsse die Saat zu lu iicn scliwciri: IntiuiHMn gelehrt. Iritiunoni, die in
völlig konsequenter Entwicklung mit den Fchlüchlü&sen der Kantachen Ethik
zusammenhängen.
Wenn mau auch die weitgefaiite Definition Kants gelten lüßt, „Interesse
wird dos Wohlgefalicn genaout, das wir mit der Vorstellung der Existens
eines Gegenstandes Terbinden*', so folgt daraus doch keineewegs die Aus-
sehlieBung des Ihteresses aus dem Csthetisdien Wohlgefallen. Das Literesse an
der Existena des Objekts, sagt Kant, hat als soldies ,,immer Beaehung auf«
BegehTangSTetmiSgen"; das islhetische Wohlgefallen begleitet nnr die Vor«
Stellung des Gegenstands, so gleiohgOltig das Subjekt auch in Ansehung dw
E.xistenz desselben sein mag. Das ist nur richtig, insofm die Existenz des
Objekts entweder von den Sinnen zu ihrer Befriedigung verlangt wird oder von
der Vernunft zur Erfüllung ilu-er Forderungen. Aber wie schon die theoretische
Erkenntnis von einem Lustgefühl hrirleitft wird, das rein aus ihrer bloßen
Betätisning ( ntspringt, unabhäne^ig von der Frage, ob ihre Repultate reale Existenz
gewinnen, das gleichwohl jedoch notwendig aus sich selbst heraus das Interesse
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232 Baamgart: Die Gnindlagen von Kaain KnUk <ier aNthetuchen Urteilskraft
enengt und atao von diesem b^ldtet wird, dafi OegtuBtand BealitSt wlange:
get»de«o kann nicht allein, sondern mnB das WoUgefrilen am Schönen
nmnittelbar mit dm Intieraese an dessen Bxistena Terbunden sein. Am diesem
mit der Lost am Schönen vereinigten Interesse entsteht die Liebe zum Schönen.
Nor da0 dieses ftsthetischo Interesse in seiner Reinheit sich völlig frei halton
muß sowohl von dem sinnlichen als von dem theoretischen und morulischou. In
jedem dieser vier Gebiete ist rins Verhältnis zwischen dem "Wohlfrefallcn nnd
dem Interesse ein vprschiedones: in dein iisthetischcn Uebiot liegt der ganz
besondere Fall vor, daß ganz ebenso wie auf dem sinnlichen Gebiet der
Bestimmnngsgrund des Interesses in dem Wohlgefallen selbst liegt, das
unmittelbar als Urteil eutscbeidet; daß aber im Gegensatz zu diesem das lutereH^
selbstlos, d. h. ebne Bemebmiig auf das nnaliehe Begehiwi bleibt; ä»S aber
andieraeitB bei ihm die Bestimmung nicht dnrch ErkenntnisigrBnde erfolgt, wie
bei dem Interesse am Wahren nnd Onten, soadem spontan in dem Anfbreten
des WoUgelaDens selbst eine aprioristiscfa gültige Bestimmimg gelegen und doich
dessen Entscheidung nnmittdbar gegeben ist Die Kaatschen Site sind abo
aliein richtig, sofern sie verlangen, dafi das Literesse dem WcUgeisIlen nioht
als bestimmend vorausgehe, sie sind aber durchaus falsch, indem sie in
Abrede stellen, daß mit dem Auftreten des ästhetischen Wohlgefallens das
Interesse an seinem Gegenstande unmittelbar und notwendig verbunden
sei. Gerade das aber leugnet Kant ganz ausdriicklich. lu einer Anmerkung
beschäftigt er sicii mit dem Wortspiel von ., interessiert" und „interessant": „ein
Urteil iilter einen Gegenstand des Wohlgefallens kann ganz iininteressiert,
aber doch sehr iutere&bant sein, d. j. e» gründet tsich aui kein Interesse, aber
es bringt ein Interesse hervor; dergleichen sind alle rein moralische Urteile.
Aber die Geaohmaoksnrteile begrtlnden anch gar kein Interesse. Nur
in der Geeellschalt wird es interessant, Geschmack an haben." Wie aoillie da«
Sohttne nioht ein Interesse begrOnden, daß es als solches existiere? Kant will
das nur fttr das Gate gelten lassen. Seine ganae Stellung sum Gnten wie zum
Schfinmi wird dadurch gekennseichnet; denn am Ende gibt es sogar ein sehr
wohl begründetes Interesse daran, daß das Gute auch schön sei!
Die Grundlagen seiner Theorie über die „Empfindung" des Angenehmen
und des „Gefühles" der Lust ent>vickelt Kant in dem dritten Paragraphen der
Analytik des Schönen; hier zeigt sich deutlich, wie er zu seiner Geringschätzung
der Neigung und zu seiner Meinung von der reinen Subjektivität des ästlietischen
Urteils gelangt Empf indung nennt er die objektive Voi-stellung, als Wahrnehmung
eines Sinnes; Gefühl der Lust oder Unlust jenen Vorgang, bei dem die Vor-
Baumgart: Die Gnmdlagen von Kants Xiitik der ästhetücben Urteilülu-aft.
233
steUuBg „ledigUdi anfr Subjekt betogen" tmd, wob«i es aimlicli da» Zvmmien'
itfattmen detedben mit dem SrkenntniBreniilSgieii gewahr inid. Dutdi die „Bm-
pjEmduag-** allein wixd „Neigung" raseugt; ihr Gegenstand „yergnftgff und
swar gans «»obne ein Üiteil über die BeaebafCenlieit des ObjektB**. 8ebr obanikte-
nrtiaeh jedeeb liAt es Kant an einer positiren Definition deasmi, was er nun
„GefObl der Lust und Unlust'' nonnt, fehlen; es bleibt bei den negativen Be>
Stimmungen, daß diese „subjektive Empfindung" „zu keinem Erkenntnisse
dient", und daß durch sie „kein Gegenstand vorbestellt" wird.
Der deutsche Sprachgebrauch ist nicht geeignet, auf diesem Gebiete Klarheit
zu schaffen: Kant selbst hält die Bezeiclinungen „Empfindung" und „Gefühl"
nicht konsetiucnt auseinander. Sehr viel klarer verfahrt die griechische Sprache,
wenn sie die Sinneswahrnehmung „Aisthobiii" nennt und den damit in dem
Empfindung» vermögen verbundenen Veränderungsvorgang als „Pathos" bezeichnet
ladesaen ist es aucih im Dentsohen angäuglich, diesem ToxUlde folgend, zn be-
stiaunten Unterschsidungen su gelangen.
Ißt jeder IVabxnelimnng eines Objekts dnrdi die Sinne ist munUtslbar
nnd notwendig eine Bestimmung des seeliscben BewuBtaeina nach Lust oder
Unlust verbunden, je na^ der BeaehafEsobeit des Objekts in MAumm oder
schwächerem Grade, zunächst ganz unbewnfit, bei zunehmender Erfahrung immer
bewußter und in deutlicherer Eigenart, so daß zwischen den Sinneswabmehmungen
und den durch sie ausgelösten Lust- oder Unlustaußenineen im Gemüt je nach
der Beschaffenheit des erregenden Objekts sich ein gewohnheitsmäßig festes
Verhältnis herausstellt. Bei der Wandlung dieses Vorganges jedoch aus dem
Unbewußten zum Bewußten durch Erfahnmg; und Gewohnheit treten die ge-
samten Vermögen der iSoele in ununterbrochene und gemeinsame WirksanikciL
Es wäre Überflüssig hier darauf zu verweisen, wie zunächst dadurch die Sinne
selbst dasu «nogen wenfen die Tftusehnngen, denen sie ihrer Natnr nadi unler-
woiien sind, au vermeiden und mebr und mehr sa richtigen 'Wahrnehmungen
sieb an bilden. Wesentüidier ist es hervonraheben, wie auch jeder Fortscbiitt
in der EntwuAlung der sogenannten oberen SeelenvennSgen, der Terstaades»
etkenntnis und der Tecnunft- und Willensenstsrkung unmittelbar und ron
selbst einen entscheidenden Einfluß darauf gewinnt, ob die Beschaffenheit
des Objekts die Seele zur Lust oder Unlust bewegt imd demnach sie zur
Neigung oder Abneigung bestimmt. Immer aber bleibt die solchermaßen
gefällte Entscheidung unmittelbar, da die Instanz, von der sie ausgeht, doch
immer die unmittelbar durch die Sinneswahrnehmung ausgelöste Seelenbewegung
bleibt, mag auch durch Erfahrung, Gewöhnung, von außen erfahrene oder von
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Bauuigart: Die GrundUguu von Kaut» Kritik der ahthötincbeo Urtetlskiaft.
innen enrorbone Enidiiuig dieser Voiging die «neqpschsten ISmriikangen er-
iabien haben, mag man nun auch mit Kant dieseB «apootaBen'* Toigang im
Ürteil der Äisthesis, ein ^ästhetisches Urteil'* vergleichsweise nennen, so
darf doch nicht vergessen werden, daß es nicht die Äistbesis, die Sinnos*
wahraohmung, ist, welche urteilt, sondern daß die urteilendo Instanz vielmehr
die mit der "Wahmehmuni: notwendig vcrlnindcnc Enf>choiti uii^' der Seele zu
Lust odor Unlnst i«t Daß «io ohno Kofliixiou erfolf^^t, ihili dinses „Urteil"
sich niclit auf bewußte Oründe stutzt, vorsteht sich danu von selbst Ebenso
abor auch, daß in solchem Urteil unendlich vieiraehr niitspriolit als die bloße
Sinucntätigkeit, obwohl auch diese immerfort daltei ihre Stimme be-
hauptet, und zwar eine wesentlich entscheidende, da sie immeifort der ver«
mittelnde Faktor bleibt Sie vermittelt die Aufnahme der Zeichensprache,
die in den sinnlidi wahrnehmbaren Objekten gegeben ist, dw Entseheiduag des
SeelenbewnBtseine zu Lust oder Unlust, die ihrerseits unter den OesamtemflnB
der Bntwidlung aller Seelenveimfigen fortwfihrend gestellt bleibt
Das Attnbnt, das danadi den sinnlichen Objekten vor dteeem TMbunsl
fiberbanpt beigelegt wird , lautet angenehm oder unangenehm. Dieses Attribut
differenziert sich jedoch ji' nach den Objekten und je nach den hei der Ent-
scheidung von selbst oiiifließcndcn Ein wirlcun fron sehr vielfach: ebenso viel-
fach verschieden ist die Art, wie seine Prädizieruug Begehren oder Neiguug
hervorruft
Schon innerhalb der bloßen SinnesenL^cheidungen macht es t'inen be-
deutenden, ja unendlichen Unterschied, ob es sich um den (»eschmack im
eigentlichen Sinne bandelt, wo aU>o der Gaumen entscheidet, oder um den
Oemeh oder um die Benrteünng von M>en oder Tönen. ObeiaU aber tritt es
atidi hier schon hervor, daß die Urteilafiüung zwar talsSchlich immer subjektiv
ist und bleibt, daß sie aber nichtsdeetoweniger Gesetzen unterworfen isl^
daß sie als olyektiv richtig oder unrichtig zu gelten hat; seien diese Gesetze
nun hygienisch und als solche mehr oder minder dunkel, wie die instinktive
Nahrungswahi der Tiere solche erweist, oder seien sie in höherem Grade erkranlnis^
mäßig erweisbar, wie z. B. die Qualität der Töne nach Reinheit und Konsonanz.
Je mehr aber die Beschaffenheit der Objekte an Analogie zu der Tätigkeit
der oberen Seelenvermögen zunimmt, wie z. B. durch Qualität Tind Hanimnie
der Farben und Töne, durch isymnietrio und l*roportioii der Formen, je mehr
sie gar von der Einwirkung jener in sich aufgenonnnen hat, wie z. B. in
Bewegung und Ausdruck, desto stiiiker tritt bei dem spontanen Lust- oder Un-
lusturteil der von den oberen Seelenvcrmögcn empfangene Einfluß in
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Baumgart: Die Grandlagen von Kants Kritik der ästhetischen Urteiiidanft.
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Aktion, deito nralir irileii die UrteibeatBOheidiuigeii also unter die Kdtik nach
Frinsipien a priori, weiden anabhäng^ von den wediaelnden Diq>ontionea des
Sabjekts nnd ireirden nach unver&nderliohen Gesetaen allgemein und
notwendig Terbindlieh.
Bus aUgemoine Gattungsprädikat aller Lusturteile ist angenehm; im eogeien
Sinne verbleibt es dem blofi onnUchen Geschmacksurteil; von da steigert os sich
etwa durch die Bezeichnungen reizend und gefällig zu den Prädikaten schön,
rührend, erhaben mit ihren mannigfachen Qiadationen und Modifikationen.
VI.
Wie boütüiieu vor einer Prüfung nach diesen Voraussetzungen die weiteren
Sitae von Kants Analytik des Schönen? Im § 4 heißt es: „Gut ist das, was
Termiltolst der Vernunft dnroh den bloßen Begriff gotKUt Wir nennen einiges
woau gut (das Ntttdiobe), was nur als Mittel gefällt; ein anderes aber an sich
gut, was Ittr sich selbst geflOlt« Das ist handgreiflich falsch. Das XfitsUche
wird nach logisdiein Begriffen, da« an sich Oute nach Vemiinfliirinz^en definiert
nnd beurteilt; dafi es gef&Ut, gehört nicht su seiner Weeenedelimtion, eben-
sowenig wie ee zum Wesen eines Seobseoks oder einer Ellipse gehört, daß sie
gefallen; das Wohl^pfnllige der Erscheinung ist lediglich ein ihnen sukemmendes,
freilich notwendig zukommendes Attribut. Zugesprochen kann es ihnen aber
nur von dem Ycnnögon der Lust- mv\ üiilustompfindunf^ worden, also einzig
von (ioni Tribunal des üsthetiBchen Urteils. Und zwar gescliieht dies keineswegs
von einem als solchem angeborenen Vermögen an sich, wovon die Krfahnmpf
das Gegenteil beweist; sondern von diesem Vermögen, sofern es zu solchem
Geschäft erzogen und entMickelt ist
Noch größer ist die Verwiirung in dem fohlenden Abschnitt des § 4:
„Zwar scheint dss Angenehme mit dem Outen in vielen FUleo einerlei au sein.
So wird man gemeiniglich sagen, alles (Tomehmlicb dauerhafte) Veignfigen ist
an sich salbst gut, weldies ungeiUur so viel heißt, als dauerhaft angmehm oder
gut sein, ist einerlei.** Das sei fehlerhafte Wortverteuschnng. „Das Angenehme,
das, als ein solches, den Gegenstand ledig^cb in Beaehnng auf den Sinn vor-
stellt, muß allererst durch den Begriff eines Zweckes unter Prinzipien der Ver-
nunft gebracht werden, um es, als Gegenstand des Willens, gut zu nennen."
Beim Guten sei immer die Frac:o, ob es bloß mittelbar-gut oder unmittelbar-
gut sei, beim An trene Innen könne hierüber keine Pratre sein, da es immer etwas
bedeute, was unmittelbar gefällt. Man sieht, Kunt.s ganze Beweisführung
richtet sich nur auf die fcststeliung, daß die Begriffe des Guten und Angenehmen
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Bnamgart: Die Grundlagen tW EwIb Kritik der Istbetiscbm 'Drtailsknit
▼mohiBdeii and, was imsweifeUiaft xichtig ist; er liftt «bw die Rage giadidi
aufter adit, ob und wie sie sttsammentreffen kSnneii. Es en^eht ihm d«her
rSllig, daß die beiden verschiedenen Beurteil ungsarten, nämlich die des Ter-
nunfturteils nach Prinzipien, beziehungsweise dip (ics Verstandesurteiles nach
Begriffen, und die Entscheidung nacti Lust- und Unliisfgefühl auch auf ein und
den.selbon (iegenstjuui gerichtet sein und. zwar von veRjchiedeuen Seiten kommend,
doch in dem gleichen Ktvsiütat sich vereinen können. Das geschieht dann, \vonn die
Gegenstände der beiden ersten außer der ihnen eigenen inneren Qualitiit, wonach
sie vor dem für »ie zu^tündigen lirteü bestehen, auch uoch diejenige äußere
Beschaffenheit bedtien, daß sie durch ihre sinnliche Erscheinung das
Lostnrteil in den Stand setsen, eine mit jenen beiden andern Urteilen
ttbereinstimmende Entsoheidung au f&Uen. Diee TTrtaQ eifolgt immittel»
bar, wihrend die beiden andern mittelbar nach Grflndea entsdieiden.
Das Yerbaitnis ist also dieses: das Angenehme kann auch dem Outen
widoi^rechen; dann wird ee eben sieb niobt ab ndanerhalt** erweisen; dagegen
wird das Gute, sofern es nur in sinnfälliger Gestalt erscheint, immer das ästhe-
tische Urteil des Gefälligen, des Angenehmen im weitesten Sinne auszulösen die
Kraft haben; Sache des Subjekts ist es, die Fähigkeit des entsprechenden ästhe-
tischen Urteils zu erwerben. Erst bei der nnchträplichen kritischen Prüfung auf
seine liichtigkeit kämen dabei Zw eck begriffe in iietiacht. Wenn daher K;uit
definierte: „Gut ist das, was vermittelst der Vernunft durch den blolien Üe-
giiff gefüllt", so erweiist sich als duj> Iliciitigo viohnohr die umgekeltrto Defi-
nition: Das Schöne ist das Gute, das in sinnlicher £rschcinuug gefällt,
und zwar als wohlgefällig beurteilt wird, insofern es gut ist, d. h. insofern
ee durch seine Foim als solches unmittelbar dnn^ die Wahmdimung erkennbar
ist Oder kun: „Schön ist das ästhetisch als wohlgefällig ersoheinende
Onte.«
Hier erbebt noh wieder die entsohei^de Fragen wie kann das ge-
schehen? wie kann das an sich Oute in sinnlidi erscheinenden Merkmalen sich
als solches unmittelbar zu erkeiTnen geben?
Hei der Untersuchung dieser Präge offenbart sich der zweite große Irrtum
Kants, der neben seiner prinzipiellen Untcrschiitzung des AVesens der Neigung
und des Gefühls den ganzen Gang der l'ntersuchung in der Kritik der iustlietisclicü
Urteile verwirrt, der die f-^isting aller Haupt- \ind Nebenfragen aufs höchste
erschwert, ja unmoglicli macht. Kants Untorsuciuing setzt da ein, wo er da&
Problem am emfachsteu iuizutreffeu meint, bei der pulchritudo vaga, d. h. also
bei der Uofien Eormenscbönheit, bei der Wohlgefiüligkeit solcher Ereoheinungen,
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BaniBfMt: Die Onu^hgaa von Kaoto KsHSk dur iaflietiacfaeii tFrtaihknft.
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mit doneu keiu bestimmter Begriff verbunden werden kann. Gerade hier aber
ist es am schwersten zu definieren, und zwar nur indem es in Analogie zu dem
Frobton der pulduitado fix» oder lulbiMireiiB geeetzt vird, wo «b allein «Aunt
werden kann.
In wetdie imifisbnen Sekwietigkeiten die fidtik der isthetischea Urteüikniik
damit kommt, da sie beatladig nüt der Foimel einer „Beflexion auf Begriffo
ohne einen Begriff* su operieren bat, seigt irieder der § 4 sogleieh im Beginn:
„Um etwa» gut zu finden, mufi ich jedeneit wissen, was der Gegenstand für
ein Sing sein solle, d. i. einen Begriff von demselben haben. Um Schfinhdt
woran zu finden, habe ich das nicht nötig. Blumen, freie Zeichnungen, ohne
Absicht ineinandor gesclilungene Znf,a'. unter dem Namen des Laubwerks, be-
deuten nichts, liiin^^cn von keinem bestimmten Be^Tiffc ab. und frcfallen doch."
Dies i.st muweifeilmft richtig; aber es euthiilt wieder nur die negative Be-
stimmung, daß diw ästhetische Urteil ohne einen vorgängigeu Bogriff gefällt
wird. Zur Erklärong des Problems, wie das zugeht, führen diese Sätze nicht
Wie weit sie jedooh davon entfernen, zeigen sohon die unmittelbar fo^iwiden
S&tae: „Das Wohlgefallen am Sdidnen moB von der Reflexion Aber enien
Oegenetand, die zu einem Begriffe (unbestimmt welehem) fflhrt, ab-
bangen, und unterscheidet sich dadurch auch vom Angenehmen, das gana auf der
Empfindung beruhf* Zn dieser widenpmdunroUenKotistniktion einer „Beflexion,
die ohne Begriffe zu einem Begriffe fttbrt" als einem anmittelbar, a priori and
als solche fertig in der blofien iLnschauung vorhandenen Vermögen siebt sich
Kant vornehmlich deshalb gezwungen, weil seine Untersuchung grundsätzlich
von dem Phänomen dos Wohlcrefallens an begrifflosen Ith:^beinungen ihren Aas*
gang nimmt, statt den umgekehrten Weg einzuschlagen.
Die Frage, wie kommt jene „Reflexion", die bei Kant doch ein Bewußt-
sein der „Zusanuiistimmung einer Auscliauung mit dem Erkenntnisvermögen"
bedeuten soll, die Frage, wie kommt jenes absolute, allgemein verbindliche
Frinsip in den Toigang der Oefiihlaemtaeheidong nur Lust hinein, kann einzig
ihre AuikUiung erhalten, wenn man das Grundphftnomen des Schönen statt
in der pulduitudo vaga vielmehr in solchen Erscheinungen und Torg&ngen
eiUickt, deren Form durch seelische Erlfte, d. i. mehr oder minder
erkennbare begriffliche oder ideale Term&gen tats£chlich bestimmt
ist oder dodi als so bestimmt erscheint Die zweite Alternative zeigt schon
an, wie das an seelisch bestimmten Formen geübte ästhetische Urteil —
und die.se Übung tritt schon mit dem ersten Gebrauch des Ansehaunngs-
vermögen ein, schon mit dem Blick des Kindes auf das Antlitz der Mutter und
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238 Baamgart; Die GrondUi^n von Kants Kntik der Ästhetischen Crteilskraft
deBBen leisMte V«rlndeniiig»n — von dioBen anch auf solche Bnrraen angewandt
werden kann, in denen die TorgSngige seeliaehe Bestiinmiinf; nur durch Analogie
gefunden oder in die eie nnr dmeh Sapposition Übertragen wird.
Die Yoiginge bei dieser „Übung" lassen sieh nun aber durdiaue Über-
eehen und auch bis zu einem gewissen Qhrade gana bestimmt erkennen, wenn
auch ihre letzten und innenten Gründe wohl immer der deuüiehen Analyse
entzogen bleiben wenlcn.
Alle Erscheinungen und Vorgänge, doneii eine begrifflich fostzustellemle Rich-
tigkeit odertJüto /uf^nnfio liegt, erzeugen, schon .sofern sie als solche durch begriff-
liche Abstraktion erkannt worden, notwendig ein diese Tätigkeit selbst als solche be-
gleitendes Lustgefülil. i,iinge jedoch, bevor eine derartige begriffliche ürkeiiutnis
ihnen gegenüber stattfinden kann, werden sie „im Gemüt" erfahren, d.h. regen
sie die in der Seele d«n YermSgen nach, der ihrer Entwicklung hsnenden Anlege
nach, Toihsndene Eifcenntniskraft dee Bichtigen und Outen anr BetBtigiuig an,
die stets mit einem, wenn anch aunächst dunklen, Luslgefllhl veibundeii ist
Diese in einen Xnoten Tenehhingene allseits Übung der gesamten SeelenkiSfte
geht in der Weise Tor sich, dafi dabei jede der einaebien, spUer audi an
gesonderter Anwendung erstaikenden Kräfte von den andern gestützt, geschärft,
kontrolliert, mit einem Worte erzogen und aur Selbstindigkeit herangebildet wird.
Für sie alle jeiloeh — und hier ist man wieder cran?: auf Kuntsclicra Boden —
ist die Anschauung die erste und fernerliin immerfort fließende (Quelle des
Waclistnms und der Vergc wisser uug, wndureh die üunäcbst leereu l^onuea ihren
Inhalt gewinnen. Indem aber die Ansohaiiuns' den Sdt:. <ihereM SeelenkrÄften das
Material liefert, das jene zur Tätigkeit erweckt und von iluion »ufurt in irgend
einer Weise geformt dem aligemach sich bildenden BewuQtsoiu ÜbexUefert wird,
empfängt sie von ihnen die Form, d. h. ein durch ihre Fkinsipiein bestimmtes
Ifoderamen, das „ohne Begriffe" in der Art, wie die Ans<^uung ins BewoM'
sein tritt, wiiksam wird und in dem Auftreten des Lust- oder Unlastgeftthls
unmittelbar sich äufiert Der Gattung nach ist sbo das so eniateheinde
Lus^S^fihl demjenigen ißeich, das bei der begrifflichen Arbeit der Yerotandes-
tätigkeit, diese gleichsam krönend, auftritt und das ebenso das vemunftgemfiBe
Handeln begleitet; der Art nach ist es von diesem Terschieden. Denn ea tiitt
unmittelbar ein, es wird ohne Begriffe gewonnen, es wird mühelos er-
worben, sofern mau die ästhetische Energie, die Betätigung des sinnlichen
Anschauungsvermögens und die Aufnahme des Sinm neindrucks in das Bewußt-
sein nicht als Mühe ansieht. Die Fallung des ät.theti.schen Urteils gegenüber
dem sciiöneu Objekt kann aber luu so weniger als eine Mühe bezeichnet
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Baumgsrt: Die QnioiUagan von Kaats Kritik der bthetiaehsa Urteil«ia*ft.
239
weiden, als es ja eben in dem durch die sinnenfällige Beschaffenheit dieses
OlijdrtB ausgelöste Lastgeftthl besteht, mit der derin gelegenen EntBoheidung
identiBdi ist Wer aihe nicht, defi dieee drei Arten derLneftetStigong, der dianoe«
tischen, der ethischen und der Ssthetisohen, sieh wecfaselweiee etginno,
fitrd^ und berichtigeii; daß ferner, wer die Et&hnnig der einen besitst, weldie
ihrer Katar naob nuTerlierbar erworben wird, dieselbe unfehlbar, ^ontan und
notwendig auch für die andeiii zur Äußerung brin^'on wird und zwar in um so
höherem Grade, je reiner und bestimmter sie auf jedem dieser Gebiete auftritt
Xafürlicli ist die Pra/^e. auf welchem riobiote sie zumeist und die Art, wie sie
tlott auftritt, abhängig von der spezifischen Anlage des Individuums und von
dem (Irade ihrer Ausbildung. Damit also das ästhetische Urteil seine höclibtö
Entwicklung erreiche, die Oeschniacksbildunp eine vollendet© sei, muß zu den
hocheutwickeiteu Vermögen des Verstandes und der Vernunft eine vorzügliche
Beechaffenheit der Sinnesorgane und ihre durch Übung erlangte höchste Fertig-
keit treten. Ohne die ▼oransgogangene Terstandes- und Temunftbildung samt der
damit verbundenen OefttUsexfahrnng kann die isthetisehe ürtnlsfyiung nicht in
adKquater und allgemein Torbindlicher Weise fuaktioniwen: das Subjekt bliebe dann
roh. Ebensowenig aber kann sie daan gelangen -ohne die Übnng und Kultur des
Ansf^anungsveimOgens. Durch stsrke BeTonragong der beiden andern yermSgen
kann es geschehen, daß das ästhetische Vermögen unentwickelt bleibt, wenn man
nSmlich der Anschauung überhaupt sich enthält und die damit verbundene Lust
und erworbene Neigung gering schätzt Dies wird in natürlichen Lcbonsvorhält-
nisspn schwer eintrpten; der hohe Vorzug der ^niocliisclieii Kultur la^^ in der
ebeuniiLfSigen Übung und Schätzung der allseitigen Seeionvermögen. Bei künst-
licher Lebensgostailtunef jedoch tritt leicht eine Überschätzung der reinen Geistes-
tätigkeit ein, so daß nicht allein die Kunstbetrachtung, üüuderu auch diu An-
schauung der sinnlichen Xatnrobjekte und der Lebensvorgänge selbst starh veiv
nacblässigt wird. Dann wird das Subjekt einseitig, es wird zum Terstandes- oder
Vwnunflpedanten. Kant selbst ist tod einem gewissen Onide solcher theoretieeh-
moraliBohen Einseitigkeit nicht freisn^rechen. Deshalb muftte Schüler auch
in der Beurteilung des Moralisohen so weit fiber ihn hinausgehen, weil er im
Ästhetischen ihm so hoch ^beilegen war; denn ein Defekt auf einer fflr den
ganzen Menschen so unentbehrlichen Seite muß einen lümgel bedeuten, der
sngleich auf allen Gebieten sich ftthlbar macht
Nach den obigen Ausführungen zeigt sich das Unzutreffende in der (im
§5) von Kant ancestellten „Vergleichnn^ der drei spezifisch verschiedenen
Arten des Wohlgefallens'*. K& heißt dort: „Dos Angenehme und Gute haben
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340 Baumgttrt: Die Gnindlageo vun Kant» Kritik der äüthetLschen Urteilskraft.
beide eine Beatehimg ault B^ehrungsvermögen, und fOhien so ferne, jenee em
pathoIogiBtth bedingte» (dnrdi Anreiz, Stimnlos), dieses ein reinee pnktiediee
WoUge&llen bei sidi, welches nicht blofl duidi die Voistellong des Oe^oetandes,
sondecn sugleioh diirefa die vorgestellte Verknttpfiing des Subjekts mit der Bsetens
desselben bestimmt wird. Dugo^cii ist das Geschmacksurteil bloß kontemplativ,
d.i. ein Urteil, welches, indifferent in Ansehung des üa-seing eines Gegenstandes
nur seine Beschaffenheit mit Gefühl der Ln«t und Unlust zusammenhält". Hier
sind zwt'i verächipdono firsielitspunkte zusammengeworfen. Allerdings ist das
Oeschmacksurteil kuatt>m|)lHtiv, was im Onimli' ein identisches Urteil in-
volviert; ein Urteil, das unmitti lliar aus der A nscliauung entsteht, i.st eben ein
Betracbtungsresultat Ihm stellen al.s „verschiedene Arten des Wohl-
gefallens" aber nicht gegenüber die Beurteilung des sinnlich Angenehmen
und des praktischen Guten an sich, welcbe, die eine aus der Betfttigung der
Sinnesorgane an realen Obj^ten, die andre aus der Betfttigung des vemflnftig
bestiminten Erkenntnisvermögens hervorgehen, sondern in den Vogleich mit der
das Isthetisehe Urteil ausmachenden Lust ist nur das ebenfalls kontern«
plative Lnsturteil aber Gegenstinde su stdlen, die in der BealitAt dem
tatsächlichen Sinnengenuß dienen oder in den Bereich der Yemunfteitenntnia
gehören. Denn es kann kein Zweifel soiii. daß beide Arten von Gegenständen
auch in der .,blonL'n Vorstclluni;" und „indifferent", nb sie reales Basein haben,
„kontemplatives Wolilfjefalit'ir' zu erregen die Kruft haben. Dies sind „die
spezifisch dif f ereii tcn Alton des WohigefalJens", denen Kants Unter-
suchung zu gelten hutto. Und diese Untersuchung ergibt ein ganz andres Resultat
Diese Arten des Wohlgefallens unterscheiden sich erstens nach der Beschaffen-
heit ihrer Objekte und sweitens nach dem Verhalten des Subjektes
denselben gegcnflber. Die FhentasievorBteUung von GegenstSnden niederen Sinnen*
leiaes oder ihre Betrachtang in künstlicher Nachbildung wird das rohe Geschmacks»
urteil vetgnfigen, des gebildete abatoBen. Umgekehrt werden fernere Sinnenrriae
wie s. B. Farb«i> und Schallwlrkangen audi ohne seelischen tieferen Gehalt das
gebildete Oeschmacksurteil immer nodi wohlgeföUig beecbftftigen, wfthrend sie
das rohere unberührt la-ssen. Dajjegen winl der für die Anschauung sinnen-
fällig gewordene (fehalt des Wahren und Outen — und so allein kann er
Gegenstand des „kontemplativen" Urteils werden, sei es in der Phantasie oder
in der durch sie vermittelten ktin«!t!erischen Darstelliuig — den gebildeten Ge-
schmack mit der dopp< iten Kraft dtb sinnlich Wohlgefailigea und des das
Verstandes- und \'enuinfturtLil begleitenden Wohlgefallens vergnügen, mit der
Kraft des sinnlich und ethisch Lustv ollen zugleich, während hier das rohe Ge-
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Banmgart: Die Orandlacen von Kants Kritik der iathetisch«« UrteUakntft
241
sciimacksurtoil entweder gar nicht beschäftigt oder doch nur rein stofflich uod
similich geroist wird.
lUsdi ist danach die Kuitsohe ünteraebeidnng: „Angenehm heiSt
Jemandem das, was ihn TcrgMÜgt; aohön, was ihm bloß gefSUt; gnt, was
geadiStat, d. L w<nüi ven ihm ein objeiktiTer Wert gnetst wifd". Was
gefillt, ▼ergnfigt auch, man mfiflto dann willkOxlioh den iefarteren Aus-
druck lediglich auf den effektiven Sinnengenuß des Stofflichen ein-
schränken; mit welchem Recht jedoch und wie es gefällt xtrifl vergnügt,
das hängt davon ab, inwieweit das in dem kontemplativen Lusturteil zn-
gleich nnthaltonc Wfrtschätzungsurteil durch die in dem Anschauungs-
ohjckt entlialtoiic (^ualitiit bppTOnHft i?t, androrsoits inwieweit die darin sich
äiißenulr ästhetische Urteilsfähigkeit des Subjektes diesem Gehalte ge-
recht wird.
Von welcher grundlegenden Wichtigkeit jedoch gerade diese Unter-
scheidongen sind, zeigt sich sogleich in den Eonsequenaen, die Kant daran-
knüpft: „Daher hSnnte man Ton dem WohlgefaUen sagen: es beäehe sich in
dmi drei genannten Fillen auf Neigung oder dunst oder Achtung. Denn
0|]ist ist das einzige freie WoUgefallen. Ein Gegenstand der Neigung und
der, welcher durdi ein Teraunftgesets uns zum Begehren auferlegt wird, lassen
uns keine Freiheit, uns selbst irgend woraus einen Gegenstand der Lust zu
machen. Alles Interesse setzt Bedürfnis voraus oder bringt eins hervor imd, als
Kestinimungsgrund des Beifalls, läßt es das Urteil flbor den Gegenstand nicht
mehr frei sein."
Diese Sätze vornehmlicli und ibre boständigo Wiederkehr in den weiteren
AiLstülirungen der Kritik der ästhetischen Urteilskraft haben einf^n iKielist ver-
hängnisvollen Einfluß auf .SelüUors ästhetische Theorien ausgeübt. Kr ließ sich
durch sie dazu verleiten seine Untersuciiungen ganz auf diesen Begidl der Frei-
heit des ästhetischen Urteils zu gründen, freilich indem er ihm nun doch einen
theorotischen Yemunftgehalt zu substituieron suchte und dadurch zu neuer irr-
tttrolicher Yermiscbung des rein ästhetischen Yerfaaltens mit etbisch-pnktischem
Verhalten sich veranlaßt fond. Eants Begriff der Freiheit ist in diesem Zn-
sammenhange abermals ein bloß negativer: er bedeutet nichts sIs die Ans-
Schließung des effektiven Sinnongenusses und der praktisch-ethischen Betätiping
gegenüber dein realen Objekt Beides ist aber schon von selbst in dem bloß
kontemplativen Verhalten gegenüber allen Arten von bloß ftinnlieh ange-
schauten Objekten si'i-Jirosrblossen. Positiv ist in dem Satz vom „freien Wohl-
gefaUen" nichts ausgesprochen, aU wa» oüuchin feststeht, daß es ein aus der
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242
Bauiugart: Die Gmadlagcn von Kants Krihk der ästhetisclieu UrtoUakraft.
blofl«n BAtraditan^ entspringende» Lrolgefflhl gibt. Daß mit einem soldien
jedoch Keignng notwendig Terbnnden ist, wurde oben schon erörtert Jn der
dnceh das istfaetische Lustuiteil begrflndeten Neigimg können aber alle denk-
baren Arten von CKmst und Aditong enthalten sein, je naoh der Beschaffenheit
der Objelrte und nach der S%higkeit des Subjekts, der qiesifischoi Qoalittt der
Objekte mit dem korrespondierenden Lust}?ofühl zu entsprechen Von diesen
beiden Instanzen hängt es ab, ub Lust und Neigung im bloß Sinnlichen
befangen bleiben, oder ob sie virti zur freien" (d. i. kontoniplutiven) Gunst
läutern und zur ,,freien" Actitung voredicn. Ans- bpidnn cntstündn dana
die Liebe im höchsten und reinsten Sinne. Der Hegriff der l'relhcit käme
dabei aber auch in seiutr vollen positiven Bedeutung zur Geltung, die un-
mittolbar und spontan erfolgende Äulieruag des Lustgefühls und die ihr von
selbst entstrSmende Neigung erschienen als die höchste Manifestation der ge-
samten, 2um Maximum ihrer Yermögen entwickelten Fersönlichkeit, sie erfolgte
daher in unbewuBter und doch notwendiger und allgemein Teibindlicher Über-
einstimmnng mit den Prinzipien a priori, mit den Begriffen des Wahren und
den Ideen des Quton. Sie bliebe aber dennoch in jedem einaelnen Falle ge-
bonden an die Beschaffenheit des Objekts, der durch die bloße Anschauung
seiner sinnlichen Form geteoht sn werden das Subjekt sich in den Stand ge-
setzt hat.
Die Bestimmung Kants „schön ist, \va>' ohno allrs Tntoro??8c gefällf*,
ist al>o falsch. Ausgeschlossen hei dem Woldgefalleii am bchöiicii ist nur das
praktische Interesse an «ier stofflichen realen Gegenwart seines Objekts; dap trcn
ist das Wohlgefallen am Schönen als an einem vorgestellten Gegenstande der
Botruchtung vichnohr aufs Innigste uud Notweudigsto verknüpft mit dem
höchsten Interesse an der Form seiner sinnlichen Erscheinung und dem
Qehalte, den sie offenliart; und mit demselben Interesse muß die daraus
unmittelbar entspringende Neigung darauf sich richten, daß die Vorstellung des
Sdiönen auch reale ISxistenz gewinne.
Danach korrigieren sich auch die Schlüsse, die Kant aus dem w'^^iten
Moment" des Geschniacksnrteils folgert: „das Schöne ist das, was ohne Begriff
als Objekt eines allgemeinen Wohlgefallens vnrirestellt wird". Kr schließt: mit
dem loc^isehon Urteil hat da« ilsthetischc ilif AIli,'^t imiiiirüUigkeit gemein, die
doch bei ihm ans Hetriiffrii nicht Pitts]uint;en kinin. „Denn von Bejrriffen
gibt es keiiK'ti 1" t'cri^'aii /.um Gefiihlc der Lust und Unlust (aus;j;onommen
in reinen pinktischen UeseUen, diu aber ein Interesse bei sich führen, der-
gleichen mit dem reinen Geschmacksurtoil uicht verbunden ist). Folglich muß
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Baamgart: Die Onuidi4g«a tob Kants £ritik der XathetiBdieii DrteÜakiaft
243
dem CtosdunaoksurteUe, mit dem BewafitBein der Absonderung in demselben von
allem LiteresBe« ein Anspruch «uf Ottltigkeit fttr Jetomann ohne auf Objekte
gestellte Allgemeinheit anhingen, d. L es moB damit ein Anqpmeh auf
BftbjektiTe Allgemeinheit verbunden sein."
Eb gibt allerdings warn „Dbeigang ron Begilfien zum LustBefOhl**, insofem
der Inhalt der Begriffe den Grund deaselben enthilt, d. b. ineofeni das, was
erkennbar freilich nur durch Begriffe oder Ideen ist, in sinneufälliger
Erscheinung ein Objekt für das Lustgefühl wird, womit dann ein Interesse
auch notwendig vnrbundon ist. Der Anspruch auf A ll treineingültigkeit
beruht, wie bei dor Erkenntnis anf ihrer Kichtigkeit, so bei dem Lusturteil
auf seiner Bereclitiguug, und die^e entsteht aus dem richtigen Verhalten
des Subjekts gegenüber der entsprechenden IJeschaffenhcit des Objekts.
Hier ist der Ort auf die oben gestellte Frage einzugehen, ob Kant recht
hatte das Problem der SdiSnbeit am einfaehaten geatellt in der pu Ichritudo
Taga zu finden, oder ob die um^^ehrte Heüiode die richtige ist, es Tielmehr
in der pulohritudo fixe oder adhaerens au suchen.
In der geschichflidien i^twicUnng wie immer wieder in der Bntwidrlung
jedes einzelnen UeuBchem tritt das Phänomen dei Wohlgefallens am SohQnen
allemal suerst auf bei der Wahrnehmung psychischer Wirkungen, wie sie in den
Vorgangen und Ersoheiiningpn des Lfb^n? sinnenfSlIig werden. Solche wohl-
gefällig orfahrf'iio Wirkungen in der Vorstellung zu wiederholen wird der
Sinn nicht müde: Slythe, Snpp, ^rSrelion, Vnlksliod. älteste Epik sind dessen
y.t'iii^nis. Der innere Sinn der Handlung phigt sich in Züf^en des Antlitzes, in
Beut i,Min£r und Haltung der Gestalt, d.i. in der Form iler Erschcinunp aus
untl wiitl als solche liebgewonnen, in der Vorstellung wiLdurholt, endlich nach-
ahmend frei hervorgebracht Hier liegt der Anfang und Ursprung der Kunst;
und in sdhdmn Sinne hat ^ so imeiidlidi riel gemifibinuehts, so Terhängnteroll
miflTerstandene Wort Ton der ^l^Aoliftlmung*', der Mlmesis, seine voUe,
unerschSpflioh fruchtbare Geltung.* Formen und Figuren sind die Zeichen,
in denen Empfindungayorgänge und Oemütsbeschaffenheit sich kundgeben; es
entsteht dne Zeichensprache, in der jene für diese eintreten, und die von selbst
einem jeden gelfiufig wird, die er ohne Begriffe unmittelbar rersteht und deren
er sich auch so bedient. So übt sich dor Sinn in Foimen der Erscheinung
Ähnlichkeiten, Analogien mit psychischen Torgängen und Beschaiien-
1) Vgl. hierzu 'les Vurfs. „Uaii<ll) i' Ii loi tik'>, eine kritiaob-lliBtoriaohe Ssntolliins
der Theorie der Dichtung. Cotta 1887 & Off., 38 ff., I50ff., 6B1H.
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244 Baumgart: Die UruitUlageu von KauU Kritik der ästbetiitckeD Urteilükruft
heiteii 2U entdecken. Hier liegt der Schlüssel für das Terstlndnis des gehtimnis-
nnd wanderToUea und doch natfirliclien und unlöslichen Znsauunenluiuges gwiscfaen
Foimen, Barben, Kiypigen der sinnlich eischanenden Welt mit den feinsten
YerlnderuDgen, den kompliziertesten Zuständen der Welt des Gemütes und des
Geistes. Die kleinste Veränderung in den Zügen des Antlitzes, in der Haltung
der Gestalt, die leiseste Vibration der Stimme ist schon dem dämmernden
Bewtißtspin des Kindes unniiftt-Ibar vprst,"indlich und brinj:jt mit imfelilbaror
Gewißheit das eiitsproohoncli' I,us(- iiiul L'niusturtoi! bei ilim liervor. Dabei
lassen sich die Beschaffoiiln.'iti'n in li'^n sfiittfiiKlcinlfn Venindcnin^^fri des
errefjenden Objektes bis zu weitgehenden Uradcn begrifflich erkennen und
bestimmen.
So^eidi aber an der SdiweUe des ersten dimmenideii BewuBtseins treten
dieee Yoigtuge in die engste Verbindung mit einer andern Kcihe von Yoigängen:
und erst in dieser Verbindung eiscbliefit sich die Möglichkeit der
gena.ueren Analyse jenes Phinomens, das wir das Wohlgefallen am
Schönen nennen.
Weit früher und schneller, als sich an der Erfahrung der sinnlichen Wdt
die a priori vorliandenen Vermögen der Begriffe und der Ideen zu entfalten
beginnen, übt und entwickelt sich an ihr natiirgemäfJ das Vermögen der Sinne
und ppwühnt sich dazu mioh fleni im realen Empfangen ompfnndenen Gefühl
dfs Aiif^eiiehmcn und Unar,<:Liicluii(;!i die Dinge nach Wohlj^cfalli ii und Mißfallen
zu untpvscheideu und sir ibinj^t iuaii zu begehren oder zu verabscheuen. Es erfolgt
dabei die Unterscheidung naeli den durch die bloße Betrachtung wahrgenommenen
äußern Zeichen der Erscheinung der Dinge, es entwickelt sich das Verständnis
einer Zeidiraspraehe schon hier; freilich snnfichst ein viel&ch höchst irriges,
bis es durch Erfahrung nnd Prüfung sich mehr und mehr berichtigt Wie und
wodurch erfolgt diese B«ichtignng7 ZnnAchst durch die blofie Erfahrung des
Sinnenoigans, das befriedigt oder beleidigt wird. Sobald aber die höheren
Vermögen zn lernen und aich au entwickehi begonnen haben, so stellen sie ihre
Forderungen auch an die Qualität der Objekte, insofern diese ein Gegenstand
des sinnlichen Wohlgefallens werden, und zwar um so nachdrücklicher und gans
unmittelbar, sofern mit ihrer erhöhten Betätigung auch ein ihre spezifisch
intrlloktucllo und ethische Ausübung unmittelbar begleitendes, ihnen also
spezifisch eigenes Vergnügen verltunde» ist Ks ii«;t klar, daß wenn diesi^
Forderungen zwar auch innerhalb «les an den bloli körperlichen Siiiueugenuß
geknüpften Wohlgefallens sich geltend machen, sie doch ihr eigentliches Feld
innerhalb der bloßen Kontemplation sich schaffen. Hier also entwickelt
Banmgart: Die OniBdliigftii von Kants Kritik der SsthetiBohen UrtaÜHkiKft 245
sich das eigontlicho sogenaimte iisthetische Urteil. Ganz neue Foidonuigen,
die ihren Ursprung in der geistigen Welt haben, erheben sieb nun mit dem
Anapniclie aaeh in der sinnlichen Wdt der EiBcheinongen effOllt su werden:
es sind, am sie nur gans allgemein zu heaeichnen, die Itorderungen d«8 Gleioh-
mafles und der Harmonie, der Sjmmetrie und Proportion, im höherm
Sinne der Anmut und des seelischen Ausdrucks erhöhter Empfindung
und reiner Oemtttsstimmung. Doch mt sobald diese letzteren in den Yer-
Sndeningen und Beschaffenheiten der seelisch bewerten Welt erfahren und
mit BewuAtsein wahigenommen sind, werden in der unbeseelten Natur die
Erscheinunirsformen entdockt und dann fernerhin eifrig aufgesucht, die nach
Maß und Zahl, nach FarHc und Klang geeignet »^ind als oino Zoiehon-
sprachc mit jenen in Analogie zu treten, so daß ihnen als veraniasseude
Ursache geistige Vorgänge supponierf werden können. Nirgends tritt
dieses Vorfahren deutlicher hervor als in der giioeliisL-lii-i) Mythe, wu geradezu
alle die Seele bewegenden Naturerscheinungen und - Vorgänge als die Äußerungen
Spiiitualer und ethischer Eitfte aufgefaBt sind und vermöge der unveigleichlichen
plastischen Anlage der Hellenen in lehendige Gestallt und Bewegung umgesetst
werden. Ührigens TeifKhrt jeder leligitlse Mythus so; imd was hfttte auch der
moderne ^xachgebraudi und die ganze Poesie aller Völker und Zeiten für Mittel,
um die EindrQcke der unbelebten Natur zu bezeichnen als jene spiritusl'ethischen
Analogien und Snppositionen? Dor heitere Moigen, die friedliche Abend-
landschaft, der lachende Himmel und die drohende W'Hcr, das trauliche Tal und
die Majestät des Hochgebii-ge.s! Mit einem Wort: durch Analogie und Suppo-
sition werden in dir tinbelr-htf Form die scelenhevvf i^fondpn Reize ülicr-
tragen, die der gei>tii:on Welt l n t^tiiinmen und in sie zu r iickfitli rni.
Daher muß für die Analyse des Phänunjeas dor Scli »nlirit dir [uiklii itudo fixn
und adliaurens der Ausgangspunkt sein; die Intei-suchung der puleiintiidu vaga
ist das Sekuntiäro. und nur durch cUe Erfahrungen von dort her kann sie die
Wege zu ihren ErklürimgävcrsuiA^ und das Material für sie finden, so weit
sie nicht an der ündurchdiinglichkeit des geheimnisToUen Zusammenhanges
zwischen Form und Geist ihre Grenze erreichen.
Die kulturgeschichtliche Erfahrung bestätigt diese Sätze durchaus. Der von
der fisthetischen Erziehung noch unberührte, naive Natuimensch, der jedem
seelisch bewegend«! Bericht, vollends dor zum Gesänge erhöhten Epik» mit hin-
gegebener Begierde lauscht, ist dem ästhetischen Naturgefühl noch lange Epochen
hindurch unzug.-inrüt Ii. Erst die unablässig verfeinerte Empfindung öffnet sich
endlich dieser auf der Analogie der wahrgenommenen Naturerscheinungen mit
246
Baumgart: Die OruQ(Uii|$ea von Kantü Kiiük der äüUieUüchen UrtaiklLiaft.
den seeUsehen YoigSngen berah^aden Wirktn^ des „kontemplativen'* Natur-
genuBses. Was hat allein Elopstook» und Ooe&efl Dtehtung nadi dieser mditnag
berroigebnudit; man denke allein an Goethes Werther! Und beide Dichter hoben
dodi nur auf den CKpfel, was in der teleologischen und moralisierendett I^frik
«ich lange Toibweitet hatte.
Und noch eine andere Beobachtung findet auf dier^en» Wege ihre volle
Erklärung. ITun hat oft behauptet, daß die landschaftliche Stimmungspoesie der
Antike fremd war, was nicht richtig ist; doch spielte sie sicherlich mir eine sehr
untertroordnrtr Rollo bei den Alten im Vergleich zu den Modernen. Auch die
Renai>.--iinci-', ubenso ihre Vollendiuig im achtzehnten Jahrhundert, bevui^ugte
durciiaus die Dai-stelliuig des Menschen und des Menschlichen. "Winckelmanns
und Le&sings kritische Ästhetik i.st der Landschaftorei abgeneigt Dagegen: was
hat die immer gesteigerte tsthetisehe Verfeinerung in der Wahrnehmung der
Naturfomon und der anatogisierenden Verwertung ihrer Bedeutsamkeit
ffir ungeahnte Gebiete der Kunst erschlossen! Die Gegenwart ist dadurch in
die Richtung geraten, dieses Vei&hren derart als die Tomehinste Eunstnbung
au ttbenchitzen, daß nor die kraftvollsten Talente dabei ihre Selbständi^eit
bewahren, und awar indem sie, in liewujSter oder unbewaßter Nachahmung der
antiken Spiritualisicrung und Ethisierung der Xatureindrücke. d'w Dumpfheit der
Naturwirkung wieder mit der Kttimheit genialer Intuition duroh meusoiiliohe
Gestalt und Aktion erhellen!
Für alle dies'C unendlich i riclu.'n , lins jresarnte Scclonlfhcn in Bewcgimg
setzenden Vorgange hui Kant iiiirm r uiu" die ciik.' stertnitypu KikJanuig (vgl. § 12):
,,Die Lust ist das Bewußtem der bloß foruiuloti Zweckmäßigkeit im Spiele der
Erkonntniskräfte des Subjekts, bei einer Vorstellung, dadurch ein Gegeastaad
gegeben .wird, weil es einen Beetiromungsgrund der Tttti^eit des Subjekte in
Ansehung Act Belebung der Erkenntntskrüite desselben, ako eme innore Kmr
salitit (welche sweckmaOig ist) in Ansehung der Etkenntnia überhaupt, ab«r ohne
auf eine bestimmte Erkenntnis eingeschränkt au sein, mithin eine bloAe Fonn
der sabjektiTen Zweckmafiigkeit einer Vorstellung in einem üsthetiBchen Urteile
enthilt*'
Das ist die Folge davon, daß Kant an- ilnni iisthetischon rrtoi] die Wirkung
des Objektes durch den in seiner sinncnfiilligen £'orm sich offenbarenden (?ehalt
und flic ditdnrch unmittelbar gegebene Bestimmung des Gefühls zur Lu&t imd
zur Neigimg ausschließt.
