Beiträge zu
einer Kritil< der
Sprachie: Zur
Grammatilc
und Logil<
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BEITRÄGE
ZU £m£R
KRITIK DER SPRACHE
VON
FRITZ MAUTHNER
DBITTEB BAND
ZUß ÖBAMMATIK UND LOGIK
STUTTQAtlT UND BERLIN 1902
X 0. CN>TTA'SCHB BUOHHANDLüNe NAGEFOLOER
o. H. a H.
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ZUB
GRAMMATIK UND LOGIK
VON
FRITZ MAUTHNER
STÜTTOART UND BERLIN 1902
J. G. COTTA'SCHE JBUCJHHANDLUNÖ NACHFOLÖEE
0. M. B. U.
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ALLE BEGHTB VORBEHALTEN
Draok der Uniuu Deutacbe VerlagHgeaeUiioliaft in Btattgait
Inhalt des dritten Teils.
Sprache und Orammatlk.
Sfitf!
I. Uubestiiniutheit des yrtinimatischen .Sinnes . . . . 1
II. Diia Verluiin 55
III. Daa Substantivmii 83
IV. Das Adjektiviini 94
"V. Adverbien. -- K.luiii und Zeit .102
\I. Das Zahlwort . 132
VII. Syntai 185
VIII. Situatiun uinl Si>raclie 225
Sprache und Logik.
I. Begriff rxnd Wort 265
II. Die Definition 299
ni. Da« Urteil 314
IV. Die Denkge.sct/.e 350
V. Die Schlugsfolgerunt.^ 379
VI. Die Induktion 457
VII. Termini technici der induktiven Widacnsjchaften .... 500
VIII. Wissen und Worte 557
Sprache und Grrammatik.
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Daher ich beinahe vermute, dass unstr.? t^anze
Philosophie mehr »ob Sprache ab aus Vernuiift be-
sieht ... E« lahlt DIU noch Immer an einer Onun*
mttk der Tenianfl.
Uamanu an Jacobi.
Philosophie nnd Po^-tt".
Verschlagen vom Wiud der Emphatik,
Sie sind gestraadet, ich weise niebt wie,
Anf der SMdbealc der Grammatik
O i n 1 p a r z e r.
Qaod in subjeoto est impUcite, iu praedioeto est
ezplidle.
Alter locieclier Bete.
A eenieBee ts but a cheveril glov« to a good wit
how qoleklr tbe «rong aide may be tomed oatward . . .
Werde ere veiy raeoals, sinee bonde disgimoed
them. — Th> f viTion? — I can jield yon none withont
vrords, and worda are grow» so false, I am loth tO
prove reasoB «ith them.
Sbakeepeue.
IMe Werte sind niefate als Wind;
lYw G<-Kl.is:uiik.-it t.f-stdit lu- nic1it> nls Worten;
Ergo ist die Oelehrsamkeit nichts al;« Wind.
Swift.
Lea d&a de la nature äout pipfts.
Qeliani.
Of all the Cents wbieb ere oanted in tbis eanting
World tlie caat of ariUciktn thf mo<[ tüiin<-iiting.
Sterne, Tri>t. bbanJj'.
Di«' kriti^<'lii< Sdnili' Iiat sirli in Kants System
hiueiustudiert und uitiss seinen caut reden.
Herder, Metakritik.
Noe eonges ▼elent nieulK qne nee disoonre.
Monteigne.
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L ITBbMtfntmlMt dM gramnuitMieB SIdms.
Em liegt die Thatmche Yor, da« eineneita daa Denken orun-
mch m den Fomen der Gnunmatik bewegt (natOilich, d*
Sprache DenksB ist und die jeweilige SpracbfDmi einer Logik»
Menschengruppe auch ihre Denkfcmn sein muss), daia ander*
neifes dasselbe Denken nach dem Glauben der Logiker die
logischen Formen annehmen muss, um bestehen su kduneiL
Daher die alte FragOi wie sich Logik und Grammatik au
einander Terhatten.
Die Alten konnten diese Frage so scharf noch gar
nicht fassen, weil sie ihre Logik (eben die Formen ihrer
Sprache) schon fertig hatten, als sie anfingen, eine be-
sdieidene Grammatik auftubanen. Daher das AltersTocrecht
der Logik, welches darauf suraeksufUiren ist, dass die Philo-
sophie in ihrer Kindheit die abstraktesten Fragen snerst
und am liebsten aufgriff; dieses Vorrecht der Logik hat
zur Folge gehabt, dass man bis auf unsre Zeit die Frage
immer so steUt: Wie rerhUt sieh die Grammatik zur
Logik, etwa das ZuftDige zum Absoluten? Für etwas Ab-
solutes, fOr ein metaphysisches Himmelsgeschenk wurde die
Logik immer gehalten, dieser Menachenbau, der sich Ton
•adem Menschenbauten nicht emmal durdi seine Besündig-
keit unterMheidet,
Gegenflber den vielfachen Versuchen, die Grammatik
nun dadurch zu heben, dass man in ihr dieselben gMfichen
Qnalitlten wie in der Logik suchte und fand, war eine
Reaktion unTurmeidlich. Gegenwärtig behauptet man nicht
mehr eme IdentitU der (niedern) Grammatik und der (hohem)
HftKtliiiar, Mtrtf« ni •tun Kritik dar Spnek«. HL 1
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L Unbeffeuninfheit dei giunniftliMlien SiniiM.
Logik; man begnügt sich, .die göttlichen Spuren der Logik
in der Grammatik nachzuweisen. Und ein besonders kriti-
aclier Forscher wie Steinthal will erkennen (Abr. d. Spr. 1 62)^
dass die Sprache onaibhängig von der Logik ihre Formen
in ToUster Autonomie schaffe. Diese Erkenntnis mnsste sich
ihm aufdringen, wenn er die Fülle der Tersehiedenartigen
Sprachformen mit der (auch von ihm geglaubten) heiligen
Einheit der Logik yerglich.
Sehen wir aber in der überlieferten hofjpk nichts ab
eine höchst scharfsinnige Auseinandersetzung zwischen Ah'
stoteles, dem ordnungsliebenden Klassifikator , und seiner
griechischen Sprache, so wird der Satz Steintiuds etwas
besclieidener üI^ j zu lauten haben: Die modernen Sprachen
schaffen sich ihre Formen in vollster Autonomie, (beinahe)
nnabhangig von den griechischen Formen. Man kann es
ebenso als etwas Neues verkünden: Die griechische Mytho-
logie oder aber der Mohammedanismus haben sidi unab-
häng^ von der Theologie des heiligen Augustinus entwickelt.
Nun ist es — und das ist wieder einmal ein httbsches
Beispiel f&r die Unzulänglichkeit der Sprache und der
Logik — etwas ganz andres, ob man behauptet, Grammatik
sei mit der Logik, oder ob man sagt, Logik sei mit der
Grammatik identisch. loh meine, es ist ganz was andres,
ob man die Grammatik zum Bange der Gottheit Logik er-
heben will, oder ob man die Logik zum Bange der Dienst*
magd Grammatik eniiedrigt.
Die Sprache ist, wie ich nicht mttde werden darf zu
wiederholen, nichts als das mangelhafte Mittel der Men-
schen, sich in ihrer Erumerungswelt zurechtzufinden, das
Gedftcktnis, das heisst ihre eigene Erfahrung und die ihrer
Ahnen auszunutzen, mit aller Wahrscheinlichkeit, dass diese
Brinnemngswelt der Wirklichkeitswelt ähnlich sein werde.
Die Grammatik jeder Sprache ging Ton der Wirklichkeits-
weit aus, schuf aber dann in der Erinnerungswelt selb-
stftndige Bequemlichkeiten, Omnibusse, Associationen, Gleise.
Die Logik hatte nichts als die grammatikalische Sprache,
um sich daran zu halten; aber die Logik ist doch nur ein
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Qraimnalft und Logik.
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flwiimelfmme fOx die Bemflluiiig, in der Erinnerungswelt
den Lag^dan der WirUichkeÜBwelt nieht zu Terlieien, oder
▼ielmelir ihn su finden. Gnunmatik und Logik sind ako nur
TerBehiedene Seiton der gleichen Henechenepraehe. Oruu-
matikaUedi lieiset die Spreche, wenn sie zum AusUnseh
der Ennnenuigsnrexie bequem, g^att, leicht ist; logisch heisst
sie, wenn die Srinneruogswerto den WirkUchkeitswerton
nicht SU fem sind. Es ist wie auf einem grossen Bahn-
hof. Es ist wflnschenswert, dass die Schienen im richtigen
Abstand, im richtigen Profil, nicht Terrostet u. s. w., also
durchaus grammatikalisch seien; es ist auch wünschenswert,
daes die Schienen mit allen Weichen jedesmal den allein
wirklichen Bewegungen derEisenbahnsUge enteprechen, dass
sie logisch geordnet seien. Ein Unglttck kann sowohl durch
Holprigkeit der Schienen wie durch falsche WeichenstoUung
entstehen; falsche Grammatik und falsche Logik sind gleich
gefihrlich. Gewöhnlich aber werden holprige Schienen nur
als unangenehm «npfunden, unrichtige Anordnungen erst
erzeugen sicher Katastrophen.
So ist es zu ezUfiren, dass die Sprache einen richtigen
Gedanken ungrammatikalisch ausgedruckt, wie z. B. «eine
Kreis sind runde*, unangenehm empfindet; Aber einen ün-
sinn jedoch, wenn er sich grammatikalisch ausweisen kann,
wie z. B. «der Kreis ist eckig* mit einer gewissen Ruhe
hittllbergleitot. Die Katastrophe kommt nachher, nicht durch
die Logik, nicht durch fidsche SchlAsse, sondern durch die
ganze Gleisanlage, die sich in dem grammatikalisch richtig
ausgedrttekfeai logischen ünsinn eben nur Gerrit.
Die Linguisten haben schon gezeigt, dass unsere spnoben
Grammatik nicht die aller Sprachen, dass sie vielmehr gar ^^^^
sehr nur die einer Minderheit ist. Es wäre eine schöne
und fast unlösbare Aufgabe der Fachleute, die Logiken
der andern Sprachp^ruppen zu schreiben. So wie das aber
bisher versucht worden ist, scheint mir jeder Versuch er-
gebnislos zu sein. Jeder Versuch, die Logik der dravidi-
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sehen, chinesiftchen u. s. w. Sprache durch Vornahme einer
XJebpraetzunp in die Muttersprache zu j^^e Winnen, wird zu
einer ungewollten Fälschung. A. Stohrs Versuch einer
.Alj^ebra der Grammatik", der die GrundzUge einer neuen
Kunstsprache bieten will , ohne Rücksicht auf die Gram-
matiken der Wirklichkeit, aber gläubig für die Logik und
ihre Algebra — dieser Versuch ist oft nur eine Aeusse-
rung unfruchtbaren Scharfsinns.
Sigwart lässt sich (1 29) die Aeusserung entschlüpfen,
er könne nur innerhalb der entwickelteren Sprachen eine
Logik aufstellen wollen. Dieses Geständnis ist wer^oll.
Die ganze Logik des Aristoteles ist nichts als eine Betrach-
tung der griechischen Grammatik von einem interessanten
Standpiisktd ans. Hätte Aristoteles Chinensch oder Dako-
taisch gesprochen, er hätte su emer gans andern Logik ge-
langen müssen.
Wir Europäer nennen diejenigen Sprachen die ent-
wickelteren, welche für die verschiedenen Kategorien der
Logik besondere Bedeteile besitzen, als Dingwörter, Eigen-
schaftswörter u. s. w. Nun scheint es keine Frage zu sein,
dass Aristoteles, der Heister aller Logiker, die Kategorien
aus den Redeteilen geschöpft habe. Wenn das nicht der
Schnttser des Zirkeb ist, dann gibt es keinen curcuhis
▼itiosus.
Und es ist wohl zu erwägen, ob unsere entwickelteren
Sprachen, welche für den Körper der Fracht, ftlr ihre Farbe
und für ihr Duften besondere Katogoiien geschaffen haben,
welch zwischen der Erdbeere, ihrer Eigenschaft rot und
ihrer Thätigkeit duften unterscheiden, ob diese entwickel-
teren Sprachen nicht das Eindringen in das Innerste der
Natur erschwert haben. £0pfe wie Locke und Kant waren
nötig, mn unser Denken aus den Schubfitehern dieser Sprache
zu befreien. Was da zur Erdbeers schwillt, was da rot
ist und was da duftet, ist ja doch nur eins.
Dazu kommt noch, dass die Natorwissensohaft anf ihrer
gegenwärtigen Hdhe mit den alten Kategorien der Sprache
nichts mehr anzufangen weiss. Wie plump und veraltet
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SpnMdMB mMl Logikeii.
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irt «igentiich der TJnterschied zwischen Eigenschall und
Thitigkdt. Jeder Eifer ktim freilich emp&iden, den das
siedende Wasser in üiifcigkeii ist, sich bewegt, nnd wenn er
l^inAiniaik^ dass es die Efgensehaft bat beiss su sein. Für
unsere gegenwirtige Wissenschaft Utaen sich nun alle Eigen*
Schäften m Bewegungen, sJao ThStigkeiten auf. Wftnne ist
Bewegung oder Thitigkeit Der hohe Ton reist unsere Oe-
hSrk^rperoheii nur h&ufiger als der tiefe. Die rote Farbe
der Erdbeere ist — immer nach der heutigen Anschauung
der Wissenschaft — eine Bewegung, die auf unsere Nets-
hant wirkt, wfthrend gerade das Duften noch nicht so klar
als eine Bewegung oder Thitigkeit nachgewiesen ist.
Wire also unsere Sprache auf gleicher Hübe mit der
Wissenschaft, so iri&re alles Kstegorienwerk durdieinander
gesdimissen. Wir hfttten dann freilich eine werdende
Sprache, die nur ein Bruchteil der Menschen yerstehen
kdonte. Die Sprache, deren sich auch die Wissenschaft be-
dient, ist aber ein Uassenprodukt. Eine entwickeltere Sprache
wire die, welche seit R. Meyer, Hebnholts und Mscb gelernt
bitte, die alten EigenschaftsbegriiFe der Farben, des Lichts,
der Wirme u. s. w. durch Verba und swar durch transi-
tive Yerba, ausandrQcken. Solche Aenderungen kann aber
der Einaelne nicht machen. Und ich weiss ganz gut, dass
es die Menschen liebem würde — der Ausdruck ist in der
Sdiweis flblicb — und sie wundem, wenn ein Gelehrter
sagen wollte: Der Baum grünt mich, anstatt: Der Baum
ist grfln.
«
Das Ziel aller Wissenschaft ist, Ton der Wirkhchkeits- R«de-
welt eine entsprechende Yoistellung zu haben; und da es
unmöglich wire, alle EinselTorsteUungen im 'potentiellen
Qediebtnis lu behalteD, da für ihnlidie Einzeldinge der
Wirküdikeit susammmfassende Wortzeichen eintreten, so
liuft das Ziel darauf hinaus: Die Pyramide oder das System
oder den Organismus der WirkUchkeitswelt durch eine
Pyramide, ein System oder einen Organismus von Worten
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L Pnb<wtimin<hiit det gr*nmi>t.iwhwi SiiuiM.
festhalten und mitteilen zu kSnneii. Bei diesem Ziel der
Wissenschaft wird offenbar zweierlei vorausgesetzt.
Ordnimg. Erstens, dass die Wirklichkeit irgend etwas in sich
au&aweisen habe, was der mechanischen, logischen oder
lebendigen Ordnung entspricht, die wir in ihr suchen; wobei
zu bemerken ist, dass der Begriff der Ordnung vielleicht
etwas so sehr dem menschlichen Verstände eigentümliches
ist, dass die Natur ausserhalb des Verstandes eine « Ord-
nung* gar nicht kennt. Was mag die Natur von der Sym-
metrie wissen, die wir doch so oft an ihr bewundem?
Zweitens aber wird vorausgesetzt, dass unsere Begriffe
oder Worte, wie sie sich als Zeichen für Einzelvorstellungen
mit Einzeldingen decken, jedesmal der Art, der Gattung,
dem Stoff^ der Abstraktion u. s. w. entsprecben, die wir be-
zeichnen woUen; es wird also Torausgesetzt, dass unsere
Menschensprache gewiBsermassea ein Facsimile, ein Phono-
gramm der WirklidikeitBwelt ist, woraus dann aUerdings
hervorginge, dass durdx Anhören und genaues Vergleichen
der Worte (durch Sprechen oder Denken) fortschreitende
Erkenntnis mOglieh wftre. Wie wenig die Sprache su einem
mechanischen oder logischen Wissensgebftude, sn einem
WeUkatalogf geeignet sei, das ist an anderer Stelle geseigt.
Aber nicht einmal sur Beseichnung der einfachsten, all-
taglichsten und bekanntesten Verl^tnisse und Besiehungen
swischen den Dingen scheint mir unsie Spreche befähigt,
trotzdem die gesamte Sprachlehre oder Grammatik, wenn
sie überhaupt einen Sinn hat (fOr Hensdien, welche Ghram-
matik fOr eine Anleitung cum Richtigsprechen halten,
möchte ich nidit schreiben), nur den Sinn haben kann,
dass sie die Kategorien der Sprache und die Kategorien
der WirklichkeitBwelt miteinander yergleicht Ich will mich
bemühen, einige Punkte aufsuUiren; und ich glaube be-
stimmt, dass eine weitere Untersuchung zu dem tragikomi-
schen Ergebnis ftQiren wird: wie die zehn Kategorien des
Seins, die etwa seit Aristoteles für die höchsten Formen des
Veratandes gelten, einfach und kindlich den Bedeteilen der
griechischen Sprache entnommen waren, wie die fortechrei-
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galMftantiy und Adjektiv.
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tende Erkenntnis der Kulturvölker — festgebunden üu die
Radspeichen .arischer" und ähnlich gebauter Sprachen
sich selbst im Kreise drehte und die Sprachformen immer
tiefer in die Natur hineinphantasiertet so ist es schliesslich
eine Selbsttäueehung, wenn wir auch nur die ofifSanbarsten
Beziehungsformen der Sprache ftür Abbilder der vrirklichen
Beziehiuigsformen halten, wenn wir auch nur solche Kate-
gorien wie «Ding* mid «Eigenschaft", weil sie in der Sprache
sind, in der Natur zu sehen glauben. Und ich glaube ferner,
dass die Entdeckung Kants, mit der er die Fonnen der Er-
kenntnis dem Ding-an-sich absprach und dem Intellekt zu-
wies, auf die Ahnung dieser meiner Lehre hinausläuft, wie
an gehSziger Stelle zu finden ist. Jawohl: Die Kategorien
oder Formen aller Erkenntnis sind nicht in der Wirklich-
keit, sie sind im Denken, d. h. in der Sprache, dort allein,
und darum ist mit ihnen kein lebendiger Hund hinter dem
wannen Ofen herTorznlooken.
leb wiH das, so einleuchtend, ja so lachend klar mir
auch die blosse Bebauptung erscheint, Torlftufig an den wich-
tigsten Kategorien oder Redeteilen aufzeigen: Dem Ding
oder SubstantiT, der Qualität oder dem AdjectiT, der Wir-
kung oder dem Verbum.
Es uns, das heisst unserer Sprache nahe, die
Wortsflicihen Är die wirklichen Einseidinge, also die kon-
kreten SubstantiTe wie «Sonne*, «Hund*, für die ursprüng-
lichsten und wertroUsten zu halten; wir sind geneigt su
glaube, die Menschen könnten sich unteremsnder mit dem
blossen Stammeln Ton SubstaatiTen zur Not verstindigen,
es wSren also AdyektiTe und Verben sjAter gebildet worden.
Was ist ein Adjektiv? Wllre die Sprachforschung nicht sub-
seit jeher auf dem logischen Abwege gewesen, sie lültte
seit Locke langsam zu der Antwort kommen müssen, die A4l«kttT.
hier fast ohne Vorbereitung paradox erscheinen wird. Ich
sage nimHch so: Wir bezeichnen mit einem sub st an-
tiTischen Wort die Gesamtheit aller SinneseindrUeke,
die wir Ton einem und demselben Ding als seiner Ursache
heileiten, z. B. wir bezeichnen mit «Apf^l* das Ding, das
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I. Uiib«fltimiiitfaeit des graminatMchen Siimea.
uns so und so gross, so und so gefärbt, so und so duftig,
so und so süss erscheint, wir bezeichnen mit , Sonne" «las
Ding, dessen Grösse (resp. EntfernunL!: L dessen Licht, dessen
Wärme wir so und so empfinden; wir bezeichnen aber mit
einem adjektivischen Wort^ einen ei n zel n en Sinnes-
eindnick, den wir unter den von einem Ding hervorgerufenen
Empfindungen aus irgend einem Interesse besonders be-
merken wollen oder müssen, z. B. wir achten je nach Um-
s^nden darauf, dass der Apfel «rot", ^duftig", „gross",
,sfl8s*, dass die Sonne «weit*, ,hell", ,warm" ist. (Wenn
wir zufällig Rote, Duft, SOssigkeit, Helligkeit, Wärme sagen,
hört darum der adjektivische Charakter nicht auf.)
Wenn man nun bedenkt, dass alle abstrakten Worte
neuerer Fasson sind, dass die ältere Sprache — selbstver-
ständlich und nachweisUdi — mit konkreteren Worten aus-
kam, dass aber — wie wir eben entdeckten — alle kon-
kreten Adjektive (die Neubildung muss wohl gestattet sein)
sich psychologisch von den konkreten Substantiven nur
durch die Zahl der bezeichneten Sinneseindrücke unter-
scheiden, 80 fallt das Gerede T<m swei Kategorien oder
Formen, denen sie angehören, zusammen. Hier also schon,
an der Schwelle, will die Sprache oder das Denken künst-
liche Kategorien in die lachende Wirklichkeit hineintragen.
Und man hüte sich wohl, zu glauben, jetat sei also
das Adjektiv als älter anzusprechen, W6Q es nur einen Ein-
druck bezeichne, das Substantiv aber zwei bis sechs, oder
je nach Zählung noch mehr. Denn erstens ist der Ge-
samteindruck natürlicherweise gewöhnlich früher da als die
Einzelempfindung, „Apfel" früher als „rot". Zweitens aber
ist ja eben — und darauf lege ich die Betonung — nur
die Sinnesempfindung wirklich und das Zttchen für sie
gleichgültig. Vor der Unterscheidung zwischen Substantiv
und Adjektiv ist der Sinneseindruck da. Und wo nur eine
Empfindung überhaupt vorhanden ist, da verschwindet der
Unterschied zwischen Adjektiv und Substantiv. Wenn das
Kind einen glänzenden Punkt am Himmel sieht und keine
Neberempfindung hat, so ist es gleich, ob es «Stern* sagt
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Safaffcaatir and Verbum.
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oder ,hell"; ähnlich ist es oft gleich, ob wir sagen , Wasser"
oder ,nass*, »Feuer* oder «heiss". Ganz gleich; in Wort
und Gedanken j?leich.
Es ist also schon hier klar, dass der Unterschied, der
etwa dem Unterschiede zwischen den Kategorien von Sub-
stantiv und Adjektiv entspreclieii könnte, ein unvergleichlich
andrer ist in dpr Wirklichkeitsweit und in der Sprachwelt.
Will ich die Ge&aintheit von Empfindungen (oder virlmehr
ihi'e gemeinsame Ursache) njit einem \\ Orte va^^rp bezeiclmt n.
so sage ich ein socrfniinnt« s Suljstantiv ; beachte icii einen
Teil davon, eine einzelne Eniptimlunij:. so sage ich ein Ad-
jektiv; beobachte ich diese Einzeleiii{»tindung so aufmerk-
sam, dass ich an ihr wieder etwas zu unterscheiden im stände
bin, so wird das Zeichen wieder ein Substantiv, ein Abs-
fractijni ( Apfel — rund — Rundung), So schwanken die
scheinbar festen Katet^on'en wirr durcheinander, wie Traum-
bilder von jeder Stimmung des Augenblicks abhängig. Und
noch mehi*. Wenn es gewiss ist, dass der natdrliche Mens« h
— heut wie in einer Urzeit — früher das Dmg wahrnuüm
als seine Eigenschatt, so ist es ebenso gewiss, dass er das
Ding doch nur nach einer Sinnesempfindung merken, be-
zeichnen, benennen konnte, dass er das Substantiv aus ad-
jektivischen Worten metaphorisch bildete. Beispiele lassen
sich nur aus der jüngsten Schicht der Sprache beibringen;
aber es muss immer so gewesen sein.
Auch zwischen Substantiv und Verbum scheint nach Sob-
dem Gerede der Sprachphilosophen ein tiefer Kategorien- "'"„^^
unterschied zu besteben. Und auch meine Erklärung klingt varbnm.
vielleicht ähnlich, wenn ich sage: Das Substantiv bezeichnet
die Gesamtheit der Empfindung, die von einer Ursache aus-
geht, das heisst es bezeichnet eben die Ursache, das Ver-
bum aber bezeichnet eine Veränderung dieser Ursache in
Raum und Zeit. Man achte nur auf die — ich will sagen — •
konkreten Verben, s. B. »der Baum bl&hfc*; wieder be-
achtet die Sprache eine einzelne Empfindung, die sich aber
Tom A<iyektiY («der Baum ist grün") dadurch unterscheidet,
dass wir eine Aenderung, eine Entwickeiung, eine Bewegung,
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I. Unbestimmtlieit des grammaUacheu Sinnes.
oder wie man es nennen will, wahrgenommen haben. „Eis
regnet'' sagt darum durchaus nichts anderes als das Sub-
stanti? „ liegen * , unter Umstanden nichts anderes, als das
Adjektiv „nass". Und wieder ist daran zu erinnern, dass
ganz gewiss nn vielen Diugen, den beweglichen zumeist,
eben die Veränderung am meisten auffiel, dass darum diese
Veränderung das sie P.» zeichnende wurde und so diejenigen
Substantivp. die nicht Adjektive waren, eben Verben waren.
Woiili2:eiiii'i kt, zu einer Zeit, als die Kategorien noch nicht
aufgestellt werden konnten, die in der Wirklickkeitswelt
nicht sind.
Ich überlasse es anderen, den Spuren nachzugehen, die
die adjektivische Welt mit andern .Kategorien" verbinden:
für mich hat es immer etwas Adjektivisches, wenn Teü-
vorstellungen von einem Dinge „ausgesagt" werden. „Vier-
händig" ist «50 ein Adjektiv, das ebenso hübsch durch : (der
Affe) „hat vier Hände" ausgedrückt werden kann. Mau sieht
die Metapher deutlicher, wenn wir z. B. sagen: Der Apfel
hat ein rotes Ansehen, rote Backen, hat «Üssen Geschmack,
hat den und den Geruch, anstatt: Ist rt^t, süss u. s. w.
Decken sich also die allgemeinsten Formen der Wirk-
lichkeit, ihre Kategorien, schon in den deutlichsten Fällen
nicht mit den Redeteilen, den Kategorien der Sprache, wie
soll es erst in den knifflichen Fällen der Verhältniswörter
und Fürwörter werden? Und wie soll die Einheit der Formen
in Wirklichkeit und Denken gerettet werden, wenn wichtige
Kategorien der einen Sprache in andern Kultursprachen
fehlen? Und wie soll es werden, wenn die moderne Natur-
forschung endlich das Recht beansprucht, die Sprache zu
verbessern, wie sie durch künstliche Mittel die Sinnesorgane
rerbesseit hat? Wie wenn sie die künstlichen Sinnesempfin-
dungen, wie wenn sie die Ergebnisse schwieriger Experi-
mente sprachlich ausdrücken wollte? Wenn sie Schall, Licht,
Wärme u. s. w. als Bewegungen bewiesen und wahrge-
nommen hätte und nun verlangte, dass da Adjektiv
durchaus zum Verbum würde? Wo blieben dann die alten
Kategorien dee Aristoteles?
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Subjttklivitit d«r Kategorien.
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I>och selbst, wenn wir den Yorläufig paradoxen Qe-
danken, die Zukunffcssprache unsern verbesserten Sinnes-
organen (Mikroskop, Teleskop, Mikrophon, analytischer Me-
ehanik und mathematischer Analyse) anzupassen, auf sich
beruhen lassen — selbst dann ist die alte Eategorienlehre
nicht zu halten, nicht in der ursprünglichen Fassung und
nidit in irgend einer Umdeutung.
Piaton ist noch frei Ton ihr, was aber nicht sein Ver-
dienst ist. Er hatte eben noch von den Redeteilen, die
nach ihm aufgestellt wurden, keine rechte Vorstellung; darum
idlein faselte er noch nicht von den Kategorien des Seins
und begnOgfce sich mit einer einzigen: der Idee; seine Ideen
waren üim so etwas wie Modelle alles dessen, was wir vor-
st«llen können. Er war der Srzrealist, im 8inne der Scho-
lastiker natürlich, und h&tte, wenn er von Präpositionen
gewusst hätte, irgendwo in Wolkenkuckucksheim auch eine
Idee der Präpositionen angenommen. Seine Ideen waren
ikm die MOtter, die Malarisen unsere EinzelTorstellungen;
db er aber glücklicherweise noch nicht Grammatik gelernt
hatte, so hatte wenigstens jede Vorstellung nur eine Hutter,
eine Idee; seit Aristoteles, der schon Grammatiker war und
Logiker dasni, konnte jede Vorstellung bis zehn solcher
Hütter haben.
«
Der Mensch steht in der Welt als ein Zusehauer, wie
im Theater, ünd wie es eine besondere Optik des Theaters
gibt, durch welche uns die Bühne erst die schöne Illusion
gewahrt, so gibt es für die Welterkenntnis eine Optik des
Geistes, der wir die Illusion einer Erkenntnis Terdanken.
Das Denken ist das Dlusionsmslrument des Menschen.
Schon beim Bilden der einfachsten Begriffe das heisst K«t«-
beim Vei|^eiohen der Dinge, wirkt das subjektiTe Interesse ^^^^^^^^
mit, sei es das Interesse des Einzelnen, sei es das gleiche
Interesse der Menschen. Es kann gar kein Zweifel daran
8«n, dass interessierende, nützliche oder schädliche Tier-
Bxien froher benannt wurden als gleichgültige. Eine ün-
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L UnbestaouDtheii d«s grammatiiohen Sinnes.
zahl gleichgültiger Tierarten hat in der lebendigen Sprache
noch heute keinen Artnamen, wenn dieser auch in der
wissenschaftlichen Terminologie scheinbar existiert. Noch
stärker äussert sicli lias subjektive Moment des Interesses
bei den obersten Artnanien oder Kategorien. Die Optik
des Geistes hat freilich die Illusion hervorj?erufen , als ob
die allgemeinen Kategorien der Grammatik (»dt i Logik, wie
diese bei uns historisch gewordt ti isL, der VVirklichkeitswelt
entsprechen. Wir glauben in der Wirklichkeitswelt das zu
sehen, was wir in unseren Eigenschaften und ihren Steige-
nmi^'en, in unseren Verbeji und ihren Zeitformen, in unseren
Hauptworten und ihren Zahilbrmen sprachlich besitzen.
Vor Ausbildung dieser jüngeren Kategorien besnss die
Sprache oder '\n< Denken jedentalls andere. Für dns Ei;^en-
schaftswort ist es charakteristisch, dass das meist gebrauchte
(gut, besser) immer noch keine sprachliche Steigerung be-
sitzt; ebenso hat das meist gebrauchte Yerbum (sein, bin,
war) keine sprachliche Konjugation. Da"-' ist ganz auffällig
so auch in anderen Sprachen. Es scheinen Reste aus einer
Zeit zu sein, in welcher die Kategorien der Steigerung und
der Zeit noch nicht vorhanden waren. Man kann damit den
Dual der älteren Sprachen vergleichen, der aus unseren
Kultursprachen verschwunden ist.
Dagegen müssen in sehr alter Zeit Kategorien vor-
handen gewesen sein, die in dieser Art heute nicht mehr
gewürdigt werden. Als noch die Welterkenntnis auf den
Elementen Feuer, Wasser, Luft und Erde beruhte, konnte
der Gegensatz von nass und trocken so tiefdeutig erscheinen
wie heute der Gegensate von Geist und Körper. Irgend
einer Weltanschauung, dio auf dem Gegensatz der Ge-
schlechter beruhte, mag der sprachliche Unterschied Ton
männlich und weiblich entstammen, der heute noch unsere
Sprachen beschwei-t. Noch weiter zurückgehen mag der
Gegensatz des Essbaron und des Ungeniessbaren , zweier
Kategorien des Naturmenscken, die in der Sprache heute
noch z. B. bei der Einteilung der Pilze fortleben. Unsere
stolze Wissenschaftlichkeit glaubt dieses subjektive Moment
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LitareM noA Aiibegiiff.
IS
in der Kafcegorienbildung überwanden zu haben ; aber hinter
deii hOchston EinteilungsgrOnden jedes Weltkatalogs , auch
des neaesteUf steckt irgend der alte Gegeasats awiechen dem
Essbaien und dem Ungeniessbaren. Das Interesse lenkt die
AnfknerkBamkeit, die AufiDerkaamkeit scbafflt sich die Er-
innemi^, die Erinnerang wird nir Sprache.
Es ist gar nicht merkwürdig, dass die allgemeinsten
Begnffe, die in der sogenannten Logik aus der jeweiligen
Welterkenntnis abstrahiert worden sind, sich in der Gram-
matik als Benehnag^yrmen der Sprache wiederfinden. Es
gibt nimlich gar nichts Allgemeineres und in der Sprache
hiufiger Aussudrückendes als diese Beriehungen z. B. auf
Zahl, Zeit und Ort. Ein Mensch kann in seinem Leben
noch so viele Hunde bemerken und Anlass finden davon za
sprechen, er wird dennoch den Begriff Mehnabl oder den
Begriff Vefgangenheit in unendlich häufigeren FtUen anzu-
wenden haben. Darum konnte das Lautaeiehen fllr Hund
spesifiaiert bleiben, wShrend die Lautaeiehen fDr Hehrzahl
oder Vergangenheit zu grammatischen Kategorien wurden.
Die lebendigen Sprachen haben diese Lautzeichen z. B. fUr
Mehrzahl oder Vergangenheit nicht einfach genug; die Ver^
schiedenheiten der Deklinationen und Konjugationen, die
beim Erlernen einer fremden Sprache solche Schwierigkeiten
machen, sind ganz gewiss unverstSndliche Veberreete aus
Zeiten, in welchen nach der damaligen Weltanschauung
handgreiflichere Kategorien wichtiger eisehienen als die der
Zahl und der Zeit
Vielleicht wird man es nicht zu kOhn finden, wenn ich laiMreMe
behaupte, dass dieses subjektiye Moment in der Kategorien* ^
bfldung selbst bei Artbegriffen thfttig ist. Hund ist ein «esriff.
Artbegriff. Schreibt aber jemand eine Abhandlung oder ein
Buch Aber Hunde, so wird für ihn und ftr den Leser all-
mählich Hund zu dem interessantesten Begriffe, zu dem
obersten Begriffe eines mehi;^rigen oder für den Leser
wochenlangen ausscUiesslidien Intereeses. Ebenso wird fttr
den feurigen Liebhaber der Gegenstand seiner Liebe zum
obersten Begriffe seines Interesses. In einem Buche Uber
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14 I* ünb— Ümmtheit des gnnunatudieD SimiM.
Hunde wird der Hund zur Kategorie, iiii Denken des ernst-
haft verliebten Jünglings wird ein weibliches IndividiUim
zur Kategorie. Und das äussert sich denn auch sofort sehr
einfach in der Sj)rache dadurch, dass in dem Buche immer
nur von «ihm" die Hede ist, in dem Denken des Jttnglings
von .ihr".
«
Die ältere Grammatik lehrte schlecht und recht, dass
Regeln da seien, die wie andere Gesetze befolgt werden
müssen, bei Strafe für ungebildet zu gelten. Gegenwärtig
herrscht eine liberalere Anschauung, die in der Sprache
einen Organismus sieht und die Herrschaft der Sprach-
gesefase weniger äusserlich macht. Man wird z. B. heut-
zutage Ton bessern Lehrern nicht mehr hdren, dass die Pra^
Position den Casus „regiere*". Man möchte gern in der
Sprache einen anarchistischen oder wenigstens demokrati-
schen Idealstaat sehen, in welchem jede Notdurft sich die
passende Form selbstherrlich neu bildet.
Nun aber ist es doch nicht wegzuleugnen, dass es fest-
stehende Formen gibt, dass es Präpositionen z. B. gibt, mit
denen wir den Sinn einer gewissen Richtung yerbinden,
dass es Casus gibt, die sich regelmässig fUr einen gewissen
Sinn sur Verfügung stellen. Ohne solche Formen wären die
Sprachen nicht möglich. Sie bringen den unennesslichra
Gedächtnisstoff unserer SinneseindrQcke und der aller unserer
Vorfahren ein bisschen in Ordnung, sie sind die Hilfen des
Oedachtnisses. So muss man sagen, dass z. B. die Prä-
positionen ihren Casus zwar nicht regieren, aber durch die
Analogie so fest an ihn gebunden sind, dass der einzelne
sich ihrer Tyrannei nicht entziehen kann.
üBbe. Ein Irrtum aber auch der neueren Sprachwissenschaft
heii dir ^ wenn sie dieser Analogie zu sehr vertraut und den
XAte> Formen jedesmal einen bestimmten Sinn unterlegt. Wir
t»*^' wissen, dass es der Sprache wesentlich ist, unbestimmt und
nebelhaft zu sein. Auch der konkreteste Begriff ist noch
Yerschwommener als die Wirklichkeit das heisst als die
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15
Sinnefleindrücke, welche wir von ihr empfangen. Um wie
Tides nnbeetammter mttssen dann die Formen der Grammatik
sein, welche all<»&mt Abstraktionen sind.
Was zunächst die Präpositionen betn£Pt, so liegt die
Bntwickelung doch offenbar ähnlich so wie b^ der Ver-
bindung des Fh>nomen8 mit der entspreehenden Form des
Verbums. Wenn ich sage «du schreibst*, so war nrsprOng*
lieh die zweite Person schon in der lindung art* aus-
gedrückt; die VonuMeteung des »du* war nrspittnglich eine
'Wiederholnng des Zeichens flir die zweite Person, bis in
den chinaisierenden neuem Sprachen der Sinn der Endsilbe
Terloren ging und das Zeichen f&r die zweite Person allein
im vdu* haften blieb. Ebenso gab sicherlich zuerst die
Gasosendung eine Richtung und dergleichen an und diese
Angabe wurde durch ein stSifceres Wort Terdoppelt Als
die Sprachen die Gewohnheit annahmen, diese Wiederholung
zum alleinigen Ausdruck des Verhältnisses zu machen, wurde
auch das VerhBltniswort zur Präposition, während zuerst der
Sinn der Gasusform Terblasste und schliesslich, wie im Eng-
lischen nnd Französischen, die Casusform selbst.
Es ist rergebliches Bemflhen, in den alten oder neuen Oenittv.
Casusformen eine einzige Bedeutung entdecken zu wollen.
Was durch die ganze Sprache hindurchgeht« werden wir auch
hier nachweisen können. Die Umstände lenken die Auf-
merksamkeit dahin oder dorthin. Im sprachlichen Ausdruck
werden die einzelnen Vorstellungen nacheinander wachge-
rufen, um wieder durch die Erinnerung der begleitenden
Umstände aufeinander bezogen zu werden. Im Laufe der
Zeit haben sich nun Casusfonnen entwickelt, weldie die
HaupiTOrstellung von den NebenTorstellungen scheiden, aber
diese Scheidung bleibt immer schwankend, die Beziehung
der NebenTorstellungen bleibt immer unbestimmt Wenn
ich ohne Casusform die beiden Worte Komet und Jahr
nebeneinander setze, so kann das sowohl heissen, »das Jahr
eines bestimmten Kometen* als «der Komet eines bestimmten
Jahres*. In dar ausgebildeten Sprache wird nun die Neben-
Yorstellung im Genitiv susgedrflckt Der Genitir bezeichnet
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15 I. üttbertiminlihea dM ggtauaalaatibm fiiniiM.
in dem einen Falle den umfassenden B^rifiT, in dem andern
den umfitösten. Man hat die Bedeutungen des OenitiTS sehr
sauber logisch eingeteilt. In unseren Schulgrammatiken
heisst der GemÜT der BeeitefoU (was gar nicht aufrecht zu
erhalten ist); dann teilt man ihn in einen besitzanzeigenden
GenitiT, in einen QenitiT der Teilung, des Sfcoffii, der Sigen-
sehaft, in einen subjektiTen und ohjektiTen GenitiT, in einen
herrormfenden und abzielenden Genitiv, und mnss am Ende
noeh einen absoluten Genitir hininflBgen, um solche An*
Wendungen susammenzufassen, die sich dem Schema nicht
fügen wollen. Aus dieeem Wirrwarr hat schon Hermann
Paul dadurch sich zu reiten gesucht, dass er sagte, «in den
indo-germanischen Sprachen werde der GenitiT zum Aus-
druck jeder beliebigen Beziehung zwischen zwei SuhstantiTen
Terwaadt* (Pr. d. Spnichg. S. 126), wobei er Ton dem mit
Verben verbundenen Genitiv absah. Wenn wir aber be-
denken, dass alle grammatischen Sprachformen ebenso zum
Ausdruck Ton Beziehungen der Vorstellungen verwandt
werden, so ist die verzweifelte ErUirung Pauls noch ftrmer
als sie ihm selbst erschien. In Wahrheit sagt sie nur, dass
der Genitiv eine Sprachform sei, was doch eigentlich noch
unter dem NnUwert einer Tautologie steht. Wir können
nicht darOber hinaus, im Genitiv dw Form eines Wortes zu
sehen, welche uns auffordert, unsere Aufmerksamkeit von
einer Vorstellung auf eine assodierte Vontellung zu lenken;
oder vielmehr, da die Association unbewusst erfolgt, so ist
der Genitiv die Ausdrucksform für die nnbewusste Asso-
dationsthfttigkeit. Man könnte einwenden, dass diese Er-
klämng auf jede andere Casusform (um nur beim Nomen
zu bleiben) ebenso gut passen wQrde. Sie passt auch auf
jede. Und aUe BemQhnngen, in den Gebrauch der ver-
sdiiedenen Casusformen logischen ^nn hineinzubringen,
scheitern an der Thatsache, dass in den verschiedenen
Sprachen jede Beziehung durch jede Casusform ausgedrOekt
werden kann.
Im Lateinischen kann amor patris noch heides bedeuten:
die Liebe des Vaters und die Liebe zum Vater. Je nach
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den begleiteaden Umständen wird der Hörer die beiden
-Worte im Sinne des Sprechers richtig verstehen, ohne dabei
auch nur im entferntesten einen Unterschied im Sinne der
Oenitivfonn zu empfinden. Es kann uns gleichgültig seint
durch welchen Zufall der Analogiebildung die Unbestimmt-
heit der Bedentang in diesem Falle so gross werden konnte,
dass sie Gegensätze uinfasst. Man glaube nicht, dass solche
Fälle vereinzelt sind. Im Deutschen bedeutet Yaterliebe
allerdings nur die Liebe des Vaters; aber schon das nah-
verwandte Wort Elternliebe kann nadi unserm Sprachgefühl
sowohl die Liebe der Eltern als die Liebe zu den Eltern
bedeuten t und Vaterlandsliebe ist ganz eindeutig doch nur
darum, weil das Vaterland seinerseits nicht lieht. Die be^
gleitenden ümstftnde entscheiden.
Die herOhmte hesitBanzeigende Bedeutung des Genitivs,
welche doch eine Zahl Ton Beispielen auswählt, in welchen
diese Gasusform einen bestimmten Sinn zu haben sehemt,
ist Tiel unklarer, als unsere Grammatiken glauben machen.
Wo steckt die besitzanzeigende Bedeutung eigentlich: in «der
Fflrst des Landes* oder in »das Land des Fürsten*? Ge-
hört der Fllrst dem Lande oder gehört das Land dem Fürsten?
In WirUiehkeit gehört nur eines zu dem andern, in unseren
Vorstellungen nimlich. Der GenitiT bezeichnet beidemal
nur eine Association. Aber selbst in ganz einlach ausge-
wShlten Beispielen des deutlichsten besitaanzeigenden Sinnes
wird die Vorstellung je nach den Umstanden noch schwanken.
Wenn ich sage »der Bock des Vaters*, so kann ich damit
immer noch TerschiedMie Bedehnngen ausdrücken wollen
z. B. zuerst natürlich «das ist der Bock, der dem Vater
gehört*, aber auch «das ist der Bock, der dem Vater ge-
stohlen worden ist*, oder auch «das ist der Bock, den ich
dem Vater zu Weihnachton schenken will*.
Bine besitzanzeigende Verwendung scheint es durchaus
zu sein, wenn wir den Sonntag den «Tag des Herrn* nennen.
Dem Sinne nach erfordert das Verhältnis aber offenbar den
DatiT. Es ist der Tag, der dem Herrn geweiht ist. Ebenso
scheint «das Werk des Dichters* eminent besitzanzeigend.
X mn(k vttr» BdtrSge bb elii«r Kritik dw SpTaeli«. HI. 2
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1. UnbeBtimmthait des gnunmaUBChen SmiiAi.
Die Beziehung ist aber eine ganz andere; es soll gesa^;t
werden, das Werk, welches der Dichter der Welt geschenkt
hat. Und in der Umkehruug ,der Dichter des Werks
sagt der Genitiv wieder, der Dichter habe das Werk (Ak-
kusativ) verfasst. Der Genitiv ist nichts weiter als das
Mädchen für alles und hat jedwrile Be'/irhuug einer sub-
stantivischen Votstellung kurz ausziulrii n. Eine andere
Analogie hat ihn nicht gebildet. Nur kleine IJczirko inner-
halb seines Gebrauchs lassen etwas hestiiniutt re aber nie-
mals ganz fest definierbare Analogien erkenne n.
»Ich" das In derselben Unbestimmtheit bezeichnet der Akkusativ
jede Beziehung irgend eines Substantivs zu irgend einem
Objekt. Verbum. Man wird einwenden, dass die Hauptbeziehung
zwischen Substantiv und Verbum (im einfachsten Satze
nämhch) durcii den Nominativ ausgedrückt werde. Wir
müssen uns unserer Auffassung vom Satze erinnern, um
diesen natürlichen Unterschied zwischen Nominativ und
Akkusativ zu begreifen und abzuthun. Der einfachste Satz,
der nur aus Subjekt und Prädikat besteht, kann und muss
darum auf jede ('asusform verzichten, weil er ja noch gar
nicht zwei Vorstellungen in Verbintlung bringt, sondern nur
eine Vorstellung auseinanderlegt. ,Die Sonne leuchtet*" ist
nur eine einzige Vorstellung; „die Sonne" allein gibt den
gleichen Gedanken. In der ausgebildeten Sprache, die sich
von der Anschauung emancipiert hat, scheint allerdings der
Prädikatbegrifif zum Subjektbegriö' erst hinzu zu treten;
aber er ist immer aus dem Subjektbegriff herausgenommen.
Es gehört zum Betriff der Sonne, dass sie leuchtet. „Der
Baum blüht*' scheint schon mehr zu sagen, weil der Baum
doch nicht immer blüht. Aber in allen individuellen FäUen
kaon ich, wenn ich nämlich den blühenden Baum Tor mir
sehe, die Vorstellung des Baums ohne sein Bltlhen gar nicht
fassen. Zeige ich mit meinem Finger auf die Sonne, auf
den blühenden Baum, auf das schlafende Kind, auf den
strömenden Fluss, auf denk heranrückenden Feind, so weise
ich jedesmal untrennbar auf Subjekt und PiUdikat zugleich
hin. Ich kann das Prädikat so wenig Tom Subjekte trennen.
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.Ich' das gemeinsame Objekt.
19
wie in dem Satie «der Schnee ist weiss". Es wäre gar
kein Schnee, wenn nieht weiss wire. Es wlre zam
mindeslen nicht dieser Baum, wenn er nicht blühte, es wäre
nicht diese« Kind in diesem Angenblicke, wenn es nicht
schliefe u. s. w. Die Orammailk imtersch^det das Adjektiv
^ weiss" und das Yerbum ^ schlafen'^ durch den Unterschied in-
von Eigenschaft nnd Thfttigkeii Dieser Unterschied he- '^JJ^'*^*
steht bereits nicht mehr fUr unsere naturwissenschaftiicbe
Psychologie; um wie viel weniger sollte er für die Logik
bestehen, die nur mit Merkmalen der Begriffe zu thun bat.
Ob wir im einfachsten Satz einen konkreten Begriff in
Numen und Adjektiv oder in Nomen und Verbuni ausein-
anderk'f^en . das hängt doch eigentlich nur von unserer
Naturerkenntnis ab oder vielmehr von der ererbten (iewohn-
heit, uralte Natuianscbaiuingen sprachlich wiederzugeben.
Ob ich sage wie alle Welt _der liiniiin.1 ist blau" oder
, der Himmel blaut", ob ich sage ..die Hose ist duftig" oder
-die Rose duftet"*, da.s ist vorläufig nirbu weiter als ver-
schiedene Sprachgewohnheit und ist iiumer nur ein Aus-
breiten eines Begrifis, nicht ein Zusannnenfassea zweier Be-
griffe. Es ist teils falsche Naturvorsteliung gewesen, teils
reiner Zutall. dass die Merkmale eines Begriffs bald durch
Adjektive, bald durch intransitive Verben ausgedrückt wer-
den. Man hätte sämtliche Adjektive wegdenken und an
ihrer Stelle intransitive Verben setzen können. Sämtliche
intransitive Verben aber sind t.s in unserer Vorstellung nur
darum, weil wir uns sprachlich und gedanklich ir« wi lint
haben, ihr alleiniges und gemeinsames Objekt nuht zu \>p~
achten. Der sprechende Mensch ist das gemeinsame Objekt
aller inrrun' itivcn Verben. Deutlich ist das an denjenigen
zu erkeniitiU, die eine unmittelbare Re/ieluiiii,'' zu uusern
Sinnen haben. Wir haben diese ti{iru( li^re\v(jhuiieit nur nicht,
weil das gemeinsame Objekt aller binnesemdrücke der Welt
un^ gar zu wohl bekannt ist. Aber in Wahrheit bin ich
es, den der Baum grünt.
Nun gibt es unzählige andere Beziehungen in der
Natur, wo die hervorgerufene und wahrnehmbare Verände-
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20 I* Dnbertimmtbeit dee gMnunatiiokaii Biiuiei.
ruDg nicht unmittelbar in unseren Sinnesorganen Torgeht,
sondern ausserhalb derselben an anderen Objekten. Wir
drücken die eine Qruppe entweder durch ein Adjektiv oder
durch intransitive Verben aus, die andere Gruppe durch die
sogenannten transitiTen Verben. Eine genaue Beobachtung,
die sich allerdings Uber unsere Spraehgewohnheiten hinweg-
setsen muss, wird uns lehren, dass der Unterschied swischen
intransitiTen und transitiTen Verben nur auf ungenauer
Psychologie beruht und Überdies keine bestimmten ChreU'
zen hat.
Ich nehme es als zugestanden an, dass die Merkmale
der Dinge, die wir durch Adjektiye ausdrücken, ebenso gut
durch intransitiTe Verben hätten ausgedruckt werden k0nnen.
Wir wissen, dass die Empfindung der grünen Farbe erst
durch eine Wirkung auf unsere Netshaut herrorgerufen
wird, dass wir das Objekt des scheinbar intransitiTen Ver-
bums «grünen* sind. Der Satz «der Baum grünt mich**
ist noch ganz und gar gegen unser Sprachgefühl gebildet.
Aber unser Sprachgefühl gestattet doch schon anstatt «der
Baum ist grün* wenigstens zu sagen «der Baum grünt*.
Dasselbe Sprachgefühl gestattet aber nicht das AdjektiT
«weiss* in das intransitiTe Verbum «weissen* zu verwan-
deln, vielleicht nur, weil es ein transitives Verbum «weissen*
gibt. Das Sprachgefühl verfährt dabei ganz unlogisch. Die
Thatsache, dass ich das Objekt aller Sinneseindrücke bin,
dass ich also als Objekt zu allen intransitiven Verben hin-
zugefügt werden müsse, ist dem Sprachgefühl nicht ganz
fremd. Wenn mein eigenes Sprachgefühl mich nicht Buscht,
so sucht die Sprache diesen Umstand durch den sogenannten
Dativus ethicus häufig auszudrücken. In Prosa und Poesie
können wir sagen: Der Apfel schmeckt mir (süss), die Rose
duftet mir, der Baum grünt mir. Versenken wir uns in
den Sinn dieses Dativs, so w^en wir erkennen, dass er
eigentlich wirklich das Objekt des Schmeckens und Duftens
ausspricht: nur weil das gewohnte äussere Objekt nach un-
seren Spraehgewohnheiten im Akkusativ ausgesprochen zu
werden pflegt, nehmen wir für das innere Objekt den in-
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Entatehiing des Tranntivams.
21
timeren Dativ zu Hilfe. Ich kann mich nicht anders aus-
drücken und vertraue aut das ÖpracliLrffnhl des Lesers.
Nun achte man auf den Ueber^Miijj; vom intransitiven Eni*
Verbunv zum transitiven bei denjenigen Wahrnehmungen.
die uniiJittelbar unsere Sinne betreffen. Als vermitteln(h's Truwi'
Beispiel wählp ich das Wort , rufen". Wollen wir damit
mir die Khmf^'en L t^'"un<^ Hu^ili iickeUt die s\ch damit begnügt,
in unsertiii ( ichüroigari einen Klang *'ni |iliiiflen zu lassen^
.so fassen wir das Wort als intransitiv. ,Der Kuckuck
ruft*. Empfinden wir dabei eine gewisse Aufforderumr,
zuzuhören , so setzen wir wohl den Dativ dahinter. Faust
sagt tief ergriffen: ..Wer ruft mir?" Soll aber mein Ich
das äussere Objekt des Kufens werden, soll ich daraufhin
eine Veränderung mit mir vornehmen, dem Rufenden ant-
worten oder zum Kufendtn lims^Hhf'n, so wird das Wort
transitiv und ich frage ,wpr rult mich?"
Ich hoffe, die Sache nun im Bereiche anderer Sinne
noch deutlicher zu machen, wenn mir auch kein so gutes
Beispiel mehr einfällt, wo das Verbuni beim Uebergang
vom Innern zum äussern Objekt dasselbe bleiben kann.
Höchstens der Geschmackssinn gibt noch Gelegenheit dazu.
Wir sagen „der Pfeffer brennt", „die gepfefferte Speise
brennt mich" ; der Unterschied ist kaum wahrnehmbar; ich
glaube aber doch, dass mit dem ,mich" die Erklärung für
eine Reaktion angedeutet wird. Ich meine das so. Wir
sagen «der Schnee ist weiss" oder „der Schnee leuchtet"»
solange die Weiss Wirkung auf mein Sehorgan die normale
Stärke nicht überschreitet, solange ich unbewusst das Ob-
jekt der Tbätigkett des Leuchtens oder Weissseins bin. Ich
kann dann auch aagen .der Schnee leuchtet mir", was frei*
lieh auch noch einen andern Sinn erhidte. Sowie aber
die Einwirkung des Leuchtens oder Weissseins auf meine
Ketahaut so stark wird (die gepfefferte Speise brennt mich),
dass ich gezwungen bis, eine Veränderung wenn auch nur
durch Reflexbewegung Tonanehmen, die Augen za schliessen,
den Kopf abzuwenden, Thränen zu vergiessen und der-
gleichen! dann werde ich sofort aus dem innem Objekt des
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1. Unbestimmtheit des grammatischen Sinnes.
Leuchtens ein äusseres Objekt und ich sage «der Schnee
blendet mich*. Damit glaube ich ein gutes Beispiel geliefert
KU hAben für die psychologische Thatsache, dass ein blosser
Chradunterschied einer Naturthilktigkeit aus dem intrandttTen
Verbum dn trattsiti?e8 machen kann. Dass wir im Deutschen
zwei Tcrschiedene Verben brauchen, ist ein bloeser Zufall.
Akkoutiv. Diese scheinbare ^bsdiweifimg w&re nidit firnddlos
gewesen, wenn sie uns auch nur dazu gefuhrt hütte, dass
eine ungenaue Psychologie unklar bald den Akkusatir bald
den Dativ fttr das gleicherweise , leidende" Objekt stellen
lässt. Die Abschweifung war aber notwendig, um das
Wesen des Akkusativs besser ids bisher zu erklären und
daran fügen zu können, warum sein Sinn unbestimmt bleiben
musste. Wir haben gesehen, dass der einfache Satz (Sub-
jekt und Prädikat) nicht eine A.ssociation von zwei Be-
gritien ist, sondern nur die Ansei nanderbreitunj^ Eines Be-
griffs. Mit einem Blick lassen sich beide Begriffe unifas.sen,
weil der eine iiu andern enthalten ist. Das Auge braucht
sich gewisserraassen beim einfachen Satze noch nicht zu
bewegen. Mit dem einzigen Hinweis des Zeigefingers deuten
wir auf das Kind , das schläft , auf den Baum . der blüht
u. s. w. Auf ilas ()])iekt brauchen wir nicht hinzuweisen,
weil das Objekt selbst dem Finger die Kichtung gab. Ich
deute mit dem Finger aut den Baum, der blüht. Vollzieht
sich die Veränderung aber nicht in mir selbst, sondern in
der Aussenwelt. so muss ich allerdings das Auge bewegen,
den Finger hin und her fähren, zwei Begriüe associieren.
.Der Fischer hscht den Fisch", ,der Schlächter schlachtet
(las Srhlarhtvieh*. Ich wähle absichtlich etymologisch ver-
wandte* Worit. Die einfachen Sätze .der Fischer fischt*,
»der Schlächter schlachtet" deuten noch auf keine Veräude-
rung in der Aussenwelt extra hin: erst wenn eine solche
Veränderung hei vorgerufen wir«!. a'=s(H"iieren wir einen neuen
Begriff. Und die Sprachen haben sicli gewöhnt, diejenigen
Begriffe, an denen «lie durch eine Thätigkeit hervorgerufene
Veränderung wahrneiimbar wird, in der Casusform des
Akkusativs auszudrücken.
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Welches soll nun d«r gemeinsame Sinn dieses Akku-
sati'fs sein? Solange wir uns im Banne der Sprache be-
finden, werden wir ganz einfadi sagten: er bedeute, dass
der Gegenstand eine Veronderung erleide, dasa er das Ziel
einer Thätigkeit sei und dergleichen mehr. Ein genaues
Hinhorchen auf unsere e^jene Sprache muss uns aber dar-
über belehren, dass das nur bildliche Worte für durchaus
unvergkicbbare und unzusammenhängende VerhUtnisse sind.
Kur unter dem Banne der Sprache, die sich eine Analogie
aller AldEOsatiTe eingeredet hat» um den Akkusatir ana-
logisoh auf alle Objekte anwenden su kdnnen, werden wir
den AkkusatiTen: der ScbUkhter schlachtet das Bind, ich
liebe die Arbeit, ich schreibe einen Brief, ich nenne
dich mein Heimchen, Gelegenheit macht Diebe n. s. w.
einen gemeinsamen Sinn unterlegen kdnnen.
Man hat ebenso wie beim GenitiT auch beim AkkusatiT
eine logische Einieflnng in Tenchiedene Bedeutungen her-
ausKufinden gesucht Ich habe vorhin beim GenitiT den
Punkt nicht erwihnt, auf den ich jefzt hinweisen muss.
Angenommen auch, es sei eine solche logische Einteilung
da oder dort möglich, will dann irgend ein Grammatiker
der Welt behaupten, dass beim lebendigen Gebrauch der
Casusfoiraen irgend ein Bewusstsein oder auch nur die
dunkelste Ahnung der logischen Einteilung rorhanden sei?
Für das Sprachgeftlhl des Nichtgesdiulten gibt es nur einen
GenitiT, nur einen AkkusatiT. Die Unbestimmtheit des
Sinns jeder einzelnen Oaimsform ist so gross, dass nichts
weiter Qbrig bleibt, als von ihnen zu sagen: sie deuten Be*
Ziehungen an. Die umgebende Wirklichkeit, respektiTe die
wacbgemfene Erinnerung an sie gibt den Casusformen in
der jeweiligen Anwendung erst ihren besondem Sinn. Ich
brauche für Fachleute nicht erst hinzuzufügen, dass für die
flbrigen Casus noch in höherem Hasse gilt, was ich fOr
den GenitiT und Akkusativ nachgewiesen habe.
üebrigens ist die Thatsache, dass wir in unseroi
neueren Knitntsprachen mit Wer Casus auskommen, wih-
rend andenwo (nach der Angabe der Sprachwissenschaft
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I. Unbe«tiiamtheit de« gnunmatUcben Sinnes.
auch in der t,ogenannten Ursprache der Indo-Gernianen)
acht Casus nötig sind, nur ein Beweis dülüi , dass die
Sprache in ihrer Entwickelung allmählich darauf Verzicht
geleistet hat, tilr unbestimmte und unklare Unterscheidungen
besondere Katecrorien lest m halten. Und ich bin fest Uber-
zeugt davon: Wenn wir nicht die vier Casus von den ^rrie-
chischen Schulmeistern überkoniiuen hatten und die Sprache
und die Grammatik der neuern Sprachen sich nicht hier
und überall wechselseitig beeinflusst hätten, man würde im
Französischen und Englischen längst nicht mehr von diesen
Casustormeu sprechen. Ein grammatisches Genie, meine
ich, das ohne Kenntnis der alten Sprachen und der ererbten
Grammatik einzig und allein auf das Englische oder Fran-
zosische aufgewiesen wäre und eine (iramraatik einer dieser
Sprachen schreiben würde, käme gar nicht auf den (le-
danken, unsere (Jasusformen ant/. istellen. FIim li^trus würde
es sich über einzelne selts;iMn VVortver&nderungeu ^wie den
sachsischen Genitiv) verwundern.
Damit auch hier die Lächerliclikcit der Pedanten nicht
fehle, ierncit unsere Schüler als eine grammatische Weis-
heit, dass du' ('asusformen die Autworten seien auf die
Fragen: Wer? wessen? wen»? wen? Und Kinder und Gram-
matiker glauben mitunter die Bedeutung oder den Sinn der
einzelnen ('asusformen in diesen Fragen zu besitzen, leb
brauche kaum lu rvorzuheben, dass diese Fragen nichts sind
als die allgeiut nisten und abstraktesten Wii'derliolungen
eben der (Jasusformen. Nur weil wir uns in dem Irrtum
befinden, dass jede Casusform einen bestimmten Sinn habe,
darum bilden wir uns ein. die allgemeine (^asusform (die
Frage: Wer':' weisen? wem? wen?) erkläre uns irgend etwas.
Dm Oe- Kürzer kann ich bei derjenigen Sprachform sein, die
•dhlflcbt Geschlecht heisst und bei der Erlernung fremder
Sprachen eine fast unüberwindliche Schwierigkeit bietet.
Man sollte daraus . dass verschiedene Sprachen und selbst
verschiedene Dialekte der gleichen Sprache nicht überein-
stimmen in dem Geschlechte, welches sie den Dingen bei-
legen, die Lehre ziehen, dass Logik und Philosophie mit
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Dm Geschlecht
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uiustr Kategorie wenig zu schatten liaben. Wan ist üljer
»He Bedeutung des Geschlechts niclit Hlles zusammengefal)elt
worden! Sicherlich ist ursprOngluh die Unterscheidung
zwischen den getrenntt ii < reschlechtern der wirklichen Natur
(Hengst und Stnte, Mann und Frau) der Anlass gewesen,
dass man bildlich den Geschlechtsunferscbied auch auf die
Qbrigeii Dinge übertrug. Es kann nicht zweifelhaft sein,
dass dabei fine üppige Phantasie thätig war. Jede ge-
schlechtliche Bezeichnung eines Dings ist metaphorisch.
Während aber alle Metapliern , durcli welche die Sprache
sich sonst bereichert , notwendig und nützlich waren und
die neue Beobachtung mit Verwendung des alten Wort-
vorrats in die Sprache aufnahmen . musste die Einteilung
der Dinge nach Geschlechtern you jeher ein Luxus sein,
ein Ballast.
Zur Mythologie der Sprache gehört also das Ge-
schlecht der Substantive. Es ist natürlich und darum
nicht mythologisch, wenn das dritte persönliche Fürwort
für die beiden Geschlechter verschiedene Formen besitzt;
auch hat die englische Sprache, nachdem sie den Ballast
des Geschlechts sonst fast vollständig abgeworfen hat, die
Trennung von ,er" und »sie* beibehalten. In irgend einer
I rzeit der Sprache m^ 68 auch natürlich gewesen sein,
die beiden Geschlechter einer Tierart mit verschiedenen
Worten zu bezeichnen, das heisst nicht mit yerschiedenen
Geschlechtsformen desselben Worts. Es ist bezeicbnend,
dass diese verschiedenen Worte Tiere betrafen, welche als
Haustiere dem menschlichen Interesse am nächsten standen.
Die eierlegende „Henne" war ?on anderem Nutsen als der
Hahn, die .melkende Kuh*" won anderem Nutzen als der
Stier u. s. w. Immerhin mag es noch nicht Mythologie,
sondern falsche Naturkenntnis gewesen sein, wenn sodann
weniger intime Tiere bald dem männlichen, bald dem weib-
lidi! II Geschlechte zugeteilt wurden, wie bei uns der Spatz,
die Meise. Natürlich war es wieder, wenn in einer spätem
Sprachzeit nach der Analogie männlicher und weiblicher
Endungssilben aus der Spatz ,die Spätzin'' gemacht wurde.
26
I. Unbestinuntheit des grammatitcbea Sinnes.
was M'olil zuerst dem Sprachgefühl als ein Scherz erscheinen
mochte.
Wir kennen jedoch du l'liantusie alter Zeiten zu wcnii^,
um ebenso einfach erklären zu können, wie es zu der Auf-
stellung des schematischen und unnatürlichen dritten Ge-
schlechtes kam, des sächlichen, und warum schliesslich in
vielen Sprachen die Einordnung jedes Substantivs unter
diese drei Klassen notwendig wurde. Es ist aber ein Ge-
setz des Sprachgebrauchs geworden . dem sich z. B. die
Griechen, die Lateiner und die Deutschen unweigerlich füjjfcn
mussten. Diesos pliantastische Gesetz erinnert an die Ge-
wohnheit altnjodisclier Künstler und Dichter, Dutzende von
abstrakten Wehrten wie Treue, Liebe und Hoffnung zu Gott-
heiten zii erheben, trotzdem sie in der reichhaltir^en Mytho-
logie der Alten nicht vorkamen. Im Französischen wird
die Göttlichkeit soldier Abstraktionen durch einen grossen
Anfangsbuchstaben angezeigt. Und dieser Vorgang berührt
sii h noch näher mit dem Atifkommen der sprachlirhen Cre-
schlechtskategorio. wenn wir erwägen, dass so ein allst rakter
Begriff zu einem männlichen Gott und zu einer wrihlithen
(TÖttin gemacht wird . je nachdem der Zufall der Sprach-
geschichte ihn zugeteilt hat: ein deutscher Bildhauer wird
den ^Fleiss" als einen Jtingling darstellen, ein französischer
als eine Jungfrau.
O«- L^'^nter den neuem K iil[ Ursprachen hat, wie gesagt, das
''ujad*"' Enghsche die Geschlechter bis auf wenige Reste hinaus-
SpracU- geworfen. Das Französis( he hat wenigstens das dritte Ge-
gebmeb. j-^y^dji^ entfe) nt. Wir Deutsche aber fjuälen nicht nur
fremde \'ölker, die unsere Sprache erlernen wollen, mit
imsern drei Geschlechtern, sondern auch uns selbst. Man
kann zuverlässig l)ehaupten, dn«s e«; keinen Deutschen gibt.,
der von jedem Substantiv mit Sicherheit anzugeben wüsste,
welchen Geschlechtes es sei. Das gilt nicht nur für Fremd-
wörter, wo der und das Cölibat. der Magistrat, das Rekto-
rat, der Hexameter, das Barometer, der Liqueur, die Cou-
leur, das Douceur gesagt wird. Auch bei deutschen Worten
.schwanken die Gelehrten und die besten Schrit'tstelier ebenso
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Geschlecht und Sprachgebrauch.
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wie das Volk. Selbst Jacob Grinini weiss nicht, ob nv.m
der Euter oder das Euter sjifren solle. In solt^hen Fällen
ist auch auf Goethe, Lessiug und andere kein Yerlass, weil
der Sprachgebrauch sich verändert hat (mitunter auf die
Autorität eines Wörterbuches hin) und z. B. der Ungestüm
verlangt, wo Schiller noch das UngestUui .sehrieb. Ganz
willkürlich hat der Sprachgebrauch dann mitunter die Ge-
schlechtsbezeichnung zu einer Aenderung der Bedeutung
benützt wie bei der Band und das Band, der Yer lii iwt
und das Verdienst, der Chor und das Chor. Wieder m
anderen Fällen gilt das enie Geschlecht für poetischer als
das andere; der l^ueii ist poetischer als die Quelle, aber
in der bildlichen Darstellung ist die (lottheit des poetischen
^'ik Us wieder ein Frauenzimmer, in Anlehnung an die
Antike. Docii auch hier i.st di»' Plsantiisie nicht konse-
quent. Die Donau ist ein Weibchen . der Rhein ist ein
alter Herr, trotzdem beide Flüsse im Lateinischen männlich
waren. Es ist überflüssig, die Beispiele zu häufen: m m
kann sie bei Andresen (Sprachgebrauch, S. 40 und loigende)
hübsch bei einan ler finden. Wie sehr aber unsere Phantasio
von der Geschlechtsmythologie unserer Sprache abhängt,
das erfahren wir aus der Schwierigkeit, die uns das ver-
änderte Geschlecht anderer Sprachen macht, und aus un-
serem albernen Tjachen . wenn ein Ausländer gegen die
Genusregeln unserer Sprache sündigt. Wir sind in diesem
nivthologisrhen Punkte, wie immer in KeligioDssacbeu, em-
piindiicher als sonst.
Wenn wir nicht die besitzenden Sklaven einer solchen
geschlechtsfrohen Kuitursju ache wären, wenn wir ausserhalb
stünden und nun hören würden, dass unsere Geschlechts-
klassifikation eine Ausnahme bilde unter den Sprachen der
Erde, dass die meisten Sprachen das Geschlecht gar nicht
kennen, dass z. B. die Elskimo die Dingwörter in belebte
und unbelebte einteilen: so müssten wir wohl unbefangen
die Sprachphantasie der Eskimo bewundem und unsere
eigene Geschlechtsphantasie barbarisch finden.
Die genauere Sprachgeschichte der Geachlechtekategorie
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28 ' Unbestimmtheit des grammatischen Sinnes.
ist in Dunkel gehüllt. Aber anch die Oasmformeii der
Terechiedenen Geschlechter in den alten Sprachen ftthren
historisch zu einem fthnUchen Ergebnis, wie die unge-
lehrte Betrachtung der Thatsache selbst» Nach der Ana*
logie natOilicher Beaeichnungen weiblidier Tiere mag sich
in einigen Sprachen eine weibliche Deklination von der
mSnnliehen deutlich nntwsehieden abgezweigt haben und
diese Analogie mag dann Terallgemeinert worden sdn wie
Dm andere Analogien. Das i^chliehe Qeschlecht, das auf Iia*
teinisch so ehrlich das genus neutrum heisst, sieht Ter-
sebiedit. zweifelt der Schrulle irgend eines yorzeitlichen Grammatikers
ähnlich, die dann durch irgend eine geistige Mode zu einem
Sprachgesetz wurde. Es spricht vid daf&r, dass sich diese
Geschlechtskategorie auf solche Weise entwickelt habe. Der
natürliche Gegensatz zwischen dem männlichen und weib-
lichen Geschlecht ist in den alten Deklinationen und auch
im Deutschen viel deutlicher ausgeprägt als der künstliche
Gegensatz zwischen dem niünulichen und dem sächlichen
Geschlecht. Vielleicht waren in irgend einer vorhistorischen
Zeit die Dingwörter der bereits mit Dingwörtern versehenen
Sprachen f^anz anders eingeteilt, vielleicht galt der Unter-
schitii der beiden Geschlechter nur den belebten Dingen
und das Sprachgefühl kannte, wie noch heute bei den nord-
amerikanischen Stämmen, daneben die Einteilung in eine
belebte und eine unbelebte Klasse. Es war dann, wenn
diese „Hypothese" richtig ist, die Kategorie der Ünbelebtheit
oder Sächlichkeit später als drittes Geschlecht zu den beiden
natürlichen hinzugetreten. Alten Grammatikern ist so etwas
zuzutrauen und niemand wird leugnen, dass unser Sj^rach-
gefUhl mit dem dritten Geschlecht, dem genus neutrum, den
Begriff der unbelebten Sächlicbkoit verbindet, wie es denn
auch im Deutschen jetzt das sächliche Geschlecht genannt
wird, während „ucutre" im Französischen negativ ist und
auch „geschlechtslos" bedeutet.
Für diese Annahme würde auch die Beobachtung spre-
chen, dass sehr liäufi<r das dritte (ieschlecht gar keine Ge-
schlechtseudung hat, sondern sich zu der männlichen Form
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Das dritte Geschlecht.
29
etwa so TerlUUt wie der Wortstamm cum NooiinaliT s. B.
in den griechisclieii Endmigeii -o«, -sut, -t>. Ei konnte
darum das dritte Geeohlecht, welchea die semitiaeheii Spra-
dien gar nidit kennen, in den romanisehen SjHraclien, wie
im FranaSsisclien, so leicht wegfallen. Dahin mag es auch
gehören, dass im Deutschen ein wmbHdies Wort zum säch*
liehen werden kann» wenn es seine Endsilbe Terloren hat;
aas «die Ecke* wird so «das Eck'.
Wir können yermuten, dass auch bei dieser allge-
meinen ümformierungsmode die grammatische Regel einen
unheilTollen Einfluss auf die lebendige Sprache gewann.
Wir können uns recht gut eine alte Zeit vorstellen, in welcher
die Phantasie des Volkes das heisst die damalige wissen-
schaftliche Ueber/eugung, in vielen Dingen ausser den Tieren,
in Bäumen, Flüssen und dergleichen menschenähnliche Wesen
sah, wie sich das ja auch not h in der niedern griechischeu
Mythologie ausspricht. Wir brauchen nur noch etwas weiter
hinter die naturwissenschaftlichen Irrtümer des Aristoteles
zurückzugehen, etwa in eine Zeit, wo die Fa))eln des Aesop
noch Hiebt eigentlich als Märchen wirkten, sondern der gleich-
zeitigen wissenschaifclichen Weltanschauung entsprachen, um
uns auszudenken, wie zahlreiche Dinge geschlechtlich vor-
gestellt wurden, wie uia.u m gutem Glauben etwa sagte:
Der Kheiu-Mann, die Eich-Frau. Wo die Phantasie einen
solchen Zusatz nicht verlangte, gab es eben kein Geschlecht.
E«5 ist wohl kein Zweifel , dass iu ähnlicher Weise einmal
audi die Deklination der Substantive, die Konjugation der
Verben uud die Steigerung der Adjektive unvollständig
waren. Erst als all diese Kategorien den redenden Menschen
so weit zum Bewusstsein kamen, dass die Ahnung einer ge-
wissen Gleichmässigkeit wirksam wurde, da wurde die Uni-
form der Deklination, der Konjugation und der Steigerung
aUen Substantiven, Verben und Adjektiven aufgenötigt und
die Sprachen bereicherten sich so durch eine Analogie, die
ursprünglich falsch genannt w(M-den musste, l»illig und
schlecht, mit einer Un/Bhl neuer Wortformen (vergl. 11.
89 f.). Was aber lu diesem neuen Gebrauch schematisch
20 I* üübettiimntlwit des gnuniiiatiteh«n SinneB.
▼ollstftndiger Deklinationen und Konjugationen immerhin eine
grössere Gelenkigkeit der Spracbc Ijedeutete, das wurde im
aUgemeinen Qebraueh der Gesdüechtebezeiclinung zu einem
Hemmnis der Sprachen, zu ebem phantastiaehen Spiel,
deasen sich die Indianersprachen schämen würden. Mich
gemahnen die OeschkchtsbezeichnuDgen der Sprachen leicht
an die obscdnen Kritzeleien, mit denen unntttze Bubenhinde
alle Wände beschmieren.
Wie aber diese Kritzeleien in ihrer Hauptmasse einer
sexuell männlichen Phantasie angehdren, so ist unsre ganze
Sprache — will man sie einmal darauf hin betrachten —
eine Männersprache, nidit anders als unser Redit ein ICänner*
recht ist. Nicht nur, wenn sie Bücher schreiben wollen,
verkleiden sich Frauen zu Männern. Die Frau sagt: «Ich
bin der Herr im Hause**; und hat sie damit Unheil ange-
richtet, so findet sie nachher, sie sa ein Esel gewesen*
«Eselin* wäre ein ganz falsches Bild (Tergl. Polle, «Wie
denkt das Volk u. s. w.* 2. Aufl. 3. 105). Der lustigste
Bel^ für meine Anschauung ist bei Polle nicht zu finden.
Pankraz der Schmoller (in Kellers Novelle) sagt zu seiner
Schönen, die doch eigentlich nur eine Gans ist: «O Fräu-
lein! Sie sind ja der grSsste Esel, den ich je gesehen habe.*
Und er fQgt sprachphilosophisch hinzu: «Nur wir Männer
können sonst Esel sein, dies ist unser Vorrecht* (weil auch
kluge Leute Eseleien begehen können), «und wenn ich Sie
auch so nenne, so ist es noch eine Art Auszeichnung oder
Ehre für Sie.*
Man kann sagen, dass beim bildlichen Gebrauch solcher
Worte, auch bei Uebertragung von Berufsworten auf Frauen •
(Arzt und dergleichen) das männliche Geschlecht neutral sei.
Die Erfindung des dritten Geschlechts, des Neutrums,
erscheint mir, trotzdem ich in meiner Muttersprache unter
dem Banne dieses dritten Ges<dilechts rede, eine der ab-
geschmacktesten und albernsten Erfindungen des Sprach-
geiätes zu sein. Freilich gehe ich so weit, in der Einteilnng
der Substantive nach Geschlechtern eine vorübergehende
Mode zu sehoi, die allerdings ein bisschen lange gedauert
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Plunl.
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liai, n&mlich seit Jahrtausenden. Aber es kann kein Zweifel
daran sein, dass in üneiten die Worte noch kein Geschlecht
hatten und es ist eine Thatsache, dass die modernste Welt-
sprache der Ck^nwart, das Englische, Aea Oesqhleehts-
unterschied bis auf wenige Spuren getilgt hat. Wir kdnnen
uns also den Anfang dieser bescmdem Metapher vorstellen
und ihr Ende bereits Toraus ahnen. Haben einst unsere
Sprachen erst den Luxus, jedem Bing ein Geschlecht bei-
zulegen, wieder abgelegt, dann werden sie Tielleicht auf den
früheren Zustand surttckblicken, wie wir etwa auf den
Suphuismus, den luzurierenden Bilderreichtum, wie er leider
immer noch bei Shakespeare bewundert wird.
Die Sprachform der Geschlechtsbeseichnung gibt also
aberhaupt kein bestimmtes Bild. Irgend ein Zufall der End-
silbe hat in den alten Sprachen die Phantasie analogisch
gelenkt, als es einmal Regel geworden war, den einselnen
Worten ein Geschlecht beisulegen. Selten nur hat das Bild
Oberhaupt einen Sinn gehabt; es ist meiBt rein SprachTcr-
aemng gewesen. Der Gebrauch des nach Geschlechtem ge-
trennten Artikels in neueren Sprachen hat den Geschlechts-
unterschied womöglich noch ftusserlicher gemacht Der Ge-
schlechtswandel ist darum eine sehr häufige Erscheinung, auch
innerhalb einer und derselben Sprache. Es ist eine habsche
Beobachtung, dass im Deutschen besonders solche Worte,
welche am Itiiufigsten in dem geschlechtslosen Plunü ge-
braucht werden, bei denen also die Geschlechtsbezeichnung
des Singulars weniger eingeübt war, ihr Geschlecht am leich-
testen verändert haben. .Woge", «Thiine* waren im Mittel-
hochdeutschen m&nnlich; «Wolke", .Waffe" waren im Mittel-
hochdeutschen sichlicfa.
Selbst die Sprachform der Mehrzahl, die doch eine viel pia»i.
klarere Bedeutung hat als Casus oder ^ar Geschlecht, ist
nicht so bestimmt wie man glauben sollte. Alte Mehrheits-
sngaben wie «Schock", ^ Mandel", „Dutzend* werden in
vielen Sprachen singularisch gebraucht. Unser .Geschwister"
war noch bis ins 18. Jahrhundert hinein der Singular
.das Geschwister*^. Die Bezeichnung der christlichen Feste:
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32 1* Uabeitimmllidi de« gsammatudieii SiniiM.
Ostern, Phngsten, Weihnachten sind Singulare f^eworden,
ebenso das Wort «Buch", das Althochdeutsch (Buchstaben I
ein Plural war. Umgekehrt wird im Englischen „pcople**
al^ Plural gebraucht, und das gleichbedeutende altdeutsche
„liut* hat sich auch formell in den Plural ^ Leute** Ter-
wandelt. Wir empfinden eine ganze Anzahl sehr häufig ge-
brauchter Worte wie: „Drei Fuss", «sfiehnMark'*, ,20 Pfund",
,,tau<;end Mann** als Singulare, wenn auch einselne davon
ehemalige Phirale sein mögen. Und gerade in diesen Fallen
ist doch die Vorstellung der Mehnahl durch das voran-
gestellte Zabhvort am deutlichsten gemacht, ohne dass die
Sprachform der Mehrzahl nötig wäre.
Der Sinn dieser Sprachform wird auch dadurch unbe-
stimmtf dass sie zwei ganz verschiedene Mehrheiten des Be-
griffs bexeichnen kann, nämlich entweder mehrere Dinge
derselben Art oder mehrere Arten desselben Dings. Sind
mehrere Dinge derselben Art gemeint, so liegt die Mehr-
zahl eigentlich schon im Begriffe selbst. Es ist auch im
Gedanken vollkommen gleich ob ich sage: „Der Mensch ist
sterblich* oder „die Menschen sind sterblich*. Es ist darum
eine verkehrte Ausdrucksweise, wenn man ewig die Regel
wiederholt, dass StofEnamen keine Mehrzahl haben. «Der
Sand* ist dem Sinne nach eine Mehrzahl. Umgekehrt em-
pfinden wir die Namen Ton Krankheiten wie «Blattern*,
ttMasem* u. s. w. als eine Binzahl. Wo wir aber Stoffe
nach Arten onterscbeiden , da können wir auch sprachlich
eine Mehrzahl bilden s. B. «die Weine seines Kellers*.
PBMivvm. Nicht ganz so offen auf der Hand liegt die TJnbestimmt-
beit des Sinnes bei den Sprachformen des Yerbnms. Wer
seinen robusten Glauben an sein YerbSltnis zur Wiriüidi*
keitswelt nicht durch Nachdenken verloren bat, der wird
besonders die Zeitformen des Yerbums für ausserordentlicb
logische Bestimmungen halten; ebenso den ünterscbied «wi-
schen ActiTum und Passivum. Wir sind so unüberwindlich
daran gewöhnt, unsem Worten den Sinn au geben, den
unsere Vorstellungen durch die begleitenden Umstände er-
halten, dass wir natOrlicb — und vom Standpunkte der
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Psnivinii»
33
WirUichkeit mit Recht — einen grossen ünterschied sehen
swischen «ich ecblage meinen Bruder* und .ich werde Tcm
meinem Bruder gesehlagen*. Nun kann aber kein Zweifel
daran sein, dass die Sprache in Urzeiten, ebenso wie
heute die Sprache eines Kwe^lhrigen Kindes, keinen Unter-
schied machte twischen ActiTum nnd PassiTum. »Bruder
schlagen* ruft das Kind und die Hutter erfUirt mit ToUer
Deutlichkeit aus den begleitenden Umstinden (dem weiner-
lichen oder triumphierenden Ton, der Stirke und der Ge-
wohnheit der Kinder und dergleichen) was gemeint ist.
Wenn wir uns erinnern, was eben Uber das Wesen des
AkkusaÜTs gesagt worden ist, so werden wir das Passivum
nicht nfther erklAren können als durch die Thatsaehe, dass
es Verinderungen in der Aussenwelt beseidine. Der Unter-
schied Tom ActiYum besteht nur darin , dass die Aufinerk-
samkeit sunSohst und mit voUem Licht auf den Gegenstand
gelenkt wird, an dem die Veiftnderung siehtbar wird. Das
Kind ruft z. B. ausnahmsweise einmsi so tonlos ^Bruder
schlagen*, dass die Uttiter meint, es habe den Bruder ge-
schlagen* Sie sankt. Darauf kann das Kind ohne Kenntnis
des Passivnms ganz gut so sich ausdrucken: »Ich . . , schla-
gen . . . Bruder,* wenn es nur durch Ton oder Oeste den
Bruder als die handelnde Person hinstellt.
Der aufmerksame Leser wird schon bemerkt haben,
dass diese Erklärung ron ActiTum und Passivurn so ziem-
lieh zusammenfällt mit meiner Erklärung der transitiven und
intransitiTen Verben. »Ich fälle die Bäume" ist Transi-
tiTum und Actirum; „die Bäume fallen" lässt sich aber
ebenso gut als Passivum wie als Intransitivum auffassen.
-Die Bäume fallen" unterscheidet sich • — wenn ich es all-
gemein als ein Beispiel ausspreche — ijaii/. imd gar nicht
von ,die Jiiiujiic werden gefällt". Nach iiiHinpni Sprach-
gefühl ist alit r in der wirklichen Sprache eiiu- Nuance zwi-
schen -die Baume fallen (unter dem Beil des Holzhauers)"
üu l -die Biiunie lallen (durch den Sturmwind)". Den zweiten
Satz empfinde ich als einen bildhchen, einen poetischen Aus-
druck. Das wäre ebenso, wenn ich gesi^t hätte, „die
MAtttbaer. Bettrtge sn dnor KrHtk d«r Sprache. JH. 8
Z4i I. Uiib«rtiiiiintli«it d« gnunmatuelMii 8iiu«s*
Bäume werden vom Holzhauer, sie werden vom Sturmwind
gefällt". Das eine Mal ist die handelnde Person wesentlich,
welche die Veränderung am Aussending hervorbringt, das
andere Mal ist sie mehr eine beschreibende Zuthat.
Aber die Unbestimmtheit erstreckt sich noch weiter als
auf so feine Empfindungen des Sprachgeftlhls. Wir können
das an den modernen Sprachen deutlich zeigen.
Das Passirum wird ausgedrückt durch ein Hilfszeitwort
und das Participium perfecti des Verbums. Im Englischen
and Französischen dient dazu das Hilfszeitwort «sein" : I am
loved, je suis aim^. Darin liegt — nebenbei bemerkt —
deutlich ausgedrückt wie das äussere Objekt zum innem
Objekt wird. Der Vorgang ist das, \tas uns klar ist. War
die Aufmerksamkeit mehr auf den Schnee gerichtet, so lautet
der Ausdruck: «Der Schnee blendet mich." War die Auf-
merksamkeit mehr auf mich selbst gerichtet, so lautet der
Ausdruck: „Ich bin geblendet*^ (das deutsche Hilfszeitwort
«werden" gibt nur mit intimerer Beschreibung noch die
Nuance, dass ehen eine Veränderung vor sich gehe).
Wenn ich nun behauptet habe, es sei ein sprachgeschicht-
lieber Zufall, dass Eigenschaften der Dinge bald durch Ad->
jektive, bald durch Verben ausgedrückt werden (ist grQn ~
grünt> scheint mir im sogenannten Passivum das tran-
sitive Verbum zum Eigenschaftswort zurückzukehren. «Der
Baum ist grün** und „der Baum ist (wird) gefallt* unter-
scheiden sich ja nur darin, dass das erste Mal die Eigen-
schaft, das Merkmal, der Sinneseindrucfc von mir bereits
vorgefunden wird, so dass ich ohne besondern Anlass nicht
nach der Ursache frage ; das ganze Werk der Naturwissen-
schaft besteht vielleicht darin, dass von fibermütig wissens-
durstigen Menschen dennodk nach der Ursadie von Eigen-
schaften gefi'agt worden ist, die durch A^jdctive und in-
transitive Verben bezeichnet werden und die wir vörfinden
ohne eine Terinderong wahrgenommen zu haben. Das
zweite Mal (der Baum ist [wird] gefällt) sehe ich die Eigen-
schaft vor meinen Augen entstehen, «werden* ; ich filhle
mich daher auijgefordert nach der gewöhnlich sehr hknd-
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greiflielien Ura»che, z. B. nach der handelnden Person zu
fragen. Beidemal aber bemerke ich eine Eigenschaft. Das
Partidpium Perfecti isi ein Eigenschaftswort. Im Passivum
ist das Zeitwort zn einem Bigenschafiswort geworden, wie
es vielleicht in Vrxeiten der Sprache ganz und gar mit dem
Eigenschallswort zusanunenfid.
Und nun achte man darauf, wie unbestimmt dieses
Partidpiam PerÜBCti ist, wenn man es feinhörig auf aktiven
oder passiven Sinn untersucht. Eigentlich unterscheidet sich
dieses Partidp des Perfekts der transitiven Yerbeii gar nicht
vöm Parlicip der Gegenwart der intransitiven Verben. „Der
Baum ist gefallt* und »der Baum ist UOhend'*. ■ Ich . kann
zwischen dem Passivum und dem Activum keinen andern
Unterschied sehen als den stftrkem oder geringem Anreiz,
nach der Ursache einer Eigenschaft zu fragen.
Als. etwas Bekanntes ftlge idi hinzu, dass eine ganze
Anzahl solcher pasnver Partidpien ganz und gar zu Eigen-
sdiaftswdrtem (in aktiver Bedeutui^f also) geworden sind:
ein erfahrener Mann, ein verdienter, ein (weit) gereisteri
ein studierter Mann u. s. w. Dazu kommen ähnliche Worte,
die sich erst im Sprachgebrauch festzusetzen suchen wie:
Stattgefunden, stattgehabt. Goethe sagt einmal: „Das dem
Grafen befallene Unglück."
Ich habe vorhin gesagt, der einfache Mann mit seinem Gegea«
robusten Wirklichkeitsglauben werde namentlich den ver-
schiedeneu Zeitfortneu, die dofh zu den wichtigsten Kute-
gorieii der Sprache gehören . einen besonders l)estimmten
Sinn zugestehen. Nichts scheint deutlicher zu .?eiii, als die
Stellung des Menschen in der Zeit. So zuverlässig wie die
Begriffe von rechts und links scheinen die von Vergangen-
heit und Zukuiiti : und der Standpunkt des Menschen zwi-
schen rechts und luiks ist dann der Zeitpunkt der Gegen-
wart, Ich will keinen Wert darauf legen, dass der Begriflf
.Gegenwart" ein recht dehnbarer Begritr ist. Wenn ich
^age: ,,Die Urmenschen kannten kein Feuer, jetzt ist der
Gel»! auch des Feuers über die ganze Erde Terbreitet," so
umtas.st dieses njetzt", diese Gegenwart, ungezählte Jahi'-
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36
L Unbestimmtbeit des grammatucben Sinntt.
tausende. Wenn ich sage: „Jetzt regiert Wilhelm II.,* so
liegt der Umfang dieser Gegenwart einige Jahre zurück,
während ihr Phide unbestimmt ist, aber imr innerhalb einer
yerhältni.smässig kleinen Anzahl voti Jahren. Wenn ich
sage: «Jetzt schlägt er zu," so umfasst die Gegenwart
einen sogenannten Augenblick, in Wirklichkeit je nach
Umständen einen nach vielen Sekunden messbaren Zeit-
raum. Der Psychologe , der die Schnelligkeit von Sinnes-
eiüdrücken und Reflexbewegungen studiert. arl)eitet mit
Apparaten, deren Jetzt sich auf ein Hunderstel emer
Sekunde beschränkt. Aber immerhin können solche Dif-
ferenzen als blosse Gradunterschiede aufgefasst werden.
Es liegt dann die T'^hIm stunmtheit des Ausdrucks in den
Begriffen und nicht m der grammatischen Kategorie (xegen-
wart.
Zeiten. Die Vergleichung /.wisrben dem Zeitpunkt des Redenden
und seinem räumlichen JStandiiunkt, der ihn in die Mitte
von rechts und links , oben und unten , vorn und hinten
st«llt, bringt mich nun — bevor ich weiter gehe — zu der
Beobachtung, dass danach es auch ein Zufall genannt werden
IDUSS, wenn gerade die Kategorie der Zeit sich am Verbum
so ausserordentlich reich entwickelt hat, während die Kate-
gorie des Raums sdemlich formlos durch Adverbien bezeichnet
wird. Wir dürfen uns durch den geistigen Zwang nicht
irre machen lassen, welchen unsere bekanntesten Sprachen
auf uns ausüben; noch weniger dürfen wir es als selbst-
verständlich hinnehmen, dass man das Verbum um seiner
entwickelten Zeitformen willen im Deutschen „Zeitwort*
genannt hat. Die Sprachentwickelung hätte ebenso gut den
entgegengesetzten Weg nehmen können, nämlich so, dass
z. B. die Richtung nach vom und hinten durch besondere,
unseren Zeitformen entsprechende Raumformen des Yerbnms
ausgedrückt worden wäre, dass die Begri£fe der Vergangen-
heit und der Zukunft durch eine genauere Ausbildung der
Adverbien »früh" und »spät" bezeichnet wurden. Entspricht
doch sogar in den bestehenden Sprachen die Möglichkeit,
diese Adverbien zu steigern (frOher, später) in mancher Be-
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Zeiten.
37
xiehang den kompUziertereii Zeitformen von Yergaiigeiiheit
und ZukaafL
Wenn ick hier wie an vielen andern Stellen die Aus-
bfldung unserer granunadschen Kategorien als ein Werk
des Zufalla kinsteUe, so will ick damit natOrlich nur sagen,
dass die pkiloeopkische Begründung unserer Grammatik ein
Irrtum sei. Diese pkflosopkisdie Ghsnuaatik denkt ebenso
wie Hegel, der alles WirkUcke ▼emOnftig findet, weil es
ist Etwas anderes ist es, die gegenwärtige Kultur Europas
mOglickst kistorisek zu erkliren, etwas anderes sie als logisch
notwendig beweisen zu wollen. Die Spracke ist ein Teil
dieser Kultur. Notwendig im Sinne der KaturwiBsenscbaft
ist natürlick auck in meinen Augen jede Sprackform, jedes
Wort, jeder Laut; notwendig nur in dem Sinne, dass jede
Yerftnderung eine notwendige Folge vorangegangener Yer-
inderungen war. Wie logiscke Notwendigkeit ttberkaupt
ein ünsinn ist, so ist auek der Lautwandel, die Wortbildung
und die Formenentwickelung nickt logtsck notwendig t sie
sind alle im Terhültnis zu der Welt der Möglichkeiten nur
snfallig. Notwendigkeit ist nickt Gesetzmässigkeit
In unserm besonderen Falle ist auck der Grund, wes-
halb gerade die Zeitrerklltoisse sack formdkaft gestalten
konnten, wikrend die RaumTerkftltnisse immer besonders
augegeben werden mflasen, lelcbt einzoseken. Wir winen,
dass der Raum sick nack drei Dimensionen erstreckt, zu
denen dann die Zeit die Tierte Dimension darstellt. Die Zeit
▼erttuft in einer einzigen Richtung, und es war sehr Tiel
leichter, diese einzige Richtung nach ihren VerhSltnissen
durch blosse Verbalformen darzustellen, als die komplizierten
Verhältnisse der drei Raumrichtungen. Eine Linie ist leichter
zu messen als eine Flache oder gar ein Körper. In Ur-
zeiten der Sprache, als das Verbum seine Zeitformen zu
bilden anfing, konnte ganz gewiss schon jeder Knabe eine
einfache Richtung mit deutlichen Zeichen sprachlich aus-
drücken , dass z. B. von der Hütte bis zu seinem augen-
blicklichen Standpunkt zwanzig Schritte seien und dass der
Baum vor ihm noch zehn weitere Schritte entfernt sei. Der
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38 ^' ünbcttinuiitlieit Am gnunmatisdteti Sinnes.
Vater des Knaben aber, und weDn er ein Gelehrter des
Stammes war, hätte damals noch nicht den Kubikinhalt der
Hütte oder den des Baumes sprachlich ausdrücken können.
Raum- Ich s( halte hier ein, dass ich früher den Gedanken
•Umen. verfolgte, die Trennung des Zeitbegriffs vom Raumbegnff
für ebenso zufallig zu ndimen vie die Thatsache, dass der
Zeitbegriff in Yerl^iilformen ausgedrückt wird und- nicht auch
der Raumbegriff. Ich hatte mir das ungefähr so zureeht
gelegpt, dass die vier Dimensionen gleichwertig seien; man
hätte dann z. B. Länge, Breite und Zeifcrichtang gemein-
sam umfassen und die vierte Dimension nach Höhe und
Tiefe abseits behandeln können , wie n^h unserem Sprach-
gebrauch eben die Zeit. Da ich das Gtoistreidisein als eine
Übei-flUssige Spielerei .des Menschengeistes betrachte, so
werde ich wohl sagen dürfen, dass dieser Gedanke geist-
reich ist, um so mehr, da ich hinzufOge, er ist nur scho*
lastisch geistreich, eine Spitsfindigkeit, zu der ich unbe*
wusst den abstrakten Begriff der DimeiunoB inissbraucht
hatte. Denn nach unserer unerbittUchen Empfindung und
Sprachempfindung gehören die drei Dimensionen des Raums
enger zu einander als zu der Tierten Dimension der Zeit.
In den drei Dimensionen des Raums muss noch keine Be-
wegung und Veränderung sein; sie bewegen sich aber als
Verinderung gemeinsam in der vierten IHmendon, in der
Zeit. Es liegt etwas Intrandtiyes im Baum, es liegt etwas
TransitiTes in der Zeit. Jener Gedanke leidet, darum an
einer UnToratellbarkeit, die flbrigens auch da ein starker
Mangel ist, wo die Konstruktionen der neusten Mathematik
(mit ihrem Raum von n Dimensionen) zu ähnlichen Spitz-
findigkeiten fObren.
Ub- Wir kehren zu der Behauptung zurflck, dass auch der
^beifd!^ Sinn der Terbalen Zeitformen weit unbestimmter ist, als
z«it- man das gewöhnlich glaubt Ja ich behaupte noch mehr:
foTmAn. nimlich die BaumTerhaltnisse durch die Adrerbien
weit bestimmter angegeben werden können als die Zeitrer-
hSltnisse durch die Zeitformen des Yerbums. Ein&ch durch
Steigerung oder Wiederholung der AdTerbien. Ich selbst
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UnbtsliiimifheÜ der Zeitfoimtit.
89
bin immer fler Orientierungspunkt, ich selbst l)in. möchte ich
sagen, der Schnittpunkt des Koordinatensystems. Ich kann
dann ganz deutlich nicht nur bezeichnen, ob der Gegenstand
vor mir oder hinter mir stehe, sondern auch weiter: Ob
ein zweiter oder dritter Gegenstand, von dem ersten aus
gerechnet, vor oder hinter ihm stehe, näher zu mir oder
entfernter von mir. Die Sprache ist fähig, ohne Zuhilf e-
ilfthme der Zeichnung, z. B. die Bewegungen auf einem
Schlachtfeld, ganz genau zu besehreiben. Die Sprache ist
nicht in gleichem Masse befähigt, die relative Vergangen-
heit und Zukunft eindeutig aussudrücken. Ich werde mich
im folgenden, um ganz klar zu sein, der geläufigsten Be-
zeichnungen der Grammatik bedienen.
Auch in den Zeitangaben bildet schliesslich das Ich
des Sprechenden den Ausgangspunkt. Für die Zeit, in
welcher er .sptieht, sei es ein Äugenblick oder ein Jahr»
tausend, besitawn wir die Sprachform der Gegenwart. Ich
habe schon gesagt, dass diese Gegenwart recht ungleich
sein kann. Gegenwart ist „es blitzt" : Gegenwart ist auch
der Satz „die Erde dreht sich um die Sonne", obwohl dieses
Drehen (wenn die Astronomen recht haben) uranfänglich
nicht stattfand und einmal aufhören wird, obwohl diese
Gegenwart also einen Zeitraum von Billionen Jahre umfasst.
Wir haben femer I1lr die Zeit, die dieser Gegenwart TOr-
ausliegt, die Form der Vergangenheit: Es donnert, es hat
geblitat; die Masse der Erde hat sich einmal von der
Sonnenmasie losgelöst. Wir haben endlich för die Zeit,
wdehe bevorsteht, die Sprachform der Zukunft: es bUtzt,
es wird donnern; die Erde wird einmal in die Sonne zu-
rückstürzen.
Nun aber kOnnen wir bei der Zeit wie beim Raum
den Ausgang von einem Punkte nehmen, der vor oder
hinter uns liegt Messen wir von einem Punkte, der hinter
uns liegt, so beziehen wir Vergangenheit und Zukunft auf
diesen Punkt, so dass dessen relatiTe Zukunft für unsere
persönliche Gegenwart schon Vergangenheit ist. Das ist
nicht etwa eine feine Konstruktion, sondern der alltig^
40
I.- Unbetttimmtbeit des grammatischea Sinnes.
liebste Sprachgebrauch in der Erzählung. , Nachdem das
deutsche Volk Napoleon besiegt hatte, ftlgte es sich den
alten Regierungen.'' Der Satz hätte ebenso gut oder viel-
leicht besser lauten können: «Das deutsehe Volk besiegte
Napoleon und fügte sich dann den alten Kegieimigeii/
Man sieht aus diesem Beispiel, dass das ImperfLctum wohl
seinen offiziellen Sinn haben kann, den nämlich einer hinter
uns lief^enilen Gegenwart, aber auch den des Plusquauiper-
fectums, der Vorvergangenheit. In dem Satze ,das deutsche
Volk besiegte Napoleon" ist es giui/, unbestimmt, ob das
Impert'ectum oder das Plusquami)erfectuni gemeint ist. Er-
inneiTi wir uns daran, was über die Verwandtschaft zwischen
Particip und Adjekiiv gesagt wordeu Lst, so werden wir
hier bemerken, dass das Besiegtsein eine Eigeiibchatt oder
ein Zustand ist, den wir tiuem Ding in der Verganj?enheit
beilegen. Lassen wir uns durch unsere Spraeht'ornien nicht
beirren, so werden wir die vollständige Identität des aktiven
Plusquamperfectums und des passiven Iniperfectums tröh-
lich gewahr werden.
Für eine Zukunft, die sich relativ auf eine Mitver-
gangenheit bezieht, haben wir keinen besondern sjnach-
lichen Ausdnick; wir haben kein Futurum, welches dem
Plusquamperfecium entspricht. Im Kautuvorhältnis können
wir das durch Adverbien sehr gut ausdnkken. Blicken wir
von Berlin aus nacii Norden, so liegt Italien hinter uns;
zwischen uns und Italien oder näher an uns heran liegt
biut<;r uns Tirol. In der Erzählung ist 1:1-^ entweder gar
nicht oder nur durch mangelhafte Umschreibuug wieder-
zugeben. Er schickte sich an , er gedachte u. s. w. sind
Imperfekt'^, di*^ nur ungfniuu die Bedeutung einer hinter
uns lif^onden Zukunft hiiln-ii. Jeder Erzählei- weiss, wie
schwer es oft ist, diesen eiiitai li- n Gedanken auszudrücken.
Gewöhnlich hilft man sich mir der gebräuchlichen Zukunfts-
form und überlässt lein Leser, lierauszufinden , ob ein
wirkliches Futurum geuH-itit sei oder ein relatives Futurum,
eine Zeit, die zwischen dem Imperfekt und unserer Gegen-
wart liegt Aus der Schwierigkeit des sprachlichen Aus-
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mbMÜwuntlwit der ZeitfoiiMB.
41
drucks ist es TMUeickt su erUftren, das8 die Poeten Yon
dieeeni sehAiioii und wirkimgsroUen Hotiv so selten Ge-
braneh machen. Der Diebter des Nibelungenlieds bat eine
VoiUebe für diese niobt vorbandene Spracbfom. Qleicb
in den ersten Versen Tersucbt er zweimal ibren Ausdruck
XU findtts.
Er sagt:
.Xsiembfld war sie gehdaieii, die mx ein «dtOne« Weib,
Baram miMAeD noch vide Degen ferlieren ihren Leib/
Gemeint ist eine vergangene Zeit, welche für den Be-
ii;ini; des Nibelungenlieds eine Zukunlr ist. Und wenige
Verse weiter lieisst es von der ilitterscliaft zu Worms:
«Sie aterben j&mmerUcb seither Ton iweier Franen Neid.*
Wieder baben wir also eine in der Vorrtdlung deut-
lieb ausgepiigte Zeitform, die logisch genau dem Flus-
qnamperfectum entspricht und für welche es trota des Be*
dfirinisses keine Sprachform gibt.
Nehmen wir nun aber den Ausgang von einem Punkte
in der Zukunft« so steht es noch schlimmer um die Formen
und um die Bedeutungen der Zeit. Für dm Ausgangs-
punkt selbst, also fOr das Geschehen, das wir diese au*
künftige Gegenwart Torausseben, besitsen wir keine andere
Ansdrucksform als das sonst ttbliche Futurum. Es fehlt
uns also, was noch niemand bemerkt au haben scheint, ein
Futurum der Propheseiung, welches dem Imperfekt der Er-
lihluttg entspreche. Wir müssen, was doch nach meinem
Sprachgefthl eine Unbestimmtheit, eine Verschiebung der
VcMTstellung ist, a. B. das jüngste Gericht mit Hilfe des-
selben Futurums beschreiben, mit dem wir aussprechen:
,Im Juli werde ich aufs Land fahren." Es f^t uns eine
erzfthlende Zukunft.
' Wir besitaen freilich das Futurum exactum, die Vor-
Kukunft, anders ab das Plusquamperfectum. Wir be-
sitaen sie« aber wir gebrauchen sie in der lebendigen Rede
so gut wie gar nicht, selbst in der kCwstlicben Schrift-
sprache nur mit Widerstreben. Dagegen besitaen wir aber
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42 Unbettmuntfaeii dea gxwaunftüieh«! Sinnei.
nicht die logisch gefonlerte Zeitform für eine Zukunft, die
von uns noch weiter abliegt als der zukünftige Ausgangs-
punkt. Wir können räumlich ausdrücken, dass ein Vogel
höher fliegt als der Gipfel des Baumes Uber uns, den wir
zum Ausgangspunkt nehmen. Wir können dasselbe Va>
hältnis in der Zeit sprachlich nur wieder durch Adverbien
ausdrücken , nicht durch eine Yerbalform. Man stelle sich
den Gedanken, vor: Die £rde wird in die Sonne zurück-
stttizen; Torher wird sie ihre eigene Bewegungskraft ein-
bUssen; nachher einmal wird sich vielleicht eine neue Erd-
masse als Nebelball von der Sonne wieder lösen. Wir
drücken das durch Adverbien aus, die oiTenbar etwas wie
xllumliche Bilder bieten. Den ersten Satz können wir noch
zur Not durch eine Verbalform bezeichnen: ^Wenn die
Erde ihre eigene Bewegongskraft eingebüsst haben wird,
dann wird sie in die Sonne zurückstürzen." Für den letzten
Gedanken haben wir durchaus keine Zeitform. Wir müssen
mit fast kii^dlicher Sprache wiederholen: „Und noch später
wird sich vielleicht eine neue Erdmasse loslösen.*
Die Unljestimmtheit der verbalen Zeitformen scheint
mir also ziH'ermSssig bewiesen zu sein. Unsere Stellung in
der Zeit i]öti<,^t uns, mindestens 0 deutlich ausgeprägte Ver-
schiedene Zeitverhältnisse auszudrücken; wir aber besitzen nur
6 Verbalformen, mit deren Hilfe wir ungefldir sagen was wir
wollen. Hätte ein Händler 9 verschiedene Sorten Wein und
mtlsste sie in nur 6 verschiedenen FSssem verwahren, so
könnte er nicht schlimmer daran sein als die Sprache mit ihren
6 Zeitformen. Dass es auch noch andere Zeiten gibt, wie
z. B. im Indischen« Griechischen und Slawischen den Aorist,
macht die Sache nur noch verwickelter; denn jeder Fach-
mann weiss, wie wenig bestimmt der Sinn des Aorists ist
Man hat seine Bedeutungen nach verschiedenen (Gesichts-
punkten in Klassen geteilt; den Griechen konnte aber die
Verschiedenheit der Aoristklassen sicherlich ebenso wenig
zum BeWQSstsein kominen wie uns etwa die angeblif^en
Klassen dei* Genitivbedeutung. Es wird sich also wohl nicht
anders verhalten, als dass auch die Verbalformen mangel-
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PllMlU.
43
bafte Yenuche sind, den Ton und die Geste su ersetzen,
mit denen die Sprechenden einstens die seifliche Stellung
ihrer Vorstellungen ungenau genug ausdruckten. Für die
Verhlltnisse im Baum konnte die Geste linger ausreichen;
sie war nnd ist leichter ahsumalen. Die Gesten der Zeit
mochten ursprttnf^ch Metaphern Yon den Zeichen »hinten,
da, Tom* sein. Wann immer sich aus diesen Metiq>hem
die Formen von Veigangenheit, Gegenwart und Zukunft
entwickelt haben mögen, sie litten an der Unbestimmtheit,
wo das «da*, die Gegenwart anzunehmen sei, und leiden
noch heute darunter. Plusquamperfectum und Futurum ex-
actum haben immer noch etwas yon mathematischen For-
meln, sie gehören der lebendigen Sprache kaum an; abge-
sehen davon, dass sie Formeln zu EUlfe nehmen müssen, in
denen das Verbum seinen Charakter verloren hat und Ad-
jektiv oder Nomen geworden ist. Wie wenig aber die Zeit-
formen dem Bedürfnis entsprechen, unsere Vorstellnngen
dem Hörer anschaulieh zu machen, ergibt sich vollends aus
der weit verbreiteten Gewohnheit, samtliche Zeitverhiltnisse
durch die ursprflnglidie Form des Pkiteens darzustellen so-
bald die Rede lebhaft genug wird. Die Grammatiker helfen
sich damit, dass sie sagen, das Prlsens «vertrete* dann das
erzahlende Imperfekt oder hrgend eine Zukunft. Das Pktaeus
kann aber auch für das Plusquamperfectum und fttr das
Futurum ezactum eintreten. «Blflcher rttckt heran, Napoleon
gibt jede Hoffnung auf;* weniger lebhaft: «als die Armee
Blüchers berangerttckt war, gab Napoleon u. s. w.* oder
«schliesoe ich das Gesoh&ft ab, so bekommst du ein neues
Kleid'* anstatt: «Wenn ich das Geschftft abgeschlossen haben
werde, wirst du ein neues Kleid bekommen.*
Nur das eigentliche Perfectum liest sich nicht durch Maßn».
das Prisens ausdiücken, weil es eben ohnehin ein Prisens
ist nebst einem adjektivisch gewordenen Yerbum.
So lassen sich simtHche 9 ZeitverhUtnisse durch das
einzige Prlsens ausdrücken und die Cnbeslammtheit des
Sinns ist ni^t grösser ab bei der Verwendung unserer
6 Formen. Denn — ich mnss es immer wiederholen —
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44 !• UabertilBintheit des gitmaiAftisolMii SiniiM.
die Bestimmtheit der durch die Sprache im Zuhörer er-
weckten Vorstellungen rührt imht etwa von den Vorzügen
der Sprache her, sondern einzig und allein von der grössern
oder geringem Bestimmtheit in den Vorstellungen des Zu-
hörers, an die er durch die Lautzeichen des Sprechenden
erinnei-t wird. Die begleitenden Umstände in seiner Er-
innerung oder in der Anschauung lassen den Zuhörer un-
gefähr das Verhältnis der Zeiten herausfinden; ob er durch
eine einzige Verbalform oder durch ein halbes Dutzend un-
genau orientiert wird, ist für den lebendigen Verkehr der
Menschen fast gleichgültig.
Zeitlosem Und selbst diese neunfache Unbestämmtheit der Haupt-
Präsens. fQj.j^ Verboms, des Präsens, erschöpft die Unsicher-
heiten noch nicht. Es ist nicht wahr, dass das Präsens
(ausser den Fällen wo es eine andere Zeit bedeutet) immer
etwas Oegen'vi^rtiges bezeichne. Die unendliche Menge
solcher Sätze wie: „Der Hund ist ein Saugetier, Zeit ist
Geld" haben durchaus nichts mit dem Zeitverhältnis des
Redenden zu thun. Es ist eine ganz falsoke, unserm Spraeh-
geftüil widersprechende Konstruktion, wenn man sagt, solche
Sftfcse gelten immer und fUr alle Zeit, also auch fttr die
Gegenwart. Solche Sfttse, ob sie nun konkrete oder abs-
trakte Urteile aussprechen, lassen uns durchaus keine Be-
ziehung zur Zeit mitdenken, sie sind zeitlos. Der Unter-
schied des Sinns wird deutlich, wenn wir die gelegentliche
Anwendung von der allgemeinen trennen. Wenn wir im
Gegensatz zum Dunkel der Nacht oder zum schlechten
Wetter yon Torbin sagen: „Die Sonne leuchtet,* so ist das
eine Gegenwart, weil wir ausdrQcklich mitteilen wollen, dass
sie jetzt leuchte; wenn wir nur eine Eigenschaft der Sonne
angebend (unser Sprachgeftlhl stdlubt sich gar nicht, das
Verbum eine Eigenschaft zu nennen) sagen: „Die Sonne
leuchtet,* so ist das keine Gegenwart, sondern Zeitlosigkeit.
Der Satz hat keine Beziehung zur Zeü ,Der Wein erfreut
des Menschen Herz;* wir wollen nidit sagen, er erfreue
immer, also auch in der Gegenwart, sondern: Es sei eine
zeitlose Eigenschaft des Weines zu erfreuen. «Die Sonne
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Kategorien dar Buigordttviig.
45
leuchtet'' hat ftkr unser ehrliches Sprachgefühl nicht im
geringsten mehr Zeitbestunmung oder Zeit Verhältnis als:
die leuchtende Sonne (ww man freilich noch Particip der
Gegmwart nennt), aber auch nicht mehr als: Der weisse
Schnee, der blaue Himmel u. s. w.; ^der Wein erfreut"
hat nicht mehr Verhältnis zur Zeit als «der sQsse Wein".
Wir sehen: die Zeitkategorie, deren KOnsilichkeit ein auf-
merksames Ohr in den andern Zeitformen noch bente em-
pfindet) muss sogar zum Präsens erst verhältnismissig spät
hinzugekommen sein; als das Verbum und das AdjektiT noch
undifferenzierte Bedeutung hatten^ da war das Verbum noch
kein Zeitwort
*
Wir lesen mit albemrai Lächeln hei den Forschem, x^te*
welche asiatische Sprachen untersucht haben, welch seltsame
Kategorien die ZeitwQrter vieler dieser Sprachen zu bilden Bang.
▼ermSgen. Die Höflichkeit dieser Volker ist so gross, daas
sie Kate(p>rien erfinden, welche in unseren Schulgrsrnmatiken
nicht ihresgleichen finden. Zu den höflichsten Völkern ge-
bdren die Japaner, welche, soweit ihre Sprache in Betracht
kommt, keinem ▼omebmen Manne zumuten, selber etwas
zu thun, aktiv zu sein. Der Japaner wird von einem hoben
Beamten nicht einmal sagen, dass er selber essen solle;
selbst das XSssen und die Tbfttigkeit, die sogar der Kaiser
Ton CShina selber thun muss, wird durch ein Wort, das
,thun lassen* bedeutet oder durch ein Passivurn ausgedrückt.
Fttr die Sprache der Koreaner hat inan ausgerechnet, dass
sie für die Rangordnung zwischen Höher-, Nieder- und
Gleichgestellten einerseits und für den Ton der höheren oder
der niederen Ehrerbietung anderseits 27 Terachiedene
Formen hätte.
Man achte aber einmal auf unseren Briefstil und auf
den Ton amtlicber Schriftstücke vom Flursehfltz bis hinauf
zum Kaiser und vom Kaiser hinunter bis zum Flursehfltz.
Man wird in amtlidien Mitteilungen sofort auch ohne Ken-
nung der Personen erkennen, ob vom Kaiser, von einem
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L UBbetUmmtheit des grammatMohea SiniiM.
Minister, von einem Oberpräsidenten, von eiuem Landrat
oder einem OrtsTorsteher die Rede ist; sogar der fast blas-
phemische Stil der Japaner, der einen vornahmen Mann
nicbt selber essen lässt, ist uns voUkommen läufig in dem
entsetiüohen .geruhen*, wenn z. B. von eint in Kaiser blöd-
sinnip^ ausgesagt wird, er «reruhe auszufahren, und unge-
übtere Leute, welche mit so einem Kaiser n-den, helfen sich
deuu auch, imiem hw das Passivum anweiideu.
Ueberall da, wo Hoheit, Durchlaucht, Excellenz in die
Satzverbindung hineingearbeitet werden soll, hat der Amts-
stil bei uns hinterindische Formen und die 27 Ausdrucks-
weisen der koreanischen Höflichkeit, weiche für Korea nur
ausgerechnet, nicht aber im einzelnen nachgewiesen sind,
dürften sich im deutschen Schreibwerk sicherlich nachweisen
lassen. Man brauchte nur f iiu» Probe darauf zu machen,
ob nicht aus einem amtlichen Aktenstück — ohne Adresse,
ohne Unterschrift und ohne s(»nstige Andeutungen — der
hierarchische (irad des Schreibers sowohl, wie des Adres-
saten sich erkennen liesse.
Die Pariser sprachwissenschaftliche Oescllschafl hat
zwei Ziele der Untersuchung von ilirem Programm aus-
geschlossen: Das Streben nach einer Universalsprache und
die Frage nach dem Ursprung der Sprache. Die erste Be-
stimmung ist selbstverständlich für kluge Männer; audi die
zweite erscheint praktisch, wenn man erwägt, was für un-
haltbares Zeug namentlich in Frankreich das 18. Jahrhundert
zu Tage gebracht hat. Auch heute noch sind die Gelehrteo,
welche sich mit dem Ursprung der Sprache beschäftigen«
der gleichen Gefahr ausgesetzt Grau, freund, ist alle Theorie,
das wusste schon JilephisUi; wir sind geneigt, in jeder
Theorie Wortmacherei zu vermuten.
Keine Theorie über den Sprachursprung kann sich völlig
davon befreiet!^ erstens die Sprache auf die einzelnen Worte
zurückzuführen, sodann die einzelnen Worte in die soge-
nannten Wurzehi und die Bildungssilben auseinander zu
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Otr Salt.
47
hacken, wie man einm geschlachteten ^>chsen in Fleischteile
zerhackt, die dann erst — fUr den Schlächter und für die
Köchin ihre besondere Namen erhalten. Am lebendigen
Ochsen gibt es keinen edlen Lendenbraten und keine sclik i h«
tem Teile. So wird es auch in der lebendigen Sprache
keine Wurzeln und keine Flexionen; ja eigentlich auch keine
«inselnen Worte geben. Hätten .wir unsere künstliche Gram-
matik nicht, so be^ssen wir nur Sätze, die durch eigen-
tümliche Betonungen gegliedert sind, nicht Worte. Es ist
gimmmatische Willkür, dass wir z. B. «der V^ater" und „des
Vaters" schreiben und es darum gebrannt empfinden : iti der
▼orschiißiUohen Zeit hätte man die entsprechenden Formen
,d«nrater* und »desvaters" gehört und empfunden. Es kann
mir nur Mut machen, dass so jede historische Untersuchung
mit meiner Kritik der Logik zusammentrifft, in der ich zu
beweisen hoffe, dass psychologisch der 'SchUiss daa Erste ist,
der Sata das Zweite, das Wort das Dritte, oder dass. — an-
ders ausgedruckt — aus dem Worte nichts entwickelt werden
kann, was nicht schon drin war. Die grammatische Be-DtrB»tft.
itachtung lehrt ebenso, dass in irgend einer Urzeit es immer
schon Sitze, niemals blosse Worte gegeben hat, dass der
erste Sprachschrei schon einw Satz ausdrtlckte.
Ist das nun richtig, so wird die Zerhackung des Wortes
in Wuneln und Bildungssilben zu einem bloss berufstechni-
schen Vergnügen der Grammatiker. Die Bildungssilben,
durch welche doch erst die Wunsein zu einem harmonischen
Salsa vereinigt werden sollen, erscheinen als reine Gewöhn*
heiten der jüngera Analogie, wenn schon der Slteste Sprach-
schrei den Wert eines Satzes oder eines Urteils besass. Um
mich nicht selbst in graue Theorie zu Tcrlieren, will ich
daa durch einige Bemerkungen eilftutern und als Motto die
bekannten Verse Toranssehicken, mit denen Goethe freilich
wohl keine sprachphilosophische Abhandlung beabsichtigt
hat Faust will die Bibel flbersetzen und stockt schon bei
der ersten Zeile: »Im Anfang war das Wort'
alch kann das Wort so hoch unmöglich schätzen.
mvm e« aaden ttbersetien.
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48
I. Unbestiinmtheit det (prArnrnfttiBchfln Sinnet.
Wenn ich vom Geiste recht erleuchtet bin. I
GeMtbrieben «teht: Im Anfeng war d«r Sinn."
Uiizalrieden versucht er es noch anders. „Im Anfang war
(Ii* Kraft," dann hilft ihm dor Geist und er bleibt schliess-
lich stehen bei ^im Anfang war die That".
Hätte der Teufel ihn nicht durch sein Heuieu und
Bellen gestört, Faust wäre vielleicht von der Bibeiüber-
«?etzung zur Hibelkritik fll^er'j^etjang'en und hätte den Anfang
«^es Evangeliums Johaimis einfach ftir falsch erklärt. Im
Anfang war gar nicht das Wort, mag man es nun als Ad-
jektiv od'^r n!s Substantiv oder als Verbum (Tliat) auffassen;
im Anfang war der Satz. Goethes Faust bat sich schon
so viel gefallen lassen müssen, dass ich ihn wohl auch ein-
mal im Scherze so benützen darf.
Als einen ältesten Satz stellen wir uns den Huf des
Staunens oder der Ueberraschung vor, der möglicherweise
noch in einem entfernten sprachlichen und logischen Zu-
sammenhang mit unserem „da!" stehen mag, den wir künst-
lich meinetwegen als das Demonstrativpronomen „das* deuten
mögen und der innerhalb einer bestimmten gegenwärtigen
Situation iri^end einen Gegenstand, eine Eigenschaft, eine
Thätigkeit oder was immer bezeichnen konnte. Die Sprach-
forscher sind übrigens einig darüber, dass die meisten an-
dern Pronorainn auf das alte Demoustratirpronomen zurück-
zuführen sind, dass das Demonstrativpronomen ein uialtor
Besitz der „indoeuropäischen" Sprachen ist, weil es den
einzelnen Sprachen gemeinsam sei und überdies eine sehr
altertümliche Flexion habe. Der Eindruck hohen Alters ist
also allgemein. Nach der soweit annehmbaren Theorie
▼on Regnaud ist dieses alte Demonstrativpronomen über-
haupt der oberste und umfassendste Begriff, das genus
generalissimum. £s entspricht vollkommen unserer Er*
kenntnistheorie, wenn Regnaud annimmt, die nicbsten, eben-
falls äusserst allgemeinen Begriffe, hätten unserem AdjektiT
entsprochen. Ursprünglich konnte z. B. das Demonstra-
tivum allein sowohl den Blitz als den Donner, sowohl die
weisse Blüte als die rote Frucht bezeichnen ^ was — die
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Flexion. 49
gegenwirtige und gemeiiUMnie Situation ▼orausgesetat —
gar keine unvoDkommenere Sprache war ab die unsere.
Nachher bfldeten sieh (es geht uns nichts an, ob aus dem
Demonstrativpronomen heraus oder aus neuen Sprachquellen)
die Begriffe des Leuchtenden und des Bollenden, des Weissen
und des Boten u. s. w. Man kann diese Entwickelung noch
weiter rerfolgen — in der Phantssie, eine historische Dar-
l^ong wird nie möglich sein — bis sur Entstehung des
Substantivs, Us sur Yerbmdung Ton SubstaotiT und Per^ fbKioa.
sonalpronomen, ohne in dieser Ursprache auch nur die Mdg-
lichkeiif auch nnr eine Stelle für die Flexion su entdecken.
Der Sata konnte mnsübig oder Tielsilbig sein, seine Har-
monie wurde — wenn ich so sageu darf — durch die
Wirktiohkeit, durch die Situation hergestellt. Es war ja
der Sprachschöpfung keine Grammatik vorausgeganguu,
welche eine harmonische Koordination der Satzglieder nach
Geschlecht, Zeit, Zahl u. s. w. gefordert hätte, welche über-
haupt den Satz in Glieder zerhackte. Erst viel später, man
kann die Zeit unbedenklich sehr lang nehmen , erst bei
einem sehr grossen Reichtum von Sätzen, wohlgemerkt nicht
von Worten, konnte das Vorhandensein unbewusst gebliebener
Analogiebildungen die sprechenden Menschen dazu fuhren,
durch Weiterbildung der Analogie zu Flexionen zu gelangen.
Unter Flexionen verstehe ich selbstverständlich alle De-
klinations-, Konjugatioiis- und alle anderen ßilJungssilben.
Ich meine in irgend einer Urzeit müssen die Analogien, die
uns als die notwendigen Flexionen erscheinen, wie Sprach-
witze, wie Wortspiele herausgekommen sein. Noch in
historischer Zeit gibt es solche Analogiebildungen, so wenn
die Lateiner die Endung -ia häufig an Participien, die aul'
-ent ausgingen, anhingen (pru(k'ntia, sapicntia, dementia)
und so die Vorstellung fassten, die Endsilbe laute -tia und
darum amicitia ( von aniicus) sagten. Beispiele aus der
gegenwärtigen Sprachentwickeiung fehlen an anderer Stelle
auch nicht. Ich bemerke nebenbei, wie getahrhch es
sein muss, in die Flexionen der vorhistorischen Zeit ein
System zu bringen , wenn wir solche irreführende Wort-
Mao thner, Beitrtge zu einer Kritik der Sprache. III. 4
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50 Unbertimintha&t des gnminatifch«ii SimiM.
spiele fart unter unsem Augen Sprachkraft gewinnen sehen
(▼ergl. n. 133 u. f.).
IKese beiden Bemerkungen helfen uns TieUelcht, uns
das Entstehen der Flexionen etwas weniger unnatürlich Tor-
zustellen, ab es die Grammatik gethan hat und Ton ihrem
Standpunkt thun musste. Ihre ErUärungsversuehe enthalten
jedesmal die Voraussetiung, dass zu einer richtigen Sprache
so und so viele FiUe des Substantivs, so und so viele Per^
sonen, Zahlen und Zeiten des Verbums gehören und dass
es nur darauf ankomme, alle diese Flezionsformen auf eine
bequeme und Übersichtliche Weise zu bilden. Auf diesem
Wege kann nach mehrtausendjShrq^r Herrschaft der Gram-
matik ein Volapttk hergestellt werden; die Sprache kann
nicht so entstanden sein* Es ist doch offenbar, dass der
gegenwirtig angenommenen Grammatik eine Zeit voraus-
gehen musste, in welcher die Regeln dar Grammatik noch
latent oder unbewusat waren, und dieser wieder eine Sltere
Zeit, in welcher sich die grammatischen Gewohnheiten erst
entwickelten, dieser wieder eine älteste Zeit, in welcher es
noch gar keine Grammatik oder Analogie gab, in welcher
aus der Situation heraus jeder Sata seine analogielose Sprach-
form hatte. Ebenso ist es doch mehr als wahrscheinUch,
dass der der Gesetzeszeit vorausgehenden Gewohnheitsepoche,
in welcher die Kultur sich unbewusst nach Bräuchen rich-
tete, eine Zeit vorausgehen musste, wo solche Btftuche sich
aus ihren ersten Anfängen entwickelten. Die Sprachgeschichte
kommt uns da zu Hilfe, wenn sie uns mitteilt, dass die
fünf oder sieben Casus, die wir jetzt so ordentlich zu unter-
scheiden glauben, oder die vielen Verbalformen sich aus
einer Unzahl von Zufallsformen entwickelt haben. Lassen
wir unsere sprachbildende Phantasie ein wenig spielen, so
schemt es ganz anschaulich, wie es in einer Urzeit gar keine
Flexionen gab , wie irgend einmal die SprachbÜdung z. B.
bei den verschiedenen Casus desselben Substantivs immer
mit neuen Wortbildungen einsetzen konnte. Ich erdichte
mir d» ganz phantastische Beispiele, weil es mir nur darauf
ankommt, die Möglichkeit einer solchen Entwickelung zu
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zeigen. Hatte <ler Ruf des Staunens oder das Demonstrativ-
pronomen sich zum Namen für die aufgehende Sonne ent-
wickelt, so konnte sich der Seufzer des Bcdauirns zum
Namen der untergehenden Sonne entwickeln; es konnte also
dieselbe Sonne je nach ihrem Stande zwei verschiedene
Eigeniiaiiien haben. Ich unterlasse es absichtlich, auf" ver-
wandte Tbatsachen der Sprache hinzuweisen. Es konnte
ebenso die unreife Frucht mit einem andern Stamiuworte
bezeichnet werden als die reife. Das musst« der naiven
Anschauung irgend welcher Urzeitmenschen so nahe liegen,
wie uns die Gewohnheit Kalb, Kuh, Stier u. s. w. zu sagen.
In diesen verschiedenen Wortstämmen für verschiedene
Standorte, Lebenslagen, Lebensalter, Geschlechter der Gegen-
stände liegen aber die Kategorien unserer Flexionen ver-
borgen. Die Analogiebildungen Lc'iwe Löwin, Löwe Löwen-
junges u, s. w. sind bei den ältesten und gebräuchlichsten
Tiereigennameu gar nicht vorhanden. Es sind offenbar
jüngere Sprachbildungen. So dürfen wir auch annehmen,
dass die Gemeinsam i.j^it des Wortes Sonne für das auf-
gehende und das untergehende (i' stirn in irgend < nu r ur-
alten Zeit eine neue Sprachsch(i{ tutig war. Die Bestim-
raungsworte , aufgehend*' und , untergehend sind nur Orts-
üder Richtungsbezeichnungen , wie die Flexionssilben der
Casus.
Im Chinesischen trifft das Pronojnen der zweiten Pereon
mit Konjunktionen ftir örtliche und zeitliche Nähe zusammen,
ferner mit Ausdrücken für Aehnlichkeit. Das scheint uns
.so absurd, dass wir zuerst nach verwandten Erscheinungen
vergebens suchen. Es Hesse sich aber wohl ein Poet vor-
stellen, der dichtete: Eine Rose stand der andern so nahe,
dass sie ihr Du sagte. Und umgekehrt sagen wir mund-
artlich von einem schönen Gemälde, einer ausgezeicbneteu
Fracht: Da muss ich Sie sagen.
Mit solchen Erscheinungen und den alten, jeder Ana-
logiebildung vorausgehenden, gewissermassen ungrammati-
schen und überreichlichen Worten wie Kalb, Kuh, Stier
u. 8. w. glaube ich nun die bekannte Thatsache wieder m
52
I. Unbestimmibeit des g^ranmiatischen Sinnes.
Zusammeiiliang bringen su dflrfen, das« die <esten und ein-
geübtesten grammatiBclien Reiben ebenfalls obne Hilfe Ton
Flexionen dureb Tersditedeae Wortstämme ausgedrQckt wer-
den, im Deiitscben wie in anderen Sprachen. «Bin — war
— gewesen" f „gut — beaeer^ frappieren durdi die flba>
flüssige Verwendung neuer Stimme; bei »besser* für das
alte „bass* ist es besonders deutlich^ wie die KomparatiT-
flexion nacbtrSglich zu dem unTerständlich gewordenen Kom-
parativ des Adverbs „gut" hinzutrat Es ist dieselbe Er-
scheinung, wie wenn ehemalige starke Verben im Deutschen
die sogenannte schwache Flexion annehmen. Die Analogie-
bildung rückt siegreich vor. /u dieser flexionslosen Ent-
wickelung von Begrittsreiheii möchte ich auch die Gruppen
„ich, du, er", „wir, ihr, sie", ferner die so altertümlichen
Zahlwörter von eins bis zehn rechnen. Ein bewusster, auf
der Grauuuatik stehender Sprachschöpfer hätte all das sicher-
lich mit Ilüfe von Flexionen erfunden.
VokAtiv Es war recht unwahrscheinlich, dass uns die historische
Sprachwissenschaft die Möglichkeit gewähren würde, die
Phantasie von einer Sprachschöpfung zu illustrieren, in die
Zeit ziirtickzuleuchten, in welcher ein unflektierter Ruf doch
den grammatischen Wert eines Satzes haben konnte. Und
dennoch linde ich jetzt ein zweites Beispiel so weit vor-
bereitet, dass ich es vorsichtig beibringen möchte. Es handelt
sich um eine auffallende Aehnlichkeit zwischen dem Vokativ-
casus des Substantivs und der Ini})erativform des Verbums.
Sie lassen sich beide als die flexionslosen Formen betrachten.
Wenn wir uns von unserer Gewohnheit, vom Infinitiv und
vom Noramativ auszugehen, ganz belreien könnten, so würden
wir einsehen, dass der Vokativ und der Imperativ die älte-
sten Formen des Substantivs und des Verbunis darbieten.
Darüber weiss die hhT.tuiJsclie Grammatik hübsche Einzel-
heiten. In vorhistorischer Zeit nun, als die Kategonen des
Substantivs und des Verbums so wenig vorhanden waren
als sie es heute im Chinesischen sind, konnte eine und die-
selbe Lautgrujjpe natürlich Vokativ und Imperativ aus-
drücken und zwar so, dass der Hörer die Substantiv- und
Im
P«rfttiv.
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fladonen ans Riditiiiignrorteii entitandMi.
58
die Verbalform identifizieren musste. Erinnern wir lu» nun
gar, dasB die Sprache swischen den Menachen Ton gar niehta
Anderem auagehea konnte ala Tom aufiTordemden Anruf, ao
beaitMn wir in unserem «du* etwas wie eine Seitenform au
dem genuB generaUssimum, dem Demonatrativpronomen .da*
oder ,daa*, eine Seitenform, welche nicht durch Flexion,
sondern durch ein neues Wort zugleich den VokatiT und
den ImperatiT in die Sprache hineinbrachte.
Halten wir unsere Phantasie von der Entstdiung derFi«iioMm
Sprachfonnen u. s. w. fest, so sind wir nach dem lotsten g"^.
Beispiele vielletcht in der Lage, uns die Entstehung der tuas^
'Casusfonnen doch glaubhafter zu erkUbren, als es die neue,
unter dem Eii^uss der Sanskritisten stehende Sprachwissen- itMi««!!.
Schaft gethan hat. Dieae hat bekanntlich die Sprachen in
flexionslose, anklebende und flektierte eingeteilt; sie denkt
sich die Entstdiung unserer flektierten Sprachen so, dasa
ein dunesischer Zustand der Einsilbigkeit vorausging, dass
das Anldeben roa Sl&nmen, die nacUier au Bildungssüben
abgeschwftcht wurdeo, folgte. Abgesehen nun davon, dass
die Flexionslosigkeit des Chinesischen neuerdings eher wie
das Ende als wie der Anfang der Entwickelung aussieht,
dass unsere Kuliursprachen (besonders das Euglische) sich
der Flexionslosigkeit nähern, ist auch gar nicht abzusehen,
wie Casus- und Tempusformen künstlich gebildet werden
konnten, bevor es eine Gramnufttik gab. Und eine Grammatik
wieder in unserem Sinne konnte es doch ganz gewiss nicht
lachen, bevor ihre Formen existierten. Aus diesem Dilemma
kiUt vielleicht eine Vorstellung, die ich mit dem „Mute zu
irren", den Sprachphilosophen vorle|i?e. Wie wenn uiclit die
Substantive durch (lie Casusbezeicbtiuiigcn (mututis mutandis
die Verbal toiiiica) naher bestimmt wurden, sondern die
Casuseii du Ilgen durch die Substantive? Wie wenn die an-
geblichtju Casusendungen viel ältere und ullgcnieinere Worte
gewesen wären, als die Menge der Substantive? Ich stelle
mir das so vor: War das Demonsti ati\ prnnoiuea „da" oder
»das* das genus generalissiuiuui , so konnten die Bezeich-
nungen für Lokalverhältnisse (metaphorisch auf Zeitverh'ält-
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54 I- Unbeitiiniiith«it dM gnumnaiiioiMB Simiei.
niflse angewandt) «her, hin, zu, fort, oben, nnten u. s. w."
sehr aUgemeine Begriffe sein, welche in einer Uneit aus
der Situation heraus fUr die Veistftndigttng zwischen den
Menschen genOgten. Es konnte — um im Phantasieren zu
bleiben — der Oeneralbegriff der Entfernung im Gegensatz
zu dem Oeneralbegriff der Annihenmg z. B. den AblatiT
gegen den Ahkusativ, die zweite Person gegen die erste,
die Vergangenheit gegen die Zukunft bedeuten. Dass Sub*
stantiY- und Verbalformen dabei durcheinander laufen, ist
flir eine so alte Zeit eher eine Untersittfezung der Hypo-
these als ein Fehler. In dem zum Bichtungsworto ent^
wickelten Demonstrativpronomen sprach sich die Situation*
des sprechenden Menschen aus. Als diese arme Sprache
dem Reichtum der wachsenden Seelensituation nicht mehr
entsprach, als die Bichtungsworte durch die inzwischen ent-
standenen Substantire, A^'ckttye oder Verben näher be-
stimmt wurden, analogische Flezionssilben wurden, da wurde
die Bedeutung dieser alten Bichtungssüben nachtriglich
durch die Wirklichkeitswelt gegeben und so musste es frei-
lich kommen, dass unsere in der Grammatik aufgezählten
Casusfbrmen eine so unzusammenhüugende Fülle Ton Be-
deutungen aufweisen wie z. B. unser Genitiy. Die Unbe-
stimmtheit aller grammatikalisdien Kategorien wSre dann
aus ihrem Ursprung erkUlrt.
Wo sich diese alten Bichtungsworte (die meistens durch
ihr altertOmliches iGepräge aufGdlen) erhaUen haben, da
weisen sie die gleiche unzusammenhängende Fülle der Be-
deutungen auf wie die ffildungssilben der Casus. Man denke
nur an den fast uneingeschrftnkten Gebrauch unserer Worte
flTon* und «Tor*. Und es ist, als ob die Sprache auf den
metaphorischeD Gebrauch der Richtungsworte gar nicht ver-
zichten kdnnte. Im Französischen und gar im Englischen ist
die Rückkehr beinahe Tollendet; die Richtungsworte, welche
einst vielleicht die Sprache ausmachten, welche dann zu
Oasusbezeichnungen wurden, sind am Ende der Worte aus-
gefallen, nach langsamer Abschw'dchung, und stehen jetzt
breit und schwer im gleichen Dienste vor den Worten, ab
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tonlofle CaBUBseicben. Und selbst die Jakrtauflende alte
TrenimDg Ton SubstantiTeii und Verben hindert nicht, dass
dieselben Richtnngsworte, und in der gleichen Bedeutung,
mehr und mehr den Verben Torangestellt werden. Ich
glanbe es deutiich ToreteUen zu können, dass der Ctoneral-
begriff ,in* oder „hin* einmal aus der Situation heraue
genügte, um Terstindlich ausiudrDcken, dass entweder der
Sprecher an einen bestimmten Ort gehen wolle oder der
Elker hingehen solle. Der grOwsre Reichtum der Situations*
bildung mochte dann dazu f&hren, diesen Oeneralbegriff, der
Verbum, SubstantiT und Ricbtungsinteresse zusammenfasste,
weiter zu erklären. , Gehen — Stadt — bin* besagte nicht
mehr ds das «bin'' allein. Die Sprachen konnten die Be-
griffe ordnen wie sie wollten (ire urbem, ire in urbem, inire
urbem, inire in urbem), das Richtungswort, der Vorläufer
der Flexionssilben, war das allein Sagenswerte, fast möchte
ich sagen, das allein Sagbare; alle übrigen Satzbestandteile
waren nui* ein Ersatz fUr die einst gegenwärtige Situation.
II. Das Yerbum.
Zu der Einsicht, dass den Kategorien der Logik oder Lessiug.
Grammatik, dass den Redeteilen in der Wirklirbkeitswelt
nichts entsprecht , dass insbesondere das Thiiti^^keits- oder
Zeitwort keine einfache Wahrnehmung wiedergebe, konnte
Lessing, abhängig von der Psychologie seiner Zeit, unmög-
lich gelangen. Starb er doch in dem Jahre, in welchem
Kant,s Kritik der reinen Vernunft erschien; und die grund-
legenden Untersuchungen Leckes hatte er trotz eingehender
Beschäftigung mit Leibniz nicht weiter geführt. Um so
überraschender ist es, wie Lessing durch eine seiner ent-
•scheidenden Ideen . durch die Grenzbestunniung zwischen
Poesie unil Malerei, zu einer Definition der Handlung ge-
führt wird, die mit einer psychologischen Auffassung des
Thätigkeitsbegriffs fast wörtlich zusummenftllt. Diese De-
finition, welche eigentlich schon seinen Laokoon voraus-
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56
II. Dm TtrVnm.
nimnit, findet sieb in seiner Abhandlang aber die Fabel aus
dem Jahre 1759.
«Eine Handlung nenne ich eine Folge Ton Verilnde-
rungen, die nisammen ein Ganses ausmachen. Diese Ein«-
heit des Chinzen beruhet auf der üebereinstimmung aller
Teile zu einem Endzweck."
Diesen Endzweck sieht Lessing allerdiugs in dem mara-
lisehen Lehrsatz, für den die Fabel erfunden worden ist;
aber der erkenntnis-theoretische Wert der Definition geht
weit aber diese moralische Nutzanwendung hinaus. Lessing
spricht es unmittelbar darauf aus: er könne es für eine un-
trttgliche Probe ausgeben, dass eine Fabel schlecht sei, dass
sie den Namen der Fabel gar nicht verdiene, .wenn ihre
Tcrmeinte Handlung sich ganz malen lAsst.* In diesen
wenigen Worten liegt, ¥rie gesagt, der leitende Gedanke des
Laokoon, in welchem Lessing nur wenig spifter mit all seiner
Scharfsichtigkeit schon die sprachphiloeophiBche Seite der
Sache bemerkte
Er kommt auf diese philosophische Seite der Frage im
16. Kapitel des Laokoon und ist sich der Bedeutung gar
wohl bewusst; denn er beginnt die Auseinandersetzung mit
den Worten: »Doch ich will Yersuchen, die Sache aus ihren
ersten Gründen herzuleiten.* Lessing ist so sehr auf die
enksk Grfinde seiner üsthetiBehen Fragen eingegangen, dass
der Laokoon aber seine Absicht hinaus ein Beitrag zur
Sprachphilosophie geworden ist
Schon in den einleitenden Sfttieu des Werkes, in denen
er stolz bescheiden die zufällige Entstehnng und den Mangel
an Ordnung im Werke beklagt, sagt er beiliutig etwas, was
ich zu einem der Motti meiner Sprachkritik machen möchte.
,An sjrstematischen Bachem haben wir Deutschen Ober-
haupt keinen Mangel. Aus ein paar angenommenen Woi-t-
erklärungen in der schönsten Ordnung alles, was wir wollen,
herzuleiten, darauf verstehen wir uns, trotz einer Nation iu
der Welt.*
Diest' Verachtun^^ aller Wortiti;u In rri (die sich in dem
herrlichen 10. Kapitel des Laoküuii bis zu der Einsicht
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Lessiog. 57
steigert, dass auch die Zeicheiupniclie der antüdsierenden
Malerei eine hohle ICadcerade, ein S|nel mit toten Symbolen
sein könne) mueste dem Verfasser des Laokoon so nahe
Gegen, weil die ersten Grttnde der ganzen Untersnchung auf
dem Gelnete der Ansdrucksmittel lagen. Wo er su dieser
Frage gelangt, da staunen wir acugleich Uber den Scharf-
sinn des ausserordentlichen Mannes und beklagen die ge-
ringe Psychologie seiner Zeit. £Sr sagt: «Wenn es wahr
ist, dass die Malerei zu ihren Nachahmuugeii ganz andere
Mittel oder Zeichen gebraucht als die Poesie, jene nlmlich
Figuren und Farben in dem Baume, diese aber artikulierte
Töne in der Zeit; wenn unstreitig die Zdchen ein bequemes
Verhftltnis zu dem Bezeichneten haben mOssen: So können
nebeneinander geordnete Zeichen auch nur Gegenstände, die
nebeneinander, oder deren Teüe nebeneinander existieren,
aufeinander folgende Zeichen aber auch nur €^enstände
ausdrücken, die aufeinander, oder deren Teile aufeinander
folgen." Lessing sagt dann weiter, dass Gegenstände, die
aufeinander, oder deren Teile aufeinander folgen, Hand-
lungen heissen; dass folglich Handlungen der eigentliche
Gegenstand der Poesie seien. Er leitet daraus die berühmte
Sclilussfol^erung her, dass die Malerei also nur einen ein-
zigen Augenblick der Handlunt^ nutzen könne und daher
den prägnantesten wühlen müsse, aus welchem das Vorher-
gehende und Folgende am begreiflichsten werde. Es ver-
steht sich von selb.st, dass Lessing bei all diesen 1 )aj It^un^^en
nur an solche Darstellungen der bildenden Kun.Nt denkt,
welche eben Handlungen darstellen wollen, dass Lessings
Laokoon darum aul die homerischen Gedichte und auf Ge-
mälde nach Homer weit besser passt als auf moderne Stim-
mungsbilder und moderne Stimmungspoesie. Wie Lessing
aber immer mit seinen Gedankenblitzen weit voraus leuchtet,
so hat er auch schon (bis Wort ausgesprochen, mit welchem
wir seinen Stninipunkt kiitisieren möchten.
"Vielleicht kam er zu dem Gedankenblitze, den ich meine,
dadurch . dass die Theorie des Laokoon sich kaum gegen
eiu anderes berUhmtes Werk seiner Zeit so sehr zu richten
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58
II. Dm TMbmn.
schien, wie gegen den „ Frühling" seines lieben Freundes
Kleist. Von Herrn von Kleist Tersichert er eifrig, dass er,
hfttte er ISnger gelebt, dieser malenden Poesie eine andere
Gestalt gegeben hätte; ,er würde (es sind Worte Ton Mar»
montel) aus einer mit Empfindungen nur sparsam durch-
webten Beihe von Bildern eme mit Bilden nur spantan
durchflochtene Folge Ton Empfindungen gemacht haben.*
In diesem Zusammenhange dtiert Leesittg eine Stelle aus
einem nicht minder berühmten malenden Gedichte, ans Hallers
«Alpen*. Lessing will den Einwuif machen, daes Hallers
Beschreibung denjenigen keine Vorstettung gebe, der all
diese Kräuter und Blumen noch nie gesehen habe. Und
hier steigt Lessing plötzlich au den eisten Gründen herab,
wenn er, mit einer seiner bewundernswürdigen Selbstnnter-
brechungen, ausruft: »Ee mag sein, dasa aUe poetischen
Gemälde eine Torläufige Behwontschaft mit ihren Gegen-
ständen erfordern. Ich will auch nicht leugnen, dass dem-
jenigen, dem eine soldie Bekanntschaft hier zu statten kdmmt,
der Dichter nicht Ton einigen Teilen eine lebhaftere Idee
erwecken konnte.*
Hier, an diesem Punkte mttsste die neue Psychologie
einsetzen, wollte sie Über Lessing hinaus die Grenaen zwi-
schen Malerei und Poesie abzustecken wagen. Was Lessing
da wie mit einem ihn blendenden Blitze beleuchtet hat, das
lässt uns heute den Zusammenhang zwischen den Ausdrucks-
mitteln der Malerei und der Poesie einerseits, den Zusammen-
hang zwischen der Handlung und ihrem sprachli^en Zeichen,
zwischen der Wirklichkeitswelt und dem Yerbum, zwischen
dem Mitteilungsinhalt und der Sprache begreifen. Denn
wir wissen ja, dass nicht nur alle poetischen Gemälde eine
vorläufige Bekanntschaft mit ihren G^enständen erfordern,
sondern dass alle Mitteilung (ToUzieht sie sich nun durch
sichtbare Sprache oder Malerei oder durch die Lautsprache)
nur Erinnerung ist, also immer und unter allen Umständen
vorläufige Bekanntschaft Toraussetzt. Der Sprachkritiker
wenigstes hat gelernt, dass in dem artikulierten Worte der
Lautsprache niemals etwas anderes liegt als die Erinnerung
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Zweck im Verbum.
59
an SinnesdiidTfidce, und daas auch die Halarei oder Zeich-
nung eine kttnatliclie und bis su einem gewissen Oxade kon-
TentioneUe Artikulation dessen ist, was das Auge so ganz
anders in der WirUicUceit erblickt (vergl. I. 46).
Insbesondere die Handlung, welche Lessing in seiner zwMk
Abhandlung Aber die Fabel so pracbtroU definiert ^t, und ver^
welche er sich so einfach durch das Verbum darstellbar
denkt, haben wir als etwas kennen gelernt, was durch Worte
gar nicht su beschreiben iak Wir wissen, dass wir z. B.
mit dem Worte .graben* eine Unzahl minimaler KSrper*
bewegungen unter dem menschlichen Gesichtspunkte eines
Zwecks zuBammenfassen. Was im Gehirn beim Anblick
eines Bildes und beim Anhören des entsprechenden V erbums
(des Attsdrucksmittels f&r die Handlung, fOr das Objekt der
Poesie) Torgeht, ist also gar nicht so Tsrschieden. Aus dem
Augenblicksbflde z. B. in einem GemUde Ton J. F. MiDet
kommt uns die Erinnerung, dass ein grabender Mensch ein-
mal auch diesen Anblick gewShrt; hören wir das Wort
graben, so bezeichnet es allerdings nicht einen einzelnen
Augenblick, sondern den ganzen Komplex der zweckmässigen
Bewegungen, aber es gfibt doch zur Beschreibung der Thi&tig-
keit nidit mehr, sondern wouger als das Gemilde. Es gibt
den unaichtibaren Zweck des Bewegungskoraplexes als Mittel-
punkt der Brinoerung an die unzftUigen Teilbewegungen.
Und woUte der sprechende Mensch, der Dichter nun mehr
tfaun als der Maler und, wie die Theorie Lessings es Ter-
langen würde, an Stelle des unsichtbaren Zweckbegrifib diie
Teilhandlungen auizählen und so die Oesamthandlung zu
beschreiben suchen, so würde sich bald herausstellen, dass
Handlungen durch die Spraclu' nicht zu beschreiben sind,
dass die Vorstellung von einer Handlung durch eine solche
genaue Beschreibung nur immer undeutlicher würde. Oder
Tielmehr: Es ist die komplizierte Handlung (z.B. das Sat-
teln oder, um bei Homer zu bleiben, das Anschirren der
Pferde) dem hörenden Mensehen entweder geläufig oder sie
ist ihm fremd. Ist sie ihm fremd , so wird die Beschrei-
bung, die Aufzählung der Teilkandluugen ihm von Seiten
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60
IL Dm Yeibnn.
des sprechenden Menschen nicht eigenUich eine sprachliche
Hitteflung, sondern eine Neuigkeit sein; er wird wünschen
den ganzen Vorgang lieber praktisch Tor sidi zu sehen,
weil er der Beschreibung kaum zu folgen vermag. Ist dem
hörenden Menschen der Handlungskomplex Jedoch geläufig,
so wird die Beschreibung, die Aufzählung der Teilhand-
lungen, ihm bis zur Lächerlichkeit langweilig eracheinra.
MtiM," Man stelle sich einmal vor, ein epischer Dichter wSxe auf
den TenUckten Einfall gekommen, das Verbum «er ging*,
weil es doch nur den Zweckniittelpunki angibt und nur die
Illusion eines wirklichen Bildes erzeugt, durch eine Be-
schreibung des Gehens zu ersetzen, wie sie etwa durch die
Brttder Weher anatomische, durch Anachütc photographisehe
Kenntnis geworden ist. Der Dichter könnte nun eine Reihe
▼on Seiten an die Stelle des einfachen «er ging* setzen;
jede Einxelbewegung des Apparates von Knochen, Sehnen,
Nerven und Muskeln könnte er, mit oder ohne MathemsÜk,
aufeinander folgen lassen. Unsere WissensehalUer würden
das eine ElrklSrung des Gehens nennen. In Wahrheit aber
Ware es natOrlidL keine Erklärung, sondern nur eine Be-
schreibung, eine Beschreibung aber auch wieder nur fllr die
Vorstellung des Anatomen oder Physiologen, der eine «vor^
Iftufige Bekanntschaft* mit den Teilhandlungen besüsse; für
den unvorbereiteten Zuhörer wftre es das Gegenteil Ton
einer Beschreibung. Er wQrde nach dem Lesen der ganzen
Aufsählung Ton Teilhandlungen viel eher glauben, die Person
b&tte geturnt als sie wftre gegangen. Denn nicht nur die
Poesie als die Wortkunst, sondern die Sprache ttberhaupt
setit, wie vrir wissen, den Gegenstand der Mitteilung als
bekannt voraus — um diesen Gedanken endlich einmal so
scharf wie möglich auszudrücken. Gerade das Verbum als
das Ausdrucksmittel der Handlung ist für diese Erkenntnis
sehr wichtig. Die Adjektive grOn, sUss n. s. w. lassen frei-
lieh keinen Zweifel darttber, dass keine Beschreibung eine
Vorstellung des Ghünen, Sflssen u. s. w. dengenigen liefern
könnte, dessen Gesichtsnerven, Geschmacksnerven u. s. w.
nicht funktionieren. Das seheint uns aber gar nicht mehr
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Wortkiuuti
61
bemerkenswert, weil es vor aller Psjcholoijie klnrsein rousst«,
weil — wie ich hinzufüge — die uinnittelbaren Sinnesein-
(lrii( ko immer adjektivisch sind uud darum niemals durch
Be>»chreibungea ersetzt werden können. Bei den Substan-
tiven ist ein Irrtum schon eher möglich; man glaubte die
VorstelluMu* von einem EU lunten in der Schule durch ad-
jektivische ijeschreibungen erzeugen zu können, bis die
neuere Pädagogik in allen solchen Füllen den Anschnnunsr^-
unterricht fUr notwendig erklärte. Der Anschauungsunter-
richt versucht durch hübsch kolorierte Bihhr auch die
Thiitigkeit der Handwerker den Kindern beizuljringen. Ein
fruchtloses Bemühen! Niemals wird sich das Kind von der
Thatigkeit eines Handwerkers eine Vorstellung machen
können, wenn es seine Werkstatt nicht besucht hat. Durch
blosse Beschreibung der Thatigkeit kann man weder einen
Schuhmacher noch einen Schwimmer ausbilden; man kann
aber auch dem Nicht-Schuhmacher und Nicht-Schwimmer
von der Thatigkeit durch blosse Beschreibung keine Vor-
stellung geben. Handlungen können nicht der eigentliche
Gegenstand der Poesie sein, der Wortkunst, weil Thätig-
keiten sich durch Worte am allerschlechtesten beschreiben
lassen. Poesie kann schon aus diesem Grunde immer nur
Seelenstimmungen darstellen, welche der Dichter (unthätig,
handelnd oder andern handelnden Personen gegenüber —
lyrisch, dramatisch oder episch) empfindet und die er beim
Leser Avieder erzeugen will.
Die letzte Entwickelnng der europäischen Poesie hat wort-
sich revolutionär vollzogen, ohne dass irgend einer der Dichter
oder der Theoretiker Termutet hätte, dass der Umschwung
in irgend einem Zusammenhange stände mit den erkenntnis-
iheoretischen Fragen unserer Zeit. Ich möchte die Aufgabe,
diesem Zusammenhange nachzuforschen, einem Leser dieser
S)>rachkritik stellen* Die begabtesten unter den modernen
Dichtem Tendchton auf die allein selig machende Handlang
sogar im Drama, geschweige denn im Roman, und lassen
die Handlung mehr aus der Stimmung ihrer Personen er-
raten, welche sie doch allein kennen; und wieder die Oha^
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62 Verbum.
raktere dieser Personen sehildern sie nur indirekt, weil die
Sprache niclit mehr vermag; und sie haben es aufgegeben,
Musterbilder von Menschengruppen aufzustellen, weil sie
doch nur Individuen kennen und weil es eine typische Sprache
für Typen gar nicht gibt, sondern nur Individualsprachen.
Es wäre traurig, wenn die l'robe auf das Excmpel niclit
gestimmt hätte, wenn die neueste Entwickelung der Wort-
kunst der Sprachkritik widerspräche.
Erkeautuistheoretische Untersuchungen haben uus zu
der Einsicht geführt, daHs die altberühmt^n Kategorien des
Seins doch nur die aus unseren indoeuropäischen Sprachen
abstrahierten Redeteile der Grammatik sind, und dass diese
Redeteile weder der Wirklicbkeitswelt noch unsern Sinnes-
eiudrilcken von ihr kongruent sind. Wir haben gesehen,
dass unsere Wahrnehmungen von den Dingen weit eher ad-
jektivischer als substantivischer Natur sind , und dass das
Verbum Beziehungen im Raum und in der Zeit auszudrücken
versucht, etwa Veränderungen, also Yergleichuugen , dass
wir aljer von Thätigkeiten und Zustanden unmittelbar gar
nichts wissen. Nun fnhreT\ uus psycliulogische Unter-
suchungen auf ganz and» r« m W ege dazu, das \*erbum auch
sprachlich übertiüssig zu tin.flen zur Auffassung oder Mit-
teilung einer Handlung. Bei elii}»tischen Formen wie .,Her-
.macben". aus!" ,Zu Pferde!" „Sehneil!" und dergleichen ist es ja
bekannt, dass das Verbum aus der Situation ergänzt wird.
Das ist aber nicht mit den Sprachpedanten so zu verstehen,
als verschweige der Sprecher und er^^änzp der Hörer ein
bestimmtes Verbum z. B. der Scliauspieier solle heraus
-kommen", der lästige Besucher solle heraus , gehen". Man
könnte, wenn tuhti srhon einen ordentlichen Satz formu-
lieren will, in jedem solchen Falle das Verbum ..machen*
eintreten lassen, welches ja so häufig als allgemeinste Be-
zeichnung irgend einer Thätigkeit fast \s-\o eine Flexions-
silbe gebraucht wird. Der S]>rarhLf< I i hk h gestattet die
allerdings für unfein geltenden Redewendungen wie „nach
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Yerboni immer nnvirklicfa.
6a
der Schweiz machen, das Schreckhorn machen". Vermut-
lich ist auch das lateinische proficisci (reisen) aus f&cw
(machen) entstanden. , Machen heisst dann nicht mehr als
die verbale Endsilbe, welche 2. B. im Deutschen aus Sattel
«satteln^ f aus zwei , entzweien", aus Schriftsteller , Schrift-
stellern" — macht. Weder das machen im Sinne von reisen,
besichtigen, besteigen u. s. w. noch die verbale Endsilbe
drückt eine bestimmte Thätigkeit aus in der Umgrenzun|T.
wie etwa die Adjektive grün, gross, laut, einen bestimmten
Sinneseindruck bezeichnen. Unsere Beispiele umfassen gieicli
dreierlei sogenannte Thätigkeiten. Satteln" ist von einem
Dingwort abgeleitet, welches Objekt einer Veränderung wird;
«entzweien* Ton einem Wort, welehes Ziel einer Thätigkeit
wird; „ Schriftstellern " vergleicht eine Lebensweise mit der
eines besiammten Berufs, nnd enthält die Nuance, dass die
Aehnlichkeit nicht ganz ziitrifTt. (HierfQr und für das Fol-
gende: Wegener S. 138—150).
Die besten, ich möchte sagen, die echten Verben, d le Vrrliiiin
Zeitwörter (weil man mit ihnen eine Veränderung in der "'^^
Zeit ausdrücken will), lassen sich durch die Kunstmittel des «irUloh.
Malers nicht mitteilen. Das Satteln dauert vielleicht einige
Minuten lang und der Maler kann bekanntlich nur einen
onsugen Augenblick wiedergeben. Dennoch wird ein Reiter
einer guten Zeichnung von einem Kavalleristen neben seinem
Pfetde sofort ansehen , ob der Kavallerist aufsteigen wolle
oder abgestiegen sei oder ob er eben die Handlung des
Satteins vornehme. Seine Sachkenntnis deutet ihm die
Situation des Augenblicks. Nun sagte man gewöhnliclit dass
die in der Zeit verlaufende Sprache die Handlung darstellen
könne, ja dass sie nichts als Handlung (in der Poesie) dar-
stellen dürfe. Lessing hat in seinem Laokoon die Grenzen
zwischen Malerei und Poesie auf diesen ünterschied von
Raum und Zeit begründet» Theoretisch konnte die Psycho-
logie dea Torigen Jahrhunderts nichts dag^n einwenden;
liCMsings Theorie war ein bedeutungsvoller Fortschritt gegen
die dichtenden Malereien seiner Zeit. Die neuere Psycho-
logie aber lisst uns erkennen, dass auch das Verbum, in
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Ii. UnB Verbum.
weit liein Lossing das Hauptwort der poetischen Darstellung
hätte sehen müssen, nur ein Situationsbild wachruft, aus
welchem sich unsere Sachkenntnis eine Veränderunf? im
Kuuine (»der in der Zeit, eine Thätigkeit konstruiert. Die
von Substantiven abgeleiteten Verben sind dafllr besonders
lehrreich. .Satteln" enthält zwei Bestandteile, da.s Sub-
stantiv Sattel und die Endsilbe, welche eine sogenannte ver-
bale Vorstell erweckt; das Wort heisst etwa: Etwas mit
dem ^:^atu l nmchen , etwas mit dem Sattel vornehmen, die
Lage des Sattels anders werden lassen als sie vorher war.
Wir haben schon gezeigt, wie unsere Wahrnehniung
die unzähligen Finger- und Handbewegungen oder gar die
Muskelreizungen und Innervationen z. B. beim üraben oder
Stricken gar nicht sondert, wie unsere Wahrnehmung aus
einem augenblicklichen Sitüationsbilde oder aus mehreren
solchen die Handlung erst kombiniert, wie erst der Zweck-
begriff, den wir in eine unendliche Reihe von minimalen
Bewegungen hineinlegen, den wir bei ihnen voraussetzen, als
Handlung einen sprachlichen Ausdruck erhält. Was wir
mit den Sinnen wahrnehmen heim Satteln, beim Ackern,
beim Grahtu oder Stricken, das ist in keinem Augenblicke
etwas, was einer Handlung irgendwie ähnlich sähe. Unsere
Wahrnehmungen sind — - wie ge.sagt — immer adjektivi-
scher Art Unser Interesse ist es, unter Umständen statt
der Adjektive rot, weich, süss, saftig, die gemeinsame Ur-
sache dieser Adjektive zu beachten, das sogenannte Ding,
und es Aj>fel zu nennen. Unser Interesse ist es wiederum,
was uns veranlasst, die durch einen Zweckbegrilf vereinigten
Wahrnehmungen ebenso durch ein Verbum zusamnn uzu-
fas^son. Beim Substitutiv setzen wir in der WirklichkeiLswelt
wenigstens eine Substanz voraus, die die vorausgegangene
gemeinsame Ursache der Adjektive ist. Beim Verbum ist
das (it inem>ame, der Zwet k dei- minimalen Veränderungen,
der bmn des \'erbums also, in der Gcgenwartswelt ganz
gewiss nicht vorhanden. Das Verbale in den Vorgängen
kann schon aus diesem Gum ]■ nicht eigenthcli mitgeteilt
werden, ein eigeutüches Verbum ist gar sieht möglich; die
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«essen".
65
verbalen Formen fordern uns nur auf, eine Thätigkeife und
dergleichen aus den Worten heranssuhören oder in sie liin*
^nxttlegen, das heisst unsere Aufmerksamkeit mekr auf die
Yet&ideruDg der Situation als auf die Situation selbst zu
richten.
Etwas Ton einer wirkUchen oder möglichen Aendemng
der Situation meinen wir auch bei den Verben, die keine
Thätigkeiten ausdrücken. Der unveränderte Zustand eines
grünen Waldes heisst in der Sprache „der Wald ist grün" ;
sage ich -der Wald grünf", so verghnche ich den jetzigen
Zustand mit der gruubrauiu ii Färbung im WiDt<?r. (Dass
wir, hätte sich der SpraihgLbriiUch dem Fortschritte der
Wissenschaft angeschlossen, auch den Zustand mit „der
Wald grünt mich* bezeichnen müssten, gehört nicht hierher.)
Das Verbuui in ,das Buch liegt auf dem Tische* sagt
nicht genau dasselbe wie etwa in „das Buch ist dick*" ; im
Liegen witd die Möglichkeit angedeutet (unter Umständen
ganz fühlbar), dass das Buch sicher ruhe und nicht herunter
gefallen sei.
Wii- kennen schon die dominierende Bedeutung, welche
die Metapher für die Entwickelung, also für die Entstehung
der S|»rache besitzt. An nichts erkennt man das Schwanken
der Wortbedeutungen, ihr ä-peu-pr^s, so genau, wie daran,
dass die Worte sich vergleichsweise den Umfang ihres Sinnes
erobern. Bei der metaphorischeu Anwendung der Worte,
ans der schliesslich der ganze Spr»i hschatz entstanden ist,
laüj,.-, im raenschlicli«- n (rfliirn ein unsiclioros , jx^ndelndes
Tappeu zwischen <1< n 1 eiden verglichenen üegenstämlen vor-
handen sein, ein Tappen, das auch im schliesslichen Ge-
brauche der Worte versteckt bleibt, nachdem die Ver-
gleichung aus dem Öprachbewusstsein verschwunden ist;
immerhin weist das Substantiv, nachdem seine metaphorische
Entstehung unbewusst geworden ist, auf eine mehr oder
weniger sinnliche Vorstellung hin. Beim Verbum hört dieses
Vergleichen niemals auf, dieses pendelnde Tappen, dieses
Wandern des Blickpunktes, weil wir nie eine Thätigkeit
wahrnehmen oder vorstellen können, weil es immer etwas
Uauthner, BeitrftB« zu einer Kritik der Sprache. IH. 5
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66
n. Das Verbum.
wie d«r Zweckbegriff ist (beim SabstantiT eine Ursache),
der unsere Aufinerksainkeil rasch fiber die imz&hligen mi-
nimalen Teilhandlungen hingleiten iSsst und errt aus der
Vergleiebnng der Anfangs- und der Sndsitaaticm su dem
Begriff der TlAtigfceit gelaugt Uns ist von diesem ewigen
Yeigleichen nichts bewusst Bedenken wir aber, dass nur
die Sachkenntnis uns den ThStigkeitsbegriff auffassen Iftsst,
dass die Veigleichungspunkte dem Hdrer genau so gegen-
wärtig sein mOssen, wie dem Sprecher, wenn er den gleichen
Thätigkeitsbegriff in das gehörte Wort hinein legen will,
80 wird uns die Bedeutung dieses Umstandes Uar werden.
Denken sich die Menschen schon unter den SubstantiTen
nienuds mathematisch genau dasselbe, so wird die Ver^
schiedenheit noch grOsser bei den Verben, weil da mehrere
Sitoationsbilder zu rei^leichen sind und jedes einielne Si-
tuataonsbild schon in jedem Kopfe ein anderes ist Eine
Folge davon ist, dass seitliche und räumliche Entfernung
die Vorstellung des gleichen Verbums verändert. Ein
deutscher Kavallerist sattelt anders als ein Kosak, ein Ameri-
kaner pflfigt andei-s als ein alter Aegypten Man nehme
»Ms«B". einmal das Wort Zahn. Ein Neger wird eine etwas andere
Vorstellung damit verbinden als ein Chinese; ein Haifisch
(wenn er sprechen könnte) eine andere Vorstellung als ein
Mensch. Nun ist Zahn wahrscheinlich durch Lautwandel
aus dem Worte »der £ssende" entstanden. Die Vorstellung
des i^ens ist aber noch ?iel ungleicher bei den verschie-
denen Völkern. Es hat gewiss eine Zeit gegeben, wo drä
Menschen wie die Tiere ^frasseu**, etwa mit Zuhilfenahme
ihrer Hände, wie die AftVii. Essen bedeutete damals haupt-
sächlich -init den Ziihnen /erreissen und kauen"; »der
Essende'" war damals wirklich der Zahn. Jetzt ist die Hand-
lung des Essens komplizierter geworden. Wer heute in
der Stadt zum ^E-ssen" eingeladen ist, dem zerfällt das
Verbum in eine Menge von Teilhandlungeu, von denen ich
nur einige hervorheben will: Toilette machen, in f?rosser Zahl
zusammenkommen, niedersitzen (vor dem reich gedeckten
Tisch), Serviette öfl'nen, Lötfei und üabel benutzen (dazu viel-
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Zeit in der Grwnmetik.
67
leicht noch Austernmesser, Käsernesser, Obstmesser u. s. w.),
verschieden p Teller benützen, verschiedene Gläser u. s. w.;
das alles kann das Verbum essen ausdrücken. Aber auch
der einfache Mann stellt sich essen nicht anders vor, als
mit Löffel und Gabel. Hört er nun vom Essen der home-
rischen Helden oder vom Essen chinesischer Mandarinen,
so schiebt er den Griechen und den Chinesen das ihm be-
kannte Situationsbild unter, weil er nicht weiss, dass die
Griechen weder Löffel noch Gabel gekannt haben und dass
die Chinesen beim Essen Stäbchen gebrauchen. Die den
einfachen Mann umgebende Wirklichkeit ist zu einem auto-
matischen Gebrauch toh Löffel und Gabel geworden; in
seinen Muskeln nnd Nerven, also auch in seinem Gehini,
spiegelt sich dieses Wirklichkeitsbild als Einübung. Hört
er das Wort essen, so verlegt er dieses Nerrenbüd seiner
Tbätigkeit in den Satz hinein.
Es gilt als selbstverständlich, dass das Zeitverhältnis zeit in
eines Satzes zunächst durch die Zeitformen des Verbums ''^^^JJ'
ausgedrückt wird; und zwar bezieht sich das Zeitverhältnis
iramor auf das Subjekti entweder auf das Subjekt des Satzes
oder auf das den Satz aussprechende Subjekt. Dieses Subjekt
▼ertritt die Gegenwart. Der Sprecher ist immer gegen-
wärtig, das grammatikalische Subjekt wird entweder als
gegenwlrtig gedacht oder mit der Gegenwart des Sprechers
verglichen. So hat jeder mögliche Satz einerseits eine zeit-
liche Mitbedeutung; anderseits wird immer nur eine Be-
ziehung zur Gegenwart, also Vergangenheit oder Zukunft,
direkt ausgedrückt. Für die eigentliche Gegenwart, abge-
sehen Ton der (m. 43) erwfthnten Zeitlosigkeit, hat das
Terbum so wenig einen unmittelbaren Ausdruck, wie das
SubstantiT für den Fall der BeziehungBloeigkeit. Was wir
KominatiT und Prisens nennen, das ist wahrsdiemlich eine
höhere und sptttere Bildung als Datiy und Accusativ, als
Perfektum und Futurum.
Wir haben eben gesehen, wie die Unbestimmtheit des
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68
XL Das Verbum.
giatiiiticitischen Sinnes auch im zeitlosen Pnisens sieht*
bar wird.
PriMiis Sigwart (1. 90) macht darauf aufmerksam, dass das
Oe^n- PrsLsens etwas Verschiedenes bedeute, je nachdem es dus-
wftrt. selbe Prädikat vou einem Begriff oder von eiuem Dinp aus-
sage. Ganz richtig. ^Die Sterue leuchten* (das heisst iikhi
erkennt die Sterue gerade daran, dass sie leuchtende Punkte
sin I i bedeutet etwas ganz anderes als „die Sterbe lenrhten''
(das heisst jetzt, wie ich eben sehe, leuchten sie, der liiuiinel
ist also nicht bewölkt). Das Erste kann man auch bei Tage
sagen, das Zweite nicht. Das Erste ist eine völlig leere
Tautologie, weil wir das Leuchten mitvorstelleu, wenn wir
„Sterne" hören; das Zweite ist eine Tautologie anderer Art.
weil wir auf die zweifelnde Frage, ob der Ilimmel etwa
bewölkt sei, bloss „Stcme" zu antworten brauchten oder
„Es sind Sterne am Himmel*. Das Leuchten gehöi-t dazu
oder ist vielmehr die Voraussetzung unsere Sehens.
Das Präsens bezeichnet also (vergl. S. 44) das eine Mal
die Gegenwart, also eigentlich den flüchtigen Augenblick, das
andre Mal die ewige Dauer in Vergangenheit und Zukunft.
Oder sollte etwa die Sprache so witzig gewesen sein, da
und dort mit dem Präsens die Zeitlosigkeit bezeichnen zu
wollen? Schwerlich. Der Witz der Sprache ist niemals
Wortwitz; so dumm wie wortwitsige Menschen ist sie denn
doch nicht.
Die Eigentümlichkeit des Yerbums, einerseiis immer
das ZeitTerhältnis anxugehen, anderseits nicht die Gegenwart
selbfit. sondern stets nur eine Beziehung zur Gegenwart,
entspricht den subtilaten Ergebnissen der Erkenntnistheorie.
Jeder Satz muss eine zeitliche Bestimmung in sich tragen,
weil wir die Welt nicht anders als auf dem Kanevas der
Zeit (und des Raums) zu erkennen vermögen. Aber wir
kennen keine Gegenwart im buchstäblichen Sinne, weil die
Gegenwart immer nur der mathematische Punkt zwischen
Vergangenheit und Zukunft ist, niemals ein Besitz, sondern
im Augenblicke des Erfassens auch schon ein verlorener
Besits. Psjchophysische Experimente haben zur GenUge
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Piftaem und Oegemnurt.
69
nachgewiesen, dass die einfachste ESmpfindung Zeit braucht,
am uns zum Bewnsstsein zu kommen. Wie wir nach den
Lehren der gegenwärtigen Optik daa Licht der Fixsterne
sehen, das vor Jahren den Weg za ans angetreten hat, so
fühlen vir einen Nadelstich ak gegenwartig erst, wenn er
der Vergangenheit angehört. Die Gegenwart ist also nur
in unserem Gehirn oder unserem Bewusstsein, nicht in
unserer Wirklichkeit. Pedantisch mflssten wir sagen «es
blitzte* und nicht »es bliiaci*, so wie die Römer, indem sie
sieh in den Geist des Adressaten hineindachten, die Ereig*
niase, die sie brieflich meldeten, zurfickdatierten.
Fllr die Einsicht in die Mängel der Sprache ist es
besonders lehnreich, dass sie auch auf ihrem eigensten Ge-
biete irre fUhrt. Die Grammatik ist nichts als der Sprach-
gebrauch, der auf abstrakte Kegeln gebracht worden ist;
und nicht einmal fttr die Regeln yon der Sprache reicht
die Sprache aus. Wir haben eben erfahren, dass es eine
eigentliche Gegenwart nicht gibt; wir mflssen annehmen,
dass das undifferenzierte Yerbum, das uns heute die soge-
nannte Gegenwart bezeichnet, zu dieser Bedeutung erst auf
einer höheren Entwickelung des menschlichen Geistes ge-
langt ist. Dagegen haben wir mehr als einmal den Saite
wiederholt, dass die Tiere wenig oder gar nichts Ton Ver-
gangenheit und Zukunft wissMi und ganz in die Gegenwart
gebannt sind. Es ist offenbar, dass wir da und dort den
Gegenwartsbegriff in einem Terscfaiedenen, ja in einem ent-
gegengesetzten Sinne gebrauchen. Denn sonst mOsste ja
das Tier der Wirklichkeitswelt mit einer bessern Orientierang
gegenüberstehen als der Mensch. Wir können den Untere
scbied im Gebrauche des GegenwartBbegri& jedoch nicht
deutlich fassen, weil uns die Worte dafür fehlen. Die
Sache liegt ungefähr so. Die Gegenwart, in welche die
Tiere gebannt sind, ist die Wirklichkeit, welche immer
gegenwärtig ist So mflssen auch die Pflanzen die Wirk-
lichkeit ab gegenwärtig empfinden. Die andere G^jenwart,
die grammatikaHsehe oder logische Gegenwart, als der mathe-
matische Trefl^unkt zwischen Vergangenheit und Zukunft,
70
IL Dis Verbnm.
ist nicht wirklich, ist nur in unserem Bewusstsein, ist nur
in unserer Sprache. In der Wirklichkeitsgegenwart der
Tiere und Pflanzen erzeugt der Vcrgangenheitsmonient immer
den Zukunftsmoment; diese Gegenwart ist fliessend. In
der grammatikalischen oder logischen Gegenwart ist der
Versuch gemacht, den FIuss der Zeit aufzuhalten, die Hypo-
these eines starren Augenblicks der ünveränderlichkeit auf-
zustelleiL Ob der Baum der Wirklichkeitswelt, zeitlich
immer Gegenwart, zum Material der Sinne gehört, das
wissen wir nicht; wir wissen nur, dass die aUezeit materia-
listische Sprache den Raum als in der Q^nwart starr auf-
fassen muss. Diese VorsteUung von einer in der Welt nicht
existierenden, fQr unsere 6egri£fewelt notwendigen starren
Ünveränderlichkeit ist das Wesentliche an der grammatika-
lischen Gegenwart; sie kann daneben einen möglichst mathe-
matischen Moment ausdrücken, wie wenn der Experimentator
im pirfchophysischen Laboratorium sprachlich oder durch
ein anderes Zeichen mitteilt, er fQhle jetzt den elektrischen
Schlag, sie kann etwas wie zeiÜose Dauer bezeichnen, wie
in unzähligen Begrifisdeflnitionen : ^Die £rde ist ein Planet*.
Dazwischen wird jede mögliche Zeitdauer, wenn man nur
die in ihr sich verändernde Wirklichkeit als eine relativ
unvertUiderte Einheit auffasst, durch die Gegenwart be-
zeichnet werden: Es ist zehn Uhr, es ist Tag, es ist der
dritte Mai, es ist Mai, es ist Frühling, es ist das Jahr 1899
u. s. w.
Begvin. Die menschliche Sprache oder das Denken ist also höchst
wahrscheinlich von einer Torsprachlichen WirkHchkeitsgegen-
wart ausgegangen und hat erst nach einem langen Wege
der Abstraktion einen Ausdruck für die sprachliche Gegen-
wart, für die grammatikalische Gegenwart gefunden. In
der Sprache war also die Form für Vergangenheit und Zu-
kunft frOher da als eine klare und bewnsste Fonn für die
Gegenwart. Die Tfaatsachen der Sprachgesdiichte scheinen
diese Einsicht bald zu bestätigen, bald zu widerlegen, sind
aber mit Vorsicht zu benützen. So haben die semitischen
und altslavischen Sprachen nur für die Gegenwart und für
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Regeln.
71
die Vergangenheit eine bestimmte Form and man aagt, duB
sie die Zukmift durck die Oegeawart KuadHlGkeii. Was
beisst das: eine Sprache drQekt die Zukunft dmrch die
Gegenwart aus? Das ist dock nnr eitle Wortmackerei.
Selbst In unserer Zeit kat das PrSsens unendlich oft, in der
Umgangsspracke sowokl wie im €kibrancke der Dickter, den
Sinn des Futumms. „Ick komme gleick*, sagt jeder Mensck,
anstatt ,ick werde gleick kommen*. — «Wer weiss, wer
morgen Uber uns befieklt*, sagt der Dickter, anstatt «wer
morgen Uber uns befehlen wird*. In diesem «anstatt* liegt
dieselbe Wortmackerei, derselbe grammatikaliscbe Hochmut
▼erborgen, wie in dem SatM, es drttcke eine Spracke die
Zukunft durck die G^nwart aus. Es Tersteckt sick darin
die ewige Vermesseakeit der AbstrakiaoD, welcke Uber die
WirUickkeit kerrscken will, die Unversckämtkeit der Kegel,
welcke mekr sein will ab die fiinselfiüle, auf welcke sie
sick ordnend bezieht. Die fiegel ist nickts als ein kuner
Ausdruck ftlr den Sprachgebrauck ; nadidem sie jedock in
eine Formel gefasst ist, will sie den Sprachgebrauch, den
sie nur aussprechen sollte, ändern. Es ist wie auf allen
Gebieten des Handelns. Hat man durch ein Wort aus-
gedrückt, was ist, so möchte das Wort sofort ein Sollen
sein. Das ist immer eine Willkür, auch bei der Fixierung
der Zeitformen. Durch den Gebrauch der „richtigen" Zeit-
formen kommt in die Schriftsprache eine Nüchternheit, ohne
dass die Deutlichkeit der Umfrangssprache erhöht wird. Ein
Beispiel für die Willkür der Grammatiker ist es, dass die
gleiche Form, welche in der arabi.schen Grammatik Präsens
hellst, im Hebräischen Futuiuai genannt wird.
Man hat die drei Zeiten der Vergangenheit, Gegen-
Avart und Zukunft die absoluten Zeitverhältnisse genannt
und sie so von den relativen Zeitverhältnissen, wie z. 6. dem
Plusquamperfektum unterschieden. Natürlich sind diese Be-
zeichnungen nicht streng zu nehmen. Gegenwart und Zukunft
beziehen sich immer aut die Gegenwart, sind immer relativ,
und Plusquamperfektum, Futurum exaktum u. s, w. sind nur
relativ in zweiter Potenz; irgend eine Vergangenheit oder
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72
n. Dm Vevbam.
Zukunft wird gewissennassen als «ine Koordiaatenachse an-
gen<xmnien, auf welche nch wiederum eine andere Zeit als
Vergangenbeit oder Zukunft beaebt. Es gab und gibt
Sprachen (wie das Althochdeutsche und trotz grossen Reich-
tums in anderer Beziehung das Slaviaehe), welche iRr die
Relativität in zweiter Potenz keine grammatische Form
besitzen, ohne dass Sprecher und Hörer Aber die Zeitver-
biltnisse im unklaren blieben.
ModL Durch die Zeitformen des Verbums wurden und werden
oft andere Beziehungen des Satzes ausgedrückt, welche in
der DarstelluDg der Grammatik mit den Zeitunterschieden
keine Aehnlichkeit haben. Es sind das die sogenannten
Modi; der Ausdruck, dessen Geschichte für Logik und
Grammatik gleich lehrreich ist, sagt uns nichts mehr. Spftter
werden wir im Zusammenhange (mit andern sprachlich«!
Andeutungsmitfceln fttr Zeit und Raum) zu zeigen haben,
wie weit die Anwendung des Tempus auf den Modus meta-
phorisch ist oder nicht.
Der IhdikatiT ist in demselben Stande der IndüFerenz
wie der NominatiT unter den FäUoi, das Piteens unter den
Zeiten. Wie das Prttsens unter Umstünden jede andere Zeit
ausdrücken kann, so der Indikativ unter Umstünden jeden
anderen Modus. Wie die sichere Erwartung der Zukunft
sich durch das Prisens ausspricht, und oft besonders nach-
drücklich, so z. B. der Imperativ durch den Indikativ, ebenso
nadidrQcklieh, selbst drohend. ,Du kommst!*
Die Form des Konjunktivs ist in vielen Sprachen der
Form der Zukunft nahe verwandt Auch kann, wie im
Lateinischen und im Hebrftischen, der Imperativ durch das
Futurum ausgedruckt werden. Und es gehört gar nicht
viel Phantasie dazu, um einen Sprachgeist zu verstehen,
der nicht etwa die Zukunft «anstatt'' des Konjunktivs, «an-
statt* des Imperativs setzte, der vielmehr Konjunktiv oder
Imperativ klar als Zukunft sah. Der Konjunktiv, welcher
in unseren Sprachen von Begriffen des Wttnschens, Bit^
tens, Befehlens u. s. w. «abhängig" ist, geht immer auf
einen künftigen Zustand und hat dennoch Vezgang^nheits-
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IterfttiTmn.
78
fonnen. w<n86, ob EonjonktiTe, die jiicht auf die Zu-
kunft gehen, nieiit miBsvwetibidlielie Anakigiebilduiigen sind.
Der regebechte KonjunkÜT unserer Schriftspraohe, wie er
TOn Schulmeistern gefordert und Ton gebildeten Norddeut-
schen unerbittlich durchgeführt wird, hst fdr ein sUddent-
sdies Ohr oft etwas UnnatOrliches.
Nicht so einleuchtend ist es und doch charakteristisch, it«i»*
dass die relativen Zeiten in zweiter Potenz, wefl sie sich
nicht auf die unmittelbare Gegenwart des Sprechenden be-
ziehen, also keine greifbare Wirklichkeit bezeichnen, leichter
zum Ausdrucke der Möglichkeit werden können. Unter die
Hodi mttsste auch der Begriff der Unbestimmtheit gerechnet
werden, der — auf die Zeit bezogen — Unbestimmtheit
der Daner oder Unbestimmtheit der Wiederholung sein
kann. Hier mischen sich in den Sprachen, welche eine be-
sondere Form des Iterativs haben. Modus und Zeit Im
Deutsehen, wo wir das IteratiTum schwerfttOig durch «ich
pflege* oder «ich pflegte* das und das zu thun, ausdrücken
müssen, wird der Zeitumstand in das Hilfswort verlegt und
dadurch das Zeitmoment der eigentlichen Thfttigkeit ver-
wischt; und die Modalitiit, welche sich in dem Hilfsworte
ausdrückt, geht wieder dadurch verloren, dass das Wort
die Bedeutung der zeitlichen Wiederholung angenommen
hat. Wir denken beim Sprechen nicht mehr daran, dass
»pflegen" ursprünglich und noch im vorigen Jahrhundert
den lebhaften Anteil an einer Person oder an einem Thun
bedeutete und dass es erst in jüngster Zeit den Begriff der
Gewohnheit ausdrückt. Die Durchdringung, man kann wohl
sagen: das Durcheinander von Zeit und von Interesse, wie
die Form des Berativums es verdnigt, ist also in der
deutschen Umschreibung des Iterativums deutlich sichtbar.
Manche Sprachen, vrie die einiger in der Kultur sehr tief
stehenden Negerstämme, besitzen filr d&i Anfang einer
Handlung, für die Intensität der Handlung und für das Ge-
schehenlassen einer Handlung besondere Verbalformen, die
uns fehlen; sie hätten längst lehren können, dass es nicht
im Wesen dieses Redeteils liegt, sondern in einem bequemen
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II. Dm Ywbam.
Spradigebnucbe, w«iiii d«s Verlram io niuereti Spmhen
Zeiiwoii geworden wt, ^ das heisrt durch seine FiNruien mt
an die snbjekÜTe oder objekÜTe, an die in erster oder
zweiter Potens reUttre Zeit erinnert.
Zeit and Und dass uns die Verbindung der ZeitverhÜtnieBe mit
feiir Tldltigkeitsbegriffen Sprachgebraucb oder beqnem ge-
worden ist, das ist wobl wieder nur ein-spraebgescbicbtlicber
Zufall. Es war nicht notwendige den &itz aus Sulij^kt und
Prädikat oder z. B. aus SubstantiT, Copula und A^jektiT
znsammensustellen; es war darum auch nidit notwendig,
den Zeitbegriff an das Pr&dikat (das Verbum oder dieCbpula)
zu knttpfen. Kach Steinthal herrscht im Jakutischen der
substantiTisehe, vom Subjekte ausgehende Satzbau vor, im
Orffnländischen tritt Subjekt und Pridikat hinter das Objekt
zurQck. Hit der Thatsache, dass die Sonne leuchtet, muss
also auch das ZeitTerhSltDis des Leuchtens im Jakutischen
an die leuchtende Sonne, im GrönlSndisehen an die be-
leuchtete Erde geknüpft werden. Und gftbe es solche Sprachen
nicht, so läge doch kein Grund vor, sich solche Sprachen
nicht Torzustellen.
Es war nicht notwendig, dass die ZeitTerhlltmsse gerade
an dem PHldikate bezeichnet wurden; es war nicht not-
wendig, dass gerade das Yerbum, also der Redeteil fdr
Thätigkeiten, zum Zeitwort sich entwickelte. Nun hatte
aber das Yerbum schon den Dienst flbemommen, die snb*
jektiren Verhältnisse mit auszudrücken, ob nSmlich der
Sprechende oder der Angesprochene oder dn Dritter etwas
gethan habe. Das Verbum besass gewissermassen schon
einen Zapfen , um welchen sich ein Zeiger herumdrehte und
auf persönliche Beziehungen hinwies; da konnte leicht ein
zweiter Zeiger angegliedert werden, der bald nach Tom,
bald nach liiiiten wies und so Zukunft und Vergangenheit
bezeichnete. AUe Zeiten sind, wie wir gesehen haben,
relativ in Bezu«^ auf eine Gegenwart, welche es nicht gibt,
welche wir uns nur als einen starren Funkt vorstellen. Der
Zapfen, um welchen der Zeiger sich dreht, wäre ein un-
schönes, aber richtiges Bild für diese Gegenwart; er gibt
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OopnU.
75
fttr den Züger dem ruhenden Punkt ab, meg die Uhr dabei
im Ranm mnhergBtrieben werden oder in der Zeit fort-
bestehen.
Ich ghiabe nicht, dass die Gopula im Denken flber> Copnii.
hanpt Torhanden ist. Und d^r ganze Unterschied awischen
Sprechen und Denken l&sst sich wieder an der Gopnia auf-
zeigen.
Diejenigen Wilden und die Kinder, die ,Baben schwan*
sagen, denken doch absolut nichts andres als wir, wenn
wir grammatikalisch richtig sagen «die Raben smd schwarz*
oder gar corvi sunt nigri, (wo die Bndung des A^jektiTs
wohl mit zur Copuk gehört.) Die grammatischen Formen
sind eben Zierate, Kleider, welche sich den Gedanken an-
schiniegen und je nach der Mode die Gliederformen bald
herrorheben bald verstecken, wie die weibliche Brust oder
der Steiss nach der Kode bald unterstrichen bald durch-
gestrichen wird. Unter den Kleidern aber sind wir alle
nackt und unter der Sprache denken wir eigenÜieh mit
blossen Worten obne Flerionasilben nnd andere ftsthetisehe
Gleichmachuiigssilben.
Doch die Unbestimmtheit der Copula und ihres Seins-
begriffs kann schon hier, Tor der Kritik der Logik, weiter
verfolgt werden; wob« Toriäuiig Ubersehen werden soll,
dass dieser Seinsbegriff etymologisch oft (iu gormanischen
wie in semitischen Sprachen) auf konkretere Begriffe führt
(vergl. de la Grasserie: ^du verbe fttre").
Man kann die Ui-teile in zwei grosse Gruppen tia-
teilen, je nachdem von einer Art ausgesaj^. wird, dass sie
zu einer Gattung gehört, oder von dem Individuum einer
Gattung, welcher Art es sei. Alle Urteile laufen schliess-
lich Hui die heiden Formen heraus:
1. Die Eiche ist ein Baum.
2. Dieser Baum ist eine Eiche.
Das erste Urteil sagt begreiflicherweise niemals etwas
Neues, wie auch aus diesem Urteil niemals etwas Neues
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n. Bat Terbam*
erschlossen werden kann. Es ist zunächst ein Sprach-
zuwachs, wenn es vom Lehrer etwa dem Schüler heigehracht
wu-d: ,Die Eiche fällt unter den Begriff (das Wort) Baum/
Sein = Oder noch deutlicher: ,Die Eiche (ausser andern Baum-
heitsen. ^j-^g^-j jj^isst ein Baum.* Auch der Lehrer (jener erste
Lehrer, der den Baumb^griff gebildet bat) hat nichts ent-
deckt, sondern nur etwas erfunden; er hat schwankender
Aehnlicbkeiten wegen es sich bequem gemacht und be-
gonnen, sieh 80 und so Tiele Pflanzenarten an dem Worte
„Baum* ausammenzumerken. In dieser ersten Ürteilsgruppe
konnte man also flQr die Copula ,ist* auch sagen „heisst*.
Noch deutlicher liegt der Fall, wenn ron dem Indi-
viduum einer Gattung ausgesagt wird, welcher Art sie zu-
gehöre, das heisst, welchen Unternamen sie trage. Dieses
Lebewesen heisst eine Pflanze, diese Pflanze heisst ein Baum,
dieser Baum heisst eine Eiche, diese Eiche heisst eine Sumpf-
eiche, diese Sumpfeiche heisst eine amerikanische Sumpfeiche,
diese amerikanische Sumpf eiche ist zwanzigjährig, diese
zwanzigjährige amerikanische Sumpfeiche ist mein.
In den beiden letzten Urteilen habe ich für ^heissf*
noch Jst" belassen, weil es ungewohnt klingen mag, Ziffern
und Eigentumsbezeiehnungen als Woi tfragen zu behandeln.
Und doch ist es keine direkt haftende Ei^^enschafb dieser
Sumpfeiche, dass seit ihrer Entstehung die Erde zwanzig
Umdrehungen um die Sonne gemacht hat; es ist ein YöUig
äusserliches, hervorragend sprachliches Merkzeichen. Und
noch weniger ist es eine Eigenschaft dieses Baums, »mein*
zu sein; der Eigentamsbegriff gehört durchaus zu meiner
Begriffswelt, zu meinem Sprachschatz. Wir sagen also
weiter: diese amerikanische Sumpfeiche heisst zwansig-
j&hrig, diese swanzigjfthrige amerikanische Sumpfeiche
heisst mein.
So dOrfbe es auch nicht mehr paradox erscheinen,
wenn auch die sogenannten Eigenschaften schliesslich als
Wortfiagen erkannt werden. Die rote Farbe des Blattes
ist freilich meine Empfindung; aber sowie ich diese Em-
pfindung merken will, sowie ich sie als Pklldikat in Be-
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TnuMitiram und WiUeiufreiheit.
77
rcitsrhaft haben will, muss ich eine Anzahl ähnlicher Em-
ptiiuiuiin^en oberflächlich zusammenfassen, muss für das
ü-peu-pri3.s ihrer Aehnlichkeit ein Wort erfinden, das Wort
,rot* eben muss aus der Ge^enwartswelt in die meines
."Sprachschatzes eintreten. Ganz ebenso mit dem VVorte
»Blatt". Und so ist es auch am Ende eine Wortfolge und
kein Sachurteil, wenn ich sage: «Meine Eiche ist jetzt rot-
blättrig.'* Sie heisst rotblättrig.
Die wahre Copula aller TTrtelle oder Sätze ist also
nicht das Wort «sein*, sondern da^ Hilfszeitwort „heissen".
Man mag die Worte demnach tiigen, wie kunstvoll
mau will, was herauskommt, wird demnach memals etwas
andres sein als — Sprache.
Wie falsch der Gebraucli trruisiliv» ] oder aktiver Verben Tr»n»I-
für das ist, was wir ebenso falsch die Thätigkeit unserer
Sinnesorgane n« nnen, das erhellt auch daraus, dass wir nur Wiileaa-
je ein Wort für sehen, hören, riechen u. s. w. haben, und
dass wir die Unterschiede durch hundert verschiedene Worte
für die verschiedenen Wirkungen in die Dinge zurück-
verlegen. Bei wirklich transitiven Verben wie essen, trinken,
hegt die Handlung in unserem Willen oder scheint wenig-
stens darin zu liegen. Bei den Wahrnehmungen aber, das
heisst bei den Wirkungen der Aussenwelt auf uns ist allmäh-
lich auch der Schein der Freiheit verloren gegangen. Und
so liegt zwischen der transitiven Sprache unserer Sinnes-
bezeichnungen und unserem Wissen schliesslich dieselbe
IHskrepnis wie zwischen der wissenschafUiclien Ueber-
zeugung von der Unfreiheit des Willens und unserer Un-
fähigkeit, ohne den Schein der Freiheit zu handeln. Wie
jede Fingerbewegung des Mens( heu unter dem alten Glauben
an die Freiheit geschieht, so erhält unsere Sprache auch den
Scbein der Freiheit, der Aktion bei allem Beden Ton Sinnes-
emdrttcken.
Was die Vorstellung von diesen Dingen so erschwert,
das ist der Umstand, dass das Sehen, Schmecken u. s. w.
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IL Dm Varbum.
(sprachwidrig ausgedrückt: das Begrüntwerden, das Be-
blaut-, Besüsst-, Bebittertwcrden) nicht in den anerkannter-
massen passiven Sinnesorganen, sondern irgendwo hinter
ihnen im Zentralnervensystem vor sich geht. Merkwürdiger-
weise geht in derselben Dunkelkammer auch dasjenige vor
sich, was unfrei mit dem Schein der Freiheit die motorischen
Nerven arbeiten lüsst. Und unsere Sprache ist ebenüo
unfähig, die Passivität unserer Sinne auszudrücken, wie die
Passivität unserer Willensakte. Selbst der theoretischen
Ueberzeugung dieser beiden Passivitäten kann sie sich nur
im Dunkeln tastend nähern.
Sigwart, welcher (11. 166) den Gegensatz zwischen den
aktiven Verben unserer Wahrnehniungsbezcichnungen und
der wissenschaftlichen Deutung wohl bemerkt hat, ist doch
80 sehr ein Sklave der Sprache, dass er auf Grund dieses
sprachlichen Scheins sotrar von einer Willensfreiheit unserer
Sinne oder ihres Zonti imis, gleichzeitig jedoch von Im pera-
tivcn df"< Sphens und Hörens spricht, kategorischen Impera-
tiven waLi.M^^btunlich. Gleichzeitig weist er auf die Auf-
merksamkeit als eine Bedingung des deutlichen Öehens u. w.
hin, 'dh ob die Aufmerksamkeit tou einem freien Willen
ftibhinge.
So berührt sich die \V ahru« Immngstheorie mit der
Ethik durch die Spruche: diese Imt unterirdische Fehler-
quellen und Fehlerströiuunm'ii, dabin und dorthin führen.
Man hat oft im Sclierze von emer katholischen Mathematik
u. s. w. gesprochen. Der Begriff ist aber nicht nur mög-
lich, sondern eine Thatsache. Auch die Erkenntnistheorie
war im Mittelalter katholisch. Drei Glaubenssätze standen
als Ausgangspunkt^) voran, um hintennach als Ergebnisse
logisch wieder herauszukommen : Unsterblichkeit der Seele,
Gott und Willensfreiheit. Auf das erste Ergebnis fängt
man zu verzichten an, weil die Sprache in diesem Begriff
ad absurdum geführt worden ist. Den zweiten Qlaubens-
satz versuchen alle nicht materialistischen Forttcher zu kon-
servieren, indem sie ihn verschämt langsam seines jrnnzen
Glaubenainhalts berauben. Der dritte und eigentlich allein
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Transitiyius and Wiliemfreiheit.
79
moraUaclie Begriff, d«r der WOlanaMheit, treibt ndi aber
noch xiendich unTerlndert, ak ein niUshÜicher Scbmoggler,
auf den Onnzgebieten der Physiologie umker nnd maeht
die jttngste und stolzeste der natorwissensohaftiichen Dis-
ziplinen gegen ihren Willen zu einer moralisch-phjsikalischen
Physiologie.
Die Unbestimmtheit des transitiven Verbs ^wollen'
mag viel dazu beigetragen haben^ die Lehre von der ^Villen.s-
freiheit zu verwirren. Was sich aUein auf ein Objekt be-
zieht, die transitive Thätigkeit der unbekannten Seele, das
Begehren, raüsste sprachlich genau vom Wollen unterschieden
werden. Den letzten Zweck , einen Apfel oder ein Weib
begehre ich, das heisst wünsche ick mein zu niuchen. Mein
Utliim erfindet zur Erreichung diases Zweckes eine schlaue
Maschjjierie, zu der sich Knochen, Mu.skeln, Sehnen, viel-
leicht auch projizierte Organe^ wie Leitern, Scheren und
dergleichen verbinden müssen. Auslösend steht zu Beginn
dieser Maschinerie irgendwo im Nervenbereich das Wollen,
welches gar kein Transitivum ist, sondern ein Zustand wie
sehen und hören. Man könnte auch sagen, dass die transi-
tiven Verben dieser Art den Schein der Aktion dadurch
erhalten, dass ihnen das Zentralnervensystem dient, die
Küche des Bewusstseins oder Selbstbewusstseins. Die Wir-
kungen der sympathischen Nerven erzeugen diesen Schein,
dieses H^wiubtdein der Aktion nicht. Darum sind schwitzen,
atmen, frieren intranKTbrnj Vejben geworden; sehen, hürcn
u. s. w. transitive. Der Mensch ist da wie ein Fürst ge-
wesen, dem das grosse Netz seiner engverkiuipiitn Diener
das unzerstörbare S^lbstbewusstsein der eigonert Aktion ge-
geben hat, währciil die verborgenen Freunde, die sein
Leben schützen , ihm sagen könnten, wie auch er nichts
von sich weiss, wie auch er passiv, ohne Freiheit, gebunden
wie die sklavische Pflanze dahin lebt.
Die gebil I<"ten Leute , die Sclmllehrer und andere
Pedanten nennen es einen bprachiehler , wenn das Kind
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ii. Da« Verbum.
seine lebendige Sprache anders spricht, als die toteOram-
matik es Tonclireil»t. Der Berliner Junge soll nach ihnen
mir und mich «Terweehsebi*. Ebenso gut kdnnte man toh
einer Rosenvarietitt sagen, dass sie gelb und rot ver-
wechselt habe.
Ein Sprachfehler abw ist es und ein Temichtender
Sprachfehler, dass unsere Muttersprache, unsere Volkssprache
der Erkenntnis der besten Köpfe immer um Jahrzehnte, in
manchen Dingen um Jahrhunderte nachhinkt. Und es ist
eine viel erklärende Lächerlichkeit, dass es immer Schrift-
steller gibt, die tu unserer Zeit fQr modern gelten, die aber
mit den tieferen Begriffen ihrer Sprache bei Cicero, bei
Luther, bei Kant oder bei Hegel stehen geblieben sind. Es
bat an die tausend Jahre gebraucht, bevor die Einsichten
des Aristoteles aufhörten , technische Ausdrücke zu sein,
und in die neuen Volkssprachen aufgenommen wurden. Es
wird vielleicht wieder so lange brauchen, bevor die Ein-
sichten von Newton ~ über die wir ja im grossen und
ganzen noch nicht hinausgekommen sind — ein lebendiges
Wissen der Mutterspruche sein werden.
Mytho- Ich bin natürlich nicht im stände aus der Sprache kinaus-
Transi" zuspringcn. Icli kann aber von fern auf einige Beispiele
tiveu. hinweisen, tu denen unser Sprachbau unserer Erkenntnis so
wenig mehr dient, wie das Gasröhrennetz einer Stadt mit
elektrischer Beleuchtung.
Otfenkundig ist das Beispiel von der Sonne, die unsere
Sprache immer noch sich um die Erde drehen lässt. Man
sajg^ immer noch „die Sonne geht auf anstatt „die Sonne
ist erreicht*. Nun sieht nia^i sofort, dass der Ausdruck,
der bis aui Ku[ it i nikii<< den gegliiul)ten TiiaUachen entsprach,
s* ittl»'i;j ein bil*lln hri [geworden ist. Und man konnte mir
einwerfen, dass solche Sprachbilder ulltiiglich seien. Wenn
wir auf einem Boot»» den Rhein abwiirts fuhren, so schei-
nen sich die Ufer gegen uns zu bewegen, und wir können
ebenso gut sagen „Rüdesheim ist erreicht" wie „Rüdes-
heim erscheint". Aber es gibt unzählige FäUe, in denen
der Gebrauch des intransitiven Verbs anstatt des transi-
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Ifjrthologte im TnunitiTeti.
81
tiven nicht ein Bild ist, sondern eiu UuvernuMjfen der
Spradje, sich auf der Höhe unserer ahnenden Erkenntnis
2U erhalt<?n.
Wir nehmen z. B. seit Locke und Kant, noch allgemeiner
seit Heimholte, an, dass die Eigen«:chaften der Körper (z. B.
Failu n, (Tt-rüche u, s. w ) nicht dinglich an ihnen haften,
sondern iJewecrungserscheniungen sind, die erst in uusern
Organen durch die ]>erühmten spezifischen Sinnesenergien,
also subjektiv, zu Tönen, zu Farben, zu Gerüchen u. s. w.
werden. Wir dürften also seit Locke oder doch seit Helm-
holtz nicht mehr sagen ,der Baum ist j^rün", sondern „der
Baum grünt mich*. Ich .sclilage die Aendcrung nicht vor.
Doch niair man ruhig seine Witze darüber reissen und
lachen. Der Vorgang, dass die Baumkrone meine Netz-
haut grün affiziert, ist derselbe, wie wenn das Feuer meine
Haut wärmt. Was ich sagen wollte, ist das, dass die
Eigenschaften der Körper, die nach der alten Sprache durch
die Copula mit einem Subjekt verbunden werden oder ( was
dasselbe ist) von ihnen in intransitiven Verben ausgesagt
werden, (der Baum grünt, die Blume duftet), dass diese
Eigenschaften, sage ich, nach der neueren Einsicht transitive
Verben sein müssen. Der Baum grünt mich, die Ikjse
duftet mich, wie mich das Feuer wärmt und wie mich
der Esel lächert, der darüber lacht.
Vielleicht noch seltsamer mag es erscheinen, wenn ich
auch in unsem gewohnten transitiven Verben einen uralten,
fUr das Denken rerhftngnisToUen Sprachfehler entdecke.
Wir glauben gar nicht anders ssj^en und denken zu können
ab: das Wasser treibt das Mühlrad, der Magnet sieht
ISsen an, der Regen befruchtet die Pflanzen. Hierher»
mag ich nicht einmal die Sprache künstlich zu einem
anderen Ausdruck zu zwingen. Und doch liegt in allen
diesen transitiven Verben der Begriff des Bewirkens, der
Ksnsalitftt und ist in diese Verben zu einer Urzeit hinein-
gekommen, als die Kausalität noch ein ganz mythologi-
scher Begriff war. Man sagte damals: «Apollo schiesst die
Pestpfeile, Poseidon regt das Meer auf, die Parze hat
]iftvtlin«r. Baititc« n einer Krittti d«r Spraohe. III. 6
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82
U. Das Yerbum.
diesen Menochen getötet, das Wasser treibt das HflUrad."
Heute sucht man hinter den transitiTen Verben nicht mehr
eine Gottheit, wohl aber einen nackteren Fetisch, den Kraft-
begrifP. Und solange kein G^elehrter weiss, was Kraft ist,
solange steckt die Mythologie im TransitiTen. Und weil
wir dies wissen, darum haben wir kein Recht mehr, es su
brauchen.
Re- So steht als Dämmerung einer künftigen Revolution
^''te^ der Sprache vor uns die Möglichkeit, dass sich einst alle
Spn^ Eigenschaftswörter in transitive Verben , alle transitiven
Verben in irgend welche Zustandsbezeichnungen auflösen
werden. Vorher werden zahlreiche Aussagen zu bildlichen
Ausdrucken werden mOssen, und hunderte von abstrakten
•Worten aus dein vermoderten Sprachschatz des Mittelalters
werden verschwinden und vergehen, — wenn nur nicht »ver-
schwinden'' wieder ein Wort wäre, das nach unserer gegen*
Wärtigen Kenntnis sinnlos ist.
Diese künftige Revolution der menschlichen Sprache
wird den angeblich unzerstörbaren Bau des Aristoteles endlich
zusammenwerfen. Unsere sauber präparierte Grammatik,
mit der anfangs alle begabteren und reicheren Kinder, und
schlie«;slich in unserem gesegneten .lulirhundert gleicbmässig
alle Kinder verdummt wordiMi sind, wird auseinaiiderfallen
wie ein (lerippe, desst'n Gcivf-be verfault sind, unsere Logik,
von deren llöbeu zwei .lahrtausende auf uns heruuterschauen,
wird sich als die beschreibende Anatomie dieses verfallenden
Gerijtpes herausstellen, und dann erst wird man mit dem
alten Aristott les fertig ni sein glauben. Dann wird man
freilich it' <(>'uen Schriften den Gegensatz von Möglichkeit
und ^\ jrklu likeit wieder entdecken und wird stutzig werden,
und wird an dem Materalksuius zweifeln lernen, der wiederum
allein zu jener Revolution des Sprechens und Denkens führen
konnte. Denn die Sprache ist die Erzniaterialistin.
Und ich glaube «las Entsetzen des Mannes zu fühlen,
der mitsamt den Werken des Aristoteles die alte Sprache
in die Flammen wirft und der bei ihrem letzten Aufflackern
den Dualismus von Möglichkeit und Wirklichkeit schwarz
Digitizcct bv Cnnnjp
Revolution der Sprache.
8S
auf weiss erblickt, schwarz auf weiss, das Dunkel auf der
BlenduDg. An das WirUiche kann die Sprache nicht heran,
weil nch nur wahrnehmen, nicht aher aussprechen iSsst, was
irgend ist An das Mögliche kann die Sprache nicht heran,
weil das Mögliche noch nicht wirklich ist, ftlr uns also
noch gar nicht wirklich ist, weil das Mögliche nur für sich
wirklich ist. Und so weiss der ehrUche Prophet der grossen
Sprachrevolntion nicht, was nach der Zertrammemng kommen
wird, woflir er denn auch nach GebOhr Ton allen lächernden
Eseln ausgelacht za werden Terdient.
Wir stellen uns den eben befruchteten Keim eines
Hundes Tor und daneben den eben befruchteten Keim eines
Mensdien. Durch keines unserer Sinnesorgane können wir
die beiden Dinge unterscheiden, kein Mikroskop unterscheidet
sie, sie sind fdr jede Beobaditung identisch. In ihrer Wirk-
lichkeit für uns sind sie dasselbe, sind sie gleich, sind sie
lÜDB, und unswe Sprache hat keinen Ton, um da xweierlei
Wirkliches lu beseichnen. Und dodi wird der eine ein
Hund werden, der andere ein Mensch, zur Gewissheit wird
uns die Möglichkeit, nur unterscheiden können wir die
Keime nicht.
So stehen wir sprachlos vor dem, was werd^ wird,
und nennen es mit dem geheimnisvollsten Worte unserer
Sprache: das Leben.
in. Das SvbstantlYniii.
Was den alltäglichen Gebrauch der Sprache, den Amiiien-
und Kellnerj^ebrauch, von der wissenscbaftlichen Benutzung
der Sprache unterscheidet, oder doch unterscheiden soilte,
das i<=^t srhlie.sslich die Bedeutunu; des Dings. Das Kind,
der Bauer und der Kellner nennt das Ding da einen Apfel
und weiss es nicht anders, als dass da wirklich ein Apfel
süss ist, am Baume hängt odor auf dem Teller liegt. Das
Kind, der Bauer und der Kellner verstehen es einfach nicht,
wenn man ihnen sagt: Das geschriebene Wort Apfel ist
Digitizco by
84
Iii. Dm Subitajatirum.
ein sichtbares Zeichen ftlr das gesprochene Wort Apfel,
welches wieder nur ein hörbares Ermnerungszeichen ftr
einen Begriff ist, in dem sich hunderte Ton mehr oder
weniger ähnlichen Arten nnd Ton lülliarden gewesener,
gegenwärtiger und xukflnfÜger, grosser und kleiner, süsser
und saurer Aepfel unklar Tereinigen. Aber auch dieses
hier vorhande Apfelindtviduum, das deine Hand wigt und
als glatt und rund empfindet, das deine Nase riecht, dein
Gaumen schmeckt und dessen rote Backe dein Auge sieht,
ist dir als Ding, als etwas ausser dir Toükommen unbekannt,
es ist nichts ab die älteste und allgemeiiBte Hypothese der
Menschheit, die Hypothese der einheitlichen Ursache gleich-
zeitiger Wahrnehmungen. Wir nennen die angraommene
Ursache gleichzeitiger Wahrnehmungen ein Ding; und wir
nennen die regelmässig vorangehende Wahrnehmung eine
Ursache der Folgen. AVir wissen von diesem Apfel da nichts
als die gleichartigen Empfindungen in der Hand, im Auge,
am Gaumen und an der Nasenscbleimhaut. £ia geschickter
Mechaniker oder Taschenspieler, welcher uns durch TOr-
schiedene Ursachen gleichzeitig alle diese Empfindungen
vermitteln würde, könnte wirklich einen Apfel künstlich
erzeugen. Um das Aeusserste über die Katego ricnrerwir-
rung zu sagen: wie das Verbum, als ohne Zweck unvor-
stellbar, immer etwas vom Futurum hat, so das Dingwort,
als Ursache von Empfindungen, immer etwas vom Perfectuni.
Wo möglich noch unfassbarer wird der Dingbegrift' liir
den philosophischen Physiker. Ernst Mach hat (Wärme-
lehre 355 und Analyse d. Euipt. '2b2) prachtvoll gezeigt:
„Was wir Materie nentioti , ist ein gewisser gesetzmässiger
Zusauimenliiing der Empfindungen."
Dince Wer das alles aber weiss. tVillt trot/deni immer wieder
^J*^ in die Anschauung des Kindes, dos Hauers und des Kellners
zurück, weil auch seine Spra< b*- mir die gleirho Ammen-
sprnche ist, und weil nach zweiliundertjährigein Bestehen
unserer P-^y« hologie die Sprache noch keine anderen Worte
hat als (lu'jeiiigen, welche wie früher objektiv die Dinge
selbst bezeichnen wollen. Für das Kind ist scheinbar jedes
._^ kj i^ -o Google
Dinge idmI Wotte,
85
Wort ein Eigenname; Vater ist sein Vater, Hund ist sein
Hund, Suppe ist anfangs der augenblicklich vor ihm stehende
Teller Suppe; für uns ist eigentlich nlle^, snijar der Eigen-
name ein Abstraktum. Homer ist natürlich nur der abstrakte,
vielleicht nur gedachte Dichter der llias. Aber selbst der
Zeitgenosse Bismarck ist fHr die Analyse nur die trotz
aller Bücher \'6\\\i; uiibekannte Ursache einer Reihe von
Wahrnehmungen, «iie wir teils direkt, teils indirekt unseren
Sinnesorganen verdanken.
Nun ist für unseren alltäglichen Sprat^^liLrr'ni auch aller-
dings der Eigenname einer Person das konkreteste Kon-
kretum. Machen wir aber aus unserer Erkenntnis Ernst,
so greift das Reich des Abstrakten weiter und weiter, bis
wir einsehen, dass wir nichts wiesen als Abstraktionen, nur
Worte und keine Dinge.
Ist Schatten ein konkretes Ding-' Es ist Abwesenheit
von Licht, so gut wie die schwarze Farbe. Und der Schatten
hört darum nicht auf, noch weniger als ein Abstraktum,
nämlich eiwas Negatives zu sem, weil wir ein positives
Wort für seine Empfindung besitsen.
Ist Fltmme da Inmkietfifl Ding? Was wir in der Lampe
CO dauernd leuchten sehen, sieht frnlich darnach aus, als
ob es so etwas w9re. Es ist aber doch nur die Vereinigung
zwder 0ase, die wir wahrnehmen, und zwar nicht etwa
die konkrete Vereinigung, die beiden vereinigten Gase selbst,
sondern der Akt ihrer Vereinigung, ein Abstraktum.
Ebenso ist auch Wind kein konkretes Ding, sondern
eine Bew^ng. Und der Wunsch aller heutigen Natura
Wissenschaften, jede Wirkung, abo jede Wahrnehmung auf
periodische Bewegni^en surQcksufllhren, b^egnet sich end-
lich mit der seit zweihundert Jahren langsam reifenden
UeberzenguDg, dass unsere ganze Erkenntnis subjekttv, dass
unsere ganze Sprache ein luftiges Nest Ton Abstraktionen sei«
Dabei ist es nun kein Zufall, sondern ein höchst er-
freulicher Grund, an der Wirklichkeit unseres Daseins nicht
zu zweifeln, dass die Lehre von den Dingen oder von der
Wirklichkeit, die Naturwissenschaft^ gerade bei der Bewegung
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8Ö
III. Dw SntkilaiiAiTitin.
als der obersten Form stehen geblieben ist, während die
Worte der Sprache, wenn sie aus der Höhe der Abstraktion
bis zu den Dingen hcrabtaurhen wollen, schliesslich im
tiefsten Gründe ebenfalls auf die Bewegung sfeossen. Näm--'
lieb so.
Wir haben tresehen, dass Apfel ein unklares Abstraktum
ist. Wir k j)i!U ii uns einem solchen bestimmten Ding all-
mählich nahern, indem wir zu den l)ekannten Eigen «Schäften
des Begriffs Apfel (oder zu den bekannten Enunerungs-
bildern der durch unzählige Aepfel bewirkten ähnlichen
Siniji^wahruehmungen) noch andere abgrenzende Eigen-
schaften hinzufügen, wie z, B. ein diesjährij^er. reifer, grosser
Borsdorfer Apfel. Es ist wie eine Treil>jagd auf den Be-
griff, der immer naher umstellt wini. Zur Vorstellung eines
Apfelindividuums, also zu der uns allein zugänglichen sub-
jektiven W'ahruehniung eines Dings, gelangen wir aber
schliesslich nur, indem wir an einem durch drei Dimen-
sionen bestiminteti Ort zu einer bestimmten Zeit, seiner
yierten Dimension, nicht mekr einen Apfd, sondern
Apfel da, wahrnehmen. Erst durch Raum und Zeit bestimmt
«rscheint uns der Begriff ein Ding. Raum und Zeit aher,
wenn sie lebendig sind, sind Bewegung. So ist die Be-
wegung die Brücke zwischen Worten und Dingen; und wie
im menschlichen Kdrper es einen Kreislauf des Blutes gibt,
wie die äusseraten und feinsten Verästelungen der Arterien
in die feinsten Yerftstelungen der Venen Übergehen, und
das Leben awischen ihnen liegt, so berührt sich die Wirk-
lichkeit und die Sprache in der unsui^glichen Erscheinung
der Bewegung. Die Worte berühren die Dinge nie, aber
sie umschweben sie, wenn sie gute Worte sind, wie nach
der Theorie der Bewegung ein sagenhafter Aether die
Moleküle umspült. Auch die besten Worte noch sind Sage.
Unsere ganze Weltanschauung w&re einheitiicher, wenn
unsere Spradhe sich gewöhnen wollte, die Hypothese der
Ursache, die Wirkung der Dinge aufeinander, auch bezQg-
lidi unseres Denkens aus/udrt\cken. Seit jeher sieht der
Mensch die Dinge untereinander ab Ursachen von Wirkungen
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EigeniMoieii imbeatimiiit.
87
an und drückt es auch so aus. Die Sonne vränut den Stein,
das Schaf frisst das Kraut. Aber mit dem^« ll en Hochmut^
mit dem er durch ungezählte Jahrtausende die Erde für
den Drehpunkt der Sonne gehalten hat, weigert sich der
Mensch, seine Sinne als das Spielzeuj^ der Dinge sprac-lilich
anzuerkennen, trotzdem er bis vor kurzem gar niclit wusst«,
dass die Zufallssinne (oder vielmehr ihre Gehirnzentren)
auch aktiv, dass die Zufallssinne des Menschen vm leben-
diges Spielzeug sind. Wenn ich mit der Katze spiele, spielt
vielleicht die Katze mit mir (Montaigne II. 12). Der Mensch
will nicht begreifen, dass die Welt, weil sie stärker ist, die
Spielregeln stellt. Und doch würde er dadurch erst recht
zum Mittelpunkte der Welt, freilich nur jeder einzelne zum
Mittelpunkte seiner eigenen kleinen Wdt.
«
Es ist aber unmaglicli für eine Urzeit der Spraehwerdnng mgm-
oder fbr die Zeit des ersten Sprachlemens bei unsera Ein-
don psychologiscb su nntmdieiden , ob mit den ersten BtiamU
Worten oder deiktischen Sprachlauten mehr Eigennamen
oder mehr Gattungsnamen gemeint seien. Die Verwirrung
in der Seele des Kindes und des Urmenschen ist Tielleicht
sogar noch grösser, als unsere Sprachmittel leicht auszu-
drftcken gestatten; es Tcrbinden sich vielleicht Extreme,
welche Uber den Oegensats Ton Eigennamen und Gattungs-
namen weit hinaus gehen. Vidleicht gibt es in der Seele
des Urmenschen und des Kindes einen Zustand, in welchem
des Indindttum »Papa" noch nicht als das immer gleiche
Individuum, also als der Träger des Eigemuunens «Papa*
^annt wird, wo Papa noch viel individueller «den da*
ausdrückt, der augenblicklich mit seinem schwansen Barte
im Gesichtsfelde ist und der dem andern, der vor einer
Stunde da war, nur ähnlich sieht; auf dieser Stufe vermischt
sich in der Seele des Kindes der Gebrauch von Papa als
Gattungsname für Mann und als ein Momentname, der noch
individueller Ist als die Person des Vaters. Eibenso kann
das Kind, welches den Mond am Himmel erst links und
88
III. Dm SttbsiaatiTttm.
dann rechts von einem Gebäude erblickt, beide Erschei-
nungen für zwei Moraentanmonde halten, sie also Über den
Eigennamen hinaus individualisieren und doch einen Gat-
tungsbegriff (etwa n Lampe") unklar d«iiit yerbinden. ünd
mders^itB kann es das Merkmal, an welchem es den Pap»
erkenntt in der Schwftrze des Bartes entdecken, jeden dunkel»
bärtigen Menschen Pap» nennen und hat dann seheinbar
den Gattungsnamen «Mann" erfasst, in Wahrhat jedoch
nur eine adjektivische Vorstellung.
Ich g^ube nicht, dass diese sdiwankende Haltung der
Sigennamen ganx und gar aus der Sprache der Erwach-
senen Tsrschwunden sei. Hitta jeder Mensch aus eigner
Kraft sprechen gelernt, das heisst aus eigner Erfahrung
Begriffe abstrahiert, so wäre jeder Gattungniame für ihn
ein Repräsentant von mehr oder weniger Eigennamen, da
für ihn jede einsebie Erfahrung den Wert eines Individual-
namens hatte. Ich habe AArika in Algier flüchtig betreten
und dort wenig Neger, gar keine Kamele und Lfiwen, wohl
aber MOndiener Bier Totgefunden; dieser Begriff, also
«Algier", würde für mich mit dem Begriff Afrika susammen-
iBiessen, wenn ich nicht von minder bequemen Beisenden
erfahren hätte, dass fUr sie der Begriff „Afrika* Kamele
und Lchvon und sehr viele Neger mit umfasst. Könnten
die Menschen sich genau genug beobachten, so würden sie
begrdfen, dass unzähligen ihrer Begritio Iiidividualerfah-
rungen zu Grunde liegen, dass diese Begriffe also Eigen-
namen sind. Weil nun dir- Spiachp zwischen den Men-
srlien entstanden ist, die Menschen aber nicht die gleichen
Individualerfahrungen besitzen, so schleifen sich alle diese
Individual begriffe im Verkehr zu Gattungsnamen tun. Heute
noch sind für viele Dörfer Berg, Fluss, Kirche, Pfarrer,
Graf, Wald, Schloss u. s. w. Eigennamen; kommen
aber Einwohner verschiedonor Dörfer zusammen, 80 werden
diese Worte wieder zu (jaüunifsnunieu.
Doch auch in streng? wissenschaftlicher Anwendung,
und da erst recht, haben die Ei<(ennanien einen Charakter,
der leicht zeitlich und räumlich zu den Kollektivnamen hin-
Eigtuiamai imbertunmL
89
ober schwanken kann. Man hat schon darauf aufmerksam
gemacht, dass musterhafte Eigennamen wie BeHiii nur dann
Eigennamen sind, wenn man unter ihnen eine Stadt in einer
bestimmten Epoche, pedantisch genommen: in einem be-
stimmten AugLublicke versteht. Berlin voi tausend Jalii en
und das heutige Berlin haben miteinander nur den Ort, un-
gefähr die Gegend auf der Erdoberfläche gemeinsam; im
übrigen giebt es gewiss nicht einen Stein, nicht einen
Balken, der von dem alten Berlin noch flbrig geblieben ist
Und ▼fthrend der Mensch, welcher mit Eigennamen Fried*
rieh Wilhelm Schulse heisst, hei swuudgjähriger Yerüade-
mog sSmtlidier Atome doch durch ein Geheimnis seines
Qrgft&ismus wenigstens emigennassen seine Form bewahrt
hat, bietet Berlin auch ein durchaus anderes Bild als das
Berlin vor tausend Jahren. Spridit man also von einer «Ge-
schichte Berlins*, so ist Berlin kein Eigenname mehr; dem
Lidiridttum Friedrich Wilhelm Sdiulze das Recht auf einen
Eigennamen absusprechen wftre darum bedenklich, weil
Schuhe ein Gedlchlnis hat, eine Continuitftt seines Bewusst-
seins und damit, mit Recht oder Unrecht, die Vorstellung yon
seiiier Ihdiridualitftt.
Gehen so historische Eigranamen, ich meine Eigen-
namen, welche sich entwickelnde Menschen oder Menschen-
schöpfungen oder Menscheogruppen beieichnen, leicht in
seitliche Eollektivnamen über, so sind Eigennamen tou kon-
krrten Dingen streng genonunen fast immer rSumliche Kol-
lektiYnamen, welche wieder dem Gattungsname! sehr nahe
stehen. Sprachlich wird selten ein Unterschied gemacht,
z. B. kann „Bibliothek* ein Gattungsname sein, aber ohne
jede sprachliche Aenderung auch ein Eigenname, wenn ich
nach der ,Bibliotiiek* schicke und die königliche Bibliothek
meine, oder aus der „Bibliothek" ein Buch herunterholen
lasse und (was mir bei der Bescheidenheit meiner Biblio-
thek allerdings nicht geläufg ist) an meine eigene Biblio-
thek denke. Jede individuelle Bibliothek umfasst zahlreiche
Bücher und „Buch* kann wieder Gattungsname, Sammel-
name oder Eigenname sein. Mit Beispielen dafUr könnte
90
Iii. Das SubfltantiTum.
ich ein Buch fttUen oder ein Blatt eines Buches ToUschreiben
oder dieses Buch um ein Blatt Termehren: Gattungsname,
Sammelname und Eigenname.
Ein Sehwanken iwisehen den verschiedenen Arten der
Substantive ist auch da mOglich, wo das Wort auf den
ersten Blick als ein guter Eigenname erscheint So ist
»Erde* ganz gewiss etwas, was unter die Definition der
Eigennamen föUt. Ich sehe natOrlich ab von der Mehr>
deutigkeit des Wortes, infolge deren es bald einen Stoff*
namen (Ackererde) bald einen Gattungsnamen (Erden = Erd-
arten), dann wieder den unbestimmten Teil des Erdbodens,
auf welchem wir gerade stehen, bezeichnen kann; ich sehe
ferner ab davon, dass die Erde eine Entwidclungsgesohichte
hat und in sofern ebensowenig wie Berlin oder Friedrich
Wilhelm Schulze zu verschiedenen Zeiten ein und dasselbe
Individuum ausdrückt. Nehmen wir Erde einzig und allein
als Wortzeichen fUr unsern Planeten, so ist es doch etwas
wie ein Sammelname für (\'\e Vorstellung des Geologen, ein
Gattungsname, wenn z. B. Klopstock von den Planeten als
von Erden redet , und ein Eigenname erst fi\Y die astro-
nomische Anschauung, die nur diesen einen Weltkörper so
nennt, oder gar für die kosmische Anschauuiiju' Fechner's,
die diesem Weltkörper auch noch eine IndividuaLseele zu-
weist. Wer diese kosmische Anschauung chicanieren wollte,
könnte dann weiter fragen, ob auch die Meteorsteine im
Fluge zu diesem Erdeuindividuum gehören, wie doch sicher-
lich die Atriiosi)häre, welche wieder in der Gemeinvor-
stellung nicht zur Erde gehört.
Namen der Flüsse sind Fjij^ennanKMi. Das lernen wir
iu der Schule. Es ist afjer auch nicht ganz wahr.
Eigennamen sind sie nicht ganz so wie Peter '»l«^'
Paul. Unter uns sind Peter und Paul auch nicht mehr
Eigenimnien. Eigenname i.st » rst , Peter Müller", das heisst
so viel als der schwarze oder der bucklige Müller. In
diesem Sinu ist dann „Donau" ein Begriff wie ,I'eter Müller*.
Und dass , Donau* nur das Bett be/eichnet , in dem ein
unaufhörlich wechselndes Wasser tliesst, da.s hindert die
MftOMn der Flttne.
91
Aehiilicbkeit nicht: denn am letzten Ende bezeichnet uuch
, Peter Müller'* nur das Bett, die Summe der (selbst wieder
wie das Phissbett sich langsam wandelnden) Gcfässe und
Organe, durch welche das tätlich durch neue iSaiirung neu
geschafi'ene, neu entsprungene lilut strömt.
Doch mit den Flussnamen hat es noch was Besondres
auf sich. Es hat gewiss Zeiten gegeben, in denen nament-
grosse Ströme und Ozeane von den Terschiedenen an-
wolmenden TSlkem ▼eraehieden benannt wiurden und zwar
80, dafls sie nicht wnssten, es sei derselbe Fluss. Ja, wenn
Kolumbus »logisch* daehte, so monte er, da er bis an
sein Lebensende nichts yon Amerika (dem spätem Em*
merichland) «wusete", glauben, Bombay liege am Atlanti-
schen Osean, und musste diesen Glauben fllr eine neue
Wahrheit halten.
Als dann die abendllndische Menschheit fVx grosse
StrOme einheitliche Kamen annahm, schien «Donau* end-
lich ein E^enname su werden, ein Einselbegriflr. Wie aber
steht es mit der Taufe dieses Wassers? Mit dem Grunde
der Namengebung? ZufUlig wurde der Hauptstrom Missouri
genannt, der Nebenfluss Mississippi; luföUig hiess der Haupt-
atrom Inn, der Nebenfluss Donau. Weil aber die Strecke
unterhalb des Zusammenflusse« hier Mississippi, dort Donau
hieas, darum erhielt der ganse Lauf den Namen des Neben-
flusses* Sowie Mohammed, nachdem ihm von Ghadidscha
ein Sohn Kasim geboren worden war, Abulkasim, der Yaler
des Kasim, hiess. Der Vater wird nach dem Sohne ge-
nannt. Der Fluss bei Hambuig, der Moldau heissen sollte
nach dem Hauptflusse Böhmens, heisst Elbe.
Das ist uns gani gleichgültig, weil die Flüsse für uns
Marktwaren sind, weil das Wasser, einerlei unter welchem
Namen, fest gebettet und besrhrieben ist, und weil die
Flüsse nicht lebendig sind. \N ie aber wenn jemand den
Schluss ziehen wollte, dass die Wassermasse der Donau bei
Passau grösser sein müsse, als die des Inn, weil der Strom
weiterhin Donau heisse? Dann würde er denselben Fehler
begeim, den die redende Menschheit seit jeher begeht, in-
92
III. Dm SabataafciviuiL
dem sie die Logik für etwjLs Ursprüngliches halt, trotzdem
die Logik nur aus Namen abgezogen ist.
Wir haben unzählige Begriffe, die Haupt- und Neben-
strom verwechseln, oder die (z. B. Weser aus Werra und
Fulda) plötzlich den alten sprachlichen Zusammenhang ver-
lieren; und am Enfle ist es für die Wirklichkeit wirklich
ebenso ^gleichgültig, ob ikie Begriffe j)assen, wie für das
Walser unterhalb Passau, ob es Donau oder Inn heisst.
Graugrün ist es doch.
B»- Verwandt mit diesem Schwanken selbst der Eigennamen
'*iwS*'''^ ist der Gebrauch des Wörtchens »der", welches im Laufe
weniger Jahrhunderte (ähnlich liegt die Sache in andern
modernen Sprachen) den Weg Tom Lanteeichen für Moment-
indiTiduen bis zum Lantseichen des Allgemeinaten und der
Bedeutungslosigkeit surQckgelegt hat. Urapranglich war
es nämlich wohl noch mdir als ein Banonstrativpronomen,
war es der Ausruf, welcher die Auftnerksamkeit auf das
gerade Tor Augen stehende Ding da richtete, es also für den
Hörenden hezeiehnete. SpUer als wirkliches DemonstratiT"
pronomen individualisierte es noch einen Qattungsnamen;
«der Mensch* das heisst dieser Mensch und kein anderer.
In aUmShUcher AbsdiyiUihung beseichnet es als Artikel
gerade urngdtdirt nicht ein Individuum, sondern ein gleich-
gOltiges Beispiel seiner Gattung: «der Löwe hat eine Mähne*
heisst so viel wie: jedes Tier dieser Art, gleichgOltig
welches.
anbe- Nicht uBahnlich ist der Weg, welchen der unbestimmte
'^■^kel im Deutschen gemacht hat. «Ein* ist ursprQng^
lieh ein sogenanntes Zahlwort, das heisst die Bezeichnung
für den Individualbegriff, far die Einheit, von welcher die
Thfttigkeit des Zählens dann ausgeht, wenn die Empfindung
der Gleichheit zweier Individuen zum GefOhlsausdruck zwei
geftlhrt hat. Im Deutschen ist diese ursprüngliche Bedeu-
tung durch die gehäufte Anwendung dos tinbestimmten
Artikels so sehr unterdrückt worden, und die Schwierigkeit,
die Betonung des ursprünglichen flEin*" durch den Druck her*
vorzuheben, hat dazu geführt, dass wir für «ein* oft den
Bestimmter und unbestimmter Artikel.
93
sebwnlstigea Aiudraek «ein und dwaelbe* finden. Die erste
Abflchw&cliang fiUurte xu der Anwendung Ton ein im Sinne
eines unbestimmten Pronomens, etwa unseres «man*, wobei
in einem seltsamen Torstellungsgemisch der B^priff der be-
stimmten Einheit verloren gegangen ist, der Begriff der
PersOnlidikeit aber bestdien bleibt wie in «unser einer*.
Endlich wurde «ein* sum sogenannten unbestimmten ArtikeL,
was ein sehr unglQcUicher Ausdruck ist. Dorn mit dem
sogenannten bestimmten Artikel beseichnet »der Löwe*
jeden Löwen, also ein unbestimmtes IndiTiduum der Art;
ftngt jedoch eine Fabel mit «ein Löwe* an, so ist ein be-
stimmtes Individuum gemeint, und wenn sich im Verlaufe
der Fabel «er* auf den Helden der Fabel bezieht, auf
«einen Löwen*, so ersetzt dieses er ein bestimmtes Indi-
viduum, einen Eigennamen. In unserer Tierfabel steht
Beineke nicht für «der Fuchs*, sondern fttr «ein Fuchs*.
Um SU zeigen, wie wideisprechend sich die Sprache
zu scheinbar so durdhsichtigeii VerhSitnissen wie die der
EigemuHnni veihilt, will ich diesen bisher übersehenen
Ohankter des unbestimmten Artikels durch Verbindung mit
einttOCl Eigenuamen illustrieren. Heisst es in einer kurzen
Chronik der Familie Bismarck irgendwo: «Ein Bismarck
hat das neue deutsche Reich gegründet", so wird der Eigen-
name Bismarck zunächst zu einem Gattungsnamen, der
hundert Individuen umfasst, und dann erst wird gerade
durch den sogenannten unbestimmten Artikel ein bestimmtes
Individuum hervorgehoben und sein Name wieder zu einem
Eigennamen p^emacht, genau wie durch die übliche Be-
zeichnung «Otto von Bismarck". Sage ich aber: ,Die Bis-
marck kommen nicht in der Mehrzahl vor*, so mache ich
aus dem Eigennamen Otto von Bismarck zunächst einen
wirküdien Gattungsnamen, um nachher von ihm auszusagen,
dass es von ihm eine Mehrzahl nicht gehe , tlass er also
in vollendeter Weise ein Rif^ennnnip sei; man schläi^t der
Sprache ein Schnippchen, indem man die Einzigkeit des
Mannes dadurch hervorhebt, dass man sefnp Mehrzahl bildet
und die Möglichkeit dieser Mehrzahl leuguet.
94
17. Das A^jektivuin.
IT. Das A4jektiTam.
Unter den Tontdlimgsreichen Redeteilen ist das Ad*
jektiT in der Geschichte dee Verstandes der älteste, in der
Geschichte der Grammatik der jüngste. Aristoteles kannte
das Adjektiv noch nicht, weil er es fttr die Ansgestaltnng
seiner Kategorientafel nicht n<(tig zu haben glaubte odor
▼ielmebr, weil er die Unterschiede zwischen Adjektiv und
Substantiv im Sprachgebrauch noch nicht dÜferenzierte;
sein Epitheton ist eine Art des Substantivs und unser Ad-
jektiv und Beiwort sind Uebersetsungen des Wortes Epi-
theton.
FOr die Behauptung jedoch, dass das Ac^ektiv in der
wirklichen Sprache dem Substantiv und dem Yerbum vor-
ang^angen sei, ist mit historischen Gründeu nichts auszu-
machen, trotzdem es sich um eine Zeitfrage handelt. Am
wenigsten mit etymologischen Gründen; denn die Etymo-
logie neigt einerseits dazu, für die neuere Zeit die Adjek-
tive von SubstantivMi und Verben abzuleiten, womit sie
sicherlich recht hat, andererseits für die älteste Zeit z. 6.
(He Gattungsnamen der Tiere und Pflanzen von auffallenden
Merkmalen oder Adjektiven abzuleiten, womit sie vielleicht
abermals recht hat. Wir wissen aber schon, dass Etymo-
l<^e uns ebensowenijT der Entstehung der Sprache nähern
kann , als etwa ein Autstieg im Luftballon uns der Sonne
erheblich näher bringt. Nur mit psychologischen Erwä-
gungen können wir uns in Urzeiten der Sprache orien-
tieren.
Merkmal Es wird also darauf ankommen, was wir unter dem
Begriti" eines Merkmals verstehen und was in ri!>rr Urzeit
als Merkmal zum Merken oder Benennen eines Dnif^s ge-
führt Imt. Wir verstehen unter Mi-rkmalen sehr ungleieho
Begriß'e, je nachdem wir entwtdt-r unserer zu}alli<;en Mutter-
sprache folgen oder die logi.seh verschulte Grammatik ein-
gebläut bekomnun haben oder £^nr bedächtig dureii die
höhere Schule der Logik selbst gegangen sind. Unter allen
._^ kj i^ -o Google
Mei^mal.
95
Umständen sehen wir Adjektive neben Substantiven in folgen-
den Beispielen: ein borstiges Tier, ein süsser Apfel, ein
weisses Pferd, eine schwere Kii^jel , ein hoher Ton, ein
schönes Gesicht, ein trauriger Vorfall, ein guter Mensch.
Nach gebräuchlichen Vorstellungen wird man annehmen,
dass die hier ausgesagten Adjektive von den konkretesten
bis zu den abstraktesten Merkmalen fortschreiten. Nach
di^n Vorstellungen sprechen die Adjektive gut, traurig
nnd BehDn Werturtdle aus, die Adjektive hock und schwer
immerhin noch sabjektive Urteile^ die Adjektive weiss und
sfiss geben Empfindungen wieder und gar das Adjektiv borstig
nebtet die Aufmerksamkeit auf ein gans konkretes Herk*
mal, auf einen körperlich abtrennbaren Teil des Gänsen.
Mir ist es nun sunftcbst darum xu tbun, auf das Enge und
Inrefttkrende dieser ünterscbiede luniuweisen.
In den extremen Fftllen, wo das Adjektiv sieh auf
einen körpolicb abtrennbaren Teil des Substantivs bezidit,
ist die konkrete Vorstellung allerdings schwer aus unserer
Phantasie zu vertreiben; aber auch da wiU das Adjektiv
nicht einen Kl^rper beaeichnen, sondern den Eindruch, den
das €kuize durch dra httrvozgehobenen körperlichen Teil
auf uns macht. Wir denken bei aborstig* nicht an die
losgetrennten Borsten oder an eine ihrer Verwendungen,
aondem einsig und allein an die Eigenschaft, welche das
Tier auf unsere Augen und etwa noch auf unser Tastgefilhl
marhf. Das zeigt sich vielleicht noch deutlicher, wenn, wir
ein Adjektiv von noch derbem Körperteilen hernehmen,
wobei zu bemerken ist, dass dergleichen konkreteste Ad-
jektive wohl sämtlich neuere und neueste Schöpfungen sind.
Sagen wir .Der Mensch ist ein zweihändiges Tier", so
stellt nch dar Hörer je nach seiner naturwisseDschaftlichen
Bildung eine ganse Menge Merkmale vor, die mit der Zwei-
händigkeit zusammenhängen, aber die beiden abgehauenen
Hände stellt er sich nicht vor; im Grunde wird bei «zwei-
händiges Tier* nicht anders an zwei konkrete Hände er-
innert als in der Bezeichnung „zweihändiges Klavierstück".
Die beiden Hände, die Borsten werden nur im Geiste von
96
IV. Daa Acyeküimin.
dem Ganzen absiirahiert, um ein untenckeidendes Merkmal
zu gewinnen.
Ganz ikolick ISge die Sacke kei eUas und weiss, wenn
wir gelegentlick darauf aditon wollten, dass eine bittere
Pille mit sttsaem Safte Aberzogen, daea ein missfarbiger
Hals mit weissem Puder bedeckt ist Wer die Pille oder
den Hak durck den besonders dazu geeigneten Sinn wahr-
nimmt, wird zunäckst die Empfindung sQss, weiss kaken,
am nackker zu erkennen, dass diese Eigensckaftsworte auf
abtrennbare Teile des Ganzen gingen, dass er getftusckt
worden sei. In den kftufigsten Fillen des Gebrauckes von
sQss, weiss und ftknlicken Adjektiven li^ aber eine viel
feinere Tausckung vor, der der einfacke Mensck immer
wieder unterworfen ist, wenn die Psyckologie die Sack-
lage auch sckon vor Jakrkunderten aufgekl&rt kati Das
natOrlicke Denken möckte immer sagen, die Dinge selbst
seien sfiss oder weiss ; es gekört dne erkenntnistbeoreiucke
Ueberlegung dazu, auck diese Eigenschaften sckon als sub-
jektive zu erkennen. Nichts auf der Welt w&re weiss, ^be
es keine Augen, nickte auf der Welt wäre sQss, hätten wir
keine Geschmacksorgane. Dass der weissen Farbe im Gegen-
satze zu andern Farben ein bestimmtes objektives Yerkaltnis
zu Grande liegt, ebenso dem sOssen Gescbmack, das gebt
uns hier nichts an; erstens wissen wir unendlich wenig von
der objektiven, meinetwegen substantivischen Grundlage der
Eigenschaften und zweitens würden auch bei vollständiger
Kenntnis der Ursachen alle Eigenschaften doch Eigenschaften
bleiben, das heisst Urteile Uber die Wirkungen, welche diese
Ursachen in unsern Sinnesoi^anen hervorbringen. Schweine-
borsten sind viel greifbarere Ursachen als die hypothetischen
Aetherwellen, welche auf uns den Eindruck .weiss" machrn;
wenn aber schon .liorstig" nur an einen Eindruck erinnert
und nicht uninittell)ar an die Öchweineboi-sten seihst, so noch
vielmehr , weiss", ilessen Ursache wir nicht begreilen können.
Sonst wären die entsprechenden Negativhegriffe nicht sprach-
hch und logisch gleichwertig. Wir sageu aber ganz parallel
borstig und nackt, weiss und schwarz.
97
Es gab eine Zeit, in welcher man die Eigenschaft der
Schwere ebenso in den Dingen selbst suchte, wie die Eigen-
schaften der Süsse und der Weisse; seit der Aufstellung
des Gravitationsgesetzes ist es jedem Gebildeten „leicht*
geworden, die Eigenschaft der Schwere sich als von den
schweren Dingen getrennt oder abstrahiert vorzustellen.
Wir wissen sogar, dass ein Pfundgewicht auf unsei^r Hand
uns ganz anders «rscheinen wfirde, wenn wir auf dem Monde
lebten. Üarma wird es uns leidit, .schwer* als dnen mb-
jektiviiB Bmdruok su venteheii, nodi leioliter die Beseich-
mugen ftr die T4fne, fttr welche wir woUl auoh dämm in
der ganz populären Bpraehe so wenige Worte haben, weä
die Hensefaen die Tfoe Ton jeher nicht den Dingen seihet
beilegten. Die Wellenbewegung eixur Btimmgabel kann
man sehen, die Schwingungen einer Glocke kann man fühlen;
es ist dämm seit alter Zeit ausgemacht, dass das TOnen
eher zu den Xhifcigkeiten ab su den Eigenschaften der
Dinge gehört. Wobei ich nicht untersnchen kann, ob nicht
in irgend einer ürteit ein Bach oder ein Wasserfall laut
hiesa wie der Schnee weiss. Die Gemeinsprache ist der
wissfloischaftlichen Einsicht nicht gefolgt und macht immer
noch einen tTnierschied swischen einer Thatigkeit der Glocke,
die eudge hmidertmal in der Sekunde schwingt und darum
den Ton g giebt, und swischen der Eigenschaft eines Blattes,
dessen Oberlllche nadi der jetat geltenden Hypothese
bSlionenmal in dw Sekunde schwingt und darum die Farbe
grfln gibt. Wir aber müssen einsehen, dass zwischen den
Gruppen süss und weiss einerseits, schwer und hoch (in der
Musik) anderseits nach den Lehren der augenblicklichen
Wissenschaft ein psychischer Unterschied nicht besteht.
Wenn wir nun endlich Werturteile fUlen, wenn vrit
ein Gesicht sdxön, einen Vorfall traurig, einen Mensdien
gut nennen, so ist es am klarsten, dass wir dabei nur an
unsere Gefühle denken und nicht an abtrennbare Ttile der
Dinge, die wir so bezeichnen. Es ist ttberflflssig, an dieser
Stelle näher auf diese Fragen einzugehen und so im Vor*
überp^eKfn diV Prinzipien der Aesthftik und der Etiiik kiiti-
Maatbner, Beitrage zn einer Kritik der Sprache. Ul, 7
98
IV. Daa Ac^jektiv.
sieren zu woDen. Das ist hauptsäcUieb yon Hobbes und
hoAB so gründlich ausgeftthrt wmrden, daaa niemand mit
der Umwertung aller Ssthetiscliea und etbisohen Werte auf
Nietesche, den Dichter, h&tte zu warten brauchen.
Das Srgebms dieses XTeberblicks ist ntm freilich iusserst
Imnal: alle Eigenschaftswörter erinnern uns nur an Ein-
drlfa&e oder Sinneswahniehmungen, welche die Dinge auf
uns gemadit haben. Was wir die Dinge sdbst nennen,
was wir konkret nennen, das sind die Komplikationen Ton
Sigensdiaften, die wir einer und derselben Quelle zuschreiben.
Bin Apfel ist, was zuglddi und hypothetisch aus derselben
Quelle stammend auf unsere Augen, unseni Tastsinn, unsera
Geruchssinn und unsem Oesdimack diese und diese Ein-
drücke ausübt. Eigenschaften sind die Teüeindrücke , die
wir im Geiste von dem Ganzen abtrennen, indem wir sie
nach unsem Sinnesorganen klassifizieren. Und da nichts
in unserm Verstände ist, was nicht vorher in den Sinnen
war, da unsere Aufinerksamkeit so beschränkt ist, unser
Bewusstsein so eng, da wir endlich, warn die Dinge all-
mählich nl^er kommen, zunächst immer nur Irgend einen
besondern Umstand an ihnen wahrnehmen, ttitweder die
Farbe oder den Ton oder die Form u. s. w., so kdnneii wir
wohl sagen, dass Eigenschaften die ersten Eindrücke waren,
die wir von der Aussenwelt hatten. Die Psychologie wird
uns nicbi Lügen strafen.
Ganz anders ]\egi die Frage, wenn wir sie vom Stand-
punl^to der ETitv,-ickelungsgeschichte historisch auffassen.
Dann können wir ^if^ überhaupt nicht beantworten. Denn
niemals werden wir erfahren, ob drr Mensch einer Urzeit
seinen Ucsichtssinn z. B. fllr die Farbe Grün schon difi'eren-
ziert hatte, als er den Baum als ein Ganzes erkannte und
benannte, oder umgekehrt: niemals werden wir erfahren,
ob für den werdenden Menschen das Ganze oder der Teil
früher da war.
Wie immer es nun um das Bewusst.sein eines Urzeit-
menschen gestanden haben iiüig, ob er die allein wahr-
genommenen einfachen und komplizierten Wirkungen der
Digitizc^' '
Eigenschaft und Wirklichkeit
99
Dinge melu als Eigenschafton oder mehr als Thätigkeiten Eigen-
empfand oder ob er gar mit der ältesten und kühnsten aller '^'^^
Hypothesen sogleich substantivische Ursachen dieser Wir- Wiik-
, ,. . , ... , Uobk«U
kungen m die Aussenwelt projizierte, wir müssen nach
unserm Sprachbewusstsein adjektivisch auffassen, was uns
die Sinne und deren Kombinationen TOn der Aussenwelt er-
dUilen. Ton diesem Apfel in meiner Hand weiss ieli, dass
er f^att, süss, rot, schwer ist, dass er gelegentlicli beim
F^en auf die Brde ]i5rliar wird, und dass er mir ange-
nelim ist Was er abgesehen von diesen A^ktiven noch
weiter sein mag (alles was wir von ihm als Chemiker, als
Botaniker u. a. w. wissen, Hesse sich ebenso in A^ektiTon
ausdrucken), das ist eine metaphysische Frage. FOr vata
ist er eine Gruppe von Adjektiven, aus denen sich seine
Körperlichkeit aufbaut; was der Apfel an sich ist, das wissen
wir nicht.
Der Aufbau der Körperlichkeit aus den Eigenschaften
voOsieht sich vorsprachlich; auch der Affe, wenn er einen
Apfel frisati stellt sidi wahrscheinlich aus den Eigenschaften
glatt, sQss, rot, schwer u. s. w. die Hypothese Apfelding
susammen. Sowie aber die Sprache durch besondere Worte
Erinneruiigen an die Eigenschaften geschaffen hatte, war
es mö^ch und lag nahe, durch geeignete ZuaammensteUung
von Adjjektiven Erinnorai^en an alle möglichen Dinge her-
vonuntGm, auf die Aehnlidikeit der Merkmale aufinerksam
SU werden und so langsam die Arbeit der Klassifikation,
der Weltkatalogisierung nach Arten zu beginnen, eine Arbeit,
welche heute noch in groben Umnasen steckt und deshalb
niemals vollendet werden kann, weil die EtinteilungsgrOnde
Adjektive oder Sprachworte sind, die Natur jedoch sich nicht
um die Sprache kümmert* Uns armen redenden Menschen
bleibt aber nichts übrig, wenn wir uns in der Welt nicht
verirren wollen, als die Sprache zum Führer zu nehmen.
Und innerhalb der Grenzen der Sprache, mit der Gewiss-
heit also, der Natur Gewalt anzuthun, besitzen wir an den
Adjektiven den allein artbildenden Redeteil.
Mit dieser wichtigen Thatsache hängt vielleicht eine
^ .d by Google
100
IV. Das AdjektiT.
Gegen- Beobaehtung zusammen, wektho sdioii rem altoi Adelung
^^^^^[^^^ gemacht und dann Ton Karl Ferdinand Beeker Terfolgt
worden kt; dass nftmlich die AdjektiTe sehr hftnfig als
<}^nsalzpaare anflareten wie gross und klein, alt und jung,
gut und bfise, arm und leieh, warm und kalt, sobwer und
leicht n. s. w. u. s. w., dass in den meisten andern IWm
der Oegensats dureh eine Negationspartikel gebildet werden
kann wie in bequem und unbequem. Wir brauehen aber
gar nicht mit Beeker anzunehmen, dass diese Gegensitalieh-
keit irgendwie im Wesen des AdjektiTS liege; es wfirde
diese Vorstellung leicht dasu fDhren, an den von Abel auf*
gestellten Ghrundsats Tom Gegensinn der ürworte su glauben.
Das mag flir das Altigyptische richtig sein, für das AU-
^jptische der Aegyptologen nämlich, welche schliesslich
dieses höchste Prinsip der ünTersündUchkeit erfinden mnss-
ten, um die Texte lu Terstehoi. Wir können das Auf-
kommen der gegensfttslichen Adjektive für die Zeit der
Sprachentwiekelttng aufsparen, in welcher die Verwendung
der Adjektive als artbildender Attribute allgemein wurde.
Es gibt eine sprachliche Entstehung der Arten. Nichts war
verlockender als den Umfang jedes Begriffe dadurch sauber in
Ewei Teile su teilen, dass man zwei widersprechende Attri-
bute nacheinander mit der Oberklasse verband und diese
widersprechenden Attribute wohl oder flbd bildete. Ganz
vorsichtig möchte ich an dieser Stelle darauf hinweisen, dass
viele Adjektive aus Stoffhamen so entstanden sind als ob
der Genitiv des Stoffes adjektivischen Sinn erhalten hätte.
FOr mein Sprachgefühl liegt in der Stoff bezeiehnung immer
eine Artbezeichnung, wie im adjektivischen Attribut.
Becker macht die hübsche Bemerkung (Organtsm der
Sprache S. lOd), dass die Adjektive zu Komparativen und
Superlativen erhoben werden können, weil die Komparations-
formen nur Verhältnisse des gesteigerten Gegensatzes be-
zeichnen; Substantive und Verben Hessen sich (lamarli nur
darum nicht steigern, weil nichts Gegensätzliches in ihn--n
liegt. Auffallend ist es jedenfalls, dass künstlich gebildet
Adjektive wie die Farticipien erst dann einen Komparativ
Aril»ild«iide A^j^^*^
101
und Superlativ zulassen, wenu sie durcli den Sprachgebrauch
zu richtigeu Adjektiven fre worden sind, wo «if» dann aller-
dings leicht etwas Exklu-^ives und dadurch Gegensätzlirliea
erhalten. Doch haben wir dafür im Deutschen keine ganz
feste Uebung. Lessing und Goethe haben Participien ge-
steigert, wo niemand eine Nachahmung empfehlen möchte.
Um aber nach der erkenntnis-theoretischen Unter- aiv-
suchuüg auch einen kleinen iS utzen filr die Grammatik nicht jj^*^^^
zu verschmähen: es scheint mir, dass der Streit um die Zu-
lassung verd ulitiger Adjektive durch die Fratri' nath ihrer
artbildendfcu Kraft entschieden werdeu könnte. Es brüiicht
hierbei nicht an die berüchtigten Beispiele von der .reiten-
den ArtiUeriekaserne" und der „geriebeueu Oelfarbenhand-
lung** erinnert zu werden; Andresen entlehnt ähnliche
Schnitzer solchen Sprachmeistem wie Lessing und Grimm;
Lwmng sagt einmal , verschmitzte FrauensroUen", Grimm
«ungeboreiie LimmerfeBe*. Jhas hier ein Fehler genncht
wird, fftUt in die Augen; der Fehler scheint mir aher nmr
darin au liegen, daas die artbildende Kraft des A^jektiTs
nach dem festen Sprachgebrauche im Cteiite mit einem fal-
scihen Worte Torbanden wird. Das wird maek einleuchten-
der, wenn wir die FiUe ins Auge fassen, in denen der
FeUw nicht so leicht empfunden wird, ich meine die ans
Eigennamen gebildeten A^ektire. Alle Welt spricht Ton
Sdbratischer Methode, SchOlerschen Gedichten, Bismarck-
scher Politik. Das ist unsauber, wenn mit den Worten die
Politik Bismarcks, die Gedichte SchiUers, die Methode des
Sokratea beieidmet werden sollen. Die Ausdrücke sind aber
tadeiloe und sehr prignant, wenn Sokrates, Schiller und
Bismarek ab Schöpfer dner neuMi Art gedacht sind und
gemeint ist: es habe s. B. Lessing mitunter die Sokratisclie
Methode geübt, oder es gehOre dies und jenes dazu, Schüler^
sehe Gedichte, Bismareksche Politik madien su dOifen. Wir
eiinneni uns, wovon wir eben bei der Betrachtung des Ad-
jektifs ausgegangen smd. „Schillersche* Gedichte sind <Je-
didhte, die ein besonderes Merkmal an sich tragen, eine
ganae Art also; nicht an das Individuum Schiller will das
102
V. Adverbien. — Battm und Zeit.
Adjektiv erinueni, sondern an don subjektiven Eindruck,
den seine geistige Individualität artbiidend auf uns ge-
übt hat.
T. Adrerbien. — Baum und Zeit.
Ad- Steintlial und Benfey sind trotz einiger AVidersprüche
beide durch sprachgeschicbtlicbe Untersuchungen dazu ge-
Ctoua. langt, das Adverbium für einen jungen, „sozusagen einen
nacbgeborenen Redeteil* zu erklären. Man kann das Ad-
verbium, sowohl das Adverhiiiiii des Ortes wie das AdTerbium
der Art und Weise ab einen besonderen Oasns des Nomens
auffassen und h&tte dann nur psychologisch zu erklSren,
warum die Orammatiker fttr diese Beziehungen schliesslich
einen besonderen Bedeteü aufgestellt haben. Der Haupt-
grund wird wohl wieder der sein, dass die Sprache ilter
und reicher ist als die Grammatik und so bei ihren Bil-
dungen auf die Bedflrfhisse der Grammatik nicht Rücksicht
nehmen konnte« so wenig wie die Natur bei der Erzeugung
der Lebewesen auf das ElassifikationsbedOrfnis der Natur*
forscher Rtteksicht genommen hat Was wir jetzt Adverbium
nennen, das konnte durch den Ablativ und Lokativ, das
konnte durch den Instrumentalis ausgedrfickt werden. Im
Sanskrit ist es infolge dieser Verhältnisse gar nidit nötig,
besondere Adverbien oder einen * besonderen adverbialen
Casus anzunehmen. Im Lateinischen scheint die Sache so
SU li^^, dass die adverbialen Oasusformen auf -ter, -tim,
-itus (gradatim, fiznditus) vor Ausarbeitung einer lateinischen
Grammatik sieh so eingeschränkt hatten, dass sie in die
bekannten Deklinationsformen nicht mehr aufgenommen zu
werden brauchten. Das ist noch deutlicher im Griechischen
zu beobachten, wo die Ablativendung -«K frühzeitig ab
modabr Casus zur Herrsdiaft gelangte; da wurde bald ver-
gessen, dass diese Bndung nur einer bestimmten substantivi-
schen Deklination angehörte, sie wurde durch Analogie auch
den Adjektiven einer anderen Form angehängt. Weil die
Adverfaiiim und Gmdb.
103
alten adverbialen Casus so unregehnussig aus der Sprach-
geschichte verschwanden, darum gibt es auch in «?ut durch-
forschten Sprachen so viele unerkläite Adverbien ^Steinthal,
Kleine Schriften S. 446 u. f.).
Sehen wir so im Adverbium nur einen besonderen Casus,
so werden wir die komische Verlegenheit der Giaujmiitiker
begreifen, welche die Worte aus dieser Bedeutungsgruppc
gerade deshalb zu Linem besonderen Kedeteile machten, weil
sie sich nicht deklinieren Hessen. Man stelle sich einmal
vor, dass ein Grammatiker aus dem Oenitiv deshtilb einen
besonderen Redeteil gemacht hätte, weil der Genitiv sich
nicht weiter deklinieren lässt. Wir sehen keinen Grund, im
eine besondere Woiturt aufrecht zu halten. Wo
die sogenannte Wunel des AdTeirbiums sich noch in anderen
Formen erhalten hat, da ist seine Gasuseigenschaft oft noch
recht sichtbar; idi yerwelse nur auf die deutschen Worte:
rechts, links, flugs. Ist die Endung im Lautwandel abge-
sdiliffen, oder ist der Wortstanun Terloren gegangen, dann
ist das YerhlltniB natOrlich nidit mdir so durchsichtig, wie
a. B. in .bald*, dessen ursprüngliches Adjektiv (= schnell,
kflhn, tapfer) unseran Sprachgefühl nidit mehr gegen-
wirtig ist.
Alle AdTerbien konnten sonadi nur Ton deklinierenden
Worten gebildet werden, Ton SubstantiTen, AcQektiven, Tom
Pronomen und vom Zahlwort. Die logieehe Ajudysa des
im Satse ausgesprochenen Urteils hat sn der Besnehnung
AdTerbium (eine wörtliche Uebersetiung des griechischen
inppi]tta) gefOhri
In den modernen Sprachen hat sich eine sehr kon-
ventionelle Art ausgebildet, aus jedem Adjektiv durch eine
bestimmte Endung ein modales Advwbium zu schaffen. Das
gilt besonders ftlr die schulgerechtem romanischen Spr«;hen.
Da kann, wie ihre Granimatiker lehren, z. B. im Französi-
scheu aus jedem Affektiv durch Anhängen der Endsilbe
ment ein Adverbium werden. Der ungelehrte Franzose
woss nicht, wenn er aus vrai (wahr) ein vrniment (wahr-
lieh) macht, dass dieses ihm so gel&ufige Wort einmal
104 V. AdTerbien. — Baum und Zeit
«Imhm kSittdkli entsbiiideii ul, tn« wenn er ans irgend
emem rnttenerai Adjektir dnrofa Analogielnldiiiig das ent-
Ich bemerke dwEU, dase solche Formen wie tfnormtfment
eigentlick nicht ins Leadkon gehören, weil ne okoe AuS'
mÄane Yom A^jektivatunm gebildet werden kOnnen, weil
sie me Xieocikon nur durch die Behauptung der Qrammatiker
hinzugekommen flincl, es sden die Adverbien als eine be-
sondere Art Ten Bedeteilen aufeufassen. Der angelehrte
Fransose weiss nun femer nidit, dass die Endsilbe ment
nichts weiter ist als eine bestimmte Gasusform des lateini-
schen Wortes mens. Fortemoit findet sieh im Lateinischoi
in der Form forti mente, mit starkem Geiste. Der AbhutiT
von mens konnte um so leichter au einer tonlosen Endung
werden, weil sich das lateinische Wort im FramOsisohen
nicht erhalten hatte (die Erhaltung in mention ist dem
Sprachbewusstsein nicht gegenwärtig) und sich so der Be-
deutungswandel yoUständig Tollziehen konnte, Haz MOllMr
hat darauf aufinerksam gemacht, dass die Endsilbe ment
aucli dann angewandt wird, wenn von Geist oder Gemttt
nicht mehr die Rede sein kann, wie vreaxk z. B. ein Uammer
lourdement zu Boden fällt, dass femer eine Ahnung des
alten Sinnes sich im Spanischen noch erhalten hat, wo man
anstatt daramente^ concisamente j elegantemente eleganter
sagen kann: dara. roncisa y elegante mente. Im Portu-
giesischen leuchtet wenigstens noch der feminine Charakter
der Endsilbe mente hervor.
Die deutsche Sprache ist freier von Verschultheit und
gebraucht das abstrakte Adjektiv sehr häufig ohne Form-
änderung als Adverbium. Die Endsilbe lieh hat offenbar
die Nei^mg (wie in wahrlich, treulich) im Sinne des fran-
zösischen ment verwendet zu werden, aber der Sprach-
gebrauch ist nicht fest; oft kann man im Deutschen zwi-
schen lieh und ig wählen. Sonst wäre der Hinweis lehrreich >
dass das deutsche lieh (enfT^lisch like oder auch ly) im Gegen-
sätze zu dem romanischen mente vom Körper hergenommen
ist (Leichdom » Dom im Körper) und dass Leiche oder
Bewegung.
105
Körper solcherj^estalt die Bedeutung von Gestalt, angenco innen
hat wie uui uaigekekrtem Wege das lateinische Wort für
Geist.
Wenn nun also das Adverbium nicht als besonderer
Redeteil, sondern als eine alte Gasusform aufzufassen ist
(die massenhaften Adverbien auf -ment oder -lieh als Casus-
fonnen der formelhaft gewordenen Worte mens und Leiche
in YerbnidnBg nufc vamn. Ac^ektiT), wenn die Casusfonneii
ursprünglich stete linniHdie Befiehvilgen aaseigen, wenn
die PMposilicmen, durch welche die neuem Sprachen Omar
formen «udrOcken, erst rechi ursprünglich PriLpositionen
des Baumes sind; sb werden wir sa dem Schlüsse gelbhrt,
dass aQe unsere AdTorbien Ton Hause aus lokale Adverbien
sind. Es Terstefat sieh Ton selbst, dass dieser aospreohende
Schluss ein TrugscUuss ist; denn wir haben kein Becht,
die Yermutungen Ober die historischen Gasusformen gar auch
noch auf die TozhiBtoiischen aussudehnen. Es kommt aber
noch mancherlei nisammen um uns fester daran glauben su
lassen, dass die Adverbien sich ursprünglich nicht von Be-
riehnngen des Baumes trennen lassen.
Unsere gegenwirtige Weltanschauung, mag sie sich nun b«.
lieber Atomistik oder lieber Energetik nennen, muss su der
Yorstelluag {dhren, dass alles Wirkliche, das heisst Jede
Erscheinuag tn unserem Bewusstsein an sich Bewegung sei,
Bewegung im Baume. In Bewegung im Baume wird auf-
gelöst, was inuner unsere Sinne uns Uber die Wirklichkeits-
welt berichten, und in unserem Geistesleben ist nichts als
was die Sinne uns berichtet haben. Eine Idealsprache also,
welche in keinem Punkte mit der gegenwftrtigen Welt-
uisdiauung in Widerspruch geraten wollte, müsste in jede
Aussage über die Wirklichkeit den Begriff der Bewegung
als den Urbegnff der Wirklichkeit hineinlegen. Solche Ge-
danken waren noch vor wenigen Jahrhunderten nicht denk-
bar« waren noch vor wenigen Jahrzehnten seltene Phanta-
sien, und da wäre es nicht wunderbar, irmii die alte Sprache
nodi mehr als sie es thut von der modernen Weltanschauung
abwiche. Der Naturmensch kannte die Bew^ng nur als
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106
\'. Adverbien. — Uaam imd Zeit.
eine makroskopische Erscheinung, sie wurde ihm nur für
plumpe Bewegungec durch die Augen vermittelt; was die
anderen Sinne darboten und «dbsb das Leuchten oder der
farbige Scliein des Gesichtssinns war im Gegensake anr
Bewegung ein Zustand der Buhe. Da ist es nun seltsam
genug, dass eine aufinerksame Untersuchung des Sprach-
materials zeigt, eine Terhaltoisrnftssig wie grosse Menge von
WurzelwQrtem das heisstTon unerkl&rten Wörtern den Be-
griffen der Bewegung dient. Wir haben besondere Worte
für die Bewegung der Lebewesen, für die Bewegung der
Luft und des Wassers, wieder besonder« Worte für die Be-
wegung der Yierf&ssler, der YOgel, der Fische, besonde»
Worte ftlr besondere zweckentsprechende Bewegungen der
Menschen. Ohne Ahnung von den mechanischen Theorien
der Gegenwart ist die Bew^ng für die Sprache einer der
reichsten Begriffe geworden.
Alle Bewegung bezeichnet Ortrerhaltnisse, Beziehungen
Koorcii- 2^ verschiedenen Orten im Baum. Alle VerlüSltnisse im
aaten-
sjttea. Baum mflssen, das bedarf keines Beweises, relaliT sein; sie
beziehen sich aufeinander und b^ehoi sich alle zuletzt auf
das Koordinatensystem, welches durch den Standpunkt des
Sprech^den gdit. Man braucht nie etwas von einem Ko*
ordinatensystem gehört zu haben und arbeitet dennoch un-
bewusst mit diesem Hilfsmittel. Die Erde ist der Mittel-
punkt des Koordinatensystems, nach welchem Fixsterne und
alles andere am Himmel bestimmt wird, und das hat sich
auch durdfai Kopemikus nicht geändert; das Menschenindin-
duum ist der Mittelpunkt des Koordinatensystems, von wel-
chem aus der Himmel und die Sterne, aber auch Haus und
Dorf und Land, Sitte und Gesetz, Glück und Unglück des
Individuums gerechnet wird. Ich brauche nicht erst zu
sagen , dass dieser Mittelpunkt des Koordinatensystems für
die Yerschiedeuen Menschenindividuen der gleiche ist, sobald
es sich um Fixstcrnentfenuingen handelt, dass dieser Mittel-
punkt langsam unterscheidbar wird, je geringer die Ent-
fernungen werden. Für Glück und Unglück, für gut und
böse, ist der Standpunkt recht individuell. Für ethische
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107
und ästhetische Begriffe ist der Sta?id]>!inkt bei grösseren
Mpnsrheni^ruppen , die sich N ölker nennen, indiTiduell, fUr
Fragen der menschlichen Erkenntnis ist der Ort auf Erden
fast so gleichgültig wie für die äussersten Grössen der
Astronomie. Wenigstens haben die guten Menschen nach
erkenntnislheoretischen Parallaxen noch nicht gefragt. Darum
ist der Ausdruck des individuollen Standpunktes oder die
Sprache für ethische und ästhetische Fragen so verschieden
bei verschiedenen Völkern: darum zeigen die Si)racheu so
grosse Uebereinstimmung , wo es sich um die Erkenntnis
der Wirklichkeit handelt, üeberall finden wir den Versuch
der Sprache, sich über die Beziehungen der wirklichen
Dinge durch räumliche Beziehungen zu orientieren.
Halten wir das Bild vom Koordinatensystem fest, in
dessen Kreuzungspunkte der Sprechende steht, so kann er
nie etwas anderes aussprechen als entweder das Rauraver-
bältnis eines Dings zu ihm selbst oder das Kaum Verhältnis
eines Dings zu einem anderen; offenbar ist der letzte Fall
nur eine Komplikation des ersten, weil dann beide Dinge
in ein V^bältnis zu dem Sprechenden gebracht werden
mllssen. Auf sthmi Standpunkt kommt es immer an. Nur
die höhere Komplikation hnt zur Folge, dass im allgemeinen
das RaumTerhtttiiia eines Dings mm. Sprechenden dnreh
alte formelhaft gewordene Adverbien, daas das Raumrer-
haltnis der Dinge untereinander durch andere Hilfsmittel
der Sprache ausgedrQckt wird. Ich branche nicht erst her^
Toiznhehen, dass der Sprechende seinen eigenen Standpunkt
in nndUdigen FfiUea metaphorisch auf emen anderen Men~
sehen oder auf irgend ein Ding flberträgt. Dass femer
jeder Richtung im Raum eine entgegengesetzte Richtung
entspricht, dass darum die Adverbien des Raumes gern paar-
weise auftreten als redits links, oben unten, Tom hmten;
das liegt so sehr im Wesen der Raumerscheinung, dass
kein Mensch TÖUig ohne diese analylasdhe Qeometrie lebt»
Qeist^^ wie kOiperlich fUhlte sich der Mensch einst mehr
demi jetzt mit seiner Brde als Mittelpunkt der Welt; geiBtig
und köfperlich f&hlt ach das zum Bewusstsein erwachende
108
V. Adverbien.
— Banm nad Zeit
Kind als Mittelpunkt seiner Welt. Es ist ^da", diks heisst
im Kreiizung5?punkt€ seines Koordinutt .1 vstems.
Rieh- Wir gewänuen ungeahnte Ausblicke iu das VV i st n des
JUJJl^ Menschengeistes, wenn wir in eine Urzeit der Sprache hinab-
steigen könnten, in welcher sich die Adverbien ^da" und
,wo" voneinander schieden. Dieses Rätsel wird über uje-
maLs gelöst werden. Wir müssen uns damit begnügen,
diese beiden Adverbien als die beiden Stamme anzusehen,
aus denen sich, wirklich genau wie durch Flexion, zahl-
reiche andere Adverbien des Raums oder der Richtung ent-
wickelt haben. Denken wir uns den Standpunkt des
Sprechers als die sinnlichste Antwort auf die Frage ^wo",
80 tesst sich im Grimde jeder andere Punkt im Räume auf
die rclatiTe Lage, auf die Beziehung woher und wohin
bringen. Fflr den Standpunkt des Sprechers ist das fast
ohne Beispiele klar. Bei^iele zeigen uns nur, wie die drei
ÄntmjxUai auf die Tragen wo, woher und wdiin alte Casus-
foimen Ton sogenannten Wurzeln sind, die wir oft etymo-
logisch meki mehr nachweisen können. In den drei deutschen
Antworten hier, her und hin wird noch etwas wie De-
Uination empfunden; der Engttndw, der an seinem Sub-
stantiv eine Deklination kaum mehr kennt, kann alte
Gasusformen an seinem here, hüher und hence kaum mehr
herausMilen. Im Deutschen ist dabei die Vorstellung einer
Antwort namentüch auf die Fragen woher und wohin so
lebendig geblieben, dass her auch als Vorsilbe zunftchst
immer die Kichtnng einer Thfttigkeit auf den Sprechenden
zu, hin die Bewegung Ton dem Standpunkt des Spredimden
hinweg, die Bichtung von dem Sprechenden aus bedeutet
Dabei ist es gleichgOltig, ob das letzte Wort archaistisch in
seiner ToUsten Form »hinnen" gebraucht wird oder ob die
Stammsilbe ,hie' ganz wegfllllt und nur die Art Casus-
endung ,n* übrig geblieben ist wie in ,*naus'^.
Es braucht nicht ausdrQcklich gesagt zu werden, dass
die Umgangssprache mit ihren alten Ortsadverbien nicht
die Mittel besitzt, den Ort so genau zu bestimmen, wie die
Oeometrie mit ihren Absdssen- und OrdinatenlSogen und
Digitizec'
Biefatoogsadverbien.
109
Strem ganzen Apparate toh Massen. Die Alltagssprache
behOft flieh Ar die Kilbe und Ferne wSk einem Ungefähr.
Tiotodem isl auch der Alltagssprache, wenn nicht filr den
Ort eines Dings oder einer Thätigkeit, so dodi für die Be-
weguDgsriehtung eine ansserordentlzch feine Untmeheidiuig
mOgUch, niehi weiter jedoch, als die Orientierung des nn-
geofmetarisehen Menschen geht Die Sprache tastet im Bawne
umher, wie ein Eind mit seinen Hbiden, wie der erwach-
sene Mensch mit seinen Augen. Das Hilfinnittel dam ist,
daas der Sprechende den Erensungspmikt des Koordinaten-
systems amsser sich Terlegt, in den Standponkt eines an-
deren Menschen oder in den Standpunkt eines Ereignisses.
Man konnte die Hinausvsrlegong des Ereusungspuoktes
mathematisch genau nach dem Eoordinatensjstem richten
und die sechs mOgüchen Standpunkte ausserhalb des Ichs
(rechts, links, unten, oben, vom, hinten) auf den Achsen
abmeasen; in Wahrheit begnOgt sich die AUtagssprache
auch hier mit einem üngefthr, denkt bei rechts und links,
bei oben und unten, bei ?<»s und hinten nicht an geo-
metrisch genaue Verhittnisse, ist dafilr aber ftlr die Be-
wegnagsrichtung in der Lage, die Beantwortung der
Frage voher und wohin wieder durch Endungssilben an
die Adverbien rechts und links, oben und unten, vom und
hinten auszudrücken. Moderne Schriftsprachen allerdings
haben diese Fähigkeit nelfach yerloren; sie müssen sich
mit Zusammensetzungen wie: von oben, von unten, nach
oben, nach unten behelfen. Noch das Gotische besass jedoch
die Formen dalatha (unten), dalath (nach unten), dalathrft
(Ton unten); dalath besitzen wir eigentlich noch, wenn wir
„zu Thdl" Tom Abwärtsfliessen der Flüsse sagen. Sehr
schön b^tzt das Böhmische diese Richtungsdeklination in:
dole (unten), dolu (hinunter), zduly (von unten); am reichsten
au solchen Richtungsformen scheint das Finnische zu sein,
welches die Fragen wo, wohin und woher für seine Ad-
Terbien draossen, drinnen, oboi und unten liektieread be-
antwortet.
Noch reicher wird die Zahl der RichtungsadTerbien,
110 ^- Adverbien. — Ilauiu und Zeit.
wenn xum Kreiizungspuiikte der Koordinaten ein Ort ge*
oommen wird, von dem es nicht bestimmt wird, ob er recbis
oder links, oben oder unten, Tom oder hinten Tom Sprechen-
den liege, Ton dem nur gesagt wird, dass er anderswo sei
oder irgendwo oder nirgendwo; das Böhmische dekliniert
alle diese Adverbien für die Fragw wo, wohin und woher
und fügt noch einen vierten Caans fllr die Frage wodurch
hinzu; dieser vierte oder kausale Casus ist jedoch flberflUssig
und ungebr&uchlich und kann aus Orfinden, die wir gleich
kennen lernen werden, durch den Woher-Casus ezsefaEt werden.
Priposi- Im Vorabergehen nur ein Wort Ober die ganz natür-
liehe Art, wie aus diesen Richtungsadverbien unsere soge-
nannten Präpositionen entstehen konnten und mussten. Es
gilt zu zeigen, wie einfach die schlichte Alltagssprache ihre
armen Worte zur Orientierung in dem primitiven Koor-
dinatensystem des Sprechenden bentttst hat. Versetze ich
mich nämlich in den Standpunkt einer anderen Person oder
eines Ereignisses, so brauche icb nur rechts, links, oben,
unten, vom, hinten zu sagen und die Ortsbezeichnung ist
fertig; das nennt man dann ein Adverbium. Potenziere ich
jedoch die Hinausverlegung des Standpunktes, indem ich
midi zunächst an einen anderen Ort versetze und von dort
aus wieder emen Punkt recbts, links, unten u. s. vr. be-
zeichne, so muss ich das Adverbium mit dem Gegenstande
des anderen Orts verbinden und die sofrenannte Präposition
ist fertig: rechts der Strasse, links der Strasse, ob der
Enns, unter der Enns, vor der Mauer, hinter der Mauer.
Dass rechts und links in der Gra7nmntik nicht als Prä-
positionen aufgeführt werden, kann mich nicht irre machen;
der Grund ist wohl darin zu suchen, dass beide Worte nicht
so alte Schöpfungen sind, wie oben und unten. Insbesondere
besass das Deutsche im Mittelalt-er ein altes Wort ftir rechts
(zesei. da^ erst sj)ät durch den metaphorischen Gebrauch
der richtigen, der rechten Hand Tman sH£rf In ate noch den
Kindern .gib das gute, las schöne liiuidclu'ir) verdrängt
wurde. Man kann wohl sagen, dass wir die Richtungs-
adverbien, welche an besonders bezeichnete Orte sich an-
Digitized by CoooIp
Prft|K)aitionen.
III
lehnen, um so mehr als Präpositionen empfinden, je älter
sie sind, je unerklärbarer ihre Etymologie ist. Dass diese
Präpositionen einen bestimmten Casus ihrer Ortsbeziehun^
»regieren", wird heute von bessern Schulmeistern nicht
mehr gelehrt. Nicht von der Präposition, sondern von der
Frage »wo* oder «wohin" hängt es ab, ob wir den Punkt,
auf welchen mk Tom, hinten , oben, unten bezieht, im
DiÜT oder im AcauaÜT ansdrOciken. Vielleicht hängt es
mit der heute noch im Sprachgefühle voihendeneii Cwuh
bedeiitiing des wo und wohin ausunmen, daaa wir diese
beiden Richtungen leicht an viele AdTerhien knüpfen kennen;
dagegen ist nns ein Casus für das woher so siemlidi Ter*
loren gegangen und so hat sich fttr diese Richtung eine
bestimmte Fkftposition ausgebfldett unser .von*, welches
wieder in Txelen Sprachen ak Tertreter fllr die absterbende
Csansfonn des Genitivs getreten ist. Dieses unser ,Ton*
ist aber hfichst wahrscheinlich (griechisch «so) hexgeleitet
▼on dem Ricfatungsadycrbium oben oder ob und ist rom
Standpunkte des unten die Antw<nrt auf die Frage woher;
Ton oben herab, »abe*; in der Schweis gibt es noch Fa-
miliennamen wie ,Ab der Fluh", welches unserem »Von
der Fluh* entsprechen wflrde. Es ist flberaus lehrreich, die
nlchst Terwandten Präpositionen daraufhin zu betrachten;
,illr* kt noch ganz deutlich das RichtungsadTcrbium «vor*.
Wie sidi die Formen ob, unt«r, vor, hintw lu den Ad-
▼erbialformen oben, unten, vom, hinten verhalten, das
gehört in die Zufallsgeschichte der deutschen Sprache; nach
meinem Sprachgeftlhl würde der Gebrauch der adverbialen
Form als Präposition nicht nur immer verständlich sein,
sondern sogar eine gewisse poetische, sinnfällige Kraft haben.
Man lausche einmal auf: oben dem Baume, nnten dem
Berge u. s. w.
Konnten und mussten die Richtungsadverbien so in vor-
Verbindung mit dem Orte ihrer Beziehung zu sogenannten
Präpositionen werden, so sehen wir sie in Verbindung mit
den Thätigkeitsausdrücken, mit den Verben, eine zweite
Metamorphose an sich vollziehen und zu tonlosen, aber
._^ kj i^ -o i.y Google
U2
V. Adverbien. — Itaum und Zeit.
bedeatungsreichen Tonilben werden. Wir befcradifteii darauf
hin die Vorsilben ei^ und ver-; da tritt uns snnftehBt das
reine Riehtungsadverbinm und dann die ganae Fidle der
meÜiapliorisdien Anwendungen entgegen. Wir haben auaaer
dem Deutsehen keine moderne Kultursprache, die uns noeh
so naturwüchsig den Weg von iftomlichen Beaiehungen su
anderen zeigte.
VoraUDe Die Yorsflbe er- ist in so vielen FSUen ' identisch mit
der alteren Vorsilbe ur-* dass wir annehmen können, sie
sei entweder aus ihr entstanden oder es habe sie einmal in
irgend einer tJebeigangsaeit eine Art VoDcselfmokgie gleieh
gesetst Die Vorsilbe ur- hat in Neubildungen, wie sie
namenilidi in der flbeimittigen Sprache der Studenten ent-
stehen, den Sinn einer VerstSrkung angenommen, wie in
urgemütlich, urdumm o. s. w.; diese Verwendung stammt
vielleicht von Worten wie: uralt, or deutsch, dann Urbild,
ürvolk, Urmensch, Ursprache, Urkraft u. s. w., lauter Neu-
bildungen, in denen, wie im ersten dieser Worte, die Vor*
silbe ur- das hohe Alter einer Sache (etwas ander« hat sich
Ursache entwickelt) anzeigt. Den Sinn der Herkunft ans
uralter Zeit begreifen wir, wenn wir erfahren, dass ur-
(gotisch tts) im Althochdeutschen auch als Präposition im
Sinne Yon aus gebraucht wurde. Die wenigen alten Worte,
die mit ur zusammengesetzt sind, verraten gewöhnlich für
ein aufmerksames Ohr den Sinn der Herkunft, der denn
auch in der abgeleiteten Vorsilbe er- herausklingt. Urkunde
können wir recht gut auf Erkundschaft oder Erkenntnis
zurück tilhren , Urlaub auf Erlaub. Ursprung? auf Ersprung,
Urteil auf die Entscheidung, die das Geriebt erteilt. Dieser
bmn t iner Bewegungsricbtung von innen heraus, häufig von
unten nach oben, gewissermassen zum Sprechenden hin, ist
allerdinijs vorhlasst, wobei zuErleich ein Tonloswerden der
Vorsilbe stattiand; denn ur- ist betont, er- ist tonlos. Suchen
wir nun unter den vielen Bedeutungen der Vorsilbe er- nach
derjenigen, welche unserm Sprach u^i sie die nächste ist,
welche wir beim Aussprechen der Vorsilbe schon empfinden,
bevor noch das Stammwort ausgesprochen ist, so scheint
Digitizcd by Google
Vorsilbe .er* und .vei-'.
113
mir kein Zweifel daran besteben zu können, dass diese Be-
deutung in der Bewef^ng an den Spreckenden heran, in
der Ergreifung eines materiellen oder geistigen Besitzes zu
finden sein wird. Fängt jemand einen Sais an mit den
Worten: »Ich habe mir das er . . ."i so erwarte idi ak
Schluss irgend ein Verbnmt den Auedruck irgend einer
Tkfttigkeit, dnreli weldie »das* in den Benta des Spreehers
überging. »Ich haibe mir daa: eijagt, erklettert, erlamclit,
erlaoert, ersdüiehen, erbeten, erbettelt, erdningen (Gk>eÜie),
erfoditen, erfiscbt, erkargt, eraehmeiohelft, ertrotz, enongen,
exaeaaen, erweint (Sduller), erlogen, erlritaimt* Es gibt
kaum ein TbStigkeitswort, welches nicht so analogiadh, sei
es auch nur im Sdierae, mit er- TMbonden werden k(fonte.
Wir kftnnea ans Geschichten erfinden, die damit enden,
daaa ein YermUgen, eine Stellung, ein Titel, was man will,
erradelt oder erliebt, eistottert oder erschrieen worden ist
Wo ein intransitiTes Verbum in Verbindung mit er- tran*
aitiT wird, handelt ea sich immer um den Wunsch oder die
Thatsaehe einer Besüceigreifung, einer Bewegung nach dem
Sprechenden hin, wie in: erharren, ersehnen, eratreben.
Allen diesen neuem Bildungen stehen iltere Zusammen-
sefcaungen mit ei^ gegenflber, die entweder den Beginn dea
Zustandea beaeicluien, den sonst daa unznsammengesetEte
Verbum ausdrOi^le, wie in: ergrUnen, erglänaen; oder das
Ergebnis, besonders das tödliche Ergebnis eines sonst gleich-
gültigeren Geschehens, wie in: erfrieren, ertrinken. Ich
glaube nicht fehl au gehen, wenn ich diese beiden Wirkungen
der Vorsilbe er-, nämlich die des Anfangs einer Handlung
und die d^ Endresultats, zusammenfasse in dem Sinne dea
Interesses fOr den Sprechenden, beoiehungsweise desjenigen,
auf dessen Standpunkt der Sprechende sidi stellt. Es ist
das Ergebnis einer Handlung dasjenige, was ein Geschehen
hergibt, was es mir herausgibt, was ich mir herananehme
ans einer Thatsache. Sehr merkwürdig ist es nun, wie die
Voraflbe ver-, jetzt der Gegensatz zu er-, nur langsam in
diesen G^ensatz hineinwuchs. Noch in der älteren neu-
hochdeutschen Sprache sagte man analog zu den eben er-
Maatbner, B«ltr&ge za einer Kritik der Sprache. lO. 8
114
V, Adverbien. — Raum und Zeit.
wähnten Worten z. B. erarmen, erhungern, wo wir jetzt rer^
armen, verhungern sagen mflasen; provinzieU wird dagegen
jetzt notih vid&ek Ter- im Siiiiie von er- gebrandit. Aber
es hat sich namentiich in mstaphorisoher Anwendung ein
sdndFer Gegensais herausgehildet; wir mtlsseu sageu er-
hoben und Tertiefen, erweitern und verengen. Der Sprechende
stellt sich also gern auf den günstigsten, auf den ehren-
ToUsten Standpnnkt; er steht auf dem hohen, auf dem weiten
Standpunkt. Was erhobt, was erweitert wird, das sdieint
sich ihm von innen heraus, von unten nach oben auf ihn
zu zu bewegen; was vertieft, was verengt ist, bewq^ sich
von ihm hinweg und bdiilt diese Sprachfonn auch dann,
wenn s. B. die Vertielung nicht ein verichtiiches lK>ch in
der Erde, sondern metaphorisch eine grössere GrOndliddceit
bez^chnet
Diese Vorsilbe ver- ISsst sich etymologisch (selbst mit
Zuhilfenahme der Volksetymologie) niöht so einfach erUiren,
wie die Vorsilbe er». Man hat versucht, sie mit zweien
oder dreien verschiedMideutigen gotnehen oder sogenannten
indogermanischen Wurzeln in Verbindung zu bringen. FOr
unser Spnchgel&hl bedeutet es jedoch, einerlei ob es da
mit d^ gotischen fra- identisch ist oder nicht, die Oegen-
richtung Ton er-, das Verschwinden oder das Zugmadegdien,
das Beseitigen oder Zii^^ndenchten, und zwar ebenfalls
mit dem Erfolge , dass der Hörende diese Empfindung schon
gewinnt, sobald nur die Vorsilbe ausgesprochen worden ist»
,Bs ist ver . . .* erzeugt sofort die Erwartung, dass etwas
verschwunden oder verloren sei, und das folgende Stamm-
wort gibt nur noch die nähere Art des Verschwindens oder
Verlierens an. Wieder gibt es kaum ein Verbum, das nicht
q»rachgebräuchlich oder scherzhaft mit ver^ zusammengesetzt
werden könnte « und die Grund anschauung ist dabei immer
eine Bewegung vom Sprechenden hinweg, eben ein Verlust.
Man kann sein Vermögen , seine Gesundheit , seinen Verstand
verfressen und vertrinken, verbuhlen und verspielen; man
kann das alles verjubein, man kann (hier ist der Sprach-
gebrauch etwas enger) seine Jugend, sein Leben vertrauern,
Geiduclito d«r Aävarbien.
115
schiebte
<!as heisst durcb Gebrauchsmanj^el verlieif n. „Sie ver-
jammert und verbetet ihr Leben" (Gortbri. Aus der Walir-
nehmuno;' des Sprechenden liinwfü;, in weiterer Metapher
aus der Absicht des S]ii Lcheuiien hinweg führen Zusammen-
setzungen wie; verktrei), verkramen, verfitzen, verbauen,
verzeichnen, verziehen u. s. w. Ganz körperUch wird die
räumliche Kntferaung ausgedrückt in: verjagen, vertreiben,
verseuden, verschleppeu u. s. w. u. s. w. Sehr häufig liegt
etwas Verachtung in den Zusammensetzungen mit ver-; so
hiess veralten früher (bei Luther, aber auch noch vor hundert
Jahren) nicht mehr als alt werden; jetzt heisst es durch
Alter unbrauchbar werden, besonders aus der Mode kommen.
Lutlis r und Goethe konnten noch von veralteten Wui/.cin,
von eintni veralteten Baume reden; heute sagt man höch-
stens noch, die Tulpe sei eine veraltete Blume oder sie sei
wieder in die Mode gekommen.
Aus allem bisher Gesagten lässt sich zunächst lernen, o«-
dass die Sprache in ihren Bezeichnungen für Richtungs-
verhältnisse regellos, das heisst willkOrlicli oder zuf^ig Ad-
btld Advwlnm, bild FriLpositionen, bald Vonolbw von
VwImii beofitat, und dass die FkttpoaHioiien und VonÜben
nichts anderes sind als Adverbien, velehe sieb in der Form
diffi^renriert haben, je nachdem sie an das SubstanÜT als
an die scheinbar ruhende Ursache eines Sinneeeindrucks,
oder an ein Yerbum als an die scheinbar unmittelbar ge-
schaute Thttigkeit, herangetreten sind.
Fassen wir die Sache psychologisch und streng dasu,
so erhalten wir eine fibcErrasdiende Besl&tigung der ge-
wonnenen Veberzeugung, dass Dinge und Th&tigheiten oder
SabstantiYe und Terben nur optische Täuschungen unseres
moiscshlichen Verstandes sind, dass wir in Wirklichkeit
niemals Dinge und Thätigkeiten wahrnehmen, niemals die
ürsaefaen unserer Eindrücke und die Zwecke der Bewegungen,
aondeni immer nur Eigenschaften der WirUichkeitswelt,
das heisst Wirkungen auf uns, die wir in einer pedantisch
iogischen Spradie nur durdi Adjektive ausdrdckttii kfinntw.
Die BichtungsverhaHnisse (die dann metaphorisch Verbili*
Digitizcü by ^(j^j^l
116 V. Adverbien. — Raum und Zeit
nisse der Zeit , des Grundes u. s. w. mitbezeichuen ) kuüpfen
sich (iaiuiii am besten uii Adjektive, von denen die Gram-
matik denn auch alle neuem Adverbien ableitet. Mit dem
Substantiv verbunden wird das Adverbiuni zur Präposition,
weil das Richtuogsverhältnis durch den Casus des bub-
stantivs noch einmal ausgedruckt wird und dieser Casus von
präpositionellen AdTerbiom abzuhängen scheint. Mit
dem Yttbum Terbundoi schleift sich das Adrerbium zur
Vonübe ab; aber diese Vorsilbe wflrde mit beeserem Beehto
den Nemen AdTerbiom ftthreii als das selbstBudige Wort
ftlr das Richtungsyerh<niB.
Fassea wir die Sache im Simie der Gtammatik, so
erscheiiit mis das Sltere AdTerbium wie gesagt als Caans^
form irgend eines Urwortes tob BewegungsverhSltDiBsen und
es steht niehts im Wege, die Gasusformen, welche vor Ent-
stehang der AdTerbien eben diese Bachtungsv'erhiltnisse aus-
drOclcten, als noch Sltere, bedeutende Wortformen, ab
Gasosformen noch Slterer Worte allgemeiner ThltiglEeit auf*
mftasen. Es wSren dann die Deklinationsendmigen der
ursprQngHchem Sprache ebenso an die Stammsilben heran-
geketen, wie die DeUinationsfonnen modemer Sprachen
mit Hilfo von Adrerbien, das heisst Prilpositionen gebildet
worden sind. Ich will die Phantasien der Tergangenen und
der gegenwSrtigen Etymologie nidit Termehren und yerrichte
darauf, solche Endungssilben aus den in allen Sprachen so
reichlich rorhandenen Verben der Bewegung hensuleiten. .
Bevor ich kurz auf die met^ihorische Verwendung der
Raumbezeichnungen hinweise, möchte idi noch einmal die
Neigung der Sprache unterstreichen , Ortsverhältnisse durch
Bewegungsverhältnisse wiedenugeben. Eine Vergieichung
Ton stehen und stellen, sitzen und setsen lässt vermuten,
dass der Bewegungsbegriff alter sein mag, als der Zustands-
begrifP; wohnen scheint (verwandt [?] mit dem lateinischen
Temus und dem Sanskritwort vanas für Lust) ursprünglich
den Sinn lieb „gewinnen* gehabt zu haben; im Worte ge-
winnen mag vielleicht die noch ältere Bedeutung desselben
Stammes stecken. In den Parailelbeseichnungen stehen
Sitnatfam.
117
stellen, sifczen setzen werden die Fragen wo und wohin mit-
beantwortet. Ich uehme an , dass die Antwort auf die Frage
■wohin älter sei, als die Antwort auf die Frage wo, weil
unser Bild vom Koordinatensystem uns lehrt, wieviel leichter
der Naturmensch sich über die Richtung aul ihn zu oder
von ihm weg, als über den Ort oneutieren kann. Die Rich-
tung kann durch eine einzige Dimension ausgcdi ückt werden,
der Ort auch im einfachsten Falle nur durch zwei Dimen-
sionen. Damit mi^ es zusammenhängen ^ dass vielfach die
Antwort auf wo durch die Form erfolgt, die sonst eigentlich
der GasQB ffSx die Frage woher ist. Später haben sich für
diesen Wo-CasoB NthoiGasiis entwidceit und es ist gaos
^flicligQitig, daiB dieser Wo-FaU im CMeehiicheii mit dem
DatiT sQsammeiif&llt, im Lateinischen mit dem AblatiT, im
Slavischen mit dem Lohafav. Wie so häufig die alten Formen
sich gerade an den geläufigsten Worten erhalten haben, so
wird im Lateinischen das RaumTerhUtnis durch Richtung»-
casus bei dem Worte domus nur dann beseiehnet, ▼enn
domus das Zuhause beseichnet, durch Prftpoeitionen, wenn
es das Bing Hans beseichnet. AehnUche Bichtungscasus*
formen finden sich gerade bei demselben Begriffe im Alt-
hochdeutsehen (heime, heim und heimina) und in den sk^i»
sehen Sprachen.
Nun muss aber doch, um Missverstindnisse anszu- sitwtios.
scUiessen, ausdrlU^fich darauf hingewiesen werden, dass
der Naturmensch und das Kind von einem Koordinateusysteme
nichts wissen, dass aUe richtunggebenden Laute, seien sie
nun Gaauaendungen, AdTerbien, Mpositionen oder Vorsilben,
die Richtung nicht etwa wie in der Geometrie eindeutig
angeben. Wir wissen ja Iftngst, dass das Wort erst durch
den Sate Tersttndlidi wird, der Sata erat durch die Situation,
die Situation gar erst durch die ganze Persönlichkeit des
Sforechenden , durch seine eigene Entwickelung. Da ist es
denn nicht wimderbar, dass der Sinn eines Adverbiums u. s. w*
sieht durch den Laut, sondern wahrhai'tig erst durch den
Sinn klar wird, durch die Situation des Sprechenden. Die
Situation sagt uns, ob z. B. »zu* nach mir lu oder nach
Digitized by Googl
118
Y. Adverbien. — Baum und Zeit
einem anderen Orte sa bedeutet, ob unter, ob über nnf
mich oder auf einen anderen belogen wird oder ob diese
Worte yielleicbt sieh auf die GegenaSke von innen und
auesen belieben. Kacb der Situation des Spreebenden
können die AdTerbien u. s. w. sehr leicht direkte Gegena&iM
ausdrucken; und hftufig genug bat sich im Sprachgebraucbe
durch Fonnrerinderung dn AdTorbium su soldien Gegeu-
sfttien difiiBrenziert. Cum und contra, sub und super mdgen
als Beispiele genOgen.
Raam, Ohuc Phantasie geht es freilich nicht ab, wenn ich
b«Mti> nun versuche — mehr schematisdi als gesehichiüch — die
wt- Entwickelung der RaumTsrldlbiisse an den Beddieilen und
dann die metaphoriflche Anwendung der RaumrerhSltnisse
in den Redeteüea su skizoeren. Natürlich ist in einer Ur-
leit, welche ich' annehme und welche sich mit dem Auf
und Nieder des Weges Ober ungemessene Zeiträume er*
starecken kann, von ein«n grammatikalischen Bewusstsein
TOn Redeteilen noch keine Spur. Aber wir können nach
der Erfindung der Grammatik von Grammatik nicht anders
als grammatikalisch reden.
Es handelt sich also darum, wie sich die entwickelnde
Sprache in den Weltanschauungsformen orientiert haben
mag, die wir jetzt Raum, Zeit und Kausalität nennen. Die
Psychologie der einfachsten Lebewesen, der Protisten, hat
uns (I. 350) vermuten lassen, dass es in der Geschichte der
Vernunft eine Epoche gab, in welchu* Ton diesen drei Vor^
Stellungen nur die Raumvoistellungen vorhanden waren.
Aus dem raumscha£fenden Tastsinne habmi sich auch bis
zu den Menschen herauf die anderen Sinne entwickelt. Das
kann aber unmöglich so zu Terstehen sein, dass im unbe-
wussten Leben der Oi^anismen Zeit- und EausaUtätsvor-
Stellungen, zuletzt nur Eausalitätsvorstellungen völlig fehlten.
Wir müssen uns das Leben der Sprache oder des Denkens
so denken, dass es instinktiv den Weg von der Kausalität
zum Räume einschlug, um dann bei der bewussteren Ver-
wendung der Kaumbegrifi'e wieder zur Zeit und zur Kausali-
tät zurück fortzuschreiten.
^ kj i^ -o i.y Google
Baum, Zeit und EAUMlit&t 119
Ich stalle mir eine grammatisch uiiditterenziertc Be-
griffsftlUe einer Urzeit vor, in welcher die einzelnen Worte
mehr adjektivischen Charakter hatten, die Wukuiig der
Dinge und der Veränderungen aul das Individuum aus-
drückten, also von der Kausalität lebten, ohne jedoch die
Aussenwelt als objektive Ursache dieser Eindrücke klar zu
erfassen. Das Individuum wurde von der Frucht berStet,
▼OD der Sonne erwärmt, vom fallenden Aste gestosmi, olue
dasB mit diesen Adjektiven, die vir Terbal annadrfldkaii
genötigt sind, Biclitaiigs- oder BaamyerhSltaiiase deutiich
▼erbmiden wann. Die Farbe, die Wärme, der Stoes wurden
im Individuum empfanden. Darin, dass das Individuum sich
in seinen Bewegungen diesen Empfindungen anpassle, das
Bote ass, die Wärme aufeuchte, dem Stesse auswich, et*
kannte es die Wahrnehmungen als Wirkungen an, gewiss ohne
sie sprachlich ab Eausalitätserscheinungen anssudr&cken.
Wir können recht wohl b^(reifen, wie dann s^Uber die ob-
jektive Aussenwelt sieh sunädist in YorsteUungen verbalen
Charakters als Ranmanschauung der Bew^gungarichtung,
noch später in YorsteUungen substantivischen Charakters
als Banmanschauung des Ortes ausbildete. So konnten
Moese Otientiernngen im Baume f&r dasjenige eintreten,
was uns jetst YorsteUungen des Baums, der Zeit und der
Kausalität sind. .Als nun die Sprache versuchte mit ihren
Mittehi die ZeitvorsteUungen und endlich die EausalitSts-
vorsteUungen, die sich gebildet hatten, zu formen, da machte
es die Sprache wie das Denken, wdl Denken Sprache ist:
sie drtlckte durch Raumbegriffe zunächst zeitliche Verhält-
nisse und dann Kausalitatsb^piffe aus. Tch bemerke noch,
dass der sprachliche Ausgang vom Baume sich besonders
stark aufdrängt, wenn wir uns erinnern, wie deiktisohe Hin-
weise, heute noch im DcInonstrati^'pronomen vorhanden,
an den ursprünglichen Gebrauch der Sprache geknüpft
waren. Das uralte «da*, welches für jedes Adjektiv, jedes
Yerbum und jedes Substantiv sich einstellen konnte und
kann, ist räumlich gemeint, erst recht räumlich, wenn es
die Gegenwart bedeutet Gegenwart hängt mit wärts in*
Digitizcü by ^(j^j-j.l'^
120
V. Adverbien. — Baum und Zeit.
sammen (vielleieht auch mit dem lateimschen verto), und
dieses heürt aonA wie Dach einer bestimmten Richtung
gewendet»
Der Gehranch der Bamnbegrifle für ZeitrerhSltniMe
ist in anen Sprachen bis cur Stunde lo allgemein, daas die
Beispiele dafür fllr den Sprachbeobachter fiberflItaHng, f&r
den Neuling Terblllffend und flbeneugend sind. Wir nenn«!
eine Zeit erafaeh Umg oder kurs, eine Iftngere Zeit sogar
noch kecker einen Zeitraum. Anfang und Ende wird gaai
geliufig von der Zeit wie vom Baume gesagt. Sehr hflbsch
ist es, wie im FranaOsiscfaen die ftusserste Nihe einer Zeit
durch Bichtungsworte des Baumes beieichnei wird: il nent
d^arrirer und il Ta partir. Beide Bedensarten sind eigent-
lich Pleonasmen. ,Er kommt, er kommt", das heisst er
kommt soeben; .ergeht, ergeht", das heisst er geht gleich.
Ein objektiTes ZeitrerhSltDis wird auch durch die so-
genannten Adrerbien der Zeit nicht — wie das fUschlich
behauptet worden ist — ausgedruckt; genau dasselbe, was
die Zeitformen des Vttbums können, leistet auch nach dem
Sprachgebraudie das Adverbium. ünd man kann es vielen
Adverbien heute noch ansehen, dass sie die Orientierung
in der Zeit durch eine rilumliche Metapher auszudrQckeo
suchten. Das sehr interessante Adverbium .wo", das ge-
wiss nach dem Orte fragt, wird im Relativsatze in zeit-
Mdiem Sinne ai^ewendet, wenn auch nicht so häutig wie
«da*, das wiederum wie andere Zeitadverbien leicht kausale
Bedeutung erhält. Die Richtung woher und wohin wurde
ftüher durch eine Art Flexion von «wo*, durch wannen und
war, ausgedrückt; in „wann" oder «wenn'' hat sich die aus
dem räumlichen Bilde hervorgeprangene Zeitbestimmung rein
herausgelöst, nur dass die bedingende oder kausale Be-
deutung wieder hinzugetreten ist. Eine scharfe Scheidung
im Ctebrauche von wann und wenn, wie schon Adelung sie
verlangt hat, ist bis heute weder in der Umgangssprache
noch in der dichterischen Sprache diirrhi,'p.setzt worden.
Gemeinsam ist für Raum- und Zeitverhiiituisse auch das
lateinische ubi. Doch selbst nach vollzogenem Bedeutungs-
Digitized by Google
»hie*.
121
Wandel, nachdem der Sprachgebrauch Zeit- und Orisadyerbien
geschieden hat, lässt sich immer noch die Zeit durch den
Ort und der Ort durch die Zeit darstellen; nur dass wir
bei der leitliehen Yenrendnng von «wann* das BewiurtBein
maet metaphmdMn SprediwetM nicht mehr ftttüeo, wohl
tber uns einer leisen Metapher wieder bewosst werdeii, wenn
wir V. B. ,hie und da* als Zeitbestimmnng , .dann und
wann' ab Ortsbestimmui^ verwenden.
Bieee leigerhafte, deOdäsche also demonstratiTe Her- »u«*.
konft sehr neler Zeitadverbien liegt oft am Tage, oft ist
sie in der Spraehgeschiebto andeirtJich geworden. Hobsch
lassen sich die Fllle anfUftren, in denen das eben dtierte
DemonstmliTpronomen .hie" (= hier) als ein temporales
DemonsfaratiTum snr Bildung TCn ZeitadTerbien gefllhrt hat.
«Heute* ist gans gewiss aus emem alten »hin tagu* Ober
hiuigu mid hiuttu zu seiner «heutigen* Vorm gekommen.
Die Abstammung ist so sehr aus dem Spfachgeftthl Ter-
achwunden, dass Luther gelegen^ch «heute dieses Tages*
sagen konnte und landschaftlich noch heute der Ausdruck
«heutiges Tags* oder «hentes Tags* vorkommt. Wir wissen,
dass msn rinmal die vierundzwanng Stundra einer voU-
slindigen Erdumdrehung nach Nichten sShlte; von da her
msg das einst neben «heute" einhergehende Adverbiom
kommen, welches im Althochdeutschen hl — naht, im Mittel«*
hochdeutschen hlnet hiess und welches in süddeutschen
Mundarten heute noch als gheint* ftbr unser schriftdeutsches
«heute" gebraucht wird. Ebenso wurde aus hiu j&ru das
süddeutsche Adverbiura heuer (= in diesem Jahre), welchem
sich die norddeutsche Schriftspradie leider immer noch ver-
schliesst. Sine Parallelbildung zu «heutiges Tags' findet
sich in den romamschen Sprachen, wie übrigens das lateini-
sche hodie (hoc die) dem deutschen heute vollkommen ent-
spricht. Aus hodie wurde das italienische oggi, aus diesem
wieder oggidt, worin »dies" (der Tag) also zweimal vor-
kommt wie in heutes Tags, wie im französischen aujourd'hui.
Die Orientierung in der Zeit durch metaphorischo
Uebertragoog von Orientierungsworten des Jäaums musste
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122
V. Adverbien. — Raum und Zeit.
es mit Bieh bringen, dass durch die Sitesteil Zeitedverbieii
wolü die zeitlidie N&he und Feme ausgedruckt werden
konnte, nicht aber immer die Richtung .woher und wohin,
Dicht immer also der Unterschied twischen Vergangenheit
und Zukunft. Das deutsche ,da* (auch ,einst'), das lateini-
sche tunc, das englische then drflckt ebenso die Zukunft
wie die Vergangenheit aus. Die AdTerbien, welche sich
ausschliesslich auf die Zukunft oder auf die Vergangenheit
hemmen, sind Neubildungen. Man kann das an den ein-
fachsten Begriffen ftlr diese Verhaltnisse, an »morgen* und
«gest«m* deuUich sehen und beachte dabei, dass diese
fast einfÜtigett AdTerbien dennoch von Kindern schwer be-
griffen und noch im fünften Jahre miteinander Terwechselt
werden. «Morgen* bedeutet uxBprflnglich eine Tagesseit,
den Tagesanbruch; wie weit das Wort mit einem slavischen
Worte für Dunkelheit zusammenhängt und dadurch die Be-
deutung Dimmerung zu erklären ist, geht uns hier nichts
an. Jedesfalls kannte das (gotische den Gebrauch von
«morgen" für den auf heute folgenden Tag noch nicht. Erst
im Althochdeutschen hiess ^niorgane* so viel wie «am
Morgen", nämlich am kOnftigen Morgen. Genau ebenso
wurde aus dem lateinischen mane das französische demain,
das italienische domani. Nicht so einfach liegt der Fall
bei «gestern \ das »StammTerwandtschaft*' mit lateinischen
und griechischen Worten aufweist, die schon den vergangenen
Tag bezeichnen. Gerade in germanischen Sprachen jedoch
bezeichnet , gestern* (gotisch gistra dagis, altnordisch igaer)
den andern Tag, kann also auch fUr morgen stehen. Erst
später hat sich im Deutschen, Englischen und Niederländi-
schen der Gebrauch illr den Tergaogenen anderen Tag fest-
gesetzt.
schüu" Komplizierter ist der Bedeutungswandel in dpji beiden
und^ Adverbien, welche in einer bestimmten Hichtung den Uegen-
" ' satz zu einer frühem und einer spätem Zeit ausdrücken, in
den Adverbien ^schon* und »erst*. Schon'* im Sinne von
«nicht später" und ^erst* im Sinn<^ von , nicht früher*
scheinen uns sehr notwendige Zeitpartikeln zu sein und smd
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^aohon" und ,ent*.
128
doch neuere Schöpfungen der Sprache. „Schon" ist nachweis-
bar nichts anderes als das Adverbiuni von „ schön und hat
noch im Mittelhochdeutschen nicht die Bedeutung einer Zeit-
partikel; es heisst vielmehr so viel wie „auf schöne, ordent-
liche, richtige Weise" ; es liesse sich oft mit «richtig'' oder
„YoUst&ndig" Ubersetzen. KonTentionell wurde dann das
Wort ebenso wie «auch* in den Verbindungen ,ob schon'
»wenn schon" gebraucht, aber erst etwa seit Lutiier. Einen
leitlidieD Charakter erbSlt ««ehon* in Bilsen wie .er wird
schon kommen*, «es wird schon reichen* ; wobei jedoch die
bemhigende Yerdeherung, dass alles in schönster Ordnung
sein werde, noch mitverstanden wird. Erst wenn dieses
«scibon" auf eine yergangene Thatsache angewandt wird,
eiigibt sich die neurae Bedentang Ton ,nicht später*; «er
ist schon gekommen* hat also immer noch den Nebensinn:
er ist gekommen, wie es sich gehörte, ordentlich, iitr rieh«»
tigen Zeit. Etwas von der Urbedeutung «schön* steckt
auch noch in der leise ironischen Verwendung des Wortee;
«wir zahlen schon genug Steuern* erinnert znnAchst daran,
dass die schon Torhandenen auch ohne die künftig noch
drohenden genOgen, aber es werden daneben die nach der
Memung des Sprechers ttbermSssig hohen Steuern ironisch
«rechte* Steuern genannt, so dass man in demselbeii Sinne
sagen könnte: «Wir saUen schön Steuern, wir sahlen ordent-
lich Steuern*. Bei diesem Bedeutungswandel hat das Ad-
Terbium Ton „schön", welches ursprünglich einen ordent-
lichen Zustand der Buhe oder der Beruhigung ausdruckte,
allmählich die Stimmung der Ungeduld bekommen, welche
der Bedeutung , nicht später" zu Ghrunde liegt. «Wie heisst
er doch schon?" ebenso im franzosischen: comment donc
s'appelle-^ü döjä? (di giä, jam). Einen Accent der Un-
geduld oder der Beschwichtigung einer Ungeduld, je nach-
dem es Frage oder Antwort ist, wird man auch häufig
in der so schlichten Verwendung «schon gestern" finden.
.Warum ist er nicht schon gestern gekommen?* — «Er
ist schon gestern gekommen."
Parallel dazu geht der Gebrauch Ton «erst morgen*
124
y. Adverbien. — Raum und Zeit
dis hdast nioht firOlier aU iiioig«ii. Und dieses Adrerbium
«erst", welches uns jetzt so oasweifeUiaft den TeviB^eiehenden
Begriff .mclit froher* ins Bewusstsein hiingk, bedeatete
^xnerst* gensu das Oegenteil, nSmUch »froher". Es ist der
Superlstiy su einem Worte, welches vielleicht einst die frohe
Tagesieit bedeutete wie «Morgen*, welches im EompsmtiT
«eher* noch heute so Tiel wie froher heisst, welches denn
im SuperlatiT sunichst wirklich steigernd den ersten, frühe-
sten Tordersten Zeitmoment oder Gegenstand angab («erst
komme idi*), dann aber am häufigsten ein Ereignis be-
zeichnete, welches froher geschehen musste als das Hanpt-
ereignis. «Erst Kinder und dann Brot fOr sie zu schaffen.*
Wo möglich noch dnnflüliger wird die Bedeutung «frUher*
in SfttzMi wie: «Erst war er pOnkÜich, bald aber kam er
ins Bummeln.* Aus diesem «früher" wurde nun in neuerer
Zeit ein ebooso entschiedenes , nicht früher*. Der Gegensatz
kann nicht starker sein. „Er kann erst morgen kommen/
Diese Umkebrung des Sprachgebrauchs lässt tief in das
Wesen der Spraclie blicken. Wir erfahren es erst aus unserer
kritischen Logik, dass nicht der Gedanke durch das Wort
deutlich gemacht wird, sondern das immer schwankende Wort
durch den mitunter klaren Gedanken. Bei „ersV liegt die
Negation in der Vorstellung des Sprechers^ dass der Abge-
nommene Zeitmoment früher eingetreten sein müsse als das
Ereignis, auf welches der Accent gelegt wird, <hiss der
morgende Tag da sein raClsse , bevor er kommt , dass er
nicht frühi-r kommen kann. Wie sehr unsere beiden Ad-
verbien „schon" und .erst" nach der Stimmung des Sprechers
gewählt werden, kann man daraus ersehen, dass ihr Wert
nur aus dem Zustande der Erwartung zu erklären ist, wenn
z. B. ein Verliebter seine Geliebte erwartet, auf die Uhr
sieht und je nach der Zeit der Verabredung entweder un-
geduldig sagt „es ist srlmn ein Uhr" oder sich selbst be-
schwiclitij^'oiKl ist ti-t »in Uhr". Er hätte ebenso gut
mit geänderter iietonung sprechen oder mit geändertem Qc-
fOhle denken können „es ist ein Uhr". Was den Ausschlag
gibt, ist die Stunde der Verabredung. Die Stimmung der
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«adion* und ,ent*.
125
Ungeduld oder der Beschwichtigung war bei den Menschen
schon vorhanden, als diese Zeitadverbien noch nicht gebildet
waren. Das Französische drückt unser „erst" immer noch
durch eine Umschreibung aus, durch ne-que. Mitunter tritt
aber doiic dafür ein , allerdings nicht in dem abgeleiteten
negativen Sinne. Et moi donc! Und ich erst! Donc ist aber
das lateinische tunc , also eine Zeitpartikel, die reciit gut
unserem „früher' entspricht.
Zeitrerhältnisse , welche nicht so alltäglich sind, dass
sich zu ihrer Beseichnung Adverbien ausgebildet haben,
werden durch SabstantiTe der Zeit in Verbindung mit Prä-
positionen ausgedruckt. Zu Ostern, vor Osfearo, nsck Ostern.
Die seitHelie Bedeutung dieser Pritposifioiien ist durelians
jangem Datums, abgeleitet tob der filteren rftumlidien Be~
dentung. Doch selbst die Zeitbestinimung in diesen Sub-
stantnren ist immer sckon abgeleitet In dieser Beäehnng
ist die Geschichte unserer Worte fllr Tageszeiten und Jahres-
seiten ttberaus lebrreicfa. «Herbst* bedeutet im Oberdeut-
schen noch die Obst- oder Weinernte und wird etymologisch
mit xspsoc (Frucht) in Zusammenhang gebracht. Die Etymo-
logie Ton «Winter* ist ganz ungewiss; man weiss nicht ob
man das Wort mit Sturm, Sdmeestnrm, Wind oder weiss
in Zusammenhang bringen soll; das ist aber offenbar,
dass das Wort ilter ist als das Bewusstwerden einer regel-
missig wiederhehrenden Jahresseit. Sagt man nun im
Herbst, im Winter, so enqifinden wir heute noch, dass der
Zeitbegrüf rftumlich gefant wird wie etwa: in Norwegen,
in Sibirien.
Die Sprache kann keine Zeitbegriffe bilden; die Baum- „LHgt-
begriife mllssen im Nebenamte die Zeit bestimmen. Wir
werden noch sehen oder zu sehen glauben, warum das so
kam. JedesfaUs ist dieser Sprachgebrauch so alt und so
allgeniein, dass wir gar nicht das Gefühl einer Metapher
haben, wenn wir z. B. den Baumbegriff «lang* auf die Zeit
übertragen. Es ist auch längst keine Metapher mehr. An-
statt Beispiele zu häufen, die immer nur dasselbe lehren
würden, möchte ich auf ein aufschlussreiches Wort hin-
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126 ^- Adverbien. — Kauui und Zeit.
weisen, das den Rsumbegriff gleich sveimel «nf die Zwk
anwendet und so, man möchte fast sagen philosophisch, ein
starkes Bewusstsein Ton der Zeit ausdrackt, ohne dass dieser
Weg zum Bewusstsein kirne. Ich meine das Wort Lange-
weile. Lang druckt eine Dimenrion des Baumes ans und
darnach eine Dimension der Zeit. Es ist ein rektirer Be-
griff: was wir lang nennen, ist immer lang im YerhAltnisse
zu einer andwen Dimension. Weile empfindoi wir jetit
nur noch als einen Abschnitt der Zeit; es hingt aber wahr-
scheinlich mit altnordischen Worten filr Ruhe (hvild) zu-
sammen, etwa auch mit dem lateinischen quies und be-
seichnete urspilnglich den Ruhepunkt, die Baumsfcelle des
Ausruhens; hvila hdsst im Altnordischen ein Bett. Lange-
weile bedeutet also streng historisch genau dasjenige, was
es uns heute empfinden iSsst: einen Zeitpunkt des Aus-
mhens, der uns relativ lang erscheint. Das hflbsche Wort
ist eine spezifisch deutsche Erfindung. Wenn der Franzose
ennui sagt, was ziemlich gewiss ron dem lateinischen in
odio herkommti so denkt er unmittelbar an das Verdriess-
liche der Langeweile, nicht an die L&nge der Zeit,
.w«!!" Den metaphorische Uebergang eines Raumbegriffs Uber
den Zeitbegriff zum Ursachbegriff können wir an demselben
Worte Weile beobachten. Aus dem Akkusativ dieses Raum-
begrifis, der inzwischen längst zum Zeitbegriffe geworden
war, entstand das redensartliche die Weile oder dieweil,
welches endlich Nebensätze einleitete und so in dem Sinne
▼on „so lange als* zur Koi^unktion wurde. „Dieweil Mose
seine Hände empnrhielt, siegete Israel." Aus der Ver-
stärkung alldieweil hören wir den zeitlichen Sinn immer
noch heraus. Bei dieweil, wie wir es in altertümelnder
Sprache gern anwenden, ist die Metapher von der Zeit noch
nicht ganz verloren gegangen. Das abgekürzte weil wurde
nocli von Lessing und Schiller in zeitlichem Sinne gebraucht
(= als), heute ist es durchaus eine begründende Konjunktion
geworden.
In ähnlicher Weise entsfand flns begründende .denn".
Es war noch im Anfang des 18. Jahrhunderts im Sprach-
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Modi.
127
gebrauche dem zeitlichen „dann* vollkommen gleich. Die
Entstehung von dann ist zwar nicht vollkommen deutlich,
es ist aber doch wohl ein Kichtuugscasus von da und eine
Casusform des Demonstrativpronomens, des hinweisenden,
also orts weisenden da, jedesfalls ursprünglich räumlich. Dazu
sei noch bemerkt, dass z. B. unser entgegensetzendes den-
noch (frfllier ^bumodi) eimnal lätlich, noch frOlier also rilmii-
lieh war. üeberaU da war natQrlich eine noek sUrkere
Unbestimiiitiidt iHUirrad der XTebergangszeiten Torhauden.
Da wir auf dem Wege der Begriffe von ri¨ichen mmi.
SU den BegrUFen toh seitlichen Yoratellungen auch noch
den üebergang von den seitlichen sn kansalen und ver-
wandfeen Voratellnngen einmal in Betraeht gezogen haben,
M mu8s besonders darauf aufinerksam gemacht werden,
dass die Uebertngong der Zeitformen des Verbums anf die
Hodusbi^riffe der Möglichkeit u. a. w. nicht gans in das
Oebiet der Metaj^er fÜlt (s. B. si je pourais, anch
B. HL S. 72). Es ist ja richtig, dass nur die Gegenwert
uns wirklich ist, dass umgekehrt nur ein wirklicher Vor-
gang uns entweder gegenwttrtig scheint oder doch als Ver-
gangenheit oder Zukunft unmittelbar auf die Gegenwart
belogen wird. Es ist eine uneigentliche Verwendung, wenn
wir die Spraehformen der Zukunft ftr einen mSglichen Vor-
gang gebrauchen, wenn manche Sprachen namenilieh die
verneinten Bedingungen also die Ünmfiglichkeiten in Zeit-
formen der Vergangenhat ausdrucken. Man wird sogar an
lebhaft gestikulierenden Personen bemerken können (ich
machte die Beobachtung an galizischen Juden ) , dass sio
eine räumliche Metapher anwenden und sowohl Mäglichkeit
als Unmöglichkeit mit den Händen von der räumlichen
Gegenwart wegschieben. Die Möglichkeit, das „vielleicht'*
wird dadurch räumlich, da.ss zunächst die Schultern und
dann die HUnde nach oben fahren, gewissermnsf^en nach
einer möglichen Zukunft; die Ueberzeugang der Unmög^
Ucbkeit wird durch ein Abwinken, ein Beiseiteschlagen mit
der rechten Hand ausgedrückt. Wo aber solche Modus-
begriffe ihre bestimmten Formen auegebildet haben, wie
Digitizcü by ^(j^j-j.l'^
128
V. Adverbien. — Raum und Zeit.
besonders im LttleimsdieB und FnmiOsisciien, da haben
diese komplizieiien VorateUnngen eben Formen gefünden,
die niohi mehr metaphorisch sind. Wohl sind die alten
Zeitformen der Verben bentttst, aber sie smd auch lautlich
SU Mbdttsformen differensiert. Im Deutschen ist der Spraoh«
gebraueh darin schwankend, in Norddeutschland logischer
als in Sttddeutschland. Das Englische kennt besondere
Modnsformen so gut wie gar nicht.
Was dennoch an der Beofttsung der Zeitformen zu
Hodusformra metaphorisdi ist, insbesondere aber der meta-
phorische Gebrauch der Zeitadverbien als Eausslbegiüfe
ftthrt sofort su den leisten Fragen menschlicher IMwnntnis.
Ist derUrsachbegrUF, wie die konsequentesten Skeptiker ge*
lehrt haben, wiiUich nur in den Zeitbegttif hineingedacht,
wissen wir wirklich von den Erscheinungen nur, dass sie
nacheinander sind, nicht aber, dass die folgende durch die
vorhergehende ist, dann bandelt die Sprache weise daran,
den Grund nur durch Zeitadverbien auszudrücken, und am
allerweisesten der österreichische Sprachgebrauch, der mit
unbewusster Skepsis ,nachdeni'* rein kausal gebraucht.
Nicht nur der Realgrund, sogar der Erkenntnisgrund wird
in Oesterreich mit einem «nachdem" angekündigt. «Nach-
dem es geblitzt hat, ist ein Gewitter da." Hume könnte
zufrieden sein. Und man darf sagen, daas diese raum^de
Art, die sich scharfblickend aber unthätig mit der Kritik
begnügt, recht gut mit dem Charakter der Deutschester«
reicher zusammenstimmt.
Ort« Nicht so tiefgreifend, darum auch nicht so leicht mit
Zeltilnii '-7'''^'^^^ abzuthun ist die erste Metapher, die von den
Itaumbegriften zu den Zeitbegriffen tüiirt. Warum ist unsere
Welt, wie sie sich in unserer Sprache darstellt, so Üboraus
räumlich? Warum orientieren wir uns in dem dn i liiii. n-
sionalen liaume früher als in der eindimensionalen Zert?
Denn dies allein kann der Grund sriu, weshalb Zeitabschnitte
immer nur durch Raumabschnitte ausgesagt werden kouneu.
Warum ist der Kaum im menschlicheD Verstände früher
gewesen als die Zeit ?
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Ort- und Zeitsinn.
120
W«ü unser Sehorgan uns ▼on der Wirküdikeitewelt
reichere Daten suAllirt ak irgend ein anderes Sinnesorgan.
Weil unser Sehorgan nebenbei immer als Baumofgan dient.
Weil wir im Qdidr nicht in ebensolchem Masse nebenbd
ein Zeitoigan besitaen. Der Streit darObert ob unsere Augen
uns immittelhar BanmTorsiellungen in allen drei Dimensionen
(auch die Tiefendimenaionen) gew&kren, oder ob Baum-
yorateUnngen aus den Daten des Gesichts erst im Verstände
entstehen, ist ftr unsere Frage gans nebensichlich.
Für die wissenschafUiche Erkenntnis lisst sich die Zeit,
die längste und die kOneste, ebensogut bestimmen wie der
Baum. Anders fDr den schCchten MensdtenTerstand oder
fbr den Tierventand. Das Bennpferd, das Aber einen
Graben oder eine Hecke springt, der Sehfitse, der einen
Falken im Fluge trifft, legt seinen Muskelbewegungen Baum*
masse zu Grunde, denen sich in seiner unwillkürlichen
Schätzung der Zeit nichts auch nur ontfemt an die Seite
stellen lässt. Der Grund ist so ausserordentlich einfach.
Auf den Ortpunkt lässt sich mit dem Finger hinweisen,
auf den Zeitpunkt nicht Wir nehmen die Zeit mit keinem
Sinnesorgane wahr. Ich möchte unsere Wahrnehmung der
Zeit etwa mit der Ortswahmehmung vergleichen, die uns
das GehQr bietet, wenn wir es für Ortswahmehmungen nicht
beson^lers geschult haben. Wir hdren dann ungefähr einige
Unterschiede von Nähe und Ferne, ungefähr einen Unter-
schied der Richtung; nicht mehr. Und der tiefere Grund
hierfUi- ist wohl der, dass bei den Daten des Auges der
handgreiflichste Kaumsinn, der Tast- und Muskelsinn, wesent-
lich mitbeteiligt ist, bei den Daten des Gehörs nicht, wenig-
stens nicht nachwe{?:^;^r beim Menschen. Stellen wir uns
ein Gehörorgan vor, welches die Ohrmuschel durch Muskel-
hewf^rrungpn jedesinal so stellte, dass der Schall auf einen
Fleck des deutlichsten Hörens träte, em Grehörorgan, welches
ausserdem das innere Ohr der Entfernung des Schallerregers
accomodiei te , stellen wir uns ferner Einrichtungen vor,
welche bei jeileiii Hören beide Ohren in ihren iimem und
äussern Teilen koordinierten, dann hätten wir von den
Maathner, Beitrftge zu einer Kritik der Sprache. Q. %
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130
V. Adverbien. — Baiuu und Zeit
ObMB ebensolche Ortsangaben sa erwBTton wie jetst durch
unsere Augen. Soldie Ohren haben wir nicht Aber auch
solche Ohren wSren noch nicht Im stände« im Nebenamte
den Zeitsinn so su Tersorgen wie unsere Augen den Orts^
sinn Teraofgen. Und xwar aus einem Gnmde, der so wa^
reichend ist, dass man niemals anderswo bitte suchen sollen.
Bei der Orientierung im Baume kommt das Oedichtnis erst
in sweiter oder dritter Linie; Zeitrorstellungen werden erst
durch das Oedftehtnis aUein geschaffen. Dieser Grundunter-
schied zwischen Raum und Zeit ist noch niemals sur Auf-
hellung dieser Fragen benfllBt worden.
Zeit Als die Menschheit G^rechen lernte, war das Oedichtnis
sicherlich ausgebildet genug, um Erinnerungen zu ermög-
lichen und gewiss auch Erwartungen. Ob aber die Menschen
damals schon sich auf einem Grenxpunkte der eindimen-
sionalen Richtung zwischen Yei^tangenheit und Zukunft
stehend erapfandeut das scheint mir gar nicht so ausgemacht.
Unsere Kinder von zwei bis drei Jahren, welche sich in
den drei DimensionMi des Raumes wie alte Mathematiker
zurecht finden, können die einfachen Zeitbegriffe gestern
und morgen, Yogangenheit und Zukunft noch nicht an-
wenden, weil sie sie noch nicht fassen können. Ich habe
einmal einem sehr intelligenten Kinde von zwei Jahren und
acht Monaten den Unterschied von früher und später mit
den Ausdrücken hinten und vorn mit gutem Ergebnis deut-
lich j^emacht. Das Kind bildete nach ungezählten Jahr-
tausenden eine Metapher Avieder, welche wir in den Worten
Vergangenheit, Zukunft gar nicht mehr empfinden.
Der I^aum ist beim Sehen immer gegenwärtig. Für
den Raum hat das Gedächtnis keine andere Funktion . als
dass es uns (abgesehen von der kleinen Hilfe emer Oi initie-
run^ im Finstem) den abstrakten, den geometrischen Kaum
vorstellt II l'asst. Unsere isscnschaft vom ?>1istrakten Haume
Ware ohne Gedarlitui^ iii(}it möglich: für unsere Orientie-
rung im — ich mijchte sagen : — praktischen Räume genügen
unsere Augen in der Gogenwart. Das Instrument ist so
fein, dass Orte, deren Bilder auf der Netzhaut nur ^/looo
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Zeit o&d Ged&chtDU.
181
eines Millimeters voneiiiander entfernt liegen, noch deuÜich
unterschieden werden. So feine Zeiteinteilungen gibt es in
der abstrakten Wissenschaft ebenfalls. Feine Zeitunterschiede
empfindet das Gehör des Musikers, aber immer nur durch
ihre ästhetische Wirkung, nicht so unmittelbar , wie das
Auge die Kaumunterschiede.
Und wo die Augen versagen , da ist ja immer noch
der eigentlich raumschaflFende Sinn, der Tastsinn, vorhanden,
der die Raumumstände immer g^enwärtig macht, so un-
veruidert gegenwärtig, dass wir um einen Raum herum-
gehen und die Baumverhiltnisse der Dinge von allen Seiten
betrachten, ihre UnTerindezUchkeit prüfen können und so
vieUetcht erst dam gehagt dnd, nicht nur die Raum-
Teihaitnisse, sondern auch den abetrakten Raum Ar etwas
Wirkliches zu hatten, was dann auf die Zeit Übertragen
wurde.
Die TerhSltnismftssige Reafitit des abatrskten Raumes,
die ▼erhSltnisrnBasige Idealiüt der abstrakten Zeit Tenrftt
sich settsam darin, dass die letaten Konsequenzen aus dem
Zcitbcipnife, weil er ein leereres Wort war, firOher gezogen
wurden, als die aus dem Raumbegrifb. Unendlichkeit des
Raumes nämlich wurde zwar schon yon den alten Atcmdsti-
kem gelehrt, ist aber bis zur Stunde nicht ttbw den Schul-
streit ganz heraus. Noch Wundt hat einmal den Versuch
gemacht, die Begrenztheit des Raumes dem Yorstellungs-
▼ermOgen nahe zu hnngen. ünendlichkeit der Zeit jedoch,
die sogenannte Ewigkeit, ist ein uralter Begriff. Sprechen
wir formelhaft Ton Zeit und Ewigkeit, so wirkt dabei die
christlidie YorsteUung mit, weldie die Zeit als den be-
grenzten irdischen Zeitraum und die Ewigkeit eis die un-*
begrenzte himmlische Zeit auffasst. Nichts ist natOrlichMr,
als das Zögern der Menschheit, den Begriff des Raumes
ebenso grenzenlos auszudehnen. Glauben wir doch im
Himmel die Grenzen des Raumes zu sehen.
Ich möchte noch eine Bemerkung hinzufügen, nicht
über die Organe, aber über die Sitze des Zeit- und des
Ortssinns. Spencer stellt a priori die Hypothese auf und
182
VI. Das Zahlwort.
glaubt sie nachher durch zahlreiche Beobachtongen uoler-
stOtsen zu ktfimeii, dass bei Tieren und Menschen das
Kleinhirn ein Organ des Ortsinnes, das Grosshim dn Organ
des Zeiisinnes sei. Die Zeit ist hoffontlich nicht mehr fem,
wo man es aufgeben wird, in so wortabergliubiacher Art
die Lokalisation der wortgebildeten Denkprorinzen zu
suchen. Idi glaube, bei solchen Untersuchungen oft Men-
schen zu sehen, die miteinander Blinddmh spielen, aber
so, dass alle Mitspieler wirklich blind sind und jeder ein-
zelne in seinem eigenen abgeschlossenen Oarten umhertappt.
Man findet einander nicht Hätte aber Spencer nur ge-
sagt, dass die Qedächtnisarbeit (ich möchte gern bewusste
Gedftchtoisarbeit sagen) im Grosshim yor sich geht, dann
wäre M ja selbstrerst&ndlich, dass das Grosdiim unter
anderem auch der Sitz des Zeitsinnes ist, wie es der Sitz
des abstrakten Oitsinnes sein muss. Wenn das Kleinhirn
der Baubyögel eine ungewöhnlich starke Entwickelung zeigt
und so erklftrt, dass die Raubvögel Distanz und Flugnchtung
ihrer Beute ausserordentlich scharf zu erfassen TermÖgen,
so reicht dieses Kleinhirn dennoch nicht hin, den Pytha-
goreischen Lehrsatz begreifen zu lassen.
YI. Das Zahlwort
Ent- Wenige Ergebnisse der Etymologie scheinen so ge-
lehnoag giriert, wie die Gemeinsamkeit der „Wurzeln" in den Zahl-
wörtern der indoeuropäischen Sprachen; das dva und tri
in allen seinen Veränderungen zu verfolj?en . ist ein Stecken-
pferd der Sprachforscher. Wie aber, wenn die Ueberein-
stimiTiunj:f sich ^auz ohne Etymokigie einfacher erklären
Hesse, durch Entlehnung? Wie wenn die Völker, die hier
in Fraije kommen, die Zahlwörter als eine nützliche neue
Erfindung von einem rechenfrohen Volke geborgt liiitt« a?
Am Ende gar von einem nicht indoeuropäischeiir Wie
ihre ZiflTeru? Möglich wäre es schon, dass irgend einmal
die »Indo-Europäer" trotz ihrer Begabung noch nicht bis drei
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ZBUcn «UM Exflndniig.
ISS
zählen konnten, wie das ja heut noch von den Chiqiiito*
Indianern erzählt wird. Ja, nicht nur möglich wäre das.
Es ist gewiss, wenn wir ihre Kulturgeschichte nur weit
genug zurttckverfolgen, eben bis zu ihrer zahlenlosen Zeit.
Es ist also bei diesen Worten noch wichtiger als bei
den anderen, darauf hinzuweisen, dass auch Zahlwörter dem
Sprachschatz eines andern Volkes entnommen werden können
und häufig entnommen wnrdon sind. Man nimmt jetzt an,
dass die Hebräer ihre erstauuJirli ähnlichen Worte für sechs
und sieben (schesch und scheba) den Indogerjnanen, ihr
Wort ftlr acht den Aeirvptern entlehnt haben. Sehr häufig
wird in unserer Zeit beobachtet, dass unkultivierte Völker-
schaften ihre Zahlworte den europäischen Ein'lriiiLrhiigen
entlfhnen; als die Portugiesen ein mächtigeü V olk waren,
nahm ein brasilianischer Volksstamni portugiesische Zahl-
worte an, jetzt entnimmt man sie in der Südsee dem eng-
lischen Sprachschatz. Aber wir brauchen gar nicht so weit
zu gehen. In historischer Zeit haben wir das Wort Dutzend
aus einer roiiianischen Sprache entlehnt, in noch jUngerer
Zeit d»ju Bcgriii und das Wort Million.
Das letzte Beispiel macht es besonders klar, waruiu zahlen
Zahlworte von einem Volke zum andern hinüber wandern
konnten. Es wird diese Erscheinung am besten mit Wande-
rungen Ton andern Erfindungen und ihren Namen ver-
glidieii werden. Denn das Ztiüen ist eine Erfindung der
Menschen. Die Zahl isfc in der Natur nicht zu finden,
tKnoAem nnr Verhtitniaae, welche der menschUche Verstand
sich durch Zahlen begreiflich macht Nicht nur wie Mass-
«inheiieD (Heter) bei einem Volke erfunden wurden und
dann Über die ganie Erde wanderten, kdnnen wir uns die
ZaUsD Tontellen, sondem geradesu wie die Erfindung des
Wagens s. B., der wohl ursprOnglich eine Walze war und
bis auf die neuesten Sutsdifonnen sehr häufig absondere
liehe Namen erhalien hat, die dann mit der Wagenfcnrm
Aber die Volksgrenze hinauswaaderten. Auch das ZShlen
wurde nicht |^ch bis zu seiner heutigen Entwiekdung
fertig erfunden. Selbst mit Hilfe der Finger einer Hand
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184
YL Dm Zahlwort.
bis fihii m zUklen, so weit auch diese Kuust über die Erde
verbreitet ist, haben von selbst nicht alle ^'ölke^ gelernt. Es
gibt ja solche, die nur bis drei zählen können, und andere,
welche ihrem Zahlensystem nicht die Fünf zu Grunde gelegt
haben. Es gibt einen sehr geistreichen etymologischen Vor-
schlag, nach welchem «das den indogermanischen Sprachen
gemeinsame" Wort fllr acht als 2 x 4 erklart wird imd zwar
80, da» vier ehr» «eine Hand weniger eins* bectouten
würde. Es wird tiek niemab feeMeUen latten, ob dieeer
Einfall irgend etwas Richtiges enthalte. Er gibt aber un*
serer Vorstellung einen Ausgangspunkt Wir können be-
greifen, aof welchem Wege ein besonders ftlr das ZShlen
Yeraalagtes Volk dazu gelangen konnte. Aber fünf hinaus
ZaUbegriffe zu bilden. Solange es kein Wort fllr acht gab,
gab es auch nicht die Zahl adit. Wir kOnnen uns weiter
ganz gut Torstellen, wie im primitiTen HandeUrerkehr die
neuen Begriffe sechs bis zehn, wenn ein Volk sie eist ge-
bildet hatte, zum Nachbarrolke Obergingen. Notwendig
war dieser TJebergang, wenn ein Volk die AnAnge des
dekadischen Systems ausgebildet hatte und das Nachbar-
volk diese Erfindung für sich benfltMU wollte. In noch
froherer Zeit konnte so audi die Zahlengruppe eins bis
fünf als eine neue Erfindung mitsamt den Worten aufge*
nommen werden, wenn z. B. das kultiTiertere Volk bereits
mit den Fingern der Hände rechnete, das unkultiTiMiere
noch nicht. So sehen wir im lüttelalto' viele mathematische
Begriffe aus dem Arabischen direkt oder in TTebersetzungen
nach Europa kommen, weil die SorO|Aer z. B. den Sinus
durch die Araber kennen lernten. Warum soll ein solcher
Vorgang nicht auch in 'alterer Zeit stattgefunden haben, wo
die Erfindung eines FQnfersjstems mindestens ebenso epoche-
machend war, wie später die Erfindung der Trigonometrie?
Die geheimnisvollen BesonderheitMi der Zahlwörter sind,
wenn wir diesen Umstand nicht vergessen, nur fQr Mathe-
matiker Toihanden. Wer eine Zahl als Zahl anwendet, und
wäre er auch nur ein Heringsverkäufer, der seine Ware
mit Pfennigen rergleicht, der ist in diesem Augenblicke
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185
Mutliematiker, so gut wie ein Astronom, mit Differen-
tialeTi unH Logarithmen rechnet. Er ist ein Mathematiker
im Verhältnis zu den Chiquifco-Indianem , zu dem zahlen-
losen Kulturzustand der «Indo-Europäer" .
Banri al)er <^ibt es einen Rückweg, auf welchem der z»hi-
Spi achgebrauch ili* Zalilworte ganz unmathematisch als
allgemeine Merkmaie anwendet. Namentlich die runden jekuve.
Zahlen werden bei uns geni so gebraucht. Der Tauscndfuss
hat nicht 1000 Füsse, die Centifolie hat nicht 100 Blätter.
In noch seltsamerer Wei^c sagen wir den Orientalen nach:
tausend und cme Aaclit: ,Jahr und Tag" dagegen ist wieder
mathematisch, weil es ein Minimum bedeutet.
Wir erwachsenen Indo-Europ'aer unserer Zeit sind nicht
so unmathematisch bei niedem Zaklen. Bis zwei und drei
können wir schon zählen, auch unbewusst. Unsere kleinen
Kinder sind es, die «zwei* im SiimftTOn «vier gebramobeii,
weil gie eben votk mehi bis iwei itiilflii kUnneii — > ehr»
wie Chiqmto-Indianer. Aber auch uns kOnnen sich die
oiederrten Ordnimgflnhleii in A^jektire Terwandeln.
Sage ieh auf die Frage: ,Wie fahren Sie?* «Zweiter*
oder «Dritter?* — so danke ich auf keinen Fall an die
OrdnungSEBhL Entweder Terbinde ich mit dem Worte eine
Vorstellung dee F^reises oder — gewöhnlich » nur die Vor-
Stellung der Einrichtung; «Zweiter* heisst Bequ^nlichkeit
und PoktersitBe, «Dritter* heisst Hdzbank. Bei der Ber-
liner Stadtbahn, die nur swei Klassen eingefilhrt hat und
enf der nach der Aehnlichkeit des Gomforts dennoch Ton
einer sweiten und einer dritten Klasse gesprochen wird, ist
dieses YerhiUnis noch auffallender.
Diese Bemerkung seheint kleinlich. Aber sie ist wichtig,
wenn wir ans einem Bdspiel, das wir miterieben, deutlich
erkennen, dass ein Uebergang Tom Zahlwort su andern
Kategorien möglich ist und dass in alten Zeiten eben auch
Entlehnung oder Import von Zahlwörtern möglich war. Als
die Oase entdeckt wurden, schuf ein Holländer künstlich das
Wort daftür; und es wurde in alle Kultursprachen importiert
Kun war es doch auch eine Entdeckung oder Erfindung,
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136
VL Das ZaUwort.
als ein überaus genialer i\rriiheMi;itiker (ein Mann, der eiu
r)enkni;il verdient wie Newton) aiit den überaus fruchtbaren
Einfaii kam, Ein Schaf mebr als vier Schafe ^ftJnf Schafe
zu nennen. Er erfand fUr seine neue Weltanschauung
neue Worte, er stählte, er war der erste; er zählte viel-
leicht bis drei, bis acht, bis zwölf, wer weiss es. Er zählte
vieUeicht zuerst nicht Schafe, sondern sich und seine Fa-
milienmitglieder: obwohl (ernsthaft!) das Zählen von Schafeii
oder andern Eigcutuaiseinheiten dem mathematischen Genie
näher liegen mochte als das Zähleu von Kindern.
Konnten aber die Zahlwörter — als neue Erfindungen —
so leicht yon einem Volke auf das andere übergehen (wie
Ton den Melaaesiem glaubhaft berichtet wird, du» sie, die
ttbxigens neuenmgBsQchtig genug sind, um Sprachfehler der
EuropSer gm amniiehmeii, besonders Zahl- und FOrvOrier
TOD den Mabien entlelmt haben), so ist es sdilimm bestellt
um alle logischen Schlllsse, welche aus der Verwandtschaft
gerade dieser Wörter (und der FOrwOrter) auf Stammes-
yerwandtschafl der Sprachen leiten sollen. Fast ausschliess-
lich aus AehoUchkeit von Zahlwörtern sucht man die Ver-
wandtschaft der semitischen Sprachen mit den sogenannten
hamitischen su folgern. Ebenso gut könnte man aus dem
Vorkommen einer leeren Sardinenbflchse in der WOste
Sahara darauf schliessen, dass die Wflste einst Sardinen
gedeihen liess.
Ist die Entlehnbarkeit, die allgemein menschliche Brauch-
barkeit des Zahlworts noch atftrker als die andrer Bedeteüe,
so könnte msn daraus schliessen, dass die Unbestinmitiieit
seines grammatisehoi Sinnes weniger gross sei, dass das
Zahlwort der Wirklidikeitswelt besser entqiceche als Sub-
stantiv, Aii^ktiT und Verbum. Man glaubt es auch.
pjth». Dass der Zahlbegriff in seiner allgemeinen Bedeutung
suM. mir eijie leere Abstraktion ist und nicht der Wirklichkeit
angehört, dass das Wort Zahl z. B. in der Frage: „Wie gross
ist die Zahl der Einwohner dieser Stadt?" nichts weiter
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pyuuigoiM. 137
v-ill uml kann als die Aufnierksumkeit darauf richten, diö
Antwort in Ziüern zu suchen und zu finden, das ist von
selbst einleuchtend. Dass aber auch die einzelnen ganzen
Zahlen, 1, 2, 3 u. s. w. nicht der Wirklichkeit entsprechen,
sich in der Xntiir nicht finden, sondern nur Erfindungen
des raenschhehen Verstandes sind , das ist einer noch ge-
nauem Betrachtung wert, weil die Naturwissenschaften gegen-
wärtig wie vor dritthalb Jahrtausenden wieder geneigt sind,
die Zahl zum Urelemcnte der Naturvorgänge zu machen.
Besässeu wir eine Geschichte des menschlichen Verstandes
wie wir eine Geschichte der Dampfmaschine besitzen, so
würde sich Tielleicht eine lehrreiche Vergleichung zwischen
dem beatmen und dem alten ZahlenftlMnr|^anbai Tom^luaeQ
lassen. Da wir aber Ton der Vorgeschichte unseres Ver-
standes nieht viel mehr wissen als der erwachmde Henseh
Ton seinen Traumznstftnden im Mutterleibe, so kann ich
darüber, was F^agoras den Zahlen zuschrieb und was in
dem gleichen Sinne die heutigen Chemiker den Zahlen ni-
schreiben, nur Vermutungtti aufstellen.
Es trifft sich fttr diese Vermutungen nett, dass der
Name des alten Philosophen an den ttberaus wichtigen Pytha-
goreischen Lehrsata geknfipft ist Diese Verknüpfung be-
weist, dass I^rthagoras entweder selbst das interessante Ver-
hiltnis swischen den Dreieckseiten suerst bewiesen hat oder
dass er es doch war, der diese Entdeckung in Griechenland
bekannt msdite. JedesfaDs sdgt sie, dass Pjthagoras ein
Mathematiker war, bevor er aus den Zahlen eine Art Re-
ligion machte. "V^r stehen mit Fyiliagoras sichtbarlich in
einer Zeit, die vor Freude über die neuentdeekten Zahlen-
▼erhiltnisse in Mathematik und Oeometrie ausser sich ge-
raten war. Wir können etwas Ton dieser Freude heute
noch bei mathematisch Teranlagten Kindern beobachten,
wenn sie in der Schute zum erstenmale die erstaunlichen
Verhältnisse kennen lernen, in welche z. B. die teilbaren
Zahlen oder Hypotmuse und Katheten zu einander stehen.
Dass man aus der Sunmie der Ziffern sofort erkennen kann,
ob eine vielstellige Zahl durch 9 teilbar ist oder nicht, das
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138
VI. Das Zatüwort.
ist die Folge eines Verhiiltuisses , (ias in uiiserciii dekadi-
schen System begründet ist; die Entdeckung dieses Ver-
hältnisses macht dennoch Vergnügen. Das Verhältnis, wel-
ches im Pythagoreischen Lehrsatz ausgesprochen ist, mag
eine Folge des uns geläufigen, uns Ton den Zufallsinnen
gebotenen Raumsystems Min, seine Entdeckung musste den«
nodi ein« anflseiwdentKGlie Ihreude hwvoinifon. Bs war
oifeiibar, es gab io der Nator ZahlenTerhiltnisse.
Der Standpunkt der damaligen MatiMmUtik konnte diese
Verhiltniaee gar nicht anders ausdrucken als durch die Zahlen.
IKe Yerh<nisse schienen in den Zahlen selbst au liegen.
Die Zahlen sind Worte, scheinbar Worte wie andere Be-
griffsworte auch. So war es nur eine Aeussemng des uns
wohlbekannten Wortabor^ubens, wenn im ersten Rausche
mathematischer Entdeckerfreude den Zahlworten mystische
Eigenheiten beigelegt wurden.
Man nehme dasu den kindlichen Wortaberglauben der
WelterklSrungsTersuche, die sich damals Philosophie nannten.
Auch Anaximander und Thaies glaubten etwas dabei zu
denken, wenn sie das Unendliche oder das Wasser Ahr den
Ursprung aller Dinge erklärten. Ich neige Überdies zu der
Uebetzeugang, dass wir niemals werden erfahren können,
was die Philosophen vor Piaton sich bei den rereinselten
ScUagworten gedacht haben mögen, die Ton ihnen über-
liefert sind. Man stelle sich vor, Darwin Mtte nie eine
Zeile geschrieben. Wir erfuhren Uber ihn bloss was seine
EnkelschUler gelegentlich und irrtOmlich auf ihn zurflek-
fUhren, und es bliebe eines Tages von dem ganzen Lebens-
werke Darwins nichts übrig als das Schlagwort „der Mensch
stammt vom Affen ab* ; das einsige, was wir dann von ihm
wUssten, wäre etwas, was er nie gesagt hat. Nietzsches
Kritik der Notizensammlnng des Diogenes Laertiua ist nur
philologisch, darum nicht sachlich radikal
Mühsam können wir uns aus einigen solchen auf-
bewahrten Schlagworten nur die Gewissheit verschaffen,
Fjrthagoras habe gelehrt: 1. die Zahlen sind die Ursache
der Wirklichkeit, die wirklichen Dinge seien nur Nach-
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DetimaUgrikenL
m
ahmungen oder Symbole der Zahlen; 2. die Zahlen sprechen
mir Verhältnisse zur Einheit aus, es ist als(> die Eins der
Anfang oder der Ursprung aller Dinge; 3. da die Zahlen
älter sind als die Natur, da sie die Natur erst gemacht
babrn. so kann man die Natur und die Zukunft nur aus
den Elementen das ist den Zahlen erkennen ; Zalilunharmo-
nien verkünden eine günstige Chance (xaipoc), die Heilig-
keit der Zahl 10 z. B. verbürgt, dass es zehn bewegliche
Himmelskörper geben müsse u. s. w.
Der QUube an die Heiligkeit der Zehnzahl zwingt o«ii«nl*
mich zu einer Ideinen Abachweifong. Es spricht sich in *'*^'
diesem CHauben eine Freude ana Uber die vielleicht neu ent**
deckten SchUnhelteii des dekadiedien ZaUenflyatonu. Man
bat unbewusst die 10 zur Omndaahl eines Systems gemacht
und wundert sich nacbher darüber, daes sie die Gnmdsabl
ist Da ich docb diese Fragen mit der Entwidcelung der
Vernunft in Zusammenbang zu bringen rersuche, so mSchte
ich an dieser Stelle die Untersuchung unterbrechen und auf
den Unterschied swiscben Entdeckung und Erfindung in der
Zahlenwelt hinweisen. Ich hoffe, es wird höchstens ein
Umweg, aber kein Abweg werden. Die Geschichtsschreiber
des dekadischen Zahlensystems tftuschen sich nämlich meiner
Meinung nach iosofem, als sie ttberall da ein dekadisches
System annehmen, wo unBTÜisierte TOlker aus natOiüchen
Chrttnden nur bis zu sehn oder bis swanaig sikhlen gelernt
haben. Ebenso falsch ist es, flberall da Beate eines Zwaur
sigersystems zu eiblicken, wo wie im FransOsischein 80
durch 4 X 20 ausgedrückt wird, oder Spuren eines Zwdlfer-
sjstems da, wo Mehrfache von 12 einen ersten Abschluss der
Zählung abgeben, wie wieder im Französischen die Zilfor 60
innerhalb des ersten Hundert das letzte regelmässig ge-
bild^ Zahlwort ist und sich in dem Worte six-nngt ein
merkwürdiger Ausdruck für 120 findet. Alle diese reizen«
den Beispiele, die namentlich Ton Reisen dm unter den In-
dianerstibnmMi vermehrt worden sind, scheimu mir nur An*
aeichmi dsftlr zu sein, dass das dekadische System sehr
langsam m das Sprachbewusstsein der Völker eingedrungen
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140
VI. Das Zahlwort.
ist. Eiii bih zum Aeussersten durchgetuhrtcs dekadisches
System besitzen wir AbeiuUunder erst seit wenigen hundert
Jahren; nicht älter sind die Ausdrücke Billion, TrilHon u. s.w.
Wenn ein Volk seinen Groschen oder seinen Schilling in
zwölf Teile einteilt, so mag das auf eine Zeit zurückgehen,
in welcher die Zwölfzahl irgend «ine BoUe spielte; von
einem Zwölfersystem mau dabei nidil die Bede sein. So
weit z. B. die Griechen ihr Zahlensystem bewusst in Zahl-
worten ansgearbeiirt hatten, bis zu der Ziffer 10000 ntan-
lieh, war es ein dekadisches System. Dagegen kommt es,
je weniger wir die Entwickdungsgeschichte der Zahlworte
kamen, um so woiiger in Betracht, dass schon im Griechi-
schen wie ün Französischen das Zahlwort sechzig regel-
missiger gebildet war als die ZahlwQrter für 70, 80 und 90.
Auch im Deutschen wird die Zahl 00, die sonst ihre nnter^
geordnete Stelle im dekadischen System hat, zu einer runden
Zahl, sobald wir daflQr Schock sagm und nach Schock
zahlen. Bs ist offsnbar, dass das Scbodr schon im Orient
vielfach eine runde Zahl gewesen ist. In unserer Zeitp
rechnung mit ihren 2 x 12 Stunden, 00 Hinuten und 00 Se-
kunden, in uns^r Kreiseinteflung in 6 X 60 Grade sind
noch unTcrtilgte und scheinbar unvertilgbare Beste aus einer
Zeit Torhanden, in welcher die zwölf zum mindesten ebenso
heilig schien wie die zehn. An ein Zwtflfersystem ist da
aber so wenig zu denken wie an ein ausgebildetes Zehner^
System. Wir müssen es so scharf wie möglich feststellen,
dass jede Art TOn Svst^ni eine Erfindung ist, eine Erfindung
zur Erleichterung des Rechnens, w&hrend die Einsicht in
die ZahleoTerhältnisse auf Entdeckungen zurückzuführen ist.
Es würe z. B. auch in einem durchgefQhrten Zwölfersystem
die Zahl, welche wir 25 nennen und schreiben und die im
Zwölfersystem etwa 21 hiesse, nach wie Tor das Fünffache
Ton 6 oder 5'; nur die Zählung wäre eine andere. Wir
müssen uns nur klar machen, dass die Menschen, wenn sie
wirklich an den zehn Fingern ihrer Hände zählen gelernt
haben, damit noch nicht das dekadische System erfanden,
so wie es jetzt jeder Schu^unge lernen muss* Für uns ist
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Oktafeaqystein.
Ul
aber nur wichtig, dass es erfunden wurde. Bine Er-
findung kann nie ein BUd der WiiklielikeitsweU seio.
Die dekadische Mili1«ng kann niehl der WIrUiehkeii ent-
sprechen. Wir werden bald sehen, oh die Zfthlung über-
houpii ohne Systom« wirklich sein kann.
Wenn die Natur, die sich um die mensdiliehe Sprache oktowm-
so wenig hekOnunert wie eine Pappel um den Pythagorei** vm*»-
sehen Lehrsats, mit dessen Hüfe wir ihren NutiholEwert
berechnoa, wenn die Katur sich im Menschen oilwickdt
hUte n vier Fingern an jeder Hand, so hitten wir ein
Oktavensystem anstatt eines Deomalsystems. Unsere Vier-
undsechsig hiesse hundert und wflrde mit swei Nullen
geschrieben, ffinige ewige Wahrheiten des Deaimalwesens
würden wunderlidi auasehen. Aber alles wflrde stimmen,
wenn nur die Nullen au der richtigen Stelle aSssen. So
wttrde auch die Spradie ni jeder anderai natOriichen Ent-
wickehmg passen, wenn nur die Nullen richtig wftren. Demi
der Tiefsinn der Sprache ist ihre NulUtIt. Man muss er-
kennen, dass die Worte wertlos geworden sind. Was uns
wert ist, fühlen wir darum worÜos am besten. Daa ist
kein Woiispiel, es ist vieltnehr eine reine Tautologie. A ist
nicht B, B ist nicht A. Im wirklichen Wortspiel ist der
Geist wahnsinnig geworden. Er nimmt die Worte zwar
richtig für das was sie sind, für mathematiBche Funktionen,
vergisst aber wie nur ein wahnsinnig gewordener Mathe-
matiker ihre Bedeutung in der Torliegenden Aufgabe, setzt
eine Fonnel aus Buchstaben Ton Tmrgestem und von heute
zusammen und kommt so zu den vollkomraen Tertrtrttelten
Sätzen geistreicher Schriftsteller. Z. B. die Menschen sind
die Gedanken der Erde (Börne). Ebenso sinnlos wie geist-
reich.
Das Zäklsystem der Menschheit, wenn die Menschen
rier Finger an jeder Hnnd und vier Zehen an jedem Fuss
hätten, denkt man so: man zählt 1, 2, 3. 4. Die 4 hätte
dann die Stellung unserer jetzigen 5. Weiter 5, 6, 7, 8.
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142
VL Das Zahlwort.
Die 8 aber würde als die höhere Einheit 10 geschrieben.
Da 8 (2 X 4) die höhere Einheit wäre, so würde ihr dop-
peltos (16 =: 2 X 8) nicht anders geschrieben werden können
als 20, ihr dreifaches (24 = 3 X 8) nicht andera als 80,
ihre Potenz (64 = 8 X 8) nicht andera als 100.
Es wiederholt sich heim Zthlenlernen der Menschheit
fibrigens die uralte Frage, wie denn die Menschen ohne den
Besits der Sprache sprechen lernen konnten. Konnten die
Menschen schon bis sehn zShlen, als sie ihre Finger dasn
gehranchten, so hatten sie das Odilen nicht an den Fingern
gelernt und die Sntstehnng des Dekadensystems macht neue
Schwierigfceiton; hatten sie aber keinen BegriflP Ton Zahlen,
dann ist wieder nicht einzusehen, wie sie gerade durch den
Anblick der Finger auf die Idee des Zählens gekommen
sein sollen.
Der nächstliegende Weg aus diesem Dilemma heraus-
ankommen ist f&r uns die geläufige Vorstellung, dsss das
Zählen sich unendlich langsam entwickelt habe, wie die
Organismen und ihre Nerroi, wie die menschliche Kultur,
wie der menschliche Verstand. Es ist darauf schon (yergL
B. n. S. 668) hingewiesen worden. Für alle andern ^t-
wudcelungsreihen ist der Anfangspunkt, der Keim, unauf-
findbar. Der Anfangspunkt des Zählens war aber scheinbar
in der Natur gegeben , sobald ein Mensch dazu gelangte,
die Individuen, Menschen, Tiere, Pflanzen oder Steine als
Einheiten aufzufassen. Gi l t es in der Natur die Einheit,
so ist zwar immer noch kein Zahlensystem natürhch, wohl
aber das Zählen überhaupt.
Einheits- Mit dem Begriffe der Einheit wird gerade in seinem
be«rur. abstraktesten Gebrauche ein ai^er Missbrauch getrieben;
und weil in der Gemeinsprache der abstrakte Begriff der
Einheit und der ebenfalls auf Umwegen entstandene Begriff
der Einzahl sich vermischen, so geht der Missbrauch bis
in die Umgangssprache hinüber. Die Copiila „ist" heisst
so viel wie «ist einerlei mit*. Dieser Sinn umfasst zwei
EinbeiUb^iff.
148
grosse Gruppen, diA neh ung^fllir mit «ist Sdonincli mit*
imd .ist enihaltea in* ftwdrOckeii Hessen; die Algebn der
Logik snh aieh darum genötigt, dieee simple Oopnla durch
ein Doppeiseichen fifar beide Bedeutungen der Sinerleiheit
in erselMn. Da« Zeichen bdaBt sowohl «ist einerlei
mit* als .ist enthalten in*; es bedeutet aber in Wahrheit
daneben auch bald die TfiUige Identitit, bald die nuancierte
Einerleiheit, bald die logiMshe Einheit unter einem Ober-
heipnS* Alle diese Einheüsbedeutongen sind aber auch in
dem berühmten Satie A = A oder A s^ A enthalten, der
so schön als das leerste Symbol der Tautologie an der Spitse
dflor Logik steht Han kann ans diesem Satie der Identitit
oder der Einheit ebenso wenig iigend etwas enchliessen,
wie man aus der Einheit allein ohne die erste wirkliche
Zahl, die Zwei, irgendwie die einfachste Rechnung bitte
hervorgehen lassen können.
Die Verworrenheit des Einheitsbegnfis ist wichtig Ar
die Psyehohigie, weil man da gern Ton der Einheit des Be-
wusstseinB redet, wo doch nur der einhdtüche Augenblick
im indiTiduellen Gedichtuisse die Einheit herstellt oder den
Schein der Einheit erzeugt, anderseits von der Vielheit der
psychologischen Begriffe redet, wo es doch offenbar im
mensdilichen Denken eine unterscheidbare Vielheit nicht
gibt. «Die in den philosophischen Betrachtungen Uber den
Geist gebräuchlichen Einteilungen können nur oberflächlich
richtig sein. Instinkt, Vernunft, Wahrnehmung, Vorstellung,
Gedächtnis, Einbildung, Wille u. s. w. müssen entweder
ma als konventioneUe Gruppierungen dnr Zusammenhänge
selbst oder als einielne Abteilungen der Thätigkeiten, welche
tm Hersiellang der Zusammenhänge dienen, betrachtet
werden" (Spencer, Psychologie I S. 404). In diesem Sinne
ist unser Denken för uns eine Einheit wie ein Baum mit
Krone, Stamm und Wurzelwerk für uns eine Einheit ist,
auf deren Teile wir Avohl wechsehid unsere Aufmerksam-
keit richten können , deren Teile wir aber nicht ablösen
können, wenn sie noch Teile des Ganzen bleiben sollen. In
einem andern Sinne dürfen wir aber nicht von einer Ein-
144
VI. Daa Zablwoi-t.
heS/k der Seele oder dae Bewimlaeuu redot, weil i. B. durch
narkotisclie Uütel oder durch Krankheit guue Qnipp«i ver»
niehtet werden kOnaeii, der individuelle TrSger des Bewnesl-
eelns eich selbet noch mit dem frohem Heneehen identi-
fiziert, während der ohjektive Zuschauer ein anderes hsk vor
sich sieht (vergl. auch I. 608).
War der Emheitsbegiiff jedoch erst einmal da, so
kennen wir uns recht gut ausmalen wie geringe Mehrheiten
aUmlhlich mit einem Blicke Übersehen und untenchieden
werden konnten* So hatten wir als Kinder, hevor wir ordent-
lich zählen konnten, die Dreizahl im Gefühl und im OiüF
und zählten unsere Bohnen nach »Würfen' 8), die wir
mit grosser IScherheit zu fassen wuseten. Versetzen wir
uns zu unserer Bequemlichkeit in irgend eme weit fort-
geschrittene Urzeit, in welcher ein Tertoltnismtesig sehr
EiTiliaertes Volk bereits bis 4 zählen konnte.
Eine Entdeckung war es, dasa die 4 auf zwei ver-
schiedene Arten entstehen konnte, indem man nlmEch ent-
weder drei Einheiten zur ersten Einheit hinsufttgte oder
indem man zwei Häufchen zu je zwei zusammenstellte. Da-
mit war das überaus wichtige Zahlenverkältnis 2x2 = 4
entdeckt. Hätte sich nun ein Sprachgenie gefunden, welches
die Zahl 4 sprachlich als 2 X 2 ausdrückte, so wie wir die
Zahl 20 ^zwanzig* nennen das heisst 2 x 10, so wäre eine
drollige Erfindung gemacht, so wäre der Zahlenschatz auf
ein hilfloses Zweiersjstem zurückgeführt worden. Zahlreiche
Spuren in der Geschichte der Zahlworte weisen darauf hin,
dass mit Hilfe solcher rechnerischer Erfindunpren der Zahlen-
schatz sich überaus langsam entwickelt hat. Die 1 als ur-
älteste Zahl hat heute noch in vielen Sprachen adjektivi-
schen Charakter; die Gruppe 1 bis 4 deutet auf ihre Ent-
stehung ohne System hin, weil sie vielfach deklinierbar war,
die Gruppe 1 bis 3 im Deutschen noch vor kurzei Zeit;
verwandten sprachlichen Bau zeigen dann wieder nachein-
ander die Gru])pen l bis 5, 1 bis 0, 1 bis 10, 1 bis 12,
1 bis 20, T bis 60.
Gehen wir nun mit einem grossen Sprung von einer
._^ kj o^ -o i.y Google
145
solchen grauen Urzeit zu der des Pythaßfora^ über. Die
raathematisclien und j^^i omotriseheii EnUieckuagen, die nur
die Zahlenverhiiltjii^st brtiafen, waren reich gediehen; die
Erfindungen iuif dem Gebiete des dekadischen Systems
waren diesen Entdei kun^^ni niclit gefolgt.
Nun werden wir scLit»n besser begreifen, wie die Philo- *X«-4
Sophie in ihrer Kindheit die neuentdeckten geh eimnis vollen
Zfthlenverliältjiisse als weltbauende Ki atte aulliiü.seii konnte,
Su kann ich es mir recht gut vorstellen , dass jenes Volk,
das nur bis 4 zahlen konnte, als es das Verhältnis 2 >c 2 — 4
entdeckte, den graden Zahlen 2 und 4 eine höhere Ver-
ehrung schenkte als der ungraden 3 und dass es das Ge-
heimnis 2 X 2 sss 4 einer besonderu ^^chen Kraft zu-
schrieb. Möglicherweise hat die mystiBdie Vienahl damals
aaek Kmikhdfteii heilen mteen. in weift reidierar imd
inteFeflsanterer FoUe sah ^äiagoras nenentdeckfce maihe-
matische und geometrisohe YerhSlinlsse vor sich. Diew
VerhSltnisse hatten keine ErkUning, sie mnesten Uisachen
ihrer sdbsli seht, und waren ne erst einmal ürsaeken oder
Krifte, so konnte man ihnen auch andere Wirkungen an-
schreiben. Es scheint« dass f^thagoras aberglftubische Vor-
stellungen Ton der Wirkmig der kindisch-mjstbchen Zahlen-
quadrate hatte. Sein vielbewunderter Hauptgedanke aber
war: in der Flucht der Erscheinungswelt sind die Zahlen-
▼eihiltniese die bleibenden Pole, es mllssen also die Zahlen-
TeihftlftnisBe die Ursachen der WiiUichkeitswelt sein. Und
weil er die Verhiltniase mit den Zahlen Terwechselto, weil
er nicht wusste, dass es in der Natur doch höchstens Ver-
hiltnisse und keine Zahlen gibt, darum machte er die Zahlen
oder die Zahlworte zu den XTisachen der WirUidikeit.
Zahlen lassen sich schwer mit irgend welchen andern Er-
acheinungen vergleichen. Und doch ist es noch nicht lange
her, dass auf dem Gebiete df > M tirretismus und der Mddiri-
cttftt mehr Entdeckungen als Erfindungen gemacht worden
waren und dass diese Erscheinungen darum zu Ursachen
unerklärter Wirklichkeiten gemacht worden sind. Auf die
Zahlen angewandt: Pythagoras sah noch Harmonien in
Manbliii«r. B«ltrtge sa einer Krttik der Spraolie. m. 10
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VI. Dm Zahlwort
Zahlenverhäitnissen , die nur Korrelate des Systems sind.
Für uns nm die Frage bedeutungsvoll, ob die Zahlen-
verkältnis^'. olmp System, oh die Verhältnisse, die sich aus
dem blossen Abzählen <it r Einheiten ergeben, wirklich sind
oder nicht? Oh der (il Alenibei-t, Disc. prel ), der sagt
2 -|- 2 = 4, irgend et^vas mehr weiss als der, der sich be-
gnügt zu saj^en 2 -f 2 ist 2 -f- 2? Ob nicht rix usu die
geometrischen Axiome nur verschiedene Standpunkte zu einer
und der^t'iben Vorstellung sind? D'Alenibtrt fugt hinzu (und
Goethe hat sich das Wort zu eigen gemacht): Nous devons.
comme Tont ubservt^ quelquti. Philosophes, bien des erreurs
ä Tabus des mots; c'est peut 6tre ä ce m^me abus que nous
devons les axiomes.
Z*W«i Bei keinem Kedet«il scheint es so einleuchtend wie
wirlüicb. ^^^^ Zahlwort, dass die sprachliche Bezeichnung der Wirk-
lichkeitswelt entspreche. Je mehr die moderne Naturwissen-
schaft mathematisch geworden ist, je mehr sie Siimesem-
drUeke wie Tone und Farben, je mehr sie ehemiscfae Er-
sdieinungen auf ZahlenTerhiltnisse nirttckfÜhrt, desto mehr
will es Schemen, ab ob die Lehre des alten Pythagoraa
wieder zu Ehren hommen solle, dass nSmlich die Harmonie
des Weltalls wie die der Musik auf ZahlenTerhXUaiisse ge-
grQndet sei. Wie aber wenn «Zahlen* an sich schon Ver-
hältnisse wiren, das Wort ZahleuTerhlltnis also ein Über^
flnssiger PleonasmusP Dann wOrde die Ansicht der alten
und der neuen Pythagoreer nur noch deutlidier lum Aus-
druck kommen: dass nftmlieh das innerste Wesen der Welt
aus Zahloi bestehe, dass — modern ausgedruckt — das
Ding-an-sich die Zahl sei. Ich weiss nicht ob diese Hypo-
these schon einmal mit so dOrren Worten ausgesprochen wor-
den ist, aber sie liegt unserer Physik und Cbemie an Chrunde.
Dem gegenüber machte ich die Frage aufwerfen, ob
es für uns ttberhaupt Torstellbar sei, Zahlen in den Dingen
selbst anzunehmen, Zahlen anderswo ansunehmen als in
unserem Menschenkopf? Wenn in meinem Oarten zehn Birn-
bäume stehen, so firage ich: Wo in aller Welt kann die
Zahl zehn stecken als in meinem Kopfe? Ich meine damit
._^ kj i^ -o i.y Google
147
nicht bloss, dass die Birnbäume von ihrer Zahl nichts wissen,
sondern dass die Zahl mit ihrer Existenz, mit den Ursachen
und den Folgen ihrer Existenz nie und nimmer etwas zu
Schäften haben kann. Wenn zehn Birnhäunie mehr Nahrung
aus dem Boden saugen und mohr Früchte tragen als fünf
Birnbäume, so ist dieses Verhältnis nur in meinem Ko})fe
vorhanden; in der Wirklichkeitswelt gibt es diu* den Stofi-
wechsel und die Fruchtbildung. Die Zehnzahl ist nicht in
den Birnbäumen, nicht in einem einzigen und nicht in allen.
Sie ist ein Verhältnis, durch welches ich memen Schaden
oder Nutzen bequemer übersehen kann.
Aber auch in der Physik und Chemie, wo die Zahlen
eine ganz andere wissenschaftliche Bedeutung haben, scheint
mir der Gedanke nicht vorstellbar zu sein, dass die Zahlen
wirklich wären. Wenn eine bestimmte Anzahl von Schwin-
gungen einen bestimmten Ton oder eine bestimmte Farbe
erzeugt, so ist wohl das Verhältnis der Schwingungen vor-
handen, das Verhältnis zur Zeit, aber nicht ihre Zahl. Genau
so wie eine grössere Anzahl von Birnbäumen einen anderen
Erfolg hat als eine geringere, hat aucli eine grössere Zahl
TOD Schwingungen einen anderen Erfolg als eine geringere.
Und das viel regefanftssiger. Aber die Regelmässigkeit be-
weist nichts ftlr die Wirklichkeit der Zahlen; wäre der
Pflanzenwuchs so einfadi wie die Schwingungen einer Saite,
bSten Sonne, Feuchtigkeit, Wind, Insekten u. s. w. nicht
tansend Komplikationen, auch der Erfolg der Birnbäume
wäre regebnissig nach ihrer Zahl, nnd die Zahl wäre danim
dennoch nicht wirUieh. Eboiso scheint mir dttr Gedanke
nnTorsteUbar, dass die Zahlen wirklich seien, in deren Yer-
häUttis sich die Atome zu Molekfllen vereinigen sollen. Die
Begelmissigkeit mag noch genauer sein als in der Optik
und Akustik; die Wirklichkeit ist damit nicht bewiesen.
Hag die Anordnung von sechs Atomen za gewissen Mole-
kOlen so notwendig sein, wie die Stellungen nnd Bewegungen
von acht Personen au gewissen Tänzen, so ist die Sechs-
zahl der Atome darum so wenig in der Wirklichkeit wie
die Achtzahl der Tänzer. Beim Tanxe wird man es mir
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148
VI. Dm Zahlwort
zugeben. Die Achtzahl isi weder in einem der Tänzer noch
in ihnen allen, noch im Tanze, noch im Tanzsaal, sondern
einzig und allein in den Köpfen. So ist die Sechszahl der
Atome weder in einem von ihnen, noch im Molekül, noch
im Räume, noch in der Zeit, sondern nur im Kopfe des
Chemikers, der sich seine Sechszahl übrij^ens auch thatsäch-
li('h nicht vorstellen kann. Das chemische Kekul^sche Sechs-
eck ist eingcstandenerniassen eine bildliche Ausdnu'ksweise
für eine unvorstellbare Wirklichkeit, eine Meta|>her. Man
hat sich in der Physik nur noch nicht darauf besonnen, dass
auch die Zahlen der Schwingungen Metaphern sein mögen
für einen Vorgang, den wir niclit beschreiben können.
"Wir wissen von der Wirkiichk if nur, dass in ihr neben
andern Verhältnissen auch Einheitsverhaltnisse bestehen. Die
einzig wirklichen Verhältnisse waren vor den Zahlen da.
mit deren Hilfe wir sie messen, wie die VerliUltnisse noch
nicht gemessener Räume doch schon da smd. Es gibt
auf der Welt eben so viele Schafsköpfe wie SchafsherTien ;
und auf jeden Schafskopf kommen vier SchafsfUsse. Dieses
letztere Verhältnis ist aber nicht mehr ganz der Natur
entsprechend ausgedrückt; die Natur kann nicht zählen,
nicht bis zu Tier. Die Natur kennt nnr die „Einheit"
nnd darum ini sie sich nie. Sie liefert zu jedem Schafe-
heraen den nötigen Schafskopf und nur darum Hefert sie
▼on beiden die gleiche Zahl» Aber sie weiss nidit wie viele
Schafskopfe und Schaftheraen es gibt. Sie weiss es nicht
nur nicht, die Anzahl ist auch in der Natur nicht vorhanden,
auch nicht einmal stillschweigend, nicht einmal unbewusst
Es gibt keine Zahl ausser im Henachenkopfe. ünd auch
da ist die Zahl erst durch die Sprache entotanden. Denn
minder entwickelte Volker kennen ebenfalls nur Einheits-
Terhftltnisse, nicht aber Zahlen. Es gibt «wilde* YOlker-
schaften, bei denen man z. B. die Zahl der drohenden Feinde
noch in natOrlicher Weise angibt Da diese Leute nicht
zählen gelernt haben und die sie interessierende Gefahr
dennoch im Verhältnis steht zu der Anzahl der Feinde, so
verständigen sie sidi mit ihren Bundesgenossen, wie die
Zahlen iiowirklich.
149
Natur es macht, wenn eie hundert Schafen hundert Köpfe
SU geben hat Sie giht jedem den aeinigeii. tfnd sie kann
sich nicht inen, weü sie eben keine Zahl kennt» Hat also
unsere wilde Völkerschaft die Feinde erschlagen, so schickt
sie s. B. ihre abgehauenen Köpfe oder rechten Hände oder
ihre Nasen an ihre Freunde und wenn der Feinde siebaehn
waren, so werden siebzehn Köpfe oder H&nde oder Nasen
eintreffen. Weder die Sieger noch ihre Freunde werden Uber
das Yerhältnis im Zweifel sein, obwohl sie für die Zahl sieb-
zehn keine Ziffer und kein Wort haben. Genau so wie die
Zahl siebzehn auch bei den Feinden nicht wirklich war. Und
vor dem Kampfe werden die Angegriffenen siebaehn Steineben
oder Muscheln an ihre Freunde schicken, wenn sie Hilfe be-
dürfen. Auf jeden Feind ein Steinchen oder eine Muschel.
Wenn ich nun wie den andern Kedeteüen auch dem
Zahlworte die Bedeutung abspreche, ein sprachlicher Aus-
druck fOr Kategorien der Wirklichkeit ku sein, so kann man
mir auf Grund dieser meiner Darstellung entgegenhalten:
Die Zahl müsse durchaus genau der Wirklichkeit entsprechen,
wenn sie auch nur das Verhältnis der Einheiten (wie bei
den Schafsköpfen und Schafsherzen) zur Grundlage habe;
denn c«? k:ime ja doch nur in den Zahlworten unserer Sprache
zu unserem Bewusstsein, was in der Natur uubewusst aber
wirklich sei, wie die Zahl cU-r Biinbiiunic in meinem Garten.
Diesem naheliegenden Einwand sollte aber schon vorhin
entgegengetreten werden mit den Worten, es bandle sich
nicht bloss darum, dass div Birnbäume selbst ihre Zahl
nicht wissen. Wieder sind wir bei dem Punkte angekommen,
wo die Darstellung unseres Gedankens an den Grenzen der
Sprache sclieitert. Weil wir die Wirkung einer Kraft nicht
anders als durch Zahlen ausdrücken können, darum verlegen
wir die Zahl auch noch in die unbewussten Dinge hinein.
Wir sagen: Gut, das Bewusstsein der Zehnzahl der Birn-
bäume mag allein in meinem Kopfe sein; aber was dieser
Zehnziiiil in der Wirklichkeit entspricht, das ist auch in der
Natur, ihr unbewusst, dieselbe Anzahl. Nein, antworteich;
schon der uubestimmte Begriff Anzahl ist sprachlicher Art.
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150
VI. Das Zahlwort.
raet»-
Die Natur sShlt weder bewusst noch unbewusfli. Nur soviel
kann lugestanden werden, dass das terfcium comparatioius
iwiechen der Zahlenmetapher und den Eiiften der Wirk-
liebkeit, dass der Yergleicbungspunki zwischen beiden, den
wir nicht kennen, besser gewählt ist als z. B. der Ver-
gleichnngspunkt zwischen dem Bedeteil SubstantiT und der
Wirklichkeitskategorie des Dings. Wir kommen za dieser
Vermutung, weü die matiiematischen Operationen mit Zahlen
nicht so leidit zur Sinnlosigkeit fuhren wie die logischen
Operationen mit anderen Bedeteilen. Was freilich daher
kommen kann, dass andere Worte schlechte Bilder der
Wirklichkeitserinnerungen sind, Zahlworte aber ganz un-
wirklich, einzig und allein gute Bilder ihrer selbst. Aber
die Geschichte der Zahlwörter wird uns doch auf einige
Störungen in der Metapher dieses Bedeteils aufmerksam
machen.
zahlen Vor allem dürfen wir nicht rogessen, dass unsere Zahl-
wörter höchst wahrscheinlich genau so entstanden sind, wie
die Wilden ihre Feinde zählten, wie der Wirt die Zahl der
getrunkenen Seidel mit Strichen ankreidet, wie auf Würfeln
und Spielkarten die ZifPern durch die Anzahl der Zeichen
oder Punkte angetreben werden. Freilich zählt der Karten-
spieler nicht ab, ob die Karte in seiner Hand acht oder
zehn Herzen zeigt. Die Gewohnheit hat seinen Blick dazu
gebracht, ilas Bild des Achters oder des Zehners sofort zu
erkennen, als ob es eine ZiftVr wäre. Die Anordnung ist
ein Bild, ist Schriftsprache. Ebenso sind auch unsere Zahl-
wörter Bilder, die wir uns anzuwenden durch Jahrtausende
so gewöhnt haben, dass wir zu zählen glauben. In Wirk-
lichkeit aber steckt hinter ihnen ein' Vergleichen der Ein-
heiten, nicht ein Zählen.
Ein Reisender berichtet, wie die Grönländer das Ver-
ständnis für ihre Zahlwörter dadurch erleichtern, dass sie
Hände und Füsse zu Hilfe nehmen. Die Hände haben zwei-
mal fünf Finger, die Füsse eben so viele Zehen, ein .ganzer
Mensch" gelangt also mit seinen vier Extremitäten bis zum
Bilde für zwanzig Einheiten. Nun zeigen die Grönländer
Ly Google
Zahlen metaphorisch.
151
htim Spnclwii Fingtr and Zelten tot, von denen jeder and
jede iliren bestimmten Nunen hat and einem Zablworte
entepiidit. Was Uber swansig ist, sdieint ilmen one on-
Uare hohe Zi£Eer ni sein. Aber hundert kdnnen sie durch
das Bild »lllnf Menschen* anadrttcken. Was bei den QrSn-
lindem wie ünknltar erscheint, das findet sich auch in der
jungem Po^e der bider. Es gibt da Lehrgedichte aus
dem &. Jahrhundert nach Christi, in denen symbolische Zahl-
worte gebraucht werden. Es thut nichts, dass die Symbole
auf falschen Beobachtungen beruhen. Uebersetze ich die
Beispiele in unser Denken, so würde die Zahl 4 auch „Mond"
heissen können, weil er vier verschiedene Phasen zeigt, die
Zahl 5 .Apfeiblfite', weil sie ftlnf Blätter enth'alt u. s. w.
Es kann kaum einem Zweifel unterliegen, dass die niedersten
Zahlnamen auf dies^em Wege entstunden sind. In wie alte
Zeiten diese Sprachschöpfung zurückreicht, ob die Aehn-
lichkeit der niedersten Zahlwörter (bei tausend, mille, x^^^^
hört die Aehnlichkeit bekanntlich auf) auf sogenannter
Verwandtschaft oder Entlehnung beruht, dartlber wurde
schon gesprochen. Wir können nur annehmen, dass in
vorhistorischer Zeit bereits die Bedeutung dieser Worte sich
differenzierte, dass z. B. „Hand'' (mit oder ohne Lautwandel)
insbesondere fünf hiess und so der neue Kedeteil, das Zahl-
wort, entstand. Ich wiederhole aber, dass damit die Zahl
für die Wirklichkeit nicht bewiesen i^i, dass wir nicht zu
glauben brauchen, es habe in jener Zeit den Menschen der
Zahlbegriif a jiriori vorgeschwebt. Bilden wir uns doch
auch ein, dass unsern Kategorien des Substantivs und des
Verbums je eine Kategorie der Wirklichkeit entspreche.
Sicherlich haben schon (ielehrte der vorhistorischen Zeit, Ge-
lehrte, deren Kenntnisse wohl unter denen unserer zehu-
jabrigtn Dorfiimgen waren, Ordnung gebracht in das Ein-
heitsverhiiltuis zwischen den Zahlworten und den Dingen. Es
waren sicherlich vorhistorische Gelehrte, die die Grundlage
schufen für unser dekadisches System. Aber die Bilder der
Zahlen von 1 bis 20 mögen sie schon vorgefunden haben.
Als eine Kuriosität füge ich hinzu, dass diese metaphorische
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Tl. Dm Zablwovi
Grundlage des dekadisehen Systeiiis ncli etwis Torindett
auch aonsfc Torfindoi So erwihnt Stenley -der Negier-'
sprachen f welche anstatt Yon zwei Händen bkws von emer
Hand ausgehen, das heisst ein FUnfersystem besitzen. Sie
zählen demnach von eins bis ftlnf, wie wir von eins bis zehn
und bezeichnen acht, neun wie wir dreizehn» vierzehn. In
einer dieser Sprachen heisst z. B. 1 ben, 2 yar, 5 gurum;
6 heisst also gurum ben, 7 gurum yar u. s. w. Aehnlich
hatten die Azteken, die .Ureinwohner* Mexikos, ein schön
ausgebildetes Zwanzigersystem. 93 wurde ausgesprochen
4 X 20 -j- 13. Das quatre-vingt-treize der Franzosen ent-
spricht genau diesem aztekischen Ausdruck ; und die Grund-
zahl 20 entspricht der Psychologie der Grönländer, denen
,ein ganzer Mensch" mit zwei Händen und zwei Füssen eine
Metapher für 20 ist. In die Psychologie jedoch der Neu-
seelander, welche 11 zur Grundzahl haben un(-I in die eines
südainpriknTiischeu Indianprstammes, welcher die 2 zur Gnmd-
zahl mmmt li^l, können wir uns freilich nicht mehr kinein-
leiiken. Für die Verschiedenheit der Zahlensysteme einer-
ücits und der — ich möchte sagen — syntaktischen Zahlen-
hezeichnun^T anderseits, ist die folgende Tabelle, die ich
f'inpr Studie von Hermann Schubert entnehme, sehr be-
lehrend. Es wird z. B. die Zahl 18 auf mindestens zehn
verschiedene Arten gebildet
Deutseh ' . . . 8,10 (achtzehn)
Französisch . . 10,8 (dix-huit)
Lateinisch . . 10-4- 8 (decem et octo)
oder . . 20 — 2 (duodeTiginti)
Griechisch , . 8+10
Bretonisch . . 3x6
Wallisisch . . 2x9
Aztekisch . . 15 -f" 3
Neuseeländisch . 11 -f- ^
Aphö .... 12 H- 6.
Diese Tabelle betrifft nur den sprachlichen Ausdruck und
beweist darum an sich nichts fttr meine Behauptung, dass
Hei'hnea eine Gründung.
163
wir die Dinge in tiefem Grunde unse» Gehirne niehi zSUen,
sondern nnr Bilder der EinheitByerli&Waniiwe Toretellen. Wenn
wir aber erwSgen, dase die dabei Torgenommenen mathe-
matiseben Operationen des Addierens, Subtrahierens nnd
Mnltiplirierens niebt eigentlioh ans der Nalnr genommen,
sondern nnr uns zur zweiten Gewohnheit gewordene Ab-
ktlnangen und Bequemliehkeiten der üebersicht sind, dass
diese mathematischen GrundbegiüFe Uetaphem sind fttr ganz
andere Yoigiage, so werden wir uns vieUeieht etwas leiditer
mit dem Oedanken vertraut machen kennen, dass auch die
Gnmdsahlen 5, 10 und 20 die Dinge nicht gezählt haben,
sondern in den Metaphern Hand, Finger, Mensch höchst
primitive Mitteilungen enthalten, wie sii in h einem noch
nicht füllenden Volke zuzutrauen sind. Die Thatsuclie, da^
diesen Bildern irgend etwas entspricht, ist sehr erfreulich
und bequem für uns. Warum wir aber mit Hilfe dieser
Zahlen und Zifiera recHnen künnen^ das wissen wir noch
weniger wie den Grund mancher Ueberraschungen in den
mystischen Zahlenquadraten und ähnlichen Spielereien.
Sodann: gäbe es in der Wirklichkeit dieselbe Kategorie Rechnen
der Zahl wie in unserer Sprache, so miisste unsere Rechen-
methode, weil sie ein Geheimnis der Wirklichkeitswolt ent-
litiUt hätte, eine Entdeckung heissen. Instinktiv spredton
wir nber da von einer Erfindung. Die Bezeichnung Er-
findung gilt aber nicht allein etwa unserem dekadischen
Zahlensystem; man darf also nicht glauben, dass das zu-
fälhge System allein eine Erfindung wäre , die Rechnung
aber eine Entdeckung. Auch die Algebra, die zu jedem
Zahlensystem pa.ssi, ist niii- « itie Erfindung und keine Enfc-
(ieckung. Es wird in diesem Zusammenhange auch nicht
mehr schwer fallen einzusehen, dass auch die übrigen llede-
teile unserer Sprache Erfindungen sind, Erfindungen in jedem
Sinne des Worts. Wenn die alte Kategorientafel, die sich
seit Aristoteles bis auf unsere Tage weiter geschleppt hat,
eine tiefere Bedeutung hätte, su müsste man die ihr ent-
sprechenden Redeteile ebenfalls Entdeckungen der Menschen
nennen, was fUr mein Sprachgefühl etwas unsäglich Lächer-
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VI. Du Zahlwort
liches hätte. Die ramisehe Schreibart der Zahlen, die ähn-
lich wie bei den Chinesen (ebenso wenig konsequent) auf
der Addition der Zahlenseichen beruhte, war schon eine
hübsche Erfindung. Eine Terbeaserung der Erfindung war
es, als auf den Rechenbrettern der Griechen und Römer
(ubacus) der Stellenwert für die einzelnen Ziffern die Ad-
dition erleichterte. Es gibt heute noch slavische V<}lker,
die das Rechenbrett bendtsen. Eine neue Yerbesaerung der
Erfindung, eine epochemachende Verbesserung war es, als
die Inder vor anderthalb Jahrtausenden die Null erfanden,
die sie recht geistreich tadphra nannten, »das Leere". (Das
Wort kam Über Arabien zu uns und verwandelte sich da und
dort in zero, Ziffer und chiffre.) Es war damit die Rechen-
kunst sehr vereinfacht und als im 13. Jahrhundert die mit der
NuU bewaffneten Algorithmiker, die SchUler der Araber, über
die Abacisten, die Schüler der Römer, siegten, war unsere
gegenwärtige Rechenkunst erfunden , wie etwa die Dampf-
maschine durch den antoniatischen Heguhitor fertig erfunden
war. So ist alles Ei-ündung, was den Gebrauch der Grund-
zahlen bequem gemacht hat. So wenig Logarithmen irgendwo
in der Wirklichkeitswelt exi.stieren, und so wenig ihre Er-
findung eine Entdeckung war, so wenig rechnet die Natur.
Und die Gruudswihlen sind Gruppenbilder von Einheitsver-
hältnissen. Die Zahlen smd Bilder von Verhältnissen, aber
nicht so wie Begriffe Bilder von andern verglichenen Vor-
stellungen sind. Zahlen sind keine Begriöe (I. S. 189 f.j.
Zahlen sind unmittelbare Zeichen (abgesehen davon, ob sich
die arabischen Ziffern 1 — 5 wirklich aus 1 — 5 Strichen er-
klären Hessen oder nicht); sie sind unmittelbare iSchrift-
sprache. Wir lesen sie, wie der Chinese seine Schrift; wir
lesen die Ziffern, die grösseren gewiss, in einem französi-
schen Buche deutsch.
SSaM, Für das hohe Alter unserer Grundzahlwörter spricht
^ il^d'" Begriffsworte, das heisst als konkrete
Nouea. Metaphern wie Hand, Fuss u. s. w. nicht mehr nachweisen
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Zahl, Verbum and Nomen.
155
küiiLieii, so wenig wir mit Sicherheit die unregelmässigen
Zahlwörter Schock, Mandel, Stiege und dergleichen etymo-
logisch bestimmen l^imeii. Es ii^ aber wohl mdglieh eine
Urzeit sich Tonostelkii, in welcher ein zahleneifindendes
Volk es bis SU 8 gebracht bitte, ab«r darüber noch nicht
heranagekonunen war, oder gar nur bis zn 2, so dass die
3 bereits die allgemeine Hehrzalil war, wie fUr den OrOn-
linder das, was Uber 20 ist. Denn bitten wir uns in jene
Zelt die Entstehung der Anzshlbeaeichnung unserer Sub-
stantiTe und Yerben zu denken. Es schdnt sich noch nie-
mand darüber gewundert zu haben, dass diese sonst so
durchaus Terschiedenen Redeteile beide die Zahl bezeichnen
können, was doch nach unserer Psychologie nur dem Sub-
stantiT natürlich ist Wie aber, wenn in jener ürzeit Sub-
stantiv und Verbum noch gar nicht geschieden war, dagegen
aber bei jedem Ding und bei jeder Handlung von Wichtig-
keit schon, ob Ding oder Handlung einmal, zweimal oder
▼ielonal das hdsst dreimal da war? Wie wenn in allen
aolchen FSllen der Singular, Dual oder Plural bezeichnet
worden wäre imd durch Analogie diese Formen auf alle
Substantive und Verben abertragen worden wären? Wie
nun gai% wenn die Menschen jener Urzeit bei dieser primi-
tiven Vergleichung der Einheitsrerhältnisse so wenig an dn
Zählen gedacht hätten, dass sie das Verhältnis dieser drei
Zahlen fUr das pronominale Verhältnis hielten und 1 mit
ich, 2 mit du (dva), 8 mit er gleichgesetzt hatten? Worauf
gleich zurückzukommen.
Wenn dieser Oedanke nur einen Schimmer von Aehn-
lichkeit mit der Wahrheit in sich hat, so muss er uns
lehren: dass der Zahlbegriff den Menschen nicht immer
eigen war, dass ausserordentlich grosse Zeiträume vergingen,
bevor der Mensch auch nur die niedersten Gruppen der Ein-
heit vergleichen lernte, dass also vielleicht nur die ererbte
Gewohnheit, mit diesem Redeteil, dnn Zahlwörtern, zu ope-
rieren, uns dazu verleitet, die iiategorie der Zahl in die
Wirklichkeit selbst hineinzudenken. Ich füge die kleine Be-
merkuug hinzu, dass die sogenannten unbestimmten Zahl-
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156
VI. Dm Zahlwort
Der Dif-
wörter mit den imbcstimmten Fflrwörtern (z. B. etwas im
■djekÜTischeii Gebrauch) nocb heute lUBammenfliessen*
Wollen wir den Zahlenaberglauben des Pythagoras mit
'Si^ff! neuesten mathematischen Abeiglauben TSigleichen und
uns damit unserer eigentlichen Fraget was die Zahl sei,
nlhem, so mttssen wir auf diejenige Erfindung eingehen,
durch welche das gegenwärtige Rechnen sich grundsitalich
von dem Rechnen aller früheren Zeiten unterscheidet, auf
die Differential* und Integralrechnung, die keine Entdeckung
ist, sondern nur eine Erfindung, die mir aber den Beweis
zu liefern scheint, dass wir für die Naturbetracfatung die
Zahlen, die in der Natur nicht sind, nicht einmal als Krücken
brauchen. Ich bin mir der gefährlichen Vermessenheit wohl
bewusst, mit welcher ich ohne rechte Erf abrang im Dif-
ferenzieren auf allgemeine Kenntnisse hin den Begriff sprach-
lich untersuchen vrill; aber gerade die Mathematiker haben
den Begriff, den sie doch erfunden haben, erkenntnistheo-
retisch wenig gefördert und vielleicht übersieht derjenige eine
Landkarte besser, der sie sich selbst för seine Zwecke ver-
einfacht hat. Wie zur Philosophie Piatons niemand ohne
einige Kenntnisse der Geometrie zugelassen werden sollte,
so verlangt die Erkenntniskritik einige Vorstellungen von
der hohem Analyse. Wer sich der jedoch ganz gewidiuet
hat, pflegt für erkenntniskritische Fragen keine Zeit übrig
zu haben und den Differentialbegriff als ein imerkiarhehes
Geschenk des Himmels zu betrachten, als ein (ieheinmis der
Natur, wie man sonst die Zahlen ansah.
Ich habe vorhin gesagt, nach unserm Sprachgebrauch
seien die Grössenverhältiiisse der Wirklichkeit durch Ent-
deckungen zu erfahren, die Zahlen jedoch, durch welche
diese Verhältnisse bestimmt werden, durch Erfindungen zu
messen. Wie sehr unser Rechnen mit dem dekadischeu
System eine Erfindung sei, erhellt vielleicht deutlich bis zur
Lustigkeit aus der Art wie (nach Pott) irgend ein wilder
Volksstamm drei Menschen zu einer lebendigen Eechen-
Google
DübranüallMgriir.
157
nascliine n^g bat, wean mehr als hundert H&ute gezählt
werden sollen. «Einer zählt dann an den Fingern die Ein-
heiten, indem er von der linken Hand mit dem klein«!
Finger beginnt und reihenweise an den Händen die Finger
einen nach dem andern streckt. Der zweite Mann beginnt
ebenfalls mit äem kleinen Finger an der linken Hand der
Reihe nach durch Ausstrecken der Finger die Zehner bis
zum letzten Finger der rechten Hand, das ist bis zum kleinen
Finger zu zählen. Der dritte Mann hat die Aufgabe durch
Streckung der Finger die vollendeten Hunderter anzudeuten."
Se uon e vero, e molto ben trovato. Stellte man
den ersten Mann, den Einer-Mann rechts auf, den z'^veit'^n,
den Zehner-Mann links iiri)oa den ersten und den dritten,
den Hunderter-Mann wiedri emen Schritt weiter nach links,
so besass mnn eine Erliiiiiunir, die ziVmliclx (?enau der
Hechenmaschiue der Roms i-. iil itMh[iu] it jedem lu'diueu vor
Erfindung der Null entsprach. I)ie Erfindung des Rech-
nens mit dem dekadischen System ist bedeutend ver-
bessert worden; schon das ßechnen mit Logarithmen wäre
durch eine lebendige Rechenmaschine nur schwer darzu-
stellen und vollends die Differentialrechnung ist eine sub-
tile Ertindung. Eine Erfindung ist sie dennoch. Was dem
Differentialbegriff als Wirklichkeit zu Grunde liegt, ist das
Verhältnis zwischen veränderlichen Grössen. Verhältnisse
müssen entdeckt werden, aber diese Verhältnisse lagen auch
schon früher zu Grunde und dass der Differentialbegriff auf
veränderliche Grossen angewandt wird, wllirend die be-
stimmten ZaUen fllr imTerSnderEdie GrOasen zu genügen
sdiienen, nimmt ihm nichts Tom COiaralter eines Instru-
ments.
Dieses Instrument wurde gesucht und erfünden als die
führenden Geister Kepler, Galilei und Newton die Aufgabe
lOsen wollten, die geometrisch und sahlenmSssig berechneten
Bahnen der Haneten physikalisch zu erkllren durch Be-
wegung. Stellte man sich die Bahnen als fertige EUipsen
vor, so konnten sie nach altem Brauche durch Zahlen ge-
messen werden. Stellte man sich dieselben Bahnen als ent-
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VL Bat Zahlwoit
stehend vor, erknmle man gar ihre Verwandtscliaft mit den
Bahnen geworfener irdischer Körper, SO stand man Yor
minimalen Anfangsgeschwindigkeiten, vor minimalen Rieh-
tungsänderungen und keine Zahl war klein genug, um un-
endlich kleine R'aumc, unendlich kleine Zeiten und unendlich
kleine Geschwindigkriten in der Rechnung zu vertreten. Die
Notwendigkeit, eine unendlich kleine Einheit zur untersten
Re< liiiungsgrösse zu machen, ergab sich vor allem hei den
minimalen Kichtungsänderuugen. Jeder i'unkt einer Kurve
war identisch mit dem Punkte seiner gradlinigen Tangente
und deiuiuth erzeugte die Beweirung des einen Punktes
einmal eine Lnue , das andere Mal eine Kurve von
bestimmten Verhältnissen. Dachte man sich den kurven-
erzeugenden Puukt alü eine Linie von unendlich kleiner
Ausdehnung, so ergab er mit den dazu gedachten Abscissen-
und Ordiuatenveränderuugen ein unendlich kleines rechtwink-
liges Dreieck, das selbst wieder ein Punkt war, auf weiches
jedoch der Pythagoreische Lehrsatz anwendbar bheb. Die
Liiut' von unendlich kleiner Ausdehnung drückte das Ver-
hältnis von Ahscisse und Ordinate aus. So konnt4iU zum
erstenmale, seitdem Menschen auf der Erde sich zum Masse
aller Dinge gemacht hatten, die der Wirklichkeit zu Grunde
liegenden Verhältnisse gemessen werden, ohne dass Zahlen
bemüht wurden. Denn die der Wirkliehke^ in Grande
liegenden Yerhilfaiisse sind immer Verhiltnisse T«iinder^
lieber QrOssen. Alles fliessi. Der Diffi^'entialbegriff war
das Instrument fttr das zahkniose Messen wirklicher Ver-
hiltnisse. Das Differential ist nicht mehr und niolit weniger
als die minimale Einheit in den Naturrorgängen; so wenig
es aber da eine wirkliche Einheit gibt, so wenig ist das
Differential wirklich. Es ist durch geniale Mathematiker
nach anstrengenden Tentandesoperationen in den KalkOl
eingeführt worden; die einfachste Ueberl^ping mnss jedoch
lehren, dass auch die Eins, die sprachlich so wohlbekannte
Einheit unseres IXtleoB, ebenfaUs nur durch einen genialen
Kopf nach einer höchst abstrakten Verstandesoperation in
die Rechnung, die freilich dadurch erst möglidi war, ein-
Newton und Leibus.
159
geführt werden könnt o. Die Integralen: Eine Sekunde, Eine
Trillion, JSüne Sprache, Eine Art, Ein Ton, Eine Farbe
sind, wenn wir von unserer ererbten Spracbgewohnheit
absehen, nicht weniger abstrakt als ein Differential. Das
Differential ist ein so neuer, dem Altertum so gänzlich
unbekannter Begriff wie das Telephon; Ei-findungen sind
beide. Newton erfand das Instrument als er es brauchte; Newton
und er brauchte es, ^vpil rlns Bedürfnis nach diesem Instru- fJSü!i«.
ment sich seit hundert Jahren langsam entwickelt hatte.
Er sah vielleicht weniger klar als Leibniz den Unterschied
zwischen lim Unemllichkleinen der antiken Mathematik und
dem voji ihiu eingelührt«n Beerriffe. Wf»Tin die G-riechcn
bei ihrer Quadi'atur des Zirkeh 'lio Exhaustioubnirth()de an-
wandten und nach ihr den Flachenunterschied zwi.sthen dem
Kreise und dem eingeschriebenen Unendhcheck als unendlich
klein aunahuieii, so waren sie dabei weit von der Erfindung
des Differentialbegriffs entfernt, weil sie nur die Fläche des
fertigen Kreises ausrechnen, nicht aber die Entstehung des
Kreises als Bewegung erklären wollten. Der Sinn des Dif-
ferentialbegriffs ist aber in Newtons Ausdruck 1- luxiun meta-
phorisch gut ausgesprochen; er war dem Vorgänger Ca-
vaheri entnommen; wenn die zu messende Wirklichkeit
fliesst, so ist die Beweguugseinheit oder Veränderungseinheit
Xeder minimale Akt des Fliessens, die Fliudon. Ldbniz
daekfee abeftraktor, kOlrner, fassbe rasdi den Gedanken, dass
die Differentialeinheili wirklicher sei als die ZaU und woUie
das Endliche durch die Litervention des Unendlichkleinen
bestimmen. Van kann wohl sagen, dass Newton die Fluxion
erfanden hat, daes Leibniz das Differential zu entdecken
glaubte, daa heiast daas Newton die Differentialverftnderung
mehr als ein Instrument auffasate, Leibniz in ihr mehr eine
Realität sah.
Dieser G^DpensatK geht seit zweihundert Jahren durch
alle Versuche, den Differentialbegriff logisch zu begrOaden.
Auf der einen Seite stehen diejenigen Begründungen,
welche die hdhere Mathematik auf die Elementannathematik
sarttckfnhren möchten (was Übrigens Newton und Leibniz
._^ kj i^ -o i.y Google
160
TL Dm Zahlwort
ferentUl
selbst schon thaten) un*l zu diesem Zwecke das Differential
abwechselnd der Nuil gleich setzen und es als relauvo Null
wieder in Rechnung stellen; Leibniz scheint dieseu üegen-
satz gelegentlich für einen Wortstreit zu halten, wenn er
das Differential einmal als einen m n lus loquendi bezeichnet.
Auf der andern Seite steht die Einptindung, dass das Dif-
Dif- ferential, richtiger die Dift'erentialveränderung eine Realität
sei, in der Darstellung von Hermann Cohen („das Prinzip
der Infinitesinial-Methode") die * iu/ij^o' wirkliche Realität,
die einzige intensive Grösse, die tiuzigu Zahl, welche nicht
bloss Relativität besitzt. Man muss seine Vorstellung uai
von dem naiven Realismus befreien, welcher die sinnliche
Wahrnehmung zum Prüfstein der Realität macht, welcher
schliesslich auch noch Kant zwar in der Wirklichkeitswelt
ein« ÜTBcheiiiung, das Ding-an-dch jedoch in etwas Hand-
grdflicheiB hinter der Realität erblicken lint Die Dif-
ferentiattndentng wird dadurdi snr jüngsten Form des alten
Steins der Weisen ; sie ist das Perpetuum mobile (sie ist es
wirklich), sie ist die Quadratur des Zirkels (sie leistet sogar
die Quadratur aUer Keg^sehnitte), ^e kann die similiche wie
die geistige Welt erseugen und kann zuletzt auf die Ent-
stehung der einen Welt aus der andern angewandt werden.
Die Differentialftndenmg kann aUein helfen, dem jetzt herr-
schenden Entwidkelungsgedanken einst eine mathMualasche
Unterlage zu geben. Uns freilich wird die Differentialande-
rung zugleich an das ä peu prte erinnern, wdches wir in
jedem Begriffe versteckt gefonden haben.
Die Metaphysik des Begriflk der Differential&nderung,
die streng logische Begründung der Dlfferentialeinh«t führt
zu unlösbaren Widersprüchen, jedoch nicht zu andern Wider-
sprüdisil als zu denen auch die logische Begründung der
wohlbekannten Einheit, dar Eins unserer Zahlenreihe führen
musste. Wollen wir unserm Ziele näher kommen, der
Frage nach dem Wesen der Zahl, und darum zunächst den
Zahlenaberglauben unserer Tage durchschauen , so müssen
wir die Metaphysik des Differentialbegriffs preisgeben und
ihn daraufhin betrachten, was seine rechnerische Anwendung,
Digitized bv Cooqlc
Differential und Katur.
161
abgeseheu von den selbstherrlichen Schai-fsiniiigkeiteii der i>i(-
böchsten Mathematik, zur Erkenntnis der Wirklickkeitüwclt ^^^^"j'*
beiträgt. Und da scheint es mir doch richtig, dass alles Naiur.
ältere Rechnen nui* die Grössenverhältnisse der Natur ver-
gleichen, das heisst ihre relativen Quantitäten l)estin)men
konnte, während der Begriff der Differentialiindei ung ein
Symbol ist dieser Verhältnisse oder Quantitäten selbst und
damit der erste Versuch, den Qualitäten der Wirklichkeit
erkenntnistheoretisch beizukommen. Das lässt sich sogar
auf die einfachsten Probleme der Differentiabrechnung aus-
dehnen. Als ArchUnedoB nch mit der Quadrabir Ton Kegel-
schnitten heschfiftigte, wollte er nur ihr relatives YerhUtnis
zn bequemer ansmessbaren Fliehen bestimme; die Dif-
ferentialrechnung sagt von den Kegelschnitten, wie sie durch
Bewegung entstehen, also wie sie sind. Auch die alte Geo-
metrie erzihlte in ihrer Weise, wie Kegelschnitte für unser
Ange gemacht werden können; aber sie ahnte nicht, wie
sie an sich entstehen. Auf dem Gebiete der Mechanik und
der Chemie hat es die Differentiabrechnung eigentlich immer
nur mit Qualititen zu thim und der ungeheure Fortschiitt
unserer Zeit Uber das Altertum besteht eben darin, dass es
zuerrt in der Mechanik, dann aUmahlich auch in der Chemie
gelungen ist, Qnalitilten durch relative Quantitäten aus-
zudrflcken. Zuletzt muss freilich immer die bestimmte Zahl
heran; aber der Hinblick auf die Differentialftnderung
muss es jedem klaren Kopfe nnabweislich machen, dass in
den bestimmten Zahlen nur Symbole von Relativitftten vor-
handen sind, so gut wie in der Differentialrechnung die ^ull
zur relativen Grösse wird und das unendlich kleine Dreieck,
das wir uns für das Verständnis des Tangentenproblems
vorstellen müssen, in seinen drei Seiten drei Nullen von be-
stimmter Relation bietet.
In der Phantasie oder Theorie befreit uns der Dif-
ferentialbegriff von der konventionellen Einheit, die es in
der Natur nicht gibt; in der Phantasie oder Theorie dringt
das Differential unmittelbar in die Natur ein und schafft
ein Korrelat zum Thätigkeitsbegriff, zur Bewegung, wofür
Maatbner, Beiträge zu einer Kritik der Sprache, in. 11
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162
VI. Daa Zahlwort.
wir sonst (wie wir gesehen) keine Worte haben. Nur meta^
phorisch aber leistet das Differential diesen IKoist und
darum durfte ich eben Theraie und Phantasie gleich setMn.
In der Praxis ist daa Differential nur ein feineres Instrument
als die Ziffer, schafft es nur eine kleinere Einheit FOr eine
bestimmte Dynamo ist (weil Edt = Csinada)
uud endlich
E = 4Cn, weil n (Toureniahl) = ^ ist.
Für die in dieser Formel nicht ausgedrückte Zahl der Spulen
ist die diskrete Zahl das unmittelbare Zeichen; für die
fliessende Bewegung der Spulen und das Kraft anwachsen
und -nachlassen im Feld ist die alte ^Fluxion" ein bessere»
Bild als die Zahlenrechnung, aber doch nur ein Bild; im
Resultat fehlt das Bild, mit dem der Elektrotechniker nicht
das kleinste Licht anzünden könnte; auch fUr t (die Zeit)
wäre das Differential so ein Bild, wenn wir nur wüssten»
ob das Bild von etwas Wirklichem oder das Bild von
einem Bilde.
Der Gegensatz zwischen der modernen und der alt-
griechischen Naturphilosophie zeigt sich ausser in der Un-
menge von Einzclbeobachtunpi'en , die in der Mechanik seit
Galilei, in der Chemie seit etwa hundert Jahren das Bild
verändert haben, vielleicht am besten darin, dass im Alter-
tum die Atomistik und die geheimnisvolle Zahleulchre des
Pythagoras unvereinbar schienen, während gegenwärtig die
Atomistik mathematisch geworden ist. Das hat der Begrili'
der Dillerentialverändeining dadurch bewirkt, da.ss er die
Qualitätsversehicdenheiten vorstellbar machte. Man lacht
heutzutage über die deutsche Naturphilosophie aus dem An-
fang des 19. Jahrhunderts. Das Lachen knüpft sich immer
an den Kamen Schelling. Man denkt nicht <laran, das.^
Hegel in seiner Habilitationsschrift (18<)1) die Planeten-
abstände mit Hilfe einer mystischen Zahlenreihe des Pytha-
0
Atomistik.
168
goras zu deuten suclite, um )>aM darauf rhirrh neno Ent-
deckiiiiiren Lügeji ge>ttalL zu werden. T^i' di iit ^ he Natur-
philosoplue wollte nur, was die Philosupkie iriimer gcthan
hat, mit unzureichenden Mitteln die Welt erklären, wollte
nur mit der Sprache von heute in das Wissen von morgen
hineinspringen, trotzdem Wissen und Sprache einerlei ist
uml darum die Sjtrache oder das Wissen niemals von der
Zukunft borgen kann. Mit unendlich reichern Mitteln will
die gegenwärtige Atomistik dasselbe, soweit sie Naturphilo-
sopliie ist.
Zwei Uauptgcbiete der gegenwäi-tigen exakten und
mathematischen Naturwissenschaft mögen zeigen, dass trotz
der epochemachendeo Bereicherung unseres Rediensjstcms
durch da« Biffinfential auch heute noch die Rechnung in den
letzten Fragen der Naturerkenntoia in Mystik übergeht
Wenn naturwisaenschaftliche Köpfe rUhmen wollen, wie wir
es 80 herrlieh weit gebracht haben, so weisen sie auf die
Entwicklung der Mechanik seit mehr als zweihundert und
auf die Entwickelung der Chemie seit hundert Jahren; und
doch heissen die Begriffe, in deren Dienst niedere und höhere
Mathematik arbeiten mflssen, immer noch Gravitation und
Affinitiit, Namen, von denen niemand weiss, ob sie Gott-
heiten, Erilfte oder z bezeichnen.
TTeber die seit Newton nur klarer gewordenen Schwierig- or»vi-
keiten des Gravitationshegriffs wDl ich an dieser Stelle nichts
Neues zu sagen versuchen. Nur eine Bemerkung zu dem
geistreichen Hinweis von Lange, dass die Bestätigung der
Atomistik durch rein theoretische Entdeckung neuer Ele-
mente höchstens in gleichem Lichte betrachtet werden könne,
wie etwa die Bestätigung der Lehre Newtons durch die
Entdeckung des Neptun. Lange wendet ein, dass die Ent-
deckung des Planeten Neptun nichts Aber die Ursache und
Geheimnisse der Gravitation verrate, gibt aber zu, dass die
Hypothese Newtons durch diese Entdeckung eine glänzende
Bestätigung erhalten habe. Ich kann nach genauer Prüfung
nicht einmal das zugeben. Zu einer Vermutung Uber dea
Ort des Neptun hätte auch ohne die Gravitationshypothese
Digitizcü by ^(j^j-j.l'^
164
VI. Das Zahlwort.
eine genaue Abmessung der Planetenbiihiieii, eine exaktere
Weiterftlhrung der Keplerischen Gesetze führen müssen. Die
That Newtons wird durch diese Bemerkung nicht rerkleinert.
Habe ich aber rechfc mit der Annahme, (la<?s exakt bdob'
achtete Planetenbahnen auch ohne jeden £rklärungsvenacb
zur Vermutung des Neptunortes hätten führen können, so
folgt daraus für uns etwas Wichtiges: dass vor Einführung
der FhlxSonsreehnimg in die Astronomie deren Zahlenver-
hältnisse auffindbar waren durch die Hilfsmittel der alten
Mathematik. Und sieht man frei in die Frage hinein, so
erscheint die Zahlenharmonie von Pythap^oras und Heitel
zur Erkenntnis des Planetensystems von der Zablenharnionie
Keplers nur dadurch versclüeden, dass Pythnirnras phan-
tastische , Kepler gut beobachtete Zahlen in Kechnung ge-
setzt hatte. Was durch Zalileaverhältnisse ausfrodrückt
werden konnte, das war schon der alten Mathennitik mög-
lich. Was die Einführung der Fluxionsrechnung, die rech-
nerische Verwertung der Differentialänderung hinzuftlgte,
war nicht ein neues Wissen, sondern nur die Vorstellung
von einer mythologischen TIrsaclie, von der Gravitation. Wir
wollen uns merken, warum das wohl so kommen musste: weil
es in der Natur nicht Zahlen gibt, sondern höchstens Zahlen-
verhältnisse, weil diese Verhältnisse uns nur in Zahlen er-
kennbar sind und weil das Differential der fast übermensch-
• liehe Versuch ist, die Verhältnisse selbst und unmittelbar
und ohne Zahl zu Uberblicken.
Auch die Zuverlässigkeit der Atomistik scheint vielen
Forschern dadurch bewiesen, di»s auf dem W' ege atomisti-
scher Theorien neue Elemenie, also doch auch WelÜcQrpw,
gefunden worden sind. Dagegen ist schon von Lange und
auch von Helmholtz eingewandt worden, dass jene atomisti-
sehen Theorien das Atom in der WirkUchkeitswelt fanden,
weil sie es bei Beginn ihrer Schlussfolgernngen voraussetzten.
Zur Entdeckung der neuen Elemente führte die gdstreiche
Analogie zwischen guten Beobachtungen; die Theorie war
eine Verzierung. Erstünde uns, mehr als zweihundert Jahre
nach Robert Boyle, ein neuer Ghemista scepticus, so wtttde
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Affinität.
165
er gegen die grandlegenden VorsteUuiigeii unserer Atomisten
lebbftfber auftreten können als unsereiner es vennag. Kekal^
hat sdion 1861 gesagt, dass Atome weder gemessen nock
gewogen werden kOnnen, dass nur Betrachtung und Speku-
lation zur hypothetiscken Annahnie'bestimn^ft r Atomgewichte
fuhren kann; und gegenwärtig streiten die Theoretiker der
Physik immer noch darQber, ob die Atome stoiflose Kraft-
ausgangspunkte seien oder doch unendlich klein ZU den-
kende Körpor. Es wiederholt sich beim modernen Atom
die Frage der DifFerentialmetaphysik; auch das Atom wird
bald als einzig geu'eljene intensive Grösse bald als Null auf-
gefasst, stofflich als absolute Null, dynamisch als relative
Null. Schon Gnv-Lussac hat die Atome wie Differentiale
der Körper betrachtet.
Auch hier stehen die bestimmten Zahlen und die Dil- AtfinitAt.
ferentialrechnun^ im Dienste eines unkontrollierbaren Be-
griffs, der in der Zeit der Alrhymie als Aftinitiit auftrat und
trotz aller Vorkleidungen auch aus der nio«Uriien Clicniie
nicht auszumerzen ist, weil er «diliesslich doch nur die Ur-
sache der wirklichen Erscheinung anzugeben sucht, dass die
chemischen Stoti'e sieh l)al(l verbinden, bald nicht verbinden.