Und so gelangt Kant am tjchlusse des § 14 zu dem Ciiiifeliuinkt des Widor-
sprudiä gegen alle üsthetibcbe Eriahruug: „Ein reiueä Geschmacksurteil
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Baamgart: Die iirundlageii von KaoU Kritik der a«tketii>ohGa Urteilskraft
217
hat weder Reis noch Btthrnng, mit Einem Worte, Jceine Empfindung,
als Materie des ästhetischen Urteils sum Bestimmnngsgninde*'.
Umgekehrt mnft man sagen: ea gibt kein Istbetisehee Uxieil, das nicht dnndi
die Empfindting der Materie, d. h. der sinnlichen Beschaffenheit dos Objoktsi
bestimmt würde: es kann nicht zustande kommen ohne den Reiz; es ist, je
reiner es ist. dosto mehr mit Rülrrun? verbunden; das Lastgeftthl, in wefadiem
es sich äußert, ist seihst ein Akt der Rührung.
Denn nur durch den sinnlich wohlgefällig: bewegenden Keiz, den die Form
des angeschauten Objekts im Subjekt erregt, wird rlas Gefühl zur Lust bestimmt,
indem durch dio reizvolle Form der Gehalt de« Objekts ihm uiimiticlbiir zum
Bewußtsein gebracht uad durch das auf diesen Gobalt gestimmte Aufnahmo-
Termügon im Subjekt wirksam gemacht winL Den Begriff der „Bflhrung'* aber
schrünkt Kant sehr nnzntreffend ein, wemi er sie definiert sb „eiiw Emji^dtmg,
da Annehmlichkeit nur Tecmittelst augenblicklicher Hemmmig imd daraul er-
foigmdeT stürkOTOr Ergiefinng der Lebenskralt gewixkt wird".
Gans abgesehen von dem durchaus unkkoen Begriff der wLebenskraft"
widerspricht diese Definition der Erfahrung. Die Rührung beruht keineswegs
auf der Auflösung einer Dissonanz in Uarmonie oder auf der Wandhing eines
Schmerzgefühls zur Lust, auch nicht, wie Schiller den Begriff faRt, in der
Überwindunir riner sinnlich empfundenen Unlust durch den 'IViumph moralischer
Befriedigung; wir beobachten, dali die höchste Hiilinin;: mit dei utigemiscbten
Empfindung der roinsipn Schönheit unmittelbur vorbundon ist Sie be-
steht in der durcli das uitlietibciie Urteil über die reine Schönheit bewirkten
Bewegung der Seele zum Maximum ihres Vermögens des LnstgeCühls, wodurch
sie, aus der Enge der eingeschriakten Bealit&t hinansgeheben, sur Goiossin der
Ideenwelt sich entrückt empfindet Solcher enchattemden Bewegung geseUt
sich erst sekundär die Beimischung der Wehmut durch die Kcntrastempfindung
ihrer Gebundenheit an die Bealit&t
Die durch kdne Mfingel beeintriehtigte Beschaffenheit des (Hijekts, dss
solche Wirkungen versnlaßt, kann das reale Leben mit seinen Erscheinungen
und Vorgfingen nicht bieten, obwohl es freilich durch »eine „Anreize** das
Gemüt und die l'hautasio in den Stand setzt solche Objekte zu ahnen und
zu fordern, zugleich ihnen beiden die Wege und Mittel aoaeigt sie frei
schaffend hervorzubrin«:pn.
Dieses schaffende Her\ (irl)rin;j;en nennen wir die Kunst des Schönen.
Hierin liojrt ein weiterer Ilevseis datur, duil dui> rhüiKiuieu der erscheinou-
den Schönheit seine Huimut in der Kunst hat, das Erzeugnis einer en^
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248 BauniKurt: Die üruudla^cu vou Kimtü Ki'itik dur ät>Üii.'übicken Urtt^'itMkraft.
wiok«lt0n, hochgeeteigwrteai Evltur der Empfjndungsfiibigkeat und des GefolilB-
Tonaögei», und daß erst Ton hier aus beide in den Stand gesetst werden die
Analogien des EunstsohlJoen in d«r FoimeasprMbe der psychisch nicht be-
wegten Natur in entdecken und durch die Suppusition p^chisch- ethischer
Bcstimnning die NatttrarBcbeinungen als so hervorgebraclit anzusobaum und zu
empfinden. Ein Vorgang, der einer schon entwickelten Kunst neue (Jebiete
eroffiict und ihrer fernerpn Entwicklung uncndlichr' (Jrenzf^Ti bietet. Penn es
liegt kein Ilinderungsgnind vor, daß auf solclior Stutr die (ii's.nntlieit allur
Seelenvormögen nicht durc)i die biulio Ansebauuim' des cinfatlun Natui-
ubjoktä im spontan erfolgenden Ues>chmacks urteil iu Bewegung gesetzt
und zur Äußerung aufgerufen werde: Ton der ssnft-gofülligen Bewegung des
einfachen Sinnenreizes bis an der die ganze Seele erschtttteraden Erhebung durch
die absolute GrOße der Yeraunitidee.
Auch das Ünaureichendo der Xaturformen wird überwunden and suppliert
dnrch die Kiaft der Seele jene Yoistellungen in sie hineinauonpfinden, wenn
sie nur diau den Anstoß eifihrt; gans wie das auch in der Kunst geschieht
Daher der Yorzug, der von dem lebendigen GefUhl für das Schöne den von
innerem (Jehalt erfüllten Kunstgebilden gegeben wird, auch wenn sie die
adäquate Sinnenform noch nicht gefunden haben, als einer zwar rauhen,
aber kniftvollen ., Kunst des Ausdrucks^ gegenüber der schmeichelnden Ge-
fälligkeit reiiSvoUer aber l«'(>rei- Fninn ii,
AVie anders als Kaut empfand clit).-sc> (^rundverhältnis idlvr Ästhetik schon
der jugendliche Goethe, wenn er auch solchem Empfinden niciit den schulgemäß
lorrektm logischen Ausdruck reiileb:
„Die Eunst ist lange bildend, ehe sie schön ist) und doch so wahre, große
Kunst, ja oft wahrer und größer als die schöne selbst .... In dem Menschen
ist eine bildende Natur.... Sobald er nicht au soiigen und au färohten hat, greift
der Halbgott, wirksam in seiner Ruhe, umher nach Stoff ihm seinen Oeist
einstthauchen. . . . Diese Bildnerei wird ohne OesteltsTerhSltnia zusammen-
stiniinen, dnnn Eine Empfindung schuf sie zum charakteristischen Ganzen....
Diese cbarakterii>tische Kunst ist nun die einzige wahre! 'Wenn sie ans inniger,
einiger, eigner, selbständiger Empfindung um sich wirkt, unbekümmert, ja un-
wissend alles Fremden, da mag sie aus rauher Wildheit oder aus gebildeter
Empfindsamkeit geboreu werden, sie ist ganz und lebendig!^
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Baamgart: Die üraudla^jcu vun Kants Kiitik dor ästhetisoliüii Urtuiläkraft.
249
Nur die Grttndlagea von Kauta Kritik der isüietiacheii Urtoilatanft aollten
hier untersacbt werden. Die weitere BeweififOhrung vorEulegeo. was der Föile
des liUtedails, das sich bei der Prfifnng der Analytik des Schonen fernerhin,
inabesondere aodann der Analytik dee Erhabenen und der Dialektik der
ästhetiachen Urteilskraft eigibt, muß aidi der Terfasser an dieser Stelle in
Bttekaieht auf die hier gebotene Banmgraiuw veisagen.
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X
DIE SPRACHWISSENSCHAFTLICHEN
ÄUSSERUNGEN KANTS
TON
T)R. A. BEZZENBERGER
0. Ü. I K0KKS80B UTA KAN8KSIT ÜÄl) bUH VlUt<>UUCIU^l>KN SPRACHWIBSK-NWIIAFT
A» nn vtanmräi i^SmataB»
Durch (lio ,. Nachschrift eines Freundes" hinter der dritten Vorrode des
litauischen Wüiterbuchs von C. 0. Mielcke fKönisr^sbers: 1800), wahrscheinlich das
letzte, was der größte Lehrer unserer Universität für die < )ffoiitlic'liki'it geschrieben
hat', ist der sprachwissenschaftlichen Litciutiur ein besonderes Blatt von ihm
eingefügt Allein dies Blatt' bietet dem Spracliforscher nicht den ehrwürdigen
Kamenszng eines bahnbrechenden Meisters seiner Wissenschaft, sondern liegt
vor ihm fßm<^ einer Tiaitenkanie, wie sie ein vomehmer Mann in freier Zeit
in einem Nachharhanse abgibt, dem er ein freundliches Interesse sdieokt —
und in der Tat: eben ein solches Interesse mttttiger Stunden hegte Kant fiir
unser Ilaoh, hegte es sogar m besonderem ICaße. Wir ivissen dies durch die
Worte eines «einer Biographen: „Vergleichnng der YSiketkimde und der Sprach-
kunde war oiae Lieblingsmaterio des Philosophen, wenn die laufenden Gegen-
stinde der Tagesiintorhaltung erschöpft ^nuren''^*; wir erkennen es aber auch aus
den niclit oben seltenen Äußerungen spraohwissenschaftliohen Gehaltes, die in
Kants Schriften bpjrcfirnon.
Wie nach dem angeführten Satze Schuberts zu erwarten ist, sind allo diese
Äußerungen mehr oder wonieor nobensüchlich, und wie sich weiterhin rrtreben
wird, sind sie imi zum Teil origiuell. Für das Gesamturteil über Kant sind «le
daher ohne Bedeutung, imd da wir auch sehen werden, daß die Spracliwissen-
schaft ihr Bahlen nicht bedauern wflrde, so kann ich ilire Bdiandlung an dieser
Stelle nur damit begrfinden, daS ich in ihnen willltommene Anhalt^unkte fOr
den sehe, der ein allseitigeB Bild unseres KiOoeophen und seiner Entwicklung
gewinnen und ihm menschlich niher kommen mSohte. Sie beugen uns nicht
1) Oaii«i«iieii bei Baick«, Neue in«aB. Fn>niiz.-Biittar 3. Folge V S. lüO.
2) Kxut behandelt von Fotl, WDh. v. Humboldt und die Spnebwiewnachaft I 8. OCXXVI
Anm. — Im Anfang' des letzten SitUB des ersten Abschnitts dor „Nachschrift": .,Kin von allem
Hochmat, oder einer gewissen bennohbarten Nation"' scheinen mir dns Komma und oder gestrioben
weiden cn nfissen.
3) Schubert RS. XI 2 S. 194. — Uit RS. bflsetohne ich die EaBt-Anagd» Toa Beeenhaai
und Sohufaert, mit K. diejenige von Kirohmiuin.
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254
Bossen berger: Die spraclivisseaschaftlichen Äußerungen Kants.
unter die Uberlfigene Hndit seines gesammelten Drakens, sondern lassen uns an
den Zerstreuungen seines alternden Geistes teilnehmen und seigen ihn gl^diwobl
als Ejnd seines Jahrhunderts. Was ich hiermit meine, will ich spKter entwickeln.
Aber ioh will es schon hier andeuten, indem ich hervorhebe, dsB der Begiiff
einer ^iFachwisBenschaft Kant fehlte.^ Er bcuieht swar den An8dradt„Iinguislik*^,
verstellt darunter aber die kritisehe Kenntnis der Sprachen als Teil der Philologie
(RS. ni S. 212), und was er „Sprachkunde" nennt, ist ihm gleichfalls nichts
anderes als „{gelehrte Sprachkenntnis" (K. VI S. 10!. U"^. X S. 277). d. h. die
empirische VrfraiiNSftzung der SprachAvissonschaf t. DiTiifromäR irilt ihm die
Grammatik anvh lu li^dich fijr „die Auilüsuug ciuor iSpi-achfurm in ihre Eicmeutar-
regeln" (K. V 4 S. 99).
Es würde mich nicht befremden, wenn die Urteile, die im Vorstehenden ent-
halten sind, hier und da in Zweifel gezogen würden, falls ich sie nur mit ihren
talsSchlidien OrQnden stfitaten könnte. Denn was Kant von der UatiiMnatik gesagt
hat, daft sie nimlich ihren Maßstab in sich selbst habe (RS.m S. 159), gilt bis
m einem gewissen Grade auch von der Sprachwissenschaft, und wer mit den
Normen eines Büches durch eigne Arbeit nicht vertraut ist, dem ist nicht sn
verdenken, wenn er im Widerstreit einer vorgefiaBten Meinung und des Fachurteils
eine innere Begründung des letzteren verlangt. Mit einem solchen Oegensatsse
muß ich hier aber notwendig rechnen, denn aus der Feme betrachtet ist es unleug-
bar überr;is( iifnd, daß Kant, der nach einem Wortp Potts ..dir Writ der Ideen
urasrhiif"-', tintz s*eines hpsnniicicn Infores.ses für Sprachkundi' iiiiinitfelbar so
wenig auf iliii'in (n tiirtc ^'i li ist- t hüben soll. .Alieiu dieser Widerspruch wird,
wie mir scheint, durch Kant >.oll)**t völlig aufj:>'kl;irt
Indem Kant (teist als ,,ilas Ijelebende l'riiizip im MenFchon" {RS, VTl 2
S. 137), Genie als „das Talent zum Erfinden'" definiert (ebtuda S. 13ü) und für
dies französische Wort den deutschen Ausdruck eigentümlicher Geist vor-
schlägt (ebenda S. 138), IfiAt er das schöpferische Wirken eines Mensoben durch
dessen Eigentümlichkeit bedingt sein. Was er aber als solche an sich selbst
erkannt hat, finde ich folgendermaßen aoagedr&ckt: „Da Besensent, wenn er
einen Faß auBerhslb der Natur und des Erkenntnisweges der Vernunft setat, sich
nicht weit« zu helfen weiß, da er in gelehrter Sprachforschung und Kenntnis
1) VioIIoicht würde er diew INniplui aber «ncib haafe noch aidit ab „WisMiadMlt'*
gehen lasaen (K. VII 1 6. 174).
8) Etymek^iaehe FairaclmiigeB 1. Anfl. I B. XTIII. — Üfasr Eaals nuttolbttiSD EnflnB anf
die Sprue hvris-^enHchaft s. Ik-nfey, Cieschichtti der 8pr>dnriM«oaehaft 8.390, Ptttt, W. T. Houboldt
und die äprachwiüMmioliaft I & XXXViiL
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Beitenbergor: Die spiruhwiBMDBohtftiiohea ijafleniiieen Kante.
255
oder Bourtoilung ulter ürkunden gar nicht bewandert ist, mithin die daselbst
enfihltem und dadurch zugleich bewührton Eaota phflowpbisdi m BUlzen gar
nicht TBisteht, so hcsohddet er sich von mlbst, daß er hier kein Urteil habe**
(RS. TD 1 a 358).
Emts Mangel an bahnbrechenden spraddicfaen Qedukeii würde also nur
befremdlich sein, wenn er die Sprache den Gebieten sagereohnet hätte, auf denen
er „sich weiterzuhelfen wußte". Dies ist aber nicht der Fall, denn «r erUirt
reden für „sprechen nach zusammenhängenden Begriffen" und deht im Sprechen
wie im Geben und Stehen „Geschicklichkeiten, die der mte Mensch selbst
orworbon mußte" (RS. Vn 1 S. 367), und dio als solche nur auf empirischem
Wege entwickelt werden konnten. Die Sprache steht daher fitr Isaiit außerhalb
des ihm kongenialen Gebietes der Natur. Sie steht aber auch außerhuUi ilcr
Vornunfterkenntnis, denn Wurf und Betriff decken sich iiiclit, suiirlnri! ihn
Wort ist nur ein Au-sdruck des Begriff» (K. II 1 S. lÜ) und eulhält «ehr oft
^nicbt das eigentliche Schema für den Begriff, sondern blofi ein Symbol ftir die
Beflexion", weshalb seine Anwendung sogar MSßTeretBndnisse herb^tthren and
die Erltenntnis hindern kann (E. II 2 S. 224).
Der Abstand swischen Kants sprachlichem Ibiterease und seinen sprach-
wiasflosehaftlichen Leistungen ist also voUkommea ▼eistindlich. Ebenso tcf-
stindlich ist es ab«r auch, wie er su diesem aufterhalb seiner eigentdmlichen
Begabung liegenden Interesse gekommen ist Bs «rwuchs aum Teil aus dem
Streben, MiAverstfindnisse zu venutMilm, also sich unbedingt verstündlich, voll-
kommen tmzwcideutig ausizudrückcn. Weil er „nur vei-standen sein wollte'', hielt
er sich an „angemessene und dr.rh fjan^baro Ausdrücke"* und verfuhr bei ihrer
Auswahl „mit größter Sorgfalt, um den Begriff nicht verfehlen zu lassen, darauf
sie weisen" (K. IT l S. 10). Ein Beispiel hierfür ist dns Wort Beispiel selbst
^ach Kirchmann (ili 3 S. 33ü) steht in der 2. Ausgabe der Tugondlehre in § 52:
1) Über das '^onm Am Worts ist bekanntlich schon sehr früh nschgeditoIiL Ich erinner»
aor an di«? ausjftixeichtiot« indisoho Dofiiiitioa bei Benfey, Geschichte der Sprachwissenschaft S. 89
und tn dcsselbon Abluuidhiiig Über die An^be des FistonisolMn Dislogs Knigdos (OiSttiqgon 1866).
2) UngewSlnilicibe dmtsche W6rler sind in Ksuts SelnifteB dengeiDU sdteo. leb habe
mir nur angemerkt: grämisch K. III 3 S. 310 (nach Adelungs Wörterbuch „in den niedrigem
Bpreohartan" für grümiich); Zeitverspillerang K. III 1 S. 147 (ans der astpraufiünlien Toiks-
•pradie, denn Atisdrilolre Kut bei Tisch bisweilen gebnndite RS. XI 2 8. 1S0: spillern, ver*
spillern „verschwenden'* Frischbier. Preuß. Wörterbuch); Wahrsagern Ki^. X S. Xl'.t Anni. (von
Kant als gebitoohlioh htngosteUt, aber doch wohl nach schneidern und deigl, von ihm gebildet). —
Über safffllige Fonnen und WeindiuigeB der Spraclie Kants s. Hsrtenetein in seiner KaataiuiBsbe I
S. XXf. Uli fii^" zu meinen Anführungen den Ausdruck „(das Frauen zimnujr] t esitisn sioil
selbst'' K. YllI S. 29 und verweise auf dessen Beläge im Orimmsdien Wörterbuch
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256
Bozzenbcrger: Die »prackvrissenschaftlichen Außorungeo Kants.
„Das expeiimentale (tedniiBobe) Ißttel der findung der T^igead ist das gute
Ezempel ui dem Lehrer** »Was aber die Kraft des Bzempela (es sei
zum Outen oder Bösen) betrifft" usw. Li der 1. Ausgabe aber ist nach seiner
Angabe dort statt Exempel Beispiel gebraucht und hier „E^cempd" mit folgwider
Anmerkung versehen: „Beispiel, ein dciiteches Wort, was man pemeini{?lich
für Exeoipel als ihm ^eichbedeutend braucht, ist mit diesem nicht von einerlei
Bedeutung. Woran ein Expinpol iK^hmen und zur Verständlichkeit eines Aw-
druoks ein Rei^^piR! anführen, sind ganz vf»r?ehip(1fnr' T^pg^ffe. Das Kxeinpol ist
ein hf>8ioni lerer Fall von i'inpr praktisrlion l^'i;oi, insofern diese die Tunlichkeit
oder UiUunlichkett ointM Hanilluny vurstuUt. Hingog-en das Beispiel ist nur das
Besondere (coucretum», als unter dem Allgemeinen nach Begnüt-n (ab&tractum)
enthalten voigestellt, und bloA theoretisdie DazstsUung eines Begrifb". — Dies
Sndien und Überlegen ergab Kants glfinzende Definitionen, die also nicht mühelos
hingeworfen, sondern wie alle abgeschlossenen Leistungen eines Genies mfihsam
und zwar mit dem Aufwände von Mflhe erarbeitet sind, der ihn in der Beur-
teilung der diditerlsehen Sprache befangen machte (AS. VII 1 & 355, 2 & 94).
Zugleieh abor leitete ihn dies staf^tigb Prüfen jedes Ausdrucks zu der für ihn
minder wichtigen Befruchtung des Worts als geschriebenen od«r gesprochenen
Merkmals eines Begriffs.
Allein nicht nur durch die eigne Arbeit, also von innon herans scheint mir
sein lutei'f'ssf» für dio Sprache envookt zu sfin, snndt rn uucii durch einen äuiieren
Einfluß. Man keimt KmU freund^chulLliciies V. iliiilmis zu Kraus, man kennt
Kraux' Selbständigkuil, seine außorgowöhnliche Sprachkunde und die Große
seiner sprachwissenschaftlichen Gcsichu»piinkte: man weiß endlich, daß Kant au
den Zigeuaeistudien Enus' lebhaften Anteil nahm. ^^^^ l^nde Prof. Kant
nnd Dr. Biester drillen mich auch jetst noch unablässig, ich sdl doch fortmachen
und je eher je lieber einen Auftats [aber die Zigeuner] in die Monatsschrift
liefern'* schreibt Kraus 1787 oder 1788 (J. Toigt, Das Leben des Professor
Chr. J. Kraus S. 231 , Tgl. S. 213, 229). Da nun die Äußerungen über die Z^^uner
in Kants Schrift Über den Gebrauch teleologischer Prinsipien in der Philosophie
(1788, K. VIIF 8. 160') sich eng mit ßinom Briefe Kraus* aus etwa derselben
Zeit berühren (J.Voigt j\. 0. S. 211 ff.), so dürfte in diesem Punkte eine Beein-
flussung KnnN fhirch Kraus wohl nicht zu hnzwoiffdn soin. und mnn tritt Kaut
also nicht zu nahe, wi'nn man ihn auch sonst bj^\v*■ilcn v<in Kiaus aljiiiitiiriLT «ein
läßt Freilich nur bisweilen, denn man wird diese Abhängigkeit uur da vermuten
1) Uior erklärt er «io für indisches Wik, in Ion YorlMungoD übor phjnaob« OMgtaffilie
aber ist er geneigt, iüo aus Agopton abätamnien zu la&seu (RS. VI 8. 752).
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BeiMuberger: Dia spndiwiaMiisdMftUfiheii Äofianuifeii Kaniftk
257
dürfen, wo die real istibch- rationalen "Wege Kraus' in die spekulativen Bahnen
Kants mündeten (vgl. Sürem in Kraus' vermischten Schriften III S. YII), mit
andmen Worten, wo sich Erat duidi Knuis' Mittel semeii FroUemen nfther ^
bneht sah. Kamentlicb wird man die Spuren dieser Abhängigkeit also auf dem
andmpologiachen Gebiete au erwarten haben, und da nun Kant in der Anthro-
polog;ie besondeis oft anf spraohliehe Dinge eingeht, so fßmhe ich bierin eine
Bestltigong dies«? Srwaitmig adm m dtrÜMi. Aber nicht nur hinin. Im
Jahre 1775 hat Kant die Frage nach der üriieimat der Men-^chon prinjdpiell
bweits ebenso beantwortet, wie die engere Frage nach den ürsitzen der Indo-
germanen neuerdings beantwortet ist (K. YIIT 8. 101 Armi.), jedoch mit dorn Unter-
schiede, daß er sich dabfi nur \on naturgescliichtlichen Gesichtspuniton hat leiten
lassen.' (icwiß Icnnn diese Beschränk imp als eine beabsichti|rte anfroschon werden.
Berücksichtigt man aber den Hinterpnind sclehcr Pnihlenje und die Kontroversen,
zu denen Kant durch seine Behandlung der Hacenfrage Stellung nahm, so wird
man mir auch nicht Unrecht geben hfinnen, wom ich annehme, dafi er des „Vorteils,
den die Wissensdiaften, Tomehmlioh die alte Oesdiiohte der TOIkerwraderongen,
aus der noch anrennengten Sprache eines uralten, jetst in einem engen fieiirk
eingesehtinkten und gleidtsam isolierten YtflkerBiammes, ziebni kdnnen" (in der
„Nachschrift"), erst qtftter sich bewußt geworden ist nnd zwar im AnsehloA
an Ccmns' Sata Tom Nutten der nGHottologie" als „Heuxistik** (Tennisdite
Schriftpn m S, 51).
Wie Kant betrachtet die heutige Sprachwissenscliaft die Spmchc als etwas
allmählich Krwnrbrnrs. sieht im Red^n ein Sprechen nach Begriffen und crlronnt
die Unzuliin^'lichkoit vieler Wörter an. Sie räumt aucli ein, daR zwischen Vor-
stellung und Aufdruck eine Aiumialie bestehen kann, wie sie Kant zuweilen an-
nimmt. Aber sie unterscheidet sich von ihm grundsätzlich, indem ihr die ge-
bchichtliclie Überlieferung und die lautlichen Qesetze der Sprachen als höchste
Normen gelten, wfihrend Kant, dessen Leben sdion auf der Neige war, als
J. Grimm nnd Bopp ihre ersten Worte lallten, die Spnu^e nach der Dnrdi-
achnittsweise seiner Zeit behandelte, d. h. der Zeit, der swar die Fackd Lsilmits*
Torleuobtete, der zwar Minner wie Ten Kate und Morhof licbtige eijmologisdie
Gesichtspunkte gegeben hatten, die aber Yoltairee Torlautem Kafalierschen Uber
den ünwert der Vokale nnd die Geringwertigkeit der Konsonanten Beachtung
schenkte, und in welcher Kenjsterhuis' Spraobzeigliedemng den Betfall eines
Bahnken, Kants Schulfreundes, gefunden hat
1) Vgl. Bantch Mitteilungen der anthroimlogisclien Geaellscbaft ta Wien ü (1872) S. Ü5.
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258
ftflcieaberger: Die «pnebiHnenMlialfncbfti £itB«niB^ Kuli.
Wie die S^ivche damals im Durdndiiiitt betnchtet wurde, wird sehr habach
dmeli ein Wort Kmts selbst veranscbatdicht und cwar vobl das einzige, das
seiner Vorstellung von ihrem Lthcn einen allgemeinen Ausdruck gibt: „der
Eigensinn der Sprache" (1758; K. VII 2 S. 422, 423). Unleugbar ist dieser Aus-
druck weder ohne eine pcwi'^so Orifrinalität, noch nhno oino p'wisse Berechtifirnng,
denn es sribt in der Tat » inen Eigensiim di r Sjirachc, oder vieiraehr der
Sprechenden. Wir zcic^'n ilm selbst in den Failcii, in denen wir einen erwiesenen
Fehler oder In tum fesÜialU'n, weil wir lieber naiv, als; pudantisch scheinen
wollen. Aber obgleich die eingebürgerten sprachlichen Fclilcr zahllos sind, ateben
sie doeh den lUlea der gesetzmäßigen 8praobeniwioklan|f weit nach, und wir
ddifen den Eigenann der Sprache schon deshalb nicht sum HaBstabe ihrer Be-
handlung machen. Wir dttrfen es aber auch nicht, weil der ISgensinn ttberhaupt
keine wiseenschaftUehe Nonn sein kann, denn er ist individuell und wandelbar
wie die Eapriaan der Mode, die zwar nicht nach dem Urteil ttber SchSn und
Unschön fr^^, aber ihm gleichwohl unterliegt
Betrachten wir nun Kants sprachliche Äußerungen selbst! Sie zeifaUen in
zwei Gruppen, nämlich 1. solche, die sich vom Boden der .sprachlichen Empirie
nicht entfernen, und 2. solche, in welchen Kant einen sprachgeschichtlichen, oder
etymologischen Standpunkt einnimmt. Zu der ersten Gruppe reebne ich die
folgcinipn Stellen.
1. „Das deutsche Wort vermesteeu ist ein gutes bedeutungsvolles Wort
Ein Urteil, bei welchem tmm das Längenmaß seiner Kräfte (des Verstandes} zu
Übersehlsgen vergißt, kann bisweilen sehr demütig klingen, und macht doch
grofle Ansprache vnd ist do^ sehr vermessen'' (1790; K. II 2 S. 259 Amuxl).
2. „Bs gibt mehrere Worte, die im Singulari gebraucht einen anderen Sinn haben,
als wenn man sie im Flurali brancht; sie sind alsdann im Singulari in formaler,
im Flunüi in materisler Bedeutung cu nehmen: diese sind Einheit, VoUkommenheit,
Wahrheit, Möglichkeit" usw. (frühestens 1788, spätestens 1791; BS. XI 1 S.271)k
3. «In deutselier Sdireibart werden unter dem Wort Älteren scniores, unter
den Elteren aber pnren tos vorstanden, welches im Sprachlaut nicht zu unterscheiden,
dem Sinne nach aber sehr unterschieden ist" (1797; K. III 3 S. 130 Anm.).
4. „Wie ist es abpr ziij^Pffanppn, daß die wechselseitige Anrede, wolcho in
den alten klassischen Spruchvti durch Du', also miitariscij, au.sgodrückt wurde,
von verschiedenen, vuniämlich germanischen Völkern, pluralistisch, durch Ihr
bezeichnet* worden? wozu die Deutschon noch zwei eine größere Auszeichnung
1) In der 1. Ausgabe: Ich und Du.
^ In der 1. Atapihe: Ihr und Bi« anfswaadolt
Bezzenbergor: Die sprachwmenschaftlichen Äußerungen Kants.
259
der Fenon, mit der man bricht, «ndeoteiide Aiudrfiite, nJünlieh den des
Br und des Sie* ezfandeii haben; wormif endliob, in YoUendnng aOeir
üngenimtheiten, der yoigebliehen Derntttigong unter dem Angeredeten und Sr>
bebung des anderen über sich, statt der Person das Abstraktum der Qiulitlt des
Standes des Angeredeten (Ew. Gnaden . . . . ) in Gebrauch gekommen. — AUes
vennutlich durch das Feudalwesen" usw. (1798; ES. TTI 2 S. IG).
5. „"Wit? mag es doch pfükommen sein, daß vornohmlich dio neueren Sprachen
flu-s ästhetische Beurteiluugsvormöi^en mit einem Ausdruck (gustus, sapor), der
bloß auf ein gewisses Sinnoiiwerkzoui,' (das Innere des Mundes) und dio Unter-
scheidung sowohl ak die Wahl genießbarer Dinge durch dasselbe hinweist, be-
sei<dinet lisbein?* Bs ist keine Lage, wo Sinnlidikeit und Teiettnd in einem
Oennne so lange f<»tge8etst nnd so oft mit Wolilgefallen wiederhoU werden
können, —als eine gute Ushlaeit in guter Gesellsdiaft" usw. (1798; ebenda S. 159).
6. „Es ist eine Sonderbarkeit des deutschen SpraehgehrauohB (oder lOfi-
bnnehs), daß doh die Anhinger unserer Beligion Christen nennen, ^eioh sIs
ob es mehr als einen Cbzistos ^be nnd jeder Gl&ubige ein Christus wire. Sie
müßten sieh Christianer nennen." — Aber dieser Name wtirde sofort wie em
Sektenaame angesehen werden, von Leuten, denen man . . . viel Übles nachsagen
kann: welches in Ansphunfj der Christen nicht 5tatt findet. — So verlangte ein
Rezensent in der Hallescheii gel. Zcitunp, daß der Xarac Jehovah durch Jahwoh
ausgesprochen werden sollte. Aber diese Veränderung würde eine bloße National-
gottheit, nicht den Herrn der "Welt zu bezeichnen scheinen ' (1798; RS. X S. 303).
Gegen diese Äußerungen ist sprachwissenschaftlich nichts einzuwenden.
Von den folgenden dagegen, welche die beidohttete sweite Gruppe bilden,
kann man nur eine einsige unbeanstandet lassen.
Aus: Die Religion innerlialb der Frenzen der bloüen Vernnnft (1T93)
1, ..Die Mongolen nennen Tibet Tangut-Chadzar, d. i. das Land der
Häuserbewohner, um diese von sich als in "\V<i<!ten unter Zelten lebenden
Nomaden zu unterscheiden, woraus der Name der Cbadzaren, und aus diesem
der der Ketzer entsprungen ist; weil jene dem tibetanischen r;lnul)en (rier
Lama«), der mit dem Manichäism übereinstimmt, vielleicht auch wühl von
1) In der LAosigabo: die letztem noch oinon mittleren, nr Klfl^gmig der Heiahwtaing
des Angorcdcten, «nsgvdaohten Aufidruck, nämlich den de« £r. . .
2) Vgl. Beohtel, Über die Beteichnungcn der ainnliohen Wahrnehmungen in den indogerman.
SpniDhen S. 29 ff.
3) Vgl das Oiiaunscb« WörterUicb: „Chriat Tenreod^n wir nbd. sei» lutgescUokt auch
fnr cbriatianna.'*
17*
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260
Beisenberger: Dia
Xtali.
daher aemm üiqining mmmt, inhiaglich wuen, und ihn bei ihren Einbrftdiett
in Eniopft Terbroiteten; daher auch eine geraume Zeit bindureh die Namen
Haeretici und Manichaei als gleichbedeutend im Gebrauch waren" (KS. X.
8. 129 Anm.). — Der Name Ketzer kam erst im 12. Jalu"hundert auf, also
in einer Ztnt, in dor 'IMacht und Kinflnß der Cliazaron (diese sind doch
wolil gfiiunnt) btToits gebrochen war, in der sich aber die Sokte der Kad^aqot
(Cathari) im Abendiaudo verbreitete. Hierdurch wird die lieute übliche, iibriirens
schon von Adelung (Gramraat-krit Wörterbucli 2. Ausg.) befürwurtote Erklärung
von Ketzer an die Hand gegeben.
2. „Sonderbar ist es, daß die Sprache zweier weit von einander, noch
weiter aber von dem Sitze der ib utselien Sprache, entfernten Länder in der
Benennung dieser lieidt'ii Cnvesen |(Us guten Prinzips und des bösen Prinzips,
Ormuzd und Ahrinmn] deiitsdi ist. Ich erinnere mich bei Sonnerat gelesen zu
haben, dali in Ava (dem J.iande iler Burnchmanen) das gute l'rinzip G(Mieii);»n
(welches Wort in dem Namen Darius Codomannus auch zu Heften seli>^int)
geuamit werde'; und da das Wort Arihman mit dem argu Manu sehr gleich
Iftutot, und das jetzige Peisisehe eine Menge ursprünglich deutscher Wdrter ent-
hfilt, so mag ea eine Aufgabe für den Altertamsforscber sein, auch an dem Leitfaden
der SpiachvenrantBchaft* dem Ursprui^^ der jetaigen Beligionebegriffe mancher
TfiUter nAchnigehen*« (BS. TD 1 S. 413 Anm.). Schubert BS. XI 2 S. 195
erwMhnt die yoratehende Erklärung von Ahrimen (Arihman, Arimmi) und die
weiter unten angeführte von poltron als Beispiele der Nachtisch -Unterhaltung
l^ints. Ihre Veröffentlichung zeigt aber, daß sie ernsitliaft gemeint waren.
Ähnlichkeiten zwischen dem Persischen und dem Ueut-schon waren schon
lange vor Kant bemerkt (s. z. B. fknfey, (Jeschichto der Sprachwissenschaft
S. 242; vf<i. uuch Kraus, Vermischte Sciirifton III S. 56). L iier die Erklärung
von Ahriraan (iiuttelpors. Äharman, des.sen h fürs steht; ave^L aiirü mainyus)
durch arge Manu ist kein Wort zu verlieren. Man möchte nur wissen, ob
sie — wie es scheint — von Kaut selbst ersonnen ist über Uodemau glaube ich
dieTermutung wagen au dflrCen, daß damit päli Qotamo (sando^ Gnutama) d.i.
Buddha gemeint ist (vgl Sommona Gadam KS.TI S. 709 — pfili Samapo Ootamo).
1) Sonnerat, Kei^e uacb Ostindien und China II S. 39: yjia zween noch übrigea [noch
oieht TerkSipertea voinebiDsleii <Mttor der F^guaasr rad Banuaen) floll«B «inat die gMdlioliflia
Zeiten der ersten Weltaltcr wieder auf dts Erde bringan. lodetteu beton sie eigmfliiob aar
Einan au, welober Qodeman heißf
32) Ülwr diena Bagriff Knas, YMm^t» SohritfeD m
Aua: JH» Ende aller Dinge (1795).
Besienbsrger: Die spraebwiasaiuoliiiftUohi«! ÄufianDgra Xmli. 261
Aus: Zum ewigen Frieden {iiiib).
3. „Tielleidit* läBt sich aucli die nnlto, obswar nie rocht bekannt ge>
wordene GomeiiiBdiaft Emopeiie mit Tibet n» dem, tras nna HesydiiuB hievon
aufbehalten hat, nimlich dem Zunif Km^ Ofina^ . . . dee ffienqphanten in den
Meosinudien Oeheimnisaen eildixen (s. Beiae des jüngeren Aaaohaitia, K.TeQ
8. 447 u. t*). Denn nach Oeoigii Alph. üb. bedeutet das Wort Oonoioa Gott»
welches eine «ufiaUende Ahnliohkeit mit Konx hat Pab-eio (ib> i». 62), welches
von den Griechen leioht wie pax ausgesprochen werden konnte, promulgator
legis, die durch die ganze Katur verteilte Gottheit . . . Gm aber, welobes La
Cmze durch henedictus, gesegnet, tihcrset-zt, kann auf die Gottheit an^wandt,
woiii nichts andorcs als den Scli^'f^epriesonen bodeutra, p. 507. Da nun P. Franz
Horatius von den Tihrtanischeii Llminas, die er oft befragte, was sie unter Gott
(Concioa) verstanden, jederzeit die Antwort bekam: 'es ist die Versammlung
aller Heiligen' üü wird jenes gelieiniiüöVoUe Wort, Koux ümpax, wohl
das heilige (Konxj, selige (Gm) und weise (Pax), dureb die Welt ilbezaU
Teibieitete höchste Wesen (die personüisierte Nator) bedeuten sollen, und in
den grieohisehen Mysterien gebraudit, wohl den Monotheism für die Epopten,
im Gegensats mit dem FolsrtbAism des Yolks angedeutet haben** usw. (Rä TU 1
8. 2&6 Ama.). — Ich rerweiee auf Iiobecks Behandlung' der betr. He^cih-Glosse
Ai^phamuB &775fL Ihr nifolge liest man heute: xd}$- ^o/tue rtdS usw.
(s. IL Sehmidts grafie Hesyoh-Auagabe).
Aus: Metaphysik der Sitten (1797).
4. „Wie das Wort Tugend von taugen, so stammt Untugend von au
nichts taugen.** In der II. Au.'^gabe (1803) gelindert in: „Wie das Wort Tugend
von taugen heikommt, so bedeutet Untugend der Etymologie nach soviel als
zu nichts taugen'* (E. ni3 8. 2S4). — Sdbstverst&ndlioh ToUkommen einwandfrei.
Aus der Anthropologie (1798).
5. ,.Da.s jetzt deuL'sch cpwnrrlnno Wort Hexe kommt von don Anfanjjs-
worten der Moßformel bei Einweihung der Hostie her, welche der Gläubige mit
1) Hei dem Folgenden ist zu berüvksir-htiKen, daS JEaut Titiat «M aehr grolle Bedeulaag
für die ältosto Geschichte beim.oß (R.S. VI S. rjOl»).
2) Das Zitat bezieht hich auf die 1. Auflage von Biestere d«utscli«V Übeiwliang (17'Jl).
Iii der 2. Aaßtigb denselben Y (1799) 8. 446 Amn. ist die nadifelgeBd« Vennntuiig Kants bn-
filllig enväinit.
3) Wilford, goftcn den (A'dftt Re«e»rch(» V (ITJ»] S. 300) Lobedc sioh riebt««, «nriiliBt
Kants Erklärung nicht und hat sie offenbar auch nicht gvkaiuit, deoa «T sagt: MThete mysteiilHIS
words havfl beem oomiiderfKl hiUieito as ioazplicaUe."
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2Ü2
BeH«nb«rger: Di« spnchwiaaeiMchtfÜich«o Aateraogea Kants.
leiblichen Augen als eine kleine Scheibe Brot siebt, nach Au8q>ieobung iitat^
Belben aber mit geistigen Augen ik dem Leib eines MeBsoben m Beben verbimdeD
wild. Denn die WiMer hoe e»t baben zuerst das Wort corpus biniagetan,
wo boc est corpus sprechen in boonspocus madien verindert wurde;
Termntiicb ans frommer Sdien, den -reofaten Namen su nennen und cu pro-
fsnienn: wie «s Aboglftnbisohe bei nnnatflrludien Gegenstlndeo m ton pflegen»
um sich daran nicbt zu ▼eirigreifen*' (RS. TU 3 S. 41 Anm.). — Die Herleitung
Ton Hokuspokus aus boc est corpus, die Ticllcicht richtig ist, sofareibt
Adelung a.a.O. (1796) „dem berühmten Tillotson*" zu. Dagegen scheint die
obige Erklärung von Hexe, die durch riif alteron Fomion dieses Wortes
widerlegt wird, das unbestreitbare Eigentum Kants zu sein (vgl. das Grimmsche
Wörterbuch).
6. „Man hat neuerlich zwischen etwas ahuua und ahnden einen Unter-
schied machen wollen; allein das ersterc ist kein deutsches Wort und es bleibt
nur das leixtere. — ahnden bedeutet aoriel als gedenken. Es ahndet mir
heißt, es schwebt etwas meiner Erinnerung dunkel roT\ etwas ahnden be-
deutet jemandes Tat ihm im Bdsen gedenken (d. i. sie bestrafen). Es ist immer
deisdbe Begriff, aber anders gewandt** (RS.Vn2 & 88 Anm.).
ahnen liftt sich swsr nur bis. ins Mittelbochdeufsche (anen „ahnen,
▼oransseben*) TwfoJgen, während ahnden bereits althochdeutsch ist (anadon,
nihd. anden „seinen Zorn auslassen, ahnden, rügen"), aber da jenes doch
schon im Mittelhochdeutschen vorkam, und der begriffliche Unterschied von
ahnen und ahnden geschichtlich begründet ersclunnt, so ist ahnen nicht zn
verworfen und wird mit Recht von (rrimm, Kluge, Weigand anerkannt „In
allem Fall ist uns der üntei>ii'iuo(i /.wisflieti ahnen und ahnden seit ihrem
häuligen Gebrauch für zwei ganz aliweieliende Bedeutungen jetzt beinahe
unerläßlich" (Grimmsches Wditi-rhuch unter alinon).
7. „Das Wort poltron (von pollex truncatus hergöuommeu) wurde im
spfitwen Lateinischen mit murcus gegeben, und bedeutete einen Menschen,
der sich den Daumen abhackt, um nicht in den Krieg sieh«! lu dttxfmi'*
(BS. yn 3 8. 176 Anm.). — Aus Dies' E^oL Wöriwrirach 3. Ausgsbe I & 328
ersah ich, daß bereits Salmasius in „poltrone eme Abkflnung aus pollice
trnnctts Mkannt<* habe. „Aber schon Mtaage'*, fOgt Dies binsu, „fand die
Abkarsung zn stark*' und begebt sich dsmit auf Hteages Dictionaixe etymo-
logique ou origmes de Ja Umgne fi»n9oise (2. Aufl. 1694). Durdi dies Weift
1) Gebtorben 1694 als £rzbii£cbo{ von Canterbiury.
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Bessenbergur: Die üpraahwisseiischAftlicheji AaBerangen Kants. 263
eiftthr ich nun abor weiter, d»B diesdbe Etymologie «uBer ron eodexen tneh
Ton „YossitiB, dens son Elymologiqae, au mot mureus** gegeben sei, und in
der Tet heifit ee hier (Ausgabe Ton 1662 S. 332): „Poeterioiee Latini muiooB,
et muTcidos, dixere eoe, qui pollicem flibi pnectdittent, ne railituent ... Ae
satu ▼erieimile est, qnea Itili ao GaUi Foltrons Tocant, ab hae poQiottm tntnoatione
nomen accopisse'*. Man wird nicht fehl gehen, wenn man dem obigen Satze Kants
diese SteUe zugrunde legt, denn ebne ihre Anregung wäre er wohl nicht daio
gekommen, die Bomerkung über niiirpus im späteren Latein einzuschalton.
8. ,,E!5 [das Schreien im Schmerz] ist so wie das Fluchen, wenn man im
Gehen an einen froiliefrenden Straliens>tein (mit der großen Zehe, davon das
"Wort hallucinai i hcigeauimuen) st(ißf. vielmehr ein Ausbruch des Zorns" usw.
(RS. VII 2 i>. 178). — Die Erkläning von liallucinari, die Kant hier im Auge
hat, findet sich schon in Chr. Becmans De originibus linguae latinae ed. innov.
(1613) S. 357: „hallucinor, ab hallux, aut halius, id est, mazimus pedis
digitns, id est, impingo vel iUido haUum: ab WJiM9ai . . . aliud est alucinor,
id est, Tidendo fallor, a luce abeiro" (rgL fi. Btephanus Thesaurus 1. 1.), Viel-
leicht Terdankte sie Kant aber nicht diesem We^e, sondern etwa Ger. Vossius'
£^moJogioon, auf das wir eben als auf eine mntnafifiche Quelle Kants gefttbit
wurden. Sie ist von A^^ssius unter alucinari, jedoch nicht zustimmend, erwfihnt
9. „Dieses Wort [Dreistigkeit) snllto eigentlich Dräustigkeit (von
Dräuen oder Drohen), nicht Dreistigkeit geschrieben werden, weil Her Ton.
oder auch die Miene eines solchen Menschen andere besorgen lälU, er könne
auch wohl grob sein. Kbenso schreibt man liederlich filr lüderlicb, da
(liu'h das erste einen leichtfertigen, mutwilligeu, soust nicht unl'rauetii)ari n und
gutiuiitijieu, da« zweite aber einen verworfenen, jeden andereu anekolmlen
Menschen (vom Wort Luder) bedeutet" (RS. VII 2 8. 17» Anm.). — Der ersten
Behauptung ist aucdi in der Pädagogik (1803) Ausdruck gegeben: „Dreist
sollte man eigentiidi drfiust schreiben, denn es kommt von drUnen, drohen
her» (CTm 8.240).
In der Heileltnng von dreist, Dreistigkeit drftuen scheint Kant
keinen Yorgänger xu haben; richtig ist sie nicht, denn dreist brt das alt-
säcbsische thrls ti, mittelniederdeutsche drlst. lüderlich entstand aus
liederlich „sorglos, leicht, leichtfertig", nachdem dies die Bedeutung „aus-
schweifend" angenommen hatte und dadurch in begriffliche Berühnin'jr mit
Luder (vsfl ein Luderleben führen) getreten war Infolgedessen wurde lieder-
lich als .M)hMtiuii: dieses Wortes betracht^r uixi di-mgemäß lüderlich geschrieben
(so schon bei Sticler, 1691). Vgl. das ürimmsche Wörterbuch.
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264
BazzeD berger: Die siiraohwisaeosdiAftiiübtiD Äuü«ruB(;en Kantti.
10. „Jha Work Sehmeichler hat wohl nnnflnglich Schmi«gler heifien
sollen (emeo, der ridi w^imiegt und bieigt), um einem einlifldeirisohen M&chtigeB,
«elbit duioh seioen Hochmut, naoh Belieben va leiten; so wie das Wort Heuchler
(eigenflich sollte es Häuchler gosclirif ben werden) einen, seine fromme Demut
TOT einem vielvermögonden Geistlichen durch in seine Rede gemischte Stoßseufzer
vorapiepplndcn Botrüper — hat bedcufcn Köllen" (RS. VII 2 S. 197 Anm.). —
In beiden Erklärungen hatte Kant einen Yor/janper bereit-^ in Stieler. Nur die
zweite wäre lautJich niöglicli. Beide sind heute auftregeben.
11. „Es gibt Miiimer ... die ein von Pocken zerrissenes und groteskes, oder,
■nie der Holländer es nennt, wanschapeues (gleichsam im Wahn, im Traume,
gedachtos) Gesicht haben" (BS. 7112 8.230). — Diese Deutung scheint selbstinaig
sn sein, war aber schon 1708 nicht mehr seit§emäfi, s. das Adelungsche Wörter-
buoh. wahn« in wahn schaffen ist bekanntlich das alte AdjektiT wan „mangehid,
mangelbaft^
12. „Der Sehimpfiuune la oanaille du peuple hat wahiscbdnlieberw^se
seine Abstammung Ton canalicola, einem am Kanal im alten Born bin und
her gehenden und beschäftigte Tyoute foppenden Haufen Müßiggänger (cavillator
et lidicularius, vid. Plautus Curcul.)" (RS. Vll 2 S. 247 Anm.). — Diese Erklärung
kannte bereits M6nage a. a. 0., erklärte aber mit Aeobt die Zuiückiühmng von
Canaille auf oanis für zweifellos.
Ans: Bot 8tr«l( der FaknUSten (1708).
13. „Heidentum (Faganismns) ist, der WorteiUKning naob, der religiase
Abelglaube des Volks in Wildem (Heiden)" (RS. X S. 300 Aam.}. — Diese Ißc-
ktlnmg trifft zusammen mit der nach Adelung a. 0. yon Schitter angenommenen
Ableitung des Wortes der Heide (»Ton Heide, Hain, ein Wald, weil die ab«
gOttischen Dentschen ihren Gfitiendienst Tomehmlich in den Wild«» au ver-
richten pflegten'') Adrhin*:^ seiltet hnt aber bereits richtig gesehen, dal) Heide
„paganus", alt beiden (daher Heiden-tum), Verdeutschung von paganus ist
Aus den yorIe8nnu;en Ober physische Geograph !e
(erschienen 1802, „wo alifr Kant diose Vortriur« sohon mehrere .lahre nicht gehalten hatte").
14. „Das Elendtier i>Mler rirhrip>r K I lentier)'' (RS. VT S. — Vgl.
Bock, Versuch einer wirtschaftiicliea Natinircsehielie ven deni Kduigmch Ost-
imd Westpreußen IV S. 95 (Königsberg 1784): „Warum ilua [dem Elondtier] der
deutsche Name (welcher auch Ellent geschrieben wird) beigclogct worden, ist
ungewiß . . . Nach Wigands Angabe ist der Käme von dem sdaTontschen und
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B«ss«nberfer: Di« ^««ohiriawnacha ft licbwi Änfienu^ KwtB.
265
polniBdieii Worte Jel«ii oder OoUn, m einen Hindi bedentotf mit mkAum
ea Ähnlichkeit hat, hennleiten. Nach dieser Ableitung maftte man richtiger
Elen, als Blend oder Bllent, achieiben." Yiell<ächt wollte Kant leine Ztistim-
mung an dieser ErUinuig »nadrfioken. VieUeiebt wollte er aber die Terbindung
von Elen mit mhd. eilen nUvti UDmnheit'* guttieiBen, denn Adelung a «. 0.
(unter das Blend) ttbeiaetzt dies mit „Stlrke", und Kant sagt ▼om Elent u Seine
Stiiike in den Beinsn ist außerordentUoh**.
Ans der FSdago^ (erschienen 1809).
16. „Man dressiert Huudo, Pferde, man kann auch Menschen dressieren.
(Dies Wort kommt ans dem Bnd^beii her^ von to dress, kleiden. Daher
aneh Dreaskaromer, der Ort, wo die Prediger sich nmkleiden, und nicht Troat-
kammer)*^ (K. Till S. 223). — Abgesehen davon, daß dressieren das fmns.
dresser ist, ist Dresakammer^ das alte treskamer, aldioehdeutsch trisa-
ohamara, treaoamere nSchatikammer'* (sttsammengesetat mit treso, triao ans
tr6sor, thesauras), später Schntzkammer der Kirche, Sakristei nnd als soltdie
in Trostkammer (Graff, Ahd. Sprachschatz IV R. 402) oder Tröstkammer um-
gedeutet (Zeitschrift f. vergl. Sprachforschung! S. 21f., vgl. Schiller und Lühben,
Und. Wörterbuch TV 8. 612). DnR sich auch Ostpreußen von dieser Umdeutung
nicht freigehulten hat, läßt eine Bonierknnf? Mühlings, Neue preuß. Provinz.-
Blätter a. F VII S. 437f. vorrmiten. Lii Honnips Preußischem Wörtorhuch
(K<inipsbf'ii^ 17bü), das Kant gewiß gekannt hat, ist bereits die obige richtige
Erklärung angenommen.