Den Charakter der rrsacli(> hat dor Bcsfriff allmählich ver-
loren; er ist beinahe zu einem Austhuck ftlr die unerklärte
Thatsache geworden. Die will man aber (hx h erklären und
die modeine Chemie hat auf (irund von Erfahrungen, deren
Fülle ein Laie si( herlich nicht zu übersehen vermag, mit
Hilt\^ namentlich der mnltiplen Proportionen die Erscheinung
so gut beschrieben, dass die Beschreibung einer EikUuung
zum verwechseln ähnlich sielü. Es ist aber erstaunlich,
wie klein die bestimmten Zahlen sind, innerhalb deren sich
diese periodisch veränderlichen Grössen bewegen. Es mutet
an, als wäre die Natur bei der Auswahl ihrer Elemente
aber die Anfänge des Z&hlens nicht hinausgekommen. Aber
da soll noeh mehr erklärt werden, da soll das YerhSltnis
zwischen den unbekannten Molekfilen und den unbekannten
Atomen klar gemacht werden, da soU ftlr die makroskopi-
sche Vorstellung gezeigt werden, wie und warum das Atom
Digitizcü by ^(j^j-j.l'^
VJ. Das Zublwurt.
in bdderlei Gestah, das werdende Atom und das gewordene
Atom, sich zu dem Atom anderer Elemente so und nicht
anders verhalt, wie und warum die Atome in den MolekOlen
einen Tanz ToUziehen, der nicht Uhel an die Harmtniie der
Sphären erinnert, wie und warum jedes Atom wieder als
eine Welt im Verhältnis zum Atom zweiter Ordnung steht
tt. s. w. Alle diese geistreichen, die Beobachtung sicherlich
ordnenden, die Forschung anafemden Phantasien haben nur
den einen Zweck, das zu erkl&ren, was man früher Aflinit&t
genannt hat; denn wenn in den Kdrpem sich nicht rer-
schiedene Elemente mischten, wQrde man schwerlich die
Hypothese so weit treiben, um bloss die letete Zusammen-
setzung der Körper begreiflich zu machen. Wieder sehen
wir, dass die Verhaltoisse der Elemente sich recht gut durch
Zahlen ausdrucken lassen und dass wir durch die Einführung
der Differentialänderung nur den Versuch machen, das Ver-
hältnis der Elemente Tor aller Messunt^, im Koimzustande
zu Uberrumpehi. Darum kann sich die Theorie bei dem
Atom erster Ordnung nicht genügen hissen; darum klimmt
der menschliche Geist weiter zum Atom zweiter und dritter
Ordnung, bis er sich eingestehen muss, dass diese Ordnungen
ebensowenig ein Ende nehmen können wie die Reihe un-
serer gewöhnlichen Zahlen. Dazu kommt noch Eins, um
diese atomistische Theorie bedenklich erscheinen zu lassen.
Tn der Rechnung kann man das Differential zweiten Grades
im Verhältnis zum Differential ersten Grades vernachlässigen,
ebenso das Differential dritten Grades im Verhältnis zum
Differential zweiten Grades. In der Rechnung, aus prakti-
schen Gründen. In der Naturerkenntnts der Atoniistiker
jedoch, die Naturerkläninj^' l)iett'n iniW Ute, niusste das Atom
des ii-ten Grades erst der wahre Jakob sein, erst die wir-
kende, die erzeugende intensive Grösse, erst die let/.te Er-
klärung; und da unser Verstiind. fast möchte ich .sagen,
nach seinen Fallgesetzcn . hinter dnn Aton) n-ten Grades
unwiderstehlich zum Atome (n -f 1 )teu Grades vurdringt,
so kann der arme N'crstand auch bei der Atomistik nicht
zur Ruhe koiumcn.
._^ kj i^ -o i.y Google
Eraft nnd Stoff.
167
Die Gegenüberstellung der modernen und der alten Kr»ft
zahlengljlubigcn Weltanscbauung hatte filr uns nur den einon
Zweck: darauf hinzuweisen, dass für die bildliche Uebersicht
der in der Natur beobachteten Zahlenverhilltnis'^f" die ältere
Mathematik genü^, dass der Differentialbegritt" zur V^orstell-
barkeit der mathematischen WeUarr-Thnnung nichts V)eitr�t.
Wird er in der Mechanik oder m der Chemie reclinerisch
benutzt, so ist aus der Vorstellung des Uechtiers nicht nur
alle Dillerentialnietaphy.sik , sondern sognr jcil*' Beziehunsj
zwischen algebraischen Zeichen und VV irklu hkeit verschwun-
den; die Rechnung geht ihren eignen Weg. Was aber zur
letzten Erklärung an Hypothesen erfunden worden ist, z. B.
die Begriffe Gravitation un(i Atom, das wird durch den Dif-
ferentialbeirriti' nicht anschaulicher. Ich fürchte sogar, dass
noch nienial.-. ein Mensch im stunde war, die beiden Be-
griffe, die erst durch Verbindung zu eiuem Satze etwas zur
Welterkl'ärung beitragen können, wirklich zusammen zu
denken; ich fürchte, dass die Gravitationshypothese, welche
im ganzen und grossen das Wesen der' Kraft, und die ato-
mistische Hypothese, welche das Wesen des Stofis zu er-
USren snelit, gar nicht im Denken veninigi werden können,
dass es eine Selbsttäuscliung der sprechenden Menschen ist,
wenn sie die Worte Kraft nnd Stoff in einem Satse Ter-
einigen, während sie doch dabei bald vor dem Spiegel
stehen, bald hinter den Spiegel springen. Die Atomistik
gibt vor, irgend ein winziges Stofiteilchen immer in der
Phantasie zu behalten, wfthrend sie den Stoff doch in eine
Bewegung durdbeinandertanzendw Eraftausgangspunkte auf'
löst; das zeigt sich am grellsten in der hoch entwickelten
Wtonetheorie, ohne welche die neuere Atomistik der Oase
und damit überhaupt die neuere Atomistik nicht zu denken
ist. Die Bew^i^ng wiederum, welche, einmal Torhanden,
sich recht gut rechnerisch durch die Zahlenverhiltnisse in
Raum und Zeit ausdracken Ifisst, welche in ihrer Entstehung
und in ihrer Wirkung Eraftbegriffe voraussetet, kann nicht
umhin bei den verursachenden wie bei den verursachten
Kräften die Masse zu verlangen, also gerade das Stoffliche,
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168
VI. Daü Zaiilwort.
das die Atomistik eben in Kräfte AufgeUtet bat. Es ist ein
Yenerspiel des Verstandes, der je naeh seinem augenblidc-
lieben Literesse entweder den Stoff hinter der Kraft oder
die Kraft hinter dem Stoff nicht sieht. Wie man auf einem
Veiierbilde je nach der Richtung der Aufmerksamkeit bald
eine Gruppe von Zweigen, bald eine Katse sieht Ein ähn-
licher Qedanke muss Helmholts bewegt haben, da er in
seiner Oedttchtnisrede auf Gustav Kagnus (1871) Terlangt,
auch die mathematische Physik mflsse als rdne Erfahrungs-
Wissenschaft angesehen werden. .Wir mflssen zurückgehen
auf die Wirkungsgesetze der kleinsten Yolumteile, oder wie
die liathematiker es bezeichnen, der Volumelemente. Diese
aber sind nicht, wie die Atome, disparat und verschieden-
artig, sondern kontinuierlich und gleichartig/ Helmholts
wendet sich an dieser Stelle gegen das Streben „aus rein
hypothetischen Annahmen über Atombau der Naturkörper
die Grundlagen der theoretischen Physik herzuleiten". Lange
unterstreicht dic«;en Satz und fügt hinzu, dass sich dies für
' ein mathematisches Verfahren nach den Prinzipien der Dif-
ferential- und Integralrechnung besser eignen muss als die
Atomistik. Nicht nur besser. Der Differentiaibeghff ist
eigentlich nur auf kontinuierlich wachsende Grössen, auf
Bewegung, auf Kaum, auf Zeit anwendbar und verUert die
Winzeln seines l?eclits, wenn er. der doch nur kontinuier-
lich flicsst, aber uuch die kleinste Lücke nicht überspringen
kann, auf Atome ausgedehnt werden soll, die durch leere
Räume getrennt sind. Diese h'eren Küunie zwischen den
Atomen, mag man sie auch durch die Annahme von leerf>a
Käunun zweiter Oidiumg zwischen den Atomen /weiter
Ordnung u. s. w. noch so sehr verdünnen, machen nieuier
Phantasie auch die neueste (xestalt der Atomistik unan-
nehmbar. Ich kann es mir zur Xot vorstellen, dass die
Atume eine-s Eiseustückes in Wirklichkeit diüküntinuierlich
sind wie ein Mückenschw arm , dass man mit einer unend-
lich feinen Sdim idc durch ein Eisenstüek hindurchfahren
könnte wie nut einem Stocke durch den Mückeuschwarm,
ohne den Zusammenhang dos Eisens zu stören, aber ich
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Zuhlenverhältnisse unwirklich.
169
kann mir niclit mehr vorsteUen, dass auch die Organismen
Ton Glänzen und Tiaren wie MUdrenacliwänne leben und
dass man aueh dmrch den Menschenleib mit einer enir
sprechend feinen Schneide hindurchfahren kdnnte, ohne
etwas Wesentliches an ihm su ändern. Wir haben in un-
serm KaturrorsteUen zu wählen zwischen Atomistik und
Kontinuitilt Fechner sagt in seiner Atomenlehre geistreich
und fast poetisch: .Das Zahlensystem der Natur hat nur
eine Ziffer, das Atom, und reicht damit zu den Rechnungen
des Alls.* Sehr schOn; aber der menschliche Verstand ge-
hört auch zur Natur und in ihm sind die Zahlen Torhanden,
welche die GrOssenTerhäUausse der äussern Natur ausdrttcken
und diese GrOssenTerhältnisse sollen sich nun aus Atomen
zusammensetzen. Als Ziffer angesehen ist das Atom die
Differentialänderung. Dieser Begriff ist nur auf kontiimier-
liehe Grössen anwendbar und die Atome sind entwedfor^^on-
einander getrennt oder sie sind keine Atome.
*
Wir müssen uns somit in die Vorstellung flttchten, dass Auch ver-
alles nur in unserm Bewusstsein ist| worauf irgend welche
Zahlenbegriffe sich beziehen. In unserm Bewmntsem allein viruteh.
sind die Grässenverhältnisse, die wir mit unserem Zahlen*
^stem messen, in unserm Bewusstsein allein ist die Konti-
nuität, deren einzelne Punkte wir durch den Diffcrcntial-
begriff zu bestimmen suchen. Wenn oben gesat^'t worden ist,
dass die Zahlen unwirklich sind, die Grössenverhältnisso uber
wirklich, so war das eben nur mit den Mitteln der Sprache
ausgedrückt. Es ist in der Natur etwas Wirkliches, was den
Grössenverhältnissen entspricht; in der Natur selbst können
es aber keine Verhältnisse sein, weil diese erst durch Ver-
gleichung, uLio durch Yerstandesthätigkeit entstehen. Die
logischen Untersucliuugeu Spencers zeigen deutlich (Prin-
zipien der rsycholugie II S. 283), „dass das Erkennen von
aufeinanderfolgenden Zuständen und Veränderungen des Be-
wusstseins als gleich oder ungleich dasjenige ist, worin
eigentlich das Denken besteht", dass — kurzer ausgedrückt —
._^ kj i^ -o i.y Google
170
VI. Das Zahlwort.
alles Denken auf die Empfindungen der Oleichheit und Un-
gleichheit zurückgeht. Dean wenn Spencer weiter versucht,
Beziehungen der Gleichheit und UngleicUieit durch abs-
traktere Begriffe SU definieren, wenn er sie durch Verände-
rungen im Bewuflstaein erklärt, so rerttsst er unbewusst
den Boden der F^chologie und hält eich an einen Aus-
druck, der zugleich eine physiologische Deutung zolässt.
Dieser Fehler wird jedesmal gemacht, wenn eine Darstellung
des menschlichen Innenlebens Uber die Empfindung hinaus-
geht und das organische Leben oder gar die Aussenwelt
mit in Rechnung zieht; dieser Fehler macht das gesamte
Gebiet der Psychophysik unsicher. Denn ihr ist es wesent-
lich, ein mdgÜchst ziffemmässiges Verhältnis zu suchen zwi-
schen der Empfindung und dem Reize, der die Empfindung
remrsacht hat. Allerdings liegen auch die Masse für Reiz-
grOssen in unserm Bewusstsein, aber nicht anders ab alle
Wirklichkeitswelt erst in unserm Bewusstsein unser ist, mit
der unausweichlichen HypoÜiese, dass diese Aussenwelt Ton
gleicher Art sei wie unser Edrper, der die gegebene Elle
der Aussenwelt ist; die Masse fQr unsere Empfindungen
dagegen sind einzig und allein in unserm Bewusstsein und
es fehlt durchaus an einer GIcidnmg zwischen jener korper-
lidien und dieser psychischen £Ue.
Mit dieser Erklärung, dsss auch die Empfindungen der
Gleichheit und Ungleichheit nur Thatsadben unseres Be-
wusstseins sind, sind wir zunächst nicht nur nicht vnn der
Stelle gerückt, sondern haben unserm Ausgangspunkte, dass
die Zahlen nur in unserm Denken vorhanden sind, jeden
Wert genommen. Diese Erklärung s^i^ie doch nur dann
etwas, wenn die Zahlen unwirklich waren im Go*?"nsat/e
zu den wirklichen Verhältnissen und gar den wirklichen
Dint^^rn. Erinnern wir uns ntjn jetzt , dass tlie bisher als
wirklich anjrrcnoinMienon Grösscnverhiiitnissc ah Ergebnis'^e
einer Vergieichung nur Bewusstseinszuständo sein können,
und dass schliesslicli alk* und jede Kenntnis von der W'irk-
lichkeitswelt au( h nur menschliche Denkoperation ist, so
scheinen die Zahlen nur mit allen andern Vorstellungen in
Zahlcuverbältmiase imwirklicb.
171
den dutiklen Abgrund der Erkenntniskritik zu versinken.
Dennoch zwingt uns eine Gewissheit dieses unseres zer-
faserten Denkens, bezüglich der Realität einen Unterschied
wa machen zwischen imserm Bewusaftsein von natürlichen
GrSasenTerhIhnissen und nnsenn Bewusstseio Ton ihrer
menschlichen Messung, TOn den Zahlen. Dem Wesen dieses
üntonchiedes i^ern wir uns, soweit dies ttherhsupt mSg-
lich ist, Tielleicht durch einen Huiweis auf die Thatsache
oder die Wahrscheinlichkeit, dass das Denken des Mensehen
geworden ist, sich entwickelt hat, also auch die Vorstellung
von GrSssenTerhIltntssen ihre besondere Entwickelung durch«
gemacht haben mag. Ich werde es nicht Tersuchen auf
diesem Felde mehr als eine melancholische Vermutung ku
geben, die nämlich, dass unsere ZahlenYontellungen einer-
seits kaum begonnen haben den Standpunkt einer empiri-
schen Anfilngersehafit zu verlassen, dass aadetseits unser
vielgerOhmtes logisches Denken noch nicht einmal auf dem
Standpunkte unserer Zahlenvorstellungen angelangt ist Nur
eine ganz kurze Bemerkung soll diese Worte rechtfertigen.
Das UFSprQngliche Verhältnis, in welchem auch das Tier
und das Kind und der Wilde au den Quantitäten d^ Natur
steht, war offenbar das der Anschauung. Sehr bald mögen
die BegriS'e ^einige" und .viele" dazugekommen sein. Als
nun die Menschheit mit unsäglicher Qeistesanstrengung
zählen lernte, zuerst mit einer epochemachenden Erfindung
bis 2, dann bis 3, bis 4, bis 5, bis 6, bis 10, bis 12, bis 20,
da war die Zahlen Vorstellung ganz offenbar auf dem kind-
lichsten Standpunkt stehen geblieben wie etwa die BAum-
vorstellungen des Kindes, welches sein Bettchen schon aus-
messen kann, aber das Fenster seines Zimmers und den
Mond vor dem Fenster eben auch noch auf Aermchenlänge
entfernt glaubt. Gar so sehr veränderte sich dieser kind-
liche Zustand nicht, als die Griechen nach jahrtausende-
langer Verbesserung der Zahlcnerfinduntr bis zu zehntausend
zählen gelei nt hatten. Das T^r?f'ndlichkeitssystera des Archi-
medes war unbrauchbar für das eigentliche Weiterzählen
ins Unendliche. Immer lautete die Antwort auf die Frage,
172
VI. Dfts Zahlwort.
wie gross die Sonne sei: 8o gross woU wie ein Fader
Heu. Das änderte sich erst, als durch den Gedanken, man
könnte ins Unendliche weiterzSUen , unser dekadisches
Zahlensystem eigentlich erst perfekt wurde. Von jetzt ab
konnte man ins üneiulliche messen, das heisst vergleichen,
und v^gass darüber, dass vergleichen nicht erkennen ist.
Ins Innere der Natur dringt kein erschaflfener Geist; und
die Zahl ist nicht einmal ein erschaffener Geist, sondeni nur
ein erfundenes Instrument. Ins Innere der Natur konnte
man mit Hilfe drr diskreten Zahlen nicht dringen, auch
wenn man in der Phantasie zählend zum Unendlichgrossen
fortschritt. Wie aber, wenn man umgekehrt die Lücken
zwischen den diskreten Zahlen ausfüllte, wenn man unend-
liche Reihen des Unondlitlikloinon zwischen sie warf, die
Znhl dadurch kontinuicrlicb raaclito und durch den Bej^ritt
der Ditrereutialänderung die Entstehung der XHtur]>ewe-
gungen kennen lernt«, den Anfang der liewegung? Ich
möchte nicht wiederholen, was oben gesagt worden ist. Ejit-
weder die Diftereiitialiinderun^^ ist nur ein mathematisches
Sviuljül für die unendlich kleinen Momente der in der Natur
wirkenden Kräfte, nur < in Symbol iler auf einen ausdehnun^'s-
Idsen Punkt zusammengedrängten Grüssenverhältnissc, dann
Ist das Üitlerential nicht eine Zahl, sondern eine logische
1 lilfsYorstellung zur Natui-erklürung ; oder es ist eine Zahl,
dann ist es nur eine niathoraatische Hilfskonstruktion in der
Uecuniuig. nicht in der Natur. Tnd zwischen diesen heiden
Worten, der Zahl und (h>ni i>itiei eutialbcgriti, liat die Sjtrai he
der Gegenwart also unsere gegenwärtige Weltanschauun'.j
noch keine Verbindung herzustellen vermocht. Noch ein-
mal: entweder das Diflferential gehört der Sprachwelt an»
dann ist es das Bild von etwas Unvorstellbarem, dann ist
es metaphorisch, schwehend wie alle Begriffe, oder es ge-
hört der Zahlwelt an und dann ist es kein Begriff.
TMbeii. Von Kindern und von Wilden wissen wir es, daas sie
mit den neu gelernten Zahlbegriffen, z* B. mit der 3 oder 4,
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Vielheit
i7S
zuerst den Begriff der Vielheit verbinden, je nach Um-
ständen möglicherweise den der geringen oder der grossen
Vielheit. Lesen wir Aristoteles oder irgend einen andern
Lehrer der Logik, so erfahren wir ebenfalls, dass der
Begriff oder feierlicher die Kategorie der Quantität in die
Unterbegriffe der Einheit, der Vielbeit und der Allheit
zerfällt.
Dass Vielheit ein ungenuuer BegrifT sei wird jeder zu-
geben. Ungenau gesprochen umfasst die Unterkategorie der
Vielheit sämtliche Zahlwerte . die sich von der Unendlich-
keit selbst nur durch deren l)eide Endwerte unterscheidet;
auch vom ^Standpunkte des Gefflhls ist nie vorher zn wissen,
ob der Sjjrachlicbe Ausdruck ,viel" iui Verhältnis zu einer
kleinem Zahl als gross oder im Verhältnis zu einer grös.sem
Zahl als klein werde empfunden werden, ob mit den Vielen
eine Majorität oder eine Minorität bezeichnet sei. Das ist
dann banal bei Geldsiuiinien, bei Ausdehnungen von Grund-
stücken, kurz überall wo der Besitz einer Vielheit bei dem
Besitzer oder Besitzwollenden ein Interesse erregt; es ist
aber auch einleuchtend in rein iugistUeu Folgerungen, wo
die Berufung auf „viele" bald ein allgemeines Urteil be-
gründen, bald als belanglos angesehen werden kann. Zwei
Beispiele. »So viele Menschen ich geprüft habe, Hessen sie
sich alle von ^oistischen Motiven leiten; also sind alle
Menschen Egoisten.* Ich weiss wohl, dass es nur ein
sprachlicher Zufall ist und nur im Deutschen notwendig,
dass hier .so viele Menschen* die Worte .viele Menschen"
mit enthält; bringe ich den Sats aber auf eine streng logi-
sche Form, so kommt das reine .viele* zum Yorschein und
zwar in einem unvollständigen induktiven Beweise: ich habe
viele Menschen geprüft, diese alle verrieten Egdomus, also
erwarte ich Egoismus auch bei allen andern. Das ist der
psychologische Weg, auf welchem doch schliesslich induktiv
alle unsere Urteile, das heisst alle Begriffe und die in den
Begriffen verborg«ien Urteile entstanden sind. Es ist eine
Frage des Sprachgebrauchs, ob man mit dem Begriff «viele*
die zum induktiven Beweise einer B^l wünschenswerte
174
Vi. Dm Zahlwort
Zahl oder die gleichgültige Zahl der Ausnahme von dieser
Kegel begreift. Es ist also in dem zweiten Beispicli : ^ Viele
Menschen kommen ohne Beine auf die Welt; trotzdem ge-
hört es zur Vorstellung vom Menschen, dass er zwei Beiue
liahe* — dieselbe Unterkategorie der Vielheit, welche sonst
cur Herstellung des induktiTen Beweises genügt, gar nicht
in Betracht gezogen. Gerade die I%Ue von organischen
MissbÜdungen sind für unser sprachlcritisches Interesse be-
sonders lehrreieh, bei dem äussersten Grade der Miss-
bildung die Regel (ausgedrückt in der Definition oder in
der Beschreibung des Begriffs Mensch) einfach dadurch ge-
rettet wird, dass man die Terkllmmerte Frucht gar nicht
unter den Menschenbegriff aufnimmt. Als man noch an die
Existenz von Menschenkindern mit Tierköpfen glaubte, gab
es Uber die Anwendung des Mettschenbegri& Geologischen
und juristischett Streit; heutzutage wird es keinem Menschen
einfallen, eine Mole fÖr seinesgleichen anzusehen, eine Mole
einen Menschen zu nennen, trotzdem es «yiele'* Molen gibt,
die die PrUchte Ton Menschen sind.
Die Einheit ist zwar ein viel brauchbarerer Begriff als
die Vielheit, aber aus der Wirklichkeitswelt genomm«i ist
auch sie nicht. Genau betrachtet gibt es auf der ganzen
Welt fUr jeden Menschen nur eine einzige Einheit, die Ein-
heit seines Bewusstseins, und wenn man diese Einheit ana-
lysiert, so bleibt auch da an Stelle der diskreten Einheit
nur die Kontinuität des Bewusstseins bestehen (I. 595 f.).
Wo immer wir sonst von einer Einheit ausgehen, da handelt
es sich nur um eine Konzentration unseres Interesses, also
um einen vorübergehenden Gesichtspunkt unseres Bewusst^
seins. Die Eins ist noch keine Zahl, sondern nur der GrenZ'
begriff des Zählens. Die Zwei ist, wie gesagt, die erste
wirkliche Zahl.
Allheit. Die Unterkategorie der Allheit scheint der deutlichste
von diesen Begriffen zu sein ; wir verbinden jedoch mit dem
Worte sehr vei-sehiedene , eigentlich entgegengesetzte Vor-
stellungen : alle möglichen , sodann alle wirklichen . das
heisst alle noch nicht gezählten und beobachteten, endlich
._^ kj i^ -o i.y Google
AUheit.
175
alle gezählten und beobachte teu. Es ist klar, dass .alle"
in dem zweiten Falle nur eine Zusammenfassung von „viele*
ist; ob ich in meinem kurzen Leben hundert Menschen
kennen gelernt und als egoistaach erkannt habe und darans
den indukÜTeii SgUum adle, alle mir unbekannten seien
so egoistisch wie die rielen nur bekannten, oder ob die in
der Sprache niedergelegte Weltanachauung der Menschheit
seit Jahrtausenden Milliarden Ton Menschen beobachtet hat,
die alle sterblich waren, und so aus den sehr vielen vielen
FSUen ihren induktiTen Schluss zieht, es seien alle Menschen
sterblich, das ist im Grunde dasselbe. «Alle" besieht sich
fast regelmässig surQck auf die »vielen*, welche in meinem
individuellen Gedächtnisse oder in dem Gedächtnisse der
Menschheit vorhanden sind. In jedem induktiven Schlüsse
wird ein solches «viele* ausdrficklieh oder implicite in ein
«slle* verwandelt. Dieses »alle" besieht sieh jedesmal auf
eine diskrete wenn auch unbeuannte Zahl, einerlei ob es
sich um 10 oder um eine Quadrillion von HinselflUen handelt.
In dem Urteile «alle Revolutionen ftthren cur Diktatur*, das
man ja wohl gelegentlich hören kann, wird der induktive
Beweis aus 4 oder 5 Beispielen geschöpft, seine Wahr^
scheinlichkeit ist kleiner, seine psychologische Entstehung
ist aber nicht anders als in dorn Urteile ^alle Menschen
sind sterblich". £ine unendliche Zahl wird bei dem Be-
griffe der Allheit nur dann mitverstanden, wenn die Vor*
Stellung über die Erfahrung hinaus ausgedehnt wird, sei es
durch die Hypothese des Unendlichkleinen, wie z. B. in
,alle Atome haben die Eigenschaften des Stoffes, den sie
bilden", sei es durch die Zwangsvorstellung einer unendlich
grossen Reihe, wie z. B. in ,aUe diskreten Zahlen lassen
sich durch das dekadische System ausdrücken".
Der doppelsinnige Gebrauch des Wortes ^alle" bald
für eine bestimmte, wenn wwh im Aug*Miblicke vielleicht,
unbekannte Anzahl , bald für alle möglichen Fälle, weiche
unter einen Begrifi" fallen, ist ein logi??cher Fehler, den
manche Sprachen vermeiden, andere Sprachen nach ihrem
Wortvorrat vermeiden könnten. Wir könnten z. B. im
Digitizcü by ^(j^j-j.l'^
176
Vi. Dm Zahlwort.
Deutschen .alle" und «sämtliche'^ differenzieren wie man
im Lateinisclieii onines uüd cuncti unterscheidet.
Negation. Zuletzt ist freilich überall der doppelsinnige Ge-
brauch des Wortes „alle" doch nur begreiflich, weil der
Unterschied, wie oben schon angedeutet, ein Gradunter-
schied ist. Weil spätti au /li vou der Negation als einer
neben der Quantität für die ioiiuale Logik wichtigen Kate-
gorie die Kede sein wird, will ich an dieser Stelle gleich
die Bcmerku ug hinzufügen , dass auch die Negation unter
Umständen nicht mehr zu bezeichnen braucht als einen
Gradunterschied. Man nehme einmal die Begriffe «blind*
und «taub*. Es sind in positiver Sprachform Torhandene
Negationsbegriffe, wdelie den Hangel bestimmter Organe
oder (was eigentlidk dasselbe ist) den Mangel ihrer psycho-
logischen Fwiktion ausdrücken. Sage ich ohne mefaftphori-
sehe Anwendung «dieser Tisch ist blind*, so ist das ein
ebenso sinnloses Urteil, wie wenn ich sagen wollte »die
Tapferkeit ist nicht dreieck^*. Alle solche Sinnlosigkeiten
können in einem bestimmten Zusammenhange metaphorisch
sinnvoll, wltsig, symbolisch und wer weil» was noch sein.
vDiese Mannorstetue der Venus ist teub* gibt einen Sinn.
Was für einen Sinn hat nun ein solches Wort in seiner
üblichsten Anwendung z. B. «N. ist blind*? Doch wohl
nur den: N. ist ein Mensch und ich subsumiere ihn unter
den Menschenbegriff, trotzdem er sich von dem Normal-
menschen dadurch unterscheidet, dass er nicht sehen kann.
Ebenso würde ich N. noch zu den Menschen rechnen, wenn
er ausserdem taub und lahm wäre, audi dann noch, wenn
er mit einem so unvollständigen Gehirn geboren wäre, dass
zur Definition des Menschen der Verstand fehlte. Dann
würde er freilich ftir die Rechtsprechung nicht mehr unter
den MenschenbegrilV fallen. Wäre er aber vollends ohne
Kopf auf die Welt gekommen und (man gestatte die Hypo-
these) dennoch lebensfähig, so würde man gar nicht mehr
sagen können „N. ist blind**; dann hätte dieses selbe Ge-
schöpf, diese selbe Leibesfrucht gar keinen Namen und weil
es oder sie nicht mehr mit dem Normalmenschen verglichen
Digitized by Google
Algebm nnd Logik.
177
würde, dürfte man die relative Negation „blind" nicht mehr
anwenden. Ich habe hier eine unlogische TJeberschätzung
eines blossen Gradunterschiedes in dem Falle von „alle" und
in dem Falle der sprachlich positiven Negationsworto zu-
sammengestellt, weil beide Fälle mir die Unsicherheit unserer
Kategorien deutlich zu machen scheinen.
Ünd auf dipsrn rhoi unlogischen Unterkategorien der
Oberkategorie Quantität ist der ausschlüsfgebende Teil der
formalen Logik, die Lehre von den Sr]ilüssen, fast wesent-
lich aufgebaut. Man braucht zu dem Be^^rifte dor Ein-
heit, der Vielheit und der Allheit nur noch die gefähr-
lichen Begriffe der Positivität und der Negutivität hinzu-
zutügen und die gesamte Lehre von den Schlüssen steht in
ihrem berflhmteu, den Jahrtausenden scheinbar tiotzenden
Aufbau vollendet da. Es ist kein Wunder, wenn die Er-
kenntniskritik unseres Jahrhunderts endlich den rein mathe-
matischen Charakter aller dieser Begriffe erkannte, wenn
Logiker der angelsächsischen Rasse, die von jeher Kadika-
lismus mit umera seltsam konservativen Geiste verbunden
hat, auf den Gedanke u gekommen sind, die alte Logik zu
retten dmxh Anwendung der Algebra auf die Logik.
Ich kann nicht wissen, ob ich die Kraft und die Zeit
. haben werde, auch diese neue Disziplm, die Algebra der
Logik, kritisch und sprachkritisoh vorzutragen; darum möchte
iek ao dieser Stelle nur auf den Chimdintum binweiBen, der
ISmst Schröder TerfUirt luit, die neue Form der Logik eine
exakte Logik zu nennen. Die Tor^h^den Bemerkungen
Ober das Wesen der Einheit, der Vielheit nnd der Allheit,
dazu eine üeberzeugung, dass alles deduktire Schliessen nur
em Kreislsuf in der Tautologie ist, daas neue Begriffe mit
allen in ihnen enthaltenen ürteilen nur aus dem induktiTen
Schliessen hervorgehen, dass endUch alles induktive Schliessen
nur auf unvollständigen Induktionen, auf der Vielheit be-
ruht, — all das liest mich behaupten, dass die Algebra der
Logik nicht eine NeubegrOndung der alten Wissenschaft,
sondern ihre Auflösung ist. Eine Auflösung in Wahrschein-
lichkeitsrechnung und Statistik; em gsnzes arbeitsames Leben
llftatka«r, Beiferl«» n iln«r Kritik d«r Spnolie. XtL 12
178
VI. Daa Zahlwort
würde gerade hinrcicheu, diese erschreckliche W iiliriieit im
einzelnen für diese junge Disziplin nachzuweisen.
ZM Auf meinem Wege stehe ich jetzt au dem Punkte, wo
ich erfahren kann, ob das Rätsel der Zahlen einen seiner
futiir«
vielen Schleier abwerfen wird oder nicht Wir haben näm-
lich gesehen, dass alle lofpBchen Operationen, welche für
uns doch nur AnfdrQselungen psychologischer Begriffiilnldung
sind, auf die üntorkategorie der Quantität, auf die unbe-
stimmten Zahlen eins, viel und alle xurOckgehen. Eins ist
nur als Hülfie der ersten Zahl zwei eine diskrete Zahl; ab
Einheit ist sie unbestimmt, wie sie denn auch in vielen
modernen Sprachen mit dem unbestimmten Artikel zu*
sammenftilt. Von d«r Allheit haben wir gesehen, dass
dieser Begriff (Hypothesen abgerechnet) immer nur eine im
Bewusstsein vollzogene Vereinheitiichu]^ der Vielheit ist.
Mit dieser Vielheit operiert unser Denken gewöhnlich ohne
Ziffern, ohne Algebra. Was aber die Algebra der Logik
Neues wissenschafilich versucht hat, das liegt in der Natur
vor, seitdem es dne Natur gibt. Es gibt in Berlin in einem
bestimmten Augenblicke nicht «viele* Menschen, auch nicht
lUngefähr*^ anderthalb Millionen, sondern eine ganz be-
stimmte Zi^ von Individuen, eine viel bestimmtere Zahl
B<^ar, als die Statistiker mit den Fehlerquellen ihres Zählens
herausbringen können. Auf dem Kopfe jedes dieser Indi-
viduen sind nicht viele' Haare, sondern auf jedem Kopfe
eine diskrete ZidiL Die Vielheit ist nur im Kopfe unter
diesen Haaren vorhanden; in der Wirklichkeitswelt gibt es
keine unbestimmten Zahlen. Aber in der Wirklichkeitswelt
gibt es anderseits überhaupt keine Zahlen, weil nicht die
Natur zählt, sondern der Mensch. Wir stehen also vor dem
alten Widerspruch, den wir jetzt mit den Mitteln unserer
Sprache etwa so ausdrücken können: (iass in der Natur
etwas ist, was mit untrüglirhi^r Sicherheit unscrn Zalilen
und allen mö^^lichen Hechnungsarten entspricht, dass die
Thätigkeit des Zühleiis jedoch Menschenwerk ist , Verstandes-
arbeit. Und da scheint mir doch, dass wir um einen kleinen
Schritt vorwärts gekommen sind, da wir vorhin Zahlen und
Digitizcü by
Zahl uad zahlen.
179
ZaUenTerltiÜtnisse in das BewosstMin ziirttdcgewiesen und
die BenehungBn der OleicUieit nnd Ungleichheit ab die
Gnindthatsache alles Denkens erkannt haben. Wir können
nns jetEt Torstdlen, dass der Unterschied der QrSssenver-
hSltnisse auf nnsere Empfindung von Unglmcfaheit surttek*
geht, und dass die Empfindung der Gleichheit die erste
Yenuüassung zur Thtttigkeit des ZShlens gegeben hat. Es
Teisteht sieh von selbst, dass die Besiefaungen der Gleich-
heit und die auf ihnen sich allmShlich ^hebende Mathe-
matik Ton Schritt SU Schritt auf die Beziehungen der Un-
gleichheit, das heisst auf die Grössenverh<mase in der
Natur aufgebaut Vörden sind und dass demnach auch die
wirklicLen Grössenverhältnisse der Natur in zweiter Potenz
nur Thatsachen unseres Bewusstseins sind, erstens weil die
Empfindung der Ungleichheit ein ])sy(-liüIogischer Zustand
ist, zweitens weil das Ausniessen der l Ungleichheiten oder
der GrfissenTerhältnisse erst mit Hilfe der Gleichheits«
empfindungen möglich ist.
Hier aber wollten wir ja nur untersuchen, was Zahlen ZaU
sind ; auf unserm jetzigen Standpunkte: wie die Empfindung
der Gleichheit zu der Vorstellung von Zahlen, richtiger zu
der Thütigkeit des Zühlens führen konnte. Die Ersetzung
des Substantivs Zahl durcli das Verbnm zahlen ist für unser
Weiterdenkeii nicht j;H*'ieh^ülti}X. Wir luiben oben flüchtig
bemerkt, dass nicht nur die Ausbildung dtr Mathematik,
sondern sogar die Ausbihlung des Zahlensystems ^ur Ent-
wickelungsgeschichte des mensclilichen Verstandes gehört,
dass das Instrument Zahl niclit immer (Ui war, sich viel-
mehr in liistorischer Zeit (wenn man die Beüba< }itnngon an
wilden Völkern ins Historische übersetzt") vom lohesteu Zu-
stande bis zu der bewundernswerten Kechenmaschine ver-
feinert hat, als (iie sich die gegenwärtige Mathematik dar-
stellt. Es würde uns in endlose Widersprüche verwickeln,
wenn wir das so ausdrücken wollten, dass die bnitalen Sub-
stantive, die Zahlen sich entwickelt haben. Man könnte
ebensogut saj^en, dass die unzähli^^en Insektenarten, welche
seit hundert Jahren neu beobachtet worden sind, sich durch
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180
VI. Da« Zahlwort.
die Beobachtangen entwickelt haben, oder die umähligen
Sterne durch die Anwendoi^ des Femrohis; noch genauer
betrachtet liegt dieser Widerspruch in dem Worte Snt-
widcelung, vefl dines mit dem Bilde ^er Auswiekdung
schon ▼orhandener Gegenstiinde einen stark tfaeoIogiMshen
Beigeschmack hat» Das Wort Teriiert diesen widerwärtigen
Beigeschmack fast ganz, wenn wir es auf das organische
Wachsen einer menschlichen Th&tigkeit anwenden, in diesem
Falle auf das Verbum zählen.
Und auf dem Gebiete des Zählens haben wir es bessw
als irgend sonst, wo wir <^cr. Begriff der Entwickelung
durchzufuhren streben. Ueberall sonst fehlt uns der An*
fang; der Keim, ans welchem alle organische Entwickelung
und damit auch das Menschengehim hervorgegangen ist,
bleibt so unvoUstellbar, dass das Organische entweder fertig
in die Welt hineinspringt wie ein Clown in den Zirkus oder
dass die abstrusesten Eintagshypothesen nötig sind, um uns
den Ueberganj]^ vom Unorj^anischen ins Organische mit
TaschenspielerkUnsten vorzumachen. Der Keim des Zähleas
steht jetzt auf einmal deutlicli vor uns.
In überzeugender Weise hat Ernst Mach mehrfach, zu-
letzt in der dritten Auflage seiner Mechanik (S. 472 u. f.i
die Wissenschaft und die Sprache nh eine ökonomische Ein-
richtung erklärt, als eme Arbeitsersparun«;]^. Wo immer
Mathematik zu andern Wissenschaften herangezogen wii-d,
da kommt die ganze vorgel>ildete Uekonomie der Mathematik
diesen Wissenschaften zu ;:,nite. ,.I)ie Mathematik ist eine
Oekunomie des Zählens. Zahlen .sind ( )rduungszeichen, die
aus Rücksichten der Uebersicht und Ersparung selbst in
ein einfaches System gebracht sind. Die Zähloperationen
werden als von der Art der ()l)jekte unahhiln«j;ii^ erkannt,
und ein für allemal eingeübt . . . Alle Rechnungsoperationeu
haben den Zweck, das direkte Zählen zu ersparen, und
durch die Resultate schon vorher vorgenommener Zähl-
prosesse zu ersetzen ... Es kann hierbei vorkommen, dass
die Resultate von Operationen verwendet werden, welche
vor Jahrhunderten wirklich ausgefthrfc worden sind . . .
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,2* die ente Zahl.
181
Aehnlich sparsam verfahrt der Ksufiliftnn, indem er, statt
seine Kisten selbst herumzuziehen, mit Anweisangen auf
dieselben operiert." Die Einführung der Ludolfischen Zahl
oder der Logarithmen in die Rechnung ist ein schlagendes
Beispiel solcher Arbeits crspamis durch Bcniitzung einmal
vorhandener Rechnunp;sresultatü. Das gewalti|^ste Beispiel
bleibt jedoch die jedem Kinde geläufige Anwendung unseres
Zahlensystems, welches das Resultat des in unendlichen
Zeiträumen sich entwickelnden Zilhlens ist. Dieses Zählen,
welches aller Mathematik und zunächst den Zahlen zu Grunde
liegt, muss jedoch seinen Ausgang genommen haben von
dem Akte des Biszweizählens, von dem Gefühl der Gleich-
heit (der für unser Interesse relativ vorhandenen Gleichheit)
zweier Gegenstände. Wir haben vorhin schon die Zwei die
erste Zahl genannt; wir erkennen jetzt, dass sie die einzige
natürliche Zahl ist. Wir vermögen uns freilich nicht den
psychologischen Vorgang einer Urzeit vorzustellen, in welcher
den Menschen die Begriffe der Einheit und der Gleichheit,
das heisst der Zwei/.iihl noch fehlten. Wir können uns
aber recht gut vorstellen, wie eines Tages das grösste raathe-
matische Genie, das jemals auf Erden gelebt hat, für das
Gefühl der Gleichheit zweier Dinge einen sprachlichen 6e-
ftthlsausdruck suchte, zwei sagte und damit das ZSUeii er-
fand. Wir können tms Torstellen, wie diese epochemacliende
Erfindung FortBchritte maclite, wie man von der Zwei zu
ihrem Zweiten u. s. w. gelangte und wie fllr Gruppen,
welche noch mit den Augen zu Übersehen oder mit den
tastenden Fingern zu Tergleichen waren, Empfindungsaus-
drOche sprachliche Firiemng fanden, die dann, je nach dem
0enie eines Volks, bis zu 5, bis zu 10, bis zu 12 oder bis
zu 20 gingen, wie dann wieder ein mathematisches Genie
die EmpfindungsausdrUcke zu äUilen anfing (zwanzig ist deut-
lich — 2 X 10) und wie so der zufWige Grund gelegt wurde
zu unserm Zahlensystem. Nichts kann mir femer liegen
als bei meinem Misstrauen gegen alle Torhistorische Etymo-
logie das indoeuropäische Wort för zwei zur Erklärung
heranzuschleppen. Es wäre aber ganz hQbsch, wenn das
182
VL Bas Zahlwort.
Zahlwort zwei ( vielfach tva oder dva) und das Fürwort ilu,
,8" nud das Fürwort der zweiten Person (im 8anskrit tvani) ursprüng-
lieh ein und dasselbe Wort gewesen wäre. Wir haben ge-
sehen: es gibt in der weiten Welt der psycholoirischen
Wirklichkeit nur eine einzige Einlieit, die Einheit des in-
dividuellen Bewusst.seins, die P]inheit des leb; und da wäre
es doch n^arjz hübsch, wenn das» erste niatliematische Genie
am Kebeumeuschen die Entdeckung gemacht hätte, dass er
auch so ein loh sei, wenn er den BegritV des Zweiten zuerst
auf einen Nebenmeuschen angewandt hätte, wenn das „du*
eigentlich geheissen hätte „mein zweites Ich". Dann hätte
der berühmte Satz der Veden „Tat tvam asi" in irgend
einer fernen fernen Vorzeit wirklich den Öiim gehabt: ,Du
bist mein zweites Ich."
Die unabweisbare Vorstellung einer Verwandtschaft
zmaehea den Begriffen zwei und du wird sichtbar an den-
jenigen Sprachen, welche am Yerbum und am Substantiv
eine besondere Bfldungsform fUr die Zweizahl haben, den
DuaL Der Dual ist in den modernen Spradien fast völlig
verloren gegangen. Das ausgebildete Zahlensystem hat die
einzige natOrliche Zahl, die Zwei, verschlui^en und an ihre
ordnungsmässige Stelle gesetzt, wo sie sich an Sprachwert
von der 1 und 3 nicht zu unterscheiden scheint. In dem
Dual der alten Sprachen liegt aber das Geheimnis versteckt,
dass wie die 2 die einzige Zahl ist so auch das Wort zwei
das einzige Zahlwort, welches aus dem organischen Bau der
Gemeinsprachen nicht herausfallt. Das übrige Zahlensystem
ist eine Sammlung wissenschaftlicher Zeichen, welche selbst-
verständlich zum weitern Begriffe der Sprache ebenso gut
gehörtti wie die noch allgemeinem algebraischen Zeichen,
welche aber nur in dem Masse in dar Gemeinsprache Ver-
wendung finden, als die wissenschaftlichen YorsteUungen
der Mathematik durch jahrtausendelange Einübung Gemein-
gut des täglichen Lebens gewordi n sind. Es i>i noch nicht
gar so lange her, dass die Hechner eine Tafel mit dem
Einmaleins neben sich liegen hatten und hineinblickteUf wie
sie heute die Logarithmentafeln nachschlagen; damals ge-
•2" and .du*.
183
hörte zwar schon die Zahl 56 zur Gemeinsprache, als Ord-
nungszahl eigentlich, welche hinter 55 kam, aher noch nicht
die Vorstellung von 56 aU ein Piodukt von 7 und 8. Und
in irgend nner alten Zeit oder bei mmdiftn ladiaaerstänunen
von heute gehOrt auch 4ie Grundzahl 56 noch mdit rar
Gemeinsinrache, wenn so ein Rechner den Betrag auch durch
die Summierung Ton swei Menachen, iwei Hftnden, dem
linhen Fuss und einer Zehe des rechten Fusses ra stände
gebracht haben kann. Daran hat die Ausbildung der HaUie-
matik, der hdheren Mathematik und der Metamathematik
nichts gdbiderfc. So wenig die Logik TOr IrrtOmem be-
wahren kann, so wenig kum die Behenschung der Maihe-
ma^ oder das Auswendigwiasen Ton 100 sechsstelligen Loga-
rithmen einen Gelehrten daTor schfitKsn, einmal 7 X 8 = 54
SU setzen, wenn er das alte Resultat der Einmaleinsrechnung
zufftUig nicht im Ged&ehtnis hat Ist 2 wirklich die einzige
echte Zahl, so liesse sich der ganze stolse Bau der Ifathe-
matik langsam und sicher herauskonstntieren aus der Ur-
gleichung 2 — 1 = 1. Beispielsweise würden sich die über-
raschendsten Thatsachen der Zahlentheorie aus dieser Glei-
chung eigeben. Alle Zahlen, wie dann alle mathematischen
Zeichen, erfassen die Welt, welche unser Übriges Denken
▼on Seite der in uns erregten Empfindungen, also von Seite
ihrer Qualitäten erfasst, einzig und allein Tom Gesichts-
punkte der züli Ibaren Quantität Sie bilden, immer abge-
sehen von der Zwei, einen Wert für sich, eine Sprache für
sich, vielleicht eben darum eine Weltsprache. Schopenhauer
hat einmal den mystischen Ausspruch gethan, es sei die
Musik die Welt noch einmal. Mit grösserem Höchte konnte
man sagen, die Zahl nei die Welt noch einmal, und auch
Schopenhauer kam zu seinem Worte nur, weil er, angcrep;t
von Pythagoras und den seitdem fortgesetzten Studien über
zahienmässige Tonharmonien, der Musik Zahlen zu Grunde
icfjte. So wenig i'ix i- die Zahlen Verhältnisse, welche mit
den Tonharmonien übereinstimmen, mit unsem Tonem})tin-
dungeu irgendwie vergleichbar :sind, so wenig ist die \\ elt
der Zahlen mit der Sinnenwelt vergleichbar, die wir nicht
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184
VI. Das Zahlwort.
anders sb mit dem metaphysiflchen Vorbehalt die Wirk-
lidbkeitswelt nemien kOimeti. Die Welt der Zahlen ist ein
fremdes ISement in unserer Sprache, immer abgesehen von
der Zwei freilich, wekhe dem Erkenntnisse der Qleichheit
einen Namen gegeben hat; und es ist vielleicht nicht bloss
Zufall, wenn wir im Deutschen für «der gleiche*, das heiast
der aweite auch sagen können «der nämliche", das heisst
der genannte. Die Mjstik, mit welcher I^thagoras die
Mathematik seiner Zeit sur Aufklärung der WeUarätsel be-
nutien wollte, gilt heute nicht mehr für geftiu-lidi; es ist
aber nur eine feinere Mystik, wie wir jelatt endlich seh«i,
wenn neuerdings die ausserordentlich ausgedehnte Anwen-
dung der Mathematik auf die Naturwissenschsiten und zu-
letzt auf die Logik mehr bieten will, als Ersparnis, üeber*
sieht im 1 Klarheit, wenn sie Erklärung sein will und aus
der Welt der Zahlen die Lösung der Welträtsel hofft. Die
Welt der Zahlen hat ihren eigenen Schlüssel, der zu den
Rätsein der Sinnenwelt nicht passt. Emst Schröder ver-
steigt seine Phantasie so weit, dass er einmal (I. S. 125)
Denk- durch die Algebra der Logik die Erfindung einer »Denk-
raaschine" fUr möglich hält, „analog oder vollkommener
wie die Rechenmaschine, welche den Menschen einen selir
beträchtlichen Teil ermtldender Denkarbeit fortan abnehmen
wird, gleich wie die Damptma'^' liine es mit der physischen
Arbeit erfoli^reich thut." Vielleicht soll eine künftige Zeit,
indem ein sclüichter Manu oder ein elektriücher Motor die
Kurbel der Denkmaschine dre)it, so die sieben Weltriitsel
lösen Oller doch einige neue ><aturgeset/.e entdecken. Die
Lehre von der Erhaltunf:^ (jer Energie hätte dem geistreichen
Manne sagen sollen , dass auch eine Denkmaschine nichts
hervorbringen kann, was nicht vorher in sie hineingesteckt
worden ist. Der Vergleich mit der Rechenmaschine ist
vortrell'lich, aber spricht nicht zu Gunsten der Denkmaschine.
Die Rechenmaschiao ist möglich, weil ihre Ergebnisse einzig
und allein innerhalb der autonomen Zakkuwelt Gültigkeit
haben und niemand von der liecheumaschine Auskunft
darüber verlaugt, ob nachher die Münze der Zahlung falsch
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185
ist oder nicht, ob die Zahlen auf Aepfel oder Nüsse be-
zogen werden sollen. Die Denkmaschine jedoch hat es ent-
weder mit der Wirklichkeit« weit zu thun und dann fehlt
die Brücke von der Maschine zur Welt, oder sie wird nach
den Prinzipien der algebraischen Logik, nach dem Locfik-
kalkul konstruiert , und dann wird sich wohl herausstellen,
dass die so stolz als exakte Logik auftretende Algebra der
Logik nichts ist, wie schon gesagt, als Statistik und der-
gleichen, dass sie das Ende der Logik ist, das Ende des
Glaubens, eine Lehre von den Denkgesetzeu könne anders
als durch eine gewisse Hebung das Denken fSräem* Mir
scheint die Anwendung der Mathematik auf die Logik, ge-
rade in ihrer bewundernswerten Ehrlichkeit und Konsequenz,
den Sfcors der modernen mathematischen Mystik Tonu-
bereiten. Audi auf sie trifflb zu, was Emst Mach (Mechanik
S. 479) warnend gesagt hat: «Die Erinnerung ist keine
eigentliche Arbeit, sondern eine Auslosung yon zweckmSesi-
gerer Arbeit. Gerade so vertoilt es sich mit der Verwendung
wissenschaftlicher Oedanken. Wer Mathematik treibt« ohne
sich in der angedeuteten Richtung AufklSrang zu ver-
schaffen, muss oft den unbehaglidien Eindruck erhalten, als
ob Papier und Bleistift ihn selbst an Intelligenz QbertriUen.
Mathematik in dieser Weise als Unterrichtsg^genstiand be-
trieben ist kaum bildender, als die Beschlftigung mit Eab-
bala oder dem magischen Quadrat. Notwendig entsteht
dadurch eine mystische Neigung, welche gelegentlich ihre
FrOchte tr>'
TII. Syntax.
Wir haben gelernt, dass diejenigen neuen Begriffe, die
wir nur als Deklinationsformen des Nomens und als Kon-
jugationsformen des Yerbums zu betrachten gewöhnt sind,
durchaus keine deutlichen und eindeutigen Vorstellungen
wachrufen; alle Beziehungen, die sie angeblich bezeichnen,
sind unbestimmt und nebelhaft. Erst unsere aussersprach-
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186
VII. Sjutiix.
liehe Bekanntscliaft mit der Wirklichkeit bringt zu den
Formen Bestimmtheit hinzu. Wir werden also schon ver-
muten, das8 unsere Satigefilge, die doch nur Kombinationen
▼on Wortformen, also Steigwungen dieser Unbestimmtheiten
sind, erst recht den Glauben an die Eindeutigkeit der Sprache
erschüttern werdoi.
Um diesen GUuben ToUends aufzugeben, mttssen wir
uns freilich erst hinwegsetsen Ober die Ammenmirdien, die
uns in dw Grammatik erzählt werden. Wir mOssen in
unserm Denkoa den Bann der Sprache brechen, in welcher
wir denkeu. Erst wenn die Sprachwissenschaft so ihre
dgenen Ergebnisse angewandt haben wird, erst wenn die
Sprachwissenschaft die Denkgewohnbeiten unserer Kultur^
sprachen auch praktisch als Lokalsitten der abendländischen
Menschheit auffassen gelernt haben wird, wenn sie die Denk-
gewohnbeiten fonnenarmer Sprachen als ebenbürtig erkannt
haben wird, so wie die neuere £thni^raphie die Sitten
mlder Völkerschaften zu bemoralisieren aufhört, erst dann
wird die Revolution vollzogen sein, für welche die Sprach-
wissenschaft alinnngslos seit hundert Jahren gearbeitet hat.
Ich nehme meinen Ausgangspunkt wieder einmal von
einer Erfaiirung, die sonst kaum henhachtet Avird, weil sie
alltäglich ist. Ich will zeigen, dass die Synt^ix für die Er-
kenntnis womüglich noch gleichgültiger ist als die gram-
matische Wortform, dass vielmehr die Aufmerksamkeit auf
die dem Satzgefüge zu Grunde liegenden Vorstellungen einzig
und aliein Zweck und Erfolg einer Kede ist.
Welchen Wert und welche Bedeutung hat die Svntax
für uns, wenn wir eine Rede anhören? Der Abgeordnete
spricht eine Stunde über eine Gesetzvorlage, der Professor
über eine neue Entdeckung, der Pfarrer über die Qualen
der Hülle. Nehmen die Zuhörer einen Anteil an den \ Or-
stellungen dieser Rede, sind sie an diesen Vurstellungen
aus direktem oder indirektem Egoismus beteiligt, so werden
sie dem sogenannten Gedankengang des Keduers fulgen.
Worin besteht dieser Gedankengang? Etwa in der Syntax
seiner Rede? So wenig doch, will ich hofifen, wie der Kausal-
Syntax des Bednen.
187
zusammeuliaug der Weltereij^isse auf den Formeln beruht,
welche Pedanten die loc^isclien Gesetze genannt haben. So
wenig als der Wort eines Bildes von seinem Rahmen ab-
hängt. Der Gerlfiiiktugang des eintiussreichen iiedners — den
ich streng vom ^uten Uedner oder dem Schwätzer unter-
scheide — zeichnet sich von deru Träumen des Si-hlafenden
oder des einftussloscn Hin- und Herred eus doch nur dadurch
aus, dass er aus der Fülle der sich aufdrängenden, hin-
und herschiessenden Associationen diejenigen auswählt und
bequem zusammenstellt, die nach seiner Ueherzeugung oder
seinem Interesse der Wirklichkeit entsprechen. Der Poli-
tiker erinnert uu diejenigen uationalökonomischen Thatsachen,
die für oder gegen den Gesetzentwurf sprechen, der Pro-
fessor zeigt die nähern oder fernem Wirkungen einer neu-
beobachteten Naturarselieinung , der F&rrer erregt Bilder
Ton den Peinigungen, mit denen gebömte Teufel die Un-
gläubigen iwicken. Die AufmerioMmkeit wird allein durch
die erregten Vorstellungen erweckt Interessieren die Vor-
stellungen nicht, weil der Professor onsthaft Anschauungen
des Torigen Jahrhunderts vorträgt, weil der Politiker auf
einem unmodernen Steckenpferde herumreitet, so werden
die ZuhOrer ebenso einschlafen wie unerweckte Ifenschen
in der Kirche. Hören die Leute im Parlament, im Kolleg,
in der Kirche dem guten Redner zu, trotzdem die von ihm
gewetMen. Vorstellungen sie nicht interessieren, wirkt also
die Bede als solche, so haben wir es mit einer kOnstleri-
sehen Wirkung zu thun, die uns hier nichts angehen soll.
In diesem letzteren Falle, bei der künstlerischen Wir-
kung etaer interesselosen Bede, spielt die Syntax der ge-
meinsamen Sprache eine henrorragende Bolle. Welche Rolle
spielt sie aber beim Anhören einer Bede, die ich einfluss-
reich genannt habe, also einer Bede, die allein der Absicht
der Sprache, von Mensch zu Mensch zu wirken, der Ab-
sicht der Suggestion entspricht? Ich wül die Dinge nicht
auf die Spitze treiben und will zugeben , dass dio Sjmtax
so gut wie die grammatischen Wortformen bei der bequemen
Anordnung der VorsteUungsreihen ein wenig mithilft. Wie
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188
die Casusfornien und die Tempusformen ungefähr und nebel-
haft es eikiclitern, die einzelnen Begrifie aufeinander zu
beziehen, so gibt es auch im Satzgefüge analogische Kate-
gorien, die uns ungefähr mitdenken lassen: der Redner legt
auf den einen Satz mehr Gewicht als auf den andern, er
fasst die eine Thatsache, v. as luan si; sagt, als Ursache der
andern auf u. s. w. Aber eigentlich ist die Syntax lüi die
Wirkung der Rede viel gleichgültiger als man glaubt. Sie
ist wie alle Sprachrichtigkeit beinahe nur von negativer
Bedeutung. Wir werden auf die Sjntaz erst aufmerksam,
wenn ein Redner aDsa grob gegen ihre Oewohnbeiten oder
Regeln TerstOeet Es wird uns aber — abgesehen Ton der
ftfläletiscbra Würdigung — gar nicht einfallen, uns darum
zu bekflmmem, ob der Redner innerhalb der grossen Frei-*
heit unserer syntaktischen Gewohnheiten seine Gedanken
mit d«r kindliehen Einfalt eines Botokuden aneinnnderreiht
oder im Üppigen Periodenstil eines fransösischen Akade-
mikers« Die Sjntaz ist uns innerhalb dieser vdten Grenze
so gleichgtlltig, wie die Kleidung des Redners innerhalb der
Grenaen, die wir anständig nennen* Erst Ahlwardts zer-
rissene Hosen eiregen Anstoss. Im Itbrigen kann der Redner
erscheinen wie er wiU. Und es ist bezeichnend, dass einer
der besten, das keisst einflussreichaten Redner, die je gelebt
haben, dass Fflrst Bismarck im Sinne der Grammatiker ein
schlechter Redner war, dass er geradezu oft die Regeln der
Syntax umwarf, weil sein Nachsatz einfach sprachlich zum
Vordersatz nicht passte. Ganz köstlich ist es übrigens, dass
die Grammatik diese Unverbindlichkeit der Syntax fUr die
besten Geister längst bemerkt hat, dass sie sie sogar zu
ihrem nicht geringen Schmerze bei den Uber alles berühmten
homerischen Gleichnissen registrieren musste, und nun, wie
für jede Ausnahme von ihren Regeln, auch für den Mangel
an Syntax einen schönen syntaktischen Ehrennamen ge-
schaffen hat. Die Grammatik befiehlt bei strengen Strafen
Gehorsam gegen rlie Syntax; Ungehorsam ist aber dann eine
neue Schönheit und heisst Anakoluthie, das heisst Nichtfolge.
Die Wertlosigkeit der Syntax wird vielleicht noch klarer,
Wortfolge.
wenn wir ao die wirklidie Aufnahme einer sosunmen-
hSngenden Bede denken, abo an unsere psychologische
ThStigkeit beim AnhOren, Es iet bekannt, dass wir beim
Lesen die Wortbüder su flflchtig anf nns wirken lassen, vm
so leicht Druckfehler lu bemerken. Jahrelange gelegent-
liche Beobachtungen in Zeitungsdmckereien haben mich
etwas Neues dazu gelehrt: dass nftmlicii von d^ Schrift-
steilem (dk gewöhnlich schlechte Korrektoren sind) Druck-
fehler in den Wortsttmmen wohl mit ^img^r Sichei^ett
entdeckt werden, viel seltener aber Druckfehler in den Ab-
leitungssilben. Ich habe (II. S. 385) darauf hingewiesen,
dass wir wieder in besonderer Weise falsch hören. Es geht
ja auch die Tendenz der Sprachentwickelung dahin, die
Büdungssüben des Nomens und des Verbums abzuschleifen
und verschwinden zu lassen, was gar nicht mdgli<^ wäre^
wenn nicht die sprechenden und die hörenden Menschen
gleichpfültig waren gegen den Ausdruck dieser Formen,
üebersehen, Ueberhören der Fehler ist danach das Ele-
ment, das Urphänom«i des Lautwandels. Die Reihen-
folge der Vorstellungen, wie sie durch die Wortstämme
allein schon in uns erweckt werden, ist für die Auf-
nahme des Gedankengangs die Hauptsache. Dazu kommt
dann freilich als wichtigster Ausdruck des Gedankengangs
und als wichtigste Erscheinung ulier Syntax: die Wort- Wort-
folge. Wollte mau die Wortfolge allein sclion Syntax '"'ß^-
nennen , so müssto ich hier meine Kritik der Syntax alj-
brechen und sagen: die Wortfolge ist allerdings von Wichtig-
keit für unsere Spruclie : denn in der Wortfolge lieürt. wenn
nicht die Ordnung der Wirklichkeit, so doch iliejenige Ord-
nung ausgedrückt, in welcher wir die Wirkliciikeit uns nach
unserni Staudpunkte vorstelleu. Es sind aber nur einige
weit entlegene, der Sprachwissenschaft sehr wenig bekannte
Sprachen, in denen Wortfolge und Syntax zusammenfallen.
In unsem Kultursprachen ist die Wortfolge nur, ich niüchte
sagen, das üerippe der Syntax. Das Satzgefüge bis hinauf
zum viel bewunderten Periodenbau verlangt einen ganz
anderen Aufwand von Ausdrucksmitteln für die koordinierten
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190
VII. SyntML
und subordinierten Sätze und fOr die scbmttckenden Zier-
rate, in irelche jeder einzelne S«tsteil verwandelt werden
kann. Was die Grammatik die Syntax nennt, das ersch^nt
in ihrer Darstellung wie die nStUvoUe* Fassade eines Pracht^
bans; in Wirklichkeit ist sie die unwaihre, der Mode unter-
worfene, sehr oft durchaus unlogische, äusserlich angeklebte,
7.im\ BI niden bestimmte Strassenfassade ^ mit welcher ge-
fällige Architekten die Mietskasernen der Grossstadt be-
werfen. Inwendig die Reihe von Arbeitsadmmer und Schlaf-
zimmer, von Speisezimmer und Klosett, wie das Bedürfnis
es verlangt, auswendig Renaissancestuck oder gotischer
Stuck, wie die Eitelkeit des Mieters und das Geschäft dee
Vermieters es verlangt.
Steno Wie wenig die Syntax zum Wesen der Sprache gehdrt,
giaphie 2:ur Verbindung und Mitteilung bequemer Vorstellungsreihen,
kann man an der psychologischen Thätigkeit unserer Kammer-
stenogra]>hen sehen. Sie notieren mit v(dlcr Deutlichkeit
doch im Grunde nur einige Lauttmippm , welche die ent-
scheidenden Vorstellungen wachrufen; für die Bihlungsformeu
der Worte und auch für die syntaktische Oliederun!^ der
Satze haben sie ausreichende Zeichen. Man könnte mir ein-
wenden, dasf? die streni^-*^ (To^etzniässigkeit der Syntax sich
grade daran erweise; diu *t( st i /-ii issi^keit zwinge den Steno-
graphen, nachher dieselben Worte zu gehnuiclien wie der
Redner. Nein, das gute Gedächtnis des Stenographen spielt
wesentlich mit, wenn er eine hall)e Stunde nach tlem Steno-
graphieren sein Stenogramm umschreibt. Ein Mann mit
noch bessern) Gedächtnis könnte die Rede vielleicht aus dem
Kopf nachschreiben. Dasjenige Gedächtnis, welches die ur-
sprüngliche Rede aus den flüchtigen Zeichen wieder herstellen
lässt, ist freilich kein anderes, als das Sprachgedächtnis
selbst, als die in unserm Gehirn vorhandenen syntaktischen
Kategorien, als die durch ungefähre Analogie entstandene
Gewohnheit, unklare Gruppen von Satzbeziehuugen durch
gewisse, ihrem Sinne nach unbestimmte Formen auszudrücken.
Der Kammerstenograph entlastet aber fast nur sein Sprach-
gedaehtnis für grammatische und syntaktische Formen; dieses
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Stenographie.
191
G^ppe hat er nachher sichtbar vor sich und vervollständigt
es lu eiaem lebendigen Gebilde durch sein Gedächtnis fQr
die Sitoalioii dee F^unentg, för die Seelensituation des
Redners. Das NichtBagensverto, die Caane- und Tempus-
formen und die Eonjunktionea haifc er fixiert; das Sa^^na-
werte, die Wortstftmme von Adjektiv, Yerbum und SuV
etaativ ergänzt «r aua dem Situation^fedüchtniB. Anders
bei einer Debatte um Branntwein, anders bei einer um die
Schule. Die Kammerstoiographie — nach der verbreitetsten
Methode — schreibt nicht wie wir sprechen. Auch nicht
wie wir hdren. Sie ist eine mnemotechnische Hilfe; sie er»
innert durch die ZufUügkeiten der Syntax (die fllr jede
Sprache anders unbestimmt sind) an den Gedankengang.
Auch der beste Stenograph könnte eine rasche Rede kaum
in einer Uebersetaung niederschreiben.
Haben wir uns erst an den Gedanken gewöhnt, dass
die Bedeutungen der syntaktischen Satzgliederung ebenso
unbestimmt sind wie der Sinn der Cwsus- und Tempusformen,
haben wir nun femer erfahren , dass wir beim Aufnehmen
einer Rede nur mit halbem Ohr auf diese formalen Teile
der Worte und Sätze hinhören, so fehlt uns nicht mehr viel
zu der Einsicht, dass die AnaiogiebiMiingen der Syntax mit
allen ihren schönen Gesetzen nur Zufälligkeiten sind, Zu-
fälligkeiten unsrer Sprache, die grade wir ererbt haben. Das
GefQge des zusammengesetzten Satzes braucht sich von dem
einfachen Satze nicht mehr zu unterscheiden, als der Kleider-
stoflF, welchen der Verkäufer faltenreich vor der Kundin
ausbreitet, von demselben Kleiderstoff im Ballen. Für den,
der mit den begleitenden Umständen Bescheid weiss, ist die
flüchtigste Tage})nchnotiz ebenso inhaltreich und deutlich,
wie der aus ihr entwickelte einfache Satz und wie die
reicherp Periode. Wenn ich mir ins Tagebnch schreibe
„gestern Erbfürs ter G.** so ist das für mich eljensoviel wie
für einen Eingeweihten die Mitteilung »ich habe gestern
abend im Theater bei Baumeister meinen Freund G. ge-
sjtrochen*. Einem ganz Fh im Um könnte ich die Sache
ebenso genau durch Uinzutilguug weiterer Nebenumstände
192
berichten, ohne die Grenzen des einfachen Satsee xu Aber-
schreiten. Manche Sprachen kOnnen es gar nicht anders.
Ich kann aber, indem ich meine Bedeweise mehr und mehr
der in Bomanen flblichen Schriftsprache nXhere, ein Satt»
geftige daraus machen: «Als gestem abend der Tortreffliche
Baumeister, welcher als Gast aus Wien, wo er sonst wiikt, su
uns gekommen ist, im Neuen Theater den Heldeii im »Brb-
förster* spielte, dem aufregenden Trauetspiele Otto Ludwigs,
traf ich im Foyer meinen eimdgen Freund 0., dem ich alle
m^ne Gediuiken miteuteflen gewohnt bin und der mit seinen
herzlichen Anteil die Entstehung meines Werkes Ton Stufb
zu Stufe Teriblgt, als ob für ihn auf der Welt nichts Wich*
tigeres bcsttlnde; da die Verhältnisse es gestatteten, hatte
ich die Freude, ihn einige Minuten zu sprechen." Sollte
jemand mein Denken so genau kennen wie ich selbst, so
würde er aus den drei Worten der Tagebuchnotiz den voli**
ständigen Inhalt dieser Periode erfahren, nicht etwa erraten,
wenigstens nicht in einem andern Sinne erraten, als auch
die breiteste Ausdrucksweise bloss erraten lässt. Je nach-
dem die einzelnen Vorstellungen im andern schon Torhanden
sind oder erst geweckt werden sollen, müssen mehr oder
weniger BegriflFe in einer bequemen Wortfolge gebraucht
werden. Die syntaktische Gliederung aber ist fUr den Er-
folg so gut wie gleiclinrültig.
Komiank- Für die syntaktische Gliederung sind in der eben aus-
ttonen. gesprochenen Periode eine Anzahl von Worten wesentlich, die
man Verbindungsworte oder Konjunktionen nennt oder wenig-
stens in einem weitern Sinn so nennen könnte, nämlich: als.
web her, wo, als ob, da u. s. w. Diese Verbindungswörter
spielen v(ir dem Satze dieselbe liolle wie die Präpositionen
vor dem Substantiv. Beide Wortarten sind wir nicht ge-
W(»lint Iiis Zeiclien für Begriffe anzusehen; sie sind uns Zeichen
von Beziehungen. Und diese Beziehungen sind so unbe-
stimmter Art, dass wir eben darum nur selten festumschiie-
bene Begriffe mit ihnen verbinden können. Ja noch mehr:
ein und dasselbe Wort hat sehr häufig bald den Dienst
einer Präposition bald den einer Konjunktion zu versehen.
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KoqjmiktioiMn.
193
Nun stellt es ausser Frage, dass alle die<^c Verbindtti^p-
worte nrsprOiiglicli anschauliche BegriffiB bezeichneten; wir
stehen also vor derselben Erscheinung wie bei den Formen-
silben des Nomens und des Yerbums, die ursprQnglich selb-
ständige Worte waren und ersfc allmählich so weit ver-
blassten, dass wir an ihnen blosse Beziehangen erkannten.
Wir wissen oder lehren wenigstens, dass die zahlreichea
Formbildungen der Deklination und Konjugation ursprünglich
selbständige Worte waren und sich erst mit der Zeit so
gruppierten, dass wir in ihnen nur noch grammatische Kate-
gorien erblicken. Es ist das eine rechte Bequemlichkeit
beim Sprechen, mehr nicht. Eine eben solche Bequemlich-
keit, aber auch Tiicht mehr ist es, wenn die obigen Worte
(als, wo u. s. w.) zu Verbindnn£fsworten verblasst sind und
wir mit ihnen eine syntaktische Kategorie verbinden, bei
der wir uns nur insofern etwas Bestimmtes vorstellen, als
unsere Vorstellungen ohnedies schon bestimmt sind.
Die zum Instinkt gewordene Bequemlichkeit, mit welcher
durch die Sprache Vorsti lluiiL^en von Dingen und Voi^tfl-
lungen von Beziehungen hervorgerufen werden, tiiusclit den
Forscher immer wieder darüber, wie armselig der Organis-
mus der Sprache ist gegenüber dem Organismus der Welt.
Ist das schon deuthch nachweisbar an den verhältnisniässig
konkreten Worten, den Verben und Substantiven, und an
ihren Deklination«- und Konjugationsformen, so tritt es am
hellsten hervor im Gebrauche der Konjunktionen , weil diese
die logischen Verhältnisse der Gedanken mitteilen sollen
und dazu völlig ungeeignet sind. Betrachten wir so die
drei allergewöhnlichsten Konjunktionen: und, aber, oder.
Zunächst bitte ich jeden Leser, mir einen einfachen tm.
Versuck nachzumachen. Er lasse sich einmal eine beliebige
Seite mit all ihren unds, abers und oders völlig tonlos Tor*
lesen, hierauf eine andere beliebige Seite mit guter Be-
tonung, nur mit Hinweglassung dieser Konjunktionen. Er
wird (dme Zweifel meine Erfahrung bestätigt finden, dass
der Ton für das Yerstindnis wichtiger ist als der Gebranch
der Konjunktionen. Man achte ferner darauf (Beispiele
]la«tbn«r, Bdtilg« n «law Kritik d«r Syimsh«. m. 18
._^ kj i^ -o i.y Google
194
finden sich in K. F. Becktih „Organism der Sprache" 2. A.
S. 471 f., einem tiefdringenden und feinhörigen, mit Un-
recht Ton Steinthal viclgeschmähten Buche), welcher Luxus
mit Konjunktionen in wissenschaftlichen und in epischen
Darstellungeu getrieben wird, während sie in der dramati-
sckem Rede oft und mit besonderer Wirkung fortgelassen
werden. Denn das WegiUlen der Eoi^iuiktion (WegfaUen ist
ein alberner Sebnlaasdrack) zwingt zu starker dramatischer
Betonung. Man achte endlieh wo mOglich auf den Unter-
schied zwischen dem innem Denken, dem hiusUchen Ge-
pjauder und der Anwoidung einer offiziellen korrekken
Sprache, üeberdenken wir eine Sache, so gehen dabei
samtliehe Glieder des Gedankengangs durch unser Bewusst-
sein, aber kein einz%es «und*, kein einziges .aber*, kein
einziges «oder*. Bescheiden ist der Gebrauch dieser Worte
auch im intimoi GesprSdie i.er Familien. Erst die Fremdheit
zwischen Sprecher und H9rer, erst die Sorge, dass der Be-
wusstseinszustand des einen nicht der des andern sei, n9lagt
zu der Eselabrttcke der Konjunktionen, Ton denen dann
natürlich besonders dw gespreizte Stil des Schulauftataes
und der Kandidatenprosa (das Wort ist Ton Lichtenberg)
wimmelt. Kümmern wir uns nicht um Schwatzerei, halten
ittr uns an den ernsten Gebrauch der Konjunktionen. Da
sind sie in die tonlose Schriftsprache gekorTmion , um den
Missverständnissen abzuhelfen, die aus der Tonlosigkeit ent-
stehen. Was sie aber bewirken ist zuletzt nur eine unbe-
stimmte Erregung der Aufmerksamkeit. Nicht in den und,
aber, oder liegt der Sinn, den die Grammatik ihnen beilegt.
In den Gedankenverhältnissen li^ der Sinn und fast jedes
GedanlwnTerhältnis lässt sich in jede dieser Koigunktionen
hineinlegen.
»«»d*. Die Konjunktion »und" verbindet Begriffe und Sätze
gewiss häufig mit einer gleichmachenden Tendenz. In diesen
Fällen kann das ,und" einfach erspart werden. ,Und*
kann aber nicht fortbleiben, wenn es eine Steigerung ( .hohler
und hohler hört inan's heulen" ), einen Gegensatz, eine Be-
dingung (aDu musst und kostet' mein Leben") ausdrückt.
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,imd*, «aber*, .oder*.
195
Auf einen besonders feinen Unterschied im Gebrauche des
«lind* hat Schröder hingewiesen und ihn dadurch zu be-
zeichnen gesucht, dass «und* im Subjekt die Addierung,
im PrSdikat die Multiplikation der beiden durch ,und* ver-
bundenen Begriffe bedeute. Das ist ohne Gewöhnung an
die Sprache des Logikkalküls unverständlich. Alle Beispiele
für diesen Fall spielen ein wenig mit der Grammatik. «Be-
trogene und Betrfl^er sind bedauemsM'ert — Frömmler sind
Bf^'trogene und Betrüger; schwarz und weiss sind Farben,
manche Malereien sind schwarz und weiss.* Man sieht,
das ,und" im Subjekt liesse sich durch ,aber auch* er-
setzen, das „und" im Prädikate durch , zugleich*. Wollte
ich das logische Verhältnis m einer mathematischen Formel
ausdrücken, so würde ich schreiben: a -f b 2^ c, c (a | b).
Mit den Zeichen der voralgebraischen Logik ausgedrückt,
würde das heissen: im Subjekt« verbmdet ein «und" Teil-
begriffe des Umfangs, im Prädikate verbindet es Teilbegriffe
des Inhalts. Da nun die Begriffe im umgekehrten Ver-
hältnisse ihres UnitanL's und Inhalt« zu einander stehen, so
habe ich damit streng logisch formuliert, dass das ^und"
entgegengesetzte Beziehungen auszudrucken vermag.
Die Konjunktion «aber" verrät auf den ersten Blick .aber^
die Verwendung in so entgegengesetztem Sinne nicht Sie
wird am häufigsten verwandt, um die Aufmerkeamkeit auf
einen wirUiehen Oegensate sq tnregen. Ihm «aber* ebeoao
wie «und* eine Steigerung beieidinen kann (Ich liebe iboi
aber noch mehr seine Frau) oder eine Einschränkung (Das
ist viel, aber nicht genug) kOnnte noch nnter den BegrüF
des Gegensaties faUen, obgleich manches B^Bpiel (Und ich
hab* es doch getragen, aber fragt mich nmr nicht wie)
den Gedanken an einen Qegensats kaum mehr aufkommen
liest In der Redensart «aber ja, aber nein* drQckt das
«aber* die ungeduldige Versicherung aus, dass der Gegen-
stand der Frage gar keinen Widersprach vertrage, dass die
Antwort BelbstrerstSndlich sei. Endlich aber (ich bitte auch
sagen können: und endlich) wird ti^ber* namentlich in Nach-
ahmungen homerischer Sprache voUstiad^ gleichwertig mit
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196
YIL SjBtu.
^und" behamielt, wie wenn z. B. Goethe sagt: ^Also sprach
sie und steckte die itixige nebeneiDander, aber der Bräu-
tigam s])rach."
aodor". Am schiiiisten beobachtet ist der verschiedene Gebrauch
von „oder", weil es im Lateinischen durch so verschieden-
wertif?e Worte zu Obersetzen ist wie sive, aut und vfA. Im
Deutschen ist der ungleiche Gebrauch leicht zu bemerken,
wenn man oder in diesen drei Bedeutungen ersetzt durch:
oder violmehr, oder aber, oder auch.
Etymolotrische Annahmen gelien nun dazu einen merk-
würdigen Anhitltspunkt; immer mit dem Vorbehalt, dass
es eine .sichere vorhistorische Etymoloj?! ' cil^ ntlich nicht
giebt. ^Und" scheint auf ein SansknLwort zui iu kzufUhren,
■welches auch (oder vielmehr) ferner bedtulet; «aber*
weist noch sicherer auf ein Sanskritwort hin, das etwas
Späteres ausdruckt (apari = Zukauft); «oder* ist etwas
rätselhafter, dfirfte aber doch mit einer attgermaniseheu
Zeitpartikel zusammenhSiigeii. Ich glaube sogar, dass
dieser Oebraudi Ton »oder* noch nicht ausgestorben ist; in
der sehr gebriLuchlichen Drohung: ,Sei still oder , , A*
liesse sich «oder* recht gut dqrdi .ehe dass* ersetzen.
»9ei still ehe dass du noch weiter PMgel bekommst* Es
wire sonach gar nicht unml^lich, dass die Koigunktionen
und, aber, oder, so wie sie gegenwärtig nur die Aufmerk-,
samkeit des Hörenden darauf hinweisen, es werde der Ge-
danke in irgend einem VerhUtnis sum Torhergehenden weiter
gefbhit werden, auch ursprünglich beim Redenden nur elende
Hilfen waren, seinen Gedanken weitersospinnen, etwa in dem
Sinne: weiter, femer, sodann. Im Hebriischen gibt es denn
auch ftlr und, aber und oder nur eine einzige Partikel.
Haupt. Wie wenig die syntaktischen Kategorien, die die Gram-
matik aufzählt, mit unserer Erkenntnis oder auch nur mit
Mts. unseren Hitteilungen zu thun haben, mag daraus klar werden,
dass nicht einmal die umfassendste Unterscheidung, die in
Haupt- und Nebensatz, irgend einen de&nierbaren Sinn er-
gibt. Was ein Hauptsatz sei, das kann man Uberhaupt nur
durch die Gegenttberstellung zum Nebensatz klar machen,
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Haupt- und NebensaU.
197
und dann nur mit Worten, die ganz nnd gar bOdlieh sind.
Hauptsate soll derjenige Sata aein, yon dem ein Nebenaata
ein Saiqiitied unuohreibt, von dem also ein Nebensatz ab-
bftngi. Wenn die Onunmatiker wOssten, was sie sagen
wollen, 80 wttrden sie doch nicht ein so nnfaasbares Wort
wie «abhängen* gebranehen. Heinetwegen aber mag der
Hanptsais so eitiärt werden, nimlieh so, dass er kein
Nebensata seL Dann mllsaten wir aber wenigstens erfehren
was ein Nebensatt ist. Ein Nebensata aber wird erUftrt
als ein Sata, der ein Ba^lied an der Form eines Satzes
erweitert. SehzeehHch, aber auch das will ich hinnehmen.
Wir sehen in diesem SrUftrungsTersnche eine Beatttigung
dafDr, dass ein Unterschied zwischen einem SatagHed (Be-
stimmungswort der Zeit, des Grundes u. s. w.) und einem
Nebensatz fUr den Sinn, also für die Absicht der Sprache
nicht vorhaiiden ist Nun aber weiter. Wenn simtliche
Satzglieder die Form von Sätzen erhalten, wird dann auch
das Hauptglied zu einem Nebensatz? Im Sinne der Scbul-
grammatik gewiss. Aber so wie im einfachen Satze die
Kategorien Subjekt, Copula und Prädikat sich durchaus
nicht immer mit ihren Definitionen decken, wie je nach der
Absicht des Redenden oder den begleitenden Umständen
sowohl Prädikat als Copula die Bedeutung gewinnen kann,
die wir dem Subjekt zulegen, so kann im Satzgefüge jeder
Teil zur Hauptsache werden. Dürrh Wnrt^toliiui^' oder Be-
tonung kann ich in dom ( iülachen Satzt .icli sprach gestern
im Tlieater meinf^n ö." nacheinander jedes Wort
zur Hauptsache n^K In n, zu dem, was man das psychologi-
sche Subjekt genannt hat. Je nachdem , was an meiner
Mitteilung das Neue ist, worauf ich die Aufmerksamkeit
lenken wiii, kann ich sagen: »Meinen Freund G. sprach ich
im Theater gestern" oder ,ich sprach meinen Freund G.
gestern im Theater" oder „ich sprach gestern im Theater
meinen Freund G." oder .,meinen Freund G." oder , meinen
Freund G." u. s, w. Habe ich aus dem Satze eine Periode
gemacht, so liegt das Verhältnis durchaus niclit anders. Das
Neue, das worauf ich die Aufmerksamkeit richten will, kann
198
Vn. Sjntax.
sehr wohl im Nebensatze ausgedrückt sein. Wenn Torhin
in der langen Periode der Relativsatz vorkommt , welcher
mein einziger Freund ist", so Terschwindet für mich und
vielleicht auch ftlr den Hörer die Bedeutung des ganzen
Satzgefüges hinter diesem Nebensats. Die Bezeichnung
Hauptsatz und Nebensatz verliert in allen solchen Fällen
jeden Sinn; das Abhängigkeitsverhältnis — um das bild-
liche Wort schon zu gebrauchen — wird durch die Wirk-
lichkeit bestimmt und nirht durch syntaktische Formen. Ja
ich verlasse mich auf mein eigenes Siitarhgofühl und be-
haupte ganz entschieden, dass unter Umstünden der eben
frebildete Nebensatz trotz seines Relativpronora ens (das för
mich den Wert eines mit einer Konjunktion verbundenen
Pronomens hat, wie denn auch Schopenhauer solche Be-
ziehungen gern mit ,als welcher" ausdrückt) in unserer
Vorstellung nicht nur den Hauptgedanken enthält, sondern
sogar die sprachliche Empliudung des Hauptsatzes erzeugen
kann. Wenn ich in einer noch so laugen Periode, in der
sich Haupt- und Nebensätze verschlingen, endlich nach An-
pjabe aller Zeit- und Ortsbestimmungen zu dem Schluss
konitne „. . . G., welcher (als welcher) mein einziger Freund
ist", ao Ivann die Sachlage dazu führen, dass ich die ganze
Periode dieses Bekenntnisses wegen gebildet habe und dass
ich dann diesen Nebensatz nach meinem Sprachgefühl deut-
lich auch formell ab Hauptsatz empfinde, etwa so: jawohl,
jawohl dieses Menadienkind, von dem ich euch jetzt so viel
erzählt habe, ist G. und der oder die ist mein einziger
Freund.
Die Hauptkategorien der Syntax, Haupte und Neben-
satz, sind also nidit bestimmend fitr den Sinn des Sats*
gefüges. Die syntaktischen Formen tftoschen uns durch
unsere Gewohnheit nicht minder als die Casusformen und
die Tempusformen. Lösen wir ein Satzgeftige in lauter ein-
fache SStze auf, so erkennen wir oft deutlich, wie t&uschend
die Analogie des Sinnes war, die die Syntax uns voi^fe-
spiegelt hat. Die Sitze ,ich traf 0., mit dem (den) ich
sprach* und «ich traf G., den du kennst" sind im Sinne der
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Schhftspradie.
199
Syntax ToUkotmneD gleichwertige Sfttie. Sie haben aber in
Wirklichkeit gar keine Analogie miteinander. Der erste
Sata will sagen «ich traf 0., darauf sprach ich mit ihm*;
der swdte Sats sagt «ich traf G^., du kennst ihn ja*. Der
erste Sais endÜiH weiter und beginnt in einer Laune der
Sprache die Hauptsache mit dem RelatiTpronomen; der
zweite Sats ftgt ebenso einen Nebennmstand an. Man wird
geneigt sein, eine sokdie Verwendung des Nebensaties ftlr
eine Naebliasigkeit su halten; die Philologen wissen aber,
dasa sie in den mosten wohlgeordneten 8chriftq»rachen tot-
kommt, dass sie besonders in der mn ihre Logik gerOhmten
lateinisdien Grammatik gar nicht fibwsehen werdm kann*
So geht es aber immer, wenn die Anfberksamkett sieh auf
irgend eine Kategorie der Syntax richtet. Man entdeckt
zuerst eine gewisse Unbestimmtheit in der Bedeutung der
Kategorie, dann eine Anomalie oder Nachlässigkeit in ihrer
augenblicklichen Anwendung, bis man durch die Wieder-
holung solcher Beobachtungen zu der Ueberzeugung gefüLrt
werden mag, dass Unbestimmtheit, Anomalie und Nach-
Iftssigkeit zum Wesen jeder syntaktischen Gewohnheit wie
zum Wesen der Sprache Oberhaupt gehört.
Wir sind allerdings so sehr daran gewöhnt, uns nament- Schrift-
lich bei ruhiger Darstellung komplizierter Gedankengänge
von den geläufigen Formen der Syntax leiten zu lassen,
dass wir die Ordnung der Gedanken der Syntax zu ver-
danken glauben, während wir in Wirklichkeit beim Sprechen
nach einer unbewussten Ordnungsliebe erst die syntaktischeu
Ausdrucksmittel wählen und beim Hören nach dtni unbe-
wusst erzeugten Vorstellungsp^uppen erst nachher einen
Sinn in die syntaktischen Formen hineinle|?en. Es t";lllt uns
schwer, uns eine ebenso logische Sprache wie die unsre
ausserhalb unsrer Syntax vorzusteHen. Aber wir selbst
reden in zweierlei Syntaxeu, je nachdem wir die SchiitV
sprache reden oder die Umgangssprache. Die natürliche
Sprache kennt die Periode gur nicht. Man braucht einem
Menschen auf der Bühne nur eine längere Periode in den
Mund zu legen, und wäre es die bestgebaute Periode, und
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m
m Sjntas.
man kann Heiterkeit damit erKgen, -~ ea w&re dam in
einem «klassisclian'' SiQcke, dem wir die 8cluriflq>raehe lu
gute halten.
Ich möchte dahei einachalten, daaa das Wort Schrift-
sprache, wenn wir es genau untersuchen, zwei gaas Ter-
schiedene Bedeutungen haben kann. Ich habe es soeben
nach dem eingeführten Sprachgebrauch in dem Sinne ge-
nommen, der die Schriftsprache als eine dem idealen Muster,
der idealen Grammatik sich möglichst nähernde, im Grunde
kflnsÜiche Sprache der weit mehr individual gefärbten Um-
gangsprache entgegenstellt Mit dieser Vorstellung reden
wir dann von einer reinen Sprache oder einer Schriftsprache
unserer Dichter, Professoren und Redner. Wohl gemerkt,
auch von einer Schriftsprache der Redner. Denn in diesem
Sinne wird die Schriftsprache immer noch von den Sprach-
werkzeugen geschaffen und vou den (iehörwerkzmrrpn auf-
genommen. Sie heisst SctirifKjiraclie nur iti^^iterii, als sie
sich in ihrer vermeintlichen Schönheit haiiptsaciilich in den
Littel aturprudukten finden soll. Gei5bt wird sie l)egreif-
licherweise nur von den gebildeten Ständen eines Volkes.
Ich habe (II. S. 558 f.) schon darauf hingewiesen, dass
sie sich gegenüber den Mundarten als eine ideale Gemein-
sprache erst ausbilden konnte, als die Einführung der Buch-
staben eine Uniforniierung in den Sprachen weiterer Land-
schaften möglieh und notwendig gemacht hatte. Auch darum
kommt dieser angeblichen Idealsprache die Bezeichnung
Schriftsprache mit Recht zu. Für mein Sprachgefühl liegt
schon in dieser Bezeichnung eine Verurteilung.
8oiirift> Aber mit der weitem Entwickelung der Buchstaben-
^^^^ Schrift hat sieh nnter den höchst Gebildeten eines Volkes
das heisst unter seinen Büchennenachen, eine neue Art der
Schriftsprache herausgebildet, die Ton «aktoa PiqrchologeB
noch genauer untersncht werden sollte, wenn auch das
Grundphinomen, von dem ich jetat ausgehe, lange schon
bekannt ist Wir alle sind in einem so hohen Grade Bficher-
menschen geworden, dass es sich bei yieUea von uns fragt,
ob die Worizeichen, die unsre Augen sehen, Überhaupt noch
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201
mit den Schallvorstfllimgen der lebendigen Sprache etwas
2U thun hiibeu. Wenn ich z. B. nach einer oberflächlichen
Schätzung Iis jetzt etwa zwanzigtausend Bücher gelesen
habe, so iiut sich ohne Frage in meinem Gehirn eine direkte
Verbindung zwischen dem J5ichtbaren Wortbild und seinem
Begriffe hergestellt. Wir Büchermenschen denken — in-
solange wir lesen — mit den Augen , mit unseren Buch-
stabenaugen ; glücklich die, welche sich die Frische bewahrt
haben, um vorher und nachher mit diesen Augt-n auch die
lebende Natur aulnehmen und mit allen übrigen Sinnen em-
pfinden zu können. Aber insolange wir lesen, denken wir
doch — wie gesagt — mit den Augen. Was wir dabei
auf unsere Vorstellungen wirken lassen, ist demnach in einem
g»os ejagetchrlakteii Sinne eine schriftliche Sprache. Es
flUt mir kein iMranehlMaes W<nt fttr diesen neaen Begriff
ein; Augensprache, Bildeispnehe, Buchspraehe, alles ist
schon von andern Begriffen in Anspruch genonuMn. Und
doch ist der B^riff einer solchen rein scfarifUichen Sjpraehe
ohne entsprediMide begleitoide SchallTorrtellungen Iftngst
▼orhanden. Die Gelehrten wissen, dass ee eine chineasche
Schiätepnche giht, in der sich die diinemschen Qelduien
▼ersOndigen kOnnent trotzdem sie sie Terschieden lesen, dass
es eine chinesisehe Schriftsprache gibt, welche die Gelehrten
lesend Terstehen, ohne an ihre Aussprache xa denken. So
sdunerzlidi es auch fBr unsem europüschen Eulturstols sein
mag: ich behaupte, dass die sogenannten fthrenden Geister
unsrer Völker, freilicli nur die Bllchetmenschen, YoOkommen
jenen chinesischen Gelehrten gleichen, wenn sie schreibend
oder lesend ihre Schriftsprache (in diesem beechrftnkten
Shme) gebrauchen.
Wenn wir nun eingesehen haben, dass die syntaktischen
Formen um so strenger nach den Regeln der Grammatik
angewandt werden, je mehr sich unsre Gemeinsprache der
künstlichen Sprache der Schriftsteller, Professoren und Redner
nähert, so werden wir jetzt begreifen, dass das eigentliche
Feld der Syntax die völlig tote, nur für die Augen vor-
handene, unwirkUche Schriftsprache (in beschränktem Sinn)
202
yn. Syntax.
jgi. Es ist also gar niclit verwundetlich, wenn die zofUlige,
von uns gar nicht mehr mitempfundene Syntax einer toien
Sprache, die des Laieinischen , zum Musterbilde unserer
Bflclierspniche geworden ist. Weiter konnte sich die mensch-
liche Sprache von ihrer ursprünglichen Aufgabe nicht mehr
entfernen: durch Töne Vorstellungen zu erwecken. Oder
ist auch diese Klage wieder nur die reaktionäre Anschauung
eines Mannes, der bei allem Radikalismus dennoch die alte,
Uittgiende, Ansi lüuiungen weckende Sprache liebt und sie
darum schön ündet^ wie der Stier die Kuh schön findet?
Ist auch diese meine Klage über das Absterben der Sprache,
über ihre Yeniichtung durch die Bildung" nur ein Beweis
für die Ünzuläuglichkeit meiner Kritik, für die Befangen-
heit, ja Rückständigkeit meiner Ansichten t* Ist die Ver-
wandlung der heissgeliebten , oft so berückenden, tönenden
Muttersprache in die lautlose Büchersprache, ist yielleicht
die lautlose Büchersprache, ist vielleicht die Ausbildung H»^'^
direkten WV«xes in imserm Gehirn , die Entstehung eines
farblosen Buciistabendenkens, ist sie vielleicht gar ein Fort-
schritt? Ich glaube es nicht. Dass ich es abei- nicht glauben
kann, ist wahrscheinlich nur eine Folge meiner Beschränkt-
heit. Wer diese letzten Zeilen für eine Koketterie hält,
wer nicht aus ihnen den stillsten und bittersten Zweifel an
der Möglichkeit jeder Sprachkritik und jedes Bis-ans-Ende-
Denkens herausliest , der hat freilich keine Veranlassung,
auf jueine Beschränktheit herabziLsehen.
App«r- Durch solche Gedanken muss man, wie mich dünkt,
««ptioft. jgj. Ueberzeuguug gelangen, dass die zufälligen syntakti-
schen Kationen unserer zwischen dem Mittelmeer und der
Gegend Ton Island gerade in diesem AngonMieke gebrauchten
Sprachen, dase unsere syntaktischen Regeln für die immer
noch behauptete Aufgabe der Sprache, für die Welterkenntnis,
nicht mehr Bedeutung haben, als etwa die Figuren eines
Contretanzes f&r GefGßile, die ein Liebespaar zu dem Tanze
zusammenftihren mögen, 2fag der Tanzmeister sich ärgern,
wenn das Paar Brust an Brust gepresst die Figur vergisst
oder gar vergessen hat, dass der Walzer keine Polka ist,
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Apperzeption.
208
der Dreitakt kein Zweitakt. Die beiden Leute werden sich
auch im Zweitakt Teratehen. tJnd wenn nachher in der
Kritik der Logik, der logischen Syntax, das Wesen der
Appeneption klar weiden kann, so wird die pedantische
Lftdieriichkeit aller Syntax lielleieht pldtdich Ton ihrer
psychologischen Seite her klar werden. Es ist ja wirklich
nnr ein ewiger Zweitakt, in welchem unaufhörlich hald lang*
samer hald schneller unsere Erkenntnis Ton der Wirklich*
keitswelt fortBchreitei und in welchem sich auch die Sprache
bewegen mOsste, wenn sie jemals im stände w8re, dem
psychologischen Vorgang zu folgen. Jedes Fortsdiretten in
der Erkenntnis, jede Bereicherung unserer Sprache (und kein
Blick unsers Auges, kein Augenblick kann gedacht werden
ohne dne solche minimale Bereicherung) ist ein Vorgang
▼on Apperzeption, ein Vorgang, in welchem die Gesamtheit
onsres bisherigen Wortschataes, die Gesamtheit unsrer bis-
her^en Weltanschauung eine neue Beobachtung in sich auf-
ninmit, sich durch ihre Assimilation erweitert, so wie irgend
ein zu unterst stehender Tierorganissmus ohne sichtbare
Organe Nahrung in sich aufni^ninf AJle natürliche Syntax
der Sprache sollte also nur darin bestehen, dass sie eine
Kategorie hätte für die vorhandene Anschauung oder doch
für den Teil derselben , der t^rade die Aufmerksamkeit auf
sich lenkt, und für die Bereicherung oder nähere Rostini-
mung dieser Anschauung oder dieses ihres Teils; man mag
die erste weite Vorstellung das Subjekt nennen, die zweite,
neu bestimmend herantretende Vorstellung das Prädikat.
Aber nicht einmal diese überaus vagen Bezeichnungen würden
sich festhalten lassen. Denn selbst da kommt es noch darauf
an, was unser Interesse erregt hat, was eigonthch für unsre
Aufmerksamkeit das bestimmende und duü bestimmte Qlied
ist. Man denke, dass Kolumbus nach allen Sorgen und Ge-
fahren sein Ziel erreicht hat, ein Ziel, da« er bekanntlich
nicht ahnte und niemals erkennen lernen sollte, mau stelle
sich vor, dass in diesem Augenblicke die ungeheure Be-
reicheruüg der menschlichen Welterkenntnis, das was mau
die neue Zeit ueuut, sich zuerst und mit der ersteu Ahuuug iu
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204
aemem Qehirii ToIMebt, und daw der sprachliche Auedruck
dieses ungehettem Sreignisses siuaohlich eheoso gut heiesen
honnte: «Das ist Land* als «Land ist dort*. Ich weiss
nicht, ob ein Gbtunmatiher der Welt in diesem Augenblick
blödsinnig genug gewesen wäre, darüber nachzudenken, ob
^Land" richtiger und logischer als Subjekt oder als 1*t^
dikat ausgesprochen werde. Der Matrose im Mastkorb aber
war kein Grammatiker. Er wusste nichts Ton Subjekt und
Prädikat, wie die Wirklichkeit und die Natur nichts davon
weiss. »Land!*^ rief er und die neneZeit brach an, trots-
dem die Syntax dabei zu kurz kam.
Alle Syntax hat nur einen Zweck: fttr den Sprecher
und für den Hörer möglichst bequem aneimmder zu reihen,
was in dem grossen Zweitakt des Denkens in jedem Falle
die bestimmende Vorstellung und was die bestimmte Vor-
stellung sei. Was in der Logik das Urteil ist, das ist in
der Grammatik der Satz. Meine Satzlehre oder Syntax muss
also in ihrem Ergebnis mit der Logik zusamraent reffen, wenn
ich nicht an jedem Wert dieser Untersuchungen verzweifeln
soll. Diese Uebereinstimmung alier ist jetzt zu stände ge-
komnu n, ohne dass ich bei diespin Al>.sehnitt auch nur einen
Auirniblick an das in der Lugik zu Lehrende gedacht hatte.
Erst das Ergebnis der syntaktischen Untersut hunu*" erinnert
mich, allerdings zu meiner Freude, an das logische Er-
gebnis.
a priori. Ich werde dort nämlich ausführen , dass die hoch-
gelahrte Üuterscheidung in Urteile a priori und in Urteile
a posteriori sich im wesentlichen deckt mit der Unter-
scheidung in erklärende und in erzählende Urteile, dass die
erklärenden Urteile ihrem Werte nach noch unter die Tauto-
logie hinabsinken, dass die erzählenden Urteile schlichte
Tautologien sind, wenn sie nicht ausnahmsweise als be-
schreibende Urteile eine neue Beobachtung dem Sprach-
schatse einfügen. Alles Sprech«! oder Denken in ürtdlen
ist ein Brinnem und die Terschiedenen Formoi des Urteils
entstehen dadurch, dass je nach den begleitenden ümstSnden
oder unserm Interesse die Auimerksamkeit bald auf den In-
Digitized bv Google
% priori
205
halt bald auf d«n Umfang eines Begriffs gerichtet ist. Die
Logik alknn weiss mit den beiden Begriffen „Baum* und
«läche* gar nichts anzufangen. Erst unser Interesse an
einer Erkenntnis oder einer Mitteilung führt entweder zu
dem erklärenden Urteile .die Eiche ist ein Baum", das nicht
einmal den vollen Wert einer Tautolop^ie besitzt, oder zu
dem eraählenden Urteile «dieser Baum ist eine Eiche", das
wirklich und wahrhaftig so viel wert ist wie eine Einübung
der beiden Begriffe. Das Urteil stecktf» im Begriff.
Nun hat uns schon unsro I^etrachtung der SvTitax an
dieselbe Stelle geführt. Und zwar sclion die Syntax des
einfachen Satzes. Auch die Graninuitik mit allen ihren
syntaktische u liegehi weis mit den beiden Worten „Rauni"
und ^Eiche* nichts anzulangen. Einzig und alleiu unsere
vom Interesse geleitete Aufmerksamkeit kann die Grund-
frage entscheiden: welcher der beiden Begriäe für den
andern bestimmend sein soll, welcher von ihnen zum Sub-
jekt und welcher zum Prädikat gemaclit werden soll. Genau
wie in der Logik wird es von unsrer Aufmerksamkeit (gram-
niHtikaiisch gesprochen : von der vorausgegangenen Frage)
abliiiugen, ob der Satz lauten wird ..dieser Baum ist eine Subjekt
Eiche" oder „die Eiche ist ein Baum\ Und jetzt darf ich ^"J*"'
wohl endlich dasjenige aussprechen, was am weitesten aus
unseren gebildeten Sprachgewohnheiten herausfallt und was
doch unserm wirklichen Denken entspricht. Ich glaube
nlmlidi, dass derjenige Satsteil, der seit der Begründung
emer Graminatik imitier fttr doi vichtigston geliaiten und
an enter Stelle genaant worden ist, wie er denn auch
ftberall in der Wortfolge die erste SteUe einnimmt, dass das
Subjekt der llberflttssigste Sateteil ist, ja recht eigentlich
eine langweilige und pedantische Gewohnheit unserer Sprache,
dasjenige formelhaft besonders zusammenzufassen, was dem
Sprechenden nnd dem HCrenden gemeinsam ist, was über^
haupt erst Veranlassung zu ihrer Unterhaltung bietet Stehen
zwei Menschen Tor einem Eichbaum und ist ihnen oder
einem von ihnen dies Ereignis interessant genug, um es zu
beschwatzen, so ist ein grammatikalisch gebildeter Satz mit
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206
YU. SjnUx.
einem ordentlichen Subjekt gar nicht notwendig. Die An-
stbauun;^^. die sie zum Sprechen verleitet, die Gegenwart,
die sie uiugibt, die Augenblickswelt, in der sie leben, ist
das Subjekt des Gedankens, der sich sofort äussern wird.
Ja, ich könnte das noch subtiler ausdrücken und sagen: es
ist jedesmal das Ich des Sprechenden das einzige Subjekt
jedes Satiei, weU in jedem dnselnen Augenblicke das Ich
ntir aus der Anschauung des Augenblicks besteht. Hat der
Eichbaum eben jetzt mein Interesse, meine Aufinerksamkeit
erregt, so besteht ja mein Ich zur selben Zeit fast aus gar
nichts anderm ab taa dem Sinneseindruck dieses ISchbaums.
ünd nun wird in den meisten F&Uen der Gedanke so zu
Worte kommen, dass entweder gesagt wird .eine Eiche*
oder «ein Baum** Das Subjekt war das zu bestimmendef
das vor uns steht; es braucht gar nicht ausgedruckt zu
werden. Nur das Prädikat muss ausgesprochen werden, der
bestimmende Begriff, das Ftftdikable. ünd je nachdem der
Sinneseindruck zuerst die Vorstellung Ton Baum oder Eiche
in mir wedcte, wird das Pkiftdikai entweder erzahlend lauten
«eine Xäche*, oder erUirend «ein Baum*,
raupi«' Schon die Bedeutungen der beiden Worte Subjekt und
Prädikat sprechen für diese Auffassung. Das Subjekt ist
das dem Urteil zu Grunde liegende, also die Wirklidikeit,
die Anschauung, die gar nicht in Woite gefasst zu werden
braucht; das Prädikat ist das, was ausgesagt wird, was
allein gesagt zu werden braucht. Die Grammatiker in ihrer
unergründlichen Pedantehe nennen es dne Ellipse, wenn
das Subjekt fortgelassen und allein das ausgesagt wird, was
gesagt zu werden braucht. Danach wäre es einzig und
allein die langweiligste, erschöpfendste Schwätzerei, die frei
wäre Ton EUipsen. Ich kann hier nur obenbin darauf hin-
weisen, d^s diese Anschauung von der Ueberäüssigkeit des
Subjekts ein plötzliches Licht wirft auf die sogenannten
unpersönlichen Sätze, Über deren Wesen in den letzten
Jahren so viel geschrieben worden ist. „Vj^ blitzt" scheint
mir ein viel normalerer Satz zu sein als die Weitschweifig-
keit n dieser Baum ist eine Eiche". Die natürliche Antwort
EDipie.
207
auf einen fragenden Blick lautet „eine Eiche*. Sagt man
daför ,es ist eine Eiche", so ist das unpersönliche Fürwort
doch nur ein symmetrisches Zierstück. Ebenso ein Zierat
ist in denjenigen Sprachen , die diese zufallige Gewohnheit
haben, flns .o'^" in dem klassischen Satze ,es blitzt"
Dif Gl [uiimatiker haben ja eben die Analogiebildungen
des Sprachgebrauchs in sogenannte Regeln gebracht und
haben in ihrer Schulmeisterweisheit diejenigen Fälle , in
welchen die Sprache andere Bildungen bevorzugt, die Aus-
nahmen von ihren Regeln genannt. Es liegt in diesem Be-
griff ^Ausnahme* eine unerschöpfliche Fülle von Thorheit
und Hochmuth.
Eine ähnliche Ueberschätzung der Grammatik hat zu
der Aufstellung des Begriffs Ellipse geführt. Schon die
landläufige Definition dieses Wortes hui lür unsern kriti-
schen Standpunkt etwas Lächerliches. ,Üie Ellipse entsteht
durch die Weglassung von Satzteilen, die durch die Voll-
ständigkeit des Satzes zwar bedingt sind, deren Hinzu-
fügung aber gegen den Sprachgebrauch ist* (Leitfaden
▼OH Welael). Ich mOchte wuun, wer oder was diese BtAZ'
teile bedingt, wenn der Spraehgebraueh sie für flberflOssig
erklärt hat. Hinter der ecUiehten Definition, die den armen
SchttUtindem eingetrichtert wd, steckt doch nur die Narr-
heit der Orammatiker, wie wir sie bei den Bömem auf
ihrem CKpfel finden, und die uns nur deshalb bei unsern
eigenen Lehrern weniger TerblOfft, weil wir die Grammatik
unserer eigenen Zeit gewissennassen wie die Kiddermode
der eigenen Zeit gewohnt smd. Das Schlimmste an der
Definition ist aber die Behauptung, dass eine Ellipse durch
Weglassnng «entstehe*. "WÜre etwas Wahres daran, so
mfisste die Ellipse die »Wegiassung* selber sein. Aber selbst
der Begriff »Weglassong* erschleicht schon eine ungehörige
Forderung der Grammatik, die nämlich, dass eigentlich nur
ein voUstSndiger Satz richtig sei. Es ist gar nicht aus-
zudenlcen, wie langweilig eine yoUsl&idige Sprache nach
dem Herzen der Grammatiker wäre. Man mache sich das
einmal Uar, Fttr den Grammatiker mflsste es schon eine
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208
VU. djatax.
Ellipse heissen, wenn ich in der Kneipe auf mein Glas
klopfe anstatt zu sagen: ,Ein Bier.* Sage ich aber aus-
drücklich ,Ein Bier", so iiunnt das der Grammatiker wirk-
lich eine Ellipse; sein Ordnungssinn wäre erst befriediget,
wenn ich hübsch ausführlich gerufen hätte: „Bringen Sie
mir ein Qlas Bier." Der Grammatiker vergisst jedoch, dass
diese gew&hlte Ausdnicksweise immer noch unvollständig
wikre, immer noch eine logische Ellipee, dass ich durch meinen
fiiif mit dem Kellner oder vielmelür mit idnem Herrn einen
Vertrag schlieBse und daas mein Gedenke erst dum voU-
etSndig wer, wenn ich ihn amfUhrte: «Holen Sie mir in
nicht zu langer Zeit in einem Olas vom Anasehank eioen
halben Liter des hier angezapften Faasbiers, stellen Sie es
mir SU meinem Gebrauch bereit, und nehmoi Sie zugleich
meine Tersichemng entgegen, dass ich mich verpflichte,
nachher und heute noch den auf der Karte Terzeichneten
Preis Ihrem Herrn in Ihre Hand zu bezahlen.* Auch diese
Bestellungsform, deren Ende der Kellner wohl nicht ab-
warten wttrde, wftre aber immer noch eine Sllipee, weil zu
der Vollständigkeit des Gedankens noch einige Umstände
gehören wQrden: die Herstellungsart des Biers, seine Tem-
peratur, die Schaumh9he und das Versprechen eines Trink-
geldes wäre immer noch weggelassen.
Die Grammatiker treiben mit dem Begriff Ellipse heute
keinen solchen Missbrauch mehr, wie in früheren Jahr-
hunderten; aber sinnlos ist die ganze Aufstellung dieses
syntaktischen Gebildes immer noch genug. Ja die De6nition
passt eigentlich auf keinen einzigen f einer wirklichen
Wea"la ung. Denn jedesmal, wo nach unserem Sprach-
geflliü wirklich von einer Weglassung die Rede sein kann,
wo der Satz für unser Erapfiuden unvollständig geblieben
ist („ich werde euch . . da liegt nach der Klassifikation
der Grammatik nicht eine Ellipse Tor, sondern eine Ver-
schweignng, eine Aposiopesis.
Man sollte nie vergessen, dass die Sj>rache nicht der
Grammatik wegen da ist. Das scheinen aber die Gram-
matiker zu glauben, trotzdem nicht einmal die bescheidene
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Grammattache £Ui|Me,
209
Umkehr iing berechtigt wäre. Sie haben aber säuberlich
zwei Arten der Ellipse aufgestellt, die grammatische Ellipse,
bei der nur ein einzelner Satzteil weggelassen wird, und die
logische Ellipse, bei der gleich ein ganzer Gedanke, ein
Satz hinzuzudenken wäre.
Bei der grammatisdien Ellipse handelt es sich immer
dämm, dass der Sprecbgebiaiich mit wama einzelnen Worte
eine YorsteUung su Terbinden gelernt hat, zu welcher froher
mehrere Worte n^Siig waren. UebertU da nun, wo der
Sprachgebraueh die grossere VoUstindigkeit gar nicht mehr
zttliesse, wOrde seLhst der eingefleischteste Grammatiker
kaum von einer Ellipse reden; ist doch der ausfllhrlichere
Ausdruck oft nur noch den Gelehrten bdrannt. „Strumpf
bedeutete z. B. ursprflnglich nur den Strunk, das Ende eihes
BeinUeidee und konnte gar nicht andws ausgedrückt werden
als durch «Hosenstrumpf*. Das Wort ist Tdlüg treiloren
gegangen; es gab aber gewiss ebe Zeit, wo Strumpf eine
EUipee f&r Hoeenstnunpf war. Auf dieser kOrzeren Rede-
weise beruht eme Unzahl unserer Worte. Wer nun ttberall
da, WD besondere TJmstinde oder Pedanterie die ausfllhr-
lichere Redeweise neben der knappem noch gestatten, von
einer notwendigen Erginzung redet, der hat doch wohl
keine Ahnung Ton der Psychologie der Sprache. Ich kann
sagen «ich lerne franzOsisch* oder auch «ich lerne die fran-
zösische Sprache" ; der kürzere Ausdruck ei*zeugt aber durch-
aus dieselbe YorsteUung, durchaus Ii gleiche Mitteilung,
er hat eine Ergänzung nicht nötig. .Dei- Ptirsich" kann
so nach den begleitenden Umständen die Frucht oder den
Baum bedeuten; sage ich nun .der Pfirsich blflht*, so wird
das Wort eben .in der Bedeutung des Baumes gebraucht
und es heisst unser Sprachgefühl auf den Kopf stellen, auf
den Kopf der Grammatiker nämlich, wenn der Satz für un-
ToUständig erklärt wird, fOr eine Ellipse anstatt , der Pfirsich*
bäum blüht".
Hätte die Ellipse in der PsycholofTie der Sprache über-
lm\ipt eine Berechtigung, so müsste man sie viel weiter aus-
deinien; man könnte dann, wie gesagt, zeigen, da&s wir
Manthner, Beiträge zu einer Kritik der äpraohe. III. H
210
VII. Syntai.
niemals ToUst&ndig reden. Das Beispiel Ton einer annähernd
ToBsttndigen Bestellung in der Kneipe gibt nur einen
seh wachen Begriff Yon dem Blödsinn, der zu einw idealen
ToUstftndigkeit zusammengetragen werden mflsste. Ja sogar
die ^dungsformen unserer Worte mflsslen elKptisch ge-
nannt werden, weil sie die GasnsrerhSltnisse des Nomens
mtd die ZeitrerhSltnisse des Verlnuns nicht ToUatindig genug
angeben.
Die TOn den Qrammalakeni geforderte Ihglazung findet
allerdings beim Sprechen unaolhSrüch statt; nicht aber
Worte treten ergftnsend hinzu, sondern unsere Yontellnngen,
die entweder durch die umgebende WirUiehkeitswelt oder
durch die in den ausgesprochenen Worten liegenden Er-
inneruTigen erweckt werden. Lese ich ohne Zusammenhang
das heisst ausserhalb der Sprache das Wort ;Burgunder*,
80 kann es — ^ie man zu sagen pflegt — verschiedenes
bedeuten; in Wahrheit bedeutet es gar nichts, bevor nicht
dadurch eine bestimmte Vorstellung geweckt wird. Wenn
ich es in einem Zusammenhang lese, dass ich mir darunter
einen Burgunder Ritter denken muss, so werde ich nicht
etwa sprachlich den Begriff «Ritter* hinzufügen, sondern
mir nur einen gewafiueten Menschen vorstellen. Wenn idi
aber die Worte höre , nicht wahr, Sie nehmen gern Bur-
gunder", so werde icli doch nicht etwa erst das Wort «Wein"
ergänzend hinzufügen müssen, um einzusehen, dass die Haus-
frau keinen Burgunder Ritter gemeint habe. Die begleiten-
den Umstände werden dann dio Vorstellung von Wein
ireb(r.. Eine Wegln-i-^nnji . eui* li^llipse liegt nicht vor.
Wenn mir der Wirt ein ülas Weiu bringt und dazu sagt
,vom alten", so werde ich ihn richtig verstehen, ohne das
Wort Wein hinzuzudenken; wenn mir die Frau einen Brief
zeigt und dazu spricht ,vom Alien", so werde ich sie wieder
richtig verstehen, i>hne ein Wort hinzuzudenken. Ja dies-
mal wäre eine Ergänzung sprachlich gar nitht möghch,
weil „der alt« Mann" wieder eine ganz andere Vorstellung
erwecken würde als .der Alte*. Die Sache liegt gar nicht
anders als wenn ich das Wort «Strauss* gebrauche oder
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Gnouantifclie KUipM.
211
kdre und ent aus dem Ztuammenhang erfahre, ob der Vogel
oder ein Blumenstrauss gemeint sei. Dass bei dem Worte
«Strauss* Terschiedene Etymologien zu Grunde liegen, hat
gar nichts zu sagen. Wer Pfirsich als eine Ellipse für
jPfirsichbaum auffasst, der müsste auch Strauss jedesmal
für eine Ellipse erklären, bald für Vogel Strauss, bald f&r
Blumenstrauss.
Wird erst etwas wie die Ellipse als in der Sprache
wirksam angenommen, so könnte mau wohl die ganze Ent-
wickelung der Sprache auf Ellipsen zurückführen. Wir
Hessen, dass die Sprache sich durch Metaphern und Ana-
logien allein bereichert. Nun ist gm rächt anders mög-
lich, als dass der Zeit, in welcher em Wort seine neue Be-
deutung schon si^lb.ständig crewonnen hat, eine Zwischenzeit
vorausgegangen sei, in der die sprechenden Menschen noch
das Bcwusstsein der Metapher oder der Analogie hatten.
Es hat eine Zeit gegeben, in welcher man zu dem Adjektiv
, gelehrt" das Substantiv „Mann" hinzurügen musste, wo
also eine Ellipse vorgelegen hätte, wenn jemand z. B. ge-
sagt hätte ,N. ist ein kluger Mann, ein gelehrter" oder
— wie heute noch gebräuchlich — .,N. ist ein gelehrter,
kluger Mann". Als dann durch eine metaphorische An-
wendung das Adjektiv zur Bedeutung eines Substantivs kam,
als man «ein Gelehrter' zu sagen anfing, da wurde das
neue Wort zu einer neuen Standesbezeicbnung und die so-
genannte Ergänzung wire einfach ein Fehler. Wir sehen
aus dtesem einiadiston Falle, daae ron einer EDipee im
Sinne der Grammatiker nidii die Rede sein kann. Solange
dn Wort nicht selbsUndig geworden ist, solange Uhnl man
sein E^ftnsungswort nidit fort; ist ea aber erst selbatSndig
geworden, so kann man doch von einer Weglaasung nicht
mehr reden. Ebenso steht es um Analogiebildungen, die
sich Obngens alle unter irgend eine Art der Metapher
bringen liessen. Wenn nach der Einfdhrong der Eisenbahn
der einem Wagen fthnliche Kasten (anfugs war die Aehn-
lichkeit noch grosser als heute) «Eisenbahnwagen" genannt
wurde, so lag eben noch eine ftr das Sprachgefllhl nnent*
212
m Sjntax.
behrlicho Beschreibung ror. Wir können an diesem Bei-
spiel den psychologischen Gang verfolgen. In einem kleinen
ProTinzstädtcben, wo die Fahrt auf der Eisenbahn nicht zu
den alltäglichen Dingen gehört, wird immer noch ausführ-
lich und ohne Weglassurifj^ ^ Eisenbahn wapferi" gesagt, weil
das Wort , Wagen*" immer noch vor allem die Vorstellung
eines von Pferden gezogeneu Wagens erweckt. Wo aber
(las Fahren auf der Eisenbahn alltäglich geworden ist, da
mag zuerst die Bequemlichkeit das fünfsilbige Wort abge-
kürzt haben, bis „Wagen" („Waggon* wird seltener) ebenso
leicht den Kasten der Eisenbahn wie den alten von Pferden
gezogenen Wagen in die Vorstellung brachte. Von einer
Ellipse kann nicht die Rede sein, nicht von einer Ergänzung
durrli oin Wort. Wenn von einer Ergiinzung gesprochen
werden konnte, so wäre es nur von einer durch die begleiten-
den Umstände , durch die umgebende Wirklichkeitswelt.
Wenn Freunde auf einem Bahnhof stehen, genau in der Mitte
zwischen dem Zuge und dem Droschkenhalteplatz, und wenn
nun der eine von ihnen fragt ^in welchen Wagen steigst
Du ein", so wird der andere ans den begleitenden Um-
ständen (ob er nämlich abfährt oder ankommt) ohne den
geringsten Zweifel und ohne die geringste Wortergänzung
verstehen, ob ein Eisenbahnwagen oder eine Droschke ge-
meint sei.
Nimmt man die EUipee als eisen sinnreicheD Begriff,
so mttsste eigenÜich zu jedem einzelnen Worte seine ganze
Qesehichte und dazu sein Artikel aus dem Eonversations-
lezikon aufgesagt werden, damit der Grammatiker sich nicht
mehr Uber Wes^assungen und ITnToUstikndigkeiten zu be-
klagen hfttte. Bei bildlichen Ausdrucken, deren Bildlich-
keit noch empfunden wird, mttsste jedesmal ausdrücklich
wie bei Homer die ganze Veigleichung durchgeführt werden;
es läge sonst eine Ellipse vor.
Die Sprache der Kinder, die uns (Iberhaupt die Ent-
stehung der Worte aus Metaphern und Analogien so an-
schaulich lehrt, wäre toU von kunstreichen Ellipsen, wenn
die Grammatiker recht hatten. Das geht sowohl auf die
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Logische Ellipse.
213
FiUe eineB angeblich falschen wie eines angeblieh richtigen
Spraiehgebrancbs. Wenn das Kind meiner Nachbarin meine
Hflhner Wanwans nennt, weil es bisher kein anderes Tier
als dnen Himd gesehen hatte, so Übt es einfach sein Recht
auf indifiduelle Sprache. Dachte es sich unter Wauwau
etwas Lebendiges, sich Bew^ndes und nennt nun mit
diesem Worte auch ein Huhn, so liegt es einem Kinder-
gehim doch himmelfern, etwa Wauwau als ein Adjektiv zu
empfinden und nun ein abstraktes SubstantiT wie «Ding*
oder , Wesen" und dergleichen zu ergänzen. Ebenso wenig
ist es eine Ellipse, wenn das Kind sagt , Onkel Hut**. Ohne
jede Worterg'änzung ergeben die b^leitenden Umstände, ob
der Onkel seinen Hut aufsetzen, ihn dem Kinde zum Spielen
geben oder ihn in die Höhe werfen soll. Die grammatische
Ellipse ist eine Spielerei der Qrammatiker.
Unter der logischen Ellipse versteht mim ungefähr die i^sisob«
Weglassung eines ganzen Satzes, also eines ganzen Ge-
danken« in einem zusammengesetzten Satze. Ich finde in
einem verbreiteten Lehrbucb das folgende Beispiel: ^Wcnn
er sich nur nicht irrt (so freue ich mich)!" Dieses ergänzte
,so freue ich mich" ist echt schulmeisterlich. In Wirklich-
keit ist bei dipsen Kede Wendungen, die sich alle durch starke
Empfindungstöue vermten, die mensrhliche Heuchelei immer
in Gefahr. Der Smn ist docii t-igentiich: ich sage voraus,
dass er sich irrt, und hoff^ . du^s ich recht behalte. Das
^.wenn" allein würde diese gemischte EraptinduuLT Tiicht aus-
drücken können; sie liegt aber, ohne jede logische Er-
gänzung, in dem „wenn nur" und in der Situation.
Denkt man bei der menschlichen Rede aber gar weniger
an Predigten, Schüleraufsätze, schlechte Romane, Berichte
und andere Leistungen der schriftlichen Sprache, als an die
Sprache zwischen den Menschen, an das einsilbige oder
doch kurze Frage- und Antwortspiel zwischen zwei Ge-
nossen, so wird der Begriff der logischen Lilipse vollends
unhaltbar. Und was oben gesagt worden ist, dass nämlich
nicht Woiie, sondern die begleitenden Umstände die nähere
Erklärung abgeben, das trifft noch im hohem Masse fOr
214
die FSlk su, die man für logisdid ElHpsen za erUSren ge*
nei|{t itL Man aehte etva auf das Gespräch unschen zwei
Fischern in einem Boot, zwischen dem Bauer und seinem
Knecht auf dem Acker. Die hegleitenden Umstftnde sind
beiden so wohl hekannt, dass ein ToUstilndiger einfaehw
Satz ihnen ebenso lächerlich erscheinen müsste, wie dem
Kellner meine ausführliche Bierbratellung. Es suchen die
Fischer z. B. eine passende SteUe zum Auslegen der Herings-
nelse. A. Petersen hat uns da nichts darein zu reden
(wenn er auch Ortsvorsteher ist). B. (aber) er hat gestern
den meisten Fisch gehabt (ist also auch ein kluger Mann).
A. Etwas weiter (als die andern ihre Netze legen). B. (wir
wollen ^en; es kann ein Wetter geben, denn) dort sieht
es (von einer aufsteigenden Wolke) schwarz (aus) u. s. w.
u. s. w.
Wir wissen, dass nur gar zu oft das Subjekt, auch das
Subjekt im weitesten Sinne, nicht ausgesprochen zu werden
braucht, dass da.s Priidiknt aUein genügt. Das unaufhör-
liche Subjekt des nien. schlichen Denkens ist das Ich und das
Prädikat ist die Welt, welche das Ich wahrnimmt. Jede
Zusammenfassung dieser Wahrnehmung durch ein Prädikat
konnte man also eine Ellipse nennen. Vollständig wäre
eigentlich nur die sprachlose Sinneswahrnehraung. Die
Tiere mögen ohne Ellipse denkeu, nach dem Herzen der
Grammatiker.
*
Logik Will ich versuchen, die Ergebnisse der logischen Be-
B^tes trachtung mit denen der syntaktischen Betrachtung zu ver-
einigen , so kann ich freilich Uber eine höchst allgemeine
Ausdrucksweise nicht herausgelangen. All unser vielgc-
rühmtes Denkeu oder Sprechen Ist nichts anderes als eine
Besinnung auf unsere Sinneseindrtlcke und deren Erinnerungs-
bilder. So wenig alle Gesetze der Logik darüber hinaus*
führen können, so wenig Urteile und l^hlttsse Aber die Yor^
Stellungen und Erinnerungen hinausgelangen , welche in
unsem Begriffen enthalten sind, so wenig ein Urteil mehr
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Logik und Syntax.
215
leisten kann als die bequeme Ordnung der Merkmale eines
Begriffs: ebenso wenig kann die Syntax oder das Satzgefüge
unserer Sprache mehr leisten, als die Worte zum Behufs
einer bequemen Ast.üciutiun ordueii , in denen die Erinne-
rungen au unsere Siuneseindrücke aufgespeichert liegen. Die
syntaktischen liegein sind Analogien oder Spracbgewohn-
heiten, die uns die schlimmsten Umwege ersparen, die uns
innerhalb weiter Grenzen den richtigen Associationen nähern.
Immer aber ist es einzig und allein unser indiriduelles Ge-
dAohims, was uns troti aller syntaktischen Analogien die
richtigen Associatioiien Tolkiehen liest, immer ist es nur
unser Ge^ßchtnis, was iu jedem einsäen Falle den syn*
iaktisehen Formen erst ihre bestimmte Bedeutiing Terleiht.
ünbeetimmt und unklar legt sich Logik und Syntax um
den Kern unseres Denkens, um die Eindrucke der Wirk-
liehkeü Die WirUidikeit ist weder logisch noch syn-
taktisch. Das Weib hat zwei getrennte Beine, auch wenn
die BScke auf dem Boden nachschleifen« Und wenn Logik
und Syntax auch nicht so sinnlos wftren wie Kleidertraditen,
wenn sie unserer Sprache wesentlich wftren, so würde das
nichts anderes heweism, als dass unsere Sprache so arm-
selig ist wie Logik und Syntax. Wir sehen die Lichtpunkte
am Himmelsgewdlbe auf unserer Netahaut ab sechseckige
Sterne; uns ist diese Yorstellung so selbstTerstftndlich, so
natürlich, dass wir uns gar nicht darüber wundern, wie
das Wort ,,Steni* sugleich einen Punkt (der doch rund ge-
dacht werden muss, wenn er überhaupt eine Form haben
soll) und ein sechszackiges Gebilde bedeutet. Erfahren wir
aber, dass diese Wirkung der Sterne auf unsere Netahaut
Ton der unregelmässigen Form unserer Augenlinse herrührt,
SO werden wir doch beileibe nicht glauben, die Steme da
«ben seien in Wirklichkeit sechseckig, sondern nur: unsere
Linse sei mangelhaft, mangelhaft im Vergleich mit künst-
lichen optischen Instrumenten. Die Wirklichkeit aber wagt
der Mensch mit dieser elenden logischen, syntaktischen
Sprache erkennen zu wollen.
Wer das nun erfasst hat, dass nämlich alle syntakti-
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21G
Vil. Syntax.
sehen Regeln nicht einmal im stände sind, das ABC des
SatsgefOges, das Verhlltnis von Subjekt und Fkftdikat, ein-
deutig aussndrQcken, der wird natOrlich die ünfUugkeii der
Syntax fllr alle komplizierteren Fille leicht erkennen. Und
im Grunde gibt es auf dem gesamten Gebiete der Sprache
eigentlich kein «nderes YerhSltnis als das von Subjekt und
Prildikai Ist Subjekt das Selbstrentindhche, PkSdikat das
Aussagenswortef so ist jede nlhere Bestimmung, jeder Sats-
teil, jede Erweiterung des Sinnes, jeder Nebenaats immer
wieder das Pr&dikat zu dem Vorausgehenden, das in dem
Augenblicke zum Subjekt geworden ist, wo wir es wissen.
Alle Yerhiltnisse im Satzgefüge lassen sich zurftckftihren
auf das Yerhfiltnis eines zu bestimmenden Worts zur Be-
Stimmung. Ein feines Sprachgefllhl wird gewöhnlich genau
empfinden, worauf es ankommt, was das Aussagenswerte
ist, das Pjrftdikat, die prftdikable Bestimmung. Aber auch
das SprachgeftÜil, wie es seinerseits auf die Sprachgewohn-
heiten wirkt, steht unter dem Banne der Sprachgewohn-
heiten. Ich möchte das an dem hübschen Beispiele unsrer
Namen noch kurz nachweisen. In ^ Wilhelm Müller" ist
unter Umständen Müller das bestimmende Wort, das Prä-
dikat Ton Wilhelm. Man würde fragen «wdcher Wilhelm?*,
wenn ohne besondere Hilfen bloss von einem Wilhchn die
Rede ist. Es könnte anstatt Wilhelm Müller auch heissen;
der blonde Wilhelm, der bucklige Wilhelm. Das Sprach-
geftlhl würde aber sofort wechseln, wenn es sich darum
PittdOiat handeln würde, einen aus der Familie Müller naher zu be-
^ stimmen. Dann wird Wilhelm zum Prädikat, zur Bestim-
mung, ziini Merkmal, oder wie man die Sache nennen will.
Dann kann man auch sagen: dfr blonde Müller, der buck-
lige Müller. Als Polizei und Sitte noch nicht die doppelten
Xamen verlangten, die den doppelten Namen der Natur-
geschichte so verzweifelt ähnlich sehen, war das Sjn-ach-
gefühl noch einfacher: eine historische Untersuchung würde
denn auch ergeben, dass die meisten Familiennamen wirk-
lich Prädikate, Adjektive und dergleichen sind. Nun nehme
man aber Fälle, in denen der Doppelname noch nicht ofti-
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Piftdikat in Nunen, 217
2dell geworden ist, wie z. B. bei den Helden des Jlonitir,
in der vertraulichen Anrede der Russen und in den jüdi-
schen Namen aus der Zeit, bevor sie sich der allgemeinen
Landessittc fügten.
Bei den Griechen, die keine eigentlichen Familiennamen
hatten, wurde der Vatersname nur zur Vermeidung von Ver-
wedifldaiigen ImizugefUgt, abo ab du riehtigee Ao(jektiT
oder PrSdikai. Der Tiufiiame, wenn wir das Wort ÜOr die
Chneeheik gehranchen dürfen, bfldete das Subjekt Und es
war ganz konsequent, wenn die Sklaven, weil sie keine Sub-
jekte waren, weil sie demnach keine Persönlichkeit hatten,
gaas ohne Namen blieben und rein a^jektiTtsch nach ihrem
Vaterlande hiessen, s. B. der Syrer. So li^ die Sache in
der Umgangssprache und in der Prosa. Wenn nun Homer
gewöhnlich, troiadem eine Verwechselung in den seltensten
raien mOglich ist, den Vatersnamen hinzufbgt, so ist das
schon Poesie oder Luxus, Bei Aias ist der Zusati .der
Telamonier* nicht Poesie, weil es auf eine Unterscheidung
Tom andern Aiss ankommt Es ist ein erUftrendes Prftdikat
Bei AduUens oder Odjsseus ist der Zusata «der Peleiade,
der Laerttade* poetisch, ein üppig erzählendes Prftdikat, ein
schmttckendes Epitheton. Eine leise Schmeichelei liegt darin,
nicht anders, als wenn heute ein schwungvoller patriotischer
Historiker Ton Wilhelm dem Hohenzoller reden würde, trotz-
dem eine Verwechselung nicht mö|^i<di wäre. £s wird durch
den Familiennamen eine Stimmung erregt, die freilich bis
Sur blossen Feierlichkeit verblassen tann.
Ganz ahnlich liegt es mit dem Gebrauch des Vaters-
namens in Russland. Offiziell haben die Leute ihren Familien-
namen. Im persönlichen Verkehr jedoch erfordert die Sitte
unter Freunden und guten Bekannten, dass der Angeredete
mit seinem Tauf- und Vatersnamen gerufen wird. In einer
russischen Uebersetzung müsste darum die stehende Anrode
„Achilleus Peleussohn" einen weit herzlicheren Eindruck
machen als im Deutschen das kältere , Peleiade Achilleus".
Bei den Juden namen liegt der Fall nicht so einfach.
Jetzt klingt Felix Mendelssohn für unser SprachgeiUhl schon
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218
ebemo wie Wübelm Midier. Zur Zeit Ton Moses Mendda-
eolin war der Sprackgebraucli innerlialb der Jitdengomemde
noch orienialisdi, homeriaeh, wenn mati will. Es gab in
Dessau viele kleine Moses. SoUte der künftige Philoaophierer
Ton den andern Moses miterscbieden werden, so biess er
«Moses Mendels Sobn*. Im Mittelalter hfttte er «Moses
ben Mendel* geheissen. Innerhalb des Berliner Freondes-
kreisee war das aber schon wieder nicht nötig, und in seit»
gendssischen Briefen ist Ton ihm einfach ab Ton dem Herrn
Moses die Bede. Wenn also in der Judengemeinde von
Dessau «Moses Mendelssohn* gesagt wurde, so war der
Vatersname ein erklärendes Prftdikat; wenn Lessing sich
einmal herbeiliess, ausführlich «Herr Moses Mendelssohn*
zu sdireiben, so war der Vatersname wohl fllr sein l^^rakdi'
gefUiI noch kein modemer Familienname (wie in Fdix
Mendelssohn), sondern mehr ein erzShlendes Priidikat, ein
sdmiückendes Adjektiv, vielleicht mit einem ganz fernen
Anklang an schenhaften Gebrauch homerischer Vaters*
namen. In Briefen an seine Braut unterschrieb sidi Moses
noch n Moses Dessau*.
Ich bin ausführlicher geworden, weil mir diese Kleinig-
keit wichtig scheint fttr die Erkenntnis des wahren Wesens
der Syntax« Ihre ganze und einzige Aufgabe besteht nur
darin, dass sie uns hilft, in der Flucht unserer Gedanken-
associationen das Prädikat dem Subjekt zu nihem, die Be<
Stimmung dem zu bestimmenden Worte anzuiligen. Man
wird das im Satzgefüge leichter zugeben, wenn man diese ge-
heime Spracharbeit selbst in dem elementarsten Falle wahr-
genommen hat. Es kann aber kein elementareres Wort
ausgedacht werden, als der Name ist, der auf der Welt
nichts anderes l)ezeichnet als ein^ bestimmte Pei*son, ein
Individuum, auf das man mit dt iu /tngetinger wei«f^n kann.
Sobald nun die Spraclie aus irLC» i il welchem üruude be-
quemer ist als (1. I Gebrauch des Zeigefinf^'ers, sobald wir
das Individuum nennen wollen, in seinem Naineu schon geht
die Sprache in Subjekt und Prädikat auseinander.
In irgend einer weit zurUckh^enden Sprechweise muss
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Das Neue irird Prftdikat
21d
dieses Geteininis der Syntax, dass sie nämlich immer Da«
wieder nur ein Prädikat an ein Subjekt fügen kann, viel ^*
offenbarer gewesen sein. Um das deutlich zu machen, muss Pt*dikAt.
ich aber vorher irgend ein Hlltägliehes Beispiel daftir geben,
wie ich mir die Ei Aveiteruns»- der Begriffe Subjekt und
Prädikat denke. Ich lahnie den Satz: ^Ich fahre morgen
nach deinem Wunsche in einer Familienangelegenheit nach
Wien." Bei den beiden ersten Worten fallt mein erweiterter
Sprachgebrauch mit dem gewohnten zusammen, nlch" ist
das IJebeiflttssige, der feste Ausgangspunkt. Die Neuigkeit,
die mir aimagtiisvert acheint, das Prftdikat ist »falireii*.
Kim wird sofort mein Fahren znm Ausgangspunkt, zu dem
was icli schon weiss, was ich dem andern schon miigeteiU
habe und was dadurch xum SelbsfcTerstftDdlichen, lam Sub-
jekt geworden ist* Etwas neues Anssagenswertes, eine neue
Beetimmung tritt hinsn: «morgen*. Uan rersenke sich ein
wenig in meine Anschauungsweiae und das SprachgeAlhl
macht bald keinen Unterschied mehr swisdhen dem Yerbum
.fahren* und dem AdTerbium »morgen*. Die Sprache hätte
sieh ja auch so entwickeln kdunen, daw ich gelftufig sagim
kdnnte, was ich jetat der Muttersprache nur mit ein wenig
Tortur abswingen kann: «mein morgendes Fahren* oder
»mein Fehren ist moigend*. Nun wird »mein morgendes
Fahren* snm Wohlbekannten für Sprecher und Hörer, zum
Subjekt In einer matiiematischen Formel durfte ich jedes-
mal aJles bisher Ckaagte durch eine Klammer Terbinden, etwa:
{[(a + b) -f c] 4 d \ f e- Es tritt nun das neue Aussagens-
werte «nach deinem Wunsche" hinzu. „Mein morgendes
Fahren ist dir wQnschenswert* Ich brauche wohl nicht
daran 2:u erinnern, dass ich es mir hier bequem gemacht
habe, dass die neuen Bestimmungen „nach* und «dir" eine
ebensolche Analyse erfordert hätten, dass endlich die Wort-
folge des Sprachgebrauchs nicht immer der natürlichen Folge
der Associationen entspricht, wie z. 6. das «dir** in anderen
Sprachen dem Wunsche zu folgen hätte. Nun habe ich das
erweiterte Subjekt «mein morgendes, dir wünschenswertes
Fahren' und es tritt das neue Prädikat «in einer Familien-
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220
VII. Syntax.
Bügelegenheit* hinzu; und endHch fOgt sich aa das er^
weiteite Subjekt «mein morgendss, dir wUnschsiiswerteB,
fiuiuli«ihaltes Fahren" die leiste Bestimmung, das PrSdikat
der Richtung.
So üder ähnlich drUcken noch heute flexionsarme
Sprachen die Gedanken aus. Wie auf dem Marsche jeder
Fuss Boden, den ich zurücklege zum ROckwärts wird, das
sich, bei jedem Schritt vergrdssert, an meinem Standpunkt
TOm Vorwärts unterscheidet, so wird im Satzgefüge alles
Gesagte, alles Kückwärtsliegende zum Subjekt, das Nächste,
das Vorausliegende, das Auszusagende, ist in jedem Augen-
blicke das Prädikat. Und wieder komme ich auf mein
sprachwidriges Beispiel zurück. In jener alten Sprechweise
musste es <:^leichprttltig sein — wie es auch naturwissen-
schaftlicli gleichgültig ist — ob man sagte „ich schmecke
die Frucht" oder ,die Fnicht schmeckt mich (mir)". Die
Unterscheidung zwischen transitiven und intransitiven Verben,
zwischen Subjekt und Objekt, zwischen Activum und Pas-
sivum, zwischen Accusativ und Adverbialbestimmungen, end-
lich aber und zuerst die Unterscheidung zwischen No?nen
und Verbum konnte noch nicht ertunden worden ^ein zu
einer Zeit, da die menschliche Sprache noch in ihren Formen
mit der wirklichen Gehirnthätigkeit zusammenfiel, da die
Sprache sich noch darauf beschränkte, Apperzeptionen aus-
zudrücken, Glied für Glied dem W eitbilde des Ich neue Ein-
drücke hinzuzufügen, jedes neue Wort als ein neues Prädikat
zu empfinden.
Es scheint, als ob la dtu .sprachen, die durch Verlust
der Bildungsformen so üexionsarm geworden sind, wie z. B.
die englische, sich langsam der Kreislauf vollzieht zu dieser
ursprünglichen Syntax, die jede neue Bestimmung als ein
neues Pkftdikat aulbart. Sfttse wie: hm are somo will
thank you (Shakespeare) sind im Englischen alltäglich.
Es schdnt mir selhstrerständlich, dass diese Anschauung,
wenn sie richtig ist fttr die Glieder eines einfachen Satses,
ebenso angewandt werden darf auf die kompliziertesten Satz-
gefüge. Auch die Unterscheidung der nebeugcordneten und
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Dm Neue PrftdiluU.
der untergeordneten Sätze ist dafür unwesentlich. Es ist
ja auch den alten Grammatikern nicht fremd, ganze Sätze
als Subjekte oder als Prädikate anzusehen. So wir*! für
mich auch im reichsten l'eriodcnbau, solani^e sich nur das
Sprachgefühl nicht gegen seine Kompliziertheit auflehnt,
immer alles bereits Gesagte zum Subjekt, der auszusagende
Begriff, der neue Satz wird zum Prädikat. Xehenordnung
und Unterordnung gibt es ja doch nur einzig und allein
ir. ilen Sprachgewohnheiten oder in unserer Autmerksam-
keit auf einen Zug, niemals in der Wirklichkeit, die wir
bezeichnen wollen. Und selbst in den Sjirachgewohnheiten
ist die Unterordnung ein durchaus relativer Begritf, wie wir
das angeblich so grundlegende Verhältnis zwischen Sub-
jekt und Prädikat eben als etwas Relatives kennen gelernt
haben. Es gibt Sprachin, die eine grammatische Unter-
ordnung der sogenannten Nebensätze nicht kennen. Es ist
nicht unmöglich, dass auch unsere Sprachen, die jetzt so
stolz sind auf ihr neben- und untergeordnetes Satzgefüge,
einmal wieder zur Ausgleichung dieses Unterschiedes zurttck-
kebren. Bentlicb zeigt sich die Neigung dazu in den Neben-
rittzen, welche heute in der Erzihlung Zeitiiestimmungen
enthalten. «Robinson fand eine Kokoennss; er Öffnete sie;
er aas den Kern.* Weder ein Kind noch ein Granunatiker
wird sich an dieser Nebenordnung stoesen. Und doch bitte
es ebenso gut heissen k(tamen: «Robinson fand maß Eokos-
nnss; nachdem er sie geOSbet hatte« ass er den Kern auP
oder auch: «Nachdem Robinson die Kokosnuss, welche er
gefunden, geöffnet hatte, ass er u. s. w.* oder auch: «Nach-
dem Robiuon die gefundene Eokosnuss geOffiiet u. s. w.*
Selbst in der Theorie ist mit dem Begriff des untergeordneten
Satzes nicht viel anzufangen (vergl. m. 197). Wir können
nicht mehr sagen, als dass er eine Bestimmung zum Haupt-
satze enthalte. Darin liegt seine ganze Abhängigkeit. Aber
abhBngig sind alle S&tze wie alle Worte einer Rede von-
einander. Und fasst man die Sprache gar erst wieder als
etwas zwischen den Menschen, wie z. B. in einem lebhaften
Gespräch, in einer kurzen telephonischen Verabredung, so
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222
Bchliessen ridi lauter isolierte Sätse aneinander, die das
Sttsammeofassende Satzgefüge in einer langen Periode von
abhängigen Sfttzan Tereinigeii wflrde. — «Gut. — Morgen?
— Ja. -r- Wann? — Nach dem Theater. — Wo? — An
der gewohnten Ecke. — Gewvs? — Wenn ich allein bin**
Der Inhalt dieser Verabredung wird nicht reicher an Wert»
wenn der Frager ihn dann noch einmal xur Sicherh«i
wiederholt und so ausspiicht: »Wir sehen uns also, wenn
du allein bist, morgen abend, sobald das Theater TorQber
ist, an der Ecke, an welcher wir uns immer trelfen.*
.hfirioh*. FOr die ZoftUigkeit dieser sprachlichen Gewohnheiten
findet sich in memer Heimat ein sonderbares Beispiel. An-
statt des schön geformten Satxfp «ich hdre, du habest dich
▼eriobt* sagt man da regehnassig ,du hast dich, höre ich,
▼erlobt". So wie ich das hier niederschreibe, könnte man
glauben, es sei ein&ch — wie fast regalmSasig in der Um*
gaagsprache — die indirekte Hede aus Bequemlichkeit
durch die direkte ersetzt worden. Nach dem SprachgefDhl
der Deutsch-Böhmen liegt die Sache aber anders. Der
grammatisdie Nebensati ,du hast dich Terlobt* wird un-
bedingt als Hauptsatz empfunden; der Haupt.'^Eitz «ich höre*
oder ,höre ich* wird nicht einmal als ein Nebensatz oder
als Parenthese empfunden, sondern Tielmehr als ein Ad-
verbium. Er wird ganz ohne Frage „hör ich" ausgesprochen
und nach Analogie eines ähnlichen tschechischen Wortes
(pry) etwa so empfunden wie das weitläufigere , einem on-
dit zu Folge". Wie so häufig in der Eutwickelung der
Sprache erzeugt dabei die Verarmung in der einen Richtung
eine Bereicherung in anderer Richtung. Es wird da (ebenso
in andern Mundarten) ein Adverbium des Hörensagens ge-
schaffen. Ueberhaupt ist es für den Sinn vollkommen
gleichgültig, ob ein Teil des Satzgefflgcs die grammatische
Form des Hauptsatzes angenommen hat oder nicht. Auf die
Associationen unseres Gedächtnisses kommt es an, auf unsere
Erinnerungen an die Wirklichkeitswelt, nicht auf die Sprach-
kategorien.
Hermann Paul gibt, ohne die volle Tragweite die^s
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Parenth«M.
223
Uebergangs vom Hauptsatz in den Nebensats und umge- Fwrtt'
kehrt zu erkennen, weitere Beispiele (Pr. d. Sprachg. 8. 100
bis 124) aus andern Sprachen. Er erwalint dabei aaeli die
sogenannte Parenlliese, die Einsdudbung eines formellen
Hauptsatzes in ein grammatiaeh fremdes SatigefQge. Oerade
die Parenthese, von dar diese Spzachkritik i. B. einen sehr
häufigen Gehrauch maeht, schemt mir bedentsam f&r die
Rolle, velehe das Qed&chtnis hei der AufSusong kompli-
sierterer Gedankengänge spielen mnss. Alle Parenthesen
drucken doch izgend eine Bestimmung aus, welche sich
grammatisch in der Form eines Nebensataes dee Chrundes,
der Zeit, des Ortes u. s. w. einfUgen üesse. Sin guter Stilist
wird aber die isolierte Parenthese der Einleitung durch
»weil, als, wo u. s. w.* TOisiehen, wenn ihm dieser gram-
matische Eiertam nun Ekel geworden ist Er erinneii
dann etwa den H5rer, scheinbar sosammenhanglos, an
erneu bekannten ünstand, und der aufmerksame Hdrer wird
der ParenÜiese schneller naehftthlen, ob sie einen Qnmd,
eine Zeitbestimmung, einen Ort u. s. w. Bliebe, ab wenn
er durch die entsprechende Koiqiinkticni mit der Nase auf
die beferefifonde Kategone gei^tossen worden wäre. Die
fertigen ^ntaktischen Kategorien, die ewig mit der Nase
auf die fertigen logischen Kategorien stoesw, haben den-
selben Fehler wie die fertigen Flexionsformen ; sie stumpfen
ab, sie sind durch das Bestreben der Vollständigkeit lang-
weilig, sie machen scheinbar die eigene Gedankenarbeit
leichter, in Wirklichkeit nur träger, und so, glaube ich,
schaden Bie dem Mitdenken mehr, als sie ihm nütsen*
Ich furchte, die Regelung der Syntax ia unsem viel snituf
gerühmten Kultursprachen entspricht nicht im mindesten "P"«^®»-
dem Zweck der Sprache, mit imsern Erinnerungen an die
Wirklichkeit übereinzustimmen, sie entspricht viehnehr einer
gewissen Ordnungsliebe, die mitunter ihren praktischen
Nutzen haben kann, viel häufiger jedoch nur einem spieleri-
schen Bedürfnisse der Zierlichkeit dient. Ich sehe in dit ser
syntaktischen Gliederung dasselbe Bild, wie es eine irucht-
bare Landschaft in unsren hoch kultivierten Gegenden bietet
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224
VH. Syntax.
flo ein Stftck Land hübsch parzeUiwt und sind die Vier-
ecke mit GemUsen, Getreide und Handelspflanzen bunt-
scheckig bestelli, ist gar wie in einem Hansgarten, fttr wei-
tere Abwechselung durch blühende Gewichse gesorgt, so
hat der Interessent seine Freude an dem Anblick. Sin
interesseloser Kopf, ein Dichter s. B., mag sich dann Ober
diese Ordnungsliebe entsetsen; wie denn der Pussfcadichter
Lenau einmal diese wohlgeordneten Eulturfluren in Schwaben
ganz abscheulich fand. Wfll die Sprache nichts anderes
als die WirUichkeit xeichnen oder beseichnen, so hat sie
sn einer so zierlichen Ordnung gar keine rechte Veran-
lassung; denn die Wirklichkeit ist regellos wie die Ursprünge
liehe Katur, wie die Wüste« die Steppe oder der Urwald.
Alle unsere Kultursprachen aber sind sohon durch ihre ana-
logtschen ^ezionsformen, nodi mehr aber durch ihre sjn-
tsktischen Gliederungen Arabesken geworden. Sie stilisiereu
die Erscheinungen der Wirklichkeit wie etwa eine spiele-
rische Kunst in ihren Arabesken die Formen der Nator
stüinrtf wie insbesondere die Architektur Pilanzenformen
benutzt War rechts ein Blättchen, so wird auch links ein
Bl&ttcfaen angebracht; bog sich der Zweig zuerst nach rechts,
so muss er sich dann nach links biegen. Das Ohr sucht
in der Sprache Beruhigung, wie das Auge in der zierenden
Kunst. Als ob in der Natur überall Gleichgewicht herrschen
müsste oder könnte. Dieses ziervolle Streben nach Ueber-
einstimmung der Teile geht bis auf die Elemente des Satzes
zurück. Wir verachten die einfachen Sprachen, welche
Uebereinstinimunf? zwischen Subjekt und Prädikat nach Zahl
und Geschlecht und dert^leichen nicht in ihren Formen ver-
merken. Aber in alltiijxlichen Anwendungen stehen wir
da vor iSchwierigkeiten. Heisst es: «3mai 7 ist 21" oder
,sind 21"? Der Qrammatiker stutzt bei der Frage, der
Logiker ist hilflos.
So führt uns auch diese Betrachtung wieder dü/ii, den
vielgerühmten Bau der menschlichen Sprache nur vom Stand-
punkt des Künstlds aus bewundem zu können; nicht zu-
taliig spricht man von einem Stil im Satzgefüge, wie man
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WiikUchkmt and Worte.
226
von einem Stil in den Künsten spricht. Und so wenig der
einzelne im stände ist, sich selbständig und einsam von dem
Kunstgefüiil seiner Zeit uuii seines Volkes ganz loszulösen,
so wenijK können wir in der Wertschätzung der Sprachen,
weil sie eine rein ästlit tische ist, uns von dem Stilgefühl
unserer eigenen Muttersprache völlig befreien. Wir sind in
allen diesen Dingen Sklaven der Zeit und ihrer Mode, und
je naiver wir sind, desto unfreier verwechseln wir die Mode
mit der Schönheit, unsere Sprachgewohnheiten mit der logi-
flehen Walurheit.
Ym. Situation und Spracbe.
Es ist einer der wiohtigsten Punkte in der Sprach» wizUkfc-
kritik, dass wir den Zusanunenhing oder viehnehr die Zu- '^^^
eammenbangloeigkeit zwischen der WirkUchkeilswelt nnd
den Spracblanten ezkennen. Nie nnd nimmer hat ursprQng-
lieh im SpracUaute etwas gelegen« was zu einem Ding in
der Wirklichkeitswelt direkte oder indirekte Beuehnng hatte.
Alle Bemflhungen, die Sprache aus einer Nachahmung der
WirUidikttt zu «rUftren, mUasen daran scheitem. Wir
haben erkannt, dass auch die scheinbar handgreiflichsten
Klangnacbahmni^en nur metaphoiiscbe Anwendungen des
Klanges sind und wir haben Tcrmutet, dass selbst dkse
metaphoriscliai Khngnacbabmnngen erst nachtrlgbeh, durch
eine Art von Volksetymologie, in den Klang hineingetragen
worden sind (II. 534). Dieser Auffassung von der Onomatopöie
widerspricht es also nicht, wenn wir jede Bezeichnung für
Dinge oder Erscheinungen der Aussenwelt für die Zeit der
Sprachentstehung leugnen, wenn wir den Sprachlauten in
einer Urzeit nur hinweisende Kraft zugestehen, wie wir ja
Übrigens auch der entwickelten Sprache nur eine hinweisende,
deiktische Bedeutung beimessen. Wegener (Untersuchungen
S. 88) nennt das gern den Imperativ des Stechenden, das
heisst die Aufforderung an den Eörenden, seine Aufmerksam-
keit einem bestimmten Punkte der gegenwärtigen Situation
M»athuer. Beitrl^e su einer Kritik der Sprache. III. 15
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226
yni. Situation und Sprache.
suzuwendeD. Er weist darauf hin (unwülkürlidi nennen wir
eine Belehrung gern eine «Hinweisung*), dass im firan«
xOsischen BemonstratiTpronomen diese Aufforderung noch
zu entdecken sei. Ge (liTre u. s. w.) ist entetanden aus ecce
oder ecce id. Sehr hUhsch ist die Bemerkung, dass das s,
mit dem in den indoeuropäischen Sprachen so unendlich
häufig der XominafciT singularis, also die weitaus grOsste
Zahl der Dinge in der WirUichkeiiswelt, bezeichnet wird,
ein altes DemonstratiTum sei, unser ,da*. Dieses .da" mag
in einer Urzeit der al^meinste Begriff, das ewige psycho-
logische P^«dikat jeder Sprache gewesen sein. Wir können
mit aller Phantasie nicht mehr die Wege des Laut- und
des Bedeutungswandds rdconstruieren, auf welchem dann
so ein «da* zu hundertfittiigen psychologischen Subjdcten
wurde, welclie dann dem «da* oder „s" vorangestellt wurden.
Verwandte Vorgänge aber lassen sich an der Sprachbildung
der Kinder noch beobachten.
SttuBfeton Wenn kleine Kinder sprechen lernen, so kommt es
ebenso oft vor, dass die Kinder die Sprachlaute von Amme
■pntih«. oder Mutter na(-h|ilappem, wie dass die Amme oder Mutter
das Lallen des Kindes zur Verständigijno; artikulierend nach-
ahmt. Dass das Kind doch schliesslich die Sprache der
Erwachsenen lernt, rührt nur daher, dass es sich in einer
erschreckenden Minorität gegenüber seinem Volke befindei
und eben einer fertigen Sprache gegenübersteht. In beiden
Fällen — ob nun das Kind oder die erwachsene Person
den Sprachlaut zuerst hervorbringt — besteht das Sprechen-
IprnrMi jedoch darin, dass der Sprachlaut oder vielmphr das
Bewegungsgefülil dieses Sprachlauts sich mit einer Seelon-
situation des Kindes associiert. Der Sprachlaut weist auf
die Situation des Hungers, der Nässe, des Lichtes u. s. w.
hin und priirrt sich nach einigen Wiederholungen so fest
ein, dass er au diese Situation erinnert. Wir wissen. da.ss
das Wort -Milch" oder der ents])rechende kindliche S))rach-
laut wirklich nur an die alli»'ejueine Situation erinnert und
darum in der Sprache der Erwachsenen bald mit Ilunpcr,
bald mit Befriedigung, mit Brust oder Flasche, mit Bitte
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SituatioB vaA Kmdenpndie»
227
oder Fröhlichkeit Ubersetrt werden mflssle. Daraus ist es
audi SU b^reifm, weshalb M uttw und Sind einander ver-
stehen, trotzdem das Kind anfangs niemals Satse spricht,
sondern nur einzelne Sprachlaute. Diese erinnern an die
gesamte Situation (unklar freilich) und mehr leistet im
(i runde auch die entwickelte Sprache nicht. Ein grösserer
Unterschied zwischen der Sprache des kleinen Kindes und
der der Erwachsenen besteht aber darin, dass das ausser^
ordentliche Gedächtnis der Erwachsenen jede vergangene
Situation wachrufen kann, während der Sprachlaut des kleinen
Kindt s immer nur auf die gegenwärtige Situation hinweist.
Diese hinweisende, deiktische Sprache ist nur insofern eben-
falls eine That des Gedächtnisses, als das Bewegungsgefühl
des bestinmiten Sprachlautes sich sehr früh mit der be-
stimmten Situation assocüert hat. Das kleine Kind ver-
bindet z. B. mit seinem Sprachlaute , Milch" , oder dem
entsprec henden , höchstens die Vorstellung der unmittelbar
folgenden Zukunft (weinerliclier, bittender Ton) oder der
unmittelbar vorausgegangenen Vergangenheit (fröhlicher,
dankender Toni.
Diese Be/iehunn^ auf die nächsten Lust- und Unhist-
gefühle i«t charakteristisch fUr die Sprache des kleinen
Kindes; die gegenwärtif^e Situation wird ja nur dann wahr-
genommen und nur insoweit walagi noiiinun als sie inter-
essiert. Dieses Interesse ist beim kleinen Kinde ein rein
animalisches. Es hat nicht die geringste Veranlassunj^, mit
seinem Denken oder Sprechen über diese Situation und über
die Gegenwart, nächst den Momenten vorher und nachher,
hinauszugeluMi. Das Interesse des erwachsenen Menschen
oder gar das des „uneigennützigen" Gelehrten oder Philo-
sophen ist freilich ungleich ausgedehnter und indirekter als
dieses animalische Interesse des Kindes. Aber auch der
Vater, und wenn er ein Phüosoph wäre, nimmt schliesslich
nur wahr, was durch ein noch so indirektes Interesse seine
Aufmerksamkeit erregt, und hat in seinem Qehirn nur die
Erinnerungen an solche Situationen, die einmal seine Auf-
merksamkeit erregt haben. So weist auch jedes Wort und
228
VIIL SitualioB nnd Spradie.
jeder Wortteil der entwickelten Sprache schliesslich immer
auf Situationen bin, die irgend einmal <re<:f^nw'ärtige waren.
Die Verständigung zwischen der Mutter oder Amme
einerseits und dem Kinde anderseits entsteht aus der Ge-
meinsamkeit des Situationsbildes. Es ist ja wahr, dass der
Enge des Horizontes die kleine Zahl der Sprachlaute ent-
spiicht; trotzdem darf man nicht glauben, dass die wenigen
Sprachlaute des Kindes zur Verständigung irgendwie hin-
reichen könnten, wenn nicht eben die gej^enwärtige Situation
die eitfentlii In Sprache ausmachte. Jeder einzelne dieser
wenifTen Sprachlaute hat ja eine gewisse Gruppe von Em-
pfinduii^^eii zum Ziel, aber doch nur /titn Ziel, auf welches
er hinweist. Innerhalb der Gruppe ist der Sprachlaut doch
nur unser „da* und die bekannte Situation sagt das Uebrige.
Das Kind macht sich auch gar nichts daraus , die paar
Sprachlaute miteinander zu vertaus(hen. Die Mutter oder
Amme versteht es doch aus der Situation heraus. Und der
Ton ist fast noch wichtiger als der , artikulierte Sprachlaut.
Der Ton, der weinerliche »Ut fröhliche Ausdruck sogar
schon, bestimmt in der Situiiti ni illes, was die entwickelte
Sprache später so künstlich als Beschreil)ung der Situation
festzuhalten sucht: den Gegenstand der Aufmerksamkeit, die
Handlung, die Beziehung auf das Kind, die Zeit der Hand-
lung, die Richtung u. s. w., kurz die ganze Vielfältigkeit
dessen, was wir die Grammatik der entwickelten Sprache
nennen.
Noch ein anderes und Uberaus tief reiehendes Ver-
hftltDis swiadien dem Worte und der Situation ist sdion in
der Eindersprache Torhanden, ein Umstand, der die Inkon-
sequenz des Spracblntikws, die Iiiebe zu seiner Mutter-
sprache, vielleicht doch wiedo' «rUSri Wir alle haben an
dem Gebrauche unserer Muttersprache eine tiefe Freude. Bs
wftre wohlfeil sie atu dem Behagen aÜMn zu erklären, das
uns die bequeme und sichere Art zu schwätzen gewährt
Diese Sehwatsißreude hat Tiel mit Bitelkeit zu thun und
findet sich noch häufiger beim Plappern in einer fremden
Sprache. Das tiefe Gefllhl für die Muttersprache hat weit
Situation und Apperzeption.
229
mehr AehnKehkcit mit der leidenschifflklira Ibnpfindung
ftkr die Geliebte; atsch die Liebe ist beim recht gesuoden
Menschen (man denke an die Definition Spinons) innig ver-
bunden mit der Brinnemng an Wollust. Wer recht Hebt,
der erwartet von der Umarmung eines and«rn Weibes als
des einen gar keine Lust, weil ihm die Erinnerung dieses
Oefldils der Lust allein mit der Vorstellung der Qeliebten,
ja sogar mit der Vorstellung von ihrem Namen sich asso-
cüert. Dieses Gefthl der Lust empfindet man auch im
Gebrauche seiner Muttersprache. Alle hohen Theten der
Vaterlandsliebe hangen mit diesem Gefühl der Lust su-
sammen. Und doch ist sich der erwachsene Mensch keiner
solchen Lust beim Gebrauche der Worte bewusst
Aber Lust, die Wollust der BeMedigung seiner höchsten
animalisdien Interessen, hat der Mensch sls Kind beim
Spredienlemen erfahren. Die Mutterliebe, diese Fortsetzung
der Geschlechtsliebe, hat im kleinen Kinde die Association
zwischen den Sprachlauten und der Befriedigung hergestellt.
Die ersten Sprachlaute dienten der Befriedigung der ver-
zweifelten Lebensinteressen dee Kindes und wir können nur
alinon, welche Lust das Kind dabei empfindet, wenn es z. B.
mit dem ersten Sprachlaute «ma* zugleich seinen Hunger und
die Mutterbrust und wer weiss wns noch sich vorstellt. Wer
mir diese Darstellung nicht glauben will, der beobachte ein-
mal, wie das Kind nach erfolgter Sättigung den Sprachlaut
ma glückselig und fast liebkosend wiederholt.
Die Erfahrung der Kinderstube lehrt also, dass die App«r-
Kinder, auch wenn sie von der Sprache der Erwachsenen
schon mancherlei gelernt haben, nie etwas anderes als die Sikwtioii.
Welt ihrer Stube mit den Worten verbinden. Es ist das
auch nicht anders niüiTlirli. weil doch Sprache nur aus Er-
innerun^'s7ri( hen besteht. Hätte ein Kind auch den ganzeu
Sprachschatz seines Volkes auswendig gelernt, e"< könnte
mit ihm dennoch nicht über den Horizont seiner Kinder-
stube hinaus denken. Das ist ja der Grundfehler aller
Schule. Ii SS sie die Sprache ohne das dazugehörige Welt-
bild bietet.
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230
VIII. SiinaMon und Spnohft.
In den Zeiten der SpiMhentetehung muss die Saelie
klarer gelegen kaben. Nicht einmal alles, waa dem Hori-
zonte des Einaelnen angehörte, konnte er auBdrUcken* Da
Sprache als etwas zwischen den Menschen entstand, konnten
die ältesten Sprachlaute nur ausdrücken, was in der be-
treffenden Gruppe gemeinsamer Horizont war. Und ander-
seits macht uns der gemeinsame Horizont verständlich, dass
ein einziger Sprachlaut je nach der Situation Verschiedenes
bezeichnen konnte. Die Sprache war und ist ihrem Wesen
nach deiktisrh , hinweisend. Der ausgestreckte Zeigefinger
deutete und bedeutete je nach der Situation tausenderlei
IHnge.
Die Wichtigkeit der Situation, das heisst des äugen*
hlicklich im Gehirn des Sprechenden oder Hörenden vor-
handenen Weltbildes , wird uns aus unserer Kritik des
Apperzeptionsbegritls deutlich werden. Tch werde da mit
dem Vorbehalte, dass nwm von Apperzejition lieber ^ar
nicht mehr sprechen suUte, zu lehren suchen, dass man
die Apperzeption höchstens definieren könne als: die Au-
wendun«? des ])ersönlichen Wortschatzes auf ein sich der
Wahni. liniutii; nnfdränt^'eudes Ding. Jetzt wollen wir ein-
mal sehen, welche liedeutnng die Situation, um dieses Wort
beizubehalten . in unserer hoch entwickelten Sprache habe.
Wir werden schon hier erkennen, dass auch die verwickelt-
sten logischen Gedankeureihen immer nur das im Gehirn
vorhandene Weltbild zui-tickrufen, dass etwa noch die Auf-
merksamkeit auf einen besonderen Tunkt dieses Weltbildes
gelenkt wird und da.ss im besten Falle noch ein neues sich
aufdrängendes Dmg hinzukommt. Ich folge dabei vielfach
den Untersuchungen Wegeners, die meine Auffassung von
der Apperzeption und den» psychologischen Subjekt sehr er-
freulich ergänzen.
Wir müssen dabei vollständig absehen von den Kate-
gorien der Ghrammatik. Wenn am zweiten September 1870
ein Berliner Schulmädchen in ihre Klasse stürzte mit dem
Rufe »Napoleon gefangen", so deckte sich zufällig das
psychologische Subjekt mit dem grammatischen. Das Be-
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Siiaation und Appeneptioa.
281
kannte, das Gleichgültige, dau, was man sich an den Sohlen
abgelaufen hatte, Napoleon, war zufällig das Subjekt der
Neuigkeit. Im Kopfe des Berliners yerband sich mit dem
Worte Napoleon die Vorstellung des unfähigen, ehrgeizigen
oder verzweifelten Franzosenkaisers, die Kriegserklärung,
zahlreiche Schlachten, Gefahr, Ilass, Verachtung, die Kai-
serin Ellgenie u. s, w. Das Wichtige, die Neuigkeit, das
neue Moment wat ,er ist gefangen''. Das war zufällig auch
das grammatische Prädikat.
Es kann sprachlich ganz anders kommen. Wenn ein
Kassenbote einen Wechsel präsentiert, so ist sein stummes
Vorzeigen des Papiers die Neuigkeit, das Prädikat. Das
ganze SckuIdTeiliittmSf wie es dem Schuldner im QM»
gegenwärtig ist, ist das psychologische Subjekt Wäre ea
ein Sehnldschein gewesen und hfttte der Gläubiger britflich
gemahnt, so lAtte das Ganze die Form eines komplizierten
Satzes angenommen. Es wire ans Höflichkeit das pejcho-
logische Subjekt ausiUhrlich dargelegt worden. «Sie haben
zu der und jener Zeit aus diesem oder jenem Grunde Gktld
gebraucht; ich habe es Ihnen geliehen. Sie haben an dem
und dem Tage einen Schuldschein unterschrieben und sich
zur Backzahlung am heutigen Tage Terpflichtet: zahlen Sie.*
Das peychoiogische Prädikat liegt in dem allein wichtigen
und gewissermassen neuen Moment «zahlen Sie*. Ware das
PriMikat allein ausgesprochen worden, der Schuldner hätte
sich das psychologische Subjekt schon hinzugedacht.
Wegener (Üntereuchungen über die Grundfragen des
Sprachlebens S. 21 f.) unterscheidet sehr gut zwischen Ter-
sdiledenen Voraussetsmigett der Situation. Immer ist es
die Situation, welche das psychologische Prildikat erst er-
klart. Es gibt eine Situation der Anschauung, wie wenn
z. B. in einer Gesellschaft Herr Müller — das neue Ding —
vorgestellt werden soll und der Vorstellende ü it * iner ein-
fachen Handbewegung sagt: ,Herr Müller." Ein Pedant
nur würde das psychologische Subjekt mit aussprechen und
sagen: «Wir sind hier im Hause des Herrn Schuiaie lauter
alte Bekannte beisammen bis auf diesen einen Herrn, dessen
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232
VIII. Situation und äpradie.
Namen ick duram «udiOcUicli nennen wilL Dieser Herr
helssfc Möller.* Eine solcbe Form der Yorsfcellung wäre
aber nicht nur pedeatlaGli, sondern neck dem Sprachgebraiioh
sogar unbOfUch. Eine Handbewegung tritt fltr das psycbo«
logische Subjekt ein. ünd so wirksam ist die Anscbnuung,
daes kein Anwesender auf den Gedanken kommt, der Vor-
stellende meine mit Herr Mtüler seine dabei Torgezeigte
Hand. Es gibt weiter eine Situation der Erinnerung. Wenn
wir SU zweien äsa Konzertsaal Terlassen und ick »korrlick*
sage, so meint mein Befreiter nickt, ick kätte das Wetter
oder die Beleucktung oder sonst etwas gemeint. Er beziekt
das Mdikat mit Sidierkett auf das eben gekörte Musik*
Stack. Ick braucke nickt erst auseinanderzusetzen, dass
diese einfachen Fülle auck auf wissensckafilicke Unter«
kaltungen Anwendung finden. Es gibt femer eine Situation
des Interesses, welche Wegener nickt ganz glficldick die
Situation des Bewusstseins nennt Jedes Individuum, jede
kleine und grosse Mensckengruppe, jedes Volk kat ein be-
stimmtes Weltbild, das sick von dem Weltbild anderer In-
dividuen, anderer Gruppen, anderer Völker untersckeidet.
Diese Weltbilder sind Situationen des Interesses und er-
klären entweder ausdrücklich oder stills<diweigend das psycho-
logische Prädikat. Man denke einmal daran, welchen Sinn
das Wort .Hundertmarkschein" im Munde eines Arbeiters
und eines Bankiers, eines Studenten und eines Finanzministers,
eines Zeichners und eines Falschmünzers, eines Deutschen
und eines Franzosen habe. Wird z. B. mit dem Worte
Hundertmarkschein der Preis eines bestimmten Quantums
Korn bezeichnet, so kann unter Umständen das Korn oder
das Geld das psychologische Prädikat sein, und das ps3'cho-
logische Subjekt wird unter Umständen sich nur in einem
dicken Bande vollständig ausdrücken lassen.
Wegener nennt das j)sycliologische Subjekt gern die
Exposition. Was er darunter vorstrbt, wird am deutlichsten
durch Anwendung dieses Begrilis auf eiue fortlaufende Er-
zählung, einerlei ob die Reihe von Sätzen zu einem Roman
oder zu einer historischen Darstellung verknüpft wird. Wie
288
in einem Theaterstück die Exposition uns mit den handeln-
den Personen bfkannt nuicht, die wir nachher in ein inter-
essantes Erlebnis verstrickt sehen, ?o ist in jedem einzelnen
Satze einer Erzählung etwas P.t'kanntp'- nnd etwas Neues.
Das Neue wird durch den Vorgang der sogenannten Apper-
zeption mit dem Bekannten verbunden. Das Bekannte, das
wir das p'^yrholoü'ischf^ Subjekt genannt haben, ist vom
Standpunkte des Inhalts die Exposition zum Prädikat. So
sieht es im Kopfe des Sprechenden au«. Und auch im
Kopfe des Hörenden wird jede hervorgerufene Vorsteiiungs-
gruppe, insofern sie Bekanntes ins Gedächtnis zurückruft,
zu einer Exposition für das Neue, für das psychologische
Prädikat. Im nächsten Satze ist dann das eben erst neu
Hinzugelernte wieder psychologisches Subjekt ftlr ein neues
Prädikat geworden, so wie die aufregende Peripetie des
vierten Aktes zu einer E.x(>osition des fünften Aktes werden
kann. Wir sind an diese Thätigkeit unseres Gehirns zu
sehr gewöhnt, um uns über ihi e Erscheinung in der Sprache
noch zu verwundem. Wir wissen, dass die Sprache in
abstracto, das heisst der besondere Sprachschatz eines Volkes
oder eines Individuums das Qedftchtiiis dieses Volkes odei
dieses iBdiTiduums ist. Die «mselne Aemserang in concreto
isl dann die Anwendong des GedSchtnisies, wo möglich die
Bereicherung des Gediditnisses um eine Neuigkeit, um ein
FHidikiL Was dftbei akÜT ist, das ist der uns wolilbekannle
tmd doeh so unerUKrUcfae Zustand, den wir als Aufmerk-
samkeit kennen gelernt haben. Ein Interene steckt da-
hinter. In der Erzählung , sei de nun Oeschichte oder
Roman, wird das Interesse auf eine bestimmte Thatsaohe
gelenkt Z« B. in einer Lebensbeeehreibung Ton OoeÜie
halten wir gerade bei dem Leipziger Studenten. Zu der
Exposition im Eltemhause ist das Leben und Treiben in
Leipzig ab psyehologiscfaes PMikat hinzugekommen. Wenn
ein neues Kapitel nun mit den Worten beginnt: «Er dich-
tete damals die Lieder* u. s. w., so ist .er* das gram-
matische Subjekt des Satzes, aber viel bedeutongsTdler ist
es als psychobgisches Subjekt. Was im Torhergehenden
._^ kj i^ -o i.y Google
234
Vni. Situation und Sprache.
Kapitel das Neue, das Prädikat war, das wird nun als })e-
kannt Torausgesetzt, ist zum psychologischen Subjekte ge«
worden und ist in seiner ganzen breiten Masse notwendig,
um das nun folgende Neue richtig apperzipieren zu können.
Wenn dann fGtailzig Seiten spSter Goethes Leben und Treiben
in Strassburg dargestellt worden ist, so wird dieses Neue
wieder sur beksunten Yoraussetsung fttr ein folgendes Ka-
pitel, das beginnt: ,Er schrieb den GOts." Das psycho-
logische Subjekt wftchst so von Seite zu Seite au iahalt
,Er* ist jetzt der Strassburger Student geworden mit Beinen
Beziehungen zu Herder, mit seiner Bewunderung fCtit den
Dom, mit seiner Liebe zu Friederike. Hinter dieser Fülle
Ton Lihalt steckt natOrlich — Ton der Aufmerksamkeit
weniger beleuchtet — der Leipziger Student, der Knabe
Wolfgang u. s. w. Die Sachlage in unserem Gehirn ist,
wenn man die Enge des Bewusstseins dabei in Betracht
meht, eine sehr merkwttrdige. Im Bewusstsein, im Blick-
punkt der Aufmerksamkeit steht immer nur das augenblick-
lich Interessante, das neue Pkr&dikat. Das letzte Prftdikat,
das eben erst zum psychobgischen Subjekte geworden ist,
ist aber noch unmittelbar zur Kmd, der Yerkehr mit Herder
z. B.; es hat die Stimmung erzeugt, in welcher wir die
Neuigkeit, dass er den Götz sclireibe, anders aufiiehmen als
sonst Etwas weiter bei der Hand, aber immer noch alle
Zeit zur Verfügung sind die weiter zurückliegenden psycho-
logischen Subjek^radikate: der Leipziger Student, Goethe
im Vaterhause u. s. w. Was wir sonst im Gedächtnisse
haben, z. B. die Geschichte des dreissigjiiliric^tii Krie<^os
oder die Erfindung der Photographie, ist nicht bei der Ihmd,
ist weder paycliologisches Subjekt ikx Ii psychologisches Prä-
dikat. Der gleiche Vorgang i.st bei der Lektüre jedes elenden
Romans zu beobachten. Die beiden ersten Bände sind das
psychologische Subjekt, wenn der dritte Band mit den
Worten beginnt: ,Adülar erwachte. *" Immer ist es das be-
reits Bekannte, was wir die Situation nennen können.
Seelen- leh möchte den Ausdruck Situation in einem weitereu
itmumn. g^^j^g gebrauchen als es bei Wegeuer geschieht, weil
Digitizcü by ^(j^j-j.l'^
Seelenaitoation.
235
, Situation" einen Mangel der Ausdrücke: psycholo^yisches
Subjekt und Prädikat nicht besitzt. Diese Bezeiclmim^^en
haben sich nämlich wohl von der Grauiiuutik emanzipiert,
sie setzL-ü aber im Sprachverkehr zwischen zwei Menschen
(z. B. zwischen dem Autor und dem Leser) eine Einheit des
Bewusstseins voriius, die nicht vorhanden ist. Schon das, was
wir eben bei der Erzählung bemerkt haben, dass nämlich
unaufhörlich das psychologische Prttdikat des Toiausgehen-
dm Salles mm payehologischeii Subjekte des folgenden
Satzes wird, ist für den Spredienden und für den Brenden
nicht gleich. Nicht einmal fttr alle Hdrer oder Leser stimmt
es genau, weil jeder einzelne HSrer oder Leser eine bessere
oder schleehtere Vorbereitung mitbringt; was fttr den einen
bekannt und Subjekt ist, ist fttr den andern neu. Der
Spredier gar oder Autor stellt sidi ja nur so, als ob er
ordentiich vom Bekannten zum Unbekannten weiter ginge;
er Tersetst sich in die Seele des HOrers oder Lesen, um
fttr ihn das fortdauernde Spiel der Verwandlung des Prä-
dikats in ein Subjekt zu Tollziehen. Für ihn ist das achtzig-
jährige Leben Goethes die Exposition oder das psychologi-
sche Subjekt fttr den Tod des Faust oder den Tod Goethes
oder für die Wirkung Goethes auf die Folgezeit. So kdnnen
wir mit dem Begrifib des psychologischen Subjekts und
Prädikats fttr die letzten Feinheiten des Denkens nicht viel
anfangen und halten uns besser an die Situation der Seele,
welche zwar unklar aber dafttr ohne falschen Nebenbegriff
so gut auf den Ausruf ,es regnet* als auf die Abfassung
oder Aufnahme eines historischen Werkes Anwendung fin-
den kann.
Diese Situation der Seele umfasst das, was man etwas Welt-
grossartig die Weltanschauung des Einzelnen nennen mag, ^^'^^
wohlgemerkt die Weltanschauung wie sie im Momente
gerade beim Sprecher oder Hörer Torhanden ist. Wir
haben unsere Weltanschauung nicht immer beisammen. In
dieser Weltanschauung steckt viel mehr als das blosse
Wissen, obgleich auch die Summe der Erkenntnis mit un-
zähhgen Fäden an die Zufälligkeit unzähliger Augenblicke
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236
VlIL Situation und Sprache.
g^knQpft isL Di« W«ItuMH!]uMiung ist weiter von dem
Habitus des eimBelnen Menseheii bestimmt, ron seiner physio-
logischen Komplexioii, deren Yielgestaltii^eit man vergeb-
lich systemstisch in die Temperamente eingeteilt hat. Die
Weltanschauung des Einxehien ist weiter beeinflusst Ton
den herrschenden Ideen emer Zeit, also Ton ihren Vor-
urteilen. Eine rote Nelke im Knopfloch eines Yolksredners
spricht heute ihre Sprache; sie wird Teratihidlich durch die
Situation, durch die Idee oder das Vorurteil der gegen-
wärtig herrschenden WeUansebaunug. Die rote Nelke war
Yor hundert Jahren stumm. Wenn ein Stamm Ton Henschen-
fressem sich su einem Festmahl niedersetst, um einen er-
schlagenen Feind su Terzehren, so sind die dabei ausge-
führten frommen GesSnge nur für den verständlich, der die
SStuaÜon kennte die Weltanschauung hat, welche die Seele
des Fressenden um die mutige Seele des Erschlagenen zu
bereichern meint. So hat jedes Volk und jede Zeit ihre be-
sondere Knltursituation ; es ist der Hauptgrund weshalb die
Dichtungen ferner Völker und ferner Zeiten uns unverständ-
lich geworden sind. £s sind oft Pointen, zu denen wir die
Anekdoten nicht kennen.
Der grdsste Teil alles Sprechens besteht bei Sprechen-
den und Hörenden in einem Ueberblick oder in einem Rück-
blick auf die Situation. Je gegenwärtiger oder je gemein-
schaftlicher die Situation ist, desto weniger Worte sind
notwendig. In der Erzählung kann ein ,er" oder der Name
des Helden ganze Bände ersetzen. Die Bohne gestattet
eine knappere Sprache, weil sie die Situation der An-
schauung bietet. Der Roman muss ausfuhrlicher sein als
ein Geschichtswerk, weil der Leser vorher absolut nichts
an Situation in sich vorfindet.
Ein raijches und keckes Wahrnehmen ist nur möglich,
wo die Seelensituatiou zwisrlien den Menschen naho/u ge-
meinsam ist. Einen Leitartikel, der Avohlbekannte i^iirasen
zusammenstellt, einen gewöhnlichen Koinau, der wofilbe-
kannte Menschenschicksale erzählt, überfiiegen wir mit den
Blicken: bringt uns ein Buch Neues, so müssen wir jede
287
Silbe, unter Umständen jeden Buchstaben beachten. So auch
im Gespräch. In ält<>rpr Zeit oder bei minder kultivierten
Volkerschafben war und ist die gemeinsame Seelensituation
so weit vorhanden, dass nnrb der Sprechende seine Sätze
gewissermassen nur übertiiegt. Man achte einmal darauf,
wie aurh bei uns innerhalb einer behaglichen, das heisst
auf genitinsamen Empfindungen ruhenden Familie das Ge-
spräch lt i( lit und nuihrlos geführt wird. Die Hauptsilben
\v. t ilen kaum .starker betont als im (>t s[)räch zwischen
Freiiiden Nebensilben, und Nebensilben werden ganz fallen
gela«isen. Ein so intimes Familiengespräch ist im höchsten
Grade , elliptisch'. Die neuesten Dramatiker machen von
dieser Beobachtung reichlichen Gebrauch. Je ungleicher die
Seelensituation zwischen den Menschen ist, desto pedanti-
scher müssen alle Forde rangen der Grammatik erfüllt werden,
desto wuchtiger wird schliesslich die Betonung der Haupt-
silben. Niciit uui iii i'ariamenten , vor Gericht, wo unzu-
sammengehörige Menschen sich besprechen müssen, kommt
es zu der toten Schriftsprache; sondern schon der soge-
nannte Verkehr der einander nicht Teratehenden modernen
Oesellschafl; macht den Oebraneh der Schriftsprache not-
wend^. Auch dieser Umstand wirkt dahin, daas die neuem
SchriHispraeheii langsamer ia ihren Lauten Terfallen als es
frQh«r in der natfirlichen Sprechweise der Fall war.
Die Schwierigkeit, die Sitnation für den Sprechenden
und den Haralden gemeinschaftlidi lu machen, nächst
mit der seitlichen oder rftnmÜchen Entfernung des Oegen-
standes, sie w&chst ferner mit d«r Komplisiertheit des Gegen-
standes. Es kann die Erklftrung anstatt eines einsigen
Wortes ein ganies Buch erfordern. Wendet sich aber der
Sprecher gar wie ein Autor an eine unbestimmte Menge von
Hdrenden, so bleibt ihm nichts flbrig, als die Situation toU-
stindig mitxnteflen, seine Weltanschauung ToHatibidig auf
die Volksmasse au Sbotragen. Der Autor (Dmker oder
Dichter) kann ein Genie sein und braucht doch die Niig-
keit zu dieser Iföteflung nicht zu besitzen. Es ist du Ober-
aus seltener Fall, wenn dn genialer Dichter zu^eich die
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288
VIII. Süuation und Sprache.
Weltanschauung seiner Zeitgenossen spielend beherrsclit,
seine eigene um eine Fülle neuer Frudikate vermehrt hat
und ^ein Volk mit diesen neuen PriUlikateu zu beschenken
vermag.
Wir werden gleich erfuhren, welche Bedeutung die
Gemeinsamkeit der Situation lür die Sprache habe. Zu-
nächst sei nur an einem Beispiele gezeigt, wie der Spruuh-
gebrauch vorgebt, um zwischen Sprecher und Hörer die
Ungleichheit der gegenwärtigen Vorstellungsmasse zu über-
winden, also für den Augenblick eine Gemeinsamkeit der
Situation herzustellen. Wegener (S. 32 und folgende) hat
das fDr die Apposition oder den Relativsatz ttbensengend
dargelegt. Ich möchte seinen Gedanken dahin erwätern,
dass die weitaus grössie Menge alles Sprechens auf diese
Thätigkeit hinausläuft; ja man kann sagen: die Langweilig-
keit der meisten Bttcher und Henschen kommt daher, dass
der weitaus grössere Teil der Rede auf Herstellung einer
gemeinsamen Situation, auf ROckerinnerung oder Mitteilung
der Exposition verwandt wird und die Neuigkeit, das Intern
essante nur mit einem Worte oder einem kurzen Satze
hinzugefl^ wird. Die Sache scheint mir am besten illu-
striert zu werden durch den Bekanntlich-Stil vieler histori*
scher Werke; der Verfasser gibt die Exposition in breiter
Vollständigkeit und verrat seine imponierende Gelehrsam-
keit nicht ohne Koketterie dadurch, dass er die ihm wohl-
bekannten Thatsachen, und wenn sie noch so entlegen wären,
durch ein »bekanntlich" oder eine ähnliche Wendung als
eine ihm und dem Leser gemeinsame Situation der Seele hin-
stellt. Da sind nun zwei Fälle möglich; entweder der Leser
besitzt die Kenntnisse wirklich, dann wird ihm der Situations-
plan langweilig durch seine UeberflQssigkeit, oder dem Leser
ist das alles neu, alle die angedeuteten psydiologischen Sub-
jekte sind ihm Prädikate, er kann all das Neue nicht zu-
gleich fassen und die Exposition wird ihm langweilig durch
ihre Schwieiigkeit. In Wahrheit kann dem lebhaften Men-
schen nichts so langweilig werden wie die Sprache, wenn
nämlich ein anderer Expositionen spricht.
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GemeiBime Siiuaiuni.
239
Um nun aber die Sprathfonii verständlich zu raachcD,
1)1 wekher die Gemeinsamkeit der Seelensituation hei>,'est€llt
wird, denke mau au das vorige Beis|)iel: -Adcdar erwachte*,
womit der dritte Band eines Romans beginnen sollte. Hat
der Verfasser kein rechtes Vertrauen in die Kraft seiner
Darstellung oder in das Gedächtnis des Lesers, so wird er
wohl die Gemeinsamkeit der Seelensituation unterstützen,
etwa so: ,Adolar erwachte — der genei^j+e Leser erinnert
sich, dass Adolar in dem Augeublitkc , als er die Strick-
leiter zum Turme seiner Geliebten emporklettern wollte,
von seinem elenden Nebenbuhler durch ein Schlafmittel be-
töttbt wurde — u. s. w." Solche Hinweisungen auf Be-
kanntes und vielleielit Vergessenes, die unter Umständen im
BekannÜicli-Stil auch Mitteiliingen von notwendig«! Sqiosi-
tionselementen sein kdnnen, finden deli in jedem schleckien
Roman, finden sich aber auch in jeder historiscken Dar-
fliellung. Wegener hat sehr fein erkannt, dass in dem Satse
«Themistokles, ein Grieche ans Athen, ein Zeitgenosse des
Aiistides, schlug bei Salamis die Perser* die Exposition
(«ein Grieche ans Athen, ein Zeitgenosse des Aristides')
gegen alle Logik dem Prildikate folge. Ich mache in Paren-
these darauf aufmerksam, dass ThemistoUes eigentlich nur
Tor der Aussprache des Wortes das psychologische Pkftdikat
ist, dass det Triger dieses Namens nach den erklftrenden
Hitteilungen zum psychologischen Subjekte wird und dass
am Ende das psychologische Prädikat je nach der Absicht
des Sprechers und nach der Sachkenntnis des HOrers in
•schlug* (dem grammatischen PMidikate) oder auch in
«Perser* oder in der Grtibexeichnnng stecken konnte. Die
expositionalen Elemente, dass Themistokles der und der
war und zu der und der Zeit lebte, drückt mm die Sprache
durch ^ne Apposition od«r durch einen Relativsatz aus.
Wegener erklärt das am einer Art von Korrektur. Der
Redende erfahre durch die Zwischenrufe oder durch die
Mienen des Zuhörenden, wie gross oder klein die Sach-
kenntnis des Hörers sei, wie weit die Situation bei ihnen
beiden gemeinsam sei, und lUge nun — gewissermassen auf
240
VIII. Situation und Sprache.
eine Frage des andern — mehr oder weniger aasfUhiiiclie
Daten über den pp Thenustokles liiiisu. Didae Hinzu-
ftlgungen, die in unserem Satie ma acht Worten beatebeB,
kdnnen aus ^rOnden der Belehrung zu einem Buche an-
wachsen. POr den Satahau, auf den es ihm dabei mehr
ankommt ab mir, kommt Wegener su dem Schlüsse: .Es
ist daher psychologisch nur natürlich, dass der naive Mensch
die Ezpoettionselemente erst nach dem PHUUkate ausspricht
Die einmal geschafibne und festgewordene Sprachform be-
Uttt auch der kOnstlerisch gestaltende Dichter und Schrift-
steUer bei. Apposition und Relativsats sind also nachträg-
liche Korrekturen unserer mangelhaflen Darstellung.*
Man kann die Apposition ebenso wie die noch form-
loeere Parenthese als Eindringlinge in den syntakttschan
Bau anffossen. Allemal wird doch nur, indem der BrEähkir
aus der Rolle fSUlt, entweder an etwas Bekanntee erinnert
oder etwas Neues ans Höflichkeit «bekanntlich* genannt
In der Apposition oder der Parenthese kOnnen aber alle
möglichen Arten der Gedankenrerbindung Terborgen sein:
die Zeit- oder Ortsbestimmung, die Bedingung, die Folge,
der Gegensatz, kurz alle Bedeutungsformen der Verbindungen
von Haupt- und Neben sätam. Die einzelnen Sprachen haben
sich, wie bei der Apposition, an ein^ bestimmte Anordnung,
an eine bestimmte Syntax gewöhnt. Wir sind auf die Syntax
unserer Muttersprache so sehr eingeübt, dass wir uns ein-
bilden, dieser Ordnung der Sätze das Verständnis zu tmt-
danken. Im Grunde aber ist die Syntax nur eine bequeme
Gewohnheit; es ist für die Regelmäasigkeit der Syntax so
wenig ein lo^scher Grund vorhanden wie dafUr, dass wir
unsere Schrift von links nach rechts lesen, während andere
Völker von rechts nach links oder von oben nach unten
schreiben und lesen. Auch ein Gemälde übersehen wir
sehr schnell, ohne dass wir einen Führer für den Weg
unseres Auges besiissen; der fijute Maler hat dafür ge-
sorgt, dass die Hauptgestalt (sein psychologisches Prädikat)
zuerst durch Licht oder Farbe unsere Aufmerksamkeit an-
ziehe; Uber die Situation oder Exposition des Bildes orien-
L'avereiAbarkeib der äeelea»ituationen.
241
tifiren wir uns nach unserem Oatdfinken. Nun ist aUer-
clings die Bede — »bekanntlich* — eine in der Zeit flflelitige
Bneheiniuig und hat eine Art tob konventioneUer Behend*
hing n0tig. Bock die konTentionellen Fonnen der Syntu
sind nar Ueine Hilfen des GedKchtnisses; alle Regeln der
Wortfolge, aUe Koiganktionen der Zett« der Bedingung, der
Kausalität n. s. w. heschleunigen nur die Orientiemng; su-
letst muss der Zuhörer die entscheidenden Worte zu dem
Stnalionsbilde ans seiner Erfahrung susanunenf&gen. Was
nicht Torher in seinem Oedachtaisse war, kann durch keine
Woftlbige und durch keine Koigunktion erMugt werden.
Hat er nicht den Begriff der Eausalitit erfosst, so nfitssfc
ihm keine kausale Konjunktion. Die Sitoation im Kopfe
des Redenden wie des Zuhörers besteht aus Srhmerungs*
bildern, die sich ohne Koiyunktionen associieren.
So .sind wir wieder einmal zu dem Grundgedanken unv«rein-
dieser Kritik aurttdigellüirt, wieder auf einem neuen W^e. ^»viwit
Wir haben gesehen, wie aUes Reden im Gespi^che und alle seeieu
Sprechkunst des SchriflsteUers darauf ausgeht, eine Gemein-
samkeit der Seelensituation swischen den Unterrednem,
zwischen Autor und Leser herzustellen. Diese Gemeinsam-
keit lässt sich immer nur für den augenblicklicheu Zweck,
für die verständliche Mitteilung des augenblicklich sich auf-
drängenden Prädikats erreichen. Eine wirkliche Gemein-
samkeit des Weltbildes zwischen zwei Menschen ist niemals
vorhanden. Niemals können zwei Menschen einander voU-
konmien verstehen. Denn alle s\ ntaktt°rhpn Mittel der
Sprache betreffen nur die allgemeinsten l'e/.ifUuugen. Es
hiesse in «5chwindelerreg'ende Abgründe hmemhehen, wollten
wir auch nur fragen, ob die Menschen sich bei den Kate-
gorien der Zeit oder der Ursache das gleiche vorstoUen;
doch wenn die;5e Frage nnrh bejaht würde, su würde durch
die Gieichlieit der syntukii-schen Empfindungen doch noch
lange nicht eine Gemeinsamkeit der Situation ermöglicht
Die Santax liietet doch nur etwas wie ein Netzwerk auf
dem Zeichenpapier; iia.s Bild muss jeder einzelne von seiner
pertönlichen Erfahrung hineinzeichuen lassen. Und wir
Xaatboer, B«itr&ce n einmr KriUk dtv Sf^TMlM. IS. 16
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242
VIII. Situation und Sprache.
inssen, dass der Wortschsti, in welcfaem noh die indivi-
diieUe Effahrung ein Lager au^liftuft bat, niemals bei
zwei Menschen auf die gleichen SinneseindrUcke surflckgeht
In dem emmal gegebenen Beispiele vom Löwen geht die
Verschiedenheit der Seelensituatacn viel weittt* als oben an-
gedeutet werden konnte. Der Sats »Der LSwe ist edel*
wird erst Air die Seelensituation des SchOlers Terstandlich,
dessen Phantasie durch Tierfabeln und fabulierende Tier^
gesehichten angeregt worden ist Nehmen wir nnn an, ein
Knabe sei gerade durch solche Fabeln in eine Lebensrichtung
gedrftngt worden, die ihn spiter auf die Abenteuer der
Ldwenj&gerei führte. Angenommen, der im Dienste eines
Menageriebesitzers arbeitende LdwenjSger habe sich jugend-
liclic Phantasie bewahrt und lasse sich jedesmal Ton der
edlen Erscheinung eines Löwen ästhetisch bew^n. Auch
dann noch würde er laut lachen mflssen, wenn ihm auf der
Löwenjagd dem prachtvollen Tiere gegenüber plötslich der
Satz nder Löwe ist edel" in dem Sinne einfiele, wie er ihn
als Schüler gehört hat. Ich hatte unter den Beispiden
für die verschiedene Bedeutung des Wortes Löwe auch einen
Mann Namens Löwe aufgeführt. Es könnte scheinen, als
wäre das ein ungehöriges Beispiel. Aber vielleicht ist ein
Vorfahr dieses Mannes um irgend einer Eigenschaft willen
metaphorisch L"nvr' genannt worden, vielleicht gab es eine
Zeit, in weicher zwischen Löwe als Männername und Löwe
als Vorstellung eines reissenden Tieres mehr Gemeinsamkeit
w^ar, als heute zwischen dem Situationsluld*' Löwe im Koj)io
des phantftstischPM Knaben und später im Ki>j>tV desseiben
zum Löwenjuger lif rangewachsenen Menschenkindes.
Metapher lü auderem Zusammenhange i.st das Metaphorische in
-«"^ der Entwickelung der Sprache khirer. Hier sehen wir auf
einmaL dass der Be<i' utungswandel der Worte, wi-l« iier auf
metaphorischen Erobei uugen beruht, im ZusamiJiLfihange
steht mit der Situation der Seele dessen, der die Mt-tapher
zuerst anwendet. Aus dem Weltbilde des einzelnen ergibt
sich die Möglichkeit, Aebnlichkeitcn zu sehen und die Ver-
gleicbung kurz und schlagend durch eine Metapher auszu-
Digitizcü by ^(j^j-j.l'^
Metapher und Situation.
248
drücken. Der Hörer kann die Metapher des Redenden nur
▼erstehen, wenn eine gleiche Seelensituation, ein gleiches
Welllnld ihn befUiigl;, die angeregte Yergleichung ebenfalls
vorsimebmfln. Es gibt aber keine zwm gleiehen Seelensitaa-
tionen und so wird die Metapher im Kopfe des einen sich
mit der im Kopfe des anderen nie ToUstindig decken. Auck
die Metapher sudit ein Neues, ein FrSdikat an ein psycho-
logisches Subjekt wa knüpfen; weder das eine noch das
andere ist bei zwei Menschm gemeinsam und so kann die
neue Yerbindung von Subjekt und Pridikat, die neue Me-
tapher oder neue Wortbedeutung, eist recht nicht gemein-
sam sein. Wenn die Sprache als Verstftndignngsmittel zwi-
schen den Menschen trotadem fimktioniert, so geht es mit
ihr wie mit manchen Maschinen der neuesten Elektrotechnik.
Ein Skeptiker, der an der Berechnung der Maschine mit-
gearbeitet hat, schttttelt den Kopf, weist auf ünsutrigUch-
kdten hin und sagt: »Es stimmt nidit, da verstehe ich ein
notwendiges Zwisdienglied nicht; die Maschine kann gar
nicht taugen." Sie taugt aber doch. Mit dieser Thatsache
geben sich die Aktionire und Benutzer zufrieden.
Ich habe zuerst ahnungslos und dann absichtlich die
Ausdrücke psychologi che Subjekt, psychologisches Prädikat,
Exposition und Situation durch«nander geworfen. Erst im
Verlaufe der Untersuchung wurde mir klar, dass diese vier
Bezeichnungen nur vom jeweiligen Standpunkt aus ihren
Sinn nehmen, dass sie eigentlich ein und dasselbe besagen,
den gleichen psychologischen Voi^ng, den wir im Kopfe des
Sprechenden Association, im Kopfe des Hörenden Apper-
zeption zu nennen pflegen und der sich als ein und der-
selbe Vorgang enthüllt, wenn wir es nur wagen ihn bis in
Torsprachliche Zeit zurückzuverfolgen.
Dass das psycholru^ischo l^rädikat sich unaufhörlich bei
einer Darlegung oder Erzähl iii;_r iu ein psycbologisclies Sub-
jekt zurückverwandelt, insotem das ausgesprochene Unbe-
kannte im nächsten Satze srlir,ii /um niitverstandenen Be-
kannten wird, liaben wir beieits gcs» hen. Diese Thatsache,
die noch eine logische Scheidung zwischen beiden Aus-
244
VIII. Situaüon und Sprache.
diUcken niliaaii beschrlnkt sich aber «uf den Sprechenden
und weh da nicht rein. Alle seine Neuigkeiten, die eieh
in der Entwickelung der Rede cu bekannten Voranesetrongen
wandehi, Verden ja nur mit Bfidnicht auf den Seelen*
sustand des HOrenden Torgebracht; deeeen Tenrunderte
Frage oder IGene werden stiUechweigend in Betracht ge-
sogen oder doch angenommen, und die forUanfende Bede
wird SU einem Qespiich, in welchem unaufhörlich das
piychologische SubJ^ sugleidi pejchdogitches Prldikat
wird. Im wirklichen 6eB|iriche wird dieses YerhBltnis noch
deutiicher, sowohl im gelehrten Disput als in der Tulgftrsten
Unterhaltung. Wenn ich mit einem Begleiter das Haus
verlasse und sage: »Es regnet," so ist das für mich, der
ich den Regen schon vor einigen Sekunden bemerkt habOf
ein psychologisches Subjekt, das ich mit der Absicht aus-
spreche, dass der Begleiter es als psychologisches Prädikat
auffasse; dieser macht es aber in demselben Augenblicke
schon wieder zu seinem psychologischen Subjekt und fügt
worUos ein PriUlikat hinzu, indem er den E^raschirm er-
greift
Die ganze Arbeit unserer Sprachkritik hat uns also
darüber aufgeklärt, dass die yielbewunderte Syntax unserer
Sprache nichts ist als eine bequeme Hilfe, die Seelensituation
des Redenden dem Hörenden zu suggerieren, dass dieselbe
Suggestion mit etwas mehr (jehirnarbeit auch ohne jede
Syntax erfolgt, dass die alte Einteilung des Sprachschatzes
in die Kategorien des Nomens, des Verbums, des Adjektivs
u. s. w. ebenfalls nur zurückzuführen sei auf eine rein
geistige, das heisst falsche, in der Wirklichkeit nicht vor-
handene Uuterscheidung der Sinneseindrtlcke nach ilirer Be-
deutung fUr den Menschen, dass also alle Künste des Sprach-
baues nie und nimmer etwas Andtus (»iftm können als
eine ^schwache Ilückeriuuerung au tjinne.seiudrücke , welche
der s])rechende oder hörende Menscli erfahren hat. Die
Anwendung dieser Eiki nntnisse auf die Entstehung der
Sprache oder vielmehr auf die Unterhaltung in vorsprach-
licher Zeit, belehrt uns nun darüber, dass der Mensch
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Sitaation b«i ßpneher imd HSnr.
245
mit seiner gegenwaiiig so ,liocli entwickelten" Sprache, mit
seinem lücht mehr zu übersehenf^len bpiacLschatze dennoch
för die Erkenntnis der Wirkliciikeitswelt nicht weiter ge-
kommen ist als der Mensch einer Urzeit mit seiner hin-
weisenden Gebärde. An Stelle der hinweisenden Gebärde,
welche für die gegenwärtige Situation immer genügte und
heute noch genügt, musste der hinweisende Wortlaut treten,
sobald die Situation, das heisst die Summe der gegenwär-
tigen Sinneseindrücke in der Erinnerung weiter wirken sollte.
Die Falle dieser Erinnerungen ist für die Völker und die
«Imeheii Hellsehen ins Ungemessene gewachsen, der Sprach-
seliats mit seinen lUuAhligen synUktisehen und gnunmati-
tehen Eombinationai gestattet ms bequem Aber Müliarden
▼oa SiimeseindrackeB sa hemoben wie ein Spieler des
Sdmehbrett regiert, aber Uber die Erinnenuig hinaus kann
alle Spraebgewftlt aioht führen, und jede Beredehenmg un-
serer Welterkenntnis oder unsoes Spiadischatses ist beute
wie in einer üxseit immer nur die Beobaebtnng eines fdr
uns neuen Sinneseindrueks, die durch ein neues Pridikai
erregte Äufmeiksamkeit, das bosst die Orientierung in einer
Situation. Fflr die letste Erkenntais ist der Kultunnenseb
unserer Tage niebt weiter gekommen; wenn er die Katboden*
strahlen entdeckt bat oder von ihnen erflhrt, so ruft er
sein «dal* und stillt ftlr ein Wefleben sonen geistigai
Hunger, so wie einst der bungemde ürmenseb am Meeres-
strande mit einer binweiBenden GM>Srde auf die easbara
Muschel geieigt bat»
Auf mancherlei Wegen und Stegen sind wir schon zu
dem einzigen Gipfel unserer Untersuchung empor gelangt,
SU der Einsicht, dass die menschliche Sprache unge-
eignet sei, in ihren diskursiven Schlüssen zu neuen Er-
kenntoissen su führen, dass die menschliche Sprache nicht
einmal weiter zur Mitteilung reiche als die Erfahrung des
Hörenden gehe. Wir können den Gedanken jetzt so aus-
sprechen: nicht die Worte der Sprache vermitteln uns das
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246
VIII. Situation und Sprache.
Verständnis der Welt, sondern unsere indiv iduelle Orientie-
rung in der Welt vermittelt uns das Verständnis der Worte
und Sätze. Zu solcher Resignation hat uns die Untersuchung
logischer und grammatischer Begriffe geführt. Die Unter-
suchung psychologischer Begriffe lehrt zunächst dasselbe,
um uns dami mit der Wahrheit zu entlassen, dass uns die
logischen, die grammaftkch«! und scUieadidi aiMsh die
psychologischen Begriffe toh der Sprache suggeriert worden
smd. Diese letzte Einsicht könnte man die Metaphysik der
Sjnrachkritik nennen.
Wir haben gelernt, dass die Mitteilung in dar Tor-
sprachlichen Zeit nichts anderes sein konnte, als eine hin-
▼eisende Gehilrde oder ein hinweisender Laut innerhalb
einer gegenwärtigen Situation. Die Situation war das selbst-
Terstindliche psychologische Subjekt, die Aufmerksamkeit
auf einen Punkt der Situation oder auf eine neue Wahr-
nehmung innerhalb der Situation oder die Einweisung auf
diesen Gegenstand der Aufinerksamkeit war das psycho-
logische Frftdikal Wir haben gelernt, dass alle Worte auf
metaphorischem Wege aus solchen allgemeinen hinweisenden
Fktdikaten ^tstanden sein mtlssan, dass Dingwörter und
. Zeitwörter, dass die Kategorien der Sprache bis hinab su den
umfassendsten Konjunktionen, dass sogar die Tonfarbungen
der Frage, des Befehk, der Bitte u. s. w. metaphorisch
sich ausbreiteten, dass noch in der hochentwickelten*
Sprache die Situation es ist — wenn auch längst nicht mehr
allein die gegenwärtige Situation — welche den Sinn des
einzelnen Wortes erklärt. Die Worte sind vieldeutig; ein-
deutig werden sie durch die Einheit der Seelensituation im
Sprechenden und Udronden, soweit da eine Einheit herzu-
stellen ist. Der sogenannte Sprachgebrauch, der uns die
einzelnen vermeintlich eindeutigen Worte zu einem ein-
deutigen Sinn so zuverlässig zusammenzufassen scheint, ist
nur das Netzwerk, ist nur der Kanevas, in welchen unsere
Erinnerung ihre Bilder hineinstickt. Wir glauben z. B. bei
«viel- dem französischen peut-f-tre, bei dem deutschen ^vielleicht*
den Begriff der blossen Möglichkeit (besonders zum Unter-
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247
schiede von der Wahrsciieiülichkeii ) deutlich ausgesprochen
zu hören. Tn den Worten lipo-t du -,er Begriff nicht. „Viel-
leicht* hiess im Mittelhoi InlcuLsciien ausdrücklich so viel
wie »sehr leicht" also wahrscheinlich. Auch das französi-
sche Wort bedeutete firtlher mehr die Nuance des Zweifels.
Wann haben jemals diese Worte den Sinn der logischen
Möglichkeit erhalten? Niemals und sie haben ihn heute
noch nicht. Sie haben auch in der heutigen Sprache nur
dieselbe Funktion, die ebenso gut ein hm oder eine Geste
oder ein zweifelnder Blick haben könnte. Sie erinnern nur
daran, dass wir den Satz, in welchem sie vorkommen, nicht
xureraioktiich hören oder sprechen wollen. Liegt der Be-
griff d«r bloflsen Möglichkeit nicht in meiner YorsteUung,
80 werden die Worte ihn auch nicht hinemhringen. Wird
jemand eines Diebetahb beeohnldigt und sagt er darauf:
»Vielleicht bin ich der Diebl* so spricht das Wort ironisch
die denkbar tttrkste Negation ans.
Wire die Spracke wirklick ein so kunstreicher Baa,
wie die Logiker und Grammatiker uns seit sweitausend
Jahren einreden wdlen, so bliebe sie swar nach unserer
Lehre ungeeignet für die Erkenntnis der Wdt, aber sie
wSre doch ein herrliches Mittel fllr die Ordnung und Ueber-
tragung unserer Ikkenntnisse. In Wakrheit aber zeigt uns
jede Bpraehlidie Darstellnng oder EnAhlnng dieselbe Un-
fthigkeit der Stäche, in . Worten auseinandersulegen, was
in der Wirklichkeitswelt beisammen ist, in aufeinander-
folgenden Worten die EipoBition lu geben, die der Redende
in einem einsigen Augenblicke nicht nur ttbersieht, soweit
er sieht, sondern auch auf einen einzigen Punkt hin be-
leuchtet. Das ist ja die letzte ktlnstlerische Bedeutung des
Dramas, die sich uns nun plötzlich enthttllt, dass im Drama
die Exposition Handlung ist und darum in der Zeit vor sich
gehen kann; schlechte IKditer erkennt man gerade daran,
dass sie, wie die arme Sprache der Darstellung und £r-
sAfalung, eine Exposition ohne Handlung geben.
Ist eine längere Darstellung oder Erzählung hübsch
unbedeutend oder sonst der Seelenlage des Hörers ent-
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248
VUi. Situation und Sprache.
Hjatwron- sprechend , so wird der Hörer mit gutem Gedächtnis alles
FroMvoB zusammenhalten und am Ende ungefähr die Situation bei-
sammen haben, die in der Seele des Sprechers oder Autors
war und die er mitteilen wollte. Ist der Hörer sohlechter
vorbereitet, bietet die D«nte]lung oder Enililang -viel Neues,
wird im Verbiife nicht jedes psychologische Prftdikat som
Sabjekte, so ist anoh mit den ktiÄen Worten dex Darstellimg
oder Enihlung «wischen Sfureeher und Hörer die Einheit
der Seelensitiuition nicht hergestellt: der Zweck der Mii- .
teilung ist Torföhlt Ss liegt des tief im Wesen der Sprache,
dieweil sie nur erinneni kann. Anf das Gedächtnis des
HOrers kommt es sn. Der HSrer wird in soloheB Flllen
die DarstoUnng oder Enihlnng sweimal, dreimal und Öfter
hören mOssen, vm endlich den Ptosess in seinem Gehirn
aussufthren, der ihm das FMikat swn Subjekt, das Nene
zum Bekannten Tcrwaadelt. Was Schopenhauer in der Yor^
rede sur ersten Auflage seines Hauptwerkes f&r sieh in An-
spruch nimmt, das geht nicht aus der EigentOmlichkeü
seiner Philosophie hervor, sondern aus dem Wesen der
Sprache. Unter dieeem Gestchlspunkte lese man einmal
was Schopenhauer schreibt Sein Buch sei ein einsigw Ge-
danke. »Bennoch konnte iek^ aller BemOhungen ungeachtet,
keinen kürzern Weg ihn mitauteilen finden, als dieses ganze
Buch . . . Ein Buch muss eine erste und eine letzte Zeile
haben und wird insofern einem Organismus allemal sdir
unähnlich bleiben, so sehr diesem ähnlich auch immer sein
Inhalt sein mag ... Es ergibt sich von selbst, dasf; unter
solchen Umständen zum Eindringen in den dai^elegten Ge-
danken kein anderer Rat ist, als das Buch zweimal zu lesen,
und zwar das erste Mal mit vieler Geduld, welche allein zu
schöpfen ist aus dem freiwillig geschenkten Glauben, dass
der Anfang das Ende beinahe so sehr voraussetze, als das
Ende den Anfang, und ebenso jeder frühere Teil den spätem
beinahe so sehr, als dieser jenen/ In der Anir-t uin das
Schicksal seines Werkes hat Schopenhauer erkannt, dass
geordnete Mitteilunj^ unmöglich sei ; er hat aber den Mangel
an üeberbUck ^ eine Folge gehalten der übermenschlichen
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Ql«tefoii>Froteroii.
249
Grösse seines Gedankens, er wusste nicht, dass die kleinste
Zeitungsnotiz über einen Brand ohne die Hilfe des Gedächt-
nisses demselben Schicksale verlallen wäre, Sopar der frei-
willig geschenkte Glaube, der uns in Schopenhiiuers Vorrede
f^t wie eine unliillige Forderung an den Leser erscheint,
spielt in der Sprache täglich und überall eiue ausserordeot*
lieh grosse Kolle. Wegener hat sehr fein darauf hinge-
wiesen, dass die Syntax bestrebt ist, den Hauptgedanken
vorauszuschicken, auch wenn sein Inhalt in der Ztit erst
auf den Nebengedanken folgt. Die natürliche Erzähiungs-
weise wäre das Proteron-Hysteron ; die Sprache greifb un-
aufhüiiicli zu einem Hysteron-Proteron und kann diese Dar-
stellungsart nicht uberwinden. Nichts ist peinigender in
der Biographie eines uns nicht vorher schon interessierenden
Mannes, als das ordentliche und unaufhörliche Proteron-
Bysteron. Steht firwUcih anf d«m Titelblatte Goatfacs Leben
odar daa Leben Jean, ao iat das Sddittawort der gaaaen
DanteUung, das letrte paycbologiscbe Mdikai, die Seelen-
situation dea Enihlera, adion im Leaer Torbereitet. Er hat
daa Buch gewissermaasfln sdien zum erstenmal geleaen, er
Best es gewisaermasaen snm zweitenmal und interessiert sich
amnit gleich fUr die aonat unerfalgliche Jugendgescfaiolifte
Goethest fibrdie Genealogie Jeeu, weil er aie als die Exposition
emea ihm wohlbekannten Scbluasea aoffasst. Biographien
▼on Menschen, die wir nidit so Heb haben, sollten mit dem
Hanpliiridikat, mit der entscheidenden Leiafcong des ICannea
beginnen, und die YorgeacUchte gdegentUch einflechten, ao
wie daa Ibsen mit der Exposition einer Handlung m thun
wieder gelehrt hai Was von Bücheni gilt, gilt anch von
kompli&erfcen Sttsen, ja Ton jeder Verbindung von Haupt*
und Nebensals. Die Nebensätse sind aua Hauptsätzen ent-
aftanden, welche zu dem wirklichen Hauptsatie im Verhältnis
einer E^Msition standen. Die Zeitfolgen unserer Verboi
scheinen uns eine unerläsdiehe und zugleich zuverlässige
üilfe zu bieten, trots des sprachlichen Hysteron-Proteron
die Zeitfo^^e übersehen zu können. Einzig und allein unsere
Erfahrung, unsere Torau^gehende Kenntnis Ton der Zeitfolge
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250
VlII. Situation und Sprache.
der Ereignisse lässt uns den sprachlichen Mischmasch von
Hysteron-Proteron und Proteron-Hysterou entwirrön uüd
die Dinge in die uns natürliche Reihe bringen.
Diese kleine Hilfe kann naturgemäss nur auf die ein-
selneii Perioden eines längeren Buches anwendbar sein.
Bloh«! wir im Bann unserer Sprache, so Uingi es paradox,
was ich jelai sagen wiU, und doch ist es eine ein&ehe
Wahrheit. Die Zeitfolge kann in unserar Sprache nur durch
fltaif bis sieben Terachiedene Tempiisformen ausgedrQcilct
werden. Diese Zahl reicht f&r einen komplixierten Sati
eben aus. Wollten wir in einer histoiisdien DarsteUnng
die ZeitTerhftltnisse fortlaufend sprachlich ausdrucken, so
würden wir da fast jeder Satz die seitliche Exposition
für den folgenden ist — ein System von Hunderten, ja Ton
vielen Tausenden Zeitformen nOttg haben. Unser Gedichtnis
hilft sich so, dass immer wieder das Vergangene zum (Hgcu-
wbrtigen wird, genau so, wie jedes Mal das psjehologiBclie
Pridikat sich zum Subjekte, die Exposition sich zur gegen-
wärtigen Situation wandelt Abgesehen TOn Eselsbrileken,
welche durch die sogenannten Umstandswörter der Zeit ge-
bildet werden, stehen deshalb die einselnen Perioden eines
Kapitels, die einselnen Kapitel eines Buches, die einsselnen
Bücher eines grossen Werkes verbindungslos und ohne An-
deutung des Zeit Verhältnisses nebeneinander wie die Worte
yeni, vidi , rici. Unsere allgemeine Sachkenntnis Ifiast uns
die richtige Zeitfolge erraten.
Erraten Das Erraten des Wortsinnes durch den Inhalt des
sjams. Satses — und da der Sats aus Worten besteht —
das Erraten des Wortsinnes aus der Erinnerung, Widche
durch die anderen Worte im Hörer oder Leser geweckt
wird, dieses Erraten ist nur bei der Zeitfolge besonders
interessant, weil diese nach dem landläufigen Glauben schon
durch die Grammatik sauber geordnet zu sein scheint. Was
aber fllr die Zeitfolge gilt, das irilt in noch höhei t'ra Masse
für den jeweihgen InhnU der Dintrwiirter und der Zeitwörter,
für den jeweiligen hinn der \'erbindung von Subjekt und
Prädikat, für den Sinn der übrigen syntaktischen Satzglieder,
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Emtett dm Sinnes.
251
für die Biidunp^formen der Dmgwöi'ter und der Zeitwörter,
das ^ilt schliesslich sogar für den Sprechton. In vielen
Fällen hat freilich der sogenannte Sprachgebrauch z. B. ein
bestimmtes Dincrwort an ein bestimmtes Zeitwort gebunden;
der Reichtum unserer Sprache entsteht aber gerade dadurch,
dass diese festen Wortverbindungen verhältnissmässig selten
sind, dass grammatische und .syntaktische Formen in un-
endlichen Variationen nach dem Prinzip der Analogie inner-
halb eines unbestimmten Sprachgebrauchs verwandt werden.
Jade ftnalogische Anwendimg einer syntaktischen oder gram*
matiBolMii Teno, ni eme kleine Metapher, deren Sfam jedes-
mal ernten werden muse. Besondere Beispiele für Ding-
wörter sind ttberflflssig. Für die Zeitwörter denke man an
die unttberselibare Zahl von Bedeatungen des Wortes ahaben*.
Z. B. im Sinne Ton sich neren, sick fiihlen, kalten, tragen
(sich kaben, in der Tasche kaben, auf dem Gewissen kaben),
sodann im Sinne von beritaen u. s. w. Unter den gram-
matisoben Bildungsformen sind die Casus ebenso Tieldeutig
wie die Zeitformen und müssen jedesmal aus unserer Welt^
kenntnis keraus erdeutet werden. Beim QenitiT ist das all-
bekannt. Doek auck der TermeintUek so klare AkkusatiT
gibt e%entlick nur «ne ganz leere Berieknng, deren Sinn
erraten werden muss. Das ist nickt nur bei dem AkkusatiT
▼ersckiedener Wörter der Fall, sondern auck bei dem Ak-
kusatiT eines eindeutigen Wortes. Wie Terschieden ist der
AkkusatiTsinn nicht in: die Stadt bewoknen, die Stadt ver-
lassen, die Stadt bebauen, die Stadt erobern, die Stadt be-
suchen, die Stadt beschreiben u. s. w. üebrigens ist die
Eindeutigkeit des Woitee Stadt hier ebenfalls nickt bucb-
stäblich zu nduaen; das Wort Stadt erregt ganz andere
Vorstellungen, je nachdem die Stadt gegrttndet oder er^
obert wird (vergl. III. S. 15 f.).
Das Erraten des Sinnes ist in der Sprache von sehr
grosser praktischer Bedeutung. Bekanntlich braucht man
bloss alles zu sagen, um mit Sicherheit langweilig zu werden.
Ein sogenannter guter Stil, das heisst der natürliche Ge-
brauch der Sprache, hat zum sickern Merkmal, dass nur
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252
Yin. Sitoalioii and Spraeh«.
diejenip:eii Worte gesprochen werden, die zum bequemen
Erraten des Sinnes notwendig sind. Das Uebrige wird fort-
gelassen. So wird jede Darstellung oder Erzählung von
selbst »elliptisch*. Die unaufhörliche Ellipse der Sprache
geht viel weiter. In einer Erzählung müsste an jeder Stelle
alles Vorhergehende rekapituliert werden. Die unaufhdr-
Uche Ellipse besteht eben darin, daas der Sprecher sich
fortwShrend mat das Gediehtms des Hörers verlSssk. Bas
Qedichfaiis, welches dem ^redwr die Darstellimg oder Br-
zihlung möglich macht und ihm erspart (was freflieh blöd-
sinnig nnd immOglich vtre) in jedem Augenblicke alles m
sagen, ist dasselbe Gedächtnis, welches den Sinn der Worte
errät.
Kaosau- DisBC ThatM^hc, dass nimlich dnich die Worte immer
zveck^ nur Erfahrungen des Hörers wachgerufen werden, dass der
Sinn nach den Erfahningen des HSrers richtig oder falsch
geraten wird, dass das individuelle Bild von dw Widdich*
keitswelt allein im Kojpfe ist, dass die gehabten Worte das
Bfld nur bald so, bald so beleuchten oder belichten, diese
Thatsache fthrfc uns nun sa einer Einsicht, die Aber das
SprachTcrstindnis hinaus snm Yeratftndnis dar Welt ftihrt
oder doch «i dem, was wir für unsere beste Welteikenntnis
zu halten pflegen. Der BegrüF der Eausslit&i ergibt sich
uns jetzt als eine Folge unserer an Worte geknüpften Ge-
dächtnisthätigkeit (Wegener, Untersuchungen 120 f.).
Wenn ein Hund zusieht wie sein Herr gräbt, wie die
Frau strickt, so sieht er ebenso wie wir die Bewegungen
des Grabens und Strickens. Der Hund hat aber kein Inter-
esse, keine Aufmerksamkeit für den Zweck dieser Be*
wegongMi. Die Bewegungen des Mannes oder der Frau
summieren sich darum in seiner Vorstellung nicht zu dem
Begriff des Grabens, des Strickens. Er sieht den Zweck im
Verbum (vergl. auch III. S. 59) nicht. Wenn der Hund auch
eine ausgebildete Sprache besässe , so würde er doch nur
das Geschehen ausdrOcken kennen , er würde nur eine un-
belebte Natur (abgesehen vom Hundeleben) erblicken, wo
der Mensch bei seinem yielseitigen Interesse und bei seiner
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Kausalitftt and Zweck.
253
gespannten Aufmerksamkeit zwischen dem zwecklosen Ge-
schehen und dem zweckmässigen Thun unterscheidet. E.s
bleibe dahingestellt, ob eine bis ins kleinste und letzte
gehende Hundeanschauung von der Welt, ob der Cynismus
nicht Torurteilsloser , philosophischer, spinozistischer wäre,
ab die mensdiliche Weltanschauung, welche den Zweck-
begriff und westorhin den KatwalitttBbegriff in die Welt
bineingetm^en bei.
Die moiBcfaliehe Qewobnbeit, Bewegungen lebe&dw
Wem flir iweckmtang sa baiton, bestimmte, wenn aadi nocb
80 undentUeb geeebene Bewegungen ak graben, ab stricken
sa beseifibn«!, fQlurt undhiigemale sa Tftnscbmigen. Von
den ScbaiiBpielem auf der Bflbne, welcbe solcbe Bewegungen
nur scbeinbar anefDbren, ebne wiikHeb su graben, sa stricken,
SU eesen u. s. w., lassen wir uns gern tiuscben. Aber aucb
in der Wirklicbkeitswelt ist die TäoBchnng alltS^cb. Sie
bembt auf demselben 8nmde wie die bekannten Sinnes*
tftuscbungea. Wir sieben aus maogelbaften Daten labcbe
Schlosse. Bei der Auslegung TOn menschlichen Bewegungen
werden wir su den Selbsttftusebungen aber durcb die Sprache
selbst Terleitet. Die Strickbewegungen der Finger, wenn
sie dnmal zofidlig gemacht würden, wären äusserst schwer
SU beecbruben, wie denn alles in der Welt äusserst kom-
plisiert und unbescbreiblicb wäre, wenn wir es nicht gruppen-
weise durch Worte aosdrQcken könnten, welcbe die Ghruppen
um einen Zweck wie um einen Mittelpunkt susanimenfassen.
Unsere Sprache drückt alle Thätigkeiten durcb solche Worte
aus, mit denen wir den Zweck des Thuns zu erraten glauben.
Die Erfahrung, welche ja eben an der Krttcke der Sprache
foartschleicht , lässt uns einen Zweck Ton jedem Thun er^
warten. Dieses Hineuitn^^en unserer Erwartung in die
Welt beruht auf unserem Glauben an eine Regelmässigkeit
des Geschehens, auf einem Glauben, der ja um so sicherer
geworden ist, je weiter unser bisschen Weltorkenntnis fort-
geschritten ist. Was wir an dieser Kegelmüssigkeit des
Geschehens aber die Kausalität nennen, das Verhältnis von
Ursache und Wirkung, das hattet doch bloss an der Art,
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254
YIII. Sitaation und Sprache.
wie wir ▼ermeintlich zweckmbsiges Geschehen in unseren
Worten gruppenweise sasanunenfasseo, weil wir es sonst in
seiner nngeheuem Kompliziertheii niemak beschreiben, nie-
mals mikroskopisch genug beobachten kOnnen. Schon die
Fingerbewegungen beim Stricken sind sn kompliziert, als
dftss wir sie ohne das Zweckwort »stricken* aufEiassen
könnten; wenn das Wasser durch die Hitse siedet, so sind
die makroskopischen Vorginge ebenso kompliziert, 4ie mikro-
skoptschen ganz unfassbar. Wir begreifen die Somme dieser
Vorginge bequem mit dem Worte «sieden* und legen ausser-
dem den Begriff der ürsadie in die Hitze. Ss ist eine
Metapher des menschlichen ZweckmSssigkeitsbegrifb, wem
wir nach dem Mustor «die Frau strickt* nun sagen «die
Hitze bringt das Wasser zum Sieden*. Wir erraten den
Sinn der Worte — riditig oder falsch — nach unserer Er-
fahrung, wir erraten den Sinn der Thfttigkeiien — richtig
oder falsch — nach unserem ZweckinUssigkeitsbegriff, nach
einem Interesse» wir erraten den Sinn des Naturgescheheos
metaphorisch durch den Begriff der Ursache, den wir inter^
essiert in das Geschehen hineinlegen.
PMPimm Auf die psychologische Unwahrheit unsers Subjekt-
begriffs bin ich zuerst geführt worden durch eine Empfin-
dung, die vielleicht in ihrer ganzen Stärke nur schwer mit-
zuteilen sein wird. Ich las einmal in einer ganz gewöhn-
lichen, weit verbreiteten Schulgraraniatik , was alle Schul-
knaben, Logiker und Grammatiker zu wissen glRiiben: das.s
nämlich das Subjekt meistens den thätigen Gej^rn^taTid nenne,
aber auch wohl den leidenden Gef:^enstand nennen könne.
Es fallt das ungefähr mit der Unterscheidung zwischen der
aktiven und passiven Form des Verbums zusammen. Als
Beispiel fand ich den Satz: .Der Hfcrf^n befruchtet die
Erde," ,diy Erde wird durch den Hegen befruchtet." "Von
der Sinnlosigkeit, die befniclitete Erde sei der leidende Teil
ifin^ ich aus, bis mich plötzlich ganz allgemein die blosse
Existenz eines Passivums in unserer kultivierten Sprache
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Pafiaivuin barbarisch.
255
verwunderte, ja entsetzte. Ich ftiklte auf einmal etwas Bar-
barisches in dieser viel gerühmten Form des Zeitworts.
W«niiii, 80 fragte ich mich, wird diese Beziehung nicht an
dengemgen Worte ausgedrflckti zu der sie gehört? Warum
ist es dts Yerhum und niehi das SnbstaotiT, welches Acti«*
vnm und Passivam beseichnet? Ich erinnerte mich, dass es
an der NordkOste von Java Sprachen gibt, welche ungefUir
solche YerhlltDisse im Substantty auadrQcken. Die Beob-
achter haben das so auq^edrttokt, dass in dem Satie: «Ich
suche das Brot im Hause* audi Haus zum Subjekt werden
kann. Wonach der Sats (ohne PasdTum) etwa so sich ge-
staltMi wDrde, wie wir ihn mit Hilfe des PassiTums ans»
drucken können »das Haus wird Yon mir nach einem Brot
durchsucht*. Unser Terwöhntes SprachgeflQhl Iftsst uns nun
derartige Sinrachformen, ftr welche wir keine Analogie zu
besitzen glauben, leidit als etwas Barbarisches empfinden,
als etwas, was sieh fllr wilde Völker besser schicke als für
uns. Hein Sprachgefühl sehlug nun plötalich aus der Art,
es wurde entartet oder ptxwiasi ich hörte unser paasiTes
Terbum vom Standpunkt eines HensdiMi, der Uber ein pas*
siTes Substantiv verfügt, und so entsetzte ich mich Uber
unser schönes Passivurn. Es versteht sich TOn selbst: nach
einiger Ueb^legung kam die Ueberzeugung , dass es nicht
gerade human ist, das Wort barbarisch überhaupt anzu-
wenden, dass Barbar doch eigentlich bei den inhumanen
Griechen nichts anderes bedeutete als fremd oder unbekannt,
dass fremde Vorstellungen eben in dem Augenblicke auf-
hören mflssen barbarisch zu heissen, wo sie uns bekannt
werden, dass wir also niemals etwas Barbarisches kennen
können. So wurde ich wieder milde gegen die eigene
Sprache; ist das passive Substantiv nichts Barbarisches, so
braucht es auch das passive Verbum nicht zu sein.
Ein solches Verwundern oder Entsetzen über nlltiirrliche
Begriffe ist bei dem ersten Menschen, der diese Eniplindung
an sich selh'^t beobachtet, immer ein Aus-der-Art-schlagen;
und es ist ganz in der Ordnung, wenn die Art, das heisst
die Msgorität seiner Zeitgenossen, ihn dafür für verrückt
256
Yni. SitaatioD und fl^pftelM.
oder flir TorbrecKmadi erUiit. Der erste« der eich Ober
HezeiiTerbreiiiLiuigeD eubetste, der erste, der sieb ttber die
absolute Mbnarcbie verwuiiderte, der erste, der sick in un-
sem Tagen Ober die Macbt des Oeldes oder der sieb Tor
Bweitattsend Jabren über das Institut der Sklaverei niebt
bembigen konnte, war in diesem Sinne ein Entarteter.
Indem ich also diese meine Sprachempfindnng preisgebe,
glaube icb allerdings, dass mein Yerwundem, wenn audi
hier von unendlich geringerer Wichtigkeit, einigenoassen
fruchtbar sein könnte.
Vaycho- Wir wissen bereits, dass ein Satz oder die Aussprache
^Srii^dtt! Gedankens nur ganz überflUssigerweise mit den Kate-
gorien der Logik und Grammatik belästigt wird. Die Regeki
der Logik und Chrammatik haben mit dem Organismus des
Denkens noch viel weniger zu thun, als der Bast, durch
welchen eine Pflanze an ihren Stock angebunden wird, mit
dem Organismus der Pflanze. Wir wissen, dass ein soge-
genannter Gedanke oder ein Satz nichts weiter ist als die
Richtung unserer Aufmerksamkeit auf irgend einen Sinnes-
eindruck , sei es ein neuer Sinneseindruck oder die Vor-
stellung oder Erinnerung uns -wohlhpkannter Eindrücke.
Dieser psychologische Vorgang ergibt, dass — um es zu
wiederholt-n — das Prädikat eines Satzes, das Ausgesagte,
das Prädizierte auch allein das Aassagenswerte, das Sprerhens-
werte ist, dass das Subjekt das Selbstverständliche ist, das
in den Urzeiteu der Sprache gewiss noch gar nickt gesagt
wurde. Das Subjekt, das jetzt für das Hauptwort, für die
Hauptsache gilt, muss eine jüngere Erfindung gewesen sein,
es ist ein Parvenü.
Man hat die Mitteilung einer Gedankeureihe an einen
andern Menseben ebenso geistreich wie falsch mit dem Ab-
wickeln einer Papierrolle im Telegra|)henumte verglichen;
es soll da die weisse Pa})ierrolle immer kürzer werden, wäh-
rend das beschriebene Band auf der andern Scheibe iiiuuer
länger wird. Der Vergleich hinkt auf allen vier Füssen.
Höchstens für den erapfaugeuden Apparat, für den Hörer
oder Leser eines Satzes, vollzieht sich die Aufnahme, wenn
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Pdychologisclie« Subjekt.
257
er mhr dumin ist oder etwas ToUkommen Neues erfahrt,
halb^vegä so langsam und linear, wie ein Baad sidi aiifrollt,
wie eine Wuise kriecht^ In der psychologischen WiiUieh-
keit wird der Blickpiinkt des Gedichtmsses vom Sprecher
schnell und geschickt nach allen Bichtungen auf diejenigen
Beobachtungen und Merkmale gelenkt, die gegen w'ai-tig, das
heisst dem realen Zusammenhang entsprechend« filr ihn von
Interesse sind; und mit maschinenmissiger Sicherheit wird
der Blickpunkt des H9ren (soweit die Unterschiede in ihren
IndiTidualsprachen nicht stISren) auf dieselben Beobachtungen
und Merkmale gelenkt, nach dem Interesse des Sprechers.
Jedesmal ist die Fidle der VorsteUungen, wddie dem
Spreeher oder HOrer jeweilig aus seinem Sprachschatse oder
aus seiner gesamten Welteikenntnis in jedem Augenblicke
gegenwilrtig sind, das Subjekt su den rasch wechselnden
Prädikaten. Auch dieses Subjekt ist von Wort m Wort in
jedem Satze TerftnderHch» ist anders im Kopfe des Spredien
und im Kopfe des HOren. Dieses unausgesprochene, nebel-
hafte, Ton der ganien Oedankengeschichte jedes IndiTidnums
abhingjge Subjekt konnte woU das psychologische Subjekt
genannt werden; «s ist allerdings von den Sprachforschern
nur aus Verlegenheit erfunden worden, weil nämlich bei
manclien Wortstellungen und Satakonstruktionen die Gram-
matik dem psychologischen Vorgang allzu schroff wider-
sprach.
Das Bild vom Blickpunkt des Gedächtnisses yerlockt Bliek-
beinahe dazu, es zu Tode zu hetzen. Suchen wir zu einem '^"'^
sogenannten Subjekt, also zu dem Gegenstande oder Sub- a«daoiit-
stantiv, das uns gerade beschäftigt und das wii* darum gar
nicht aussm^rechen brauchen, eine Beobachtung, ein Merk-
mal, kurz ein PriUUkat, so wollen wir dieses Merkmal, diese
Beobachtung an die Stelle des deutlichsten Sehens setzen,
wir wollen es stärker als alles andere beleuchten. Wer
weiss ob der Vorgang nicht verwandt ist mit einem wirk-
lichen Beleuchten. Es ist als ob wir mit einer Handlüterne
im Dunkel etwas suchten. Wir rücken die abzusuchende
Stelle in den beschränkten Lichtkreis der kleinen Laterne.
M»atbiier, B«itrftge £tt einer Kritik der Sprache. UI. 17
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258
Vm. 8ita«td(m und Sfnwfae.
Wir fingen die DunkeUiflit ab, indem wir Punkt für Punkt
lielettditen. Es ist immer das DnnUe, wonadi wir Ingen.
Im lebhaften WecluelgesprScb, wenn fon swei Menschen
jeder immer nur ein Wort spricht (Wohin? — Port. —
Jetat? — Gleich. — Warum? — u. s. w.) werden ttber*
haupt nur Prädikate gesprochen, die Subjekte sind seHwt-
▼ersündüch, sowohl die grammatischen als die psycho-
logischen.
Gegen diese psychologische Notwendigkeit kann weder
die Ghrammatik nocli auch der wirkliche Sprachgebruuch
aufkommen. Im Deutschen ist, wie eine aufmerksame Be-
obachtung leicht lehrt, das grammatische Subjekt durchaus
nicht so sehr Herr der Situation als das in der Schule ge-
lehrt wird. Unsere freie Wortstellung verhilft dem psycho-
logischen Subjekt zu seinem Rechte. Aber auch eine so
fest geschnürte Sprache wie die franaösische muss ihre feste
Wortstellung durchbrechen lassen, will sie der Mitteilung
nicht Gewalt anthun. In der französischen Schulsprache
und Rhetorik ist das grammatische Subjekt allerdings fast
allmachtig. Im alltäglichen Gespräch jedoch ist das psycho-
logische Subjekt nicht zu umgehen. .Votre fT^rc, j'ai de
ses nonvelles." Ich kann nicht umhin auch bei dieser Satz-
konstruktion die Empfindung des Barbarischen zu haben
(natürlich um mich nachher des Wortes Barbarei wieder zu
schämen). Es klingt mir, ich kann gar nicht sagen wie
aussereuropäisch, dass das psychologische Subjekt, das wo-
nach gefragt worden ist, zuerst wie eine Aufschrift dasteht
und dass sich dann ein rcgelmäs55iger fraT]/.<isischer Satz, in
welchem das grammatische Subjekt fi m t jrientlich voran-
stellt, mit einem Fürwort darauf bezieht. Wilde Völker-
schaften sprechen, wenn ich deu Missiouarberichten trauen
darf, so, dass eine oder mehrere Aufschrilten vorausgehen.
Und merkwürdig, die Chiueyen , durch ihre feste Wort-
stellung gezwungen, müssten unsern Satz genau .so kon-
struieren wie die Franzosen.
Füi dieses psychologische Subjekt ist es vollkommen
gieichgülLig, welchem der sogeuaunten Redeteile es von der
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Blielgpiinkfc d«i QedAehtaiiiaeB. 259
Grammatik zugewiesen wird. Wenn ich der Dame Blu-
men zu schenken beabsichtige und den Blickpunkt meines
Gedächtnisses darauf richten will, an welchem Tage ihr
Geburtstag sei, so wird der Tag zum psychologischeu Sub-
jekt und es ist auch nicht der kleinste Unterschied zwischen
dem Satze «am soundsovielten ist ihr Geburtstag" oder »den
soandsorielten ist ihr Geburtstag" oder «der soundsovielte
ist ihr Geburtstag", trotzdem das letzte Mal ein grammati-
sches SLibjekt dazustehen scheint, das jedoch für mein
iSprachgt^iüiil nicht anders als das Adverbium der Zeit ver-
standen wird.
Es kann uur eine Vermutung .sein, ist aber eine recht
wahrscheinliche Vermutung, dass vor der Einführung der
Uezionsformen unsere kultivierten Sprachen sich mehr als
nachher an die Wortstellung halten mussten, um gleich richtig
erraten seu lassen, welchen Teil des Satses jedes Wort ab-
gebe. I^uuL irlre die strengere WortsteUmig im FransÖsi-
schen und Englischen entweder ein Atavismus oder ein
Symptom daflir, dass diese Spradien wie das Chinesisclie
die strenge Wortstellung wieder n6tig haben, weil sie die
deuüiclie Flexion Terloren. Audi die für unser GefQlil un-
ertiftc^ebe Freiheit der lateinischen Wortstellung, die z. B.
bei Ovid leicht sum Bdsselsprungrätsel wird, liesse sich
sum Teil aus der ausserordentlichen Uebersichtlichkeit der
FLexionssilben erldftren. Wieder der Wortstellung mag eine
fest geregelte, vielleieht sehr musikalische Betonungsordnung
Toransgegangen sein, wie sie ja auch im heutigen Chinesisch
noch oder wieder eine grosse BoUe spielt» Der Drang, uch
durch starke Betonung Terstindlich zu machen, ist tief in
uns eingewurzelt. Es sind nicht nur ungebildete Mensdien,
welche sidi einem Auslander, der kein Wort ihrer Stäche
▼mteht, Terstibidlicher zu machen glauben, warn sie heftig
schreien. Aber auch die Betonung gehört erst dann zur
Sprache, wenn sie konventionell geworden ist
Der Blickpunkt des Gedächtnisses ist nur durch Kon-
vention abhiogig von Grammatik und Syntax. Die Syntax
hat aber noch viel wenige eine Beziehung zur Wirklich*
Digitizcü by ^(j^j-j.l'^
260
YIU. Situfttioii und Sprache.
keitswelt als die Graimiiatik oder als die Worte. Die höhere
Syntax vorhält sich zum Nutzen der Sprache wie der Parade-
marsch zur Strategie. Doch auch die einfachste Syntax ist
nicht notwendig. Die Syntax jeder Sprache ist barbarisch
für jede andere.
Und wer Über die Feierlichkeit der Syntax recht rnis-
bündig lachen will, der be.sinne sich auf den gasseubübi-
schen Sport, der kürzlich auffjebracht ■vvftid^'n ist: den schein-
baren Unsinn, die Verse eines bekannten Liedes von hinten
nach vorn zu lesen. Es gibt einfache Lieder (z. B. Uhlands
^ Frühlingsglaube ") , bei denen der kleine Spass über-
raschend gut gelincft. Es wäre das niclit möglich, wenn
die Wortkunst des Di lu^rs nicht unabhängig wäre von der
Syntax, wenn sie nicht allen Jüngern .syntaktischen und
grammatischen üüfen gern aus dem Wege ginge. Es wäre
aber auch nicht möglich, näre die Syntax nicht bedeutungslos
für die Associationen der Worte oder Begritte beim Sprecher,
nicht bedeutungslos für die Verknüpfung der Woiie oder
Begriffe beim Hörer.
*
Haben wir schon früher (Bd. I. S. 78) in der Gram-
matik der Einzelsprachen die mensehliche Notdurft erkannt,
die rieh nach Ideinen menschlichen Interesse ein maogel-
haftee Register für einen mangelhaften Weltkatelog ordnete,
80 wissen wir jetzt nach einer genauem Betrachtung der
grammatbchen Kategorien, dass weder die Redeteile noch
die Form der Redeteile, noch die Znsammensetaung su
Sitsen zu der Wirklichkeitswelt passen. Ist schon die
Sprache Oberhaupt mit Ihren Worten oder Begriffen kein
SchlOasel der Erkenntnis, kein passender Schlfissel fttr die
Welt, so ist die Grammatik der Sprache noch weniger
mit einem Schlüssel zu vergleichen. Sie w%re denn wie
ein wächserner Schlüssel, weich und unbrauchbar, anstatt
einer wächsernen ICatrize ron einem Schlosse. Und auch
dieser Vergleich noch wftre fislsch, wenn, wir an die
Grammatik erkenninistheoretische Forderungen stellen. Die
Philotophiache Grammatik.
261
Daten unserer Zufallssinnc , die wir nach der urältesten
Hypothese für eine objektive Wirklichkeitswelt halten müs-
sen, sind höchstens adjektivischer N^ur, die angenommenen
Ursachen di66er adjektivischen Daten nennen wir Dinge,
die Zweckmittd|ninkte ttuJidier Zmiandsgruppen nennen
wir Thfttigkeiten. Noch nnentwirrbarer fliessen die Bedeu-
tung«! der Deklinstions- und Konjugationsfcnrmen, flieeeen
die Bedeutungen der Besiehungsredeteile durcheinander.
Ui^ auch der l^ste Halt, die K^gorie dar Qnantitilt oder
das Zahlwortf entglitt uns, da eich die ZaUen heransstellten
als Erfindungen ohne Begrifiswert, da nur die ITmlil 2,
der Korrelatbegriff der Gleichheit, der Begril^prache
verblieb.
Und so Ware es an der Zeit, den Traum von einer puio-
philosophischen Grammatik zu Ende zu träumen. Es gibt*^^^
keine allgemeine Ch-ammatik, geschweige denn eine philo- »Mk.
sophische Grammatik. Ich habe mir irgendwo einen Xarren
erfiinden, der sich mit einem Stadtplane von Königsberg in
Paris zurechtfinden wollte. In den Geisteswissenschaften
gibt es 80 etwas. Warum sollte man nicht einen allge-
meinen, einen philosophischen Stftdteplan entwerfen? Jede
Sirasse mündet in eine andere. Abgesehen von den Auf-
nahmen, lieber den Fluss führt am Ende der Strasse eine
Brücke. Abgesehen von den Ausnahmen. Der arme Teufel,
der sich nach einem solchen philosophischen Städteplan
richten wollte, wäre so weise wie der Schüler einer |dulo-
v(i|>lnschen Grammatik. Wir sind heute nicht mehr so « auf-
geklärt", wie J. B. Meiner (seine allgemeine Sprachlehre
erschien in demselben Jahre wie Kants Vemunftkritik),
welcher in allen Sprachen nur Kopien eines und eben des-
selben Originals sah, unseres Denkens nämlich. Aber auch
die neuesten Versuche einer philosophischen Grammatik ge-
stehen unfreiwillig die Unmöglichkeit des Unternehmens ein,
A. Stöhr gibt in seiner .Algebra der (Tranimatik" (vergl.
besonders S. 15) niemals eine vollständige Uebersicht aller
möglichen Be/.iehungen, sondern bestenfalls nur reiche und
Ubersichtliche Beispiele. Es gibt keine Philosophie, es gibt
262
YUI. Siiaation und Sprache.
nur rhilosophien. Es gibt kerne Grammatik, es gibt nur
Grammatiken. Es gibt keine Logik, es gibt nur Logiken.
Und die lebendige Wirklichkeit sprengt die Fesseln der
Philosophien, der Grammatiken und der Logiken, wie das
lebendig kristallisierende Wasser im Felsenspalt den uraften,
toten Feben sersprengt.
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i
Sprache und Logik.
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1. Begriff and Wort.
Die Loj^ik stellt, wie die Grammatik, allgcmrine Hegeln
auf. Di«' Grammatik der eigenen Sprache lehrt nicht, wie
man ^[irechen soll odnr wird, sondern nur, wie man spricht
oder gesprochen hat, wolür sich eben nur der Grammatiker
interessiert. Die Grammatik einer fremden Sprache erHihrt
man ebenfalls am besten durch die Uebung; immerhin kann
die Grammatik einer fremden Sprache nützlich sein, wenn
sie von der Grammatik der eigenen abweicht.
Die Logik lehrt nun ebenso.' nicht wie man denken
soll oder wird, sondern nur wie man denkt oder gedacht
hat, wa.s doch nui den Logiker interessiert. Nützlich kann
uns nur eine Logik der Fremden werden. Wir selbst sind
bei unserer eigenen Denkthätigkeit um so weiter von der
Anwendung der Logik entfernt, je sachlicher wir uns an
die Denkaufgabe halten. Und ich möchte behaupten, dass
die berähmten Denkfehler, die Sophismen und Faralogismen,
nienalB Ton NiehÜogikem gemacht worden wlren. Denn
das natOrliche Gehirn denkt gar nicht ungegenstftndlich,
wendet gar keine Regeln an, sondern urteilt und schliesst
vielleicht sogar genau so instinktiT wie das Tier. Erst der
redende Mensch dachte .logisch*. Es ist fast lustig, dass
Logik Tom Xo^o? stammt, der doch nicht im Anfang war.
Das YerhSltnis zwischen Begriff und Wort kOnnte auf- 0«s1mb
schlussreich werden fUr das Yerhftltais zwischen Denken und gp^^^,
Spredien. Wir erUAren Denken und Sprechen immer ao&
neue für identisch und müssen doch auf Schritt und Tritt
angeben, dass der Spracl^ebrauch immer wieder einen
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266
1. fi«griff aad Wort.
Unterschied mache zwischen Denken und Sprechen, dass
also die Identität nur auf Gnind einer besonderu Detiiiiliun
beider Begriffe zu Recht bestehe. Reden wir doch, ohne
dem Sprachgebrauch Gewalt anzuthun, sowolil von einem
gedankenlf>8en Sprechen als von einem nicht nur wortlosen
Denken (was ein inneres Sprechen sein kann), sondern ge-
radezu von einem vorsprachlichen Denken (B. I. 108 f.).
Zunächst möchte ich in spriuliliiher Beziehung be-
merken , dass der Begriff Denken wirklich nicht völlig der
KorrelatbegnJl' von Sprechen ist. Eigentlich müssten wir
ein besonderes Verbum für die Anwendung der Vernunft
besitzen, das etwa dem franz&dschen raisonner entspräche.
Die einstige Ueberaelsiuig diesoi Wortes, «vemlliifldn* nlm-
lieh, hat wegen ihrer uD|^sdiickifcen Büdimg emen iadebi-
den Beigeschmack bekommen. Unser Begriff Denken wQrde
dann ftür die Bedeutung übrig bleiben, welche such raisonner
im Sinne Ton Schliessen besitzt, und wir kOmten unsen
Ausdruck «schliessen* als den sprachlichen Konrelatbegriff
für Denken gebrauchen. Ich will mit diesen Bemerkungen
keine neuen VoischlSge machen; ich will nur auf die
Schwierigkeiten der Tenmnologie aufmerksam machen. Nach
dem gegenwärtig üblichen Spndigebrauche Tcnrirren sich
nämlich die Korrelatbegriffe mit ihrer Komplikation. Wir
gehen einerseits Tom B^riff zum Urteil, zum Schlüsse und
zum Denken Aber, anderseits vom Worte zum Satze, zum
Schlüsse und zur Sprache. Auf den beiden untern Stufen
ist die Besiehut^ der beiden Korrelatbegriffe noch einiger-
massen deutlich, auf der dritten Stufe fehlt die sprachliche
Unterscheidung, auf der vierten Stufe herrscht vollkommene
Wirrnis. Durum muss es nützlich sein, auf einige Be-
nehmten zwischen Begriff und Wort hinzuweisen.
BisrUto Ich schicke voraus, was an anderer Stelle weiter aus-
jJJ*^ geführt wird, dass diese Stufen: Begriff, Urteil und Schluss
der herkömmlichen Logik nachbenannt sind und mit der
psychologischen Entstehung dessen, was wir so nennen, gar
nichts zu thun haben, dass dem Begriffe fast immer ein
Urteil, dem Urteile fast immer ein Schluss vorausgeht und
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B0griffe and BiliUr.
267
dass aus diesem Verhältnisse übrigens die Wertlosigkeit der
Loj/ik deutlich wird. leb schicke voraus, dass unsere so-
prn iimten V( rsl« Uuiigeri , welche wir durch Begrifie oder
Worte auszudrücken glauben, erst durch unsere Bemühung,
Begriffen oder Worten ein Objekt unterzuschieben, in unser
Bewusstsein hinein kommen. Fast alle diese Vorstellungen
sind bei normaler Geistesthätigkeit freilich Erinnerungen,
aber nicht irgendwie wahrnehmbare, wenn auch noch so
abgeblasste Krmaerungsbilder, sondern einzig und allein
Thätigkeiten unseres Gedächtnisses (vergl. auch Band I.
S. 412). Ware dem nicht so, wäre die Erinnerung nur
ein Erinnerungsbild, welches durch Wort oder Begritl" her-
vorgerufen wird , so hätte die Sprache gar keine solche
Bedeutung für den Menschen, so könnte das Tier ohne
Sprache ebenso gut denken wie der Mensch. Denn es läge
gar kein Hindernis vor, dass z. B. die Geruchsempfindungen
dem Hunde ebenso Vorstellungen brächten wie die Worte
dem IKwushioa und daas dar Hund ao allm&hlich daau kftme,
neb mit Hilfe seines Geraelies sur Wissenscliafl; zu erbeben
wie der Henscb mit Hilfe der Lautspracbe. Dagegen jedocb
strftubt sieb unsere Uebeneugung vom inneren Leben oder
Ton der Psjdiologie des Hundes. Wir kdnnen es uns nidit
anders vorstellen, als dass beim Hunde die gegenwärtigen
QerDcbe bloss Ideenaasociationen knflpfen und dass bei der
flflobtigett und mangelbaften — leb mOebte sagen — Arti-
kulation d«r Gerudisempfindungen aucb die Ideenaasociationen
der Artikulation, der weiteren Braucbbaikeit entbebren.
Hört der Henscb ein ibm woblbekanntes Wort, so steigt
nur in Ausnabmsföllen ein Bild Tor ibm auf, was dann fast
patbologiscb als Sinnestftuscbung aufgefasst werden kann;
in normalen Yerblltnissen wird nur eine Kette oder ein
Gewebe, ein Nets oder noch ricbtiger eine kleine Welt, ein
IGkrokosmos von IdeenassodatUmen angw^t, fast obne Be*
toUgong der Sinnesorgane, fast gans obne Bewusstsem, und
SU diesem Mikrokosmos (der nicbt eindlimensional wie eine
Kette, der nicht zweidimensional wie ein Gewebe oder dn
Nets, sondern dreidimensional wie eine Welt ist) gebOren
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268
I. Begriff und Wort.
auch unzählige Ergebnisse von Schlüssen und Urteilen, die
also dt?m Gebrauche des Be^ififes vorausgehen, wie sie einst
der Entstehung des Begriffes vorausgegüiigen sind.
Was wir für Vorstellui^eu halten, wenn wir beim Aus-
sprechen oder Hören eines Wortes mitunter das Bedürfnis
nach einem Hslt in der WirUichkeitswelt f&Uen, das ist
fast immer xmr eine EzemplifikatioD, die absldiiliche innere
Aiiftnerksamkeit auf irgend ein Beispiel. So wenn wir uns
vergewissern wollen, ob wir uns bei den sogenannten kon-
kreten Worten wie Tier, Säugetier, Raubtier, Hund, Pudel
wirldieh etwas d«iken kftnnen. Es ist psychologisch inter-
essant zu beobachten, wie wir in solchen FSUen immer su
dem nichsüiegeiiden Beispiele greifen. Seitdem die Ge-
lehrten Bflcher^ und Schreibtischmenschen geworden sind,
wird man z. B. fast jedesmal, wenn ein Psychologe den Be-
griff Ding mit einer Vorstellung belegen will. Tisch, Feder
und dergleichoi erwShnt finden. Das BeispielmSssige der
Vorstellung ergibt sich noch schärfer bei abstrakten Be-
griffen wie Mut, bei Besiehungsbegriffen wie aber und
selbst bei Verben wie k&mpfen. Ich halte es nicht fllr
unmöglich, dass ein flachtig vorgestelltes Beispiel fttr aber,
f&r Mut und fürkftmpfen die gleichen Elemente aufweist:
zwei, die einander gegenüberstehoi.
Es liegen also den Begriffen oder Worten wohl Sinnes-
empfindungen und Widimehmungen zu Orunde, nicht aber
Vorstellungen oder Eriiinei-ungsbilder. Die Verwirrung in
der psychologischen Terminologie ist da freilich eine voll-
ständige. Man bat Vorstellungen und Wahrnehmungen zu
nahe aneinander gebracht und war darum immer geneigt,
das Denken oder Sprechen auf Vorstellungen aufzubauen*
Anderseits sind doch wieder nur die Sinnesempfindungen
die unmittelbaren Elemente der Begriffe; denn beim Ueber-
gange von Sinnesempfindungen zu menschlichen ^^'ahr-
nehmungen dürften doch in der Entwickelung der Organis-
men unzählige sprachäbnliche Urteilsdifferentiale mitgewirkt
haben. Wir halten uns vorläufig daran, dass nicht die Vor-
stellung es ist, welche dem Worte oder Begriffe zu üi-unde
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Begriff und ürteiL
m
lie^ren mu>s, dass vielmehr das Wort oder der Begriff es
ist, was eine Vorstellung hervorrufLu kann.
Die gleiche Verwirrung herrscht zwischen Begriti und «.iKriS
Urteil. Zwischen den Korrelatbefipriffen Wort und Satz kann
diese Verwirrang nicht so herrschen, weil Wort und Satz
äussere Srach«ni]iigeii sind, die jedes Kind auseinander
halten lernt. Das ist ja Idar, dass der Sali «der Füdel ist
ein Hund* oder ,der Hund ist ein Tier* mehr ist, ab etwa
das Wort Pudel oder Hund. Für die Fejchologie jedoch
ist es gar sehr fraglich, ob das Urteil »der Ptadel ist ein
Hand* irgendwie mehr ist als der Begriff der Pudel, ob
eine ge^visse Menge Alkohol dadurch vennehrt wird, dass
ich Wasser zugiesse. Es kann sogar Torkommen, dass der
Alkohol, als Ursache einer Wirkung auf mich, durch Wasser
weniger wird. Ohne Bild: es kann ▼orkonimen, dass die
VerwSsserung eines Begriffs durch allzu breit getretene Ur^
teile den Begriff abschwftcht. Mir scheint es in dem wirk*
liehen Qeistesleben des Menschen, das man nicht den
Schulbeispielen der Schulpsychologie gleichsetsen darf, nur
eine Frage der Aufmerksamkeit, ob wir den Begriff oder
das Urteil als das Primare empfinden sollen. In Kants
analytischen Urteilen (die wertlos sind und Tielleicht trota-
dem die dnzigen Urteile, die es gibt) wird das VerhSltnb
klar: die Urteile gehen aus dem Begriff ▼on sdbst herror,
weil die Begriffe nur Oktmomisch zusammengefasste Urteile
sind. , Begriffe sind potentielle Urteile* (Riehl).
An dieser Stelle glauben wir nun eine deutliche Dif-
ferenz zwischen Begriff und Wort wahrzunehmen und mtlssen
8ofoi-t vermuten, dass auf einer höhem Stufe auch Denken
und Sprechen oder Yemunftgebraucli und Sprachgebrauch
verschieden sein werde. Ich will darauf zurückkommen und
bitte gleich hier zu beachten, dass sich der Ausdruck Sprach-
gebrauch ganz von selbst als eine entsprechende Bezeich*
nung für die konkrete Thätigkeit der Sprachorgane er-
geben hat.
Worin besteht nun der wesentliche Unterschied zwi-
schen Begriff und Wort? Wie mir scheinen will, nur in
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270
I. Begriff und Wort.
Wort der Richtung der Aufinerksamkeit. Ich richte bei dieser
Wort- P^y^^^ologischen Untersuchimg meine Aufmerksamkeit das
kkng eine Mal auf das Qerftuseh, welches meine Sprachorgane bei
Herrorbringung des Lautkompkxes Hund su stände bringen«
ich richte meine Anfmerfcsemkeit das andore Mal auf die
Welt Y<m Associationen, wdche dieser Lautkomplex in mir
anregt. Die wichtigste Fehlerquelle aller psychologischen
Beobachtungen fängt an mitauarbeiten, die Verftnderung
nSmlich, welche Empfindung, Wahrnehmung oder audi
Selbstbeobachtung eben durch die Aufkerksamkett erlUirt.
Was dabei herauskommt, das ist schliesslich immer etwsa
wie die Psychologie eines Psychologen, nicht die Psycho-
logie des natürlichen Geisteslebens. Denn wo in aller Welt
gibt es im menschlichen Denken ein Zentrum fllr die Welt
▼on Associationai, wenn nicht im Worte? Und wo in aller
Welt gebraucht der natürliche, der Torphilosophische Mensch
ein Wort als blosses Geräusch, ein Wort ohne die Asso-
ciationen, die es zum Begrilt machen? Diese Verknüpfung
ist eine so zwingende, dass nicht einmal der Blangwert des
blossen Wortes richtig wahrgenommen wird, wenn keine
Associationen sich mit dem Klange Terknüpfen. Es ist be-
kannt wie schwer es Missionaren wird, den Klang der Worte
sogenannter wilder Völker zu fixieren; das liegt nicht nur
daran, dass CS an einem gemeinsamen Alphabete für alle
Sprachen mangelt, es lie^t auch daran, dass das völlig
fremdartige Wort sich dem Hörer Torerst nicht mit anderen
Klangen der ^deicht n Sprache associiert Wir brauchen
nicht bis nach der SUdsee zu reisen um das zu beobachten.
Der Franzose hört zunächst keinen Unterschied zwischen
Hund und und; der Süddeutsche hört zunächst keinen Unter-
schied zwischen aiitniche und Autriche. Es ist eine Psyclio-
lope in zweiter Potenz , eine Psychologe der psyrhologi-
schen Aufmerksamkeit, welche zwischen Begrifi und Wort
unterfschcidet und welche auf diesen Unterschied ein System
Ton Urteilen und Schlüssen mif bauen kann, welches dann
einerseits dem Bauernverstande, anderseits vom Staudjjuukte
einer kritischen Erkenntnistheorie wie eitel Wortmacherei
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Wort nur Klang ohne seine AssociaUunen.
271
«sehemL Man hat beida Biditiiiigeii der Anfineriowinkeit oIum
in solehe Systeme geliraeht, man hat die Aaaodationen dee
Begrifb in Regeln des Yemunfigebranchs oder in der Logik «iattoMii.
geordnet, man hat die WorlUftnge in Regeln des Sprach-
gebrauchs oder in der Grammatik geordnet, nm am Ende
▼erzweifefaid einzusehen, dass hogik sich ebenso sehr auf
Grammatik sttttst, wie Grammatik auf Logik. Li Wahr-
heit hSngt unser Geisteslebeii immer nur von den Asso-
ciationen ab, die Ton dem Worte oder dem Ässodations-
sentrum ausslraUen, und dieses Blickfdd des Wortes wieder
hingt ab Ton der jeweiligen Situation unseres Bewusstseins.
0ie jeweilige Situation unseres Bewusstseins tifigt in jedem
Augenblicke den Keg davon Aber Logik und Grammatik.
Je nach der Situation des Bewusstseins kann im Geistes-
leben des natQrlichen Menschen der blosse Begriff jede Art
▼on ürteü Tertreten, aber dann auch das entsprechende
Wort jede Art TOn Satz. Kur im geisttötenden Schulunter-
richt werden so leere Schulsätze gebildet wie „der Hund
ist ein Tier", wobei dann die Psychologie des Psychologen
zwischen Begriff und Wort unterscheiden kann. In der
Wirklichkeit des Bewusstseins hängt es immer davon ab,
wo der Blickpunkt im Blickfelde gesucht wird, das heisst
wonach gefragt wird. Ein Jäger sieht in weiter Entfernung
sich etwas bewegen und weiss noch nicht, ob es ein Wolf
oder ein Hund ist; das Tier kommt näher und der Jäger
denkt «ein Hund''. Da haben wir ein ganzes Benennungs-
urteil und ich möchte den kennen, der mir sagm könnte,
ob dieses Benennungsurteü in einem Begriffe oder in einem
Worte Terdichtet ist. Ein Kind traut sich nicht in ein Ge-
höft hinein, weil es das Bellen eines Hundes wahrgenommen
hat. Das Kind sagt ,ein Hund" und eine Welt von Asso-
cintionen liet^'t darin. Zunächst das Subsumtioiisurteil ,der
Hund ist em llaubtier", was in der kindlichen Zoologie
etwa so viel heisst wie »der Hund boisst*. Sodann liegt
dann das Erwartungsurteil, welches entweder nach des
Kindes pij;(„iier Erfahrung oder v.nvh der Erfahrung des
Menschengeschlechts etwa lautet «der Hund wird beissen**,
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272
I. Begriff und Wort
was wieder nur eme ttbertriebene Avairuclisfonn eines UOg-
lichkeitsiirteile ist Und wieder möchte ich den kennen, der
mir sagen könnte, ob alle diese Associationen sich an den
Begriff oder an das Wort Hand knttpfen. Noch ein anderes
Etnd hat bisher nur Hunde aus Ponellan oder GKimmi wahr-
genommen und erhält nun einen lebendigen Hund sum Oe-
schenk. Es bemerkt, dass dieser lebendige Hund Wirkungen
herrorbringt, die an dem nachgemachten Hunde nicht su
beobachten waren. Der Hund frisst, der Hund Uuft, der
Hund bellt, der Hund beisst, der Hund atmet. Bs vollzieht
sieh in dem Kultuikinde, und wenn es das Kind eines deut-
schen Professors wäre, die anthropomorphische VoxsteUung,
weldie die Grundhypothese aller Erkenntnis ist und welche
in Urzeiten auch den wehenden Wind und das flieesende
Wasser zu Wirkungen einer persflnlii^en Ursache machte.
£s vollzieht sich die Vorstellung »der Hund lebt", oder
vielmehr zunächst i\o Vorstellung .dieser Hund lebt". Hund
oder Wauwau ist ein Eigenname, beror er ein Begriff wird.
Im Eigennamen ist Klang und Bedeutung noch schwieriger
zu trennen. Doch auch später, wenn das erwachsene Kind
(wie ich es einmal gehört habe) Wauwau sagt und sich
irgend ein lebendes Wesen denkt, möchte ich wissen, was
fUr den Begriff übrig bleibt, Wenn man in der Seele dieses
Kindes , Wauwau" als A.ssoclationszentrum und die Asso-
ciationen selbst fortninimt. Ueberall im wirklichen Bewusst*
seinslcben ist Beg^riff nur eine kurze Bezeichnung für die
psycholog^isclu' Thntsache. dass Lautkomplexe, wenn sie einer
Sprache angehören, Associationen erzeuj^cn.
Die Suuinie dieser Thatsachen nennen wir (liirehein-
ander Denken oder Vernunft oder Ve]-«fand und die Wissen-
schaft bemüht sich die verschiedenen Ausdrücke, weil sie
einmal da sind, mit mehr oder weniger Glück prägnant zu
gebrauchen. Die vSunime dieser Thatsachen i55t aber doch
nur die Sumiin If^r Thittiirkeiten unseres Denkorgans, welche
sich in kemer U eise tn ni^Mi lassen von den ThUtigkciteTi,
welche wir wieder mi" t mem andern Ausdrucke Sprache
nennen. Für den natürlichen Menschen ist der Gebrauch
Digitizcü by
Denkgantse.
278
seiner Vernunft uud der Gebrauch seiner Muttersprache das-
selbe; und der Witz der Sprache hat es recht gut gefügt,
dass wir die zu einer sogenannten Regel gewordene Ge-
wohuheit. welche aus dem Gebrauche einer Sprache zwischen
den Menschen entstanden ist, in scheinbar anderer Bedeutung
Sprachgebrauch nennen. Es ist aber gar keine andere Be-
deutung. Würden wir menschliches Thun ebenso iiatui-
notwendig sehen wie die übrige Welt, so könnten wir mit
demselben Rechte sagen, es ist ein Formengebrauch der
Natur, dass der Hund einen Schwanz kat
Wenn man bedenkt, dass die drei obersten Grundsätze Satz vom
der Logik, der Grundsatz vom Widerspruch, von der Iden- ^J^J^.
tität uud vom ausgeschlossenen Dritten, eigentlich nur ver-
schiedene Formulierungen des ersten Grundsatzes sind, dass
feriier dieser erste Grundsatz vom Widerspruch {was ist,
das kann nicht zu gleicher Zeit nicht sein, kann nicht ver-
neint werden) womöglich noch weniger besagt, als eine
Tautologie , dass endlich aus dieser absoluten Null des
Denkens alle die schönen Denkgesetze hervorgegangen sein
sollen , so möchte man beinahe a priori , also rein looisch
zu dem Ergebnis kommen, dass die T^ogik lür das Denken
nicht mehr bedeute, als die Linien der Meridiane und Breite-
gradf^ für das Leben auf der Erde, ein schattenhaftes Netz-
werk, vun dem die Fauna und Flora nichts wissen, trotz-
dem hie danach eingeteilt werden. Nur der Schüler sieht
dieses Netzwerk gröblich auf seinem dlobus.
Wir wollen also festhalten, dass Logik auf dem Satz
vom Widerspruch ruht. Widerspruch aber nur in Worten
(vergl. IL 50) existiert.
Der Logiker kann zur Begründung seiner Wissenschaft Deuk-
schliesslich nichts anderes thun als auf die Notwendigkeit s**'^«-
hinweisen, mit der wir unsere Schlüsse ziehen.
Dieses subjektive Qef&hl der Evidenz würde aber ganz
falsch gedeutet, wollte man daraus für die logischen Regeln
MaothB«r, Beitrtge <a einer KriUk der Sprache. III. 18
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274
I. Bei^riÜ und Wort
und unser Denken objektive Verknüpfung von Omod und
Folge ableiten* Auch der Stein muss fallen respektive
schwer sein. Könnte er recbnen wie wir, er könnte seine
«Fallgesetie* entdecken. Wir denkenden Menschen begehen
oft den Fehler su meinen oder wenigstens sn sagen, der
Stein falle nach diesen Gesetzen, das heisst doch wohl der
Fall sei die Folge der Gesetae. Aber die Oesetae sind doch
nur daa Spatere, die Formel Ab Gehirn denken wir daa
Striktere, die Formel, als Körper - thnn wir das Frühere. Wir
fallen und sind schwer.
So wenig aber als die Fallgesetse jemals Einflnss ge-
nommen haben auf daa Fall eines Körpers, so wenig be-
kümmern unsere Denkgesetae das Denken. Nur wenn es
einen Gott ^be und wir könnten uns ihn so schulmeister-
lich denken, dass er erst die FaUgesetse nicht entdeckt,
sondern erfunden und danach das Sonnen- und Stemen-
systera gebaut hätte, nur dann wäre das Fallgesetz oder
die Gravitation der Grund des Falls oder der Planetenbahnen.
Und so wären die logiscLen Gesetze der Grund unseres
Denkens, wenn wir sie erfunden hätten anstatt sie zu ent-
decken. So schuhneistwlich ist aber nicht einmal der Mensch
gewesen.
Gtrude aus den geschulten Köpfen ist der Glaube an
den Wert der Logik am schwersten herauszubringen. Ein
verhältnismässig vorurteilsfreier Mann wie Friedrich Paulsen
kann gelegentlich da, wo er die Unhaltbarkeit des Atomis-
mus aus der Tiefe des Gemüts heraus darlegen will, den
ketzerischen Satz niederschreiben: „Die Zeit dürfte über-
haupt Torüber sein, wo man glaubte, mit logischen De-
monstrationen die Notwendigkeit dieses oder jenes Welt-
begriffs ausmachen zu können" (Philosophie 214). Wo es
sich aber nicht um einen Wolfborrfiti" hnTulolt, sondern
um eine Kleinigkeit wie den Begntf der Seelensubstanz, da
stallt Paulsen eine Behauptung auf, die eigentlich ver-
diente in eine tote Sprache übersetzt zu werden ( Philosoi)hie
375): „Man kann zwei Arten von Denknotwendigkeit unter-
scheiden; die echte oder logische und die falsche oder
Digitized bv Coo<?lc
Denl^eMtse.
275
psychologische." Die unechte oder psycholocrische Not-
wendigkeit entsprinsfe au«? der Gewöhnung. Weiiii Panlsen
uns nur saET^^n wfilltt , ^vln ;uis dii' echte oder logisi hf^ Sotr
weiidi^^ieit entspringt'^ .Was wir oft oder immer sehen,
hören, denkon . erscheint uns zulet/.t als notwendij^. sein
Gegenteil als unmugiicli." Ganz richtig; nur dass diese vor-
treffliche Erklärung der Denknotwendigkeit auf alles logi-
sche Schliessen j>asst, welches für uns ja nie etwas Anderes
ist als das rückwärtsgehende Aufdröseln eines durch In-
duktion gewonnenen Begrißs. nichts uls Anwendung einer
angewöhnten Klassifikation. Alles Schliessen , alle soge-
nannte Denknotwendigkeit ist psychologische Thiitigkeit; die
rein logischen Akte wären eben psychisch ohne Psyche.
£s ist eine bekannte Beobachtung und ich habe sie zu
Zeiten nervöser Ueberreizung oft und stark an mir selbst
wahrgenommen, dass in der gleichen Angelegenheit vor
l^flch «»n Paariger, naeh Tisch ein hefriedigender Ausgang
iDr wabracheunlich oder sicher gehalten wird. Nun besteht
die DenkÜiStig^eit einer solchen Annahme ans Vorstellen
und Schliessen. Wir stellen uns bei gut genährtem KOiper
die günstigeren Thatsachen vor, das heisst wir erinnern uns
leichter das heisst bequemer und lieber an die günstigen
Schlrowglieder als an die ungOnstigen. Wer das Ar mate-
rialistiflch hidte, der übersihe, wie ich gerade alle Logik
unter die Psychologie bringe. Wenn anders Kritik der
Sprache die einzig mögliche Erkenntnistheorie ist und dann
auch die einsig mögliche P^ehologie.
*
Man bietet gewöhnUch Schulbeispiele, wenn man die
aUe lichre vom Begriff, vom Urteil und vom Schlüsse schul-
gerecht vortragen wilL Ich will von einem Satse ausgehen,
den ich ehimal von einem Wiener Komiker hörte.
«ehester cheese, dös muss a Kas sein, weil^s unter
KSse steht so sagte der Hanswurst und alle Zuhörer
lachten und ich musste noch Jahre später lachen, so oft
ich auf einer Karte Ghester cheese fand.
276
1. Begriff and Wort.
Es steckt in dem Satze eine Fülle von gutem Humor.
Man muss lächeln, weil der Hanswurst, der eine so feine
Speisenkarte liest, ihre Ausdrücke nicht versteht. Man würde
also schon lächeln, wenn er einfach sagen würde: «Chester
Tschehse? Was ist das?*
Man muss laut latheu, weil der Hanswurst ganz richtig
hochdeutsch „Käse* vorliest, aber dann ganz gemütlich bei
seinem mundai-tlichen „Kas" bleibt. Diese Verbindung von
falschem Englisch, von natürlichem und geschraubtem Deutsch
wirkt stark komisch.
Die ganze Wucht des Spasses scheint mir aber doch
daher zu kommen, dass der Hanswurst eine Selbstrerstind-
lichkeit mit dem ganzen Aufwand logischer Worte darlegt.
Der Hanswurst will nach Tisch einen E&se essen. Er
würde zu Hause »an Kas* Terlangen und die Frau wttrde,
je nachdem, ihm einen Quargl oder so etwas bringen. Im
feinen Restaurant Bndet er auf der Karte anstatt eines
«Qaargls* zehn Arten Eise. Damit eifUirt sein schlichter
Wunsch eine Hemmung, der Hanswurst kommt zum Be-
wussfaMin, das heisst zum Wort oder zum Denkm und sucht
sich diflcursir, eben in seinem Satze, klar zu machen, dass
das ihm bisher so unbekannte Wort «Chester cbeese* auch
so etwas Gutes wie ein »Kas* sein mtlsse. Er denkt und
spricht Ttälig logisch und das eben ist so unwiderstehlich
komisch.
Mm ordne nur ein wenig die Begriffe und man wird
sofort sehen, dass der Hanswurst einen musterhaften Schluss
nach der Figur Barbara gezogen hat.
Major: Jeder vEäse" ist (nach allen meinen bisherigen
Erfahrungen schliesslich doch auch) «a Kas*".
Minor: (dieses merkwürdige, unaussprechliche Tier)
ehester cheese ist (gewiss, da doch auf Speisenkarten
Verlass ist und der Kellner ein emster Mensch zu
sein scheint) ein Käse.
Conclusio: Also ist Chester cheese (.Tschehse) ein Kas.
Wobei ich bemerke, dass der Schluss sogar mit apodikti-
scher Qewissheit auftritt; „es muss a Eas sein;" femer
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Begriff und Ding.
277
dass mein Hanswurst mit seiner Psychologie den Minor
nicht so ausdrückt, wie ich ihn eben formuliert hahe, son-
dern — als ob er mir zu Hilfe kommen wollte — : Chester
cheese heissf Kllse. gehört unter den Gattungsbegriff Käse,
»weil's unter Käse sfrht."
Was kann uns nun die Wissenschuft des Denkens, die
Logik, von dem Stückchen Chester erzählen, welches dem
Hanswurst vorgesetzt wird? Oder auch von dem gedachten
Stückchen, welches er bestellt hat? Nichts. H( iiie Stücke
gehören in die Psycholugie, wo dann dus Bestelite wohl ein
.Bri^^-iÜ*, das Gebrachte wohl cme , Anschauung" heissen
wird. Und ich wül nicht vergessen, daran zu mahnen, dass
selbst Psjthologie eigentlich n\ir d&a ist, was die Physio-
logie noch nicht weiss und wofür wir uns darum mit blossen
Worten begnUgen mtJssen. Psychologie ist die Metaphysik
der Physiologie, die „Metapiiy Biologie möchte ich sagen.
Das wirkhehe Stückchen Käse, das jedermann ein ,Ding*
nennen würde, ist also eine Anschauung; ich brauche nicht
zu erklären, dass wir eben vom Wesen dieses Dings, von
dem, was in ihm oder hinter ihm steckt, von seinem »Ding-
an-sich* nichts wissen, nichts andres, als was uns durch
unsre Sinne darüber in ihrer Sprache mitgeteilt worden ist;
wir wissen von keinem Ding etwas andres, als was wir als
Schwere, Winne, Ausselm, Schall, Geruch und Oeschmack
etwa fiher es eMam hahen. Wir wiesen schon: Suhatan-
tire sind die Ursachen adjektivischer Sinnesdaten. Für
das tigliche Lehen genügt es anch rollkomnien, wenn wir
den Anlass dieser Sinnesonpfindungen, solange er im Be-
reiche der Sinne ist, ein »Ding* nennen und den Anlass
dadurch von der Nachwirkung dw Empfindungen seihst
unterscheiden, die wir eue j^rinneruikg nennen. Das hindert
jedoch nicht, dass auch das Ding, der wirkUche ESse, im
Grunde ehen nur unsere Anschauung oder Vorstellung ist
— es wSre gani willkflrlich, zwischen diesen heiden Worten
SU entscheiden — das heisst eine psychische Handlung.
Diese psychische Handlung kann entweder ein sogenanntes
Einzelding hetarefPen und zu einer EinzelTorsfceUung führen,
278
I. Begriff and Wort.
oder Begriffe bilden, dns heisst Erinnot inu^ru an ähnliche
Einzelvorstellungen durch ein Wortzeiclien zusammenfassen.
Das Wortzeichen für ein Einzelding pflegt mau auch nicht
gern „Begriff* zu nennen, weil das ftlr die Logik unbequem
wäre. Ich sehe aber nicht, wie man dieses hier aufgetragene
Stückchen Käse, wenn man sich nicht damit begnügen will,
mit dem Finger daraut zu zeigen, anders als durch Begriff
bezeichnen soUte; freüich, weil es ein bestimmtes Emzei-
ding ist. gerade durch mehr als einen Begriff.
Gleich an der Schwelle der Untersucliung wiril nun
klar, dass die Sprache mit ihren Worten nicht einmal die
Einzelvorstelluug genau bezeichnen kann, wo sie nicht etwa
durch Eigennamen den Gewaltstreich macht, alle unsere Er-
innerungen an ein Einzeldiug zusammenzufassen, so schein-
htff sehr genau zu sein, aber eigentlich jedes begriffliche
Denken aufzuheben. Wenn jedes Einzelding auf der Welt
(jedes Tiermdividttum, jedes Pfianzenhidinduimi, jedes Saod-
kom, jedes Blatfc Papier und jeder Tintentropfen) seinen
Eigennamen hStte, so gibe es keine Sprache mehr. Bas
vom KeUner gebrachte Stückchen Chester, das je nach dem
zufälligen Handgriff der «kalten Mamsell* in GrOsse, Format
u. s. w. 80 oder so ausfallen konnte, weist der ungezogen
deutende Finger Tid bestimmter, als es ein langer Satz zu
beschreiben Termag.
Einzel- üebrigens ist sogar der Begriff «Einzelding* selbst
schwer zu bestimmen. Ist der FOtus im Mutterleil) ein
Einzelding oder nicht? Ist die Rose am Stock ein Einzel-
ding? Rudolf Yirchow, der das Individuum definiert als
«eine einheitliche Gemeinschaft, b der alle Teile zu einem
gleichartigen Zwecke zusammen wixken oder nach einem
bestimmten Plane thätig sind*, wird wohl jedesmal den
Weltbaumeister, den lieben Gh>tt (ohne den von objek-
iiven. Zwecken nicht die Rede sein kann) zur Entscheidung
bemühen mttssen, und auch dann noch schwerlich zu einer
Entscheidung darüber kommen, ob «Fruchtabtreibung* als
Unrecht gegen die Frucht oder gegen die Mutter auf/.ufassen
und zu bestrafen sei. Auch Sigwart kommt bei der Frage
EiniwWiiig.
279
nach, dem IndiTidualbecrriiF über die i rage nach Form oder
Zweck nicht heraus. Ein Käselaib wäre dnreb soith 1 i)rm
ein Individuum, ein Tier durch die Zwerkln z:ehuiif»'eu zwi-
schen den Teilen und dem Ganzen. Schon. Wird aber das
abgeschnittene Stück Chester nicht auf dem Teller des
Kellners zum Einzelding? Gar sehr! Und wenn , wie bei
vielen niedeni Tieren, das durchschnittene Individuum in
zwei Exemplarou weiterlebt, wie dann?
Man hätte sich die klugen Köpfe nicht so sehr über
diese an der Schwelle stehende Frage zerbrochen, wenn man
gefühlt hätte, wie thöricht die Sprache auch hier ist und
wie wir die Narren der Sprache sind, weil wir jeden Wider-
sinn ihrer Hilflosigkeit lur Tielsnüi nclunen. Mir scheint
die Lösung so zu liegen: Wir wissen alle immer ^unz genau
(im alltäglichen Leben), welcher Anschauung ( welchem Ding)
wir das Prädikat , Einzelding" oder „Individuum* beilegen
sollen. Greifen wir aber nun den Begriff „Einzelding" oder
«Individuum* heraus , maehen wir ihn zum Subjekt und
fragen wir naeh seiner Definition oder nur nadi seinem
Pr&dikat, so stellt es sich heraus — wie immer — dass
wir redenden Menschoi prftdizieren, aussagen, ohne uns
etwas Klares dabei zu denken, das heisst ohne etwas Klares
zu sagen. W&hlen wir nun statt »Einzelding* oder »Indi«
viduum* den Begriff „Eiinheit*, so wird uns die mytiien-
hildende Silbe ,-heit* sofort Termuten lassen, dass wir es
mit einem Wortfetisch, mit einem unvorstellbaren Abstrsk-
tum, mit einem Itrwisch zu thun haben. Sagen wir aber
«Einheit*, so «rfahren wir auch, warum der Begriff so un*
klar ist. Weil »Einheit* ein Maas ist, also der subjektivste,
momentanste, wechselndste aller Begriflb. Von der Baum-
einheit hing es ab, ob wir uns unser Sonnensystem auf das
Mass eines Moleküls bringen, ob wir uns die Mfleke zum
Elefanten machen wollen, von der Zeiteinheit hingt es ab,
ob das Leben tasm Eintagsfliege lang oder die Periode bis
zum dereinstigen Zusammenfallen von Erde und Sonne kurz
genannt wird. Das Stflckchen Chester ist eine Einheit flir
Wirt, Kellner und Qast, das BrCckchen Rinde, das herunter*
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280
I. Begriff und Wort.
lallt, ist eine Kinheit für die Milbe darin und für das Huhn,
das es eben aufpickt; der Käselaib, von dem sie es abge-
schnitten Iiat, ist neben andern Käsen eine Einheit für die
„kalte Mamsell" ; das Öchirt', das diesen Käse mit underu
herüberbrachte, ist eine Einheit für seine Interessenten; die
Käsefabrik in Cheshire ist ein Einzelding neben andern
Käsefabriken von Cheshire; der Fabrilcaufe ist an IndiTidnuiii
für Beine Interessoifceii, gewiss, aber nieht für den einzdnen
SchwindsuehtsbudUus in aeinw Lunge; die GnlsdiaftGhe-
Bbire ist ein Indiyiduiim f&r den kranken Fabrikanten und
seine ICtbflrger; England ist ein IndiTidnom — solange es
als Einheit existiert; die Erde ist ein IndiTidunm, solange
sie nicht in die Sonne lurfldq^estQnt ist, die Sonne, so-
lange sie nicht wieder aufgegangen ist in ihrer Zentrsl-
sonne — wie die Milbe im Bröckchen des ESsestitckchens
ein Einzelding ist — solange irgend jemand ein Literesse
daran hat, sie sprachlich als Eins au fassen (III. 148 f.)«
Au Die landl&ufige Psychologie unterscheidet so sehr zwi*
•d^a&g gßjjgn Anschauung und Wort, sie sieht zwischen beiden eine
Woft. so breite Leere, dass sie noch das Gespenst „Bogriff* swi»
sehen beide schieben kann. Und so haben wir uns gewdhnt,
die Anschauung , Palme* vom Wortschall «Palme' zu
trenne und an glauben, es sei nicht dasselbe. Es ist aber
nur eine Nuance zwischen Anschauung und Wort, und selbst
diese Nuance erscheint erst, ja entsteht erst beim deutlichem
Hinblicken.
Man sollte Anschauungen nur diefeniii^en Wahrnehmun-
gen nennen, die noch nicht Begriff sind, weil sie zum
erstenmal da sind. Wer zum erstenmal eine Palme sähe
(das ist für Kulturmenschen fast eint- Fiktion , weil wir
schon als Kinder Abbildungen und exotische Exemplare ge-
sehen und benannt haben), der hätte eine Anschauung, vor
dem Begiiff oder Wort, avnnt la lettre. Ebenso wer als
Erwachsener etwa Trum erstenmal (ohne je davon reden
gehört zu habend den Donner hörte. Ebenso ein ^eger,
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AnBchauun^ imd Wort.
281
der — unvorbereitet — bei uns zum erstenmal Eis fühlte.
Das sind reine Anschauungen, die von uns aber sofort in
nnserm geistigen Emheits- und Hamuniisierungstriebe kkssi*
flsiert wurden. Der Keger wOrde vielleicht als «gelhtrenes
Fener* kkssifisieren. Gewöhnlich hat aber die Menschheit
ISogst klassifiMcri und auf jedes «Was ist das* der rer^
wunderten ersten Anschauung antwortete die Sprache oder
eine Sprache: Der und das« So lernen wir spredien, auch
nach der Kindheit.
Ist aber die Anschauung erat durch ein Wort dem 6e-
dichtnis eingeheftet (hat z. B. das Kind sprechen gelernt),
so haben wir keine Anschauung, keine Verwunderung mehr.
An einem Pferd auf der Strasse gehoi wir meiBt Torüber,
ohne auch nur das Wort gegenwärtig sn haben, geschweige
die Anschauung. Ein selteno^s INi^, etwa eine Palme
oder ein Löwe, wird uns schon das Wort auf die Lippen
und Anschauungen vor die Seele bringen.
Erst wenn das Ding unsere Aufmerksamkeit reizt, wenn
der Maler den Ldwen oder die Palmen malen will, wenn
Kunst oder Interesse die Blicke spannt, dann entsteht
etwas wie Anschauung auch apres la lettre (I. 113).
Die uralte Annahme, dass wir unsere Begriffe oder Abs-
Worte von den Dingen „abstrahieren", ist grundfalsch. Wenn
der Begriff »Baum" so gebildet würde, dass ich z. B.
von allen Bäumen, die ich je gesehen habe, dasjenige ab-
ziehe, abstrahiere, fortlasse, was jedem Baum individuell
ist, so würde als platonische Idee, als Begriff ^Baiim* etwas
völlig Leeres übrij^ bleiben, der Schatten eines Hohlgefasses.
Der Weg ist gerade der umgekehrte. Zuerst mag der Be-
griff „Baum" oft eine Art Eigenname sein. Der grosse
Nussbaiim 2. B. , der allein und einsam liinter dem Hause
des Onkels stand, war mir Baum. Dann kam es, dass ich
hurte, da.ss auch Tannen, Kirschen, Föhren u. s. w. Bäume
genannt wurden.
Abstraktion ist also jeder Begriti, das heisst jedes Wort
nur insofeiii, als ich von den wahrgenommenen Eigenschaften
die widersprechenden übersehen muss , um nur irgend etwas
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282
I. Begriff und Wort.
festiialten zu können. Wie billige fertige Kleider ans einem
Eonfektionsgesdifilt, so passen die Worte oder Begriffe auf
die Dinge ihres Umfanges. A peu pr^ Oder wie die
Uniform emem Regiment Soldaten. Von weitem sieht es ja
naeh etwas aus; aber jeder einselne Kerl ist wUecht ein-
gekleidet. Auch die fertigen Worte passen niemals.
AsA-b. Darum gilt auch der IdentititBsais «A gleich A' nur
für die Idealwelt der mathematisoken Wirklichkeit, die wir
nicht kennen und nicht aussprechen können; in der Welt
der Sprache, das heisst in der Welt der Seele ist A nie-
mals ganz genau A. Wenn wir sprechen und das Wort
„Baum" gebrauchen oder das Wort , Mensch so ist das
Wort immer da sofort unzuyerlässig, wo wir etwas aus A
gleich A schliessen wollen. Wenn wir wissen wollen, ob
eine totgeborene Menschen inir Iii ohne Kopf ^ein Mensch*
sei, das heisst heissen «dUife" oder nicht, so fängt der Be-
griff sofort zu pendeln an und nicht von der Bedeutung
hängt unsere Entscheidung ab, sondern von der
Entscheidunf^ die Bedeutung. Nicht der Schhm
folgt au.s der Definition , nein die Definition folgt innerlich
dem Schluss, den wir ziehen wollen. So kann im Denken
recht gut der Satz möglich werden
A = A - b,
wobei b eine diskrete Grösst^ ist. Wenn ein Zwischenglied
zwLschen Mensch un»i Arte aufgefunden würde, der Anthropo-
pithecus, so könnte ev recht gut ein Mensch genannt werden,
ein Mensch ohne Sprache, A — b.
Alle diese unilten Streitigkeiten über das . was etwas
ist, werden natürlich sinnlos, wenn man richtig fragt, wie
etwas heisse. Und die tiefsten philosojihischen Fragen
würden herabsinken zu Fragen des Sprachgebrauches.
Dabei darf nie vergessen werden, dass Seele, Bewusst-
sein nichts ist als unser bescheidenes Gedächtnis, dass also
die merkwürdigste Eigenschaft unserer Worte, ihie grosse
Bequeralichkeit, leieht sn erklaren ist. In der Seele ist
nicht nur oft A = A — b, sondern es ist alltäglich, dass wir
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Abttraktion.
283
in der , Seele" A = — A setzen können. Denn Jas ist
es doch, wenn ich weiss oder sage, dass diese Scherben
gleich seien dem Torhin in der Hand gehaltenen Topf.
Die Schnoben sind aus dem Topfe (»geworden*. Die Blume
«wird* ans dem Samen, das LeVen aus dem Tode, der Tod
aus dem Leben. Die Copula «wird*, die A und — A bindet,
wire ebenso wie die Copula «ist* besser dareb ^beisst* zu
enetsen.
«
Von weloher Seite immer man die Bildung von Be-
griffen beobacbtet, immer wieder erweisen sieb Begriffe ak
reine Bequemliohkeiten der Sprache, ab künstliche Zeichen,
die TorUlufig nur in ihrtti unteraten Arten, und da nur soso,
der Natur etwa entsprechen.
Jedes Wort wird indubtiT gebildet Selbst die kleine
Zahl der Planeten unserer Sonne stand nicht immer feet;
es gab das Wort Planet und man wusste nicht, ob es flir
Hlnf oder zehn Indiriduen galt. Die Qattung^sbezeichnnng
«meine Kinder'' steht nicht fest. Wie erst bei Worten Ton
grossem Umfang!
Da ist es nun einfach, unwahr, dass wir von allen
Fischen z. B. die gemeinsamen Eigenschaften abstrahieren
und dann im Begriff ^Fisch" vereimgen. Dazu mussten
wir den Begriff , Fisch" schon vorher haben. Es wieder-
holt ."^ich da der Grundirrtum aller formalen Logik, dass sie
die Entstehung des Begriffs im Kopfe des Schülers mit der
Entstehung im Menschengeschlechte verwechselt. Ebenso gut
könnte man bei der Entstehung de.s Spitzbog^ens unsere ganze
g^enwartige Entwickelung der Baukunst voraussetzen.
Im Menschengeschlecht hat sich der Begritt" Fisch nicht
einmal so gebildet, dass es viele Tiere im Wasser leben
sah, nun ihv»» 'jf«^m pinsamen Kennzeichen untersuchte und
nach diesen Keunzeichen zum Begriffe „Fisch" kam. Nicht
einmal ilas Kennzeichen, dass diese Tiere durch Kiemen
atmen, ist so alt, wie die Begriffsbildung , Fisch". , Fisch*
war ganz pöbelhatt, was im Wasser lebte und so ungefähr
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284
I. fiegriff und Wort.
aussah wie ein Hecht oder Karpfen oder was sonst der
Gtattimg das Bild gab.
Kun kamen nach und nach die aufmerkaaman Augen
und untersuchten und wünschten eine natnrgemSsse Klassi-
fikation KU sdiaffen, die alle Fiache umachloss. Ist diese
BegrüFsbildung heute ToUsogen? Durchaus nicht.
Han hat kfinsÜidi d«i B^riff Säugetier geschaSbn
und die Walfische unter sie gereiht. Wer aber kann sagen,
oh das »Säugen* ein wesentlicheres Kennzeichen sei, als
das .im Wasser leben* P
tfan hat die Gruppe der «Bundm&uler* geschaffen und
die Neunaugen durch sie der Abteilung der Fische ent-
sogen.
Immer war der Vorgang so: Han sah, dass Hechte,
Barsche, Aale u. s. w. im Wasser leben und auch in ihren
äussern und innem Formen Aehnlichkeiten haben. Da
glaubte man, sie wären einander durchaus ähnlieli und be-
nannte sie mit einem gemeinsamen Namen: Fisch. Nun
zog man lustig ganz wichtige Schlüsso. Der Walfisch ist
ein Fisdi, also wird er wohl durch Kiemen atmen. Die
Neunauge ist ein Fisch, also wird sie wc^ . . .
So oft nun ein solcher Schluss, der um nichts schlechter
war als irgend ein anderer unserer Sprache, sich nach einer
neuen Beobachtung als falsch erwies, wurde instinktiv die
Sprache daflir angeklagt; man erkannte den Fehler der
Sprache, ohne freilich zn ahnen, dass es eben zugleich ein
Fehler des Denkens war. Der Begriff Fisch wurde ad hoc
neu definiert und das lustige Schliessen konnte wieder von
vom anfangen.
fie^ffs- Es hängt aufs enL>te mit der Uebersciiiitzmi'^ der Logik,
zusammen und ist gewiss eine ihrer letzten Ursachen, dass
man den Regrifi' bald aui' seine psychologische Entstehung
hin, bald auf seine logische Analyse hin betrachtet hat und
nachher gewaltsam das Psychologische in das Logische ein-
ordnen wüUte, dass man glaubte den Begriff oder das Wort
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Begtüiniiiifaiig md •inhalt.
285
wie ein mathematisches Zeichen gebrauchen zu können. Die
Untrllglichkeit der Mathematik beruht darauf, dass ihre
Zeichen eindeutig sind und sonst überhaupt keinen Sinn
haben; der Trug der Sprache beruht darauf, dass die Worte
iin Verkehr immer noch ä j)eu prfes gebraucht werden können,
wenn sie auch jedem Einzelnienscheu ein bisschen was an-
dres bedeuten.
Der Begriff oder das Wort ist nämlich psychologisch
aui dem Begnffsumfang entstanden; das Wort ist fUr jeden
VolkflgenoBBen ein ÄBsodationsasentnmi nur ftr dm Umfang,
den er kennt. Dabei kann es reckt gut zugegeben werden,
dass grosse Gruppen eines Volkes, je nack Laadscfaaft,
Woblstand, Bildungsgrad, BeschSftigUQg n. s. w.. Aber den
Begriflfoinkalt einig an sein glauben oder es auch wirkHck
sind, so weit die Worte die gleichen sind, die den Begfi&-
inhalt bilden. Aber jedes dieser Worte geht p^chologisdi
wieder auf seinen Umfang zurück, der fllr jedes IndiTidunm
ein anderer ist. So ist zuletzt auch die Uebereinstjmmung
Uber den Begrif^nhalt nur ein Schein; Ober den Begrifb^
umfang sind aber sicherlich nicht zwei Menschen einig, mag
der B^priff nun so konkret sein wie ein Kalb oder so
abstrakt wie gut und bdse. Dass die Menschen sich trotz
der durchgehenden Ungleichheit ihrer Begriffsumfange und
der nur scheinbaren Gleichheit ihrer Begri&inhalte durch
Sprache dennoch so weit Terstftndigen können, als etwa die
groben Zwecke ihres Zusammenlebens yerlangen, ist viel-
leicht der schlagendste Beweis daftlr, dass es in der Wirk-
lichkeitswelt irgendwo und irgendwie eine geheimnisTolle
Harmonie gibt, die weder in den Sinneswahmehmungen noch
in den Erinnerungen und »Abstraktionen* der Menschen ganz
verloren gehen konnte.
Die Einsicht, dass der sogenannte Be^ff nichts weiter
ist als der Associationsbereich des Wortes, dass das im
Lexikon so fest umrissene Wort in der psychologischen
Wirklichkeit für jeden Menschen einen anderen Associations-
bereich besitzt, müsste genügen , imi die Wertlosigkeit der
formalen Logik — und eine andere gibt es nicht — ■ zu be-
Digitized by Google
286
I. Begriff und Wort
weisen. Die Logik iini uur dann einen Wert, wenn ihre
Zeichen oder Begriflfe eindeutig sind. Das ist aber bei der
Entstehung der Begriffe oder Worte gar nicht ausgemacht
worden, wenn ich so sagen darf, während es bei der Er-
findung der Mathematik wohl ausgemacht worden ist. Die
formale Logik ist nur dann wertvoll, wenn die Begriffs"
inhatte ihren Begrifißsumfihigen absolut genau entsprechen,
des heisst wenn es allen Menschen gemeinsame abstrakte
Begriffe gibt. In die formale Logik kann ein Begriff eigent»
lieh erst eingehen, wenn er vorher abstrakt geworden ist
Abstrakt ist aber immer nur der kOnstlich gebildete Be-
griffsinhalt; der Begrififoumfaog oder der Assoeiatioosbereich
des Begriffs ist immer konkret. Und mit diesem einrig
Wirklichen am Begriff kann die Logik als mit etwas Kon-
kretem nichts anfangen. Man könnte die Sache auch so
ansdrflcken: alle logische Deduktion irilre richtig, wenn auch
nicht gerade fördernd, falls die Begriffe durch eine voll-
stftndige Liduktion entstanden würen; aber eine ToUstaxidige
InduktiiHi gibt es nicht,
ud Die Einsicht in diese psychologische Thatsache konnte
durch Jahrtausende zurückgehalten werden, weil auf der
einen Seite das Volk stand mit seinen konkreten B^friffien,
mit seinen Begriffsumfängen und gar kein Interesse nahm
m den abstrakten Begriffsinhalten der Wissenschaft, weil
anf '\vT anderen Seite die Wissenscliaft stand mit ihren
abbtrakten Definitionen und Begriffsinbalten und von der
konkreten Yülk«:sprnche wenig Notiz nahm. Als im abend-
ländischen Mittelalter gar noch eine tote fremde Sprache das
Ausdrucksmittel der Wissenschaft wurde, da konnte das
Entfrcmdungsrfosphnft zwischen Begritisunifang und Bepritt's-
inhalt ganz ohne Störung bet'ieben werden. Innerhalb jeder
einzelnen Wissenschaft, namentlich innerball} der Geistes-
wissenschaften, konnte die Logik siegreich scheinen, weil
man vorher Sorge getragen hatte, jedes Wort zu i niem
technischen Ausdrucke zu machen, jeden Begritl" auf seinen
Inhalt hin zu definieren und sicli ko ein abstiakt^'s, für die
logische Thätigkeit brauchbares Worigebiiude zu schaffen.
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Begriff*.
287
Als dami uncrffHhr zur gleichen Zeit die Naturwissenschaften
und die Volks-.]>i aciien ihre Rechte forderten, da niusste es
sich herausstellen, dass die wirklichen Begriü'e der Menschen,
als auf ihren Begriffsunifiingen beruhend, die schönen De-
finitionen nicht zuliessen, und so wird nacii jahrbimderte-
langeni Kampfe die alte Logik dortbin gehen müssen, wohin
das vermeintliche scholastische Wissen und die tote Sprache
des scholastischen Wissens gegangen sind.
So schwer es bei dieser Säuberung halten wird, die .Begrir.
Lelmworto riditig zu bebandekif die aus der tote Sprache
in die unaere Qbergegangen sind, ebenao schwer wird es
setn, die eigenen Worte Mucumersen, die lur Vermeidung
▼on Lebnwortoa als UebeisetKungen teehaisdie Bedeutung
bekommen haben. So ist das Wort Begriff eine in ihrer
Axt gans hUbsche IFebersetswig des lateinischen Wortes
conoeptns. Es ist als tenninns technicus noch kaum awei*
hnndert Jahre alt nnd einer der vielen FftUe, in denen swar
die Laute der Muttersprache beibdialten wurden und statt
eines Lehnwortes ein Lehnbegriff genügte; Ar unsere Auf-
fassung der Sprachentwickelung macht das kernen grossen
Unterschied, Wir mtkssen hdehstens sorgsamer darauf achten,
dass in der Entwickelung des Begrifb «Begriff* seit zwei-
tausend Jahren bei der üebmetznl^9^ aus dem Griediischen
ins Lateinische und dann ins Deutsche kleine Nuancierungen
mit verbunden waren. Namentlicli aber der grosse Um-
schwung der neuem Zeit ist an dem Begriffswerte des Wortes
Begriff deutlich su machen; was die Wertschätzung aller
Begriffe änderte, inu<;stc auch den „Begriff" ändern.
Bei Flaton, wo für Begriff und Wort nur eine Bezeich-
nung da ist, jedoch so, dass das Wort zum mystischen Be-
griff erhoben und nicht der Begriff zu der Wirklichkeit des
Wortes deifr9f]iert wird, ist natürlich nur der Begriff oder
das Wort (X070C! Gegenstand des Wissens: und das geht
weiter bis bei den Neuplatonikern schon (wie bei Hegel)
etwas wie eine Eigenbewegung der Begriffe gelehrt wird.
Der Beginn der neuen Zeit wird gewöhnlich mit Descartes
angenommen, der von den Begriffen Klarheit und Deutlich-
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288
I. ü^grifl und Wort.
keit verlangte; nur dass er nicht ahnte, wie Klarheit und
Deutlichkeit allen philosophischen Begriffen mangelt und
mangeln ntuss. In Wahrheit bricht die Neuzeit in aller
ISrkeotitmstheorie erst mit Iiocke an. In dem unschätebaren
dritten Budie seines Yerauchs hat er erkannt, daas es nnr
die Aehnlichkeit der Dinge ist, was in den Dingen den
Begri£Een entspricht; und mit einer genialen Vorwegnähme
der erkenntnistheoretisehen Bedeutung des Darwinismus fügt
er hinzu, «dass die Natur bei der Hervorbriugung der Dinge
manche einander Shnlieh macht, namentiich bei den Arten
der Tiere und aller durch Samen fortgepflanzten Dinge.*
Insofern also Worte oder Begriffe die Arten, Gattungen
u. 8. w. bezeichnen, mUsste die Sprachkritik weiter auf Onto-
logie surtlekgehen. Die Aehnlichkeit jedoch, sei es nun
natdrliche oder von mensddichen Zwecken eingegebene Aehn-
lichkeit, ist, wie wir weiter denken mOssen, nichts Wirk-
liches, sondern menschliche Thätigkeit, ist die Thätigkeit der
Vergleichun^. Begriffe entstehen nicht, \vie Kant gelehrt
hat, durch Vergleichung oder Abarten der Vergleichung wie
Reflektion und Abstraktion, sondern sie sind die Akte der
Vergleichung selbst. Im Gegensätze zu Hegel, weicher in
den Begriffen th&tige Wirklichkeiten sah, was oft genug
zu rückg-e wiesen worden ist, sehen wir in den Begriffen blosse
Thätigkeiten also Unwirklichkeiton, was vortrefflich dazu
stimmt, dass wir in der Sprache nichts Wirkliches erblicken.
Und wir haben gesehen (I. 393 f.), wie gefährlich die
Thätigkeit dc«^ Vcrgknthens für Sprache und Log'ik werden
musste. Die Sprache Kver*" gleicht, was nur ähnlich ist.
m
Art- Wir haben also gesehen, dass das Einzelding oder
begriffl Individuum eigentlicli mit der Sprache noch gar nichts zu
thun habe. Das Stückchen Chester auf dem Teller kann
der Mensch mit dem Finger besser deuten, es deutlicher
inacli»Mu als mit den Worten seiner Sprache, und könnte
er >vie Zola eine Käsesyniphonie schreiben. Ich sehe auch
nicht ein, inwiefern das Tier ein Einzelding weniger gut
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Artbegrifi:
289
wahrnehmen soll als der Arm^ch; ob «U^r Mensch das Einzel-
ding, dieses Stückchen ehester auf seinem Teller, mit dem
Messerchen oder mit Worten fasst, ob der Hund es weniafer
wohlerzogen unmittelbar mit den Zähnen packt, ist ein* ilei.
£inzeldinge und Eigennamen sind etwas vor der Sprache.
Was der Kellner seinem Gast gebracht hat, das ist ein
Einzelding, auch wenn er dabei z. B. zufilllig pcsapt hat:
„Em ehester." Dasselbe Wort war aber »mh Artbegnll. als
der Kellner durch das Schiebefenster in die Ivilche hinein-
rief: , Einmal ehester!* So kann in der entwickelten Sprache
jeder Eigenname zum Artbegriff werden; ich kann sagen:
«Die Goethe sind selten, die Meyer sind häufig." Aber
äiase Bameikqagt ebenso wie der Hinweis, wie am dem
Eigennamen der Gmfecliaft Gheeliire ein Artbegriff Ton Eltee
wurde, würde mich hier Ton meiner Angabe ablenken.
Ich will hier leigen, dass die Begriffe oder Worte — wie
sie ans anderen Qrttnden den Einaeldingen gegenüber im
Nachteil sind im YerhftUinis sor Anschaunng — auch für
Gruppen fthnlidier Dinge, für Arten, also fOr das, was sie
eigentlich beaeichnen wollen, nur unbestimmte Erinnerungen
geben. Und ich will neboibei seigen, dass Begriffe oder
Worte noch ganz und gar in den Bereieh der Psychologie,
das heisst filr mich der Metaphysiologie, fsllen und fUr die
sogenannte Logik nur Gegenstlnde einer geistrmchen Spie-
lerei sind.
Gerade mit dem Begriff ,Chester* wttrde sich die schul-
mlarige B^iffslehre ordentlich abquftl^ mflssen, besonders
in unserem Falle. Der Gast, der das unverstandene Fi emd-
wort auf der Speisenkarte gefunden und ans der Ueber-
schrift der Rubrik die unklare Vermutung geschöpfl^ hat,
es werde wohl eine Unterart von Käse bezeichnen, dimer
logisch denkende Gast hat den Begriff nicht — wie die
Schule lehrt — von Einzelvorstellungen abstrahiert, sondern
hat zuerst das Wort gelernt, dann erst durch das Stückchen
Käse eine neue Vorstellung dazu gebildet: elno gewisse
Farbe und Struktur, ein gewisser Geschmack und Geruch
heisst ihni von da ab „Chester'', wenn er den neuen Begriff
Maathaer, Beiträge zu einer Kritik der Spraehe. ID. 19
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290
L Begriff and Wort.
fleisöiu: einübt; aber auch dann bleiben die Vorstellungen
unklar und wenn er sich nicht zum Fadiniann ausbildet^
hier zum Feinschmecker also, wird er den Chester von ver-
wandten Küstn nicht unterscheiden können. In ähnlicher
Weise hat bei Bigiun .seiner Liiul'bahn auch der Kellner
den Bef^ritf Chester erworben. Und in ähnlicher Weise
haben wir alle die Hauptmasse unserer Begrifle oder unseres
Sprachschatzes von Eltern und Lehrern zuerst gelernt und
was erst nachber mehr oder weniger anschaulich gemacht-
Ith lasse es dahingestellt, ob das Kind nicht alle seine
Worte, auch die Beaaidmungen der sUtftglichsten and an*
schaulichsten Dinge (wie s. B. Müch, Hund, Baum) in Ihn-
Udler Weise lernen muss. JedenfaUs ist es ja — wie ge-
sagt — falsch, wenn das Festsetsen von BegrüFen in unserem
Qehim allgemein auf eine Abstraktion zurUckgefllhrt wird.
Denn selbst der höhere Artbegriff ,Ettse* ist in unserem
Gast nicht so entstanden, dass er suerst Schweiler, Lim-
burger, Hollander u. s. w. als ünterbegriffe kennen gelernt
und dann eines Tages die philosophische Erleuchtung ge»
habt hat, diese seine »BegrifEe* hätten neben gewissen
Untwschieden «idi gemeinsame Meifcmale und diese mttssten
durch ein neues Wort, den höheren Artbegriff, besonders
gemerkt werden. Umgekehrt. Mein Oast hat vielleicht als
Kind die Worte ,01mQtzer Quargl" und „Käse" als S3'no-
nyme gebraucht, hat dann erfahren, dass Ober dem Berg
auch Leute wohnen, die ähnliches Zeug essen, das sie Käse
nennen, und so ist er in seiner philosopliischen Begn&-
bildung fortgeschritten; und so ist die Menschheit in ihrer
Erkenntnis fortgeschritten. Es ist einer der folgenschwersten
Fehler der Schullogik, dass sie unsere Begriffe oder Worte
durch Abstraktion entstanden sein lilsst. Das passt freilich
ganz mit auf die liebsten Begrifle der Schulloi^ik, wie: Sub-
stanz, bein. Denken, Wollen u. s. w. Aber ich habe den
Verdricht, dass säiutliehe durch Abstraktion entstandenen
Begritfe künstlich, mythologisch, unbrauchbar sind. Und
ich werde in dieser subjektiven Ueberzeugung nur bestärkt
durch die lachende Thatsache, dass solche abstrahierte.
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Artibegnft
291
küiistlithe Bei^riHe häufig hübsch klar und distiiikt sind,
sauberes Spielzeug für den Loy-iker. dass die natürlichen
(zuerst gelenitcn und dann duich Anwendung eingeübten)
Begriffe oder Worte immer unbestimmt, schwebend sindf
eine Verzweiflung l'Ur den Forscher.
Die grosse Arbeit der BegriflPsbildung ist mit logischen
Spielereien nicht zu fassen. »Schon Aristoteles (Analvt. post.
n. 19) hat doch wenigstens nicht ganz übersehen, dass das
Ge^htnis diese Arbeit verrichtet. Die landläufige Logik
kennt das Qe^iditnis gar nicht. Wir aber sollten endlich
wissen, dass alle Cleheimnlsse des Deokena gelSst wiren,
wenn wir das Oeheunnis unseres Gedächtnisses und dasa das
iinsem' Aufmerksamkeit erfahren lAttcn.
Wir sehen oft, dass die Sprache bei all ihrer Plumpheit
es doch Terraten kann, wenn man ihr Zwang anthun wilL
So ISsst sie sich*s auch nicht ohne Widerstand gefallen, dass
man sie sagen lässt, die aUgememe Yorstellang oder der
Begriff entstehen durch Abstraktion, durch Abziehung. Wir
brauchen das Fremdwort Abstraktion (das wieder eine
schlechte üebersetxung aus dem Griechischen ist) nur ins
Deutsche su überaetsen, um sa wissen, dass es eine Metapher
für eine unklare geistige Handlung ist. So schlecht ist das
Wort gewählt, dass man darOber streitet, was an den Vor-
steUungen eigentlich das Objekt des Abstrahierens sei. Vor
Kaat sagte man , man alwtrahiere die gemeinsamen Merk-
male der Vorstellungei' zu einer höheren Vorstellung, dem
abstrahierten Begriff, den man dann wieder ganz sprach-
widrig vom abstrakten Begriff unterscheiden musste. Kant
fühlte die Unwahrheit und lehrte dafür sagen, man abs-
trahiere von den ungleichartigen Vorstellungselementen.
Damit scheint er mir zugegeben zu haben (und sein Sprach-
gebrauch ist angenommen worden», dass die Schullogik in
der Begi-ifl'sbildung nur das \( gative beachtet, den Verlust
an Anschauung, das Verschwiirnnen und Verschwebeo, dass
sie mit dem Gewinn nichts anzufangen weiss.
Dafür, dass die Begritfe um so leerer werden, je mehr
fiinzelvorsteüUDgen sie zusammenfassen, dafür spricht der
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292
L Begriff und Wort.
ümfaog bekannte Satz der Logik, dass der Inhalt eines Begriffs um
so kleiner werde, je grösser »ein Umfang sei. Ick muss
dieeei A B 0 der Logik als bekannt Torausaelieii. Bs ist
ja auch klar, dass Tkr, Geld inhaltsleerer ist ab s. B.
Säugetier, Papiergeld. Nun ist es «bor merkwOrdig , dass
dieser bekannte logisehe Sati im streng logisehen Sinn gar
nicht einrasl wahr ist» Es sind hunderttausend neue In-
sektenarten entdeckt worden (der Umfang des B^giifiis ,In*
sekt* ist TergztaMrt worden), ohne dass sein I^dialt sich
▼erideinert h&tte, ohne dass man seine Definition hStte ein-
sehrinken mflssen. Und der Inhalt oder die Merkmals-
summe des Begriffs Flauet ut seit Kopemikus grosser ge-
worden, wShrend sugleich die Ansahl der Planeten sunahm.
So weit die Begel im logisehen Sinne richtig ist, ist sie ein
sineLerischw, geaerter Ausdruck für die wohlfdle Beob-
achtung, dass man für dieselbe Menge Geld weniger Säcke
brauche, wenn man grössere Sftcke nehme. Praktisch aber
ist die Regel richtig, oder sagen wir psychologisch. Die
Unklarheit, welche jedem Wortzeichen anhaftet im Ver-
hältnis zur Anschauung, steigert sich mit der Zahl der An-
schauungen und der Stufenreihe der Anschauungsgruppen,
die das Wort bezeichnen sollen. An dem einen Ende ruht
die Einzelvorstelluug , die vor der Sprache ist, an dem
anderen Ende gähnt der Abgrund der allgemeinsten Be-
griffe oder Kategorien, die jenseits der Sprache liegen
und nur missV)riiuchlich von künstlichen Worten mytho-
logisch vorgeätellt werden; zwischen diesen beiden Enden
schwebt die menschliche Sprache über der Wirklirhkeits-
welt wie ein Nebelduft, verschönernd und Hii (ii. n/i n auf-
lösend. Doch selbst diese aussersten Gegensätze niociite ich
nur relativ autgetasst wissen. Selbst das Tier , das sich
meist mit Einzelvorf?tellungen begnügt und so vor der
Menschensprache stelion geblieben ist, hat sein Gedächtnis
und damit eine Art Sprache; und selbst der Metaphysiker,
der jenseits der Sprache darüber nachsinnt, ob der aller-
höchste Begriff, ob die Spitze der Begriffs^»} raniide mit ,das
Sein'' oder mit aEtwa.s'' auszudrücken sei, selbst er ist noch
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W6MB«
298
nicht gmz und gar losgeldst um. der Wirklichkeit, Ton der
Anschauung.
£s wäre mir ein Leichtes, die Logiker mit ihren eigenen
Waffen zu schlagen und aus ihren eigenen Begriffen heraus
zu beweisen, auf Verlangen sogar mathematisch zu beweisen,
dass ihre obersten Bcgrifte leere Nullen sein müssen. Wenn
man sich nilmlich dadurch zu immer höheren Begriffen er-
hebt, dass man nacheinander die Eiii/.elvorstellungen unbe-
achtet lässt, da^s mRTi Tiacheiuan l( r von ihnen absieht, so
muss am Ende der Augenblick kommen, wo man auch von
der letzten Vorstelhmg absieht, um zum höchsten Begriff,
dem des ^jSeienden" zu gelangen. So kann man mit dem
beliebten Abstraktionsspiel von der Wirklichkeit, dem Stück-
chen ehester auf dem Teller, weiter kuiumeu: zu einem
Käselaib, zu Käse überhaupt, Milchwii-tschaftsprodukt, ani-
malischer Nahrungsstotf, Nahrung, organisierter Stoff, „Et-
was". Mathematisch liesse .sich das so ausdrücken, dass der
Inhalt eines Begriffs sich zu seinem Umfang verhält wie der
Zähler zum Nenner ; wird nun der Nenner unendlich gross,
soQ also der Begriff alles auf der Welt umfassen, dann
muss der Wert jedes Zfthlers im VerbUtnis snin ünendlichen
l^eieh Null werden; dar Lihalt toq Begriffen wie «Etwas*,
«Substanz*, «Seixi* u. s. w. ist also gleicb NulL
Wir lassen uns fiber diese Thatsacbe darom so leicht «WaMo*.
tftusohen, weil wir aueh für dieses Nichts Terscbieden klin-
gende Worte haben, welche historisch mit irgend welchen
Uenschen- und Weltanschauui^en zusammenlagen, so dass
wir irgend eine luftige Brücke zur WitklicbkeitBwelt immer
noch wahrzunehmen glauben. Besonders deuUich ist das
im Deutschen aufzuzeigen, weil das gebrftuchliche Wort
nicht mehr deutiich seine Verwandtschaft mit dem scholasti-
schen Begriff Essentia zu erkennen gibt. Das greuliche
EssentiA*) ist eine schlechte üebefsetsung des griechischen
*) EaeatlakoinmtilkcdiBgiadionbd toivvmilBUIiölMnRS
vor, «ird aber aodk TOn AagatHamu ab migebitnoUidi entaehvldigt
(De THnitete VIII).
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294
1. Begriff und Wort.
o6ota; in romanischen Sprachen ist es auch so herunter-
gekommen, dass es bald nicht viel mehr als eine Essenz,
den Extrakt wobMeoliakder oder wohlschmeckender Dinge
beieichnete und bis zur ersten Silbe von Eesbouquel Ter^
hnnzt worden ist. Der deutsche Mystiker Eckart hat wahr-
seheinlieh das Verdieoat, das Wort mit der damals Üblichen
Form in «Wesenheit* übertragen zu haben. Das Zeitwort
a Wesen* bedeutet beute nicht mehr «Sein* und so haben
wir für den obersten Begriff ein ganz pr&chtiges Wort,
deutsch, alt, unabhängig von anderen Sprachen und so
wohlklingend, dass es ganz konkret anmutet. Darum lassen
sich Ober das «Wesen* der Dinge auch noch geschmaek-
ToUere Sitze zusammenreden ab über ihre Essentaa oder
ihre Entitat Und weil man die schlichte Wahrheit nun
einmal nicht fassen kann, dass der Begriff nichts ist als
das Wort und das W<»rt nichts als ein Erinnerungszeichen
ftr Gruppen ähnlicher Vorstellungen, so faselt man seit
zweitausend Jahren von einer Beziehung zwischen den Be-
griffen und dem Wesen der Dinge. Danach soll der Be-
griff etwas sein, worin das Wesen der betreffenden Ob-
jekte vorgestellt wird (üeberweg, Logik 5. Aufl. 147); und
wesentlich sollen diejenigen Merkmale der Objekte sein,
von denen ihr Bestehen, ihr Wert oder ihre Bedeutung
abhängt.
Nun wissen wir, dass unser Denken niemals im stände
ist, in das Wesen auch nur einef? Sanflkorns einzudringen.
Wir besitzen keine Begritfe, die zuletzt über die subjektiven
Sinueseindrücke hinausgehen; nuissten Begriffe also wesent-
liche Merkmale bieten, das Bestehen der Objekte erklären,
so hätten wir überhaupt keinen Begriff". In das Wesen der
Dinge hat ein einziger Metaphysiker einzudringen ver-
sucht, Schopenhauer, der in ihnen den WjUen zu entdecken
glaubte; wir werden, sobald wir seine Sprache kritisieren,
erfahren, welche ungeheuerliche Tautologie er sagte, als er
das Wesen mit dem Willen und den Wülen mit dem Wesen
erklärte.
Ist aber das Wesen der Objekte in ihrem Werte ent-
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Wesen.
295
lialten, dann ist dieses Wesen etwas Relatives, wie jeder
Wert, dann ist es yon unserem menscUichen Litereaae ab-
hftnf^g, dann ist es dasadbe, was die Bedeutung der Ob-
jekte ansmachti die Bedeutung fbr uns Menschen, dann will
^e Schullogik auch nichts anderes behaupten als ich: dass
nSmlich die Worte oder Begriffe Zeichen smd für diejenigen
Jäinneseiadrllcke, die uns an den Dingen interessiensn, die
wir uns darum merken. Dieses Interesse kann ein sehr
nahes und gemeines sein, wie das des Bauen an seinem
Feld, und seine Worte oder Begriffe werden sich danach
bilden; dieses Interesse kann ein fernes und edles sein, wie
das des Forschers, z. B. Liim^, der die Pflansen klassifi-
zieren will: immer haben die Begrüfo nur relative Bedeutung,
immer sind sie nur eine Abkfliisnng der oberflächlicheii
Smneseindrflcke, die wir uns gemerkt haben. Platt und
kindisch hat einst Flaton in den Begriffen die Ursachen der
wirklichen Dinge zu finden geglaubt, hat diese zeugenden
Ursachen die Ideen genannt und dafür grossen Z 1 anf ge-
habt. Aristoteles war klug und prosaisch genug, das Mytho-
logische in diesen derben und zengimgKfrohen Platonischen
Ideen zu durchschauen (Metaph. Ii. 2), aber als er ein
Abstraktes Wort (oooia) «liifür setzte und so fQr die Essen-
tien und Wesenheiton den Anhieb that, nahm er den Platoni-
schen Gottheiten nur ihre Schönheit, nicht ihre Dumm-
heit. Aristoteles hat sich redlich abgemüht, sich und
seinen Schülern den Begriff ^ Wesen" klar zu machen; er
martert seine schöne Muttersprache bei dieser Arbeit mit-
unter (z. B. TO Ti fjV eivott) ebenso wie Uegel unser liebes
Deutsch; und wenn die Sprache überhaupt unter der Folter
mehr aussagen könnte, als wir in sie hineingelegt haben,
diese beiden Ueukeräkuechte hätten ihr etwas Neues ab-
gezwungen.
So kann ich wohl sagen, dass die Erklärung der Be-
griffe durch das Wesen der Dinge eine der schlimmsten
Tautologien in sich schliesst. Der Begriff bezeichnet Diiifj^e,
die ihrem Wesen uai h zusammengehören; und dass Dinge
^usainmengehöreu erkenueu wir daran, dass sie durch den-
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296
1. Begriff und Wort
selben Begrifi' oder dasselhe Wort zusammengefasst werden.
Wir kOnneii es in der Gesdiidite der Zoologie verfolgen,
wie das WesenfUehe der KkMsen bald so, bald so verstandeii
wird; aach heute noch hOrt man die sinnlosen F)ragen, ob
diese oder jene niedersfeen Organismen za den Tieren oder
zu den Pflanzen , gehören", das heisst doch wohl: ihrem
Wesen nach gehören. In WirkEchkeit ist es dne Wort^
frage; es hftngt (ich will nicht sagen Tom Belieben) Ton
der Begrifbbildmig des Klassifilutors ab, ob er nachher so
oder so entscheiden muss, oder gar ein drittes Reich hin-
stellt, das heisst ein drittes Reich begrifflich oder sprach*
lieh abgrenxt.
Wenn man nun bedenkt, dass unsere Begrifie nur
relatire, subjektiTe, ungefihre Erinnerungsseichen flir relatir
beachtenswerte SinnesemdrQcke sind (schlecht gehende Uhren
für unsere subjektive Zeiteinteilung), wenn wir ferner be-
denken, dass die Einteilangsworte des Weltkatalogs (z. B.
Reich, Kreis, Klasse, Ordnung, Familie, Gattung, Art, Ab-
art, Varietät) eben auch nur solche Begriffe sind, die wir
so lange gebrauchen, als sie uns das Wesentliche au be-
zeichnen scheinen, so werden wir zugeben müssen, dass auch
der Streit um den Artbegriff, um den Darwinismus, eben
nur ein Begriffsstreit, das heisst ein Wortstreit ist. Dass
es neben dem künstlichen System, diesem Notbehelf, ein
natürliches System geben müsse, hat schon Linn^ gewusst;
und sein künstliches System der Botanik ist doch wenigstens
schon auf die Zeugun^swerkzetigc gegründet. Dass die
„guten" Arten von der Zengungstahigkeit also von If i Ab-
stammung abhängen , !iat man ebenl'allä lange vor Darwin
gewusst. Wenn also der Darwinismus ebenso vollständig
und gewiss wäre, wie er lückenhaft und vielfach un'^icher
ist, so würde mich er d* nufh h keine Be^n itl-pyramide bieten,
nicht die ,wesentlh ln u Merkniale"* durch fcbtumschriebene
Begrifte ausdrücken können. Das einzige Ergebnis der
schönen und kühnen Hypothese Darwins ist die Bestätigung
unserer Lehre, dass Begriffe (welche in der Naturgeschichte
Arten beissen) oder Worte nebelhaft, schwebend, undefinier-
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Begrifiiddeale.
297
bar sind. Und fassen wir selbst Darwin als den blossen
Beobachter, dessen «Gesetze* erst noch tod einem Denker
eixiheitlich erklärt wwdmn mUim Qii<i dadurch langsam dem
Froiease der SelbstzenetKung Terfallen, fiuMn wir aelbrt
Darwin ab d«i Kepler, der anf seinen Newton wariet, so
kann und wird der nenen Weisheit letzter Schlius nur ein
neues Wort sein, ein neuer Begp-iff, der wiedergibt, was er
geborgt bekonunen hat, bestenfidls ein bequemer Automat,
der eine Banknote hergibt, sobald man den Betrag in Oold
vorher hineingeworfen hat. So eine Banknote war die
«GraTttation', so eine Note wbd Tielleicht einst »Entwicke-
loBg* heissen.
«
Man unterscheidet gern den metaphysischett, den logi- BegriniH
sehen und den — natllrliehen Begriff. Der metaphysische
Begriff wttrde etwa der platonischen Idee entsprechen, der
Torstellung, dass z. B. die allgemeine Form »Pferd* etwas
in der Natur der Dinge wirklich Vorhandenes sei, eine Form
oisr ein Urbild, und dass die einzelnen Individuen so oder
so nach diesem Begriff gebildet ^^ ih den. Dieser metaphysi-
sche Begriff hat gewiss nur den Wert alten Eisens; aber
darQber zu lachen werde ich mich hüten, solange ich nicht
so frei bin, auch Ober die .Vererbung", die neueste Fassung
der ewigen Form, ebenfalls lachen zu können.
Das Ideal spielt seine Holle auch bei dem Unterschiede
zwischen dem logischen und dem — nattlrlichen Begjiff.
Der loji^schc Begriff soll nämlich so eine Art Idealbegriff
sein , ein Begriff, der alle gegenwärtige und zukünftige
Kenntni"^ rom Objekt zusaramenfasste, so dass der Besitzer
diesft- Begriff« '^ndlich in das Tnnero Irr Natur dringen
könnte. Dagegen sind unser* natürlichen Begriffe oder
Worte nur armselige Versuche, emc halbwegs brauchbare
Ordnung in die Erinnerung all unserer Sinneseindrücke zu
schaffen. Jede Verbesserung unserer Kenntnisse nähert also
unwillkürlich unsere natürlichen Begriffe um ein Winziges
dem logischen ideal. Aber zweierlei Begriffe gibt es nicht.
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298
1. begriff und Wort.
Zu jeder Zeit setzt sich die Sprache des Hensohen ans Be-
griffen zuBammen, welche an logischer SchSrfe genau der
Menge seiner Kenntnisse entsprechen« Wie der Begenbogen
Tor d^ Kinde zurückweicht, das ihm entgegenlaufen will,
so das logische Ideal vor dem jeweiligen Begriff unserer
heutigen Kenntnis. Mehrfach in der Geschichte der Philo-
sophie (Leihniz) hat man versucht, sich der Allwissenheit
des Gottes zu nähern und durdi ein lof^sches Begriffssystem
alles Wissen begrifflich zu ordnen. Diejenigen, die wie
Hegel am liebsten die Anzahl tler clieiiiiscben Elemente und
die Kamen der römischen Könige aus der Tiefe ihres Ge-
mütes deduktiv abgeleitet bitten, Terfielen dem Fluche des
Hamlet, nicht fertig werden zu können. Wenn sie die
Karte der Erde fertig hatten, wurde Amerika entdeckt; und
wenn sie unter dem Hegriff Planet 5 Sterne verstanden, die
Sonne und den Mond dazu nahmen, um glatt die Wochen-
tage danach zu benennen, so kamen neue Fernrohre und
man entdeckte den G., den 7. und den 8. Planeten.
Die andern Systematiker , die Anti-Hamlet-Naturen,
wollten fertig werden \\m jf Hen Preis. Sie schufen z. B.
die Linndsche Pflanzencinteüuug und glaubten Begriffe zu
bilden, wenn sie Kennzeichen angaben. Ebenso könnte man
das System , wonach man gej^enwärtig Verbrecher wieder-
erkennen will (indem mau ihru Daumenglieder, ihren Schädel
nach allen Dimensionen, ihre Ohren und ihre Zehen niisst,
und sich darauf verlässt, dass keine zwei Individuen unter
allen Kategorien zugleich identi.schu Ziftern aufweisen wer-
den), für ein System neuer Begriffe ausgeben und so neue
Begriffe und Worte: ZwölfmiUimeterdaumennagehnenscheu
z. B. zu bilden glauben.
Der logische Begriff des Gelehrten verhielt sich zum
natürlichen Begriff der alltäglichen Sprache nicht wie das
Absolute zum BelatiTen, sondern höchstens wie eine ver-
besserfee Maschine zu einer orsprünglicheroi. Wenn die
Platonischen Berichte Uber die Lehrweise und die Anstren-
gungen des Sokrates richtig sind, so war Sokrates immer
nur einzig bemflht, die BegrifEunaschine zu verbessern, das
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Dtflnitioii «nd Aufimerkiamkeit.
299
iandlaufij^e Wort zu untersuchen, seine hergebrachte Be-
deutung mit den Anschauungen der Zeit zu vergleichen und
zu fragen, ob die volkstümlichen Deliuitioiieii richtig seien.
Sokrates tkat also bewusst, was seit Hunderttausenden von
Jahren die sprechenden Menschen unbewusst thun: er suchte
seine ererbte Sprache seinen erworbenen Kenntnissen anzu-
passen. Er verbesserte nicht das Wissen, sondern nur das
Werkzeug seiner Mitteilung, die Sprache zwischen den
Menschen. Er fand, dass die natürlichen BegriÜe dem
logischen Ideal nicht entsprechen; er sah die BegrilFe der
Alltagssprache um eme Sprosse tiefer « ab die Sprosse der
Leiter, auf der er schon mit ednem Wissen stand. Er snckte
die Sprache emponnihehen, stieg aber sugleiGh wieder eine
Sprosse hdher und die Differenz blieb die alte. Und das
wird ewig so bleiben. Und ewig wird der Kletterer nun
herunterblicken und oben zu sein wihnen und nicht sehen,
dass die Leiter unendlich lang ist und er erst ein Ideines
StQek erstiegen hat.
II. Die Definition.
Wss ich flbfflr den Begriff der Definition Tonabringen Definition
habe, das hat Goethe kurz und bttndiff, nach seiner Art ftlr
. merksani-
einen besondem Fall, schon gesagt, wo er in der Geschichte keit.
der Farbenlehre Athanasius Kircher kritisiert: „Unser Ver-
fasser möchte, um sich sogleich ein recht methodisches An-
sehen zu geben, eine Definition vorausschicken und wird
nicht gewahr, dass man eigentlich ein Werk schreiben muss,
um zur Definition zu kommen. Etwas Aehnliches scheint
Sigwart TOisusch weben oder -doch dem Verfasser seines
Registers, wenn da die Definition ein Abschluss des Wissens
genannt wird. In der »Logik" selbst wird die Unfruchtbar-
keit der Definition (IT. S. 699) zugegeben, vorher jedoch
(S. 639) wird der Definition dennoch trotz aller Warnungen
vor Dnbois Heymonds pathetisch verkündeter WolHormel
eine bedeutsame Bolle zugeschrieben. Sigwart hätte wohl
uiyiii^Cü Ly Google
soo
Ii. 0ie Definition.
nicht der Meister der logischen Disziplineii werden btenen,
wenn er nicht an die logischen Begriffe oder Worte ttber
seine eigene &itik hinaus geglaubt hätte.
An dem geistreichen GeseUsdiaflsspiel der Logik nehmen
wir erst teil, wenn wir unsere Worte oder BegriflS» definieren
wollen. Für gewöhnlich gebrauchen wir unsere Worte «wie
Essen und Trinken frei*, ohne das BedOifnis ihrer Definition
zu fühlen. Solange die Henschoi einandw halbwegs Ter^
stehen, solange brauchen sie keine Definition der Begriffe;
erst wenn sie einander ganx und gar nicht mehr Terstehen,
wird diese betrübende Thatsache durch eine Definition aus-
drückHch festgesteUi Wir haben an anderer Stelle ge*
sehen, dass Bewusstsein eine Hemmung ist, eine schmerz-
hafbe Störung des unbewussten Gedächtnisses. Das Bewusst-
sein verhält sich zum unbewusst thätigen Gedächtnisgang
emsthaft wie Brustschmerzen zur regelmässigen Atmung,
wie Bauchgrimmen zur behaglichen Verdauung. So kommt
auch der Begriff in seiner Definition uns zum Bewusstsein;
die Definition gehört gewissermassen zu den Sprachstörungen,
sie ist eine Hemmung im regelmässigen, behaglichen Ge*
brauch der Worte. Millionen Menschen essen Kase und
sprechen von Käse, Millionen Menschen behaupten ihre
Rechte und sprechen von ihren Rechten, ohne einer De-
finition (1er IVu^n-iffe »Käse" oder , Hecht" zu bedürfen. Erst
wenn ich in öüdfrankreich einen flüssigen Kahm als Käse
vorgesetzt bekomme, werde ich stutzig, komme 7iini Be-
wusstsein meiner mangelhaften Bildung und frage nach der
Wortdetiniiion ; erst wenn ich vom Händler em gefälschtes
Zew^ für mein echtes Geld bek(mimen habe und ilm zur
Strafe für meinen Aerger oder meinen Schmerz verklage,
erst dann wird nach der Sachdefinition pfefracft.
Wir empfinden den ganzen Wirrwarr der Logik viel-
leicht deutlicher, wenn wir bemerken, dass jede Definition
— obwohl sie uns durchaus nicht von der Stelle zu bringen
im stände ist — immer schon ein Satz ist. ein Urteil, ja
eigentlich immer schon ein Sthlu^.-. . gewöhnlich ein un-
mittelbarer Schluss, oft ein ganz komplizierter Syllogismus.
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Definition and Aufmerkaamkeit.
301
Natürlich will ich dfimit der Definition nicht höhere Ehre
zuerkennen, sondern nur anJeuteu, wie im bewussten Ge-
brauch der Worte psychologisch bereits die ganze Denk-
thätigkeit enthalten ist, welche die Logik iUa ihre schwierig-
sten Aufgaben m Ansprach nimmt
Man definiert die De:finilion ab die geordnete Angabe
der wesentlichen Merkmale eines Begrifis. Ich brauche
nicht lu wiederholen, dass der B^priff der Ordnung und
Unordnung nicht aus der Wirklichkeitswelt geholt ist, dass
also die .Ordnung* der Merkmale immer auf den subjekfciTen
Qeeichtspunkfc des Redenden hinauslaufen wird; und ich
brauche erst recht nicht su wiederholen, dass wir vom
.Wesen* der Objekte keine Vorstellung haben, ihre wesent-
lichen Merkmale also nicht kennen. Was wir mit dem
Worlschall »Definition* etwa beseichnen, das ist wirklich
nichts wdter, ab unaer Besinnen darauf, wie wir zu dem
betreffenden Wort oder Begriff gekommm sind. Wobei ich
mich leider wieder besinnen muss, dass ich eben nur den
Fetisdi «Definition" mit dem befreundeteren Fetisch , Be-
sinnung * TCrtauscht habe; ich hätte auch .Aufinerksamkeit*
S^^n können, um die Bätseiworte nicht zu vermehren.
Halten wir aber fest, dass in den Definitionen schon
geurteilt imd geschlossen wird, und dass jede Definition eine
sichtbarliche Tautologie ist, so halten wir in der Hand, was
ich gegen den gesamten Betrieb der Schullogik einzuwenden
habe: Mit allem Schliessen wird nie etwas Neues erschlossen.
Niemals geht in unserem Gehirn etwas Anderes vor, als
dass wir entweder eine neue Wahrnehmung machen oder
von unserem Interesse (im weitesten Sinne) veranlasst werden,
auf alte Wahrnehmungen und ilire Merkzeichen die Auf-
merksamkeit zu richten. Alles andere ist Tautologie, alles
andere steckt schon in den Definitionen.
Was ist ein Dampfschiff? ,Ein Schiff, das durch Dampf- immer
kraft fortbewe<;t wird.* So ist unser berühmtes Denken T«uto-
beschaffen; der eine macht es schlauer, der andere dümmer,
es ist aber immer dasselbe.
Ich sehe ordentlich wie der Logiker sich lachend die
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302
II. DU Definition.
Hände reibt, bei dem Scljulscbnitzer, den ich soeben gemacht
zu haben scheine. Er braucht sich mit einem solchen Igno-
ranten, wie ich es bin, gar nicht erst abzugeben. Ich wisse
ja g-ar nicht, dass die Tautologie zu den Fehlern der De-
finition gehöre; mein Satz ^Dampfschifif ist ein Schiff, das
durch Dampf kraft fortbewegt wird* sei ja ein Musterbeispiel
itUr eine fehlerhafte DefinHion.
Nun, ich dagegen behaupte, dass jede Definition mit
diesem Fehler behaftet ist; oder vielmehr: dass die De*
finitiou gar nichts anderes ist, als eine tantologische Ajiis-
einanderlegung ihres Begriffs. Icli h&tte ja in meinem Bei*
spiel die wdrtliehe Tautologie (idem per idem) kieht ver-
hOllen k()nnen. Ich konnte sagen: ,Ein Dampfer ist ein
Schiff (oder: Ein DampfiKhiff ist ein Wasserfahrzeug), wel-
ches durch die Kraft des Wassers in dessen gespanntem
gasförmigen Aggregataustande fortbewegt wird/ So konnte
ich im ersten Teil rein äusserlich den gleichen Wortschall
vermeiden, im s weiten Teil die Wiederholung des Wortes
«Dampf durch seine Definition, die natOrlich wieder eine
Tautologie ist, weil sie nur der versteht, der sie sckon be-
sitzt. Aber ich muss dem Logiker noch etwas ins Gewissen
schieben. Hand aufs Herz, wo immer es beim Logiker
sitzen mag: ist meine er^^te fehlerhafte Definition nicht
eigentlich das, was mir ins Bewusstsein kommt, wenn ich
mich besinnen will, was ich unter .Dampfschiff' verstehe,
wodurch es sich von anderen Schiffen unterscheide und —
wenn ich z. B. eben den Prallschiffdampfer erfinde — welche
Unterarten (Raddampfer, Schraubendampfer) es bisher unter
sich licgriffen habe? (Sacherklärung). Ist diese meine erste
fehlerhafte Definition nicht nnrh das, worauf es ankommt,
wenn ich einem wissbegierigeu Knaben kurz definieren soll,
was ein Dampfschiff sei? (Namenserklärung).
Die alte Regel, eine Definition müsse den Gattungs-
begriffnebst dem Artuntersi hied enthalten fz. B. das Quadrat
ist ein gleichseitiges Rechteck), diese Kegel ist die kürzeste
Anweisung, musterhafte Tautologien zu sagen. Denn ein
Begriff ist ja eben — wie man uns lehrt — die Erinnerung
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Iminer Tratologie.
SOd
an die , weseiitlirhen" Merkmale einer Gruppe von Objekten,
die wesentlichen Merkmale müssen sich immer auf die ein-
fache Formel von Gattung und Artuntt i rhied hringen lassen;
so ist zwischen dem, woran dio Deünition ausdrucklich er-
innert, und dem, woran der Bejjriff erinnert, ^ar kein an-
derer ünterschieil, als die Betonung, die Richtung der Auf-
merksHiiikeit. Und dieser psychologische Vorgang musst«
der Logik entgehen, weil sie schon die Begriffe ftlr klare
Bilder einer felsenfesten Wirklichkeit« weit hielt und darum
diu Dt-tinitiunen für zu vci lässige, objektive Eikliinirigen dieser
Bilder. Die Sprache aber hat keine festen Begriffe , hat
keine objektiven Definitionen; jede Definition ist subjektiv,
xaaA Wils m ihr von dem einen Gesichtspunkt ein Fehler
ist, dw kann die HauptsaclLe sein für einen anderen Ge-
sichtspankt Je naeh dem Interesse, nach der Richtung
des Denkens gibt es Tiele Definitionen deraelben Begriffes.
Der Bauer, der Eanfknann, der Nati<maldkonom, der Che-
miker, jeder wird den Begriff E9se anders definieren. Der
Kaufmann und der Theologe, der Jurist und der Keger-
sklave, Jeder wird den Begriff Recht anders definieren; und
keiner braucht unrecht zu haben. Es ist damit wie mit
einem nackten Modell im Akisaal; ein Dutzend Schtüer oder
Meister zeichnen dieselbe Person ab, ein jeder, wie er sie
Ton seiner Stelle sieht, einer Ton vom, einer gar von hinten,
und keiner braucht falsch zu seichnen. Auf den (Gesichts-
punkt kommt es an. Und wir werden sehen, dass auch
Begriffe, je nach der Aufgabe, a priori und a posteriori ge-
zeichnet, definiert werden können, und dass die Zeichnung
a posteriori gewöhnlich die ernstere Aufgabe ist.
Diese meine Auffassung, dass nämlich der Begriff der
Psychologie allein angehöre, Tor jeder Logik da sei, etwas
wie Thätigkeit sei und darum etwas Irrationales, diese Auf-
fassung findet sich schon, wenn auch ungenau, bei Lotze
und Sigwart. Aber bei beiden bildet der Begriff als psycho-
logische Thatsache doch nur eine niedrige Stufe, welche /u
dem höheren Begrilf, zu dem klaren, idealen, logischen Be-
griff emporfuhrt, der sich dann durch eine klare, logische
304
IL Die Definition.
BigtiSs- Definition als wissenschaftUclies Element answeiMn kaiiii.
Beide behandeln die Logik, als ob sie etwa der Mathematik
gleichwertig wäre, wählend doch die Ekmenta der Mathe-
matik gar nichts anderes sind, als sdUilbar, menbar, be-
grenzbar, definierbar, die Elemente des Denkens jedoch
aihrem Wesen nach* undefinierbar. H. Rickert (0renien
d. naturwiss. Begrü&büdung) gibt alle Mftngel der Begriffe
bei den Spesialwissenschaften su, scheint aber derWissen-
Bchaftslehre die Formung YoUkommener Begriffe yorsube-
halten. Aehnlich schon J. Volkelt (Eifahrung und Denken),
der Begriffe höherer Ordnung und »eine logische Gliede-
rung ihrer Merkmale* kennt. Es ist menschlich au ver-
stehen, ja es ist SU loben, wenn die Logiker die Sehn-
sucht empfinden, unsere mangelhaften Begriffe einem Ideal
zu nähern, das Chaos unseres Denkens su ordnen. Eine
solche Sehnsucht aber für Wissenschaft zu halten, ist eine
arge Selbsttäuschung; die Täuschung wird immer in die
Versuchung führen, die Ordnung, weil sie in der Wirklich-
keitswelt nicht zu finden ist, erzwingen zu wollen. Man
rechnet die Logik nicht gerade zu den Zebngeboten, aber
ein .Sollen"' ist in ihren anspniclisvollen Deul^esetzen TOr-
sfceckt. In der Logik ist das Wort frech geworden wie in
der Aesthetik und in der Ethik; die Wirklichkeitswelt kennt
nur das Wollen des Künstlers, seine sinnfälligen Schöpfungen,
und die hergebrachte Aesthetik tritt ihr von irgend eir>eni
heiligen Berge, dem Paruass z. B., mit einem Sollen ent-
gegen; die psychologische Wirklichkeitsweit kennt nur ein
Wüllen des Menschen, seine Handlungen, und die Ethik
tritt ihr, immer noch vom Siuai, wieder mit dem Sollen
entgegen. Ich fttrchte nun, Aesthetik und Ethik -^rlten
immer noch für emsthafte Wissenschatten, und der Vej--
gleich mit ihnen möchte darum keinen Zweifel an dem
Wert der Logik erregen; ich will darum lieber auf ihre
Aehnlicbkeit mit der älteren Astronomie hinweisen, welche
Astrologie hiess und war, aut dem Ptolomäischen System
fusste und /.. B, leinte: die Planett^n müssten sich (man
achte auf die Logik) iu'Kreiüliuieu bewegen, weil der Kreis
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Gesichtspunkt.
305
die ToUkommenste Linie wäre. Solche SchemvissensdiafteE
sind sehwer auBsurotten. KopemikuB stfinte das alte System,
aber sein jüngerer Zeitgenosse Melanchthon war ein ttber-
leugter Artrolog; ja sogar Kepler noch, der grosse Ent^
decker der elliptischen Flanetenbewegnng, gab sich dazu
her, für Wallenstein das Horoskop su stellen. Wir haben
also nicht die Hoffiiung, man werde so bald aufhören, in
den Schulen zu Idiren, wie man denken solle.
Ich habe oben gesagt, dass es Tom Gesichtspunkt ab- 'G««toiit«.
hünge, ob in einem bestimmten Gedankengang eine Definition
feblerhAft sei oder nicht; selbstverstindlich denke ich dabei
nicht an sachiicho Fehler, an thatdkhliclic Albernheiten,
sondern an Formfehler, wie sie von der Schullogik her-
gebrachterweise aufgezählt werden. Von der Tautologie
habe ich schon gesprochen, weil sie die Deiiniiion selbst
ist Aber sogar die ewig wiederholte Regel, dass ein Be-
griff durcli seinen Gattungsbegriff und seinen Artunter*
schied definiert werde, ist ein nebelhafter Satz. Denn er
gilt nur, wo die Begriffe sich auf eme anerkannte Klassi*
fikation der Wirklichkeit stützen können, in einigen Gebieten
der Naturgeschichte z, B. Sonst kann man je nach dem
Gesichtspunkte Gattungsbegriff und Artunterschied mitein-
ander vertauschen. Das gilt lur alle abstrakten Begriffe,
auch für die der Physik. Schon Leibniz hat darauf hin-
gewiesen; aber trotzdem er den Begriff , Gesichtspunkt" in
die Philo'«o])h!e eingeführt hat, hat er seine Tragweite für
unser Denken noch nicht erkannt. Ob ich deliuiere ,,der
Schmeichler lobt lügnerisch* oder „der Schmeichler lügt
lobend" hängt doch offenbar davon ab , ob ich die Auf-
merksamkeit auf das Lügen" oder auf das „Loben" lenke,
ob ich den Schmeichler angreifen oder verteidigen will.
Beide Definitionen sind richtig, je nach meinem Standpunkt;
und ob sie gut gewählt sind, hängt nicht vou der Logik
ab, sondern von der Rhetorik, welche doch eher eine Samm-
lung Ton Diebskniffen ist als eine Wissenschaft.
Es liesse sieh Ineht ausfilliren, dass der Gedankengang
dasu fdhren kann, in einer Definition die Aufmerksamkeit
M ftvtliBer, Baitrig« m ttser Kritik d«r Spraob». m. 20
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306
IL Di« DtfiaitiMi.
auf den Punkt zu lenken, der den Schulfehler der zu grossen
Weite« der Enge oder der Abundanz ausmacht. Eine De*
finition ist ja nur die Bennntiiig auf den Begrifl^iolialt;
wenn wir nun Veranlassung haben, unsere Aufmerksamkeit
auf zwei Merkmale zugleich zu richten, deren eins vom
andern abhangt (z. B. Parallelen sind Linien, die gleiche
Richtung und voneinander gleichen Abstand haben), so ist
es ein schnelles aber kein fehlerhaftes Denken. Selbst die
berüchtigte Zirkeldefinition ist, genau betrachtet, nur eine
verhüllte Tautologie und als solche nicht ein Fehler im
Denken, sondern ein Muster des Denkens überhaupt, «las
eben nichts anderes ist als Sprache oder Tautologie. Man
schlage die Dpfinitionen der wirklich praktischen Hand-
bücher i\uf. wo mau wolle, überall wird es von Zirkd-
delinitionen und Tautolorrjen wimmeln. Immer wird es
heisse?i: Ein Dampfer ist ein Schiff, das durch Dampf kraft
bewegt wird. Nur wo der Verfasser nuch der Logik schielt,
wird er die Tautolot,'io künstlich vermeiden — wie ich e<?
oben in der verbes^ci ten Detinition des Dainiifschiffs that —
und der Leser wird tjiüige Mühe haben zu einer Vorstellung
zu kümmcii: zur Tautologie.
Man hat die Definitionen seit jeher (das heisst seit etwa
zweitausend .Lihicü/ nach verschiedenen ^Gesichtspunkten"
verschieden eingeteilt; und die Loj^iker haben auf diese Ein-
teilungen viel haarspalteudeii Witz verschwendet. Uns ist
es wichtig, darauf hinzuweisen, dass diese Einteilungen nicht
die Definitionen rerschiedener Begriffe angehen müssen, son-
dern Terschiedoie Definitionen desselben Begrifik. Freilich
hat schon der grosse Duns, der Doctor subtilis (später he^
deutete der Name im Englischen [dunce] und Deutschen einen
Dummkopf), die Behauptung aufgestellt, unter allen mög-
lichen Definitionen mfisse eine die richtige, die wesenhafle
(o^iadv)«, essentialis) sein, genau so, wie Sigwart behauptet,
über dem populären landUUifigen Begriff müsse ein höherer,
logischer Begrifl^ zu finden sein. Ja wohl, wir hatten die
einzig richtige Definition unserer Begriffe von den Dingen,
wenn wir nur wOssten, was das Wesen der Dinge ist, wenn
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Ber«iohenmg de« WiMem.
807
wir die Welt anders TerstOnden, als durch unsere Spradie*
Dum aber freilich, wenn wir die Welt verstanden, würden
wir eben nicbt sprechen und nicht definieren, sondern
grenzenlos, undefinierbar schweigen wie die Natur.
Niemals kann das Denken allein das Denken in Worten neieicha-
weiterftlhren. Eine Erweiterung der Erkenntnis ist immer ^vü»mw
nur raöplich durch Beobachtung oder Anschauung und durch
die direkten neuen Schlüsse aus der Beobachtung selbst,
nicht durch Schlüsse aus dem Namen der Beobachtung, denn
der Name der Beobachtung euthält immer nur die alten
Schlüsse und mehr lässi sich aus ihm nicht herausziehen
als drin steckt.
Denn die Woi te bedeuten oder vertreten oder sind doch
immer nur die Be<rriff'e, insoweit wir sie klar fassen mid
definieren könueii (iu dieser Bemerkung lie^ schon wieder
der sprachliche Unsinn des «insoweit"; als ob es überhaupt
möglich wäre, dass Worte mehr enthielten, als unsere
Kenntnis von den Dingen , als ob Worte geistige Wesen
für sich wären). Lernen wir nun irgend eine Erscheinung
besser verstehen, so heisst das doch nicht: wir wissen jetzt
besser als firQher, was dies oder jenes Wort I>edeiito1^ ton«*
äem umgekehrt: die Bedeutung des Wortes wächst unbe-
merkt mit unserem Wissen. Als der Blutkreislauf entdeckt
war, erfuhr man dadurch nicht etwa: Aha, Herz bedeutet
also eigentlich den Muskel u. s. w., sondern das Herz, mit
welchem die Leute bis dahin den Begriff eines merkwQrdigen
Fieischklumpens Torbanden, der selbständig klopfte, wenn
man erregt war, wurde jetzt als eine Art Pumpe aufgefasst.
Wenn nun d^ Entdecker einer neu«i Beobachtung
oder sein Marodeur in Abhandlungen und sonstigen Wort-
arrangements logisehe 9ch]!U»e neben, so boreidiem sie
vieUeicht die Bibliothek ihrer Wissenschaft, aber nicht unser
Wissen« Denn wie sie auch die Worte formelhaft setzen,
um einen neuen Gedanken zu beweisen, sie können nicht
darum herum, daas der Begriff ihres Gegenstandes, das
Wort, durch ihre neue Beobachtung für sie seinen Wert
Tei^ndert hat, dass sie es eigentlich neu definieren mOssten.
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808
IL IM« Definition.
Ein Forscher raaclit z. B. die Beobachtung, An^^^ nicht
nur einii^p heliotropische Pflanzen, sondera gewisseiinassen
alle Pflan/.eii . auf bestimmte Heize hin freie Bewegungen
(innerhalb gewisser Grenzeu) machen können. Nun lassen
sieh ganze Bücher zu dem Zwecke schreiben, um /.u be-
weisen, drtss das Tier sich von der Pflanze nicht durch seine
Bewegungsfreiheit unterscheide, dass die alten Definitionen
der beiden Reiche nicht mehr passen. Das alles aber wäre
für den Entdecker der Wuhihcii lua em leeres Gerede, ein
Netzwerk von Tautologien. Denn im Augenblicke, als er
seine Versuchspflanze sich auf einen Reiz hin bewegen .sah,
wurde ihm von selbst die Pflanze sofort ein veränderter
Begri£f. Durch die Anschauung allein.
Was er an Rednerei und Wissenscliafilichkeit hinzu-
that, war nur zum Zwecke der Hiltoilung und anderer Eitel-
keiten nötig.
Ein Kind, das im Aquarium vor dem Behälter der See-
nelke steht« und plötzlich susammenschreckend wahrnimmt,
dass die rermeintliche Pflanze eiuen Ann ausstreckt, das
Kind Terhessert sein Wissen und sdne B^priffe nicht andws
ab der Beohachter der Pflaoienreiae. Und wenn das Kind
erschreckt ausruft: .Mama, die Blume will wasi* — so
hat es dasselbe getfaan, was der Pirofessor, als er seinen
Vortrag hielt.
Kominal- Weil wir aber die Welt nicht Terstehen, darum gibt
"litoi** es keine andere Art Definition als die Worterklärung. Die
tfoMn. alte Einteilung in Nominal- und Realdefinitionen hat gar
keinen logischen Sinn, weil wir doch die Dinj^o selbst nicht
erklären können und kaum erklären wollen. Ich habe aber
schon zu Beginn dieses Abschnittes angedeutet, dass es wohl
einen Unterschied zwischen Wort- und Sacherklärui^ geben
kdnnte, wenn wir die logischen Spitzfindigkeiten vergessen und
dagegen festhalten wollten, dass wir es nur mit psychologischen
Vorgängen zu thun haben. Man könnte es wohl ganz be-
sonders eine Nominaldefinition, eine Worterkliirung nennen,
wenn ich einem noch unwissenderen Menschen, als ich es
bin, ein bisher fremdes oder bisher inhaltsleeres Wort Uber-
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Nominal- and Realdefinitionen.
309
gebe und es dazu definiere, das heust dasn sage, an wekshe
Vorstellungen das Wort mieh erinnert. Man könnte das,
wie gesi^ eine Nommaldefinition im engeren Sinne noinen.
Man könnte im Gegensatz dam es eine Realdefinition nennen,
wenn ich durch eine neue Beohachtung oder eine neue Er-
findung einen Begriff erweitere, dadurch seine Definition
Terladere und mich selbst auf diese Aenderung oder Be-
reicherung meiner Sprache besinne. Ein grosser üeberblick
würde dann lehren oder su sagen gestatten, dass die mensch-
liche Sprache von bahnbrechenden Geutern durch Real-
definitionen fortgeführt worden ist, dass die menschliche
Sprache durch Realdefinitionen gewachsen ist, dass aber der
normale Mensch seine Sprache oder seine Weltanschauung
von der Geburt bis zum Tode nicht anders lernt als durch
Nominaldefinitionen. Unser gesamtes D nlcc n oder Sprechen
bewegt sich in Noniinaldefinitionen oder Tautologien; einer
Realdefinition kann sich nur das Genie rennessen — oder
der Wahnsinn.
Wer mir aufmerksam gefolgt ist , wird hier erkennen,
dass dieser anheimgegebene Gegensatz Ton Nominal- und
Realdefinition für mich zusammenfallt mit dem Ge^^ensatz
der Erkenntnisse a priori und a posteriori. Der Wert-
schätzung nach werden dabei freilich die Knnts' lien Begriffe
auf den Kopf gestellt: es war aber a priori zu vermuten,
(lass die Sätze der reinen Vernunft, die Sätze vor aller Er-
fahrung nicht viel wert sein würden, nicht mehr als eine
Erbschaft, die Gemeingut ist, als ein Hecht auf dos Licht
der Sonne.
Der geniale Mann . der zuerst aus Milch Käse machte .
und das neue Ding benannte, wie Adam die neuen Ge-
schöpfe benannte, wie sie heissen sollten, er durfte sich
einer Realdefinition rühmen, einer Bereicherung der Sprache,
einer Erkenntnis a posteriori: und der kluge Fabrikant,
der die Spezialität Upecies) Chesterkäse auf den Markt
brachte, war im kleinen auch so ein Bereicherer des Welt^
katalogs. Als aber unser Hanswurst an seinem StQckchen
ehester seine Weltanschauung vormehrte* erhielt er mit
310
II. Di« DefiaitioB.
Hilfe der Karte doch nur eine Nominaldefinition, eine Er-
kenntnis a priori ; und nur weil er ein Hanswurst oder ein
Narr war, glaubte er eine Bealdefinition zu erlialten, glaubte
er mehr zu wissen als vorher, glaubte er m wissen, was
das da auf seinem TeUer wirklich sei, als er seinen Sprach-
schatz um den Wortschall „Chester* vermehrt hatte.
Es wäre rätselhaft, wie die Definition zu ihrer ange-
sehenen Stellung im Reiche der Logik gekommen sei. wenn
wir nicht wüssten, dass der Vater der Logik noch sehr
kindlich Sacherklärung und Worterklärung durcheinander
mengte. Eine vollständige Sammlung von Definitionen wäre
für Aristoteles eine Realencyklopä>lie aller Wissenschaften
gewesen; für uns nur ein tödlich langweiliges Wörterbuch,
nebst Angaben des nächst höhern Artbotfriffs und der de-
terminieronden Eigenschaft. Dabei kann sich gewöhnlich
nur der etwus denken, der es schon weiss.
So i.st die Definition immer nur entweder eine A\'ort-
crklärung, wie der Artikel eines Fremdworterbuchs (näm-
lich für jeden Schüler), oder sie ist eine Auffordprung an
sich selbst, sich an die Grenzen des Begriffs zu erinnern und
keine Dummheiten zu reden. Einen Fortsekritt im cij^enen
Denken erzeugt sie so wenig, als eine Speisenkarte dadurch
den Hunger stillt, dass ihre französischen Namen gegenüber
deutsch übersetzt stehen.
m
Bin- Bevor ich an die kritische Betrachtung der einfachen
**4<»r^ Sprachteile gehe, welche man etwas theatralisch die Urteile
Begriffe, genannt hat, muss ich Ton der Definition noch einmal zum
Begriff zurtlekkehren. Ich habe rinrhin Torausgenommen,
dass all unser Denken, wie es Ton der Logik in ürtefl und
Schlüssen wie ein Pfauenrad auseinandergefaltet wird, schon
in den Begriffen oder Worten enthalten ist, oder wenigstens
in ihrer Definition, das heisst in der Besinnung auf ihren
Inhalt. £is dürfte sich daraus ergeben, dass auch unsere
Denkfehler auf Definitionsfehler zurückzufahren seioi. Und
da wir es hier mit groben Albernheiten gar nicht zu thun
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Einteilong der fiegrilE».
811
liabeu wollen, da wir bloss die verhüllten Denk- und De-
finitionsfehler beachten woIIpti, da wir endlich die herge-
brachten Sthulfehler der Deliiüiiün als der Definition , wesent-
lich" erkannt haben, als relativ richtige Zeichnungen von
verschiedeneu Gesichtspunkten aus: so werden wohl auch
die Fehler unseres Denkens oder Sprechens — von den
groben Albernheiten abgesehen — im Wesen des Denkens
oder Sprechens liegen. Und ich scheue mich nicht das
grauenhafte Ergebnis meiner kritischen Betrachtung der
Logik schon hier auszusprechen: Wie die Begriffe nebel-
haft sind und nicht in zwei yerschiedeneu Gehirnen an die
gleichen Sinueseindrllcke erinnem, wie darum die Menschen
einander niemalB auf die Wirklichkeit hin YWBtehan kOnneii,
60 wechselt in einem und demselben Gehirn der bewusste
Begriff, die Definition, die Besinnung auf seinen Inhalt, je
nach Zeit und TJmständen, und so wird in einem und dem^
selben Kopfe die Bede oder der Gedankengang ungenau,
witternd, yerschwimmend wie ein Nebelbild. Wer sich gegen
das Entsetzen gerüstet hat, um daraufhin selbst unsere
besten Schriftsteller zu prOfen, der wird bescheiden denken
lernen Ton den Zielen wissenschaftlichen Fortschritts, und
nur eine Qbermachtige Illusion wird ihn Terhindem, die
Feder wegzulegen,
Oleich zu Anfang von «Werthers Leiden* erfüllt Gkiethe-
Werther, er habe ein kleines ländliches Genrebild gezeichnet;
-ich setzte mich auf einen Pflug, der gegenüberstand, und
zeichnete die brüderliche Stellung mit vielem Ergötzen.*
Wenige Seiten später spricht er von dem Pfluge, «den ich
neulich gezeichnet hatte*. So konnte es selbst einem Goethe
zustossen, und in einer so anschaulichen Sache, dass er von
einem neuen Standpunkte aus den Pflug gesehen und ge-
zeichnet zu haben glaubte, den er vom ersten Gesichts-
punkte, als er nämlich auf ihm sass, nicht anschauen und
nicht zeichnen konnte. Dieser kleine Schnitzer des <?rosscn
Iroethe — ich habe ihn schon in anderer Verbindunj:; er-
wähnt — scheint mir symbolisch dafür, wie die Begriffe
nach , Gesichtspunkten'* in unserem Denken sich verschieben.
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312
IJ, Die Definition.
wie plötzlich vor die Augeu kommen kami« was vorher
hinten war.
Aber mein Hinweis auf die Definitionsfehler Lst un-
vollständig. Wenn wir uns durch irgend einen Ruck unserer
BegriffSs bewiest werden, so besinnen wir uns nicht inuner
auf ihren Inhalt, sondern oft auch auf üureii Umfang. Dieser
psychologische Vorgang, den die Sehullogik nicht recht
unterzubringen weiss, ist eine Art Experiment^ eine Ptrobe
auf die Richtigkeit der Definition. Man nennt diesen Vor-
gang die Division oder die Einteilung. Hier ist es fbr
das blödeste Auge klar, dass der Einteilungsgrund immer
subJelEtiT ist und je nach dem Gesichtspunkt wechselt. Jedes
Merkmal des Begriffs kann ein«i lichtigm Einteilungsgrund
abgeben. Ich kann die Dampfschiffe in Rad-, Sehrauben*
und Prallschiffe, ich kann sie in See^ und Flossdampfer,
ich kann sie in Fracht- und Personondampfer, dann wieder
nach der Art der Fracht (Eohlendampfer u. s. w.), nach
der Art der Personen (Auswandererschiffe u. s. w.), ich kann
sie nach ihrem Tonnengehalt, icb kann sie richtig nach
jedem Gesichtspunkt einteilen. Und ich kann die Einteilun^^
der Unterarten wie 1er nach Gesichtspunkten fortsetzen. Die
Einteilung nach einem festen Schema, so dass z. B. jedes-
mal genau zwei (><Ier genau drei Unterarten angenommen
werden (Dichütomie, Trichotomie), ist eine heillose Spielerei,
die die Wirklichkeit nach dem Prokrustesbett unseres arm-
seligen Rauberrerstandes strecken oder verkürsen will. Die
Trichotomie insbesondere hat bei Hegel zu der unsinnigsten
Verachtung der Natur geführt, was denn auch den stupenden
Schulmeister der dialektischen Methode zu der nnj^eheuer-
lichen Klage veranlasst hat, ^'lie Naturerscheimiiigen bleiben
zuweilen hinter dem Begritte /urürk*. .Ta wohl, wenn der
Begriff sich vuu der Natur verirrt hat un«i sieh dann eigen-
sinnig darauf versteift, er wäre ihr voraus und sie müsse
zu ihm kommen.
Was nun die EiiiteilungsiLiüer anlangt, so steht es
um sie nicht anders als um die Definitioiisiehler. Sie Ver-
stössen alle, so wie sie in der SchuUogik aufgezählt werden,
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Einteilung der Begriffe.
813
gegen die Fordeniogt die ideale Forderung, dass die Unter-
abteilungen ganz genau die nächst höhere Sphäre ausftlllen
sollen und dass sie einander nicht kreuzen dürfen. Solche
£inteilungen sind selbst in der Naturgrs rhichte nur dann
möglich, wenn mim die Bp<?riffe vorher (eben nach der
künftigen Einteilung schielend) zurecht gezerrt hat. In der
komplizierten Wirklichkcitswclt oder gar in der Welt der
abstriikteii Begriffe gehören die Fehler zur Natur der Ein-
teilung. Ich kann den Begriff Kü^f ninteilen in Fettkäse
und Magerkäse und habe dann die lüihmkäse, die Sauer-
milchkäse und die Molkenkäse übersehen. Und sollte ich
diese (irenzbegriffe säuberlich mit aufgezählt haben, so gibt
es wieder Hinlere Uebergäiige, die ihr Kecht verlangen.
Ebenso wird es mir mit der üntereinteilung der Fettkäse
ergehen, auch der Chester wirti unbestimmbare Grenznuch-
barn haben, und im kleinsten wie im grössten wird die
Wirklichkeit durch die zu weiten Maschen der Sprache hin-
durchfallen, wird der Weltkatalog ein nebelhafter Traum
bleiben. Und wie e.-^ ein natürlicher Einteilungsfehler ist,
die Käse in Fettkäse und Magerkäse zu scheiden, ebenso
natürlich sinnlos teilen wir die Menschen in gute und böse,
unsere Gedanken in wahre und falsche; und wir vermissen
die EHnleilungsgrQnde ToUMids, wenn wir unier die »gute*
Abteilung die Fettilcase und die wahren Gedanken rechnen.
Der idealen Forderung einer logischen mateflimg kann
die arme Sprache nicht entsprechen. Die Oktave umfasst,
wenn man den Wolf heulen Hesse (wie die alten Musiker
sagten), eine unendliche Rohe Terschiedener Töne, Ton
denen wir durch Zeichen nur sieben oder zwdlf unter-
scheiden; ebenso gehen vom Bot des Farbenspektrums bis
sum Violett unoadUdi vide Farbentöne und wir unter-
scheiden durch Wortzeichen genau doch nur sechs oder
sieben. So ist die I«inteilung Ton der Sprache abhängig.'
Man wende mir nicht ein, dass nach d«r geltenden Physik
gerade die besonders benannten Töne und Farben einfwhen
Verhältnissen ihrer Schwingungszahlen entsprechen, dass
demnach die Wirklichkeitswelt eine Analogie zur Sprache
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314
III. Dm Urtdl.
besitze. Es leugnet ja nur ein Narr, dass die Dinge-an-
sicli ihren Erscheinungen irgendwie analo*^ seien. Abge-
sehen aber davon , dass in der Musik wenigstens nur die
Verhältniszablen natürlich, die Schwing'ünjj;s/.alil des Norraal-
tons aber willkürlich ist (kein Mensch wird heliaiipten, dass
der von der IVauzösischen Regierung festgesetzte Diapason
oder Kammerton , die Zahl von 870 Schwingungen in der
Sekunde, eine natUriiclio Zahl sei), — so würde die Physik
ja nur lehren, aus welchem Grunde die sieben Töne und
Farben leichter zu merken, das heisst zu benennen sind als
die unendlich vielen uuderu. \ iellcicht rühren wir sogar
bei dieser Einteilung von Tönen und Farben an das Ge-
heimnis der Sprachbildung und zugleich an das Geheimnis
der Natmrentwickelung. Vielleicht sind es ähnliche Ver>
hSltnisse, die die Typen unserer Pflanzen und Tiere Tor
der unmdliehen Reihe möglicher Pflanzen und Tiere aus-
zeichnen , vielleicht nähern wir uns heute wirklidi wieder
der Lehre des P}i;hagora8, dass nämlich die Wirklichkeits-
welt auf harmonischen ZahlenTerhSltnissen heruhe, vielleicht
sogar ist die Bequemlichkeitt die wir als furchtbar prosaische
Auflösung des C^ächtnis- oder DenkriUsels yermuten, nur
eine den Menschenverstand beherrschende Erscheinung der
Bequemlichkeit der Natur. Aber all diese licherlich furcht-
baren Möglichkeiten bringen die Thatsache nicht aus der
Welt, dass Farbe und Ton in Wirklichkeit unendlich viele
Nflancen haben, dass unsere Sprache sie aber nur in arm-
selige sieben oder zwölf Farben und Töne einzuteilen vermag.
m. Dm Urteil.
Loben- Die ncuere Logik sieht mit Kecht nicht im Begriff,
'^Jll'' sondern im Urteil das ürphänomen des Denkens. Denn
wir urteilen scharf, lange bevor wir klare BegriflFe haben.
Und nebenher wird diese Aenderung auf unsere Tierpsycho-
logie einwirken müssen , Denn wenn es auch den höheren
Tieren an gut detinierbaren Begriften fehlen sollte, so wird
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LelMiidigea Urtailen.
315
jnan doch selbst den niedersten Tieren die Fihigkeit des
Urteileos kaum absprechen können.
Nim hat Sigwart (Logik I. 23) sehr fein zu unter-
scheiden geglaubt zwischen dem sich bildenden Urteil, das
das eigentliche Denken ist, und dem fortbestehenden Urteil,
das Sprache ist. nättc er recht, so wäre hier einzig und
allein der I*unkt vm linden , wo Denken und Sprache sich
trennen. In Wirklichkeit aber scheint mir das, was Sig-
wart das lebendige Urteil nennt, dem sprachlichen Urteile,
dem Denkakt doch voiauszupehen. Das lebendige Urteilen
ist nichts als oin tastende^ Ver<j^leichen, ein Versuchen, ein
probeweiscs AneinauUerhalten von zwei Vorstellungen, von
denen ilas eine zum Subjekt, das andere zum Prädikat
werden wird. Aber selbst in unserer abgerichteten und ge-
drillten Sprache lUsst sich dieses Verhältnis bei tausend
Gelegenheiten willkilrlich umkehren. Lassen wir die Copula
oder die entsprechende Verhak nuuiiü; fort, reden wii- ¥de
Wilde; „Heiss — Wolke — Wasser — gut," so verstehen
wir uns und machen uns Yerständlich und müssen nur unser
Interesse und unsere Wttnsche durch stärkere Betonung und
durch fragenden Ton ausdrtteken.
Selbst in diesen komplizierteren Fällen wird der Denk-
akt in dem Augenblick fertig, da er zu Worte kommt. Aber
auch der aUereinfachste Denkakt ,das da ist ein Apfel*
vollzieht sich, wenn er bewusst wird, sprachlich. Dass das
Kind und der einfache Mensch solche Urteile sprachlos toU-
ziehen kann, ebenso wie das Hohnchen sein Urteil »das
da ist ein geniessbares Samenkorn* oder vielleicht nur
«das da ist geniessbar*, das beweist nicht, dass wir ohne
Sprache denken, sondern nur, dass das Denken eine spatere
Luznsfunktion ist und . dass zum Vegetieren das Denken
oder Sprechen nicht notwendig ist.
Aber Sigwart und seine Schüler haben es nicht Ter-
hindert, dass die alte Schullogik sich für etwas ausgibt,
.was gelernt werden müsse.
Auf der Stufenleiter der Schullogik steht das Urteil,
sowohl seiner Aufgabe als seinem Werte nach, zwischen
316
m. Das Urteil.
dem bescheideuen Betritt" und der stolzen Scllluss^olf/el■unJ_^
Bevor ich weiter zeige, das.-, diese Stufen eher abwärts als
aufwärts lühreu, ja dass sie recht eigentlich den Stufen im
Rade einer Tretmühle gleichen, den Stufen, die ein Esel
ewig aufwärts schreitet ohne sich Tom Flecke xu rühren —
bevor ich diese Fernsicht wie von jeder Wendung des Weges
80 &nch hi«r idge, möchte ich gern auf das Unpassoide
der logischen Beaeichnung hinweisen. Mir scheint das Wort
«Urteil* verwirrend, um so verwirrende, als die deutsche
Volkssprache sich immer noch weigert, bei diesem B^friiF
deutlich an seinen logischen Sinn zu denken*
Urtofl Die Logiker freilich hdfen sich wie gewffhnlidi da-
'^''^^ durch, dass sie zwischen dem Denken und der Sprache
unterscheiden, dass sie also zwischen dem Gedanken und
seinem sprachlichen Ausdruck trennende Formen, am liebsten
grammatische Formen, einschieben. Sie sagen also: der
Satz sei der sprachliche Ausdruck für das logische Urteil.
Wir aber, fUr die das Wort nicht der sprachliche Ausdruck
flQr den Begriff ist, sondern nur eben ein Synonjm fllr Be-
griff, wir sehen in Satz und Urteil daradbe. Wenn der
Chemiker fQr Kochsalz Chlornatrium sagt, so ist ihm das
gelehrte Wort doch nur ein Zeichen für Kochsalz und er^
innert ihn bloss an seine genaueren Beobachtungen des
Dings, das den Begriff veranlasst hat. Wenn der Apotheker
Aqua destillata sagt oder liest, so meint er Wasser und
gibt oft anstatt logisch und ideal reinen Wassers eine fil-
trierte Flüssigkeit, die nur ihren gröbsten Erdenschmutz im
Filter gelassen hat Und B^enwasser ist ihm gar auch
Aqua destillata, wie der gesdmiackloseste Satz immer noch
ein Urteil ist.
Ich habe schon öfter bemerkt . dass selbst Aristoteles
im Verhältnis zu s])äteren Logikern eine ganz lebendige,
natürliche Sprache spricht. Darum gibt es bei den (inet hen
auch noch keinen Unterschied zwischen dem logischen Ur-
teil und seinem sprachlichen Ausdruck, dem Satz (^ro^aot?).
Der «rriechische Ausdruck heisst etwa so riel wie .,etwas
Ausgesprochenes". Die Römer übersetzten dieses Wort ver-
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Urteil ond Satx.
317
sthiedenartij?, aber von Varrü und Cicero bis iuif Bo6thius
immer im natürlichen griechischen Sinn. Erst diis mittel-
alterliche Latein führte für den lugischen Bef^rifi' des Satzas
das Wort judiciuin ein, das bis ditliiu doch üur die richtcr-
licht- Eütscheidun«^ bezeichnet hatte. So Ist die Metapher
vom Richterurteil auf den Satz iu die modernen Sprachen
eingedrungen, wenn auch nur langsam. Das alte deufcsclie
Wort .Urieir schoint «rat Leibolz in logischer Bedeutung
angewandt xu IuInhi.
Das Yerhlitnis dieser Bedentungen l&sBt aicb in romam- jodt-
sehen Sprachen besser verfolgen, weil sie mit dem Mönchs-
latein fester zasammenhängen. So wurde im FransOsischen
aus judicium (im juristischen Sinne) jugemeni, was dann
daneben auch die Beurteilungskraft oder den Verstand und
end£ch auch das Urteil im logischen Sinn oder den Sati
bedeutet. Die unscheinbare Bemerkung, dass jugement im
Fransösischen auch tan Gutachten bedeuten könne, wird uns
nach dieser kleinen sprachgeschichtlichen Abschweifung auf
unsem Weg zurttckfElhren.
Jugement bedeutet .Gutachten*, weil es auch Urteils-
kraft oder Verstand bedeutet. Der Venuch des 18. Jahr-
hunderts, .Urteil" in diesem Sinne zu gebrauchen (z. B.
ein Hann von viel Urteil), ist nicht recht geglückt. Wie
kam aber die Sprarhe dazu, diese Metapher Uberhaupt zu
bilden? Wie kam die Sprache dazu, das Büd von der Ent-
scheidung Aber eine Schuldfrage auf den psychologischen
Vorgang anzuwenden, der im Aussprechen eines Satzes be-
steht? Ich glaube, das kam so:
Die Scholastiker waren bei aller Verkehrtheit im grossen
ganzen doch im einzelnen scharfsinnig genug zu bemerken,
dass die Logik sie im Kreis herumführte. Sie .sahen zwar
nicht ein, dass die Logik nur eine Spielerei mit psycho-
logischen Vorgängen ist; aber sie mussten in jedem ein-
zelnen Falle sehen , dass die Lo;^ik untVuchthar ist. Bei
einem einzelnen Urteile odiT Satze oder einer Aussaj^e kommt
es der menschlichen Erkenutnis doch einzig und allein dar-
auf an, ob der Satz wahr sei oder nicht, das heisst ob der
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318
ili. Da« Urteil.
auseinander gelegte Begriff mit wtrkliclien SinneseindrOcken
ttbereinstimme oder nicht. Die Wahrheit aber oder Ueber-
einstimmung mit der WirkUchkeit ist der Logik Ton Hause
aus eine fremde Angelegenheit. Wir werden später sehen,
dass sich das bei der Schlussfolgerung nicht ganz so Ter-
halt, dass die Logik bei der Schlussfolgerung zwar auch
nicht fElr die Wahrhdt der einzelnen S&tse, wohl aber für
die föcht^keit der Registratur eintritt, wie der Leiter eines
Krankenhauses nach fachmännischer und behördlicher An-
schauung zwar nicht fUr gute Diagnosen einstehen muss,
wohl aber für die Richtigkeit der Bettnummem und die
Statistik Uberhaupt, kurz die Sauberkeit des Krankenjoumals.
Die Wahrheit der Urteile oder Aussagen hat also mit
der Logik gar nichts ZU tfaun. In logischer Beziehung ist
der Satz ^der Kreis ist viereckig" ebenso gut und schöu
wie der Satz „der Kreis ist rund". Wenn nun die Wahr-
heit das Einzige ist, was uns an den Sätzen interessiert,
wenn ferner die Logik zu deren Wahrheit gar keine Be-
ziehimf»" hat, so hätte die Lot^ik für unsere Anssaj^en keinen
Sinn, und weiterhin keinen Sinn für unser Denken, das doch
nur eine Kette von Sätzen ist. So musste der rein for-
malen L(><?ik Gewalt angethan werden; sie wurde ohne jede
liOs^itiniation zum Richter über Wahrheit und Unwahrheit
ernannt, nicht anders al.s wie Sancho Pausa auf -meinem Esel
zum Statthalter über eine Insul gemacht umden ist. Wir
wissen, dass unser Denken nur ein Besinnen auf unsere
Sinneseindrücke ist, das Gedächtnis in Wortzeichen, wir
werden also nicht davor zurückscheuen, den hohen Begriff
der Wahrheit etwa mit dem eines gesunden Gedächtnisses
zu erklären. Wii wissen nicht, was Wahrheit sonst sein
möchte. Die Sprache jedoch, besonders die scholastische
Sprache, personifizierte ahnungslos Wahrheit und Unwahr-
heit in zwei streitenden Weibern, die Sprache löste Ton dem
Fetisch «Gehimthätigkeit* (den ich leider nur mit dem
menschlicheren Fetisch «Qe^htnis* vertauschen kann) dm
aufgeputzten Göteen Verstand los und setzte ihn zum Bichter
ein Uber die beiden streitenden Weiher. Und wie sich die
819
Dummheit der menschlicheii Sprache mitunter in Worten
▼errikt, 80 war es auch hier. Die Entscheidmig über Wahr-
heit und Unwahrheit wird ein Urteil (Judicium, jugem^t)
genannt; ebenso aber der Richter, der das Urteil fällen soll.
Man siebt: der Richter, der personifizierte Verstand, ist
nichts als das Wort, das den Satz bedeutet. Das Urteil
(die Urteilskraft) beurteilt das Urteil (die Wahrheit des
Urteils). Le jugement juge le jugement. Es ist nicht meine
Schuld, wenn ein so grausamer Unsinn in logischer Sprache
möglich ist; und es ist mein Vrirlienst, wenn ich diesen
Satz, den ich mir eben erfunden habe, und den ein Logiker
oder Grammatiker ftir tiefsinnig halten kdnnte, uneigennützig
für grausamen Unsinn erkläre.
r^oprikor und Grammatiker sind in diesem Falle gleich
zu behandoln. weil die loffiscbc Richtigkeit eines Satzes mit
seiner rrramniatischen I{i( htitrkoit zusammonrällt. Wenn jo-
TTiand saj^t ^alle Bäume haben Bliiftor'*, so kann die Loj^ik
nicht widersprechen, weil die Grammatik nicht widerspricht.
Der Satzbau ist in Ordnung. Was der Kichtifjkeit dieses
Satzes widerspricht, was ihn fflr falsch erklärt, das ist unser
Gedächtnis, das sich auf das Dasein von Nadelbäumen be-
sinnt, oder vielmehr darauf, dass wir gewisse Formen
dieses Pflanzenorgans in unserer SpT-ache nicht Blatt zu
nennen pflegen. In einer anderen ^Sprache mag der Satz
,,alle Bäume haben Blätter" ein wahrer Satz sein.
Von diesem Punkte scheint mir die gan/.c Verkennung
und UeV>ersehätzung der Logik auszugehen. Weil man sich
nicht entschliessen konnte, die Logik über Bord zu werfen
als eine unfruchtbare, ja perverse Spielerei, darum musste
man ihr. ein Urteil über die Wahrheit des Denkm auf-
halsen, darum nannte man die einfachsten Sprach- oder
Denkbestandtdle, die S&tze, mit einer unglücklichen Metapher
Urteile, und darum wurde und wird das Urteil definiert
als »das Bewusstsein über die objektiTe Gültigkeit einer
subjektiven Verbindung von Vorstellungen*. Man achte
wohl auf den sprachlichen Ausdruck. Die Definition passt
einzig und allein auf das Urteil im richterlichen Sinne. Das
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320
III. Dm Urteil
iDig ein Bewusstsein ron b^od dner Wahrheit seiD. Hui
deAoieit einfach ein falsches Bild und wendet nachher die
Definition auf das bildlich Ausgedrückte an. Das ist genau
so, als ob ein Arzt eine Augenoperation an einem Menschen
TOmehmen wollte, weil der Mensch von einem schlechten
Maler schielend gezeichnet worden ist. Wir haben da ein-
fach eiTK- unrrcwöhnlich schlechte Definition Yor uns. Das
Wort «Urteil" wird eben in zwei gänzlich verschiedenen
Bedeutungen genommen; einmal bezeichnet es den Satz,
das andere Mal die Entscheidung über die Richtigkeit des
Satzes, einmal den Angeklagten, das andere Mal den Richter-
spruch oder gar den Richter selbst. Die Wahrheit ist die
Gesundheit des (redät htnisscs; die Wahrheit ist das Heilig-
tum, in welchem das Frauenzimmer Logik zu schweigen
hat. Die Wahrheit ist die letzte Sehnsucht der Sprache,
ihre Metai)hy.sik; das Urteil Ober die Wahrheit, das Urteil
als eine Entscheidung fällt zusammen mit der Gesamtheit
unseres geistigen Lebens; das Urteil im lo;:,n'<?chen Sinne,
der Satz, ist die gemeinste und nie irigste Aeusserung dieses
Lebens, ist die gloichgttltige Verkuppelung zweier W^ort«.
Das Urteil über die Wahrheit ist eine unerreichbare Sehn-
sucht, ein Phantom wie der Gott im Himmel; das logische
Urteil oder der Satz ist handgreiflich und ruh wie der l'luile,
der gewerbsmässig ein Paar zusammenspricht. Der Satz
„der Käse ist reif* ist logisch ebenso gut und schön wie
der Satz .die Logik ist ein madiges Nahrungsmittel* ; über
Wahrheit oder Unwahrheit der Etttae hat die Logik kein
Urteil, keine Gewalt, keine Meinung.
Gehört aber die Entscheidung Ober die Wahrheit eines
Sataes nicht vor das Forum der Logik, so hat auch ihre
mittlere Stellung zwischen Wirklichkeitswelt nnd Sprache
keinen Sinn mehr. Und die BemOhungen der neuem Logiker,
die realen Kategorien über die logischen hinweg zu den
grammatischen zu führen, rerlieren jede Bedeutung. Wir
müssen wieder einmal festhalten, wie es au diesem Wider*
sinn gekommen ist* Die Menschheit hatte nichts als ihr Oe-
daehtnis oder die Sprache, um sich in der Wirklichkeitswelt
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£iiiteUaiig der Urteile spracblicb.
821
zurecht zu finden. Aehnliche Formen der Sprache, aus
denen man instinktiy auf ähnliche Yerhältnisse der Wirk*
Uchkeit achloss, gaben Yeraalusung, sprachliche Thabaohen
so ordnen, die man nachher für sprachliche Regeln oder
für Grammatik ausgab. Wurden diese Regeln so abstrakt
gefasst, wie die Buchstaben der Algebra ftr die Ziffern der
Aiitiimetik eintreten, so nannte man diese gegenstandslose
Bpraclilehre Logik und bestand darauf, ihre Kategorien,
also die Wortarten der Sprache, in der Wirklichkeit wieder
lu finden, womit man eben das W<dMtsri widersimiig zu
iOsen hofile, nidit anders, als wenn jemand einen firanzösi*
sehen Rebus mit deutschen Worten auf Uteen wollte. Qans
und gar nicht anders, denn die Wirklichkeit spricht nicht
wie die Hensehsn, nicht in Worten, sondern rebus, in Dingen
(n> 149). Wollen die Logiker nun von der Wirklidikeit
zur Sprache snrOckkehren, so mtlasen sie wieder den ganzen
Umweg Aber die Logik und Grammatik machen.
Die ganze länteiiung der Urteile nach ihren prädika-
tiven, objektivischen und attributiven Verhältnissen ist ein
unglflcklicher Versuch, die Thatsachen unserer Kultur- Urteile
sprachen der Welt der Wirklichkeit aufzuzwingen. Hätte
deren Grammatik mit der neuem Naturwissenschaft und
Psychologie gleichen Scliritt gehalten, so wüssten wir jetzt,
dass der Unterschied der sttbstantiyischen , adjektiTischen
und yerbalen Prädikate in der Wirkliclikeit nicht besteht,
weil doch nur die alte Sprache es ist, die Sinneseiudrücke
der Bequemhchkeit wegen nach den Kategorien der logisch-
grammatischen Kedeteile unterscheidet, so wüsste jedes Kind,
dass die oHjektivischen Verhältnisse uns nur helfen, uns in
Zeit und iiaum der Wirklichkeit, in ihrer Kausalität, zu-
rechtzufinden, dass die attributiven Verhält lusse nur sprach-
lich in die Verbindung Ton Wahrnehmungen Ordnung zu
bringen suchen.
Auf den Grun lirrtum jedoch^ der logischen Spielerei
eine Entscheidung über Wahrheit und Unwahrheit der Sätze,
ein Urteil Ober die Urteile, zuzutrauen, beruht die Einteilung
nach Qualität und Modalität, das heilst die Einteilung in
Xftiila«r, Btttrtst m «incr Kritik dw SiwMI«. JSt. 21
Ein-
sprscii-
lieh.
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322
III. Daa Urteil.
bejahmde und veraeinende Sätze einerseits, in mögliche, in
angenommene und in bewiesene Sätze anderseits. Dabei
bemerkt die Logik gar nicht, dass Bejahung und Verneinung
der Sprache mit Wahrheit und Unwahrheit der Erkenntnis
gar nichts zu thua bat, dass anderseits der Grad der Qe-
wissbeit eines Satzes, seine Wahrscheinlichkeit, bald ein
Schwanken, bald ein streng wissenschaftliches Ergebnis aus-
drucken kann. Der Satz «die £rde steht nicht stiir ist
sprachlich und lügisch eine Verneinung, psychologisch eine
sehr positive ^Vahrheit. Und wieder: bin ich ungewiss, ob
der Würfel beim nächsten Wurf die Zahl 6 zeij^en werde, so
ist mein psycholoo-isclier Zustand der der Unsicherheit. Dass
aber die Wabrscheinlii lilceit in diesem Fallo fjleich sei einem
Sechstel, das isf nut sichere logische Wahrheit. Während
wir g^lauben, dass unsere Sinneseinrlnlcke und BegriflFe wohl
von etwas herrühren, was in der Wirklif^hkeitswelt den
SiuiJCisenKlrücken und Begriffen aualog ist, kumiiien wir also
hier zu der felsenfesten Ueberzeugimg , dass in der Wirk-
lichkeitswelt absolut nichts vorhanden ist, was irgendwie
entsprechen könnte den substantivischen, adjektivischen und
verbalen Formen unserer Prädikate, was irgendwie ent-
sprechen könnte der Bejaliung und Verneinung, der Gewiss-
heit und Uiigewissheit in unseren Sätzen. So wenig es den
Hond kümmert, ob ein Hund ihn anbellt, so wenig weiss
die Natur von der menschlichen Sprache. «Die helle Sonne
leuchtet." So red^ wir Memclrai und «mige von uns
haben dabei etwas wie eine Vorstellung Ton der ungeheueren
Gasmasse, welefae Ober 100 Millionen Kilometer von uns ont*
fernt die «Bewegung'' Terursacht, die wir mit unsem Augen
wahrnehmen und je nach Bequemlichkeit «Sonne*, «hell*
oder «leuchten* nennen. Das SubstantiT allein, das Ad-
jektiv alldn, das Verbum allein kann unter Umstanden
(z. B. als Antwort auf eine Frage nach dem Wetter) durch-
aus und ToUstftndig den gleichen Ckdanken geben wie der
ganze Sats «die helle Sonne leuchtet*, der auch so Uber^
flflssig, so luxuriös klingt wie ein Vers. Und dem Satse
«die Sonne leuditet nicht* entspricht in der Wirldichkeit
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Urteile psjohologitch l^atologien.
823
durchaus kein« Nation. Und durchforschte man das
UniTersum bis sn den Enden der Müchsb-osse, man süesse
auf nichts Kegatives. Immer sind es positiTe Wolken oder
Nebel, oder die Stellungen der Sonne (hinter dem Mond
oder unter unserem Oesichtekrds), immer sind es positiTe
Dinge, die uns sagen lassen, dass die Sonne nicht leuchtet
Und wenn wir ungewiss daiflber smd, ob morgen Sonnen-
schein sein wird, oder darQber, ob nach Ifillionen Jahren
die helle Sonne leuchten wird wie heute, so ist die Un-
gewissheit einzig und allein in uns, in unserem Wissen
oder unserer Oettchtnismasse. Li der Katur ist, ob moi^n
schönes Wetter sein und ob die helle Sonne nach Millionen
Jahren leuchten wird wie heute, so gewiss, so notwendig
gewiss, wie fUr uns kaum der Si^ dass sweimal zwei vier
ist. Kur die Sprache oder der Verstand kann dumm sein
oder unsicher ; die Natur ist sprachlos, sie kann nicht sweifeln,
weil sie nichts weiss.
Man hat nun von Alters her diese spielerische Ein> Urteile
teüung der Urteile nach Qualität und Modalität mit einer
andern, scheinbar nützlicheren verbunden (der in allgemeine
und partikulare Urteile), und die Kombination beider Ein-
teilungen liegt dem VirtuosensUlck der Logik zu Grunde,
der Lehre von den Scblussfolgerungen. Bevor wir diese
vernünftigere Einteilung der Urteile, die nach ihrer Quan-
tität, auf ihren Wort ]ir(lfen, wollen wir uns darauf be-
sinnen, was uns ein batz oder ein Urteil ist, wie ein Satz
oder ein Urteil psychuloginch entsteht.
Die Schullogik, welche ein Fortschreiten vom Begriff
zum Urteil, zum Schliiss, zum Beweis, zur Wissenschaft und
am Ende gar zur Welterkläruug behauptet, muss natürlich
lehren , der Satz oder das Urteil «▼ehe Ober den Begriff
hinaus, denn er oder es verbinde zwei Begriffe, noch dazu
mit dem Bewusstsein von der Richtigkeit dieser Verbindung.
Wir wissen jetzt, dass die Entscheidung über die Richtig-
keit die Logik nichts angehe, und vermuten .scaun, dass die
Verbindung der Hegriffe rein sprachlich sei, unwirklich, dasa
die Logik sich zwischen dieses gespannte Verhältnis ganz
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324
III. Da« Urteil.
recliUos und fniclitloe einmisclie. Leider entstelieii S&fze
tiher nur in der Schule durch ftueserüdie Terbindung
▼OD Worten oder Begriffen* Jn Wahrheit, psychologiflch,
in unsMem Ckhim entstehe S&tae so, dass sie geringer
sind ak die Begriflfe. Nicht die Begriffe sind es, die eich
zu ^tien ausammenfllgen, sondern Sitae sind es, in denen
wir die Begrüfo an fassen suchen, in denen wir den reiehen
Inhalt der Begriffe serldeinem. In bequemes Kleingeld um-
setsen.
Die Definition umfasst noch den ganzen Begriff. In
der Definition besinnen wir uns noch auf den ganzen Inhalt.
Richten wir aber unsere Aufmerksamkeit nur auf ein ein-
ziges Merkmal des Begriffs, nur auf einen einzigen Ton den
SinncBMudrücken, die wir uns durch das Wort gemerkt
haben, wiederholen wir nur eine einzige Teilerinnerung, eine
wichtige oder unwichtige, so haben wir etwas gesagt, so
haben wir einen Satz, und wenn wir gelehrt thnn wollen,
so haben wir ein ürteO.
Tautx)* Man achte wohl darauf, dass wir die Definition als
logien. pI^p reine Tautologie erkannt haben, eine Tautologie, die
nur den Wert hat, unserer Aufmerksamkeit bequeme Merk-
zeichen zu bieten. So ist in der Algebra jede Gleichung
eine Tautologie, die es unserem Interesse und seiner Auf-
merksamkeit leicht macht, die beiden gleichgesetzten For-
meln 7A\ ver;i:leichen; wobei es symbolisch ist für unser
Denken, ila^- die Mathematiker sich gewöhnt haben, die
Formehl so lange zu bearbeiten, bis auf der einen Seite des
Gleichheitszeichens die 0 steht, die selber gleichmachende
Gewalt hat wie der Tod. Ist nun der Satz nur ein Bruch-
teil dei ])tfinition, die sicherlich eine Tautologie oder eine
Nuli als Atquivalent der Beziehung der Gleichheit ist,
so ist der Satz oder das Urteil weniger als eine Tauto-
logie, weniger als nichts. Dieses grausame Ergebnis ist der
wissenschaftliche Ausdruck dafQr, dass der weitaus grösste
Teil der im Verkehr der Menschen geredeten Sätze ein Ge-
schnatter ist, ein leeres Geschwätz, in welchem wir uns
nidit einmsl auf die Bedeutung der Worte besinnen. Der
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Tautologien.
825
Wert all dieser noch untertautologischen Sätze ist logiack
weniger als Null.
Wie Avenig kommen wir in der Kenntnis weiter, wenn
wir (der gemeinst«^ Fnll) von einem Subjekt spinrn höheren
Artbegriff aussagen, ihn zu seinein Prädikat machen ! Der
Schüler bekommt sogar eine gute Zensur, wenn er sagt:
,Der Hund ist ein Säugetier." Und das zweijährige Kind
erhält einen Kuss, wenn es lallt: «Das da (ohne Copula und
Artikel) Wauwau."
iiunderttausende von Jahren hat die Menschheit Mil-
liarden von Hunden gesehen und langsam, langsam den
Begriü ^Hund" in ein Wort gefasst, tausende Ton Jahren
hat sie gebraucht um die Hunde unter den Begriff der
säugenden Tiere (das Säugen schien uns wesentlich) za
fassen. Wer nun den Begriff richtig gebraucht, wer einen
Pfennig ans dem Kasten zieht, wohinein die Ahnen Mil-
lionen Pfennige getüian liabea, vellfUiit kein grOasores Ennafc-
stück, als wer einen Apfel mit seinen Fingern festhftlt und
üu 80 zum Munde fUirt.
Was wir da lernen ist und bläbt immer nur die Spraehe.
Und wenn wir die Sprache bis su ihrem logischen Ideal
fortentwickelt hStton, wir kftmen mit den ewigen Taulo-
kgien Ton Definitionen und daraus herrorgespoimenen Ur-
teilen nidit weiter« ea wftre eine ewig sich drehende Muhle
ohne Oetrmde, wenn nicht Ton Zeit an Zeit das Genie eine
neue Beobachtong, eine neue Entdeckung zwischen die
mahlenden Stdne wflrfe.
Sonst sind alle Urteile Tautologien oder noch wert-
losere £tee. Entweder ich gehe vom Angeschanten aus
und sage: »Das da ist Wasser/ oder ich gehe vom fertigen
Begriffe aus und sage: , Wasser ist flüssig." Das erste Mal
ist die Denkthätigkeit so minimal, dass es für gewöhnlich
nicht onmal bis zum sprachlichen Ausdrucke kommt; nur
wwn ein Zweifel vorhergegangen iak^ pflegt so etwas be-
sonders in Worten gedacht oder gesagt zu werden. Das
zweite Mal liegt die Tautologie auf der Hand; denn wer
V Wasser" denkt, denkt die Eigenschaft , flüssig" schon mit.
326
III. Das Urteü.
Und so sehr hinkt die Sprache der Erkenntnis nach, dass
»ie noch wie in Urzeiten fUr gefrorenes und fiir gasfSmiiges
Wasser völlig irrationale Worte hat, «Eis* und , Dampf,
wSlirend unsere Kenntnisse Terkngen wttrden, dass sich in
den Worten die Identittt der Substanz irgendwie aussprftehe.
Meine Behauptung, dass ein Satz entweder die Er-
kenntnis Tennehre und sich dann niemals mit ganz ent-
sprechenden Worten ausdrucken kuse, oder dass — also
fast immer — er höchstens eine Tautolc^ie sei, ist schwer
demjenigen klar zu machen, der sie nicht wie ein Axiom
einsieht. Der Sprachkritiker kann so wenig wie ein an-
derer Mensch auf seinen eigenen Rttcken springen. Und
man könnte mir entgegenhalten, dass ja die Sfttze «Wasser
ist flQssig*, »Wasser ist durchsichtig", «Wasser ist nass*
den gleichen Inhalt haben müssten, wenn sie nur schwatz-
haftere Tautoh)gien neben dem Begriff Wasser wären.
Darauf erwidere ich, dass nur die Aufmerksamkeit
wechselt, nicht die Kenntnis. Wie auf meiner Netzhaut
das Bild eines Schmetterlings erscheint und es in meinem
Belieben, das heisst in raeinen Zwecken liegt, ob ich ober-
flächlich die ganze Erscheinung betrachte oder ob ich die
Augen, die Flügel, die Füsse, die Antennen nuf den Fleck
des deutlichsten Sehens einstelle, ob ich endlich an den
Antennen nur die einzelnen Glieder untersuchen will, oder
ob die Antennen gesiigt oder gekiunnit sind: so kann ich
sowohl den Begiift' als das Einzelol)iekt ^Wasser* entweder
ohne schade Einstellun«^ des Denkens zusarnniendenken, oder
auch augenblicklich auf die Flil-^sigkeit, Nässe oder Durch-
siclitigkeit hin ansehen. Genau betrachtet Liehören
diese Eigenschaften doch immer schon zum BegnÜ wie zur
Anschauung.
Syntheti- Statt „Tautologien'' könnte man auch sagen ,analyti-
UvtvO«. ^^^^ Urteile", „wenn (Sigwart I. 102) ein analytisches Ur-
teil ein solches ist, in welchem das Prädikat stlion im Sub-
jekt mit vorgestellt ist." Dann sind aber auch zuletzt alle
Urteile analytisch und Kants Ausgangsfrage zu seiner Kritik
der reinen Vernunft wird sinnlos. «Wie sind synthetische
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SjmtlMtiaclia Urteile.
327
I'rk'ile a priori möglich r* Bevor sie a priori möglich
sein kömien. müssen sviithetist iie Urt»Mle überhaupt sein.
Schleiermacher ist im Hechte, \vtMr. er den UniersLlüed
zwischeu analytischen und synthctischeu Urteilen einen re-
lativen nennt. Er ist nur zu schüchtern. Kelativ ist auch
der Unterschied zwischen gelehrten und unwissenden Men-
schen; eigentlich gibt es al)er keinen absolut unwissenden,
er ist immer gelehrt im A'ei hältnis zum neugeborenen Kinde.
So ist jedes Urteil analytisch i'Lii- den, dem sein Sinn auf-
gegangen ist.
Immer nur die neue Beobachtung, die neue Entdeckung,
die neue Kenntnis kuin «sjniihetisch* genannt werden, weil
und 80 lange sie dem sllen Begriff »binKugefügt* wird. Nur
der Ihitdecker ToDziehi die Synthese. Unmittelbar darauf
wird das Urteil schon wieder analjtisdi; der das Heureka
ruft, der hat allein den eirigen Tautologien oder analyti-
seben Urteilen eine Neoiogiet etwas Syntbetisebes binzu-
gefügt. Wer es ihm nachredet, spricht schon wieder ein
analytisches Urteil. Als Robert Mayer das mechanische
Aequiralent der Warme fand, ftlgte er zum erstenmale
die Begriffe « Erhaltung* und «Energie* zusammen, dehnte
«r den Begriff der Trttgbeit zum erstenmale auf alle Kräfte
aus. Wer es ihm beute aachspricbt, und wäre er Helm-
holta, spricht ein analytisches Urteil, eine Tautologie. Nur
dass er sich nun nach dem Stande seiner Kenntnis mehr
dabei denkt, als wir andern.
Sigwnrt hat unredit, wenn er nach einem sich uns
nähernden Gedankengange (I. 106) meint, solche erklärende
Urteile seien streng analjrtiscb für den. iler der Sprache
mächtig ist; der aber, der sie erst lernt, vollzieht syn-
thetische Urteile, nur so, dass er nicht auf Grund seines
eigenen Wissens urteile, sondern auf Grund eines Glaubens
an die Aussage des Andern.
Hier irrt Sigwart liart an der Wahrheit vorbei. Natür-
lich wäre auch nach seiner Meinung alles aiuxlytisch für
den, der der Sprache in idealer Weise mächtig wäre , das
heisst der Zukuuftsprache, die alles Wissen enthielte. Das
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828
IIL Dm Urtaü.
Aa»iyti- ist ein wichtiges Zugeständnis. Aber der Lernende, der mit
TTrtcUe Worten ihre Definitionen erhält, spricht die Satze
so hinge papageienhaft nacii, bis sie ihm verständUch, das
heibst analytisch werden.
Nicht der Schüler, nur der seltene Meister vollzieht
Synthesen. Sokrates war weise genüge das Lernen für ein
blosses firionem zu erklären.
In der bes^Hmenen Spndie der Wissenschaft, wo der
Sats sich gern em Urteil nennt, liegt die Sifibe daram oidit
ganz so Terzweifelt wie bei den untertauftologisdien SUsen
des AUtags. Da nebtet sieb wobl die Aufmerksamkeit aaf
ein einiebes Merkmal, die Obrige Definition wird unklar
mitreratanden und so wird der Sats oder das Urteil docb
wieder zur Tautologie, zu einer Tautologie unter besonderer
Beleuchtung; das belle Liebt iUlt auf einen bestimmten
Punkt, der um so deutlicber wird, je mehr der übrige Teil
des Bildes im Dunkel Terschwindet.
Wenn unser Haaswurst sich einen Kftse bat geben
lassen und nun seine Tischgesellschaft das Erdgnis be-
schwatzt, so kann leicht der Satz ausgesprochen worden
«der Käse ist durch" wie etwa der andere Satz , Sparsamkeit
ist eine Tugend". Beidemal ist offenbar der Wert des Ge-
redes unter Null. Es kann aber auch, wie gesagt, die Auf-
merksamkeit auf das Prädikat gelenkt werden. Der mOssigo
Professor kann gefragt werden, ob Sparsamkeit zu den
Tugenden gehöre, ob sie fUr die menschliche Gesellschaft
gut und bekömmhch sei ; ebenso kann ein anderer Professor
vor Gericht daraufhin befragt werden, ob es zum Begriff^
Käse gehöre reif („durch") zu sein, ob ein anderer als ein
reifer Käse dem menschlichen Organismus gut und bekömm-
lich sei, ob andere als rpjfe Ware den Namen Käse ver-
diene. Und da haben wir auch schon die psychologische
Deutung des sprachlichen Vorgangs. Wenn die Sjuache
den lloirriff Tuge nd in den Definitionsinhalt des BegnÖs
Sparsamkeit aufgeuojnmen hat, so ist Sparsamkeit eine
Tugcii l: oder noch dümmer ausgedrückt: Wenn wir Spar-
samkeit moimer oder gewöhnlich eine Tugend nennen, so-
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EnUileiide Urteile.
82»
wollen wir sie auch heute eine Tugend nennen. Und wenn
es zum Begriff des lütees gehört, reif zu sein, wenn der
Sprachgebrauch den unreifen Käse einen Quark nennt, den
reifen Quark aber erst einen Käse, so darf der Sachrer*
ständige vor Gericht das kategorische Urteil aussprechen
,Käse ist reif oder — wie er dann wohl sagen wird: «Es
gehört (las Reifsein zum Wesen des Käses.* Was sonst
zum vollständigen Begritt' des Käses oder der Sparsamkeit
gehöre, wird bei solchen mangelhaften Tautologien über-
sehen. Wir wissen aber jetzt, dass in allen ^riehen Sätzen,,
den erklärenden Sätzen oder Urteilen, das Denken über
den Begriff nicht hinausgeht, sondern hinter ihm zurück-
bleibt.
Die Satzbildung oder das Urteilen braucht aber nicht Er-
immer vom Inhalt des Begriffes auszugehen ; der Ausgangs- ^^J^j
punkt kann auch der Umfang des Begriffes sein, also etwas,
was der Wirklichkeitswelt näher liegt. Wir kommen dann
zu erzählenden Urteüen. So wenn die Tischgesellschaft
erfährt, dem Hanswurst drohe zu Hause der GerichtsToll-
zieher und er habe, um eine Schuld bezahlen zu können^
«18 Bfl<&gicht anf W«b und Kind, heute «nstatt Schlei in
Dill und Ente mit OU?en nur einen KSee bestellt. «Diese
Sparsamkeit war gut« war Ittblicli, war eine Tugend," heissi
es dann wohl. Oder der Hanswarst selbst war neugierig
darauf, ob sein Stttckohen Esse recht reif sei, oder oV
ehester ein reif» Kftse, kein Quark sein werde; dann kann
er wohl berichten: «Chester ist ein reifer Else* oder »dieser
Eise war reif.
Wenn wir nun schon die Hauptmasse der Sfttse, die-
der «rUftrenden, als Tautologien preisgeben müssen, sO'
fragt es sidi nun, ob nicht wenigstens die enefthlenden Ur^
teile dem Denken etwas hinzufügen, ob nicht wenigstens^
die enEfthlenden Urteile den Esel aus der Tretmühle heraus-
führen. Ich muss antworten: durchaus nicht. Was in der
Schatzkammer unseres Gedächtnisses vorgeht, wenn wir so
ein enählendes Urteil bilden, das ist keine Bereicherung^
es ist nur eine Untersuchung, ob die betreffende Note-
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380
III. Dm UrteU.
noch Kurswert habe, ob das betreffende Wort nicht wertlos
sei. Wenn wir erfahren, dass die Sparsamkeit Hanswursts
in diesem Fall gut und löblich war, so sind wir und mit
uns die Menschheit nicht in unserer Erkenntnis bereichert,
sondern um einen Einzel&H reidier geworden, in welchem
wir den Spraeligebrauch „Sparsamkeit ist eine Tugend*
durch Uebung befestigen. Und wenn Hanswurst erAhrt,
dass ehester, der «unter B^lse steht", reif war, kein Quark
war, so wird auch ihm der Sprachgebrauch durch Uebung
befestigt, dass das Wort ,Käse* eine reife Ware bedeute.
Wieder muss ich mich gegen die philosophische Ter-
minologie, wie sie besondos seit Kant üblich ist, wenden
und darauf hinweisen, dass erst die hier versuchte Kritik
der Sprache im stände ist, die alten Ungeheuer a priori
und a posteriori auf ihre bescheidene wirkliche Grösse
zurQckauftthren. Unsere fast ganz wertlosen Urteile, die
erUftrenden Sätze, könnte man Urteile a priori nennen, weil
sie auf die Worte unserer Sprache zurQckgehen, weil sie
sich aus früheren Erfahrungen, eben aus unserem Sprach-
schatz oder dem Gedächtnis, ableiten lassen. Und wenn
die historische Entstehung des Begriffs a posteriori nicht
gar so überflüssig wäre, so könnte man ihn wohl auf die
erzählenden Urteile anwenden, weil diese den von ihnen er-
klarten, oder besser, beschriebenen Begriffen für die Zu-
kunft irgend einen kleinen Zusatz zu ihrer Festigkeit geben.
Zu den erzählenden Uiteilen, zu den wertvolleren I^r-
teilen a posteriori, würden dann auch freilich die <^anz wert-
volle'i S'Uzo gehören , die Mitteilungen wirklich neuer Be-
olip.rl li ' m<jen , welche eij^entlich allein zum Fort-^rhritt der
mensciiliciien Erkenntnis ])eitragen. Es ist dann «^lelch-
giiUig, oh durch die neue Beohachtung alte zweifeUuitte
Urteile l Hypothesen j gesichert oder ob neue Urteile (Hypo-
thesen) aufgestellt werden. Immer ist es etwas Neues, was
ein Genie dem Sprachschatze der Menscbiieit hinzufügt. Ob
Newton seine neue Hypothese aufstellt, das Urteil vom Ver-
hilltnis zwischen Gravitation und Fjutfernung, oder ob neuere
Beobttchtuugen seine Hypothese au den sogenaimteii Stö-
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AnthropomorpIiifimDf.
331
rungen der Flanetenbalmeii bestätigen, innnei ist imser
Sprachschatz um ein wirkliches AperQu bereichert worden.
Wenn Mendeiejew die Hypothese von den regelmässigen
Reihen der Atomgewichte aufstellt und bestimmte tmbe-
kannte Elemente mit bestimmten Eigenschaften Toraussagtt
oder wenn dann fünf Jahre spfiter 80 ein neues Element
wirklich entdeckt wird und anstatt <ies apriorischen Namens
Ekauliiminium den aposteriorischen Namen Oallium erhält,
so haben beide Entdecker mit mehr oder weniger Genie
unsern Sprachschatz bereichert. Ebenso hat die Entdeckung
Australiens die Sprache der Zoologie bereichert, sowohl
durch neue Bestätigungen alter Urteile über die Säugetiere
und die Beuteltiere iosbesoudere , als durch Beschreibung
neuer Arten.
«
Wilhelm Jerusalem , der den grössten Teil aller im Anthropo-
Begriffe oder im Worte nachweisbaren Elemente einer un-
bekannten ürteilsfunktion zugewiesen bat. um die Aussichten
von diesem Gesichtspunkte aus zu einem Buche zu sammeln,
kehrt immer zu seinem Ausgangspunkte y.urück, dass jedes
Urteil sein Subjekt als ein Kraftzeutruni auffasse, von
welchem das Prädikat als Wirkung ausgehe. Was ui dieser
Auffassung (Aveuorius) Wahres ist, das lasst sich Tiel
besser als an den Urteilen an den Begriffen oder Worten
beobachten, die wir uns freilich nicht superklug als Kraft^
Zentren Toistellen, die aber ganz sicher anthropomorphisch
gebildet worden sind. Alles ist Personifikation. Durch
Metaphern geht, seitdem es sprechende Menschen auf Erden
gibi, aller Bedeutungswandel und so wird die Metapher, in-
sonderheit die Personifikation, bereits geholfen haben, als
sich der erste Schrei zum Sprachworte umwandelte. «Nur*
die noch unaufgeklärten tiefem Beziehungen zwischen Oe-
h6r- und Sprachorgan einerseits und Empfindung anderseits
müssten noch aufgeklärt werden, um ein Phantasiebild der
ersten Sprache zu entwerfen. Freilich darf man nicht den
Fehler begehen, die scharfe Trennung zwischen dem eigenen
Digitizcü by ^(j^j-j.l'^
382
m. Dm UrteU.
lind dem fremden Individuum, z\viv( hen bewusstem und uu-
bevvusstem Willen, zwischen or^'iiiiisclier und unor^nischer
Welt, die wir hei solchen Untersuciiungen im Sinne haben,
schon den sfiraehschöpfenden Menschen einer Urzeit in die
arme Seele zu legen. Die Apperzeptionsmassen eines mo-
dernen Psychologen sind doch am Ende reicher und in
ihrem Keicuium tliach die Sprache besser geordnet als die
Apperzeptioüsmassen irgend eines Vorfahren, der das Häu-
schen der Baumkrone einer sprachbegabten Baumseele zu**
schrieb. Um den Abatand dautlich au sehen, wollen wir
lieber den Vorgang beim Menschen und beim Tiere Ter-
gleichen. Ein Hund wurde einmal dadurdi ängstlich ge*
macht, dasa ein Sonnenacfairm, der neben ihm aufgespannt
auf der Wiese lehnte, Tom Winde bewegt wurde. Der Hund
erschrak offnibar Uber ein belebtes Ungeheuer, fübet etwas
was die TielgerOhmte Phantasie der Griechen etwa die
Sonnenschirmdryade genannt bitte. Dieselbe Phantasie der
Griechen machte es aber nicht anders als der Hmid, wenn
sie die Winde als belebte und sehr kräftige Wesen auf-
fesste. Es ist dabei charakteristisch, dass dieee persmufi»
lierten Erreger des Windes oder viebnehr die Erreger der
Windwirkungen, nicht ftir jedes gslinde Windeswehen be-
mflht wurden^ wo ihre Kamen mehr dekoraÜTes Beiwerk
war^, dass die Windgötter eigentiich erst in Aktion traten,
wenn die Windwirkung Furcht erregte oder Schaden stiftete.
Nun ist es uns heutsutage fast ebenso sdiwer, TOn
unseren Apperzeptionsmassen zu abstrahieren und uns das
Weltbild eines Vorzeitmenschen Torzustellen, wie es uns
schwer ist, die Welt aus dem Gehirn eines Hundes heraus
zu verstehen. Goethes lichtspendender Satz: ^T)er Mensch
begreift niemals, wie anthropomorphisch er ist," hat für
mich diese Bedeutung: wir wissen und sagen, dass alle
unsere Begrifte anthropomorphisch sind, aber wir wissen
trotzdem nif ht. in wie hohem Grade sie es sind, wir wissen
es darum nicht, weil es ein Abstractum Mensch nicht gibt,
weil der Mensch, der sich die Welt nnrh stMneni Bilde nach-
geschaÜen hat, sich zugleich während der Entwickeiung des
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Qeqpenster.
333
Weltbildes weiter entwickelt hat und er so tiutz aller ne-
sprachbistorischen Untersuchungen niemals erfahrt, was er "P*"*
in seiner Sprache oder in seinem Denken an Gespenstern
aus der Urzeit mit sich herumti ägt. Die Toton der Sprache
werden nicht begraben. Die Sprache oder dag Denken
trigt die Leichen aller Toraogegangeneo Geschlechter mit
ach herum.
Am ehesten kOnnen wir nns nock in die Zeit, da das
Hensdiengefaim noch nicht der Friedhof seiner eigenen Ver-
gangenheit war, lurackrersetBen, am ehesten kOnnen wir
nns noch in die Weltansdiauung eines Hundes oder eines
Menschen an der Schwelle der Spraehschdpftmg hinein-
denken, wenn wir uns in unsere eigene Kinderaeit zurflck-
Terseteen und diesen Zustand durch Beobachtungen an Kin-
dern objektiy naehprflfen. Da werden wir daqenige, was
den Baum und die Sonne, die Tisehbnte und den Poraellan-
hund belebt, nach Jerusalems Ausdruck su einem Xraft-
xentmm macht, durchaus nicht mit den sehr schwierigen
Begriffen der modernen Mechanik oder Fbyohologie als
Kraft oder als Wüle aufgefasst sehen, sondern als etwas,
was ich am besten durch das Wort Gespenst (in dem Sinne,
den es bei Stirner und dann bei Ibsen gewann) wiedergeben
BU dürfen glaube. Das Tier und das Kind sieht überall Ge-
spenster, wie der Urmensch und wie der gläubige Spiritist.
Das Tier und das Kind sieht aber diese Gespenster überall
erst dann, wenn es erschreckt worden ist, wenn seine Auf-
merksamkeit auf eine wirklich oder scheinbar bedrohliche
Erscheinung prelenkt worden ist. Die Furcht nia^ nicht nur
die Götter f.(ebildet haben (nach dem altfn Worte), .sondern
auch die ersten Be^riife . welche darum ihre Verpottunj^,
ihre Personifikation bis heute nicht ganz los geworden sind.
Diese Geisterseherei, welche das Tier und dü-< Kiud
weiter treibt, knüplt vorsprachlich bereits au die Objekte
der Wirklichkeitswelt an. Der Hund vergeistet den Sonnen-
schirm ohne ihn nennen zu können, das Kind vergei.stet die
Kohlt nkiste oder das nächtliche Ticken der Uhr, bevor es
die bezügiicheu Worte mit den Apperzeptionsmassen eines
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884
III. Das ürtfloL
Erwachsenen verbi^il t. Es steht nichts im Wege diese
Gesp^sterfurcht , diese Vei ^relstung des Objekts ein Urteil
zu nennen, ein falsches Urteil. Diese Urteilsfimktion ist
eine That des VeTBtandes, die mit der Sprache nichts la
scliafTeu hat. AssocüareB sich dabei die Erinnerungoi an
gleichartige Objekte in einem Begriffe oder Worte, so geht
die Vergeistung des Objektes natürlich mit in den BegnS
oder das Wort über. Jahrtausendelang arbeitet nun das
Menschengeschlecht daran, die Objekte besser zu betrachten
oder zu bourtcilra und so die Bedeutunp des Wortes, wel-
ches gleiclr/citiLT einen Lautwandel durchmachen mag oder
nicht, mehr und mehr von Gespenstern zu reirigcu. Die
Elemente des Denkens bleiben aber nach wie \>n- am Be-
griffe nder Wortn haften. Nicht in den Urteilrri. sondei ii in
den liegriHen steckt die Antbrnpomor])hisK i iuil:" 1' r Weit.
Die sogenannten Urteile sind (um Kants Tennmoiogie an-
zuwenden) entweder analytisch und dann sind sie wertlose
Tautologien, in denen sich höchstens die Richtung der Auf-
merksamkeit ausspricht: oder sie sind synthetisch und dann
sind sie keine Urteile, sondern neue Beobachtungen, deren
Assimilierung an die bisherigen Apperzeptionsmassen wir
als Urteilsthätigkeit empfinden.
Apirer- Mit dem Begrifte Urteil bezeichnen wir also zwei Be-
Bcption. wuggtseinszustände, welche von Hause aus an die entgegen-
gesetzten Enden der traditionellen Logik gehören würden;
den Zustand nimlich, in welchem wir ixgend eine Wahr«
nehmung madien, indem wir sie in unsere Apper^eptionS'
masse annehmen, sie einem bereits ▼orhandeneo Worte
angliedern, und den zwdten Zustand, in welchem wir unsere
Aufmerksamkeit auf das Wort und seine Entstehung richten
und ein sogenanntes Urteil mit Subjekt und Mdikat aus
dem Worte wieder herauswickeln. Der zweite Bewusstseins-
zustand ist der gewöhnliche bei unserem Sprechen und
Denken; der erste Bewussteeinszustand ist deijenige, welcher
die Individualsprache oder die Weltanschauung des Ein-
zelnen wachsen lasst und welchen wir uns auch bei den
Entstehung der Sprache gegenwärtig denken mdssen. Hau
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ApperxeptioD.