Anf einem MMioileiniettel (1808).
16. „Das Wort Fußstapfen ist falsch; ee muß heiBen Fnßtappcn'' (RS. XI 2
8. 162)b — Diese Entsoheidung einer oft envogenen Frage ist wahrscheinlich un-
richtig, mindpRtens aber — wip die wissenschaftlichen neuhochdeutschen Wörter-
bücher lehren - einseitig'. In früheren Jahren hat Kant selbst Fußstapfen
geschrieben: Kritik der reinen Vernunft, 1. Auflage (1781) S. 485 Z. 9 v.
2. Auflage (1787) S. 523 Z. 14 v. o.
Die linguistischen Äußerungen Kante, die ich bemerkt habe, sind hiermit
vorgeführt. Hfinaho die Hälffp ihrer Oesamtzahl (10:22) entfällt auf die Anfhro-
polügie, früher als höchstens 1788 läßt sich keine von ihnen datieren, und keine
1) Auf K Ulfs Erklärung dieses Wortes M sitoh Otttifift, UfTditenolHitz dar dsutidiMi Spili^
liiviaadH, 2. Licfoiiuig ä. 2Ü0 verfallen.
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266 Besse» berger: Di» epnwh wiewiMctsfflioh e D ÄoJiejungm Xnla.
iat iriBBeiiBcliafilidi wertroU. "Wie idi in der Einlntoog in di«Mm Au&ad ge-
nigt Btt hftben hoffe, sind diese Tatsachen, Tom biographischen Standpunkte aus
angesehen, wohl verständlich. Aber auch ihre allgemeine B« tr hing wird sie
begreiflich — und mehr als das, wird sie naturgemäß finden. Achtlos ^cj^cn
das, was ihm nebensächlich scheint, eilt der Strebende in der vollen Kraft
seines Lebens orhohenen Haupte;; seinen Zielen zu, aber der Alto zielit langsam
seine Straße, und sein gesenkter Bliclc fällt auf die Kleinigkeiten der Erde vor
seinen Füüen.
XI
ÜBER
DESKRIPTIVE UND NORMATIVE ELEMENTE
m VEBGELTUNG8BEQBIFF DES STRAFBECHTS
Dr JUTi EDUARD KOHLRAUSCH
A. 0. r&Of k»SOR DEB RECHTK AN DEB UMTXRSITAI KÖKIfiSaO»
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Die Strafrochtswissenschaft der letzten Jahro ist im öep:en«;atz zn der
Wissenschaft des Privatrechts charakterisiert durch die wachsende Tendcii:?;, die
Bahnen ruhiger theoretischer Forschung zu verlassen und in gewissen (inind-
fragen einen unmittelbaren Einfluß auf den Gesetzgeber zu erstreben. Diese
Tendens ist ebenso l^oht m eridirm wie su loohtfertigeii: Der lebhafte Aui-
sohwQog, den die fltrafrechfliehen IntereRsen und Stadien vihrend der letshm
drei Jehnehnte erfahren haben, bringt in Terbindmig mit der nahen Aussiebt
anf ein neues Stn^eeetabncb dw Neigung m praktischer Darohaetning des fOr
richtig Bekannten mit Notwendigkeit mit sich. Und seine genügende Reobt-
fertigong findet dies Streben nach praktischem £influfi in der ge^n das Jahr
1870 durchaus veränderten Sachlage: Nicht mehr das politische Interesse an
schnell zu schaffender Rcchtscinheit, sondern der mehr fachmännische "Wunsch
nach dem inhaltlich Besten steht jetzt im Yordergrond. Heute sind gründlichste
Erwägungen niöirlich und damit notwendipr.
In sülciieu Zeiten spitzt sich auch der Kampf um gewisse Grundideen zu.
Die Formulierungen werden präziser, aber auch der Ton der Auseinandersetzungen
mitunter schärfer und nervöser, als es im Interesse der genannten praktischen
Ziele liegt So essebeinen die G^egenritbw Uufig schroffer, als sie es in Wahr-
heit sind.
Yen den OrondpioUemen, um die es sich dabei handdt, betrifft das wohl
am hsvtnMckigsten umstrittene die ürage, ob die ataatiiche Strsfs die An^;abe bat,
Yergeltung ai ttben, oder ob sie neben dieser oder statt dieser iigendwelche
Zwecke au erfüllen berufen ist Glttddicherweiso zwar wartet man nicht auf
ihre Lösung, sondern dringt unbekümmert um deren Präjudizialität ron allen
Seiten her zu praktischeren Kinzeluntersuclniiipon und Einzelwünschen vor. Aber
nnr allztinft winl die Debatte auf jene (rruudfrage zurückgeworfen. Denn ihre
fundamentale Bodoutuog kann, so bedauerlich es sein mag, nicht wegdisputiert
werden.
Hat das Stiafrecht die Aufgabe, vorschauond mit .seinen spezifischen Mitteln
auf eine Verminderung der Terbrechon hinauwirken oder kann und soll es
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870
Koblrauäcb: Über «leakriptive and oonnatiTe Elemente usw.
ledjgUdi rttckwirtB blickend Oenngtanng ttlwn? Ist die Strafrerhfingnng Bweck>
bewußte Hendlinig oder eber eine reflektoriiobe iLuBenmg des geaelbehafUiehen
QtgenlgmB» inf eine IieidmifBgimg bin? Zweökstnie oder Tergeltangwtnife?
Man hat die wesentliche Bedeutung des Gegensatzes geleugnet und ironisch
gefragt, ob etwa der Arzt eingreife, weil der Patient krank ist, oder aber damit
er ^snnd wird? Ofowiß w-tixf solche Frage fbonso töricht, wie jede andere
Antithese, die auf dor oinen Seite die VorsteUung eine* Krfolgs als Ursache, auf
der andern den vori^psti llten Erfolg als Zweck einer Handluug betont Das sind
natürlich nur \ i iNchicdüno Anordnuneon gleicher Dinpc. Aber die Übertragung
jener Frage auf die uns beschiiftiguude, ob die Strafe lediglich Vergeltung sein
oder gevine Zweeke verfolgen solle, i«t 9in leidit «n durcbsohauendes Fecbter-
kanetstfloik. Vir feagen niebt: Strafen wir, weil das Verbreeben a begangen ist,
oder ftber: damit das Terbreohen a geatUint werde? Die Differeos wlre in der
Tat nur eine traminologische. Der entscheidende Oegenaats vielmehr ist in die
Fragen ni fassen: Strafen wir, weil das Yerbreehen « begangen wurde, (becw.
um es an sOhnei^, oder ab«: damit kOnftig ein Torbrediett b — aei ea vom
TKter oder einem andern — nicht begangen werde? Daß diese Gegenüber*
stellang eine ^^achlich erhebliche ist, kann nicht wohl beiweifolt weidflii. —
Ebenso dputlich wird die Schroffheit dor Gegensätze, wenn wir uns die von
Kant gestellte Frage v(»rlegen: Müßte, wenn die nienschliciie Gesellschaft sich
eines Tages auflösen sollte, vorher noch der letzte Vorbrecher abgeurteilt werden
oder nicht?
Es ist bogreiflich, dali in einer pi-aktischcn Zielen zustrebenden Zeit, wie
der unsrigen, ein erhöhtes Interesse sich eolohen Lehren zuwendet, die nicht nur
die Kotwendigkeit and IfOglichkeit praktiscbw Kompromiase betonen, sondern
▼on vornherein aneh fheoretisdi einen IDttelweg su gehen scheinen. Dies gilt
heute von denjenigen fiiehtang, die unter den versöhnend auf(retind«n Lehren
vermSge ihres Oedsnkenreiditame, der Tiefe nnd vielfach bestecheoden SchOnheit
ihrer Dantellung weitaim in vorderster Unie stdit: v<m der StrsfreiditBlehre
Adolf Merkels. Ihre scheinbar vermittelnde Bedeutung liegt darin, daß <;ie den
modernen Gedanken von der Gesetzmäßigkeit alles Geschehens einschließlich der
menschlichen Handhiiigen akzeptiert, trut^dom aber angeblich dann festhiUt, da6
die Strafe lediglieh Vergeltung für begangene Übeltat sein soll.
Oerado wogen der Sympathie, deren sich die Merkolscho Lehre in weiteren
Kreisen erfreut, ist der Versuch, ihren wirkliciion sachlichen Gehalt m fixieren
und sie ia die heute weseutiicheu (Jegensätze richtig einzureihen, für die Klärung
des Streitstandes und damit für die Yersttodigung der Streitenden vielleidit von
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Kohlrausob: Über dcskriptiTe und uormativo EHemeote mw.
271
Bedtatnng. Hier sei er mit Befichrliikang auf eine beBtimmte Frage und «i
besoheideoera Zweok unternommen: es gilt nur, den Anhingem dar Teigeltungs-
Btmfe eine bfidiet peisönliolie Stfltie m entdehen, auf daran StSrke «ie, fall« m
wirUieh eine Sttttie wSre, mit gutem Reeht hinweisen kijunten: eben die Autorität
Adolf Merkels. Merkel hat tiefer und schonnr als irpeinl einer gezeigt,
daß die Strafe Vergeltung ist und sein wird, aber er bat in Wahrheit
gar nichts dafür vorgebracht, daß sie Vergoltun? sein soll —
Daß die Untersuchung darüber, %Tas die Strafe war, ist und sein wird, in
einem tiefgreifenden (Jegensatz steht zu der Präge, was sie sein soll, wird nicht
geleugnet werden können. DaM weiter Merkfl lodiglicli dio orsto Frage eingehend
erörtert, «lie zweite aber nur gelegentlich streift, daü er insbesondere den
Oedanken der „gerechten Teigeltong'' nur jener gegenüber betont, würde zwar
Merkel sdbet Tielleioht nieht auadrttcUich zugegeben haben, läfit rieh aber aua
seinen mannigfachen Äufierungen au dieser Frage erweiaen und aua seiner ganaen
wiaaenaohaftliehen Methode sehr wohl begreifli^ maohen. Drittens aber aeigt
ein Blick auf die heute ftbliehe FiageeteUnng, daß diese gana anders lautet ala
das Problero, das Merkel sidi voigelegt: die heutige Tondens in gesetsgebeiisdier
IhiTchsetzung gewisser Gnindgedanken dringt Ton der theoretischen Frage, wie
wir uns die E.xistenz der Unrechtsfolgen zu erklären haben, zu der praktischen,
wie wir die Strafe au^estaiten und den einaelnen Verbrechensformen anpassen
sollen.
Wer diese drei Tatsachen zugibt:
1. die wesentliche Verschiedenheit der Frage nach dem „ist" von der
nacli dem „soll*' der Erscheinungen des ßechtslebeus;
2. die maßgebende Bedeutung!, die IQr die Mehrheit der beutigen krimi-
naUstisohen EiOrterungen — eineriet, aus welchem Lsgw sie konunen — die
B^age nach dem Msein-soUenden** hat;
9. die Chaiakteriaierung dar Merkeischen Fragsstellnng ab einer nrsge
ledi|^ch nadi dem „seienden**, die Charakterisierung seiner Untersuchungen,
insbesondere über den Tergeltungsgedanken im Stmfrecht als bloBe Konstatie-
rungen dea Oeschchcnrlen —
wesr also angibt, daß die beute zumeist gestellte Frage eine andere ist als die
von Merkel beantworteto, der kann sieh der Folp^enin? nicht entziehen, daß er
zur l titerstützuug seiner vergeltenden Wünsche nicht Adolf Merkel ins Feld
fuhren darf.
Die drei hier hingestellten Behauptungen bedürfen noch einiger Erläuterung
und Küchtfertigung.
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272
Koblrauacb' Über deskiiptivo and DonnatiTe Elemente usw.
L TTntor den vielen nuTerliexberen Wahrheiten, deren gefestigte Erirenntnie
wir Kant Terdanken, steht wohl in Torderer Linie der Sata, der daa Gmndmoti'r
seiner Yernunftkritik Uldet: dafi unaer ganiee Denken durchzogen ist tou dem
Oegensats erklärender und bewertender Urteile, von dem Oegenaata Ton
Aassoi^n über die Existenz and die Bedingungen der Erschoiinin<]rcn eineneits,
ihren Wert oder Unwert unter irgend einem Gesichtspunkt andrerseits.
Daraus, daß ein Urteil für den Urteilenden psycholop^isch fseinon ziireirlionden
(inmd hat. fnlfi^t noch nicbt, dnfi ..wahr" ist, aus hfiiicr subjoktiven Ndtw.^'iuUg-
ki'it folfrt iKic'li nicht seine olijLkrivo Aüpromf'in'^'iiltiL'kfnL Und damit, daU wir
samüidie Triübfodcm einer meuhchlicliiu Ilaiulluug bloßgelegt haben, ist noch
nicht das geringste darüber ausgemacht, ob sie «gut" oder „sclilecht" sei. So
wenig ein Urteil mit seiner psychologisohen ErUünmg logisch bewertet ist, so
wenig i^ mit der psychologischen £rklAmng einer Handlung ihre ethische
Bewertiii^ g^twn.
Diesen Unterschied zu betonen, kOnnle fast trivial erscheinen. Wer aber
die strafrechtliche Literatur kennt, wird zugeben, daß es nicht unnOtslich ist
Und wer die eigenen and fremden Aussagen des tigüdien Lebens anfmerfcssm
priift, wird ebenfalls wissen, daß die gegensoitige Verständigung häufig leichter
wäre, wenn jener ünteisohied schärfer festgehalten würda
Nur allznnft schreiton wir im Ijohen vorschnell zu einer Katalogisierung
d*'r llaiKlliuifrtMi untpr don Srhl;ii;u urti'ii ..irut" und „böse", wo wir bes.sor täten,
uns iciiiiiii list IHM ihr Vi iständnis zu bfinülien. „ühU Ihr Menschen*', ruft Ooethcs
VVtutlier aus, .,uiu von einer Suche zu reden, gleich sprechen müßt: das ist
töricht, das ist klug, da^ ist gut, das ist bös! Uud was will da^ alles heilten?
Habt Ihr deswegen die inneren Yeihiltnisse einer Handlung erforscht? wiBt Ihr
mit Bestimmtheit die Ursachen an entwidtein, warum sie geschah, warum sie
gMchehen mußte?*
Und wie in die Aussagen des tiglicben Lebens schleichen sich anch in
wissenschaftliche Untersuchungen, die lediglich das Seiende und die Gesetze
seines Werdens darstellen wollen, allsuleicht Wertbenrteilungen hinein, bei dmen
uns das Fehlen eines jeden MaB;^tabes nicht einmal immer zum BewuBtsein
kommt Wenn die Oescbicbtschreibung nachdem sein -sollen der Erscheinungen
fratrt, hörte sie auf, Historie zu s'^in, und wird zur Politik. Der moderne
„Entwicklungsgedankf " um nur ein wnitorfs Beispiel htr.uiznziohen — , nach
dem dfl<? Naturfrcsclit'h'Mi rin Fnrt.«chri itPü mittels Vererbung, Anpassung, Zucht-
wahl usw. zu iiiim> r hiilK^rcu Funnou darstellen soll, leidet an dem vorhängni.s-
Tollen Mangel, dali hier unvermittelt der Begriff des (nicht nur Späteren,
Koblr«ii«oh: Olier dedcriptiT» und aonwifive HraMBle uv.
273
Komplizierteren, Foraienreicheren, sondeni) „Tliiheren" eingefülirt wird in dem
naiven Glauben, daß deskriptiTe Naturgeschichte jemals einen solchen Wertbegrüf
Jiefem kVnm,
IsA es nmi swar munöglich, ans den Gesetmi des OeMdieheos MafistSbe lu
abstnüüenn, so ist neben einer dedcriptiTen eine nonnaiiTe Betraditnng dodi
keineswegs flbeiflOasig oder g«r sinnloe. Die Objekte nnoes BewoBlseins nicht
tm nntsr der Kistegoiie des Seins, eondero miAi nnter der des Seinsollens «n-
suordnen, entsprioht zwei höchst realen Funktionen nnsies Denkeos, von denen
die letztere nicht deshalb wo^golougnet werden daif, wdi es schwer ist, hier m
allgemein gültigen Resultaten zu kommen.
Die Oeschichtschroibung, die das Trowordene an Wcrtmaßstäbcn prüft, wird,
wie iilicn gesagt, zur Politik, Hier ist iiiii?f?kohrt zu bohnupten, daß jedp Politik,
die lediglich historisch bepriindöt zu sein vtirgibt, entwedtT zu wertlosen iv^ • h-
nissen kommt, oder aber die Geschichte vergewaltigt, wofür es genüge, auf
Comte hinzuweisen, der allein aus dem Gewordenen und Seienden ein Sein-
soUendes xn begründen unterainimi ünd der gleiehe methodisehs Mangel liogt
jeder sograannten deskriptiTen Ethik sngronde, in welchem Gewände sie sonst
auch auftreten mag. Wie eine rein p^chologtsche Betraehtong niemals eine
„liOgik*' ergibt, kann an«h die genetische Daxstellnng der Qesetse nnsres prak-
tischen. Verhaltens awar eine Sittengeschichte, nnmSglioh aber einen Kodex für
nnser praktisches Verhalten, eine „Ethik** liefern, obsohon dies von nsmhaften
Ethilcem in Vergangenheit und Gegenwart behauptet wird. Auch hier bedürfen
wir, nm eine solche Sittengeschichte praktisch venverten zu können, eines Maß-
stabes, der uns das stets Geübte nun auch als das „Seinfollendc" aufTieigt.
SoUtOü wir ihn ullaromoinpnUif^ nicht finden köiinon. so wäre die Aufgabe der
Ethik unlösbar, nie aber wird ihr eine andero gesttdlt worden können. — Nichts
überhaupt ist so falsch und so unkritisch wie der Satz: „AUos verstehen heißt
alles verzeihen". Verschiedene Erscheinungen zu verzeihen setzt die Festlegung
eines Wortansfistabes Turaus, der ims dnreh kefaie nur Toistehen woHmde Be-
trachtung gdiefert wird. Ob wir aber „veneiben** sollen oder nicht, ist eine
durchai» nidit mflfiige Yn^. —
Dieser Dualismus in nnsrer geistigen Verarbeitung der Essdieinungen wird
scheinbar noch veisdilift, wenn wir auf dem Standpunkt d<ff (SesetaniBig^eit
alles tieeehehens einsohlieOlich des menschlichen Verhaltens stehen. Wenn alle
Erscheinungen nach Natur^psotam ablaufen, wie kommen wir Menschen dann
dazu, Werte aufzustellen, eine menschliche Handlung „gut", die andre „böse"
SU nennen? Es ist dss Problem, dessen Kätselbaftigkeit Qoethe dabin ausspricht:
18
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274
Kohlraaaoh: Ober deskriptiTe «nd nomutiTe Elemanta naw.
„Kftch ewigen, dmnen, großen Oeselaen mfissen wir die unseres Daaeina Kreiae
voHendmL Kur allein dcnr Menadi vermag das Unmögliche; er imteraolieiclet^
wiUet und liditet". Goethe siebt gerade darin „daa Odtfliohe" in nna; andere
lösen das Bitsei, indem sie die Begriffe „gat** und „böse" in „sweckmidBig''
nnd „swe<^idrig<* auflösen. An dieser Stelle konunt es »uf eine Lösung nicht
an; es genügt, das scheinbar „Unmörrlichr'" als wirklich zu konstatieren.
„Wir" mit unsrom Drang zu Worturteilen sind eben selbst ein Faktor in
jenem gesetzmäßigen (leschohon. Unser Tlandeln aber volizielit sich nach be-
stimmten Zwecken, (iio wir uns vorsetzen, und diese wirilLTuni sind bedingt
durch die Fiiiiigkeit, Werturteile alizusrchen Das liegt in unsrer psycholo-
giscliC'U Beschaffenheit — damit konueu wir uns hier beenügen — : durch keinp
Anstrengung und Überlegung vermögen wir diese Eigenschaft, nach Werl- und
Zwcckgeäicbtspunkten zu bandeln, abnistreifen. Und -wir brancben sie auch
nidit etwa deshalb tOrioht zu nennen, wdt ja von dem vorhin vorausgeeetsien
Standpunkt aus auch unser Handeln ursKchlicfa bedingt sei. Denn einmal sind
wir uns unsrer kausalen Abbingij^eit nicht bewuBt, und sodann iat auch das
Zweekgesets, nadi dem wir bandeln, nichts andwes ab die Eehiseite des Kausal-
gesetiea: Dar spitem H&toriker wird auch uns Zeitgenossen und unser Eingr^ea
in den Gtang der Gcgchiehte als kausal bedingte Erscheinungen auffassen; ein-
gegriffen aber haben wir dennoch. Der Historiker wird nach der „ünache*'
und dem . Erfulj;" nnsres Tiitipwcrrlens frafren, wir selbst fraffen nach unsrom
„Motiv" und unsrem „Zweck", beide alter meinen wir in letzter Linie dasselbe.
Dieser Unterschied zwischen den deskriptiven iiiui den normativen Elementen
unsrer Aus.sagen, zwi.Hchen dem Konstatieren und dem 'Bewerten des Geschehens
ist für die Strafrechtswisscnschaft nach zwei Richtungen von Bedeutung.
Der Eliminalist hat als etwas Gewordenes, kausal Bedingtes an konstatieren
und m erklären: erstens die etnxelne ihm vorgelegte Handlung des Tlters,
aweitens den gesaroten Xonnenkom^x. Das ist Au^be der Kriminal-
Atiologie einoseits, der Bechtsgesobiebte andrerseits.
An beide Erscheinungen legt er weiterhin seine UaBstftbe an, wenn er
erstens bagt, ob die Handlung des Tttars „richtig**, d. h. reohtmftfiig, normgemlB^
oder ob i« unrichtig", d.h. rechtswidrig, normwidrig sei, luid wie er sich im
letzteren Falle zu ihr verhalten „solle"; und wenn er zweitens fragt, ob das
gewordene, seiende Recht ..lichfip" sei oder nh nnd wie or es altändem ..solle".
DiLs ist die Aufgabe der auslegenden Strafrechtsdogmatik und der K riminal-
politik. ohne daß aber beide hier ebenso «charf voneinander abgegrenzt werden
können wie dort Kriminalätiologie und Reciitsgoäcbichte; deun kriminalpoUtiscbe
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Kohlrauftoh: Üb«r deakriirtive and mmnatiTO Elemente usw.
276
Gesichtspunkte sind nicht nur vom üesützgcbor bei der kritischen Betrachtung
des hergebnebtan Ncnnenkomplexes, sondern auch vom Richter der einzelnen
normwidrigen Tat goigenttber xn brnditon, insoweit lübnlich als das gesehrieben«
Redit im Stiche iSBt, wie bei der fiemeasnng der sein-solleRdeii Straf» innerhalb
des geeetslich cur TafOguag gestentea Strabahmen«.
IL Die Stellung der hevgebraehten StiiiieohiswisMiiBchaft «i diesen vier
IKttiplinai ist inaofwn eigenartigf als de gegenttber je einrai der beiden Biv
kenntnisobjekto — Tat und Nonn — nur je eine der beiden liegen — naoh
Erklärung und Bewertung — stellte, die jeweilig andere aber Temachläsaigtet Die
konkrete Tat wnrdp lodif^lieh hewortct und der Normenkomplex wurde
Icdifrlicli nach seiner Knt'itoliiin^^ und lo-^isclien Tragweite — orklärt So
waren Hfrlits-^oBchichte und Strafrechtsdogmatik die Disziplinen, auf die sich das
Interesse konzentrierte.
(jerado die letzten Jahr^oliute haben den beiden remachlässigten DiäzipLLaen
ihren Bang wieder erobert
Unser realistiseber gewendetes Denken eAannte den lOABtand, gegen den
Werlhers Ansmf sieh richtet, und strebte «mfiobst naeh genetisoher Srt^irang
der SU bewertenden Taten. So entstand neben der Lehre Tom Wert des Yer^
brechens die Lehre Ton den Ursachen des Yerbrechens mit ihren mannig^
fachen Ahsweigm^^
Und dio 7.n Beginn dieser Auseinandersetzung gekennzeichnete Tendeni
naeh praktischer Durcbsctziuig gewisser Grundgedanken führte dahin, das ge-
wordene und seiende Rocht unter die Lupe der Kritik zu Ic^on und es unter
dem (rcsiclitswinkrl des Sein -sollenden zu betnuditen. So erhol» sieh npben der
Frage naeli den Gründen und der Tragweite des Kechts die Frage nach dem
Wert des Rechts.
An das historisch gewordene Recht legen wir Menschen — trotz der An-
erkennung der OesetsmftSigkeit dieses Werdens — unsre MafistKbe an. „Wir"
Menschen sind ja die Oesetsgeber, »wir** schaffen die Normen, nWir** greifen in
den Verhiuf des gesetsmftBigen Werdens der Nonnen ein. Das aber können wir
nicht anders, sls indem wir das Gegebene „beurteilen'*, nicht nach dem Oesets
ron ürsacho und Wirkung, sondern nach demjenigen Gesets, nach dem wir jede
vnster Handlungen regeln: nach dem Gesets irgend eines als wllnsohenswert
erBcheinendon Zwecks
Der Gesetzgeber kann nicht lediglich die Liiiin, die aus der Vercrangcnheit
m uns führt, in perrider Richtung über den Punkt, den die Gegenwart darstellt,
verlängern. £r fragt, ob die bisherige Richtung jener Linie richtig ist Dasu
18*
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276
Koblr»iMob: Über dwkriptfv» mA atHnuitive Dam^nte mar.
bedarf er eines Maßstabes, der unmöglich in dem historisch Gewordeoeu selbst,
soudem nur außerhalb seiner liegen kann.
Dem QeUet diatw letstgemmiiteB Frage nun, der Fra^ naoli dem „riolitigaii
Brnkf* — wie «e Stammler in seinen mindeetens in der Froblemstellnng sddeeht-
hin nnvideriegliolien Untenuchnneen goinmt hat der Enge nach dem Wert
des Beohta gehört die eben lunngeiiogene Frage der „Vergeltung" an.
Wir k(Siinen «war deatoipKT schUdem, wie m allen Zeitwa jede WiAmg
Gegenwirkangen aualOate; wie jede einen anderen schädigende Handlung in
letzter Linie sich schädigend gegen ihren eigenen Urheber zurflokwandte; wie
weiterhin das Verbrechen immer deutlicher als Sciuidiirun^ nicht nur einer Kiiizfl-
person, sondoni dos snzifilen Organismus empfiuuion ward, der sicii nun seiiit'i'seit.s
leidzufü«ron(i f!:f'!^on den >\iiirreifer wandte. Wir können konstatieren, daß ini sozialen
Leben jede Tat ihren Lohn empfängt, jede Übeltat vergolten"' wird; und wir können
den Sata aufstellen, daß diese Reaktion gegen jede Aktion so sehr in der Natur der
hier betrachteten Erscheinungen liegt, daß sie voraussichtlich nie verschwinden wird.
Das alles abw betrifft nieht die ^ng»t die wir heute stdien. Von d«r
TatsttoMichkeit nnd Oeaetamäfiigkdt einer Beaktien gegen das Yerbrechen gemein-
schaftlich aneg^end trennen sieh die Gegner heute erst bei ganz anderen Fragen.
Die heutigen ErSrterungen darttber, ob die Strafe „Yergeltiing" aei, anehen feat>
zustellen erstens: wie wir das Recht m strafen begründea kOanen, und swdtens:
weldie Strafe dem einzelnen Yerbrechen angemessen sei. Nicht daß wir strafen,
sondern daß und insbesondere wie wir strafen sollen steht also zur Disku^on.
Der Streitstand ist dabei der, daß die Anhänger der Vergeltungsstrafe aus
dem Vergeltungsj^'edanken nicht nur die Tatsache , dnR, sondern auch Art und
Maß, wie wir strafen sollen, l)errrüiirlen zu können jneinen, wahrend die Oegner
zwar das* „dati*', d. h. die Möglichkeit einer Kechtferügung der Strafe ans der
Yergeltungsidee, dahingestellt sein lasbon, uuf.s lebhafteste aber die Möglichkeit
bestreiten, aus der Vergeltungsidco heraus ein „wie", d. h. Art und HaB der
(Mmfe featatidlen su können. Die Anhänger der Vergeltungsstrafs aehen danadi
in der Strafe einen Ausgleieh, eine Faralyaierung d<^ begangenen Yerbrechena^
und fordern Oleichaetsung der Strafe mit den leehtasehiidliehoe Wirkungen der
schnldhaften Tat Die Gegner leugnen die AuisteUbaikeit einer soldien Gleidiung
«wischen iwd inkommensurablen OrOBen und fordem Anpassung der Strafe an
den Zweck, der künftigen Begehung von Verbrechen entgegenzuwirken.
in. Prüfen wir von dem zu I aufgestellten Gesichtspunkt aus die Yer-
geltimgslehre, wie sie bei Adolf Merkel auftritt, so ergibt sich, daß seine Untere
suchnngen das unter II skizzierte Problem überhaupt kaum benUuen.
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Kohlrausch: Über desikriptive und normative Elomonto usw.
277
Die Ifnfgm^ um die 68 sieh oben bei der Oegenftbentalluiig deakiipttTev
und nommtiTer Slemente inuerar AxmtgBa handelte, lauteten:
1. a) Wie Ist du Becht geworden und welchee tat aein bihalt?
b) Wie aoU ee fortgebildet werden?
2. a) Wie iat die Icenkrete Handlimg des Ifttera geworden?
b) Wie soll slofa das Beoht ihr gegenüber Terbalten?
Während die kzitisdie PliüoBophie uns lehrt, daB die Aagen unter b) nie'
mals allein aus der lu a) gegebenen Antwort gelöst werden können, ist fflr
Merkels Methode charakteristisch, daß er gerade eine solche Ableitong fttr die
allein korrekte und fruchtbiingende hüt Das zweite Problem, auf das es ans
hier anknmriit, tritt dalx i zwar in keinen inneren Zusamraenhanfr zn dorn ersten.
sei aber hier gleichzeitig auf hHd« hingewie^on, einmal um /u zeigen, daß
der liier i)eliaupteto Standpnnkt Mt.'ikcls in der Vcrgeltungsfrago kein zufitlliper
ist, sondern seinor sonstigen Fuiivchuiif^bWüiüO durL-haus entspricht, sodann wpü
31('rkel nur der ei-sten Fragengruppo gegenüber seineu Staudpunkt ausdrücklich
dargelegt hat
1. Merkel war einer der wenigen Juristen, die der Frenßisoben Akademie
der Wisssoschaften aogeb(Men, und awar nieht — das maobt seine Steltnng noch
nngewöhnlieber — wegen reebtshistorisehOT, sondern wegen recht^hiioeoplüscher
Verdienste, nimlieh als „BcgrQnder einer positiven Becbtsphilosophie**.* 10t
diesen Worten ist seine pbilosopbisohe Ricbtong klar gekennzeichnet Merkel stellt
der Recht.sphilo.sophie die Aufgabe, einen empirisch gegebenen Rechtsstoff
au analysieren, nicht aber ihn in Kantischem Sinne „kritisch'* zu veiarbeiten,
d.h. ihm gogcntlber zu allgemein prültisrpn 'Werturteilen zu gelangen.
Niemand wird behaupten dürfen, dali die Merkeische ^Vagestellnn^ unrichtig
.sei. l urichtig waie es nur zn meinen, daß sie mehr als eine Klärung vor-
handener Erkenntnisse, daß sie jemuk die Gewinnung neuer Erkenntnisse zu
liefern vermöge. Daß ein analytisches Urteil dazu nicht imstande ist, wird seit
Kant selten ausdrflcUicfa bestritten. Nur zu oft aber setzen wür uns, ohne uns
dessen bewußt au w«?den, über diese Kindcht hinweg und wähnen, dnrdi
Analyse unser Wissen nicht nur Uftren, sondern auch mehren zu können. Auch
Meiricel hat es getan.
"Bs ist snnäehst zwar ein Tdllig nnanfecbtbsies Toigehen, wenn Merkel der
Bechlsphiioeophie die Au^be stellt: »die wesentiichen Beaiehungen daisulegen,
I) f^o die Angabo boi Liepmann, Zellsr-hr. f. d. fM. 8tl1lfl«obt8wi8MB8Cbaft, Bd. 17 (1897)
S. 642. Vgl. zum folgenden Liejimann S. öTtli— 6tk>.
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278
Kohlrausch; Cbor dtskri|itivt! mid normative Eloiuüuto usw.
welche unter den ReehtabeBümmungen bestehen, und diese auf solcbe Weise sa
einem einheitlichen und gegliederten, nach bestuomten Oesetten aidi ent-
wickelnden und beheuptenden Ganzen sich susKmmensdilicßmi zu lassen".* Ein
derartiges „Aufsteigon vom Bc^nndercn zmn Allgemeinon" (S. 297) fördert zweifellos
unsere wissensobafUiche Einsicht in ein Eriicnntnisgcbiet in fruchtbarster Weise;
wie CS ja auch unhoshoitbar ist, daß Merkel in solcher HerausdestUlierung
klarster aUgenietner Begrifft nus der fülle der disparaten Hecbtsgebiete kaam
zu übertreffendes peleistei hat.
Allein Merkel beschränkt die Rcchtsphilosopliio auf diese Aufgabe, ,,all-
gemeine Kccütslchre" zu sein; jede weitere Fnigestellung leimt er ab. ..Aufgabe
der Doktrin in bezug auf das Hecht" ist es lediglich, einmal „den Inhalt den-
eelben in geordneter Weise zur Anschauung und in IVirmon zu bringen, welche
eine gleichmäßige und sichere Anwendung begünstigen" und aweiteos, „das
TerstSndnis des Rechte nach der Seite seiner Gründe und Wirkungen zu ver-
mitteln« (Abb. 8. 435). „Es Ifißt sich fOr die Rechtsphilosophie kein Temttnftiger
Inhalt und es lassen sich keine Probleme für sie erweisen, welche nidit diesem
Kreise angehören" (Abh. S. 30*2) n on it.s dieser Satz wird auf Widersj)ruch
stoßen. Wenn die Au^be der ..Rochtüphilusophie ' mit der letzten und feinsten
Analyse eines gegebenen Rechtsstoffes erscliüpft sein sollte, so würde sie —
mindestens von Kantisch(<m Standpunkte aus — ihren Namen zu Unrecht fühi^a
und sich auf die Bezeichuuii^'^ .,a!lc;< iiu ini' lü rlit-sli hre'' zu beschränken halx n.
Unvennorkt betraclitet aber auch Merkel diis Recht bisweilen unter der
Katej^orio dos Seinsollonden. Man vergleiche nur seinen Aufsatz ,. Recht und
iUaeht ' (li>61, Abh. 40ülf.) uud die Beliaudlung desäclbea Themas in .seinen
„BleoMmtmi der allgemt^nen Reohtdehre*^ (Abh. 8. 58dfiE;). Die Problemstellung
bereit» und auch einzelne Wendungen in der Auaftthrung zeigen, wie Merkel die
yotwendi^eit fühlt, die Betrachtung des tatsAcblich Geschehenden von der ürage
* ---I
nach dessen Wert zu sondern. Können wir ohne weiteres von einer den geschidit-
lidien Machtentscheidungen immanenten Gerechtigkeit sprechen? — so
lautet das l^oblem. Man bekommt fast den Eindruck, als ob Merkel eine
instinktive Neigung zur Verneinung der Frage mühsam niederringt. Häufig
begegnen Wendungen wie die von dem „Wert der Rechtsnormen", der nicht nur
ein ZweckmäOigkeitswert, sondern ein „wd den Anschauungen über das Gerechte
1) über das Vcrhältris iler Ri>cht8phil"s. .jihin mr p i^itücn I?. rlit.swivscnsLliaft, 1S74.
(Gesunmelte Abhandlu^gou awi dum ütibiut der aUgciufiiiiiu Ucclitsk-bru und des Strafreuhts,
StasfibuiB 1899, 8. 302.)
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KoblrkBcah: Ülwr de>Uiii|jüvci und BonnittTO Bmunto oav.
279
flioh jfründeader" sei (S. 689), Hua «nraftot «of jeder Zeile ein inbeltlich
bestunmtes Pdnzip des Rechts. Aber das Eigebnls ist die klare Bejahang der
gestellten Frage: „Die Berufung auf eine den geschichtlichen Machtentscbeiduagon
innewohnondo Gerechtigkeit" (S. 427) wird nicht nur als wissenschaftlich berechtigt
anerkannt, sie macht auch jedr inhaltliche Bostimrmmp: dos Kepriffs „Gerechtig-
keit" unmöglich. Der „Wert" der Kechtsordmiiig ist der rein lurmale: „Friedens»
orduurif; als ein Ausdruck für fri'fjehenc Machtverhaltuisiso" zu sein.
Und m zieht donu aucii Merkel ausdrücklich die Folgerung, da£ der Maß-
stab Ittr die Fortbildung des gegebenen Rechts ausschließlich aus diesem selbst
za entaebneik sei, dafi das Seinaolleiide ledigiiob aue dem Seienden gefolgert
werden kdnae. Biebtig beifit es in dem genannten Au&ats Aber die Aufgaben
der RecbtspbiloBophie annicbst: „Welobe Entwicklung mOglicb sei, darttber
belebrt nns nur die ErferMhnng des Gegebenen". «Nach dem oben unter I
Gesagten i«^ aber die Fertselsnng unbedingt abaulehnen: «ebenso daittber, welche
Richtung der möglichen Entwicklung au befördern, welche su bekftmp-
fen sei. Das ,8oll' ist nur eine Konsequenz des Urteils über das ,Ist"' (Abb.
S. 319). Wenn Merkel fortfahrt; „Violen erscheint es freilich unbegreiflich, wie das
Bestehende den Maßstab für seine eigene Beurteilung soll ain dio Hand flehen
können", so wird zu diesen Violen in allerereter Linie Kant und jeder, der den
grundlegenden Gedankengängen Kants folgt, zu ziihlon sein. Trivitil ausgedruckt
dürfen wir das Problem, aus dem Seienden ein Beinsollondes zu folgern, iiia-
sicbtlieh seiner Lösbarkeit durchaus in Barallele setzen zu der Aufgabe, sich am
eigenen Zopf ans dem Sumj^ au stehen.
Diese ffpositiTistische Tendens", wie Heikel es selbst nennt, wäre leicht
durch seine drei Jahnehnte umftwsenden Ari>eiten su verfolgen. Sie finflert eich
ohne Schwanken auch allen allgemeineren Ihigen gegeottber. „Die speaifisohe
Angabe dw Wiasenschaft** beeteht nach ihm lediglich in der „Orientierung ttber
die wirkliche Welt und die in ihr wirksamen Kräfte, sowie über das Oesetz-
mäßige in der Verbindung ihrer Äußerungen" (Abb. S. 431). Kondensierte Ent-
wicklnngsgGschichto ist Philosophie'' (Abh. S. 745). Jede Wissenschaft, die sich
nicht mit dorn, was ist. sondern mit dem befaßt, was sein soll, wird als unwissen-
schaftlicher „Ideaiistuus'^ bekämpft
Ks kommt hier nicht darauf an, diese „positivistische Tendenz'* Merkels
zeitgeschichtlich zu erklären aus der damals |schr angebrachten Reaktion gegen
vage, jeder objoktiren Bestimmtheit bare NaturxechtBeysteme. Dafi Meikel jede
Aussage über ein SeinsoUendes als unwissenschaftlich verwiift, diene hier nur als
Hinweis auf den wahren Inhalt seines Vergeltungsgedankens.
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280
KoJilraasob: Ober deakiipttv» imd nommtiT« Blsmiite luw.
2. Der T««geltimgaibflgriff im 8tn£raoht hak Ifackel wiederimlt bewdiifligt
Am schärfsten ist seine Au^UBmig in einem bereits im Jahre 1867 gehaltenen
Vortrag herausgearbeitet, ohne grundsätzliche Wandlungen zieht sie sich durch
alle folgenden Arbeiten hindurch, um dann nochraak nach 25 Jahren in d^r
Stxaßbnrgei' Festgabe für Iliering zusaninieng^efaßt vorgetragen zu werden.*
Die Bedeutung seiner Vergeltun^slehre tritt uns am reinsten bei ihrer ersten
Ausgestaltung entgegen. Ks ist das grolU^ ^S'«'ltratse! . von dem Merkel ausgelit:
Wie verträgt sich die Talüaclie, daü wir uiunt>cliliclie Handlungen wägen und
richten, mit unserem Glauben an die ewigen ehernen großen Q^t^e, nach denen
yiit alle mnwM ItasniiB Kreise TaQenden mttwen? Wie ntiftrt und reoldlertigt
aidi im»er Wanseh nach gerechter Anegleichung Ton Yerdienet imd Schick-
Mi nut tinsrem GUaben an die geeetamäfiige Yerkettung unsrer Oeadiicke
mit nnBren Taten? Ein Widei^iirueh soll nach Merkel hier gar nidit m fmden
sein. Zwar mag es dem Individnum von «einem besohiSnktan Standpunkt au»
loheineo, daB „das Leben des einzelnen in taugend Füllen zn Ende geht, ehe
ein seiner Wirksamkeit entsprechendes Resultat sich herroiarbeitet" Aber vom
Standpunkt der Menschheit als eines Oanzen ist alles, was geschieht, „gerecht".
Denn jede Erscheinung, auch wenn sie der geistigen Sphäre angehört, weist auf
eine bestimmte Ursache hin, in welcher sie ilire Erklärung findet: weshalb wir
uns nicht bokingen dürfen, wenn „wir in den unvorfälschton Kesuitaten unserer
eigenen freien Wirksamkeit uns selbst begegnen.''
Bei aller Anerkennung der Großartigkeit und Weite des Gedankens drängt
sich sofort die Frage auf: Ist damit wirklich jener Widerspruch erklärt oder ist
nidit -riehndur die Antithese stOlschwetgend dadovch beseitigt, daB der eine der
beiden Slitee, die znulichst doch als gleich berechtigt angestellt wurden, wieder
gestriefaen wird? Die IVage lautet: mit weldiem Redit stellen wir dem gesets-
mftBigen Veriauf der Dinge Werte gegenüber? Merkeis Antwert geht dahin:
mit keinem; wir haben nns mit der Aneikennnng dessen was gesdiieht an be-
gnügen. Denn irgendwo in der Yergaugenheit mufl der zureichende Grund für
das was uns geschieht — sei es erfreulich oder unerfreulich — liegen. So löst
sich das Rätsel, indem jenem „Wunsch nach gerechter Ausgleichung" nachträg-
lich die Berechtigung wieder bestritten und er lediglich unsrer beschränkten £in-
J) Vgl. besoudors „Uber vergeUendo ü«rechUgkeit'' (iB(i7), AbL S. 1—14; „Zur Beform der
Stnf^eaetie'* (1688), AUi. 8. 130— U7; „Über die Idee der Oefeehtig^eit bei Sdiüler" (1870),
Abb. 8,148-161; „Über Akkonsze nz iiii'i DL-kivN/j iu des Strafrechts und il ri>n R-dinpingen"
(1873), Abb. 260—290; „Lebrbucb dus deuLscben Stnfrachls" (188d), S. 171—206; „Ver-
fBÜaagBidfle und Zweolyedaak« ia Stnfmlit» (1882), Abb. 687—723.
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iLoklrftttsch: Über deiduiptire und normative Elomonte usw.
281
sidit in den Welteolanf auf Beoimtuig gesetst wird. „Oerecht" ist alles,
was seinen zttreiohenden Qrund hat, was sieh aus der Tergaagenheit
„erkUren« l&fit
Der Zuaanunenhang mit Ueifcels recli<q»hÜ080i^uBoher Gmndlegnng ist leicht
enichtlicb: der Begriff der Gerechtigkeit soll einer inbaltiichen Beetimmung
ebenFdwcni/^' fähig sein wie der des Rechts; was wirklich ist, ist gerecht So
ist auch der Begriff der Vergeltung bei Merkel ein rein historisch konstatierender.
Wir machen einen Querschnitt durch den Fluß des Geschehens und soHpii
dii.s Recht" als die friedliche Ordnunf:;' ge^benor Machtverliiiltnisse; und wir
machüii einen Liingsselinitt und kaiibtruierün den Betriff der .,Vorpeltung" tüs
die Veranbchaulicliiuig des iVinzips von der Fortwirkuug aller Ursachen: jedes
Schicksal, mag es den Menschen emporheben oder vernichten, hat seinen zu-
xeiohenden Orand in seinen Taten, denen es stdiliefilioh stets adäquat ist Dss
„Oute** empfftttgt seinen Lohn, das „Sdüechte** empfängt seine Stmf&
BeoDoch konunt auch hier der Trieb, sUgemein gttitige Werte aubnstellen,
bei Meritsl bisweilen smn Buvchbmeh. Aber andi hier ündet er bei Itei^ela
bistorisoh-aaslTtisoh oxiMitierter Uetiiode keine Befriedigung. AuBerordenflidi
diaxakteristisch 'dafür ist die Uatexsodrang über den Begjäff der poetischen
Geroohtigkeii „Gerecht" erscheint uns in der Tragödie der Ünteigang des Helden .
dann, wenn er nicht durch „Zufall" und „Wunder" Tennittelt ist, sondern
„durch die natüriicbc Ordnunp der üinpo". T)e^halb werde unser Gerechtipkcits-
bedürfnis nicht befriedigt, wenn Fiesco auf dem Steg ausgleite und ins Wasser
falle oder iVanz Moor etwa au.s dem Fenster stürze, ..weil es an der geforderten
inneren Kausalverbindung zwiücheu V'ertiroehen und Strafe fehlen würde". Ge-
schieht denn aber nicht gerade nach Merkel alles mit Notwendigkeit, also so
gut dss Ton Schiller kooslminte, wie das hier von Merkel unterstellte Bude?
Das fohlt HeriEel natOiüch sehr wohl, und so lautet die Anl|gabe, die er dem
tragisdien Diditer stellt, in ihrer sohliefilidien Fonnuliening: „daft er in der Veiv
knflpfnng von Terbrecben und Strafe die BeaÜtttt ein« moralischen Ordnung
aur Anschauung zu bringen habe.** Diese Formulierung ist aber ohne Vomitt-
lung an die Torherige bei dem gesetsmäfltgan Znsanunenhang der Singe stshen
bleibende Betrachtung angehängt Eine moralisehe Ordnung ist niemals durch
Darstellung von Naturnotwendigkeiten zu veranschaulichen. Auch hier also
der gleiche Zwiespalt zwischen Normen und liatuigesetaen, auch hier aber keine
liösung, höchstens eine Verscldeierung.
So ist es begreiflich, daß die Beziehung zwisehon dem Merkelsclien Ver-
goltungsbo^iff und den Au^aben der StraQustiz nicht diejenige ist, die wir
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283
KohlraaBoh: t^or dc&kripttve und nonnaÜTo Elcmonto usw.
bente ~ wie oben geseigt — snobea. Bei Heilcd hat der Tageltangsgedaiike
le«üglidi die Bedentungt so konstatieren, daft wir strafen: der Verineoher
hat seinen Nebenmenschen und in ihm die Gesamtheit g^hädigt — er darf sich
nicht darüber beklag'^n. daß der soziale Organismus in ontsprcchonder Weise
gegen ihn reagiert. Auch die staatliche Strafgerechtigkoit ist ihrem Wesen nach
„eine Venvirklichung des bisher bp^pruchpnen (Sosotzf^s in Hnt^r besrhränktf^n
Sphäre", die Bestrafung dos libeltätei>. ganz flKiisu wie <lii' pnotische Vergeltung
„die natiiiliclu' und mitw endige Frucht seines Wirkens". DiiR hier scheinbar
„die bewußte Willkür des Gesetzgebei's • den Zusammenhang zwischen Schuld
und Strafe Tenuittclt, äudort daran nichts. Doiui in Wahrheit ist auch die lie-
strafung der Verbredien „eine in der ubjektiTen Natur der menscbltdiMi Dinge
begründete ErBcheiaung" (Abb. S.8— 10), eine Beaktieai anf eine Aktion. Würde
der Staat auf eine in diesem Sinne vergeltende Stralgereditigkeit venüditen, so
wfire das ^eicbbedeutend mit einer Terneiniing seines „Willens zum Dasein".
„Die staaiUdie Yeigettong wird daher dauern, sdange das staatliehe Beoht
dauert" (Abh. S. 700).
So gehört für Merkel die Strafe zu den Formen der Selbstbojahung gegen-
über irgendeiner Verneinung der Geltung unseres Wilh'ns (Ahh. S. ß91). Die
stantücho Strafe im besonderen ist ..die im jT«^se!!schaftliclie!i J^'hoii nach der
naturiiüiien Verknüpfung von Ursache und Wirkung sich von si lb.st begründende
Vergeltung". An sieh Tollziehe sich diese Verknüpfung „auch ohuo künstliches
und bewuljteri Kuigreifeu einer uut dem Schwerte betrauten Obrigkeit". Die
staadiche Strafjustiz sei nur dazu da, „ die Zusammengehörigkeit von Verbrechen
und Strafe zu sionlidier Anschauung zu bringen ' (Abb. 8. 2891).
Das alles kann von jedem Standpunkt innerhalb der beutigen Kriminalisten-
debatten augegeben werden. Auch sei die Fruchtbariteit dce Meikdsohen Ter-
geltungagedankena für seine ti<^n Ausführungen über die Strafrecht^esehichte
als „Kommentar aur EntwicUung^aehichte d«r Menschbeif* (Abb. S. 230) kemes-
wega geleugnet Die Funktion des Merkeischen Vergcltungsbegriffs ist eine ent-
wicklungsgoschichtliohe und man kann vielleicht Merkel insofoni als den letzten
Anslänff-r der Hegeischen Strafreelit.sschule bezeichnen. Aber der Wert seiner
Ans( liaunng.Hweise ist nur ein entwicklungsgeschichtlicbcrj krümnalpoiitisch
leistet siü nichts und will sie wohl auch nichts leisten.
Die Strafe ist nach Merkel eine Ausgleichung des Verbrechens und seiner
Wirkungen, wie wir sie auch im Einzelfall entsprechend den zeitlich
bedingten Werturteilen und Zweekanschanungen ausgestalten mögen.
Aber Merkel ist weit entfernt Ten dem heute verbreiteten und bisweilen vergebliob
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Kohlrauscb: Über <lesJuiptive oad nonuative Elemente usw.
283
gendft auf ihu gestatstn. Tnlangon, «kB dieser Oede&te der Anq^leiofiuiig im
Eiiumlfalle fOr Stnfmafi und Stnfart das regulative Prinsip abzugeben habe.
In dieser Hinsieht fiwdert er vielmehr mit Uaren Worten: immer ToUkommenere
Beseitigang jede» Baehegedukens, ja sogar Yerwerfang des „Priniips des
gleichen MaBes als eines jeder rationellen Basis entbehrenden^
(Abb. & 146; vgl. auch 8. 280). Soweit die Strafe Yergoltung übt, soll sie es
nur durch „Beglaubigung der Bieslitftt der moralischen Ordnung in der inneren
£i:&hrung dessen, der sich gegen sie aufgelehnt hat" (S. 147).
Ihre Aaisprestaltung aber hat die Strafe zu finden unter Berücksichtigung
der im Volke herrschenden sozial -ethischen und rechtlichen Werturteile nach
den Gesichtspunkten der Prävention. Die staatliche Vergeltung (d. h. zunächst:
die staatliche Reaktion gegen das Verbi-echen, die Strafe) hat „ihren Grund in
dem Interesse des Vergeltenden an der Aufrechterhaltung seiner Herrschaft, der
Ton ihm begrOndeten Qfdnnng und des Wohls semer Schntzbefohhmein and ilir
Haß in der Bedeutung der Übeltaten far diese Anfrechterhaltang,
wie sie in den hensobenden Ansohauungen sich spiegelt" (Abb. 8. 694)wi
So ist die Merkelsohe Vei^ltnogsstrafe in gleiofaer Welse Zweckstrafe wie
die der „Modanen**, «nd die Strafe der letstnen in ^eiohem Sinne Trageltongs-
strafe wie die Strafe Merkels. Beide aber sind scharf geschieden von allen, die
die oinselne Strafe iedi§^ch nach dem Oesicht^unkt ausgleichender Gerechtig-
keit bemessen wollen.