33^
kflnnte auch die zweite Art von Urteilen Urteile aus Worten
nennen, den ersten Bewusstsetnestutand das Entstehen der
Worte aus Urteilen. Bei diesem Entstehen der Worte ans
Urteilen macht es nun einen wesentlichen Unterschied, ob
die Entwickelung des Wortes aus der eigenen Thfttigheit
kommt oder nicht, ob die Spracherweiterung autodidaktisch
gelernt wird oder nicht* Der Autodidakt bildet sich wenig»
stens begriffliche Gespenster nach seinem eigenen Bilde;
der Schüler nimmt die Gespenster des Lehrers an, was den
Gespenstern aucli voch den letzten Rest ihrer subjektiven
Realität nimmt. Mach (Analyse der Empfindungen S. 150)
hat sehr fein beobachtet, wie ein Kind gelegentlich die
Federn des Vogels Haare nennt, die Hömer der Kuh Fühl-
hörner, die Bezeichnung Bartwisch sowohl für den Bart-
wisch selbst als fttr den Bart des Vaters und den wolligen
Samen des Löwenzahns anwendet. Ebenso nennt der ge-
raeine Mann ein Rechteck p^cwöhnlicli nur ein Viereck.
Mach fügt hinzu: „Die meisten Menschen verfahren mit den
Worten ebenso, nur weniger aufffillond, weil sie einen grös-
seren Vorrat zur VerfHijiinir haben." Nicht darum allein
ist es uns weniger autfalh ml . sondern vielleicht auch weil
Menschen von der gleichen Biiduugsstute den gleichen
Wortvorrat zur Verfügung haben , weil einer an die Ge-
spenster des anderen glaubt. Da^i Kind sieht zwischen dem
Bart deü Vaters und dem reifen Löwenzahn eine Aehnlich-
keit; die höchst gebildeten Naturforscher sehen Aehnlicb-
keit zwischen den Kör])eni und deren kleinsten Teilen, die
sie Atome nennen, und vielleicht ist bei solchem Wortaber-
glaubeu das Kind sieb der Un Wirklichkeit de« Gespenstes
besser bewusst als der >»'aturforschor.
Die erste Gruppe von Ui'teilen allein fallt unter den
alten Begriff der Apperzeption.
In der französischen Spradbie gehört das Wort der Um-
gangssprache an. Aperceroir hetsst da im Gegensätze zu
▼oir geradem das oherflSchliche, unToUstündige , flüchtige,
wirre S^en, On aper9ott etwas, um es nachher an be-
trachten oder wieder an übersehen.
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336
IIL Du Urteil
Die Apperzeption der Psychologen soll etwas Aktives
«ein, was den apperzipierten Gegenstand an sieh reiset,
während doch offenbar, wenn der Franzose aper^oit quelque
•chose, der Gegenstand aktiv in das Blickfeld des Beobachters
tritt, der mehr passiv bleibt. Also wieder ein Wort, dessen
£ed> iitung schielend ist.
Noch grösser wird die Konfusion durch die Definition,
•welche Steinthal (Abr. d. Sprachw. I. 171) von der Apper-
zeption gibt. Er erklärt sehr hübsch, dass bei der Apper-
2eptiou eines Dings (z. B. eines Pferdes), also bei der An-
wendung" eines Begriffs oder Wort« auf ein Individuum
dieses Begriffs, eine reiche Geistesthiitigkeit zu verfolgen
wäre, dass der ganze bisherige Inhalt des Begriffs in Be-
wegung gesetzt wird und dass , was wir z. B. bisher vom
Pferde wussten, beim Benennen de- neuen Individuums
relativ das Moment a priori sei, wahrend der neue Smii* n-
reiz (der vom neuen Individuum ausgeht) das relative Moment
a posteriori sei.
Nachdem Steinthal diesen fruchtbaren Einfall (der Re-
lativität des a priori) rasch verlassen und vergessen hat,
definiert er also die Apperzeption als die , Bewegung zweier
Yorstellungsmasseu gegeneinander zur Erzeuguug einer Er-
kenntnis".
Da ist Tor allem zu bemerken, dass keine der beiden
YorsteUnngsmasaen den Ansprach eriieben darf, anch nur
relatiT a priori zu keissw, wenn die Apperzeption etwas
zwischen ihnen, wenn sie eine Bewegung ist* leh bin nicht
ängstlick. Ich scheue nickt Tor den Konsequenzen des Ge-
dankens zurück, dass Apperzeption nur eine Bewegung
zwiscken Yorstettungen oder Begriffen, dass sie also etwas
Aeknliches sei wie Chantation. Bs ist mir sogar ver-
fOkrerisch, zwischen den grossen anerkannten mechanischen
Cbundsätzen der sogenannten Ifaterie nnd dem Haupt-
Clement des Geisteslebens, eben der Apperzeption, ein Ana*
logon zu finden. Nur ein Psychologe, der stets Ton d«r
Seele (trotz einer anftaf^chen Mentalresenration) wie Ton
einem Etwas spricht und der der altera Yorstellungsmasse
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Appeneption*
337
die mystische Kraft dee a priori Terleilit, darf nicht auf
deraeLben Seite das Wesen der GeistesthBtigkeit in eine un«
peraSoliche, idüoae Bewegung auflösen wollen.
Und es geht auch nicht. Der Tergkich mit der Gra-
vitation hinkt auf allen vier Füssen der BestiCt die Apper-
zeption genannt wird. Die Stoffe, die Spielzeug der Gra-
Titation sind, sind. Sie existieren, ewig wie ihre Beiiehnngen
aufeinander. Sie sind fr^r uns.
Der Sinneseindruck aber, der durch die Lebensrerwicke«
lungen zufällig im Gehirn eines Einzelmenscben an seinem
bisherigen Vorrat an Eindrücken hinzutritt, der — wie man
es nennt — apperzipiert wird, wird, entsteht erst durch
das Leben. Es ist also wahr, dass ein a priori da ist, ein
Zentrum, ein Ich, ein «sogenanntes Bewusstsein, das heisst
ein Individiml<jf dächtnis, dns nun aus einem Eindruck ver-
stärkt wird. Ks ist also die sogenannfo Apperzeption nicht
etwas zwischen den Vorstellungen, sond' m loch wohl eine
Aktion des Zentrums. Sie ist eher Nalirungsautnahme als
Gravitation. Und das hvj^i in d^m Xamen: Adperzeption.
Da nun aber anderseits diese beitr iler Sache sub-
jektiv, falsch, seelisch, eine Selbsttäuschung sein muss,
wie jede psychologische Beobachtung, da also die soge-
nannte Apperzeption an sich gewiss eine Bewegung ist (nur
nicht die von V'oi-stcllungen)*), so bleibt nichts übrig, als
den unhaltbaren Aus j uck Apperzeption endlich fallen zu
lassen und die Entstt hang der Begriffe oder Worte also
auch die der vorausgehenden Urteile, der „Vor "urteile tiefer
zu gründen als auf diesen Ueberrest einer kindlichen Geistes-
lehre, auf ein tSnendes Wort, Über dessen Bedeutung sich
die Gelehrten nicht einigen kSnnen wie es denn Ober-
haupt rftilich wäre, in den Wissenschaften keine Begriffe
*) Ich meine das so : solange man von Yoratellungen redft und
p8ychologi.«cVi#> Fa^boii'^i^T-nckt.» gebraucht, solange ist es auch ein Ich,
dm apperzipiert; lässt man aber die Psychologie und das Ich bei-
seite, redet man pbjuologiscii von Bewegung, so darf man nifht an
VoxstollmigMi denken.
XMtfen«r, Bdtiif» n «in« XUtlk dar SpndM. m. SS
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Sd6
m. Dm ürtaiL
anzuwenden, über deren Definition nicht aUe Welt imd afle
Sprachen einig sind.
Ich kannte die Apperzeption definieren ala: die An-
wendung des persönlichen Wortschatzes auf ein sich der
Wahrnehmunpf aufdrängendes Ding. Dabei wäre die aktive
Seite der Wirklichkeitswelt (durch das „Aufdrängen") ge-
wahrt und zugleich erklärt, warum der Kenner bei der
Apperzeption so ungleich mehr erblickt als der Laie ; denn
es i«t kfiTip Frage, dass der Pferdekenner an einem vorbei-
galoppiereuden Pferde mehr Besonderheiten wahrnimmt, als
ein Laie nach wochenlangem Besitz; ähnlich der Kosen-
zUchter au einer liose. Vor allem !il)pr hätto meine
Definition das Gute, dass sie auf die Bedtuiung des Wort-
schatzes hinweist, der doch nichts weiter ist, als die Sprach-
form der Vorsieiiungsmasse, zu welcher der neue Eindruck
durch die Apperzeption hinzutritt. Auch der Unterschied
zwischen Kennern und Laien ist eigentlich nur ein Sprach-
unterschied. Die genaue Kenntni-^ des Pferdes ist ohne
eine Menge sportlicher Begriffe oder Worte nicht möglich
und umgekehrt. Wer die Ausdrücke sinnlos gebraucht, um
zu flunkern, zu dessen Sprache gehören sie eben noch
nieht. Man erkennt den Sportsman, wie jeden Gewerbamann,
an seiner Sprache.
Trotz dieser VoraQge föllt es mir nicht ein, meine De^
finition ▼orauschlagen. Man soll eben lieber gar nicht de^
finieren, wenn der Begriff nicht gemeinsam ist. Die Apper-
xeption aber ist, wenn meine ErUimng zutrifft, nichts weiter
als ein hilfloser Ausdruck f&r das Nichtwinein: wie wftehst
die Sprache, der Sprachschats eines einseinen Menschen?
Und da wir die mikroskopischen Vorginge bei der Nah-
rungsaufnahme einer Pflanze nicht kennen, so kdnnttti wir
ebenso gut das Ereignis, dass ein MolekQl oder Atom sich
mit einem Pflanzenindividuum Terbindet, so könnten wir
diese Form der Gravitation, diese Bewegung auch eine
Apperzeption der Pflanze nennen.
Und so ist der ganze Fortschritt der Wissenschaften
die Summe der sogenannten Apperzeptionen, das hdsst das
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a priori.
839
nnsclidiibare Waduen des SpnelucliatBeB. Das Kind sagt
eines Tages: «Aha, so ein Ding mit einer Platte und Tier
Beinen nennen sie einen Tisch, auch wenn die Platte rund
ist, trotsdem icli Vislier nur viereckige Tische gesdien habe/
Ganz richtig; aber, am bei Steinthak Beispiel su bleiben,
die Wissenschaft macht es auch nicht anders, höchstens
schlechter. Sie sagt: «Ick werde untersuchen, ob ein runder
— Dingsda auch ein Tisch ist, ob er auch ein Tisch
heissen darf/ Darf? Hier liegt wieder einmal der wich--
ttge Punkt, die üebcrschftteung der Spra lie. Die Wissen-
schaft wird künftig fragen mQssen, wie die Kinder fragen:
ob das runde Ding auch ein Tisch noch heisse und warum.
Das Dürfen muss aus der Sprache der Naturwissenschaft
verschwinden wie das Sollen aus der Aesthetik und aus
der Logik. Beide Hilfsworte sind Zuchthauq'argon der
£thik.
Die Psychologie unterschied früher zwischen Perzeptioii
und Apperzeption, wie sie noch heute zwischen Bewusstaein
und Selhstbowusstsein zu unterscheiden sucht. Da war Per-
zeption etwas, was ungefähr von den Sinnesorganen allein
geleistet wurde, während zur Apperzeption die , Seele** nötig
war. Alle n»Mieren Bemühungen, die Perz» pti m als irgend
eine unklarere Ajii erzeption zu erklären, sind selbst nur
Unklarheiten. Perzeption ist ein Wort, das seihst abge-
stcu ben ist und vorläuiig im Seitentrieb Apperzeption weiter
wuchert.
*
Es ist schon gesagt worden, dass a priori und a posteriori » priori.
(Uder wie man sonst den Gegensatz zwischen Geistes wissen
und Sinnenwissen bezeichnen will) nur Abstraktionen sind,
welche in ihrer Ahgetrenntheit wirklich gar nicht vorkommen.
Man hat aber wohl kaum bemerkt, dass diese beiden Wege
alltäglich und immer beschritten werden, ja dass eigentlich
jeder Begriff, jedes Wort nichte ist, ab der Tref^unkt dieser
beiden Wege, der Kreusweg zwischoi dem schmalen Sinnes-
ehidmck, der von aussen nach dem Gehirn geht, und der
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340
m. Du Urteü.
See!«, das heM dem Ivdten OedielitBisM, das ihn irgendwo
aufiiimmt.
Ohne dieses Innehalieii am Kreuzweg wOrde der ein-
fachste Begriff nieht durdi ,Yor* urteil zu stände kommen
kQnnen. Da tritt ein Sinneseindruck in die Seele: ein Hund.
Es wQrde hei dem unklaren Bilde hleiben, das a posteriori
wie ein Traum an dem engen Guckloch des sogenannten
Bewusstseins TorQbensieht, wenn dieses sogenannte Bewusst-
sein nicht eben das Gedftchtnis selber wäre, das lebendige
a priori, welches darauf lauert, Ton seinem Ghickloch aus
den Sinneseindruck su treffen, einzuheimsen. Oder rielmehr,
das Gedächtnis sitst wie ein Ameisenlöwe in der Grube und
lauert auf Beute. Für jede Art von Eindruck hat es ge-
Wissermassen Rinnen nach seiner Grube, seinem a piiori,
gezogen, welche immer flOr eine bestimmte Gattung be-
stimmt sind. Kommt nun so ein Eindruck in das Gfebiet
seiner Rinne, muss er eben obne Gnade hinunterrutschen
und füllt in den Begriff. Der Beginn dieser apriorischen
Thätigkeit ist das Oeheinuis , welches alle andern psychi-
schen Geheimnisse in sich ^^chliesst. Warum hat man sich
daran gewöhnt, auf Aehnlichkeiten, auf Anali^en «herein
zu fallen"? E^^ wird wohl auf Interesse, insbesondere auf
das Interes«!e der Bequemlichkeit hinauslaufen.
Auf dem Gebiete der liöchsten Begriffe arbeiten a priori
und a posteriori nicht andf^rs ineinander; ja die Kreuzung
ist sogar, weil wir es mit gelehrten Begriffen zu thun haben,
leichter zu verfolgen. So ist es z. B. durchaus nicht rein
a posteriori, wenn eines schönen Tages, nach mehrtausend-
jährigen Vorarbeiten, die Ellipse als Plaueteubahn entdeckt
wird. Sie wird eben nicht ]>U)»s entdeckt, sondern zuerst
erfunden. Wir freilich, die wir das in der Schule gelernt
haben , halten den Fund fflr eine Entdeckung, also für
aposteriorisch. Aber selbst Kolumbu-. inusste zuerst a priori,
erfinderisch, sich den Seeweg nach Westen ausdenken,
bevor er auf diesem Wege Amerika entdecken konnte. So
sah auch Kepler die merkwürdigen Gleichungen der Planeten-
hahnen so lange mit Erfinderaugen an, prüfte so lange alle
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Urteil und a priori.
341
Möglichkeiten, bis er a priori auf die Ellipse fiel, die er
dann aposteriorisch nachwies. Nach dieser Thafc wurde
der Begriff Ellipse um den Teilumfang ^Planetenbahn"
reicher, der Bcjrriff Planet um den Teilinhalt Ellipse.
Man iiius:,u .1 priori „von innen", a posteriori ,vou
aussen" übersetzen. Aber viel wird damit freilich nicht ge-
schehen.
Der tiefste Sitz des a priori muss da sein, wo wir
unsere Sinnesempfindungen In Wabmehmungw Terwaa-
deln, die wir dann nach aussen „projizieren*. Ohne diese
aprioristisdie Thätigkeit könnten wir ebenso wenig sehen
oder hdren wie eine Statue. Da nun die Tiere sehen und
hSren, müssen sie eben dieses »Organ der I^ulosophie' aucb
besitsen. HStten sie also auch keine Sprache, so Uttten sie
doch das Hdhere, dos a priori«
£s ist eine feine Bemerkung StemthsJs (Abr. d. Sprach- Urten
Wissenschaft I, 14), dass jeder Denkakt die Eombinierung ^ p^^^i
eines apriorischen und eines aposteriorischen Moments sei,
dass das Subjekt (des Urteils) das aposteriorische, das Fifk'
4ikat das apriorische Moment sei, und dass darum unser
Denken sich in der Form des TJrteib bewege. Eine feine
Bemerkung für jemand, der in der Sprache immer noch
das Werkzeug der Erkenntnis sah. Sonst hätte er nodi
den weitem, vielleicht letzten Schritt machen müssen, zu
sagen: das Urteil ist die sprachliche Form des Denkens,
das erklärende Urteil ist aber nichts als die Einreihung
eines neuen Eindrucks in das Magazin des OedächtnisBes, es
ist also nicht seihst die Bereicherung des Denkens, sondern
nur die Quittung Uber den Zuwachs, es ist also wertlos, wie
da*? Denken selbst. Weil wir aber nichts andres haben,
als die Quittungen, die Urteile in Worten, darum halten
wir uns an sie. Unser Denken oder Sprechen ist nur die
Oberrccbnnnn'skammer , die selbst keinen Pfennig besitzt.
Ich b il I' rhen das Wort gebraucht, -den weitern, viel-
leicht letzten Schritt" ; es war ein recht dummes Wort,
kehrt aber bei allen selbstbewussten Denkern in irgend
einer Form nieder. £s ist nur natürlich, dass wir immer
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842
m. Dm UiteiL
vor einem Abjj^rund zu stehen glauben, wenn wir ins Finstere
treten. So ein finsteres Loch ist ininirr die Zukunft. Eine
Sprache ohne Zukunftsturui des Zeitworts wäre vielleicht
für philosuphische Untersuchungen recht t^eeipiefc. Sie ^viirde
verhindern, aus ignoramus leichtsinnig igiioiiibiimis zu
machen: der „vielleicht letzte* Schritt war so eine duuime
Zukuuftsioriii.
*
BeaelireW Sind wir nun ganz durchdrungen von dieser wissen-
schaftlichen Resignation, von dieser kleinen kritischen Wahr-
heit, dass nämlich also die allermeisten, die erklärenden
Sätze fib«riittiipt nicht ttbcr di« Worte hinftualUiren kSnnen,
dnss die allermeiaten enälilenden ^tze nur Bestätigungen
des allgemeineo Spnehgebraudis sind, dass endUeh die
grossen Fortschritte der menschlichen Erkenntnis einzig
imd aUein in erzählenden Sätzen oder in Besehreibungen
Ton neuen Beobachtungen der Wirhlichkat bestehen, dann
werden wir wissen, wie nahe der Physiker Eirchhoff unserer
Anschauung kam, als er es in einem Tiel umstrittenai Satze
flu* die Aufgabe der Mechanik erklärte, «die in der Katur
vor sich gehenden Bewegungen roUständig und auf die ein-
fachste Weise zu beechreibeD*. Der menschlichen Erkenntnis
kommt es auf die Beschreibung an, womit doch bildlich
die ordentliche Beredung gemeint ist, das Fes&altett in
Wortzeichen des Gedächtnisses. Der Entdecker brauchte
die S})rache gar nicht, für sich selbst nicht; die andern
Menschen aber hätten nichts vom Genie, wenn er seine
Neuigkeit nicht mitteilen wollte und könnte. Mitteilen aber
lässt sich durch feststehende Begriffe von unniittelbarer
Verständlichkeit nur das Alte, nur das in den Sprachschatz
schon Aufgenommene; das Neue lässt sich nur bildlich um-
schreiben, lässt sich nur beschreiben.
Wir erfahren also in diesem Zusammenhange wieder,
daf?s die menschliche Sprache, wie sie durch Metaphern
oder liildliche Anwendungen entstanden und gewachsen
ist, auch heute noch gegenüber ihren höcksteo Aufgaben
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Ftotikilue Urteile.
843
immer aii£s neue zur Metapher wird. So wie die Summe
UBierer ererbten Begiiffe den apriorischen Sprachschatz oder
unsere Weltanschauung bildet und jede neue Beobachtung
durch Aufnahme in das Gedächtnis zu einem Begriffiswandel
fuhrt, so schweben natürlich unzählige alte und neue Sätse
«diwttlizhafit um die Worte. Wir dürfen nicht aus den
Augen Terlieren, dass all diese Bilder der Wirklichkeit sich
von ihr immer weiter entfernen. Ich werde nicht müde es
zu wiederholen: es verbinden sich nicht die Begriffe zu
Urt-eilen, sondern die Urteile oder Sätze verbinden, klären
sich Tin Begriffen oder Worten. Und wenn die sterile alte
Jungler Logik darüber auch ohnmächtig werden sollte, ich
muss jetzt endlich aussprechen, was ich Sirrin iit zu haben
glaube und was mich zu meinem kritischen iiück blick auf
die Logik getüiirt hat. Es .sind nämlich un.sere BegriflFe
oder Worte allerdings aus unsern Sinneseindrticken ent-
standen ; aber unsere Urteile odt r Sätze sind nicht aus Be-
j^rülcii hervorgegangene höhere Gestaltungen, sie .sind viel-
mehr ein Rückschritt zu den SinneseindrUckeu.
Der Sinneseindruck , weiss" war dabti, uls das Wort „Schnee*
gebildet wurde ; sagt dann eine der bewunderten entwickelten
Sprachen den Satz „der Schnee ist weiss", so kehrt sie zum
Sinneseindruck zurück , entweder um ihn zwecklos zu be-
sehwalsen oder um, nun im Beeitee des Dingworts, die Auf*
merksMukeit «af den Sinneaeindmck zu lenken* Das 0e-
sckw&te, des erklärende Urteil, geht Tom Wort aus, vom
Inhalt des Begrifis, die Beobachtung, das endkUende Urteil,
geht yom Umfang des Begriffes aus, also Ton einer Stelle,
die der Wirklichkeit nKher liegt.
Hier sehen wir noch deutlicher als froher (HL 178 f.)f Pwti-
dass die Terschiedenen logischen Einteilungen der Urteile
nur sprachlicher Art sind und die Erkenntnis der Wirk-
lichkeit nicht fördern kOnnen. Dsa Urtttl geht vom Be-
grüTe aus psychologisdi nach rackwftrts. Nur die Richtung
der Aufmerksamkeit gibt den Einteihuigsgrund nach
Modslitftt und Relation, nach Quslitftt und Quantitfti. Wie
«s in der Welt der Wirklichkeiten keine Bejahung und
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344
IIL Du Urtoü.
Verneinung, keine Möglichkeit und Gewissheit gibt, son-
dern nur eben Wirkliches, dessen wir bejahend gewiss sind,
so gibt es in der Natur auch keine allgemeinen und keine
partikularen Sätze. Die Sache litu;t genau so, dass wir
ein allgeiueaios Urteil bilden, wenn wir von einem BegiifF
nach einem seiner Merkmale schielen , wenn wir unsere
Aufmerksamkeit auf einen Teil seines Inhalts lenken, z. B.
,Älle Hunde sind oder heissen Säugetiere" ; Uass wir da-
gegen partikulare Urteile bilden, wenn wir vom Hegriß'
nach einem Teil seines Umfangs schielen z. B. , Einige
Säugethiere sind oder heissen Hunde". Ich kann nicht
finden, dass unser Denken mit solchen Öatzbildungeu er-
hebhch vorwärts schreitet.
Ich brauche Leaer TOn besserem SpracbgefiÜil nur darauf
auimerksam in machen, Aus die flblkdie Vcam des parti-
kularen UrteUs (einige Asind B) der naUIrlioben Sprache
Gewalt anihut. Der Sprachgebrauch wQrde die Form Ter-
langen «die Hunde sind eine Art (resp. eine Familie n. s. w.)
der Säugetiere*. Die Logik aber braucht ihre unnatfflrliche
Form, um innerhalb der oft unnatürlichen Naturklassifika-
tionen ihre Spielerden treibeo zu können. Han sieht es am
besten an der seit Linn^ ablichen Klassifikation des Pflanzen-
reichs, wie willkflrlich die artbildenden Merkmale oder Unter-
schiede sind. Für unsere Sprachkritik ist es lehrreich, dass
die Yeisttdie eines Pflanzensystems sich immer wieder mit der
Aufstellung einer geordneten Nomenklatur begnügen. Han
teilt die Pflanzen nicht mehr nach ihrem Nutzen für Apo*
theke und Haushalt ein, aber immer noch nach der Anzahl
u. s. w. ihrer Geschlechtsorgane. Man hält immer noch
den Satz ^einige Blumen haben fünf Staubfäden* für ein
nützliches partikulares Urteil, ebenso den Satz «einige
Pflanzen sind Arzeneien". Weil aber eine Haupteinteilung
der Pflanzen nach der Farbe ihrer Blüten niemals A-ersucht
worden ist, hat der Satz »einige Blumen sind blau" keine
Beziehung zu einem artbildenden Merkmal und ist doch
logisch ebenso gut wie die beiden andern Sätze. Ja, er
muss in unsem Augen eher noch wertToUer sein, weil er
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UnpenOnlidift SUie.
34&
nicht aus dem Begriff allein hervorgeht, sondern eine neue
Beobnclitun^ hinzufügt. Die Beobachtung der Blunient'arbo
ist zuliillig oder vorläufig gleichgültig. Wir wissen mit der
Farbe der Blume nichts anzufangen, s^en wir, das heisst
wir habpn meist keine Veranbissung gehabt, nach der Farbe
der BlunifO rjeue Arten oder Worte zu bilden. Aui" anderen
Gebieten war es anders. Man hat z. B. die Menschen ur-
sprünglich nach ilirer Farbe in Hassen geteilt und erst nach-
träglich erfahren, dasä sich anatomische und spruchliche
Verschiedenheiten vielfach mit den Farben decken.
Worauf ich hinaus will, das ist die Bemerkung, dass
das partikulare Urteil — je nachdem „einige" eine Art aus-
macheu oder nicht — zwei gründlich verschiedene Sätze
umfasst. Wir können den Satz « einige Säugetiere sind
Hunde' nur in der Form brauchen «der Hund ist eine
Säugetier-Art" ; in diese Form können wir den Satz »einige
Blumen sind blau* nidit bringen, weil Blftae für ,die
Blumen* kein artbildendes Merkmal ist. Aber nur in diesen
werÜoaesten Fällen kennt die natOrUdie Sprache ein parfci-
kolares Urteil, nur da gebraucht sie das Wort »einige*. Wir
werden bei der Lehre von der Scblussfolgerung ▼ieUeicbt
sehen, welchen TJnfiig die Logik mit der Aufsteüung yon
partikularen Urteilen getrieben hat
Doch carOck au dem YerhSltnisse von Urteil und Begriff.
Diese f&r midi nicht humorlose Entdeckung, dass das Ur-
teil oder der Satz eigentlich ein Rückschritt Tom Begriff
zum Sinneseindruck ist, möchte ich noch belegen durch
eine Satzform, welche nnswn Grammatikern und Logikern
seit vielen Jahrai unnötige Kopfschmerzen gemacht hat»
Ich meine den unpersönlichen Satz, z. B. es donnert, es
blitzt, es stinkt. Unsere Sprache ist so sehr an die Kate*
gorieen von Nomen und Verbum, von Subjekt und Prädikat
gewöhnt, dass sie den einfachsten Sinneseindruck gar nicht
mehr anders, als durch einen vollständigen Satz beschreiben
kann. Die alten Sprachen (soweit wir von ihnen wissen)
begnügten sich noch mit der symbolischen Yerbalendung^
die auf ein unbekanntes und unausgesprochenes Subjekt
846
III. Dm 0rteiL
hinwies; die neuern Sprachen sind noch schablonenhafter
geworden und müssen das sogenannte unpersönliche Für-
wort ,68" anwenden. Olet, es stinkt. Wir dürfen wohl
glauben, diiss in Urzeiten dieser einlache Sinneseindruck
noch ohne Verbalendung ausgedrückt wurde , so wie auch
heute noch eine Interjektion (z. B. pfui Teufel) oder eine
Geste unter Umständen genügt. Immer ist es eane schablonen-
hvft« Nachahmang miime Sateformen, wenn so der ein-
faebsle SiniieBdiiidnielc dureli Stibj^ und angepasstes Prft^
dikat besehrieben, breitgetieton wird. Dasa aber so ein
unpersönlicher Sata einen einfachen Sinneseindrudc in meh*
reren Worten beBcbreibt» ist nur deutlidier ah der ftlmliche
Charakter anderer Sfttae. Audi der Sata «der Schnee ist
weiss* will die Aufmerksamkeit nur auf die Empfindung
„weiss* lenken; und wenn das Ding, das diese Empfindung
erregt, entweder selbstrerstftndlich oder unbekannt ist, dann
wird der Sprecher wohl auch kun sagen »es ist wdss*
oder ,da ist etwas Weisses*.
Auch hier möchte ich herrorheben, dass die mensch-
liche Sprache als Umgangssprache der wissoisdiafllichen
Erkenntnis mitunter um Jahrhunderte nachhinkt. Wer
a. B. in einem Pferdebahnwagen den Erreger oder die Art
eines Missgeruchs noch nicht erkannt hat, der darf wohl
den unpersönlichen Satz bilden „es stinkt"*; hat er aber
einen alten Käse ab Ui-sache seiner Empfindung erkannt,
so wird er gewiss entweder das erzählende Urteil bilden
«Hier stinkt ein alter Käse" oder gar sich zu dem
wissenschafÜichen, erklärenden Urteil erheben: »alter Käse
stinkt".
Auf diesen Typus lassen sich alle unpersönlichen Sätze
zurOckfliliren. Es sind elektrisch geladene Wolken, die
blitzen und 'lonneru; aber die Uingungssj)ra( he hat sich
immer noch nicht <laran gewöhnt, elektrische Wolken eben.so
wie alten Käse zum Subjekt eines Verbnms zu machen. Die
Umgangssprache steht unter dem Krin jui^ationszwang; aher
auch die Urteile der wis.senschat'tlichen Sprache würden ihr
logisches Zurückbleiben hinter den Begriften deutlicher Ter-
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Koiwlaiis de« Urteils.
347
raten, stünden wir nicht unter dem allgemeinen g^rammati-
schen Zwang, der denn auch den Satz höher stellt als das
Wort.
*
Die Schullogik verlangt von ein* lu «.rosundeu Urteil oder KaotUns
Satze, dass es oder er «gewiss, unveränderlicii sei, dass mein
S( :ll>stbewusstsein mich versichere, ich, der Herr Ich, werde
nifiuiils Hilders urteilen. Ueber den Hinweis auf die Iden-
tität meines Ich kommt die Logik nicht hinaus und Sigvirart
setzt die Identität des Ich sogar »vor alle Notwendigkeit*,
wobei sich sein Ich wahrscheinlich etwas denkt.
Es gibt aber weder eine absolute Identität der Objekte,
noch eine des Ich's. Ich war vielleicht vor zwanzig Jahren
leichtsinnig uiid bin jetzt geizig. Ich war vielleicht . . .
Doch wozu das Bekannte wiederholen. Vor zwanzig Jahren
war mir der Satz: «Ich spreche hier von Beriin mOndUch
mit memem Bmder.in Wien* da war mir dieser Satz
em immdglichea Urteil. Jetzt ist er alltttgliehe Wahrheit.
£z braucht sich aber nicht um so krasse Fftlle zu handehi.
Unaufhörlich wechseln die Objekte Oire Eigenschaften, un-
anfhörlidi wechseln meine Begriffe ihren Umfang und damit
leise fliessend ihren Inhalt. Während ich den Satz aus-
spreche oder denke oder hOre: .Metell ist schwer*, fällt
mir ein, dass unter „Uetall* heute weit mehr Elemente Ter*
standen werden, ab zu meiner Schulzeit, daes «schwer* ein
relativer Begriff ut und dass einzelne HetsUe leichter sind
als Wasser, und wie mir das einfällt, zum erstenmale viel-
leicht ins BewuBstaein fällt, wird eben durch das Denken
und im Denken dieses Satzes die Ffllle meines Bewnsst-
seins vergrössert, mein Ich verändert, und der den Satz zu
Ende spricht, ist ein anderer, als der ihn angefangen.
Wer die unveränderliche Giltigkeit der Urteile für unser
Denken strikte verlangt« der kann freilich nicht behaupten,
dies er denke. Denn er muss ja zugeben, dass alle Ge-
wissheit, und gerade die Dauer jedes Satzes am sprachlichen
Ausdruck halte. Unsere Worte aber sind in ihrem Sinne
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848
m. Das UrteiL
so wenip konstant, dass wir deutsche Schriften aus dem
15. JalirLundert ohne Unterricht kaum mehr verstehen
können. Bekannt ist, dass viele Worte sich in „verwandten"
Sprachen, mitunter auch in einer und derselben Sprache in
ihren Gegensinn verkehrt haben (kalt — caldo), was etwas
Andres ist als der »Gegensiiui der Urworte". Selbst ein
emzeln^r Meniek bum das FlieMeii der Wortibedentungen
bei Lebzeiten beobachten. Da ist so wenig Konstanz wie in
den Objekten selbst and wir können froh sein, wenn wir aU
schlechte BdiOtzen so ungefähr die Sache treffen, wenn wir
ä'peu-prte irgendwo tappend mit den Fingerspitzen auf das
Gesuchte stossen* Ein konstantes Wort für einen konstanten
Begriff gibt es so wenig wie eine mathematiscfae Idnie.
Ueber das Urteil, wie vorher Aber den Begriff und
nachher aber den Schluss, wftre anstatt einiger Bemerkungen
ein ganzes Buch notwendig gewesen, wenn ich den er-
kenntnistheoretischen Standpunkt der Sprachkritik bitte rer-
gessen wollen. Mir muss es genfigen, an einzelnen Eigen-
heiten der Begriffsfunktion dargethan zu haben, dass das
Urteil aus der logischen Disziplin auszuscheiden hat, wie
das für den Be^:ritf schon von Schuppe (Logik S. 123) ge-
sagt worden ist. Das lebendige Urteilen ist fremd in der
toten Logik. Eine sprachlich und logisch brauchbare De-
finition des Begriffs „Urteil* ist so wenig zu finden, ab das
lebendige Denken sich vom Sprechen abgrenzen lässt. Wo-
möglich noch unfruchtbarer waren und mussten sein alle
Versuche, Reg^riff und Urteil logisch sauber voneinander zu
scheiden. Der Begriff ist früher da als das Urteil, wenig-
stens in dem Sinne , wie im Schulunterricht und beim
Schwätzen das Wort früher ist als der Satz. Aber wie bei
der Sprachentstehung sicherlich der Satz seiner Analy st in
Worten vorausging, so kann kein Begriff entstand« n sein,
wenn er nicht als Niederschlag von Urteilen eut^itand. Ich
möchte das jetzt so ausdrücken: das Urteil besteht sprach-
lich aus Begriffen, der Begriff entsteht psychologisch aus
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Sollen im Urteil.
349
ürieüen. NatOrlich wechseln in diesem Satee Begriff und
Urteil je nach dem allgemein psychologiadien und nach dem
beaondera spraehliehen Gesichtspunkte sofort ihre Bedeutimg.
Und die ünsegbarkeit des Gedankeiis steigert sich noch,
wenn wir uns darauf besinnen, dass es eine psychologische
Wissenschaft anderswie als in Sprache nicht gibt, dass eben
»psychologisch* kaum etwas Anderes ausdrQclcen konnte
als eine Beziehung zum lebendigen thatsSchlichen Denken,
SU der psychischen Thfttigkeit des Denkens. FreQich hat
ein seltsamer Reformator der Logik beklagt, dass die Schul-
logik sich «nur mit dem ihatsSchlichen Denken* befesse;
ich meme aber, das nicht thatsachliche Denken gehöre
weder sur materiellen noch sur psychischen Welt
Die Undefinierbarkeit des Urteilsbegriflb hat nicht erst soiiea
in den letzten Jahrzehnten dazu gef&hrt, aua dem Urteil
einen besonderen Akt des Beurteflens herauszudestillieren.
der als Bejahung oder Anerkennung wieder aus der L<^k
herausfallt, weil Wahrheit ein unlogischer Begriff ist. Schon
Occam liast d^ gesprochenen Urteile ein Mentalurteil vor-
ausgehe!! , welches nullius idiomatis est. Dann findet sich
schon bei Spinoza die Behauptung, dass ein Urteil mit jeder
Wahrnehmung Terbunden sei, was Helvetius zu der Phrase
vergröbert: Juger est sentir. Und Hume sieht in der Energie
der Wahrnehmung, und wohl darum im Glauben, the first
act of the judgraent.
Sowie wir ahnr don Zweck aller Log'ik, die Beziehunq^
zur Wahrheit, an den Urteilsbej^riff heran iu ingen, wird das
Urteil nnrh ]iroblematischer. Lot^ik wird zu einer ethischen
Wi?;55enschaft, die ein Sollen vorschreibt. Ein Sollen ^'ibt
es aber nicht in der Wirklichkeltswelt, sondern nur im Ur-
teilen oder im Sprechen. Die sprachlosen Kreaturen sollen
nichts. In der Welt des Besitzes steht dem Haben ein Soll
gegenüber. In der interesselosen Welt des Seins steht dem
Sein kein Sollen gegenüber. Nur weil wir etwas wie ein
Sollen in unsere Urteile hineinlegen, darum ist das Gef'Uhl
der Erwartung, die Zuversicht auf die Wahrheit, so oft mit
der Thätigkeit des Urteilens yerbunden. Und weil somit
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350
IV. IM« Denkgeietee.
das Urteil sich immer mehr von der Logik entfernt, je ge*
nauer man es betrachtet, darum bat Schopenhauer doppelt
recht mit seinem Worte: sSchlieseen ist leicht, urteilen
schwer." Schwer ist aber nur das Urteilen vor dem Be-
^riü'; das Urteilen aus dem Begriff ist so leicht wie 4»
Schliessen.
IT. IMe DenkgesetM.
Orond. Eine Mutter wurde von einem vierjährigen Mädchen
gefragt, warum sie weine, ,Tch habe Grund," antwortete
sie und glaubte wahrscheinlich etwas zu sagen. Also glaubt*»
auch das Kind etwas zu hören und wusste von der Zeit an,
, Grund" sei etwas Sehnierzhaftes, etwas wie eine Krankheit.
Und noch jahrelang, wenn die Mutter ein betrübtes Gesicht
machte, fragte das gute Kind: ,TTa^t du wieder Grund?"
Die Abstrakta unserer Sprache sehen litM.in kindlichen
Grunde zum Verwechseln ähnlich. Ich habe Kiieurnatismus,
ich habe Reue, ich habe Leibweh, ich habe Kummer, ich
habe Glauben und alle ähnlichen Wendungen enthalten
irgendwo versteckt die liebe Dummheit: „Ich habe Grund".
Der Glaube der Logiker, der ein wenig auch der Glaube
aller sprachfrohen Menschen ist, dass nämlich den Schluss-
folgerungen der Logik, das hcisst den aus Begrüfen oder
Worten abgeleiteten Sätzen notwendige Wahrheit eingeräumt
werden müsse, dass die Folge sich zu ihrem Grunde (raison)
ebenso Terhalte wie in der WirUkhkeitswelt die Wirkung
zu ihrer Ursache (cause), dieser Glaube zwingt mich zu dem
Versuche, diesen dunklen Punkt aufzuhellen, beiror ich zur
Kritik der logischen Schlussfolgerungen fortschreite.
Die Frage geht auf das Verhältnis zwischen Folge
(cons^quence) und Wirkung (effet). Da diese beiden Be-
griffe zu den mythologischen gehdren, so wfire es fttr ans
vielleicht möglich und sicherlich bequem, sie beide über
Bord zu weifen« Da Ursache und Wirkung aber die Grund-
begriffe unserer Welterkenntnis ausmachen, Grund und Folge
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AUwissenheit.
351
wiederum die Orandbegriffe aller wissenschftftEelien Syste-
matik, so werden wir die Mtthe nicht scheuen, die an*
n&henide Bedeutang dieser Metaphern aufzusuchen und ihr
Yerhältnis zu einander zu bestimmen. Denn auch Uoase
Figuren, unwirkliche IKnge, kOnnen ein Verhältnis zu ein-
ander haben.
Ich glaube meinen Oedanken am besten Tersinnlichen
zu kdnnen, wenn ich in einer ungeheuerlichen Phantasie
(die aber als Vorstellnng von Gott ganz alltiglich und ge-
mdn ist) ein Wesen annehme, das mit Allwissenheit aus-
gestattet das 6r<jsste und Kleinate der Wirklichkeit genau
kennt und diese unendliche Kenntnis auch gegenwärtig hat
Ich lasse dabei dahingesteUt, ob man diese Allwissenheit
noch Wissen nennen kdnnte, ob diese Allwissenheit nicht
yielnielir, da sie neben dem unendlich Tiden »Einzelnen die
Allgemeinbegriffe gar nicht brauchen kOnnte, eher die «Wirk-
lichkeit* selber wäre. FUr dieses allwissende Wesen nun
wftre, wie mir scheint, zwischen Wirkung und Zeitfolge
ganz und gar kein Unterschied. Wäre ich z. B. dieses all-
wissende Wesen, so würde fUr mich Wirkung und Zeit-
folge in dem einen Begriff der Notwendigkeit zusammen-
fliessen. Hätte ich z. B. in diesem Augenblicke alle Luft- und
Windverhältnisse der ganzen Erde, dazu alle Wärme- und
Feuchtigkeitsverhiiltnisse und alle Höhenunterschiede, so hätte
ich auch alle meteorologischen Erscheinungen des nächsten
Augenblicks als Notwendigkeit gegenwärtig und wüsste uicht
zu sagen, ob der zweite Augenblick aus dem ersten als
Zeitfolge oder als Wirkung hervorgehe. Hätte ich in diesem
Augenblick das Weltganze vollkommen gegenwärtig, das
heisst noch vielmehr ins Einzelne gegenwärtig als der Natur-
forscher etwa ein tierisches Gewebe unter der tausendfachen
Vergrösserung seines Mikroskopes sieht, dürfte ich in diesem
Augenblicke das Weltganze noch unendlich genauer Über-
schauen, das .Jagen und Wirbeln der Sonne, der Planeten
und der Meteorsteine, das Glühen und Brodeln im Innern
der Erde, das Schrumpfen und Stossen der Erdrinde, das
Haschen und Fliehen ihrer chemischen Elemente, das Drangen
352
IT. Die DMtkgeictse.
und Wetehen ihrer Atome, das Peitschen und Blitzen und
Donnern ihrer elektrischen Bewegungen, das Werden und
Sterben des Lebendigen und dazu die ererbten und gewohn-
ten Gleise aller Gehirne: wahrhaftig, mir wäre der Welt-
zustand des nächsten Augenblicks nicht weniger gewiss und
nicht anders gewiss, als mir die nächste Sekunde in der
Zeitfolge gewiss ist.
Aus solchen Phantasien heraus mögen so grosse Denker
irie Hume und Kant zu ihren grossen Irrtümern gekommen
sein; Hume glaubte alle Wirkung auf Zeitfolge zurUckftlhren
zu können, Kant doch wohl alle Zeitfolge auf Wirkung; uns
bestärkt die vorgebrachte Phantasie in der Resignation, weder
das Wesen der Wirkung, noch das der Zeitfolge zu kennen
und nur zu ahnen . dass sie zwei menschliche Worte für
dieselbe übemienfü Iii irln- Thatsache sind. Vielleicht ist der
Weltzustand de-, Augenblicks der Raum, und die Aenderung,
die der Weltzustand des nächsten Augenblicks keisst. nur
die Bewegung des Raums in der vierten Dimension, der
Zeit. Und vielleicht ist diese tiefsinnige Betraclitung nur
eine Reihe klingender Worte, und es wäre wertvoller, ein
Weizeukorn zu düngen, als solche Betrachtungen anzusteUen.
Eines aber kiMii die Skepsis nicht überschreien, die
Entdeckung nuiulicl], dass in dieser undurchbrechlichen Kette
der Notwendigkeit, mag sie nun Wirkung oder Zeitfolge
heissen, weder die menschliche Sprache, noch die Erschei-
nung einer logischen Folge irgend welchen Platz habe.
Bfan musB es sich so Idar wie möglich madien, dass jene
phantastische Allwissenheit aOe Dinge zugleich wflsste, also
unmöglich daneben noch Begriffe oder Worte Ton ihnen
habMi könnte, dass jene Allwissenheit ebenso alle Aende-
rungen und Bewegungen zugleich wQsste, also unmöglich
daneben noch ihre hübschoi Klassifikationen besitzen könnte,
die sogenannten Naturgesetze. Die Allwissenheit hätte also
weder Sprache noch Wissenschaft; natOrlich, sie wäre ja
die stille Natur selbst. Die Allwissenheit besisse Not-
wendigkeit; Oeeetzmäss^keit wflsste sie nicht, weil Ge-
setzmässigkeit im All nicht ist.
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Satz vom lirunde.
353
Wenn nun ein allwissende Wesen nrisclien den Polen
der Welt keine andere Notwendigkeit finde, als die der
Wirkung «oder der Zeitfolge, so mttssen wir uns verlegen
weiter fragen, was es mit der logischen Scblnssfolge auf
sieh habe, der die Leute ebenfalls den Charakter der Not-
wendigkeit beilegen.
Man nennt dep Begriff der Notwendigkeit gern noch sats
heute seholastbch den Satz yom Grunde oder nodi schul- ^^^^
meisterlicher: den Sata vom aureichenden Gründe. Ueber
die Formulierung dieses Satxes ist man nicht einig ge»
worden, obwohl Aber seinen Sinn (soweit er das Veihiltnis
von Ursache und Wirkung betrifit) kaum ein ernstlicher
Zweifel besteht. In seiner weitesten Faming („Nichts ist
ohne einen Grund, warum es sei*) erinnert midi der Satz
vom zureichenden Grunde lebhaft fin die unfreiwillige Komik
Ton Kants oberstem Moralprimüp. Wie da die feierliche
Tautologie ^Erwähle dir aum obersten Grundsatz, was
oberster Grundsatz zu sein verdient* — in verblüffende
Form gebracht ist, so antwortet der Satz vom zureichenden
Grunde auf die Frage: „Wurum fragen wir immer warum?*
mit der billigen Weisheit: „Weil wir immer warum fragen
müssen". Hier wie dort ist die Notwendigkeit in rinpm
„Sollon" versteckt. Beachten wir freilich, dass der alige-
memste Ausdruck filr wirkliches Geschehen etwa der Begriff
, Veränderung'' ist, so wird der Satz «Keine Veränderung
geschiebt ohne Grund" auf die Selbstverständlichkeit hin-
auslaufen, als die wir das sogenannte Gesetz der Träg-
heit erkennen müssen. Und verlangen wir gar für jede
Aenderung einen gleichwertigen, einen zureichenden Grund,
so stehen wir vor einer neuen Fassung derjenigen Formu-
lierung der Tiagheit, die seit 50 Jahren die Erhaltun^'^ der
Energie genannt wird. Der Satz vom zureichenden Grunde
des Geschehens ist also die sprachliche Auseiuanderbreitung
des Begri£b Ursache.
Dabei ist es durchaus nicht gleichgiltig, dass wir
uns diasoD Begriff vwatellen und die Selbstverslftndliohkeit
auch aussprechen. Er ist Ja eigentlich eine Negation des
lI«Btbii«r. Bflltcigex« dmer IbitUidw SprMlia. UI. 88
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854
IV. Die DenkgeieUe.
alten Damdnen- und CHItter^ und Wunderglaubeiis; so koge
die Henachen penönliGhe tTnaehen hinter aUem Gesehehen
Buchten, so lange konnte der Natnrlanf — weil willktlr-
Uchen Einflössen ausgesetst — nicht notwendig, nicht be-
rechenbar sein. Der Satz Tom inreidienden Grunde des
Geschehens lehrt also, im Gegensatse zu allem Fetischismus,
dass es in der Natur natOrEch zugehe.
Man hat sich aber seit jeher nicht damit begnflgen
wollen, den Satz Tom zureichenden Grunde auf das Ge-
schehen sllsin, auf Ursache und Wirkung allein anzuwenden.
Sdu>n im IGttelalter unterschied man allerlei Arten TOn
ürsachen oder Gründen ; und nicht einmal die sinnwidrigste
dieser Arten, die Zweckursachen (causes finales) sind ganz
aus dem Sprachgebrauch der Philosophen Terschwunden.
Anderseits ist es noch nicht gar so lange her, dass zwei
60 ungleiche Begriffe wie Ursache (Is cause d'un effet) und
Grund oder Erkenntnisgrund (1& raison d'un jugement) nicht
mehr miteinander verwechselt werden. Diese Verwechselung
von Wirkungsursache (z. B. das Quecksilber steigt, weil
die Luft warm ist) und dem sogenannten Erkenninisgrunde
(z. B. ich weiss die Luft warm, weil das Quecksilber steigt)
würde heute kfitiem Schuljungen mehr vei-ziehen werden;
a^>er nicht nur Ari'^toteles warf die beiden Begriffe durch-
einander, sondern auch noch bei Spinoza ist der Sprach-
gebrauch und das Denken nicht klar, und erst Leibniz er-
findet das Wort raison süffisante für Thatsachen sowohl als
fUr Urteile. Wir wt rdun holientlich bald erfahren, warum
die guten Köpfe von Aristoteles bis Spinoza die reale Ur-
sache mit dem Erkenntnisgnmd verwechseln konnten. Vor-
her müssen wir uns kurz umsehen, ob die immer noch
beliebte Einteilung der Gründe (oder der ürsachen) in ver-
schiedene Arten einen rechten Sinn gebe; es ist uns dabei
gleich bedenklich, da.ss die Sprache (wie häutig in solchen
Fällen) die verschiedenen Begriffe, weil sie sie nicht deut-
lich auseinander zu halten vermag, miteinander verbindet,
als ob sie einander eri^Lnzten. Spinoza sogar sagt cauM
siTe ratio, und m den neueren Sprachen ist die Zusammen*
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Sohopenlutver.
855
Stellung cause et raison, Grund und Ursache, häufij? ge-
worden , als ol) diese Begriffe sirh miteinander vertrügen.
Die Pjiiiteiluii^^ df> zurfitlieiuleii Grundes in seine ver- 8cbop«a-
meiütiichen Arten ist von keinem Denker gründlicher besoi^ taM«.
worden als von Schopenhauer in seiner Doktordissertation
,Ueber die vierfache Wurzel des Safetes vom zureichenden
Grunde*. Der Spott seiner Mutter, das Buch sei seinem
Titel nach wohl fUr A[iotheker bestimmt, war gewiss albern,
aber doch nicht ganz unverdient. Denn die vier Wurzeln
sind doch nur ein bildlicher Ausdruck für eine vierfache
Grundlage oder einen vierfachen Grund des Satzes vom
Gniiuie, wo es denn freilick sonnenklar geworden wäre,
dan SebopeduHMT selbst in diessr grundlegendou Sebrift
mit dem Begriffe Grand zn spielen mobt nufbOit.
Lasse ieb alle Mystik beseite, so lebrt Schopenhauer
in seiner Abbandlung, dass der Sats vom Grande oder der
Begriff der Notwendigkeit sieb auf vier Klassen Ton Ob-
jekten bedeben kOnne: auf die wirklieben Dinge als Sats
▼om Grunde des OeschebenSi anf nnsere Urtefle als Erkenni-
nisgrund, auf matbematiscbe Verl^tnisse als Seinsgrund
und auf menscUicbes WoUen oder Handelu als Grund des
Handelns.
Es ist unbegreiflicb, wie gerade Schopenbauer selbst
niebt batte einseben mUssen, dass seine vierte Klasse von
Objekten der Notwendigkeit nur eine Unterart der realen
Notwendigkeit ist, also Obeiflflssig und sogar ein arger legi*
scher Fehler, weil da Gattung und Unterart durch zwei ver-
meintlich koordinierte BegrifTe bezeichnet werden. Niemand
bat kühner und schärfer als Schopenhauer den Gedanken
ausgeführt, dass Motive auf Tiere und Menseben genau mit
der gleichen Notwendigkeit wirken, wie Reize auf Pflanzen
und mechanische Ursachen auf wirkliche Dinge. Und es
ist gerade vom Standpunkte Schopenhauers volle Konfusion,
wenn er einerseits Ursache und Wirkung in der Natur
durch den innerlich beobachteten Willen zu erklären sucht,
wenn er jede T^rsachf den Willon der Wirkung nennt, und
wenn er dann anderseits den innerlich beobachteten Willen
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S56
IV. Die DenkgeseUe.
als eine besondere Art von iJleii andern ürsaohen trennt,
wenn er die Notwendigkeit des mmscUielien Handdlns
nicht auf die aUgemdne Kotwendigkeit surOckfllhren wilL
Wir mOssen einaeben, daes Schopenhauers «WiUe* nur
durch einen argen Missbrauch der Sprache za solchem
Doppelspiel benutaet werden konnte. Hier kam es mir nur
auf den kursoi Nachweis an, dass seine vierte WutmI des
Satses Tom zureichenden Grunde, das Gesetz der MotiTation,
zum mindesten keine Beachtung yerdient.
Weniger scharf nachweisbar, aber ebenso schwer yer-
zeihHch ist der Mtssbrauch der Sprache, mit dem Schopen-
hauer ab dritte Art des Satzes vom zureichenden Grunde
den Seinsgrund aufgestellt hat, worunter er mit einem Wort
die mathematischen Geset.ze yersteht. Ich mache einen
Augenblick Halt, um nebenbei auf die Greulichkeit des
Wortes »Seinsgrund* aufmerksam zu machen. Man folge
mir in den Nebel, aus dem dieses Ungeheuer heraustönt.
„Grund" ist doch nur ein verdunkeltes, verschwommenes
Wort für Ursache, worunter wieder eine ewig fUr Menschen
unverständliche Voraussetzung unerklärlichen Geschehens
ungefähr verstanden wird. Zu diesem Worte «Grund*" tritt
nun der Begriff des Seins hinzu , den wir schon als das
Bild vom Schatten eines Esel-^ . flen wir als eine Null
kennen. Aber auch unter einer besseren Etiquette als
, Seinsgrund* wäre es ein Missbrauch der Sprache, die
Verhältnisse der Zeit und des Raums, wie wir sie als
arithmetische und geometrische Gesetze formulieren, analog
neben die Verhältnisse von Ursache und Wirkung zu
stellen. So wie Geometrie z. B. in der Schule gelehrt
wird, ist freilich immer eins wenigstens der Erkenntnis-
grund vom andern, folgt z. B. im gleichschenkligen Drei-
eck die Gleichheit der Seiten aus der Gleichheit der Winkel
oder umgekehrt; folgt z. B. im Krdse die Linge
der Peripherie und auch der Flichemnhalt aus dem Halb-
messer oder umgekehrt Nun hat aber gerade Schopen-
hauer nachgewiesen, dass die Schulbeweise nicht das
Wesen dieser Baum- und Zahlenyerhiltnisse . ausmachen.
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Sdiopeiihaiier.
967
dass also die Gesetee der Mathematik nicht unter die
logische Notwendigkeit fiillen. So weit hat er recht und
eine geniale Anregung gegeben. Es war aber grundfalsch,
für die mathenianschen Geseke eine besondere Art der Not-
wendigkeit zu erfinden. Man höre nur mit aufmerksamen
Ohren auf die Worte und man wird sofort erkennen , dass
die Beziehungen z. B. zwischen Winkeln und Seiten der
Dreiecke, zwischen Kreisen und ihrem Radius in aller Welt
nichts mit den Begriffen von Ursache und Wirkung zu thun
haben. Nur ungewöhnliche Stiim|iflieH könnte den Halb-
messer für die Uraaehe des Kreises Halten; und die Winkel
sind ebensowenig UrsackeD oder Gründe der Seiten wie
umgekehrt. Sdion dies, dus die BegriiFe mathematiBeher
Sitte sehr hSufig (in guter Formulierang vielleicht immer)
in einer Weehsdbenehung stehen, fafttte ceigen mflssoi, dass
diese VerhXltnisse nichts mit Orand und Folge su thun
haben, denn sonst mtlsste nachher die Folge zum Grunde
ihres Grundes, die Wirkung zur Ursache ihrer Ursache
werden, was doch offenbarer Unsinn ist. Wir aber wissen,
dass die Yerhftltntsse von Baum und Zeit nur angeschaut
oder beschrieben werden kOnnen; als notwendig kann sie
die menschliche Sprache nicht fossen, kaum als Bedingungen
der WiiUichkeit; es geht also nicht an, für sie eine neue
Art der Notwendigkeit zu erfinden.
Nach Ausscheidung Ii« er beiden Klassen blsil^ also
auch in dem tiefsinnigen Werke Schopenhauers nur noch
eine Zweizahl von Notwendigkeiten Qbrig: Erstens die Not-
wendigkeit des Geschehens oder die notwendige Wirkung
aus einer Ursache, zweitens die Notwendigkeit des Denkens
oder die notwendige Folgerung aus einem Erkenntnis-
grunde. Gibt es diese zweite Notwendigkeit wirklich, ist
die Folgerung etwas Neues, das aus dem Grunde zwingend
hervorgeht, wie die Wirkung aus ihrer Ursache, entstehen
aus Gedanken in ähnlicher Weise neue Gedanken, so wie
in der Wirklichkeitswelt aus mechanischen Beweijun^^en
neue Gestalten, insbesondere aus roifen Pflanzen und l'ieren
neue Fflansea und Tiere entstehen; — dann habe ich un-
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358
IV. Die Denkgesets«.
recht, dann gibt es auch Deiikgesetze, dann ist die Logik
eine Wissenschaft , ja dann wäre die Sprache wirklich nur
die Dienerin eines sieghaften Geistes, eines selbständigen
fortschreitenden Denkern. Ich kIHmto swar auch dann noch
memoi Gzundgeduik«! in die dunkl« Tiife rettoa und sagen:
Auch die Kausalittt der Wirldichkeitswelt, euch die not*
wendigen Wirknogeii aus Ursachen erzeugen vieUeicht nie-
nials Neues, denn sie erzeugen niemals Stoif oder Energie,
sondern immer nur neue Formen des Stoffs oder der Energie.
Aber idi glaube diese Flucht ins UnaosspreeUiche nicht
nötig zu haben, um beweisen zu können, dass der Begriff
der Notwendigkeit auf den Erkenntni^Kmnd nur f&lschlich
angewandt wird, dass das Verhiltnis Ton Folge und Grund
mit dem YerlüUtnis tou Wirkung und Ursache gar keine
Aehnlichkeit hat, die beiden Yerhftltnisse also nur sprach»
widrig, das heisst unlogisch, unter einen gemeinsamen Be-
griff, unter den Sats vom Grunde susammei^pefasst werden
können.
In der Wirklichkeitswelt herrscht mit lachender Grau-
samkeit die Kausalität oder Notwendigkeit; wir wollen
damit ausdrücken, dass eine endlose Kette von der gegen-
wirtigen Wirklichkeit zurUckgdit zu der Welt des Ter-
gangenen Augenblicks, dann zum zweitletzten und so zurUck
in eine unausdenkbare Ewigkeit, dass (anders ausgedrückt)
die Gegenwart die Wirkun^f von Ursachen ist, diese wieder
verursacht sind, und so endlos zurück, dass (noch anders
ausgedrückt) wir bei jeder Erscheinung oder Bewesfung
oder Veränderung in der Natur Warum fragen, dann wieder
nach dem Warum des Warum, und dass wir ein Ende dieser
Frage nicht ausdenken köunen. Wenn wir also Grund und
Ursache gleichbedeutend nehmen, so hat allerdings alles
auf der Welt einen Grund.
KfW Sprechen wir aber von dem Grunde unserer Erkennt-
'**"ru^i'* Erkenntnisgründen, so ist der Vorgang ein ganz
ist der anderer. Nur Uildlich oder ügüriick Ii ugtu wir dann nach
Begriff einem Warum , denn dann handelt es sich uns einzig uiid
Oll IT f'.n-. _ _
Wuri,. allein darum , ub unser Denken oder unsere Sprache noch
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Erkenntningrand ist dar Begriff oder daa Wort. 359
mit der Erscheinungswelt Übereinstimmt oder nicht. Unsere
Sizmeseindrllcke sind es, die die Uebereinstinimung mit den
Dingen selbst geben ; und wir aeimeii imswe yonlidliuige&
lichtig, so lange unsere Sinne gesund sind. Das GedSchtnis
unserer Sinneseindrflcke ist die Sammlung unserer Begriffe;
and wir nennen unsere Begriff» in bildlicher Sprache richtig,
wenn unser Qediohlnis treu war und so gesund, dsas es
immer nur wirklich ähnliche YorsteUungen begrifflich xu-
sammenÜMste. Unsere Erkenntnis nun aber besteht aus Ur-
teilen, SU denen wir unsre Begriffe auseinanderlegen; und
wenn wir an unsere Urteile den Anspruch erheben, dass
sie wahr seien, das heisst mit der Wirklichkeitswelt ttb^
einstimmen, so ist ee ein recht unglückliches Bild der Sprache
(wenn sie audi dieses Bild seit zweitausend Jahren ahnungs*
los gebraucht), diesen Anspruch oder Wunsch eine Not-
wendigk^t zu nennen. Es ist doch sonnenklar, dass die
Richtigkeit der Begriffe nidits mit der Notwendigkeit su
thun hfttte, selbst wenn diese Richtigkeit mehr als eine un-
gefähre wäre. Die Zeichnung eines Gegenstandes Imnn
richtig sein ; eine notwendige Beziehung swtschen Gegen-
stand und Zeichnung besteht nicht.
Der Sprachgebrauch ist nun ängstlich genug, den Be-
griff der Richtigkeit lieber auf Begriffe anzuwenden als
auf Urteile; Urteile, welche mit der Wirklichkeit ungefähr
tibereinstimmen , nennen wir rjern wahre Urteile, wohl
deshalb, weil wir wohl die Begriße, aber nicht die Urteile,
wohl die erläuternden Zeichnuntren, nicht aber das wissen-
schaftliche System mit den Dingen selbst vergleichen können.
Unter Richtigkeit versteheu wir die unmittelbare, unter
Wahikeit die mitt4?lbare, also dunklere I t i)ereinstimmung
mit der Erscheinungswelt, die wir die Wirijlichkeit nennen.
Der uralte Irrtum der Sprache oder des Denkens be-
steht nun darin, der mittelbaren Wahrheit, der Ableitung von
Urteilen aus Begriffen oder anderen Urteilen deshalb den
Charakter der Notwendigkeit beizulegen, weil un> an der
üehereinstimiiiung mit der Wirklichkeit allein gelegen ist,
weil wir die Notwendigkeit der Natur nicht aus dem Auge
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360
IV. Die Deiütgesetse.
lassen. Die Folge der Jahreszeiten ist notwendig, unsere
Erkenntnis dieser Folge ist uns nur nOtzUch.
Httte das Abldtem eioes Urteils aus emem andern je-
mals zu einer neuen Erkenntnis gefukrt, so wSre an ein
Verklltnis von Ursache und Wirkung zu denken; wir aber
wissen, dass alles Urteilen nnd ScUiessen nur ein besonnenet
Btteksduitt von den BegrüFen auf ihre SinneseindrQcke ist,
dass alles Urteilen und Schliessen nur ein beschaulidies
Sjuelen und Tautologieren ist, dass man Urteile aus andern
Urteilen nicht im Ernste »ableitet*, wir gelangen also zu
dei' sichern Ueberzeugui^, dass das abgeleitete Urteil zu
seinem Begriff oder seinen Prämissen eher noch im Yer^
haitnis der Ursache als in dem der Wirkung steht, dass
man das abgeleitete Urteil nicht einmal eine zeitliche Folge,
geschweige denn eine Fo^fenwirkung des Begriff oder der
Prämissen nennen kann. Und so ftigen wir hinzu, dass
der Satz oder der Begriff, aus dem andere SStze abgeleitet
werden, nur nUschlich der Ursache ivhnlich gefunden, nur
f&lschlich ein Qrund, der Qnind einer Erkenntnis, genannt
werden kann. Wir leugnen damit jede Möglichkeit, durch
Schlussfolgerungen im Denken fortzuschreiten, wir sprechen
der Logik damit jeglichen Wert ah.
Walvhait. Wahrheit unserer Erkenntnis ist die Uebereinstiro-
mung unserer Urteile mit der Wirklichkeitswelt; da unsere
Urteile rückschreitend bis auf unsere Sinneseindrücke zurück-
führen, so ist die Wahrheit unserer Erkenntnis schliesslich
auch die Uebereiustimraung unserer Vorstellungen und Sinnes-
eindrücke mit der „Wirklichkeit". Nun kennen wir aber
nichts weiter Ober die Sinneseindrücke hinaus; über sie
hinaus wird die Wirklirhkeit zum Bintr-an-sich , tlem Un-
erkennbaren, mit dem wii nichts vergleithcn. nichts in
Uebereinstimmung set/i ii können. Dies führt uns wieder
zu einer traurigen Ei [sieht, zu der Rechtfertigung aller
Skepsis, zu der , Wahrheit" nämlich: dass selbst der hohe
Bcgriflf der Wahrheit menschliches Gerede ist, dass sogar
der schlichte Ausdruck ,mein Sinneseindruck ist richtig"
auf die bettelarme Tautologie kmau^läuft: gMein Sinnes-
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Wahrheife.
861
eindruck ist mein Sinneseindruck". Aus dieser verzweifelten
Verlegenheit h»^rmis bat wohl Hegel, dessen eiserne Stirn
niemals das Geständnis des Nichtwissens duldete, die Wahr-
heit tiefsinnig-sinnlos als ^Uebereinstimmung mit sich selbst'
erklärt. Er sagt (VI, 51): , Gewöhnlich nennen wir Wahr-
heit Uebereinstiramung eines Qegenstendes mit unserer Vor-
stellung ... im j)hiloso{)hischen Sinn dagegen heisst Wahr-
heit überhaupt, abstrakt ausgedrückt, Uebereinstimmung
eines Inhalts mit sich selbst* Wie so häufig bei Hegel
ist aus solchen Worten nur der Galgenhumor des Denkens
Uber seine eigene Armut heramBtihflren.
Wir werden sofort nadb diesem allgememen Satee im xr.
einseinen erfahren, dass Sehlussfolgerungen nur sprach-
liehe AbSndemngen anderer ürtefle sind, wie wir ja schon ein
wissen, dass Urteile die Begriffe nnr umgeben, wie der '^^^
Ranch das Feuer timgibt. Das Allgemeine aber wird viel-
leicht schlagend deutlich werden durch das alltSglichste
Beispiel. Ich habe es als das nSchste schon benfltst. Wir
nennen die Sonnenwftrme die Ursache dayon, dass das
Quecksilber im Thermometer steigt; wir nennen es unsem
Erkenntnisgrond für unser Urteil über den Orad der Sonnen*
Wirme, wenn das Quecksilber im Thermometer ste^^t. Ln
ersten Falle ist dasselbe Steigen des Quecksilbers die Wir-
kung oder Folge der WSrme, im zweiten Falle nennt man
es ihren Erkenntnisgmnd. Nun achte man wohl auf das
Folgende. Die Sonnenwärme wirkt auf das Quecksilber
genau so, wie sie auf meinen Körper wirkt, genau so ur-
sächlich, wenn auch die Sinne verschieden sind; die Summa
der körperlichen Veränderungen, welche die Sonnenwärme in
meinem Leibe hervorbringt, nenne ich mein Wäimegeftthl,
und es ist für die Erkenntnis der Wirklichkeit gleich, ob-
ich die Ausdehnung der Quecksilbersäule an der Thermo-
nieterskala mit dem Gesichts'^inn genauer messbar, oder ob
ich die Gesamtwirkung der Warme auf meinen Leib durch
das sogenannte Gemein t»'en\hl etwas undeutlicher wahrnehme.
Beide Mal haben meine Nerven eine Wirkung verspürt.
Die Wirkung der Sonnenwärme auf meinen Leib ist mein.
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362
IV. Die Denkgeietze,
Wärmegefükl ; die Souuenwärme ist in Wirklichkeit die
Ursache meines Wärmegeftlhls , meines Warmseins. Diese
Vorstellung drücke ich nun durch das sprachliche Urteil
«OS «nur ist warm*; es ist ganz glnehgOliig, ob andtte
Spraehett ungefähr sagen: «es ist mum*, «ich Inn wann*
«der «ich habe warm*. Nun wäre ich ohne Frage be-
rechtigt, ebenso wie ick den Thermonteteistuid filr den Er^
Jcenntnisgrund des Lnftwftrmegrades erklSre, auch mein
Wkmegef&bl für den Srkenntm^grand der Sonnenwinne
Ausmgeben. Ss w&re ganz logiscb m sagen: .danuis, dass
mir wann ist, scfaUesM ick, dass es wann ist* Dieser
Oedankengang wtre nidit um ein Jota anders, als der
Scbluss von der QuecksilberkAke auf die Lufttemperatur,
Und ein Gesunder kOnnte einem fiierenden Fiebeikranken
gegenüber ganz vemOnftag und nfltsUdi den Scbluss von
:seinein Wbmegefllkl auf die SoimenwSnne ziekeo, dann
also, wenn nach der Sonnenwftnne gefragt würde, wenn die
Aufmerksamkeit auf die Sonnenwirme gelenkt würde.
Wir haben es also bei dem sogenannten Erkenntnis-
gründe, der Quecksilberhöhe, und bei der Erkenntnis (dass
.es warm sei) beide Mal mit einer Wirkung und zwar mit
^er Wirkung aus der gleichen Ursache zu tkun. Bei der
Thatsache des Wärmegeftthls hängt es ganz allein von den
jms interessierenden Umständen oder unserer Aufmerksamkeit
4ib, ob wir die Empfindung logisch so oder so ausdrücken,
wir sagen: mir ist warm, mir ist warm, mir ist warm.
Das eine Mal ricbtoii wir unsere Aufmerksamkeit auf unsere
Person, das zweite Mal auf die in fVnc^f gestellte Thatsache,
üas dritte Mal auf die Art der Eraptindung. Mit einiger
Wort^palterei und scheinbarer Gcistreichigkeit kann ich
freilich meine VV äniieeiii phndung den Erkenntnisgrund der
Wärme nennen. Aber da «roiateu wir ja eben sofort zu
-der Weisheit, dass wir von <ier Wärme absolut nichts er-
icennen als eben die Enipüudung, dass unsere Empfindung
.ganz und gar unsere Erkenntnis von der Wärme ausmacht;
wenn wir also unsere Wärraeempfindung den Erkenntnis-
grund der Wärme nennen, su nennen wir unsere Erkenntnis
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JBrkwintniiyqitd ein fftltcher Begriff.
808
ihren eifi^enen Erkeautnisgrund. Die Albernheit eines solchen
Sprachgebrauchs springt hoffentlich in die Augen.
Ich weiss wohl, dass die neuere Physik nicht ij;anz ohne
Erfolg nach dem Warum der Wärme gefragt iiat, also
nach einer nachweisbaren entfernten Ursache unseres Wärrae-
geftaUs; hierin ist unser Wissen bereichert worden, aber
nidit durch logiache SdiltlaM, aondem durdi Aper9us, durch
gut und neu beobachteto SinnMemdrfloke.
Bin physikaliBclier Apparat, den SrnneMindniek der
Wbme gut und neu sn beobachten« iet euch unser Thermo-
meter. Se gestattet eine genauere Ausdnutoweise; anstatt
die Hand zur Probe in das Wasser zu stecken und zu
sagen »es ist sehr wann*, branehen wir bloss aofiu-
bhoken, das Experiment an nns^m Gesichtssinn anstatt
am Qemeingefllhl der Haut aussuflihren, und können fast
gelehrt urteilen »das Wasser hat 25 Grad*. Aber wieder
besteht unsere ganae Erkenntnis in dem Ablesen dieser
Ziffisr; und wieder hiesse es blödsinnig die Erkenntnis übr
ihren eigenen Grund ausgeben, wollte man (und das thui
bis zu dieser Stunde alle Welt) den Thermometerstand einen
Erkenntnisgrund des Wärmegrades nennen. Auch dann
noch wäre der Ausdruck Erkenntnisgrund sinnlos, wenn
man etwa den Thermomcterstand ftlr den Erkenntnisgnmd
und erst den Satz «es ist also sehr warm'* für die Schluss-
folge gelten lassen wollte. Ich darf nicht aufhuren, das
Sprachelend unerbittlich bis in seine letzten Schlupfwinkel
zu verfolgen. «Sehr warm" kann doch nur ein Tollhäusler
eine W^irkung, nur ein Zierbengel eine Folge von «25 Grad"
nennen.
So i^laube ich an einem populären Beispiel unwiderleg-
lich gezeiL't zu haben, dass der Begriff Erkenntnisgrund
einen wirklichen Sinn nicht hat, dass selbst die bildliche
Anwendung des Worts ungereimt ist. Damit scheint mir
auch der entsjtrecuende Begriff der Schlussfolfre od»M- der
logischen Notwendigkeit beseitigt, und damit die Gesetzlich-
keit des menschlichen Denkens oder der Wert der mensch-
lichen Sprache. Was bis zu dieser Stunde £rkenntnisgrund
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364
IV. Die Deokgeaetze.
genannt wird, ist nichts weiter als ein Hinlenken der Auf-
merksamkeit auf sprachliche Formen von ürteflen. Was
nDsera Eikeimhiis jedesmal sbegrQndeft*, daa ist immer nur
die Eriimenixig an Siimeeempfinduiigeti moid di« durch imsere
Intoressen gelenkte Aufinerksamkeit. Es mag gewdhnlteh
bequem sein, nur Ins «a den Erinneningazeichen surOck-
zugehen und diese im Vertrauen auf ihre Treue die Ur-
Sachen unserer Sfttze zu nennen, wofür wir dann mit
schlechtem Gewissen das wackelnde Wort «Grund* ein-
geführt haben ; die wirklichen Crsachen unserer Stttee sind
nicht GrOnde, nicht schallende Worte, sondern die Sinnea-
empfindungen, oder das Unerkennbare, das die Sinnes-
empfindungen erzeugt
Auch unser Hanswurst ist ein scharfer Logiker; auch
ihm sind die Empfindungen seiner Augen, seines Tastsinns,
Seines Geschmacks und seines Geruchs ErkenntnisgrBnde
der Existenz seines Käsestücks; der Hanswurst mftsste da»
neben auch Metaphysiker sein um einzusehen, dass er ron
dem Wesen seines Chester, von seinem Käsestück als Ding-
an-sich durchaus nichts anderes kennt, als eben die Em-
pfindungen seiner Sinne, dass er die Summe seiner Erkennt-
nisse ihren Erkenntnisgrund genannt hat. Und sagt er mit
seinem dummen Lachen, das Stinken des Käses sei doch
wenigstens der Erkenntnisgrund für das Alter des Ki^es,
so erinnere ich an die 25 Grad , die der Erkenntnis^rund
für grosse Wärme sein sollten. Nein, so disparat dir Aii-
jektive ,alt" und , stinkend" auch im toten Wörterbuch
sein mö^en , in der lebendigen Verbindunt^ mit der Vor-
stellung ^Käse" sind sie zwei Synonyme, von denen das
zweite die Wirkung' auf unsere Sinne nur etwas deutlicher
bezeichnet als das erste.
DtHk- Ist mir im vorigen Abschnitt der Nachweis gelungen,
******* dass der Satz vom zureichenden Grunde, das heisst der Be-
Tanto-
logien. griff der Notwendigkeit nur in der Wirklichkeitswelt gilt
oder doch von uns iii sie hiueingelegt werden muss, dass
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DenkgeaeUe Tautologien.
365
es aber in unserm Denken ein Folgen aus Griludcii, eiue
logische Notwendigkeit, gar nicht gibt, so ist es fast Uber-
flOssig, im eiaxeliien QMhiuvmn, dtts die yiel genannten
Denkgeseice nur ebenso Tiele.Taiitologieii sind, die untem
Gesetie des SehlieBsens ebenso wie die obeisten Denkgesetie.
Win man aber bei der ZersiVrung eines alten Baues etwas
TOehtiges lernen, so wird es sich immer empfehlen, ihn
Stein fllr Stein absutngen.
Heber Fassung und Anordnung der obersten Denk-
gesetze henrselit in der Schnllogik eine heillose Verwirrung.
Nach dem Herirommen zfthlt man ihrer vier auf, darunter
aber auch gana unlogisch den Sats vom Grunde sdbsi, der
doch die andern als generaloberstes Denkgesets «mfasBen
muss. Mit dem Sats vom Grunde aber sind wir holBEiBnt^
lieh eben fertig geworden ; wir wollen seine Unterarten, die
übrig gebliebenen drei verbultniamftssig obersten Denkgesetze,
vorurteilslos aber in der .Erwartung* betrachten, dass sie
sich in wohlklingende Tautologien auflösen werden.
Vorher aber noch eine Bemerkung: der Satr. vom
Grunde soll, nach der üblichen Lehre, die Notwendigkmt
aussagen, mit der ein Urteil am irgend welchen andern
Denkelementen folge. Wir wissen nun, dass diese Not-
wendigkeit nur ein anderer Ausdruck sei für die ärmliche
Thatsache, dass ein bestimmter Bej^riff eben nur die Er-
innerung an bestimmte SinneseindrUcke bezeichne, also un-
niüfflich, das heisst nach Sprachgehrauch unmöglich, andre
Erinnerungen bezeichnen könne. Die obersten Denkgesetze
nun sind wo möglich noch armseliger. An sie ist nicht
einmal der sprachliche Zwang geknüpft, sondern sie ziehen
nur die äussitsEi liienze, bis zu der ein Satz überhaupt
möglich, das heisst denkbar ist. Da aber „denkbar" hier
nur so riel ist wie ^aussprechbar*, , sagbar", so könnten
wir die obei-steu Deukgesetze recht gut auch die obersten
Sprachgesetze nennen, solche Gesetze nämlich, welche sich
auf ihrer luttigen Höhe zur Sprache verhalten wie das
.Sein* zu der Wirklichkeit, wie Nichts zu Etwas. Man
hat iieiiich zwischen Denkbarkeit und Sagbarkeit, also zwi-
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366
rV. Die Denkgeseize.
sehen Logik und Grammatik, immer einen Untenehied
finden wollen; aber vas Air den Grammatiker richtig ist»
ist auch flir den Logiker richtig, solange man niehi nach
der Wahrheit fragt, das ist: nach der Uehereinstimmmig
mit den Sinnesempfindimgen.
Die drei obersten Denkgesetae aber heissen hente uodi
genau so wie im Iftittelalter: 1. Der Bats der Identität«
2. der Sati des Widerspruchs, 8. der Sats des ausgeschlos*
senen Dritten. Wir woUen jeden einaeln beim Worte
nehmen, um zum Schlüsse zu erkennen, dass zwischen ihnen
nur ein Unterschied der Sprachform besteht.
8tiB 1. Der Satz der Identität kann auf verscliiedene
anmutige Arten ausgesprochen werden z. B.: , Was Etwas
ist, das ist es'' oder , Alles ist, was es ist* oder mit dem
Schein mathematischer Klarkeit «A ist A*. Hier ist die
Gedankenblössef die NuUitat des Ergebnisses so nackt und
offen, dass es beinahe geziert wäre, den Satz der Identität
erst noch ausdrücklich eine Tautologie zu nennen. Auch
mag man die Formel ,A ist A" drehen und wenden, so
viel man will, man wird ihr keine neue Seite abgewinnen;
man mag sie inquim ren, sie wird ruif keine peinliche Frage
auch nur ein Sterbenswörtchen zur Autwort geben.
Ich möchte hier einschieben, dass nicht immer ein
identischer Satz ist, was in der toten Sprache der Schrift,
was schwarz auf weiss auf^si. ht wi ■ .A ist A". Man glaube
nicht, dass ich damit meinen Aasgüiigs^juiikt, dass nämlich
Sprache und Denken ein und dasselbe sei, verlasse. Die
Aufmerksamkeit des Sprechers oder Hörers, wie sie durch
die Situation des Gespräches oder Gedankengangs erregt
worden ist, diese Aufmerksamkeit und die ihr entsprechende
Betüiiuug der Worte gehört ja mit zur Sprache. Wenn also
jemand sagt ,Käse ist Käse" oder „Schnaps ist Schnaps*
oder ,ein Wort ist ein Wort", so ist das durchaus nicht
dn besonderer Fall Ton der allgemeinen Formel ,A ist A*.
Wer so spricht, will in abgekürzter Bedeweise etwa sagen:
«Jeder Kftse, auch ein Terdorbener, jeder Schnaps, auch
der schlechteste, jedes Wort, aodi das leichtsinnig gegebene,
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1. Der Sats der Identität.
867
ist ein Käse, ein Schnaps, ein Wort; die Güte, die Feiu*
heit, die Besonnenheit gehört nicht (nach dem augenblick»
liehen Interesse, dem augenblicklichen Gesichtspunkt de»
Redenden) zum Wesen des BegriA Eise, Schnaps, Wortf
es gibt keinen sdilediten Schnaps; es gibt keinWofi, das
nicht hJbide.* Solchen scheinhar identischen SUsen wird
der Angeredete denn auch Tou seinem Standpunkt wider*
spredien dflifen. «Nicht jeder Ktee ist, was ich KSse nenne;
nicht jedes leichtsinnige Wort darf man beim Worte nehmen.
Der weitwe Horinmt hat ja gar nicht denselben Stand-
punkt wie der engere.* Wieder sieht man, wie die Begriffe
in Terschtedenen KOpfen nidit identisch sind. Für den Ter*
hungernden Bettler ist Brot Brot, audi das scblechteste
Brot fSnt für ihn unter den Begriff Brot; der Terw6hnte
Bürgersmann Tersteht unter Brot ein taddloses Brot. Je
geistiger die Begriffe sind, desto seltener wird die Identität.
Für den Bauer und den gemeinen Kunsthändler ist Haler
Maler, istBÜd Bild; nicht ftlr den Kenner, welchem Kfinstler»
Schaft zum Begriff des Malers, des Bildes gehört. Wir
haben schon erfahren, dass mitunter A ss A — b (S. 282),
was mathematisch falsch, sprachlich aber nur zu wahr ist.
Diese Einschaltung schien mir notwendig um deutlich
seigen zu können, dass schon die gewöhnlichste Anwendung
Tom Satze der Identität aus der Logik herausfällt, rein
sprachlich ist und ihre Aufmerksamkeit schon auf die Dinge
selbst richtet. Ohne Bewusstsein von diesem Umstand und
nur darum ohne schlechtes Gewissen nennen die Logiker
diese Anwendung den Grundsatz der Einstimmigkeit, was
genau betracluet nur Uebereinstimmung mit der Wirklich-
keit heissen darf Um diese Anwendung mit auszudrücken,
wird der Satz der Identität mit besonderer Lieblichkeit auch
so formuliert: orane subjectum est praedicatum sui, jedes
(grammatische) Subjekt ist sein eigenes l'i ädikat, jeder Be-
griff darf von ihm selbst ausgesagt werden. Und jedes
Merkmal eines Begriffs dari von ihm ausgesagt werden. Da
aber die Begriffe oder Worte nichts weiter sind als Er-
innerungszeichen Ton Merkmalen, die Sätze aber, das heisst
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IV. Die Denkgeaetze.
unser gesamtes Denken nichts als eine Besinnung auf den
Inhalt oder die Merkmale der B^griife, so ist der Sats der
Identitiit in dieser hraudibareren Form erat recht eine Tauto-
logie und wegen seiner unschuldigen Miene dazu noch
komisch oder spitsbttbisch. Wie ein nichtsnutaiger Schul-
Jui^e die Antwort auf des Lehrers Frage aus dem Buche
abliest, das er unter der Bank versteckt hälti genau ebenso
leiert der logische Grundsatz der Sinstimmigkeit das Ter^
steckte Prädikat herunter, nur dass der Logiker den Vor-
gang einen Grundsatz nennt und ihm durch den Begriff des
„ dürfen* besondere Feierlichkeit erteilt. Der Schi4)unge
darf ablesen, nämlich wenn der Herr Schulrat zugegen ist,
wenn der Kritiker aufpasst, damit der Kritiker nicht erfahre,
dass der Schuljunge nichts gelernt hat, dass die Logik nichts
lehren kann.
Es ist abo streng festzuhalten, dass jeder Satz « A ist A"
entweder einen sinnvollen Zusammenhang mit der Wirk-
lichkeit hat und dann kein logisches Gebilde mehr ist, oder
dass er nur die sogenannte Uebereinstimraung mit sich selbst
ausdrückt, und dann den Lufthauch nicht wert ist, den man
au ihn verschwendet.
Besonders verdient hervorgeholien zu werden, dass man
noch keiruni WahrT^innigen gefunden hat, der an dem Satz
der Identitiit zweilclte. Sein Verstand konnte so krank sein,
dass er einen kSuppeuteller für eine Krone hielt oder eine
Kartoffel für einen Pfirsich-, der allfTenipinf Satz aber A ist A,
ich bin ich, Kartoffel ist Karlollrl witd von allen Wahn-
sinnigen anerkannt, solange sie nicht durch Blöilsmii am
Verbinden der Begriffe überhaupt verhindert werden. Man
mag daraus ersehen , wie viel Verstund zum Auffassen des
ersten der obersten Deukgesetze gehöre,
«au 2. Der Satz des Widerspruchs lautet gewöhnlich
Wider- ^* kontradiktorisch entgegengesetzte Urteile (z. B.
Sohlilse ist toi — Schuhe ist nicht tot) können unmöglich
beide wahr sein; aus der Wahrheit des einen folgt mit ber
kannter logischer Notwendigkeit die Falschheit des andern.
Hier ist nun schon der Name des Satzes ein heiterer
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2. Der Säte des WidenpruclM.
869
Beweis für die Hüflosigkeit seiner Erfinder. Der G^ruDd*
satz de« Wirlerspruchs will doch offenbar besagen, dass
zwischen Ulieilen, die heide gelten sollen, kein Wider-
spruch, kein kontradiktorischer Gegensatz bestehen dürfe.
Es ist also um seine Bezeichnung ähnhch bestellt, wie wenn
die ehrlichen Leute , die Logiker der Moral , das Prinzip
ihres Handelns einen ^.Grundsatz des Stehlens'" nennen
wollten. Und die Logiker des Denkens haben auch gewiss
ihren Grundsatz des logischen Stehlens, den Satz des Wider-
spruchs, nur deshalb so verkehrt aufgestellt, weil sein ge-
rader und natürlicher Name ..Grundsatz der Ueberein^'tini-
mung" hätte lauten müssen, also mit dem Satz der Identität
identisch gewesen wäre. In Wahrheit verlangt der Satz
der Identität, dass Ein Satz tautologisch sein müsse, damit
man ihn denken oder aussprechen könne; nach dem Satz
des \\ ult i spruchs aber müssen zwei Sätze tautologisch sein,
damit man sie zusammen (vielleicht auch nur bald nach-
einander) denken oder aussprechen könne.
Aber sowohl die Erklärung des Satzes vom Widerspruch
als sein Beweis richten ihre Aufinerksamkeit auf die Wahr-
heit der Urtoile; und wir wissen boeila, dass die Wahrheit
der Satse nur eine sprachliche Auseinanderbreitung ist von
richtigen Begriffen, und dass die Bicktigkeit der Begriffe
ihre üebereinstimmung nut der Wirklichkeit ist, also das
was SU ihnen gehdrt, wie die Existenz zur Welt So führt
der Satz des Widerspruchs, weil er recht eigentlich nach
der Wahriieit fragt, sofort iMtch enei^pscher ab der der
Identitftt aus dem logischen Gedankenkreise heraus, so wie
er das Gebiet alberner Tautologien yerlassen will. Weil er
nun noch emsiger nach der Wahrhdt fragt, hat man ihn
auch so formuliert, dass er Terbiete auf eine und dieselbe
Frage zi^eich mit ja und mit nein zu antworten.
Nun lehrt uns aber die tftgliche Erfahrung, dass nicht
nur im gedankenlosen Tagesgeschwätz Ja und Nein gleich-
wertige Antworten auf dieselben Fragen sind, sondern dass
auch in den tiefsten wissenschaftlichen Untersuchungen die
Fachm&nner selbst einander widersprechen. Alle aog&*
Mantli««r. B«itrige sn einer Kritik der SprMhe. III. 24
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370
lY. Die Denkgeeeiie.
nannten Zeitfragen haben die EigeutttmUchkeit, dass sie mit'
ja und mit nein beantwortet werden können. Sind die
Bazillen die Erreger der betreffenden Krankheit? Ja und
nein. Weiss die Sozialdemokratie, was sie wiU? Ja und
nein. Lässt die Physiologie eine besondere Lobenskraft
gelten? Ja und nein. Ich sehe von den Füllen ab, wo ver-
schiedene Forscher die Frage verschieden beantworten. leb
hubp solche Fälle im Auge, wo nur vorlauter Farteigeist
mit ja oder nein antwortet, während der vorsichtige Denker
sein Schwanken ganz jnrut so ausdrücken kann, dass er ja
und nein zugleich antwortet, also zwischen zwei einander
kontradiktorisch entge^^enu'estetzten Urteilen beide für wahr
erklärt, also dem Satz vom Widerspruch entgegen handelt,
gerade wenn er schärfer denkt als andere.
Und zu alledem halte man, was wir erfahren haben:
dass es Widerspruch (II. 50) Uberall einzig und allein nur
in der Sprache geben kann.
Moral Wir sehen am Satze des Widerspruch« wieder, worin
und Rdz zugleidi und der Fdiler der Logik besteht. Der
Vergleich mit der Ethik, den ich da und dort fluchtig
heranzog, betrifft das Wesen dieser gesetzgeberischen Bis-
aiplinen. Sovie die Ethik aus dem Vorhandensein der
Worte „gut" und »bSse* das Recht schöpft, fast unbe-
kOmmert um die wirklichen Thaten und Gesinnungen der
Menschen ein Idealsjstem von Gesetsoi des Handelns auf-
zustellen, und dadurch als eine Logik der Geschichte er-
scheint, der die wirkliche Geschichte nicht entspricht; so
ist auch die Logik fast unbekümmert um die wirklichen
psychologischen VoigSnge in unserem Gehirn und will eine
Art Moralkodex dessen sein, was man denken darf und
nicht denken darf. Wie die Moral und die auf ihr basieren-
den Staatsutopien (bis zu dem neuesten, dem sozialistischen
Staatsroinan) sich an Idealmenschen wendet, an Engel, die
auf dem Rund der Erde nicht wohnen — so setzt auch die
Logik etwas wie Idealgehime voraus und eine Idealsprache
daiu, einen von allwissender Vernunft aufgestellten und
Jedem allezeit gegenwärtigen Weltkaialog. Und noch niher
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MoTftl und Logik*
berüliren sich Moral und Loj^ik: durrh <li«> Bedeutung des
Interesses, welches doch die menschlichen Handlunpt'n ehonso
leitet wie das menschliche Denken, das ja eben aucli nur
ein leises menschliches Handeln ist. Nur dass die starken
Handlunj^jen , bei denen alle Extremitäten bewegt werden,
nicht immer einen Schall erzeugen: bei den schwadien Be-
wegungen der Sijracliorgane aber gerade die Schallerzcugung
ilie Hauptsache ist. Diese Bedeutung, welche das Interesse
für ilas Denken hat, lehrt uns nun, dass nicht « ii !: :*! der
allwissende Idealverstand Fehler gegen den Satz vf>uj Wider-
spruch zu vermeiden im stände wäre; es müsstc noch eiue
Idealmoral, eine engelhafte Selbstlosigkeit hinzukommen,
damit schon bei der Begri&büdung ein Einfluss des indivi-
duellen LiteresBes ausgescliIosBen wftre und eo das gemein-
same Wort auch in allen EngelBkdpfen («Köpfen ohne
Leib*, um Schopenhauers hllbsches Bild zu gebrauchen) den
gleichen Sinn und Inhalt hätte. Nur f&r solche Engels-
köpfe ohne Leib fräre die Logik mit ihren X>enkgesetBen
eine Wissenschaft; nur dass selbst diese aUwissenden Köpfe
ohne Leib wohl doch die Engelsgeduld verlören und sich
Arme nnd Hftnde wünschen würden, um diese flberflüssige
Wissenschaft den Erfindern um die Ohren zu schlagen.
Wir aber wiederholen bescheidener nur die Bemerkung,
dass es gerade die brennendsten Fragen immer sind, die
die Welterkenntais der besten Köpfe nicht zu entscheiden
wagt, die sie yielmebr mit Ja und Nein zugleich beantwortet,
dem obersten Denkf^esetze vom Widerspruch zum Trotz.
Auf die Frage, ob Käse ein Nahrungsmittel sei, antworten
wir Europäer (die Chinesen würden nicht zustimmen) mit
einem bestimmten Ja. Auf die Frage aber, ob Welt-
geschichte eine Wissenschaft sei, werden die schärfsten
Denker zugleich mit Ja und mit Nein antworten. So ge-
langen wir auch von dieser Beobachtung zu einer Bestäti-
gung des Unwertes der Sprache. Denn es ist offenbar, dass
wir unsere Beobachtung allgemein so ausdrücken können:
eine genaue Scheidung der Begrifte oder Worte, eine strenge
Befolgung des Idealsatzes vom Widerspruch, ist nur mög-
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372
IV. IHe Benkgeaetse*
lieh iuuerkalb der apiiorischeu , wertlosen, tautologischen
Urteile, der ererbten, versteineiton, das heisst wenig ver-
äudciliclien Spraclie und ihren iSoniinaidefinitioncn , also
dann, weaii wir unwissenden Knaben unser kh?ints Nicht-
wissen lehren, wenn wir in der Tretmühle des Denkens
sttUstekend gehen ; in der flüssigen Sprache der Kealdetiui-
tionen, innerhalb der aposteriorischen , sprachbereichemden
Urteile und Begriffe dagegen, im Oebirn des Forschers, da
stossen sidi unabweisbar die Widersprflehe tmd nur gegen
die Logik schreitet sein Denken rorwärts.
Es hat immer unabhängige K9pfe gegeben, weldie das
Trügliche im Satze vom Widerspruch einsahen, wobei sie
natürlich Uber die Hdhe der Begriffsentwickelung ihrer Zeit
nicht hinausgelangen konnten« Wenn Epikuros, um an
diesem oberst«i Denlqpesete zu rUtteln, das Bdspiel yon der
Fledermaus gebraucht (Ist die Fledermaus ein Vogel? Ja
und nein), so mag es uns kindisch erscheinen, weil der
Begriff «Vogel" seit jener Zeit eine festere Definition be-
kommen hat. Es hätte aber f1}r unsere Umgangssprache
wenigstens nichts Auffallendes, die Frage, ob ein Walfisch
ein Fisch sei, mit ja und nein zu beantworten. Denn das
Urteil „der Walfisch ist ein Säugetier" gehört schon in das
Gebiet der Schulsprache.
jtkuaA Diese Abhdngigkeit der obersten Denkgesetze Ton der
Sprache ist beim Satze vom ^Viderspruch nicht geringer als
beim Satze der Ideiiütiit« Liegen nämlich zwei kontra-
diktorische Urteile vor uns (z. B. die Monarchie ist gut —
die Monarchie ist nicht gut), so ist der Satz vom Wider-
spruch vorerst nur formell auf sie anwendbar. Nur unter
der Voraussetzung^, dass ihr Sinn kontradiktorisch sei,
schliesst die Bejahung des einen die Verneinung des andern
ein, was im schlichten Deutsch heisst: nur wenn die Sätze
einander wi<lersprechen, widersprechen sie einander. Dazu
kommt, dass — den Widerspruch der Bedeutungen voraus-
gesetzt - ■ die Unvereinbarkeit ih'r Sätze noch nicht lehrt,
■wt Icher von beiden wahr sei. St»wohl um die Wahrheit zu
erforschen als auch uur um die Bedeutung zu verstehen,
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Ja und nein.
373
muss aui die Uebereiustininning mit df^r Wirklichkeit, also
auf die Entstehung der Begritle, zurückgeganp^en werden.
In unserem Falle wird es sich fragten, ob der Urteilende
mit »Monarchie* jede solche Staatsform bezeichne oder
eine ihm besonders zusagende Art der Monarcliir. ob er das
Interesse, welches immer im Begriff „gut" verborgen ist,
au seine eigene Person knüpfe, oder an eine bestininite
Menschenklas5!e oder an das gesamte Volk oder gar an seine
Wertschätzung ugend einer Abstraktion; er wird sogar
fragen müssen, ob das Wörtchen .nicht* den Begriff ,guf
nur formell negiere (was allein einen e^ten kontradiktori-
sehen Gegensatz schaffen wUrde), oder ob es einen neuen
positiven Begriff der Schftdliehkeit bilden helfe. Denken und
Sprechen ist da gewiss eins. Solange die sprachliche Form
unseres Urteils nicht völlig klar gelegt ist, so lange gilt
der Sats vom Widerspruch nicht und die Gute der Monarchie
kann mit Recht bejaht und verneint werden. In dem Augen-
blicke aber, wo die Begriffe in ihren Merkmalen ausgebreitet
vor unserem Ged&chtnis liegen, wird sofort das eine Urteil
tautologisch und gilt uns damit für wahr; das andere nennen
wir unwahr, weil es nicht tautologisch ist. Der Satz vom
Widerspruch ist also für das gewöhnliche Denken nicht vor-
handen, fVat das schlurfe Denken eine überflOssige Arabeske.
Das muss auch schon Kant gemeint haben als er in seiner
Sprache den Satz vom Widerspruch nur fltr die anal\-tischen
Urteile gelten Hess; denn seine analytischen Urteile sind
dieselben, die wir die apriorischen, tautologischen, wertlosen
Sätze nennen, das Geschwätz. Auch Hegel durchschaute
die Armut des Satzes vom Wi<lerspruch , und die ganze
Praxis seiner dialektischen Methode lebt davon . dass man
widersprechende Urteile auf einer niedem Stufe des Denkens
zugleich bejahen und verneinen könne, was sich dann auf
einer höheren Stufe des Denkens vereinigen liesse. Hegel
aber glaubte, dass diese Bewegung der Begriffe der \Virk-
lichkeitswelt entspreche, während diese Bewegung für uns
nur ein verzweifeltos; Vorwnrtszappeln der Spraclie i'^t.
Darum ist die Hegelei auch nicht bei ihrem Meister stehen
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a74
IV'. Die Deukgesetze.
geblieben, dumm teilten sieb die Hegelianer bald in Theo-
logen und in Radikale, je nacbdem ibre Worteridäningen
sieb nacb der recbten oder nach der linken Seite bin-
bewegten.
Sigwart berOhrt in diesem Punkte die Wabrbeit, wenn
er den Sinn dea alten Satzes dabin erklärt: jede Rede mfisse
einen festen Sinn haben, der Eindeutigkeit der Begriffe
müsse die Eindeutigkeit der Urteilsakte entsprechen und der
Satz der Identität sei nur eine andere Form des Satzes Tom
Widersprach. Wir erheben uns Ober diest Selbst verstand»
lichkeit, wenn uns unsere bisher paradoxe Wahrheit zu einer
Selbstrerständlichkeit wird: dass nämlich, wie es in der
Natur oder Wirklichkeit um und um keine Negation gibt,
dass es so auch keine kontradiktorischen Gegensätze gibt
ausser in der kOnsUichen Sprache der Logiker, dass es (auch
nicht in der Natur, aber in der natürlichen Sprache) nur
unlogische, ungefähre, ineinander fiberfliessende Gegensätze
gibt, von der Log-ik die konträren geheissen. Unsere bisher
paradoxe Wahrheit lehrt weiter, dass das Wörtchen .nicht"
(der Angelpunkt des äatzes vom Widerspruch) in aller
Welt der Diiige nicht seinesgleichen habe, dass es in der
Sprache immer nur ein ungeschickter Ausdruck sei filr einen
ungefähren, fliessenden, konträren Gegensatz und dass eine
ldealsj)rache, die für alles Wirkliche und nur für das
\N ukliche Wortzeichen hätte, dieses , nicht" gar nicht be-
sitzen müsste und daun freilich das oberste Denkgesetz
vom Widerspruch sprachUch gai' nicht einmal ausdrücken
könnte.
Und wieder weise ich darauf hin, dass der Satz vom
Widerepruch wohl vielen sinnenden Köpfen zweifelhaft ge-
wesen ist, dass aber noch kein Wahnsinniger an der Wahr-
heit dieses obersten Denkgesetzes gezweifelt bat. Er kann
in seinem Wahn eine SuppenscbOssel eine Krone halten,
aber er wird dem Logiker beistimmen, wenn dieser ihn
belehrt: die l^tze ^ich bin König" und .ich bin nicht
König" können nicht zugleich und in dem gleichen Sinne
wahr sein.
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3. Der Satz vom auägeschloäfieueu DiiUeu.
375
8. Der Satz yom ausgeseblossenen Dritten, wm
Dieses Dritte Ton den obersten DenJ^esetBen will besagen, g^^^f,^^!
dass Ton zwei einander kontradiktoriscb entgegengesettten 8«n«B
Urteilen eines wahr sein mttsse. Er ist abo eine üm- '^^*
kebnmg des Satzes vom Widerspruck Wir batten gelernt,
dass die Wabrbeit des einen Urteils die Fakcbbeit des
andern beweise; jetzt erfabren wir dazui dass aus d«r Falsdi-
beit des einen Satzes die Wabrbeit des andern folge.
Der von uns eben gewonnene Standpunkt, die üeber-
zeugung von der Nichtigkeit des Negationsb^pdffis, wird
uns dieses oberste Denkgesetz rasch abfertigen lassen. Yorber
aber wird es gut sein, an einem Beispiel zu zeigten, wie
wenig sich wirkliches Denken oder Spreeben um dieses
logische Grundgesetz kümmere.
Der Naturforscher entdeckt unter dem Mikroskop einen
Organismus, der Ihm buld unter die Definition des Tieres,
bald unter die der Ptluir/p zu fallen selieint. Nach dem
Satze vom \V'idersprurh diufte der Forscher nicht zugleich
sagen dürfen: «lipse Amöbe z. B. ist ein Tier, ist eine
Pflanze, Er sag^ce es aber. Und nach dem Grundsatz yom
ausgeschlossenen Dritten müsste er sagen: diese Amöbe ge-
hört ohne Gnade entweder zum Tierreich oder zum Pflanzen-
reith. Das sagt er aber nicht, wenn er nur Haeckel ist,
sondern kommt mehr oder weniger klar zu der Ueljerzeugung,
dass Tier und Pflanze nur fliessende, konträre Gegensätze
sind, dass es ein Drittes zwischen ihnen gibt, wenn die
Sprache das auch bisher noch nicht gewnsst hat. Er wird
also infolge dieser Erkenntnis oder Beobachtung für dieses
Dritte einen neuen Begriff, ein neues Wort erfinden und
über, unter oder zwischen dem Tier- und Pflanzenreicb ein
neues Beicb an&tellen, das der Protisten. Damit werden
sieb die obersten Denkgesetse wieder eine Weile berubigen,
bis zur nScbsten spraehscbfipferisoben Beobachtung.
Der Logiker bat nnrecht, der mir bier einwirft, Tier
und Pflanze seien aucb für ibn nur kontrftre Gegens&tze
gewesen. Das ist nicbt wabr. Von Aristoteles bis Haeekel
umfasste der ob^ Begriff Organismus nur die Tiere und
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876
IV. Die DenkgtMkae.
die Kicht-Tiere. Solange man Uberhftupt seine Aufinerk-
samkeit auf die Organismen der Erde richtete, solange fiel
der kontradiktorisehe Gegensats Tier und Nicht-Tier mit
dem konträren G^ensatz Ti«r und Pflanze zusammen. Oder
besser: wir können an diesem Beispiel vei-folgen, wie sich
die natürliche Sprache gegen negative Begriffe wehrt und
wie die reine Negation, das ist der kontradiktorische Gegen-
satz nichts ist als eine konstruktive Hilfslinie der Logik.
Wir können die artikulierten Laute „Nicht-Tior" gewiss
aussprechen oder dieses Wortbild aufschreiben, aber dieses
logische Gegenteil von Tier ist kein Begriff, ist kein Zeichen
für irgend etwas. Es ist die Unendlichkeit, also etwas Un-
vorsteUbaros , nachdem man den Begriff Tier davon abg^e-
zogcn hat. Soll ich mir nnter der Negation von Tier etAvas
denken können, so muss ich die Kontra>liktion fallen lassen,
so muss ich den künstlieben Begriff der Unendlichkeit ver-
gessen und den Gegensatz unter eiriPTu weniger abf^trakt'^n
Gattungsbegriff suchen; so wird der Wjdi rspriich zum Gegen-
teil, das Nicht- Tier zur Pflan/e. Wei- mir das noch be-
streitet, der wird mir vielleicht beistimmen, -wenn ich un-
klarere Begriffe wühle. Gott und Nicht-Gott bilden eine
Kontradiktion , einen logischen Widerspruch. Soll ich mir
aber unter Nicht-Gott irgend etwas denken können, so muss
ich für Nicht-Gott ein wirkliche-- Wort setzen, ^u muss ich
Gott und Nicht-Gott unter den noch höheren Begriff des
»Seienden" bringen, wo sich dann der Nichi-Gotfc oder die
Welt als kontrirer Gegensatz von Gott, als sein Gegenteil
herausstellen wird. Es ist das freilkh nur Clesehw&ts, aber
die Logik muss es anerkennen. Ganz ebenso steht es um
den Gegensats toa Ich und Nicht-Ich in der Fichteschen
Philosophie. Für unsere wirkliche Erkenntnis gibt es nur
fliessende, kontrire Gegenteile, auf welche weder der Satz
Tom Widerspruch noch der vom ausgeschlossenen Dritten
anwendbar ist; zum Zwecke ihrer Begii&spielereien allein
konstruierte die Logik sich einen kontradiktorischen Gegen-
sats, für welchen unsere Sprache kein Wort hat, unser
Denken keine Vorstellung, kein Beispiel.
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'd' Der Satz vom nusgeeohloHsenea Britten.
377
Der Saix vom ausgescUosseiieii Dritten Ubui sicli gram^
matikalisch auch so aiisdracken, dass naeh ihm jedes Sub-
jekt mit jedem PriLdikat rerbunden irwden kOmie, n&nlich
bald bejahend, bald Terneinend. PrOft man z. B. die Zu-
sammengehörigkeit der Begriffe Mitteklter und 0elb, so
wird das dritte Ton den obersten Denkgesetzen uns sagen
lassen: das Mittelalter ist nicht gelb, besser das Mittelalter
ist nichi-gelb. Unser Satz führt also zu der Weisheit, dass
disparate Begriffe nieht zusammengehören. Erst msaa Ton
einem nüchternen Menschen einmal gefragt worden wäre,
ob das Mittelalter gelb sei, ob die Elektricität vierfüssig
sei, erst dann Id&tte unser Satz einen Wert. Der Satz ist
also wertlos wnä würde wertlos bleiben, auch wenn er wahr
wäre. Wahr aber kann der S:itz vom ausgeschlossenen Dritten
für uns so wenig sein wie der Satz Tom Widerspruch, weil
er doch auf dem Gebrauch eines unrichtigen Begriffs be-
ruht, dem vom kontradiktorischen Gegensatz. Für uns wären
widersprechende Urteile doch nur Auseinanderlegungen von
\vidersprcchendGii Bf n^iffon, %vidersprechcnf1o Befjriffo nur Er-
innerungen an widersprechendo Vorstellungen. Vnd kontra-
diktorisch widersprechende Vorstellungen gibt es nicht in
der Wirklichkeitswelt. Weiss und schwarz sind Gegenteile,
aber sie widersprechet! einander nicht, sie flie^sen in grau
zusammen. Ein Widerspruch bestünde zwischen den \'or-
stellungen weiss und nicht-weiss. Doch die Yorstelluiig
nicht- weiss kennen wir nicht, man wollte denn mit nicht-
weiss in unsäglich gezierter Weise etwa so viel sagen wie
mit Gran. Eine Vorstellung nicht-weiss, die logischerweise
zugleii;h alle anderen Farben, alle nicht-weissen Gegenstünde
der Welt und dazu alle Ab.straktiuuen bezeichnen müsste,
eine solche Vorstellung suchen wir vergebens in unserem Ge-
dächtnis, in unserer Sprache. Wir kommen also vrieder zu
einem traurigen Schluss. Soll der Satz vom ausgeschlossenen
Dritten besagen, alles mtlsse schwarz sein, wenn es nicht
weiss sei, so ist der Satz schreiend falsch. Soll aber der Satz
besagen, alles mttsse nicht-weiss sem, wenn es nicht weiss
sei, so geht seine Albernheit Ober das erlaubte Mass hinaus.
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378
IT. Dia Denkgesetse.
Ich will aucli diasmal nicht vergessen hinzuzufügen,
dass man den Wahnsinnigen leicht dazu bringen kann, audi
die Wahrheit des dritten obersten Denkgesetz^ zuzugeben.
Er wird einsehen, dass eine Suppenschüssel entweder eine
Krone ist oder keine Krone ist, und wird im übrigen bei
seinem Wahn bleiben.
Man hat oft versucht die Dreieinigkeit dieser obersten
Denkgesetze auf eine wirkliche Einheit zurückzuführen, und
besonders Schopenhauer wird dafür gelobt, dass er (Welt
a. W. u. V. II, 3) sie alle drei aus dem Dritten hervor-
gehen hess. Wirklich scheint der Satz ist entweder B
oder ist nicht B" die Formehi zu vereinfachen. Wir aber
wissen, dass alle Urteile nur Tautologien sind. Wii- können
sie also alle auf die Formel ,A ist A" zurückführen und
erkennen in dieser Formel sofort, wie bettelhaft arm die
drei obersten Denkgesetze sind.
Der Satz der Identität will die Tautologie ^A ist A'*
durch die höhere Weisheit ,A ist immer A" begründen;
er iat also eine Tautologie in zweiter Potenz, eine Kinderei«
Der Satz Tom Widmprueh Uingt nach etwas, wenn
man ihn besagen lässt, A mttsse entweder B sein, oder es
sei nicht B. Da aber alle ürtefle Tautologien sind, also
schliesslich ist A* lauten, so besagt der Satz Tom Wider-
spruch, dass A immer entweder A sei oder nicht A. Und
denselben tiefiunnigen ünsmn besagt der Satz Yom aus-
geschlossenen Dritten*
Laasen wir aber die bgischen Kunststttcdce und anderen
Spass beiseite, betrachten wir unser Denken oder Sprechen
auch auf dieser Stufe psychologisch, so werden wir freilich
anstatt oberster Denkgesetze nur die Ahnung vorfinden,
dass das Gefühl der Gewissheit, das wir yon Tielen Dingen
auf der Welt haben, dass dieses unser Gefühl subjektiver
Ueberzeugung, subjektiver Sicherheit einen objektiven Grund
habe. Diese Ahnung, diese Sehnsucht nach objektiver Ge*
wissheit ist selbst nicht Kenntnis, sondern Glaube. Das
alleroberstc Denkgesetz, der Satz vom zureichenden Grunde,
ist ein Glaubenssatz und darum nicht fassbarer fUr Vor-
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UnmiUelbare Bchiüase.
379
Stellung und Sprache als irgend ein anderer Glaubenssatz.
Die eben iti>iurten drei obersten Denkgesetze aber sind
wie Fäden eine» Spiungewebes, tauglich zum Eint'angcii von
Fliegen, nichtssagend oder falsch, wie die drei alten Be-
weise für das Dasein Gottes.
y. Die Schlossfolgerung,
ScUftsse nennen wir eine besondere Art von Urteilen ümiuei-
oder Sätzen. Eigentlich sollte es selbetTMet&ndlich sein, gcu^se.
dass wir uns nur um solche Sätze kflmmem, von deren
Wahrheit wir Qberzeugt nnd, die auf richtige Begriffe
zurückgehen und dadurch mit unsem Vorstellungen Ton der
Wirklichkeit übereinstimmen. Einen TJnterschied in diesen
Sätzen macht nur: die psychologische Herkunft derüeber-
Zeugung Ton ihrer Wahrheit». FOr solche Sätze, deren
Grundlage noch in unserer Vorstellung gegenwärtig ist, die
auf unmittelbarer Beobachtung beruhen, haben wir keinen
besonderen Namen; die unmittelbaren Urteile heissen ein-
fach Urteile. Ist uns aber die Grundlage, die ursprüngliche
Beobachtung nicht mehr gegenwärtig, muss unsere Erinne-
rung mehr oder weniger Haltepunkte macheut um sich auf
die Vorstellungen zurUd^zubesinnen, ist also unsere subjek-
tire Ue.berzeugung von der Wahrheit eines Satzes nicht
unmittelbar, so gelangen wii* zu vermittelten Sätzen und
diese nennt die Logik Schlüsse. Alle Schlüsse sind also
mittelbare Urteile, und da scheint es mir doch eine arge
Konfusion, dass man diese mittt Ibaren Urteile Avieder in
unmittelbar-rermittelte und in mittelbar-vermittelte einteilen
will. Der gan/.«^ Unfer>obied scbeint mir in der Zahl der
Stationen zu bestehen. Die geograjdiische Lage von Berlin
und Potsdam bleiljt dieselbe, ob ich den Weg im Schnell-
zug ohne Aufenthalt zurücklege oder oh der langsame Lukiil-
zug einigemal anhält. Wer langsam denkt, wer ein lang-
sames (xedächtni«! hat, wird dassell)e Urteil, das ein anderer
uumiLLelbar iuilt, nur mit Hilfe vuu Puntpstationen erreichen.
Digitizcü by ^(j^j-j.l'^
380
V. Die Schlussfolgcrung.
Wir verstellen also unter immittelbaren Schlössen diejenigen
ürteüe, die psychologiscli so entstellen, dass das GedÜchtnis
entweder gar nicht oder doch nicht an allen Stationen hält.
Die mittelbaren Schlosse, die Syllogismen, diese Höhepunkte
der Logik, erinnern darum auch an die langweiligen Bum-
melzüge, die nur ftlr Kinder einen Beiz haben, den Beiz
der Verzögerung.
Unter den unmittelbaren Schlüssen führt die Schullogik
zuerst diejenigen auf, die unmittelbar aus Begriffen herror-
gehen und die analytische Schlüsse heissen. Ich habe Ober
sie nur kurz zu sagen, dass sie mit meinen wertlosen, aprio-
rischen, tautologischen Urteilen durchaus zusammenfallen*
Es wird da immer ron einem Begriff etwas ausgesagt, was
im Begriff mitrerstanden worden ist Wenn ein Tisch-
genosse zu später Stunde die Worte lallen würde «Kise ist
ein Kahrnngsmittel*, so wOrde man das thtfrichtes Ge-
schwätz nennen und annehmen, der Freund sei seiner Sinne
nicht mehr mächtig; dieselben Worte wären aber fllr den
Logiker ein musterhafter analytischer Schluss. Nach allem
Yorherges^ten braucht hier nur daran erinnert zu werden,
dass zwischen analytischen Schlüssen und analytischen Ur-
teilen gar kein Unterschied aufzufinden ist, dass ferner alle
analytischen Urteile zurückgehen auf ehemalige synthetische
Urteile, das heisst auf BeobachtuiijLren, welche seinerzeit das
Gedächtnis oder die Sprache bereidiert haben. Auch Kant
hätte zugeben müssen, dass seiru- .Erläuterungsurteile" in
statu nascendi, beim ersten Erfassen, «Erweiterungsurteilc"
gewesen waren. Die Summe aller solchen einstigen Beob*
achtungen ist eben Gedächtnis oder Sprache; wer auf diesen
Schatz eine Anweisunr^ nn<:stollt, wer ans der Sprache heraus
ein analytisches Urteil fallt, der leistet so wenig Denkarbeit,
als es Bergmannsarbeit ist, ein ererbtes Goldstück aus dem
Kasten zu holen.
Ich glaube bestimmt, dass Locke diesen Mangel an
Gedankenarbeit im Auge hatte, als er für analytische Ur-
teile einmal^ die seltsame Bezeichnung «frirole Sätze'
wählte.
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Folgening:
381
Die übrigen unmittelbaren Schlüsse werden also dar-
nacb so b^umtf dass sie nicht ganze Ketten von Urteilen
bilden, dass sie nicht bei jeder Kreuzung auf dem Wege
anhalten, sondern als beschleunigte GednchtniszUgo nur Eine
Station kennen. Ich möchte gern weniger bilderreich reden;
ich mache aber darauf aufmerksam, duss aucli die Er-
klärung, der unmittelbare ScLluss ^ei eine Ableitung aus
einem einzelnen Urteile, nur ein Bild ist, noch dazu ein
verblasstes, unvorstellbares, während mein Bild von den
Stationen vielleicht im Gehirn eine Analogie besitzt. Nur
dass alte Bilder, die verblasst und unvorstellbar, gespenster-
haft geworden sind, eben darum schou tUr fertige Gedanken
gelten.
Diese unmittelbaren Folgerungen aus einzelnen Urteilen
— die doch für uns immer noch Tautologien, wenn auch
verstecktere Tautologien sind und bleil)en — ^verden von
der Schullogik in sieben Gruppen mit sieben liübx hen Namen
eingeteilt. Ich will au dem einfachsten Beispiel aus der
ersten Gruppe zeigen, wie sieh die liOgik auch mit diesen
Spielereien selbst belüuft und wie auch diese unmittelbaren
Folgerungen zu ]<einen neuen Urteilen lüiii en können, son-
dern nur die alten Begriffe, wie bei jeder Urteilsbildung,
auseinanderlegen, so zwar, dass die Aufmerksamkeit auf ein
bestimmtes Merkmal den Satz bestimmt.
Diese erste Gruppe wird unter der Bezeichnung Kon- Folgo-
version oder Umkehrung zusammengefasst. Naih ihrer
Regel soll der Logiker in der Lage sein, jeden allgemeinen
Satz mechanisch in den entsprechenden Partikularsatz um-
zukehren. Es soll z. B. aus dem Satz „alle Hunde sind
Tiere* wa folgern sein: «einige Tiere sind Hunde". Aus
der Wdsheit Jeder Ghesf^r ist einSüfie" folge die Weis-
heit «mancher Ense ist ein Cheeter*. Selbstverständlich
▼ende leh mich nieht gegen diese Thatsachen oder gegen
ihre sprachliche Mitteilung, sondern nur gegen die logische
Anmassung, die den zweiten Satz ans dem ersten folgen lüsst.
Was geht denn im Gehirn oder im Gedächtnis bei dieser
unmittelbaren Folgerung eigentlich Tor?
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382
V. Die Sohloasfolgenisg.
In Urzeiten der Sprache ist der Begritf oder das Wort
.Tier" geltildet worden, um die Menj^e der freibeweclichcn
Orgauismeu nuf einmal nngefulir zu bezeichnen. Es lu int,
dass noch zur Zeit der Bibelniedersckrift der Begritt „ l ier"
die Vögel und Fische nicht niitumfasste. Es ist gewiss, dass
heute gerade die Fachh'ute nicht einig darüber sind, ob der
Begriff Tier die mikioskopischen Protisten mit umfasse.
Einerlei. Für den Naturforscher einerseits wie für jedes
Kind anderseits ist das Wort .Tier"* die schwebende Er-
innerung an etwas Zapjdiges, an lebende Wesen, die sich
durch gewisse Merkmale von Pflanzen und von Steiueu unter-
scheiden und die wieder unter sich sehr viele verschiedene
Namen führen. Das Wort Tier hätte gar keinen SiKii. ^v;lre
ein leerer Seli.iU, wenn es nicht mich dvn kinülicli>uu K()})f
au Fische, Vögel, Riiider. Katzen, 1 1 in de u. s. w. erinnerte.
Das Wort Tier wäre ein leerer Schall t.hne die Erinnerung
daran, dass einige Tiere Fische sind, andere Vögel, Rinder,
Katzen, Hunde u. s. w. Ein Fachmann wird das ganze
System des Tierreichs im Kopfe haben, also die Erinnerung
an den ganzen Umfang des BegriffSs. Ebenso wird jedes
Kind, sobald seine Aufiuei^samkeit di^n gelenkt wird,
«Tier* die Arten mitdenken, die ihm geläufig sind.
In noch tiefer zurückliegenden Urzeiten der Sprache
ist der Begriff und das Wort Hund gebildet worden, um
gewisse einander ähnliche Tiere bequem zusammen bezeich-
nen zu können. Auch dieser Bogriff ist schweb^d; der
Laie wird Ton manchem Vieh im zoologischen Garten ohne
Belehrung nicht wissen, ob er es einen Hund nennen solle
oder nicht; und der Fachmann dehnt die Familie der RAub-
tiere, die er Hunde nennt, wieder weiter aus, z. B. auf die
Wölfe. Einerlei. Ein jeder denkt sich etwas bei Hund,
und dass ein Hund ein Tier sei, ist ein so spottwohlfeiles
Merkmal, dass man f&r gewöhnlich gar nicht daran denkt,
seine Aufmerksamkeit gar nicht darauf richtet
Mir kommt es nun darauf an, durch meine Darstellung
nicht logisch zu beweisen, sondern fast handgreiflich zu
zeigen, dass in diesem einfachen Falle — ebenso wie
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Folgerung.
883
immer — rein psychologische Thfttigkeit, Uoese Erinnerung
ist, was man logische Konsequenz zu nemen liebt. Kon-
sequenz oder Folgerung ist ja auch genau betrachtet nur
ein bildlicher Ausdruck von der Zeitfolge; und wie die
Menschheit sich gewöhnt hat, die regelmässige Zeitfolge
Ton zwei Aenderungen Ursache und Wirkung zu nennen^
so möchte sie auch gern die regelmässige Zeitfolge von
Begriffen in Grund und Folgerung zerlegen. Nur dnss
Ursache und Wirkung wenigstens Korrelatbegriöe siud,
Schluss und Folge aber eigentlich Synnnvme. Nur dass die
Regelmässigkeit von Ursache und Wirkung: /war nicht in
ihrem Wesen erkannt, aber doch zur llersteiluDg von Neuem
nutzbar gema('ht werden kann, die angenommene Regel-
mässigkeit von Grund und Folgerung aber ein nutzloses
Spiel bleibt, identisch mit dem, was die PsycholoLnr (i -
dankenassociation nennt. Wir denken uns die Beg itlt in
un-t i. iu Gehirn aktiv und gebrauchen dann das ]iiM, ein
Sat/- iolge aus dorn nndern: dann wieder denken wir uns
die Begrifl'e pHS';i\ und irgend eine Seele iu uns aktiv und
gebrauchen das Bild: ich folgere einen Satz aus dem an-
dern. Als ob ein Bauer sagte: Ich zeitige mein Korn.
In Wirklichkeit ist es das vom Interesse geleitete Spiel
der Erinnerung, welches — entgegen der strengen Zeit-
folge von Ursache und Wirkung — ebenso gut vorwilits
wie rückwärts gehen kann. Die Erinnerung oder Ge-
dunkenassociation rtlhrt vom BegritVc «iluiKl** so leicht
und arbeitslos auf den Satz -der Ilund ist ein Tier*, wie
das Auge den 1 iucliLUUüUüi einer Wiese und ihre grilne
Farbe zugleich wahrnimmt; die Arbeit dabei ist so gering,
dass ein Kind von anderthalb Jahren, wenn es erst das Er-
innerungszeichen Wau-wau hat, sie schon leistet und z. B.
(nach meiner eigenen Beobachtung) beim ersten Anblick
einer Henne wmi'Wau sagt, womit es etwa ausdrücken will:
Da ist auch etwas Zappliges.
Wieder kt es nur Srinncoimg, Besinnung auf den
Umfang des Begriffs, wenn ich bei «Tier* zu dem Satze
komme, „einige Tiere sind Hunde*. Ja, der Beii^ff »Tier*
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384
Y, Die SciüuMfolgerung.
ist fast so unvorstellbar wie nur der Bei^^rift' ^ Etwas", wenu
ich dabei nicht an irgend welche Tierarten denke. Selbst
im wissenschaftlichen abstrakten Gebrauch solcher Worte
▼erlasse ich mich stillschweigend darauf, dass ich sie jeden
Augenblick realisieren, mit Beispielen belegen, auf Vor-
stellungen zurückführen kann. Es hängt vom augenblick-
lich«! Interesse, Ton meiner Aufmerksamkeit ab, ob ich zu
dem Begriff Tier jetit das Beispiel Hund oder Fisch denke.
Alle dieM hundert paHakularen Urteile kum dk Erimierung
aus dem Sammelbegriff Tier wieder herausziehen « je nach
meiner Aufmerksamkeit. Es ist gar nicht notwmdig, dass
der allgemeine Satz »jeder Hund ist ein Tier' Torangegangen
ist, um zu dem Partikularsatz »manches Tier ist ein Hund*
zu gelangen. Nur unsere Aufmerksamkeit wurde durch
den allgemeinen Satz «jeder Hund ist ein Tier* auf die
Hunde gelenkt; das aber hatte das Wort Hund allein ebenso
gut besorgt.
TniMit Alle diese logischen Konstruktionen, diese Baugeittote
jmfang Lufbchljtesem, w&ren nicht mOglich gewesen, wenn die
Logik nicht die Worte oder Begriffe zu ihren Zwecken in
Inhalt und Umfang auseinandergespalten hätte. Die natür-
lichen Erinnerungszeichen kennen diesen künstlichen Unter-
schied gar nicht. Die Worte unserer Sprache erinnern zu-
gleich an die Einzeldinge und an die allgemeinen Merkmale.
Es ist nur Bequemlichkeit oder Uebung, wenn bald der
Umfang, bald der Inhalt nicht Uber die Sdhwelle des Be-
wusstseins tritt, was doch nur wieder ein hübscher bildlicher
Ausdruck ist. Genau so, wie unser Qehim mit seinem
ganzen bewussten Denken augenblicklich tot wäre, wenn
die unbewussten Thätigkeiten der Atmung oder des Blut-
kreislaufs aufhörten, so wäre unsere ganze Sprache augen-
blicklich leblos, eine sinnlose Lufterschütterung, wenn hinter
dem Inhalt der Worte nicht ihr Umfang, die Einzelvorstel-
lungen, bereit wären. Darum sind auch die philosophischen
Abstraktionen so leer, die den Zusammenhang mit der
Sinnenwelt verloren liaV)en. Ich gebrauche nicht gern Sym-
bole aus der griechischen Mythologie. Aber ein prächtiges
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Kretibüder der Logik.
885
Symbol fUr echtes Denken ist der Riese Antäos, der un-
überwindliche Kraft immer wieder fmch aus der Berührung
mit der Mutter Erde schöpfte; hatte er erst den Zusammen-
hang mit der Erdeuwelt verloren, hing er ei^t in der Luft,
dann brauchte man kein Herkules zu sein, um ihn zu er-
würgen. Die Herkulesarbeit bestand in der Kraft, ihn frei
in die Luft zu hängen.
Dieses Gleiten oder Springen (je nach der Geschwindig-
keit! des Ge'rächtnisses von Einzelerinnerungen zu ihren
Zeichen und umgekehii macht unser gesamtes Denken aus;
die Logik hat die Notwendigkeit des GedUchtnisses . sich
unbedingt innerhalb seiner erworl)enen Vorstellungen zu
drehen, hat diesen Zwang zu unabwendbarer Tautologie die
Gesetze des Denkens, insbesondere Gesetze des Schlii -srns
genannt, wie ja auch die Figuren der Tänze besondere
Namen haben. Weil man von Gesetzen sprach, sollten sie
auch )>M\vipsen werden; und hier scheint mir die Stelle, um
die i olUu ii. aufzuzeigen, die darin liegt, sogenaimte Denk-
gesetze durch geometrische Figuren ( jetzt gewöhnlich durch
ineinnn 1 lujtschachtelte Kreise) beweisen zu wollen. Ich
beraei ke gleicli , dass diese Unsitte noch keine öUO Jahre
alt ist; wahrscheinlich rührt sie von dem witzigen Possen-
dichter Chri.stian Weise her, der als tüchtiger Schulmann
seinen Knaben die Logik durch Geometrie einbläuen wollte,
wie Rhetorik durch seine Possen.
Bezüglich der Beweise für seine Schlussregeln befand Kreis-
sith Aristoteles noch im Stande der Unschuld; bald sah er ^^l^*^^
iicr
das Selhstverstiindliche . vielleicht also auch die Unbeweis- Logik
barkeit seiner Schlüsse ein und suchte nach gar keinem
Beweise, bald mühte er sich, die verwickelte Selbstverständ-
lichkeit auf die einfache zurückzuführen. Im Laufe der Jahr-
hunderte aber sahen die Logiker immer deutlicher, dass die
Folgerung in ihrem Grunde immer schon enthalten sei.
Es ist ja klar, dass der Begriff mit seiner Definition iden-
tisch ist, und ebenso identisch mit der Summe der Einzel-
Torstellungen, an die er als ihr Zeichen erinnert. Im Begrifif
«Hund* steckt sowohl jede Einzelrorstellung «Hund*, die
N*iithn«r, BeltTige ta elaw Krittk der SpvMh«. ID. 25
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386
Y. Die SchliMsfolgeniiig.
wir gehabt haben, als jedes seiner DeHnitionsrnerkmale, wie
Tier, vierfiissig u. s. w. Logisch ausgedrückt: jeder Begriff
enthält sowohl seinen Umfaug, als seinen Inhalt. , Ent-
halten**, ^ilarinstecken* sind nun bildliche Ausdrücke, für
die Wahrheit, dass unser gesamtes Denken oder Sprechen
mit unseni Begritleu oder Worten schon gegeben sei, dass
wir mit allem Schliessen nicht über die Eiimierung ßn unsere
Sinneseindrücke und Vorstellungen herauskommen. Zu dieser
Wahrheit aber gelangten die Logiker nicht. Wie die mensch-
liche Sprache Überhaupt dazu neigt oder vielmehr darin be-
steht, Bilder durch alltäglichen Gebraucli ihres Sinns zu
berauben und sie dann, wenn die Metapher ihr Salz ver-
loren hat und dumm geworden ist, lür Gedanken zu halten,
80 verloren die Logiker nach einher 2eit das Bewussteein
davon , dass ihre l^eislinien nur bildliche Eselsbrttcken ibr
denkfaule SchtQer waren. Sie xeichneten 2. B. einen grossen
Kreis, der dem Begri£f .Tier* entsprecihai sollte; hinein
seicbneten sie einen kleineren Kreis, der den Begriff «Hund*
umschrieb (Fig. I). Es ist nichts zu sagen, wenn so das
sprachlidie Bild für Dummköpfe anscbaulidier gemacht
wurde. Man konnte dann z. B. daneben den Kreis «Kaise*
Betzen, der ebenfalls im B^riff »Tier* enthalten war, aber
mit dem Begriff «Hund* ausser dem Tierbegriff niehts Gk-
meinsames hatte. So konnte und kann man noch viele
Begri&verhSltnisse bildlich anschaulich machen. Aber was
in aller Welt hat das Gedächtnis, welches in einem Wort
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KrdibOder 4er Logik.
387
EinzelermneruDgen festhält, ausserbildlich, wirklich mit
Kreisfiguren zu schaffen? Was hofft man mit einer Metapher
zu beweisen? Wenn ich metaphorisch sage, der Müssiggaag
sei der Vater aller Laster, und ebenso metaphorisch hinzu-
füge, alle Laster seien Kinder der Erbsünde, kann ich dann
ernsthaft und unbildlich damit beweisen, dass der MOssig-
gang ein realer Mann, die ErbsUnde ein reales Weib sei,
und dass der Müssigf^ang bei der Erbsünde geschlafen habe?
Nichts lässt sich aus einem Bilde für die Wirklichkeit be-
wp'i'^^n. weniger als nichts aus einem sclilechten Bilde. Und
die KKmsr sind schlechte Hildor der Begritt'e , well sie nur
die eine JSeite der Begritfsveraultnisse darstellen. Wir wissen,
dass in unserem Gehirn nichts eingeschachtelt ist, dass viel-
mehr unser Gedächtnis ganz ungeometrisch von der Einzel-
erinnerung 80 gut zum allgemeinen Merkmal L^leiten oder
springen kann wie umgekehrt. Wir mögen diese Thatsache
in unserer allezeit bildlichen Sprache gut und gern so dar-
stellen, dass der Begrift' Tier den Begriff Hund .enthalte'';
dann «enthält" aber der Begriff Hund auch den Begriff' Tier,
in seiner Definition nämlich und wir müssen das ebenfalls
in Kreisfiguren darstellen kömieu. Diese bildliche Dar-
stellung (Fig. 11) wäre ebenso richtig wie die an lere, weun
unsere Aufmerksamkeit auf den Begriffsinhalt allein gerichtet
wäre. Ich gestehe zu, dass die Ausführung des Bildes nicht
so bequem wäre wie die andere, dass sie nicht üblich ist;
aber der häufige Gebrauch eines Bildes, die Konvention,
fügt es noch nicht in die Kette der Wirklichkeit ein, macht
es uüch nicht l)eweiskräftig.
Man hat, um den Gebrauch der Kreisbildcr in der
Logik zu entschuldigen , auf die Geometrie hingewiesen,
höchst thörichterweise. Denn in der Geometrie sind die
beigegebenen Zeichnungen, die Bilder, die Figuren eben ja
nicht Metaphern, sondern — weil es sich um Figuren
handelt — IHnzelfälle, Beispiele der Begriffe, genau so, wie
wir ftlr unsere Begriffe verlangen, dass sie sich in Einzet-*
Torstellungen, in Beispielen realisieren lassen, genau so wie
ein lebendiger Pudel ein Beispiel «Hund* ist. Die
388
V. Die Schlttaafolgerosg.
Krt'isfiguren in der Loy^ik aber sind gerade im Gegenteil
dazu reine Metaj)Liern, Schülerbehelfe, Spielzeug, Bilder vou
Sprachbildcrii, Schattou eines Lufthauchs. Niemais können
sie etwas beweisen.
Einzelne Nachdem ich allgemein dargethaii habe, dass die
"^r*^* unmittelbar- vermittelten Sätze, die S( hlüsse aus Einzel-
SoUtiM. urteilen, das isit die sogenannten uiuiuttelbaren Selililssc
dun haus nicht F(dgerungen. nicht ein Erschliessen von Un-
bekanntem aus Bekanntem sind , wird es wohl übei'flüssig
seiu, die logische Einteilung der unmittelbaren Schlüsse in
sieben Unterarten einzeln und besonders zu kritisieren. Nur
an wenigen Beispielen möchte ich immer wieder zeigen,
dass alle Schlüsse versteckte Tautologien sind und dass das
sogenvmte Schliessen niemals etwas Anderes ist, als eine
Aenderung des Blickpunkts der Erinnerung, ein Weelisel
der Anfmerksamkeifc, daas das Denken ohne Gnade an der
Sprache und ihren Begriffen haftet.
Bei der Lehre von der Umkehrimg der Urteile lehren
die Logiker z. B., dass sieh aus partikular yemeinenden Ur-
teilen („einige Hunde sind nicht weiss") gar nichts er-
schliessen lasse. Das wird mit Hilfe von Kreisfiguren sehr
hübsch bewiesen, ist aber nicht wahr. Fflr gewöhnlich frei-
lich handelt es sich um klare Subjekte und um unwesent^
liehe P^dikate derselben. Wir wissen alle ungeföhr, was
wir ims unter ,»Hund* vorstellen, wir wissen femer, daas
„weiss* ein Zufallsprädikat ist Dann richten wir auf die
Farbe der Hunde unsere Aufmerksamkeit nicht, wir ver-
suchen gar nicht vom Prädikate auszugehen und darum
folgern wir nichts aus der Umkehrung. Die Sache wird
aber sofort anders, wenn wir einander Uber die Bedeutung
der Begriffe belehren wollen. Aus dem Satze »einige
Wasserbewohner sind nicht Fische* ergibt sich sodann der
Satz «die Begriffe Fisch und Wasserbewohner sind nicht
identisch", was unter Umständen ebenso wertvoll sein kann
wie andere logische Schlüsse. Ueber diese billige Weisheit,
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Einsebe munittelbar« Schlaue.
389
die nichts nU eine Worterklärung ist, mag lächeln, wer auf
meinem Staiuliuiukt steht: «ler Logiker aber müsste diesen
meinen Schiuss in sfin* m System unterzubringen suchen.
Die LoEfikt'f reiten minier noch ihr altes dictum de
omni et nnlio, «len Satz nämlich, (hiss z. B. nus _alle Hunde
sind TitTf" üu folgern sei .einige Hunde sind Tiere" ; und
ebenso aus „einige Tiere biiul nicht Hunde" die Unwahrheit
des Satzes »alle Tiere sind Hunde". Nun kann es ja vor-
kommen, dass in sophistischen Streitigkeiten die Aufmerk-
samkeit auf solche Kindereien gelenkt wird; aber in seiner
Allgemeinheit ist das berülimte Dictum doch ärmlich, weil es
doch nur feierlich das ABC der Begriffsbildung wiedergibt.
Die Logiker kennen immer noch eine Aequipullenz,
das heisst die sachhche Uebereinstimraung zweier Urteile,
die sprachlich verschieden sind; die Logiker schlies tu also
aus dem Satze -jeder Hund ist ein Tier" die Neuigkeit ,es
gibt keinen Hund, der nicht ein Tier wäre". Hier hat schon
Kant bemerkt, dass ein Fortschreiten im Denken nicht statt-
finde, dass man also die Aequipollenz keinen Schiuss nennen
dürfe.
Endlich kennen die Logiker muh ein üngetOm von
Schiuss f die modale Konsequenz. Es ist undankbar,
diesen Sati suent in eine Ternflnffcige Form su bringen, um
naeblier seine UnTemunfb zu beweisen. Han sagte frUher:
,ab operiere ad esse, ab esse ad posse valet consequratia;
a posse ad esse, ab esse ad oportere non yalet consequentia.*
Wenn etwas notwendig ist, so wird es auch wirldich, that-
sächlich sein, wenn es wirklich ist, wird es auch möglich
sein; und wenn etwas nicht möglich ist, wird es auch nicht
wirklich sein, wenn nicht wirklich, auch nicht notwendig..
Ich mache darauf aufoierksam, dass die Begriffe Notwendig-
keit, Thats&chlichkeit und Möglichkeit nur Grade unserer
UeberzeuguQg, unserer subjektiven Gewissheit aussprechen,
dass sie also in die SchuUogik, wenn sie logisch wftre, gar
nicht hineingehorten. In dem logischen Gebäude unseres
Denkens dürfte nur für die Notwendigkeit ein Plata sein,
nicht aber für die Möglichkeit, also auch nicht für not-
390
y. Die Schlussfolgerung.
wendige Schlüsse «ob der Möglichkeit. IHe Logik ab«* hat
recht, wo sie unlogisch ist; unser Denken ist nur notwendig,
soweit es tautologisch ist, unsere Üeberzeugung aber von
dem Eintreffen eines neuen Ereignisses hat immer nur
Wahrscheinlichkeit für sich; den höchsten Grad der Wahr-
scheinlichkeit nennen wir — auf die Hypothese der Kau-
saliföt gestutzt — Notwendigkeit, die geringeren Qrade
nennen wir MtSglichkeit. Schluss aber Ton dem höheren
Grad auf den niedem, Ton dem Mangel des niedem Grades
auf die Unwahrheit des höhem, dieser Schluss ist so arm-
selig wie die andern unmittelbaren Schlösse. Man hat
thörichterweise eine neue Art geschaffen, weil es sich um
den TORBwicktett Begriff der Möglichkeit handelte. Aus der
Notwendigkeit geht aber die Möglichkeit nicht anders herror,
tüs aus dem Satase «jeder Hund ist ein Tier* der Sats
»mancher Hund ist ein Tier". In der Notwendigkeit steckt
die Möglichkeit wie in der grossen od«* gar in der unend-
lichen Zähl die kleinere; und wirklich drückt man ja den
Grad der Wahrscheinlichkeit durch Zahlen ans. Wobei
nicht m Übersehen, dass Wahrscheinlichkeitsrechnung nur
für die Rechnung etwas lehrt, fttr den Einzelfall jedoch im
ganz klaren Kopfe nicht einmal die Erwartung erregt, son-
dern nur den Wunsch. Man wird auf den Exponenten der
Mü<:fliclikeit nur aufmerksam.
Nun aber haben die Logiker zwiscben die Notwendig-
keit und die Möglichkeit noch einen Mittelbegriif gesteckt,
die Wirklichkeit oder Thatsüchlichkeit, was in der lateini-
schen Form ganz Terzweifelt schulgemäss mit dem leersten
aller Begriffe, mit «Sein'' wiedergegeben wird. Wir wollen
also den Satz meinetwegen so ausdrücken: es folgt aus der
Gültigkeit des apodiktischen Urteils die des assertorischen,
aus der Gültigkeit des assertorischen Urteils die des proble-
matischen. Das apodiktische Urteil behauptet seine Not*
wendigkeit, das problematische Urteil behauptet nur seine
Möglichkeit; das ist klar. Was aber behauptet das asser-
torischo Urtrilr' Es behauptet eben, es spricht eine Be-
hauptung aus i es ist also ein leeres Gerede, es ist erschütterte
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SjllogyBmeiL
891
Luft, so lange es nicht auf den Grad seiner Wahrscheinlieh-
keit geprüft worden ist, so lange es nicht als notwendig oder
als möglich empfunden worden ist.
Es wäre eine feine Aufgabe für die Historiker der
Philosophie, zu zeigen, wie der Schhiss aus der modalen
Konsequenz in die Logik überimupt hineingekommen ist.
Man müsste wieder auf Aristoteles zurtkkgehen, der sich
nach seiner verhältnismässigen Unschuld in der Notwendig-
keit wohl eine Art Lxottheit dachte, die über der Wirk-
lichkeit steht und die in ihrem freien Willen überlegt, ob
sie ja oder nein sagen wolle, ob sie sich zur Wirklichkeit,
zur I'xisLluz herablassen wolle. Es wird schon so sein;
und Ulis diesem Herablassen , diesem Tiefersteigen der er-
habenen Notwendigkeit zur gemeineu Wirklichkeit ergab
sich dann — wenn einem der Verstand auch dabei stille
steht — die Unterordnung der Existenz, des Weltganzen
unter die Notwendigkeit, die doch nur ein menschlicher Be-
griff ist, — ergab »eh die Aufstellung des assertorischen
üitdk, der gaffenden Behauptung, iwiaehtti ^e Xotwendig-
keit und die HOglicUceit. Ünd das haben die Logiker (bis
auf Schuppe) nachgesprochen. Wir aber wissen, dass Kot-
wendigkeit und HdgUchkeit nur Abstraktioinen sind für die
WahrscheinHehkeit unserer Behauptungen, unserer « asser-
torischen Urteile* (um das dumme Wort zu wiederholen),
dass unsere Behauptungen aber nur die zusammenfassenden
Erinnerungen sind an unsere SinneseindrQcke, unser Ge-
dftchtms der Wirklichkeit
Wir sind nun so weit gelangt, dass wir auch ohne SyUogift-
nShere Untersuchung schon wissen mfissen, es werde der
Syllogismus oder der logische Schluss ebenso wenig jemals
unsere Erkenntnis weiter fllhren als das Urteil es veimochte.
Die alte YonteUung, dass die Begrüfe durch ihre Yer^
gleichung au der höheren Weisheit der Urteile ausammen-
treten, ist fitr uns nicht mehr vorhanden. Wir haben er^
fahren, dass nicht das Urteil durch die Begriffe deutlich
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392
V. Die Sclilutixifolgeraiig.
gemacht weMe, sondern der Begriff durch das Urteil. Steckt
aber im Urteil nicht mdur Erkenntnisstoff als im Begriffe
selbst, sa kann der Sdiluss aus Urteilen nicht mehr heraus
folgern, als aus Begriffen. Es wird also wohl auch die
Schlussfolgerung nichts anderes sein als eine noch brei-
tere Auseinanderlegang der Begriffe od^ Worte, wobei keine
neue Erkenntnis entstehen kann.
Seit Stuart Mill kann diese Unfruchtbarkeit der Schlösse
als bewiesen angenommen werden, aber die Schullogik
klammert sich immer noch an die alten Lehren und sucht
sie durch neue Konstruktionett au retten. Man gibt seit
Trendelenburg die formale Logik preis, das heisst diejenige
Logik, die zugestandenermassen die Brücke zwischen sich
und der WirUichkeit abgebrochen hat, und versucht die
sogenannten Gesetze der Logik wieder mit den Gesetzen
der Wirklichkeitswelt in Verbindung zu bringen. Es wieder-
holt sich also hier auf der Höbe der logischen Arbeits-
leistung, was wir schon in den Niederungen beobachtet
liulnn. Die grosse und unumgängliche Hypothese des
Waltens von Ursache und Wirkung in der Natur wird mit
dem mangelhatten sprachlichen Bilde von einem Grunde und
dner Folge gleichgesetzt, es wird der Folge aus dem Grunde
die gleiche Notwendigkeit zugesprochen wie der Wirkung
aus der Ursache und die N&tzUchkeit der Syllogismen scheint
erwiesen.
Nun gibt die neuere Schullogik bereits unumwunden
zu, dass in den meisten Schlussfol;;erun^en unseres Denkens
kein Vorwärtsschreiten sondern vielmehr bloss eine Art Rück-
wärtiischauen gegeben sei. Das beliebteste Beispiel für dieses
Zugeständnis pflegt aus den Sätzen über unser Planetensystem
genoninien zu werden.
Wir raaclien also l"ol(j;enile Schlussfolgerung':
AUe Planeten sind an dea Polen abgeplattet,
Der Mars ist ein Planet,
also: der Mars ist an den Polen abgtjdattet.
Das ist ein tadelloser Syllogismus. Aber es ist dabei
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Wertlosigkeit de« Sciüieweii».
393
souneuklar, dass wir zu dur Ikdiauptiiug, ^ullc Planeten
seien abgeplattet", wenn sie mehr als eine Vermutung sein
soll, erst durch die besondere Beobachtung gelangt sein
können, dass auch der Mars an den Polen abgeplattet sei.
In allen solchen FäUen ist es jedem Kinde begreiflich zu
machen, dass die Schlussfolgerung in unserem Denken fiilher
Toxiiaaden gewesen sdn müsse, als der Obersats, aus dem
wir sie nachher herausziehen. £8 ist zweifellos, wie wir
ja schon bei froheren Gelegenheiten sahen, dass die Folge
froher da war als der Grund, dass das Bild Ton der Zeit-
folge hergenommen also ein verkehrtes Bild sei, dass end-
lich die Gleichsetomg Ton Kausalit&t (Ursache und Wirkung)
und Schliessen (Grund und Folge) eine Sinnlosigkeit be-
hauptet. Wir können nur wiederholen: durch das sogenannte
Schliessen wird nichts neues erschlossen.
Noch deutlicher wo mOfflich wird die WerÜosiffkeit ^'«r^-
eines solchen formalen Schliessens, wenn wir bemerken, dass
es uns doch eigentlich bei allen solchen Denkoperationen Bchues-
um Wahrheit zu thun sei, das heisst um die Ueberein-
Stimmung unseres Denkens oder unserer Sprache mit der
Wirklichkeitswelt. Dann fallt uns ein, dass nicht nur die
Wahrheit des Satzes «alle Planeten seien abgeplattet*^ un-
möglich sei Tor den Einzelwahrheiten .jeder Planet ist ab-
geplattet", sondern dass s<^r das Wort oder der Begriff
Phinet erst durch solche £inzelbeobachiungen gewachsen
sei und dass f&r unsere gegenwärtige Welterkenntnis oder
unseren gegenwi&rtigen Sprachschatz die Abplattung bereits
zum Begriff Planet gehöre. Wir erkennen daraus, dass der
Schlusssatz „der Mars ist abgeplattet" nicht nur bereits in
der Prämisse „jeder Planet ist abgeplattet" enthalten sei,
sondern auch schon in dem Worte Planet allein und in
dem Worte Mars allein. Wer sich bei Planet oder bei
Mars die Abplattung nicht mit vorstellt (sobald seine Auf-
merksamkeit darauf gerichtet ist), der hat das Wort Planet
oder Mai*s noch gar nicht in seinem Sprachschatz. Mein
• Kerl im Wirt^baiis braucht keine astronomische Bildung zu
besitzen und für ihn wird der eben vorgenommene Syllo-
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894
V. Die Schlussfolgenuig.
gismus gewiss eiae Neuifi^ü enthalten, eine Veimehrung
seiner Erkenntnis. Aber diese Termehrung verduikt er ja
nicht don Syllogismus sondern der Mitteilung einer ihm
fremden Beobachtung. Die Erkenntnisrermehrong besteht
in der Mitteilung, dass der Mars an den Polen abgeplattet
sei. Weiss der Kerl von der Volksschule her, dass die Erde
ein Planet und an den Polen abgeplattet ist; eifUirt or nun,
dass Neptun, Uranus u. s. w* ebenfalls Planeten und ab-
geplattet seien, so wird er allerdings su dem susanunen-
fassenden Begriffe kommen (was man eine Induktion nennt):
Komisch, alle Planeten sind ja abgeplattet! Er wird sich,
wenn es ihn Überhaupt interessiert, den Begriff Planet su-
gleich mit dem Merkmal der Abplattung merken. Wollte
sein gelehrter Freund nun aber plOtstich den Weg zurQck-
machen und etwa sagen: «Siehst du, mein lieber Hanswurst,
der Mars ist also abgeplattet, alle andern Planeten sind es
anch, und daraus, dass alle Planeten abgeplattet sind, kannst
du schliessen, dass auch der Mars abgeplattet ist!* — dann
wird mein Kerl im Wirtshaus mit der Faust anf den Tisch
schlagen und rufen: «Selbst Hanswurst! Davon sind wir
ja ausgegangen, das weiss ich ja schon."
Sollte mein Kerl im Wirtshaus aber ungewöhnlich
dumm sein, dann konnte der gelehrte Freund ihm allerdings
Torreden, er müsse den Satz „alle Planeten sind abgeplattet"
auf Treu und Glauben liinnehmen und aus dieser Prämisse
ergebe sich mit logischer Notwendigkeit die Abplattung des
Mars. Dann hat aber der Kerl nur nicht wahrgenommen, dass
sein Freund eben — das Bild kann nicht oft genug wieder-
holt werden — ein Taschenspieler war, der ihm aus der Tasche
sieht, was der S(helin selbst vorher hinein gesteckt hatte.
Der Unterschied an Wissen oder Sprachurofang ist
entscheidend dafür, wer Lehrer und wer Schüler ist, wer
eine Beobachtung mitteilt und wer sie mitgeteilt erhält.
Ffir das Wesen des Schlusses macht Wissen oder Sprach-
umfang keinen Unterschied. Hat doch der Kerl im Wirts-
haus seinen Syllogismus eben 80 tadellos und eben so bans- *
wurstmüssig gemacht.
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WerÜOBigkeit de» Schlieaaeiu.
395
Jeder Käse ist ein Kas,
ehester steht unter Käse,
aUo: muss Chester ein Khs sein.
In dem Plouetenbeispiel ist das Vorausgehen des Schluss-
satzes, also seine völlifje Wertlosi<?keit, darum so einleuch-
tend, weil der Uiütaiig des BefjritJis Planet so klein ist.
Zwar wurden zu den sieben i'iiii.üifu, die man schon frülier
kannte und beobachtete, im Laufe des 19. Jahrhunderts über
200 neue kleine Planeten hinzu entdeckt, aber die Zahl ist
immer noch sehr gering im Verhältnis zu den Einzeldingen,
die unter die meisten andern Begrifie fallen. Unzählbar sind
die Vorstellungen, die unter Baum, Tanne, Tier, Schwalbe,
Wohlstand, Diebstahl u. s. w. Terstanden werden. Es isi
ftlr jedermaim, der ein wesug an abstraktes Denken gewöhnt
ist, schon lange selbstTOrstilndlich, dass auch diese letzten
Begriffe nur durch sogenannte Induktion entstanden sind, dass
also alle ScUussfolgerungen aus Merkmalen ihrer Begriffe
der Begrifisbildung vorausgegangen sind. Katttrlich kommen
bei solehen Schlussfolgerungen, die in dem Worte scb<m ent^*
halten waren, gewöhnlich nur alberne Tautologien heraus.
Dass jede Schwalbe ein Tier sei« weil jede Schwalbe ein
Vogel und jeder Vogel ein Tier, das ist gewiss ebenso
sicher eine Albernheit wie es ein guter Syllogismus ist.
Man bemüht die Logik allerdings gewöhnlich nur in solchen
Fallen, wo der Besserwisser dem Unwissenden etwas neues
mitteilen will, wie wenn er die Mitteilung, dass der Wal-
fisch lebendige Junge zur Welt bringe, in die Form der
Schlussfolgerung kleiden wollte: alle Säugetiere bringen
lebendige Junge sur Welt, der Walfisch ist ein Sftugetier,
also bringt er lebendige Junge zur Welt. Ich brauche
nicht erst zu wiederholen, dass auch diesmal die neue Be*
obachtung oder Mitteilung eben nur in den lebend^en
Jungen besteht und dass das Uebrige nur Sprachbereiche-
rung ist
Nun sucht aber die neuere Logik einen Unterschied
zu machen zwischen derartigen Schlussfolgerungen, die allei^
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390
V, Die Jicbiuselolgerung.
Bmi- (lings in ihrem Obersatz echon entlialteii seira, und zwisclieii
sdcbeu, in denen unsere Welterkenntnis dennoch durch
reines Schliessen vermehrt werde. Auf diesen neuen Ver-
such, wegen der bekannten Unfähigkeit der formalen Logik
noch eine Art von Reallogik zu schaffen, muss ernsthaft
geantwortet werden, damit klar werde, wie falsch die Psycho-
logie solcher Logik ist.
Ich finde diese Behauptung der Reallogik am greif-
barsten ausgedrückt in Ueberwegs »System der Logik"
(5. Auflage S. 315); er sagt da: »Die Möglichkeit des
Syllogismus als einer Form der Erkenntnis beruht auf der
Voraussetzung, dass eine reale Gesetzmässigkeit bestehe und
erkennbar sei, gemäss dem Satze des zureichenden Grundes.
Da die vollendete Erkenntnis auf der Goincidenz des Er-
kenntnisgrundes mit dem Bealgrunde beruht, so ist auch
deijenige Syllogismus der vollkommenste, worin der ver-
mittelnde Bestandteil (der Mittelbegriff, das Mittelglied), wel-
cher der Erkenntnisgruttd der Wahrheit des Schlusssatzes ist,
zunächst den Realgrund der Wahrheit desselben bezeichnet*
Diese Ansicht, welche schon bei Aristoteles durch die
Bemerkung «der Mittelbegriff sei die Ursache" angesprochen
wird, ist sehr verständig. Wollte man, wie es schon die
alten Skeptiker thaten, die Wertlosigkeit des Syllctgismus
einzig und allein aus der formalen Logik beweisen, so hätte
man nicht viel bewiesen. Die bisher betrachteten wertlosen
analytisi bell Schlüsse ( welche für uns ebenso loei os Wort-
machen sind wie die apriorischen, analytischen Urteile) ent-
sprechen freilich ganz genau den Regeln der spitzfindigen
mittehilterlichen Logik, welche auch unsere Schullogik ist.
Und im Hinblick auf diese Art von Schlüssen ist die Be-
deutungslosigkeit des ganzen Verlahrens — wie gesagt —
schon ziemlich allgemein zugestanden worden. Ja die Ver-
urteilung solcher Syllogismen geht bis auf Descartes zurttck
und wurde von Kant ganz scharf ausgesprochen, dem sie
nicht mehr ein Mittel war die Erkenntnis zu erweitem,
sondern nur ein Weg, uns durch Analyse klarer zu machen,
was wir schon erkannt haben. Und ganz in unserem
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Reallogik.
397
Sinne sagt dann später Schleierraacher: die Schlussfolge-
mng sei kein Foiischritt im Denken, sondern bloss die Be-
sinnung darüber, wie wir zu den vermeintlich neuen Ur-
teilen, dem Schlusssatze, gekommen sind oder gekommen
sein können.
Kant und seine Nachfolger jedoch bewegen sich immer
nur im Kreise der Lof^ik scll)st heriua, linden darum ausser-
halb derselben keinen Standpunkt zum Ueberblick der ge-
samten Logik und können darum keine Stellung fassen zu
dem oben erwähnten Rettungsversuch, zu der Lf^hre des
Aristoteles und seiner neuesten Schüler, dass nämlich der
Mittelbegriff des Schlu*^ses zur Ursache der Coiichjsio werde,
dass die Lo|2:ik unmittelbare Erkenntnis der ^Virkli^hkeits-
welt sei. Näher kam der Wahrheit .schon Dcscarte.s, als er
die ganze Logik eigentlich preisgab und sich mit dem
psychologischen Vorgang unserer subjektiven Öewissheifc
begnügte.
Denn darauf kommt es an, dass wir erkenneu: Not-
wendigkeit herrscht nur in der Wirkli* hkeitswelt : all unser
Denken ist nur ein Erinnern an unsere Sinneseindrücke
von ihr und ein Glaube an ihre Notwendigkeit; alles
Denken ist psychologisch, logisch ist nur das S( hema
unseres Denkens. Die Notwendigkeit der wertlosen, analyti-
schen Schlüsse ist nur die Notwendigkeit der Identität, ist nur
ein ainlor^ r Ausdruck für die Hen-schaft der Tautologie im
Denken oder Sprechen. Die Notwendigkeit aber, die wir
der engeren Gruppe von Syllogismen beilegen, derjenigen
in der der Mittelbegriff die eigentliche Ursache sein soll,
diese Notwendigkeit ist als logisches Ergebnis eine Selbst*
tiloscihung. Notwendigkeit ist dem Sprachkritiker nicht
Geselsmftssigkeit. Allerdings müssen wir, um das klar ein-
zusehen, daran erinnern, dass für uns der Begriff der Ur-
sache ein mythologischer B^(riff geworden ist und ebenso
der Begriff der Naturgesetze. Denn nicht weniger als die
Erkenntnis der Naturgesetze will die neue Resdlogik be-
haupten.
Ich wiederhole, dass es in aller Logik und in aller
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398
V. Die Sehlnaifolgeniag.
Welt für das Wesen unseres Denkens keinen Unterschied
machen kann, ob f]cr denkende Kopf über ein grosses oder
kleines Wissen, über ein'^n »grossen oder kleinen Sprach-
schatz verfWj:^. Wir haben gesehen und es wird uns allgemein
zuc^estandea , dass die Abplattung des Mars nicht aus dem all-
gemeinen Satze hervorgehe ,alle Planeten sind abgeplattet*,
sondern dass vielmehr die Beobachtung des Planeten Mars
dem allgemeinen Satze habe vorausgehen müssen. Wüssten
wir von den Planeten und ihrer Beweg-ung nichts anderes,
so stünde nichts im Wege , die Abplattung ein Gesetz der
Planeten zu nennen, ein Naturgesetz. Dieser Ausdruck ist
nicht üblich, weil der Sprachgebrauch das Wort , Natur-
gesetz" lieber ftlr allgemeinere Formeln verwendet.
Nun hat s( hon vor langer Zeit Kepler die Beweguüg
der Pluneteu verglichen und dafür diejenigen Pormeln auf-
gestellt, welche noch beute von der Astronomie als richtig
anerkannt werden. Jene Formeln werden noch heute in
der ganzen Welt die drei Keplerschen Gesetze genannt. Es
dnd Gesetze, also nach gemeinem Sprachgebrauch die Ur-
sachen der Einzelerscheinungen. Wir werden uns gleich
davon flberzeugen, dass vir nicht im Enmlie daaran denken,
diese Gesetze wirklich fQr die Ursache, ftir den Bealgrand
der einzelnen PUmetenhevegungen zn halten. Die drei Kepler-
schen Gesetze sind schwerer zu verstehen und unserem
Hanswurst schwerer begreiflich zu machen als der Satz .alle
Planeten sind abgeplattet*^. Aber auch die Keplerschen
Gesetze sind ebenso nur Zusammenfassungen von Beobach-
tungen, yiel feinerer Beobachtungen freilich. Auch ein Kepler-
sches Gesetz ist, wenn es an die Spitze eines Syllogismus
tritt, nur die bequeme Eh^isee, vor deren Formulierung
der Schlusssatz beobachtet werden musste. Und die Kepler-
schen Gesetze gehören in den Köpfen, denen sie überhaupt
geläufig sind, auch schon zu den Merkmalen dee Begriffes
.Planet", so dass fUr jeden Astronomen Im Begriffe «Planet*
schon drinsteckt, was die Logik mit Hilfe der Keplerschen
Gesetze aus ihm herausziehen möchte.
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Phjchologie des Sdüieaieiu.
399
Wäre Aristoteles, als er mit grossem Scharfsinn die Pcyeho-
Genusregeln äer [^ogik aufstellte, ein besserer Psychologe ge- ^g^^
Wesen, er hätte mit seinen Gruppen ohne Zweifel die Gram-
matik bereichert. Hätte er den Vorgang des Denkens besser
beobachtet, so hätte er gefunden, dass wir niemals nach einer
logischen Figur denken, niemals formelhaft, sondern immer
sachlich. Und eben darum kommen wir nicht weiter mit
unserm l'unken, weil sich das Schliessen vom Urteilen nur
grammatikaliaicli unterscheidet. Es ist nicht wahr, dass wir
nach irgend einer der logischen Figuren schliessen: „Wenn
die Sonne aufgegangen ist, wird es hell — es ist hell —
also ist die Sonne aurgegaugen." Abgesehen von den
Fehlern dieses Schlusses (auch bei einer Feuersbrunst wird
es hell), ist unser Denken viel einfacher. Der ganze Schluss
vollzieht sich als die Timtulogie: Sonne ist hell. Wenn wir
aufwachen, so ist der Einfall „es ist helT (i-m andern ,die
Sonne ist auf" fast gleich. Nicht ein Sehiuss ist die Sache,
sondern eine Tautologie.
Lud Wenn man eiuweiieu wollte, da.ss doch dann das
Denken etwas ganz anderes sei als die Sprache, weil die
Sprache offenbar schliesst, das Denken aber nicht, so aut-
Worte iehi Es braucht die Sprache gar nicht zu kümmern,
dass wir diese Art von Bewegungen in ihr Schlüsse nennen.
Sie folgt dem Denken schon. Und für gewöhnlich begnügt
sie sieh mit SubjeU und Prädikat. Erat wenn de sich der
Tautologie bewusst werden will, wenn sie das OefÜhl des
Nichtweiterkommens sich deutiich machen will, dann ler»
dehnt sie das Subjekt zu einem Vordersatz, zerdehnt das
Prädikat zu einem Nachsatz, murmelt bei der Gopula ein
superkluges Aha! und steht vor der Thatsache, dass sie
einen Wurm dort herausgezogen hat, wo er drin war.
Die Ordnung der Prämissen, wie sie rom Logiker auf
die Tafel geschrieboi werden, ist eine willkürliche. Im Kopfe
ist die Regel des Obersatzes und die «Voraussetzang* des
Untrawktzes zugleich vorhanden; sonst wttrden dem Kopfe
beide Sätze nidit zum Beweise eines dritten einfallen. Wie
die höhere Art und die niedere Spezies im Begriffe steckt
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400
y. Die Schlnstfolgenuig.
und dem wirklichen K'onner drs Worts cfefren wiirtig ist, so
der ganze Syllogismus mit jedem seiner bätze. Und darum
ist der Syllogismus für den Satz, was die Definition für das
Wort ist: eine Eselsbrücke fUr Duminköpfe oder ein Spiel
für gelehrte Kinder.
Vielleicht ist die Syllot^islik des Aristoteles aus einer
ähnlichen Marotti' liervori^ogani^en, wie die Ethik dfs Spi-
noza. Vielleicht wollte er die Gedanken ordine <ii oMietrico
demonstrieren. Man verbuche aber eirnnal. in der (Teometrie
mit lo^rischen Schlüssen weiter zu kommen, anstatt mit
realen Konstruktionen, man versuche einmal aufzusagen:
alle Ket^elschiiitte sind Kurven, die Ellipse ist ein Kegel-
schnitt, also ist die Ellipse eine Kurve (Sigw. 1. 408) und
das Gelächter der Mathematiker wird vielleicht lehren, dasa
auch iü der übrigen Welt nicht die Logik weiter führe,
sondern Beobachtung.
Und wenn man sich klar machen will, welch ein Miss-
braucli in der Ijotrik mit dem Worte Gesetz gemacht wird, so
denke man an den Schluss: Em Mörder müsste gesetzhch
hingerichtet werden.
Gesetze Auf vollständige Darlegung brauche ich mich nach
K«pl«ra. ßjij.^ Vorausgegangenen nicht einzulassen. Es handelt sich
einfach darum, ob die drei Keplerschen Gesetze der Real-
grund dafür seien, dass die Planeten in diesem Augenblicke
just diese und keine anderen Orte im GKmmelsranm An-
nehmen. Man mttsste wirklich die Keplerschen Gesetze wie
alle andern Naturgesetze für Polizeirerordnungen eines ausser*
weltlichen Gottes halten, um emstlich zu behaupten: der
Satz «die Bahnen der Planeten seien Ellipsen, in deren
einem Brennpunkt die Sonne stehe* sei die Ursache für
die elliptische Bahn unserer Erde; oder der Satz »die Qua-
drate der Umlaufszeiten verhalten sich wie die Kuben der
mittleren Entfernungen von der Sonne* sei die Ursache
unserer Jahreslange; oder der Satz «der Radius vector der
Planeten überstreiche in gleichen Zeiten gleiche Flacben-
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Gravitation.
401
räume" sei die Ursache dafür, dass die Erde in diesem
Augenblicke diesen und keinen anderen Ort habe. Nur
wenn die Keplerschen Gesetze diircli Strafen pfeschützte
Polizeiveronlnunf^eu waren, könnte mau sie ürsaclien nennen.
Und selbst ilaun wäre ja ihre Befolgung unmüj^lich , wenn
die Planeten nicht Mathematik studiert hätten. Oder sollten
die Strafen wegen Polizeiühertrctunr^ auch ohne Mathematik
au iliuen vollstreckt werden nach dem Grundsatze: Un-
kenntnis schützt nicht vor dem Gesetze? Aber ich stosse
vielleicht offene Thilren ein? Man gibt mir vielleicht zu
— nicht der Kerl im Wirtshaus, aber wohl jeder wiasen-
schafblich gebildete Mensch — , doss die Bezeichnung Qe-
setie fOr die Keplerschen Formeln mcht gat gefriÜttt sei,
eben darum weil sie nicht die letzten Ursachen der Be-
wegungen seien, dass also nicbt die Bewegungen Wirkungen
der Oesetze seien, sondern Tielmehr die Beobachtungen der
Bewegungen die ErkenntnisgrQnde der Oesetee. Der Begriff
«Kas*^ ist nicht die Ursache, nicht der Realgnmd des StQck-
cben Chesters auf dem Wirtshaustisch.
Man gibt mir das alles zu, beUlIt sich aber vor, mich <invi-
mit dem Gravitationsgesetz eines Bessern zu bekbren. Die
Keplerschen Formeln seien mit Unrecht Oesetze genannt
worden, weil sie nicht die letzte Ursache der Flaneten-
bewegungen w&ren. Darum lasse sich auch aus den Kepler-
schen Formdn nichts erschliessen, was nicht schon in ihnen
enthalten gewesen sei. Aber Newton habe diese letzte Ur-
sache entdeckt, sein Orantationsgesetz sei ein echtes Oesetz
und wenn es als Mittelbegriff ui einen Syllogismus hinein-
gesteckt werde, so ergebe sich mit logischer Notwendigkeit
ein neuer Schlusssatz, der in den PHbnissen noch nicht ent-
halten gewesen seL Und als Trumpf wird dann wohl die
Entdeckung des Planeten Neptun ausgespielt. Die bgische
Qewissheit aus dem Gravitationsgesetze sei eine so absolute
gewesen, dass man aus Störungen im Laufe des Uranus
mit logischer Gewissheit die Existenz des Neptun voraus-
gesagt habe. Die Beobachtung des Neptun sei erst nachher
erfolgt. Hier hätten wir also einen klassischen Fall, in
Maatliner, BeUrig« zn einer Kritik der Sprach». III. 26
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402
V. Die Sclilu£i»folgeruDg.
welchem die Kenotnis des Scfaliussatxes der AiafskeUung der
Prftmiseen nicht Tor«usging. Ich kann nienuils ohne Heiter-
keit bemerken, wk dieser eine unerhörte Fall immer wieder
herangezogen wird, sobald man beweisen will, daas der
Syllogismus jedesmal neue Wahrheiten lehre. Und weil
dieser Fall so einzig dasteht, will ich ihn auf seinen logi-
schen Weit untersuchen, so schwer es auch sein mag, über
derlei fachwissenschafiliche Thatsachen ganz allgemein und
allgemein verständlich sich klar zu werden.
Vor allem also die Bemerkung, daas das Orantations-
gesetz oder das Gesetz der Schwerkraft flir uns nur so lange
die letzte Ursache, also ein wshres Gesetz der Planeten-
bewegungen ist, als es nicht von einem neuen, noch höheren
Gesetz abgesetzt» solange die letzte Ursache nicht von einer
«aUerletzten* Ursache abgelOst wird. Man stelle sich einmal
vor — was doch vielleicht in absehbarer Zeit Wirklichkeit
sein wird — dass ein naturwissenschaftliches Genie die Ge-
seüse des Lichts, äcv Wärme, der Elektricitat zusammen mit
dem Gesetze der Schwerkraft auf eine einzige Formel ge-
bracht habe, genau so wie Newton selbst doch nur die
Keplerschen Gesetze und die Gesetze des Falles auf eine
Formel gebracht hat. Wie nun durch die ungeheure Ver-
einfachung Newtons die Keplerschen Gesetze zu blossen Zu-
sammenfassungen oder Begriffen einer Erscheinungsgruppe
herabsanken, wie nach Newton die Keplerschen Gesetze
nicht nit l r die Ursachen der Pianetenbcwe^nj^ genannt
werden konuten, sondern eben nur ihre abgeleiteten Formeln
waren, so wird nach der Zeit des von uns angenommenen
neuen Genies auch das Gesetz der Gravitation nur eine Formel
st ill neben anderen, eine zusammenfassende Formel för alle
mechanischen Bewegungen, der Inhalt eine«? grossen neuen,
von einer ungeheuren Gruppe der Erscheinungen abgeleiteten
Begriffs, die Formel für alle diese Erscheinungen, aber nicht
ihre Ursache. Da uns dieses künftige T'» herhcltwerden des
Gravitationsgesetzes ganz gewiss ist, so haben wir dieses
natürlich auch schon im Geiste enfHimnt. Wir sehen in der
Graritation keinen mythologischen i^egriü mehr, keine Gott-
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EnCdeekong det N«ptiu.
408
heit mehr, weiche die fallenden Aepfel wie die kreisenden
Sterne von aussen aluBiBe, wir sehen also selbst im Gesetze
der Gravitation keine wirkende Ursache mehr und dieeer
einzige Beweis für den Fortechritt im Denken durch logische
Schlüsse wird hinfällig.
Betrachten wir aber die Entdeckung des Neptun mit Ent-
HUfe logischer Schlösse aus dem Gravifcationsgesetz noch
ein bigschen j?enauer. Von allen Rechnungen abgesehen ver- N«ptaii.
lief doch die Sache foigenderniassen. Die Newtonsche Hypo-
these von der Identität der irdischen Schwrj kraft und der
himmlisclien Anziehung wurde allgemein für riciitig ange-
nommen und tätlich neu bestätigt. Sie gestattete nützliche
Anwendungen für den Kalender und anderes, so wie die
altbekannten Gesetze der irdischen Schwerkraft nützliche
Anwendungen z. B. für die Artillerie gestatteten. Diese
nützlichen Anwendungen haben mit der Logik nichts zu
thun. Logisch und wissenschaftlich aber schloss man:
alle Planeten gehorchen den Ue^et/:eu ihrer Schwer-
kraft
der Urauu« lai ein Flauet
also mus6 der Uranus den Gesetzen seiner Schwer-
kraft gehorchen.
Die Astronomie hörte nicht auf, solche SchlUssr und
auf sie geBtützte Berechnungen mit allen Planeten vf»rzu-
nehmen. Die Hypothese des Gravitationsgesetzes wiii ur-
spiüiiglii Ii doch nur ein Apertju, welches Newton von einem
einzigen Falle, der Beschleunigung des Mondes nach der
Erde zu, gemacht hatte. Selbstverständlich eines der
genialsten Apercus der Weltgeschichte. Dieses Apercu oder
diese Hypothese wurde durch die Beobachtungen an den
Planfiten immer wahrscheinlicher. Es war, theoretisch ge-
i^rochen, der ganz gewöhnliche Weg der Urteilsbildung
durch Induktion. Das Urteil, welches heute noch QraTi-
tgtionsgesetz genannt wird und welches in kOnftigMr Zeit
einmal su einer Formel neben anderen werden wird, tat ein.
wertfolles, aposteriorisches Urteil, es erUftrt uns hOduii
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404
T. Die ScUiinfolgttaiig.
wahrscheinlich einen richtigen Begrifi', den der Anziehung
der Körper, und soll in seiner Bedeutung wahrhaftig nicht
unterschätzt werden. Wie aber kommt es dazu, dass uns
ein Begriff etwas Neues erschlossen haben kann? Dass man
mit Hüte der Gravitationsprämisseu zu den bisher bekannten
Planeten einen neuen, eben den Neptun, hinzu erschliesseu,
logisch erschliessen konnte? Wie ist das möglich? Wir
behaupten ja, es küuue nie und nimmer etwas erschlossen
werden durch Schliessen? £s ist möglich, weil es nicht
wahr ist.
Nicht wahr ist es uämlich, dass wir 7ai der Kenntnis
des Neuen, der Existenz des Neptun, auf logischem Wege
gelangt sind. Der eben vollzf^gene Schluss hat uns nur «ge-
lehrt, dass der Planet Uranus dem G i a vitationsgesetz unter-
liege — notabene nur für den Fall, dass das Gra%'itations-
geset'/ wirklich für alle Planeten gelte, also auch für den
Uranus schon nachgewiesen sei. Solange wir so logisch
weiter denken, kommen wii- aus den Tautologien nie heraus.
Die Hypothese oder die Induiction des Gravuatitmsgesetzes
wird nur durch Jede neue übereiiistiuimende Beobachtung
wahrscheinlicher. Sie war schon in hohem Grade wahr-
scheinlich, sie war also für die Praxis eine wissenschaft-
liche Gewissheit, als die neue Beobachtung hinzukam, dass
die Bahn des Uranus den Bedingungen nicht entspreche.
Mit der blossen Logik hätte daraus geschlossen werden
mOssen, dass das Gravitationsgeseta also eine falsche Hypo-
these sei. Dieser Schluss wäre freilich ebenso thöriohk ge-
wesen, wie es thOricht gewesen wäre, etwa nach der Ent-
deckung Amerikas zu sagen: es gibt keine Brde, weil unsere
bisherigen Vorstellungen von der Erde bereichert, geändert
worden sind.
Die Astronomen waren nicht so thöricht. Als sie mit
Hilfe ihrer künstlichen Werkzeuge die Störungen in der
Planetenbahn des Uranus wahrnahmen, sahen sie eben nur
etwas Neues, was das bisherige Planetensystem, was der
bisherige Begriff «Planet* noch nicht enthielt Was war
geschdien? Sie hatten einen neuen Planeten wahrgenommen.
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Entdeckung des Neptun.
405
Noch nicht auf dem graden Wege, wie «in alter Schäfer
die Sterne sieht, sondern indirekt durch seine Wirkung auf
den Uranus, die man mit Hilfe der kttastHehen Augen ge-
messen hatte. Nicht die Logik hatte den Neptun eracUossen,
sondern unsere alten suTerlässigen Sinne hatten ihn wahr*
genommen, wenn auch indirekt. Das mag der alte Sch&fer
anstaunen, der von Femrohren und Yon astronomischen Be-
rechnungen nichts weiss; unserer Denkgewohnheit aber sollte
solches indirekte Wahrnehmen geläufig sein.
Wttm man jede indirekte Wahrnehmung einen logi-
schen Schlnss nennen wollte, so müsste man unser aUtig-
liches Sehen ebenfalb eine logische ThSligkeit nennen; und
damit komme ich zam Kernpunkt der Frage, ob es ausser
der preisgegebenen formalen Logik doch eine besondere
wertvolle Reallogik gebe? Auf das alltigliche Sehen will
ich sofort zurflckkommen.
Indirekt sehen wir die Sterne durch das Femrohr immer.
Denn wir nehmen nicht ihre unmittelbare Wirkung auf
unsere Netshaut wehr, sondern regelm&ssig erst die Yer-
änderungen dieser Wirkung, die durch Linsen oder Spiegd
erfolgt sind. Erst durch Berechnungen, die den Astronomen
allerdings zur Gewohnheit geworden sind wie uns das all-
tägliche Sehen, wird nach Richtung und Stirke die natür-
liche Wirkung auf unsere Netzhaut gewonnen. Oibt es aber
einen Menschen, der das Sehen durchs Femrohr (oder durch
das Mikroskop, das Opernglas, die Brille) eine logische
Operation nennen möchte?
üeberhaupt gibt es gar nichts Banaleres als die Wahr- Wahr-
nehmung durch eine besondere Wirkung. In der Schule "^^SI"
wird freilich gelehrt, dass z. B. eine Rose zugleich durch schul-
den Gesichtssinn nach Form und Farbe, durch den Geruchs-
sinn, unter Umständen auch durch den Tasteinn, Geschmacks-
sinn, mdgUcherweise sogar aucli durch den Gehörssinn zu-
gleich wahrgenommen werde. Diese Gesamtbeobachtung
liefert uns dann freilich den gesamten Inhalt des B^priffii
Rose und die aiuszeichnenden Merkmale eines bestimmten
Rosenindividuums dazu. Aber wir nehmen doch eine Rose
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40Ü
V. Die Schlaufolgerung.
Bttch durch eine emselne SiDneewahmebmaDg schon wahr.
Wer den Schnupfen hat und die Boee nicht liechen kann,
sagt dennoch, er sehe eine Roee. Und der Blinde nimmt
die Roee durch den Geruch allein ebenso aieher wahr. Wird
nun iigend ein Menech die Behauptung des Blinden oder
die des Tenchnupftea Mannes «das da sei eine Rose* eine
logische Operation nennen? Sicherlich nicht.
Man wird mir einwenden i diese Fille betrafen swar
immer Teilwahmehmungen, durch die man an die ganse
Wahrnehmung erinnert werde, aber es seien doch immer
direkte Mitteilungen einzelner Sinne. Ich sehe keinen grossen
TTntwsdiied, aber ich kann auch mit indirekten Wahr-
nehmungen, mit der Wahrnehmung indirekter Wirkungen
dienen. Wenn ich des Morgens ans Fenster trete und die
Blfttber der Bäume sich bewegen, die Zweige hin und her
schwanken sehe oder wenn ich nur das Rauschen der Bäume
verndbme, so denke ich sofort: es ist windig. Wenn ich
die ganze Strasse nass erblicke oder wenn ich das eigen-
tümliche Trommeln auf die Fensterscheiben höre, so denke
ich: es regnet. Ist dieser Gedanke, dass es windig sei oder
dass es regnet, der Schlusssatz einer logischen Denkopera-
tion? Hier scheine ich mich gefangen zn haben, denn der
Logiker wird allerdings ausrufen: jawolil, «In ItaVen Sit' logi-
sche Schlüsse gemacht. Auf die Schnelligkeit des Schliessens
kommt es nicht an.
Auf die Schnelligkeit wohl nicht, doch aber darauf,
ob — wenn aiicli noch so blitzschnell, noch so unbewosst —
der Weg von der Wahrnehmung zu dem Gedanken, dass
es windir^ sei oder r^oe, durch einen SjUogismus hindurch-
gegangen ist.
Dass wir h»*i solchen <5chlichten Gedanken keine be-
M'us8f-e Schhissfoigerun^ v«dlzielien, das wird wohl von allen
Seiten zugestanden. Der Weg der Schlussfolgerung ist
sogar so schwer, dass ihn selbst ein Professor der Logik
nicht imm«^i- nnffinden könnte. Und nur die Karikahir eines
solchen Prutes^ors könnte also überlegen: .»Ich nehme naki*,
dass der Krdboden nass ist; die Nässe muss eine Ursache
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Wahni«1uiiefa olme SddiesKii.
407
haben, denn keine Yerinderung geschieht ohne Ursache;
wenn es regnet ist es nass; wenn gesprengt wird ist es
auch nass, aber nOT auf dem Ötrassendaram ; wenn es regnet
ist es fiberall nass, wo kein Dach ist; ich nehme wahr,
dass es überall nass ist, wo kein Dach ist; also regnet es."
Ich ^ebe zu, dass alle unsere Beobachtungen und ihre Zu-
rückführung auf die Ursachen in solche Kettenschlfisse hin*
eingezwängt werden können. Ich kann es nicht leugnen,
denn ich kann die Existenz einer logischen Wissenschaft
nicht leugnen. Wohl aber leugne ich, dass unserem Ge-
danken regnet* jemals ein solches Schema voraus-
gegangen ist. Ginge eine solche logi^rlif:' Deukoperation
jetzt schnell und unbewusst in unserem (it hirn vor, so müsste
sie früher emmal, bevor sie eingeübt war, langsam und be-
wusst vor sich gegangen sein.
Was eingeübt wurde und uns so zur Gewohnheit ge-
worden ist, dass wir es gleichzeitig und heiiiahe wie eine
Tautologie denken oder sagen: „es ist nass, es regnet" oder
»es rauscht in d»'n Bäumen, es ist windig** — das ist nicht
eine logische Deukoperation, sondern Erinnerung oder
Sprache. Das Kind nimmt Regen wahr. Von der Iiichtung
der Aufmerksamkeit hängt es ab, oli es den Regen wahr-
nimmt durch die Augen als eine Veränderung des Strassen-
bildes oder durch ' die Augen als Streifen fallender Tropfen,
oder ob es immer denselben Regen wahruimnit durch dus
Tastgefühl als Klatschen auf deu eigenen Körjier, oder durch
die Wärmeempfindung als Abkühlung verbuiulen mit ge-
wissen eigeutüniluhen Nebenuraständen , oder ob e* luimer
denselben Hegen wahrnimmt durch das Gehör als das wohl-
bekannte Trommeln auf die Fensterscheiben oder ob jemand,
der zugleich taub und blind wäre und unter einem schützen-
den Dache stfinde, immer denselben Regen wahrnähme durch
seinen Geruchssinn als Wasserdampf. Nichts, gar nichts
anderes ist in unserem Gehirn rorhänden als die Erinne-
rung an solche Sinnesdadrflcke und ttichts Tollzieht sich
als ein Wandern der Aufmerksamkeit Ton einer Erinnerung
snir andern. Was eingeübt wird, das ist einzig und allein
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408
V. Die ScblnwfolgeroMg.
die Schnelligkeit, mit der wir im Dienste unseres Interesses
die eine Emptindungseriunerung durch die andere wachrufen.
Das Schema „wenn es regnet ist es nass" ist eine tote
Formel. Die Chinesen besitzen kein ,wenn" und sie wissen
doch alle, d.u^.s es regnet, wenn es nass ist.
Logik Wer aber diese Vorgänge in unserem Gehirn immer
MBstiüs- ^iöch logische Denkoperationen nennen wollte, der müsste
tkflooie. jede Sinneswahrnehmung, jede ohne Ausnahme, eine logische
Denkoperation neuuen. Die neuere Psychologie hat gar
keinen Zweifel darüber gelassen, dass unsere Sinneswahr-
nehmungen unmittelbar gar keine Nachrichten von der
Anssenwelt geben. Beim Sehen und HOren vollziehen sich
üMchaiusehe oder chemische Veränderungen an den End-
punkten des Sehnervs oder des Hdmervs, mechanische "Wir-
kungen, die an sich jedesfüHs hOchst verschieden smd von
dem, was wir nachher ab besondere Farben oder TOne wahr-
nehmen. Die neuere Psychologie ist sich anch darum ganz
klar darüber, dass auch das einfachste Wahrnehmen einer
Farbe oder eines Tons nicht anf der Netzhaut oder im Ge-
hörgang ToUendet wird, sondern erst in der Zentrale des
Gehirns. Man hat das so ausgedruckt, dass auch unsere
Sinneswahmehmungen intellektuell seien. Es ist das grosse
R&tsel der Psychologie, dass die Aussenwelt auf diese Weise
in uns zu Sinneswahmehmungen werde, und es ist die grosse
Frage aller Philosophie, was denn eigentlich diese Aussen-
welt in Beziehung auf unsere Sinneswahmehmungen sei.
Das Wort «Ding-an-sich" ist nur eme neue Formulierung
der Frage, nicht eine Antwort Und die Annahme, dass
z. B. Schwingungen nicht nur auf den Sehnerv wirken, son-
dem sich auch irgendwo in Farbenempfindungen umsetzen,
ist nur eine Verdoppelung des Rfttsels, nicht seine LOsung.
Niemand wird sich vermessen, dieses Ratsei und diese Frage
Idsen zu wollen. Eins aber scheint mir gewiss, dass es
Oberaus lächerlich wäre, diesen Geheimnissen mit den For-
meln der logischen Schlussfolgerung näher treten zu wollen.
Ein solches Wahrnehmen der Aussenwelt durch sein Zentral-
nervensystem, also ein intellektuelles Wahrnehmen, besitzt
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Logik mid Erkamtniiflieoiie.
409
schon das niederste Tier, Ich glaube nicht, dass ein Logiker
der InfuBorie logische Denkoperationen zuschreiben wird,
weil es geeignete Nahrung wahrnehmen nnd seine Be-
wegungen danach ( inrK Ilten kann. Eiu Kopt von so scho-
lastisch* in St liarfsinn wie Schopenhauer hat denn auch schon,
nach dt- III Stande der damaligen Physiologie, sehr entschieden
die Intrllrkiualität aller Sinneswahrnehmungen ausgesproehen,
aber sicli wohl gehütet, diese Intellekt aalität mit dem mensch-
lichen Denken gleichzusetzen. Er hat (was sprachlich ganz
brauchbar kt) zwei Gottheiten im menschlichen (iehirn an-
genommen, den Verstand und die Vernunft. Die Vernunft
besorgt hei ihm das eigentliche Denken, das logische Denken
in ßegrift'en, also das Sprechen; der Verstand besorgt — ohne
Worte und Begrilfe, also ohne Sprechen oder Denken — die
Auffassung der Aussenwelt nach Massgabe der Mitteilungen
unserer Sinne. Ich habe gar nichts dagegen, dass einem
mythologischen Begriffe „Verstand" dieses ganze grosse
Ressort zugewiesen werde, solange mau sich nur darüber
klar ist, dass dieses besondere Seelenvermögen eben nur
eine bequeme Absiaraktion ist und nichts Wirkliches. Unter
allen Umständen aber halb dieser Verstand oder was immer
dabei tli&tig ist, mit der Logik nieht das Mindeste zu schaffen.
Wir aber werden jetzt eixuefaen, dass swisehen dem alltäg-
lichen Wahrnehmen der Aussenwelt durch die mechanischen
Veränderungen in den Nerrenenden unserer Sinnesorgane
einerseits und zwischen der Wahrnehmung des Neptun durch
seine Wirkungen auf die Bahn des Uranus kein grandsAt^
lieber Unterschied besteht.
Ich hoffe, dass wir durch diese schwierige Darlegung
etwas gewonnen haben. Wir hatten froher gesehen, dass
die sogenannten Schlussfolgerungen der formalen Logik
durchaus werüos sind, dass sie su kernen neuen Ergebnissen
führen, sondern nur Bekanntes in Erinnerung bringen. Wir
haben jetzt, wie ich hoffe, dasu erfahren, dass es auch neben
der formalen Logik eine Beallogik nicht gibt, weil der
Realgrund der Wahrheit niemals in unser Erkennen ein-
geht. Was wir in unserer Sprache oder in unserem Denken
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410
V. Die Sdilusafolgerung.
eine Verknüpfung von Ursache und Wirkung' nennen, ist
ebenfalls immer nur eine Erinnerung an RegelmHSsigkeiten,
deren innerster Zusammenhang uns ewig unbekannt bleiben
wird. Wüsflten wir die Wahrheit, wüssten wir die letzten
Ursachen der Wirklichkeitewelt, dann besässen wir mit der
Erkenntnis der Ursachketten in unsei*em Erinnern oder
Denken auch eioe TerknÜpfung. Dann aber würden wir
wahrhaftig oneer Wissen meht logisch nennen; denn dann
fielt Denken und WiiUicbkeit sniflinmea nnd Logik
würde BXth neue fibeiflilssig. In unserem Stande der Un-
wissenheit jedoch kennen wir die loteten Uisaehen nicht,
kennen wir kein wahres Natorgesets, nnd die Schlflssef welche
wir aus den TerhUtnismässig kleinlichen Formeln ziehen, die
wir in unserer Armut schon Natunresetse nennen, drehen
sich ewig im Kreise herum und beweisen immer nur das,
was von Anfang tat die Grundlage des Beweises war.
Ol» Unsere Untersuchung hat den Höhepunkt Kngst Ober-
''^ so^Q ^ schritten nnd könnte in rasch beschleunigtem Tempo bergab
Figimii. laufen. Eine Betrachtung der psjchologisehen Bogiifls-
bildung hat uns schon gelehrt, dass Urteile nicht aus Be-
griffen herrorgehen, sondern tot den Begriffen Torhanden
sind, dass also in den Begriffen oder Worten schon alles
angeblich Spätere enthalten sei: Urteile und Schlösse. Es
lag in dieser Auffassung Tom Begriffe schon ausgesprochen,
dass Mk aus der Hiufui^ von Urteilen nichts erseUietsen
lassen werde, was wir in den Begriffen nicht schon wOssten.
Das logische Denken aeigte sich uns als ein Rackweg bei
Tage, auf welchem Hinsel und Gretel nur die weissen
Steinchen sehen, die sie bei Nacht auf dem Hinwege aus-
gestreut haben. Wenn sich mit keiner Schlussfolgerung
etwas Neues erschliessen iSsst, so ist es tiberflüssig, diese
Thatsache bei jeder einzelnen Schluasfigur besonders zu be-
weisen.
Aber die syllogistischen Figuren stehen seit den zwei
Jahrtausenden, die seit Aristoteles yerflossen sind, in so
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Ento Figur.
411
hoKera Ansehen, und meine bisherige Uarlegimg war leider
selbst so lojyisch, dass es vielleicht doch tfut sein wird, die
BtMsjuele zu voruu'hren, die Ueberzeugung beim Leser zu
beier^Ligeu. Wie in jedem alten Hause, so gibt es auch in
Her Logik uralten Hausrat, der lästig im Wege steht, weim
mau ihn nicht eines Tages einem historischen Mujseum über-
lässt oder ihn verbrennt.
Ich werde mich in diesem Zusammenhang nicht bei
der historischen Frage aut halten, wer eigentlich unsere vier
Klassen zuerst aufgestellt habe. Gewiss ist nur, dass Aristo-
teles drei Klassen kannte oder erfand, und zwar, dass er
unklar unter der ersten Klasse zusammenfasste, was jetzt
noch pedantischer teils der ersten, teils der vierten Klasse
zugewiesen wird. Nach Angabe der arabischen Philosophen,
die freilich für den Acrztestand sehr viel Übrig hatten, war
Galenos, der berühmte Sjstematiker der alten Medizin,
500 Jahre nach Aristoteles der Erfinder der Tierten Figur,
des vierten Spielzeugs ftlr philosophierende Kinder.
Bevor wir aber en die harte Anfjgabe geben, die
Theorie der vier Schlussfiguren auseinander su legen,
wollen wir dnmal an einem uralten Sehtdbeispid ftr die
vier Figuren aufzeigen, wie leer diese ganze Spielerei fttr
modernes Denken, flir unsere moderne Sprache geworden
ist Das alte Schulbeispiel setzt mich nicht dem Verdachte
au», besonders schwache Seiten der Logik ausgewihlt su
haben. Das Schulbeispiel spielt mit den Begriffen: Tugend
und Laster, lobenswert und ntttilieh. Der SchQler von Logi-
kern wird sofort die vier syllogtstischen Figuren wieder-
erkennen; und wer das nicht vermagi darf sich damit be-
gnOgen, vier veracbiedene Qedankengtnge der Schule bemerkt
zu haben.
1. Jede Tugend ist lobenawert; die Beredsam* Brat«
keit ist eine Tugend; also ist die Beredsamkeit
lobenswert.
Wir bemerken mnSchst, dass der Obeisatz ein recht
schwaches tsutologisdies Urteil ist Ob wir sagen, irgend
etwas sei eine Tugend, oder es sei lobenswert, das ist
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y. Die SchloMfolgeruog.
doch eigentlich ein und dasselbe. In unserem wirklichen
Benken gibt es eben zwei Worte für diesen einen sehr un-
klaren Begriff; und die Urteile «jede Tugend ist lobens*
wert* und «alles Lobenswerte ist Tugend* sind beide gleich
gut und gleich mchtssagend. Was bedeutet aber die zweite
Prämisse: «die Beredsamkeit ist eine Tugend?* Offenbar
geht doch im Oehim des Redenden der Sats Toraus, dessen
Schulbeispiel den Schlnsssats bildet: »die Beredsamkeit ist
lobenswert*. Wer dieses Schlussurteil nicht vorher gefWt
hat, wer die Beredsamkeit für unnütz oder gar für schäd-
lich hftlt, dem wird nicht einfsUeni die Beredsamkeit eine
Tugend zu nomen. ISin Bismarck wire in ein grimmiges
Gelächter ausgebrochen, wenn man ihn gefragt hätte, ob er
die Beredsamkeit der Abgeordneten für lobenswert, für eine
Tugend halte. Aber auch er wird nicht logisch verfahren; er
wird der Beredsamkeit das Prädikat lobenswert nicht darum
absprechen, wol sie kdne Tugend sd; sondern umgekehrt
wird er das Prädikat Tugend ablehnen, weil er nichts Lobens-
wertes an ihr findet. Der Schlusssatz geht den PHlmissen
voraus. Der Schlusssatz ist das älteste an dem ganzen
Gedankengang; es kann also in ihm nichts Neues erschlossen
worden seb.
Ist also der Wert der ersten Figur in diesem Schul-
beispiel gleich Null, so fragt es sich noch, ob doch wenig-
ste die Besinnung auf die Möglichkeit des Urteils «die
Beredsamkeit ist lobenswert" im Gehirn so syllogistisch vor
sich gehe. Und das leugne ich entschieden. Eine einfache
Selbstlieobachtung belehrt uns eines Bessern.
Man werfe in verständiger Gesellschaft die Frage auf,
ob Beredsamkeit lobenswert sei. Die meisten werden den
notwendigen Schulschhiss aus dem erhabmen Tugendbegriff
gar nicht für Notwendigkeit halten, sondern aus ihrer
Lebenserfahrung heraus und je nach ihrer Lebhaftigkeit
etwa antworten : bewahre, die Beredsamkeit ist etwas recht
Schlimmes! oder: die Beredsamkeit kann ihre Vorzüge haben,
relativ, sie kann ihrem Besitzer zu Einfiuss verhelfen, zu
einer Aufsichtsratstelle, zu der Präsidentschaft eines Bezirks-
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Bnte Figur.
413
Vereins oder zu einem Ministerposten. Was ist: lobens-
wert? Ein relativer Begriff. — Aber auch von denjenigen,
welche die Löblichkeit der Beredsamkeit zugeben, wird kein
einzijrer auf dem Wege des Syllogismus zu diesem Urteil
tjelaugen. Kein einziger wird den Mitfcelbegriff , Tugend*
aufrusucbrti eine Veranlassung haben. Ganz ohne Logik
wird (Hese Partei den Beo^ff „lobenswert" festhalten,
das iieisst die Erinnerung au die Merkmale dieses Begriös,
eigentlich aber nur die Erinnerung an die Stimmung
dieses Begriffs. Lobenswert, das ist was Schönes, was mir
gefällt, wozu ich ja zu sagen pflege. Ol; Beredsamkeit
lobenswert sei? Nicht im Traum, nicht im verstecktesten
Winkel des Unbewussten wird der Gefragte sich selbst die
Zwischenfragc vorlegen, ob Beredsamkeit eine Tugend sei.
Unmittelbar wird er nach seiner eigenen Lebenserfah-
rung, also nur nach seiner Erinnerung (das heisst also nur
nach seinem Sprachgebrauch), die Beredsamkeit mit dem
BegriÜ' des Lobenswerten, dessen was ihm gefällt , ver-
gleichen und wird unmittelbar antworten: jawohl, warum
denn nicht.
Zwei Fälle sind möglich. Entweder er hat schon vorher
einmal verglichen, oder er hat die Vergleichung anderer
mit dem Worte zugleich aufgenommen, er verbindet mit dem
Begriff der Beredsamkeft ohnelim schon etwas Lobenswertes,
und dann wird sein Satz «die Beredsamkeit ist lobenswert*
nur ein aprionsches Urteil seb, das nicbt nur in der kflnst-
liclien Prttmisse »die Beredsamkeit ist eine Tugend* schon
driosteckte, sondern bereits im Begriff «Beredflatnkett".
Oder aber er bArt oder beachte die Frage nacb ihr«' L9b-
Hcbkeit zum erstenmal, and dann wird er je nach seinem
Ohaiakter von jetzt ab mit dem Begriff Beredsamkeit eine
freundliche Stimmang verbinden oder nicht. Das ist der
wirkliche Vorgang im Qehim, soweit er sich unverschult
in Worten ausdrficken ISsst.
Wir haben also erfahren, dass der Schlusssats, der mit
absoluter logischer Gewissheit aus dem Schulbeispiel der
ersten Figur henrorgeht, erstens falsch oder ungewiss ist
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4U
V. IHe 8ebliu0£o]geniiig.
uiifl zweitens — sofeiu er überhaupt getiat^ht wird — smea
i'räiiiisHen vurausgeht.
Zweite 2. Kein Laster ist lobeusweri; die Beredsam"
keit ist lobenswert; also ist die Beredsamkeit
kein Laster.
Was ifit Laster ?
Es ist eiij ziemlich starker Ausdruck und darum eine
Tcmperameutsfrage , ob man die Beredsamkeit ein Laster
nennen wolle, wenn man sie nicht mag. VVad die Auf-
merksamkeit nicht auf diesen Funkt gerichtet, so wird nicht
leicht ein Mensch so grob werden. Stellt mau aber einen
BisniArck oder sonst einen durchaus thätigen Menschen vor
die AltematiTef ob die Beredsamkeit ein Laster sei oder
nicht, so wird er sich wohl am £nde aue Aerger fUr ja
entaeheideiu hth wiU zugeben, dasa man auch urteilen
könne, die BeredBamkeit sei kein Laster. Kor um die
Notwendigkeit dee Sataea iafe es doeh woU ecliwadi
bestellt
Denn wieder wird, wer den SeUusssata als seine Mei»
nung Tertritt, daiu nicht auf logischem Wege gekommen
sein. Diesmal ist »lobenswert* der Hittelbegriff. Wieder
lehrt die einfache Selbstbeobachtong, dass kein Mensch
diesen Hittelbegriff zur Entscheidung der Frage nötig habe.
Dieses ganze Beispiel der zweiten Figur ist schon darum
ein richtiges Schulbeispiel, weil im wiridichen Geistesleben
der Menschheit vielleicht noch niemals jemand weder auf
den Obersata noch auf die Frage nach dem Schlusssate
Terfallen ist «Kein Laster ist lobenswert*, das ist so eine
rechte HilMinie, die ausser in der Logik nicht Torkommt,
so wenig wie in dem Denken ausser der Schule der Satz
»keine Ungrade ist grade". Im Untersatz dagegen iSge
der SchluBssatz ganz sicher sdion drin, wenn er nur nicht
zu dumm wäre, als dass man so kicht an ihn dAchte. Wer
den Untersatz «die Beredsamkeit ist lobenswert* etwa denken
sollte, der denkt ihn nur deshalb, weil er so ungelUir der
Meinung ist, Beredsamkeit sei was Gutes, nichts Schlechtes,
was doch noch viel mehr sagt, als der blosse Schlusssatz
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Zveito Figur.
41b
„die Beredsamkeit sei kein Laster*. Dieser lil'isssatz ist
ein Minimum, bis zu welchem das menschliche Denken kaum
ohne beßondereu Aiilauss hinabsinkt. Wird es aber auf dieses
Miüiiiiuiü durch eine duiuaie Frage gestossen. so richtet das
menschliche Gehirn seine Aufmerksamkeit eben wieder auf
seine Erinnerung oder Erfahrung, und wenn es gewohnt
ist oder Veranlassung hat, der Beredsamkeit freundlicii zu
gedenken, so wird es den iicliiusssatz ,die Beredsamkeit is?t
kein Laster" zum mindesten aussprechen und die Präraisse
«die Beredsamkeit ist (sogar) lobenswert" eben nur darum,
weil der Schlusssatz gar zu wenig s.igte.
Wir haben also wieder erfahren, dass der Schlusssatz,
der mit logischer Qewiseheit aus dem Schulbeispiel der
zweiten Figur liervorgeht, entens falech, benelumgs weise
eine Kinderei ist und xwmbnB — wenn er tiberiuuipt durch
eine Schfikrfrage hervorgerufen wird — eeinen Primiseen
▼orausgehL
Ich mochte aber jetat noch etwas hinsufügen, was Ar
beide Figuren wichtig ist
Wae ist Beredsamkeit? Was ist Tugend? Was ist
Laater? Die Logiker sind geborene Sophisten und werden
mich sofort bei diesen Fragen lu fissen suchen. Die Not-
wendigkeit, die Beweiakrail aller logischen Schlösse setae
höchst klare und deutliche Begriffe Toraus. Das FUessende
und Unbestimmte meiner Gdiim7oig9nge komme eben nur
daher, dass ich von Beredsamkeit, Tagend und Laster keine
feste Definitionen bei mir trage, dass ich ein Skeptiker oder
Qott weiss was seL Sie — die Logiker besftsaen musfeer-
gOltige Definitionen der Begriffe und darum gehe aus ihren
Schlussfolgeningen alles mit Notwendigkeit herror, wie am
SchnUrehen.
Darauf habe ich zu erwidern, dass ich im allgemeinen
alle Begriffe fDr mehr oder weniger fliessend halte und Jen
Schulmeistern einfach nicht glaube, die sich des Besitses
von todsichem Definitionen rtthmen. Aber es hälfe ihnen
nichts, auch wenn sie sie besässen* Denn Definitionen sind
jeder Frage gegenüber nur leere Rahmen. In dem Augen"
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416
V. Die Schluaafolgarung.
blick der Boyinuung auf die Bedeutung eines Begriffs wird
das ebrli< he Denken über die Definition hinaus auf die Be-
griffsbild ui ig /urUckgeben, die payckologisch identisch ist
mit der Detinidonsbildunsr. Das ehrliche Denken wird
sicii auf seine Lebenserfakruiig besinnen, auf seine Eriune-
run<^', und so wird eben das geschehen, was ich bei beiden
obigen Figuren behauptet habe: das meuscliliche Gehirn
wird den Schlusssatz, soweit er als eine Frage vorliegt,
nicht mittelbar aus allgemeinen Prämissen heraus, sondern
unmittelbar aus seiner Srmnerang oder Erfahrung heraus
beantworten.
Und genauer bemerkoi wir den lilciheriichen Keben-
tunstaad, daas der SebloasBatB, der angeVlich dnrtb logische
Arbeit, also spftt^ in der Zeitfolge, ans der Scblussfolge-
Tung, das beisst aus der Verknüpfung der Prämissen beiror*
geben soll, beinahe eingestandenermassen in der Form der
Frage allem Torausgebt Denn so gottverlassen sind doch
selbst die Logiker nicht, dass sie die logische Denkopera*
tion wie das Experimentieren eines Sudelkocbs betrachten,
der allerlei zufftllige Dinge in einen Topf zusammenwirft,
ohne eine Ahnung davon , was dabei herauskommen wird.
Dritte 3. Jede Tugend ist lobenswert; jede Tugend
ist ntttslieh; also ist einiges NOtzliche lobens-
wert.
Was in den beiden bisherigen FSUen ausgeftlbrt worden
ist, das braucht hier nur angedeutet su werden. Wir wissen
schon, dass das Urteil «jede Tugend ist lobenswert* zitternd
und formlos ist wie Gidlerte, eine schwächliche Tautologie,
nicht flüssig und nicht fest. Noch schlimmer steht es um
den Satz Jede Tagend ist ntltzlich'. Fttr wen nützlich?
Fttr mich, Är meine Familie, ffekr mein Volk, für die lebende
Menschheit, für die Entwickelnng der Menschheit? Die
Sache ist fraglich. Man rechnet doch Gerechtigkeit gewiss
zu den Tugenden? Und doch soll die höchste Gerechtig-
keit sehr schädlich sein. Summum jus, summa injuria.
Bobespierre war ein tugendhafter Mann. Angenommen
aber auch wir wären uns klar Uber die Begriffe nützlich
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Dritte Figiir.
417
und Tugend, und hielten dann Ins Urteil aufrecht, jede
Tugend sei nützlich: wie d&na)^ Ist die Tugend nützlich,
insofern sie Tugend ist, oder ist ihre Nützlichkeit ein /u-
f&lliges Nebenniei kmal an ihr, etwas, was mit ihrem Wesen
nichts zu thun hat'-' Was zu ihrer Definition nicht taugt?
Dieselbe Frage iiiü^ te man sich bei dem Schlusssatze stellen.
Besteht ein innerer Zusammenhang^ zwischen der Ntltzlich-
keit und der Löblichkeit? Be^ileht ein solcher Zusammen-
hang, so hat der Satz einen ganz anderen Sinn, als wenn
ein solcher Zusammenhang nicht bestünde. Auch hier kommt
viel auf die Richtung der Aufmerksamkeit an. Der Satz
„mancher Philosoph ist kahlkopfig'" sein mt keinen wissens-
werten Inhalt zu haben. Richtete man aber seine Auf-
merksamkeit auf die Ursache der Kahlköpfigkeit, dann wäre
der Satz am Ende wissenswert.
W ir haben also in dem Schulbeispiel der dritten Figur
erstens eine gallertartige und zweitens eine recht zweifel-
hafte IVämisse und wir haben einen Schlusssatz, der erst
durch die Erfahrung des Urteilenden seinen Sinn erhält.
Selbstverständlich fällt wieder keinem Menschen ein,
wenn er nach der Wahrheit des Schlusssatzes gefragt würde,
erst den Mittelbegriff , Tugend" heranzuholen. Auf die
Frage, ob manches Nützliche lobenswert sei, wird das
wirkliche Denken höchstens auf Wirklichkeitserinnerungen
zmUckgehen, wird z. B. die Nahnmgsauinahme, die Ver-
dauung, die Kindeirerzeugung , den alltäglichen Geschäfts-
betrieb n. 8. w. ab nOfadiche ThStigkeiien an sich TorQber-
siehen lassen, welche die landläufige Moral nicht mit dem
FriUikat lobenswert beehrt Unabhängiges Denken wird
vielleicht stutzen und darfiber nachsinnen, ob der mensch-
liche Sprachschata nicht wieder einmal zu bereidieni wäre,
ob man dergleichen Thltigkeiten nicht ebenfalls lobens-
wert nennen könnte, ob lobenswert und nfltslich nicht im
letzten Grunde identische Begriffe waren. Im Banne des
gewohnten Sprachschatzes aber wird der Urteilende (der
dämm auch ein moralischer Kensdi heisst) wdtere Brin-
nerungen an Nützliches wachrufen. Er wird z. B. die nflts-
Xftniliiier, B«ititt« m «ia«r Kritik <«r 8pn«k*. m. 27
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418
V. Die SchlusKfolgerung.
liehe Thiitigkeit der Kindererziehung uud des Vaterlands-
dienstes ganz wohnheitsmässig unter den Begriff des
Lobenswerten fallen lassen, und wird so beruhigt sagen:
jawohl, einiges Nützliche ist schon lobenswert. Unmittelbar
wird er dieses Urteil fallen; und erst später kann er auf
den zusammenfassenden Gedanken kommen : Da habe idi ja
gefunden, dass Tugenden nützlich sind; das ist mir vorher
gar nicht eingefallen. Ob am Ende alle Tugenden nütz-
lich nndP Bann könnte man sogar tagendhaft werd».
Fragt sieh nnr, für wen sie nftttlich sind« ünd was heisst
Uberhaupt nütiiUeh? «Hol* der Teufel das Denken,* wird er
dann wohl enden, «ich werde weiter handeln wie ich kann
und muss, und mag der Pfaff an meinem Sarge sieh den
Kopf darüber serbrecheUf ob es tugendhaft gewesen ist oder
nicht.* Damm ist ja Falstaffs Monolog Über die Ehre so
wundervoll, weil Shakespeare da den Nomiualisten Falstaff
so logisch reden lässt Wie kSsflich lässt Goethe denselben
FalstalF (im Fragment) fortfahren: «Der Mensch besteht aus
zwei Teilen, einem Temflnftigen Leib und einer unyemOnf-
tigen Seele, sage ich.* Wie denn derselbe Goethe weiss:
,Alle Beweise, die wir Torbxingen, sind doch nur Yaiia-
tionen unserer Meinungen.*
Wir haben also wieder als logisch notwendiges Er*
gebnis im Schulbeispiel der dritten Figur einen Sats, mit
dem wir nichts anzufangen wissen, der aber immerhin froher
da war als seine Prämissen,
ztitfbi«« Um doch ein wenig fortzuschreiten, will ich nun hier,
logiamns ^ dritten Figur, eine allgemeine Bemerkung ein-
fügen Aber die Zeitfolge in der Denkoperation des Syl-
logismus. Wir sehen jetzt schon gewiss im einzelnen be-
stätigt (weil doch die vierte Figur durch Jahrhunderte
unbekannt war, ohne den Menschen zu fehlen), dass das an-
gebliche Ergebnis der Schlussfolgerungen jedesmal der ent-
scheidenden Pkftmisse in der Zeit Torausgeht. Wir wussten
das längst. Denn auch der Schlusssatz war ja schon in
dem Begriff seines Subjekts enthalten und der Mittelbegriff
wire bestenfalls, falls man ihn zur Besinnung gebraucht
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Zdtfo^ im Sjllogüiniu.