Daß die Morkelsche Lehre in die heutigen Gegensätze vielfach anders ein-
gereiht wird, mag zunächst ja auf einer gewissen Schärfe seiner Polemik gegen
die „Moilornc'ir' beruhen. Im wesentlichen freilich hat es den tioforen Oniud,
daü Merkel selbst seine iSteliung aadeis eingeschätzt liut, aL> ea durcli deu sach-
lichen Gehalt seiner Lehre geboten ist Das aber hängt aufs engste zusammen
mit seiner oben besprochenen methodologischen Grundanscbaunng. Der Zwiespalt
zwischen seinem Trieb, Werturteile aufxustellen, und semer ÜieoietiBchen Grand-
tlberzeugung, daß die Aufgabe der Wissenschsit lediglich dann besteht, kausal
ni erklären, hat die Klarheit gerade seiner Tergeltungslebre stark beeintrSchtigt
Nur zu häufig verwischt sich ihm die Grenae zwischen entwioklungsgeschieht-
lichen Untersuchungen und solchen über den Wert des Gewordenen, zwischen
den Fragen, was die Strafe sub speoie aetemitatis ist luid wie .sie der Geseis-
geber und Bichter dem Einzetfall anpassen soll; nur zu h&ufig wird auch in
1) Vi' t( r Merkels Forderungen im eioMlnfiB besonden Aldi. & 145ff., 46Sff., 813«.
uad dazu Liciimauu a. a. O. t:». ?Obff.
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284
Kohlrausch: Üb«r deskriptävo und nonnatiTo Elemente usw.
seiner Yefgeltangalehie du n^oU" allcäa im dem w^t" gelolgeit Aber es ist
beKeiobaend, dail an diesem entsdieidenden Pnakt, der die Grenae bildet swisehen
kansel erUirenden und kriminalpolitiflchen ExSrtmmgenf die tiefst angelegten
Untersnchmigen stets in Wendungen von aufidlendtr Allgemeinheit nnd XTn*
beetimmtheit ausiDtlnden.
So wird an dem Ergobais fostgobalton werden dürfen, daß es unbeirechtigt
ist, die Strafrechtslehre Adolf Merkels ins Feld zu führen zur Unterstützung der
Forderung, daß die Strafe im Einzelfalle nach dem Maßstabe ansgleichender
Vorgcltun^ auszugestalten sei. Selbst wenn Merkel eine sulcho Fordoning bis-
weilen leise andeutet, so widerspricht er ihr an aiuleren Stellen doch aufs (ieut-
lichste. Entscheidend aber ist, daß Merkels GedankengSnpo gar nicht auf sie
hinzielen. Sein Vergeltungsbegriff enthält lediglich deskriptive Elemente, die
YergeUungsidee aber, mit der heute gearbeitet wird, ist eine normative. Wenn
den heutigen Anhängern der Yeigeltungsstrafe vielfaoh vorgehalten wird, 9ä»
könnten uns «rar sagen, dafi trir strafen sollen, nioht aber, wie vir strafen
soUoa, so ist denen, die sidi hierbd ledi^^di auf Heikel sttttaen, der weiter-
gehende Vorwurf m machen, daB ihr Yeigettungagedanke uns nur sagt, daft
wir strafen» nidit einmal aber, daB wir strafen sollen, noch Tie! weniger alao,
wie wir strafen sollen. Wer das aus Merkelaohen Gedankengingen folgern «i
können meint, dem eben wire Eant entgegenBuhalten.
Xll
DIE KANTISCHEN KATEGORIEN
UND DIE
BEHANDLUNG DER ANTIKEN ORAHUATIE
von
DB. LUDWIG JEEP
0. 5. ramaaoB mk uabmkiiir pnuHcan jur dr maniBiTiT KtanoB»
Johann Gottfried Hasso, oinst Professor der Theolopie nnd der morfon-
ländiscbon Sprachen an der Albertnsuniversitait in K<ini(rsborp. luit in einem
kleinen Buche, il!i.s dpn Titel „Versucii einer priecliischeu und lateinischen
Grammatologie für (iun akademischen Unterrirlit und ubniv Klassen der Scliulen"
führt und in Königsberg bei Nicolovius 1792 oi-schicnen ist, unternommen, durch
Anlehnung an die Eantisoh«! Kategorien die Behandlung der Griechieohen imd
Latejnifldieii Gramnuitik in eine orBtonuttieche Fom su bringen.
Hasse var seit dem Anfang seines Anfenthallee in ESnigsbeig, d. h. Tom
Jalire 1786 an, Öfters mit Kant snsanunen, in Kants Hanse und in sdner eigenen
Wdinuttg, ebenso am dritte Orte, nnd die letaten diei Jahre regehniftig ein-
oder aweinud wdohenflidi b» weo^ Tage vor dem Tbde Kants Gast des großen
Philosophen im vertrauten Kreise der Tischgenosaen desselben. Bs ist von Hasse
selbst (ibor diese Zeit in einem Büchelchen beriobtet, welches unter dem Titel
„Letzte Äußerungen Kants von einem seiner üsdigenossen** in Königsbelg 1804
erschienen ist.
Unter diesen l'mständen würde es un sich nielit fern liefen zu vertnutcn,
daß Kant auf den Versuch Hasses eine Grammutologie, um <lieses Wort wieder zu
pebrauehen, zu begründen, in ir^rond welcher Weise EinfluB •rehal)t lial)en könnte.
Es liegt dies um ho näiier, weil der große Philosoph bekanntlich die liumanistischen
Stadien in seiner Jugend besonden eifrig getrieben hatte. Und venn auch dabei
allerdings das I*tein herrorragond beroisngt worden wsr und die Kenntnisse
Kants im Grieohisoben meiUidi aurttolrtraten gegenüber denen in der BSmisohen
Literatur*, so bitte er auch ans seinem Interesse fflr diese lefastere allein das
Interesse fttr einen Yersnch, wie ihn Hasse machte, gewmmen haben können.
Dennoeh bat sich ein derartiger EinfluB Kants auf Hasse nicht gellend
gemadkt
Einmal würde es Hasse nicht unterlassen haben, über ein solches Yer^
haltnis Mitteilung wa machen, falls er eine Berechtigung dasu gehabt hätte.
1) Vgl. Arthur Lndwich, Kants tjteilung zum Oriochisckeo (vor dorn Vorz«ichiuB der Yor-
tanngw), Kftnisdwig 1889/1900;
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288 Jeep; Dio Keatüchen Kat^p>riea nad die Behandlnog der «ntikea Omnmatik.
Zweitens dürftü wohl aucli sonst oiue ^iuchricbt darüber irgendwo vorliegen, wenn
Kant aber diese Saiche virklioli in seinen Gea^aAehen gelegentlich eingehender,
mit dw beatüninten Abeiefat, zu. einem neuen Vennoh anmregen, gespcocben
haben sollte. Eine Kacbxicbt dieser Art liegt jedoch meines Wissens nicht Tor.
Der Haupiigiiind gegen die Annahme irgend einer direkten Mitwirkung
Kants bei dem Untemehmen Hasses liegt aber für mich in der Uncolingliefakeit
der Hassesoben Ansfabrangen.
Zmilcbst sagt Efosse in § 2 „Spreohen und Denken in Teririndung" gsns
richtig: „Sprechen und Denken ist auf dos genaueste miteinander verbunden;
und erstens nur sinnlicher Ausdruck des letztem. ... Ist aber Denken und
Sprechen so innig miteinander verwandt, so muß es auch in den gebildefetcn
Sprachen von allen Erscheinungen einen letzten Onind, von allen Regeln ein
letztes Warum? geh™, das nicht in der Wülkürlichkoit der Sprache, sondern in
den Gesetzen de*» Ufiikeiis liri;t uiul also iiotwriuli;^ ist." L'nd in dem „Sprach-
forraen'' übt^rttciinebenen § 3 fälat lln.-,m fnit: „Dit* Gesetze des Denkens sind
also auch die (lesetzc der Sprache" und, um andres Entbehrliches zu übergehen,
„mitbin gibt es Sprachformen, wie es Denkformen gibt.**
„Diese DenUormen (l^tegovien) auf Sprachformen (formae orationis) an-
gewandtf wttrden nadi Hasse so stehen, wie ich es wörtlich und genau gruppiert
unten wiedeigebe.
Substanz, in der Sprndie Name (nomen) emes Gegenstandes
Ursache, — Handlang (verbnm, aoClvum) oder Wirkung (passivum)
Gemeinschaft — Tei^ttpfung des nominis und reibi (Petsonen and
Partikeln)
Einheit — numerus singularis
Vielheit — — plurolis
jUlheit — — (inlinitiTtts) [so!]
Dasein — indioatiTus
llüglichkeit — coniunetiTus
Notwendigkeit — imporatiTUS
Realität — positivus
L^tetion~— — } ^P**"* companitionis.
Dsan kommen die Formen der Sinnlichkeit
Kaum — in den Sprachen werden die Bestimmungen des Orts» iofa sende,
ich gebe dahin, ich bin da, allentbalbsn angeknüpft
Zeit — tempom.
Soweit Hasse.
Relation
Quantität
HodsUtfit
Qualität
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J««p: Bto Xu,tiioh«B IbUgoiiw und die Boihaiidlmg dar antiton Onnaiulik. 289
Die Unzulänglichkeit und Unrichtigkeit obiger An&teiluiig liegt auf der
Hand und es bedarf keines Wortes, um dieselbe zu erweisen. Schon Gottfried
Hemuuui, der berühmte klassische Philologe, hat in seinem Buche „de emoiulanda
rutione jn^ecae grammatirac pars prima", l>!pzip;^ ISOl, in welchem er dasselbe,
was Hassp sich voriresr-ty.f liatte, anstrehto, 8. 125 mit scharfen Worten auf jene
Unzulänglichkeit hingewiesen, indem er, um von andeni Dingen abzusehen,
besonders die geradezu unglaubliche Vcibindung des infinitivus, als der Allheit
entsprechend, mit dem Singularis und rimalis unter der Quantität hervurhebt, ferner
die fost noch unglaublichere Anreih ung des gradus comparationis an die Negation und
Limitation anter der Qnalitftt und endlich die Iiier annloee, naolitxigiiolie Hiua-
fOgung Ton Kaum und Zeit mit den kindliehen ZusKtzoa su dem erstem B^riff.
An einer derartig numgelhaften Deduktion hat Kant gewifi keinen AnteQ
gehabt Und wie unaicber und unbehaglieh sieh BMa» seihet bei dem ron mir
mitgeteitten Faragraphen (§ 3) grffihltf geht wohl daraus hervor, dafi er den
ganaen Faragrapheu in Klammem [ J eittgeaehlossen hat, dnreh weiche er, wie er
naivorwoise in seiner Vorrede gesagt hat, anzeigen wollte, daß derselbe, gleich
andeni, die so oin^aklammert seien, wegbleiben kSnnte, ohne daß der ZuBammen'-
hang seines Buches gestört würde.
In diesem Falle ist das aber der Parapn'fiph. in dem er gerade den Versuch
untorninitiit, „eine Anwciniunj; ilor Kanrisclion riulosopliie auf das Sprach -Studium
zu machen''.^ Mau brauclit sich daher nicht zu wundem, daß in tium ganzen
Buche Ha.sses sich aurli nicht die geringste Spnr einer Durchfühi'ung jenes
Versuchs iu der Anordnung des graniiuatiscbon Stoffes findet
Bs wttrde auch wohl die ganse Saehe bald ginalicfa in Yageasmheit geraten
sein, wenn sieb nicht Gottfried Hermann in dem angeführten Buobe derselben
angenommen hKtte.
Schon der Glana seines Namens muBte daau beitragen, daB die Wieder-
aufnahme des Hassesoben Tenuchs allgemeinere Beechtung fand, anmal ja auch
damals noch Kant am Leben war. AuBeidem war es selbstrentttndlioh, daß ein
Gelehrter, wie Gottfried Hennann, eoweit es die Philologie abging, den unzol&ng-
liohen Dilettantismus eines Hasse vermied.
Hermann stellte sich prinzipiell auf den Standpunkt Hasses. Er sprach dies
a. a. 0. S. 127 klar mit den Worten aus: Idem enim, quod üli fuit, mihi quoque
1) Die ganze Stelle lautet: „Wie der Versuch, eine Anwendung der Kaotm^hea Philosophie
•nf dai Spnoh-Stadinm m. anöhen, ausgefaUen aey? müttea EmauiT beartheilen. Ich selbst Uge
ihn Kchürhtom dm ; \ciowioiil dieae OfiindailBe, anoh mit WeglHBOflg der in [] geaolüoMieDen {§
Zusammenhang behalten.**
19
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290 Jeep: Die Xmtiaoheii Xatagorien and de fiahaiuilang der aofiken GnugumUL
consilium est. nt Grarrae lingiiac raHunciii ex iis, quae omniura Unguarara
elemonta sunt ac fundainiMita, ropetam atiiue explanem. In qua re est sane
philosophia opus, sed ubsiat a iiubis partium studia, undo niliil, iiiäi diäüonsiones
coutentionesque de rebus iautUibus nasci soleni Dlud tuitim iure nostro
postulare nobia videmur, ut categoriftrum, quae Tooaiitnr, p«rtltion£biis nli
Hoeat, qnibns infomiaiBe animo ante onmem experientiam legee fonnaeque
notionnm inteUiguntnr.
Die Anwendung dieeee Staadpnnlctes auf die DanteDung der GwimmaHlr ist
«in weeendich anderer ab wie dies sich Haase gedacht hatte.
Ee genügt, hier nur knis das HauptsfiobUohste dst Heemamisdlien Ent-
wickluttg aaauführen.
Hermann geht S. 127 f. davon aus, daß jede Aussage aus den drei Teilen
Subjekt. Prädikat und Kopula bestehe, und daß diespii Tfiloii entsprechend es auch
drei partes orationis pdio, nnmon, particula (wnniiiti'r er die ^pracdirati nota. qua
iudicatur conditi«». ((uae per so nulla est, nisi si rri alicui assiguetur,*'' d.h. (8. 150)
adverbia, interiectiones, praepositiones und cotiiunctiones versteht), und verbum.
Überall zeigen sich naeli seiner Auffius-sung die Kantischen Kategorien.
Dcim nomcn S. 133 tritt die Quantität hervor im Numerus, die Qualität im
Genus desselben, die Relation im Kasus, die HodalitSt in den Peisonen.*
NatOrlicfa erscheint dann im numerus (S. 134), Einheit, Yidheit und Allheit
Waa Henuann Ober die im nomen snm Ausdruck kommende Qualität und
ihre drei Fonnen urteilt, mag wegen seiner eigentilmlieben Entwieklong mit
Hennamifl eigenen Worten 8. ISttt angefahrt weiden: Sed, quod aapra dictum
est, qualitati notandae inservire genus, id est huinsmodi. Qualitatam notimuin
dieunt philosophL consociationis praedioatorum cum snbiectis vel afGrmationem,
vel negationem, vel liraitationem. Itaque nominum qualitas posita est vel in
accessione, vel in dctractione, vel in limitatione praedicati alicuius. Id quidem
qualo praedicatum esse debeat, ex ipsa nominum notione non potest intelligi.
Sod siipppditavit hoc experientia. Itaque niasnilimirn cremis qnura iihiqiie primum
Incntn teneat, numinn masetiüna accossioncm huius praedicati significabunt;
feminina auteni , ut ma-seuliiio i:t neri contraria, detractionem eius; neutra deuique
ut quae neutrum iiorum sint, limitationem generis indicabunt
]) Über dies» .sagt Ueraiann 8. 148: „pnmii quidcin (»eil. pt'rsona) nomioibu.>« per m contineti
pnptorea non potent, qda nihil eannae est, quare <wuiino eliquod niMeotoiB pniedicati alicniu
accessione prapditum nece^sario miHtfmii«'. Rrrtindn .mttr^m pfr^ona mn mnps potent adhiberi,
quia nihil pot»ät autoa tamquam poA.«it>ilc cogitari, quam vere aliqua eins notitia animo impressa
foerit Bemaaet igltar neoeflssiio teitiB penona, qoa aUqaid vere oogltari imfioatiu'.''
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Jeep: IMe XmtiaofiA KiteigoxisB uad di« BebMdliiiv dar wlik» Oiaanuitik. 291
Ebenso fftssen wir das ftber die Arten der Relation beim nomen Qeeigt«,
soweit es nötig ereoboint, mit Hermanns eigenen Worten 3. 1471. zusammen: „Sed
tres posuimus supra relationis notiomim modos; pximam inbaerentiae, cuius sunt
partes substantia ot accidcns, casusqiie genitiviis et accusativus; secundum con-
sequutionis, ad quam caussa et effectus pertinent, et casus ablativtis ac dativiis
tertium denique cnmmnnionis, qnar? cnntinotiir rautua partium in unum quiddam
totumquo conspiratinne ot cüuiuoctiuiiL'. Huic vero niülum casum linguae
assipnarunt. Qnod tantum abest, ut minim videri cui(iuam debeat, ut, qui
cuussam eius roi iudagare voluerit, roclu uc nocessario factum fateri cogatur.
Xam st plures notbnes in nnam oognntnr, darum e»t, facta ooniunotione istas
nottones nnins vicem notionis sustmere. Ea Tero quuro per casus illos, quos
supia ccnumemoTaTimus, et possit et debeat flectt, fieri non posaet, si commnnio
aliqno casu exprimeretur, qnin hic ipee eommnni<mis casus simnl etfam reUqnis
oisibuB esset flectendus, casnsqae in casu repeiirentur. Reote igitor tanlae caussa
ovitandae incommoditatis particulas eas, qnae ooniunctionea Tocantur, ad eonunn-
nionem designandam Ungnae adbibueront Quarum coniunotionum qbu hoc effi*
citur, ut plures notiones in unam coactae sine nlla difficultate eodem modo,
r]no singala quaeque ootio, tractari qucant Sic quura dicitur senaUts poptilmque
Romann.t, niida indicntur et relationis oxpors nntio cnninncta o duabus aliis
notitiis: cuiu« si aliae relationes significaiida4> sunt, casus adhibeutuc alii, ut,
amatitm poptäumqne Romanum, senalui populoqtie Romaito.**
Noch eigentümlicher ist die Entwiciilung der Modalität (cf. oben S. 290 und
dazu Anm.) in ihrer Breiteilung hinsichtlich des Nomens (S. 14b). „Uemonstratum
est, hanc esso propriam porsonarum vim, ut subicctum, do quo quis loquitur,
aut ut TO« exstans ponant, quae tertiae peisonae natura est, aut, tamquam quod
possit exsiare, sumant, quod secundae peisonae est officium, aut dmiqne ut
necessario exstans oogitaa« iubeant, quae pnmae personae ratio esf^^
ITicbt minder eigentOmiich hat Hermann die sogenannten Partikeln (et oben
S. 290) den Kantaschoi Kategorien anzupassen venmcht
Die Interjektionen sollen das Yerhfiltnis der QnantifiU', die Adverbien das
1) Cf. 8. 149: qnflteiittB Im dieitar, oöb exstat taa» oo^tatkne alferim, aed hiriac eogitalinii
illuii Jebet, ut i'xsti^t, ii] i'st, |i' i-.^itjilis evt. rii>,-ilii!ia i'uiin Punt , 'inafj exsüiiit tnntuni in cogitationo
nostra. Qaem aatcm vocamos ego, is pariter nun, ut quem diciinuä Alexatulrum sine co^tatioiie
aOBtta axatat, led qida eom oogitaauia, eo ipao exatat, qai oofcitaie ae non poiaei, exatant
Id Mt, noce'i-yirin oxstat
2) Diese üburrasohende Auffatusung ündct S. IQO folgende BeghindunK: „ooounit hoc genas
OMMfitiotrfa in ipala aafanl hamani afteeUoiiilHn, qtgiiniB oommott quam in vooam aliquam Mite
aotione cnrcntem erunlpimu^, siiuul uf ni'-iiluin affrctinni? et :|»sa!n üfrcctiiniftn indicirnuK, iit oj,
tptt>, /o«/. Quo fit, ut huiu£tnodi voces muc aliorum auxiJio vocabulorum intelligi qucant, quod
292 .Teop: Die Kaotiwheu Kategoriea und die Behaadluo^ d«r «ntilton Onramtilc.
«lor (^unlitilt. dio Präposifinncn daa der Belation und die Konjuuküouea du& der
Mudiilitiit zum Ausdruck l>iini;oii.
R.'iiii Vcrbiim orbcliemt die Quantität tmtürlich, wie heim Nomen, wieder
int Numerus, Withrtuid sich in den gouera verbi dus Verhälhüi) der Qualität, in
den Tempora die liclaüon, iu den Modi endlich die Modalität ausspricht
Ich unteilMae «a weiter ftuseinandeisasetaeiif wie Ton 0^. Hnrnann auch
beim Terbum innerhalb der angeführten Terhiltniwe und ihren angenomnienen
Erscheinungen Unterabteflungeii in dem Sinne der Ean tischen Kategorien kon-
struiert sind, w«Q dies aur Beurteilung des ganaen Yersuches Heimanna nidkt
notwendig erscheint Aus demselben Grunde fibe]qgehe ich auch alle Gt]iederax^;en
und Besprechungen, welche nur ein philologisehea Interesse beanspruchen kSnnen.
Wir sehen auch so hinlänglioh genau, wie O. Hermann das Lehrgebftude
der Grammatik — sunKchst das der grichisehen Grammatik — den Kantischen
Kategorien hat anpassen wollen.
Indem Hormann, wie auch Hasse, an sich j^anz richtig annahmen, daß dio
Gesetze des menschlichen Denkpns, nn wflciie alle Menschen ohne Airsiiatuuc
gehundon sind, in der .Sprache sicli gelteud maehcu, begingen sie andrerseits
einen Intuin (larin. daß sie jene ilesetze zunächst in den einzelnen Bedeteilen,
die das Altertum sciioti gefundoji, und deren Formen suchten.
Bs ist natürlich selbstvorständlich, daß die einzelnen Wörter, welche die
roensohliobe Sprache henrorbringt, nur Dinge und Yoistellungen benichnen
können, welche im Bereiche des menschlichen AuffRssnngsTennögena tiegan. Aber
das Wort, dnrch welches irgend etwas benannt oder beaeichnet wird, an sich
bietet zunftchst nur Material sur Terstündigung durch die Spnidie. Nor durch
die richtige Twbindnng mit andern aum Satm gewinnt ea seine logischen Be-
aiehiingen. Ein Urteil oder eine Aussage kann das einielae Wort niolit aos^
sprechen — wenn es nicht unter yoraussetaning selbstverst&ndlicher Ei^änztmgen
gesprochen wird — und es können sich daher in einem soliden auch nicht die
Gesetze der Denkformen, wie in einem Satze, geltend machen, so wenig in dem
einzelnen Tone die npsrtzc zum Ausdruck kommen können, welche der Mo]<idip.
die aus einor fnlt:erii htii;i'ii Vorhindiin? einzelner Töne entsteht, ihre Wege weisen.
Es ist daliei f:leieli,L'iiltii:-. zu weleliei' liLlassü von Ketletoileu ein Wort zu
zählen ist und ub luthr oder weniirer Werter gleicher Art vinluuiden .sind, da
jeder Kodeteil für sicli immer nur ein alleiusteheudes Wort ist
non ita ost in reliquis parlioularum goneribus, quae qula non inclusara in se babeiit notiiiani
quaotitatiti, id est x«i, cuius sit iii«, quam sig^olficaut, oonditio, non possont ioteUigi, nisi oUcnius
rai nontea adiuogatur.
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Jeep: Die KaoÜaoheiii Kitogoiieii und die Behandlimg der antilmi OnnnMitik. 293
Daher geht es auch nicht an, (i. llermium in soiiaMii Vorgehen zu folgen.
Will aiau, wie er es gotau hat, die Wortklassen iu die Kanüschen Dcnk-
form«a pressen, so kann das nach dem Oesagten auch nicht einmal mit einer
gewissen Gewalttätigkeit gelingen und es hat inlolgedeasoi ein solcher YeKsucli
auch keinen Wert; es ist nur ein nntsdoses Schematialeren und Eonstmieren,
gar nidit dasu geeignet, die Behandlung der Grammatik su einem festen System
wtt. fOhien oder anf dem Wege dahin «i fürdem.
Bs ist nicht onmSgUohf daB Q. Hermann dies apiter eelhst sn empfindm
begann. Wenigstens hat «r nine Absicht, in dnem sweiien Bande, die Syntax
in der von ihm in der Behandlung der Redeteile angewandten AYeise zu be-
handeln, nicht ausgeführt. Sein Buch ist stets nur eine ,par8 prima' geblieben.
Und doch wäre die Syntax gerade das Gebiet gewesen, auf dem er, wenn er
es ühürhaupt wollte, hätte versuchen müssen, dio Kategorien unseres Denkens
mit der Behandlnng der (irammatik in Vcihinduii^ir zu hringt'n.
Allerdings würde (i. llermatin hi^ r eb' iisnwLMiii? zu dem erstrebten Ziele
gelangt sein. Die historische Sprachfüi-schung hat un.s andere Wege gezeigt.
Mit Recht hat Brugumnu im Hinblick auf G. Hermanns Versuch in der Ein-
leitung tu seiner Chneehiachen G-rammatik gesagt: „Ob die sprachlichen Vorgänge
mit den Gesetsen der Logik hamenieren oder nidit, muft dem Grammatiker als
solchem gleichgttltig sein; er hat nur su fragen: wie ist diese oder jene Erschei-
nung überhaupt möglidi gewesen? An die Stelle der logischen Betrachtungs-
weise hat die pqrchologische an treten."
Übrigens war sich G. Hermann wohl bewußt (8. XIII), daß er jedenfalls
„longe omnium diffidllimam partem" der von ihm untemommenen Arbeit noch vor
sich habe, als er die »pars prima" derselben erscheinen ließ, falls er eine Syntax
schaffen wollte, „quae veresyntaxis dici iiuk atiir ... in quosdam locos describenda,
nt tamquam o fniitilKis suis sinpiila cmi^tru(;tionum gonera repeti possint."
Es kiinTi iiK'rkwiirdiii erscheinen, daß G. lloriiuinii nicht «?p!h«:t vor He-
kanntmaclutny scim s liuchos zu der Erkenntnis seines liTtums gelaugt ist, da
OS douii sriilirlilich nicht so schwer war. .I('d<ndi man muß dabei in Betracht
ziehen, dali in der Zeit, in welcher die Küntischo Philosophie eine neue Ära
der menschlichen Erkenntnis inaugurierte, man aus dieser Philosophie wohl viel-
&ch fOr alle mSglicfaen Aufgaben eine Lösung glaubte erwarten zu dürfen anf
welche man bisher vei^gebens gehofft hatte, und es da leicht geschehen konnte,
daß man bei solchen Erwartungen gelegentlich zu sanguinisch war. Auch
1) Cf. Q. Hennttm 8. 124.
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294 Jeep: Die Kanti&chea Kategorien niui die Behandlung der aatiken Granuoatik.
Qt. HemtttuL scheint es so gegangen in sein, daß er, der sonst so schaif und
nflehtem denkende Kopf, von der Ksntischen Philosophie als der AUhdfeiin
sozasagen flberwUtigt fOr . selbetrerattodlieh annahm, sie irüxde auch ihn in
seinesfi Strehen, ein abscUiefiendes Systsm der GianunatUr ^an finden, richtig
leiten, and so, nicht nnhefangen genng präfsnd und urteilend, sein System nicht
ans den Kantisohen Kategorien logisch herleitete, sondeni diese zum Teä in
dasselbe hinolnkonstmiorto. Es kommt hinzu, daß, wio idi schon oben be-
rührte, dem berühmten Philologen die Erkenntnis des Wesens und der Ent-
wicklung der Sprache, zu welcher die spätere Zeit durchgfdrunpen ist. nicht
zur iSoite stand, um ilni vor Irrtum zu schützen. Auch ist vielleicht der üm-
stautl, duß ihm die Anregung zu sciaem Versuche unmittelbar aus dem Kreise
den gi-oßeii i'hilohophen zufloß, nicht ohne Einfluß auf die Zuversicht seiner
AiUicbauung gewesen.
Der Versuch G. Hermanns ist allniälüich in weiteren Kreisen mehr und
mehr in Te^gessenheit gekommen, wenn deiselbe auch, wie angeführt, gelegent-
lich wegen s^es prinaipiellen Standpunktes im allgemeinen noch im Yorüber^
gehen berOhrt wird.
Ich habe es daher nicht für ontunlieh erachtet, hier auf die Genesis und
die Oiimdattge der AnsfOhrung desselben erneut hinauweisen, indem ich an
h<tftoi wage, daft diese Hinweisnng manchem für die Bexiehungen der Kantischen
Philosophie Interessierten gelegen sein dfirfte.
Zum Schluß füge ich noch hinzu, daß zufällip;nrweise in demselben Jahre
1801, in welchem (».Hermanns oben behandeltes Buch erschien, der erste Teil
einer „Sprachlehre" von Adolf Ferdinand Bemhardi — der zweite Teil folgte
1803 — veröffentlicht wurde.
Ob tlie.ses Fr. August Wolf, dem Lohrer des Verfassers, gewidmete Buch,
welches in ungemeiner Breite auf spekulativem Wege unter Hezii^^ aiii die
Kauüschen Kategorien ^ das Gebäude einer Sprucliiehro aufzubauen, unternahm,
gleichfalls durch Hasse angeregt worden ist, vermag ich nicht festzustellen.
Ton IQmtischem Einflüsse zeugt offenbar auch die Teilung in die beiden Teile
„Reine Spraohlefare*' (Bd. I) und in „Angewandte SpracMehrc-^ (Bd. II).
Über die sprachphiloeophischen Deduktionen dieses Wortes erlaube ich mir
hier kein weiteres ÜrteD; einen EinfluA hat es aber auf die Gestaltung der
Grammatik, soweit ich es zu sehen rennag, wohl niemals erhalten.
1) Vgl. 2. B. namentlich M. I S. 135.
DIE SYNEKGIE VON AKKOMMODATION
UND FÜPILLBNßBAKTION
VOM
Dr. OTTO WEISS
IIKT SnOUXEN
(AUS DEM I'HYSIOLOGiaCUEN INSTITUT ZU KÖNIGSBERG i. PK)
I Eiiileitiuig.
Die Lehre von den tnnasendentelen Vamm des Ancchftuens und Denkens,
in weldie unsere Torstellnngen adi notwendig fOgen, bildet ohne Zweifel das
größte Verdienst Kants um die Nnturwissenscbaft, Zu dieser Erkenntnis führen
auch die Untersuchungen auf dem Gebiete der Sinnesphysiologio, wie sie von
Johannes Müller in dem Gesets von der ^eafiechen Energie der Sinnes-
nerven ausgedruckt sind.
Dieses Gesotz sagt, daß die Errogung einer sensiblen Nervenfaser stets
dieselbe Empfindiuig hervorruft, ganz gleichgültig, welcher Art der Reiz war,
der <lie Faser erregte. Solche Erregungen peripherer sensibler Ner\enfa,sern
gelangen, nachdem sie verschiedene Statit)nen von Gauglieuzelleu passiert haben,
zur Rinde des Großhims. Hier wird aus dem materieUen in rätselhafter Weise
das ii^ddBehe Gesdiehen.
Man sollte nun nach dem tf AUersohen Gesete annehmen, daß durch die
£rr^;ttng einer peiipheien sensiblen Huer schliefilich immer dieselbe Bim-
rindemselle oder derselbe Zellenkomplex erregt werde. So mUAte mit dem
Zugnmdegehen dieser aogeharigen Bindenelemente aucli die AudBnmg von
Empfindungen durch die Beisung dw peripheren Ilaser unmöglich werden. IHes
ist auch in der ersten Zeit nach der Zerstörung solcher Rindenzeilen der Fall;
später können sich die Empfindungen wieder herstellen, und zwar ohne dafl die
zerstörten Zellen etwa neugebildet wären. Es müssen also andere für sie ein-
getreten sein. Uie hieraus sich ergebende ungemeine ümbildungsfälügkeit des
zentralen Nervensystems ist durch zahlreiche Versuciie bewiesen.
Die im folgemlen mitzuteilenden l'ntersuchungen illustrieren ebenfalls diese
Umbildungsfiihigkeit, freilich nicht auf sensiblem, sondern auf motorischem
Gebiete.
Bewegungsimpalse, welche durch den Willen au^gelfist werdeui aetien nie-»
mala einzelne Mnskelfasem in Aktion, sondern immer Komplexe von sollen:
ganze MuAeln oder Huskelgruppen. Es kommt auch vor, da£ auf einen Willeos-
298
Weiß: Die SytMqpe tod lUtommodfttion und Pa^lleniMktioa.
impuis hin sehr verschiedenartigo Bowegungsformen zugleich erfolgoa. Dieses
Zluamiiieinrirken nfiant num Synergie Ton Bewegungen.
So tpetea, wenn man den BUßk von fenten in nahen G^nst&den adiveilen
liftt, drei Bewegangea ein: 1. Kontraktion der Bewegungemnakeln der Ang«
äpfel, 2. Eontraktton dor Akkommodationsmuskeln, 3. Kontraktion der Iria-
adiUefimnäkeln.
Mit don Zvaammenbaage dieser drei Bewegungen beediüftigt sich die
folgende ünteisucbang.
y<ni ihnen sind nur zwei durch den Willen auslösbar: die Kontraktion der
Bewegnngsmuäkcln (I*/r Augäpfel ohne wcitf're.s und die der Akkommodations-
muskeln nach einiger l Inuig. Die liismusknlntnr ist dem Willen völlig entzogen.
Zunächst ist x.u untersuchen, welcher der beiden willkürlichen Bewegungen
die Fupillenreaktion assoziiert ist.
Der Konvergenzimpuls spielt in dem BpwcgungskiMuplex eine dominierende
Rollo. Man weiß seit langem, daß üuwolil die Akkommodation wie die l'upüien-
rcaktion unwüikürlich mit der Konvergenz erfolgen.
£8 ist daher noch sa entscheiden, ob au«A mit einer wiUküilich^ Akkom>
modationsbewegung eine FnpiQenreaktion Terknüpft ist
Diese Präge bat nicht immer die gleiche Beantwortung gefunden.
II. Literatur.
£. H. Weber^ fand im Jahre 1851, daß bei kon.stuntor EmiTeigenz der
Oesichtslinion die Pupillcmweite sich bei Akkommodationsbewegungen nicht
änderte. Diese wurden durch ah wechselndes Yorschalten von Konvex- and
Konkavgläscm vor »lio Äußren crzi'uu^t.
Zu demsoiheii Ki'sultat kam f.yder H'irtiien-, \\id(hcr Ihm konstanter
Konvergenz vun i^rrmgcm Betrag:!» dim li V(JiNi.iialten von Konkavgljisern vor ein
Auge, di»;se.-i /m stärkerer Akkouiuujilatitin zwang.
Dagegen kamen Gramer^ imd nach ihm de Ruyter* und Benders* unter
Anwendung der Web ersehen Methodik au einem entgegongesetsten Besoltat
1) De motu iridis. I/oipzig 1851.
2) Klinische »onatsblitter für Aii|9iibeilkiiQde 1882. 8. 1S7.
3) est nadi Vervoori
4} Do «otion» Atropaa BgHitoiwe «d iiiden. 1863.
8) Ondflnoekiagen Fbynolcs. Labor, ütredit 1853/84. 20. 8. «aOi
WeiB: Dia ^^imgie von Akkonunodatioa und PapUlannaktion.
299
Femor beobachtete Donders bei willkürlicher Akkommodatiousvennehriwg
stets eine Tereugoning; der Pupille, auch bei konstanter KonTeigens.
Dasselbe sah A. v. Graefe* bei Uüunuii^ aller Bewegungsmuakeln der Bulbi
Aach B. Hering* macht enisprechende Angaben. Er brachte tot jedem
Auge einen Schirm mit je einem feinen Loch so an, das jedes Loch in die
ffichtimg einer Qesiehtslinie fiel. Über dem einen und unter dem anderen
Loche wurde noch ein j^eiehes angebracht, so daB die Yersucfaqier80& drei
^wreinander befindliche Löcher sab, von deucu dns tnittloro durch binokuläre
Yerschmelzung der beiden anderen entstand. Willkürliche Änderungen der
Akkommodation zeigten nun eine
Verkleineninp sowohl des oberen
als auch des unteren l.nches. Der
Grund hierfür liegt nach Hering
in eiuer Verenpferiin? der Pupillen.
Im Jaluu 1809 hat Ver-
voort* die Frage aufu neue ge-
prüft und ist zu dem Besultat
gekommen, daB Akkommodation
und PnpiUenreaktion nidit qmer»
gisch erfdgen.
Seine Methodik war folgende
(ßig. I): Den Enden aweier «eh
kreuzender Stäbe wunle ein Ab-
stand gegeben, welcher der Pupil-
lanüstanz beider Augen gleich
war. Der Kreuzungswinkcl beider Stäbe war gleich dem Konvergenzwinke! der
Augennchson. I» gleichem Abstände vom Kreujrimgspunkte Her Stäho M befamii n
sich bei C un<) zwei L'Ieicho t igureu (Dreiecke), welche mit in M gekreuzten ^
Sehachsen betraclit-'t wunlon. Sie erschienen wie ein Dreieck. Durch sym-
metrische Verscbiubuiig boidcr luicii A und >1, wurden die Augen gezwungen,
bei konstanter Kuuvergunz Akkommodation.sbewegangen zu machen. Die Pupillen-
weite blieb hierbei konstant Auch wenn die Bilder swisdien M und den Augen
veischoben wurden, leigte sieh das Gleiche.
1) AtDh. f. Ophthalm. Bd. I(. 2. S. 299.
!0 Sie LiliM vom binoknllrau Sotutt. Leipzig 1806.
S) AiQh.f.O|ibtlialiii. Bd.XLIZ. 8.m
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300
Weifl: Dm» Bjmetgie von Akkommodatioa und PupiUeoreniktion.
In neaesteir Zeit endlich hat Marina* wieder behauptet, Akkommodation
and Pupillenroaktion seien syneq^adb. Er schloß dies aus Tersuchen an Affeo,
bei denen die Unsotüi rooti intemns und extemus kieusweis an die nidit war
geherigen Insoitionspankte vemiht waren. Mer tcat, nachdem die Tiere wieder
normale Augimbew^gungen machen gelernt hattett^ bei EonTOigeius audi PttpUlen-
yerengerung ein. Marina erklärt diese für der Akkommodation syneigisch.
III. Kritik der Literatur.
Gegen die Versuche von Wober hut Donders K*^'it'-'ud gemacht, daß schon
durch bloßps Vnr-~ehaltt'n von GhLscrn vnr für' Atip^n die Pupillen sich « rwritoru.
Hionlur( h k(»nue eine der Aiikommodatiou sjnergii>che Pupillouvorougcrung kom-
peusiert werden.
Immerhin bleibt die Möirlielikcit bostehen, daß ein Forscher wie Weber
sich gegeu 4,0 ualic liegeiidü Emwäudu durch Koutrollver^uchc gescliützt huL
Ob in deu Versuchen von Cramer, de Ruyter, Donders, Hering
unbemerkte KonTeigenabewegungen EinlluS auf die Pupille hatten, wie Terroort
annimmt, ist ebenfslls nicht sicher.
Ein anderer Faktor, welcher in den bisher wwihnten Yersuehen nicht
berlioksiditigt ist, ist die Beemflussang dex Pupille durch Kimveigenaimpulse,
welche durch Hemmnngstmpulse für die intendierte Eonveigenabewegung annul-
liert werden. Oelegentiich anderer üntersucbungen' habe ich dsianf aufmerksam
gemacht, daß auch die bloß intendierte Konvergenzbewegung Akkommodation
und Pupillenreaktion im Oefolge hat Die Versuchsresiütato TOn v. Graofe sind
sicher hicrduich zu erklären. Aus diesem Gninde würden auch Beobachtungen
an Einäugigen nichts für die Frage aussagen können.
Gegen die Ver^^tiche von Ycrvoort ist einzuwenden, daß sie bei zu starker
Konvergenz der ^eliaehseu angestellt sind.
Wenn zwei Momente eine Bewegung beeinflu-ssen und man die Wirkung
jedes dieser beiden kennen lernen will, so ist es zweckmiißig, da*» zu unter-
suchende Moment mögliclist grüß und das andere möglichst klein zu machen.
Die Verengerung der Pupille bei Konveigens der Sehadiaett ist seit langer
Zeit sicher bekannt Wenn man also den Einfloß der Akkommodation auf die
1) ZsntnlUatt für Nflorologte. IWß. 8.98a
:Ö 0. Weifl, Aldi. f. d. gea. PhyBudogi«. Bd. 88. 8. 70.
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WeiB: Die Qyaeip« von Akkommodation und PapilioDreaktion.
30X
Pupille uuterhuciiöu will, so luuü mm die Konvergenz möglichst klein, die
Änderungen der Akkoamnodfttion möglichst groA maehfio.
Li den TerToortschen* Veraudhen betrug bai eln«r Konyeigetts' von etw»
24* die Akkommodationsänderimg 3V» Dioptiien, bei 19* 2*/^ bei 7* B.
Bs wire mOf^oh, ätM bei den hier vcnSiegenden Konvefgenitgraden die Pupillen-
beeinflusanng duxdi die Konrergeu so dotniniertof daB die genannten Akkom-
modation^gtöflen nicht mehr wkaam wem konnten. Dam kommt, daft die Pupille
mit bloßem Auge beobaobtet wurde, atoo eventnetl sehr feine Ändemngm ihrer
Weite der Beobachtung entgehen konnten.
Die Bedenken gegen Marinas SehUlsse werden qtäter mitgeteilt werden.
IV. SigeBe Yecsnefae.
Heine eigenen auf diese Frage gerichteten Untstsuehungan stellte i<di
gemeinschsftlich mit Herrn stad. med. Ernst Wlotska an. Henr FiiTatdosent
Dr. Gildemeister untentQtste uns dabei in liebenawflrdiger Weisa
Bei den Versuchen schützten wir uns gegen die orwülintou lünwändo. Die
Änderungen der AkK'oniiiiodation waren möglichst ausgiehip und der Konvergenz-
winkül der (rfsiclitsliuicii möglichst kloin. Um Änderungen der Piipülenweite
sicher erkennen y.n können, wurde diese an einem Maßstab gemessen.
Die Versuchsauorduung war so (Fig. II):
1) Die Tonuiolie Yervoorts wurden von aas mit ssioer Methodik nachgeiiräft und bestüigt.
2} Di0 AaffAi des KcovsigsaswiDkel« kann oickt |»Bin «cfolgeo, wett bei Ttrvoort di«
PapfllardhtaM niobt tagegAm iat
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302
Weifi: Die Synergio von AJikommodation and Pupillenreaktion.
Die Sehachsen konvergierten auf eine ferne dunkle Scheibe, welche auf
im übrigen matterleuchtotom Papier markiert war. In möglichster Niiho der
Augen wurden die auf Fig. m wiedergegebenen Figuren angebracht Dieselben
waren auf Glasplatten gemalt. Sie wurden so orientiert, daß die linke Gesichts-
linio durch den linken zentralen dimklen Punkt nach dem Zentrum von M gerichtet
war, die rechte durch den rechten ebendahin. So fiel da.s binokular vereinigte
Bild der beiden Punkte in das Zentrum der schwarzen Scheibe. In einer Reihe
von Versuchen wurde an Stelle der Scheibe ein Punkt gebracht Die Bilder
wurden dann so eingestellt, daß die bezüglichen Gesichtslinien durch die beiden
nahen Punkte hindurchgingen und sich unterhalb des fernen schnitten. Bei
abwechselnder Fi.xierung des fernen und der nahen Punkte war also nur eine
Änderung der Höheneinstellung nötig.
Fig. III.
Bei Akkommodation auf die Scheibe sah man die Fa.serung des Papieres
der Umgebung scharf und erkannte hieran die richtige Einstellung des Auges.
Bei Akkommodation auf die beiden schwarzen Punkte erschien das scharfe
stereoskopische Bild eines abgestumpfton Kegels.
Die Versuche bestanden darin, abwechselnd auf das Zentrum der Scheibe
und auf die schwarzen Punkte zu akkoinmodieren.
Die Beobachtung der Pupille geschah mittels eines Fernrohres. Die Weite
der Pupille wurde an einem Maßstab gemessen, welcher durch die Bildchen von
Lichtem LLL gebildet wurde, die im horizontalen Durchmesser der Kornea durch
Spiegelung erzeugt waren.
Von den Versuchen möge einer hier kurz skizziert werden.
Versuch.sperson: E. Wlotzka.
Beobachter: M. Gilderaeister,
O. Weiß.
Weiß: Die Synei^gio von Akkommodation und Pupillenroaktion.
303
EntEemung der Seheibe Jf toh den Augen 3850 nun, *
Entferaiuig der Punkte von den Augen . 91 ,
Distans der Pupillen ,
Also: Konvergemrarinkel der Qeeichtsluiien 0* 58'
Nötige Akkcnnodation, um von M «nf die Punkte in
akkonunodieren 10,7 Dioptrien.
Iii dieeem Tersndie ivie in allen anderen, die tidr drei gegenseitig anstellten,
stngte sich trotc der hohen AkkommodationsanBtrengttngen keine Änderung der
Pnpilloitweite.'
Somit kann mit BestinuDtheit gesagt werden, daB Akkommodation und
Pupillenreaktion gans unabhingig Toneinander sind.
Wie hat man die Beobaobtungen Ton Marina sn erklfiren?
Wir mfiasen annehmen, dafi die bisbevegung bei dw Eonveigeu durch
ein nervöses Organ eingeleitet wird, welches untergeordnet ist dem die Konver>
genzbewegung rerniittelnden. Man sollte also « rwarten, daß die Innervation des
Rectus internus ein für allemal die Pupillenreaktion im Gefolge habe. Dies ist,
wie die Versuche Marinas zeifi;en, nicht df*r Fall. Violraehr kann sich die
l'upilienreaktion einfr anderen Bewegung, der 'ies K* rttis extcrmis iintrrordnen,
(wenn dieses zwecktuäliig ist). Niihere Einsiclit iu die Anoidnungen im Zentral-
(irpan. vermöge deren diese synergischen liewetfim^on möglicli sind, besitzen wir
nicht Jed«^nlails ist so vul sicher, daß im Bau desselben nicht nur ein Weg
vorgcächen ist, auf welchem dieser Effekt eireicht werden kann, j&bnliches gilt
gewiO auch für andere Bewegungskomplexe.
leh glaube auf Grund der beechitobenen Yersnohe die Befunde Marinas
in dem erwihnten 8inne deuten su mOssen. Sie illustrieren also recht lebendig,
dafi auch im nentralen Kerven^stem die Natur nicht nur fttr das Nötigste geeoigt
hat, sondern dafi auch dieses wie die übrigen Organe des Eörpsis reichlich
ausgestattet ist
1) Erwihnt sei, d«B beim starken Akkommodiercn die Weite der Pupille oft anfangs otwaa
achwankle. OemeaMtk wnide dieeelb« aiat, naolidfloi aie loaataDt gswgrden ««r. Bei Wlotaka
ni^gtmk ^ diM» SohmakongeD nadh «imgar SSdt dn Ülmi^ Dtdift meihr.
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4
XIV
KANT UND DAS WESEN DES NEUEN
IN DER MATHEMATIK
SIN ßSOBkO ZÜS LEHnB VON DEN STNTflITISCHBN UltfEILBN
Toar
Ds. FRANZ MEYER
20
Das Folgende soll nichts weniger als eine Stndie zur Kantpbilologie sein.
Der Verfasser -will nur pinipp Anregungen ppben, von denen er hofft, daß sie
andere, dfiien mehr Müsse und Geschick zu Goboto steht, weiter verfolgen
mögen; irgend eine Erschöpfung des Themas erscheint an sicli ausjreschlossen.
In kurzer Zöit wird der erste Band der ^Enzykhipiidic der mathematischen
Wissenschaften'' 1 abgeschlossen vorliegen. Er sciiildert iu historisch -kritischer
Entwicklung die FortBChritte, die das 19. Jahrhundert in der Arithmetik, Algebra,
Zahlentheorie, lotrie tad «iaigeo angrensenden Oebieten geaeitigt hat Der
HemuBgeber sagt daselbat in seiner Yorrede (8. XXII): «Ul^e die Sus^Uopädie,
die die matbematiechen Erfindungen eines Jahrhnnderts in historieolier Entwick-
lung Torfnlni, auoh das erkenntnisäieoretisehe Stodinm der grundlegenden Bnga,
was in der Ifaihematik denn eigentlich als ,neu* au gelten habe, beleben! Besteht
das Xene in einer dnt«h innere Anschauung gewonnenen Yennehrung und
Yertiefung eines Besitzstandes aprioristischer Kikenntnisse oder tnmmt es nur
zTTrQek auf eine andere Gruppierung vorhandener Erfahnrngstatsacben?" In der
Tat, wenn man bedenkt, daß daselbst auf einem Räume von wenig über
1100 Seiten in knapper Form von neuen fmohthnren Irleen, Methoden und Sstzen
berichtet wird, so wird man von sr]t)st zu <ler Fra^n_' f^edningt, wie denn die
unterscheidenden begriffLicheu und anschaulichen Merkmale des „Neuen" gegen-
über dem „Alten* festzules^en seien. Kants Lehre über die erkenntnistheoretiscbe
Stellung der rnuthoiuatisctien Wahrheiten, daß es „roine Erkeimtui^se u priori'^
seien, darf als bekannt Yorausgeaetait werden; auf die vielfachen Yeraucbo, diese
Lehre an attttsen oder aber sie zu Terwerfen, sei hier nur hingewiesen.
Wenn wir im folgenden die Kantiaehe Apxioiitit als Grandlage adoptieren^
und unsere BntwioUungen sich danach zwanglos in das Kaatische System ein-
fSgen lassen, so werden diese Entwicklungen dodi nicht unbedingt daiao
gebunden «ein; sie würden auch bestehen bleiben können, wenn man von mehr
oder weniger empinstischen ErkenntnisquellM ausginge.
1) Knzyklopädi« der maUiuwatisclieu Wisseuädiafteii. Bd. I, herausg. von W. Fr. Meyer.
Uifaig^ M B. 0. Teabaer, 1904. (Diaear Baad Ut iaiwiacbas, im Angast 1904, «tMUanea.]
20»
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308
Meyer: Kant und das Wüäcin des Neuen in der Mathoinfttik.
Kant nimmt die gnmdlfigenden mtithematiscben B«griffe und Opentionen
als ein nnabblngig von der Brfahning gegebenes geistiges Besitztum an — es
ist in diesem Sinne beachtenswert, daß die von ihm angesogenen Beispiele
elemeotatst^ Chsnkten sind — , nnd denkt sich alle weiteren Slice, soweit es
sich nur um den Beweis ihrer Bxistenx handelt, als durch rein logische
-Schlosse daraus sbgeleitet, und so jenes msprttngliche Bositatnm immer mehr
vertieft und abgerundet Wie nnd in welcher Beihenfolge derarti^o Schlüsse zu
sieben sind, um zu vorgestookten Zielen zti gelangen, wie der Forseher dabei
schöpferisch, konstniktir zii Terfahrrn hat, lioirt für Kant auf einem
gänzlich anderen Gelnot*'; er postuliert zu cl-'iii Hclmf einen Akt der „Synthese",
einer Art innnror Anschauung, auf Gruiul fliren erst hcispicl^jweise die Inhalte
beiden Begliffe 7 4 "> und 12 der als plfichwprtip prkunnt werden. Ini übrigen
aber erscheint Kant die in Rede stehende Fnigo vuin ^SUadpunkt seines viel-
umiassenden Systems aus als eine akzessorische; es ist ihm Aveniger eine
allgemeine philosophische Frage, denn eine spezifisch-mathematiBche Fachfrago.
Es sei gMtattet, in dieser Richtung eine Bemerkung allgem^er Katnr Aber das
Yerhiltnis der Philosophie su den Einselwissensehalteti einsuschalten. Die
PhUoBophie steht es als ihre Aufgabe an, allgemein verbindliche Normen des
Denkens Oberhaupt aufsustelien und diese auf die obersten, allgemeinsten
Emheinungen des geistigen Lebens anzuwenden; j^e Nonnen soUen dann jeder
einselwisBenschalllichen Untersuchung zugrunde liegen, jene allgemeinsten Er-
scheinungen mögen sich in jeder Wissenschaft, je nach deren Charakter und
deren Bedtirfnissen einerseits spezifizieren, andrerseits weiter ausgestalten.