419
hätte, nur die Erinnerong an eine zurückgelegte Station in
der Begriffsbildung gewesen. Oder umgekehrt. Nun aber
wollen wir der wirklichen Zeitfolge in s(»lclien Denkopera-
tionen etwas allgemeiner nachforschen, nämlich psychologisch.
So wie das Schema eines Syllogismus auf das Papier
geschrieben oder gedruckt wird, gebt es in regelmässigem
JELhytbmus von 1 zu 2 und dann zu 3 Uber. Es besteht
im Gedankengang des Logikers ohne jede Frage eine zeit-
liehe Aufeinanderfolge, in welcher der Untonsatz auf den
Obersatz folgt und der Schlusssatz — nach einer kleinen
Kunstpause — auf den Untersatz. Kann aber irgend ein
Kopf von modemer naturwissenschaftlicher Bildung auf den
ganz perversen Einfall kommen, dass im wirklichen Denken
unseres Gehinis eine solche Zeitfolge stattfinde? Vor allem
wird für die Zeitfolge des Untersatzes nach dem Obersatz
mir (las Blödsinnige dieses Oedaukens ohne weiteres zu-
gestanden werden. Oßenbar war es bis zur Stunde ein
bildlicher Ausdruck, wenn dieses Verhältnis eine Zeitfolge
genannt wurde. Die beiden Prämissen ^alle Fische leben
im Wasser" und ,die Wale sind keine Fische* sind doch
ohne Zweifel als Erinnerungen , als Begriffsdefinitionen
gleichzeitig im Gehirn enthalten und es hängt einzig und
allein von der Erregung der Aufmerksamkeit ab. ob der
eine oder der andere Satz früher ins Bewusstsein fällt. Ein
viel besseres Bild des Verhältnisses wäre also das räum-
liche Bild des ^Nebeneinander. Die Seel» in höchst eigener
Person muss doch irgend wann einmal die beiden Prämissen
nebeneinander betrachten und vti i::lrirlu n können, um über-
haupt zu ihrem Schlusssatze zu kimimeji. Darüber aber
lüuehte wohl, so werden die eingefleischten Logiker sagen,
einige Zeit vergehen, bis aus der Vergleichung der Schluss-
satz hervorgehe, und darum sage mau mit Recht, er folge
den Prämissen oder er folge aus den Prämissen, welch
letzterer Ausdruck dann sofort seine Bildlichkeit verrät.
Wie man sieht, denke ich mir unter meinem eingefleischten
Logiker schon einen bessern Kopf, dem das Metaphorische
in den Begriffen Schluss und Folge klar gewurden ist.
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420
y. Die SeUoMfolgetiuig.
Nun will ich davon absehen, dass ich theoretisch und
durch Beispiele bewiesen zu haben erlaube, dass der Schluss-
satz seinen Prämissen immer vorausgeht. Angenommen
aber, ich hätte noch gar nichts bewiesen, so will ich jetzt
nur daran erinnern, dass wir vor kurzem erst gesehen haben,
wie die ganze Denkoperation des Schliessens erst dann vor-
getionnnen werde, wenn deutlich oder undeutlich nach der
Richtigkeit oder Wahrheit des Schhisssatzes gefragt worden
war. Zwischen der Frorr»» und ihrer Bejahung ist gewiss
ein Unterschied, ich sage, der Mensch beantworte die
Frage unniittelbar aus seiner Erinnerung oder aus seinem
Sprachschatze heraus; der Logiker sagt, der Mensch be-
antwoiie die Frage nach einem schulgerechten Syllogismus.
Auch der Logiker aber wird in guter Behandlung zugeben
mU.ssen, dass die Frage früher da sei als der ganze Syl-
logismus. Die Aufstellung der Frage bedeutet aber nichts
anderes, als die Kichtuug der Aufmerksamkeit auf den In-
halt des Schlu>ssatzes. Diese Hichtung der Aufmerksam-
keit geht also bestimmt in der Zeitfolge der Denkoperation
voraus, und da sie das Wesentliche der Denkoperation ent-
halt, so scheint mir auch von diesem Gesichtspunkt aus der
Syllogismus eine traurige, nachhinkende Rolle zu spielen.
Auch die Kugel aus der Büchse tiifft die Scheibe in der
Zeitfolge erst nach der Thatigkeit des Zielens ; aber der
Schütze richtet« seine Aufmerksamkeit auf da.s Zentrum der
Scheibe, bevor er zielte, wenn auch noch so kurz vorher.
Hierzu bemerke ich ohue weitere Ausführung, dass die
kindliche Vorstellung einer Zeitfolge der Prämissen bei der
Einteilung des Syllogismus in die vier Figuren ganz ernst-
haft und sogar scharfsinnig zu Grunde gelegt worden ist.
Mau schliesse daraus logisch auf den Wert dieser Ein-
teilung.
Ktwia- An dieser Stelle wird es nfifadicli und darum vidleicilit
^^l^' auch lobenswert sein einiges Ntttdiche ist lobenswert*),
JMgSk. auf das räumliche Bild znradczukommen, mit welchem die
Logiker alle VerbSltnisse der Begriffe su beweisen vorgeben.
Wir haben schon im allgemeinen gesehen, dass die soge-
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Krosbildung der Logik.
421
nannte Sphärenvergleichiing nur ein falsches Bild von den
wirklichen Gehirnvorgängen gibt, dass sich aus der Ein-
zeichnmig von Kreisen durchaus nichts beweisen lasse. In
unserem Falle, der in der Logik der erste Schlussniodus
(Darapti) der dritten Figur heisst, würde der Beweis aus
der Sphärenvergleichung etwa so heissen : der Begriff Tugend
gehört zugleich der Sphäre des Lobenswerten und der Sphäre
des Nützlichen an , die beiden Sphären müssen also etwas
Gemeinsames haben, es inuss also einiges Nützliche lobens-
wert sein oder umgekehrt. Ich lasse beiseite, dass — wie
wir gesehen haben — der Mittelbegriff der Tugend gar
nicht gedacht wird, dass also bei einer eventuellen Sphären-
vergleichung das Gemeinsame der beiden Sphären gar nicht
zum Bewusstsein kommt. Ich will jedoch nur an das Falsche
des Bildes erinnern. Denkt man bei den beiden Begriffen
des Lobenswerten und des Nützlichen an den Inhalt, das
heisst an die wenigen BegrülinaBiMrlanale, so ISsst sich ttber-
banpt an eine geschlossene geometrische Figur nicht denken.
Man konnte dann hdehstras das Bild von Linien gebraucben,
die einen Punkt gemeinsam haben, was dann (wohlgemerkt)
immer nur ein Bild wSre. Denkt man nun an einen Um-
fang der beidoi Begriffe, das heisst an den Haufen Ton
Dingen oder Th&tigkeiten, die wir einerseitB durch den Be-
griff lobenswert, anderseits durch den Begriff nützlich xu-
sammenxttfassen pflegen, so ist dann für jeden einzehien
Begriff eine geschlossene geometrische Figur nicht gans so
sinnlos, ob^^ich mir das Büd Ton einer Kugel besser ge-
' fiele. Wie in aller Weit aber soll die sogenannte Seele
. dazu kommen, innerhalb ihres Gehirns die beiden Kugehi
oder Kreise mit einander zu Tergleichen, wenn diese Kugeln
oder Kreise nur Bilder des wirkfichen Sachverhalts sind.
Bilder sind Ja nur Erinnerungszeichen fllr das, was der
Bildner vorher gesehen hat. Findet er zwischen zwei Bil-
dern Aehnlichkeiten, die er vorher nicht gesehen hat, so
wird er den Bildern Airs erste misstrauen und erst nach
Yergleichung der wirUichen Originale auszuspredien wagen,
ob ^ese Aehnlichkeit ein Zufall sei oder nicht Ohne Be-
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422
V. Die Schlusafulgerung.
achtung der Originale gibt es keine Gewinheit, ohne Zuiück-
erinnerung an die allem Denken sn Chnuide liegenden
SumeseindrOeke k«nn es kmn ürtell, kein Schliessen, kein
Denken geben. Die Dinge und Tkitigkeiten, die wir Tom
Standpunkt anserae Interesses alle nOtelicfa nennen, liegen
doch im Gehirn nicht als Kugel oder Kreis wie in der Vor»
Stellung eines Mathematikers beisammen; ebensowenig liegen
die Thätigkeiten oder Handlungen, die wir von einem gaas
andern Standpunkt aus, Tom Standpunkte der Horal, lobens-
wert nennen, in unserem Oehim zu Kugeln oder Kreisen
geordnet da. Da ist irgendwo die Erinnerung an ein Ding
oder an eine Thätigkeit, die wir uns gewöhnt haben, sehr
schndl und sehr leicht mit dem abstrakten B^oprüF nützlich
zusammen auszusprechen; da sind Erinnerungen an Hand-
lungen an irgend ein Gehimteilchen geknfipft, die wir uns
gewöhnt haben, leicht und schnell mit dem abstrakten Be-
griff lobenswert zusammen zu denken oder auszusprechen.
Wird nun unsere Aufmerksamkeit zum erstenmale oder
wiederholt darauf gerichtet, ob es unserem Gehirn und seinen
Assoziationen leicht oder schwer fWt, die Begriffe lobens-
wert und nfltzlich zusammen zu denken oder auszusprechen,
so werden wohl im Gehirn zahllose Yersuchsmeldungen hin
und her ziehen, das Gedächtnis (ich mnss es in diesem
Augenblick wieder und zu meinem Schmerze mythologisch
gebrauchen) wird unter sdnen Erinnerungen diej«ugen
heraussuchen, die sich schnell und leicht sowohl mit dem
Abstraktum nützlich, als mit dem Abstraktum lobenswert
7.U vereinigen i ficgen, und wird dann, ohne Kreis und oluie
Kugel und ohne den eingeschriebenen kleineren Kreis „Tu-
gend", je nach Erfahrung, Stimmung, Unabhängigkeit und
Aufmerksamkeit dazu kommen, das Urteil auszuspredien
«einiges Nützliche ist lobenswert* oder am Ende gar das
neue lachende Urteil ,wir nennen das Nützliche immer
lobenswert" .
Nun aber haben wir früher, als zuerst von der Sphären -
Torgleichung die Rede war, erfahren, dass Aristoteles selbst
Ton diesen Eselsbrücken noch nichts wusste. Er hat die
Bedokdon.
428
Sphärenvergleiclmiig in vernünftigerer Form als ünter-
ordnun'jf der Begriffe nur bei der ersten Figur nntf^wandt,
hat darum auch nur diese erste Figur für voll genonunen
und die anderen Figuren nur insofern als wissenschattiich
bewiesen angesehen, als sie sich durch allerlei logische
Hilfsoj)erationen auf die erste Figur zurückführen liessen.
Wir haben eigentlich schon dieses ^nure Ht \\ nsverfahren
dadurch erledigt, dass wir die UDmitteibaren Schlüsse aus
Urteilen — aus welchen natürlich alle Hilfsoperationen der
aristotelischen Beweise bestehen — in ihrer Ohnmacht und
Wertlosigkeit aufzeigten. Wer mir bis hierher gefolgt
ist, muss auch von diesem Umwege aus dahin gelangen,
wenigstens die zweite, dritte und vierte Figur als unbewiesen
zu betrachten. In unserem bchalbeispiel aber ist es ganz
ergötzlich zu sehen, wohin die indirekte Beweisflihrung ge-
laufen w'iire. Die Scholastiker haben in die barbarischen
Namen der Schlussmodi auch schon den Gang dieser Be-
weLsreduktion hinübergeheimnist. Das p in Darapti deutet
— wenn ich nicht irre — darauf hin. dass man den Unter-
satz zu einem partikularen Urteil umkehren könne (ganz
nebenbei bemerke ich, dass die Geheimnisse dieser bar-
bwisehen Namen deshalb ganz unnütz und ganz tadelns-
wert sind, weil der denkende Kopf doch immer erst vorher
wissen mllsste, welche Besonderheiten seinen Schluss z. B.
unter Dsmpti einreihen, damit er diese selben Besonder-
heiten dann ans Darapti heraus chiffiriere). Aristoteles also,
der weiseste Mann in der Oesohiehte derPhikisophie, wttrde
unser Sehulbeispiel der dritten Figur auf ein Schulbeispiel
aus der ersten Figur znrQckgeftlhrt haben. Um su dem
Schlusssatse zn kommen, dass ei mg es Nfitsliehe lobenswert
sei, mUsste er Torher die Prämisse «jede Tugend ist ntttadich*
zn dem schönen, aber wohl noch niemals, seitdem die Welt
steht, in einem Menschengehim von selbst entstandenen TJr«
teil umformen «einiges Nützliche ist Tugend"; solche Ur-
teile bilden wir Oberhaupt nicht. So albern ist unsere
Sprache denn doch nicht. Wir sagen nicht: »einiges Blaue
ist Himmel, einiges Weisse ist Reisbrei*. Aber Aristoteles
V. Die Sehlimfolgeniiig.
musste es sagen, um beweiskraftig und triumphierend
scblio^scn zu köniien: „einiges Nützliche ist Tugend, alle
Tugeud ist lobenswert, also Lst einiges Nützliche lobenswert*.
Vierte 4. Jede Tugend ist lobenswert; alles Lobens-
werte ist nützlich; also ist einiges Nützliche eine
Tugend.
Der Leser wird es mit mir satt haben, diesen alten
Hausrat der Logik noch länger im einzelnen zu untersuchen.
Diese vierte Figur ist ohnehin der spät geborene Bastard
aus der Enkelschaft des Aristoteles. Wir wollen nur be-
merken, was aus dem V'oi Lei gesagte n kurz zu wiederholen
wäre. Der Obersatz ,jede Tugend ist lobenswert" ist uns
als gallertartige Tautologie bekannt. Der Schlusssatz, dass
einiges Nützliche eine Tugend sei, ist eben als eine durch-
aus künstliche Sprachrerrenkung erkannt worden. Aber
selbst diese Sprachverrenkung wird dem denkenden Menschen
früher einfallen, als die zweite Präraisse, aus der sie hervor-
gehen soll. ,Dass jedes Lobenswerte nützlich sei*", das ist
je nach dem Staudpunkt der betreiBfendeu Moral oder Re-
ligion ein gar zweifelhafter Satz, sofern er nicht von un-
moralischen und irreligiösen Denkern für einen tautologischen
Satz erklärt wird. Die Reduzierung auf die erste Figur
würde eine Reihe von Spraehrerr^ikinigeii nötig machen.
Es steht so schlimm um die Tierte Figur, dass man von
ihr nicht eiimnal das mft Bestimmtheit sagen kann, dass
ihr Schlnsssats den Pr&missm immer voraus gehe. Man
denkt überhaupt nicht in der vierten Figur. Bas wirkliche
Denken gewiss nicht, und auch dem Logiker bereitet sie
Schmerz.
Die Art jedoch, mit der unser Kerl im Wirtshaus sdme
bescheidene Welt in Begriffe bringt, wttrde sich unter der
Herrschaft der vier syllogistiscfaen Figpiren etwa folgender-
massen ausnehmen.
1. Jeder Eise ist ein Kas; Ohester steht unter Ease;
also muss Chestor ein Eas sein.
2. Eein Eise ist wohlriechend; die Rose ist woU-
rieehmd; also ist die Rose kein Eise.
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Ente ligar.
425
Teder Ohester ist gelb; jeder Ghester ist ein Eng-
länder; also sind einige Engländer gelb.
4. Jedes Wohlschmeckende lobt sich selbst; jedes Selbst-
lob stinkt; also ist elnigM Stinkende wohlschmeckend.
«
In verhältnismässig jungem Alter, beinahe 20 Jahre Ente
vor der Kritik der reinen Vernunft, hat Kant sich in einer
kleinen, überaus radikalen Schrift mit der Schullogik seiner
Zeit ausciiianrler zu setzen gesucht. Er hat später in seinen
Vorlesungen über Logik selbst arg verwässert, Avas er in
diesen zwei Druckbogen niedergelegt hatte , die den Titel
führen: ,Die falsche Spitzfindigkeit der virr >yllogistischen
Figuren erwiesen". Der Titel stimmt nicht ganz genau zu
dem Inhalt des öchntlchens. Eigentlich bewei-^t Kant nur,
dass die zweite, dritte und vierte Figur spitzhnnig und über-
flüssig der ersten Figur hinzugefügt seien. Im letzten Para-
graphen erst lässt er die Vermutung durchscheinen, dass
es auch mit dem W erte der ersten Figur nicht viel auf
sieb habe.
Wenn so Aristoteles, der Begründer unserer Schullogik,
und Kant, der Zertrümmerer aller Schulmetaphysik, darin
übereinstimmen, dass alle Schlussfiguren ihre Bedeutung
von der ersten Figur hernehmen, werde ich wohl in Folgen-
dem mich umsomehr begnügen dürfen, an die erste Figur
anzuknüpfen, was ich über diese Denkoperationen etwa noch
zu sagen habe. So will ich denn an dieser Stelle Kant ;il3
eine Autontiii citieren. Ich hoffe zu zeigen, wie nahe Kant
an meinen Grundgedanken heiiintritt und wie er ihn nur
d;iii:ni nicht mit Händen greift, weil er die Kniik der Ver-
nunlt üitiit als eine Kritik der Sprache fassen konnte. Wobei
ich nicht vergessen will zu erwähnen, dass kein Fachmann,
sondern nach Hamann erst wieder der Grübler Hebbel auf
diese Schwäche Kants hingewiesen hat. Er sagt (in einer
Besprechung des Schleicherschen Buch^ über die deutsche
Sprache): , Es ist bezeichnend, dass ein solcher Universal-
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426
7. Die Schliuafolgefimg.
köpf wie Kant. »Ipt kf»itien Stein auf dem andern liess und
jede Anschauuiii(, die er im menschlichen Gehirn antraf,
zum Begriffe zu verdünnen , jeden Begriff zur Anschauung
zu verdicken suchte, bei dem Medium, dessen er sich be-
diente, keinen Antrenblick verweilfe und die Sprache auch
nicht der flüchtigsten Prüfung unterzog."
Eant. Kant geht von der guten scholastischen Beobachtung
aus, dass ein Vemunftschluss die Vergleichnntr eines Merk-
mals mit seiner Sache vermittels eines Zwischeumerkmals
sei. Die allgemeinste Regel aller Veraunftschlüsse ist ihm
der Satz: ein Merkmal vom Merkmal ist ein Merkmal der
Sache seilet. Ist es z. B. ein Merkmal des Begriffs „Kör-
per", schvfer zu sein, uud nennt mau die Luft einen Körper,
so muss die Luft Schwere besitzen. Ganz scholaütisch blei))t
Kant darin, dass er die Unbeweisbarkeit dieses obersten
logischen thuridsatzes logisch zu beweisen sucht. Wir be-
merken sofort, dass dieser ganze Gedanke gar nicht der
Logik angehört, -^undern nur »'ine psychologischt- Thatsache
feststellt. Die niiinlich, dass wir uns bei jedem Wort oder
Begritt' je nach der Richtung der Aufmerksamkeit an seine
Teilvorstellungen erinnern.
Nun untt;rscheidet Kant zwischen reinen und ver-
mischten Vemunfbschlüssen. Reine Vemunftschlüsse sind
ihm diejenigen Syllogismen, die (wie eben reinlich nur bei
der ersten Figur) aus drei Urteilen bestehen; vermischte
YemunftschlOsse sind ihm diejenigen, bei denen die eine
oder andere FribmiBse ai^rflcklidb oder heimli<^ erst nocii
Terandert, zu einem Tierten Urteil umgedrdit werden muss,
damit der Bchlussaafas aus allein herroigehe. Darin besteht
eigentlieh Kants Beweis, das heisst also in der Unter-
scheidung zweier Arten und in der Verurtdlimg der einen.
Wenn ein Yemunftschluss iinmittelhar nach der obersten
Regel (eventaeU nach ihrer Anpassung an die vemeinenden
Schlosse) geführt wird, so ist es jederseit nach der ersten
Figur. Er beweist an recht sehr scholastiachen Beispielen,
dass die zweite und dritte Figur nur durch ZurUckftlhrttng
auf die erste eine logische Beweiskraft habe.
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Ktnt.
427
Kein Qeist ist teilbar,
alle Materie ist teilbar,
also: keine Materie ist ein Geist.
Kant lehrt — in Yollkotnmener üebereinstiramuüg mit
Aristoteles — , dass der Obersatz »kein Geist ist teilbar*
zuerst umgekehrt werden müsse in den Satz „nichts Teil-
bares ist ein Geist*, um aodann den Schlusssats nach der
ersten Figur zu ergeben.
Erst bei der vierten Figur wird Kant übermütig; er
spricht in dem Ton grimmigen Witzes, der ihm leider in
späterer Zeit immer mehr verloren gegangen ist. Der Syl-
logismus in dei" vierten Figur sei so uiiiMitOrlich, dass die
aus ihm abgeleitete Regel sehr dunkel und unverständlich
sein würde. Es sei schade um die Mühe, die sich ein
kluger Geist geben würde, an einer unnützen Sache bessern
zu wollen. »Man kann nur was Nützliches thun, wenn man
sie vornichtigt.'' Aber er versriirt es sich doch nicht, eine
geistieiche Verspottung der vierten sjUogistischen Figur zum
Besten zu geben.
Kein Dummer ist gelehrt,
einige Gelehi-te sind fromm.
Aus diesen beiden Prämif?sen ergebe sich unmittelbar
gar nichts; man muss beide erst zurecht rücken, man muss
sagen:
kein Gelehrter ist dumm,
einige Fromme sind gelehrt,
um nach der ersten Figur zu dem köstlichen Schlusssatz
zu kommen:
einitre Fromme sind nicht dumm.
Kaut luhnt den Einwand ab , dass die drei andern
Figuren höchstens unnütz, nicht aber lalsch seien. Dabei
muss er freilich gegen seine bessere Ahnung von dem hohen
Werte der ersten Figur und der Logik überhaupt ausgehen.
Die Logik bringe alles auf die einfachste Erkenntnisart;
die komplizierten Regeln mUssten „bei diesen Seitensprüngen
sich selbst ein Bein unterschlagen'*. Die sogenannten Modi
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428
V. Die Sofalosafolgwaqg.
((!ie emzehien Schlussweisen . die in den bf-kaimten bar-
barischen Gedächtnisversen gelernt werden) ,v, ( r 1< n küntti*^-
hin eine schätzbare SeUonlieit von der DenkutiL'"?art de«
menschlichen Verstund • - i iitlmlten, wenn dereinst der eiir-
wUrdij^e Rost des Altertums einer besser unterwiesenen
Niicbkomnienschatt die emsigen und vergeblichen Be-
mühungen ihrer Vorfahren an diesen Ueberbleibsela wird
bewundem und bedauern lehren*.
Hier vergisst Kant schon die Verteidigung der ersten
Figur, die er vielleicht — wie öfter in seinem Leben —
nur aus Vorsicht f^escbont hat. Er vergleicht alle Schluss-
weisen mit dem Schachbrettspiel; wer sich über das Her-
vorgehen des Schlusssatzes wundere, der scheint ihui nu ht
klüger, als einer, der mit einem Anagiiuiirn spielt. Kaut
wagt nicht zu glauben, ..dass die Arbeit von einigen Stunden
vermögend sein werde, den Koloss umzustürzen, der sein
Haupt in die Wolken des Altircums verbirgt und dessen
Füsse von Thon sind\ Der ganze logische Koloss sei be-
sonders in einem gelehrten Wortwechsel brauchbar, der aber
doch mehr zur „Athletik der Gelehrten" gehöre.
Wie gering aber Kant von der Logik Uberhaupt dacbte,
kommt doch erst im Schlussparagraphen heraus, wo er fast
ohne Zusammenhang seine letzten Gedanken hinwirft. lek
glaube eino Stelle ganz und gar ftlr mich m Anspruch
nehmen zu dttrfen. «Ich sage demnach enÜkih: daaa dn
deutlicher BegrifF nur durch ein ürtdl, ein Tolbtändiger
aber nicht anders, als durch einen Yenranftachluas möglidi
sei. Es wird nSmlich zu einem deutlichen Begriff erfordert,
dass idi etwas als ein Merkmal eines Dings klar erkenne;
dieses aber ist ein Urteil. Um einen deutlichen Begriff
▼om Körper zu haben, stelle ich mir die Undurchdringlich-
keit als ein Merkmal desselben klar Tor. Diese Vorstellung
ist aber nichts anderes, als der Gedanke: ein Kdrper irt
undurchdringlich." Er tadelt es daher, dass in der gewShn*
liehen Logik die Lehre vom Begriff früher als die Lehre
▼om Urteil und vom Syllogismus abgehandelt werde. Zwei-
tens aber bemerirt Kant — was er leider in seinen spatem und
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Schopenhauer«
429
ab<p'üiidigeii Schriften vollifi^ wieder vergessen hat — ,
dass es ein und diesell)e Grundkraft der Seele sein müsse,
die den dentlirhen und den ToUständiiXfU Begriff, also in
unserer S]>iacb.e das Urteil und den Scliluss vollzieht, dass
also Verstand und Vernunft ein und dasselbe Vermögen zu
Urteilen seien. Dieses weit über seine Zeit hinausgreifende
Apercu wendet Kant sofort sehr unjjlOcklich auf den Unter-
schied von Menschen und Tieren an, während es gerade
geeignet gewesen würe, die Armut dieses Unterschiedes
aulzudecken. Aber gross und einfach nenut Kant gerade
in diesem Augenblicke seine Lehre stolz bescheiden seine
«jetzige Meinung".
Dieses Ergebnis von wenigen Stunden Kants hat seh n t - schopen-
sinnigen Menschen schon viel Kopfzerbrechen gemacht.
Schopenhauer (Welt als Wille und Vorstellung 11. 1. B.
10. Kapitel) bemüht sich sehr geistreich, sowohl die Scholastik
als Aristoteles zu Ehren zu bringen. Er opfert die vierte
Figur, um die zweite und dritte retten zu können. Seltsam
ist es, dass er nach der Hauptsache, ob nänüich aus der
Schlussfolgerung etwas Neues hervorgehe, nur , beiläufig*
fragt. Ur beliftQptet es, wenn auch nur gewissermassen. Z. B.
Alle Diainftiiien sind Steine,
aQe Dianumten nnd Terbrennlieli,
also: sind einige Sterne Terbrennlich.
Dieses Ergebnis imponiert ihm. Scbopenbauer bemerkt
nidit, dass an der neuen Beobaehtung der Chemie (dass
ninüich Diamanten reiner Kohlenstoff und darum Terbrenn-
lich seien) vom ersten Augenblicke an gerade der Umstand
das foteressanteste gewesen ist, dass die Kohle in der Form
erscheinen kann, die man sonst Stein genannt hat, dass also
die neue Beobachtung der Chemie eine Bereicherung und
Verschftrfung der Sprache war, dass aber in dem sdiftrferen
und reicheren Begriff «Diamant* dann die beiden PHkmissen
mitsamt dem Schlusssatse schon enthalten waren.
Wie scholastiseh Sdiopenhaner von der Logik denkt,
das Terrftt er weiter in seiner bilderreichen Sprache. Er
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430
V. Die Sohiuaifolgeruiig.
kann es sich gar nicht anders vorstellen, als dass die i'ra-
missen sich im Gehirn ganz brav und schulgerecht ver-
halten, wie iiu Lihrbuch des Logikers; alle Urteile, die wir
aufgespeichert haben, werden nach ihm so lange gleichsam
durcheinander geschüttelt, bis endlich der luihte Obersatz
auf den rechten Untersatz triift, „wo diese alsbald sich ge-
hörig stelkn". Noch krasser heinahe wird der Gegensatz
dieser Anschauung zu meiner Lehre, wenn Schopenhauer
fortfuhrt: ,das8 der Syllogismus im Gedankengange
selbst besteht, die Worte und Sätze aber, durch welche
man ihn ausdrückt, bloss die nachgebliebene Spur deaselben
bezeichne; sie verhalten sich zu ihm, wie die Elangfiguren
aus Sand zu den Tönen, deren Vibration sie darstellen*.
Schopenhauer bedeutet aber darum als Logiker einen be-
daueriiehen RHeksdnitt gegen jenes kantisebe Sebriftcben,
weil er den Beweis durch 9phSrenvergleichung bewundert
und das Zurückgehen auf die Begriffe selbst gar nicht ge-
fasst zu haben scheint. Er hat sehr viel Hochachtung vor
den Urteilen, welche bei ihm als eine Art yon TrapezkOnsÜem
erscheinen, die sich geschickt aneinander hSngen und bei
deren Schlussgruppe yon den Zusdiauem applaudiert wer-
den muss.
Die ünsidierheit Kants, der sich eigentlich gegen die
gesamte Logik empört, im Einzelnen aber nur die zweite
bis vierte Schlussfigur als unnQtz, spitzfindig, falsch hin-
stellt, diese Unsicherheit hat seine Gegner die Bedeutung
der kleinen Schrift Ubersehen lassen. Und so glaubte Ueber-
weg (Logik, 5. Auflage, S. 343) leichtes Spiel zu haben.
Er wirft Ktoit einfach Tor, dass die ZurQckfÜhrung der ge-
tadelten Schlussfiguren auf die einfache erste Figur den
andern nichts von ihrer Beweiskraft nehme, «ebensowenig,
wie ein mathematischer Satz dadurch, dass sein Beweis
sich auf die früher bewiesenoi Satze gründen muss, not-
wendig zu einem unselbständigen Oorollar derselben herab-
nnkt*. Wieder wird hier die scheinbare Analogie zwischen
Logik und Hathematik zu Hilfe gerufen. Wieder wird
vergessen, dass die Zahlen und Formen der Mathematik
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Schopenhauer.
431
ftJr diese Wissenschaft genau die gleiche reale Unterlage
bilden, wie für die Naturwissenschaften die wirklichen
Dinge und Vorgänge der Natur. Der Pythagoreische Lehr-
satz verhält sich zu den Quadrat t u über den Seiten des
Rechtecks nicht wie eine logische Kegel zu ihrer An-
wendung, sondern wie der Begriff Schwerkraft zu den Er-
scheinungen der Schwerkraft. Der Pythagoreische Lehrsate
ist eine in Worten ausgedrückte Zusammenfassung einer
Thatsache, wie der Begriff Schwerkraft ein zusammen-
fassendes Wort ist. Aus der Wahrheit und Notwendigkeit
maihematischer Sätze kann also für die Logik ebensowenig
bewiem werden, wie ans der Riclifei(^ceit und psycho-
logischen Notwendigkdt der Begriffe Metall, Hund, Planet
imd dergleichen. Ob unsere Gedanken Aber Planeten, Me-
talle, Hunde und die Besehung der Dreieckseiten ans Be-
obachtungen direkt entstehen oder ans logiscfaen Regeln,
darum handelt es sich, nicht darum, ob die logischen Re-
geln &u8serlich den mathematischen Beobachtungen nach-
geahmt werden.
Der Vergleich Schopenhauers, der des sprachlichen
Ausdrucks der Denkopwationen mit dm Ghladnisdien Klang-
figuren aus Sand, ist geistreich wie gewöhnlich; hfttte
Schopenhauer aber bemerkt, dass das Bild mehr war als
ein Vergleich, so bitte er seine scholastische Logik nicht
aufrecht erhalten. Und hätte Eant die Elangfiguren der
Sprache durchschaut, so hätte er auf seinem schon
damals su der ESrkomtnis kommen müssen : unser gesamtes
Benken sei unlogisch, sei nur Sprache oder Erinnerung an
Sinneseindrflcke, alle Denkoperationen seien nur eine auf-
merksame Besinnui^ innerhalb unserttr Erinnerungen. Das
ist ja eben die Lehre der neueren Naturwissenschaft, dass
es in der WirUichkeitswelt nur Bewegungen gebe, und dass
es für die Wirklidikeitswelt ganz gldchgttltig sei, ob unsere
Augen die Bewegungen als Sandfigur, ob unsere Ohren sie
als Klang wahrnehmen. Hit einiger Phantasie kann ich
mir eine Sprache ausdenken, welche durch den erregten
Klang die Sandfigur beseichnet. Dann besässen wir flSr
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482
V. Die ächiasafolgerung.
«Uten Ueinen Bdsirk mathttutisdier F^nnm fOBB natür-
liebe Sprache. Käme dann hinterher ein Naturforscher und
wtirde sich hSchlich darüber wundem, dass die Vibrationen
des Klanges im Ohre dieselben seien, wie die Vibrationen
der Metallplatten, auf denen die hervorgerufenen Sand-
figuren entstanden sind, so wäre er ebenso unweise, wie
Schopenbaner war, da er den Gedankengang Ton seinem
sprachlichen Ausdruck unterschied.
IM« mag' Zu den feinsten Denkfibungen der Logiker gehört ihre
Bobhu»- mAibematische Berechnung der Anzahl aller ma^^icben
w«iB«A. Sehlussweisen. Sie haben ihre vier Schlussfiguren auf-
gestellt. In jeder Figur gibt es zwei Prämissen, Ton denen
jede wieder Qe nachdem sie allgemein oder partikular, be-
jahend oder TCmeinend ist) eine Tierfsdhe Verftnderung lu*
lasst^ Beide Prftmissen lassen also nach den mathematischen
R^ieln der Kombination zusammen 16 Veränderungen su.
Danach mUsste es im ganzen bei allen vier Figuren 4mal
16 oder 64 Schlussweisen geben. Nachträglich wird dann
wieder bewiesen, dass Ton diesen 64 ausgerechneten Schluss-
weisen beinahe die ffiilfte nicht existiert
Dieses Vorgehen der Logiker en^flUt uns seine ganze
Wertlosigkeit, wenn wir uns vorstellen, dn NatorÜiHrsdier
hätte in ähnlicher Weise die Arten der Thiere klassifiziert
Er hätte zuerst durch alle möglichen Permutationen und
Kombinationen der tiemchen Gliedmassen unzählige Arten
(z. B. vierfUssige Enten, mit Flossen versehene Katzen,
schlangenartige Bienen, Schmetterlingslöwen u. s. w.) auf-
gestellt, und käme nachher mit dem Zugeständnis, dass nur
ein Teil dieser Kombinationen in der Welt der Wirklich-
keit vorhanden sei. Und ich bin nicht ganz sicher, ob die
deutschen „Vollender" des Darwinismus nicht ein ähnliches
logisches Verfahren thatsächlich eingeschlagen haben, um
aus einer starken Hypothese ein schwaches System zu
machen.
Wir würden uns mit diesen Spielereien gar nicht auf-
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G6icbe de« BehlieMeiw.
488
halten, wenn d'v^ Logiker nicht auf diesem Wege zu einigen
berühmten Entdeckungen gekommen wären, die sie die ail-
gemeiuen Gesetze des Schliessens nennen. Mit diesen müssen
wir uns kurz befassen.
Vnrher aber möchte ich ein für allem fil l *emerken, dass
die LTi ammatikalische Form der Prämissen mich aufmemem
Standpunkte nicht das mindeste angeht.
£s ist ja richtig, dass die Becfriffsvergleichung nach
unserem Sprachgebrauch am bequemsten vor sich geht,
wenn sie sich in substantivische Sätze kleiden lässt. „Alle
Metalle sind Körper; Eisen ist ein Metall; also ist Eisen
ein Körper." Das ist dumm und bequem wie eine Rechen-
maschine fUr Kinder. Sobald das Prädikat einer oder beider
Prämissen ein Adjektiv oder ein Verhura wird (z. B. alle
Metalle sind schwer, oder alle Metalle wirken so und so),
leidet der Beweis des Schliessens durch Sphärenvergleichung
an bedenklichen Unklarheiten. Trendelenburg hat auf diese
sprachlichen Unterschiede (die dann viel gelehrter Sub-
sumtion und Tnhärenz heissen) grossen Scharfsinn verwandt.
Da W H über Sprachen kennen, die von einem Unterscliiede
zwischen Nomen, Verbuni und Adjektiv nicht viel wissen,
und da die Chinesen z. B. trotzdem nicht unlogischer denken
als wir, so können wir diese Lokalangelegenheit der so-
genaualeu ludo-europäischen Menschheit auf sich beruhen
lassen.
Was nun die allgemeinen Gesetze des Schliessens an-
langt, so lautet das erste: es lasse sich aus bloss ver-
neinenden Prämissen kein gültiger Schluss ziehen. Man hat
diesen Satz mit Hilfe der Sphärenvergleichung, also darch
ein fUschM Bild, xu beweisen gesucht; und wieder hftben
besonders spifaefindige Scbolsstiker die Allgemeingültigkeit
des Sstses bestritten. Für uns liegt die Seche so, dass wir
die Regel nicbt bnuiehen, weil noch niemals, sdtdem es
Menschengehime gibt, irgend eines auf den Torsweifelten
Einfall gekommen ist, blosse Negationen miteinander ver-
gleichen SU wollen. ^Eein Komet ist ein £tee und ein
Hund ist kein Komet*, das associiert sich nicht in unserem
lla«tba«r, B«itrls« sn «Intr Kritik dtr Spnohe. m. 28
434
Y. Die SchloMfolganiiig.
Gehirn. Wir wissen, dass sowohl die Urteile, die wir Prä-
missen nennen, als dasjenige Urteil, das wir Schlusssatz
nennen, schon im Begriff selbst vorhanden war. Wo die
Negation des Schlusses überhaupt einen Sinn hat, also im
Bef^riff schon enthalten ist , da ist der negative Ausdruck
ein Zufall der Spraelit, der mit der Wirklichkeit nichts zu
schaffen hat. Es gibt in der Wirklichkeitswelt keine Ne-
gation; die Logik nur, weil sie missverstandeue Grammatik
ist, muss sich damit abquälen.
Womöglich noch überflüssiger ist für unseren Stand-
punkt das zweite Gesetz des Schliessens, dass nämlich aus
swei partikiilaren Prämissen kein gültiger Schluss folge.
,SSmg« Hmide sind sekwan, dnige Hunde smd weisB.*
Es schebt mir im Wesen der psychologischen Begrii5&^
bEdung zu liegen, dass bei der Urteilsrergleichung min-
destens das eine derselben ein sogenanntes allgemeinea
Urteil sein mOsse. Ich muss mich wiederholen. Der Sehlnas-
satz mitsamt den Prämissen ist im Begriff schon enthalten.
Ein Begriff oder ein Wort entsteht aber noch gar nicht,
solange nicht alle Dinge einer Art durch das betreffimde
Merkmal zusammengefasst werden. Die Allgemeinheit des
TTrteik gehört zum «Wesen* des Begriffs, So gehdrt zum
Wesen des Begriffs Hund die Art seines Gebisses wesent*
lieh; alle Hunde haben dieses Gebiss und kein anderes* Die
Farbe aber gehört nicht zu dem Begriff Hund; und darum
liegt in der Aufmerksamkeit auf die Farbe (»eiuige Hunde
sind weiss*) auch nicht die Bildung eines neuen Begiiflb.
So wie aber die Laune der Sprache oder das Interease einer
Menschengruppe die Farbe eines Tiers zum Merkmal einer
besonderen Art, eines Begrilb oder eines Wortes macht,
verwandelt sich das partikulare Urteil in ein allgemeines
(z. B. xalle Schimmel sind weiss, alle Rappen sind schwarz*)
und der Begriff kann sofort in Prämissen und Schlussfolge»
rung auseinander gelegt werden.
Das wirkliche Denken geht noch weittt'. AUe soge-
nannten InduktionssdilOsse sind ja Schlüsse aus partikularen
Urteilen. Die Bemerkung gehdrt nicht hierher, aber sie
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GeietM des Schlieneiu.
485
wirft ihr Licht vielleicht auf das ganze verkehrte Treiben
der Logik. Wenn die Prämissen mitsamt der Schluss-
folgerung schon ira Begriff mit eingeschlo';sen sind (und
das wis5?en wir), und wenn der Tndnktionsscbluss aus par-
tikularen Urteilen der BegriÖsbildung vorausgeht, so stellen
sich die tbatsächlichen GehirnvorgängF dem Schlussgesetze,
,es folge nichts aus partikularen Urteilen" mit der bessern
Wainlieir gegenüber: all unser Denken folgt aus parti-
kulaifi! Urteilen.
Das dritte Gesetz der Schlussweisen ist eine Ver-
mischung der beiden ersten Gesetze und man wird es mir
nach dem Vorancregangenen glauben, dass ein Nachweis
seiner Ueberftüssigkeit sich nicht verlohnt.
Mit Hilfe dieser drei Gesetze haben die Logiker kunst-
reich die Zahl von 64 ausgerechneten Schlussweisen auf 32
reduziert, um nachher auch diese Zahl als falsch nachzu-
weisen. Wir wollen uns mit diesen kindischen Freuden der
Logik nicht länger befassen. Wir wissen jetzt noch gründ-
licher als früher, dass die syllogistischen Formen ein ganz
falsches Büd von den wirklichen öehirnvorgängen geben
und dass dieser gaiue Stolz der logischen Disziplin den
einen Fehler hat: nicht psychologisch zu sein. Und nur
darum, weil die besten Köpfe des Altertums und der Neu-
zeit sämtliche syllogistische Figuren yertrauensvoll auf die
erste Figur zurttckgeflihrt haben, und weil die ▼mt Scblusts-
weisen (Bfodi) der enton Figur für den Sdmlenrershuid den
besteehenden Reiz einer bequemen Eeelsbriicke bie^, wollen
wir noch ein übriges tbun und die vier Scblnssweisen der
ersten Figur noeli dnen Augenblick betrachten.
Ich will aber dodi lieber ganz SelbstTerstiadliclies auf
die Qefalir der Breite noch einmal sagen, als den Vertei-
digern der Logik eine Lflcke lassen. Ich will also hier
noch einmal den Eänwand ablehnen, als h&tton, wenn schon
die einaeben Schlussweisen wertlos sind, Tielleicht die eben
angemkrten obersten Schlnssgesetse irgend eben Nutzen
ftlr das menschliche Denken. Sie sind wohl zu unterscheiden
Ton den viel Tomehmeren, frOher behandelten obevsten
436 V. Di« Sciauasfolgeruiig.
Dcuk^esetzen. Diese haben wir in allen ihreu Verkleidungen
als urmsclige Tautologien heraus erkannt. Was könnten
auch Gesetze des Denkens, das heisst Abstraktionen von
Sprache, anderes sein?
Die eben behandelten obersten Gesetze des Erschlies-
sens sind also noch weniger, denn wenn sich der bildliche
Ausdruck Gesetz noch halbwegs auf das Denken anwenden
lässt oder die Sprache, muss er jeden Sinn verlieren in seiner
Anwendung auf etwas Nichtvorhandenes , auf das vorgeb-
liche ErschUesseii. Der Mensch kommt gar nicht in die
Lage, sich heim wirklichen Gehimgebrauch zu fragen, ob
aus rein negativen oder rein partikularen Urteilen irgend
^ Salz mit logische Kotwendigkeü hemugehe. Diese
obersten SeUussgesetKe haben auf der Welt keinen anderen
Zweck als den, ganz sehwache SchulmeisteffcOpfe darflber
SU beruhigent dass nicht sSrntliche durch Kombination aus-
gerechnete Schlnssweisen mit logischen Schulbeispielen be-
legt werden kOnnen« Noch einmal: wir denken nicht in
Urteilen, sondern in Begriffen; Begriffe (wohl freilidi Worte)
sind ihrem Wesen nadi weder n^fatiT nodi partikular.
Selbst dann aber, wenn es von Kufaeen wire, sich
beim Denken die BegriffiB in Urteile auseinander su legen,
wie man beim Essen die Stocke aerschn^det, selbst dann
wären die obersten Gesetze des Schlieesens das bisschen Ge-
hirn nicht wert, das auf sie Terwandt worden ist.
Es lisst sich nftmlich einem Urteil ohne weiteres gar
nicht anhören, ob es negativ, ob es partikular sei oder nicht.
Lftngst 8<dion mussten die Logiker zugeben, dass Urtdle
Uber einzelne Personen Allgemdnurteile seien. Homer, Bis-
marck bedeuten der Zahl nach nodi weniger als «eiuige
Menschen* und bilden doch Subjekte von sllgemeinen Ur^
teilen. Die Sprache hat dafür ihren Ausdm^ gefunden,
indem sie sie Eigennamen nennt. Ob aber Individuen E^en-
namen tragen oder nicht, htngt von unserem Interesse ab.
Wir geben einzelnen Haustieren Eigennamen, selten aber
einzelnen Tieren aus einer Herde. Fast niemals geben wir
einem Fflanzenindividuum em&i Eigennamen. Aber auch
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Geietase dm Sehlieauns.
437
das kommt mitunter ror, wie z. B. die Lutiiereiehe, die
«eiuMme PiRppel* und d«r|^ieheii. Oenav so steht es mit
Gnippenbezeichnimgeii. Wir tremien die Yölkerraasen nacli
ihren Farben, bisher aber noch nicht x. B. die Deutschen
nach ihrer Haarfarbe. Noch ist es ein partikuUures Urteil,
wenn ich sage , einige Deutsche sind blond*. Man kann
sich aber ein Weitergehen einer Bewegung TorsteUen, in
welcher die blonden Deutschen einen besonderen Namen
erhielten, z. B. Oermnnen, mid dann hätten wir das all-
gemeine Urteil ^die Germanen sind blond". Ohne Gnade
muss man bei der Untersuchung, ob ein Urteil partikular
sei oder nicht, auf das Wort surOckgehen, auf die psycho*
logische BegriiFsbildung.
Ebenso steht es mit der Negation, die sich dann ge-
wöhnlich auf das Prädikat bezieht Immer müssen wir auf
den Begriff zurückgehen, wa zu erfahren, ob der negatire
sprachliche Ausdruck eine wirkliche Negation enthalte oder
nicht. , Homer war blind." — , Homer konnte nicht sehen."
Diese Sätze müssten logisch ganz verschieden behandelt
werden, je nach ihrem sprachlichen Ausdruck, was doch
dem wirklichen Denken nicht einfallt.
Ich will den Leser nicht mit dem Beweise langweilen,
der uns lehren soll, warum in der ersten Schlussfigur an-
statt der ausgerechneten sechzehn Einzelweisen oder Moden
und sogar anstatt der nach den allgemeinen Schhissregehi
übrig gebliebenen acht Einzehveisen doch nur vier Übrig
bleiben, die unt^r ihren barhari'^rhen Namen im Gebrauch
sind. Es genüge die Erinnerung, dass diese vier Moden
(Modi) in den Ged'achtnisversen Barbara, Celarcnt, Darii,
Ferio heissen und dass in diesen an sich vollkommen sinn-
losen Buchstabenzusammenstellungen für den Kenner und
Liebhaber all ihre Weisheit auKjTedi üi kt i^t. Die Anfanpfs-
bncbstaben geben (nach d? i lu iliniiolge der Konsonanten
des Alphfibpts) ihre Ii* ili, fi'nlLn iiü Svstem. In den Vo-
kalen aber steckt die tu tstf W eisheit der Logik, da immer
drei Vokale da sind , die die Qualität und Quantität der
Prämissen und des Schlusssatzes unzweifelhaft angeben.
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488
y. Die Sdilnarfölgenuig.
Ein Kurzwurenhändler, der auf ein Schubfach mit Knöpfen
den Buchstaben K, auf ein Schubfach mit Nadeln den Buch-
staben N geklebt hat und dann hinter df»ni Buchstaben K
mit freudigem Stolze wirklich KiiTtpfo findrt uii i nicht Nadeln,
■\v;ire ebenso weise. Und hat er gar unter dem Buchstaben K
erneu heimlichen Vermerk liber die Preise soiTier Knöpfe
angebracht, so ist die Aehuüchkeit ganz vollkommen.
Barbara. l. Barbara.
„.Icder Kiis - ist ein Kas,
jeder ehester ist em Käse,
also muss Chester ein Kas sein':
das ist ein Musterbeispiel des ersten bchlussmudus, der
selbst wieder alle andern Schlussniodeu an Wert, au Ver-
wendbarkeit, uu Häufigkeit so sehr übei-treflfen soll, dass
der einfache Mensch eigentlich überhaupt, wie unser Hans-
wurst, nur in Barbara dejikt. Die drei anderen Moden der
ersten Figur haben unter ihren Prämissen entweder ein
negatives oder ein partikulares Urteil, oder gar beide. Die
andern drei Moden der ersten Figur haben es also nach
meiner Darstellung gar nicht luit vorstellbaren Begriffen zu
thun; sie haben aber auch nach der Auffassung der Logiker
durch die Hereiuziehung der Negation und des Teils nicht
mehr die überwältigende Kraft und Schönheit des ersten
Schlussuiodus. Der erste Schlussmodus ist in seinem einleuch-
tenden Dreitakt lieblich wie ein Wiener Waker, und jeder
Schuljunge glaubt ihn tanzen zu können, wenn er ihn ein-
mal gehört hat. «Jeder Hund ist ein Säugetier; jeder
F^del ist ein Hund; ako ist jeder Pudel ein Slag«tier*;
das ist pudelnsrrisch einfach. So einfach hat sidi der
Junge die Logik gar nicht gedadit. Es ist fiwt dumm.
Ahw es kann einfach hkihen und dabei doch interessant
werden. «Jeder Mensch kann irren; der Herr Lehrer ist
ein Mensch; der Herr Lehrer kann also irren.* Und dann
begibt man sich mit Barbara auf das Gebiet der Meia^
physik. «Jedes Geistige ist ein&di; die Seele ist ein Gei-
stiges; ako ist die Seele ein&ch.*
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439
Yfir wissen, dass in allen dief^en Beispielen der Schiuss-
satz — wenn wir ihn überhaupt denken — schon TW den
Prämissen in unserem Gehirn war. Wir wissen noch ge-
nauer, dass der Schlusssatz mitsamt den Prämissen, dass
also das Prädikat des Schlusssatzes mitsamt dem Mittel-
begriff schon im Subjekt des Sclilusssatzes enthalten war,
für den wenigstens, der dieses Wort in seinem Sprachschatz
wirklich besitzt. , Pudel" ist für jedermann ein Hund und
ein Säugetier. Irrtum ist menschHch. Und wenn die Sache
anders aussiebt, sobald Barbara zu philosophieren anfangt,
so liegt das nur daran, dass wir die Bogriffe eben nicht in
unserem wirklichen Sprachschatz hatten. Was 1 ein Pudel?
Was ist einfacb? Was ist geistig? Was ist Seele?
Da aber die Scblussmode Namens Barbara in der That
genau mit dem zusammenfällt, was wir als Aufmerksam-
werden auf die Merkmale unserer Begriffe (also der Worte
unsrer Sprache und ihres Sprachschatzes i kenneu gelernt
haben, so wäre es doch möglich, dass dieser erste Schlu.ss-
modus uns beim Denken bequem oder behilflich sein konnte,
wenn wir auch aus allgemeinen Gründen gewiss smd,
dass sich auch aus Barbara nichts Neues erschliessen lassen
werde. Auch Barbara muss unfruchtbar sein. Aber sie ist
vielleicht angenehm und nur darum woUen wir sie näher
betrachten.
Es scheint wirklich so, als ob der erste Schlussmodus
am ehesten dem wirklichen Vorgang in unserem Uehirn
entspräche. Wir haben in unserem Sprachschatz einen Be-
grÜl, z. B. den Begnü l'udel. Richten wir aus irgend einem
Grunde unsere Aufmerksamkeit darauf, dass wir verschiedene
ähnliche Tiergruppeu unter gewissen Merkmalen zusammen
Hunde nennen, so kommen wir ohne weiteres zu der aus-
einander gelegten Vorstellung oder dem Urteil «jeder Pudel
ist ein Hund* ; und richten wir femer unsere Aufmerksam-
keit darauf, dass wir diese weiteren Tiergruppen unter dem
schon recht abstrakten Kamen Säugetier zusammenfassen,
80 kommen wir wieder ohne weiteres zu dem Schlusssatze
„der Pudel ist ein Säugetier*. Qona dasssUve meint ja
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440
V. Die SchliMtfolgeniBg.
eigentlich auch die erste S( hlussrejifel , wenn sie sagt : das
Prädikat eines Priidikats kann ich auch seinem Subjekte
brih i^en; ist der Hund ein Säupetier und der Pudel ein
Hund, so ist der Pudel ein Säugetier. Es könnte scheinen,
als ob wirklich die??e logisclie Klarlioit ü(^m Denken zu gute
käme, weil wir dabei einen Augenblick vom Ausganu^sl n^ijriff
, Pudel* ganz absehen, um so unsere volle Autraerksam-
keit auf das oberste Prädikat zu lenken, auf -Säugetier*.
Zugegeben (könnte man mir sagen), der Gedankengang
sei minimal, sei kindisch, aber ein Gedankengang sei
doch vorhanden und beim Gange komme man weiter, man
schieite vom Ursprungsbegriff zu einem entfernteren Prä-
dikat fort.
Das aber ist es , was ich endlich und von Anfang an
leugne. Immer und fest muss unserem Denken der Begriff
und seine Entstehung in unserem Gehirn gegenwärtig sein,
muss ganz barial dem Sprachgebrauche gehorcht werden,
wenn wir uns beim Schlusssatz dasjenige vorstellen wollen,
Avas er allein und ausschliesslich sagen kann. Im Geschwätz
dti Leute und der Philosophen ist das freilich nicht der Fall.
Im Geschwätz der Leute und der Philosophen rUckt das
Denken allerdings vom vorstellbaren Begriff langsam fort,
aber nur, um eben nach dem Verlust der YorsteUlMurkett
sich ins Bodenlose zu Terlieren. Wer einen logisch gefun-
denen SatB ehrlich gelMrauchen wül, miifls ihn immer ersi
wieder Eum Torstellbareii Begriff Eurttckrerfolgen. Die ganze
logische Denkoperation ist umMst gewesen.
Wir können das an Barbara sehr deutlich anizeigen.
Zuerst in einer allgemeinen Betrachtung. Es kann
„ ""'^^ nimlich erstens der Ifittelbegiiff wirklich so zwischen Sub-
gtiwMflh. jdst und PHMikat des Schlusssatzes stehen, dass er daa
PAdikat des ersten und das Subjekt des zweiten ist, er
kann zweitens eine Tautologie zum Subjekt des Sehluss-
satces, er kann drittens eine Tautologie zum PriUlikat des
Schlusflsatzes bilden und er kann viertens mit dem Subjekt
und FHidikat des Schlusssatzes zu einer einzigen Tautologie
zusammenfallen. Ich muss, will ich ein Beispiel geben.
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SoUa« und Spnbhgebraacb.
441
aller ding'- <lie Weltanschauungen Terachiedener Menschen zu
Hilfe nehmen.
a) Alle Menschen sind Urgamsmen; alle Organismen
sind sterblich; also sind alle Menschen sterblich.
Vtl Alle Menschen sind lebcndicfe Menschen: alle leb*
digen Menschen sind sterbhch; aläo sind alle Menschen
sterblich.
c) Alle Mensrhen sind endliche Wesen: aiU ♦ ndlichen
Wesen siud srrrtilirh: also sind alle Menschen bi-eibiich.
d) Alle Menschen sind Staubgeborene; alle Staubge-
borenen sind sterbhch; also sind alle Menschen sterblich.
Um mein Beispiel kkr zu verstehen , rauss man sich
vorstellen, dass der erste SjUogismns z. B. von einem Natur-
forscher eernacht wäre, dem man entgegen gehalten hat,
dass Barbarossa nach der Legende immer noch lebe, und
der die Möglichkeit dieser Annahme entkräften will. Der
zweite Syllogismus soll von einem Soldaten gemacht worden
sein, dem ein Gespenst um Mitternacht entgegen tritt und
der sich's zum Bewusstsein bringen will, dass alle Menschen
lebendige Menschen seien, dass es keine gespenstischen
Menschen gebe, dass also auch sein Gespenst einen Pistolen-
schuss fühlen werde. Der dritte Syllogismus ist von einem
Theologen gemacht worden, der an unendliche Wesen glaubt
und der sich oder anderen den Unterschied zwischen den
Menschen und solchen unendlichen Wesen klar machen will«
um nachher meiiieiwegen die Unsterblichkeit nach dem Tode
zu behaupten. Der Tierte Syllogismus, der freOich der
Gipfel der Tautologie ist, wird wohl kaum anders als Ton
einem IHehter vollzogt worden sein, der sich aus irgend-*
welchem Chrusde die Bedeutung seiner Phrase ,dte sterh*
liehen Hensdien* klar machen woUte* (Doch finde ich diesen
Qipfel der Tautologie audh als mathematisches Schulbeispiel,
wenn geschlossen wird: alle Dreiecke mit entsprechenden
SelienTerhSUniBsen sind Dreiecke miientsprechenden Winkeln;
alle Dreiecke mit entsprechenden Winkeln sind ähnliche Drei-
ecke; folglieh sind alle Dreiecke mit entsprechenden Seiten-
▼erhSUnissen ähnliche Dreiecke.)
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442
V. Die Scbluaifblgenuig.
Nun wird mir jeder Mensch mit gesundem Takte zu-
gestehen müssen, dass der Naturforscher, der Soldat, der
Theologe und der Dichter sich bei dem Schlusssatze „alle
Menschen sind sterblich" durchaus nicht dasselbe vorgestellt
haben. Je naLhdem der Mittelbegrift" die eine oder die an-
dere Tautologie war, je nachdem er ein wirkliches Merk-
mal war oder gar nach oben und unten die gleiche Tauto-
logie, wird der Sclilusssatz etwa.s anderes bedeuten. Man
denke sich den Satz „alle Menschen sind sterblich" im Zu-
sammenhang einer Rede, und der Naturforscher, der Soldat,
der Theologe und der Dichter werden diesen Satz unmög-
lich in gleichem Zusammenhange gebrauchen können. Schon
die nächste .Folgerung" aus dem gleiolien Schlusasatse wird
in jedem Falle eine andera sein.
Der Naturforeclier wird folgern: alle HenaeheD nnd
sterblich, also sind die berg«nti1lckton Helden wie Barba-
rossa nur .Geschöpfe der Sage. Der Soldat wird folgern:
alle Menseben sind sterbUch, also will ich mich vor diesem
Termeintlicbeii Gespenst nicht fDrchten. Der Theologe wird
folgern: slle Menschen sind sterblieh, also muss die ewige
Seele in uns etwas Uebermeoschliches sein* Der Dichter wird
folgern: alle Menschen sind sterblich, also ist sterblich ein
gutes Epitheton omsns für den Menschen.
Es gehört nur eine Tolle Aufmerksamkeit dasu, um
sich zu Überzeugen, dass dar verschiedene Sinn eines Schluss«
satses oder eines Satzes Oberhaupt nicht ein AusnahmeÜBll
ist, sondern die unbedingte Regel, sobald man nur die feinen
Nuancen als Unterschiede empfinden gdemt hat Es gibt
unter dem Mikroskop keine absolut gerade Linie. Dnd es
gibt fOr unsere Kritik nicht zwei Menschen, die sich bei
demselboi Satze genau das Gldche denken.
Ich habe diese trObselige Wahrheit selbst in eine
Schablone gebracht, um zu zeigen, dass die Teischiedenen
Beziehungen des Mittelbegrifi zu Subjekt und FMdikat des
Schlusssataes den Sinn des Schlusssataes beeinflussen und
dass diese Bedehungen sich in grosse Gruppen einteilen
lassen. Es wäre aber falsch, nun zu glauben, ich h&tte die
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SoUiiM und Spradigebnuch.
443
Logik da scbnrfsinnig bereichert und der erste Schluss-
modus der ersieu Figur mUsste nur in vier Unterarten ein-
geteilt werden, um mit der Form d s Schlusssatzes auch
seinen besonderen Sinn zu verraten. Dei Spass Hesse sich
machen, man brauchte ^Barbara" nur zu d^klmuren. Da
hätten wir 4 Fälle und gleich Namen für sie. Uebrigens
ist (ohue meine Deutung aul den Ömu) die vierfache Mög-
lichkeit in der Beziehung des Mittelbegriffs schon längst
bemerkt worden.
Der Sinn des Schlusssatzes wird sich aber aus der
blossen Schlussoperation nie und nunmer ergeben, weil wir
ja eben nicht in diesen Schlus-soperationen denken, sondern
in BegriflFen. Nie und nimmer wird eine noch so subtile
Einteilung für die unendlich vielen Abstidungen hiureiihen
können, in denen unsere wirkliche Erinnerung die Merk-
male ihrer Begrifte oder Worte verbindet.
Nun könnte aber ein Logiker, der der Belehrung zu-
gänglich wäre, auf meinen Gedankengang eingehen und
mir einen scheinbaren Einwand machen. Wenn der ver-
seliiedene Sinn des Schlusssatzes aus den verschiedenen
Beziehungen des Hittelbegriflb kerrorginge , dann wäre
allerdings die Logik Terantworlilick lu madien; denn im
Schlnssaafae sei der Miitelbegriff venchwnnden, man könne
dem Schlnsssatse also die Abenteuer des surQckgelegten
Weges nickt mebr anseken. Aber in tXLea memen vier
Beispielen sei bereits der Sinn des Begri£b Mensck Ter^
schieden^ ebenso der Simi des Begri& sterblick. Jeder Ton
meinen Tier Mftnnem kabe seine besondere Weltansckanmig,
seinen Sprackgebrauck und würde die Begriffe ,lfensck*
und «sterblick* von Tomkerein Tersckieden definiert kaben.
Die Logik kQmmere sieb aber nur um die Form des Den*
keos, nickt um seinen Inkalt. Die Logik sei nur rerant-
worüiek fbr die Form des Scklusssataes «alle Menscken sind
sterblick'^. Was sick der einsehie dabei Torstdle, das sei
seine eigene Sacke.
Mir sckeint, dass dieser Einwand nidits weiter wSre ab
eine Töllige Unterwerfung unter meinen Oedanken. Denn die
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444
V. IHe SchluMfolgemng.
Form oder Hülse will ich den Logikern gern überlassen, wenn
sie mir nur zugeben, dass Urteil und Schlussfolgerung bereits
im Begriff oder Wort enthalten sei. Was mein idealer,
der Belehrung zugänglicher Logiker mir eben entgegen ge-
halten bat, das beweist mir, dass er bei allem guten Willen
doch nicht im stände ist, die ganze Wahrheit zu begreifen.
Denn er hSIt den lüttdbegriff immer noeh fltar eine Hilfs-
konstruktion des Denkens, f&r einen dritten fremden Begriff,
den die Denkoperation aus irgend einer geheimen Schatz-
kammer freiwillig hinsa thue, um Subjekt und Prftdikat des
Schlusssaises regelrecht verbinden wa kennen. Das ist aber
nicht wahr.
BpcMii* Wenn wir den Mittelbegriff aberhanpt denken das heisst
'"^d^ wenn wir uns auf das nShere ICerlcmal unseres Begiüb
wdtp überhaupt besinnen, so ist es eben eine Besinnung auf den
■ehamBc. ^ Unserem Worte Terbinden. Unsere ganae
Weltanschauung, das heisst die Summe unserer Brinne-
rungen ist und bleibt in unseren Begriffen, in unserem Sprach-
sehata enthalten. Ich will ein Beispiel geben, nach dessen
Huster man tausend andere erfinden mag» Ja ich behaupte,
dass dieses Beispiel, kritisch betrachtet, der T^pus alles
Denkens in Henschensprache ist.
«Aristoteles war der Lehrer Alexanders des Grossen."
Bei diesen Worten kann sieh der ungebildete Bauer oder
der Wilde auf einer Sfldsednsel so wenig denken als wenn
er unartikulierte Laute hdrt. Unsere Schulungen glauben
etwas dabei zu denken, weil sie sidi der Kamen Aristotdes
und Alezander dunkel aus anderen Verbmdungen oinneni*
Sie fügen jetzt die neue Yorstellnng hinzu, dass Alexander
der Grosse der SchQler des Aristoteles gewesen seL Eigent-
lich denken sie sich aber immer noch nichts dabei. Wer
aber mit den beiden Namen etwas mehr Vorstellungen TW-
bindet, wen die beiden Namen an reichlichere Merkmale
erinnern, der wird je nach seiner Auffassung etwas recht
Verschiedenes dabei denken. Der Logiker wird zwei ent-
gegengesetzte Syllogi^nirn aufzuzdchnen haben, die zu dem
gleichen Schlusssatze fuhren kOnnen.
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Spmohgebraiicb und Wettmidianung. 445
Anstotelos war der weiseste Mann aller Zeiten,
der weiöeüte Mann aller Zeiten war der Lehrer
Alexanders,
also: war Aristoteles der Lehrer Alexanders.
Der andere ^n^mus klingt aber so:
Aristoteles war der eitelste Pedant de?; Altertums,
der eitelste Pedant des Altertums war der Lehrer
Alexanders,
also : war Aristoteles der Lehrer Alexanders.
Ich bruucbe wohl nicht erst darauf aufmerksaiu zu
machen, dass der Satz „Aristoteles war der Lehrer Ale-
xanders" in dem einen und dem andern Falle durchaus nicht
dasselbe besagt. Lud nicht der Mittelbegrifl' ist au der Aende-
rung des Sinnes schuld gewesen, sondern die Vorstellungen,
die man mit dem Xamen Aristoteles verbunden hat.
Man wende mir nicht ein, dass nicht leicht ein Logiker
eine so widematOrliche Schlussfolgcrung vollziehen werde,
wie sie in den beiden Syllogismen vorliegt. Der GedttikMi-
gang kann ganz woU so geflülit wordoi eein, daes der
Logiker nicht anders konnte. Man stelle sich s. B. vor,
dase der Formier die Lehrbttcher Alexanders kabe prüfen
kennen, bevor er wnseto, dass Aristoteles ihr Yer&sser ist.
Er wird dann au der zweiten Prämisse selbständig kommen,
iUbs nAmück der weiseste Mann der Welt, respektive der
eitelste Pedant des Altertums sein Lehrer gewesen sei. Im
wesentlichen flült sogar dieser entsetiliehe Syllogismus mit
dem Gedankengang unseres Soldaten susammen, der sich
besinnt, dass das vermeintliche Gespenst wohl ein gewöhn-
licher Mensch sem werde.
Unsere Mundart — ich meine die gemätisame Mund-
art der sogenannten indo-enrofAischen Menschheit — str&ubt
sieb ein wenig gegen die syllog^stische Form eines solchen
Gedankengangs. Wir sind es gewohnt, in solchen FsUen
(wo nftmlich der Mittelbegrüf mit dem Subjekt auffallend
tautologiseh ist) einen Belativsats anzuwenden, also hier
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446
y. Die Schlaasfolgenmg.
z. B. zu sagen: -Aristoteles, welcher der weiseste Mann
der Welt (respektive der eitelste Pedant des Altertums) war,
war der Lehrer Alexanders des Grossen." Diese Bemerkung
nützt den Logikern nichts. Denn es bleibt ihnen nichts
ttbrig, als solche Relativsätze nach dem ersten Schluss-
modus der ersten Figur zu konstraieren, wenn sie nicht zu-
geben woUeD, dass wir ohne HÜfe von Syllogismen denken
oder sprechen.
Noch eine andere Bemerkung mOdite ich aa mein
Beispiel von Aristoteles und Alexander knflpfen, wobei ea
sich vielleieht empfehlen würde, snr Abwechslung fltr Aristo-
teles das deutsche Gymnasium und für AlezMider Bismarck
einsufOhien. («Das deutsche Gymnasium konnte einen Bis-
marck bilden.*) Doch ich will schulgereeht fortfahren.
Viel häufiger als der Obau angenonunene Gedanken-
gang wird nftmlich ein anderer Torhanden sein, der den
Logikern schon wieder recht su geben scheint, weil er uns
zu einem flbenraschenden Ergebnis fthrt, beinahe zu «nem
Scherz, also zu etwas, was neu aus den Prlmissen hervor^
zugeben behaupten möchte. Diesen Gedankengang mtlsste
der Lc^giker freilich nach dem ersten Modus der dritten Figur
(nach Darapti) konstruieren.
Aristoteles war der Lehrer Alezanders,
Aristotoles war ein weiser Mann,
also: war (einmal) ein weiser Mann der Lehrer
eines Eroberers,
oder aber:
Aristotoles war der Lehrer Alexanders,
Aristoteles war ein Pedant,
also: war (einmal) ein Pedant der Lehrer eines
Genies.
Ich brauche wieder nicht darauf aufmerksam zu machen,
dsss der immerhin witzige Sinn des Schlusssatzes nicht un-
mittelbar aus den Prämissen hwyorgehe, dass vielmehr so-
fort an Stolle des Eigennamens Alexander dasjenige Merk-
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»
Sprachgebnach und Weltraacbanniiff. 447
mal trat, das mit dem Subjekt nach der Anschauung des
Redenden eine Antithese bildet. Ist aber diese Antithese
überhaupt logisch aus den beiden Prämissen nach Darapti
hervorgegangen? Das leugne ich ganz entschieden. Ab-
gesehen davon, dass kein einziger unter allen denkenden
Menschen bei solchen GedankeimiiiiLren Darapti vor Augen
hat, weder als einen durch Sphiii t nvergleichung , noch als
einen durch Reduktion bewiesenen öchlussniodus (was ja
auch gar nicht nötig wäre), abgesehen davon, dass die Form
Darapti auf Urteile über Individuen doch nicht recht passen
will, scheint mir auch dieses Beispiel wieder nur ein Beleg
di^r zu sein, dass all unser Denken nur psychologische
Begriffsbildung ist und dass auch überraschende neue £in>
fftUe uns nicht anders, uns nicht auf dem Wege des Er-
schliessens in den Snn kommM. Was da uns einfiel, das
nahm doi gewöhnlichen Weg.
Durdi neue Beobadibmgai oder Mitteilungen, jedes-
fftUs also dnreh Bereichemng unseres Wortes Aristoteles
sind wir dazu gelangt, uns bei diesen Bnehstahen oder Lauten
daran zn erinnern, dass der Grieche dieses Kamens sehr
weise gewesen sei und Alexander unterrichtet habe. Diese
Erinnerungsmomente sind ohne jede Schlussfolgerong mit-
einander Terhunden wie andere Gedankenassodationen. Ein
lebhafter Geist wird sich rasch durch das eine Herlonsl an
das andere erinnern. Eine andere Begiiffiibereicherung hat
uns in der Schule das Wort Eroberer mit dem Merkmal
schlecht Yorbrnden lassen, und so mag auf induktiTem WogOi
unklar und unbewiesen, der B^riff Ebroberer zugleich das
Merkmal eines schlecht ersogenen Menschen enthalten haben.
Will dieser Gedankengang frech und bestimmt in uns auf-
tauchen oder sagt ein anderer in unserer Gegenwart schul-
meisterlich etwa «alle Eroberer seien schlecht erzogen wor-
den*, so wird ohne jede syllogistische Denkoperation, ein-
fach durch die Association des Widetspruchs die Erinnerung
auftauchen: aber der weise Aristoteles ist doch der Lehrer
Alezanders gewesen. Das Gehirn wird also seine Begriffii-
bereicherung, die schlechte Erziehung an. das Eroberertum
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448
V. Die Schluasfolgerttng.
knüpfen wollte, einfach nicht vollziehen können. Genau so
wie das Urteil, alle Schwäne seien weiss, das heisst abo die
Verbindung des Merkmals weiss mit dem BegriflF Schwan,
fallen gelassen werden muss, sobald man schwarze Schwäne
erblickt. Wobei ich freilich nicht behaupten will, dass ich
das Geheimnis der Association des Widerspruchs damit ent-
rätselt habe.
Es yersteht sidi Ton selbst, dass der Gedanke, es sei
einiDal ein Pedant der Lahrer eines Qeoies gewesen, ohne
syllogistische Denkoperation ebenso entstanden ist
CeiAiMt. 2. Celarent.
„Kein Reofaieck ist ein Kreis,
jedes Quadrat ist ein Bechteck,
also ist kern Quadrat ein Kreis."
Ich mUsste nur Torangegangenes wiederholen, um die
üeberflUssigkeit dieses Schlussmodus danuthun. Der Be-
griff des Kreises liegt dem Begriff des Quadrats so fem, dsss
an eine Yergleichung gar nicht gedacht wird. Der eigent-
liche Sinn des Schlusssatses ist auch nicht sowohl eine Ver-
neinung ab vielmehr die Feststellung des Nichtsusammen-
denkens. Ich erinnere mich bei Rechteck oder Quadrat
gar nicht an Kreisform. Wo aber diese Erinnerung in der
WirkHchkeitswelt möglich ist, da rerlftsst uns auch unser
Schlussmodus. Man denke sich den folgenden Syllogismus:
Kein regelmftssigi» Vieleck ist ein Kreis,
das regelmissige Vieleck von unendlich Tiden Seiten
ist ein Vieleck,
also ist das regelmissige Vieleck Ton unendlich
vielen Seiten kein Kreis.
Das ist aber doch sehr fraglich. In der Elementarmathe-
matik wird man behaupten dürfen, dass ein regelmässiges
Vieleck von unendlicli - iden Seiten allerdings ein Kreis sei.
Wieder wird der Verteidiger der Logik mir entgegen-
halten: seine Wissenschaft habe es nur mit der Form des
Schlusses 2u thun, der Inhalt der Begriffe mOsse von anders-
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Celarent.
449
woher vorausgesetet werden. Und wieder werde ich er-
widern mflasen, dass die Schlussfonn nur eine kttnstiiche
Meihode der Besinnung auf den Begriff sei, dass das wirk-
liche Denken mit dem klaren und deutiidien Begriff schon
alle Sitze mitdenke, die in ihm enthalten sind, dass eüi
Mensch mit deutlicher Anschauung auch den Obersatz nicht
aussprechen werde, nicht sagen werde, dass kein Vieleck
ein Ereis sei.
Der charakteristische Zug des zweiten Modus der ersten
Schlussfigur besteht also darin, dass (logisch oder gram-
matikalisch ausgedrQckt) ein Prftdikat von einem Subjekte
nicht ausgesagt werden kOnne, wenn es seinem näheren
Pr&dikate widerspricht. Kann ich einen Eise nicht einen
Planeten nennen, so kann ich audi einen Chester nicht einen
Pkueten nennen. Das Wesen Ton Gelarent besteht also
(psychologisch ausgedrOi^t) darin, dass ich mir bei einem
Begriff einen zweiten fremden Begriff nicht mit Torstelle
und dass ich dabei bemerke, wie dieser fremde Begriff sich
ganz besonders mit einem Merkmal des ersten Begriffs nicht
associieren will. Alle schulgerechten Fälle von Gelarent wer-
den also solche sein, die im wirklichen Denken gar nicht
vorkommen. Unser Gehirn associiert nicht zwei Begriffe,
die nichts miteinander zu thun haben, zur Vergleichung.
Die Association des Widerspruchs ist ein Ablehnen, ist
keine Vergleichung. Wo unser Gehirn widersprechende
Begriffe dennoch veigleicht, wo es also einen allgemein
negierenden Satz ausspricht, da wird die kritische Auf-
merksamkeit immer bemerken, dass nicht eine einfache
Negation Torliegt. Auch dann ist für uns die Schlussform
von Celarent selbstrerstikndlich überflüssig; aber auch der
Schlusssatz, der dann immer dem Obersat?; im Geiste vor-
hergegangen ist, wird einen Sinn nur haben fUr die un-
sicheren Grenzbegrift'e der Wissenschaft.
3. Darii.
Kommt es im zweiten Schlussmodus deshalb zu nichts,
weil eigentlich keine reii'.»* Negation in unseren Begrifien
enthalten ist, so kommt es im dritten Schlussmodus des-
Haathner, Beiträge zu einer Kritik der Sprache III. 29
450
y. Di« ScUtmfolgermig.
halb iiieuiak zu etwas Ordentlii lu m, weil ein partikulares
Urt«il ebenfalls niemals in einem Begriff enthalten isL
Alle Säugetiere haben warmes Blut,
einigö Wasserbewolnu r sind Säugetiere,
nho hnhen einige Wasserbewohner warmes Blut.
Wir haben hier wieder den Fall vor uns, dass die Um-
gangssprache sicli mit der wissenscliaftlichen Klassifikation
nicht detkL In früherer Zeit, als Was.serbewohner und
Fisch noch dasselbe bedeutete, wäre der ganze Syllogis-
mus nicht möglich gewesen. Er wird erst müglich, wenn
genauere Beobachtungen die Irrtümer der alten Klassi-
fikation autgedeckt haben, und er besagt eigentlich nichts
weiter als: hier habe ich eine (Jruiijie von Erscheinungen,
fllr welche in der Begritlspyramide der Wissenschaft ent-
weder überhauj)t ein Wort fehlt oder welche sich mit unserer
Selmsucht nach einer symmetrischen Begritispyramide nicht
deckt. Wenn ein Prädikat nur von einigen Individuen des
Subjekts ausgesagt werden kann, wenn ein Merkmal nur
auf einige Teilvorstellungen eines BegrifiTs passt, dann sind
diese Individuen oder Teilvorstellungen in meinem Gedanken-
gang noch nicht zu einem distinkten Begriff zusammen-
gefa.sstf sind fUr unsere Erkenntnis noch nicht brauchbar.
Noch unbrauchbarer schmt mir der Modus Darii in
den andem zahlreichen FttUen zu sein, wo der Sehluaisata
zu wenig besagt.
Alle Quadrate sind viereckig,
einige Parallelogramme sind Quadrate«
also sind einige .Parallelogramme viereckig.
Dass dieser Schlusssatz wie immer frfiher gewusst wird
als seiue Prämissen, brauche ich nicht erst zu bemerken.
Aber er ist als Partikularsatz geradezu falsch. Denn es
sind doch alle Paralldogramme viereckig; und wer das
weiss, wird darum (was logisch aus den Pk-amissen nicht
hervorgeht) auch sagen: mindestens einige Parallelo-
gramme sind viereckig.
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451
Da man nun der Sclilussform von Darii und der parti-
kularen Form seines Schlusssatzes nicht ansehen kann , ob
die einigen Individuen das Prädikat nur oder mindestens
verdienen, so ist der Sinn dieses Scbluassatzes für den
Logiker immer unklar und im Gedankengang weiter nicht
zu yerwenden. Anders im wirklichen Denken, wo die ent-
sprechende Besimnuig sich der unmittelbaren Vorstellungen
bewuBst wird und zu einer Begriffsbildung führen kann,
wenn dss Merkmal mindestens auf einige Individuen
passt, und wo die Begrififsbildung aufhört, wenn das Merk-
mal nur auf einige Individuen passt.
4. Ferio. Ferlo.
Der vierte Schlussmodus vereinigt mit mathematischer
Vollständij^keit die Sinnlosirjkeiten des zweiten und des
dritten Modus. Der Obersatz gibt ein allgemein negieren-
des Urteil; er ist also ein sprachliches Bild des Nicht-
denkenkönuens. Der Untersatz gibt ein bejahendes parti-
kulares Urteil; er ist also ein sprachliches Bild eines un-
fertigen Bei^nitT's, Der Schlusssatz ist partikular negierend;
er besagt also ttlr uns das Kichtdenken von etwas Un-
fertigem.
Kein Käse ist ein Planet,
einige Nahrungsmittel sind Käse,
also sind einige Nahrungsmittel keine Planeten.
Unser Kerl am Wirtshaustisch niüsste schon recht
viel getrunken haben, um in seinem Sprachschatze solche
Sprünge zu machen.
Die Beziehungen der Begriffe int dritten und im vierten Algebra
Schlussmodus hat die Algebra der Logik etwas schärfer j^j^
fassen können, weil sie die Quantität der Urteile durch
mathematische Zeichen hesser ausdrücken konnte. Aber wie
die Algebra der Grammatik (III. 261 f.) so ist auch die
Algebra der Logik ewig unfruchtbar. Nur am Schlüsse
einer Gesdiichte der logischen Disziplin, mit deren Ver^
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452
T. Dia Sehlascfolgeruiig.
öffentlichung ich noch zurückhalten muss, könnte ich die
neue Algebra der Logik grOndlich kritisieren. Hier nur
einige Ainleutimpfen.
, Alles Gescheite ist schon gedacht worden," von Goethe
selbsi näDoJich. Was er (in der Geschichte der Farbenlehre)
von dem baumeisterlichen Aristoteles sagt, das gilt von allen
spätem und kleinern Baumeistern der Lof^'k: „Er erkundigt
sich nach dem Boden, aber nicht weiter, als l)is er Grund
findet. Von da bis zum Mittelpunkt der Erde ist ihm das
Uebrige gleichgültig." Etwa zu der gleichen Zeit hat
Schleiermacher das Ende der formalen Logik in seiner
grüblerisch feinen Weise richtig erkannt. Er wies auf die
Aehnlichkeit zwischen dem dialektischen Denken und dem
Dialoge hin, ferner darauf, dass die Nationalität und die
Individualität jeder Sprache die Allf^emeinheit dr-r Logik
(wir fanden: «es gibt keine Logik, es gibt nur Logiken*),
also die Allgemeinheit des Denkens einschränke. Seitdem
wird namentlicli in Deutschland versucht (seit Trendelen-
burg und besonders seit Schuppe, der diese Bewegung auf
Descartes zurückfuhrt), die Logik psychologisch zu machen
und zugleich an Stpll^ der formalen Logik, die ich hier
doch nur pietätslo.ser bekam j)ft habe nls andere vor mir,
eine Methodenlehre zu setzen. Lintern und gründlich hat
Wundt, fein und gründlich iiat Sigwart diese Arbeit ge-
leistet. Wenn nur nicht schon der halbe Ketzer Zabarella,
der Arist^teliker und Astrologe und doch sehr klug war,
bereits im 10. .lahrhundert gelehrt hätte, Methode sei ein
intelektueller Habitus, das heisst doch wohl eine geistige
Gewohnheit. Wenn nur Methode etwas vor dem Wissen
wäre. Moltke glaubte schwerlieh alle Methodenlehren zu
treffen, als er sagte: Strategie sei die Anwendung des ge-
sunden Menschenverstandes auf den Krieg.
Inzwischen liat sich die neue Disziphn herausgebildet,
die Algebra der Logik. Ein Mathematiker und Denker wie
Leibniz gbuibte noch sein Lebenlaug ahnungsvoll, es liesse
sich durch Unterwerfung des Denkens unter den mathe-
matischen Kalkül eine Vollendung des Wissens herstellen.
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Algebra der Logik.
453
Sein Traum von einer charakteristischen Universalsprache
hängt gewiss mit solclien übermenschlichen Wünschen zu-
sammen. Die ungeheuere Verstandesarbeit, welche nun seit
Boole und Delboeuf, besonders durch l'eirce und E. Schröder
auf die Durcharbeit dieser mathematischen Logik verwandt
worden ist, kann keinen Zweifel darüber lassen, dass Leibniz
da nur geträumt habe, dass auch die Algebra der Logik
nur formale Logik sei, dass auch die Algebra der Logik
keine neue Erkenntnisquelle biete.
Lotze hatte seine Logik mit dem Wunsche geschlossen,
die deutsche Philosophie möge yersachen den Weltlauf zu
▼erstehen und ihn nicht hIosB zu berechnen. Schröder, der
deutsche Katkolator der Logik, antwortet darauf (L 105):
Könnten wir ihn nur erat berechnen, dann würden wir ge-
wiss ihn auch verstehen, .soweit überhaupt ein VorstSnÄiis
auf Erden enielbar*. Der letste Nebouats Uingt für einen
Mathematiker der Logik beschdd«! genug. Worin besteht
aber hier der (Gegensatz zwischen Lotze und Schröder?
Doch nur darin, dass Lotze die abstrakten Worte der Philo-
sophie, dass Schröder die ausserhalb der Gemeinsprache
lieg^id^ mathematischen Zeichen ftlr geeigneter hält, sich
und andern den Weltüauf klar zu machen. Es sagt also
Lotze dgentlich: die Begriffe der philosophischen Sprache
sind klarer ab die mathematischen Begriffe; man kommt
mit maOiemalischen Abstraktionen über die Einsiditen nicht
hinaus, welche durch Spradie erreichbar sind. Und Schröder
antwortet eigentlich: die mathematischen Abstraktionen sind
Uarer als die Abstraktionai der Sprache,
An einer andern Stelle (I. 229) sieht sich jedoch
Schröder zu dem Eingesf&ndnis gezwungen, dass er in seiner
Darstellung der Logik Ton den Freiheiten und Lieenzen der
Verkehrssprache nach Möglichkeit absehen müsse, um nicht
in übexgrosse Weitlftufigkeiten verwickdt zu werden. Das
heisst wohl: um die logiBchai Beziehungen überhaupt noch
mathematisch danteUm zu können. Es geht ihm eben
audi wie StÖhr bei seines Bemühungen um die Algebra der
Grammatik (yergl. wieder m. S. 261). Er Torsteht dabei
454
V. Die ScbluMfolgerung.
jedoch unter Verkelirssprache nicht etwa die Gemeinsprache
im (it^gensatze zu dem logischen Spiiulifj^ebrauehe der Philo-
sojilieii; man sollte es IVeiHch <rlaubeu, wenn er dazu den
Wühhveisen Hat ^/ihi : vs'iire Uberhaupt besser, wenn uiuu
sich korrekter Ausdrucksweise befleissigte/ Er versteht
unter der Verkehrssprache vielmehr die jeweilige Mutter-
sprache des Logikers, deren Sprachgebrauch sich in seinen
Eigentümlichkeiten und Feinheiten mit der allgemeinen
Logik nicht deckt. Die Bemerkung steht im Znsammen-
hange einer guten, Ton mir übernommenen Üntersuchung,
nach welcher in der deutschtti Sprache i. B. die seheinbar
80 gegensätzlichen Bindewörter «und" und »oder* in ihren
Bedeutungen leieht zasammenfliMMn.
Nur geht es dem Mathematiker der Logik, wenn er
sieb Terstöndlieh machen will, ebenso wie andern abstrakt
denkenden Menschen. Aus Anschauui^n sind alle Abstrak-
tionen des Lehrers hervorgegangen und an Anschauungen
muss der Schüler erinnert werden, wenn er dem Lehrer soll
folgen kdnnen. Will man einem Kinde den einfachsten
Satz beibringen, so muss man ein Beispiel von unmittel-
baren Sinneseindrücken nehmen. Man sagt: «Der Hund ist
gross* und zeigt dabei mit den Händen einen grossen Raum
und dehnt wohl dazu metaphorisch das o. Will der Philo-
soph einen sehr abstrakten Satz .anschaulich*,' das heisst
relativ anschaulich machen, so wählt er ein konkretes Bei-
spieL Will der Mathematiker der Logik seinen formelhaften
Satz c^a + b relativ anschaulich machen, so wShlt er
irgend einen Satz der Sprache, der ihm schon konkret
scheint, wenn er nur in Worte gefasst ist. Ohne solche
Bückbeziehung auf die Sprache ist jeder Logikkalkfll un-
denkbar, schon darum, weil die Zeichen in der Logik oft
«men andern Sinn haben ab in der Mathematik und diese
Verschiedenheiten erst durch sprachliche Beispiele klar ge-
macht werden können.
Wenn nun die Algebra der Logik wie alles Denken
zuletzt auf unmittelbaren Wahrnehmungen beruht, wenn sie
zun&chst und direkt auf die Sprache exemplifizieren muss,
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Algebra der Logik.
455
wenn es ferner eine allgemeine, aus der Logik hervor-
gegangene, allen A'^ölkeru verständliche Sprache oder auch
nur einen gleichen logischen Unterbau ftlr die verschiedenen
VdlkeiBpraelieii nielit gibt, wenn ach die Algebra der L<^k
aÜBO immer nur auf dne bestimmte einzelne Yolksspradie
bezieben kann, wenn wir endlich eingesehen haben, dass
die Individualspracben dw Völker Ton Freiheiten und Feitt'
heiten und Eigentümlichkeiten wimmeln, das beisst dass
die Tersdiiedene Aufmerksamkeit der Terscbiedenen Völker
den Weltkatalog nach Tenebiedenen Gesichtspunkten ge-
ordnet bat und nicht nur den Weltkatalog oder die Klassi-
fikation der Dinge, sondern auch den Satzbau oder die
Auffassung Y<m den Beziehungen der Dinge — so werden
wir begreifen, dass die Hofbung eitel ist, mit Hilfe
mathematischer Abstraktionen Tom Sprachgebrauch ernst*
haft über die Mangel der Sprache hinauszukommen. Ge-
wiss: ff es w&re besser, wenn man sieh korrekter Ausdrucks-
weise befleissigte.* Das kann man aber nicht über die
beschränkten Grenzen der Sprachen hinaus. Wo keine Logik
der Sprache ist, da hat die Algebra der Logik ihr Recht
yerloren.
Dazu kommt, dass selbst mathematische Elementar-
begriffe, wie die vier Spezies, dass sogar der Grundbegriff
der Negation nur metaphorisch auf dem Gebiete der Logik
Geltung haben können. Man Terfolge einmal diese unfrei-
willige Metaphorik bei Wundt (Logik 2. Aufl. L 246 u. f.)
in dem Kapitel «Der Algorithmus der ürteilsfunktionen*.
Als Uebung im abstrakten Denken ist die Algebra der
Logik .yi)pnso empfehlenswert wie dio Ollendorfische Methode
für die Einübung der Grammatik. Da ist es vielleicht nicht
ohne unfreiwilligen Humor, wenn ein Geschichtsschreiber
der Logik seiner ganzen SpeziaUvissenscbaft einen ähnlichen
Nutzen zuschreibt. Es ist F. Harms, der am £nde seiner
Darlegung sagt: ,Die Geschichte der Logik muss jeder
kennen, der sich in fruchtbarer Weise mit ihr beschäftigen
will. Die Geschichte der Philosophie kann man überhaupt
ansehen als die Experimentalphilosophie. Und so auch die
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456
T. Die ScUiinfolgeniiig,
Geschichte der Logik."* Auch die Algebra der Logik lehrt
mir ein Experimeutieren, besser eiu Exerzieren mit den Be*
griffen.
Wir wissen bereits, dass die hypothetist hen Schlüsse
nur eine andere sprachhche Form tlir die hier behandelten
ktlnstlichen Denkoperationn; sind. Ihre nähere Betrachtung
gehört in einen kritischen Leberblick über die Grammatik.
aoUius- Eine Fortführung meiner Kntik auf die sugeuaimten
ketten. Schlusskf'tten wird man mir erlassen. Wo das einzelne
Glied nicht hält, kann die Kette auch nichts taugen.
Ebenso darf ich es mir wohl ersparen, das abge-
kürzte Schliissverfahren besonders zu behandeln, so uner-
bittlich auch in allen Lehrbüchern der Logik die schönen
griechischen Namen für abgekürzte einfache Schlüsse und
fÖr abgekürzte Schlussketten wiederholt und erklärt und ein-
gepaukt werden. Dieses abgekürzte Schlussverfahren musste
von den Legründeni der Logik sehr Ii Llli beobachtet und
in ein System gebracht werden, weil das wirkliche Denken
allerdings regelmässig nur in solchen Gedankensprüngen, wie
das Enthymem und der Sorites, vor sich geht. Das wirkliche
Denken erinnert sich bei einem Begriff je nach Umständen
an ein näheres oder ferneres Merkmal« es vollzieht also
umnittelbar, wenn man durchaus wiü, ein Enthymem oder
einen Sorites. Nicht aber sind diese Gedankensprünge ab-
gekürztes Denken, sondern die Schlttsse und Schlnsdcetten
sind auseinander gezerrte, schabionisierte, künstlich Terttn-
gerte und ▼erdttnnte GedankensprQnge. Man könnte die
Thfttigkeit des Logikers dabei mit dem Fhotographieren von
ÄnschOtz Tergleichen, das doch z. B. die Bewegungen eines
rennenden Pferdes in winzigen Bruchteilen Ton Sekunden
aneinander reiht und dadurch Stellungen der vier Fflsse wahr-
nehmen lässt, die vor diesen Photographien kein mensch-
liches Auge an rennenden Pferden wahrgenommen hatte. Man
muss sich freilich hüten, das Bild wirklich anzuwenden.
Denn im Denken werden durch den Einfluss der Qewohn-
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DeduktioB und Indnktioii.
457
heit, der Uebuag unoidfick fiele Zwischenglieder wirklich
Obersprangen oder doch gewiss mit ungleicher Schnelligkeit
erledigt, während das rennende Pferd jeden kleinsten Brach-
teil der Zeit gleichmässig ausfüllen muss. Wäre dem aber
auch nicht so, so tbäte der Logiker nicht gut daran, sich
auf jene Photographien zu berufen. Denn die Maler malen
falsch, wenn sie (wie das neuerdings versucht wird) Augen-
blicksstellungen in ihren Bildern fixieren; und so schildern
die Logiker das Denken falsch, wenn sie die Gedanken«
Sprünge für abgekürzte Schlussketten erklären.
Die alte Lehre, dass unser Denken auf dem Wege von
logischen Denkoperationen aus künstlich gruppierten Urteilen
neue Urteile erschlicsse, ist nicht mehr zu halten. Es ist
endhch an der Zeit, dass sie umgestürzt werde, nicht
nur in einzelnen Teilen, sondern von Grund aus. Der Be-
griff „Schluss" ist für uns ein sinnloses Wort geworden,
ein geträumtes Dach für ein Haus, das keine Wände hat.
Seit Bacon und nach mehr seit Stuart Mill müht man sich
üb, diesem alten Gebäude der Logik, einem Gel)iiude ohne
Wand und Dach, den Induktion^crbluss als einen neuen,
nützlicheren Teil anzufügen. Es wird eine weitere Aufgabe
für uns sein, das Wesen der Induktion zu prüfen und vor
allem zu ztiu«»n, dass sie mit der Logik ganz und gar nichts
zu thun lial s , der sinnlose Begriff »Schluss* mit ge-
häufter Sinnlosigkeit auf diesen psychologischen Vorgang
angewandt worden ist.
VI. Die Induktion.
Die Kritik der Sprache führt Ober die herrschenden De-
Denkfonnen und aus den herrschenden Deukfornien hinaus:
und In-
die Kritik der Sprache lehrt, dass Logik nie und niinmer dnktioo.
zu einer Bereicherung der Erkenntnis fühi eii kunne. Unsere
Anschauung unterscheidet sich aber darin von der geltenden,
die dur(h Mill theoretisch gelehrt und besonders von eng-
lischen Naturforschern bewundert worden ist, dass diese
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458
VI. Die InUukiiüU.
Forscher melur oder weniger klar höchstens die deduktive
Logik, die alte Schullogik, preisgegeben haben, um an ihre
Stelle die induktive Logik als ein ebenso unfehlbares Werk*
zeug der Erkenntnis zu setzen. Wir aber sehen ein, dass
die Deduktion wertlos war, weil sie von den Worten hin-
weg entweder zu den SinneseindrQcken zurQck oder ins
Leere führte, dass jedoch die Induktion ebenso wertlos ist,
weil sie von den SinneseindrUcken hinw^ nicht zu Er-
kenntnissen, sondern nur zu Erinnerungen oder Worten führt.
Ich will zur drastiBchen Darstellung des Sachverhalts ein
geistreiches Bild von Whewell benutzen und verindem. Die
Deduktion gleicht einer Person, welche einen gemalten
Nagel an der Wand sieht und ein Bild in wirklichem Rahmen
an diesen Nagel hangen möchte; es geht nicbt, weil sich
an einem gemalten Nagel nur ein gemalter Rahmen be-
festigen lässt. Die Induktion jedoch gleicht einer Person,
welche ein Bild in einem gemalten Rahmen an der Wand
sieht und deren Vorstellung sieh nicht eher beruhigt, als
bis den gemalten Rahmen ein dazu gemalter Nagel fest zu
halten scheint. Die Induktion ist psydiologisch feiner; doch
aucli ihre Beruhigung ist ebenso wie die der deduktiven
Erkenntnistheorie schliesslich nur eine Illusion.
Der gemeinsame Fehler der deduktiven wie der induk-
tiven Logik besti'lit darin, dass beide in dem untilgbaren
Ruhebedürfnis des Menschengeistes sich bei blossen Worten
beruhigen; die Induktion ist insofeme nur zugleich klüger,
bescheidener und ärmer, als sie sich früher beruhigt. Das
Wort der Mensrhensprachc, das Wort als Merkzeichen für
Siniieswahrnehniun^en, ist nur der Durchgangspnnkt von
der Induktion zur Deduktion. Echte und zuverlässige In-
duktion endet im Worte da, wo das W ort ohne Th^'^rie
nur eine Erinnerung sein will; die Deduktion be^nnit da,
wo die Erinnerung aufhört, wo die Tliatsaclien vom Worte
verlassen werden. Das war so in alter Zeit und ist heute
noch SU.
Wenn wir lesen, dass die Griechen den Begriti" der
Schwere auf die Erscheinung des Lichts anwandten, dass
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Indaktion und Licht.
459
ihnen das Licht i u. leichter Körper war etwa wie die Luit,
dass sie diesen luichten Körper vun der Eide himvef^ zu
dem Himaiul .streben Hessen, so sehen wir deutlich den alten
Iklissbrauch eines Worts. Und doch will es mir scheiueii,
als ob die Griechen bei der induktiven Verbindung der Be-
griffe Licht und Schwere keine viel unklarere Vorstellung ge-
formt hatten, als unsere beiden letzten Jahrhunderte bei der
ebenso induktiven Verbindung der Begrifte Licht und Qe-
schwindii^eit. Es war nelmrlieh ein geistreicher Einfall
Ton Römer (1676), als er die Verspätung und VerfrQhung
der Verfinsterungen an den Jupitermonden beobachtete,
diese Erscheinung mit der weitem und nftbem Entfernung
der Erde vom Jupiter verglich und wirklieb eine regel-
mSssige Beziehung auffand. Er beschrieb diese Ereignisse,
und da es sich um Zeitteilchen handelte, so nannte er diese
Lichtverhiltntsse die Geschwindigkeit des Lichts. Vorher
hatte man diesen Begriff gar nicht gekannt; das Licht
hatte vorher gewissermassen gar keine Geschwindigkeit,
weil man sie gleich unendlich setzen konnte. Ein Bing,
das Uberall sugleich ist, hat nach unsem Vorstdlungen
keine Geschwindigkeit. Als nun die sogenannte Geschwin-
digkeit des Lichts auf dreimalhunderttausettd Kilometer in
der Sekunde berechnet war, bemerkte man zuerst nicht,
dass in dieser Ziffer doch ein bildlicher Ausdruck stak* Man
hatte von den Erscheinung^ der Jupitermonde und der
Schnelligkeit z. B. eines geworfenen Steins oder einer
Kanonenkugel sind Liduktion gemacht, dasheisst, sich beim
Worte Geschwindigkeit beruhigt. Es stellte sich aber bald
heraus, dass die Vorstellttng von dieser ungeheuerlich
sdinellen «Ortsvei^derung* der Lichtkfirperchen zu Wider-
sprüchen fUhrte. Da setzte man an die Stelle der Orts-
verimderung den Begriff der Wellenbewegung, da«^ Leisst,
man schuf eine neue Induktion, indem man die Beschrei-
bung der T6ne und die Beschreibung des Lichts auf einen
gemeinsamen Ausdruck brachte und durch diese Abstraktion
wie immer aus der Beschreibung zu einer Erklärung zu
gelangen glaubte. Man hatte abo eine Metapher von der
460
7L Die Induktion.
Geschwindigkeit der Schwingimgeii und eine andere von der
Gesdiwindigkeit der Ortsyexlnderung. Man redete dabei
TOn einem Aether als dem materiellen Träger aller dieser
unvorstellbaren Geschwindigkeiten. Aber dieser Aether ist
doch wohl im Grunde nichts als das tertium comparationis
der Metapher. Wieder haben wir ein Wort vor uns, welches
eigentlich nichts ist als eine vorläufige Bartthigung über
Aehnlichkeiten, welche an den Erscheinungen des Lichts,
der Wärme, des Magnetismus und der Eiektricitit beoh-
achtet worden sind. Der Aether ist ein Ruhepunkt im
Denken geworden und was man Uber seine Eigenschaften
auszusagen weiss, ist dann wieder der Uebei^ng durch
dieses Wort hindurch in die Deduktion.
Noch besser jedoch als der Hinwei«? auf alten und
neuen Wortaberglauben scheint mir das Hauptwort aller
dieser Erscheinun^^en als Beispiel dienen zu können für die
Selbsttäuschung der Induktion, die sich über den gemalten
Rahmen beruhigt, wenn ein haltender Nagel dazugemalt
ist. Ich meine das Wort J^icht" selbst. Vom Lichte
handeln dicke Bücher, mit der L'^ntersuchung des Lichtes
sind hundert Professoren beschäftigt. Wir dürfen darum
freilich nicht verlangen, auch zu erfahren, was das Licht in
Wirklichkeit sei. Wir sollten aber doch meinen, wir müssten
eüdlich wissen, ob das Licht überhau}<t irgend etwas sei
oder nicht. Da bep^egnen wir aber einer Definition, die
üpätern Geschlechtern wirklich nicht erns-thafter erscheinen
wird als uns die griechische Erzählung von der Leichtig-
keit des Lichts. Es sei nämlich, so besagt die klarste der
beliebten Definitionen, das Licht die Urbathe der Sichtbarkeit
der Gegenstände. Was ist da ge^^chehen? Olfenbar hat
die ]K>|)uläre Induktion seit Menschengedenken die Sichtbar-
keit der Welt, das heisst ihre Farben, ihre verschiedene
Helligkeit u. s. w., mit dem beciuemeii W orte „Licht" zu-
sanwnengefasst \ind nun bestrebt sich die Wissenschalt, das
Wort, das heisst die Erinnerung an die Einzelfälle,
zur U r 8 a ( Ii e der Einzelfälle zu machen. Für
unsere Sprachkritik ist es ausser Zweifel, dass , Licht" nur
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Induktive Begriffsbildimg.
461
ein Wort sei, Terursaclii durch die Sichibarkeit der Gegen-
stiade, dass man also die Definition fttr die Erkenntnis-
theorie auf den Kopf stellen müsse.
Wir aber wissen» dass unsere Sinne Zofallssinne sind,
wir werden also nicht einmal dem neuen Satse, dass die
Sichtbarkeit der Gegenstande die Ursache des Begri& Licht
sei, irgend welche ernste Bedeutung beimessen. Wenn die
Wellen des Meeres turmhoch gegen die Felsennfer schlagen
und im Laufe der Jahrhunderte langsam die yerwitterten
Teilchen Ton den glatten Felsenw&nden in das Heer hin-
unterspülen, so wird die Felsenwand die Welle definieren
als ein böses Ding, welches sie beraubt, der Meeresboden
wird dieselbe Welle definieren als ein gutes Ding, welches
ihn beschenkt. Die Welle selbst wird sich fttr eine Welle
halten. Jedes einzelne Wasserteüchen wird TOn einer Welle
nichts wissen. Kein MenschengeLst kann sagen, ob er sich
da mit der Welle oder mit dem Wasseratom, mit der
Felsenwand oder mit dem Meeresgrunde rergleichen darf.
Die Behauptung, dass die Bezeichnung Induktionsschluss in-
duktive
BegrUb-
für den Gehimvorgang der Induktion sinnlos sei, dass die
Lehre von der Induktion ganz und gar in die Psychologie bndnig,
gehöre, scheint ein Streit um Worte zu sein, solange nicht
hell geworden ist, dass Induktion nichts weiter ist als die-
jenige Association von Sinnesempfindungen, durch welche
Association B^piffe oder Woiie entstehen, beziehungsweise
in ihrer Anwendung verändert werden.
Ein vollkommener Induktionsschluss — wenn es einen
solchen gäbe — wäre nichts weiter als der Ausdruck der
Thatsache, dass ein Menschenccehirn durcli Beobachtunf?
sämtlicher Individuen einer Art dazu golang-t ist, von dieser
Art ein bestimmtes Prädikat auszusagen, das heisst docli
eigentlich, sich bei dem Worte oder Be<^rifV dieser Art eine
bestimmte Eij^enschaft mit zu denken. Möglich sind solche
vollkommene Induktionen überhaupt nur bei den Be^niffen,
die eine beschränkte Anzahl von Individuen umfassen. £s
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462
VL Die Induktion.
kann ein einzelner Mensch wohl sämtliche existierende
Pyramiden untersuchen, sämtliche bisher entdeckte Pkmeten
beobachten. Der unbewusste Vorgang der liuluktioii wird
nun darin bestehen, da5;s der Begriff Pyramide mit ent-
hält: «oicii riesige, vit>rcckige, sjiitzige Grabdenkmäler
der 1 'ha raunen. Wird nun z. H. irgendwo eine ganz kleine
Pyramide aufgefunden, so hat das zur Folge, dass dieses
kleine viereckige, spitzige (iral»denkraal nicht mehr unter
den Begriff Pyramide füllt, oder dass wir bei diesem Wurte
aufhören, uns Riesengrösse mit vorzustellen. Wird uher
irgendwo z. B. das Fundament einer bisher unbekannten
Pyramide aufgefunden, so wird der bisherige Begrill' (nicht
die Gewissheit, auch nicht eiuiual die Wahrscheinlichkeit,
sondeni nur) den Wunsch in uns wachrufen, dass wir ein
Grabgew(Ube vorfinden möchten. Von einem Schlüsse kann
dabei nicht die Red.- sein. Jeder Schluss wäre falsch, auch
dann, wenn die Thatsaehen ihn bestätigten. Daun wäre
nur die neue lieobiiehtuug richtig, nicht aber der Schluss,
der uns aufforderte, sie anzustellen. Der Fall liegt ähnhch
• bei dem Begriff der Planeten, von denen wir auch nur eine
beschränkte Zahl kennen. Die Astronomen haben dit hii a'
als einen Planeten erkannt, haben ihre Achsendrehung
nachgewiesen und haben die Achsendrehung auch bei
einigen grossen Planeten beobachtet. Damit ist in ihren
Vorstellungen die Induktion entstanden, dass ein Planet
sich um sich selber drehe; das ist natürlich kein Schluss,
sondern nur der Weg zu einer reicheren Begriffsbildung. Die
Alten benannten die ihnen bekannten fünf Planeten da-
nach, daes sie zwiselien den Fixsternen willktlrlich umher
zu wandern schienen. Es waren ihnen Wandersteme. Die
neu^ Astronomie hat das annlos gewordene griechische
Wort beibehalten, stellt sich aber darunter eine Anzahl Ton
Himmelskdrpem Tor« die um sich selbst und um die Sonne
rotieren, deren Bahnebenen unfi^efahr in der gleichen Fttche
liegen u. s. w. Es ist richtig, dass sehr viele yon diesen
Umständen darum entdeckt wurden« weil man nach der
besseren Beobachtung der Erdbewegungen durch Induktion
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Induktive Begrilbbildttiig.
463
zu der «Erwartung" kam, jecler andere Planet werde ähnliche
Bewegungen zeigen. Die Erwai-tung war richtig, der Sdiluss
wäre falsch gewesen. Solange die Achsendrehung nicht
bei sämtlichen Planeten sicher beobachtet ist, so lange
darf die Wissenschaft den Satz nicht aufstellen : alle Planeten
bewegen sich um ihre eigene Achse. Daran ändert das
Kausalitätsgesetz nichts. Wohl lehrt uns das allgemein
für wahr angenommene TCant-Laplacesche Sonnensystem»
dass jeder Weltkörper, den wir einen Planeten nennen, sich
um seine eigene Achse drehen niUsse. Aber dieses System
ist eben nur eine Hypothese, das heisst der Gang der Be-
griffsbildung ist noch nicht abgeschlossen; wir wessen noch
nicht mit Sicherheit, welche Himmelskörper wir Planeten
nennen ,s(dlen" und welche Eigenschaften wir mit Sicherheit
mit diesem Begrifl" verbinden sollen. Beobachtete man auch
nur einen Planeten ohne Achsendr^hiing, so wäre entweder
das Kaut-Laplacesciie System zu korrigieren oder die An-
wendung des Wortes IManct einzuschränken. Genau so
wie bei einer Pyramide ohne Gral>gew()lbe. Und entdeckte
man einen Planeten, dessen Bahn senkrecht stünde zu der
ungefähren Ebene der übrigen Planetenbahueu, so wäre
wieder entweder das System oder das Wort in Frage ge-
stellt.
Ganz ebenso verhält es sich mit derjenigen Induktion
oder Begrifl'sbildung, die wegen der un/.riLhgen Einzel-
falle nie vollständig werden kann. Wie die Planeten bei
den Alten iliren Namen von ihrer scheinbaren Wande-
rung hatten, so hatten die Kosen ihren Xamen davou, dass
man nur rote Rosen beobachtet und unter ein Wort zu-
sammengefasst hatte. Die Etymologie (oder Volksetymologie)
ist sinnlos geworden, seitdem und weil wir uns entschlossen
haben, solche Blumen weiter Rosen zu nennen, auch wenn
sie weiss oder gelb sind. Die Induktion filhrk uns ferner
gewiss zu der Erwartung, dass jede Bose angenehm rieche.
Nun hat irgend ein armer Teufel Ton Gärtner die schöne
Hadame-Rothschüd-Rose gezüchtet, welche nicht ein bisschen
duftet Unser Sprachgebrauch nennt diese Blume trotzdem
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464
VI. Die biduktioau
eine Rose. Gäbe es einen Induktionsschluss, so mtlssie
nach Millionen von Fällen auch die Rothschild-Rose duften.
Wer von ihr nichts Aveiss, wird den Satz »jede Rose duftet"
für einen tinljedenklidiieti Induktionssdiluss halten. Wissen-
schaftlich ist er wegen der einen Oegeninatanz unhaltbar.
Die S2)rache aber halt ihn unbekümmert um die Logik
aufrecht. Die Erwartung, dass jede einzelne Rose duften
werde, wird durch den Sprachgebrauch erregt. Wer nun
eine nichtduftende Rose findet, wird sich wundem. Wäre
die Induktion oder die Begritfsbildung, welche mit dem
Worte Rose den Duft verbindet, ein log'ischer Schluss, dann
wäre die Rothschild-Rose in der That ein Wunder. Alle
Wunder — soweit sie nicht Sinuestäuschunpen oder Be-
trügereien waren — sind ein Verwundern über die Unge-
nauigkeit der Sprache g'ewc^en.
Die Aufhebung und Vernichtung eines Wortgebrauchs
durcli einen einzigen Ausnahmefall, durch eine sogenannte
Gegeniubtauz, ist allerdings in der wissenschaftlichen Sj)rache
die Recjel, Und in diesem vorläufigen Verwenden aller
Worte — bis auf den Gegenbeweis durch eine einzige In-
stanz — liegt allerdings etwas, was mitunter einer voll-
ständigen Induktion nahe kommt, das heisst einer vollstän-
digen Begrifi'sbildung.
Ein Wort fider ein Begriff ist das Erinnerungszeichen
an die Aehulichkeit zeitlich und räumlich getrennter Sinnes-
eindrücke. Zur Erkenntnis der Wirklichkeitswelt oder zur
sicheren Verwertung künftiger Sinneseindrücke wird so ein
Wortzeichen erst durch möglichst vollkommene Induktion
brauchbar. Habe ich tausendmal täglich, also millionenmal
seit meiner Geburt, bei Berührung eines Körpers die Sinnes-
empfindung des Widerstandes gehabt, so entsteht in mir
der Begriff der Härte, der Undurchdringlichkeit, oder wie
man sonst diese Eigenschaft der Körper nennen will. Mein
eigenes Gedächtnis hat mir Millionen Fälle geliefert und
keine einzige Gegeninstanz. Anders liegt die l^ftche mit
einem so geläufigen Begriff wie dem der Sterblichkeit aller
Menschen. Der einzelne hat vielleiclit in seinem ganzen
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Induktive Begrifibüdong.
465
Leben zwei oder drei Menschen sterben sehen. Die Nach-
richt von dem Tode sehr vieler Menschen, die seine Er-
innerung ihm sonst bietet, verdankt er den Todesanzeigen
der Zeitungen und Privatmitteilungen, sowie dem Lesen der
Weltgeschichte, also unzuverlässigen Quellen. Trotzdem ist
der Begriff der Sterblichkeit in uns aus ]\IilUaä Jen von
Fällen, ohne eine einzige Gegeninstanz, ricJitig entstanden.
Es ist nämlich für die Erinnerung des einzelnen die Er-
innerung des Menschengeschlechtes eingetreten. Seitdem es
Menschen gibt, haben immer die jttngeren Geschlechter die
alteren sterben sehen , die einzelnen immer nur einzelne,
aber alle haben alle sterben sehen. Schon eine Lebens-
daiMT Uber hundert Jahre hinaus ist eine ea auf&Uende Er-
scheinung, dass sie regelm&ssig in der Erinnerung eines
engeren Kreues bewahrt worden ist. Bas Ausbleiben des
Todes wSre also ein solches Wunder, eine solche Sprach-
widrigkeit gewesen, dass jeder solche Fall einer G^ainatans
ganz gewiss im Gedächtnis der Menschheit Terwahrt worden
wSre. Da uns aber aus allen Milliarden Yon Menschenleben
nicht ein einziger FaU von Unsterblichkeit glaubhaft über-
liefert worden ist, so beruht der Begriff StM-blichkeit als
zum Begriff Mensch gehörig auf einer nahezu ToUkom-
menen Induktion, das heisst auf einer Unzahl Ton Füllen,
denen keiiie Qegeninstanz gegenüber steht. Denselben Weg
hat die Begri&bildung auch bei den einfochsten konkreten
Worten eingeschlagen. Seitdem die Menschheit die käl-
teren Zonen der Erde bewohnt, oder seitdem die bewohnte
Erde kSlter geworden ist, hat sie den Begriff Schnee
bilden müssen. Keine ausdenkbare Ziffisr ist gross genug,
um die Sdinedlockw zu äUilen, die einzelne im Laufe
seines Lebens oberflächlich ges^en hat. Unausdenkbar
grosser ist die Zahl der Flocken, die seit der Existenz der
Menschheit auf Erden gefallen sind. Gegen den B^riff
aber, dass Schnee kalt sei, ist niemals eine Gegeninstanz
entdeckt worden. Wir werden also wohl ein Recht haben,
mit dem Worte Schnee Kälte, ge^rene Wasserteilchen zu
Terbinden. Die Menschheit war es, die durch Liduktion
Maatha«!, Beltiige zu einer Kritik der Sprmche. in. 80
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466
VI. Die Indnltioii.
diesen Begriff gebildet hat, ^Srhnce* ist aber natürlich
kein Scbluss , sondern ein Wort. Und der ganze Unter-
schied zwischen der kindlichen alten Zeit und unserer viel
gerühmten Wissenscbaftlichkeit besteht nicht in einer bes-
seren Logik , sondern in einer genaueren Beobachtung.
Aristoteles besass kein Thernionieter , konnte darum den
Gefrierpunkt des Wassers nicht jedei-zeit auf einen Haar-
strich genau bestimmen und konnte darum auch nicht die
Zubereitung von Erdbeereis lehren. Aber sein Begriff Schnee
war darum nicht viel schlechter als der unsere. Nur weil
er die Induktion filr eine Art des logischen Schlusses
hielt, redete er Unsinn, sobald er «ber die Erfahrung hinaus
ging, das heisst ein W^ort über die Geschichte seiner Bil-
dung hinaus verwandt«. Er sah, dass das einzelne Schnee-
sttickcheu ein durchsichtiger Eiski vstall sei. Darum erklärte
er den durchsichtigen Bergkrystall für eine Art Eis. Das
koiunit uns lächerlich vor. Wir sind aber jeden Tag bereit,
denselben Fehler zu begehen , sowie wir beim Gebrauch
eines Wortes die Sinneseindrücke vergessen, an die es aUein
erinnern will. Hätte Aristoteles gewusst, dass die bewohnte
Menschenerde ein Planet sei, so hätte er ganz gewiss den
lächerlichen Tnduktionsschluss gezogen , auch die übrigen
Planeten seien von Menschen bewohnt. Und dieser lächer-
liche Induktiousschluss wird heute noch von allen denen
gezogen, welche behaupten, der Mars sei von Menschen
bewohnt.
Die Gelehrten aber, welehe diese Behauptung niclit
geradezu aufstellen, welche aber doch die Frage zu beant-
worten suchen, unterliegen demjenigen, was das Wesen der
Induktion auamadit: der Verführung zu einer Erwartung,
eine Teif&hrung durcli Wunsch, niclit durch «Sdiliessen*.
Und wenn wir die Physiologie unseres Gehirns besser ken-
nen würden, so würden wir vielleicht hinter das Geheimnis
kommen, dass erstens das eigentlich sogenannte Denken,
das syllogistische Schliessen nichts ist als das durch Hem-
mung hMTorgerufene Bewusstwerden unsere Erinnerungs-
zeichen oder Worte, dass zweitens der in die Logik hinein
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IndttkUve Begxiffibilduiig.
467
gestossene sogenannte luduktionsschluss nichts ist, als die
durch Jahrtau ^otkIo lanfrsam vor sich geliende Bildung oder
Krv«tfdlisation 1 1»« !i jener Worte, welche dann im soge-
nannten Denken gewisseiniflssen wieder flüssig werden, dass
drittens der Grund dieser Wortbildung oder Induktion in
nichts anderem besteht, als in der Bequemlichkeit unseres
Gehirns, in der grösseren Leichtigkeit oder Passierbai keit
.schon benutzter Nervengleise für gleiche Sinneseindrücke.
In der Bequemlichkeit und Leichtigkeit liegt die YerflUhrun|^
zur Iiuluktion, zur richtigen, wie zur falschen.
Nur weil man die Induktion für eine Schlussform hielt
und sie dämm einer phantastischen Logik überwies, geriet
man in die Verlegenheit, die BegritTsbiklung , das eigent-
liche Wesen der Induktion, anders und noch phantastischer
erklären zu müssen. Man behauptete, durch Induktion zur
Kenntnis der Gesetze und durch einen nie in der Wirklich-
keitswelt des Gehimlebens beobachteten Vorgang, den man
Abstraktion nannte, zur Kenntnis der Begriffe zu gelangen.
Wir aber kemu» keine Gesetze, wir kamen flberliaupt keine
S&tse, die nicht sckon in den Begriffen enthalten wären.
Wir weirden ah» geineigt aeuHf den Begnff Abstraktnm ans
unserem Sprachschatz hinaus su weifen, nnd an seine Stelle,
wenn die Stelle sdion ausgefüllt werden muss, das viel miss-
brauchte Wort Induktion zu setzen.
Eine besondere Art der tuduktiTcn Wortbildung ist die
Entstehung unserer mathematischen Grundbegriffe. Der
Idealbegriff eines Hundes, der sieh mit keinem emzigen
Wirklichkeitshunde deckt, ist nicht so sehr Terschieden von
dem Idealbegriff einer Geraden, der keine einzige wirkliche
Gerade entspricht Wir haben noch niemals parallele Linien
bis ans Ende des Raums yerfolgt, und haben uns dennoch
den Idealbegriff parallel gebildet Mit der Zurflcklahrung
mathematisdier Grundbegriffe auf unsere Art der Induktion,
wird der theologischen Lehre Ton den angeborenen Ideen
der letzte Halt entzogen.
Haben wir uns aber klar gemacht, dass aUe Erkenntnis
der Natur und ihrer sogenannten Gesetze begrOndet und
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468
Tl. Die Indnküoiu
aufge8ta})elt ist in un-or. in Sprachschatz oder deu Erinne-
rungszeichen der Menschheit, haben wir uns ferner klar ge-
macht, dass die Worte dieses Erinnerungslagers von jeher
bis auf den heutigen Tag durch eine unvollendete und bis
au das Ende aller Dinge nicht zu vollendende Induktion ge-
bildet worden sind, so werden wir wieder uickt daran zwei-
feln können, dass eine Erkenntnis der Wirklicbkeitswelt
durch solche nie zu vollendende Werkzeuge niemals voll-
endet werden kann. Was wir für Wissenschalt halten, ist
immer der jeweilige Sprachgebrauch. Der Sprachgebrauch
ist ein Tyrann, er beherrscht aber nicht nur die Laute, die
unsere Sprachwerkzeuge von sich geben , er beherrscht
ebenso das. was wir unser Denken zu nennen pflegen. Wir
blicken verächtlich zurück auf den Sprachgebrauch oder das
Denken weit zurückliegender Völker; unser eigenes Denken
verachten wir nur darum nicht, weil wir niclit wissen, dass
es mir Sprachgebrauch ist So lachen wir Ober die Sitten
und SostOme Ton Indianern, nicht aber Aber unsere eigenen
Sitten und unser eigenes Eostttm.
Wir haben erfahren, dass die Entwickelung der mansch-
liehen Sprache durch Metapham oder Bilder Tor sieh ge-
gangen ist, durch Vergleichung Ton Aehnlichkeiten. Die
unbewusste Vergleichung von Aehnlichkeiten, wie sie un-
aufhörlich Ton unserem Gehirn geübt wird, ist auf ihrer
einfachsten Stufe die Induktion oder Wortbildung. Ist diese
Vergleichung ganz ungenau und ungewiss, so heisst sie
Analogie, und auch dieser phantasioToUe Vorgang wird von
der Logik fbr sich in Anspruch genommen und Annlogie-
schluss genannt Analogie und Induktion f&hren beide nur
zu Hypothesen, zu besser oder schlechter begrOndeten.
Jedes Wort unserer Sprache ist das Aufd3mmeni einer Aehn-
lichkeit, ist eine Hypothese, und aus Hypothesen Hast sich
nichts beweisen. Induktion fuhrt nur zu Worten, nicht
zu Beweisen. Sprache, Hypothesen, Wissenschaft, es sind
nur verschiedene Ausdrucke für denselben Voiigang, der uns
veifUlut, irgend etwas zu erwarten, mit grosserer oder ge*
lingerer Wahtscheinlichkeit zu erwarten.
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Induktion und Abstraktion.
469
Wir sind auf uiiserem Wege dahin gelangt, keinen ia>
Unterschied zu sehen zwischen der Induktion und dem, was ^"J'^»
und Abs-
die Schule immer noch Abstraktion nennt. Wir sind zu traktion.
der Einsicht gelangt, diiss alle menschliche Erkenntnis in
Worten oder Bej^rifl'en besteht und dass in ihnen alle die-
jenigen Erkeiintiii--fornien enthalten sind, die wir je nach
dem Grade unserei- Bescheidenheit ErfaLiuiigen oder Ge-
setze nennen. Es bleibt uns noch übrig, uns mit der deut-
schen Wissenschaft über den Begriff Abstraktion auseinander
zu setzen. Man gilt ja nicht für gründlich, wenn man vor-
wärts geht, ohne sich durch Rückblicke aufhalten zu lassen.
Man gilt für unhöflich, wenn man seinen Gegner im Duell
nur erschlägt und üun mxAA musk noch die Hand reicht.
Die Qeietestihitigkeit, welche man in England und
Frankreich Fhüoeophie zu nennen pflegt, hat in diesen
Lftndem der Induktion grosse Anerkennung Tersohafft. Die
ftihrenden Engländer und Fnmsosen aber haben keine Ahnung
daTon, wie obeifl&chUch sie sind; sie wissen, dass die In-
duktion nidit zu einer Wissenschaft führt, sondern nur zu
einer Erwartung, aber sie ahnen nicht, dass diese Liduktion
nicht zur Wissenschaft ftthre, sondern nur zum Sprach-
gebrauch. Die Schalten jagd, welche man in Deutschland
Philosophie nennt, beruht auf einer viel tiefem Sehnsucht.
Wenn wir wirUich eine Wissenschaft, eine Erkenntnis be-
süssen (was ja auch die Bnglftnder und Franzosen behaupten),
so hüten unsere Erkenntnistheoretiker ganz recht damit,
dass sie neben der Induktion eme zweite Erkenntnisquelle an-
nehmen, die Abstraktion. Ein kluger und ehrlicher SchQler
Kants, E. F. Apelt, hat diese Lehre sorgsamer als ein anderer
ausgebaute £^ sieht scharf, wenn er (in seiner «Theorie
der Induktion*) ' behauptet: die Beweisart durch Induktion
besitze keine Selbständigkeit, sondern sei von leitenden
Maiimen abUüigig; die Induktion sei nicht der Weg zu
den notwendigen Wahrheiten, sondern der Weg zu der
Verbindung notwendiger Wahrheiten mit den zufälligen
Wahrheiten; sie sei das Band, welches das Mögliche und
Notwendige mit dem Wirklichen Terknflpfe.
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470
YL Die Induktioii.
Glaubt man an notwendige W'aliiheiteu, an die Er-
kenntnis von Naturgesetzen, so sind diese Sätze richtig, so
gibt es in unserem Gehirn neben der Induktion noch eine
besondere Abstraktion. Dann beweist die Induktion die
Gültigkeit eines Gesetzes aus vielen Fällen, dann destilliert
die Abstraktion die Gültigkeit eines Gesetzes aus einem
einzigen Beispiele.
Solange wir auf den Höhen der Wissenschaft bleiben,
solange steht nichts dem Gebrauch dieser beiden Begriffe
entgegen. Als Newton die grosse Eingebung hatte, die
Keplerschen Gesetze und das Fallgesetz Galileis als ein und
dieselbe Erscheinung zu erkennen und sie Gravitation zu
nennen, da glaubte er gewiss ein Ergebnis der geniakten
Induktion mit einem Ergebnis der genialsten Abstraktion zu
Terbinden.
«
Idi füge eine spracbliche Erinn^uug ein.
•sohiran* Selbst die Chrundbegriffe der bandgreiflicluten Wissen*
Schaft, der Hecbanik, sind tote Worte, und es ut bez^dmend
dafür, dass selbst die Genies, die einen neuen Begriff ein-
fähren wollen, in der Wabl seines Kamens ebenso schwankend
sind wie unklar in seiner Erklärung. Immer erst die ab-
Bcbreibraden Nadifolger fixieren die Grundbegriffe, sowie
auch andwe Dogmen nickt Ton den Stiftern, sondern von
den Schülern festgesetzt werden.
So ftthrte Galilei für die augenblicldicke Ejraftwirkung
eines bewegten KOrpeni den Ausdruck Moment ein, erklärt
dies aber an dem Beispiel des Falles fast geschwätzig (Bis-
corsi e dimostr. mat. Xm. 3. 174): Timpeto, il talento, Pener^
gia, o TOgliamo dire il momento di discendere.
Er will nichts als dem alten Begriffe der Kraft eine
zahlmftssigere Formulierung geben. Er will streng mecha-
nisch sein und gebraucht doch im selben Augenblick Ton
der objektiTen Kraft Bezeichnungen wie Talent, oder gar
Tugend, die auf einen subjektiTen Willen schüessen lassen
müssten.
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»Schwere*.
471
Der geheime Orund, weshalb selbst die robuste Meehanik
nebelhafte Worte zu ihren Onindbegrififen ernennen muss,
li^ in der immer noch nicht allgemein genug durchsdiauten
Armut der Malhematik. Mathematik ohne materielle tXnter*
läge ist wie eine Ettche ohne gefällte Speisekammer. Das
glilnzt von den Winden, brodelt im Wassertopf, aber keine
Maus kann satt werden. Aus Nichts wird Nichts, und aus
Mathematisdiem wird nie etwas anderes als Mathematisches,
^Tird nie Wirkliches.
War also Galilei eben auch unf&hig, seine genialen
Beobachtungen sprachlich tadellos festiBuketten, so war der
Philosoph Cartesius in seiner Kritik des Galilei fonnell im
Beoht und schreckte darum vor Albernheiten nicht zurttek,
wegen deren ihn heute jeder Schulknabe auslachen darf.
.Galilei, sagte er (lettres II. 91 Seite 391. Paris 1659),
hätte zuerst bestimmen mOssen, was die Schwere sei,
und wenn er darüber das Richtige wOsste, so wQrde er auch
wissen, dass sie im leeren Baume gar nicht vorhanden ist.*
Der Schuljunge Ton heute, der da Uber den grossen Cartesius
lachen kann, weiss seit Newton, dass die Schwere die
Gravitation ist, und dass sie durch den „leeren* Raum wirkt,
Schulungen und Professoren aber scheinen nicht zu wissen,
dass audi der Grundbegriff Gravitation ein hilfloses Wort
für eine gewiss gewaltige H3rpotiiese war, Newton sagt
eben Schwerigkeit anstatt Schwere.
Es wird selbst dem grossen Engländer vielleicht nicht
bewusst geworden sein, warum er mit dem alten Worte
nicht auskomnien konnte; aber sein bewunderungswürdiger
Takt lehrte ihn, dass es aus sei mit dem bisherigen Grund-
begri£ Bis auf Newton war es die zuverlässige Eigenschaft
jedes anständigen Köxpers, so und so schwer zu sein, so
und so viel zu wiegen. Da kam Newton und sagte: die
Schwere sei eine gegenseitige Frage zwischen Erde und
Pfund, wie zwischen Erde und Mond und zwischen Sonne
\md Erde. Wenn nun ein Pfund nicht mehr unter allen
Umständen ein Pfund war, dann war das Wort nicht mehr
zu brauchen. Der Mond war nicht so und so viel Zentner
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472
VI. Die Indoktioa.
schwer, sondern hatte zui Erde die und die Schwerigkeit.
Die Erde wog nicht, sondern wuchtete ftlr die Sonne in
dem und dem Verhältnis. Diese ffanze Begnüsgrui)}^ hatte
sprachlich geändert werden niusben, wenn die Hypothese
Newtons Gemeingut geworden wäre. Aber wie immer in
solchen Fällen bleibt die Sprache das grobe Werkzeug der
konservativen Masse und der neugefundene Grundbegriff
muss von jedem Nachkömmling zwischen den Zeilen der
Sprache neu gefunden werden. Doch zurück zu unserem
Gedankengange.
*
Der entselieidende Schritt Eepkrs bestand durin, dasi
er in der Bahn des Planeten Mars diejenige Linie erkannte,
wdehe in der Geometrie selion lange als Ellipse hdaamt
war. In der Sprache der Schallogik sagt man ganz richtig,
er habe die elliptische Form der Marsbahn durch einen
Induktionsschluss entdeckt. Anf Grund Toransgegangener
Berechnungen vollsog er mit staunenswertem Fleisse die
Arbeit, die relativen Stellungen des Mars zur Sonne ftr
riele Punkte der Bahn festzustellen. Die Gleichungen dieser
Punkte hatten etwas Gemeinsames und dieses Gemeinsame
entsprach der Formel, welche in der Theorie der Kegel-
schnitte für die Ellipse herausgefunden war. Es war das
Ideal eines sogenannten Induktionsschlusses, als er nun aus
den Gleichungen oder Merkmalen einzelner Punkte auf die
Vermutung kam: der Mars bewege sich in einer EUipsen-
linie um die Sonne.
Der entscheidende Schritt Galileis war — in der Schul-
sprache ausgedrflckt — eine Abstraktion. Er fknd sein
FaUgesetz nicht aus der Yergleichung der in Ziffern aus-
gedruckten Fallgeschwindigkeit, wenn er auch durch das
TOn ihm zum erstenmal beobachtete gleich schnelle FaQen
leichter und schwerer KOrper induktiv auf seine Vermutung
gebracht worden aem mag. Er analysierte die einzelne
Körperbewegung und schied aus dieser Bewegung die Be-
griffe der Gleichmissigkeit, der Beschleunigung, der Trilg-
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Indoktiim imd Abitraktidii.
473
heit aus, er k&m dadurch zu der Ueberlegung, dass es mit
dem Fall der Körper so und nicht anders sich verhalten
müsse. Das Hauptverdienst Keplers besteht also darin,
dass er die mathematischen ^Gesetze" der Planetenbahnen
auffand, das Verdienst Galileis darin, dass er die mechani-
sche Bewegung in ihre Begriffe zerlegte. .Trägheit*
war ein neuer Begriff, wenn man ihn auch bis heute ein
Gesetz zu nennen pflegt; die Keplerschen Gesetze waren
mathematische Formeln, also re( lit ei<?entlich Gesetze, bis
^io durch Newton in den neuen Begriff der Gravitation ein*
gingen.
Damit sind wir beim Kernpunkt der Frage angelangt.
Wir lassen uns von der Abstraktion zu immer höhern und
höhern Begriffen führen, von der Induktion zu immer be-
stimmteren Gesetzen. Wäre diese Unterscheidung richtig
oder brauchbar, so müssten wir in unserem Gehirn diese
beiden Thäticrkeiten nach wie vor unterscheiden.
Die Emtührung des Wortes Gravitation ist der letzte
Fall, dass die Weltanschauung der europäischen Menschheit
durcli ein einziges neues Apercu gründlich umgestaltet
wurde. Dem Worte Darwins, der Entwickelung, kommt
eine gleich grosse Bedeutung nicht zu , weil es wohl ein
reicher neuer Begriff ist, aber zu einem Gesetz noch nicht
formuliert werden konnte. Wir können das auch so aus-
drücken, dass der Begriff Entwickelung zwar sehr weit und
reich aber nicht mathematisch begrenzt sei, wie wenn der
Entdecker eines Schatzes seineu Goidhaufen noch nicht ge-
zählt hat. In der Gravitation nun aber sieht man einen
Begriff oder ein Gesetz , je nachdem man der Erkenntnis
wegen ihn sich klar machen oder des Kalenders wegen ihn
anwenden will. Diese Relativität der Begriffe Gesetz und
Begriff wird vielleicht klarer werden , wenn ich von den
ausserordentlich schwiengeii Beobachtungen Newtons zu
der scheinbar gemeinsten Beobachtung des Menschen zurück-
ktiiic. Da finden wir ein Wort, das dem Bauemjungen wie
seinem Kultusminister gleich geläufig ist: das Jahr.
Jedermann wird mir zugeben, dass das Jahr, wie wir
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474
VL DLe Induktion.
Wakr*. dieses Wort ausserhalb der Asfaronosiie und Eelenderkunde
hundertflÜtig gebrauchen, nichts weiter ist als ein Begriff,
ein bequemer Begriff, mit dem wir einen Zeitabschnitt be-
zeichnen, und über den alle Menschen einig sind. Wir
wissen, dass der Anfang des Ealendetjahres nicht immer
auf den ersten Januar gelegt worden ist; wir wissen, dass
die Fixierung der Jahreedauer oder Tielmehr ihre Einteilung
in Monate und Tage noch in historischer Zeit, ja bis in die
Gegenwart hinein Schwierigkeiten machte; aber gerade die
Bemühungen des julianischen und des gregorianischen Kalen-
ders, das Kalenderjahr mit der wirklichen Jahresdauer in
TJebereinstimmung zu bringen, lassen uns ohnehin annehmen,
dass die wirkliche Jahresdauer der zu Grunde liegende Be-
griff war. Hatte man sie auch früher nicht auf die Sekunde
genau berechnet, so wusste man doch, was man sich unter
ihr Yorstellte. Jeder Schulknabe weiss heute, dass das Jahr
die Zeit eines Umlaufs der Erde um die Sonne bedeutet.
Von einem Umlauf der Erde um die Sonne wusste u
aber die gelehrtesten Leute noch nichts, die etwa fünfzehn
Geschlechter vor uns lebten. Dehnen wir diese kurze
Spanne Zeit, ein paar Hundert von diesen armseligen Jahren,
noch ein bisschen aus, denken wir uns ein paar tausenJ Jahre
zurUck, und der Begriff Jahr verwandelt sich in ein Gesetz,
dessen Aufdeckung sicherlich verhältnismässig ungeheure
Geistesarbeit erfordert hat. Ich meine das so:
In irgend einer Urzeit, in welcher die Menschen nicht
auf Eisenbahnen zum Mittagessen fuhren, aber im übrigen
schon Menschengehime hatten, mUssen wir sie uns doch
so vorstellen, dass ihnen der Begriff des Jahrs noch nicht
aufgegangen war, ebensowenig wie der Begriff der Minute
oder Sekunde. In noch früherer Zeit, als das Mensclien-
gehirn dem Tiergehim noch näher stand, mag ihnen laug-
sam der Begriff oder das Gesetz aufgegangen sein, das uns
als Wechsel von Tag und Nacht geläufig ist. In jener
Urzeit aber, in die ich mich zurückversetze, kannten sie
schon ganz genau diesen Wechsel, erwarteten nach dem
Tage die Kacht und nach der X^acht den Tag, hatten aber
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475
in ihrer wannen Heimat keine Veranlassung, auf die regel-
mässige Wiederkekr der Jahreszeiten zu achten. Es waren
die Kepler jener Urzeit, welche ohne ein so lehhaftes Inter-
esse der Not dennoch zu beobachten anfingen, dass die
Stelle des Sonnenaufgangü sich eine gewisse Zeit lang nach
rechts und dann wieder nach links schob , dass zwischen
den Regenmonaten und diesem Spaziergang der Sonne ein
gewisser ZusamiiM nlianj^ bestand. Ich denke mir nun,
dass die Menschen durch das Gerücht vernahmen, diese Er-
scheinung verstärke sich noch an weniger begünstigten
Stätten der Erde. Da werde es empfindlich kalt an den
Tagen, an denen die Sonne zu weit rechts aufgehe. Irgend
ein bcwuudL-rnswerter Kepler der Urzeit mau nun, un-
stillbarem Forschungsdrang getrieben, i. IL um ÜLilLieben
die kalten und warmen Tage gezählt und dazu den Weg
der Sonne gemerkt oder verzeichnet haben. Gleichzeitig
rückten die sich vermehrenden Menschen in noch nörd-
lichere Gegenden vor, wo sich der Wechsel der Jahreszeiten
dem Interesse fühlbarer machte. Als sie da viele viele Tage
(ein paar Dutzend Jahre naeli unaarer Ausdrueksweise) ge-
teilt hatten, erfanden sie f&r die kalten Tag« den Begriff
Winter, fttr die warmen Tage den BegriS Sommer, küm-
merten sidi noch nicht nm die Nuancen, die wir Frühling
und Herbst nennen, und erfanden für den regebnttssigen
Turnus eines Sommers und eines Winten zusammen das
Wort oder den Begriff: em Jahr. Und es konnte ihnen
nicht entgehen, dass die aufeinanderfolgenden Jahre un-
gefähr gleich lang waren, dass die Sonne dabei nach rechts
und nach links wanderte, dass endlich die Zeitdauer eines
Jahres bequemer ab die eines Tages war, um das Leben
▼on Mraschen und grässem Twten danadi zu bemessen.
Um dieselbe Zeit gelangte der bewunderungswOrdige
Kepler der Urzeit unter stupender Geistesanstrengung dazu,
ein welterschUttemdes neues Gesetz auleustellen: Unsere
QWm Sonne geht nicht nur hinauf und herunter, und das
aUtftgUch, sie wandert auch nach rechts und links. Diese
Wanderung Tollsieht sie regelmftssig, also gesetzlich in einem
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VI. Die Induktion.
Tiinras Ton etwas über 860 Tagen (wenn diesem Kepler
der Urzeit die nngeheaerliclie Züfer 360 vorstellbar und
mitteilbar war), an diese horizontale Wanderung der Ekmne
ist der regelmSssige Wechsel yon gutem nnd scblechtem
Wetter geknüpft; es ist ein Naturgesetz, dass in einem
Turnus von so und so Tiel Tagen die Witterung und die
Sonne zu ihrem frühem Stande zurückkehren. Dieses Gesetz
nannte der erstaunliche Mann den Jahreswechsel, und ich
zweifle nicht, dass seme besseren Zeitgenossen sieh anander
erschüttert in die Arme fielen und glaubten, niemals werde
die Menschheit ein tiefsinnigeree Naturgesetz erkennen; ich
zweifle nicht, dass der Hann für seine Neuerung Ton den
Pfaffen seiner Zeit zu Tode grauurtert worden ist.
Und nun frage ich: welcher ünterschied besteht zwi-
schen dem Begriffe Jahr, welcher bei dem einen Volke
durch Abstraktion enthüllt, und zwischen dem Gesetze Jahr,
welches bei dem andern Volke durch Induktion ^bewiesen*
wurde? Die Abstraktion konnte nur um Kleinigkeiten weiter
getrieben werden; die Induktion führte zu einer immer ge-
nauem Beobachtung. Wir sagen das so. Aber das grosse
Naturgesels des Jahreswechsels ist unter seinen Tersehie-
deoen Erklärungen durch Ftolenütos, Copemikus und Kepler
doch immer nur ein Begriff geblieben, ein immer deut-
Kcherer Begriff, den wir in unserem wissenscbaftlichen
Denken zu einer Unmenge von sogenannten Urteilen und
Schlüssen auseinander legen. Induktion führt genau wie
Abstraktion nur zu Begriifen.
Ich glaube das Beispiel gut gewühlt zu haben. £s muss
jedem Leser einleuchten, dass der neu entdeckte Jahres^
Wechsel wer weiss wie lange den gebildeteren Menseben
jener Zeit ein schwioris^ef;, nur durcb bobe mathematische
Kenntnisse — das Zählen bis 3G0 — klar zu machendes
Naturgesetz war, den ungebildeten ein Mysterium. Ebenso
ist das Weltsystem, das yon Kant und Laplace auf Newtons
Naturgesetz der Gravitation aufgebaut worden ist, heute
noch eine besebwerliche Wissenschaft und kann doch viel-
leicht einem spätem Geschlechte zu einem geläufigen Be-
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Geaduehte der Induktion.
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«^rilF werden. Es ist kein Zufall, dass in dem einen wie
dem andern Falle zwischen der unfertigen Ertiihnintr und
dem verwendl>aren Begrift' eine raathematisclie Formel steht.
In jener Urzeit war die Belierrscliuug der Ziffer 360 ge-
wiss nicht weniger schwierig als heute die Differentialrech-
nung. TTnd in der Anwendung der Mathematik auf die
Begriffsbüdung oder Induktion dürfte das liorren, was wir
auch nach meiner Darlegung als « inen ruterscUu i zwischen
Induktion und Ai)straktion, zwi^cIiLU Gtsetz und BegriÜ em-
pfinden, ich gestehe auch, dass ich selbst einen solchen
Unterschied nicht zu empfinden mich nur schwer zwingen
kann. So sehr stehe ich bei dieser Untei-suchung unter dem
Banne des Spracligebram hs, den ich Ijekämpfe.
Diese ganze Frage ist aber neuen Datums. Das Wort Oe»
Induktion ist alt, aber die Ahnung, dass sie allein unserer "^'^^f*
Erkenntnis zu Grunde liege, ist neu. Die Behauptung gar, duktioa.
dass Induktion mit Abstraktion identisch und nur Wort-
bildung sei, wird eben erst von mir aufgestellt. Was Aristo-
teles über das Wesen der Induktion lehrte, ist für uns so
wertlos geworden, wie etwa seine Träumereien Uber Bio-
logie. Wenn er gar dem Sokrates die Erfindung der Ab-
straktion und der Induktion zuschreibt, so ist das für uns
ein leerer Wortschull. Es handelt sich bei Sokrates — so-
weit wir das aus Piatons Dialogen ei*sehen können — um
kindliche Versuche, den Sprachgebrauch festzustellen, nicht
um Erkenntnistheorie. Und Aristoteles selbst bewegte sich
immer im Kreise seiner Logik, in welcher die Induktion
keine natürliche Stelle hatte.
Man muss beinahe 2000 Jahre überspringen, um wenig-
stens anf praktisdie laduktionm zu atonen, wnui auch
dann nodi nieht auf ihre ThMoie. Oalilei und Kepler
fingen auerst an, mit Bewnssteein ao indnktiT Torzugehen,
wie ea nnbewosat der gesunde MenachenTostand T<m jeher
gethan hatte. Baoon Ton Yerulam, der den nnrerdienten
Rnf gemesst, die Theorie der Induktion geschaffen zu haben,
hatte von ihrem sprachlichen Wesen keine YonteUung. BUts-
artig findet sich die Wahrheit vereinzelt einmal bei Galilei,
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VI. Die Induktion.
der auf den Einwand , die Induktion sei wertlos, weil un-
vollständig, die merkwürdige Antwort gab: Wenn die In-
duktion alle möglichen Fälle umfas^sen mttsste, wäre sie
entweder nutzlos oder unmöglich; uimuiglich bei einer un-
endlichen Ziihl von Fällen ; nutzlos, weil der allgemeine
Satz unserer Erkenntnis nichts Neues hinzufügen würde.
Auch diese Antwort führt wieder auf die Frage zurück,
die ich jetzt so formulieren möchte: Warum empfinden wir
den auf induktivem Wege hergestellten Begriff als ein Ge-
setz? Warum fügen wir in unserm Geiste den beobachteten
Fällen die Erwartung ähnlicher hinzu? Wie kommen wir
SU dieser neuen Erkenntnis, Ton welcher Oalilei spricht?
Der wirUiehe Anreger der Induktionrtheotie, John
Stuart Hill, hat trote seines engtiidien Standpunktes diese
Hanptschwierigkeit wohl empf^en. Er drückte sich fol-
gendermassen aus: «Warum ist in manchen Fällen ein ein-
ziges Beispiel zu einer ToUständigen Induktion hinreichend,
wlUirend ein andermal Milliarden flbereinstimmender FsUe
ohne eine einzige bekannte oder vermutete Ausnahme nicht
gestatten, auch nur den kleinsten Schritt zur Festsetzung
eines allgemeinen Satzes zu thun? . . . Wer diese Frage
beantworten könnte, TerstOnde mehr von der Philosophie der
Logik, als der erste Weise des Altertums, er hätte das
grosse Pk-oblem der Induktion geldst*
Dopp«i* John Stuart Blill bildete sich nicht ein, dieses Ilr-
•tflne. gelöst zu haben. Unter seinem Emfluss stehend
hat der Astronom John Hetschel bei einer merkwürdigen
Gelegenheit praktisch etwas gethao, was mir auf dem Wege
zur Losung des Problems zu liegen scheint. Bei seinen
Berechnungen Aber die Bahnen der Ton ihm beobachteten
Doppelsteme gelangte er zu einzelnen Punkten einer solchen
Bahn, die (bei der Ungeheuern Schwierigkeit genauer Be-
rechnungen) sich nicht zu einer regelmässigen Kurve tw-
binden Hessen. Es ging ihm ähnlich, wie einst dem grossen
Newton, dessoi Berechnungen über die Uondbahn wegen
der groben Irrtümer in seinen Yorlagen zn keiner aTcr-
nUnftigen" Kurve führten. Newton hatte seine Arbeit Ter-
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Bopp«1ftenie.
479
driesslich liegen lassen, weil bei ihm die Ueberzeugung
von der Wahrheit seines Naturgesetzes noch nicht fest-
stand. Zu John Herschels Zeit oder wenigstens für einen
so bedeutenden Astronomen war die Gravitation ein so
rntiirlicher Betriff geworden, wie für uns der Jahreswechsel.
Er zog also ^mit kühner aber vorsichtiger Hand" eine
Kurve, die zwar nicht durch r|ip gegebenen Punkte, aber
doch so nahe wie möglich zwischen ihnen hinlief und
nahm an, dass durch diese ,v» rriünftige" geometrische Linie
seine Beobachtiingsfehler korrigiert würden.
Man hat diese kühne und vorsichtige Hand mit Recht
bewundert. Mir aber bietet Herschels Verfahren eine An-
regung, die mir wichtiger scheint als die Bereicherung, die
die Kenntnis des Himmels durch die Theorie der Dop])cl-
stenie erfahren hat. So wird jeder Gegenstand vergrössert,
wenn man ihn zu nahe an seine Augen bringt.
Es scheint mir nämlich, dass diese Entdeckung der
Bahnen der Doppelst^rne sich nur unwesentlich von der
Entdeckung der Marsbahn durch Kepler unterscheide. Die
berechneten Punkte der Marsbahn ergaben die Kurve etwas
genauer, das ist alles. Aber zu der Induktion Herschels
kam eben das Neue hinzu, das schon Galilei von der In-
duktion verlangte: die Ueberzeugung oder Vermuthung, dass
zwischen den riclitigen Punkten ein geordnetes, ein ver-
nünftiges Verhältnis bestehen müsse. Und diese Ueber-
zeugung oder diese Vermutung ist nichts weiter als die
durch unzählige Thatsachen in allen Menschenkopfen vor-
handene Annahme, es gehe in der Natur ordentlich, ver-
nünftig, gesetzlich /u. Früher sagte mau mehr vernünftig,
jetzt sagt man mehr gesetzlich; es ist aber ein und das-
selbe. Hätte Herschel die irrationalen, das heisst unver-
nünftigen Punkte der Doppelstembahn nicht mit kühner
aber vorsichtiger Hand nach einer geometrischen Yorstellung
hin- und hergerückt, er wäre nicht za einer Kurve gelangt,
welche jetzt für einen Bestandteil äer menschlichen Er-
kenntnis gehalten wird, welche das Zeichen Ar eine Stem-
bahn ist und welche nach Untttändea ein Begriff oder ein
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480
YL Die Induktion.
Gesetz genannt werden kam.. Die Vorstellung von Ur-
sachen und von einer Ordnung m der Natur, die wir nach
unserer Denkgewohnheit unseren induktiven Beobachtungen
aus Eigenem hinzufügen, diese Vorstellung erst verwandelt
uns den Begriff in ein Gesetz.
Begriff Und wieder hoffe ich diese Lehre deutlicher und weit-
voller zu machen, wenn ich das Vorgehen John Herschels
an ganz gemeinen Vorstellungen nachweise. Lange bevor
die Menschen zu dem Begriffe oder dem Gesetze des Jahres-
wechsels gekommen waren, gewiss aber später, ab sie das
Gesetz von Tag und Naebt erkannten, müssen irgendwo die
Menschen oder ein hervorragender Q&ai unter ihnen auf
den ISnfall gekommen sein, die Worte Fräch nnd Eiche zu
finden. Wir wissw bereits im allgemeinen, dass B^riffi-
bildung, Induktion und Abstraktion dasselbe ist; wenigstens
wissen meine Leser, dass ich es behaupte. Nun aber gibt
mir die vorsichtige KOhnheit John Heraohels Anlass zu
zeigen, dass auch so einfache Worte nicht anders entstanden
sein konnten. Es muss eine Zeit gegeben haben, in der
der Begriff Eiche noch nicht existierte, nock nicht von dem
ältem Begriffe Baum losgelöst war. Wie entstand dieser Be-
griff? Der hervorragende Mann jener Ururaeit beobachtete
zwischen einer Anzahl Bäume eine gewisse AnnSkenmg, z. B.
in der Form der Bl&tter und der FrQchte. Die Blfttter mancher
dieser ^ume sahen wieder den Blättern anderer Bäume ähn-
lich, die sich aber durch ihre Früchte unterschieden. TTnd so
ging alles bunt durcheinander. Eine Kurve — die neue
Mathematik wird mir dieses Wort auch für die Sprachge-
schichte gestatten — <, eine vernünftige Linie, welche gerade
nur diese Bäume rerband, ergaben die Beobachtungen niehi
Dennoch entschloss sich der hervorragende Mann jener ür-
urzeit, zwar nicht durch die einzehien Beobacktongspunkte,
aber zwischen ihnen hindurch eine solche vernünftige Kurve
zu ziehen und .erfand' oder benützte dazu das Wort «Eiche*.
Ein ebenso kühner Mann erfand od«r benützte das Wort
«Fisch*, trotzdem die Kurve der Beobachtungspunkte nicht
genau stimmte. Es gibt kein Wort, worauf diese Betrachtung
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B^riff und Gesetz.
481
nicht ausgedehnt werden kdimte. Wir sagen ,Pferd', trota-
dem die Kurve heaUgüch der GrOsse, der Farbe u. s. w.
darchaas nicht gana «Temfinftig* ist
Bs scheint mir aus dieser Untersuchung herrorzu-
gehen, dass auch in solchen klassischen Fällen der soge-
nannten Abstraktion nur eine Induktion vorlag , dieselbe
Induktion, durch welche Herschel die Doppelstembahn,
durch welche Kepler die Marsbahn fand. Aber noch
mehr. Uns sind die Worte: Eiche, Fisch, Pferd u. s. w.
so geläufig, dass wir sie einzig und allein als Begriffe auf-
fassen und stutzig werden, wenn emer sie Naturgesetze
nennen wollte. Idi hoffe aber, Oberaeugend gewesen zu
sein. So wie der genial« Entdecker des Jahreswechsels ein
Naturgesetz aufgefunden hatte, das uns nachher zum Be-
griffe wurde, ganz ebenso — man achte wohl darauf — war
fttr die genialen Entdedcer aller Gattimgs- oder Artbegriffe
jede solche Entdeckung zuerst ein Gesetz. Und ein ver-
blüfiPendes Gesetz mag es gewesen sein, als so ein Forscher
der Unirzeit lehrte: es geht in der Natur gar nicht so regel-
los und unvemflnftig zu« wie wir Menschenthier e bisher f^e-
glaubt haben; es gibt Arten, d. h. Gtesetze, d. h. Bej^riffe.
John Herschel hatte die Vermutung, es werde wohl die
Bahn der Doppelsteme eine Ursache haben und darum auch
eine bestimmte Form. Der Entdecker der Pferdeart hatte
ebenso die Vermutung, es werde für diese untereinander
ähnlichen Tiere eine Ursache und eine Form geben. Hinter
der Doppelstembahn stand das Gesetz: die Gravitation.
Hinter dem Artbegriff steht das Gesetz: die Abstammung-
Die ganze Geschichte der Menschenerkenutnis ist die ewige
Bemühung, die Gesetze, welche durch Gewohnheit zum Begriff
verflüchtigen, durch neue Beobachtungen wieder als Gesetze
zu empfinden. Was wir zu wissen glauben, wird uns zum
Begriff; was wu* ganz bestimmt nicht wissen, aber gern
wissen mdchten, das ist ein Gesetz. Es ist ein furchtbarer
Hohn auf die menschliche Sprache, dass dieselben Worte,
die auf der einen Seite unter der f^ewalti^sten Anstrengung
der besten Köpfe bis zu der Bedeutung von Natuigesetzen
Haathner, Beiträge zu einer Kritik der Sprache. lU. 81
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482
VI. Die Ifldiiktaoii.
emporsteigen, auf der andern Seite unter Mitwirkung der
Masse als leere Begriffe wieder hinabsinken, um wo mög-
lich den Kreislauf von neuem zu beginnen. Ich (^ube eine
ungeheure Bag^ennascbine vor mir zu sehen, deren Eimer
auf der einen Seite den Sand des Flussbettes langsam em-
porziehen, um ihn auf der andern Seite wieder in das unend-
b'ch fliessende Flussbett zurück zu schütten. Eine wahn-
sinnig gewordene Baggermaschine.
Einzig und allein diese skeptische Einsicht, dass In-
duktion und Abstraktion nicht wesentlich verschieden seien,
dass Gesetz und Begriff nur yerschiedene Auffassungen
unserer Worte sind, nur diese Terzweifelte Lehre kann das
Problem, wenn nicht lösen, so doch bei Seite schaffen:
was eigentlich unsere empirischen Induktionen dahin leite,
dass sie su neuen Erkenntnissen werden. Die bisheiige
Lehre von der Induktion hat (um grosse Gegensätze zu
nennen) die englische Forschung Ton der deutschen getrennt,
die Naturwissenschaft Ton der Philosophie. Nach meiner
Auffassung können sich Philosophie und Naturwissenschaft
vereinigen, freilich nur im Zweifel an der Erkenntnis selbst,
in der Resignation, wie Hamlet und Laertes gemeinsam in
das Grab Ophelias springen.
Tu- Ich muss aber noch einmal einen Schritt zurückgehen,
um die falsche Lehre der deutschen Schullogik zu beseitigen,
8«lüius. welche die Induktion immer offen oder versteckt in ihrem
prroBsen Kapitel von den Schlüssen behandelt. Ich schliesse
mich der Ausdrucksweise dieser Logik an, wenn ich sage,
dass die Deduktion, die haujitsiichlich so <^'< nannte Schluss-
folgerung, immer zu anal>i;ischen Urteilen tühre, das heisst
zu Sätzen, deren IVadikat im Begriffswort des Subjekts
<;rhon enthalten war. Wir wissen, dass dieses Zugeständnis
der Logik im Grunde schon das weitere Zugeständnis mit
enthält , es bp«tehe unser ganzer Erkenntnisschatz nur in
Begriffen oder W orten. Wir haben gesehen, dass das Prinzip
aller Schlussfolgerungen darin besteht: aus den Begriflen
herausziehen zu können, was man vorher in sie hineinge-
steckt hat, und nicht aus ihnen herausziehen zu können,
dnktiou
DU«]
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InduktioB und SeUim.
483
was mau nicht hineingesteckt hat. Das wäre die klarste
Fassung des berühmten Dictum de omni et nullo. Dieser
Grundsatz aUein würde statt aller scharfsinnigen Spielereien
genügen , um die alt ererbten Sophismen und Witze der
Logik aufzuklären. Ich wähle als Beispiel den folgenden
Scherz:
Eine Katze hat einen Schwanz mehr als keine Katze;
keine Katze hat zwei Schwänze;
also hat eine Katze drei Schwänze.
Mit dem ganz* i Apparat des Kantschen Scharfsinns aus-
f^erüstet hat Apelt nachgewiesen, dass dies ein Trugschluss
sei, weil der Syllogismus gegen die beiden Regeln Verstösse,
dass der Ohersatz allgemein , der Untersatz bejahend sein
müsse, ich lasse beiseite, dass der üebermut dieses Schlusses
viel zu offenbar ist, als dass jemals ein Mensch Regeln nötig
gehabt hätte, um an der dreischwänzigen Katze zu zweifeln.
Ich wiU nur darauf aufmerksam machen, dass hier wie
immer ein Besinnen auf das Entstehen und die Bedeutung
der Worte einfacher und sicherer zum Ziele geführt hätte.
»Keine Katze" in der ersten Behauptung ist die einfache
Negation von einer Katze, ein Nichts. Hält man in der
zweiten Behauptung diese Bedeutung von .keine Katze*
fest, so mUsstc sie richtig heissen: etwas was nichts ist,
was auch keiue Katze ist, hat keinen Schwanz; also hat
eine Katze wirklich einen mehr, nämlich Einen Schwanz.
Was seit 2000 Jahren unter dem Namen von Sophis-
men sich durch die Logik hindurch schleppt, ist nichts als
eine Reihe von Wortspielen, die auf einer kindlichen Stufe
des Geistes toh witzigen Männern erfunden wurden und
kindliche Qmlllor heute noch erfreuen. Wir werdeu uns
darQber nicht wundem. Wenn nfltilicheB Denken nichls ist
als ein Verbinden Yon Worten, so muss unnQtses Denken
ein Spielen mit Worten sein. Es gibt aber noch eine dritte
Art der Beschäftigung mit Worten. Nämlich das imbewusste
Spielen der Logik, welche an die Notwendigkeit der gram-
matischen Sprachformeln glaubt und grammatische ünter^
schiede fflr üntorschiede im Denken hllt. Alle Einteflungen
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VI. Die Induktion.
der Urteile und Schltksse in kategorisclie und hypothetische,
femer aber die Herleitung des sogenannten Induktions-
schlusses aus dem hypothetischen Schlüsse ist ein solches
nnbewusstes Spielen mit grammatischen Formeln. £s lässt
sich jeder kategorische SohloBS in einen hjpoÜietisclien um-
wandeln, einfach durch sprachlidie Veränderungen, und
ebenso umgekehrt Nur daas wir bei sehr geläufigen Be-
griffen, die wir ein Ergebnis der Abstraktion nennen, die
hypothetische Fonn nicht gebraui^eii, dass wir bei aeueren
Begriffen oder Gesetzen, die wir darum lieber der Induktion
verdanken wollen, die Hypothese zu Hilfe nehmen. Es
handelt sich also, so glaube ich ganz bestimmt, bei dem
Unterschied zwischen Abstraktion und Induktion um ein
rein subjektiTes Verhalten unseres Denkens. Genau be-
trachtet, ist jede Induktion unToUstSndig und darum jeder
Begriff (oder Gesetz oder Wort) ohne Ausnahme eine Hypo-
these. In der Urzeit war der Jahreswechsel eine kohne
Hypothese, ein nur Termutetes (besetz, eine unvoDstSndige
Induktion; heute, nachdem dieses Gesetz des Jahreswechsels
Tom ganzen Menschengeschlechte ein paarmal, ich meine un-
zlUilige Mal nachgeprüft worden ist, erscheint es uns sub-
jektiv als eine vollständige Induktion, als eine Gewissheit,
als eine Abstraktion. Wir könnten auch sagen, dass die
waiir- Menschen Gesetze, die einen hohen Grad von Wahrschein-
kiikeu ^^^^^^^ besitzen, in den Schatz ihrer Abstraktionen oder
Begriffe aufnehmen, und dass sie die Gesetze mit einem
mittleren Grad der Wahrscheinlichkeit weiterhin Gesetze
nennen und auf Induktion zurückfuhren. Die Beurteilung
des Grades der Wahrscheinlichkeit geht durchaus nicht so
mechanisch vor sich, wie uns die Mathematiker und Sta-
tistiker glauben machen wollen. Die Weltanschauung eines
Menschen oder einer Zeit entscheidet dartlbar, ob etwas
fUr mehr oder weniger wahrscheinlich gehalten wird. Die
Weltanschauung aber hängt vom Interesse ab, ist subjektiv.
Es ist kein grosser Unterschied zwischen dem Walten der
unbewussten Wahrscheinlichkeitsrechnung in der Sprach-
bildnng oder der Geschichte der Wissenschaft und der un-
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WnlmcbeiiilicihlBeit.
485
bewussteii Wahrscheinlichkeitsrechnung des Arztes am
Krankenbett. Dieser besitzt (allerdings erst seit wenigen
Jahren) statistische Tabellen über den Ausgang der Krank-
heiten, über die Folgen bestimmter Medikamente, über die
Bedeutung des Alters u. s. w. Trotzdem wird er sich im
Augenblicke der Gefahr, genau so wie sein Kollege vor
50 Jahren, vor der Aufstellung der Tabellen, von seinem «ub-
jektiven Gefühle leiten lassen , das natürlich durch Erfah-
rungen, also Induktionen, gelenkt wird. Di»' Geist* sthütigkeit
dieses Arztes hat viel Aehnlichkeit mit tler künstlerischen
Geistesthätigkeit des Erfinders oder Entdeckers. Ein subjectiv
beeinflusster Entschlnss lässt ihn Art und Dosis des Heil-
mittels wählen. Ob nachher der einzelne Kranke stirbt oder
nicht — ja nicht einmal das kann der Arzt als sichere
Wirkung seinem Entschlusses erkennen. Es fordert zum
Nachdenken heraus, dass ebenso die Menschheit im grossen
und ganzen weiter lebt, unbekümmert um das Geschwätz
des einzelnen, duss sogenannte wissenschaftliche Wahrheiten,
neue Gesetze und neue Worte nach subjektivem Ermessen
des jeweiligen Zeitgeistes geschaffen und vernichtet werden.
Die Sprache begleitet die Menschheit von Geschlecht zu Ge-
schlecht, wie die Aerzte die sterblichen Menschen von Tod
zu Tod begleiten, ohne etwas zu wissen, ohne auch nur
sagen zu können, ob jemals seit dem Eingreifen des ersten
Arztes auch nur in einem einzigen Falle irgend ein auf das
Eingreifen folgender Zustand des Kranken nur post hoc oder
propter hoc eintrat Welch ein Charlaftu ist die Sprache!
(VergL Schweninger: .Aerztlicher Bericht 1902* S. 9.)
Besteht der Unterseliied zwisdien Abstraktion and In-
duktion aber nur im Grade der Wahrscbeinlichkett oder
▼iebnehr in unserer festem oder schwBdieni Erwartung
eines künftigen Ereignisses, so gehört die ganze Theorie der
Induktion in das Gebiet der Psychologie, womit freilich nicht
viel gewonnen wire. Hier will ich nur feststellen, dass der
Sprachgebrauch, dass unsere subjektiTe Erwartung nicht
immer von der Mathematik abhängig ist. Auch nicht yon
mathematisch gefundenen Gesetaen. Die absolut sichere Er-
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486
VI. Die Induktion.
Wartung eines regeim i-si^t ii Tages- uml Jahreswechsels
bestand bei der Menschheit unendlich lange noch bevor die
gegenwärtige Astronomie begründet war. Wir bleiben also
dabei, dass Induktion und Abstraktion im wesentlichen die-
selbe Geiötesthätigkeit ist, dass wir mit diesen beiden Tie-
griffen eigentlich unklar und duicheinander den Weg oder
Rückweg von einem Woit zu etwas in ihm Enthaltenen aus-
drücken, also eine Teilvorstellung dessen, was wir zusammen
Gedankenassocifttion nennen. Nicht einmal mit den Bildern
Aufstieg und Abstieg werden Induktion und Abstraktion
genau auseinander gehalten. Wenn wir uns einbilden, einen
Begriff der reinen Abstraktion zu verdanken, so wird es
doch bei der sogenannten Si hlussfolgerung aus ihm wieder
einen Untei*schied machen, ub wir seine Merkauile oder seine
Teile auseinander legen, ob wir aus seinem Inhalt oder
seinem Umfang Schlüsse ziehen. Bei Schlüssen aus dem
Inhalt werden wir melir das Bild vom Abstieg, die Ab-
straktion, vor Augen haben. Bei SchlUs.seu aus dem Um-
fang mehr das Bild vom Aufstieg, die Induktion. Beide
Kreislauf Geistesthätigkeiten aber, auf welche die Menschen um so
Wort ^^^^^ ^^^i gelehrter sie sind, laufen für uns zusammen
and zu der einen bescheidenen Thätigkeit der langsamen Wort-
0M6ts. ))j}jm}g^ welche die MeuM^eit allerdings die wachsende
Somme üirer Erfahrungen bequemer merkoi Hess, welche
jedoch wie ein rerräterisdier Ftthrer dk HMisehheit auf ihrem
Marsche swar ermUdet, aber dem Ziel nicht nSher bringt,
nicht der Erkenntnis der Wirklichkeitswelt. Ein besondern'
Spott dieses Fortschreitens zu immer neuen Gesetzen oder
Worten ist es, dass keine Sammlung von Einzelbeobacb-
tungen, dass keine Induktion jemals zu dem Neuen, an
einem neuen Gesetze oder Worte, führen konnte, wenn
die leitenden Ideen, wenn die rorgefassten Maximen nicht
längst sdkon auf das neue Gesetz oder Wort hingewiesen
hatten. Und diese leitenden Ideen mussten doch, umtlber-
haupt gedacht zu werden, schon irgend wo in dem bis-
herigen Wortschatz, in der alten Sprache Tersteckt gewesen
sein, bis irgend eine armselige kleine neue Beobachtung die
Oiglized by GoQgle
Ereulftuf von Wort und GeaeU.
487
Auinittksaiiikeit auf das Y entock lenkte. Wessen Aufmerk-
samkeit so rege« wessen Energie dazn stark genug ist« um
die Spur su rerfolgen, der wird ein grosser Entdecker, der
wird ein FOlirer der Menschheit. In seinem Entdecker-
taumel glaubt er, und die Menschheit mit ihm, auf dem
Gipfdl angekommen zu sein; aber Schwindel erregend sinkt
der scheinbare Gipfel mit seinem Geschlechte herab zum ge-
meinen Hohn, und Schwindel Mregwid türmt die ewige
Zeit neue Gipfel filr neue Entdecker, fOr neue Führer der
Mensdiheit. Wie eine Herde vegetiert sie weiter, ihre FOhrer
aber sind es, die in Todesschweiss und Unsterblichkeiis-
Sehnsucht die Sisyphusarbeit yerrichten, den Stein empor
zu wSIzen, der ewig hinabrollt. Ewig wandelt sich die
Ahnung zur Gewissheit von Gesetzen, die sich wieder als
leere Worte enthüllen. Und ewig suchen die besten der
Menschen unter den leer gewordenen Worten, die einst be-
glückende Gesetze waren, nach Ahnungen neuer beglücken-
der Gesetze. So ist der geistige Kreislauf, der dem Kreis-
lauf auf der Erdrinde entspricht. £s Yemichtet ewig das
Tier die Pflanzen und schenkt ihnen dafllr seine Exkremente
su neuem Wachstum.
Alle Induktion ist nichts als die Geschichte der persön- Bew«!«.
liehen Glaubensorweckung; wer das einen Induktionsbeweis
nennen will, der mag es thun. Beweis, Demonstration, ist
nicht mehr persönlich, ist immer für einen andern, ist ein
«Zeigen*. Im deduktiven Beweis zeigt der Angekommene
dem Neuling seinen Weg. Und weil bei der Länge des
Weges, den die Menschheit seit Aeonen durchgemacht hat,
auch der schlichteste Beweis eine endlose Geschichte, Glau-
hensgeschichte, Dogmengeschichte werden musste, sprechen
wir in abgeküi'zten Worten, was wir dann Beweisen nennen.
Es ist aber niemals mehr als ein Erzählen. Der induktive
Beweis erzählt gut, da er voni Anfang anfangt. Der de-
duktive Beweis erzahlt schlecht und virtuos , indem er das
Ende leidenschaftlich (bittend, befehlend oder drohend) vor-
weg nimmt und dann sprunghaft die Mittelglieder zu einem
wiUkUrUchen Anfang sucht.
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488
VI. Die Indnktioii.
Das Material jeder solchen Geschichte können natür-
lich nur Worte bieten, die dann auch nichts weiter sind, als
kurz ausgedrückte Hypothesen für die Einheitlichkeit der
Naturerscheinungen. "Wir haben das Wort „Baum". Bnd-
los lange mag es gedauert haben, bis das blöde Auge un-
serer Ahnen (auf einer vormenschlichen Stiife aber gfewias
schon) zu dem Begri£f «Baum" kam. Unzählbare Asso-
ciationen Ton Wahrnehmungen haben wob den Begriff ins
Qehim gehämmert; wir zweifeln nicht an unserm BegriÖ'^
wir glauben an den ^.Baura", wir haben in endlosem Weiter-
ei'fahren schliesslich die ganze Botanik um diesen Baum
langsam lernend herumgewickelt und wundem uns nachher,
dass wir ebenso viel vom ^Banii!'' wieder abwickeln können.
Wäre man sich immer klar darüber, dass man aus
dem schönsten Satz induktiver Weisheit nicht mehr heraus-
ziehen kann, als jnan vorher hineinfjfesteckt hat, dass man
von einem durch Induktio:i entstündorpn Worte nicht ein
Fii^erchen mehr hernutv rwickeln kann, als man voihei
hmaufgewickelt hat, dann wäre man auch reif für die Er-
kenntnis, dass jeder Satz nur hvpothetisch, jedes Wort nur
vorläufig — bessere Belehrung vorbehalten — zu verstehen
ist. Dann wflrde man auch endlich glauben, dass unsere
ganze Begriffsbildung noch in den Kinderschuhen steckt.
Die besten Philosophen quälen sich mit Fragen wie
diti Wenn ein weisser llabe entdeckt würde, wäre er kein
wirkhcher Rabe oder müsste man den induktiven Satz .alle
Raben sind schwarz" ändern? Wenn die schwarze respek-
tive weisse Farbe der Schafe aus annoch unbekannten Ur-
sachen notwendig wäre, dann wäre sie am Ende nicht
unwesentlich und wir müssten die einen und die andern
„Schafe" was denn? verschieden be-
nennen.
Das ist es ja. Vorläufig sind die Sätze von den
schwarzen Raben, vorliiufig ist das Wort , Schaf* auf der
Höhe unserer Erkenntnis. Beobachten wir einmal mehr, so
wird die Sprache schon langsam nachklettern.
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Hjpothflaen.
489
Alle Naturgesetee, auch die grossten Enideckimgen, Hypo*
sind immer nur Hypotiiesen. Die Sprache ist ganz unf^Uiig,
den wUichen Vorgang zu fassen; sie kann nur einen be*
sonders auffallenden, hervorspringenden Punkt feststellen
und ihr Flandern daran hSngen. Seitdem yollends das Wesen
der Hypothese hesser erkannt worden ist« glauben die For-
seher nicht einmal selbst an die Richtigkeit ihrer neuen Er-
klSrungen. Es ist ihnen genug, wenn sie in einer soge-
nannten Hypothese eine yorlänfige Definition gefunden haben,
eine vorläufige Begriffitbestimmung, ein vorrdufiges Wort«
mit dem sich schwatzen lässt und das gleichzeitig ein
Kegisterwort abgibt für die Kaufmanns wäre des Artikels.
Durch die vorläufige Definition hoffen sie dann später su
der definitiTen Definition zu gelangen.
Da es nun fUr die letzten Dinge jedesmal zwei ent-
pe^rengesetzte Hypothesen gibt, wie denn Darwinistischer
Materialismus und der transcendentale Realismus der Idea^
listen einander durchaus gleichberechtigt sind, so spricbt
die Vermutung dafür, was wir Iftngst schon wissen, dass
wir mit der Sprache immer nur an die Oberfläche der
Dinge herantappen können, nie aber in ihr Inneres dringen,
und zwar, dass wir von unserem Standpunkt aus immer
nur an die eine Seite der Oberfläche herankommen. So ist
für die Fische der Meeressjncgel von unten gesehen die
Oberfläche der Luft; sie sind die Materialisten, die das
obere Element für tö(nicb, für ubsolut leer, für blossen
Schein halten. Für die Vögel ist dann derselbe Meeres-
spiegel von oben gesehen die Oberfläche des Wassers ; sie
sind wie die Idealisten, die sich im Unsichtbaren lustig
tummeln und das schwerere, dichtere, untere Element für
tödlich, tiir undurchdringlich halten.
Wer nun meinen würde, man könnte, da doch die
menschliche Sprache eine zu kinzr- Stehleiter sei, dadurch
emporgelangen , dass man die beiden sprachlichen Hypo-
thesen wie zwei Tnttleitern mit den Spitzen gegeneinander
leimte, der wäre wieder im Irrtum. Erstens wäre die Ge-
samthöhe dann leider noch kürzer, als die der einfachen
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VI. Die Induktion.
senknehten Leiter, zweiten« aber besitst eben der einzelne
Kopf immer nur die eine Leiter, den einen Standpunkt.
Und 80 wie die mathematische FUohe des ebenen Meeres-
spiegels dadurch nicht dicker wird, dass man die Y<^el-
und die Fischflilche summiert, wie der Taucherrogel und der
fliegende Fisch an metaphysischer Kenntnis den bloss flie^
genden Vogel und den bloss schwimmenden Fisch über-
trifft, so kann der Mensdi zur letzten Erkenntnis nicht da-
durch vordringen, dass er seiner gewohnten Sprache entweder
Schwimmblasen oder einen Luftballon umgClrtet. Er kann
mit Händen und Fflss«! strampeln, er knnn seine Zunge in
allen Bichtungen bewegen, die Wirklichkeit sprachlich er-
£u8en kann er nicht.
Hv] 0- Alle unsere Erkenntnis wird zum Zwecke der Mitteilung
und" Vererbung niedergelegt in Sätzen oder Urteilen. Wir
Wort«, aber wissen bereits, dass alle Ui-teile, seien sie nun der
Ausdruck von wiederholten Beobachtungen, seien sie un-
mittelbare oder endlich mittelbare Schlüsse, schliesslich
immer schon in den Begriffen enthalten waren, welche die
Subjektworte sind. In der vorgrammatischen Sprache der
Hensehen mag in einem solrben Worte bereits das Prädikat,
der unmittelbare Schluss und der Syllogismus mit enthalten
gewesen sein, so wie im Keime der Eichel der ganze Eich-
baum steckt.
In Bezug auf unsere Sinnesem j)finclungen ist deren Ur-
sache, die wir die Wirklichkeit nennen, eine Hypothese. In
Bezug auf diejenigen Sätze, zu welchen wir durch logische
Schlüsse gelangt zu sein uns einbilden, ueun-Ti wir den
Glauben an eine ihnen entsprechende Wirklichkeit iure ma-
terielle Wahrheit. Und das schlechte Gewissen der Logik,
welche doch durch ihre mustergültigen Schlüsse vor jeder
Unwahrheit bewahrt bleiben niüsste, äussert sich darin, dass
trotz aller logischen Flau.sen nach der materiellen Wahrheit
des bchlusssatzes besonders gefragt wird, und die Schluss-
folgerung, insofern sie ausnahmsweise auf ihre Ueberein-
stimmuug mit der Wirklichkeit hin geprüft wird,
genannt wird. Es scheint also ein Beweis nichts anderes
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Hypothttftn und Worte.
491
zu sein, nk ein Schltus, bei dem miastrauisch auf dm Weg
snrQökgeblickt wird.
Wer meinem kritischen üeberblick Ober die Lehre der
Logik gefolgt ist, der wird mir zugestehen mflseen, dass
ebenso wie der Torwärtsblickende Schluss auch der rück'
wärtsblickende Beweis jedesmal auf einer Beobachtung, also
auf einer Beihe von SinneseindrUcken allein beruhen mflsse.
Das Wort, welches die Sinneseindrücke verbindet, umfasst
dann immer unsere ganze Erkenntnis. Haben erst unsere
Sinne die Empfindungen vereinigt, welche wir von Schnee-
flocken erhalten, so wird in ziemlich früher Zeit der
Menschengeschichte schon die Kälte als Ui saclie der Schnee-
büdung erkannt worden sein. In ziemlich frUher Zeit wird
man unbewusst den indirekten Beweis gefühi-t haben, dass
die Kälte Schnee verursache und nicht etwa die Jahreszeit
oder die Nacht oder der Wind oder die Luft. Auf solcher
Stufe der Erkenntnis ist es für jeden klar, dass in der
gleichzeitigen Kälteempfindung, also in einem notwendigen
Begri£fsmerkmal des Schnees, schon der Beweis für seine
Ursache enthalten war. Später wurde wahrscheinlich die
Krfstallform der kleinen Schueeteilf b^v-djaclitet , und da
auch andere, in höheren Hitzegraden geschmolzene Körper
bei geringerer Temperatur zu harten Krystallen zusammen-
schössen, so entstand durch die induktive Begrifisbildung
allmählich das zusammenfassende Wort Krystall; als Ur-
sache von Krvstall konnte dann allgemein die Külte ange-
nommen und bewiesen werden, wobei der direkte oder in-
direkte Beweis immer nur ein Zurückblicken auf die
Beobachtung war.
Ebenso musste seit Menschengedenken die Erscheinung
des Blitzes beobachtet worden sein. Seine besondere Ur-
sache erriet mau nicht; man schob <?ie also der weitesten
aller Hy])othesen, dem Gotte, in seinen Wirkungskreis hin-
ein. Als dann im 18. Jahrhundert die elektrischen Er-
scheinungen genauer boobnrhtet wurden und zwischen ihnen
und dem Blitze manche Aehnlichkeit auffiel, versuchte man
es, mit dem Worte Elektnzitätserscheinungen den Blitz mit
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YL Di« Induktion.
zu umfassen und nannte diese Boobacbtung auch sofort
einen Beweis. Wir werden gleick sehen, dass alle solche
bewiesenen Erklärungen doch nur Hypothesen sind, und
werden fragen, was da» in unserem Sinne bedeute.
Geometri- Für musterhaft bewiesene Sätze, die also keine blossen
Bawvto«. Hypothesen sind, gelten seit zweitausend Jahren die Lehr-
sätze der Euklidischen Geometrie, wie sie noch heute in
unseren Schulen gelehrt werden. In der Logik wird uns
erzählt, da?!s diese Lehrsätze als neue Wahrheiten durch
SchUls«!e aus ihren Prämissen heraus t^ezogen wurden. In
der Tliat weiss der Anränger. dem man zum erstenmal ein
Dreieck oder einen Kreis zeigt, noch nicht, dass die Summe
der Dreieckswinkel zwei Rechte betrage, oder dass der Peri-
pheriewinkel über einem Durchmesser ein rechter Winkel
sei. Ueher die Logik hinaus scheinen solche Sätze ma-
terielle Wahrheiten zu sein, die in den Begrilfeii Dreieck
oder Kreis noch nicbt enthalten war^n und die erst be-
wiesen werden müssen. Aber auch die Existenz des Blut-
kreislaufs gehörte nicht zu dem Begriöe des Menschen,
bevor ihn Harvey lieobachtet hatte. Die Funktion der
Nerven und des Gehirns gehörte noch für Aristoteles nicht
zu dem Begriff Mensch. Jetzt sind alle diese Dinge not-
wendige Merkmale dieses Begritis und man würde doch
einen Anatomen auslachen, der die Notwendigkeit der be-«
obachteten anatomischen Merkmale in der Manier des Eu-
klides beweisen wollte, wie es übrigens Aristoteles für die
von ihm gekannten oder eingebildeten Eigenschaften des
menschliehen Körpers oft wirklich gethan hat. Vielleicht
wird man einmal autii Uber die musterhaften Beweise un-
serer Geometrie zu lachen im stände sein, wenn die ana-
lytische Geometrie dahin gelangen sollte, die Entstehung
der Raumfiguren so deutlich zu machen, wie die Biologie
die Entstehung der menschlichen Organe deutlich zu machen
sucht.
Es geht also sogar bezüglich der geometrischen Be-
weise der Zug der heutigen Forschung dahin, den Beweis
durch Anschauung zu ersetzen, also es dlmniert die Er>
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Oeotaetrilcli« Bewoise.
493
kcnutim, dass sogar uut" diesem unkörperliclieii Gebiete im
Begriff schon der Scblns^ oder Beweis enthalten sei. Schopen-
hauer hat den \'ersuch gemacht, den Pythagoreischen Lehr-
satz anschaiüicher zu machen, als irgend ein Bewiis es
vermochte. Die analytische Geometrie vollends macht für
mathematische Augen alle Beweise des Euklides Oberflüssig.
Was all diese alten Bewi In. so todsiclier erscheinen
Hess, so erhaben über andere Beweise von Erkliiruncrrn der
Wh'klichkeitswelt , das scheint mir in einem be^ in(l* i . !i
Umstände zu liegen. Darin uamlich, dass (iie ganze WLsseu-
schaft der Geometrie nicht Begriffe zu erkliiren sucht, son-
dern unmittelbare Erscheinungen. Die Geometrie ist eine
vorsprachliche, vorbegrili'liche Wissenschaft: wohl iMiden
wir zu praktischen Zwecken die Begriü'e oder Worte Kreis,
Dreieck u. s. w.; die Geometrie aber hat es unmittelbar gar
nicht mit diesen Begriffen zu thun , sondern jedesmal und
ausschliesslich nur mit dem Sinneseiudiuck von einem Raum-
gcbilde. Ohne ein Wort zu sprechen oder zu denken, kann
ich eine Menge Eigenschaften des Kreises, des Dreiecks
beobachten. Ohne Worte können darum viele Tiere die
Geometrie sogar praktisch anwenden, wie die Bienen ihre
regelmässigen sechseckigen Honigzellen bauen. Ein geo-
metrischer Lehrsatz wird durch eine Zeichnung ohne Worte
deutlicher als durch ^Vürte ohne Zeichnung. Die gesamte
Geometrie sammelt eigentlich die Sinneseindrücke des Raums,
ohne sie zu erklären, ohne sich um die Hypoth^e ihrer Wirk-
lichkeit zu bekümmern. Sie erhebt sick nickt ftb«r ein
Gekim, welches die FarbeneindrQcke auf der Netzkaut wakr-
nekmen, yerkinden, benOtsen würdet okne äek um die Frage
zu bekttmmem, ob diese Farbeneindrücke Ton einer Aussen*
weit Terursadit seien. Oder nock besser; das geometriscke
Auge siekt die RaumverklUtnisse so immittelbar, wie das
Obr die Sckwingungsrerkiltoisse unmittelbar kört, wenn
Musik gemackt wird. Darum ist auck die Musik eine Tor-
spracklicke Kunst Okne Gedanken kann das matkematiacke
Gekim geometriscke Vorstellungen Terbinden, okne Gedanken,
das keisst okne Spracke, gemessen wir die Musik. Dass
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494
VJ. IHe Induktion.
wir die Tonverhältnisse mit Worten bezeichnen, dass wir
die ^geometrischen Verhältnisse in eben so kUnstlieliLii Lehr-
sätzen aussprechen und mitteilen können, das hat mit der
Musik und mit dem Räume nichts zu thun.
Dieser Umstand hat aber die äusserst wichtige Folge,
dass die geometrischen Verhältnisse — ob wir sie nun an-
schauen oder in Lehrsätze fassen — nicht auf Hypothesen
benihenf wie aUe diejenigen Sätze, welche den begrifflichen
Wissenschaften angehören.
Beweis« Wir haben also bisher gesehen, dass der Beweis nichts
t^Mi ^^^^^ ^ als eine Schlussfolgerung mit einer besonders
gerichteten Aufinorksamkeit; und wir haben weiter bemerkt^
dass namoiilich die mustergtlltigen Beweise der Geometrie
darum so unantastbare Schlfisse sind, weil sie nicht sowohl
Begriffe oder Worte, sondern geradezu die Anschauungen
auseinander legen. Wenn wir nun an uns selber beobachten,
dass uns diese Auseinanderlegungen von Anschauungen
▼ollkommen befriedigen, weshalb wir sie eben auch muster-
hafte Beweise nennen, dass dagegen alle Beweise der be-
grifflichen Wissenschaften irgend einen unbefriedigenden
Punkt haben, so werden wir schon sprachlich auf die Ver-
mutung geftlhrt werden, dass aUe begrifflichen Beweise
unTollkommene Beweise smd, das heisst Hypothesen. Unsere
Lehre vom Schluss aber wird durch diesen Umstand einer-
seits bestätigt, wlUirend anderseits aus ihm hervorgeht, dass
auch der Begriff Hypothese ftlr einen schärferen Blick nicht
viel mehr ist als das Zugesföndnis, wie gering der Wert
unserer Worte sei.
Wir gehen noch einmal davon aus, dass ein Beweis
eine Schlussfolgerung sei mit besonderer Aufmerksamkeit
darauf, ob der Zusammenhang mit der Wirklichkeit nicht
verloren gegangen ist. Bei dem Vorgang der sogenannten
Schlttssfolgerung besinnen wir uns auf ein näheres Merk-
mal eines Begriffs, das wir dann unter dem Namen einer
Prämisse su einem Urteil hreittreten. .Gelrorener Wasser-
dunst ist Schnee; Kälte erzeugt gefrorenen Wasserdunst;
also: ist die Kälte die Ursache des Schnees.* Fflr uns ist
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Beweise Hjpothesen.
49&
es ja geläufig geworden, dass dieser Schluss oder dieser
Beweis zu unserem Begriffe Schnee nichts Neues hiuzu-
trägt. Oberflüchlich betrachtet sind die Worte: Kälte,
Wasser, Schnee auch vullkotanien sichere und klare Vor-
sleilungeii. Achten wir aber darauf, dass insbesondere die
Kälte etwas ist, wovon wir durchaus kein positives Merk-
mal angeben können, so wird die Prämisse , Killte bringe
das Wasser zum Gefrieren* sofort zu einer Hypothese.
Worin besteht das Wesen der Hypothese? Doch nur
darin, dass wir eine Prämisse vorläufig ak richtig an-
nehmen und sie so lange nicht verwerfen, als formale
Schlüsse aus ihr unseren Wahrnehmungen der Wirklich-
keitswelt nicht widersprechen. Nun aber wissen wir, dass
auch die angeblich sicheren Prlmissen nur auseinander ge-
legte Begriffe sind. Bei unserem Zweifel an der Festigkeit
unserer Worte oder Begrififo werden wir nun gleich ver-
muten, daas sich kein monger Begriff sni einer suTerlfissigen
Flränusse auseinander legen lasse, daes in allen begrifflichen
Wissensdiaften, also in der ganzen weiten Welt unseres
Denkens t alle PrSmissen nur yorlftufigen Wert haben, dasa
demnach alle aus ihnen gezogenen Beweise doch nur Hypo-
thesen sein werden. Jedes Wort unserer Sprache entbfilt
in seinen Merkmalen die Schlüsse, die aus ihm gesogen
werden kannen; jedes Wort enthalt Beweise, Gesetae, jedes
Wort enthält Hypothesen.
Für uns ist der Begriff der Eansalitftt oder der Ver-
kettung von Ursache und Wirkung schon Ton früher her
eine Hypothese gewesen; jetat müssen wir erkennen, dass
jedes neue Wort, in welchem man die Ursache einer Reihe
▼on Erscheinungen auszusprechen sucht, nur eine Hypothese
in zweiter Potenz sein kann. So ist es eine rein mensch-
liche, eine vorlftufige Annahme, dasa das Gefrieren des
Wassers die Wirkung tou etwas sei. Unter dieser Tor-
läufigen Annahme ist dann wieder die Aufstellung desBe-
grifis Kälte eine neue Hypothese, ja eigentlich schon fast
eine Überwundene Hypothese, da in der positiTen Natura
Wissenschaft ehrlicher Weise niemals Ton etwas anderem
496
VI. Die Induktion.
die Rede sein dUrfte als Ton Wanne. Ebenso ist es eine
Hypothese, den BUtx ak eine Wirkung aufzufassen. Und
unter dieser Hypothese wieder ist die Hypothese Elektrizität
nur ein Wort^ dessen Bedeutung gerade in unserer Zeit der
NutEbarmachung ihrer Erscheinungen zu zerflattem beginnt.
So betrachtet gewinnt der Unterschied swiachen der ver-
achteten alten NaturwiBEWittchafli und der neman. einen selt-
samen resignierten Ausdruck. Erklären wollte die Ersehet*
nungenAristoteka ebenso gut wie Newton. IXeUeberzeugung,
dass die Erscheinungen eine Erklärung lulassen, eine Ur-
sache haben, ist ja eben die uralte Hypothese des ICenschen-
geistes. Nur dass die alte Naturwissenschaft theologisch
war, das heisst an Zwecknrsachen glaubte, das heisst die
Ursache der Wirkung in die Zukunft verlegte; und dass
die neue Naturwissensdiaft logisch geworden ist, das hdsst
an reale Ursachen glaubt, das heisst die Ursache in die
Vergangenheit verlegt Diese neuere Hypothese hat von
unseren Kfipfen so unwiderstehlidi Besits genommen« dass
wir die alte Hypothese der Teleologie eigentlich gar nicht
mehr verständlich aussprechen können. Wir nennen die
neue Hypotiiese geradezu das Gesetz der UrsächlichkMt und
vergessen darüber ganz, dass der Begriff der Zweekursache
(welcher dem der Ursächlichkeit widerspiicht) doch durch
Jahrtausende bestanden hat und in der Volkssprache der
optimistisch Glaubigm noch heute besteht. Der Unterschied
also zwischen der alten und der neuen Weltanschauung
oder Welterklärung besteht, wie wir schon aus dem Worte
Weltanschauung hätten vermuten können, nur in emer Stim*
mung, in einem Behagen unsere Geistes. Wir haben die Hypo-
these der Zweckursachen aufgegeben, weil unser Forsehungs-
trieb bei diesen Zwecken, Absiditen unbekannter Wesen,
keinen Ruhepunkt fand; wir halten uns jetzt an die Real-
ursachen, wen wir fdr ihre unbekannten Träger Worte
haben, weil uns diese Worte bekannt Schemen und weil
wir uns darum bei ihnen beruhigen. Die beiden uralten
Schicksalsfragen des auf der Erde wandelnden Menschen
lauten heute wie einst: Woher? Wohin? Das Christentum
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BeweiM Qjp«tii6MB.
497
nihte von der ewig unfruchtbaren Marter des Wob er eine
Weile beim Wohin aus. Wir sind der ewig unfnichtbaren
Marter des Wohin müde und f^lauhen beim Woher auszu-
ruhen. Wir sind wie Wanderer, die einen unein iiichen Berg-
weg emporschreiten, lange nach dem Gipfel gespäht haben
und dann wieder einmal zur Abwechslung zurückblicken.
Das Ausruhen dieses BUoks, dieses Augenblicks nennen wir
unser Wissen.
Ich bin aber weit davon entfernt, um dieses Zweifels
willen alle mögliehen und unmöglichen Hypothesen der
^^*elterk^a^ung für gleichwertig zu halten. Ich bin weit
davon entfernt zu glauben , dass unsere Naturwissenschaft
z. i>. ohne Belbstvemichtung zur alten Teleologie zurück-
kehren konnte, oder da'^« noch nur eine?^i niodernen Ge-
lehrten mit Recht Duldung gepredigt wpnlt ü könnte gegen
die Meinungen der Vorfahren. Die HvjKjthese von dem
Stillstand der Erde ist endgilUig aligethan durch die Hypo-
these unseres Sonnensystems. Die Hypothese von der Strah-
lung des Lichts ist endgültig abgethan durch die Wellen-
hypothese. Die Teleologie ist endgültig abgethan durch
die Ursächlichkeit. Insbesondere ist die bcwuiidernswerte
Hypothese Newtons, die von der Gravitation, eine unend-
lich })enihigende Zusammenfassung unzähliger rätaelliafter
Erscheinungen. In dem Selbstgefühl seiner ungeheuren
üeistesthat durfte Newton wohl die von ihm gestürzten
Theorien als falsche Hypothesen verachten und stolz von
sich selber sagen, er erfinde keine Hypothesen (hypotheses
non finge). Er brauchte, wenn er sich mit der Ge.schichte
der Wissenschaft verglich, nicht bescheiden zu sein. Nur
der Blick auf den Grad der menschlichen Erkenntnisfähig-
keit filhrt zu der bescheidenen Klage, dass auch die Gravi-
tation nur eine Hypothese sein könne, ein vorläufiges Wort.
Nur die Einsicht in das Wesen der menschlichen Sprache
kann zu dieser letzten Resignation fuhren. Und in Ver-
bindung damit ahnen wir, dass der uralte Gegensatz zwi-
schen dem Yorwiirte* und Rückw'drtsblicken, zwischen den
Wohinfhigem und den Woherfragern auf der Schwache
Mftnthner, BciMf» n «taar Kritik dar Spiwbt. m. 8S
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498
VI. Die iBdaktion.
des menschlichen Dt'iikwerkz* uii;ei5 beruhe, weil wir ja doch
nicht einmal wissen, was das Wort Zeit uns bedeute, deren
Inhalt wir nach Woher und Wohin auseinanderlegen,
▲ach dio Dass jedes Wort der MitMiscliiu hen Sprache nur eine
^^[|^* vorläufige Hypotluv^'^ enthalte, diese dä.mmemde Walnlirit
tiiMen. wird uns vielleicht l'assiicher erscheinen, wenn wir hedenkeu,
dass jedes Wort einen engeren oder weiteren Artbei^nif
darstellt und dass durch Jahrtausende der Streit darüber
nicht aufhörte, was diese Artbegritle eigentlich seien. Für
Ideen der Wirklichkeit hat Piaton die Worte oder Art-
bep^ffe ausgegeben und die ganze christliche Zeit des Mittel-
alters führte den verzweifelten Kampf über die Frage, ob
diese Ideen oder Worte den Erscheinungen der Wirklichkeit
irgendwo vorausgingen oder im Menschengehim erst folgten.
Der Streit also des mittelalterlichen Wortrealismus und
Nominalismus ist wieder nur der Gegensatz des W^ohiu und
Woher. Wir haben die Hypothese des Realismus der Ideen
aufgegeben und leben unter dem beherrschenden Gedanken
des Nomiualismus. Wird der Realismus der Ideen niemals
wiederkehren ?
Es liegt mir himmelfern, die Ideen des Plat^jn oder die
Teleolügie des Aristoteles unserem Norainalismus , unserer
Ursächlichkeit als gleichwertig gegenüberstellen zu wollen;
das wäre nicht mehr Zweifel, das wäre ein thatsUchlicher
Rückschritt, als ob die Menschheit auf den Gebrauch des
Feuers verzichten wollte, weil sie einmal ohne Feuer lebte.
Aber auch die herrschende Ueberzeugung unserer Zeit, auch
Nominalismus und Ursächlichkeit erscheinen mir doch nur
als Torl&ufige Hypothesen, und hei der Wendung des spiral-
fSBrm^en Weges wird die Hypothese des Realismus der
Ideen wieder einmal auf einer höheren Stufe aufbauchen.
Was ich bei diesen Worten denke, das kann ich nur
durch em phantastisdies Bfld amdrQcken. Unsere Worte
oder Artbegriffe, welche Flaton für die Ideen der ürschei-
nungen erklärt hat, seheinen uns so surerlässig au sein,
dass mancher den Kopf schfitteln mag, wenn er auch so
handgreifliche Begriffe wie Erde, Wasser, Kiefer, Mensch
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Aofllh die Bcgriffo H^rpothesea.
499
für Hypothesen halten soll. Wie aber, wenn wir uns einen
(ieist vorstellten, ftVr den Millionen Jahre der Entwickeluug
sind wie ein Tag? Wie, wenn vor den Augen dieses Geistes
die Urstoffe der Welt sich in wenigen Stunden dieses Geistes
gemächlich zu der Erdkugel I)alleu, glühen, erstarren,
lebendig werden, erfrieren, zurückstürzen in die Sonne und
sich in ilirei Glut neuerdings auflösen in die Urstoffe der
Welt? Ist dann der Begriff Erde, der Name der Form
eines flüchtigen Yiertelstündchens . auch noch mehr als ein
luftiges Wort? Ist dann der Xiune Erde noch mehr als
die Hypothese eines UebergangszuHtiindes der Urstoffe? Ist
dann der Name Erde noch mehr als die Hypothese
, sieden", die wir von einer Uebergangsform des Was-
sers gebrauchen? Und ist der Begriff Wasser, das einst
auf Erden nicht war und einst wieder nicht mehr sein
wird, nicht ebenso eine Hypothese zur Beruhigung des be^
schaulichen Geistes, der die Erde entstehen und vergehen
sieht, wie das Kind die Farben auf seiner Seifenblase, die
schonen Farben, die doch gewiss Hypothesen sind? Und
ist das Wort Kiefer, die während des kurzen ViertelstQnd-
ehens des Erdendaseins einmal aus anderen Formen hervor-
ging, wie eine Bisblume auf der Fensterscheibe einen neuen
Kiystall ansetzt, ist die Kiefer mehr ab eine Hypothese?
Und der Mensch? Was sich auf dieser Erdkruste loribbehid
und krabbebd formte und wandelte, bis es einmal flüchtig
so wurde, wie der beschauliche Geist seit einigen IGnuten
Milliarde von Menschen sieht, ist er mehr als eine Hypo-
these?
Nur freilich, dass diese Hypo&ese, die wir Mensch
nennen, ein drolliges Organ unter seinem Schädel besitzt,
das in den lotsten Sekunden des beschaulichen Weltengeistes
dazu gelangt ist, selbst Hypothesen zu spinnen, in denen
es den Weltengeist wieder zu erkennen glaubt. So spiegelt
sich das Kind in der Seifenblase, die es selbst gemacht
hat, und m'emand kann sagen, ob es mehr weiss von der
Wirkliehkeitswelt als die Farben, an denen es sich freut.
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500 VII. Temuni teduüei der iadaktiTeii Wisiaiiaolttltoii.
yn. Tennlni tedinid 4er MnktlTeii WIsBensduifteii.
WlMwttl. „Beinahe jeder Fortschritt der Wissenschaft ist be-
zeichnet durch die Neubildung oder Aneignung eines tech-
nischen Ausdrucks. Die Umgangssprache hat in Jen meisten
Fällen einen gewissen Grad von Schla£Qi«t und Zweideutig-
keit, wie die Alltagskenntnis (common Imowledge) gew öhn-
lieh etwas Vages und Unbestimmtes an ach bat. Diese
Kenntnis beschäftigt gewöhnlich nicht ien Yeratand allein,
sondern wendet skh mehr oder weniger an irgraid ein
Interesse oder setzt die Phantasie in Bewegung; und so
enthält die Unigangssprache, im Dienste snlrben Wissens
immer eine Färbung des Interesses oder der Einbildungs-
kraft. Doch sobald unsere Erkenntnis ganz ex^t und rein
verstandesm'assig wird, verlangen wir eine ebenso exakte und
verstandesmässige Sprache, eine Sprache, welche gleicher-
weise Unklarheit und Phantastik, Unvollkommenheit und
Ueberflüssigkeit ausschliesst, deren jedes Wort einen festen
und streng abgegrenzten Gedanken mitteilen soll. Eine
solche Sprache, die der Wissenschaft, entsteht durch den
Gebrauch technischer Ausdi-ticke . . . der Fortschritt im Ge-
brauche einer technischen wissenschaftlichen Sprache bietet
unserer Beobachtung zwei verschiedene und aufeinander
folgende Perioden; in der ersten wurden technische Aus-
drücke gelegentlich p|:ebildet, wie sie sich zufällig darboten;
dagegen wurde in der zweiten Periode eine technische
S}>rachf absichtlich hergestellt mit einem bestimmten Vor-
satz, mit lukksicht auf den Zusammenhang, mit der Aus-
sicht auf die Herstellung eines Systems. Obgleich die ge-
legentliche und die systematische Bildung von technischen
Ausdrt!(ken durch ein bestimmtes Datum nicht geschieden
werden können (denn zu allen Zeiten sind einzelne W^orte
in einzelnen Wissenschaften unsystematisch irebildet worden),
können wir doch die eine Periode die antike und die andere
die moderne nennen."
Mit diesen Worten leitet Whewell in seiner »Philosophie
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WhewelL
501
der indukÜTen Wiasauchaftoii* (XLVHI) seine Aphorismen
Ober die wissenscliaftiiohe Spndie ein. Bevor ich einiges
ans diesen ApboriBmen iniMieüe, wdche Tor nun mehr uIb
fünfzig Jahren eine Befreiung von der toten Metaphysik
des Aliertoms lAtten aabalinen können nnd welche jeden-
falls Aensserungen eines ungewöhnlich freien englischen
Kopfes waren, — möchte ich an der Hand Ton desselben
WheweU «Geschichte der indukÜTen Wissenschaften* zeigen,
warum diese Entstehungsgeschichte einer wissenschaftlichen
Sprache ihr Ziel rerfehlen mosste.
WheweU ging ron der frappierenden Beobachtung aus,
dass grundlegende technische AusdrOcke der Qeometrie von
der griechischen Umgangssprache hexgenommen waren. Das
griechische Wort fUr Kngel, welches wir als »Sphäre* immer
noch bentttsen, bedeutete nebenbei einen Spielball der Slinder,
der Kegel oder Conus bezeichnete einen Kreisel, Gylinder
eine Waise, Kubus war ebenso wie unser Würfel zugleich
der technische Ausdruck der Geometrie und der für das
bekannte Spielger&t. Wir lassen nun die Frage beiseite, ob
in diesen besonderen FiUen die Geometrie ihre Ausdrucke
Ton der Strasse aufgelesen, oder ob die Spiehseugindustrie
sie Yon der Geometrie entlehnt habe« JedenfeDs dttifen wir
die Ausnahmestellung der Mathematik nicht auf die anderen
Wissenschaften fibertragen. Die Definition der Kugel und
des Würfels ist seit drei Jahrtausenden um man<^e l&i-
n^i und damit um manches Merkmal bereichert worden,
aber die einfache Vorstellung ist heute dieselbe wie ror
dreitausend Jahren, weil sie die YorsteUung von etwas Ein-
fachem ist. Whewells Unterscheidung zwischen Umgangs-
sprache und techmsoher Sprache trifft also für die Geo-
metrie so ziemlich zu; schon in der Geschichte der Astronomie
werden wir jedoch ein Schwanken von einem Sprachgebrauch
zum andern wahrnehmen und die Wksenschsift Ton den
Organismen hat es bis zur Stande zu einer Wissenschaft*
liehen Terminologie nicht gebracht. Um ganz sicher zu
gehoi, wollen whr das erste Beispiel nicht aus der Astro-
nomie nehmen, welche ja der Mathematik zu nahe steht,
502 Vn. Termmi teehiüd der indukttfeii Wkmadaaiben.
und nicht aus dem Reich der Organismen, deren Definitioii
wir nicht kennen. Wir wollen ein mittleres Reich aufsuchen
und Umgangssprache und wissenschaftliche Sprache in der
Sprachgeschichte der Chemie und Mineralogie verfolgen.
UmMt. Die Chemie beschäftigt sich damit, die Körper in ihre
Elemente aufzulösen. Nichts einfacher als dieser Sats;
nur dass ich keinen Chemiker und keinen Philosophen zu
nennen wOsstOi uns sagen könnte, was , auflösen" be-
deute und was ein « Element" sei. Das Wort Element ist
zu Anfang des 17. Jahrhunderts in unsere modernen Sprachen
eingedrungen, als man die chemische Wissenschaft in mo-
dernen Sprachen zu beschreiben anfing. Es wurde das Wort
elementa aus dem Lateinischen herUbergeholt. Das Wort
(eigentlich = »Buchstaben") hat eine wüste Geschichte. Heute
noch wird gedächtnismässig nachgeplappert, dass Feuer,
Wasser, Luit und Erde die vier Elemente seien oder einst
dafür gegolten hätten. In Wirklichkeit hat niemals ein Grieche
daran gedacht, die Körper wissenschaftlich oder im Labora-
torium auf diese vier Elemente zurückzuführen. Es war
bei den Griechen nur eine völlig unklare Voi"stellung, dass
die Eigenschaften dieser vier weit verbreiteten Dinge zur
Beschreibung der Welt genügten. Feuer, Wasser, Luft und
Erde, deren chemische Eigenschaften mit Ausnahme der
gröbsten den Griechen ganz unbekannt waren, bildeten für
Aristoteles und darum für weitere zwei Jahrtausende eigent-
lich nur bequeme Vergleichlingsobjekte. Man konnte von
diesen vier Dingen berjueni Eigenschaftswörter bilden. So
miichtig aljer \\ar dei- Sprachaberglaube, dass z. K. die
Acrzte des Mittelalters auf Grund dieser vier Eigenschafts-
wörter unzählige Menschen unibringen konnten, indem sie
den Menschenleib feurig, wässrig u. s. w. nannten und nun
nach dem Namen behaurlelten. Man wird es für einen
Sclicrz halten, e^- i'-t alier genau dasselbe, wie wenn man
einen Menschen durum erschiessien und Itraten wollte, weil
er den Namen Hirsch trüge. Der ßegrili Element gehörte
also im Grunde immer nur der wüstesten UmganL""^ ^]irachc
an und es war ein Irrtum der Gelehrten, wenn sie mit dem
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VoimndfeBoliall.
508
Worte eiTicn technischen Ausdruck zu Terbinden glaubton.
Erat nach Ueberwindung des Altertums war eine WisMn*
Schaft der Chemie möglich.
Wir machen einen gewaltigen Sprung bis zum Eode ver-
des achtzehnten Jahrhunderts. Da finden wir plötzlich einen g^j,^
technischen Ausdruck vor, an dessen Wert die gegenwärtige
Wissenschaft kaum zweifelt, die chemische Wahlverwandt-
schaft. Goethe hat seinem Roman diesen Titel gegeben,
weil er dfts Verhältnis seiner Menschen durch das chemische
Bild gut darzustellen glauljte. Es sind zwei Menschenpaare
gegeben, von denen Männlein und Weiblein einander kreuz-
weise anziehen. Wer immer darüber nachgedacht hat, be-
gnügte sich mit dem chemischen Bilde und setzte voraus,
dass ,WahlverwmifU';rhnff * üi der Chemie ein ganz be-
stimmter technischer Ausdruck '^pi. Nun aber liegt dem
Begriffe der Wahlverwandtschaft nur eine, ich möchte sagen,
plumpe Beobaclitung zu Grunde. Es war von jeher ge-
sehen worden, dass zwischen chemischen Körperu Be-
ziehungen bestehen, die ihre Verbindung beeinflussen. Noch
zur Zeit von Newton nannte man diese Anziehung chemischer
Körper genau so wie die müchanisch(» Anzif^hung Attrak-
tion, wo in heiilen Fallen das Wort Attraktion ein höchst
ungerniK'^ Bild hot. In der Mechanik ersetzte Newton das
allzu poetische ßiid von einer Anziehung durch das engere
Bild der Schwerkraft: in dt'r Chemie machte man bald
darauf die Be(i})achtung, dass bei der Verbindung von zwei
chemischen Kör])ern oft die Anziehung des einen in eine
neue VerlMudung besonders heftig sei. GeoflEroy beschrieb
diese Erscheinung — erklärt ist sie bis zur Stunde nicht — -
und gebrauchte zuerst anstatt des Wortes ,elektive Attrak-
tion" das Wort Affinität. Verwandtschalt (.1718).
Was ist also hier in sprachlicher Beziehung vor sich
gegangen? Es ist auf eine mangelhaft beot)achtet^ Erschei-
nung der Chemie ein Begriff aus dem Familienleben bildlich
übertragen worden. Der Schüler, dem das Wort „chemische
Verwandtschaft ** oder „ Wahlverwandtschaft zum erstenmal
entgegentritt, empfindet bei einiger Intelligenz guuz gut, dass
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504 Termini technici der induküveu Wiaeenechalten.
maa ihm aiistail emor Definüsoii oder «Iner ErUirung nur
eiae bttbsdie Yergleichung gegeben babe. Yerbuigt man
Ton fhum technischen Ausdruck, dass er eine genau de*
finierto Gruppe Ton Hrsehduungen sueammenfasse, so ist
das Wort «Verwandtschaft* kein solcher tedmiseher Aus-
druck. Im Augenblicke der Erlernung ist das auch gans
klar. Ist der Sohffler aber inswisehen Chemiker geworden,
hat er beim Worte Verwandtschaft Tevgessen, dass es sich
nur um eine Yergleichung, nur um eine bildliche Anwen-
dung handle, verwendet der Chemiker im Banne seines
Berufeinterssses das Wort Verwandtschaft, so bildet er sich
ein, daran einen technichen Ausdruck zu besitaeo.