Nun ist OS riber pino wohlbekannte Tatsache, daß innerhalb des Kähmens
jeder fortschreitendnn Kinzelwi.s.son^c'!iiiff ..alli^pm?Mnf>'' BcL'riffp und I'ntoi-suchiuigs-
methoden einer fortlaufenden VcrsrlHi'luin^', oinfi- bald steti^^-'n tiald unstetifren
Koiiipression und Dilatation untcrworfün sind, daß sie sich sollist mit ininier
reicherem Inhalte erfüHon, unfruchtbare Keime abstoßen, andere in sich aufnehiuen.
Dieses selbstkorrigiercndc Verfahren geschieht in solchem Umfange, daß oft ein
ursprünglich festgelegter Begriff später kaum noch wjedersneikennen ist, so
sehr hat er sich den verlnderten Daseinsbedingungen anpussoi mOssmi.
Eines der instamktiTsten Beiq»iele dieser Jirt ist der Begriff dw Zahl Zu
dem uis^rflnglicfaen Begriff der natOrlichen Zsbl trat d«r der negativen, der ge-
brochenen, dw algebratseben, der irrationalen Zahl. Diesen Zahloi als reellen traten
weiterhin als die umlsssenderen die gewöhnlich«! und höheren komplexen Zahlen
gegenüber, und über alle diese erhebt sich die Schöpfung der transfiniteo Zahlen
(& n. 8. 13). Die Berechtigung, diene sämtlichen Oedankengebilde, so vetsehieden
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Hey«r: Xiot und dM Weaeo dei ITmmd in dar KaUMOialik.
309
sie zunächst erscheinen, dem Zahlbegriff unterzuordnen, geht daraus hervor, daß
sie im vroscntlichen den nämlichen logischen Verknüpfungsgesetzen gehorchen.
So weichen der Gang der all^omoinen Philosopliio und der Gang innerhalb der
einzelnen „Fachphilosophie" nicht unwesentlich voneinander ab. T)pt Philosoph
wird stpts wieder zu denselben gru»dlegen<1en Fiageii der als Guu^oü aufgefaßten
Erscheinuügswelt zurückgeführt; in der Einzelwissonschaft sieht der Forscher aus
der glücklichen Lösung eines besonderen Problems eine Reihe neuer, ungelöster
entspringeD. Wenn das Bild gestattet ist: bo oft der Philosoph glaubt, aoiiier
EydoL einen Kopf abgehauen zu haben, dffliaelbe Kopf wichst aolort wieder; dem
Siaseifoncher dagegen erwachsen an Stelle des einen abgetrennten Eo|iIb8 lebn
solche Yon andwer Beschaffenheit
ünd doeh wixe eine gegenseitige Untexstatsnng aehr heilsam; je mehr im
Einaeliien dnrohgebildeto Fsohphileeoplüen entwidkelt wftrden, um so mehr würde
auch der Philosoph xar t^oxj* genötigt werden, seinen zu allgemein gestellten
Aufgaben eine gewisse Besohiünkang au&uerlegen, in dieser Besehrfinkong wArde
er dafür zu präziseren L(^ungen gelangen.
Um nunmehr unsere eipontliche Auf^'abe in Anp^riff zu nehmen, denken
wir uns für den Auf^enblick einen frewisscn Besitzstand grundlegender mathe-
iuiiii.scher lifgriffe, 8ataie und Methoden als vorhanden, gleichgültig wolier er
stamme, und fragen, wio sich dieser Besitzstand vermehren läßt Wir wiinsclien,
ganz im Sinne Kants, zu zeigen, daß die gedachte Vermehrung, entgegen dem
äußeren Anscheine, keine materielle, sondern nur eine formale ist, daß die
Erweiterung matbematiacher Erkenntnisse nur in einer andern Anordnung,
Gruppierung, Zusanunensiellung, Ttennting und Verbindung bereits toi^
handener besteht
Um diese Aufhssung sunftehst an einem ein^w^«! Bilde ans dem gewöhn*
liehen Leben zu erläutern: Jedennann weiß, daß ein und dasselbe Zimmer mit
ein und demselben Mobiliar je nach der AnfsteUnng und YerteUnng des letsteren
dem Beschauer einen gans andem, einen ,.neuen" Eindruck bietet, daß man
sogar auch leicht einen gewollten Eindruck, einen bestimmten .,Stil" durch
passende Anordnung hen'orrufen kann. Nicht anders ist es in der Mathematik;
durch bloße Umordnunir ^on Teilen wird der Eindruck von Neuem, von Fort-
schritten erzeugt- Kuier der iniu reu (iriindo dieser Ix fremdenden Erscheinung liegt
in dem eigentümlichen Verhältnis zwischen Auüchanungs- und Schlipßunt,'s-
vermögen. Dies Verhältnis ist ein zwiefaches. Auf der einen Seite eihiiniiut
der Veretand mühsam Stufe um Stufe, bis er zum letzten, den Beweis eines
^itaes krönenden Sohlnsse gelangt; ist diesw Anstieg aber dnmal ▼ollendet, so
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310
]|»y»r: KtBt wul das WeMU des Neaea in der Mathwnstik.
vennag die inner© Anschaniing', wie vom Gipfel einer Höhe, den ganzen zurück-
gelegten Weg mit einem Blick zu umäpaouen.
Auf der andern Seite ist unser AnsdiftunngST^mögcn, nann&tlidi in da*
Oeomeirie, ein ttberaos beschrSnktes, ja goradesa dürftiges sobald üun eine
größere Aiusahl Tenchiedenartig rerlmflpfter Elonente nnTeimittelt g^nflbertritt^
irihrend des 8ebließiingsveim<}gen, trots seiner Langsamkeit, geradesa als dn
unbegrenstes fungiert Dasa tritt ein in der Matbenwtik qiesifisdi «iU!gebildelee
Homent, das Teifidiren der Tollständigen Induktion (des Seblnsses ron «»
auf II + 1). So unsweifelhaft dies Verfahren w^n seiner Siidierheit der
Mathematik unschätzbare Dienste geleistet hat unfl noch Iriston wird", es leidet
doch wieder an einem erheblichen 3Iangol; statt daa innere Gewebe der leitenden
Gedankenfäden aufzudecken, umhüllt es dassolbc rip!m*'hr wie mit Pinera Schlfipr;
oder nm liobpr das oben ^ohrauchte Bild weiter uuszufiihroii; mau läßt sich von
einem Führer einen steilen Her^ heraufziehen, und behält sieh nur vor, don
letzten obersten kleinen Gipfel selbst zu ersteigen. Oeriide die vollstaudige
Induktion ist es, die oft zu einem neuen, uuerwartoten Ergebnis führt, wie man
erkennt, wenn os gelingt, einen direkten, allmählich zum Ziele führenden Beweis
zu finden; dann entpuppt sich das scheinbar Neue als eine Aneinaadecrahiing
selbstrentttndlidier TstsBohea.
tht ^e ^slematisdie AnsfQhmng nnseres Hsnptgedankens fiber die Bn^
stehnng des Neuen in Anbetracht der grensenlosen Ausdehnnng dee Gebietes
unmjigüeh «sdheint, müssen vir uns bescheiden, eine Reihe mathematischer
Typen vorzuführen, und diese wiederm durch geeignete Bei^iele zu kennzeichnen,
deren Yentlndnis keinen zu groSen* Aufwand mathematiBdier Toikomtaisse
erfordert.
Am deutlichsten, weil am unmittelbarsten, ist die fragliche Erscheinung in
der elementaren Kombinatorik ausgeprägt. "Wer zuerst den Satz aufstellte und
bewies, daß die Änzalil der Vertauschuogen von n Dingen gleich Ix2>c3 . . »
1) Wenn andoD« der Ut weis gewissen AiiionleruDgen genügt, s. u. S. 16,17.
2) Das ist einer dor Haiiptgrüniifi . wedtalb liei der modenMtt V^läagaaig der OnmdlSKWD
der Ocometrio von cim-m Systom durch gowissö Axiome vorknüpften Begriffe ausgegangen wird,
mit denen dann nach fi-st.'n Vorsohrifti'a goradtzu wi« mit Griißon gerechnet wird. S. D, Hilbert,
Onudlagen der OGomotrie. Festschrift zar Enthüllung dcü Oaufi- Weber-Denkmal«, Lrijnjg,
2. Aufl., ISX'-; K. Th. Vahleu, Ab.stmkto Gooitr-trii-, T/ iii/Ii' TiiM. ( W:r'l ?lt'mnrirhst erscheinen.)
S) Vgi. H. Poiiitarc, Wissenschaft und UyjKUlies«. Deutsch von F. und L. Lindemaaa,
Lsiptig 1904.
4) Die meisten I^eser werden freilich umgekehrt der Meinunir sein, daB die^^er ATifTraad
ein viel eu großer sei. Inde&ben läßt &ich etwa aus bloßen elementaren äätzen über das Dreieck
dis Xiafe der omiereii maüiePMtiaoheB Begiitb niefat aatnebmeo.
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]C«j«r: Xut and dM W«mb im Naoea ia dar Mathoimtllr.
an
ist — eine Zahl, die bei fjrößereü Werten von n eiiie solche Höhe erreicht, daß
sie bei livm Luien ein ongekünsteltes, verwirrendes Erstaunen erwecken muß —
glaubte gewiß, einen großen, wahrhaft noueti Sutz entdeckt zu habeu. Und doch
ist das Eigebnis nur «in« Aneinanderreilinng einiger TriyialititeiL D«ft twei
Dinge zwei AnordiiimgeB salaMon, siebt ein Kind «io, desgleichen, dafl von drei
Dingen jedes einmal sn ein« besfimmte (erste) Steile gebzadkt werden kann; dies^
mit dem Torigen verbunden, lehrt, defi die Anordnungen Ttm drei Dingen sieh
in drei Oruppen wa je swei Terteflen, da£ also ilne Ansshl 2x3 ist Ten Tier
Dingen kann wiederam jedes einmal «ine erste Stelle einnebmen, während die
drei flbxigen jeweils ihren 2x3 Anordnungen unterworfen werden kfimnen;
mithin gruppieren sich die Anordnungen von vier Dingen in vier Kla><sen Ton
je 2x3, ihre Gesamtanzahl ist also 2x3x4. So ist klar, daß bei jedem neu
hinzutretenden Element bei der Anzahl der vorher möglichen Anordnungen die
das Element angebende Kardiniilziihl als weiterer Faktor figurieren muß. Die
vollständige Induktion ist hier nicht einmal erforderlich und dient nur aur
bündigen Zusammenfassung der skizzierten Tätigkeiten. AVer wkre aber imstande,
etwa von den 3628800 Arten, wie 10 Personen an einem Tische ihre Fl&tze
wechseln können, eine deutliche YorsteUung zu besitzen?
Oanz ihnlich yerbilt es sich mit einem aweiten grundlegeuden Satse der
Eomlrinatorik, dsft nun, wenn Dinge einer ersten Gruppe gegeben sind, n,
Dinge einer sweiten, . . Dinge einer Omppe, genau auf ih xn^ . .xiti
Arten je ein Ding der ersten Gruppe mit je einem der iweiten, . . mit je
einem der Gruppe snsammenstellen kann, wenn auf die Anordnung dieser
ZusanunensteUungen keine fiflckeidit genommen wird. üsf. Als «weiter I^pua
der in Bede stehenden Erscheinungen diene der berflbmte Pythagoräische
Satz des rechtwinkligen Dreiecks. Die meisten Jjmfft werden sich mit einem
gewissen Unbehagen der künstlichen Figur erinnern, mittels derer im Schul-
unterricht der fragliche Satz herausdcmonstriert vrsjrde, und würden wohl schwerlich
imstande sein, trotz aller Anstrengungen jene Figur sich wieder herzustellen. An
die richtige systematische Stelle gebracht, hat der Öatz nur da.s euie Eigentümliche
an sich, daß er zwei Tatsachen von p-oßer Einfachheit so miteinander vereinigt,
daß ein unwesentliches Moment entfernt wird.
Der grundlegende Sats, daß bei swei Ähnlichen Dreiecken (i. e. solchen
mit besw. gleioben Winkeln) die Seitenlingen dee einen sieh TeriialtMi, wie die
des andern, kann und soll gleieh im Anfange der Lehre vom Dreieck abgeleitet
werden und mag hier als vorbanden angesehm werden. liegt nun ein belielnges
Dreieck ABC vor, so ist mit ibm implixite andi jede Stredce AD mitgegeben,
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312
](«yor: Kant and du Wesen des Neuen in der Mathematik.
die eine Ecke A mit irgend einem Punkte D der Qegenieitfl BG T«rbindet
Unter diesen unbegrenzt vielen H9|^dkkeitBn gibt es offenbar eieber eine, ao
daS das Tdldreiedc ABD mit dem ganaen Dreiek ABC Klialidti irird. Teriangt
man abw, tun ein gleicbmäBigeres^ ein symmetrisches Ergebnis au emeleo,
daA auch das «weite Teildreieck AÜD dem gansen Droieek ihnliob wird, oder,
was dasselbe ist, daß alle drei Dreiecke ABC^ ABD, AGB einander Mhnlieh
werden, ao kt das wiederam nur so mO^oh, daB AB eine Hohe des Dreiecks
ABC, und überdies der Winkel desselben bei A ein Rechter ist.
Bezeichnet man dann, wie üblich, die T^ängen der Sei ton dos nunmehr als
rechtwinklig vorausgcsotzten Dreiecks ABC mW o, h, c, die Abschnitte, in die
die Hypotenuse a durch die Höhp AD ^ h zerlegt wird, mit j?, q, so ist die
Ähnlichkeit je eines Toildroiccks mit «h^in L'an3!Pn Dreieck s^leichwcrtitr mit
den Aussagen b* = ap, c'^ = aq. 'lic ziismninon \vif:'(i('runi für das rechtwinklige
Dreieck charakteristisch sind. Lm diu uiiwcacutliclien, weil erst in zweiter
Linie auftrettiuduu Stucke p, q zu entfernen, hat man nur jene beiden Belationen
20 addieren; das Besultat 6* + e< » a(j7 + 9) ist der Pytbagovüsdie Satz,
der also wiederum für das rechtwinklige Dreieck charakteristisch ist
Würde man nur auf die Xhnliehkeit der beiden Teildrnecke seilten, so er-
l^tbe sich die anitore fundamentale Aassage die abermals fttr das rsoht-
winklige Dreieck ohaiskteristisch ist, mit dem Fythsgorftischen Salze inhaltlich
ToUig i^iobw^üg eracbeint, nnd formal nur dadurch von ihm abweicht, daß
sie „omm'* memente, die Hdhe k nnd die Abschnitte p, q der l^otenuse enthält
Tom Pytbagurüischen Satze zum Aufbau der elementaren Trigonometrie
sind nur wenige Schritte erforderlich.
Um den Pythagoräischen Satz in eine Form zu kleiden, die von dem
zufällig gewählten LänpcnmaRstah nnahhänfri«? ist, führt man die Verhältnisse der
Seiton a, fc, c als s(>lbstiiiidiirc Hilduügeu ein; man nennt sie di^ (sochs) trigonc-
motrischen Fujiktiont'ii eines der heiden spitzen Winkel des Dreiecks. Der
l'ythagoriiischc Satz zeigt uiiiiuttelbar, wie diese sechs Fuuktiuncu durch die
einfachste Rechnung auf irgend eine von ihnen zurückgeführt werden können.
Um indessim dem Auge eine woh1gefftUigeFoTm>^ damibieten, ffllirt man jene
Redaktion nur selten durch, sondern behalt drei (oder vier) jener Panktionen
(sinos, Cosinus, tangens resp. cotangens) ^eicbxeitig bei. Hierdurdi erklirt sidi
I i Iii r);i i ist froilich auch nach das praktische Bedürfnis, da» den Logarithmentafeln
für Zahlen und trigonometiisMihe Funktionen Bechnuqg tragen muß, mafigebend; wir besoiuänkeo
ans aber int Texte aof die „reine" Hatfaemattk. Aof einer hShemn Stnfe iat es ffia/S» Tteeewtlidii
die veisehieileiieD txtgonometriaehen Fnaktieoea TODeiiiander getrennt m halteii.
Keyer: Kaat nmi «las We«eii de« Neuen ia der Ifothematik.
813
der Reichtum der triguuumetxiächen BezieLuugeu; tuaa opfert der schönen
Form die Einfachheit, die Einheit des Inhalts. Wir kommmi auf dieses
bedeutsame Moment noch weiterhin snrttok.
Ein beliebiges Dieieek witd dtmdi eine HShe in swei rechtwinklige TeU-
dreiecke seilegt; sobald msn dsher auf dieee die trigonometrischen Besiehnngen
anwradet, nnd diese wiederom so vereuiigt, daft nnwesentliche, d. b. für eine
jeweilige ^ Anfidsung** des Dreieckes, nicht in Betradit kommende Stttcbe entfernt
(«eUnuniecf^) werden^ gruppiert sieh der StoS zu immer anderen Gestslten.
Trotzdem ist dieser Reichtum nur ein scheinbarer, wesenÜich durch die viel-
fachen eigenartigen Benennungen hervorgerufener; es ist stets nur die Variation
des einen Themas, daß man von einem Punkte auf eine Gorade nur ein einziges
Lnt fällen kann. So oft es sich hierbei darum handelt, aus flrni unabhängigen
8tückon (SfMtcn und Winkeln) dos Uroiocks ein vicrres zu liesliinmen, ist die
Anzahl der ( iruppieningsmöglichkeiten eine eng begrenzte und leicht übersehbare';
sobald niiin dagegen versucht, eine Relation zwischen fünf, oder gar sechs
ätiickeu des Dreiecks zu konstruieren, ist die Anzaiil der Möglicbkoitüii natur-
gemiß eine unbegrenzte, und es ist dem subjektiven Oescbmacke des
Forschers der weiteste Spielraum gelassen. Er wird & fi. Wert daiaul legen,
dafi gewisse Elemente nur linear in den Fonneln anftreteUf osw,
Fttr die Erkenntnis des Wertes der Trigonometrie des Dreiecks erscheint
es aber durchaus notwendig, f estousteUen (wie das der TerEssser in einer Mheren
Arbeit' oitwiokelt hat), wie sich fllein aus drei unabhlngigen Orundlormeln
durch reine Bedienproaesse, soaussgen mittels einer Beehenmaschine, alle
etwaigen übrigen herieitcn lassen. Das Entsprechende gilt fOr den Aufbau der
sphärischen Trigonometrie, der Polygonomctrie usw.
Wir geben zu anderen Typen über. Hier wird ein weiteres, ebenfalls der
Mathematik spezifisch augebörigos Hilfsmoment in den Vordei^nind treten, das
ist die merkwürdige Rolle, die Identitäten bei der Entstehung „neuer" Sätze
spielen.
Ein instrulitives Beispiel aus der elementaren Plauimetno wird durch den
Ptolcmäischen Satz geliefert, der vielleicht manchem T^ser als ein besonderes
Kuriosum im Gedichtnis geblieben ist Der Satz sagt au:^, daß in einem £rei8>
Tiereck die Summe der Ftodukte je sweier Oogenseiten gleich don Frodokte
1) Von li' T s> D -t.iiiliu'en Kitifiilirun^ weiterer DreiecIc^cIeiBeote, «ie HBheit, l^tBn- Qtkd
winkeUialbiereadti InuiiivanMÜ«», eia- and ombesoliriebene Kreise ttaw., aell hier gun atfesahan
weiden.
2) Jahreebeiidii der DentacbeB MatheiutikeiTerriiijgui«, Sd. 7, (1889), B. 147—154.
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314
Meyer: Kant und da« Wesen des Meaen in der Mathematik.
dar IMi^itilen UL Ftthrt mim ffie mnkel f^, 9^, 9*3, ein, die die nach den
Ecken des Vieredcs laufenden Radien mit irgend einer festen Anfangsrichtong
bilden, und setzt tg^ = ili (i 1, 2, 3, 4), Idirt eine RechTiim^^ von wenig'en
Zoili'n. (laß der in Rprln stohf^ndo Satz üur ein geometrischer Ausdruck* für die
Existenz der evidenten Identitiit ist:
(A, - A,) (I, — + (A, - ^s) (A, ™ I,) + (Xi - (A, - A,) = 0.
Die Bedputuiip des Satzes für die Krcislehiti orhellt dann hinterher vrieder
daraus, daß er für den Krei^i cliaraktoristisoh ist; vier I'iinkte der Ebeuo
liegen dann und nur daun auf einem isLroiso, wenn für sie die Ftolemäische
Eigens^ichaft zutiifft.
Die ünikehrung dieser Krsclieinuag führt sofort zu einem umfassenderen
Standpunkt So oft man vier ürötien Äj, A,. A,, A, durcli vier gleiehbei-echtigt©
georaetrisehe Objekte (liUdcr) deutet, Hic nur noch der ßedinguiijj zu genügen
haben, ilaU aucli den (sechs) Differenzen Ii — A^ eine selbständige geometrische
Bedetttoag ankommt, gelangt man au einem „neneu" geomeCrieohen 8ati»; alle
dieee Sfitse sind jedooh nur rersdiiedene ADSohAnungB-lfanifestationen einer
einzigen Eikenntnisquelle. So gewinnt man u. a. die die Theorie des Boppd-
▼erbiltnissee bebeciscbende Fundamentalzelatiott, ferner die die neotie der
Geraden im Banme behertschende „Unienkoordinatenidentittt'*, usw.
Der Oebalt derartiger Identitäten für die Erkenntnis und Herleitnng geo-
metrischer Wahrheiten wird ein on^eida fruchtbarererf wenn in ihnen nodi
ein willkttriii^er Fanmeter zur Yeiffigang steht.
Zur Erlluterong möge ein l^pus Ton SiUaen dienen, deren bekanntester
ReprSsentant der Pascalscbo Satz für Kegelschnitte ist Anstatt ron vornherein
eechs Punkte auf einem Kegelschnitte ins Auge au fassen, gehe man snnlefast
von sechs beliebigen Punkten Ai, Aj, . .A^ einer Ebene aus, die man in irgend
einer Reihenfolge durch Strecken vorbinde. Die drt i Paare von Gegenseiten
des Sechsecks liefern drei Schnittpunkte Si, S,, Sg. Mittels geeigneter Koordi-
naten laßt sich dann auf franz einfachem Wege eine Identität ^4 — B aufstellen.
Hier bedeuten ^4 und B p'wisse rerluiorisehe Ausdrücke, mit der besonderen
Ei!?enschaft, daB wenn den »pezieilen AVort der Einheit anuimmt, die sechs
Puuktü ..i,, Ä^..Af, üuf einem Kegelschnitt liegen, andrcibcits, wenn B gleich
der Einheit wird, die daa Funkte 5^, 5,, ein und derselben Goraden an-
1) Nibem sisbe in der Alihandltiqg dea Yei&BMn im AreihiT dar Mathfaiatik oad Pbjiik
(3) 7 (1904), & 1—15.
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Meyer: bat und 4m Wewa dm Kewn in d«t KaaiwaatiL
816
gehören. Damit erscheint der Pascalscbe Satz nebst seiner ümkehrung
als der uamittelbare goomctriscbe Ausdruck der Ideutität ^ = B.
Mit demselben Bechte hätte man aber dem Auadracko ^ irgend einen
ZaMwert <» beilegen kSnneii, womit ihn gleichzeitig der Anadmck B erbilt; je
nach dem betreffenden Werte des „Parametera'* c gruppiert sieh das
Sechaeck naeh andrer Vorsehrift Das Fiinsip ist also offenbar dies, dal
man den PasoaJachen Sats als eine Speaialerscheinnng innecbalb einer on-
begrenzten Elaase in gewisser Hinaidit ^eichartiger Erscheinnngen anfiaBt, die
alle in der Identilftt wnneln. Der Grand aber, weshalb man gemde dem
Paäcalschen Satae eine so hervorragende Bedeutung beimißt, ist ein doppelter.
Einmal beanspnichea die Kog^Iscbnitte, ganz abgesehen von deren vielseitiger
Verwendung in Mechanik, Technik usw., in der Systematik der geometrischen
Gebilde der Ebene ihren Platz mit an erster Stelle, da f^ich ihre Theorie un-
mittelbar über der der Oeraden erhebt »Sodann kommt dem Faacalschen Satze
innerhalb der Kegelöcluiitt.slehre eine zentrale IStel hing zu, da sich aus ihm allein
»lle anderen Eigenschaften der Kegelschnitte ableiten lassen. Das oben ent-
wickelte Prinzip ist indessen einer weitgehendeu \ erallgemeinerung fähig.
Oerade so, wie man ein Sechseck in drei I^inktepaare gruppieren kann, die auf
den Seiten eines Dreiecks liegen, kann man auf den letaleren drei Gruppen tqu
n Punkten (» »2,3,. .) annehmen, entsprechend im Baume auf den sedis Xanten
eines Tetraeders, resp. auf den vier Kantm dnee windschiefen Yierecka, sechs
resp, vier Gruppen Ton je n Punkten, u. & f.; stets existiert eine der obigen
Identitftt ji^B analoge mit analogen Schlüssen Kurven, Blichen «•*"
Qrdnimg, tt. s. £), und die unbegrenzte Reihe dieser IdentitSten IftBt sich wiederum
einem einzigen Typus unterordnen, der sie alle umfaBt
Von diesem Gruppicrungsstandpunkt aus erfuhrt der Pascalsche Satz
eine ganz andere Beleuchtung, als bei der gewöhnlichen Auffassung; er bildet
nur die erste Stufe einer nach vielfacher Riebtang hin beliebig aus-
dehnbaren ,,Pasealschen Geometrie."'
Tteraitigw tiefgrcifonder Typen lassen sich in der Geometrie noch manehe
aufbauen; es sei ct^a au die Theorie der orthogonalen Substitutioueu erinnert,
feraer au die, eine ungeahnte Fülle von geometrischen Eigenschaften einschließende
flgur des einer Fläche zweiter Ordnung ein- resp. umbeschriebenen Tetraeders,
weiter an die Lehre von den Ausartungen eines Gebildes zweiter Ordnung , u. a.m.
1) Sieho die Abbaadliu^ das Verfassers, JaltrcMboriclit der Dcutecbea Mattaematikervereioigaii^
9, (1901), B. 91—99.
316
Heyer: Kant und du Wneu 4m Nenen in dar Mafhemadk.
Leider steht zurzeit eine in dieser Richtung systematisch fortschreitende
Behandlung der Geometrie noch aus; danach wäre jeder Satz einer gewissen
Identifit nntersnordnen, worai» sein eAenntnüdieorotiMlter Inhalt als einzelnes
Glied einer wieDdliohra Kette gleichberechtigter Sfttie nmnittelbw entspränge.
Es gibt mandi« Hathematikerf die eine denurtige Entwieklung der Georaeliie
mit einer gewissen Heniblaniting als eine „formale" kennzeiofanen; ohne es m
woihm, sprechen sie damit eine nieht geringe Anerkennung ans, da sieh getade
auf diesem Wege eine ungekttnstelte Einordnung der geometris<^«m Wahiheiteo
in das System der Eantsdien Brkenntnistheoiie ToUaiehen IttBt
rrelii n wir nunmolir zu oinem grundlegenden Typus aus der Ariflimetik
und Analysis über, zu der Theorie der Irrationalzahlen (allgemeiner, roa
Grenzwerten ftherhaiiptl Die bekanntesten Beispiele sind ja jedem geläufig; es
sind dk- in klt-iripn ii oiit r irröRoron Tnfoln vereinigten Logarithmen der natür-
hoheii Zahlrir. dit's<' Liif^aritlinn'ii lirochni aber, wif» wohl kaum zu bemerken
niilif; ist, nicht etwa au '[er lntn'ffcndfn Stellt* ah. somleru sind unbegrenzt
fortüetzbare Dezimalbrüche. Einu lüi die Theorie der irrationalen Größen bessere
Darstellung wird allerdin^ durch die Kettenbrüche geliefert; jeder unbegrenzte
(regelmfißige) Kettsnbrach besiiat als Wert eine bestimmte initioDale Zahl ui^
umgekehrt; oder mit andern Worten, jede Lrationslaahl ist fiquivatoit einer
bestimmten unbegrenat foxtsetabaren Reihe natCliiicher Zahlen, aber auch um-
gekehrt reprSsentiert jede, noch so willkUilicbe, unb^;renst fortsetsbar gedachte
An Ordnung natädieher Zahlen (wobei bdiebige Wiederholungen gestattet sind)
eine bestimmtB Irrationalität Man kann sich aber auch eine andere, besonders
für Anwendungen geeignetere Auffassung bilden. Danach drttckt jeder Satz über
IlTati<malza!ilen eine gewisse (>ndliche Relation zwisclion gewöhnlichen Brüchen
aus, nur daB diese Relation nicht genau, sondern bloß angenähert gilt. Man
ist aber imstande, diese Beziehung zwisrli»>n Brüchen in unhcfrn'nzt viele Formen
zu kleiden, für jnrln Form den Folilcr d. i. die Abweichung von der Genauig-
keit, m gewisse (iirnzi n rinzusehlieiicn. Unsore Anschauung ist indessen nicht
fähig, mit einer «ioiaitigtri Menge im wcsRntlichon gleiehwertiffor Sätze gleich-
zeitig zu operieren. Man begnügt üich dulier iiut ciiioiu liepi äjiontanten. deu
man so wühlt, daH man sich deu Fehler bereits unter eine GcnaiugiieiUigrenze
▼on genügender Kleinheit herabgedrOokt denkt Wenn man daher Ton der
Gleichheit zwischen Irrationalitäten spricht, so ist das nur als eine sprachliche
Abkflrzung, eine Art Stenographie su Terstehen, indem man auf die Angabe
des Fehlers, als etwas Unwesentlicbem, versichtet Man nimmt gewisse Teile
für das Oanae, und gibt doch diesen Teilen Benennungen, die den Bmdmdc des
0 üy Google
Meyer: Kant und das Wewn des Neuea in der Hatbaiiiaitik.
317
Gaoseii und damit von etwas Neuem, hervorrufen. VÄn riuuüt buwu^t sich in
einer EUipae, wenn man von de» TerhaitniaiiriU^ig geringfügigen Störungen durch
andeve Himmelskarper abtiebt
Wenn man nun aber den Begriff der Gleichheit, auf dem doch daa
Rechnen mit Imtionalititen in letster IMe beruht, sdiirfer ins Auge iafit, so
erkennt man irieder die ünteroidnung unter unser allgemeinee Omppiieyanee-
prinrnpi üTach der flUiohen Auffassnag d^ieit man nrei OiGAen ab gleich,
wenn ihre Differenz den Wert (genauer Grenzwert) Null beeitst In Tielen
Oebieten der Analysis ist es aber zweckmäßiger, unter zwei gleichen OrBfien
solche zu ^'erstehen, deren Quotient den Wert Kins hat Offenbar kommt diese
zweite Dpfinition auf die erste zurück, wenn man statt mit den Größen soJhst,
mit ihren Lt» j,'uri th inen operiert. Dieser (iedanlie läßt sich veralIf:;cmcinorn.
Es sei f(x) eiuü, wenn auch an gowitise Beschränkungen gebundene, willkürliche
Funktion einer variabeln Größe x, so erhält man den allgemeineren l^egriff der
Gleichheit zweier Größen o, b durch die rostsüt/.uug f{a) ^ f\b). Der Analjsis
stehen die Hiifaduttel au Gebete, wenn es erforderlich erscheint, den allgemeineren
Begriff auf den uiqprflngUchen spesieUsten (a b) suiücksnfiUuren, d. h. die
Differena f[ß)-*f{iii mit der DifCerens 6 au vetgleichto. Aber gerade durch
die Beibehaltung einer aolchen Funktion gruppieren sich die Sfttce Uber
Inaticnalititen, Tcm Standpunkt der firfcenntnlatheoiie aua, nach dem sp^elleren
oder allgemeineren Chankter der Funktion Oder andera auBgedrflckt, je
nach AnawaU der Funktion nimmt ein und dexaelbe Sata ehie unbegvenate
Reihe stets neu erscheinenden Binkleidungen an.
Auf einen letzten T}'pus von Enjcheinnngen, der einer der neuesten
Schöpfungen der Mathematik angekört, können wir seiner subtilen Natur halber
nur Mnrz hindeuten, trotzdem gerade er eine der schrmsten Bestäti|rungen unserer
Gesamtanschauung ergibt. sind das die 0. Gauturschen truiisf i luten Zahlend
Nach der oinfachsten Erklärung sind die transfiniten (oder iilMMvndliciieii) Zahlen
nichts anderes, alt, die vurselaedeneu denkbaren Auurdnungeu der uatürlichen
Zahlenreihe. Die Berechtigung, diese Anordnungen als wirkliche, wenn auch
YÖUig andere „Zahlen" ansuaprschfln, entspringt der Md^chkeit, einmal be-
stimmte, logisch unanfechtbare Eraeugungsprinzipien für sie au bilden,
andierseitB sie logiachen TerknApfangaiseeetaen au nntonrerfen, die in den
weaentlichsten Funkten mit den elmnentazen arithmetischen Teritnflpfungen
(Addition, Multiplikation, Potenaierung usw.) türaremstimmen.
1) Salifl «twm den Artikel „Mengealelne'' fon A. 8ohoentli«a, in der EiuyUopIdie dar
BStbevMtiMlien Wittanaohaftoii, Bd. 1, Heft 2 (ISW), & 1841
318
M9J9T: Ktnt and das Wesaa des Neaeo in der MatbeguAtik.
Wer d«Tor soxIliilaMfaiidct, ArnndnimgeD nm nnbfgnnit Tiolen Elementen
Tommelimen, bcancht nur dMma erinnert m wwden, d«ft sdion «n einziges
Ding m einer Beihe unbegrenzt vieler TenmbuBang gebm kann; der Umatmd,
dnB UA die«ee Ding denke, kenn bereits ab ein sweiles Ding angeadien werden,
das Denken dieses ümetsndee als ein drittae Ding, nat^
6. Cantor* sieht es tot, yon swei Terediiedenen Dingen «mangeben; ihre
gedankliche Znsammenfusung lepriaentiert ein drittes, die Zusammeafassnng
des letstsren mit einem der beiden ersteren ein viertes, fünftes, usf. Stets ei^
sebeinen neue Dinge, ffio ducli in den alten schon vorhanden waren.
Abnr (Vw nfiiere Matlii^jiiutik ist in dor gKicklichon Lairo, die Schwieripkr-iton,
die durch die in R^do stflioiulen < iriippioningen imln^gronzt vieler Kiemente ent-
stehen, in Violen Fällen aiif uiuiuie Weise zu überwinden. Ein derartiges System
von Ohjekü'n (Zahlen, Grüßen, Funktionen, geometrischen Gebilden, ülierliaupt
Operationen) wird nach Maßgabe bestimmter Forderungen auf eine endliche
Ansahl von ,,Klassoa" zurückgeführt, und diese Klassen, die geradezu das
uisprüngUche System su eisetsen imstande sind, werden ihreiseite analogen
Orappierongen nntervorfen.
Indern mt den Zyklus dieser Bmrigungen hiermit abbrechen, troUen wir
nnnmehr einem Einwände begegnen, dem ein kritisdier Leser bei sidi schon
erhoben haben wird. Danach erscheint unsere Anffassung im Uemen, d. Ii. im
Gebiete der Mathematik, als das, was man im großen unter einer rein mecha*
nischen Weltanschauung 8ii verstehen pflegt Wenn wirklich alles darauf
binaoslftuit, daß sich nur gewisse Elemente nach gewissen Vorschriften gnip-
pieren, wo bleibt da die persönliche Schöpfungskraft des Forschers? Wird nicht
die Mathematik dadurch eine Wissenschaft des Selbstverständlichen, was um so
merkwürdiger wäre, aU aie allgemein als eine Wissenschaft der Sohwervorständ-
lichen gilt?'
Um gleich die Hauptanlwiiit zu geben: allerdings ist die Mathematik auf
der einen Seite in ihren deduktiven Beweisen eine logische Wisseuschuft;
andretseits aber ist sie im induktiven Aufbau der Beweise, im Herausgreifen
der wesentiichen Momente, m der Oestaltnngsfähigkeit der Formen ebenso sehr
eine iatfietiscfae Kunst
1) VgL R. Deddkibd , Wa« sind und was lollen die Zahlen? Bianiiaohwieig 1B87, 2. Aufl. 1883.
2) Nach eiiK'm v h r],.- matiirmaöaotiaii Sektion der Natnrfondiervaiaiatuiliuig in Kuael
(September 1903) gehalteuea Vortrage.
8) Selie A. Prin^ahelm, nDber Wert nnd angeblidien Unwert der ¥«thwnrtfc». Rede,
gelraMen in der Ifünduoer Akademie der inasenaduftea, 14. lOfas UNM.
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Meyer: Kmt and dm Weaen ö» Nwma in der MAthma^ffc ,
319
Wollte man uber fragen, waa denn in einer einzelnen Eunstschöpfuug, sei
fie «in Gemllde oder eine Statue oder ein Bauwerk, als „neu*' «u eikl&ren wäre,
80 vflrde sich aohwerlidi eine befiriedigende Antwort erteilen lassen; der mh-
jektire kflnstlecisdie Oesdimadc, die eeetaltande Phantasie wird immer ein im-
ponderabile bleiben.
OlttcUiohenrfliae erianbt die analoge Frage in d«n begrensteren Gebiet der
Mathematik eher eine LGsnng, dn sich hier, wenigstens in tiet^ IMUeD, der
Geschmack, wenn man so sagen darf, dnreh Zahlen, oder doch dtudi qnanti-
tatire Momente fixieren läßt
Wenn wir der Frapo näher treten, nach welchen hervorstechenderen Prin-
zipien die Auswahl bei dun verschi>denprlfi rirnppieruupiraodalitiiton vor sieh
gebt, so miu*üeu wir uns wiederum auf citizolno Erschcinnn^^stypen beschriiiiken.
Ein Haupttypus ist sicher der, daß man von vornherein die Probleme so
stellt, daß ein Miuiiiium von Lösuiif^en eintritt, oder daß ein gewisser Ausdruck
einen minimalen (resp. maximalen) Wort erhält; jedes Ergebnis dieser Art
gewShrt dem Geiste einen isihetischen Oenufi. Auf die das ganze Gebiet der
Ilathematik dnrduieiienden Aufgaben Uber Minima (resp. Maxima) von Fnnktioiien
kann hier nur hingewieeen werden.*
im blondem gibt ee grofie Klassen matbemadsolier Aufgaben, die ihren
AusdnuA in algebraisofaen odw transiendenten Gleiohnngatystemen finden, denen
eine aber andi nur eine Lflaong sukommt, und hier aeilegt siefa die Sohwinig-
keit Ton aelbet in awei eolebe: einmü ist ttberiiaupt su zeigen, dafi eine einxige
Lösung der gemeinten Art wirklich existiert (logisches Moment), sodann aber
ist die Lösung auch zu konstruieren (kttnstlerisches Moment). Dies Doppel-
prinzip wird sojzur auf die Aufstolhing von Definitionen übertragen; nach
Kronecker* soll eine Definition nicht nur lo^nsch einwurfsfrei sein, sondern
man soll auch imstande sein, eine begrenzt»' Reihe von Operationen anzugeben,
mit deren Hilfe die in der Definition auftretenden neuen Merkmale erst als
wirkliche Gebilde mit Leib imd Seele geschaffen werden.
1) Ein lehrreiohes Beispiel dieser Art bietet die sogenannte „neuere DrciockRgeomotrie".
Du CfaiM der Sitie diese« Oebietee lüAt sich dadnioh ordnen, dafi man die Sätze klassifiziert je
mnA der Natnr der Vunktlen, die bei dem betoeffenden Satse ein Miniianni (resp. Maximum)
wird. Es ist aber wohl zu bfaclityn, UaR (ürjsi.' ork»'imtni.stli9oretisch einfache Einteilung keines-
wegs auch die für eine mathematische Durdifüluuog zweukmifligste ist. Benn die im Laufe der
Katwiokluni; ausgebildeten BeohnnngsalgorithmeB und geometrtaelieii EoDiatnktion«mellioden «önd
unter dem Einfluß ganz andera ^-esarteter Moincnt*" •■nlstntiiiL'n.
2) Onindzüge einer ahUunetiaohen Theorie der algebraischen Giüfien. Feetachrift, Berlin 1882,
f 4. D«d«kiiid, in dar a U litiertMi Schrift (S. 2) Ittit andi «Im onbegnBite Anaafal tob
OpflttttonaB n.
320
Mayer: Kant and daa Wesen des Nouoo in der MatbeniAtik.
In der Fonkticiieiitheorie und mattematisehen Physik ist oft der Anget-
pnnkt einer ganien Entwidclung die Frage naoh der Existens nnd Eindeutig-
keit einer gewissen Lösnng, sumeist eines Systems paitieUer Differentiel-
gleidiungen, voliei ans einer cnförderst tmbegrenztetL Aniahl von LSsungen
diejenige heraussuschilen ist, die noch einer oder mehreren Nebenbedingnngen
genügt
Aber auch schon in der elementaren Oeometrie und Algebra übt das in
Rede stehende Prinzip einen maßRebondeu Einfluß aus. Der hervorragendste
Satz fliesor Art, dor auf die vei-schiodensten Oohiptr dnr Algobra. Zahleutheorie
und Fimktiouentheotio ausdehnbar ist, ist der Euididtschi- Fiiiiilamriitalsatz der
eindeutigen Zerlegliarkoit einer natiirliehon Zahl in Prinifakttiren. Femer
besitzt zwar eine tjleii:hnng Grades n Wur/flii. man ist aber imstande,
jede einzelne derselben von den anderen abzusonderu und sie selbständig zu
ohaxaktensieren; das Entsprechende gilt Ton den mit Schnittpunkten iweier
^ner algebraisdier Kurren m*** resp. «t*" Ordnung, usf.
Gerade in der Algebra und Oeometrie wird das genannte Prinzip der Ein-
deutigkeit einer besonders fruchtbaren Spezifikation unterworfen: man frügt nach
d«i notwendigen und hinreichenden Bedingungen dafOr, daB ein System von
Qletehnngen, dem im allgemeinen keine gemeinsame Lösung ankommt, im
beeondwn eine (aber auch nur «ine) 8<dche besitst, oder in geometrischem
Gewände, wann sich einr ß^owisse Reihe gleichartiger Gebilde im besondem
eines gemeinsamen „Scbnittgebildes" erfreut.
Sn triht PS ansifpdphnte Oehiete der Geometrie, in denen stets als ein neuer
Satz pniklamiert wird, wl'iiii drei oder mfhr l'unkto in oinor Ebonf; auf einor
treradon li<\t;«'ri, drei oder mehr (jeraih ti >ich in eiuoin Punkte sclineidon, \ ier
oder mehr Punkte auf einem Kreise liegen, sechs oder moiir l'unkte auf einem
Kegelschnitte usf., und entsprechend bei räumlichen Gebiltlen. Alle derartip'en
Sätze finden dann wiederum ihr analytisches Ä(]uivalont in gewissen Identitäten,
wie schon oben herroigehoben wurde, und werden dadurch zu größereu oder
kleineren, wohl abgegtensten Gruppen snsammengeisflt
Eehren wir nodimals einen Augenblick an dem allgemeineren Begriffe eines
Minimums surfIdt, so müchten wir noch betonen, wie dieser Begriff auch auf
die Teremfachung der Beweise einzuwirken geeignet ist Die meisten, tiefer
gelegenen Satze der Mathematik sind uTsprüngÜch auf mtlhsamem, eine lange
Kette von SchluBreihen dorchlaulenden Wege abgeleitet worden. Die fort-
schreitende Entwicklung der Wissenschaft drängt aber dasu, diese SchluBreihen
durch soldie von lunebmender Kürze und Bündigkeit zu ersetaen; man ist erst
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■eyer: Ent «od Am "Wmm Itt MeuBi der M>fliwiialllt.
821
bfifiiedigt, wenn «in gewisses Minimum von Schlüssen erreieht ist, das dar
geistigen Anschauung gestattet, den Beweis als ein Ganzes zu umfassen, bis in
der Tat das Ergebuis das Ideal der Selbstverständlichkeit gewonnen hat
Wie wäre es sonst möglich, sicli bei der überwuchernden Fülle von KinzeibeiteiX
noch ein Verst;iudni.s für den Zusamtneuhaug des (raazeu zu bewahren?
So wird das Friiuip des Minimums zugleich einer der wirksamsten Hebel
in der matbematiscben Pädagogik.
Ein anderer isthetischer Tyjna ist der der Symmetrie maflieiiuitisoher
Gebilde. Es sei s. B. sn. die regulären Pelygone und Polyeder eEinnert; luüb-
regiüäre Gebilde usd Xhnllobe entstehen dnrcli geeignete „Komblnatton" rein
rsgulirer. Die an sich so einfsche Theorie der rsguliren Polygone nimmt, wenn
man iriedevam die Frage nadi der wijkltohen AnsnUabarkeit mit den einfachsten
Mitteltt — Eonstniktioa mit Lineal and Zirkel, d. i. AnflSsnng von Gleichungen
ersten und zweiten Grades — erhebt, einen ungeahnten Umfang an, sie hat u. a.
der Zahlontheorie ganz neue Bahnen gewiesen. Das symmetrischste krumm-
linige Gebilde der Ebene ist der Kreis; die analoge Frage nach der Konstruktion
des Kreisunifanjres (oder auch des Krcisinhaltcs) mit Lineal und Zirkel hat die
fleiimetcr jahrtausendelang beschäftigt, bis sie in der neuesten Zeit ihre Er-
ledigung gefunden hat Wenn diese Erledigung auch eine negative ist d. h. nur
die Unmöglichkeit der gewünschten Konstruktion dartut, so hat sie dafür die
Anaiysis wesentlich vertieft und erweitert.
Im Bamne hat die Frage nach den Drehungen, die die regulären Körper
mit sich nur Deekting bringen — also im Grunde wiederum nur eine r^ kom«
binatorische Frage — einen tiefen Zusammenhang jener Körper mit scheinbar
gana abssits tilgenden Gebieten aus der Algebra und der Theorie der linearen
])ifferentialglei<dkiingen enthtUIt
Nodi mehr wirkt das Frinsip der Symmetrie an seiner dgenttichen Stelle;
die Theorie der i^ymmetrisdien gamen Funktionen hrt der SehlQssel der ganaen
Algebra geworden. Hier tritt abermals ein neues Moment hinzu, das sich
epesifisch mathematisch ausbauen Iftßt, die Methode der Symbolik. Man geht
Ton gewissen einfachsten Elementen aus, die aber an sich nur Zeichen sind,
und erst in gewissen arithmetischen Yerbindungen zu realen Großen fuhren.
Das ist die „symbolische Formentheorie". Aber diese Verbindungen sind
selbst an das Gesetz der Synauetrie gobuudou und führen wiederum zu ideuüschen
Umformuugen, die nur jeweils der geeigneten Deutung und Verwertung harren.
Die Rolle der Identitäten überhaupt läßt sich jetzt von allgemeinerem
Gesichtspunkt sam erfassen und Terstshen, wenn man das Frinaip des Mlnimuma
ai
üigiiizeü by VoüOgle
322
Meyer; Xant und das Weaea des Neaen in der Matbematik.
mit dem der Symmetrie verknüpft Eine Identität läßt sich immer auf die Form
eiaeS} in einer Beihe von Elementen symmetriscben Anedraoki bringen, deflsen
absdater Wert zum kleinstmögUchen Minimum, nSmlich lur Noll geworden ist.
Andrerseits lUt sich alber auch Jede Identitit, nnd «war in mannigfaltiger Art,
anf die Form der identisohen Oleicbbeit iweier Ausdrttcke briqgen; so oft es
nun gelingt, beide Ausdrücke unabhängig Toneinander in irgendeinem Gebiete
SU deuten, hat man einen ^neuen" Salzgefnnd^ Offenbar UBt sich das darin
liegende Evolationsprinzip leioht dahin Terailgemeineni, daß es auch in andern
Wissenschaften mit £rfolg verwendet werden kann (wie os denn in der Tat oft
80 verwendet wird); so oft mau zu einer und derselben Erscheinung auf zwei
veischierlencn "Wctren »olanEren kann, hat man sein Erkenntnisgebiet erweitert
Ein doni Prinzip der Syminftrie vorwandtcs l*rinzip ist du>; eines ..ge-
schlossenen Systems", odtir, wie man in der Mathematik sagt, einer „Gruppe".
Unter einer Gruppe verstellt nuui allgemein ein System, einen Komplex
von irgendwelchen gleichartigen (mathematischen) Operationen von der aus-
gezeichneten Besonderheit, daB die hinfereinander erfolgte Aasfflhrnng irgend
sweier der Operationen mit ein«r drittem Operation des K<»nplexes gleichwertig
ist, oder genauer gessgt, durch eine solche erseCst werden kann. Das einfachste
Bei^iel aus der Geometrie ist das Bjstem der Drehungen einer Geraden in
einer Ebene um einen festen Fnnkt; es ist einleuchtend, daB die suksessive
Drehung um sw^ Winkel a, /9 au demselben Ergebnis führt, als die emsige
Drehung um den Winkel or + /iLi
Man kann mit einigem Recht behaupten, daß der Inhalt der hervorragendesten
S&tze der Mathematik dem Grappenbegriff untergeordnet werden kann. Nicht
wenig trägt dazu bei, daß man einen systematisclien Algorithmus für die
Handhabung dps Oruppenbegriffcs entwickelt hat, der zu symbolischen Identitäten
führt, deren Kealisterurig nur der geeigneten konkreten Bilder bedarf.
Als eiuuu letzten Typus in der Aufzählung von Aiiswahlmotivon führen
wir die Methode der Übertragungsprinzipien an. Dies(> Methode bringt
die uns schon wiederholt entgegengetretene Erseheinung in ein wissenschaftliches
System, dafi äiex Fortsduitt d«^ WissenSiAaft wesentlich dadnrdi bedingt ist,
daß man eine mi}gliebst große Anaabl äufieilich gani Tenchiedenartiger, inneilioh
aber verwandter Sitae auf eine einsige ErkenntnisqneUe sorOokaufOhren Termag.
Umgekehrt (dächst daraus eine subjektive, unbegrrast ausdehnbare Erseugungs-
1) Avoh dieser BegrÜf der Gruppe lißt steh atif das ScbloSverfahren anwenden, iosofeni
das Byatam der für das Biatntaa einer BiadieinnBg aotweadigea Bedingungen die Eigensohaftn
der Öni|ipe beiitst
Meyer: Kant and daa Wesen dos Neuen in der Mathematik.
323
fiihipkcit, einen logisch fixierten und in seiner gninrllci^endcn Bedeutung er-
kannten öatz auf immPf andort" und andere Gebiete zu „übertrageu" („abzubilden"),
uder was auf dasselbe liinauskonimt, iininor andere Anscliauungsbilder für ein
Substrat herbeizuholen, iieispiele dafür siud bereits oben angeführt worden.*
üm ein Bild aus dem Leben zu gebrauchen, veriahrt em Komanschriftsteller,
ein Dranutiker nidit anders, wenn er die vielen, in ihrer Mannigfaltigkeit ver-
wirrenden BinselzOfe und EinzeUumdlungcn einer Person aus deren «inheittioh
geschlossenem „Charakter** hemileitea Texsueht. Es sei dabei au die Schopen-
bauersolie Fortbildung der Kantschen Lehre erinnert, wonach der Ohaiskter
das silein ÜnmEstSrhare im Menschen ist, dem alles ttbtige nnr ab Bild, als
Folie, als Botoien dient
Speaiell in der MaÜiemafflr wird das konsequent gehandhabte „Obertragungs*
l^rinsip" immer mehr dazu führen, daß sich die Wissenschaft auf eine möglichst
geringe Anzahl von Fundaraentaisätzen konzentriert, die dann an den ver-
schiedenen Einzelgebieten ihre Spiegelung i rfaliren. Diese Fundamentalsätze
stellen dann in gewissem Sinne den zu Anfang: nnr hypothetisch nnj,^'nonimenon
ursprünglichen Besitz apriorischer Erkenntnisse der Mathematik dar, während
die übrigen als — nach den dargelegten Kegeln — daraus abgeleitete
erscheinen.