Die technischen Ausdrücke bilden die engere Umgangs-
sprache jeder Specialwiasenschaft. Der Fachmann operiert
mit ihnen und ftbr ihn sind sie ebenso bequem und ebenso
fehlerhaft wie die Alltagsworte in der allgemeinen Um-
gangssprache es sind. Es mnss eine Zeit gegeben haben,
in welcher AusdrQcke wie Luft und Feuer technische Worte
leitgenässischer Gelehrter waren.
v^tMT- Unter »Feuer* stellt sich der einfache Mann heute nodi
etwas Tor, was brennbare Stoffe veniichtet, weil er von
seinem Interesse aus den Zustand seines Hauses, seiner
Kleider, seiner Vorrftte schwinden sieht. Diese populiro
Anschauung war lange Zeit auch die wissenschaftliche. Man
eiklarte die Verbrennung als das Ausscheiden des Ver-
brennbaren, des Ffalogiston. Die Chemiker kannten damab
schon einen gewissen Zusammenhang swischen der Orf-
daiion und der Verbrennung. Sie erUftrten nur die Wieder-
herstellung der Metslle aus ihren O^den durch den Hinzu-
tritt des Phlogiston. Heute lehrt die Chemie, dass bei jeder
Verbrennung Sauerstoff hinzutritt, dass das Produkt der
Verbrennung demnach an Gewicht zugenommen hat» Die
phlogistiscbe Theorie, die bis zum Ende des 18. Jahr^
hnnderls geltend war, lehrte also genau das Gegenteil von
der Wshrheit. Man hatte i&r den guten Glauben in «Hilo-
giston' einen besonderen tedinisdien Ausdruck erfimden;
dieser gehörte der Umgangssprache des engsten Chemiker-
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Spraehe der Ghemie.
505
kreises an. Einftn klaren Inhalt konnte er nicht haben, dft
er das Geironteil von der Wirklichkeit lehrte.
Als nun durch Priestlev und Lavoisier die neue Lehre Sprache
begründet worilen war, dass die Verhrennunjt? nicht eine c^jm^g,
WrnichtuDg, sondern eine sehr positive Verbindung mit dem
SaucrstoflF sei, da hiessen die neuen Chemiker anfangs sehr
charakteristisch die Antiphlogistiker. Dann aber überaahm
LavoisifM- die grosse Arbeit, eine neue Nomenklatur zu
schaäen ttlr die zahlreichen Stoffe, welche der Chemie be-
kannt waren und welche jetzt, nach den neuesten Ent-
deckungen, anders als l)islier geordnet werden konnten.
Diese Nomenklatur hat ^n-h in ihren äussern Umrissen bis
zur Gegenwart erhalten un l Iv inn jetzt, namentlich auf dem
Gebiete der chemischen Grammatik, wie ich sagen möchte,
als ein Musterbild technischer Ausdrücke gelten. Von Jahr-
zehnt zu Jahrzehnt sind quantitative Bestimmungen iiinzu-
getreten. welche den wissenschaftlichen Wert dieser Nomen-
klatur zu erhöhen schienen. Ausserlialb dieser Klassitikation
stehen über die Namen der Originalkcirper , welche man
Elemente zu nennen pllegt. Die Namen dieser (gegen-
wärtig ungefähr siebzig) Elementarsubstanzen sind lieiite
noch so wenig kla.ssiti ziert, dass uralte histori.sche, poetische
und beschreibende Namen durcheinander laufen, wobei die
wissenschaftlichen Anschauungen verschiedener .iaht lumderte
ihren Eintluss verraten. Ich erinnere nur an die Worte wie:
Eisen, Gold; Sauerstoff; Jod, Arsen: Fbmr, Quecksilber,
Kalium. Die neuesten Beobachtungen, durcli welche Men-
delejew im stände war, sämtliche Elemente neu zu grup-
pieren Uli i sogar die Entdeckung unbekannter Elemente
vorauszusagen, lassen damut schliessen, dass die Nomen-
klatur Lavoisiers nach Im ridertjähriger Geltung bald un-
brauchbar geworden sein wird, dass man demnächst an die
Schöpfung eines ganz neuen chemischen W()rterbuchs und
einer verbesserten chemischen Grammatik wird gehen müssen.
Dabei hat die Chemie eine ganz ausgezeichnete Mittel-
stellung zwischen den abstrakten Wissenschaften der Mathe-
matik und Mechanik einerseits und der Naturbeschreibung
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506 Termini technici der indoktiTen Wiaaemchaiiea.
anderMüs. D«itE die Ghamk beadiiftigt sich mir mit km,-
kreten Körpern, und es ist die Zahl dieser konkreten Edrper
— so gross sie aach sein mag — doch durch die Möglichkeit
der Blementrerbindungen heschrftiikt, eine EUKsifikatioii ist
also je naeh Keuntais der Elemente gegeben. Ton unserem
Standpunkt aus ist freilieh die Chemie am den scheinbar so
sicheren Besüs nicht xu beneiden; denn wir sehen wie 2. B.
das Wort , Metall* — sieherlich ursprünglich ein techni*
sdier Ausdruck — in den modernen Sprachen bereitB ein
Ausdruck der Umgangssprache geworden ist, der gewisse
wohlbekannte Körper Ton einem gewissen Gewicht, einem
gewissen Glanz und gewissen mechanischen Eigenschaften
beieichnet, wir sehen wie die neuere Wissenschaft sich be-
mttht, das alte Wort als teduischen Ausdruck aufrecht zu
erhalten, wie sie in den Metallbegiiff die leichten Metalle,
die Erdmetalle hineinzupressen sucht, wie sie im Gegen-
satz dazu den undefinierbaren technichen Ausdruck Metalloide
bildet und wie sie jetzt eben dabei ist, die alte Bezeichnung
preiszugeben. Seit etwas ttber hundert Jahren hat die Chemie
solche Fortschritte gemacht, dass das Feuer nichts Wirk-
liches mehr ist, das Wasser die Verbindung zweier Luft-
arteo, die Luft in Flüssigkeit yerwandelt werden kann und
die Erden aus Metallen und Luft bestehen. Da mussten
freilich auch alle Begriffe flttssig werden. Jede chemische
Nomenklatur ist nichts weiter, als die Torl&ufige Anwendung
einer neuen Hypothese auf die Klassifikation der Kdrper.
Von der unhaltbaren Etymologie der alten technischen Aus-
drucke soll gar nicht erst die Bede sein: wenn man Ton
einer »sflssen Siure" sprechen kann, so beweist das nur,
dsas «Säure* ein tedinischer Ausdruck geworden ist, der
mit dem sauem Geschmacke nichts mehr zu schaffen hat.
Nur dass die Erfindung jenes technischen Ausdrucks auf
den saueren Gkschmack zurückging und dass die Gruppe
der ffSfturra* immer unklarer und unsicherer wurde, frei-
lich auch immer gelehrter, je weiter sie sich von dem
Merkmale des sauem Geschmacks entfernte. Es ist nicht
anders: die Klassifikation der natürlichen Kdrper nach ihren
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Ifiacnlogie.
507
physischen Eigenschaften bereitet unttbersteigliche Schwierig-
keiten; die geheime Zusammensetzung aber, welche eine
natOrliche Klassifikation ermöglichen würde, werden wir
audh nach Mendelejew nienuüs kennen lernen. Und wenn
seine Reihe nach Atomgewichten deutlich wäre wie das
Einmaleins, wir würden ja dennoch nicht wissen, was
„Atom'' und was „Gewicht" bedeutet. Vielleicht ist Atom
nur eine Gewichtseinheit, vielleicht ist Gewicht nur eine
Funktion von Warme oder von Bewegung oder von Elek-
tricität oder von Leben oder Ton wer weiss was. «Alles
fliesst."
Die chemische Klassitikntion ist also wie jede andere Mine»«
nur der Vernich, die uns bekannten Aehnlichkeiten der
natürlichen Kürj)er in unserem Kopfe übersichtlich zu ordnen.
Was in der Wirklichkeit vorteilt, das ist jedesfalls etwas
Andere«? als -was in unst rm Kojjfe vorgelit. Denn die Natur
brauclit sieh nicht im mindesten um menschlirhes Interesse
zu bekümmern, nirht einmal um unser mensrhiiches wissen-
schaftliches Interesse, <his doch wieder nur ein Bequemlich-
keitsinteresse des Gedächtnisses ist: der Mensch aber bat
bewu«?st und unbewusst nur sich im Anu'f bei der Ordnung
seiner Naturerkenntnis und weiss es nur für «rewrdmlich
nicht, wie subjektiv seine berühmte olijcktive Wissenschaft
ist. Ein 'starkes Beispiel dafür bietet die Existenz einer
besonderen W issenschaft, die sicli Mineralogie nennt, neben
der wissenschaftlichen Chemie. Beide Wissenschaften haben
es, wenn man genau zusieht, mit den j^leiohen Körpern zu
thun; beide wcdlen doch nur die Summe aller unorcranischen
Naturk()rjier beschreiben und ordnen, welches Ordnen oline
eine erklärende Hypothese nicht möglich ist. Dass eine
Sammlung von Mineralien anders aussieht als eine Samm-
lung von Chemikalien, beruht docii wohl nur auf dem ver-
schiedenen Interesse der Sammler. Eine vollständige Mine-
raliensammlung wäre identisch mit einer vollständigen
Chemikaliensammlung. Der Umstand, dass manche un-
organische Körper seltener v(ukommen als andere, dass
manche in keinem natürlichen Laboratorium erzeugt werden.
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508 VII. Termini teehnioi d«r induktiven WiflBenMhaiten.
thut ja nichts zur Sache. Rechnet man doch zu den Mine-
ralien die Stoüe, die im Ol'eii eines Vulkans entstehen. Und
rechnet man doch ?a\ den Tieren die Tuubeuvarietäten, die
durch künstliche Züchtung hervorgebracht worden sind. So
mUsste denn eine natürliche Klassifikation der Mineralien
identisch sein mit der natürlichen Klassifikation der Chemie.
Heute scheidet sich Mineralogie und Chemie so, dass
die erste hauptsächlich Krystallographie ist, die zweite die
Bestandteile der Körper untersucht. lieber kurz oder lang
werden diese beiden Disziplinen zu einer einzigen Wissen-
schaft zusammengehen müssen und weTin einmal zwischen
Zusammensetzung und Krystalllorm regclmä.>;sige Gleiehun-
gen aufgefunden sein werden, wird .sicherlich auch eine neue
mineralogisch-chemische Sprache entstehen. Und vielleicht
wird diese technische Sprache der Zukunil in einer noch
späteren Zukunft in die Umgangssprache übergehen.
Dieses abwechsekide Borgrerhältnis zwischen techni-
scher Sprache und Umgangssprache lasst sich bis in die
ältesten Zeiten der Oesdiichte der Mmeralogie zurfickrer-
folgen. Wenn Aristoteles etwa wie ein Dorfjunge unserer
Zeit nur den Hauptuntorsoliied swisehen Steinen und Erzen
aufstellte, so hatte ihm den Begriff der metallfülirenden Erse
sidierlich die Technik der Metallarbdter geUeferi und die
Kenntnis der Edekteine, des Statuemnateaials und der Töpfer-
erden verdankte er offenbar anderen Handwerkern, die da-
mals mehr als heute die Rohstoff» ihres Gewerbes kennen
mussten. Es ist ersteunlich, wie viele Jahrhunderte sich
die Welt mit diesen groben Eintoilungen begnügte.
Der intensive Bergbau war es, der dann immer wieder
genauere und reichere Beobachtungen lieferte und eine
technische Bergbausprache zur Folge hatte, die erst vor
etwa hundert Jahren auf dem Wege Uber die technische
Sprache der Wissenschaft tolwdse Qemeinsprache ge-
worden ist.
KrystaUo» Dabei wurde der Wert der KrystaUform Abr eine BSassi-
fikation der Mineralien ttbersehen. Das Vorkommen von
kurios und regehnfissig geformten, durchsichtigen Mineralien
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KiTitellogiapUe.
509
war natüiiich niemals übersehen worden. Die Griechen
hatten sich dafür eine fabelnde Hypothese zurechtgemaclit
un<I selbstverständlich nach dieser Hypothese Worte gebildet.
Diese eckigen und durchsichtigen Mineralien erklärten sie
für ein durch himmlisches Feuer besonders fest gewordenes
Eis, die schönen, ^^Tlsse^hcllen Krystalle des Quarzes nannten
sie also einfach Ii ilt* is. Krystallos hiess auf Griechisch
Eis; so entstand das VV ort, von dem heute die Klassifikation
aller Mineralien hergenotnmen wird. Und ich zweifle nicht
daran, dass die alte Fnbcl vom Eise noch heute dahinter
steckt, wenn man scheinbar technisch aber vollkommen un-
klar von dem Wasser der Diamanten redet. Vielleicht liefert
jemand die Geschichte dieses Begriffs.
Das Vorkommen von Krystalleu war also von jeher
beobachtet worden , nicht aber die Regehnässigkeit der
Formen und darum nicht ihr Wert für die Einteilung. Die
Beobachtung musste er.st genauer werden, mau musste erst
die Neigungswinkel der Krystallflächen messen lernen, bevor
man die andere Beobachtung machen konnte , was eigent-
lich das Unveränderliche in den veränderlichen Krystail-
formen des gleichen Körpers sei. Daher kam es, dass nicht
nur der kühne und gelehrte Caesalpinus (im IG. Jahrhundert)
sagen kounte: „Leblosen Körpern eine bestimmte unver-
änderliche Gestalt zuzuschreiben, scheint mit der Vernunft
nicht übereinstimmend zu sein, denn es ist das Geschäft der
Organisation bestimmte Gestalten su «raeugen;** ja selbst
noch Bttffott leugnete den konstanten Gliankto: der Krystalle
und erklärte ihre Gestalten für sweideutiger als irgend ein
andres Eennzdehen der üniersehetdting von Ifineralien.
Erst der grosse NomenUator der Botanik, erst Linn^ kam
mit Bewusstsein auf den Gedanken, dass man die Kiyatall-
formen zw Klassifikation der Mineralien bentttien könnte,
so wie er die lange Tor ihm entdeckten (^eeohlechtrtdle der
Pflanzen zur Klassifikation dieser Organismen benUtat hatte.
Wire Idnn4 ein modernerer Katurphilosoph gewesen, er
lültte vieUeicht zwiachen der Krystallisation und dem Ge-
schlechtsleben Aehnlichkeiten gesucht und gefunden; ein
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510 VIl. Tennini tecbnici der mduktirexi WisaeiuchafteQ.
geistreicher Mann könnte sogar Beziehungen zwischen dem
Geschlechtsleben und dem Dimorphismus der Krystalle suchen,
um bald zu entdecken, dass er im besten Falle nur hUbsche
Metaphern geredet hätte. Der nUchteme Linnd bildete sich
auf seine Lehre von der krystalUnischen Klassifikation nicht
viel ein. Lithologia mihi cristas non eriget, sagt er einmal;
seine BeschMdenheü war nicht nnrü^tig, weil auch er
noch weit entfiemt war von einer geometrisch genauen Be-
obachtung der Krystalle , wdl er sich mit oberfllchHchen
Aebnliclikeiten begnügte und z. B. den Alaun und den
Diamant in eine und dieselbe Klasse einreihte. Erst gegen
das Ende des 18. Jahrhunderts begann man regelmassig
und pedantisch die Krystallwinkel zu messen und gelangte
so zu der Ueberzeugung von der Besl&idigkeit der wesent-
lichen Form. Eine ungeheuere alexandrinische Arbeit war
vorher nötig gewesen. Noch 1808 konnte ein Franzose drei
Quartbände allein über die Krjstslleracliräiungen eines ein*
sigen Minerals, des Kalkspats, schreiben, wdl dieses Minersl
gegen 60 verschiedene Gestalten und gegen 700 Abarten
aufweist. Das Ende dieses ganzen Untersuchungseifers war,
dasa die Krystallform als Grundlage einer neuen Klassi-
fikation der Mineralien angenommen wurde, ohne dass über
den innem Zusammenhang dar mineralogischen Form und
der chemischen Zusammensetzung irgend etwas behauptet
werden konnte. Nicht einmal zu einer eigentlichen Hypo-
these kam es. Es war nur die Vermutung vorhanden, dass
wohl ein Zusammenhang bestehen mOge* Man war sehr
froh, als Mitscherlich (1822) den sogenannten Isomorphismua
entdeckte; aber auch diese Beobaditung, dass nftmUdi ge*
wisse Elemente in gleichen YerbindungMi die gleichen Formen
annehmen, war mehr kurios ab erklärend.
Ein natOrliches mineralogisckes System ist darum bis
zum heutigen Tage nicht vorhanden. Auf Ghrund der krystal-
linischen Vorarbeiten von Hauy und Werner liatte Mobs
(1820) ein kOnstliehes System aufgestellt, aber selbst noch
an der Möglichkeit eines natOrlichen verzweifelt; seitdem
nähert man sick wieder einer mehr chemiseken Einteilung
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Boianüc
511
der Mineralien. Aber die erwähnte SrlioiduDg in eine cberai-
sclie und in eine mineralogische Wks.seiischaft ist schon ein
äusseres Zeichen daflh-, dass selbst in diesen Köriiern der
leblosen Natur ein auch nur annähernder Zusamuieuhang
zwischen Stoff und Form noch nicht entdockt worden ist.
Und so kann man wohl sagen, dass die technische Sprache
der Mineralogie bis zur Stunde noch nicht einmal den Er-
kenutniswert unserer Umgangssprache erreicht hat; erst
wenn zwischen Chemie und Mineralogie durch eine brauch-
bare Hypothese eine feste Brücke geschlagen wäre, erst
dann hätte die technische Sprache der Mineralogie den so
fragwürdigen Wert unserer Alltags worte.
Es ist nun sehr auffallend, d&sn die technische Sprache
der Mineralogie noch hinter der der Botanik zurücksteht.
Die Thatsache .selbst äu.ssert sich z. B. darin , dass es seit
hundert Jahren die Sehnsucht der Mineralogen ist, eine
solche Nomenklatur zu erreichen, wie sie die Botaniker seit
Linn^ besitzen, und dass die Namen der wissenschaftlichen
Botanik, wenn auch nicht systematisch, sondern mehr nach
dem Zufall der Mode und des Nutzens, Gemeingut jedes
Gärtnergehilfen und jedes Gärtnereibesitzers geworden sind,
wihroKl hSchstenfl die chonisclieii NomenkUturen, niefat
aber die minenlogiselieii, dnreh Droguenkandlimgen ab mid
in in die Gemeinspradie eindringen. Diese Thatsaebe isl;
darum aufÜillend, winl naeb d«*landlftufigen Weltansehanung
die imorgaiiiscbe Welt 80?iel leicbter au begreifen ist als
die organiscbe. Wir freilich wieaen, da» die Erscbdnungen
dea Lebens um nichts riltaelToUer sind als z. B. die physi-
kalischen Erscheinungen des Stesses, wir wissen, dass die
Uechamk der Natur im Fortgang der menschliehen Er-
kenntnis noch schwerer erU&rbar sein wird als die Organi-
sationen; wir werden uns also Über die bessere Nomenklatur
der Botanik nicht wundem.
Es kommt noch eins dasu, um das Pflanienreich leichter Bottafk.
Uassiftderen su lassen ab das Mineralreich. Bei den Pflanzen
wird das unbekannte natOrliche Systinn auf aUe FSlle em-
facher sein als es das ebenso unbekannte natOrliche System
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512 Tenoini technici der induktiven Wi»ensohaften.
der Mineralien ist. Es ist charakteristisch für das Oe-
schlechtsleben der Pflanzen wie der Tiere, dass nur Imli-
vidueii von grosser Aehnlicbkeit (von der gleichen -Art'')
sich fruchtbar miteinander verl^inden können. Wir können
auch in unsuren botanischen Gärten eine Kombination von
Vergissmeinnicht und Eiche nicht herstellen. Das Geschlerhts-
leben der Mineralien — wenn ich so sagen kann — ist
unendlich freier. Es scheint beinahe, als ob zwischen den
Elementen in der Wirklichkeit so viele Kombinationen mög-
lich wären, als auf dem Papier mathematisch ihrer aus-
gerechnet werden können. Und da die Worte nur Erinne-
rungen an die Wirklichkeit sind, so muss die Sprache den
Zufallserscheinungen der Mineralogie hilfloser gegenüber-
stehen, als den von der Natur besser geordneten Zufalls-
erscheinungen der Botanik. Auch ist das Eindringen dar
Botanik in das Interesse und damit in die Sprache der
Menachm frlllier aimwetKiHi als das Eindringen der Ene
und Steine. Hbsbr muaston die Mensdien, lange bevor sie
sich Werkaeuge schufen. Trotadem haben wir auch an der
techniscben Sprache der Botanik einen Schata von sehr
aweifelhaftem Werte. Eine Geschichte der botanischen Aus-
drucke w&re ein grosser und hübsdier Beitrag zur Geschichte
des Menschengeistes.
jKy- Die naive Art antiken FabuHerens ist allerdings flber-
intiM*. ^yQ^oQ £^ äusserstes Beispiel solchen unwissenschaft-
lichen Denkens mag uns die griechische Legende Ton der
Entstehung der Hjaainthe sein ; Legende und Naturgeschichte
Termochten die Griechen ja doch noch nicht Toneinander
zu trennen.
Lrgend eine uns unauffindbare Volksetymologie mag
den Kamen dieser Blume und den Namen des griechischen
Allerseelen-Festes, der Hyakinthien, in Yerbindung gebracht
haben; und wie wir im Schlafe einen Sinneseindruck zu
einem Traum ausgestalten, so bildeten wohl die Griechen
aus Volksetymologien nnd Zufallsbeobachtungen ihre Legen-
den, Sie sah^ in den Blumenblittem der Hyazinthe die
Buchstaben A I, welche zusammen im Griechischen den
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Botanische Klassifikation.
513
gewöhnlichsten Ausruf des Schmenes wiedei^eben. Daraus
wurde eine ganze Geschichte. Der Sonnengott des Festes
der Hyakmthien wurde mit der Blume in persönliche Ver-
bindung gebracht. Hjakinthos, nalfflrlieh ein EOnigssohn,
war der liebling Apollons. Bdm S^piele wird Hjakintlioa
getötet, er stirbt mit dem griechischen Schmerzensmf ai
auf den läppen nnd aus seinem Blute ISsst Apollon die
Blume henrorsprieesfliit welche diese Inteijektion f&r griechi-
sdie Ai^n xeigt. Man denke sich, dass unser Tolk den-
jenigen unter den Fuchsschmetterlingen, welcher auf der
Unterseite seiner Flttgel gani deutlich die Figur eines kleinen
deutschen Fraktnr-c bildet, in ähnlicher Weise entstehen
Hesse. Geradezu abgeschmackt wird die Geschichte, wenn
ein lateinischer Dichter sie iu seiner Sprache Tortrigt, wah-
rend doch in der lateinischen Sprache der Schmensensruf
ai unbekannt ist. Solche Albernheiten finden sich hftuiig
in Ovids «Metamorphosen*, von denen — seltsam genug —
die Anf&nge der modernen Pflansenmorphologie ihren Namen
genommen haben.
Es dflnkt uns ungeheuerlich, solchen Fabeki in der Ge- notMd>
schichte der technischen Ausdrücke zu begegnen. Und doch
war das alles, solange man an die Fabeln glaubte, nicht skatton.
anders als manche andere Nomenklatur der Botanik, die auf
den Glauben alter Gelehrter und verbreiteter Volkstradi-
tionen gegründet war. Was die Menschen interessierte, als
Nahrungsmittel oder als Arzneipflanze, das wurde besonders
benannt; und der Glaube an die Holkraft gewisse Pflanzen
mag oft heute noch so legendarisch sein wie die Hyasmthen-
fobel, die annahm, dass die Natur mit den zufftlligen Schrift-
zeidien der zufftUigen griechischen Sprache operiere. War '
doch die Botanik in ihren Anfingen und noch weit ins
Mittdaltor hinauf die griechische Bezeichnung für ein
Krftuterbuch. Das Werk des Dioskorides, welches der Thor-
heit mittelalterlicher Naturspekulanten flir das klassisdhe
Werk der Botanik galt, beschrieb etwa sechshundert Nutz-
pflanzen. An eine systematische Nomenklatur brauchte man
bei solcher Armut nicht zu denken. Als aber nach don
Maniliaer, B«ltxftc« sa «Ui«r Kritik dar Spiaeh«. m. 88
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5t4 VIL Termini tecbnici der iiiduktiven Wüäemchaften.
Wiedwenrachen der Wksensebftfteii sehlksslidi viele Tsu-
aende Yon Pflaiiaen l>eobaelitel und besehrieben waran, wurde
die Menge der Namen unbequem. Es gehört svm Weeen
der SfKrachef durch ganemsame BeMidmung ahnlwher Er-
innerungen du Gedftehinis lu enfksten. Eine Kksdfikaik»
der Pflanzen wurde wQnschenswert Aber auch damak
noch, im 16. Jahrhundert, waren eineneits immer nur
die wiridichea oder vermeinilicben NutEpflaaaen beobachtet
werden und anderNihB seheiterte die Beschreibung an dem
Mangel dessen, was ich wieder, wie bei der Chemie, die
Ghwnmatik der Wissenschaft nennen m<klite. Beisfnelswdse
waren die Beceichnungen «gesftgt*, »gesahnt*, «gekerivt*,
agewimpert* u. s. w. fbr die Formen der Blattnader nodi
nicht ▼orhanden, weil die ihnliohen Formen eben noeh nicht
▼eiglichen waren. Es fehlten die Worte, weil die Anfme^-
samkeit gefehlt hatte. Die Einteilungen der Fflaaaen, die
aus ahen Zeiten herrOhren, erscheinen uns hindiseh; so
wenn der Klassiker IKoskorides seine sechshundett Pflanaen
in aromatische, emfthrende und wdneraeugende untsfechieden
hatte. Wir llcheln darüber; wir liehein aber nicht, wenn
wir selbst immer noch nach den elementarsten Gesiehtfr-
ponkten von Btamen, Strftuchem und Kräutern reden.
Als nun die unObersehbar werdende Menge der be-
kannten Pflansen eine Einteilung in Arten und Unterarten
notwendig machte, da geschah was immer geschieht: das
Bedürfnis nach einer Stütze des Gedächtnisses war stärker
als das Bedürfnis nach wissenschaftlicher Erkenntnis, und
ein künstliches System war fertig, bevor man an ein natür-
liches System auch nur denken konnte. Immerhin war es
ein geistreicher Einfall dee schon genannten Caesalpinus,
dass er zur Nomenklatur der Pflanzen eine der wichtigsten
Fflaoienerscheinungen benützte, die Fruchtform* Das war
bequem für das künstliche System, weil man je nach der
Zahl des Samens und der Samenbehälter von Eins weiter
Tordringen konnte ; es war auch erfreulich für die Sehnsucht
nach einem natürlichen System, weil die Wichtigkeit der
Frucht für die Pflanze auf der Hand lag. Die Einteüung
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Botanische KlaMükatio«.
515
nach Samen und Samenbehftliern war doch ein Fortschritt
gegen die alphabetische Anordnung. Was dem Caesalpmus
vor seil webte, das ist heute noch das Ideal einer systemati-
schen Pflanzennomenklatur: ein Einteilungsgrund, der ähn-
liche Pflanzen unter einer gleich benannten Klasse Tereinigt.
Und niemand scheint zu bemerken, wie dabei die wirkliche
Natur der Sprache spottet. Denn wir kennen nicht das
natürliche System der Pflanzen; und so ist uii.sei Kriterium
daför, ob der Ein teil ungsgnmd gut gewählt war, immer
wieder von eiuer laienhaften und naiven Vergleichung der
Pflanzen abhängig.
Man kann fast jede wissenschaftliche Neuerung, die
dann von der offiziösen Wissenschaft eine epochemachende
Entdeckung genannt wird, besser verstehen, wenn man sie
mehr als Sehnsucht denn als Erfüllung auffasst. Die neuen
Antworten sind nur neue Fassangen der alten Frage. Die
Hypothesen, welch« man für Bettungen ausgibt, sind nur
Hilferui^. Auch die Elasnfikntlon des Caeealpinus war keine
Hilfe, sondern mir ein Hilfernf. So vkltf Uühe man Ml
aneh gab, es fehlte nach wie vor an einer technisdien
Sprache der Botanik, die Pflaasenbeschrdbongen waren nn*
TersttadUdi, weü jeder Botaniker seine eigene Sprache
redete. So konnte es kommen, wie CnTier enlhlt, »daas
es beinahe unmöglich geworden war, die Ton den Toren-
gegangenen Botanikeni besprochenen 0ew8cfase wieder su
erkennen, da dreissig oder vierzig Botaniker einer nnd der^
selben Pflanse ebenso viele verschiedene Namen beigelegt
hatten*. Man achte dabei darauf, dasa damak alle Bota-
niker der verschiedenen Linder lateinisch schrieben. Trota-
dem gab es keine gemeinsaine botanische Sprache. Diese
musste erst erfunden werden. Eine AuseinaDdersetiung Über
die erwihnte Synonymik derPflaasen musste vorausgehen;
sie ist 1G23 im Pinax thaatri botaaici erfolgt. Es ist ein
Fall, der kaum seines gleichen hat in der Geschichte de^
Menschengeisfees. Wie nach der BibeUnShlnng der Kebe
Gott dem Adam die Geschöpfe vorftthrte, damit er sie be-
nenne, so einigten sich jetrt die Katarforscher daiflber, was
516 Termini iechnioi der uidukti?en Wi«ien8chaftea.
sie fortan imier bestimiiittta Namen Tentehen «dlteii. Es
ist der Ursprung einer Sprache in historischer Zeit
ubb«. JStwB hundert Jahre erst nach den Aufr&nmungsarbeiten
dieser Sjuonjrmik konnte der berühmte Linn^ mit seiner
neuen umfassenden Nomenldstur der Pflanzen henrortreten.
Bis auf seine Zeit war die Sprache der Botanik eine Art
isolierende Sprache gewesen. Und wie nur ein wenig in*
teUigentes Volk bequem mit seiner isolierenden Sprache aus-
kommt, wie dagegen a. B. die Chinesen EuBBtgriJFe — es
sind Kunstgriffe rom Standpunkt unserer Sprache — an*
wenden mttssen, um ihre viele Tausende von Begriffon den-
noch Übernchtiich durch ihre isoliorende Sprache auszu-
drucken, so war es notwendig geworden, die Unzahl von
beobachteten Pflanzen endlich in eine systematische Sprache
zu zwingen. Das Wesen unserer flektierenden Sprache be-
steht doch darin, dass durch die Kombination von emer be-
schrSnkten Anzahl Ton Stammsilben mit einer beschrinkten
Anzahl Yon Bildungssilben eme ungeheuere Menge von ein-
deutigen Ausdrucken zu stände kommt. Ich habe irgendwo
gesagt, dass ein vollstibidiges Wdrterbuch der deutschen
Sprache z. B. nidit nur das Verbum «blflhen*, sondern
sämtliche Konjugationsfonnen des Wortes enthaltoi mUsste,
ebenso sSmtl^e Casus des Wortes «Blttte*^, dimtliche
formen des Partizips «blühend* u. s. w. u. s. w. Uns sind
die Formen der Grammatik aber so gdftufig, die Analogie
bebertacht uns so sehr, dass wir uns im Wörterbuche mit
einor einzigen Form begnUgen. Anders steht es mit einem
Wörterbuche der vorhandenen Pflanzen. Die Natur arbeitet
nicht wie der Sprachgebrauch, der von jedem Verbum jede
mögliche Form des Paradigmas im gegebenen Augenblicke
bildet. Das Wörterbuch der Botanik ist etwa so wie ein
SpezialWörterbuch des Homer, welches einzig und allein die
bei Homer Torhandenen Wortformen aufnimmt, diese aber
▼oOstindig. Als nun Linne', mit dem erstaunhcben Fleisse
eines unpbilosophiBchen Kopfes, daran ging« eine Nomen-
klatur der Botanik zu schaffen, hatte er vorher die weit
schwierigere Aufgabe zu bewältigen, fttr das neue Wörter^
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bucli ent eine Qrammatik su erfinden. Ist die tecbnisclie
Sprache der Bol»mk dmreli ihn ent za einer flektierenden
Sprache geworden, so musste er damit anfangen, die Endnngs-
sEben selbst zu erfinden. Qanz ohne VolapQk konnte es
dabei nicht abgehen. Dadurch unterscheidet sich ja die
Entstehung der Sprache swischen den Menschen von der
Erfindung der Sprache durch einen Einseben, dass ein Volk
mit der Sprache seinen Kenntnissen oder Erinnerungen nach-
hinkt, dass der Einiefaie gern sjstematisch vorgeht und fOr
den künftigen Zuwachs an Beobachtungen Torans sorgen
möchte.
Ein anderes kommt Unzu. Auch dem nüchternsten
Forscher drängt sich zwischen die Freude an der Be-
schreibung die Sehnsucht nach einer Erklärung. Jeder
Forscher ohne Ausnahme hält den neuen technischen Aus-
druck, den er selbst fUr eine neue Beobachtung zuerst ein-
geführt hat, bald nachher unfreiwillig für etwas wie eine
Erklärung dieser Beobachtung. Könnte man mit seinen
Gedanken Uber die gewohnte Sprncb«' Linausgeliinpen , so
wUrde ich sagen: jeder neue technische Ausdruck sei eigent-
lich nur beschreibend, nur ein Adjektiv; dass man ihn als
Substantiv gebraiu'he, sei schon der Anfang seines Miss-
brauchs. Die Menschensprache wäre philosophischer, wenn
sie überhaupt keine Substantive bes'asse.
Linn^ hat, als er eine Grammatik und Lu<rik fDr seine
Pflanzennomenklatur schuf, etwa tausend technische Aus-
drücke teils besser definiert, teils neu aufgestellt. Es war.
ihm klar, dass diese Adjektive nur zur Beschreibung der
Pflanzenerscheinungen und nicht zur Erklärung des Pflanzen -
lebons dienen konnten. Einen adjektivischen Sinn haben
nicht nur die eben erwähnten Bezeichnungen für die Form
der Blattrnnder , ?n?tfiem auch z. B. die substuntivischeti
Ausdrücke für den Blütenstand. Der Vorgang im Kopfe
Linne's war derselbe, wie wenn eiti Kinl sprechen lernt.
Es fielen ihm AehnHchkeiten zwischen Bliiti nständen auf,
die man vor ihm nicht so genau oder gar nicht beachtet
hatte. Von der bekanntesten Blüte oder Frucht nahm er
518 Vn. Tennini teehmci der udnktiTeii WuMOMliftfton.
dann metaphorisch die I'e/.PK Imiing lür iihnliche Gebilde.
Als er aber erst selbst die ik uen technischen Ausdrücke
besass, war er doch wiedt r l'i ufigt, den Blutenstand für
etwas 7'i halten, was dem Ptiaazeuleben wesentlich sei.
Er vertit'l nicht in Abstrusitäten , wie das Mittehdt'^r sie
liebte, weiches vielleicht von einer Doldität, Hispitüt und
dergleichen gesprochen hatte. Aber Spuren einer solchen
Selbsttäuschung finden sich dennoch in seinem Denken, in
der Unklarheit darüVier, ob sein System ein natürliches oder
ein künstliches sei. Hat er doch sogar (er war Arzt) die
Krankheiten in ein System von Worten bringen wollen.
Trotadeni ist Linne' mit seiner Nomenklatur di i- Tflanzen
vielleicht der grösste Sprachbildner geworden, den je
gegelion hat. Nur darf man sein Ptlanzensystem mit semer
neu» 11 Namengebung nicht verwechseln. Auch darf man
nicht vergessen, d&f-s nicht die inneren Vorzüge feiner
Namengebung so bewunderungswürdig sind, sondern dass
der Erfolg sie erst brauchbar machte. Es war notwendig
geworden, Ordnung zu schaffen, und da Linne im gegebenen
Moment und mit ungeheurem Fleiss einen praktischen Weg
einschlug, so wui de seine zunillige Nomenklatur eine Macht.
Als vor etwa hundert Jahren die Regierungen aus polizei-
lichen Gründen Ordnung in der Kenntnis ihrer Judenschaft
herstellen wollten und darum den Juden auferlegten, sich
einen Familiennaiucu und uazu einen Vornamen beizulegen,
wie es bei anderen Leuten üblich geworden war, da
entetand plötzlich in ähnlicher Weise eine neue Xomen-
khitur; von dem Geschmack der Zeit und dem mehr oder
weniger nationalen Standpunkt des einzelnen Hausvaters,
auch von seinem Bildungsgrade hing es ab, ob er sich
Moses Mendelssohn, Moses Tulpenthal oder Moses Pulver-
bestandth(?ü neunte; auch die historischen und unjüdischen
Namen Müller, Schmidt u. s. w. fehlten nicht. In der ge-
waltigen NomenkJiLtur Linnes finden wir die Müller und die
Schmidt, aber auch die Mendelssolin , die Tulpenthal und
die Pulverbeatandtheil. Er hatte sich die polizeiliche Auf-
gabe gestellt f jede einzelne Pflanze dadurch mit einem
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Eigennamen zu rerseben, daae er ihr einen Familiennam«i
und einen Taofnamen beilegte, während frühere Botaniker
die Urnen bekannten Pflanzen eigenilicli mit dem Namen
mehr beadirieben als benannt hatten. Es gab Blumen, sit
deren Benennung oder vielmehr Beschreibung früher bis zu
aeben Worten gehört hatten; das waren beschreibende
Worte der Umgangssprache. Linn^ setzte dafür einen Fa*
roilien- und einen Taufnamen, schuf dadurch erat einen
techniscben Ausdruck, der dann wieder mitunter in die
Umgangssprache geriet. Es versteht sich von selbst, dass
der ungeheure Erfolj^ der Linn^?'schen Nomenklatur nur
relativ ZufallsRache war. Er war der weitaus grösst« Ken-
ner und Sammler von Pflanzenarten und nahm daraus seine
Autorität zu einer neuen Klassifikation. Üie neuen Namen
selbst, insbesondere die Wahl der heute noch gültigen Tri-
vialnanicn gingen aus seinem individuellen Geschmack her-
vor, der nichts mit seiner Grelehrsamkeit zu thun hatte; die
grösstc Eleganz seiner neuen botanischen Sprache bestand
in ihrer Kürze.
Es besteht aber ein innerer Zusammenhang zwisehen
der Nomenklatur Linnes und seinem berühmten Versuche
emes k(5nstlicben Systems. Für das neue Wörterbuch der
Pflan? II i rfiurhte > i » ine neue beschreibende »Sprache, eine
Fülle ^iMi;ui (letiniertei Adjektive; als er nun dns Pflanzen-
reich von oben nach unten in Klassen, Or(Jijiin;::jen . (Je-
scUlecliter und Arten einteilte, brauchte er für dieses künst-
liche System Einteilungsgründe, welche er doch unmöglich
anders woher nehmen konnte, als von seiner neuen Gram-
matik, von den adjektivischen Merkmalen. Ueberdies w llt i
er nicht ein bloss künstliches System aufstellen , sondern
womöglich mit dem künstlichen System das natürliche
treiben. In seinem KojyU Nvar, was nicht erst bewiesen zu
werden braucht, eine vo* läuiige Ordnung der ihm bekannten
Pflanzen vorhanden, bevor er äusserlich Ordnung machte.
Sein Ideal war ein natürliches System; instinktiv griff er
nach demjenigen iius.^erlichen }\inteilunsrsgrunde, der der
Entwickelung der Statur am näcii^ten zu liegen schien. Es
520 Vil. Temiai teehnioi der induktiveii WiweMchafteM.
lag auf der üand , dass ganz Unähnliches verbunden und
höchst Aehnliches getrennt worden wäre, wenn er z. B, den
Blütenstand oder die Form des Blattraudes zum Einteilungs-
grunde genoniraen hätte. Wohl gemerkt: das war nicht
etwa logisch zu erscUiessen, sondern nur an der Wirklich-
keitswelt zu beohachten. Es liegt kein logischer Grund
vor, we!?halb die Natur nicht verwandte Pflanzen mit gleich
geformten Blattrandern liätte versehen sollen. Vor ihm
hatte man die Pflanzenfrueht zum Einteilungsgrunde ge-
nommen. Linn^ wählte äusserlicher und erfolgreicher die
ziffermässigeu Unterschiede in den Zeugungsorganen. Zahl
und Lage der Samenfäden und Samenwege waren für jeden
Schulknaben leichter zu bemerken.
Die Klassifikation des iUlan.^enreichs war eine soge-
nannte lojPfi.sche Arbeit. Wir werden aa unsere logischen
Untersuchungen erinnert, an das Ergebnis, dass der Begriff
bereits das Ihieil und den Schluss niitenthalt«, wenn wir
sehen, wie Linnö sich abquält, neben seinem künstlichen
System das natürliche System zu erkennen. Linne sagt ein-
mal: .,Die nattirlichen Ordnungen können nur aus der Be-
trachtung, nicht eines oder mehrerer, sondern nur aus der
Betrachtung aller Teile einer Pflanze hervorgehen; — die-
selben Organe kdmien für einen Teil des Systems sehr
wichtig und wieder für einen andern Teil ganz unwichtig
aein; — das Gesehlecht (Qenus) wird nicht von dem Cha-
rakter, sondern der Charakter wird von dem Geschlecht
bestimmt; — der Charakter ist notwendige aber nicht um
das Geschlecht su bestimmen, sondern nmr es zu erkennen/
Whewell tadelt daran, dass Linn^ sich demnacb bm der
Aufstellung der Ordnungen auf eine Art vorläufigen In-
stinktes Terlasse. Das ist ja aber das Wesen der Sprache,
dass sie nichts benennen kann, was der Mensch nicJit Tor-
her beobaditei und nadi Aehnlichkeiten Terglicben hat. Die
AehnUehkeiten aber findet der menschliche Verstand immer
nur nach seinem persönlichen Interesse und nicht objektir.
Immer geht der Aufstellung eines Begrifls das instinktivo
Vergleichen voraus. Ebenso hat die Sprache swischen Hund
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521
und Wolf unterschieden f mcht aber zwischen Mops und
Windspiel, die sie beide zu dea Hunden rechnet. Linn^
hatte ganz recht, als er dem Unbewussten seinen Anteil
gönnte. Und er ist der würdige Vorläufer Alexander toq
Homboldts, wenn er sagt: «Die Eigensdiaft einer Pflanae
lernt man auf einem geheinmisrollen Weo:e kennen. Ein
erfahrener Botaniker wird auf den ersten Blick die f^fianzen
der verschiedenen Weltteile unterscheiden , und doch wird
er verlegen werden, wenn er uns die Mittel dieser Unter-
scheidung angehen soll. So haben die afrikanischen Pflan-
zen ich weiss nicht welchen traurigen, trockenen, finstern
Anblick; die asiatischen scheinen etwas Stolzes und Hehres
Xtt besitzen; die aus Amerika sdieinen weich und heiter zu
sein, und die Alpenpflanzen haben in ihrem Wachstum etwas
Hartes und Gehindertes. " Mau sieht deutlich: Linn^, der
die beschreibenden technischen Namen der Pflanzenteile für
Jahrhunderte hinaus geordnet und definiert hatte, besass
noch keine Sprache, um den Charakter einer Pflanze zu be«
schreiben. Ebenso gesteht Linn«? einmal brieflich, dass ^
ihm unmöglich sei, den Charakter der einzelnen Ordnungen
an/.ugeben. Natürlich: benennen lässt sich nur, was man
vorher beobachtet hat, und beobachten konnte man nur die
brutalen Ziffern der Geschlechtsorgane.
Die — ich möchte sagen — weise ünkhirlieit Linnes
bezüglicli des künstlirhpTi und natürlichen Systems äussert,
sich in einem merkwürdigeu Gespräche, welches er 1771
mit einem Schüler führte. Dieser Schüler, Paul Dietrich
Oisoke, nahm Anstoss daran, dass Linne eingestand, den
Charakter seiner Pflanzf^nklassen nicht zu kennen und den-
noch die Klassifikation vorgeuommen zu haben. Es ging
dem ordniin<:>lirl)enden deutsehen Kopfe gegen den Strirli.
dass eine (Jruppe ihren Namen von einem Merkmale be-
kommt , (Ins sich mit dieser Gruppe nicht deck*«; wie das
z. B. bei den Doldengewächsen der Fall ist. Der Altin» ister,
so erzählt Giseke, hnhf dazu gelächelt und tjerntm, nicht
auf den Namen, sondern auf die Natur der Dingi /.u achten.
Das weitere Gespräch zeigt nun wirklich, dass der meta-
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522 ^n. Tennini tedinici d«r iDitdrtlfeii WuMnaehafteii.
pborisdie Nune Doldengewächfle niclit rwlit passen will,
weil es doldentragende Pflanzen gibt, die man aus anschau-
liciiMi Gründen nicht zu dieser Gruppe rechnen könne. Und
umgekehrt gehören zu ihr Pflanzen, die keine Dolde haben.
Der ordnungsliebende Giseke wollte nun aus solchen Aus-
nahmsfäUen neue Uebergangsgruppen gebildet wissen. Linn^
mag immer noch gelächelt haben, als er erwiderte: ^Ah,
mein lieber Freund, der Uebergang von einer Ordnung zur
andern ist ein Ding, und der Charakter einer Ordnung ist
wieder ein und zwar ein «^anz anderes Ding. Den Ueber-
gang kann ich wnhl an<(eben, aber der Charakter einer na*
türlichen Grup])e kann von niemaml anf^egeben werden . . .
Sie selbst oder ein anderer wird die Gründe für raeine na-
türlichen OrdmnvLrf'71 schon finden, nach zwanzig oder viel-
leicht nach fünfzig Jahren, und dann wird er auch wohl
schrri. dass ich recht gehabt habe/ So finden wir m einem
glücklich auf uns gekommenen Gespräche, wa^ üie in einem
Lehrbuche zu flnden wäre: zugleich den Glauben an den
Wert einer Klassifikation, das heisst t'inp< Sprachausschnitts,
und die Ueberzeugunj^ vou der Unzulänglichkeit der Sprache
und ihrer Worte. Kurz nachdem icli diese mj^rkwilrdige
Aeusserung Linnes trelesen hatte, hatte ich die Freude eines
sehr lehrreichen *i> -[»räches mit dem allen Virchow. Mit
weit mehr historischem Sinn, als Linn^ ihn besitzen konnte,
gab mir Virchow auf meine Frage ein Privatissimum über
die Geschichte des Begriffs, den man im Altertum .Phlegma"
nannte, der in der Neuzeit einmal Kolloid genannt worden
ist und den er selbst ins (jriechische zurück übersetzte,
als er ihn als Nervenglyon wieder in die Wissenschaft ein-
führte. Auch er zuckte die Achseln und lächelte zustim-
mend, als ich sagte, das sei ein Adjektiv, aber kein Sub-
stantiv; aber auch er schien lächelnd zu hoffen, dass mau
oder er uach zwanzig oder fünfzig Jahren wissen werde,
was das Wesen des vou ihm vorläufig benannten Nerven-
glyons eigentlich sei.
Dieses grosse Beispiel einer geschlos-senen Sprachgruppe,
Linn^ Klassifikation der Pflanzen nämlich, ist ungemein
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528
bezeichnend für Wert und Unwert aller Sprache. Die
französischen Naturforscher sträubten sich gegen die Kttnst*
lichkeit dieses Systems und auch unser Haller, weil er vor
allem Physiologe war, wollte sieh die äusserlich beschrei-
bende Sprache nicht aneignen. Dennoch drang sie durch.
(Es ist lehrreich, dass der modernste Kopi der Zeit, dass
Rousseau das Linne'sche System begeistert aufnahm. Frei-
lich war Kousseau nebenbei ein arger Pedant, der mit
unerbittlicher Konsequenz z. B. Notenköpfe abschaffte, wie
Sf)äter sein Schüler Robespierre Menschenköpfe.) Man mache
sich iinr einmal f^rn Wert einer solchen Klassifikation ganz
klar. Für die Erkenntnis des Pflanzenlebens isf die Nomen-
klatur nl^sol'it wertlos: denn niemals ist auf die durch einen
Namen zusammengefasste Gruppe ein Verlass, solanirr» Hie
Physiologie die natürliche Znsamraengehörij^'kpit nicht be-
stätigt hat. Es kann höchstens die vorläufige Klassitikation,
das heisst die Aehnlichkeit gewisser äusserer Teile dem
PflanzenphysioloQ'on die nabeließ-ende Aufgabe stellen, nach
der ra ixani^cli» 11 Aehnlichke it /.ii forschen. Dann hat aber
nicht der iSanie oder das W ort die Frage (gestellt, sondern
die wirkliche Aehnlichkeit der Teile. Sehr unbt-diutend
ist auch der Wert der Klassifikation für das Gedächtnis
des eiuzelnen Forschers; trifft er auf eine neue oder auf
eine seltene Pflanze, so wird er allerdings sofort an eine
Gruppe erinnert, der er sie vorläufig zuteilen mag, aber er
hat von der Vermehrung der Zahl keinen Gewinn für seine
Erkenntnis, weil er doch im Grunde nur das Wörterbuch
vermehrt hat, den Zettelkasten seines Gedächtnisses, höchst
wahrscheinlich sogar nur den realen Zettelkasten seiner Ar-
beiisstube. Einen fassbaren Vorteil hat der Bau dieser
Nomeäiklatur wirklich nur zwischen dfu Menschen, welche
in diesem Falle Fachleute sind, so wie die Umgangssprache
ihren Hauptwert zwischen den Mpuschcn eines Volkes hat.
Die kün.siliihe Nomenklatur Linnes hat es ermöglicht, dass
ein Botaniker jedesmal weiss, was gememt ist, wenn ein
anderer Botaniker eine Pfiauze benennt und beschreibt; das
ist alles.
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524 VIL Teraüiii techmci der indoktiTen Wiswucliafteii.
Zoologie. Die Physiologie, Aimtomie und Morphologie der Ftiau-
zen hat seit Linn^ — wie man so 5?agt — ausserordentliche
Fortschritte gemacht. Alles in allein hat man sein künst-
liches System ausgebaut, sich einem natürlichen System
aber durchaus nicht genähert. Soll icL »ias wenige, was
ich von diesen Fortschritten weiss, zusammenfassen, so muss
ich sagen: Arbeitsteilung und die Hilfe des Mikroskops hat
eine Menge Dinge beobachten lassen , die früher unbeob-
achtet gebhebeu waren; zu den tausend beschreibenden
Worten Linnes sind viele andere getreten, aber auch ein
neuer Linn^, der freilich not thäte, könnte nicht über eine
neue künsÜiche, beschreibende Klassifikation hinaus gelangen.
Zuletzt ist auch Physiologie der Pflanzen nur Pflanzen-
besdireibung. Der Fortschritt dürfte am Ende aUer Enden
darin bestehen, daes der alte Botaniker mit Hilfe der Ad*
jekiiTe der ümgangsspradie beschrieb (mit den Worten für
Farben, für Geraehe, fQr Geeehmfteke u. s. v.) und dass der
Pflanzenphysiologe chemische Ausdrücke au Hilfe nimmt,
die Torlftiifig nur der Umgangssprache der Fachmänner an-
gehören. Auch in der Botanik ist gegenwärtig das yor^
läufig letateWort der Erkenntnis diejenige Selbettänschung,
die wir als die Hypotiiese des Darwinismus kennen. Die
klassifikatorische Nomenklatur der Tiere Termehrt unsere
Kenntnisse nicht mehr, als es die technischen Ausdrucke
der Botanik thun. Es ist jedoch beachtenswert, dass die
Spedes Mensch zu den Tieren gehört, dasa also jeder For-
scher seit der ältesten bis aur neuesten Zeit in seiner Menschen-
eigenschaft ein persönliches Interesse an der Zoologie nahm.
Von Hause aus kttmt der Mensch — so weit er sich sdbst
kennt — die Organe und die Physiologie des Tiers besser,
als die Organe und die Physiologie der Pflanze. So trat
er besser ausgerüstet an das Tierreich heran, welches Übri-
gens in seinen grössem Artoi wiederum schärfer die Auf-
merksamkeit weckte, als die Pflanaenarten es scu thun Ter-»
mochten. Löwe und Tiger unterscheiden sich aulfaUender
als Buche und Eiche, Fisch und Vogel au^aUender als
Moos und Gras. Der Mensch ist ja das Mass und danach
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Zoologie.
525
der Naraengeber aller Dinge. Dem Masse liegt das Inter-
esse zu Grunde. Das Interesse an der eigenen Herkimf);
bat in neuester Zeit die Hypothese des Darwinismus ver-
breiten helfen; das Interesse am eigenen Leibe hat eine
primitive Physiologie der Tiere schon in urältesten Zeiten
entstehen lassen müssen. Die Geschlechtsorgane der Pflan-
zen z. B, wurden erst vor einigen hundert Jahren entdeckt*);
dass aber Menschen und y\c\e Tiere lebendige Jungen ge-
bären, dass andere Tiere Eier legen, aus denen sich Junge
entwickeln, das ist sicherlich eine Beobachtung, so alt wie
die Sprache. So ist es zu erklären, dass schon Arisiotnles
— ungenau und konfus natürlich — die Einteilungsgründe
kennt . nach denen man noch heute die grossem und all-
gemein bekannt( II Tiere klassifiziert.
An den einzelnen Klassen der Tiere lässt sich beob-
achten — was mich zu weit lüliren würde — , wie die be-
schreibenden Adjektive, welche an der Pflanzenwelt erst
durch Linne genügend definiert wurden, so zwar, dass sie
in die Umgangssprache der Botaniker aufgenommen werden
konnten, bezüglich der Tiere schon viel früher der Um-
*) Der Embryo der Pflanzen wurde erst im 17. Jahrhundert auf
Onmd mikrookopiMlier Beobachtmigen mit der Leiboifiniclit der Tiere
Tergfludieii. Die erste Folge war, dass die Entdecker des pflanzliches
Embryos, nämlich Qrew und Malpighi, die technischen Ausdrücke der
Geburtshelfer auf die Teile tier Pflanzenfrucht (lbertnij:»^en und ?.. B.
Ton dem Mutterkuchen, der Nabelschnur, dem Amnion sprachen und
die Samenlappen mit dem Dotter der Yogeleier verglichen. Die Tlial-
Muthe, da« bei den Fianeen eine Befintehtnng efcattfiuid , war natttr-
lieh schon den Alten nicht ganz unbekannt. Jeder Gärtner musste
eine Ahnung davon haben. Aber das eigentliche Geschlecbtalebon
der I'flan/en blieb so unerforsrdt nnd la^ dem christlichen Mi(t!»!;ilter
80 fem, dass wir einer Em^ahnung der Pflanzengetjchl echter zum
eiataunal bei einem SchriftcfceUer dee 16. Jahilmnderte begegnen und
zwar bei einem Dichter. H«n gkabt Hehirich Reine an leee», wenn
man in einer lateinischen Dichtnng des Spaniers Jovianus Pontanna
v^Ti dpr lAfltyi zweier Dattelpalmen liest, die fünfzehn Meilen von-
einander eatlernt stehen. Sehr büb.^ch sagt der Dichter, die männ-
liche Palme könne die weibliche erst befruchten, wenn beide einander
erbUelRn, da» b«mt wenn ne an H5he die fibrigen Blome flberragen.
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Vll. Termini technici der iaduktiven Wistenacbaften.
gangs Sprache anji^ehörten. St. hon die Jäger und Fischer,
die Fleischerkuechte und Opf'erpricster . welche den Ari-
stoteles hei seiner ißfrossen Kompilation unterstüt2ten, waren
auf die Zahl und Stellung der Zähne, auf Zahl und Stel-
\ang der Flossen, auf den iunern Bau, das heisst auf Herz,
Lunge, Leber, Gedärme u. s. w. aufmerksam geworden.
Aber gerade durcli die vielseitigen Einzelbeobachtungen,
durch die Ahnung natürlicher Verwandtschaften wurde die
Einfuhrung zahlreicher Trivialnamen erleiditert, die Auf-
stellung einer allgemeinen Klassiiikation erschwert, die für
Menschenkenntnisse immer eine künstliche sein moss. Man
möchte fast behaupten, das» das persdnüche Interesse des
Menschen an dem Tierreich, dem er selbet zugehört, die
nllchtenie iabellarische Benutnmg sifornisaiger Kintailnngs»
gründe emhwert Die Pfluutti waren dem Menseheii Dinge,
Objekte, fremde Körper, an denen er gerede so weit Anteil
nahm, als notwendig ist, um sie seinem Qettehtnisse ein-
prägen SU wollen, um sicli ihre Komenldatur su ordnen.
Erst sehr spät erkannte der Mensch, dass auch die Pflanzen
leMen. Die Tiere traten ihm sofort insofern als menschen-
ähnliche Wesen entgegen, weil er ein ihm verwandtea Leben
in ihnen sah und benannte. So dringte den Menschen
sein Terwandtschaftliches Interesse am Tierreich Ton Anfang
an zur Physiologie. Die Khissifikation ist Ton dw Botanik
auf die Zoologie Übertragen worden, die Physiologie von
der Zoologie auf die Botanik. Alle Nomenklatur kann nur
beschreiben. Die technischen Ausdrücke der Botanik musa-
ten Naturbeschreibung bleiben. An den Tieren beobachtete
der Mensch Ton jeher sogenannte freiwillige Bewegungen,
das heisst Aeusserungen, welche nach seinem Selhstbewusst-
sein mit einem Willen, mit einer Absicht, mit einem Zwecke
zusammenhingen. Es war dem Menschen darum natflriidi,
den Organismus seines KOrpers und so jeden tierischen Or-
ganismus lieber noch zu erUftren, als zu beschreiben. Die
lltsste Physiologie, so falsch und so lacherlich mitunter ihre
Beobachtimgen sind, sucht dennoch die Abeichten der Natur
zu ihren falschen Bdiauptungen. Aristoteles «weiss*, warum
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Zoologie.
527
das Gehirn blutleer ist, er , weiss", warum die eine Körper-
hälf'te kälter ist als die andere. Und so tritt liülizcitig in
der Geschichte der technischen Ausdrücke ein iiegriü ;iiif,
den wir bis heute uiciiL los geworden sind: der ZweckbegnÜ.
Will man diesen Beprilf ernst nehmen, so ist er ein meta-
physischer Begriff. Vom ersten Anfang an war die Physio-
logie, das heisst die Erklärung des Tierlebens metaphysisch,
während die Naturbeschreibung der Mineralien und Pflanzen
ursprünglich rein physisch war. Die Gesoliichte der tech-
nischen Ausdrucke der Physiologie ist ein tmunterbrochener
und nnbewusster Versuch, den metaphysischen Zweck ab
eine physische Ursache zu verstehen. Der neueste und in
uneem Augen glämeodste Yersuch kk der DarwiniimmB.
Das Besondere an den teehmschen Ausdrflcken der
Physiologie hesteht mm daiin, dase in sehr vielen FSKen
uralte Worte reiche und neue Bedeutung gewinnen, so wie
die Beobachtung einer Funktion sich erweitert. Ich hin
nicht ganz ehrlich, wenn ich das Wort Funktion gebrauche;
denn ich meine eigmilich die Thiti(^eiten bestimmter
Körperteile, welche wiederum erst Torgestellt werden können,
wenn wir statt Thätigkeiten Aufgaben sagen, wie denn im
Verbum ein Zweck Terboigen ist (Ol. 59). Da halten
wir aber wieder an dem Flecke, Ton welchem aus Linn^
nicht weiter konnte, als er eingestand, den Charakter der
Pflansengruppen nicht zu kennen. Von dem Charakter eines
tierischen Organismus hat man von jeher eine Ahnung ge*
habt. Von jeher empfiud man es als einen notwendigen
Gedanken, dass der tierische Organismus eine Einheit sei,
das heisst, dass die Thitigkeit aDer Organe einem gemein-
samen Zwecke diene, das heisst, dass den Organen Auf-
gaben zugewiesen seien. Meine Leser werden mir nach-
fthlen, dass ich unter den »Aufgaben* der Organe nicht viel
Deutlicheres Terstehen kann, als etwa die Griechen sich bei
der Bntstehungsgeschichte der Hyanntfae dachten. Hinter
An^ben müssen Befalle stedcen, also GOtter; auch der
Darwinismus ist mit den Au^ben und Göttern nicht gans
ibtig geworden, wie wir noch sehen werden.
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528 Termini technict der indukÜTen Wüsenschaften.
Ber Fortschritt in der phynologisehen ErkeimlDiB kann
also ebenfalls nur in der beueni Beobachtung oder Be-
schreibung bestellen. Die Griechen kannten selbstrentind-
lieh das €^hini, die Muskeln, das Blut. Sur Gebrauch
dieser technischen AusdrOcke ist uns aber trotz der Hand-
greifliehkeit dieser Körper völlig unttbersetsbar, weil sie
die Thätigkeiten von (Jehirn, Muskeln, Blut noch nicht be-
obachtet hatten. Ihnen erschienen zwar die Leber oder die
Nieren und gar das Hen bereits als Organ. Das Blut aber
war ihnen ein Stoff, rielleicht ein Produkt wie der Harn.
Als nun (1628) Harvey den Kreislauf des Blutes entdeckte,
blieb der Ausdruck Blut in der Sprache erhalten, aber er
wurde plötslich snr Beoeichnung eines Oigans. Jede mikro-
skopische Untersuchung seit der Entdeckung des Kreislaufs
/ hat nun diesen technischen Ausdruck Tertodert. Das Organ
«Blut* wird heute in ebensorielen Bflchem beschrieben
als Aristoteles Worte brauchte; und wir halten die aus-
führliche Beschreibung nach der Gewohnheit unseres Den-
kem fftr eine Erkl&rung.
Mwivitiip Whewell hoffte auf einen Newton der PhjBicdogie, der
Mimt. Schwerkraft des Lebens dinieren werde. Der VeigleiGh
ist fein, aber er spricht nicht für die Möglichkeit emer
Naturerkenntnis. Die Thätigkeiten der tierischen Organe sind
seit Whewell freilich der göttlichen Macht einer Lebens-
kraft entzogen worden. Man hat, so wie Newton die all-
gemeine Schwerkraft im Laufe der Gestirne ihfttig sah,
in den Th&tigkeiten z. B. des Blutlaufs die bekannten physi-
kalischen und chemischen Enicheinungen wiedergefundim,
man hat femer elektrische Erscheinungen in Muskeln und
Nerven mit Sicherheit beobachtet. Während aber der Be-
griff Schwerkraft für Jahrhunderte zu einer Beruhigung des
menschlichen Fragens führte, eben weil man diese Kraft
so genau zu kennen glaubte, empfanden die Physiologen
sehr bald wieder das Unzulängliche in der mecliunisehen
Erklärung der Organismen. Die geistige Armut des Mate-
rialismus Hess sie nicht zur Ruhe kommen. Und so ent-
stand noch bei Lebzeiten des ebenso streitbaren wie ge-
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NeoTitaU«mua.
dankendachen Du Bois-Reymond (mit der Spitze ge^^en
ihn) die neue Sekte, die das Wort Neovitalisnius aut-
brachte. Die Herren Hindfleiscli und Ostwald haben voll-
kommen recht mit ihrer Kritik des Begriffs Materie ; wenn
sie aber glauben, die Erscheinungen des Lebens dadurch
besser zu erklären, dass sie das unbrauchbare Wort Kraft
(um nicht reaktionär zu erscheinen) mit Energie über-
seteen, so reden sie Worte. Wären sie sich Ober den
Kernpunkt der "Frage klar, mOssten sie der Lebre tob der
GhraTitatiaii ebenso kritisdi entgegentreten, wie dem Mste-
rialiimi». WSm diese Ktiker ErkennlmBilieoretiker ge-
wesen, so bSIite sie ihre Untersncbung xunSchst su einer
Kritik der teebnisdien Ausdrücke ihres Faches führen
mOssen. Und besftssen wir von den besten Kt^pfen aller
Wissenschaften je eine Kritik der Terminologie ihres Speiial*
faches, so wäre dadurch langsam eine Kritik der Sprache
angebahnt wwden, die auf umfassende Vorstudien sieh be-
rufen könnte. Ein einzelner kann diese Rerision aller
Wissenschaften unmöglich leisten, auch wenn ihm mehr
Scharfsinn und mehr Kenntnisse zur Verfügung ständen als
mir. Hier wie Uberall kann ich nur tastend Beispiele geben
zu dem, was gründlicher zu leisten wäre.
So handelt es sich bei dem g^enwärtigen Kampfe der
Phjsiologen wieder um Schlagworte, die TOn den Gegnern
Yerschieden Tcrstanden werden. Die Begründer und An-
hänger des Neoritalismus sind ganz gewiss ttber die neue-
sten Materialisten, Uber die Lehrer der mechanischen Wärme-
theorie und der Einheit der Naturkiäfte, hinausgegangen,
fortschreitend nach ihrer eigenen Idee. Dennoch erschienen
sie den Mechanisten insofern mit Beeht als Reaktionäre, als
die geistige und politische Reaktion sich immer und überall
jeder skeptischen Regung bemächtigt, um aus dem Be-
kenntnis des Nichtwissens nichtswürdig, schamlos oder
dumm, Kapital zu schlagen fttr den Glauben an die wohl
gepfrOndete Staatsreligion. Diese Infamie darf uds aber
Yon dem Bekenntnisse des Nichtwissens nicht abhalten; der
Mut des Bdcomteisses wird dadurch nur noch grösser.
M anthnar, BdiMf« n «law Xiitili 4«r SptaelM. m.
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580 Temlm tednici d«r iadaUbeii Wiweauchaften.
Wie weit einzeliie Bakenner und Yerfecbter des KeoTÜft-
lismus selbfli vom Oegner aller Wahrliaftiglroii bestochen
sind, mag deren persönlidie Angelegenheit bleiben.
Auf dem gleichen Boden wie die Neovitalisten stehen
die Neodarwinisten , welche gleiehlalls fllr Reaktionare
gelten und dennoch kritisch Aber den Danrimsmiis hinaus-
gelangt sind.
D»rwi- Wer sieh mit der Geschichte des Darwinismus ein-
gehend befassen will, der wird lächelnd bemerken, wie
seine technischen Ausdrücke schon lange vor ihm vor^
banden waren und eigentlich nur dadurch zu all^^emeinem
Ansdien gelangten, dtuss Darwin selbst durch eine Fülle
von Wirklichkeitsbeobachtungen Vorstellungsmaterial für
diese technischen Ausdrücke beibrachte. Ich will die be-
kannten Vorgänger Darwins nicht erst nenn^. Aber selbst
bei Whewell ist ein Kapitel überschrieboi «das Problem
von der Transmutation der Spezies", zwanzig Jahre vor
dem Erscheinen des Darwinischen Werkes über die Ent-
stehung der Arten. Die Erscheinungen der Vererbung und
der Anpassung waren längst bekannt, und selbst die Zucht-
wahl findet sich schon bei Geoflfroy Saint-Hilaire unter dem
Namen der elektiven Affinität, welche freilich aus der Chemie
herübergenommen war. Die wichtigste That Darwins end-
lich, sein Kampf gegen die Vorstellungen der Teleologie
findet sich bei diesem selben Geofifroy Saint-Hilaire viel
schärfer und fester ausgesprochen. .,Je me garde de
pr&ter ä Dien aucune intention" sagt er einmal; und zur
selben Zeit wurde auch schon die Hypothese von der "Enb-
stehung der Fiscbe , der Vogel und der Säugetiere (den
Menschen eingeschlossen) aus kleinen gallertartigen Körj)ern
in die Welt binausgeschickt. Man kann also sagen, dB>;s
die (iesetze des Darwinismus schon ausgesprochen waren,
dass aber noch ihr induktiver .Beweis* fehlte. Man kann
das so sagen. Man wird aber richtiger etwa den folgenden
Ausdruck wählen: es hätten schon vor Darwin einzelne un-
genaue Beobachtungen zu vorläufigen technischen Ausdrücken
geführt, die durch die reichereu Beobachtungen Darwins an
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DunriiliBBiia.
581
lebhaftere Anschammgen geknüpft werden konnten. Es
stimmt bedenklich gegen den bleibenden Wert der Darwini-
schen Hypothese, dass die furchtbar schwierigen technischen
Ausdrücke seiner neuen Lehre so rasch zu Worten der halb-
gebildeten ümgaogsspraehe geworden sind. Es hängt das
damit zusammen, 4as8 der Käme dieses Forschers selbst
ein Wod: <ler Umgangssprache geworden ist, dass der Dar-
winismus bekannter ist als seine Behauptuni^en : auf hundert
Mensehen, die das Wort Darwinismus gebrauchen, kcnnrnt
kaum einer, der seine Lehren kennt ; und es entspricht sehr
gut dem Wesen der Sprache, dass das Wort Darwinismus
metaphorisch zu einem Ausdruck für die Hypothese ge-
worden ist, es stamme der Mensch vom Affen ab. In Deutsch-
land findet man Darwins technische Ausdrücke in allen
Romanen wieder. , Kampf ums Dasein" ist ein Modewort
geworden und selbst die zurückhaltenden Franzosen haben
das Wort struggleforlifeur in dem Sinn unseres Streber*
aufgenommen. Es ist übrigens för den Umschwung der
Weitanschanunp , in diesem Falle für die Geschichte des
menschlichen Gewissens, beachtenswert, dass die Bezeich-
nung Streber noch eine Missbilliguiip entliält, weiche in dem
neuem struggleforlifeur geschwunden ist.
Der letzte Grund , weshalb die neuen Beobachtungen
Darwins in technischen Ausdiück^'n festgehalten werden
konnten, die so rasch in die Unigangssprache eindrineren,
scheint mir ein sehr schönes und merkwürdiges Hii^^intl
für die Rolle zu sein, welche die technisch, ii Aii>.drü(ko
in der Geschichte der sogenannten Welterkenntnis spielen.
Ich glaube nicht, dass diese verzweifelte Sackgasse schon
gesehen worden ist.
Es dürfte niimh'ch zugestanden werden, dass der Dar-
^^ini-m^s erst möglich war, nachdtsm Lyell für die Ent-
st( liunt; 1 r Erde ungemessene Zeiträume in Anspruch ge-
noninieu hatte. Auch in anderer Beziehung führte die
Geologie, welche ganze Schichten ausgestorbener Lebewesen
nachwies. Schichten, in denen sich die gegenwärtigen Lebe-
wesen nicht fanden, zu der Frage nach der Entstehung der
4S32 VIL Tenaini tMhniol cUtt induktiTMi WM6«Moh«ft«n.
gegeuwärtij^eii Arten. Gab es vor unserer Zeit ein andere
Schöpfung, so entstand für den alten Glauben das Dilemma:
entweder eine iitiihe von verscliiedenen göttlichen Schöpfungen
a,\>n eine Vermehrung der Wunderverlegenheiten oder eine
EntvvK luug der GcgeuwUrt aus der Vorzeit anzunehmen.
Doch dat. neue Hilfsmittel war immer die Äusdelinung des
Zeitraums der Entvrickelung. Hatte man einst geglaubt,
ein Gott habe die Arten zu seiner Kurzweil geschaffen, so
gelangte man jetzt zu einer ungüttlichen Entwickclung aus
langer Weile. Ich muss an die.ser Stelle wiederholen, dass
Darwin selb.st, als er mit jj:^ wältige r Arbeit die Met;i]ihysik
der Physiologie auf die l'hysik der Ürsachen zurückzuführen
sucbte, mit dem BegriÖ der Endursache nicht fertig ge-
worden ist. Was einmal GeoftVoy Saint-Hilaire mit glän-
zendem Spotte — gegen die Teleologie von Cuvier, wenn
ich nicht irre — vorgebracht hat, das liesse sich ganz
wunderhübsch noch heute gegen den im Darwinismus ver-
steckten Schopfungsplan einwenden: «Bei so einer Art zu
schliessen, wird man auch sagen können, wenn man einen
Mann auf Krücken gehen sieht, dass er ursprünglich Yon
der Natur dazu bestimmt gewesen sei^ eines seiner Beine
gelähmt oder abgeschnitten zu erhalten.* Die Darwinisten
vOrden freilich nicht mehr Ton einer KataHieetiminiuig,
wohl aber Ton einer Anpassung reden, und mflsston kon-
sequent in den Kjfleken einen Forlsdnitt sehen wie im
Fahrrad.
Darwin ist sich niemals bewusst, dass er den Begriff
der Endursache nicht flherwunden hat; er fjiaxbt ehriidi,
dass er nur noch an des Spiel Ton Ursache und Wirkung
glauht Wir wissen nun, dass das Spiel Ton Ursache und
Wirkung nur ein abstrakter Ausdruck sei fttr den Begriff
der Zdt, der Zeit, m welcher wir stehen und atmen, aus
der wir komm«i und in die wir untertauchen, der Zeit, die
uns nach wenigen Stunden oder Jahren t5ten wird, die für
uns das einzig Wirkliche ist, und die wir dennoch nicht
kennen. Es ist also gar nicht merkwOrdig, dass die von
der Geologie geforderte Froheit im Zeitverbranch bei der
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533
Weiterklärimg zunächst darauf fahrte, die Endursachen zu
Gmuten der Ursachen ahMshaffen zu wollen« Und da halten
wir wieder, von einem andern Wege kommend, bei der
Kritik des Neovitalismus. Die blosse Negation aller Zwecke
Endursachen, die Negation aller progressiven Tendenzen
und jedes Weltplans hätte naturgemäss zu keiner neuen
Welt«rklärung geführt, sondern nur zu der verzweifelnden
Resignation: da steht mir die Wirklichkeitswelt gegenüber
mit Erscheinungen, in denen ich gewisse Aehnlichkeiten zu
beobachten glaube und mir darum merken kann , da lasse
ich die Wirklichkeiiswelt an mir vorübei^leiten, bin für ihr
innerstes Wesen vielleicht sinnenloser als ein Magnetstein,
und nenne die abrauschende Zeitfolge gern eine Kette von
Ursachen und Wirkungen, ohne zu wissen, was eine Ur-
sache, ohne zu wissen, was die Zeit sei ; nichts weiss ich
von der Wirklichkeit'; weit, als dass sie ist, das heisst dass
etwas auf meine zufälligen Sinne wirkt; nichts weiss ich
von der Wirklichkeitswelt, als dass Erscheinungen auf Ei-
scheniungen folgen; und nicht einmal das weiss ich, denn
die Folge vollzieht sich in der Zeit, und auch die Zeit steckt
vielleicht nur in meinem Kopfe. So spräche die Resignation.
Denn die unendlidir Zeit, welche nach dem Dam im-^mus
allein die Wirklichkeit erklären soll, ist seihst nur ein
anderer technischer Ausdruck, ein mathematischer, für diese
selbe Wirkhchkeit. Die Ursachen wirken, erzeugen Wir-
kungen; die Gesamtheit dieser Kette ist füi- uns die Wirk-
lichkeit oder die Zeit.
Und da setzt der kritische Neovit Lli^mus ein, wenn er
die Entdeckung macht, dass das mathematische Zeichen der
Wirklichkeit, dass die Zeit sich begrifflich gar nicht ge-
brauchen läsüt, weil ihr Vorzeichen nicht umzukehren ist,
weil eine nach rückwärts gehende Zeit sich höchstens denken
aber nicht ausdenken lässt. Immer nur wiiil .lus dem Kinde
ein Mann, nicht umgekehrt. Kein Wesen kann nach der
Gebuii in den Mutterleib zurück. Und auch in dem Un-
geheuern Laboratorium unseres Sonnensystems hat die Lehre
von der Umwandlung der Naturkräfte ein Loch, weil die
534 VII. Temuni teohnici der indakfcivan WiaaenHchaften.
Wärme sich niemals nachweisbar in Arbeit umiormeu iasst,
weil (las Weltall ungeheuere Suiamen von Wärme ver-
schlingt. So tritt aus .!i III schleierhaften Bepriff der Ent-
Wickelung die progressive Tendenz oder ein Schöptungsplan
in neuer Maske hervor und dieser Hauptbegiiff der neuen
Weltaii-sc Lauung erweist sich als unbrauchbar für die W issen-
schai't und bleibt gerade gut genu^r, um als ScheidemQnze
in der Umgangssprache abgegriffen zu werden.
Alle diese Beispiele zur Geschichte der technischen
Sprache können uns davon tiberzeugen, dass der stolze Unter-
schied, der heutzutage zwischen Naturwissenschaft und
Naturbeschreibung gemacht wird, gar nicht besieht; man
thäte gut daran, das alte Wort Naturbeschreibung bei-
zubehalten und höchstens noch von ein wenig Natur-
geschichte zu sprechen, da man doch auch die Schicksale
von etwa hundert Geschlechtern der Menschen mit dem
drolligen Namen Weltgeschichte zu bezeichnen liebt. Unsere
Beispiele lehren aber weiter, wie viel oder wie wenig der
grosse Gegensatz zwischen Umgangssprache und technischer
Sprache eigentlich besagt. Wir kehren damit zu W^hewells
Aphorismen über die Sprache der Wissenschaft zurück, zu
den in Deutschland zu wenig bekannten Aphorismen, die
er seiner Philosophie der induktiven Wissenschaften Toraus-
geschickt hat Sein bleibendes Verdienst ist, dus er im
0eiste seiner Landsleute Baeoa und W31 olles aUelmte,
was nicht aus unserer Erfahruiig stammt, dass er nach
besten KiSilen die Ideologie des Mittelalters bek&mpfte,
welche in Deutschland nach dem Eindrucke unserer wdt-
berOhmten Philosophie unausrottbar scheint
DMtMii« Wenn wir aber empfinden, dass unsere deutsche Philo*
eopue. ^^P^^® ^ englischen stehe, so sind wir dam dennoch
berechtigt. Der schöne Irrtum unserer Ideologen von Kant
bis Schopenhauer bestand darin, dass sie ihre titanenhafte
Sehnsucht nadh einer Vollendung der Welterkenntnis wirk-
lich ftr eine Vermehrung der Erkenntnis hielten; es waren
gewaltige Dichter, die im Lande ihrer Sehnsucht zu Hause
waren, sich ihr Geftthl nicht rerwirren Heesen und irgend
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Deutflohe Philosophie.
535
ein lenclitondes Bild, imter wclcbem sie sieh die WirUieli-
keilBwelt symbolisierten, soliliessiieh für wahre WirUidikeit
nalimen. Wie der junge Chemiker die Ifetapher Ton der
WdhlTmrandtsdialfc erlernt, nm nachher die Metapher fltr
eine genUgende ErldSrong zu halten, so ghrahten Hegel nnd
Schopenhauer an ihre Metaphern Yoa der Begiiilsbewegang
und Tom Willen. Wae der hunderijshrigen Herrschaft der
deutschm Philosophie su Grande liegt, das ist die ganz
richtige Ahnung, es sei der mensehliehe Verstand ein dummer
Kerl und die Welterkenntnis mttsse sich über die Kennt-
nisse des Verstandes erheben.
Biese Ahnung scheint dem englischen Nationalgeiste
Tersagt zu sein. Der dumme Kerl Vorstand, der niemals
Ober seinen engen Horizont hinausgeblickt hat, hält die
paar Lappen seiner Kenntnisse ftr Erkenntnis. Die Eng-
länder hoben die Arbeit Lockes nicht fortgesetzt. Sie sahen
nicht, dass der Inhalt ihres berOhmten Verstandes nur das
Wörterbuch und die Grammatik der menschlichen Sprache
sei, und dass in der Sprache fttr immer und ewig nur Er-
innerungen bewahrt, nicht Kenntnisse geformt werden
können. Als Leibniz auf den Satz Ton Locke den Trumpf
setzte, im Verstände sei ausser den Angaben der Sinne
nichts «als der Verstand selbst*, da hielt man diesen Purzel-
baum nicht nur in ganz Europa, sondern auch in England
ftlr eine neue Idee. Man konnte wenigstens darüber streiten.
Eine Kritik der Sprache blieb trotz Eant ein unbekannter
Gedanke. Den Wert des blossen Versuchs, den ich unter-
nommen habe, ersieht man an dieser Stelle wieder, wenn
wir nun auf Grund unserer bisherigen Ergebnisse Lockes
Satz betrachten. Der Verstand als abstrakte Obergottheit
wird ftlr uns zu einem aberflüssigen Begriff, die Verstandes-
krifte als Untergottheiten und falsche Götzen verlieren jede
Bedeutung, und nichts bleibt übrig vom alten Inhalt des
Verstandesbegriffs als eine a peu prfes geordnete Summe
von Worten, das heisst als das an Worte gebundene Ge-
dächtnis der Menschheit. T^nsere Sinne gar haben wir als
Zufallssinne kennen gelernt als Zufallsbreschen, welche die
$36 VU. Tetmini toebnid der induktiven WuienMlinflan.
Wirklichkeitswelt in die zufällige Organisation des mensch-
lichen Individuums gestossen hat; und wir haben keine
Gewähr dafür, ob der Magneteisenstein mit seinem hochent-
wickelten Sinn für die Elektricitat in seiner Art das Welt-
geheimnis nicht besser miterlebe als wir es thun können
mit unsern sehenden Augen und hörenden Ohren. So würde
der Lockesche Satz, den ich so oft bemüht habe, in unserer
Sprache endlich heissen: .Unser Gedächtnis entbrllt nichts,
als was unsere armen Zufallssmne ihm geboten liahien."
TMknl- Und nun frage man sich, was wohl von dem öegen-
'fWii^^ satze zwisclien der Umgangssprache und der technischen
apnche. Sprache d^r Wissenschaften zu halten sei. Whewell legt
in st'iti! ri A|ihünsmen grossen Wert darauf, dass Worte der
G« III inSprache, wenn sie als technische Ausdrücke in die
Wissenschaft eingeTührt wtlrden, G;f'ii;ai definiert und von
jeder Zweideutigkeit befreit weidm nnissten. Die strenge
Durchftlhrung dieser l 'egei hat seit emigen hundert Jahr^^n —
denn die Forderung ist älter als man glaubt — zu einer
teihveisen Jiefreiung der Naturbeschreibung von dem Wort-
aberglauben des Altertums geführt. Doch zu einem brauch-
baren Werkzeug der Erkenntnis kann auch der technische
Ausdruck nicht werden.
Es hat Zeit genug gekostet, bevor einzelne scharldeii-
kende Männer zu der Entdeckung kamen , dass die Worte
der Umgangssprache durchaus nicht so klar und bestimmt
seien, wie das gemeiuhin der redende Mensch wohl heute
noch glaubt. Das Gefühl der Unzulan ghchkeit der Umgangs-
sprache scheint mir (von Sokrates abgesehen) bei Descartes
7Aim erstenmal lebhaft aufzutreten. Das mag damit zu-
sauiiin iiliilngeü, dass er zu den ersten Gelehrten gehört, die
seiL tausend Jahren auch in ihrer Muttersprache schreiben.
Seitdem hat sich mehr und mehr das Bedürfnis entwickelt,
zwischen den Worten der Umgangssprache und den techni-
schen Ausdrücken zu unterscliciden. Jede wissenschaftliche
Disziplin besitzt ihre eigene technische Sprache, deren Ab-
grenzung harte Arbeit gekostet hat, und so wird es allen
Wissenschaften schwer fallen, zuzugestehen, dass auch der
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TaohiiiMiM und G«meiiupvftdie.
537
techuische Ausdruck kein Werkzeug der Erkenntnis sein
könne.
Wollen wir unsere Umschau über die technischen Aus-
drücke der Erfahnmgswissenschaften ziisammenffissen , so
müssen wir zu dem Bilde zurückkehren . das schon einmal
in flieser Untersuchung gebraucht worden ist. Wir hahen
gesehen, dass z. B. die Arten der BlOtenstande, die für uns
zu Eintriluiigsgi ünden einer Pflanzenklassifikation werden,
einen adjektivischen Charakter erhalten. Ich verweise dazu
auf die Einsicht, welche unsere Kritik der Grammatik in
das Wesen des Adjektivs gewährt. Und wenn wir dazu
halten, dass alle unsere Naturerkenntnis Naturbeschreibung
bleiben muss, dass das Gedächtnis der Menschheit oder die
Sprache niemals über adjektivische Merkmale, das heisst
ü})er bildliche Vergleichungen der Dinge hinausgelangen
kann, so wird sirh schon theoretisch ergeben, wie auch der
technische Ausdruck an denselben Mängeln leiden muss
wie jedes Wort der Gemeinsprache. Wir haben iu anderem
Ziisatnmenhange gesehen, wie aller Fortschritt des Menschen-
geistes immer nur die H iulang genauerer Beobachtungen
ist. Ob nun die genaueren Beobachtungen sich innerhalb
einer gelehrten Disziplin wachsend weiter erben, wie t. B.
die Beobachtungen des Mondes, oder ob sich die genaueren
Beobachtungen innerhalb irgend einer Berufsklasse forterben,
wie z. B. die genauere Beobachtung und Unterscheidung
Weinsorten, es ist in beiden Fällen eine Grenze zwi-
schen Umgangssprache und technischer Sprache nicht zu
siehea. Man lasse sich nicht täuschen von dem Unter-
scbiede an geistiger Arbeit, die hier oder dort su den Be-
obaditiuigeii nötig war. Wir schüzen die BUdung des
Astronomen, der den Hond genauer beobachtet und ge-
messen hat ab alle seine Vorgänger, höher ein ab die des
KeUmiebters, der jeden Wein einer Gegend nach Lage
und Jahrgang zu unterscheiden Webs. Niemand wird die
Sachkenntnb des EeUermebters emsthaft eine wissenschaft-
liche Dissifklin nennen; aber wir müssen endlich einsehen,
dass auch die genaueste Beobachtung des Höndes nur eine
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538 Tenniiii tedmioi der iodnktiTMi Wunenf^sften.
Beschreibung seiner adjektivischen Erscheinungen ist und
dass in aller Zukunft die Beschreibung des Mondes nicht
vollendet, die Erklärung des Mondes nicht erreicht werden
könnte. Die technischen Ausdrücke des Kellermeisters und
des Astronomen sind gewiss nicht gleichwertig vom Stand-
punkte des Gehirnverbrauchsj sie sind gleichwertig Tom
Standpunkte der Sprache.
Der Kellermeister oder Weinkundige gellt mit der Fülle
seiner technischen Ausdrücke weit üVtPr die Umganir?=sprache
hinaus, weil die Feinheit seiner Geschmacksempfindung die
des Alltagsraenschen übertrifft. Wo der ungebildete Trinker
nur etwa süss und sauer unterscheidet und wohl nachträg-
lich die staiken oder leichten Rausch Wirkungen, wo der ge-
übte Weinkenner schon ein Dutzend differenzierte Ge-
schmncksemptiudungen kennt und mit einem Dutzend von
Ausdrücken bezeichnet, die in seinen Kreisen zur Umqrangs-
S"|irache gehßren , der allgemeinen Volkssprache gegenüber
aber schon technische Ausdrücke sind, da geht der geübte
Keliermeister noch viel weiter. Wie weit? Das ist nun
sehr merkwürdig. Er hat gewiss noch eine Menge tech-
nische Bezeichnungen, die über die Kenntnis des fein or-
ganisierten Weinschlemmers hinau-sgehen. Zuletzt aber hat
auch die Zahl seiner technischen Ausdrücke früher ein Ende
als die Zahl .seiner WeinVjf obachtuugcn oder Weinerinne-
rungen. Angenommen, unser F'achmann habe dreissig Lagen
aus zwanzig rerschiedenen Jahrgängen in seinem Keller,
also sechshundert verschiedene Sorten. Angenommen (was
Wühl vorkommen mag), der würdige und in seinem Fache
gelehrte Mann könne jede dieser sechshundert Sorten nach
einer Probe von allen andern unterscheiden. Er wird nun
mit einer Anzahl von Adjektiven jede dieser sechshundert
Sorten beschreiben können. Aber weder wird diese Be-
schreibung einem anderen als einem Fachgenossen ohne
F'rolie eine Vorstellung von dem Weine geben, noch wird
der Kellermeister ajili nur annähernd sämtliche Sorten ge-
sondert beschreiben können. Die Nuancen der Geschmacks-
emphudung werden feiner sein als die Nuancen der tech-
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TMÜraueh« und Qwneinipwwh».
53»
nischen Ausdrücke. Man achte nun wohl darauf, wie sich
die Sprache unseres Fachmannes hilft und wie er sich mit
seinen Schülern, den gebildeten Weintrinkem, Terstindigt.
Die adjektivischen technischen Ausdrücke versagen. Er
kennt aber den Geschmack jeder der sechshundert Sorten,
welche nach Lage oder Jahrgang Terschieden sind. Der
Kellermeister bildet also ans Lage und Jahrgang für jedes
Fnss eine Art Eigennamen« s. B. 89er Deidesbeimer Lein-
höhld. Rahren ihm nim Geeelunack nnd Qeruch dieses
Weines die Nerven auf, so erinnert er sich an diesen Eigen-
namen. Er verftlgt Uber sechshundert Eigennamen, wo ein
armer Teufel vielleicht hichstens den Gesamtbegriff Weiss-
wein kennt. Diese Eigennamen werden aber im Verkehr
unter Weinkennern zu technischen Ausdrucken, und in der
Sprache der Weinkarten bedeutet — da es aus mancherlei
Gründen, schon wegen der Nachfüllung der Fässer, ur-
sprungsreinen Wein kaum gibt — nun der Eigenname
„89er Deidesheimer Leinhöhle" für die Fachleute nichts
anderes, als dass der unter diesem Namen käufliebe Wein
sich um nächsten mit jenem Fasse unseres Kellermeisters
vergleichen lasse.
Wir können diesen ailtäglichori Vorgang allgemein so
ausdrücken , dass die Sprache den Ergebnissen der ge-
nauesten Beobachtung nicht folgen könne, dass die tech-
nische Sprache auf dem Gipfel ihrer Ausbildung zu dem
Ursprung der 8])r!iche zurückkehren müsse, zu der instink-
tiven Vcrgleichung von Sinneseiudrückon. Eine geschlos-
sene Gf^sellschaft von Fachleuten, seien sie Astronomen oder
Weinkeiiner, besitzt also einen Vorrat technischer Ausdrücke,
die zu df^r ümgan^^sprnche dieser gesdilossenen Gesell-
sr-haft L'rli'irfn. die filu r ;iut ilci- jeweiligen Höhe der Sach-
kenntnis iimiier wieder bildliche Erinnerungen an Sinnes-
eindröcke sind, also nicht mehr wert als die Worte der
allgemein en TTragangsspr a eh e .
Ich iMirinte mir wohl die Mühe sparen, zu bemerken,
dass das Beispiel vom Kellermeister durchaus kein Aus-
uahmstall ist. Eben solche Spezialkeuutuisse, an welche
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540 VII. Teimini technioi der induktiven WiatenBchailen.
auch die technische Sprache seiner Zuiilt nicht heranreicht,
besitzt der geübte Einkäufer von Thee, von Tabak, von
Weizen, von BauiiivvoUe u. s. w. u. s. w. Hundert üntei"-
scheiduügen, die uns Laien nicht aufgehen, macht der Fach-
mann, wie man sagt, nach seinem Geftihl. Und diese
Nerventeinheit wird vom Händler teuer bezahlt. Das geht
noch weiter; dieses Gefühl, das sich sprachlich nicht genau
definieren lässt, besitzt jedermann innerhalb seines ^^lichen
Berufs. Wir sind es nur nicht gewohnt, an die Sprache
8o grosse und genaue Anforderungen zu stellen. Die letzte
Genauigkeit der Beobachtung geht immer Uber die Sprache
hinaus. Bte KOchin könnte 0s nidit sprachlich ausdrücken,
was sie durch minimale ZnriUie ▼on Ssh und OewOmn
der Suppe an Wohlgeschmack au Terleihen weiss. Der
Tischler, der Über den Sprachgebrauch des Laien hiaans
▼erschtedene Bohrer und ihre Beieichnungen kennt, konnte
es nicht sprachlich ausdrucken, was er doch im Geftlhl hat,
wie er den Bohrer je nach Hftrte und Struktur des Holzes
etwas anders ansetzt und bewegt. Endlos liefen sich die
Beispiele fortsetzen. Alle ergäben die Einsicht, dass die
genauer beobachtete Wirklichkeit jedes Interessenkreises
eine engere Umgangssprache erzeugt und erforderti die sich
für die Aussenstehenden als technische Sprache abzusondern
scheint, und dass schliesslich die Sprache Überhaupt versagt,
wo die Wirklichkeit am genauesten beobachtet wird.
Dieser Umstend hat nun im praktischen Leben die Folge,
dass durch die Sprache alletn eine bestimmte Technik nicht
auf die Kachwelt gelangen kann. Keine Technik ist in
einem Buche zu erschöpfen. Wer dne Glasfabrik anlegen
will, muss selbst Glasarbeiter sein oder geschulte Glas-
arbeiter anwerben. Geht das Nerrengeftlhl einer solchen
Literessengruppe ans irgend welchen Gründen (aus Mangel
an Bestellungen z. B.) yeiloren, so ist damit auch die Tech-
nik Terloren gegangen. So ging die Technik der Glas-
malerei verloren und manche andere Maltechnik. Nicht
aus Büchern, nicht durch die Sprache, also durch die
Wissenschaft, konnte die tote Technik wiedergeboren werden.
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^rMsha und Bidnrtrie.
541
aondeni nur durch neue Erfahnmgen , neue Einübung der
Nerven. Die elementarsten Sinneseindrücke mussten die auf-
bewahrten Worte neu verstehen lehren.
Man glaube nicht, dass diese Heranziehung der ba- spnoh«
nalsten Diu^'e unter der Würde der Wissenschaft sei. Für "^Jj"
die Geschichte der Sprache ist der Bedeutungswandel der
Worte von ungleich grösserer Wichtigkeit als der Laut-
wandel, der doch nur untergeordnete Dienste für die Philo-
If^e leisten kann. Der Bedeutungswandel aber lässt sich
an der Sprache der Technik und Industrie weit besser be-
obachten als an der abstrakten Sprache etwa der Philo-
sophie. Di« Gelehrten des Lautwandels wissen, ohne nnch
Gebühr mit Galgenhumor davon zu reden, dass ans jedem
Laute eigentlich jeder andere Laut werden kann; so kann
sich aber auch im Laufe der Entwickelung aus jcdpr Be-
deutung jede iiTi lpfp Bedeutung herausbilden. Wenn wir iu
einem gelehrten Buclie lesen: .Man macht ans df^ni Hypno-
tismus mehr Wesens, als d^rn Wesen dieser Erscheinung
zukommt" — , so gehört einiges Sprachgefühl dazu, zu
erkennen, dass in diesem Hntze das Wort Wesen in fast
entgegengesetzten Bedeiituii'j;» a gebraucht wird. P]inmal als
äusseres Gerede, das andere Mal als das Innere, das man
eben nicht kennt. Auf dem Gebiete der Tei bnik und In-
dustrie jedoch geht ein nnaufhorlicher Bedeutungswandel
der Worfp vor sich, der in Avr Mitte steht zwischen den
stt 1 'l inden Worten, welche im Le}»enskampfe der Sprache
veraltet sind, und der BUduDg neuer Worte für neue Dinge.
Auf diesem Ungeheuern Felde des Bedeutungswandels nun
kann man ganz deutlich beobachten, wie das Wort der Um-
gangssprache technische Bedeutung gewinnt und wie die
neue technische Bedeutung das Bestreben hat , sich des
Wortes der Umgangssprache zu bemächtigen. Und diese
ganze mächtige Bewegung ist doch nur der ►Schatten der
Wirklichkeit. Jeder Fabrikant, der iu einem neuen Dinge
einen neuen Wert zu erzeugen hofft , bringt etwas hervor,
was vorher in der Welt der Wirklichkeit nicht oder nicht
SU da war. Innerhalb seines Interesseukreises erhält dieses
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542 VII. Tenuini technici der üuiuktiren Wissensobafteiu
neue Ding gewöhnlich einen technischen Namen. Kaufen
die Leute ihm da>s Ding nicht ab, so bleiht es dabei. Driui4L
das neue Ding ins Publikum, so entsteht ein neues Wort
der Umgangssprache. Hat der Fabrikant vergessen, einen
technischen Ausdruck zu erfinden, so wird sein £igenname
in die Umgangssprache eingeführt. Der Maler Daguerre
erfand die Lichtbilder. Als alle Welt sich nach diesem Ver-
imhren j^otographieren Hess, gab es das allgerndn Terstand-
liehe Wort Daguerreotypie ; seine Erfindung wurde flberholt,
das Wort Tersltete und wurde wieder zu einem technischen
Aittdmek der C^esdiiekte der Photographie. Oder man denke
an das Auersche GlQhHchi In der Qeschiehte des Bekuehtongs-
wesens kann man diese Erfahrung um so häufiger machen,
als die heste und wohlfeilste Beleuchtungsart das neue Ding
und seinen technischen Ausdruck sehr rasch zum Graaein-
gut machen kann. In meiner Jugend war mir der Aus-
druck UOlykene so geläufig ¥rie heute einem Qrossstadi-
kinde das Wort Gasfiamme. Es war die praktisch gearbeitete
Stearinkerze, die man nach ihrem Fabrikanten henannte*
Es ist wirklich so: alle Geistesanstrengung und aufireibende
Arbeit aller Erfinder und Fabrikanten ist nur darauf ge-
richtet, die technischen Worte ihres Interessenkreises zu
Worten der ün^angssprache zu machen. Denn erst wenn
die Eigenschaften des neuen Dings sich dem Gedächtnis
einer grossen Menge eingeprägt haben, erst dann ist der
Absatz des neuen Dings gesichert Die Aufhahme des Worts
in die Dmgangssprache ist aber nicht nur ein Zeidien, son-
dern auch ein Mittel des Erfolges.
Diese befremdliche Thaisache scheint mir so wichtig
illr die Beurteilung des Wertes der Sprache, dass ich noch
einen Augenblick bei der Aufklärung dieser Beziehungen
zwischen Sprache und Industrie Terweilen muss. Es wird
iM^nflich nicht bestritten werden, worauf ich eben hin-
gewiesen habe. Die Au&ahme neu gebildeter technischer
AnsdrOcke in die Umgangssprache ist ein Zeichen des Er-
folges, wenn das neue Ding sich aus irgend welchen GrOnden
durchgesetzt hat und die Menschen nicht anders koonten,
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als mit der Sache sich auch den Namen zu merken. Die
AaiViaiirae des techiiischen Ausdrucks iu die Um<^angs-
sprachf ist, riu Mittel des Erfolges, wenn die freiwillige
oder unticiwillige Agitation eines kleinen begeisterten oder
sonst interessierten Kreises den Namen so sehr durchgesetzt
lia,t, dass die Menschen nach dem Ding zu IragLii beginnen,
dessen Nai^icii ihnen geläufig geworden ist. Mit einem ein-
zigen Wort nennt man diesen Vorgang die Reklame. Ein
dauernder Erfolg wird von der Reklame natürlich nur er- Ä«Wime.
reicht, wenn das Ding sich nachträglich als nützlich, an-
genehm, bedeutend und dergleichen erweist. Das Ding
kann nämlich auch eine neue Dichtung oder eine neue
Pliüosophie sein, wo dann eine ideale Reklame Ton einer
Nietzsche-Gemeinde u. s. w. ausgeht (vergl. R. M. Meyer:
Z. Term. d. Reklame). Die psychologische That ist aber
doch dieselbe wie bei der gesehftfÜichen Reklame. Wir
können den Vorgang niebt begreifen, wenn wir nidii in die
dunklen Tiefen des Qelunilebens hinabsteigen. Für unsere
Untersuchung ist keine Biscbeinung wertlos; es gibt auch
eine FiBycbologie der geschäftlichen Reklame.
Wir mfissen uns nimlieh sagen, dass die Binfllhrung
des Namens durch das Ding gewissermassen die aktive Ein-
übmig des neuen Wortes ist. Die EinfÜhrong des Dings
durch den Namen, die Wirkung der Reklame also, ist eine
passiTe EinUbung. Man Tergleicbe damit, dass der einfache
Mensch seine Oesundheit durch aktive Uebung seiner Mus-
keln erhält, wie z. B. der FOrster durcb stetige Bewegung
im Freien; eine ähnliche KriUtigung'erzeugt die schwedische
Heilgymnastik durch passive Mnskelbewegungen. Eine Ma-
schine bringt z. B. die Beine in Bewegung und kriftigt so
die Beinmuskehi am Ende auch. Beim Uebergang eines
technischen Ausdrudcs in die Umgangssprache handelt es
sich um die Einflbung der Nerven, um die Wiederholung eines
Worts, für welcbes schliesslicb die Nervenbahnen so dres-
siert sind, dass das Wort sich bei einer bestimmten Asso-
ciation TOn selber aufdritogt Siegt das Ding durdi seinen
Nutzen (z. B. das Telegramm), so wird das schwierige und
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544 VIL Termini teohaici der iadoktiven Wimenschaften.
fremde Woii aktiv eingeübt. Will ein Fabrikant seiner
Ware durch Reklame zum Siege verhelfen, so bläut er das
Wort dem Publikum passiv ein. Da bereitet ein Fabrikant
Namens Blooker einen Kakao, für den er auf die einfachste
Weise den technischen Ausdmck „Biookers Kakao* erfindet.
Ich kenne das Ding nicht, ich verfUge also auch nicht Uber
seinen Namen. Da lässt der Fabrikant den tecbniachi^
Ausdruck an alle Giebel, an alle Wände, an alle S&iilen in
grossen Bnclistaben adireiben und tausend- und abertansetid-
mal zwingt er mich, durch die bezahlte Arbeit der Maler,
die Schriftzeidien „Blookem Kakao ist der beste* zu lesen.
Wir wissen« dass zwisehen dem Anblick der SchriftaeicheD
und dem Sprachzentrum die innigste Yerbindung besteht.
Wir wissen femer, dass das blosse YorBteUen von Worten
Bewegungsgeftkhle in unserm Sprachorgan auslöst, ohne
welche die Einttbung eines Wortes durch blosses Hören
nicht möglich wftre. Diese scheinbar pedantische Erinne-
rung war nötig, um uns die Möglichkeit einer solchen pas-
siven Einttbung zu beschreiben. Ohne unser Zuthun, gegen
unsem Willen vielleicht, haben wir tausendmal das Be-
wegungsgeftlhl des Urteils »Blookers Kakao ist der beste'
wiederholt. Die Assodation zwischen der Vorstellung Kakao
und diesem Urteil wird endlich yollzogen, wenn das Kapital
des Fabrikanten uns Jahrelang bearbeitet hat; das Wort ist
uns eingeblftnt, das Wort mit dem in ihm enthaltenen Ur-
teil. Und eines Tages, da ich in einem Laden Kakao kaufen
will und gefragt werde, welche Marke ich haben möchte,
antworte ich unter dem Zwange der passiyen Einübung
oder der Reklame: »Biookers Kakao*. Denn er ist ja der
beste, denke ich unfreiwillig, trotzdem ich es nicht glaube.
Durch die jahrelange Reklame hat sich der Begriff .Bioo-
kers Kakao* unbewuast in meine Umgangssprache einge-
schlichen. Ist die Ware gut und bleibt sie gut, so wird
auch das Wort bleiben. Das Urteil .Blookers Kakao ist
der beste* war die Hypothese, unter welcher das technische
Wort ein Wort der Umgangssprache wurde.
Und nun firage ich einen aufmerksamen Leser, ob
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Hypothesen.
545
die Gesehiohfte der technischen Ansdrttd^e in den '^asen- h^po-
achaften gar so sehr Teraehieden sei t<« der Geschichte ^^^'^
dieser technischen Ausdrucke der Industrie. Man moss nur
fiBsthaHen, dass es da und dort eine Hypothese ist, welche
geglaubt wird und das neue Wort anführen hüft So
aungenbrecherisch die Lautgruppe auch sein mag, wir be«
halten sie im Gedlehtnis und in der Uebung, solange wir
an die Hypothese glauben, das hmast an das Urteil, welches
im Worte enthaltsn ist. Solange die Medizin fttr eme
Wissenschaft gilt, werden die technischen Ausdrücke der
Medisin einen hübschen TTebergang bilden zwischen den
tecshnisehen AusdrOcken der Industrie und denen der Wissen-
sehaft. Um mir weit ausholende Auseinandersetraingen m
sparen, will ich die Beieichnnng Rheumatismus nicht snm
Beispiele wählen, obgleich es ein gutes Beispiel wäre. Es
steckt eine Hypothese dahinter. Da haben wir aber ein
Yolksheilmittel gegen Bheumatismus, das mit dem gans
barbarischen Namen Opodeldok unbedingt der Umgangs-
sprache angehört. Die Herkunft ist unbekannt, es findet
sich schon bei Paracdsus. Bs ist auf Grund der Hypothese
des Nutsens eingettbt. Man rergesse niemals, dass hinter
jedem Worte alle Urteile stecken, die in seinen Merkmalen
Hegen. Alle diese Urteile sind Hypothesen. Die alten, oft
Teralteten, oft Tergessenen, jedesftdls unbewusst gewordenen
Hypothesen stecken in den Worten der Umgangssprache.
Die neuen Hypothesen stecken in den technischen Aus-
drücken. Können sich die neuen Hypothesen nicht er-
halten, so verschwindet der technische Ausdruck wieder und
bleibt nur in der Geschichte einer bestimmten Wissenschaft
erhalten. Wird die Hypothese Gemeingut, so geht der
techmsche Ausdruck in die Umgangs5;prache über. Regeln
ttber die Gestaltung der technischen Ausdrücke lassen sich
nicht au£rtelien. Aber namentlich die von Eigennamen ge-
nommenen Worte sind sehr lehrreich für den Instinkt, mit
welchem die Sprache die neuen Hypothesen behandelt.
Da wurde eines Tages beim Legen des transatlanti-
schen Kabels ein gallertartiger Schleim, der aus der Meeres-
M Aatbn er, Beifarlg» sa fltaiir Kritik der SpiMh«. m. 85
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546 ^11- Temiiiii lechnioi der mdnhtiven WiMsdiaften.
tiefe kam. b( obachtet» von Huxley beschrieben und Bathy-
bius UaeGkelii benannt. Bathjbius vertritt einen griechischen
Satz, der ,was in der Tiefe lebt" bedeutet. Der technisch«
Ausdruck w:ii ilso eigentlich eine ausfülu lirlie Beschreibiiiig,
die für den isLundigen den Sinn hatte: „Ein Lebewesen aas
der Meorestiefo, desaen verwandtschaftliche Beziehungen
lum Tierreich vrir uns nach den Lehren Haeckels erklären."
Man sieht, in dem Qenitiv llaeckelii war auf eine Hypo-
these Bezug genommen. Hätte sieh das alles bestätigt oder
wilre die Bathybiusmaase z. B. ein Volksnahrungsmittel ge-
worden , die UmgangSBprache der Kulturvölker wäre um
das Wort Bathybius vormehrt worden. Es vergingen aber
keine zwanzig Jahre, da behaupteten andore Gelehrte, das
neue Dii^, der Bathybius Haeckelü sei nur ein Zufalls-
produkt, ein Niederschlag aus der Vermischung von See—
Wasser und AlkohoL Das Wort mUsate mit der Hypothese
Terach winden.
Da beschrieb vor kurzem Professor Röntgen eine neu
entdeckte Art von Strahlen, die er als eine besondere Sorte
von Kathodenstralilen einführte. Monatelang spukten die
Kathodenstrahlen durch alle Zeitungen. Es fehlte nicht
viel, so wären die , Kathodenstrahlen* bei dieser Gelegenheit
in den Sprachschatz der Halbgebildeten eingedrungen. Nur
wenige Leute wussten. dass der Ausdruck Kathodenstrahlen
eine Hypothese Faradays in sich fasste, die heute in der
Hauptsaebe der Geschichte der Elektricität angehört. Die
llnbekanritschaft mit di-r Hypothese vcrschloss dem Worte
den Zutritt. Dage<(eii drängten sieh die ü}»erall ausf^estellten
Wirkun|?en der neuen Sorte der Kathodeuätraklen dem l'ubli-
kum auf und luich dem Namen ihres Entdeckers wurden sie,
ent^etjen seinei- eigenen Bezeichnung X-Strahlen, Röntgen-
strahlen genannt und sind im Begriff, durch den Sprach-
schatz der Halbgebildeten hindurch in die Umgangssprache
überzugidien (T. lOrjV
Eine lläulung "iei- Beispiele ist für bereite Leser über-
flüssig. Ich glaube jetzt den Unterschied /.wischen den
Worten der Umgangssprache und den technischen Aus-
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Ujpoihaaen.
547
drücken, einen sehr bewesflichen Unterschied, in der Hand
zu hakuii, so <rni man Quecksilber in der Hand halten
kann. Das rinnt in feinsten Fäden zwischen den Fingern
hindurch. Alle unsere Worte uäuüich sind — ich will
nicht müde werden immer wieder mit dem AHC anzu-
fangen — Eriuneruügen an eine (xriippe ähnlicher Sinnes-
eindrücke. .)e nachdem wir uuscie Aut'mcrksumkeit uun
auf die Formel im ganzen richten oder auf einzelne Ueber-
einstimmungen in den verglichenen Fällen, nennen wir
unsere Erinnerungen entweder Worte oder Urteile. Das
ist die psychologische Wahrheit. Die alte Logik lehrt,
ans dem Worte oder Begriffe gehe das Urteil berror. Wir
sagen, das Wort umfasse alle Urteile , die man schembar
daraus hervorsiehe. Und jetzt erkennen wir, dass Worte
der Gemeinsprache diejenigen sind, deren mitomfasste Ur-
teile uns als sichere Wahrheiten erscheinen. Technische
Ausdrucke der Wissensdiafk aber sind diejenigen Worte,
deren mitumfasstes Urteil uns eine Hypothese ist Ich
möchte dem Leser die kleine Sprachaufgabe überlassen,
diesen Satz so umzuändern, dass er auch auf die tech-
nischen Ausdrucke der Industrie passt. Innerhalb der
Wissenschaft gestattet er die weiteste Ausdehnung. Die
Beaeichnungen der Farben x. B. (rot, blau u. s. w.) sind
Werte der Umgangssprache, weil nur Ausnahmskfipfe die
Annahme, es seien die Farben der Körper wirklich (das
Urteil also, das in ihnen steckt), für eine unsichere Hypo*
tiiese gehalten haben. Für einen Kaat, fftr einen Helmholts
werden rot, blau u. s. w. teehnisehe Ausdrucke in der Phy-
siologie des Auges.
Haben wir nun gar die Ueberzeugung gewonnen, dass
alle wissenselukftlichen Erkenntnisse Hypothesen sind, so
▼erschwindet für unsere Sprachkritik der letzte Unterschied
swischoi Wwten der Umgangssprache und technischen
AnsdrQckeo. Und wir können nicht ohne ein stilles Lachen
die schönen Sitze lesen, mit denen Whewell beinahe dich-
terisch die technischen Sprachen der Wissensehaften be-
singt, welche mit ihrer wert?oUen wissenschaftlichen Fracht
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54 ö Vii. Termini technici der mduktiven Wiwenschaften.
durch du Meer der Zeiten hindurch segeln, wBhrend die
OemeixuprBchen in Yergessenh^ Tersinken. Man habe
immer noch in besttndigem Gebrauch die griechischen Aus^
drOcke fOr Geometrie, Astronomie, Zoologie und Hediiin.
WheweU veigisst, dass im Leben dieser etwa siebsig Men-
schengeschlechter eine Hypothese die andere ahgeUfst hat,
dass die meisten technischen Ausdrücke wahrend dieeesr
Zeit raseh entstanden und rasdi vergangen sind und dass
die scheinbar, das hnsst ihren Lauten nach gleichgebliebenen
technischen Ausdrücke von Geschlecht zu Oeschledit einen
Bedeutungswandel durchgemacht haben, der die in ihnen
enthaltenen Urteile oft genug in das Gegenteil Teikefaiie.
Mit demselben Rechte kdnnte man den uuTerinderiidien
Menschengeist bewundem, wenn alte Mauern noch stehen,
die einst dem Dienste der Venus Zuflucht gewährt haben
und heute eine Kapelle der Muttergottes umscUiessen oder
gar politische YolksYersammlungen behexbergen.
Mit unserem Satze haben wir auch das Mass gefunden,
mit welchem wir den Stoh der Modemen auf die bessere
technische Sprache ihrer Wissenschaften messen künnen.
Man rUhmt an dieser neuen Sprache vor allem die S^ste*
matik. Es ist aber nicht wahr, dass unsere Erkem^nis
sich Tertieft hat; nur vermehrt haben sich unsere Kennt*
msse. Die FllUe unserer Naturbeobaohtungen ist grOaser
und grosser geworden, und Uber die KOpfe unserer Tor>
«^ilrip^or hinweg sind wir zu neuen und neuen Gruppen ron
Beobachtungen gelangt, die wir bequem mit neuen und
neuen technischen Ausdrücken im Gedächtnis zusammen-
halten. Aber nach wie vor zerfallen diese Worte in solche,
deren mitrerstandene Urteile wir ftU* wahr halten, und
solche, deren mitverstandene Urteile uns noch Hypothesen
sind. So sind unsere Wahrheit > ri die schlimmem Irrtümer,
wie sie sich in den Worten der Umgangssprache ausprägen;
und die Hypothesen in den technischen Ausdrücken geben
keine Erkenntnis. Unsere Optik bietet einen Wald von
Beobachtungen, wenn wir sie mit den paar Spässen der
Griechen rergleichen. Aber der Schein der Farbenwirklich-
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549
keit tftuflclit die ümgwigBspniehe liente wie vor Jahitausen-
den, und die tecbnMehwi Ausdrilcke wie Fvrbeiilneehimg,
Pekrisation n. s. w. entkalten Hjpoäieeeii, die mehie er-
USren, die sogar seUMii noch der ErUizuiig bedfirfen.
WheweU gibt sich in seinen Aphorismen Aber die
wiseenschaiftliehe Sproebe grosse MOhe, Begehi ftlr die
Neabildung ieehnischer Ausdrücke aufzustellen. Er weiss,
wann Worte der Umgangssprache in die wissenschatUkhe
Sprache aufsonehmen seien mid wann nicht; er weiss fcurckt-
bar vielf nur nicht, dass die Qeschichte der wissenschaft-
lichen Sprache seiner spottet. Denn nie ist ihm ein Zweifel
gekommen an dem Werte der wissenschafUiehen Sprache,
selbst dann nicht, wenn er die Mängel der Umgangssprache
erkannt hat. Im elften Aphorismus lehrt er, dass tech-
nische Ausdrücke, welche eine tlieoretisclie Ansicht mit
enthalten, zulässig seien, soweit ihre Theorie bewiesen sei.
Er ahnt aJso nicht, dass jede theoretische Ansiebt eine
Hypothese ist und dass eine solche Hypothese in den
Worten auch dann steckt, wenn der Wortlaut es nicht
Terrät. Er lässt grossmUtig gewisse Zufallsworte zu, deren
Laute sich nicht auf die innewohnende Hypothese beziehen ;
er weiss nicht, dass jeder Gelelirte auch bei den Zuialls-
Worten die Hypothese seiner Zeit mit yerstehen wird.
Ich will diese Verbindung, die zwischen Hypothesen oravi-
und Worten durch die Qeschichte der Sprache oder der
Welterkenntnis geht, an einem Begriffe noch klarer zu
machen suchen, der mit Recht als Ausdruck gilt itlr die
genialste Beobachtung des Menschengeistes. Ich meine
wieder den Begriff der Gravitation, welcher gewöhnlich das
Gesetz der Gravitation genannt wird. Wenn wir statt Gravi-
tation Schwerkraft sagen, so verrSt uns die Sprache eigent-
lich schon das Qrundf^ebrechen des Begriffs. Auch das Wort
Gravitation ist natürlich ein Abstractum vom lateinischen
Worte gravis (schwer); im Deutschen ist man mit dem
Fetisch Kraft bei der Hand und glaubt wieder einmal die
Erscheinung der Schwere besser zu verstehen, wenn man
die Kraft zur Ursache der Erscheinung macht.
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550 Tennitii toehnict dtr iadiiktiveQ Wiaseiuehafleii.
Gewisse Thatsachea, welche heute als Erscheinungen
der Schwerkraft und zwar als JSndheinungen des Luft-
gewirlits 1>ekanut sind, wurden von Axistoieles an bis in.
die Mitie des 17. Jahrhunderts hinein, bc einer besonderen
Gruppe von Aehnlichkeiten zusammengefasst. Jedermann
wuaste, dass die Flüssigkeit aus einer Flasdie nicht auslief,
wenn man sie mit dem offenen Ende in eine Flüssigkeit
steckte. Man bemerkte, dass die Wirkm^ai 4es Hebers und
der Pumpe ganz ähnliche Erscheinungen darbot<jn und
snchie mu h einem sprachlichen Ausdruck. Man nahm ihn
von der Hypothese, dass in der Natur eine Scheu oder ein
Entsetzen vor dem leeren Raum bestehe. Man verlegte
also das menschliche Gefühl der Fui rht in die Flüssigkeiten
hinein. Ob man sich nun bewusst war, nur eine Metapher
zu bilden oder ob man diese Furcht der Flüssifrkeiten wört-
lich nahm, jedest'uils gab es den technischen Ausdruck
horror vacui als besehreil)cn<le Bezeichnunt; dieser Hypo-
tiiese. ^S(»lan[;e die Hypothese geglaubt wurde, gehörte das
W(»rt zur technisebeii Sprache der Mechanik und damit zur
Umgangssjuaclie der W a^iserbautechniker. So sicher jeder
von ntiv ;innininit. dass ein Thier, welches er nach einigen
Mcrknialen einen Jlund nennt, bellen werde, so sicher
;4^hinl>te man, Wassei- dnrdi Verdünnung der Luft nuf be-
liebige Höhen leiten zu können. No* Ii 1044 glaubte Mer-
senne. da-ss er durch einen i^nosscn Heber Wa<^ser werde
iibcr einen hohen Berg li ilt ii können. Diese Eischeinung
Hess sii h aht.'i- in Wirklu Lkeit nicht beobac hten, das Wasser
stiet; niemalh höher als 34 Fus»? und so kam man dazu,
das Gewicht des Wassers mit einer Wirkuntr der Luftsäule
zu vergleichen und diese Wirkung der Luft metaphorisch
ihr (lewic ht zu nennen. Metaphorisch, denn diese Wirkung
entsprach nicht dem natürUchen Sinueseindruck eines Ge-
wichtes in der Hand.
Um jene Zeit waren geistreiche Mechaniker damit be-
schäftigt, mit Hille der neuen und rasch wachsenden Rech-
nungsmethodoü die verschiedenen Erscheinungen der Statik
und der Dynamik auf gemein.same Formeln zu bringen.
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^1
Man kann wohl sagen, dass es sich darum handelte, die
Erscheinungen der Schwere und die der Bewegung zu-
sammenzufassen. Was die medumisdiie Weltanschauung
heute die Erhaltung der Energie nennt und auf Chemie,
Winne n. s. w. ausdehnt, das war am Ende des 17. Jahr-
Inmderts für «He He^aaik im engem Sinne unter dem
Namen «Erhaltung der lebendigen Kruft* sdion behauptet
worden. Das erstaunliche Verdienet Newtons sollte nun
darin besteben, diese bjpothetisclie Zusnmmenfiwsung der
Bewegung und der Schwere Ton den irdischen Erscheinungen
auf die Bewegungen der Himmelakdrper auszudehnen. Die
sogenannten <3^es6tse dieser Bewegungen hatte Kepler for-
muliert. Auch Kepler Tersncbte natOrlicb zu erUftren, was
er besdurieben hatte. Eine Aehnlichkeit zwischen Schwere
und Bewegung fiel ihm aber nicht entfernt ein, und so gab
er zur Eridftrung Worte, die nicht einmal technische Aus-
drficke werden konnten, weil ihnen eine feste Hjpo&ese
nicht zu (gründe lag.
Der berOhmto Descartes hatte den traurigen Mut, aus
den Phantastereien Keplers dne solche bestimmte Hypothese
auszulesen und mit ihrer HiUe das Weltgebäude zu er-
Uftren, das Kepler so gut besdurieben hatte. Es ist die
Hypothese der Wirbel, welcbe damals die gelehrte Welt
eroberte, ein techniscfaier Ausdruck wurde, in die ümgangs-
^^Mche überging (ich habe sie in den Lustepielra Moliferes
gelunden), um schliesslich in die Rumpelkammer derOeistee-
geschicbte geworfen zu werden. Ganz gewiss bat die Angst
▼or der Kirche bei der Ausgesteltung dieser Theorie mit-
gewirkt; aber an die Wahrbeit seiner Hypothese glaubte
Descartes, dieser ausgezeichnete Mathematiker, wShrend die
Mechan&er in Italien, England imd Holland zu gleicher
Zeit der Aehnückkeit zwischen himmlischer und irdischer
Mechanik schon hart auf der Spur waren. In demsdben
Jahre 1644, da sein intimer Fnsund Mersenne zum letzten-
mal das Monstrum horrer vacui produzieren wollte, ver-
(fffiButUchte Descartes seine Wirbelhypothe»e , bei der der
horror vacui eine grosse fioüe spisito. Wir haben also
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552 VII. Temim toehaid d«r mdokitivai Wi—MchtllBa.
den beackienswerten FaU Yor oub, das» der meisierliohe
Beobachter Kepler die beeehriebenen Plaoetenbew^gmigai
gern erklirt hSite, aber keinen Ausdruck dalttr fand, ir«il
ihm kein einziger seiner phantastischen SinflUle anch nur
den ToUen Werfe einer Hypothese am haben schien; dass
dagegen der systematischere Kopf, der Descartes war, mit
der ersten der besten £rklärung, die er als Hypothese an^
stellte, auch den Ausdruck Wirbel fand und einftthrte.
Diese Hypothese und damit der Ausdruck Wirbel gewaon
ein solche Ansehen, dass selbst in England und bis zum
Tode Newtons Descartes' Wirbel gelehrt worden, ab ob
Newton nicht vorher diese Anschauung gestürzt hätte.
Newton soll das Hauptwerk Descartes' in Händen ge-
habt, anfangs auf jede Seite «error* an den Rand ge-
schrieben und dann nicht weiter gelesen haben. Das ist
sehr glaublich. Wenn Leibniz später die Philosophie Des»
cartes' das Vorzimmer der Wahrheit nannte, so hatte das
nur dann einen Sinn, wenn Leibniz im Braitae der Wahr-
heit war. Die Geistesthat Newtons war viel oi^inelLN*.
Und ich zögere beinahe, dieses ungeheuere Ereigois vom
Standpunkte der Sprachgeschichte zu betrachten.
Es lagen schon da und dort Versuche vor, himmlische
nnd irdische Mechanik zu vergleichen. Was aber dem
Tienmdzwanzigjährigen Newton durch den Kopf ging, das
war ein verblüflfendcs Apercu. Newton wusste wie alle
Welt, dass und wie Körper aus der Luft auf die Erde
fallen. Das geschah auch aus g^rosser Hohe. Wie weüt
hinauf erstreckte sich wohl diese Anziehungskraft "r* Am
Knde gar bis zum Monde hinauf? Liesse sich am Ende
die Bewegung des Mondes ähnlich berechnen wie der Fall
t inps geworlenen Steines? Das Apercu ist bewunderungs-
würdig. We?m der Erfinder de"^ Telegraphen auf den
Einfall kan». i s Ims'-p sich vielleicht die WirkunL' der Elek-
tricität von einem Zi rumer ins andere, von einem Hause ins
andere Ubertragen, so verlängerte er nur den Draht, so
machte er nur einen Schritt weiter. Und wir «olsen in
uuseru Tagen, wie die Verlängerung der Telephoudrähte
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Giavitatkn.
553
um an paar Humderfc ICeflen nur 8cliriltwei«e vor sich geht
Der Omsk Newtona maohie nicikt emeii ScfaritA, sondern
einen Sprung, als er die Bewegimg des alton Mondes da
oben mit dem Falle einee geworfenen Steines TergUclu So
wenig sicher war Newton , dass er seine HypoÜheae Tor-
Iftufig fallen liess, als seine Rechnung (nach ungenauen An-
gaben der Geographen angf stcllO dreizehn Fuss anstatt
fUnfsehn Fuss Fall in der Sekunde ergab. Hätte Newton
aber auch nicht selbst noch die bessern Messungen der
Geographen erlebt, hätte er nioht mehr selbst seine grosse
Hypothese verölfenÜichen können, sein Apercu w&re dennoch
die Aeusserung eines Genies gewesen.
Als er nun die Hypothese anq^staltet hatte, was lag
da Air die Welterkenntnis Neues vor? Wie man eines
Tages in gewissen pflanseuäbnlichen MMresgeschöpfen Be-
wegung wahlgenommen und sie darum unter den Begriff
der Tiere eingereiht hat, so fielen für Newton und seine
Schüler die Bewegungen des Mondes mit denen fallender
Erdkörper zusammen und er dehnte darum den Begriff der
Schwere auf die Planetenbewegungen aus. Wir haben ge-
sehen, dass es bereits eine Metapher war, als der Begriff
der Schwere auf die Luft ausgedehnt wurde. Jetzt gab
es eine neue, in einer Beziehung noch kühnere Metapher.
Ein ungeheueres Ge^vicht der Mondkugel oder der Sonnen-
kugel konnte man sich freilich handgreiflicher vorstellen
als ein Gewicht der Luft; insoweit war die Ausdehnung
der Schwerkraft auf die Planeten kein so kühnes Bild wie
die Ausdehnung dieses Beg^it^'s auf die Luft. Es kam aber
etwas ganz Neues hinzu. Seit Menschengedenken verstand
man unter dem Gewicht ungefähr den Druck des Körpers
auf seine L^nterlage, was wieder nur ein Bild war von dem
Drucke eines Körpers auf die menschliche Hand. Mit einem
andern Bilde stellte man sich vor, dieKi li zu In lir fallenden
oder sfhwfMt'u Kör])er an. Nun traten plötzlich VVeltkiirper
in den l'i leirh der irdischen Anziehungskraft., die ihrt rseits
wieder Anziehungskräfte besitzen mussten, wenn die ganze
Hypothese einen Wert haben sollte.
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554 Tttmini ieebmei der indiiktitren WtnenMsliftftea.
Man mache sioih den Sinn der Worte DUr recht an-
schaulich und man wird darüber staunen mflssen, dass die
Kontamination, das „ Wipprhen die Konfusion der Bilder,
eigentlich immor fortbesteht Mm sagt heute nodi, der
Fall (dessen Gesetze man so genau kennen wül) sei die
Bewegung eines Körpers g9fffsn die Erde hin, und zwar sei
er die Wirkung der Schwere. Nun ist aber doch der Fall
eines Körpers nur eine Erscheinungsform dessen, was man
bald seine Schwere, bald sein Gewicht nennt Vielleicht wird
die Sachlage noch klarer wenn ich sage: die Schwere gilt
für die Ursache des Falls, insofern man hinter der Schwere
oder dem Gewicht eine besondere Naturkraft voraussetzt;
personifiziert man dagegen den Fall, das heisst die Bewe-
gung zu einer Kraft, so kann mnn sie ebensogut als Ur-
Sflcbe Aor Schwere oder de^ Gewir-hts ansehen. Das «;ind
keine guten Bilder, die sich ohne Schiidicfung des Eindrui ks
anf den Kopf stclh n lassen. Nun uher wurde das Bild von
der Schwere vollends auf den Kopf i^esfelU, als durch die
ge7}iale Veru;lrichung Newtons die Iviehtung des Fa\h zu
einei« Nrhcuumstande crennu ht wurde. Schon vorlier i^e-
braucbtcn rÜe Astronomen unklar die Worte Gravitation und
Attraktion, um den Eintluss der Plfinet.en im Soimfnsystem
zu erklären; bald dachte man an etwa«? wie den Masrnetis-
mus, bald an eine Emanation dei Erde. \vel( he die Körper
zu zurilckzwantr. Als aber s( lili< sslich das sogennnnte
(.ie>tiz der Gravitation, wonaeh alle Körper im sftnaden
Verhältnisse ihrer Massen und im nmi]fc1< ehrten VerbiiltDi»se
des Quadrats ihrer Entfemuiigen einander anziehen, auf-
gestellt war, da glaubte man oines der Welträtsel trelöst,
eine der wichtigsten ErscLeinuni,o n des Kosmos erklärt zu
haben. Und man glaubt es noch heute.
Nun Verrät aber schon der sprat hlithe Ausdruck die
neue Verletrenheit. In diesem Gesetze ist die Bewei^ung
falleiuler Körper genau beschrieben und sehr srhön verall-
gemeinert, aber immer noch wird die Gravitation durch
Attraktion erklärt, und da die beiden abstrakten \\ orte
gleich hypothetisch sind , könnte man ebensogut die At-
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555
tralctioa 'durch die Gravitatioii erkUtreo. Es kftngt toU-
kommen toq dor metaplioriBckeii Phairtasie des Beobaditen
ab, ob er die gebeimnisTaUe Kraft in die Atbraktum oder
in die CkaTitaition hineioTerseteen will, wie es von seiner
Pbantaaae abhing, ob der Fall die Ursaebe der Scbwere
war oder umgekelut. Man spricht Ton Gravitation, wenn
man so etwas wie eine Anriehong beobachtet, aber man
jqpricht ebenso Ton Attrakfebn, wenn man so etwas wie
QraTitation oder Schwere beobachtet. Alle diese Vorstel-
lungen gehen schliestlich anf den Sinneseindroek eines die
Menschenhand wuchtig belastenden K5rpers zuiflck. Und
es ist fhr unsere Anschauung höchst lehrreich, dass Newton,
als er in seinen Prinzipien (ID, 4. Proportion) seine Ent-
deckung mitteilen wollte, dafSr von dem Adjektiv gravis
ein Verbura bilden musste und sagen, der Mond gravitiOTe
gegen die Erde. Es war statt einer Erklärung eine geniale
bildliche Beschreibung.
Diese sprachkritische Anschauung Uber Newtons Gross- N«ino&.
that ist etwas gan£ anderes als das Unvermögen Hegels,
Newtons Verdienst zu begreifen. Hegel sträubte sich da-
gegen, sich dem Mechanismus des Weltalls zu unterwerfen ;
darum stellte er den Phantasten Kepler Uber Newton. Wir
mQssen in der ganzen überwältigend schönen Geschichte
der langsamen Entdeckung der Gravitation zwischen dem
Fortschritt der Beobachtungen und dem Fortschritt der
BegriflQserweiterung einerseits unterscheiden und anderseits
beides zusammenhalten. Der scheinbare Lauf der Planeten
war schon von allen Anhängern des Ptolemäischen Welt-
systems im ganzen richtig beobachtet worden; Kopemikus
fligte die Berechnung des wirklichen Laufs hinzu. Kepler
beobachtete in dessen Beschreibungen die Aehnlichkeit der
geometrischen Formeln und konnte so den Begriff der
Ellipse auf diese Bewegungen ausdehnen. In noch be-
wundenrngswürdigerer Weise dehnte Newton die Formeln
der Fallgesetze auf diese elliptischen Bewegungen aus. Es
war voiläutig die letzte Beu^rififeerweiterung auf diesem Ge-
biete und wir beugen das Haupt fast andächtig vor solcher
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556 Vn. Tennini techaici dttr indnUiT«! Wimwimehaften.
Menschengrösse. Wenn man aber die Keplersclien Gesetze
als blosse Tbatsachen, das GraTifcationi^esetz als ihre Er-
klärung ansiebt, so steht man eben im Banne der letzten
Hypothese. Vor Newton waren die Keplerschen Gesetze
Erklärung; sie sind zu Worten der Umgangssprache ge-
worden, soweit sie in den Kalender hineinpassen. Ebenso
t^eht es mit dem Gravitationsjresetz. Wird aber einmal der
Begriü der Gravitation mit noch anderen Erscheinungen
( Elcktricität oder was weiss ich) verbunden werden, so
wird auch die Newtou.sche Gravitation, die heute eine Er-
klärung heisst, in die lieihe veraltender technischer Aus-
drücke zurücksinken.
Die poeÜHche Heroenverelirung thut recht daran,
Newton zu huldigen. Herrlich ist die Grabschrift, die Pope
verfasst hat:
^Nühito and Nature's laws lay liid in night;
Güd Said: ,Let Newton be', and all was Light."
Sprachkritik jedoch duldet keine unfreie Bewunderung.
Die freie iiewunderuug des vollendetsten Menschen;^ es
resigniert nirgends trauriger als vor dor Unsterblichkeit
dieses Mannes. Und nicht lustiger öjiuU, sondern traurigste
P^insicht in das Nichts soll es sein, wenn ich das Wesen
dieses höchsten unter den bisher entdeckten Naturgesetzen
zu erkennen suche aus dem albernsten S])asse, der alltäg-
lich mit begriffstützigen Schülern getrieben wird. Wenn
so einer nicht sogleich eine logisch saubere Definition zu
bilden vermag, so höhnt man ihn wohl mit den Worten:
»Opodeldok ist, wenn man Kuckeiischmerzen hat." Ich
fordere Ernst iüi dieses Citat. Die saubere Definition sollte
wohl etwa heisseni «Opodeldok ist ein IleihmUel gegen
Rheumatismus. ** Mein Leser muss aber einsehen gelernt
haben , dass alle Begrifle dieser Definition unklare Erinrie-
ruijgtn der Umgangssprache sind, dazu Erinnerungen au
unklare und unhaltbare Hypothesen. Niemand weiss, was
Krankheit und was Heilung sei, niemand weiss etwas vom
Rheumatismus; womöglich noch unfassbarer ist der Begriff
des Mittels, welchen mein Leser hoffenÜich nicht etwa durch
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Nswtoit.
567
düu nebelhaften Begriff des Zweckes wird erkl&ren wollen.
Opodeldok ist wie jede andere Lautgruppe der Sprache zu-
letzt die im Sprachzentrum festgehaltene Erinnerung an irgend
welche Sinneseindrücke; die Definition des Wortes also
wie jede andere Definition ist nur das Bewusstwerden einer
unbewussten Gedankenassocintion. Und so ist der unlogi-
sche Schüler weit philosophischer gewesen als sein logischer
Lehrer, wenn er auf dessen Frage die letzten zugiinglicheu
Elemente des Bewusstseins aufdeckte und gestand, dass er
mit der Lautgruppe „Opodeldok'' nichts weiter f^sociieren
könne als die wüste Erinnerung an etwas, was man Rücken-
schmerzen zu nennen pflegt. , Opodeldok ist, fällt uns ein,
wenn man Rückenschmerzen hat." Darüber kann d<'r Men-
schengeist und die Menschensprache nicht hinaus. Auch
ein Newton nicht.
Vorher sprach man von einem horror vacui. „Horror
vacui ist, wenn Flüssigkeiten im Heber empor8t«igen.*
Newton entdeckte die Gravitation. , Gravitation ist, wenn
etwas schwer ist oder fällt/ Und wenn einst ein neuer
AnsnsJbmemeDSch mit den medianiscben Erscheinungen des
Gewichts clemisdie oder ekkfarisehe Erscheinimgen su einem
lidliem Begriff Tsrbunden and beispielsweise den Namen
TtAaacvmm dafür anfgeetellt und zam ehxfarelitovoUen
Schander derlGlwelt beschrieben haben wird, so wird der
neue techsiscbe Ausdruck wieder nur eine beschrftnkto Zeit
für eine neue SrUftrung des Weltalls ausreichen und der
philosophisiie Dummkopf von Schüler wird audi das er-
USrande Wort der Zukunft nicht besser definieren kdnnen,
als durch des Menschengeistes letites Verstummen, durch
die tiefsinnige Tautologie: .Polarismus ist, wenn etwas ein
Verhältnis su etwas Anderem hat.*
Wiissen und Worte.
Der Materialismus hat das gewaltige Verdienst, die
theologischen Mauern eingerannt su haben. Dazu gehört
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558
Vin. Wiöä*!u and Worte.
Matari»' ein dickor ScUidel, und wirkUeli ist die Beaclirihiklikeifc des
liams. Materialismua fast elienso gross wie die setner Gegner. Als
praktiscber LebensgmndsKfas ist der Hsfe^alismus eine
Sdil&nheit, als Weltanschauung ist er die platte Dummheit.
Denn so Tiel mfissen wir nachgerade gelernt haben,
dass ans die gesamte äussere Welt nur aus den £mpfin-
dangen unserer Seele bekannt ist, dass der Stoff oder die
Materie, die der Aussenwelt zugrundeliegen soll, keine ge-
wissere Hypothese ist, als die einer gCttUchen Menschen-
seele, dass also f&r jeden Einzelnen seine Innenwelt das Ge-
wisse, das Unmittelbare ist, seine Aussenwelt das Ungewisse,
das Mittelbare. So psradoi es klingen mag, so wäre die
Physik die nebelhafteste, die Psychologie (das heisst Er-
kenntnislehre, das heisst Metupbysik) die greifbarste Wissen-
schaft, wenn ...
Ja wenn! Die Physik ist nur in ihrer Lehre an Worte
gebunden nicht in ihren Erscheinungen. Wortlos ^pfinden
wir die Macht der Natur, wortlos begreifen wir und
siffemlos messen wir mechanische und akustische, optische
und elektrische Bewegungen. Wohl hat noch kein Leben*
diger einen Beweis gefunden für das Dasein der Aussen-
welt, aber physisch gehdren wir selbst su ihr, die Fluten
des Alls durchströmen uns, wir sie, und der Kern unseres
Wesens, das ist unser Leben, ist ein Teil dieser unbe-
wiesenen Natur.
Die Psychologie aber, die uns so unmittelbar bekannt
scheint, haftet an unseren Worten, ist ein Denken in Worten,
ist also nur das Erbteil des Menschengeschlecihis, ist viel-
leicht nichts weiter als die Uebung der Hebungen, die
Gewohnheit der C^wohnheiten, ein Wortgebäude, aus Laut-
seichen entstanden, mit denen die Nervenbahnen sidi's be-
quem machen wollten. Unser ganzes Denken ist vieUeicht
nur mit dem elenden Tropfen Oel zu vergleiclien, mit dem
die Maschine sich automatisch schmiert, daniit alles glatter
geht. Und wie uns in schweren Stunden aufreibender Ge-
dankenarbeit der ganze Materialismus als ein gemein« r Traum
erscheint, so kann auch das Wortgeb'aude unseres Denkens
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Stoff.
559
am Ende doch im Sinne anderer MoDSchen der unrukige
Traum der Miiterie sein.
Der liest ist Zweifel. Nur wer an etw;is glaubt, z. B.
au den Wert, der VVoite, könute Verzweif lung sagen.
Die Be^riffsgeschichte des Wortes ,St<)fi" in Verbindung
mit einer detaillierten Darstellung des Laut- und des Be-
deutungswandels von „Stüä", , Materie", „Subsiaiiz „Sub-
jekt", »Substraf u. s. w. müsste eine ganze Geschichte des
Materialismus, und da diese Weltanschauung nicht ohne
ihre Gegensätze zu verstehen ist, eine Geschichte der
Philosophie werden. Doch schon wenige Notizen werden
uns helfen, den Grundbe^iff der materialistischen Hypothese
kritisch zu betrachten.
Das Wort „Stoff" kommt erst im Neuhochdeutschen Stoff,
vor. Wahrscheinlich stammt es von dem lateinischen stuppa
(Werg); damit mag das deutsche «stopfen* zusammen-
hängen, aus diesem wieder wurde m den romaaisdien
Sprachen «stoffo*, „6U>ße*, und dieses Wort kehrte ins
Beutsche ab Stoff surllck. bt diese Wortgewhichte richtig,
so der Sioffbegriff etjmologisdi und sachlich vieUeicht
auch schon in »steppen* vor. Der Steppstich ist die Arbeiti
welche dem FttUsel, dem Futter die Form gibt und wir
hätten da schon den metaphysbchen Gegensatz, der von
Aristoteles bis heute unaufhörlich bearbeitet worden ist:
den Gegensatz zwischen Stoff und Form einerseits, zwischen
Stoff und Kraft anderseits.
Im Franzastschen bezeichnet Stoffe nicht den meta-
pihysischen Begriff der Materie, weil die Franzosen daftbr
in ihrer Gemeinsprache das Wort matidre haben. Stoffe
bedeutet, was wir im Deutschen Zeug nennen; nur etwa
der Hutmacfaer Tersti^t unter ^ffe auch die Rohmaterialien
(hinter dem metaphysischen Begriff steckt aber immer die
Vorstellung Ton einem Rohmaterial) und bildlich sagt man
auch wohl il y a en lui T^ffe, er hat das Zeug dazu. Im
Deutschen ist neuerdings erst an Stelle des technischen
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560
VIII. Wkscm und Worte.
Ausdrucks .Matorie* das sdiebb«: Tenlindliefaere Wort
«Stoff* getreten. Das aber natllrliefa in dem Augenblicke
tedmiseh wurde, ab man Materie damit ttbersetate.
Es ist mir nicht gegenwSrtig, wekber Ton den Scho-
lastikern das Wort materies fllr das Sltere Wort Suhstans
einführte* Subetans wied^, noch besser Substrat oder Sub-
jekt in der alten Bedeutung, war eine mechanische lateini-
sche Üebersetsung von &iBOXti|uvov, womit Aiistoteles vor-
sichtig und nichtssagend ein primitiTes Ding-an-sidi be-
seichnete, das was den Dingen, wie wir sie durch unsere
Sinne wahrnehmen, su Grunde liegt, das Unwahmehmbare,
das ObjektiTe an den Dingen. Die ganse swsitausen^jabrige
Entwickelnng steckt darin Terborgen, wenn wir s. B. in
dem Satse «der Schnee ist weiss* die suhjdttiT wahrge-
nommene Erscheinung, auf die wir eben unsere Auimerk-
samkeit richten, das Prädikat nennen, das objektive Ding
jedoch das Subjekt Eine andere Bichtung der Anfinerk-
samkeit erkennt den Sdmee als einen besonderen Zustand
des Wassers. Wieder eine strenge Aufmerksamkeit hat das
Wasser in .Wasserstoff und Sauerstoff zerlegt Immer aber
bleiben für uns die letzten Elem^ite, die wir beobachten
kSnnen, der objektive Stoff, den wir darum zum Subjekt
unserer ^Uze machen. Wer diese psjchologiscke Thatsache
richtig versteht, der hat den tiefsten Widerspruch in allen
materialistischen Weltanschainingen erkannt. Ich möchte
sagen, dass der Materialismus eine vorpsychologisch o Welt-
anschauung ist. Und wenn — wie ich glaube — Kants
Kritik der r«men Vernunft nicht mehr und nicht weniger
ist als die grosse That, welche alle Metaphysik und Be-
griffsphilosophie vom Throne stürzte, um Erkenntnistheorie,
das heisst Psychologie an ihre Stelle zu setzen, so sollte
der Materialismus nach Kant nicht mehr ernst zu nehmen
sein. Wie man den Antisemitismus einen Sozialismus des
dummen Kurls genannt hat, so wäre der Mateiialismus die
Philosophie des dummen Kerls zu nennen. Wie man aber
vielleicht eine Nebenerscheinung des Antisemitismus dereinst
schfttsen lernen wird, dass er nämlich durch seine Angriffe
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Atombflgiiff.
561
auf die jüdisclun lieliL^ionsl iK hör auch an den PimdameTiten
d* v Dojimatik liittelte, so sdll « s dem Materialismus un-
vergessen bleiben, dass er von Epiknros bis auf die Ge^^en-
wart immer die roheste Form des Aberglaubens bekämpft
hat. Für die Aufklärung der ITalbtrehildeten hat der Mate-
rialismus sehr Tiel ^ethan ; wir können aber tr(3tzdem nicht
darüber hinwegkommen, dass der Materialismus, wenn er
sich für Welterkenntnis ausgibt, ebenso tief wie irgend ein
idealistisches System in Wortaberglauben verrannt ist.
Aus der Geschichte des Materialismus ist nichts so be-
lehrend wie die Geschichte des Atorabegriffs. Es liegt im
Wesen des menschlichen Verstandes, zu diesem Scheinbegriff
zu gelangen. Das Kind zerlegt s(>in Spielzeug und fängt
nachher zu weinen an. Der philosophische Mensch zerlegt
die Dinge so lange, bis nur Stoff übrig bleibt, dann zerlegt
er den Stoff, solange er kann; ist er fertig geworden, so
schreit er „Atom"'. Sicherlich besteht ein praktischer Unter-
schied zwischen den Atomen des Demokritos, die dann
wieder von Gassendi aufgenommen wurden, und die man
sich kindlich in seltsamen Formen ausmalte, und den Atomen
unserer Naturforscher, die man sich swar eboifalls in geo-
metrischen Figuren ausmalt^ die aber doch der mathemati-
schen Berechnung zugänglich gemadit worden sind. Ifil
den alten Atomen konnte man keinen Hund hinter dem
Ofen herrorlockm; mit ffilfe der neuen Atomistik Terdienen
die chemischen Fabriken MiUionen. Das ist ein sehr er*
frenlicher ünterschiedi aber ein philosophischer ist er nicht.
Nach wie TOr Tersteht der ungebildete wie der fonchende
Materialist unter Atom die letzten und kldnsten Bestand-
teOe der Welt, der physischen wie der geistigen Brschei-
nungen. Nach wie vor stellen sich Laien wie Oekhrte
unter Atomen etwas Tor, was den unsichtbaren und sauber-
hallen Zwergen des mittelalterlichen Ab«r^aub«)s ent^richt.
Nach wie vor sind die Atome ein sprachlicher Ausdruck
IQr die Grense unserer Sinneswahmehmungen. Die Grenze
Ist durch die Erfindung und Ausbildung des Mikroskops
weiter hinausgeschoben worden, das heisst das Beich der
XftiitIiii«T, Mtrig« n «law Britik dar SptMb«. IIL 86
562
Vm. WiMen und Worte.
unbekannten Atome beginnt etwas ferner als es froher be-
gonnen bat. Geblieben ist der tbdriebte Selbstbetrug, die
Welt durch die Atome erUftron sn wollen, das beisst die
Erscheinungen unserer Sinnesorgane durch einen abstrakten
Begriff, Ton welchem wir durchaus nichts Anderes wissen,
als dass er etwas NegatiTes bezeichnet und swar, dass wir,
was er bez^hnet, mit unseren Sinnesorganen sieht fassen
kdnnen. Man sage sich das einmal ganz ehrlich. Ebenso
gut kannte ein Monarch fttr sein e^nÜiches Reich die
Lander erklären, die jenseits seines Reiches liegen. FOr
uns, die wir wissen, dass alle Welterklftmng nur Welt-
beadireibung ist, werden die philosophischen Ansprüche des
atomistischen Materialismus noch armseliger* Denn diese
Lehre beschreibt die NaturerscheinungNi wohl oder Abel so
lange als die Sinnesorgane uod deren Yerstlrkungen hin-
reichen; wo die Wissenschaft dann nichts mehr sehen und
fohlen kann, wo also jede Besehreibung aufhl^rt, da greift
sie zum negatiTen Begriff des Atoms und nennt das die
ErUirung. Eine Hypothese ist wieder einmal zum techni-
schen Wort geworden.
Materia- Vom Standpunkte der Spi achkritik ist also der Unter-
schied gar nicht so gross zwischen dem Wortaberglaoben
Philo- des modernen naturwissenschaftlich on Materialismus und
'^^^^'^ dem Wortaberglauben derjenigen Nachzügler, welche aus
der Geschichte der Philosophie und der logischen Begriffs-
bearbeitung irgend eine neuscholastische Naturphilosophie
sich und ihren jQngern zurechtgebaut haben. Waren
doch alle grossen Philosophen von Piaton bis auf Kant
Männer, welche die Naturwissenschaften ihrer Zeit be-
herrschten und, einer architektonischen Neigung ihres Geistes
folgend, sich bei einigen letzten Abstraktionen beruhigten,
die sie dem Wortschatze ihrer Zeit entnahmen und mit
künstlerischer Harmonie wie zu einem Stickmuster ordneten.
Ihre Grösse bestaml in ihrem architektonischen Drang. Die
Neuscholsstiker, die sich nach ihnen heute noch Philosophen
zu nennen lieben, stehen darum so abgrnndtief unter diesen
hervorragenden Geistern, weil sie yon der Naturkenntnis
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Haterialiamus and PhüoMphie.
563
dttr Gegenwart absehen oder nichts wiBsen und ihre Ge-
bäude aus toten Symbolen und toten Abstraktionen ver-
gangener Zeiten erriehten, wie Immemuains Münchhausen
Häuser errichten wollte, au denen er aus Luft gepresste
ZiegA nahm. Die Streitigkeiten dieser Philosophen um die
toten Begriffe des Aristoteles und um die sehlechtesten Be-
gziffe Ton Kant erinnern mich immer an die Schmersen,
welche Leute, denen man ein Bein abgeschnitten hat, in
den Nerrenenden des abgeschnittenen Gliedes empfinden
sollen. So quüt sich die Menschheit mit den Schmeraen
ihrer amputierten Vergangenheit. Viel wertvoller sind uns
natürlich die Gedanken der Naturforscher, die am Ende
einer gewissen Naturbeschreibung sum Yersuche einer Natur-
erklilrung kommen. Nicht Schelling und H«gel, nicht Tren-
delenburg und Schopenhauer oder gar der denkende Dieter
Nietasche sollten darum die Philosophen des 19. Jahrhunderts
genannt und mit Piaton und Kant verglichen werden, son-
dern Männer wie Darwin, der die letxte Abstraktion wenig-
stens aus dem Sprachschätze seiner Gegenwart schöpfte.
Wenn aber kleine Gesellen wie Moleseliott oder gar Büchner
mit den toten Begriffen Atom und Stoff einen neuen Handel
beginnen woUten, so war ihr Treben für die kritische Be-
trachtung widerwärtig. Nur als Kanonenfutter im Kampfe
gegen das Dogma sind solche Rekruten zu braueben.
Unsere Materialisten berufen sich mit den Begriffen
Stoff, Atom und allem ihren übrigen Wortaberglauben gern
auf die grossen Denker, auf den abseits stehenden Spino/a,
der als der erste und beinahe als der letzte die absolute
Kausalität im Weltgetriebe lehrte, auf die drei gewaltigen
Kritiker Locke, Hume imd Kant. Sie scheinen nicht zu
wissen, dass Spinoza die Welt der Notwendigkeiten deut-
lich ab die eine Seite der Welt erkannte und dass die drei
Kritiker nacheinander immer deutlicher die Unfähigkeit de«
Verstandes und seiner Sinnesorgane für die Welterkliirung
erkannten. Was sie uns hinterlassen haben, das ist die
Aufgabe, die einstigen Fragen der Metaphysik zu Fragen
der P^chologie umzugestalten, wie ich glaube und lehre,
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564
YUL Wissen und Worte.
SU Fragen der Sprache. Wie wir in der Ethik dahin ge-
langen inüF;5;on . da» Gewissen, anstatt uns darauf zu be-
rufen, auf «eine Entstehung und auf seine Bedeutung in der
8]>mcbe zu prüfen, so mOssen wir die letzten Abstraktionen
der modernen Naturphilosophie auf ihre Entstehung und
ihre Bedeutung hin erst prüfen, bevor wir sie Oberhaupt
anzuwenden wagen. Was uns am Materialismus allein sym-
pathisch ist, seine Abkehr von Wundererklämng und seine
Gegenständlichkeit, seine Freiheit von Kirchenknechtechafk,
rlns ist in der Weltanschauung des Idealisten Kant als etwas
Selbstverständliches mitenthalten* Nur darf man diese be-
rechtigte Einseitigkeit aus Hass gegen die Kirche nicht
Überschätzen, und das ist vielleicht der schlimmste Fluch
dieses jahrhundertelangen Kampfes gegen Voltaires Infäme,
dass der Kampf gegen Dummheit und Heuchelei auch die
besten Kämpfer schliesslich dumm und verlogen macht.
Als ob die Gleichheit des Bodens dies zur Folge haben
mOsste. Es wäre Zeit, die Infftme von oben herunter zu
bekämpfen.
Kraft Der Streit um den Materialismus wird am hefbigsten
StOfff Gebiete f^eführt, wo man hüben und drüben die
Märchen über (jehirn und Seele /.um besten gibt. Unsere
Materialisten mu.ssten freilich au ihre Unfehlbarkeit glauben
lernen, wenn sie sahen wie man ihnen ein Gebiet der Natur
nach dem andern überliess und ihnen schliesslich nur noch
den menschlichen Geist streitig machte. Wenn es aber
richtig war, dass der Materialismus den menschlichen Leib
mit seinen mecbanisüheu , chemischen und physiologisehen
Erscheinungen befriedigend orklartp, dann war \Mrklich die
Herleitung des Denkens aus dem berühmten StofV nur eine
Frage der Zeit. In Wahrheit aber ist der Materialismus
auch den mechanischen, chemischen und physiologrisrhen
Erscheinungen gegentJber die letzte Erklärung heut-»? noch
ebenso schukiig wie er es vor zweitausend Jahren war.
Newtons Gravitationslehre hat in genialer Weise die
Formel vereinfacht, unier welcher wir uns die Anziehung
der Körper und ihrer gedachten kleinsten Teile vorstellen
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Kiaft und Stott'.
565
kdimm; an Slelle der abentouerlich gefonnten Atome, wie
nuui ne sich toh DemokritoB an bomiroiert hatte, koonten
jetst fonnloee matfaematMche Fmikte treten tmd die ZÜfer
aJlein kam stu ihrem HeGht Gerade aber in diesen mathe-
matischen Punkten der mo^rnen Atomenlehre TeiflDchtigte
sich der Sfoffb^griff T^Uig nnd das Atom wurde aar un-
endlich Ideinen Krafteinheit, die durchaus an keine noch so
minimale Stoffeinheit mehr gebunden gedacht werden musste.
Die Trennung aller Ursachen in Kraft und Stoff ist eine
sinnlose Bentttsung alter Worte; denn wenn man alle Iirsdiei-
nungen oder Wirkungen auf die bekannten KrSfte surUck-
geftthrt hat, bleibt Ar den Stoff nicht das kleinsto Feld der
Wirksamkeit mehr flbrig. Die Trennung der Begriffe Kraft
und Stoff ist dem naiven Empfinden gani geläufig; wenn
mir ein Ziegelstdn auf den Kopf fUlt, so unterscheide ich
seinen Stoff und seine Kraft Ton dem Stoffe und der Kraft
eines fallenden Regentropfens. Aber nur das brutale Em-
pfinden macht einen solchen Unterschied awischen dem
mechanischen Stoss, dessen Kraft nach den Fallgesetaen be-
rechnet wird, und den sogenannten stofflichen Eigenschaften
des Ziegelsteins, welche doch wieder nur Aeusserungen
chemischer Kiftfte sind. Die Atome des Ziegelsteines hätten
mir kein Loch in den Kopf sehlagen kdnnen, wenn nicht
chemische Kräfte ihnen gerade diese Erscheinung gegeben
hätten. Die Gravitation Newtons bni^ nur die am allge-
meinsten Terbreiteto Anxiehung der Kdrper auf die ein-
fachste Formel und scUiesst die besondem Fälle der ehemi-
schen Anziehung Torläufig aus, weil die Formel nicht passt
Das ganie 18. Jahrhundert quält sich darum, für die chemi-
schen Euräfte ein ebenso httbeches Wort zu finden, wie es
in der Gravitation fbr die allgemeinsto mechanische Kraft
sich dargeboten hat, und wir sind heute noch Über den
bildlichen Ausdruck der Verwandtschaft (frflher Affinitili,
fiXtoi, rapport) nicht hinausgekommen. Und wenn es dem-
nächst gelingen sollte, in der Elektricität die Kraft zu ent-
decken und dem Kalkül zu unterwerfen, welche sowohl die
Gravitetion zwischen Fiistemen ab die chemischen Ver-
566
VUI. WiMen und Worte.
ftndenmgen emander berOhreiider EUmenie bewirkt, so wire
doch wieder nur das Spiel der Kr&fte auf einen einfacheren
Ausdruck geVracht, der Stoff wftre neben der Eraft nur
nocb aberflOflsiger geworden. Der Begriff «Stoff* bliebe
nach wie yor der brutale Ausdruck f&r die Thatsache, dass
wir uns an den Körpern Stessen, dass uns ein Ziegelstein
ein Loch in den Kopf schlagen kann. Die Wissenschaft
konnte es immer nur mit Kriiften zu thun haben und es
ist spasshaft xu lesen, wie im Anfange des 19. Jahrhunderts
schliesslich die Wissenschaft selbst auf diese brutale That-
sache gestossen wurde und neben den Atomen, die mathe-
matische Punkte blieben, MolekQle annahm, als die kleinsten
Stoffteilchen, ohne welche man sich die greifbaren Stoffe
nicht erklären konnte. Man kann wohl sagen, dass die
Atome der vornewtonischen Zeit weit eher unsem Mole-
külen entsprach«! als unsere mathematischen Atomen; auch
nehmen unsere MolekQle, gleich den alten Atomen, in der
Vorstellung der Forscher schon wieder die niedlichsten
Formen an, man gruppiert die ausdehnungslosen Atome
ganz anmutig zu geformten MolekQlt n. glaubt sie sich da-
durch geometrisch TorzusteUen , während man ausdrücklidi
zugibt, dass diese geometrische Vorstellung der Wirklich-
keit unmöglich entsprechen könne. Die Bewunderer des
modern on Materialismus berufen sich darauf, dass mit Hilfe
dieser Molekulartheorie und dieser Atomistik eine ausser-
ordentlich grosse Anzahl neuer Stoffe hergestellt worden ist.
Aber alle die neuen Stoffe beweisen nicht, dass es auf der
Welt neben den angenommenen Ursachen, die wir Kräfte
nennen, noch einen besonderen Stoff gebe. Wir haben sehr
viele Beobachtungen gesammelt und nüf/en sie aus. Die
obersten Sammler, welche scheinbar unabhängig und auf
der üühe der Wissenschaft für die chemischen Fabriken
thdtipr sind, nennen sich Forscher und Gelehrte. Von einer
Erklärung ihrer Beobachtungen sind sie aber so weit ent-
fernt, dass es fraglich ist, ob sie die Gesamtheit ihres techni-
schen Wissens eine Wissenschaft nennen dürfen. Der Er-
finder des Telephons war ein weit scharfsinnigerer Mann
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Kraft und Stoff.
567
als es die Tfttuende sind, welche Beine Erfindung gebrauchen;
doch weder der Erfinder noch der telephonierende Laden«
jfini^ing weiss, was Elehtridtftt sei. Wir leben ja auch
ohne sa wissen, was das Leben sei
Einer der erfolgpreichsten Chemiker unserer Zeit« Eekiüd,
den die Grossikaiifleute der chemischen Industrie mit Recht
ab ihren Heroe gefeiert haben, weil seine neue Benzoltheorie
Qeld ins Land brachte, hat in semem Lehrbuch mit der yoII-
endeten Klarheit des ersten Beobachters zwischen Thatsache
und Hypothese unterschieden. Er weiss, dass nur die Pro-
portionsiahlen den Wert von Thatsachen haben, dass alle
Angaben Uber stoffliche Atomgewichte auf Hypothesen be-
ruhen. Und doch hat gerade sein Bild von der geometri-
schen Anordnung der Atome sich in den Köpfen festgesetzt,
und weil das Geschäft dabei blüht, so preisen es die Schüler
allerorten. Wie in diesem Falle, so ist es bei ehrlichen Ver-
suchen der Welterklärung immer geschehen. Der naive
Mensch steht vor dem Stoff wie der Ochse vor dem Berg;
der Stoff ist ihm die brutide Thatsache und die geheimen
Kräfte dos Stoffs sind unsichtbare Götter, die ihm so lange
hypotiietisch vorkommen, bis sie ihm Vorteil bringen. Ist
die simple Thatsache des Stoffs aber erst analysiert, das
heisst in Kräfte zerlegt (denn jeder Stoff ist nur die Be-
sultierende von Kräften), so werden die Kräfte zu wissen-
schaftlichen Thatsachen und ihr Stoff wird zur Hypothese.
So ist das Atom als der Bee^riff eines unendlich kleinen
StofFteilchens, gerade durch und für den Materialismus über-
flüssig geworden. Was für den Chemiker und überhaupt
für den Is'aturforscher an den Dingen der Stoff ist, das ist
ihre Masse; das Atom ist eigentlich nur das minimale Ein-
heitsmass der Masse. Ks ist ebenso unwirklich wie es das
ünendlichklcinp ist, wodurch man einen Millimf^ter messen
wollte. Auch bei den Massen i^t nur ilir \ > ihaltnis eine
Thatstjclre. ünd da — ■ wie Frieilru h l^anL^e >ehr fein
hervorgehoben hat — selbst das (nrileii und Fassen, ge-
schweige denn än-- Sehen und Hören nur diM rii iif iingreif-
baren und unfassbareu Kräfte im Menscheugehim bewirkt
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568 ^< WiaMn und Woite.
wird, ilii also der Stoff sich nicht nur für die Wisse u. sc ii alt
lu Kräfte auflöst, sondern auch im naivsten Menschen die
Vorstellung jedes Stoffs nur durch Kräfte erzeugt wird,
da endlich seihst der brutale Begriff dei Masse ein mathe-
matischer Begriff geworden ist, geht es für die unbefangene
Erkenntnis nicht länger an, als Ursache der uns geläufigen
Erscheinungen den Gegensatz von Krait und Stoff anzu-
nehmen. Die Ursache kann — da wir doch Ober unsem
Sprachgebrauch nicht hinauskommen — nur entweder ein
unbekannter Stoff mit verschiedeneu unerklärt<*ii Eigen-
schaften sein oder ein unbekannter Zusammenhang ver-
schiedener unerkUutci Kiuiit'. Wenn wir iiuu alle Eigen-
schaften der Kör]»er, und das thut doch die Naturwisseu-
schiitt , auf Naturkräfte zurückgeführt haben, so bleibt in
der weiten Welt unserer Vorstellungeu für den Stoff kein
Schlupfwinkel übrig. Denn was man sich unter Stoff
denkt, ist ja doch nur der körperliche Rest, nachdem von
einem Körper alle Eigenschaften hinweggedacht worden
sind ; dieser körperliche Best existiert aber gar nicht, denn
der Körper ist nur der Inbegriff seiner AmtUdien Eigen-
schaften (vergl. m. 7). Wenn man ans einer SiunmA dbnfc-
Cche Addenden herausstreicht, so mag man die Null, die
sieh dann ergibt, meinetwegen eine Summe nennen; in
der Wirklichkeitswelt gibt es keine Null, gibt es keinen
Stoff. In der Ualheinaiik kann man aber wenigsten»
deutlich zwischen der Kuli und dem Unendlichen unter-
scheiden« Die Null an den Körpern, der Best, welchen wir
den Stoff nennen, erhSlt in der Wortmacberei des Mate-
rialismus gans Ton selbst das Flrftdikat unendlich. Der
0nmd ist in der psychologischen Entstehung des Begrifb za
suchen. Das wäre ganz deutlich, wenn die ^rache nicht
in ihrem schlechten Gewissen immer neue Abstraktionen
für die Abstraktion Körper gebildet hatte. Was dem Begriff
.Stoff" 2a Gründe liegt, ist immer die naive YorsteUnng
Ton einem Körper, an dem man sich stossen kann. In
froherer Zeit wurde die Luft nicht an den Körpern ge-
rechnet. Heute weiss man, dass die brutale Körperlichkeit
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Knft oad Stoff.
569
eiiieB Dings eine andere w&re auf der OborflSdie dee MondeB
und auf der der Erde, auf Erden eine andere je nach der
Entfemimg vom Mittelpniikte der Erde, eine andere je nach
der Temperatur u. s. w. Unsere VorBteUung Tom Kllrper-
lichen ist uns aber seit Jahrtausenden so geläufig geworden,
dass wir uns immer noch, trofadem die Ettrperwdft in ein
Spiel Ton Ei^Aen aufgelflst worden ist, die Krftfte als an
etwas extra Körperliches angebunden YOrstellen. Und es
ist eigentlich vdUig gleich, ob wir das: »Etwas* oder »ein
Körperliches" nennen. Das Wort, an welchem wir uns ein
Abstraktum yon allen Körpern vorstellen oder vielmebr ein
Bild, ist Materie oder Sto£f oder Etwas, und dieses Etwas
ist für den Materialismus das Ding-an-sicb, der unendliche
Stoff, das Körperliche, das verborgene Pferd, welches der
Bauer in der Dampfmaschine vermutet, wie Friedrich Lenge
einmal gesagt hat.
Der Wortaberglaube in den Begriffen Kraft und Stoff
driuigt sich bei unmittelbarer Beobachtung der Naturvor-
gänge so sehr auf, dass sogar Du Bois-Reymond in bessern
jüngern Jahren (Untersuchungen über tierische Elefctricität
1848, Vorrede) das Trüj^erische in diesem Gegensatze er-
kannt hat. „In den Begriffen von Kraft und Materie sehen
wir wiederkehren denselben Dualismus, der sich in den
Vorstellungen von Gott und der Welt, von Seele und Leib
hervordrängt. Es ist, nur verfeinert, dasselbe Bedürfnis,
welches einst die Menschen trieb, Busch und Quell, Fels, Luft
und Meer mit Geschöpfen ihrer Einbildungskraft zu be-
völkere. Wa^ i^t cfowonnen, wenn man s-u^f . es sei die
gegenseitige Anziehungskraft, wodurch zwei Srotfteilcben
sich einander nähern?" Der Geschichtsschreiber des Ma-
terialismus bemerkt zu dieser Stelle sehr geistreich: „Unser
Hang zur Persomlikation oder , wenn man mit Kant reden
will, was auf dasselbe hinauskommt, die Kat< f^orie der Sub-
stanz nötigt uns stets den einen dieser Begritie als Subjekt,
den andern als Prädikat aufzufassen. Indem wir das Ding
Schritt für Schritt auflösen, bleibt uns immer der noch
nicht aufgelöste Kest, der Stoff, der wahre iieprääentant
570
TIU. Wiaan und Worte.
des Dinges. Ihm schreiben wir daher die entdeckten
EigenschafiMi su. So enthttUt noh die grosse Wahrheil
,kein Stoff ohne Kraft, keine Kraft <^e Stoff' als eine
bkime Folge des Satses ,kein Subjekt ohne PtSdikat, kein
Prädikat ohne Subjekt*; mit andern Worten: wir können
nicht anders sehen, als unser Auge suttsst; nicht anders
reden, als uns der Schnabel gewachsen ist: nicht anders
aujffassen, als die Stammbegriffe unseres Yeistandes be-
dingen.*
Aber diese Darlegung beweist nur, dass sowohl Lange
als Du Bois Reymond nicht ganz die Sprache ihrer Zeit
red^, nicht wie ihnen der Schnabel gewachsen ist, sondern
wie den Leuten Torschiedener Zeiten Tttschiedene Schnabel
gewachsen sind. Das TerhSltnis von Subjekt und Prädikat
kann irgendwie umgekehrt werden, nicht das von Ciraft
und Stoff. Die gegenwärtige Naturwiss^chafti das heisst
die Sprache unserer Zeit, rersucht sämtliche Eigenschaften
der Dinge, wo doch kein stofflicher Best zurttokbleibt, in
Kräfte aufzulösen, das heisst mathematisch auszudrücken.
Wer konsequent die Sprache unserer Zeit reden will, der
darf darum gar nicht mehr Tom Stoff reden, sondern nur
noch Ton Kräften. Wer Kraft und Stoff wie Prädikat und
Subjekt behandelt, der vermischt unwissentlich die Sprachen
verschiedener Zeiten; er könnto ebenso gut sagen: die Sonne
dreht sich nach den Gesetzen der Gravitation in einer ellipti-
schen Bahn um die Erde. Ich aber möchte hinsufllgen,
dass, nachdem der Kraftbegriff allein vom Stoffbegriff noch
flbrig geblieben ist, die Kritik des Kraftbegriffe einzusetzen
hat bei dem allgemeinem Begriffe der Kausalität; das ist
die letzte der alten Kategorien, welche vrir, auch wenn wir
noch so radikal denken, aus unserm Verstände nicht heraus-
zubringen vermögen. Der Stoff begriff jedoch ist unter aller
Kritik.
Der Materialismus lehrt seit alter Zeit die ünzeisiörbar-
keit des Stoffs oder der Materie; die vorurteilslosere Natur-
wissenschaft unserer Tage hat die ttbwkommene Vorstellung
nur in unserer Sprache ausgedruckt« als sie neuerdings das
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Kraft und Stoff.
571
Wort ▼on der Erhaltung der Energie, das heiast der Eräfte
snfbrndiie. Denn nachdem alle Erscheinungen am Körper»
liehen in Erftfte aufgelöst waren, konnte diks Unzerstörbare
nur noch in den Kräften gesucht werden. Qana von selbst
schlich sich dann für den körperlicheren Ausdruck Vn-
serstOrbarkeit das abstraktere Wort Erludiung ein; und
in dem Worte Eneigie verrltt sich die Ahnung , dass man
die Mehnahl der KMe noch einmal auf verschiedene
Formen einer einzigen Kraft surfickführen werde, wie
denn auch die Zahl da* waltmden Katurkiftfte schon jetzt
bedeutend geringer ist als die Zahl der mehr als siebzig
Elemente, in welche man nach Erkenntniszwecken den Stoff
einteilen musste. Hier sehen wir aber auch sofort den
Orund, warum auch die freiesten Köpfe bei Behandlung
solcher Fragen die Sprachen verschiedener Zeiten durch-
einander mischen müssen. Es sind nämlich die verschie-
denen Disziplinen gewissermassen nicht gleichzeitig fort-
geschritten und so nicht gleichzeitig auf der Höhe des
kritischen Denkens angekommen. Die allgemeinste mathe-
matische Naturbetrachtung hält bei der Erhaltung der
Energie und blickt auf die siebzig und mehr Elemente als
auf ein vorläufiges Stadium zurück; der Forscher, welcher
für chemische Fabriken arbeitet, kann wiederum mit den
letzten Prinzipitn nicht viel anfangen und muss sich noch
an die Elemente halten. Wir können noch weiter gehen
und sagen , flass der praktische Arzt noch vielfach an die
Beobachtungen und damit an die Sprai he der Alchimisten-
zeit, der praktische Jurii^t an die Thatsacben und damit an
die Sprache noch älterer Epochen gebunden ist. Alle diese
Leute glauben dabei , die Bildung der Gegenwart in sich
aufgeuommen zu haben und die Sprache der Gegenwart
zu reden. Sie reden hucL nnt dem ordinären Büchner von
Kraft und Stoff. Beide Worte siüd aber Gespenster; die
Braven, die mit ihueu kämpfen, wissen es nur noch nicht.
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572
YIIL Wimh u&d Worte.
Natur- Der blosse Hinweis genügt, um das Zugeständnis zu
JoJJidL Begriff , Naturgesetz* eine Metapher
sei, ein hübsches Bild, das ganz vortrefflich in die mytho-
logische Welterkl'arung des Altertums hineinpasste. Wurde
doch die Natur selbst personifiziert, entweder in einer ein-
zigen Qestalt oder in mehreren Gottheiten ; und diese Ksiur
gehorchte den Vorschriften eines noch mächtigeren Gottes,
woraus sich dann die auffallenden Regelmfewigkeiten dar
Natur ergaben. So würde ein Reisender, wenn er in einttu
fremden Staate in Handel und Verkehr auffallende Orduimg
wahrnähme, auf das Vorhandensein von Gesetzen schliessen.
Dasu kommt, dass man bis zur Stunde nicht aufgehört hat,
unsere Stnatsr^eseiae in letzter Instanz auf göttliche Ge-
bote un l V( rbote zurOckzufUhren und dass diese Gdttlich-
keit der Menschensatzungen im Altertum sogar noch all-
gemein gegflauht wurde.
Da ist es nun beachtenswert, dass der Begriff Natur-
gesetz sich bei Piaton und Aristoteles eigentlich noch nicht
▼(«findet. Ein einziges Mal findet sich bei Platon und em
einsiges Mal bei Aristoteles (Eucken : Grondbegriffe, 2. Auf-
lage, S. 174) das Wort »Gesetz*. Aber beide Stellen machen
auf mich den Eindruck, s]s ob die Anwendung des Gesets-
begriffs auf die RegelmSssigkeiteii der Natur eben als ein
neues und treffendes Bild Tom Verfasser selbst gefllhlt
wurde. Aristoteles macht das ganz deutlich, denn er sagt:
«wie ein Geseia*. Nach dem Sprachgebrauch der Alten
würden wir also z. B. sagen müssen: die «Gemischen Ele^
mente Terbinden sich untereinander in so ordnungsmassigen
Reihen, als ob sie äussern Gesetzen gehorchten. Die Bild-
lichkeit des Ausdrucks wurde also sehr stark empfunden,
auch da noch, wo das Wort Natuigesetse oder viebnehr
«Vertrüge der Natur* schon als technischer Ausdruck vor-
kommt wie bei Lueretius.
Dieses Bewusstsein der Bildlichkeit ist der eine Grund,
weshalb die Natmrgesetze in der Wissenschaft des Alter-
tums noch eine bescheidene Bolle spielten; dazu kommt
aber der weit wichtigere Grund, dass Naturgesetze als Bild
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NfttnigMekie bildliclL
573
oder Begriff immer nur die wahrgenommenen Regelmässig-
keiten der Natur erklaren wollen und sollen und dass dem
Altertum yerhältnismässig sehr wenige solcher Regelmässig-
keiten bekannt oder geläufig waren. Von den Regelmässig-
keiten des sozialen Lebens hatten die Alten noch keine
Ahnung; darum musste ihnen auch der Begriff sozialer Ge-
setze völlig fremd bleiben. Aber auch die bei uns land-
läufigen Regelmässigkeiten der Physiologie waren von ihnen
noch nicht beobachtet worden ; sie konnten darum das Bild
YOm Oesetz auch nicht auf das Leben der Tiere und Pflanzen
anwenden. Als regelmässig erkannten sie deutlich bloss
die Vorgänge der Mechanik z. B. die Bewegung der Steine;
da allein schien die Natur Verträge abgeschlossen zu
haben, einem fremden GesetE, einem fremden Willen zu
gehorchen.
Ich bemerke dasn, dass der Streit der Analogisten und
Anomalisten, der die ganze Sprachphilosophie der Alten
durchzieht f bei ihnen auf die Frage zurttckgebt, ob die
Worte natOrlich oder durch einen Oeset^eber geschaffen
worden seien. Man sieht sofort, dass diese ganze An-
schauung unserem Denken, also unserem Sprachgebrauche
widerstrebt Wir suchen die Gesetze in der Nntur, erblicken
also in Kator und Oesetz keinen Gegensatz. Die Alten
stellten — immer bfldlich — der Natur einen äusseren Ge-
setzgeber gegenüber.
Der FoH^ang des Denkens ftihrte im Mittelalter dazu,
dass das Bildliche aus dem Begriff Gesetz so oder so Yer-
schwmden musste. Die blühenden Personifikationen des
Altertums hOrten auf. Ans der Natur wnrde der nüchterne
Inbegriff aller wirklichen Dinge und aus dem Gesetzgeber
aber ihr wurde der allmächtige €k»tt der christlichen Dog-
mattk. Da Terflog das poetische Bild und ganz prosaisch
wurde Gott der wirkliche Gesetzgeber der Natur. Diese
Vorstellung ist schon im ersten Kapitel der alten Bibel
▼orgebüdet. Gott schuf Sonne, Hond und die Sterne, den
Tag und die Nacht zu regieren. Wie ein absoluter Mo-
narch, der sich um alles selbst bekümmert, erscheint da
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674
VIII, Witwen und Worte.
Gott. Und es wird auch sofort Idar, warum das ganze
Hittelalter sich bei solchen Anschauungen Aber kein Wunder
wunderte. Die wenigen RegelmSssigkeiten der Natur waren
eben niclit innere Naturgesetze, sondern äussere Gesetze
Gottes, die der allmächtige Gesetsgeher mit ToUem Recht
in jedem Augenblick aufheben konnte, wie ein absoluter
Monarch sich auch um seue eigenen Gesetzbücher nicht zu
bekOmmem braucht. Gott hatte der Sonne befohlen, in
regelmässigem Laufe zu leuchten. Es stand eher gar nickte
im Wege, dass er einmal der Sonne befahl, stQl zu stehen.
Dieser Fortgang der Weltanschauung also, der chnalliche,
Temichtete das Bild vom Gesetze dadurch, dass er das
Gesetz für Wirklicbkeit nahm.
In entgegeugesetzter Richtung bewegte sich derjenige
Fortgang des Denkens, der bei Spinoza schliesdich dazu
führte, Gott und Natur einander gleich zu setzen. Und es
kann gar kein Zweifel darüber besteben, dass gerade die
weiter beobachteten Regelmässigkeiten der Natur zu dieser
neuen Empfindung von der Natur ftlhrten. So war auch
Spinoza der erste, der sich in seinem tbeologiscb-politiscben
Traktat gegen den WunderbegriiF kebrte. Das ist beinahe
selbstverständlich bei dem tapferen Manne. Hatte man
tausend Jahre laii«^ immer mehr Regelmässigkeiten der
Natur beobachtet und dazu keine einzige Unregelmässigkeit,
so lag die Vermutung nahe , dass der Natur die Gesetze
gar nicht von einem fremden Willen vorgeschrieben waren,
dass die Natur sicli ihre Gesetze selber rrab, dass Staat und
Gesetzgeber ziisammenlieleu , wie in der neuen Republik,
in Spinozas Niederlanden, wie in einem idealen Rechtsstaat.
Stand aber der Natur kein äusserer Gesetzgeber t^egenüber,
fiel Gott und Natur zusammen, so gab es auch keinen
fremden Willen , der die Regelraässigkeit durchbrechen,
der ein Wuuder bewirken konnte.
Der Gebrauch des Wortes Naturgesetz wurde nun zwiu-
immer. häuti*,'er, aber sein bildlicher Sinn, seine wahre Be-
deutung ging verloren. Wieder und wieder stehen wir
vor einem Beispiel, das die \V ahrheit meiner Lehre bezeugt
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GeeeUe m den Worten enthalten.
575
Das Gedächtnis der Menschen hatte Aehnlichkeiten gemerkt,
wie z. B. den Lauf der Gestirne. Diese auffallende Kegel-
niiissigkeit wollte der Wissensdrang der Menschheit sich
erklären uiui glaubte die Erklärung in der mythologischen
Gestalt und dem bildlichen Begriff der Gesetze zu finden. War
ein äusserer Gesetzgeber da, so war die Regelnlässigkeit zu
verstehen. Nun verschwand die mythologische Gestalt, das
Bild. Der Begriff" Gesetz aber blieb und wurde — und wird
bis zu dieser Stunde — geheimnisvoll als etwas der Natur
Innerliches aufgefa&st. Die Gewohuheit der Sprache lässt
uns glauben, dass dieser neue Gesetzln gi ilF immer noch die
\\ HiirgeMommenen Regelmässigkeiten ^erkläre*. Aber er
erklärt gar nichts. Der neue Begriff Gesetz oder Natur-
gesetz ist nur ein anderes Wort für eben die unerklärten
Regelmässigkeiten, ein leeres Wort, das mit seiner Bildlich-
keit und Sinnlichkeit jeden Sinn verloren hat. Höchstens
dass in dem Begriff .Gesetz" die Nuance mit eingeschlossen
ist: die beobacliteten Regel inässigkeiten kehrten bisher so
ununterbrochen wieder, dass wir auch an ihre ktlnftige
Wiederkehr glauben. Was wir also Naturgesetz nennen,
ist nichts weiter als unsere Seelenstimmung gegenüber den
in uns entstaudeaen induktiven Beirriffen (»der W^orten.
Wenig genug, aber zugleich alles, was v. u haben.
Ich habe vorhin neben einander von liegelmässigkeiteu tieseue
der Natur und von Aehnlichkeiten unserer Sinneseindrücke ^^Qr^^n
gesprochen. Ich wollte damit andeuten , dass die neuere eat-
Weltanschauung, wie sie seit Locke und Kant auf die Er-
kenntnis der Wirklichkeit verzichtet und sich auf Kenntnis
unserer sulijektiven Sinneseindrücke zurück^itht , an dem
Begriff der Naturgesetze nichts geändert hat. Haben wir
eben ganz begriffen , dass unsere imponierenden Gesetze
nichts weiter sind als ein anderer Ausdruck für unsere in-
duktiv entstandenen Begriffe oder Worte, so ist es doch
ganz gleichgültig, ob wir uns dieser Entstehung aus Sinnes-
eindrücken bewusst sind oder ob wir an ein direktes Wahr-
nehmen ler Dmge glauben. Regelmässig war der Lauf
der Sonne auch damals, als wir von der Scheinbarkeit der
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576
VlIL Wimen und Worte.
Bewegung noch nichts wnssten. Die Bogcnmiattti Katar-
geeclse beieichncn ebenso keine andere BegelmSasii^eit,
seitdem wir wissen, dass nur ^n Wiederacheitt 6» Wirk-
lichkeiiswelt in unserem Denken ist
Der FortschriH gegen fraher, der uns auf die Natur-
wissenschaften unserer Tage so famulusra&ssig stolz sein
ISsst, besteht einzig und allein in der grösseren Genauigkeit
der Beobachtungen. Die Prtzisionsinechanik bildet den Haupt-
unterschied zwischen der Mechanik der Alten und unserer
Mechanik. Wenn einige Wissenschaften ganz neu aufgetreten
sind, wie z. B, die Chemie mit ihren mathematischen Ge-
set7,en . so ist auch das nur der Ausdruck fllr die Ke<^el-
mässin;kt'it feinen^r und schärferer Beobnchtunfren. Ohne
Zweifel hat die Anwendung der Mathematik auf die Natur-
wissenschafton ihre sogenannten Gesetze weit hübscher und
brauchbarer zugleich gemacht; das menschliche Interesse
wie die interesselose Freude werden mehr befriedigt als
früher; aber darum liort das Naturgesetz nicht auf ein über-
flüssiges Wort zu sein. Es schadet nicht viel, wenn die
Gelehrten und die Abfas-ser von Schulbüchern von Zeit zu
Zeit unbewusst in die alte antliropomorphe V(»rstellungs-
welt zurückvertalleu und unklar von den Gesetzen so reden,
als wären sie Untergottheiten zwischen der Allniutter Natur
und ihren einzelnen Erscheinungen. Wie gesagt, so poetische
Bilder schatten nicht mehr grossen Schaden. Die Gelehrten
ahnen ja doch, wir aber wissen es : dass die Einzelerschei-
nungen sich zu ihren sogenannten Gesetzen ebenso ver-
halten wie unsere Einzelwahrnehniungen zu unseren Be-
griffen. So wenig unsere Einzelwahmehmungen die Wir-
kungen oder die Folgen von ihrem Begriffe sind, so wenig
gehen die Erscheinungen aus den Gesetzen hervor. Nicht
die Gesetze gehen voraus, sondern die Thatsachen. Nicht
die Thatsachen gründen sich auf Gesetze, sondern die Be-
quemlichkeit unseres Denkens gründet Gesetze auf That-
sachen. wie nie Begritie auf Wahrnehmungen gründet. Die
Gesetze sind nicht das Vorausgehende, sondern das Nach-
kommende. Und das einzig und allein in unserem Gehirn.
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G«Mtie in dm Worten.
577
Und ich stohe nicht an, den Begriff Gesetz damit aus der
Reihe unaerer leibhaftigen Worte auszustreichen, wenn ich
sage : so wie Platon und mit ihm die sogenannten Realisten
des Mittelalters zu den wahrgenommenen Einzel dingen sich
die allgemeinen Begriffe Iconstruierten und sie als etwas
Reales, als Erzeuger der Einzeldinge auffasstcn, sie ge-
wisserniassen als zeugende Gottheiten der Dinge in die
Ewigkeit hinausprojizierten, genau ebenso konstruieren sich
unsere Naturforscher — bewuss^t oder unbewusst — zu den
wahrgenomniencn regelmässigen Naturveränderungen Be-
griffe dieser Veränderungen, nennen diese Begriffe GesetM
und sind geneigt, sie zeitlich als Regierer Tor die Aende-
niTigen zu setzen, wenn sie sie auch nicht geradezu myHiisch
in den Kaum hinausprojmeren.
Sind wir so erst ganz einig darüber, dass unser ganzes
menschliches Wissen in unseren Wahrnehmungen besieht,
unser Denken oder Sprechen einzig und allein in der be-
quemen Ordnung dieser Wahrnehmungen (durch Begriffe
oder Worte, welche ähnliche Wahrnehmungen zusammen-
fassen), so werden wir bescheiden weiter sagen, dass wir
Gesetze diejenigen Begriffe zu nennen pflegen, die besonders
regelmässige Naturbewegungen oder Aendeningen zusam-
menfassen. Geqpenster, die pfinktlich zur gleichen Stunde
erscheinen. Wir nennen die Begelmäasigkqiten in der
Mechanik, die wir bis auf die Ueinsfeen Bruchteile beob-
achten gelernt haben, €tesetze, wie wir die Begelmissig-
keiten in der Biologie, die noch sehr schlecht beobachtet
sind, ebenfalls Q«setze nennen. So haben wir doch auch
in Bezug auf die Dinge selbst festere Begriffe wie Eisen
n. s. w., wir haben daneben fliessendere Begriffe wie Tier.
Darum scheint mir der Streit daraber, auf welche Verände-
rungen der Begriff Gesetz anzuwenden sei und auf welche
nicht (Sprachgesetze z. B.), um der Relativität des Qeaetz-
begriffe willen ein reiner Wortstreit zu sein. Was man
jetzt Soziologie nennt, weist ganz gewiss Aehnlichkeiten
oder Regelmässigkeiten auf; ob man diese Iirschemung nun
statistische Gesetze oder bescheidener Tendenzen nennt, das
MftvtbB«r» Beitilc« m ein« Kritik 4«r Spn^ m. 37
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578
ViU. WiMeu und Worte.
macht die Beobachtungen selbst weder besser, not Ii . chlechter.
Erst wenn ein Staatsmann die mangelhaften Beobachtungen
der Statistik für gute Beobachtungen hält, für eben solche
Gesetze wie die Gesetze der Mechanik, und weiui er auf
Grund dieser veruieintlichen Naturgesetze höchst wirksame
Staatsgesetze sich erfindet, erst dann kann ein Schaden
entst-ehen, erst dann kann die Siuulosigkea des Begriffe
^Gesetz" zu sinnlosen Gesetzen führen. Diese Möglichkeit
ist in der Gegenwart freilich alltäglich geworden, ist aber
durchaus nichts anderes als die Thorheit eines mittelalter-
lichen Staatslcukers, der abstrakte Begriffe für wirklich
hielt, aus ihnen logische Schlüsse zog und z. B. ganz logisch
aus dem Begriffe der Gottheit die Notwendigkeit ableitete,
Ketzer zu verbrennen. Der lebendige Mensch schaudert vor
dem, was er Greuelthaten ueuut; die Natur kann darüber
nur lachen wie über jeden anderen Missbrauch der Sprache.
Alle diese Beispiele aus ungleichen Zeiten und Ge-
bieten, diese ganze Kunstgeschichte des Bildes „Gesetz*,
kann uns uebeubei lehren, was in der Kritik der Sprach-
wissenschaft vielleicht nicht scharf genug ausgesprochen
war: diiss wir ilie Geschichte der einzelnen Worte erkenntnis-
theoretis( h nur dazu l>rauchen können, den Nebel überhaupt
wiihrzunehmen, der jedes einzelne Wort »tisch umgibt.
Wir 'glauben oft, Wortgeschichte betriedige nur unsere
"Neugier. Da haben wir aber das Wort -Gesetz", das von
den besten Schriftstellern irrlichtelierend gebraindit wird,
weil es unsichtbar von den Gespenstern verschiedener Jahr-
tiuisende umgeben ist. Die Gespenster der Ursächlichkeit
und der Notwendigkeit sind auch für uns noch hieb- und
stich- und kugelfest. Das Gespenst der Gesetzmässigkeit
aber verschwindet, sobald wir es fest und furchtlos ange-
blickt haben.
*
Es gibt keine leibhaftigen Gesetze Es gibt keine Ge-
setze der Geschichte. Es gibt auch keine Gesetze der
Sprachgeschichte, nur einen ZufaUsstrom von mikroskopi-
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579
sehen Laut- und Bedentungswuidliiiigen, deren Analogien
man GesetiW genannt hat» Dag hat uns die Kritik der
Sprachwissenschaft gelehrt«
Und schon vorher haben wir erfahren, dass die Sprache zoiui.
oder das Denken nur ein Zufallsbild von der WirUichkeits-
welt enthalten kann, weil wir von der WirUichkeiiswelt
nur wissen, was die Siebe unserer Zufallssinne passieren
konnte. So ist all unser Denken, das Spiel der Associationen,
in doppelter Beriehnng ein Zufallsspiel dieser Assodattonen
(n 547) und die Begriffe Zufall und :&otw6ndigkeit asso-
eiieren sich» was wir dann su grammatischen und logischen
Verbindungen beider Begriffe bentttaen. Und wir mflssen
einen Augenblick innehalten, wir müssen den Begriff «Zu-
fall* genauer betrachten, der aus einer eigentlich negatiTen
Abstraktion zu einem positiv anmutenden Worte geworden
ist, mythologisch verwendbar und nun bereit, mit seinem
G^ensatse verkuppelt zu werden.
Das Wort Zufall ist sichtlich eine Vebersetsung (sie
findet sich erst im spftten Ifittelhoehdeutfich) des lateinischen
Wortes accidens. Dieses ist wieder eine üebersetzung des
griechischen oDp,p«ßipioc. Der ursprüngliche Sinn hat sich
im heutigen FranzOsisch noch da erhalten, wo accident im
scholastasch-gelehrten und auch im scholastisch-medizini'
sehen Sprachgebrauche das bedeutet, was in der deutschen
Philosophie hilflos die Accidens heisst. Für unsem Zufall
haben die romanischen Sprachen das Wort hasard, welches
— wenn wirklich von der arabischen Bezeichnung für Würfel
hergenommen — ein sehr guter bildlicher Ausdruck für den
ZufaU ist.
Sieht man aber genauer zu, so steckt in dem scholasti-
schen Worte Accidenz doch eine der unklaren YorsteUungen,
die wir mit dem ZufaUsbegriffe verbinden. Die Accidenz
steht nftmlicfa im Gegensatze zu der Essenz eines Dings;
und der weise Aristoteles hat sich darunter wirklich nicht
viel Anderes gedacht als das Zufällige. Es ist «wesentlich*,
dass ein Hund anatomisch so und so gebaut ist; es ist «un-
wesentlich* das heisst doch wohl zufällig, ob er schwarz
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580 VUX. Winea und Worte.
oder braun oder weiss ist. Der Zufallsbeyfriff ist also etymo-
logisch (wenn wir mechanische Uebersetzun;_'*en der Wort-
teile unbeachtet lassen) aus dem Accidenzbej^riff hervor-
g^angen, aus dem Gegensatze zum Wesentlichen. Zufällig
ist das Unwesentliche. Aber im Laufe der Zeit, als die
Notwendigkeit alles Geschehens dem Menschen eine not-
wendige VorsteUung wurde, gewann der Zufallsbegriff die
Bedeutung eines Gegensatzes zum Notwendigen. Das konnte
aber nur den Dummen genügen. Die bes.scm Köpfe sahen
bald ein, dass auch die unwesentliclien Eigenschaften und
Ereignisse notwendig seien, weuu wir auch ihre zwingenden
Ursachen nicht kennen oder nicht beachten. So crewanu
der Zutailsbegriff seine relative Bedeutung; zufällig war im
Gegensatze zum Notwendigen das, dessen Notwendigkeit wir
nicht sahen. Und zuletzt, ila doch alle Notwendigkeit aus
zwingenden Ursachen nur eine menschliche Bezeichnnnj^ i.st.
hergenommen von unserm Bewusstsein, eine Handlung ge-
wollt und sie durch unser Wollen verursacht zu haben,
geriet der Zufall in einen dritten Gegensatz gegen die Ab-
sicht l.rlikcu..
Wir haben also im Zufall eiueu Begriff' vor uns. der
erstens nur notrativ, nur als Gep;ensatz von etwas anderem
verstanden wercien i\ann liSegatiou iat nie an sich da, ist
immer nur zwischen den Menschen, wie Kant sclion lehrte),
und der zweitens überhaupt nicht verstanden werden kann,
weil er so ungenauen Abstraktionen wie der Wesentlichkeit,
der Notwendigkeit und der Absichthchkeit entgegengesetzt
ist. \Vie kommt es nun, dass jeder Schuljunge sich ein-
bildet, bei diesem verwirrten Begriü" etwas Klares zu denken ?
Auf die Antwort werde ich geführt durch eines der
feinsten Kapitel in L. Geigers , Ursprung und Entwickehmg
der menschlichen Sprache und Vernunft". Geiger ist frei-
lich selbst nicht ganz sicher. Er weiss noch nicht, dass wir
mit Hilfe der Sprache über die Sprache nicht hinaus ge-
langen, dass wir mit unserm Denken nicht aus unserm Kopfe
hinauskommen, dass alle mögliche Spekulation doch immer
nur Psychologie ist. Aber er ahnt doch den Irrtum Kants,
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ZufiftU und AnfinerkHunkeit.
581
wenn er (1.285) sagt: «Der Grundintum, ab ob es wider-
Bimtig wftre, vom Zwecke (der) die ErünluruDg prüfenden
ZergUedemng sie selbst zmn Werkzeuge su nehmen, die
Verwecliselimg des VemnnftobjektoB mit dem Venmnftsnb-
jekte, bat die Kritik des Denkens in eine unlBeliche Ver-
wirrung geführt, und den Versuch derselben in der Aus-
führung fast giushch scheitern lassen.* Wer sich die Mflhe
nimmt, diesen schwierigen SsAz sich auseinander su legen,
der wird graeigt sein, an Stelle der Kritik der Vernunft
eine Kritik der Sprache lu setzen. Und unwillkOrlieh geht
Geiger sofort dazu über, den Zufallsbegriff sprachlich und
psychologisch zu erklftren. Der Kürze wegen will ich, was
er bei diesem Begriffe neu bemerkt hat, gleich in meiner
Sprache wiedergeben; denn Geiger weiss wieder nicht, dass
seine metaphysische Untersuchung nur sprachlicher Art ist.
Seine riditige Bemerkung aber scheint mir zu sagen, dass z«fdi
wir etwas erst dann zuMlig nennen, wenn unsere Aufmerk- ^«^^^1
samkeit, unsere Aufinerksamkeit auf den kausalen Zusammen- imU-
hang nlmlich, hingelenkt worden ist. »Zufallig kann eine
Thatsache nur in Beziehung zu einor andern heissen» Ton
wdcher sie Terursacht werdtti konnte.* Wenn wir das
Wort Zufall auf eine BSgenschaft, auf eine Situation, auf
ein Ereignis anwenden, so ist vorher jedesmal durch die
Katar oder durch den Menschenverstand der Schein erweckt
worden, dass diese Eigenschaft, diese Situati<m, dieses Er-
eignis einen bestimmten Umstand zur Ursache habe. Unsere
widerspreehende Gewissheit oder unsere Uebwzeugung, dass
dem nicht so sei, nennen wir nun' mit, wenn wir Zufall
sagen. Es unternimmt z. B. jemand eine Reise am Freitag
und erieidet einen Unfall. Ein Chinese, der den Freitag-
Aberglauben gar nicht kennt, würde nie auf den Einfall
kommen, diesen Unfall einen ZufsU (dieses acddent eine
Accidenz) zu nennen. Nftmlich nicht in Beziehtmg auf den
Wochentag. Es ist also der BegiiflP Zufall eigentlich nur
eine Temeinende Antwort auf die Behauptung eines be-
kannten Zusammenhangs zwischen dem znf&lligen Ereignis
und ^nem andern Umstände. Eine echte Negation.
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582
YIII. VViasea \uxd Worte.
War nun der Unfall eine Entgleisung der EisenbaluL,
so kann die Antwort, sie sei zufällig gewesen, ganz ricltt%
entweder die Weseutlicbkeit, oder die Notwendigkeit, oder
die Absicbtlichkeit leugnen. Und die redenden Menschen
wissen nicht, duss da Abgründe zwischen den Bedeutungen
des gleichen Wortes liegen.
Da hat sich ein Eisenbabnuiifail ereignet. Die alte
Mutter eines Getöteten, eine Frau aus einem entlegenen Ge-
birgsdorf, die noch nie eine Eisenbahn gesehen bat, sagt:
„Die Eisenbalm ist eine Erliadung des Teufels. Wer auf
der Eisenbabn fährt, kommt um." Weim sie den Aristoteles
im Kopie hätte, so hätte sie das so ausgedrückt: Es gehört
zum Wesen einer teuflischen Ertindung, dass die Leute
durch sie uiukuumien. Die Antwort lautet: Nein, es ist ein
Zufall gewesen, das beisst es gehört nicht zum Wesen der
Eisenbahn, dass die Fahrgäste umkommen.
Der biidungsstolze Zeitunffsleser sagt: ,Der Brücken-
' pfeiler an der Unglüi k^.sLelle wai zu schwach; er ist seit
Jahren bei jedem Anschwellen des Wassers unterwaschen
worden und so war es nach den Naturgesetzen notwendig,
dass der Zug in den Abgrund fiel." Die Antwort lautet:
Nein, ph war doch ein Zulall, das heisst die Xatnriresetze
in Lürtu und zugegeben, du'^s jede Lockerung des i'feilei*s
und die Unaufnierksamkeit des Wächters und die Dunkel-
heit der Kaclit und die besondere Schwere des Zuges jedes
für sich einen zm-eicbendpn Grund gehabt habe, so bleibt
es für die einzelnen Verunglückten dennoch ein blosser Zu-
fall, dass der Unfall gerade in dieser Stunde stattfand und
gerade diese und keine andern Menschen traf. Denn es be-
steht kein Kausalzusammenhang zwischen dem lockernden
Frost des letzten Winters, zwischen dem Gewitterregen des
gestrigen Tages und zwischen dem Krankheitsfall, dessen
telegraphische Mitteilung diesen oder jenen Eeisenden gerade
in diesen Zug brachte.
Oder der Streekenwächter sagt: „Ich habe zehn Mi-
nuten vor dem Unfall die Strecke untersucht, es war alles
in Ordnung; es muaa ein Verbrechen Torliegen, es muss
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Zolidl und Aufinerknnilnit
583
jemand absichtlich eine Schiene ausgehoben haben." Der
Sachverstindige antwortet: Nein, es war doch ein Zufall
und keine verbrecherische Absicht; denn wir fanden die
Schiene durch die Hitze verbogen oder dergleichen.
In allen drei Fällen ist also das Wort Zufall die Ne-
gation eines andern unklaren Begriffes gewesen. Und ich
benütze die Gelegenheit darauf hinzuweisen, wie die Begriffe
Weaen, Notwendigkeit und Absicht ineinander übergehen
können. Das alte Weib hält die Todesgefabr ftlr eine
wesentliche Eigenschaft der Eisenbahn, weil die Tötung in
der Absicht des Teufels liege. Aber auch der Theoretiker,
welcher die Notwendigkeit jenes Unfalls, die Notwendigkeit
an jenem Orte und zu jener Stunde, aus den Naturgesetsen
ableitet, verirrt sich leicht 2a der Vorstellung, dass ein nn-
endliches Wissen alles h&tte voraussehen können, dass diese
Voraussicht in den noch nickt genügend bekannten statiBti-
schen Gesetzen Terboi^en sei, und von da ist es nicht mehr
weit zu dem Glanben an ein persönlich wirkendes Fatum.
In dem Begriffe euies Gesetzes ist immer eine heimliche
Absicht versteckte
Wir wollen aber den drei BegrifliMi, denen der Zu<*
fallsbegriff entgegengestellt wird, noch eme kleine Stufe
weiter nachzugraben snchen. Da will es beinahe schei-
nen, als ob die AbsichÜichkeit, die Wesentlichkeit und
die Notwendigkeit drei weit auseinander liegenden Welt-
anschauungen angehörten, so dsss ihr gleichzeitiger Ge-
brauch nebeneinander zu den merkwürdigen Brscheinungen
gehört, als ob Torsiniflutliche Tiere für die Bühne eines
l^ngeltangels abgerichtet worden wliren. Warum sollen
wir uns aber auch darüber wundem? Leben doch gleich-
zeitig auf der Erde Seesteme, Elefanten und Menschen,
Filze und veredelte Rosen. Die Untersuchung aber zeigt,
dass — in der Gteschichte der Sprache oder des Denkens —
das Wesentliche nur eine Vorstufe des Kotwendigen war.
Vor Jahrtausenden, als der Begriff der allgemeinen
Naturnotwendigkeit auch in den besten Köpfen noch nicht
vorhanden war und dennoch seine Ahnung, da hslf sich die
Üigiiizeü by i^üOgle
584
VIII. WiMen uid Worte.
philosophische Sprache so, dass die regelmässigen und uicht
wegzudenkenden Eigenschaften eines Üings unter dem Worte
für sein Wesen mit gedacht wurden. Als der Begriff der
Notwendigkeit aufkam, da hätte man den Begriff der Wesenfc-
licbkeit einfach fallen lassen sollen.
Not- Der Betriff der Notwenditrkeit wi«^derum das heisst die
k«it^ etwa seit dreihundert Jahren autgekonimcne Ueberzcugung.
dass alles auf der Welt ohne Ausnahme auf einen zureichen-
den Grund und dieser wieder auf eine andere Ursache und
so ins Unendliche zurückzufuhren sei, dieser Begriff ist doch
nur ein bildlicher Ausdruck, des menschlichen Verstan lo^-
In jede regelmässige Folge von Ursache und Wirkung das
heisst von einer Aendernng, auf die regelmässig eine andere
Aenderung folgt, verlegen wir Menschen, ohne es zu wissen
und ohne es zuzugestehen, das Bild eines (nb sichtlich) han-
delnden Menschen. Die Ursache bewirkt die Folge, in un-
serer Sprache, in unserem Denken. Von der Wirklichkeit
k«'nnen wir nur die Zeitfolge oder was wir so nennen.- Es
steckt also auch in dem Begriffe der Notwendigkeit schliess-
lich das sprachliche Bild einer Absicht, die nur eine mensch-
liche Absicht sein kann, weil wir doch alle Sprachbilder
nur von uns selbst abstrahieren können* Unsere heutige
Sprache denkt freilich bei Absicht immer nur an den Seelen-
Torgang in einem handelnden IndiTiduam. Was das sei,
was wir Absicht oder Wollen nennen, wissen wir flbrigens
nicht. Es ist der Begriff des Wollens auch nur eine psydio-
logische Tkatsacbe. In alter Zeit, viele hundert Jahre vor
dem Aufkommen des Begriffs der Notwendigkeit, glaubte
man Absicht auch bei der Entstehung der Welt, bei der
Entstehung des Staates, der Sitte, der Sprache u. s. w. vor-
aussetzen zu müssen. Es war also vor langer langer Zeit
der Begriff Zufall, der Gott Zufall, beinahe ein posiÜTer
Gegensatz gegen den absichtlich bildenden Schöpfer; es war
zur Zeit der Herrschaft dee Aristoteles der Begriff Zufall
ein reiatiTer, aber immer noch ein ziemlich poeitiver Gegen*
satz gegen das, was man das Wesentliche nannte; seit dem
Aufkommen des Glaubens an die Notwendigkeit alles Ge-
Teloologie.
585
sclieheiu isi der Zufall zu einem negativen und relatiTen
Gegensate dieser Notwendigkeit geworden; und errt unsere
SpmclikrHik, welche eellMit den Begriff der Notwendig^eii
in ein armes mensehUcbee Bild anfldst, kann den Zuialls-»
begriff eikennen ab ein fast bedentimgsloses Wort, mit
wdcbem der besser ünterrichtete dem seUecbter Untemch-
teten sagen will: Du riditest deine Auimerksamkmt falsch
ein, du lenkst deine Auftnerksamkext auf einen falschen
Eausaliusammenhang, auf eine subjektiTe Assodaiion.
Laasen wir nun den Begriff der Wesentlichkeit als eine T«ieo-
Zwischenstufe beiseite, so bleibt fUr den Zufallsbegriff im
Sprachgebraucli immer die Frage besl^hen, ob er als Gegen*
Satz zu etwas Absichtlichem oder su etwas Notwendigem
verwendet worden sei. Die moderne Wissenschaft ist nicht
wenig stolz darauf, dass sie sowohl die Absicht als den Zu-
fall aua der Natur entfernt habe. Es kann keine gröbere
Selbsttftuschung geben. Dass die Absicht oder der Zweck,
gelehrt ausgedruckt die Teleologie, nach der Pensionierung
eines persönlichen Gottee Überall den neuen kleinen Gott-
heiten oder Naturgesetzen heimlich und unbewusst zuge-
schrieben worden ist, sehen wir an hundert FSllen unserer
Untonuchung. In allen Lehren Ton der natfirlichen Ent-
stehung der Welt steckt tief verborgen und in hundert Ver-
kleidungen der Glaube an eine überweltliche Absicht Dieser
Glaube ISsst sich nie und nimmer ans dem menschlichen
Denken entfernen, weil er sich aus der armen menschlichen
Sprache nicht entfernen l&sst; nicht nur die Gfftter, sondern
auch die andern Begriffe seiner Sprache hat der Mensch
nach seinem Bilde geschaffen, nach dem Bilde seiner eigenen
Handlungen hat er sich das Naturgeschehen vorgestellt, und
wie er als Ursache seiner eigenen Handlungen seineu Willen
im sogenannten Bewusstsein vor&nd, so hat er — seitdem
ein Regentropfen fiel und der Mensch ihn fallen und die
Erde benetzen sah — das vorausgehende Ereignis stets als
eine Ursache mit einer unbewussten Absicht verstanden.
Der Leser ruft: «Aber der Th^pfen ist doch auch wirklich
die Ursache der Nisse Ich aber antworte: Das ist ein
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586
VlII. Wiasün und Worte.
Bild, das dn Ton deineiL nMittebUi^eii Handlungen her^
nimmstk
ünd nun erst der Zufall! Wo fangt er an und wo hSrt
er auf im Naiui geschehen, wie es unsere Wissenschaft auf-
zufassen gezwungen ist? Der Materialismus, der in ein-
seitigem Hasse den Glauben an eine absichtsvolle persön-
liche Schöpfung zu zerstören sucht, ist geradezu «j^enötif^t,
die ganze Welt mit der Summe ihrer sogenannten Natur-
gesetze einen richtifren Zufall zu nennen, einen Fall unter
unzähligen autleni möglichen Fällen. Diese grosse und
richtige Vorstellung, aus der ich vielleicht erst meine Lehre,
dass unsere Sinne Zuiall.^sinne seien, gewonnen habe, dieses
gewaltige JJild von einer Unzahl möglicher Welten, ist
schon den ältesten Materialisten geläufig. Epikuros hat es
kiai ausgesprochen. Und historisch gehen die Begriffe
Optimismus und Pessimismus, die jetzt zu blossen Stim-
mungen verblasst sind, auf die Vorstellung von der besten
unter allen möglichen Welten und auf einen mehr witzigen
als logischen Gegensatz dazu (da man sich doch bei der
„schlechtesten" Welt gar nichts denken kann) zurück. Dock
auch hier sehen wir wie der Begriff Zufall seinen Sinn vw-
ändert hat.
Als der alte Materiulinmus sich einer noch lel)endicren,
geglaubten Religion gegenüberstellte und die zufällige, natür-
liche Entstehung der Welt gegenüber der Lehre von einer
absichtlich geschaffenen ausbildete, da sollte Zufall nicht
viel anderes heissen. als was wir jetzt , naturnotwendig*
nennen. Die (iriechen stritten ju auch — wie eben erst
erwähnt — darüber, ob die Worte dnrrh einen Gesetzgeber
oder natürlich entstanden seien. Derselbe Streit betraf
die Welt, den Staat u. s. w. Die alten Materialisten, welche
den Zufall lehrten, meiuteu eigentlich die natürliche Ent-
wickelung, nur dass ihnen der Begriff der Entwickelung
und der naturgesetzlicheu Notwendigkeit noch nicht auf-
gegangen war. Als dann der Wortrealismu'^ aufkam und
zwei Jahrtausende vor Uegel bereits die Entstehung der
Welt aus Begriffen gelehrt wurde, da wurde der Zuiaii zur
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JDm WirUiclM saftUig.
587
Bezeichnung des Nebenaädilichen , des Unwesentlichen, des
Unlogischen, dessen also, was in den Worten — d. h. nach
uns«r^ Lehre: den Hypothesen oder Gesetzen — nicht mit'*
bezeichnet war. Per neuere Realismus glaubt nun frei ge-
worden zu sein, wenn er den Zufall als einra relatiTen Be-
griff erkannt hat. Ich habe oben schon gesagt, da« er ein
relativer und negativer Begriff ist und dass, wenn man erst
die Unhaltbarkeit der positiven B^priffe erkaant hat, zu
denen er einen Gegensatz bildet, das Wort ganz gegen-
standslos wird.
Es iribre denn, dass man jedesmal Zufall benennt, was Das
die betreffende Wissenschaft nicht mehr weiss. In diesem J!!^'
Sinne yerliert sich jede Wissenschaft in ZufSüligem, und es ftui«.
ist kein Spiel mit Worten, wenn ich nun behaupte: Alles
Wirkliche ist znfäDig.
Kur muss man sich davor hflten, beim Versinken in
diesen Abgrund mythologisch zu werden nnd den Zufall fttr
irgend etwas positiv Wirkendes zu halten. Was wir nicht
wissen, was vnr uns vorstellen, unsere Bilder von der Welt,
nur das ist unser. Was wir nicht wissen, das ist unsere
Wissenschaft, das ist notwendig. Was wir wissen möchten,
das Wirkliche, das ist zufällig.
Einstimmig wird die Astronomie für das Muster aller
Wissenschaften gehalten; und wirklich wird die Astronomie
von keiner andern Wissenschaft an Zuverlässigkeit, an Be-
rechenbarkeit und an Eleganz der Form erreicht. Da sei
der Zufall ausgeschlossen, meint man. Aber zuverlfissig sind
diese Ziffern und Formeln doch nur für die paar Tausend
odw Millionen Jahre (man kann im Ernste fragen: Was ist
das gegen die Ewigkeit?), in welchen die Planeten sich so
wie heute um die Sonne drehen, oder vielmehr nur für die
paar Tausend Jahre, in denen diese Bewegungen ungefähr
so wie jetzt beobachtet worden sind. Alle diese Berech-
nungen und Formeln haben keine Gültigkeit für die voraus-
gegangene Zeit, in welcher — wie Kant und Laplace
sagen — die Planeten sich von der Ungeheuern Nebelmasse
der Sonne losgerissen haben und nach unausdenkbaren Be-
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588
VIII. Winen und Worte.
Tolutionen erst im Kampfe ums DaseiB »m Himmel, wie
man es pfpnannt hat, sich selbst die bequemsten Gleise ge-
funden haben, die sie jetst befahren. (Sehr merkwfirdig ist
bei Kant die Scheu vor grossen Zeiträumen; er spricht be-
züglich der Entstehung der Planeten zuerst von Jahrhunderten
und meint dann, es gehörten dazu Tielleieht tausend od^
mehr Jahre.) Wüssten wir etwas von den Kräften, die da-
mals spielten, so würde die Entstehunfj; der Planeten und
die Bildung ihrer Bahnen zur Wissenschaft gehören. So
aber sind wir genötigt, die Masse, die Entfernung und darum
die Bahnen der Planeten, also die ganze Astronomie, lu-
fällig zu nennen. Die Weltfornu l, welche die Entstehung
des Sonnensystems aus dem Chaos geben wollte, w9re
wieder zufällig gegenüber der Entstehung des Chaos.
Im Verhältnis zu der Sicherheit der Astronomie sind
die Lehren des Darwinismus fast luftige Hypothesen. Deut-
lich tritt fast nichts hervor als die überzeugende Annahme,
dass es bei der Entstehung der Indinduengruppen, die man
Arten nennt, natürlich zugegangen sein müsse und dass man
die unveränderliche, niemals in Wirklichkeit Torkommende
identische Abfoige der (Geschlechter Vererbung, die lang-
same Veränderung aber Anpassung nennt. Es braucht keiner
weitem Ausführung, dass jeder eineeine unter den Milliarde
Ton Fällen, welche unter den Gesetien Darwins zusammen-
gefiasst werden, einen »Zufall* sur Ursache hat. €ht}sse
(Gruppen dieser Zufälligkeiten kann man dann Klima, Nah-
rung u. 8. w. nennen. Sie sind das allein Wirkliche oder
Zufällige.
loh könnte das viel allgemeiner und filr alle Wissen-
schaft Tiel entsetadM^er noch andere ausdrücken. Die Wissen-
schaft Ton der Wirklichkeitswelt konnte sich mit einer Be-
schreibung begnügen, indem sie möglichst ttbersichfUch einen
Katalog der gegenwärtig anfällig Torhandenen Erscheinungen
aufteilte. Jeder Versuch einer Welteridärung wird Über
die Beschreibung hinausgehen und eine Geschichte der Er-
scheinungen zu ergründen suchen. Besissen wir dafür aber
auch die nötigen Kenntnisse — wovon wir himmdweit eai-
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Dm Wirkliobe infiUJig.
589
fernt sind — besässen wir die Geschichten des Planeten-
systems, der Erde, der Tiere und Pflanzen, der Wärrae,
der Elektricität u. s. w., so würde erst recht die zufällige
Entstehung des zufällig Vorhandenen in die Augen springen
müssen. Denn jede Ursache ist ein Zufall, auch fUr ihre
Folge. Und man wäre versucht, in künstlerischen Rhythmen
zu lachen, wenn man hört, dass in jüngster Zeit innerhalb
des kleinsten Teils der Weltengeschichte, nämlich in der
kurzen Menschengeschichte, versucht worden ist, besondere
Gesetze aufzusti'llen. Wie: dass auf die Demokratie der
Milit'ardespotismus folge und dergleichen.
Gesetzmässigkeit ist die jüngste Mythologie, die der
Mensch in die Natur hineingelegt hat; es ist der Grundirrtum
der modernen Naturwissenschaft, dass sie Notwendigkeit und
Gesetzmässigkeit miteinander verwechselt. Beide Begriffe
sind menschliche Bilder menschlich ursächlicher oder mensch-
lich zeitlicher Auffassungen der Natur. Die Gesetzmässig-
keit ist aber eine veraltende Metapher, gut genug für Labo-
ratorien und andere Küchen, elend für die Welterklärung.
Auch die Notwendigkeit ist eine menschliche Metapherf
aber sie ist bis auf weiteres so unausweichlich wie die
beiden ältesten Hypothesen der Moaschheii: Wirklichkeits-
welt und ürsachbegriff.
Die Sprache also mitsamt ihren allgemeinsten Forrau-
lieiningen in Ghrammatik und Logik, mit ihren Worten oder
Hypothesen ist eine siifällige Erscheinung. Zufällig im
Gegensätze zu dem mensdilichen Bilde der Gesetzmässig-
keit. Zufällig aber auch, insofern wir ihre Notwendigkeit
ergründen möchten. Noch einmal: Was wir wissen möchten,
das Wirkliche, das ist zufiÜlig; was wir nicht wissen, was
wir darum mit unserer menschlichen Bildersprache um-
nebeln, das ist unsere Wissenschaft. Wirklich ist, was kein
Gespenst ist; und «Zufall" ist eine von allen Zufällen der
Wortgeschichte umnebelte Negation der Gespenster Ab-
sichtlichkeit, Wesentlichkeit und Notwendigkeit.
m
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590
VUI. WiMen und Worte.
Oaiwir Die Lehre Darwins, dass die Z v ( < kiiiä>siii;kLit der
Organismen, ohne jede göttliche AUwuisIieit , durch An-
passung und Verer])ung zu erklären sei, diese Lehre ist
uns nicht mehr als eine geniale Hypothese. Die unvor-
sichtip^en Darwinlaner, welche namentlich in Deutschland
auf diesH Hypothese eine neue Wissenschaft zu hauen ver-
sucht nahen, mussten sich von Darwins eigener Methode
lossagen. Sie mussten wieder Begritfsromaniils treihen. Es
ist aber ein undankbares Geschäft, ihre irnnierhiu kühnen
Luftschlösser zu bekämpfen, wenn man es erleben nniss,
dass die von Darvrin hinausgeworfene Teleolofrie in lang-
samer Arbeit wieder hineingeschmngo^elt wird, wie wir es
bei den letzten Kono;ressen der Naturforscher erleben
konnten. Dogmatismus hüben und drüben. Und vielleicht
ist Haeckel der wortabergläubischere , der unbelelirbare
Dogmatiker.
Man hat Darwins Eiitwickelungsgesetz ironisch mit
einem Manne verfi^liehen , der nm einen einziLfen Hasen zu
schiessen unendlich viele Schüsse nach allen Richtungen
*tihgeben müsse. Das Bild wäre al)er wohl ganz ernsthaft
zu verwenden. Man muss nur auch Ernst machen mit der
Vorstellung unendlich langer Zeiträume für die Entwicke-
lung; und man rauss Ernst machen mit der Einsii ht, dass
jeglicher Zweckbegriii' sich an eine menschenähnliche In-
telligenz knüpfen mü.sse. Sowie die neuesten Reaktionäre
wieder den Zweckbegriff in die Naturbetrachtung einführen,
müssen sie ohne Gnade etwas wie einen menschenähnlichen
Gott mit einem Ungeheuern Menschengehirn an den Anfang
stellen. Es ist nicht anders. Die beiden ewigen Fragen
lauten: Woher? Wohin? Die Frage woher geht nach der
Ursache, als nach der Vergangenheit, welche wir uns vor^
stellen können, auch wenn der Begriff der Ursache eine blosse
Hypothese und wenn der B^iff der Zeit nur eine mensch-
bebe Orientierung sein sollte. Die Frage wohin jedoch geht
nach dem Zweck, den wir ims immer und überall als
eine menschliche Absicht, als ein zukünftiges Ereignis Tor-
steilen müssen. Wenn der Schütze sein Gewehr anlegt, so
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Tdieologie.
591
ist die Kraft des Schusses aus Ursachen zu erklären; die
Richtimg aber oder der Zweck des Schusses einzig und allein
aus der Absicht des Schützen. Das Eintreten P. N. Goss-
manns für eine neue Teleologie (»Elemente der empir.
Tel.") könnte erkenntnistheoretisch weiter ftihren; vielleicht
ist aber der Begriff f,Teleo]o^e'^ nur sprachkritisch feiner
untersucht.
Die Schwierigkeit, welche der Darwinismus zu erklären
wünschte, lässt sich mit einem Worte aussprechen: woher
kommt die Einheit des Organismus? Die alte theologische
Naturwissenschaft stellte noch ganz andere Fragen: wie die
Einheit von Seele und Leib, wie die Vereinigung von Gottes
Gflte und der Schlechtigkeit der Menschennatur zu er-
Icl'aren sei? Seele und Leib, Gute und Schlechtigkeit sind
überflüssige Worte geworden ; es fragt sich nur, ob die Ein-
heit des Organismus nicht ebenfalls ein blosses Wort sei.
Und in der Einheit ist ja eben die Zweckmilssigkeit des
Organismus mit enthalten.
Goethe und nach ilim Virchow haben bereits den Ge- T«ico*
danken ausgesprochen, dass das Lebendige kein Einzelnes
sondern eine Mehrheit sei. Aber bei ihnen ist die Ver-
einigung von Atomen oder Zellen zu einem Indinduum doch
noch eine Art Wunder, zu dessen Erklärung allzuleicht
ein Gott bemfiht werden kann. Wir kommen etwas weiter,
wenn wir die Einheit oder Zweckmässigkeit eines gr^tssem
Ganzen betnuditen, auf welches der Begriff des Indiriduums
oder des Organismus scheinbar nur bildlich angewendet
werden kann. Blicken wir auf den Staat oder auf die
Stadt, so sehen wir ein sehr zweckmässiges Ghmzes, das
dennoch Ton centrifugalen Kzftften beherrscht wird. Man
stelle sicli eine moderne Grossstadt Tor. Man wird nicht
mit emster Miene behaupten woUen, dass ein Oberbflrger^
meister den Plan zu ihrem gegenwärtigen Bltthen gefasst
habe. Es gibt in der gansen Stadt keinen Menschen, der
im Dienste der Allgemeinheit Gas- und Wasserrohren,
Telephondrfthte, Pferdebahnschienen u. s. w. n. s. w. gelegt
hätte. Es gibt immer nur Menschen, welche ihren Vorteil
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592
Vm. Wim and Worte.
wolit4t;ü. Durch Gas, durch Wasser, durch Elektricität und
Pferdebahnen sind Millionen verdient worden. Ist bei diesen
grossen Untoruehmungen mitunter aucli die Kraft des Ehr-
geizes vorhanden, so gehören zu den Bequemlichkeiten der
Grossstadt oine Menge Dinge — von den BedQrfnisanstalten
angefangen Ins zu dem Institut der Stiefehvichser — bei
denen von irgend einer höhern Absicht nicht die Hede sein
kann und die dennoch mehr als bildhch eine Einheit, einen
Organismus zu stände bringen. Nicht der Oberbürgermeister
s(jnderM iigend ein Vorarbeiter legt die Röhren einer Be-
dürfnisanstalt, und dennoch gehen diese Röhren ordentlich
zwischen elektrischen Kabeln und Gasröhren hindurch,
flogen sich den Verhältnissen, nicht viel anders als die
Kanäle von den Nieren zwischen Muskeln und Nerven und
Blutgefässen den Weg gefunden haben, den wir den rich-
tigen nennen. So ist eine Stadt ebenfalls ein Organismus,
so gut wie ein Bienenkorb oder ein Ameisenstaat, den wir
tftppisch einen Ameisenhaufen nennen, wie vielleicht ein
darüber hin fliegender Adler unsere Grossstadt einen Men-
schenhaufen nennt. Und es gibt bekanntlich im Tierreich
soldie organisierte Staaten (z. B. die Siphonophoren) , in
denen die einzelnen Glieder körperlich zusammenhängen,
als ob die Ameisen eines Baues durch ein Netz von Nerven-
fäden. als ob alle Menschen einer Stadt durch ein Netz von
Nabebchnüren zusammenhingen. Wur Menschen einer Stadfc
oder eines Staats hängen aber doch zusammen, nicht nur
durch Gas- und Wasserleitungen, durch Theater und Be-
dürfnisanstalten, durch öfifentliehe Bahnen und Telephon-
drähte, sondern vor allem durch die gemeinsame Spradie
oder das gemeinsame Gedächtnis.
Die alte Teleologie bewunderte ausser der Zweckmässig-
keit im einzelnen Organismus auch noch die Zweckmässig-
keit in der Einrichtung der Welt: es sind viele Bdcher und
sogar gereimte Bücher darüber geschrieben worden, wie
hübsch die Pflanzen zum Frasse der Wiederkäuer, diese
wieder zum Frasse der reissenden Tiere da seien und die
ganze Welt für ihren Herrn, den Menschen. Diese alten
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Tdeologie.
593
Yont^ttngen hatten alle die gröwte Mtlhe, eicli mit der
0ate Gottes ansemander sa aetoen; seitdem in der Katur
keine OOto melir angenommen wird, ist diese atatistisdie
Zweckmässigkeit zwischen den einxeben Tierarton ebenso
leicht yerstftndlich wie die Abhängigkeit der menschlichen
Handlungen yon statistischen Thatsachen.
So ist der statistische Ausgleich in der Oekonomie der
Welt, das Zusammenfliessen der egoistischen Bestrebungen
zu dem Bilde einer städtischen Organisation gans wohl zu
begreifen als eine rein mechanische Wirkung, als eine Folge
Ton echten Ursachen, das heisat von ürsachen ohne Zweck;
und in derselben Weise könnte man sich die scheinbare
Zweckmisstgkeit der organischen Individuen ans blossen
Uivachen Torstollbar machen. Fehlt es doch auch weder
da noch dort an Störungen, welche einer yorbedachten All-
weisheit kein gttnstiges Zeugnis ausstollen würden. Wie
die Röhren im Untergrunde einer Stadt einander wohl ein-
mal unzweckmSssig kreuzen, wie sie plaimn oder Tcrrosten,
wie die elektrischen DriUito einander nngflnstig beeinflussen,
so gibt es auch im organischen Individuum Unzweckmissig*
keiton, die man dann Krankheiten nennt. Zu einer solchen
VorsteUung von dem Mechanismus der oiganisierten Materie
wollte aber auch schon der alte Materialismus fUiren; seme
mechanische Naturerklftrung, so lobenswert die Absicht war,
wurde nur darum immer wieder so unbefriedigend und
albern, weil die offenbare das heisst dem naiven Menschen"
verstände so selbstverstftndlich scheinende Zweckmissigkeit
der Organismen entweder geleugnet oder heimlich irgend
einer namenlosen Gottheit zugeschrieben wurde. Hier
unterscheidet sich der Darwinismus gründlich von dem
&Item Materialismus. Der Zufall des ültem Materialismus
war etwas ganz anderes als der Zufall des Darwinismus.
Gegen den titeren Zufallsbegpriff konnte schon Cicero —
oder der, den er abschrieb — den Einwand erheben, dass
man doch sonst nicht annehme, es sei die Dias durch ein
zufälliges Zusammensdilltten von Buchstaben entstanden.
In diesem Falle war der relative Begriff Zufall der Gegen-
MftatliBtr, B«lti«g* n «law Kriltk dar BpiMhe. m. 88
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594
Tin. Wmnb und Worte.
satz zu der Annalime einer dicbtemchen Absicht, also eines
sehr planvollen Zwecks. Ebenso ungereimt wäre es, eine
Dynamomaschine oder auch nur eine so einfache Maschine
wie es eine Stecknadel ist, dnrch Zufall entsfcanden so
glauben.
Der relatiTe Zufall, durch welchen der Darwinismus
die Welt der organischen Formeln entstehen Iß^, ist ein
Fall anderer Art. Man wird darüber nicht im Zweifel sein,
wenn man an die Maschinen denkt, bei denen die Fach-
leute wirklich im Zweifel sind, ob ihr Entstehen dem Zufall
oder einer Absicht zu danken seL Es sind das gewisse
Steittwerkzeuge einfachster Art, deren Schftrfe ebenso gut
durch kUnstlidien wie durch natOrlichen Bruch su er-
klftren wire.
Um die phantastisehe Entstehung der Dias (durch Zu-
sammenschttttung von Buchstaben) des alten Zufallsbegiilfe
za entUeiden, müsste man annehmen, dass ein mathemati-
scher Kopf mit den Buchstaben des Alphabets eine unendliche
Reihe Ton Permutationen und Variationen TomShme; ohne
Frage w&re einer dieser FftUe dann die Dias, ein anderer
der Faust, wieder ein anderer die Kritik der reinen Ver-
nunft. Einer dieser Variatioosfllle wftre die Kritik der
reinen Vernunft mit ihren DruckfeUem u. s. w. u. s. w. Ich
sehe davon ab, dass der experimentierende Mathematiker
wahrscheinlich die Bedeutung der Blas, des Faust, der
Kritik der reinen Vernunft gar nicht erkennen wUrde, weil
doch in seinen unzähligen VariationsfiUlen s&mtlidke Bttcher
aller Bibliotheken der Erde und ausserdem unendlich viele
blödsinnige oder halb blödsinnige Buchstabenfolgen enthalten
wären. Es wäre bei diesem phantastischen Ezperiment
jede einxelne Buchstabenfolge mathematisch notwendig und
darum berechenbar; ein Zufall könnte sie nur uneigentlich
im Verhältnis zu den andern Fällen heissen. Anstatt Zu-
fall müsste man vielmehr von einem besondem Fsll, von
einem Fall unter andern Fällen, von einer Möglichkeit unter
andern Möglichkeiten sprechen.
So ist die organische Welt nach Darwins Erklärung
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T«lMikigie.
nichi süflll^ sondwn notwendig eiitatuideii und nun bnucht
nur an die unsSldigen andern in(igHclien Welten au denken,
die eben so notwendig hätten entstehen kSnnen (wenn z. B.
der EoUenatoff andere Eigeneebaften bitte), um auch die
gegebene oiganiacbe Welt als einen beeondem Fall, als
einen Fall unter andern Fillen aufsufaaaen. Es ist der
Phantasie gar nieht schwer, sich solche andere Fälle aus-
xudenken. Wir brauchen uns nur andere Planeten oder
Planeten anderer Himmielsraume organisch belebt Toneustellen
und nichts hindert, uns dort fleischfressende bewcgUche
Bäume, also Raubtiere mit Blättern und dergleichen aussu-
malen, wenn auch natOrlich jede solche Phantasie an die
bekannten Formen der Erdenwelt gebunden ist Niemand
kann behaupten, dass die oiganisierte Welt der Erdober-
fläche die eimdge zweckmässige wäre; im Kampf ums Da-
sein mflsste sich eben auf den andern naneten eine Welt
entwickelt haben, in welcher bewegliche Eaubtierbäume
ihren Plate hätten.
Damit sind wir schon auf einer Stufe angelangt, auf
welcher die Zweckmässigkeit der Organismen (von oben
. gesehen) zu einem aber&Qssigen Worte wird. Ich glaube
wenigstens, bereits von dieser Stufe die beiden entgegen-
gesetzten Spitzen, die Notwendigkeit und die Möglichkeit,
wie Punkte der ebenen Fläche zu erblicken. Eine und
dieselbe Organisation erscheint als notwendig, sobald wir
Einige von den begleitenden Umständen wissen, dieselbe
Organisation erschwit als die eine tou unzähligen Möglich-
keiten, wenn wir die Umstände nicht kennen oder Ton ihnen
absehen.
Wir brauchen nur an die Millionen Jahre zu denken,
während welcher die Organismen auf der Erde sich ent-
wickelt haben. Und alle gegenwärtigen, wirklichen, also
auotwendigen* Formen erscheinen uns als ein Fall unter
vielen andern möglichen Fällen. Der Torsintflutliche
Archäopteryx eben so gut wie manches abenteuerlich ge-
formte Elemwesen wäre fdr unsere Phantasie eine schwindel-
hafte Möglichkeit, wenn diese Bfldungeu nicht im Stein-
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596
Tin. WiMn uttd Worte.
abdruck oder unter dem Mikroskop gesehen worden und
dadurch zu Wirklichkeiten das heisst suf&Uigen Notwendig-
keiten geworden wären.
Zweck Der Darwinismus hat dae nicht geringe Verdienst, eiae
iiegrur. ^Q2ahl Yon BüdungsveränderungMi beobachtet oder gesam*
melt, die Aehnlicbkeii solcher Bildungsveränderungen bemerkt
und fUr die Gruppen solcher Aehnlichkeiten unter dem Namen
Ton Bildungsgesetsen neue Worte aufgebracht zu haben. Es
ittsst sich seitdem manches bester fibersehen. Wir, die wir
geneigt sind, jede Beachtung von Aehnlichkeiten für Ab-
straktionen des menseUichen Verstandes zu halten, denen
in der Natur nichts genau entspricht, vermuten sofort, dass
zwischen den zweckmässigen und nicht-zweckmässigen Bil-
dungsgesetzen kein nachweisbarer natürlicher Unterschied
sein werde. So kommen wir von einer andern Seite dazu,
Darwins Zweckbegriff als eine mythologische Figur zu be-
greifen. Die Darwinisten finden etwas von Entwiekelnng
also hehnlicherweise von Fortschritt und ZweckmSsfflgkeit
darin, wenn z. B. die Erstarkung der Yordem Eztremititen
die hintern sehwftdit oder umgekehrt. Die Ahnung einer
mechanischen Ursache wird zur Voraussetzung eines Zwecks;
die Beschreibung will Srklftning sein. Es gibt danebsB
andere Bildungsgesetze, welche Darwin mit einem unver^
f&nglichen Worte «die Korrelationen des Wachstums* ge-
nannt hat, wie z. B. wenn Katzen mit blauen Augen häufig
taub sind, wenn G^rginen Ton einer bestimmten Farbe
geschlitzte Kronenblfttter haben. Da in aoldien E%Uen weder
irgend ein Zweck aufzufinden noch der biologische Vorgang
irgendwie zu ahnen ist, so werden diese Fille nicht zu den
zweckmässigen gerechnet Die Beschreibung Terzichtet
freiwillig darauf, Erklärung zu heissen. Mir aber will es
scheinen, als ob der Kritiker der Sprache beim üeberblick
Uber diese beiden Gruppen von Bildungsgesetzen mit lachen-
der Lust den Zweckbegriff wie eine Rakete des mensch-
lichen Verstandes aufsteigen, leuchten und verpaffen sehen
mtlsste. Legt man dem Kampf ums Dasein der Orga-
nismen einen Zweckbegriff nnter, dann mOsste man auch
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ZwMklMgnff.
5d7
don Kampf ums Dasein am Himmel einen Zweckbegriff
unterscliieben. Dann wäre die äusserst Ter wickelte Bahn
der Erde, welche in ihrer Hanpirichfcung von ihrem Ver-
hältnisse zur Sonne, in geringem Richtungen von ihrem
Verhältnisse zu den PL-ineton, in minimalen Richtungen
sicherlich von fernen Fixsternen abhängt, dann mOsste diese
wirkliche das heisst notwendige ErdVtalm ebenso zweck-
mässig heissen wie die im Kampf ome Dasein entstandene
Einrichtung des menschlichen Auges. Nennen wir aber
die wirkliche Erdbahn nicht zweckmSsaig, so dürfen wir
anch dsa Auge nicht zwedanässig nennen. Man komme
mir nicht damit, dass das menschliche Auge durch Ver-
erbung und Anpassung SO geworden ist, wie es ist» Auch
die Erdbahn hat sich anpassen müssen und wer weiss wie
viele Planeten Busammengestarst sind in der dunklen Tiefe
der Zeiten, weil sie sich nicht anpassen konnten. Und die
Fortdauer der sogenannten Anziehungskraft ist um nichts
erklärbarer als die Fortdauer der Kräfte und Formen, die
wir Vererbung nennen. So wird uns die ZweckmSssigkeit
des Darwinismus, welche sich auf der einen Seite als ein
moderner ZnfaDsbegriiF enthflUt hat, auf der andern Seite
zu einer menschlichen Anschaunngswdse der Notwendigkeit.
Notwendigkeit, Zufall und Zweck fallen zusammen, wie das
Ding Eirsche dn und dasselbe Ding ist, welches wir das
eine Mal eine Frucht, das andere Mal rot und sftuerUch,
das dritte Mal ein nützliches Nahrungsmittel nennen.
Wollen wir Emst damit machen, die uralte Vorstellung
Ton einer allweisen Schöpfermacht aufzugeben, so mOssen
wir auch endlich den sublimierten Zweckbegriff der Dar-
winisten fUlen lassen. Dazu gehört, dass wir entweder
das Wort Entwickelung nicht mehr gebrauchen oder aus
diesem Worte die Vorstellung Ton einem Fortschritt weg^
lassen. Eine Thatsache ist es, dass diese wirkliche Welt
das heisst die uns allein bekannte organisierte Erdkruste
nicht starr ist. Stair wire sie, wenn sie in ewigem Eise
fröre, starr wftre sie ebenso, wenn diese organisierte Erd-
kruste in dem Bestände dieses Augenblicks mit all ihren
598
YIIL Wumh tud Worte;
Blnmen uud Tieren unmftndorlicli bliebe. Unser» Weit
verändert sieh. Diese übern 'ältigende FlUle UDunterbroehoner
Verändeningen bildet aber fUr onsere Sinne kein GhaiM^
sondern unsere Sinne nehmen in den Veiikndeningen eine
B^eUnässigkeit wahr, welche wir gesetzlich nennen. Und
wir haben eben entdeckt, dass diese Oesetz mäesigkeit oder
Notwendigkeit uns unwillkürlich als Zweckmässigkeit er-
scheint, sowie uns die notwendige Frucht des Kirschbaums
nützlich erscheint, weil wir sie essen können. Diese Oe*
setzmässigkeit oder Notwendigkeit aller Veränderui^pen im
Weltall steckt natürlich nur im menschhchen Kopfe. Wir
wissen nicht, was in der Wirklichkeit diesem Begriffe der
Notwendigkeit oder Zweckmässigkeit entsprechen mag;
denn wir können uns zur Not von dem Zweckbegriff be-
freien, auch wir aber nicht von dem Begriff der Ursache.
Von der Stimmung unserer Betrachtung hängt es ab, ob
wir diese Ordnungsvorstellung in unserra Kopfe als Not-
wendigkeit, als Zweckmässigkeit und Vollkommenheit oder
als Schönheit empfinden. Nur die Vorstellung einer Ord-
nung das heisst einer Wiederholung von ähnlichen Erschei-
nungen finden wir scheinbar objelitiv in unserm Kopfe vor.
Und die letste Frage der Welterklftrung wäre die: Wie ist
diese Vorstellung der Ordnung in unsem Kopf hineinge-
kommen? Ist sie objektiT oder subjektiv?
Oldaus. Anstatt scholsstisch mit diesem Begriffe Ordnung xu
spielen, will ich an eine aUtägliche Thatsache des Bewusst^
seine erinnern, um mir selbst m deutlicher Ahnung zu
bringen, wie es doch wohl die menschlichen Zufallssinne
sein mOgen, welche eine snbjektiTe Ordnung in die Welt
hineintragen.
Oft gehe ich nach Hittemacht, mflde und still, nadi
gethaner Arbeit duzch den Wald nach Hause. Dann
bemerke ich verhSltnismilssig viel Ton dem, was meine
Sinne wahrnehmen. Und doch: achte ich nur auf meinen
Zufallssinn des GehOrs, so ist es gewiss, dass (um in der
Sprache der Akustik xu reden) uns&hlige Schwingungs-
richtungen einander kreuzen. Da kann auf der Erde und
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Otdnnag.
599
in dem fernsten Rollen der Gestirne keine Welle sein,
deren letzte Ausläufer niclit mein Ohr träfen. Ich aber
höre nicht den Donner der Sonne, nicht die Brandung der
Nordsee, nicht einmal den dumpfen nächtlichen Schritt der
Grossstadt. Ich höre auf dieser nächtlichen Wanderung
aher deutlich jedes Wehen des Windes in den Kieferkronen,
ich höre das Rascheln jedes welken Blattes auf dem Boden,
ich höre den Flug des Nachtschmetterlings, das Zirpen der
träumenden Vögel, ich köre von fern her, aus den Nach-
bardörfern, das Anschlagen der Hunde, ich höre rechts und
links aus weiter Feme das Geräusdi der Eisenbahnzüge,
ich h5re mdne eigenen Schntte. So höre ich aus den sich
kreuienden millionenfachen Schallwellen einige Dutzend
heraus, die kräftig genug sind für meine Nenren und die
meinen Nerven bekannt sind. Und nun bei Tage. Ich
stehe in der Grossstadt an einer Strassenecke, um auf
meine Pferdebahn zu warten. Hier umsdiwirren mein Ohr
Yei^bem die Millionen einander kreuzender Schallwellen,
von denen ich ihrer Schwäche wegen nichts wahrnehme.
Aber auch von den SchaUweUen, die bei Nacht durch ihre
Stärke mich verletzen würden, umtoben mich gleichzeitig
tausende. Hunderte von Menschen gehen an mir Torttber
und ich würde jeden einzelnen Schritt hören, wenn es
Nacht wäre* Dutaende von Wagen wUrden mich mit ihrem
widen^rtigen Qerassel martern. Idi aber vernehme das
GesamtgeräuBch der Grossstadt gar nicht oder doch nur
wie das Summen eines Bienenschwarms. Ich sehe Yon dem
Gesamtbilde der Grossstadt, in welchem von meinem Stand-
punkte aus tausend Maler tausend verschiedene Motive er-
blicken können, nichts was nicht zufallig meine Aufmerk-
samkeit erregt. Ich sehe aber auf mehr als hundert Schritte
weit plötslidi das farbige Zeichen meiner Pferdebahn.
Ist die Behauptung wirklich zu kühn, dass die Ordnung,
welche der Menschengeist in die Wirklichkeitswelt hinein-
▼erlegt, nidits anderes sei, als diese Aufmerksamkeit meiner
Sinne auf das Farbenxeichen meiner Pferdebahn. In den
furchtbaren Wirrwarr der Grossstadt, einen Wirrwarr,
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eoo
TUL WiiMn und Worte.
welcher Chaos ist ftlr den Spatzen, der nur nach Pferde-
kot späht, und der Notwendigkeit wäre für jemanden,
der die Beweggründe aller Menschen dieser Grossstadt
kannte, bringt meine Pferdebahn plötzlich Ordnung hinein,
ftlr mich: ich erwarte, dass sie mich zu meinem Ziele
ftlhre, dass sie meiner Altsicht, meinem Zwecke dienlich
sei. Fflr meinen Kcv>isnius teilt sich der Menschenstrom,
teilen M'h die WHi,'rni eihen, meine Pferdebahn wird zum
Mittelpunkt des Treibens, wie mir die Kirsche nützlich
scheint. Und merkwürdig: die Pferdebahn bringt mich
wirklich an mem Ziel.
Aber der Fahrplan der Pferdebahn ist ja vorbedacht?
Gewiss, mir unbekannte Herren, Geschäftsträger der Pferde-
bahnaktionärp, haben sich mit V*'rtretem der Polizei ein-
mal zusammengesetzt und haben einen Fahrplan ausgear-
beitet. Die Vertreter der Aktiengesellschaft wollten mög-
lichst viele Groschenstücke einnehmen. Die Vertreter der
Polizei wollten den Kampf ums Dasein des Strassen-
verkehrs möglichst vor Störungen behüten. Die G m sehen -
absiclii hat nichts damit zu thun, dass die I'iVrilrbahn mich
meinen Weg führt; je mehr Groschen an den ötrasaenecken
auf einen Wagen dieses Farbenzeichens warten, desto mehr
Wagen dieses Zeichens werden kommen, sowie die Blüten
einer Pflanze grösser und zahlreicher werden, wenn sie
mehr Nahnmg erhiilt. Der Plan der l'olizeiverf reter ist
aber auch nichts nnderes als eine Voraussieht derjenigen
Hemmunge»! untl Aiijiassimgen, welche auch ohne Polizei
notwendig gekommen wären. Auch ohne Polizei würden die
Pferdebahnwageu für gewöhnlich nicht in einander hinein
fahren.
Die scheinbare Zweckmässigkeit der Welt ist im ganzen
und grossen ohne Polizei zu stände gekommen. Die Falle,
in welchen Züchter planvoll neue Organismen schaffen,
sind selten. Aber die scheinbare Zweckmässigkeit der W^elt
ist doch nur unser egoistisches Zurechtfinden in dem regel-
mässigen Chaos der Wirklichkeit, und die Regelmslssigkeit
dieses Chaos ist doch nur die Wiederkehr der unzähligen
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Evolution.
601
Egoisineii, die als Zellen, als Indmduen und als Qnippea
oder Aktiengesellschaflen einzig und allein selbst leben
wollen. Die Termeinfliche Ordnung das beiast das Sidi'»
zozeebtfinden in der Orosssiadt wird dureb Erdbeben, dnrcb
Sencben, dnrcb Kriege gestört; meine Pftnrdebabn kommt
dann -riellefcbt niebt. Die Ungeheuern Bevolutionen, welche
die Ordnung der Natur gestört haben mOgen, kennen wir
nur nicht. Wir hatten uns an die Begdmässigkeiten der
beobachteten paar tausend Jahre, nennen sie Entwickelung
und jedor wartet auf das Farbenzeichen seines Wagens. So
stehe ich an der Ecke und höre nicht, wie in jedem Hause
rings um mich her irgend ein Liebender Schwflre ruft,
irgend ein Sterbender röchelt. Wenn es Nacht wftre und
im Walde, so würde ich das alles hören. Dann wOide es
bis zu meiner Aufmerksamkeit dringen. Die Ordnung der
Welt, die uns bald als Notwendigkeit, bald als Zweck-
massigkeit erscheint, ist Orientierung unserer Aufmerksam*
keit. Was in WirkHchkeit die Wiederkehr ähnlicher Er-
scheinungen yeranlasst, das Geheimnis der Weltordnung
kennen wir nicht. Wir dürfen aber nicht sagen: es ist
ein Geheimnis da, welches wir nicht enträtseln können.
Wir wissen nur von der subjektiven Ordnung in unserm
Kopfe; wir wissen nicht ob wir das, was dieser Ordnung
objektiv entspricht, noch unter der Menschenvorstellung
Ordnung be<^reifen können. Wir können die Wirklichkeit
mit diesem Menschenworte nicht fassen. Der Mensch hat
die Ordnung in die Natur Liiu iiigc tiageii, durch seine arme
Sprache. Nachher verzweifelt er, wenn er seine Ordnung
in der Natur nicht iiuden kann (III. (3).
Entwickelung oder Evolution ist das Avissenschafthche Evoluaon.
Schlagwort geworden fQr jeden Versuch, geschichtliche
Veränderungen zu erklären. Die Verdichtung des Urnebels
zu unserem Sonnensystem, die Gestaltung der festen Erd-
kruste, das Emporkommen des i^lianzeiireichs und des Tier-
reichs auf dieser Erdkruste, die Geschichte der Menschheit
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602
VIII. Wi»en und Worte.
und innerhalb dieses Gebietes wieder die Gesdiiehie der
Sprache, der Eunsfc, der Sitte, des Rechts, der ReUgioa,
alles ist seit einiger Zeit Bntwickdimg oder fiTolution, so wie
es vor einigen hundert Jahren Schöpfuug oder Erscheinung
Gottes war. Entwickelung oder ETolntion ist daneben auch
das Modewort der (»opnlftren Wissenschaft geworden und
stellt sich immer wieder ein, wo deutlichere Begriffe fehlen.
Wer heutzutage die Ideen zur Philosophie der Geschidite
der Menschheit, wie sie etwa Ton Voltaire und Ton Herder
dargelegt worden sind, in der Sprache unserer Zeit mit-
teilen wollte, der kdnnte gar nicht umhin, immer und
immer wieder das Wort Entwickelung oder Brolntion zu
gebrauchen, trotzdem Voltaire und Herder Tom Darwinismus
und seiner Anwendung auf die Gesdiichte noch nichts
wussten.
Zwingt man aber einen gelehrten Biologen oder einen
sozialistischen Volksredner, den ihnen gemeinsamen Begriff
Entwickelung zu definieren, so wird der eine wie der
andere in nicht geringe Verlegenheit geraten. Es enthält
uänilich auch dieses Wort eine kleine Ni^benbedeutung, die
icli nicht anders als mythologisch nennen kann. Wir denken
nämlich alle, wenn wir Entwickelung^ oder Evolution saften,
an ein Fortschreiten von niedrit^ercn schlechtem Formen zu
köherüii bessern Forinen. Wenn der sozialistische Volks-
redner es als Ziel der Entwickelunj? hinstellt, dass der
Individualismus der Vergangenheit einem SozialismuN der
Zukuiilt i'latz machen werde, so ücliwebt ihm uiul uns die
ZukiniH als eine höhere, bessere (lestaltung vor. Aber
auch lu r P)iologe, der die Entwickeluii;^- z. B, des Meiihcben
aus der emlachen Zelle lehrt, versteht uuter dem jeweilig
späteren Orjj^anismus jedesmal den höheren oder besseren.
Da ist also in dem liegritt' der Entwickelung eine Wert-
vergleichung mitverstanden, ohne dass wir wüssten, woher
wir den Massstab für solche Schätzungen gewonnen hätten.
Wir werden darum gut thun, aufmerksam zui^usehen, zu
welcher Zeit der bildliche Kegriff Entwickelung diese mora-
lische Nebenbedeutung bekommen habe.
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BvoluiuNt
603
Das dentsdie Wort ist alt, unil das lltere lateiiiisehe
Wort war eine Metapher, die «rsprOngUch deatfich Ter-
riet, was de bildlich darstellen wollte. Wir haben diese
Worte im FranaSsischen ab ^Tolution, d^Telo^p^nieBt,
besonders aber als ezplication noch deutlich Tor uns.
Diesen standen eiidSrend inTolntioo, enveloppement und
complication gegenüber. Die Begriffe wurden in der Logik
angewandt, so oft sich die Ahnung einstellte, dass die
logischen Operationen nur auseinander legen, was vorher
in die B^fnlfo hineingelegt worden ist. Schon Cicero
nennt einmal die Definition (wenn ich in wirklichem Deutsch
fibersetsen soll) die Auswickehmg dessen, was in das Wort
hineingewickelt worden war. Durch solche wOrtliche Ueber*
setaung tritt das Büd wieder deutlich zum Vorschein. Als
Jakob Böhme den Begriff in die deutsche Sprache ein-
führte, sagte er «Auswickelang*. Erst vor etwa 100 Jahren
wurde bei uns En t Wickelung gebriluchlM^er, während in
Frankreich das Wort expHcation (Auseinanderfaltung) f&r
die logische Erklärung Üblich blieb, und Evolution nach
englischem Vorbilde das bedeutete, was wir Entwiekelung
nennen. Ich will von jetst ab immer Evolution sagen, weil
es das Modewort aller Kultursprachen geworden ist
Der modmen Bedeutung fing das Wort sich am Aus-
gang des Mittelalters au nihem an, ab man ausserhalb
der Logik das Verhältnis zwischen Gbtt und Welt neu zu
erklären suchte. Der ausserweltliche Schöpfer der Welt,
der Gott, der nur von aussen stiess, begann zu verblassen
und der monistische Qedanke dämmerte unUar herauf.
Man fing an die Entstehung von Pflanzen und Tieren schibf er
zu beobachten, man bemerkte, dass in der Pflanzenknospe
die kOnftige Pflanze schon zusammengewickelt, zusammen-
gefaltet (involviert, compUsiert) bei einander lag, dass
sie nicht neu geschaffen zu werden brauchte, sondern nur
auseinandergewickelt, auseinandergefaltet (evolviert, ex-
pliziert). Es lag also nahe, das Bild von der Pflanzen*
knoepe anf die Entstehung der Welt aasuwenden, die von
nun an nicht sowohl geschaffen ab vielmehr aus dem Gott
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604
yUL WiNMi und Worte.
heraus entwickelt wurde. Diese Metapher hatte fQr gott-
gläubige Christen ursprünglich <;o wenig Anstössiges, dass
sie sich sogar bis zum heiligen Augustinus zurückyerfolgeii
lässt. Dabei ist freilich nicht zu yergessen, dass die Evo-
lution in diesem Sinne noch nichts mit einem Fortschreiten
der einmal entstandenen Welt zu höheren Qestaltangen su
thun hatte, dass diese Evolution vielmehr nur in bequemer
Weise der endlosen Fraige nach dem Warum der Dinge ein
£nde zu machen suchte. Als die alte Antwort ,Gott habe
alles geschaffen, was da ist" nicht mehr genügte, da freute
man sich der wohlfeilen neuen Antwort: ^ Alles was ist, sei
iinplicite schon in Gott dagewesen". Das Bild ron derEvO'
lution ging nur auf das Weltganze in seinem Verhältnis zu
Gott. Sofort freilich, seit Giordano Bruno wenigstens, fingen
die Denker an, das Bild auch auf das Einzelne anzuwenden,
und so ging aus der Metapher von der Auswickelung lang-
sam der Darwinismus hervor.
Aber es dauerte noch lange, bevor die Evolution klar
und deutlich das Fortschreiten zu etwas Besserem mit^
bedeutete. Die Unver'änderlichkeit der Arten, die alten
platonischen Ideen oder die Zwecke des Aristoteles, waren
dem Menschengehim so fest eing^raben, dass selbst die
Ahnung einer VerwanrUscliaft aller organische Formen die
Vorstellung von festen Typen nicht zerstören konnte. Noch
bei Goethe, den man so gern einen Vorläufer Darwins nennt,
ist der Üe1)ergang eines Typus in den andern nicht als ein
Fortschreiten gedacht sondm als eine Verwandlung, eine
Metninorphose. Die Frage der Entwickelung betraf fast
nur die Formen; man möchte sagen, es sd eine künstle-
rische Frage gewesen. Wirklich hat erst Darwin das Bild
Ton der Pflanzenknospe auf alles Einzelne angewandt und
ungefähr gelehrt, dass die sogenannten höheren Arten sich
aus den niedem herauswickeln, nicht weil sie vorher hinein-
gewickelt waren, sondern wdl die , Anlage* vorhanden war.
Man achte wohl darauf, dass die Metapher von der Heraus-
wickelung damit ihre ganze Bildlidikeit verloren hatte.
Evolution war eine bildliche Erklärung, wie das Weltganze
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Fortoehiitt.
005
aus Gott hervorgehen möge. Mit dieser Vorstellung hat
Darwin nichts mehr zu thun. Er findet aber das Wort
Evolution Tor als eine verblasste Metapher, lässt das Bild-
liche fallen und glaubt, und mit ihm ^^riaubt die ganze
Welt, einen neuen Begriff zu besitzen, in Gott lag die
Wek zusamnien gefaltet, wie die Keimblättohen im Samen;
darum konnte die Welt aus Gott herroigehen. Nun wird ,
das Wort «herrorgehen' schon für einen beofreiflichen Vor-
gang gehalten und Darwin lässt die höhere Art aus der
niedera hervorgehen, trotzdem sie nicht in dieser zusammen-
gefaltet lag. Und auch der moralische Begriff des Fort-
schreitens zum Ploheren, zvan Bessern schleicht sich jetzt
in das Wort Evolution ein. So wird auch der Begriff
»Evolution* wieder von seiner eigenen Geschichte umgeben,
unabweisbar und dennoch verschleiernd.
Darwin selbst ist zu vorsichtig und zu ehrlich, um so Fort-
metaphysische Begriffe offen zu gebrauchen. Seine ganze
Lebensarbeit aber liegt darin — so paradox nu ine Be-
hauptung auch scheinen mag — ebenso Moral, Mythologie
oder wie man die Sache nennen mag auf die Natur-
geschichte anzuwenden, wie eigentlich Kant Moral oder
Mythologie auf die Erkenntnistheorie angewandt Imt. Kant
hatt« seine abstrakte Moral zu dnem Muss für alle denken-
den Wesen gemacht und eben5;o seine Formen der Welt-
erkenntnis zu einem Muss des Geistes. In ähnlicher Weise
verstand es sich für Darwin von selbst — > wenn er es auch
nirgends ausdrücklich lehrt — dass der menschliche Geist
das Ziel der Entwickelung sei; und als seine Aufgabe sah
er es an, die Entwickelung des einfachsten Organismus zum
Menschengeiste hinauf zu erklaren. Scheinbar aus Natur-
gesetzen, heimlich aus Zweckursachen. Das Protoplasma,
die Zelle (oder wie man das Zeug nennen will) musste
sich zum Menschen entwickeln. Darwin sagt nirgends, dass
er ein Materialist ^ i; aber es Tcrsteht sich ihm Ton selbst,
eine mechanische Welterklärung zu suchen. Er sagt nir^
gends, nach welchem Massstabe das Menschengehirn wert-
voller sei als die Lebenskraft der Amdbe; aber es ist ihm
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606
VUX. WiaM and Worte.
selbstverständlich, ilass er viel erklärt zu habeu «;l;iul>t,
weiiü er die Entwickelunf? des hüheni Organismus aus dem
aiedem erklärt hat. Das ist ja eben «^ie hil )ii>f juenz aller
materialisti^ichen Theorien, dass sie den (iegensatz von
Natur und Geist zwar leugnen, aber keine Sophistik ver-
schniiUui. um der Natur den Adel des Geistes zu verleihen;
so wie unsere ulteu Demokraten ewig Gieiciiheit predigen,
aber i'iir sich pei*sönlich gern das Aufrücken in eine höhere
Gesellschaftsklasse durchsetzen mwhten. T>arw}n war nicht
so tölpelhaft wie unser Büchner, der iiiiuü i n\ iiiirend rief:
„Es gibt nichts Geistiges, es gibt nur Kraft und Stoff!
Seht wie geistreich ich die Kraft als den Geist d«'^ Stoti's
hingestellt habe." Darwin ist ein unendlich feinerer Be-
obachter. Aber auch seine Lehre liesse sich in dem Wider-
8]>ruch darstellen: ,Es gibt in der Natur nichts Höheres
und nichts Niedrigeros, Denn das Höhere entwickelt sich
aus dem Niedrigem."
Hätte unsere Zeit das Bildliche im Begriff der Evo-
lution festhalten können, sie hätte dem Begriff die Neben-
bedeutung des Wertes niemals gegeben. Denn in der Aus-
wickelung der Pflanzen aus dem Keim liegt nichts, was
zu einer Vergleichung der Werte Veranlassung gibt. Die
Wertschätzung ist immer und unter allen Umständen ein
Verhältnis der Dinge zum menschlichen Interesse, nus dem
Keim aber entwickelt sich die Pflanze und aus der Ptlanze
die Frucht, die wieder Keime enthält. Nicht einmal die
Reife bildet einen Schlusspunkt, sondern ebensogut einen
neuen Anfangspunkt. Es ist eine frevelhaft menschlich«
Auffassung, die seit Spinoza nicht hätte zu Worte kommen
sollen, dass die Evolution der Organismen cum Menschen,
die Naturgeschichte also, eine Fortbewegung nach aufwärts,
nach oben, nach dem Himmel zu sei. Das ist ebenso
frevelhaft menschlich, wie die alte Lehre es war, unsere
Menschenerde sei der Mittelpunkt des Weltalls und die
Sonne drehe sich um uns. Aus dieser unveränderlichen
Menschenreligion heraus ist der Fortschritt zum Bessern,
der Zweckbegriff also, in die natuigeschichtUche Evolution
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Fortschritt.
607
hineingekoiuiiien. Aus» dieser religiösen Sehnsucht heraus
soll der Begriff der Evolution auch noch der Sehnsucht
nach einer Zukunft »lieaen, nach neuem Recht, nuch neuer
Sitte, üeber die Zukunft aber wissen wir noch weniger
als über die Vergangenheit. Wollen wir ernsthaft den alten
Aberglauben abschütteln, so ist der neue Begriff der Evo-
lution für uns nichts weiter als ein neues zusammenfassen-
des Wort, das eine unklare Ahnung bezeichnet, wie wohl
unsere Welt im Einzelnen geworden sein mag. Dann aber,
wenn wir den moralischen Zweckbegriff nicht mehr mit
dem Worte verbinden, ist es ein schlecht gewähltes Wort,
bat es die letzte Spur seiner alten Bildlichkeit verloren
lind bedeiit-et nicht mehr als sein ehemaliges Sjnonjm: ex-
}>lication. Es ist der noch ganz unfertige Versuch, die Ge-
schichte der Natur durch Anpassung und Vererbujisr zu
, explizieren", zu erklären. Diese beiden Begriffe (Anpassung
und Vererbung nämlich"^ durcli das Wort Evolution " zu-
sammen zu beirreifen, ist eine Unklarheit mehr, eine voll-
kommen nutzlose Unklarheit, weil sie nicht den kleinsten
Aman Ii: einer neuen Hypothese gibt. Evolution ist ein
überfiübMges, ein unntttzes. ein sinnarmes Wort.
Wie gesagt: das alte Bild vom Pflanzenkeim })asste
noch, als man die Welt aus Gott herauswickelte. Von Ur-
anfantf mochte die Welt implicite noch znsanimenLrewickelt
in Gott gelegen haben. Stark verwässert, aber imuur noch
fllhlhar ist das Bild, wenn wir verstandesgem'ass etwa» zu
ex[ lizit ren suchen. Wir wickeln aus dem Begritf in Sätzen
heraus, was wir in sf iicken liineingewickelt haben.
Ganz verschwunden ist das Biid jedoch, wenn ^v^r ausser-
halb unseres Denkens die Veränderungen der Welt immer
noch als Evolution zu fassen versuchen. Worte leben nur,
wenn sie SvrnVmlc sind, und Evolution ist ein totes Synilnd:
Worte i>edeuten etwas nur dann, wenn sie erkennbare
Zeichen sind, und Evolution hat aufgehört etwas zu
zeichnen.
Diese Ablehnung richtet sich aber nicht so sehr gegen
Darwin selbst als gegen die philosophischen Begründer des
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608
VIIL Wisaen und Worte.
8p«M«r. Darwinifliniis. Darwin selbst ist ein wackerer Feind von
Abstraktion, ist noeh kein Darwinist. FOr gewdknlkli ent-
spricht er so sebr mnnem Ideal eines Forscheis, dass er
überhaupt keine Schlttose dekt, kerne allgemeinen l&kbi»
aufstellt. Für gewOhnUch lesen wir seine Blleber so, ab
ob sie gar nicht durch Sprache Temiittelt wiren, als ob
dieser Heros des Apercu mit uns zwischen Bergen Ton
Einzeldingen umherginge und stumm mit seinem Finger auf
Aehnlichkeiten zeigte, die vor ihm noch kein Mensch be-
obachtet hatte. Nicht eine neue Philosophie thut sich uns
da auf, sondern nur einerseits die Gewissheit, dass die alten
Klassifikationen und die alten Abstraktionen auf unvoll-
ständigen Beobachtungen beruhen, und anderseits die Ahnung,
dass eine übermenschliche , vollständige Kenntnis aller wir-
kenden Ursachen den fabelhaften Begriff der Zweckursache
endlich würde vernichten kOnnen. Erst der philosophische
Darwinismus hat (teils vor Darwin) die Lehre von der Evo-
lution aufgestellt; raeine Kritik dieses BegriflFs wendet sich
also nicht gegen Darwin, sondern gegen den jüngsten Mjtho-
logen, gegen Herbert Spencer.
Herbert Spencer hat das unleugbare Verdienst, eine
last uniihersehbare Menge von wissenschaftlichen Thiit-^acheu
unter einem einzigen Gesichtspunkt vereinigL zu haben.
Was i]i III i'ier Zeit der Arbeitisteilung unmöglich schien,
das hat ci utit unerhörtem Fleisse bewältigt. Mag man ihn
dafür mit Aristoteles auf eine Stufe stellen.
Selbstverständlich sind die zahllosen Beobachtungen,
die in der Zeit zwisclien beiden Müuueru von Naturforschern
gemacht worden sind, nicht umsonst gewesen. Das Wissen
Spencers verhält sich zu dem Wissen des Aristoteles wie
das eines Professors der Astronomie zu der Kalenderweis-
beit eines guten Pfarrers. In einem aber ist Spencer dem
stupenden Kompilator des Altertums ganz gleich, dass er
den allgemeinsten Begrifl" für den obersten Gesichtspunkt
hält, dass er also die Gesamtheit unstu - r \N elterkenntnis
aus den leersten Worthülsen herausschälen möchte. Auch
er unterliegt dem Fluche aUes Phiiosophierens ^ gerade
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I
erst aus gedroschenem Stroli nahrhafte Brotöucht gewinnen
sn wollen. Herbert Spencer tftusoht Aber die Scholastik
saner obersten Gnmds&tKe durch die Überwältigende Falle
Ton Beispielen, die er ans der leblosen Natur, aus der
Biolc»gie und aus der Soziologie herbei schleppt W^lhrend
aber Darwin ftlr gewöhnlich nur Beispiele gibt und die
Schlüsse dem Leser ttberlSsst, schreitet Spencer Aber seine
Beispiele hinweg Ton Abstraktion zu Abstraktion, von scho-
lastischen Worten zu acholaatiachen Sätzen, üeber hundert
Seiten braucht er, um sein ETolutionsgesetz zu formulieren,
und gelangt endlich (.G^mndlage der Philosophie*, deutsch
Ton Vetter S. 401) zu folgender Definition, deren sich kein
Logiker des Mittelalters zu schlmen h&tte: «Entwiekelung
ist Integration des Stoffes und damit Terbundene Zer-
streuung der Bewegung, wfthrend welcher der Stoff aus
tmet unbestimmten, unzusammenhftngenden Gleichartigkeit
in bestimmte, zusammenhängende Ungleichartigkeit Aber-
geht, und wihrend welcher die zurAckgehaltene Bewegung
eine entsprechrade Vmfonnung erfahrt.* Für meine Leser
yerrfit dieser letzte Schluss Ton Spencers Weisheit wohl
sofort das durchbohrende Gefühl ihres Nichts. Damit mir
aber, der ich mich frei gemacht habe Ton der toten Sprache
ilterer Philosophen, nicht dieser Engländer als der be-
rufene Sprecher zeitgenössiseher WissenschafUichkeit ent-
gegengehalten werde, muss ich mich der schwierigen und
undankbaren Aulgabe unterziehen, auch die ETolutions-
philosophie als ein sehnsüchtiges Wortgebände ihres Be-
gründers nachzuweisen. Ich brauche mich dann mit dem
Evoltttionsgeschwltze nicht mehr abzugeben, das aus dem
Munde yon Spencers Nachtretem im 2. u. s. w. Gliede
unsere Akademien und Uniyersitäten, unsere Festsäle und
VolksTersammlungen erfüllt und nach dem Glauben der
Zeitungsschreiber und Zeitungsleser so etwas wie die Lösung
des Weltrfttsels entibtält
Da ist nun gleich das erste Wort Ton Spencers De- in««-
finition hinreichend, um sie für meine Leser dör bewussten sntion.
Wortmacherei , ja eigentlich der Flunkerei rerdächtig zu
ICftHtliatr, Baitrlie n elmr Kritik dar Spnohe. m. 39
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610
Vm, Wiswii und Worte.
machen. Wir wisaen, dass jede vollständige Deänition eine
Tftutologie Min mius. Wir wissen also, dass eine Tauto-
logie herauskommen wirrl , wenn Spencer in sechs Zeilen
erklärt, weiche Art von Integration er Entwickelung oder
Evolution nennt. In nnserem Falle aber ist die Flunkerei
noch handgreiflicher, und die ganse Definition stellt sich
als ein loj^nscher Betrug heraus. Denn der von Spencer
eingeführte 13egi iiV der «Integration' ist selbst nur wieder
ein anderes Wort für ganz genau dasselbCf was Integration
erst in fünf scholastischen Zeilen werden soll : für Evolution
oder Entwickelung. Selbstverständlich meine ich nur einen
logischen Selbstbetrug ; denn ein Mann von den Fähigkeiten
Herbert Spencers setzt sein Leben nicht an einen Spass,
er schreibt nicht zehn von Arbeit strotzende Bände, um
wttüger als eine Tautologie zu beweisen. Wir werden sehen,
dass auch Spencer, trotz seines bessern Einblicks in das
Wesen der Sprächet doch auch der alten tleberschätaung
der Sprache zum Opfer fjpfaUen ist. Und mit einem un-
aussprechlichen Gefühl schaudernden Ekels frage ich mich
in (liesein Augenblicke wieder, worin ich selbst der Narr
der Sprache bin, während ich sie zu meistern suche. Aber
standhaft wie ein Esel im Homerischen Bilde will ich
meiner Aufgabe treu bleiben und hier versuchen das Spiel
aufzudecken, das mit dem Worte Integration getrieben wind.
Wenn Integration Uberhaupt etwas bedeutet, so wiU
es diejenige Veränderung bezeichnen, durch weiche Unzu-
sammenhSngendes zu etwas Zusammenhängendem, Unbe-
stimmtes SU etwas Bestimmtem, Unordnung zu Ordnung,
ein Haufe von Teilen zu einem Ganzen wird. Man gehe
die Darstellung Spencers von einem Ende bis zum andern
durch, man wird immer finden, dass bei ihm Integration
ursprünglich die Zusammenballung von Teilen zu einem
Ganzen bedeutet wie z. B. die Zusammenballnng des Ur-
nebels zu den einzelnen Himmelskdipwn unseres Sonnen-
systems , dass Integration dann später bildlich solche Yer-
einheitlichungen in der Biologie und Soziologie bedeutet.
Ware Spencer also so klar wie Darwin und zugleich so
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Inkjgzatioa.
611
naiv wie Darwin, so würde er ebenso wie Diirwin die
Schwierigkeit des Zweckbegriffo Übersehen und banal ge*
sagt haben: ich verstehe unter dem Worte Evolution den
Fortsehritt des Stoffs zu einem immer höheren Zusammen-
hang, zu immer höherer Bestimmtheit, zu einer immer
höheren Ordnung, kurz xu einem höheren Ganzen. Spencer
ist kritisch genug, um su wissen, dass er so mythologische,
moralische Begriffe wie aFortsehritt* und «höher* anstands-
halber Termeiden mOsse. Bewusst oder instinktiT ergreift
er das gans ungehrftachUche Fremdwort ,|Iiitegcatum*,
welches nur die Yeremheitlichung besagt^ glaubt damit der
Evolution einett allgememem Begrüf ftberordnen su kOnnen
und so ETolution philosophisch au definieren. Es hilft ihm
nichts* Kein Mensch kann mit seiner Sprache ans seiner
Vorstellungswelt heransspringen, denn Sprachschata und
Weltanschauung ist eins und dasselbe. Was Spencer de-
finieren will, der Begriff der Erolution, enthUt unweiger-
lich, wenn auch noch so heimlich, die Nebenbedeutung des
Fortschritts su etwas Besserem. Und mag man den Begriff
Integration noch so abstrakt &ssen, auch ihm haftet dieses
freTelhaft menschliche Werturteil unweigerlich au.
Selbst wenn wir unter Integration nichts weiter Ter-
stehen wollen als die Vereinheitlichung uneinigen Stoib, so
drängt sich dem Tororteilslosen Denken die Frage auf: bei
wem denn die Entscheidung sei darflber, ob etwas eine Ein-
heit sei oder nicht? Wir sind es gewohnt die Organismen
der Erde, Tiere und Pflanzen, Einheiten zu nennen. Schon
da, wo die Sprache ihrer Sache am gewissesten su sein
glaubt, regt sich der Zweifel, ob einerseits nicht z. B. alle
Menschen gleich wie Zellen sind gegenüber der sozialen
Einheit, der Menschheit, und ob anderseits das Kind im
Mutterleib, die Frucht an der Pflanze selbstindige SSnheiten
sind oder zu dem mütterlichen Organismus als Teile ge-
boren. Bis in Fragen des Rechte greifen diese Bedenken
hinein. Noch viel ungewisser darflber sind wir, wann und
warum ein Stein, ein Metallstflck ein Ganzes, eme Einheit
genannt zu werden verdiene. Sicherlich dann, wenn mensch-
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612
ynL Wmmii tmd Worte.
liebes Interesse es abgesondert bat. Aber wann und wunm
in der liatur? Und sind die einzelnen Planeten unseres
Sonnensystems auch gewiss und natürlicli 1 > ondere Ein-
heiten, besondere Ganze zu nennen? Vielleicht ist dem
gar nicbt so , vielleicht treibt ein unbekanntes Ganze diese
imsere Erde mit den übrigen Planeten im Aetber um die
Sonne herum nur für unsere Augen, fUr uns mit Nerven
und Gehirn ausgestattete Arten der Scbimmelde<^e der
Erde, die wir uns — um den übrigen Schimmel essen so
können — das Sehen angewöhnt haben und die Augen und
die Übrigen Sinne nnd die wir uns dazu — um das Ess-
bare besser unterscheiden zu können — das Qed&chtnis oder
die Sprache angewöhnt haben und die wir mit Hüfe dieser
Magd unserer Begierden, der elenden menschlichen Sprache,
diese Erde und die andern Planeten spielend Einheiten
nennen. Noch einmal: wer lehrt uns Einheiten zusammen-
fassen? Nur unsere Sprache, das ist der Ausdruck unseres
▼om Interesse geleiteten Gedächtnisses, lässt uns das Chaos
der Welt zusammenfassen, bestimmen, ordnen, in ganzen
Einheiten merken. So werden wir uns jetzt schon sagen
und damit aber Spencer hinaus gelangen: dass die Ent-
wickelung der Dinge, die viel gerOhmte ETolution, freiHch
auch als Int^pration bezeichnet werden könne, weil sie nicht
ein ErfSshrungsbegriff aus der Wirldiehkeitswelt ist, sondern
eine Bequemlichkeit unseres Denkens oder unserer Sprache,
je nach dem Stande unserer Beobachtungen zu benennen,
was wir nicht begreifen* Wohl hat Spencer recht, aber
ganz anders als er es rersteht: wir begreifen die Natur
nicht, wir legen in sie die Entwickelung, das Streben nach
höheren Zwecken erst hinein, und wenn wir bescheiden sein
wollen, so nennen wir diese unsere letzte arme Beligion das
ewige Streben zum Ganzen: die Integrstion. Ordnen wollen
wir die Natur, um in ihr nicht unterzugehen; aber Ordnung
ist nicht wirklich, Ordnung ist nur eine Sehnsucht der
menschlichen Sprache. AhnungsToU hat einmal Spinoza den
Begriff der Ordnung neben die morslischen Begriffe gestellt,
die von uns sind, nicht von Natur.
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Intogrfttioii.
61S
Mit dieser Auflösung des 6egri£fs Integration scheint
mir die ganze scholestieche Definition Spencers yemichtet
7A\ sein. Aber er gebraucM noch weiter Begriffe, die auf
der eisigen Höhe solchen Denkens ihren Sinn verloren haben.
* Er lehrt, dass die Evolution zugleich eine Sammlung des
Stoffs und eine Zerstreuung der Bewegung sei. Er denkt
dabei z. B. an die Entstehung eines Planeten, wo zugleich
der Stoff sich 2U einer Kugel zusammenballt und dabei z. B.
Wärme erzeugt, welche — Wärme ist ja Bewegung — fort-
wirkend andere Veränderungen hervorbringt. Er wendet
dieses Bild der Evolution dann, wie gesagt, sehr hübsch
niif andere Konzentrationen von Stoff und Fortwirkungen
der Bewegung an, auf Biologie und Soziologie. Wer aber
sagt uns, was Stoff ist? Wer, was Bewegung? Es sind das
für uns mythologisch gewordene Begriffe, mit Hilfe deren
die alte Mechanik sich in der Wirklichkeitswelt zurechtfand
und sogar Maschinen erfand und berechnete; aV)er gerade
in unseren Tagen ist die Mechanik selbst im Begriff, die
alten Worte preiszugeben, weil immer nur eines durch das
andere erklärt werden kann, weil weder ein Stoff noch eine
Bewegung an sich in der Welt der Wirklichkeiten wahr-
zunehmen ist. Man schickt sich an, von «Energie* zu
sprechen und Stoff und Bewegung nur noch als Tcrschiedeue
Erscheinungsformen, als Blendwerke der Energie aufzufassen.
Ich fürchte, wir werden mit dem Worte Energie nicht weiter
kommen als die alte Mechanik mit dem fiist gleichbedeuten-
den Worte «Moment*. Worauf es mir hier aber ankommt,
das ist der Hinweis darauf, dass Spencer bei seinem obersten
Gesetz nicht umhin kann, Worte ohne Legitimation zu ge-
brauchen, Worte, die körperlos und haltlos in unserem Ge-
dächtnis oder unserem Sprachschatz schweben, gleich wie
Gdtter einer sterbenden Religion, und die so wenig frei*
willig ins Exil wandern wollen wie abgesetzte Götter und
abgesetzte Könige.
Spencers Definition ist so leer und abstrakt, dass ihr
Wortlaut uns erlauben würde, sie nun für abgethan zu er-
klären. Das aber wäre ungerecht, denn Spencer selbst
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614
Vm. WiiNB und Wott«.
denkt sich allerlei bei seinen Abstraktionen und wir mllssen
seinen Gedankengang ein wenig zurUckyerfolgen. Er weiss
natürlich so gut wie ich, dass der Begriff der «Kraft* Stoff
und Bewegung mit umfasst, und es ist nur der heimüdie
Wunsch, SU seiner Definition zu kommen, was ihn irre
macht. Wenn er auch nicht erkannt hat, dass die Er-
haltung der Energie, was er „ Fortbestehen der Kraft nennt,
etwas Selbstverstänflliches ist, noch weniger als eine Tauto-
logie, nämlich nichts als die Weisheit: .Wir brauchen keinen
Unsinn zu denken," — so stellt er doch das Fortbestehen
der Kraft sehr gut als unsere äusserste und allgemeinste
Kenntnis von der Wirklichkeit hin und formt den Satz nocb
besser um, wenn er von dem Fortbestehen der Beziehungen
zwischen den Kräften spricht. £r hält da freilich für einen
logischen Schluss, was fjerade nur eine Tautologie ist; aber der
Ausdruck ist vortrefflich. Nun aber vollzieht sich in seinem
Kopfe dasjenige, was regelmässig den Saltomortale von der
Wirklichkeit sum Denken, Ton unserer wirklichen Erkenntnis
zum System ausmacht. Er hat den allgemeinsten Ausdruck
fUr die Wirklichkeit gefunden und kann dem Wunsche nicht
widerstehen, hinter der Welt den Gott zu suchen, die alten
Mythen unserer Sprache hinter den Gesetzen der Wirklichkeit.
£r sieht das Spiel der Kräfte in der Natur und er lebt mit
seinem Selbstbewusstsein in der menschlichen Gesellschaft
mit ihren Rechten und Sitten. Er hat wie jeder andere
die Sehnsucht, das Oeheimnis zu begreifen, wie die Kräfte
der Anziehung und Abstossung, wie Chemismus und Elek-
tridtät sich su den moralischen Gesetsen der menschlichen
Gesellschaft «entwickelt* haben. Sr sieht den Gott nicht,
der in dem Begriff Entwickelung -versteckt ist. Er hält den
Begriff Entwickelung ffir die Bezeichnung Ton etwas Wirk-
liebem und macht den Kopfsprung von der Erhaltung der
Energie zur ETolution. Man achte genau auf den Ueber-
gang. Er hat sich belehren lassen, dass das oberste Gesetz
der Wirklickkeit das Fortbestehen der Beziehung zwischen
den Kräften ist. Dieses Gesetz wiD nur besagen, dass die
Welt im Innersten nicht mehr und nicht minder wird, wäh-
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SpndM md WiiUiolikiii. 615
rend die Erscheinungsformen der Kraft, Stoff und Bewegung
nftmlich, sich da und 'lorl: anders verteilen. Diese Anders-
yerteilungen von Stoff und Bewegung sind das Blendwerk,
das wir Wirklichkeitswelt nennen. Diese Andersverteilungeu
sind wahrscheinlich nicht regellos. Wahrscheinlich hat
Darwin recht, wenn er aufmerksam durch ihre erdrückende
Falle geht und überall auf merkwürdige Aehnlichkeiten hin-
weist. Sie sind würdig gemerkt su werden, nnd die Mensch-
heit hat es schon vor Darwin gethan. Die ganze Geschichte Spraob«
des Menschengeistes ist die Summe des Gedächtnisses solcher ^^iruiob'
Aehnlichkeiten; imd die ganze Oeschichte der Natur ist kelt.
vielleicht das wirkliche Kprrelat dazu, nämlich die Summe
der Aehnlichkeiten, die das unbewusste Gedächtnis gemerkt
hat, die Erblichkeit. So dämmert uns etwas, was uns der
Natur zu nähern scheint, wie Nebel mitunter die Gegen*
stände nähert. Herbert Spencer aber will so wenig wie
andere Denker vor ihm sich mit diesem Nebel begnügen;
nichts weiss er, absolut nichts anderes weiss er, als dass
die Beziehungen zwischen den Kräften fortbestehen und
das, was wir wahrnehmen, nur Andersverteilungen dieser
Kräfte, das heisst ihrer Stoffe und Bewegungen sind. Sehn-
süchtig will er aber die Welt yerstehen und sucht ein Ge-
sets für diese Andersverteilungen. Während er es aber
noch zu suchen vorgibt, hat es ihm der augenblickliche
Stand des Menschengeistes schon diktiert. Für dieses Ge-
setz, das er erst sucht, liefert ihm der zeitgenössische Sprach-
schatz als umfassendsten Ausdruck da.s Wort Evolution. Eto*
lution ist nichts weiter, als das Suchen, als die Frage nach
demselben Gesets, das Spencer sucht. Das würde Spencer
zugeben, wenn ihn die Kritik beim Nacken fasste und mit
der Stirn auf das Wort stiesse. Weil er aber diese Macht
nicht fllhlt, gibt es einen Augenblick, wo er die Frage mit
der Beantwortung ▼erwecliselt und wo er das fragende Wort
ETolution für das gesuchte Gesetz der Andenrerteilun*
gen hält.
Darum ist sme Definition so scholastisch geworden
und darum ist ihr ehrlicher Sinn etwa folgender: wirklich
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Ü16
VUL WÜMn und Worte.
ist nichts als das Fortbestehen der Beziehungen zwischen
den Kräften; was wir wahrnehmen sind die Andersvertei-
luugen von Stoff und Bewegung, dieser Erscheinungsformen
der Kräfte. Weil eine Kraft aber auch das Produkt von Stoif
und Bewegung ist, so wirkt selbstverständlich jede Anders-
verteilung des Stoffs uuf die Bewegung uml u[iiL'"t'kelirt; wir
können auch sagen, dass jede Vereinheitlichung von Stoff
Differenzierung der Bewegung erzeugt und umgekehrt ; diese
Tautologie nennen wir aber das oberste Gesetz, die Evo-
lution, weil wir doch den Wunsch haben zu ünden, was
wir suchen.
Wer sucht der findet. Und wenn er nicht findet, was
er gesucht hat, so beruhigt er sich bei dein ( rsten besten
Gefundenen. Wnni die Polizei einen Verbrecher lange ge-
sucht hat , so greitt sie nach dem ersten besten und wirft
%m das begangene Vorbrechen an den Hals. So ist es in
der Geschichte der l'iiilosophie schon öfter gegangen. Klas-
sisch ist das Beispiel von Kant, der auszog, das oberste
Moralprinzip zu linden. Unverrückbar stand es in seinem
Kopfe: das gesucht»' «»berste Moralprinzip müsse so beschaffen
sein, dass es allgemein gültig wäre; dann machte er eines
Tages den Saltomortale und verwech.selte die Aufgalie mit
der Lösung und glauljte sein Gesetz gefunden zu haben als
er als obersten (irrundsatz aussprach: dein Moralprinzip muss
allgemein gültig sein können, dann ist es das oberste Moral-
prinzip. Niemand wagte zu lachen. Und so hat in unseren
Tagen niemand gelacht, als Herbert Spencer auszog, das
oberste Gesetz der Andersverteilungen zu finden, und zu der
Tautologie gelangte, das oberste Gesetz, das Evolution heissen
soll, ist das Gesetz der Ändersverteilungen. Au(h Spencer
ist ein armer sprechender Mensch, ist woitaberglaubis(;h,
ist im Sinne der Scholastiker ein «Bealist**
Der mittelalterliche, scholastische Realismus, den ich
zur Unterscheidung jedesmal Wortrealismus nenne, lehrt,
dass die UniTersalien oder Begriffe irgend etwas Wirkliches
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Wortrealiflmxis.
617
seien, dass z. B. den aufwärts Yenülgemeinerten Begriffen wort-
Schimmel, Pferd, VierfÜssler, Tier, Organismus, Ding in der
Wirklichkeitswelt etwas entspreche, was kein Individaum
und doch ein Schimmel, eia Pferd u. s. w. wirklich und
wirksam, dingUch sei. Der moderne Realismus lehrt jedem
IdeaEsmos gegenüber, dass nur dasjenige wirklich sei, was
vnr mit unsem Sinnen wahmelimen kOnnen, dass alle andern,
hoberu Begriffe nur Abstraktionen seien, nur in unserem
Seelenleben vorhanden, er lehrt den Primat des Materiellen.
Dieser moderne Realismus kommt also dem mittelalterlichen
Kominalismus sehr nahe und scheint darum dem scholasti-
schen Wortrealismus entgegengesetzt zu sdn. Die Sprach-
kritik kann sieh in vielen Fällen damit b^^ügen, den alten
und den neuen Realismus als Gegensätze aufzufassen. Doch
ein schärferes Zusehen kann uns lehren, wie fliessend und
q»ielend so entgegengesetsfce Begriffe ineinander Übergehen«
Als Vorbereitung zu dieser schärferen Betrachtung
wollen wir einmal zusehen, wie sich unser neuer Realis-
mus oder Nominalismua ungefähr zu der eben angeführten
Skala von Begriffen stellt. Den Begriff Ding wird er leicht
preisgeben als eine fast inhaltlose Abstraktion. Die weitern
Begriffe, Tom Organismus herab bis zum Pferd, wird er
doch nicht so ganz als flatus rocis, als blosse Lufterschütte-
rungen ansehen wollen, wird ihnen zwar nicht gerade die
Wirksamkeit platonischer Ideen, aber doch formenbildende
Krftfte zuschreiben, das heisst nicht dem Worte oder Be-
griffe, sondern einem hinter diesem steckenden Etwas, was
entweder im Sinne Goethes die Begehnissigkeit in der Natur
oder im Sinne Darwins die Erblichkeit in der Natur als
Folge hat. Derselbe Eompnuniss wird für den Begriff
Schimmel geschlossen, von der Umgangssprache yon jeher,
weil diese immer darwinistiseh war und den strengen Unter-
schied zwischen Spedea und Varietät nicht kannte, neuer-
dings auch Ton den Darwinisten. Aber drOben das Ihdi-
yiduum Schimmel, das Ton seinem Herrn RHana* gerufen
wird, hat zugleich einen Namen und eine Bealitftt. Unser
modemer Realismus weiss noch nicht, dass es immer noch
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Yin. Witten und Woite.
scliül astischer Wortreal isiiuis ist, auch nur das Individuum,
das (lo( h nur ein Strombett ist für in der Zeit und im Raum
abfliessende Molekularbeweguiifj^en, ein Reales zu nennen.
Ganz vor kurzem hat Virchow, allerdings nur in Sorge um
seine geliebte Zcllularpathologie, selbst den Bogrift" de'; It^-
dividuum--- nfnninalistisch kritisiert und Leben, Seele und
was drum und dran hängt einzig und allein seinen lieben
Zellen zugesproclien , die sit h als die unter das Mikroskoj)
gebrachten Leibnizscheu Monaden entpuppten. Der Nomi-
nalisnius Virchows tritt also der Welt entgegen un<l kriti-
siert sie von Gott bis herunter zur Zelle; vor der Zelle
jedoch macht er Halt und bekehrt sich ihr gegenüber zum
Wortrealisnius.
Unsere Erkenntnistheorie muss noch einen kleinen Schritt
weiter gehen umi fragen, wo denn der Realismus der Zellen
anfange, die wir mit bewaffneten oder unbewaffneten Sinnen
wahrnehmen. Ob ausser uns oder in uns. Sind die Zellen
wirklich Individuen und zwar Individuen ausser uns, so hat
der Realismus etwas Festes, woran er sich in der Physio-
logie halten kann, wie er in den Molekülen etwas Festes
zu haben glaubt, woran er sich in der unorganischen Welt
hält. Doch in der unorganischen Welt bereits zwingt ihn
die Schwierigkeit der Naturerklärung, die immer noch körper-
lichen Moleküle in die idealen Kraftzentren der Atome auf-
zulösen und so die materialistische Welterklärung in einen
energetischen Idealismus hinUberzuleiten. Dieselben Kraft-
mntaren nimmt die Wissenschaft natürlich auch in der organi-
schen Zelle an, weil sie auch im lebenden Körper noch
niemals andere Atome als die der unoi^Hfanisdien Elemente
nachgewiesen hit: las Denken kann dabei nicht stehen
bleiben, es muss hinter der Zellseele eine Protoplasmamele,
hinter der Protoplasmaseele eine Unznhl von Atomseelen
suchen, und weil zu den unorganischen Kräften noch diejenige
Kraft kommt, welche so oder so die Erscheinungen des Lebens
▼erunacht, wird die Physiologie des modernen Realismus zu
einem energetischen Idealisnms zweiter Potenz.
Man sieht, die ganze Untersuchung Iftoft auf die Frag»
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Indindnam.
619
hinaus: Was ist ein Individuum ? Der raodeine Realismus
erfasst alle Art- und Gattungsbegriffe als blosse Worte,
schiebt die Frage nach der Entstehung dieser Arten und
Gattungen zurUck und erklärt mit dem scholastischen Nomi-
nalismus das Individuum allein fUr wirklich. Unser naives
Bewusstsein, unser Stolz sträubt sich mit Lebenskraft ja
mit Todesangst dagegen, anzuerkennen, dass selbst der Be-
griff der Individualität sich nicht länger wie bisher fest-
halten lasse. Die Zoologie gibt schwindelerregende Bei-
spiele dafür, dass die Individualität im Tierreich anders sein
könne als diejenige Individualität, die wir Menschen einzig
und allein in unserem Selbstbewusstsein vorfinden. Wenn
der Seestem zerschnitten wird und so durch die Willkür
des Zerschneiders zwei Seesteme entstehen, wenn die Si-
phonophore viele Individuen zu einem Staate vereinigt, der
doch wieder eine Art Individualität hat, wenn im Generations-
wechsel so zahlreicher Tiere das eine Individuum ganz oder
teilwdse aufgebraucht wird um ein anderes Individuum zu
bilden, wenn der Bandwurm oder der Schmetterling durch
Formen hindurchgeht, die sich TOneinander stärker unter-
scheiden als ein Mensch und eine Schlange, dann begreift
der Beobachter, dass der mensdiliche BeffaS Individuum
nicht auf jedes Tier angewendet werden kann. Und hat
der Bienenstaat, der Ameisenstaat nicht, trotz der körper-
lichen Trennung der einzelnen Tierchen, manche Aehnlich-
keit mit der Siphonophore? Und der Menschenstaat? Wird
nicht durch die Thatsache der Vererbung das Individuum
fortgesetzt, also der Begriff der Individualität doch wieder
umgeformt?
Es ist also nicht ganz leicht mit dem Denken aufzu-
hören, wenn man die Individuen als einzige Realitäten auf-
gefasst hat. Aufwärts und abwärts flieset die Grenze der
Individualität. Real ist uns die Zelle nur, weil unsere Sinne,
auch die bewaffneten, sie nicht teilen können; die Zelle ist
das hypothetische Atom der Physiologie.
Sehen wir nun von der objektiven Individualität ab
und fragen wir nach dem subjektiven QefUhl, welches jeder
620
Viii. WiiMi und Worte.
Mensch nur für sich selbst eniithiiili t: icli bin ein Indi-
viduum. Wer dieser Empfindung nicht glauben wollte, wer
seinen eigenen Körper nicht als eine Individualität be-
trachten, sondejii ihn auch praktisch als blosse Form auf-
fassen wollte, als ein fremdes Strombett für unaufhörlich
wechselnde Moleküle und Molekularbewegungen, der würde
verrückt scheinen und es wahrscheinlich auch sein. Wenn
ich esse, liebe, denke, kämpfe, so handle ich als Individuum,
kümmere mich den Teufel um meine Erkenntnistheorie und
halte den Schein der Individualität für Wirklichkeit. Dafür
keiase ich auch ein verständiger Mensch. Dabei durch-
schaue ich aber heimlich diesen Schein und weiss, dass das
Selbstbewusstsein oder der Schein der Individualität mit
meinem Gedächtnis irgendwie zusammenhängt, dass ich
mich ab Individuum fühle, weil mein Gedächtnis die Em-
pfindungen aufeinander folgender Zeitteilchen verbindet,
weil mein Gedächtnis das Strombett von jedem Punkte bis
in die Nähe der Quelle zurückverfolgt (vergl. 1. 606).
Wenn das alles wahr ist, dann ist der moderne B^nlis-
mus doch nur eine vorläufige, ihrer vorläufigen Kolieit
sich ganz gut bewusste Weltanschauunrr. Ueal sind nmr
IndiTiduen; Individuen aber sind ausserhalb unserer Spradid
oder unseres Denkens oder unseres Gedächtnisses unauf-
findbar, wir kennen also kein Reales. Selbst die einzelnen
Menschen sind objektiv nur runde, räumlich von der übrigen
Welt abgeschlossene Organismen, die Zeit ihres Lebens einen
bestimmten Namen tracron — ; subjektiv: Individualgedächt-
nisse, die übrigens auf nichts sicherer und lieber reagieren
als auf den Namen, den sie objektiv bei den Mitmenschen
besitzen. £in Sterbender reagiert noch im Koma auf Nen-
nung seines Namens.
Impfln« Und nun sehen wir einmal zu, ob es mit den Wahr-
^la^ nehmungen, die all unserer Welterkenntnis, all unseren
Ti4a«n Vorstellungen auch von Menschenindividuen doch zu Grunde
liegen, anders bestellt ist. Sofort fällt es uns ein, dass
unsere Sinnesorgane uns wieder keinen Aofschluss geben
Uber irgend etwas Reales. Wir müssen versuchen, diese
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fiditeiuitiuiCheoretiMlier NominaliBmiis.
621
Yergleiclmiig swiscben HenschemndiTiduen nnd den ein-
fadisten Sinneswalinielimimgen festanihaltea, so paradox
und schwierig sie ist Ein Ton erklingt, eine Farbe lenchtet
Unmöglich fllr unsere Sinnesorgane, das Individuum ds oder
das Individunm rot (beide Empfindungen sind nur unend"
lieh Ueine Bestandteile unseres Ichbewusstseins) anders zu
fühlen als durch die Th&tigkeit des Gedächtnisses, welches
die und die Schwingungen als ähnlich oder regelmissig
Tergleicht, sie durch sein (des Gedächtnisses) Strombett
fliessen lässt, von irgend einem Punkte dieses Strombett
flberblickt und es durch eine Erinnerung ausaeidmet» Wir
besässen unser Ichbewusstsein nicht, wenn unser Gedächtnis
oder unsere Sprache nicht Milliarden Ton solchen Em-
pfindungsindividuen To^gletchend klassifisiert hätte; aber
auch diese letzten Empfindungsindividuen geben uns nicht
die Wahrnehmungen von etwas Realem, sondern selbst
schon blossen Schein. Unser modemer Realismus wird also
notwendig Aber sich selbst hinausgeführt zu dem Einge*
slAndnis, dass er keine wirkliche Realitilt erkenne, dass er zu
einem neuen Idealtsmus führe, sagen wir nur zum energe-
tischen Idealismus. Unser modemer, ein Jahrhundert lang
so stolzer Realismus muss also am letzten Ende eingestehen,
dass er, so weit es auch unsre naturwissenschaftlichen For-
schungen seit dem Mittelalter gebracht haben, dennoch bei
den beiden Endpunkten, beim Ichbewusstsein des Menschen
wie bei den niedersten Sinnesempfindungen, ohne Wortaber-
glauben nicht behaupten kann, etwas WirUiches zu er-
kennen. Der moderne Realismus hat die Nichtrealitöt der
Art- und Gattungsbegriffe eingesehen, ist aber — solange
er nicht Sprachkritik geworden ist — in der Auffassung
des letzten Wirklichen Wortrealismus geblieben.
Der scholastische Nominalismus stellte sich dem scho-
lastischen Wortrealismus tapfer gegenüber, aber er konnte
das letzte Wort nicht finden, weü er an die Reslität der aoW
Individuen glaubte und die ZufäUigkeit der ^e nicht ^^^IT
ahnte. Was ich lehre, das wird vielleicht ein Nominalis-
mus redivivus genannt werden. Doch er hat nach seiner
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VIII. WuMB QDd Worte.
Wiederenreckung die Schule von Locke und ITumc und Kant
nicht Tergessen und ist, befreit von irdischen kirchUchen
Sorgen, ein reiner, erkenntmstheoretischer NominaUflmns.
Hätte dieser Norainalismus schon gesiegt, so wäre es
nicht nielir möglich, dass kluge Menschen heute noch zwi-
schen Theorie und Praxis, zwischen Denken und Leben
unterschieden. Das mag eine lustige Theorie sein, die je-
mals der Pk-aads widerspricht. Es ist als woUte man Ge-
setze aufstellen, die eingeetandenermassen der Erfahrung
widerspriUshen. Und doch waren und smd die grOssten
M&nner der gWtesten Praxis dem Wortaberglauben unter-
worfen. Ich denke dabei an die Staatsmftnner, deren Stärke
doch natnrgemäsB darin liegen muss, dass sie die Wirklich-
keit erkennen, dass sie nicht Ideologen oder W4»trea]isten
sind. Man denke aber einmal an die beiden Riesen unter
den handelnden Personen des 19. Jahrhunderts, an Napoleon
und Bismarck, die beide mit Recht als Besieger der Ideo-
logie gelten. Das allmählich wachsende Lebensziel beider
Männer könnte man dahin zusammenfassen, dass sie beide
den Namen Cäsar oder Kaiser wieder zu einer Macht machen
woUten, Napoleon mehr für sich selbst, Bismarek mehr for
seinen König und sein Land. Sehen wir dabei ab von all
dem Unheil, welches der Wortaberglaube an die Staats«
formen für Julius Cäsar selbst, der Wortaberglaube an den
Titel Cäsar fUr die Kaiser des deutschen Mittelalters zur
Folge hatte. Napoleon machte das Wort mit unerhörter
Kraft zu einer Realität, ging aber am Ende daran zu Gründe,
dass er wortabergläubisch an einem andern Begriffe hing,
an dem geographischen Begriff »Europa*, dass er sich nicht
Cäsar fOhlte, solange jemand in „Europa* ihm nicht ge-
horchte. Man kann in Napoleons Briefen Belege daf^
finden, wie der Zufallsbegriff „Europa* seine Entschlösse
lenkte, ihn in den Feldzug gegen Russland trieb. Selbet-
TerständHch war Europa daneben auch eine Realität durch
die höfischen und ökonomischen Beziehungen zwischen Russ-
land und den Westmächten; aber darüber hinaus wurde
Napoleon durch den Begriff beeinfiusst. Und der noch
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ExkenntnialheofetiMher NomiaalunniM.
628
grössere Nominal ist Bismarck, der seine Erfolge sein ganzes
Leben lang dem Wirklichkeitssinne verdankte, mit welchem
er die wirklichen Knochen der deutschen Soldaten, den
wirUichen Charakter seines Königs, die wirkliche Hand-
lungsweise seiner innern und äussern Gegner in Rechnimg
zogf erfuhr seinen einzigen Misserfolg dadurch und fiel viel-
leicht indirekt darflber, dass er einen einzigen seiner Qegner,
den Lenker der römischen Kirche, nicht als einen Menschen
Ton Fleisch und Blut, sondern als einen Begriff bekftmpft
hatte.
Wibre einmal der eEkenntnistheoretische NominaUsmus
und mit ihm die Sprachkritik in die geistige Gewohnheit
des Volkes oder wenigstens der führenden Männer Ober-
gegangen, dann würden die letzten Beste von Ideologie aus
dem Kalkül der Staatsmänner Terschwinden, dann würde ein
Genie wie Bismarck nicht mehr dem Irrtum yerfallen können,
er handelte, wenn er mit Kanonen g^^n den Namen Bom
oder gegen das Ahstraktum Papsttum schiesst. Solange
die Sprachkritik nicht das Denken geklärt hat, wird man
immer wieder einmal glauhen, es sei etwas, wenn man
einen Gegner in ef&gie aufhängt anstatt ihn körperlich beim
Kragen zu kriegen. Man weiss es heute noch nicht, dass
solche wortrealistisehe üeberbleihsel in den Köpfen der ge-
waltigsten Männer an den Bildzauher der Araber erinnern,
die ein Opfer tödlich zu Torwunden versprechen oder glauben,
wenn de auf seinem Bflde das Herz mit einer Nadel durch-
stodien haben. So viel Uber den praktischen Nutzen des
erkenntnistheoretiscfaen Nominalismus oder einer Kritik der
Sprache.
Wie gefährlich der Streit um Worte fOr die Praxis
des Lebens sei, das haben immer am besten die Engländer
eingesehen, deren freiere Philosophen, welche niemals Pro-
fessoren, oft Staatsmänner waren, das Beste zur Bekämpfung
des WortreaUsmus beigetragen haben. Schon Johannes von
Salisburj (im 12. Jahrhundert), ein Schüler Abailards, spottet
der dialektischen Spitzfindigkeiten. Man f&hrt ihn gewöhn-
lich als einen Gegner der Nominalisten auf. Er machte
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624
Vm. WImmi und Worte.
sich aber eigentlich über beide Parteien lustig. Als er nach
einem thatigen Leben nach Frankreich zurückkam und dort
die alten Kommilitonen immer noch auf demselben Flecke
fand, schrieb er: „Die Welt ist gealtert in der Bearbeitung
der Frage nach den Gattungs- und Artbegriffen; an diese
Frage ist mehr Zeit verwandt worden als das Haus Cäsar
an den Gewinn der Weltherrschaft setzte, mehr Geld ver-
schwendet als Krösus besnss; sie fesselte yiele Leute so
ausschliesslich ihr ganzes Leben lang, dass sie weder das
eine noch das andere fanden."
Es ist ein hübscher Zufall der Sprache, dass zur Zeit
der Renaissance die Wortrealisten die Antiken, die Nonuna-
listen die «Modernen'' hiessen. („Moderni" stammt gewiss
von modo*, spätlateinisch so viel wie ^jetzt, heute*,» und
heisst also wahrhaftig ,die heutigen In veränderter Wort-
bedeutung sind heute alle modernen Menschen Nominalisten,
ohne es zu ahnen. Wieder wie zu den Zeiten Occams oder
noch genauer wie zu den Zeiten Abailards sucht sich die
denkende Menschheit TOn dem Ballast der Abstraktionen
zu befreien; insbesondere die abstrakten Begriffe aus der
Aesthetik und der Ethik, also alle bisher g^laubten Ge>
setze der Kunst und des Staatslebens werden kritisierend
zersetzt und die Umwertung aller Werte i^f ^lurch Nietzsche
ein beliebtes Schlagwort geworden. An der Bezeichnung
ffWert*^ erkennt man, dass d«: Ansturm in erster Linie der
Gruppe von Vorstellungen gilt, die man zuletzt unter dem
Namen der praktischen Philosophie zusammengefasst hat.
Unter dem Jammergesdirei der Kirche und der alten Staats-
theoretiker hat die nominalistische Auflösung all dieser
Abstraktionen und der in ihnen verstedcten Woturteile be-
gonnen. Aber immer wieder scheute man zurttck vor der
viel wiehtigmren AnflABung der theoretischen Begriffe, vor
einer radikolen Kritik der menschlichen Erkenntnis und £r-
kenntnismöglichkeit. Ja die offizielle Wissenschaft protzt
hochmütiger als je auf den Wert derjenigen Uni Versalien
oder Allgemeinbegriffe, die in unserem Zeitalter den Namen
der Naturgesetze angenommen haben. Wie der alte Kon*
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ErkemitiliRtheoreliaolMr NominaltaimM.
625
zeptualismus di6 psychologische Entstehung der Begriffe in
der Menschenseele zugab, aber in den Dingen selbst den*
aoch etwas Reales suchte, das geiiAU den Begriffen enir
'Sprechen sollte, so sind heute unsere besten Forscher — he-
wusst oder unbewusst — einig über die rein subjektive
Entstehung und Bedeutung der Menschensprache , aber die
^Gesetze, welche sie in dieser Menschensprache geformt
haben, halten sie trotz alledem für etwas in der Wirklich-
jEeit Vorhandenes, sie halten die Naturgesetze für Befehle,
welche die Natur sich selber gibt, wenn schon kein Gott
me gegeben hat Und unendlich schwer ist es, die An-
■schauung festrahalten oder gar mitiutefleD, dass diese Natur*
gesetze ebenfalls nur Abstraktionen des Menschengehims
^d und das, woTon diese Gesetze vielleicht ein Spiegel-
bild, vielleicht verworrene Erinnerungen, vielleicht Eari*
Naturen sind, auf keinen Fall etwsa Wirkliches ^ sondern
nur Benehungen sind, fttr welche die Menschensprache Worte
flicht besitsL Wir haben ein zusammenfassendes Wort fOr
-eine Gruppe von Erscheinungen, welche wir auf den Magne-
tismus zurQckfllhien. Wir können uns der Vorstellung nicht
verschliessen, gewiss nicht, dass die Beziehung der Aehn-
lichkeit zwischen diesen Erscheinungen auf irgend etwas in
der Natur zurückgehe; aber es ist menschlicher Hochmut
zu glauben, dass es in der Natur etwas geben mUsse, was
insbesondere unserm Begriff Magnetismus entspreche. So
hatte man bis vor hundert Jahren in der Chemie der Ver-
lirennung den Begriff Phlogiston und glaubte so lange, dass
diesem Begriff etwas entspreche. Nicht viel anders steht
<es um den Hauptbegriff des mittelalterlichen Streites, um
den Aribegriff. Durch Jahrtausende musste man hinter
ihm etwas Wirkliches sehen und es war nur ein Gradunter-
achied, ob die krassen Wortrealisten von Piaton bis auf
Schopenhauer in den Arten etwas Wirkliches sahen oder
ihre Gegner sich mit Worten abmühten, es irgendwo in die
Individuen zu verstecken. Als Darwin uns lehrte, dass
Arten entstehen k(hinen, da musste der starre Artbegriff
Tergehen. Aber nur scheinbar wurde der Standpunkt des
II*utlitt«r, Biitttg« m ftiii«r Eiililt d«r Sftteh«. m. 40
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626
Vm. WIm vaä Worte.
Mittelalters dadurch überwunden; unsere Darwiniston werdeik
sich schwerlich darüber belehren lassen, dass ihre Oosotae-
der Vererbung und Anpassung wieder nur Worte sind, hinter
denen wir Zeitgenossen nur so lange etwas WiiUiches
suchen können, als wir vorübergehend unter dem Banne-
dieser Worte stehen.
Der reine nnd konsequente Nominalismus, der niemak
Ton Nominalisten ao^gesproehen wurde, der ihnen wahr^
scheinlich nur von boshaften Gegnern in den Mund gelegt
worden ist, die Lehre, dass sftmtliche Begrifie oder Worte-
des menschlichen Denkens nur Luftausstossungen der Men*
schenstimme seien, der konsequente Nominalismns, nach
welchem die Erkenntnis der Wirklichkeit dem Henschen-^
gehim ebenso versagt ist wie dem Chemismus einer Stein-^
Oberfläche, dieser reine Nominalismus, der trotz aller Natur-
wissenschaften an der Erkenntnis des Falls oder der Farbo
oder der Elektridttt ebenso ruhig verzweifelt wie an der
Erkenntnis des Bewusstseins» dieser erkenntnistheoretischo
Nominalismus ist keine beweisbare Weltanschauung. Er
wlre kein Nominaltsmus, wenn er sieh selbst fttar mehr aus-
geben wollte als flElr ein GefEdil, für die Stimmung des
menschlichen Individuums gegenüber der Welt. Und sogar
ist uns ein ZuMidedenken dieser Lehre, ja nur ein suliieden-
stellendes Sich-Tersenken in diese Stimmung versagt, weil
alles Denken in den Worten der Sprache stattfindet und
das Denken sich selbst auflöst, wenn uns die Nebelhaftig-
keit der Worte klar geworden ist. Ein Sich-Tersenken in
die blosse Stimmung ist wohl eine Weile mOgHch; dann
aber sucht der Grübler immer wieder wie ein Lyriker dock
die Stimmung in einem armen Worte festsnhalten und musa
ins Leere greifen, wenn er nicht mehr an das Wort glaubt»
Der reine Nominalismus macht ein Ende mit dem Denken
und mit dem Dichten und fühlt darüber hinaus, mit einem
neuen Schauder der Menschheit, dass Farbe oder Ton, di»
Ueberbleibsel seiner Weltbeirachtung, ein Spielzeug für
Kinder sind, das die Zu£ülssinne dem Menschen in die
Wiege gelegt haben. Mit Worten lässt sich wirklich nur
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8kep«» und Ujatik.
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streiten, nicht schaffen; nur alter Glaube bekämpfen, nicht
Deuer Glaube beweisen. , Meinungen allgemeingültig zu
widerlegen ist möglich; Meinungen allgemeingültig zu be-
gründen ist unmöglicli'' (S. Philipp, Vier skeptische Thesen).
Dieser äusserste Skeptizismus, der doch wohl die eine skep^u
Seite meiner ganzen Lehre ist, lässt mich wieder die leise
Furcht empfinden, nicht ohne Lächeln empfinden, es könnten •
die aufmerksamen Verfechter des kirchlichen Dogmatismus
auch aus der Sprachkritik Wortwaffen schmieden, so wie
sie noch immer aus jeder skeptischen Lehre Gründe gegen
die aufklärende Wissenschaft geschöpft haben.
Ich lasse den ethischen Skeptizismus beiseite. Den hat
der idte Huet (De la faiblesse de l'esprit humain S. 242) mit
einem prächtigen Worte abgethan; ^Autre chose est de
TiTre, autre chose de phüosopher. Lorsqu'il s'i^t de con-
duire sa vie . . nou8 cesBons d'^ire philosophes . . . Nous
devenons idiots, simples, credoles, nous appeUons les choses
par leurs noms."
Aber die erkenntnistheoretischen Skeptiker «nd im
Kampfe mit dem philosophischen Dogmatismus immer wieder
negative Dogmatiker geworden, während sie Kritiker bleiben
wollten. Nur die ganz grossen Skeptiker waren sngleich
Mystiker. Gegen die negativen Dogmatiker hatten geist^
reiche Verfechter des alten Glaubens leichtes Spiel, weil ein
lieb gewordener Kinderglaube schöner scheint als ein unfer-
tiger neuer Glaube, der ebenso tyrannisch auftritt. Ich habe
mich bemüht, in meinen Darlegungen auch die versteckteste
Neigung zur Mystik jedesmal zu unterdrücken, so sehr ich
auch für heilige Sonntagsstunden die grossen Mystiker lieben
mag, die stammelnd beredten «Stummen des Himmels". Hier
aber, wo ich notgedrungen von dem Verhältnisse zwischen
Sprachkritik und dem Begriffe Religion reden muss, möchte
ich einige Sitze des edlen Meisters £ckart voraufschicken.
«Biner unserer ältesten Meister, der die Wahrheit schon
lange und lange vor Gottes Geburt gefunden hat, den dünkte
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Vni. Wissen und Worte.
es, dass alles, was er von den Dingen sprechen könnte, etwas
Fremdes und Unwahres in sich trfl^e; rlarum wollte er
schweigen. Er wollte nicht sagen: (rebt mir Brot, oder
gebt mir zu trinken. Aus dem Grunde wollte er nicht von
den Dingen sprechen, weil er von ihnen nicht so rein sjn echen
könnte, wie sie aus der ersten Ursache entsprungen wären;
darum wollte er lieber schweigeTi und seine Notdurft zeigte
er mit Zeichen der Finger. Du nun er nicht einmal von
den Dingen reden konnte, so schickt es sich für uns noch
mehr, dass wir iillzunial .schweigen müssen von dem, der da
ein Urspning aller Dinge ist.*" Und wieder; „Das Schönste
was der Mensch von Gott sprechen kann, das ist, dass er
vor Weisheitsfülle schweigen kann." Und wieder: „Die Seele
ist eine Kreatur, die alle genaimten Dinge empfangen kann;
und ungenannte Dinge kann sie nur empfangen, wenn sie
so tief iü Gott empfaugeu wird, dass sie selbst namenlos
wird."
ich meine es kaum viel anders; nur die Sprache ist
etwas verschieden, weil sechs Jahrhundei-te duzwischen liegen.
R Ugion Die abstrakte Religion (ohne Kirche und ohne Dog-
SpnMlie leeres Wort; das entsprechende Wesen gibt
es nicht in der Welt der Wirklichkeit. So wenig es ..den*
Menschen gibt über oder neben der Milliarde wirklicher
Menschen, so wenig gibt es „die" Religion neben oder über
den Religionen. Und auch die Religionen gibt es nicht,
sondern doch wohl nur Menschengruppen mit bestimmten
ä'peu-pr^s gleichen Glaubensvorstellungen.
Die Religion wird also wohl, da sie niehts ist als
eine gemeinsame Geistesrichtung von Menschengruppen, ein-
zig und allein auf Worten beruhen; und es ist zu erwägen,
ob die staatbildeoden Tiere, die keine so aasgebildete Sprache
haben wie wir, nicht eben darum so kooseiratiY sind, weil
sie kaum haben, was wir Religion nennen.
Ist nun die Religion ein Glaube an Uberheferte Worte,
so scheint es mir gewiss, dass einzig und allein eine Kritik
der Sprache, also eine Untei*snchung der Worte, den Be-
griff der Religion ernstlich und fSff immer aus der wisens-
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Rdigion und Spradie.
629
scliaftlichen Weltanschauung zu entfernen vermag. Denn
alle Yeniichtung und Verweirfnng der Eixdie mnnte bisher
den angeblich überkirchUchen Religionebegriff bestehen
lassen; und alle nm historische Kritik ernst Religion kehrt
schliesslich an irgend einem mystischen Wort, einer Art
Ueberreligion zurttck, bei welcher sich dann das Gemflt be-
ruhigt Gans abgesehen Yon der geistigen Knechtschaft,
mit welcher Leute wie Hegel und selbst Kant sich mit der
kirchlichen Religion abgefimden haben.
Wie es eine theologische Richtung gibt, welche den ^hmu.
historischen Obristos aufgibt und dennoch den Begriff oder
das Wort .Chiistentum* festhSlti so ist überhaupt dem Wort
rein historisch nicht beizukommen. Eine Spniehkritik, die
nur historisch-philologisch wftre, könnte eben den ganzen
Fetischismus der Sprache bestehen lassen. 0ie Philosophie
kann ohne SprachkritiV, ohne diese letzte, sich selbst zer-
störende That des Denkens, wohl bis zum Atheismus ge-
langen; vom Religionsbegriff sieh befreien kann sie nichti
wie die beiden tiefiunnigen Atheisten Spinoza und Schopen-
hauer lehren.
Spinoza nämlich war gar nicht gotÜos; wie das ja Ton
selbst klar ist, da er doch das Wort besass und mdir als
das Wort an seinem Deus ohnehin nicht zu haben schien.
Wie immer man sich zu der Frage steUei ob nftmlich Spi-
noza seinen Pantheismus nur als Coulisse Ar Atheismus
benutzt oder ehrlich an seinen Deus sive Katura geglaubt
habe — immer muss man erkennen, dass er ohne Mytho-
logie nicht auskam. Auch wenn er den Deus nur als
Maske gebraucht haben sollte, schrieb er doch seine Natura
mit grossem N und madite sie so zu einem mythologischen
Wesen, wie z. B. amor noch etwas Wirkliches bezeichnet,
Amor aber den «Gott* der Liebe. Und so unfrei steht
Spinoza diesem Worte gegenüber, dass er in der Aus-
malung des weisen Seelenfriedens, der Cbttesliebe, ganz
und gar nicht hinter Augustinus zurQcksteht, der die Welt
verachtet und nur ein Leben in und für Gott lebenswert
fand. Wenn wir nun bedenken, dass wir heute nicht mehr
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VIIL WiMeii und Worte.
das Altertum, sondern das Hittelalter sam lebendigen Femde
haben (das Altertum ist tot), dass die uns feindliche Welt-
anschauung nicht die kindlich-weltUche des AiistoteLes,
sondern die gottselige des h. Augostinns ist, so werden
wir bei aller Ehrfurcht TorSpinosa bekennen mflssen, daas
er uns Ton der Theologie nicht zu befreien vennoehte. Er
war der erste und wohl der beste der Hfinner, welche die
blutrOnstige Macht seiner Kirche erkannten; das Wort musste
er lassen stahn. Es ist in aller Logik tief Theobgie be-
grOndet, was allein beweisen wttrde, wie thCricht Logik ist.
BoiiftpM* Schopenhauer, dessen Atheismus fest und unTerschleiert
erscheint und in dessen System der Dens des Spinosa kein
Obdach mehr findet, macht dennoch seinen ünterschied zwi-
schen Kirche und Religion, wobei ich ganz beiseite lasse, als
nicht hieher gehSrig, daas Schopenhauer sonst, der Staats-
mann gewiasermassen, der konserratiTe Mann, die Reli-
giosität als Yolkszaum sehr hoch stellt und sie Ton der
Wissenschaft schonend behandelt wissen will, wie er denn
auch selbst in seinem glänzenden Dialog «Aber Religion'
den Streit unentschieden Iftsst. Aber auch als unpolitischer
Denker, als Diener der Wahrheit, ist und bleibt Schopen-
hauer im hergebrachten Gleise, weil er ein Diener des Worts
ist Die Kirche sei Terabscheuungswflrdig, weil sie Handel
treibt mit dem metaphysischen Bedürfnis des Menschen;
aber das metaphysische Bedürfnis selbst sei da und habe
die Menschen zu allem Guten und Schönen getrieben, z. B.
zur Philosophie*
Dieses metaphysische BedOrfnis lasst ihm die Religion
in einem heiteren Lichte erscheinen nnd sogar das Christen-
tum. Kun aber darf man nicht Tergessen, dass Schopen-
hauer darum nicht religionslos war, weil er kein Ohrist
mehr war. Christ war er freilich nicht, so wenig als Goethe
einer war. Während aber Gbethe sich bei seinem über-
legenen Nichtwissen beschied, baute sich Schopenhauer aus
christlicher Heikordnnng und buddhistischer Seelenwande-
rung ein neues Wortgebäude zusammen, das darum nkht
weniger Religion ist, weil ausser dem Stifter nicht viele wort-
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Beli^on und Sprache.
631
wörtlich daran glauben. Auch wende man nicht ein» diese
indische Lehre von einer Fortezistenz nach dem Tode sei
nicht seine Religion, sondern seine Weltanschauung gewesen.
Wir wissen, dass Weltanschauung eben auch nichts ist, als
die Summe der in den Worten niedergeschlagenen ererbten
und erworbenen Anschauungen, mit denen die neuen Ein-
<lrücke der WirklichkeiUwelt sich vertragen müssen , wenn
sie sich erhalt^än wollen. J)ies, das relative Apriori, ist
■eben auch lleligion; nur dass diij einst so he n. sc h süchtige
Religion bescheiden geworrlf;i ist und das Leben dem Leben
übeiiübbt, das nietnphysi.sche ]ie<liirfnis aber am liebsten den
.ganzen Menschen gefangen nehiiif ii möchte.
Dieser tiefe Mystizismus Schopenhauers ist eme neue,
eine gottlose Religion, Jibt r doch wieder R^ Ii^k h. Es ge-
schieht ihm ganz recht, dass er dafür von Spiritisten und
andern „Occultisten" wie ein Heiliger verehrt wird; die
müssen sich freilich gerade an seine schwächsten Stelleu
halten, wie Schmeissfliegen au die Wunden der Pferde.
Diese Theologie seines metaphysischen Bedürfnisses ist
schon versteckt nachzuweisen m dem Grundgedanken seines
Systems, in der unzähligcmai erklärten, bewiesenen, be-
jubelten und hinausgekrähten Entdeckung, dass das -Ding-
an-sich" unser wohlbokannter Wille sei. Ich zeige in an-
derem Zusammenhang, Avie Schopenhauer eigentlich nichts
weiter behaupten durfte, als dass der angeblich wohlbekannte
TVillc und irgend eine nnfi:oblich unbekannte Naturkraft
(z. B. (xravitation ) im Grunde nur zwei gleirherAveise un-
ver.ständliche Worte seien , dass sie vielleicht ein uud das-
selbe bedeuten, dass es aber vermessen sei, das eine Wort
eher als das andre auf beide anzuwenden. Er hatte sein
Werk mit gleichem Recht „Die Welt als Schwerkraft und
Vorstellung" oder ^üie Welt als Elektrizität und Vor-
stellung" nennen können. Er sah aber in der Natur Zwecke,
im Leben einen Zweck, ihm imponierte das krabbelnde
Leben mehr als die heilige Stille der Pflanzenwelt, darum
glaubte er die Bezeichnung vom Höchsten, vom Menschen,
uekmeu zu müssen und schuf einen neuen Woitfetisch,
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632
YUl. Witsen und Worte.
seinen , Willen", der sich dann in nichts von Spinozas
Dens, und wenig genug vom Gott des gebildeieren Pöbels
unterschied.
£. von "Was nun bei Schopenhauer die natürliche Folge seiner
Spekulation war, der Hervorgang einer neuen Theologie aus
gottloser Logik, das wird zur sophistischen Spekulation bei
Eduard von Hartmann, dessen „Unbewusstes* sich ganz be-
denklich dem Gott des ungebildeteren Pöbels nähert. Der
Fall ist typisch für das Hervcni^t hen von religi(>s>-meta-
phjsischen Begriffen aus dem Missbrauch der Sprache.
Zuerst erkennt der Philosoph das Recht der Wissen-
schaft an. in den Dingen Alleinherrsclitnn zu sein, die sie
kennt; das ist durchaus nicht etwa modern, das war immer
so. Moses und Platou, Jesus und AnL''ustiniJs, Lutii( r und*
Descartes, Spinoza und Kant Hessen ihr niL tiij)liysis( hes
Bedürfnis erst da einsetzen, wo sie von ihrou ( nll» i dings
äusserst ungleichen) Naturkenntnissen verlassen wurden^
dann bleibt das übrig, was wir — je nach der Zeit —
nicht wissen, und solange es für dieses Nichtwissen noch
ein übliches, positives Wort gibt, solange schreitet die
TheoloL'ie hinter der Wissenschaft her, wie der Pfarrer
hinter dem Lehrer, der Küsterdienst versieht. Man achte
darauf, wie auch in der Bezeichnung ,Die Philosophio
des Unbewussten" dieses »Unbewusste" plötzlich den Cha-
rakter eines positiven Begriffs erhält. Eigentlich ist es
rein negativ und also mythologisch nicht zu verwenden-
(1. 577). Mag man es auf ein Subjekt oder ein Objekt,
auf den Deus oder die Natura beziehen, mag man es
mit dem ^Bewusstseinslosen" oder mit dem -Ungewussten*
gleichsetzen, immer bezeichnet es natürlicherweise etwas
Unbekanntes, die Grenze unsres Wissens oder die Grenze
des Gewussten. ein Nichtding also. Aber mit ihrer unheim-
lichen metaphorischen , mvtbenbildenden Kraft suggeriert
die Sprache dem Leser des Worts ^das Unbewusste* sofort
einen positiven Sinn, das Unerkennbare hat ein neues Män-
telchen erhalten und der Fetisch eines neuen Kultus ist
fertig. Jeder dieser Atheisten tritt darum am Ende als-
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Beligion und Sprache.
m
Religionsretter auf und möchte gern als Keligionsstifter er-
scheinen.
Woraöf^licli noch deutlicher ergibt sich die Uritalu<;keit Spencer,
der Metaphvsik, ohne Sprachkritik aus dem Zirkr llidim der
Religion /ai kommen, dunn, wenn dem ünerkeuubaren gar
kein Mäntelciien mehr umgehangen wird, wenn es mit
aflektierter Negation und Einfachheit eben das ^Unerkenn-
bare* genannt wird und trotzdem die Sprache (und ihr
unterworfen der Philosoph) metaphorisch-religiöse Deutungs-
vcrsuche macht; die'; ist der Fall bei Herbert Spencer, der
freilich an vielen bullen die öüeutliche Meinung bittet, ihn
für kernen Umstürzler zu halten , der aber doch wohl mit
seinen «Grundlagen der Phiiusüj hie*' Emst zu machen glaubt.
So nahe er häufig der Wahrlieit kommt, dass dns Denken
oder die Sprache nichts sei als das GedächtIli^ ler Mensch-
heit und des Individuum^, dass also mit Hilte der Sprache
nichts erschlossen werdf n kunne, als was wir schon wissen»
er strebt dennoch nach tim r Versöhnung der Wissenschaft
(an die er glaubt) mit der lieügion (die er glaubt oder die
zu glauben er glauben machen möchte). Seine Religion ist
eine äusserst sublimierte, homöopathisch verdünnte : aber sie
will immer noch Religion sein; sie opfert ihren Namen nicht.
Spencer ist so tolerant, dass er in seiner Grundlegung
der Philosophie (übers, v. Vetter S. 561) zu folgendem
feierlichen Ergebnis kommt: das „unaustilgbare Bewusst-
sein, in welchem Religion und Philosophie mit dem geraeinen
Menschenverstände eins sind, stellte sich zugleich als die
Grundlage heraus, auf der alle exakte Wissenschaft aufge-
baut ist**. Diese bemerkenswerte Höflichkeit gegen den
common sense geht scheinbar und etwas heuchlerisch (viel-
leicht aber nur englisch) durch das ganze Denken dieses
Mannes. Snchf er doch gleich zu Anfang die Wissenschaft
damit zu vertiidigen (S. 18 u. f.), dass sie nur eine höhere
Entwickeiung des alltäglichfn Wissens sei, womit er voll-
kommen recht hat, wobei er nur nicht sieht, dass es eben
wohl ein reicheres Wissen, aber niemals eine «höhere"
Wissenschaft gibt.
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634
VllL Wiaaen und Worte.
In seinem Versöhnungsversuch geht er von einem argen
Schnitzer aus. Weil m den historischen Berichten der
Grundsatz gelten mag, dass an jeder allgemein angenom-
menen Behauptung irgend ein Körnchen Wahrheit sei, dass
Rauch nie ohne ein Fünkchen Feuer sei , darum glauht er
schliessen zu müssen, ,,däss die Religionen ^ obgleich auch
nicht eine dereelben wirklich wahr .sein mag, doch alle
wenigstens Schattenbilder einer Wahrheit sind". Der Aus-
druck ist äusserst vorsichtig, bis zur Thorheit vorsichtig.
Er hält sich und seinen Anhängern die Möglichkeit iigend
einer allein selig machenden Religion offen; er will ferner
nicht etwa ein Stückchen Wahrheit, und wenn es noch so
klein wäre, sondern nur ein Schattenbild aus ihnen allen
herausziehen. Sodann ist sein Vorgehen der lauterste Wort-
dienst. Als ob man aus einem Begriff jemals herausent-
wickeln könnte, was man nicht vorher hineingewickelt hat,
und als ob umgekehrt zwischen Denken und Spreclien ein
Unterschied wäre, „beweist* er mit grossem Aufwand von
«unendlich" und ähnlichen Worten, dass jede positive Re-
ligion unmöglich .gedflcht* werden könne, dass sowohl
Atheismus, als Theismus, als Pantheismus auf Voraus»-
set/.un^en beruhe, die «in Gedanken nicht wiedergegeben
werden können". (Nur dass alle diese Dinge mit Worten
gesagt, das hcisst gedacht worden sind und noch werden.)
Wenn aber keine einzige religir»se Lösung des Weltproblems
befriedirre, wenn der Forscher trotzdem nach einem Köm-
chen \Vahrheit in den Irrtümern suchen müsse, so l)leibe
als Gemeinsames aller Religion der Gedanke übrig: es ist
ein Prol)lem vorhanden. Mit andern Worten. Spencer
geht davon aus, dass auf eine bestinnnte Frage unzählige,
einander widersprechende Antworten gegel)en worden seien,
er lehrt sodann , dass zwar nicht in einer der Antworten,
wohl aber in ilmen allen etwas Wahrheit stecke, und endet
mit der Entdeckung, dass dieses Stückchen Wahrheit in
der hohen Weisheit stecke: es ist eine Frage da. Spencer
formuliert sehr hübsch den Standpunkt der fortgeschritten-
sten christlichen Theologie mit dem Satze: ,Zu denken,
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Beligioa und Spmdie.
635
dass Gott so sei, wie wir ihn uns denken können, ist
Gotteslästerung* ; er hat recht, wenn er darin ein Einge*
stUndnis sieht, dass das Wesen, welches sich im Umversuin
offenbart, unerforschlich sei. Das ist die Lehre unseres
MeiBten Eckaxt, das wird vielleicht die letzte WissenschAft
Barnacks sein.
Es liegt im Wesen der .Wissenschaft", dass sie vom
Vorstellbarwi *um Unvorstellbaren fortschreitet ; Wissenschaft
ist Erfahrung oder Sachkenntnis in Begriffen oder Worten
und eigentlich beginnt die Unvoratellbarkeit schon mit dem
einfachsten Begriff. «Baum* ist schon unvorstellbar. Das
alles weiss Spencer, aber er weiss nicht, dass alle Worte
oder B( [rrifTo, alle, symbolisch oder metaphoiisch sind, und
liUt bloss die abstraktesten Worte, die fiussersten Univer-
salien, für symbolisch, für unrealisierbar. Darum wendet
er wieder, wie bei der Religion, Sophismen und Wort-
kiimpfe auf, um nachzuwei?;on, worüber heute die forschende
W elt einig ist: dass nämlich die Wissenschaft ungelöste
Fragen übrig lässt oder vielmehr, dass sie Überall auf un-
lösbare Fragen stösst, auf Probleme. Es wäre gar nicht
nötig gewesen, Widersprüche in den Begriffen Kraft, Stoff,
Bew^ung u. s. w. nachzuweisen, es wäre nicht nötig ge-
wesen, abermals mit dem (f&r mein Sprachgefühl) durch-
aus theologischen Wort «unendlich" zu spielen. Es liegt
für jeden Kopf, in den die Grundbegriffe der modernen
Mechanik und Biologie hineingegangen sind, klar und sicher
da, dass wir den TielgerQlimten Kosmos, die WirUicbkeits*
weit, durchaus und grfindlich begreifen wfirden, wenn wir
auch nur das klmnste Teilchen, ein Sandkorn oder ein
Moosbl&tichen, durchaus begriffen h&H»n, dass wir aber die
Ursachen der Welt so wenig kennen — wie dieses Sand-
korn oder dieses Moosblättchen. Wir wissen alle, das wir
nichts wissen, dass uns das Wesen unserer Yorstellungs-
akte ebenso unerkennbar ist, wie das Wesen der vorge-
stellten Dinge, das «Ding-an-sich* ebenso unerkennbar, wie
das Gesetz seiner Wirkung auf unser Gehirn. Spencer aber
schielt bei solchen Erörterungen immer nach der Religion
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TIU. WiflMn und Worte.
(weil er sie schonen möchte) und nennt da« ewige Pro-
blem mit Worten wie: -letzte Ursache*, «das ünendliche'*,
dii«: ..Absolute". Und tjanz und <^ar theologisch fährt er
fort iS. 80 u. f.): , Zwischen dem Schaifenden und dem Ge-
schatl'enen niuss ein Unterschied bestehen , der alle Unter-
schiede zwischen den verschiedenen Abteilungen des Ge-
schaffenen weit übertrifft. Das, was imverursacht ist (ich
kann mir etwas .Unverursachtes' nicht vorstellen), kann
nicht mit d^m, was verursacht ist, verglichen werden; die
beiden BegriÖe stehen sich schon durch ihre Namen
als unvereinbare Gegensätze gegenüber.''
So treibt Spencer hier, wo es gerade auf die Grund-
lagen ankommt, einen frevelhaften Missbrauch mit der armen
Sprache; er quält da.s ewige Problem aller Forschung
in scholastische Worte hinein, um eine scholastische Deu-
tung herausdenken zu können, um am Ende triumphierend
auszurufen: alle Erkenntnis sei relativ, aber es gebe über
der Erkenntnis etwas Nichtrelatives (wofür wir freilich kein
Wort haben als das »Absolute") und das habe die Religion
immer geahnt, das sei das .grosse Verdienst* aUer Reli-
gion, auch in ihren frühesten und rohesten Formen. Jd
dieser Dankbarkeit gegen alle sonst mangelhaften Religionen
(bei deren Aufzählung er vor dem Protestantismus kläglich
Halt macht [S. HS]) hat der berühmte Entwickelungsphilo-
soph nicht einmal gegen den Teufel und seine Hölle etwas
einzuwenden. .Fttr die grosse Menge . . • Irt es selbst heut-
zutage noch nötig, dass zukflnftige Pein und zukünftige
Lust in lebhaften Farben ausgemalt werden (S. 116).*
Wohlgemerkt, zu dieser Abdankung entschliesst er sich
nicht als Politiker, als Menschenverächter wie Schopenhauer
etwa, sondern weil er in aUer Religion ein Schattenbild
der Wahrheit erblickt, die grosse Lehre nämlich: dass ein
Problem da sei.
Wissenschaft und Religion sollen das Gleiche sagen,
weil sie beide lehren: «unerforschlich sei das Wesen, wel-
ches sich im Universum offenbart*. Wort für Wort ein
theologischer Missbrauch der Sprache, oder vielmehr der
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fieligioii und Sptadie.
637
übliche Gebrauch der ewig logischen imd darum ewig theo*
logischen Sprache.
In „unerforschlich* liegen die Metaphern von Ewigkeit
nnd KegaiioD versteckt; denn eigentlich können wir doch
nur sagen, das Wesen sei Ton uns, von mir und dir, nicht
begriffen; «lieh" will aber schon an der Schwelle sagen, ein
Zauher hindere den Zutritt, das Begreifen, für alle Ewigkeit
«üniTersum* ist ein leeres Wort, das hur darum voll aus-
sieht, weil wir damit gerade wieder das „ Unendliche" sym*
boUsieren, das mit einem andern «Unendlichen", dem Raum,
ausgeiUlt ist ; an Sonntagen denken wir dabei an die Erde
und ein Dutzend Nachbaisteme, an Wochentagen an unsem
Körper und die Thfttigkeit, die mittelbar zu sdner Emflkh«
rung ftlbrt. Und wie ehrlich dumm ist das Wort «offen-
bart*! Bs setst Torans, dass das , Absolute' t das sich offen-
barti eine handelnde Person ist, es setzt also eigentlich den
ganz fleischfarbenen Gott des Köhlerglaubens Toraus.
Xun aber erst das «Wesen*. In diesem Schafetoi Tom
Windhauch eines Wortes seigt sich der Bankerott der
Spencerscfaen Darlegung oder besser noch: der Fluch der
Sprache, der jeden trifft, der mit so elendem Werkzeug er-
kennen, oder gar Wissenschaft nnd Unerkennbares Tenöhnen
will. Und doch wollen wir das Wort «Wesen* nidit schelten.
Ihm verdanken wir es, wenn wir deutlich sehen, wie Reli-
gion nnd Wissenschaft auf ganz Terschiedenem Boden
tappen, wenn sie auch beide sagen und denken: »Das Wesen
der Dinge ist unerforschlich/ Fflr die Wissenschaft ist
der Sata ganz und gar nur ein Yerstummen, ein Aufhören
mit Fragen und Antworten. Abgesehen daTon, dass sie
nicht leicht «uneif erschlich * sagt, dass «ignorabimus* immer
etwas von Pk'ophetenton an sich hat, yersteht sie unter dem
«Wesen* der Dinge, unter dem «Ding-an-sich* doch ja nur
das Aber oder hinter ihrer Erkenntnis Liegende. .Das ¥rahre
Wesen ist unerforschlich* ist ihr eine blanke Tautologie,
nftmlich etwa: was ich nicht erkannt habe, das habe ich
nicht erkannt Das «Wesen* der Dinge im Sinne der
Wissenschaft ist jenseits der Wissenschaft, also für sie nicht
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*
638 ^UI. Winen und W<»rto.
vorhanden, also ein positives Wort für eine Negation. Sie
kennt nur ]k'zieliun*;en der Kräfte, dais , Wesen wenn es
etwas Beziehungsloses, das Absolute sein will, existiert ein-
fach nicht fUr sie. Mit dem Satze, den sie mit der Reli-
gion gemeinsam haben soll, will die Wissenschaft nichts als
verstummen. Er ist das Ende der Wissenschaft; will der
Forscher noch w eiter etiras fiBgeo, so schwatzt er eben wie
ein Tttlgärer Prediger.
^Dns Wesen der Dinge ist unerforschlich !" vom Theo-
logen pathetisch ausgesprochen, welch ein andrer Sinn ! Wir
wissen schon, dass in »unerforschlich* die Metapher der
Ewigkeit steckt. Aber auch das .Wesen" suggeriert uns,
wenn der Prediger es gebraucht, sr)fort eine Person, die
hinter den Dingen steckt, eine Persönlichkeit, etwas höchst
Positives, ja eigentlich etwas, das uns mehr imponieren will,
als die Dinge selbst, das uns am liebsten unser Leben auf
Erden, und das jenseitige dazu, ordnen, befehlen, gut und
schlecht machen mfk-hte. £ki ist nicht wahr, dass Religion
und Wissenschaft dasselbe meinen. Selbst wenn die kühnste
Wissenschaft noch die letzte Frage formuliert, wird sie
achselzuckend gestehen, keine Antwort zu wissen. Wenn
aber auch noch die abgeblassteste Religion die Frage zu-
lässt, wird sie eine Antwort bereit haben, oder sie hiesse
nicht mehr Religion.
So erklärt die vorhandene Weltanschauung erst ihre
Satze; nicht umgekehrt. Wie ich ja auch lehre, dass es
der Schluss ist, der die Prämissen erklärt und nicht um-
gekehrt. Wie der Satz seine Worte erklärt und nicht um-
gekehrt. Denn die Sprache ist Gedächtnis ; aus der Summe
des potentiellen Gedächtnisses geht Wort undSats henror;
nicht umgekehrt.
Aus der Weltanschauung des Engländers Spencer er-
klärt siih sein Wunsch, Wissenschaft und Religion in der
gleichen Formel uusklingen zu lassen, also die Bdigion zum
hundertsten Male zu retten, das Wort wenigstens. Als For-
scher versucht er nichts anderes, als was Aristoteles, mit
dem Wissen seiner Zeit ausgerastet, schon versucht hatte
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Kritik der Spndie.
und was jeder Systembändiger oder Philosoph seitdem Ter-
sachi hat; das Sein, wie es sich in seinem Gehirn .spiegelt,
mit dem Sein draossen, mit der begreiflichen Wirklichkcits^
weit in Einklang zu bringen. Das Sein im Gehirn ist aber
niclits als das Denken oder die Spraehe; sie je nach dem
Stande der Beobachtungen in Einklang zu bringen mit sich
selbst, mehr kann der Philosoph nicht woUen. Und solange er
an sie glaubt, solange er den grossen Abstraktionen nicht die
Masice vom Totenkopf gerissen hat, solange er diesem Symbol
niehi ins Qesicht lacht, solange narrt es ihn mit seiner
Mythologie, und der Begriff findet immer neue Worte, sich
an sie zu klammem, wenn die alten morsch geworden sind.
Die Sprache ist nicht stols; sie wird sich noch an die physi-
kalischen UniTersalien «Kraff^ oder «Stoff* halten, wenn der
Gott den Weg der Götter gegangen ist. Erst die Sprach"
kritik, erst die Einsicht in den Unwert der Worte, wird
dem Religionsbegriff die letzte Stütze nehmen. Die Sprach-
kritik erst wird lehren, dass der Glaube sieh immer und
Überall deijenigen Worte bemächtigt hat, die unser bisschen
Wissen fortgeworfen hat.
Alle Religion ist alte Wissenschaft. (L 161.)
Ist also all unser Wissen und Glauben nur in den Worten
der Sprache, in den Ton den Unter» und Obertönen ihrer
Geschichte umschwebten Worten, so ist der reinste Religions-
begriff kein Wasen und auch kein Glauben, sondem ein
Erleben im Leben des Glücklichen, der das Geftthl der Ehr-
furcht kindlich empfindet, das ihm Religion ist Dieses Er-
leben ist nicht mitteflbar, kennt keine Bttcher und kerne
Dogmen, b^flgt sich mit Liedern. Den Dienern am Wort
sind die edlen Pietisten immer Ketzer gewesen. Der pie-
iistische Ketzer drängt mit sehnsüchtiger Seele Ober das
Wort hinaus nach einer sprachlosen Verbindung ?on Seele
zu Seele.
Etwas von diesem edlen Pietismus steckt Terborgen in
einer Klage, welche oft gegen die Sprache laut geworden
ist und welche nicht mit einer erkenntnistheoretisdien Sprach-
kritik Terwechselt werden sollte. Am schärfsten Tielleicht
640
Vm. WiMWn and Worte.
ist (linse Klage ausgesprochen in dem bekannten Epigramme
Schillera:
Warum kann der lebendige Geist dem Qeiat nicbt encbeinen?
Spricht die Seele, «o «pvicht, ach! achon die Seele nicht mehr.*
Aehnlicli ist die Selinsiicht nach einer unmittelbaren
SerlenRpracbe un zäh lijjeui.il ausgesprochen worden, von Byron
bis Maeterlinck, und nachgesprochen und nachgeseufzt. Ver-
zerrt ist das schöne Gefühl von Grabbe, als dieser Goethe
und Byron zugleich tibertrumpfen wollte. Da sagt der
Grabbesche Mephisto zum Grabbeschen Faust: „Nur was ihr
in Worte könnt' fassen, könnt ihr denken." Faust lernt,
die ganze Menschheit sei nur Geschwätz; aber der posierende
Mephisto Grabbes versteigt sich dabei zu der Absurdität, «die
Sprache sei grösser als der Mensch."
In reiner Form begegnen wir dem schönen Gefühl oft
und oft bei Goethe. Wie aber diese pietistisch-dichterische
Kritik der Sprache eigentlich sentimen talisch ist, meine er-
kenntnistheoretische Sprachkritik jedoch hoffentlich naiv, so
ist — wie wir immer wieder erfahren haben — Goethe
innerst durchdrungen von der Wertlosigkeit der Schillerschen
Klage, von der Unvereinbarkeit zwischen Sprache und Er-
kenntnis. Harte Urteile über die Worte stehen an einer
bedeutenden Stelle seines „Wilhelm Meister*. Und vielleicht
hat er den geheimen Sinn der Wanderjahre verraten durch
den Untertitel „Die Entsagenden". Es widerspräche nicht
dem Goetheschen Sprachgebrauch, der einmal das Wort »sich
entscheiden" etwa in der Bedeutung von «die Scheide ver*
lassen* wagt, wenn «entsagen* so viel biesse wie „auf die
Sprache verzichten". Denn es ist wobl ein Grundgedanke
der Wanderjahre: ,Thun ohne Reden muss jetzt unsere
Losung sein". Wusste Goethe ara Ende, dass er damit eine
Lieblingsidee der griechischen Skeptiker aufnahm ? Sie leiteten
aus unserem Nichtwissen die Pflicht ab, sich im Urteile
zurückzuhalten, ja sich jeder Behauptung zu enthalten. Und
für diese Enthaltung, ftir diese letzte Resignation (resignare
im Sinne Ton Terzichten ist eine seltsame Metapher, die
Üigiiiztiü by <-3ÜOgIe
Lachen und Sprache.
641
Tom «Entsiegeln* einen weiten Weg genommen bat) Hatten
die Qrieehen MUnmenreiee neben anderen Bexeiehnnngen
«ucb die: Aphasie. Der letzte Venicht des Denkens war
■auch Urnen ein Entsagen, ein Absagen, ein Verziebl auf
das Wort.
«
Reine Kritik ist im Grunde nur ein artUraliertes Lacben. Lachen
Jedes Lachen ist Kritik, die beste Kritik. Wenn durch Zu- gjjjj^
fall oder Kunst zwei Dinge zueinander gebracht werden«
die durchaus nicht zueinander passen, so lacht der natfü>
liehe Mensch. Zum Lachen mOsste ein Mensch reizen, der
versuchen wollte, etwa die Erde an einem Felsenzipfel an-
zufassen, um sie so der Sonne näher zu bringen. Tragi-
komisch wäre der Clown, der im Cireiis bis zur Spitze einer
freistehenden Leiter emporkletterte und dann versuchen
wollte, seine Leiter zu sich emjior zu ziehen. Er würde das
Schicksal der Philosoj)hen teilen und herunterfallen. Wer
die Nftivetät verloren hat, lacht auch den Clown nicht mehr
aus. Wer sie behaltLii hat, der muss auch über die Sprach-
künstler lachen . die auf Wortleitern in die Höhe kletlern
möchten und glauben, sie könnten während des Aufstiegs
das W'ort von der Erde lösen. Und die Gefahr dieser
Schrift, das Abgeschmackte des Versuchs besteht nur dann,
dem Lachen einen artikulierten Text unterlegt zu haben,
so dubs es i'iir die Masse herauskommen köuute wie ein
Lachen in der Oper.
Aber gariz unmöglich wäre es doch nicht, Kritik der
Sprache sprechend zu üben. Die Sprache in ihrer systema-
tischen Ent\vi(kelung ist eine Pyramide geworden, welche
breit und rol; auf der Erde lastet und in eine verwitterte
Spitze ausgeht, die je nach dem Geschmack des hinauf-
gestiegenen PyrumidenfÜhrers und l^yi umiilenerklürers den
Namen Gott, Begritf, Idee, Materie oder Kraft erhält. Wer
die verwitterte Spitze mitsamt den Fremdenführern herunter-
holen will , der muss sein Handwerk von den Maurern
lernen f die die Ziegel zusammengeklebt haben. £r muss
Xavthner, Beitrage zu einer Kritik der Sprache. III. 41
Digitized by Google
642
VIII. Wissen und Worte.
entweder niichlcletteni und das gemeinste aller Emistwerke
abtragen von dem Yenritterten höchsten Stein bis herunter
zum sandigen Gnmd, oder er muss den sandigen Grund
blosslegen, bis der plumpe Bau in sieh selbst ausammen*
stürzt. Beides kann nicht die Kraft eines , Einzelnen.
Pharaonenmacht und l^daveiisinn von Idlicmen hat den
stumpfen Eoloss getürmt, absolute Macht und unbedingte
Nachfolge nur könnte in jahrelangem Bemühen das nieder-
trächtige Denkmal wieder stOrzen. Weil aber der Einzelne
schwach ist imd ungeduldig, darum nimmt er den ExplosiT-»
stoff des Lachens zu Httlfe, das Bauwerk fliegt auf und es
ist schlechter Lehm gewesen, und in seinem geheimnis*
vollen Innern vergessene Götzen, bemalte SErge, balsamierte
Mumien und Moder: die Gespenster unsrer eigenen Yer-
gangenbeit.
Wer also in seinem Denken das Denken kritisierte,
das heisst mit HOlfe der Sprache die Sprache selbst unter-
suchen wollte, gleicht eigentlich einem Physiologen, der leben-
digen Leibes sein eigenes Gehirn blosslegen und damit
experimentieren wollte, was schon dainim seine Schwierig-
keiten hätte, weil der Forscher durch die schweren opera-
tiven Ein^ifFe in seinen Fähigkeiten doch herabgestimmt
werden nüisste. Und so bleibt dem Verfasser nichts weiter
übri«? als na h dem Beispiel des weisen Münihhausen um
den Baum der Erkenntnis so lange und so scLnell herum
zu laufen, bis er sich selbst beim Schöpfe zu fassen kriegt.
Als Opfer hat er Sckmerz zu leiden , als Sieger kann er
nicht eininal lachen. Die niederste Erkenntnisforni ist in der
Sprache; die höhere ist im Lachen; die letzte ist in der
Kritik der Sprache, in der hiuimelstillen , himmelsheitem
Resignation oder Entsagung.
Kritik Während der langen Jahre, in denen die Grundgedanken
der
Bpraolie.
dieses Versuchs sich meiner beumcbtigten und mich zu der
wirkHch harten Arbeit zwangen, ihre Wahrheit unaufhör-
lich am Leben und an wiissetischaftlichen Studien zu er«
Digitized by Google
&itik der Spradie.
643
proben, wilbrend dieser Jahre gab es verzweifelte Stunden
und Tage genügt &n denen es mir wertvoller und weiser
erschien, den Acker, den ich baue, selbst zu dttngen, oder
ein Kirschbftttmchen zu pflanzen, oder den ersten besten
ITumI zum vernünftigen Lehrer der Lebensführung? zu wählen.
Nichts erschien dann thörichter als der letzte Versuch, mit
Worten, die niemals einen Inhalt haben können, endlos von
nichts zu sprechen als Ton der eigenen Unwissenheit Ge-
rade aber solche schwarze Stunden und Tage endeten häufig
mit dem spornenden Gefühl: jawohl es ist der letzte Ver-
such, es ist das letzte Wort, und weil es nicht die Lösung
des Sphinxrätsels sein kann, so ist es wenigstens die er-
lösende That, welche die Sphinx zum Schweigen zwingt,
weil es die Sphinx vernichtet. Traurig blicke ich auf solche
Stimmungen erhöhten Selbstgefühls zurück. Was können
wir in der Sprache des heutigen Tages denken oder sagen
Aber die Sprache des morgenden Tages? Ewig wandelt die
Sonne ihre Bahn. Derselbe Sonnenball, der heute unter-
geht, geht morgen auf. Dasselbe Rot, das ich jetzt das
Abendrot nenne, wird nach wenigen Stunden todähnlichen
Schlafes das Morgenrot heissen. Was heute die letzte Ant-
wort schient wird morgen eine neue Frage sein; und die
Frage wird wieder zur Antwort werden in der Sprache von
uns thörichten Mensches* Dennoch will ich auszuführen
suchen, warum mir eine Kritik der Sprache in guten Stunden
die letzte Antwort schien. So erziblen wohl zehiqihrige
Kinder Ton den IrrtQmem ihrer frfihem Jahre und dttnken
sich gross.
Wer einsam geworden ist unter seinen Mitlebenden,
weil er zu einer andern Sprache oder einer andern Welt-
anschauung gelangt ist, wer aus der Art gesehlagen ist,
der hatte es schön und leicht, sein einsames Denken den
andern miteuteilen, wenn es ein Yerst&ndnis zwischen den
Mensehen gäbe, wenn die Träumer oder Narren recht
hätten, die Ton einer Telepathie zwischen den Menschen
reden. Wenn es eine solche unmittelbare geistige Berüh-
rung zweier Menschengehime gäbe, so brauchte ein Ein-
644
VIIL Winea and Worte.
sanier nur »ieu anderen Einsiuuen bei der Hiiiirl zu er-
greifen, wie es Buauch ist unter Liebeiulen, und der Andere
empfinge eine Ähnun^r von dem neuen Denken des Einen.
£s wäre ihnen gemeinsam geworden, was man das Denken
nennt.
Was man aber das Denken nennt, das ist nur eitel
Sprache. Auch der Einsame, der selbst sein neues Denken
in sieh erzeugt hat, hat nur die Illusion einer nenen Welt-
anschauung und weiss es selbst nicht, dass er nur Worte
anders verbuidet, Worte ohne Inhalt, und wenn er im \ cr-
traueu aui die S{irache die Worte zur Mitteilung benützen
will, so kann er nichts beweisen, nicht eiunial überzeugen,
höchstens ülieireden wie ein Schwätzer vor Gericht.
Worte, in Worte «^efasst, das ist Anfang und Ende aller
Philosophie. Vor das Gericht geschlepjit wird die lebendige
Wirklichkeit, die bald Gott heisst und bald Natur und ihren
wahren Namen nicht verrät. Diese That, die die Welt der
Wirklichkeiten ist, suchen die Männer zu verstehen und zu
erklären, zu verteidigen oder zu verdammen, die die grossen
Philosophen heissen. Sie erklären und verstehen, sie ver-
teidigen und sie verdammen wie Schwätzer vor Gericht.
Worte sind ihre Werke, Worte in Woi*te gefasst. Da musste
auch einmal der letzte Versuch gemacht werden, zu ver-
2dchten nicht nur auf Verteidigung und Verurteilung, son-
dern auch auf jedes Erklären und Verstehen. Es musste
der letzte Versuch gemacht werden, das nackte Wort zu
betrachten in seiner ganzen Bldsse, eine Kritik zu wagen
der Sprache, das Wort zu sehen, das Wort des Inhalts und
das Wort der Fassung.
Sofort trat über die Schwelle dieser Betrachtung die
Einsicht, dass wir irren, wenn, wir glauben und sagen, es
sei die Weiterkeuntnis, wie wir aie im kindlichen Hochmut
SU besitzen glauben, irgend etwas in der Welt selbst^ irgend
etwas Wirkliches, ein Gedanke, den wir durch das Mittel
der Sprache ausdrücken. An der Schwelle stand die Ein-
sicht, dass die jeweilige Welterkenntnis einee Menschen
immer nur einzig und allein die Sprache selbst war, die
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Kritik Opnät».
e45
Sprache dieses Menschen imd seines Volkes. .Toder einzelne,
Ton Kant aufgefangen bis zum Blödsinnigen, hielt für seine
Welterkenntnis die kleine Summe seiner ererbten und er-
worbenen Eiumeningen. Er mnssfce sie für seine Erkenntnis
halten, weil er nichts anderes kannte und kennen kcnmte*
Und es waren schon die b^ten M&nner der Menschheit,
welche die Oberkommene Ordnung dieser ererbten und er-
worbenen Erinnerungen ehrlieh und fleissig neu zu ordnen
unternahmen.
Duidi die Jahrtausende hindurch gelangte bis su un»
eine einfache Ordnung unseres Wissens tou dem Dingen.
Der Mensch sah die Welt und f&hlte sich selbst; er suchte
die Welt zu begreifen und suchte sich selbst su begreifen.
Kur selten in AmnahmekOpfen dSmmerte der WortUang
auf, der eine Befreiung schien Ton allem Irrtum: dass nie*
mand sagen könne, ob er selbst in der Welt enthalten sei
oder die Welt in ihm. Aber auch dieser spielend lockendo
W(«tldaiig half den besten Köpfen nicht; denn sie wussten
nur fühlend einsam, was sie wissend fbhlten, und mussten
spredien um auszudenken und auszusprechen, zwischen den
Mensehen, was sie einsam zu denken geglaubt hatten. Es
gibt keine Sprache in der Einsamkat. Wo aber der Eine
mit dem Andern zusammentrat, da schied sich Einer vom
Andern, da schied sich das Ich von der Welt und der alte
Gegensatz zwischen Natur und Geist bHeb fortbestehen im
Denken und Sprechen bis auf den heutigen Tag. In Natur-
wissenschaften und in Geisteswissenschaften ordnete die
Menschheit, die es zu Jeder Zeit so herrlich weit gebracht
hatte wie heute, weil jede Zeit ihre eigene Gegenwart ist,
ihre ererbten und erworbenen Erinnerungen.
In unzähligen Bfichem, voll von Worten, ist unsere
heutige Welterkenntnis aufgespeichert für Mit* und Nach-
welt, geordnet in Naturwissenschaften und Geisteswissen-
schaften. Es kümmert uns nicht, dass diese Einteilung
nach Natur und Geist einmal Tendtet sein wird, wenn wir
genug wissen werden, um nicht mehr zu wissen, was Natur
ist und was Geist. So würden unsere Kataloge unbrauchbar
646
YIII. Wissen und Worte.
werdent wenn einmal unser Alphabet abgelöst würde durch
ein neues Alphabet. £s ist nur vorläufig, dass der Weli-
katalog eingeteilt ist nach Natur und Geist
Das kümmert uns nicht; aber uns kUmmei-t seit einiger
Zeit die aufdämmernde Ahnung Ton etwas Entsetzlichem,
dass nämlich kein mzigcr Mensch vollständig die Worte
versteht, welche unsere Bibliotheken füllen. Jedes Wort
hat eine Geschichte, eine Geschichte seiner Formen und
eine Geschichte seiner Bedeutungen. So wie die tiefe Wir-
kung der Musik auf uns nicht erklärt werden kann durch
die blossen Verhältnisse der Töne allein, wie erst das Mit-
erklingen sller Obertöne uns so ergreift, als Musik uns
ergreift, ebenso sind die Worte der menschlichen Sprache
nicht zu Terstehen ohne ihre Geschichte. Der Zufall der
kleinen persönlichen Erfahrung bestimmt, was der Einzelne
bei den Worten sich vorstellt. Die Sprache ist kein Besitz
des Einsamen, weil sie nur zwischen den Menschen ist;
aber die Sprache ist auch zwei Menschen nicht gemeinsam,
weil auch bloss zwei Menschen niemals das Gleiche bei den
Worten sich vorstellen. Die Worte der Geisteswissen-
schaften haben ihre Geschichte, die in dunkle Zeiten zurück-
reicht. Ebenso reiclim die Worte der Naturwisseiocliaften
zurUck und wieder zurttck. Aber nicht nur die Worte
haben eine Geschichte, auch die Dinge der WiikUchkeit,
auf welche die Worte sich beziehen, haben eine Entwicke-
lung gehabt.
So ist das Entsetzliche gewiss, dass kein sterblicher
Mensch die Worte seiner Spradie jemals Tersteben könnte
mit all ihrem historischen Gehalt, weil seine Lebenszeit
und seine Fassungskraft nicht hinreichen wUrden zur Auf-
nahme dieses Ungeheuern Wissens, dass aber auch dann,
wenn es einen solchen Menschen gäbe, seine Worte keine
Wirklichkeit bezeichnen könnten, weil die Wirklichkeit nicht
stQl steht. Wie der Mond kreisend auf die kreisende Erde
fUlt, ohne sich ihr dauernd zu nähern, so umkreist das
Wort der Menscbensprache die kreisende Wirklichkeit und
kommt ihr nicht näher. Nicht einmal die Geschichte der
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Kritik der Sprache.
647
Hensclilieit kana das Wort erfassen uiid wied«tim ohne die
Oeechichte seiner selbst bleibt das Wort unfassbar.
Man hat seit hunderten ron Jahren an dieser An-
schauungswciäe gebosselt und gebestelt. Ibn hat es lang-
sam aufgegeben, in den Katastrophen allein die Geschichte
der Menschheit zu sehen, in Kriegen und Schlachten, man
hat begonnen, die Knllaigeflchidite der Keuschheit m
«chreiben und die Geschichte der Wissmchafben. Aber
wenn es einem Überlegenen Menschen einmal gelingen sollte,
eine Geschichte der Wissenschaften so m schreiben, dass
es die Geschichte der Mmscliheit wire, so wäre es doch
nur eine annselige Geschichte der menschlichen Sprache.
Denn was wir die WiaaeDSchaften nennen, ist ja doch nur
heute wie zu jeder Zeit das Wort, welches nach der That
erscheint.
Wie weit entfernt eine solche ideale Geschichte der
Menschlieit, eine solche ideale Geschichte der Sprache den-
noch von einer Erkenntnis, Ton einer Lösung der Welt^
rätsei w&re, das fallt erdrückend Über uns zusammen, wenn
wir in diesem dunklen Schacht, der das Denken heisst,
noch eine Stufe weiter zu graben suchen. Alle Worte
unserer Sprache, sie sind ja doch nur die Erinnerungs-
zeichen an die Vorstellungen, die uns unsere Sinne ver-
mittelt haben. Was aber haben unsere Sinne mit der Er-
kenntnis der Wirklichkeit zu schaflFen? Vielleicht haben
andere Tiere andere Sinne. Vielleicht steht der leblose
Krystall, der sinnlose nach unserer Sprache, dem Welt-
rätsel unmittelbar näher als wir. Welcher unbekannte Zu-
fall der Eutwickelung mag der Menschheit gerade ihre
Sinne geschenkt haben? Wenn wir das deutlich begreifen,
dass die fünf Thore unserer Sinne zufällige Schöpfungen
sind, wie Breschen, die feindliche Kugeln iu eine Mauer
geschossen haben, so erkennen wir erst völlig den Jammer
unseres Mühens um Erkenntnis. Irgend eine feindliche Be-
rührung liat in Urzeiten den Arten, welche wir Tiere
nennen, den ersten Anstoss zu der Tendenz gegeben, Augen
und Ohren auszubildeu, auf dereu Fuuktioneu die grösste
048
VUL Winen und Worte.
Kaase dessen aufgebaut waa wir unsere Weltetfceoniaift
nennen. Was in WirUichkeit vorgeht^ und was wir heute
mit der Sprache d«r Mechanik Bewegung nennen, das
kennen wir so, wie es an die beiden Bresehen des Sehens,
und Hdrens herantntL Man erfOUe «ich doch gaus mit
der Resignation: es sind suiUlige Sinne. Es gibt in der
Wirklichkeit Erscheinungen, die wir uns erst in die Sprache
dieser Sinne ttberaetien müssen, um sie ttbechaupt wahr^
nehmen su kennen. Unsere Welt ist die Sinnenwelt und
unsere Sinne smd Zu&Ilsenengnisse. Was sichtbar ist-
und was hOrbar ist' in dem grossen Unbekannten und was«
sonst auf unsere andern Zufollssinne witkt, das haben wir
uns gewdhnt au&unehmen und unsere Welt su nennen..
Aber Jshrtausende hindurch blieben die Erscheinungen am
Magneteisenstein und sm Bernstein, Eischeinungen, die doch,
die Welt so weit erfidlen wie Schall und Licht, den Mensdien
nicht wahrnehmbar, bis er sie sehen und hören lernte..
Wenn ein anderer ZufSaU in der Urseit der Lebewesen
ihnen den Anstoss su einer Tendenz gegeben hfttte, ein
Sinnesorgan fttr Elektricitat su entwickeln, so wttrde die^
Menschheit eine elektrische Welt kennen und wftre dann
vielleicht nach Jahrtausenden und aber Jshriausenden daia
gelangt, diejenige Erscheinung zu entdecken, die uns als.
Licht so wohlbekannt ist. So ist es der ZufsU, der mit
der Menschhnt gespielt hat. Nichts ist Erkenntnis im
menschlichen Denken, was nicht Torher in den Sinnen war».
Und nichts kommt in die Sinne hinein, was nidit sulUlig-
die Form dieser Sinne ansunehmen im stände ist. Viel
trauriger, als Goethe es dachte, ist sein Wort wahr:
.Wär* nicht dna Auge sonneubaft,
Die Sonne kOnnt' 63 nie erbUcken."
Nur was an der Sonne ai^nhafb ist, das kann das Auge-
sehen, das Sonnenhafte bleibt unsichtbar. Und nicht einmal
in Worten ausdrucken können wir ganz, was wir da meinen*.
Unsere offizielle Wissenschsft begnfigt sidi mit den
sichtbaren und hfirbsren Erscheinungen derjenigen Natur--^
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Kritik der Sprache.
64»
krifte, die offenbar etwas anderes diid ak Licht and SehaB.
Sie glau1>t sie zu kamen, wie wir fremde Poeeien aus Veber-
seteungen «i kennen glauboi. Der Gedanke ist ihr noch
kaum gekommen, dass am Ende nicht nur die hörbaren
und sichtbaren Erscheinungen der unbekannten Elektricität^
dass am Ende gar alles, was uns umgibt als Schall und
Liditf nur die stammelnde Uebersetzung unserer Sinne ist
ans einer fremden, fremden Welt.
Nur vor einer einzigen Erscheinung hält die offizielle
Wissenschaft denn doch erschreckt oder ehrfurchtsvoll inne
und gesteht, sie nicht zu verstehen: vor der Erscheinung
des Lebens. Und wie Kinder streiten die ehrlichsten Ge-
lehrten darüber, ob man von einer besonderen Lebens-
kraft sprechen dürfe oder nicht. Vor kurzem ist da.s ur-
alte Wortgefeclit neu aufgenommen worden. Und nur,,
wer durchdrungen ist von der Zufälligkeit unserer Sinne
und ihrer Erkenntnisse , nur der kann sich truurif,^ ausser-
halb de.s Kampfes stellen. Glücklich die Streitenden. Sie
wissen nicht, dass das Leben eben auch etwas ist, wofür
wir kein Sinnesorgan La^Hjn. genau wie die Elcktricität.
Was w^ir an unserem eigt ncn Leibe als Reiz und als Em-
pHndung kennen . dafür ist unser einziges Sinnesorgjui das
dumpfe, taubstumme Gemeingefühl. das wir nicht befragen
können. Und was weiter die kleinsten Lebenserscheinungeu
sind, die organischen Veränderungen im StoflF, oder in der
Enercrie, oder iu der Form des Lebewesens (Stoff'. Energie
und Form werden doch wohl nur verschiedene Worte sein
für dieselbe Sache), sie wandern trotz allen Mikroskopen
nicht früher in unsere Sinne himin, als bis sie die Zufalls-
erscheinung der Sichtbarkeit angenommen haben. Warum
wollen wir nun der guten Sprache es versagen, auch diese
Erscheinungen zusammenzufassen? Für die Erscheinungen
des Lichts und des Schalls brauchen wir keine AI» fr.iktion
und so haben auch die Worte Licht und Sch ill keine
abstrakte Form. Was soll aber die gute Sprache anlangen,
wenn sie die unemllichen Erscheinungen des Lebens mit
einem einzigen Worte bezeichnen will? Sie sag^ Vitalität
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650
YIII« WiMen und Wotte.
wie sie ElekfcriciiSI gesagt hat uad meint es nicht bdae,
Sie meint es auch nicht böse, wenn sie im Hunde aller-
jflngster Lebensforscher das neu aufgearbeitete Wort «Neo-
Titalismus* gebildet hat Wir dürfen es nur nicht für
eine höhere Eingebung halten. Wir mflssen nur wissen,
dass die tie&innigste Sprache nur das Stammeln eines
Kindes ist.
So steht denn die Menschheit mit ihrer unstillbaren
Sehnsucht nach Erkenntnis in der Welt, ausgerüstet allein
mit ihrer Sprache. Die Worte dieser Sprache sind wenig
geeignet zur Mitteilung, weil Worte Erinnerungen sind und
niemals zwei Menschen die gleichen Erinnerungen haben.
Die Worte der Sprache sind wenig geeignet zur Erkenntnis,
weil jedes einzelne Wort umsdiwebt ist von den Neben-
tönen seiner Geschichte. Die Worte der Sprache sind end-
lich ungeeignet zum Eindringen in das Wesen der Wirk-
lichkeit, weil die Worte nur Erinnerungszeichen sind für
die Empfindungen unserer Sinne und weil diese Sinne Zu-
fallssinne sind, die von der Wirklichkeit wahrlich nicht
mehr erfahren, als eine Spinne Ton dem Palaste, in dessen
Erkerlaubwerk sie ihr Netz gesponnen hat.
So muss die Menschheit ruhig daran verzweifeln, je-
mals die Wirklichkeit zu erkennen. Alles Philosophieren
war nur das Auf und Ab zwischen wilder Verzweiflung und
dem GlQcke der ruhigen Qlusion. Die ruhige Yerzweif-
lung allein kann — nicht ohne dabei Uber sich selbst zu
lächeln — den letzten Versuch wagen, sich das Verhältnis
des Menschen zur Welt bescheidentUch klar zu machen
durch Verzichten auf den Selbstbetrug, durch das Ein-
geständnis, dass das Wort nicht hilft, durch eine Kritik der
Sprache und ihrer Geschichte, Das w&re freilich die er-
lösende That, wenn die Kritik gettbt werden könnte mit dem
ruhig Terzweifeinden Freitode des Denkens oder Sprechens,
wenn sie nicht gettbt werden mOsste mit scheinlebendigen
Worten,
In einer Stunde solchen Gefühls habe ich meinen Ver-
such begonnen und nur immer verzögert, dem Begleiter auf
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KikÜk der Sprache.
651
meinem Wege zuzurufen, was icli ihm jetzt zu spät sage,
und was mein tiefstes Gewissen zu raeinen Worten oder
Gedanken sagt, die Worte Dantes ^Paradiso Ii):
,0 voi che eiete in pioeioletta barca,
Desideroai tl'aseoltar, sep^iti
Dietro al mio le^no che canfando varca,
Tomate a riveder Ii voälri liti.
Hon vi mettete in pelago; chö fonei
Perdendo me, rinuurrwle «mamtL
L'Mqoft <^*io preudo, giammai noa ti Mone/
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Re gl
s t e r.
A.
A = A-b III. m
Abel II. m III. m
Abstammungstheorie , Geschichte
der II. ßlO. — Abstammung und
Sprache II. 625.
Abstraktion L Ai^ II. 429. III.
— Abatruktionen II. 687.
Adelung II. liLL fILL III. UML
Adh^mars ,R«:voIution8 de la mer*
II. tiüä f.
Adjektiv II. 222. III. M f. — Gegen-
sätzliche A^iekt. III. m— Art-
bildende Adjekt. III. lüL
Adverbium Iii. 102. f. — Adverb,
u. Ca£us III.
Aehnlichkeit L SSL ■i2L — Aehn-
lichkeit u. Sprache L 323*
Aeon II. QM.
Aeethetik L 3Ö. — Aesthetik der
Tiere L IQA.
Aether L 2M.
Affen.«p räche II. 322.
Afßuitilt III. ISL
Agglutinierende Sprachen II. 2äh^
— Deutsche Agglutination II.
im.
Aha -Theorie II. MIL
Akkusativ III. 22.
Älberluä L 52 f.
d'AIembert III. 143.
Algebra der Logik III. HL 4M f.
Allheit III. 114.
Allwissenheit, Gesetze und II. 2^
ui. aaL
Alphabets, Invasion des II. .558.
Alter dca Menschenge&chlechta II.
651.
Altem der Worte L 41L
Amöben, Weltbild der L 3f>Q.
Analogien, alte II. 122^ — Falsche
Analoffie II. 82^ — Geläufige
Analogien II. 138. — Unbe-
wuBste Analogie II. 186.
Andresen II. 305. III. 2L
.Angeboren" II. 354. 718.
Anomalie II. 123.
Anschauung und Wort III. 280.
— Anschauung durch Worte
L 113. — Keine Anschauung L
m
Ansuhatz III. &L
Anthropomorphismus III. 831.
Apelt III. 4M. 4fi3.
Apnerception III. 2Ö2. 334. —
Unbewusste Appercepiion L 487.
Apriorisch = angeboren II. 718.
— Apriorität 11. 717. III. 2Ö4*
Archiniedes L 413. III. IfiL
Aristarchoe II. 122 f.
Aristophanes II. 130.
Aristoteles L 83. 225. 435. 53iL
632. II. 4Ü f. IHl 12iL lai f.
m 413 r. 731. III. 4. Ü4.
21Ü f. aiLL 4LL 423. 512. 608.
Artbegriffe, Spiache und II. 705.
Register.
653
III. 2S8. — Art- oder Grad-
unterschied II. 379.
Artikel, bestimmter und unbe«
fltimmter III. 22^
Artikulation II. 333. 32ß. 439.
Assoziationen L SRÖ. — Aasozia-
tionen und Interesse L —
Assoziationen und Sprache L
422» — Aäsoziationsgesetze L
4M. M2. — Assoziation beim
Dichter L 444. — Assoziation
beim Gelehrten L 447. — Asso-
ziation beim Redner L -14.5. —
AlK>s Denken Spiel von Asso-
ziationen II. 547.
Astronomie II. 181.
Atomistik III. Ifi2» — Atombegriff
III. ML
Aufgabe unlösbar II. 732.
Aufmerksamkeit L 343. 493. 513.
— Aufmerksamkeit leistet Ar-
beit L 496. — Aufmerksamkeit
und Gedächtnis L 493—554. —
Aufmerksamkeit L .5 IB. — Auf-
merksamen Denken L 501. —
Aufmerksamkeit und Interesse
L 42S. — Aufmerksamkeit und
Logik L 522. — Aufmerksam-
keit und Wille L 5Ö4. 52Ü. -
A ufmerksamkeit und Zivilisation
L 504. — Missbrauch der Auf-
merksamkeit L 525.
Auguatinus L 22Ü. III, 604.
Auslösung L 2äiL
Aussen und innen L 261.
Australneger, der gelehrte II. SiiiL
Avenarius III. 881.
B.
Bacon L 83. III. HL
Bailly II. Efifl f.
Bain L 22ix 22S f.
Barbara III. ^
Barbarensprachen II. 42.
Baumnamen IL 642. — Birnbaum
II. 211.
Becker, K. F. III. lülL IM.
, bedeuten' II. 222. — Bedeutungs-
wandel L II. 257—287. —
Laut- und Bedeutungswandel
II. 259. — Minimaler Bedeu-
tungswandel IJ. 261.
Begleitumstände II. 150.
Begriff und Ding III. 225. — Be-
griff und Wort III. 2fi5 ff. —
egriffe und Bilder III. 2M. —
Begriffe und Urteil III. 2öS. —
BegrifTaumfang und -Inhalt III.
284. 292. ~ .Begriff« III. 287,
— Begriflsidcale III. 201. mi.
— Einl^'ilung der Begriffe III.
310. — Begriff und GeseU III.
480.
Beispiele II. IB^
Belletristik L 44.
Benfey n. 45. .5(> f. 614.
Bequemlichkeit, Gesetz der II.
25
Berkeley L lüL 452. II. 492.
Beschreibung III. 842.
Betonung 11. 53Ü. III. m.
Bewegung III. iQh^ — Worte Be
wegungserinnernng L 4ßQ. 467.
— Sprache ist Bewegung L 18.S.
— Geist und Körper sind Be-
wegung L 469.
Beweis III. 487. — Geometrische
Beweise III. 492. — Beweise
Hypothesen III. 494.
Bewusstscin L 555 — 582. — Be-
wusstsein und Erinnerung L 515.
— Bcwusstsein und Schlaf 1.563.
— Bewasstsein und Sprache L
.'»71. — Bewusstes Denken L 45 s.
— Geschichte des Bewusstseins
L 565. — Worte im Bewusstseiu
L m
Bibel II. 33. 50 f.
Bichat L 55L
Biese IL i22 ff.
Bilder (Erinnerung) L 502.
Bilderschrift II. 552.
Biologie und Sprachwissenschaft
II. m
Bismarck II. 122. HI. Ififi. 412.
622.
.Blatt" II. iäL
.blau« II. 699.
Blickpunkt des Gedächtnisses III.
252.
Blödsinn II. 679.
Böhme L 4M. in. g{LL
Bopp II. 52 f Sa. in. 235, 252.
616.
Botanik III. 511. — Botanische
Klassifikation III. 513.
Brahe L
Bräuche II. 525.
654
R«gi8t«r.
B|M, Michel II. m m 21£ f.
.m 391. 462.
Bridgnian, Laura L 395.
Broca L M8.
Brosses, de II. 3fiIL
Bruchmann 11. 47fl f.
Brugmann II. 8^ lüL 2M.
Brücke L EU.
Bruno L SiL III.
Buchdenken II. &7Ü. — Vowtel-
hm^loses Buchdenken II. 590.
Buchdrutka, Plinflusa des II. h&l.
— Vernichtung aller Bücher
II. öfiL ~ Der Buchgelehrte II.
571. — Die Buchkultur II. 530^
Büchner III. m üÜfi.
Buchstabenschrift, Mängel der II.
fi7fi.
Buckle II. 12-
Buffon L m III. m
Bürger II. m
Busse L 25fi»
Butler L iAh.
C.
Calvin L 22fi.
Cäealpinus III. ^02. 514.
Cäsar, J. II. 132.
Celarent III. MB.
Chemie, Sprache der III. 505.
Chinegtioi bei uns II. 832. — Chi-
nesisch II. 25. — Gram-
matik und Loff'xk der Chinesen
II. 33L — Cbiut-i^ieche Schrilt-
sprachc 11.324. — Innere Sprach-
forni der Chinesen II. 338. —
ChineBische Schule II. 326- —
Chinesische Zukunft II. 583.
Christentum und Sprachwissen-
schalt II. M.
Chronologie II. (M.
Cicero II. 112. m III. m m
Cohen, IL III. ML
Common sense und Vererbung II.
727.
Comte L 3D6.
Condamine, La II. 6.38.
Condillac IL 3ÄI f.
Copula III. 25-
Cossmann, P. N. II. 721. III. 51IL
Curtius, G. II. 84. JM, im f. 235.
f>.30. 045.
Cuvier II. aSL III.
D.
Dagnerre III. ■'»42.
Dante L 125 f . 53S.
Darii lU. m
Darwin L fi4 f. 3M f. m H. 23.
22 f . sfifi f . m 721. m. m
2afi- 1,604 f. — Darwinismus II.
721. III. m 530. — Darwi-
niBmuB und Sprache II. 394. —
Darwiuismus und Sprachwissen-
schaft II. 22.
Definition III. 233 f. — Deanition
und Aufmerksamkeit 299.
Deiktisch L 42..
Delboeuf L öTL
Delbrück, B. II. 640. 734 f.
D«'mokrit08 L 3DÖ. IL 41öi
Demosthenes IL 319.
Denken L HL m — SÜUes
Denken L — Wirkliches
Denken L 2iL - Wortloses
Denken L llü — Denken und
Sprechen L lt>4— 216. U. ßS.
676. III. 2fiiL — Denkgc'wobu-
heit L — Denkge^etze III.
273. ^51) ff. — Denkgesetxe
Tautologien III. 364. — Denken
ohne iSprache L l(i8. — Denk-
muschine III. 184.
Descartes L 53. 175. 221. m
243. Aia. ßM f. iL 691. 711.
III. 2SL 53iL ^
Deutsch, was ist? IL 156.
Deutsche Philosophie III. 534^
DezimalBystem III. 139.
Dichtersprache IL l2iL
Dienende Stellung der Philosophie
Diener am Wort L 163.
Differentialbegriff III. IM f.
Ding an sich L 303.
Dinge und Worte III. M f.
Diodoros TL 598.
Dioskorides III. 513.
Dodge IL m
Doppelsterne III. 478:
Dove L ÜÜ.
Dreisinnigen , Assoziationen der
L m
Dritten, Satz vom ausgeschlosse-
nen III. 325.
Druckfehler und Sprechfehler
IL 3£4. — Drucksprache II.
5M.
d by Google
Regüier.
655
Da Bois-Reymond L 21iL 2ii5^
sas. u. m III. m
Duchenne L 4^>6.
Duns ScotuB III. 3()G.
Dnodezimalsystem II. 635.
E.
Eckart, Meister L 7B. III. 23^.
Edda L
Edkina II. 25.
Eigennameo II. 4'27. — ■ Eigen-
namen unbestimmt III. 87.
Eigenschaft und Wirklichkeit
III. 93.
Einheitabegriff III. 142^
Ein- und mehreilbige Sprachen
II. 232.
Einsamkeit L gg,
Einöbung L
Einverk'ibende Sprachen II. 298.
— Deutsche Einverleibung II.
3öfi.
Einzelding III. 223.
Eiszeit II. 653. — Periodische Eis-
zeiten II. df^^.
Element III.
Ellipse III. 2ötL
Elster, E. II. 423.
Ende, das L 480.
Enge des Bewusstaeins L 90. &fi2.
Englisch II. SIL
Entdeckung dea Neptun III. 403.
Entlehnung III. 132.
Entstehung der Sprache II. 389
bis 465. — Entstehung der
Sprache durch Gesetzgeber L LL
Entwickelung II. 2ü2. III. ßÜL —
Entwickelungsbypothese II. 391.
— Abkürzung der Entwicke-
Inngszeit L fif.
Epikuros III. äI2. Ö8ü.
Erasmus II. 166.
Erbfrack, der L bL
Erblichkeit und Anpassung II. 431.
Erdmann, B. II. SSSx
Erdmann, J. E. L 48.^.
Erdmann. K. 0. L 4£5.
Ererbte Disposition II. 710.
Erfahrung und Denken II. 714.
Erfindung L 14- II. •^•'»S
Erhaltung der Energie L 212x 2^
Erinnerung, Sprache ist II. 240. —
Jede Erinnerung Aktion L 417.
Erkenntnistheorie L 628. — Logik
und Erkenntnistheorie III. 408.
— Erkenntnis und Wirklichkeit
L 616. — Erkenntnisgrund ist
das Wort III. m — Erkennt-
nisgrund und falscher Begriff
III. afiL
Erlernung der Muttersprache II.
42fL
Erraten des Sinnes III. 2ML
Erwartung II. 32Ü.
Esqm'rol L 531.
.essen" III. QtL
Ethnologie, Sprachwissenschaft u.
II. 603—671.
Etymologie II. 198—230. — Gren-
zen der Etymologie II. 212. —
Moderne Etymologie II. 202. —
Wert der Etymologie II. 1311
— Etymologie der Alten II. IM.
— Etymologie und Menschwer-
dung II. 680. — Et3*mologi8che
Möglichkeiten II. 697.
Eucken III. 512.
Euler II. ÜÜL
Euphemismus L ü£>
Evolution III. 6ÜL
Exposition III. 232.
F.
Farben und Farbenworte II. 641.
701.
Farbeneinteilung menschlich II.
704.
Fechner L 233. 253 f. 2Mx 842.
III. SQ..
.Feder" II. 28L
Fehler II. L4L
Ferio III. 45L
Ferner L m
Fetische, Wort- L 15Ü.
Feuer III. SQ4.
Fichte I. 600. III. 376.
Fick II. 52^ til^
Firdusi II. ZL
Fixe Ideen L .'ilO.
Fixierung der Sprache II. 13i
Flechtig L 39fi. 419. 544. 624.
II. 113.
.flechten« II. 698.
Flexion III. 43. — Flexion aus
Richtungaworten III. —
Flexioofilosigkeit II. äÜÜ.
€56
Register.
Fluch der Sprache L SL
Flüche L SlL
Folgerung III. aaL
Fontane I.
Fürstcmann II. 22h
Forster, G. II. 12.
Fortschritt III. ÖM^
Fortschritt im Denken L 488.
Fortschritt sprachlos L 589.
Fraas II. G53.
Fragestellung» neue II. 446.
Franke, 0. II.
Fremde L IM^
Fremder Sprachen , Verachtung
II. 2a.
Fremdsilben II. fiSL
Fremdwörter unbildlich II. 525.
— Fremdwörter nur kultur-
historisch erkennbar II. 629.
Freytag, G. L 12fi. 11. 2lL
Fulgentius II.
I».
Gabelentz, v. d. II. 23, 122. 311 f.
m
Galenos III. ML
Galilei L fiSü. II. 81. III. 42Ü f.
Gall L 22Il
Galvanismus L 195.
Garner II. 322.
Gassendi L iä2. fi^
Gattungs Worte, individueller Ge-
brauch der II. 202.
Gay-Lusaac III. IfiL
Geljilrdensprache, Laut- und II. ft81.
Gebetwoi-te L 156.
Gebhardt II. bAL
Gedilchtnis L LüL 292. 402—492.
IJ. 730. — Gedächtnis für Be-
ziehungen L 123. ~ Gedächt-
nis und Bewu8st.-*ein L 415. 424.
Ahhi 547. — Gedächtnis und
Ich L 5SL — Gedächtnisfehler
L 42Ü. — Falsches Gedächtnis L
472. — Gedächtnis und Sprache
L 3B6. 4Ü8.. — Automatisches
Gedächtnis L 420. — Gedächtnis
und Gewohnheit L 557. — Kau-
salität ist Gedächtnis II. 723. —
Gedächtnis aktiv L 412. — Er-
erbtes und erworbenes Gedächt-
nis II. 713. — Gedächtnis und
Erblichkeit L HL — Auflösung
des Gedächtnisses L 541. —
Geschichte des Gedächtnisses II.
708. — Organ des Gedichte
nisses L 543. — Gedächtnis, und
Sinne L 405. — Tiergedächtnis
L üü.
Gedankenzeichen II. -575.
Gefühle L SIL — Gefühlswert
L 12Ü.
Gegenwart III. 35-
Gehen, das II. IL III. 60.
Gehirns, Geschichte des II. 706.
— Differentialrechnung des Ge-
hirns L 479. — Gehirnpbjraio-
logie L 209.
Geiger, l. L 5S3. II. 12S. ISä f-
m 222 ff. 696 f. III. m
Geist der Sprache II. 20.
Geistiffe.s II. L
Geisteswissenschaft , Natur- oder
II. a.
Gei.streich L 137.
Gemeinsprache II. 161.
Genie und Nachahmung L 5M^
— Verrückte Genies L 539.
Genitiv III. 15.
Geoffroy St. Hilaire III. 530.
Geruchsprache unmöglich L 412.
Geschichte II. 12. — (Jeschichte
und Sprachwisseoschail II. 671.
— Geschichte der Sprachwissen-
schaft II. 33—118.
Geschlecht III. 2i f.
Geschwindigkeit des Sprachwan-
dels II. ^
Gesetze L 52. II. 122. III. Sli —
Kreislauf von Wort und Gesetz
III. 18fi. — Gesetze in den
Worten III. 575. — Gesetz und
Notwendigkeit II. 212.
Gesichtspunkt III. 3fiL
Gespenster III. 338.
Gewohnheit L bhh±
Gleichheit lU. im
Goethe L 8ß f. K)2 f. m H. 42.
64. 2L m 157 f. 4S5 f . ^ f.
520. III. 21ia. aiL ilÄ. 452.
6<)4. 640.
Götter sind Worte L 152. — Worte
sind Götter L 153.
Göttlicher Ursprung II. 353.
Grammatik L m IT. Ui — Philo-
sophische Grammatik III. 2tLL
— Grammatik und Logik III. L
Grasaerie, de la III. 2i
Register.
657
Gravitation L ß2fi» III. 152. 4ÜL
549.
Griechen II. 40. lül.
Grillparzer L (>44.
Grimm, J. II. 22. 53 f. HR f. IfiL
257. 305. 354. SIL HI. lÜL
Grund III. Satz vom Grunde
III.
Grundbegriffe L 281.
Gutzkow L
IL
Haberlandt L 250.
Haeckel L 2li 242 f. m II.
4ÜÖ. üia. Hl. 54fi. bäiL
Hall, St. L m
Haller III. ÖS. 523.
Hamann L Sül f. 041 f. II. 49 f.
iSfi. 735.
UarmB III. ih^
Hamack III. 635.
Hartmann L 525 f. II. 4S. 4M.
III. Ö32.
Harvey III. 528.
Hauptmann, G. L 113. II. 120- 3152.
Haupt- und Nebensatz III. 19<i.
Hebbel III. 425.
Hebräisch II. 2aL
Heer, 0. II. ßfiL
Hegel L 23. fi5 f. m 022. II. 48.
üü. 142. ISO. III. 3L lJß2. 282.
312. 3M. •'■55.
Hehn II. fil2.
Heine II. 645. III. 525.
Heiterkeit L 83.
Heliotropiemus L .352.
flelmhollz L 115. 3D1L 342. 63ß.
II. AM. ÜM. III. lüH.
Holvetius L 433.
Herbart L 515. 522.
Herder L 2112. II. 42 f . 3M f ■ 43fi.
Hering L 4Ü2. 452. 546 f.
Herodotos II. 4Ö4.
Herschel III. 423.
Hesiodos II. 122.
Heyse, P. II. 142. 355.
,hie* III. 121.
Hlonipa II. 112.
Hobbes L 4Ü2. 635.
Höffding L 5fiü.
Holtzmann II. S2.
Homeros L 84 f. 14S. H. 24. 35 f.
85. 122. 28Ü. 422.
Mauthner, Beiträge zu einer Kr
.hörich« III. 222.
Hugo, V. L 12L
Humboldt. A. v. III. 52L
Humboldt, W. v. II. 56 ff. 1Ö5 f •
225. 538.
Hume L a£ 238.. 435. 631. II. 422.
III. 128.
Hundesprache II. 37 ß. — Mytho-
logie des Hundes II. 300.
Hyazinthe III. 512.
Hyperästhesie L 322.
Hypnose L 42.
Hypothesen und Worte III. 482.
428 f. 545.
Hysteron-Proteron III. 248.
Ibsen III. 242. 333.
Ich L 522. — Ich der Kinder
L 602. — Entstehung des Ich
L fi05. — Ich gemeinsames
Objekt III. IB. — Ich und die
Welt L 602. 614. — Icbgefühl
L 595—616. — Ichgefühl eine
Tausch ung L 606. — Doppel-
Ich L 602.
Identität, Satz der III. 366.
Ignorabimus L 265.
Indianer II. 300.
Indikativ II. 465.
Individualität L 491. — Indivi-
duum III. fil9. — Individual-
Psychologie L 20^. — Emp6n-
dungsindividuen III. 620.
Individualsprachen L fi, 182. —
Beispiel individueller Sprach-
en twickelung II. 173.
Induktion III. Inl ff. — Deduk-
tion und Induktion III. 457. —
Induktion und Licht III. 4.">9.
— Induktive Be^riffsbildung
IIT. kil. — Induktion und Ab-
straktion III. 4fi9. — Geschichte
der Induktion III. 477. — In-
duktion und Schluss III. 482.
Innere Sprachform II. fiL — In-
nere Sprach form ist der Sprach-
gebrauch II. IL
Instinkt und Wunder II. 322. —
Instinkte L 6L II. 370.
Integration III. 609.
Interesse L 357. 389. — Interesse
der Amöbe L 263. — Interesse
der Sprache. III. 42
658
Register.
und Gedächtnis L Sfil. — In»
tereue und Artbegriff III. 13.
Interjektionen II. 441.
leoHerung, deutsche II. 304.
Iterativum III. 13,
J.
Ja und Nein III. 322.
Jacobi, F. L m a2L fiÜ
Jaeger. G. II. fiI2.
Jahr m. 474,
Jerusalem L 3M^ U\. SSI.
Jhering II. 6M..
JodI L 26a .m 56£L
Jolly L 12. >ASL
Journalisten I^ 189.
Judentum L 1.'>7.
pjudicium* III. 317.
Junggrammatiker II. SS. SiL lÖiL
257.
Kant L EL 238. Ä 21L ■'>8fi.
ÖSL II. 8. ai. iS. fia. 22. Öfi..
181. m 4il2 f. 711. 716 ff.
721. 780. III. L m 2aL am
380 f. 42&^ 588. (305. 61 (t.
Kataclirese II. 529.
Kausalbegriff L fi2L
Kansalität und Zweck III. 252.
Keilschrift II. SU.
Kekul^ III. IQh. 5fiL
Keller. G. III. SIL
Kenntnis der eigenen Sprache L 18,
— Kenntnis fremder Sprachen
L 20,
Kepler III. 398 f.
Kemer, J. L 21fi.
„Kpuschlaram* II. ISL
Kindersprache L 601. II. 278. 808.
401. — Spracherfindung der
Kindpi- II. 4öi, — Bitte des
Kindes II, 462. — Kindersprache
und Geisteskrankheit II. 424. —
Kind und Hühnchen II. iQQ, —
Mutter und Kind II. —
Zeitbegriff der Kinder II.
— Z u t a llslaute der Kinder II. il2.
Kirchhoff III. 343.
Kjerulf II. f.
Klassifikation der Sprachen II. 288
bis 3ÄL — Klassifikation L 31L
347. — Gegenwärtige KJassi-
fikatioD II. 2SS. — Morpho-
logi-sche Klassifikation II. 289.
— Klassifikation nach der Schät-
zung II. 313.
Klassen, gleiches Sprachgefühl bei
verschiedenen LI. 3ö2.
Kleist, E. V. III. 5&
Kleist. H. V L 52^ II. m
Klingklaug-Theorie II. 448.
Kluge II. m 2üi fi2ä.
Knigge II. 160.
.Koch" II. fiAiL
Konfutse II. 2& f.
Konjunktionen III. 192.
Konkrete oder abstrakt« Bedeu-
tung II. 238.
Kontamination II. 515.
Konvention II. 553.
Koordinatensystem, geistiges III.
m
Kopernikus L 292. iäL.
Kömer II. fiL
Kraft L m II. 442. — Kraft und
Stoff III. IfiL 5fi4.
Krankheit II. ^
Kreifibilder der Logik III. BBL 42D.
Kritik der Sprache L 102, 11. 315.
III. 535. fi3a. fi42x — Kritik der
Sprache, einzige Wissenschaft
L tiSfL
Krug L 648.
Krystallographie !IT. .5 08.
Kultursprachen III. 223.
Kunst, Nachahmung der II. 541.
— Kunst immer Sinnenreiz
L 93i — Sprache als Kunst-
mittel L 8L
L.
Lachen und Sprache III. 641. —
Weinen und Lachen II. 455.
La Mettrie L WL
Landauer, G. L &8.
Lange L 2aL m III. Ml f-
Langeweile III. 125.
Laplace L 229. 11.8l>. 181. III. 163.
Larochefoucauld L 389.
Lasswitz L 257.
Latham II. 632.
Lauteleroente. Wandel der II. 214.-
Lautsprache II. 556.
Register.
659
Lavoiftier L 2M. ifia. III.
Lazarus IL I^L 4M.
Leben L 282.
Lebensdauer der Sprachen 11. 647.
Legende, die IL tiQ3.
Lehnwörter II. 622.
Leibniz L 263. 322. II. 325. 351 f.
4ai f. filL
Lepsius II. 25.
Lersch IL 197.
Leskien IL 8L äiL
Lesaing L 2L 102. 120 f . 320.
II. m III. 5ä f. lüL
Lichtenberg III. IM
Liebe L 31L
Liebermann, M. L äi.
Liebmunn L 242. 285.
Lindau, P. L filL
Linguistik und Historie II. 608.
Linnt IL m HL 28fi^ 51fi f.
Lippert L 583.
Littrd II. 167.
Locke L 1Ü5. LZ5. 22L SIL iä2.
5M. II. 8. 428 f. ^ m 717.
III. 288. 380.
Logik II. — Logik und Syntax
III. 2M. — Moral und Logik
III. 32Ö. — Lof^iken IT. ßfL III. 3.
— Logik der iSprux^he IL fiS. —
Sprache und Logik II. filfl^ —
SprachwiBsenechaft und Logik
II. iS.
Lokalisation L 22fi.
Lombroso L 532. 53L
LoUe L 213. IH. 3Ü3i m
Löwen des Mark Aurel L 145.
Lucretius II. läL HL 522.
Lüge L 2a.
Luther L 44. 122. II. H12. 182. —
Luther« BibplObersetzung II. 5ß2.
Lyell L ai2. II. ßi9 flF.
Macanlav L 82.
Mach, E. L Söfi. III. L 84. 18Ö.
18:.. 83r).
„machen* III. ti2.
Macht, Worte eine L4L 142—146.
Major und minor II. 683.
Malerei L M.
Männersprache L 54.
Marlitt L 12().
Marmontel III. 58.
Marschall, Leutnant D. 18ät
Marty IL im. 702.
Materialismus L 228. IH. 558. —
Materialismus und Philosophie HL
5d2.
Maeterlinck L IKt f .
Maupertuis II. 358.
Mauthner, L. L 2S0.
Meiner, J. B. HL 2Ü1.
Mendelejew III. 517.
Mendelesoho, M. L 32L
Merkmal III. fi4.
Merscnne L 402.
Metagrammatik L '27 L
Metapher, die II. 465—549. —
Metnphorik II. 3Ü. — ünbe-
wusate Metapher II. 477. — Me-
tapher und Anpa^ung IL 14fi.
— Metapher und Apperc!»ption
II. 478. — Metapher und Asso-
ciation II. 544. — Metapher und
Situation HL 342. — Meta-
phorische Krweiterung II. 505.
— Hyperbeln in der meta-
phorischen Erweiterung IT. .'ir>7.
— Metaphorische Neubildungen
IL 274. — Metapher und Poesie
L m 122. — Natürliche Me-
taphern des Raums IL 469. —
Metaphorische Scballnachah-
mung Tl. 470. — .Verblassen"
der Metapher II. 503. — Meta-
pher und Vergleich ung L 116.
— VVarnungsschrei und Me-
tapher II. 435. — Metaphern
werden und vergeben II. 511.
~ Metapher und Witz IL 5Ö4.
— Geschichte der Philosophie,
Selbstzersetzung des Metapho-
rischen L 4S9.
Metersystem II. 636.
Meyer, R. M. III. 543.
Meynert L 23fi.
Mikroskop L 342. — Mikroskopie
der Sprache II. lia.
Mill L m 435. IH. mZ ilxL 47K
Millet III. 5a.
Million II. ßß4.
Milton L SSR. fit?.
Mineralogie III. .'")07.
Missverstehen durch Sprache L 47
bis 64. — Sich selbst missver-
stehen L 63.
MisteU IL 28. 230.
Mitleid II. 543.
«60
Register.
MiUcherlich III. MiL
Mitteilungfiinöglicbkeit, Entdek-
kuDg der II. 416.
Modale Konsequenz III. 389.
Modi III. 72.
Mohamed L 142.
Mobs III. aüL
Moleschott III. 5fi3.
Holiere II. iL
Mommsen II. ML &LL
Monolog II. 4(>(i.
Morphologie II. 288.
Moses I. 1^
Müller, Friedr. II. 2S. gSS. ßMf.
Müller, Max L LlIL H. Lßü. IM f.
221 f . 2S5 f . 4iLi f. HL 622.
III. 104.
Mundarten II.
Münk L 2S1L IfiiL
Musik L 2h.
Mythologie II. 484. — Etymologie
und Mythologie II. 195.
Nachahmung II. 539.
Naegeli L 2äiL
Namen der Flüsse III. 9Ü.
Nampnaberglaube L 14fi.
Napüleoa L III. 622,
Nuturalismus L lÖiL II- IM.
Naturgesetze bildlich III. 572.
Negation II. 1^ III. m
Neovitalismus III. 528.
Newton L 52_ 23L 232. 623. II. ISL
:i*l7. IIJ. LüiL MLL ilL Ml^L
551 f. bbL
Nichtverstehen L 48
Nietzsche 1.27ii. :VJ'.> f. ÜLL III. ÜS,
12fl.
Noirö ll. ßI2. 711. 734.
Nomen und Verbum II .SOI.
Nominal- und Realdefinition III.
3ÜS.
Nominalismus III. 621.
Nordau L 539.
Notwenrligkeit III. ^^4 .
Nuancier uug der Bogrifl'tJ L 20 Q.
Nutzen der Sprache L 64.
0.
Oberländer II. 650.
Occam L S2i f . III. 34ft.
Offiziöse Sprache II. 516.
Oktavensyeteni III. 141.
Onomatopöieder Betonung II. 531.
— Onomatopöie und Etymologie
II. nM.
Ordnung lU. m
Organismas L 21.
Ort- und Zeitsinn III. US,
Orthographie, phonetische II. 581.
Ort^jnamen 11. 221.
Osthotr n. m f. ui.
Ovulius iL 2L III. ^
F.
P&nini II. SL 1^ f. aiL ^
ParallelismuR L 229. 254—274. —
Parallelismus ein Wort L 231 .
Parenthese III. 223.
Pascal L öflS.
Passivum L 2m III. 32. — Pas-
sivum barbarisch III. 2M.
Paul, Hermann II. Iß ff. 142. IM f.
269. 484. älÄ f . 5fiL ÜIL fi2S.
668. III. Ifi. 222,
Paul, Jean II. AI2 f. 734.
Paulspn L III. 214,
Pturiiudin II. fiü4.
Pflanzengedächtnis L 249. — Pflan-
zenseele L 242.
Philipp, S. III. ti2L
Philosophie, Möglichkeit der L MS
bis ÖäL — Der Philosoph L fi4S.
- Philosophien L 651. — Philo-
sophie und Sprache L 647.
Phonetik II. 284.
Phonograph, der II. 573. ~ Phono-
graphische, natürliche Schrift
II. 521,
Phrenologie L 225, ZSL
ifustt L 13.
Physiologie oder PsycholopripL 22L
II. äL — Physiologitiche Deu-
tung L 518.
Piaton L US, 22^ 223, II. 32 f.
129, m, 4fiö f. m III. IL
281 f. 42R, Ä22.
Plural III. SL
riutarchos II. 188,
Poesie oder Wortkunst L 92.
Poesie und Brgriffe L 105. — Poesie
und Liebe L 103. — Logik und
Poesie L 88, — Poesie und
Malerei L Ifi2,
d by Google
Register.
661
Politik II.
PoUe III.
Fösche II. iiaa.
Pott II. 21Ö. 298.
Prädikat, das Neue wird III. 21d.
Prädikat in Namen III. 216.
PranÜ II. 155.
Präposition III. 110,
Präsens III. 68.
Preyer L UÜ. 113» 602. II. m
iia f . dlS f .
Projizieren L r^lfi.
Protisten L 842. — Protisten«eeIe
L
Psyche, Geschichte der L 5M.
Psychologie, Unujoglichkeit der
L 219. — Psychologische Hand-
lung II. lüi.
Psychologische Terminologie L 21A
Pythogoras III. IBfi f. 145 f. 188 f.
314.
Quintilianus L 423. H- 132. 471 f.
i2L
B.
Rad II. 648.
.radeln' II. 141.
Rangordnung III. 45.
Raak. K. C. II. 22.
Raum. Zeit und Kausalität III. Uä^
— Raumdimensionen III. 38*
Ray II. 2m
Realität der Sprache L 41—47.
Reallogik III. ääfi.
rebus L 149.
Rechnen eine Erfindung III. 153.
Redekunst L 13ä.
Redeteilo III. 5
Reduktion, logische III. 428.
R^e L 272.
Reflextheorie II. 453.
Regeln III. 70,
Regnaud L m II. 83, 218. III. 43.
Reid L 493. 423.
Reinke II. 723.
Reize, akustische L 345.
Reklame HI. 513.
Relativitilt L 312.
Religion und Sprache III. 628.
— Religion und Wissenschaft
L 15E. — Alle Religion alte
Wissenschaft L 161- — Natur-
wissenschaft und Religion L 622.
Renan II. 354 f.
Reuter, F. II. ULL
Revolution der Sprache III. 82.
Rhythmus II. 595.
Ribot L m Aiii 515. .542. 54f..
Richtung.Hiidverbien III. 108.
richtig? wer spricht II. 1()8. —
— nichtige Aussprache II. 132.
— Die richtige Sprache eine
Abstraktion II. 153.
Rickert L 253. HI. 304.
Riehl III. 239.
Römer II. 181. 199.
Röntgen L III. 543.
Rousseau, J. J. II. 4L 353. 423.
G12.
Ruhebebedürfnis L 353.
Runen II. 53iL
&
Sajnovcz II. 22.
Sanders II. 168.
Sanskrit II. 35. — -Was ist Sans-
krit?* II. 15L
Sassetti II. 5L
Satz III. 42. — Sätze und Worte
II. 14L
Schallnachahmung II. ML
scheinen L 268.
Schelling L 052.
Scherer L 133. II. 43. 82 f. 825.
Schiller L 33. 123. 11. 158.
Schlaf I. 5(>4.
Schlegel, Fr. v. II. 52. 83.
Schierel, W. v. II. 295 f. Öll.
Scbluicber II. 87, 99. 113 f. 2^5.
332 f. 333. ßüiL 016.^
Schleiermacher L 323, III. 332.
452.
Schlussfolgerung III. 379 S. —
Unmittelbare Schlüsse III. 879.
388. — Wertlosigkeit des Scblies-
sens III. 393. — Psychologie des
Schliessens III. 899 — Gesetze
des Schliessens III. 483. - Mög-
liche Schlussweisen III. 432. —
Schlnss und Sprachgebrauch III.
440. — Scbluösketten III. 456.
Schmerz L 312. — Erinnerung an
662
Register.
Schmerz L 320. — Schmerz und
Sprache L 314. — Scbraerzen-
sinn L 315.
Schmidt, Erich L 328.
Schmidt, Juhannes II. IM ff- tiM.
fiia. fi22.
.schon" und ,er8t* III. 122.
SchopenhuuLT L 83.- Sfi. 12i 22L
381. :MH). 485. SäL iiSfi. 589.
II. L 4fii f. öäL Ml. fiia. ßiL
692 f. 711 f. 72U. 734. III. m
248. 2M. m aSÄ f . m i22 f.
630.
Schräder II. ßSL 643 f.
Schrift und Schriftsprache II. 54Ü
bis fiü3. - Schriftsprache L 15}^.
II. HL III. m - I'äycbologit!
der schriftlichen Sprache II. 585.
— EinfnhrunfTdcTSchrift II. 12^
— h^munziualion der Schrift
II. SfiSi — -Zur Geschichte der
Schria II. oäL — Schrift und
Lautverschiebung II. .'><>1. —
Schriflliche Sprache II. .')79.
III. 2ML — Das Genie in schrift-
loser Zeit 11 Ü2L — Schrift er-
setzt Qreisenweisheit II. 594. —
Schrift und schlochte Littenitur
II. ÜÜ2. — Techuik der Schrift
II. 596. — Der vorschriftliche
Gelehrte II. SIL ~ VorHchrift-
liehe Zeit II. 522. — Ein Vor-
zug der Schriftsprache II. 328.
— Wert des Schrifttums II. fifiü.
Schröder, E. III. HL ISS. 135.
453.
Schuhpit, IL III. 152.
Schuclmrdt II. 92.
Schnitze. E. L 24fi. 242.
Schuppe III. 34S. aSL 452.
SchwatzvergnUgen L 140.
Schweigen, das L 71. III
Schweninger, E. III. 485.
Schwere III. 470.
.Schwester* II. 27(;.
Seele und Leib L 219—254. —
Geschichte des Seelenbegriffs
L 224. — Versteckte Seelen-
vermtiRen L 28'). — Seele und
Bewusaisein L h60. — Seelen-
blindheit L 22SL — Sitz der
Seele L 241. — Seele nur ein
Wort L 23fi. — Seele und Sinne
1. 290—320. — Seele und Sprache
L 2SiL — Seelensituation III.
2.^4. — Unvereinbarkeit der
Seelensituationen III. 241.
„sehr" L 12L
„sein* II. 50R. — sein — heissen
III. Iß.
Selbstbewusstsein L 572. 5fi5.
Selh«tetymologie II. Iflg.
Selbstmord der Sprache L 214.
Sextus Emp. IL 124. IM. 730.
Shakespeare L 115 f. II. 511 f.
III. 4JÄ
Sichtbarkeit der Dinge II. 674.
Sievers II. aS3.
Sigwart L 25li. III. 4. TS. 22fi,
299. 315. 32fi.. SIL
,Sinnp, mehr als fünf L :V24. —
Beschränkung der Sinne L 3o6.
— Entwickelung der Sinne L Hfiß.
— Das Sieb der Sinne L 310.
— Sinnestäuschungen L 306.
Situation III. LLL — Worte und
Situation II. 2fifi. ~ Situation
und Sprache III. 225 ff. —
Situation und Kindersprache
III. 226. — Situation und Apper-
zeption III. 229. — Gemeinsame
Situation III. 23fi. — Situation
bei Sprecher und Hörer III. 243.
Skepsüi II. 640. — Skepsis und
Mystik III. g2L
Sokrates L S5 f . CiL II. 13Ö. ISL
490. III. 2iiH. 477.
.Solipsismus L 1)12.
Sollen im Urteil III. m
Sonne und Himmel II. 644. —
Sonne und Mond II. 644.
Sophokles L U. Bh. m
Spencer, H. L 32. 222. 2aL 42Ü.
632. II. 73, 655. Ul. 13L lA^
169. 608. 033.
Spinoza L 259. 3^ 43fi. 483»
II. 354 f. 488 f. 53L Hl. S&L
Sfia. 524. (112. 628 .
Sprache eine Spielregel L 24^
Sprache und Industrie III. 541.
Sprache und Sozialismus L23— 41.
— Auch Erkenntnis sozial L 22.
Sprache ? was ist L 3. — Sprach-
gefühl II. Ü5. aüL — Si.rach-
gefUhl und Sprachgebrauch U.
536. — Sprachgebrauch L 2^)1.
— Sprachgebrauch und Sj>ruch-
gebrauch 11. 2G2. — Sprach ptj-
schichte II. L — Sprachgeset^e
11. 83. — Sprachindustrie II. MiL
d by Google
Register.
663
— Spracbkategorien II. 24. — 1
Sprachenmischunff II. <320.
— Sprucbrichtigkeit II. 118 bia
176. — SchiJne Sprache L 12iL
— Sprachvermögen L II. 2.
— Sprachvt-'nvundtHchaft II. lUL
— Was ist SprachwisBenschaft?
IT. 1 — S2. — Grenzen der Sprach-
wiMCMSchaft II. 784. — Spracb-
wissenachaft die einzige Geietc«-
wiasenschaft II. 12, — Sprach-
zentrum L 400. — Sprachzweck
int Suggestion Fl. 461. — Spre-
chenlemen II. 402.
,8ta' II. 2m.
Staat, der L OL
Stammbaume der Völker II. ßÖL
Steiuthal L LUL 4^ ML II. 5i f.
LI f . lÜL I2i saß f . f . m
4.'>4. m III. 2. 24. m
33fi. ML
Stenographie III. löfL
Sterne, C. II. 033.
Stewart, D. L
.stilvoll« II. 2Öfi.
StimmunpT L lUL
Stirner L ÜÜL III. 8M.
stoflf III. m
Stehr, A. III. L 2Mx
StrauBä. D. F. L 153= 528.
Stricker L 222. 4fi2. 528. II. 285.
Stumpf. C. L 25L 704.
Subjekt und Objekt L 221. — Sub-
jekt überflüssig III. 2Ü5.. — Psy-
chologisches Subjekt III. 2.'>ß.
Subjeküvität L ÜÜiL 374—402. —
Subjektivität der Kategorien III.
ILL
Substantiv II. 225. III. 83 ff. —
Substantiv und Adjektiv III. 2.
— Subs^tantiv und Verbum III. 2.
Syllogismen III. 891. — Die syl-
logisti sehen Figuren III. 410.
Synonyme L ^9,
Syntax III. 18^ ff. — Syntax des
Redners III. IStL
System der Wissenschaften II. 4.
Systeme L 644.
T.
Taine L 220. 5SSL H. 42L
Talent L 5ÖL
Taubstumme L 176.
Tautologie III. SÜL 324.
Technische und Gemeinsprache
III. bM.
Teleologie L fiS. III. 585. 521*
Telephongedächtnis L 453.
Temperatursinn L 369.
Tempora II. 510^
Tepi II. 128.
Termini technici III. SM ff.
TertulUan L 225.
Thaies L ß53.
Theologische Ansicht II. 466.
Thomas v. Aquino L 226.
Tiere, Associationen der II. 54t).
— Begriffe der Tiere II. äfiÜ.
— Begriffe bei Tieren und Men-
schen II. 677. — Lernen der
Tiere II. 445. — Logik der
Tiere II. 368. — Tierund Mensch
II. SM. — Sprache zwischen
Tieren und Meuachcn II. 442.
— Tier- und Menschenspracbe
IL 351—388. — Naturgesetze
bei den Tieren II. fi(i7. — Tiere
und Pflanzen L 244. — Sprache
der Tiere L 5i7L Tierverstand
IL 711. — Tiere und Werkzeuge
II. 3ß2i — Worte über Tiere
II. 691.
Todessehnsacht L 654.
Tochtersprachen II. 622.
Tönung des Wissens L 381.
Tonwuudel II. 283.
Tote Begriffe II. 350, — Tote Spra-
chen IL 34L — Toter Sprachstoff
II. 344. — Tote Symbole L 112.
III. 52. — Tote Worte II. 340.
Trägheit und Gedächtnis TT. 731.
Transitiv und intransitiv III. 12 f.
80. — Transitivum und Willens-
freiheit III. TL
Traum L 45Ü. 522. — Die Welt
ein Traum L 619.
Trendelenburg IL 425. III. §92.
438. 452.
Tretmühle L 83.
Tropen TT. 475.
Tugenden L 45.
Tyndall L 2Ö5. 31iL MS. 3iiS.
Ueberweg III. 224. 39ß. 4.^0.
Uhde L 24. IL 5iL
664
Register.
Uhrpnglfiichnis, das L 262.
Umlang und Inhalt III. SM.
Unbeetimmtheit des grammati-
gehen Sinnes III, 1 — 55. — ün-
bestimiutheit der Zeitformen
III,
Unbewussten, Philosophie des L
577. — Unbewufißte Vorstel-
lungen L 5ß2.
,und', .aber*, .oder* III. liLL
Unpersönliche SäUe lU. Mü.
Unwahrheit L fi^Ü.
Urheimat, die, dfr Arier II. 6^2.
ürphänomen L ii\A±
Urrasiermesser, das II. 613.
Ursacbbegriifs, AprioritAt des II.
719.
Ursprache II. 3ä2» 43fi.
Urteil III. all tr. — Lebendiges
Urteilen III. aii. — Urteil und
Satz III. aiiL — Einteilung der
Urteile sprachlich III. 32L —
Urteile psychologisch III. H23.
— Synthetische Urteile III. 320.
— Analy tische Urteile III. 323.
— Erzähknde Urteile III. Ä —
Urleil und a priori III. 341. —
Partikulare Urteile III. 343, —
Konstanz der Urteile III. .347.
Urvolk, Legende vom IL fifi7.
Urzeit II. 1 25. — Schlüsse auf die
.Urzeif II. G41.
T.
Varro IT. 39. 128 f. 194.
Vauvenargues L 370.
Verbalinjurie L 143.
Verbum L m IL 225. III. 55 f.
— Verbum immer unwirklich
TU. ti3. — Verbum oder Nomen
II. 689.
Vererben, Erwerben und IL 724.
Vergessen, das L ^^'3
Vergilius L
Vergleichung L lliL IL UA. —
Phantastische Vergleichungen
II. 317. — Psychologie der Ver-
gleichung IL 486.
Veruer IL 93
Vernunft, Gedächtnis und II. 708.
— Vernunft in der Sprache II.
t)95. — Veratand L 124. — Ver-
stand und Vernunft L IHfL IL
692. — Verstand, Sprache, Ver-
nunft L 583—595. — .Ge-
schichte' und .Vernunft" IL
733. — Geschichte der Vernunft
oder Sprache IL 688. — Ver-
nunft etwas Gewordenes II. 686.
— Ursprnnpr und Geschichte von
Vernunft IL G7 1—73.3. — Ur-
sprung von Vemuntl IL 728. —
Verstilndnis der ersten Worte
II. 418.
.verwandt' IL 114. — Chemische
Verwandtschaft III. 5Ü3* — Ver-
wandtschaft IL bL aoa.
Verworn L 342 L 352 f.
Vico TL 422. 4M. 495 f. 672.
Vielheit III.
.vielleicht* IIL 24ß.
Vikariierende Nerven L 289.
Virchow L 12Ö, IL ß65 f . IIL 22S.
512. üia.
.Vilrier* IL 3fifi.
Vogel, H. W. II. 701.
Vogt L 256.
Vokativ und Imperativ III. 52.
Vülkelt IIL 3Ö4.
Völker, Sprachen und IL 605.
Völkerpsychologie L 2üfi
VülkerwanUeruDgen II. 615 f. 626.
Volksetymologie II. ISL 22L —
Macht der Volksetymologie IL
226.
Voltaire L 153 f. IL 12.
Vorsilben ITT. IIL — Vorsilbe
.er* und ,ver* III. 112 f.
W.
Wachstum der Sprache durch
Uebertragen IL 467.
Wagner. R. L 20. IL 2iL
Wahle, R. L (m
Wahnsinn L 5'2fi. — Gedächtnis
und Wahnsinn L 529. — Genie
und Wahnsinn L
Wahrheit L 68«. III. Hlft. 860.
Wahrnehmen ohne Schliessen III.
405.
Wahrscheinlichkeit III. 4M.
Walter v, d. Vogelweide L I.
Wanderburschen, Zwölf II. 817.
Wann starb das Latein? IL
Warme L 297. — Wärmesinu L
330.
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Register.
665
Wauwau-Theorie IT. 450.
Wechselwirkung L 2ü2.
Wechßsler, E. II. 22h.
Wegener II. 460 f. IM. üä.
225. 220 fi - 2Ii2.
,weU« III. m
Weinen II. 4^ — Staunen, Wei-
nen, Lachen Jl. 45.'>.
Weiee, Chr. III. m
Wellensdnvingungen, Theorie der
L m
Weltanschauung III. — Welt-
anschauung und Sprache L48ä.
— Weltanschauung und Sprach-
gebrauch III.
Weltkatalog II. 62.
.werden" U. 509.
Wemicke L 2Ü2 f.
Wert der Sprache L 64—86.
Wesen III. 293.
Wesen der Sprache L 3—28.
Westphal L 5LL
Whewell III. m m
Whitney L 12. SiL IM. H. 247 f.
23S f . 1150. 445 f. f. m
606, ßm
Wideinpruch II. HT. m —
Satz dea Widerspruchs III. 368.
WiUensfreiheit II. 5^
, Wippchen* II, 513. — Wippcben-
lose Sprache 11. 5{W. — Sprache
nie ohne Wippchen II.
Wirkliehe, das. zufällig ITl. äSL
— Erkenntnis und Wirklichkeit
L 616—642. — Denken und
Wirklichkeit L m — Wirk-
lichkeit und Worte III. 225. —
Wirklichkeit und Sprache III.
615. — Hypothese einer Wirk-
lichkeitswelt L 620. — Wirk-
lichkeitewelt L ßSL — Sprache
und Wirklichkeit IT. 22.
Wiasen — gesehen haben L 262.
— Wissen ohne Sprache L 203.
— Bereicherung des Wissens
III. 3ÜL - Wissen und Worte
III. 5&I ff.
Witz L m n. 265. m
Wölfl; Chr. L m
wolff, j. II. m
Worte L iSL — Wort and Wort-
klang III. 2m — Wortaber-
glaube L 146—164. — Wort-
bildungslehre L 425. II. 31 —
Wörterbücher II. 22Ö. — Ge-
schichte der Worte L 13. —
Kategorie des Wortes II.
Wortfolge III. IM.
Wortkunst L 86—142. III. 6L —
Arten der Wortkunst L 97. —
Wortreal ismus III. 617.
Wortstilmme II. 243.
Wort«treit, ein L öi. 128^
Wulfila II. m
Wandt, W. L 2ÜL m 238. aiL
m 520. m II. im 235 f.
473. 5M. III. 181. 452. 455.
Wurzeln II. SS. 2.S0— 257. — Was
ist eine Wurzel? II. 230. —
Einfachheit der Wurzeln Tl. 252.
— Wurzeln und Grammatik
II. 255. — Relative Wurzeln
II. ^3. — Semitische Wurzeln
II. 2afi. 253. — Stämme und
Wurxeln II. 245. — Wurzeln
vorhistorisch Tl. 250.
Wuttke II. m 593 f.
X.
X-Strahlen L läiL
Xenophanes II. 484 f.
Z.
Zabarella III. 455.
Zahl, Verbum and Nomen HI. 154.
— Zahl Worte III. 132 ff. — Zahl-
worte als Adjektive III. 185. ' —
zahlen eine Erfindung III. 132.
— Zahlen unwirklich III. 146.
— Zahlenverhältnisse unwirklich
III. IßÖ. — Zahlenverh<nisse
metaphorisch III. 150. — Zahl
und Natur III. 1I& — Zeit der
Zahlengeschichte II. 063. — Zahl
und Zählen III. m. — Zälilen
L 189.
Zamcke II. 83.
Zeichnung, Sprache und L 46.
Zeiten III. 36. — Zeit in der
Grammatik III. 62. — Zeit und
Redeteile III. 7A. — Zeit und
Gedächtnis III. 130. — Zeitfol^
im Syllogismus III. 418. — Zeit-
licher Horizont II. 205. — Zeit-
loses PrSsens III. 44< — Das
Zeitmoment L 4.*^2. — Zeitdauer
der Sprachgeschichte II. 662.
666
Register.
Zerstreutheit L 508.
Ziehen L 208.
Ziffern keine Begriffe L 532.
Zola II. 2M.
Zoologie III. 524.
Zufall II. m III. 5m — ZufaU
und Anfmerksamkeit III. .'>S1.
— Zufallsgeschichte II. 685. —
Drei Potenzen des Zutalla L 366.
— Zufall in der Sprache II. ITfi
bis m.
Zufallflsinne LM.. Iß. 225. ä2Q bis
Zufall und Welterkenntnis 11.410.
Zweckbegriff III. 526. — Zweck
im Verbum III. .59.
Zahl, 2 die erste III. ISL — Zwei-
mal «wei = i III. 145. — 2 und
du III.
Zweifel, Frage und II. 1.^5.
Zwischen den Menschen L 28.
II. m 725.
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by retainin^ it beyond the speoified
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