Es muß eingestanden werden, daß bei dieser Auffassung der Begriff eines
urspranglichen a priori kein fester, sondern Tielmehr ein elastischer, je noch
den Fortsditittea der Wissenschaft ausdehnbarer oder aber snsammensiehbarer
wird. Es hat indessen dm Anschein, als ob gerade hierdundi der Anwendbarkeit
der Kantsohen Eikmntaiisprinsipien auf die einseinen Wissenschsften ein weiterer
Spielraum sngewiesen wird.
bt bisher yon einer wissenschafdicfaen und kflnstterischen Qruppierungs-
auswahl des Forsehers die Rode gewesen, so soll doch auch eines andersartigen
Momentes gedacht werden, das als ein rein menschliches bezeichnet werden muß.
Das ist das nicht zu unterschätzende Moment des Sportes und der Mode. Was
Oauß* von der höhcron Arithmetik, der Köni?:in allr'r Wissenschaften, hen'or-
bebt, daß sie ihre Jünger, je eifriger sie aich ihr hingeben, um so mehr bestrickt,
1) Ein «chones Beisiriel am der Oeometriö ist n. a. die at8ieof;TB|du«!lie Projektion einer
Kuge! luif I ini' Ki»'ii«, U'^bei Kreise in Kreise übergehen und die Wiütol iMlialfcn Meiti'-n. Allo
Sätie über KroiM und Genule iu der Ebene Iwaen sieb so uomittolbar «uf die Kogel iibertrageo;
uagekehrt wird s. B. die ITomtniktion von Kristallnetzen anf eine eoldie in der Ebene turBdt-
gefthrt.
2) DisqoisitiooeB «ritboietica«; , Liptuae 1901, Praefatio: „illecebris harmn quMtitionam ita
fdi impUettas, nt oai deterei« nen potnerim.**
21*
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324
lleyer: Kant und itm W^oMn d«g N«iieii in der MatheiMlik.
gilt analog, je nach der Ueschmacksriehtunp des ein/.oliieii, von allen Einzel-
gebieteu der Matlienuitik. Hat sich jemand erst in „soinem" Gebiete eine gewisse
Fertigkeit in der Haudhubung der s|)t zifis<:ln'M, gedanklichen und anscliaulitlieii
Wondungen angeeignet, so findet er eine naturgeinaiie iiofiiedlgung darin, diese
Fertigkeit zur Yirtuositftt «aszubilden. Der Eifol^^ wird oft der sein, daß bei
diesem steten Gnben and Bohxea in einer Biditumg sehr verborgene Wahrheiten
ans Licht gefördert werden. Aber attdi die Sehatteneeiten dieses pexsönliohen
Yetfahrens liegen auf der Hand; Eins^tigkeit und Yonachlässigusg des Oanien
erwadiseD daraus, sehr aum Schaden der Wissenschaft Trifft es nun im besondem
8u, dafi die überwiegende Kultivierung einaelner Diaaiplinra in den Händen von
AutontStan liegt, so wiilt bei der Melmahl der anderen Forscher jener unwider-
stehliche Nachahmungstrieb, den man eben als Mode bezeichnet, deren tyrannische
Wirkung auf das Kulturlebon d(>r Völker zur Gonttge erwiesen ist. So kennt die
Geschichte der Mathematik Perioden, in denen ausschließlich die Geometrie
gefördert wai*d, andere wieder, in denen das jrleiche von der Altrebra, von der
Analysis gnlt. Aber auch iranz bescliränkte Gebiete, wie dii> Kombinatorik im
engsten Sinne des AVeites, haben üeil-weilig die Matheinatik völlig beherrscht. In
solchen Zeiten geben, wie die Erfahrung lehrt, leicht die Früchte frühfter p;nt-
wickluiigsperiodeu verloren und müssun später mühsam wieder vou ueuem ge-
wonnen werden.
Wenn wir im obigen den Yersnch gemacht haben, die Lehre Kanta von
den qmüietiachett Urteilen der Mathematik weiter auemfahren — indem wir dto
Titigkeiten der Gtuppierung und der Auswahl hei der Oruppiorung angnmde
legten — , demnach die Hatbematik in ihrem Streben nach neuen Erkenntnissen
als eine Art wweiterter Kombinatorik hinzustellen, die sich nicht mehr auf
fiffblose Elemente besduänkt, sondern sich auf lebendige Begriffe, Methodeu und
Sätze erstreikt, so liegt es nahe, einige Vergleiche mit andern Wissenschaften
SU ziehen, \vu analoge Stiömangen herrschen. Man denke an die Farbenlehre;
die Physiologie hat nachgewiesen, wie die unbt\frrenzte Mannigfaltigkeit der
verschiedenen Farbennuancou durch geeignete Mischung einiger weniger Qnmd-
färben entsteht
Fenier spI auf die Chemie hingewiesen. Es fehlt zwar bisher der völlige
Nachweis, daß diu AuzaLd der Elemente notwendig eine begrenzte sein niiisse,
da ja selbst bei Annahme des periodischen Systems eine zunehmende Erweiterung
nach ob«i nicht an^esdüesa» wfire; jedenlnUs ist man snrseit imstsnde, dm
weitaus grOßte Anzahl beikannter Yerbindungen durch „Gruppierung"' einer
verhAltnismiftig geringen Anzahl von Mementaratomen in befriedigender Weise
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Heyer: ÜMit nod «bs 'Wea«D de» Neuen in der IfotheuHrtik.
325
zu erzeugen. Gewisse physikalische Krsclioimiiipeii machen es sof^^ar wahrschein-
lich, daß es in Wirklichkeit nur Ekuitutaratumo einer einzigen Art jribt. Wiirde
die Chemie jemals dahin gelangen, alle Stoffe in Atome eines einzigen Urelenientes
auizulüson, so irttrde sie anch das Ideal einer geometrischen „Kombinatorik'^
«cv^cht haben, ja genutem sioli mit einer «oldiea deokea. Endlich sei es auch
noch gestattetf auf manche AhnUdikeitm der llafheraaäk mit dar Darwinschen
Entwieltlangstheorie aofmerksam m machoa. Hier -wie dort eine unbegrenzte
.Anzahl Ton Enengnngsmöglichkeiten, deren maBlose Wiiknng durch geeignete
Gruppiernngsanswahl beechrinkt -wird. Der Kampf ums Dasein lifit ridi in der
Mathematik gerade wegen der schilferen Umgrewnmg der Einzelgebflde beeonden
deutlich verfolgen. Bei weitem die größte Mehrzahl „neuer" Bcgrifi^e und SKtze
erweist sich als nicht lebensfähig, weil sie entweder zu eng oder aber xu kompliziert
gefaßt sind, zugunsten weniger bleibender, die nicht ihr Wesen von fremden
m erborgen hranchen, Ronflcrn selbst die Kraft besit^sen. sich etno rir'onp Welt
zu schaffen, dio sie als Zontralsonneu mit Licht, Wärme und licbcn erfüllen.
XV
KANTS STELLUNG
ZUM PROBLEM DER AUSSEIN WELTEXISTEAZ
TW
Dr. AfiNOLD K0WALEW8EI
nttTAlAOBWl MB VHILOMCUIE AM im DNIVUttlU K^illlMHM
•
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Der Glaub« an die Eustenz der Außondinge scheint ein natOrlichos, un-
rerSußorlichos Besitzstück imsoror Weltanschauung zu sein. Darum machen alle
philosophischen Reflexionen darüber von vornherein den Eintlmck eines un-
gesunden rntcmehmens. Und dneh war «ior Zweifel an der Existenz einer
räumlichen Außenwelt das notwtjndige Produkt mehrerer sehr gewichtiger prak-
tischer und theoretischer Motive.
Das gewohiüicho Gleichgewicht dos Ecalitütsbcwoßtseins bezüglich unserer
Bmenwelt und AnBenwelt Ififit naturgemäß auf zwiefachem Wege eine Störung
xtunigaiuten der A,iiAenwelt su. Einnial kaim der Realitltsweri der IimenweU
flbennKflig gesteigert werden. Sodann iet auch eine Absdiwiehnng der Anfien»
veltrealittt mQglioh. Jede dieser Rtttnugen reicht edion fOr doh ans, um die
Gewißheit der AnBenwelt zum Oegenatand eöner ^floBophischai Erörterong au
madhen. ffistoziBch haben beide StSmngen ausammengewiikt und ao dem Anfien«
Weitproblem eine besondere SohSrfo veriiehen.
Mit Recht hat man hervorgehoben, daß die chrisüxdie Botoniinp: dea
unTeii^eichlichen Werts der Menschensecio das Innenweltbewußtsein besonders
stark erhöhen mußte. Diesem moralischen Motiv sekundierte die metaphysische
Vorstellung von Gott als einem rein geistigen Wesen, Die Monsicheuseelo erhielt
so eine Verwandtschaftsbeziehung, die sie über den niederen Realitiitskrois der
körperlichen Außenwelt weit hinausrückte. Ferner kommt in Betracht, daß die
durch die Scholastik mit Raffinement ontvvickolto Virtuosität iu der dialektischen
Behandlung aller möglichen Probleme einen gewissen intellektuellen Hochmut
enengts. Damit paarte sich das seit der Benaiassnee lebhaft empfondene Be-
dficfinis nach einer aelbstfindigen Erkrantais des Seins imd einer aethstiiadigm
Leitong dea Leboia. Dieser aatonomiadie Zug rttekte die Tabadhen nnd SrSfte
dea individaellen Linenlebens in den lüttelpnnkt der Anfmosamkeit
Anf der anderen Seite forderte das Interesse der rdigiS^ Dogmatik die
materielle Welt Gott gegenüber aJa Schöpfung und awar nur als Vorstufe oder
als Schanplate einer höheren Wirklichkeit za betrachten. Dahw bekämpfte man
die Lehre toh der Swigkeit der Jfotnie vnd kehrte in den ent^ireohenden
330
KowaUwski: Kant« StoUang xum ProbUiB d«r Au8eaweltiuc»tMii.
Arfjumentatioüün die Relativität der Körpyrtixistonz scharfer heraus. T)io er-
keuntuistheore tische Prüfiug der Sinneswabrnehmuugen zeigte sehr bald, daß
die uMisten tm dieser Bricamtoisquelle geschöpften Merimiele tdeht den Aufiem-
dingen eellMt nkommen, aondem auf unserer subjektiTen Aifekfion bernlien.
Der dttxftige Best Ton objektiven BestimmungestOdren, den man in der Natnr>
«iasenscluift noch «neilcennte, vemiochte auf die Daner auch nicht dem fort-
fldireitenden SabjektiTieirungGproiefi ea widerstelien. Ton hier aus eifiihr das
AuAenwelthewuttteein die denkbar tie&te Enchfitterung. Denn was fOr eine
GewiBbeit daif man nooh von einer AuBenwelt haben, Aber deren objektiTe
Beechaffenheit man eohliefllich streng genommen keine positive Angabe zu
machen -weiß?
Die pbilosophischf'ii AußonwcltboweiKo mußten natürlich diose Störungen
des Gloichpsvjcht.s von Aiiltenwolt- und Innenweltbewußtsein durch iLQinpen-
sierende Reflexionen zu bet-Litifieii suchen.
In zwei Richtungen waren solche Komiionsatinnen möpi'lich. Entweder
konnte der Reahtätswert der Aulka\v<jlt direkt mehr beieiitigt werden tkUt der
ausgezeichnete Keolitätswert der Innenwelt konnte erschüttert werden. DemuHch
0bt es hauptsächlich ewei vemdiiedene Typen von AuHenwdtbeweisen. Wir
wollen sie als „direkten Aofienweltbeweis'' nnd „indirekten AnAenweltbeweis''
beieidmen. Die ToUkommenste Beweisart seheint eine Kombination dieser beid«ii
l^pen an sem.
HerkwUnügerweise bewegten «Idi die pbiloeophlschen Erörterungen des
AuBenwel^roblems lange Zeit hindurch mit fsnatischer Einseitigkeit in den
Bahnen des „direkten Außenweltbeweises Das hatte zur Folge, daß die
Dialektik sich sehr bald erschöpfte und schließlich an einigen trivialen Aigiinionten
hängen blieb. Die Auflenweltbeweise gerieten Überhaupt mehr und mehr in
Mißkredit.
Dazu kam, daß die Ijctreffendeji Beweisgänge nicht selten auf wider-
sprechende (iediinken fdluteu, insofern die dem Problem ziij^nmde liegenden
Positionen aus hesimdüren Kueksichten teilweise mit gleicher Zähigkeit aufrecht
erhalten wurden wie die kompensierenden Reflexiuncu.
Ich möchte die antagonistischen Motive in der Dialektik der Außenwelt-
beweise Minidiet an Taigen Bei^elen aus der ältesten Gesc^obte des Problems
anschaulich daliegen, um dann su zeigen, welche bedeutsame Taschiebung
dieselben bei Kant ecfahren haben. Vielleicht eriiiUt die vielamstritteoe „Wider-
legung des Idealismus'^ unseres großen Königsberger Denkeis von hier aus eine
neue Beleuchtung.
Kowa]ewftki: Kante BtaUoBf vm FtoUem d«r AufieuweltaxistAm.
331
IMe antagonlstbelwn KotlT« In 4er Malellilk 4«r Utettea
AnfioiiraltbewdM.
1. Descartes.
Doscartes, der das „de omnibus dubiLaiuIuni ost" /u seinem Forschungs-
prinzip machte, konnte naturgemäß auch «las Dasein einer Außenwelt von seinem
methodischen Zweifol nicht unberührt lassen.
In lebendigen Farben hat er die Stufcu soinüs ZwüLfüls charakterisiert, der
ihn BohlieAüoh bei dem Solipsismus anlangen ließ. Diese Stufen sind ktm folgende:
1. Om dnioh die Sinne Erfahrene ist unsicher wegen der Trüglichkeit
der Sinne.
2. DeB die Uriebnisse des «Mhen Znetan^ Merron wiflgenoflunen sind,
ist niebt gewift; denn es gibt kein sieheros Eritniom für dieee Sdebnioe im
üntendüede von den T^ruimeiiebnieaen. Aber wenigstens die Elemente der
Einbildungen müBten dodi wefar sein. Soloher Art und die goometrisobeo und
withmetisehen Wahiheitm.
3. Auch der positive Beet der cweiten Zweifelastufe ist nngewiA. EOnnte
mich nimliidi nidit Gott oder «in bodisfter Geist auch in jenem tiusobMi?
So bleibt enf der lotsten Zweifelsstufe als einzige GewiAheit ttbrig, dafi
ich iweifde, d. h. denke, und insofern bin: das bertthmte »cogito ergo sum*'.
Damit ist zugleich das AuAenwelfiwioblem in der denkbar grSfiten SchSrfe
gestellt. Wie kann ich von der AnOenwelt, die doch offenbar etwas von mir
Verschiedenes ist, Gewißheit liiib> n, wenn ich zunächst nur meines Daseins als
eines denkenden Wesens gewiß bin?
Descartes' systomatisohor ITauptgedankengang bestand nun darin, daß er
von dem festen Stutzpunkt aus, der allein von den cin«tiirmendon Zweifeln un-
erscbüttcrt blieb, die verlorene Kealitat Stück für Stiick zurücküiierobem suchte.
Es war ganz natürlich, daß er ilabei den (rottesbegriff zuerst ins Auge
faßte. Wie dieser das letzte traiissubjektive Uewißiieitsresiduum zu vernicliten
drohte, so konnte er wieder nach gehöriger Hicherstellnng den ei'sten Schritt
über den solipsistischcn Kreis begründen helfen. Auf diese Weise war auch
notwendig eine engere Komplikation der Gottesbeweise und der Beweise der
Körperweltexistens fQr Dracartcs gegeben. Das hatte «ir Folge, daß manche
Argumente, die in beiden Beweisansammenbingen zugleich mkamen, eine zwie-
t^üge Bewertung erhielten.
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382
£owaIawBki: Kaats Stellung zum Problem der Aofienweltfixistoiu.
Die Gott88b«wei86 Imben die natöiliohe Teadeiu, die aiugwseichnete Realitit
OotteB mSg^obat energisch tn betonen. In diesem Zusammenhange müssen die
Aignmente fOr die niederan Beslititen, also namentiiob auch die ffir die Körper^
welteziateiut, eine entsprechende Absohviohnng oder glttiliehe Aufhebung er-
fabren. Das tritt deutiidi bei Deseartes' erstem Hanptbeweia für das Dasein
Gottes Btitage.
£8 besteht — so wird hier u. a. aiis{;:<^fülirt — ein Unterschied zwischen
meinen Yorstellungen hinsichtlich des (rrades ihrer ,,ge{;ensfändlicheQ Bealitftt"
(realit%s obiectiva). Dieser Untei-schied gründet sich auf eine Betrachtung der
Voretellungen nicht als gowi-^pr Vodifikatinnpn i^or >^np]o (rn;ritandi cjuidam
modi) — als solche stehen näinlich hIIi' \ i.rsti Hungen iuif einer Stufe — .
sondern als der Keprüsentanton verschiedener Dinge {.,... quatiunis uiia [sc. idoa]
unam rrni, alia aliam rem rtpraesentat . . Med,, S. 18 der editio nlt). Hier-
nach kommt meinen Voi-steUuugcu von Substimzen meiir ,, gegenständliche Realität"
xa, als meinen Yoistellongen TOn Akzidenaen. Nun gilt überhaupt der Satz,
dafi die wirkmde und ToUstJIndige ürsaehe zum mindesten soviel wie ihre eigene
Wirlcnng entiialtem mnfi. Daher kann keine Wirkung von einer Ursache her-
rühren, die weniger Realität besitzt, als diese Wirkung selbst Dies YerfaHtnis
ist nicht nur für die Wirtungen mit „formaler'* (wirklicher) Beslitüt maßgebend,
sondern auch für die Vorstellungen mit ihrer „g^nständlichen*' BeaUtfti Zn-
sammenfasseod erklärt Deseartes: „ . . . adeo nt lumine natnrsli mihi (sit) per-
spicuum ideas in me eme veluti quasdam imagines, quae poasont quidem focQe
defioere a perfectione rerum a quibus sunt de<;nrnpt«e, non autem quicquam
majus aut perfcctius continere." (Vgl. Med., S. 19 d. ed. ult.) Nun kommt der
kritische Punkt, an don din Übereclircitnnir dos Solipsismus geknüpft ist, und
der mit folgenden Worten deutlich gomiir bezeichnet wird: si realitas oh-
jectiva alicujus ex meis ideis sit tautu ut eertus sim eundem nec formaliter nec
eminenter in me esso, nec proinde me ipsum ejus ideae causam esse posse,
hiuc necessario sequi non me solum esse in mundo, wed aliquara aliam rem
quao istius ideae est causa, etiam oxistere; si vero nuUa talis in me idea
reperiatnr, nuUum plane habeo argumentum quod me de alicujus rsi a me
diveisae existentia ceitum reddat, omnia enim diligwotissime ebronmspexi, et
nuUnm aliud potui haotenus r^terire." (Y^. Ued., 8. 19 d. ed. nlt) Kadi dem
in Totstehenden Worten enthaltenen Priniip durchmustert alsdann Deseartes
seine Yorstellnngen.
Besfiglich der VoKstBllangen von Tierm, anderen Menschen und Engeln
bemerkt er, daA sidi die Bildung derselben ohne die Annahme einer änderen
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Kowaiewski: Kants SteUang ziun Prubleni dor Außenwoltexist^uz.
333
Existenz begrüifcn läßt, und zwar als oine Uisohung «Iis Ideen von mir selbst^
körperlichen "Dini^cn und Oott. (Ibid.)
Seihst (he Voi-stüliungiii k(irj)eiiielier Uiii^^e liieti'H iliui kein»:« Nötigung zur
Annahme eiuui äußeren Ursuclio. Kr «Tkliut uniiinwumlfn: „(^iiimtum autom
ad idoas rerum corporalium, lulüi m 1J^^. uccuml quud sit tjuitum ut non
vidüatux a me ipso potuisse proficiflci . . (Ibid.) Dieses kühne Votum wird mit
iolgendeo S&tzen begründet, die mt der 'WIehtigkeit wegen am boston wörtlich
anfahren: n^tm ai qaidem aint folBae, hoo est nullas res repraesenteat, lumine
natursli notum mihi est illas (soiL idess remm ooiporalinm) a nikilo prooedere,
hoo est non aliam oh causam in me esse, quam qnia deest aliquid natnrae meae,
nee est plane perfecta; si antem sint Terae, qnia tarnen tarn pamm reaUtatis
mihi exhibent, ut ne quidem iUod a non re possim distingaere, non video cur
a me ipso esse non possint** (Ifed., 8. 30 d. cd. ult) Spezieller sind die gleich
darauf folgenden Bestimmungen, die sich auf die einzelnen Bestandteile unserer
£5rperrors(e]luiigen beziehen. Momente wie „Substanz" und „Dauer" lassen
sich nach unserem Autor n!« Entlehnungen aus der Vonsfelhinf!: von mir selbst
betrftehtfn. Die übrif^cn Bestiiiimunjs^stücko unserer Kiirpon-or.stelliiii^'Cü, „Aus-
dehnung", „Figur", „Lage" und „Bewegung", sind (wegen meiner f,a'isti^'en Nattir)
nicht „formaliter'* in mir. wohl aber können sie in mir, dor ich eiiiö «Substanz
bin, — so meint er — „eminenter" sein, da sie bloÜ AIodiLkatiunen der Substanz
sind. (Med., S. 20/21 d. ed. ult)
Sie Oottosidee aüflin ist eine solch^Idee, die — nach ihren SeatimmoniiOD
au sdiUefien — nickt von mir herr&hren kann. Deshalb ist Gott: „nam quamvis
suhstantiae quidem idea in me sit ex hoc ipso quod sim sabstantia, non tsaen
idcirco esset idea substantiae infinitae, cum sün finitos, nisi ab aliqna substantia
quae leveia esset infinita procederet" (Med., 8. 21 d. ed. ult)
So viel aus Descsrtes* erstem Haopti)ewei8 fttr das Dasein Gottes.
Wir sehen, wie nach den obigen Ausführungen das Prinzip der Äquivalena
»wischen „formaler" und „gegenständlicher" Keaiit&t, bezüglich der Körpor-
vorstollunpen. keine anBerseelische Existenz begründen soll. Descarto.s steht da
unter dem Bannu einer nach Hütt orientierten Rangordnung der KeiiliUiton. Wenn
die GottesvorsfeUuni; anf eine mein Wesen überragende äußere Existenz iiinweistT
so darf die Vorstellung von Körpern unter keinen Umständen eben solclien
Hinweis beanspruchen. Duä hieße ja die Materie und Uutt uui gleiche ätufe
stellen. Darum finden die Argumente für die äußere Eörporexiätenz in diesem
Zusammenhange keine Gnade. Auch nicht einmal als eine der Seele koordinierte
Bealitit darf die Kttiperwelt gelten. Die Seele ist vielmehr das höhere Wesen.
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334 JKowalewski: Kuts Stellnng nun ProWem der Außenwettexiit«iUL
Darum kaoin die Auiialiiuo nicht vou der liand gewiesen werden, daß die
EöipervorsteUimgeD sich resüos am Elementen enfbaucu, die die Seele, sei es
foimaliter oder emineiiter, in sich hat So muß sich also der Bealitfttswert der
Kerpervontollungen nicht nur aus Rttckeidit auf die OotteeronteUungf sondern
auch aus Rttdcsioht auf die lohTorstelliing eine Abechwaobong gefallen laasea.
Aus dem nämliehen Oemohteponkt sind auch die anderen negativen
AuBemngen au Teieteben, die Desoutea in der BSnleitung zu aeinem eraten
Oetteabeweia vocbxingt I>er «natOiliehe THeb*, auf dem der &laube an die
Anfienweltexistenz beruhen soll, rerdicno nicht mehr Yertrauen als die ,,tiatflr-
liehen Triebe", die auf moralischem Gebiete oft zu falschen Wahlen verleiten.
Ebenso meint er, daß die Unabhängigkeit der Körpcrvorstellungen von meinem
Willen noch nicht eine Außenexistenz beweisp. Wio die vorhin erwähnten
,,natürlicht'ii Trirlio '. obwohl sie in mir sind, dennoch von meinem Willen
verschietien zu siin sciiciiit ii . mi krlnnte ich in mir auch eine versteckte Fähig-
keit besil/r-n. »Ii<> die Körpoi vorstcllungiMi pnxJii/.icit (Med., ö. 17 d. ed. ult.)
Das rriiizip der Äquivalenz von „fonnui» r- und „gegenständlicher" Roalilat,
die Berufung auf den „natürlicben Trieb'' und der Hinweis auf di^« Unabhängig-
keit Tom 'Willen kehren nnn bei dem eigentlichen Beweis für die Kwpoexirtens
in allen Shien als stichhaltige Orttnde wieder. Allerdinga bietet jetit die Berufung
auf die „Wahrhaftigkeif* Oottee ein Mittel^ um die früher entkrifteten Argumente
au sanieren. Aber es acheint, als ob Beseartes auch ohnedies den Bealititswert
der Köxperrorstellungen gfinstiger ansieht, eben weil die niedere Wirklichkeit
gerade soausagen im Blickpunkt seiner Dialektik steht Die niedere Wirklichkeit
bat nicht mehr durch Eontrastierung mit (hAt eine Abschwächung zu erleiden.
Die Art, wie Descartos seine früher verworfenen Beweisgründe für die Korper-
existenz im positiven Sinne enicuort hat, ist allerdings ziemlich mangelhaft Der
entscheidende Oedankenirnn^tr hat fol^'^ndo (lostalt.
Meine pa.^>iv(' Fuhii^keit wahi-zunelmitMi wurde für mich wertlos sein, wenn
nicht, sei es in mir mlrr in irurend etwas ntiili icm. imu nktives Vermögen existierte,
das diesi' Wahrnehraungen liildou und hi'i vorliriiit:i'n kunnte.
Du dieses aktive VemiugL'u kt'in lJutiken vorau.s.s( Ui, und die Wuhmehmun^^LU
sich mir ohne mein Zutun, sogar wider meinen Willen, bieten, so ist klar, daß
das besagte Vermögen nicht in mir bestehen kann.
Die andere Substans, in der es deshalb enthalten seük mufi, wird nach einer
früheren Bemerkung die Realitit, die unsere Wahrnehmungen „objekür" (gegen-
stindlich) in sich schließen, „formaliter'* (wiiklieb) oder „in. eminentem Hafie**
aufsuweisen haben. Somit kann sie entweder ein körperiiebes Wesen sein, das
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Kow«lewski: Ewtts Stdlnng nun Problem der Anfieuwelteiiateiix.
336
diese Realität nur in gleichem Maße wirklich enthält, oder aber Gott oder ein
liOheres Oeflcböpf als der Körper, worin die bosagto Bealitäl in «minentem Uaße
•xistierL
Die beiden lebsten Mfig^clilceiieu können nicht statthaben, da ieh ron Gott
kein TermQgen habe solehes euucuseben.
Vielmehr habe ich tod ihm ^magnam propenaionem ad credendam üUaa
(seil, ideas) a rebus corporcis cmitti." pled., 8. 40 d. ed. ult) Desoartes weiß
Oott nicht vor dem Vorwurf eines Betrügers zu retten, fidls dieser Glaube
talsKphlich nicht zu Rechte bestehen sollte: „ac proindo res corporeae existunt**
Jch will nur zwei schwache runkto an diesom Riisonncmcnt kurz berühren.
Einmal ist kliir, rlaß das dem passiven \VahrnelimuniL;svermi"i|^iMi kiirr>_'spon-
dieronde aktivo Yemiögen sich sehr wolil in der Seele selbst befmdeu küunte als
eiue der refloxionsmäßigen Vorfjcpoinvartif.'-uiig und Willkür entzogene Fähigkeit
Auch Eriiuierungsvul-stellungen, die wü- nicht auf außerseelische Ursachen be-
ziehen, stellen nich vielfach „ohne unser Zutun, sogar wider unscrn Willen'' ein.
Desoartes hat sich selbst froher in ahnliehem Sinne gefiufiert
Daß ich ferner eine bessere EriLenntnis von dem veimeintlichen ktfrperlichoi
Ursprung meiner Sinneswahxnehmungen habe, ala tda den andern Ut^anga»
mOgUobkeiten, kann nicht behauptet werden. Dann liegt aber auch kein Grund
vor, jene Annahme des kOrperiieben Ursprungs, bloß weil sie von einer (logisch
aweifelhaften) „großen Neigung** untersttltst wird, vor den anderm H6|^chkeit6n
zu bevoi-zugen, geschweige denn als die einsig richtige hinzustellen. Die naoh»
fulgende Philosophie wurde gerade sehr energisch auf diese Ton Desoartes so
leicbt beiseite geschobenen ^Iri^üchkoiten hingedrängt
Ilir-T methodischen Ftuni nach gehört Dcscarfos' Argumentation zum Tv'pus
des ,.direkten AuBonweltl^eweiscs"-. Der RealitaLswoit dfi- Innenwelt hh'iht dabei
völlig unangetastet. Sieht man von der Bezieliiuif^ der Voi-stcUungea auf Gegen-
stimde ab, so kann — nacl> Desoartes' Meinung — das Ich dieser Vorstellungen
als seiner P>lebuisäe unmittelbar gewiß sein. Das Dasein der Seele als eines
bewußten Wesens steht also fast Demgegunttber suoht nun Desoartes dem in
unseren Sinneswahmehmnogen sich konsentrierenden AnfienweltbewnfltBein, das
zu einer bloßen Teileisehemnng der selbstbewußten Seele henibJEUsinken droht,
durch trauszendent^kausale Subatmklion an&nhetfMi. KOiperlidie Substansen
sollen in unserer Seele die Sinneswahmehmungen iierrorrufen. Die Sinnee-
wahmehmungen erhalten so reale anßme Konelnte und können yeimfige diesw
Steigerung ihres Wirklichkeitswerts das Anßenweltbewußtsein wieder in ein
gewisses Gleidigewioht mit dem lunenweltbewußtsein bringen.
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336
Kowalewski: Kaste SteUiug mm Problem der AoBenweltaadetetis.
2. Oeulincx.
Der Okkasionalisiuuä gab dur Außonwokfiage üit,oft*m ciiit) ucuo "Wondung,
als nach dieser Theorie den Körpern ein geringerer Wert für die kausale Erklärung
noserer Wahtnebmaiigeii zukommt Damit ist der Nadiweis der Xöiperexisteiu
wesemtlioh ersdiwert voiden. Die Körper sind nicht mehr nötig, um als „verae
causse** die Entstehung meiner Wahrnehmungen lu erklinik, sie sind bloSe
„Gelegenheiten*' für die gOtdiche Eansalitit Wie Iniiui man diesen Sate
b^^nden, ohne augleieh die Ohevflüssigkeit der Kdiperacistens wahrsdieinlich
SU machen, und ivie kann man andererseits die Efloperezistenx verteidigen oder
beweisen, ohne ihr eine gewisse kausale Bedentang zu vindisderen?
Die Widersprüche, zu denen diese antagonistischen Motive den Okka-
sionalisnius tatsächlich geführt hahon, sieht man besonders klar bei Goulincx.
Der tiefere Grund des Antagonismus liegt auch hier in der entjen KompHkation des
(Toftc'sboweiscs unr) Ki>rp«'r\v4'Uheweisf>s, dif naniontlirli dun'li (]»'n dieser Philo«
Sophie eigentünilii lu'ii iuvstisrhcii Zug au Intimität bedeutend gesteigert ist
Die sugetiaiiiiti- ..<|uarta scientiu" der Motaphy.sica vera von Oeulincx stellt
den ersten Schritt zur Lt)sung der inetaph/sisuljuu Außen wcltfrago im ungemeinsten
Sinne dar. Sie lautet: „Multae sunt in mo quue a me non dependent cogitationes.'*
(Vgl. voL U, S. 149 der Gealinox-Aiugabe t. Land.)
Dieser Sats wird durch den Hinweis darauf gesttttit, daß meine Wahr-
nehmungen nicht eintreten, wenn ich sie haben will. Ich weifi wohl, daß jene
Wabmehmungen in mir sind, wenn ich de habe, bin mir aber augleich ihm
ünabhbigigkeit von meinem Willen ToUkommen bewufii Auch ist zu bemerken,
daß gewisse Bedingungen erfüllt sein mOssen, damit ich Bestimmtes wabmebme:
„si obvenire illas (seil, cogitationes) mihi voluero, expectAndum est tcmpvB,
opportunitas praostolanda, certo modo alia quaopiam habere se dobont, ot
tales mndi mihi obversentur." (Ibid.) Daß Wahrnehmungen von selbst oder ans
nichts mir zukämen, ist unmöglich. Also hängen sie von etwas anderem ab.
Nur diese letzte unbestimmte Konse<)Ui: iiz will (leulincx gezogen wissen. Daß die
Wahriii'lmuingen von einem Körper abhängig wären, gilt ihm zunächst als blolie
Meinung; denn er sehe uocli nicht, inwiefern der Körper etwas dazu beitragen
könne. (YgL II, S. U9/150 d. g. Ausg.)
Ein«i Schritt wwter führt nns die „quinta scientia", die erklärt: „Est sciens
aliquis et rolens dirersos a me.**
Der Beweis dieses Sataee schließt sich aufs engste an den voriieigehenden
an. Das unbeatinunte „Andere** der „qunrta scientia" wird sogleich zu einem
alius. Dieser alius, von dem meine Wahrnehmungen enregt weiden, mnfi sieh
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Eow»l<wsH: Ktnts Stellang nun Problem der AußtMiwnUi'xistonz.
337
dessen bewußt sein; „faeit enini, et irapossibile est, ut is faciat, qni nes(*it
quonuiflo fiat." (Vf:l. II, 150 d. Ausp.) Hier «nhen wir das für das ^'arize
DeiikiMi unseres Philosophen so bedeutsame Prinzip: „Quod nescis qiiomodo fiat,
id nun faci.s" in seiner Anwenrlunir auf andere Dinge. Damit scheint aueli der
im Anfanf^e des RiisonneraenLs etwas unverinittelte Sprung von dem unbesümmton
„Andern^' der „quarta scientia'' zu dem alias gerechtfertigt Denn wenn nur
das wahrhaft wirken soll, wa» daitun weifi, so baat das WixkMule — ab ein
Wissendes — offenbar nur geistiger, persönlioher STatur sein.
Der Solipsismus ist jedenfiaUs durch den Nachweis einer Ton mir versohiedenen
geistigen Existenz in beetimrateTer Form flbeisohiitten, als in der TorerwShnlen
„qnarfca sdentia".
Die „eezta scientia*' knttpft hieran unmittelbar an und bzingt nodi eine
weiten fiestimmtang. „Is idera**, so lautet sLs', ,,cogitationes ülaa in me eusdtat
interventu corporis cujusdam."
Durch zwei Argumentationen sucht Geulincx dio^e These zu begründen.
Die erste Argumentation geht von dem durch die „quinta scientia"
Rowonnenen Ergebnisse aus, daß ein Denkender und füllender Voi-stellungen in
mir eirege. Da die'ie Vorstellungen vei-seliiedenartig sind und als solche von
meiner Seele, die einfach ist, öbensowenig wie von tlem anderen Denkenden und
Wollenden, der glcichfulls einfach ist, ausgehen können, so ist die Annahme eines
Dritten erforderlich. Dieses Dritte soll die Mannigfaltigkeit der Bewußtscins-
objekte ^ttren und muB deshalb mannigfuher Terlndsrnngen fittiig sdn,
Oeulinox bestimmt es als ezteosnm oder corpus. Der Yermittelung dieses
extonsum oder coipua soll sich daher jener ron mir Terschiedene Denkende und
Wollende bedienen, um die bessgtm TorsteUungen in mir su erwedcen. Die
Möglichkeit, noch an eine andere Termittelung au denken\ wird durch die
Bemerkung ahgeschnitten: „Tertinm «lim praetw cogitans et exienaum nec novi
nee eet** (Vgl. II, S. 161 d. g. Anae)
Die zweite Argumentation appdliert ron rornhoroin an unser Bewofifc-
scin von einer körperlichen Vermittelung unserer "Wahrnehmungen. „Sum claris-
sirae mihi conseins hasce oogitationes in rae per corpus aliqnnd snscitari," (Thid.)
Ich kann daran nur zweifeln, wenn ich an die Uiigeeignctheit des Körpei-s zur
Erzeugung einer Wahrnehmung d^nke. Aber aus letzterem geht bloü hervor,
dali der wahre Erzeuger meiner Wahrnehmungen sich eines an sich ungeeigneten
Mittels bediene, daß er ,,hac in parte ineüubilem esse et pkira praestaro posse,
quam ego possum cogitare, quod et renim est et mirum mihi nollatenus rideri
debet". (Tgl. n, a 151/152 d. g. Ausg.)
22
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338
Kowalewaki: Kaats Steilimg zum Ptoblem dl«r AofienwaltexistaDt.
Die sweite Axgamentation bewegt sich offenbir in einer rar eisten gende
enfg^ngveetiten Kiohtung. Der OrundgedaDke der ersten bestand doch eben
in dem Nachweis einer zweckmäßigen Yermittelnog fflr das Hervo>ibringen
der Mannigfaltigkeit unserer Wahrnehmungen. In der «weiten Argumentation
wild die Zwecskmäßtgkeit direkt in Abrede gestellt.
Die innere Konsequenz der ersten Argumentation würde verlangen, daß
den Körpern rine höhorc l)i<^rtit;it ziikiinic. als «lio hlnßer „rrelccenheiten'" für
die Wirksamkeit der wahren l'r.saehe; dvnn <lw wahre Ursaclie .soll ja an sieh,
weil sie ein einfaches, gei.stiges W^wti i-,t, jiieht die Mannigfaltigkeit
unserer W'abrnciuuungswelt erzeugen kuauiu. Damit würr- natürlich das okka-
sionalistijjche Prinzip umgestoßen. Zugleich würde diu ..wuhrc Uisache" wegen
ihnr neiwendigea Gebundenheit an die Mitwirkung von Körpern nicht mehr
als götUiebes Wesen gelten dtirfen.
Die innwe Konsequenz der zweiten Argumentation wQrde veilangen, daß
die Körper als an sieh unzwedcmfißige Mittel ttberbaupt in W^;faU kämen.
Damit wäre die Teni causa im strengsten Sinne als alleinige Uraaehe proklamiert
und das okkasionalistische Frinsip von einer anderen Seite aufgehoben.
„Göttliche Kausalität'' und „mechanische Kausalität*' — mit diesen Stich-
worten können wir am besten die antagonistischen Momente in dem Außenwelt»
beweise von Geulinc-v bezeiclmen. Es ist ein merkwürdiger Zufall, daß bei jeder
der beiden oben erwähnton Argumentationen je eines dieeer antagonistiachen
Momente mit einem gewissen Übergewicht hnn'nrtrift.
iJie Taktik des (»oiiÜncvchen HäsönnenK'iit.s folu't w ieih_>riiin . wie bei Descartes,
aus.schließlicii (ieni .Schema iles „direkten Aiirn'nwe!tliinvi,'i.ses". Nirgends wird der
Versuch iremac ht, den Realitatswert der Aiülenwelt mittels Degradation der Innen-
welt aufrücken zu lassen.
3. tfalebranohe.
Malebrsnche kehrte die theoaentrische Orientierung des Okkasionaliamus
noch vid energisoher boraus, als dw in religiöser Beciehung etwas kühler
geartete Geulinex» Die natürliche Folge war, daß ihm die Aigumente für die
Koxperexistens besonders stark ins Wanken gerieten.
Beseichnend ist folgende kritische Bemf»*kung Ihlebxanobes m dem karte-
sisohen Außenweltbeweis.
Nur Gott kennt unmittelbar seine Willcnsakte, denen alle Wesen ihren
Ursprung verdanken. Durch ihn allein können wir wissen, oh er wirklich außer
uns eine materielle Welt geschaffen liat. Denn an sich ist dieselbe weder mit
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CowaUwski; Kants SteOnng sum ProUero der AofivDireUwdstaai.
339
den Sinnen noch mit dem Vci-stando crkonnbar. Sollen wir also vollkfvmmon
davon fihprzpugt werden, daß es Körper gibt, so genügt es nioht, uns (inttes
Diisoiii und Wuhrhaftif?koit zu tioweison. Es miiR vielmolir aucli f,M>zeigi werden,
daß Gott uns die Gewißlicit von der wirklichen t>cl»üpiung der Kürpür^vclt gegeben
habe. Dieser >»'acbweis fehlt in den Schriften Descartes'. (Vgl. Male-
branchej De la raoherohe de la v6rit6, soptidme Mition, IT, S. 77.) "Ein exakter
SxjetoubeweiB liftt sich, vie Halebianche weiterhin fitifiertj für die Kttrperwelt
Überhaupt nicht litfein. Es besteht nimlich keine notwendige Beaefaang
awiachen Oett und solcher Welt Die Weltadiöftfung ist eine freie Tat Gottes.
In der religiösen Lehr© Yoa Gott dem Schöpfer sneht und findet Malebninche
die letste Bemhigong des ÄuSenweltzweifels. Er meint aber an^ in teilweiser
ibilehnung an Descartes, daß daneben die zum Glauben an die Eörpercxistcus
dringende natttrltchc Neigung wenigstens den Wert eines Wahnoheinliohkeils-
aiguments bcansprurhon darf. (Ibid. IV, S. 83 — 86.)
Anrinrwärts tiat uliri^'^ens Malobranchc mehrfach Versuche Efmacht, durch
teleolo^'^isfhf Hetraehtungen das Dasein der Körpprwplt zu rechtfertigen.
.So finden wir z. B. in seinen „M6ditations cbrötienues'' folgenden Ge-
dankengang.
Oott hat nicht etwa die Materie geschaffen, um sich an ilir als seinem
Werk zu fretien. Denn er schaute sein Werk sdion Yor der Ausfahmng ebenso
wie tmendlidi viele andere mSgliche Werke. Daß er den geschaffenen Geistern
Gelegenheit habe geben wollen, den Schöpfer zu bewundern, ist in gewissem
Sinne richtig. Aber die Kdrper an sich selbst (die realen Edrper) bekommen
wir ja doch nicht zu sehen. Was wir von ihren Schönheiten wahrnehmen, ist
immer nur in der Seele und nicht in den Außendingon selbst Offenbar h&tte
uns also Oott auch ofiiie die Yemiittelung einer realen Korperwelt solche seelischen.
Genüsse vorscluiffcn können. £r scliuf sie tatsächlich zu Oelegenheitsursachen
seines Wirkens in den Geistern, „afin d'ugir par dos roies t^^s- simples, (|ue lo
nonihiv de ses d^'-fix'ts ne füt point infini, et quo son action fut toujours r^^gk'o,
uniforme et constaute, digue d'une sagetä« qui u*a poiut de burues'*. (A. a. 0. Ii.
M6d., art. 17.)
Cüewiß, werden wir sagen, sind Einfachheit, Onlnung und Uleichfüiuiigkeit
des Wirkens durchaus (iottes Wesen uugcmcssen. Aber ist es nicht eine über-
flüssige Yerdoppelong, daß die Korperwelt einmal im Geiste Gottes und daneben
noch einmal real existieren soll?
Wir sehen zugleich, wie selbst dieser carte teleologische Versuch, die
Körporexistens au b^grEbiden, eine Besehrfinkung der vollen „gStflichen KausalitKt**
22«
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340
Kowalewski: Kants Stellaog zum Problem der Außenwcltcxisteuz.
ioTolvieri Denn sdieint es nicht, als ob Gott sich dmch die Äußeren realen
Körper gewiseemiafien an seine unwandelbaren Wixkangsgesetae beatlndjg erinnern
laawi muft?
Die Dialektik HalebranehoB hSlt sieh triedemm einseitig an den Typus des
ndirekten Außeowdtbeweises''. Die aosgeaeichnete Innenveltrealitftt wird als
selbstrerBtindltche Tatsache bdiandeit Malebranohe steht unter dem Banne des
kartesischen „Cogitu, ergo sum*'. Arulorersoits hat er aber in seinen sonstigen
Lehren gerade die Tollkoromene Abliäugigkeit unseres Innenlebens von Gott so
stark lü^tont, daß danach unser Ich seinen srlbsthorrlichcn ClKuaktor nicht minder
einzubüßen schien wie dio K">rprrwr1t. Auch legte das spezifisch okk;isiniialisti?;ehe
Problem der Wechselwirkung zwischen Leib und Seele von vorniicroin eine ^'fwisse
paritütische Behandlung der beiden Wiiklichkeitsgebiete nahe. Mal>'bianrlif ist
sich dieser antagonistisclien Momente selbst niclit bewußt gcwoi-den. ^ViI ver-
stehen aber von hi<>r aus psychologisch, weshalb er im allgemeinen der Außen-
weltfbge kühler gcgeuaberstehen mußte als Deecartes. Das lehbewufistsein hatte
fttr ihn praktisch eine Abschwichung erlitten. Es näherte sich so Ton selbst
der Oleiehgewiehtslage mit dem Außenweltbewußtsein, ohne daß umfassendere
dialektische Hilfen nötig waren.
Gelegentlich bat Malebranehe eine Ansidit au^sprodten, die bei konse-
quenter Durchführung dem Auflenweltproblem audi theoretisch einen neuen
Lösungsweg hätte eröffnen können. Er erklärt nämlich in einem Kapitel seiner
Recherche de la v6rit6, das eine Klassifikation aller Erkenntnisarten gibt, — •
gewiß zur großen Überraschung aller Kartesianer — , daß unsere Erkenntnis der
Seele unvollkommener soi, als din Erkonntnis dor Körper und ihrer Eigen-
schaften. Die Körpor uiiil ilirf Ki^^onsclwifti ]) i'rkeiiiu'ii wir aus ihren „Ideen",
die wir „in liott schauen". Dairr^^en besitzen wir keine ^Ideo" von unserer
Seele. Eine Folge dieser Unvulikumnu'nhoit zeigt sich in der Tatsache, daß
man die Modifikationen der Seele nicht definieren kann. Ja Malebranche ver-
steigt sich sogar zu folgendem Sata: „U est Traf que noua oonnaissons assez par
notie eonscience ou par le sentiment intfirieur que nous stoub de nons-mimea
que notre tme est quelqne chose de grand, mais 11 se pent faire que ee que
nous en eonnussons ne seit presque rien de ce qn'elle est en elle-
mSme.** (De la reoberche de la TintA, septiöme fidttion, U, 8. 119.) Da haben
wir eine interessante Annäherung an die phänomenaliatisehe Auffisaaung des
Ichbewußtseins. Es ist damit eine erkenntnistheoretisohe Umwertnng des 7er-
hälbiisses v<m Innenwelt und Außenwelt angedeutet, wie sie radikaler par nicht
gedacht werden kann. Denn wir müssen bedenken, daß Malebiaache ein guter
XowAlewski: Kante Stdlinig nun FroUem der AafieoweltaxiatMix.
341
,.nutur\vissc'nsohafflichi'r Realist*' ist. Dii* ^nMunrtri.schen und nieehitnischon Eigen-
sclmftcii f,'t'ltün ihm als walirljeitsgeticin' Aliliildor von Bestimmungsstückon der
Kuipof au sich. Auf sniten der uun ri ii Kifuhriiiig j.st uns min ein aiialügc«
Vordringen zu den wosenliaften Elementen unmöglich gemacht. Unsere Erkenntnis
bleibt im großen und ganzen an di« bunte FöUe der einzelnen psychischen
Brlebnisso gebundeo. Leider hat Ifalebranche diese wichtige Einsicht nidit mit
genügender Konseqnenx festgehalten und auagenutait Sie erschien ihm vielleicht
selbst etwas sn kühn, nnd er bemühte sich, sie daroh absohwScfaende Eriftute-
ningen annehmbar xu machen. So erklärte er Tor allem., die alte Lehre, dafl
die Erkenntnis dw Seele am vt^ommensten sei, könne in gewisser Hinsicht
auch aufrecht erhalten werden. Man müsse eben die Erkrantnis des Daseins
und die Erkenn tuis des Wesens unterscheiden. So sei «6 kein Widersprudi,
daß die Seelenerkenntnis im eisteren Sinne am vollkommensten, im letzteren
Sinne am nnvollkommenstpn sei. Daß aV»or d(u h die bessere Wcsenserkonntnis
für das Real!tät.sl)evvuütsein nicht so befloutiingslos sein kann, zeigt Malehraiiclie
selbst bei seinem Versnob, die irnvolikommenheit der Seelenerkpiiiittus teleo-
logisch zu rechtfertigen. Gäbe cü eine Erkenntnis der Spelö durcli ihre „Idee",
so würde dm zur Folge haben, daü wir Loib und Seüio zu gesondert betrachten
möchten. Auf diese Weise erführe die Vereinigung von Leib und Seele eine
Henbminderung. (De k iwdiadie de la T6rit6, n, S. 123.) Also llslebiwidie
befürchtet eine zu groAe Yfflcselbstlndigung der Seele infolge ihrer voUkommenen
Ericenntnis. Diese Yeiselbstlindigang wird doch aber subjektiT mit einer Brhöhung
des BeaUtttsbewnfitseinB Terbunden sein müssen!
4. Zusammenfassende Bemerkungen und Andeutungen über die
weitere Entwickelung des Problems.
Es ist ein wenig erfreuliches Bild, das die drei ältesten Bearbeitungen des
Außonwel^roblems uns darbietei. Überall das einseitige Bemühen, den äußeren
Wahrnehmungsinhalten durch ^anszendente Korrelate ein fjrößeres Rcaütäts-
gewicht zu verschaffen. Dabei Erfrät man Avieder direkt oder indirekt in Konflikt
mit der Tendenz der ( luttt sbi wlIsl. Die transzendenten Korrelate der äußeren
Wahrnehmungen iniisM ii in lim nachGntt (Jiit ntiinten Dialektik eine Abschwächimg
erfahren, entsprechend ihrer niederen Kangstufe. Es scheint überhaupt Gott
gegenüber strenggenommen nur eine ide^ Sxisteni der Außenwelt annehmbar
sn sein. Dieser Eonseqaens bat sieb gerade lüdeimndie am stäritstsn genähert,«
der in Gott nicht sowohl das letsje subjektiTe Oewifiheitspiinsip als viefanehr
den objektiven Mittelponkt seiner ganaen metaphydsdien Weitanscfaaunng erblickt
u\^a\^cö by Google
342. Eawalevftki: Kmte Stellviv «un PioUem 4«r AnBenwelteziatoox.
Die Konkurrenz zwisclu>n ..L'r.tflirhd- Kausiilitiit" und ..mechanischer Kausalität"
ist nichts anderes als eim^ iH-somlfri' Funu «los jiHf^iMiuMticii Antap^onisimi^ zwischen
Oortpsn'alität und Kürptuwelticaliuu Die „iiuiürü Erfalu lui^ " steht iui sliuhienden
Glan/.f einer ausgezeichneten Realität da, ohne daß man — von einem schüchternen
Temch UilebniidieB abfnehen — auch nur auf den Gedanken kommt, naek
ihrer Würdigkeit m fragen. Tomehm kann sie auf die großen Anatrengungen
herabblieken, die n()tig sind, um die „ftnfiere Erfahrung au einer höheren
SteUnng emperanheben.
Der Wixkliehkeitsehankter der iufteren Wahrnehmungen wird haupbiiehlich
auf «wei Argument» geatfltit. Daa eine Argument betont die kausale Abhingigkeit
der Wahrnehmungen von ihren Süßeren Gegenständen. Das andere Argument
weist auf eine gewiRsc Ähnliehkeitsheziehunf? zwisclien den Wahrnehmungen und
ihren transzendenten Korrelaten hin. Diese Argumente, die wir passend a!s
„Kausalit.itparcrument" und ..Ähnlichkeit-';u<,niment" bezeichnen können, sind auch
für dif vpiiteren AuHenweltbewoiso h'pisch. Die skeptische Kntwertnng beider
Argumente führte schließlich zum subjektiven Idealismus, wie er namentlich von
Collier «lul Berkeley verüetcn wurde. Bekanutlieli knüpfte ilf>r erstere speziell
an Malebranche an, dessen Okkasionalismus gerade diu; „Kuusalitätsargiiment"
erschüttert hatte, während der letztere wesentlich al.s Fortsetzer Lock es gelten
darf, deesen Lehre von den primiien und sekunderen Qualitäten tot allem eine
kritiaehe Zersetzung des „IhnlichkeitBaigaments'* nahelegte.
Zur Charakteristik des suhjektiTen Idealismus sei kura folgendes bemerkt
Nur Gott und die endlichen Geister existieren in dem vollen Sinne realer
Suhstanam. Sonst gibt es nichts als Ideen in den Geistern, Die Idera können
nicht losgelöst vom pendpierenden Geiste bestehen. Damit sdieinen auch die
Sinneswahrnehmuttgen, die uns Außendinge darstellen, restloB zu untergeordneten
Bestandteilen unseres Ichs gemacht. Die Innenwelt hat hiemach ein gana
besonders starkes Kealitätsgewicht Dieses >AIißverhältnis bedurfte einer Konqpen«
sation, weil man doch den natürlichen Außenweltglauben nicht ganz verleugnen
konnte. In erster Linie witd nun geltend gemacht, dal? (Jott selbst die Sinnes-
perzeptioncn in unserem Geiste er/jMigt. Olme Zwe ifel iniis-.-n sulelu,' l'erzi ptionen
eine höhere Dignitiit haben, als die vuu eadliehou (ieistt ra herrührenden. Xehen
dieser transzendenten Kausalbeziehung betont mau die bekannten immanenten
Vorzüge der „sinnlichen Ideen" gegenüber den „Ideen der Einbildungskraft",
nJbnlich ihre Stlike, Lebhaftigkeit, Bestimmtheit, Konstsnz und gesetdidie
Ordnung. Trota solcher Oewichtssmlagen ist die Aofienweltwahmehmong doch
niicdit imstande, dem Ich die Wage zu halten. Eine Snbstana acheint nur durch
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Kowalewftki: Ktnts SteUunn zam Problem im AnBenveltnictaBK.
343
eine Substanz anfwiojrbar 7.n sein. Kinc suhstanzielle Orundlagt' der ..sitinliclicn
Idot'D*' soll es aber außerhalb der porzi pierenden Seelensubstanz nicht t:el>pn.
Die Dialektik bewegt sich wieder in dem ausgetretenen Gleis des direkten
Außenw oltbe weises
n.
Das Aafteiiweltf roUem bei Kant
1. Nene Uomente für die Fortbildung des FroblemB
in Kants Kritisismus.
Welche SteUung nimmt nun Kant au der großen ftage ein, die seine Yor-
gtnger in so wenig erspriefilieber Weise bearbeitet hoben?
Auch wenn er sich nicht ausdrücklich darüber geäußert hütte, könnten wir
sehr leicht aus seinen kritischen Hauptlthren die Qnmdlagen für eine gans
originelle Lösnnfj des Anßenweltprohloms ableiten.
In der „Kritik der reinen Vernunft" hat dfuh Kant das menschliche Er-
kenntnisvermöpen einer Prüfung unterzogen hinsiclitlich dessen, was es unah-
hänpip von der Erfahruiifi: zu leisten vormag. Also um eine besondere, wohl
definiertv Eikenatnisart liandelt es sich. Diese Erkenntnisart (die apriorische
Erkenntnis) wird nun auch auf ihren wichtigsten Anwendungsgebieten nach ihrer
Tragweite niher untersueht Daraus ergibt sich ron selbst eine erkenntnis*
theoretische Absehätzung der den betreffenden Anwendungsgebieten
angehBrigen Erscheinungen, und zwar eine Absch&tzung nach einem
neuen objektiren Haß. Für unser Außenw^^roblem kommt es hier auf
die Efsofaeinimgon der äußeren Eifahrung und die der inneren Eifohrung an.
Beide Erscheinongsarten hat tlbrigens Kant selbst sdion aus aystematisehea
Gründen scharf geschieden, üm also den Wertonterschied dieser Erscheinungs-
arten nach dem iirnmi ^fiiRf» zu ermitteln, brauchen wir bloß die einschlägigen
Angaben über den Umfang ihrer apriorisfhon Erkenntnis miteinander »usammen-
zubalten. Je umfangreicher die apriorische Erkenntnis eines Erecheinungsgebietes
ist. desto höher muü auch der Realitätswert dieses Erscheinungsgebietes ver-
ttu.selil:ifrt werden.
Noch auf ein© andere wichtige Konsequenz aus Kunts Kritizismus .sei kurz
hingewiesen.
Unserem Erkennen sind die „Dinge an sich" vei-schlosseu. Wir haben es
immer nur mit „Erscheinungen*^ davon m tun, wie sie durch das Uediam
unserer subjektiven Anschauungs« und Denkfoimen ^nigebot^ werden. Die
Seele unterscheidet sich in dieser Hinsicht nicht ron anderen „Dingen
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344
Kowaiewüki: Kimtb Stellung zum Frublcm der Auüenveltexisteiu.
an sich'*. Der „innere Sinn, vermittelst dessen das Oemfl.t sich selbst
und seinen inneren Zustand anBohaut'* entbfiUt uns nicht die „Seele an
sieh''. Stmst hatte man immer ausdräckUch angenommen oder BtUlsebweigend
geglaubt, daß die Selbstwahrnchmwig tiefer reiclic, als die äußere Wahrnehmung,
dafi wir in der Solbstwahmehmung unser Ich nach seinem Avesenhaften, innersten
Kern unmittelbar erfassen. Die Zerstörung dieses Vorurteils durch Kant schafft
naturj^pmüR für das Aiineii\vo!tpn»blcm eine wesentlich ufiie Situation. Herade
dor iiaantastbaiT Niiiihus, mit dym sicli das Ichbewußtsein früher ump:ah, tru?
ja <lie Hauptsi liuld an dvr Eiiisuiügkoit in der Dialektik der AuBonwcltbeweise.
Nunnii hr ist endlich für den „indirekten Außen woltbewois" die Bahn
gebrochen.
So enthält der Eritisismus implizite fimdameutalc Lci^cdanken zur Lösung
der Aufieoweltfri^.
Wir werden sehen, daß Ksnt diese Gedanken & T. auBdrtteklich in seinen
mehrfachen Widerlegungen des Idealismus mit Geschick verwertet hat, daß
er aber audi dabei mit ähnlichen antagonistischen Motiven ringen mußte wie
seine Voriger.
2. Die Widerlegung dos Idealismus in der ersten Ausgabe der Kritik
der reinen Vernunft und in den Prolegomena.
In der ersten Ausgabe der „Kritik der reinen Vernunft" wird der
Zweifel an der Außcnw^cltrealität auf folprndo syllo^rt'^tische Formel gebracht:
,,DE«sje!iii:e, auf dessen Dasein um als einer Ursache zu jjegobenen Wahr-
nehmungen geschlossen worden kann, hat eine nur zweifelhafte Existenz:
Nun sind alle äußeren Erscheimmpen von der Art: daß ihr Dasein nicht
uumiUulbur wahrgenommen, sondern auf sie, als die Ursache gegebener Wahr-
nehmungen, allein geschlossen werden kann:
Also ist das Dasein aller Gegenstlnde Äußerer Sinne zweifelhaCf (Kr. d. r. V.,
Kehrb^ S. 311.)
Kants kritische Losung dieses ideali8ti8<diea Zweifels besteht nun «infiudi
darin, daß er die zweite FtSmisse in dem SyUogismas fOr falsch erklärt Denn
wir können tatsächlich das Dasein der „äußeren Erscheinungen**
unmittelbar wahrnehmen. „AUe äußere Wahrnehmung beweiaat unmittelbar
etwas Wirkliches im Räume, oder ist vielmehr das Wirkliche selb^'* (Kr. d.r.T,
S. 317.) Man kann das nur bezweifeln, wenn man die Gegenstände im Räume
zu „Dinpen an sich" macht. K< ist aber ,,unmöglich: daß in diesem Räume
irgend etwas außer uus (im transaendentalen Sinne) gegeben werden sollte,
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Kowalewski: Kants 8t«Uong zum Problom der Außeuweltoxigtenz.
345
«eil der Baum selbst außer unserer Sinnlichkeit nidits ist Also kum der
Btroiigste IdesUst nicht Terlangen, man solle beweism: daO unserer Wahrnehmung
der Gegenstand außer uns (in strikter Bedeutung) entspreche. Denn venn es
dergleichen gKbe, so irttrde es dodi nicht als auBer uns vorgestelit und an«
geschaut werden kGnnen, weil diese« den Raum Toranssetxt, und die Wirklichkeit
im Baume, als einer bloAen Yoratellung, nidits aiMtees als die Wahrnehmung
selbst ist Das Hoale iuBerer Erschein unpnn ist also wirklich mir in dtT "Wahr-
nehmung und icann auf keine andere Weise wirklich sein.** (Ibid., S> 317/318.)
Wenn wir hiernach von dem Dasein der „äußeren Erscheinungen" ein unmittel-
bares Bowiißtscin haben, fo ist klar, HnB den we;;en ihrer Unmittelbarkeit ge-
wöhnlich höher bewerteten „inneren KrM^iieinungen" eine Bevmzuf^ung nicht
mehr zuteil werden darf. ,,kli habe iu Absicht auf die \Virklicl»kuit äußerer
Gegeiititäude ebensowenig nötig zu schließen, als in Ansehung der Wirklichkeit
des Gegenstandes meines inncrcu Sinnes (meiner Gedanken), denn sie sind
beiderseitig nichts als Torstellungen, deren unmittelbare Wahmelmiung
(BewuBteein) zugleich ein genügsamer Beweis ihrer Wiiklichkeit ist" (Ibid^
S. 314) Die Innenwelt und die Auflenwelt scheinen also den gleichen Bealitlts-
wert XU haben. Die Tendena der Eantischen Argumentation entspieht noeh dem
Typus des „direkten Außenweitbeweises".
Der Beslitätswert der Anfienwelt soll ofienbar aulgebessert werden. Frei-
lich fällt diese Auibesserung wesenäich mit der bekannten Position des Berkeley-
scIkmi Mt alismus zusanntien; „Esse — percipi^ Kant ist sich der gefährlichen
Übereinstimmunfj; nicht bewußt. Er hat aber doeli bei seinen Erörterungen über
den vierten Paralogismus deutlich genug die Diffei-cnzpunkte markiert, die
ihn von deni snbjektivcu Idealism«K trennen. „Der transzendentale Gofrenstand
ist. >üwohi in Atisehung der inneit n als Sußei-en Anschauung, tjleieli unliekanixt.*'
(Ibid., S. 315.) „Diis tmnszendentjile Objekt, welciies tlen äiiüereu Ei-scheiniuigea,
imgleicheu das, was der iiiuereu Aii&chauuug zum Grunde liegt, ist weder
Materie noch ein denkend Wesen au sich selbst, soudcm ein uns unbekannter
Qrmd der Erscheinungen, die den empirischen Begriff von der ersten sowold
als von der «weiten Art an die Hand geben.** (Ibid., S. 320/21.) Mit diesen
SKtien wird ansdrfl^ch jede einseitige spiritoalistische Metaphysik abgelehnt
Außere und innwe Erscheinungen stdien ihren transsendenten Beaiehungen
nach TöUig gleichberechtigt nebenanander. "Bemme wird an einer «nderen Stelle
der Ira^dien BrBrtenmgen eigens hervorgehoben, daß der „Baum, ob er swar
an sich nnr bloße Form der Yorstellongen ist, dennoch in Ansehung aller Er-
scheinungen . . . objektire Beaiitftt hat**, ^id., 8. 3ia) Damit ist auf die
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346
Kowalewski: KantN Stellung zum Pnibiem der AuHeaweltAxislenc.
wichtifre Objektivität schaffende Punktion des Apriori hingewiesen, von der
Berkeley keine Ahnung hatt«. Sehließlich dflrfte auch folgende Bemerkung über
das Niveau dee subjektiTen Idealismus hinau^hen: „In dem ZusaromeDhange
der ErCihning ist wirklich Materie, als Substana in der Erscheinung, dem äuBeren
Sinne, so wie das denkende loh, gleichfalls als Substanz in der Erscheinung^
vor dem inneren Sinne g^ben.*^ Sold», wenn auch nur emprisdi gemeinte,
Faritftt zwischen Ich und Materie hätte Berkeley nun und nimmer akieptierea
können. Es wird sich aeigen, daB Kant selbst ^ter diese Parität mit Ent-
schiedenheit wieder abgestritten hut, und zwar nicht zugunsten des Ich, sondern
augiinsten der Materie. So viel steht fest, daß er nach dem Obigen tatBächlich
nicht nur dinikt. sondern auch indirekt den Realitätswert der äußeren Erfahrung
gesteigert hat, indem er gemäß «finf^iii nnivni--;o!lon Phänomenalismus dir* an
höherr> Ansprüche frewöhnte innere Erfaiinui^ ;mf den Bereich der EiNcheinuugs-
weit einschränkte. Al- t <r\\im die erste \Viil< i Ii l'uhu' lii s Idraiismus bei Kant
enthält den Kenn ..iinliirkr.Mi Aiirii iiwi-lihrwiMso'-. Duü dieser Keim noch
nieiit zu einer kräftigeren Kntwielviung kam, erklart sich wohl z. T. aus der zu-
fälligen Konstdlation der polemischen Räcksichteo in dein Abschnitt über den
„vierten Paralogismus'*.
Kants kritische Behandlung des Anßenwel^roblems, deren erste I^ase wir
oben kennen lernten, scheint toto gcncre Torschieden au sein von den llieorien
eines Bescartcs, Oenlincx and Malebranche. Wir werden aus der weiten Welt
der großen mob^ysischen Realitäten in jenen engeren Raum versetzt, den eine
nach dem menschlichen Ich orientierte Erkenntniskritik abgegrenxt hat Gott
liegt nach Kant außerhalb unseres Erketintnisbereichs. Damit falh'n natürlich
die antagonistischen Motive fort, die bei den älteren Denkern die Komplikation
der Gotfesheweise und Kdrperweltbeweisc ius Spiel s(>tzte. Unsere gesamte fir^
k«>nntniswelt ist im Ich beschlossen, behenscht von dessen apriorischen An-
seliainintrs- und Dfnkformen. Außer dem Ich existieivn wohl «nderf» ,,Dinge
Mii siclr , von tlt'iien wir namentlich das Empfindungsmatri ial i'm])fangen. Aber
ilu se Affektiüii" seitens der andern Dinire au sich ist auch die einzige un-
bestinunte Kunde, die wir von diesem erkt imtnisthcoretischen Jenseit.^ haben.
Kant nennt den leisten höchsten Einheits^unkt unserer Erkünutui» die „ trans-
zendentale Apperzeption*'. Bs ist das UTbpriuigliche, konstante Id^titBtsbewuAt-
sein des ich. Davon wird schatf tmteisdiieden die „empirische Appeiv.eption'^
oder der „innere Sinn**. Bekanntlich spielt die „transsendentsle Appeiseption'^
bei der schwierigen „Deduktion der reinen Yerstandesbegriffe" eine wichtige
Bolle. Wir können wohl sagen, daß bei Kant die „transaen dentale Apper
Xowalvwftfci: KnU SMlamg mm Fnlilnn der AoBonwiBltexMns.
347
zoption" nnf erkenntnisthooi itischfni (fobictc untjpfähr dieselbe Be-
deutung hat, wie bei den Metaphy sikern Gott. Die „ transzendentaie
Apperzeption" luit^amt de» apriorischen Funktionen baut für unser empirisches
Ich aus dtin Eaipfindungsraaterial die räuiulielie Außenwelt auf. Wenn wir uns
diesen Prozeß klar zu machen .suchen, so bemerken wir sogleich, daß in ihm
ein ftnilogor Antagonisnuis entgegeugeseteter Motive steckt, wie bei dem Okka-
VQiiaüemus. Die Empfindnngselemente, die euf tnumendeiiter AfCektton seitens
fremder n^üoge an eich'* beraliea, bilden gewissermsflen die Schlanken fUr die
schöpferische Freiheit der trensaendentalen Apperzeption mit ihrem apriorischen
Apparat Aber diese Schranken nnd ebenso aweideuiiger Natur, irie die realen
Körper als Oeiogenheiteiimdien von Sinnesirahmehmiuigen. länerseits TOrlnigt
des phinoroenelistische Prinzip, daft die besondere Art des Gegebenseins der
Empfindungen in keiner Beziebung zu entsprechenden Konstollütionen der Dinge
an eich steht Denn Raum und Zeit sind unsere subjektiven AnHckauungsformen.
Die eistr« WidorlPtruiiir <!rs Tiioalisnius hat ja noch bp^ondors eneririseh oin-
^ros:phfirft, dali r< fiir .. Krschciinmi^eii " keine traTi^^zetKlentru Korrelate gibt, mit
denen sie überciiizii->tininuni hatten. Danach sind die Dinge an sich eine ebenso
überflüssig .Annahuie wie die äußeren ,,f}elegenheitsursachen" der Okknsionaiisten.
Fidlen nun über die fremden Dinge an sich weg, so verliert da.s Kmpfindungs-
material unseres Erkenneus jenen eigentümlichen Realitätswort, der nun einmal
aller AbhSngigkeit von ftuBeren, traosiendenten Ursachen natnrgemSS anhaftet
Das darf auch nicht sein. Also muß die transaendente Besiehung der Empfin-
dungen auf Dinge an sich doch fes^ehalten werden. IHe Besiehung darf keine
willkürliche sein. Ss ist vielmehr anzunehmen, dafl eine ganz beslunmte trans-
zendente Besiehung einer ganz bestimmten Konstellation des £nq»finduttgs-
materials entspricht Sonst mlißte die Anordnung der Empfindungen in den
Wahrnehmuttgsranm von uns nach Belieben abgeändert werden können. Das
uns jeweilig dargebotene Empfindungsmaterial wird immer auch für die ihm
adäquaten kategorialen Verarbeitungen in gewisser Weise selbst die Richtlinien
enthalten. Wie kann sieh demcecrenübpr das transzendentale Ich mit seinem
apriorischen Apparat als autotmni bohuu[)ten? Wo bleibt der sto)?.!' (io>;i'(zL:ober
der Natur? Könnte er nicht am Ende einem Kimip ^rloichen, das das Tempo
eines marschierenden Zuges mit enuspreehenden Takiljcwr^-nngen besrleitet und
sich dabei nui verweise als Kommandeur fühlt? Es winl kaum muglicli sein, aus
diesem Konflikt zwischra transzendenter Bedingtlieit des Empfindungsmaterials
und apriorischer Souveritnitftt der Erkenntnisformen einen glücklichen Ausweg zu
finden. Xatttrli<A wird dadurch derBealitätswert der AnSenwelt wiedwum sehr ins
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348
Kowalewüki: Kants SteUong zum Frobiem der Aufieoweltexistooz.
SoiiwaDlcai gebiadit Er steigt aascheiafflid, wenn nrnn die traosiende&te Affek-
tion stSrkeir betont, und sinkt, wenn man diu apriorische Funktion mehr bevor-
zngl Die Sache wird daduroh noch kompUaert, dafi das Apiiori, wie wir schon
früher andeuteten^ eeLbat ein neues Bealitätsmomont einführt Die ihm eigene
„Xotwendigkeit und Allgemeinheit** eröffnet dem WirUichkeitsbowufitsein sosu»
sagen die so«ale Sphlie, während die transzendente Affektion in Bmpfinden
mehr nur einen individuitlistischon BealitStswert au bieten vermag. Dio stärkere
Betonung der apriomehen Funktion ist also hiernach einerseits mit dßm Wachs-
tum eines sozialen Kealitätswei ts, andererseits mit der Abnahme eines iudivi-
dualistisrlirn T?ealität,s\vert.s m rlniiiili ii. Die stärkorc Betonung der transzendenten
Affektiuu iüiut eineiveits zum Wachsnun l iins individualistisrhen Realitätswcrts,
anderei-seits zur Abnahme eines soziaien lieuliUitswert-s. Dio>>e antagonisti^rhpn
Momente spielen in Kants Außcnwoltbegriff durcbeinaader und verleitien ihm
eiue innere L nhiclaTiiuit.
Eine weitere Schwierigkeit zeigt sich luis, wenn wir das Yerbiiltiüs des
„äußeren Sinnes** cum „inneren Smne** betrachten. Sie entspricht genau dem
metaphysischen KonlUkti in den der Bangunteradiied swischen Körper und Seele
die iltesten Bearbeiter des Aufienwel^roblems, vor allem Deseartes, gestOnt
hat Die Seele ist höher als der Körper. Darum könnte sie „eminenter** in ihrem
Wesen enöialten, was uns die Köipervorstellnngen darbieten. Das war eine
skeptische Bfoneikung Descartes*, die natflrlich die Köiperrealitit entwerten muflte.
Kant hat sie sozusagen aus dorn Metaphysischen ins Erkonntni^thcnn tiseho über-
setst, wenn er den „inneren Sinn'' vielfach als das umfassendere Erkenntnis-
organ hinstellte, in dessen Gebiet auch alle Erscheinungen des „äußeren Sinnes*'
notwendig mit einzuboziehon wäron. Er wmde zu fÜcM'm Schritt, wie neuer-
dings Rcininger sehr trrffLMxi uacliwics, luLUj)tsa("hli('ii (iailurch pcdrän^'t, ilaß dio
„iiußeren Erscheinungeu" nlmc Zoitvoiiialtiiissc niclU denkbar waren, walirend
andererseits dio Zeit die bpfziii^cliü Anschauvmgsform dos ,. inneren Sinnes"
sein sollte. „Die Möglichkeit, den iiußeren Erscheinungen einen unmittelbaren
Anteil an der Zeit einzurUunicn, hatte sich Kant duich die prinzipielle Be-
schrfinkung derselben nuf die innere Wahrnehmung benommen. So blieb nichts
übrig, als ihnen die Zeitlicbkeit auf einem ümweg und indirdct au sidiem.
Dies geschieht, indem dem inneren Sinn eine transzendentale Bedeutung
unterlegt wird, so daß er nidit nur die ^inneren Ansohauungen*, die Erscheinungen
jintca nos*, sondern alle Erscheinungen Oberhaupt, alles fkberluiapt, was für uns
irgendwie existiert, was nicht ,pnieter nos* ist, ni umfassen vermag.*^ (VogL
Beininger, Kants Lehn vom inneren Sinn und seine Theorie der Erfahrung
KowAlevski: Kuta SlaUang nun ProWem dsr AaB«D*eltexiateBS.
349
Wien und Leipzig IflOU. 8. 53/34.) Eh war aber noch ein auderoi üriind, der
mit Notwendigkeit zu einer Totensieroiig des „inneren Sinnes" führte und den
Beininger nicht genügend beeditot hat iluch die apriorischen Kstegorial-
fanktioaen ließen sich in ilirer schSpferiachen Tätigkeit nicht gut aeitlos vor-
stellen. Das trat hesonders deuflioh bei dem mühseligen YMsueh der trans-
zendentalen EategeriendediiktioiL zutage. Die seitlichen Schemata der Kalorien
waren in diesem Zusammenhange keine Kunstprodttkie, sondern nur der natOr*
liehe Ausdruck einw Badiliidie& Notwendigkeit ünd man kenn wohl anoh
Hilgen, daß bei der Zeit schon an sich ein gewisses sp<»tue6 Moment bemerkbar
ist, das sie über die Stufe eines rezeptiven Erkenntnisorgans hinaushebt und den
Kategorien nähert. Diese Beziehimp rlcr Zeit zur Sphäre der Kategorialfunktionen
mußte jrleichfalls dem „inneren 8inn" einen höheren Nimbus vprloihfn. Der
„iiuifri' Sinn" prhiflt gewissermaßen einen intimoiTii Anteil an dem ans-
go/.<'ii'iin»'tt'ii Realität» wert, der nun einmal den apriorisclif»» Verstandesbegriffen
als dm\ zentnilen Faktoreu der Erkenntniswelt anhaftet. Kein Wunder, wenn
demgegenüber die Ei-scbeinungen des „äußeren Sinnes" auf eine niedere Rang-
stoie herahsusinken schienen. FQr das AuEenwdtpioblem wurde dadurch natürlich
eine miflUdie Lage gesohafCen. Denn wenn Kant sich audi bemflbte, den
„iufleren Wahrnehmungen" den gleichen ünmittelbarkeitsdiaiBktOT zu Tindiaieren,
wie den „inneren Wahrnehmungen'*, so ließ er doch die „ttuBeron Wahmehmungen**
gteicbzeiiig in den erweiterten Bereich des „inneren Snnes** fallen und schien
so die Attfienwelt au einem Bestsodteil der Innenwelt an machen. Das ist
übrigens bei seiner üben erörterten ersten Widerlegung des Idealismus deutlich
zu sehon. Es wird da ausdrücklich gesagt: „also existieren ebensowohl äußere
Dinge, als ich Selbst existiere und zwar beide auf das unmittelbare Zeu^'nis
meine*^ Sclhstbewußtsoins, nur mit dem Unterschiede: daß die Voretellung
meiner Selbst, als des denkenden Subjekts, Itloli auf den inncrn, die VorsteHunfren
aber, welciw ausgedehnte VVespn bezeichnen, aiioli auf den äuHoren Sinn
beztifren wcrdea.'* Dieses merkwürdige Doppelv ei liultnis der „äußeren KrscJioi-
iiungen'" macht doch ilueii Realitätswert wieder etwas unklar. Es fehlt eben eine
eindeutige Abgrenzung dos „inneren" und „äitßercn Sinnes".
Vaihinger hat in seiner sobaibinnigeB AUiandlung „Zu KmtB Widerlegung
des Idealismus** auf eine nsonderbare SteUe" des Abschnittes Über dim Tierten
Faralogismtts hingewiesen; diese Stelle lautet: „Der dogmatische Idealist wQide
deijenige sein, der das Dasein der Ibterie leugnet, der skeptische, d«r sie
besweifelt, weil er aie fOr unerweislich UQt Der entere kann es nur darum
sein, weil er in der Möglidikeit einer llaterie überhaupt Wideisprttdie an finden
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350
Eowalewski: Kants SteUuog zum Froblom der Aufl*mvelte.\isteus.
gUmlit, und mit diesem haben wir ee jetet noch nicht su tun. Der ioigtadB
Abaohnitt ron dialdctisohen SohlOssen, der die Vemimlt in ihrem mneien Streite
in Anaehung der Begriffe, die sie sich toh diar Möglichkeit dessen macht, was
in den Zusammenhang der Eilahnmg gehört, yontellt, wird ancb dieser Schwierig-
keit abhelfen." (Kr. d. r. V., 8. 319.) Vaihinger meint, Kant habe das in dem
letzten Satz gegebene Versprechen nicht gehalten, und „habe es auch nicht
halten können". In seiner Widerlegung des skeptischen Tdealismus sei ja auch
von ihm selbst das Dasein der Materie geleugnet worden. (Vergl. Vaihinger i. d.
Straniuirf^er Abhandlun!;i'n zur Philn^^ophi'^ Fivihitrfr und Tühinsren lS8i. S.
Teil mnclite riif>t'in Vorwurf gegen Kant dvch wiilersprnt'hcii. i)iiv(in kann ullor-
dings keine Kede sein, daß Kant deswegen den ddirmatischen Idealismus ab-
lehnt, weil dieser eine hewiilirscunstranszendcnte MaieHo leugnet. Das schließt
aber nicht aus, daü er die dialektische Begründung des dogmatischen Idealismus
ffir fslnHi fajUt Tatsfichlich bat ja auch Collier, wie Vaihinger in seiner Al>-
handlung erwtthnt, ausdrücklich „auf die unlösbaren WidersiiirUche der materiellen
Attfienwelt bezQglich ihrer ünendlichlichkeit in Baum und Zeit und ihrer un-
endlichen Teilbariteit" hingewiesen. An solche dialektische Begründung des
Idealismus wird wohl ^nt gedacht haben, aumal ihm, wie Vaihinger selbst gleich-
falls mit Becht vermutet, Collier durch die Eschenbachsche Übersctinng zu-
gänglich war. Tatsttchlich finden wir nun auch bei Kant in d«n. Abschnitt
„Die Antinomie der reinen Vernunft" sehr eingehende Auseinandei-setzungen
über die mit d« r unendlichen Ausdehnung in Kaum und Zeit und mit der uu-
endiiciien Teilbarkeit verbundenen Widei-sprüehe, sogar mit besonderer Bezug-
nahme anf die Materie, ^fan vergleiche Kritik d. r. V,, S. 344. inul nanipntlich
8. 3()üff Die Lösung der fraglichen Widerspriicli»' in Kant.- .\ntin'>niiri)lehre
i.st ja bt kannt. Er hat damit zu wichtigen Argunieuti n ihs ..di>i:matischeu
ldL!aU>mu.s" kritisch Stellunir genommen, wenn er auch suib.Hi wjo dieser natür-
lich eine transzendente Materie leugnet. Dies zu Vaihingers Vorwurf.
Dafl Kaut auch schon in der ersten Ausgabe der Kritik d. r. V. die Fhino-
menalitilt des empirischen Ich mit vollem Bewußtsein als einen wesentlidieQ
Differenzpnnkt seiner Lehre gegenaber dem gewöhnlichen Idealismus heianskehrt
und damit auch formell einen „indirekten AuQenweltbeweis" gibt, sdgt uns am
besten ein Passus in dem Abschnitt: „Der transsendentale Idealismus, als der
Schlfissel zur Auflösung der kosmologischen Dialektik."
„Hau wfiide uns unrecht tun", so heiBt es da, „wenn man uns den sdion
längst so verschrienien empirischen Idealismus zumuten wollte, der, indem er
die eigene Wiridiehkeit des Baumes annimmt, das Dasein der au^;edehnten
Ltoogie
Kownicwski: Kantü Stellung zum i'roblem üer AuBouwellexkteoz.
S61
Wesen in demselben leugnet, wenigstens iweifelliaft findet, und zwischen Traum
und Wahriieit in diesem StQcke keinen genngsam erweislichen Untersdiied ein-
rfiiunt Was die Erscheinungen des inneren Sinnes in der Zeit be-
trifft, »n denen, als wirkliehen Dingen, findet er keine Schwierigkeit;
ja er behauptet sogar: daß die innere Erfahrung das wirkliche Dasein
ihres Objekts (au sich selbst), (mit aller dieser Zeitbestimmung),
einaig und allein hinreichend beweise.
Unser transzendentaler Idealismus erlaubt es (la^,'e/»en: daß die Ge;,'enstiinde
äufiorer Anschauung, eheiiso wie sie im TJaiimc an ^'««schaut werden, auch wirklich
st'ien, und in der Zeit jilJe Verandeningen, so wie sie der innere Sinn vorstellt
Denn, da der Kaum schon eine Form derjenigen Anschauunf^ ist. die wir die
äußere nennen, und ubue Uegenstände in demselben, es gar kt-iiu» empirische
Vorstellung geben würde: so köaueu und müssen wir darin ausgedehnte Wesen
als wirklich annehmen, und ebenso ist es mit der Zeit Jener Baum selber
aber, samt dieser Zeit, und zugleich mit beiden alle Eracbeinungen, sind doch
äh sich selbst keine Dinge, sondern nichts als Vorstellungen und können gar nicht
auBer unserem GemAt existieren, und seihst ist die innere und sinnliche An-
sehatiung unseres Oemuts, (ab Gegenstsndes des BewuBtseins), dessen Bestimmung
duidi die Sukzession yerschiedener Zostfinde in der Zeit vorgeetellt wird, auch
nidit das eigentliche Selbst, so wie es un sich existiert, oder das trans-
zendentale Subjekt, sondern nur eine Erscheinung, dii «it r Sinnlichkeit dieses
uns unbekannten Wesens gegeben worden. Das Dasein dieser inneren Erschei-
nung, als eines so an sich existierenden Dinges kann nicht eintrfräumt werden,
weil ihn« Bc^^ini:u^.^; die Zeit ist, weiehH keine lie.stiraiauug iii^eml ciius Dini.'-''*^
an sich .sc■lb^t m.ih kMiin. In dem Kaume aber und dor Zeit i>t di.' i-nij)iii>.rli('
Wahrheit der Er.suhi itiuiiEren genugsam gesiclicrt und von iler Vl rwamltschaft
mit demlYaume hiureichoud unterschieden, wenn beide nach empiii^sclit'ü Geheüit'n
in einer Erfahrung richtig und durchgängig zusammenhängen." (Er. d. r. Y.,
8. 401/402.) Her haben wir ^e deutiiehere Ftäsisierung des Funktos, der in
der früher besprochenen Widerl^ung des Idealismus mehr nur nebenbei an-
gedeutet war, 80 dtüt wir jene Widerlegung hanptsbshlich als „direkten Auflen-
weltbeweis" bezeichnen mußten. Die inneren Erscheinungen haben keine trans-
zendentale BealitaL Diese ihnen Tom Idealismus zugesduiebene höhere Würde
gegenüber den finfieren Erscheinnngen kann nicht anerkannt werden.
Ich habe aber uoch aus einem andern Grunde das obige lange Zitat mir
anzufülireu erlaubt Nach dem Schlußsatz, der die Art der Sicherung „empi-
rischer Wahrheit" charakterisiert, scheint Kant ebenso wie nach anderen Stellen
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Eowalewski: Kant» Stellaiig sam Problem der Aofleo^eltoxistoiM.
in der ersten Ausgabe der Kritik d. r. Y. anzunehmen, daß sieh die „empirische
Wahrheit** für beide Ersoheisuugsurteu gleichgut nachweisen ÜAt
Uerlcwflrdig ist dann aber wieder, daß in den an das angeftthrf» Zitat ange-
sdilossenen erlfintemden Beispielen ^ts nur „fiufiere BTseheinungen** in Betracht
gezogen werden. Die Yerkoppelung des «inneren* und „ftuOeren" Sinns macht
sich dabei fibrigens auch bemerkbar, insofern Eant die ftuAeren Etsdieiiiungen
als Wahrnehmungen zngleidi den Erlebnissen des inneren Sinnes eingereiht denkt
SclbstvcrstSndüeh erfährt der Realitiitswert der äußeren Ei-scheinungen auf diese
Weise eine ganz bedenkliche Subjektiv im uii<r, die Berkelejs Auffassung sehr
nahe komniL (Vergl. Kr. d. r. V., S. 402£f.) Inwieweit eine selbständige
innere Erfalirunp: möirlicli -oi, hat sirb Kant überhaupt noch nicht
gefragt Die Parität beider Erfahrungsreihen schoiut ihm selbst-
verständlioh zu sein.
Den ratiLut.sluii wahit uucli Ivauts Äußerung zur Mi ali^iiiusfrairc in § 49
der Prolegomena. Ich hebe daraus nur den folgenden eluirai<teristisciieri 8u(z
hervor: „Empirisch außer mir ist das, was im Rauinc angeschaut frird, und da
dieser samt allen Erscheinungen, die er enthlüt, zu den Vorstellungen gehört,
deren Verknüpfung nach Bhfahrungti^etzen ebensowohl ihre objektire Wahriieit
beweist, als die Veilcnttpfung der Erscheinungen des inneren Sinnes die Whrk-
lichkeit memer Seele (als eines Gegenstandes des inneren Sinnes), so bin ich
mir Tenaittelst der flnOeren Erfahrung ebensowohl der Wiridicbkeit der Körper,
als Äußerer Erscheinungen im Räume, wie vermittelst der inneren Erfahrung
des Daseins meiner Seele in der Zeit bcwnfitf, die ich auch nur, als einen
O^jenstand des inneren Sinnes, durch Erscheinungen, die einen inneren Zustand
ausmachen, erkennen kann, und wovon mir das W^sen an sieh srlbst. das
diesen Erscheinungen zum Onindo liept, unbckuniit ist " (l'nile^'nmeiui, Kolirb.,
S. 120/121.) Ein neuer Standpunkt marlit sich da nicht bemerkbar. Eine Er-
örterung der bi'kaiHitt'Ti Strlli'n in di-n Prclcsronionn, wo Kant gegeinib(^r Berkeley
die Existenz von Diugen an sich als .spciiifibcliLu Difforonzpunkt betout, könuen
wir uns ersparen. Nun aber einige Bemerkungen zu der vielum.strittencn „Wider-
legung des IdeaUsmus" in der zweiten Ausgabe der Kritik der r. Vemunit.
8. Die Widerlegung des Idealismus in der zweiten Ausgabe
der Kritik der reinen Vernunft
Die Pointe der in der zweiten Ausgabe der &, d. r. V. enthaltenen Argu-
mentafion gegen den Idealismus ist die, daß Kant zu zeigen sudit, wie „selbst
unsere innere, dem Oartesins unbezweifelte Ei&hrung nur unter Voraussetzung
Kowalewaki: luis Stdlong mm FmUmh dar AnOemraltaxislMn.
353
äußerer Eifalntiner möglich sei." Off>nhar soll also ein strengerer Beweis
für das Doiiciu der Raumdinge gegebea werdeu uls iii der ersten Ausgabe der
Kr. d. r. T. Offenbar fühlte sich Kant selbst durch die unklare Koordination
der ümerm and iufteTen BEBcheinungen, die seine eiste Widerlegung des
IdeaUsmiiB faktisch nnr zu erreichen Termochte, nicht be&iedigi Die eigentflm-
licfae Doppelexistens der ftufieien Erscheinungen, die sowohl dem Snfieren als
dem inneren Sinn angehören sollten, widersprach offenhar der intendiertsn Gleidi-
sehü ts nng von änfieren und inneren Seseheinungen. Es bedurfte einer emenfen
eritenntnistheoretischen Abscfafttaung der innersn und äuSeren Brsolieiniingai.
Und die nimmt Ktint jetzt vor, indem er den gonaur rcn Maßstab seiner kritischen
Ei&hnuigslehie benutzt. Das vage intuitive Bewußtsein von inawen und nnßeren
Erscheitningpu genügt ihm offenbar nicht mehr als Realitätsargument Eine
vollere, luclir filijcktive Brstimmune: wird Tcriangt, wie sie allein „Erfahrunfj"
bietet Daß Kaut diese l^'orderung gersidc L't rreiiiiber dem Ichbewußtsein nach-
drücklich geltend macht, ist ein ebenso origineller wie wkhti^n^r Schritt, den
man bisher uuch nicht genügend gewürdigt hat Wenn speziell die Zeitbestim-
mung Iiei-augezogeu wird, uni dem Ichbcvvußtsein eine über das Niveau der
vagen, momentanen Intuition hiaauaftihiende ToUein empirisdie Fusung za geben,
so darf uns das nicht unnatfiriich Torkonunoi. Die Zeit ist eben die spen&die
Fonn der inneren Erscheinungen. Wie scharf ttbrigens der grofie Yemunflp
kritiker selbst den erkenntnistheoTetisdien Baognntenichied awisehen der vulgftren
Form dos Ichbewufitseins und der neuen, empirisch prHaisierten Fonn anffafit,
smgt am besten folgender Sata: „Froilich ist die Yorstellung: ich bin, die das
BewuBtsoin aasdrfiokt, welches alles Denken bogleiten kann, das, was unmittel-
bar die Existenz eines Subjekts in sich schließt, aber noch keine Erkenntnis
desselben, mithin auch nicht empirische, d. i. Erfahrung; denn dazu gehört,
außer dem Gedanken von etwas E.xistierendem, noch Anschaimrifr und hier
innerc, in An.sehung deren, d i. der Zeit, das Snbjokt hostiniint werden muß."
(Kr. d. r. Y. > S. 2!0.) Der (irundgedanke von Kants hieran anknüpfender „AVider-
legune: "ics Mi alismu- • lie^feht nun einfaeh in der Tlie«e, daß jenes vollere,
umpiriscijü (zuitlich bestimmte) Ichbewußtseiii notwendig die beliarrlichea Wahr-
uebmungsobjekte im Baume voraussetzt, daß aLso „innere Erfalinuig selbst nur
mittelbar und nur durdi iofiexe möglich ist.** (Ibid.)
Die nähere Ansfahrung dieses Orandgedankons hat folgende Gestalt:
„Ich bin mir meines Daseins als in der Zeit bestimmt bewuAt Alle Zeit-
bestimmung sotst etwas Beharrliches in der Wahrnehmung voraus. Dieses
Beharrliche aber kann nicht eine Anschauung in mir sein. Denn alle Bestim-
354
Kowalowski: Kants Stellung zum Problem der Aufienweltexistent.
mnngs^ünde meines Daseins, die in mir angotroffen werden können, sind Vor-
stellungou, und bc«lürfen, als solche, selbst v'm von ihiion mitorseliicdenes
BehaiTÜches , worauf in Boziehunj^ der Wedisd dt i-selbeu, mithin mein D.'Wioin
in der Zeil, darin sie wechseln, bestimmt, werden könne. Also ist die Wahr-
nehmung dieses Beharrlichen nur durcli ein Ding außer mir und nicht durch
die bloDo VorstcUnng eines Dinges außer mir möglich. Folglich ist die Bestim-
mung meines Dasdns in der Zeit nur dureh die Existenz iwkUdier Dinge, die
idi aufier mir wahrnehme, möglich. ISmi ist das BewuAtsein in der Zeit mit
dem Bewofitsein der MSgUoblEeit dieser Zeitbestimmung notwendig Terbiindeii:
Also ist es aueh mit der Existenz der Dinge auBer mir, als Bedingung der Zeit-
iMfitiramung, notwendig verbunden, d. i. das Bewußtsein meines eigfsnen Daseins
ist «igleidi ein unmittelbares Bewußtsein des Daseins anderer Dinge außer mir.**
(Er. d. r. T., Q. 209.)
An diesera Käsonncment läßt .sich natürlich leiclit kritisch hcruniznpfen.
Wenn durchaus etwas Beharrliches zur empinaoheu Zeit!»* sfimmung des
oipenfni Daseins erforderlich ist, so sollte man doch meinen, daß dic^ Ikharrüche
in unserem „inneren Sinn'* allein srlion enthalten sein kann. A!It iiliui;-; nuiR
das Beharrliche anschaulich srin, wie k'aiit vril,int;t. S-ih-h Vcilan^^'M schriui
schwer erfüllbar zu sein. „l>a.s Bewußt-suiu mt im r ^Ibst in der Vorstellung
Ich", so wird in einer erläuternden Anmerkung zur „Widerlegung des Idealis-
mus'^ bosondcm eiugciichürft, „ist gar keine Anschauung, sundem eino bloß
intellektaelle Yoistellting der Selbsttätigkeit eines denkenden Subjekts. Dahw
hat dieses Idi auch nicht das mindeste Prädikat der Anschauung, welches, als
behmrlidi, der Zeitbestimmung im inneren Sinne zum Eorrolat dienen ktante:
wie etwa ündurchdringlichkeit an der Materie, als empirischer Anschauung,
ist** (Kr. d. r. Y., S. 210/211.) Insofern Eant dem abstrakten Ichmoment, das allen
unsem willkürlichen Koflexienen zugrunde li^, den AnBchauungschsFaktör ab-
spricht, können wir ihm nur zustimmen. Die Konzentration des Bewiißbf>eins
auf spontane Operationen scheint überhaupt für die menschliche P.syche mit
einer gleichzeitigen Abnahme der rezeptiven Fühigkoit verbunden zu sein. Gerade
in der rezeptiven Fähigkeit wurzelt aber die Anschauung. So ist es begreiflich,
daß ileiu in spontjiiu ii Reflexionen tätigen loh eine anschauliche Selbstwahrneli-
mung versclilossen bU ibt, .Solch ein Ielihi>\vnßt.sein entspricht indessen nur
gewissen Phasen, nicht dem Oanzon unseres Seelenlcben.s. Selbst der ener-
gischeste Denker vermag sich nicht vumusgesetzt in spoutauou Reflexionen zu
bewegen. Perioden gesteigerter Spontaneität werden rielmehr mit scdohen ge-
steigerter Bezeptivitftt wechseln. l?fthert sich die Spontaneität einer Itinimal-
Eovalewski: Kants SteUung zam Problem der AuBenveltexistenz.
355
stelle, 80 wird nun Tegelmüßig die rezeptiTe Selbstwahraehmung kritfttger herror-
treten und kman dabei einen aJinlichon 6nd eindringUoher Lebhaftigkeit gewinnen,
wie ein KanscbariilidieB'* Objekt des „ftnfi«»n Sinnst Demrtige anschauliche
Selb8t?rahmehmtt»gen kennen wir alle unter dem Namen dw „Stimmnngeii^.
Die Stimmungen sind nicht nur^ wie ich anderwKrta gesagt habe, ,,der unmittel-
barste und primitiTsto Ausdruck des Wertbewufitseins Toro Leben*', sondem sie
bilden auch zugleich das iiitimsto Oricnticmngstuittcl für unser theoretisches
Wirklichkeitsbewußtsein. (Vi rgl. Kowalowski, Studieu zur Psychologie des
Pe.ssiniismns, Wiesbaden 1904.) Eine gewisse Stimraungslage kann für eine
lüngero Reili'' fluKttiioronder Vorstellungen jenes boliaiTlichi* Kon-plat abgeben,
das nach Kant zu ciliar cnipirisdion Zritbestimmung notig ist. I);m;irli l)iaucbon
wir nicht duu üereicli *lts ..iiuüMvn Sinns"' zu überschreiten, wenn wir unser
„Dasein in der Zeit" empirisch crfas-^'n wullen. Stimmungen fiithaltm sclileclitor-
dlngs keine iiaumbeziehnng. Sie t^unl also aiisschlicßlicli Wahnielimnngcn des
„inneren Sinus'*. Ihi- Auschuuuugschurakter scheint durch die eindringlicbo
Lebhaftigkeit und Unmittelbsik^t himeiohwid Terbfligt su sein.
Dagegen IftBt sidi zugunsten Kants wiederum folgendes einwenden.
Oende die Stimmungslagen, die sich durch eindrlnglidie Lebhaftigkeit
aussoidmen, haben vielfach nur eine kuxse Dauer. Das gilt besonders ron den
Stimmungen mit mtensiTer LustfBrbung. Wessen Gemüt hat je Aber wenige
Stunden hinaus lebhafte Freude gefühlt? Trauer vennag sich schon, längere Zeit
hindurch au behaupten. Das periodische An- und Abscliwollcn, das den leb-
haften Stimmungen eigentümlich ist, macht aber selbst in solchen Ettllen das
Konstnnzurteil unsicher.
Andererseits fehlt (](^n Stimninncrrn, rlie beznirlieh ihrer Dauer und Konstanz
niclit.s zu wüimchen übrig lassen, in dor üogol tlio geniigf-ndc Lebhaftigkeit. Es
sind unitto (M niiUsreCTnsreii, die biiufig iiln iliaupt nicht diirkt zum Bewußtsein
gelangen. Der AikscInniungscliaraktcT muß ilinen deshalb aberkaimt werden.
Weiterhin ist klar, daii die Stimmungen selbst den zeitlichen Ablauf der
Vorstellungen beeinflussen. Eäne lustgefiirbte Stimmung regt im allgemeinen ein
rascheres Tempo, eine unlustgeföibto Stimmung ein langsameres Tempo in dem
ganzen Innenleben an. Das veranlaßt bei dem Übergang aus einer Stimmungs-
lage in die andere die bekannte Tfinschung, daß uns dasselbe Tempo, das uns
oben langsam erschien, mit einem Male rasch vorkommt oder daß cht Qeachwindig-
keilawecbsel im umgekehrten Sinne stattfindet, je nachdem wir ans einer Lust^
sttmmung in eine Unluststimmung verfallen oder aus einer Unlnststimmung in
eine Luststimmung. Diese 'Obeigangstänschung bildet für uns den natürlichen
83*
366
Kowalewski: Kants Stellnog nun Problem dor AaleaweHexiatens.
Anreb dwtn, dw YontdhmgBtomiw dam jeweiligen netieii StimmungBiiiTeaii
anzapassen. Ein beschleunigt encheineiides Twnpo werden wir, soweit das in
unaerer Msobt steht, su Teilangsamen genügt sein, ein verlangsamt eraeheinendM
SU beeofalennigen sudien, namenüi^ wenn es sich um stSikere sabjektire
QesohwindigkeUssehwankungen handelt
I^mer eifihrt jede Stimmung ibrecseits dareh die in ihrem Bette fUeOenden
Yoistellungen Alterationen. Die OefQhlstOne der einseinen Torstellimg«! 8<dd«f^n
sich in der Stimmung nieder und können dieselbe vollst&ndig umbilden, ßcsondei-s
sind dio allmählichen Umbildungen gefilbrlich, weil man sie gar nicht bemerkt
Nach alledem schotnon die Stimmungen doch nicht zuverlässige Oxientierungs-
mittel für die zeitliche Bestimmung unseres Innenlohons zu nf^in.
Abnr viollficht ist ein absolut beharrliches Korrelat für die Auffassung
dos Daseins in di-r Zr-it par iiiciit einmal nötig.
Kant (iciikt sich iluu /.eitUchen Fluß der Vorstellungen üffeiiliar s«), ab ub
die Sedö ia jedem Moment nur eine einzige besondere Vorstellung aulziifasscu
vermag. In solchem Falle wäre natürlich die Wahrnehmung eines behanlichen
Elements in dem zeitlichen Flusse der Vorstellungen selbst ansgesohlossen. Denn
wenn uns auch die Erinnerung bis zu einem gewissen Umfange den jedeemal
vorangegangenen Abschnitt der Reihe vergegenwirtigte, so würde dieser erinnerte
Reihenabechnitt eben soldie Zerstückelung in einzelne isolierte Elemente auf-
weisen wie die ursprün^che Wahrnehmung. Wir hätten keinen andern Eindmck
von der Toistellungsroihe als dea eines absoluten Wedisds und müßten nach
einem lußf rc n konstanten Orientierungspunkt sacken, um von diesem Wechsel
SOsnsagen oiclit mitgerissen zu wcrd<m.
Nun ist es in Wahrheit mit imserer Auffassung des Voistellungsverlaufs
nndcr! bewandt. Wir können auf einmal sogicicli nicbrerr» aufeinander-
folgende Vdrstcllungen appcrzipinrcn. Auf diese Weise ^vi^l es* miiglich, daß
unter den sukzessiv aufgeraffU'ii Vurstclluiiir^knnipiexen nudn- ddfr weninror
gemeinsame Elemente vorkommen, die sich als lelativ bi lianlichi r Kern durch
die ganze Vorstellungsreihe hiudurclizichL'n. Bezcidmet z.B. ab cd einen solchen
Yontdlungskumplex, so wird vieUeioht der nlohstiolgende die Ge&talt cdef
haben, ein zweiter die Qestalt «fgh^ ein dritter die Gestalt ghik^ ein vierter
die Gestalt iklm u. s. f. In zwei benachbarten Appeneptionsakten tritt uns also
hier ein beharrlicher Komplex von Elementen neben weohaehiden Bestandteilen
entgegen. Selbstverständlich wird sich bei andern Fallen der behanüche Komplex
auch durch drei, vier oder mehr Appetseptionsakte eratrecken und znglmcb in
seinem Inhalt (d. h. nach der Anzahl der ihn konstituiorenden Elemente) mannig-
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KowftlewaU: Kaula SteUong mm FteUem der AnlemrdtBxislMis. 357
fach variieren. Von Ähnlichkeits- resp. Unähnlichlieitsboziehungen, die unter den
vci-sclüodeuüu üiuzeluüu Qliodom der Reihe in wechsflndom Umfang hestehen,
habe ich der Einfachheit halber abgesehen, obwohl dadurch uuzwüiiclhaft dio be-
Bondero Oestaltang des behairlichen Komplexes beeinflnSt wird. Es mag genügen,
achematisch gezeigt m haben, dafi uiuete F»yclte sebr wobl ia ein» sukaeBBiTeii Toiw
stelluagaieihe selbst einen immanentea, xektiT konstanten. Kern ni finden vennag.
Anfierdem ist eänteuchtend, daB in dem TotsteUangstredauf sich nicht blofi
Onippen snkaeesiYer Memente, sondern anoh Orappen Ton simultanen Elementen
qipeuBpieran lassen. Sie YonteUnngen laufen eben nicht an einem Sdbnflrchen.
Die Zeit ist überhaupt zweidimensionai, nicht eindimensional, wie man gewöhnlidi
glaubt Neben der SukaessiTdimciision, die das Geschehen gewissermaßen im
Längsschnitt ansuschauon gestattet, gibt es eine Simultandimension , in der wir
ein Bild vom Querschnitt des Geschehens pmj>fane:en. Die Simultandimousion
der Zeit inup ohne Beihilfe der Raümaiischaiiun^^ nur in beschränktem Maße
deutliche Mannigfaltifrkoitcn darbieten. Ob sie aber in dieser Hinsicht von der
Sukzes-sivdimension wiikücli so gewaltig übertroffen wird? Diese Frage bedürfte
noch einer genaueren empirischen Prüfung. Daß wir die Fähigkeit besitzen,
Eindrücke in der Simultandimension raumlos au£zufai>sen, zeigt wohl am sinn-
fälligsten die Wahmebmung nisammcngesetrter Qerttusdi- und Klangmaaaen.
Jedenfalls nimmt Kant mit Unredit an, daft der „innere Sinn" fOr aidi allein
nichts Gleichseitiges auinifassen vermiß, sondern immer nur SukaeesiTeB. Wir
kitamen uns rielmebr den 7oi||ang beim Appeanipieren einer Suksession Ton
Toistellnngen folgendermaOen denken.
Neben der Wahrnehmung eines Elements oder El«aientkoroplexes in der
Sukzessivdimeusiou findet .stets eine Miterregung von Nebenvorstellungcn in der
Simultandiraension statt Zu jedem Konii)le.x iu der einen Dimension gehört
ein Komplex in der anderen. Xun werden die Komplexe in der Simultandimension
(die miterregteu NebenvoretelluTiirr n) ^plbstM rständlich auch nicht streng konstant
bleiben, sondom mehr oder weniger vaiiieron. Di ose Yaiiati^iuii fallen uns
aber nicht besonders auf, weil unsere Aufmeikisainkrit anderweitig kuiizuntriert
ist So können die NebenvorsteMungen gewis.s« rmaliv n zu einer Fläche von
relativ -gleichförmiger Düsterkeit zusammenfließen, auf der sich die leuclitoude
Bahn der fixierten Yorstellungsfolge deufli^ abhebt
Wenn es auch nach den obigen Ausfubrnngen ussweifelhaft möglidi ist,
daß das Ich sich schon im Kreise dee „inneren Sinns** des seitlichen Daseins
bewuftt wird, sogar ohne ein absolut bebartlichea Korrelat, so wird damit Kants
Argumentation doch noch nicht nmgestofien.
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36H
Koir«lev»ki: Kutx Stellung zum Pr<»bl«iii der AofieDtreltexUtais.
Kant will ja fU-n das zc-itlioho l)y^'-in dos C'mpiri>chen ich ai» Ganzen
boHtituuit haljüu. Darum kanu or jeden Hinweis auf irgendwekheD behanlicbea
Kern innerhalb do» Ich mihst a limin« ablehnen : f,denn alle Beatimmnngsgrfinde
mcineB DaseinSf die in mir ugetTofien werden können, sind Vorstellungen und
bedürfen, ab solche, selbst ein von ihnen unterschiedenes Beharrliches,
worauf In Beziehung der Wechsel derselben, mithin raein Dasein in der Zeil^
darin sie wechücln, bestimmt werden könne.'*
Muß nun aber das von den „Vorstellungen'* in mir „unterschiedene Behair-
IJcho'^ ohne weiteres „ein Bin^' uiiOor mir** im räumlichen Sinne sein? Kant
»elieini die Bejaliung dieser Frage so fiut nie für selbstverständlich zu halten.
Denn die Fortsetzung' des ulj<-n luip'fiihrten Satyrs in der „\Viderlei;nnfi: dos
Idealismus" lautet ja einfach: ..AI--' ist die AVahrnelununjr «lieses Beharrlichen
nur «liirrli i'in !)int' fnifU'r inii' iiiii! n\r]:f <liirch die b!<tßp Vfirvteüimir r-ines
T)i)i;.'i'- ;iiill'-r Hill' Ijp i^jHcii, Fü I l' 1 i Ii j.sl die Bi-slinimuiiL' m^•in^■^ J(aM-in^ in der
'Ai'it nur duii Ii di'' Kxislciiz u ii küc-ln^r Dinf,'e, die icii aulier mir wahrneiime,
möglich." (Kr. d. r. V., S. 209.) Iiier tritt uns ein aMes Gruudübei der Außen-
woltboweiso entgegen. Fü feliit diu geuiigonde Klarheit Aber die vieldcutigcu
Ausdrücke „in" und „aufler^ Mit Rodit Hat Külpe gerade die Analyse dieser
Vieldeutigkeit aur Orundhige für seine exakte Bearbeitung des Außenweltproblems
gemacht (Vei]gL Kiilpo, Das Ich und die Außenwelt, in Wundts philos. Stadien
VH, S. 394 ff. und VIII, S. 3 11 ff.) Kant hat allerdings schon in der ersten
Ausgabe der Er. d. r. V. xwei Bedeutungen des Terminus „auDer uns** schaxf
untorschieden. Er sagt da nfimlich: „Weil . . der Ausdruck: außer uns, eine
iiirlit zu renucidende Zweideutigkeit bei sich führt, indem er bald etwas
bedeutet, wa.s als Ding an sieh selbst von uns unterschieden existiert, bald
was bloß zur äußeren ICisi hoinung gehört, 80 wollen wir. um diesen Begriff
in der letzteren Bedeutung, als in welcher eigentlich die psychologische Fnigo.
wegen der B'-ulität unserer äußeren Änsr lunning. genommen wird, außer Unsicher-
h(>it zu setzen, cinji ii iscli äußerlicliu l'egenslände dadurch von denen, die so
im transzemlentalen Sinno lieißen möchten, unterscheiden, ilaß wir sie
geradezu Dinge nennen, die na liaume anzutreflen .Niiid." (Kr. d. r. V., t?. 316.)
Offvnbiir hat das „außer un» im tianszendeataleu .Siüue" uichtü mit irgend einer
Raumboziehung au tun. Es läßt sich nur rein begrifflich als etwas in uns
nicht KntlialtiHUH; denken. Die „Dinge an sich*S die „im transaendentalcn Sinne"
außer uns ttind, können ja nach den Gruudlohron der kantischen Erkenntniskritüc
Überhaupt nicht in den Anschaunng»num fallen, der die spezifische SphSre der
bloßen äußeren „Erscheinmigcn" bildet: „es ist . . unmfigUeh: daß in diesem
Kuwalewski: Kaats BtvUiuig zum Problum der AuRenweltexistonz.
359
Baum irgend etwas auBer uns (im transBendeatalen Süine) gegeben werden
sollte, weil der Baam selbst anfier onserer Siiuüichkdt niohtB ist" d. r. Y.,
S. 317.) Die transzendentale Aufienwelt ist die Welt der Dinge an sidi. Die
tranfflendentsle Innenwelt fiUlt dann naturlieb mit der gesamten EFScheinnugswelt
SQsammen, wie sie nns durch den „inneren** und j^ftufieren*' Sinn vermittelt
wird. Wenn nun Kant daneben eine rlinmliche Außenwelt statuiert, so grenzt
er damit oin Stück inneilialb der transzeudcutulcii Innenwelt ab und betrachtet
als korrelative Innenwelt dazu die aussctiließlich in der Zoitansdmuung dem
inneren Sinn gefrebenen Ei-schcinungen. Gerade diese letztere Korrelation ist
aber sehr zu beaustandon. Wir dürfen nicht, wie Kant offenbar tut, foli^cm, daß
was iiirlit in den zeitlichen Ersciieinuiigeii des „inneren Sinns" an/utn ffon ist,
deswi iTcn unbedingt dem Bereich der ränralichen Ei-scheiniuif,^ n dt-s „.iuBricn
Sinus" aiigfiiöre. Solche Folgerung ist nur dann Ijorechtigt. %venii man die zeit-
lichen Erscheinungen des inneren Sinus zugleich vcrräiunliclit, iudem luaii .sie
iu diejenigen Ochirnteile, mit denen sie etfahningmgem&i Kansalbeziehungen haben,
itomlieh eingeschlossen denkt Die Unbaltbaikeit solcher Eonfusion von tSum-
Ueher und kausaler Betraditung brauche ich wohl nicht besonders za beweisen.
Es genüge die Bemerkung, daß doch die äußere SinneswahTnehmung nicht minder
wie die Phantasievorstellang an bestimmte Oefaimprozesse gabunden ist, also beide
mit demselben Beoht in den Leibescaum eingeschlossein werden mfiAtan.' Sdken
wir Ton der unzuUssigen YenfiumJiobung der inneren Erschdnungen ab «nd
halten wir tms an ihre blofie Zeitform, sn is;t es allerdings logisch einwandsfrei
m dun fluktuierenden Elementen stabile Elemente in Gegensatz zu stellen.
Deckt sich das empirische Ichbewuütsein, wie Kant behauptet, mit dem Kreis
der fluktuierenden Elemente, s<> müssen die stabilen Elemente das Xicht-
Ich. die AtiPii'iiwelt, repräsentieren. Aber diesn AnRenwelt darf auch li]uß
zeitlich eluirukterisiert werden, wenn uian ki inr utiüßuat^ di^ äkko '/ivog
hoerohen will. Aus der Tatsache eines zeitlichen Flusses, wie ihn die innere
Erlahnuig bietet, läßt sich als natürliches, eindeutiges Komplement zunächst
nur die Annahme von Elementen ableiten, die in der Zeit Eonstans zeigen.
Das ist keine didektische Schikane, sondern eine sachlich begrSndete Not-
wendigkeit
In der T^t fehlt es nicht an äußeren Empfindungen, die an sich sehr gute
konstnnte Orientierungsmittel abgeben können und die — irenigstms dirdct —
keine räumliche Beziehung entbidten. Ich weise ror allem auf die akustisdien
Sinneseindracke bin. Gerade der Gehörssinn ist in berTorragendem M afie
geeignet uns Konstanzempfindungen sa bieten.
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360
Kowalewski: Kants Stollung zam Problem der Außenweltoxistenz.
Stumpf macht in seiner trofflichon „Tonpsychologie'* folgende interossantf»
Aniruboii : „Im allgemeinen (nämlich abgo^plien von den höchsten Tr»nt^ii) lüBt sich
sagen, daß das Hnrf'n viel laugsamer vergeht, als das Sehen. Genügt es ja,
einen lichtsch^^;l(•l^ ii rimkr einige Mbmten zu fixieren, um ihn nicht mehr zu
sehen; währeinl man einen Ton stundenlang oliue betnichUichc Einbuße der
Hörkraft hüitii Isann. So erfolgt denu auch tüo Erholung rascher beim Ohre.
Nach wcuigen Sekunden ist der Xerv von nicht übeistarken Beisen ToUstfindig
erholl (UrbantschitBch); bei den hdchsten Tönen genügt ein Ai^nblick, z.B.
rasches Yorübeniehon der Hand swiscben dem Insirttmente und dem Ohre, um
den Ton vieder harbar zu machen ^yleigh). Yen 20 Icunen FaokenscUägea
mit eben so Icunen Flausen irird der letzte nicht merklich sch-vräeher Temommen
als der zweite, selbst als der eiste, wenn dieser uns nicht etwa nach ti^r oder
langer Stille oder unvorbereitet tiuf. Ja es scheint durch selir schwache konti-
nuierliche Beize suwuhl als durch intermittierende von mittlerer Stärke die Hör^
sdUilfe ungefiihr auf gleicher Stufe erhalten zu werden; finden ja mininiaU innrrr
Beimngen wirklich immerfort statt.'' (Vergl. Stumpf, TonpsyelKiIn^ne, 1, S. 362.)
Hiemnch könnte man die pi^ycholotrisch nicht so unsinnige FIKtinn machen,
daß das enipiii-cb*' Ich — ohr\r jidr Kinimansehauung — nach aku>tisclieii
Konstanzeindllirls. 11 , etwa nach dem liaiiselien eiiH.> Flusses oder dem Pnlt.'iii
eines mächtigen Wa&.serfalls seinen iuncreu Yui-stellungswechsel zeiüicii urieaticrt
Diese akustischen Koustanzeiudrückc würden, ganz wie räumliche Sinneswalir-
nehmungen von unserem Willen unabhängig erscheinen und insofern ein
Nicht-Ich lepriaenäeren. DaB in unserer Natureinrichtung das Bauschen eines
Sluflses und das Poltern eines Wasserfalls infolge bekannter Faktoren variieren
und in längeren Pertoden sogar vielfach intermittieren, tut nichts cur 8aehe.
Durchgängig konstante Eindrücke erhalten wir strenggmommen auch nicht
durch die iftumlichen Sinne. Und es ließe sich ja eine Welt denken, die gerade
nach der akustischen Seite hin gewisse Erscheinungen genauer konstant hält oder
jedenfalls eine regelmäßige Periodizität in deren Variationen zum Ausdruck bringt
Die bekannte pythagoreiselie Vorstellung von der Sphärenharmonie könnte z. B.
als Muster für solche Kunstruktion benutzt werden. Da hätten wir statt der
Geräii»;ch(' snuMr ( im ästlu tisch wirkungsvolle Klangmasse zur dauernden Orien-
tierung uiisin < Zeitbe«ulit.seins!
Aber bukhe rein akustische Orientierung ,ist andererseits auch wieder mit
einigen .schwen^n Mängeln behaftet.
Erstens verfallen die Gehörseindrücke dem bekannten Schicksal aller
Konstanzempfindtuigen, daß sie auf die Daner unsere Aufmerksamkeit nidit
Kowalewski: Kants Stelluug zum Problem der Aoßonvoltoxütenx.
361
wadunihalten venuögen, und iw« in besonder« hohem Grade. (Vergl. Stumpf,
Tonpsjchologie} I, & 390.) Nadi Stumpf beruht das „Nichtmehrh6rea konstanter
EindrüdEe'' dazBuf, daß die Brnpfindongf ron welcher sich die Aufmerksamkeit
surtldEiieht, in die Oesamtmasee der ununtersohiedenen Empfindungen
eintritt, welche jederaeit s. & s. den Hintexgnmd des psychischen Lebens bilden.**
(Yeigl. Stampf, a. a. 0. 1, S. 389.) Heinee Brachtens hängt dieee rasche Abkehr
der Aufmerksamkeit hauptsächlich mit den mfiohtigen Gefühlstöuon zusammen,
durch die akustische Reize im «llgemeiuea ausgezeichnet sind. Die mächtigen
Gefühlsttine ergießen sich um so ungehinderter und allseitiger auf den gesamten
gleichzeitgen BowuÜtseinsiiihalt der wahrnnhnif'ndon Psrchp, als bfi dem Fehion
einer Loknlisiorimg die anregendcu KeLzo selbst in (Ilmu siiuultaiien Ki»mplex nicht
zirkumskripte Elemente darstellen. Unsere AufmorLsamkoit wird uffenbar durch
einen Eindruck nur so lange besonders angezogen werden, als die Ergießung
seines Gcfuhlstons sozusagen noch nicht da«> gluichu iS'iveau Uber aileu rartien
des simultanen Komplexes erreicht hat Diese kritisohe Phase tritt nicht nor hei
Geh&rseindrftdken, sondern auch bei andeien umSundidien Sinneseindittdaen mit
besonderer Geschwindigkeit auf, weil die Geföhlakommnnikation innerhalb rein
seitlich geordneter Komplexe eine mannigfoltigere ist und etwaige kleine Un-
g^eiehmäBigkeiten bei einzelnen Elementen weniger auffallen können. Wollten wir
ona also aur aeidiohen Orientierang für unser empiziachea leb der mit unwillkUr-
lieber Aufinerksamkeit fixierten konstanten Gehörseindrüoke oder anderer nnrlum-
liclier Sinuesperaeptioncn bedienen, so wünle das ,.beharrliche Korrelat" nur za
bald überhaupt gana schwinden, und wir blieben mit unserem Ichbewußtseiu allein.
Zweitens: wenn wir die Aufmerksamkeit willkürlich auf die konstanten
akustischen Eindrücke k»>nzontriercn, werden sie in (icr Res^rl UTiserc psychische
Energie so stark absnibieren, dall dio zum cmpirischt'n Ich frolhirif^eu Erlebnisse
mehr oder weniger unter die Scliwclle des Bewußtspins herabsinkrn. Es findet
gewissermaßen eine Stauung der Gefühlstöno statt, die von den akustischen
Reizen juigeregt werden. Sic können sich nicht mehr ungelündert über die
anderen gleichaoitigen Bewußtseinsinhalte der wahrnehmenden F^ohe eigiefien.
So wird jene heilsame MUderang der Geffihlsintensit&t erschwert, die natnigemfifi
mit solchem „Ergießen" Terbnnden au sein pfl^ Gerade die besondere Leb-
haftigkeit des Gefühlstons, die den akustisdien Beiam wie auch anderen
lurftunüchen SumeeeindTfidcen im allgemeinen eignet, muß die alraorbierende
Kraft des erwühntoL Stanungsproaessos außerordeotiich steigern.
Drittens haben die sinnlichen Gehörseindrflcke mit ihren rorstellunga-
mißigen Abbildern eine sehr große Yerwandtsohaft „Bei keinem Sinne", sagt
uiyui^ed by Google
962
Kowftlevski; K»nts StoUuug zum I*roblem der Aaßenwcltoxistens.
Stumpf, „ist die Greiuse zwischen lebhalteiL Phantasievoxstellungeii tmd schwachen
Empfindttiigeii schverar bu ziehen. Man kommt dften in den Fall, sich in
fragen: höro ich dios eben noch (schon), oder bflde ich ee mir nur oin?<* (Yei^L
TonpsychMlof,'ie, 1, S. 283.) Die feine Ausbildung unserer (Jehöi-svorstellnngeii
erkUirt sich woiii hauptsächlicli daher, daß dem Oehörssinn lu don Stimmwerk-
zougen ein Apparat zur Seite stellt, der in weitem Umfange wahrgenommeno
T<niqua!it"iten und mwh fieräusch(|uulitätL'n sinnfällig tniehziirthnien gestattet Neue
üiillere Kiadnickc, die uns zur Nachahmung reizen. {)riiu't ti -irli un< von vorn-
herein mif >rli;iiforou Zügen ein. Dio im Mfchauismu- dn- As^oziatii .neu später
auftauohendtu Uediichtnisbilder kwunea durch den .Sliiuiiuippaial jederzeit zu
sinnlicher Lebendigkeit aufgefrischt worden. Wir singen etwa noch einmal eine
Melodie oder ahnm das oharakterietisdie Gexiusch siedenden WasMrs nach,
wenn uns die Brinnerong auf diese GehöiseindrQcke leitet Eine Absdiwichnng
des Unterschieds swischen den primfiren Wahrnehmungen nnd ihren TorstellnngB-
korrelaten erschwert nmi notwendig eine scharfe Sonderling von Ich und Aofien-
weit: die Torstollungen rechnen wir ja doch immer sum loh, wührend uns die
Wahntehmungen die Aufienwelt xepzisentieTen sollen. Mian kann fiberhaupt die
Regel aufstellen, daß ein Siuneseiiidruck um so mehr Realitiitswert hat, je
unroUkomnienor sein Vorstellungsabbild ist Ein Sinneseindnick, den wir nnr
mangelhaft in der Phantasie zu vergegenwärtigen vermögen, erscheint xms oben
deshalb als r twas ünersetzbün s, Für-sich-Sciendes. Hiemach dürfen wir den
Kealitatswert der akiisti'icheii l'i rzeptionen nicht besonders hücli vcnin schlagen.
Die räumliclMMi S i n imsi' i ndrücke bieton weisen ihrer zirkum-
skripten Gestalt und der relativen Mattheit ilirer Gef ühlsbetouung
günstigere Bt diagungen für einen ökonomischen Gebrauch der psy-
chischen Energie. Sie können uns mannigfaltigere und deutlichei-o Konstanz-
empfindungen TCTBidialfen, ohne die gleichzeitige Entfaltung des empirischen
Ichbewußtseins fibermäßig su beeintrSchtigen. Hier haben wir die sweokmfißigsten
Orientierungsmittel für „unser Dasein in der Zeit". Es ISßt sich wenigstens
unter Yoraussetsung unserer jebdgen psychischen Organisation nichts Besseres
denken. Und an diese Organisation müssen wir uns im Qrnnde doch immer
halten, um die unfruchtbare Region der unkontrollierbaren Fiktionen zu ver-
meiden.
8o sind wir durch die Zickzackwege der Kritik schließlich aui denselben
Punkt geführt, den Kant mit genialem Instinkt direkt zu erreichen suchte.
Kant will die rülntivp Srlbständiirkeit der äußeren, räumlichen Erfahrungs-
welt uucliweii^n. £r hut sich damit nicht in WiUcispruch zu seiner früheren
. y Google
KowalewAki: Kimta BteUmif mm Problem der AuBeiiweltaxialMit.
ses
Auffiissuii^' (in der efsten Aus;!:. Kr. d. r. V. und in d. i'rolegumena) gosets^
sondoru ihr uur mm f^ümiueic und tioforo Durclifuln iini: «regeben.
Allerdings spielten daUu auch pt>lcmische Absichtüu eine gewisse Kolle.
lliin hatte Kiiut seine Vcrwaudtscbaft mit dem Berkeleyscheu Idealismus vor-
geworfen. Das nuoiito eine sdhäifeTe Abwebneaktion nötig.
Die OnmdgeduLken zu der neuen „'Widerlegung des IdeaUsmus" iraren
aber berelta in der ersten Aufgabe der Er. d. r. T. als natttrliches Eijgebnis der
eikenntniskritisdien Untersttcbung mtage getreten.
HiJren inr tot allem folgraide Stttee, mit denen Kant seine „Betrachtung
aber die Summe der reinen Seelenlebre" einleitet!
„Wenn inr die Seelenlehre, als die Physiologie der inneren Sinne, mit der
Körperlebre, als einer 'Physiologie der fJegenstände äußerer Sinne, voigleicben:
fio finflon wir, außer dem, daß in beiden vieles empirisch erkannt wenlen kann,
doch diesen merkwürdigen Unterschied, daß in der letzteren AVisscusehaft
doch vieles a priori, aus dem hjoflon Bri,aiffn eine*: aiKircflehnten nndurch-
dringiichcn Wesens, in der or^tonjn aber, aus iIlmu Begriffi' ciius denkenden
Wesens, gar nichts a priori sv luhetisch erkannt werden kaiiu. Die Ursache
ist diese. Obgleich beides Erscheinungen sind, so hat doch die Erscheinung vor
dem äußeren Sinne etwas Steheudes oder Bleibendes, welches ein, den wandel-
baren Bestimmungen zum Grunde liegendes Sabstratom und miihin einen
sjnthetischett Begi-iff, nämlich den vom Baume und einer Etscheinnng in dem>
selben, an die Hand gibt, anstatt daB die Zeit, welebe die einzige Form unserer -
inneren Anschauung ist, nichts Bleibendes hat, mithin nur den Weehsel der
Bestimmungen, nicht aber den bestimmbaren Gegenstand an erkennen gibt'^
(Kr. d. T. T., S. 321/322.)
Kant hatte unmittelbar vor der zweiten Ausgabe seiner Kr. d. r. V, reiche
(Jelegenheit, den „merkwürdigen Unterschied'' zwischen Körperlehre nnd Seelen-
ielire noch mehr in concreto k(>nnen zu lernen. Er schrieb nämlich während
dieser Zeit trerade seine „Metaphvjiisrhf!) Anfanrr«:p:ri)iide doi Natunvissenschjift",
die den apriorischen Erkouutuisgelialt di r lucrhauisehen Kaunnvtdt mit allen
Details entwickelten. Kein Wunder, wenn ihm da die Raum^\l'lf in. sonders
gewichtig ei"schicn. Und wir werden es als natürliche KiMitrastwirkung dieser
Einsicht vei'stchea, daß gerade die Vorrede von Kant» „Mytapliysischen Anfangs-
gründen der N'aturwissenachaft'* ein sehr wegwerfendes Urteil über den wissen-
schaftlichen Wert der Pgjohologie enthalt.
In der „transzendentalen Ästhetik" der ersten Au^be irird ferner der
Raum als Ansohaunng im Yeigleich mit der Zeit direkt hdber bewertet Bs
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364
Kovalewski: KButs Stellaof mm Frobtom der AofiemraltezMiaiu.
heißt da nämlich: „Und, eben weil diese iuuere Anschauung (sc. die Zeit) keine
Oesbüt gibt, saoben mi auch diesem Mangel durch Analogien zu ersetzen, und
stellen die Zeitfolge dimdt eine ins ünendliche fortgehende Jjnie vor, in weldier
das Ifannigfoltige eine Beihe aoBmscht, die nur roa einer Dimension ist, und
seUiefien aus den BSgenschaften dieser Lmie auf alle Eigenschaften der Zeil^
anfier dem dnigen, daB die Tbite der eisteren sagleieh, die der letiteren aber
jedeneit nacheinander sind. Hieraus erhellt auch, dafl die Toistellang der Zeit
sdbst Anschauung sei, weil alle ihre Yerhfittnisse siidi an einer iufieren An-
schauung ausdrQckcn lassen." (Kr. d. r. Y., S. 60/61.) Der letzte Satz in dem
angeführten Pa.ssus ist besonders charakteristisch: danach ist die Zeit unmittel-
bar keine Anschauung, sondern nur mittelbar, insofom sie räumlich dargestellt
werdrn kann.
Endlich bedarf es für den Kundip;en nur oiiu'-i einfuchen Hinwcisns darauf,
daß ja die sog:enannto ,.oi-;tc Analnfrio" d«»r ci-sh ii Ausgabe die Bedingtheit aller
Zeitbestimmungen durcli bi liai ilicliu Suljstuiizeii im Kaum lehrt, also schon die
Quintessenz der gauzeu spateren „Widerlegung des Idealismus" selbst zum Aus-
druck bringt
Bin Punkt ist m Eants Auftenweltt>eweis nodi unbefriedigend.
Die empiriseh reale Raumwelt scheist so vielfiu^ da su sein, ab es eir>
kennende Individuen gibt Und doch muß die wahre Außenwelt, die wir in
unserem Erkennen erfossen wollen, eine numerisch identische sein, die eben
deshalb den individuellen Knia übemgt und einen somalen Charakter hat DaB
gerade die Vertiefung in die sociale Struktur der Wirklichkeit das beste Schnte-
mittel gegen den Außenweitzweifel ist, zeigt am klarsten da.s Beispiel des be-
kannten österreichischon Philosophen Ratzenbofor, der in seiner geistvollen
„Kritik des Intellekts'' (Leipzig 1902) nach dieser Seite hin sehr beachtenswrate
Beflrxinnon entwickelt hat (Kritik dos Intellf kf>. S. 48ff.)
Formal linlmchtet gehört die ..Widerlegung des IdealismuK" der zweiten
Au-.<:uiir (irr ^^■ruunftkritik zur Kla.sse tlcr „indirekten AulieuweltlxMvciso''.
Die vuiu Idrali>inus mit einem ausgezeicliiieten Rcalitätsnimbus umkleidete
Innenwelt wird als etwas in sich Haltloses erwiesen. Ej; gibt kein empirisch
gc-iichertes Injienweltbcwußtsein ohne Vorau.Siietzung einer riiumlichen Außen*
weit Damit bat sich nicht eine Eoordhiation der beiden Welten ergeben, sondern
vielmehr dn Subordinatfonsverhältnis: die innere Erfahrung ist der ftuBeren unter»
geordnet Eine krfiftigore Abfertigung des AuBenweltsweifels ist nidit möglioh.
Nur auf eine interessante Konsequona, die ddi ans dieser „Widerlegung
des Idmlismus" sieben läfit, mochte ich übrigens noch kun aufinerksam nuiohen.
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Kowalawski: KantB StaUaiig mm FMblou dar Aofiemrellaxiateni.
"Wir küiincii empirische Zeitbestimmungen unseres Innenlebens mir gewinnen,
indem wir uns an den stabüeren Oegonständen der äußeren Ei-falu'ung orieutieiün.
SoUte diese Auknüpfung au die Raumwclt nicht auch für die genauere empirische
Bestimmung der einzelnen Seelenerlebnisse Uberiuuipt niifzUch oder vielmehr not-
wendig sein, wenn man zu siehmwi, objektiven Einaiöbten gelangen will? Liegt
diixin nicht «ine Beditfexfignng der modernen experimentellen FB7chologie? Mich
dttnkt, daft man diese Fragen — trots Kants anderweitigem Binsproeh -~ mit
Flig nnd Becbt bejahen dait
• *
*
Beicke hat in seinen „Losen BÜttem" aahlreiche BntwUife Kante zur Widmv
legung des Idealiamiia verQfientlieht B» sind das anaeheinend z. T. Toraxbeiten
an dem entspreolienden Abeohnitt der sweiten nntiksn^gab«. Da eine einiger-
msAen sichere Battwung aolcher Emgmente natnrgemftB mit groAen Sohwierig^
keiten verbunden, oft sogar ganz unmöglidi ist, 80 habe ich schon im Interesse
philologischer Exaktheit auf eine Verwertung dieses Materials für meine Ab-
handlung verzichtet Sieht man sich die Fassung der fraglichen Niederschriften
an, so bemerkt mau sofort, daß es sich im wesentlichen um erste Konzeptionen
zur eif^on Oriontiening' oder Notizen zu Vorlesungszweckcn handelt, die man
ktini sfalls zur ünindlage kritischer Auseinandersetzungen mit dem Philosophen
maeheii darf. Ich bin fest tiberzeupt. daß jeder moderne Autor dagegen pro-
testieren würde, wenn mau seine Lelue nach dem Kntwurf „im Unreinen"
beurteilen wollte.
Eins aber können wir wohl ans den vielen Kant^hen Bn^enien nur
Widerlegung des Idealismus entnehmen — nnd das ist indirekt für die saohliohe
Würdigung bedeutsam — , dafi unser Philosoph mit tiefem Emst und eindringender
Gründlichkeit die Aigumente sur Bekämpfung des Aufienweltaweifels in seinem
Geiste erwogen hat Bs sollten daher auch alle Kritiker diesw Lehre des grofien
Konigsberger Denkers, anstatt voreilig au tadeln, sich aunüebst mit Emst nnd
GrOndlichkeit in ihren Wahriieit^gehalt vertiefenl
SACHREGISTER.
A.
Ähnlichkoitsargumcnt in den Äiißcn-
weltbewcisen, 212»
Ästhetisches Urteil, Bedenken gegen
Kants Lehre darüber, 207.
Affekt, Begriff dessolhon, 215 f.
Affektion, transzendente, 347 f.
Akkomodation der Angon, ihre Unab-
hängigkeit von der Pupillarreaktion,
303.
Analytik des Schönen, Prüfung der-
selben, 22a ff.
Angenehm im Verhältnis zn schön und
gut, 211.
Anpassung, G3i
Anschauungs- und Schlioßungfivor-
mögon in ihrem zwiefachen VorhältniB,
2Üüff.
antecodenter determinans, ratio. Siehe
ratio.
Antinomien, L
Apperzeption, transzendentale, 3-tfl f.;
empirische, 34(1.
Apriori, als sozialer Realitätswcrt, 348.
Apriorische Erkenntnis, als Maitstab
einer crkcnntnistheoretischcn Ab-
schätzung, 343.
Apriorische (auf dorn Satz des Wider-
spruchs beruhende, analytische) Wahr-
heiten, 2iL
Ans Wicklung (mechanische), fiSff. Siehe
auch Entwicklung.
Außenwelt, ihr sozialer Charakter, HM.
Außenweltbeweis, direkter und indirekter,
330. Antagonistische Motive in den
ältesten Außenwoltbeweiscn, 2M ff.
Außenwcltbeweis bei Descartes, 331 ff.;
bei Glculincx, 336 ff.; bei Malebranche,
338 ff.; in der späteren Zeit, 311 ff.;
bei Kant, 213 ff. (in der L Ausg. der
Kr. d. r. Y. u. in den Proleg., 344 ff.,
in der 2- Ausg. der Kr. d. r. V., 3ä2 ff.).
„Außer" und „in", Vieldeutigkeit dieser
Ausdrücke, MB f.
B.
Beziehungen zwischen Vorstellungen
(logisch notwendige Bez.), IQf.; zwischen
Tatsachen (bloß tatsächliche und er-
fahrungsmäßige Bez.), 19 f.
Böse, das, Jil f . Befreiung vom Bösen
(Umkehr), S2f.
Buddha und Kant, 131 ff.
c.
cooxistentiae principium, 5IL
consequcnter determinans, ratio. Siehe
ratio.
Definitionen in der Mathematik (Kron-
cckers Forderungen betreffs derselben),
3 IQ.
Das Deutsche bei Kant, Ulf. Siehe
auch unter Ungewöhnliche usw.
Ding an sich. 17.") f.
368
Sachregister.
E.
EigoDsinn dor Sprache, 2h&.
Empirismus, 17 ff., 44^ 49^ iL
Entwicklung (Entwickluiigsideo), 52 ff.;
siehe auch Auswickluiig. Entw. der
Weltkörper nach mechanischciiOosetzcn.
5Sff. Entw. dor Geistor auf den
Planeten, Qüf. Entw. der Kultur
(Geschichte), fiüff., im Verhältnis zur
Entfaltung der Moral, 8^ f. Entw. im
Rechtsleben, 2Zff. Entw. im Gebiet
der moral. -prakt Vernunft, 2Qff.
Entw. im Gebiet der Geligion, Ö5 ff .
Epigenesis (als Erklarungsprinzip orga-
nischer Bildungen), Q!L
Erdbebenschriften Kants, 93 f., SS.
Erhaltung dor Energie, 49^ 52.
Erinnerung, Bedeutung dos Wortes bei
Kant, USL
Erkenntnisgrund (ratio cognoscendi), 33f.
Siehe auch Idealgrund.
Experimentollo Psychologie und Kant,
MIL
F.
Freiheit, Begriff der, 24J. f.; siehe auch
Willensfreiheit. Schi-offe Trennung
von Freiheit und Natur, 210. 212 ff.
Die Philosophie Kants als Freiheits-
lehre, Qf.
Freude am Schönen, ihrErklärungsgnmd,
212.
Fürsorgcgosotx, preußisches, 20'2.
G.
Geographie, ihre Aufgabe und wissen-
schaftliche Stellung nach Kant, 100 ff.
Geographische Wirksamkeit Poscheis,
96; Kants, Ü2f.
Qeschniacksurteil, Kontroverse über
seine Subjektivität, 22S- Wie können
konstitutive Prinzipien a priori im
Geschmacksurteil wirksam werden?
222 ff.
GCttlicher Intellekt (göttL Denken,
göttl. Erkenntnis), la, 23 f., AS f.
Gottesbeweis, 332. Erster Hauptbeweis
bei Descartos, 332 f.
Gottesbewußtsein, seine Entwicklung,
212 f.
Gottes Dasein (Existenz), 27^ i2fr., 51 f.
Gottesglaubc, 13 f.
Gottes Unverändorlichkeit, 5iL
Grammatologio Hasses und K&nt, 287ff.
Wiederaufnahme des Hasscschen Ver-
suchs durch Gottfr. Hermann, 289 ff.
Das Griechische bei Kant, 171 f.
Grund. Satz vom zureichenden Gr., 17^
19, 23- Siehe auch ratiouis deter-
minantis usw.
Gruppe (von Operationen), 322.
Gruppierungsstandpunkt (betr. math.
Sätze), 3in^ äTL
Himmel, seine rcligionsgeschichtlicho Be-
deutung, 1 19 f.
Homogeneität, Prinzip der, QX
Hylozoistische Auffassung, 02*
Ichbewußtsein, in empirisch präzisierter
Form (im Gegensatz zur vulgären
Form), 3ri3.
Idealgrund, 34, AI* Siehe auch Er-
kenntnisgrund.
Idealismus. Subjektiver Id., 342f., 345f.;
Kants Widerlegung desselben siehe
unter Außenweltbeweis. Dograa-
tischer und skeptischer Id., 3Mf.
Transzendontaler Id., 3.
Ideen, sinnliche und solche der Einbildungs-
kraft, 212*
Identitäten, ihre Rollo bei Ableitung
neuer math. Sätze, 313 ff.
Identitätsprinzip (prindpium identitatis),
2ilff., 35 f., 411 ff., 45 ff., 5Ü.
Sachregibter.
369
identitatis indiscernibilium principium,
Imperativ, kategorischer, LI f., 173 f.;
hypothetischer, 174.
Induktion, vollständige, Schluß von ti
auf a + Li 211L
inflnxus physicus,
Irrationalzahlen, älfif.
K.
Kant, CharakteriBtik seiner Persönlichkeit,
6j lÄ. Freundschaftliches Verhältnis
Kants zu Kraus, 2fifi f.
Kant-Ausgabe der Berliner Akademie,
mf.
Kant-Literatur, 166.
Kategorien, die kantischen, und die
Beliandlung der antiken Grammatik,
287 ff.
Kategorischer Imperativ. Siehe Im-
perativ.
Kausalitätsargument in den AuBen-
weltbeweisen, 212.
Kausalitäteprinzip, ^
Körpcrwelt, Realität (Ebcistenz) der, 52.
Siehe auch Außcnweltbeweis.
Konstanzempfiudungcn, vermittelt
durch den GehOrasinn, 359 f.; ihre
Mängel 360 ff. Vorzüge der räum-
lichen Konstanzompf.,
Kontinuität, Prinzip der,
Koperuikus. Kant vergleicht sich mit
Kop., 2,
Kreissymbol, urindogormaniscbes, 119.
Krieg, Z2ff.
Kultur, ihr Widerstreit mit der Natur, ZI*
Kunst, Ursprung und Wesen derselben,
243 ff.
L.
Das Lateinische bei Kant, 172 f.
Lexika, allgemeine philosophische, 169 ff.
Materie, 52. Ihr Dasein, 350; siehe auch
Außenweltbevois.
Mathematik als logische Wissenschaft und
als Kunst, 31B f. Erkenntnistheore-
tische Stellung der math. Wissen-
schaften, .'^07. Die Vermehrung der
math. Erkenntnis ist formaler Natur,
3Mff., aiiL
Mechanismus, 53^ 58 f., £1 f., 64^ 66 ff.,
25 f., aaff.
Minimumsprinzip bei math. Beweisen,
220 f.
Mode und Sport in der Mathematik, 323 L
Monade, 52.
N.
Natur. Fohlen einer genauen Definition
dioses Begriffs bei Kant, 213.
Naturgeschichte im Unterschied von
Naturbeschreibung, C2±
Naturzweck, gl ff. Der Mensch als Natur-
zweck, BS f.
Notwendigkeit dos Weltzusammenhangs,
48. Siehe auch Willensfreiheit.
Nova diluoidatio, 21ff.
0.
Okkasionalismus, 336, 338. Ml^ Okk.
als ErkläruDgsprinzip organischer Bil-
dungen, Q!L
P.
Pantheismus als der fundamentale Re-
ligionsgedanke dos indogermanischen
Gesamtvolkea, 112 ff.
Pascalscher Satz und seine Umkehrung
als geom. Ausdruck einer Identität , 315.
Perfektibilität der Gefühle durch Ver-
stand und Vernunft, 219, 229.
Phänomenalistische Auffassung des
Ich bei Malebranche, 340 f., bei Kant,
34
370
Sachrogigtor.
Philosophensprache, apez Kants
Schreibart, J. OrimmB Urteil darfibor,
Philosophie in allgemein -weltbürgerlicher
Bedeutung, ihre dreifache Aufgabe, 5^
Iff., Iflff., 13 f. Philos. und Einzel-
wissenschaften 3ilSf, Philos. und
Rechtswissenschaft, Hü ff.
Physischo Oeographie, Kants Vor-
losungen darQlier, Ol.
Prästabilierto Ilarmonie, ü2<
Prästabilismus (alä Erklärungisprinzip
organischer Bildungen), JlL
Ptolemäischer Satz als gcom. Ausdruck
einer Identität, ai3f.
Qualitäten, primäre und sekundäre, 342.
R.
ratio antccedenter determinans, 29fr.;
ratio consequenter determinans
obonda.
Rationalismus, U ff., 2ä f.j 37^ 41^ 44 f.,
49, 5L
rationisdeterminantiB,yiilgoBufiicicntis,
principium, 24j 2S.
Realgrund, 33 f., 41^ iüff., 12,
Realismus, empirisoher, Hf.
Recht, 73j Uf.
Rechtsursache, Begriff derselben, 155.
Rechtswirkungen, ihre Unwahmehmbar-
keit, 148 fr.; möglichst weite Fassung
ihres Begriffs, IfiÖ ff .
Der Hg VC da und Kant, 122 ff.
Rührung, Begriff derselben, 247.
Scholastische Manier bei Kant, 167,
112.
Seele, ^ Seele an sich, ihre Unorkonn-
barkeit, sielie phänomonalistische
Auffassung. Scharf o Scheidung der
Seelenvermögen, 205 f.
Selektion, Ü3.
Sinn, äußerer und innerer, 348 f., 352.
Skeptizismus, 20^ 22.
Spezifikation, Prinzip der,
Spezifische Energie der Sinnesnerven
(Zusammenhang mit Kants Lehre), 297.
Spiritualistischo Metaphysik, 345.
Sprachliches rntoresso Kants, seine
Ursachen, 255 ff. Kants Stellung zur
Sprachwissenschaf t, 254f. Sprach-
wissenschaftliche Äußenmgen Kants,
2h&B.
Stiftungen. Kants Abneigung gegen sie,
181 ff. Eine Stiftungsvcrhandluog unter
Kants Mitwirkimg als Qelegenheits-
nrsache dieser Abneigung, 184 ff. Der
Staat und die Stiftungen, 153 ff.
Stilepochen Kants, 1 Gfi f.
Stimmungen als anschauliche Selbstwahr-
nchmimgcn, 3^ Ihr Einfluß auf den
zeitliclien Ablauf der Vorstellungen,
355. Ihre Alteration durch die Vor-
stellungen, 35G.
Stimmwerkzouge. Ihre Bedeutung für
die feine Ausbildung der QehSrsvor-
stellungcn, 3ß2.
Subjektivität der SinncswahmohmongcD,
8 f.
Substanz, 5Ü f .
Symbolische Methode (in der Mathe-
matik), 32L
Symmetrie mathematischer Gebilde, 321.
Synergie von Bewegungen, speziell bei
der Augcumuskulatur, 298.
Synthetische Urteile a priori, 20ff., SM.
Synthetische Wahrheiten, die auf Er-
fahrung beruhen, 2fL
Successionis principium, ülL
T.
Tatsachen, juristische, 155 ff.
Tatsachen Wahrheiten (voritös de fait),
12 ff., 45^ 47^ apriorische, von der
Saohrefister.
Erfahrung unabhängige T. (analytische
Urteile, die nicht auf dem Satz des
Widerspruchs beruhen), 19^ 2£f.,
35 ff-, 40. AS.
Teleologie, 53j62i6LZ5- Teleologische
Betrachtungsweise, siebe Zweck-
bctrachtung.
Transfinite Zahlen, 317.
U.
Übertragungsprinzipien (in der Mathe-
matik), 322. Ihre Bedeutung fflr die
Reduktion der math. Erkenntnis auf
ein Minimum von Sätzen, 323.
Ungewöhnliche deutsche Wörter in
Kants Schriften, 2h^
Unsterblichkcitsglaube,
Die Upani^adon-Philosophio und Kant,
12fiff.
Die urindogerraanische Religion und
Kant, Unff.
Urteilskraft, 208^ m f., SlÄff.
V.
Vererbung, QiL
Yergeltungsbegriff im Strafrecht, de-
skriptive und normative Elemente
desselben, 2ü^ff.
Vergeltungslehre (in A. Merkels Straf-
rechtstheorie), 222 ff.
Vernunftwahrbeiten (v6rit6s de raison),
12 ff., 25^ 28^ 35j 45j ^
w.
Wasser, seine religionsgesclüclitliche Be-
deutung, 1 20 f.
Wechselwirkung (zwischen den Sub-
stanzen), 5Dfr.
Widerspruch, Satz vom, principium con-
tradictionis, 17^ lÜ f., 23 f., 2fi ff., 35 f.,
40^ 42i i5f., 48.
Wille als Naturkraft, 219.
Willenserklärung, juristische liehro von
der, 156 ff.; Qegensatz der „Willons-
theorie" und „Erklänuigstheorie" —
Analogie zu Kants Unterscheidung von
Ding an sich und Vorstellung, 15ßf.
Willensfreiheit, 12, 48. 53. 15 f., B2.
z.
Zahlbegriff, 3ÜSf.
Zeit, Sukzessiv- und Simultandimension
derselben, S.»!?.
Zentralnervensystem, seine Umbil-
dungsfälligkeit, 297.
Zweckbetrachtung, 63i 65 f., 68^ 75 f.
Zwocktheorie, 60, 68, 85, Qfi.
24*
PERSONENREGISTER.
A.
Acholis, 194.
Adelung, 168^ 260^ 2C2,
Adickes, 19^ 22^ 26f., 30f.,
Mff., 311 f., i2f., Ififf.,
51_j IMf.
Adler, M., 1115-
Aristoteles, 12^ 78^ 205,
29Pi
Arndts, 153.
Aruoldt, IM.
B.
Baldwin, USL
Barach, 252.
Baumgart, 2fiüff.. 213.
Baumgartcn, 7^ 36, iflf.
Bachtel, 251L
Bccnians, 2fl3.
Benfey, 264 f., 2fiü.
Bergmann, T., 96.
Berkeley, 148^ 342^ 31üf.,
352. 3fi3.
Bomhardi, A. F., 2M.
Bielschowsky, ÖlL
Biester, 25G. 2fil.
Bismarck, 14.
Bock, 2114.
Bolliger, 123.
Bopp,
Borthen, Lyder, 298.
Brauer, 165.
Büchmann, 173.
Buesch, 174.
Busse, 19j VUL
c.
Campe, 168.
Cantor, G., 311 f.
Chalmers, \'AC>.
Coheu, lß7.
ColUer, 342^ 35IL
Cosack, 153.
Gramer, 298, 3M
Crusius, 23, EU
D.
Darwin, 57^ 62^ 325.
Davids, Rliys, lÜSif.
Dedeklnd, aifif.
Dernburg, 156.
Descartcs, aai ff., 34fi.
Deusscn, 109^ 113^ 128.141.
Diels, mf.
Diez, 2ß2.
Dilthey, HL
Donders, 2Mtt.
Domer, A., QZ, CG, 110-
E.
Eislor, USL
Eitzbacher, IM fL
Endemann, 1 r>3.
Erdmann, B., 22. IGCf.
Eucken, 169.
F.
Foldmann, 168.
Fischer, Kuno, 27, 31 . 34.
37, 51^ 57, 169j 122.
Forster, J. R., SiL
Fnmenstadt, 1 fifi.
Frey, Ewald, 12fif., 122.
Frischbier, 168.
6.
Gatterer, £15.
Gauß, 323.
Geldner, 127.
Gonsichen, 253.
Gerber, IM.
Gering, 1 14.
Oeulincx, a3ßff., 34 fi.
Gneist, 199.
Goedeke, lü2.
Goethe, 6^ 13, 90, 175, 205^
24G. 248. 212 ff.
Ooldbeck, 1B4.
Goldschtnidt, Ludw., Iflfi.
Ooldstcin, Ludw., Ifift-
Graefe, A. v., 233.
Graff, 2fi5.
Grimm, Jacob, 168, 12üf.,
175, 257, 2fi2.
Grimm, Wilhelm, 175.
Personenregister.
373
Outzeit, gßfi.
Oiitakow, 173
Hamann, 109, 2üöx
Hartenstein, 169^ llfif., 2fiiL
Hasse, J. Q., 2E2 ff.
Heinze, 16S.
Hellwald, F. v., SIL
Homstcrhuis, 257.
Honnig, G. E. S., 168i 2fiiL
Herder, 68^ 175^ 2ir>.
Hering, E, 2äÜf.
Hennann, G., 2fi2ff.
Heymans, 43.
Heyne, Moriz, 1C9, 122.
Hilbert, D., iHL
Hobbes, Zfi.
Höffding, llfi.
Hoffhoinz, 1G8.
Hohenfeld, LZ2.
Holtzmann, IIA f.
Homer, 23iL
Humboldt, Alexander v., lO.'t.
Humboldt, Wilhelm v., 0^ 2,
Hume, Uff., 176.
L
Ihcring, 197.
K.
Kaftan, 1115.
Kariowa, 153.
Kate, Ten, 2SlL
Kiesewetter, 166.
Kirchmann, 2Ü5.
Kirchner, 17Q.
Klopstock, 21iL
Kluge, UTj 2fi2.
Knutzen, 30, 3fL
Körber, Sfi.
Köhler, Ifilf., 108.
Kowalewski, A., .Sfir».
Kraus, 25fif., SM.
Kronecker, L., äUL
Krug, lÜUf., IliL
Kftlpe, afiB.
L.
Laban, F., 122.
Lamprecht, 2fi.
Lehmann, Paul, 23.
Leibuiz, 12 ff., 26, 28, 49,
52, Gl. 196 . 252.
Leonhard, 156.
Lessing, 7^ 9j 215, 246.
Levy, Siegm., 175.
Lichtenberg, QA.
Liopmann, 277, '2m.
Ijobeck, 9ril.
Locke, 342
liOrcnzo, G. de, HO
Lotze, 2Ü2.
Lübben und Schiller, 2M.
Ludwich, 121 i, 2^2.
M.
Maimon, Sal., 169.
Malobranche, 33fiff., 340.
Manigk, 151 f., 155.
Marcus, Ernst, 173.
Marina, HM f., 3Ü3.
Mauthuer, llft.
Medicus, 57^ Z5.
Mellin, Ififif.
M6nage, 262, 2iLL
Merkel, A., 270 f., 276 ff.
Metzgor, IM.
Meyer, W. Fr., 307^ aiSff.
Mielcke, 253.
Mogk, 114, 118i 12fi.
Moltko, 13»
Mommsen, Th., 194.
Morhof, 252.
Mühling, 2fiü.
MdUer, Joliannes, 297.
Mnller, M., HiS.
N.
Noack, Ludw., 170,
0.
öttingor, lilL
Origenes, Ql.
P.
Paul3cn,19, 23,20.31.37,
51, 57^ 146, 165^ LÜH.
Pernice, A., 183.
Pescliel, 05 ff.
Pischel, 125.
Plalon, 13, 22fL
Plantus, 'ÜLL
Poincarö, H^ 310.
Pott, 2fii.
Preller, 115^ 12IL
Pringsheim, A., 318.
R.
Raetze, 166.
Ratzenhofcr, 3M.
Reickc, 165j 3115.
Reininger, 348 f.
Rielü, A., 51_, 1112.
Richter, Raoul, Ifiß-
Ritter, Karl, 05.
Rohde, E., 112.
Rosikat, 172
Rousseau, 1£L
Riihnkcn, 267.
Ruyssen, 23^ M.
Ruyter, de, 298. 311Ü.
S.
Salmasius, 2112.
Saussayo, Ch. do la, 1 13.
Schade, 112.
Schiller, 6, 7^ 106^ 206,
239. 241. 247. 2aL
Schilter, 2M.
Schleiermacher, 85.
374
Personenregister.
SchloBmanii, 1^
Schmid, 1 76.
Schmidt, E., HL
Schmidt, 3L, 2fiL
Schöne, G. 23.
Schoenflies, 317.
Schopenhauer, 149f., 155f.,
167, 175, a2i
Schräder, 0., 122.
Schubert, 253.
Schultze, Fritz, QZ^
Seneca, 22.
Siinrock, LLSff.
Sophokles, 22iL
Sokratcs, QU
Spinoza, 26, 33,47, 49, IS.
Stammler, 276.
Stieler, 172, 2Mf.
T.
Tacitu», LLL
Thiele, 22 f.. 26, 30 f., 33 ff.,
37, 41ff., 47j JUff.
Thomson, A., 176.
Tiilotsou, 2fi2.
Tröltsch, 58^ 76^ aJL
U.
Ucborweg, IC».
Uhlonbcck, 122.
Uiiger, 1 9fl-
V.
Valilen, K. Th., aiÜ.
Vaihinger, 17C, 3Allf.
Vorvwrt, mff.
Vico, L
Voigt, J., 2IiSL
Voltaire, 2ü2.
Vorländer, 166, 175.
Vossiiis, 2tKi.
w.
Wagner, IM.
Walter, IM.
Wartenborg, 23. 34, £L
Weber, E. 2^5.
Wegner, G., IßSL
Weigand, 2fi2.
Wicland, IM.
Wigand, 2M.
Wilford, 21LL
Winckelmann, 246.
Windelband, 51, Ififl.
wirth, na.
Wolf, Fr. A., 2M.
Wolff, 2flf., 23, 30, afL
Wundt, 14G, Ua.
z.
Zeuno, Qü.
Zitclmann, IßS.
Zöllner, Mf.
ItndiJrnrkeroi Uos Wnis^iiUftuses in llalla n. S.
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Die Piatonisehe Ästhetik.
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Das V( lixlielie und Invergänü^liehe
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